[][][][][]
Characteriſtik
der merkwuͤrdigſten
Aſiatiſchen Nationen.

Concentrirt und hiſtoriſch richtig
dargeſtellt.

Zweyter Theil.

[figure]

Breßlau: ,
bey Johann Ernſt Mayer, 1777.
[][]
[figure]

Vorbericht.


Wir finden bey Herausga-
be dieſes zweyten Ban-
des der Characteriſtik der
merkwuͤrdigſten aſiatiſchen Natio-
nen, fuͤr unnoͤthig, unſre Leſer
mit einer weitlaͤuftigen Beſchrei-
bung uͤber dieß Buch aufzuhalten.
Der ganze Plan iſt nun ausge-
fuͤhrt, und es ſteht einem jeden
a 2frey,
[]Vorbericht.
frey, ſein Urtheil uͤber das Gan-
ze nach Belieben zu faͤllen.


Man hat den erſten Theil die-
ſes Werks, in verſchiedenen ge-
lehrten Zeitungen auf eine Art be-
urtheilt, die fuͤr uns ſehr ſchmei-
chelhaft ausgefallen iſt. Man
hat uns mit Anſtand einige Ver-
ſehen gezeigt, ob ſie gleich nicht von
Erheblichkeit ſind, und dem Wer-
the des Ganzen merklichen Abbruch
thun koͤnnen. Indeſſen wiſſen wir
es ſehr wohl, daß wir uns hie und
da uͤber gewiſſe Dinge beſtimmter
haͤtten ausdruͤcken ſollen. Aber,
wenn
[]Vorbericht.
wenn man ſich daruͤber aus Man-
gel glaubwuͤrdiger Nachrichten
nicht beſtimmt ausdruͤcken kann,
wie denn? Und der Fall iſt ſonder-
lich im erſten Theile dieſes Werks
verſchiedentlich vorgekommen.
Auch wiſſen wir, daß manchem
Leſer unſre gefliſſentliche Kuͤrze
nicht immer gefallen wird. Die-
ſen Menſchenkindern koͤnnen wir
nicht anders helfen, als das wir
ihnen den Rath geben, die von
uns gebrauchten und augezeigten
Buͤcher nachzuleſen. Haͤtten wir
ihre Neugierde befriedigen wollen;
a 3ſo
[]Vorbericht.
ſo wuͤrden fuͤnf oder ſechs Quartan-
ten nicht hinlaͤnglich geweſen ſeyn.
Und wenn wir unſern Plan ſo weit
ausgedehnt haͤtten; ſo wuͤrden wir
ganz gewiß einen ſehr uͤberfluͤßigen
und unnuͤtzen Plan entworfen ha-
ben.


Doch wir wollen uns hierbey
nicht laͤnger aufhalten, ſondern
vielmehr die Gewaͤhrsmaͤnner, de-
ren wir uns bey Verfaßung dieſes
zweyten Bandes bedient haben,
vorfuͤhren.


Da folgt nun zuerſt Engel-
bert Kaͤmpfers Beſchrei-

bung
[]Vorbericht.
bung von Japan. Dieſer
Engelbert Kaͤmpfer war, wie
bekannt, Hochgraͤfl. Lippiſcher
Leibmedieus, aus Lemgo gebuͤr-
tig. Er unternahm in den Jah-
ren 1683 bis 1692 von Schweden
aus, eine Reiſe durch verſchiedene
Provinzen Rußlands, Perſiens,
Indiens, Siams und Japans.
Er reiſete mit beſtimmter Abſicht,
indem ers ſich vornahm, die Kennt-
niße ſeines Zeitalters zu erweitern,
und dieſe Erweiterungen der Welt
zu communiciren. Dabey war
er mit den hinlaͤnglichſten Kennt-
a 4nißen
[]Vorbericht.
nißen und Urtheilskraft verſehen,
um ſich das Zutrauen der Leſer
zu verſichern, daß er richtig geſehen
und beobachtet habe. Dieſer tie-
fe Beobachter leuchtet ſchon hin-
laͤnglich aus ſeinen Amoenitati-
bus exoticis
hervor. — Wir ha-
ben uns fuͤr vollkommen berechtigt
geglaubt, dieſem gelehrten und ehr-
lichen Weſtphaͤlinger in der Cha-
racteriſirung der japaniſchen Na-
tion zu folgen, da Niemand, weder
vor ihm noch auch nach ihm beßre
Aufſchluͤße, die zur naͤhern Kennt-
niß dieſes Volks dienten, gegeben
hat
[]Vorbericht.
hat. Der Leſer wird indeſſen doch
finden, daß wir auch andre Schrift-
ſteller, dahin Caron, Hagener,
Varenius, Froes (der im Jahre
1586 in Japan war) und andere
gehoͤren, zu Rathe gezogen haben.


Bey Behandlung der Araber,
haben wir uns vorzuͤglich der fuͤr-
treflichen Beſchreibung des Herrn
Carſten Niebuhrs bedient, eines
Werks, das ſich durch Ordnung
und ſyſtematiſchen Geiſt, durch
Ausfuͤllung der Luͤcken unſrer bis-
herigen Kenntniße von Arabien,
durch Genauigkeit in Darſtellung
a 5der
[]Vorbericht.
der Menſchen, und Scharfſinnig-
keit im Urtheilen, ausgezeichnet.
Ein ſolcher Mann alſo, der aller-
dings in die Klaſſe der Pokocke
Keyslere, Gmelnie, Kaͤmpfer, Lou-
bere, Chardin und andere gehoͤrt,
— konnte von uns nicht anders,
als Kaͤmpfer benutzt werden.


La Loubere hat uns bey Siam
eben die Dienſte gethan, welche uns
Kaͤmpfer bey Japan und Herr Nie-
buhr bey Arabien geleiſtet haben.
Seine Nachrichten haben in Ab-
ſicht der Ordnung, des Fleißes, der
Wahl der Materien und der Gruͤnd-
lich-
[]Vorbericht.
lichkeit der Anmerkungen, vor al-
len einen großen Vorzug. Wir
wuͤßten keinen einzigen Reiſebe-
ſchreiber, der mit ihm, was Siam
betrift, koͤnnte verglichen werden.
Zwar fehlt es uns nicht an Maͤn-
nern, welche Nachrichten von Siam
haben drucken laſſen. Choiſi iſt
in ſeinen Berichten hoͤchſt ſuperſi-
ciell. Daher haben wir ihn ſel-
ten um Rath gefragt. [Ta]chard
hat ſich oft, wegen der außero[r]-
dentlichen Ehrenbezeugungen, die
er in Siam genoß, blenden laſſen,
und man muß ſich alſo gar nicht
wun-
[]Vorbericht.
wundern, wenn er uns die abge-
ſchmackteſten und leichtglaͤubigſten
Dinge von der Welt vorerzaͤhlt.
Herr von Frobin macht an einem
Orte uͤber dieſe beyden Reiſebe-
ſchreiber folgende Anmerkung: Ich
muß aufrichtig bekennen, ſagt er,
daß ich mich mehr als einmal ver-
wundert habe, daß der Abt von
Choiſi und der Pater Tachard,
welche die Reiſen mit mir gethan,
und eben das geſehen, was ich ge-
ſehen habe, ſich beredet zu haben
ſcheinen, der Welt von dem Koͤ-
nigreiche Siam praͤchtige, und der
Wahr-
[]Vorbericht.
Wahrheit ſo wenig gemaͤße Begrif-
fe zu geben. — Das iſt nun frey-
lich alles wahr, und beyde haben
gewiß die Siamer zu ſehr herausge-
ſtrichen. Indeſſen muß man doch
aber auch geſtehen, daß, ſonderlich
Tachard mitunter, ſehr richtige und
genaue Anmerkungen mitgetheilt
hat. Wir haben ihn auch oft ge-
braucht, doch aber nur dann, wann
er mit Loubere und andern uͤberein-
ſtimmte. Wir enthalten uns von
den uͤbrigen Schriftſtellern, die uns
bey Siam ihre Dienſte geleiſtet ha-
ben, etwas zu ſagen.


Un-
[]Vorbericht.

Unter denjenigen, welche Hin-
diſtan
bereiſet haben, verdienen
wohl die Anmerkungen des Ber-
niers
vorzuͤglich geſchaͤtzt zu wer-
den. Er war ein beruͤhmter Arzt,
ein Philoſoph, ein ſcharfer und ein-
ſichtsvoller Beobachter, der nicht
beobachtete, weil er reiſete, ſon-
dern reiſete um zu beobachten.
Seine Reiſe iſt in vier Theilen un-
ter dem Titel: Memoires de
l’Empire du Mogol à Paris

1670-1671 herausgekommen. Wir
haben keinen Anſtand genommen,
ihn als den Leitfaden anzunehmen.
Will
[]Vorbericht.
Will aber jemand ſagen, daß wir
ihm ohne Ueberlegung gefolgt ſind;
ſo thut er uns ſicher zu viel, denn er
muß wiſſen, daß wir neben ihm auch
noch OvingtonsVoyages to
Surat,
LordAccount of Ba-
nians relig.
Thevenot, Ter-
ry
Voyages to Caſt India,
Hamilton und andere zur Hand ge-
habt haben.


Aus allem dieſen ſieht der Leſer,
daß er in dieſem Buche Relationen
der Reiſebeſchreiber von verſchiede-
nen Laͤndern ließt, aber ſolche Re-
lationen, die gegruͤndet und folglich
von
[]Vorbericht.
von Erdichtungen frey ſind. Wir
werden uns fuͤr belohnt halten, und
halten uns zum Theil ſchon fuͤr be-
lohnt, den Liebhabern der Reiſebe-
ſchreiber durch unſern Plan, fuͤr ei-
nen geringen Preis, das Zuverlaͤſ-
ſigſte, was ſich von einer Nation
ſagen laͤßt, communicirt zu haben.


Uebrigens wollen wir hier noch
anzeigen, daß wir nicht abgeneigt
ſind, die Amerikaner nach eben die-
ſem Plane zu behandeln. Vielleicht
entſchließen wir uns, ſie aus einem
hiſtoriſch-philoſophiſchen Auge zu
betrachten.


Die Verfaſſer.


Leipziger Oſtermeſſe,
1777.



[]

Inhalt.



  • Japaner.
    Erſtes Kapitel.
    Kurzer Abriß von Japan — vom Clima — von
    der Fruchtbarkeit des Landes. S. 3
  • Zweytes Kapitel.
    Von der Religion in Japan. S. 8
  • Drittes Kapitel.
    Von der Lebensart, Sitten und verſchiedenen Ge-
    braͤuchen der Japaner. S. 40
  • Viertes Kapitel.
    Von der Sprache — den Kuͤnſten und Wiſſenſchaf-
    ten der Japaner. S. 55
  • Fuͤnftes Kapitel.
    Von der Regierungsform und den Geſetzen in Ja-
    pan. S. 71
  • Sechſtes Kapitel.
    Vom Handel und Gewerbe in Japan. S. 93
  • Araber.
    Erſtes Kapitel.
    Allgemeine Anmerkungen uͤber das Clima Arabiens
    und den Character der Einwohner dieſes Landes
    — Betragen der Mohammedaner gegen frem-
    de Religionsverwandte — Gaſtfreyheit und
    Gruß der Araber. S. 115
  • Zweytes Kapitel.
    Von einigen beſondern Umſtaͤnden den Mohammed
    betreffend — Von den Geſetzen Mohammeds
    und insbeſondere vom Koran (Alkoran.)
     S. 137
  • Drittes Kapitel.
    Von der Kleidung — vom Eſſen und Trinken und
    Wohnung der Araber. S. 186
  • Viertes Kapitel.
    Von der Vielweiberey und Beſchneidung der Morgen-
    laͤnder. S. 208
  • Fuͤnftes Kapitel.
    Von der Sprache und den Wiſſenſchaften der Araber.
     S. 222
  • Sechſtes Kapitel.
    Abriß von den Bedouinen oder herumſtreifenden Ara-
    dern. S. 255
  • Siamer.
    Erſtes Kapitel.
    Von den Einwohnern in Siam — ihrer Kleidung —
    Wohnungen und Lebensart. S. 279
  • Zweytes Kapitel.
    Von den Schauſpielen und Vergnuͤgungen der Sia-
    mer — von den Weibern des Koͤniges und den
    Befehlshabern des innern Pallaſts — vom
    Heyrathen — Tod und Begraͤbnißen. S. 290
  • Drittes Kapitel.
    Von der Erzichung der Kinder — Sprache — Kuͤn-
    ſten und Wiſſenſchaften der Siamer. S. 305
  • Viertes Kapitel.
    Von den verſchiedenen Staͤnden — Regierungsart
    — und dem Soldatenweſen der Siamer.
     S. 321
  • Fuͤnftes Kapitel.
    Von der Religion der Siamer. S. 340
  • Hindiſtaner.
    Erſtes Kapitel.
    Ueber Clima — Character, Sitten und einige Ge-
    braͤuche der Hindiſtaner. S. 365
  • Zweytes Kapitel.
    Von der Geſchicklichkeit der Hindiſtaner in den Kuͤn-
    ſten, und ihrer Gelehrſamkeit uͤberhaupt.
     S. 393
  • Drittes Kapitel.
    Von den gewoͤhnlichen Krankheiten — Wohnung
    — Handel und Gewerbe der Hindiſtaner.
     S 406
  • Viertes Kapitel.
    Von der Macht und dem Reichthum des Großmo-
    gols. S. 416
  • Fuͤnftes Kapitel.
    Von der Regierungsverfaßung und Polizey in Hin-
    diſtan. S. 430
  • Sechſtes Kapitel.
    Von der Religion der Hindiſtaner. S. 437


Japaner.[[1]]

Japaner.



Omnium rerum viciſſitudo.
(TERENTIUS.)

A
[[2]][[3]]
[figure]

Erſtes Kapitel.


Kurzer Abris von Japan — vom Cli-
ma — von der Fruchtbarkeit des
Landes.


Das große und weitlaͤuftige Reich
Japan, wird von den Europaͤern
bald Japan, bald Japon, und
von den Japanern ſelbſt Niphon, Hiphon,
oder Nippon und Hippon benannt. Dieſe
letzte Benennung iſt bey den Einwohnern des
Landes die gemeinſte, und gewoͤhnlichſte, und
man findet, daß ſie ſich derſelben in ihren
Schriften und im taͤglichen Umgange bedienen.
Die laͤngſt dem Meere wohnenden Chineſer
nennen dieß Reich Sippon oder Zippon.
A 2Doch
[4] Doch wir wollen uns bey den verſchiedenen
Namen, welche man dieſem Lande beylegt, nicht
aufhalten — zumal da der Urſprung des Na-
mens uͤberhaupt ganz ungewis iſt, und unſre
Alten von den Japanern ſonder Zweifel nichts
gewußt haben — und im Ganzen anmerken,
daß alle Benennungen dieſes Reichs von der
oͤſtlichen Lage deſſelben herruͤhren.


Japan liegt zwiſchen dem 31ten und 42ten
Grad der mitternaͤchtlichen Breite, und erſtreckt
ſich von Suͤdoſt gegen Nordoſt. Was die Brei-
te deſſelben betrift; ſo iſt man nicht im Stande
dieſe, wegen der vielen Kruͤmmungen und Un-
gleichheit des Landes, mit Gewisheit anzugeben,
ob es gleich, im Ganzen genommen, weit
ſchmaͤler als lang iſt.


Die Kuͤſten von Japan ſind mit ſteilen und
hohen unuͤberſteigbaren Bergen und Felſen ver-
wahrt, und mit einem ungeſtuͤmen Meere um-
geben, daß die Ab- und Zufuhr mit den groͤße-
ſten Beſchwerlichkeiten verbunden iſt. Die
Meerbuſen und Haͤfen ſind bis itzt groͤßeſten-
theils unerforſcht: und diejenigen, die man
kennt, ſind mit ſolchen Klippen und Sandbaͤn-
ken angefuͤllt, daß es ſcheint, als wenn die Na-
tur ſelbſt beſorgt geweſen ſey, dieſe Inſul zu
einer beſondern Welt zu machen, und ſie außer
Verbindung mit andern Theilen der Erde zu
ſetzen, da ſie theils den Zugang von auſſen ſo
ſchwer gemacht, theils, dieß Reich von innen mit
allen Beduͤrfniſſen des Lebens ſo verſorgt hat,
daß
[5] daß es des Handels mit fremden Voͤlkern nicht
benoͤthigt iſt *).


Die Japaner ruͤhmen ſich unter dem gluͤck-
lichſten und angenehmſten Himmelsſtriche zu
wohnen. Indeſſen iſt die Witterung bey ihnen
ſehr unbeſtaͤndig und mancherley Abwechſelun-
gen unterworfen. Der Winter iſt gemeiniglich
auſſerordentlich kalt: es faͤllt haͤufig Schnee,
worauf ein harter Froſt folgt. Der Sommer
hingegen iſt von unertraͤglicher Hitze, und wenn
es in den beyden Monathen Junius und Julius
nicht ſo haͤufig regnete; ſo wuͤrden die Einwoh-
ner die Hitze ſicher nicht aushalten koͤnnen.
In der Sommerszeit iſt dieſes Land ſchrecklichen
Donnerwettern und Blitzen, Stuͤrmen und
Orcanen unterworfen, welche oͤfters großen
Schaden anrichten. — Der Erdboden iſt von
Natur felſigt, bergigt, und wie einige Reiſebe-
ſchreiber verſichern, unfruchtbar. Die Geſchick-
lichkeit und der Fleis der Einwohner hat ihn
A 3aber
[6] aber ſo urbar gemacht, daß ſie nicht nur mit
allen Beduͤrfniſſen des Lebens reichlich verſorgt
ſind, ſondern auch andern Laͤndern, Reis,
Korn u. ſ. w. uͤberlaſſen koͤnnen. Selbſt die
Felſen und unfruchtbarſten Gegenden bringen
mancherley Obſt, Pflanzen und Wurzeln hervor.
Die großen Gehoͤlze und Waͤlder ſind durch die
Arbeitſamkeit der Japaner in den Stand ge-
bracht worden, daß ſie gute Weide geben.
Das Meer rund umher, die Seen und Fluͤße
im Lande, verſorgen ſie mit einer Menge von
Fiſchen. Wenn man ſich hierbey denkt, daß
die Japaner uͤberhaupt ſehr genuͤgſam leben;
ſo darf man ſich nicht wundern, wenn ihr Land
ſie mit allem, was zur Nothdurft und Vergnuͤ-
gen des Lebens gehoͤrt, verſorgt. Die Manns-
perſonen ſchaͤmen ſich nicht ſelbſt den Pflug uͤber
ſteile Felſen zu ziehen, auf welchen Ochſen und
Pferde nicht fortkommen koͤnnen, um dieſe fuͤr
ſie nutzbar zu machen. Die Weiber weteifern,
es der Thaͤtigkeit und der Geſchaͤftigkeit der
Maͤnner gleich zu thun, und unterziehen ſich
auch den ſchwerſten Arbeiten.


Der groͤßeſte Reichthum der Japaner, be-
ſteht in der großen Menge, Mannigfaltigkeit
und Feinheit ihrer Metalle und Mineralien.
Faſt alle Berge haben an brauchbaren Metallen
einen Ueberflus, doch aber wird das meiſte auf
einer kleinen Inſul an den Kuͤſten der Provinz
Salzuma gegraben. Auf vielen Inſuln findet
man Goldgruben und Goldſand; der Kayſer
aber
[7] aber maßt ſich derſelben ſchlechterdings an: und
ohne ſeinem Willen und Erlaubnis, darf keine
geoͤfnet werden. Zwey Drittel behaͤlt er von
den geoͤfneten Gold oder Silbergruben fuͤr ſich,
den uͤbrigen Reſt verſtattet er den Herrn, in
deren Gebiet ſich die Gruben befinden. — Die
Silbermienen ſind nicht ſo haͤufig, aber doch
ſehr ergiebig. — Das Kupfer wird unter allen
Metallen am haͤufigſten gefunden, womit ſie
einen anſehnlichen Handel mit den Hollaͤndern
treiben. Etwas Zinn haben ſie auf der Inſul
Ximo, das ganz fein und weis, und dem Sil-
ber aͤhnlich iſt. — Die Japaner verſtehen vor-
zuͤglich die Kunſt das Stahl zu vermiſchen,
davon ſie die ſchaͤrfſten Saͤbel, Dolche und an-
dre dergleichen ſcharfe Inſtrumente machen.
Es iſt bey der groͤßeſten Strafe verboten etwas
davon auszufuͤhren.


Die erſtaunliche Menge Schwefel, womit
die meiſten Japaniſchen Inſuln angefuͤllt ſind,
verurſacht oͤftere und fuͤrchterliche Erdbeben.
Dieſe ſtellen ſich ſo haͤufig ein, daß die Einwoh-
ner bey deren Eintritt nicht mehr beſtuͤrtzt wer-
den, als wenn es in Europa donnert und blitzt:
es muͤßte denn ſeyn, daß das Erdbeben ganz
entſetzlich ſey, daß ganze Staͤdte umgeſtuͤrzt
und viele tauſend Einwohner (welches oft ge-
ſchieht) vergraben wuͤrden. Auf einige dieſer
ſtarken Erdbeben, folgen ſolche Ausbruͤche von
brennender Materie, daß dadurch große Ver-
wuͤſtungen angerichtet werden. Bey dergleichen
A 4ſchreck-
[8] ſchrecklichen Ungluͤcksfaͤllen, zur Zeit der Peſt,
Theurung und Hungersnoth nehmen nun die
aberglaͤubiſchen Japaner ihre Zuflucht zu ihren
Prieſtern, die ihnen, anſtatt die natuͤrlichen
Urſachen anzugeben, das abgeſchmackteſte Zeug
vorerzaͤhlen, und das ganze Ungluͤck einem bos-
haften Geiſte zuſchreiben. Gemeiniglich aber
glaubt man, daß der Teufel der Urheber dieſer
Plagen ſey.


Bey dergleichen Faͤllen nun, werden Opfer
und Andachtsuͤbungen angeſtellt, um dem hung-
rigen Teufel ſeinen Rachen zu fuͤllen. Bey den
Opfern gehen ſie oftmals ſo weit, daß ſie Men-
ſchen opfern, wenn andre Opfer nicht helfen
wollen. Doch ſind ſie ſo nachſichtig, daß ſie
nur zu den Opfern die groͤßeſten Boͤſewichter
ausſuchen: denn ſie meinen, daß es ihnen der
Teufel nicht uͤbelnaͤhme, wenn man ihm einen
zweybeinigen Confrater mit einem Menſchen-
Geſichte zur Verſoͤhnung aufopfre.



Zweytes Kapitel.


Von der Religion in Japan.


Wenn man die Berichte der verſchiedenen
Schriftſteller, welche uͤber Religion und
religioͤſe Gebraͤuche der Japaner geſchrieben ha-
ben, ſorgfaͤltig mit einander vergleicht; ſo findet
man,
[9] man, daß ſie faſt alle die Japaner des Heiden-
thums und der Abgoͤtterey beſchuldigen. Es
ſcheint, daß ſie auch gar keine Begriffe, von
dem wahren Gott und dem Verhaͤltniße, wor-
in ſie mit ihm ſtehen, haben. Sie glauben,
daß die Welt von Ewigkeit ſtehe, das heißt,
daß ſie keinen Anfang genommen habe. —
Indeſſen hat man doch in Japan einem jeden
voͤllige Gewiſſensfreyheit vergoͤnnt, in ſo fern
ſie weder dem buͤrgerlichen Regiment noch auch
dem Frieden und der Ruhe des Staats entge-
gen iſt. Und dieß iſt auch die Urſache, woher
die auswaͤrtigen Religionen bey ihnen einen ſo
leichten Eingang gefunden und ſich ſo geſchwin-
de, zum Nachtheil der alten einheimiſchen Re-
ligion, ausgebreitet haben.


Seit einem Jahrhundert ſind folgende drey
Hauptreligionen in Japan gangbar geweſen:


  • 1) Die Secte Xinto, oder die aͤlteſte unter
    allen. Dieſe betet allein ihre alte Gottheiten
    und Goͤtzen an.
  • 2) Die Secte Budſo, oder die Verehrung
    auswaͤrtiger Goͤtzen, die aus China, Siam
    und andern Laͤndern nach Japan gebracht ſind.
  • 3) Die Secte Siuto, oder die Lehre ihrer
    Weltweiſen und Moraliſten.

Unter dieſen drey Hauptreligionen welche
gegenwaͤrtig in Japan herrſchen, verdient die
Religion Xintos, wegen ihres hohen Alter-
thums und der langen Dauer, am erſten be-
trachtet zu werden. Die aͤlteſten und vornehm-
A 5ſten
[10] ſten Gottheiten, welche dieſe Secte verehrt,
werden Amida und Xaca genannt. Dieſe
ſtehen bey den uͤbrigen Secten in ſo großer
Hochachtung, daß man ihnen goͤttliche Vereh-
rung erweißt, weil durchgaͤngig geglaubt wird,
daß alles zeitliche und ewige Wohl von ihnen
abhange: denn die meiſten ſtatuiren einen kuͤnf-
tigen Zuſtand der Gluͤckſeeligkeit oder des Elen-
des. Zwar koͤnnen ſie ſich von dieſem gluͤckli-
chen oder ungluͤcklichen Zuſtande nach dem zeit-
lichen Tode keine Vorſtellungen machen: die
meiſten aber halten doch dafuͤr, daß dieſer Zu-
ſtand in der Wanderung der Seele aus einem
Koͤrper in den andern beſtehe, und dieſe Wech-
ſelung, ſo wie die Welt, ewig dauern werde.
Die Bonzen bringen ihnen indeſſen, ſowohl in
Predigten als im gewoͤhnlichen Umgange einen
graͤßlichen Begriff von den Strafen der Gott-
loſen bey.


Es wird, zu mehrer Aufhellung des Begrifs
der Japaner in Religionsſachen, nicht unſchick-
lich ſeyn, hier die fabelhaften Erzaͤhlungen, wo-
mit ſie ſich von den beyden Gottheiten, dem
Amida und Xaca, herumtragen, kuͤrzlich an-
zufuͤhren. Amida ſoll, nach ihren Berichten
vor vielen tauſend Jahren beruͤhmt geweſen,
und vor zweytauſend Jahren gelebt haben.
Mit einem auſſerordentlich ſtrengen Lebenswan-
del, den er ſich freywillig unterzogen, ſoll er
das Amt eines Predigers verbunden, und viele
Predigten vor dem Volke gehalten und Wun-
derwerke
[11] derwerke verrichtet haben. Dieß kummervolle
Leben, ſoll er ſo lange verrichtet haben, bis er
es zuletzt muͤde geworden, ſich ſelbſt das Leben
genommen und in dem andern zur Wuͤrde eines
Gottes erhoben worden. — Ein aͤhnliches er-
zaͤhlen ſie von Xaca. Dieſer ſoll vor acht tau-
ſend Jahren gelebt haben; und nachdem er
drey taufend Jahre auf der Erde vollbracht,
eine unſaͤgliche Menge Buͤcher geſchrieben, die
noch verwahrt wuͤrden. Zuletzt aber, nachdem
er ſeines Lebens muͤde geworden, ſoll er ſich in
eine Hoͤle begeben, und die Oefnung derſelben
haben zumauern laßen. — Es iſt nicht der
Muͤhe werth, die Wunderwerke, die ſowohl
Amida als Xaca ſollen verrichtet haben, hier
zu erzaͤhlen. Indeſſen koͤnnen wir hier doch an-
merken, daß es die Japaner fuͤr etwas Ver-
dienſtliches halten, ſich ſelbſt, nach dem Bey-
ſpiel des Amida und Xaca, aus der Welt zu
ſchaffen. Einige entleiben ſich, entweder aus
Ehrgeitz oder auch aus andern Urſachen, ganz
ohne Scheu. Wer ſich ſelbſt das Leben nehmen
will, pflegt gewoͤhnlich vorher einige Zuruͤſtun-
gen zu machen, und legt ſich Busuͤbungen auf,
predigt vor dem Volke, theilt Almoſen aus und
dergleichen. Wenn er dies mit den gewoͤhnli-
chen Feierlichkeiten verrichtet hat; ſo glaubt er,
daß er nicht nur in den Stand der Gluͤckſelig-
keit, ſondern auch ſogar unter die Goͤtter auf-
genommen ſey. Die Entleibten werden auch
wuͤrklich als Goͤtter faſt von jedermann verehrt,
und
[12] und die Werckzeuge, womit der Selbſtmoͤrder
die That vollbracht hat, werden als Reliquien
aufbewahrt.


Die Bekenner des Xaca erſaͤufen ſich gemei-
niglich im Meere oder in den Fluͤßen mit vielen
Umſtaͤnden. Ihre Freunde und Anverwandten
begleiten ſie gemeiniglich dahin, binden ihnen
einen Stein an den Hals, und ſo endigen ſie
auf eine klaͤgliche Art ihr Leben. — Ein gro-
ßer Theil derjenigen, welche dem Amida den
Vorzug geben, pflegen [ſich] in ein enges Behaͤlt-
niß einzuſperren, und verhungern darinn. —
Andere waͤhlen ſich eine andere Todesart, knuͤ-
pfen ſich auf, ſtuͤrzen in die Tiefe herab, richten
ſich durch Gift hin u. ſ. w. Doch muß man
bemerken, daß dieſe letzten Todesarten nicht fuͤr
verdienſtlich, ſondern vielmehr fuͤr eine Art der
Verzweiflung angeſehen werden.


Im Handel und Wandel, und uͤberhaupt
im geſellſchaftlichen Umgange, bedienen ſie ſich,
wenn ſie eine Sache beſtaͤtigen wollen, der Na-
men, Amida und Xaca. Bettler fuͤhren im-
mer dieſe Namen im Munde, wenn ſie Allmo-
ſen von andern verlangen.


Wir wuͤrden mit der Beſchreibung nicht
fertig werden, wenn wir alle die Goͤtter erzaͤh-
len wollten, welche die Japaner verehren, die
alle ihre Kloͤſter, Tempel, Prieſter und Anbeter
haben. Wir wollen uns damit begnuͤgen ein
paar derſelben kennen zu lernen. Jcko und
Nequiron, zwey Moͤnche, ſollen wegen ihrer
großen
[13] großen Gelehrſamkeit und Heiligkeit einen Platz
unter den Goͤttern erhalten haben. Der erſte
ſetzte bey ſeinen Lebenszeiten all ſein Vertrauen
auf die Gnade des Amida, und bekuͤmmerte
ſich um weiter nichts. Der zweyte ſoll ſich blos
wegen ſeines unſtraͤflichen Wandels und Ge-
ſchicklichkeit den Vorzug erworben haben. Bei-
den ſind Tempel, Goͤtzenbilder und Anbeter be-
ſtellt *).


So verſchieden nun aber auch immer die
Religionsſecten in Japan untereinander ſind;
ſo ſtimmen ſie ooch alle, nach dem Berichte
glaubwuͤrdiger Reiſebeſchreiber in folgenden
Stuͤcken uͤberein. 1) Nichts zu toͤdten und
nichts getoͤdtetes zu eſſen **). 2) Keinen Ehe-
bruch
[14] bruch zu begehen. 3) Nicht zu ſtehlen. 4) Kei-
nen Wein zu trinken. 5) Nicht zu luͤgen.
Uebrigens iſt der Begriff unter den Japanern
allgemein, daß im kuͤnftigen Leben fuͤr die Gott-
loſen erſchreckliche Strafen zubereitet ſind, und
daß nur die ſtrenge Lebensart ſie fuͤr allen Un-
fall ſchuͤtzen koͤnne. Dieſe Idee ruͤhrt von ih-
ren Moͤnchen her, die es niemals unterlaſſen,
zum Theil auch ihres Nutzens wegen, den Laien
die Hoͤlle ſo heis als moͤglich zu machen. Man
kann nicht glauben, was die Abbildung der
Strafen in der Zukunft fuͤr Eindruck auf das
Volk aus allen Staͤnden macht, und wie ſehr
dadurch den Laſtern geſteuert wird. Beſonders
aber macht dieſe Vorſtellung, daß ſowohl Vor-
nehme als Geringe, in Erbauung und Verzie-
rung der Tempel und Kloͤſter ſich freygebig, ja
verſchwenderiſch bezeigen, weil ſie dieß fuͤr ein
wuͤrkſames Mittel halten, ſich der Gnade der-
ſelben zu verſichern, und in der kuͤnftigen Welt
gluͤcklich zu werden.


Man

[15]

Man wird nicht leicht im ganzen Oriente
ein Land finden, das mit einer groͤßern Menge
Tempel oder Kloͤſter angefuͤllt iſt, als dieſes.
Alle Kloͤſter und Ordenshaͤuſer von allen Se-
cten, flndet man in den fruchtbarſten und ange-
nehmſten Gegenden des Landes, und gewoͤhnlich
in großen Staͤdten und an ſolchen Orten, wo
viele Menſchen wohnen, angelegt *). Eine
breite und geraͤumige Alee, die auf beyden Sei-
ten mit hohen Cypreſſenbaͤumen beſetzt iſt, fuͤhrt
gerade auf einen Tempelhof oder Mia zu.
Die meiſten ſolcher Tempel findet man in einem
angenehmen Gehoͤlze, oder an einem abhaͤngi-
gen und gruͤn bewachſenen Huͤgel, zu welchem
man durch wohlangelegte ſteinerne Stufen in
die Hoͤhe ſteigt. — Die Bauart der Tempel-
pforten ſieht ganz einfaͤltig aus. Ueber der
Pforte
[16] Pforte haͤngt gemeiniglich eine viereckigte ſteiner-
ne Tafel, worauf man den Namen des Goͤtzen,
dem der Tempel gewidmet iſt, mit guͤldenen
Buchſtaben geſchrieben, leſen kann. — In
einer gewiſſen Entfernung von dem Mia oder
Tempelhofe ſieht man ein ſteinernes mit Waſſer
angefuͤlltes Becken, darin ſich diejenigen, welche
ihre Andacht verrichten wollen, vorher waſchen
muͤſſen. Dem Tempel gerade gegen uͤber, be-
merkt man einen hoͤlzernen Kaſten, in welchen
die Almoſen gelegt werden. Der Mia oder
Tempelhof an und fuͤr ſich ſelbſt betrachtet, iſt
ohne alle Zierrathen und Pracht: gemeiniglich
viereckigt und von Holz. Er iſt kaum 9 Ellen
hoch und ohngefaͤhr 3 Klaftern breit. Um den
Mia herum geht eine kleine Gallerie. Der
Tempel ſelbſt iſt immer verſchloſſen. — Man
findet auch zuweilen uͤber der Pforte des Tem-
pels eine Glocke, welche diejenigen, die ihre An-
dacht verrichten wollen, vorher ruͤhren, um da-
durch den Goͤtzen zu erinnern, daß ſie nun da
waͤren.


Der vornehmſte Tempelhof an jedem Orte
hat ein oder verſchiedene davon abhangende
Mikoſi. Unter dieſem Worte verſteht man
kleine vier-ſechs- und achteckigte Capellen, die
ſehr ſauber mit Firniß belegt, auswendig ver-
guldet, inwendig mit Spiegeln und andern
Zierrathen geſchmuͤckt ſind.


Es iſt merkwuͤrdig, daß dieſe Mias oder
Tempel Sintons nicht von Geiſtlichen, ſondern
von
[17] von Layen, die man Canuſi nennt, und die ent-
weder auf Unkoſten des geiſtlichen Kaͤyſers oder
durch den Zuſchuß gutthaͤtiger Leute, die daſelbſt
ihre Andacht haben, unterhalten werden. Dieſe
Canuſi unterſcheiden ſich beſonders durch ihre
Kleidung. Sie tragen einen ſteifen, laͤnglichten,
und gefirnißten Huth, der wie ein Schiff aus-
ſieht, tief in die Stirn herabgeht, und unter
dem Kinn mit einem ſeidnen Bande zuſammen-
gebunden wird, von welchen ein knotigtes Band
herabgeht, das bald kurz bald lang iſt, je nach-
dem die Beſchaffenheit desjenigen iſt, der es
traͤgt.


Die Religion des Sintons hat in der That
viel abgeſchmacktes und veraͤchtliches an ſich.
Sie iſt ein abendtheuerlicher Miſchmaſch von
allerhand abgeſchmackten Geſchichten ihrer Goͤt-
ter, Halbgoͤtter und Helden, dadurch die geſunde
Vernunft beleidigt und geaͤrgert wird. Wie
die auswaͤrtige heidniſche Religion Budſo in
Japan eingefuͤhrt wurde; ſo breitete ſie ſich
nicht nur ungemein geſchwind aus, ſondern ſie
verurſachte auch eine Trennung unter denen,
die der Religion ihrer Vorfahren ergeben blie-
ben, und dadurch ſind den Sintoiſten ſelbſt zwo
Secten entſtanden. Die eine heißt Juiz. Zu
dieſer gehoͤren die aͤchten Orthodoxen Sintos,
die ſteif und feſt bey den Gewohnheiten und der
Religion ihrer Vorfahren bleiben. Ihre An-
zahl iſt indeſſen ſehr geringe. Die andere Sec-
te heißt Riobus. Dieſe koͤnnte man wohl
BSyn-
[18] Syncretiſten *) nennen; ſie bemuͤheten ſich fuͤr-
nemlich wegen des zukuͤnftigen Zuſtandes der
Seele, die auslaͤndiſche Heidenreligion mit ihrer
altvaͤteriſchen zu vereinigen. Sie nehmen zu
dem Ende an, daß die Seele des Amida, wel-
chen die Budſoiſten als ihren Heiland ſchaͤtzen,
durch ſeine Seelenwanderung in d[e]n allervor-
nehmſten ihrer Goͤtter gefahren und in das We-
ſen der Sonne und des Lichts eingedrungen ſey.
Die meiſten Sintoiſten ſind dieſer Secte zuge-
than, und es ſcheint, als wenn der ganze geiſt-
liche Hoff eine Neigung zu dieſem Syncretiſ-
mus habe.


Der weltliche Monarch bekennt ſich, nach
Kaͤmpfers Bericht, zur Religion ſeiner Vorfah-
ren, und bezeugt jaͤhrlich dem Mikaddo ſeine
Ergebenheit, ob er es gleich itzt nicht in eigner
Perſon thut, ſondern es durch Abgeſandte ver-
richten laͤßt.


Die
[19]

Die Sintoiſten befleißigen ſich hauptſaͤch-
lich der aͤußerlichen Reinlichkeit. Die Rein-
lichkeit beſteht darinn, daß ſie ſich mit keinem
Blute beflecken, kein Fleiſch eſſen, und todte
Koͤrper ſorgfaͤltig vermeiden. Wer dagegen
ſuͤndigt darf keinen Tempel beſuchen, und ſich
nicht vor den Goͤttern zeigen. Wenn ein Mia
erbaut wird, und einer von den Arbeitern ver-
wundet ſich ſo, daß Blut darnach geht, ſo ſieht
man dieß allgemein fuͤr ein großes Ungluͤck an,
und der Arbeiter darf von der Zeit an, nie wie-
der an heiligen Gebaͤuden gebraucht werden. —
Wenn man zu Isje, einem beruͤhmten Orte,
wo Ten-ſio-dai-ſie, der Vater der japaniſchen
Nation, beſonders verehrt wird, in einen der
dortigen Tempel einen Tropfen Blut ſchuͤttete;
ſo wuͤrde dieſer Tempel niedergeriſſen, und ein
andrer an ſeine Stelle gebaut werden muͤſſen.
— Den Frauenzimmern iſt es ſchlechterdings
nicht erlaubt, in einen Tempel zu gehen, wenn
ſie ihre gewoͤhnliche Reinigung haben. Aber
die groͤßeſte Unreinigkeit von allen zieht man
ſich durch den Tod des Vaters und der naͤch-
ſten Anverwandten zu *).


B 2Die
[20]

Die Feyrung der Feſttage macht einen zwei-
ten Hauptpunct der ſintoiſtiſchen Religion aus.
Die Sintoiſten haben alle Monathe drey or-
dentliche Feſte. Das erſte wird am erſten Tage
des Monats gefeiert. Dieß Feſt wird mit
Beſuchen und allerley Luſtbarkeiten zugebracht;
man geht ſelten in die Tempel, ſondern, wenn
man ſeine Freunde zur gluͤcklichen Zuruͤckkunft
des Neumondes gratulirt; ſo lagert man ſich
in den Gegenden um die Mias herum, und
bringt die Zeit mit Spatzierengehen hin: oder
wenn ſie des Spatzierens muͤde ſind; ſo kehren
ſie in Wirthshaͤuſern und liederlichen Haͤuſern
ein, die uͤberall in großer Menge zu finden ſind.
Merkwuͤrdig iſt es, daß alle Japaner, von wel-
cher Secte ſie auch ſeyn moͤgen, dieſes Feſt ſorg-
faͤltig feiern. — Das zweyte Feſt wird am
funfzehnten Tage, welches der Vollmond iſt,
gefeiert. — Am demſelben pflegt man ſehr fiei-
ßig die Tempel zu beſuchen. — Das dritte faͤllt
auf den acht und zwanzigſten Tag, welches der
Tag vor dem Neumond iſt. Dieſer Tag wird
eben nicht feierlich begangen, und die Tempel
findet
*)
[21] findet man uͤberall ſehr leer. Außer dieſen drey
beſondern Feſten, haben ſie noch jaͤhrlich fuͤnf
große Feſttage, wovon der Leſer unten in der
Note das Noͤthige finden kann *). Die Sin-
B 3toiſten
[22] toiſten feiern noch andere Feſte, die den Goͤttern
der erſten Klaſſe gewidmet ſind, von welchen
wir aber hier, um nicht zu weitlaͤuftig zu werden,
nichts ſagen wollen.


Die Wallfarthen machen endlich noch einen
wichtigen Artikel der Sintoiſchen Religion aus.
Sie ſtellen verſchiedene Wallfahrten nach ver-
ſchiedenen Oertern an. Der vornehmſte Ort
aber, nach dem ſie wallfarthen, iſt Isje. Die
Wallfarthen nach dieſem Orte geſchehen in allen
Jahrszeiten: fuͤrnehmlich aber im Merz,
April
und May. Der Zufluß der Pilgrimme
iſt in dieſen Zeiten ſehr groß, weil die Witte-
rung in dieſen Monathen die angenehmſte iſt.
Sowohl Manns als Frauensperſonen verrich-
ten dieß Pilgergeſchaͤfft. Die Japaner geben
vor, daß die monathlichen Unbequemlichkeiten
des ſchoͤnen Geſchlechts, waͤhrend der Reiſe
aufhoͤren, es ſey nun, daß die beſchwerliche
Reiſe
*)
[23] Reiſe dieß verurſacht, oder weil ſie ihren wahren
Zuſtand nicht entdecken wollen *).


Sonderbar bleibt es bey allen dem, daß
vornehme Leute eine dergleichen Pilgerſchaft ſehr
ſelten in eigner Perſon unternehmen, ſondern
gemeiniglich einen an ihre Stelle ſchicken. Der
gemeine Mann aber haͤlt dieß fuͤr Unrecht, und
er wuͤrde es fuͤr eine Suͤnde halten, wenn er
nicht alle Jahre ſeine Pilgerſchaft antraͤte. —
Einige reiſen zu Pferde, andere laßen ſich in
Saͤnften tragen, und die, welche beydes zu
thun nicht vermoͤgen — gehen zu Fuße. Auf
dem Ruͤcken befeſtigen ſie eine Matte von
Stroh, die ihnen ſtatt des Bettes dient. In der
Hand tragen ſie einen Stock, und an den Guͤr-
tel binden ſie eine Buͤchſe, worinn ſie Allmoſen
annehmen. Auf dem Kopfe haben ſie, wenig-
ſtens die meiſten, einen von Rohr geflochtenen
Huth, an welchem ihr Name, Geburtsort, Ge-
gend von der ſie kommen, zu leſen iſt, damit
man ſie, dafern ſie unter Wegens das Zeitliche
ſeegnen ſollten, erkennen, und der Obrigkeit des
Orts, beſonders aber den Perſonen, die fuͤr ih-
re Zuruͤckkunft cavirt haben, Nachricht davon
geben koͤnne.


Wenn nun ein Pilger nach dem heiligen
Orte abreißt; ſo haͤngt er ein Strick mit gehack-
B 4tem
[24] tem Papier beſetzt vor ſeine Hausthuͤre, wodurch
er alle diejenigen warnt, die nicht rein ſind,
uͤber die Schwelle ſeines Hauſes zu gehen.
Den Weibern ſtehts frey ihre Maͤnner zu be-
gleiten, nicht aber bey ihnen zu ſchlafen. So-
bald nun ein Pilger zu Isje angelangt iſt; ſo
verfuͤgt er ſich vor allen Dingen zuerſt zum Ca-
nuſi,
der ihn denn in den Tempeln herumfuͤhrt.
Dieſer Beſuch aller Tempel iſt fuͤr den Pilger
eine heilige Pflicht. Ehe er dieß aber thut,
muß er ſich in dem Fluße Mijongawe, der
mitten durch Isje fließt, baden. Hat nun der
Pilger ſeine Andachten verrichtet; ſo erhaͤlt er
von dem Canuſi eine kleine Buͤchſe, die bey den
Japanern Ofawai heißt, welche von zartem
Schachtelholze verfertigt, und mit kleinen hoͤl-
zernen Stuͤckchen angefuͤllt iſt, wovon einige in
weiſſem Papier eingewickelt ſind. Auf dem
Deckel der Buͤchſe ſteht der Name des Tempels
des großen Gottes mit großen Buchſtaben;
und der Name des Canuſi, der dieſen Ablaß
ertheilt hat, iſt auf der andern Seite mit klei-
nem Character aufgeleimet. Die Canuſi ver-
ſchicken eine Menge dergleichen Ablaßbriefe durch
das ganze japaniſche Reich.


In Japan giebt es einen geiſtlichen Orden,
den man die Jammabos oder Jammabus,
Bergprieſter nennt *). Eigentlich bedeutet die-
ſer
[25] ſer Name einen Bergſoldaten, wie es denn
auch eine Grundregel dieſes Ordens iſt, daß die
Glieder deſſelben verbunden ſeyn ſollen, im Fall
der Noth fuͤr ihre Goͤtter und Landesreligion
die Waffen zu ergreiffen. Dieſe Jambos ſtellen
eine Art von Einſiedlern vor, die ein ſtrenges
Leben fuͤhren, ihre meiſte Zeit mit Beſchwer-
lichkeiten auf heiligen Bergen zubringen, und
ſich ſelbſt mitten im haͤrteſten Winter oft
in Fluͤſſen baden. Die Reichen unter ihnen
haben ihre eigne Haͤuſer worinn ſie wohnen, und
leben von dem Ihrigen. Die meiſten aber lau-
fen im Lande herum und betteln: ſonderlich
halten ſie ſich in der Nachbarſchaft des hohen
Gebirges Fuſi Jamma auf. Alle zuſammen
muͤſſen ſie, vermoͤge einer eignen Ordensregel
alle Jahr im ſechſten Monath auf dem hoͤchſten
Gipfel des Berges heraufklettern. Uebrigens
geben ſie ſich mit Zauberkuͤnſten und mit Hei-
lung der Kranken ab.


B 5Wir

[26]

Wir wenden uns nun zu der zweyten Reli-
gionsſecte, welche in Japan herrſcht. Dieß iſt
die Secte des Budſo. Von dem Stifter die-
ſer Secte, der Buds oder Xaca heißt, haben
wir bereits im vorhergehenden geredet, und be-
gnuͤgen uns damit, den Leſer nur mit den wich-
tigſten Lehren deſſelben bekannt zu machen. —
Einige japaniſche Geſchichtſchreiber wollen verſi-
chern, daß die Lehre des Buds ohngefaͤhr ſech-
zig Jahr vor Chriſti Geburt eingefuͤhrt ſey.
Von dieſer Zeit an bis in das fuͤnf hundert
und funfzigſte Jahr, ſoll ſie nicht viel Aufſehens
gemacht haben. Allein von dieſer Zeit, rechnet
man, ſoll ſie ſo tiefe Wurzel gefaßt haben, daß
ſie nunmehr die bluͤhenſte von ganz Japan iſt.
Ein anſehnlicher Theil der Sintoiſten hat viele
Lehren dieſer Secte angenommen, dadurch die
große Spaltung der Sintoiſten in zwey Sec-
ten, wovon bereits oben geredt, entſtanden iſt.
Die weſentlichſte Punkte der Budſoiſtiſchen
Religion
wollen wir hier aus einem bekannten
und allgemein geſchaͤtzten Reiſebeſchreiber uͤber-
ſetzt mittheilen:


  • 1) Die Seelen der Menſchen und Thiere
    ſind unſterblich: ſie haben urſpruͤnglich einerley
    Weſen, und ſind nur durch die verſchiedenen
    Koͤrper, die ſie beleben, von einander verſchieden.
  • 2) So bald die Seelen der Menſchen vom
    Koͤrper getrennt ſind; ſo werden ſie in einem
    andern Leben, je nachdem ſie ſchlimm oder gut
    gehandelt haben, geſtraft oder belohnt.

3) Der
[27]
  • 3) Der Auffenthalt der Seeligen heißt Go-
    kurakf
    d. i. die Wohnung der ewigen
    Freude.
    Dieſer Freuden giebt es verſchiedene
    Grade. Die Goͤtter ſind vollkommner und
    gluͤckſeeliger als die Menſchen; ja es iſt ſo gar
    unter den erſten ein Unterſchied, je nachdem ihre
    Naturen geringer oder vortreflicher ſind. —
    Bey den Menſchen iſt der Grad ihrer Verdien-
    ſte das einzige Maas ihrer Gluͤckſeeligkeit.
    Allein die Freuden dieſes gluͤckſeeligen Auffent-
    halts ſind ſo groß, daß keiner den ſeeligen Vor-
    zug des andern beneidet.
  • 4) Der Ort der Quaal wird Dſigokf ge-
    nannt. Hier werden die boͤſen Menſchen gepei-
    nigt, doch nicht auf immer, ſondern nur auf
    eine gewiſſe Zeit, nach Beſchaffenheit ihrer Ver-
    gehungen. Jemma heißt der Richter an die-
    ſem unſeeligen Orte. Dieſem Jemma erſchei-
    nen in einem Spiegel, den er vor ſich ſtehen hat,
    alle Laſter und Vergehungen der Verworfenen.
    Wenn dieſe verdammten Seelen fuͤr ihre Ver-
    gehungen gebuͤßt; ſo werden ſie wieder in die
    Welt zuruͤckgeſchickt, nicht aber in Menſchen,
    ſondern in unreine Thiere, deren Neigungen
    mit den Laſtern der ſuͤndigen Seelen am meiſten
    uͤbereinſtimmen. Die Wanderung geſchiehet
    ſtufenweiſe, aus ſchlechtern in edlere Thiere, bis
    es ihnen endlich wieder erlaubt wird, in menſch-
    liche Koͤrper zuruͤckzukehren. Nun ſteht es in
    ihrer Macht, ſich durch einen tugendhaften
    Wandel zu einer immerwaͤhrenden Gluͤckſeelig-
    keit
    [28] keit vorzubereiten, oder ſich wieder durch ein
    ſchaͤndliches Betragen, den ſchimpflichen Wan-
    derungen, die alsdenn Jahrhunderte dauren,
    auszuſetzen.
  • 5) Man findet in den Geſetzen des Buds
    folgende fuͤnf Hauptgebote. Das erſte verbie-
    tet, keine lebendige Creatur zu toͤdten. Das
    zweyte verbietet zu ſtehlen. Das dritte unter-
    ſagt den Ehebruch. Das vierte verbietet zu
    luͤgen. Das fuͤnfte endlich unterſagt ſtarke
    Getraͤnke zu trinken. Bud hat ſeinen Schuͤ-
    lern dieß letzte am meiſten verboten. Dieje-
    nigen, welche den Ruhm eines heiligen Wan-
    dels in dieſer Welt hinterlaſſen, und ſich bemuͤ-
    hen in der andern Welt einen hohen Grad der
    Gluͤckſeeligkeit zu erlangen, ſuchen dieſe Lebens-
    regeln mit aͤußerſter Genauigkeit in Ausuͤbung
    zu bringen.

Die Religion des Budsdo hat Bedienten
von verſchiedenen Claſſen, Prieſter, Moͤnche,
Ordensmaͤnner, Arten von Biſchoͤfen und einen
Pabſt, der Siako oder Xaca heißt. Dieſer
Xaca wird nach des P. Charlevoix Bericht,
als der Nachfolger und Statthalter des großen
Xaca angeſehen. Der Statthalter hat eine
unumſchraͤnkte Gewalt uͤber alle Vorſteher und
Bedienten der Religion. Von ihm hangen alle
Moͤnchsorden ab: Biſchoͤfe (die man Tundes
nennt) weiht er ein: Alle Streitigkeiten, die
uͤber die Buͤcher des Xaca ſich anſpinnen, legt
er bey, und ſeine Ausſpruͤche werden fuͤr unfehl-
bar
[29] bar angeſehen. Ja ſeine Macht erſtreckt ſich
ſo gar bis in jenes Leben. Er verkuͤrzt die Zeit,
welche man im Fegefeuer zubringen ſoll, und
dergleichen Dinge mehr *).


Die Moͤnche oder Bonzen der Budſoiſchen
Religion ſind in verſchiedene Geſellſchaften ge-
theilt, wovon die eine die andere nicht leiden
kann, und deßwegen auch in verſchiedenen
Puncten der Religion uneins ſind. Ueberhaupt
aber beobachten ſie alle eine große Regelmaͤßig-
keit. Sie ſcheeren ſich insgeſammt die Haare
und den Bart, gehen immer mit entbloͤßtem
Haupte, enthalten ſich des Fleiſches, ja ſo gar
auch der Fiſche, wenn ſie nicht geſalzen ſind.
Einen großen Theil des Tages bringen ſie mit
Gebet und Singen zu. Daher kommt es auch,
daß ſie von dem Volke ſo ſehr verehrt und ge-
ſchaͤtzt werden, wenn man gleich zu Zeiten von
ihnen die ſchaͤndlichſten Dinge hoͤren mag. Die
Moͤnche pflegen dem Poͤbel weis zu machen, daß
ſie, ſonderlich bey den Goͤttern in großem Anſe-
hen ſtehen. Dieß iſt fuͤr ſie eine Quelle des
Reichthums, die nie austrocknet. Sie ergeben
ſich
[30] ſich ganz der Liſt, und wiſſen mit Huͤlfe derſel-
ben, ihre Kloͤſter meiſterlich zu bereichern. —
Wenn eine Perſon ſtirbt; ſo wird ſie in einen
papiernen Rock (welchen die Moͤnche verkaufen,
und damit wuchern) auf welchem die Geſtalt der
Goͤtter gezeichnet iſt, eingewickelt *). — Einer
der vornehmſten Grundſaͤtzen, den die Moͤnche
dem Volke mit aller Macht anzupreiſen pflegen,
iſt dieſer: daß die Freygebigkeit gegen die Goͤt-
ter und ihre Diener das ſicherſte und ſchicklichſte
Mittel ſey, Anſpruͤche auf die himmliſche Woh-
nung zu machen, in welcher, nach dem Vorge-
ben dieſer ſchaͤndlichen Betruͤger, der Zuſtand
der Reichen weit beſſer als der Armen ſey,
weil es dieſen an Mitteln fehle, ihre Suͤnden
loßzukaufen, und daher auch eine verachtete und
verworfene Menſchenart waͤren **).


Das vornehmſte Geſchaͤft der Bonzen be-
ſteht darinn, in den Tempeln fleißig zu predigen,
und das Volk zur Ausuͤbung der Tugend zu er-
mahnen. Gar erbaulich moͤgen nun wohl der-
gleichen
[31] gleichen Predigten von dergleichen Leuten ſeyn!
Pater Froez hat eine angehoͤrt, und erzaͤhlt,
daß ſie ihm ſehr wohl gefallen habe. Wir wol-
len ihn hieruͤber ſelbſt reden laßen. „Ich war,
ſagt Froez, ſehr neugierig einen Bonzen predi-
gen zu hoͤren, und ſuchte Gelegenheit zu erhalten,
um meine Neugierde zu befriedigen. Es gelang
mir und erblickte eine Verſammlung von wenig-
ſtens fuͤnf tauſend Menſchen“. Dieß iſt ſehr
unwahrſcheinlich: denn kein Tempel iſt ſo groß,
daß er eine ſolche Menge von Menſchen in ſich
faßen koͤnnte. „Ehe die Predigt anfieng, er-
zaͤhlt der Miſſionarius weiter, fiel jedermann
bey dem Schalle einer Glocke nieder auf die
Knie, und verblieb wenigſtens eine Stunde in
dieſer Stellung. Jeder hatte eine Art von Ro-
ſenkranz in der Hand, und hob die Arme zum
Himmel, und alle ſchrien: Amida errette uns.
Nachdem dieſes Gebet verrichtet war, hoͤrte man
eine Glocke anſchlagen, und es ward eine allge-
meine Stille. Hierauf ſah ich einen ſchoͤnen
Mann in einem langen nachſchleppenden
fridnen purpurfarbenen und weis gefuͤtter-
ten Rock, hervortreten. Er ſetzte ſich
auf einen ſehr hohen Stuhl, der ſo ge-
ſtellt war, daß ihn ein jeder ſehr gut
ſchen konnte. Er hatte vor ſich einen
Tiſch ſtehen, auf welchem ein Buch lag,
nemlich die Schriften des Xaca. Der
Bonze laß mit einer ernſthaften gebieteri-
ſchen Miene und Stimme einige Zeilen,

machte
[32]machte das Buch zu, und fieng ſeine Pre-
digt an
*). Wir finden gegen dieſe letzte Er-
zaͤhlung nichts einzuwenden. Wenn aber der
Pater die Anmuth und Beredſamkeit, ja die
ruͤhrende und uͤberzeugende Beredſamkeit der
Bonzen uͤberhaupt, (in der Folge ſeiner Erzaͤh-
lung) ſo ſehr herausſtreicht; ſo iſt er entweder
ſelbſt ein Budſoiſt, oder er muß nicht gewußt
haben, was Anmuth, uͤberzeugende und ruͤhrende
Beredſamkeit ſey *).


So viel von der Religion der Budſoiſten.
Dieſe Erzaͤhlung iſt aus glaubwuͤrdigen Schrift-
ſtellern entlehnt. Freylich waͤre es beſſer, wenn
man den Werth dieſer Erzaͤhlung aus den Buͤ-
chern der orientaliſchen Philoſophie ſelbſt beſtim-
men koͤnnte. Indeſſen koͤnnen wir doch das auf
Treu und Glauben annehmen, was uns von
bewaͤhrten Schriftſtellern erzaͤhlt iſt.


Wir wollen dieſes Kapitel ſchließen, wenn
wir noch von der dritten Religionsſecte und dem
Zuſtande des Chriſtenthums in Japan das wich-
tigſte werden erzaͤhlt haben.


Dieſe
[33]

Dieſe dritte Religionsſecte wird die Secte
des Siuto genannt. Dieß Wort bedeutet ei-
gentlich ſo viel, als der Weg oder die Religion
der Philoſophen. Den Anhaͤngern dieſer Reli-
gion macht es ein Vergnuͤgen, ſich uͤber die
Meynungen des Poͤbels zu erheben, und ſich ei-
gentlich zu keiner Religion zu bekennen. Sie
geben vor, die wahre Groͤße und Gluͤckſeeligkeit
eines Menſchen beſtehe darinn, weiſe und tugend-
haft zu leben. Zu einem weiſen und tugend-
haften Leben, behaupten dieſe Philoſophen wei-
ter, ſey der Menſch, weil er von Natur ver-
nuͤnftig erſchaffen, ſchlechterdings verbunden.
Die Lehre der Seelenwanderung iſt ihnen eine
laͤcherliche Chimaͤre, und behaupten dagegen,
daß unſre Seelen von einem allgemeinen Geiſte,
der die ganze Natur belebt, entſprungen ſind,
und nach ihrer Trennung vom Koͤrper zu eben
dieſen Geiſt — wie die Fluͤße, wenn ſie ihren
Lauf vollendet, ſich ins Meer ſtuͤrzen — zuruͤck-
kehren. — Sie rufen keine Gottheit an, und
haben weder Tempel noch Gottesdienſt unter
ſich eingefuͤhrt. Ihre Religionsuͤbungen beſte-
hen (wenn man ſie ſo nennen kann) in einigen
Gebraͤuchen zum Gedaͤchtniß ihrer Vaͤter und
naͤchſten Anverwandten. Der Selbſtmord wird
von ihnen fuͤr eine Heldenthat gehalten, haupt-
ſaͤchlich, wenn jemand dadurch einer Schande
oder Sclaverey entgehen kann.


Ueberhaupt ſtimmen die Grundſaͤtze dieſer
Philoſophen mit den der Sintoiſten in den
Cmeiſten
[34] meiſten Stuͤcken uͤberein. Nur findet man doch
in der Religion der Philoſophen nicht ſo viel
Abgeſchmacktheiten, wenn ihr gleich noch viele
ankleben, die wir aber hier mit Stillſchweigen
uͤbergehen.


Hoffentlich wird es unſern Leſern angenehm
ſeyn, wenn wir es wagen, noch kuͤrzlich eine
zuverlaͤßige Nachricht von der erſten Einfuͤhrung,
Fortgang und gaͤnzlichen Ausrottung der chriſt-
lichen Religion in Japan, zu geben. Ohnge-
faͤhr ums Jahr 1552, nachdem dieß Land vor
kurzen durch die Portugieſen entdeckt war,
geſchahe es, daß einige Jeſuiten Gelegenheit
fanden, in das Reich zu kommen. Dieſe Je-
ſuiten ſchmeichelten ſich bald bey den Reichen
und Vornehmen, durch ihre Geſchicklichkeit in
den Wiſſenſchaften, durch mancherley Erfindun-
gen aſtronomiſcher Inſtrumente und andere eu-
ropaͤiſche Seltenheiten, ſo ein, daß ſie ſich ihnen
faſt ganz unentbehrlich machten. Der Erfolg
ihrer Bemuͤhungen war ſo erwuͤnſcht, daß die
japaniſche chriſtliche Kirche innerhalb dreißig
Jahren eine uͤberaus große Menge Neubekehrte
zaͤhlte, unter welchen ſich verſchiedene Icatas,
oder kleine Koͤnige befanden. Das gemeine
Volk ſonderlich, das von Natur alles was Neu
iſt, liebt, und uͤberdem von der chriſtlichen
Moral geruͤhrt wurde, ergriff dieſe Lehre mit
dem groͤßeſten Eifer. Ueberhaupt ſchien alles
zu dem Fortgange der Arbeiten der Miſſionairs
zuſammenzukommen, und man hatte Urſach,
ſich,
[35] ſich, wegen der gluͤcklichen Geſinnung des Volks
und der Regierung, zu verſprechen, daß ganz
Japan bald wuͤrde bekehrt ſeyn. Allein die
Geſtalt der Sachen wurde unvermutheter weiſe
bald veraͤndert. Taikoſama, der ſich mit Ge-
walt des Reichs bemaͤchtigte, nachdem der Kay-
ſer Nobunanga eines gewaltſamen Todes
ſtarb, und deſſen Soͤhne von der Herrſchaft
durch den Taikoſama ausgeſchloſſen, war ein
Fuͤrſt der in der Abgoͤtterey erzogen worden.
Dieſer wurde durch die ſchleunige Ausbreitung
des Chriſtenthums aufmerkſam, fieng an, dieſe
Neuerung fuͤr ſchaͤdlich zu halten, weil ſie mit
den landesuͤblichen Religionen nicht beſtehen
koͤnne, und alſo Uneinigkeiten im Staate ſehr
leicht verurſachen koͤnne.


Anfaͤnglich ſtellte er ſich, als wenn er den
Chriſten gewogen waͤre. Allein im Jahre 1586
gab er einen Befehl heraus, worinn den Japa-
nern durchaus verboten wurde, die Religion der
Vaͤter, d. i. des Chriſtenthums anzunehmen.
Hierauf fieng man an, die Chriſten zu verfol-
gen und zu quaͤlen, und die Geſchichtſchreiber
melden, daß im Jahr 1590 uͤber zwanzig tau-
ſend Menſchen elendiglich ſind hingerichtet
worden.


Kaͤmpfer hat ſich hieruͤber weitlaͤuf[t]ig aus-
gelaſſen. Er fuͤhrt noch zu den politiſchen Ur-
ſachen, we[l]che den Kaͤyſer bewogen haben, die
Chriſten zu unterdruͤcken, andere an, die uns
ſehr glaublich vorkommen. Kaͤmpfer meint,
C 2daß
[36] daß die ausſchweifende und unvorſichtige Auf-
fuͤhrung der Miſſionair ſehr vieles dazu beige-
tragen habe, ihren Untergang zu befoͤrdern.
Zuerſt giebt er ihnen einen gewiſſen Geiſt der
Herrſchſucht und der Unvertraͤglichkeit ſchuld.
Sie predigten mit Ungeſtuͤm wider die Landes-
religion, zerbrachen die Goͤtzen und Tempel,
welches die Bonzen ſehr beleidigte. Einen an-
dern Fehler, ſagt Kaͤmpfer weiter, begiengen
die portugieſiſchen Kaufleute und Geiſtlichen da-
durch, daß jene ſich durch ihren unerſaͤttlichen
Geiz und Wucher den Haß der Japaner zuzogen,
und dieſe ſich von der Einfalt und Beſcheiden-
heit der erſten Miſſionair, zu ſehr entfernten.
„Diejenigen, dieß ſind die eignen Worte un-
ſers Schriftſtellers, welche an der Spitze der
Cleriſey waren, hielten es fuͤr unanſtaͤndig, alle-
zeit, nach dem Beyſpiele Jeſu und ſeiner Juͤn-
ger, zu Fuße zu gehen: ſie waren nicht damit
zufrieden, ſich in Saͤnften herumtragen zu laſ-
ſen, und die Pracht des Pabſtes und der Car-
dinaͤle nachzuahmen. Sie ſchaͤtzten ſich nicht
nur den Vornehmſten im Reiche gleich, ſon-
dern — ſie glaubten vielmehr, daß ihnen ein
hoͤherer Rang gehoͤrte. Es ereignete ſich ein-
mal, ſagt Kaͤmpfer weiter, daß ein portugieſi-
ſcher Biſchof einen Staatsrath unter Weges
antraf, der nach Hofe gieng. Der ſtolze Bi-
ſchof ſtieg, nach Landesgebrauch, nicht aus ſei-
ner Saͤnfte, um dieſen vornehmen Herrn ſeine
Ergebenheit zu bezeigen; vielmehr befahl er ſei-
nen
[37] nen Saͤnftentraͤgern mit einer ſtolzen Miene
fort und dem Herrn vorbey zu gehen. Ein ſo
unvernuͤnftiges Betragen, das der Sanftmuth
und Erniedrigung ſo ſehr entgegen war, die die-
ſem Herrn doch zukam — zudem da die Portu-
gieſen einen anſehnlichen Theil ihres vorigen
Anſehns verlohren hatten — mußte allerdings
gefaͤhrliche Wirkungen nach ſich ziehen. Der
Staatsrath, uͤber eine ſolche oͤffentliche Belei-
digung entruͤſtet, faßte ſogleich einen toͤdlichen
Haß gegen die Portugieſen, und entwarf dem
Kayſer von dem Stolze und der Eitelkeit dieſer
Nation ein ſcheußliches Bild; welches denn
auch den Unwillen des Kayſers ganz rege
machte *)“.


Es wurden gegen die Chriſten verſchiedene
blutige Geſetze, aber zu verſchiedenen Zeiten,
C 3gegeben.
[38] gegeben. Die groͤßeſte Verfolgung aber muß-
ten die Chriſten erdulden unter der Regierung
des Torogunſana. Dieſer Fuͤrſt wird ein-
muͤthig, von den Schriftſtellern, als ein
Mann von barbariſcher Grauſamkeit und vie-
hiſchen Leidenſchaften vorgeſtellt. Charlevoix
erzaͤhlt vieles von ſeinen Grauſamkeiten. Wir
wollen ihn hier einen Augenblick erzaͤhlen laßen.
Torogunſana, ſagt er, fand ein großes
Vergnuͤgen darinn, zarte Jungfern, und Frauen
vornehmer und angeſehener Maͤnner ganz na-
ckend an oͤffentlichen Orten aufſtellen, und den
Henkern Preis geben zu laßen. Dieſe warfen
ſie, wenn ſie ihre viehiſche Brunſt geſtillt hatten,
ins Feuer oder ſchlugen ihnen den Kopf ab.
Andere wurden auf Befehl dieſes unmenſchli-
chen Tyrannen gekreuzigt, und viele Tage lang
erſchrecklich gemartert: man ſaͤgte nemlich die-
ſen armen Leuten mit ausgezackten Stoͤcken die
Beine entzwey, hielt ihnen mit Schwefel gefuͤll-
te Roͤhre, welche man nachher anzuͤndete, vor
die Naſe, und ließ ſie den Dampf davon einhau-
chen. Noch andere wurden in verborgene duͤ-
ſtere Gruben geworfen, die voll von Schlangen
und ſtinkenden Materien waren, oder man hieng
ſie uͤber dergleichen Gruben bey den Beinen auf.
Mehrere Beyſpiele von Grauſamkeiten anzu-
fuͤhren — halten wir fuͤr uͤberfluͤßig: wir ſelbſt
koͤnnen es nicht ohne Grauſen beſchreiben!


Seit dem Jahre 1622 iſt die chriſtliche
Religion aus dem Reiche verbannt, und im
Jahre
[39] Jahre 1637 kam das Verbannungsedict her-
aus, wovon die Hauptartikel folgende waren:


  • a) Es ſollte kein japaniſches Schiff ferner-
    hin mit fremden Nationen Handel treiben, und
    kein kayſerlicher Unterthan ſollte bey Todes-
    Strafe aus dem Lande gehen.
  • b) Wer einen catholiſchen Prieſter ausfuͤn-
    dig machen koͤnnte, ſollte dafuͤr fuͤnf hundert
    Schuits*) Silber erhalten.
  • c) Wer ſichs beygehen ließe, das Chriſten-
    thum fortzupflanzen, oder den abſcheulichen Na-
    men eines Chriſten beyzubehalten, ſollte in ein
    oͤffentliches Gefaͤngniß geſetzt werden.
  • d) Die ganze Portugieſiſche Nation ſollte
    auf ewig aus dem Reiche verbannt ſeyn.
  • e) Derjenige, der es wagen wuͤrde, aus
    fremden Laͤndern einen Brief ins Reich zu brin-
    gen, ſollte mit ſeiner ganzen Familie hingerich-
    tet werden. Ein gleiches Schickſal ſollten dieje-
    nigen haben, welche fuͤr einen ſolchen Uebelthaͤ-
    ter um Gnade bitten wuͤrden **).

C 4Drittes
[40]

Drittes Kapitel.


Von der Lebensart, Sitten und verſchie-
denen Gebraͤuchen der Japaner.


Vielleicht findet man im ganzen Morgenlande
kein Volk, das, in Anſehung des Eſſen
und Trinkens maͤßiger waͤre, als die Japaner.
Sie genießen wenig oder gar kein Fleiſch der
vierfuͤßigen Thiere. Dieſe Enthaltſamkeit ruͤhrt
von den religioͤſen Begriffen einiger Seeten her,
die es fuͤr hoͤchſt gefaͤhrlich und unmenſchlich
halten, das Fleiſch ſolcher Thiere zu eſſen, die ein
Leben gehabt haben. Die Hauptſpeiſe der Ja-
paner beſteht indeſſen 1) aus Reis, den ſie am
Feuer dicke werden laßen und hernach eine Art
von Teig daraus machen, den ſie Statt des
Brodts eſſen: 2) aus Wurzeln und Kraͤutern,
die ſie allenthalben herſuchen; dieſe kochen ſie
mit Salz im Waſſer, und machen eine Bruͤhe
daran: 3) aus Kuchenwerk von verſchiedener
Sorte, das ſie aus ſchwarzen Bohnen, oder
auch aus Wurzeln backen: endlich 4) aus Con-
fect und Zuckerwerk, das aber ſehr hart, und
mehr fuͤr die Augen, als den Geſchmack iſt.


Das vornehmſte Getraͤnk bey ihren Mahl-
zeiten iſt der Thee. Dieſen nehmen ſie gleich
nach dem Eſſen, oder auch wenn ſie muͤde und
ſchwach ſind, in ziemlicher Quantitaͤt zu ſich.
Neben
[41] Neben dieſem Tranke haben ſie auch noch andre
Sorten, welche aus Weizen, Reis und Pflan-
zenſaft gemacht werden. Dieſer ſtarken Ge-
traͤnke bedienen ſich die Mannsperſonen nur bey
außerordentlichen Faͤllen, als bey großen Gaſte-
reien u. ſ. w. Dem Frauenzimmer aber bleibt
es allzeit unterſagt, dergleichen zu ſich zu
nehmen.


Wenn jemand ein großes Gaſtmal anſtellt;
ſo will der Gebrauch, daß er jedem Gaſte eine
beſondre Tafel giebt. Dieſe Tafeln ſind gemei-
niglich niedrig, weil jeder beym Eſſen auf ſeinen
Fuͤßen auf der Erde ſitzt. An den Tiſchen be-
merkt man die groͤſte Sauberkeit und Reinlich-
keit; und man muß geſtehen, daß kein orienta-
liſches Volk bey den Mahlzeiten mehr auf Zier-
lichkeiten ſieht, als eben unſere Inſulaner.
Teller und Schuͤſſel ſind alizeit mit Blumen
beſtreut, und kein Vogel wird aufgetragen,
den man nicht vorher den Schnabel und Fuͤße
verguͤlde. — Bey den Feten uͤberlaßen ſie ſich
allen Arten von Luſtbarkeiten, als dem Tanzen,
Maſqueraden, Comoͤdien und der Muſik. —
Nach der Mahlzeit beluſtigen ſie ſich mit Thee-
trinken, Abſingung gewiſſer Lieder, geben ſich
einander Raͤtzel auf u. d. gl. m.


In Anſehung der Beſuche beobachten die
Japaner eben das Cerimoniel, als die Chineſer.
Eben die Umſtaͤnde, welche dieſe ſowohl beym
Empfang als beym Abſchiednehmen, Nieder-
ſetzen, machen, beobachten die Japaner im
C 5naͤmli-
[42] naͤmlichen Grade. Wer in Japan einen an-
dern beſucht, muß mit einem Rock von ſchwar-
zen Atlaß bekleidet ſeyn, den er uͤber ſeine an-
dere Kleider zieht, und fuͤr ihn gerade das iſt,
was fuͤr uns die Ueberroͤcke. Dergleichen Roͤcke
nun ſtehen bey ihnen in großem Werth. Sie
machen ſich mit denſelben einander Geſchenke,
und ein ſolches Geſchenk wird gewoͤhnlich mit
vielen Ceremonien uͤberbracht. Sie werden auf
einem großen Becken getragen: und man haͤlt
es fuͤr eine große Gnadenbezeugung, wenn ein
Vornehmer einem Geringen ein dergleichen Ge-
ſchenk uͤbermacht.


Die Japaner kleiden ſich groͤſtentheils wie
Chineſer, aber doch etwas manierlicher und
reinlicher. Ihre Tracht beſteht aus einigen Un-
terroͤcken, uͤber welche ſie einen langen Ueberrock
tragen, der bis auf die Knoͤchel herabgeht.
Dieſe werden mit einer breiten Binde von Sei-
de umfaßt, welche die Bruſt umſchließt, und
an der man einen Saͤbel oder Dolch befeſtigt.
Sie tragen weite Beinkleider, die ihnen bis auf
die Waden herabhangen. — Das gemeine
Volk traͤgt einen Rock der nur bis auf die Knie
geht. Die Handwerksleute, Traͤger und Tage-
loͤhner pflegen waͤhrend der Arbeit ihre Kleider
auszuziehen, damit der Schweiß nicht eindringe.
Weder im Sommer noch im Winter bedecken ſie
ihren Kopf, ohngeachtet ſie ihn uͤber und uͤber
beſcheren, aber doch nach Chineſiſcher Art einen
Zopf ſtehen laßen. Um ſich aber gegen die
Sonne
[43] Sonne und den Regen zu decken, tragen die
Vornehmern einen Schirm in der Hand; oder,
wenn ſie vermoͤgend genug ſind, ſo laßen ſie ihn
durch einen Bedienten uͤbern Kopf halten.


Die Kleidung der Frauensperſonen iſt von
der der Maͤnner nicht ſehr unterſchieden, nur
daß ſie Statt weitere Veinkleider ganz enge tra-
gen, und uͤberhaupt ihre Kleidung weit feſter
am Leibe anliegt. Gemeiniglich haben ſie eine
ſchwarze Kappe uͤber dem Kopfe, unter der ihre
Haarlocken in Knoten herabhangen. Dieſe
ſowohl als der Hauptſchmuck der vornehmen
Weiber, ſind mit Federn, Blumen, Perlen,
nach Beſchaffenheit ihres Standes, durchfloch-
ten; laßen ſich aber ſelten anderwaͤrts, als nur
von denen, die zu ihrer Familie gehoͤren, ohne
eine Kappe uͤber dem Geſichte ſehen. — Indeſ-
ſen lebt das japaniſche Frauenzimmer ſehr ein-
gezogen, nimmt ſelten Beſuche von Manns-
perſonen an: und wenn es auch zuweilen ge-
ſchieht; ſo bedecken ſie das Geſicht, und oft-
mals den ganzen Leib, mit einem Schleier.
Selten gehen ſie aus: und wenn ſie ausgehen;
ſo haben ſie immer eine ſtarke Begleitung bey
ſich. Meiſtens werden ſie, nebſt dem Frauen-
zimmer von ihrem Gefolge, in Norimons getra-
gen. Gehen ſie aber zu Fuße, welches doch ſel-
ten geſchieht; ſo werden ſie von ſehr vielen
Weibern begleitet. Einige tragen das Zucker-
werk von allerley Art, andere Sonnenſchirme
und Faͤcher, noch andere tragen die Pantoffeln
und
[44] und Schnupftuͤcher ihrer Gebieterinn. Uebri-
gens wollen wir hier noch anmerken, daß die
Japanerinnen ſich vor Perſonen von Stande,
allzeit niederſetzen, und wenn ſie jemand gruͤßen,
ganz gerade zu ſtehen pflegen. Ihre Zaͤhne und
Naͤgel ſtreichen ſie ſchwarz an, und laßen letztere
gerne ſehr lang wachſen.


Bey den Heyrathen aͤußern die Japaner
viel Charakteriſtiſches. — Die Weiber bringen
kein Erbgut mit, ſondern werden vielmehr ihren
Eltern oder Anverwandten abgekauft; nur mit
dem Unterſchiede, daß, ſo lange die Hochzeit-
feyerlichkeiten waͤhren, die Eltern oder Anver-
wandten ihnen betraͤchtliche Geſchenke machen,
die aber doch von dem neuen Paar mit vielen
Complimenten zuruͤckgeſandt oder erwiedert
werden. Ein Vater alſo haͤlt ſich fuͤr reich
und gluͤcklich, wenn er viele und ſchoͤne Toͤch-
ter hat. Ein Hauptzug des Temperaments
der Japaner iſt die Wolluſt, wozu beyde Ge-
ſchlechter gleich ſtark incliniren, ſo daß die El-
tern manchmal genoͤthigt ſind, ihre Toͤchter im
zwoͤlften dreyzehnten Jahre, zuweilen auch noch
eher, zu verheyrathen. — Die Anwerbung, der
Ehekontract und andere vorlaͤufige Cerimonien,
werden durch andere, und gewoͤhnlich durch die
Anverwandten beyder Partheyen, in Ordnung
gebracht.


Es iſt den Maͤnnern nach den japaniſchen
Geſetzen erlaubt, viele Weiber zu nehmen, unter
welchen die erſte mit dem Titel Frau beehrt
wird,
[45] wird, und das Recht hat mit ihrem Manne zu
ſpeiſen. Die andern aber, ſind eigentlich wei-
ter nichts als Beyſchlaͤferinnen, die zugleich
gehalten ſind, der rechtmaͤßigen Frau aufzu-
warten *). Ueber dieſe Eoncubinen hat der
Mann eine faſt unumſchraͤnkte Herrſchaft. Er
darf ſie nach Belieben, wenn ſie ihm nicht laͤn-
ger anſtehen, fortjagen, ohne die geringſte Re-
chenſchaft von ſeinem Verfahren ablegen zu
duͤrfen. Geben ſie ihm auch nur die geringſte
Urſache zur Eiferſucht; ſo kann er ſie hinrichten
laßen. Ohne alle Widerrede aber muͤſſen ſie
eines harten Todes ſterben, wenn ſie wirklich in
Untreue ergriffen werden.


Das Brautpaar holt man gewoͤhnlich des
Morgens ganz fruͤh ab, und ein jedes von ihnen,
wird auf einen beſondern Wagen geſetzt, wel-
cher von Pferden oder Ochſen gezogen wird.
Man fuͤhrt ſie aus der Stadt unter dem Klange
verſchiedener Inſtrumente auf einen Huͤgel, auf
den die Cerimonie vor ſich gehen ſoll. Der
Kutſche des Braͤutigams folgen verſchiedene
Wagen mit den Kleidern, dem Hausgeraͤth und
andern Sachen, die fuͤr die Braut beſtimmt
ſind. Sobald die Braut am Fuß des Huͤgels
angekommen iſt; ſo ſteigt ſie aus ihrem Wagen
heraus; dieß thut auch der Braͤutigam: aber
beyde
[46] beyde gehen durch verſchiedene Wege auf den
Berg. Die Verwandten, Muſikanten und an-
dere Zuſchauer folgen ihnen nach. So bald
nun der ganze Tros oben auf dem Berge iſt;
ſo ſtellen ſie ſich alle in Ordnung, ſo daß die
Verwandten hinter der Braut und die Muſi-
kanten hinter den Braͤutigam zu ſtehen kommen.
Die erſten ſtehen paarweiſe unter Sonnenſchir-
men, welche von Bedienten gehalten werden:
die Muſikverſtaͤndigen aber ſtehen durcheinander,
voͤllig ohne Ordnung, auf der andern Seite.
Ein Theil von ihnen ſitzt, und laͤßt die Luft von
mancherley angenehmen Toͤnen erſchallen: an-
dere ſtehen und ſchlagen mit Stoͤcken an ku-
pferne Kugeln, die an Ketten hangen und die
man queer uͤber an zwey Pfaͤlen befeſtigt.
Oftmals tanzen ſie auch nach dem Schall dieſer
Inſtrumente.


Braut und Braͤutigam halten eine bren-
nende Fackel oder Lampe in ihren Haͤnden, waͤh-
rend der Bonze die Trauung verrichtet. Hier-
auf wuͤnſcht dann die ganze Geſellſchaft dem
neuen Ehepaar Gluͤck: die Braut aber wi[r]ft
alle ihre kindiſche Spielſachen ins Feuer, und
empfaͤngt die Geſchenke aus den Haͤnden ihres
Geliebten. Nach dieſen Cerimonien fuͤhrt man
die Braut zuruͤck in das Haus des Braͤutigams,
welches, nach Beſchaffenheit ſeines Standes
aufs beſte ausgeſchmuͤckt iſt. Junge Leute die
Blumenkraͤnze tragen, pflanzen Fahnen vor das
Haus, und auf dem Gibel deſſelben, und be-
ſtreuen
[47] ſtreuen alle Zimmer mit Blumen. Die Luſtbar-
keiten dauern gemeiniglich ſieben bis acht Tage:
und man kann nicht ſagen, daß es ihnen bey der
Gelegenheit an Muſik, Tanz, Comoͤdien u. f.
fehlet. Und um alles recht munter zu machen,
laßen ſie die ſtarken Getraͤnke herbey holen, um
die Koͤpfe recht lebendig zu machen.


Wenn dieſe Luſtbarkeiten vorbey ſind; ſo
wird der jungen Frau ihr Zimmer angewieſen,
worinnen ſie ſich beſtaͤndig aufhalten muß, und
jaͤhrlich etwa einmal herausgelaßen wird. Nie-
mand bekommt ſie zu ſehen, es moͤchte denn
jemand von ihren naͤchſten Anverwandten ſeyn:
und doch geſchieht dieß ſelten. Es iſt in der
That ganz unglaublich, wie ſtrenge die Frauen
der Vornehmen gehalten werden. Und alles
Vergnuͤgen was ihnen das eheliche Leben noch
verſchafft, beſteht darinn, daß ſie gute Ordnung
erhalten, ſich durch ſchmeichelhafte Verſuche die
Gunſt ihrer Maͤnner verſchaffen, und durch ihre
Schwangerſchaft und Fruchtbarkeit ihren Ge-
mahl aufgeraͤumt machen *).


Uebri-
[48]

Uebrigens muͤſſen wir hier noch bemerken,
daß die Japaner ſich nie auſſer ihren Stand
verheyrathen. Ein Prinz vermaͤhlt ſich mit
einer Prinzeſſinn u. ſ. w. Doch gilt dieß nur
von den Weibern vom erſten Range.


Ein ander Feſt, welches bey den Japanern
feyerlichſt begangen wird, iſt dasjenige, welches
ſie zu Ehren ihrer verſtorbenen Anverwandten
feiern. Bey dieſen jaͤhrlichen Feſtlichkeiten kom-
men alle Anverwandte des Verſtorbenen in dem
Hauſe des Oberhaupts der Familie zuſammen,
aus welchem ſie, nach einer Bewirthung unter
Muſik und Geſaͤngen, unter großen Cerimonien
zu den Graͤbern ihrer Todten gehen, die gemeinig-
lich ziemlich weit von der Stadt entfernt liegen.
Bey dieſer Gelegenheit tragen einige die Wapen
und Fahnen ihrer Vorfahren voraus, und
einige haben in ihren Haͤnden Fackeln. Hier
finden ſie ein Gaſtmal fuͤr ſie zubereitet, wobey
ſie die Verſtorbenen mit einladen. — Kaͤmpfer
berichtet uns, daß bey ſolchen Feſttagen allemal
zum Ruhme des Verſtorbenen gebundene und
ungebundene Reden gehalten, Geſchenke fuͤr den
Verſtorbenen gebracht wuͤrden, die aber die
Bonzen *)
*)
[49] Bonzen *) immer in Empfang naͤhmen, um da-
mit nach Gutbefinden zu verfahren. Die Feſti-
vitaͤten waͤhren einige Tage lang, in welcher
Zeit ſorgfaͤltig dahin geſehen wird, daß es den
Gaͤſten, beydes an Speiſen und ſtarken Ge-
traͤnken nicht mangle; und wenn alles vorbey
iſt, ſagt Froes; ſo kehren ſie in eben der Ord-
nung in die Stadt zuruͤck, in welcher ſie heraus-
gekommen ſind, machen mit ihren Trommeln
und andern Inſtrumenten vor jedem vornehmen
Hauſe und Tempel, dem ſie vorbeygehen, einen
gewaltigen Laͤrm. Die Begraͤbniße werden faſt
alle gleich praͤchtig vollzogen: nur kann man
dabey noch merken, daß wenn ein Prinz oder
ſonſt ein großer Herr ſtirbt, gemeiniglich zehn
oder
D
[50] oder zwanzig junge Leute ſeines Hauſes, beſon-
ders diejenigen, welche er vorzuͤglich geliebt hat,
ſich einfinden, und ihrem Leben da, wo der Ver-
ſtorbene begraben oder verbrannt wird, frey-
willig ein Ende machen. — Caron meint,
daß dieß unter den jungen Leuten etwas ſehr ge-
woͤhnliches ſey, und daß ſie ſich bey ihrem Herrn
eidlich verbaͤnden, im Fall er ſterben ſollte, ihm
in die andre Welt zu begleiten. — Die jungen
Leute thun dieß bloß darum, um ſich bey ihren
Herren einzuſchmeicheln, und ihnen ſagen zu
koͤnnen, daß ſie in allen Stuͤcken und Gele-
genheiten bereit waͤren, ihr Leben fuͤr ſie
aufzuopfern.


Die Japaner halten dafuͤr, daß ihr Schick-
ſal in der andern Welt von der Pracht abhan-
ge, die bey ihren Begraͤbniſſen getrieben wird.
Und dieß iſt denn Beweggrund genug fuͤr die
Hinterlaßenen, alle Koſten auf das Begraͤbniß
ihres Verſtorbenen zu verwenden *). Unter den
Vornehmen wird der Leichnam, welcher unge-
mein praͤchtig gekleidet iſt, in einer Staats-
ſaͤnfte getragen, die aus Cedernholz verfertigt
und ſehr kuͤnſtlich gearbeitet iſt. Der Pater
Char-
[51]Charlevoir (mit dem Kaͤmpfer und andre
uͤbereinſtimmen), mag hier erzaͤhlen, wie die
Reichen beerdigt werden.


„Zuerſt, ſagt er, laͤßt ſich eine Reihe Wei-
ber ſehen, die theils Anverwandte oder gute
Freundinnen des Verſtorbenen geweſen ſind:
dieſe ſind in weiſſen baumwollenen Zeugen ſehr
koſtbar gekleidet, und haben das Geſicht mit
einem Schleier umhuͤllt. Nach dieſem Zuge er-
ſcheinen die maͤnnlichen Anverwandten, aber zu
Fuße, welche gleichfalls ſehr gut gekleidet ſind.
Hierauf folgt ein Haufen Bonzen, vor welchen
ihr Oberer in einer Saͤnfte hergetragen wird.
Die Moͤnche haben bey dergleichen Gelegenhei-
ten eine Gattung von Ueberrock, uͤber dem ſie
einen ſchwarzen Mantel tragen, der auf der
Erde nachſchleppt. Einer von den Bonzen
ſchlaͤgt unaufhoͤrlich auf ein kupfernes Becken,
welches wie eine Pauke gemacht iſt, die uͤbrigen
aber ſtimmen Lieder zum Lobe des Gottes
Amida an. — Dann erblickt man Leute, die
an der Spitze einer langen Picke einen Korb von
Pappe, mit Blumen gefuͤllt, tragen. Wenn
ſie dieſe Picken ſchuͤtteln, ſo fallen einige Blu-
men aus dem Korbe, wodurch angezeigt wird,
daß die Seele der Verſtorbenen im Himmel iſt.
Sobald die Anweſenden dieß Schuͤtteln der
Picken ſehen: erheben ſie ein Freudengeſchrey,
und rufen gemeinſchaftlich aus, daß die Seele
des Verſtorbenen in den ſeeligen Wohnungen
ſey.“


D 2“Hinter
[52]

„Hinter dieſen Leuten gehen acht junge
Bonzen, welche lange umgekehrte Staͤbe tragen,
wovon das unterſte Ende mit einer kleinen
Fahne geziert iſt, worauf der Name der vor-
nehmſten Gottheit derjenigen Secte ſteht, zu
welcher ſich der Verſtorbene bekannt hat. Gleich
auf dieſe folgen noch zehn andere Bonzen,
welche die Wapen und Fahnen der Verſtorbenen
tragen, und auch zum Theil auf Inſtrumenten
ſpielen. Alsdann kommt eine große Menge von
Leuten, welche grau gekleidet ſind, auf deren
Kleidung man den Namen des Goͤtzen leſen
kann, zu deſſen Religion er ſich bekannt hat.


Endlich folgt der Leichnam, der in einem
praͤchtigen Norimon von vier Maͤnnern getra-
gen wird. Der Todte ſitzt darinn auf ſeinen
Ferſen, mit unbedecktem Angeſicht, mit gefalte-
nen oder kreuzweiſe uͤber die Bruſt gelegten
Haͤnden, in der Stellung eines Betenden.
Ueber ſeine Kleider hat er einen von den papier-
nen *) Roͤcken, worinn alle Fromme gerne ſter-
ben moͤgen. Die vornehmſten Stuͤcke ihrer
Religion ſind darauf vorgeſtellt, und uͤberdem
ſchreibt man noch geheimnißvolle Zeichen darauf,
die zum Freypaß in den Himmel dienen. —
Die Kinder des Verſtorbenen, es verſteht ſich,
wenn er welche hat, umringen die Leiche in den
ſchoͤnſten
[53] ſchoͤnſten Kleidern, nicht anders als an dem
freudigſten Tage. Das juͤngſte Kind iſt ver-
bunden, die Fackel zu tragen. Der Ort, wo
der Koͤrper niedergeſetzt wird, iſt ein mit Mau-
ren umgebenes Feld. Die Mauren werden mit
ſchwarzem Tuche behangen, eine Farbe die bey
den Japanern nichts Trauriges anzeigt. In
der Mitte dieſes Feldes hat man eine Grube
gemacht, von deren Boden ſich ein Scheiter-
haufen erhebt. Zu beyden Seiten des Schei-
terhaufens ſtehen zwey Tiſche; der eine iſt mit
verſchiedenen Sorten von Erfriſchungen beſetzt,
und auf dem andern ſteht eine Rauchpfanne.


So bald der Zug ins Feld hereingekommen
iſt, ſetzen die Bonzen den Leichnam und den
Norimon auf den Scheiterhaufen. Das Ober-
haupt der Bonzen naͤhert ſich dem Scheiterhau-
fen, und nimmt die Fackel, geht dreymal um
denſelben herum, und weiht ihn gleichſam ein.
Nachdem er einige Gebete hergeſagt, giebt er
die Fackel demjenigen, der ſie gegeben hat, zuruͤck.
Hierauf wird der Scheiterhaufen an verſchiede-
nen Orten von den Vonzen in Brand geſteckt.“


Die vorhin erwaͤhnten jungen Leute, reiſſen
ſich alsdann, nachdem ſie mit anſcheinender
Freude von ihren Anverwandten Abſchied ge-
nommen haben, mit eigenen Haͤnden die Baͤuche
auf, werden von andern auf den Scheiterhau-
fen hingeſchleudert, um ihrem Herrn in jene
Welt nachzufolgen.


D 3Die
[54]

Die ganze Cerimonie endigt ſich mit einer
praͤchtigen Gaſterey, und es fehlt dabey nie an
Leckereyen — Fleiſch, Fiſche und Fluͤgelwerk
ausgenommen — mancherley Arten von Ge-
traͤnken u. f. Die Soͤhne und naͤchſten Anver-
wandten des Verſtorbenen beſchaͤftigen ſich,
waͤhrend die Geſellſchaft ſichs wohlſchmecken
laͤßt, mit Entrichtung der Leichenkoſten, Schei-
terhaufen, Opfergebuͤhren, Lampen, Gummi,
Muſik an die Bonzen. — Den Tag darauf
begeben ſich die Soͤhne, Verwandten und Freun-
de des Todten an eben denſelben Ort; ſie ſam-
meln die Aſche, und verſchließen ſie in eine ver-
guͤldete Urne, die ſie mit einem reichen Tuche
bedecken, und ſie ſogleich an den Ort niederſe-
tzen, an dem ſie ſieben Tage lang ſtehen bleiben
muß: in dieſer Zeit beten die Bonzen ſehr flei-
ßig um die Urne herum. Sobald dieſe ſieben
Tage verfloſſen ſind, wird die Urne von der Fa-
milie abgeholt und ſorgfaͤltig aufbewahrt. Mei-
ſtentheils ſetzt man ſie auf ſteinerne Fußgeſtelle,
auf welchen man den Namen des Verſtorbenen
und den des Goͤtzen, zu deſſen Religion er ſich
bekannt hat, ſchreibt. Nach Verlauf von ſie-
ben Monathen, und dann nach ſieben Jahren
erweißt man den Verſtorbenen eben die, bisher
beſchriebenen, Ehrenbezeugungen.


Es iſt noͤthig hierbey die Anmerkung zu
machen, daß Perſonen von geringer Abkunft
kein ſo praͤchtiges Leichenbegaͤngniß anſtellen
koͤnnen. Sie ſind indeſſen aber doch verbun-
den,
[55] den, die Bonzen und Anverwandten dazu ein-
zuladen. Die eſten muͤſſen ſie fuͤr ihre Muͤhe
und Arbeit hinlaͤnglich bezahlen, und den letz-
tern, nach ihrem Vermoͤgen, eine Mahlzeit an-
fertigen. — Die Armen pflegen auch ihre Ver-
ſtorbenen gemeiniglich zu begraben und nicht zu
verbrennen, woraus man alſo folgern kann,
daß das Verbrennen keine allgemeine Gewohn-
heit iſt.



Viertes Kapitel.


Von der Sprache, und von den Kuͤnſten
und Wiſſenſchaften der Japaner.


Nach Kaͤmpfers Bericht, iſt die japaniſche
Sprache, eine urſpruͤngliche Sprache,
die von keiner andern orientaliſchen abſtammt.
Sie hat aber doch mit der chineſiſchen einige
Aehnlichkeit. Sie bedienten ſich beym Schrei-
ben ehemals eben der Zeichen die in China uͤblich
ſind. Indeſſen hat doch das Beſtreben der Ja-
paner, ſich von der ſtolzen und eiferſuͤchtigen
Nation zu unterſcheiden, ſehr wichtige Veraͤn-
derungen in ihrer Sprache nach ſich gezogen;
denn da die Chineſer ſich beſtreben, meiſt einſil-
bige Woͤrter zu gebrauchen; ſo haben die Japa-
ner nicht nur eine weit groͤßere Mannigfaltig-
D 4keit
[56] keit von Woͤrtern eingefuͤhrt, ſondern ſie auch
ſehr verlaͤngert, weil ſie meinen, daß dadurch
ein angenehmer Wohlklang entſtehe. — Die
japaniſche Sprache iſt, uͤberhaupt genommen,
nicht allein zierlich, deutlich, angenehm, wohl-
klingend (worinn ſie nach Kaͤmpfers Meynung
vor der chineſiſchen einen großen Vorzug hat)
und wortreich, ſondern ſie hat auch noch eine
Menge von gleichguͤltigen Worten, die allemal
der Natur der Sache, die ſie ausdruͤcken, an-
gemeſſen ſind, ſie mag hoch oder niedrig oder
vertraulich ſeyn. Auch ſchickt ſie ſich ſehr gut,
fuͤr den Stand, Alter und Geſchlecht ſowohl
desjenigen der redet, als auch desjenigen, mit
welchem man redet.


Die Inſulaner ſchreiben, wie die Chineſer,
mit einem Pinſel von der rechten nach der linken
Hand; ſie gebrauchen eben die Dinte und Pa-
pier, und fuͤhren ihre Jugend von den zarteſten
Jahren dazu an, um geſchwind und ſauber
ſchreiben zu lernen; und man darf ſich gar nicht
daruͤber verwundern, wenn man Knaben von
ſechs bis ſieben Jahren, als Meiſter in dieſer
Kunſt ſieht.


Die vornehmſte Bemuͤhung der Japaner
geht meiſtens dahin, um ihre Sprache recht zu
lernen, gut zu leſen, ſchoͤn zu ſchreiben und ver-
ſtaͤndlich zu reden. Die meiſten Schriftſteller
verſichern, daß ſie in der Geſchichte ihres Lan-
des, von den Geheimnißen ihrer Religion, von
der Moral, Beredſamkeit, Dichtkunſt, Muſik,
Mah-
[57] Mahlerey und andern Kuͤnſten ziemliche Kennt-
niß beſaͤßen. Hierzu traͤgt die gute Einrichtung,
die ſie unter ſich getroffen haben, ſehr vieles bey.
Es iſt zuverlaͤßig, daß die Japaner verſchiedene
Univerſitaͤten angelegt haben, und von vielen
Studenten beſucht werden. Die Univerſitaͤten
ſind gewoͤhnlich ſehr reich. Die Aufſicht uͤber
dieſelbe iſt in den Haͤnden der Bonzen, welche
groͤßeſtentheils von adelicher Herkunft ſind,
und dieſe Lebensart erwaͤhlen, weil ſie entweder
zum Studieren Luſt haben, oder es fuͤr das
ſchicklichſte Mittel halten, um mit ihren ſchlech-
ten Gluͤcksguͤtern auszukommen. Was die
Bonzen betrift, welche den Univerſitaͤten als
Lehrer vorgeſetzt ſind; ſo verſichern die portu-
gieſiſchen Miſſionairs, daß ſie, unter ihren an-
dern Geiſtesfaͤhigkeiten, ſolche Meiſter in der
Redekunſt waͤren, daß es ihnen nie fehlſchluͤge,
den Zuhoͤrern Thraͤnen abzulocken, dafern ſie
ihre Geſchicklichkeit anwenden wollten.


Es ſcheint nicht, daß die ſpeculativen
Wiſſenſchaften
in Japan zeither großen Fort-
gang gehabt. Sie haben nur eine ſehr leichte
Kenntniß von der Mathematik, Metaphyſik
und den andern Theilen der Philoſophie: daher
auch ihre Achtung fuͤr dieſe Wiſſenſchaft ſehr
geringe iſt *). Sie ſehen ſie vielmehr als einen
D 5Zeitver-
[58] Zeitvertreib fuͤr muͤßige Leute an, und verwei-
ſen ſie in die Kloͤſter, wo man Zeit genug hat,
ſich mit dergleichen Sachen zu beſchaͤftigen.
Ihre Kenntniß des Himmels und der Be-
ſchaffenheit der Erde
iſt ſehr ſchlecht. Ehe
die Europaͤer zu ihnen kamen, waren ſie ſo un-
wiſſend, daß ſie die ganze Welt in drey Haupt-
theile theilten, nemlich in Japan, China und
Siam, das uͤbrige aber hielten ſie fuͤr einen
unerheblichen Anhang. Heutiges Tages ſind ſie
doch in dieſem Stuͤcke ganz andrer Meynung;
und man weiß fuͤr ganz zuverlaͤßig, daß ſie
Weltcharten und auch beſondre Charten von
ihren Laͤndern, unter ſich eingefuͤhrt haben.


Die Zeichen, um die Zahlen in der Rechen-
kunſt auszudruͤcken, fehlen ihnen. Sie bedie-
nen ſich indeſſen zum Rechnen einer hoͤlzernen
Maſchine, mit etlichen gleichlaufenden Staͤb-
gen belegt, woran kleine elfenbeinerne Kugeln
angereihet ſind. Sie theilen, wie wir, den
Thierkreiß in zwoͤlf Zeichen, aber ſie geben ihnen
andre Namen, als die Maus, der Ochſe,
der
*)
[59] der Tyger, der Haſe, der Drache, die Schlan-
ge,
das Pferd, das Schaf, der Affe, der
Hahn, der Hund und das Schwein. In
Abſicht der Art die Zeit zu meſſen, theilen ſie
den Tag in zwey Theile: der eine begreift die
Zeit, zwiſchen der Sonnen Auf- und Unter-
gang, nnd dieſer wird abermal in ſechs Theile
getheilt: und die Nacht enthaͤlt ebenfalls ſechs
dergleichen Theile; daher geſchieht es, daß, nach
Beſchaffenheit der Jahrszeit, die Stunden laͤn-
ger oder kuͤrzer ſind. Ihre Monathe haben
acht und zwanzig Tage, und werden nach dem
Monde gezaͤhlt; weil aber dieſe Rechnung nicht
genau ſeyn wuͤrde; ſo berichtigen ſie ſolche durch
eingeſchaltete Monde, die ſie in ihren Kalen-
dern ſetzen: und von drey zu dreyen, zuweilen
auch von zweyen zu zweyen Jahren, haben ſie
ein Jahr von dreyzehn Monden. — Die Ver-
fertigung des Kalenders wird den Geiſtlichen
am Hofe des Dairi aufgetragen, und in Jeddo
werden alle Kalender im ganzen Koͤnigreiche ge-
druckt.


Ungeachtet die Japaner in der Stern-
kunde
unwiſſender ſind, als die Chineſer;
ſo haben ſie doch nicht ſo poͤbelhafte Vorurtheile,
wodurch ſie die Leute bereden wollen, daß, wenn
ſich eine Veraͤnderung am Himmel ereignet,
ſolche auch auf der Erde erfolgen muͤſſe. In
China werden alle Luft- und Himmelserſchei-
nungen uͤbel gedeutet; ſieht man eine Neben-
ſonne; ſo glaubt man, es wuͤrden zwey Kayſer
regieren.
[60] regieren. Alles Neue, was man an dem Ge-
ſtirne entd[e]ckt, wird als ein Zeichen des goͤttli-
chen Zorns wider den Fuͤrſten und ſeine Mini-
ſter angeſehen. Alsdann, wenn die Chineſer
nur etwas unzufrieden ſind, ſieht man ſehr vie-
le Schmaͤhſchriften, und man redt von nichts,
als von Aufruͤhren. Dieſer Urſache wegen iſt
ohnfehlbar der kayſerliche Kalender von ſehr
großer Wichtigkeit. So unwiſſend nun aber
die Japaner in der Sternkunde ſeyn moͤgen;
ſo geht ihre Unwiſſenheit doch nicht ſo weit, daß
ſie politiſche Veraͤnderungen argwohnen ſollten,
wenn ſie Erſcheinungen am Himmel wahrzuneh-
men glauben.


Die Japaner haben in ihrer Chronologie
verſchiedene Epochen. Die erſte und zugleich
gewoͤhnlichſte nennen ſie Nin-o, ein Wort das
ſo viel bedeutet, als ein großer und maͤchtiger
Monarch. Und wegen des Nachdrucks faͤngt
dieſe Epoche mit dem Sin-mu, ihrem erſten
Kaͤyſer an, der ſeine Regierung mit den fechs-
hundert und ſechzigſten Jahre vor Chriſti Ge-
burt angetreten hat. Auf dieſe Art iſt unſer
itziges 1777 Jahr bey ihnen das 2436 Jahr.
Die zweyte Epoche heißt Nengo. Sie wurde
vor Alters von den Chineſern erfunden, und iſt
in Japan nicht eher als unter der Regierung
ihres ſechs und dreyßigſten Kaͤyſers eingefuͤhrt
worden. Dieſer Zeitrechnung bedienen ſich die
Mikaddo oder Kaͤyſer bey ihren Manifeſten,
Befehlen, Tagebuͤchern, Briefen und Kalen-
dern.
[61] dern. — Außer dieſen beyden haben ſie noch
eine dritte, nach welcher ſie gewiſſe Cyclus oder
Perioden von ſechszig Jahren unter ſich haben,
die ſie von den Chineſern entlehnt.


Die Japaner beſitzen faſt gar keine Kennt-
niß von der Anatomie. Die Vorurtheile ihrer
Religion erlauben ihnen nicht, weder Thiere zu
toͤdten, noch todte Koͤrper anzugreifen, daher
es gar nicht wahrſcheinlich iſt, daß ſie ſich je-
mals in dieſer Wiſſenſchaft hervorthun werden.
Hingegen legen ſie ſich ſehr ſtark auf die Bo-
tanik,
und dieſer Theil der Arzeneykunſt iſt bey
ihnen ſo beliebt, daß auch die Fuͤrſten und Vor-
nehmſten im Lande beſondern Fleiß darauf wen-
den. Viele haben beſondere Gaͤrten zum An-
bau der Kraͤuter beſtimmt. Sie haben ein
Kraͤuterbuch, oder eine botaniſche Abhandlung,
die weitlaͤuftig genug fuͤr ſie iſt: denn ſie finden
darinn die Abbildung von mehr als fuͤnfhundert
Pflanzen, die im Reiche wachſen, wobey die
Eigenſchaft und Tugend jedes Krauts erklaͤrt
ſteht.


Bey uns Europaͤern ſind das Purgieren
und das Aderlaßen die zwey allgemeinen Mittel,
die einmal verdorbene Geſundheit wieder herzu-
ſtellen. Die Japaner die dieſe Mittel nicht
kennen, oder vielmehr nicht kennen wollen, ge-
brauchen an deren Statt zwey andre Mittel,
nemlich die Nadel und das Feuer. Das
eine, wider die Verſtopfungen, und wider an-
geſetzte Feuchtigkeiten, den zweyen Quellen
(nach
[62] ihren Vorſtellungen) aller Krankheiten; das
andre wider die Blaͤhungen, als welche die hef-
tigſten Schmerzen verurſachen. Hauptſaͤchlich
bedienen ſie ſich der Nadel, als eines ganz un-
truͤglichen Mittels wider eine Colik, womit die
Japaner ſehr beſchwert ſind, und welche durch
den unmaͤßigen Gebrauch des Sacki, einer Art
von Wein aus Reiß gemacht, verurſacht wird;
inſonderheit, wenn man dieſes Getraͤnk kalt
trinkt. Außer den gefaͤhrlichen Zufaͤllen, die
ſich bey dieſer Colik einfinden, wird ſie auch eine
Urſache, daß das Haar an den heimlichen Thei-
len ausfaͤllt.


Die Nadeln, damit die Operation verrichtet
wird, ſind entweder von dem feinſten Golde
oder Silber, ohne die geringſten Schlacken und
Zuſatz. Sie muͤſſen uͤberaus duͤnne, fein poliert
und ſcharf zugeſpitzt ſeyn, auch eine gewiſſe
Stufe der Haͤrte haben, die derſelben von dem
Nadler durch die Bearbeitung, nicht aber durch
eine Vermiſchung gegeben werden muß, um
dadurch ihren Eingang und Eindringen in die
Haut zu erleichtern. Ohngeachtet nun im Lande
eine Menge Kuͤnſtler ſind, die dieſe Nadeln in
ſchoͤnſter Vollkommenheit verfertigen koͤnnen;
ſo darf doch niemand dieſelben verkaufen, als
der vom Kayſer ein Privilegium dazu hat. —
Ihre Form iſt willkuͤhrlich; allein meiſtentheils
gleicht ſie den Griffeln, womit die Indianer
ſchreiben. Die Art und Weiſe ſich dieſer Na-
deln zu bedienen beſteht darinn, daß man mit
einem
[63] einem kleinen Hammer darauf klopft, aber ſach-
te und zu verſchiedenen malen, damit die Nadel
durch die Haut nach und nach in den Kranken
Theil hineingehe. Haben ſie dieſe Nadel durch
die Haut gebracht; ſo drehen ſie dieſelbe ſo tief
ins Fleiſch, als ſie es ſich vorgenommen, das
iſt, bis ſie den Sitz des ſchaͤdlichen Gifts erreicht,
welches bey erwachſenen Perſonen ſelten unter
einem halben Zoll, oder aber mehr als ein gan-
zer Zoll iſt. Wenn dieß geſchehen; ſo zieht der
Chirurgus die Nadel wieder heraus, und druͤckt
den operirten Theil mit dem Finger zu, damit
die boͤſe Materie herausdringe. Die Geſchick-
lichkeit dabey beſteht nicht ſowohl, die Nadel
gut hineinzuſtoßen, als den Ort des Schmer-
zes genau zu kennen, und wie weit das Inſtru-
ment hineinkommen muß. — Man ſchreibt
dieſem Mittel eine eben ſo geſchwinde als be-
wundernswuͤrdige Wuͤrkung zu: und die Hol-
laͤnder, die den Nutzen davon eingeſehen, haben
es eingefuͤhrt, und gebrauchen es in ihren be-
nachbarten Colonien.


Das andre Mittel ſcheint ertraͤglicher zu
ſeyn; allein der Unterſchied des Climas hindert,
daß man in Europa keinen Gebrauch davon
macht. Man meint, daß dieß um ſo viel mehr
zu bedauren ſey, weil es die Kraft habe, das
fatale Podagra und Fluͤſſe zu heilen. Man
ſtelle ſich eine Art von Baumwolle oder Flachs
vor, davon man kleine laͤngliche Knaͤule macht,
die auf den kranken Theil gelegt und angebrannt
werden.
[64] werden. Dieſer weiche Knauel giebt nur eine
maͤßige Hitze, die man eine geraume Zeit, ohne
empfindliche Schmerzen, vertragen kann. Man
beurtheilt aus der Beſchaffenheit der Narbe,
was das Mittel fuͤr eine Wirkung thun wird.
Zuweilen wiederholt man es, wenn es noͤthig iſt,
zum zweyten male, ja, nach Beſchaffenheit der
Krankheit, zum dritten male. Dieſer Schmerz
iſt mit dem nicht zu vergleichen, welchen die an-
dern beiſſenden Mittel verurſachen. Man legt
es nicht immer auf den ſchmerzhaften Ort, nicht
einmal in der Naͤhe deſſelben. Man muß da-
bey ſehr behutſam verfahren, und viele Vor-
ſichtigkeiten gebrauchen, worinn uͤberhaupt die
ganze Kunſt des Artztes zu beſtehen ſcheint.


Bey Magen-Schmerzen, giebt es Wund-
Aerzte, die das Brennmittel auf den Schul-
tern anbringen, und bey Seitenſtechen brennen
ſie die Wirbelbeine des Ruͤckgrades u. ſ. w. Der
Patient ſitzt, nach morgenlaͤndiſcher Art, mit
kreuzweis gelegten Beinen auf der Erde, und
ſtemmt das Geſicht auf die Haͤnde. Dieſe
Operation iſt in Japan ſo gebraͤuchlich, daß
faſt alle Leute beyderley Geſchlechts Narben auf
den Ruͤcken, ſo wie wir Zeichen vom Aderlaſſen
auf unſern Aermen haben. Wir haben Leute,
die ſich dieſes letzten Mittels bedienen, ohne
krank zu ſeyn; und eben ſo findet man auch in
Japan Leute, die ſich ſehr wohl befinden, wenn
ſie das Brennmittel gebrauchen. Uebrigens
ſieht man es hier als ein fuͤrtrefliches Verwah-
rungs-
[65] rungsmittel wider alle Arten von Krankheiten.
Kinder, alte Leute, Reiche und Arme, kurz,
wer fuͤr ſeine Geſundheit Sorge traͤgt, laͤßt
dieſe Operation aller ſechs Monate mit ſich vor-
nehmen, ſo wie manche Leute unter uns ſich
aus Vorſicht zwey, drey oder mehrmals jaͤhr-
lich zur Ader laſſen. Ueberhaupt iſt die japani-
ſche Nation von der Wuͤrkſamkeit dieſes Mit-
tels ſo uͤberzeugt, daß man ſo gar denjenigen,
die zum Gefaͤngniß auf Lebenszeit verdammt
ſind, die Erlaubniß giebt, unter hinlaͤnglicher
Wache auszugehen, und ſich auf den Ruͤcken
mit dem Moxa brennen zu laſſen. Es iſt die-
ſes der Name dieſes cauſtiſchen Mittels. Man
ſetzt ſeinen Urſprung in das hoͤchſte Alterthum.
Auch bey den Chineſern, und bey allen nach Ja-
pan handelnden Voͤlkern, iſt es in gleichem Wer-
the. Es wird allenthalben verkauft, und auf
den Gaſſen pflegt man die Art und Weiſe aus-
zuſchreien, wie man ſich dieſes Brennmittels
zu bedienen habe.


Die Blattern ſind in Japan auch zu Hau-
ſe. Die Aerzte unterſcheiden dreyerley Arten
von Blattern: die trockenen, die zuſammen-
fließenden, die Maſern. Dieſe Krankheit rich-
tet hier viel Unheil an. Das gewoͤhnlichſte
Mittel, den Kranken zu heilen, iſt, ihn in
ein rothes Tuch zu wickeln. Wenn ein Prinz
vom koͤniglichen Gebluͤt damit behaftet iſt; ſo
werden nicht allein ſeine Zimmer und Bette,
ſondern auch alle, die ſich ihm naͤhern, in die-
Eſer
[66] ſer Farbe gekleidet. Die veneriſche Seuche iſt
auf dieſer Inſul nicht unbekannt. Man nennt
ſie nicht, wie bey uns: die franzoͤſiſche; ſon-
dern ſie nennen ſie die portugiſiſche Krank-
heit
*).


Die Chirurgie und die Apothekerkunſt, ſind
hier keine beſondern Profeßionen, wie in Eu-
ropa. Die Aerzte behandeln alle Theile der
Kunſt, die das Leben und die Geſundheit
des Menſchen angeht. Sie laſſen einen
Bedienten mit einem Kaͤſtchen voller Arze-
neyen hinter ſich hergehen, woraus ſie nehmen,
was jedwedem Kranken noͤthig iſt, ihn entwe-
der zu heilen oder ſo gleich zu befoͤrdern, ohne
Huͤlfe des Wundarztes und Apothekers.


Die Japaner ſind der Poeſie, Muſik, Mah-
lerey und mechaniſchen Kuͤnſten, ſehr ergeben.
Ihre Poeſie, verſichert der P. Charlevoir,
hat beſondre Annehmlichkeiten, hauptſaͤchlich
gluͤcken ihnen theatraliſche Stuͤcke. Dieſe ſind
in Handlungen eingetheilt, und jede Handlung
in verſchiedene Scenen. Die Erzaͤhlung des
Plans vom ganzen Stuͤck ließt man im Prolo-
gus, und die Entwickelung geſchieht mit vieler
Kunſt. Die Verziehrungen der Buͤcher ſind
praͤchtig, und ſchicken ſich ſehr wohl zum Stuͤcke:
die
[67] die Zwiſchenſpiele beſtehen in Taͤnzen *) oder
auch in luſtigen Poſſen. Charlevoix ſagt
weiter, daß ſo wohl die tragiſchen als komi-
ſchen Stuͤcke viele fuͤrtrefliche Moralen enthal-
ten. Der Innhalt ihrer Trauerſpiele iſt groͤß-
tentheils von einer Heldenthat ihrer beruͤhmten
Leute oder ihrer Heiligen hergenommen: die
Schreibart ſolcher Stuͤcke iſt groß und majeſtaͤ-
tiſch, ſtark im Erhabenen und im Wohlklange.
Indeſſen geſteht doch Kaͤmpfer, daß die Poeſie
der Japaner eben ſo wenig als die der Chineſer
von den Europaͤern mit Beyfall wuͤrde beehrt
und verſtanden werden.


Die Dichtkunſt wird auch ſehr ſtark unter
ihnen getrieben. Kaͤmpfer gedenket einer be-
ruͤhmten Sammlung, Faku-nie-isju beti-
telt, das heißt, die Verſe der hundert Dichter.
Dieſe Sammlung beſteht aus verſchiedenen
Stuͤcken von hundert Verfaſſern, die an dem
Hofe des geiſtlichen Kayſers gelebt. Man fin-
det in den Bibliotheken viel andre Buͤcher, nicht
allein von der Dichtkunſt und Beredſamkeit,
ſondern auch von der Geſchichte, Moral, Re-
E 2ligions-
[68] ligionsſachen, Medicin, Ackerbau und von ge-
wiſſen Theilen der natuͤrlichen Hiſtorie, ſonder-
lich was Voͤgel, Fiſche, Metall, Muſcheln
und dergleichen Materien betrift.


Man hat angemerkt, daß unſre Eilaͤnder
keine große Kenntniß der Rechte haben; und
vielleicht waͤre es auch zu wuͤnſchen, daß wir
Europaͤer in dieſer Materie eben ſo unwiſſend
waͤren. Ihre Geſetze ſind kurz und allgemein
verſtaͤndlich, ſo daß ſie keiner Ausleger be-
duͤrfen.


Man kann von der Muſik der Japaner eben
das, was von ihrer Dichtkunſt, ſagen, nem-
lich, daß ihre beßte Muſik einem feinen euro-
paͤiſchen Ohr kaum ertraͤglich ſey. Ihr Geſang
iſt abgemeſſen; ſie kennen nur eine Stimme in
der Muſik. Sie ſingen aus der Bruſt, und
bringen einen ſo unangenehmen Ton hervor, daß
es kaum auszuhalten iſt. Man findet bey ih-
nen verſchiedene Arten von muſikaliſchen In-
ſtrumenten, als zum Exempel, Floͤten, Pfeifen,
große und kleine Trommeln, Orgeln, Harfen,
Trompeten, Cymbeln, Glocken und noch viele
andre, deren Namen wir hier nicht alle anfuͤh-
ren wollen.


Die Japaner ſind weit beßre Mahler als
die Chineſer, aber ſie thun es den Europaͤern
lange nicht gleich. Die meiſten ihrer Proben
beſtehen entweder in Waſſerfarben auf Papier,
fein Leder, oder in ihrer japaniſchen Art auf
Porcellain zu mahlen, wovon wir an ſeinem
Orte
[69] Orte das Noͤthige anfuͤhren wollen. Man
muß es indeſſen doch geſtehen, daß die Japa-
ner, wenn ſie gleich unſere Mahlerkunſt gar
nicht erreichen koͤnnen, große Bewundrer ſchoͤ-
ner Gemaͤhlde ſind; die Reichen verwenden viel
Geld darauf, und ſtellen ſie unter ihre groͤßeſten
Seltenheiten. An ihren eignen Gemaͤhlden
muß man die Schoͤnheit ihrer Farben bewun-
dern, wovon einige die unſrigen ſehr weit uͤber-
treffen. Auch verſtehen ſie die Kunſt in ihren
Gemaͤhlden Licht und Schatten auf eine ange-
me Art abwechſeln zu laſſen, und beobachten
in ihren Zeichnungen eine richtigere Symmetrie,
als die Chineſer.


In den mechaniſchen Kuͤnſten ſcheinen die
Inſulaner wohl am weiteſten gekommen zu
ſeyn. Sie machen ſehr feine Arbeit in Holz,
Elfenbein, Silber, Gold, Kupfer und Eiſen.
Ihre lackirten Arbeiten kann man, wenn man
ſie gegen die chineſiſchen haͤlt, fuͤrtreflich nen-
nen. In Verfertigung des Stahls ſollen ſie
allen Voͤlkern vorgehen, und beſonders ſollen
ihre Saͤbel viel beſſer gearbeitet ſeyn, als die
unſrigen. — Sie meinen auch, die erſten Er-
finder der Buchdruckerkunſt geweſen zu ſeyn,
und wollen dieſe Ehre den Chineſern (die gleich-
falls fuͤr die Erfinder wollen angeſehen ſeyn,)
nicht laſſen. Aber wir wollen uns hierbey nicht
verweilen, und nur anmerken, daß die Japa-
ner die Chineſer in der Zierlichkeit des Schnitts,
E 3in
[70] in der Feinheit ihres Papiers *) und Dinte,
und in der Artigkeit der Zuſammenſetzung ſehr
weit
[71] weit uͤbertreffen. Sie eignen ſich auch die Er-
findung des Schießpulvers zu; aber ſie muͤßen
doch in Anſehung des Schießpulvers und ſon-
derlich der ſchweren Artillerie, und in der Fei-
nigkeit der Feuerroͤhren, den Chineſern weit
nachſtehen.



Fuͤnftes Kapitel.


Von der Regierungsform und Geſetzen in
Japan.


Die itzige japaniſche Monarchie wird von
zwey Souverainen beherrſcht: einem
geiſtlichen, Dairi genannt, der nichts thut;
und einem weltlichen, der Cubo heißt, und al-
les
thut. Die Urſache dieſer Theilung unter zwey
Landesherrn, iſt folgende:


E 4Die

[72]

Die Nachfolger des Sin-mu*), welche
Japan ſo wohl in geiſtlichen als weltlichen Sa-
chen, unumſchraͤnkt beherrſcht hatten, aber an
den Vorrechten des Prieſterthums mehr Gefal-
len hatten, als an den beſchwerlichen Rechten
der koͤniglichen Wuͤrde, theilten das Reich in
verſchiedene Statthalterſchaften, und vertrau-
ten die Aufſicht daruͤber einigen von den Vor-
nehmſten. Dieſe Gouverneurs machten ſich
ihr Geſchaͤft zu Nutze, entzogen ſich nach und
nach der ihren Landesherrn ſchuldigen Unterthaͤ-
nigkeit, riſſen die hoͤchſte Gewalt an ſich, und
verſprachen ſich einander getreulich beyzuſtehen.
Aber ſie fielen in Uneinigkeiten, bekriegten ſich
ſelbſt und zerritteten dadurch das Land. ——
Um dieſen Unfug ſo bald als moͤglich zu hem-
men
[73] men, uͤbergab der damals regierende Kayſer ei-
nem ſeiner Vornehmſten am Hofe das voͤllige
Commando uͤber die ganze Armee. Als dieſer
die Feinde ſeines Herrn bezwungen hatte, ſuch-
te er ſich ſelbſt der hoͤchſten Gewalt zu verſichern,
vereinigte die bisher unter ihnen getheilte Macht
des Reichs in ſeiner Perſon, und entzog dem
Dairi die Beſorgung der politiſchen Angelegen-
heiten. Und auf dieſe Art erkennt man itzt in
Japan zwey Kayſer: einer beſitzt die wuͤrkli-
che Macht
in Haͤnden, und der andre genießt
die Ehrenbezeigungen. Mit dieſen Ehren
begnuͤgt er ſich, und er iſt nie des Throns be-
raubt worden. Der Dairi *) ſieht nur mit einer
aus Nothwendigkeit und Gewohnheit angenom-
menen Unempfindlichkeit einen andern Thron
neben den ſeinigen, der zwar dem aͤußern nach
E 5weniger
[74] weniger geſchaͤtzt und verehrt wird, wo aber ei-
gentlich alle Macht befindlich iſt. Einer der
Vorzuͤge des geiſtlichen Monarchen iſt das
Recht, den Cubo bey jeder Regierungsveraͤn-
derung einzuſetzen und zu beſtaͤtigen. Desglei-
chen ernennt er zu allen geiſtlichen Wuͤrden: er
empfaͤngt die Huldigung von dem weltlichen
Monarchen, welcher, wie ein Vaſall ſeinem
Landesherrn, ihm einen oͤffentlichen Beſuch aller
fuͤnf oder ſechs Jahre abſtattet, zu gleicher Zeit
aber ihn in einer wuͤrklichen Gefangenſchaft
haͤlt.


Ganz fuͤrtreflich, majeſtaͤtiſch und mit un-
geheurem Aufwande ſind dieſe Beſuche verbun-
den. Der Cubo reſidirt in der Hauptſtadt Je-
do
, und der geiſtliche Monarch in der heiligen
Stadt Meako, etwa ſechzig Stunden weit von
Jeddo. Mit den Anſtalten zu dieſer Reiſe,
bringt man ganze Jahre zu. Außer einer Men-
ge großer Staͤdte, die den Hofſtaat des Fuͤrſten
faſſen, werden noch 28. ſchoͤne Haͤuſer, gleich
weit von einander an den Weg gebaut. In
jedem Hauſe findet der Cubo einen andern Hof-
ſtaat, andre Officier, andre Soldaten, und
alles was zur Pracht eines maͤchtigen Monar-
chen gehoͤrt, der in Begleitung einer ganzen Ar-
mee einem Herrn Beſuch abſtattet, der in An-
ſehung der Macht gaͤnzlich unter ihm iſt. Alle
dieſe verſchiedenen Gefolge verſammlen ſich zu
Meako und machen ein ſehr anſehnliches Heer
Truppen aus. — In dieſem Glanze der Ho-
heit
[75] heit zeigt ſich der Cubo dem Dairi, und erweiſet
ihm aͤußerlich einige Ehrenbezeigungen, die in
gewiſſer Abſicht dem maͤchtigen Vaſalle der ſie
leiſtet, zu groͤßerm Ruhm gereichen, als dem
ohnmaͤchtigen Monarchen, der ſie empfaͤngt.
Um der Cerimonie mehr Anſehen zu geben, ver-
einigen beyde Fuͤrſten ihr Gefolge und ziehen
zuſammen durch die heilige Stadt. Alle
Straßen, durch welche der Zug geht, ſind mit
weiſſen Sand beſtreut, welches den Weg eben
macht und einen ſilberfarbenen Glanz giebt.


Die Feierlichkeiten fangen noch vor Tages
Anbruch an. Zuerſt ſieht man die Livree-Be-
dienten beyder Monarchen, mit den Geſchenken,
welche ihre Herren einander machen, die von
etlichen Soldaten begleitet werden. Hierauf fol-
gen koſtbare Trageſeſſel, mit Blumenſchnuren und
andern Zierrathen behangen, und von vier weis
gekleideten Maͤnnern getragen, vor welchen ein
fuͤnfter mit einem Sonnenſchirm geht. In
dieſen Seſſeln ſitzen die vornehmſten Herren und
Damen. Nach den darauf folgenden Wagen,
kommen eine Menge andre große Herren zu Pfer-
de; zwey Bediente bey jedem Pferde halten mit
der einen Hand den Zaum, und in der andern
einen Sonnenſchirm. Einem jeden dieſer
Herrn folgen acht Bediente. — Nach ihnen
kommen drey Wagen, woran Glanz und Koſt-
barkeit alles uͤberſteigt, was man in dieſer Art
ſehen kann. Gold und Edelgeſteine ſieht man
uͤberall. Dieſe Wagen werden von vier ſchwar-
zen
[76] zen Ochſen gezogen, wovon ein jeder von vier
Maͤnnern gefuͤhrt wird: alſo bey einem jeden
Wagen zwoͤlf Ochſenfuͤhrer. Dieſe Wagen ge-
hoͤren den Gemahlinnen des Dairi. Ihnen
folgen drey und zwanzig andere, fuͤr die Kebs-
weiber und Hofdamen.


Ein zweyter Zug von zwey und ſiebenzig
Edelleuten zu Pferde, die paarweiſe reiten, er-
ſcheinen vor einem Haufen vornehmer Herren
vom erſten Range. Alsdenn kommt der Wa-
gen des Cubo, der an Pracht die drey vorher-
gehenden weit uͤbertrift. Die Prinzen ſeines
Hauſes, ſeine Bruͤder und Soͤhne, und vier
bis fuͤnf hundert wohlgekleidete Soldaten folgen
ihm, und machen den Schluß des Zugs. Un-
mittelbar darauf ſieht man eine große Anzahl
Trageſeſſel, Kutſchen und Fuhrwerke, die von
einer großen Menge vom Adel und andern zu
Pferde und zu Fuße begleitet werden, wobey
man Choͤre von Muſikanten, die ganze Luft
mit ihrer Vocal und Inſtrumentalmuſik —
aber freylich fuͤr ein europaͤiſches Ohr unange-
nehm genug — erfuͤllen. Endlich kommt
der Trageſeſſel des Dairi, von funfzig Edelleu-
ten getragen, und mit ſeiner Leibgarde umringt.
Alles was die Kunſt fuͤrtrefliches hervorbringen
kann, das ſieht man auch hier vereinigt. Auf
ſolche Art langt man im Pallaſt an, wo der
Fuͤrſt vom Cubo und ſeinen Soͤhnen, drey Ta-
ge lang bedient wird. Sie ſelbſt bereiten die
Speiſen: und nachdem ſie ihn mit Geſchenken
uͤber-
[77] uͤberhaͤuft haben, nehmen ſie mit allen ſeinem
Range zukommenden Reſpects-Bezeigungen,
von ihm Abſchied.


Ueber die Hochachtung, in welcher die ge-
heiligte Perſon des Dairi noch itzt ſteht, geht
nichts in der Welt. Man ſieht ihn noch eben
ſo an wie ſie in den aͤlteſten Zeiten ſind gehalten
worden. (man ſehe die vorhergehende Anmerkung)


In den Zimmern dieſes Fuͤrſten zaͤhlt man
drey hundert und ſechs und ſechszig Goͤtzenbilder,
die wechſelsweiſe bey ſeinem Bette Wache halten.
Wenn ſeine Heiligkeit nicht wohl geſchlafen hat,
bekommt der Goͤtze, der Wache geſtanden hat,
die Baſtonnade, und wird zur Strafe auf hun-
dert Tage aus dem Pallaſte verbannt *).


Die Wuͤrde eines Dairi iſt erblich. Dem
ordentlichen Laufe nach gehoͤrt ſie dem Aelteſten.
Allein in Ermangelung maͤnnlicher Erben,
erhaͤlt das Frauenzimmer den Thron, und man
hat ſchon Beyſpiele, daß ſo gar die Wittwen der
Mikaddo das Reich beherrſcht haben. Ereignet
ſich’s daß uͤber die Krone einiger Streit entſteht;
ſo entſcheidet ihn die Geiſtlichkeit. Oftmals
legt der Vater die Regierung nieder, und tritt
das
[78] das Reich nach und nach ſeinen Kindern ab,
damit ihre Muͤtter das Vergnuͤgen haben, ſie
auf dem Throne zu ſehen. Dieſer Wechſel
geſchieht auf die geheimnißvollſte Weiſe. Ein
Mikaddo (oder welches, wie bereits erklaͤrt, ein
Dairi) ſtirbt, oder entſagt der Krone, ohne daß
jemand etwas davon erfaͤhrt. Dieß geht ſo
weit, daß ſogar der Hof von Jeddo nicht eher
davon benachrichtigt wird, bis der Nachfolger
eingeſetzt iſt.


Dieſem hoͤchſten geiſtlichen Oberhaupte
uͤberlaͤßt der Cubo zu ſeinem Unterhalte, die
Einkuͤnfte der Stadt Meaco, mit ihrem Ge-
biete, nebſt einigen Gnadengeldern, die eben
nicht richtig bezahlt werden. Allein der Dairi
zieht einen ſichern Gewinn von der Macht, die
er hat, Ehrentitel zu vergeben und zu verkau-
fen, und zwar nicht allein an Privatperſonen,
ſondern an den Cubo ſelbſt, der ihm dieß Vor-
recht der hoͤchſten Gewalt gelaßen hat *). Die
meiſten Einkuͤnfte dieſes geiſtlichen Monarchen
werden dazu angewandt, ſeiner ohnmaͤchtigen
koͤniglichen Wuͤrde ein gewiſſes Anſehen zu ver-
ſchaffen: denn die Regel dieſes Hofes iſt, das
Volk durch einen aͤußerlichen Glanz zu hinter-
gehen, die Armuth durch den Aufwand zu ver-
bergen, und die ihm wuͤrklich fehlende Macht
durch den Schein zu erſetzen. Dieſe Prahlerey
zeigt
[79] zeigt ſich in allem, was die Perſon des Fuͤrſten
angeht. Seine Vermaͤhlung, die Geburt und
Erziehung des Thronfolgers, beſonders aber
die Wahl einer Amme verurſachen ganz außer-
ordentliche Anſtalten. Wenn man ſich uͤber
eine Amme berathſchlagt; ſo werden achtzig der
ſchoͤnſten Weiber im ganzen Koͤnigreiche zuſam-
mengebracht, und der Mutter und nun den
naͤchſten Anverwandten des Monarchen vorge-
ſtellt *). Einen Tag lang bewirthet man dieſe
Damen ſehr herrlich und begnadigt ſie mit Ti-
teln, die ſie Zeit ihres Lebens behalten. Am
folgenden Tage wird die Anzahl derſelben um
die Haͤlfte verringert, und die nach Hauſe ge-
ſchickten, erhalten große Geſchenke. Der Titel
dererjenigen, welche geblieben ſind, wird hoͤher
aufgeſtimmt, und unter dieſen vierzig gebliebe-
nen Damen, ſucht man zehn aus, die hernach
auf drey heruntergeſetzt, die uͤbrigen aber mit
vielen Gnadenbezeugungen heimgeſchickt werden.
Einige Tage nachher ſucht man eine von dieſen
dreyen aus, welche dann den Titel einer Amme
des Prinzen
bekommt. Bey ihrer Einſetzung,
wird ſie in das Zimmer des Kindes gefuͤhrt,
das ſie in den Armen einer der erſten Hofdamen
findet.
[80] findet. Man giebt dem jungen Prinzen ein
wenig Milch in den Mund, und ſo wird er der
neuen Amme uͤbergeben.


Nach hergebrachter Gewohnheit der Vor-
fahren heyrathet der Mikaddo oder Dairi or-
dentlich zwoͤlf Gemahlinnen, davon eine den
Titel als Kayſerinn fuͤhrt, und die Mutter des
Erbprinzen iſt. Sie wohnt bey ihrem Gemahle,
die uͤbrigen aber in andern nahe gelegenen Paͤl-
laͤſten. Eine jede von ihnen haͤlt alle Tage in
ihrem Zimmer ein praͤchtiges Gaſtmahl bereit;
ſie laͤßt Muſik und Taͤnzerinnen kommen; und
wenn der Fuͤrſt gewaͤhlt hat, bey welcher er eſſen
und ſchlafen will; ſo werden alle dieſe Gaſtmah-
le, die Muſik und Spiele zuſammen, und zu
der Gemahlinn gebracht, die er mit ſeiner Ge-
genwart beehrt.


Der Hofſtaat des Dairi iſt, ohnerachtet er
ſeinen Bedienten nur maͤßige Beſoldung giebt,
von der ſie ohnmoͤglich allein leben koͤnnen, ſehr
zahlreich. Die Großen kommen in ſeinem
Dienſte bis zum Bettelſtab herunter, und die
Geringen leben mit von ihrer Haͤnde Arbeit,
indem ſie Koͤrbe, Matten und andere Dinge
verfertigen. Indeſſen haben doch einige ſehr
reiche Praͤbenden, welche ihnen der Dairi giebt.
Und vermuthlich haͤlt die Erwartung ſolcher
Praͤbenden viele in ſeinem Dienſte. Die Liebe
zu den Wiſſenſchaften macht die hauptſaͤchlichſte
Beſchaͤftigung dieſer Hofleute aus. Einige
legen ſich auf die Dichtkunſt: andere ſchreiben
Geſchich-
[81] Geſchichte und Romanen. Die Damen erge-
ben ſich der Muſik, und es giebt in der That
wenige unter ihnen, die nicht einige Inſtru-
mente mit vieler Anmuth ſpielen koͤnnten.
Die jungen Leute uͤben ſich gewoͤhnlich im Pfer-
derennen im Tanzen, Ballſpielen und andern
aͤhnlichen Leibesuͤbungen.


Der Hof des Dairi beſteht aus lauter
Geiſtlichen, die ſich alle einbilden, von den alten
Goͤttern abzuſtammen. Dieſe vermeinte Her-
kunft macht das Prieſtervolk unertraͤglich ſtolz,
und floͤßt ihnen eine allgemeine Verachtung fuͤr
die Weltlichen ein, deren Dienſte ſie doch bey
aller Gelegenheit erbetteln. Alle Hofbediente
und Geiſtlichen im Reiche fuͤhren den praͤchti-
gen Titel Kuge oder gnaͤdiger Herr! —
Der Sonderbarkeit wegen will ich hier einen
kurzen Abriß von ihrer Kleidertracht herſetzen.
Sie haben weite Hoſen und einen weiten Rock
mit nachſchleppendem Schweife. Ihre Muͤtze
iſt ſchwarz; die Geſtalt derſelben iſt nach den
verſchiedenen Wuͤrden eingerichtet, und es iſt
nicht ſchwer, zu erkennen, von welchem Stande
der Geiſtliche iſt, und was fuͤr eine Wuͤrde er
bey Hofe bekleidet. Einige knuͤpfen eine Strei-
fe von Flor oder ſeidnem Zeuge an ihre Muͤtzen,
die ihnen auf die Schulter haͤngt; andere tra-
gen dergleichen, ſtatt eines Faͤchers vor den Au-
gen. Manche haben um die Bruſt eine Scher-
pe, die ihnen von den Schultern faͤllt: je laͤnger
die Scherpe iſt, je vornehmer iſt die Perſon;
Fdie
[82] die Kuge pflegen ſich nicht tiefer bey dem Gruͤ-
ßen zu buͤcken, bis die Enden der Scherpen auf
die Erde ſtoßen. Auch die Damen des Dairi
haben ihre beſondre Kleidung, die ſie von den
Weltlichen ihres Geſchlechts unterſcheidet *).
Und ſo viel vom Dairi.


Wir haben bereits geſehen, worinn die
Macht des weltlichen Monarchen, des Cubo,
beſtehet. Sie unterſcheidet ſich von der Ge-
walt des Kayſers von China, daß ſelbiger zugleich
Kayſer von China, und zugleich hoͤchſter Prie-
ſter ſeines Volks iſt. Der Cubo aber hat nur
die weltliche Gewalt in ſeinen Haͤnden. Dieſe
nun, iſt uneingeſchraͤnkt und deſpotiſch. Staats-
klugheit und Macht werden zugleich angewandt,
um einen Thron zu unterſtuͤtzen, der ſeinen An-
fang und Erhaltung beyden zu verdanken hat.
Alle Fuͤrſten und obrigkeitliche Perſonen des
Reichs ſind dem Oberhaupte des Staats ſo un-
terworfen, daß er ſie, ohne irgend eine Urſach
anzugeben, bloß aus Willen oder Eigenſinn,
aus dem Lande verbannen, ihre Guͤter confisci-
ren, ihnen ihre Aemter, ja gar das Leben neh-
men kann. Dieſer Fuͤrſt hat ſeine Reſidenz,
wie
[83] wie bereits geſagt, zu Jeddo, mitten unter einem
zahlreichen Hofſtaate, welcher aus den Vornehm-
ſten des Reichs beſteht. Einige ſind unmittel-
bar dem Dienſte ſeiner Perſon gewidmet; andre
kommen nur von Zeit zu Zeit, ihm die Aufwar-
tung zu machen; ein unveraͤnderliches Geſetz
aber verbindet alle, ſich wenigſtens ſechs Mona-
the im Jahr in der Hauptſtadt aufzuhalten.
Ehe ſie in Jeddo ankommen, wird ihr Gepaͤcke
von Kayſerlichen Commiſſarien unterſucht, dieſe
aber haben den ſchaͤrfſten Befehl, keine Gewehre
in die Stadt einzulaſſen. Der Kayſer ſorgt
mit aller Muͤhe dafuͤr, ſie in der Unterwuͤrfig-
keit zu erhalten. Um ſie zu ſchwaͤchen, zerglie-
dert er ihre Guͤter, ja er ſelbſt ſchmiedet die
Heyrathen aller, die an ſeinem Hofe ſind.
Die Weiber, die nun auf die Weiſe von ſeiner
Hand kommen, genießen eines großen Vorzugs.
Man bauet ihnen Pallaͤſte, richtet ihr Haus-
weſen ein, und giebt ihnen eine Menge Frauen-
zimmer zu ihrer Bedienung. Dieſe Maͤdchen,
welche gemeiniglich aus den beſten Familien ſind,
muͤſſen eine gewiſſe Anzahl von Jahren bey ih-
nen dienen, und werden hernach, ihrem Stande
gemaͤß, verheyrathet.


Der Cubo haͤlt eine Leibwache von unge-
faͤhr ſechs tauſend Mann. Außer dieſer unter-
haͤlt er zu Friedenszeiten zwanzig tauſend Mann
Reuterey, und hundert tauſend Mann Infan-
teriſten. Zu Kriegeszeiten muß jeder Fuͤrſt und
jeder Edelmann insbeſondere zu Felde gehen,
F 2und
[84] und eine gewiſſe Anzahl Soldaten nach ſeinen
Einkuͤnften ins Feld ſtellen. Wer zehn tauſend
Gulden Einkuͤnfte hat, muß zwanzig Fußknechte
und zwey Reuter unterhalten. Nach dem P.
Charlevoix betraͤgt die Anzahl der Soldaten,
welche die Fuͤrſten und Großen des Reichs dem
Kayſer zu Kriegszeiten aufbringen muͤſſen,
dreymal hundert und acht und ſechszig tauſend
Mann Fußvolk, und acht und dreyßig tauſend
acht hundert Edelleute zu Pferde. Es iſt dieſes
mehr als noͤthig, eines Fuͤrſten Anſehen zu er-
halten, der nichts braucht, als ſeine Untertha-
nen im Zaum zu halten, keinesweges aber ſucht,
andere Laͤnder zu bezwingen.


Die Soldaten werden gut gekleidet und
wohl bewaffnet. Die Reuterey fuͤhrt Wurf-
ſpieße, Karabiner, einen Saͤbel und Bogen;
man ſagt, daß ſie ſich aller dieſer Waffen ſehr
wohl bedienten. Das Fußvolk hat zwey Saͤ-
bel, eine Flinte und eine Picke. Von der Ein-
theilung der Truppen giebt Charlevoix folgen-
den Bericht. Fuͤnf Soldaten, ſagt er, ſtehen
unter einem Unterofficier, und fuͤnf von dieſen
Unterofficieren, die mit ihren Leuten dreyßig
Mann ausmachen, gehoͤren unter einen Officier.
Jede Compagnie zu zwey hundert und funfzig
Mann hat zwey beſondre Befehlshaber. Alle
Compagnien werden durch einen General an-
gefuͤhrt.


Um das Volk und die Großen im Gehorſam
zu erhalten, ſind in allen wichtigen Staͤdten des
Reichs
[85] Reichs feſte Schloͤſſer angelegt, wo die Com-
mendanten dem Kaͤyſer voͤllig ergeben ſind.
Im ganzen Koͤnigreiche werden Kundſchafter
unterhalten, die ihm von allen was vorgeht,
Nachricht geben muͤſſen. Unter dem Vorwan-
de, den Vornehmen beſondre Merkmale ſeiner
Gnade angedeyen zu laßen, fodert er, daß alle
ihre maͤnnlichen Kinder in der Hauptſtadt auf-
erzogen werden; und er behaͤlt ſie als Geißeln,
an ſeinem Hofe, um ſich der Treue der Vaͤter
deſtomehr verſichern zu koͤnnen. Den Vorneh-
men im Lande iſt es nicht erlaubt, vertraute Be-
kanntſchaft unter ſich zu haben, oder einander
oͤftere Beſuche zu machen. Um ſie nicht zu
Kraͤften kommen zu laßen, beſucht er ſie einige
Tage lang auf ihren Schloͤſſern, wo die außer-
ordentlichen Anſtalten, die zum Empfang des
hohen Gaſtes gemacht werden, den Beutel des
Beguͤnſtigten hinlaͤnglich erſchoͤpfen. Wenn
ein wohlhabender und vornehmer Mann einen
Pallaſt bauen will; ſo muß er zwey Thore dar-
inn anlegen, nemlich eins, zum gewoͤhnlichen
Gebrauch, und eins iſt allein dazu beſtimmt,
wenn ſeine Majeſtaͤt kommt, ihm einen Beſuch
zu machen. Sobald ein dergleichen Gebaͤude
fertig iſt; ſo wird eine praͤchtige Gaſterey ver-
anſtaltet, wozu die Einladung drey Jahre vor-
her geſchieht.


Die Krone des Cubo iſt erblich, und die
Einkuͤnfte des Monarchen beſtehen theils in
ſeinen Domainen-Guͤtern, welche faſt die
F 3Haͤlfte
[86] Haͤlfte von Japan ausmachen, theils in Aufla-
gen auf fremde Waaren die in ſeinem Namen
aufgehoben werden, und in Bergwerken. —
Kaͤmpfer ſagt, die Domainen betraͤgen hundert
acht und vierzig Man, und zwoͤlf hundert Kokf,
nach Art der japaniſchen Rechnuug. Dieſe
beyden Worte gebrauchen ſie bey den Rechnun-
gen der Einkuͤnfte ihrer Laͤndereyen. Der
Kokf enthaͤlt drey hundert Saͤcke Reis: und
der Man begreift zehn tauſend Kokf. Der
Kokf koſtet im gemeinen Jahre 17 hollaͤndiſche
Gulden und etwas druͤber: folglich koſtet der
Man, der zehn tauſend Kokf enthaͤlt, hundert
und fuͤnf und ſiebzig tauſend Gulden. Man
koͤnnte alſo die kayſerlichen Einkuͤnfte aus den
kayſerlichen Provinzen jaͤhrlich auf fuͤnf und
zwanzig Millionen neun hundert und ein und
zwanzig tauſend hollaͤndiſche Gulden rechnen.
Die Einkuͤnfte des ganzen Reichs aber uͤber-
haupt genommen, naͤmlich von allen japani-
ſchen Laͤndern, ſchaͤtzt er auf 400 und 14 Mil-
lionen 400 und achtzehn tauſend hundert und
funfzig hollaͤndiſche Gulden *).


Die
[87]

Die Policey in den Staͤdten beſorgt der
Stadthalter. Weil einer aber das Ganze nicht
allemal zu verwalten im Stande iſt; ſo hat er
verſchiedene Amtsverweſer, die ihm beiſtehen.
Dieſe nennt man Aelteſte, weil ſie vorzeiten
wuͤrklich aus den aͤlteſten Einwohnern gewaͤhlt
wurden. Ihre Hauptverrichtung beſteht dar-
inn, daß ſie dem Statthalter taͤglich genaue
Nachricht geben, von allem, was in der Stadt
vorgeht, und ihm die Bittſchriften der Einwoh-
ner uͤberreichen; denn es iſt nicht jedermann,
ohne Unterſchied erlaubt, den Statthalter zu
ſprechen: nur ſie allein haben das Recht —
weil ſie den ihm zu leiſtenden Reſpect gehoͤrig zu
beweiſen wiſſen — vor ihm zu erſcheinen. In
jeder Gaſſe iſt ein Commiſſair geſetzt, der auf
die Nachtwache Acht haben muß, und beſorgt,
daß die Befehle gehoͤrig vollzogen werden.
F 4Er
*)
[88] Er wird allemal aus den Ehrbarſten in der
Gaſſe gewaͤhlt, und der Statthalter beſtaͤtigt die
Wahl. Da der gemeine Mann die Wichtigkeit
eines Amtes aus dem Anſehen desjenigen beur-
theilt, der ſolches bekleidet; ſo ſuchen dieſe klei-
nen Unterbediente ihrer Stelle, durch aͤußerliche
Pracht, einen Schein zu geben, der ihre Duͤrf-
tigkeit verbergen muß. — Eine jede Stadt hat
auch noch, außer den vorhin erwaͤhnten Com-
miſſair, ihren Gerichtsſchreiber, der die Paͤſſe
und Zeugniſſe der Lebensart und Sitten aus-
fertigt. Dieſer iſt verbunden, uͤber die in ſeinem
Quartiere wohnenden Leute, ein richtiges Ver-
zeichnis zu halten, und dergleichen Dinge mehr.


Wir muͤſſen itzt unſern Leſern noch kuͤrzlich
einen Abriß von den Geſetzen und Strafen der
Japaner mittheilen. — Alle Reiſebeſchreiber
ſtimmen darinn uͤberein, daß die japaniſchen
Geſetze und Strafen ſehr ſtrenge ſind, und alle
Gerechtigkeit uͤberſchreiten. Sie haben wenig
oder gar keine geſchriebenen Geſetze. Ihr hoͤch-
ſtes Geſetz iſt der Wille der Kayſer, und naͤchſt
dieſem der Wille der Fuͤrſten, in deren Gebiet
ſie leben. Jeder hat uͤber das Leben desjenigen,
der unter ihm ſteht, voͤllig zu gebieten. Sie
verhoͤren und verurtheilen nach Gutbefinden.
Nicht leicht iſt ein Verbrechen ſo gering, das
nicht ſollte am Leben geſtraft werden, es ſey
denn, daß der Verbrecher ein kleiner Koͤnig
waͤre: und auch dieſe ſind nicht allzeit davon
frey. Das einzige Vorrecht das ſie haben,
iſt
[89] iſt dieſes: daß es ihnen frey ſteht, ſich mit eignen
Haͤnden zu entleiben, und ihren Bauch mit
einem Meſſer aufzureiſſen. — Diejenigen, de-
ren Leben man verſchont, werden gemeiniglich
auf eine wuͤſte Inſul verwieſen, wo ſie ſich mit
einem Leben ſchleppen muͤſſen, das aͤrger iſt, als
der Tod. Mit geringen Leuten pflegt man nicht
viele Proceduren zu machen: iſt ihr Proceß er-
wieſen; ſo richtet man ſie hin. — Große Ver-
brechen, z. E. Uebertretung der kayſerlichen Ge-
ſetze, Verraͤtherey, Unterſchleif bey des Kayſers
Einkuͤnften, Praͤgung falſcher Muͤnzen, Stoͤh-
rung der oͤffentlichen Ruhe, Mordbrennerey,
Todſchlag, Straßenraub, Diebſtal, Schaͤn-
dung einer verehlichten Perſon — werden mit
ſolcher Schaͤrfe beſtraft, daß zugleich dadurch
die ganze Familie hingerichtet wird.


Im Fall eines Hochverraths breitet ſich die
Strafe noch weiter aus, nemlich uͤber das gan-
ze Quartier und Nachbarſchaft, in welcher die
Verbrecher gewohnt. Die Urſach iſt, weil man
es nicht haͤtte zugeben ſollen, daß ein ſolcher
Feind des Regenten unter ihnen wohne. Und
in der That iſt dieß ein kraͤftiges Mittel, nicht
nur alle Geheimhaltung zu verhuͤten, ſondern
auch das Verbrechen und den Miſſethaͤter zu
entdecken, weil derjenige, der davon Nachricht
giebt, ſich und ſeine Familie rettet. Die weib-
lichen Anverwandten werden in allen Faͤllen,
blos die Verraͤtherey ausgenommen, als Scla-
ven verkauft, und zwar auf mehr oder weniger
F 5Jahre,
[90] Jahre, nachdem das Verbrechen beſchaffen iſt.
Iſt aber das Verbrechen eine Verraͤtherey; ſo
muͤſſen Weiber und Toͤchter mit ſterben, nur
nicht eines ſo ſchrecklichen Todes als der eigent-
liche Uebelthaͤter. Ihre Strafen ſind mannig-
faltig, und mehr oder weniger ſtrenge. Die
Kreuzigung, und zwar meiſt mit dem Kopfe
unterwaͤrts, iſt die vornehmſte, und wird an
Verraͤthern, Moͤrdern, Mordbrennern und an-
dern abſcheulichen Miſſethaͤtern vollzogen. Die-
ſe muͤſſen zwey, drey oder vier Tage lang am
Kreuze haͤngen, bis ſie ſterben, nachdem ihr
Verbrechen beſchaffen iſt; und wenn dieſes eini-
ge Linderung der Strafe verſtattet; ſo werden
ſie in kuͤrzerer Zeit entweder mit einem Dolch
durchſtochen, oder mit Pfeilen durchſchoſſen.
Das Verbrennen, Sieden im Oehle wird ſolchen
Leuten zuerkannt, die Vatermord, Blutſchande,
Nothzuͤchtigung, Ehebruch und dergleichen ab-
ſcheuliche Verbrechen veruͤben. Wenn ein Miſ-
ſethaͤter nach ergangener oͤffentlichen Edictal-
Citation ſich nicht einſtellt; ſo wird er, wo man
ihn nur ertappet, von Pferden zerriſſen, oder
von Scharfrichtern in Stuͤcken zerhauen *);
oder wenn er auch nicht gefunden wird, ſo wird
die Strafe, nach Beſchaffenheit ſeines Verbre-
chens, an ſeinem Bilde vollzogen. Ein jeder
kleiner Diebſtahl, Frevel, Verlaͤumdung, jede
Art
[91] Art des Betrugs, auch im Spiele, das Luͤgen
und Vergreifen an der Obrigkeit, gehoͤrt mit
unter die Halsverbrechen, ob es gleich mit einer
gelinden Todesſtrafe belegt wird. Dahin gehoͤrt
die Enthauptung, Aufknuͤpfung am Galgen
und Ausreiſſung der Eingeweide. Dieſe letzte
Strafe widerfaͤhrt gemeiniglich Adlichen und
Soldaten, die man uͤberfuͤhrt hat, nur mit dem
Unterſchiede, daß ſie die Strafe ſelbſt an ſich
vollziehen duͤrfen. Denn man haͤlt es, wie be-
kannt, fuͤr ſchimpflich, wenn jemand durch Zag-
haftigkeit oder langes Bedenken dem Scharf-
richter dieſes Stuͤck Arbeit uͤberlaͤßt, und die
ſolches thun, muͤſſen gemeiniglich eines haͤrtern
Todes ſterben. Sehr wenige Verbrechen ſind
ſo klein, oder eine Beleidigung ſo unerheblich,
daß ſie durch Geld koͤnnte abgethan werden.
Und was die Geiſſelung oder Baſtonade betrift;
ſo treffen dieſelben gemeiniglich Sclaven und
niedrige Knechte, und zwar werden ihnen dieſe
nur von ihren Herren oder Meiſtern zuerkannt.


Wir koͤnnen hier die Martern, welche in
Japan bey Criminal-Proceſſen uͤblich ſind,
nicht vorbeylaßen.


Wenn bey einem Criminal-Proceſſe der
Beweis nicht hinlaͤnglich iſt, den Verbrecher zu
verurtheilen; ſo bedient man ſich verſchiedener
Arten von Marter. Eine der grauſamſten iſt,
dem Beſchuldigten eine gewiſſe Menge Waſſer
verſchlucken zu laßen, das man ihm mit dem
Trichter in den Hals gießt. Sobald der Leib
außer-
[92] außerordentlch aufſchwellt, legt man ihn auf die
Erde, und die Henkersknechte treten ihn mit
Beinen. Beharrt er, das beſchuldigte Verbre-
chen zu laͤugnen; ſo ſchnuͤrt man ihn vom Halſe
bis an die Verſen mit Baͤndern, und legt ihn
in die groͤßeſte Sonnenhitze, oder in die aͤrgſte
Kaͤlte, mit dem Ruͤcken auf Kieſelſteine *).
Kann dieſe Marter ſein Geſtaͤndniß noch nicht
erzwingen; ſo iſt er deswegen noch nicht frey,
ſondern man behaͤlt ihn gefangen oder ſchickt ihn
auf eine wuͤſte Inſul. Jedoch dieſe letztere
Strafe iſt hauptſaͤchlich fuͤr die Großen und Vor-
nehmen des Reichs beſtimmt. Die Inſul, wo
man ſie hinbringt, liegt acht Meilen von Jed-
do
, und hat nicht uͤber eine Stunde im Um-
fange. Sie hat weder Hafen noch Rhede, und
die Ufer ſind ſo entſetzlich ſteil, daß, wenn man
Lebensmittel oder Gefangene dahin bringen,
oder die Beſatzung abloͤſen will, das Schiff
mit ſeiner ganzen Ladung vermittelſt eines
Krahns hinauf ziehen muß. Der Boden traͤgt
nichts als etliche Maulbeerbaͤume, und den da-
hin relegierten, wird ihr Unterhalt geſchickt.
Ein wenig Reis, Wurzeln und ſchlechtes
Fleiſch — macht ihre ganze Bekoͤſtigung aus.
Dabey aber laͤßt man ſie nicht muͤßig gehen,
wodurch
[93] wodurch ſie dem Staate und ſich ſelbſt zur Laſt
ſeyn wuͤrden. Sie muͤßen nemlich Seidenwuͤr-
mer erziehen, Stoffe wuͤrken, und ſo ſich ihren
Unterhalt ſelbſt verdienen.


Wenn ein Uebelthaͤter im Gefaͤngniß ſtirbt,
es mag nun natuͤrlicher oder gewaltſamer Weiſe
geſchehen; ſo iſt er deswegen von der Strafe
nicht befreyt; man richtet den Proceß ſo ein,
als wenn der Beklagte noch lebte. Man legt
den Koͤrper in Salz, bis das Urtheil geſprochen
iſt, und muß eben die Strafe ausſtehen, als
wenn er noch lebte.



Sechſtes Kapitel.


Vom Handel und Gewerbe in Japan.


Man wuͤrde ſich in der That ſehr irren, wenn
man glaubte, daß die Japaner zum
Handel und Gewerbe gar nicht aufgelegt waͤren.
Die Nachrichten der Reiſebeſchreiber kommen
vielmehr voͤllig darinn uͤberein, daß die Japa-
ner in verſchiedenen Manufacturen, ſonderlich
aber in der Schoͤnheit, Guͤte und Mannigfal-
tigkeit der ſeidnen, baumwollenen und andern
Zeugen, desgleichen in ihrer Porcellainarbeit*),
ſelbſt
[94] ſelbſt die Chineſer uͤbertreffen. Ohne Zweifel
wuͤrde auch ihr Handel unter ihnen ſehr bluͤhend
ſeyn, wenn ſie einen ſtaͤrkern Abſatz ihrer Waa-
ren haͤtten, und ihnen mehr Gelegenheit ver-
goͤnnt waͤre, mit Fremden ſich in ſtaͤrkern Han-
del einzulaſſen. Allein, ihre ihnen natuͤrliche
Eiferſucht gegen alle Fremde, und ſonderlich Eu-
ropaͤer, hat ſeit der Ausrottung der chriſtlichen
Reli-
*)
[95] Religion, die ſtrengſten Geſetze wider verſchie-
dene Theile ihres alten Commerciums nach ſich
gezogen, und die Unterſuchung der ein und aus-
gehenden Waaren iſt ſo ſcharf, daß der Handel
dadurch ungemein geſchwaͤcht wird. Die Ver-
anlaßung zu dieſem ſtrengen Verbote hat ge-
geben, da man es gewagt, allerley verbotene
Waaren aus dem Lande zu fuͤhren, als Saͤbel,
Flinten und andre dergleichen Gewehre, in de-
ren Verfertigung die Japaner eine bewunderns-
wuͤrdige Geſchicklichkeit haben, des vielen Gol-
des und Silbers nicht zu gedenken, welches
Auslaͤnder heimlich von ihnen hohlten.


Es giebt aber noch andre Urſachen, dadurch
die japaniſchen Monarchen bewogen wurden,
den Handel mit Auswaͤrtigen zu verbieten, nem-
lich die große Menge Chriſten, oder, nach ih-
rem Ausdrucke, Kreuzleute, die in China,
Siam und andern Gegenden hin und her zer-
ſtreut leben, weil ſie befuͤrchten, daß die Japa-
ner durch den Umgang mit denſelben beßre Be-
griffe, als ſie bisher gehabt, von ihnen bekom-
men und ſie unter ihren Landesleuten ausbreiten
moͤchten. Aus dieſer und noch andern Urſa-
chen duͤrfen die Japaner mit keinen andern
handeln, als mit den Chineſern, Koreern,
dem Lande Jeddo und mit den Hollaͤndern.
Es wird ihnen auch nicht erlaubt, in eines der
erſten Laͤnder zu ſeegeln, noch den letztern, ſich
zu Tay-wan aufzuhalten, welches der vor-
nehmſte Handelsplatz in dieſen Gegenden iſt,
wenn
[96] wenn ſie nicht ausdruͤckliche Erlaubniß vom
Kayſer dazu haben.


In den vorigen Zeiten lebten zwar die chi-
neſiſchen und japaniſchen Monarchen in ſo voll-
kommner Freundſchaft, daß ſie einander mit
Geſandſchaften und Geſchenken uͤberhaͤuften,
und ihren Unterthanen erlaubten, nicht nur mit
einander zu handeln, ſondern auch ſich in bey-
derſeitigen Reichen niederzulaſſen. Es wurde
aber dieſes gute Unternehmen oͤfters unterbro-
chen, und ihr Handel eine Zeitlang geſperrt, zu-
weilen auch auf beyden Seiten auf das haͤrteſte
verboten. Allein, ſeitdem die Tatarn ſich des
chineſiſchen Reichs bemaͤchtigt; ſo haben dieſe
Streitigkeiten, die verſchiedentlich erzaͤhlt wer-
den *), in ſo weit aufgehoͤrt, daß die Chineſer
nun freyen Handel nach Japan haben, die Ja-
paner
[97] paner aber, wiewohl nicht ſo ſtark, nach Chi-
na handeln duͤrfen. Denn der japaniſche Kay-
ſer ſieht es lieber, daß das Commercium von
den Chineſern getrieben wird, als daß viele von
ſeinen Unterthanen aus dem Staate reiſen, weil
er beſorgt, daß wenig Vortheil daraus entſte-
hen moͤchte.


Die Waaren, welche aus Japan verfuͤhrt
werden, ſind Reis, verarbeitete Seide, Baum-
wolle und dergleichen. Ferner —— wie Kaͤm-
pfer meldet — das feine Porcellain, Gold
und Silber, ob gleich itzt nicht mehr in ſo groſ-
ſer Menge, Kupfer in Stangen, Eiſen und
Stahl: verſchiedene Sorten von Thee, von
welchem Gewaͤchs der Leſer unten in der Anmer-
kung das Noͤthige finden wird *). — Gegen
dieſe
G
[98] dieſe Waaren bringen ihnen nun die Hollaͤnder
allerley Glas, das ſie ſonderlich gerne haben:
ferner, rohe und verarbeitete Seide, ungegerbte
Haͤute, Queckſilber, allerley Sorten von Spe-
cereyen, woran ſie einen ganz außerordentlichen
Gewinn haben. Auch bringen ſie hieher eine
Art von Zucker, Biſam, Kampfer, Braſilien-
holz, Elephantenzaͤhne. Alle dieſe Waaren
werden Zollfrey aus und ein gefuͤhrt, daher
eben das japaniſche Commercium ſo begierig ge-
ſucht wird. Nur iſt die fuͤrchterliche Clauſul
dabey, daß, wenn entweder Controbande auf
dieſen Schiffen gefunden, oder die Waaren ver-
faͤlſcht oder beſchaͤdigt werden, oder ſonſt ein
Betrug und Schelmerey in ihren Verzeichnißen
gefunden wird, ſie verſichert ſeyn koͤnnen, daß
mit ihnen nach der aͤußerſten Strenge verfah-
ren wird. Denn man findet keine uns bekann-
te Nation, welche mehr Graͤuel am Unterſchlei-
fe im Handel und Wandel aͤußert, als die japa-
niſche.


Be-

[99]

Beſonders ſieht man den Hollaͤndern ſehr
ſcharf auf die Finger, und ſie werden von der
Zeit ihrer Ankunft an, bis ſie wieder abſeegeln,
ſehr eingezogen gehalten. Wenn ihre Flotte er-
wartet wird; ſo ſtellt der Gouverneur von
Nangaſaki an den Kuͤſten Schildwachen aus,
die von jedem Schiffe, das ſich auf dem hohen
Meere ſehen laͤßt, Nachricht geben muͤßen. Und
wenn dieſe Schiffe naͤher kommen; ſo werden
Officiere mit einiger Mannſchaft abgeſchickt,
welche Unterſuchungen anſtellen muͤßen, damit der
Raport nach Hofe kann verſand werden. Von
dieſer Zeit an, duͤrfen ſie ſich nicht ruͤhren und
bewegen, bis Antwort vom Hofe zuruͤck iſt;
alsdann ſperrt man ſie in ihre Factorey ein, oder
man bewacht ſie ſonſt genau.


Es iſt hier der Ort, den Leſern die Art und
Weiſe zu erzaͤhlen, wie die Hollaͤnder den gan-
zen Handel mit dieſem Reiche — nach der
grauſamen Verfolgung der Chriſten — an
ſich gebracht haben. Nach den japaniſchen Ge-
ſetzen duͤrfen keine Chriſten mit ihnen Handel
treiben. Die Hollaͤnder aber, die gerne mit
ſolchen zu thun haben, wo ihr Profit ſichtbar-
lich groß iſt, verleugneten ſich, und gaben vor:
ſie waͤren in Europa das einzige Volk,
das nicht unter die Chriſten gehoͤre, und
deswegen wuͤrden ſie auch von andern
gehaßt, und muͤßten oft mit ihnen Krieg
fuͤhren.
Naͤchſt dieſem benachrichtigten ſie den
Hof von den verſchiedenen Cabalen und Bemuͤ-
G 2hungen,
[100] hungen, welche die Portugieſen und Spanier
anwendeten, um wieder einen feſten Fuß unter
ihnen zu bekommen, und ſich zu Herren von ei-
nem ſo reichen Lande zu machen. Endlich ga-
ben ſie ihnen Anweiſung, wie ſie diejenigen
entdecken ſollten, die etwa maskirt und unter
fremden Namen zu ihnen kaͤmen, nemlich ſie
ſollten ſie dahin bringen, daß ſie ein Krucifix
mit Fuͤßen traͤten.


Durch dieſes Mittel brachten es die Hollaͤn-
der ſo weit, daß es ihnen erlaubt wurde, von
Seiten des japaniſchen Hofes, mit der Nation
einen Handel zu treiben. — Es waͤhrte aber
nicht lange; ſo mißbrauchten ſie das auf ſie ge-
ſetzte Vertrauen der Japaner, da ſie ſtatt eines
Magazins und Waarenlagers eine ſtarke Veſtung
anlegten, und eine anſehnliche Menge Artillerie
und Kriegsamunition hinein brachten. Die
Sache kam dadurch heraus, weil eines ihrer
Fahrzeuge zerbrach: worauf ihnen ihr ganzer
Vorrath zum Gebrauch fuͤr den Kayſer wegge-
nommen wurde. Indeſſen fanden ſie doch
Mittel ſich zu entſchuldigen, und den Verdacht
eines verraͤtheriſchen Anſchlages gaͤnzlich von ſich
abzulehnen. Sie gaben nemlich vor, ſie haͤtten
weiter nichts geſucht, als ſich, gegen zu beſor-
gende Beleidigung, in Sicherheit zu ſetzen.
Sonderlich aber ſaͤhen ſie ſich genoͤthigt, gegen
die große Menge Seeraͤuber, die dieß Meer
beunruhigten und ganz entſetzliche Kapereyen
verurſachten, die noͤthigen Anſtalten zu treffen.
— Die-
[101] — Dieſe Gruͤnde ließ der Kayſer zum Theil
gelten, und es wurde ihnen endlich wieder er-
laubt, mit ihnen Handel zu treiben, aber doch
unter ſolchen harten Bedingungen — wovon
wir die vornehmſten kurz vorher beſchrieben ha-
ben — daß ihr Handel ſehr darunter leidet.


Was die Factorey der Hollaͤnder in Japan
betrift; ſo liegt ſie auf der Spitze eines Felſen
auf einer kleinen Inſul, Namens Deſima,
welche von der Stadt Nangaſaki nur durch ei-
nen Fluß und Mauer unterſchieden iſt, die ſie
von aller Gemeinſchaft der Stadt ausſchließet.
Dieſe kleine Inſul ſoll nach Thewenots Be-
richte, nur zwey Meilen im Umfange haben;
und kein Hollaͤnder darf ſichs unterſtehen, einen
Fuß von derſelben zu ſetzen, — welches 9 Mo-
nathe waͤhrt — wenn er ſich nicht von der Wa-
che in Stuͤcken will zerhauen laſſen. Ferner iſt
es ihnen auch nicht erlaubt, mit dieſen Waͤch-
tern, oder ſonſt mit Japanern Umgang zu hal-
ten, außer mit denen die der Gouverneur zu
Factoren, Dollmaͤtſchern und dergleichen Aem-
tern ernennt. Noch mehr: es iſt ihnen nicht
einmal erlaubt, ſo wenig ein Licht in ihren Haͤu-
ſern, als am Bord der Schiffe, anzuzuͤnden.
Kurz, ſie duͤrfen ſich nicht ruͤhren.


Dieſem ſclaviſchen Zuſtande und ſtrengen
Einſchraͤnkungen, muͤßen ſich die Matroſen ſo-
wohl als Kaufleute, die zur Factorey gehoͤren,
unterwerfen, (nur die ſechs Wochen ausge-
nommen, da oͤffentliche Meſſe gehalten wird,
G 3in
[102] in welcher Zeit die Japaner haufenweiſe auf die-
ſe Inſul kommen, und ihre koſtbaren Boutiken
aufſchlagen, die mit allerhand Waaren ange-
fuͤllt ſind,) ohne eine andre Veraͤnderung zu
haben, als daß ſie ſpielen, trinken und ſchoͤne
Mamſells oder Damen zu ihrem Vergnuͤgen mie-
then koͤnnen, denn dieſe werden ihnen von den
Bayos oder japaniſchen Herrn leicht zugeſtan-
den, welche es gar nicht unter ihrer Wuͤrde hal-
ten, den Fremden mit dergleichen Waaren zu
dienen.


Die hollaͤndiſche Compagnie haͤlt in Japan
einen eignen Director: eine Stelle die ſehr ein-
traͤglich iſt. Aber er kann es nur ein Jahr lang
bleiben, und nach Verlauf deſſelben, muß er
auf eben dem Schiffe, welches ſeinen Nachfol-
ger uͤberbringt, nach Batavia zuruͤck gehen.
Eine ſeiner hauptſaͤchlichſten Verrichtungen be-
ſteht darinn, alle Jahre mit einem zahlreichen
Gefolge nach Jeddo zu gehen, um dem Kayſer
ſeine Aufwartung zu machen, und ihm die ge-
woͤhnlichen Geſchenke zu uͤberreichen. Dieſe
Geſchenke, die ordentlich muͤßen abgetragen wer-
den, und deren Werth und Beſchaffenheit von
den Commiſſarien des Kayſers beſtimmt wird,
ſind wenig von einem wahren Tribut unterſchie-
den Die Geſandſchaft ſelbſt wird in Japan,
nach Kaͤmpfers Bericht, als ein oͤffentliches
Zeichen der Unterthaͤnigkeit und des Gehorſams
angeſehen, den die hollaͤndiſche Republik dem
Kayſer erweißt. Daher nennt auch das Volk
die
[103] die zu Nangaſaki wohnenden Hollaͤnder nicht
anders, als Fitoſitzt, oder Geiſſeln. Wenn
der Director und die andern Abgeordneten zu
Jeddo angelangt ſind, und der Audienztag be-
ſtimmt iſt; ſo begeben ſie ſich in folgender Ord-
nung nach dem kayſerlichen Pallaſt:


Der Director wird in einem praͤchtigen No-
rimon
getragen, die andern vier bis fuͤnf an
der Zahl, ſitzen auf Pferden, die ihre Bedien-
ten am Zuͤgel fuͤhren. Sie reiten einer nach
dem andern vor dem Norimon her. Der Di-
rector und ſeine Gefaͤhrten gehen ſchwarz geklei-
det, welches bey dergleichen Cerimonien uͤblich
iſt. Der erſte Dollmaͤtſcher folgt der Saͤnfte
des Directors zu Pferde, hierauf kommt ein
zahlreiches Gefolge von Bedienten zu Fuße, die
vom erſten Zuge eine gewiſſe Diſtanz entfernt
bleiben.


In dieſer Ordnung kommen die Hollaͤnder
an das Thor des kayſerlichen Pallaſts. Dieſer
Pallaſt beſteht aus drey Schloͤſſern, wovon je-
des ſeine beſondre Ringmauer hat. Ehe man
in das Innere des erſten Schloſſes kommt, geht
man uͤber eine große Bruͤcke, die mit einem
ſchoͤn verzierten Gelaͤnder verſehen iſt. Wenn
man uͤber die Bruͤcke gekommen, geht man
durch zwey befeſtigte Thore, zwiſchen denen man
eine kleine Wache findet, hierauf koͤmmt man
auf einen großen Platz, auf welchem man eine
zahlreiche Garde findet. Von da geht man in
das zweyte Schloß, welches beynahe eben ſo
G 4ge-
[104] gebaut iſt, wie das erſte, nur daß die Befeſti-
gungen, die es einſchließen, die Thore, die
Bruͤcke, und der Pallaſt von beßrer Bauart
ſind. Der hollaͤndiſche Director laͤßt hier ſei-
nen Norimon, und alle ſeine Leute muͤßen gleich-
falls abſteigen, und ſich zu Fuße nach den Fon-
mats,
oder dritten Schloſſe, begeben, in wel-
chem tandem aliquando der Kayſer zu finden iſt.
Man geht uͤber eine große ſteinerne Bruͤcke, und
nachdem man durch verſchiedene wohlbefeſtigte
Baſtionen gekommen, tritt man in eine enge
krumme Straße, die von beyden Seiten mit
außerordentlich hohen Mauern umgeben iſt.
Am Ende dieſer Straße erblickt man ein Corps
Soldaten, von ohngefaͤhr hundert Mann, wel-
che in einem geraͤumigen Saale in guter Ord-
nung ſtehen. An dieſem Orte halten ſich die
Geſandten ſo lange auf, bis der Befehl kommt,
in das Innere des Pallaſts zu gehen. —
Waͤhrend ſie ſich in dieſem Zimmer aufhalten,
ſetzt man ihnen Thee und Toback vor.


Wenn endlich der Befehl kommt; ſo fuͤhrt
man die Abgeſandten nach dem Zimmer des Kay-
ſers, welcher ihnen in einem Saale von ſonder-
barer Einrichtung Audienz ertheilt. Dieſes
Zimmer iſt ein weitlaͤuftiges und ſehr hohes Ge-
baͤude mit vergoldeten Pfeilern und Lambois ge-
ſchmuͤckt, welches aber, wegen der großen Men-
ge Schirme, ſehr dunkel iſt. Der Fußboden
iſt mit hundet ſchoͤn geſtickten Teppichen belegt,
die alle von einerley Groͤße ſind. Dieſer Saal
iſt
[105] iſt von der einem Seite nach einem kleinen Hofe
zu, offen, von welcher Seite auch das Licht
hinein faͤllt. Auf der gegen uͤberſtehenden Sei-
te ſtoͤßt er an zwey Cabinette, die ihr Licht nur
von dem Saale erhalten. Das erſte iſt ziem-
lich groß, und hierinnen pflegen die Staatsmi-
niſter ihre Audienz zu geben. Das andre iſt
viel kleiner, aber hoͤher gelegen; und hierinn
giebt der Kayſer Audienz. Er ſitzt auf Teppi-
chen, mit kreuzweiſen Fuͤßen, nach Art der
Morgenlaͤnder. Die Staatsraͤthe, Fuͤrſten und
andre Große des Reichs, machen eine doppelte
Reihe in dem großen Saale, wovon die Vor-
zimmer gleichfalls mit einer großen Menge Edel-
leute und andern Hofbedienten erfuͤllt ſind.
Wenn der Kayſer in dem Audienzcabinette an-
gekommen iſt; ſo rufen die Bedienten, welche
den hollaͤndiſchen Director introduciren, drey-
mal mit vernemlicher Stimme: Hollande-
Capitain.
Auf dieſes Zeichen muß ſich der Di-
rector dem Kabinett naͤhern, die andern Be-
dienten aber muͤßen zuruͤck bleiben. Der Ge-
ſandte muß alsdann die vorgeſchriebenen Ver-
beugungen und Reverenzen machen. Er muß
ſich auf die Knie legen, ſich mit der Stirne zur
Erde neigen, auf Haͤnden und Fuͤßen herbey
kriechen, und ſo ruͤcklings auf eben die Art ſich
zuruͤck machen, ohne dem Kayſer den Ruͤcken
zuzukehren, oder ein einziges Wort zu ſprechen.
Dieſe Cerimonie iſt gar nicht von derjenigen
unterſchieden, welche alle Vaſallen des Reichs
G 5beobach-
[106] beobachten muͤßen, wenn ſie ſich jaͤhrlich zu den
Fuͤßen ihres Monarchen hinwerfen, ſeine Ober-
herrſchaft zu erkennen, und ihm ihren Gehor-
ſam zu beweiſen.


Kaͤmpfer, dem alles bisher angefuͤhrte zuge-
hoͤrt, erzaͤhlt noch andre Dinge, die bey einer
andern Audienz, bey welcher er geweſen, vorge-
fallen ſind, und wo er und ſeine Gefaͤhrten,
wie er ſelbſt ſagt, ſehr laͤcherliche Perſonen vor-
geſtellt haͤtten. — Der Kayſer empfing die
Hollaͤnder in einem Saale von verſchiedenen
Abtheilungen. Einige derſelben waren offen,
andre aber waren mit Gitterfenſtern verſchloſſen.
Die Mitte des Saals war blos, d. h. ohne
Teppiche und Schirme: hier ſtellte man die
Hollaͤnder hin, die Befehl erhielten, ſich zu
ſetzen. Zu ihrer Rechten ſaß der Kayſer, und
die Kayſerinn hintern Gittern verborgen. Die
Prinzen von Gebluͤte, und die Damen der Kay-
ſerinn, waren hinter andern Gittern, den
Hollaͤndern gegen uͤber. Auf dieſe Art,
ſagt Kaͤmpfer, hatte man das Theater ein-
gerichtet, worauf wir unſre Rolle ſpielen
ſollten. Nach den erſten Komplimen-
ten verwandelte ſich der erſte Aufzug in
eine luſtige Nachkomoͤdie.
Man legte
den Hollaͤndern viele und naͤrriſche Fragen vor.
Zuerſt verlangte der Kayſer den Namen und das
Alter, von einem jeden insbeſondre, den ſie
auf ein Papier ſchrieben, welches der erſte Mi-
niſter dem Kayſer durchs Gitter reichen mußte.
Man
[107] Man fragte hierauf den Director: Wie weit
Holland von Batavia und Batavia von
Nangaſaki ſey? Ob der Generaldirector
der oſtindiſchen Compagnie, oder der
Fuͤrſt von Holland die meiſte Gewalt be-
ſaͤße? u. ſ. w.
Dem Doctor Kaͤmpfer legte
man auch verſchiedene Fragen vor, die er beant-
worten mußte. Unter andern fragte man ihn:
welche aͤußerliche oder innerliche Krankheit am
ſchwerſten zu curiren ſey? Was fuͤr Curen er
bey Geſchwuͤren brauchte, ob die Aerzte in Eu-
ropa kein Mittel fuͤr den Tod gefunden haͤtten?
Nach beantworteten Fragen, mußten ſie auf
Befehl des Kayſers, eine luſtige Uebung vor-
nehmen. Wir mußten, erzaͤhlt Kaͤmpfer,
unſre Maͤntel und Huͤte abnehmen, wel-
ches unſre Cerimonienkleider waren. Wir
mußten aufſtehen, damit uns der Kayſer
recht betrachten konnte. Wir mußten
gehen, ſtill ſtehen, einander Complimen-
te machen, ſpringen, uns ſtellen, als
waͤren wir beſoffen, gebrochen japantſch
reden, hollaͤndiſch leſen, ſingen, und un-
ſre Maͤntel ab und umhaͤngen. Da wir
aufs Beßte die Befehle des Kayſers
ausgerichtet, ſang ich zu meinem
Tanze ein Deutſches Liebesliedchen. Auf
die Art und mit noch weit mehrern Poſ-
ſen, mußten wir die Geduld haben, den
Kayſer und ſeinen ganzen Hof zu belu-
ſtigen.


Das
[108]

Das heißt nun freylich ſich ſehr erniedri-
gen, beſonders wenn man ſich der Namen Ab-
geſandte
gedenket. Allein durch dieſes gehor-
ſame Betragen und tiefe Herablaßung haben
die Hollaͤnder immer getrachtet, ſich des Zu-
trauens und der Liebe der Japaner zu verſichern.
Im Grunde aber ſcheinen ſie ſich dadurch bey
den Japanern veraͤchtlich gemacht zu haben.
Denn ſie haben ſich doch, ungeachtet ihrer tie-
fen Unterwerfungsbezeigungen, nie vor den be-
leidigenden und tyranniſchen Begegnungen, die
ſie im Lande ausſtehen muͤſſen, ſchuͤtzen koͤnnen.
Man behandelt ſie ohne Zweifel in Japan mit
einer ungewoͤhnlichen Haͤrte, und die ſtolze Be-
handlung der Inſulaner gegen ſie iſt kaum er-
traͤglich zu nennen. Man bewahrt und achtet
auf ſie, nicht anders als waͤren ſie Spione;
man ſperrt ſie in Gefaͤngnißen ein, und traktirt
ſie wie Vieh. Die Gelaſſenheit, womit die
Hollaͤnder dieſe Plagen ertragen, iſt zum Be-
wundern groß, und man hat Gelegenheit in die-
ſem Falle zu ſehen, wie vieles der Geitz uͤber
Menſchen vermag. Kaͤmpfer mag hier aber-
mals auftreten und ſich uͤber dieſen Punct aus-
laßen: Der Geitz, ſagt dieſer wackere, ehrliche
Deutſche, der Geitz der Hollaͤnder und der
Glanz des japaniſchen Goldes hat ſo viel
Gewicht uͤber ſie (nemlich uͤber die Hollaͤn-
der) gehabt, daß ſie lieber, ehe ſie die
Handlung ganz fahren laßen wollten,
freywillig eine faſt beſtaͤndige Gefangen-

ſchaft
[109]ſchaft aushalten; denn ſo kann man mit
Recht unſern Auffenthalt in Deſima nen-
nen. Sie ſtehen deswegen unendlich har-
te Begegnungen, von einer fremden und
heydniſchen Nation aus: begeben ſich
der Feyrung des Gottesdienſtes und der
Sonntage und Feſttage: ſie enthalten
ſich des oͤffentlichen Betens und Singens:
ſie enthalten ſich in Gegenwart der Lan-
deseinwohner des Zeichen des Kreuzes
und des Namens Jeſu und uͤberhaupt
aller Merkmale des Chriſtenthums, und
erdulden endlich alle beleidigende Begeg-
nungen dieſer ſtolzen Unglaͤubigen nieder-
traͤchtig und gelaſſen, welches fuͤr ein
edles Gemuͤth die verdrießlichſte Sache
von der Welt iſt.


Die Catholiſchen Miſſionair und Schrift-
ſteller haben zu dieſen, freylich nur allzu wah-
ren Vorwuͤrfen, noch eine große Menge anderer
hinzugefuͤgt, die aber doch blos Neid und Ab-
gunſt gezeugt haben. Einige der catholiſchen
Schriftſteller melden, daß ſich die Hollaͤnder,
um nur in Japan geduldet zu werden, nicht
geſcheut haͤtten, das Bild unſers Heilandes mit
Fuͤßen zu treten. Noch andre dieſer Herren
haben in ihren Relationen ausgeſtreut, daß die
Hollaͤnder, wie ſie bey der harten Verfolgung
in Japan waͤren befragt worden: ob ſie Chri-
ſten waͤren? geantwortet haͤtten: Nein, ſon-
dern ſie waͤren Hollaͤnder.
Was den erſten
Vorwurf
[110] Vorwurf betrift; ſo wuͤrden wir ihnen glauben,
wenn Kaͤmpfer oder Charlevoix nur mit
einer Sylbe davon geredt haͤtten: da ſie aber
beyde nichts ſagen; ſo ſcheint die Anklage fa-
belhaft. Allein die andre Beſchuldigung erklaͤrt
unſer Doctor gaͤnzlich fuͤr falſch, und fuͤhrt die
Gelegenheit zu dieſem falſchen Geruͤchte ſo an.
Er ſagt nemlich: es habe ſich ein gewiſſer Hol-
laͤnder Namens Michael Sandwort zu Na-
gaſaki aufgehalten: und wie dieſer Menſch von
den Inquiſitoren waͤre befragt worden, ob er
ein Chriſt ſey? — ſo habe er geantwortet, um
ſein und ſeines Gefaͤhrten Leben zu retten:
Was? Chriſten, Chriſten? Wir ſind Hollaͤn-
der. — Wir haben Urſache die Erzaͤhlung des
ehrlichen Deutſchen, allen Verleumdungen der
catholiſchen Miſſionair vorzuziehen!

[figure]
Araber.
[[111]]

Araber.


[[112]][113]

Vorerrinnerung.


Unter allen den Schrifſtellern, welche
bisher uͤber Sitten, Gebraͤuche,
Religion der Araber geſchrieben
haben, ſcheint uns Herr Carſten Niebuhr,
der einzige Mann zu ſeyn, dem man in
allen Stuͤcken voͤlligen Glauben beymeſſen
kann. Seine Beſchreibung von Ara-
bien
liefert uns einen Zuwachs von aller-
ley Arten von Kenntnißen: ſie verraͤth auf
allen Seiten den ehrlichen, unermuͤdeten
und ſcharfſinnigen Forſcher, deſſen Haupt-
augenmerk dahin abzielte, den Deutſchen
die arabiſchen Menſchen ganz ſo darzuſtel-
len, wie ſie ſind, und zwar — ſonder allen
Schmuck und Ziererey. Sein Werk iſt
auch einmuͤthig von allen Kennern mit dem
groͤßeſten Beyfalle aufgenommen, und fuͤr
das einzige in ſeiner Art gehalten worden.


Wir halten uns daher fuͤr verbunden,
dem Herrn Niebuhr, bey Behandlung der
Araber, in ſoweit zu folgen, als es unſerm
Zwecke gemaͤß bleibt. Es waͤre in der
HThat
[114] That ſehr zu wuͤnſchen, daß ſich dieſer den-
kende Kopf uͤber die Sitten, Religionsbe-
griffe, Gebraͤuche u. ſ. w. der Araber,
weitlaͤuftiger ausgelaſſen, als er wuͤrklich
gethan hat. Ueber manche Artikel hat er
ſich — ſeiner Abſicht gemaͤß — kurz erklaͤrt:
und da wird es noͤthig werden, daß wir
dieſe Luͤcken aus andern beglaubten Reiſe-
beſchreibern ergaͤnzen. — Aber Herr Nie-
buhr wird immer unſer Leitsmann bleiben,
ſo lange er uns hinlaͤnglich Materie darbie-
tet: und ſollte jemand denken, daß wir ja
nur einen Auszug aus dem Niebuhr ge-
macht haͤtten; ſo koͤnnen wir ihn verſichern,
daß das auch unſre Abſicht geweſen ſey,
weil wir es fuͤr Pflicht halten, das charak-
teriſtiſche der Araber ſo vorzuſtellen, wie
es wuͤrklich iſt. Und hierzu finden wir
Niemand tauglicher, als eben den Herrn
Niebuhr.



Erſtes
[115]

Erſtes Kapitel.


Allgemeine Anmerkungen uͤber das Clima
Arabiens, und den Character der Einwoh-
ner dieſes Landes. — Betragen der Mo-
hammedaner gegen fremde Religionsver-
wandte. — Gaſtfreyheit und Gruß
der Araber.


Die Halbinſel Arabien graͤnzt gegen We-
ſten an den arabiſchen Meerbuſen, oder
das ſogenannte rothe Meer, gegen Suͤ-
den und Oſten an das Weltmeer, und gegen
Nordoſt an den perſiſchen Meerbuſen. — Das
Land beſteht aus verſchiedenen und zum Theil
ſehr anſehnlichen Provinzen, als: Jemen,
Hadramaut, Om
ân, Lachſa, Nedsjed,
Hedsj
âs und andern kleinen daran graͤnzenden
Landſchaften. In einer jeden dieſer großen
Provinzen findet man ſehr viele kleine unabhaͤn-
gige Herrſchaften, an deren Namen dem Leſer
vermuthlich nicht viel gelegen iſt. In allen den
erwaͤhnten großen Provinzen trift man hohe,
bergigte und fruchtbare Gegenden an. Allein
den großen Ebenen fehlt es an Regen, und
folglich an Fruchtbarkeit. Indeſſen ſammlen
ſich in den bergigten Gegenden, waͤhrend der
Regenszeit viele Fluͤſſe — welche Wadi genannt
H 2werden
[116] werden — die einen betraͤchtlichen Theil der Ebe-
nen fruchtbar machen, und ſich nachher auf den
Feldern oder im Sande verliehren, oder ſich,
wenn die Berge von der See nicht zu weit ent-
fernt, und die Fluͤſſe groß ſind, in das Meer
ſtuͤrzen.


Das Gebuͤrge, welches von Suͤden gegen
Norden durch ganz Arabien geht, iſt nach der
Seite des arabiſchen Meerbuſens, von Tôr bis
zu dem Berge Sinai und von Tehàma nach
Oſten bis Sanâ, ſo ſehr abhaͤngig, daß das
Waſſer, welches ſich, etwa nach einem langen
Regen, zwiſchen den Bergen ſammlet und nicht
abfließen kann, doch bald Wege uͤber oder unter
der Erde findet.


Die Witterung in Arabien iſt nach der Lage
der verſchiedenen Gegenden dieſer großen Halb-
inſel, ſehr verſchieden. Man hat nemlich in den
bergigten Gegenden der Landſchaft Jemen eine
Regenszeit, die man Mattar el Charîf nennt,
und welche in die drey Monathe Tamûs, Aͤb
und Ailûl, d. i. ohngefaͤhr von der Mitte des
Junius bis gegen das Ende des Septembers,
und alſo in die heiſſeſten Monathe faͤllt, wenn
der Regen fuͤr das Land am nuͤtzlichſten und
fuͤr die Einwohner am angenehmſten iſt. Er
ſoll in den beyden erſten Monathen am ſtaͤrkſten
ſeyn, und in dem letztern allmaͤhlig abnehmen.
Der Himmel iſt in dieſer Gegend, waͤhrend der
Regenszeit bisweilen — jedoch ſelten — 24
Stunden lang beſtaͤndig mit Wolken bedeckt.
In
[117] In der uͤbrigen Zeit des Jahres aber ſieht man
hier oftmals in einigen Monathen keine Wol-
ken, und in den Ebenen hat man das ſchoͤnſte
Wetter, wenn es auf den benachbarten Bergen
ſtark regnet. Im Fruͤhlinge ſoll es auch zuwei-
len regnen, welches aber nicht lange dauert.
Je ſtaͤrker indeſſen dieſer Regen iſt, eine deſto
fruchtbarere Erndte erwartet man *).


In der bergigten Gegend auf der Oſtſeite
von Arabien faͤllt die R[e]genszeit ein, ohngefaͤhr
vom 21ten November bis den 18ten Februar.
Die Jahrszeit Seif dauert in Omân ohngefaͤhr
vom 19ten Februar bis den 20ten April. Die
heiſſeſten Monathe ſind Ejar, Siwân, Ta-
m
âs, Ab und Eilul, nemlich etwa vom 20ten
April bis zum 20ten September.


Die Waͤrme in Arabien iſt unter einerley
Polhoͤhe zuweilen gar ſehr verſchieden: denn
anſtatt daß man des Sommers in dem niedri-
gen Tehâma eine faſt unertraͤgliche Hitze ausſte-
hen muß, weil es da ſehr ſelten, und bisweilen
in einem ganzen Jahre nicht regnen ſoll; ſo iſt
die Witterung zu der Zeit in den nahe dabey
liegenden bergigten Gegenden nicht nur deswe-
gen, weil die Wolken, welche uͤber den arabiſchen
Meerbuſen und Tehâma wegziehen, an den ho-
H 3hen
[118] hen und kalten Bergen in Regen herunter fallen,
ſondern auch, weil dieſe Gegenden hoͤher liegen,
und daher eine duͤnnere Luft haben, ſehr gelinde.
— Die Einwohner der Landſchaft Jemen woh-
nen alſo gleichſam ſchon unter verſchiedenen
Himmelsſtrichen, und man triſt deswegen in
dieſer Provinz in einer kleinen Entfernung ver-
ſchiedene Arten von Thieren und Fruͤchten einhei-
miſch an, welche man in andern Laͤndern aus
weit entlegenen Gegenden holet.


Man ſiehet in den heiſſen Laͤndern ſehr oft
Sternputzen und bisweilen ſehr groß. Allein
vom Nordlichte weiß man in Arabien, In-
dien, Perſien und Syrien nichts. Von denn
Lichte der Sterne hat Herr Niebuhr auf ſeiner
Reiſe von Bombay nach Maſkat bemerkt:
daß man die von der zweyten Groͤße, bey klarer
Luft, wegen der vielen Duͤnſte am Horizont
nicht eher ſehen konnte, bis ſie drey oder vier
Grad hoch geſtiegen waren, und die Sterne von
der erſten Groͤße ſchienen unter der Hoͤhe von
20 Grad nicht zu funkeln oder zu zittern.


Die Wuͤrkung des Windes iſt in den ara-
biſchen Staͤdten, nach der Beſchaffenheit der
umliegenden Gegenden, ſehr verſchieden. Zu
Haleb iſt der Weſtwind, welcher von der See-
ſeite kommt, feucht, und der Oſtwind, von der
Wuͤſte her, trocken. — Bey dem feuchten
Suͤdoſtwinde iſt auf der Inſul Charedsje und
zu Basra in der heißeſten Jahrszeit gemeinig-
lich Windſtille, und deswegen ſchwitzt man als-
dann
[119] dann am meiſten. Der trockene Nordweſtwind
iſt nicht ſo unbequem, weil die Luft bey ihm
mehr in Bewegung iſt. Indeſſen ſcheint er in
den Sommermonathen (im Winter iſt er kaͤlter)
heiſſer zu ſeyn; denn er macht alle feſte Koͤrper,
als Holz und Eiſen, wenn ſie gleich im Schatten
ſtehen, ſo heiß, als wenn ſie den Sonnenſtrah-
len ausgeſetzt waͤren. So gar das Waſſer in
glaͤſernen und metallenen Toͤpfen wird dadurch
warm.


Weil die Sonne in ihrem Sommerſtillſtan-
de faſt mitten uͤber Arabien ſteht; ſo iſt es in
den meiſten Gegenden dieſes Landes im Julius
und Auguſt ſo heiß, daß ſich faſt niemand, der
nicht dazu genoͤthigt iſt, von Vormittags um
11 Uhr bis Nachmittags um 3 Uhr auf den
Weg begiebt. Die Araber arbeiten um dieſe
Zeit nur ſehr ſolten, ſondern halten ihren Mit-
tagsſchlaf, und zu Bagdad und auf der Inſul
Charedsje, vielleicht auch in andern Staͤdten
dieſer G[e]gend, bisweilen in einem Zimmer un-
ter dem Hauſe, in welches ſie durch eine Art
Schornſtein den Wind von oben herunterleiten,
und die Luft dadurch in Bewegung bringen.
Andere laßen in dieſer Jahrszeit oft Waſſer auf
die Straße ſchuͤtten, um dadurch die Luft abzu-
kuͤhlen: andere verſchließen Thuͤre und Fenſter
um die Hitze abzuhalten. Dieſe heiſſe Jahrszeit
nennen die Araber Smûm ſo wie wir die unſri-
ge die Hundes-Tage zu nennen pflegen. In
dieſen Monathen hat man zu Basra, obgleich
H 4ſelten,
[120] ſelten, Beyſpiele, daß Leute auf der Straße,
ſowohl in der Stadt als auf dem Wege nach
Zobeir, von der großen Hitze umgefallen und
verſchmachtet ſind, ja Mauleſel ſollen auſſerhalb
Basra von der Hitze geſtorben ſeyn.


Von dem giftigen Winde Sâm, Smûm,
Samiel oder Sam
ûli, nach der Araber Aus-
ſprache, hoͤrt man am meiſten in der Wuͤſte zwi-
ſchen Basra, Bagdad, Haleb und Mecca.
Er ſoll auch in einigen Gegenden von Perſien *)
und Indien, ja in Spanien nicht unbekannt
ſeyn. Dieſer Wind iſt gleichfalls nur in den
heiſſeſten Sommermonathen zu fuͤrchten. Er
ſoll allzeit von der Seite der großen Wuͤſte kom-
men; denn man ſagt, daß der Smûm zu
Mecca aus Oſten, zu Bagdad aus Weſten, zu
Basra aus Nordweſt, und zu Surat aus Nor-
den komme. Zu Kahira kommt der heißeſte
Wind uͤber die lybiſche Wuͤſte, und alſo aus
Suͤdweſt. Weil die Araber in der Wuͤſte einer
reinen Luft gewohnt ſind; ſo ſollen einige unter
ihnen einen ſo feinen Geruch haben, daß ſie den
toͤdtlichen Smûm an dem ſchweflichen Geruch
erkennen koͤnnen. Ein andres Kennzeichen die-
ſes Windes ſoll ſeyn, daß die Luft in der Ge-
gend, woher er kommt, ganz roͤthlich wird.
Da aber ein gerade ausgehender Wind an der
Erde gar keine Macht hat, weil er vielleicht
von
[121] von den Huͤgeln, Steinen und Straͤuchern ge-
brochen, und auch durch die Ausduͤnſtung der
Erde gehindert wird; ſo werfen ſich die Men-
ſchen nieder, wenn ſie dieſen Wind gewahr wer-
den. Die Natur ſoll auch die Thiere gelehrt
haben, ihre Koͤpfe nieder zur Erde zu halten,
wenn dieſer Wind ſich naͤhert. — Indeſſen
ſollen oft Jahre vergehen, daß man dieſen gif-
tigen Smûm auf dem Wege von Basra nach
Haleb nicht verſpuͤrt.


Sowohl Menſchen als Thiere erſticken, nach
der Erzaͤhlung der Araber, durch dieſen Wind
auf eben die Art, wie von dem gewoͤhnlich heiſ-
ſen Winde, deſſen vorhin erwaͤhnt iſt. Denn
bey einer außerordentlich großen Hitze koͤmmt
zuweilen ein Luͤftchen, welches noch heiſſer iſt,
und wenn die Menſchen und Thiere ſchon matt
geworden ſind, daß ſie faſt vor Hitze verſchmach-
ten; ſo ſcheint es, daß der kleine Zuſatz von
Hitze ihnen vollends alle Luft benimmt. Wenn
nun ein Menſch von dieſem Winde erſtickt, oder,
wie man auch ſagt, wenn ihm das Herz ge-
borſten iſt; ſo ſoll dem Todten, bisweilen zwey
Stunden lang, das Blut aus der Naſe und
den Ohren ſtuͤrzen. Auch ſoll der Koͤrper lange
warm bleiben, aufſchwellen, blau und gruͤn
werden, und, wenn man ihn bey einem Arm
oder Bein in die Hoͤhe heben will; ſo ſoll ſich
dieſes abtrennen.


H 5Aus
[122]

Aus der Beſchreibung dieſes Windes ſieht
man, daß nicht leicht jemand Neigung haben
werde, dieſen Wind ſo genau zu erforſchen.


Die Erziehung der Araber iſt von der unſri-
gen ſo ſehr unterſchieden, daß man ſich gar
nicht wundern darf, wenn man auch ihren Cha-
rakter,
von dem Charakter der Europaͤer ſehr
abweichend findet. Sie laſſen ihre Soͤhne vier
bis fuͤnf Jahre in dem Harem, das iſt, bey
dem Frauenzimmer, und da beluſtigen ſie ſich,
waͤhrend dieſer Zeit, wie die Kinder der Euro-
paͤer. So bald ſie aus dem Harem kommen,
muͤſſen ſie ſich gewoͤhnen, ernſthaft zu denken
und zu reden, und wohl ganze Tage bey dem
Vater ſitzen, wenn dieſer nicht ſo beguͤtert iſt,
daß er ihnen beſondre Lehrmeiſter halten kann.
Weil die Muſik und Tanzkunſt bey den Ara-
bern fuͤr unanſtaͤndig gehalten wird: weil das
ſchoͤne Geſchlecht bey ihnen von allen oͤffentlichen
Geſchaͤften ausgeſchloſſen iſt: weil ſie gar keine
ſtarke Getraͤnke trinken duͤrfen; — ſo lernen
die jungen Araber die meiſten Vergnuͤgungen
der Europaͤer gar nicht einmal kennen, ſondern,
ſo wie ſie unter der beſtaͤndigen Aufſicht alter
Leute erwachſen; ſo werden ſie auch ſchon in
ihrer Jugend unvermerkt ernſthaft.


Bey aller dieſer Ernſthaftigkeit lieben die
Araber doch gerne große Geſellſchaften zu halten,
und denſelben beyzuwohnen. Sie verſammlen ſich
deswegen nicht nur in ihren Kaffeehaͤuſern, ſon-
dern auch auf den Maͤrkten. Vielleicht findet man
kein
[123] kein Land, in welchem mehrere Maͤrkte gehalten
werden, als in Jemen. Hier iſt faſt kein gro-
ßes Dorf, wo nicht woͤchentlich Markttag ge-
halten wird. Wenn die Doͤrfer etwas weit von
einander liegen; ſo verſammlen ſie ſich an einem
beſtimmten Tage auf freyem Felde. Einige
kommen dahin, um Waaren zu kaufen oder zu
verkaufen: die meiſten aber, um die Zeit da an-
genehmer zu verbringen, als ſie in ihren Haͤu-
ſern nicht wuͤrden gekonnt haben. Aus dieſer
Neigung der Araber, und beſonders der Ein-
wohner zu Jemen, zum geſelligen Leben, kann
man ſchon ſchließen, daß ſie nicht ſo ungeſittet
ſind, als man vielleicht geglaubt hat.


Viele europaͤiſche Reiſende wollen die
Araber als Heuchler, Betruͤger und Raͤuber ge-
funden haben. Hr. Niebuhr glaubt nicht Ur-
ſach zu haben, ſich hieruͤber zu beſchweren. Er
hat zwar einige von dieſem Charakter kennen
lernen, will aber aus dem Beyſpiele einiger we-
nigen Perſonen nicht auf die Geſinnung der gan-
zen Nation ſchließen. Selbſt die Araber wiſſen
es, daß ihre Landesleute nicht alle gut denken.
— Den europaͤiſchen Kaufleuten trauen ſie im
Handel ſehr, und glauben, daß ſie immer ihr
einmal gegebenes Verſprechen halten. Und aus
dieſer Urſach halten ſie es fuͤr Schande, wenn
die Muſlemîns (Rechtglaͤubigen) nicht gleiche
Redlichkeit im Handel und Wandel beobachten.
Wuͤrde aber ein rechtſchafner arabiſcher
Kaufmann nach Europa kommen, und

ſich
[124]ſich dem erſten, der ſich zu ſeinem Dien-
ſte darboͤte, anvertrauen; ſo koͤnnte er
auch wohl große Urſache finden, ſich uͤber
die Europaͤer zu beſchweren.
Man trift
alſo in Arabien ſchlechte Leute, aber auch hier,
ſo wie in Europa und andern Gegenden der
Welt, viele rechtſchaffene brave Maͤnner an.


Die Araber ſcheinen gar nicht zankſuͤchtig
zu ſeyn: wenn ſie aber einmal anfangen zu ha-
dern; ſo machen ſie viel Geſchrey, und man
ſieht ſehr oft, daß ſie mit Meſſern auf einander
loß gehen. Bey allen dem aber, ſind ſie bald
wieder zum Frieden geneigt. Denn wenn der
eine nur nicht ſo hitzig iſt, als der andere, oder
wenn nur ein unbekannter Kaltſinniger dazu
kommt, und einige mal ſagt: Gedenke an
Gott und ſeinen Propheten!
ſo vertragen
ſie ſich entweder auf der Stelle, oder ſie erwaͤh-
len einen Schiedsrichter, um ſich guͤtlich mit
einander zu vergleichen. Vielleicht haben ſie
nicht ſo viele Schimpfwoͤrter, als der europaͤi-
ſche Poͤbel: ſie ſind aber deswegen nicht weniger
empfindlich, und bisweilen rachgieriger. Wenn
einer im Zorn vor dem andern auf die Erde
ſpeit; ſo verhaͤlt ſich der Leidende eben ſo dabey,
wie bey uns. Er ertraͤgt nemlich den Schimpf
geduldig, wenn er ſich nicht vertheidigen kann,
ſonſt laͤßt er dem andern ſeinen Unwillen gewiß
empfinden. — Der Araber kann es alſo, wie
man leicht glauben wird, noch weniger vertra-
gen, daß man ihn ins Angeſicht, oder wie man
bey
[125] bey ihnen ſagt, auf den Bart ſpeit, fuͤrnem-
lich, wenn er dem andern gewachſen zu ſeyn
glaubt. — Man wuͤrde einen Mohammedaner
ſehr beleidigen, wenn man zu ihm ſagte: Dreck
auf deinen Bart
. Ein Schimpfwort, das
unter dem Poͤbel ſehr gebraͤuchlich iſt. Ueber-
haupt werden die meiſten Beſchimpfungen bey
dem arabiſchen, ſo wie bey dem europaͤiſchen
Poͤbel zu gewiſſen Zeiten, als witzige Einfaͤlle
angeſehen da hergegen ehrliebende Maͤnner ſich
dadurch hoͤchſt beleidigt finden wuͤrden.


Wenn aber ein Schech unter Bedouinen
mit einer ernſthaften Mine zu dem andern ſagt:
Deine Muͤtze (Turban) iſt unrein! oder deine
Muͤtze ſitzt ſchief! oder ſetze deine Muͤtze beſſer
u. d. gl.; ſo glaubt der Beleidigte, daß er eben
ſowohl als ein europaͤiſcher Cavalier, der einen
andern wegen eines unbedachtſamen Worts er-
wuͤrgen will, Ehrenhalber verpflichtet ſey, nicht
nur dem Beleidiger, ſondern auch ſeinen maͤnn-
lichen Anverwandten nach dem Leben zu trachten.
Man hat Herrn Niebuhr hiervon zu Basra
folgende Geſchichte erzaͤhlt, die ſich vor zehn
bis zwoͤlf Jahren in der Naͤhe dieſer Stadt ſoll
zugetragen haben.


Ein angeſehener Mann, von dem Stamme
Montefidsj, hatte ſeine Tochter an einen Ara-
ber zu Korne verheyrathet. Nicht lange nach
der Hochzeit fragte ihn ein Araber von einem
andern Stamm, welcher gleichfalls unter dem
großen Stamm Montefidsj ſteht, in einem
Kaffee-
[126] Kaffeehauſe etwas ſpoͤttiſch: ob er der Vater
der jungen und ſchoͤnen Frau des N. N. waͤre?
Dieſer vermuthete, daß man die Ehre ſeiner
Tochter im Verdacht haͤtte, und verließ ſogleich
die Geſellſchaft, um den Kopf ſeiner Tochter zu
holen. Bey ſeiner Zuruͤckkunft hatte ſich der
andre Araber, aus Furcht vor der Rache, be-
reits entfernt. Der Beleidigte ſuchte nachher
nichts ſo ſehr, als das Unrecht, welches ihm und
ſeiner Tochter wiederfahren war, zu raͤchen.
Er bemuͤhete ſich ſelbſt lange Zeit vergebens, den
Beleidiger zu finden: indeſſen toͤdtete er ver-
ſchiedene Anverwandten ſeines Feindes, und
legte auch ſo gar ſeine Hand an ſeine Bedienten
und Vieh. Weil der Beleidiger endlich ſeinen
Untergang unvermeidlich ſah, und kein Mittel
wußte, ſich zu retten; ſo bot er dem Oberhaupt
der Janitſcharen und Gouverneur zu Korne,
eine große Summe, wenn er ſeinen Feind an-
halten, und ihm das Leben nehmen wollte. Der
Aga foderte dieſen vor ſich, und verlangte, daß
er ſich verſoͤhnen moͤchte. Er wollte aber nichts
von einem Vergleich hoͤren, ſondern beſtand
darauf, ſeinen Feind zu toͤdten. Der Aga dro-
hete ihm ſelbſt das Leben zu nehmen, und ließ
darzu, um ihn zu ſchrecken, einige Anſtalten
machen. Weil er aber ſo ſtandhaft war, daß
er den Todt fuͤr nichts gegen die erlittene Schan-
de, und den Verluſt ſeiner Tochter achtete; ſo
entſchloß ſich der Aga, mit einigen vornehmen
Arabern, aus Achtung gegen die eheliebende
Ge-
[127] Geſinnung dieſes Mannes, ihm Genugthuung
zu verſchaffen, ſo gut es moͤglich war. Man
ward einig, daß der Beleidiger dem Beleidigten
ſeine eigne Tochter mit einer beſtimmten Aus-
ſteuer an Geld, Pferden, Waffen u. d. gl. ge-
ben ſollte. Dieſer hoͤrte zwar nachher auf, wei-
ter Rache zu ſuchen; aber der Beleidiger ſelbſt,
durfte doch niemals wieder vor den Augen ſei-
nes neuen Schwiegerſohns erſcheinen.


Die Araber bezeigen ſich viel hoͤflicher gegen
Fremde, als die Tuͤrken. Die Europaͤer koͤn-
nen in Jemen und Omân, desgleichen in Per-
ſien faſt eben ſo viel Hoͤflichkeit, von den Ein-
gebohrnen erwarten, als wir dieſen Mohamme-
danern erzeigen wuͤrden, wenn ſie nach Europa
kommen ſollten. Und wenn man gleich daſelbſt
Leute antrift, die ſich unhoͤflich gegen Fremde
bezeigen; ſo findet man vielleicht auch europaͤi-
ſche Reiſende, die dadurch Gelegenheit dazu
gegeben haben, daß ſie ſich ſelbſt fuͤr wichtige
Leute, alle Mohammedaner aber fuͤr gering ge-
halten, und weder die Sitten des Landes ge-
kannt haben, noch ſich darnach richten wollen.
Weil die Mohammedaner in allen Staͤdten, wo
europaͤiſche Kaufleute angetroffen werden, weni-
ger Zoll von ihnen, als von ihren eignen Un-
terthanen nehmen; ſo ſollte man doch faſt glau-
ben, daß wenigſtens diejenigen, welche daſelbſt
Antheil an der Regierung haben, ſich auch in
andern Faͤllen bemuͤhen, die Freundſchaft der
Europaͤer zu erhalten.


Bey
[128]

Bey dem groͤßern Theil der Tuͤrken aber,
glaubt unſer Verfaſſer bemerkt zu haben, daß
ſie gegen die Europaͤer einen großen Haß wuͤrk-
lich hegen. Vielleicht, weil ſie ſich der vielen
blutigen Kriege errinnern, welche ſie mit ihnen
gefuͤhrt haben. Der Name der Tuͤrken kann
unſern Kindern nicht ſo fuͤrchterlich ſeyn, als
es der Name der Europaͤer den jungen Tuͤrken
iſt. Ein Tuͤrke, der bey einem Europaͤer Dien-
ſte nimmt, wird von ſeinen Landesleuten ver-
achtet, weil er ſich ſo ſehr erniedrigt, der Euro-
paͤer Brod zu eſſen. Ein ſolcher pflegt zu Con-
ſtantinopel ein Schweinehuͤter genannt zu wer-
den. Beſonders ſind die Europaͤer zu Damāſk
ſehr verhaßt, und werden auch von dem Poͤbel
zu Kahira ſehr veraͤchtlich angeſehen. In Ara-
bien und in Perſien aber, wo die Einwohner
mit den Europaͤern niemals Krieg gehabt haben,
koͤnnen dieſe auch von dem Poͤbel mehr Hoͤflich-
keit erwarten.


Die Araber nennen die Chriſten Naſſâra
oder Nuſrâni. Weil ſie bey ihnen zu keinen
Ehrenſtellen gelangen koͤnnen, und die angeſe-
henſten Chriſten, welche unter ihnen wohnen,
Kaufleute ſind; ſo nennt man in Egypten ei-
nen jeden, welcher anſtaͤndig gekleidet iſt,
Chauâdsje, welches einen Kaufmann bedeu-
tet. Und diejenigen, welche nicht Kaufleute
ſind, nennen ſie Maallim d. i. Meiſter. In
Syrien nennt man die chriſtlichen Kaufleute
gleichfalls Maallim oder Meiſter. In Naro-
lien
[129]lien aber, wo die tuͤrkiſche die Hauptſprache iſt,
ſcheint die Hoͤflichkeit der Mohammedaner gegen
die Chriſten gaͤnzlich aufgehoͤrt zu haben. Denn
daſelbſt nennen die Tuͤrken die Chriſten faſt im-
mer Dsjaurler (Unglaͤubiger) ein Name, der
bey ihnen ſo veraͤchtlich iſt, daß ſie im Zorn ih-
re Pferde und andre Thiere damit beehren.


Da alſo die Tuͤrken ihren chriſtlichen Mit-
buͤrgern einen ſo veraͤchtlichen Namen beylegen;
ſo kann man leicht denken, daß ſie in ihrem
uͤbrigen Betragen nicht hoͤflicher gegen ſie ſind.
Sie noͤthigen die Chriſten nicht nur ein gewiſſes
Zeichen zu tragen, damit ſie ſie unterſcheiden,
und die Kopfſteuer (Charads, andre ſchrei-
ben Karat: allein die erſte iſt richtiger) von ih-
nen fodern koͤnnen, — denn ordentliche Li-
ſten halten die Morgenlaͤnder nicht daruͤber —
ſondern die Tuͤrken zu Conſtantinopel verlangen
ſo gar zu weilen von den vorbeygehenden Chri-
ſten, daß ſie ihnen die Straße fegen, und den
Koth wegtragen, oder ihnen etwas bezahlen
ſollen, um von dieſer Arbeit befreyt zu ſeyn.
Man weis nicht recht, ob dieß von der Obrig-
keit gebilligt wird. Ein chriſtlicher Unterthan
des Sultans aber unterſieht ſich nicht, einen
Mohammedaner wegen einer Kleinigkeit zu ver-
klagen. Bey oͤffentlichen Freudensbezeugun-
gen, z. E. wegen der Geburt eines Prinzen oder
Prinzeßinn, betragen ſich die Janitſcharen ſo
ſchlecht, daß es fuͤr Chriſten und Juden nicht
rathſam iſt, bey ſolchen Gelegenheiten auf der
JStraße
[130] Straße zu erſcheinen. — Ein Beyſpiel von
dem hochmuͤthigen Betragen der Tuͤrken, gegen
die morgenlaͤndiſchen Chriſten, fuͤhrt unſer Ver-
faſſer in folgenden Worten an. Ein Tuͤrke,
ſagt er, dem wir in Kleinaſien auf der Land-
ſtraße begegneten, da er ſich eben zu Pferde
ſetzen wollte, noͤthigte einen griechiſchen Kauf-
mann aus unſrer Karavâne, der ihn nicht ein-
mal kannte, von ſeinem Pferde zu ſteigen, und
ihm den Steigbuͤgel zu halten. Eine Auffuͤh-
rung, vor der ſich gewiß ein Araber ſchaͤmen
wuͤrde *).


Es ſcheint, daß die Juden in Jemen und
zu Schirâs von den Mohammedanern wenig-
ſtens eben ſo ſehr verachtet werden, als von den
Chriſten in Europa. In dem Koͤnigreiche
Omân findet man ſehr wenig Juden. Allein
in den tuͤrkiſchen Staͤdten findet man eine groſ-
ſe
[131] ſe Menge Iſraeliten. Sie treiben daſelbſt, ſo
wie in andern Morgenlaͤndern allerhand Hand-
thierungen, und ſcheinen in dieſem Puncte mehr
Freyheit zu haben, als ihre Bruͤder in Europa,
wo ſie oft von den Zuͤnften verhindert werden,
ihr Brod durch ihre Handarbeit ehrlich zu ver-
dienen. Weil ſie aber wegen des Kopfſteuers
ein Zeichen tragen muͤßen, woran man ſie er-
kennen kann, weil ſie auch nicht nur von dem
tuͤrkiſchen, ſondern auch von dem chriſtlichen
Poͤbel ſehr verachtet werden; ſo ſind ſie die zag-
hafteſten Unterthanen des Sultans. Die Ara-
ber nennen ſie nicht anders als Jehudi, und
der tuͤrkiſche Poͤbel — und nach ihrem Bey-
ſpiel auch ſehr oft die Chriſten — nennen ſie
Tschefûd, ein Name der noch weit veraͤchtlicher
iſt, als Dsjaur. Indeſſen findet man unter
ihnen auch große Kaufleute und Wechsler, die,
ihres Geldes wegen, bey der tuͤrkiſchen Regie-
rung ſehr wohl gelitten ſind, und daher Gele-
genheit haben, ihre Mitbruͤder zu raͤchen, wenn
ſie beleidigt werden ſollten.


Man kann wohl nicht behaupten, daß die
Mohammedaner, im Ganzen genommen, die
fremden Religionsverwandten fuͤr unrein hal-
ten. Indeſſen eſſen ſie doch nicht gerne mit Ju-
den und Heiden; und ein ſcheinheiliger arabiſcher
Geiſtlicher, nicht gerne mit Chriſten. Weil
ſich aber die Chriſten gleich willig zeigen, mit ih-
nen zu eſſen; ſo iſt vermuthlich dieß eine der
vornehmſten Urſachen, warum ſie zu ihnen ein
J 2weit
[132] weit groͤßeres Vertrauen aͤußern, als zu allen
uͤbrigen erwaͤhnten Nationen.


Die Gaſtfreyheit der Araber iſt von je
her beruͤhmt geweſen, und die itzigen Araber
uͤben dieſe Tugend nicht weniger als ihre Vorfah-
ren aus. Wenn jemand in Geſchaͤften, an ei-
nen vornehmen Schech oder andern großen Herrn
geſchickt wird; ſo wird er nach Gewohnheit
der meiſten Morgenlaͤnder, waͤhrend ſeines Auf-
enthalts, auf Koſten deſſelben unterhalten, und
er erhaͤlt uͤberdieß bey ſeiner Abreiſe gemeiniglich
ein Geſchenk. Ein bloß Reiſender, welcher ei-
nen vornehmen Herrn in der Wuͤſte beſuchen
wollte, koͤnnte vielleicht eben dieſes erwarten.
In den Staͤdten aber ſind Karwanſerois, oder
andre oͤffentliche Haͤuſer fuͤr Reiſende. Ein Frem-
der kann daſelbſt eben ſo wenig erwarten, daß
ihn Leute, die ihn nicht kennen, bitten werden,
bey ihnen einzukehren, als in Europa. In-
deſſen findet man in einigen Doͤrfern von Tchâma
auch freye Herbergen, wo alle Reiſende einige
Tage umſonſt Quartier, Eſſen und Trinken er-
halten koͤnnen, wenn ſie ſich mit der gemeinen
Koſt der Araber begnuͤgen wollen: und dieſe
Haͤuſer werden fleißig geſucht.


Die Araber noͤthigen auch einen jeden der
ſie bey Tiſche antrifft, mit zu eſſen, er mag
ein Chriſt oder Mohammedaner, vornehm oder
geringe ſeyn. Es iſt ein Vergnuͤgen zu ſehen,
daß ſo gar Eſeltreiber in den Karawanen, die
Vorbeygehenden einladen, an ihrer Mahlzeit
Theil
[133] Theil zu nchmen. Und wenn gleich die meiſten
hoͤflich danken, ſo theilen ſie doch mit freudiger
Mine das Wenige, was ſie an Brod und Dat-
teln haben, demjenigen mit, der es annehmen
will *). Es iſt deswegen ſehr befremdend,
J 3wenn
[134] wenn man in der Tuͤrkey ſieht, daß ſich biswei-
len reiche Tuͤrken in einen Winkel ſetzen, um
nicht noͤthig zu haben, denen, die ſie etwa haͤt-
ten bey Tiſche antreffen koͤnnen, etwas von ih-
ren Eſſen anzubieten.


Der gewoͤhnliche Gruß der Araber beſteht in
den Worten: Salâm Aleikum, d. i. Friede
ſey mit euch. Sie legen dabey die Hand auf
die linke Bruſt. Die Antwort darauf iſt:
Aleikum eſſalâm, d. i. mit euch ſey Friede.
Alte Leute ſetzen oft noch hinzu: Und die Barm-
herzigkeit und der Segen Gottes. Die Mo-
hammedaner in Egypten und Syrien gruͤßen
einen Chriſten niemals ſo, ſondern ſagen nur:
Sebachh elchair, guten Morgen, oder Sah-
heb ſalamat
, Freund, wie befindeſt du dich?
Die Araber in Jemen, welche nur ſelten Chri-
ſten ſehen, ſind aber nicht ſo eifrig, daß ſie nicht
auch zuweilen zu den Chriſten Salâm aleikum
ſagen ſollten.


Herr Niebuhr hielt es lange fuͤr einen uͤber-
triebenen Stolz und Religionseifer der Mo-
hammedaner, daß ſie die Chriſten nicht eben ſo,
wie
*)
[135] wie ihre Religionsverwandten anreden. Er
hat ſie ſelbſt einigemal mit den Worten: Sa-
l
âm aleikum gegruͤßt, und erhielt bisweilen
dieſelbige Antwort. Endlich bemerkte er in Na-
tolien, daß die Chriſten ſelbſt vielleicht mit Ur-
ſache davon ſind, warum die Mohammedaner
ihnen nicht eben ſo, wie ihren eignen Glaubens-
genoſſen, danken. Denn die griechiſchen Kauf-
leute ſcheinen es nicht gerne zu ſehen, daß man
die Mohammedaner als einen Mohammedaner
gruͤßt.


Wenn ſich bekannte Araber in der Wuͤſte
des Berges Sinai, oder auf dem Wege in
Egypten antreffen; ſo geben ſie ſich wohl ſechs
bis zehn mal die Haͤnde. Jeder kuͤßet ſeine
eigne Hand, und wiederholt immer die Fragen:
Wie befindeſt du dich? u. ſ. w. Die Ara-
ber in Jemen, welche fuͤr Leute, die Lebensart
haben, wollen gehalten ſeyn, machen bey ihren
Zuſammenkuͤnften nicht weniger Komplimente.
Ein jeder ſtellt ſich nemlich, als wenn er dem
andern die Hand kuͤßen wollte, und jeder zieht
die Hand zuruͤck, als wenn er dieſe Ehrenbe-
zeigungen von dem andern nicht annehmen will.
Damit nun aber der Streit nicht zu lange dau-
re; ſo erlaubt die vornehmſte oder aͤlteſte Perſon
gemeiniglich, nach einigen Zucken mit der Schulter
und mit der Hand, daß die andre ihre Finger
kuͤſſen moͤge. Vornehme Araber umarmen ih-
res Gleichen bey den Zuſammenkuͤnften, und
beruͤhren ſich mit den Backen. Kurz, die Ara-
J 4ber
[136] ber erweiſen ſich bey einer ſolchen Gelegenheit
nicht weniger Hoͤflichkeit, als die Europaͤer.


Die vornehmen Araber haben ihre Zimmer
forne in ihren Haͤuſern, und von dem Frauen-
zimmer, welches immer hinten im Hauſe wohnt,
hoͤrt man gar nichts. Alle andre, als Kauf
und Handelsleute, Schreiber u. d. gl. haben
ihre Buden, wo man ſie den ganzen Tag finden
kann, in den großen Marktſtraßen. Wenn
man auch von einem großen Araber nach ſeinem
Hauſe gefuͤhrt wird; ſo muß man ſo lange vor
der Thuͤre warten, bis er vorher alle ſeine weib-
lichen Haußgenoſſen durch das Wort Tarik d.
i. Platz, angewieſen hat, ſich in ihre Kammern
zu begeben. Keine Mannsperſon gruͤßt das
Frauenzimmer auf der Straße, ja es wird ſo
gar fuͤr ungeſittet gehalten, ein Frauenzimmer
nur etwas ſcharf anzuſehen.


Es ſcheint, daß die Weiber eine außeror-
dentliche Ehrfurcht gegen ihre Maͤnner bezeigen.
Indeſſen laͤßt ſich doch gar nicht daraus folgern,
daß das ſchoͤne Geſchlecht unter den Mohamme-
danern gering geſchaͤtzt wuͤrde; vielmehr wird
man an einem andern Orte zu bemerken Gele-
genheit haben, daß ſie ihre Wuͤrde und Anſe-
hen in Arabien eben ſo zu behaupten wiſſen, wie
in Europa unſre Damen.



Zweytes
[137]

Zweytes Kapitel.


Von einigen beſondern Umſtaͤnden, den
Mohammed betreffend. — Von den Ge-
ſetzen Mohammeds, und insbeſondre
vom Koran (Alkoran.)


Der beruͤchtigte arabiſche Prophet Moham-
med
, wurde um das Jahr 570. nach
chriſtlicher Zeitrechnung zu Mecca, in der Pro-
vinz Hejiaz, von armen, aber vornehmen El-
tern, aus dem Geſchlecht der Haſchemiten und
dem Stamme der Koreiſchiten gebohren. Er
verlohr ſeinen Vater Abdallah bereits im
zweyten Monathe, und ſeine Mutter Amena,
im ſechſten Jahre ſeines Alters. Abutalleb,
ſeines Vaters Bruder, beſorgte ſeine Erzie-
hung und gewoͤhnte ihn hart. Er bekam zeitig
epileptiſche Zufaͤlle, die von einigen fuͤr hypo-
chondriſche gehalten werden. Sein Oheim wid-
mete ihn der Handlung, und unter ſeiner Auf-
ſicht that er die erſte Reiſe, auf welcher er in
die Bekanntſchaft des Boheira, eines neſto-
rianiſchen und monophyſitiſchen Moͤnchs, den
einige fuͤr den Sergius halten, gerathen, und
mit ihm den erſten Entwurf ſeiner Religion ge-
macht haben ſoll. Nach ſeiner Zuruͤckkunft trat
J 5er
[138] er in den Dienſt einer reichen Wittwe mit Na-
men Chadijah, und that fuͤr ſie eine neue Rei-
ſe nach Syrien, auf welcher er ohne Zweifel,
viele, zu ſeiner Abſicht dienliche Kenntniße,
einſammelte. Sein Gluͤck in der Handlung
und ſeine perſoͤnliche Eigenſchaften machten
ihn in ſeinem acht und zwanzigſten Jahre zum
Manne der Chadijah, die zwoͤlf Jahr aͤlter war,
und zum Herrn ihrer großen Reichthuͤmer. Er
zeugte mit ihr vier Soͤhne, die zeitig ſtarben,
und vier Toͤchter, von welchen die juͤngſte Fati-
me
an den Aly verheyrathet wurde.


Kaum ſah er ſich durch die Chadijah aus
dem Staube erhoben; ſo beſchloß er eine neue
Religion einzufuͤhren *). Seine vielen Reiſen,
die er allenthalben bey Gelegenheit ſeiner Hand-
lung gethan, hatten ihm Mittel an die Hand
gegeben, ſich von den verſchiedenen Religionen
und Lehren derſelben genau zu unterrichten.
Aus
[139] Aus allen den damals bekannten Religionen
entlehnte er gewiſſe Lehrſaͤtze, die er mit Geſchick-
lichkeit zu ordnen und ſie der wolluͤſtigen Den-
kensart der Araber in den Zeiten recht gut an-
zupaßen wußte. — Er zeigte ſich ſeiner Frau
lange Zeit vorher, ehe er wuͤrklich loß brach,
daß es mit ihm nicht recht richtig waͤre. End-
lich begab er ſich allein in eine Hoͤle am Berge
Hara, brachte ſeinen Entwurf ſeiner neuen
Religion in Ordnung — vielleicht um ſich in
den Ruf eines außerordentlichen Mannes zu
ſetzen — und entdeckte ſeiner Frau im Ver-
trauen, daß ihm der Engel Gabriel in ſeiner
Hoͤle erſchienen, ihm ein Buch voll goͤttlicher
Offenbarungen vorgehalten, und unter andern
ihm zugerufen habe: O Mohammed, du biſt
der Geſandte Gottes, und ich bin Ga-
briel
. Voll Freude daruͤber entdeckte Chadi-
jah
dieß ihrem Oheim Waraka, einem abge-
fallenen Chriſten, welcher der Erzaͤhlung Mo-
hammeds ſeinen voͤlligen Beyfall ſchenkte. Ver-
muthlich aber hat er ſich mit Mohammed ſelbſt
daruͤber beſprochen. Waraka war ein ge-
ſchickter Mann, den Mohammed ſehr gut ge-
brauchen konnte. Letzterer empfieng nun Offen-
bahrungen uͤber Offenbahrungen. Und mit
dieſen nahm er ſeiner geliebten Ehegattinn den
Gedanken, daß er mit einer fallenden Sucht
befangen ſey. Unter den erſten, die ſeine goͤtt-
liche Geſandſchaft glaubten, waren Aly, Abu-
tallebs Sohn, und Abubeker. Seine An-
haͤnger
[140] haͤnger vermehrten ſich bald, bis auf neune, die
alle mit ihm verwandt waren.


Er ließ ſich durch die Spoͤtter ſeiner Fami-
lie nicht abhalten. Die Koreiſchiten bedrohe-
ten ihn, und da ſie ihn, durch vernuͤnftige Vor-
ſtellungen und Gruͤnde, auf den Weg der ge-
ſunden Vernunft nicht wieder zuruͤckbringen
konnten; ſo ſchritten ſie zu ſchwerern Mitteln,
und verfolgten ihn. Seine Anhaͤnger waren
endlich zu Mecca nicht mehr ſicher, und flohen
alſo auf ſein Anrathen, zum Koͤnig von Aethio-
pien. Er ſelbſt ſuchte in der Nachbarſchaft ei-
nen Anhang, war aber nicht ſehr gluͤcklich, bis im
zwoͤlften Jahre ſeiner Sendung, zwoͤlf Einwoh-
ner von Jatrep oder Medina, denen bald meh-
rere folgten, ſeine Lehre annahmen. In die-
ſem 12ten Jahre that er auch ſeine Nachtreiſe,
die er mit dem Engel Gabriel von Mecca nach
Jeruſalem, und von da in die ſieben Himmel
gethan haben wollte, bekannt, weil er vielleicht
hofte, durch die Bekanntmachung, daß er mit
Gott geredet habe, mehr Anhang zu bekommen.
So laͤcherlich indeſſen ſeine Erzaͤhlung vielen
Leuten vorkam; ſo erhielt ſie doch durch die Be-
ſtaͤtigung des Abubeker, der bey ihnen in großem
Rufe ſtand, viel Gewicht und Glaubwuͤrdigkeit.
— Und nun konnte er hoffen, daß ſeine Freun-
de alles fuͤr goͤttlich halten wuͤrden, was er ih-
nen vorpoſaunte. Bisher hatten zwar immer
noch die Verfolgungen wider ihn gedauert.
Da ſie aber doch in der Folge heftiger wurden,
und
[141] und die Einwohner von Mecca ihm ſo gar nach
dem Leben trachteten; ſo nahm er im Jahre
ſechs hundert und zwey und zwanzig, am
zwoͤlften Julius ſcine Flucht nach Medi-
na
, von welcher Flucht die Moslemim, oder
Anhaͤnger ſeiner Lehre, ihre Jahre der Hegira
zaͤhlen, die aus Mondenjahren beſtehen.


Bisher hatte Mohammed noch keine Gewalt
gebraucht, ſeine Religion fortzupflanzen, viel-
mehr vorgegeben, er duͤrfe blos predigen und
ermahnen. Allein, kaum ſah er ſich in Medina
ſicher; ſo gab er einen goͤttlichen Befehl vor,
mit den Waffen den Goͤtzendienſt auszurotten,
und ſeine Lehre auszubreiten. Nachdem er zu
Medina eine Moſchee erbaut, und den oͤffent-
lichen Gottesdienſt eingerichtet hatte; ſo griff
er die Koreiſchiten an, und vertraute die große
Fahne der Religion ſeinem Onkel Hamza an,
und ſchickte ihn mit dreißig Mann, mit den
meccaniſchen Truppen anzubinden. Allein,
dieß erſte Unternehmen lief nicht gluͤcklich ab,
und die Mediner mußten weichen. Nachdem
aber Hamza wieder zu Kraͤften kam, griff er
die Koreiſchiten zum zweytenmal — im zwey-
ten Jahre der Flucht Mohammeds — an,
und erfochte einen Sieg bey Bedr uͤber ſie, der
den Grund ſeiner Groͤße legte, die mit jedem
neuen Feldzug immer anwuchs. Im ſechſten
Jahre mußten die Koreiſchiten, als er Mecca
angreifen wollte, um Frieden bitten. Im ſie-
benten Jahre foderte er mit dem Stolze eines
Alex-
[142] Alexanders alle bekannte Landesherrn zur An-
nahme ſeiner Religion auf. Im achten Jahre
eroberte er Mecca und verlohr bey dieſer Expe-
dition nur zwoͤlf Mann, denen er eine ſtattliche
Leichenrede gehalten, und ſie mit dem Namen
Maͤrtyrer beehrt hat. Hieruͤber haͤlt ſich der ſcharf-
ſinnige Bayle, in ſeinem Woͤrterbuche, ſehr auf
und ſagt: Luſtige Maͤrtyrer! — Leute
die bey der Plůnderung einer Karavane
ums Leben kamen, da ſie das Handwerk
der Straßenraͤuber und oͤffentlichen Spitz-
buben trieben
.


Dieſer gluͤckliche Fortgang ſeiner Waffen
machte den Mohammed recht muthig, und gieng
nunmehr in eigner Perſon in den Krieg und
fuͤhrte ſeine Truppen an. Er bemaͤchtigte ſich
ſogleich Mecca und fuͤhrte ſeine Religion ſogleich
ein, doch aber, wie einige Schriftſteller verſichern,
ohne Blutvergießen, Gewalt zu gebrauchen und
den Einwohnern ihre alten Privilegien zu neh-
men. Nachdem er nun in Mecca alles in Ord-
nung und Ruhe gebracht zu haben glaubte; ſo
kehrte er ſeine ſiegreichen Waffen gegen das
aberglaͤubiſche und abgoͤttiſche Volk im Lande.
Sein Unternehmen wurde auch in dieſer Expe-
dition mit guten Erfolg gekroͤnt: aber da er die
Staͤmme des Judenthums angreiffen wollte;
ſo empoͤrten ſich die Koreiſchiten, welches den
guten Mohammed noͤthigte, ſeine Truppen zu-
ruͤck zu ziehen, und wider ſie anzuruͤcken. Er
ſuchte zwar Gelegenheit dieſen Aufruhr guͤtlich
zu
[143] zu daͤmpfen; allein er verfehlte ſeine Hoffnung,
und ward gezwungen, den Koreiſchiten eine blu-
tige Schlacht zu liefern, die er verlohr. Er
ſelbſt wurde verwundet, und eine große Menge
ſeiner Soldaten mußten ihr Leben klaͤglich endi-
gen. Man kann leicht denken, was ein ſolcher
Stoß dem Mohammed und ſeinen Anhaͤngern
fuͤr eine Wunde beybringen mußte. Es ſchien
auch, als wollte ein großer Theil der Neube-
kehrten wieder zu der Religion ihrer Vaͤter *)
zuruͤck-
[144] zuruͤckkehren. Allein Mohammed, als ein liſti-
ger und ſcharfſinniger Kopf, wußte die rebelli-
renden und kleinmuͤthigen Seelen bald wieder zu
beſaͤnftigen, ſchloß einen Waffenſtillſtand mit
den Koreiſchiten, und uͤberwand indeſſen mit den
Degen in der Fauſt die juͤdiſchen Araber. Allein
dieſer Feldzug, ob er gleich fuͤr ihn zwar gluͤck-
lich ausfiel, war doch ſeiner Geſundheit nach-
theilig.
*)
[145] theilig. Denn als er zu Kaibar in einem vor-
nehmen Hauſe wohnte; ſo hatte die Tochter
ſeines Wirths ein auf dem Tiſche liegendes
Lamm vergiftet, davon Mohammed eſſen ſollte.
Sie dachte, wenn er wuͤrklich ein Prophet waͤre;
ſo wuͤrde er die Wuͤrkungen des Giftes nicht
verſpuͤren: waͤre er es nicht; ſo glaubte ſie ſich
dem Vaterlande dadurch verdienſtlich gemacht
zu haben, einem ſolchen ungerechten Uſurpateuer
und Tyrannen das Leben zu nehmen. Der
Prophet aß: er merkte aber alsbald Unrath,
und ſpie es gleich wieder aus. Demungeachtet
aber befand er ſich ſehr uͤbel darnach: brauchte
zwar Gegengift, aber das Uebel ſchien dadurch
aͤrger zu werden. Nach der Zeit verlohr er ſeine
Kraͤfte und zehrte allmaͤhlig aus.


Wir wuͤrden unſern Leſern beſchwerlich fallen,
wenn wir die militairiſchen Auftritte ſeines
Apoſtelamts alle erzaͤhlen wollten. Es ſey
alſo genug geſagt, wenn wir noch erwaͤhnen,
daß Mohammed allenthalben die Abgoͤtterey ab-
geſchaft und alle drey Arabien, nachdem dieſe
lange Zeit fuͤr die Freyheit ihrer Altaͤre gefoch-
ten, endlich uͤberwunden und ſeine Lehrſaͤtze uͤber-
all eingefuͤhrt habe. Er gab ihnen zum Theil
fuͤrtrefliche Geſetze, und riß ſie wuͤrklich aus ei-
nem Zuſtande, der in aller Abficht klaͤglich war.


Sein Leben endigte er im eilften Jahre der
Hegira, in ſeinem fuͤnf und ſechzigſten Jahre
ſeines Alters. Die Achtung und Ehrfurcht,
die ſeine Nachfolger gegen ihn hatten, gieng ſo
Kweit
[146] weit, daß ſie ihn nicht fuͤr wuͤrklich todt erklaͤr-
ten, weil dieß wider die Moͤglichkeit waͤre, daß
ein ſolcher Mann ſterben koͤnnte. Allein Abu-
beker, der, wie bereits geſagt, bey den Arabern
in großem Anſehen ſtand, benahm dieſen Herren
ihre Meynungen, und zeigte ihnen aus verſchie-
denen Stellen des Korans, daß ihr Prophet
wohl ſterblich ſey, und mit allen Leuten gleiches
Schickſal erfahren muͤßte.


Mohammed ſoll von mittelmaͤßiger Groͤße
geweſen ſeyn, und eine ſehr reizende Geſichtsbil-
dung gehabt haben. Er war ehrgeitzig, kuͤhn
und faͤhig außerordentliche Unternehmungen zu
verrichten. Er war maͤßig, dabey aber doch
ſinnlich und der Wolluſt ergeben: ein Fehler,
der damals den Einwohnern Arabiens zur zwey-
ten Natur geworden war. Die chriſtlichen
Schriftſteller mahlen uns ihn als einen unzuͤch-
tigen Menſchen ab: ein gleiches thut ein anſehn-
licher Theil ſeiner eignen Landsleute *). Er
maßte ſich an, von Gott auf dieſer Erde vor an-
dern ehrlichen Leuten beſondre Vorrechte erhal-
ten
[147] ten zu haben, woruͤber er ſich im Koran ſo aus-
druͤckt: Prophet! wir geben dir eine un-
umſchraͤnkte Gewalt uͤber alle — Weiber,
die dir vorkommen — uͤber deine Muh-
men, Nichten und uͤber alle rechtglaͤubige
Frauen, die ſich dir, weil du mein Pro-
phet biſt, uͤberlaßen werden. Dieſe Gunſt
ſey dir vorzugsweiſe vergoͤnnt, aber kei-
nem andern
. Er ſagte gewoͤhnlich, was Lu-
ther — ohne dieſe Maͤnner in Vergleichung zu
ſetzen, einmal bemerkt: Wer nicht liebt
Wein, Weiber und Geſang — der bleibt
ein Narr ſein Lebelang.


Aufs Frauenzimmer war auch Mohammed
recht raſend erpicht. Er vergaffte ſich in die
Frau eines ſeiner Sclaven. Der Sclave,
wollte er wohl oder uͤbel, mußte ſie ihm uͤberla-
ßen, und er heyrathete ſie. Das gab nun einen
gewaltigen Skandal, und um ſich aus dem
Gerede herauszuziehen, gab er vor, einen neuen
Befehl vom Himmel des Inhalts empfangen
zu haben: (S. Koran Kap. 39) daß Gott
denjenigen Sclaven, der ſein Weib von
ſich geſtoßen, mit dem Mohammed ver-
einigt haͤtte, und daß der Prophet keinen
Fehler begangen, weil er nichts gethan,
wodurch er den goͤttlichen Geboten waͤre
ungehorſam geweſen.
Muß man ſich nicht
billig hier uͤber die entſetzliche Unwiſſenheit und
Leichtglaͤubigkeit der damaligen Araber wundern
K 2— ei-
[148] — einen Menſchen, der ganz liederlich war,
der ſich voͤllig den wilden Ausſchweifungen ſei-
ner Leidenſchaften ergab — einen ſolchen Un-
menſchen fuͤr einen Geſandten Gottes zu halten!


Man meint, daß Mohammed — ungeach-
tet er der Liebe zum Frauenzimmer ſehr ergeben
war — im Grunde gegen das ſchoͤne Geſchlecht
wenig Hochachtung gehabt habe. Er gieng
eben mit ihnen nicht aufs ſaͤuberlichſte um,
ſuchte ſie immer zu hintergehen, begegnete ihnen
ſehr uͤbel, und gab ſo gar ein Geſetz, nach wel-
chem es den Maͤnnern erlaubt war, ihre Wei-
ber, wenn ſie es verdienten, derbe durchzupruͤ-
geln. Und doch war er ſo raſend eiferſuͤchtig,
als man ſich immer nur einen Menſchen denken
kann. Wie er einſtmal merkte, daß einige ſei-
ner Schuͤler mit einem verdaͤchtigen Eifer ſein
Hauß beſuchten, und mit ſeinen Weibern etwas
vertraut umgiengen; ſo glaubte er den Fehler
nachdruͤcklich ahnden zuͤ muͤſſen. Er erklaͤrte
ihnen alſo von Seiten Gottes, daß ſie nicht in
des Propheten Haus, ohne ſein Vorwiſſen ge-
hen ſollten, und der Wohlſtand verlange es,
ſich ſogleich nach der Mahlzeit, wenn er ſie zum
Eſſen eingeladen haͤtte, wegzubegeben, und ſich
nicht in weitlaͤuftige Unterredungen mit ſeinen
Weibern einzulaßen. — Allem Anſehen nach
muͤſſen ſein Frauen einen ſehr harten Stand
bey ihm gehabt haben: denn er verbot, daß
niemand nach ſeinem Tode eine von denſelben
heyrathen
[149] heyrathen ſollte. Sie mußten alſo insgeſammt
den harten Wittwenſtand aushalten *).


Unter der Zahl der Weiber waren ihrer drey,
die er aufs zaͤrtlichſte zu lieben ſchien, nemlich
Kadhige, Haphſa und Ayesha. Die erſte
ſtarb drey Jahre vor dem Anfang der Hegira.
Sie hat mit ihm acht Kinder gezeugt, die aber
alle vor ihrem Vater ſtarben, ausgenommen
Fathime welche ihrem Vater einige Monathe
uͤberlebte, und an den Aly verheyrathet war.
Mohammed hatte ſo viel Hochachtung fuͤr ſie,
daß er ſich mit ihr allein begnuͤgte und ihr keine
zweyte Frau zugeſellte. Aber ſo bald ſie ſtarb;
ſo uͤberließ er ſich ganz den Wolluͤſten. Haph-
ſa
war eine Tochter Omars. Mohammed hey-
rathete ſie drey Jahre nach der Hegira, und
vertraute ihr, da er ſtarb, das Original ſeiner
vorgegebenen Offenbarungen, d. i. die Mate-
rialien, die zum Bau ſeiner neuen Religion
dienten. Die Ayesha war nur ſieben Jahr
alt, wie er ſie zur Frau nahm. Ihr Vater
hieß Abdallah, nahm aber nachher auf Befehl
K 3des
[150] des Propheten den Namen Abubecker an,
welches ſo viel als Vater des Maͤdchens an-
deutet. Wie ſie ſehr viel Artigkeit und Witz
zeigte; ſo ließ er ſie ſorgfaͤltig unterrichten, und
ſie machte ihren Lehrern viel Ehre. Vorzuͤglich
erlangte ſie eine genaue Kenntniß der arabiſchen
Sprache. Er liebte ſie ganz außerordentlich,
ob ſie gleich uͤberall ihrer Treuloſigkeit wegen
beruͤchtigt war. Er wußte, daß man von ihr
allgemein uͤbel redete: aber um dieſem Gerede
gleichfalls ein Ende zu machen, verkuͤndigte er
von Seiten des Himmels, daß alle die uͤblen
Nachreden weiter nichts als ſchaͤndliche Ver-
laͤumdungen waͤren. Und derjenige, der ſichs
fernerhin unterſtuͤnde, von ihr auf eine uner-
laubte Weiſe zu reden, ſollte die gerechten Stra-
fen Gottes erfahren. Nach Mohammeds Tode
ſtand ſie in großen Ehren, und man hielt ſie
fuͤr eine Prophetinn. Aber dem Aly, der ſie
des Ehebruchs wegen zuerſt angeklagt hatte,
konnte ſie dieß nie vergeben. Sie legte ihm
alles in den Weg, wenn er nach einer vorneh-
men Stelle trachtete. Und wie er endlich, wi-
der ihren Willen, Calife wurde; ſo ſtellte ſie ſich
an die Spitze von 30000 Mann und bekriegte
den guten Aly. allein dieſer nahm ſie gefan-
gen, und verwieß ſie nach Meſſina, wo ſie im
67ſten Jahre ihres Alters verſchied.


Mohammed war ohne alle Wiſſenſchaft, und
man haͤlt dafuͤr, daß er weder ſchreiben noch
rechnen
[151] rechnen konnte *). Aber er war ein Kenner
ſeiner Landesſprache, druͤckte ſich in derſelben
leicht und natuͤrlich aus. Selbſt ſeine Aus-
ſprache war ruͤhrend und eindringend. — Dieß
iſt ein kurzer Abriß der guten und ſchlechten
Seite Mohammeds. Es bleibt noch uͤbrig,
daß wir itzt die Lehrſaͤtze ſeiner Religion, die
noch itzt in ihrer voͤlligen Staͤrke in Arabien
bluͤhen, naͤher auseinander ſetzen.


Das ganze Religionsgebaͤude des Moham-
meds beſteht aus zween Haupttheilen. Der
eine heißt Iman und faßt nur ſechs Lehren,
die geglaubt werden muͤſſen, in ſich: Die Leh-
ren von Gott, ſeiner Einheit, und ſeinen
Eigenſchaften, von den Engeln und ihren
Verrichtungen, von Gottes unbedungenem
Rathſchluße, oder von ſeiner unveraͤnder-
lichen Vorherbeſtimmung des Guten und
Boͤſen und aller menſchlichen Schickſaale,
von den goͤttlichen Schriften, von den

K 4Pro-
[152]Propheten, von der Auferſtehung der
Todten und dem allgemeinen Weltge-
richte
. — Der andre Haupttheil iſt der Din
(das Recht) und begreift die gottesdienſtlichen
Pflichten in ſich. Dieſe ſind das Gebet und
die damit verknuͤpften Gebraͤuche, die
Allmoſen, die nothwendigen und freywil-
ligen Faſten, und die Wahlfarth nach
Mecca
. Naͤchſt dieſem enthaͤlt der Koran
noch andre Sachen, die eben nicht ſo wichtig
ſind, als daß ſie in dieſem Werke koͤnnten be-
ſchrieben werden.


Unter den Glaubenslehren iſt die Wahrheit:
es iſt nur ein einziger Gott die wichtigſte
und erſte, und kommt faſt in allen Suren des
Korans vor. Sie iſt ſowohl den abgoͤttiſchen
Arabern, welche die Engel fuͤr Untergottheiten
hielten und ſie Gott beygeſellten, als auch der
chriſtlichen Dreyeinigkeit entgegen geſetzt. Gott
koͤnnte, nach Mohammeds Vorſtellungsart,
nicht zeugen, folglich auch im eigentlichen Ver-
ſtande keinen Sohn haben, weil er keine Ge-
mahlinn haͤtte. — Die Mohammedaner wer-
fen insbeſondere den Chriſten vor, daß ſie
a) drey Perſonen in der Gottheit zuließen.
O Chriſten, ſagt der falſche Prophet in ſeinem
Koran im 4 Kap., treibt die Sache in eurer
Religion nicht zu weit, und redet nicht
von Gott, außer in der Wahrheit
.
Sagt nicht: drey; enthaltet euch dieſes
Worts — denn Gott iſt eins
. b) daß ſie
be-
[153] behaupteten, Jeſus Chriſtus, der Sohn der Ma-
ria, ſey Gottes Sohn und wahrer Gott. Mo-
hammed macht ihnen hieruͤber folgenden Vor-
wurf: Die Chriſten ſagen: Chriſtus iſt der
Sohn Gottes. Dieſes Wort iſt in ihrem
Munde. Sie ahmen der Sprache der
Unglaͤubigen nach, die vor ihnen gelebt
haben. Gott vertilge ſie. Wie koͤnnen
ſie ſo luͤgen?
Der Betruͤger wiederholt dieſe
Gotteslaͤſterung an einem andern Orte: Dieſe
da
, ſagt er, ſind die Unglaͤubigen, die da
ſagen, daß Jeſus, der Sohn Mariaͤ,
Gott ſey; weil Chriſtus es ſelbſt geſagt
hat
. O Kinder Iſrael ehret Gott meinen
Herrn und meinen Meiſter. — c) Daß ſie
glaubten, Jeſus Chriſtus ſey gekreuzigt wor-
den *).


Hieraus ſieht man offenbar, daß Moham-
med ſich von dem Geheimniß der Dreyeinigkeit
eine ſehr ſinnliche und unrichtige Vorſtellung
gemacht habe. Man ſucht vergebens, wenn
man in ſeinem Koran tiefſinnige Vernunft-
ſchluͤſſe wider dieſe unbegreifliche Lehre aufſu-
chen will. — Ueber die Beſchaffenheit, Ein-
theilung und Verſchiedenheit der goͤttlichen Ei-
K 5gen-
[154] genſchaften ſind unter ſeinen Anhaͤngern ſehr
viele Streitigkeiten entſtanden. Allein die Be-
ſchuldigungen, daß ſie Gott einen Koͤrper bey-
legten, von ihm behaupteten, er ſelbſt muͤßte
taͤglich beten, und die Venus verehren, — ſind
falſch und ungegruͤndet. Den Engeln ſchrieb
Mohammed aus Feuer beſtehende Koͤrper zu,
wieß ihnen ſehr verſchiedene Verrichtungen an,
und vermengte ſeinen Lehrbegriff mit ſehr vielen
juͤdiſchen Fabeln und Fratzen. — Vier Engel
hielt er fuͤr die vornehmſten. Den Gabriel
gab er fuͤr den Engel der Offenbahrung und fuͤr
die naͤchſte Quelle des Korans aus, den Michael
fuͤr den Beſchuͤtzer der Juden, den Aſrael fuͤr
den Engel des Todes und Vollzieher der goͤttli-
chen Rathſchluͤſſe uͤber den Tod der Menſchen,
und den Iſrafil fuͤr den Gerichtsengel, der nach
dem Tode alle abgeſchiedene Seelen unterſuche,
und an dem allgemeinen Gerichtstage die Po-
ſaune blaſen ſollte. Jedem Menſchen eignete er
zwey mit einander abwechſelnde Schutzengel zu.
Azaziel, den er wegen ſeiner Verzweiflung auch
Eblis nannte, war gefallen, und zur ewigen
Strafe verurtheilt, weil er den Adam nicht habe
anbeten wollen. Aus Rache, ſich aus dem
Himmel verſtoſſen zu ſehen, verfuͤhrte er die er-
ſten Menſchen.


Naͤchſtdem nahm Mohammed noch eine Art
von Mittelgeiſtern an, die er Důn nannte.
Dieſe ſollen Koͤrper von einer feurigen, aber
groͤbern Materie, als die Engel, haben, vor
der
[155] der Exiſtenz der Menſchen, die Bewohner der
Erde geweſen ſeyn, eſſen und trinken, verſchie-
denes Geſchlecht ſeyn, ihr Geſchlecht fortpflan-
zen und — ſterben. Sie haben in verſchiedenen
Stuͤcken der Schedim der Juden viele Aehn-
lichkeit.


Die Lehre von der unveraͤnderlichen
goͤttlichen Vorherbeſtimmung des Guten
und Boͤſen
hat Mohammed ſonderlich ſeiner
verſchiedenen Kriege wegen, erfunden und ſehr
hoch getrieben, um dadurch ſeinen Soldaten
Muth und Tapferkeit einzufloͤſen. Wenn ſie
glauben, daß ſie zu der Zeit, da ſie in einer
Schlacht verwundet oder getoͤdtet werden, eben
den gewaltſamen Tod auch außer der Schlacht
nicht wuͤrden haben entgehen koͤnnen, und alle
Behutſamkeit das Leben zu verlaͤngern, unzu-
laͤnglich waͤre — mit welch einer Wuth und
Verzweiflung mußten ſie da nicht fechten!
Die Mohammedaner gehen daher ſo weit, daß
ſie eine Gegenanſtalt gegen die Peſt fuͤr eine
Verſuͤndigung und fuͤr einen Widerſpruch gegen
die goͤttlichen Offenbahrungen anſehen. Mo-
hammed wollte aber auch durch dieſe Lehre den
Vorwurf, warum ſo viele unglaͤubig blieben,
wenn er ein Geſandter Gottes waͤre, und war-
um er ſeine vorgegebene Sendung nicht mit
Wundern beſtaͤtigte, ausweichen. Die Wunder
erklaͤrte er fuͤr unnoͤthig, weil durch ein unwi-
derrufliches Verhaͤngniß beſtimmt waͤre, wer
an ihn glauben ſollte. Niemand, ſagt er,
kann
[156] kann glauben, den Gott in Irrthum zu
ſtuͤrzen beſchloſſen hat.


Von goͤttlichen Schriften und Offenbah-
rungen zaͤhlt Mohammed hundert und vier.
Adam hatte zehn, Seth funfzig, Enoch drey-
ßig, Abraham zehn, Moſes das Geſetz, David
die Pſalmen, Jeſus das Evangelium, und Mo-
hammed die letzte Offenbarung, oder den Koran,
empfangen. Die erſten Offenbahrungen ſollen
verlohren gegangen, das Geſetz aber nebſt den
Pſalmen und Evangelio — wodurch das neue
Teſtament verſtanden wird — von den Juden
und Chriſten verfaͤlſcht worden ſeyn. Und aus
dieſer Urſach ſey der Koran vom Himmel ge-
ſandt, um die Verfaͤlſchungen der vorigen Of-
fenbahrungen aufzudecken, und die darinn ent-
haltenen Wahrheiten ins Reine zu bringen und
zu erklaͤren.


Nach den Ueberlieferungen der Mohamme-
daner ſind unter der erſtaunlichen Menge von
Propheten drey hundert und dreyzehn, welche
die wahre Religion von Verfaͤlſchungen gerei-
nigt, ſechs aber, namentlich Adam, Noah,
Abraham, Moſes Jeſus und Mohammed das
Siegel aller Propheten, die neue Lehren einge-
fuͤhrt haben. Chriſtum erklaͤrt Mohammed,
ob er gleich ſeine Gottheit leugnet, fuͤr einen
Geſandten Gottes, fuͤr das Wort, wel-
ches er in die Maria geleitet habe, und
fuͤr einen von ihm ausgehenden Geiſt,

erklaͤrt aber nicht zugleich, was fuͤr Begriffe er
mit
[157] mit dieſen aus dem Evangelio entlehnten Aus-
druͤcken verbinde. — Die Wunder welche er
Chriſto beylegt, ſind faſt alle aus dem apocry-
phiſchen Evangelio von ſeiner Kindheit genom-
men. Denn Mohammed nutzte mehr die apo-
cryphiſchen Schriften, als das neue Teſtament.
Sich ſelbſt erklaͤrte er, bekanntermaßen, fuͤr
den letzten und groͤßeſten Propheten, und legt
ſich Vorzuͤge bey, die man unmoͤglich fuͤr Vor-
zuͤge eines Geſandten Gottes halten kann, wenn
man dagegen die Stimme einer auch nur etwas
gereinigten Vernunft hoͤrt. So war er, zum
Beyſpiel, von allen Auflagen und Allmoſen
frey, durfte ſich ſelbſt an Faſttagen der Wolluſt
uͤberlaßen, Ehebruch ohne Scheu begehen, ſeine
Verlaͤumder toͤdten u. d. gl. m. Er hatte die
Freyheit, alle Laſter zu begehen, und wenn er
ſie begieng — wurden ſie Tugenden. Wahrlich
es gehoͤrt viel dazu, einen Gott zu gedenken, der
ſeinen Geſandten ſolche Vorrechte ertheilt.


Mohammeds Lehre von der Auferſtehung
und dem allgemeinen Weltgericht,
iſt mit
vielen juͤdiſchen Fabeln vermiſcht. Die Seelen
begleiten ihre Leiber ins Grab, und warten mit
ihnen aufs allgemeine Weltgericht. Im Grabe
wird von zween Engeln Moeker und Nakir
eine Unterſuchung der Handlungen der Verſtor-
benen angeſtellt. Koͤnnen ſie eine ſolche Unter-
ſuchung aushalten; ſo duͤrfen ſie ſich niederle-
gen und ruhen, und Engel leiſten ihnen Geſell-
ſchaft. Beſtehen ſie aber bey einer ſolchen Un-
terſu-
[158] terſuchung nicht; ſo werden ſie von ſchwarzen
Engeln gepeinigt, die ſie mit eiſernen Kolben
und Zacken zerſchlagen. Doch pflegen die Aus-
leger des Korans dieſe Schlaͤge nur allegoriſch
zu erklaͤren. — Von der Auferſtehung lehrt
der Koran, daß von jedem Menſchen ein kleiner
Knochen, der der Anfang ſeiner Bildung ſey,
und den die Juden Luz, die Mohammedaner
aber Al Aib nennen, unverweslich bleibe, und
die Grundlage ſey, woran hernach die uͤbrige
Materie des Koͤrpers bey ſeiner Wiederherſtel-
lung ſich anſetze. Ein dreymaliger Poſaunen-
ſchall, zwiſchen deren jeden vierzig Jahre verge-
hen, ſoll das allgemeine Gericht ankuͤndigen.
Der erſte Schall heißt das Blaſen der Be-
ſtuͤrzung,
da die Erde beben und alle Geſchoͤpfe
erſchrecken werden. Der andere, das Bla-
ſen der Entſeelung,
da alle Geſchoͤpfe ſterben
ſollen. Der dritte, das Blaſen der Aufer-
ſtehung,
da alle Menſchen — die Gerechten
bekleidet — die Gottloſen unbekleidet — aufer-
ſtehen ſollen. — Die Haltung des Gerichts
wird Gott zugeſchrieben; Mohammed aber wird
als Fuͤrſprecher der Moſlemim erſcheinen.
Alle Werke der Menſchen werden aus einem
Buche verleſen, und mit einer Wagſchaale ge-
wogen werden. Diejenigen, deren Wagſchaale
niederſinken wird, werden die Seeligkeit erhal-
ten. Alle Menſchen werden eine ſehr große
Bruͤcke uͤber die Hoͤlle, die feiner als ein Haar
und ſchaͤrfer als die Schaͤrfe des Schwerdts iſt,
paſſiren
[159] paſſiren muͤſſen. Die Verdammten werden
herabgeſtoßen werden, die Gerechten aber mit
wunderbarer Leichtigkeit ins Paradies hinuͤber
eilen. Die Hoͤlle wird von ihnen außerordent-
lich furchtbar vorgeſtellt.


Vom Paradieſe macht Mohammed ſeinen
Schuͤlern folgende Beſchreibung. Hier, ſagt er,
ſind ſo viele Schalen, als Sterne am
Himmel. Junge Maͤdchen und Knaben
ſchenken ein, und warten bey der Tafel
auf. Die Maͤdchen ſind von einer Schoͤn-
heit, die alle Einbildungskraft uͤbertrift.
Wenn eine von dieſen Maͤdchen im Him-
mel oder in der Luft des Nachts erſchien;
ſo wuͤrde die Welt davon helle werden,
nicht anders als wenn die Sonne ſchien;
und wenn ſie ins Meer ſpuckte, wuͤrde ſie
deſſen ſalziges Waſſer in Honig, und ſeine
Bitterkeiten in Suͤßigkeiten verwandeln. –
Waſſer, Milch, Honig und weiſſer Wein,
werden die Fluͤſſe ſeyn, die dieſen ſuͤßen
Auffenthalt benetzen. Der Schlamm dieſer
Fluͤße, wird wohlriechende Muſkaten,
und die Kieſel, Perlen und Hyacinthen
ſeyn … Der Engel Gabriel wird die
Thore des Paradieſes, den glaͤubigen
Muſelmaͤnnern oͤfnen. Das erſte, was
ihnen in die Augen fallen wird, wird eine
Tafel von Diamanten, von einer ſo unge-
heuren Laͤnge ſeyn, daß man ſiebenzig
tauſend Tage zubringen muͤßte, ſie zu

durch-
[160]durchlaufen. Die Stuͤhle, die herumſte-
hen, werden von Gold und Silber ſeyn,
die Tiſchtuͤcher von Seide und Gold.
Wenn ſie ſich geſetzt haben, werden ſie
die auserleſenſten Gerichte des Paradie-
ſes eſſen, und von ſeinem Waſſer trinken.
Wenn ſie ſatt ſind, werden ihnen die
ſchoͤnen Knaben, die ſie bedienen, gruͤne
Kleider von koſtbaren Stoff, und Hals-
baͤnder und Ohrgehaͤnge von Gold reichen.
Einem jeden wird man alsdann eine Ci-
trone geben, und wenn ſie ſie an ihre Na-
ſe gebracht haben, um ihren Geruch zu
empfinden: ſo wird ein Maͤgdchen von
einer bezaubernden Schoͤnheit heraus-
kommen. Jeder wird die Seinigen mit
Entzuͤcken umarmen, und dieſe verliebte
Trunkenheit wird funfzig Jahr, ohne un-
terbrochen zu werden, dauren. Nachge-
hends wird jedes Paar einen bezaubern-
den Pallaſt zur Wohnung bekommen,
wo ſie die ganze Ewigkeit eſſen, trinken,
und alle Arten von Wolluͤſten genießen
werden.


Dieß ſind die vornehmſten Lehren, welche
das beruͤhmte Buch, der Koran, enthaͤlt. Es
iſt in der That ganz zu verwundern, wie ein
Mann, auch nur von den geringſten Einſichten,
ein ſo ſeltſames Gemiſch von Offenbarungen,
laͤppiſchen Erzaͤhlungen, aber auch bisweilen
von erhabenen Wahrheiten, habe erdenken koͤn-
nen *)!
[161] nen! *) Wenn jemals dieſe Voͤlker die Augen
oͤfnen, und ſich unter ihnen ein Philoſoph erhe-
ben ſollte, deſſen Weisheit die Finſterniß des
Aberglaubens zerſtreute; ſo wuͤrde es um die
mohammedaniſche Religion ſicher gethan ſeyn.
Auch nur die geringſte Pruͤfung wuͤrde alle ihre
Grundfeſten erſchuͤttern. Allein Mohammed
hat dieſem Zufalle weislich vorgebauet, indem
er alle Glaubens- und Religionsſtreitigkeiten
verboten. — Dieß iſt ſonder Zweifel noch das
weiſeſte Geſetz im Koran.


Der andre Hauptartikel der Religion Mo-
hammeds begreift die gottesdienſtlichen Pflich-
ten in ſich. — Die Araber halten ſich fuͤr ver-
pflichtet, des Tages fuͤnfmal wenigſtens zu be-
ten. Ein Murzin kuͤndigt gemeiniglich von der
Hoͤhe der Moskee die Stunde des Gebets an,
und ruft mit vernehmender Stimme: Allah
Akbar, Allah! Mohammed reſullula!
ſehr
großer
L
[162] großer Gott! ſehr großer Gott! Mohammed
iſt ſein Prophete. Das erſte Gebet verrichten
ſie, nach dem Ritter Chardin, wenn der Tag
anbricht, das zweyte zu Mittag, das dritte et-
wa drey Stunden hernach, das vierte bey An-
tritt der Nacht, und das fuͤnfte, wenn ſie zu
Bette gehen. Einige Caſuiſten verſtatten es,
daß das zweyte und dritte zugleich geſchehen kann,
und ſo auch das vierte und fuͤnfte. Und auf
die Weiſe werden die fuͤnf Gebete auf drey herun-
ter geſetzt. Andre ſind der Meynung, daß
man das Gebet des Morgens einige Stunden
ſpaͤter verrichten koͤnne, wenn es nur noch Vor-
mittags geſchehe; und das Mittagsgebet koͤnn-
te bis gegen Abend vor ſieben Uhr verſchoben
werden. Allein der Ritter Chardin verſichert,
daß die wahren Muſelmaͤnner dieſe gelinde Ent-
ſcheidungen verwerfen, und ihre fuͤnf Gebete zu
den einmal feſtgeſetzten Stunden verrichten.
Die Scheinheiligen und Prieſter ſtehen oft
expres um Mitternacht auf und beten.


Die Reinigung des Koͤrpers wird bey den
Mohammedanern fuͤr ein weſentliches Stuͤck
der Zubereitung zum Gebet angeſehen. Dieſe
Reinigung beſteht darinn, daß man ſich erſtlich
das Geſicht waͤſcht, nach dieſem die Haͤnde, die
Armen bis an den Ellbogen, und endlich die
Fuͤße *). Um dieſe Reinigung ſo vollkommen
als
[163] als moͤglich zu machen, muß man ſich die Zaͤh-
ne reinigen, den Mund ausſpuͤlen, friſches
Waſſer durch die Naſenloͤcher ziehen, die Ohren
reiben, den Bart kaͤmmen *), und die Schaam-
L 2glieder
*)
[164] glieder mit Waſſer beſpruͤtzen. Indeſſen iſt doch
alles dieſes nicht ſchlechterdings noͤthig. Das
Waſſer, in welchem man ſich reinigt, muß rein
ſeyn, und man darf es nicht durch Urin, Spei-
chel und andere dergleichen garſtige Dinge be-
ſudeln. — Im Fall einer Krankheit, wo das
Waſchen dem Patienten gefaͤhrlich ſeyn koͤnnte,
ſteht
*)
[165] ſteht es ihnen frey, ſtatt Waſſer Erde zu ge-
brauchen, womit man die noͤthigen Theile des
Leibes beruͤhrt.


Wenn dieſe Reinigung geſchehen iſt; ſo
legen ſie alle ihre Kleidungen, Gewehre und an-
dre Sachen ab, um ganz arm zu erſcheinen, ſo
wie die erſten Menſchen vor ihrem Schoͤpfer er-
ſchienen. Sie breiten einen Teppich uͤber die
Erde, auf welchem ſie ihre Andacht verrichten.
Auf dieſem Teppich liegt gemeiniglich ein Kamm,
Spiegel, Roſenkranz, ein rundes Stuͤckchen Er-
de, worauf ſie ihre Stirne legen, wenn ſie be-
ten, und der Koran. Nach dieſen Zuruͤſtun-
gen waſchen ſie ſich, und ſtehen einen Augenblick
auf, laſſen die Haͤnde an den Seiten herunter
haͤngen, beobachten ein tiefes Stillſchweigen,
wodurch ſie wollen zu erkennen geben, daß ſie
die groͤßeſte Andacht beweiſen. Ihr Gebet fan-
gen ſie mit den Worten an: Allah, Akbar
welches ſo viel bedeutet, als, ſehr großer Gott!
Hierauf legen ſie ihr Glaubensbekenntniß ab,
ſagen das erſte Kapitel aus dem Koran her,
und heben die Haͤnde und das Geſicht in die
Hoͤhe. Wenn dieſes geſchehen; ſo fallen ſie
auf die Kniee und machen eine tiefe Verbeugung,
ſo, daß der Kopf die Kniee beruͤhrt. Nach die-
ſen Verbeugungen leſen ſie abermal ein Kapitel
aus dem Koran, welches ſie ſich nach Belieben
ausſuchen koͤnnen: hernach wiederholen ſie dieſe
Verbeugungen, und ſo endigt ſich das Gebet,
welches etwa ſieben bis acht Minuten dauert,
L 3es
[166] es ſey denn, daß die gewaͤhlte Lection im Koran
groͤßer waͤre.


Eine der vornehmſten Pflichten, desjenigen,
der ſeine Andacht verrichtet, beſteht darinn, daß
er die tiefſte Aufmerkſamkeit dabey beobachtet.
Ein Wort, ein unmaͤßiges Lachen, ein ſtarkes
Huſten, wenn es gleich wider Willen geſchieht,
und man ſichs nicht erwaͤhren kann, machen,
daß das Gebet nicht die gehoͤrige Kraft hat, und
man ſieht ſich in die Nothwendigkeit verſetzt,
das Gebet wieder von vorne anzufangen. Alle
Reiſebeſchreiber verſichern, daß die Verrichtung
der Andacht bey den Muſelmaͤnnern, ungemein
erbaulich ſey. Sie beten mit außerordentlicher
Ehrfurcht, und man kann nicht genug die De-
muth und Aufmerkſamkeit, bey Verrichtung
ihres Gottesdienſtes bewundern. Ihren Augen
legen ſie die gehoͤrigen Feſſeln an, und ihre Be-
wegungen des Koͤrpers ſind genau abgemeſſen *).


In
[167]

In der Moſkee wird bey den Sunniten
das Gebet allemahl von einem Mollah ver-
richtet. Das Volk giebt auf ſeine mancherley
Bewegungen, die er macht, ſehr genau acht.
Der Mollah erhebt von Zeit zu Zeit ſeine Stim-
me, pflegt folgende zwey Geſaͤnge herzuſagen,
welche die Muſelmaͤnner eben ſo wiederholen,
wie bey der Catholiſchen Haltung des Gottes-
dienſtes zuweilen uͤblich iſt: 1) Ach mein groſ-
ſer Gott! wie erhaben biſt du! Wie be-
muͤhen ſich nicht alle deine Geſchoͤpfe, dich
zu preiſen! Ruhm! Lob! Ehre! ſey dei-
nem Nam̃en. Alle Welt erkenne deinen
Namen, denn es iſt kein andrer Gott,
als du. — 2) Im Namen Gottes voller
Guͤte und Barmherzigkeit: Lobet Gott,
der die Welt beherrſcht, und dem Nie-
mand gleich iſt. Herr, der du alle Men-
ſchen richten wirſt: auf dich ſetzen wir al-
le unſre Hoffnung. Beſchuͤtze uns, o,
Gott, da wir dich anrufen, ſo wie du es

L 4uns
*)
[168]uns befohlen haſt, und weil wir dein aus-
erwaͤhltes Volk ſind. Unſer Weg, den
wir geher, iſt nicht der der Unglaͤubigen,
auf welche du gerechter weiſe erzuͤrnet
biſt.


Hierauf werfen ſie ſich auf die Knie und be-
ten mit ihrem Iman: Wir bekennen, daß
Gott Gott iſt, daß er einzig und ewig iſt,
daß er niemals erzeugt, daß er unerſchaf-
fen, und ſeines Gleichen nicht hat.
Das
ganze Gebet endigt ſich mit dieſen Worten:
daß unſre Verehrung und unſre Gebete
einzig und allein zu Gott gerichtet ſeyn
moͤge, Friede und Seligkeit ſey uͤber den
Propheten. Die Gnade, der Seegen und
der Friede des Herrn ſey bey uns und al-
len Dienern Gottes. Wir bekennen, daß
nur ein einziger Gott iſt, der weder ſei-
nes Gleichen noch Gefaͤhrten hat, und
daß Mohammed der Prophet und Ge-
ſandte Gottes iſt.
Bevor ſie aus der Moſ kee
gehen, verrichten ſie ihr Gebet noch kuͤrzlich an
zwey Engel, wovon einer zur Linken, der an-
dre zur Rechten Gottes ſeyn ſoll. Der eine
ſieht weiß aus: und floͤßt dem Menſchen gute
Gedanken ein; der andre iſt ſchwarz, und von
dem kommen alle boͤſe Gedanken in den Men-
ſchen.


Die Roſenkraͤnze, deren ſich die Moham-
medaner bedienen, ſind aus einem geheiligten
Stuͤckchen Erde, welches aus Mecca oder Medi-
na
[169] na geholt wird, verfertigt. Ihre Geſtalt
kommt den Roſenkraͤnzen der Catholicken ziem-
lich nahe. Sie enthalten gemeiniglich neun und
neunzig Kuͤgelchen von gleicher Groͤße. Bey
den drey und dreyßig erſten Kuͤgelchen beten ſie:
Gott iſt groß! Bey folgenden drey und
dreyßig: Ruhm und Preiß ſey Gott! und
bey den letzten drey und dreyßig: Gott ſey
gelobt.
Man ſieht alſo, wie viel aͤhnliches
die Roſenkraͤnze der Mohammedaner mit den
der Catholicken haben.


Das Faſten iſt eine andre Pflicht, welche
das Geſetz Mohammeds vorſchreibt. Seine
Anhaͤnger muͤſſen ſich des Gebrauchs des Weins
und des Schweinefleiſches enthalten. Der Ra-
maſan
waͤhret dreyßig Tage. Er faͤngt mit
Aufgang der Sonne an, und endigt ſich mit
dem Untergange derſelben. Waͤhrend dieſes
Zwiſchenraums iſt es weder erlaubt zu eſſen
oder zu trinken, noch auch mit dem Frauenzim-
mer ſich einzulaſſen. Es waͤre ein Verbrechen,
wenn man nur einen Tropfen Waſſer herunter-
ſchluckte, und man wuͤrde dadurch die Faſten
unterbrechen. Kranke und Paſſagier ſind hier-
von ausgeſchloſſen, ſie ſind aber verbunden, ſo
bald ſie wieder geſund ſind, oder die Reiſe vol-
lendet haben, die vernachlaͤßigten Faſten nach-
zuholen. Sollten ſie ſterben, und alſo nicht
ſelbſt faſten koͤnnen; ſo muͤſſen ſie ihren naͤchſten
Anverwandten die Commiſſion geben, in ihren
Namen zu faſten. — Sobald es Nacht wird,
L 5iſt
[170] iſt es erlaubt zu eſſen und zu trinken, und da
geht es dann bunt uͤber. Wollte man ſich z. E.
des Nachts auch vernuͤnftig betragen, und ſich
den ausgelaſſenen Vergnuͤgungen entziehen; ſo
waͤre das ein unvernuͤnftiger Eifer, welchen
Mohammed ſelbſt in ſeinem Koran verdammt.
Gott hat erkannt, ſagt er in ſeiner 2ten Sure,
daß durch eine unſinnige Heucheley, der
Mann in dieſer Faſtenzeit gegen ſeine Frau
und dieſe gegen ihren Mann, einen Raub
begienge. Er hat deswegen Mitleiden
uͤber euch gehabt, und gegen euch Nach-
ſicht beweiſen wollen. Ueberlaſſet euch
alſo, ſobald die Nacht hereinbricht, allen
euren Begierden, und ſucht dasjenige
Vergnuͤgen, welches euch Gott vorge-
ſchrieben hat.
Dieſer wolluͤſtige Prediger
hatte einmal ſeine Zuhoͤrer durch eine Rede ſo
ſehr geruͤhrt, daß ſie ſich entſchloſſen, den gan-
zen Tag zu faſten, und die halbe Nacht im Be-
ten zuzubringen, allen Umgang mit den Wei-
bern zu entſagen. Wie Mohammed dieß er-
fuhr, ſoll er ſie zu ſich kommen laſſen, und ih-
nen geſagt haben: Iſt es wahr, daß ihr
euch entſchloſſen habt, Moͤnche zu wer-
den?
worauf ſie geantwortet: Nichts, o Ge-
ſandter Gottes, iſt wahrer, und wir ſu-
chen blos hierinn eine große Vollkommen-
heit.
Mohammed antwortete: Aber dieß iſt
mir nicht befohlen worden. Ihr muͤßt
fuͤr euch ſelbſt ſorgen. Faſtet oder bre-

chet
[171]chet die Faſten, wachet oder ſchlafet:
denn ich wache oder ſchlafe, ich faſte oder
breche die Faſten, ich eſſe Fleiſch oder ſchla-
fe bey der Frau; und wer ſich von meinen
Geboten entfernt, iſt meiner nicht wuͤr-
dig.


Was wollt ihr damit, daß ihr euch
das Vergnuͤgen mit den Weibern, das
Eſſen und Trinken, den Gebrauch des
Raͤuchwerks, den Schlaf und die uͤbrigen
Annehmlichkeiten des Lebens verſagt?
Hab ich mir etwa vorgeſetzt, in Arabien
eine Gemeinde von Prieſtern und Moͤn-
chen zu ſtiften? Mein Wille iſt, daß die
Muſelmaͤnner ein kriegeriſch Volk und kei-
ne Einſiedler ſeyn ſollen. Euer Beruf iſt,
durch eure Waffen alles in Schrecken zu
ſetzen. Ehret Gott und betet ihn allein
an, beobachtet die Wahlfarth nach Mec-
ca, betet ſo, wie es euch iſt vorgeſchrie-
ben worden, bezahlt die Zinſen, faſtet in
dem Ramaſan, ſeyd gerecht gegen die an-
dern, ſo wird man es gegen euch ſeyn.
Eure Vorgaͤnger ſind umgekommen, weil
ſie ein allzuſtrenges Leben gefuͤhrt haben;
Gott hat ſie mit Strenge verworfen, und
die Ueberbleibſel dieſer Ungluͤcklichen ſind
jetzo in den Kloͤſtern zerſtreut.


Waͤhrend dieſer großen Faſtenzeit ſind die
Moſkeen des Nachts von innen und außen
praͤchtig erleuchtet; und man kann in den großen
Staͤd-
[172] Staͤdten nichts ſchoͤners ſehen als eben dieſe
Erleuchtung. Das Ende der Faſten wird ſehr
praͤchtig gefeyert, welches die Mohammedaner
Bairam nennen. Das Feſt dauert drey Tage.
Den [A]nfang deſſelben kuͤndigt man dem Volke
durch Abfeurung des Geſchuͤtzes und bey Trom-
peten und Trommelſchall an. Ein jeder bemuͤ-
het ſich alsdann im Tempel praͤchtig zu erſchei-
nen. Freunde und Feinde verſoͤhnen ſich, und
beguͤterte Menſchen laßen einiges Vieh ſchlach-
ten, um das Vergnuͤgen zu haben, Arme ſpei-
ſen zu koͤnnen.


Wir finden auch im Koran hin und wieder
dringende Befehle des Mohammeds, Almoſen
auszutheilen, und man muß ſagen, daß ſeine
Anhaͤnger dieſen Befehl auf das Genauſte erfuͤl-
len. Einer theilt dem andern gerne mit, und
dieſe Wo lthaͤtigkeit treiben ſie ſo hoch, daß ſie
zuweilen, Voͤgeln, Katzen, Hunden, zu freſſen
geben, ja wohl gar Freßhaͤuſer fuͤr ſie bauen
laßen. Dieß aber ſind blos willkuͤhrliche Wohl-
thaten. Allein es giebt noch andre, welche das
Geſetz zu gewiſſen Zeiten vorgeſchrieben hat,
und welche ſchlechterdings muͤſſen verrichtet wer-
den. Ein jeder wahrer Muſelmann muß nem-
lich jaͤhrlich einen gewiſſen Theil ſeines Vermoͤ-
gens unter die Armen austheilen. „Das Ver-
moͤgen, ſagt Chardin, welches dieſer Art von
Zehnten unterworfen iſt, beſteht in gemuͤnzten
Golde und Silber, Getreyde, Fruͤchten und Vieh.
Gold und Silber geben zwey und ein halbes
Procent
[173] Procent, wenn man den Werth von zwey hun-
dert Derhem, das iſt ohngefaͤhr drey Mark
beſitzt. Wenn ſich dasjenige, was druͤber geht,
auf vierzig Derhem belaͤuft; ſo iſt das uͤbrige
der Zehnte und ſo weiter von vierzig zu vierzig.
Die Fruͤchte, auf guten Boden, geben zehn von
hundert, und auf mittelmaͤßigen Boden, fuͤnf
von hundert. Von Schaafen, Ochſen u. ſ. f.
giebt man auch den Zehnten„.


Dieſe Zehnten koͤnnen zum Unterhalt der
Armen, der Gefangenen, zu Erbauung der
Moſkeen, Carwanſereyen, Schulen, Bruͤcken,
oͤffentlichen Brunnen und andern Dingen ge-
braucht werden. — Man hat auch noch andre
Guͤter, welche einen noch viel ſtaͤrkern Tribut
geben, welches man den doppelten Zehnten
nennt, weil er den dritten Theil des Kapitals
betraͤgt. In dieſe Klaſſe rechnet man erſtlich,
die Beute, welche den Unglaͤubigen im Kriege
abgenommen worden. Zweytens, die Einkuͤnfte
aus den Bergwerken, es ſey an Erz oder herr-
lichen Steinen. Drittens, alles was man auf
dem Boden des Meers fiſchet. Viertens,
ſchlecht erworbenes Gut. Man iſt nicht ver-
bunden, wenn man davon den fuͤnften Theil
den Armen giebt, das Uebrige wieder herauszu-
geben. Fuͤnftens, alles, was man in einem
unglaͤubigen Lande findet.


Ein andres Stuͤck des mohammedaniſchen
Geſetzes beſteht in den Wallfahrten nach Mecca.
Mohammed hat es in ſeinen Spruͤchen aufs
nach-
[174] nachdruͤcklichſte befohlen, daß derjenige gewiß
verdammt werden wuͤrde, der dieß Gebot ver-
ſaͤumte. Wir halten es als hieher gehoͤrig, von
dieſen Wallfarthen nach Mecca das Noͤthigſte
zu erzaͤhlen.


Die Staͤdte Mecca und Medina, welche in
der Provinz Hedsjâs liegen, gehoͤren eigentlich
zu der Herrſchaft des regierenden Scherifs zu
Mecca. — In dieſem letzten Orte wurde be-
kanntermaßen Mohammed gebohren, und in
Medina fand er ſein Grab. Beyde Oerter wer-
den als heilig angeſehen, und keiner, der nicht
ein Mohammedaner iſt, oder zu werden gedenkt,
darf ſich der Stadt Mecca weiter als bis Dsjid-
da naͤhern, dafern er ſich nicht den entſetzlichſten
Strafen ausſetzen will, dieſe Entheiligung zu
verſoͤhnen. Mecca, davon wir zuerſt reden
wollen, liegt eine ſtarke Tagereiſe von Dsjidda,
am Fuße eines hohen Berges. Die Gegend
nahe um Mecca herum, iſt ganz duͤrre und un-
fruchtbar, doch findet man in den naͤchſten ber-
gigten Gegenden einen Ueberfluß an den ſchoͤn-
ſten Fruͤchten. Die Hitze, welche man hier in
den heiſſen Sommermonathen verſpuͤrt, iſt ſehr
groß, und um ſich fuͤr die Hitze einigermaßen
zu ſchuͤtzen, ſind die Einwohner genoͤthigt, in
dieſer Jahrszeit Thuͤren und Fenſterladen zuzu-
ſchließen, um ſie abzuhalten, auch die Gaſſen
mit Waſſer zu beſpritzen, um dadurch die Luft
abzukuͤhlen. — Die Stadt an und vor ſich iſt
ziemlich groß, reich und bevoͤlkert; ſie ſoll we-
der
[175] der mit Mauren noch Waͤllen umgeben ſeyn,
weil ihre Heiligkeit ſie beſchuͤtzt und wider alle
Anfaͤlle vertheidigt. Sie hat ſehr viele große,
und, nach arabiſcher Art, ſchoͤne Gebaͤude, weil
der vornehmſte Adel aus Hedsjâs hier wohnt,
und dieſe Stadt als das Waarenlager fuͤr In-
dien, Syrien, Egypten und die uͤbrigen tuͤrki-
ſchen Laͤnder angeſehen werden kann, und ſich
hier jaͤhrlich viele tauſend Kaufleute und Pil-
grimme, gleichſam um die Stadt zu bereichern,
verſammeln.


Unter dieſen merkwuͤrdigen Gebaͤuden unter-
ſcheidet ſich beſonders die Kaba, oder das ſo-
genannte Beit Allah d. i. das Haus Gottes,
welches ſchon vor Mohammed von den Arabern
in großen Ehren gehalten worden iſt, und itzt,
nach den mohammedaniſchen Geſetzen, von ei-
nem jeden, der ſich zu dieſer Religion bekennt,
und der das Vermoͤgen zu einer ſolchen Reiſe
hat, wenigſtens einmal beſucht werden ſoll *).


Wenn gleich die Mohammedaner keinem
Chriſten erlauben wollen, ſelbſt nach Mecca zu
reiſen; ſo ſind ſie doch willig genug ihnen ihre
Beſchreibungen von der Kaba zu zeigen, und
ſie von den Cerimonien, welche ihre Religion
den Pilgrimmen befiehlt, muͤndlich zu unter-
richten. Das Gebaͤude, welches in der Mitte
auf dem großen mit Schwibbogen umgebenen
Platz
[176] Platz ſteht, iſt eigentlich die Kaba, fuͤr welche
die Mohammedaner ſo viel Ehrfurcht haben,
daß ſie, in welcher Gegend der Welt ſie auch
ſeyn moͤgen, bey dem Gebet ihr Geſicht dahin
kehren. Die Urſache, warum ſie die Kaba ſo
in Ehren halten, iſt, weil ſie glauben, daß
Abraham ſie, um ſeine Andacht hier zu verrich-
ten, erbaut habe. Das Gebaͤude Abrahams
aber ſoll etwas mehr oͤſtlich geſtanden haben,
und man ſoll noch einige Ueberreſte von deſſen
Mauern, oder vielmehr Zeichen ſehen, wo ſie
geweſen ſind. Die Baukunſt iſt an der itzigen
Kaba gar nicht verſchwendet. Sie iſt nur ein
kleines Gebaͤude und viereckigt, wie bereits von
vielen Schriftſtellern iſt bemerkt worden. Die
Thuͤre iſt nach Suͤden (Sales ſagt, ſie ſey gegen
Oſten gelegt) und nicht in der Mitte, ſondern
mehr nach der ſuͤdweſtlichen Ecke, und ſo hoch,
daß man von der bloßen Erde mit der Hand,
kaum die Schwelle erreichen kann. Man ſteigt
zu derſelben auf keiner ſteinernen Treppe, ſon-
dern auf einer beweglichen hoͤlzernen Leiter.
Die Thuͤr der Kaba wird jaͤhrlich nur an zweyen
Tagen geoͤfnet, außerordentliche Faͤlle ausge-
nommen, und alsdenn iſt es auch einem jeden
nicht erlaubt, hinein zu ſteigen, ſondern nur
den Vornehmen, oder ſolchen, welche einige Ver-
bindung mit ihnen haben. Von den vielen
Koſtbarkeiten, welche nach dem Bericht einiger
Europaͤer in dieſem Gebaͤude ſeyn ſollen, hat
unſer Verfaſſer nichts gehoͤrt, vielmehr hat man
ihn
[177] ihn verſichert, daß nichts außerordentliches dar-
inn zu ſehen ſey.


Das Merkwuͤrdigſte an dieſem Gebaͤude
iſt der ſo genannte ſchwarze Stein, welcher in
der ſuͤdweſtlichen Ecke eingemauert iſt. Dieſen
Stein ſoll der Engel Gabriel zum Bau der Ka-
ba vom Himmel herabgebracht haben. Er ſoll
weiß, und wie ein mohammedaniſcher Geiſtli-
cher behauptete, ſo glaͤnzend geweſen ſeyn, daß
man ſein Licht vier Tagereiſen weit habe ſehen
koͤnnen. Er ſoll aber ſo ſehr uͤber die Suͤnden
der Menſchen geweint haben, daß er ſein Licht
nach und nach verlohren habe und endlich ganz
ſchwarz geworden iſt. Kein Koͤrper in der Welt
iſt wohl mehr geliebkoſet worden, als dieſer
Stein. So oft ein Mohammedaner um dieſe
Kaba geht, und ſeine Andacht verrichtet; ſo oft
kuͤßt er ihn auch, und wenn er wegen der Men-
ge der Menſchen dieſe Ehre nicht haben kann;
ſo ſucht er ihn doch wenigſtens mit der Hand
zu beruͤhren. Dieſer Stein iſt in Silber ein-
gefaßt, doch muß die Einfaßung nicht ſonder-
lich ſeyn.


Etwa auf zwey drittel der Hoͤhe dieſer Kaba
ſieht man rund um dieſelbe das beruͤhmte
ſchwarze ſeidne Tuch, auf welchem Spruͤche aus
dem Koran mit purem Golddraht genaͤht und
wovon die Buchſtaben ſo groß ſind, als die
Mohammedaner ſie ſonſt in ihren Innſchriften
an die Waͤnde zu mahlen, und in Holz oder
Steine auszuhauen pflegen. Dieſes koſtbare
MTuch
[178] Tuch wird in dem alten Pallaſte der ehemaligen
Beherrſcher von Egypten zu Kahira genaͤhet,
und jaͤhrlich auf Koſten des Sultans veraͤndert.
Die Rinne, worinn das Waſſer oben von dem
Dache herunter faͤllt, iſt von purem Golde.


Um die eigentliche Kaba geht ein Gelaͤnder
von metallenen Pfeilern, die durch Ketten, an
welchen ſilberne Lampen und Leuchter hangen,
verbunden ſind. Nahe bey dieſen ſind die vier
Gebethaͤuſer der verſchiedenen Secten der Sun-
niten, und der Platz, auf welchem Abraham
ſein Gebet ſoll gehalten haben, als die Kaba
gebauet worden. Hier iſt wahrſcheinlich auch
der Stein Abrahams. Um dieſen und um den
Stein Iſmaels ſcheinen ſich die Pilgrimme nicht
zu bekuͤmmern. — Auf dieſem großen Platze
ſind auch drey Gebaͤude. Eins iſt uͤber dem
Brunnen Zemſen, deſſen Waſſer bey den Mo-
hammedanern fuͤr ſehr ſchaͤtzbar gehalten wird,
und welcher durch ein Wunderwerk hat entſtehen
oder entdeckt werden muͤſſen. Die Hagar nem-
lich hat ihren Sohn Iſmael hier im Sande
niedergeſetzt, um allein deſto beſſer herumlaufen
und Waſſer ſuchen zu koͤnnen. Da aber dieſe
gute Frau lange vergebens geſucht hatte, und
betruͤbt zu ihrem Sohne zuruͤckkehrte, fand ſie
zu ihrer groͤßeſten Verwunderung, auf der
Stelle wo der kleine Knabe im Sande geſpielt
hatte, das Waſſer zwiſchen ſeinen Fuͤßen hervor-
quillen. — Eine Fabel, die, wie es ſcheint,
die Mohammedaner von den Catholiken uͤber-
kommen
[179] kommen haben. In den beyden uͤbrigen Ge-
baͤuden wird das Silbergeraͤth, Oehl, Wachs-
lichter u. d. gl. aufbewahrt. So weit Herr
Niebuhr. Itzt aber wollen wir von den Wall-
fahrten
ſelbſt reden.


Wir haben bereits geſagt, daß jeder recht-
ſchaffene Muſelmann wenigſtens einmal in ſei-
nem Leben, eine Reiſe nach Mecca thun muͤſſe.
Die eifrigen Anhaͤnger Mohammeds begnuͤgen
ſich aber damit nicht, und manche gehen alle
zehn Jahre dahin. Zu dieſer Abſicht ſchlaͤgt
man ſich zuſammen in Haufen, oder Karwa-
nen,
um im Stande zu ſeyn, ſich wider die
Araber zu vertheydigen, die die Pilgrimme an-
fallen, und ſie ohne Barmherzigkeit auspluͤn-
dern. Jaͤhrlich gehen fuͤnf große Karwanen
nach Mecca; eine aus Indien; eine aus Per-
ſien; eine von Damaſkus; eine von Cairo und
eine von den Mugrebins, welche die Kuͤſten der
Barbarey und die Laͤnder von Fetz und Maroc-
co, unter ſich begreift. Dieſe ſchließt ſich alle-
mal an jene von Cairo an, ſo, daß ſie auf hun-
dert tauſend Menſchen anwaͤchſt, Weiber und
Kinder darunter mit verſtanden. Von dieſer
letztern wollen wir hier reden; und ſie kann zum
Muſter dienen, um die uͤbrigen darnach zu
beurtheilen.


Die Andachtsreiſen erfordern eine unzaͤhlige
Menge Gebete und Cerimonien. Jede
Handlung, jeder Schritt, und ſo zu ſagen,
jede Bewegung des Pilgrimms iſt durch beſondre
M 2Kir-
[180] Kirchenverordnungen vorgeſchrieben, und hat
ihr eignes darauf eingerichtetes Gebet. Um ſich
zu dieſer beruͤhmten Wallfarth vorzubereiten,
muß man erſtlich ſeine Schulden bezahlen, (eine
noͤthige Vorſicht) ſich mit ſeinen Feinden aus-
ſoͤhnen, (ſehr chriſtlich gedacht) ſeiner Familie
ſo viel Geld zuruͤcklaßen, daß ſie unterdeſſen
leben kann, und zu den Reiſekoſten kein anders,
als ehrlich erworbenes Geld mitnehmen. Wenn
der Pilgrimm aus ſeinem Hauſe abgehet, ver-
neigt er ſich zweymal, und brummt ein Gebet
her. Hierauf nimmt er Abſchied von ſeiner Fa-
milie, und die Worte die er ſagt, ſind im Ge-
ſetze vorgeſchrieben.


Nach einigen Religionsuͤbungen, die ohn-
gefaͤhr drey Tage dauern, ließt man ſich einen
Obern aus, dem man ſich eidlich verbindet, ge-
horſam zu ſeyn. Nachdem man nun im eifri-
gen Gebete Gott um ſeinen Schutz angerufen
hat, begiebt man ſich auf den Weg. Damit
die Pilgrimme vor den Anfaͤllen der Araber
ſichrer ſeyn, giebt ihnen der Großherr einen
Paſcha mit, der die Karwane bedecken muß.
Man reiſt, wegen der großen Hitze, nur des
Nachts. Und wenn der Mond nicht ſcheint,
zuͤndet man Laternen an. Man hat keine andre
Eßwaaren, als die man bey ſich fuͤhrt; denn
man findet uͤberall wo man hinkommt nichts,
ja nicht einmal trinkbares Waſſer. Der Zug
geſchicht in Ordnung, und jedes haͤlt ſich zu ſei-
nem Vorgeſetzten, die auf Kameelen reiten.
Die
[181] Die Kameele gehen, eins an des andern Schwanz
gebunden, hinter einander her, und die vorder-
ſten fuͤhren. Auf dem ganzen Wege, der ohn-
gefaͤhr ſechs bis ſieben und dreyßig Tage betraͤgt,
werden Verſe aus dem Koran geſungen. Die
Begierde, dieſe Pflicht zu erfuͤllen, iſt ſo groß,
daß manche ganz entkraͤftet hinfallen und unter
dem Singen ſterben. Zuerſt geht die Reiſe
auf den Berg Arat, wo die Pilgrimme einen
Theil ihrer Kleider ablegen, und einen weiſſen
Mantel umhaͤngen. Sie gehen in Proceſſion
um den Berg herum, und veranſtalten hernach
ein Schlachtopfer, zum Gedaͤchtniß des Opfers
Abrahams. Zwey Tage vorher, ehe ſie nach
Mecca kommen, legen ſie vollends ihre Kleider
ab, und machen ſich Sohlen an die Fuͤße, um
die heilige Erde nicht mit bloßen Fuͤßen zu be-
treten.


Auf dieſe Art bringen ſie acht Tage lang ſehr
eingezogen hin, ſie beten unaufhoͤrlich, theilen
viele Almoſen aus und eſſen nur des Abends.
Nach Verlauf dieſer Zeit wird die Reiſe fortge-
ſetzt, und ſo bald man, auch in der groͤßeſten
Entfernung, die Thore der Stadt erblickt,
faͤllt man nieder, und beruͤhrt die Erde dreymal
mit der Stirne. Man geht nachher, unter
Anſtimmung geiſtlicher Geſaͤnge, zu Ehren des
Propheten vollends in die Stadt. Die Wall-
farth nach dem Kaba dauert nur drey Tage,
und derjenige, der zuerſt den ſchwarzen Stein
kuͤßt, wird fuͤr einen Heiligen gehalten; es muß
M 3aber
[182] aber an einem Freytage, und an einem von den
dreyen Tagen geſchehen, auch am Ende eines
langen Gebets: Jedermann wirſt ſich alsdann
dem Heiligen zu Fuͤßen und kuͤßt ihn. Es er-
eignet ſich aber oftmals, daß er bey dem großen
Zulaufe erdruͤckt wird. Nach den dreyen Tagen
wird eine Proceſſion um den Kaba gehalten,
und die folgende Nacht bleibt man in Minet,
einem Dorfe, das drey Meilen davon liegt.
Den andern Morgen als an dem kleinen Bai-
ram-Feſte, nimmt jeder ſeine Kleider wieder,
und ſchlachtet etliche Schaafe, die unter die Ar-
men vertheilt werden. Das Poſſierlichſte bey
dieſer Reiſe iſt, daß die Pilgrimme verbunden
ſind, auf die Zeit, da ſie ſich in Mecca aufhal-
ten, ſie ſey auch noch ſo kurz, ſich zu verhey-
rathen.
Die Weiber die ſie nehmen, und aus
dem Lande find, haben auf dieſe Art alle Jahre
einen andern Mann. Die Kinder die aus die-
ſer fluͤchtigen Ehe gezeugt werden, haben ſich
einer gewiſſen Achtung zu erfreuen, weil man
glaubt, daß ihre Geburt dem Gebete des Pro-
pheten zuzuſchreiben ſey.


Wenn man aus Mecca wieder abreiſt,
wird der Weg abermals uͤber den Berg Arat
genommen, wo man ſich drey Tage lang aufzu-
halten pflegt. Jeden Tag muß man aber ſieben
Steine auf den Berg werfen, und ſiebenmal
um ihn herum gehen. Dieſe Steine werden
dem Teufel an den Kopf geworfen, der es ſich
unterſtand, Abraham an dieſem Orte zu verſu-
chen
[183] chen, und ihm vorſchlug, er ſollte den Iſmael
anſtatt des Iſaaks opfern. Man begiebt ſich
nachher wieder nach Minet, und verehrt daſelbſt
eine Vertiefung in einem Felſen, die durch des
Mohammeds Kopf entſtanden iſt, der, bey ei-
nem gethanen Fehltritt, wider den Felſen ſtieß,
dieſer aber ſo gleich ſich erweichte, daß der Pro-
phet nicht beſchaͤdigt wurde. Es iſt dieſes die
letzte Handlung der Pilgrimme, nach welcher ſie
von dem Iman den Seegen erhalten, ſich auf-
machen und den Weg nach Medina antreten.


Diejenigen Pilgrimme, die von Mecca nach
Jeruſalem gehen, und den Tempel Salo-
mons
beſuchen, ſtehen wegen dieſer doppelten
Reiſe in großen Anſehen. Man ſetzt alles moͤg-
liche Vertrauen in ſie, und wenn ſie vor Gerich-
te erſcheinen, koͤnnen ſie ſicher falſche Zeugniße
ablegen, ohne daß ſich jemand unterſtehen wuͤrde,
ihnen zu widerſprechen, oder ſie zu beſchuldigen.


Die Wallfarth nach Medina geſchieht nicht
aus Schuldigkeit: ſie hat auch nicht ſo viel
Rechte als die erſte, welche von allen loßzaͤhlt;
ſelbſt von den Verbrechen, wovon man vor Ge-
richt nicht ſo davon kommen wuͤrde. Indeſſen
gehen doch alle, ſo nach Mecca reiſen, auch hin
nach Medina.


Dieſe Stadt liegt in einer Ebene, drey Ta-
gereiſen von Yambon, einer kleinen Stadt und
Hafen, am rothen Meere: ſie iſt weder ſo groß
noch ſo reich als Mecca. Sie iſt aber beſſer
gebauet und vielleicht iſt auch ihr Handel faſt
M 4eben
[184] eben ſo betraͤchtlich. Man bewundert die
Schoͤnheit ihrer Moſkeen: und diejenige, die
man die große Moſkee nennt weil Mohammeds
Grab darinn verwahrt wird, liegt mitten in der
Stadt auf einer Hoͤhe. Der Eingang dazu
beſteht aus einem Periſtil, von marmornen Do-
riſchen Saͤulen, die aber miſerabel gearbeitet
und zu ſtark ſind.


Das Grab des Propheten iſt in einem Thur-
me, oder runden Gebaͤude verwahrt, das mit
einer Kuppel uͤberbaut iſt, welche Turba genennt
wird. Dieß runde Gebaͤude iſt von der Haͤlfte
bis an die Kuppel offen, und mit einem Gange
umgeben, in deſſen Mauer viel Fenſter mit ſil-
bernen Gittern, angebracht ſind. Die Mauer
des Gebaͤudes hat keine Oefnung, ſie iſt aber
mit einer ſo großen Menge koſtbarer Steine
und Diamanten bedeckt, beſonders an dem Or-
te, der auf dem oberſten Theil des Sarges trift,
daß vielleicht kein reicherer Ort zu finden iſt.
Man bewundert unter andern zwey Diamanten,
davon der eine zwey Finger breit, und nach
Verhaͤltniß lang iſt; der andre, noch groͤßere,
iſt nur die Haͤlfte von einem, den Osmann,
Achmets Sohn, zerſchneiden ließ, und die eine
Haͤlfte nach Medina ſchickte die andre aber fuͤr
ſich behielt und ſeinen Turban damit ſchmuͤckte.
Dieſen haben die Großherrn ſeitdem beſtaͤndig
getragen, und man haͤlt ihn fuͤr den ſchoͤnſten
im ganzen Reiche. In die Galerie, und in den
Turba geht man, nach dem Bericht einiger
Schrift-
[185] Schriftſteller, durch Thuͤren von gediegenem
Silber, mit zweyen Fluͤgeln, wie die von dem
Kaba. Die Pilgrimme kommen nicht in den
Turba; das Gedraͤnge wuͤrde zu groß ſeyn:
ſie ſehen alſo nur die Koſtbarkeiten der Galerie.
Wenn ſie weg ſind, laͤßt man ſich die Thuͤre des
Gebaͤudes aufmachen.


Der Sarg des Mohammeds ſteht zwiſchen
des Abubeker und Omar ihren, auf der Erde,
dem uͤbrigen Boden gleich. Der eiſerne Sarg
alſo, von dem man ſagt, daß er vermittelſt eines
in dem Gewoͤlbe angebrachten Magneten in der
Hoͤhe erhalten wuͤrde, iſt eine bloße Fabel. Er
iſt von weiſſem Marmor, und mit einem reichen
Teppiche bedeckt, wie die von den Groß-Sul-
tanen, und tuͤrkiſchen Paſchen. Drey tauſend
ſilberne Lampen brennen beſtaͤndig in dem Be-
graͤbniße, und das Oehl, das dazu gebraucht
wird, iſt ſo rein, daß es nicht den geringſten
Geruch von ſich giebt. Die Thorheiten, die
um den Grabe gemacht werden — uͤbergehen
wir. Wir begnuͤgen uns damit, zu wiſſen,
daß Mecca und Medina der Mittelpunct des
mohammedaniſchen Aberglaubens ſind und folg-
lich kann man ſich die dabey vorgehenden Aus-
ſchweifungen ſehr leicht vorſtellen.



M 5Drittes
[186]

Drittes Kapitel.


Von der Kleidung — Vom Eſſen und
Trinken und Wohnung der Araber.


Die Araber tragen, ſo wie die Tuͤrken und
Indianer, lange Kleider, doch ſind ſie in
einigen Stuͤcken ſehr von einander verſchieden.
Die vom mittlern Stande in Jemen haben
weite Beinkleider, und uͤber dieſelben in Tehâma
ein weites weiſſes, in der bergigten Gegend aber
blau und weiſſes Hemd mit ſehr langen und
weiten Ermeln. Sie tragen gemeiniglich einen
geſtickten, oder mit Silber beſchlagenen ledernen
Guͤrtel und in demſelben mitten vor dem Leibe,
ein breites krummes und vorne ſpitziges Meſſer,
mit der Spitze nach der rechten Seite. Ihr
Oberkleid geht nur ein paar Handbreit unter die
Knie, und hat keine Ermel aber Unterfutter.
Auf der einen Schulter tragen ſie ein großes
feines Tuch, eigentlich, um ſich damit bey reg-
nigten Wetter zu bedecken, und bey Sonnen-
ſchein ſich gegen die Hitze der Sonne zu ſchuͤtzen,
itzt aber auch bloß zur Zierrath. Ihr Kopfputz
iſt ſowohl koſtbar als unbequem. Denn ſie
tragen zehn bis funfzehn Muͤtzen uͤber einander,
wovon zwar einige nur von Leinwand, andre
aber auch von dicken Laken und Baumwolle aus-
genaͤht ſind, und die oberſte iſt zuweilen koſtbar
mit
[187] mit Gold brodirt. Gemeiniglich findet man
auf den Muͤtzen die Worte: la allah illa allah,
Mohammed raſſul allah, oder auch einen andern
Spruch aus dem Koran. Dieß iſt noch nicht
die ganze Laſt, die ein Araber auf dem Kopfe
tragen muß, ſondern er windet um die Menge
Muͤtzen ein großes feines Neſſeltuch. Dieß
hat an beyden Enden ſchoͤne ſeidne und wohl
gar goldene Franzen, die man zwiſchen den
Schultern auf dem Ruͤcken herunter hengen
laͤßt. Es wuͤrde ſehr unbequem ſeyn dieſe große
Laſt beſtaͤndig auf dem Kopfe zu tragen. Die
Araber ſetzen deswegen in ihren Haͤuſern, oder
bey guten Freunden bisweilen alles, bis auf ein
oder zwey von den unterſten Muͤtzen bey ſich
nieder, und beym Weggehen ſetzen ſie ihren Tur-
ban ſo bequem wieder auf den Kopf, als wir
unſre Peruquen. Aber niemand kann vor ei-
nem Großen anſtaͤndig ohne Turban erſcheinen,
und diejenigen, welche gern einen Gelehrten af-
fectiren wollen, pflegen einen beſondern großen
Turban zu haben.


Die Schuhe der Araber mittlern Standes
beſtehen, ſo wie der gemeinen Araber ihre, nur
aus einer Sohle, mit einem oder ein paar Rie-
men uͤber den Fuß, und einem uͤber den Hacken.
Die Araber tragen bisweilen in ihren Haͤuſern
die in allen morgenlaͤndiſchen Laͤndern gebraͤuch-
lichen hoͤlzernen Pantoffeln. — In Natolien,
wo es ſo kalt iſt, daß man nicht mit bloßen Fuͤ-
ßen gehen kann, winden die armen Einwohner
große
[188] große Tuͤcher um ihre Fuͤße und Beine, und
um dieſe binden ſie lange Riemen, oder Stricke,
die an der Sohle befeſtigt ſind. Dieſe Sohlen
ſind oft nur von unzubereiteten Leder.


Die vornehmen Araber in Jemen tragen
eben ſolche weite Beinkleider, Hemden und ei-
nen eben ſo großen Turban, desgleichen ein
ſolch Meſſer vor dem Leibe, wie die vom mit-
lern Stande. Sie haben uͤberdieß eine Weſte
mit engen und einen weiten Rock, mit ſehr
weiten Ermeln. Auch entweder gelbe tuͤrkiſche
Pantoffeln oder Schuh, wie ſie itzt in Holland
getragen werden.


Der gemeine Araber hat nur ein paar Muͤ-
tzen auf dem Kopfe, und ſeinen Saſch oder
Turban nachlaͤßig um ihn gebunden. Einige
haben Beinkleider und nur ein Hemde, viele
aber, ſtatt derſelben, nur ein Tuch, welches
ihnen von der Huͤfte bis an die Knie herunter
haͤngt, einen großen Guͤrtel vor dem Leibe, und
noch ein großes Tuch blos auf der Schulter.
Sie gehen uͤbrigens nackend, und tragen ſelten
Schuhe. Man kann alſo leicht denken, daß
die Haut unter ihren Fuͤßen ſehr dick und hart
werden muͤſſe. In bergigten und alſo kaͤltern
Gegenden, traͤgt der gemeine Mann auch Schaaf-
pelze. Die vornehmen Araber haben zwar Ta-
ſchen in ihren Weſten, nemlich, eine an der ei-
nen Seite, und die andre auf der Bruſt. Die
vom mitlern und geringern Stande aber, ver-
wahren ihren Geldbeutel, ihr Feuerzeug,
Schnupf-
[189] Schnupftuch u. d. gl. in ihren großen
Guͤrtel.


Man vermuthet vielleicht nicht, daß die er-
waͤhnte wenige Kleidung, auch die Bettkleider
eines gemeinen Arabers ausmacht. Er breitet
aber ſeinen großen Guͤrtel aus, und ſo hat er
ein Unterbette. Mit dem Tuche, welches er auf
der Schulter traͤgt, bedeckt er ſich den ganzen
Koͤrper und das Geſicht, und ſchlaͤft nackend
zwiſchen dieſen beyden Tuͤchern ganz ruhig und
zufrieden. Die Einwohner der bergigten Ge-
genden, ſchlafen oft ganz nackend, in großen
Saͤcken. Hierinn liegen ſie nicht nur warm,
ſondern ſind auch mit wenig Muͤhe gegen Floͤhe,
Muͤcken u. ſ. w. geſchuͤtzt, wenn ſie ihr Bette
nur umkehren und abſchuͤtteln.


In dem Koͤnigreiche des Imâms laͤßt ſo-
wohl der geringe als vornehme ſeinen Kopf
ſcheeren. In andern Gegenden von Jemen
aber, laſſen alle Araber, ſelbſt die Schechs ih-
re Haare lang wachſen, und tragen weder Muͤ-
tzen noch Saſch, ſondern ſtatt derſelben ein
Schnupftuch, in welches alle Haare ruͤckwaͤrts
auf dem Nacken liegend, eingebunden ſind.
Einige laſſen ihre Haare bis auf die Schuhe
herunter haͤngen, und binden, ſtatt des Tur-
bans, ein kleines Strickchen um den Kopf.
Die Bedouinen auf der Graͤnze von Hedsjas
und Jemen tragen eine Muͤtze von geflochtenen
Dattelblaͤttern. Faſt alle Araber haben einige
in Leder genaͤhete Amulete, oder auch einen
Stein
[190] Stein in Silber eingefaßt, uͤber dem Elbogen
auf dem Arm, und ſchlechte Ringe an den Fin-
gern. Goldne Ringe und koſtbare Steine ſieht
man ſelten bey einem Mohammedaner. Man
ſagt, daß ſie den Geſetzen nach verbunden ſind,
ſelbige waͤhrend ihrer Andacht abzulegen, wenn
ihr Gebet erhoͤrt werden ſoll.


Das Oberkleid, welches man Abba nennt,
hat unſer Verfaſſer nur auf der Weſtſeite von
Arabien, nur bey reiſenden Kaufleuten geſehen.
Auf der Oſtſeite dieſer Halbinſul, und vornem-
lich in der Landſchaft Lachſa, iſt es aber die
allgemeine Kleidung, ſowohl der Maͤnner als
der Weiber. Die arabiſchen Schechs auf der
tuͤrkiſchen Graͤnze kleiden ſich fuͤrnemlich, wenn
ſie zur Stadt kommen, meiſtentheils tuͤrkiſch.


Viele Araber tragen, wie geſagt, gar keine
Beinkleider, dagegen haben die Araberinnen in
der bergigten Gegend, ſich derſelben voͤllig be-
maͤchtigt. Die ganze Kleidung der gemeinen
arabiſchen Weiber, beſteht aber nur auch in
Beinkleidern und einem weiten Hemde, beydes
von blauer Leinewand, und mit einigen Zierra-
then von verſchiedenen Farben gemahlt. Die
Weiber in Tehâma tragen ſtatt der Beinkleinder
ein breites Tuch um die Huͤfte gebunden. Die
in Hedsjas, haben ſo wie die in Egypten, ein
ſchmales Stuͤck Leinewand vor dem Geſichte,
ſo, daß wenigſtens beyde Augen frey ſind. In
einigen Gegenden von Jemen halten ſie, wenn
ſie auf der Straße erſcheinen, einen großen
Schleier,
[191] Schleier, den ſie uͤber dem Kopf hengen haben,
ſo vor das Geſicht, daß kaum das eine Auge
frey bleibt. Zu Sana Taas und Mochhe, ha-
ben ſie das ganze Geſicht mit einem Flor bedeckt.
Einige Weiber zu Sana haben es zuweilen mit
Gold brodirt. Sie tragen uͤberdieß eine Men-
ge Ringe um die Armen und um die Finger,
und bisweilen in der Naſe und den Ohren, ei-
nige Reihen Glasperlen um den Hals, ſo, wie
die Weiber in Egypten und bey dem Berge Si-
nai. Ihre Naͤgel faͤrben ſie blutroth, und ih-
re Haͤnde und Fuͤße braungelb. Auch das In-
wendige der Augenlieder, pechſchwarz, mit ei-
ner Farbe die aus Bleyerz verfertigt wird. Sie
vergroͤßern nicht nur ihre Augenbraunen, ſon-
dern mahlen ſich auch noch andre ſchwarze Zier-
rathen ins Geſicht und auf die Haͤnde. Ja, ſie
durchſtechen ſich deswegen die Haut, und legen
gewiſſe Materien auf die Wunde, welche die
Zierrathen ſo tief einfreſſen, daß ſie Zeitlebens
nicht vergehen.


Dieß halten die arabiſchen Damen fuͤr
ſchoͤn.


So gar einige Mannsperſonen ſtreichen Koͤ-
chel in ihre Augen, unter dem Vorwande, daß
es das Geſicht ſtaͤrke, da ſie doch von ehrbaren
Leuten fuͤr petis Maitres, oder um dieß veraͤcht-
liche Wort zu uͤberſetzen, fuͤr Kleinmeiſter
(denn ſolche Herren ſind wahrhaftig an Ver-
ſtande klein) gehalten werden. Dieſe faͤrben
auch ihre Naͤgel roth, und diejenigen, welche
faſt
[192] faſt nackend gehen, beſchmiren bisweilen ihren
ganzen Koͤrper mit einem gewiſſen Kraute, daß
ſie ganz braungelblich macht. Vielleicht, weil
die braungelbe Farbe ihnen beſſer gefaͤllt, als
die natuͤrliche Fleiſchfarbe, oder auch um andern
einzubilden, daß unter der Larve eine Schoͤn-
heit ſey *). Die Araberinnen in den niedrigen
und heiſſen Gegenden, ſind von Natur braun-
gelb. In den kaͤltern bergigten Gegenden aber,
findet man ſelbſt unter den Bauermaͤgdchen, ſehr
huͤbſche Geſichter.


Die Juden in Jemen, ſehen beynahe ſo
aus, als die polniſchen. Sie gehen nur nicht
ſo bettelmaͤßig einher, und halten ſich reinlicher.
In
[193] In dieſer Provinz duͤrfen ſie keinen Saſch tra-
gen, und haben deswegen nichts weiter auf dem
Kopfe, als eine ganz kleine Muͤtze. Ob ſie
gleich blos dadurch von andern Nationen unter-
ſchieden werden koͤnnen; ſo laſſen ſie doch an
beyden Seiten einen großen Zopf Haare uͤber
die Ohren herunter haͤngen. Man erlaubt ih-
nen hier keine andre Kleider, als von blauer
Farbe zu tragen. Ihre Beinkleider, ihr Hem-
de, ihr Guͤrtel und ihr Oberrock, iſt deswegen
alles von blauer Leinewand.


Den Bonianen in Jemen, ward vor eini-
gen Jahren, da ſie ſich noch, wie in Indien,
ganz weiß trugen, anbefohlen, ſich roth zu klei-
den. Weil ſie aber eine große Summe an den
Iman bezahlten; ſo wurde der Befehl zwar zu
der Zeit zuruͤck genommen, aber ſie erhielten
doch bald darauf einen neuen Befehl, daß ihr
Turban kuͤnftig roth ſeyn ſollte. Nun hatten
ſie nicht Luſt mehr Geſchenke zu machen, und
gehorchten. Sie gehen alſo jetzt weiß, mit ei-
nem rothen Turban. Die Bonianen und Ju-
den duͤrfen in Jemen kein Gewehr, und alſo
auch nicht das große arabiſche Meſſer tragen.


Den Europaͤern, welche nach Arabien kom-
men, iſt es erlaubt, Gewehr zu tragen. Sie
koͤnnen ſich auch nach eignen Gefallen kleiden.
Es iſt aber des neugierigen und bisweilen un-
nuͤtzen Poͤbels wegen am beſten, wenn ſie ſich
nach Landesmanier kleiden, und alſo nur wenig
bemerkt werden.


NDie
[194]

Die Morgenlaͤnder haben nicht nur verſchie-
dene Moden in ihrer Kleidung, ſondern auch
in der Manier ihren Bart wachſen zu laſſen.
Die Juden in der Tuͤrkey, Arabien und Per-
ſien, laſſen alle ihren Bart, von Anfang an,
wachſen, und dieſer iſt allezeit darin von den
Baͤrten der Chriſten und Mohammedaner ver-
ſchieden, daß die Juden ihn vor den Ohren und
an den Schlaͤfen nicht abſcheeren, anſtatt, daß
die Baͤrte der uͤbrigen oben ſpitz zu laufen. Die
Araber halten den Knebelbart ganz kurz, und
einige ſcheeren ihn ganz weg, den eigentlichen
Bart aber niemals. In der bergigten Gegend
von Jemen, wo man nicht gewohnt iſt, Frem-
de zu ſehen, ſcheint es ſo gar eine Schande zu
ſeyn, mit einem geſchornen Barte zu gehen.


Unſer Verfaſſer verſichert, keinen von ara-
biſchen Vorfahren gebohrnen Araber geſehen zu
haben, der nicht in ſeinen beſten Jahren, einen
ſchwarzen Bart gehabt haͤtte. Dagegen hat er
einige alte angetroffen, die ihren weißen Bart
roth angefaͤrbt hatten, man ſagte aber, daß ſie
dadurch ihr Alter verbergen wollten. Dieſe
Gewohnheit wird alſo mehr getadelt, als fuͤr
ſchoͤn gehalten. Die Perſer faͤrben ihren ſchon
ſchwarzen Bart, oft noch ſchwaͤrzer, und fah-
ren damit wahrſcheinlich auch in ihrem Alter
fort, um noch immer ein junges Anſehen zu
haben. Fuͤr einen ehrbaren Tuͤrken wird es
fuͤr unanſtaͤndig gehalten, ſeinen Bart ſchwarz
zu faͤrben, indeſſen ſollen es doch viele Vorneh-
me
[195] me thun. Dieſes ſcheint fuͤr manche junge
Herren von dieſer Nation, die ihre Schoͤnheit
erhoͤhen wollen, auch nothwendig zu ſeyn, weil
die ſchwarzen Baͤrte unter den Tuͤrken nicht ſo
allgemein ſind, als bey den mehr ſuͤdlich woh-
nenden Arabern und Perſern.


Wenn die Tuͤrken, welche ihren Bart in
ihren juͤngern Jahren geſchoren haben, ihn wol-
len wieder wachſen laſſen; ſo beobachten ſie da-
bey einige Cerimonien. Sie beten nemlich ein
Fatha, welches als ein Geluͤbde angeſehen
wird, daß ſie ihren Bart niemals wieder ſchee-
ren laſſen wollen. Die Mohammedaner glau-
ben vielleicht, daß die Engel in ihrem Barte
wohnen, und daß ſie ihn deswegen nicht abſchee-
ren duͤrfen, wie einige Reiſende bemerkt haben.
Es iſt aber auch gewiß, daß, wenn einer ſeinen
Bart hat wachſen laſſen, und ihn nachher wie-
der abſcheert, er dafuͤr ſcharf beſtraft werden
kann. Die Glaubensgenoſſen verſpotten ihn
daruͤber.


Die Araber ſind von mittler Statur, ma-
ger und gleichſam von der Hitze ausgedoͤrrt.
Sie ſind aber ſehr maͤßig in Eſſen und Trinken.
Der gemeine Araber trinkt gemeiniglich nichts
als Waſſer, und genießt faſt kein andres Eſſen,
als friſch gebacknes ſchlechtes Brodt von Dur-
ra, (welches eine Art Hirſe iſt) mit Butter,
Oehl, Fett oder Kameelsmilch, durchknetet.
Dieß Brodt iſt fuͤr einen Europaͤer faſt uneß-
bar, die Einwohner aber genießen es mit dem
N 2groͤße-
[196] groͤßeſten Appetit, ja bisweilen lieber als Wai-
zenbrodt, welches ſie zu leicht finden.


Die Araber haben verſchiedene Manieren,
ihr Brodt zu backen. Wenn der Ofen, worin
ſie ihr Durra backen wollen, heiß genug iſt; ſo
wird der Teig oder vielmehr Kuchen, inwendig
an die Seiten des Ofen geklappet, ohne daß
die Kohlen herausgenommen werden, und dann
macht man den Ofen zu. Dieß Brodt wird
ſchon wieder aus dem Ofen genommen, ehe es
fuͤr einen Europaͤer kaum halb ausgebacken ſeyn
wuͤrde, und ganz warm gegeſſen. Die Araber
in der Wuͤſte bedienen ſich einer eiſernen Platte,
um ihre Brodtkuchen zu backen, oder ſie legen
einen runden Klumpen Teig in heiße Kohlen
von Holz oder Kameelmiſt, bedecken ihn ganz
damit, bis das Brodt ihrer Meynung nach, gar
iſt: alsdenn ſchlagen ſie die Aſche davon ab,
und eſſen es ganz warm. — Die Araber in
den Staͤdten, haben faſt eben ſolche Backoͤfen,
als wir. Dieſen fehlt es auch nicht an Wai-
zenbrodt. Es hat die Figur und Groͤße unſrer
Pfannkuchen, und iſt ſelten genug gebacken.
Die uͤbrige Nahrung der Morgenlaͤnder, beſteht
vornemlich in Reis, Milch, Butter, Cheimat
oder dicken Milchrahm, und allerhand Garten-
fruͤchten. Es fehlt ihnen auch nicht an Fleiſch-
ſpeiſen. Dieſe werden aber in den heißen Laͤn-
dern nur wenig genoßen, weil alles Fleiſch da-
ſelbſt fuͤr ungeſund gehalten wird. Sie kochen
ihr
[197] ihr Eſſen allezeit unter einem Deckel, welches
es ſehr ſchmackhaft macht.


Der Tiſch der Morgenlaͤnder, iſt nach ihrer
Manier zu leben eingerichtet. Da ſie, wie be-
kannt, auf der Erde ſitzen; ſo breiten ſie ein
großes Tuch mitten im Zimmer auf dem Fuß-
boden aus, damit die abfallenden Brocken nicht
verſchuͤttet und die Tapeten nicht beflecket wer-
den. Auf dieſes Tuch ſetzen ſie einen kleinen
Schemel, der eine große runde kupferne, und
ſtark verzinnte Platte traͤgt, auf welcher das
Eſſen in verſchiedenen kleinen kupfernen, allezeit
in und auswendig gut verzinnten Schuͤſſeln,
aufgetragen wird. Bey den vornehmen Ara-
bern findet man, ſtatt der Servietten, ein lan-
ges Tuch, welches alle die um den Tiſch ſitzen,
auf den Schooß legen. Wo dieſes fehlet, da
nimmt jeder, ſtatt der Serviette, ſein eignes
kleines Tuch, das er bey ſich traͤgt, um ſich da-
mit abzutrocknen, wenn er ſich gewaſchen hat.
Meſſer und Gabel gebrauchen ſie nicht. Die
Tuͤrken haben zuweilen bey ihren Mahlzeiten
Loͤffel von Holz oder von Horn. Die Araber
ſind ſo gewohnt, ihre Hand als einen Loͤffel zu
gebrauchen, daß ſie des Loͤffels bey der mit
Brodt durchkneteten Milch entbehren koͤnnen.


Bey einer europaͤiſchen Tafel bezeigen ſich
die Mohammedaner, nach unſrer Art, ſehr un-
geſittet. Sie zerreißen das Fleiſch mit den Fin-
gern, welches fuͤr einen, ders nicht gewohnt iſt,
ſehr widerlich ſeyn muß. Wenn ſie es gleich
N 3ver-
[198] verſuchen wollen, Gabel und Meſſer zu gebrau-
chen; ſo iſt es ihnen doch ſo muͤhſam, daß ſie
bald zu ihrer alten Manier zuruͤckgehen. Sie
laſſen alle ihre Fleiſchſpeiſen in kleine Stuͤcken
zerſchnitten auftragen. Sie eſſen nur mit der
rechten Hand, die linke aber dient ihnen zum
waſchen der unreinen Theile des Leibes.


So unangenehm es alſo fuͤr einen neu an-
kommenden Europaͤer iſt, mit Leuten zu eſſen,
die die Speiſen mit den Fingern aus der Schuͤſ-
ſel nehmen; ſo gewoͤhnt man ſich doch bald
daran, wenn man mit ihrer Lebensart naͤher
bekannt wird. Weil die Mohammedaner ihrer
Religion nach verpflichtet ſind, ſich fleißig zu
waſchen; ſo iſt es ſchon deswegen ſehr wahr-
ſcheinlich, daß ihre Koͤche das Eſſen wenigſtens
eben ſo reinlich zubereiten, wie die europaͤiſchen.
Sie ſind ſo gar verpflichtet, die Naͤgel ſo kurz
zu halten, daß ſich nichts unreines darunter
ſetzen kann, weil ſie glauben, daß ihr Gebet
kraftlos ſey, wenn ſie auch nur die geringſte
Unreinigkeit an ihrem Leibe haben. Da ſie nun
auch vor dem Eſſen, Haͤnde, Mund und Na-
ſe, gemeiniglich auch mit Seife, waſchen; ſo
ſcheint es einem zuletzt gleichguͤltig, ob einer das
Eſſen mit reinen Fingern, oder mit der Gabel
aus der Schuͤſſel nimmt.


Bey den vornehmen Schechs, in dem wuͤ-
ſten Arabien, welche zu einer Mahlzeit nicht
mehr als Pilau, d. h. gekochten Reis, verlan-
gen, wird eine ſehr große hoͤlzerne Schuͤſſel voll
auf-
[199] aufgetragen, und bey dieſer ſetzt ſich eine Par-
they nach der andern, bis die Schuͤſſel leer iſt,
oder bis alle geſaͤttigt ſind. — Im Oriente ißt
man gemeinigleich ſehr geſchwinde; und unſer
Reiſebeſchreiber erzaͤhlt, daß er mit an einem
Tiſche geſpeißt habe, wo ſie in Zeit von ohnge-
faͤhr zwanzig Minuten, mehr als vierzehn leere
Schuͤſſeln zuruͤckgeſchickt haͤtten. Das laͤßt
ſich ſehr gut begreifen, da ſie die Schuͤſſeln nicht
mit Meſſer oder Gabel, ſondern mit der flachen
Hand beſucht haben. — Wenn gleich das
Tiſchgebet der Mohammedanern ſehr kurz iſt;
ſo verrichten ſie es doch mit vieler Andacht.
Wenn ſie ſich zu Tiſche ſetzen; ſo ſagen ſie:
Bism allàh errachman errachhìm, d. i. im Na-
men des barmherzigen und gnaͤdigen Gottes:
und wenn einer nicht mehr eſſen will; ſo ſteht
er auf, ohne auf die uͤbrige Geſellſchaft zu war-
ten, und ſagt: Elhâmd billah, d. i. gelobet
ſey Gott. Sie trinken nur ſelten zwiſchen dem
Eſſen, ſondern ſie nehmen, wenn ſie ſich nach der
Mahlzeit wieder gewaſchen haben, einen guten
Trunk Waſſer, und darauf eine Taſſe Kaffee.


„Der Kaffee iſt eins von den gewoͤhnlichſten
Getraͤnken der Araber. Vielleicht duͤrfte es ei-
nem Theile unſrer Leſer nicht unangenehm ſeyn,
ihnen einige naͤhere Umſtaͤnde von dem Baume,
aus deſſen Frucht der Kaffee verfertiget wird,
zu erzaͤhlen! — Das Koͤnigreich Yemen, mit
Ausſchließung aller andern Provinzen von Ara-
bien, erzeugt den Kaffeebaum. Er waͤchſt,
N 4nach
[200] nach dem Berichten glaubwuͤrdiger Reiſenden,
ſechs bis zwoͤlf Fuß hoch. Seine Staͤrke
betraͤgt zehn, zwoͤlf und funfzehn Zoll im Um-
fange. Weil er ſich in die Runde ausbreitet,
und die unterſten Zweige ſich gemeiniglich kruͤm-
men; ſo hat er, wenigſtens in gewiſſen Jahren,
die Geſtalt eines Sonnenſchirms. Die Rinde
iſt weißlich, und etwas rauh. Sein dunkel-
gruͤnes Blatt gleicht dem Citronenblatte, und
die weiße Bluͤte hat fuͤnf kleine Blaͤtter, wie
der Jeſmin. Der Geruch davon iſt angenehm,
und hat etwas balſamiſches, der Geſchmack aber
iſt bitter.


Der Kaffee kommt aus dem Saamen, und
wird nicht durch Steckreiſer fortgepflanzt. Es
iſt ein immer gruͤnender Baum, der ſeine Blaͤt-
ter nie auf einmal verliert. Er liebt den feuch-
ten Boden, daher er unten an den Bergen und
laͤngſt den Baͤchen haͤufig waͤchſt, welches in
der Landſchaft eine uͤberaus angenehme Ausſicht
veranlaßt.


So bald die Bluͤte des Kaffeebaums ab-
faͤllt, ſieht man eine kleine, anfaͤnglich ganz
gruͤne Frucht, die aber, wenn ſie reifet, ganz
roth wird, und beynahe wie eine große Kirſche
ausſieht: ſie iſt von gutem Geſchmacke, nahr-
haft und kuͤhlet ſehr. Unter dem Fleiſche der
Kirſche findet man anſtatt des Kerns, die Boh-
ne,
die man Kaffee nennt. Dieſe Bohne iſt
mit einer ſehr feinen Haut umgeben, welche an-
faͤnglich weich iſt, und angenehm ſchmeckt, nach
und
[201] und nach aber hart wird. Wenn die Kirſche
durch die Sonnenhitze ganz und gar vertrocknet
iſt; ſo wird aus dem Fleiſche, daß man eſſen
konnte, eine braͤunliche Huͤlſe, die die erſte Rin-
de oder aͤußerliche Schale des Kaffee macht.
Die Bohne iſt alsdann hart und von einer ſehr
hellgruͤnen Farbe. Jede Huͤlſe hat nur eine
Bohne, die ſich gemeiniglich in zwey Haͤlften
theilt: und eine jede Haͤlfte iſt das, was wir
eine Kaffeebohne heißen.


Da der Kaffeebaum die beſondre Eigenſchaft
hat, daß er Bluͤten und Fruͤchte, und unter
dieſen, gruͤne und reife Fruͤchte zugleich traͤgt;
ſo haͤlt man alle Jahre drey Erndten, doch iſt
die im Monat May die reichſte und beſte. Die
Einſammlung dieſer Frucht iſt ſehr einfach. Es
werden große leinwandene Tuͤcher unter die
Baͤume gebreitet, und ein Mann ſchuͤttelt den
Baum leicht, und mit einer gewiſſen Geſchick-
lichkeit, da denn der reife Kaffee gleich abfaͤllt.
Wenn er eingebracht iſt, wird er auf Matten
ausgebreitet und an der Sonne getrocknet. So
bald nun die Huͤlſen aufſpringen wollen, werden
ſie mit einer ſteinernen oder hoͤlzernen Walze zer-
druͤckt. Die Araber wiſſen dieſes mit einer
großen Geſchicklichkeit und ſehr geſchwind zu
machen. Wenn der Kaffee auf dieſe Art aus
den Schalen gebracht iſt, wird er, weil er noch
ziemlich gruͤn iſt, wieder aufs neue in die Son-
ne gelegt, daß er recht trocken werde, und nicht
Gefahr laufe, auf der See zu verderben. Er
N 5wird
[202] wird hernach gewurft und rein gemacht, einge-
packt und auf die Maͤrkte zum Verkauf ver-
fuͤhrt“.


Obgleich den Mohammedanern der Genuß
von allem was die Sinne berauſchen kann, ver-
boten iſt; ſo findet man doch bisweilen einige,
welche große Libhaber von ſtarken Getraͤnken
ſind. Sie muͤſſen ſich aber doch ſehr in Acht
nehmen, daß ſie nicht verrathen werden: und
deswegen trinken die Saͤufer nur des Abends
in ihren Haͤuſern. In den Staͤdten auf der
Graͤnze von Arabien, wo gemeiniglich viele Ju-
den und Chriſten wohnen, kann ein Reiſender
Brantwein, und bisweilen Wein bekommen.
Einige englaͤndiſche Schiffe, die nach Mochha
kommen, bringen auch indianiſchen Arrak zum
Verkauf mit. Außerdem findet aber ein Rei-
ſender in ganz Jemen keinen trinkbaren Wein
und Brantewein, als nur zu Sana, wo die
Juden beydes gut und im Ueberfluß haben, und
es ſo, wie die Armener in Perſien, in großen
ſteinernen Kruͤgen, aufbehalten. Die Juden
zu Sana ſchicken zwar Wein und Brantewein
an ihre Bruͤder in den andern Staͤdten von Je-
men, aber weil es ihnen an andern Geſchirren
fehlt, in kupfernen Gefaͤßen. — Man hat
noch ein weißes und dickes Getraͤnke, Buſa,
welches aus Mehl zubereitet wird. In Arme-
nien iſt es ein allgemeiner Trank. Daſelbſt wird
es in großen Toͤpfen in der Erde aufbehalten,
und
[203] und gemeiniglich aus denſelben vermittelſt eines
Rohrs getrunken.


Weil die geringern Araber auch gerne ver-
gnuͤgt ſeyn moͤgen, die ſtarken Getraͤnke aber
nicht bezahlen, und vielleicht gar nicht bekom-
men koͤnnen; ſo rauchen ſie Haſchiſch, ein
Kraut, welches ſehr viele fuͤr Hanfblaͤtter hal-
ten. Die Liebhaber dieſes Krautes verſichern,
daß es ihnen viel Muth gebe.


Bey einem Beſuche wird dem Fremden, ſo
bald er ſich geſetzt hat, eine Pfeife Taback, et-
was Confituren und eine Taſſe Kaffee oder Ki-
ſcher gebracht. Man breitet ihm auch wohl ei-
ne koſtbar brodirte Serviette auf den Schooß. —
Bey den Vornehmen in der bergigten Gegend
von Jemen, findet man in den Monaten May,
Junius und Julius kleine Buͤndel Kaad, d. i.
junge Sproſſen von einem gewiſſen Baume, die
man gleichſam zum Zeitvertreib ißt, ſo wie man
bey uns Schnupftoback zu nehmen pflegt. Die-
ſe Leckerbiſſen ſchmecken dem Europaͤer nicht gut,
und Herr Niebuhr, nimmt als wahrſcheinlich
an, daß der Kaad ſeine Liebhaber vom Schlaf
abhalte und zugleich auszehre. Und gleich wohl
muß ein jeder wohlerzogener Jemeneſer, ein
Liebhaber davon ſeyn. Diejenigen, welche gu-
te Zaͤhne haben, koͤnnen ihn ſo, wie er vom
Baume gekommen iſt, eſſen. Indeſſen findet
man doch auch, daß alte Leute, die nicht mehr
gut kauen koͤnnen, ihn vorher in einem Moͤrſer
ſtoßen.


Die
[204]

Die Araber rauchen ſowohl aus der langen
Pfeife, als aus der ſo genannten perſiſchen,
welche ſie entweder Kiddra oder Buri oder
Nardsil oder Ankire nennen. Der gemeine
Mann macht letztere mit geringen Koſten von ei-
ner Kokusnuß, die Vornehmen aber laſſen ſie
in verſchiedener Figur von Glas, Silber und
wohl gar von Gold verfertigen. Die Morgen-
laͤnder ſchneiden ihre Tobacksblaͤtter nicht, ſon-
dern zerreißen ſie blos mit den Fingern. Wenn
ſie ihre Kiddra fuͤllen wollen; ſo wird der To-
back immer vorher ſtark angefeuchtet, und ſie
muͤſſen nicht nur deswegen allezeit eine gluͤende
Kohle auf ihre Pfeife legen, ſondern auch, weil
ſie ſehr langſam rauchen. Bey einer jeden An-
fuͤllung der Pfeife, wird vorher friſches Waſſer
in die Kiddra gegoſſen. Die Vornehmen tra-
gen bisweilen eine kleine Doſe mit wohlriechen-
dem Holz bey ſich, und ſtecken denen von ihren
Gaͤſten, fuͤr welche ſie eine außerordentliche Auf-
merkſamkeit zeigen wollen, ein kleines Stuͤck
davon in die Pfeife, welches beydes einen ange-
nehmen Geruch und Geſchmack giebt.


Wenn der Fremde aufſtehen und weggehen
will; ſo wird den Bedienten ein Zeichen gege-
ben, daß ſie Roſenwaſſer und Raͤuchwerk brin-
gen ſollen. Beydes die Flaſche mit dem Ro-
ſenwaſſer und das Rauchgefaͤß, iſt bisweilen
von Silber und ſehr ſchoͤn gearbeitet. — Die-
ſe Cerimonie aber, ſieht man nur bey außeror-
dentlichen Gelegenheiten, oder auch, wenn man
Jeman-
[205] Jemanden mit einer hoͤflichen Manier zeigen
will, daß der Herr des Hauſes Geſchaͤfte habe;
denn ſobald man mit Roſenwaſſer beſpritzt iſt,
und den Bart und ſeine weiten Ermel geraͤuchert
hat, muß man ſich nicht laͤnger aufhalten. Bey
einem taͤglichen Beſuch paͤßirt nichts weiter als
Kaffee oder Kirſcher, eine Pfeife Toback und
Kaad.


Was die Haͤuſer der vornehmen Mohamme-
daner betrift; ſo ſind ſie weder von außen noch
in den Zimmern der Mannsperſonen praͤchtig.
Es ſcheint, daß dieſe in nichts anders Pracht
ſuchen, als nur in ihrem Gewehr, Pferdege-
ſchirr und in der Menge ihrer Pferde und Be-
dienten. Der Fußboden iſt in allen Zimmern,
ſo wohl der Vornehmen als Geringen, belegt,
wenn es auch nur mit einer Strohmatte iſt, und
wer drauf treten will, muß vorher ſeine Pan-
toffeln oder Stiefeln ausziehen. Dieſe Gewohn-
heit ſcheint den Europaͤern nicht allezeit gefallen
zu haben. — Als der Bediente des Statthal-
ters zu Mochha den Verfaſſer der voyage de
l’Arabie heureuſe,
bey dem Eintritte in das
Zimmer erinnerte, ſeine Schuhe, welche er fuͤr
Pantoffeln anſah, auszuziehen; ſo drohete die-
ſer, daß er lieber keine Audienz, und ſeine Rei-
ſe ganz umſonſt gemacht haben, als ſich dieſer
morgenlaͤndiſchen Gewohnheit unterwerfen woll-
te. Die Araber waren ſo hoͤflich, dem Auslaͤn-
der ſeinen Willen zu laſſen. Sie dachten aber
wohl eben das, was ein europaͤiſcher Kaufmann
denken
[206] denken wuͤrde, welcher Hoffnung haͤtte, einen
vortheilhaften Handel mit einem Fremden
ſchließen zu koͤnnen, wenn er dieſen auf ſein
Verlangen die Erlaubniß gaͤbe, auf ſeinen Stuͤh-
len herum zu laufen. Die Europaͤer verlangen
in den Morgenlaͤndern bisweilen Vorzuͤge, die
ihnen keine Ehre machen. Haͤtte der erwaͤhnte
Franzmann bey dem Eintritte in den Audienz-
ſaal, ſeine Schuhe reinigen laſſen; ſo haͤtte er
ſie auch wohl ohne Einwendung anbehalten koͤn-
nen.


In den Wohnungen des Frauenzimmers
ſoll man ſehr koſtbare Tapeten, Sofas und an-
dres Hausgeraͤthe antreffen. — — Weil die
Morgenlaͤnder den Fußboden ihrer Wohnzim-
mer ſehr reinlich halten; ſo gewoͤhnen ſie ſich
auch, nur um dieſer Urſache willen, ſelten aus-
zuſpeien, und wenn ſie auch ganze Stunden
lang Toback rauchen. Doch iſt es gar keine
Unanſtaͤndigkeit in der Geſellſchaft, wenn einer
etwas auswirft.


Die Haͤuſer der Araber, welche von Stei-
nen gebauet ſind, ſind alle oben platt. Die
kleinen Haͤuſer in Jedsjâs und Jemen, haben
ganz duͤnne Waͤnde und ein rundes Dach, wel-
ches mit einer Art Gras bedeckt iſt. — Die
kleinen Huͤtten der geringen Araber am Euphrat,
ſind gemeiniglich nur mit Strohmatten bedeckt,
und durch Zweige von Dattelbaͤumen unterſtuͤtzt,
oben aber auch rund. Ich weiß nicht welche
von dieſen Huͤtten — ſagt unſer Verf. —
man
[207] man am beſten mit der Figur der Mappalia
der Afrikaner, welche Salluſtius beſchreibt, ver-
gleichen koͤnne. Beyde aber ſcheinen ihnen aͤhn-
licher zu ſeyn, als die Zelte der herumſtreifenden
Araber. Denn dieſe ſind ſo wie die Zelte der
Tuͤrkmannen und Kiurden, gemeiniglich von
ſieben oder neun Staͤben, wovon der mittlere
der hoͤchſte iſt, unterſtuͤtzt und alſo oben nicht
rund, ſondern ſie haben vielmehr die Figur ei-
nes alten europaͤiſchen Bauerhauſes.


Die Araber haben verſchiedene Manieren,
ſich zu ſetzen. Wenn einer bequem ſitzen will;
ſo ſetzt er ſich mit kreuzweis unter ſich geſchlage-
nen Schenkeln. In Gegenwart eines Vorneh-
men, muß ſich ein jeder, welcher fuͤr geſittet
angeſehen ſeyn will, ſo auf ſeine Hacken ſetzen,
daß die Knie ſich auf der Erde oder dem Sofa
beruͤhren. Weil dieſe Stellung den wenigſten
Platz einnimmt; ſo ſitzen ſie auch gemeiniglich
ſo bey Tiſche. Zu dieſer letzten Manier zu
ſitzen, koͤnnen ſich die Europaͤer nicht gewoͤhnen.



Viertes
[208]

Viertes Kapitel.


Von der Vielweiberey der Mohamme-
daner.


Kein Mohammedaner darf mehr als vier
Weiber zugleich haben, doch kann er ſo
viele Sklavinnen halten, als er zu ernaͤhren im
Stande iſt, und mit ihnen leben. Indeſſen
muß er ſeinen Weibern entweder die geſetzte
Pflicht leiſten koͤnnen, oder ſich auf eine andre
Art mit ihnen abfinden, daß ſie ihn nicht ver-
klagen. Den Schiiten*) iſt es erlaubt, frey-
gebohrne mohammedaniſche Weiber zu halten,
ohne ſich mit ihnen zu verheyrathen. Den
Sunniten**) aber, iſt dieſes verboten. Nie-
mand
[209] mand darf auch zwey Schweſtern zugleich hey-
rathen, ſondern, wenn er die zweyte heyrathen
will; ſo muß er vorher die erſte verſtoßen.


Die Vielweiberey iſt in den Morgenlaͤndern
nicht ſo allgemein, als man vielleicht in Euro-
pa glaubt. Denn ſo ſehr auch einige Moham-
medaner dieſe ihre Freyheit gegen die Europaͤer
ruͤhmen; ſo geſtehn doch viele, die beguͤtert ge-
nug ſind, um mehr als eine Frau ernaͤhren zu
koͤnnen, daß ſie mit mehrern nie ſo gluͤcklich le-
ben, als mit einer einzigen. — Man findet
daher im Mittelſtande nur wenige, die mehr
als eine Frau haben, und auch unter den Vor-
nehmen begnuͤgen ſich viele lebenslang mit einer.
Sie ſind nach den Geſetzen verbunden, alle ih-
re Weiber anſtaͤndig zu halten, und einer jeden,
woͤchentlich einmal beyzuwohnen. Eine Pflicht,
die vielen Mohammedanern zu ſchwer iſt; denn
ſie heyrathen entweder ſehr jung, oder der Va-
ter kauft ſeinem Sohne eine Sklavinn, um zu
verhuͤten, daß er nicht Bekanntſchaft mit lie-
derlichen Weibern ſuche. Man hat eine Tradi-
tion, daß Mohammed, welcher ein ſchlechter
Naturkundiger geweſen ſeyn muß, geſagt habe:
Eine Mannsperſon werde, ſo wie ein
Brunnen, immer ergiebiger, jemehr er
ausgeſchoͤpft werde.
Allein, die Moham-
medaner erſchoͤpfen ſich doch in ihrer Jugend
dergeſtalt, daß ſich oft Leute von dreyßig Jahren
uͤber Unvermoͤgen beſchweren.


OMan
[210]

Man beſchuldigt zwar in Europa die mo-
hammedaniſchen Vaͤter, daß ſie ihre Toͤchter
verkaufen: aber dieß geſchieht bey den vernuͤnf-
tigen eben ſo wenig, als bey uns. Der Mo-
hammedaner giebt freylich ſeine Tochter lieber
einem vornehmen und reichen Mann, als einem
geringern. Er bekommt alsdenn mehr Geld.
Kann er es aber nur einigermaßen entbehren;
ſo giebt er ſeiner Tochter eine gute Ausſteuer,
und dieſe iſt dann ihr Eigenthum. Der Hey-
rathskontrakt wird allezeit von dem Kady ge-
ſchloſſen, und in dieſem wird nicht nur be-
ſtimmt, wie viel der Braͤutigam ſeiner Braut
ſogleich zur Ausſteuer, ſondern auch wie viel er
ſeiner Frau bezahlen ſoll, wenn es ihm einfallen
ſollte, ſie zu verſtoßen. Es iſt ſehr wahrſchein-
lich, daß ein armer Vater bisweilen von einem
reichen Schwiegerſohne ſehr leicht befriedigt wer-
den kann. Aber nicht alle Vaͤter verheyrathen
ihre Kinder blos des Geldes wegen. Sehr oft
giebt ein reicher Mann ſeine Tochter einem Armen,
ja er ſchenkt dieſem eine gewiſſe Summe, damit er
ſeiner Braut das, in dem Heyrathskontrakt be-
ſtimmte Antrittsgeld, in Gegenwart des Kady
und anderer Zeugen bezahlen koͤnne: und ein
ſolcher muß es ſich alsdann gemeiniglich gefallen
laſſen, ſeiner Frau auf dem Fall, da er ſie ver-
ſtoßen ſollte, eine ſo große Summe auszuſetzen,
daß ſie ſicher iſt, er werde an keine Veraͤnde-
rung denken.


Weil
[211]

Weil die Frau nicht verpflichtet iſt, ihrem
Manne ihr eigenthuͤmliches Vermoͤgen in die
Haͤnde zu geben; ſo iſt dieſer oft von ihr ab-
haͤngig. Die reichen Mohammebanerinnen ha-
ben daher in ihren Haͤuſern mehr zu befehlen,
als die Chriſtinnen in Europa, ja ſie ſind ge-
wiſſermaßen gluͤcklicher, weil ſie auch verlangen
koͤnnen, geſchieden zu werden, wenn ſich der
Mann ungebuͤhrlich gegen ſie bezeiget. Bey
dem allen iſt es bey den Mohammedanern nichts
ſeltenes, daß ſie ihre Weiber verſtoßen. Sie
bedienen ſich dieſes Rechts aber nicht gerne,
ohne ſehr wichtige Urſachen, theils weil es fuͤr
einen ehrbaren Mann fuͤr unanſtaͤndig gehalten
wird, theils auch, weil ſie ihre Frau und ihre
Angehoͤrigen nicht beſchimpfen wollen. Man
findet nur hin und wieder reiche Wolluͤſtlinge,
deren Auffuͤhrung von ehrbaren Mohammeda-
nern gar nicht gebilligt wird, wenn ſie mehrere
Weiber nehmen. Dieſe waͤhlen ſich gemeiniglich
Perſonen von niedern Stande, denen es gut
deucht, auf einmal vornehm und von vielen Be-
dienten umgeben zu werden. Dagegen muͤßen
ſie es ſich auch gefallen laſſen, daß der Mann
ihnen nicht nur drey andere Frauen an die Sei-
te ſetzt, ſondern ſich noch darzu Sklavinnen
haͤlt, und ſie ſelbſt am Ende gar verſtoͤßt.


Es giebt alſo Mohammedaner, die mehr
als eine Frau haben. Weil nun in den Mor-
genlaͤndern die Anzahl der Manns- und Weibs-
perſonen, vermuthlich ohngefaͤhr gleich iſt; ſo
O 2wird
[212] wird ein Europaͤer noch immer glauben, daß
der arme Mohammedaner keine Frau werde fin-
den koͤnnen. Indeſſen bemerkt man doch die-
ſen Mangel nicht. Es ſcheint vielmehr, daß
ein armer Mohammedaner mit wenigern Koſten
eine Frau erhalten koͤnne, als ein armer Chriſt
in Europa. — In den morgenlaͤndiſchen
Staͤdten ſind auch vielmehr Bediente und Sol-
daten verheyrathet, als in den europaͤiſchen.
Ueberdieß haben die Mohammedaner an lieder-
lichen Weibsleuten keinen Mangel. Dieſe ha-
ben in einigen großen Staͤdten ſo gar Freyheit,
ihr Handwerk gegen eine gewiſſe Abgabe an die
Obrigkeit oͤffentlich zu treiben *).


Wenn man nach der Urſache fragt; warum
die Mohammedaner bey der Vielweiberey den-
noch keinen Mangel an Weibern haben? ſo
weiß ſie unſer Reiſebeſchreiber nirgends zu ſu-
chen, als in den Sitten und der Denkungsart
ihrer Weiber. Es iſt itzt noch allen Morgen-
laͤnderinnen ſehr unangenehm, wenn ſie mit ei-
nem unfruchtbaren Baume verglichen werden
koͤnnen,
[213] koͤnnen, und den Mohammedanerinnen beſon-
ders, wird von Jugend auf eingepraͤgt, daß
es fuͤr ein erwachſenes Maͤdchen oder fuͤr eine
junge Wittwe gleichſam eine Schande ſey, kei-
nen Mann zu haben. Man findet daher bey
ihnen keine Kloͤſter fuͤr unverheyrathete Frauens-
perſonen, ſondern eine jede ſucht ſich einen Mann.
Auch alsdann, wenn ſie vom Manne geſtoßen
iſt, bemuͤht ſie ſich, wieder einen andern zu be-
kommen und weil die Weiber der Mohamme-
daner, in Vergleichung mit den Europaͤerin-
nen faſt unbemerkt leben; ſo wird es bey ihnen
nicht ſo leicht beobachtet, wenn ſie unter ihren
Stand heyrathen.


Daß die Polygamie oder Vielweiberey der
Vermehrung der Menſchen ſehr ſchaͤdlich ſey,
iſt gar keinem Zweifel unterworfen *). Man
O 3findet
[214] findet zwar bisweilen einzelne Beyſpiele, daß
ein Mann mit mehrern Frauen eine große Men-
ge Kinder gezeugt habe. Ueberhaupt aber will
man doch bemerkt haben, daß diejenigen, wel-
che mehr Weiber haben, wenigere Kinder zeu-
gen, als die, welche ſich mit einer Frau begnuͤ-
gen. An der Richtigkeit dieſer Bemerkung,
laͤßt
*)
[215] laͤßt ſich nicht zweifeln, denn da die Weiber wiſ-
ſen, daß ſie Nebenbuhlerinnen haben; ſo be-
muͤht ſich eine jede, der andern zuvorzukommen,
und die Gefaͤlligkeit oder Wolluſt eines Man-
nes, entkraͤftet ihn bald fuͤr ſeine ganze uͤbrige
Lebenszeit.


Es iſt bekannt, daß ſich die Mohammeda-
net nicht ſo beſchneiden, wie die Juden. Herr
Nichuhr hoͤrte uͤberdem auch, daß ſich ein Stamm
Araber zwiſchen dem Gebiete des Scherîfen von
Abuarîſch, und dem Gebiete des Scherîfen von
Mecca, auch auf eine ganz andre Art beſchnei-
det, als die Sunniten. Dieſe iſt vielleicht
auch noch von der Beſchneidung der Zeiditen
verſchieden. Es iſt unſerm Verfaſſer nicht
wahrſcheinlich, daß die Beſchneidung in den
heißen Laͤndern, wegen der Geſundheit nothwen-
dig ſey. Denn die Parſi, d. i. die Schuͤler
des Zoroaſters, welche man auch Guebers (H.
Niebuhr ſchreibt Gebers; von dieſen iſt im er-
ſten Theil der Characteriſtik geredt,) oder Feuer-
anbeter nennt, und die Heiden in Indien, in-
gleichen viele Nationen Káfrs in Afrika, welche
doch alle unter einem eben ſo heißen Himmels-
ſtriche wohnen, als die Mohammedaner in Ara-
bien, beſchneiden ſich nicht, und leben dennoch
eben ſo geſund als die Juden, die Mohamme-
daner und einige Nationen Káfrs, welche dieſen
Gebrauch durchgaͤngig haben. Einige copti-
ſche Chriſten in Egypten und Habbeſch, pflegen
ihre Knaben bey der Taufe, welche gemeiniglich
O 4vierzig
[216] vierzig Tage nach der Geburt geſchieht, zu be-
ſchneiden. Andre thun es in ihrem zehnten
Jahre oder noch ſpaͤter, und viele werden gar
nicht beſchnitten.


Ob die Beſchneidung, welche Abraham an
ſich und ſeiner ganzen Familie auf Gottes Be-
fehl verrichtet hat, die erſte ſey, und ob ſich
ſchon vor ihm einige beſchnitten haben — laͤßt
man billig, als eine unnuͤtze Frage, dahin ge-
ſtellt ſeyn. Weil aber alle Nachkommen Abra-
hams dieſe Beſchneidung beobachten; ſo haben
die Araber, Egyptier, Habeßinier ſie vermuth-
lich von ihm erhalten. Die Mohammedaner
ſcheinen ſie als eine alte Gewohnheit ihrer Vaͤter
beybehalten zu haben. Denn die Religion Mo-
hammeds beſiehlt ſie nicht. Mit der mohamme-
daniſchen Religion, kann ſie nach Perſien und
Indien gekommen ſeyn, und die Káfrs auf der
Suͤdoſtkuͤſte von Afrika, koͤnnen ſie von den
Habeßinnen, oder auch von den auf dieſer Kuͤ-
ſte wohnenden Mohammedanern erhalten haben.


Weil die Beſchneidung von ſo vielen Natio-
nen angenommen iſt, ſo muß ſie vermuthlich
auch einen phyſikaliſchen Nutzen haben, obgleich
verſchiedene, ſowohl Mohammedaner als mor-
genlaͤndiſche Chriſten, unſerm Verf. keinen da-
von angeben konnten. Sie iſt in den heißen
Laͤndern bey denen, die ſich nicht fleißig waſchen,
gewiß ſehr nuͤtzlich So verſichert der engliſche
Arzt zu Haleb unſerm Verfaſſer, daß ſich in
den heißen Laͤndern mehrere Feuchtigkeiten unter
den
[217] den Eicheln ſammlen, als in den kaͤltern. —
Das Waſchen des ganzen Koͤrpers, und beſon-
ders der heimlichen Theile, iſt alſo in den heißen
Laͤndern nothwendig, und vielleicht haben des-
wegen die Stifter der Religion der Juden, der
Mohammedaner, der Guebers, der Heiden in
Indien u. ſ. w. ſelbiges befohlen. Die itzt un-
ter dieſen Nationen wohnenden Chriſten, muͤßen
ſich nun auch, ſowohl wegen des Wohlſtandes,
weil man ſie ſonſt immer verrathen wuͤrde, als
wegen der Geſundheit, der Reinlichkeit be-
fieißigen.


Weil ſich nun ein Beſchnittener mit weniger
Muͤhe waſchen kann, als ein Unbeſchnittener,
vornemlich wenn er, ſo wie die Mohammeda-
ner, nur eine Hand darzu gebrauchen darf; —
ſo ſchaft die Beſchneidung denen, die ſie gebrau-
chen, auch eine große Bequemlichkeit; und
dieß koͤnnte ſchon fuͤr eine Urſache gehalten wer-
den, warum die Nationen, bey welchen ſie ein-
mal eingefuͤhrt iſt, ſie beybehalten. — Der
wahre Nutzen der Beſchneidung aber iſt wohl
dieſer, daß dadurch viele Maͤnner erſt zum Bey-
ſchlaf tuͤchtig werden. Man findet ſowohl in
den Morgenlaͤndern als in Europa Leute, bey
denen deswegen eine Art von Beſchneidung
nothwendig iſt. Herr Niebuhr glaubt davon
zu Moſul einen Beweiß geſehen zu haben. Ein
daſelbſt wohnhafter Chriſt, ſagt er, der bereits
einige Jahre mit ſeiner zweyten jungen Frau ge-
lebt hatte, ohne Kinder gezeugt zu haben, be-
O 5klagte
[218] klagte ſich, ſeine Frau mache ihm immer den
Vorwurf, er ſey Schuld daran, daß ſie ſich
einen unfruchtbaren Baum muͤße nennen
laſſen. Ich verſicherte ſie, faͤhrt H. N. fort,
daß ich kein Arzeneyverſtaͤndiger waͤre, wie er
es daraus vermuthete, daß ich die Sterne be-
obachtete, und die mohammedaniſchen Stern-
kundige, zugleich Aerzte zu ſeyn pflegen. Da
er aber ſeine Bitte taͤglich wiederholte, daß ich
ihm Arzeneyen geben moͤchte; ſo verlangte ich
endlich mit nach ſeinem Hauſe zu gehen, und
ſeine Frau zu ſprechen. Hierein wollte er an-
faͤnglich nicht willigen, weil er befuͤrchtete, ſei-
ne Nachbaren moͤchten es bemerken, daß er ei-
nen Fremden in ſein Haus fuͤhrte. Doch fuͤrch-
tete die Frau, die ſich ſonſt von keinem Frem-
den wuͤrde haben ſehen laſſen, ſich gar nicht mit
ihrem vermeinten Arzt zu ſprechen, weil die eu-
ropaͤiſchen Aerzte und Moͤnche, die Weiber der
morgenlaͤndiſchen Chriſten ohne Verdacht beſu-
chen koͤnnen, wenn ein andrer ehrlicher Reiſen-
der vor der Thuͤr ſtehen bleiben, oder ſich mit
der Geſellſchaft des Mannes begnuͤgen muß.
Sie beklagte ſich, daß der Mann mit ihr
ſo ſelten etwas zu thun haben wollte.
Der
Mann antwortete zu ſeiner Vertheidigung, daß
ſie nichts von ihm verlangen wuͤrde, wenn
ſie die Schmerzen empfaͤnde, welche es
ihm verurſachte.
Hierbey erinnerte ich mich,
daß ein europaͤiſcher Arzt einen von meinen eu-
ropaͤiſchen Freunden, eben dieſer Urſachen we-
gen,
[219] gen, das Band an der Eichel geloͤſet hatte.
Bey genauer Nachfrage und Unterſuchung, wel-
che ich mit einer ernſthaften Mine anſtellte, fand
ich auch hier, daß dem armen Manne geholfen
werden koͤnnte, wenn er ſich eben dieſer Opera-
tion unterwerfen wollte. — Hieraus ſchließt
nun H. N. daß, wenn dieſer Mann in ſeiner
jugend waͤre beſchnitten worden, ſeine Frau ſich
wahrlich nicht uͤber ihn beſchwert haben wuͤrde,
und er ſelbſt ruhiger leben, und Erben haͤtte ha-
ben koͤnnen. Doch ſeinem Mangel wurde nicht
abgeholfen; denn die Frau verſicherte — ſie
werde es nicht zugeben, daß ein Meſſer angeſetzt
werde.


Die Beſchneidung iſt nicht bey allen Mor-
genlaͤndern nothwendig. Unſer Reiſebeſchreiber
hat an einem Chriſtenknaben, der vor ihm na-
ckend durch einen Fluß gieng, eine ſo kurze Vor-
haut geſehen, daß ſie nur wenig von der Eichel
bedeckte. H. N. meinte, der Knabe ſey be-
ſchnitten, und aͤußerte ſeinen Verdacht gegen
einen alten Maroniten. Allein, dieſer wollte
bemerkt haben, daß man dergleichen ſehr oft
bey ſolchen Leuten ſaͤhei, welche in dem abneh-
menden Monde geboren wuͤrden, ja, daß ſie zu-
weilen gar keine Vorhaut haͤtten. Es iſt aber
doch ſehr daran zu zweiflen, daß die Urſache
dem Monde koͤnne zugeſchrieben werden. —
Wenn es alſo nicht ſelten iſt, daß Knaben ohne
Vorhaut geboren werden; ſo kann dieß die
Morgenlaͤnder, welche das leichter bemerken
koͤnnen,
[220] koͤnnen, weil die meiſten von ihren Kindern bis
zu einem gewiſſen Alter ganz nackend gehen, zu-
erſt auf die Gedanken gebracht haben, daß die
Vorhaut von keinem Nutzen ſey. Und weil
man ſie zum Beyſchlaf bisweilen hinderlich fand;
ſo kann dieß die Beſchneidung verurſacht haben.


Die Beſchneidung der Maͤdchens iſt auch in
einigen Gegenden gebraͤuchlich. — Von den
Weibern in Egypten, ſowohl der Copten als
Mohammedaner, von denen in Omân, wenig-
ſtens in der Gegend von Sohân, von denen an
beyden Seiten des perſiſchen Meerbuſens und
zu Baßra, ſollen die meiſten beſchnitten ſeyn.
Eben dieſes ſagt man von den Weibern in Hab-
beſch und zu Cambay, nicht weit von Surât.
Zu Bagdad laſſen die Weiber von arabiſcher
Abkunft, ihre Toͤchter auch beſchneiden. Die
Tuͤrkinnen aber beobachten dieſe Gewohnheit
nicht, und deswegen findet man in den tuͤrki-
ſchen Staͤdten immer weniger beſchnittene Wei-
ber, je mehr man ſich von den arabiſchen Ge-
genden entfernt. Der Nutzen dieſer Beſchnei-
dung iſt wahrſcheinlich auch, daß die Weiber
ſich nachher bequaͤmer waſchen koͤnnen.


Die Weiber, welche die Maͤdchens zu Kahi-
ra beſchneiden, ſind daſelbſt ſo bekannt, wie
bey uns die Wehmuͤtter. Man verrichtet dieſe
Operation ohne alle Ceremonie. Die Zeit da-
zu, faͤllt etwa ins zehnte Jahr des Alters.


Man hat behauptet, es ſey nach den mo-
hammedaniſchen Geſetzen nicht erlaubt, einen
Men-
[221] Menſchen ſeiner Mannheit zu berauben. Es
ſoll aber doch, obgleich ſelten in einigen von
ihren Staͤdten, fuͤrnemlich in Oberegypten ge-
ſchehen, und die geiſtlichen predigem nicht mehr
gegen dieſe alte Gewohnheit, weil die großen
Herrn ſich dadurch doch nicht abhalten laſſen
wuͤrden, ſolche Leute zu kaufen, und ihnen ein
bequemes Leben zu verſchaffen. Man muß aber
nicht meinen, daß in Arabien viele verſchnitten
werden. Hier werden gar keine, oder wenig-
ſtens nicht ſo viele verſchnitten als in Italien,
ſondern die meiſten Kaſtraten in Arabien, Egy-
ten und der Tuͤrkey kommen aus Habbeſch und
Núbien, und ihre Anzahl iſt gewiß im Mor-
genlande nicht ſo groß, als man in Europa
denkt. Der Sultan in Conſtantinopel hat
mehr Verſchnittene, als alle Unterthanen in ſei-
nem weitlaͤuftigen Reiche, und ihm werden die
meiſten als Geſchenke zugeſandt.


Auch ſcheint es nicht, daß die Verſchnitte-
nen ſo große Feinde des weiblichen Geſchlechts
ſind, als einige ſie haben beſchreiben wollen.
Man findet oft, daß ſich einige — Sklavin-
nen halten.



Fuͤnftes
[222]

Fuͤnftes Kapitel.


Von der Sprache und den Wiſſenſchaften
der Araber.


Es iſt bekannt, daß die Araber in den aͤltern
Zeiten ſchon verſchiedene Dialekte gehabt
haben. — Itzt trift man vielleicht in keiner
Sprache ſo viele Mundarten an, als in der ara-
biſchen. Man findet nicht nur in den bergigten
Gegenden des kleinen Gebiets, daß der Iman
von Jemen beherrſcht, eine ganz andre Art zu
reden, als in Tehâma, ſondern die Vornehmen
haben auch eine ganz andre Ausſprache, und
fuͤr viele Sachen ganz andre Namen, als die
Bauern und beyde Mundarten, ſind von der
Bedouinen ihrer ſehr verſchieden. Noch groͤßer
iſt der Unterſchied in entferntern Provinzen. —
Da alſo ſchon von undenklichen Jahren her,
ſelbſt in den verſchiedenen Provinzen Arabiens,
mancherley Dialekte im Gebrauch geweſen ſind,
und die arabiſche Sprache auch viele Sprachen
außerhalb Arabien verdraͤngt hat; ſo wird
man ſich nicht daruͤber wundern, daß ſie reicher
an Woͤrtern iſt, als irgend eine andre.


Weil ſich die Araber zur mohammedaniſchen
Religion bekennen; ſo halten ſie die Sprache,
worinn der Koran geſchrieben iſt, und alſo den
Dialekt,
[223] Dialekt, welchen man zu Mohammeds Zeiten,
zu Mecca redete, fuͤr den allerreinſten. Dieſer
iſt von den neuern ſo ſehr verſchieden, daß man
die Sprache des Korans ſelbſt zu Mecca, ſo wie
zu Rom das Lateiniſche, nur bloß in Schulen
lernt. Und weil ſich der Dialekt in Jemen,
der ſchon eilf hundert Jahre vor dem zu Mecca
verſchieden war, gleichfalls durch den Um-
gang mit Fremden, und durch die Zeit veraͤn-
dert hat; ſo lernt man die Sprache des Korans,
auch daſelbſt nur als eine Sprache der Gelehr-
ten. Die alte arabiſche Sprache iſt alſo in Ara-
bien eben ſo anzuſehen, als die lateiniſche in
Europa. Die neuere, die in Hedsjas geredet
wird, verhaͤlt ſich gegen die alte urſpruͤngliche,
wie etwa die Sprache des mittlern Italiens ge-
gen die alte lateiniſche, die verſchiedenen Mund-
arten in Arabien, wie die verſchiedenen Dialekte
in Italien, und die arabiſchen Sprachen außer-
halb Arabien, ſo wie das Spaniſche, Portu-
gieſiſche u. f. — Die Sprache der Araber,
welche die bergigten Gegenden auf der Graͤnze
von Jemen und Hedsjas bewohnen, und die
faſt gar keinen Umgang mit Fremden haben,
ſoll ſich am wenigſten veraͤndert haben, und al-
ſo auch von der Sprache des Korans weniger,
als die uͤbrigen verſchieden ſeyn.


Zu den Sprachen, welche von der Arabi-
ſchen gleichſam vertrieben worden ſind, gehoͤrt
unter andern, das Coptiſche, oder die alte
Sprache der Egyptier. Dieſe iſt dergeſtalt aus-
geſtorben,
[224] geſtorben, daß man nur ſehr wenige Copten fin-
det, die ihre Kirchenbuͤcher verſtehen, ja die ſie
nur recht leſen koͤnnen. — Dieß wird begreif-
lich, wenn man bedenket, daß ſie ſchon ſeit
mehr als zwey tauſend Jahren beſtaͤndig von
fremden Nationen ſind regiert worden. Nach
der Meynung der Copten zu Kahira haben die
Griechen, welche ihre egyptiſche Unterthanen als
Ketzer anſahen, und alle Mittel anwendeten,
ſie mit ihrer Kirche zu vereinigen, bey Lebens-
ſtrafe verboten, die alte coptiſche Sprache zu
reden, und ihnen ſo gar anbefohlen, ſich des
griechiſchen Alphabets zu bedienen. Indeſſen
ſoll man ihnen erlaubt haben, ſieben Buchſta-
ben aus ihrem alten Alphabet zu gebrauchen,
weil das Griechiſche nicht alle die Buchſtaben
hatte, die ſie brauchten, um ſich deutlich in
ihrer alten Sprache auszudruͤcken. Dieß grie-
chiſchcoptiſche Alphabet iſt in den neuern Zeiten
das Coptiſche genannt worden. — Nachher
ſoll unter der Regierung der Mohammedaner
ein Koͤnig von Egypten bey Strafe des Todes
verboten haben, die vermiſcht griechiſchcoptiſche
Sprache zu reden, und ſeitdem iſt die arabiſche
Sprache in Egypten gemein. Doch werden
die Evangelia und einige Gebete in den Kirchen,
noch itzt in der coptiſchen, aber gleich darauf
auch in der arabiſchen Sprache geleſen.


Die uͤbrigen Araber, welche in Afrika, nem-
lich an der Suͤdſeite des mittellaͤndiſchen Meers
von Egypten bis an die Meerenge von Gibral-
tar,
[225] tar, und von hier bis an das Vorgebuͤrge der
guten Hoffnung, in der Gegend von Madagas-
kar und an der Weſtſeite des arabiſchen Meer-
buſens Eroberungen gemacht haben, haben auch
an den meiſten dieſer Laͤnder ihre Sprache ein-
gefuͤhrt. Aber viele von ihren Unterthanen,
reden noch itzt ihre alte Landesſprache, und hier-
durch muß die wahre arabiſche Sprache ſehr
verfaͤlſcht worden ſeyn. In Syrien und Pa-
laͤſtina hoͤrt ein Reiſender zwar nichts als ara-
biſch, doch kann die ſyriſche Sprache noch nicht
zu den todten gezaͤhlt werden. Denn es ſoll in
der Provinz des [Paſcha] von Damáſk in eini-
gen Doͤrfern wuͤrklich noch Syriſch geredet wer-
den. In ſehr vielen Doͤrfern in der Gegend
von Merdin und Moſul, reden die Chriſten noch
beſtaͤndig Chaldaͤiſch, ja die Weiber und dieje-
nigen Maͤnner, welche keine Geſchaͤfte in Staͤd-
ten haben, verſtehen keine andre als dieſe ihre
Mutterſprache.


Dieſe Sprache ſcheint nun wohl, da ſie ſich
ſo viele Jahrhunderte nur unter den Bauern er-
halten hat, nicht ſehr cultivirt zu ſeyn. Die
Prieſter in dieſer Gegend verſichern, daß das
neue Chaldaͤiſche eben ſo ſehr von dem alten
abweiche, als das itzige Arabiſche von dem, was
zu Mohammeds Zeiten geredet ward. — Die
Chriſten, welche in den Staͤdten Moſul und
Merdin geboren ſind, ſprechen gar kein Chal-
daͤiſch, wenigſtens nicht als ihre Mutterſprache.
Doch ſchreiben ſie Karſchuni, d. i. arabiſch mit
Pchal-
[226] chaldaͤiſchen Buchſtaben, ſo wie die Maroniten
auf dem Berge Libanon arabiſch mit ſyriſchen,
die Griechen in Natolien tuͤrkiſch mit griechiſchen,
und die Juden in Aſien, Afrika und Europa,
allerhand daſige Sprachen mit hebraͤiſchen Zei-
chen. Die morgenlaͤndiſchen Chriſten ſchreiben
vielleicht, nachdem ihnen ihre alten Sprachen
unbekannt geworden ſind, nicht arabiſch oder
tuͤrkiſch, damit die Mohammedaner ihre Buͤ-
cher und Briefe nicht leſen ſollen, und damit
ihre Geiſtlichen und andre, die ſich fuͤrnemlich
durch Schreiben ernaͤhren muͤßen, nicht Luſt
bekommen moͤgen, Mohammedaner zu werden,
denn bey dieſen wuͤrden ſie ihr Brodt nicht ver-
dienen koͤnnen, ohne von neuen gut arabiſch
oder tuͤrkiſch ſchreiben zu lernen.


Die neuen Schriftzuͤge der Mohammedaner
ſollen nach der Meynung der itzigen Araber, von
einem Wiſir ibe Mocla erfunden ſeyn, und
zwey von ſeinen Sklaven, ſollen ſie allgemein
gemacht haben. Jacut, ſagt man, hat die
Schriftzuͤge, welche man Talik nennt, in Per-
ſien und Rihân des Neſſig in Arabien ausge-
breitet. Daher ſchreiben die Araber und Tuͤr-
ken noch itzt alle ihre Buͤcher mit den Schrift-
zuͤgen Neſſich, die Perſer aber gemeiniglich
Talik. Man muß bekennen, daß die morgen-
laͤndiſchen Buͤcherabſchreiber es in ihrer Kunſt
ſchoͤn zu ſchreiben, ſehr weit gebracht haben.
Die Schriftzuͤge Dtult oder Rihani, ſind eine
Art Fraktur, welche man zu Innſchriften auf
Holz
[227] Holz und Steinen braucht, desgleichen zu den
Buͤchertitteln, bey welchen man die Buchſtaben
oft mit vieler Kunſt und Zierde in einander
ſchlingt. Dieſe Buchſtaben ſind nur groͤßer
oder ſtaͤrker, in der Figur aber wenig von Neſ-
ſich
verſchieden. Die Curſivſchrift der Tuͤrken
und Araber, nemlich die Schriftzuͤge, welche
die vom buͤrgerlichen Stande in Privatbriefen
und Rechnungen brauchen, nennt man Rorai.
Bey dieſer giebt man ſich nicht viele Muͤhe,
ſchoͤn und deutlich zu ſchreiben, ja man ſetzt
faſt niemals die Lautbuchſtaben, und nur ſelten
die Unterſcheidungspunkte uͤber und unter den
Buchſtaben. — Divani iſt gleichfalls eine be-
ſondre Schreibart, deren ſich die Osmanli,
d. i. die vornehmen Tuͤrken, fuͤrnemlich in ih-
ren Canzeleyen und in Briefen bedienen.


Die Imâm, die Kâdis und andre arabiſche
Gelehrte, ſchreiben ihre Namen gerne mit durch
einander geſchlungenen Buchſtaben, damit ſie
nicht leicht nachgeſchrieben werden koͤnnen. Die-
jenigen, welche ſelbſt nicht ſchreiben koͤnnen,
laſſen ihren Namen unter den Brief ſetzen, und
drucken ihn, oder ihren Wahlſpruch, den ſie
gemeiniglich in einem Stein geſchnitten an den
Fingern tragen, mit Dinte unter oder auf der
andern Seite des Papiers, auf ihren geſchrie-
benen Namen. — Die Osmanli uͤberſenden
ihre Briefe an andre Vornehme, in langen ſeid-
nen Beuteln. Die Araber rollen ſie etwa in
der Breite eines Daums, platt zuſammen, und
P 2klei-
[228] kleiſtern das aͤußerſte Ende, anſtatt den Brief
zu verſiegeln. In den kaͤltern Gegenden von
Perſien braucht man auch Siegellack. In den
heißen Laͤndern aber wird es bald weich, und
daher das Siegel in demſelben unkenntbar.


Die Janitſcharen brauchen in ihren Rech-
nungsbuͤchern eine ganz beſondre Schrift, wel-
che man Siaka nennt, und wovon die Zahlen
gaͤnzlich, die Buchſtaben aber nur zu[m] Theil
von den Schriftzuͤgen der uͤbrigen Mohamme-
daner verſchieden ſind.


Die arabiſchen Regenten wenden zwar nicht
ſo viel auf die Wiſſenſchaften als (einige) euro-
paͤiſche, und man findet deswegen in den Mor-
genlaͤndern nur ſelten Leute, welche man mit
Recht Gelehrte nennen kann. Indeſſen wird
doch die Jugend bey den Mohammedanern uͤber-
haupt, nicht ſo ſehr vernachlaͤßigt, als man
vielleicht in Europa glaubt. In den Staͤdten
koͤnnen viele gemeine Leute ſchreiben und leſen. —
Die Vornehmen haben in ihren Haͤuſern eigene
Lehrer bey ihren Kindern und Sklaven, wovon
ſie nemlich diejenigen, bey welchen ſie Verſtand
bemerken, oft als ihre eigne Kinder erziehen.
Man findet faſt bey jeder großen Moske eine
Schule, wo nicht nur die Lehrer, ſondern auch
arme Knaben von Stiftungen unterhalten wer-
den. Ueberdieß ſind in den großen Staͤdten
noch viele Schulen, wohin Leute von mittlern
Stande ihre Kinder ſchicken, um die Grund-
ſaͤtze der mohammedaniſchen Religion, leſen
ſchreiben
[229] ſchreiben und rechnen zu lernen. Die Schulen
ſind gemeiniglich nach der Seite der Staße, ſo
wie die Kramladen, ganz offen. Doch ſcheint
es, daß der Lerm der vielen Vorbeygehenden
gar nicht ſtoͤhrt, ſondern alle die, welche leſen
oder etwas auswendig lernen, ſitzen, und haben
das Buch auf einem kleinen hoͤlzernen Pult vor
ſich. Sie ſagen alle Worte laut, und bewegen
ſich mit dem ganzen Oberleibe, ſo wie die Ju-
den in ihren Synagogen. Maͤdchen findet man
in dieſen Schulen nicht.


In einigen großen arabiſchen Staͤdten ſind
außer den erwoͤhnten kleinen, auch groͤßere Schu-
len, in welchen die hoͤhern Wiſſenſchaften der
Mohammedaner, als die Aſtronomie, Aſtrolo-
gie, Philoſophie, Arzeneykunſt u. ſ. w. getrie-
ben werden. In dieſen Wiſſenſchaften ſind ſie
freylich gar weit unter den Europaͤern, aber
nicht weil es ihnen an Faͤhigkeiten, ſondern an gu-
ten Buͤchern und Unterricht fehlt. Blos in dem
Koͤnigreiche Jemen ſind noch itzt zwey ſchon ſeit
vielen Jahren beruͤhmte Akademien: die eine zu
Zébid, fuͤr die Anhaͤnger der Sekte Sunni,
und die andre zu Damâr fuͤr die Zeiditen. Die
Erklaͤrung des Korans, die Geſchichte der Mo-
hammedaner zu den Zeiten Mohammeds und
der erſten Califen, iſt die Hauptbeſchaͤftigung
der mohammedaniſchen Gelehrten, und dieſe iſt,
ſelbſt bey dey Arabern, nicht nur ſehr weitlaͤuf-
tig, weil ſie das alte Arabiſche als eine todte
Sprache lernen, ſondern auch weil ſie ſich mit
P 3den
[230] den vornehmſten Schriftſtellern, die uͤber den
Koran geſchrieben haben, und deren Anzahl ſehr
groß iſt, wohl bekannt machen muͤßen, wenn
ſie ſich unter ihren Landesleuten das Anſehen der
Gelehrſamkeit erwerben wollen. Man ſagt,
daß die Gelehrten ſich oͤffentlich muͤßen examini-
ren laſſen, bevor ſie anſehnliche geiſtliche oder
weltliche Bedienungen erhalten. Doch hierbey
handeln die Mohammedaner wohl nicht ganz
unpartheyiſch. Viele, wovon man glaubt, daß
ſie nur wenig gelernt haben, erhalten eintraͤgli-
che Bedienungen, und andre tuͤchtige Maͤnner,
muͤßen ihre Lebenszeit als Schreiber und Schul-
meiſter zubringen *).


Es
[231]

Es ſcheint, daß die Araber noch itzt ſehr
große Reimer ſind, und daß ihnen ihre Verſe
auch bisweilen belohnt werden. Indeſſen fin-
det man doch unter ihnen keine große Dichter.
— Die Araber beſingen auch noch zuweilen die
Heldenthaten ihrer Schechs. So machten ſie
nach einem Siege, den der Stamm Chaſael
vor einigen Jahren, uͤber den Ali, Paſcha zu
Bagdad erhalten hatte, ſo gleich ein Lied, in
welchem ſie die Heldenthaten eines jeden ihrer
Anfuͤhrer erhoben.


Man findet zu Kahioa, Damaſk, Húleb,
Moſúl, Bagdad und Basra, einige ſehr große
Kaffeehaͤuſer, die des Abends bisweilen durch
eine Menge Lampen erleuchtet werden. Sonſt
ſicht man in ihnen keine Zierrathen, als Stroh-
matten auf der Erde, oder auf gemauerten Er-
hoͤhungen, und auf dem Feuerheerde große und
kleine kupferne, in- und auswendig ſchoͤn ver-
zinnte Kaffeetoͤpfe, mit vielen Kaffeetaſſen.
Man kann in dieſen morgenlaͤndiſchen Schen-
ken keine andre Erfriſchungen erhalten, als eine
tuͤrkiſche oder perſiſche Pfeiſe Toback und Kaffee
ohne Milch und Zucker. Man hat alſo daſelbſt
weder Gelegenheit, viel zu verzehren, noch ſich
zu berauſchen, ſondern die Araber bleiben in die-
ſen ihren Wirthshaͤuſern faſt eben ſo nuͤchtern,
als in den aͤltern Zeiten bey ihrem Trunk Waſ-
ſer. Sie haben zwar verſchiedene Arten Spiele,
und ſind beſonders im Schachſpiele große Mei-
P 4ſter.
[232] ſter. Allein ſie vertreiben ſich damit des Abends
in ihren Kaffeehaͤuſern die Zeit nicht, und uͤber-
dieß ſpielen ſie niemals um Geld. Auch ſind
ſie keine Liebhaber vom ſpatziren, ſondern ſitzen
auf der Stelle, welche ſie einmal genommen ha-
ben, bisweilen ganze Stunden, ohne ein Wort
mit ihren Nachbarn zu ſprechen. Sie verſam-
meln ſich zuweilen in dieſen Kaffeehaͤuſern bey
hunderten. Sie wuͤrden aber dennoch ihre Zeit
nicht ſehr angenehm zubringen, wenn ihnen nicht
ihre Vorleſer und Redner die Langeweile vertrie-
ben. Dieſe ſind gemeiniglich arme Gelehrte,
Mullâs, welche ſich zu einer beſtimmten Stun-
de einfinden. Sie leſen den verſammelten Gaͤ-
ſten vor, und waͤhlen dazu bald die Geſchichte
des Antars, eines arabiſchen Helden vor der
Zeit Mohammeds, bald die Thaten des Ru-
ſtam S
âl, eines perſiſchen Helden, oder des
Bebers, eines Koͤnigs von Egypten, oder der
Ajubiten, welche gleichfalls in dieſem Lande
regiert haben, oder des Bahhluldane, einer
luſtigen Perſon an dem Hofe des Califen Ha-
r
ûn er Raſchîd. In dieſem letztern Buche
ſind ſehr viele gute Sittenſpruͤche. Einige, die
Beredſamkeit genug dazu haben, erzaͤhlen auf
und abgehend ihre Fabeln, in gebundener oder
ungebundener Rede. Wenn der Redner auf-
hoͤrt; ſo pflegt er eine freywillige Gabe von
ſeinen Zuhoͤrern zu verlangen, die zwar gewoͤhn-
lich nur klein iſt, aber doch die armen Mullâs
ermuntern, Fabeln zu lernen, und mit Anſtand
zu
[233] zu erzaͤhlen, ja ſelbſt Reden und Fabeln aus-
zuarbeiten.


Zu Konſtantinopel ſind alle große Verſamm-
lungen in den Kaffeehaͤuſern aus politiſchen Ur-
ſachen verboten, und man findet deswegen in
dieſer Stadt eigentlich keine Kaffeehaͤuſer, ſon-
dern nur Kaffeebuden. Es ſcheint, daß die
Tuͤrken uͤberhaupt nicht große Liebhaber von
den erwaͤhnten Rednern in den Kaffeehaͤuſern
ſind.


Die Araber rechnen ihre Tage vom Unter-
gang der Sonne an, bis ſie wieder untergeht,
und theilen ihn in vier und zwanzig Stunden.
Weil aber nur ſehr wenige unter ihnen von Uh-
ren etwas wiſſen, und deswegen eben keinen ge-
nauen Begriff von der Zeit einer Stunde ha-
ben; ſo beſtimmen ſie ihre Zeit ohngefaͤhr eben
ſo, als wenn Europaͤer ſagen: dieſes oder je-
nes iſt zu Mittage oder am Abend geſchehen.
Sie nennen die Zeit, wenn die Sonne eben un-
tergeht, Mággrib. Die Zeit ohngefaͤhr zwey
Stunden ſpaͤter, heißt Elâſchaͤ. Noch etwa
zwey Stunden ſpaͤter, El maͤrfa. Mitter-
nacht, Nus el lejl. Wenn die Morgendaͤm-
merung anfaͤngt, El fédsjer. Wenn die Son-
ne aufgeht, Es ſubhh. Ohngefaͤhr um neun
Uhr des Morgens, pflegen ſie zu eſſen, und die-
ſe Zeit heißt, El ghádda. Mittag, Ed
duchr,
und ohngefaͤhr drey Uhr des Nachmit-
tags El ásr. Von dieſen verſchiedenen Zeit-
puncten iſt nur Mittag und Mitternacht genau
P 5be-
[234] beſtimmt, und trift gerade auf zwoͤlf Uhr. Die
uͤbrigen alle fallen etwas fruͤher oder ſpaͤter,
nachdem die Tage lang oder kurz ſind. Es wer-
den nur die fuͤnf geſetzten Betſtunden, nemlich
Maggrib, Nus el lejl, Elſedsjer, Duchr
und El ásr von den Rufern (Muaͤſſem) auf
den Thuͤrmen der Moſ keen angezeigt.


Die Mohammedaner rechnen ihre Monate
nach dem Mondenlauf. Der Tag, an welchem
ſie den Neumond zuerſt ſehen, iſt der erſte Tag
des Monats. Wenn der Himmel zur Zeit des
Neumonds etwa mit Wolken bedeckt iſt; ſo be-
kuͤmmern ſie ſich nicht viel darum, ob ſie einen
Tag fruͤher oder ſpaͤter anfangen. Sie nennen
ihre Monate


  • 1. Muhárrem.
  • 2. Saffar.
  • 3. Rabea el aual.
  • 4. Rábea el achar.
  • 5. Dsjummâda el aual.
  • 6. Dsjummâda el achm.
  • 7. Radsjeb.
  • 8. Schabân.
  • 9. Ramadan oder Ramaſan.
  • 10. Schauâl.
  • 11. Dsulkâde.
  • 12. Sulháds je.

Weil ein Mondenjahr eilf Tage kuͤrzer iſt,
als ein Sonnenjahr, und alſo der Anfang des
Mu-
[235]Muhárrem nach einander in alle Jahrszeiten
faͤllt; ſo ſind dieſe Monate zur genauen Beſtim-
mung der Zeit ſehr unbequem, und die Gelehr-
ten rechnen deswegen nach folgenden Monaten:


  • 1. Teſchrîn el aual, enthaͤlt   30 Tage.
  • 2. Teſchrîn Tâni, enthaͤlt   30 Tage.
  • 3. Kanûn aual, enthaͤlt   31 Tage.
  • 4. Kanûn Tâni, enthaͤlt   31 Tage.
  • 5. Schubâd, enthaͤlt   28 oder 29 Tage.
  • 6. Adar, enthaͤlt   31 Tage
  • 7. Najſân, enthaͤlt   30 Tage.
  • 8. Ajâr, enthaͤlt   31 Tage.
  • 9. Huſejrân, enthaͤlt   30 Tage.
  • 10. Tamus, enthaͤlt   31 Tage.
  • 11. Ab, enthaͤlt   31 Tage.
  • 12. Ailûl, enthaͤlt   30 Tage.

Die Mohammedaner haben nur zwey große
Feſttage, welche etwa mit unſern Weynachten,
Oſtern und Pfingſten verglichen werden koͤnnten.
a) Das Oſterfeſt, Arafa, Kurbân oder die
kleine Beiram genannt, faͤllt auf den zehnten
des Monats Sulhadsje. Dieſes ward 1762
zu Kahira am zweyten Julius, 1763 in Jemen
am ein und zwanzigſten Junius, und 1764
in Indien, am zehnten Junius gefeyert. b) Der
große Beiram wird in den erſten zwey bis drey
Tagen des Monats Schauâl, nemlich, gleich
auf den Ramadân gefeyert *). Die Moham-
medaner
[236] medaner faſten nicht ſo wie die Chriſten, ſon-
dern ſie duͤrfen von dem Anbruch des Tages,
d. i. von der Morgendaͤmmerung an, bis zum
Untergang der Sonne, gar nichts genießen.
Dieſes iſt gewiß ſehr hart fuͤr diejenigen, wel-
che genoͤthigt ſind, ihr Brodt des Tages zu ver-
dienen. Fuͤr die Reichen hingegen, iſt dieſes
Faſten in Arabien, wo der Tag im Sommer
nicht viel laͤnger iſt, als ein Winter, nicht ſo
beſchwerlich, weil ſie ſich des Nachts uͤberfluͤßig
ſaͤttigen, und des Tages ausſchlafen koͤnnen.
Aber gluͤcklich ſind die nordiſchen Voͤlker, daß
die mohammedaniſche Religion ſich nicht bis in
ihre Graͤnzen ausgedehnt hat. Sie wuͤrden,
wenn der Ramadan in den Sommer fiele, aus
Gehorſam gegen die Religion, todt hungern
muͤßen.


Zu Maſkat und in Perſien, rechnet man
auch nach den vorhin erwaͤhnten Mondenmona-
ten. Man hat uͤberdieß noch eine Art, die Zeit
zu berechnen, nach welcher das Jahr an dem
Tage des Aequinoctiums anfaͤngt. Dieſer Tag
wird der Naurus genannt. — Die coptiſchen
Chriſten in Egypten zaͤhlen 5500 Jahre von Er-
ſchaffung der Welt, bis zu Chriſti Geburt, und
von dieſer Zeit an, nur 276 Jahre bis zu dem
Anfange der diocletianiſchen Zeitrechnung. Im
Jahre 1762 zaͤhlten ſie nur 1478 Jahre, nach
der diocletianiſchen Zeitrechnung, und 1754
Jahre nach Chriſti Geburt. Ihre Monate ſind
alle gleich, und jeder hat dreyßig Tage. Sie
ſchalten
[237] ſchalten aber am Ende des Jahres fuͤnf Tage,
und jedes vierteljahr ſechs Tage ein. Daher
fallen ihre Feſttage immer in dieſelbe Jahrszeit.
Der Anfang eines coptiſchen Jahrs, faͤllt ge-
gen das Ende des Septembers ein. Die zwoͤlf
Monate der Copten heißen:


  • 1. Tut.
  • 2. Babe.
  • 3. Hatur.
  • 4. Kiiaht.
  • 5. Tube.
  • 6. Amſchîr.

  • 7. Baranchad.
  • 8. Barmude.
  • 9. Beſchanſch.
  • 10. Bavne.
  • 11. Abib.
  • 12. Mesre.

Man findet faſt keinen halbgelehrten Araber,
der nicht die Namen der zwoͤlf himmliſchen
Zeichen im Thierkreis auswendig herſagen kann,
und von den verſchiedenen Haͤuſern des Mondes
gehoͤrt hat: allein, ſelten iſt einer unter ihnen,
der die Sterne kennt. Man trift aber biswei-
len unter den mohammedaniſchen Aſtrologen
einige an, die mit dem Himmel nicht ganz un-
bekannt ſind, und dieſe finden zu ihrer Abſicht
einen hinlaͤnglichen Unterricht, in einem gewiſ-
ſen Buche, in welchem man faſt alle Sternbil-
der nach eben der Ordnung, wie in Bayers Ura-
nometrie
abgebildet ſieht.


Nicht blos der Zeitvertreib, da nemlich die
Morgenlaͤnder unter freyem Himmel ſchlafen,
und deswegen gute Gelegenheit haben, den
Himmel zu betrachten, ſondern auch die Noth-
wendig-
[238] wendigkeit, und der Mangel der Uhren hat ſo-
wohl die gemeinen Araber, als die europaͤiſchen
Bauern gelehrt, auf den Lauf der Sterne Ach-
tung zu geben; auch die Benennung der Stern-
bilder, iſt bey den gelehrten und gemeinen Ara-
bern eben ſowohl verſchieden, als bey den Eu-
ropaͤern. Und ſo wie man in Europa nur we-
nige unter den gemeinen Leuten findet, die ſich
um die Namen der Sterne bekuͤmmern; ſo kann
man auch viele Araber vergebens darnach fra-
gen. Indeſſen kennen doch einige die verſchiede-
nen Sterne, und nennen den großen Baͤren,
Aſch, Naſch oder Benât Naſch; die Pleya-
den, Torija; den Polarſtern nennen einige
Kuttub, andre Dsjuͤddi. Die Venus, wel-
che wir des Abends bey Sonnenuntergang ſe-
hen, nennen einige Araber Marebi, d. i. den
Abendſtern. Den Sirius kennen alle Araber
am perſiſchen Meerbuſen, und vielleicht in ganz
Arabien, unter den Namen Suhhêl. Auf
dieſen merken ſie am meiſten, wenn er ſo weit
aus den Sonnenſtrahlen koͤmmt, daß man ihn
des Morgens ſehen kann, weil die große Hitze
alsdann anfaͤngt abzunehmen. An perſiſchen
Meerbuſen ſieht man den Sirius, in den letz-
ten Tagen des Julius, und man pflegt alsdann
nicht wenig vergnuͤgt daruͤber zu ſeyn. — Der
gemeine Araber pflegt die Milchſtraße Derb et
tuͤbbenîn, d. i. der Weg der Heckerlingtraͤget
zu nennen. Ein Comet heiſt bey den Arabern
ein Lachſa, Abu, Suͤble, Abu Denneb,
d. i.
[239] d. i. Schwanzſtern, und Abu Seif oder der
Schwertſtern.


Obgleich die Araber aſtronomiſche Tabellen
und Abbildungen der Sternbilder haben, wor-
nach ſie ſich alle große Sterne bekannt machen
koͤnnen; ſo findet man unter ihnen doch keinen,
der ſich in der practiſchen Aſtronomie viel geuͤbt
haͤtte, und hierzu fehlt es ihnen gaͤnzlich an gu-
ten Inſtrumenten. Doch bezeigen ſie darzu
große Luſt. — Zu den Inſtrumenten eines mo-
hammedaniſchen Sternkundigen, gehoͤrt erſtlich
eine Himmelskugel, die ſie gut zu gebrauchen
wiſſen. Ferner haben ſie ein Aſtrolabium von
Meßing, und einen kleinen ſauber gemachten
hoͤlzernen Quadranten, womit ſie die Polhoͤhe
nehmen, und die Stunde ihres Gebets beſtim-
men koͤnnen.


Die Sternkundigen des Sultans zu Kon-
ſtantinopel, machen alle Jahr einen neuen Al-
manach, den ſie aufgerollt beſtaͤndig bey ſich
tragen. Herr Niebuhr hat bey den Arabern
keinen Almanach geſehen. Ja man bekuͤmmert
ſich ſowohl in Egypten als in Jemen ſo wenig
darum, das Publikum von der Jahrszeit zu
unterrichten, daß es der Poͤbel daſelbſt nicht
einmal vier und zwanzig Stunden vorher weiß,
wenn ein großer Feſttag einfaͤllt.


Die neuern Entdeckungen der Europaͤer in
der Aſtronomie und ihre Verbeßrungen in den
aſtronomiſchen Rechnungen, ſind den Moham-
medanern aus Mangel der Sprachkenntniſſe,
noch
[240] noch gaͤnzlich unbekannt. Doch findet man in
den großen morgenlaͤndiſchen Staͤdten einige,
die eine Sonnenfinſterniß nach des Ulugh Beighs
Tabellen berechnen koͤnnen. Die Parſi oder
Feueranbeter, gebrauchen auch die Tabellen des
Ulugh Beigh. Die Bramânen ſollen es noch
weiter in der Sternkunde gebracht haben, als
die Parſi und Mohammedaner.


Es iſt nicht nur den morgenlaͤndiſchen Stern-
kundigen, ſondern auch allen vernuͤnftigen Mo-
hammedanern ſehr wohl bekannt, daß der Erd-
ſchatten eine Mondfinſterniß, und der Mond
in ſeinen Stande zwiſchen der Sonne und der
Erde, eine Sonnenfinſterniß verurſacht. Un-
ter dem Poͤbel hoͤrt man noch die Fabel, daß
die Himmelskoͤrper bey ihrer Verfinſterung von
einem großen Fiſch verfolgt werden. Die Wei-
ber und Kinder bringen alsdann geſchwinde ih-
re metallene Becken und Keſſel auf ihre Haͤuſer,
und machen ein großes Getoͤſe, um den Fiſch
zu verjagen. Unſer Verfaſſer hat ſie dabey ſo
vergnuͤgt geſehen, daß er glaubt, ſie thaͤten es,
um ſich an dieſer einfaͤltigen Muſik zu vergnuͤ-
gen, oder welches noch wahrſcheinlicher ſey, um
ihre Nachbarn aufmerſam zu machen, damit
auch ſie die Finſterniß beobachten ſollen. Von
dem Urſprunge dieſer Gewohnheit, erzaͤhlt man
folgende Geſchichte:


Ein arabiſcher Sternkundiger, Namens
Naſer et tûſi, hatte eine Mondfinſterniß be-
rechnet, und hofte gut belohnt zu werden, wenn
er
[241] dem Califen die Zeit, zu der ſie eintreffen wuͤr-
de, bekannt machte. Er ward aber von den
Hofleuten ausgelacht, weil man nicht glaubte,
daß dergleichen Begebenheiten vorherbeſtimmt
werden koͤnnten; ja man beſchuldigte ihn ſo
gar, daß er ſich fuͤr einen Propheten ausgeben
wollte. Weil ſeine Wiſſenſchaft ihm kein Ge-
hoͤr bey dem Regenten verſchaffen konnte, ſo
nuͤtzte er den Aberglauben des Poͤbels, und
breitete aus: es waͤre Gott angenehm, wenn
man den Fiſch, der den Mond bey der Finſter-
niß verfolgen wuͤrde, durch einen großen Lerm
mit metallenen Becken und Keſſeln erſchreckte. —
Die Finſterniß, welche er berechnet hatte, traf
erſt ſpaͤt in der Nacht ein, zu einer Stunde, da
er nicht hoffen konnte, daß ſie von dem Regen-
ten wuͤrde bemerkt werden. Er ſelbſt gab alſo
das Zeichen. Sobald ſeine Nachbaren, welche
nach der Gewohnheit des Landes auf den Daͤ-
chern ſchliefen, es hoͤrten, ſo ſchlugen ſie auch
auf ihre Keſſel, und der Lerm verbreitete ſich in
kurzer Zeit bis an den Pallaſt des Califen, wel-
cher davon erwachte, und nun ſah, daß die
Rechnung des Naſer et tûſi richtig ſey.


Weil Mohammed ausdruͤcklich verboten hat,
das Loos um Rath zu fragen, und durch Pfei-
le wahrzuſagen; ſo findet man dieſe alte Ge-
wohnheit *) nicht mehr bey den Arabern. Den-
Qnoch
[242] noch ſind die Mohammedaner ſehr aberglaͤubiſch,
und es ſcheint, daß die Schiiten hierinn die
Sunniten noch weit uͤbertreffen. Jene unter-
nehmen keine wichtige Handlung, z. E. ſchlieſ-
ſen keinen Kontrakt von Wichtigkeit, ohne vor-
her ihre Knoͤpfe am Kleide, oder die Steine an
ihrem Roſenkranze gezaͤhlt, und gleichſam um
Rath gefragt zu haben, und hieruͤber werden
ſie
*)
[243] ſie bisweilen von andern ſchlauen Kaufleuten
deſto leichter betrogen. Aber auch nicht alle
Perſer ſind gleich aberglaͤubiſch.


Die Araber haben verſchiedene geheime
Wiſſenſchaften,
wovon niemand Gebrauch
machen darf, wenn er nicht von einem großen
Meiſter aus der Zunft, dem er waͤhrend einer
gewiſſen Zeit den Teppich zum Gebet ausgebrei-
tet
*)
Q 2
[244] tet hat, gleichſam ausgeſchrieben iſt. Das
heißt, man glaubt, daß einer ſeine Kunſt nicht
ausuͤben koͤnne, wenn er nicht dazu von ſeinem
Meiſter die Erlaubniß erhalten hat. Zu dieſen
rechnet man folgende drey:


a)Ism alláh, d. i. die Wiſſenſchaft des
Namens Gottes. Sie behauptet: Gott ſey
das Schloß, und Mohammed der Schluͤſſel zu
dieſer Wiſſenſchaft, und deswegen koͤnne keiner,
als nur ein Mahommedaner, ſie lernen. Man
ſoll dadurch erfahren koͤnnen, was in weitentle-
genen Laͤndern vorgeht. Denn derjenige, wel-
cher dieſe Kunſt verſteht, ſoll eine ſo genaue
Bekanntſchaft mit den Geniis erhalten koͤnnen,
daß dieſe voͤllig zu ſeinem Befehle ſtehen, und
ihm Nachricht bringen. Man ſoll ferner durch
dieſe Wiſſenſchaft Wind und Wetter regieren,
Schlangenbiſſe, Kruͤppel, Lahme und Blinde,
heilen koͤnnen. Einige der groͤſſeſten moham-
medaniſchen Heiligen ſollen es durch ihre gottes-
fuͤrchtige Lebensart darinn ſo weit gebracht ha-
ben, daß ſie alle Mittage ihr Gebet in der Ka-
ba zu Mecca verrichtet haben, ohne die uͤbrige
Zeit des Tages aus ihren Haͤuſern gekommen
zu ſeyn.


Man trift unter den Mahommedanern Leu-
te an, die ſich, ohne etwas zu eſſen oder zu
trinken, eine lange Zeit an einen dunkeln Ort
einſperren, und einige kleine Gebete ſo lange
mit einer ſtarker Stimme herſagen, und immer
wiederholen, bis ſie in eine Ohnmacht fallen.
Wenn
[245] Wenn ſie ſich wieder erholen, ſo geben ſie nicht
nur vor, eine Menge Geiſter, ſondern Gott
ſelbſt geſehen zu haben. Aber dergleichen Er-
ſcheinungen ſuchen diejenigen nicht, welche die
Wiſſenſchaft Ism alláh gruͤndlich verſtehen.


b)Simia. Dieſe Wiſſenſchaft wuͤrden
wir etwa die Taſchenſpielerkunſt, oder die na-
tuͤrliche Zauberey nennen. Sie lehrt, außer
vielen andern Kuͤnſten, wie man Feuer, Schlan-
gen u. d. gl. ohne Schaden eſſen kann; wie
man einem ſogenannten Marktſchreierbrunnen
befehlen kann, wenn er laufen oder ſtill ſtehen
ſoll; wie man ein Ey, welches in einem dop-
pelten Becher liegt, in ein Kuͤchlein, oder Staub
in Fruͤchte verwandeln kann, wie man Staub,
in eine Schuͤſſel mit Waſſer werfen, und ihn
wiederum trocken vom Boden herausnehmen
kann, und dergleichen. — Obgleich die aͤch-
ten mohammedaniſchen Geiſtlichen dieſe Wiſſen-
ſchaft gar nicht billigen, ſo bedienen ſich doch
einige Orden Derwiſche (eine Art Moͤnche)
derſelben, um dem Poͤbel ein Blendwerk vor-
zumachen. Ja einige wollen gar durch dieſe
Art Wunderwerke die Wahrheit ihrer Religion,
und die Heiligkeit des Stifters ihres Ordens
beweiſen. — Dieſe Kuͤnſte werden nirgends
mit ſo vieler Freyheit getrieben als zu Basra.
Man ſieht hier am Abend eines jeden Donner-
ſtags, welchen die Mohammedaner den Frey-
tags Abend nennen, einen großen Schwarm
Derwiſche von dem Orden eines Schechs, die
Q 3mit
[246] mit Trommeln und Singen, durch die vor-
nehmſten Straßen der Stadt ziehen, und aller-
ley Gaukeleyen machen, beſonders damit, daß
ſie ſich ein Eiſen, welches unten ſpitz iſt, und
oben einen Knopf einer Fauſt dicke hat, mit
Gewalt ins Auge werfen, und es wieder her-
ausziehen, ohne daß es ihnen ſchadet. Dieſe
Derwiſche begeben ſich nach der Proceſſion in
das Haus des Nakib es ſcheraf, d. i. des Ober-
haupts der Nachkommen Mohammeds in dieſer
Stadt, um einige Kapitel aus dem Koran zu
leſen oder leſen zu hoͤren.


Die Derwiſche von dem Orden Bedreddin
feyern in der zwoͤlften Nacht des Rabea el aual
ein ſehr großes Feſt wegen der Geburt Moham-
meds. Bey dieſem Feſte war unſer Verfaſſer
als ein Mohammedaner gekleidet, und hat das
Schauſpiel der Derwiſche mit angeſehen. Al-
les, ſagt Hr. N. geſchah unter freyen Himmel,
und auf dem großen Platze brannten nicht mehr
als drey große Wachslichter. Die Schechs und
die Vornehmen aus der Stadt ſaßen oben in
einer Reihe, und unter dieſen war beſonders der
oberſte Schech des Ordens merkwuͤrdig. Alle
Derwiſche kuͤßten ihm auf ihren Knien die
Hand inwendig und auswendig, und legten ſie
auf ihren Kopf, um gleichſam den Seegen zu
erhalten. An beyden Seiten ſaß eine Menge
Derwiſche und Mullâs, die zum Theil mit
agirten, oder nur Zuſchauer waren. Einige
laſen, oder ſangen vielmehr, gewiſſe Stuͤcke
aus
[247] aus den Koran, eins ums andre, bis ſich eine
Menge Zuſchauer verſammlet hatte. Einer
raͤucherte, indem er Staub von der Erde nahm,
und ins Feuer warf, und den Geruch des Weih-
rauchs hervorbrachte. Hierauf kamen einige
Bediente in bunten Kleidern, welche mitten auf
dem Platze auf- und niedergingen, allerhand
laͤcherliche Stellungen machten, und der Ver-
ſammlung aus vollen Halſe zuriefen, ſie ſollte
Gott fuͤrchten, und ſich des Propheten erinnern.
Vor dem oberſten Schech war eine Menge von
den erwaͤhnten kurzen aber ſchweren Eiſen, die
man Dabus nennt, und auch viele andre etwa
drittehalb Fuß lange duͤnne Eiſen, in die Erde
geſteckt. Mehr als zwan[z]ig Derwiſche ſpran-
gen auf einmal auf, und jeder nahm mit vieler
Ehrerbietung einen Dabus. Eine Menge
Mullas und andre Mithelfer ſchlugen auf klei-
ue Handtrommeln, und ſangen, um die Akteurs
zu begeiſtern, oder vielmehr, um die Zuſchauer
zu betaͤuben. Die Derwiſche liefen mitten auf
dem Platze unordentlich durch einander, und
jeder warf ſich ſein ſchweres und ſpitzes Eiſen
aus allen Kraͤften ins Auge und in die Bruſt,
ſtellte ſich darauf, als wenn er alle Kraͤfte an-
wenden muͤßte, um es wieder herauszuziehen,
und doch hatte ſich keiner verwundet.


Der oberſte Schech haͤtte die Hauptrolle
ſpielen ſollen. Weil aber dieſe fuͤr ihn vielleicht
zu muͤhſam war, ſo muſte einer ſeiner Schuͤler
ſeine Stelle vertreten. Dieſer warf ſich vor ſei-
Q 4nem
[248] nem Schech auf die Knie, und hielt ein langes
Gebet, in welchem er ſeinen Meiſter um Huͤlfe
anzurufen ſchien. Als er ihm hierauf die Hand
gekuͤßt, und ſie auf ſeinen Kopf gelegt hatte, ſo
ſprang er auf, warf ſeinen Turban von ſich,
und ließ ſeine langen Haare los und herunter
hangen. Er machte allerhand wunderliche
Spruͤnge, als wenn er begeiſtert, oder vielmehr
naͤrriſch waͤre. Bisweilen ſtand er ſtille, und
bedeutete dem Muſikanten, welche Lieder, oder
welche Toͤne ſeine Begeiſterung befoͤrdern koͤnn-
ten. Endlich ergrif er zehn bis zwoͤlf Stuͤck
von den erwaͤhnten langen und duͤnnen Eiſen,
und lief damit auf dem ganzen Platze herum. —


Wenn man aus dieſen Ceremonien der Moͤn-
che des Ordens Bedr eddîn, welche bey allen
vernuͤnftigen Leuten verhaßt ſind, auf den Got-
tesdienſt aller Mohammedaner ſchließen wollte;
ſo wuͤrde man ſich ſehr betruͤgen. Indeſſen hat
man wohl nur gar zu oft aus nicht viel beſſern
Gruͤnden die Religion der fremden Nationen
beurtheilt.


Die Wiſſenſchaft Kurra iſt vermuthlich
ein Theil der Simia. Jene iſt die Kunſt, Zet-
tels zu ſchreiben, welche fuͤr boͤſe Augen und
unzaͤhlige andre Faͤlle nuͤtzlich ſeyn ſollen. Man
traͤgt dieſe Zettel in Leder geneht, auf der Muͤtze
oder auf den Armen, oder auf der Bruſt; ja,
man macht den ſchoͤnen Pferden, Maulthieren
und Eſeln davon ganze Schnuͤre um den Hals,
wovon das eine verhuͤten ſoll, daß das Thier
ſich
[249] ſich nicht erhitze; ein anders ſoll ihm Appetit
zum Freſſen geben, u. ſ. f. Das Oberhaupt
einer gewiſſen Familie zu Haleb, theilet an ei-
nem gewiſſen Tage im Jahre, eine Menge ſol-
cher Zettel umſonſt aus, welche die Wuͤrkung
haben ſollen, daß in das Zimmer, worinn einer
am Fenſter ſteckt, keine Fliegen oder Muͤcken
kommen. Nur muß dieſer Zettel an einem be-
ſtimmten Tage vor Sonnenaufgang geholt wer-
den. Der Bote muß an dem Morgen weder
gegeſſen noch getrunken haben, und zu dem darf
er bis zu ſeiner Zuruͤckkunft nicht ein Wort reden,
wenn der Zettel ſeine Kraft nicht verlieren
ſoll. — Man hoͤrt ſelten, daß die Zimmer,
in welchen dieſe Zettel am Fenſter ſtecken, weni-
ger von Fliegen und Muͤcken angefuͤllt ſind, als
diejenigen, wo man ſie nicht findet. Die mei-
ſten, welche ſie abholen, ſind alte Weiber, und
dieſe ſind denn gemeiniglich ſo hoͤflich zu glau-
ben, daß ſie ſelbſt nicht alle vorgeſchriebene Re-
geln wohl beobachtet haben. Daher kommt es,
daß die Zettel noch jaͤhrlich an dem beſtimmten
Tage mit großer Begierde verlangt werden.
Juden, Mohammedaner, Chriſten — alle
koͤnnen dergleichen Zettel ſchreiben.


Die Wiſſenſchaft Ramle gehoͤrt vermuth-
lich gleichfalls zu der Wiſſenſchaft Simia.
Man will dadurch aus dem Namen eines Men-
ſchen, und dem Namen ſeiner Mutter vorher-
ſagen koͤnnen, was ihm begegnen werde. Wenn
jemand krank wird, ſo muß ein Mulla gleich
Q 5nach-
[250] nachſchlagen, ob der Kranke wieder geſund wer-
de, oder nicht, und dafuͤr wird in gewiſſen Faͤl-
len ein Hahn, oder ein Schaaf bezahlt. Der
Gebrauch der Wiſſenſchaften Kurra und Ramle
wird von den großen ſunnitiſchen Lehrern fuͤr
ſuͤndlich gehalten; denn ſie wiſſen ſehr wohl,
daß dem Poͤbel dadurch nur das Geld aus dem
Beutel gelockt wird. Indeſſen hindert man die
armen Schreiber nicht, damit ein Stuͤck Brodt
zu verdienen. Und weil die meiſten Moham-
medaner geizig ſind, ſo bedienen ſich auch oft
Gelehrte dieſer Freyheit, welche ohnedieß gut
leben koͤnnten.


c) Die Wiſſenſchaft Sihr iſt — die Hexe-
rey. Durch ſie ſoll man nur ſuchen, ſeinem
Naͤchſten Schaden zuzufuͤgen, und deßwegen
werden diejenigen, welche davon Gebrauch ma-
chen, von allen ehrliebenden Arabern aufs aͤuſ-
ſerſte gehaßt und verflucht. Alſo kein Wort
mehr von dieſer Kunſt.


Wir werden dieß Kapitel beſchließen, wenn
wir unſern Leſern eine Beſchreibung von der
Arzeneywiſſenſchaft der Araber werden vorge-
legt haben.


Die Mohammedaner ſind uͤberhaupt wegen
ihrer regelmaͤßigen Lebensart ſelten krank; und
wenn ſie ja die Huͤlfe eines Arztes beduͤrfen, ſo
belohnen ſie ihn nur ſelten nach Verdienſt.
Die wenigſten wollen ſelten mehr als die Arze-
ney bezahlen. Stirbt der Kranke, ſo hat der
Arzt ſchwerlich fuͤr ſeine Muͤhe etwas zu hoffen;
wird
[251] wird er aber wieder geſund, ſo vergißt er ſehr
bald ſeine Krankheit und die Dienſte des Arztes.
Die meiſten mor enlaͤndiſchen Arzte ſind daher
genoͤthigt, ihre Zuflucht zur Liſt zu nehmen,
um nur ſo viel zu gewinnen, daß ſie nothduͤrf-
tig leben koͤnnen. Sie wiſſen nemlich, daß ihre
Patienten alsdann am freygebigſten ſind, wenn
ſie einige Linderung der Krankheit ſpuͤren, und
daß ihnen dann am meiſten daran gelegen iſt,
den Arzt bey guter Laune zu erhalten. Dieſe
ſchoͤne Gelegenheit pflegt der Arzt nicht zu ver-
ſaͤumen, und unter mancherley Vorwande ſo
viel Geld zu verlangen, als er nach den Umſtaͤn-
den des Kranken zu erhalten hoffen kann. Auf
dieſe Art laͤßt er ſich ſeine Kur zum voraus be-
zahlen. Dieſer und andrer Urſache wegen wird
man in Arabien keine großen Aerzte erwarten
koͤnnen, und man trift daſelbſt auch wohl ſel-
ten einen an, der von der Arzeneywiſſenſchaft
mehr gelernt hat, als die Kunſtwoͤrter aus al-
ten arabiſchen und griechiſchen Arzeneybuͤchern.
Niebuhr verſichert, in Arabien keinen geſchick-
ten und beruͤhmten Arzt gekanut zu haben; in
Jemen aber habe er einige gekannt, welche zu-
gleich Laboranten, Apotheker, Wund- und Pfer-
deaͤrzte waren, und dennoch ihren nothduͤrftigen
Unterhalt kaum verdienen konnten.


Die Araber wiſſen ſich vieler Hausmittel
mit Nutzen zu bedienen. — In Salmons
und Gochs Staat von Arabien iſt bemerkt
worden, daß die Araber lieber ſterben, als ſich
ein
[252] ein Clyſtier ſetzen laßen. Unſer Verfaſſer haͤlt
dieß fuͤr unrichtig; denn er erzaͤhlt, daß ein
Arzt ſich dieſes Mittels bey Vornehmen zu Ka-
hira bedient habe. — Daß die Mohammeda-
ner ihren Kranken bisweilen eine Ader oͤfnen,
iſt bekannt. — Das Schroͤpfen iſt bey den
Arabern ſehr gemein. Die Werkzeuge, welche
ſie dazu gebrauchen, ſind aber ſehr ſchlecht.
Die gemeinen Leute zu Basra, und beſonders
die Hamals, d. i. die Laſttraͤger, zerhacken ſich
das Fleiſch unter der Wade, daß ihnen das
Blut an den Beinen herunter ſtroͤmt; denn
hierdurch glauben ſie ſtark zu werden. Wenn
die Araber einem Miſſethaͤter die Hand oder ei-
nen Fuß abgehauen haben, ſo ſtecken ſie den
Stumpf in gekochtes Oehl, um das Blut zu
ſtillen.


Die ſuͤdlichen Araber wollen behaupten, daß
das Salben den Leib ſtaͤrke, und ſie, da ſie faſt
nackend gehen, gegen die Hitze der Sonne
ſchuͤtze. — Die Zahnſchmerzen ſcheinen uͤber-
haupt bey den Mohammedanern ſeltner zu ſeyn,
als bey den Europaͤern, vermuthlich, weil ſie
ſich fleißiger waſchen. Sie eſſen k[a]um Fruͤchte,
und noch viel weniger andre Speiſen, ohne ſich
den Mund gleich nachher zu reinigen. Indeſſen
ſind die Zahnſchmerzen den Arabern, und fuͤr-
nemlich denen, die in den Staͤdten wohnen,
nicht unbekannt. Man haͤlt dafuͤr, daß der
uͤble Geruch auf den Abtritten, welche nicht be-
ſtaͤndig rein gehalten werden, den Zaͤhnen ſehr
ſchaͤdlich
[253] ſchaͤdlich ſey. Die Abtritte ſind vielleicht in
keiner morgenlaͤndiſchen Stadt ſo ſchlecht, und
wegen der großen Hitze ſo unbequem als zu
Basra, und hier hoͤrt man auch ſonderlich uͤber
Zahnwehe klagen.


Die Araber wollen auch Wuͤrmer in den
Zaͤhnen bemerkt haben. Der Nervenwurm iſt
in Jemen, auf der Halbinſel von Indien, und
auch in Perſien ſehr gemein. Man glaubt
in Jemen, daß der Nervenwurm von dem ſte-
henden Waſſer herruͤhre, welches man in eini-
gen Gegenden zu trinken genoͤthigt iſt. Viele
Araber brauchen deßwegen die Vorſicht, das
ihnen unbekannte Waſſer durch Leinwand zu
trinken. Wenn nun einer die Inſekten, oder
den Saamen, woraus dieſe Wuͤrmer entſtehen,
ſchon bey ſich hat, ſo ſpuͤrt man davon ſo lan-
ge nichts, bis ſich die Wuͤrmer durch die Haut
arbeiten wollen, und dieſes verurſacht auch nur
einiges Jucken. Der Nervenwurm iſt ſo duͤn-
ne wie ein Zwirnfaden, aber bisweilen zwey bis
drey Fuß lang. Wenn er ſich etwas durch die
Haut gearbeitet hat; ſo winden ihn die Morgen-
laͤnder auf einen Strohhalm, oder auf ein klei-
nes Stuͤck duͤnnes Holz. Weil er ſich nach und
nach herausziehet; ſo winden ſie ihn taͤglich
weiter auf, bis er ſich endlich ganz heraus ge-
arbeitet hat, und damit kann er einige Wochen
zubringen. Man muß ſich ſehr huͤten, daß
man ihn nicht abreißt, denn in dieſem Falle
zieht er ſich wieder zuruͤck. Man will Bey-
ſpiele
[254] ſpiele haben, daß Leute davon gelaͤhmt worden,
oder daß der kalte Brand dazu gekommen, und
ſie davon geſtorben ſind.


Die Araber haben dreyerley Arten von Aus-
ſaß, nemlich, 1) Bohak. Dieſe iſt weder
anſteckend noch gefaͤhrlich. 2) Barras.
Dieſe Gattung wird auch nicht fuͤr gefaͤhrlich
gehalten. 3) Dsuͤddam. Dieſer Ausſatz iſt
der allerſchlimmſte; er iſt vielleicht derjenige,
den Hillary den Ausſatz der Gelenke nennt, nach
welchem die Finger Glied vor Glied abfallen
ſollen.


Die Mohammedaner glauben zwar, daß
ihnen nichts begegnen koͤnne, was Gott nicht
vorher beſchloſſen habe. Nachdem aber die Tuͤr-
ken bemerkt, daß die Eropaͤer ſich zu der Zeit
der Peſt einſchließen, und deßwegen ſelten einer
von ihnen an dieſer Krankheit ſtirbt; ſo haben
auch einige wenige angefangen zu einer ſolchen
Zeit, ſo viel moͤglich abgeſondert zu leben.
Doch verſaͤumt keiner deßwegen ſeine oͤffentli-
chen Geſchaͤfte. Mann kann aber uͤberhaupt
ſagen, daß man wegen des Ausſatzes, in eini-
gen Gegenden vorſichtig iſt. Der itzt noch re-
gierende Schech zu Abuſchaͤhhr ſchickt diejenigen,
welche mit der Gattung des Ausſatzes, die man
Abbras nennt, behaftet ſind, man ſagt auch,
diejenigen, welche gefaͤhrliche veneriſche Krank-
heiten haben, nach der Inſul Bahhraje.


Das
[255]

Sechſtes Kapitel.


Abriß von den Bedouinen, oder herum-
ſtreifenden Arabern.


Bisher haben wir von den Arabern, wel-
che in den Staͤdten wohnen, und ſich
in gewiſſe Oerter niedergelaſſen haben, geredet.
Itzt muͤſſen wir aber noch diejenigen be-
kannt machen, welche in abgeſonderten Staͤm-
men, unter Zelten wohnen, und ein herum-
ſtreifendes Leben fuͤhren. Dieſe Bedouinen,
welche in arabiſcher Sprache Badowi*) heiſſen,
bevoͤlkern den oͤſtlichen Theil des wuͤſten Ara-
biens, und man kann dieſe recht eigentlich die
wahren Araber nennen, weil ſie ihre alte Frey-
heit allen Bequaͤmlichkeiten, die ihnen die Com-
munication mit andern Volkern verſchaffen konn-
te, vorgezogen haben, und die Regimentsver-
faſſung, Sitten und Gewohnheiten ihrer Vor-
fahren noch bis auf den heutigen Tag ſorgfaͤl-
tig beobachten.


Die verſchiedenen Berichte, welche uns die
Reiſebeſchreiber von dieſen herumirrenden Ara-
bern,
[256] bern, gegeben haben, ſind voll von Widerſpruͤ-
chen. Ein Portug[i]ſiſcher Reiſender macht uns
von ihnen einen Abriß, und ſtellt ſie als Leute
vor, bey denen weder Policey noch Geſellſchaft
anzutreffen ſey, die zwar den Mohammed ver-
ehrten, aber nichtsweniger als aͤchte Muſel-
maͤnner waͤren, die ſich mit nichts als Rauben
und Stehlen beſchaͤftigten, ſich in ihrem An-
zuge und Sitten, ſchmuzig und grob zeigten,
alle Ordnung und Geſetze ſo ſehr verabſcheuten,
daß ſie bey vorfallenden Streitigkeiten nicht die
geringſten Zeichen der Gerechtigkeit blicken
ließen.


Andere, und zugleich zuverlaͤßigere, Schrift-
ſteller, machen uns einen vortheilhaftern Abriß
von der Regierungsform und Sitten dieſer
Araber. Herr Niebuhr, und mit ihm ſtimmt
Arvieux faſt uͤberein, meldet uns, daß ſie in
viele Familien eingetheilet ſind, und daß ein
jeder Schech, (welches die Adlichen unter ih-
nen ſind) uͤber ſeine Familie und Bedienten
herrſche. Wenn nun, ſagt, H. N. ferner,
dieſe Schechs ihr Eigenthum gegen ihre Nach-
barn nicht vertheydigen koͤnnen; ſo verbinden
ſich mehrere kleine Schechs, und waͤhlen unter
ſich einen groͤßern. Mehrere groͤßere Schechs
unterwerfen ſich, mit Genehmhaltung der klei-
nern, einem noch maͤchtigern als ſie ſind, und
der ganze Stamm wird alsdenn nach der Fa-
milie des großen Schechs benennt. — Ihre
Bedienung iſt erblich; wenn ſie aber ohne maͤnn-
liche
[257] liche Erben ſterben, ſo verſammlen ſich alle
Haͤupter des Stammes und ſchreiten zur Wahl
eines andern Schechs, welchen der Groß-Emir
bekraͤftigen muß. Es iſt nicht allemal noͤthig,
daß der aͤlteſte von den Soͤhnen oder Anver-
wandten der Familie zur Regierung gelangt,
ſondern man waͤhlt denjenigen aus der Fami-
lie, der fuͤr den tuͤchtigſten gehalten wird. Ein
jeder kleiner Schech iſt, wie bereits geſagt, der
Anfuͤhrer ſeiner Familie, und der große Schech
darf ſie nicht eigentlich als Unterthanen, ſon-
dern als Bundesgenoſſen anſehen, weil jene
ſonſt von ihm abfallen, und ihre Heerde zu ei-
nem andern Stamm treiben koͤnnen, von dem
ſie mit offnen Armen aufgenommen werden.


Der maͤchtigſte und an Vaſallen und Un-
terthanen reichſte Emir, fuͤhrt nach dem Be-
richte des Arvieux, den koͤniglichen Titel. Er
reſidirt in einer Wuͤſte auf der Straße nach
Mecca, in einer gleichen Entfernung von die-
ſer Stadt und dem Berge Sinai. Ein ieder
von ihnen glaubt in ſeinem Gebiete voͤllig ſou-
verain zu ſeyn, weil ſeine Vorfahren in der
Gegend, wo er wohnt, vielleicht einige hundert
Jahre gewohnt haben. Aus dieſer Urſache
glaubt er auch ein Recht zu haben, von den
Reiſenden die durch ſein Gebiet ziehen wollen,
gewiſſe Geſchenke, Zoll verlangen zu koͤnnen,
und es in dieſem Stuͤcke eben ſo zu halten, als
andre Nationen. Der Großſultan ſchickt ihm
alle Jahre ein anſehnliches Geſchenk, um ihn
Rdadurch
[258] dadurch zu verbinden, daß er die Brunnen am
Wege nach Mecca nicht verderbe, und den Pil-
grimmen freyen Durchzug verſtatte. Gleiche
Geſchenke werden den uͤbrigen Emirs gegeben,
welche der Sultan aus eben dieſen Beweggruͤn-
den ſchonen muß. Die Tuͤrken haben aus
trauriger Erfahrung gelernt, daß Gewalt bey
einem Volke nichts vermoͤge, das ſich in un-
fruchtbaren Wuͤſteneyen verſchanzt, wo eine
Armee fuͤr Hunger ihr Leben einbuͤßen muͤßte,
ehe ſie den Feind erreichen koͤnnte. Die Be-
douinen ſind nie von einem Auswaͤrtigen be-
zwungen worden, und aller Wahrſcheinlichkeit
nach, werden ſie auch nie von andern bezwun-
gen werden koͤnnen. — Es ereignet ſich ſehr
oft, daß die verſchiedenen Staͤmme unter ſich
viele, aber kleine und nicht blutige Kriege fuͤh-
ren. Machen nun etwa die Tuͤrken Miene, ſich
dieſer Uneinigkeit zu bedienen, und einen Ein-
fall gegen die Bedouinen zu wagen, ſo vereini-
gen ſie ſich alsbald, um gemeinſchaftlich zuerſt
das allgemeine Wohl zu vertheidigen.


Die Einkuͤnfte der Emirs ſind nichts weni-
ger als betraͤchtlich, weil ſie von ihren Unter-
thanen keine Abgaben fodern, und auch nicht
fodern koͤnnen. Sie brauchen aber auch nichts,
denn das Heer, welches ſie anfuͤhren, braucht
von ihnen nicht beſoldet zu werden, und die
Sparſamkeit, die ſie beweiſen, laͤßt ſchon ver-
muthen, daß ſie keinen großen Aufwand ma-
chen koͤnnen. Ihr groͤßeſter Reichthum beſteht,
in
[259] in den Stutereyen und dem Heerden Vieh.
Die meiſten von ihnen handeln mit den Kar-
wanen, die durch ihr Gebiet ziehen, an wel-
che ſie ihre Pferde (die den groͤſten Theil
ihres Handels ausmachen) und Vieh —
welches aus Ziegen und Schafen beſteht,
denn das Land bringt faſt nichts als Tamarin-
den und Heidekraut hervor — gegen Lein-
wand, Tuch, Kaffe, Reis und andre Beduͤrf-
niſſe, vertauſchen. Dieſen Handel treiben
nicht nur die Schechs, ſondern auch ihre Un-
terthanen.


Die Bedouinen haben bey ihren Streitig-
keiten und peinlichen Klagen,
weder Advo-
katen noch Gerichtsſchreiber, ja nicht einmal
Gerichtsdiener, welche, wie bey den Tuͤrken,
die ſtreitenden Partheyen vor Gericht fodern.
Zuweilen waͤhlen ſie zu ihrem Richter den er-
fahrenſten Bedouinen im Lager. Der Emir
entſcheidet alle Rechtsſachen, auf die Ausſage
der Zeugen und der Partheyen, jedesmal mit
lauter Stimme, und ohne etwas nieder zu-
ſchreiben. Sein Ausſpruch wird in dem Au-
genblick vollzogen, ohne daß jemand etwas
dawieder einwenden koͤnnte. Der Schech ent-
ſcheidet, wenn der Emir nicht gegenwaͤrtig iſt;
aber ſeine Entſcheidung iſt nicht unwiderruf-
lich. — Die Bedouinen erſcheinen ſo ſelten
als moͤglich vor dem Emir oder dem Schech;
ſie beklagen ſich lieber bey ihres Gleichen, in-
ſonderheit bey denen, die ſie als die uneigen-
R 2nuͤtzigſten
[260] nuͤtzigſten kennen. Sie bringen ihre Klagen an,
ohne zu ſchreyen, oder einander in die Rede zu
fallen; ſie buͤrden ſich unter einander nichts
durch Luͤgen auf, und gebrauchen auch keine
anzuͤgliche Worte. Sie laſſen es allezeit bey
dem Ausſpruche ihres Schiedsrichters bewen-
den, und beobachten treulich das, was ausge-
macht worden iſt.


Nicht leicht entſtehen Streitigkeiten unter
ihnen, als etwa des Handels wegen, beym
Kaufe oder Verkaufe, oder bey Vertauſchung
ihres Viehes, und anderer Lebensmittel. Wenn
ſie einen Tauſch treffen, ſo werfen ſie eine Hand-
voll Erde auf die Pferde, Schafe u. ſ. w. die
ſie auswechſeln wollen, und ſagen in Gegen-
wart von Zeugen: Wir geben einander Er-
de um Erde.
Sobald ſie dieß geredet, kann
der Handel auf keine Weiſe ruͤckgaͤngig gemacht
werden.


Nach der Art, wie die Bedouinen leben,
geſchicht es nicht leicht, daß peinliche Klagen
unter ihnen vorfallen. In ſolchem Falle aber
koͤnnte der Emir dem Verbrecher laſſen Stock-
ſchlaͤge geben, ihn aufhaͤngen, ſpießen, koͤpfen,
oder den Bart abſchneiden laſſen — welches
letztere die ſchimpflichſte Strafe iſt. Allein ſie
gehen mit dergleichen Beſtrafungen ſo ſparſam
um, als es moͤglich iſt.


Die Bedouinen wohnen ſchon ſeit etlichen
Jahrhunderten in den Wuͤſteneyen Arabiens,
campiren zu allen Jahrzeiten unter Zelten, ha-
ben
[261] ben keine bleibende Staͤte, und verweilen ſich
nur an ſolchen Oertern, wo ſie Waſſer, Fruͤch-
te und Weide fuͤr ihr Vieh, finden. Dieſe
fluͤchtige Lebensart ziehen ſie allen andern vor. —
Der Emir hat mehr als ein Zelt; aber ſie ſind
eben ſo wie die andern, naͤmlich von Ziegenhaa-
ren, und unterſcheiden ſich nur etwas in Anſe-
hung der Groͤße. Er hat naͤmlich eins, wo er
Audienz giebt, eins, fuͤr ſich; eins, fuͤr ſeine
Weiber, und noch verſchiedene kleinere fuͤr ſeine
Bedienten, wo ſie kochen und ihre Haushal-
tung haben. Die Form des Lagers iſt rund nach
Beſchaffenheit des Platzes. Die Zelte des
Emirs ſtehen in der Mitte, und der Bodouinen
ihre, um dieſe herum, doch in gewiſſer Entfer-
nung von ohngefaͤhr dreyßig Schritten, aus
Achtung fuͤr den Herrn Emir und ſeine Ge-
mahlinnen.


Die gemeinen Leute haben in ihren Zelten
keinen andern Hausrath als einige Matten,
worauf ſie ſchlafen, und ein paar Decken. Das
Kopfkuͤſſen beſteht gemeiniglich aus einem Stei-
ne, den ſie unter die Matte legen. Ihr Kuͤ-
chengeraͤth beſteht aus etlichen Keſſeln und hoͤl-
zernen Naͤpfen, worein ſie die Suppe und das
Fleiſch anrichten, einer kleinen Handmuͤhle, et-
lichen Kruͤgen und ziegenhaͤrnen Saͤcken, in wel-
chen ſie ihre Kleider verwahren. — Die Emirs
ſind indeſſen weit beſſer eingerichtet. Man fin-
det bey ihnen Matrazzen, Decken und Teppiche,
einige derſelben ſind oft mit Gold und Seide
R 3durch-
[262] durchgewirkt. Sie haben Kuͤſſen von Sammt,
Tuch oder Atlaß, nach Art der Tuͤrken. Un-
ter ihre Bettdecken werden große weiſſe Tuͤcher
genaͤht, das Bett-Tuch aber iſt allezeit von ge-
ſtreifter Leinewand. — Die Bedouinen ſchla-
fen nicht leicht ohne Nachtbeinkleider: dieß er-
fodert die Beſcheidenheit. Es waͤre ein Zeichen
der groͤbſten Unverſchaͤmtheit, wenn man ei-
nem andern etwas nackendes zeigen wollte.
Auch die Kinder duͤrfen dieſe Beſcheidenheit
nicht verletzen, und laͤßt es ſich ein Kind bey-
gehen ohne Beinkleider etwa zu ſchwimmen; ſo
zuͤchtigt man’s aufs haͤrteſte, und zwar nicht,
wie bey uns, mit der Ruthe, — ſondern man
giebt ihm die Ruthe auf die Fußſohlen.


So beſcheiden ſie nun aber in ihrem Aeußer-
lichen ſind, ſo unreinlich ſind ſie dagegen bey
ihren Eſſen.


Bey den Emirs und Schechs beſteht der
Tiſch aus einem großen rundgeſchnittenen Stuͤck
Leder, das auf die Erde gebreitet wird. Die
Teller und Schuͤſſeln ſind von Kupfer, die Loͤf-
fel von Holz, die Taſſen von Silber, oder von
aͤchten und unaͤchten Porcelain, oder von Meſ-
ſing. — Ehrbahre, und mehr als gemeine
Leute, ſitzen bey Tiſche mit kreuzweisgelegten
Beinen, faſt wie unſre Schneider; das gemei-
ne Volk aber kniet, und ſitzt auf den Ferſen.
Es iſt nicht gebraͤuchlich ein Tiſchtuch aufzu-
decken, ſondern man ſetzt die Schuͤſſeln auf das
Leder, und um dieſe herum legt man die Loͤffel.
Von
[263] Von Gabeln weiß man nichts; ſie ſagen: Mo-
hammed haͤtte denjenigen Ablaß verſprochen, die
mit drey Fingern aͤßen. Und aus dieſem Grun-
de nehmen ſie alles Fleiſch mit den Fingern,
doch nur mit der rechten Hand, weil ſie die
Linke gebrauchen, um ſich nach Verrichtung
der natuͤrlichen Nothwendigkeit zu waſchen.
Da auch das Fleiſch in Stuͤcken geſchnitten
und ſo weich gekocht wird, daß es leicht zerfaͤllt;
ſo gebrauchen ſie ebenfalls kein Meſſer. Die
Suppe, das gekochte Fleiſch, die Braten, Ne-
bengerichte, Sallat, Obſt — werden alle auf
einmal aufgetragen. Man ißt, ohne zu trin-
ken,*) man muͤßte denn außerordentlichen
Durſt haben, und alsdann Waſſer fodern.
Nach der Mahlzeit, wenn ſie aufſtehen, wird
gebetet;**) hernach laͤßt man ſich zu trinken
geben, und waͤſcht die Haͤnde mit Seife. Zu-
letzt wird Kaffee getrunken und ein Pfeifchen
geſtopft.


Die Unreinlichkeit beym Eſſen iſt unter dem
gemeinen Volke noch gewoͤhnlicher. Sie thun
das Fleiſch, Reis und den Pilau, Haͤnde voll
R 4in
[264] in große Naͤpfe, zerdruͤcken es mit der Hand,
und machen Kloͤße, die den ganzen Mund fuͤl-
len. Bleibt etwas an der Hand oder am Bar-
te kleben; ſo werfen ſie es ohne Umſtaͤnde wie-
der in die Schuͤſſel. Wenn ſie gegeſſen haben,
thun ſie große Zuͤge aus einer Kanne, die Reihe-
herum geht, waſchen ſich, trinken Kaffee, und
ſtopfen ſich gleichfalls ein Pfeifchen.


Es ſcheint als koͤnnten die Bedouinen (ſo
wie uͤberall die Araber) ohne Kaffee und Toback
nicht leben. Will ein Mann ſeine Frau ſtrafen,
ſo iſt die groͤſte fuͤr ſie, daß ſie keinen Kaffee trin-
ken darf. — Man kann auch nicht ſagen, daß
ſie Feinde des Weintrinkens waͤren; ſie trinken
ihn vielmehr, ſo oft ſie ihn haben koͤnnen, denn
ſie ſagen, das Verbot ihres Propheten, waͤre
nur ein Rath, keinesweges aber ein Gebot.
Sie haben auch noch ein anderes Getraͤnke, das
von Abrikoſen, Weinbeeren und andern trocke-
nen Fruͤchten gemacht iſt, worauf den Tag vor-
her Waſſer gegoſſen wird: man ſetzt es zugleich
mit dem Fleiſche auf den Tiſch, in Naͤpfen,
und wer davon trinken will, ſchoͤpfet es mit
Loͤffeln.


Was die Kleidung der Emirs und der
Schechs betrift; ſo iſt bekannt, daß ſie von der
Tuͤrken ihrer wenig unterſchieden iſt. Die
uͤbrigen Bedouinen tragen ein grobes Hemde
mit langen Ermeln, leinwandne Beinkleider,
einen Caftan von groben baumwollenen Zeuge,
wie ein langer Unterrock gemacht, der bis auf
die
[265] die halben Beine geht, einen ledernen Gurt, an
welchem ein Dolch haͤngt, und einen Mantel
von ſchwarz und weißgeſtreiften, Barakan.
Im Winter tragen ſie Weſten von Schafpelzen,
davon ſie die rauche Seite bey guten Wetter in-
wendig tragen, wenn es aber regnet, heraus-
kehren. Auf die Weiſe laͤuft der Regen von
der Wolle ab, ohne durchzudringen, den naſ-
ſen Pelz ſchuͤtteln ſie ab, und die Weſte iſt in
einem Augenblick trocken. Bey der großen
Hitze im Sommer ziehen ſie uͤber ihre gewoͤhn-
liche Kleidung noch Roͤcke von weiſſer Leinwand,
die ſehr weit und wie unſre Hemden gemacht
ſind.


Ihr Turban beſteht aus einer kleinen Muͤtze
von rothem Tuche, mit weiſſem Neſſeltuche um-
wunden, daran das eine Ende wie eine Schleife
geknuͤpft iſt, das andre laͤngere aber, der Son-
nenhitze wegen, um den Hals gemacht wird.
Die Bedouinen tragen keine gruͤne Farbe, wie
die Perſer, die deßwegen von allen Muſelmaͤn-
nern verachtet werden, ſondern nur die Nach-
kommen des Mohammeds genießen dieſes Vor-
rechts. — Wenn ſie auf einen Angriff aus-
gehen, ſind ihre Waffen der Bogen, die Lanze,
Saͤbel, und ein mit Fiſchhaut uͤberzogener
Schild. Sie kennen den Gebrauch des Schieß-
gewehrs nicht, und fuͤrchten ſich ſehr dafuͤr.
Ihre Art zu kriegen, gleicht der Perſianiſchen;
ſie ſchlagen ſich nemlich ſelten auf freyem Felde,
und fallen nicht leicht den Feind an, ohne des
R 5Sieges
[266] Sieges verſichert zu ſeyn. — Die Bedouinin-
nen ſind eben ſo ſchlecht gekleidet, wie ihre
Maͤnner. Sie tragen einen Schleier uͤber den
Kopf, den ſie um den Hals wickeln, und den
unterſten Theil des Geſichts, bis an die Naſe,
bedecken. Im Winter haben ſie Camiſoͤler
mit Baumwolle durchnaͤhet, und gehen in
Pantoffeln.


Die Gemahlinnen der Emirs und Schechs
ſind nicht ſo haͤßlich als die gemeinen Bedoui-
ninnen; ſie ſind weiſſer und wohlgeſtalter, uͤber-
dieß aber mit mehr Geſchmacke und Reinlich-
keit gekleidet. Ihre Hemden und Beinkleider
von Neſſeltuche, mit Seide geſtickt; ingleichen,
kleine Camiſoͤler von goldenem Stoffe oder
Atlas, oder von andern ſeidnen Stoffe, die ſie
nur mit zwey Knoͤpfen uͤber den Guͤrtel zuma-
chen; das oberſte des Camiſols bleibt offen,
damit die Bruſt allezeit Raum habe, und man
die Mitte davon ein wenig zu ſehen bekomme.
Die Weſten, die ſie daruͤber ziehen, ſind von
Atlas, oder Sammt, oder von goldenem Bro-
cade. Sie tragen auch Caftane, die wie or-
dentliche Camiſoͤler gemacht ſind, nur daß ſie
bis auf die Fuͤße gehen, womit ſie ſich im Win-
ter bedecken. Ihre Schuhe oder Pantoffeln
ſind klein und ausgeziert; gehen ſie aber aus,
ſo ziehen ſie gefaltete Halbſtiefeln an. Der
Kopfputz beſteht in einer Muͤtze von goldenen
oder ſilbernen Stoffe, faſt wie ein Napf ge-
macht, die mit Neſſeltuche, in Gold und Seide
geſtickt,
[267] geſtickt, umwunden iſt, und in einer Stirn-
binde von Gaſe. Wenn ſie ausgehen, machen
ſie uͤber den Kopfputz einen großen neſſeltuche-
nen Schleier, welcher Geſicht, Hals und Bruſt
bedeckt. Machen ſie Beſuche, oder gehen ſie
zu Fuße ſpatziren, haben ſie Reife an den Bei-
nen, woran kleine Ringe haͤngen, die wie
Schellen klingen. Dieſe Ringe, und eine
Menge anderes Spielwerk, daß ſie in ihren
langen Haarzoͤpfen flechten, ſtellen ſo viele kleine
Glocken vor, welche ankuͤndigen, daß ſie vor-
beygehen, und jeder, der ihnen begegnet, macht
ſich auf die Seite, um ſie nicht anzuſehen. Bey
den Beſuchen, die ſie einander machen, haupt-
ſaͤchlich aber die erſten Tage nach der Hochzeit,
zeigen ſie alle ihre Schaͤtze und die Koſtbarkeit
ihres Anzuges.


Die Heyrathen werden bey ihnen ſo geheim-
nißvoll behandelt, wie in Spanien, oder in
Italien ein galantes Liebesverſtaͤndniß. Wenn
ein junger Bedouine Neigung zu einem Maͤdchen
hat, es ſey nun blos ein Einfall von ihm, denn
die Araber haben nicht den geringſten Umgang
mit andern Weibern oder Toͤchtern, oder weil
er von ihr hat reden hoͤren; ſo iſt ſeine erſte Be-
muͤhung, daß er die Perſon, die er haben will,
zu ſehen bekomme: dieß erhaͤlt er oft vom Vater
ſelbſt, der ihn in ſeinem Zelte verſteckt, oder
von der Tochter, die, wenn ſie die Abſichten
ihres Liebhabers merkt, ſich aber einbildet, ſchoͤn
zu ſeyn, ihren Schleyer, als von ohngefaͤhr,
fallen,
[268] fallen, und ſich einige Augenblicke ſehen laͤßt.
Alsdann haͤlt der junge Menſch durch einen ſei-
ner Verwandten um ſie an, und man wird um
den Preis einig, den der Schwiegerſohn dem
Schwiegervater, an Schafen, Kameelen oder
Pferden geben ſoll, denn niemals wird um Geld
gehandelt. Der Preis aber iſt allezeit nach den
Verdienſten und Eigenſchaften des Maͤdchens,
nach dem Anſehen der Familie, und nach dem
Vermoͤgen deſſen, der ſich angiebt, eingerichtet.


Wenn die Partheyen einig ſind; ſo ver-
ſammelt ſich das Frauenzimmer von beyden Fa-
milien in dem Zelte der Braut, und fuͤhret ſie
ins Bad; man beraͤuchert ſie, mahlt ihr die
Augenbraunen ſchwarz, und die Naͤgel roth;
man druͤckt ihr allerley Merkmale auf den Leib.
Hernach wird ſie ſo koſtbar als moͤglich angezo-
gen, mit Armbaͤndern, Ringen und Schau-
ſtuͤcken behangen — es verſteht ſich, wenn die
Familie wohlhabend iſt — und auf ihre ganze
Kleidung Goldſtaub geſtreut.


Wenn ſie nun ſo geputzt iſt, ſo ſetzt man ſie
auf ein Kameel, welches mit einer Decke behan-
gen und mit Blaͤttern und Blumen geziert iſt.
Man fuͤhrt ſie unter Vocal- und Inſtrumental-
muſik in das Zelt, wo die Hochzeit ſoll vollzo-
gen werden. Das Frauenzimmer begleitet ſie
dahin, und die Maͤnner, bey welchen ſich der
Braͤutigam aufhaͤlt, verſammeln ſich beſonders
in
[269] in dem naͤchſten Zelte. Man uͤberlaͤßt ſich von
beyden Seiten allem moͤglichen Vergnuͤgen, ſo
lange der Tag dauert. Wenn die Nacht her-
einbricht; ſo fuͤhrt das Fraͤuenzimmer die Braut
zum Braͤutigam, welcher ſie allein in ſeinem
Zelte erwartet, und ſie, ohne zu reden, oder
die geringſte Bewegung zu machen, aufnimmt.
Die Braut naͤhert ſich, beobachtet gleichfalls
ein Stillſchweigen, und wirft ſich ihrem Lieb-
ſten zu Fuͤßen, der ihr ein Band um die Stirne
bindet, an welchem eine goldene oder ſilberne
Medaille haͤngt. Dieſe Cerimonie wird den
Abend dreymal wiederholt, und bey jedem male
aͤndert die Braut ihre Kleidung: ſo oft ſie dem
Braͤutigam vorgefuͤhrt wird, ſo oft empfaͤngt
er ſie auf eben dieſe Art, und beweiſt eben die
Ernſthaftigkeit.


Es iſt eine Art von Pracht im Morgenlan-
de, daß man die Braut oft auszieht, und ihr
in einem Tage alle Kleider anziehen laͤſt, die ſie
zur Hochzeit bekommen hat. Wenn die Braut
zum dritten male vorgefuͤhrt iſt, ſteht der Braͤu-
tigam auf, umarmt ſie, und traͤgt ſie in das
Zelt, wo ſie ſchlafen ſollen. Da laͤſt man ſie
eine viertel Stunde allein: — hernach waſchen
ſie ſich beyde mit kaltem Waſſer, und ziehen ſich
anders an. Die junge Frau begiebt ſich wieder
zu den uͤbrigen Weibern, der Mann aber zu
ſeiner Geſellſchaft, und zeigt daſelbſt die unver-
werflichen Proben der Jungferſchaft ſeiner Frau.
Je-
[270] Jederman wuͤnſcht ihm Gluͤck dazu, und man
bringt den Reſt der Nacht mit Vergnuͤgungen
zu. Das Feſt dauert den folgenden ganzen Tag,
da ſich jedes wegbegiebt, und die jungen Ehe-
leute ihre Haushaltung anfangen*).


In gewiſſen Staͤmmen beobachtet man noch
eine andre wunderliche Gewohnheit. Der
Braͤutigam begiebt ſich in Begleitung vieler
jungen Leute, die, wie er, mit Stoͤcken verſe-
hen ſind, in das Zelt der Braut nicht anders,
als wollte er ſie mit Gewalt entfuͤhren. Das
Frauenzimmer, welches eben ſo bewafnet iſt,
widerſetzt ſich dieſem Unternehmen. Er muß
Gewalt mit Gewalt vertreiben, wenn er ſeine
Liebſte denſelben Tag beſitzen will. Der Streit
iſt ſo ernſthaft, daß der Mann ſelten ohne eini-
ge Verwundungen, ſo, daß er manchmal zu
Bette liegen muß, — davon kommt. Dieſe
laͤcherliche Gewohnheit iſt beſonders in Joak,
Arabi und Syrien eingefuͤhrt.


Ein ſonder Zweifel auffallender Umſtand iſt,
daß die Bedouinen ihren Weibern getreu blei-
ben,
[271] ben, und nie mit andern zu thun haben, ob ſie
es gleich rechtmaͤßiger Weiſe und nach ihren Ge-
ſetzen thun koͤnnten. Sie verachten alle diejeni-
gen, welche, nach dem Beyſpiele der Emirs,
Concubinen halten. Ereignet es ſich, daß eine
Frau ihrem Manne ungetreu wird; ſo iſt er
dadurch keineswegs verunehrt. Er iſt damit
zufrieden, daß er ſich von ihr ſcheiden kann.
Sie haben in ihrer Sprache einen Ausdruck,
der mit dem Worte Hahnrey uͤberein kommt;
allein, ſie geben dieſen Namen dem, deſſen
Schweſter einen Fehltritt begangen hat. Denn,
ſagen die Boduinen, eine Frau iſt nicht von
dem Gebluͤte desjenigen, der ſie heyrathet, und
iſt ſie geſchieden, ſo iſt ſie nicht mehr ſeine Frau;
niemand aber kann machen, daß eine Schweſter
nicht mehr Schweſter ſey.


In den Ergoͤtzlichkeiten zeigen die Bedoui-
nen viel Maͤßigkeit. Den ganzen Tag bringen
ſie zu mit Kaffeetrinken, mit Tobackrauchen,
und unterhalten ſich mit den Geſchichten, die ſie
von ihren Vaͤtern gehoͤrt haben, oder durch Er-
zaͤhlungen von ihren Vorfahren wiſſen. Wenn
ſie ſich nicht unter ſich verſammeln oder auf Strei-
fereyen ausgehen — ſetzen ſie ſich zu Pferde und
reiten zu ihrem Vergnuͤgen, oder ſie gehen auf
die Schweinsjagd, die ſie mit Lanzen erlegen,
oder ſie hetzen Haſen und wilde Ziegen mit großen
Windhunden. Die wilde Ziege gehoͤrt unter
das Rothwildpret, und iſt in Europa gar nicht
be-
[272] bekannt. Sie laͤßt ſich leicht zahm machen, und
die Morgenlaͤnder lieben ſie, weil ſie from iſt,
und viel niedliches an ſich hat. Wollen die Be-
douinen die Schoͤnheit eines Frauenzimmers her-
ausſtreichen; ſo ſagen ſie: ſie habe Augen,
wie eine wilde Ziege.
Wenn ſie auch ihre
jungen Geliebten oder ihre jungen Weiber, mit
wenigen Worten loben wollen, ſo vergleichen ſie
ſie mit dieſem wilden Thiere. Es hat große
ſchwarze Augen, und inſonderheit bemerkt
man an ihm eine gewiſſe unſchuldige Furcht-
ſamkeit, die der Schamhaftigkeit und der
Schuͤchternheit eines jungen Frauenzimmers
aͤhnlich iſt. —


Karten und Wuͤrfel ſind ihnen unbekannte
Dinge. Ihr gewoͤhnliches Spiel iſt das Schach-
ſpiel, Dame und Mangala. Letzteres iſt eine
hoͤlzerne Tafel, worinn zwoͤlf Hohlungen ſind:
man ſetzt kleine Steine hinein, und ſpielt damit
grade oder ungrade.


Der Zeitvertreib der Weiber beſteht in Be-
ſuchen, Schwatzen, Singen und — Tanzen.
Da ſie von der Muſik gar wenig verſtehen, iſt
ihr Geſang einfoͤrmig, ſchlaͤfrig, und eher ge-
ſchickt, einen zum gaͤhnen zu bringen, als auf-
zumuntern. Ihre Inſtrumente beſtehen in klei-
nen Trommeln, in hoͤlzernen Klappern und in
Floͤten von Holz und Rohr; ſie ſpielen darauf
beym Singen und Tanzen. Sie tanzen aber
ſelten
[273] ſelten oͤffentlich, und halten es fuͤr unanſtaͤndig,
außer ihren Haͤuſern zu tanzen.


Die Bedouinen kennen keinen andern Arzt,
als Gott. Er hat, ſagen ſie, dem Menſchen
an die Stirne geſchrieben, wie lange er leben
ſoll; und die ganze Arzeneykunſt iſt nicht faͤhig,
wenn ſeine Stunde gekommen iſt, ihn vom
Sterben abzuhalten. Indeſſen nehmen ſie doch,
wenn ſie krank ſind, welches aber ſelten iſt, Ar-
zeney von gewiſſen Kraͤuterweibern. Sie glau-
ben auch an Talismane, und an allerley For-
meln, welche man ihnen herſagen laͤßt. Wenn
ſie das Fieber haben, legen ſie ſich waͤhrend des
Froſtes in die Sonne, und wenn die Hitze kommt,
in den Schatten. Empfinden ſie einen heftigen
und anhaltenden Schmerz, es ſey an welchem
Theile des Leibes es wolle; ſo halten ſie einen
kleinen brennenden Tocht daran, und die Hitze
zertheilt und toͤdtet ihn.


Wir haben ſchon anderswo geſagt, daß ſie
vom Clyſtierbrauchen keine Freunde ſind. Nach
ihrer Meynung waͤre dieß eine abſcheuliche Unan-
ſtaͤndigkeit, die ſie nicht begehen wuͤrden, ſollte
es ihnen auch das Leben koſten. Sie glauben,
daß die Seele im Blute ſtecke, und daher iſt
ihnen das Aderlaſſen ſehr zuwider, und vermei-
den es, ſo lange es angehen will. Die Wun-
den, die ſie oft bey ihren Streifereyen empfan-
gen, haben ſie von der Nothwendigkeit der
SWund-
[274] Wundaͤrzte uͤberzeugt, und deswegen ſtehen die-
ſe bey ihnen in großem Anſehen; allein alle Wun-
der, die man ihnen von der Arzeneykunſt ſagt,
glauben ſie nicht. Indeſſen ſind doch die ge-
ſchickten Aerzte, im Oriente, aus dieſem Volke
gekommen. Der beruͤhmte Schech Mehemet
Ebnſina, den wir mit Unrecht, Avicenna nen-
nen, war ein Bedouine. Seine Schriften
ſind ſowohl in Europa als in der Tuͤrkey und
Arabien bekannt. Nur die Einwohner des wuͤ-
ſten Arabiens kennen ſie nicht, und wollen auch
nichts davon wiſſen. Es hindert ſie aber nicht,
alt zu werden. Man ſiehet zuweilen bey den
Bedouinen Greiſe von hundert Jahren.


Wenn ein Bedouine geſtorben iſt, waͤſcht
man ihn, man legt ihn in ein Tuch, und etli-
che Maͤnner tragen ihn, unter Singung gewiſ-
ſer Gebete auf den Gottesacker, der an einem
erhabenen und abgelegenen Orte des Lagers liegt.
Mannsperſonen beweinen ihre Todten nicht.
Sie hoffen das Vergnuͤgen zu haben, ihre Ver-
wandten und Freunde im Paradieſe wieder zu
ſehen. Die Weiber hingegen weinen, weil ſie
nicht an den Ort der Seligen werden ſelbſt kom-
men, ſondern nur draußen mit den Chriſten
bleiben, folglich den Kummer und Verdruß
haben, diejenigen nach dem Tode nicht wieder
zu ſehen, die ſie in ihrem Leben liebten. Sie
ſchreyen daher aus Leibeskraͤften, zerkratzen ſich
die Arme, Haͤnde und Geſicht, reißen ſich die
Haare
[275] Haare aus, und werfen ſich von Zeit zu Zeit
auf die Erde, als ob ſie vor Schmerzen ohn-
maͤchtig wuͤrden. Sie nehmen Haͤnde voll Er-
de oder Sand, werfen ſichs auf den Kopf oder
in das Geſicht, laufen, ſtehen ſtille, und ma-
chen unzaͤhlige Gebaͤhrden, um die Heftigkeit
ihrer Betruͤbniß auszudruͤcken. Unmittelbar
nach dem Leichenbegaͤngniß, theilen die Erben
die Verlaſſenſchaft zu gleichen Theilen, oder ſie
vergleichen ſich, entweder vermoͤge eines Macht-
ſpruchs des Emirs, oder auf Rath ihrer ge-
meinſchaftlichen guten Freunde, denn ſelten,
wie vorhin bewieſen iſt, fangen ſie einen Pro-
ceß an. Ueberdieß wollen die Erbſchaften bey
ihnen nicht viel ſagen: die Eigenſchaft ihres
Vermoͤgens, das in nichts als in Zelten, Haus-
rath und Vieh beſteht, giebt keinen Anlaß zu
großen Streitigkeiten.


Man hat uͤbrigens den Bedouinen zu allen
Zeiten einen unerſaͤttlichen Geiz und einen un-
uͤberwindlichen Hang zu Raubereyen vorgewor-
fen. Das iſt nun freylich richtig; aber daß
ſie doch ſo grauſam verfahren und wuͤthen ſol-
len, wie einige Reiſebeſchreiber vorgeben, iſt
eine Unwahrheit, und kann durch keinen zu-
verlaͤßigen Scribenten bewieſen werden. Uebri-
gens verſichert man, daß ſie ſehr hoͤflich und
großmuͤthig gegen Fremde ſind, welche ſie um
ihre Gaſtfreyheit anſprechen, und ſich mit Zu-
trauen ihnen uͤberlaſſen. Ihre Gewohnheit iſt,
S 2die
[276] die Fremden in allem frey zu halten, und ihnen
alle nur moͤgliche Annehmlichkeiten zu verſchaf-
fen. Die Weiber ſelbſt bemuͤhen ſich, ſie zu
bedienen, machen ihnen Eſſen, warten ihre
Pferde, und ſorgen fuͤr die Sicherheit ihres
Gepaͤcks. Iſt ihr Gaſt ein vornehmer Mann;
ſo laͤßt ihn der Emir bewillkommen, und ſchickt
ihm den ſchoͤnſten Teppich und das koſtbarſte
Kuͤſſen, aus ſeinem Zelte.

[figure]
Siamer.
[[277]]

Siamer.


S 3
[[278]][279]

Erſtes Kapitel.


Von den Einwohnern in Siam — ihren
Kleidungen — Wohnungen und
Lebensart.


Die Siamer ſind von einer mittelmaͤßigen,
aber wohlgebildeten Leibesgroͤße. Man
trift bey ihnen ſehr ſelten ungeſtaltete Perſonen
an, woruͤber man ſich um ſo mehr verwundern
muß, da dieß Volk faſt unter allen Aſiatern
das einzige iſt, welches die Kinder in ihrer zar-
ten Jugend am meiſten verwahrloſet. Wenn
einem Vater ein Kind geboren wird; ſo taucht
ers in den Fluß, um es abzuwaſchen — und
ſo legt er es, ohne es in Windeln zu wickeln,
(woran er aber ganz recht thut,) nackend auf
eine Matte hin. Nach ſechs Monaten pflegt
man die Kinder zu entwoͤhnen, da denn ihre
Speiſe in nichts anders als Reis beſteht. —


Manns- und Frauensperſonen ſind, uͤber-
haupt genommen, ſehr haͤßlich, weil die Geſich-
ter der meiſten Siamer, durch die Wuth der
leidigen Pocken, die bey ihnen ſehr gewoͤhnlich
ſind, aͤußerſt verſtellt werden. Ihre Geſichts-
bildung iſt mehr einem laͤnglicht geſchobenen
Viereck, als einer laͤnglichten Rundung aͤhnlich.
Oben an den Backen iſt es breit und erhaben;
S 4aber
[280] aber die Stirne wird ſo gleich ſchmal, und laͤuft
endlich beynahe eben ſo ſpitzig zu, als das Kinn.
Sie haben große Ohren *), kleine uͤbelgeſpaltete
und matte Augen, welche von einer gelblich
ſchwarzen Farbe ſind: ihre Naſe iſt flach, die
Backen eingefallen und oben breit. — Das
Haar der Siamer iſt ſchwarz, grob und glatt.
Beyde Geſchlechter ſchneiden das Haar oben bey
dem Wirbel mit der Scheere ab. Unter demſel-
ben reißen ſie einiges aus, in Geſtalt eines klei-
nen und zween Thalern, an Breite gleichen
Kreiſes. Unterhalb dieſes Kreiſes, laſſen ſie
die uͤbrigen Haare bis an die Schultern wach-
ſen. Die Weiber ſind wohl gebauet; aber ihre
Geſichtszuͤge ſind ſo grob, daß man ſie nach ih-
rer Bildung, kaum von den Mannsperſonen
unterſcheiden kann. Weil ſie weder Schnuͤr-
bruͤſte, noch Mieder tragen; ſo haͤngt ihnen die
Bruſt ſehr weit herunter, und ſoll, nach der
Vorſtellungsart der Reiſebeſchreiber, einen un-
angenehmen Effect machen **). Sie ſchminken
ſich
[281] ſich nicht; die Mannsperſonen aber faͤrben ſich
zuweilen die Arme, Waden und Schenkel mit
einer blauen Farbe, mehr aus Aberglauben als
aus Pracht.


So ſchwarz indeſſen die Siamer immer ſeyn
moͤgen, ſo kann man ihnen doch das Lob der
Reinlichkeit nicht abſprechen. Sie baden ſich
des Tages wenigſtens drey oder viermal, und
ſie ſtatten keinen wichtigen Beſuch ab, ohne ſich
vorher zu waſchen, und um es kenntbar zu ma-
chen, daß ſie ſich ſo eben erſt gewaſchen haben,
machen ſie ſich mit Kreide ein weiſſes Zeichen auf
die Bruſt. Die Mode des Landes will, daß
ſie zu Zeiten ihren Koͤrper mit wohlriechenden
Sachen beſchmieren, die Lippen mit einer wohl-
riechenden Pomade beſtreichen, wovon ſie ſehr
blaß werden, und auf eben die Art ihrem Haare
einen Wohlgeruch verſchaffen. — Das Pu-
dern der Haare ſehen ſie, wie billig, als eine
ſehr abſurde Gewohnheit an. Dagegen aber
ſehen ſie ſorgfaͤltig dahin, ſie fleißig zu kaͤmmen,
wozu ſie ein ſonderbares Werkzeug gebrauchen,
daß nicht wie unſre Kaͤmme aus einem Stuͤcke,
nur eine Zuſammenſetzung von kleinen Spitzen
S 5iſt,
**)
[282] iſt, welche vermittelſt eines Draths an einander
feſte gemacht ſind. Sie ſind auch Liebhaber
von großen und langen Naͤgeln, welche ſie nie-
mals abſchneiden, und auf das ſorgfaͤltigſte be-
mahlen.


Die ſclaviſche Art, in welcher die Siamer
erzogen werden, ſchlaͤgt ihren Muth ganz nie-
der, und macht ſie aͤußerſt feige und ſchuͤchtern.
Ihre Gemuͤthsart iſt voͤllig gelaſſen, allein ſie
hat doch nichts anziehendes. Sie ſind kalt,
faul, muͤßig und uneigennuͤtzig mehr aus Faul-
heit als Tugend. Mit der Gleichguͤltigkeit, die
ſie bey allen Stuͤcken gleich ſtark aͤußern, kann
man nichts vergleichen. Sie iſt faſt mehr als
Unempfindlichkeit. Sie bewundern nichts,
haſſen auch nichts, und ihre Gemuͤthsart, ſagt
ein beglaubter Schriftſteller, iſt ruhig, wie ihr
Himmel. Ihren Verſtand uͤben ſie eben ſo we-
nig als ihren Koͤrper; und ſonder Zweifel wuͤr-
de dieß Volk in einer gaͤnzlichen Unthaͤtigkeit le-
ben, wenn die beſchwerlichen Hofdienſte, wor-
uͤber ſie freylich genug ſeufzen, ſie nicht einiger-
maßen in Bewegung ſetzten. Ihr Gang iſt lang-
ſam und verraͤth nichts freyes.


Ihre Geſichtsbildung hat etwas trauriges
und dummes, welches von ihren Verſtandes-
faͤhigkeiten keine ſonderlich gute Begriffe macht.
Indeſſen kennen ſie doch leicht das, was man
ihnen ſagt, faſſen, und geben auf die ihnen
vorgelegten Fragen oftmals lebhafte und geiſt-
reiche Antworten. Zum Selbſterfinden ſcheinen
ſie
[283] ſie nicht Einbildungskraft genug zu haben, da-
gegen ſind ſie aber doch geſchickt, alles, was ſie
ſehen, nachzumachen. Die natuͤrlichen Gaben
des Verſtandes, werden durch die wenige Be-
muͤhung und Nacheifrung ganz unbrauchbar
gemacht.


Der Zorn und der Trunk ſind zwey Laſter,
die von ihnen aufs aͤrgſte verabſcheuet werden,
und welche nur bey den niedertraͤchtigſten Leuten
geſehen werden. — Le Bleaue verſichert, daß
ſie ruhmraͤthig, und gegen die Beleidigungen,
die ihre Ehre betreffen, ſehr empfindlich waͤren:
daß aber die andern Ungluͤcksfaͤlle ſie wenig
ruͤhrten, und daß ſie ſich den haͤrteſten Strafen
mit der groͤßeſten Gelaſſenheit unterwuͤrfen;
daß man ſie faſt tod ſchlagen koͤnnte, ohne daß
ſie das geringſte Geſchrey von ſich hoͤren
ließen. —


Bekanntermaßen haben ſie von ihrer Reli-
gion nur eine hoͤchſtens mittelmaͤßige Kenntniß.
Indeſſen ehren ſie doch diejenigen ſehr, welche
dieſelbe lehren. Eines ihrer groͤßeſten Vergnuͤ-
gen ſetzen ſie darinn, die Tempel auszuzieren
und die Prieſter zu bereichern. Der Aberglau-
be, welcher mit dem Grade ihrer Unwiſſenheit
in gleichen Schritten gehet, iſt unter dieſem
Volke außerordentlich groß. Sie glauben, wie
La Loubere ſagt, an Prophezeyungen und Weiſ-
ſagungen, und ſind ſo ſehr uͤberzeugt, daß es
untruͤgliche Regeln giebt, das Zukuͤnftige zu
wiſſen, daß man die Wahrſager des Koͤnigs,
wenn
[284] wenn ſie ſich betruͤgen, mit Stockſchlaͤgen be-
ſtraft.


Diejenigen, welche ſich in Siam auf die
Sterndeuterey legen, ſtammen meiſtentheils
aus Pegu, oder aus dem Lande der Bramas,
her. Ohne deren Rath pflegt man nichts zu
unternehmen. Der Vornehmſte von ihnen
macht jaͤhrlich einen Kalender, in welchem er
fleißig die gluͤcklichen und ungluͤcklichen Tage
anmerkt, wornach ſich das Volk auch aufs
puͤnktlichſte richtet. Der gluͤcklichſte Tag unter
allen iſt bey ihnen der Sonntag — der abneh-
mende Mond iſt unguͤnſtiger als der zunehmen-
de. — Das Geheul wilder Thiere, das Ge-
ſchrey der Affen und Hirſche, die Begegnung
einer Schlange mitten im Wege, der Fall eines
Dinges, das von ſich ſelber, ohne einige an-
ſcheinende Urſache, faͤllt — ſind den Siamern
ungluͤckliche Vorbedeutungen. Das ſind nun
alles Umſtaͤnde, die die armen Leute ganz in
Schrecken ſetzen, und vermoͤgend ſind, daß ſie
die wichtigſten Sachen entweder ganz aufgeben,
oder von einem Tage zum andern verſchieben. —
Wir werden an einem andern Orte Gelegenheit
haben, vom Aberglauben der Siamer weiter
zu reden.


Im Handel und Wandel zeigen die Siamer
viele Offenherzigkeit und Redlichkeit; außer den-
ſelben aber ſind ſie geizig, wucheriſch, und ſogar
diebiſch. La Loubere fuͤhrt viele Beyſpiele an,
woraus man (wenn er auch die Sache zuweilen
zu
[285] zu uͤbertreiben ſcheint) ſehen kann, daß dieſe In-
dianer zu dieſem letzten Laſter eine faſt unuͤber-
windliche Neigung haben. — Beſcheidenheit
und Schamhaftigkeit ſind den Siamern ei-
gene Tugenden. Wenn gleich die gemeinen
Weiber ſich nur den Leib von dem Guͤrtel an
bis an die Beine bedecken; ſo beweiſen ſie doch
bey dieſer Bloͤße viel Schamhaftigkeit. — Sie
ſchlafen angekleidet — ſchlagen die Kinder nie-
mals auf den Theil, den der Wohlſtand zu ver-
bergen befiehlt — enthalten ſich aus Schaam
der Clyſtire — verabſcheuen die unnatuͤrlichen
Suͤnden.


Die Weiber ſind zum Theil aus Neigung,
Gewohnheit, und zum Theil aus Noth tugend-
haft. Ihre Natuͤr iſt kalt und traͤge — ihr
Leben muͤhſam; ſie ſpielen nicht, halten auch
nichts auf Putz; ſie nehmen keine Beſuche von
Mannsperſonen an, weil auf den Ehebruch die
Todesſtrafe geſetzt iſt. Die Weiber des gemei-
nen Volks, welche die Beſorgung der Wirth-
ſchaft auf ſich nehmen, genießen große Freyhei-
ten; allein die vornehmen Frauenzimmer fuͤh-
ren ein ſehr eingezogenes Leben. Die Liebe aber,
die ſie fuͤr ihre Maͤnner haben, kann mit nichts
verglichen werden.


Da die Siamer ſich mit ſchlechter Kleidung
begnuͤgen, ſo treiben ſie in Anſehung der Woh-
nung, des Geraͤthes und der Koſt eben ſo wenig
Pracht. Sie ſind bey aller ihrer Armuth den-
noch reich, weil ſie nicht mit ſo vielen Beduͤrf-
niſſen
[286] niſſen zu kaͤmpfen haben. Was ihre Haͤuſer,
die neben dem Waſſer gebaut ſind, betrift, ſo
ſind ſie zwar klein, haben aber viel Hofraum.
Ihre Boden, ihre Waͤnde und Daͤcher, beſtehen
aus Flechtwerk von geſpaltenem Bambusrohre,
welches oft nicht ſonderlich dichte beyeinander
ſteht. Das Haus ſteht auf Pfaͤlen von Bam-
busrohr in der Dicke eines Schenkels, die drey-
zehn Schuh hoch von der Erde ſind, denn das
Waſſer pflegt oftmals ſo hoch zu ſteigen. —
Die Hofaͤmter haben Haͤuſer von Tiſchlerarbeit,
die man fuͤr große Kleiderſchraͤnke anſehen ſoll-
te, und worinn nur der Hausherr, ſeine vor-
nehmſte Frau und die Kinder wohnen. Sie
bauen nur ein Stockwerk hoch, weil ſie Platz
genug haben.


Der Pallaſt zu Siam, der zu Luvo, des-
gleichen einige Pagoden, ſind von Ziegelſteinen;
die Pallaͤſte ſelbſt aber niedrig und nur ein
Stockwerk hoch. Die Pagoden ſind, unge-
achtet ihrer Weitlaͤuftigkeit, gleichfalls niedrig,
und gar nicht helle. Uebrigens gleichen ſie un-
ſern Kapellen, haben aber weder Gewoͤlbe noch
Decke, ſondern die Dachſparren, worauf die
Ziegel liegen, ſind roth angeſtrichen, und mit
einigen Goldſtreifen geziert. Sie verſtehen es
nicht, ein Gebaͤude gehoͤrig aufzuputzen, nur
ſuchen ſie das Dach einigermaßen hervor-
ſtechend zu machen; denn ſie decken es entweder
mit einer gewiſſen Gattung von Zinn, oder
nach Art der Chineſer, mit gelb gefirnißten Zie-
geln.
[287] geln. Und demohngeachtet heiſt der Pallaſt zu
Siam der goldene, blos weil er inwendig etwas
wenig vergoldet iſt.


Die Pracht der Pagoden beſteht in vielen
von Kalk und Ziegelſteinen erbauten Pyramiden.
Die hoͤchſten ſind unſern alten Kirchthuͤrmen
gleich; die niedrigſten ſind nur zwey Klaftern
hoch. Sie ſind rund gebaut, und weil ihre
Dicke mit zunehmender Hoͤhe abnimmt, ſo kann
man ſagen ſie endigen ſich mit einer Kuppel.


Der Koͤnig hat ohngefaͤhr eben die Haus-
geraͤthe, als andre Leute, aber koſtbarer. Das
Bettgeſtelle der Siamer beſteht aus einem
ſchmalen ausgeflochtenem Ramen ohne Kopf-
breter und Fuͤſſe. Die meiſten haben kein an-
ders Bette, als eine Binſenmatte. Ihr Tiſch
iſt ein großes Blatt mit erhabenen Rande,
aber ohne Geſtelle. Die Stuͤhle ſind Binſen-
matten, bald feiner, bald groͤber. Fußteppiche
duͤrfen ſie gar nicht haben, es ſey denn, daß der
Koͤnig ſie damit beſchenke. Die Reichen lehnen
ſich auf Kuͤſſen. *)


Bey Tiſche haben ſie weder Tiſchtuͤcher noch
Servietten, weder Loͤffel noch Gabel. Das
Fleiſch wird ſchon in der Kuͤche zerſchnitten und
ſo aufgetragen. Ihr Tafelgeſchirr beſteht aus
Porcellain und einigen kupfernen Gefaͤßen.
Das
[288] Das uͤbrige Geraͤth beſteht aus ſchlechten oder
gefirnißtem Holze, aus Cocos und Bambus.
Goldene und ſilberne Gefaͤße trift man ſelten
an. — Ihre Eimer, womit ſie Waſſer ſchoͤ-
pfen, ſind ſehr artig aus Bambusrohr gefloch-
ten. — Der Poͤbel kocht auf den Maͤrkten
ſeinen Reis in einer brennenden Cocosnuß, die
man folglich nur einmal gebrauchen kann.
Der Reis wird aber gar, ehe die Nuß voͤllig
verbrennet.


Die gar zu große Hitze in dieſem Lande
macht, daß ſie ſehr wenig und maͤßig eſſen.
Ein Siamer lebt herrlich, wenn er des Tages
ein Pfund Reis, nebſt etwas geraͤucherten und
eingeſalzenem Fleiſche hat. Sie wenden unge-
mein wenig Sorge auf ihre Nahrungsmittel,
und dennoch findet man ſie munter und unbe-
ſorgt. Mit den Einſalzen will es auch bey ih-
nen nicht recht fort, weil das Fleiſch in den
heiſſen Laͤndern nicht gerne Salz annimmt.
Sie lieben aber das Fleiſch mehr, wenn es ein-
gepoͤkelt iſt. Stinkende Fiſche, Heuſchrecken,
Ratzen, Eydexen und dergleichen Thiere, ſind
Leckerbiſſen fuͤr ſie.


Ungeachtet die Siamer ungemein maͤßig le-
ben, ſo leben ſie doch nicht laͤnger, und ſind den
Krankheiten nicht weniger unterworfen als wir.
Die gemeinſten Zufaͤlle ſind der Durchfall und
die rothe Ruhr, Krankheiten, die fuͤr ſie ſehr
gefaͤhrlich ſind. Es wuͤthen auch zuweilen hitzi-
ge Fieber unter ihnen, welche Verruͤckungen im
Kopfe
[289] Kopfe und Bruſtfluͤſſe erzeugen. Von Ent-
zuͤndungen hoͤrt man ſelten, auch iſt das taͤgliche
Fieber hier eben ſo wenig, als in allen andern
Gegenden des heiſſen Erdſtrichs, toͤdtlich. Ab-
wechſelnde Fieber ſind auch ſelten, aber hart-
naͤckig, obgleich das Fieber nicht lange anhaͤlt.
Die große aͤußerliche Hitze ſchwaͤcht die innere
ſo ſehr, daß man beynahe gar nichts von der-
gleichen Krankheiten hoͤrt. Huſten, Schnupfen,
ferner alle uͤbrige Arten von Fluͤſſe ſind in Siam
eben ſo gemein, als in Europa. Hieruͤber hat
man nicht Urſach fich zu verwundern, wenn
man weiß, daß es eine geraume Zeit des Jahrs
faſt beſtaͤndig regnet. Allein von Lungenſucht,
Gicht, vom Schlag und Epilepſie, weiß man
gar nichts. — Die Pocken, die in Siam
ſehr gemein ſind, und gewaltige Verwuͤſtungen
unter den Kindern anrichten, kann man gewiſ-
ſermaßen als die Peſt des Landes anſehen. —
Die veneriſche Krankheit iſt auch hier zu Hauſe.
Man weis aber nicht zu ſagen, ob es eine alte
oder neue Krankheit ſey.


TDas
[290]

Zweytes Kapitel.


Von den Vergnuͤgungen und Schauſpie-
len der Siamer — von den Weibern des
Koͤnigs und den Befehlshabern des innern
Pallaſtes — vom Heyrathen —
Tod und Begraͤbniſſen.


La Loubere erzaͤhlt, daß die Siamer dreyerley
Arten von Schauſpielen auf ihren Theatern
vorſtellten. — Der ſogenannte Cone iſt ein
Tanz von verſchiedenen Auftritten, wobey ſich
mancherley Inſtrumente hoͤren laßen. Die
Taͤnzer ſind gewafnet und verlarvet. Es iſt
nicht ſowohl ein Tanz, als die Vorſtellung ei-
ner kriegeriſchen Handlung. Die ganze Sache
beſteht eigentlich nur in heftigen Vewegungen
und Verdrehungen; indeſſen ſteht es den Ak-
teurs doch frey, zuweilen eins und das andere
dabey zu reden.


Das zweyte Schauſpiel heißt Lacon; ein
Gedicht, das theils epiſch, theils dramatiſch iſt,
und drey Tage lang, von acht Uhr Morgens,
bis ſieben Uhr Abends, in einem fort waͤhret.
Die Materie deſſelben iſt eine meiſtentheils ernſt-
hafte Geſchichte in Verſen, wovon ein Theil
vorgeſtellt und ein Theil erzaͤhlt wird. Einer
von
[291] von den Comoͤdianten ſpielt die Rolle des Ge-
ſchichtſchreibers, die andern ſingen die Rolle
der Perſonen, welche die Geſchichte redend ein-
fuͤhrt.


Der Rabam iſt ein doppelter Tanz von
Manns- und Frauensperſonen, wobey alles auf
das ordentlichſte zugeht, und keine kriegeriſche
Vorſtellung Statt findet. Sie ſingen waͤhrend
des Tanzes; eine Sache, die ihnen gar nicht
ſchwer faͤllt, weil der Tanz nur in einem lang-
ſamen Gange beſteht, der mit einigen Verdre-
hungen des Leibes und der Arme begleitet wird.
Waͤhrend des Tanzes ſchwatzen zwo andere Per-
ſonen den Zuſchauern allerley luſtige Haͤndel
vor. — Der Tanz und der Geſang des Ra-
bam haben nur eine verliebte Materie zum
Grunde. Die Akteurs und Aktriçen haben
ſehr lange Naͤgel von gelben Kupfer, hohe und
ſpitzige Muͤtzen von vergoldeten Papier, wie
etwa die Mandarinen, nur mit dem Unter-
ſchiede, daß ihre Muͤtze auf der Seite bis unter
die Ohren herabhaͤngt, und die ganze Muͤtze
mit falſchen Edelgeſteinen beſetzt iſt. Hiernaͤchſt
tragen ſie auch hoͤlzerne und vergoldete Ohrge-
haͤnge. — Man laͤßt ſie allemal kommen, ſo
oft eine Hochzeit oder ein Leichenbegaͤngniß an-
geſtellt wird. — Dieſe verſchiedenen Schau-
ſpiele koͤnnen alſo unter die heiligen Gebraͤuche
dieſes Volks gezaͤhlt werden, und die Einbil-
dung heiligt hier Dinge, welche an andern
T 2Orten,
[292] Orten mit uͤbermaͤßiger Strenge verdammt
werden.


Von den Seiltaͤnzern, die in Siam das
Volk beluſtigen, machen La Loubere und Tachard
(in ſeiner zweyten Reiſe), viel Laͤrm, und erhe-
ben ſie faſt uͤber die, welche, zur Schande der
Menſchheit, in Europa ihr Brodt auf eine
nichtswuͤrdige Art verdienen. — Des Win-
ters ergoͤtzen ſich alle indianiſche Hoͤfe, den Mo-
gol ausgenommen, mit dem fliegenden Dra-
chen.
In Siam bindet man etwas Brennen-
des daran, welches in der Luft einem Sterne
gleicht. Zuweilen pflegt man auch eine goldene
Muͤnze daran zu haͤngen, welche demjenigen zu
Theil wird, der den Drachen findet, wenn die
Schnur abreißt. Der Koͤnig laͤßt ſeinen Dra-
chen die zween Wintermonate uͤber, alle Naͤchte
fliegen, und ernennt gewiſſe Mandarinen, wel-
che die Schnur wechſelsweiſe halten muͤſſen.


Man findet bey den Siamern ein ſchwaches
Bild von den alten Wettſtreiten der Griechen
und Roͤmer. Sie haben Ringer und Klopf-
fechter, die einander entweder mit den Ellenbo-
gen, oder mit der Fauſt, derbe Ribbenſtoͤße
verſetzen. Bey dieſer letztern Art zu kaͤmpfen,
umwickeln ſie die Hand einigemale mit einem
Seile, anſtatt der bey den Roͤmern uͤblichen
Handſchuhe oder meſſingenen Ringe, welche von
den Laos bey dergleichen Streiten gebraucht wer-
den. — Was das Ballonenrennen auf dem
Fluſſe (worinn die geſchickteſten Ruder den
Preis
[293] Preis davon tragen) betrift; ſo finden wir’s
nicht noͤthig, weiter etwas davon zu ſagen, als
daß man den P. Tachard in ſeiner erſten Reiſe
im vierten Buche daruͤber nachleſen kann!


Eine ſehr gewoͤhnliche aber ganz ſonderbare
Sache iſt das Ochſenrennen. Man pflegt ei-
nen viereckigten Platz auszuſuchen, der fuͤnf-
hundert Klaftern lang, und zwo Klaftern breit
iſt, und pflanzt in jede Ecke einen Pfahl, welche
die Schranken bedeuten. Um dieſe Schranken
geſchiehet das Rennen. Mitten auf dem Platze
bauet man ein Geruͤſte fuͤr die Richter; und
um den Mittelpunkt, als den Ort, wo die Och-
ſen auslaufen, deſto deutlicher zu bezeichnen,
richtet man in ſelbigem einen ſehr hohen Pfahl
auf. Zuweilen laͤuft nur ein einziger Ochſe mit
einem andern in die Wette, und jeder wird von
einem beyherlaufenden Kerl bey einem durch des
Thiers Naſenloͤcher gezogenen Stricke geleitet.
Von einer gewiſſen Weite zur andern, ſtehen
gewiſſe Laͤufer in Bereitſchaft, welche den vori-
gen mit vieler Geſchicklichkeit abloͤſen. Gemei-
niglich aber rennt ein Paar Ochſen, das an
den Pflug geſpannt iſt, mit einem andern ange-
ſpannten Paare in die Wette. Beyde Paare
werden zwar ebenfalls von Kerlen geleitet, al-
lein es iſt uͤberdieß noch einer da, welcher beyher
laͤuft, und den Pflug beſtaͤndig ſchwebend er-
haͤlt, weil ſolcher die Erde nie beruͤhren darf.
Ob nun gleich beyde Paare beſtaͤndig rechts um
die Schranken herum rennen, folglich nach ei-
T 3nerley
[294] nerley Richtung, ſo ſetzen ſie doch nicht an ei-
nerley Orten an, ſondern das eine auf der Sei-
te, wo das Geruͤſte ſteht, das andre gegen uͤber,
ſo daß eines das andre jagt. Sie jagen um
dieſe Schranken ſo lange herum, bis ein Paar
das andre erreicht. Der Rennplatz wird von
den Zuſchauern eingefaßt. Dieß Rennen giebt
oftmals zu großen Wetten, beſonders bey den
Vornehmen, Gelegenheit. Man gebraucht auch
zu dieſer Uebung Buͤffelochſen.


Der gemeinſte Zeitvertreib der Siamer iſt
das Spiel, welchem ſie ganz unmaͤßig ergeben
ſind, ſo daß ſie oft ihr Vermoͤgen, ihre Frey-
heit und die ihrer Kinder darauf ſetzen. Vor
allen andern Spielen ſchaͤtzen ſie das Trictrac,
welches ſie Saca nennen, und es ſo wie wir
ſpielen. La Loubere vermuthet, daß ſie es von
den Portugieſen erlernt haben. Man findet
zwey Arten von Schachſpiele unter ihnen, wo-
von die eine mit der Europaͤiſchen vollkommen
gleich iſt, und die andere den Chineſiſchen glei-
chet, welches etwas verſchieden gezogen wird.
Uebrigens haben ſie noch verſchiedene Gluͤcks-
ſpiele; das Kartenſpiel kennen ſie aber nicht.


Das Tabacksrauchen iſt bey den Siamern
ſo etwas gemeines, daß das vornehmſte Frauen-
zimmer eben ſo gut mitraucht, als eine Manns-
perſon. Der Gebrauch des Schnupftabacks
will bey ihnen nicht viel ſagen. — Wenn
gleich der Taback in ihrem Lande uͤberfluͤßig
waͤchſt; ſo kaufen ſie doch manilliſchen und
chine-
[295] chineſiſchen, weil ſie fuͤr dieſe Sorten von Ta-
back mehr als fuͤr ihren eignen portirt ſind.
Mit dieſem verſchiedenen Zeitvertreib bringen
die Siamer ihr Leben zu, und es iſt auch noͤthig,
weil ſie ein ſehr maͤßiges Leben fuͤhren, ſo bald
ihre ſechs Frohnmonate ein Ende haben. Denn
da ſie meiſtentheils kein beſondres Handwerk
treiben; ſo wiſſen ſie nicht, was ſie thun ſollen,
wenn ſie mit des Koͤnigs Arbeit zu Stande ſind.
Hiernaͤchſt ſind ſie ſchon daran gewoͤhnt, daß
ihre Frau, oder Mutter, oder ihre Toͤchter, fuͤr
ihr Eſſen ſorgen, das Feld bauen, kaufen und
verkaufen, und uͤberhaupt alle Hausgeſchaͤfte
verrichten. Nach La Loubere’s Berichte wecket
die Frau ihren Mann des Morgens um ſieben
Uhr auf, und ſetzt ihm Reis und Fiſche vor.
Der Mann fruͤhſtuͤcket, und ſchlaͤft hernach
wieder ein. Des Mittags und Abends geht er
zu rechter Zeit zu Tiſche. Zwiſchen der Mahl-
zeit legt er ſich abermals einige Stunden aufs
Ohr. Die uͤbrige Zeit vertreibt er mit Geſpraͤ-
chen, Spielen und Tabackrauchen.


Der Koͤnig von Siam iſt unter den Prin-
zen, welche in der Halbinſel Indiens regieren,
der maͤchtigſte. Seine Unterthanen, die die
Macht, welche er beſitzt, ſehr wohl einſehen,
haben fuͤr ſeine Perſon die groͤßeſte Hochach-
tung, und erzeigen ihm ſo viel Ehre, die der
Anbetung ziemlich gleich kommt. Sein Pal-
laſt, worinn er wohnt, wird fuͤr einen heiligen
Ort gehalten. Niemand geht hinein, ohne ſich
T 4auf
[296] auf die Erde nieder zu werfen. Die Thore des
Pallaſtes ſind beſtaͤndig verſchloſſen, und jedes
hat ſeinen mit Gewehre verſehenen Thorwaͤchter;
er traͤgt es aber nicht, ſondern verwahrt es nur
in ſeinem Thorſtuͤbchen. So oft jemand an-
klopft, meldet es der Thorwaͤchter dem Krieges-
bedienten, welcher die Wache zwiſchen den erſten
Zwingern hat, und ohne deſſen Erlaubniß nie-
mand weder ein- noch ausgelaßen wird. Wer
ein Gewehr bey ſich hat, oder Arrak getrunken,
der wird nicht hineingelaßen, aus Furcht, ihre
Gegenwart moͤchte dieſen geheiligten Ort ent-
weihen.


Im Innern des Pallaſts herrſcht ein tiefes
Stillſchweigen. Ob er gleich mit vielen Sol-
daten beſetzt iſt, und eine Menge Mandarinen
und Miniſter daſelbſt zuſammen kommen; ſo
hoͤrt man doch nicht das geringſte Geraͤuſch,
und man ſollte dieſen Ort mit Recht fuͤr eine
abgelegene Einoͤde halten. Es werden keine
Befehle muͤndlich gegeben. Ein Mandarin
ſieht es dem Koͤnige an ſeinen Bewegungen an,
was er will, und dieſen, durch die Bewegungen
erkannten Willen des Koͤniges, giebt der Man-
darin den Bedienten, die drauſſen ſind, durch
andre Zeichen zu erkennen. Das Amt dieſes
Mandarins iſt eines der anſehnlichſten im gan-
zen Koͤnigreiche, und er ſoll der einzige ſeyn,
der das Recht hat, vor dem Koͤnige zu erſchei-
nen, ohne niederfallen zu duͤrfen. Die Hof-
leute ſtehen gewoͤhnlich bey ihm in großen Gna-
den,
[297] den, und kommen dem Koͤnige nie zu nahe,
außer wenn er ſie wuͤrdigt, ſich ihnen am Fen-
ſter des Pallaſtes zu zeigen. — Alles, was im
Praſſat (ſo wird der Pallaſt genannt) vor-
geht, iſt ein tiefes Geheimniß, und niemand
wagt es, vom Koͤnige zu reden, oder ſich nach
ſeiner Geſundheit zu erkundigen.


Man kann aus der traurigen Lebensart ei-
nes ſolchen Hofes urtheilen. — Die Frauen-
zimmer kommen nicht in den Praſſat, ausge-
nommen diejenigen, deren trauriges Schickſal
ſie beſtimmt, zu dem Vergnuͤgen des Koͤnigs
zu dienen, und in einem Serail eingeſchloſſen
zu ſeyn, aus welchen ſie niemals kommen.
Dieſe Maͤdchen, welche zum Vergnuͤgen des
Koͤniges beſtimmt ſind, nimmt man gewoͤhnlich
aus Siam. Indeſſen ſehen es die Siamer nie-
mals gerne, weil ſie keine Hofnung haben, ihre
Toͤchter jemals wiederzuſehen. Daher kaufen
die meiſten dieſe beſchwerliche Schuldigkeit mit
Gelde ab. Dieſer Gebrauch iſt auch ſo gemein,
daß die Hoflieferanten ohne Unterlaß eine Men-
ge Maͤdchen wegnehmen, blos in der Abſicht,
um ſich dadurch Geld zu ſchaffen. Die Zahl
der geringen Weiber des Koͤniges ſteigt ſelten
hoͤher, als auf zehn, und er nimmt ſie nicht
blos aus Unmaͤßigkeit, ſondern um ſeine Ho-
heit dadurch zu zeigen. — Die rechtmaͤßige
Gemahlinn iſt nicht nur uͤber alle andere Wei-
ber des Koͤniges erhaben, ſondern ſie iſt auch,
vermoͤge ihrer in Haͤnden habenden Gewalt,
T 5uͤber
[298] uͤber alle Hofweiber und Verſchnittene, als die
Beherrſcherinn anzuſehen. Sie entſcheidet auch
die Streitigkeiten, laͤßt die Unbaͤndigen beſtra-
fen, damit Ruhe und Friede erhalten werde.
Indeſſen weiß doch der Koͤnig diejenigen Wei-
ber, die er beſonders achtet, vor der Eiferſucht
der Koͤniginn in Sicherheit zu bringen. —


Die Landesgewohnheit erlaubt den Toͤchtern
keinen Umgang mit den Junggeſellen. Sie
werden von der Mutter fleißig gehuͤtet, und
wegen der geringſten Freyheit ſcharf beſtraft.
Allein die Natur, welche mehr Gewalt hat, als
alle Geſetze, treibt ſie nicht ſelten dazu, dann
und wann, inſonderheit des Abends, einen un-
vermerkten Ausgang zu wagen. — Sie wer-
den zum Eheſtande zeitig reif, und deswegen
verheyrathet man ſie auch ſchon im eilften oder
zwoͤlften Jahre. Es giebt zwar ſiamiſche
Jungfern, welche ſich Zeitlebens nicht verheyra-
then wollen, es waͤhlt aber doch keine das Klo-
ſterleben eher bis ſie ſchon alt iſt.


Die Eltern eines jungen Menſchen halten,
vermittelſt betagter Frauen, bey den Eltern der
Jungfer um ſie an. Faͤllt gleich die Antwort
geneigt aus, ſo hinderts doch nicht, die Jung-
fer um ihre Neigung zu fragen. Allein, die
Eltern laßen ſich die Geburtszeit des Freyers
ſagen, und zeigen dagegen gleichfalls die Zeit
an, wenn ihre Tochter gebohren iſt. Beyde
Theile laufen alsdann zum Wahrſager, und
vernehmen, ob die Ehe bis an den Tod ohne
Schei-
[299] Scheidung dauern koͤnne? Hernach beſucht der
Freyer ſeine Braut dreymal, und bringt ihr
ein geringes Geſchenk an Betel und Obſte.
Soll aus der Heyrath etwas werden, ſo erſchei-
nen die beyden Anverwandten bey ſeinem drit-
ten Beſuche. Hier wird alsdann ausgemacht,
wie hoch das Heyrathsgut der Braut, und das
Vermoͤgen des Braͤutigams ſich belaufen ſoll,
und machen alles ſogleich ohne weitere Eheſtif-
tung, in Richtigkeit. Die neuen Eheleute
werden von ihren Anverwandten beſchenkt, und
der Braͤutigam tritt ſogleich in alle Rechte des
Eheſtandes, ohne Abſicht auf die Religion,
welche mit dieſer Handlung nichts zu thun hat;
ja die Talapoinen duͤrfen nicht einmal dabey
ſeyn. Doch finden ſie ſich nach einigen Tagen
ein, und beſprengen das neue Ehepaar mit
Weihwaſſer, und murmeln dabey einige Ge-
bete her.


Die Hochzeit wird bey den Eltern der Braut
gefeyert. Man bauet hierzu einen beſondern
Saal, in welchem man ein, nach ihrer Art,
großes Gaſtmahl haͤlt. Iſt eine große Hoch-
zeit, ſo laͤßt man Taͤnzer und andere Gauckler
kommen; allein Braut und Braͤutigam tanzen
eben ſo wenig bey dieſer Gelegenheit, als die
Anverwandten. — Das groͤßeſte Heyraths-
gut eines ſiamiſchen Maͤdchens belaͤuft ſich
nicht uͤber fuͤnf tauſend Thaler nach unſerm
Gelde, woraus man ſchon ziemlich ſehen kann,
wie
[300] wie geringe in Siam der Reichthum der Ein-
wohner iſt. —


Nach den ſiamiſchen Geſetzen iſt es erlaubt,
viele Weiber zu haben; der gemeine Mann be-
dient ſich aber dieſer Freyheit ſehr ſelten, und
die Reichen oder Vornehmen thun es vielmehr
aus Pracht als aus Wolluſt. Eine iſt nur ei-
gentlich die rechte Frau, welche man die große
Frau
zu nennen pflegt. Die andern ſind nur
Kebsweiber, die man kauft, und weil ſie keine
Mitgabe mitbringen, als Sclavinnen haͤlt.
Man heyrathet ſie, ohne viele Cerimonien an-
zuſtellen, und ihre Kinder, anſtatt an der vaͤ-
terlichen Erbſchaft Antheil zu haben, koͤnnen
von den Erben verkauft werden. Die Kebs-
weiber, welche kleine Frauen genannt werden,
koͤnnen gleichfalls nach dem Tode ihres Man-
nes verkauft werden. Die Kinder der recht-
maͤßigen, oder ſogenannten großen Frau, koͤn-
nen nur allein von ihren Eltern erben. Sie
theilen das Vermoͤgen in gleiche Portionen,
ziehen aber nur erſt den Genuß deſſelben nach
dem Tode beyder Eltern. Dieſe Erbſchaften
beſtehen groͤßeſtentheils in beweglichen Guͤtern.
Die Siamer kaufen ſelten Grundſtuͤcke, weil
ſie das voͤllige Eigenthum derſelben nicht an ſich
bringen koͤnnen, und der Koͤnig ein Recht auf
jedes Vermoͤgen zu haben glaubt. Aus dieſer
Urſache trachten ſie ſehr nach Diamanten, weil
man ſie leicht verbergen kann. Die vornehmen
Siamer vermachen dem Koͤnige zuweilen bey
ihrem
[301] ihrem Abſterben einen Theil ihres Vermoͤgens,
damit ſie das uͤbrige fuͤr ihre Kinder in Sicher-
heit ſtellen. Wahrlich eine traurige Ehrerbie-
tung, welche man aus Furcht ablegt, und be-
weiſt, wie ungewiß der Deſpotismus hier den
Beſitz des Vermoͤgens macht.


Die Gewalt des Vaters iſt in ſeinem Hauſe
unumſchraͤnkt. Es ſteht ihm frey, Weib und
Kind auf einmal zu verhandeln. Zwar iſt hier-
von die vornehmſte Frau ausgeſchloſſen; er kan
ſie aber doch verſtoßen. Die Eheſcheidung ſteht
eigentlich in ſeiner Willkuͤhr; indeſſen willigt er
darein, wenn die Frau durchaus darauf dringt.
Er giebt das Heyrathsgut wieder heraus, und
theilt die Kinder mit ihr. — Die Mutter
nimmt das erſte, dritte, und ſo fort die ungra-
den; der Vater behaͤlt das zweyte, vierte, mit
einem Worte, alle gerade. Iſt alſo die ganze
Anzahl ungleich, ſo bekommt die Mutter eins
mehr, als der Vater. — Die Wittwe erbt
ihres Mannes Gewalt doch mit der Einſchraͤn-
kung, daß ſie die geraden Kinder (als Nummer
zwey, vier, ſechs u. f.) nicht verkaufen kann.


Wir wenden uns nunmehr zu den Leichen-
begaͤngniſſen der Siamer, die, wie uͤberhaupt
im ganzen Morgenlande, mit vielen Cerimonien
begleitet ſind. — Sobald einem Kranken der
letzte Othem ausgeht, wird die Leiche in einem
hoͤlzernen Sarge verſchloſſen, der aͤußerlich la-
kirt, oder wohl gar etwas vergoldet iſt. Da
aber die ſiamiſchen Firniſſe nicht ſo gut ſind,
als
[302] als die chineſiſchen, und alſo der Geruch des
todten Koͤrpers durch die Ritzen dringt, ſo
gießt man den Todten Queckſilber in den Mund,
damit es ſeine Eingeweide verzehren ſoll. Die
reichſten Siamer legt man in bleyerne Saͤrge,
und vergoldet ſie gleichfalls. Hernach ſtellt
man den Sarg aus Ehrerbietung auf etwas
Erhabenes, und erwartet die Ankunft des
Hausherrn, im Falle er abweſend ſeyn ſollte,
oder man macht unterdeſſen zur Abreiſe Anſtal-
ten. Man ſtellt brennende Wachslichter herein
und raͤuchert. Beym Anbruch der Nacht er-
ſcheint eine gewiſſe Anzahl von Talapoinen, die
ſich an die Wand ſtellen, und Geſaͤnge anſtim-
men. Fuͤr dieſe Muͤhe giebt man ihnen zu
eſſen. Ihre Geſaͤnge handeln von der Tugend,
und zeigen dem Verſtorbenen die Straße nach
dem Himmel. – – Die Anverwandten waͤh-
len eine bequeme Stelle auf dem Felde, um dem
Verſtorbenen die letzte Ehre zu erweiſen, welche
darinn beſteht, daß ſie die Leiche mit vielem
Gepraͤnge verbrennen. Man erwaͤhlt gerne ei-
ne ſolche Stelle nahe bey einem Tempel, dem
der Verſtorbene oder ſeine Vorfahren erbaut
haben. Sie wird mit Bambus umzaͤumt, und
dabey allerley Zierrathen aus der Baukunſt an-
gebracht. Naͤchſt dem ziert man das Gehaͤge
mit gemahlten oder vergoldetem Papiere, das
man wie Haͤuſer, Thiere u. ſ. w. ausſchneidet.
Mitten im Gehaͤge ſteht der Scheiterhaufen,
wozu man wohlriechendes Holz nimmt. Die
groͤßeſte
[303] groͤßeſte Ehre beſteht darinn, daß man dem
Scheiterhaufen eine große Hoͤhe giebt, nicht
etwa mit Aufſchlichten einer großen Menge
Holzes, ſondern vermittelſt hoher Geruͤſte, die
man mit Erde uͤberſchuͤttet, und den Scheiter-
haufen oben darauf ſetzt.


Die Leiche wird unter dem Schalle vieler
Inſtrumente weggetragen, und macht den An-
fang des Zuges. Nachher folgen die Begleiter,
welche aus den Anverwandten und guten Freun-
den des Verſtorbenen von beyden Geſchlechten
beſtehen. Sie ſind insgeſammt weiß gekleidet,
und am Kopfe mit einem weiſſen Schleier ver-
huͤllt. Gemeiniglich geſchieht die Leichenbeglei-
tung auf dem Fluſſe, welcher bey dieſer Gele-
genheit mit einer großen Menge Balonen be-
deckt iſt.


Der Sarg wird nicht verbrannt, ſondern
die Leiche nackend auf das Holz gelegt. Die
Talapoinen aus dem naͤchſten Kloſter ſingen et-
wa eine Viertelſtunde, gehen hernach ihres We-
ges, und kommen nicht wieder zum Vorſchein.
Man laͤßt ſie nicht kommen, als wenn es der
Religion wegen noͤthig waͤre, ſondern um der
Handlung einen groͤßern Glanz zu verſchaffen.
Sobald nun die Talapoinen weg ſind, ſo faͤngt
man an, den Cone und Rabam auf verſchie-
denen Schaubuͤhnen zu ſpielen, womit der gan-
ze Tag zugebracht wird. Gegen Mittag ſteckt
ein Bedienter der Talapoinen den Scheiterhau-
fen in Brand, den man gewoͤhnlich nicht uͤber
zwey
[304] zwey Stunden lang brennen laͤßt. Wenn der
Verſtorbene ein Prinz vom koͤniglichen Gebluͤte
oder ſonſt ein vom Koͤnige benannter Herr iſt,
ſo ſteckt der Monarch den Haufen ſelbſt in
Brand, doch ohne aus ſeinem Pallaſt zu tre-
ten, ſondern er laͤßt nur eine brennende Fackel
an einem Seile, das von ſeinem Fenſter bis
an den Brennplatz aufgeſpannt wird, dahin
fahren.


Der Leichnam wird niemals vom Feuer gaͤnz-
lich verzehrt, ſondern man bratet ihn nur, und
das dazu noch ſehr ſchlecht. Das uͤbrige wird
wieder in den Sarg gelegt, und unter einer
Pyramide, dergleichen viele um dem Tempel
ſtehen, begraben. Zuweilen giebt man dem
Verſtorbenen Edelgeſteine und andere Koſtbar-
keiten mit in das Grab, in Hoffnung, ſie wuͤr-
den an einem Orte, den die Religion unverletz-
lich macht, in Sicherheit ſeyn. Wer keinen
Tempel noch Pyramiden hat, der verwahrt die
halbverbrannten Ueberbleibſel ſeiner Bluts-
freunde zuweilen in ſeinem eignen Hauſe. Die
meiſten Siamer verwenden aber doch einen
Theil ihres Vermoͤgens darauf, einen Tempel
zu erbauen. Iſt aber die Armuth ſo groß, daß
ſie ihre Anverwandte nicht verbrennen koͤnnen,
ſo begraben ſie dieſelben mit Zuziehung der Ta-
lapoinen. Da indeſſen die Moͤnche doch nichts
umſonſt thun, ſo legen diejenigen, welche nicht
ſo viel Geld auftreiben koͤnnen, die Leiche auf
irgend
[305] irgend einen Huͤgel hin, wo ſie den Raubvoͤ-
geln zur Speiſe wird.


Man pflegt in Siam niemand zur Trauer
zu zwingen. Jeder hat die voͤllige Freyheit,
dieſelbe nach der Empfindung ſeines Herzens ein-
zurichten. Daher ſieht man mehr die Eltern
um ihre Kinder, als dieſe um jene trauern.
Zuweilen ergreifen die Eltern den geiſtlichen
Stand, wenn ſie dasjenige verliehren, was ſie
mit der Welt verband, oder ſie beſcheeren ein-
ander doch wenigſtens den Kopf. Denn die
Augenbraunen darf niemand als ein wirklicher
Talapoin wegſcheeren.



Drittes Kapitel.


Von der Erziehung der Kinder — Spra-
che — Kuͤnſten und Wiſſenſchaften
der Siamer.


Folgſamkeit und ſtilles Weſen, ſind Dinge
die man bey den Kindern der Siamer all-
gemein wahrnimmt. Man gewoͤhnt ſie hierzu
von Jugend auf, und beſonders muͤſſen ſie ſich
auch bemuͤhen hoͤflich zu ſeyn. Die unum-
ſchraͤnkte Gewalt der Vaͤter traͤgt vieles dazu
bey, daß ihre Regeln ſo ſehr von den Kindern
benutzt werden.


UDie
[306]

Die meiſten ſiamiſchen Kinder werden in
den Kloͤſtern der Talapoinen erzogen. Man
thut ſie im ſiebenden oder achten Jahre hinen,
und ſie tragen das Ordenskleid, aber ohne ein
Geluͤbde zu thun. Dieſe kleinen Moͤnche,
nennt man Nen. Sie werden von ihren An-
verwandten taͤglich mit aller Nothdurft ver-
ſorgt, und diejenigen, welche ihr Reichthum
oder ihre Geburt uͤber andere erhebt, behalten
einen oder zwey Leibeigene zu ihrer Bedienung
bey ſich.


Zuerſt lehrt man ſie leſen, ſchreiben und
rechnen, weil dieß fuͤr einen Kaufmann hoͤchſt
nothwendig iſt, da jeder Siamer eignen Han-
del treibt. Hernach lernen ſie die Grundſaͤtze
der Religion und Sittenlehre, nebſt dem Bali,
d. i. derjenigen Sprache, worinn ihre Glau-
benslehren und Geſetze geſchrieben ſind. Dieſe
Sprache hat einige Verwandſchaft mit einer
beſondern, auf Coromandel uͤblichen Mundart,
allein die Buchſtaben ſind ſonſt nirgend, als in
Siam gebraͤuchlich. Sie wird von der Linken
zur Rechten geſchrieben.


Die ſiamiſche Sprache hat ſieben und
dreyßig Buchſtaben, und die baliſche drey und
dreyßig. La Loubere giebt ſie aber alle fuͤr Mit-
lautende an. Die einfachen und doppeltlau-
tende, daran es beyden Sprachen gar nicht feh-
len ſoll, haben ihre eigene Buchſtaben, daraus
man beſondere Alphabete macht. — Die
Europaͤer haben viele Muͤhe, die Buchſtaben der
Siamer
[307] Siamer in ihrer Sprache auszudruͤcken, und
von zehn Worten, die mit unſern Buchſtaben
geſchrieben, findet ſich kaum eins, welches die
Leute des Landes erkennen, man mag ſich auch
noch ſo viel Muͤhe geben unſere Rechtſchreibung
nach ihrer Ausſprache einzurichten. Doch ha-
ben die Siamer unſer R (welches die Chineſer
nicht haben) unſer W, unſer H, unſer E.
welches nie veſchlungen wird, *) und das
A, welches ſie, wie wir, in den Endſylben,
und in der Mitte eines Worts, wie ein ſtum-
mes E ausſprechen.


Die Siamer haben viele Accente, wie die
Chineſer. Wenn ſie reden; ſo denkt man, ſie
ſaͤngen. — Wenn gleich die Accente eigent-
lich nur uͤber den Vocalen ſtehen; ſo ſetzen ſie
doch auch einige, wenn ſie Conſonanten, die
uͤbrigens einerley gelten, mit einander verwech-
ſeln; woraus Loubere nicht ohne Grund muth-
maßt, ſie haͤtten anfaͤnglich ohne Lautbuchſta-
ben geſchrieben, wie die Hebraͤer.


Die Nomina und Pronomina werden nicht
declinirt, und haben keinen Artikel, den Un-
terſchied des Genius und Caſus anzudeuten.
Wenn zwey Subſtantiva auf einander folgen;
U 2ſo
[308] ſo ſteht das eine im Genitivo. Das Nomen
wird immer vor das Verbum geſetzt, das Ver-
bum, vor die Woͤrter, welche es regiert, und das
Subſtantivum vor das Adjectivum. In die-
ſer Sprache findet keine Verſetzung der Woͤrter
ſtatt: ſie hat weder Genera noch Numeros:
die Verba haben nur einen Modum, welcher
mit unſern Infinitivo uͤbereinkommt, und nicht
conjugiert wird. Man braucht, um die Nu-
meros und Tempora zu unterſcheiden, gewiſſe
Partikeln, welche man bald vor, bald nach
den Verben ſetzt. — Es iſt nicht leicht eine
aͤrmere, und an Redensarten, weniger reiche
Sprache. Es fehlt den Siamern an einzelnen
Worten, um eine Menge Sachen auszudruͤcken,
und ſie muͤſſen ihre Zuflucht zu Umſchr[e]ibun-
gen nehmen. Sie nennen die Lippen, Licht
des Mundes
, die Blumen, Ehre des Holzes,
die Fluͤſſe, Muͤtter der Waſſer. Sie ſagen,
ein Kopf von einem Diamant, anſtatt ein
Diamant, eine Perſon von einem Men-
ſchen
, fuͤr ein Menſch.


Naͤchſt dem Leſen und Schreiben lernt die
ſiamiſche Jugend beynahe nichts, als rechnen.
Sie haben, wie wir, zehn Figuren; die Nulle
hat eben die Geſtalt, wie bey uns, gilt auch im
Zuſammenſetzen ſo viel wie bey uns, d. i. die
Ziffern werden von der Rechten gegen die Linke
geſetzt, zufolge der natuͤrlichen Ordnung ihrer
Geltung in der Rechenkunſt, mit zehne. Die
Siamer ſetzen ihre Rechnungen mit der Feder
auf,
[309] auf, ſind alſo hierinn von den Chineſern un-
terſchieden, welche hierzu ein Inſtrument ge-
brauchen, welches nach des Martini Berichte,
zweytauſend ſechshundert, oder zweytauſend
ſiebenhundert Jahre vor Chriſti Geburt ſoll er-
funden ſeyn. Ueberhaupt ſind die Kaufleute
hier im Lande im Rechnen ſo geuͤbt, daß ſie ſo-
gleich ſchwere Aufgaben aufloͤſen koͤnnen. Hin-
gegen laſſen ſie auch diejenige liegen, die ſie
nicht auf der Stelle zu treffen im Stande find. —
Das weſentliche Kenntzeichen der Einwohner
eines ſehr heiſſen und ſehr kalten Landes, iſt die
Traͤgheit, ſowohl des Gemuͤths als des Leibes,
nur mit dem Unterſchiede, daß dieſe in den all-
zukalten Lande zur Dummheit wird, in dem
allzuheiſſen aber allemal mit Witz und Einbil-
dungskraft verknuͤpft bleibt, nur aber mit ſol-
cher Einbildungskraft und Witze, der von der
geringſten Bemuͤhung im Augenblicke ermuͤ-
det. — Die Siamer begreifen eine Sache
ſehr leicht, wiſſen eine geſchwinde und ſinnrei-
che Antwort zu geben, auch wohl ausgedachte
Einwuͤrfe zu machen. Man ſollte alſo glau-
ben, ſie wuͤrden es bey mittelmaͤßigen Fleiße
in den tiefſten Wiſſenſchaften und ſchwerſten
Kuͤnſten ſehr weit bringen. Allein, ihre un-
uͤberwindliche Traͤgheit vernichtet dieſe Hoffnung
auf einmal.


Die Siamer ſollen, wie man ſagt, große
Gaben zur Dichtkunſt haben. Ihre Verſe ſind
gereimt, und von eben dem Sylbenmaaß als
U 3die
[310] die unſrigen: ihre Dichter haben ſo außeror-
dentliche Gedanken, daß in einer großen An-
zahl von Oden und ſiamiſchen Geſaͤngen, welche
ſich La Loubere uͤberſeßen ließ, er nicht eine ein-
zige fand, deren Verſtand mit unſern Begrif-
fen uͤbereingekommen waͤre. Sie haben Tiſch-
geſaͤnge, verliebte, hiſtoriſche und moraliſche
Gedichte. Einer von den Bruͤdern des Chaou-
Narvie, ſonder Zweifel derjenige, welcher we-
gen ſeiner Liebeshaͤndel mit einer von den Sul-
taninnen, Stockſchlaͤge bekam, ſoll ſehr gute
Verſe gemacht, und die Muſik dazu ſelbſt com-
ponirt haben. — Obgleich die Siamer ge-
bohrne Dichter ſeyn ſollen; ſo ſind ſie doch
nicht im Stande eine Rede, die an einanderhaͤn-
gend waͤre, zu verfertigen.


Ihre Buͤcher enthalten entweder Erzaͤhlun-
gen in einem ungekuͤnſtelten Vortrage, oder
tiefſinnige Ausſpruͤche in einer unterbrochenen
und mit vielen Bildern angefuͤlleten Schreib-
art. — Die Beredſamkeit und Redekunſt
ſind aus ihren Gerichten verbannt. Die Par-
theyen tragen den Gerichtsſchreibern ihre Gruͤnde
vor, und dieſe ſchreiben dasjenige nieder, was
man ihnen vorſagt. Wenn die Talapoinen pre-
digen; ſo leſen ſie den baliſchen Text aus ihren
Buͤchern her, uͤberſetzen und erklaͤren ihn, in
ſiamiſcher Sprache, ohne die geringſte redneri-
ſche Zierlichkeit. Alle im gemeinen Leben uͤbli-
che hoͤfliche Reden, ſind ohngefaͤhr mit einerley
Worten abgefaßt.


Von
[311]

Von dem was Philoſophie heiſt, wiſſen
die Siamer gar nichts, nur einige Saͤtze der
Moral ausgenommen, worunter ſie doch viel
irriges vermiſcht haben. — Die Rechte ſtu-
diren ſie auch nicht, und die Landesgeſetze pflegt
man nur alsdann zu erlernen, wenn man oͤf-
fentlichen Aemtern vorſtehen will, denn ſie ſind
in einigen Buͤchern enthalten, die man dem ge-
meinen Manne nicht zeigt. Aber ſobald jemand
eine Bedienung erhaͤlt; ſo giebt man ihm eine
Abſchrift von den Geſetzen, in ſo fern ſie ihn
betreffen.


Die Arzeneykunſt der Siamer verdient den
Namen einer Wiſſenſchaft auf keine Weiſe.
Die ganze ſiamiſche Arzeneykunſt beſteht in ei-
ner Menge von ihren Voreltern ererbten Re-
cepten, die ſie immer verſchreiben, ohne auf die
beſondere Umſtaͤnde des Kranken zu ſehen. Un-
geachtet ſie nun ſo aufs Gerathewohl verfahren;
ſo bringen ſie doch manchen Patienten wieder
zurechte: indeſſen muß man dieß der Arzeney
ſelten, ſondern eigentlich der maͤßigen Lebens-
art der Siamer, zuſchreiben. Will aber die
Medicin nicht wirken, ſo heiſt es: der Menſch
iſt behert.


Wenn ein Siamer krank wird, ſo betraͤgt
er ſich dabey ſehr ſeltſam. Er legt ſich nem-
lich auf die Erde, laͤßt eine Perſon, die es ver-
ſteht, auf ſeinem Leibe mit Fuͤßen herum tre-
ten, um die Theile gelinde und ſchlaff zu ma-
chen. Man verſichert, daß die Weiber, ſo
U 4gar
[312] gar in ihrer Schwangerſchaft, eben dieſe Ope-
ration an ſich vornehmen laſſen, um ſich eine
leichtere Niederkunft zu verſchaffen. Ihre
Arzeneyen bereiten ſie aus Mineralien und
Kraͤutern. Die Kraft und den Gebrauch
der Quinquina, haben ſie von den Europaͤern
erlernt. — Der Gebrauch des Schroͤpfens
und der Blutygel iſt ihnen bekannt: ſie be-
dienen ſich des Aderlaſſens, des Trepanie-
rens und anderer chirurgiſchen Operationen,
ſie ſind aber genoͤthigt bey dieſer Gelegenheit
die Huͤlfe der Europaͤer zu gebrauchen. Ueber-
haupt ſind ihre Arzeneymittel ſehr hitzig. —
Innerlich brauchen ſie nichts abkuͤhlendes, hin-
gegen baden ſie ſich, ſowohl wenn ſie das Fie-
ber, oder auch eine andere Krankheit haben.
Es ſcheint auch, als wenn alles, was die na-
tuͤrliche Waͤrme vermehrt oder zuſammenhaͤlt,
ihnen dienlich ſey. Die Kranken genießen
ſonſt nichts, als ſehr duͤnne Reisſuppe. —
Fleiſchbruͤhe iſt in Siam toͤdlich, denn ſie macht
den Magen ſchlaff. Wenn man geſund iſt, er-
lauben die Aerzte Schweinefleiſch zu eſſen, wel-
ches hier ſehr leicht zu verdauen iſt.


Der Abſcheu, den die Siamer fuͤr todte
Koͤrper haben, und die Gewohnheit ſie zu ver-
brennen, erlaubt ihnen nicht, einige anatomi-
ſche Unterſuchungen anzuſtellen. Sie ſind alſo
in Anſehung der Anatomie ſehr unwiſſend.
Die Chimie iſt den Siamern eben ſo wenig be-
kannt, ob ſie gleich gewaltig darauf erpicht ſind,
und
[313] und eine große Menge fremder Marktſchreyer
zu Siam haben, welche die Leichtglaͤubigkeit die-
ſes Volks taͤglich mißbrauchen. Der Vater
des Chaou-Narvie, ſoll, wie Tachard in ſei-
ner erſten Reiſe meldet, zwey Millionen darauf
verwand haben, den Stein der Weiſen zu
finden.


Was ihre Kenntniſſe in der Mathematik be-
trift, ſo muß man gleichfalls geſtehen, daß ſie
ſehr geringe iſt. Sie wuͤrden es ohne Zweifel
hierinn weiter bringen, wenn ſie nicht den Feh-
ler an ſich haͤtten, einer Sache bald uͤberdruͤßig
zu werden. Es iſt ihnen eine unangenehme
Sache, eine ganze Reihe von Schluͤſſen zu for-
miren. Sie laſſen es daher bey einigen Aus-
uͤbungsvortheilen in der Aſtronomie bewenden,
und ohne ſich darum zu bekuͤmmern, warum
man ſo und nicht anders verfahren muͤſſe, ge-
brauchen ſie ſelbige zum Nativitaͤtſtellen einzel-
ner Perſonen, wie auch zu Verfertigung ihres
Kalenders, welchen man als einen allgemeinen
Horoskop anſehen kann — Indeſſen haben
ſie doch ihren Kalender ſchon zweyma durch ge-
ſchickte Sternkundige verbeſſern laſſen.


Uebrigens haben ſie vom Weltgebaͤude keine
richtigen Vorſtellungen, weil ſie nichts recht
verſtehen. Sie glauben die Finſterniſſen wuͤr-
den durch einen boshaften Drachen verurſacht,
welcher die Sonne und den Mond verſchlinge.
Um das ſchaͤdliche Thier zu verjagen, erregen
ſie (wie bereits im vorhergehenden erwaͤhnt)
U 5einen
[314] einen graͤßlichen Laͤrm mit Keſſeln und Pfan-
nen. — Sie glauben die Erde ſey viereckigt,
und der Himmel liege auf ihr. Nach ihrer
Vorſtellungsart beſteht ſie aus vier bewohnten
Theilen, welche durch große Meere von einan-
der getrennt, und auf die Art zu vier beſon-
dern Welten gemacht ſind. In die Mitte die-
ſer vier Welten, ſtellen ſie einen ſehr hohen py-
ramidenfoͤrmigen Berg mit vier gleichen Sei-
ten: und von der Oberflaͤche der Erde und des
Meers, bis an den Gipfel dieſes Berges, wel-
cher nach ihrem Vorgeben die Sterne beruͤhrt,
zaͤhlen ſie vier und achtzigtauſend Jods, ein
Maaß, das etwa acht tauſend Klaftern betraͤgt.
Eben ſo viel Jods zaͤhlen ſie von der Oberflaͤche
des Meers, bis an die Wurzel des Berges, und
eben ſo weit iſt auch von jeder Seite des Ber-
ges, bis an jede von den vier Welten. — La
Loubere, der ſich dieſe ſeltſame Beſchreibung
erzaͤhlen ließ, ſagt dabey, wenn etwa einige
Reiſende eine andere Nachricht davon beybraͤch-
ten, ſo duͤrfte man ſich die Mannichfaltigkeit
der ſiamiſchen Meynungen, in einer Sache,
davon ſie nicht viel verſtehen, eben ſo wenig be-
fremden laſſen, als die Verſchiedenheit unſrer
aſtronomiſchen Lehrgebaͤude, die wir aus dem
Grunde zu verſtehen glauben.


Die Siamer kennen die Tonkunſt nur aus
der Uebung, und haben von der Compoſition
keine Regeln. Sie machen Arien, wiſſen ſie
aber nicht in Noten zu ſetzen. Ihre Geſaͤnge
ſind
[315] ſind ohne Kadenzen und Triller. Die franzoͤ-
ſiſchen Arien, welche La Loubere und ſeine Com-
pagnons ſpielten, gefielen dem Koͤnige nicht,
weil ſie ihm nicht ernſthaft genug waren. In-
zwiſchen haben die Siamer in ihren eignen Arien
nichts ernſthaftes, und in dem Marſche des
Koͤniges ſelbſt, geht die Symphonie ſehr ge-
ſchwinde. Auch verſtehen ſie die Kunſt zu ac-
compagniren nicht, und ihre Concerte haben
nur eine Stimme, ſowohl fuͤr die Inſtrumente,
als fuͤr die Saͤnger.


Ihre vornehmſten Inſtrumente ſind: Gei-
gen mit drey Saiten, die ſie Tro nennen, und
gewiſſe ſchreyende Hautbois, welche ſie Vi nen-
nen. Hierzu ſpielen ſie auf kuͤpfernen Becken;
ſie ſchlagen naͤmlich zu gewiſſer Zeit in jedem
Tacte darauf. Die Becken haͤngen vermittelſt
einer Schnure, an einer Stange, welche nach
der Quere auf zwo Gabeln liegt, und man
ſchlaͤgt ſie mit einem kurzen hoͤlzernen Kleppel.
Zu dieſem Getoͤne kommen noch zweyerley Arten
von Trommeln, die man Tlunpunpan und
Tapon nennt. Der Kaſten von der erſten iſt
nicht groͤßer als unſre Caſtagnetten, aber unten
und oben mit Pergament uͤberzogen, wie un-
ſre Trommeln. An jeder Seite des Kaſtens
haͤngt eine Bleykugel an einer Schnur. Durch
den Kaſten iſt ebenfalls ein Staͤbchen geſteckt,
woran man ihn haͤlt wie an einem Handgriffe.
Den Handgriff querlet man zwiſchen den Haͤn-
den herum, wie einen Schokoladen-Querl, und
ſo
[316] ſo ſchlagen die beyden Kugeln an das aufgeſpann-
te Fell oder Pergament. — Der Tapon ſieht
einem Faſſe voͤllig aͤhnlich. Man haͤngt es mit
einem Riemen an den Hals, und ſchlaͤgt unten
und oben mit Faͤuſten auf das Fell.


In Siam treibt man die Leibesuͤbungen
eben ſo ſchlecht, als die Uebungen des Verſtan-
des. Man findet im ganzen Lande keinen Men-
ſchen, der z. E. das Bereuten verſtuͤnde. Ge-
wehr haben ſie nicht, ſie moͤchten es denn vom
Koͤnige als ein Geſchenk erhalten haben: ſo
lange ſie der Koͤnig auch nicht mit Waffen ver-
ſieht, duͤrfen ſie keine kaufen. Eben ſo wenig
duͤrfen ſie ſich in dem Gebrauche derſelben uͤben,
bis er es ihnen erlaubt. Selbſt im Kriege
ſchießen ſie nicht ſtehend, ſondern mit einem
Knie auf der Erde, ja zuweilen ſetzen ſie ſich
auf die Ferſe, und ſtrecken das andere Bein ge-
rade vor ſich aus. Es faͤllt ihnen ſchwer das
Knie ſteif zu halten, weil ihre Gewohnheit mit
ſich bringt, daſſelbe beſtaͤndig zu beugen. Die
Franzoſen haben ſie zuerſt gelehrt, im Gewehre
zu ſtehen: denn ehe der Ritter Chaumont ins
Land kam, hielten ſie ſo gar Schildwache im
Sitzen. Wie ſehr ſie ſich im Laufen uͤben, kann
man ſchon daraus abnehmen, weil ſie nicht ein-
mal am Spazierengehen einiges Vergnuͤgen fin-
den. Die warme Luft befoͤrdert die Ausduͤn-
ſtung ſchon zur Genuͤge. Kurz, ſie treiben kei-
ne andere Uebung, als auf dem Balon in die
Wette zu fahren, und deßwegen gewoͤhnt man
die
[317] die Kinder ſchon im vierten oder fuͤnften Jahre
dazu, daß ſie das Ruder oder die Pagaje fuͤh-
ren. Daher kommt es auch daß ſie mit be-
wundernswuͤrdiger Geſchwindigkeit drey Tage
und drey Naͤchte beynahe in einem Stuͤcke fort-
rudern, ungeachtet ſie gar nicht geſchickt ſind,
eine andere Arbeit lange auszuhalten.


Die Traͤgheit, der Mangel an Aufmunte-
rung, die Gefahr, welche dabey ſeyn wuͤrde,
wenn man ſich in einem Lande, wo das Gluͤck
einer Privatperſon in den Haͤnden des Koͤniges
ſteht, hervorthun wollte, ſind ſo viele Urſachen,
welche hier die Aufnahme der Kuͤnſte verhin-
dern. Man ſetze hinzu, daß dieſes Volk gera-
de zu, ohne Ehrgeiz, ſparſam, maͤßig, und ſehr
mit ſeinen Beduͤrfnißen beſchaͤftigt iſt, daß es
ſeine Gedanken nicht auf uͤberfluͤßige Dinge rich-
ten kann. Die Armuth iſt in allen Staͤnden
gleich groß und verbannt die Pracht, das Kind
des Wohlſtandes und die Mutter der Kuͤnſte.


Von den Kuͤnſten verſtehen ſie folgende.
Sie ſind ziemlich gute Tiſchler; und weil ſie kei-
ne Naͤgel haben; ſo verſtehen ſie ſich deſto beſſer
auf das Verniethen. Sie ſchnitzen allerley,
doch ſehr plump, wovon die Goͤtzenbilder in ih-
ren Tempeln hinlaͤngliche Beweiſe abgeben koͤn-
nen. — Sie brennen den Thon ſehr gut, und
es giebt keine beßre Ziegelſteine, als die, welche
in Siam verfertigt werden. Ueberhaupt aber
muß man ihnen das Lob geben, daß ſie ſich auf
Mauerarbeit noch am beſten verſtehen. Dem
ohn-
[318] ohngeachtet ſind ihre gemauerten Haͤuſer von
ſchlechter Dauer, weil es am Grunde fehlt.
Sie legen nicht einmal bey ihren Feſtungswer-
ken den geringſten Grund. — Die Siamer
koͤnnen auch Metalle ſchmelzen, und in Forme
gießen. Sie uͤberziehen ihre Goͤtzenbilder ſehr
artig mit einem duͤnnen Bleche von Golde, Sil-
ber oder Kupfer, ob ſie gleich inwendig nichts
anders ſind, als ungeheure Klumpen von Zie-
gelſteinen und Kalk.


Ihre Goldſchmiede ſind ziemlich arbeitſam,
und machen gute Drath- und damaſcirte Ar-
beit; ſie koͤnnen aber die feinen Steine weder
polieren, noch zuruͤſten. Sie vergolden ſchoͤn,
und die Art, wie ſie es machen, hat etwas merk-
wuͤrdiges. Ehe ſie das Gold auftragen, ma-
chen ſie von Gummi einen dreyfachen Grund,
wovon ſie die beyden letzten nur halb trocknen
laſſen, damit das Goldblaͤtchen beſſer daran
haͤlt. Sie polieren jeden aufgetragenen Grund
mit dem Pinſel. An koſtbareren Sachen, tra-
gen ſie noch einen andern doppelten Grund von
Gummi auf, legen auf jeden ein Goldblaͤtchen,
und polieren es allemal mit einem Pinſel. Die-
ſe letzte Vergoldung hat einen ſchoͤnen Glanz,
und behaͤlt ſeine Schoͤnheit viele Jahre hindurch.
Der Gummi welchen ſie brauchen, heißt Che-
ran
. Man findet ihn in den benachbarten
Waͤldern von Cambria: er iſt dunkelgrau,
nimmt aber alle Farben, die man will (die
weiſſe ausgenommen) an: er riecht wie Caßia.
Man
[319] Man muß ihn, ehe man ihn gebraucht, an der
Sonne durchſieben. Um ſeine Guͤte zu erfah-
ren, iſt es genug, daß man einen Tropfen da-
von in ein Gefaͤß mit Waſſer gießt. Wenn er
gerade auf den Grund faͤllt, ohne ſich aufzu-
loͤſen — iſt es ein Zeichen, daß er von guter
Eigenſchaft und nicht vermiſcht iſt. Wenn er
aber auf dem Waſſer ſchwimmt, oder wenn
ſeine Theile ſich aufloͤſen, ſo iſt er verfaͤlſcht,
und nur von mittelmaͤßiger Guͤte.


Die gemeinen Handwerke ſind bey dem
Poͤbel das Fiſchen, und bey den, die reich ge-
nug dazu ſind, die Handlung. Weil aber der
auswaͤrtige Handel faſt allein in den Haͤnden
des Koͤniges iſt; ſo iſt bey dem einheimiſchen
kein großer Vortheil. Eben dieſe Einfalt
in der Lebensart, welche eine große Menge
Kuͤnſte fuͤr die Siamer unnuͤtz macht, benimmt
ihnen auch die Luſt zu dem groͤßeſten Theile der
Waaren, die man in Europa fuͤr unentbehrlich
haͤlt. In deſſen haben ſie doch gewiſſe eingefuͤhr-
te Gebraͤuche im Handel. Beym Geldleihen
ſchreibt allemal ein dritter den Wechſel. Dieſe
Vorſichtigkeit iſt bey ihnen ſchon hinreichend:
denn im Falle der Schuldner die Schuld leug-
net; ſo faͤllt vor Gerichte die Vormuthung
allemal gegen ihn, weil er zwey Zeugen, nem-
lich den, der die Schuld fodert, und den der
den Schein geſchrieben hat, wider ihn. — Im
taͤglichen Handkauf wird Treue und Glauben
ſo feſt gehalten, daß weder der Verkaͤufer das
empfan-
[320] empfangene Geld, noch der Kaͤufer die Waare
zaͤhlt, im Falle ſie aus vielen Stuͤcken beſteht.
Die Marktzeit iſt von fuͤnf Uhr des Abends,
bis um acht oder neun Uhr.


Die Siamer gebrauchen keine Ellen, weil
ſie den Catun ſtuͤckweiſe kaufen. Man muß
ſehr arm ſeyn, wenn man nach Ellenbogenwei-
ſe kauft. Und nur fuͤr dieſe armen Leute iſt
kein anderes Maaß, als der Ellbogen gebraͤuch-
lich. — Gleichwohl haben ſie ihre Klafter,
welche nur um einen Zoll kleiner iſt, als eine
franzoͤſiſche Triſe. Sie gebrauchen dieſelbe bey
dem Bauen, bey Ausmeſſung der Felder und
ſonderlich der Kanaͤle und Heerſtraßen, worauf
der Koͤnig reiſet. Sie ſind aber nicht ſehr ge-
nau eingerichtet. — Eben ſo wenig ſind ihre
Gewichte genau eingerichtet. Man nennt es
uͤberhaupt Ding. Das richtigſte und einzige
genaue Gewicht, deſſen man ſich im Koͤnigreiche
bedient, ſind Geldſtuͤcke, ungeachtet das Geld
im Siamiſchen oft zu leicht und ſo gar falſch
iſt. Daher heiſſen die kleinen Gewichte ſo wie
die Muͤnzſorten.


Alle ſiamiſchen Silbermuͤnzen haben einerley
Geſtalt und Gepraͤge, nur aber verſchiedene
Groͤßen. Sie gleichen an Geſtalt einer kleinen
Walze. Das Verhaͤltniß der Muͤnze gegen die
unſrige, iſt folgendes. Ein Tical wiegt zwar
nur einen halben Thaler, gilt aber doch etwas
mehr. — Gold und Kupfermuͤnzen haben ſie
nicht. Das Gold iſt in Siam Kaufmannsgut,
und
[321] und gilt zwoͤlf mal ſo ſchwer Silber, im Falle
beyde Metalle von gleicher Guͤte ſind. Die ſia-
miſche Scheidemuͤnze beſteht in kleinen Muſcheln,
welche die Europaͤer Coris und die Siamer bia
nennen. Ein Fuan, das iſt der achte Theil
eines Ticals, gilt acht hundert Coris, das iſt
ſieben bis acht Coris gelten ohngefaͤhr einen
Pfennig (Wer hiervon mehr zu wiſſen ver-
langt, kann den La Loubere ſelbſt nachleſen.)



Viertes Kapitel.


Von den verſchiedenen Staͤnden — Re-
gierungsart — und dem Soldatenwe-
ſen der Siamer.


Die ungewiſſeſte Eintheilung der Siamer,
iſt in Freye und Leibeigene. Das letz-
tere wird man entweder durch die Geburt oder
durch Zufall. Zufaͤlligerweiſe wird man es
durch Schulden, oder wenn man im Kriege ge-
fangen wird, oder durch den Ausſpruch des
Richters. Wer nur Schuldenhalber ein Leibei-
gener wird, der bekommt ſeine Freyheit wieder,
ſo bald er bezahlt: allein die Kinder, die waͤh-
render Leibeigenſchaft ihrer Eltern geboren wer-
den, bleiben in dem Stande, darinn ſie zur
Welt kamen. — Ein Herr hat uͤber die Leibei-
Xgenen
[322] genen eine unumſchraͤnkte Gewalt, nur darf er
ſie nicht toͤdten. Er bedient ſich ihrer, um
ſeine Felder und Gaͤrten zu bauen.


Der Unterſchied zwiſchen den Leibeigenen
des Koͤniges von Siam und ſeinen Untertha-
nen, beſteht darinn, daß jene mit ihrer Perſon
fuͤr ihn arbeiten muͤßen, und dagegen ihren Un-
terhalt bekommen, dieſe aber jaͤhrlich nur ſechs
Monate, aber auf ihre eigne Unkoſten frohnen
muͤßen. — Die Leibeigenen der Unterthanen,
leiſten dem Koͤnige keine Dienſte. Der Koͤnig
leidet dabey einen wirklichen Verluſt, wenn ein
freyer Menſch zum Leibeigenen gemacht wird:
er will aber doch dieſen Verluſt lieber haben,
als die hergebrachte Gewohnheit aͤndern, oder
den Lauf der Gerechtigkeit verhindern.


Eigentlich zu reden, ſind die freyen Leute
nur ſechs Monate im Jahre frey. Die andern
ſechs Monate muͤßen ſie in Perſon dem Staate
Dienſte thun, welche von der eigentlichen Skla-
verey wenig unterſchieden ſind. Weiber und
Prieſter ſind hiervon ausgeſchloſſen. Diejenigen,
welche ſie thun muͤßen, koͤnnen in drey Klaſſen
abgetheilt werden. Die erſte beſteht darinn,
welche zum Dienſt des Koͤniges gebraucht wer-
den. Sie machen ſeine Wache aus, beſorgen
die Gaͤrten, und arbeiten in den Werkſtaͤten
des Pallaſtes. Die von der andern Ordnung,
werden zu oͤffentlichen Arbeiten und zur Verthei-
digung des Staates gebraucht. Gehts zu Fel-
de; ſo muͤßen ſie ſelbſt fuͤr ihren Unterhalt ſor-
gen
[323] gen: vom Koͤnige erhalten ſie nichts als Waf-
fen und Pferde. Die Perſonen von der dritten
Klaſſe, dienen den obrigkeitlichen Perſonen,
als den Miniſtern und vornehmſten Dienern
des Koͤnigreichs. Der Koͤnig giebt allemal,
wenn er jemanden zu einer Bedienung erhebt,
eine gewiſſe Anzahl von Frohnleuten, welche
ihm alle Jahre ſechs Monate, ohne einige Be-
zahlung zu fodern, dienen muͤßen. — Von
ſeinem ſechzehnten Jahre an, wird man in eine
von dieſen Klaſſen eingeſchrieben. Auf den er-
ſten Befehl muß ſich ein jeder an den Poſten
begeben, welcher ihm angewieſen iſt, und, wenn
man es unterlaͤßt, wird man in Ketten gelegt,
und zu Pruͤgeln verdammt. Doch kann man ſich
von dieſen Dienſten loskaufen, wenn man jaͤhr-
lich der Schatzkammer funfzehn Ticals bezahlt.


Dieſe beſchwerlichen Frohndienſte matten
dieſes Volk, das ohnehin die Arbeit nicht leiden
kann, ſo ſehr ab, daß ſich viele in die Waͤlder
begeben, oder aus dem Lande gehen, um ſich
von ihnen zu befreyen. Die naͤchſten Anver-
wandten eines ausgetretenen, werden aber ins
Gefaͤngniß gelegt, und, wenn ſie ihn nicht wie-
der ſchaffen, verdammt man ſie zur Sklaverey.
Andere entſagen viel lieber aller Freyheit, und
verkaufen ſich an guͤtige Herrn, deren Herr-
ſchaft nicht ſo ſtrenge, als der Dienſt des Koͤ-
niges und der Mandarinen iſt. Das heiſſen
hier freye Leute. — La Loubere redet von
einer andern Eintheilung, welche unter dieſem
X 2Vol-
[324] Volke von Alters her im Gebrauch iſt. Sie
beſteht darinn, daß man alle diejenigen, welche
Frohndienſte thun muͤßen, in zwey Klaſſen thei-
let, in Leute von der rechten Hand, und in
Leute von der linken Hand: ein natuͤrlicher Un-
terſchied, welcher anzeigt, auf welche Seite,
beſonders im Kriege, und bey großen Jagden
ſie ſich ſtellen ſollen. — Jede Seite wird aber-
mals in verſchiedene Rotten eingetheilt, und
jede Rotte hat ihr Oberhaupt, das den Namen
Nai fuͤhrt.


Die Kinder gehoͤren unter ihrer Eltern Rot-
te. Sind dieſe von zweyerley Rotten; ſo ge-
hoͤren die ungleichen zu der Mutter und die
gleichen zum Vater. Indeſſen muͤßen derglei-
chen Heyrathen dem Nai kund gethan werden,
und dieſer muß ſeine Einwilligung dazu geben,
ſonſt gehoͤren alle Kinder zur muͤtterlichen
Rotte.


Der Nai hat das Vorrecht, daß er ſeinen
Soldaten Geld leihen und den fremden Glaͤubi-
ger befriedigen kann. Hierbey hat er den Pro-
fit, daß derjenige, fuͤr den er bezahlt, ſein Leib-
eigner wird, wenn er nicht zu bezahlen vermag.
Weil der Koͤnig einem jeden Kriegesbedienten
ein Balon und Pagayeurs oder Ruderknechte
giebt; ſo haben auch die Nais in jeder Rotte
ihre Ruderknechte, die ſie am Gelenke mit einem
heiſſen Eiſen und darauf geſtrichener Dinte be-
zeichnen. Man nennt ſie Bao. Allein ande-
re Dienſte duͤrfen ſie dem Nai nicht leiſten, und
auch
[325] auch dieſe nur ſechs Monate lang. Je zahl-
reicher ſeine Rotte iſt, deſto mehr Anſehen hat
er. In Siam ſchaͤtzt man die Wichtigkeit der
Aemter und Bedienungen nach der Zahl der
Untergebenen. Es giebt ſiebenderley Ehrenſtu-
fen der Nais, welche durch die Zahl ihrer Sol-
daten beſtimmt werden: ſie hier alle anzufuͤhren,
gehoͤrt nicht fuͤr den Plan dieſes Werks.


Wenn der ſiamiſche Koͤnig jemanden zu ei-
ner neuen Wuͤrde erhebt; ſo legt er ihm auch
einen neuen Namen bey, eine Gewohnheit, die
in vielen aſiatiſchen Reichen uͤblich iſt. Ein
ſolcher Name beſteht allemal in einem Lobſpruch,
irgend einer Tugend. Selbſt die Auslaͤnder,
welche nach Hofe kommen, wer[d]en mit einem
Ehrennamen belegt, unter welchem ſie waͤhrend
ihres Auffenthalts in Siam bekannt ſind. —
Alle Aemter ſind erblich, und nach den Geſetzen
iſt es nicht erlaubt, ſie fuͤr Geld zu kaufen.
Allein der geringſte Fehler, den der Beamte be-
geht, ja die bloße Willkuͤhr des Landesherrn,
kann ein Geſchlecht um die wichtigſten Aemter
bringen. Hiernaͤchſt ſind nicht die geringſten
Einkuͤnfte oder Beſoldungen damit verknuͤpft.
Der Koͤnig verſorgt ſeine Hofbedienten mit
Wohnung und einigem Geraͤthe, z. E. mit
Schachteln von Gold oder Silber, zum Betel
mit Gewehre und einem Balon: mit Elephan-
ten, Pferden und andern Stuͤcken. Er eignet
ihnen den Genuß gewiſſer Frohndienſte zu, des-
gleichen einige Leibeigene und Ackerfeld. Alles
X 3dieſes
[326] dieſes faͤllt dem Koͤnige wieder zu, wenn er den
Beſitzer von ſeinem Amte abſetzt. Doch die
hauptſaͤchlichſten Einkuͤnfte der Bedienungen,
kommen vom Beſtechen her, welches uͤberall im
Koͤni[g]reiche erlaubt zu ſeyn ſcheint, weil der
Hof dazu nichts ſagt. Alle Beamte wollen
auf Unkoſten des Volks reich werden, und ſte-
cken deswegen alle unter einer Decke. Sie
nehmen ohne Erroͤthen Geſchenke an. Ein
Richter darf ſie ungeſcheut annehmen, wofern
man ihm nur keiner offenbaren Ungerechtigkeit
beweiſen kann. Die niedrigen Beamten muͤſ-
ſen den hoͤhern die Haͤnde eben ſo wohl ſchmie-
ren. Und gleichwohl haben ſie alle den Eid
und Pflicht darauf, ihre Pflicht zu thun *).
Die Feyerlichkeit des Eides beſteht darinn, daß
man ein gewiſſes Maas Waſſer austrinken
muß, woruͤber die Talapoinen vorher viele Fluͤ-
che ausſprechen, welche den Uebertreter treffen
ſollen.


Es
[327]

Es giebt in dem Koͤnigreiche Siam viele
Landgerichte, die aber alle unter einem Oberhof-
gerichte, welches in der Hauptſtadt angelegt iſt,
ſtehen. La Loubere zaͤhlt ſiebzig Gerichtsbarkei-
ten in Oberſiam, und ſieben und ſiebzig in Nie-
derſiam. Jedes Gerichte beſteht aus vielen Ge-
richtsperſonen, welche unter einem Haupte,
Pouran, d. i. einer der da befiehlt, ſtehen.
Dieſer iſt eigentlich der einzige Richter, der das
Recht hat, ein Urtheil zu ſprechen. Es verſteht
ſich von ſelbſt, daß er verbunden iſt, die uͤbri-
gen Gerichtsperſonen allemal zu Rathe zu zie-
hen. Die wichtigſte Angelegenheit des Land-
richters beſteht darinn, daß er alle Staats- und
Kriegesangel genheiten in ſeinem Bezirke ver-
waltet. Da dieſe wichtigen Stellen erblich
ſind, ſo fiel es einigen Statthaltern, inſonder-
heit den vom Hofe weit entfernten, nicht ſchwer,
ſich der koͤniglichen Oberherrſchaft zu entziehen.


Ein Erbſtatthalter fuͤhrt den Titel Tſchau-
Menang
, d. i. Herr einer Stadt oder Land-
ſchaft. Die Koͤnige haben immer dahin ge-
trachtet, dieſe gefaͤhrlichen Leute nach und nach
auszurotten. An ihre Stellen ſetzen ſie Statt-
halter auf drey Jahre. Es giebt auch noch
wuͤrklich dergleichen Tſchau-Menangs in Siam.


Der Pouran (oder Puran) genießt eben die
Ehre, als ein Tſchau-Menang, hat auch eben
die Gewalt bey ſeinem Amte, aber nicht ſo viel
Einkuͤnfte. Der Koͤnig ernennt Pourans ent-
X 4weder,
[328] weder, wenn er die Erblichkeit abſchaffen will,
oder wenn der Tſchau-Menang lange abweſend
ſeyn muß. Im erſten Falle, werden ihnen ihre
Einkuͤnfte vom Hofe angewieſen, im zweyten,
theilen ſie das Einkommen des Tſchau-Menangs
mit ihm, und behaͤlt die Haͤlfte.


Gemeiniglich belaͤuft ſich die Anzahl der
Stellen bey einem Landgerichte auf funfzehn *)
bis
[329] bis ſechszehn, und mit jeder iſt eine beſondere
Verrichtung verbunden. La Loubere, welcher
nach dieſem Punkt ſehr nachgefragt zu haben
ſcheint, berichtet uns, Oc ſey ein Zuſatz, den
man Ehrenhalber einem jeden Titel beyfuͤge,
den aber ein Hoͤherer niemals einem Geringern
beylege. —


Die

X 5
[330]

Die Siamer verfahren bey Gerichte einmal
wie das andere. Sie wiſſen nichts von einer
Eintheilung in Civil- und Criminal-Proceſſe,
entweder weil derjenige, welcher einen Civil-
proceß verliehrt, allemal einige Strafe leiden
muß, oder weil Zwiſtigkeiten von dergleichen
Beſchaffenheit wuͤrklich etwas ſeltenes ſind.


Das Verfahren vor Gerichte geſchieht ſchrif-
lich, und ein jeder muß, ehe er klagt, Buͤrgſchaft
ſtellen. Weil das Volk unter gewiſſe Rotten
gehoͤrt, die vornehmſten Nais aber im Landge-
richte ſitzen, ſo uͤberreicht der Klaͤger ſeine Bitt-
ſchrift zufoͤrderſt dem Nai von ſeinem Dorfe:
dieſer uͤbergiebt ſie dem Nai im Landgerichte,
und dieſer dem Statthalter. Der Tſchau-Me-
nang ſollte ſie von Rechtswegen gleich anfangs
wohl
*)
[331] wohl pruͤfen, und auf der Stelle entweder gleich
annehmen oder verwerfen, auch einen unnoͤthi-
gen Klaͤger ſo gleich beſtrafen. Aber in Siam
nimmt man es ſo genau nicht. — Die Klag-
ſchrift wird angenommen, und einem Rathe zu-
geſtellt. Der Statthalter thut weiter nichts
dabey, als daß er die Zeilen abzaͤhlt, und ſein
Siegel darunter druͤckt, damit nichts daran
geaͤndert werden koͤnne. Der Rath giebt ſie
dem Schreiber, der ſie in der erſten Rathsver-
ſammlung ablieſt. Man fodert hernach die
Partheyen vor, man ermahnt ſie dreymal zum
Vergleiche, und wenn ſie nicht wollen, befiehlt
der Rath dem Gerichtsſchreiber, ſie zu befragen,
ihre Zeugen zu vernehmen, und ihre Produktio-
nen zu unterſuchen. So endigt ſich der erſte
Termin.


In dem andern referirt der Gerichtsſchrei-
ber die Sachen weitlaͤuftiger, erzaͤhlt, was bey-
de Theile fuͤr ſich angefuͤhrt, und ſammlet die
Stimmen, welche er aufſchreibt. In dem
dritten lieſt der Referent, nach einer kurzen Wie-
derholung des ganzen Verfahrens, die Stim-
men ab. Der Pouran, ehe er die Partheyen
entſcheidet, laͤßt das Geſetzbuch aufſchlagen,
zieht denjenigen Artikel, welcher ihre Streitig-
keiten angeht, zu Rathe, und faͤllt das End-
urtheil.


Nach den Geſetzen des Landes ſollten dieſe
Termine drey Tage hintereinander ſeyn, und
die verwickeltſten Proceſſe wuͤrden keine Woche
dauern.
[332] dauern. Der unerſaͤttliche Geitz der Richter
aber hat Friſten erſonnen, welche die Proceſſe
verewigen, und den Partheyen allen Marks
ausſaugen.


Es giebt in Siam (wie bereits an einem
andern Orte angemerkt iſt), keine Procuratoren,
Notarien, noch andere Sachwalter dieſer Art.
Die Verſchreibungen geſchehen durch einen drit-
ten, welcher das Verbrechen aufſchreibt; (La
Loubere Th. 2. Kap. 15) und dieſes iſt vor Ge-
richte genug, weil das zwiefache Zeugniß desje-
nigen, der die Verſchreibung geſchrieben hat,
und des Glaͤubigers, der es vorzeigt, mehr gilt,
als das einſeitige Vorgeben des Schuldners,
welcher es laͤugnet. Der Gebrauch der Pet-
ſchafte iſt bey Privatperſonen unbekannt; die
obrigkeitlichen Perſonen allein haben ein Sie-
gel, das ihnen der Koͤnig giebt, und welches zu
ihrem Amte gehoͤrt. Die Buchſtaben und Fi-
guren daran ſind erhaben; man reibt es mit
rother Dinte, und druͤckt es mit der Hand dar-
auf. Der Koͤnig hat ein beſonders Siegel,
das er niemanden anvertraut, und das er mit
eigner Hand auf die Patente, die er ausferti-
gen laͤßt, druͤckt. Die Privatperſonen ſetzen
ihre Namen unter keine Schrift; ſie machen
nur ein Zeichen darunter, welches wie ein Kreutz
ausſiehet.


Die peinlichen Proceſſe werden vor eben den
Gerichten angeſtellt, wo man die buͤrgerlichen
Proceſſe anbringt; die ordentlichen Richter aber
koͤnnen
[333] koͤnnen kein Todesurtheil ausſprechen. Dieſes
iſt ein Recht, welches allein dem Koͤnige zu-
kommt, und welches er zuweilen gewiſſen obrig-
keitlichen Perſonen, aus beſondern Gnaden,
auftraͤgt. Auf dieſe Weiſe ſchickt der Hof von
Siam, wie der Hof von Peking, oft außer-
ordentliche Aufſeher in die Provinzen, um ge-
wiſſe Vergehungen zu unterſuchen, die Klagen
des Volks anzuhoͤren, und die Druͤckungen der
Statthalter abzuſtellen. Die Kommiſſarien
haben nicht nur die Macht, Privatperſonen
zum Tode zu verurtheilen, ſondern ſie koͤnnen
auch obrigkeitliche Perſonen ihres Amtes ent-
ſetzen.


Wir kommen nun auf die Strafgeſetze
ſelbſt. Die gewoͤhnliche Strafe des Diebſtahls
iſt der doppelte Erſatz, ja zuweilen der dreyfache,
welchen der Richter und Klaͤger unter ſich thei-
len. Das Seltſamſte hierbey iſt dieſes, daß
die Siamer die Strafe des Diebſtahls auf je-
den unrechtmaͤßigen Beſitz einer Sache ausdeh-
nen. Wem alſo eine Erbſchaft abgeſprochen
wird, der muß ſie nicht nur ſeinem Gegentheile
abtreten, ſondern auch den Werth dafuͤr bezah-
len, und zwar die Haͤlfte an den Richter, und
die andre Haͤlfte an den Gegner.


Wenn in wichtigen Anklagen der Beweis
fehlt, erlaubt man den Partheyen, daß ſie ſich
verſchiedener Arten von Proben bedienen koͤn-
nen. — Die Feuerprobe, welche in den bar-
bariſchen Zeitaltern in Europa ſo gebraͤuchlich
war,
[334] war, geſchieht in Siam auf verſchiedene Art.
Man ſteckt die Haͤnde in ſiedendes Oehl, in ge-
ſchmolzenes Metall, und in andere brennende
Materien. Man richtet in einer Grube einen
Holzhaufen auf, ſo daß er mit dem Rande der
Grube einerley Hoͤhe hat. Die Laͤnge muß
fuͤnf, die Breite eine Klafter ſeyn. Beyde
Partheyen gehen von einem Ende bis zum an-
dern barfuß daruͤber. Wer ſich nun die Fuß-
ſohlen nicht verbrennt, der hat ſeinen Proceß
gewonnen. La Loubere meldet, daß die
Siamer gemeiniglich, weil ſie beſtaͤndig bar-
fuß gingen, und dadurch ihre Fußſohlen ver-
haͤrtet wuͤrden, ohne Schaden davon kommen,
dafern ſie nur beherzt und feſt auf die Kohlen
treten. Zwey andere Kerls gehen zu beyden
Seiten, nebſt demjenigen, der die Probe macht,
und lehnen ſich mit Macht auf ſeine Schultern,
damit er nicht allzugeſchwind daruͤber hinfahren
kann.


Was die Waſſerprobe betrift, ſo tauchen
beyde Theile zugleich unter das Waſſer; jeder
haͤlt ſich an einer langen Stange feſt, und laͤßt
ſich daran herab. Wer am laͤngſten aushaͤlt,
hat gewonnen. Dieß mag auch wohl eine
Haupturſache ſeyn, warum ſich die Siamer ins-
geſammt, von den fruͤheſten Jahren an, mit
Feuer und Waſſer bekannt machen. —


Noch haben ſie eine andere Probe mit ge-
wiſſen Pillen, welche die Talapoinen machen,
und Fluͤche daruͤber ſprechen. Beyde Partheyen
ver-
[335] verſchlingen eine gewiſſe Anzahl davon, und die
Probe der Unſchuld oder der gerechten Sache
iſt, wenn man ſie bey ſich behaͤlt. Alle dieſe
Proben werden nicht nur in Gegenwart der
Richter, ſondern auch des ganzen Volks vor-
genommen; und im Fall beyde Partheyen eine
Probe mit gleichem Erfolg uͤberſtehen, ſo muͤſ-
ſen ſie noch eine vornehmen. Der Koͤnig ſelbſt
entſcheidet die Sachen auf ſolche Weiſe. Nur
bedient er ſich zuweilen noch eines andern Mit-
tels. — Er wirft nemlich beyde Theile den
Tygern vor; derjenige, den dieſe reiſſende Thie-
re einige Augenblicke unangefochten laßen, wird
fuͤr unſchuldig erklaͤrt. Werden ſie beyde zer-
riſſen, ſo muͤſſen ſie auch beyde ſchuldig gewe-
ſen ſeyn. Sie ſtehen dieſe Todesſtrafe (ver-
moͤge ihrer natuͤrlichen Traͤgheit und Unempfind-
lichkeit) mit ſolcher Unerſchrockenheit aus, daß
man es kaum vermuthen ſollte, da ſie ſich ſonſt
im Kriege als ſchlechte Helden zeigen. *)


Mit der Kriegeskunſt ſieht es in Siam
ſchlecht aus; und dieß kommt blos daher, weil
die Einwohner keine Luſt dazu aͤußern. Ueber-
haupt
[336] haupt kann die allzuhitzige Einbildungskraft
der uͤbermaͤßig heißen Laͤnder eben ſo wenig mit
der Herzhaftigkeit beſtehen als die gar zu traͤge
Einbildungskraft der kalten Laͤnder. Blos der
Anblick eines großen Degens vermag eine ganze
Schaar Siamer in die Flucht zu jagen. Hier-
von giebt uns La Loubere gewiſſe Nachricht.
Er ſagt, wenn ein Europaͤer mit einem Degen
oder derben Stock auf einen Siamer losginge,
und herzhaft mit ihm redete, ſo vergaͤße dieſer
alle Pflichten, die er ſeiner Obrigkeit zu leiſten
ſchuldig waͤre. Zu dieſer wenigen Herzhaftig-
keit traͤgt die unter ihnen bekannte Lehre von
der Seelenwanderung ſonder Zweifel vieles bey,
denn ſie haben den groͤſten Abſcheu vor allen
Blutvergießen. Wenn z. E. die Peguaner von
einer Seite in das Siamiſche einfallen, ſo fal-
len die Siamer wiederum in das Peguaniſche,
und beyde Theile nehmen weiter nichts vor, als
daß ſie ganze Doͤrfer zu Leibeigene machen. —
Ruͤcken beyde Armeen gegen einander, ſo ſchieſ-
ſen ſie nicht gerade auf einander los. Sie pfle-
gen gemeiniglich, vermoͤge eines ſtillſchweigen-
den Vergleichs, welcher blos in der natuͤrlichen
Zaghaftigkeit von beyden Seiten ſeinen Grund
hat, hoͤher zu ſchießen, als ſie eigentlich thun
ſollten. Da indeſſen die Abſicht der ſtreitenden
Heere iſt, ſich einander durch Schuͤſſe zu errei-
chen, ſo nimmt diejenige von beyden Partheyen,
welcher die Kugeln zuerſt die Koͤpfe durchboh-
ren, ohne ſich lange zu verweilen, ihren Abzug. —
Ruͤckt
[337] Ruͤckt der Feind gerade auf ſie los, und ſie wol-
len ihn zuruͤckhalten, ſo ſchießen ſie tiefer als es
ſeyn ſollte, damit er es ſich ſelbſt zuzuſchreiben
habe, wenn er naͤher anruͤckt und todt geſchoſ-
ſen wird.


Jeder Siamer iſt bekanntermaßen ein Sol-
dat, und muß ſechs Monate dienen, wenn es
der Fuͤrſt verlangt. Ihre Nachbaren beobach-
ten eben den Gebrauch, daher auch die indiſchen
Armeen gemeiniglich ſehr ſtark zu ſeyn pflegen.
Ein Fuͤrſt, der nur uͤber zwey Millionen Unter-
thanen zu gebieten hat, kann, wenn es die Noth
erfodert, vier bis fuͤnfmal hunderttauſend Sol-
daten ins Feld ſtellen. Die Armeen verſam-
meln ſich mit unglaublicher Geſchwindigkeit,
und ſind dem Staate gar nicht laͤſtig, weil ein
jeder fuͤr ſeinen Unterhalt ſorgen muß. Die
Kriegesruͤſtungen ſind bey ihnen bey weiten
nicht ſo beſchwerlich, wie bey uns. Ein Korb
mit Reis, ein hohles Bambusrohr mit Waſ-
ſer, ein lederner Schild, ein Saͤbel, und eine
Flinte, machen die Bagage eines Soldaten
aus.


Der Koͤnig haͤlt außer dieſer ſehr angeſehe-
nen Militz noch eine Schaar fremder Truppen,
welche einen Theil ſeiner Wache ausmachen,
wovon einige zu Fuße, andere zu Pferde dienen.
Dieſe Leibwache beſteht aus Laos und Meen,
benachbarte Voͤlker von Siam; aus Moham-
medanern aus dem Hindiſtaniſchen gebuͤrtig,
Leute, die ſehr wohl ausſehen, aber ganz unge-
Ymein
[338] mein furchtſam ſind; aus chineſiſchen Tatarn,
welche keine andere Waffen als den Bogen ha-
ben, und fuͤr tapfer gehalten werden; endlich
aus indiſchen Landſtreichern, welche wie Moh-
ren gekleidet ſind, und ſich zur heydniſchen Re-
ligion bekennen. Dieſe letztern wollen alle aus
einem hohen Hauſe entſproſſen ſeyn, und, wenn
ſie eine eine ſtarke Doſis Opium eingenommen
haben, ſchlagen ſie ſich mit einem Muthe, den
man unter den Indianern ſelten antrift. Vor-
mals hatten die Koͤnige von Siam eine anſehn-
liche Leibwache, welche allein aus Japanern be-
ſtand. Nachdem aber dieſe Leute zu weit um
ſich griffen, und ſo gar nach der Oberherrſchaft
trachteten, ſo fand man doch endlich Mittel ſich
ihrer zu entledigen.


Die Siamer haben wenig grobes Geſchuͤtz,
weil ſie ſich auf das Gießen deſſelben nicht ver-
ſtehen. Einige Auslaͤnder haben es zu verſchie-
denenmalen verſucht, Kanonen in Siam zu
gießen, und den Einwohnern zu zeigen, wie
man mit dergleichen Arbeiten umzugehen habe.
Allein das Kanonengießen iſt fuͤr die Siamer
ein wenig zu muͤhſam, Sie ſtehen daher lieber
davon ab. Indeſſen ſchmieden ſie doch einige
aus Eiſen und zwar kalt.


Ihre ganze Reuterey betraͤgt etwan zwey
tauſend Pferde. Ihre groͤſte Macht beſteht in
Elephanten, die nach des Tachards Berichte,
bis auf zwanzigtauſend ſteigt. Da aber dieſe
Thiere weder Zaum noch Gebiß haben, ſo ſind
ſie
[339] ſie ſchwer zu baͤndigen. Sie ſcheuen auch das
Feuer, und werden ſie verletzt, ſo laſſen ſie
nicht ſelten ihre Wuth an ihrem Herrn aus.


Beym La Loubere finden wir eine Beſchreibung
der Schlachtordnung der Siamer. Ein kurzer
Auszug davon, gehoͤrt hieher. Sie ſtellen ſich
in drey Treffen, und jedes iſt in drey große,
ins Viereck geſtellte Haufen abgetheilt. Bey
dem mittelſten Haufen, welcher aus den beſten
Truppen beſteht, befindet ſich, um außer Ge-
fahr zu ſeyn, gemeiniglich der Feldherr. Je-
der Anfuͤhrer eines Haufen begiebt ſich gleich-
falls in die Mitte deſſelben. Sind die neun
Haufen allzugroß, ſo theilt man ſie in neun
andere, in eben der Ordnung als das uͤbrige
Heer. Hinter jedem Haufen, folgen gewoͤhn-
lich ſechzehn Elephanten; jedes Thier traͤgt eine
Fahne, und hat drey Mann auf ſich ſitzen.
Viele andere tragen das Geraͤthe.


Zur See ſind die Siamer noch weit ohn-
maͤchtiger als zu Lande. Der Koͤnig hat kaum
fuͤnf bis ſechs Schiffe, die er zuweilen zu Strei-
fereyen ausruͤſtet, meiſtentheils aber zur Hand-
lung gebraucht. Seine Officiers und Matro-
ſen, die auf dieſer kleinen Flotte dienen, ſind
Auslaͤnder. Er befiehlt ihnen blutige Streite
zu vermeiden, und nur Liſt zur Ueberwaͤltigung
feindlicher Schiffe zu gebrauchen. Nebſt dieſer
geringen Anzahl Schiffe hat er auch funfzig
bis ſechzig Galeeren, mit hoͤlzernen Ankern.
Es ſind ſehr mittelmaͤßige Fahrzeuge, mit ei-
Y 2nem
[340] nem einzigen Ueberlaufe, und etwa ſechzig
Mann Ruderknechten beſetzt, welche alle ge-
borne Siamer ſind, und die dieſe Fohndienſte
zu thun ſchuldig ſind. Ein jeder hat ſein Ru-
der, das er ſtehend gebrauchen muß, weil er in
einer andern Stellung, wegen Kuͤrze deſſelbi-
gen, das Waſſer nicht erreichen wuͤrde. Dieſe
Fahrzeuge entfernen ſich niemals von den Kuͤ-
ſten des ſiamiſchen Meerbuſens, und kreuzen
nur um dieſelbe herum. —



Fuͤnftes Kapitel.


Von der Religion der Siamer.


Die Religion der Siamer iſt ein Gewebe von
laͤcherlichen und thoͤrichten Fabeln, wel-
che man aus Unwiſſenheit und Vorurtheil als
heilig anſieht. Von der Gottheit hat dieſes
Volk keine vernuͤnftige Begriffe. Es denkt
ſich dieſelbe als ein Weſen, das aus Geiſt und
Leib zuſammengeſetzt iſt, und eignet demſelben
weder Allmacht, noch ewige Dauer, noch un-
endliche Weisheit zu. — Der Gott der Sia-
mer iſt ſterblich; ein anderer Gott folgt nach
ihm, und dieſer wird wieder durch einen Nach-
folger erſetzt, der in die Rechte des vorigen
tritt, und an ſeiner Statt die Welt regiert.
Ein
[341] Ein Menſch ſelbſt kann zur Gottheit gelangen.
Aber hierzu wird erfordert, daß er gewiſſe Pruͤ-
fungen aushalten muß, welche wieder eine große
Menge Ungereimtheiten verrathen.


Außer dem goͤttlichen Stande, welcher den
hoͤchſten Grad der Vollkommenheit ausmacht,
haben ſie auch weniger erhabene, dergleichen
der Stand der Heiligen und der Seligen iſt.
Sie unterſcheiden gewiſſe Stufen der Seligkeit
in verſchiedenen Arten von Paradieſen. In
den erſten Paradieſen lebt man voͤllig wie auf
Erden; die Heiligen verheyrathen ſich, und
zeugen Kinder; man fuͤhrt Kriege, iſt Obrig-
keiten unterworfen, u. ſ. f. In den andern
reinigen ſich die Seelen, bis ſie denjenigen Grad
der Heiligkeit erreicht haben, der ihnen eine
vollkommene Unſchuld und die hoͤchſte Gluͤckſe-
ligkeit zuwegebringt. Dieſe Gluͤckſeligkeit be-
ſteht aber in einer ſolchen Ruhe und Gelaſſen-
heit, die einer Vernichtung aͤhnlich iſt. Dieſe
gluͤckſeligen Unſterblichen, in ſich ſelbſt vertieft,
vergeſſen alles uͤbrige, und bekuͤmmern ſich we-
der um die Regierung der Welt, noch um ir-
gend etwas anders.


Obgleich der Nirupan — dieß iſt der
Ort, wo man das ſeligſte Paradies findet —
einem jeden, der ſich deſſelben wuͤrdig macht,
offen ſteht; ſo wird er doch nur von wenigen
Auserwaͤhlten bewohnt. Es iſt nicht ſo leicht
eine Stelle in demſelben zu erhalten, ſondern
man muß vorher gewiſſe Wanderungen vorneh-
Y 3men,
[342] men, und verſchiedene gute Werke verrichten.
Sommonokhodon, der groͤßeſte unter ihren
Goͤttern, muſte fuͤnf hundert und funſzig mal
unter verſchiedenen Geſtalten geboren werden.
Man erzaͤhlt von ihm viel wunderliche Dinge.
Man giebt nemlich vor, er ſey durch ſeine eigne
Kraft als ein Gott auf die Welt gekommen,
habe unmittelbar nach ſeiner Geburt, ohne die
geringſte Unterweiſung, ſondern durch das
bloße Anſchauen ſeines Verſtandes, eine voll-
kommene Wiſſenſchaft erlangt, von allem, was
den Himmel, die Erde, das Paradies, die
Hoͤlle, und alle Geheimniſſe der Natur betrift;
in eben dieſem Augenblicke ſey ihm alles beyge-
fallen, was er ehemals gethan, als er, wer
weiß wie oft, auf der Welt gelebt. Nachher
habe er das Volk ſehr tiefe Geheimniſſe gelehrt,
auch ſolche der Nachwelt zum beſten in ſeinen
Buͤchern aufgezeichnet.


Vor dieſem Sommonokhodon, *) als den
itzigen Gott der Siamer, ſind drey andere
Perſonen
[343] Perſonen, Concoſonne, Conadon, und Cad-
ſon dazu gelangt. Man hat ſie, einen nach
dem andern, auf der Erde goͤttlich verehrt,
und ihre Anbetung hat bey der Ankunft des
Sommonokhodon aufgehoͤrt. Eine fuͤnfte
Perſon wird noch von ihnen erwartet, welche
in einigen Jahrhunderten kommen, und das
Geſetz in ſeine vorige Reinigkeit wieder herſtel-
len ſoll. Sobald dieſer noch zu erwartende
Gott ſeinen Einzug in den Nirupan gehalten
hat; ſo wird man ihn gleichfalls anbeten,
Y 4und
*)
[344] und Sommonokhodon wird alsdann vergeſſen
werden.


Die Siamer koͤnnen, vermoͤge ihres guten
natuͤrlichen Verſtandes ſehr leicht begreifen, daß
das Gute muͤſſe belohnt, und das Boͤſe beſtraft
werden. Daher nehmen ſie an, daß diejeni-
gen, welche ſich guter Handlung befliſſen haben,
in das Paradies, daß ſie in den allerhoͤchſten
Himmel ſetzen, kommen; daß hingegen die
Gottloſen an den traurigen Ort der Hoͤlle, wel-
che ſie in den Mittelpunkt der Erde ſetzen gelan-
gen werden. Nur kommt es den Siamern un-
begreiflich vor, daß ſowohl das eine als das
andere ewig dauren werde. Sie theilen die
Hoͤlle in acht Wohnungen, d. i. in acht Grade
der Pein, ſo wie den Himmel in acht Grade
der Seligkeit. Sie ſagen, daß in den abſcheu-
lichen Auffenthalt der Hoͤlle Richter waͤren,
welche uͤber alle Suͤnden der Menſchen eine ge-
naue Liſte fuͤhrten, und dieſe in ein beſonderes
Buch ſchrieben, daß ſich ihr Oberhaupt beſtaͤn-
dig mit Durchleſung dieſes Buchs beſchaͤftigte,
und daß die Perſonen, deren Namen er laͤſe,
in eben dem Augenblicke nieſten. Daher kommt
die Gewohnheit unter ihnen, allen, welche nie-
ſen, ein langes Leben zu wuͤnſchen.


Von dem Urſprung des Boͤſen und Guten,
haben ſie ein beſonderes Lehrſyſtem, das ihnen
zur Erklaͤrung ihrer Geheimniſſe dient. —
Sie behaupten alles Gluͤck und Ungluͤck, das
einem Menſchen begegne, ſey die Wirkung ſeiner
guten
[345] guten oder boͤſen Handlungen, weil einem Un-
ſchuldigen niemals Ungluͤck wiederfahren koͤnne.
So ſey der Reichthum, Ehrenſtellen, Geſund-
heit und alles uͤbrige Gute, die Belohnung der
guten Handlungen, die man entweder in dem
gegenwaͤrtigen, oder in einem vergangenem Le-
ben, ausgeuͤbt habe; hingegen ſey Armuth,
Schande, Haͤßlichkeit, Krankheit und andere
Ungluͤcksfaͤlle, eine Strafe der Laſter, die man
begangen hat. *) Dieſes iſt, wie ſie ſagen, die
Quelle der außerordentlichen Ungleichheit, welche
in den menſchlichen Staͤnden herrſcht.


Um in Stande zu ſeyn, dieſe Lehre beſſer
zu erklaͤren, geben ſie vor, daß die Seelen der
Menſchen, welche von neuen auf der Welt er-
ſcheinen, entweder aus dem Himmel, oder aus
der Hoͤlle, oder aus den Leibern der Thiere kom-
men. Diejenigen, deren Seelen aus dem
Himmel kommen, ſpielen auf dem Schauplatze
der Welt die vorzuͤglichſten Rollen. Dieſe
himmliſchen Seelen fahren gemeiniglich in die
Leiber der Koͤnige, oder anderer Perſonen von
außerordentlichen Gaben. Und aus dieſer Ur-
Y 5ſache
[346] ſache begegnen ſie Perſonen von hohem Stande,
oder erhabener Geburt mit ſo großer Ehrerbie-
tung; denn nach ihrer Meynung ſind ſie zu
dem Goͤtter- oder Heiligenſtande beſtimmt, den
ſie durch ihre gute Werke zu verdienen bereits
angefangen haben. Diejenigen, deren Seelen
aus den Leibern der Thiere kommen, ſind nicht
ſo vollkommen, und werden zur Armuth zur
Sclaverey und zu andern Ungluͤckfaͤllen gebo-
ren. Dennoch aber ſind ſie beſſer als diejenigen,
die eine Seele aus der Hoͤlle bekommen. Was
diejenigen betrift, deren Seelen aus der Hoͤlle
kommen, ſo ſind ſie das Spiel der ſchaͤndlich-
ſten und traurigſten Leidenſchaften, und ihr
ganzes Leben iſt weiter nichts, als ein Gewebe
von Laſtern und Ungluͤcksfaͤllen.


Jede tugendhafte Handlung wird im Him-
mel belohnt, und jede Gottloſigkeit wird in der
Hoͤlle beſtraft. Wenn ein Menſch auf der
Erde ſtirbt, ſo erhaͤlt er im Himmel ein neues
Leben, und genießt ſo viel Gluͤckſeligkeit, als
ſeine guten Werke verdienen. Iſt aber die Zeit
ſeiner Belohnung verſtrichen, ſo ſtirbt er im
Himmel, und wird in der Hoͤlle geboren, im
Fall er eine ſchwere Suͤnde auf ſich hat. Hat
aber ſein Verbrechen nicht viel zu bedeuten; ſo
kommt er nur in Geſtalt eines Thieres auf
unſre Welt, und wird mit der Zeit, wenn er
dafuͤr gebuͤßt hat, wieder zum Menſchen. Dieß
iſt die Auslegung, welche die Talapoinen von
der Seelenwanderung, als ein Hauptſtuͤck ihrer
Religion,
[347] Religion, beybringen, und worinn ſie von der
Lehre der Braminen ſo wenig abgehen, daß
man ſehr wohl ſchließen darf, ſie haͤtten dieſe
Meynung aus eben derſelben Quelle geſchoͤpft.


Nach den Grundſaͤtzen der ſiamiſchen Got-
tesgelahrheit, muß jede ſchwere Suͤnde durch
Leiden gebuͤßt werden, und niemand kann ſich
von dieſem Geſetze ausſchließen. Die Strafe
hat mit dem Verbrechen ein genaues Verhaͤlt-
niß. Wenn man einen Menſchen getoͤdtet hat;
ſo wird man wieder von einem Menſchen in die-
ſer oder jener Welt getoͤdtet werden. Wer eine
Schlange toͤdtet, wird wieder durch eine Schlan-
ge getoͤdtet. Dieß Geſetz iſt ſo unveraͤnderlich,
daß der große Sommonokhodon ſelbſt ſich nicht
hat davon befreyen koͤnnen. Er wuͤrde, weil
er ein großes Thier getoͤdtet, wieder durch ein
ſolches umgebracht. Die Hoͤlle iſt die Strafe
der Verbrecher von der erſten Gattung; ihre
Qual iſt nicht ewig, ſie waͤhrt aber zuweilen
ſehr lange, und die Goͤtter ſelbſt, koͤnnen ſie
nicht verkuͤrzen. Sommonokhodon hat fuͤr
ſeinen Bruder Thevathat nie Genade erhalten
koͤnnen, da er nunmehr uͤber zwey Tauſend Jah-
re erſchreckliche Marter ausſteht.


Die Siamer glauben zwar Geiſter; es ſind
aber lauter Seelen, die ſo lange einen Leib ha-
ben, bis ſie zu dem Stande der Goͤtter oder der
Heiligkeit gelangen. Ja die Engel ſelbſt haben
Leiber von zweyerley Geſchlecht. Sie ſind auch
zum Kinderzeugen tuͤchtig, werden aber nie Hei-
lige
[348] lige oder Goͤtter. Ihr vorzuͤglichſtes Geſchaͤft
iſt fuͤr die Erhaltung der Menſchen, und fuͤr
die Regierung der Welt in alle Ewigkeit Sorge
zu tragen. Sie ſind in ſieben Ordnungen abge-
theilt, davon immer eine vollkommner und ed-
ler als die andere iſt, und davon jede ihren eig-
nen Himmel bewohnt. Jeder Theil der Welt,
die Sterne, Erde, Staͤdte, Berge, Waͤlder,
Winde, Regen u. ſ. w. haben einem von die-
ſen Geiſtern zum Regierer. Da ſie beſtaͤndig
genau Achtung geben, was die Menſchen vor-
nehmen, damit ſie diejenigen von ihren Hand-
lungen, welche einer Vergeltung wuͤrdig ſind,
kuͤnftig angeben koͤnnen; — ſo wenden ſich die
Siamer an die Engel, und ſtellen ſich vor, ſie
haͤtten alles Gute, was ihnen wiederfahre, den-
ſelben zu danken. An wuͤrkliche Teufel glauben
ſie nicht, ausgenommen an die Seelen der Boͤ-
ſewichter, welche ihrer Meynung nach aus der
Hoͤlle, worinn ſie aufbehalten wuͤrden, loskom-
men, einige Zeit in der Welt herum irren, und
ihre Freude daran haben, wenn ſie jemanden
ſchaden koͤnnen. Unter die Zahl dieſer boͤſen
Geiſter, rechnen ſie die todt gebohrnen Kinder,
die Kindbetterinnen und diejenigen, welche im
Zweykampf umkommen.


Dieß iſt ohngefaͤhr das wichtigſte, was man
von der Religion der Siamer zu ſagen im Stan-
de iſt. In ein genaues Detail uns einzulaſſen,
halten wir fuͤr uͤberfluͤßig, zumal da unſre Rei-
ſebeſchreiber noch immer (ſo deucht es uns) man-
che
[349] che Fabel mit eingemiſcht haben. — Wir koͤn-
nen indeſſen doch hier noch bemerken, daß ein
angeſehener Theil ſiamiſcher Einwohner die laͤ-
cherlichen Gottheiten nicht anbeten, welche faſt
allgemein verehrt werden. Es giebt auch hier
Deiſten, welche den Sommonokhodon als ei-
nen feinen Betruͤger anſehen, der in Siam ei-
nen Gottesdienſt nach ſeiner Phantaſie einge-
fuͤhrt, der aber ſonſt eine gute Sittenlehre ge-
predigt, und fuͤrtrefliche Geſetze hinterlaſſen haͤt-
te. Dieſe Leute glauben ein erſtes Weſen, einig
in ſeiner Art, welches Himmel und Erde ge-
ſchaffen hat. Sie geben aber vor, daß es die
Welt nur zu ſeinem Vergnuͤgen hervorgebracht
habe und noch erhalte; daß es ſich um die Be-
ſchaffenheit der Ehrenbezeugungen, die man
ihm erweiſt, wenig bekuͤmmere, und daß in
ſeinen Augen alle Religionen gleich gut ſind,
weil ſie alle einerley Abſicht haben, nemlich das
hoͤchſte Weſen zu verehren, ſo wie verſchiedene
Wege zu einer großen Stadt fuͤhren. Dieſer
Worte bedient ſich Gervaiſe Th. 3. K. 1. den
man hieruͤber weiter nachleſen kann.


Wir wenden uns nunmehr zu den Verſtehern
der Religion der Siamer, welche man Talapoi-
nen zu nennen pflegt. Dieſe Art Leute haben
mit unſern Moͤnchen in manchen Stuͤcken viel
Aehnlichkeit. — Sie bereden das Volk, ihre
Stiftung kaͤme vom Himmel, und ein Engel
haͤtte die Ordensregeln dem Sommonokhodon
ein-
[350] eingehaͤndigt, zugleich aber ihn zum Stifter
und Patriarchen erwaͤhlt.


Es giebt zweyerley Arten Talapoinen. Ei-
nige leben in Waͤldern, wie unſre Einſiedler;
andere aber wohnen in Staͤdten, Flecken, Doͤr-
fern. Die Anzahl der erſten hat ſehr abgenom-
men. Die letztern aber uͤberſchwemmen das
ganze Land. Und die Zahl dieſer Muͤßiggaͤnger,
rechnet man im Koͤnigreiche uͤber funfzig
Tauſend.


Sie theilen ſich in vier Klaſſen, und machen
eine Art von geiſtlicher Regierung aus. In
der erſten Klaſſe ſind die Sankrats, welche ſo
viel als die catholiſchen regulaͤren Aebte vorſtel-
len. Tchaovats, nennt man die Priore:
Pikrus, die Moͤnche, und Nen die angehen-
den und noch nicht eingekleideten Moͤnche. Die-
ſe letztern werden in Zelten vertheilt, wie es ih-
ren Eltern beliebig iſt, und haben keine weitere
Verrichtung, als daß ſie den Moͤnchen aufwar-
ten u. ſ. w. Ein Talapoin kann nicht mehr
als drey von ihnen bey ſich haben. Ohngeach-
tet dieſer Stand noch nicht als geiſtlich angeſe-
hen wird; ſo traͤgt er doch die Ordenskleidung.
Man nimmt ſie im fuͤnften oder ſechſten Jahre
auf. Viele bleiben in dieſer Klaſſe, und weil
ſie ſich nicht weiter verbindlich machen wollen,
werden ſie daruͤber alt. Doch muͤßen ſie, der
Ordensregel gemaͤß, unverheyrathet bleiben.


Diejenigen, welche eine genauere Verbind-
lichkeit nicht abſchreckt, laſſen ſich als Pikrus,
oder
[351] oder Moͤnche, aufnehmen. Die Sankrats haben
allein das Recht, dieſen Orden zu ertheilen.
Man muß zwanzig Jahr alt ſeyn, um ihn zu
erhalten, und ein und zwanzig Jahre, um
Prior zu werden. Die Aufnahme in die ver-
ſchiedenen Klaſſen geſchieht mit weniger oder
mehr Umſtaͤnden, nach dem ſie angeſehen oder
geringe ſind. Ein Siamer, der den geiſtlichen
Stand erwaͤhlt, wendet ſich an den Superior
eines Kloſters, und dieſer ſetzt den Tag der Ce-
rimonie an. Die Verwandten und Freunde
des Poſtulanten, begleiten ihn mit Muſik und
Taͤnzern, und er geht in den Tempel, wo man
ihn den Kopf, die Augenbraunen und den Bart
raſirt. Der Superior giebt ihm alsdann das
Ordenskleid, welches er ſich ſelbſt anzieht und
das ſeinige darunter fallen laͤſt. Waͤhrend die-
ſer damit beſchaͤftigt iſt, ſagt der Superior et-
liche Gebete her, und noch nach andern Cerimo-
nien, begiebt ſich der angehende Moͤnch, unter
voriger Begleitung, in das zu ſeiner Wohnung
erwaͤhlte Kloſter. Seine Verwandten geben
daſelbſt den Ordensgeiſtlichen ein Gaſtmal; und
von dieſem Tage an, darf er weder Taͤnze, noch
Schauſpiele, noch etwas Weltliches mehr ſehen.
Wenn das Noviciat voruͤber iſt, erinnert ihn
der Sankrat nochmals an die Pflichten ſeines
Standes, und an die Verbindlichkeit der Or-
densregeln. Er begleitet ſeine Vorſtellung mit
einem kurzen Gebete, ermahnt ihn, daß er fuͤr
die Bewahrung des Tempels und der Goͤtzen
ſorgen,
[352] ſorgen, dieſe heiligen Orter in der groͤßeſten
Reinlichkeit unterhalten, auf die Beobachtun-
gen der alten Einrichtungen ein wachſames Au-
ge haben, keine Neuerungen verſtatten, kurz,
alle Punkte der Geſetze und Stiftung in Acht
nehmen ſolle.


Die Einſetzung eines Priors, geſchieht mit
mehrern Umſtaͤnden. Derjenige, der dazu be-
foͤrdert wird, begiebt ſich zu dem Abte, knieet
vor ihm nieder, bezeigt ihm ſein Verlangen ge-
ſalbt zu werden, und verſpricht ihm Geld.
Man wird hierauf einig, wegen des Tages zu
der Cerimonie, und nach den gewoͤhnlichen Ge-
beten, giebt der Praͤlat dem Poſtulanten einen
Zettul, worauf alle Gebote des Geſetzes ſtehen.
Der Einzufuͤhrende wird hernach von etlichen
Maͤnnern auf den Achſeln im Triumphe getra-
gen; das Volk begleitet ihn mit Muſik, und
wuͤnſcht ihm tauſend Segen. Um die Koſten
dabey zu beſtreiten, geht er etliche Tage vor der
Ordination in der Stadt und auf dem Lande
herum, und ſammelt eine Beyſteuer; jedermann
aber rechnet ſichs zum Vergnuͤgen, zur Ehre
und Religionspflicht, zu dieſem guten Werke
alles beyzutragen.


Die Wahl der Superioren geſchieht in jedem
Kloſter durch die Mehrheit der Stimmen, und
gemeiniglich trift ſie den Aelteſten, und den Ge-
lehrteſten. Wenn ſich eine Privatperſon aus
Froͤmmigkeit entſchließt, einen Tempel bauen zu
laſſen, kann ſie einen der alten Talapoins zum
Vor-
[353] Vorſteher waͤhlen; das Kloſter aber und die Pa-
gode, wird nach und nach errichtet, ſo wie ſich
Moͤnche melden, es zu bewohnen; jede Zelle
wird bey der Ankunft deſſen, der ſie einnehmen
ſoll, gebauet. Was die Wuͤrde eines San-
krats, oder Abts anlangt; ſo ernennt ihn nur
der Koͤnig allein dazu. Sie iſt mit Verwal-
tung gewiſſer Kloͤſter verknuͤpft, die wegen ihres
Reichthums und weitlaͤuftigen Gerichtsbarkeit
beruͤhmt ſind. Der General, oder der Oberſte
aller Talapoinen, die im Koͤnigreiche ſind, haͤlt
ſich bey Hofe auf, das heiſt, er iſt der Supe-
rior des Kloſters, und der Pagode, im Palla-
ſte. Uebrigens hat er uͤber die andern Praͤla-
ten nur eine Art von Erzbiſchoͤflichen Vorzuge,
die der unumſchraͤnkten Gewalt, die ein jeder
Sankrat in ſeinem Bezirk hat, keinen Abbruch
thut. Wenn dieſer Orden nur ein einziges
Oberhaupt haͤtte, oder mit vereinigten Kraͤften
oder nach einerley Meynung handelte, wuͤrde
er ſonder Zweifel ſehr maͤchtig ſeyn. Man ſucht
ſie aber lieber bey ihrer Unabhaͤngigkeit zu erhal-
ten, die im Grunde wenigern Bedenklichkeiten
ausgeſetzt iſt, als die von den catholiſchen re-
gulaͤren Aebten. Denn weil die Talapoinen an
kein Geluͤbde gebunden ſind, koͤnnen ſie, ſo bald
ſie des Zwangs des Kloſterlebens uͤberdruͤßig
ſind, oder ſich die Tyranney und Verfolgung
ihrer Superioren nicht mehr gefallen laſſen wol-
len, wieder in den weltlichen Stand treten.
So lange ſie aber im Kloſter ſind, muͤßen ſie,
Zbey
[354] bey Strafe des Feuers, unverheyrathet bleiben.
Man iſt uͤber dieſen Punkt unerbittlich. Da
ſie großer Vorrechte genießen; ſo wuͤrde ihr
Stand dem Staate ſehr ſchaͤdlich werden, wenn
den Siamern, als natuͤrlicherweiſe traͤgen und
faulen Leuten, nicht ſo harte Bedingungen auf-
erlegt waͤren, die ſie von dem Moͤnchsleben ab-
hielten.


Als Chaou-Narvie die Anzahl der Moͤnche
reduciren wollte, ließ er die ſchaͤrfſten Pruͤfun-
gen, ſowohl in theologiſchen, als in andern ih-
ren Stand betreffenden Kenntnißen mit ihnen
vornehmen. Wer nun keine hinlaͤngliche Pro-
ben ſeiner Faͤhigkeiten ablegen konnte, mußte
ſich wieder in den weltlichen Stand begeben.
Und auf ſolche Weiſe wurden einige Tauſend
Moͤnche abgeſchaft.


Die Talapoins, unter dem Vorwande, der
Ehre ihres Standes nichts zu vergeben, gruͤßen
Niemanden, verlangen hingegen von allen Leu-
ten eine Verbeugung, die bis zur Anbetung
geht. Ihr General hat die Erlaubniß, ſich
bey dem Koͤnige niederzuſetzen. Ein Vorrecht,
das um ſo wichtiger iſt, da der erſte Miniſter,
ja die Prinzen ſelbſt, niederfallen muͤßen, wenn
ſie mit dem Monarchen reden. Ein Moͤnch
wird einen Weltlichen, er ſey auch noch von ſo
hohem Stande, niemals „gnaͤdiger Herr„ nen-
neu, ungeachtet alle Praͤlaten des Reichs, die-
ſen
[355] ſen Titel ſelbſt annehmen. Ein Kloſter iſt ein
unverletzter Freyheitsort, an dem ſich der Koͤnig
zu vergreifen nicht wagen wuͤrde. Einen Tala-
poin ſchimpfen, ſchlagen, oder in ſeiner Zelle
das geringſte entwenden, iſt eine Gotteslaͤſte-
rung, eine Entheiligung, eine Ruchloſigkeit,
die mit dem Feuer beſtraft wird, ſo wie man in
einigen Laͤndern Europens einen Kirchenraͤuber
verbrennt. Bey allen dieſen Vortheilen hat
ein ſiamiſcher Praͤlat keine Gerichtsbarkeit uͤber
das Volk, ja nicht einmal uͤber die außer ſei-
nem Kloſter befindlichen Ordensgeiſtlichen. Al-
les was er hat, beſteht in der Verwaltung ge-
wiſſer Kloͤſter, die nur von Sankrats koͤnnen
beſorgt werden: denn es giebt hier, wie in Eu-
ropa, nur unter andern Namen, Abteyen,
Prioreyen und bloße Kapellen.


Das Amt der Prieſter iſt, daß ſie ihren
Eingepfarrten das Geſetz, und die Lehre, die
in ihren Buͤchern enthalten iſt, erklaͤren. Sie
predigen des Monats ordentlich zweymal; ſo
lange aber die Ueberſchwemmungen dauern pre-
digen ſie alle Tage, fruͤh von ſechs Uhr bis zu
Mittag, und Nachmittags von ein bis fuͤnf
Uhr. Der Prediger ſitzt, mit kreuzweis geleg-
ten Beinen, in einem erhabenen Armſtuhle, und
verſchiedene Talapoins loͤſen einander ab. Sie
verlaſſen den Predigtſtuhl ſelten, ohne von den
Zuhoͤrern Geſchenke zu erhalten. Wenn dieſe
mit der vor getragenen Lehre und der Beredſam-
Z 2keit
[356] keit des Predigers zufrieden ſind; ſo bezeugen
ſie ihren Beyfall, und rufen: Recht gut,
gnaͤdiger Herr.
Das Volk ſitzt dem Predi-
ger gegen uͤber auf den Ferſen, mit gefalteten
Haͤnden, und hoͤrt andaͤchtig zu. Einem
Moͤnche, der den Predigtſtuhl oͤfters beſteigt,
kann es nicht leicht fehl ſchlagen, reich zu
werden.


Wenn die Talapoins einerſeits viele Vor-
rechte genießen; ſo ſind ſie auf der andern Sei-
te an ſehr gezwungene Gebraͤuche gebunden.
Es iſt hier nicht von dem Geluͤbde der Keuſch-
heit die Rede, wovon ſich die Moͤnche in Euro-
pa viel leichter loszumachen wiſſen, weil die
Uebertreter nicht verbrannt werden. Die Tala-
poins ſind einer unendlichen Menge anderer
Pflichten unterworfen, die, ob ſie ſchon groͤße-
ſtentheils geringfuͤgig ſind, doch wegen der zu
beobachtenden ungemeinen Aufmerkſamkeit, da-
mit ſie nichts verſehen, beſchwerlich werden.
Dieſe Moͤnche begehen eine grobe Suͤnde, wenn
ſie ein Loch in die Erde machen, und ſie ſuͤndi-
gen von neuen, wenn ſie es nicht wieder zuma-
chen. Eine andere eben ſo große Suͤnde iſt es,
ein Thier oder Wurm zu toͤdten, das Fortkom-
men eines Baumes zu verhindern.


Es iſt hier ſchicklich, einige ſtrenge Ordens-
regeln der Talapoins aus dem La Loubere her-
zuſetzen:


Ein
[357]

Ein Talapoin, welcher auf das heimliche
Gemach geht, ohne vorher friſches Waſſer ge-
ſchoͤpft zu haben, ſich zu waſchen, ſuͤndigt.


Schleudere im Gehen nicht mit den Armen,
und blinke nicht mit den Augen, wenn du redeſt;
wenn du ißt, ſo mache mit den Kinnladen kein
Geraͤuſch wie die Hunde.


Nimm die Schleppe des Kleides auf, dafern
du nicht mit Arbeiten beſchaͤftigt biſt.


Betruͤbe dich nicht uͤber den Tod deiner
Verwandten.


Huͤte dich ſchwerfaͤllig zu gehen, und einen
Fleiſchtopf anzugreifen.


Nun aber folgen wichtigere Punkte, die
von der Tugend und ſtrengen Lebensart dieſer
Moͤnche, einen hohen Begriff geben, wenn ſie
ſolche getreulich beobachten. Sie muͤßen alle
Muſik, alles Tanzen, die Schauſpiele und
alle Zuſammenkuͤnfte, wo man ſich luſtig
macht, meiden; ſie duͤrfen weder Gold
noch Silber bey ſich tragen; von nichts
reden als was Religionsſachen betrift;
nur fuͤr dieſe arbeiten; nichts wohlriechen-
des bey ſich fuͤhren; keine weltlichen Lie-
der ſingen; auf keinem Inſtrumente ſpie-
len; mit ihren Untergebenen nicht in ei-
nem Bette ſchlafen; kein Frauenzimmer
anſehen; mit ihnen allein nicht reden; ſich
mit ihnen nicht auf eine Matte ſetzen,

Z 3noch
[358]noch weniger ſie kuͤſſen. Es iſt ſo gar ei-
ne Suͤnde, im Traume ein Frauenzimmer
zu kuͤſſen, oder mit dieſem Gedanken zu
erwachen. Es iſt ferner ſuͤndlich, zu viel
zu ſchlafen, nicht gleich aufzuſtehen, ſon-
dern ſich vorher rechts und links im Bet-
te herumzudrehen. Hauptſaͤchlich wird
fuͤr ſuͤndlich gehalten, ſeinen Naͤchſten
zu richten, ihn veraͤchtlich anzuſehen, zu
verſpotten; ruhmredig zu ſeyn; zu beten,
um geſehen zu werden; fuͤr Geld zu ar-
beiten; mehr als ein Kleid zu haben; ſich
in Staatsangelegenheiten oder Hofver-
ſtaͤndniße zu mengen; den Kopf mit aller-
ley Putz zu behengen; Schuhe zu tragen,
auf Gold oder Silber zu eſſen; ſich auf
reiche Decken zu ſetzen; die Zaͤhne vor den
Leuten zu reinigen; zu huſten oder ein
Geraͤuſch zu machen, wenn man junge
Maͤgdchen ſitzen ſieht, daß ſie ſich umſe-
hen ſollen. Und endlich ſuͤndigt ein
Moͤnch, wenn er jemanden mit dem Ge-
faͤngniße bedrohet, oder im Zorne ſagt:
er wolle ſich beym Koͤnige oder Miniſter
beſchweren; wenn er zu einem Sterben-
den kommt, ihn einzuſegnen, und nicht
uͤber die Nothwendigkeit des Todes ſeine
Betrachtung anſtellt.


Die Talapoins begeben ſich alle Jahre drey
Wochen lang in die Einſamkeit, in welcher ſie
ihre
[359] ihre ſtrenge Lebensart verdoppeln. Sie eſſen
alsdann des Tages nur einmal, und ſolches
geſchieht zu Mittage Um weniger zerſtreut zu
ſeyn, verbergen ſie ſich in die Waͤlder, wo ſie
kleine Huͤtten aufbauen. Das Volk ſieht es
als ein Wunderwerk an, daß ſie daſelbſt nicht
von den wilden Thieren zerriſſen werden; ja es
bildet ſich ein, die Elephanten, Rhinoceros und
Tyger, anſtatt ſie anzufallen und zu mißhan-
deln, kaͤmen viemehr und leckten ihnen im Schla-
fe Haͤnde und Fuͤße.


Ordentlicher weiſe iſt die Lebensart dieſer
Moͤnche ſehr abgemeſſen. Sie ſtehen noch vor
Tage auf; doch muß es ſchon ſo helle ſeyn, daß
ſie die Adern an ihren Haͤnden erkennen koͤnnen.
Fruͤher aufzuſtehen, iſt ihnen verboten, weil ſie
im Dunkeln etwa einen Wurm zertreten koͤnn-
ten, wodurch einer der Hauptpunkte ihrer Or-
densregeln uͤbertreten wuͤrde. Ungeachtet ſie
alſo noch vor Tage durch eine Klocke geweckt
werden; ſo ſtehen ſie doch nicht eher auf. Ihre
erſte Verrichtung iſt, daß ſie zwey Stunden im
Tempel zubringen. Sie verrichten daſelbſt ihr
Gebet, ſitzend auf Matten, mit kreuzweis ge-
legten Beinen, und ſingen auf zwey Choͤren.
Dieß Gebet enthaͤlt eine kurze Lebensgeſchichte
ihres Stifters, mit einigen Andachtsuͤbungen
untermiſcht. Wenn das geendigt iſt; ſo fan-
gen ſie an, den Tempel zu kehren, die Altaͤre
zu ſchmuͤcken, und andere dergleichen Verrich-
Z 4tun-
[360] tungen vorzunehmen. Sie gehen nachher eine
Stunde lang in der Stadt herum, Allmoſen
einzufodern. Sie zeigen ſich vor allen Thuͤren,
ohne ein Wort zu ſagen, und nehmen an, was
man ihnen anbietet; gehen auch ſehr beſcheiden
weg, wenn man ihnen nichts giebt, welches
aber doch ſehr ſelten geſchieht. Sie gehen nie-
mals ohne Erlaubniß ihres Priors aus dem
Kloſter, auch wenn ſie damit beſchaͤftigt ſind,
Allmoſen einzuſammlen. Sie bitten ihn, in-
dem ſie vor ihm niederfallen und mit ihrer Stir-
ne die Erde beruͤhren, mit den Haͤnden aber,
einen ſeiner Fuͤße nehmen, den ſie ſehr demuͤ-
thig auf ihrem Kopf legen. Wenn ſie von
dem Allmoſenſammeln zuruͤckkommen, ſteht es
ihnen frey, zu fruͤhſtuͤcken. Nachher ſtudiren
ſie, oder beſchaͤftigen ſich, ein jeder nach ſeinem
Geſchmack und Faͤhigkeit. Zu Mittage eſſen
ſie ein wenig Reis; einen Theil des Nachmit-
tags aber, bringen ſie entweder mit Schlafen
zu, oder ſie unterrichten die ihrer Aufſicht an-
vertrauten jungen Moͤnche. Gegen Abend ge-
hen ſie wieder in den Tempel, und ſingen wie
des Morgens. Wenn ſie ja des Abends etwas
eſſen, ſo iſt es nichts als Obſt. Kurz, der
Tag eines ſeinem Beruf gemaͤß lebenden Tala-
poins wird in Betrachtungen zugebracht, in
der Einſamkeit, mit Leſung geiſtlicher Buͤcher,
in der Uebung einer ſehr ſtrengen Lebensart,
und in aufrichtiger Bereuung ſeiner Fehler,
welche ein jeder ſeinem Superior beichtet.


Die
[361]

Die Kleidung der Talapoinen beſteht aus
drey Stuͤcken: mit dem einem umwickeln ſie
den linken Arm, und bedecken die Haͤlfte des
Leibes bis an die Huͤften; der rechte Arm, die
Beine und der Kopf bleiben blos. Das andere
Stuͤck geht von den Huͤften bis auf die Wa-
den. Das dritte iſt ein zeugner, ziemlich breiter
Streifen, den ſie etlichemal zuſammenlegen,
und um ſich herum winden. Um ſich vor der
Sonne zu verwahren, haben ſie eine Art von
Fecher in der Hand, Talapat genannt, wo-
von ſie, nach den Berichten einiger Reiſebe-
ſchreiber, ihren Namen ſollen erhalten haben.


Es giebt auch Talapoininnen in Siam,
aber weit weniger, als Nonnen in den catho-
liſchen Laͤndern. Wahr iſt es, ſie muͤßen aͤlter
ſeyn als die Nonnen, in unſern Kloͤſtern,
wenn ſie den Ordenshabit anlegen. Auch ha-
ben ſie keine andere Wohnung, als bey den
Talapoins. Weil ſie wenigſtens funfzig Jahr
alt ſind, wenn ſie ſich entſchließen, der Welt
zu entſagen; ſo ſieht man dieſes Alter als eine
hinlaͤngliche Sicherheit fuͤr ihre Keuſchheit an.
Sollte es aber dem ohngeachtet geſchehen, daß
ſie ausſchweifeten, es ſey nun aus einer uͤbrig
gebliebenen Neigung zur Wolluſt, oder den
dringenden Begierden eines jungen Talapoins
nachzugeben; ſo werden ſie deswegen nicht ver-
brennt, ſondern man begnuͤgt ſich, ſie ihren
Verwandten zuruͤckzuſchicken, die ihnen die Ba-
Z 5ſtonande
[362] ſtonade geben laſſen. Nicht alle Kloͤſter haben
Talapoininnen; aber wo ſie aufgenommen wer-
den, ſind ihre Zellen von den Moͤnchszellen nur
durch einen leichten Verſchlag von Bambus-
rohre abgeſondert. Sie folgen eben den Re-
geln, wie die Moͤnche, ſo viel es der Unter-
ſchied des Geſchlechts zulaͤßt. Ihre hauptſaͤch-
lichſte Verrichtung beſteht darinn, daß ſie ſo-
wohl des Morgens als auch des Abends, mit
in das Chor gehen; den Moͤnchen das Eſſen
zubereiten, die Armen und Kranken beſuchen,
und fuͤr die Suͤnden des Volks, ſo wie fuͤr ih-
re eigene, beten.

[figure]
Hin-
[[363]]

Hindiſtaner.


[[364]][365]

Erſtes Kapitel.


Ueber Clima — Charakter, Sitten und
einige Gebraͤuche der Hindiſtaner.


Hindiſtan, Indoſtan, oder das Reich des
großen Mogols, graͤnzt gegen Abend an
Perſien; gegen Mittag an die diſſeit dem Gan-
ges
liegende Halbinſul, an einen Theil von dem
indianiſchen Meere, und an den bengaliſchen
Meerbuſen; gegen Morgen an Tibet und an
die jenſeit des Ganges liegende Halbinſul von
Indien; und gegen Mitternacht an Groß- und
Klein-Tibet. Es liegt zwiſchen dem vier und
achtzigſten und hundert und zweyten Grad der
Laͤnge, und zwiſchen dem ein und zwanzigſten
und ſechs und dreißigſten Grad der Breite.
Seine Laͤnge von Suͤden nach Norden iſt etwa
240 deutſche Meilen, und ſeine groͤßte Breite
an der noͤrdlichen Graͤnze betraͤgt ohngefehr
eben ſo viel, nimmt aber ab, je mehr das Land
gegen Suͤden fortgeht. *)


Hin-
[366]

Hindiſtan hat die verſchiedenſte Himmels-
luft. Gegen Mitternacht iſt es ſehr kalt und
unfruchtbar. Gegen Mittag iſt es zwar heiß,
man findet aber doch den Boden ſehr fruchtbar.
Die noͤrdlich gelegenen Provinzen ſind voll von
hohen Gebuͤrgen und zugleich ſandigt. Das
Gadiſche Gebuͤrge reicht durch ganz Hindiſtan,
und iſt ihnen gegen die Einfaͤlle fremder Voͤlker
ſehr nutzbar.


Die Witterung und die Jahreszeiten
find in dieſem weitlaͤuftigen Lande ſehr or-
dentlich. Die Winde wehen beſtaͤndig ſechs
Monate von Norden, und ſie aͤndern ſich hier-
inn ſehr wenig. In den Monaten April,
May, und im Anfang des Junius, verſpuͤrt
man eine ſolche Hitze, daß einem das Geſichte
von der, vom Erdboden zuruͤckſchlagenden Hitze,
ſehr leicht verbrennen kann; und wenn nicht
taͤglich ein friſches Luͤftchen oder ein abkuͤhlender
Wind wehete; ſo wuͤrden die in den nordiſchen
Gegenden gebornen Menſchen in den heiſſen
Landſtrichen nicht aushalten koͤnnen. Denn
außer der Regenzeit iſt der kaͤlteſte Tag daſelbſt
zu Mittag heiſſer, als faſt der waͤrmſte Tag in
noͤrdlichen Deutſchland. Indeſſen wechſeln doch
Hitze und Kaͤlte mit einander oftmals ſo ſchnell
ab, daß auf einen ganz anſſerordentlich heiſſen
Tag, eine ſo kalte Nacht erfolgt, daß man des
Morgens ein duͤnnes Eis auf dem Waſſer fin-
det, und daß auf dieſe Nacht eine eben ſo bren-
nende Mittagshitze erfolgt, als am vorherge-
henden
[367] henden Tage. In den trockenen Jahreszeiten
wehr der Wind zuweilen ſo heftig, daß er eine
erſtaunliche Menge Sand und Staub mit ſich
in die Luſt fortfuͤhrt, welches ſehr fuͤrchterlich
ausſieht.


Von Surat bis Agra*) und noch weiter
hin regnet es ſelten oder gar nicht, ausgenom-
men
[368] men zu einer Jahrszeit, nemlich von der Mitte
des Junius an bis gegen die Mitte des Septem-
bers. Ihr Anfang und Ende iſt allezeit mit
den wuͤthendſten Stuͤrmen, mit Donner und
Blitzen verbunden. Dieſe drey Monate hin-
durch regnet es gewoͤhnlich alle Tage, und bis-
weilen eine ganze Woche lang ohne Aufhoͤren.
Auf dieſe Art wird das Land fruchtbar gemacht.
Obgleich das Land vorher wie die unfruchtbaren
Gegenden in den arabiſchen Wuͤſten ausſiehet;
ſo
*)
[369] ſo wird doch, wenige Tage nachher, nachdem
dieſe Regenguͤſſe zu fallen angefangen, die Ober-
flaͤche deſſelben ganz gruͤn, welches die Guͤte und
Fruchtbarkeit des Bodens anzeigt.


Die Reiſebeſchreiber pflegen gewoͤhnlich die
Hindiſtaner in vier große Ordnungen abzuthei-
len, dahin 1) die Geſetzverſtaͤndigen oder die
Prieſterſchaft gehoͤrt; 2) die Kriegsleute, zu
welchen ihre Rajahen oder Koͤnige gehoͤren;
3) die Kaufleute; und 4) das gemeine Volk.
Dieſe vier Hauptordnungen werden wiederum
in verſchiedene Klaſſen eingetheilt, wovon wir
unſern Leſern, ehe wir uns in eine genaue Dar-
ſtellung des Intereſſanteſten in dem Charakter,
Sitten und Gebraͤuchen der Hindiſtaner einlaſ-
ſen, einige Nachrichten mittheilen muͤſſen.


Die Brammanen haben ihren Namen
entweder vom Brammon, dem aͤlteſten Sohne
des Pourous; des erſten Menſchen, nach der
Hindiſtaner Meynung, oder vom Brema, dem
erſten erſchaffenen Weſen des zweyten Weltal-
ters, dem das Geſetz gegeben wurde, und wer-
den in 82 Familien oder Sekten eingetheilt.
Ihrer Ausſage nach, meynen ſie, daß kein Ge-
ſchlecht vor Gott wuͤrdiger ſey, als das ihrige,
und alle Hindiſtaner geſtehen ihnen auch gerne
und mit allgemeiner Einſtimmung den erſten
Platz unter ihnen zu. Selbſt das Geſetzbuch,
Vedam, das fuͤr ein von Gott geſandtes Buch
gehalten wird, hat ſeine Hochachtung fuͤr dieſes
Geſchlecht dadurch zu erkennen gegeben, daß
A akein
[370] kein Bramine eines Verbrechens wegen am Le-
ben kann geſtraft werden, es mag auch ſo ab-
ſcheulich ſeyn, wie es immer will. Die Be-
ſtrafung eines Braminen beſteht in der Berau-
bung ſeines Geſichts. Wer einen Braminen
toͤdtet, wird fuͤr den groͤbſten Suͤnder gehalten,
der ſeine Vergehung nur durch eine zwoͤlfjaͤhrige
Wallfahrt buͤſſen kann. Auch iſt der Moͤrder
dazu verdammt, mit der Hirnſchaͤdel des Bra-
minen in der Hand, Allmoſen zu betteln, und
verbunden, das ihm Gegebene aus derſelben zu
eſſen oder zu trinken. Nach Verlauf der zwoͤlf
Jahre iſt er gehalten, ſelbſt reichliche Almoſen
zu geben, und auf ſeine Koſten einen Tempel
zu erbauen, wenn er nur irgend dazu vermoͤ-
gend iſt. Auch im Kriege darf niemand einen
Braminen toͤdten; ein Geſetz, das im Vedam
ausdruͤcklich vorgeſchrieben iſt. — Aus dieſer
Urſache machen die Braminen auch deswegen ei-
nen Anſpruch auf die Ehrerbietung der Hindi-
ſtaner, daß ihnen dieß Buch uͤberliefert wor-
den, und daß ſie die Bewahrer deſſelben ſind.
Von dieſen Braminen werden wir an einem
andern Orte weitlaͤuftiger zu reden Gelegenheit
haben.


Die Ruttereys haben ihren Namen von
Kutterey, dem zweyten Sohne des Pourous,
und weil ihm die Herrſchaft und Regierung
uͤbergeben wurde, ſo ſind alle Koͤnige und Sol-
daten von dieſem Geſchlechte und Stamme.


Die
[371]

Die Shuddereyen leiten ihren Urſprung
vom Shudderi, dem dritten Sohne des Pou-
rous, des erſten Menſchen, her. Und da ihm
die Handlung zu ſeinem Geſchaͤfte beſtimmt
wurde; ſo legen ſich alle, die von dieſem Stam-
me ſind, auf dieſelbe. Sie werden auch Ba-
niyanen genannt, welches in der Sprache der
Brammanen ſo viel, als ein unſchuldiges und
frommes Volk bedeutet, wie ſie es denn auch
in der That ſeyn ſollen. Sie koͤnnen es nicht
leiden, wenn man ein Thier toͤdtet, und wenn
man einem von ihnen eine Ohrfeige giebt, ſo
kann man ſicher ſeyn, keine wieder zu erhalten.
Sie haben mit den Brammanen viele Aehnlich-
keit. Die unter den Baniyanen gewoͤhnliche
Art des Kaufens und Verkaufens iſt ſehr be-
ſonders, und geht von andern Voͤlkern ihrer
ganz ab. Der Maͤckler nimmt nemlich ſeinen
Pamering von ſeinem Leibe herab, und breitet
ihn uͤber ſeine Knie. Wenn er und der Ver-
kaͤufer hierauf ihre Haͤnde darunter gelegt ha-
ben, ſo zeigt er mit den Spitzen ſeiner Finger
den Preis in Pfunden, Schillingen und andern
Muͤnzſorten an, den der Kaͤufer zu geben wil-
lens iſt, und ſodann thut ihm der Verkaͤufer
auf eben die Weiſe zu wiſſen, wie viel er ver-
langt. Dieſe Art der Handlung iſt ihnen, wie
ſie behaupten, in ihren Geſetzen anbefohlen.
Nach eben dieſen Geſetzen muͤſſen ſie gerecht
handeln, weder betruͤgen, noch zu viel Profit
nehmen.


A a 2Der
[372]

Der Stamm der Wiſe hat ſeine Benen-
nung von dem vierten Sohn des Pourous, wel-
cher der Lehrmeiſter der Handwerker war. Wiſe
zeigt eine Perſon an, die gern einem andern
Dienſte erweiſt. Man nennt dieſe Leute gegen-
waͤrtig gemeinhin Gentiles oder Gentews, und
theilt ſie in zwey Arten ein, nemlich in die rei-
nen
und in die unreinen oder unlautern, Viſ-
ſeran
genannt. Dieſe letzteren nehmen ſich in
Anſehung ihrer Speiſen große Freyheiten her-
aus, und eſſen ſo lange Fiſche und Fleiſch, als
es ihnen wohl ſchmeckt. Die reinen Gentils
hingegen — welches die Handwerksleute ſind —
folgen der Regel der Baniyanen in Anſehung
der Speiſen; denn ſie eſſen kein Fleiſch, oder
bedienen ſich doch deſſen ſehr ſelten, und ent-
halten ſich auch des Weins. — Dieſer Stamm
iſt der zahlreichſte unter den vieren.


Die Perreaer oder Pariaer koͤnnen ein
fuͤnfter und von den andern vier verſchiedener
Stamm genannt werden, und weil ſie nicht fuͤr
wuͤrdig gehalten werden, unter denſelben zu ſte-
hen, ſo duͤrfen ſie auch nie unter denſelben woh-
nen, muͤſſen außerhalb der Staͤdte leben, und
ihre Haͤuſer auf dem Lande, abgeſondert von
den uͤbrigen Doͤrfern, bauen, oder vielmehr ei-
gene Doͤrfer haben, die mit Brunnen verſehen
ſind. Denn ſie duͤrfen es nicht wagen, von
dem Waſſer zu holen, deſſen ſich andere Fami-
lien bedienen. Und damit auch niemand ſich
verſehe, und aus den Brunnen der Perreaers
Waſſer
[373] Waſſer ſchoͤpfe; ſo ſind dieſe verbunden, Ge-
beine von todten Viehe um ihre Brunnen her-
zuſtreuen, damit man dieſelben kenne. Wenn
dieſe Perreaer in die Staͤdte kommen, ſo muͤſ-
ſen ſie ſich ſorgfaͤltig huͤten, nicht in die Straſ-
ſen zu kommen, wo die Brammanen, oder,
wie wir ſie kuͤnftig, weil es gewoͤhnlicher iſt,
nennen wollen, Braminen wohnen. So iſt
ihnen auch verboten, in einen Tempel zu gehen,
weder in den Tempel ihres Gottes Wiſtnou
noch Eſwara, weil dieſer, da man ſie fuͤr un-
rein haͤlt, dadurch beſudelt wuͤrde. — Dieſer
Stamm Leute giebt ſich mit den niedrigſten Ar-
beiten ab, womit ſich andere nicht gerne bemen-
gen. In Anſehung ihrer Speiſen ſind ſie auch
nicht ſonderlich reinlich. Denn ſie machen ſich
kein Gewiſſen daraus, Kuͤhe, Pferde, Voͤgel,
oder anderes Aas zu eſſen, das verreckt oder
gar ſchon ſtinket.


Man ſollte denken, daß bey einem Volke,
das ſich wie Schweine im Kothe herumwaͤlzt,
kein Stolz, nicht der geringſte Rangſtreit zu
finden ſey. Aber der Stolz hat dennoch die
Perreaer in zwey Klaſſen getheilt. Die von
der erſten Klaſſe heiſſen ſchlechtweg Perreaer, die
von der letztern aber Seripeer. Dieſe letztern
geben ſich damit ab, Leder zu verkaufen, das
ſie ſelber zubereiten. Die Perreaer, die ſich fuͤr
die beſſere Familie halten, eſſen nicht in den
Haͤuſern der Seripeer, dieſe aber machen keine
Schwuͤrigkeit, mit den erſtern zu eſſen. Und
A a 3aus
[374] aus dieſer Urſach ſind ſie verbunden, ihnen
Hochachtung zu erweiſen, welches ſie dadurch
zu erkennen geben, daß ſie gerade vor ihnen
ſtehen.


Dieß vorausgeſchickt, kommen wir nun zur
Beſchreibung des Charakters, der Sitten und
Gebraͤuche der Hindiſtaner ſelbſt, wobey wir
aber unſer Augenmerk auf die beyden Staͤmme
Shudderiern oder Kaufleute, gemeiniglich
Baniyanen genannt, und Wiſe, welche die
Handwerksleute und andere geringerer Art un-
ter ſich begreifen, richten.


Man muß den Hindiſtanern den Ruhm
laßen, daß ſie ſehr maͤßig leben, und ſich nie
eine Ausſchweifung im Eſſen und Trinken er-
lauben. Man will ſo gar bemerkt haben, daß
dieſe Nation gegen alle berauſchende Getraͤnke
einen natuͤrlichen Abſcheu habe. Ihr aͤußer-
liches Betragen gegen das Frauenzimmer iſt ſehr
behutſam, und ſie begehen niemals gegen ſie ei-
ne unanſtaͤndige Handlung. Den Armen und
Nothleidenden beweiſen ſie die thaͤtigſte Huͤlfe.
Es iſt bey ihnen ein unverletzbares Geſetz, daß
alle Anverwandte einander beyſtehen, und den-
jenigen, die nichts haben, einen Theil ihres
Vermoͤgens mittheilen muͤſſen. — In ihrem
Charakter trift man die groͤßeſten Merkmale
der Sanftmuth an, und ſie koͤnnen durch nichts
mehr erſchuͤttert werden, als durch Zorn und
durch ein hitziges Gemuͤth. Dieß iſt ſonderlich
in den Charakter der Baniyanen ein merkwuͤr-
diger
[375] diger Zug, und nur daraus kann man es erklaͤ-
ren, warum ſie einen Abſcheu gegen alles Blut-
vergießen hegen. Dieß macht ſie auch zu Sol-
daten ganz und gar ungeſchickt, und macht ih-
nen den Krieg ganz fuͤrchterlich. Daher kommt
es auch, daß ſie niemanden mit einer Lebens-
ſtrafe belegen, und gegen alle Todesſtrafen den
lebhafteſten Abſcheu aͤußern.


Ein Baniyan wird alſo nicht leicht belei-
digt, weil er von ſo ſanftem Gemuͤthscharakter
iſt. Er erduldet alles; nur das kann er nicht
ausſtehen, wenn ihm jemand mit der Sohle
ſeines ausgezogenen Pantoffels, wenn er vor-
her darauf geſpien hat, einen Streich giebt.
Fuͤr nichts fuͤrchten ſie ſich auch mehr, als fuͤr
einer ſolchen Beleidigung, denn es wird von ihnen
fuͤr weit ſchimpflicher angeſehen, als wenn man
uns mit Koth wirft.


Man giebt den Baniyanen allgemein ſchuld,
daß ſie dem Geitz und der Gewinnſucht außer-
ordentlich ergeben ſind. Fuͤr einen ſehr gerin-
gen Gewinn ſollen ſie faͤhig ſeyn, vieles zu ver-
ſuchen. Und da ſie unaufhoͤrlich ihren Sinn
auf die Vermehrung der Reichthuͤmer ſetzen, ſo
haben ſie auch alle hinlaͤnglich zu leben, und der
Geitz mancher ſcharrt große Reichthuͤmer zu-
ſammen. Ihr groͤßeſter Reichthum beſteht blos
in Geld und Juwelen, die ſie aber ſo heimlich
halten, als es ihnen moͤglich iſt. Dieſe Furcht,
ihre Reichthuͤmer zu verlieren, iſt auch die Ur-
ſach, daß ſie keinen großen Aufwand machen,
A a 4und
[376] und ihren vornehmſten Handel des Nachts
treiben.


Das zaͤrtliche Betragen, welches die Bani-
yanen gegen Thiere aͤußern, iſt ſehr merkwuͤrdig.
Wer einen Floh unverſehens toͤdtet, muß dieſen
Mord wieder gut zu machen ſuchen. Sie hal-
ten es fuͤr ganz unmenſchlich und grauſam, jun-
ge Laͤmmer, Schaafe, Kaͤlber u. ſ. w. zu toͤd-
ten, und das Fleiſch dieſer Thiere zu eſſen.
Dieſe ſchwache Seite der Baniyanen kennen
die liſtigen mohammedaniſchen Fakirs, und
machen ſich dieſelbe oft zu Nutze. Da ſie es
nicht ſehen koͤnnen, wenn jemand ein Thier toͤd-
tet, ſo drohen die Fakirs den Baniyanen oft
in ihrer Gegenwart dergleichen Mord zu bege-
hen, und verſprechen, von der That abzuſtehen,
dafern ſie ihnen ein willkuͤhrliches Geſchenk an
Gelde machen wollen. — *) Die Baniyanen
ſetzen jaͤhrlich anſehnliche Summen zur Unter-
haltung der Thiere aus, ſo wie bey uns fuͤr die
Armen geſchieht. So erzaͤhlen einige Reiſebe-
ſchreiber, daß dieſer Stamm, eine Meile von
Surata, ein großes Hoſpital fuͤr Ochſen, Rin-
der, Kuͤhe, Ziegen, Hunde und andere kranke
Geſchoͤpfe,
[377] Geſchoͤpfe, angelegt habe. Wenn ſie ſehen,
daß jemand etwa einen kranken Ochſen hat, ſo
bitten ſie ihn, daß er ihnen den Ochſen zur
Pflege ausliefern moͤchte, und geben ihm dafuͤr
ſo viel, wie er verlangt. — Die Baniyanen
richten auch jaͤhrlich einmal ein großes Gaſtmal
fuͤr alle in ihren Haͤuſern befindliche Fliegen von
ſuͤßer Milch und Zucker in großen flachen Schuͤſ-
ſeln an, die ſie auf die Tiſche herumſetzen. Zu-
weilen gehen ſie mit Reisſaͤcken unter dem Arme
einige Meilen ins Land hinein, ſtehen bey jedem
Ameiſenhaufen ſtille, und legen eine Handvoll
Reis darauf. Am aller ſeltſamſten iſt die Sor-
ge, welche ſie fuͤr die Erhaltung der Floͤhe,
Wanzen und anderer Thiere beweiſen, die das
Blut wegſaugen. — Ovingtons (voy. to
Surat.)
erzaͤhlt, daß in einem Hoſpital, welches
zur Pflege ſolcher Thiere erbaut iſt, zuweilen
ein armer Mann gemiethet werde, der die gan-
ze Nacht auf dem Kothe liegen muͤſſe, worinn
ſich das Ungeziefer befaͤnde; und damit dieſer
Mann durch ihr Stechen nicht gezwungen wer-
den moͤchte, vor Tage davon zu laufen; — ſo
werde er an dem Orte angebunden, damit ſich
die Thierchens an dem Menſchenblute recht ſaͤti-
gen koͤnnten. Dieſe Erzaͤhlung ſcheint wohl
nicht unrichtig zu ſeyn, denn es laͤßt ſich mit
ihrer uͤbertriebenen Hochachtung fuͤr die Thiere
ſehr wohl reimen, zumal wenn man noch weiß,
daß ſie die Thiere manchmal ankleiden, und ei-
ner Lieblingskuh oft große metallene Ringe an
A a 5die
[378] die Schenkel legen. Es ſcheint, daß dieſer
Aberglaube durch die Lehre von der Seelenwan-
derung ernaͤhrt wird.


Nach dem Einverſtaͤndniß der Reiſebeſchrei-
ber, findet man im ganzen Orient kaum eine
Nation, welche furchtſamer und zaghafter waͤre,
(die kriegeriſchen Rajaphuten ausgenommen)
als die Hindiſtaner. Ihre uͤbrigen Tugenden
erſetzen hingegen dieſen Mangel hinlaͤnglich.
Die Baniyanen verrichten mit der groͤßeſten
Genauigkeit alle Auftraͤge, welche ihnen ſowohl
von Einheimiſchen als Auaͤlaͤndern anvertrauet
werden. Indeſſen ſind auch die Wiſe oder
Weytz, welche den vierten Stamm, oder die
vierte Hauptfamilie ausmachen, ſo getreu, daß
ſie ihren Herren bey welchen ſie ſich etwa fuͤr
Dienſtboten vermiethen, auf Reiſen nicht das
geringſte entwenden, ja fuͤr die Erhaltung ſei-
ner Guͤter ſelbſt ihr eigenes Leben in Gefahr
ſetzen. Die Leute von dieſem Stamme ſind
beßre Dienſtboten als die mohammedaniſchen;
man findet bey jenen nicht den Stolz, der dieſe
ſo veraͤchtlich macht!


Die verſchiedenen Staͤmme der Hindiſtaner
werden insgeſammt von einander unterſchieden,
theils durch den Schnitt ihrer Baͤrte, theils
durch das verſchiedene Bemahlen ihrer Leiber
und Stirnen, theils durch das Flechten ihrer
Turbane (die ſie Tuͤlbaet oder Tulbat ausſpre-
chen). Wir wollen hier einen allgemeinen Ab-
riß
[379] riß von der Geſtalt und Kleidung der Hindi-
ſtaner geben.


Die Hindiſtaner ſind nicht ſowohl weiß als
gelbbraun, meiſtens lang, ſtark, und wohl
gewachſen. — Ihre gewoͤhnliche Kleidung iſt
ſehr ſittſam. In dem ſuͤdlichen Theile des
Reichs, tragen die Mannsperſonen lange Roͤcke
von den feinſten Zeugen von Baumwolle, Gold
und Silber. Sie haͤngen ihnen bis an die
Waden herunter, und werden oben am Halſe
zugemacht. Vorne ſind ſie mit Schleifen von
oben bis unten befeſtigt. Unter dieſer oberſten
Kleidung haben ſie eine Weſte von blumigten
ſeidenen oder baumwollenen Zeuge, die ihnen an
dem Leibe liegt, und bis unter die Huͤfte geht. —
Ihre Beinkleider ſind ſehr lang, meiſt von ro-
then ſtreifigten Zeugen, oben weit, nach unten
zu werden ſie enger, auf den Schenkel falten ſie
ſich, und gehen bis an die Ferſe. Sie haben
keine Struͤmpfe, und die Falten dieſer Bein-
kleider dienen ihnen, den Fuß warm zu hal-
ten. — Mitten im Reiche, und gegen Abend,
gehen ſie nach perfiſcher Art gekleidet, nur mit
dem Unterſchiede, daß die Moguln wie die Gu-
zuraten, die Oefnung ihres Rocks unter den
linken Arm bringen, da die Perſer ſie unter
den rechten ſtecken, und die erſten binden ihre
Guͤrtel vorne, und laſſen die Enden herabhaͤn-
gen, da ihn die Perſer nur umwickeln, und die
Enden einſtecken.


Sie
[380]

Sie haben Seripus, oder weite Schuhe,
von ordentlichem rothen vergoldeten Leder, ſie
gehen ſowohl im Winter als Sommer darinn
barfuß. Sie tragen ſie wie wir unſre Pantof-
feln, ohne ſie an den Fuß feſt zu machen, um
ſie bald nehmen zu koͤnnen, wenn ſie gehen wol-
len, oder um ſie gleich auszuziehen, wenn ſie
wieder in ihre Zimmer kommen, wo ſie ſonſt
ihre ſchoͤnen Teppiche und Bedeckungen des Bo-
dens beflecken wuͤrden.


Ihr Kopf iſt beſchoren und mit einem Tur-
bane
bedeckt, der dem tuͤrkiſchen gleicht. Er
iſt von feinem weiſſen baumwollenen Zeuge,
mit goldenen oder ſeidenen Streifen. Sie wiſ-
ſen ihn alle um den Kopf zu winden und zu
befeſtigen, obgleich dieſe Zeuge oftmals einige
Ellen lang ſind. Ihre Guͤrtel ſind gewoͤhnlich
von rother Seide mit goldenen oder weiſſen
Streifen und großen Quaſten, die ihnen an der
rechten Huͤfte herunter haͤngen. Unter dem er-
ſten Guͤrtel haben ſie noch einen, von weiſſen
baumwollenen Zeuge, der kleiner, und um den
Leib gewickelt iſt. — Wenn ſie ausgehen und
Regen oder Wind befuͤrchten, ſo legen ſie uͤber
ihre Kleider eine Binde von ſeidenem Zeuge,
die ſie uͤber die Achſeln ſchlagen, und ſich um
den Hals wickeln. Die Vornehmen und alle
die, welche bey Hofe erſcheinen, zeigen ihre
Pracht in den Kleidern. Die gemeinen Buͤr-
ger und Handwerksleute, ſind, wie bereits ge-
ſagt, ſehr ſittſam gekleidet.


Die
[381]

Die mohamedaniſchen Weiber und Jung-
fern haben ordentlich um den Leib ein großes
Stuͤck des feinſten baumwollenen Zeuges, das
ſich bey dem Guͤrtel anhebt, wo es nach unten
zu, drey oder viermal umgewickelt wird, und
ihnen bis auf die Fuͤße herunter haͤngt. Unter
dieſem Tuche tragen ſie eine Art Beinkleider
von weiſſen Zeuge. In ihren Haͤuſern gehen
ſie meiſtens uͤber den Guͤrtel blos, ſowohl als
mit dem Kopfe und den Fuͤßen. — Wenn ſie
aber ausgehen, oder ſich nur an ihren Thuͤren
ſehen laſſen, ſo bedecken ſie ſich die Achſeln mit
einer Kleidung, uͤber die ſie noch eine Binde
legen. Dieſe beyden Kleidungen, welche ſehr
weit, und nirgends angeheftet, noch zugemacht
ſind, ſchweben auf ihren Achſeln, und man
ſiehet oft den groͤſten Theil ihrer Bruſt und ih-
rer Arme entbloͤßt. Die Reichen zieren ihre
Arme und Fuͤße mit Gold und Silber; die Ge-
ringeren mit Glas und Metall. Sie haben
oft die Arme bis unter den Ellbogen beladen,
aber dieſer koſtbare Schmuck, ſcheinet ihnen
beſchwerlich zu ſeyn, und iſt auch in den Augen
eines Fremden keine Zierath.


Den Frauensperſonen werden insgeſammt
in der Jugend die Ohrlaͤppichen durchbohrt,
und dieſe werden mit der Zeit, vermittelſt der
Sachen, die ſie in die Loͤcher haͤngen, um ſie
auszudaͤhnen, ſo groß, daß ſie Ringe tragen,
welche ſo breit, als Bruͤhenſchuͤſſeln ſind, und
an dem aͤuſeren Umfange eine Hoͤhlung haben,
wo
[382] wo ſich das Fleiſch hineinſetzt, und ſie haͤlt.
Kurz, die Hindiſtaner, und inſonderheit die
Baniyanen, wenden das Meiſte an ihre Wei-
ber, deren groͤſtes Vergnuͤgen in ſchoͤnen Klei-
dern, und den vorhin gedachten Zierathen be-
ſtehet, ohne welche ſich auch ſogar die Weiber,
die Waſſer auf den Straßen herumtragen nicht
ſehen laſſen. Witwen, die ihre Maͤnner uͤber-
leben, ſind die einzigen, welche dieſes Gluͤck
nicht genießen koͤnnen: denn ſie duͤrfen ſo we-
nig Juwelen tragen als geputzt ſeyn, und un-
terſcheiden ſich von andern durch eine rothe
Lunghi.


Jetzt muͤſſen wir von ihren uͤbeln Gewohn-
heiten auch einiges ſagen.


Die Weiber machen ſich ſo wenig als die
Maͤnner ein Gewiſſen daraus, ihre Nothdurft
in den oͤffentlichen Gaſſen oder Landſtraßen zu
verrichten. In dieſer Abſicht begeben ſie ſich,
wenn ſie in der Stadt ſind, bey der Sonnen
Auf- oder Untergang haufenweiſe nach einer
Wand hinaus: und im Fall jemand unterdeſ-
ſen vorbeygeht, ſo kehren ſie demſelben ihren
bloßen Hintern zu, verbergen aber dabey ihre
Angeſichter. Die Maͤnner, welche ſich hierbey
von den Weibern abſondern, buͤcken ſich gleich
wie ſie, nieder, wenn ſie ihr Waſſer abſchlagen.
Die Mohammedaner haben dieſer Freyheit we-
gen einen ſchlechten Begriff von dem Hindiſta-
niſchen Frauenzimmer, wie auch von den Eng-
laͤndiſchen
[383] laͤndiſchen, wenn ſie ſehen, daß dieſelben mit
einem Kuß gegruͤßt werden, oder mit einer
Mannsperſon in einem Garten ſpaziren gehen.
Ob ſie gleich nur mit Waſſer gekochte Gewaͤchſe
eſſen, ſo laſſen ſie doch einen ſolchen Geſtank
zuruͤck, daß es ſich ſowohl in den Straßen als
auch außerhalb ihrer Staͤdte, bey den Fluͤſſen
und Graben ſehr ſchlecht Athem holen laͤßt.
Dem allen ohngeachtet, kann man doch die
Hindiſtaner weder einer Unflaͤtherey, noch einer
Faulheit beſchuldigen. Denn außerdem, daß
ſie ſich jederzeit zur Zeit ihrer Andacht waſchen,
eſſen und trinken ſie auch niemals etwas, ohne
ſich vorher mit Waſſer gereinigt zu haben, wel-
ches ſie uͤber ihren ganzen Leib, von Kopf bis
zu den Fuͤßen gießen. Sie leiden auch nicht,
daß ſich an irgend einem Theile ihrer Leiber Un-
flath befinde, und ſchaffen die Haare auf der
Bruſt, unter dem Arm, und an der Schaam,
vermittelſt gewiſſer Salben und Pflaſter, weg.
Sie ſcheeren ihre Koͤpfe und Baͤrte beſtaͤndig,
ſie ſchneiden ihre Naͤgel ordentlich ab, ſie ſpuͤlen
ihren Mund immer aus, und reiben ihre Zaͤhne,
daher ſie ſo weiß ausſehen als Helfenbein.


Das Leben der Hindiſtaner iſt eine ununter-
brochene Emſigkeit. Sie ſind es, die das
Feld bauen, pflanzen, ſaͤen, und das Vieh
aufziehen. Sie ſind es, welche die fuͤr-
treflichen Zeuge machen, die wir aus dieſem
Theile der Welt herholen und nicht wenig damit
großthun.


Nicht
[384]

Nicht ein jeder hindiſtaniſcher Stamm ißt
und trinkt, was ihm vorkommt. Denn einige
Staͤmme als die Kutteri und Wiſe eſſen das
Fleiſch von den Thieren; hingegen ruͤhren die
Braminen und Shudderi, d. i. die Kaufleute,
nie Fleiſchſpeiſen an, ſondern begnuͤgen ſich mit
dem Genuß der Gewaͤſche, Milchſpeiſen, Fruͤchte
und ſuͤßen Speiſen. Zwey unter dieſen India-
nern ſehr gewoͤhnliche Speiſen ſind Dye und
Kuheri. Dieſe letztere wird von einer kleinen
runden Erbſe gemacht, die mit Reis zugleich
gekocht wird; und obgleich dieſe Zubereitung
gar nicht ſonderlich ſchmecken ſoll, ſo ſtaͤrkt ſie
doch ſehr. Die erſte Speiſe, nemlich der Dye
beſteht aus dick gewordener ſuͤßer Milch, die
mit abgekochtem Reis und Zucker vermiſcht iſt.
Man behauptet, daß dieſe Speiſe ſehr geſchickt
ſey, die Heftigkeit der Fieber und des Durch-
laufs zu vermindern, welches beydes ſehr ge-
meine Krankheiten in Hindiſtan ſind. Das ge-
woͤhnliche Getraͤnke der Baniyanen beſteht in
Regenwaſſer. Dieß Waſſer wird in einer ge-
wiſſen Jahrszeit aufgefangen, und in gewiſſen
dazu gemachten Gefaͤßen aufbewahrt. Quell-
und Flußwaſſer trinken ſie nur ſelten und im
aͤußerſten Nothfalle.


Von ſtarken Getraͤnken ſind ſie auch keine
Freunde, indeſſen ſollen ſie doch dem Thee- und
Kaffeetrinken ſehr ergeben ſeyn. Beſonders
ſollen ſie den Kaffee ſo kochen und zubereiten
koͤnnen, daß ſich oben ein gelbliches Oel zeigt,
das
[385] das ihn ſehr wohlſchmeckend macht. Es ſoll
aber auch ſehr viel Geſchicklichkeit dazu erfodert
werden, ihn ſo weit zu bringen. — Allge-
meiner als der Kaffee, iſt der Gebrauch des
Thees. Man ſollte denken, daß dieß warme
Getraͤnke in einem ſo heiſſen Lande ſehr ſchaͤdlich
ſey. Allein die Europaͤer verſichern, daß die
Geſundheit bey dem Genuß deſſelben im min-
deſten nicht geſchwaͤcht werde. — Sie trin-
ken nicht gerne mit einem andern, und haupt-
ſaͤchlich mit einem Fremden, aus ein, und eben
demſelben Gefaͤße; und wenn ſie es thun, ſo
pflegen ſie das Geſchirr, woraus getrunken wird,
nicht an den Mund zu ſetzen, ſondern ſie gießen
es ſich in den Hals. Und auf die Weiſe kann
ſich eine anſehnliche Trinkgeſellſchaft mit einem
Gefaͤße behelfen. Sie nehmen aber doch, wenn
ſie wohin gehen, aus Vorſicht ihre Waſſerkruͤ-
ge mit. Des Morgens gegen acht oder neun
Uhr pflegen ſie zu eſſen, desgleichen des Nach-
mittags gegen vier oder fuͤnf Uhr. Waͤhrend
der ſtarken Sonnenhitze ſind ſie ganz unthaͤtig,
und ſchlafen entweder auf Kots, d. i. Betten,
oder auf Bechanahs, welches dicke mit Kopf-
kuͤſſen verſehene Matratzen ſind, die ſie in die
Quere von einem Ende des Zimmers bis zum
andern, in einer Mannslaͤnge ausbreiten, wor-
auf eine anſehnliche Anzahl von Menſchen ſchla-
fen kann. Sie haben allezeit ein kleines Kuͤſ-
ſen bey ſich, das ſie auf den Magen legen, um
ihn gegen die umgebenden Ausduͤnſtungen in
B bSicher-
[386] Sicherheit zu ſtellen. Sie bedienen ſich ſelten
einer andern Decke, als ihrer Hoſen oder Hem-
den, ſie muͤßten denn ein duͤnnes oder ſchlech-
tes Tuch von Callico uͤber ſich herbreiten.


Es iſt in der That ſehr ſonderbar, daß die
Hindiſtaner niemals aus dem Stamme heyra-
then, zu welchem ſie gehoͤren. Ein Bramine
heyrathet allemal die Tochter eines Braminen;
ein Kaufmann verbindet ſich mit der Tochter
eines Kaufmanns, u. ſ. f. Eben ſo werden
auch die Kinder in der Profeſſion erzogen, die
der Vater treibt. Dieß iſt nun zwar ein Mit-
tel, es in ihrer Kunſt weit zu bringen; es bleibt
ihnen aber die Gelegenheit benommen, hoͤher
zu kommen, als ſie anfangs waren. Man
findet unter ihnen die Vielweiberey nicht einge-
fuͤhrt. Ein Mann hat eine Frau auf einmal.
Ihre Heyrathen werden bereits im ſechſten oder
ſiebenten Jahre vollzogen, ſie ſchlafen aber nicht
eher als im funfzehnten Jahre bey einander.
Die Cerimonien, die bey dieſen Hochzeiten vorfal-
len, haben mit den der Mohammedaner viel Aehn-
liches, nur mit dem Unterſchiede, daß die jun-
gen Leute oͤffentlich auf Pferden reiten, und ſich
uͤber und uͤber mit Blumen beſtreuen. Die
Urſache, warum die Hindiſtaner ihre Kinder ſo
fruͤhzeitig verheyrathen, iſt dieſe: Sie glauben
nemlich, es ſey ein großes Ungluͤck, da das
Heyrathen eine der gluͤckſeligſten Handlungen
des menſchlichen Lebens ausmache, unverhey-
rathet zu ſterben. Um nun das Ungluͤck zu ver-
meiden,
[387] meiden, verheyrathen ſie ihre Kinder im ſieben-
ten Jahre.


Sobald die Heyrath von beyden Seiten der
Eltern geſchloſſen iſt, werden unter dem Klange
muſikaliſcher Inſtrumente, Abgeſandte an die
Eltern der Braut geſchickt, welche ihnen man-
cherley Geſchenke, unter Abſingung gewiſſer
Lieder, die zu ihrem Lobe verfertigt ſind, uͤber-
bringen. Dieſe Abgeſandten erhalten gleich-
falls Geſchenke zuruͤck an die Eltern des Braͤu-
tigams, wodurch zu verſtehen gegeben wird,
daß die uͤberſandten Geſchenke angenehm gewe-
ſen ſind. — Hierauf faͤhrt der Braͤutigam
mit vieler Pracht durch die vornehmſten Straßen
der Stadt. Der Braͤutigam unterſcheidet ſich
von den andern durch eine Krone, die er auf
ſeinem Kopfe hat, und die, nach den Umſtaͤn-
den, mit vielen Koſtbarkeiten beſetzt iſt. —
Am folgenden Tage haͤlt die Braut einen glei-
chen Aufzug durch die Stadt, und wird von
vielen Jungfern, aus eben dem Stamme, be-
gleitet. Gegen Abend kehrt ſie wiederum nach
Hauſe zuruͤck, um mit ihrem Braͤutigam co-
pulirt zu werden. Dieſe Copulation nimmt
damit ihren Anfang, daß zwiſchen dem Braut-
paar ein Feuer angezuͤndet wird, wodurch die
Innbrunſt ihrer Liebe angezeigt werden ſoll.
Hierauf werden ſie mit einer ſeidnen Schnur
umgeben, welches das unzertrennbare Band
der Ehe vorſtellen ſoll. Nach dieſem wird ein
Tuch zwiſchen beyde ausgeſpannt, wodurch an-
B b 2gezeigt
[388] gezeigt wird, daß vor der Ehe keine Vertrau-
lichkeit zwiſchen ihnen ſtatt finden muͤſſe. So-
bald alles dieſes geſchehen iſt, leſen die Brami-
nen ein gewiſſes Formuler ab, worinn ſie dem
Manne befehlen, ſeinem Weibe das Noͤthigſte
zu geben, und das Weib ermahnen, ſich dem
Eheherrn nicht untreu zu beweiſen. Und wenn
die Prieſter ihren Segen uͤber das neue Ehe-
paar geſagt haben, ſo wird das Band und das
Tuch weggenommen, womit zugleich die ganze
Cerimonie geendigt iſt.


In dem Eheſtande ſind auch gewiſſe Vor-
ſchriften zu beobachten, wodurch man die Staͤm-
me von einander unterſcheiden kann. — Kein
Weib darf ſich zum zweytenmale verheyrathen,
wenn ſie nicht aus dem Stamme der Hand-
werksleute iſt. — Die Maͤnner aus allen
Staͤmmen, nur die Braminen ausgenommen,
duͤrfen ſich zum zweytenmale verheyrathen. —
Niemand darf aus ſeinem Stamme heyra-
then. — Die Taufhandlung oder die Be-
nennung ihrer Kinder iſt unter den Braminen
ganz anders, als unter den andern Staͤmmen.
Die letztern werden blos im Waſſer abgewa-
ſchen, einer von den Anverwandten haͤlt die Spitze
einer Feder an des Kindes Stirn und betet:
daß Gott gute Dinge hineinſchreiben moͤchte.
Die uͤbrigen Anweſenden ſagen dazu „Amen„
und geben dem Kinde ſeinen Namen. Zuletzt
macht ein Bramin ein Zeichen mit rother Farbe
an die Sti[r]ne des Kindes, wodurch ſie zu er-
kennen
[389] kennen geben, daß es in ihre Gemeinſchaft auf-
genommen iſt, und dieß iſt das Final der gan-
zen Cerimonie. Der Braminen Kinder wer-
den nicht allein mit Waſſer eingeweyhet, ſon-
dern auch mit Oel geſalbet. Andere Umſtaͤnde
uͤbergehen wir hier.


Wir kommen itzt zu dem Verhalten, das
die Hindiſtaner bey toͤdtlichen Krankheiten und
dem Abſterben der Ihrigen beweiſen. Wenn
ein Kranker zur Geneſung keine Hoffnung mehr
hat, ſo befiehlt man ihm, den Namen Gottes
anzurufen. Sieht man ſein Ende herannahen,
ſo nehmen ſie die Hand des Kranken, und gießen
Waſſer hinein, rufen den Kiſtneruppon, d. i.
den Gott des Waſſers an, daß er ihn dem
hoͤchſten Gott rein uͤberbringen moͤge. Sie
haben auch unter ſich die Mode eingefuͤhrt, den
Erblaßten ſogleich abzuwaſchen.


Stirbt ein Rajah, ſo ſcheeren ſich ſeine
Unterthanen ihre Haare ab, welches ein Zeichen
der tiefſten Unterwuͤrfigkeit iſt. — Nach dem
Tode eines Freundes ſtellen die Baniyanen große
Gaſtereyen an.


Die Hindiſtaner verbrennen gemeiniglich
ihre Todten, anſtatt ſie zu begraben. Der
bey dieſer Handlung anweſende Bramin ſpricht
dabey folgende Worte aus: „O Erde, dieſen
unſern Bruder vertrauen wir dir an. Dir ge-
hoͤrte, da er noch lebte, ein großer Theil von
ihm. Er war aus der Erde gemacht, von den
B b 3Fruͤchten
[390] Fruͤchten der Erde ernaͤhrte er ſich; und da er
nun geſtorben, ſo geben wir ihn dir wieder zu-
ruͤck.„ Naͤchſt dieſem werden brennbare Mate-
rien an den todten Koͤrper gelegt, und in Feuer
geſetzt, wobey der Bramine folgende Worte
ausſpricht: „O Feuer, du hatteſt, da er noch
lebte, einen Antheil an ihm, weil er ſein Leben
durch deine natuͤrliche Hitze erhielt. Wir uͤber-
geben dir daher ſeinen Koͤrper wieder, damit
du ihn reinigen moͤgeſt.„


Iſt der Leichnam vom Feuer verzehrt, ſo
ſtreuen ſie die Aſche in die Luft, wobey der Bra-
min dieſe Worte wiederholt: O Licht! ſo
lange er durch dich lebte, ſo ahtmete er;
und da er nun aufgehoͤrt hat zu athmen,
ſo uͤbergeben wir ihn dir.
Wenn endlich
die Aſche ins Waſſer gefallen, ſo rufen ſie:
O Waſſer! deine Feuchtigkeit erhielt ihn,
da er noch lebte. Da aber nunmehr ſein
Koͤrper zerſtreuet worden, ſo nimm dei,
nen Antheil von ihm wieder zuruͤck.

Sie ſagen, das menſchliche Leben werde durch
die vier Elemente erhalten, und alſo muͤſſe er
auch bey ſeinem Tode wieder unter ſie vertheilt
werden.


Wenn gleich dieſe Art des Verbrennens
der gemeine Gebrauch iſt, ſo wird ſie doch in
Hindiſtan nicht durchgaͤngig beobachtet. Ei-
nige braten nur die Leiche nahe am Waſſer, und
werfen ſie dann gaͤnzlich in daſſelbe. Noch
andere bringen den Kranken, wenn ſie ſehen,
daß
[391] daß ſein Tod unvermeidlich iſt, an das Ufer
eines Fluſſes, ſetzen zufoͤrderſt ſeine Fuͤße ins
Waſſer, und laſſen ihn nachgehens bis an die
Kehle herunter fallen. Wenn ſie ſehen, daß
er ſterben will, ſo laſſen ſie ihn ganz unter das
Waſſer ſinken, erheben ein gewaltiges Geſchrey,
und klatſchen dabey mit ihren Haͤnden. Dieſe
Begraͤbnißart iſt ſehr unmenſchlich; ſie fuͤhren
aber folgenden Grund dafuͤr an: „damit die
Seele bey Verlaſſung des Leibes von allen den
Unreinigkeiten moͤchte abgewaſchen werden, die
ſie vielleicht waͤhrend ihres Aufenthalts in den-
ſelben angenommen.


Seitdem man die Geſetze wegen Verbren-
nung der Todten gemacht hat, ſcheint es zur
Mode geworden zu ſeyn, daß die Wittwen dem
Leichnam ihres Mannes in dem Begraͤbnißfeuer
Geſellſchaft leiſten. Diejenigen, welche von
den Verſtorbenen beſchlafen worden, heyrathen
nicht zum zweytenmale. Weil ſie aber ihre
Haare abſchneiden, und den Reſt ihres Lebens
als verachtete Geſchoͤpfe hinbringen muͤſſen,
ſo verbrennen ſie ſich lieber, ſowohl um dieſer Be-
ſchimpfung zu entgehen, als auch aus Liebe gegen
ihre Maͤnner. Ueberhaupt aber wird hierzu nie-
mand gezwungen, ausgenommen, wenn ein
vornehmer Herr ſtirbt. Alsdann noͤthigt man
ſeine Weiber, ſich zu verbrennen, blos um das
Begraͤbniß dadurch zu zieren. Zuweilen macht
es die Frau mit ihrem Manne aus, ihm auf
B b 4dem
[392] dem Holzgeruͤſte zu folgen, und ſich mit ihm
zugleich zu verbrennen.


Bernier, ein zuverlaͤßiger Reiſebeſchreiber,
erzaͤhlt, er habe es oft mit angeſehen, daß ſich
Weiber mit ſo vieler Standhaftigkeit verbrann-
ten, als man nicht beſchreiben koͤnnte. Er
kam einsmal an einen Ort, wo er vier bis fuͤnf
Braminen einen Holzhaufen anzuͤnden ſah, auf
dem ein Weib neben der Leiche ihres Mannes
ſaß; und uͤberdieß tanzten und ſangen noch
fuͤnf andere Frauensperſonen, die ſich einander
bey den Haͤnden angefaßt hatten, um die Gru-
be herum. Sogleich ſtund alles um das Weib
herum in Flamme, die doch ganz ruhig und
gelaſſen dabey zu ſeyn ſchien. Was aber noch
erſtaunender war; ſo ſtuͤrzte ſich ganz unvermu-
thet eine von den Taͤnzerinnen ins Feuer, und
die uͤbrigen thaten alle nach einander ein glei-
ches, ohne daß man die geringſte Furchtſamkeit
bey ihnen bemerkt haͤtte.


Bey manchem Frauenzimmer iſt aber doch
eine merkliche Furcht, wenn es ſich will verbrennen
laſſen. Und manche wuͤrde oftmals ſehr gerne
wieder abſrehen, wenn ſie nur koͤnnte. Denn
die Braminen, die mit ihren großen Stangen
gegenwaͤrtig ſind, ſetzen ſie in eine ſolche Furcht
und Schrecken, daß ſie oft ganz betaͤubt da ſte-
hen. Koͤnnen ſie ihnen aber keinen Muth ma-
chen; ſo ſtoßen ſie dieſelben gar ſelbſt ins Feuer.
Man kann das gottloſe Betragen der Brami-
nen bey ſolchen Vorfallenheiten, nicht abſcheu-
lich
[393] lich genug vorſtellen. Leſer, die ſich von ſolchen
Grauſamkeiten naͤher unterrichten wollen, koͤn-
nen den Bernier ſelbſt nachſchlagen. Hier er-
laubt es uns der Ort nicht, mehr davon zu
ſchreiben.


In andern Gegenden Indiens, uͤbt man
aber noch grauſamere Dinge aus. Denn, an-
ſtatt daß man diejenigen Weiber, welche bey
dem Tode ihres Mannes gerne ſterben wollen,
verbrennen ſollte, graͤbt man ſie vielmehr bis
an die Kehle lebendig in die Erde, und dann
fallen zwey oder drey andere dieſelben auf einmal
an, und drehen ihnen die Haͤlſe um. Und wenn
ſie dieſe auf ſolche Weiſe erwuͤrgt haben; — ſo
decken ſie geſchwinde Erde daruͤber, und laufen
alsdann auf ihren Koͤpfen hin und her, um es
gleich mit ihnen auszumachen.



Zweytes Kapitel.


Von der Geſchicklichkeit der Hindiſtianer
in den Kuͤnſten: und ihrer Gelehrſam-
keit uͤberhaupt.


Die ſehr große Hitze in Indien, macht die
Einwohner gar nicht traͤge. Sie aͤuſ-
ſern vielmehr in vielen Stuͤcken einen ganz
unvergleichlichen Scharfſinn, und ſind uͤber-
B b 5haupt
[394] haupt zur Nachahmung einer Sache auf eine
bewunderswuͤrdige Weiſe geſchickt. Man ſagt,
daß mancher Baniyan eine große Rechnung,
durch die Staͤrke ſeines Gedaͤchtnißes, im Ko-
pfe ausrechnen koͤnne, die einem geuͤbten Re-
chenmeiſter mit der Feder in der Hand, viele
Muͤhe machen wuͤrde. Die Seidenweber und
Schifszimmerleute, koͤnnen die beſten europaͤi-
ſchen Muſter und groͤßeſten engliſchen Schiffe
nachahmen und verfertigen. Ein indianiſcher
Schneider iſt faͤhig, einem Europaͤer nach der
neueſten Mode ein Kleid zu machen. Ein Fri-
ſeur kann jemanden eben ſo hoch nach der euro-
paͤiſchen Art die Haare friſiren, als wenn er ein
gelernter europaͤiſcher Meiſter waͤre. — In ei-
nigen Kuͤnſten ſollen die Indianer uns uͤbertref-
fen, dahin z. E. das Mahlen des Chites ge-
hoͤrt, dem die europaͤiſche weder an Glanz, noch
an Dauer beykommt. Die goldenen Streifen
und Blumen in ihren Atlaſſen, ſind bey ihnen
weit vollkommener und ſchoͤner als bey uns.
Auch die Carniolringe, um welche gedoppelte
goldene Ketten gehen, die in gewiſſen Entfer-
nungen zuſammenſtoßen, wo Diamanten, Ru-
binen zum Zierrath hineingeſetzt werden, ſind
ſo kuͤnſtlich gearbeitet, daß man es ihnen ſchwer-
lich gleich thun wird. —


Die Kuͤnſtler in Bengalen, ſagt ein gewiſ-
ſer Mißionair, ſind bis zum Erſtaunen ge-
ſchickt. Ihre Leinwand iſt ſo fein, daß man
ſehr breite Stuͤcke durch einen Ring ziehen kann.
Sie
[395] Sie koͤnnen ein Stuͤck zerriſſenes Neſſeltuch ſo
geſchickt zuſammennaͤhen, daß man die Nath
gar nicht finden kann. Eben dieſe Geſchicklich-
keit aͤußern ſie, wenn ſie z. E. zerbrochenes Por-
cellain wieder zuſammenſetzen. —


Im Dratharbeiten ſind ihre Goldſchmiede
ſehr geſchickt, und man will fuͤr gewiß be-
haupten, daß ſie es hierinn den Europaͤern voͤl-
lig gleich thaͤten.


Die Weber ſitzen in ihren Hoͤfen und weben
die ſchoͤne Leinewand, welche ſo ſehr in allen
Welttheilen geſucht und mit vielem Gelde bezahlt
wird. — Ein Maurer kann den Boden des
groͤßeſten Zimmers dergeſtalt mit einem aus Zie-
gelſtaub und Kalk beſtehenden Moͤrtel belegen,
daß alles wie ein einziger Stein ausſieht, und
viel haͤrter als Sandſtein iſt.


Die hindiſtaniſchen Chymiſten pulveriſiren
alle Arten von Metall mit weniger Muͤhe, und
bedienen ſich des erſten Gefaͤßes, das ſie vorfin-
den, dazu, daß ſie Queckſilber aus Zinnober
ziehen, und zu andern mercurialiſchen Zuberei-
tungen, wobey ſie, wie Papin berichtet, auf
die einfachſte Art verfahren.


Terry berichtet, daß ſie fuͤrtrefliche Mahler
waͤren, und ein Gemaͤhlde ſo genau abcopirten,
daß es ſehr ſchwer ſey, die Copie vom Gemaͤhl-
de zu unterſcheiden. Er verſichert aber auch zu-
gleich, daß es der Mahlerkunſt in dem Lande
des Großmogols an hinlaͤnglicher Aufmunte-
rung fehle. — Sie verſtehen auch die Kunſt,
auf
[396] auf Agat, Cryſtal und andern zerbrechlichen
Materialien in Gold zu arbeiten, welches die
europaͤiſchen Goldſchmiede und Steinſchneider,
nur mit vieler Muͤhe koͤnnen. An die Raͤnder
oder an der Mitte der Trinkgeſchirre, machen
ſie goldene Ringe. Was das meiſte zur Voll-
kommenheit der Handwerker in ihren verſchiede-
nen Profeßionen beytraͤgt, iſt dieſes, daß ein
jeder, unter den Mohammedanern ſowohl als
unter den Heiden ſeine Kinder in eben dem
Handwerke und Geſchaͤfte auferzieht, das er
treibt.


Man kann alſo den hindiſtaniſchen Hand-
werkern, weder Genie noch Fleiß abſprechen,
und ſie verdienen in aller Abſicht gelobt zu wer-
den. Wir wollen nun ſehen, ob ſich die Bra-
minen, in der Gelehrſamkeit eben ſo ſehr her-
vorthun, da ſie doch vorgeben, daß ſie nur al-
lein zur Betreibung derſelben ein Recht haͤtten,
und ob ſie uͤberhaupt hinlaͤngliche Urſache ha-
ben, jene zu verachten.


Die Dichtrunſt, welche uͤberhaupt die erſte
Wiſſenſchaft iſt, die eine Nation treibt, iſt von
den Hindiſtianern nicht ſo ſehr vernachlaͤßigt,
wie einige Reiſebeſchreiber vorgeben. Man
findet vielmehr einen Ueberfluß von Dichtern
unter ihnen. Indeſſen will man doch bemerkt
haben, daß die Einheit der Handlung in ihren
Pouran nicht ſo genau beobachtet werde, wie
Virgil und Homer gethan ha en. Die india-
niſchen Fabeln, welche die Araber und Perſer
ſo
[397] ſo oft uͤberſetzt haben, beſtehen aus einer Samm-
lung von fuͤnf kleinen Gedichten, die vollkom-
men regelmaͤßig und zur Erziehung der Prinzen
von Patea*) ſind verfertigt worden.


Die Braminen haben ſich zwar nie auf die
Beredſamkeit gelegt, ſie haben aber dennoch
eine große Anzahl Buͤcher welche Regeln in
Anſehung der Reinigkeit, Schoͤnheit und Zier-
lichkeit der Sprache enthalten, und welches eine
beſondere Wiſſenſchaft ausmacht. — Unter
allen Theilen der Gelehrſamkeit aber, ſcheint
die Geſchichtskunde von den Hindiſtanern am
wenigſten bearbeitet zu ſeyn, da ſie eine ganz
uͤbertriebene Liebe zu dem Wunderbaren haben.
Dieſen hoͤchſt fehlerhaften Geſchmack hat man
lediglich den Braminen zuzuſchreiben. Indeſ-
ſen haben doch die Prinzen vermuthlich eine or-
dentliche Geſchichte ihrer Vorfahren, beſonders
in Hindiſtan, wo ſie maͤchtiger und aus dem
Stamme der Rahjaputen ſind. Man findet
auch in den nordlichen Gegenden Buͤcher, Na-
tak
genannt, von den die Braminen behaupten,
daß ſie viele alte Geſchichte, ohne von Fabeln
durchwebt zu ſeyn, enthalten. — Man fin-
det auch in ihren Gedichten viele herrliche Ueber-
bleibſel des Alterthums, als die Nachricht von
einer
[398] einer Welt vor der Suͤndfluth, von den aſſyri-
ſchen und macedoniſchen Reichen.


Faſt alle Theile der Mathematik haben die
Braminen bearbeitet. — In der Algebra ſind
ſie keine Fremdlinge. Aber ihr Hauptſtudium
iſt von jeher die Sterndeuterey geweſen, und
iſt es auch noch. Die Urſache, warum ſie ſich
hierauf ſo ſehr legen, iſt, weil ſie daraus, we-
gen des Aberglaubens, der Großen ſowohl als
des gemeinen Volks, ihren groͤßeſten Vortheil
ziehen koͤnnen. Sie haben verſchiedene Abhand-
lungen von der Sternſeherkunſt, und man hat
in Anſehung derſelben Grund zu glauben, daß
irgend ein gelehrter Grieche, als Pythagoras,
der ehemals nach Indien gereiſt, die bramini-
ſchen Wiſſenſchaften gelernt, und ihnen dagegen
ſeine aſtronomiſche Methode, nebſt den griechi-
ſchen Namen der Planeten, der zwoͤlf Himmels-
zeichen und andere Kunſtwoͤrter communicirt
habe.


Was den Namen der Gymnoſophiſten im
Alterthume am meiſten beruͤhmt machte, war
ihre Philoſophie, die ſie, ihrer Fuͤrtreflichkeit
wegen, Shaſtram, d. i. Wiſſenſchaft nennen,
und die aus der Vernunftlehre oder Logik aus
der Methaphyſik und aus etwas Pſychologie be-
ſteht. Der Hauptentzweck, worauf alle philo-
ſophiſchen Unterſuchungen der Braminen ab-
zwecken, iſt die Moukti oder die Befreyung der
Seele von der Gefangenſchaft und von dem
Elende dieſes Lebens, durch eine vollkommene
Gluͤck-
[399] Gluͤckſeligkeit, welche ihren Weſen nach, ent-
weder in der Befreyung der Seele ſelbſt oder in
ihrer unmittelbaren Wuͤrkung beſtehet. — So
wie es unter den Griechen verſchiedene philoſo-
phiſche Schulen gab; ſo fanden ſich auch unter
den Braminen ſechs Hauptſchulen oder Sekten
mit Namen Niyayam, Vedantam, San-
kiam, Mimamſa, Paſangalam
und Bhaſ-
ſiam.
Dieſe ſind nichts anders als was ſchlecht-
hin die Wiſſenſchaften genannt werden, und je-
de derſelben iſt von den uͤbrigen durch eine be-
ſondere Meynung, in Anſehung der Gluͤckſelig-
keit und der Mittel, dieſelbe zu erhalten, ver-
ſchieden. Die erſte dieſer Schulen iſt wegen der
Logik, und die andere wegen der Methaphyſik
beruͤhmt. Was die erſte anbetrift, ſo ſind ihre
Regeln in Anſehung der Schluͤße richtig, und
gehen hauptſaͤchlich von unſern darinn ab, daß,
nach der Meynung der Braminen, ein vollkom-
mener Schluß vier Terminos haben muͤße. z. E.
Wo Rauch iſt, da iſt auch Feuer: auf dieſem
Berge iſt Rauch, alſo iſt auch daſelbſt Feuer.
Die Schule Niyayam, d. i. Vernunft oder
Verſtand, iſt wegen dieſer Kunſt uͤberaus be-
ruͤhmt. Sie beſchaͤftigt ſich aber doch mehr
mit unnuͤtzen Speculationen, als weſentlichen
Gegenſtaͤnden. Sie iſt ein Gemiſch von Klei-
nigkeiten, ſo wie unſre Vernunftlehre etwa vor
drittehalb Jahrzehnden war.


Es giebt noch außer dieſen ſechs Sekten,
verſchiedene andere die in Religionsſachen ſo vie-
le
[400] le Ketzereyen ausmachen. Unter dieſen ſind die
Agama-ſhaſtram und die Baudda-ma-
tham
ohne Zweifel die merkwuͤrdigſten. Die
erſten wollen weder einen Unterſchied der Staͤn-
de unter den Menſchen, noch rechtmaͤßige Ceri-
monien zugeben, und werden der Zauberey be-
ſchuldigt. Die letztern, deren Meynung von
der Seelenwanderung durchgaͤngig angenom-
men wird, werden der Atheiſterey beſchuldigt,
und geſtehen keinen andern Erkenntnißgrund als
unſre Sinne zu.


Aus der Schule der Niyayam kamen vor-
mals die beruͤhmteſten Gegner der Bauddiſten,
die durch ihr Anſtiften in verſchiedenen Koͤnig-
reichen ein ganz erſchreckliches Blutbad uͤber ſich
ergehen laſſen muͤßten. Batta, einer von den
beyden, die ſich in dieſem Streite am meiſten
hervorthaten, verbrannte ſich, um ſich von ſo
vielem Blute, zu deſſen Vergießung er Gele-
genheit gegeben, zu reinigen, mit großer Feyer-
lichkeit. — Alle dieſe Sekten reden von dem
Urſtoff der Dinge, aber auf eine ganz verſchie-
dene Weiſe. Einige ſagen, es beſtehe alles aus
Koͤrpern, die nicht wegen ihrer Feſtigkeit und
Haͤrte, ſondern wegen ihrer Kleinheit untheil-
bar waͤren. Andere ſagen, es beſtehe alles aus
der Materie und Form, und niemand erklaͤrt
ſich eigentlich daruͤber, was er unter Materie
und Form verſtehe. Noch andere ſind der
Meynung, daß alles aus vier Elementen und
einem Nichts beſtehe; ſie erklaͤren ſich aber nicht
wegen
[401] wegen der Vermiſchung und Verwandlung.
Und was ihr Nichts anbetrift; ſo nehmen ſie
viererley Arten an, die ſie aber eben ſo wenig
als viele andere Dinge zu begreifen ſcheinen.
Nach einiger Meynung ſind Licht und Finſter-
niß
der Urſtoff, wovon ſie viel abgeſchmacktes
Zeug zu ſchwatzen wiſſen. — Endlich behau-
pten auch einige, daß alles aus Zufall beſtehe,
woruͤber ſie ſich gleichfalls ſehr verworren erklaͤ-
ren. Was aber im Ganzen genommen, dieſen
Urſtoff anlangt; ſo erklaͤren ſie alle einſtimmig,
daß er ewig iſt, und unſre Hervorbringung
aus Nichts, iſt ihnen nie in die Gedanken ge-
kommen.


Ihre Moral, oder ihre philoſophiſche Sitten-
lehre iſt in vielen Werken der Niti Shaſtram
oder moraliſchen Wiſſenſchaft enthalten, die in
ſpruchreichen Verſen beſteht. In dieſem Theile der
Weltweisheit, den die Braminen auch andern
Staͤmmen mittheilen; haben ſich unter ihnen
verſchiedene Schriftſteller hervorgethan. Be-
ſonders haben hierinn die Shoutres und Parias
großen Ruhm erworben.


Es legt ſich auch ein anſehnlicher Theil von
den Braminen auf die Erlernung der Arzeney-
gelahrheit. Auch fehlt es ihnen in dieſer Wiſ-
ſenſchaft nicht an vielen Buͤchern; ſie enthalten
aber faſt nichts anders als unbedeutende Rece-
pte. Ihre Heilungsart iſt von der unſrigen
ſehr weit unterſchieden, und gruͤndet ſich, nach
Berniers Bericht, auf folgende Grundſaͤtze:
C cdaß
[402] daß einer, der mit einem Fieber behaftet ſey,
nicht viel Nahrung noͤthig habe; daß die Ent-
haltſamkeit bey allen Arten von Krankheiten das
beſte Mittel ſey; daß fuͤr einen kranken Koͤrper
nichts ſchaͤdlicher ſey, als Fleiſchbruͤhe, und
daß nichts eher in dem Magen eines Patienten
verderbe, als dieſelbe; daß niemals muͤße Blut
gelaſſen werden, ausgenommen in der groͤßeſten
und augenſcheinlichſten Gefahr, als, wenn man
eine Raſerey vermuthet, oder wenn ein wichti-
ger Theil, als die Bruſt, die Leber oder die
Niere inflammirt worden ſey. Dieſe Heilme-
thode, welche in Indien ſehr gluͤcklich ablauft,
wird auch von den mohammedaniſchen Aerzten,
ſonderlich in Anſehung der Fleiſchbruͤhe, ange-
rathen.


In Bengalen darf es kein Arzt wagen, ei-
nen Kranken zu beſuchen, wenn er nicht die ei-
gentliche Krankheit und den Zuſtand ſeiner Lei-
besbeſchaffenheit kennt. Dieß thut er mit we-
niger Muͤhe, wenn er nur nach den Puls fuͤhlt.
Die meiſten laſſen einen Tropfen Waſſer in den
Urin des Patienten fallen. Zertheilt ſich der-
ſelbe; ſo ſagen ſie, er habe ſtarke innerliche
Hitze: thut er es aber nicht; ſo zeigt es einen
Mangel der Hitze an. — Bey allen dem ver-
ſtehen die Hindiſtianer faſt gar nichts von der
Anatomie. Hieruͤber darf man ſich auch nicht
wundern, da es ihnen gaͤnzlich an Gelegenheit
fehlt, den Koͤrper eines Menſchen oder eines
Thiers zu oͤfnen. Sie behaupten aber doch,
daß
[403] daß uͤber fuͤnf Tauſend Adern am menſchlichen
Koͤrper ſich befaͤnden, nicht anders als wenn ſie
ſie gezaͤhlt haͤtten.


Sie haben bey ihrer Sternſeherkunſt ge-
wiſſe Tafeln, nach der ſie die Sonn- und
Mondfinſterniſſen beynahe ſo genau ausrech-
nen, als die Europaͤer. Der Grund, den ſie
anfuͤhren, iſt aber ſehr abgeſchmackt. Sie
meynen nemlich, die Sonn- und Mondfinſter-
niß wuͤrde durch den Rah, einen ſchwarzen
Deuta oder Daͤmon verurſacht. Dieſer be-
maͤchtige ſich der Lichter, und machte ſie gleich-
ſam mit Dinte ſchwarz. — Nach ihrer Sage
ſteht auch der Mond uͤber funfzig kauſend Mel-
len hoͤher, als die Sonne. Sie glauben feſte
und heilig, daß die Sonne, der Mond, und
alle Sterne Deutaen ſind; daß es Nacht iſt,
wenn ſich die Sonne hinter dem eingebildeten
Gebuͤrge Someyra beſindet, und Tag, wenn
ſie ſich von ſeinem Schatten befreyet.


Dieſer Berg, ſagen ſie, ſtehet in der Mitte
der Erde, hat die Geſtalt eines umgekehrten
Kegels, und iſt viele tauſend Meilen hoch.
(Es verdient hieruͤber Bernier T. 4. S. 160
u. f. nachgeleſen zu werden.)


Ehe wir dieſen Artikel ſchließen, muͤſſen
wir noch etwas von der Erdkunde der Brami-
nen ſagen. Ihrer Meynung zufolge iſt die
Erde platt und dreyeckigt, und hat ſieben
Stockwerke, die alle von einander nicht nur in
Anſehung der Schoͤnheit und Vollkommenheit,
C c 2ſondern
[404] ſondern auch in Anſehung der Einwohner, ver-
ſchieden ſind. Jedes iſt mit einem beſondern
Meer umgeben, worunter das eine aus Milch,
das andere aus Zucker, das dritte aus Butter,
das vierte aus Wein, und ſo ferner beſteht. —
Das Gebuͤrge Someyra geht durch die Mitte
dieſer Stockwerke — welches wechſelsweiſe aus
einer Erde und aus einem Meere beſtehet —
durch, und das erſte Stockwerk geht bey dem
Fuße deſſelben an. Alle dieſe Erden, welche
von Deutaen bewohnt werden, werden immer
unvollkommener, bis zur ſiebenten, welches
unſere iſt, worinn weit unvollkommenere Men-
ſchen wohnen, als die Deutaen ſind. Endlich
ruhet nach ihrer Meynung, dieſe ganze Maſſe,
auf den Koͤpfen vieler Elephanten, welche durch
ihre Bewegungen die Erdbeben verurſachen.
Bernier macht bey Gelegenheit dieſer abge-
ſchmackten Dinge folgende gegruͤndete Anmer-
kung: Wenn es eine ſolche Beſchaffenheit
mit den beruͤhmten Wiſſenſchaften
der al-
ten Braminen in Indien gehabt hat, wie
vorhin gezeigt worden, und dieſes aus
ihrer Aufzeichnung in der hanſkoitiſchen
Sprache zu erhellen ſcheint; ſo ſind ſehr
viele in der hohen Meynung betrogen
worden, die ſie von ihnen gehabt.
Ein
geheimnißvolles Vorgeben in Dingen von die-
ſer Beſchaffenheit, muß jederzeit als eine Decke
angeſehen werden, darunter Abgeſchmacktheiten
oder Unvollkommenheiten verborgen liegen.
Kurz,
[405] Kurz, die Braminen ſollen dieſe Dunkelheit ſo
weit treiben, daß ſie ſich nicht nur vor dem Volke
unbekannter Kunſtwoͤrter bedienen, ſondern
auch die bekannteſten Dinge in eine geheimniß-
volle Sprache eingehuͤllt haben. Die Stadt
Bernares, welche in Bengalen am Fluſſe
Ganges liegt, iſt die allgemeine Schule, und
gleichſam das Athen fuͤr den indiſchen Adel.
Hieher kommen auch die Braminen und Moͤn-
che, welche ſich den Wiſſenſchaften widmen.
Sie ſind nicht in Collegia und Klaſſen vertheilt,
wie in Europa, ſondern die Lehrer ſind —
mehr nach der Schule der alten Griechen —
durch die Stadt in ihren Haͤuſern zerſtreut,
und hakten ſich beſonders gerne in den Gaͤrten
der Vorſtaͤdte auf. Die Lehrer haben vier,
ſechs bis ſieben Schuͤler, und die beruͤhmteſten
zwoͤlf bis funfzehn, welche zehn oder zwoͤlf
Jahro bey ihnen zubringen. Denn ſie ſind
uͤberaus traͤge und faul, und zudem werden ſie
durch keine Hoffnung einer guten Befoͤrderung
zu den Wiſſenſchaften aufgemuntert.


Ihr erſtes Studium heißt Hanſkrit, d. i.
eine reine Sprache, die von der gemeinen in-
dianiſchen ganz abgeht, und nur den Lehrern
bekannt iſt. Weil ihre heiligen Buͤcher, die
von ſehr hohem Alter ſind, in dieſer Sprache
geſchrieben worden; ſo nennen ſie ſelbige heilig
und goͤttlich. Wenn ſie dieſe Sprache, die ſehr
ſchwer iſt, gelernt haben, ſo legen ſie ſich ordent-
licherweiſe auf die Leſung des Puran, welches
C c 3die
[406] die Auslegung und der kurze Inbegriff der
Beths oder heiligen Buͤcher iſt, die weitlaͤuf-
tig genug ſind. — Nach dem Puran legen
ſich einige auf die Philoſophie, worinn ſie aber
keine ſonderliche Fortſchritte machen.



Drittes Kapitel.


Von den gewoͤhnlichen Krankheiten —
Wohnung — Handel und Gewerbe
der Hindiſtaner.


Unter den mancherley Krankheiten, womit
die Hindiſtaner beſchwert werden, rechnet
man den Durchlauf und das hitzige Fieber,
die ſich im Solſtitio einzufinden pflegen,
und den Kopf und das Gehirn mehr als
alle uͤbrige Theile des Leibes angreifen. Man
findet hingegen weder das kalte Fieber noch
auch das Podagra und den Stein bey ihnen.
Bernier iſt geneigt, dieß ihrer großen Maͤßig-
keit und ihrer Enthaltſamkeit des Weins, wie
auch ihren Ausduͤnſtungen zuzuſchreiben. Er
meynt auch ſo gar, daß diejenigen Europaͤer,
welche mit Podagra und Stein behaftet,
nach Hindiſtan kaͤmen, ihrer endlich los wuͤr-
den. Zur Behauptung dieſes Satzes fuͤhrt er
ſich ſelbſt zum Beyſpiel an.


In-
[407]

Indeſſen werden ſie oftmals mit Entzuͤn-
dungen oder mit einer Peſt geplagt, welche ent-
ſetzliche Niederlagen verurſachen, wenn ſie in
große Staͤdte kommen. Wer von dieſen Krank-
heiten befallen wird muß hoͤchſtens in zwanzig
Stunden ſeinen Geiſt aufgeben. Der Koͤrper
iſt uͤber und uͤber in Feuer geſetzt, ſo daß man
nach dem Abſterben des Kranken kaum die Hand
auf den Koͤrper legen kann. Diejenigen, welche
ihr Leben von dieſer Krankheit retten, bekom-
men große und mit einer dicken, gelben, waͤſſrig-
ten Materie angefuͤllte Blaſen an ihren Leibern,
welche von der Materie durchfreſſen werden und
aufgehen. Die Englaͤnder, welche nach Indien
kommen, werden faſt alle mit einer heftigen
Krankheit befallen, und bekommen eine dauer-
hafte Geſundheit, wenn ſie gluͤcklich von der-
ſelben geheilt werden.


Die Hindiſtaner bedienen ſich bey dieſen ge-
faͤhrlichen Krankheiten der Aerzte ſehr wenig,
ob ſie gleich an ſolchen Leuten keinen Mangel
haben. Sie haben kein Vertrauen zu ihnen,
und das einzige, was ſie noch zugeben, iſt, daß
ſie ſich von ihnen die Adern oͤfnen laßen. Die
moͤglichſte Enthaltung der Speiſen halten ſie
fuͤr das einzige Mittel, die zum Theil verlohrne
Geſundheit wieder zu erhalten.


Unter andern Krankheiten trift man auch
bey ihnen die von den Portugieſen ſogenannte
Krankheit Mordechin an, welche in einem
Erbrechen und Durchlauf beſteht, und groͤße-
C c 4ſtentheils
[408] ſtentheils vom Ueberfluß im Eſſen, beſonders
wenn Fleiſch und Fiſche mit einander gegeſſen
werden, herruͤhrt. Man ſoll dieſe Krankheit
mit einem ſehr heiſſen Eiſen curiren, welches
man dem Patienten ſo lange auf die Ferſen legt,
bis er den Schmerz empfindet. Die Europaͤer
ſind noch einer andern Krankheit unterworfen,
welche man Barbeers nennt, und in der Berau-
bung des Gebrauchs aller Glieder beſteht.
Dieſes Uebel entſteht bisweilen daher, wenn ſie
ihre Gliedmaßen nicht genug vor den kalten
Duͤnſten der Nacht und vor den Feuchtigkeiten
derjenigen naͤchtlichen Zufaͤlle, die in dieſer Ge-
gend hie und da verſpuͤrt werden, verwahren.
Das beſte Mittel, das fuͤr dieſe Krankheit kann
gebraucht werden, iſt, daß ſie ſich fleißig der
warmen Baͤder bedienen. In Bengalen ſind,
außer den bereits erwaͤhnten Krankheiten, So-
nipat
und Pilhay, noch die gewoͤhnlichſten.
Sonipat, oder die Schlafſucht wird geheilt,
wenn man mit Weineßig zerſtoßenes Chenopo-
dium — welches ein gewiſſes Kraut iſt, in die
Augen legt.


Was die Milzverſtopfung anbetrift, ſo
machen die Joghis, oder die hindiſtaniſchen
Buſſaden, deren beſonderes und eigentliches
Huͤlfsmittel dieſes iſt, einen kleinen Einſchnitt
oberhalb der Milze, ſtecken alsdann eine lange
Nadel zwiſchen die Haut und das Fleiſch, und
legen ein Stuͤck Horn auf die Wunde, welches
eine ſchleimichte und faulartige Materie heraus-
zieht.
[409] zieht. — Die gemeinen Leute pflegen ſich ſehr
einfacher Mittel zu bedienen. Hat z. E. jemand
die Kolik, die vom Winde und Schleime ent-
ſteht, ſo geben ſie ihm vier Loͤffel voll Waſſer
ein, worinn etwas Anis und Ingwer ſo lange
gekocht worden, bis ſich das Waſſer halb ver-
zehrt Sie zerſtoßen auch eine rohe Zwiebel
mit Ingwer, und legen ſie kalt auf denjenigen
Theil, wo der Schmerz empfunden wird. —
Hat jemand eine Verſtopfung des Urins, ſo
geben ſie ihm einen Loͤffel voll Baumoͤhl ein,
der mit eben ſo viel Waſſer wohl vermiſcht iſt,
und heilen ihn damit. Ein dreytaͤgiges Fieber
heilen ſie auf folgende Art: ſie gebrauchen nem-
lich drey Tage lang drey Loͤffel voll Gamaͤnder-
lein oder Bothengel, und vermiſchen es vorher
mit etwas Salz und Ingwer.


Die Indianer werden nicht nur ſo alt als
die aͤlteſten Europaͤer, ſondern ſie haben auch
noch aͤltere Leute unter ſich, welches ihrer Maͤſ-
ſigkeit im Eſſen und Trinken zugeſchrieben wer-
den muß. Sie ſind geſunder, aber nicht ſo
munter, als diejenigen, welche unter den kalten
Himmelsſtrichen wohnen; und dieſe Schwaͤche
und Traͤgheit des Koͤrpers iſt eine Krankheit,
die bey der großen Sommerhitze allen und je-
den, beſonders aber den Europaͤern, die der
großen Hitze nicht gewohnt ſind, ſehr beſchwer-
lich faͤllt. Die Hindiſtaner fangen ihr Jahr
mit dem erſten Maͤrz an, und die Mohamme-
daner den zehnten, da, nach der Rechnung ih-
C c 5rer
[410] rer Sterndeuter, die Sonne in den Widder
tritt. Ihr Jahr wird in zwoͤlf Monate, oder
vielmehr in dreyzehn Monden eingetheilt; und
mit der Eintheilung ihrer Zeit hat es auch eine
andere Bewandniß, als bey uns Europaͤern.
Sie theilen ſowohl den Tag als die Nacht in
vier Theile ein, die ſie Pores nennen, und je-
der Pore wird wieder in acht Theile getheilt,
die ſie Gris nennen. Dieſe Theile der Zeit,
werden nach der alten Art mit Waſſer abgemeſ-
ſen, das aus einem Gefaͤß in ein anderes trau-
felt; und wenn das Gefaͤß leer iſt, ſo fuͤllt es
ein dazu beſtellter Mann wieder an, und ſchlaͤgt
ſodann die Zahl der vergangenen Pores und
Gris mit einem Hammer auf ein hohles Stuͤck
Metall, das an einem Drate aufgehaͤngt iſt,
einen tiefen Ton hat, und ſehr weit gehoͤrt wer-
den kann. Dieſe Zeitmeſſer ſind aber unter ih-
nen eben nicht gemein.


Aus der Bauart macht man in Indien gar
nicht viel. Die Armen koͤnnen keine große und
praͤchtige Gebaͤude auffuͤhren, und die Reichen
denken gar nicht daran, dergleichen zu verſuchen.
Die Urſache hiervon iſt dieſe, weil ſie von der
Mitte des Septembers an bis gegen die Mitte
des Aprils in Gezelten leben, die ſie, ſo oft ſie
es wegen der Veraͤnderung der [L]uft fuͤr gut be-
finden, von einem Orte zum andern bringen
laſſen; und theils, weil ſie keine Erbguͤter ha-
ben, ſondern blos und allein von den Jahrgel-
dern
[411] dern leben, welche ihnen der Kayſer aus Gnade
zufließen laͤßt.


Indeſſen haben ſie fuͤrtrefliche Baumateria-
lien, als Zimmerholz, Ziegelſteine, andere Stei-
ne und Marmor von verſchiedenen Arten und
Farben, woraus oftmals ihre Moskeen und
Grabmaͤhler erbauet werden. Unter den Haͤu-
ſern, die man in Staͤdten und Flecken antrift,
koͤnnen einige ſchoͤn genannt werden; andere
gehen noch hin, als diejenigen, in welchen Kauf-
leute wohnen. Keine ſind aber gar zu ſchlecht.
Sie ſind nicht uͤber zwey Stockwerke hoch, und
viele ſind oben platt. Dieſe platten Daͤcher
ſind dicke, und mit einem gypsartigen Pflaſter
belegt. Die oberſten Zimmer in den Haͤuſern
von zwey Stockwerken ſind oft ſehr groß, und
haben an den Seiten Thuͤren, die man zuſam-
menlegen kann, um friſche Luft hinein zu laßen.
Dieſe kommt auch durch die Fenſter hinein, die
immer offen ſtehen, und weder mit Glas noch
mit andern Laden verſchloſſen ſind. Sie haben
auch keine Schornſteine in ihren Haͤuſern, weil
ſie zu nichts anderm Feuer gebrauchen, als zu
Zubereitung ihrer Speiſen, und dieß thun ſie
außer ihren Haͤuſern oder Gezelten, bey einer
Mauer, oder bey einer von Erde errichteten
Bank, um die Hitze zu vermeiden. An gewiſ-
ſen Orten pflanzen ſie hohe und ſich weit aus-
breitende Baͤume um ihre Haͤuſer herum, die
von dem Schatten derſelben kuͤhle gemacht wer-
den. Zu Ahmed im Guzerate ſind die mei-
ſten
[412] ſten Haͤuſer von Ziegelſteinen erbauet, und ha-
ben hohe mit Ziegeln gedeckte Daͤcher. Die
Haͤuſer auf den Doͤrfern ſind durchgaͤngig
ſchlecht und elend. Sie ſtoßen alle an einan-
der. Die Mauren einiger ihrer Haͤuſer ſind
von Erde gemacht, worunter Stroh gemiſcht
iſt. Sie errichten dieſelben ſogleich, wenn das
Regenwetter vorbey iſt. Da ſie nun alſo Zeit
haben, durch und durch trocken zu werden, ſo
ſtehen ſie nachgehends feſte, und leiden wenig
vom Wetter. Selbſt die bekannte Stadt Dehli
hat viele ſchlechte und ſehr aͤrmliche Haͤuſer. In
dieſer Stadt ſind die ſchoͤnen, mittelmaͤßigen
und ſchlechten untereinander gemengt. Dieſe
letztern ſind blos von Leimen und Stroh ge-
macht. In denſelben wohnen gemeiniglich die
gemeinen Reuter des Kayſers, ihre Bediente,
und die Marketender, die dem Hofe und der
Armee nachfolgen. Dieſe Strohhaͤuſer gera-
then manchmal in Brand, und es iſt nichts un-
gewoͤhnliches, wenn einige tauſend Stuͤcke auf
einmal abbrennen.


Die Haͤuſer von der zweyten Gattung wer-
den von den Manſepdaren oder kleinen Omrahs,
den Geſetzgelehrten, von vielen großen Kauf-
leuten, und von vielen andern Privatperſonen
bewohnt. Doch ſind nur wenige derſelben von
ganzen Ziegelſteinen, oder von andern Steinen
erbaut, und die Anzahl derjenigen, die nur
aus Erde beſtehen, und mit Stroh bedeckt ſind,
iſt nicht geringe. Dem ungeachtet ſind ſie
durch-
[413] durchgaͤngig luftig, und mit Hoͤfen und Gaͤr-
ten verſehen. Die inwendigen Waͤnde ſind ſau-
ber uͤbertuͤnchet, und die Zimmer mit gutem
Geraͤthe verſehen.


Was die Haͤuſer der erſten Ordnung anbe-
trift, in welchen die Omrahs wohnen; ſo iſt
zu merken, daß ein Haus in dieſen heiſſen Ge-
genden, wenn es den Namen gut und ſchoͤn ver-
dienen ſoll, bequem und alſo liegen muß, daß
es die Luft von allen vier Seiten, und beſon-
ders von Norden her, hat. Es muß Hoͤfe,
Gaͤrten, Baͤume, Waſſerbehaͤltniſſe und Spring-
waſſer, entweder in Saalen, oder wenigſtens
beym Eingange, haben. Es muß auch mit gu-
ten Kellern und großen Wedeln verſehen ſeyn,
damit die Luft waͤhrend der Zeit, da man ruhet,
in Bewegung kann erhalten werden. Dieſe
dauert aber von zwoͤlf Uhr an, bis um vier oder
fuͤnfe, da die unterirrdiſche Luft heiß und duͤn-
ne zu werden anfaͤngt. Anſtatt des Weinkeller
muß es kleine Kas, d. i. kleine Haͤuſer von
Stroh, oder vielmehr von wohlriechenden Wur-
zeln haben, die ſehr ſauber gemacht ſind, und
gemeiniglich mitten auf einem mit Gras bewach-
ſenen Platze, nicht weit von einem Waſſerbe-
haͤltniß ſtehen, um ſie leicht waͤſſern zu koͤnnen.
Es wird auch zur Schoͤnheit eines Hauſes erfor-
dert, daß es mitten auf einem großen Platze
liege, und vier große Zugaͤnge habe. Endlich
muß ein gutes Haus hohe offene Gallerien ha-
ben, worauf man des Nachts ſchlafen kann,
und
[414] und auf eben dem Flur muß es eine große
Kammer haben, damit man das Lager leicht
hineinbringen kann, im Fall es regnen, oder
man durch die Morgenluft, oder durch einen
ſtarken Thau, genoͤthigt werden ſollte, ſeine
Zuflucht anderswo zu ſuchen.


So muß eine gute Wohnung von außen
beſchaffen ſeyn, und das Innere muß mit dem
Aeußern uͤbereinſtimmen. Der ganze Boden
muß mit einer vier Zoll dicken cattunenen Ma-
tratze bedeckt ſeyn, und auf dieſer muß im Som-
mer ein fein leinwandenes Tuch, und im Win-
ter ein Stuͤck ſeidener Tapezereyen liegen. In
den ſichtbarſten Theilen des Zimmers, nahe bey
der Wand, muͤſſen ein oder zwey Polſter liegen,
die mit zierlicher ſeidener Stickerey beſetzt, mit
Gold oder Silber durchwuͤrkt, und mit ſchoͤnen
gebluͤmten Decken verſehen ſind, worauf ſich der
Herr des Hauſes, oder Standesperſonen bey ei-
nem Beſuche, ſetzen koͤnnen. Das Querbret
eines jeden Polſters, woran man ſich lehnt,
muß mit Gold geſtickt ſeyn; und rund in dem
Zimmer, laͤngs den Waͤnden herum, muͤſſen
noch andere dergleichen mit Sammt und ge-
bluͤmten Atlas uͤberzogene Breter befindlich
ſeyn, damit ſich die Anweſenden daran lehnen
koͤnnen. Die Waͤnde muͤſſen fuͤnf bis ſechs
Fuß hoch von dem Boden, und endlich muß
auch das Tafelwerk bemahlt und verguldet ſeyn;
nur duͤrfen keine Menſchen und Thiere darauf
abge-
[415] abgemahlt werden, weil dieß ihre Religion
nicht verſtattet.


Es giebt alſo in Hindiſtan Haͤuſer, die
wuͤrklich ſchoͤn ſind, ob man ſie gleich mit den
der Europaͤer nicht gleich ſetzen darf.


Es fehlt den Indianern nicht an Seiden-
und Kattunfabriken. Sie ſind von verſchiede-
ner Art. In den Seidenfabriken verfertigt
man Sammt, Atlaſſe, Taffte; in den Kattun-
fabriken macht man allerley Couleuren von
Kattune.


Die hindiſtaniſchen Kaufleute handeln nach
verſchiedenen Laͤndern, nach dem nemlich die
Gebiete liegen, welche ſie bewohnen. Die Be-
wohner der ſuͤdlichen Gegenden ſchicken ihre
Waaren uͤber das rothe Meer nach Mecca,
wohin die Kaufleute aus Egypten und aus
Abyſſinien Handlung treiben. Die Guͤter,
welche außerhalb Landes verfahren werden, be-
ſtehen fuͤrnemlich aus Kattun und Callicoes
von verſchiedener Gattung. Dieſe verſchicken
ſie auf Schiffen, die Junken heiſſen. Einige
dieſer Schiffe koͤnnen vierzehn bis funfzehn hun-
dert Tonnen tragen. Man verſieht ſie zugleich
mit groben Geſchuͤtz, gehen aber ſehr langſam
fort, weil ſie breit und kurz ſind. Eine ſolche
Junke kann tauſend ſieben hundert Reiſende in
ſich faſſen; und ihre Ladung belaͤuft ſich bey
ihrer Zuruͤckkunft auf 200000 Pfund, mei-
ſtens in Gold und Silber.


Hindiſtan
[416]

Hindiſtan liefert noch außer den vorhin ge-
nannten Waaren, Diamanten, Indigo, Bi-
ſam, Lack u. ſ. w. womit es auswaͤrtige Laͤn-
der verſieht.



Viertes Kapitel.


Von der Macht und dem Reichthum
des Großmogols.


Die erſtaunliche Menge von Soldaten, die
von dieſem Monarchen beſtaͤndig gehal-
ten werden, macht ſie weit furchtbarer als alle
uͤbrige indianiſche Fuͤrſten. Man ſtellt ſich in
Europa faͤlſchlich vor, ihre Heere waͤren mehr
der Menge, als der Tapferkeit wegen ſchrecklich.
Nicht Muth, ſondern Kriegeskunſt und Ge-
ſchicklichkeit, ſich der Waffen zu bedienen, man-
geln dieſer Mannſchaft. An der Kriegeszucht
und Fertigkeit wuͤrde ſie der unſern ſehr wei-
chen; aber ſie uͤbertrift darinnen alle Indianer,
und die meiſten auch an Tapferkeit. Ohne auf
die tartariſchen Eroberer zuruͤckzugehen die man
als der Mogolen Vorfahren anſehen kann, ſo
iſt gewiß, daß Ekbar und Aurengzeb, nur
durch die Tapferkeit ihrer Voͤlker, die Graͤnzen
ihres Reichs ſo weit erſtreckt haben, und daß
der
[417] der letzte ſo lange ganz Oſten mit dem Schrecken
ſeines Namens erfuͤllet hat.


Alle Mannſchaft dieſes großen Reichs, laͤßt
ſich in drey Abtheilungen bringen. Die erſte be-
ſtehet aus einem Kriegsheere, das immer unter-
halten wird, und ſich in des Großmogols Haupt-
ſtadt befindet, auch alle Tage vor ſeinem Pal-
laſt die Wache fuͤhret. Die zweyte, aus einer
Mannſchaft, die in allen Landſchaften des
Reichs zerſtreuet iſt, und die dritte aus Huͤlfs-
voͤlkern, welche die Vaſallen des Kayſers, die
Rajahs liefern muͤſſen.


Alle dieſe Mannſchaft aber wird nicht auf
einerley Art unterhalten. Das anſehnlichſte
Corps, ſind die 4000 Leibeigene des Kayſers,
durch welche Benennung ſie ihre Ergebenheit
gegen ihn anzeigen. Ihr Oberhaupt, der Da-
roga,
iſt ein anſehnlicher Befehlshaber, dem
man oft die Fuͤhrung des Kriegesheers anver-
trauet. Alle Soldaten, die man unter eine
ſo erhabene Mannſchaft nimmt, werden an
der Stirne bezeichnet. Aus ihnen nimmt man
die Manſepards, und andere Unterbefehlshaber,
ſie nach und nach bis zur Stufe des Krieges-
omrahs zu erheben, welcher Titel unſern Gene-
rallieutenanten gleich koͤmmt.


Das Heer das taͤglich an den Thoren des
Pallaſtes gelagert iſt, wo ſich auch der Hof
aufhaͤlt, betraͤgt wenigſtens 5000 Ritter, ohne
eine erſtaunliche Menge Fußvolks zu rechnen,
damit Dehli und Agra, die beyden vornehmſten
D dSitze
[418] Siße des Großenmogols, beſtaͤndig erfuͤllet
ſind. Wenn ſie auch im Felde ſind; ſo ſehen
dieſe beyden Staͤdte wie wuͤſte Lager aus, die
die von einem ſtarken Heere waͤren verlaſſen
worden. Alles folget dem Hofe, und das
Quartier der Baniyanen, oder der großen Kauf-
leute ausgenommen, ſiehet das uͤbrige wie eine
oͤde Stadt aus. Unglaublich viele Marketaͤn-
der, Laſttraͤger, [Sclaven], und kleine Kauf-
leute, begleiten die Heere, ihnen eben die Dien-
ſte zu leiſten, wie in den Staͤdten.


Die Leibwache, des goldenen, ſilbernen,
und des eiſernen Streitkolbes, machen auch
drey verſchiedene Compagnien aus, deren Sol-
daten bey jeder auf eine andere Art, an der
Stirne bezeichnet werden. Ihr Sold betraͤgt
mehr, und ihr Anſehen iſt groͤßer, nachdem
das Metall beſchaffen iſt, mit dem ihre Streit-
kolbe uͤberzogen ſind. Alle dieſe Mannſchaft
iſt außerleſen, und hat dieſen Rang durch ihre
Tapferkeit erwerben muͤſſen. Man muß noth-
wendig darunter gedienet, und ſich hervorge-
than haben, wenn man zu den Wuͤrden des
Staats ſteigen will. Die Geburt giebt in den
mogoliſchen Heeren keinen Rang. Nur Ver-
dienſte beſtimmen den Vorzug, und der Sohn
eines Omrahs befindet ſich oft unter den ſchlech-
teſten Soldaten. Daher erkennen auch die
Mohammedaner in Indien keinen Adel, als die
Abſtammung von Mohammed, die uͤberall ver-
ehret wird, wo der Koran in Anſehen iſt.


Ueber-
[419]

Ueberhaupt haͤlt der Kaiſer zu Dehli, oder
zu Agra, wo er ſich befindet, auch in Friedens-
zeiten faſt 200000. Wenn der Hof auch zu
Agra iſt; ſo bleibt doch da eine Beſatzung von
15000 Mann zu Pferde, und 30000 zu Fuße.
Dieſe Regel muß man bey der Zahl der mogo-
liſchen Kriegsheere beobachten, daß des Fuß-
volks allemal doppelt ſo viel iſt als der Reute-
rey. Zweene Gruͤnde erfordern zu Agra allezeit
ein kleines Kriegsheer zu halten; erſtlich weil
ſich der Schatz des Reiches, beſtaͤndig da be-
findet; zweytens, weil man mit den Landleu-
ten dieſer Gegend, faſt in beſtaͤndigen Kriege
lebet, welche kriegeriſch und widerſpaͤnſtig ſind,
und ſeit der Erbauung von Hindiſtan noch nicht
recht haben koͤnnen gebaͤndigt werden


Bisweilen haͤlt ſich der Hof zu Lahon auf.
Wenn er ſich aber auch anderswo befindet, ſo
haͤlt der Kayſer doch daſelbſt 12000 Mann zu
Pferde, und nach dieſem Maaße auch Fußvolk.
In der Landſchaft Aſinire beſoldet er eine Be-
ſatzung von 6000 Reuter, 10000 in Guzura-
te, 7000 in Malway, 7000 in Pantano,
6000 in Multan.
Das Heer, welches die
Landſchaft Kabul vor den Nadir-Chah ver-
theydigte, war allezeit zahlreich genug, die
Perſer von der Seite zu Kandachar zuruͤck zu
halten. Es ſtieg ordentlich auf 60000 Pferde,
welche mehr durch die Liſt des Koͤniges von Per-
ſien, als durch ſeine Macht, zerſtreut wurden.
Die Landſchaften Tata, Bokas, Ureka und
D d 2Kache-
[420] Kachemir, haben jede nicht mehr, als 4000
Pferde. In Dekom zaͤhlt man 8000, in Ba-
rar 7000, in Brampur 6000, in Baglana
5000, in Nande 6000. Seit des Aureng-
zebs Eroberung, haben die Koͤnigreiche, Ben-
galen, Ugen, Viſapur und Golkonde, viel
ſtaͤrkere Beſatzungen. Bengalen, welches auf
einer Seite, an Indien, jenſeit des Ganges,
und auf der andern, an das Koͤnigreich Ara-
kan, und die Stadt Chatigam ſtoͤßt, hat zu
ſeinem Schutze mehr Soldaten noͤthig. Man
unterhaͤlt daſelbſt beſtaͤndig 4000 Pferde.
Ugen liegt zwar ziemlich tief in das Reich hin-
ein, aber es iſt mit den maͤchtigſten Rajahs um-
geben, und hat nie unter 15000 Pferde; die
Beſatzung von Viſapur iſt nicht ſchwaͤcher.
Im Koͤnigreiche Golkonde, wo die Diamant-
gruben ſind, befinden ſich 20000 Pferde, und
in Carnade faſt eben ſo viel, um viele kleine
Koͤnige im Zaum zu halten, die in ihrem eig-
nem Staate, in der That nichts weiter, als
des Großmogols Pachter und Einnehmer
ſind.


Wenn dieſe große Menge Soldaten und
Befehlshaber, die nur vom Solde des Landes-
herrn leben, die Ruhe des Staats verſichert,
ſo dient ſie auch manchmal, ſie zu ſtoͤhren.
So lange der Landesherr Anſehen genug uͤber
ſeine Unterkoͤnige und Mannſchaft behaͤlt, daß
er wegen ihrer Treue nichts fuͤrchten darf, ſo
ſind keine Empoͤrungen zu erwarten, ſobald
ſich
[421] ſich aber Prinzen von Gebluͤte wider den Hof
auflehnen, finden ſie oft unter der Mannſchaft
ihres Oberherrn, maͤchtigen Beyſtand, ihn zu be-
kriegen. So erhob ſich Aurengzeb auf den
Thron, und die Geſchicklichkeit, mit welcher er
die Gewogenheit der Befehlshaber in den Pro-
vinzen zu erlangen wußte, lenkte alle Macht zu
ſeinem Vortheile die ſein Vater Cha Jehann,
zu ſeiner eignen Vertheidigung hielt. Gleich-
wohl hat dieſe Regierungsart auch verſchiedene
Vorzuͤge, worunter man auch rechnen kann,
daß die Kayſer, als Eigenthuͤmer aller liegenden
Gruͤnde im Reiche, dadurch von ihren Einkuͤnf-
ten ein guter Theil ihrer Unterthanen unterhal-
ten wird. Die Huͤlfsvoͤlker, welche die Ra-
jahs liefern muͤſſen, vergroͤßern noch die Macht
von Hindiſtan, aber ſie werden ordentlich nur
im Kriege, und nicht ſo ſehr aus Noth, als
der Pracht wegen, gebraucht.


So furchtbare Heere, die in allen Theilen
des Reichs ausgebreitet ſind, verſchaffen or-
dentlich den Graͤnzen Sicherheit, und dem
Mittel des Staats Ruhe. In dem kleinſten
Flecken liegen wenigſtens zwey Reuter, und vier
Mann zu Fuße. Dieß ſind die Kundſchafter
des Hofes, welche von allem, was ſie ſehen,
dem Hofe Nachricht geben, und durch ihre Be-
richte die meiſten Befehle, die in die Provinzen
abgehen, veranlaſſen.


Die ſchaͤdlichen Waffen der mogolſchen
Reuterey ſind der Bogen, der Koͤcher mit vier-
D d 3zig
[422] zig oder funfzig Pfeilen angefuͤllt, der Wurf-
ſpies oder Zagaje, den ſie mit großer Richtig-
keit werfen, der Saͤbel auf einer Seite und
der Dolch auf der andern. Beſchuͤtzende
Waffen haben ſie, den Schild und ein Schild-
chen, das ſie beſtaͤndig am Halſe hangend tra-
gen; aber kein Feuergewehr.


Das Fußvolk bedient ſich der Muskete mit
ziemlicher Geſchicklichkeit. Die, welche keine
Muskete haben, fuͤhren nebſt Bogen und Pfei-
len eine Pike von zehn oder zwoͤlf Fuß, die ſie
im Anfange des Gefechtes, wider den Feind
ſchießen. Andere haben Panzerhemden bis an
die Knie, wenige aber Helme, weil ſolche in der
großen Hitze dieſes Landes hoͤchſt unbequem ſeyn
wuͤrden. Sonſt haben die Mogoln keine Krie-
gesordnung. Sie wiſſen keinen Unterſchied
unter Vortreffen, Mitteltreffen, und Nach-
zug. Sie kennen weder Fronte noch Glieder,
und fechten ſehr unordentlich. Da ſie keine
Zeughaͤuſer haben, ſo muß jeder Anfuͤhrer ſei-
nen Haufen mit Waffen verſorgen. Daher
kommen ſo mancherley Waffen, die oft nicht
in einem Haufen einerley ſind. Aureng-
zeb
wollte dieſer Unordnung abhelfen. Das
eigene Zeughaus des Kayſers iſt von großer
Pracht. Seine Wurfſpieße, Koͤcher, und be-
ſonders Saͤbel ſind da in der ſchoͤnſten Ord-
nung zu ſehen. Alles glaͤnzet da von koſtbaren
Steinen. Er macht ſich ein Vergnuͤgen, ſei-
ne Waffen ſelbſt einen Namen zu geben. Einer
ſeiner
[423] ſeiner Saͤbel heißt Alam Gaͤir, der Eroberer
der Erde; ein anderer, Fale Alam, der Be-
ſieger der Welt. Alle Freytage Morgens, ver-
richtet der Großmogol ſein Gebet im Zeughau-
ſe, Gott zu bitten, daß er mit ſeinen Saͤ-
„beln Siege erfechte,„ und dem Namen des
„Einigen bey ſeinen Feinden Verehrung erwer-
„ben moͤge.)


Seine Staͤlle ſind der Menge ſeiner Sol-
daten gemaͤß. Sie enthalten erſtaunlich viel
Pferde und Elephanten. Seine Pferde ſind
etwa 12000 davon er doch nur 20 oder 30 fuͤr
ſeine Perſon waͤhlet: die uͤbrigen dienen zu
Pracht oder zu Geſchenken. Die Großmogo-
len pflegen jedem, von dem ſie den geringſten
Dienſt erhalten haben ein Pferd und eine Klei-
dung zu geben. Man laͤßt alle Pferde aus
Perſten, Arabien, und der Tartarey kommen.
Die man in Indien zieht, ſind ſtaͤtig, ſcheu,
weich, und kraftlos. Ihrer kommen jaͤhrlich
uͤber 100000 von Balk, Bokara, und Ka-
bul, welches ein anſehnlicher Vortheil fuͤr die
Zoͤlle des Reichs iſt, die 25 von 100 fuͤr ih-
ren Werth bekommen. Die beſten werden zum
Dienſt des Fuͤrſten abgeſondert; die uͤbrigen
denen verkauft, die ihrer Aemter wegen Sol-
daten beritten machen muͤſſen. Man hat in
verſchiedenen Nachrichten angemerkt, daß ihr
Futter in Indien nicht dem europaͤiſchen aͤhn-
lich iſt, weil man in einem ſo warmen Lande,
nur an den Ufern der Fluͤſſe Heu ſammeln
D d 4kann.
[424] kann. Man erſetzt den Mangel durch geſal-
zene Kuchen.


Die Elephanten ſind zugleich ein anſehnli-
cher Theil der Macht des Kayſers’, und eine
der ſchoͤnſten Zierde ſeines Pallaſtes. Er haͤlt
ihrer auf 500. Er giebt ihnen ſelbſt majeſtaͤti-
ſche Namen, welche den Eigenſchaften dieſer
großen Thiere gemaͤß ſind. Ihre Bedeckungen
zeigen erſtaunliche Pracht. Der, welcher den
Kayſer traͤgt, hat auf ſeinem Ruͤcken einen
Thron, der von Gold und Edelgeſteinen glaͤn-
zet. Die andern ſind mit goldnen und ſilbernen
Platten, mit Gold gewuͤrkten Decken, mit
Glocken und goldenen Franzen gezieret. Der
Thronelephat, der den Namen Aureng Gas,
oder Hauptmann der Elephanten, fuͤhrt, hat
allemal ein zahlreiches Gefolge. Pauken,
Trompeten und Fahnen gehen immer vor ihm
her. Er hat dreyfachen Sold zu ſeinem Un-
terhalte. Sonſt haͤlt der Hof zum Dienſt ei-
nes jeden Elephanten, zehn Mann: zwey, die
ihn uͤben, fuͤhren und regieren muͤſſen: zwey,
die ihm die Kette anlegen: zwey, die ihm ſein
Getraͤnke an Wein und Waſſer reichen: zwey,
die Lanzen vor ihm hertragen, und das Volk aus
dem Wege treiben: zwey, die Feuerwerke vor
ſeinen Augen machen, um ihn daran zu gewoͤh-
nen: einer, ihm ſeine Streue wegzunehmen, und
neue zu geben: einer endlich, ihm die Fliegen weg-
zujagen. — Die Elephanten des Pallaſtes wer-
den ſowohl zur Jagd als zum Gefecht abgerich-
tet.
[425] tet. Man gewoͤhnt ſie zur Wuth, indem man
Loͤwen und Tieger von ihnen angreifen laͤßt.
Die Uebung, die man mit ihnen vornimmt,
Stadthore aufzubrechen hat viel kriegeriſches
an ſich.


Das Geſchuͤtz des Kayſers iſt ſehr zahlreich,
und die meiſten Stuͤcke, die er bey ſeinem Krie-
gesheer gebraucht, ſind aͤlter, als man ſie in
Europa antrift. Mann kann nicht zweiflen,
daß das Geſchuͤtz und Pulver den Indianern
lange vor dem Timur Beg bekannt geweſen ſind.
Es iſt daſelbſt eine alte Sage, die Chineſer haͤt-
ten zu der Zeit, da ſie Dehli beſeſſen, da Ge-
ſchuͤtz gegoſſen. Jedes Stuͤck hat ſeinen Na-
men. Unter den Kayſern vor Aurengzeb,
waren faſt alle Canonirer des Reichs, Euro-
paͤer. Allein der Religionseifer veranlaßte die-
ſen Herrn, nur Mohammedaner in ſeinen Dien-
ſten zu dulden. Man litt an dieſem Hofe ſonſt
keine Franguis, als Aerzte und Goldſchmiede.
Man hat nur allzuwohl daſelbſt gelernt, unſre
Canonier und alle Kuͤnſtler zu entbehren.


Um unſern Leſern einen Begriff von ben
Reichthuͤmern dieſes Monarchen zu machen, ſo
muͤſſen wir dabey auf drey Stuͤcke ſehen.
1) Die Fruchtbarkeit von Hindiſtan. 2) Den
Reichthum, der durch den Handel, aus Euro-
pa, Afrika, und den andern Theilen von Aſien,
in ſein Land einkommt. 3) Die Tribute, die
der Kayſer von allen ſeinen Unterthanen ein-
D d 5hebt.
[426] hebt. Die Laͤnder in Hindiſtan bringen einen
Ueberfluß an Gedreide, Fruͤchten, Baumwolle,
Seide, Zugvieh, Diamanten, und andere
ſchaͤtzbare Nothwendigkeiten hervor, es giebt
ader auch in dieſen Laͤndern große Striche, die
zur Bearbeitung ganz unfaͤhig ſind, und die
Einwohner in andern Gegenden geben ſich keine
Muͤhe, ſie tragbar zu machen. Da auch der
Kayſer uͤberdieß allein Eigenthuͤmer dieſer Laͤn-
der iſt, und das Volk keinen Theil daran hat,
ſo wird fuͤr die Verbeſſerung derſelben nicht ge-
ſorgt. Um nun dieſer Unbequemlichkeit einiger-
maßen abzuhelfen, ſo ließ Akber, der die Fi-
nanzen ſeines Reichs auf einen beſſern Fuß ge-
ſetzt hat, den Statthaltern und Gouverneuren,
ſtatt der Beſoldungen, die ihnen ſonſt in Gelde
ausgezahlt wurden, Laͤndereyen in ihren beſon-
dern Departementen anweiſen, um ſie zu ihren
Vortheil anbauen zu laſſen, und hielt ſie an,
fuͤr die uͤbrigen Felder eine gewiſſe Summe,
nach Proportion ihrer Fruchtbarkeit zu be-
zahlen.


Dieſe Gouverneurs, die eigetlich zu reden,
weiter nichts ſind, als Reichspaͤchter, verpach-
ten dieſe wieder an andere. Da aber die
Ackersleute weiter nichts als ihren Unterhalt
haben, ſo haͤlt es ſchwer, ohne Zwang zu dieſer
Arbeit Bauern zu bekommen. Dadurch werden
ſie veranlaßt, in die Gebiete der Rajahs zu
fluͤchten, die mit ihnen etwas menſchlicher um-
gehen. Und dadurch werden die Laͤnder des
Groß-
[427] Großmogols unvermerkt von Volk entbloͤſt,
und bleiben ungebaut liegen.


Allein, das Gold und Silber, das durch
den Handel nach Hindiſtan gebracht wird, er-
ſetzt dieſen Abgang, und macht den Souverain
außerordentlich reich. Nach Berniers Berichte,
kommt alles Silber aus Mexico, und alles Gold
aus Peru, nachdem es in Europa und Aſien eine
Zeitlang circulirt, endlich in das Reich des
Großmogols, ohne jemals wieder aus denſel-
ben zu kommen. Ein Theil dieſes Reichthums
wird in die Tuͤrkey gebracht, um damit die
aus dieſem Lande eingefuͤhrten Waaren zu be-
zahlen. Aus der Tuͤrkey geht das Geld nach
Perſien, uͤber Smyrna, fuͤr die Seide aus
dieſem Lande. Aus Perſien laͤuft es durch den
Handel zu Mocco, Bab al Mandel, und Ban-
der Abbaſi, wieder in Hindiſtan ein. Außer-
dem geht auch das Geld unmittelbar aus Europa
nach Indien, ſonderlich durch den Handel der
Hollaͤnder und Portugieſen. Faſt alles Sil-
ber, das jene aus Japan bringen, geht durch
Einkauf der Waaren und Bequemlichkeiten in
die Staaten des Großmogols ein. Es iſt
wahr, daß Hindiſtan bey aller ſeiner Frucht-
barkeit genoͤthigt iſt, einige Artikel aus andern
Laͤndern zu holen, z. E. aus Japan, das
Kupfer, aus England Bley, aus Ceylon
Zimmt, Muſcatennuͤſſe und Elephanten, aus
Arabien, Perſien und der Tartarey, Pferde.
Allein die Verkaͤufer werden gemeiniglich mit
Waaren
[428] Waaren bezahlt, ſo daß der groͤßeſte Theil des
Goldes und Silbers in der Welt tauſend Wege
nach Hindiſtan findet, aber keinen einzigen hat,
wieder heraus zu kommen.


Das bewundernswuͤrdigſte iſt dabey dieſes,
daß bey dieſem erſtaunlichen Einfluß des Goldes
und Silbers in Indien, man in den Haͤnden
der Privatperſonen, nicht mehr davon findet,
als anderwaͤrts. Es iſt zwar an dem, daß
hier ſehr viel Gold und Silber in den Manu-
facturen aufgehet, und daß die Indianer einen
großen Theil derſelben vergraben, in der Mey-
nung, daß ſie deſſelben in der anderen Welt
benoͤthigt ſeyn moͤchten. Bey dem allen aber
traͤgt das Verhalten der Kayſer das Meiſte da-
zu bey, daß das Geld unter ihnen ſo rar iſt.
Dieſe ſammeln nemlich große Schaͤtze, und ver-
wahren ſie in unterirdiſchen Gruͤften, um den
Ueberfluß unter den Unterthanen zu verhuͤten,
den ſie fuͤr ſehr ſchaͤdlich halten. Auf die Weiſe
fallen alle Schaͤtze, die durch den Handel ins
Land gebracht werden, wie Bernier ſagt, end-
lich in die Kaſten des Kayſers.


Man hat alſo gar nicht Urſache, ſich uͤber
den unermeßlichen Reichthum, der hindiſtani-
Kayſer zu verwundern. Der Ertrag ſeiner
Einkuͤnfte, die er blos aus den vorhin erwaͤhn-
ten Verpachtungen ſeiner Provinzen erhaͤlt,
belaͤuft ſich nicht weniger als auf dreyhundert
ſieben und achtzig Millionen, ein hundert und
vier und neunzig tauſend Rupien. (Dieſe
387,
[429] 387,194,000 Rupien, einen jeden zu 2 Schil-
linge und 6 Pfennige engellaͤndiſch gerechnet, ma-
chen 48,399,250 Pfund Sterlings aus. Man
kann uͤbrigens von den ganzen Einkuͤnften des
Großmogels keine genaue Rechnung vorlegen.)


Außer dieſen feſtgeſetzten Einkuͤnften, die
nur aus den Feldfruͤchten kommen, ſind die zu-
faͤlligen eine andere Quelle des Reichthums, die
der vorigen gleich iſt, wo ſie dieſelbe nicht gar
uͤbertrift. Dieſe entſtehen nun, erſtlich aus
der jaͤhrlichen Kopfſteuer, die die Hindiſtaner
entrichten muͤßen. Zweytens aus dem Zoll des
fuͤnften von hundert von allen Waaren, die
hindiſtaniſchen Kaufleuten gehoͤren, davon aber
Aurengzeb die Mohammedaner ausgenommen
hat. Drittens aus dem Zoll, der von der Lein-
wandsbleiche abgetragen werden muß. Vier-
tens, aus den Diamantsgruͤften, davon die
ſchoͤnſten und groͤßeſten Steine dem Kayſer ge-
hoͤren Fuͤnftens, die Zoͤlle aus den Haͤfen
des indianiſchen Meers, und des bengaliſchen
Meerbuſens. Sechſtens, aus dem Vermoͤgen
und Effecten ſeiner mohammedaniſchen Unter-
thanen, die in ſeinem Solde geſtanden, wovon
er Erbe iſt. Siebtens, aus den Tributen, die
er von den Rajahs einhebt. Indeſſen geht
von dieſen zufaͤlligen Einkuͤnften ein großer
Theil in den Schatz des Kayſers blos darum,
um unter ſeine Unterthanen ausgetheilt zu wer-
den, wovon die Haͤlfte von ſeiner Guͤtigkeit
lebt, oder wenigſtens beſoldet wird. Ueberdieß
wer-
[430] werden eine große Menge Officiers und Solda-
ten, die blos von ihrer Lehnung leben, wie auch
alle Bauern, die den Acker blos fuͤr den Souve-
rain bauen, auf ſeine Unkoſten unterhalten: ja
auch alle Kuͤnſtler und Handwerksleute in den
Staͤdten, die fuͤr ihn arbeiten, werden aus
dem kayſerlichen Schatz bezahlt. —



Fuͤnftes Kapitel.


Von der Regierungsverfaßung und Poli-
zey in Hindiſtian.


Nichts iſt einfacher, als die Triebfedern,
die dieß große Reich in Bewegung ſetzen;
der Kayſer allein iſt das Triebrad deſſelben.
Seine Gerichtsbarkeit iſt ſo wenig getheilt, als
ſein Eigenthum, und alles Anſehen beruhet ein-
zig und allein auf ſeiner Perſon. Eigentlich
iſt nur ein einziger Herr in Hindiſtan. Alle
uͤbrige Einwohner ſind mehr Leibeigene als Un-
terthanen.


Am Hofe befinden ſich die Staatsſachen in
den Haͤnden dreyer oder vier Omrahs vom er-
ſten Range, die ſie dem Monarchen vorlegen.
Der Itimad-ud Deulet oder erſte Miniſter,
hat bey dem Mogul eben die Stelle, die der
Großvizir in der Tuͤrkey verwaltet. Oft aber
iſt
[431] iſt dieſer Titel ohne Verwaltung und die Wuͤrde
ohne Geſchaͤfte. Der Kayſer erwaͤhlt oftmals
einen Menſchen ohne alle Erfahrung, zum Groß-
vizir und laͤßet ihm nur die Beſoldung ſeines
Amtes. Bald iſt es ein Prinz vom mogolſchen
Gebluͤt, der ſich ſo gut aufgefuͤhrt hat, daß
man ihn bis in ſein Alter will leben laſſen; bald
der Vater einer Koͤniginn, die bey dem Kayſer
in beſonderer Gunſt ſtehet, der oft aus dem ge-
meinſten Poͤbel iſt; alsdann faͤllt alle Laſt auf
die beyden Staatsſekretaire. Einer ſammlet
die Schaͤtze des Reichs; der andre theilt ſie aus.
Dieſer bezahlt die Bedienten der Krone, die
Soldaten und die Landleute; jener nimmt die
Einkuͤnfte der herrſchaftlichen Guͤter ein, fodert
die Abgaben und Zinſen. Ein dritter Finanz-
bedienter, der aber nicht in ſo vielem Anſehen
ſteht, als die Staatsſekretaire, muß die Erb-
ſchaften derjenigen, die in Dienſten des Kayſers
ſterben, ſammeln. Dieſe Bedienung iſt ein-
traͤglich, aber verhaßt. Uebrigens gelangt man
zu dieſer erhabenen Stelle nur durch die Waffen.
Denn aus den Befehlshabern der Kriegesheere,
werden allezeit die Staatsbedienten und Feld-
herrn gewaͤhlt. Hat man ihres Vorſpruchs
bey dem Kayſer noͤthig; ſo kommt man nie oh-
ne Geſchenke zu ihnen. Doch kommt dieſer
Gebrauch nicht ſo ſehr von dem Geize der Om-
rahs, als der Ehrfurcht der Clienten her. Auf
den Werth des Geſchenks wird wenig geſehen.
Das Hauptwerk iſt, daß man ſich vor den Be-
dienten
[432] dienten der Krone nicht mit leeren Haͤnden
zeigt.


Wenn der Kayſer ſeine Soldaten nicht in
eigner Perſon anfuͤhrt; ſo wird dieſes Amt
einem Prinzen vom Gebluͤte, oder zween Feld-
herrn, die der Kayſer erwaͤhlt, anvertraut.
Einer iſt aus den mohammedaniſchen Om-
rahs,
der andere aus den hindiſtaniſchen Ra-
jahs.
Die Reichsvoͤlker fuͤhrt der Omrah,
die Huͤlfsvoͤlker gehorchen nur den Rajahs ihrer
Nation.


Ekbar ſuchte das Heer in Ordnung zu brin-
gen, und machte folgende Einrichtungen, die
noch itzt beobachtet werden. Alle Befehlshaber
ſeiner Kriegesleute, ſollen nach drey verſchiede-
nen Abtheilungen bezahlt werden. Die erſten
unter dem Titel von zwoͤlf Monaten, die zwey-
ten, von ſechs, die dritten, von vier Monaten.
Wenn alſo der Kayſer einen Manſepdar, d. i.
einen Unterofficier des Reichs zwanzig Rupiés,
monatlich nach dem erſten Titel giebt; ſo be-
traͤgt ſein jaͤhrlicher Sold ſieben hundert und
funfzig Rupiés, denn man ſetzt allemal zehn
hinzu. Der eben den Sold nach einem andern
Titel erhaͤlt, bekommt jaͤhrlich drey hundert und
fuͤnf und zwanzig. Der nur nach dem dritten
beſoldet wird, hat jaͤhrlich nur zwey hundert
und funfzig. Dieſe Einrichtung iſt deſto ſeltſa-
ſamen, weil diejenigen, welche nur unter dem
Titel von vier Monaten bezahlt werden, das
Jahr uͤber, eben ſo fleißige Dienſte thun, als
die,
[433] die, welche fuͤr zwoͤlf Monate empfangen. Al-
lein nach der Geſinnung der Orientaler, glauben
die mogulſchen Kayſer, es ließe groß, wenn
ſie den Gedanken veranlaſſen; die Ungleichheit
des Soldes, ruͤhre von der Ungleichheit der
Dienſte her.


Wenn der Sold eines Krieges- oder Hofbe-
dienten, den Monat auf tauſend Rupien nach
dem erſten Titel ſteigt; ſo verlaͤßt er den Orden
der Manſepdars, um den Rang eines Om-
rahs
zu erhalten. Man bekoͤmmt alſo dieſen
Dienſt mit einer Verſtaͤrkung des Soldes. Als-
dann iſt man verbunden, einen Elephanten,
und zwey hundert und funfzig Reuter zu des
Kayſers Dienſten zu halten. Der Sold von
funfzig tauſend Rupien *), wuͤrde ſelbſt in In-
dien,
[434] dien, ſo viel zu unterhalten, nicht hinreichen.
Denn der Omrah muß jedem Reuter wenigſtens
zwey Pferde ſchaffen; allein der Kayſer ſorgt
auf eine andere Art dafuͤr. Er weiſet nemlich
dem Officier einige herrſchaftliche Guͤter an.
Man rechnet ihm, was jeder Reuter koſtet,
zehn Rupien auf jeden Tag. Aber die Einkuͤnf-
te der Laͤndereyen, die man den Omrahs uͤber-
laͤßt, tragen viel mehr ein, als dieſe Koſten.


Nicht alle Omrahs haben gleich ſtarke Be-
ſoldung. Manche bekommen 2 Azaris, andre
3, andre 4, manche 5, und die vom erſten
Range, erhalten 6. Das iſt das Jahrgeld
der Vornehmſten; alles zuſammen genommen,
kann alſo bis auf drey Millionen Rupies ſtei-
gen. Sie zeigen auch viel Pracht, und ſie hal-
ten ſo viel Reuterey, als unſre kleinen Armeen
betragen. Manchmal ſind ſie dem Kayſer ſelbſt
furchtbar geworden. Doch dieſes iſt eine Ein-
richtung des Ekbar, und ihre uͤbeln Folgen ſelbſt
verhindern, daß man ſie nicht aͤndern darf.
Or-
*)
[435] Ordentlich zaͤhlet man 6 Omrahs vom großen
Solde, den Itimad-ud Deulet, die beyden
Staatsſekretaͤre, den Unterkoͤnig von Kabul,
den von Bengalen, und den von Ugen. Der
Sold der gemeinen Reuter und der uͤbrigen
Mannſchaft, kommt auf den Omrah an, der
ſie wirbt und erhaͤlt. Der Ordnung nach, ſoll-
ten ſie jeden Tag bezahlt werden: aber dieß wird
ſchlecht beobachtet; man begnuͤgt ſich ihnen mo-
natlich einen gewiſſen Lohn auszumachen, und
oft noͤthigt man ſie, ſtatt des Geldes, altes
Geraͤthe des Pallaſtes, und die Kleider anzuneh-
men, welche ihre Weiber ablegen. Durch ſol-
che Ungerechtigkeiten haͤufen die oberſten Bedien-
ten große Schaͤtze zuſammen, die nach ihrem
Tode dem Kayſer wieder zufallen.


Die Juſtiz wird in den Staaten des Groß-
mogols mit vieler Einfoͤrmigkeit verwaltet, Die
Unterkoͤnige, Befehlshaber in den ihnen ange-
wieſenen Diſtrikten, die Obrigkeiten in den Staͤd-
ten und Flecken, thun vollkommen das an ih-
ren Orten, was der Kayſer zu Agra und Dehli
ſelber verrichtet. Sie entſcheiden nemlich, alles
was das Leben und die Guͤter der Unterthanen
betrift, durch Urtheile, die ſie allein faͤllen.


Demungeachtet hat jede Stadt ihren Ku-
tual
und Kadi fuͤr gewiſſe Faͤlle. Den Ein-
wohnern aber ſteht es frey, ob ſie ſich zu dieſem
Untergerichte wenden wollen: und uͤberhaupt
haben alle Unterthanen des Reichs das Recht,
ſich unmittelbar an den Kayſer ſelbſt in ſeiner
E e 2Haupt-
[436] Hauptſtadt zu wenden. — Der Kutual ver-
richtet zugleich das Amt eines Policeyrichters
und Oberprofoß. Das vornehmſte eines Poli-
ceyrichters unter dem Aurengzeb, der ein ſtren-
ger Beobachter des Korans war, beſtand dar-
inn, diejenigen zur Beſtrafung zu ziehen, wel-
che dem Trunk zu ſehr ergeben und in Beſuchung
liederlicher Haͤuſer ihr Vergnuͤgen fanden. —
Er muß dem Kayſer von dem beſondern Unord-
nungen der Familien, Nachricht geben, ihm
die Zaͤnkereyen und die naͤchtlichen Zuſammen-
kuͤnfte melden. Er hat in allen Quartiren der
Stadt ſeine Kundſchafter, da es ihm dann nie
an Neuigkeiten fehlen kann. Dieſe von den
Kutuals gedungene Aufpaſſer, muͤßen die Haͤu-
ſer kehren, und die verdorbenen Gefaͤße wieder
in Ordnung bringen. Jeden Morgen kommen
ſie zu den Buͤrgern, ziehen von den Geheimniſ-
ſen der Familien Nachricht ein, befragen die
Leibeigenen, und erſtatten dem Kutual davon
Nachricht. Dieſer Beamte muß als Großpro-
foß mit ſeinem Solde fuͤr alle Diebſtaͤhle, die
in ſeinem Bezirke geſchehen, haften. Dieß er-
haͤlt ſeine Wachſamkeit immer in Thaͤtigkeit.


Die Gerichtsbarkeit des Kadi erſtreckt ſich
nur auf Religionsſachen, Eheſcheidungen und
andere Dinge, die die Ehe betreffen. Indeſ-
ſen kann keiner von den beyden Richtern ein To-
desurtheil ſprechen, ohne dem Kayſer oder dem
Unterkoͤnige Bericht ertheilt zu haben: und
nach des Ekbar Verordnungen, muͤßen dieſe
Ober-
[437] Oberrichter die Verurtheilung, ehe man ſie be-
werkſtelligt, zu drey verſchiedenen malen, an
drey verſchiedenen Tagen beſtaͤtigt haben.


In den Staaten des Mogols, findet bey
Verwaltung der Gerechtigkeit kein Aufſchub
ſtatt. Ein jeder traͤgt ſeine eigene Sache, ohne
eine von den Formalitaͤten und Regeln vor, die
bey unſern Gerichtshoͤfen beobachtet werden muͤſ-
ſen, oder wendet ſich an einen von den Omrahs,
daß er es fuͤr ihn thut. So bald nun die Zeu-
gen vorgefodert und verhoͤrt worden; ſo wird
das Urtheil auf der Stelle geſprochen, daß faſt
immer eben ſo billig als hurtig iſt. Zwar kann
man nicht leugnen, daß hier eben ſowohl als in
andern Laͤndern, bey dem Urtheilſprechen Menſch-
lichkeiten vorgehen. Indeſſen iſt doch dieſem
Uebel ſo viel als moͤglich vorgebeugt, indem die-
jenigen Richter, die ſich beſtechen laſſen, am
Leben geſtraft werden.



Sechſtes Kapitel.


Von der Religion der Hindiſtaner.


Unter der Menge von Reiſebeſchreibern, welche
uns von der Religion der Hindiſtaner ha-
ben belehren wollen, trift man kaum zwey an,
die in ihren Erzaͤhlungen mit einander uͤberein-
E e 3ſtimm
[438] ſtimmten. Denn theils kommt dieſer Unter-
ſchied von den verſchiedenen Meynungen und
Gegenſtaͤnden des Gottesdienſtes her, den die
Braminen in verſchiedenen Gegenden Indiens
eingefuͤhrt haben: theils aber auch, weil ſich
viele Reiſebeſchreiber ſcheinen, auf die Erzaͤhlun-
gen der Einwohner geſtuͤtzt zu haben, ohne die
Buͤcher ſelbſt zu rathe zu ziehen, welche den zu-
ſammenhangenden Lehrbegriff ihrer Religion in
ſich faſſen. — Die Hindiſtaner erheben ihre
Religion, wie das alle Sekten zu thun pflegen,
uͤber alle andere, und geben vor, daß ſie goͤtt-
lichen Urſprungs und in einem Buche enthalten
ſey, das ſie Wedam, Vadam nennen.


Dieß heilige Buch iſt in vier Theile abge-
theilt, nemlich 1, in Roggo Vedam. 2,
Jaddara Vedam. 3, Sama Vedam.
4, Fara Wana Vedam.


Roggo Vedam, handelt von den erſten
Urſachen und erſten Materien, von der Seele,
den Engeln, von den Beſtrafungen der Laſter-
haften und den Belohnungen der Frommen, fer-
ner von dem, was Suͤnde ſey, von wem und
unter welchen Bedingungen ſie vergeben werde.


Jaddara Vedam, handelt von den Ober-
haͤuptern, die mit unumſchraͤnkter Gewalt re-
gieren.


Sama Vedam, enthaͤlt die Moral.


Fara Wana Vedam, handelt von den Ce-
rimonien, welche bey den Opfern in den Tem-
peln u. ſ. w. muͤßen beobachtet werden. Ob-
gleich
[439] gleich der letzte Theil ſeit langer Zeit ſoll verlo-
ren ſeyn.


Die Braminen ſind uͤber den Verluſt deſſel-
ben ſehr unzufrieden, weil ſie ſonſt in groͤßerer
Hochachtung bey dem Volke ſtehen wuͤrden, als
ſelbſt die Koͤnige.


Dieſer Vedam enthaͤlt eine Sammlung der
aberglaͤubiſchen Gebraͤuche, ihrer alten Riſhi
oder Buͤßenden, womit ihre Meynungen von
der Natur Gottes, der Seele u. ſ. w. verbun-
den worden. Die beyden erſten Theile dieſes
Buchs, werden auf der ganzen Halbinſel In-
diens, und die beyden letztern in Hindiſtan aus-
geuͤbt. Sie enthalten die ganze Theologie der
Braminen, und werden nur auch von dieſen ge-
leſen; ſo, daß die Baniyanen, wenn ſie beten,
ſich der Worte aus dem Buche Schaſter und
nicht der aus dem Vadam bedienen muͤßen.
Das gemeine Volk darf weder aus dieſem noch
auch aus jenem etwas lernen. Im ganzen wer-
den ſie auch nie in den Pagoden vorgeleſen, weil
das Volk die Geheimniße, welche dieſe Buͤcher
enthalten, nicht faßen kann. Einige Reiſebe-
ſchreiber wollen ſo gar verſichern, daß die Bra-
minen dieſe Buͤcher groͤßeſtentheils ſelber nicht
verſtaͤnden, welches auch ſehr leicht moͤglich ſeyn
kann, zumal wenn man weiß, daß ſie nicht in
dem Sanſkrit, welches die gelehrte Sprache
der Braminen iſt, ſondern in einer weit aͤltern
Sprache geſchrieben ſind.


E e 4Es
[440]

Es giebt auch noch außer dem Bedam, zwey
andere Gattungen von Buͤchern, wovon das
eine Shaſter und das andere Puran heißt.
Die Braminen geben gleichfalls vor, ſie beyde
vom Himmel erhalten zu haben. — Das Buch
Shaſter iſt eigentlich nur eine Erklaͤrung des
Vedams. Es ſoll nur dazu dienen den Ver-
ſtand des Vedam zu beſtimmen, und dadurch
gleichſam allen Streitigkeiten vorgebeugt ſeyn.
Allein dieſer Zweck wird doch durch dieß Buch
nicht erreicht. — Der baniyaniſchen Sekte iſt
es erlaubt, ſich dieſes Buchs zu bedienen; aber
den Vedam duͤrfen ſie nicht anruͤhren, weil
ſich die Braminen uͤber ſelbigen das Monopo-
lium angemaßt haben. Der Puran (heißt ſo
viel als ein Gedicht) beſteht aus hiſtoriſchen
Buͤchern des Geſetzes, und iſt eine Erklaͤrung
des Shaſters, und enthaͤlt zugleich die heilige
und Profangeſchichte von Hindiſtan. — Die
Braminen geben vor, daß dieſe drey Buͤcher
dem Bramma von Gott waͤren geſandt wor-
den. Es iſt aber gewiß, daß alle drey Buͤcher
in drey verſchiedenen Zeiten und Abſichten, er-
ſchienen ſind. Der Puran ſcheint beſonders
da erſt zuſammengeſchrieben zu ſeyn, wie die
abgoͤttiſche Religion in Hindiſtan ſchon feſten
Fuß hatte.


Außer den erwaͤhnten Buͤchern giebt es noch
viele andere, die aber ſo genau verwahrt ſind,
daß ſie nie in die Haͤnde des gemeinen Volks
kommen. Die Braminen laßen deswegen ihre
heiligen
[441] heiligen Buͤcher noch viel weniger in die Haͤnde
der Fremden kommen, und ungeachtet ihnen
von den Reiſenden große Summen Geldes fuͤr
eine Abſchrift angeboten ſind; ſo haben ſie nicht
einmal ihren Wunſch, dieſe Buͤcher zu ſehen,
fuͤr viel Geld, erfuͤllen koͤnnen. Hieraus haben
nun manche urtheilen wollen, als wenn ſie gar
keine Buͤcher beſaͤſſen; allein das Gegentheil hat
Calmet gezeigt, der im Jahre 1733 dieſe Buͤ-
cher in die Bibliothek des Koͤnigs von Frank-
reich verſchafte. — Lord hat zu Anfange des
vorigen Jahrhunderts einen, zwar kurzen, Aus-
zug aus dem Shaſter erhalten; da er aber das
Weſentlichſte des Buchs Vedam in ſich faßt,
ſo kann man ſich allenfalls mit ihm begnuͤgen.
Dieſer Auszug ſetzt uns in den Stand, die Er-
dichtungen und Geheimniſſe aufzudecken, die
ſonſt wuͤrden unaufloͤslich geblieben ſeyn.


Wir wollen hier unſern Leſern einen zu un-
ſrer Abſicht hinlaͤnglichen Auszug aus dem Bu-
che Shaſter mittheilen.


Wie der große Gott noch allein war, und
ſeine Herrlichkeit durch Erſchaffung der Welt
offenbarte, ſo machte er, nachdem er ſie auch
mit vernuͤnftigen Geſchoͤpfen erfuͤllt hatte, vor
allen Dingen, die vier Elemente, Erde, Luft,
Feuer und Waſſer. Da dieſe Elemente unor-
dentlich durcheinander gemengt waren, ſo theil-
te er ſie, und machte aus ihnen verſchiedene
Theile der ſichtbaren Welt. Gott blies erſtlich
durch ein Rohr, oder durch irgend ein anderes
E e 5Inſtru-
[442] Inſtrument, auf das Waſſer. Da dieſes in
einer Blaſe von runder Geſtalt in die Hoͤhe
ſtieg, und ſich allmaͤhlich in einen unermeß-
lichen Raum ausdehnte; ſo entſtand daraus
das Firmament. Aus der Erde und uͤbrigge-
bliebenen Grundſuppe des Gewaͤſſers bildete
Gott einen Ball, deſſen feſte Theile die Erde,
die fluͤßigen das Meer wurden. Hierauf ſtellte
er, durch Huͤlfe eines ſtarken Brauſens, die
Erde mitten in das Firmament, und nannte
dieſelbe die Unterwelt. Sobald er dieſes in
Ordnung gebracht hatte, ſchuf er die Sonne
und den Mond. Nachdem alſo die vier Ele-
mente auf die Weiſe abgeſondert, und ihnen
ihr Platz angewieſen, ſo ſingen ſie an, die ihnen
eigene Geſchaͤfte zu verrichten. — Zuletzt
machte Gott den Menſchen, als ein Weſen, das
vorzuͤglich faͤhig war, ſeine Werke zu betrachten
und zu bewundern. Dieſer erſte Menſch, ſtieg
auf Gottes Befehl aus der Erde; zuerſt kam
der Kopf hervor, darauf der Leib, nach allen
Theilen gebildet. Hierauf ertheilte ihm der
Herr das Leben. Damit aber dieſer Menſch
nicht allein ſeyn moͤchte, ſo gab er ihm auch ein
Weib zur Gehuͤlffinn. Der Name des erſten
Menſchen hieß Pourous, und das Weib Par-
kouti.
Beyde lebten zuſammen, ernaͤhrten
ſich von den Fruͤchten, die ihnen die Erde dar-
bot, ohne nach dem Fleiſche der Thiere Verlan-
gen zu aͤußern.


Dieß
[443]

Dieß neue Paar zeugte vier Soͤhne, welche
Brammon, Kutteri, Shudderi und Wiſe
hießen. Der erſte war von irrdiſcher Conſti-
tution, und daher zur Melancholie geneigt;
und weil er ſinnreich war, ſo beſtimmte ihn
Gott dazu, ſeine Geſetze dem Volke bekannt zu
machen. Zu dieſer Abſicht uͤbergab ihm Gott
ein Buch, darinn die Grundſaͤtze der Religion,
und die Art, wie der Gottesdienſt ſollte gehal-
ten werden, enthalten waren. Kutteri, der
zweyte Sohn, hatte ein feuriges Temperament,
und war kriegeriſch geſinnt. Gott legte ihm
alſo die Macht bey, Koͤnigreiche zu beherrſchen,
und die Voͤlker in Ordnung zu halten. Da
ferner Shudderi einer phlegmatiſchen Conſti-
tution, guͤtig und umgaͤnglich war, ſo wurde
fuͤr gut gefunden, ihn zum Kaufmann zu be-
ſtimmen. Um ihn nun ſeines Geſchaͤfts zu er-
innern, wurden ihm zwey Waageſchalen in die
Haͤnde gegeben, und ein Buͤndel Gewicht an
ſeinen Guͤrtel gehaͤngt. Wiſe endlich, ein luſti-
ger Kopf, bekam die Erfindungskraft zur Bey-
lage, und weil er voll Einfaͤlle war, ſo konnte
er verſchiedenen Dingen ein Geſchick geben. Um
ihm nun in ſeiner Profeßion behuͤlflich zu ſeyn,
wurde ihm ein Beutel zugeſtellt, worinn er
mancherley Inſtrumente fand, um mit ſeinen
Haͤnden das auszuarbeiten, was ſeine Einbil-
dungskraft projectiren wuͤrde.


Pourous und Parkouti erzeugten in ihrer
Ehe keine Toͤchter. Gott ſchuf alſo fuͤr die vier
Soͤhne
[444] Soͤhne auch vier Weiber, und ſchickte dieſe ge-
gen Morgen, Mittag, Abend und Norden.
Sobald nun die Soͤhne des Pourous groß ge-
nug waren, ſo befahl ihnen Gott, daß ein jeder
ſeinen beſondern Weg gehen ſollte, um die fuͤr
ihn erſchaffene Frau aufzuſuchen. Brammon
reiſete gegen Morgen, traf endlich die fuͤr ihn
geſchaffene Frauensperſon. Kutteri, der ge-
gen Abend reiſete, fand gleichfalls die fuͤr ihn
beſtimmte Frauensperſon; und als er ſich mit
derſelben drey Tage hintereinander in einem
fuͤrchterlichen Gefechte herumgeſchlagen hatte,
ſo richteten ſie endlich einen ehelichen Vergleich
unter ſich auf. Shudderi nahm ſeinen Weg
nordwaͤrts, und als er die Perlen- und Dia-
mantengruͤfte entdeckt hatte, ſo traf er ſeine Ge-
liebte auch an. — Nachdem endlich Wiſe auf
einem Schiffe uͤber ſieben Meere gegangen war,
die fuͤr ihn zu dem Zwecke verfertigt worden, ſo
blieb er an der Kuͤſte von Derpe, und bauete
ſich daſelbſt ein Haus. Nach einiger Zeit ſahe
er an der Kuͤſte eine Jungfer ſpatziren, die er
anredete. Wie dieſe ihm aber veraͤchtlich be-
gegnete, ſo rief Wieſe Gott an, daß er ihr Herz
zu ihm lenken moͤchte. Gott erhoͤrte ihm die
Bitte, aber unter der Bedingung: daß er Pa-
goden zur Verehrung Gottes erbauen, und un-
ter gruͤnen Baͤumen Bilder anbeten ſollte.


Als nun die vier Bruͤder die Erde bevoͤlkert,
ſo entſchloſſen ſie ſich, ihre Eltern zu beſuchen,
von welchen ſie aufs freundlichſte empfangen
wurden.
[445] wurden. — Mit der Zeit wurden die vier
Bruͤder und ihre Weiber Eltern vieler neuen
Geſchlechte, die ſich genau an ihre Eintheilung
in vier Staͤmme hielten, ohne ſich untereinan-
der zu vermiſchen. Allein ſie arteten bald aus.
Bramon ward nachlaͤßig in ſeiner Gottſelig-
keit. Kutteri ward grauſam und uͤberwaͤlti-
gend. Shudderi betrog ſeine Bruͤder durch
falſches Gewicht, und Wiſe ſetzte auf ſeine
Waaren entſetzliche Preiſe, um ſeine Ausſchwei-
fungen fortſetzen zu koͤnnen. Die Unordnung,
die in den Familien dieſer vier Bruͤder herrſchte,
machte endlich die Gottheit zornig, ſo daß auf
einmal der Himmel eine finſtere Geſtalt an-
nahm. Donner und Blitz fuhren vom Him-
mel herab; das Meer thuͤrmte ſich auf eine
fuͤrchterliche Art auf, und ſchuͤttete ſeine Flu-
then uͤber den Erdboden, die das ganze menſch-
liche Geſchlecht uͤberſchwemmten. Ohngeachtet
aber ihre Leiber verderbt waren, ſo ruheten doch
ihre Seelen in dem Schooß des allmaͤchtigen
Gottes. — Und ſo endigte ſich das erſte Welt-
alter.


Gottes Abſichten wuͤrden nun nicht erreicht
ſeyn, wenn die Sachen in dem Zuſtande geblie-
ben waͤren. Er entſchloß ſich alſo, das menſch-
liche Geſchlecht wieder zu erneuern, und das
zweyte Alter mit drey Menſchen von fuͤrtrefli-
cher Natur, als die vorigen, anzufangen.
Gott ſtieg alſo vom Himmel herab auf einen
ſehr hohen Berg, und ſagte: Steh auf Bra-
ma,
[446]ma, du Erſter unter den Kreaturen im
zweyten Alter.
Brama kam hervor. Auf
gleiche Weiſe wurden Viſtney und Rudderi
erſchaffen. Die Abſicht, die Gott bey Hervor-
bringung dieſer drey Perſonen hatte, war: ſie
ſollten ſich nemlich als Deputirte bey dem Wer-
ke Gottes geſchaͤftig beweiſen. Dem Brama
trug er das Geſchaͤft auf, die Kreaturen zu er-
ſchaffen, und ertheilte ihn hierzu die noͤthigen
Kraͤfte. Dem Viſtney gab er das Amt, die
erſchaffenen Kreaturen zu erhalten, und machte
ihn in der Abſicht zum Herrn uͤber Sonne,
Mond, Sterne, Berge, Thaͤler u. ſ. f. —
machte ihn auch zum Austheiler der Geſundheit
der Menſchen und aller lebendigen Geſchoͤpfe.
Den Rudderi bekleidete er endlich mit der
Macht, alles zu verderben, weil er wußte, daß
ſie wuͤrden gottlos werden, und Strafen ver-
dienen. Er wurde alſo zum Herrn des Todes
und des Gerichts ernannt, und uͤberließ ihm
das ganze Gefolge von Uebeln. — Ein jeder
von dieſen drey Perſonen hatte ſeine beſtimmte
Zeit von Gott erhalten, in welcher er ſeine Ge-
ſchaͤfte verrichten muſte. Sobald Brama mit
ſeiner Schoͤpfung fertig war, wurde er wieder
in den Himmel zuruͤckgerufen. Viſtney muſte
noch einmal ſo lange als Brama auf Erden
bleiben, weil es wegen der ihm aufgetragenen
Erhaltungsgeſchaͤfte laͤnger noͤthig war. Und
weil die Welt ſollte durch ein allgemeines Ver-
derben hingerichtet werden, ſo ſollte Rudderi
dreymal
[447] dreymal ſo lange, als jene, auf Erden
bleiben.


Unverſehens fiel Brama in eine ſchwere
Krankheit. Sein Bauch ſchwoll außerordent-
lich auf, ſo daß man nicht wußte, was das
werden wuͤrde. Endlich entwickelte ſich das
Ding, und ſiehe, die Laſt drang auf beyden
Seiten heraus — und er brachte Zwillinge,
maͤnnlichen und weiblichen Geſchlechts, in voͤlli-
ger Groͤße zur Welt. Das Maͤnnlein wurde
alsbald vom Brama mit dem Namen Manov,
und das Weiblein mit dem Namen Seterupa
belegt. Dieſe beyden Menſchen fuͤhrte hierauf
Brama auf einen hohen Berg, um ſie von da
in verſchiedene Gegenden der Welt zu ſchicken,
ſie zu bevoͤlkern. Sobald ſie auf dieſen Berg
gelangten, kam die Seterupa mit ſechs Kindern
auf einmal nieder, nemlich mit drey Soͤhnen
und drey Toͤchtern. Dieſe wurden, nachdem
ſie herangewachſen waren, vom Brama in die
Welt geſchickt.


Und ſo war Brama Mann und Weib zu-
gleich, und erfuͤllte die Erde mit lebenden Ge-
ſchoͤpfen, da indeſſen Viſtney ſeines Ortes al-
les beſorgte, was zur Verpflegung und Erhal-
tung derſelben noͤthig war. Rudderi breitete
Ungluͤck, Krankheit, Tod und Gerichte aus,
nachdem die Menſchen ſich durch ihre Verge-
hungen dieſe Uebel zuzogen.


Gott ſah vorher, daß eine ſo große Geſell-
ſchaft von Menſchen ohne Geſetze nicht beſtehen
wuͤrde.
[448] wuͤrde. Er ließ ſich alſo in einer dicken Wolke
auf den Berg Meropurbati herab, foderte den
Brama vor ſich, gab ihm ein Buch in die
Hand, und befahl ihm, den Innhalt dem zer-
ſtreuten Menſchengeſchlechte bekannt zu machen.
Dieß that er auch. Das Buch ſelbſt beſteht
aus drey Theilen. Im erſten Theile iſt das
Moralgeſetz enthalten. Der zweyte faßt das
Cerimoniengeſetz in ſich, und ſchreibt die Ge-
braͤuche vor, die beym Gottesdienſte ſollen beob-
achtet werden. Der dritte Tractat theilt die
Menſchen in verſchiedene Staͤmme ab, und
giebt Regeln, die von einem jeden muͤſſen beob-
achtet werden.


Der erſte Theil dieſes Buchs, der, wie ge-
ſagt, das Moralgeſetz enthaͤlt, ſchreibt haupt-
ſaͤchlich folgende acht Gebote vor:


  • 1) Das erſte verbietet, kein lebendiges Thier
    zu toͤdten, weil das Thier ſowohl, als der
    Menſch, eine lebendige Seele hat.
  • 2) Das zweyte verbietet, etwas Boͤſes zu
    beſehen oder zu hoͤren, zu reden, desglei-
    chen Wein zu trinken, Fleiſch zu eſſen,
    oder etwas Unreines zu beruͤhren.
  • 3) Das dritte befiehlt die Beobachtung der
    zur Andacht beſtimmten Zeiten, die Rei-
    nigungen, den Gottesdienſt und Gebet zu
    Gott.
  • 4) Das vierte unterſagt alles Luͤgen, nebſt
    der Abſicht, andere im Umgange, im
    Kaufen und in Contracten zu betruͤgen.

Das
[449]
  • 5) Das fuͤnfte gebietet die Gutthaͤtigkeit
    gegen die Armen in Eſſen, Trinken und
    Gelde, nachdem es ihr Beduͤrfniß und
    des Gebers Vermoͤgen mit ſich bringt.
  • 6) Das ſechſte verbietet die Unterdruͤckung,
    Beleidigung und Ueberwaͤltigung der
    Armen.
  • 7) Das ſiebente befiehlt die Feyer gewiſſer
    Feſttage ohne alle Ausſchweifungen.
  • 8) Das achte verbietet alles Stehlen, es
    ſey ſo geringe als es wolle, oder die Ent-
    wendung desjenigen, was einem anver-
    traut worden. Dagegen gebietet es, mit
    dem Lohn, den ein andrer fuͤr die Arbeit
    giebt, zufrieden zu ſeyn, weil niemand
    zum Eigenthum eines andern ein Recht
    hat.

Ein jeder Stamm hat von dieſen acht Ge-
boten — zwey erhalten. Die Braminen nah-
men das erſte und zweyte Gebot, weil ein groſ-
ſer Theil ihrer Religion darinn beſteht, keine
Kreaturen zu toͤdten. Den Kaufleuten ſind die-
ſe Gebote gleichfalls auferlegt, weil ſie den
Braminen am naͤchſten kommen. Das dritte
und vierte Gebot, welches die Andacht befiehlt,
und allen Betrug im Handel und Wandel ver-
bietet, geht blos die Shudderi an. Das
fuͤnfte und ſechſte Gebot geht die Kutteri an,
weil diejenigen, welche Macht beſitzen, ſich der
Ueberwaͤltigung am eheſten ſchuldig machen
koͤnnen. Das ſiebente und achte Gebot bezieht
F fſich
[450] ſich endlich beſonders auf die Wiſe, die als
Handwerker eine Ergoͤtzung noͤthig haben, aber
auch ſehr geneigt ſind, ihren Gewinſt durch-
zubringen. Ein jeder Stamm iſt verpflichtet,
alle Gebote zu halten, beſonders aber diejeni-
gen, die ihnen ganz eigentlich angehen.


Das Cerimonialgeſetz, welches im zweyten
Tractat enthalten iſt, bezieht ſich auf folgende
Stuͤcke:


  • 1) Die Hindiſtaner ſind verbunden, ihre
    Leiber oft im Fluße zu baden, und zwar
    auf folgende Manier. Wenn ſie in das
    Waſſer treten wollen, ſo beſchmieren ſie
    vorher ihren Leib mit Koth, womit ſie die
    natuͤrliche Verdorbenheit anzeigen wollen.
    Alsdann gehen ſie weiter in den Fluß,
    kehren ihr Geſicht gegen die Sonne, und
    der Bramin betet: O Herr! dieſer
    Menſch iſt befleckt und verunreinigt,
    wie der Schlamm dieſes Fluſſes.
    Das Waſſer in dieſem Fluffe kann
    ihm den Koth wegſpuͤlen: ſpuͤle,
    reinige du ihn auch von ſeinen Suͤn-
    den.
    Derjenige, der ſich waͤſcht, faͤllt
    hierauf dreymal unter das Waſſer, und
    wenn er wieder herauskommt, ſo nimmt
    er einige Reiskoͤrner in die Hand, und
    ſobald er vom Prieſter die Abſolution we-
    gen ſeiner begangenen Suͤnde erhalten hat,
    gehet er nach Hauſe.

2) Sie
[451]
  • 2) Sie bedienen ſich gewiſſer Salben an der
    Stirne mit rother Schminke, welches
    andeuten ſoll, daß ſie als das Volk Got-
    tes gezeichnet waͤren. Dieß geſchieht dar-
    um, damit ſie an ihre Taufe erinnert
    werden. Da die Zeichen an der Stirne
    durchs Waſſer vergehen, ſo muͤſſen ſie er-
    neuert werden, ſo oft ſie ſich baden.
  • 3) Muͤſſen ſie unter gruͤnen Baͤumen opfern
    und beten, eine Gewohnheit, die vom
    Wiſe eingefuͤhrt worden, dem, wie vor-
    hin erwaͤhnt, Gott unter einem Baume
    erſchienen iſt. Unter ſolchen gruͤnen Baͤu-
    men legen die Braminen Tempel und Pa-
    goden an. Einige meynen, dieſer Baum
    ſey der indianiſche Feigenbaum, den die
    Hindiſtaner ſo heilig halten, daß ſie glau-
    ben, derjenige, welcher nur den geringſten
    Zweig verletze, wuͤrde ſich eines großen
    Ungluͤcks ſchuldig machen.
  • 4) Wird ihnen anbefohlen, in ihren Tem-
    peln gewiſſe Gebete zu ſprechen. Die An-
    dacht ſelbſt beſteht in der Wiederholung
    gewiſſer Namen Gottes, welche weitlaͤuf-
    tig umſchrieben und erklaͤrt werden.
  • 5) Es werden ihnen fuͤnftens anbefohlen,
    Wallfarthen nach weitentlegenen Fluͤſſen
    zu verrichten, dergleichen der Ganges iſt,
    um ſich in ſelbigen zu baden. — Derje-
    nige, deſſen Gaumen, wenn er ſtirbt,
    mit Waſſer aus dem Ganges benetzt wird,
    F f 2wird
    [452] wird fuͤr geſegnet, und von allen Suͤnden
    gereinigt, gehalten.
  • 6) Der ſechſte Artikel ihres Gottesdienſtes
    betrift die Anrufung der Heiligen, denen
    ſie die Macht zueignen, ihren Anbeter hel-
    fen zu koͤnnen. Wer z. E. in der Ehe
    gluͤcklich leben will (und wer wuͤnſcht dieß
    ungerne?) betet die Hurmount an; wer
    einen Bau gluͤcklich vollenden will, den
    Gunnez u. ſ. w.
  • 7) Wird ihnen in ihrem Geſetz anbefohlen,
    Gott zu verehren, ſobald ſie eins ſeiner
    Geſchoͤpfe nach Aufgang der Sonne er-
    blicken. Gegen Sonne und Mond erwei-
    ſen ſie ſonderlich ihre Andacht, die ſie die
    beyden Augen der Gottheit nennen.
  • 8) Das achte Gebot bezieht ſich auf die
    Taufe, oder Benennung ihrer Kinder.
    Das neunte, auf die Ehe. Das zehn-
    te,
    auf die Begraͤbniße.

Der dritte Tractat endlich, der dem Bra-
ma von Gott uͤbergeben wurde, handelt von
dem Unterſchiede, der unter den Menſchen ſoll
beobachtet werden. — Auf die Befolgung die-
ſer vorgeſchriebenen Geſetze wurde in dem zwey-
ten Weltalter ſehr ſorgfaͤltig gehalten. Die
Religion war im Flor. Man betete fuͤr die
drey Perſonen Brama, Viſtney und Rud-
deri;
die Ufer der Fluͤſſe waren beſtaͤndig voll,
und die Reinigungen wurden nicht verſaͤumt.
Da ſich aber die Menſchen ſtark vermehrten,
wurden
[453] wurden ſie immer nachlaͤßiger in der Ausuͤbung
ihrer Pflichten, und arteten endlich ganz aus.
Die Braminen wuchſen an Heucheley; die
Kutteri wurden ſtolz und eitel, ſuchten ihre
Macht durch unerlaubte Mittel zu erweitern;
die Kaufleute ergaben ſich dem Betrug im Han-
del und Wandel; die Handwerksleute gingen
muͤßig, und uͤbertheuerten die Leute mit ihrer
Arbeit. Alles dieß mißfiel dem Herrn, und
kam alſo zum drittenmale wieder auf den Berg
Meropurbati herab. Als er dem Brama be-
kannt gemacht hatte, was er an den Menſchen
tadle, ſo kam dieſer zuruͤck, und ertheilte den
Menſchen von dem bevorſtehenden Gerichte
Nachricht, worauf ſie ſich ein wenig beſſerten.
Nach und nach fielen ſie aber in ihre vorigen
Suͤnden zuruͤck. Brama bat fuͤr ſie. Allein
dieß war vergebens. Der Zorn des Herrn war
aber nicht mehr beſaͤnftigen. Er nahm den
Brama zu ſich in ſeinen Schoos, damit er das
Uebel nicht erfahren ſolle. Er befahl hierauf
dem Viſtney, die Welt zu verderben, welcher
auch fuͤr die Erhaltung der Welt bat. Der
Herr aber, der entſchloſſen war, ſeinen Zorn
nicht zuruͤckzuhalten, befahl dem Rudderi,
deſſen Amt es war, die Strafgerichte auszu-
uͤben, einen Sturm aus dem Innerſten des
Erdbodens hervorzubringen, und die Nationen
wie ein Staub von der Erde zu jagen. Rud-
deri,
dem goͤttlichen Befehle zu folgen, ſetzte
alle Winde in Bewegung, welche alles erſchuͤt-
F f 3terten.
[454] terten. Den Tag konnte man von der Nacht
nicht unterſcheiden. Das Ungewitter rottete
das ganze Menſchengeſchlecht aus, nur einige
wenige ausgenommen, welche Viſtney auf Er-
laubniß des Herrn mit dem Saume ſeiner Er-
haltung deckte, damit von denſelben das Men-
ſchengeſchlecht in dem dritten Weltalter werden
koͤnnte. Und ſo ſchloß ſich das zweyte Welt-
alter.


Nachdem Rudderi dem Sturme Einhalt
gethan hatte, war alles wieder ruhig. Der
Zuſtand der Welt war nunmehr ſehr jaͤmmer-
lich; beſonders erregte das Anſchauen der tod-
ten Menſchencoͤrper Mitleiden. Es gereuete
ſelbſt den Allmaͤchtigen die That, und Rudderi
war vor Schmerz außer ſich, daß er das Werk-
zeug zu ſolcher Verwuͤſtung ſeyn muſte. Da
aber die Koͤnige und Fuͤrſten im zweyten ſowohl
als dritten Weltalter die Quelle alles Ungluͤcks
waren, ſo ließ der Herr den ganzen Stamm der
Kutteri ausrotten. Da indeſſen dieſer Stamm
unter den Menſchen ſehr unentbehrlich war, ſo
befahl der Herr, um dieſe Ordnung durch einen
heiligern Stamm erneuern zu laßen, daß die
Linie der Rajahen von der Linie der Braminen
hergeleitet werden ſollte. Dieß geſchah in der
Perſon des Ram, des vornehmſten unter den
Braminen, die durch den Viſtney erhalten wor-
den. Man vermuthete, daß dieſer Mann ſo-
wohl die Religion als Policeyweſen aufs beſte
befoͤrdern wuͤrde. Es iſt wahrſcheinlich, daß
ihm
[455] ihm mehr Koͤnige gefolgt ſind. Da aber die
Welt wieder umſchlug, ſo ward der Zorn Got-
tes wiederum rege. Er redete deswegen mit
dem Rudderi, der auf ſeinem Befehl die Erde
ihren Rachen aufſperren und ſie lebendig ver-
ſchlingen ließ, nur wenige ausgenommen, die
zur letzten Probe der Bevoͤlkerung der Erde
dienen ſollten. Und ſo endigte ſich das dritte
Weltalter.


Kiſtney, ein beruͤhmter Regent und gott-
ſeliger Koͤnig, war unter denen, die erhalten
wurden. Unter ſeiner Regierung wurde die
Tugend und Religion geſchuͤtzt. — Des Vift-
ney Zeit war nun verfloſſen, ging alſo zum
Herrn zuruͤck, weil die Welt ſeiner nicht mehr
noͤthig hatte. Denn wenn es mit den Men-
ſchen noch einmal aufs Aeußerſte kommt, ſo
wird auch das Ende aller Dinge erfolgen.
Das letzte Gericht ſoll alle vorhergehende an
Grauſamkeit uͤbertreffen; denn alles ſoll durch
Feuer verzehrt werden. Alsdann ſoll Rudderi
alle Kraͤfte des Verderbens aufbieten; der
Mond ſoll in Blut verwandelt werden, und
die Sonne werde ihr Licht wie brennenden
Schwefel von ſich ſchuͤtten. — Die vier Ele-
mente werden wider einander ſtreiten. Rudde-
ri wird endlich die Seelen aller Menſchen mit
ſich in den Himmel nehmen, um daſelbſt in dem
Schooße Gottes zu ruhen.


Dieß iſt kuͤrzlich der Innhalt, den Lord
aus dem Shaſter genommen hat. — Wir
F f 4finden
[456] finden in des Lords Auszuge nichts von den
ausſchweifenden Geſchlechtsregiſtern und roman-
haften Abendtheuren der hindiſtaniſchen Goͤtter.
Es hat alſo das Anſehen, als wenn die erſte
Religion der Hindiſtaner von aller Abgoͤtterey
frey geweſen. (Man ſehe hieruͤber Lords
Deſcript. of the Banian religion, ap. Church.
Collect. 326. ch.
11.)


Dieſe vorlaͤufigen Nachrichten, welche wir
von den alten Grundſaͤtzen der Religion Hindi-
ſtans gegeben haben, koͤnnen uns der Arbeit
uͤberheben, uns in eine weitlaͤuftige Beſchrei-
bung der hindiſtaniſchen Religion, wie ſie heu-
tiges Tages in Indien gelehrt und ausgeuͤbt
wird, einzulaßen. Wir wollen hier nur die
vornehmſten Zuſaͤtze anfuͤhren, die durch der
Prieſter Betrug, die der Erweiterung in Reli-
gionsſachen nicht ſatt werden koͤnnen, noch wei-
ter hinzugefuͤgt worden.


Daß die heiligen Buͤcher der Hindiſtaner
den Glauben an einen einigen Gott lehren und
fodern, ſicht man aus dem Auszuge aus dem
Shaſter, den wir vorhin mitgetheilt haben,
und es giebt unter den Braminen eine beſondere
Sekte (von der weiter unten), die nicht mehr als
einen Gott annimmt. Die uͤbrigen die ſich mit
der Foͤrderung der Religion des Poͤbels, oder der
Vielgoͤtterey, beſchaͤftigen, erkennen dennoch
nur einen allerhoͤchſten Gott. Dieſem legen ſie
unzaͤhlige Namen bey. Faſt eine jede Sekte hat
ihre
[457] ihre beſondere Namen, womit ſie die Gottheit
bezeichnet.


Der hoͤchſten Gottheit, oder dem Gott aller
Goͤtter, legen ſie die erh bene Eigenſchaften der
Macht, Weisheit und Guͤte bey. Ohne ihn,
ſagen ſie, werde nichts regiert oder bewegt, und
die uͤbrigen Goͤtter koͤnnten, ohne ſeine Erlaub-
niß, nicht einmal einen Strohhalm bewegen.
Sie halten ihn fuͤr unbegreiflich, und man koͤn-
te ſich ihn unter keiner Figur vorſtellen. Er
wird fuͤr den Urheber des Guten und Boͤſen an-
geſehen; denn ſie behaupten, daß man Alles
von ihm herleiten muͤſſe. Sie ſagen ferner,
die untergeordneten Gottheiten haͤtte er zu ſei-
nem Zeitvertreib gemacht, beluſtige ſich an den
guten und boͤſen Handlungen der Menſchen.
Kurz. dieſe Welt ſey eine von den vier und ſech-
zig Comoͤdien, durch welche er beluſtigt wuͤrde.
Was die Vorſchung betrift, ſo ſagen ſie, daß
ſich die Gottheit nicht mit Kleinigkeiten abgebe,
ſondern dieſe ſeinen vier Viceregenten uͤberlaße.
Dieſe Punkte ſind ohngefaͤhr das Weſentlichſte
in den Lehrſaͤtzen der Braminen.


Die untergeordneten Goͤtter werden in drey
Klaſſen eingetheilt. In der erſten ſind die drey
erſchaffenen Weſen, Brama, Viſtnou und
Ruddiren. In der zweyten ſtehen die Weiber,
Kinder und vornchmſten Freunde der drey er-
ſten. Die dritte beſteht aus den Deutas, die
eine Art von Engeln ſind.


F f 5Den
[458]

Den drey Goͤttern der erſten Klaſſe haben
ſie eine große Menge von Namen beygelegt.
Die gewoͤhnlichſten Benennungen aber ſind:
Brama, Viſtnou und Ruddiren oder Iſchu-
ren.
Die drey Gottheiten ſind unter der all-
gemeinen Benennung Dirumurtigol zuſam-
mengefaßt. — Es iſt ſehr ſchwer, aus den
Berichten der Reiſebeſchreiber einen deutlichen
Begriff von dem, was die Hindiſtaner von die-
ſen drey Goͤttern glauben, zu communiciren.
Nach einigen Schriftſtellern ſind ſie drey von
dem hoͤchſten Gott erſchaffene Weſen, welchen
die im Shaſter gemeldeten Kraͤfte beygelegt
werden: nemlich dem Brama, die Kraft zu
ſchaffen; dem Viſtnou, die Kraft zu erhalten;
und dem Ruddiren oder Iſchuren, die Kraft
zu verderben. Hieraus will man muthmaßen,
daß die Hindiſtaner einen Begriff von der
Dreyeinigkeit haͤtten. Allein dieß iſt unrichtig.
Lord bemerkt, daß ſogar eine Vierheit darinn
gefunden werde, denn der hoͤchſte Gott mache
die vierte Perſon aus. Ueberdem ſind dieſe
Buͤcher gewiß lange vor der chriſtlichen Zeit-
rechnung da geweſen. Wir wollen aber dieß
fahren laßen, und erinnern, daß die Reiſebe-
ſchreiber bemerken, ſie wuͤrden nicht fuͤr Goͤtter,
ſondern vielmehr fuͤr Diener und Soldaten des
großen Gottes angeſehen. Sie waͤren weiter
nichts als Bedienten Gottes, die ſeine Befehle
ausrichteten, und waͤren ſowohl als andere Ge-
ſchoͤpfe mancherley Veraͤnderungen unterworfen.
Dem-
[459] Demungeachtet werden ſie fuͤr allwiſſend, all-
gegenwaͤrtig, heilig, gerecht und guͤtig gehal-
ten. Und aus dieſem Grunde, ſagen die
Braminen, muͤßte man ſein Gebet zu ihnen
wenden.


Man muß aber dieß nicht als die Mey-
nung aller Braminen, noch vielweniger fuͤr die
Meynung des Volks anſehen, ſondern nur als
Meynungen beſonderer Sekten und Privat-
leute betrachten. Denn man weiß, daß ſo-
wohl die Braminen als das, Volk dieſen drey
Weſen hoͤhere Vorrechte beylegen, und einige
den Viſtnou fuͤr den hoͤchſten Gott erklaͤren,
andere den Iſchuren dafuͤr wollen angeſehen
wiſſen. Ein jeder ſtreitet fuͤr ſeine Parthey,
daher unter ihnen der Unterſchied zwiſchen
Viſtnouviſten und Iſchureniſten. — Die-
ſen drey Goͤttern hat man ein Geſchlechtsregi-
ſter beygelegt, das nach der Willkuͤhr voͤllig
eingerichtet zu ſeyn ſcheint. Die Malabaren
glauben, dieſe drey Goͤtter waͤren von der Goͤt-
tin Chatti gebohren worden. Andere ſagen,
daß das Volk den Urſprung aller Dinge in der
Linga, oder den geheimen Zeigungsgliedern
ihres Gottes Iſchora, ſuche. Linga ſoll von
einem Ey entſtanden ſeyn, in welches ſich die
Iſchurrette verwandelt; andere hingegen ſagen,
daß Linga die Gottheit ſelbſt ſey.


Die Braminen und Hindiſtaner ſcheinen
dem Brama anzuhangen. Die in Karnate
ziehen
[460] ziehen den Viſtnou vor, und die Malabaren
erheben den Ruddiren oder Iſchuren.


In die erſte Klaſſe gehoͤrt der Goͤtze Bra-
ma.
Dieſem Brama legen die Braminen,
(ohngeachtet ihre heiligen Buͤcher verſichern,
daß er auf goͤttlichen Befehl aus der Erde ent-
ſtanden ſey) einen verſchiedenen Urſprung bey,
wobey wir uns aber hier nicht aufhalten koͤn-
nen. Man kann hieraus ſoviel abſtrahiren,
daß da die Braminen vom ausdruͤcklichen Buch-
ſtaben ihrer heiligen Buͤcher, ganz offenbar ab-
gehen, ſie dadurch an den Tag legen, daß ſie
ſelbige nicht fuͤr goͤttlich halten.


Nachdem alſo Brama erſchaffen, ſo legte
ihm Gott die Macht bey, die ganze Welt, und
alles was darinnen iſt, zu erſchaffen, wiewohl
ihm dieſe Macht, wie die Baniyanen und Ma-
labaren ſagen, vom Viſtnou ſey beygelegt
worden. Auf der andern Seite legen ihm die
Braminen die Erhaltung der Thiere bey, die
doch nach dem Berichte des Shaſter, ein Ge-
ſchaͤfte des Viſtnou iſt. Hieraus zeigt ſichs deut-
lich, daß die Sekten ihre heiligen Buͤcher nach Be-
lieben veraͤndern. Die Braminen ſchreiben dem
Brama die Erſchaffung und Regierung aller
Dinge zu, denn ſie ſagen, Gott bekuͤmmere
ſich darum gar nicht. Brama, ſagen ſie wei-
ter, beſtimme das Schickſal der Menſchen, und
beſorge alles in der Welt. Dieß Geſchaͤft des
Brama iſt nun freylich groß, daher ordnen
ihm die Bramitzen eine hinlaͤngliche Anzahl zur
Seite,
[461] Seite, die ihm in ſeinen mannichfachen Ge-
ſchaͤften Beyſtand leiſten.


Die Braminen ſetzen noch zu den vielen Er-
dichtungen hinzu, daß Brama anfangs fuͤnf
Koͤpfe gehabt. Und da in ſeinem Bildniß nur
vier Koͤpfe zu ſehen ſind; ſo geben ſie vor, er habe
den fuͤnften in einem Streite mit den Iſchu-
ren
verlohren. Der Streit zwiſchen dieſen bey-
den Goͤttern wird verſchiedentlich erzaͤhlt, und
da wir uns mit Recenſirung der mancherley Er-
zehlungen nicht abgeben muͤſſen, wenn wir un-
ſerm Plane wollen getreu bleiben; ſo wird uns
der Leſer hiervon diſpenſiren.


Fragt man, wo Brama ſeine Wohnung
habe, ſo ſagen ſie uns, daß er in Brama Lo-
kon
oder Logum reſidire, welches unter allen
Welten die hoͤchſte, und dem Himmel die naͤch-
ſte iſt, in welcher Gott ſelbſt wohnet. Sie
meynen auch, daß er nach einer gewiſſen Reihe
von Jahren ſterben, und wieder auferſtehen
werde. — Die Hindiſtaner ſchreiben dem
Brama zwey Weiber zu. Die eine heiſt Sa-
raſvati,
welches ſeine eigne Tochter ſoll gewe-
ſen ſeyn, daher iſt das Sprichwort bey ihnen:
du mußt es nicht machen wie Brama. Die
andere heißt Qviatri. Dieſe war unfruchtbar.
Von der erſten wird ein Sohn, Namens Deſ-
va,
angegeben. Und aus dem Blute, das
aus ſeinem Halſe floß, wie ihm ſein fuͤnfter
Kopf abgeriſſen wurde, enſtand ſein Sohn,
Soga-
[462] Sogatrakavaſchen, der nicht weniger als fuͤnf
hundert Koͤpfe und tauſend Haͤnde hatte.
Brama ſoll auch von Gott die Macht erhalten
haben, ſo viel Kinder zu zeugen, als ihm be-
liebe. Unter dieſen war Kaſſiopa, der Vater
der guten und boͤſen Engel.


Viſtnou. Der Name Viſtnou, Viſt-
num
oder Wiſhtnum, ſcheint mit dem Na-
men Beſhen, einerley zu ſeyn. Es werden
ihm, ſo wie dem Brama, verſchiedene Namen
beygelegt. — Dieſer Viſtnou hat, nach dem
Bericht der Malabaren, gleichfalls ſeinen Ur-
ſprung vom Quivelinga. Das Anſehen in
welcher er ſtehet, iſt ſehr groß, und ſeine An-
haͤnger ſchreiben ihm eine unendliche Ausdeh-
nung zu, und ſagen, daß er allen Raum er-
fuͤlle. Dennoch behaupten ſie, daß er in dem
Milchmeere (wovon unten ein mehrers) woh-
ne. Zu ſeinem Bette machen ſie eine Schlan-
ge, Annatan, welche fuͤnf Koͤpfe hat. Zwey
davon dienen ihm ſtatt des Kuͤſſens, einer ſtatt
des Polſters, und auf zween ruhen ſeine Haͤn-
de. Aus dieſer Urſache toͤdten ſie auch nie die
Schlangen, ungeachtet ſie ihnen oft viel Scha-
den verurſachen. Die Anbeter des Viſtnou,
laſſen es nicht dabey bewenden, ihn fuͤr den
Erhalter der Welt zu halten, ſondern ſie legen
ihm auch vieles bey, was ſonſt dem Brama
zukommt. Denn ſie meynen, Viſtnou theile
die Menſchen in Reiche, Arme und Mittlere
ein: nicht genug, er habe ſogar den Brama er-
ſchaffen.
[463] ſchaffen. Man kann leicht denken, wie groß
die Verbitterung der Anhaͤnger des Brama,
und die des Viſtnou, deßwegen ſeyn muͤſſen.
Aber die Viſtnouviſten treiben ihre Beleidigun-
gen noch hoͤher. Denn ſtatt deſſen, daß es im
Vedam und Shaſter heißt, daß die erſten
heiligen Buͤcher ihm waͤren von Gott gegeben
worden, ſo ſagen ſie dagegen, daß Viſtnou
den Vedam in einer gewiſſen Schaale gefun-
funden habe.


Viſtnou hat, wie es ſcheint, viele Weiber
gehabt, die er ſich eine Zeitlang zur Befriedi-
gung ſeiner Luͤſte beygelegt, und nachhero wie-
der von ſich gelaſſen hat. Unter den vielen
Weibern waren zwey, die er bey ſich behalten,
in der Abſicht Kinder mit ihnen zu zeugen.
Außer dieſem beyden Weibern hat er noch tau-
ſend in ſeinem Serail. Demungeachtet finden
wir mehr nicht als einen Sohn, Namens Ka-
ſchen.
Wir muͤſſen hier noch das Intereſſan-
teſte von der Hiſtorie ſeiner Zehn Verwandlun-
gen — welche dieſen Gott in Indien am mei-
ſten beruͤhmt machen — anfuͤhren.


Unter dieſen Verwandlungen ſollen die vor-
nehmſten Geheimniſſe der heidniſchen Religion
verborgen liegen. Die Indier ſind mit dieſen
Verwandlungen des Viſtnou ſehr geheim, und
laſſen ſie niemanden wiſſen. Baldaͤus, ein
ſehr zuverlaͤßiger Scribent hatte ſichs einmal
in den Kopf geſetzt, alles zu verſuchen, um
hinter das Geheimniß zu kommen. Es gelang
ihm
[464] ihm auch nach vieler Muͤhe, es von einem Bra-
minen, der ſich zur chriſtlichen Religion wandte,
zu erfahren. Dieſem Baldaͤus ſind wir die
ganze folgende Beſchreibung ſchuldig.


  • 1) Geben die Braminen vor, welches die
    Hindiſtaner auch groͤßeſtentheils glauben, daß die-
    ſer Gott Viſtnou, bereits neunmal leibliche Ge-
    ſtalt an ſich genommen, und daß er noch einmal
    im Fleiſch erſcheinen werde. Das erſtemal ver-
    wandelte er ſich in einen großen Seehund, Na-
    mens Matja, um den Vedam einen gewiſſen
    Daͤmon zu entreiſſen, der es aus dem Dewaaol
    geſtohlen, und ſich damit in den Abgrund des
    Meers verſteckt hatte.
  • 2) Das zweytemal verwandelte er ſich in
    eine Kourma oder Schildkroͤte, in deren Ge-
    ſtalt er unter die Welt kam, als er ſich mit dem
    Gewicht des Berges Merowa, oder Maha-
    Meru, der in die See geworfen wurde, hinab-
    ſenkete, um das Amortam, oder das Ambroſia
    zu finden. Dieſes Amortam ſollte als ein Gegen-
    gift dienen, wider einen gewiſſen heftigen Gift.
  • 3) Das drittemal verwandelte ſich dieſer
    Gott in ein Schwein, um einen ſehr langen
    Rieſen zu verfolgen, der den Erdboden wie ein
    Blatt Papier zuſammengewickelt hatte, und
    ſelbigen auf den Schultern trug; da er aber
    nicht vermoͤgend war, denſelben wieder gerade
    hinzuſtellen, ſo bediente er ſich eines kleinen Hei-
    ligen,
    [465] ligen, der nur einen Zoll lang war, um ſol-
    chen gerade hinzuſtellen, welches er nicht nur
    that, ſondern, da auch das Meer uͤber die Groͤße
    dieſes Zwerges lachte, ſo ſof er das Merr ganz
    aus, und piſſete es wieder von ſich; daher das
    Meer ſeine Salzigkeit erhalten haben ſoll. Al-
    lein die Baniyanen, Jentewen und Hindiſtan
    erſtatten einen ganz andern Bericht von dieſer
    Verwandlung, welche 2700 Jahre vom erſten
    Weltalter, oder Periode der Welt in ſich
    faſſet.
  • 4) Zum viertenmal verwandelte ſich Viſt-
    nou in ein Ungeheuet, das halb Menſch,
    halb Loͤwe war; dieſe Geſtalt nahm er an, um
    den Rieſen zu beſtrafen, der, nachdem er ſich,
    durch die vom Brama ihm gegebene Macht, die
    ganze Erde unterwuͤrfig gemacht, niemand als
    ſich ſelbſt wollte anbeten laſſen. Er wurde da-
    her von dem Menſchenloͤwen in Stuͤcken zerriſ-
    ſen; und damit hatte der erſte Periodus der
    Zeit ein Ende.
  • 5) Zum fuͤnftenmal verwandelte er ſich in
    einen bettelnden Bramanen, um den Mavali,
    einen untergeordneten Gott aus der Regierung
    der Welt zu verdraͤngen, und dagegen einen
    Unterſchied der Stufen und Umſtaͤnde unter den
    Menſchen einzufuͤhren, die damals einander
    voͤllig gleich waren. Zu dem Ende erbettelte er
    ſich vom Mavali nur drey Fuß Erde, um ſich
    eine Huͤtte daraus bauen zu koͤnnen; und als
    G gihm
    [466] ihm dieſes war gewaͤhret worden, ſo nahm er
    ſeine eigene Geſtalt wieder an, und bedeckte mit
    einem ſeiner Fuͤße die ganze Erde, mit dem an-
    dern aber das Paradies. Darauf ſetzte er den-
    ſelben weg, und ſtellte ihn uͤber die hoͤlliſchen
    Gegenden, und bekam alſo drey Theile in Be-
    ſitz. Doch machte er den Mavali zum Thuͤr-
    huͤter des Paradieſes.
  • 6) Die naͤchſte Verwandlung des Viſtnou
    geſchah in der Geſtalt eines Praſſaram, eines
    ſchoͤnen Knaben, der aus Gehorſam gegen den
    Willen ſeines Vaters, ſeiner Mutter den Kopf
    abſchlug; allein auf ſein Bitten ſchenkte ihr
    ſein Vater das Leben wieder. Darum wid-
    mete er ſich ſelbſt dem Viſtnou zwoͤlf Jahre, in
    welcher Zeit, er ohne Unterlaß mit kreutzweiſe
    uͤbereinander geſchlagenen Fuͤßen ſaß. Indeſ-
    ſen erſchlug ein maͤchtiger Rajah ſeinen Vater,
    ob er gleich ſein Schwager war, weil er ſich
    weigerte, ihm Kamdoga, oder die weiſſe Kuh
    des Ueberfluſſes zu geben, die er vom Rajah
    Inder,
    dem Koͤnige der ſeligen Seelen geborgt,
    um ſeine Anverwandten deſto beſſer zu bewir-
    then. Als Paſſaram dieſes von der Kuh er-
    fuhr, ſo gieng er hin, und erſchlug das ganze
    Geſchlecht der Rajahen, die auf Erden gefun-
    den wurden. Allein die Seelen ſeines Vaters
    und Mutter wurden abgeſchickt, die Leiber des
    Rajah Daſſerat und ſeines Weibes, wieder auf
    Befehl des Viſtnou, zu beleben, welcher ihnen
    ver-
    [467] verſprochen hatte, ihre Nachkommenſchaft zu
    erheben, zu welchem Ende ſie einen Sohn, Na-
    mens Ram, gleichſam zum Unterpfande beka-
    men, der die Materie der ſiebenten Verwande-
    lung ausmacht. Der Zweck dieſer ſechſten Ver-
    wandelung, ſcheint die Befoͤrderung der Lehre
    von der Seelenwandlung zu ſeyn; ferner hat
    dadurch, nach dem Innhalt des Shaſters ge-
    zeigt werden ſollen, wie das Geſchlecht der Kut-
    terier anfaͤnglich ausgerottet, nachher aber wie-
    der hergeſtellt worden iſt.
  • 7) Ram oder Rama, heyrathete Sittra,
    die Tochter eines maͤchtigen Rajah, die er da-
    durch gewann, da er ſich dem Rieſen Rawan
    widerſeßte. Dieſer Rieſe erhielt, außer zehen
    Koͤpfen und zwanzig Armen, von dem Iſhu-
    ren das Vorrecht, viele tauſend Jahre zu leben.
    Als einige Zeit nachher des Ram Bruder, der
    Schweſter Rawan Naſe und Ohren auf ſei-
    nem Befehl abgeſchnitten, und verſchiedene
    Armeen geſchlagen, welche die zugefuͤgte Belei-
    digung raͤchen ſollen, ſo entfuͤhrte Rawan, in
    der Geſtalt eines bettelnden Braminen, die
    Sittra auf die Inſel Seylan. Ram ſetzte ihm
    nach, und gieng unter dem Beyſtand des Ha-
    numan, und anderer Affen, (nach Rogers
    Bericht, waren es Engel in Affengeſtalt) uͤbers
    Meer nach Seylan, und zwar vermittelſt einer
    Bruͤcke von ſchwimmenden Steinen: und nach-
    dem er große Thaten verrichtet, bey deren Be-
    G g 2ſchreibung
    [468] ſchreibung die Erſindungskraft ihr aͤußerſtes
    gethan; ſo toͤdtete er Rawan, und bekam Sit-
    tra wieder in ſeine Haͤnde. Eilf Jahr nach
    ſeiner Ruͤckkunft fuhr er in den Himmel, und
    damit endigte ſich der zweyte Periodus der
    Zeit.
  • 8) Die achte Erſcheinung des Viſtnou ge-
    ſchah in der Perſon des Kiſna, und wird fuͤr
    die merkwuͤrdigſte unter allen gehalten; *) es
    kann auch dieſes nicht geleugnet werden, wenn
    dasjenige merkwuͤrdig heißt, was ſowohl das
    abendtheuerlichſte und unglaublichſte, als auch
    das ungereimteſte und laͤcherlichſte iſt. Der
    Inhalt der Legende iſt folgender. Als Rajah
    Kaas,
    Koͤnig von Mottera auf der Nord-
    ſeite von Agra, durch Wahrſagungen aus den
    Haͤnden erkannte, daß ſeine Schweſter Deuki,
    die aus den Kuhhirten an einen Braminen ver-
    heyrathet war, einen Sohn gebaͤhren wuͤrde,
    der ihn ſowohl ſeines Koͤnigreichs, als ſeines
    Lebens berauben wuͤrde, ſo ließ er ſie in Ver-
    wahrung bringen, und befahl, daß ihre Kin-
    der, ſobald ſie geboren worden, umgebracht
    werden ſollten.
  • Kiſna, der juͤngſte, wurde durch ſeine eig-
    ne Macht und Veranſtaltung beiſeite geſchaft:
    und
    [469] und ob er gleich nur noch ein ſaͤugendes Kind
    war; ſo toͤdtete er doch verſchiedene Rieſen, die
    geſendet wurden, ihn zu toͤdten, und ſchwung
    ſich ſelbſt in die Hoͤhe. Waͤhrend ſeiner Kind-
    heit verrichtete er viele Wunderwerke, dahin
    gehoͤrt, daß er Reis, Milch und Kraͤuter von
    einander abgeſondert, nachdem ſie unter einan-
    der gemengt worden, daß er ſeine Hand aus
    dem Kuhfelle bis zu ſeinem Hauſe ausgeſtreckt,
    und ein Milchgefaͤß geholt, u. f. Wie er groͤßer
    ward, verrichtete er viel wichtige Dinge, ſon-
    derlich gegen die Rieſen und Schlangen, und
    verband hiermit eine große Leichtfertigkeit, log
    und betrog, wenn es ihm einfiel. So ſtahl er
    z. E. den Weibern, die im Bade waren, die
    Kleider, damit er ſie in ihrer Bloͤße moͤchte
    aus dem Waſſer ſehen herauskommen.
  • Naͤchſt dieſem verrichtete Kiſna verſchiedene
    andere beruͤhmte Thaten, gab den Lahmen,
    den Gebrauch ihrer Glieder wieder, machte die
    Todten lebendig, metamorphoſirte Huͤtten in
    Pallaͤſte, — warf die Tyrannen vom Throne,
    und ſchuͤtzte die Elenden. — Indeſſen wur-
    den die Kuhhirten, die ihn zu ihrem Koͤnige,
    gemacht, und deren Menge ſich auf fuͤnf hun-
    dert und ſechzig Millionen vermehrt hatte, bey
    ihrer anwachſenden Menge immer gottloſer.
    Kiſna ſah das mehr als zu wohl ein; erregte
    daher Mißhelligkeiten unter ihnen, ſo, daß ſie
    ſich unter einander aufrieben. Die Hindiſta-
    G g 3ner
    [470] ner meynen, daß, wenn die Erde aus lauter
    Papier beſtuͤnde, doch nicht alle Wunderwerke
    wuͤrden beſchrieben werden koͤnnen, die Kiſna
    in Zeit von hundert Jahren, in dem dritten
    Periodo der Zeit, verrichtet.
  • 9) Die neunte Verwandlung geſchah in der
    Geſtalt des Boudha, der nach dem Berichte
    der Baniyanen weder Vater noch Mutter hat,
    und unſichtbar iſt; er ſoll aber, wenn er er-
    ſcheint, vier Arme haben. Er bringt ſeine Zeit
    damit zu, daß er mit niedergeſchlagenem Ge-
    ſichte den großen Gott anbetet, welcher von den
    Baniyanen Mahadent genennt wird; und wenn
    er 34030 Jahre wird fortgefahren haben, ohne
    ein Wunderwerk verrichtet zu haben, ſo wird
    ſeine Zeit auf der Erde mit der vierten Periode
    der Welt vorbey ſeyn, die die gegenwaͤrtige und
    letzte iſt. —
  • Es iſt wahrſcheinlich, daß dieſe Verwand-
    lungen ihren Urſprung vom Exempel des Fo
    haben, der oft verſchwindet, und daß die Er-
    finder dieſer neunten Erſcheinung, den Zweck
    gehabt, die zu Tibet uͤbliche Religion, von ih-
    rer eignen herzuleiten.
  • 10) Die zehnte Verwandlung des Viſtnou,
    in ein weiſſes gefluͤgeltes Pferd, iſt noch zukuͤnf-
    tig, und mit ſelbiger ſoll der gegenwaͤrtigen
    Welt ein Ende gemacht werden. Man ſagt,
    daß dieſer irdiſche Pegaſus im Himmel nur auf
    drey
    [471] drey Fuͤßen ſtehe, und den rechten Vorderfuß
    beſtaͤndig in der Hoͤhe trage. Man ſagt fer-
    ner, daß mit dem Anbruch dieſer Verwandlung
    alle gottſelig leben, und nach und nach in alle
    Arten von Gottloſigkeiten gerathen wuͤrden.
    Alsdann wuͤrde das gefluͤgelte Pferd auf den
    Erdboden mit dem aufgehobenen Fuße, mit ſo
    außerordentlicher Macht ſtampfen, daß die
    Schlange Signaga, weil ſie die Welt nicht
    laͤnger zu halten vermoͤgend ſey, unter derſel-
    ben ſinken, die Schildkroͤte aber, der nun die
    ganze Laſt auf dem Halſe liege, ſich in das
    Meer und unter die Erde verkriechen werde.
    Und damit ſoll dieſem letzten Periodo der Zeit
    ein Ende gemacht, und der erſte wieder ange-
    fangen werden! Wunderlich genug!

Dem Gotte Iſhuren oder Ruddiren
hat man nicht mehr als tauſend und acht Na-
men beygelegt. Wir wollen uns aber hier mit
den mancherley Benennungen nicht aufhalten,
und nur anfuͤhren, daß er im Vedam und
Shaſter unter dem Namen Ruddiren bekannt
iſt. Sein gewoͤhnlichſter Name iſt aber Iſhu-
ren.
— Die Verehrer dieſes Gottes, ſchrei-
ben ihm die Unſterblichkeit zu, welche er, wie
ſie ſagen, durch die Aſche erhalten, die in der
Schaale geblieben, nachdem Chiva Linga
verbrannt worden. — Ueber den Ort ſeiner
Reſidenz iſt man nicht einig. Nach der Mala-
baren Berichte, wohnt er in Kala-ja, einem
G g 4Silber-
[472] Silberberge, und Art eines Paradieſes, auf
der Suͤdſeite des beruͤhmten Berges, Maha
Meru.


Von der Perſon des Gottes Iſhuren, ſa-
gen ſie, er ſey ſo ganz außerordentlich dicke,
daß er alle ſieben Himmel und die ſieben Wel-
ten beynahe ausfuͤlle. Seine Farbe ſoll ſo
w[e]iß wie Milch ſeyn. Er hat drey Augen, wo-
von eines in der Stirne ſteht, welches alles,
was er mit demſelben anſieht, verzehrt. Er
hat auch ſechzehn Arme. Seine Kleidung be-
ſteht aus einer Tiegerhaut, ſein Mantel aber
iſt aus einer Elephantenhaut gemacht, die mit
Schlangen beſetzt iſt. Um ſeinen Hals traͤgt
er einem Pelz, mit einer daran befeſtigten
Glocke, wie auch drey Ketten. Die eine iſt
mit Roſen und andern duftenden Blumen durch-
flochten. Sein ganzer Leib iſt mit Aſche von
Kuhmiſt beſchmiert, unter dieſer Geſtalt wird
er auch in den Pagoden vorgeſtellt) und ſo rei-
tet er im Triumph durch Kala-ja, auf ſeinem
La thiere Iriſ hipatan, dem ſie gewiſſe Opfer
bringen. Die Braminen ſagen, daß Iſhu-
ren, um die Suͤnden zu buͤſſen, da er den fuͤnf-
ten Kopf des Brama abgeriſſen, zwoͤlf Jahre
betteln gehen, und mit einem Bettelkorbe in
der Hand, Almoſen ſuchen muͤſſen, und ob er
wohl von Zeit zu Zeit den noͤthigen Vorrath zu-
ſammen gebettelt, ſo waͤre doch alles gleich durch
den feurigen Strahl, der aus ſeinem dritten
Ange geſchoſſen, verzehrt worden.


Unter
[473]

Unter andern ausſchweifenden Erzaͤhlungen
von dieſem Gott, wird uns auch gemeldet, daß,
als waͤhrend ſeiner Wanderſchaft Jekſha Pra-
java,
Koͤnig der Peringalen und Vater ſeines
Weibes Parameſſeri, ein Verlangen getragen,
ſeine Toͤchter in ihrer voͤlligen Herrlichkeit zu ſe-
hen, er den Brama und Viſtnou, die auch
ſeine Schwiegerſoͤhne geweſen, zu einem praͤch-
tigen Gaſtmale eingeladen, dabey aber vergeſſen,
den Iſhuren auch zu bitten, wie wohl er ihn
endlich, als er die Sache beſſer uͤberlegt, auch
dazu eingeladen. Indeſſen nahm der Bettel-
gott dieß ſo uͤbel, daß er ſich entſchloß, das Gaſt-
mal zu berauben. Er wurde durch die Aufnah-
me ſeines Weibes noch mehr zum Zorn gereizt.
Denn als ſie von ihm die Erlaubniß erhalten,
ſich beym Gaſtmale einzufinden; ſo befahl er
ihr, ihren beſten Schmuck anzulegen, und da-
mit er ſie deſto herrlicher ausputzen moͤchte, ſo
leihete er ihr ſeine Schlangen, mit einem Wor-
te, ſeinen uͤbrigen Schmuck. — In dieſem
Staate nun, ſetzte ſie ſich auf einen Ochſen,
und kam unter einem ſtarken Gefolge von Trom-
melſchlaͤgern u. ſ. w. in ihres Vaters Pallaſt
an. Als ihre Schweſtern und andern Gaͤſte,
die ihr bis an das Thor entgegen giengen, ſie
in einem ſolchen abendtheuerlichen Aufzuge erblick-
ten; ſo ſingen ſie, ſtatt ſie zu bewillkommen,
entſetzlich an zu lachen. Hieruͤber ward ſie hef-
tig entruͤſtet, kehrte zuruͤck, und beklagte ſich
bey ihrem Manne Iſhuren, wegen der ſchlech-
G g 5ten
[474] ten Aufnahme. Iſhuren, der ſich auch fuͤr
beleidigt hielt, ſchickte ſeine Soͤhne Auenavadi
und Superbennia ab, um ihre Freude zu ſtoͤh-
ren. Viſtnou, der wohl wußte, daß der eine
gerne Kuchen aß, und der andere ſich gerne was
vorſchwatzen ließ, wußte es dahin zu bringen,
daß beyde die Abſicht ihrer Reiſe vergaßen.
Iſhuren wurde endlich dahin gebracht, daß er
ſich entſchloß, ſelbſt dahin zu gehen. Viſtnou
und Brama, widerſetzten ſich ihm, und es kam
zu einem blutigen Streite unter ihnen.


Wir finden es nicht wichtig und intereſſant
genug, unſern Leſern hier Beyſpiele des wolluͤ-
ſtigen Lebens des Iſhuren anzufuͤhren. Auch
wird dem Leſer wenig daran gelegen ſeyn, eine
umſtaͤndliche Nachricht von den Weibern und
Kindern des Iſhuren zu leſen. Wir wollen
vielmehr itzt ſehen, wie er von den Hindiſtanern
verehrt wird. In den Pagoden wird er erſtlich
unter der Geſtalt eines Mannes mit drey Au-
gen und ſechzehn Haͤnden vorgeſtellt. Hiernaͤchſt
wird er unter dem Bilde des maͤnnlichen Glie-
des, oder vielmehr der geheimen Theile beyder-
ley Geſchlechts, in ihrer Vermiſchung vorge-
ſtellt. Wegen dieſer unzuͤchtigen Vorſtellung,
iſt Iſhuren unter den Indianern eben ſo be-
ruͤhmt, als Viſtnou wegen ſeiner zehn Verwand-
lungen.


Wir koͤnnen uns hier auch nicht in eine Be-
ſchreibung der Untergoͤtter einlaſſen, weil wir
ſonſt
[475] ſonſt ſchlechterdings zu weitlaͤuftig werden wuͤr-
den. Wer indeſſen ſich davon zu unterrichten
wuͤnſcht, der ſchlage den Baldaͤus nach, der
ihm hinlaͤnglichen Unterricht geben kann.


Man findet uͤberall in Hindiſtan Pagoden
oder Tempel, welche den verſchiedenen Goͤttern
zu Ehren, aufgerichtet ſind. In jeder Stadt
von Karnata, findet man zum mindeſten zwey
Pagoden, wovon eine dem Viſtnou, und die
andere dem Iſhuren zu Ehren aufgerichtet iſt.
Dieſe Tempel ſind hoͤher als die, welche den nie-
dern Goͤttern geheiligt ſind. Sie ſind flach ge-
bauet, aber ohne Fenſter, und es kommt kein
andres Licht, als was durch die Thuͤre hinein-
faͤllt. Die Pagode hat drey Abtheilungen. —
Rund um dieſe Tempel befindet ſich ein großer
Raum, der mit einer Mauer eingefaßt iſt, auf
welchem verſchiedene kleine Pagoden ſtehen.


Man findet nicht, daß die Braminen das
Volk in den Pagoden zuſammen kommen laſſen,
oder daß gewiſſe Tage zum Gottesdienſt ausge-
ſetzt ſind. Nur in gewiſſen Naͤchten, ohnge-
faͤhr ein oder zweymal im Monate, werden die
Bilder des Viſtnou und Iſhuren in Proceßion,
durch die Straßen herumgefuͤhrt. Das Bild
ſteht auf einem hoͤlzernen Pferde, das ſeine
Vorderfuͤße in die Hoͤhe haͤlt, mit den beyden
Hinterfuͤßen aber auf einem Boden von Bre-
tern feſt ſtehet, und von vier Mukwas oder
Fiſchern
[476] Fiſchern auf den Schultern getragen wird. Bey
dieſen Cerimonien pflegt man zu tanzen und zu
ſpringen. Das Bildniß des Viſtnou wird reich-
lich mit Blumen beſtreut, weil er es verlangt.
Iſhuren ſieht es gerne, wenn ſein Bildniß oft
gewaſchen und mit wohlriechenden Waſſer begoſ-
ſen wird. Natuͤrlicherweiſe wenden daher ſeine
Anbeter alle Sorgfalt an, ſich ihm ſo verbind-
lich als moͤglich zu machen. — An gewiſſen
Feſttagen werden die Bildniße ſowohl der Goͤt-
ter als Goͤttinnen auf Siegeswagen herumge-
fuͤhrt, die von einer großen Menge Menſchen
gezogen werden. Die Ehrerbietung, welche
das Volk bey dieſer Gelegenheit zeigt, iſt ganz
außerordentlich.


Der Gottesdienſt wird beſonders von den
Braminen Pantaren und Antigolen, welches
drey Arten gottesdienſtlicher Perſonen ſind, ver-
richtet. Dieſe ſtehen des Morgens fruͤhe auf,
baden ſich und bereiten ihren Opfertrank, der
aus Honig, Zucker u. f. beſteht. Zu gleicher
Zeit opfern ſie Blumen, und beſtreuen alle ihre
Opfer und Bilder mit der Aſche von Sandal-
holz. Darauf ſchreiten ſie zum Raͤuchwerk,
das aus mancherley Gatrungen von Holz be-
ſteht. Alsdenn bereiten ſie die Opfermahlzei-
ten aus Reis, Erbſen, Bohnen, Butter und
Cocosnuͤſſen. Dieſe ſetzen ſie vor die Bilder,
und hernach machen ſie ſich ſelbſt daruͤber her,
ermangeln aber zugleich nicht, das Lob des
Gottes
[477] Gottes, dem ſie das Opfer bringen, zu er-
zaͤhlen.


Die Andacht welche hier die Frauensperſo-
nen beweiſen, weicht der in Europa im gering-
ſten nicht. Sobald ein Maͤdchen ſieben bis
acht Jahr alt iſt, begiebt ſie ſich bey den Prie-
ſter ihrer Eltern, und giebt ſich als eine Schuͤ-
lerinn an. Wenn ſie ſich verheyrathet; ſo
ſchreibt ſie ſich in das Ver eichniß der Schuͤle-
rinnen ſolcher Prieſter ein. Von dieſer Zeit
hoͤrt ſie ihre Reden und Belehrungen an, geht in
die Pagoden, und bringt ihren Gruß vor die
Bilder und Braminen. Wenn ſie jung iſt; ſo
geht ſie allein dahin, iſt ſie mannbar, ſo wird
ſie von zwey bis drey Weibern dahin beglei-
tet, die ſich wechſelsweiſe mit heiliger Aſche
beſtreuen.


Der Gottesdienſt der Hindiſtaner iſt mit ei-
ner ſehr großen Menge Cerimonien verbunden,
dahin die Beobachtung der Feſt- und Faſttage
gehoͤret, deren jaͤhrlich verſchiedene vorkommen.
Ihre Baͤder und Reinigungen, dabey ſie ſich
mit heiligem Waſſer und heiliger Aſche von
Kuhmiſt beſprengen, werden fuͤr ſehr kraͤftig
gehalten. Die Aſche wird von den Prieſtern
eingeweihet. — Wallfahrten ſind in Indien
nicht weniger gebraͤuchlich, als in Europa, und
außer den beſondern Wallfahrtsplaͤtzen, deren
ver-
[478] verſchiedene in jedem Lande der Hindiſtaner an-
getroffen werden, giebt es auch einige allgemei-
ne; dahin gehoͤrt z. E. Kaſi, am Ganges;
Matura, unweit Agra. Das Wallfahrten
wird fuͤr eine ſehr verdienſtliche Handlung an-
geſehen, und fuͤr ein Mittel gehalten, die Suͤn-
de auszuſoͤhnen. Zu dem Ende haben ſie auch
verſchiedene Bußuͤbungen. Einige ſitzen oder
ſtehen in eben derſelben Stellung des Leibes gan-
ze Jahre hintereinander. Einige tragen große
Laſten, andere aber ſchleppen ſich mit ſchweren
Ketten herum. Einige ſtellen ſich in die bren-
nenden Sonnenſtrahlen u. ſ. w. Kurz, die
Handlungen dieſer Art, die ſie vornehmen, ſind
ganz erſtaunlich und unglaublich. Alle Reiſe-
beſchreiber ſtimmen hierinn auch voͤllig uͤberein.
Durch dieſe an ihrem Koͤrper veruͤbte Strenge
hoffen die Hindiſtaner Vergebung ihrer Suͤn-
den zu erlangen, und ſich der Seligkeit zu ver-
ſichern.


Sie glauben nicht, daß ihre Suͤnden durch
einen andern Menſchen, und ſelbſt nicht einmal
durch Gottes Sohn, koͤnnten verſoͤhnt werden.
Allein ſie denken, daß ihre Suͤnden durch Her-
ſagung einiger Gebete leicht koͤnnten vergeben
werden.


Die Hindiſtaner glauben einen zukuͤnftigen
Zuſtand, darinn Belohnungen und Strafen
ſeyn
[479] ſeyn werden. Auch nehmen ſie ein Fegefeuer
an. Teufel, Hexen und Erſcheinungen ſind
Dinge, woran ſie eben ſo eifrig glauben, als
die Europaͤer. Der Teufel ſonderlich, und die
Hexen richten, nach ihrer Meynung, viel Un-
heil in der Welt an; ſie bringen oftmals Men-
ſchen um das Leben. An Teufelsbeſitzungen
glauben ſie feſt. Um nun den Teufel aus den
Menſchen zu treiben, fuͤhren ſie den Beſeſſenen
in den Tempel, und bringen erſt dem Gotte,
dem der Tempel geweiht iſt, Opfer dar. Dar-
auf pruͤgeln ſie den Beſeſſenen mit einem Knit-
tel, um den Teufel ſchuͤchtern zu machen, der,
weil er eines ſolchen Tractaments nicht gewohnt
iſt, im Zorn ausfaͤhrt, und ſich uͤber die Unge-
rechtigkeit, die ihm durch die Austreibung wie-
derfahren, laut beſchwert.


Von der Seele hegen ſie verſchiedene Mey-
nungen. Einige ſind der Meynung, daß Gott
ſelbſt die Seele ſey; andere aber halten ſie fuͤr
einen Theil von Gott. Endlich giebt es noch
andere, welche glauben, daß Gott in der Schoͤ-
pfung alle die Seelen erſchaffen habe, die fuͤr
das menſchliche Geſchlecht beſtimmt geweſen.
Dem ſey aber wie ihm wolle, ſo glauben doch
faſt alle, daß die Seelen ewig und unſterblich
ſind.


Die meiſten Indianer glauben, daß ein je-
der Menſch zwo Seelen, eine gute und eine boͤ-
ſe,
[480] ſe, habe. Man pflegt ſie auch auf folgende
Art zu unterſcheiden. Eine heißt die oberſte
Seele, die nichts anders als Gort ſelbſt iſt;
die andere aber iſt die thieriſche Seele, die im
Menſchen der Empfindungsgrund der Luſt und
Unluſt, der Liebe, des Haſſes und anderer Lei-
denſchaften iſt. — Endlich glauben die Hin-
diſtaner, daß ſowohl die Seelen der Menſchen
als anderer Thiere gleich waͤren. (S. Roger.)
Sie meynen, der Unterſchied zwiſchen der thie-
riſchen und menſchlichen Seele liege nicht in der
Seele ſelbſt, ſondern in der verſchiedenen Stru-
ctur und Einrichtung der Koͤrper.


Man zaͤhlt unter den Hindiſtanern drey
Klaſſen der Cleriſey. Einige ſind Prieſter von
Geburt, welches die Braminen ſind; andere
ſind es durch Adoption, nemlich aus dem
Stamme der Shudderier, oder der Kauf-
leute, die von den Braminen zugelaßen wer-
den; die dritten ſind es durch die Wahl, und
werden aus den andern Staͤmmen zum Prie-
ſteramt erwaͤhlt.


Von allen dreyen Gattungen der hindiſta-
niſchen Prieſter muͤſſen wir hier einen genauen
Abriß geben.


Wir haben bereits im vorhergehenden von
den Braminen Nachricht ertheilt, in ſofern
ſie
[481] ſie einen von den vier Staͤmmen ausmachen,
darinn die Hindiſtaner getheilt ſind. Itzt wol-
len wir ſie in Abſicht auf ihr Amt beſchreiben. —
Sie geben bekanntermaßen vor, daß ſie vom
Gotte Brama abſtammten, und Kraft ihrer
Abſtammung rein und ohne Suͤnden waͤren.
Und aus dieſer Urſache werden ſie auch als der
vornehmſte Adel angeſehen. Der Wahn ihres
goͤttlichen Urſprungs macht ſie ganz entſetzlich
ſtolz, ſo daß ſie die uͤbrigen Menſchen mit einer
unertraͤglichen Verachtung anſehen — Es iſt
gewiß, daß die Braminen von den uͤbrigen
Staͤmmen ſehr geehrt werden, weil ihnen ihre
goͤttliche Abkunft in dem Vedam ſelbſt zuge-
ſtanden wird. Unter den vielen Vorrechten,
deren ſie genießen, iſt dieſes das merkwuͤrdigſte,
daß ſie nie am Leben geſtraft werden koͤnnen, ſo
groß auch das von ihnen begangene Verbrechen
ſeyn moͤchte. Statt deſſen aber werden ih-
nen die Augen ausgebohrt, weil es eine von
den fuͤnf Todſuͤnden iſt, einen Braminen zu
toͤdten.


Das Amt der Braminen beſteht blos dar-
inn, daß ſie andere nicht nur im Rechnen, Le-
ſen und Schreiben unterrichten, ſondern ihnen
auch in der Religion gruͤndliche Unterweiſung
geben. Dieß iſt ihr Hauptgeſchaͤfte, wofuͤr ſie
aber nicht die geringſte Belohnung annehmen,
außer wenn ſie arm ſind. Die Koͤnige und
H hRaja-
[482] Rajahen ſind verpflichtet, fuͤr den Unterhalt
der Braminen zu ſorgen. Zu dem Ende hat
man ihnen gewiſſe Doͤrfer angewieſen, von de-
ren Einkuͤnften ſie mit ſamt ihren Familien er-
naͤhrt werden. Indeſſen reichen doch die Ein-
kuͤnfte, die von den angewieſenen Doͤrfern ge-
zogen werden, noch lange nicht hin, eine ſo an-
ſehnliche Zunft zu unterhalten. Das ganze
Land muß ſie erhalten.


Wenn die Bramiuen ihre Soͤhne verheyra-
then, ſo ſehen ſie dahin, daß ſie ein Maͤgdchen
aus ihrem eignen Stamme bekommen, welche
ihre monatliche Reinigung noch nicht gehabt.
Wenn ſie die Familie beſuchen, aus welcher ſie
ihrem Sohne ein Weib waͤhlen, ſo geben ſie auf
alle Kleinigkeiten Acht, die ſie fuͤr eine boͤſe
Ahndung halten, und wenn ſie dergleichen drey-
mal ſehen, ſo ſtehen ſie von ihrem Vorhaben
ab. Sobald dem Vater des Maͤgdchens das
Vorhaben eroͤfnet iſt, ſo verlangt dieſer gemei-
niglich, den Freyer zu ſehen; und wenn er ihm
gefaͤllt, und die Ausſtattung, die er bekommen
ſoll, ihm angenehm iſt, ſo ſteht es dem Juͤng-
linge frey, die Familie zu beſuchen. Wenn die
Heyrath geſchloſſen iſt, und der Vater die Hand
ſeiner Tochter dem ihr zugedachten Braͤutigam
gegeben hat, ſo nimmt dieſer letzte das Tali,
ein kleiner Guͤrtel, der mit einem goldenen
Kopfe eines Goͤtzen geheftet iſt, und legt es ſei-
ner
[483] ner Braut um den Hals, wodurch die Verlo-
bung feſt gemacht wird.


Wenn die Kinder der Braminen verheyra-
thet ſind, ſo werden ſie nicht mehr Bramma-
ſaris,
ſondern Grahaſtas genannt. Sie ſe-
hen aber ſehr ſorgfaͤltig dahin, daß ihre Kinder
nicht mit ſolchen verheyrathet werden, die zu
nahe mit ihnen verwandt ſind. Denn ſie ha-
ben einen großen Abſcheu an der Blutſchande,
welches eine von den fuͤnf Todſuͤnden iſt, die
ſchwerlich vergeben wird. In dieſem Falle ver-
ordnet der Vedam, daß der Miſſethaͤter ent-
mannet werde, und mit ſeinen Zeugungsglie-
dern in der Hand ſterben ſoll. — Die Viel-
weiberey wird von den Braminen ſowohl als
von andern Staͤmmen bis zum Ausſchweifen
getrieben.


Die Diaͤt der Braminen iſt uͤberaus maͤßig
eingerichtet. Ihre Speiſen beſtehen blos aus
Reis, Fruͤchten, Wurzeln und Kraͤutern. Ihr
Getraͤnke iſt nicht weniger einfaͤltig, indem ſie
ſonſt nichts als Waſſer trinken, außer, daß ſie
bey den Mahlzeiten zuweilen einen Trunk Milch
thun. Starker Getraͤnke bedienen ſie ſich nicht,
denn ſie verabſcheuen die Trunkenheit, da ſie
eine von ihren Todſuͤnden iſt. Dieſer Stamm
geht aus Stolz nie in das Haus eines andern,
um nicht verunreinigt zu werden.


H h 2Die
[484]

Die Braminen ſind Prieſter ſowohl welt-
lichen als Moͤnchsſtandes. Man trift auch
unter ihnen eine Art von Hierarchie an. —
Die Amtsgeſchaͤfte der Braminen beſtehen dar-
inn, daß ſie mit dem Volke beten, und ihnen
das Geſetz vorleſen. Bey Verrichtung dieſes
Amtes beobachten ſie folgende Vorſchrift:
1) Daß ſie ihrem Leibe allerley poßirliche Stel-
lungen geben, um die Aufmerkſamkeit ihrer
Zuhoͤrer deſtomehr zu ermuntern. 2) Daß ſie
mit gen Himmel gerichteten ungefaltenen Haͤn-
den beten, als ſolche, die das annehmen wol-
len, warum ſie beten. 3) Daß ſie beym Gebet
die Augen zur Erde niederſchlagen. 4) In
dem vom Bremav uͤbergebenen Buche nie an-
ders als in einer ſingenden und trillernden
Stimme leſen.


Auch muͤſſen die Braminen die jungen Leu-
te ihres eignen Stammes, die ſich allmaͤhlich
zum Prieſteramt wollen vorbereiten laßen, un-
terrichten.


Man kann die Braminen in verſchiedene
Sekten und Orden abtheilen, ſowohl in Anſe-
hung ihres Lehrbegrifs, als in Anſehung ihrer
Lebensart. — Der ſcharfſinnige Roger
(Moeurs des Bram.) theilt ſie in Anſehung des
Lehrbegrifs in ſechs Sekten.


Die
[485]

Die erſte heiſt Weiſtnouwa, von ihrer
Ergebenheit an den Viſtnou, den ſie fuͤr den
allerhoͤchſten Gott haͤlt. Dieſe Sekte Wiſtnou-
wa wird wieder in zwey andere getheilt, nem-
lich in Tadwadi, d. i. Diſputanten, und in
Ramanowja Wiſtnouwa.


Die zweyte Sekte der Braminen heiſſet
Seivia. Sie haͤlt Iſhuren fuͤr den allerhoͤch-
ſten Gott.


Die dritte Sekte heißt Smarta. Dieſe
behaupten, daß Viſtnou und Iſhuren, ob ſie
wohl unter verſchiedenen Bildern angebetet
wuͤrden, dennoch eben daſſelbe Weſen waͤren,
und haben einen Abſcheu an ihrem beyderſeiti-
gen Anſpruch an die hoͤchſte Gottheit.


Die vierte Sekte der Bramanen heiſt
Sharwakka. Dieſe ſind den Meynungen
der Epicuraͤer zugethan. Sie leugnen die Un-
ſterblichkeit der Seelen, und einen zukuͤnftigen
Zuſtand nach dieſem Leben.


Die fuͤnfte Sekte heiſt Paſenda. Dieſe
ſagen, daß das hindiſtaniſche Geſetz nicht wahr
ſey, und ſind ſonſt fuͤr nichts, als fuͤr ihren
Bauch beſorgt. In ihren Meynungen ſtim-
men ſie mit der Sekte Sharwakka uͤberein.


H h 3Die
[486]

Die ſechſte Sekte heiſt Chektea. Dieſe
behaupten daß weder Viſtnou noch Iſhuren
der hoͤchſte Gott ſey, ſondern einer, Namens
Chekti, von dem, wie ſie ſagen, dieſe Goͤtter
und Brama ihren Urſprung haͤtten; daß ſie
allein durch ſeine Macht exiſtirten, ſo wie die
ganze Welt, und alles, was in derſelben iſt. —
Dieſe drey letzten Sekten werden von den Hin-
diſtanern fuͤr Ketzer gehalten, und haben ſehr
wenige Anhaͤnger.


Ende des zweyten und letzten
Theils.

[figure]
[[487]][[488]][[489]][[490]][[491]][[492]][[493]][[494]]
Notes
*)
Kaͤmpfer berichtet in ſeiner Hiſt. of Iapan
lib. I. cap.
8. daß das Meer, welches Japan
umgiebt, wegen der vielen Strudel ſehr gefaͤhr-
lich ſey, und die groͤßeſten Schiffe, wenn ſie dem
Wirbel zu nahe kaͤmen, mit der aͤußerſten Ge-
ſchwindigkeit an ſich zoͤgen, verſchlaͤngen und in
Truͤmmern zerſchmetterten. — Das Brauſen
dieſer Strudel, ſagt Kaͤmpfer weiter, ſey uͤber-
aus fuͤrchterlich zu hoͤren, ob man ſich gleich
fuͤr dieſe leicht huͤten und ihnen ausweichen
koͤnne.
*)
Wir koͤnnen es nicht wagen, hier mehr von dem
japaniſchen Aberglauben zu erzaͤhlen! Der Le-
ſer kann ſich, aus dem bereits angefuͤhrten,
ſchon einige Begriffe davon machen. Hat in-
deſſen jemand Luſt, ſich mit dieſem Artikel zu be-
luſtigen, der kann, ohne Gefahr zu laufen ſelbſt
japaniſch geſinnt zu werden, folgende Buͤcher
nachſchlagen: Kaͤmpfer, Caron, Xavier, Vare-
nius u. a.
**)
Man muß dieſes nur von den Moͤnchen und
Nonnen verſtehen, nicht aber von den Laien.
Hierzu kann man auch noch das Geſetz rechnen,
daß die Moͤnche mit dem weiblichen Geſchlechte
keine Gemeinſchaft haben duͤrfen. — Im Gan-
zen genommen, weiß man, daß die verſchiede-
nen Orden, ſo wie in der Catholiſchen Kirche,
den
**)
den Stufen der Strenge nach von einander un-
terſchieden ſind. Je mehr Strenge nun ein
Orden aͤußert, je mehr Vertrauen ſetzt das Volk
in ihm. Allein man muß bey der japaniſchen
Geiſtlichkeit die Bemerkung machen, die auch
in gewiſſer Abſicht von einigen geiſtlichen Orden
in Europa gilt, daß ſie, bey aller vorgeblicher
Strenge und Verleugnung der Welt, die infam-
ſten Betruͤger und Heuchler ſind, die man nur
denken kann.
*)
Ich finde in dieſem Stuͤcke die Reiſebeſchreiber
in ihren Erzaͤhlungen ganz verſchieden. Vare-
nins
uud andre berichten, daß dergleichen praͤch-
tige Tempel nicht nur in den Staͤdten, ſondern
auch auf dem platten Lande und auf Bergen,
ja ſo gar in den Wuͤſteneien haͤufig zu finden
ſind. Er ſagt weiter, daß diejenigen Tempel,
die am weiteſten und einſamſten liegen, an
Pracht und Reichthum die andern uͤbertraͤfen,
auch von dem Volke am meiſten beſucht wuͤr-
den. — Ich kann mich von der Wahrheit dieſer
Behauptung nicht uͤberzeigen, und ſtimme der
Erzaͤhlung des Kaͤmpfers bey, der als der Haupt-
mann, in allem was Japan betrifft, angeſehen
werden muß.
*)
Dieß Wort wird eigentlich von den Theologen
gebraucht, obgleich die Philoſophen ſich nicht
oft deſſen zu bedienen pflegen. Cs hat ſeinen
Urſprung von den Cretenſern, die verſchiedene
Religionen unter ſich eingefuͤhret hatten. Ereig-
nete ſich nun der Fall, daß eine Religionspar-
they von einem auswaͤrtigen Feind angefallen
wurde, ſo wurden ſie unter ſich eins, ſich dem
ankommenden Feind gemeinſchaftlich entgegen
zu ſetzen. Hieraus iſt das Wort συνκρητ [...]ζειν,
die Cretenſer nachahmen, und Syncretiſmus,
entſtanden.
*)
Einige Caſuiſten rechnen zu dieſen Unreinigkei-
keiten noch diejenigen hinzu, welche man ſich
auf folgende Weiſe auf den Hals zieht: einmal
durch die Augen, wenn ſie etwas unreines ſehen,
und zweitens durch die Ohren, die etwas unan-
ſtaͤndiges hoͤren. Endlich bilden ſich auch einige
Andaͤch-
*)
Andaͤchtige ein, daß es ſehr unanſtaͤndig ſey,
mit einem unruhigen betruͤbten Gemuͤthe vor
den Goͤttern zu erſcheinen. Denn ſie meinen,
daß die Gebeter der Betruͤbten den Geiſtern,
welche die hoͤchſte Gluͤckſeeligkeit genießen, nicht
anders als ſehr unangenehm und beſchwerlich
ſeyn koͤnnten.
*)
Der erſte Feſttag, welcher mit großen Feier-
lichkeiten und Anſtalten begangen wird, faͤllt
auf den erſten Tag im Jahre, und wird von den
Japanern Songuaz genannt. An dieſem Feſte
erſcheint man in Ceremonienkleidern, begiebt
ſich zuerſt in dieſem Aufzuge in den Tempel,
beſucht hernach ſeine Freunde und uͤberreicht ih-
nen zugleich Geſchenke. — Das zweyte Feſt,
welches begangen wird, heißt Songuazſomnitz.
Dieß Feſt ſcheint bloß zum Amuſement der jun-
gen Maͤdchen beſtimmt zu ſeyn, welchen ihre
Vaͤter einen großen Schmauß zu geben und ihre
naͤchſten Verwandte dabey einzuladen pflegen.
Man ziert einen großen Saal zu dieſem Feſte aus,
in welchem man verſchiedene praͤchtige Puppen
ausgeſtellt ſieht, welche den Hoff des Dairi vor-
ſtellen ſollen. Zu dieſen Zuruͤſtungen fuͤgt man
den Goͤtzen Finakuge hinzu. — Das dritte Feſt
wird Gognazgonitz genannt, und faͤllt auf den
fuͤnften Tag des fuͤnften Monaths ein. Dieß
Feſt wird den jungen Knaben zu Ehren gefeiert.
— Das vierte Feſt, welches Sißiguatznanuta
genannt wird, wird am ſiebten Tage des ſiebten
Monathes gefeiert. Dieſer Tag wird von den
ſpielenden Kindern ſehnlichſt erwartet, weil dieſe
ſich an demſelben recht luſtig machen koͤnnen und
duͤrfen. Das letzte Feſt faͤllt alle Jahre auf den
neunten Tag des neunten Monaths. An dieſem
Feſte frißt und ſaͤuft man nach Herzens Luſt.
Die Ausſchweifung und das liederliche Weſen
dauert viele Tage hindurch. Dieſes Feſt gleicht,
in
*)
in Anſehung det Freyheit den Saturnalien und
Bachanalien der alten Roͤmer.
Obgleich dieſe fuͤnf großen Feſte, eigentlich
zu ſagen, nur zur Sintoiſchen Religion gehoͤren;
ſo haben doch die uͤbrigen Religionsſecten in der
Folge der Zeit dieſelben, angenommen, da ſie
ſowohl in Andachtsuͤbungen als Luſtbarkeiten
beſtehen, nach welchen die Japaner, uͤberhaupt
genommen, ſehr begierig ſind.
*)
Denn ein ſolches Geſtaͤndniß, wuͤrde ſie fuͤr un-
rein erklaͤren, und dem Spott und der Verach-
tung der Pilger ausſetzen.
*)
Der Stifter dieſer Geſellſchaft von Einſiedlern
ſoll ein gewiſſer Gienno Gioſſtz in Japan gewe-
ſen
*)
ſen ſeyn. Man weiß von der Geburth und der
Lebensart dieſes Gienno keine genaue Umſtaͤnde.
So viel iſt nur bekannt, daß er zuerſt dieſe ſtren-
ge Lebensart ergriffen, und ſein Leben in wilden
und wuͤſten Gegenden zugebracht habe. Man
will fuͤr gewiß behaupten, daß er durch dieſe
Lebensart dem Vaterlande wichtige Dienſte ge-
leiſtet, weil er durch das Herumſchweifen die
Natur und Eigenſchaften der Erde entdeckt,
welche Niemand vor ihm gekannt habe.
*)
Der Pater Charlevoix, und wir ſtimmen ihm
bey, macht hierbey die Anmerkung: daß alles
dieſes eine Hierarchie ausmache, die wenig
von der Catholiſchen Kirche ihrer unter-
ſchieden ſey.
— Uebrigens darf ſich der Catho-
liſche Leſer daruͤber nicht aͤrgern, daß der heil.
Vater mit dem Siaka verglichen wird.
*)
Man kann von dieſen Betruͤgereien der Moͤnche
herrliche Sachen beym Charlevoix leſen. Dieſer
erzaͤhlt auch, daß die Moͤnche den Sterbenden
geſegnete Brodte austheilten, und ihnen Paͤſſe
oder Wechſelbriefe mitgaͤben, die in jenem Leben
zahlbar ſeyn ſollten! Eir ſchoͤner Paß, und ein
noch ſchoͤnerer Wechſelbrief! —
**)
Wem fallen nicht hier die Namen Tetzels und
Conſorten bey.
*)
Froez iſt indeſſen ein Mann, der doch mit unter
gute Nachrichten giebt. Nur muß man ihm
nicht zu viel trauen. Wir pflegen ihm nur da
zu folgen, wo ſeine Erzaͤhlungen mit den Er-
zaͤhlungen der uͤbrigen Reiſebeſchreiber, ſonderlich
des Kaͤmpfers, uͤbereinſtimmen. Aber im Gan-
zen genommen, iſt Froez derjenige, der ſeine Leſer
mit einer Menge von Maͤhrlein heimzuſuchen,
frech genug iſt.
*)
*)
Kaͤmpfer ſcheint, meiner Meynung nach, die
Urſachen ſehr richtig angegeben zu haben, die
den ſchleunigen Fall des Chriſienthums befoͤr-
dert. Man weiß, wie viele Unvorſichtigkeit die
Mißionaͤrs bey ihren Amtsgeſchaͤften begehen:
wie viele Ungeſchicklichkeit ſie gemeiniglich beſi-
tzen, wovon ſie doch ſchlechterdings frey ſeyn
ſollten. Ganz ſicher war der Stolz der Geiſt-
lichkeit, nachdem ſie der chriſtlichen Religion
wichtige Vortheile, verſchaft hatten, Urſache,
daß ſie wieder unterdruͤckt wurde. Lehrer der
geheiligten Religion Jeſu, die ſelbſt ein ſo un-
chriſtliches Leben fuͤhrten, wurden vom Kayſer
billig gegeißelt: Aber gegen alle Chriſten ſo zu
wuͤthen, wie geſchehen iſt, war unmenſchlich.
*)
[Fuͤnfhundert] Schuits machen nach unſrer Muͤn-
ze ohngefaͤhr 3000 Reichsthaler.
**)
Wir haben hier nur das Wichtigſte von der
Pflanzung, dem Schickſaale u. f. des Chriſten-
thums in Japan erzaͤhlt, und erwaͤhnen nur
noch, daß viele Catholiſche Schriftſteller von der
gemachten Beſchreibung abgehen. Kaͤmpfer hat
ſich uͤber das, was das Chriſtenthum betrift,
weitlaͤuftig eingelaßen, und wir finden alle Ur-
ſachen, ihm in ſeinen Behauptungen und Erzaͤh-
lungen beyzupflichten.
*)
Die Kinder, die mit den Beyſchlaͤferinnen ge-
zeugt werden, haben an der vaͤterlichen Erb-
ſchaft einen kleinen Antheil.
*)
Fraͤgt man die Japaner, warum ſie ſo barba-
riſch umgehen, ſie ſo einmauern und in ſo ſtren-
ger Verwahrung behalten? ſo antworten ſie mit
einer ernſthaften Miene: daß ſie durch die Noth
dazu getrieben wuͤrden. Zwar haͤtten ſie ihren
Weibern vor Zeiten mehr Freyheiten verſtattet;
allein es waͤren damit ſo ſchreckliche Begeben-
heiten verbunden geweſen, daß ſie in die Noth-
wendigkeit waͤren verſetzt geworden, ihre Weiber
einzu-
*)
einzuſchraͤnken, und ſie, wie ſie itzt thaͤten, zur
Arbeit anzuhalten. In Anſehung der Frauen-
zimmer-Geſchaͤfte koͤnnte es bey uns auch etwas
beſſer eingerichtet ſeyn.
*)
Dieſe Herrn verſtehn die Kunſt meiſterlich dem
Volke das Geld abzuſchwatzen. Dieſe wenden
ſie auch an bey der Begebenheit der jaͤhrlichen
Begraͤbnißfeyerlichkeiten. Sie ſtellen den Zu-
ſtand des Verſtorbenen unter dem ſcheußlichſten
Bilde vor, um fuͤr dieſe den Beyſtand der Leben-
digen auszuwuͤrken: ja ſie wuͤrken ſo gar Wech-
ſelbriefe fuͤr die Verſtorbenen aus, um dadurch
die Freyheit von einer ſchrecklichen Dienſtbarkeit
unter der Bothmaͤßigkeit eines ungezogenen Teu-
fels, oder ihnen ein beßres Quartier zu ver-
ſchaffen, oder die boͤſen Geiſter zu vertreiben,
die ihre Reiſe dahin verhindern. Der Poͤbel iſt
dum und einfaͤltig genug, das alles fuͤr wahr
zu halten, was ihnen die Bonzen vorplaudern,
und giebt alles willig her, was zur vermeinten
Erleichterung der Verſtorbenen dienen kann.
*)
Dieſer Aberglaube hat ſeinen Grund in den
religioͤſen Ideen der Japaner. — Es iſt unglaub-
lich, wie ſehr manche, beſonders wenn in der
Familie haͤufige Todesfaͤlle ſich einflnden, ihren
Beutel erſchoͤpfen, und bis an den Bettelſtab ge-
bracht werden.
*)
Wir haben oben von den papiernen Roͤcken und
dem Handel, den die Bonzen damit treiben, das
Noͤthigſte geſagt.
*)
Die erſten Miſſionairs verſichern, daß der Zu-
ſtand der Philoſophie und Mathematik vor
ihrer Ankunft in Japan ſehr klaͤglich geweſen
ſey;
*)
ſey; nachdem ſie aber von ihnen waͤren gelehrt
worden; ſo haͤtten ſie darinn erſtaunend zuge-
nommen, und waͤren zuletzt auch darauf ganz
erpicht geworden. — Es ſteht dahin, ob dieſes
Lob, daß ſich die Miſſionairs ſelbſt beylegen,
gegruͤndet iſt: denn wir haben es nirgends ge-
funden, daß die Japaner große Kenntniße in
der Philoſophie hatten, und jemals gehabt haben.
*)
Und dieß aus der Urſache, weil die Japaner
behaupten, daß die Portugieſen ihnen dieſe Seu-
che uͤbern Hals gebracht haben.
*)
Dieſe Taͤnze ſollen nun freylich nach Carons
Berichte nicht viel zu bedeuten, und fuͤr einen
Europaͤer hoͤchſt abgeſchmackt ſeyn. — Ueber-
haupt ſcheinen die Taͤnze zwiſchen den Akten ei-
nes Stuͤcks auch uͤbel placirt zu ſeyn, und das
ewige Einerley, beſonders bey den Operntaͤnzen
iſt wahrhaftig ſo ekelhaft, daß einem der Kopf
wehe thut, wenn man wieder zu Hauſe geht.
*)
Wir wollen hier kuͤrzlich einen Abriß von der
Art, wie die Japaner das Papier verfertigen,
unſern Leſern mittheilen. — Der ſo genannte
Papier-Baum iſt eines ihrer vorzuͤglichſten
Landesproduckte. Er iſt eine Gattung von
Maulbeerbaͤumen, deſſen Rinde große Eigen-
ſchaften hat. Man macht Stricke, Stoffe und
hauptſaͤchlich Papier daraus. Dieſer Papier-
Baum iſt dicke und aͤſtig, der Stamm gerade
und glatt, ſeine Zweige ſtark und buͤſchig. Die
Fruͤchte die er traͤgt, ſind ſehr unſchmackhaft.
Er ſchießt ſtark in die Hoͤhe, und waͤchſt mit un-
glaublicher Geſchwindigkeit.
Von dieſem Baume nun ſchneidet man junge, we-
nigſtens drey Fuß lange Zweige ab, bindet ſie
in Buͤndel, laͤßt ſie vier und zwanzig Stunden
in kaltem Waſſer weichen, und kocht ſie nachher
in einer Lauge von Aſche. Wenn man ſie vom
Feuer genommen hat, und ſie kalt geworden
ſind; ſo ſpaltet man ſie der Laͤnge nach, um
die Rinde abzuziehen, welche die einzige Mate-
rie iſt, woraus das Papier gemacht wird. Die-
ſe Rinde macht man ſehr ſorgfaͤltig rein, ſchabt
die erſte Haut ab, ſondert alle knotige und gro-
be Theile davon ab, thut ſolche auf die Seite,
und gebraucht ſie zur Verfertigung des groben
Papiers. Wenn die Rinde rein genug iſt, ſo
bruͤht man ſie in einer klaren Lauge, ruͤhrt be-
ſtaͤndig um, und gießt nach und nach mehrere
dazu. Wenn die Materie bis zur Dicke eines
weichen Muſes eingekocht iſt; ſo laͤßt man ſie
kalt werden, thut ſie in ein Sieb und knetet ſie
beſtaͤndig
*)
beſtaͤndig mit den Haͤnden. Dieſer Teig, nach-
dem er genug iſt gewaſchen worden, wird auf
eine hoͤlzerne, glatte Tafel ausgebreitet, wo
ihn zwey bis drey Perſonen mit Stoͤcken ſchla-
gen. Nachher thut man ihn in ein Faß und gießt
eine klebriche Bruͤhe dazu. Das Ganze wird
mit einem Rohre umgeruͤhrt, bis eine fluͤßige
Materie daraus wird, wovon man das Papier
macht. Es iſt ſehr ſtark, uͤberaus weiß, und
viel geſchmeidiger, als das unſrige. — Man
ſehe den Charlevoix und Kaͤmpfer.
*)
Sin-mu, der Stifter, wie bereits geſagt, der
japaniſchen Monarchie, trat ſeine Regierung
im ſechs hundert und ſechs und ſechzig vor Chri-
ſti Geburt, und im ſiebenzigſten Jahre ſeines
Alters an. Kaͤmpfer erzaͤhlt von ihm, daß er
ſeine Unterthanen geſitteter gemacht habe. Er
verbeſſerte die Geſetze und die ganze Regiments-
verfaßung, fuͤhrte in ſeinem Reiche eine Zeit-
rechnung ein, in dem er die Zeit in Jahre, Mo-
nathe und Tage abtheilte, — Sin-mu regier-
te neun und ſiebzig Jahre, und nachdem er den
Thron ſeinen Nachfolgern in Sicherheit geſtellt;
ſo ſtarb er im hundert und ſieben und funfzig-
ſten Jahre ſeines Alters. Mit ſeiner Regie-
rung nahm die große japaniſche Aara Nie-o
ihren Anfang.
*)
Vormals wurden die Dairi von allen ihren Un-
terthanen gewiſſermaßen angebetet, und fuͤhr-
ten einen ganz unbeſchreiblichen Staat. Ihren
Fuß ſetzten ſie niemals auf die Erde, die Sonne
durfte ſie nicht beſcheinen, und die Luft durfte
ſie nicht bewehen. Sie zogen ihre Kleider nie
zweymal an, und aus einer Schuͤſſel aßen ſie
nie zweymal. Kurz, alles wurde taͤglich neu
angeſchaft. Die Mode war bey ihnen nicht
eingefuͤhrt, Haare, Bart und Naͤgel abzuſchnei-
den, ſondern ſie ließen ſie wachſen. Sie ließen
ſich nicht oͤffentlich ſehen, und hatten zwoͤlf Wei-
ber zu Auſwaͤrterinnen. Die Titel, die ſie ſich
beylegen ließen, waren von der Gotteslaͤſte-
rung nicht ſehr entfernt u. ſ. w.
*)
Ein Zeichen in welcher Hochachtung dieſer Mon-
arche in Japan ſteht, iſt noch dieſes, daß das
Volk das Waſſer, worinn der Dairi ſeine Fuͤße
waͤſcht, fuͤr heilig haͤlt. Man ſammelt
es, hebt’s auf, und niemand unterſteht ſich, es
zu weltlichen Dingen zu verbrauchen.
*)
Dieſe Titel kommen mit denen, von unſern
Herzogen, Grafen und Rittern uͤberein.
*)
Ein Zeichen, daß es auch in Japan gebraͤuchlich
iſt, die neugebornen Kinder den Ammen zu uͤber-
laßen. Ein Troſt fuͤr die deutſchen und uͤber-
haupt fuͤr die europaͤiſchen zaͤrtlichen Muͤtter —
aber auch wahrhafte Schande fuͤr ſie uͤberhaupt!
*)
So groß aber nun auch immer das Anſehen der
Geiſtlichen in Japan ſeyn mag; ſo ſind ſie den-
noch in allem was weltliche Sachen betrift, der
Gewalt des Cubo unterworfen. Ihre Verbre-
chen werden am Leben geſtraft, wenn gleich mit
etwas mehr Nachſicht, als bey den Laien.
*)
In Anſehung der jaͤhrlichen Einkuͤnfte des
Kayſers hat man hier dem Kaͤmpfer gefolgt,
weil er doch, und mit Recht, allgemein fuͤr den
glaubwuͤrdigſten Scribenten in japaniſchen Din-
gen gehalten wird. Kaͤmpfer ſetzt die Summe,
die enorm genug iſt, nach andern Reiſebeſchrei-
bern nicht zu hoch an. — Caron ſchaͤtzt die
beſondern Einkuͤnfte des Kayſers viel hoͤher.
Er
*)
Er behauptet, daß ſich die ordentlichen Ausga-
ben auf acht und zwanzig Millionen, drey hun-
dert fuͤnf und vierzig tauſend Cockiens, jeden
zu 4 Gulden, beliefen; und fuͤgt hinzu, daß der
Kayfer in einem Jahre nur ⅙ ſeiner Einkuͤnfte
aufwende. Hieraus ſchließt Caron, daß der
Schatz des Kayſers unermeßliche Reichthuͤmer
in ſich faſſen muͤſſe. Ja, wenn das wahr waͤre;
ſo waͤre das nun freylich wohl wuͤrklich ein uner-
meßlicher Schatz zu nennen. Aber wir haben
Urſache genug, dieſe Behauptung des Carons
fuͤr luͤgenhaft zu erklaͤren. Kaͤmpfers angeſetzte
Summe iſt hoch genug, und auch er, ſo ſcheint
es uns, mag ſich in den Zahlen verſehen haben.
*)
Das auf ſolche Art zerſtuͤckte Fleiſch wird her-
nach den Hunden und Raubvoͤgeln uͤberlaßen.
*)
Das iſt warlich toll genug — riecht nach ge-
waltiger Grauſamkeit. Unſre Torturen dagegen
ſind auch toll genug — riechen auch ganz gewal-
tig nach —
*)
Das japaniſche Porcellain iſt in Europa ſo et-
was Bekanntes, daß wir uns gegenwaͤrtig in
eine
*)
eine detaillirte Beſchreibung deſſelben, nicht ein-
laſſen wollen. Wir wollen daher nur das Merk-
wuͤrdige fuͤr den Theil der Leſer herſetzen, wel-
cher nicht viel davon weiß, und doch gerne et-
was mehreres wiſſen moͤchte. — Es iſt be-
kannt, daß die Chineſer vorgeben, als ob in
Japan kein Porcellain gemacht wuͤrde. Allein,
dieß iſt falſch, ob es gleich wahr bleibt, daß in
Japan nicht ſo viel Porcellain verfertigt wird,
als ſie brauchen, und daß ſie vieles aus China
herbey holen. — Das meiſte wird in der Pro-
vinz Figen gemacht. Die Materie, welche die
Japaner zu ihrem Porcellain nehmen, iſt ein
weißer Thon, der haͤufig in den Bergen gefun-
den wird. Obgleich dieſer Thon an und fuͤr
ſich rein iſt; ſo muß er doch, um durchſichtig zu
ſcheinen, geknetet und gewaſchen werden: eine
Arbeit, die uͤberaus muͤhſam iſt. Indeſſen ge-
ſtehen es doch ſelbſt die Japaner, daß ihr itziges
Porcellain ihrem Alten lange nicht beykomme,
und vermuthen, daß ihr Recept dazu muͤße ver-
lohren gegangen ſeyn. Ihr itziges Porcellain
behauptet aber dennoch im ganzen Orient ſeinen
Werth, und das japaniſche wird uͤberall zehn-
mal theurer, als das chineſiſche Porcellain, be-
zahlt.
*)
Man ließt in einem ſteinern Pfeiler in China
das Verbot, welches von Wort zu Wort alſo
lautet: Nachdem eine große Menge Japaner,
die ſich in China niedergelaſſen, ſich zuſammen
gerottet, und ſich eines gewiſſen Gebiets be-
maͤchtigt, nachdem ſie vorher allerley Schand-
thaten ausgeuͤbt, gepluͤndert, geraubt, geſengt
und geſtohlen; ſo wird ihre ganze Nation nicht
nur fuͤr unwuͤrdig erklaͤrt, im chineſiſchen Rei-
che zu wohnen, oder Handel und Gewerbe zu
treiben, ſondern es wird auch zugleich allen Un-
terthanen hierdurch, bey harter Todesſtrafe
verboten, nach Japan zu ſeegeln, oder irgend
auf eine Art mit dieſer Nation Handel zu
treiben.
*)
Die Landleute halten die Gegend ſehr werth,
wo der Thee waͤchſt. Den beſten Thee trift
man in der Gegend von Meako an. Hier ſammelt
man denjenigen, der bey Hofe verbraucht wird.
— Die Vornehmen trinken den Thee nicht wie
wir, und laſſen ihn nicht abziehen, ſondern ſie
machen ihn zu Pulver. Die Blaͤtter werden in
feinen Staub zerrieben, und etliche Finger voll
in eine Taſſe mit ſiedendem Waſſer gethan.
Dieß ruͤhrt man nun ſo lange um, bis es
ſchaumt, und zu einem duͤnnen Muſe wird;
auch thun ſie keinen Zucker hinein. Der Thee,
der fuͤr den Kayſer geliefert wird, waͤchſt auf
einem Berge, woruͤber eine Menge Gaͤrtner,
und dergleichen Leute, die dazu gehoͤren, geſetzt
iſt. — Alle Tage werden die Baͤume gereinigt,
damit
*)
damit nicht die geringſte Unſauberkeit auf den
Blaͤttern bleibe. Diejenigen, die ſie abnehmen,
muͤßen ſich enthalten, geſalzene Fiſche und der-
gleichen zu eſſen, damit ihr Athem den Blaͤttern
nicht ſchade, und den Geruch verderbe. Es
wird ihnen nicht einmal erlaubt, die Blaͤtter
anders, als mit Handſchuhen anzugreifen, und
ſie muͤßen ſich, ſo lange die Einſammlung dauert,
des Tages einigemal baden.
*)
So ſagt man auch, daß der Fruͤhlingsregen die
Perlenmuſcheln fruchtbar mache. Eine Fabel,
die von den Perſern bereits uͤber 600 Jahre
geglaubt, und deswegen anmerkenswerth iſt.
*)
Man ſehe den erſten Theil dieſer Characteriſtik,
Seite 6.
*)
Herr Niebuhr meint, daß die morgenlaͤndi-
ſchen Chriſten ſelbſt zu dieſer ſchlechten Behand-
lung ſehr vieles beytruͤgen. Er beſchreibt einige
der kleinen griechiſchen Kaufleute, als nieder-
traͤchtige Schmeichler und Schwaͤtzer, die na-
tuͤrlicher weiſe von den ernſthaften und ſtolzen
Tuͤrken nicht viele Hoͤflichkeit erwarten konnten.
— Es iſt ſchade, daß Hr. Niebuhr nicht Gele-
genheit genug gehabt hat, ſich in eine naͤhere
Unterſuchung des Charakters der dortigen Chri-
ſten einzulaſſen: von ſeiner Hand haͤtte man
auch in dieſem Stuͤcke etwas Vorzuͤgliches, Be-
ſtimmtes und Zuverlaͤßiges erwarten koͤnnen.
*)
Die Gaſtfreyheit, welche die Araber mit dem
beßten Herzen, mit Begierde und Zaͤrtlichkeit
gegen Fremde, die zu ihnen kommen, ausuͤben:
kann mit Nichts verglichen werden.
Wenn ein Fremder in ihr Lager kommt, inſonder-
heit, wenn ihn jemand von ihrer Nation dahin
bringt, wird er unter einem Zelte empfangen,
wo er eine Decke findet, ſich niederzuſetzen und
auszuruhen: denn beßre und beguemere Meub-
len haben ſie nicht. Nach einer Menge Freu-
densbezeugungen uͤber ſeine Ankunft, fragen ſie
ihn von Zeit zu Zeit, wie er ſich befinde, reichen
ihm Taback und Kaffee, und unterhalten ihn ſo
gut, als ſie koͤnnen. Indeſſen fertigen die Wei-
ber das Eſſen an, um ihn zu tractiren. Andre be-
ſchaͤftigen ſich mit der Wartung der Pferde, mit
Verwahrung des Gepaͤcks, und mit Herbeiſchaf-
fung alles deſſen, was der Fremde, ſeine Ge-
ſellſchaft und ſeine Bedienten gebrauchen. Wenn
das Eſſen aufgetragen iſt, nimmt jeder ſeinen
Platz, und die mit Reis, Suppe und Fleiſch,
nach ihrer Art zugerichteten Schuͤſſeln werden
aufgetragen: waͤhrend dem Eſſen aber redet
Niemand. Nach der Mahlzeit bringt man
Kaffee und Taback, und die Unterredung dauert
ſo lange, bis ſie anfangen ſchlaͤfrig zu werden.
Alsdann geht jeder weg, und man laͤßt dem
Fremden voͤllige Freyheit. — Wenn der Frem-
de wieder fortreiſen will, bedankt er ſich, ohne
viele
*)
viele Komplimente bey ſeinem Wirthe zu ma-
chen, ſteigt mit ſeinen Leuten zu Pferde, und
es wird ihm von allen zu ſeinen Verrichtungen
Gluͤck gewuͤnſcht. Will man bey der Abreiſe
aus Erkenntlichkeit den Domeſtiken etwas ge-
ben; ſo wird es angenommen. Sonſt aber
pflegen die Araber nicht zu fodern. Sie uͤben
die Gaſtfreyheit ohne Eigennutz aus, bloß als
eine Tugend.
*)
Ohne Zweifel bahnte hierzu die tiefe Unwiſſen-
heit, in welcher ſowohl die Araber, als auch
die Syrer, Perſer und uͤbrigen morgenlaͤndi-
ſchen Voͤlker groͤßtentheils lebten, dieſem kuͤhnen
und beredten Mann einen leichten Zugang zu
unzaͤhliger Leute Herzen. Hierzu kommen noch
die heftigen Streitigkeiten der Chriſten, Grie-
chen, Neſtorianer, Monophyſiten, und wie
die Secten alle heißen, die einen großen Theil
des Orients mit Blutvergießen anfuͤllten, und
das wahre Chriſteuthum verhaßt machten.
*)
Gelegentlich kann hier einiges Merkwuͤrdige von
der Religion der alten Araber beygebracht wer-
den, weil es doch nirgends beſonders, dem Plan
dieſes Werks gemaͤß, kann behandelt werden. —
Die alten Araber lebten vor der Ankunft Mo-
hammeds in einer puren Abgoͤtterey. Sie bete-
ten die Geſtirne, und inſonderheit die ſieben Pla-
neten an. Dem Planeten der Venus war zu
Sana ein praͤchtiger Tempel mit der Inſchrift
gebauet: Ghomdan, d. i. wer dich zerſtoͤrt, ſoll
des Todes ſeyn. Die Staͤmme von Koreiſch be-
teten eine beſondre Gottheit an, Namens Al
Uzza
, die ihren Auffenthalt in einem Baume
hatte, uͤber welchen man eine Kapelle errichtet
hatte. Mohammed ließ zwar, wie billig, den
Baum umhauen, aber es war hoͤchſt ſtrafbar,
daß er die unwiſſenden und aberglaͤubiſchen
Prieſter — denn ſie waren doch Menſchen —
ermordete. Die Koreiſchiten hatten noch eine
andre Gottheit, die es ſehr gut mit ihnen mein-
te, denn ſie gab ihnen Regen und fruchtbare
Jahre, wenn ſie derſelben noͤthig hatten. Auch
dieſe wurde gleichfalls von Mohammed zerſtoͤhrt.
Faſt
*)
Faſt eine jede Familie hatte, außer den Haupt-
goͤttern, noch einen à parte zu Hauſe, der von
ihnen, ſo oft ſie aus oder ins Haus giengen,
chrerbietig gegruͤßt wurde. — Auch beteten die
alten Araber Steine an, wovon in der allgemei-
nen Welthiſtorie B. XII. dieſe Urſachen angege-
ben werden: Die großen Steine dienten an-
faͤnglich zu Libationen von Wein und Oehl:
Dieſe Cerimonie uͤbte Jacob in Anſehung des
Steins aus, der ihm zum Hauptkuͤſſen gedient
hatte. In der Folge erwieſen ihm die Ara-
ber eine gottesdienſtliche Verehrung, ſo wie
die Phoͤnicier zu thun pflegten. Einige
Schriftſteller erzaͤhlen, daß, wenn das Gebiet
von Mecca fuͤr ſeine Bewohner zu klein
wurde, viele tauſend Iſinaeliten ſich auf den
Weg begaben, um neue Wohnungen aufzu-
ſuchen, und einige Steine von dieſer heiligen
Erde mit ſich nahmen. Anfaͤnglich beſuchten
ſie dieſe Steine aus Andacht, ſo wie ſie Caa-
ba zu beſuchen pflegten. Aber dieſe Andacht
wurde endlich zur Abgoͤtterey, und die Iſ-
maeliten erwieſen jedem Steine, den ſie fan-
den, wenn er nur ein wenig ſchoͤn war,
goͤttliche Ehre. —
*)
In der Darſtellung des Charakters dieſes Re-
formators, herrſcht eine ſolche Verſchiedenheit,
daß man ſich beynahe nicht heraus finden kann.
— Der vorhin gegebene Abriß ſcheint der Wahr-
heit gemaͤß gezeichnet zu ſeyn, und es heißt wohl
zu ſanftmuͤthig verfahren, wenn Elmacin ihn
als einen Mann vorſtellt, von außerordentlicher
Gefaͤlligkeit, demuͤthig gegen Große, geſpraͤchig
mit Geringen, freygebig gegen Arme u. d. gl. m.
*)
Was mußte wohl die Ayesha hierzu ſagen, die
damals gerade zwanzig Jahr alt war, wie der
Prophet das Zeitliche ſeegnete! Wenn man ſich
hierbey denket, daß er dieſe Ayesha vorzuͤglich
liebte; ſo muß man ſich daruͤber wundern, daß
er ihr einen ſo harten Stand anwieß. Aber
was thut nicht die leidige Eiferſucht!
*)
Mohammed erzaͤhlt in ſeinem Koran ſelbſt, daß
er aller Gelehrſamkeit und Wiſſenſchaft unkundig
ſey, ja er koͤnne weder leſen noch ſchreiben, und
die Bekenner ſeiner Religion halten dieß eben fuͤr
einen Beweiß der Goͤttlichkeit ſeiner Religion.
Allein, wenn man bedenket, daß er ziemlich lan-
ge die Kaufmannſchaft in Arabien mit Nutzen
getrieben, und daß dieſes Gewerbe das Leſen
und Schreiben ſchlechterdings erfordert; ſo iſt es
ſchwer zu glauben, daß der Mann ſo ſehr un-
wiſſend und ungelehrt geweſen ſey.
*)
Die Muſelmaͤnner behaupten, nach der Lehre
ihres Geſetzgebers, daß es nicht Chriſtus gewe-
ſen, fondern ein Menſch, der Chriſto aͤhnlich
geweſen waͤre: und dieſen haͤtten die Juden ge-
kreuzigt.
*)
Es wird darinn von Krieg, von der Rhetorik,
Meßkunſt, Sternſeherkunſt und andern Wiſſen-
ſchaften geredt, die dazumal in Arabien anfin-
gen bekannt zu werden. Sonſt iſt im ganzen
Korau keine Ordnung; viel Dunkelheit: ſehr
laͤcherliche Ueberſchriften uͤber den Kapiteln:
ewige Wiederholungen: Widerſpruͤche ohne
Zahl: die Bibel der Juden, und das Evange-
lium der Chriſten auf eine laͤppiſche Art uͤber-
ſetzt: viel Unflaͤtereyen: ein Paradies, wo man
nichts als Maͤdchen, Ganymeden, Betten, Tiſche
u. ſ. w. ſieht. —
*)
In Anſehung der von Mohammed vorgeſchrie-
benen Reinigung koͤnnen ſie die Bedouinen
nicht
*)
Eine laͤcherliche Einbildung der Araber beſteht
in der abgoͤttiſchen Verehrung ihrer Baͤrte.
Sie ſehen ihn an, als eine geheiligte Zierde,
die ihnen Gott gegeben habe, um ſich von den
Weibern zu unterſcheiden, und halten ihn fuͤr
ein weſentliches Kennzeichen ihrer Vorrechte und
ihrer Freyheit. Nach dem Beyſpiele ihres Pro-
pheten balbiren ſie ſich nicht: es iſt dieß ſo gar
eines ihrer Religionspuncte. Oftmals verſtat-
tet man es denen, die, nach ihrer Art zu reden,
naͤrriſch Blut haben, ſich zu raſiren: wenn ſie
aber verheyrathet ſind, und ſie es thaͤten; ſo
wuͤrden ſie vor Gericht, als Verbrecher ge-
ſtraft. Den Bart jemanden abſchneiden, waͤre
bey ihnen eben ſo ſchimpflich, als wenn jemand
bey uns den Staubbeſen bekoͤmmt: viele wuͤr-
den lieber ſterben, als ſich den Bart abſchnei-
den oder abſchneiden laſſen.
Die Weiber kuͤſſen den Bart ihrer Maͤnner, und
die Kinder ihrer Vaͤter, wenn ſie kommen, ih-
nen ihre Ehrerbietung zu bezeigen. Die Manns-
perſonen,
*)
nicht ſo genau beobachten, wie die Tuͤrken: ſie
haben nicht die Bequemlichkeit, das benoͤthige
Waſſer uͤberall zu finden, daher ſie ſich nur
waſchen, wenn ſie an eine Quelle oder an einen
Fluß kommen. Zuweilen, wenn ſie glauben,
eine groͤßere Reinigung noͤthig zu haben, tau-
chen ſie ſich in das Meer. Uebrigens halten ſie
ſich durchgehends im Gewiſſen dazu verbunden.
*)
perſonen, wenn ſie einander gruͤßen, oder von
der Reiſe kommen, kuͤſſen ſich den Bart auf bey-
den Backen. Bey ihren Beſuchen, iſt eine der
vorzuͤglichſten Cerimonien, daß ſie wohlriechen-
des Waſſer auf den Bart gießen, und ſich nach-
her mit einem gewiſſen Holze raͤuchern, um
ihm einen angenehmen Geruch zu geben. Wenn
ſie den Bart kaͤmmen, welches taͤglich nach
geendigten Gebet geſchieht, breiten ſie ein Tuch
uͤber die Kniee, leſen alle etwa herunter gefallene
Haare ſorgfaͤltig auf, wickeln ſie in ein Papier,
und wenn ſie eine Menge geſammelt haben, tra-
gen ſie ſie auf den Gottesacker. Ein ſchoͤner,
langer und ſtarker Bart iſt bey ihnen ein Ge-
genſtand der groͤßeſten Verehrung: ſie halten
ihn fuͤr ein gluͤckliches Zeichen. Man darf nur
dieſen Bart anſehen, ſagen ſie, um verſichert
zu ſeyn, daß der, welcher ihn traͤgt, ein tugend-
hafter Mann iſt, dem Gott beſondere Gnade
erzeigt. Wenn ein Araber, mit einem ſchoͤnen
Barte, einen wichtigen Fehler begeht, welches
denn manchmal zu geſchehen pflegt; ſo ſagen
ſie: iſt es nicht Schade um dieſen Bart! Wie
ſehr iſt dieſer Bart zu bedauren. — Doch dieſer
Aberglaube iſt nur bey den Bedouinen zu Hau-
ſe. Der Leſer verzeihe es, daß wir ſo viel vom
Barte geredt haben.
*)
Wenn man es nun verſuchen wollte, eine Pa-
rallele zwiſchen der Andacht eines Muſelmanns,
und der eines Chriſten zu ziehen. — Hilf Him-
mel! wie wuͤrde es da manchmal klappen. Je-
doch es ſey mir vergoͤnnt, hier eine Anmerkung
zu machen, die leyder wahr, und fuͤr Chriſten
wahrhaftig entehrend iſt. Ich meine nemlich,
die Ehrfurcht gegen Gott und Aufmerkſamkeit,
wenn religioͤſe Dinge der Gegenſtand der Be-
ſchaͤftigung iſt, ſcheint bey dem groͤßeſten Thei-
le der Chriſten nicht mehr zu Hauſe zu ſeyn. Vie-
le unſrer Chriſten gehen nur — wenn es ſo
weit
*)
weit kommt — in die Kirche bloß zum Spaß,
unſre Damen — um den Kopfputz in hohen
Augenſchein zu nehmen u. d. gl. Es waͤre bey-
nah zu wuͤnſchen, daß dieſe Leute Muſelmaͤnner
und Muſeldamen wuͤrden — denn wahrhaftig
im Grunde treiben ſie doch nur Spott. Doch wir
wollen uͤber die Unaufmerkſamkeit und Leicht-
fertigkeit mancher Chriſten in Religionsſachen
kein Wort mehr ſagen. Der Geiſtlichkeit bleib
es uͤberlaſſen, dem Unweſen Graͤnzen zu ſetzen.
*)
Dieſe Beſchreibung gehoͤrt Herrn Niebuhr zu.
*)
Herr Niebuhr macht hierbey eine Anmerkung,
die ſehr wahr iſt. „Die Europaͤer, ſagt er,
werden die erwaͤhnten Moden gewiß nicht ſchoͤn
finden. Es gefaͤllt aber den Arabern eben ſo
wenig, wenn junge Europaͤer ihre ſchwarzen
Haare pudern, um ſich das Anſehen zu geben,
als haͤtten ſie ſchon von Natur weiſſe Haare,
oder wenn alte Leute ſich taͤglich den Bart ſche-
ren, und dadurch ein weibiſches Anſehen erhal-
ten“. Unſre Damen haben auch nicht Urſache,
ſich uͤber die Tracht der Araberinnen aufzuhal-
ten. Um es frey herauszuſagen; ſo gefaͤllt mir
zwar ihr Anzug nicht ſonderlich. Aber ich will
doch immer noch lieber eine Araberinn in ihrem
Putze anſehen, als eine unſrer Schoͤnen, in ih-
rem voͤlligen Anzuge. Denn wahrhaftig, wenn
man keine guten Augen hat, und ſie in der Ferne
ſieht; ſo ſollte man meinen — es waͤre ein —
Geſpenſt.
*)
Zu der Sekte Schia, (daher der Name Schi-
iten,) bekennen ſich die Perſer. Dieſe Sekte
Schia hat ihre Anhaͤnger in einigen Gegenden
auf der Oſtſeite von Arabien, ihren Hauptſitz
aber, am perſiſchen Meerbuſen, und fuͤrnemlich
auf der Inſul Bahhreje.
**)
Die Tuͤrken halten es mit der Sekte Sunni.
Sie iſt die Zahlreichſte in Arabien, und auch
die merkwuͤrdigſte, weil ſich die Einwohner der
beruͤhmten Staͤdte, Mecca und Medina zu der-
ſelben bekennen.
*)
Dieß iſt uͤberhaupt in ganz Aſien ſehr gewoͤhn-
lich. Man hat ſich eben nicht ſehr druͤber zu
wundern, daß die Araber die oͤffentlichen lieder-
lichen Haͤuſer unter ſich dulden, weil ihre Reli-
gion hiergegen nicht ſtreitet, vielmehr zur Lie-
derlichkeit einladet. Wie man aber die Huren-
haͤuſer in einem wohleingerichteten europaͤiſchen
Staate dulden, und ſie privilegiren kann, ſteht
wahrhaftig nicht zu begreifen.
*)
Man hat ſeit einigen Jahrhunderten ſo vieles
fuͤr und wider die Polygamie geſchrieben, daß
man faſt eine Bibliothek beſitzen wuͤrde, wenn
man dieſe Schriften ſammeln wollte. — Viele
haben die Zulaßung der Vielweiberey, als eine
ernſtliche und nothwendige Sache angeſehen;
ſonderlich bemuͤheten ſich die muͤnſterſchen Wie-
dertaͤufer, dieſelbe unter ſich einzufuͤhren. Der-
jenige, welcher ſich am meiſten fuͤr die Polyga-
mie erklaͤrt hat, iſt der bekannte Johann Lyſer,
in dem Buche: diſcurſus politicus de polyga-
mia.
Das Buch machte zu ſeiner Zeit ſehr viel
Aufſehens. Er hat auch noch eine andre Bro-
chure geſchrieben, unter dem Titel: das koͤni-
gliche Mark aller Landen,
worinn er auf das
frech-
*)
frechſte zu beweiſen ſuchte, daß die Polygamie
nicht nur etwas ſehr erlaubtes, goͤttliches und
fuͤr die menſchliche Geſellſchaft ſehr zutraͤgliches
ſey; ſondern er haͤlt auch alle diejenigen, wel-
che ſie billigten, fuͤr erleuchtet. Er wurde von
einem daͤniſchen Theologen, Namens Johann
Brunsmann widerlegt, und hierauf des Landes
verwieſen, und ſeine Schriften wurden ver-
brannt.
Fragt man nun: ob die Polygamie erlaubt
ſey oder nicht? ſo kann man ſie nicht anders,
als ſie fuͤr unerlaubt erklaͤren, denn ſie iſt wieder
die erſte Einſetzung des Eheſtandes — unſer
Heyland erklaͤrt die Polygamie Matth. XIX, 9.
fuͤr eine Art von Ehebruch. — Paulus thut
eben dieſes in ſeinem erſten Briefe an die Corin-
thier 7, 2. es ſollte ein jeglicher ſein eigen
Weib und eine jegliche ihren eignen Mann
haben, um der Hurerey willen.
Der Herr
Doktor Miller hat, wie uns duͤnkt, in der Fort-
ſetzung der Mosheimiſchen Sittenlehre, Th. 8.
am beſten wider die Polygamie geſtritten. Man
kann auch noch hierbey des Herrn Ritters
Michaelis Zuſaͤtze zu des Herrn v. Premontval
Buche, wider die Polygamie in dem 22 B. des
Hamb. Magazin mit vielen Nutzen leſen.
*)
Wenn mancher Profeſſor ſich ſollte vorher ſo
examiniren laſſen, ehe er ſein Amt antritt, als
es ſich gehoͤrte; ſo wuͤrde es wahrlich oft ſehr
mißlich ausſehen. — Manchem armen Can-
didaten wenn er vor dem Richterſtuhle ſeine
Gelehrſamkeit zeigen ſoll, wird herzlich bange,
und kann vor Ungeduld die Zeit nicht erwarten,
wo er dieſer Geiſſel los iſt. Die Furcht dieſer
Leute iſt ganz gegruͤndet, weil ſie befuͤrchten
muͤßen, einen Repuls zu bekommen, und da
bleibt ihm die Schaude aufm Halſe. Es waͤre
daher zu wuͤnſchen, daß die Herren, welche ei-
nen andern examiniren, immer unpartheyiſch
verfahren moͤchten, und immer bedenken, daß
zwiſchen„ einen examiniren„ und„ von einem exa-
miniret werden„ ein großer Unterſchied ſey. Ein
Narr kann mehr fragen, als zehn Kluge ant-
worten koͤnnen.
*)
Der Ramadan oder Ramaſan iſt, wie aus ei-
nem der vorhergehenden Kapiteln erhellt, ein
Faſtenmonat.
*)
Das Studium der Aſtronomie wurde in den
aͤltern Zeiten von den Arabern ſehr geliebt.
Sie
*)
Sie begnuͤgten ſich nicht damit, ſo wie die uͤbri-
gen Voͤlker, den Lauf und die Bewegung der
Planeten zu beobachten, ſondern ſie erweiterten
ihre Betrachtung bis zu den Fixſternen. Sie
bildeten ſich endlich einen ſolchen Einfluß der
Geſtirne ein, der nicht allein bey den natuͤrlichen
Koͤrpern auf Erden mancherley Veraͤnderungen
in Anſehung des Wetters, der Geſundheit und
Krankheit des menſchlichen Lebens verurſache;
ſondern ſich auch auf die menſchlichen Verrich-
tungen und kuͤnftige Begebenheit des Gluͤcks
und Ungluͤcks erſtrecke. Und ſo leiteten ſie nicht
nur die Schickſale einzelner Menſchen, ſondern
auch ganzer Nationen von der Beſchaffenheit
und Kraft der Geſtirne her. Und nur allein
hierinn darf man die Urſache aufſuchen, warum
die Geſtirne von den alten Arabern ſo ſehr ver-
ehrt wurden, und man kann auch zugleich hier-
aus ſchließen, wie ſehr dieſe unrichtige Vorſtel-
lung von dem Einfluß der Geſtirne den Fort-
ſchritt der uͤbrigen Wiſſenſchaften gehindert
habe. a)
a)
Dieſe Meynung, welche die alten Araber
von dem Einfluß der Geſtirne auf die Koͤrper,
u. ſ. w. gehegt haben, hat auch noch im zehnten
Jahr-
*)
Jahrhunderte, und noch ſpaͤter, nach Chriſti
Geburt, ihre Vertheidiger gefunden. Ein ge-
wiſſer Schriftſteller, deſſen eigentlichen Namen
man nicht weiß, und ohngefaͤhr im zwoͤlften
Jahrhunderte gelebt, hat unter dem Namen
Ovidius ein Buch unter dem Titel: De Vetula,
herausgegeben, worinn er die Beſchaffenheit
und Schickſale der Religion von dem Geſtirne
herleitete, und die Juͤdiſche, von der Vereini-
gung des Jupiters mit dem Saturn; die Chal-
daͤiſch-perſiſche, von der Conjunction des Jupi-
ters mit dem Mars; die Roͤmiſche von der
Verknuͤpfung des Jupiters mit der Venus; die
Chriſtliche von der Verbindung des Jupiters
mit dem Goͤtterboten Mercurius, abſtammen
ließ. — Dieß iſt eine abſurde Hypotheſe.
Wollte man den Einfluß der Geſtirne auf die
freyen Handlungen der Menſchen annehmen,
ſo wuͤrde dadurch die voͤllige Freyheit des
menſchlichen Willens, und folglich auch alle
Moralitaͤt der menſchlichen Verrichtungen, die
ohne dieſe Freyheit nicht beſtehen kann, aufge-
hoben werden. In unſern Zeiten findet man,
ſo viel mir wiſſend iſt, dergleichen Narrheiten und
Poſſen nicht mehr beſtritten! —
*)
Badowi heißt in der arabiſchen Sprache ſo viel
als, zum Landleben gehoͤrig, oder Bewohner
einer Wuͤſte.
*)
Die Aerzte verſichern, daß das Trinken unter
der Mahlzeit nichts tauge. Die Bedouinen
beobachten dieſe Regel, ſo viel als moͤglich,
und vielleicht iſt dieß auch eine Miturſache, war-
um ſie nicht ſo oft krank ſind, als die Eu-
ropaͤer. —
**)
An unſern vornehmen Tafeln iſt das nicht
Mode!
*)
Es iſt anmerkenswerth, daß der Vater unter
allen Verwandten der einzige iſt, der ſich nicht
bey der Hochzeit einfindet. Die Urſache iſt ſehr
ſeltſam. Er glaubt nemlich, ſeine Ehre erfor-
dere es, daß er, unterdeſſen, daß ſeine Tochter
im Begriff iſt, ihre Jungferſchaft zu verliehren,
zu Hauſe bleibe.
*)
Die Groͤße der Ohren ſcheint bey den Siamern
ein hauptſaͤchliches Stuͤck der Schoͤnheit zu
ſeyn, — ſo wie uͤberhaupt im Morgenlande,
nur mit dem Unterſchiede, daß einige die Ohren,
um ihnen eine groͤßere Laͤnge zu geben, unter-
waͤrts ziehen, uͤbrigens aber keine groͤßere Loͤcher
darin bohren, als es fuͤr die Ohrgehaͤnge noͤthig
iſt, andre aber nach dem Durchbohren das Loch
erweitern.
**)
Den europaͤiſchen Herrn, welche nach Siam
reiſeten, machte dieß wohl darinn einen ſehr
unan-
**)
unangenehmen Effect, weil ihnen dieß Natuͤr-
liche nicht natuͤrlich ſchien. Wir hingegen, lo-
ben dieſe Gewohnheit der Siamer, und miß-
billigen die Mode unſrer Frauenzimmer, welche,
wegen der Schnuͤrbruͤſte ein zu gezwungenes Air
annehmen, und im Eheſtande fuͤr dieſen Zwang
der Natur, oft hart buͤßen muͤßen.
*)
Wer ein großes Verzeichniß der Kuͤchen- und
Hausgeraͤthe der Siamer leſen will, mag ſich
zu dem La Loubere wenden im 2. Th. S. 50.
*)
Dieß muß eine ſehr uͤble Wirkung aufs Ohr
machen! — indeſſen findet man doch in einigen
Diſtrikten Deutſchlands Leute, welche das E
nie verſchlucken, und z. E. ſagen: die Génadé
unſérés Hérrén, u ſ. w.
*)
Man thut Unrecht, wenn man die Siamer
deswegen verdammen will. Man denke: In
ganz Europa, das doch ſonder Zweifel fuͤr den
geſitteſten Theil der bekannten Welt angeſehen
werden muß, pflegen die Beamten u. ſ. w. u. ſ.
w. u. ſ. w. — Geſchenke anzunehmen, da es
ihnen doch durch die Geſetze unterſagt iſt. Das
iſt eine heßliche Mode von geſitteten Europaͤern,
die ganz unverzeihlich iſt. Aber fuͤr den unge-
ſitteten (in Ruͤckſicht der Europaͤer) Siamer
nicht ſo tadelns werth.
*)
Oc-Pra-Belat. Sein Name bedeutet: Fol-
gender. Er hat aber in Abweſenheit des Tſchau-
Menangs den Vorſitz nicht, weil er keine Stim-
me hat.
Oc-Pra-Jokebateſt. Iſt eine Gattung von
Fiscal, und eigentlich ein Spion des Statthal-
ters. Das Amt iſt nicht erblich.
Oc-Pra-Penn, iſt der Befehlshaber der Be-
ſatzung, und ſteht unter dem Tſchau-Menang.
Oc-Pra-Maha-Tai. Dieß Wort heißt der
große Siamer, und wer dieſen Titel fuͤhrt, iſt
gleichſam der Vater des Volks. Er wirbt die
Soldaten, oder verlangt ſie vielmehr nur von
den Nais; er verſorgt das Heer mit Lebens-
mitteln, hat die Aufſicht uͤber die Muſterrollen
des Volks u. f. Ueberhaupt vollzieht er die Be-
fehle des Statthalters, welche das Volk be-
treffen.
Oc-Pra-Saſſed, macht die Muſterrollen,
und verwahrt ſie. Dieß Amt iſt dem Beſtechen
ſehr unterworfen, weil jeder gerne Geld giebt,
um nur nicht auf die Rolle zu kommen, und die
Nais ſelbſt gerne, fuͤr Geld, Gefaͤlligkeiten er-
zeigen. Der Saſſedi ſetzt die Kinder auf die
Rolle, ſo bald ſie drey Jahre alt ſind.
Oc-
*)
Oc-Luang-Menang, iſt gleichſam der Bur-
gemeiſter in der Stadt, der auf die Policey und
Nachtwaͤchter Achtung giebt.
Oc-Luang-Vang, iſt der Haußhofmeiſter
des Statthalters; denn Vang heißt Pallaſt.
Seine Pflicht iſt es, auf die Gebaͤude Acht zu
geben, und ſie ausbeſſern zu laßen. Unter ihm
ſteht die Leibwache nebſt ihrem Hauptmanne.
Oc-Luang-Clang, ſorgt fuͤr die koͤniglichen
Vorrathsbaͤuſer. Clang heiſt Vorrathshaus.
Er nimmt alle Abgaben an den Koͤnig in Em-
pfang, und verkauft des Koͤnigs Waaren an
das Volk.
Oc-Luang-Cuca, hat die Aufſicht uͤber die
Fremden. Er vertheidigt oder verklagt ſie bey
dem Statthalter.
Oc-Luang-Coeng, iſt vielleicht ſo viel als
die Pedells auf unſern Univerſitaͤten, oder
Stadtknechte. Der ſiamiſche Stadtknecht hat
immer ein großes Schwerdt an ſeiner Seite
hangen. Seine Haͤſcher ſind die Kenlais oder
Blauaͤrme.
Oc-Cun-Pa-ja-Bat, iſt ſoviel als Gefaͤng-
nißmeiſter.
Oc-Cun-Narin, unter ihm ſtehen die Waͤr-
ter der Elephanten, die der Koͤnig im Lande
haͤlt;
*)
haͤlt; denn weil es ſchwer faͤllt, eine große An-
zahl an einem Orte zu fuͤttern und zu ſtallen, ſo
zertheilt man ſie hin und her.
Oc-Cun-Nai-rong, iſt der Elephanten-
meiſter.
Bey einem jedweden Landgerichte ſind auch
einige Beamte, welche keine andere Dienſte
thun, als daß ſie nach des Tſchau-Menangs
Tode ſeine Stelle verſehen, bis der Koͤnig ein
anders befiehlt. Ferner iſt einer da, welcher
dem Statthalter die Tara, d. i. die koͤniglichen
Befehle vorlieſt. — Dieſe Beſchreibung ha-
ben wir aus dem La Loubere entlehnt, wohin
derjenige Theil unſrer Leſer, der hiervon etwas
mehrers zu leſen wuͤnſcht, verwieſen wird.
*)
So viel von der Regierungsart in Siam.
Wir haben uns bey dieſem Artikel mit Fleis
kurz gefaßt, um noch wichtigern Dingen Platz
zu laßen. Auch hoffen wir, daß ſich der Leſer
einigen Begrif von der Regierungsart der Sia-
mer, aus dem, was wir beygebracht haben,
werde machen koͤnnen.
*)
Das Geſetz, welches Sommonokhodon den
Siamern vorgeſchrieben hat, beſteht nach des
P. Tachard Berichte, in folgenden Punkten,
die aber groͤſtentheils die Talapoinen angehen:
  • 1. Gott, ſein Wort, und die Nachahmer
    ſeiner Tugenden anbethen.
  • 2. Nicht ſtehlen.
  • 3. Den Wein und andere berauſchende
    Dinge meiden.
  • 4. Weder luͤgen noch jemand betruͤgen.

5. Weder
*)
  • 5. Weder Menſchen noch Thiere toͤdten.
  • 6. Nicht ehebrechen.
  • 7. An Feyertagen faſten.
  • 8. An dieſen Feyertagen ſich der Arbeit ent-
    halten.

La Loubere geht von dieſer Ordnung ab, und
bringt dieſe Gebote nur auf fuͤnf, die man al-
lenthalben in ganz Indien beobachtet ſieht.
a) Nichts toͤdten. b) Nichts ſtehlen. c) Kei-
ne Uneinigkeiten begehen. d) Nicht luͤgen.
e) Kein ſtark Getraͤnke trinken. — Dieſer
Schriftſteller ſagt ferner, die Vollkommenheit
der Geſetze gehoͤre nur fuͤr die Talapoinen al-
lein; zwar ſuͤndige ein jeder, der ſie uͤbertraͤte,
allein der Stand der Talapoinen ſey an ſich
vollkommner. Ein Talapoin ſuͤndigt ſchon,
wenn er uͤber die Gaſſe geht, und nicht dabey
in ſich ſelbſt einkehrt. Er ſuͤndigt, wenn er
ſich in Staatsgeſchaͤfte miſchet; wenn er
huſtet, damit ihn eine Weibsperſon anſehen
ſoll, und gern bey einer ſchlafen moͤchte; wenn
er ſich parfuͤmirt und zu ſehr putzet u. ſ. w.
*)
Sie nehmen nicht, wie die Manichaͤer, zwey
Weſen der Dinge an, wovon das eine gut, das
andre boͤſe ſey; noch weniger glauben ſie die
Lehre von der Erbſuͤnde, und halten alles, was
man ihnen von dem Ungehorſam des erſten
Menſchen, und von der Erbſtrafe ſeiner Suͤn-
den ſagt, fuͤr Traͤumereyen! — — —
*)
Es verdient hierbey nachgeleſen zu werden:
des gelehrten und beruͤhmten Herrn Profeſſor
Dohms Verſuch einer geographiſchen Be-
ſchreibung der ſuͤdlichen Haͤlfte von Hindi,
ſtan,
welchen er dem erſten Theil der iviſchen
Reiſen angehaͤngt hat.
*)
Surat, oder wie andere ſchreiben, Surate, iſt
ein wuͤſter Ort im Koͤnigreich Gutſcherat. Herr
Prof. Dohm giebt uns von ihr in ſeiner geo-
graphiſchen Beſchreibung von Hindoſtan, fol-
genden Abriß: „Sie iſt, ſagt er, eine der wich-
tigſten Handelsſtaͤdte in ganz Indien. Sie
liegt vier Meilen vom Meere am Fluſſe Tapta,
in welchem, waͤhrend der Fluth mittelmaͤßige
Schiffe einlaufen koͤnnen. „— Die Gegend,
welche Surate umgiebt, beſteht aus den frucht-
barſten, mit Reis, Getreide und auch Zucker-
rohr (welches hier ſehr gut fortkommt) beſetzten
Feldern, oder aus angenehmen Gaͤrten und
Luſtwaͤldern. Thevenot haͤlt die Gegend von
Surate fuͤr die ſchoͤnſte in ganz Hindiſtan.
Die Haͤuſer der gemeinen Indianer ſind meiſt
von Rohr, aber die Wohnungen der Vorneh-
men und Kaufleute ſehr praͤchtig, und einige
Straßen ſogar mit Porcellan bedeckt. Die
Hollaͤnder und Englaͤnder haben ſchoͤne oͤffent-
liche Handlungsgebaͤude. Es iſt auch eine Fe-
ſtung hier, welche Tavernier ſchlecht, Man-
delslo aber ein herrlich Schloß oder Feſtung
nennt. Man glaubt, daß ſie von den Tuͤrken
erbaut ſey; ſie hat einen beſondern Commen-
danten, der von dem Gouverneur der Stadt
unabhaͤngig iſt. Auch die Stadt ſelbſt iſt mit
einer feſten Mauer und Thuͤrmen umgeben. —
Surate
*)
Surate iſt beſonders itzt ein Hauptſitz der britti-
ſchen Handlung, und ein Sammelplatz der
Reichthuͤmer und der Voͤlker. — Aber ohnge-
achtet dieſer gluͤcklichen Lage findet man doch
bey den Einwohnern den Wohlſtand und den
Ueberfluß nicht, den man erwarten ſollte.
Denn die Stadt iſt, wegen ihrer wichtigen
Handlung, von dem Großmogol mit einem
jaͤhrlichen Tribut von einigen Millionen belegt,
wodurch das Volk ſehr gedruͤckt und bis zu der
aͤußerſten Armuth erſchoͤpft wird. Da die Vor-
nehmen und Kaufleute aber gemeiglich ſehr reich
ſind, ſo findet man hier einen wetteifernden
Luxus, und die tiefſte Duͤrftigkeit neben ein-
ander.„
Agra iſt die Hauptſtadt einer Provinz gleiches
Namens, und uͤbertrift an Groͤße alle Staͤdte
im ganzen Reiche. Der Großmogol pflegt hier
im Winter zu reſidiren. Sie hat wenigſtens
12 Meilen im Umkreiſe, und der Pallaſt des Be-
herrſchers hat 25000 Schritt im Umfange. An
praͤchtigen Moskeen und Goͤtzentempeln fehlt es
hier auch nicht.
*)
Aus den Berichten einiger Reiſebeſchreiber er-
hellet, daß es die Fakirs nicht allein ſind, wel-
che die Vaniyanen ſo hinterliſtig um das Geld
bringen. Sie berichten, daß auch ſonderlich
die Englaͤnder und Hollaͤnder dieſen Betrug an
dieſen unſchuldigen Indianern ausuͤben.
*)
Die pataniſchen Prinzen, deren in der indiani-
ſchen Geſchichte erwaͤhnt wird, haben vor
den Mohammedanern in Hindiſtian regiert.
*)
Rupie, oder Roupie, iſt der Name einer Muͤn-
ze, welche entweder reel, oder auf der Einbil-
dung beruhet, wie in Europa, ein Livre ein
Thaler u. ſ. f. Die eingebildete Rupie hat 48
franzoͤſiſche Sols am Werthe. Die wuͤrkliche
oder reelle Rupie, hat verſchiedene Sorten. Die
Rupie; welche die verſchiedenen Prinzen in Hin-
diſtan ſchlagen laſſen, heißt Sicca, wenn ſie
aus der Muͤnze kommt, und hat einen Werth
von 16 bis hundert uͤber eine eingebildete Muͤn-
ze. In dieſen Rupies Sicca werden alle Auf-
lagen und Revenuͤen der Prinzen bezahlt. Alle
Schaͤtzungen des Herrn Alexand. Dows haben
dieſen Werth; acht Rupies Sicca haben den
Werth eines Pfund Sterlings. — Hat eine
Sicca Rupie ein Jahr roulirt; ſo verliert ſie
drey pro Cent am Werthe, ob ſie gleich immer
E edaſſel-
*)
daſſelbige Gewicht behaͤlt. Alsdann bekommt
ſie den Namen Rupie Sonat. Nach zwey
Jahren faͤllt der Werth eben dieſer Rupie noch
auf fuͤnf pro Cent; dann wird ſie Arcot Rupie
genannt, und bleibt bey dieſem Werthe, nem-
lich auf acht pro Cent, uͤber die eingebildete Ru-
pie. Dieſer beſondere Wucher iſt eine Revenuͤe,
welche die Prinzen und ihre Paͤchter vom Publi-
kum eintreiben, da ſie die Muͤnzſorten beſtaͤndig
wieder umſchmelzen.
*)
Und dieß aus der Urſache, weil ſie ſagen, daß
er bey allen Erſcheinungen nur einen Theil ſei-
ner Gottheit geoffenbaret, in dieſer aber die
ganze Gottheit mitgebracht habe.

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2025). Poppe, Johann Friedrich. Characteristik der merkwürdigsten Asiatischen Nationen. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bj03.0