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LEHRBUCH
DES
SCHACHSPIELS


HALLE,: 1856.
VERLAG VON SCHROEDEL \& SIMON.

[[II]][[III]]

Vorwort.


Der vorliegenden Schrift liegt ein doppelter Zweck zu Grunde,
welcher zunächst durch Scheidung des Ganzen in zwei besondere
Bücher ausgesprochen wird. Von diesen erstrebt das erstere eine
wo möglich einseitigem Selbststudium genügende, leichtfassliche,
ebenso praktische wie systematische Darstellung der Grundlehren
für den Anfänger. Das zweite giebt eine universelle Behandlung
des Schach nach jechlicher Richtung zur Einführung geübter prak-
tischer Spieler in die gesammten theoretischen, praktischen und
literarischen Gebiete des Spieles. Eine stufenmässige Benutzung
beider Bücher erscheint für den Lernenden besonders empfehlens-
werth, indem er nach gründlichem Studium des ersten Theiles ohne
weitere Zwischenübungen mit Erfolg zu den Lehren des anderen
unmittelbar sich anschliessenden Buches übergehen mag. In beiden
Büchern wird der Kenner so reichlich positiven Inhalt niedergelegt
finden, wie bei der gestellten Raumgrenze nur irgend durch Präci-
sion der Darstellung zu erreichen war.


Mangelhafte Berücksichtigung der Anfangsgründe in den besseren
bisher erschienenen Werken, welche gewöhnlich mit vornehmer
Eile über die Grundlehren schnell hinweggehen, hat nicht selten
bittere Klagen über Schwierigkeit einer Erlernung des Schach aus
Büchern begründet. Auf der anderen Seite ist die Literatur, be-
sonders seit dem Tournier zu London 1851, mit einer Menge kleiner
höchst untauglicher Schriften überschwemmt worden, welche bei
weitschweifiger Darstellung oft durch ebenso unklare wie unrichtige
Behandlung mehr Schaden als Nutzen zu stiften scheinen. Mit
gleicher Consequenz haben nun beide Mängel in dem ersten Buche
der gegenwärtigen Schrift Berücksichtigung gefunden. Für die
Benutzung desselben, besonders bei einseitigem Selbststudium, d. h.
bei Erlernung des Schach ohne gleichzeitig praktische Uebung mit
anderen Spielern, genehmige der Anfänger hier noch den Rath.
sobald als möglich zu den praktischen Uebungen im zweiten Ab-
schnitt jenes Buches überzugehen, namentlich vor genauerem Stu-
dium der besonderen Grundgesetze in der letzten Abtheilung des
[IV] ersten Abschnittes. Wir hoffen, dass in diesem Falle sowie bei
sonst getreuem Anschluss an die vorgetragenen Lehren der Lernende
bald günstige Resultate erzielen wird.


Gewöhnlich trifft man bei rein praktisch geübten Spielern eine
durchaus mangelhafte Kenntniss der so mannigfaltigen einzelnen
Theile des Spieles; auch beschränken sich selbst die besseren Werke
meist auf eine ermüdende Menge von Anfangs- und Endspielen,
ohne den anderen mannigfachen Gebieten des Spieles oft nur flüch-
tige Theilnahme zu schenken. Die Einführung des Praktikers in
die gesammten Schacherkenntnisse hat deshalb nicht selten mit
grossen Schwierigkeiten zu kämpfen. Letztere sucht nun das zweite
Buch dieser Schrift durch gleichmässige Behandlung sämmtlicher
Schachmaterien in verhältnissmässig gedrängter Kürze und Präci-
sion möglichst zu heben. Dabei ist auf ebenso klare, systematische
Anordnung wie praktisch bequeme und reichhaltige Darstellung
gleiche Rücksicht genommen. Nicht selten erschien zu diesem Zwecke
eine neue und originelle Behandlung mancher Materien von vortheil-
hafter Nothwendigkeit, auf welchen Umstand wir namentlich Kenner
ganz besonders aufmerksam machen dürfen. Wir wollen in dieser
Beziehung ausser den Kapiteln des Rösselsprunges, der Rechtsver-
hältnisse und der praktischen wie literarischen Geschichte, vorzüg-
lich den so wichtigen Theil von den Eröffnungen hervorheben, sowie
die noch nirgend gründlich bearbeitete Lehre von den taktischen
Grundsätzen und die gänzlich neue Behandlung der in neuester
Zeit so beliebt gewordenen Probleme oder Aufgaben. Wir dürfen
die Hoffnung anschliessen, dass bei gründlicher Prüfung sowohl der
Kenner wie geübte Spieler manches Neue vorfinden, der Praktiker
dagegen durch genaue Lectüre sich schnell und leicht in sämmt-
liche Gebiete des Spieles einführen wird.


Im December 1855.


M. L.

[[1]]

Einleitung.


Das Schachspiel, welches als eines der vollkommensten zur
allgemeinen Klasse der Brettspiele gehört, wird auf einem
Brette mit einer Anzahl von Steinen oder Figuren gespielt.
Je nach der Anzahl der Spielenden und der eigenthümlichen
Einrichtung des Brettes wie der Figuren unterscheidet man
besondere Arten jenes Spieles. Die wichtigste und gebräuch-
lichste Art des Schachspieles ist das sogenannte Zweischach,
in welchem nur zwei Personen mit einander spielen. Es
wird deshalb auch das gewöhnliche Schachspiel oder schlecht-
hin das Schachspiel genannt, und ihm sind die Lehren der
gegenwärtigen Schrift ausschliesslich gewidmet.


Im Allgemeinen stellt das Schachspiel einen Kampf zwi-
schen zwei kleinen Heeren von Figuren dar, deren jedes
das andere zu bekämpfen trachtet mit dem Zwecke, eine
bestimmte Figur des Gegners, welche König genannt wird,
so in die Enge zu treiben, dass letzterer den Angriffen der
ihm feindlichen Figuren nicht mehr zu entgehen vermag.
Die beiden Spieler treten daher hier als Parteien gegen ein-
ander auf, und ihre Thätigkeit besteht in abwechselnder
Bewegung der ihnen zugewiesenen Figuren zu dem angedeu-
teten Endzweck. Die mehr oder weniger geschickte Be-
nutzung der einzelnen Figuren entscheidet daher allein zu
Gunsten des einen oder des andern Spielers. Von Glücks-
zufall sowie von besonderer körperlicher Geschicklichkeit
kann deshalb bei diesem Spiele nicht die Rede sein, und
diesem Umstande verdankt es seine günstige Aufnahme bei
allen denkenden Köpfen. Denn seit seiner Erfindung hat
dies Spiel zu jeder Zeit vielen ausgezeichneten Geistern und
1
[2] ernsten Gemüthern als Zeitvertreib und zur Belustigung ge-
dient; ja es giebt nicht wenig grosse Gelehrte, die es als
Lieblingsbeschäftigung bis zur Leidenschaft gepflegt haben.


Gleich nach seiner Erfindung muss dies Spiel sehr be-
liebt gewesen und weit verbreitet worden sein, denn noch
bis jetzt hat man die Spuren seiner Erfindung nicht mit
völliger Sicherheit auffinden können. Man hat abwechselnd
verschiedenen Nationen, wie den Griechen, Persern, Ara-
bern die Erfindung zugeschrieben, und erst in neuerer Zeit
hat sich mit einiger Genauigkeit feststellen lassen, dass
wohl im alten Indien die ersten Spuren des Schachspieles
zu suchen seien. Von dort aus hat es sich dann wahr-
scheinlich im sechsten Jahrhundert unserer Zeitrechnung nach
Osten und Westen hin verbreitet, wie einige chinesische
und arabische Schriften jener Zeit bestätigen. Denn im
Jahre 537 soll es unter der Regierung des Vouti in China
Eingang gefunden haben, zu gleicher Zeit unter Justinian
nach Persien gekommen und von hier nach Griechenland
sowie durch die Saracenen und Mauren nach Italien und
Spanien gebracht sein. Die allgemeinere Verbreitung im
Occident, namentlich in Deutschland und Frankreich, er-
folgte aber wohl erst durch die von ihren heiligen Zügen
heimkehrenden Kreuzfahrer. Leider gehören die ersten Schrif-
ten über das Spiel selbst einer weit späteren Zeit an;
erst im Laufe des sechszehnten Jahrhunderts finden sich
in Spanien und Italien die Anfänge theoretischer wie prak-
tischer Schachliteratur. Meist sind es einzelne Spiele,
theils ganze Partien, theils Anfänge oder Endspiele, welche
aufgezeichnet werden; wirklich gediegene Lehrbücher des
Spieles trifft man erst in Italien seit dem Ende des vorigen
Jahrhunderts. Noch jetzt gilt das Buch des italienischen
Meisters Ponziani, aus dem Jahre 1782, als ein Meisterwerk
klarer und präciser Darstellung; die Auswahl des Stoffes
aber sowie die ganze theoretische Auffassungsweise erscheint
für die Gegenwart mehr oder weniger veraltet.


Seitdem sind ausser anderen umfassenderen und unbe-
deutenderen Schriften, wie Handbüchern, Monographien
u. s. w., auch mehrfach eigentliche Lehrbücher des Spieles
[3] erschienen, welche nach den verschiedenartigsten Methoden
mit mehr oder weniger Bequemlichkeit das Spiel zu lehren
bezwecken. Wir erinnern hier nur an die französischen
Werke der Grafen Robiano und Basterot (1853), an das
sogenannte Handbuch des englischen Meisters Staunton (1847)
und an die deutschen Schriften eines Allgaier (1823) und
v. d. Lasa (1848). Letzteren reiht sich das vorliegende
Lehrbuch an, insoweit es eine präcise Darstellung der theo-
retischen Analysen anstrebt. Daneben macht es aber ebenso
sehr Anspruch auf eine klare systematische und leichtfass-
liche Darstellung der Grundlehren für den Anfänger wie auf
eine exacte Behandlung sämmtlicher Schachmaterien für den
geübteren Spieler. Um beide Gesichtspunkte, welche viel-
leicht in all den bisherigen Schriften bei Weitem nicht ge-
nügend gewürdigt wurden, möglichst zur Geltung zu bringen,
soll die ganze Materie in zwei besonderen für sich abge-
schlossenen Büchern vorgetragen werden. Davon hat das
erstere den Zweck systematischer Darstellung der Grund-
lehren sowie ihrer praktischen Uebung für den Anfänger;
das zweite Buch enthält eine specielle Behandlung des gan-
zen Schachspieles nach seiner theoretischen, praktischen und
literarischen Seite für den geübteren Spieler.



[[4]][[5]]

ERSTES BUCH.
Lehren für den Anfänger.


[[6]][[7]]

Erster Abschnitt.
Die Grundlehren des Spieles.


Erste Abtheilung.
Vorkenntnisse.


Erstes Kapitel.
Die Natur des Schachspieles und sein Material.

§. 1. Das Schachspiel wird von zwei einander gegen-
über sitzenden Personen auf dem Schachbrette mit den
Schachfiguren gespielt, indem sie unter abwechselnder Be-
wegung einzelner Figuren den Endzweck des Spieles, wel-
cher sich an eine bestimmte Figur, König genannt, knüpft,
zu erreichen streben. Das Material des Schachspieles be-
steht daher aus dem Schachbrett und den Schachfiguren.


§. 2. Das Schachbrett besteht aus einem Quadrate,
das in 64 gleiche kleinere Quadrate getheilt ist, welche ab-
wechselnd hell und dunkel, gewöhnlich weiss und schwarz,
gefärbt sind, so dass schräge Linien auf Feldern von gleicher
Farbe laufen. Es wird so zwischen die beiden Spielenden
gelegt, dass jeder zur rechten Hand ein weisses Eckfeld hat.


§. 3. Die Schachfiguren bestehen aus zwei einander
gleichen Haufen zu je 16 Stück. Beide unterscheiden sich
durch helle und dunkle, gewöhnlich weisse und schwarze
Farbe, von einander, und je einer wird dem einen der bei-
[8] den Spielenden zugetheilt. Die acht kleineren einander glei-
chen Steine jeder Partei werden Bauern, die übrigen acht
grösseren aber Offiziere genannt.


§. 4. Unter den Offizieren ragt durch seine Grösse
der König hervor, welcher nach §. 1 die wichtigste Figur
des Spieles ist. Nach ihm kommt die Dame, welche nicht
selten auch Königin genannt wird. Die noch übrigen Offi-
ziere jeder Partei bilden drei Paare: zunächst die Thürme,
welche sich durch eine thurmähnliche Gestalt auszeichnen;
sodann die Springer, welche an einem Pferdekopfe ähnlich
sind und auch zuweilen Rössel oder Ritter genannt werden;
endlich die Läufer, welche meist von schlanker Gestalt
sind oder ein Gesicht nebst Federstutz tragen.


§. 5. Nach §. 3 und §. 4 hat also jede Partei sechs
verschiedene Arten von Figuren, nämlich 1) einen König

[figure]

; 2) eine Dame

[figure]

; 3) zwei Thürme

[figure]

; 4) zwei
Läufer

[figure]

; 5) zwei Springer

[figure]

; 6) acht Bauern

[figure]

.
Die Stellung dieser verschiedenen Steine auf dem Brette
beim Beginne des Spieles wird durch folgendes Diagramm
veranschaulicht:

[figure]
[9]

§. 6. Nach dem vorgelegten Schema möge nun der
Anfänger seine Schachfiguren auf seinem Brette aufzustellen
versuchen. Die Bauern kommen je auf der zweiten Felder-
reihe ihrer Partei zu stehen; die Offiziere aber werden in
folgender Ordnung aufgestellt. Zunächst gebühren die Eck-
plätze jeder Partei ihren Thürmen, daneben kommen die
Springer und an diese fügen sich die Läufer. Die beiden
mittleren Felder sind für den König und die Dame bestimmt,
und zwar gebührt der letzteren das Feld ihrer Farbe.


Zweites Kapitel.
Die Notation.

§. 7. Die Grundlage aller Schachcombinationen bildet
das Schachbrett und eine genauere Kenntniss seiner Einrich-
tung ist vor allem dem Anfänger von grosser Wichtigkeit.
Von besonderer Bedeutung ist hier aber die Notation, d. h.
die Art und Weise, nach welcher die einzelnen Felder des
Brettes durch [bestimmte] Zeichen markirt werden. Die No-
tation bildet demzufolge die eigentliche Sprache des Schach-
spieles, und die deutschen Schachspieler sowie die Mehrzahl
der ausländischen Gesellschaften und Meister haben hier die
folgende einfachste und bequemste Methode gewählt.


§. 8. Man bezeichne die von unten nach oben laufen-
den Felderlinien in der Ordnung von links nach rechts unten
mit den Buchstaben a bis h; ferner die von links nach rechts
laufenden Felderlinien von unten nach oben durch die Zah-
len 1 bis 8. Daraus ergiebt sich folgendes Schema.


[10]
[figure]

Nun trifft auf jedem einzelnen Felde Buchstabe und Zahl
zusammen, und ihre Zusammenstellung bedingt die Bezeich-
nung des betreffenden Feldes. So heisst das linke Eckfeld
unten a 1; das rechte Eckfeld oben h 8; die vier Felder in
der Mitte des Brettes sind d 4, e 4, d 5, e 5.


§. 9. Diese Notation muss vor allen Dingen vom An-
fänger gründlich eingeprägt werden und zwar dergestalt, dass
er auf seinem einfachen unbezeichneten Schachbrette sich
augenblicklich von der Bezeichnung jedes einzelnen Feldes
Rechenschaft zu geben vermag. Bei einiger Aufmerksamkeit
kann diese Geschicklichkeit äusserst leicht und schnell er-
worben werden. Man frage sich z. B., welche Felder ent-
hält die und die Reihe, welchen Namen trägt das und das
Feld auf dem Brette, endlich wo liegt das und das angege-
bene Feld, wie z. B. wo ist auf dem Brette das Feld g 4,
wo d 3, wo b 5 u. s. w. Unerlässlich ist diese Geschicklich-
keit für das Verständniss aller folgenden Erörterungen und
man muss die Felder im Griffe haben wie der Clavirspieler
die Tasten beim Anblick der Noten. Auch übt man hier-
[11] durch den Ueberblick und dieser ist das erste Erforderniss
eines [guten] Schachspielers.


§. 10. Zur Uebung gebe man schliesslich die Stand-
felder der einzelnen Figuren an, wie sie in §. 5 und §. 6
angedeutet wurden. Danach steht der weisse König auf e 1,
der schwarze auf e 8; die weisse Dame auf d 1, die schwarze
d 8. Die weissen Läufer stehen auf c 1 und f1, die schwar-
zen auf c 8 und f 8; die weissen Springer auf b 1 und g 1,
die schwarzen auf b 8 und g 8; die weissen Thürme auf a 1
und h 1, die schwarzen auf a 8 und h 8. Die weissen Bauern
endlich stehen auf der zweiten Reihe, d. h. auf den Feldern
a 2, b 2, c 2, d 2, e 2, f 2, g 2, h 2, die schwarzen auf der sie-
benten, also auf a 7, b 7, c 7, d 7, e 7, f 7, g 7, h 7. Die
Figuren auf a 1, b 1, c 1, sowie auf a 8, b 8, c 8 heissen die
Damenfiguren, und zwar die Thürme auf a 1, a 8 die Damen-
thürme, die Springer auf b 1, b 8 die Damenspringer u. s. f.;
ferner die Figuren zur Seite des Königs also auf f 1, g 1,
h 1 sowie auf f 8, g 8, h 8 sind die Königsfiguren und zwar
die Läufer auf f 1, f 8 heissen die Königsläufer u. s. w. In
ähnlicher Weise nennt man die Bauern auf e 2 und e 7 die
Königsbauern; auf d 2 und d 7 stehen die Damenbauern;
auf c 2, f 2, c 7, f 7 stehen die Lauferbauern u. s. w.


Zweite Abtheilung.
Grundgesetze.


Drittes Kapitel.
Die Gangweise der Figuren.

§. 11. Die Benutzung der Figuren besteht nach §. 1 in ihrer
Bewegung auf dem Brette. Die Art und Weise, in welcher die
Figuren bewegt werden, nennt man ihre Gangweise. Jede der
in §. 5 angedeuteten Arten von Figuren hat ihre eigenthüm-
[12] liche Gangweise. Wir fangen bei der Beschreibung der ein-
zelnen Gangweisen im Folgenden mit der einfachsten an und
gehen nach und nach zu den schwierigern über.


§. 12. Der Bauer hat die einfachste Gangweise. Er
geht gerade aus und zwar nur einen Schritt in das nächste
vor ihm liegende Feld; jedoch bei seinem ersten Zuge ist
es ihm gestattet, auf einmal 2 Felder vorzugehen. Der
Spieler darf daher die Bauern von ihrer ursprünglichen Auf-
stellung aus entweder einen oder zwei Schritt vorwärts be-
wegen, später aber bei jedem Zuge nur einen Schritt vor-
rücken. So kann der Königsbauer auf e 2 entweder nach e 3
oder nach e 4 gezogen werden, sodann aber von beiden Fel-
dern aus nur einen Schritt, d. h. im ersten Falle nur von
e 3 nach e 4, im andern nur von e 4 nach e 5. Niemals darf
aber der Bauer sich rückwärts bewegen, und diese Be-
schränkung unterscheidet ihn wesentlich von dem Gange der
Officiere.


§. 13. Unter den Officieren hat die einfachste Gang-
weise der Thurm. Die Thürme gehen in gerader, d. h. in
horizontaler wie vertikaler Richtung über beliebig viele un-
besetzte Felder. So kann ein Thurm in der Mitte des
Brettes auf dem weissen Felde e 4 in seinem nächsten Zuge
auf ein beliebiges Feld gehen, das in den 4 Richtungen e 4
nach e 8, oder e 4 nach e 1, ferner e 4 nach a 4 und e 4 nach
h 4 gelegen ist. Steht ein Thurm auf dem Eckfelde h 1
eines leeren Brettes, so bestreicht er sämmtliche Felder des
rechten und des untern Seitenrandes, d. h. die Felder von
h 1 nach h 8 und von h 1 [auch]a 1.


§. 14. Die Läufer gehen in schräger Richtung über
beliebig viele unbesetzte Felder. Steht ein Läufer auf dem
Felde e 4, so bestreicht er die Linien e 4 bis a 8, e 4 bis h 1,
ferner e 4 bis b 1 und e 4 bis h 7. Auf einem Eckfelde, z. B.
h 1, bestreicht er nur die Felder der einen grossen Diago-
nale des Brettes. Nach §. 2 sind die in schräger Richtung
fortlaufenden Felder von gleicher Farbe, und deshalb ist
auch der schräggehende Laufer stets an die Farbe seines
Standfeldes gebunden. So darf der Königslaufer der Weissen
auf f 1 nie die weissen Felder des Brettes verlassen, der
[13] Damenlaufer auf c 1 dagegen nie die schwarzen. Für jede
Partei kann man deshalb den weissen von dem schwar-
zen Laufer unterscheiden, je nach der Farbe ihrer Stand-
felder. So nennt man den Königslaufer der weissen Partei
auch den weissen Laufer, ihren Damenlaufer dagegen den
schwarzen. Umgekehrt ist für die schwarze Partei der Kö-
nigsläufer auf f 8 der schwarze und der Damenläufer auf c 8
der weisse.


§. 15. Die Dame vereinigt in sich die Bewegung des
Thurmes und des Laufers. Sie geht nach jeder beliebigen
Richtung in unbeschränkter Anzahl der Schritte. Steht die
Dame auf dem Felde e 4 eines leeren Brettes, so sind es
8 Hauptrichtungen, nach welchen sie ziehen könnte. Sie
kann gerade vorwärts von e 4 bis e 8, gerade rückwärts von
e 4 bis e 1 gehen, ferner in gerader Linie rechts ab von e 4
bis h 4 und in gerader Linie links ab von e 4 bis a 4; so-
dann kann sie in schräger Linie sich bewegen, und zwar von
e 4 bis a 8, von e 4 bis h 1, ferner von e 4 bis b 1 und e 4
bis h 7. Demzufolge kann die Dame bei freiem Brette in
ihrem nächsten Zuge von e 4 aus auf ein beliebiges Feld
der angedeuteten 8 Hauptrichtungen bewegt werden.


§. 16. Der König hat die Bewegung der Dame, aber
in beschränkter Anzahl der Schritte. Er geht nämlich immer
nur einen Schritt bis ins nächste Feld, aber nach jeder
Richtung, d. h. vorwärts, rückwärts, seitwärts, gerade aus
und schräg. In der Mitte des leeren Brettes, z. B. auf dem
Felde e 5 hat er 8 Felder zur Verfügung: d 6, e 6, f 6, d 5,
f 5, d 4, e 4, f 4.


§. 17. Der Springer hat eine für den Anfänger am
schwierigsten zu erklärende Gangweise. Er geht, sein Stand-
feld eingerechnet, auf jedes dritte Feld von andrer Farbe
als das Standfeld, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob die
dazwischenliegenden Felder leer oder besetzt sind. Denkt
man sich einen Springer in der Mitte des leeren Brettes
auf dem Felde d 5, so sind zunächst dritte Felder von hier-
aus z. B. die folgenden: d 7, e 7, f 7, f 6, f 5 u. s. w.; die
Felder, auf welche aber der Springer von dem bezeichneten
Standpunkte gehen kann, sind, da sie von anderer Farbe als
[14] jenes Standfeld sein sollen, nur folgende acht: e 7, f 6, f 4,
e 3, c 3, b 4, b 6, c 7. — Es ist hierbei gleichgültig, ob zwi-
schenliegende Felder, wie e 6, f 7, f 5 u. s. w., leer oder
besetzt sind, und daher hat auch der Springer seinen Na-
men, weil er über solche Felder gleichsam hinwegspringt.
Steht der Springer auf einem Eckfelde, so hat er nur unter
zwei Zügen die Auswahl, z. B. von a 1 aus steht ihm nur
eines der beiden Felder b 3 und c 2 zu Gebote. Je näher
er der Mitte zukommt, desto mehr wächst seine Auswahl
von Zügen, wie bei allen andern Officieren. Ueber mehr
als 8 Möglichkeiten hat aber der Springer nie zu verfügen.


§. 18. Gründliche Kenntniss der einzelnen Gangweisen,
d. h. völlige Vertrautheit mit der Möglichkeit sämmtlicher
Bewegungen der einzelnen Figuren ist nun vor allen Dingen
für den Anfänger erforderlich und bildet die Grundbedingung
für den weitern Fortschritt. So übe der Anfänger nicht nur,
auf welche Felder jede Figur von beliebigen Standpunkten
aus in ihrem nächsten Zuge gehen könnte, sondern auch in
wie viel Zügen sie auf beliebige andere Punkte des Brettes
zu gelangen vermag; auch hier ist es die Hauptaufgabe des
Anfängers, die einzelnen Möglichkeiten rasch übersehen zu
lernen, um, wie schon im vorigen Capitel besonders her-
vorgehoben wurde, zugleich den Ueberblick zu üben.


Viertes Kapitel.
Die Schlagweise der Figuren.

§. 19. Es gilt als Grundsatz, dass auf jedem Felde
nur eine Figur stehen darf. Die Auswahl der für eine Fi-
gur möglichen Züge wird dadurch hauptsächlich beschränkt.
Steht z. B. der weisse König auf e 4 und seine Dame auf
d 4, so darf weder ersterer das Feld d 4 noch letztere das
Feld e 4 betreten. Die Wirksamkeit der Dame wird aber
hierdurch auch für die ganze Richtung von d 4 bis h 4 auf-
gehoben, denn sie darf über keinen Stein hinwegspringen.


[15]

§. 20. Wird aber die Wirksamkeit einer Figur durch
eine feindliche gehemmt, so darf erstere sich auf den Platz
der letztern stellen, indem diese letztere dabei vom Brette
entfernt wird. Man sagt in diesem Falle, die erstere Figur
schlägt die andere. Das Schlagen geschieht daher in sol-
cher Weise, dass man den zu schlagenden Stein vom Brette
nimmt und den schlagenden Stein an die Stelle desselben
setzt. Man denke sich nun bei leerem Brette die weisse
Dame auf e 4, die schwarze auf c 6. Hier hemmt die eine
Dame die Wirksamkeit der andern, denn die weisse Dame
vermag nun ebensowenig von e 4 aus auf a 8 zu gelangen,
wie die schwarze von c 6 aus jetzt nach f 3 ziehen darf.
Die weisse Partei dürfte aber, wenn sie am Zuge wäre, ihre
Dame auf c 6 stellen und sogleich die schwarze Dame vom
Brette entfernen; umgekehrt könnte Schwarz, wenn er am
Zuge wäre, die weisse Dame auf e 4 vom Brett entfernen
und seine eigne von c 6 aus auf e 4 stellen.


§. 21. Als Grundgesetz für die Schlagweise der Figu-
ren gilt folgender Satz: Alle Officiere schlagen in der-
selben Weise, in welcher sie gehen
, d. h. sie können
auf solchen Feldern, die ihrer Gangweise zugänglich sind,
feindliche Figuren hinwegnehmen, indem sie sich selbst dar-
auf stellen. Die Bauern aber weichen beim Schlagen
von ihrer Gangweise ab, indem sie stets schräg vor-
wärts in das nächste Feld rechts oder links schla-
gen
. So kann der Königsbauer auf e 2 nur auf die Felder
d 3 und f 3 schlagen. Man denke sich nun, der Königsbauer
sei im ersten Zuge von e 2 nach e 4 gegangen, der feindliche
Königsbauer aber dagegen von e 7 nach e 5 gezogen. Jetzt
darf weder der weisse Bauer den schwarzen, noch dieser
jenen schlagen; ebensowenig darf einer der beiden Bauern
weiter vorrücken. Hätte aber die schwarze Partei statt des
Königsbauers ihren Damenbauer im ersten Zuge 2 Schritt
gezogen, also auf den Zug des Weissen von e 2 nach e 4
mit dem Zuge von d 7 nach d 5 geantwortet, so dürfte in
diesem Falle der weisse Königsbauer von e 4 aus den feind-
lichen Damenbauer auf d 5 schlagen, d. h. er zieht von e 4
bis d 5, indem der feindliche Bauer vom Brette entfernt wird.


[16]

§. 22. Die Möglichkeit des Schlagens bei irgend einem
Zuge bedingt aber im Schachspiele niemals die Nothwendig-
keit desselben. Wir führen diesen Satz hier ausdrücklich
an, um gewissen Irrthümern vorzubeugen, die bei Kennern
des Damenspiels und anderer Brettspiele sich einfinden könn-
ten, in welchen nicht selten das Schlagen geboten und die
Unterlassung mit Strafen bedroht ist.


Fünftes Kapitel.
Die Angriffsweise der Figuren.

§. 23. Eine Figur, welche so gezogen ist, dass sie im
nächsten Zuge eine feindliche Figur schlagen könnte, greift
die letztere an. Man stelle sämmtliche Figuren nach ihrer
ursprünglichen in §. 6 angedeuteten Stellung auf das Brett
und lasse die weisse Partei ihren Königsbauer zwei Schritt
von e 2 nach e 4 bewegen, die schwarze aber den gleichen
Bauer von e 7 nach e 5 ziehen. Hierauf lasse man die Weissen
ihren Königsspringer gemäss §. 17 von g 1 auf f 3 setzen,
und man sieht leicht ein, dass dieser Springer im nächsten
Zuge von f 3 auf e 5 schlagen könnte. Man sagt desshalb,
mit dem Zuge des Springers nach f 3 greifen die Weissen
den feindlichen Königsbauer an, oder auch sie bedrohen
diesen Bauer, d. h. sie drohen, ihn im nächsten Zuge zu
schlagen.


§. 24. Eine Figur, welche so gezogen ist, dass sie
unmittelbar darauf von einer feindlichen Figur geschlagen
werden könnte, stellt sich en prise. Wenn die weisse Par-
tei im ersten Zuge ihren Königsbauer von e 2 nach e 4 ge-
zogen hat, und der Gegner nun den Damenbauer von d 7
nach d 5 vorrückt, so stellt sich letzterer en prise, indem
ihn darauf der weisse Königsbauer auf e 4 ohne Weiteres
durch den Zug von e 4 nach d 5, wie wir in §. 21 gesehen
haben, wegnehmen könnte. Eine Figur, welche sich en
prise stellt, setzt sich somit selbst unmittelbar dem Angriff
einer feindlichen aus.


[17]

§. 25. Als Hauptgesetz des Schachspieles gilt folgen-
der Satz. Mit Ausnahme des Königs dürfen sämmtliche Fi-
guren geschlagen werden und sich daher auch einem feind-
lichen Angriffe aussetzen, oder en prise stellen. Der Kö-
nig aber darf niemals genommen, niemals en prise ge-
stellt werden, niemals einem feindlichen Angriffe aus-
gesetzt bleiben
. Die Gangweise des Königs wird deshalb
auch durch den Angriff feindlicher Figuren beschränkt. Stellt
man z. B. den weissen König auf d 4, die schwarze Dame
aber auf b 5, so hat der König nur über die Felder c 3, e 3
und e 4 zu verfügen. Denn die Felder c 5, d 5 und e 5
werden durch die Dame vermöge ihrer geraden Gangweise
beherrscht ebenso wie die Felder c 4 und d 3 kraft ihres
schrägen Ganges. Der König darf aber diese zuletzt ge-
nannten 5 Felder wegen des obigen Grundsatzes nicht be-
treten, da er hier von der feindlichen Dame geschlagen
werden könnte.


§. 26. Aus dem vorigen Paragraphen erhellt, dass die
beiden Könige einander niemals zu nahe treten dürfen, d. h.
zwischen ihren beiden Standfeldern muss stets ein Feld in
der Mitte liegen. Man denke sich den weissen König auf
e 3, den schwarzen auf e 5. In diesem Fall dürfen die drei
Felder d 4, e 4, f 4 von keinem der beiden Könige beschrit-
ten werden, da in solchem Falle der eine sich dem Angriff
des andern aussetzen würde. Späterhin wird dieser Grund-
satz, welcher der Würde der Könige allein entspricht, auch
als dem Geiste des Schachspiels allein angemessen erkannt
werden.


Sechstes Kapitel.
Die Partie.

§. 27. Das praktische Spiel findet seinen Ausdruck
in der sogenannten Partie. Die Partie besteht aus der
abwechselnden Bewegung einzelner Figuren von Seiten bei-
der Parteien, indem letztere von der in §. 6 erörterten Auf-
2
[18] stellung der Figuren ausgehen, abwechselnd je einen Zug
thun und dahin streben, den Endzweck des Spieles zu
erreichen, d. h. den feindlichen König Matt zu setzen.


§. 28. Der König ist Matt, wenn seine Partei den
Angriff einer feindlichen Figur auf ihn nicht mehr abzu-
wehren vermag. Man stelle z. B. den schwarzen König auf
sein Standfeld e 8, die weissen Thürme aber auf a 7 und
h 8 und man hat das einfachste Beispiel einer Mattstellung.
Denn der König wird vom Thurme auf h 8 angegriffen, vermag
aber nicht diesem Angriffe zu entgehen, da er überall, d. h. auf
irgend einem der fünf Felder d 8, f 8, d 7, e 7, f 7 dem An-
griffe eines der beiden feindlichen Thürme begegnen würde.
Stünde aber ein schwarzer Thurm auf dem Felde f 1, so
könnte nun der Angriff des weissen Thurmes von h 8 durch
den Zug des schwarzen Thurmes von f 1 bis auf f 8 unter-
brochen werden, d. h. dieser schwarze Thurm würde durch
seinen Zug von f 1 nach f 8 sich an seinen eigenen König
stellen und diesen gegen den Angriff des weissen Thurmes
schützen. Ein anderes Beispiel des Matt, um diesen Begriff
noch mehr zu veranschaulichen, entsteht durch die Stellung
des weissen Königs auf e 6, der weissen Dame auf e 7 und
des schwarzen Königs auf e 8. In diesem Stande vermag
der schwarze König dem Angriff der weissen Dame nicht
zu entgehen, und er ist desshalb ebenfalls Matt. Zur Uebung
möge sich der Anfänger noch folgende Fragen beantworten.
Wesshalb ist der schwarze König auf dem Felde d 8 Matt,
wenn der weisse König auf dem Felde c 6, die weisse Dame
aber auf f 8 steht? Warum setzt der weisse Laufer auf
d 5 den schwarzen König auf f 3 Matt, wenn der weisse Kö-
nig auf seinem Standfelde e 1 sich befindet, der andere Lau-
fer der Weissen aber auf e 3 so wie ein schwarzer Springer
auf g 4 und ein weisser Bauer auf f 2 steht?


§. 29. Der im vorigen Paragraphen zur Anschauung
gebrachte Begriff des Matt bildet stets den Endzweck des
Spieles oder der Partie und muss daher in allen Stadien
derselben mehr oder weniger berücksichtigt werden. Nur
im Anfange der Partie leuchtet es schon aus der im §. 6
erkannten Aufstellung der Figuren von selbst ein, dass
[19] jener Endzweck bei so wohl verschanzter Stellung der Kö-
nige nicht unmittelbar ins Auge gefasst werden kann. Es
müssen erst von beiden Seiten die gehörigen Angriffskräfte
in Bewegung gesetzt werden und es wird daher zunächst
auf einen mehr oder weniger glücklichen Kampf unter den
einzelnen Figuren selbst ankommen, ehe der hierbei man-
nichfach entblösste König des Gegners mit Erfolg ange-
griffen werden mag. Gewöhnlich werden dabei auf beiden
Seiten mehrere Figuren gegenseitig geschlagen und es ist
desshalb für den Verlauf der Partie eine Kenntniss des
Werthes der Figuren von besonderer Wichtigkeit, um beim
Austausch derselben genau ermessen zu können, welche Fi-
guren man für andere des Gegners geben könne, oder in
welchen Fällen man gewisse Figuren dem Angriffe feind-
licher ohne Nachtheil aussetzen dürfe. Zwar entscheidet
nicht selten die besondere Natur einer Stellung über den
eigenthümlichen Werth einzelner Figuren; doch gelten im
Allgemeinen für den gewöhnlichen Verlauf der Partie ge-
wisse Regeln über den Tauschwerth, welche sich kurz in
folgende Sätze zusammenfassen lassen:


  • a) Es bedarf keiner besondern Begründung, dass die Dame
    vermöge ihrer ausgedehnten Gangweise die mächtigste
    Wirkung und somit auch den grössten Werth habe.
    Man kann sie daher gewöhnlich gegen keine andere Fi-
    gur des Gegners, als gegen dessen Dame selbst geben.
  • b) Der Dame steht an Werth zunächst der Thurm, wel-
    cher im Allgemeinen für stärker gehalten wird, als Lau-
    fer oder Springer. Letztere beide haben einen ziem-
    lich gleich grossen Werth, und man tauscht gewöhn-
    lich ohne Nachtheil Laufer gegen Springer oder um-
    gekehrt. Sie sind beide die schwächeren Steine und
    werden gewöhnlich im Gegensatze zum Thurme leichte
    Officiere genannt. Kann man daher einen Thurm ge-
    gen einen Laufer oder Springer eintauschen, so ist dies
    im Allgemeinen ein Vortheil und man sagt, derjenige,
    welcher einen Thurm gegen einen leichten Officier ein-
    büsst, hat die Qualität verloren, der Gegner aber ge-
    wonnen.

2*
[20]
  • c) Der an Werth geringste Stein ist der Bauer und man
    kann ungefähr 3 Bauern einem leichten Officier gleich
    achten; namentlich ist dies der Fall, wenn die drei
    Bauern mit einander verbunden sind, d. h. auf drei
    neben einanderlaufenden Linien sich befinden.
  • d) Die Hauptfigur des Spieles endlich, der König, wird
    nach §. 25 niemals geschlagen, und für ihn lässt sich
    daher auch kein Tauschwerth angeben. Die besondere
    Wichtigkeit des Angriffs auf den König hat aber zu
    folgender Regel Veranlassung gegeben. Bei jedem An-
    griffe durch irgend eine Figur auf den feindlichen Kö-
    nig soll der Spieler den Zuruf „Schach!“ aussprechen.
    Der andere Spieler soll dadurch auf die Gefahr, welche
    seinem König droht, aufmerksam gemacht und beson-
    ders daran erinnert werden, dass er zunächst seinen
    König sicher stellt, wie es das Hauptgesetz des Spie-
    les nach §. 25 erheischt.

§. 30. In Betracht kommt der Tauschwerth besonders
bei dem gegenseitigen Angriff der einzelnen Figuren. So
ist es nicht nothwendig, wenn z. B. ein weisser Springer
durch einen feinlichen Laufer angegriffen wird, den erste-
ren dem Lauferangriffe zu entziehen, sondern die weisse
Partei könnte auch eine beliebige Figur so bewegen, dass
diese den feindlichen Laufer wieder zu schlagen vermöchte,
falls er den Springer nehmen sollte. Man sagt hier, die
weisse Partei schützt, vertheidigt oder deckt ihren Springer.
Wenn aber die Dame, oder ein Thurm von einer feindlichen
Figur geringeren Grades z. B. von einem feindlichen leich-
ten Offizier angegriffen wird, so ist es im Allgemeinen nach-
theilig, den höheren Officier decken zu wollen und er müsste
in solchem Falle dem Angriffe der geringern Figur entzogen
werden.


[21]

Dritte Abtheilung.
Besondere Grundgesetze.


Siebentes Kapitel.
Privilegien der Figuren.

§. 31. Das Schachspiel kennt für die Figuren drei be-
sondere Gesetze, oder Privilegien, welche sich theils an die
wichtigste Figur, den König, theils an die schwächste, den
Bauer, knüpfen. Der König hat das Privileg der Rochade,
der Bauer aber die beiden Privilegien des Avancement
und des Schlagens im Vorübergehen.


§. 32. Die Rochade besteht in einer gleichzeitigen Be-
wegung von König und Thurm, welche nur für einen einzi-
gen Zug gilt und bei welcher der König ausnahmsweise zwei
Schritte thut.


Man stelle den weissen König auf sein Standfeld e 1,
den einen Thurm aber auf h 1. Jetzt besteht die Rochade
darin, dass der König zwei Schritt zur Seite auf das Feld
g 1 geht, der Thurm sich aber auf das hiebei übersprungene
Feld f 1 stellt. Man sagt hier, der König rochirt mit sei-
nem eigenen Thurm, oder er rochirt nach der Königsseite.
Nun stelle man den König wieder auf sein Standfeld e 1,
den andern Thurm aber auf das linke Eckfeld a 1. Der
König kann hier ebenfalls zwei Schritt zur Seite auf c 1
gehn, indem sich der Thurm von a 1 aus zu gleicher Zeit
auf das Feld d 1 stellt. Der König rochirt hier mit dem
Damenthurm, oder nach der Damenseite. Als besondere Be-
dingungen bei Ausführung des Privilegs der Rochade in einer
praktischen Partie kommen aber noch folgende [Bestimmun-
gen]
in Betracht:


  • a) Es geht zunächst aus der Natur der Rochade hervor,
    dass die zwischen König und Thurm befindlichen Felder
    von sämmtlichen Figuren geräumt sein müssen. Auch
    darf auf diesen Feldern sich keine feindliche Figur
    [22] finden, denn es soll während des Rochirens kein Stein
    geschlagen werden.
  • b) Die Felder, welche der König vor, während und nach
    der Rochade betritt, dürfen von keinem feindlichen
    Steine angegriffen sein. Die Felder nach der Rochade
    sind entweder g 1 oder c 1 (für Schwarz g 8 oder c 8),
    und für diese ist die angegebene Bedingung von selbst
    verständlich, denn der König darf nie in Schach gehen,
    d. h. einem feindlichem Angriffe sich aussetzen. Das
    Feld während der Rochade ist das beim Rochiren über-
    sprungene Feld, also entweder f 1 oder d 1 (für Schwarz
    f 8 oder d 8). Auch diese sollen bei Ausführung der
    Rochade nicht angegriffen sein, denn es erscheint der
    königlichen Würde nicht angemessen, vor einem feind-
    lichen Angriffe gleichsam vorbeizufliehen. Aus dem-
    selben Grunde soll auch das Feld vor der Rochade,
    also das Standfeld e 1 (für Schwarz e 8) unmittelbar bei
    Ausführung der Rochade nicht bedroht sein, d. h. der
    König soll, wenn ihm Schach geboten ist, diesem nicht
    durch die Rochade entgehen, weil er hier gleichsam
    einem feindlichem Angriffe zu entfliehen scheint.
  • c) Endlich darf bei Ausführung der Rochade weder König
    noch Thurm bereits einmal gezogen sein. Diese Be-
    dingung ist von selbst verständlich, wenn man bei der
    Rochade von dem Princip ausgeht, dass sie als Privileg
    nur einmal und für die erste Bewegung des Königs ge-
    stattet ist.

§. 33. Ein Bauer, welcher die letzte Felderreihe des
Brettes erreicht hat, kann vermöge seiner Gangweise nicht
weiter ziehen. Er erhält aber in diesem Falle nach freier
Wahl seines Besitzers unmittelbar und unwiderruflich für
diesen den vollen Rang eines Officiers d. h. entweder einer
Dame, oder eines Thurmes, oder Läufers, oder Springers.
Diese Umwandlung des Bauers in einen Officier auf der
äussersten [Felderreihe] des Gegners, bildet das Privileg des
Avancements. Es ist beim Avancement gleichgültig, ob der
für den Bauer gewählte Officier bereits während des Spiels
verloren ist, oder nicht. Das Avancement der weissen
[23] Bauern findet auf den Feldern a 8 bis h 8 statt, ebenso wie
die schwarzen Bauern nur dann avanciren können, wenn sie
irgend ein Feld der untersten Reihe, also von a 1 bis h 1
erreicht haben. Noch ist zu erwähnen, dass der avancirende
Bauer unmittelbar die volle Wirksamkeit des für ihn ge-
wählten Officiers erhält, so dass er auch möglichenfalls so-
fort Schach zu bieten vermag. Steht z. B. der weisse Kö-
nig auf g 1 und der feindliche Damenbauer, welcher bis d 2
vorgerückt wäre, zöge auf d 1, so würde er, als Dame, un-
mittelbar den weissen König angreifen und somit Schach
bieten. Wenn ein Bauer avancirt, so pflegt man öfter da-
für zu sagen, er geht in die Dame, obgleich er auch zu
irgend einem andern Officier gemacht werden könnte.


§. 34. Das Privileg des Schlagens im Vorübergehen
oder des en passant Schlagens besteht in folgender Bestim-
mung. Wenn ein Bauer, welcher aus seiner ersten Auf-
stellung zwei Schritte vorrückt, bei einem feindlichen Bauer,
der schon die Mitte des Brettes überschritten hat, vorüber-
geht, und dicht neben demselben zu stehen kommt, so hat
der Gegner für seinen nächsten Zug das Recht, den vor-
übergegangenen Bauer, als habe dieser nur einen Schritt
gethan, mit seinem daneben stehenden Bauer schräg vor-
wärts zu schlagen. Man setze nach §. 6 sämmtliche Figuren
in ihrer ursprünglichen Stellung auf das Brett und lasse
beide Parteien ihren Königsbauer zwei Schritt vorwärts-
gehen. Hierauf lasse man die Weissen ihren Damenbauer
zwei Schritt ziehen, welchen Schwarz mit seinem Königs-
bauer darauf wegschlagen möge. Zieht nun Weiss im dritten
Zuge den Bauer vor seinem Damenläufer von c 2 nach c 4,
so geht dieser bei dem feindlichen Königsbauer, welcher
jetzt auf d 4 steht, vorüber. Letzterer kann nun den weissen
Bauer ebenso schlagen, als wäre dieser nur einen Schritt,
also von c 2 nach c 3 gezogen. Die schwarze Partei setzt
in diesem Falle ihren Bauer von d 4 auf c 3 und nimmt zu
gleicher Zeit den weissen Bauer auf c 4 vom Brett. Man
sagt hier, der schwarze Bauer d 4 schlägt den weissen Bauer
c 4 im Vorübergehen; doch darf dies nur im nächsten Zuge,
also unmittelbar, nachdem der im Vorübergehen zu schlagende
[24] Bauer zwei Schritt bewegt ist, geschehen. Späterhin hat
der betreffende Bauer das Recht des en passant Schlagens
verloren.


Achtes Kapitel.
Besondere Endigungsarten der Partie.

§. 35. Nach §. 27 gilt als Endzweck der Partie die
Mattsetzung des feindlichen Königs und nur durch dessen
Erreichung wird der Sieg bedingt. Grundsatz ist daher,
dass nur derjenige die Partie gewinnt, welcher den König
des Gegners Matt setzt. Ergiebt sich also in irgend einem
Stadium der Partie die Unmöglichkeit, jenen Endzweck je
zu erreichen, so kann natürlich keine von beiden Parteien
auf den Sieg Anspruch erheben, und man hat in diesem
Falle die Partie als unentschieden oder remis abzuschliessen.
Für die Beendigungsarten der Partie lassen sich darnach
folgende besondere Grundsätze aufstellen.


§. 36. Der Matt gesetzte Spieler hat die Partie ver-
loren. Dem gilt gleich, wenn ein Spieler in irgend einer
Stellung der Partie letztere als verloren aufgiebt. Denn in
dieser Erklärung liegt das Zugeständniss, der aufgebende
Spieler würde bei weiterer Fortsetzung schliesslich Matt
gesetzt werden.


§. 37. Zu den unentschiedenen Partien oder Remisspielen
gehört vor allen Dingen derjenige Fall, in welchem beiden
Parteien die zum Mattsetzen des feindlichen Königs erfor-
derlichen Mittel fehlen. Hat z. B. die eine Partei nur den
König, die andere aber ausser letzterem nur noch einen
leichten Officier übrig behalten, so ist die Möglichkeit des
Mattsetzens aufgehoben; auch König und beide Springer
sind nicht im Stande, den einzelnen feindlichen König bei
richtigem Gegenspiele zum Matt zu bringen. Dagegen ver-
mag ein einzelner übrig gebliebener Bauer, falls er in die
Dame gelangt, als solche mit Hülfe des Königs den feind-
[25] lichen zu besiegen. Die besonderen einzelnen Fälle aller
dieser Endigungsarten lehrt die Theorie bei Behandlung der
Endspiele.


§. 38. Wenn von beiden Parteie ndieselben Züge, oder
dieselben Reihen von Zügen unablässig wiederholt werden, so
ist natürlich eine Erzwingung des Matts nicht denkbar und
die Partie als remis abzubrechen. Denn kein Spieler kann
gezwungen werden, von seinen Zügen, falls sie nur sonst
den Regeln des Schach entsprechen, abzugehen. Eine be-
sondere Art solcher Remisspiele wird durch ewiges Schach-
geben von Seiten einer Partei hervorgebracht, besonders
häufig, wenn die Dame des einen Spielers den feindlichen
König fortwährend auf gewissen Feldern einhertreibt. Nicht
selten wird ein solches ewiges Schach durch den Kunst-
ausdruck échec éternel bezeichnet.


§. 39. Zu den Remisspielen gehört endlich der Fall, in
welchem eine Partei Patt gesetzt wird. Wenn nämlich ein
Spieler so zieht, dass dem Gegner, dessen König nicht an-
gegriffen ist, kein regelmässiger Zug zu Gebote steht, so
ist letzterer Patt. Er kann nicht ziehen, und da er am
Zuge ist, also auch die Partie nicht weiter führen; er ist
aber auch nicht Matt, denn sein König ist nicht von einem
feindlichen Angriff bedroht. Da somit die Partie, ohne dass
eine von beiden Partein Matt steht, beendet ist, muss sie
dem Grundsatze im §. 35 zufolge als unentschieden aufge-
hoben werden.


§. 40. Fassen wir die einzelnen in diesem Kapitel vor-
geführten Gesetze über das Ende der Partie zusammen, so
ergiebt sich folgende Uebersicht. Eine Partie kann ent-
weder ein entschiedenes oder unentschiedenes Ende finden.
Das erstere wird durch Mattsetzung oder Aufgeben einer
Partei bedingt, das letztere entweder durch Unzulänglich-
keit der Mittel zum Mattsetzen, oder durch Wiederholung
derselben Züge, besonders durch échec éternel, oder end-
lich durch Patt.


[[26]]

Zweiter Abschnitt.
Praktische Uebungen.


Erste Abtheilung.
Spielversuche.


Neuntes Kapitel.
Vorübungen.

§. 41. Bei den folgenden Uebungen muss vor allen Din-
gen eine genaue Kenntniss der im zweiten Kapitel gelehrten
Notation vorausgesetzt werden. Denn letztere dient, wie
bekannt, zur Angabe der einzelnen Züge, welche bei prak-
tischen Uebungen die Materie aller Erörterungen bilden.
Um aber einen einzelnen Zug des Spielers darzustellen, be-
darf es nur der Angabe zweier Felder, nämlich desjenigen,
auf welchem die zuziehende Figur sich findet und desjenigen,
auf das sie gezogen werden soll. Das erstere wird mit dem
Ausdruck Standfeld bezeichnet, das letztere kann Zielfeld
genanut werden. Durch Verbindung von Standfeld und Ziel-
feld wird daher der Zug einer Partei vollendet. Denn da
nach §. 19 auf jedem Felde sich nur eine Figur finden
darf, so genügt jene Verbindung vollkommen zur bestimm-
ten Angabe der Züge. So sagt man, wenn in der gewöhn-
lichen Aufstellung die weisse Partei ihren Königsbauer zwei
Schritt vorrückt, es geschieht der Zug 1. e 2—e 4, und
wenn der Gegner darauf den gleichen Zug thut, Schwarz
zieht 1. e 7—e 5. Soll ein Officier bewegt werden, so pflegt
man den Anfangsbuchstaben desselben, obgleich dies nicht
[27] nothwendig ist, den beiden Feldern vorzusetzen. Wenn
z. B. die weisse Partei in dem eben gegebenen Anfange
nun ihren Königslaufer drei Schritt weit auf das Feld c 4
vorbewegt, so sagt man Weiss zieht 2. L f 1—c 4. Durch
ein Kreuz hinter einem Zuge wird angedeutet, dass zugleich
damit dem feindlichen Könige Schach geboten wird. Findet
sich endlich ein Kolon hinter einem Zuge, so soll damit
das Schlagen oder die Hinwegnahme einer feindlichen Figur,
welche sich auf dem Zielfelde befindet, bezeichnet werden.


§. 42. Zur Uebung und Prüfung in der Kenntniss der
Gangweise und Schlagweise der Figuren, deren genauere
Einprägung hier ebenfalls vorausgesetzt werden muss, möge
nun der Anfänger folgendes praktische Beispiel ins Auge
fassen. Er stelle auf sein leeres Brett folgende Figuren.
Zunächst von Weiss den König auf c 2, die Dame auf c 3,
einen Thurm auf f 4, einen Laufer auf a 2 und einen Sprin-
ger auf a 5; zuletzt Bauern auf b 2, d 5, e 7 und h 2. So-
dann von Schwarz den König auf d 6, die Dame auf h 6,
einen Thurm b 1, einen Laufer auf g 3 und einen Springer
f 6; endlich Bauern auf b 6, b 7 und d 2. Daher ergiebt
sich folgende Stellung:

[figure]
[28]

Man frage sich nun, wenn Weiss am Zuge wäre, welche
Figuren des Schwarzen er nehmen könne und umgekehrt,
wenn Schwarz zu ziehen hätte, welche weissen Figuren er
schlagen dürfte. Weiss könnte mit seiner Dame entweder
den feindlichen Springer, oder den Laufer, oder den Bauer
auf d 2 schlagen, d. h. entweder 1. D c 3—f 6: oder 1. D
c 3—g 3: oder 1. D. c 3—d 2: zíehen. Ferner könnte der
weisse König den schwarzen Thurm oder Bauer nehmen,
d. h. 1. K c 2—b 1: oder 1. K c 2—d 2 ziehen. Der weisse
Thurm könnte den feindlichen Springer schlagen und zu
gleicher Zeit Schach bieten, also 1. T f 4—f 6 † ziehen.
Der Läufer könnte den Thurm nehmen, d. h. 1. L a 2—b 1:
Der Springer könnte den Bauer b 7 schlagen und zugleich
Schach geben, also 1. S a 5—b 7: †. Endlich könnte der
weisse Bauer den Läufer nehmen, d. h. 1. h 2—g 3: ziehen.
Von all den angeführten Zügen könnte also Weiss, wenn er
am Zuge wäre, einen beliebigen wählen, falls er eine feind-
liche Figur schlagen wollte. Ausserdem stünden ihm noch
beliebige andere Züge zu Gebote, z. B. der Bauer d 7
könnte auf d 8 in die Dame gehen und hier zu irgend einem
feindlichen Officier gemacht werden. Würde er ein Sprin-
ger, so würde er zu gleicher Zeit Schach sagen. Was nun
die schwarze Partei betrifft, wenn sie in der gegebenen
Stellung am Zuge wäre, so hätte sie ebenfalls die Auswahl
unter mehreren Zügen, durch welche zugleich eine feindliche
weisse Figur geschlagen würde. Der schwarze König könnte
den Bauer auf e 7 nehmen, also 1. K d 6—e 7: ziehen.
Dagegen dürfte er nicht den andern Bauer auf d 5 schlagen,
weil er sich hierdurch dem Angriffe des weissen Laufers
auf a 2 aussetzen würde. Ferner die Dame könnte den
weissen Thurm, oder Thurmbauer schlagen, also entweder
1. D h 6—f 4: oder 1. D h 6—h 2: ziehen. Der schwarze
Thurm könnte den Bauer b 2 nehmen und zu gleicher Zeit
Schach sagen, also 1. T b 1—b 2: †. Der Läufer kann den
Thurm oder einen Bauer nehmen, nämlich entweder L g 3
f 4: oder L g 3—h 2: ziehen. Der Springer könnte einen
Bauer schlagen, d. h. 1. S f 6—d 5: Endlich der Bauer
b 6 könnte den Springer a 5 schlagen. Die beiden Bauern
[29] auf b 6 und b 7 bezeichnet man mit dem gemeinschaftlichen
Ausdruck Doppelbauer. Solche Doppelbauern entstehen da-
durch, dass ein Bauer durch das Schlagen einer feindlichen
Figur von seiner ürsprünglichen Felderreihe auf eine andere
gelangt. In dem vorliegenden Falle ist der Doppelbauer
dadurch entstanden, dass von a 7 oder c 7 aus der schwarze
Bauer auf b 6 geschlagen hat. Letzterer könnte, wie gesagt,
jetzt den weissen Springer auf a 5 schlagen, und man sagt
dann, der Doppelbauer ist aufgelöst, d. h. durch den Zug
1. b 6—a 5: wird der doppelte Bauer aufgehoben und wie-
der in zwei einfache zerlegt.


§. 43. Die an der vorgeführten Stellung veranschau-
lichte Gang- und Schlagweise der Figuren möge der Anfän-
ger an beliebig aufgestellten Positionen weiter einzuüben
und dadurch seine Kenntniss hierin zu prüfen versuchen.
Hier wollen wir das gegebene Beispiel noch einmal benutzen,
um daran auch die Angriffsweise klar zu machen. Sämmt-
liche Figuren, welche, wie vorhin erörtert ist, in jener Stel-
lung von Figuren des Gegners genommen werden konnten,
werden dort angegriffen genannt. So greift z. B. der weisse
König den schwarzen Thurm und den Bauer auf d 2 an; die
schwarze Dame dagegen den weissen Thurm und den Bauer
auf h 2. Wenn Schwarz am Zuge wäre, würden sämmtliche
weisse Figuren, die er schlagen könnte, en prise stehen,
z. B. der weisse Springer auf a 5. Der Anfänger frage sich
nun, welche Figuren beider Parteien angreifen, und welche
angegriffen sind, ferner welche weder angreifen, noch ange-
griffen werden.


§. 44. Unter allen Angriffen ist nach §. 25 und §. 29 d.
von grösster Wichtigkeit der Königsangriff, und es kommt
hier für die Praxis besonders auf die Frage hinaus, in wel-
cher Weise der Angriff gegen den eigenen König, oder mit
andern Worten ein feindliches Schach abgewehrt werden
kann. Es kann dies im Allgemeinen auf dreifache Weise
geschehen. Entweder die schachbietende Figur wird, wenn
es möglich ist, geschlagen, sei es vom Könige selbst, sei
es von einem andern Stein, oder der König weicht dem
Schach durch einen Zug seinerseits aus, indem er sich von
[30] dem Felde, auf dem er angegriffen steht, auf ein anderes
nicht angegriffenes Feld begiebt, oder endlich es wird eine
Figur zwischen den feindlichen schachbietenden Stein und
den eigenen König so gesetzt, dass erstere den Angriff der
letzteren auf den König unterbricht, d. h. ihn gegen das
feindliche Schach deckt. Der Anfänger möge nun folgende
Steine auf das Brett setzen und sich dann fragen, auf wie
viel Arten dem Angriff der schwarzen Dame gegen den
weissen König begegnet werden kann.


[figure]

Zunächst kann die weisse Dame die feindliche schach-
bietende schlagen durch den Zug D e 3—g 5: ferner kann
der König an den Rand gehen, d. h. entweder K g 1—h 2
oder K g 1—h 1 ziehen und dadurch selbst dem Angriffe
ausweichen, endlich könnte die Dame von e 3—g 3 ziehen
und dadurch das Schach der feindlichen Dame unterbrechen.
Am besten wäre es aber, wenn Weiss den Angriff auf seinen
König durch den Zug des Thurmes von c 4—g 4 deckte,
indem er dadurch zugleich seinerseits vermöge des Laufers
auf b 3 einen Angriff auf den feindlichen schwarzen König
richtet. Denn Schwarz muss hierauf zunächst das Schach
[31] des feindlichen Läufers abwehren, und Weiss könnte dann
bei seinem nächsten Zuge durch den Thurm auf g 4 die
feindliche Dame erobern. Man nennt solchen Zug, durch
welchen zu gleicher Zeit mehrere Hauptfiguren des Gegners
bedroht werden, einen Doppelangriff, das Schach aber, wel-
ches wie in dem vorliegenden Falle durch Wegziehen einer
Figur von einer andern gegeben wird, ein aufgedecktes
Schach.


§. 45. Wenn bei einem aufgedeckten Schach beide
Figuren (d. h. diejenige, welche gezogen ist und diejenige,
deren Angriff dadurch aufgedeckt ist), zu gleicher Zeit den
feindlichen König bedrohen, so entsteht ein Doppelschach.
Man stelle den weissen König auf a 4, einen weissen Thurm
auf d 4, einen Laufer aber auf e 3 und einen Bauer auf a 3;
sodann von Schwarz den König auf b 6, einen Thurm auf
c 3, einen Springer auf b 7 und Bauern auf c 7 und f 4.
Wenn Weiss hier am Zuge ist, kann er auf zweifache Weise
ein doppeltes Schach geben, indem er entweder den Thurm
auf b 4 oder d 6 stellt und in beiden Fallen durch Thurm,
wie Laufer zugleich den feindlichen König bedroht. Schwarz
darf dann keine von beiden schachbietenden Figuren schla-
gen, noch den Angriff der einen durch Zwischensetzen decken.
Der König kann vielmehr einem Doppelschach nur dadurch
entgehen, dass er selbst seinen zwiefach angegriffenen Platz
verlässt. Der Anfänger frage sich nun, welcher von den
beiden vorher angegebenen Zügen des Thurmes in der vor-
geführten Stellung der stärkste ist. Die Antwort lautet:
T d 4—d 6, denn hierdurch wird der schwarze König
sofort Matt gesetzt, da er dem Doppelangriff nicht mehr
auszuweichen vermag, wie der Anfänger bei genauer Prü-
fung bald erkennen wird.


§. 46. Das letzte Beispiel führt uns von selbst zur
Uebung der in §. 28 gegebenen Lehren über den Begriff
und die Erklärung der Mattstellung. Wir wollen nun dem
Anfänger einige weitere Stellungen vorführen, an die wir die
Aufgabe knüpfen, den Mattzug, d. h. denjenigen Zug zu
finden, durch welchen die eine Partei die andere sofort
Matt zu setzen vermag. Wir bedienen uns, um die Stellung
[32] der einzelnen Figuren anzugeben, nur ihrer Anfangsbuch-
staben; wegen der richtigen Antwort möge man nach ge-
höriger Prüfung §. 48 vergleichen.


  • a) Weiss: K a 3; Th a 1 und c 4.
    Schwarz: K a 8; D f 4; L b 3; S d 3.
  • b) Weiss: K c 3; Th f 6; L d 4 und d 1; B c 2;
    Schwarz: K d 5; Th b 5; S a 3 und f 4.
  • c) Weiss: K e 4; D f 7; Th b 4; L a 3; B f 5.
    Schwarz: K d 6; D h 6; L a 7; S c 6.

§. 47. Im eigentlichen Verlaufe der Partie kommt
nach §. 29 vorzüglich der Tauschwerth der einzelnen Fi-
guren in Betracht. In der folgenden Stellung einer prak-
tischen Partie

Figure 1. Die Schwarzen.

Figure 1. Die Weissen.


fragt es sich zunächst, wenn Weiss am Zuge ist, ob er die
Damen tauschen soll. Anfänger sind meist der Ansicht, man
solle den Damentausch wo möglich zu vermeiden suchen.
Als allein richtige Regel gilt zwar, dass der Damentausch
nicht ohne Grund gesucht werden soll, er darf aber auch
eben so wenig vermieden werden, wenn er von dem ge-
ringsten Vortheil begleitet wird. In dem vorliegenden Falle
kann es nun für Weiss nur rathsam sein, durch D h 4—f 6:,
[33] S d 7—f 6: die Damen abzutauschen, da er hierauf durch
den Zug f 4—e 5: zwei Figuren des Gegners zu gleicher
Zeit bedrohen würde. Was ferner den besondern Tausch-
werth der einzelnen Figuren betrifft, so wäre es z. B. thö-
richt, wenn Weiss den feindlichen Laufer d 6 mit seinem
Thurme d 1 durch den Zug Th d 1—d 6: schlagen wollte,
denn er würde hiedurch einen wichtigeren Stein, nämlich
den Thurm, gegen einen leichten Officier, den Laufer, hin-
geben, weil Schwarz den Thurm durch den Bauer c 7—d 6:
wieder schlagen würde. Weiss würde in diesem Falle nach
§. 29, b) die Qualität einbüssen. Dagegen könnte Weiss
ohne Schaden seinen weissen Laufer b 3 gegen den schwar-
zen auf e 6 durch den Zug L b 3—e 6: tauschen. Zur Uebung
aber möge man noch folgende beide Fragen zu beantworten
suchen.


  • a) Weiss: K g 2; D f 3; Th b 2; S h 3; B g 3.
    Schwarz: K a 8; D g 4; Th b 7; L a 6; B a 7 und h 5.
    Es fragt sich hier, ob Weiss mit Vortheil die Damen
    oder die Thürme tauschen darf, oder was er sonst für
    einen besseren Zug habe.
  • b) Weiss: K g 1; D c 7; Th f 1; L c 2; S d 5; B a 3 u. g 2.
    Schwarz: K a 8; D g 3; Th b 8 und h 8; S e 4; B a 7
    und b 7. Darf hier Weiss die Dame tauschen, oder
    hat er irgend einen stärkern Zug?

§. 48. Es folgen hier zunächst die Antworten der in §. 46
gestellten drei Fragen.


  • a) Wenn Weiss anzieht, nimmt er mit dem König den
    Laufer, zieht also K a 3—b 3: und deckt dadurch das
    Schach des Thurmes a 1 auf, wodurch zugleich der
    schwarze König Matt gesetzt wird, da er dem Angriffe
    der beiden feindlichen Thürme nun nicht mehr zu ent-
    gehen vermag. Weiss konnte zwar statt dessen mit
    seinem Thurm b 4 die feindliche Dame auf f 4 schla-
    gen, allein er würde in diesem Falle nicht nur den
    Sieg überhaupt aus der Hand gegeben und die Partie
    remis gelassen haben; sondern er hätte auch aus
    blindem Eifer die Dame zu gewinnen, die einfache
    Möglichkeit, sofort durch Mattsetzen zu siegen, uner-
    3
    [34] fahrner Weise übersehen. Hat Schwarz dagegen den
    Anzug, so kann er ebenfalls durch Wegnahme des
    weissen Thnrmes auf b 4 sofort den Gegner Matt setzen.
    Es geschieht dies durch die Dame also durch den Zug
    D f 4—b 4: †, indem der weisse König weder die
    Dame, welche vom feindlichen Springer geschützt wird,
    selbst nehmen darf, noch auf die Felder a 2 oder b 2,
    welche vom Laufer oder Springer angegriffen sind,
    auszuweichen vermag.
  • b) Weiss setzt durch den Zug des Laufers von d 1—f 3
    den schwarzen König Matt. Schwarz dagegen, wenn
    er am Zuge ist, könnte ebenfalls das Matt sofort er-
    zwingen und zwar durch den Zug des Springers von
    a 3—b 1. Es wäre für Weiss eben so schwach, mit
    dem Laufer den feindlichen Thurm anzugreifen, wie es
    von Seiten des Schwarzen thöricht wäre, seinerseits
    das Matt durch Wegnahme des feindlichen Laufers mit
    seinem Springer aus der Hand zu geben. Denn bei
    letzterem Zuge könnte der König immer noch auf die
    Felder d 3 oder d 2 ausweichen, was dagegen bei dem
    Mattzuge S a 3—b 1 unmöglich wird, da in diesem
    Falle jene beiden Felder von den schwarzen Springern
    bedroht werden.
  • c) Der Mattzug ist hier für Weiss Th b 4—d 4 †. In die-
    sem Falle kann nämlich weder der weisse Thurm ge-
    nommen werden, noch das Schach des feindlichen Läu-
    fers durch Zwischenstellung von Laufer a 7—c 5 gedeckt
    werden. Schwarz wird hier also durch Doppelschach
    Matt. Wäre er aber seinerseits am Zuge, so könnte
    er ebenfalls sofort Matt ansagen und zwar durch den
    Zug der Dame von h 6—e 3.

Schliesslich gehen wir zur Beantwortung der beiden
letzten im vorigen Paragraphen gestellten Fragen über.


  • a) Wollte Weiss die Damen durch den Zug D f 3—g 4:
    tauschen, so würde er durch die Entgegnung des Schwar-
    zen Th b 7—b 2: † unbedingt in Nachtheil kommen,
    denn Schwarz gewinnt zunächst hierdurch nicht nur den
    weissen Thurm, sondern ihm bleibt auch die Wieder-
    [35] nahme der feindlichen Dame für seinen nächsten Zug
    gesichert. Noch weniger rathsam wäre es aber, durch
    Th b 2—b 7: die Thürme abzutauschen; denn Weiss
    würde mit dem Laufer L a 6—b 7 wieder nehmen und
    die feinliche Dame gewinnen, da diese die Linie vor
    dem Könige nicht verlassen darf, indem sonst letzterer
    dem Angriffe des feindlichen Laufers ausgesetzt würde.
    Weiss kann aber auf ganz andere Weise die Partie so-
    sort zu seinen Gunsten entscheiden, wenn er nämlich
    keine der Figuren abtauscht, sondern vielmehr durch
    die Dame, nämlich D f 3—f 8 † den feindlichen König
    direkt angreift. Schwarz kann dann nur noch Dame
    oder Thurm vorsetzen, worauf Weiss durch Wegnahme
    derselben die Partie sofort entscheidet.
  • b) In diesem Falle kann Weiss allein durch Abtausch der
    Damen die Partie entscheiden. Nachdem nämlich die
    Züge D c 7—g 3: und S e 4—g 3: geschehen sind, ver-
    mag nun Weiss sofort mit seinem Springer auf dem
    freigewordenen Felde c 7 Schach und sogar Matt zu
    bieten. Denn der schwarze König, von seinen eigenen
    Figuren umringt, vermag dem Angriffe dieses Springers
    auf keinem Felde auszuweichen. Man nennt diese be-
    sondere Mattstellung, welche nur dem Springer kraft
    seiner eigenthümlichen Gang- und Schlagweise möglich
    ist, das mat étouffé, d. h. ersticktes Matt.

Zehntes Kapitel.
Spielanfänge.

§. 49. Es ist in §. 29 bereits im Allgemeinen darauf
hingedeutet, dass es für den Anfang der Partie zunächst
darauf ankommt, die eigenen Steine in Bewegung zu setzen,
ehe der Hauptzweck des Spieles näher ins Auge gefasst
werden kann. Die ersten Züge nun, welche dazu dienen,
die Figuren auf beiden Seiten in Thätigkeit zu setzen und
3*
[36] in die Mitte des Brettes zu führen, werden unter dem ge-
meinsamen Ausdruck Eröffnung der Partie zusammengefasst.
Erst, nachdem diese mehr oder weniger glücklich von Statten
gegangen ist, wird sich bei gegenseitiger Erstrebung des
Endzweckes ein verwickelter Kampf unter den einzelnen
Figuren selbst entspinnen, wobei nicht selten mchr oder
weniger Figuren von beiden Parteien geschlagen oder ge-
tauscht werden. Dieses Stadium des Spieles wird gewöhn-
lich mit dem schwankenden Ausdruck Mitte der Partie
bezeichnet, und wenn es hierbei zu einem grösseren Ab-
tausch der Steine gekommen, so dass nur noch wenige Fi-
guren auf dem Brette sich vorfinden, so zeigt sich nach
und nach der letzte Charakter der Partie, das sogenannte
Endspiel. Zwar ist es möglich, dass bei sehr unvorsichti-
gem Spiele der einen Partei der Gegner schon während der
ersten Züge, also im Anfange oder in der Eröffnung der
Partie den Endzweck derselben erreichen kann. Allein das
sind immer nur Ausnahmsfälle, welche höchstens ganz schwa-
chen und unerfahrenen Spielern gegenüber vorkommen kön-
nen. Zur Warnung wollen wir nun zunächst in diesem Ka-
pitel dem Anfänger mehrere solche kurze Anfänge vorführen,
um so mehr, als die Theorie einige derselben besonders
hervorgehoben und mit eigenen Kunstausdrücken belegt hat.
Der Anfänger mag daraus ersehen, welche Gefahren er beim
wirklichen Spiele im Anfange vorzüglich zu vermeiden habe.


§. 50. Man setze sämmtliche Figuren nach §. 5 und
§. 6 in ihrer ursprünglichen Stellung auf das Brett und
nehme an, dass man die weissen Steine führe, da man
hier die Notation, welche von dem Felde des weissen
Damenthurmes a 1 ihren Anfang nimmt, bequemer über-
sehen kann. Wir lassen die weisse Partei anziehen, und
zwar zunächst ihren Königsbauer zwei Schritt vorrücken,
also den Zug
1. e 2—e 4
thun. Im Allgemeinen ist dies der beste Anfangszug, da
er sofort zwei wichtigen Hauptsteinen, der Dame und dem
Königslaufer, Ausgang gewährt. Manche Spieler, namentlich
reine Praktiker, ziehen zwar häufig den Anfang mit dem
[37] Damenbauer vor; dies ist indess ein mehr vertheidigender
Zug, welcher dem Anziehenden als Angreifenden wenig zu-
kommt, namentlich da er den Königslaufer, den wir später
als wichtigste Angriffsfigur kennen lernen werden, einge-
schlossen hält. Regelwidrig wäre es aber, wie manche
Spieler zu thun pflegen, gleich im Anzuge zwei Züge zu
machen; von den Meistern und besseren Spielern, wie sämmt-
lichen Schachgesellschaften, wird dies durchaus verworfen
und auch für den Anzug nur ein einziger Zug gestattet.
Fragen wir nun, was die schwarze Partei auf den obigen
Zug der Weissen entgegnen soll, so ergiebt sich hier,
zunächst aus denselben Rücksichten wie für den An-
ziehenden, als bester Anzug die gleiche Bewegung des Kö-
nigsbauer also
1. . . . e 7—e 5.


Wir lassen hierauf den Weissen mit dem Zuge seines
Königslaufers
2. L f 1—c 4
den Anfang fortsetzen, d. h. der Laufer geht von rechts
nach links drei Felder weit in die Mitte des Brettes. Der
Zweck hierbei ist, nicht nur eine wichtige Figur ins Spiel
zu bringen, sondern der Laufer greift von seinem jetzigen
Standfelde zugleich den schwächsten Punkt des Gegners an,
nämlich das Feld f 7, d. h. das Feld des feindlichen Königs-
lauferbauer. Denn der König ist hier am leichtesten zu
bedrohen, und der Anfänger wird hiervon gleich in den
nächsten Zügen den wirksamsten Erfolg bemerken. Zunächst
entgegnet Schwarz mit dem gleichen Zuge nämlich
2. . . . L f 8—c 5.


Hierauf wollen wir für Weiss den freien Ausgang der
Dame benutzen und diese ebenfalls ins Treffen führen. Es
geschieht
3. D d 1—h 5
d. h. die Dame geht auf die Mitte des rechten Seitenrandes.
Sie greift von hier aus den feindlichen ungeschützten Kö-
nigsbauer auf e 5 an, indem sie ihn im nächsten Zuge mit
Schach wegzunehmen droht. Schwarz beeilt sich daher zu-
[38] nächst diesen Bauer sicher zu stellen und sucht ihn durch
die Bewegung seines Damenbauers
3. . . . d 7—d 6
zu decken. Denn wollte nun die weisse Dame den Königs-
bauer trotzdem schlagen, so würde sie von jenem Damen-
bauer, welcher schräg vorwärts von d 6 auf e 5 schlagen
kann, erobert werden. Gleichwohl hat Schwarz in der Eile,
seinen Königsbauer zu retten, ein weit grösseres Versehen
begangen, denn Weiss kann nun den schwarzen Königs-
lauferbauer auf f 7 mit seiner Dame durch den Zug
4. D h 5—f 7: †
wegnehmen und zugleich den feindlichen König angreifen.
Letzterer darf weder die Dame, welche vom Laufer auf c 4
gedeckt ist, schlagen, noch kann er sich überhaupt ihrem
Angriffe auf irgend eine Weise entziehen. Der König ist
deshalb Matt und Weiss hat somit schon im vierten Zuge
die Partie gewonnen. Schwarz muss also einen bedeutenden
Fehler gemacht haben, und dieser liegt in der Bewegung
des Damenbauers 3. d 7—d 6. Statt dessen war es allein
richtig, die Dame vor den König zu stellen, d. h. D d 8—
e 7 zu ziehen. Denn von dem Felde e 7 aus schützt die
schwarze Dame nicht nur den Königsbauer, sondern auch
zugleich den schwachen Punkt f 7, so dass hiedurch der
Plan der Weissen vollständig vereitelt wäre.


§. 51. Die eben durchgeführte Absicht der weissen
Partei konnte auch auf andere einfache Weise erreicht wer-
den. Statt nämlich die Dame im dritten Zuge bis an den
Rand zu bewegen, war es nur nöthig, sie 2 Schritt vor-
wärts auf das Feld f 3 zu ziehen, um von hier aus eben-
falls den schwachen Punkt f 7 zu bedrohen. Man erhält
dann das Spiel
1. e 2—e 4 e 7—e 5
2. L f 1—c 4 L f 8—c 5
3. D d 1—f 3 d 7—d 6
3. D f 3—f 7: † und Matt,

welches gewöhnlich mit dem Kunstausdruck, das Schäfer-
matt
, bezeichnet wird, indem der Zug der Dame in diesem
Falle den Namen Schäferzug trägt.


[39]

§. 52. Ein anderer kurzer Anfang zeigt die schnellste
Möglichkeit, das Matt zu erzwingen. Wenn nämlich Weiss
den schwachen Auszug
1. f 2—f 4
wählt und hierauf, wenn Schwarz nun mit dem Zuge des
Königsbauers einen Schritt
1. . . . e 7—e 6
entgegnet hat, durch den noch schwächeren Zug
2. g 2—g 4
die Partie fortsetzt, so kann nun Schwarz unmittelbar Matt
setzen. Der Anfänger beantworte die Frage, mit welchem
Zuge dies jetzt allein möglich ist. Es ist der Zug
2. . . . D d 8—h 4 † und Matt.


Dieser kurze Anfang hat den eigenthümlichen Namen,
das Narrenmatt, erhalten.


§. 53. Die eben vorgeführten kurzen Spiele kommen
nun zwar äusserst selten und unter nur einigermassen geübten
Spielern gar nicht vor; sie zeigen indess dem Anfänger die
Möglichkeit, wie schnell und leicht bereits in den ersten
Zügen die Partie verloren werden kann und mögen ihm als
dringende Aufforderung gelten, bereits von den ersten Zügen
an die Sicherheit des eigenen Königs stets im Auge zu be-
halten. Uebrigens sind die von Weiss in den ersten Spielen
der §§. 50 und 51 gewählten besseren Anfänge keineswegs
ganz correct. Denn es ist niemals rathsam, während der
ersten Bewegungen die Dame so früh ins Spiel zu bringen,
da sie leicht von Figuren des Gegners angegriffen und zu-
rückgedrängt werden kann, somit der Spieler nur Zeit ver-
liert, während der Gegner die eigenen Figuren herausbringt.
So kann z. B. in dem gezeigten Anfang 1. e 2—e 4, e 7—e 5;
2. L f 1—c 4, L f 8—c 5; 3. D d 1—h 5, wenn nun Schwarz
die correcte Vertheidigung 3. D d 8—e 7 getroffen hat, später
die weisse Dame zunächst durch den Springerzug S g 8—f 6
bedroht und zurückgedrängt werden. Weiss wird dann Züge
verlieren und Schwarz sein Spiel vortheilhaft entwickeln. Es
ist deshalb gerathener, stets die allgemeine Eröffnungsregel
im Auge zu behalten, welche zunächst consequente Ent-
wickelung der Königsfiguren und sodann Berücksichtigung
[40] der Damenfiguren gebietet. Als richtige Eröffnung lässt
sich deshalb z. B. folgender Spielanfang aufstellen:


  • 1. e 2—e 4, e 7—e 5.
  • 2. L f 1—cſt, L f 8—c 5.
  • 3. S g 1—f 3, d 7—d 6 (zum Schutze des Königsbauers).
  • 4. Rochirt, S g 8—f 6.
  • 5. d 2—d 3, Rochirt.
  • 6. S b 1—c 3, S b 8—c 6 u. s. w.

Elftes Kapitel.
Spielendungen.

§. 54. Ebenso viel Schwierigkeit, wie dem Anfänger
die Eröffnung des Spieles bietet, hat für ihn nicht selten
die Aufgabe, eine sich dem Schluss nähernde Partie bis
zu Ende gut durchzuführen. Es kommt hier besonders die
Art und Weise in Betracht, in welcher bei noch vorhande-
nen wenigen aber genügenden Kräften einer Partei der
feindliche König zum Matt gebracht werden kann. Als ein-
fachstes Endspiel bietet sich hier zunächst der Fall, in wel-
chem die eine Partei mit König und Dame den Sieg zu
erringen hat, da nicht selten bei beiderseits ziemlich gleicher
Geschicklichkeit der eine Spieler schliesslich einen Bauer
übrig behält, welchen er sodann in die Dame führt und mit
dieser nun den Endzweck anstrebt. Wir wollen nun zunächst
an diesem einfachen Beispiele dem Anfänger das Princip
klar zu machen suchen, nach welchem er in solchen Fällen
den Schluss der Partie, d. h. das Matt zu erzwingen vermag.


§. 55. Beim Matt von Dame und König gegen den
einzelnen König kommt es zunächst darauf an, letzteren auf
eine Randlinie des Brettes zu treiben. Die Dame schneidet
mit Unterstützung ihres Königs dem anderen allmälig die
mittleren Felderlinien ab und drängt ihn dadurch an den
Rand. Sodann bringt man den König der stärkeren Partei
in die Nähe des feindlichen, diesem gegenüber, und giebt
[41] hierauf durch die Dame das dann leicht zu erzwingende
Matt. Man hat sich dabei nur in Acht zu nehmen, dass der
einzelne König nicht Patt gesetzt wird.


§. 56. Wir wollen nun zunächst praktisch zeigen, wie
der einzelne König an den Rand getrieben wird. Man stelle
den weissen König auf e 3, den schwarzen auf d 5, die weisse
Dame aber auf c 2 und thue folgende Züge: 1. D c 2—c 3,
K d 5—e 6; 2. K e 3—e 4, K e 6—f 6; 3. K e 4—f 4, K f 6
e 6; 4. D c 3—c 6 †, K e 6—e 7; 5. K f 4—f 5, K e 7—f 7;
6. D c 6—f 6 †, K f 7—e 8; 7. D f 6—g 7, und die Dame
hält den König am Rande fest, da er die siebente Linie,
welche sie beherrscht, nicht überschreiten darf.


§. 57. Um nun in solchen Stellungen das Matt zu er-
zwingen, muss jetzt zunächst der weisse König dem Rande
näher gebracht werden. Nur hat man sich, wie gesagt, hier-
bei vor Pattsetzen in Acht nehmen. Es lag nämlich in dem
eben gegebenen Beispiele sehr nahe, statt des letzten Zuges
7. D f 6—g 7 sofort durch 7. K f 5—e 6 schleunigst das
Matt anzustreben. Der schwarze König würde aber in die-
sem Falle unmittelbar Patt gesetzt sein, denn da jetzt die
Dame von f 6 aus die Felder d 8 und f 8 bedroht, während
der weisse König auf e 6 die Felder d 7, e 7 und f 7 be-
herrscht, so hat nun der schwarze König kein Feld frei,
auf das er zu ziehen vermöchte. Auch steht der schwarzen
Partei kein anderer Zug zu Gebote und ihr König, welcher
nicht angegriffen steht, ist deshalb Patt gesetzt.


Nehmen wir nun die im vorigen Paragraphen verlassene
Stellung wieder auf, so hat Schwarz zunächst den Zug der
Dame 7. D f 6—g 7 durch die Entgegnung 7. K e 8—d 8 zu
beantworten und droht damit nach der linken Ecke auszu-
weichen. Weiss fährt daher zunächst fort mit 8. D g 7—b 7
und sperrt dadurch dem Gegner das Feld c 8. Der schwarze
König muss auf das Feld e 8 zurück und Weiss kann nun
seinen König 9. K f 5—e 6 ziehen, um im nächsten Zuge
Matt zu setzen. Denn geht Schwarz 9. K e 8—f 8, so kann
die Dame auf f 7, geht er auf d 8, so kann sie auf d 7
Matt sagen, im letzteren Falle sogar auch auf b 8.


[42]

§. 58. Zur Uebung möge nun der Anfänger in folgen
genden Stellungen das Matt zu erzwingen suchen:


  • a) K e 5, D b 4 und K d 7. Matt in 3 Zügen.
  • b) K f 6, D g 7 und K d 8. Matt in 2 Zügen.
  • c) K e 5, D b 3 und K g 7. Matt in 4 Zügen.

Die erforderlichen Züge sind folgende:


  • a) 1. D b 4—b 7 †, K d 7—e 8; 2. K e 5—e 6 und im näch-
    sten Zuge Matt.
  • b) 1. D g 7—b 7, K d 8—e 8; 2. D b 7—c 8 † und Matt.
  • c) 1. K e 5—f 5, K g 7—h 7; 2. K f 5—f 6, K h 7—h 8;
    3. D b 3—g 3, K h 8—h 7; 4. D g 3—g 7 † Matt.

Zwölftes Kapitel.
Beispielspartie.

§. 59. Die in den frühern Kapiteln gegebenen allge-
meinen und besondern Lehren hat nun der Anfänger in prak-
tischen Uebungen wirklicher Partien anzuwenden und zu-
nächst mit seines Gleichen die Gelegenheit zum Kampfe auf-
zusuchen. Dass hiebei Fehler mannigfacher Art vorkommen,
lässt sich im Schachspiel noch weniger als bei jedem andern
Spiel vermeiden, und fortgesetzte praktische Uebung kann
auch hier nur allmählig den Meister schaffen. Aufgabe der
Theorie kann zunächst nur dabei sein, gewisse in der Praxis
leicht mögliche Fehler besonders zu rügen und die Methode
ihrer Verbesserung und Vermeidung an die Hand zu geben.
Erst dann wird auch der Anfänger das wahrhaft Gute und
meisterhaft Gediegene vollkommen würdigen lernen. Wir
wollen deshalb vor der Mittheilung correcter Analysen dem
Anfänger eine Partie vorführen mit allen Fehlern und Schwä-
chen, wie sie unter seines Gleichen gewöhnlich vorzukommen
pflegen.


§. 60. Man ziehe zunächst nach der gewöhnlichen Auf-
stellung sämmtlicher Figuren folgende bekannte Anfangs-
züge.


[43]

1. e 2—e 4, e 7—e 5.
2. L f 1—c 4, L f 8—c 5.
3. D d 1—f 3, f 7—f 6.


Der letzte Zug der Weissen ist, wie schon in §. 53 be-
merkt worden ist, nicht ganz correct, da man bei richtigem
Gegenspiele nie mit Erfolg die Dame im Anfang der Partie
herauszubringen vermag. Von Schwarz war es aber eben-
falls ein Fehler, das auf f 7 gedrohete Matt durch den Zug
f 7—f 6 zu verhindern; der Königsspringer büsst dadurch
seinen wichtigsten Ausgangspunkt f 6 ein und bleibt längere
Zeit eingeschlossen. Es war daher jedenfalls rathsamer, so-
fort durch den Zug dieses Springers 3. S g 8 f 6 das Matt zu
decken, damit eine wichtige Figur ins Spiel zu bringen und
die Rochade vorzubereiten.


4. D f 3—h 5 †, g 7—g 6.


Das Schachgeben ist hier nur unnützer Zeitverlust; die
Dame muss zurück und Weiss hat ein Tempo verloren. Der
Anfänger merke sich wohl, dass jedes nutzlose Schachbieten
stets zu vermeiden sei.


5. D h 5—f 3, S b 8—c 6.


Der schwarze Springer geht heraus, um im nächsten
Zuge auf d 4 die feindliche Dame anzugreifen, welche von
h 5 aus besser gleich auf ihr eigenes Feld d 1 zurückgegan-
gen wäre, auf dem sie während der Eröffnung der Partie
gewöhnlich am besten steht. Jetzt geschieht zunächst, um
den drohenden Springer abzuhalten,
6. c 2—c 3, d 7—d 6.


Besser wäre es freilich, statt c 2—c 3 sofort den Kö-
nigspringer auf e 2 zu bewegen, welcher ebenfalls den feind-
lichen Springer fernhält und die Rochade einleitet. Unvor-
theilhaft aber ist es stets, die Springer durch Stellung an
den Rand, wie z. B. jetzt
7. S g 1—h 3, D d 8—e 7
heraus zu bringen, da sie von hier aus die geringste Wirk-
samkeit haben.


8. Rochirt, h 7—h 5.
9. b 2—b 4, L c 5—b 6.
10. b 4—b 5, S c 6—a 5.


[44]

Das Vorgehen der Flügelbauern ist im Allgemeinen
wenig vortheilhaft, da sie den betreffenden Flügel entblössen,
und nicht selten in spätern Zügen vom Gegner aufgerieben
werden.


11. d 2—d 3.


Weiss sucht seinen vom Springer angegriffenen Laufer
zu decken, thut aber hierin nicht wohl, da er beim Abtausch
desselben durch den feindlichen Springer seine Bauern in
der Mitte zerreisst und einen Doppelbauer auf der c Linie
erhält, was im Allgemeinen wegen Schwächung der Bauern-
kette durchaus nicht empfehlenswerth erscheint.


11. . . . L c 8—g 4.


Schwarz unterlässt hier zum eigenen Nachtheil den Ab-
tausch des feindlichen Laufers gegen seinen Springer, indem
er sich zu sehr beeilt, den Angriff auf die weisse Dame zu
führen.


22. D f 3—g 3, L g 4—e 2.


Durch diesen Angriff verliert, wie der folgende Zug
lehrt, Schwarz nur ein Tempo, besser war es, wie gesagt,
zunächst den Laufer zu nehmen, also 12. S a 5—c 4: 13.
d 3—c 4: zu spielen; sodann konnte mit Vortheil 14. L g 4
e 2, 14. Th f 1—e 1, L e 2—c 4:, wodurch ein Bauer ge-
wonnen wird, geschehen.


13. Th f 1—e 1,
hier übersieht Weiss, in der Eile seinen Thurm zu retten,
zunächst den stärkeren Zug D g 3—g 6: † zu thun.


13. . . . L e 2—g 4.
14. L c 1—e 3, L b 6—e 3:
15. Th e 1—e 3: f 6—f 5.


Der von Schwarz jetzt auf die weisse Dame versuchte
Angriff ist zu frühzeitig; es hätte sollen erst die Entwicke-
lung der Partei durch Züge wie S g 8—h 6 und die Rochade
nach der Damenseite vollendet werden.


16. e 4—f 5:, g 6—f 5:


Hier war es besser, den auf die Dame und Thurm zu
gleicher Zeit drohenden Angriff durch den Zug f 2—f 4 auf-
zuhalten.


17. T e 3—e 1, D e 7—f 6.


[45]

Weiss sucht dem doppelten Angriffe des Bauers f 5 zu
entgehen. Man nennt eine solche Stellung, in welcher ein
feindlicher Bauer zugleich zwei Officiere angreift, Gabel-
stellung, weil wie in dem vorligenden Falle, wenn der Bauer
von f 5 nach f 4 vorrückt, er gleich einer Gabel nach zwei
Richtungen hin drohend wirkt. Schwarz übersieht aber bei
dem nun folgenden Angriffe
18. f 2—f 3, f 5—f 4,
dass der Bauer auf f 4 von seinem Königsbauer e 5 nur
scheinbar gedeckt ist, da letzterer nach den Zügen
19. S h 3—f 4: D f 6—f 4:
20. D g 3—f 4:

nun nicht von e 5 aus nach f 4 wieder schlagen kann, indem
dadurch der König dem Angriffe des weissen Thurmes Preis
gegeben würde. Dies ist ein häufiger Fehler der Anfänger,
und es kann nicht genug davor gewarnt werden, scheinbare
Deckungen als wirkliche bei den Berechnungen mit in An-
schlag zu bringen. Jede Deckung ist aber eine scheinbare,
welche entweder bei ihrer Realisirung den König einem
Schach ausstellen, oder eine andere Hauptfigur dem feind-
lichen Angriff Preis geben würde.


Dem Schwarzen bleibt nun nach diesem groben Ver-
sehen kaum eine Aussicht auf Rettung der Partie; zunächst
hat er seinen angegriffenen Laufer zurückzuziehen.


20. . . . L g 4—d 7.


Es folgt weiter
21. D f 4—f 7 † K e 8—d 8,
und es war deshalb besser, dass Schwarz zunächst durch
20. S a 5—c 4: den drohenden weissen Laufer abtauschte;
denn es ist stets nützlich, eine wirksame Figur des Gegners
gegen eine eigene unthätige umzutauschen.


22. D f 7—f 8 † L d 7—e 8.
23. d 3—d 4, S a 5—c 4:


In der Eile den Angriff kräftig weiter zu führen, über-
sieht hier Weiss den Verlust eines Officiers; besser war es,
durch L c 4—g 8: den Gegner erst noch entscheidend zu
schwächen. Nur möge sich der Anfänger stets davor hüten,
fehlerhafte Züge, auch wenn sie auf einem blossen Versehen
[46] beruhen, zurücknehmen zu wollen, Weit vortheilhafter ist
es für Schärfung des Ueberblickes und Uebung in correcter
Combination, selbst nach den grössten Versehen die Partie
consequent fortzuspielen und lieber im Anfange dadurch eine
ganze Reihe Spiele zu verlieren, als sich durch schlaffes
Spielen zu verwöhnen.


24. d 4—e 5: S c 4—e 5:


Der letzte Zug von Schwarz war ein Fehler, da der
nun folgende Angriff
25. f 3—f 4
den Verlust der Partie direct herbeiführt. Besser war es
immer noch, den Bauer e 5 durch Bauer d 6 wiederzuschla-
gen, obgleich auch hier die offene Linie vor dem Könige
entscheidenden Nachtheil gewirkt hätte. Das beste wäre
aber, den Bauer d 6 nach d 5 vorzurücken, indem so durch
die beiden Bauern in der Mitte der König noch eine Zeit
lang sicheren Schutz gewonnen hätte.


25. . . . S e 5—g 6.


Schwarz will hierduch den angegriffenen Springer ret-
ten und zugleich die feindliche Dame bedrohen, übersieht
aber dabei das nun [unmittelbar] mögliche Matt durch
26. D f 8—e 8: † und Matt.


Die eben mitgetheilte Partie ist freilich zunächst nur
für den ersten Anfänger bestimmt, um ihm gewisse häufig
vorkommende gröbere Fehler zum klaren Bewusstsein zu
bringen, allein sie kann auch dem schon etwas vorgerück-
teren Spieler als Uebung und Prüfung durch die Beantwor-
tung der einzelnen Fragen dienen, welche besseren Züge
bei jeder Bewegung der einen oder andern Partei zu Ge-
bote gestanden haben. Nach gewissenhafter Ausführung die-
ser Aufgabe möge sich dann der Anfänger zu den folgenden
Erörterungen wenden, welche zunächst gewisse feinere Feh-
ler betreffen, wie sie selbst dem schon etwas vorgerückteren
Spieler nicht selten begegnen.


[47]

Zweite Abtheilung.
Einzelne Spiele.


Dreizehntes Kapitel.
Benutzung einzelner Fehler.

§. 61. Die feineren Fehler der meisten Spieler, welche
also nicht auf offenbaren, groben Versehen beruhen, las-
sen sich fast sämmtlich auf die Unerfahrenheit in der con-
sequenten Benutzung der ersten Tempi zurückführen. Zeit-
verlust bei einzelnen Zügen ist in den meisten Fällen auch
der Grund des Spielverlustes. Schleunige und consequente
Entwickelung sämmtlicher Figuren gilt als allein correcter
Grundsatz für die Eröffnung; namentlich müssen alle über-
eilten Angriffe einzelner Figuren, noch ehe andere zur noth-
wendigen Unterstützung des Angriffes herausgebracht sind,
streng vermieden werden. Dass die Verletzung dieses Grund-
satzes nicht selten im zwecklosen und isolirten Manövriren
der Dame besteht, haben wir schon bei früheren Erörterun-
gen genugsam Gelegenheit gehabt zu bemerken. Aber auch
andere vereinzelte und übereilte Angriffe während der Er-
öffnung der Partie müssen namentlich dann zurückgewiesen
werden, wenn der König durch die Rochade noch nicht ein-
mal sicher gestellt ist und besondere Hauptfiguren sich zu
weit in das feindliche Spiel verlieren. Der Spieler möge
nun die Wahrheit dieser Behauptungen an den folgenden
einzelnen Partieen prüfen und darnach seine eigene Spiel-
weise verbessernd umbilden.


§. 62. Partie.


1. e 2—e 4, e 7—e 5.
2. S g 1—f 3.


Dieser Springer, welcher sofort den feindlichen Königs-
bauer angreift, leitet eine der besten Eröffnungen ein, da
hierdurch zugleich die Entwickelung der Königsfiguren, sowie
die Rochade vorbereitet wird. Der Zug des Königslaufers,
[48] welchen wir schon als Eröffnungszug kennen gelernt haben,
muss aber auch hier bald nachfolgen.


2. . . . d 7—d 5.


Diese Entgegnung wird nicht selten von practisch geüb-
ten Spielern auf jenen Springerzug angewandt; besser wäre
es freilich den Königsbauer, sei es durch den Damenspringer,
oder durch Bewegung des Damenbauers um nur einen Schritt,
zu schützen.


3. S f 3—e 5: d 5—e 4:
4. L f 1—c 4 D d 8—g 5
5. S e 5—f 7: D g 5—g 2:


Schwarz entfernt durch den letzten Zug die Dame zu
weit aus seinem Spiele, was, wie wir nachher sehen werden,
den Verlust des Spieles nach sich zieht.


6. D d 1—h 5 D g 2—h 1: †
7. K e 1—e 2 D h 1‒ ‒c 1:


Diess ist der Hauptfehler von Schwarz. In der Eile
noch einen Officier zu gewinnen, entfernt er die eigene
Dame ganz aus dem Bereich seines Königs, lässt diesen
schutzlos und giebt somit dem Gegner Gelegenheit zu fol-
gendem schönen Schlussmanöver. Besser war es durch
7. D h 1—f 3 † die Damen zu tauschen und das Spiel dann
auszugleichen.


8. S f 7—d 6 † K e 8—d 7
9. D h 5—f 7 † K d 7—d 6:
10. S b 1—c 3.


Dies ist der Glanzpunkt in der Combination der Weissen.
Sie opfern noch einen Officier, um den Sieg gewiss zu er-
ringen und beweissen dadurch deutlich den Fehler der
Schwarzen in deren Benutzung ihrer Dame.


10. . . . D c 1—a 1:
11. S c 3—e 4: † K d 6—e 5.
12. d 2—d 4 † K e 5—e 4:
13. D f 7—f 3 † K e 4—d 4:
14. D f 3—d 5 † und Matt.


Hätte der König vorher im zwölften Zuge statt des
Springers den Bauer d 4 genommen, so würde Weiss eben-
[49] falls und zwar unmittelbar durch die Dame 13. D f 7—d 5 †
Matt gesetzt haben.


§. 63. Man ersieht deutlich aus der eben gegebenen
Partie, wie nachtheilig die zu frühzeitige Benutzung der
Dame werden kann, namentlich wenn sie sich durch Erbeu-
tung einzelner Figuren zu weit von ihrem eigenen Könige
entfernt. Ebenso unvorsichtig ist aber auch das zwecklose
Hin- und Herbewegen dieser stärksten Figur. Besonders
häufig begegnet man diesem Fehler bei praktischen Spie-
lern, welche die Eröffnung mit dem Damenbauer allein lie-
ben. Folgendes Beispiel mag dies zur Genüge lehren:


1. e 2—e 4, d 7—d 5. 2. e 4—d 5: D d 8—d 5:
3. S b 1—c 3, D d 5—e 6 † 4. L f 1—e 2, S b 8—c 6. 5. d 2
d 4 D e 6—g 6 (um die Gabel zu vermeiden). 6. S g 1—
f 3, D g 6—g 2: 7. T h 1—g 1, D g 2—h 3. 8. L e 2—
c 4, S g 8—f 6; 9. L c 4—f 7: † K e 8—d 8. 10. S f 3—g 5,
D h 3—d 7. 11. S g 5—e 6 † und gewinnt die feindliche
Dame.


§. 64. Partie.


1. e 2—e 4, e 7—e 5.
2. S g 1—f 3, S b 8—c 6.
3. L f 1—c 4, L f 8—c 5.
4. c 2—c 3.


Dieser Zug geschieht mit der Absicht, in der Mitte des
Brettes zwei Bauern zu vereinigen. Denn wollte Weiss so-
fort den Damenbauer zwei Schritt vorstossen also 4. d 2—
d 4 ziehen, so würde diesen der Königsbauer ohne Ersatz
fortschlagen können.


4. . . . S g 8—f 6
5. d 2—d 4 e 5—d 4:
6. c 3—d 4: L c 5—b 4 †
7. S b 1—c 3 S f 6—e 4:
8. Rochirt S e 4—c 3:
9. b 2—c 3: L b 4—c 3:
10. D d 1—b 3 L c 3—a 1:


Die letzten beiden Züge von Schwarz waren übereilt,
indem er in der Hast, Figuren zu erobern, die Blossstellung
des eigenen Königs übersieht.


4
[50]

11. L c 4—f 7: † K e 8—f 8.
12. L c 1—g 5 S c 6—e 7.
13. S f 3—e 5 L a 1—d 4:
14. L f 7—g 6 d 7—d 5.


Dieser Zug ist nothwendig um das auf f 7 drohende
Matt zu decken.


15. D b 3—f 3 † L c 8—f 5.
16. L g 6—f 5: L d 4—e 5.
17. L f 5—e 6 † L e 5—f 6.
18. L g 5—f 6: g 7—f 6.
19. D f 3—f 6: † K f 8—e 8.
20. D f 6—f 7 † und Matt.


Vierzehntes Kapitel.
Correcte Partieen.

§. 65. Um dem Anfänger den Verlauf sogenannter
correcter Partieen, d. h. solcher Spiele, in welchen auf bei-
den Seiten sich so wenig als möglich Fehler finden, zu ver-
anschaulichen, gehen wir nun zur Mittheilung einiger Spiele
über, deren eines bereits in der Mitte durch glücklich durch-
geführte Manövers entschieden wird, während das andere
bis zum letzten Stadium des Endspieles vollständig durch-
geführt ist.


§. 66. Partie.


1. e 2—e 4, e 7—e 5.
2. S g 1—f 3, S b 8—c 6.


Der letzte Zug von Schwarz ist die beste Entgegnung
auf den weissen Königsspringer, da er der Wirkung des
letzteren auf die Mitte des Brettes, d. h. auf die beiden
Mittelpunkte d 4 und e 5 vollständig begegnet und somit zu-
gleich den angegriffenen Königsbauer schützt.


3. L f 1—c 4, L f 8—c 5.


Weiss entwickelt sein Spiel consequent, gemäss dem be-
[51] kannten Grundsatze, dass hierbei zunächst die Königsfiguren
ins Auge gefasst werden sollen.


4. Rochirt, d 7—d 6.
5. c 2—c 3, h 7—h 6.


Weiss beabsichtigt nach §. 64 zwei Bauern auf der
Mitte des Brettes zu vereinigen, Schwarz sollte aber lieber,
statt den Thurmbauer einen Schritt zu ziehen, seine Figuren
ins Spiel bringen. Zwar halten die Thurmbauern in jenem
Falle das Vordringen der feindlichen Officiere ab, indessen
sind dergleichen Züge für den Anfang der Partie, wo
wichtigere Entwickelungszüge nothwendig werden, kaum zu
empfehlen.


6. d 2—d 4, e 5—d 4:


Schwarz nimmt, um nicht selbst einen Bauer einzu-
büssen; denn geht der angegriffene Laufer sofort zurück, so
geschieht d 4—e 5:, d 6—e 5: worauf Weiss die Damen
tauscht und je nachdem Springer oder König wiedernimmt,
den Bauer e 5 oder f 7 gewinnt.


7. c 3—d 4: L c 5—b 6.
8. S b 1—c 3, a 7—a 6.
9. a 2—a 3, L c 8—g 4.
10. d 4—d 5, S c 6—e 5.


Der Damenbauer geht vor, da Schwarz den Springer
mit dem Laufer zu nehmen droht, um dann auf d 4 den
doppelt angegriffenen Bauer, welcher dann nur noch durch
die Dame gedeckt würde, zu gewinnen.


11. L c 4—e 2, L g 4—f 3:
12. L e 2—f 3: S g 8—f 6
13. L f 3—e 2, g 7—g 5.


Weiss bezweckt später den Bauer f 2 nach f 4 vorzu-
zurücken, welche Absicht Schwarz durch seinen Gegenzug
sofort zu vereiteln sucht, indem er zugleich einen Baueran-
griff gegen den feindlichen König einzuleiten denkt.


14. K g 1—h 1, g 5—g 4.


Der Zug des Königs ist nothwendig. um den erwähnten
Bauer ohne ersteren dem [Schach] des feindlichen Laufers
auszusetzen, vorstossen zu können.


15. f 2—f 4, g 4—f 3:
4*
[52] d. h. der schwarze Bauer g 4 schlägt den weissen Bauer im
Vorübergehen. Man vergleiche hierbei §. 34. Das Schlagen
erfolgt, indem der Bauer f 4 vom Brett genommen wird und
zugleich der schwarze Bauer von g 4 sich auf f 3 stellt.


16. L e 2—f 3:, D d 8—e 7.


Schwarz bereitet die Rochade nach der Damenseite vor,
d. h. nach dem andern Flügel, als nach welchem Weiss rochirt
hat. Dies Manöver ist stets dann zu empfehlen, wenn man
mit Erfolg einen Angriff auf den feindlichen Rochadeflügel
durchzuführen gedenkt.


17. D d 1—d 2, h 6—h 5.
18. L c 1—g 5, rochirt nach der Damen-
seite, d. h. der König stellt sich auf c 8 und der Damen-
thurm auf d 8, man vergleiche hierbei §. 32.


19. L f 3—h 5: S f 6—h 5:


Mit diesem Zuge beginnt eine feine Combination von
Schwarz, welche schliesslich zum Siege führt. Wollte jezt
der weisse Läufer von g 5 die schwarze Dame auf e 7 neh-
men, so würde der schwarze Springer von h 5 auf g 3 sofort
Matt sagen, da ihn der Bauer, ohne den König dem feind-
lichen Thurmangriff auszusetzen, nicht nehmen darf und da
dem weissen Könige das Feld g 1 durch den schwarzen
Laufer auf b 6 verwehrt wird. Weiss zieht es deshalb vor
zunächst den drohenden Springer durch die eigene Dame
20. D e 2—h 5:
fortzuschaffen, da ihm der Angriff seines Laufers auf die
feindliche Dame immer noch bleibt.


20. . . . D e 7—d 7.
21. D h 5—e 2, S e 5—g 4.
22. h 2—h 3, T d 8—g 8.


Weiss muss das drohende Thurmmatt auf h 2 decken.


23. T f 1—f 5, T g 8—g 5:


Weiss sucht dem Springer g 4 die Deckung seiner Dame
abzuschneiden; Schwarz kommt ihm aber durch eine geist-
reiche Combination zuvor:
25. T f 5—g 5: S g 4—f 2 †
25. K h 1—g 1.


Geht der König nach h 2, so entscheidet Schwarz so-
[53] fort durch folgende drei Züge 25. T h 8—h 3 † 26. g 2
h 3:, D d 7—h 3: † 27. K h 2—g 1, D h 3 h 1 † und Matt
25. . . . S f 2—h 3 † †
d. h. Schwarz giebt Doppelschach, indem der Springer zu-
gleich den Angriff des Laufers gegen den König aufdeckt.


26. K g 1—f 1, S h 3—g 5:
und Schwarz muss durch den nun drohenden Zug h 8—h 1 †
gewinnen, da er ausserdem schon um eine Figur besser steht.


§. 67. Partie.


1. e 2—e 4, e 7—e 5
2. S g 1—f 3, S b 8—c 6
3. L f 1—c 4, d 7—d 6.


Dieser Zug sperrt den schwarzen Königslaufer ein und
ist deshalb, ehe letzterer herausgezogen ist, nicht zu empfeh-
len. Er ist zwar rein rein vertheidigend und gewährt immer
noch ein sicheres Spiel, gestattet aber dem Gegner grössere
Freiheit im Angriff. Letzterer muss aber so consequent wie
in der vorliegenden Partie fortgeführt werden.


4. d 2—d 4, e 5—d 4:
5. S f 3—d 4: S c 6—d 4:
6. D d 1—d 4: L c 8—e 6.


Schwarz fürchtet die gefährliche Angriffslinie des Läu-
fers von c 4 auf f 7 und sucht desshalb denselben womöglich
abzutauschen.


7. S b 1—c 3 L e 6—c 4:
8. D d 4—c 4: D d 8—d 7.
9. L c 1—e 3 S g 8—f 6.
10. Rochirt nach der Damenseite, D d 7—c 6.
11. D c 4—c 6:, b 7—c 6.


Schwarz leitet den Damentausch ein, um eine offene
Thurmlinie gegen die feindliche Rochade zu gewinnen; Weiss
aber geht ohne Weiteres darauf ein, um nicht durch Zurück-
ziehen der Dame ein Tempo einzubüssen.


12. L e 3—d 4, S f 6—g 4.
13. f 2—f 3, S g 4—e 5.
14. L d 4—e 5:, d 6—e 5:.


Weiss tauscht den Springer gegen seinen Läufer ein,
weil gegen das Endspiel hin ein Springer, welcher nicht,
[54] wie der Läufer, auf eine Farbe beschränkt ist, an Werth
zunimmt.


15. T d 1—d 3, L f 8—d 6.
16. S c 3—d 1, Rochirt nach der Königsseite.
17. S d 1—e 3, f 7—f 6.
18. S e 3—f 5, L d 6—c 5.
19. T d 3—d 7, T f 8—f 7.
20. T d 7—f 7: K g 8—f 7.


Gegen das Endspiel hin, wenn die meisten Figuren
und die Dame getauscht sind, gewinnt der König an Wirk-
samkeit, und es ist nicht selten von grösster Wichtigkeit, ihn
in solchen Fällen so früh, als möglich ins Treffen zu führen,
damit er bei den Operationen der Bauern, welche in die
Dame gehen, kräftig mitwirken kann. So lange aber noch
die Dame oder beide Läufer sich im Spiele finden, ist die
Bewegung des Königs nicht zu empfehlen.


21. T h 1—d 1, g 7—g 6.


Es ist Sache der Thürme, sich der offenen Linien zu
bemächtigen und dadurch nicht selten den feindlichen König
von den entscheidenden Punkten abzuschneiden.


22. S f 5—g 3, L c 5—e 3 †
23. K c 1—b 1, K f 7—e 6.
24. T d 1—d 3, L e 3—d 4.
25. S g 3—e 2, c 6—c 5.
26. T d 3—a 3, a 7—a 5.


Der Angriff c 2—c 3 würde nach dem Rückzuge des
Laufers auf f 2 den Thurm auf die d Linie eingeschränkt
haben, wobei Schwarz zum entscheidenden Vorrücken seiner
Bauern und seines Thurmes Zeit gewonnen hätte.


27. S e 2—d 4: †, e 5—d 4:
28. c 2—c 3, K e 6—d 6.
29. K b 1—c 2 K d 6—c 6.
30. c 3—d 4:, c 5—d 4:
31. T a 3—a 4, K c 6—c 5.
32. b 2—b 4 † K c 5—b 5.


Nimmt der Bauer den Bauer, so geht der schwarze
Thurm verloren.


[55]

33. T a 4—a 5: † T a 8—a 5:
34. b 4—a 5: K b 5—a 5:
35. f 3—f 4, K a 5—b 5.
36. K c 2—b 3, c 7—c 5.


Man bemerke wohl das Bauernspiel auf beiden Seiten,
in welchem schliesslich die überwiegende rechte Seite von
Weiss siegt, da der feindliche König fern steht.


37. e 4—e 5, f 6—e 5:
38. f 4—e 5: K b 5—c 6.


Giebt der schwarze Bauer Schach, so kann Weiss den
ungedeckten Bauer d 4 mit Vortheil nehmen und dann seinen
Mittelbauer zuerst in die Dame führen.


39. a 2—a 4 K c 6—d 5
40. a 4—a 5 und Weiss muss gewinnen.


Denn geschieht 40. K d 5—e 5 nimmt, so kann der
Thurmbauer ungehindert Dame werden; geschieht aber c 5—
c 4 †, so folgt zunächst 41. K d 3—c 2 und der schwarze
König kann dann ebenfalls das Avancement des einen der
weissen Bauern nicht mehr verhindern, während der weisse
König das Vordringen beider schwarzen Bauern aufzuhalten
vermag.


Fünfzehntes Kapitel.
Endspiele.

§. 68. Im §. 54 und ff. haben wir die einfachsten
Endspiele, welche auf das Matt von Dame und König gegen
König hinauslaufen, näher kennen gelernt. Gewöhnlieh ent-
steht diese Art der Spielendung durch das Avancement
eines einzigen, dem Spieler noch übrig gebliebenen Bauers,
und wir haben nun hier zunächst die schwierigere Frage zu
beantworten, auf welche Weise überhaupt ein einziger, übrig
gebliebener Bauer selbst bei Entgegenstellung des feind-
lichen Königs zu avanciren vermag.


§. 69. Man denke sich die Stellung des weissen Kö-
nigs auf g 1, des schwarzen aber auf g 3 und eines schwar-
[56] zen Bauers auf g 4. In dieser Position wird der Bauer
stets gewinnen, denn zieht Weiss nach h 1 oder f 1, so geht
Schwarz nach f 2 oder h 2 und führt den Bauer zur Dame.
Zieht hingegen Schwarz:


1. … K g 3—h 3, besser als f 3. Um das Feld f 2
zu decken, zieht nun Weiss:
2. K g 1—h 1 g 4—g 3.
3. K h 1—g 1 g 3—g 2.
4. K g 1—f 2 K h 3—h 2 und gewinnt.


Man bemerke hier noch im Allgemeinen, dass der Bauer
stets zur Dame gehen wird, wenn er ohne Schach die vor-
letzte Reihe erreicht; giebt er jedoch dort dem feindlichen
Könige Schach, so kann er nur Patt setzen.


§. 70. Wenn beim Avancement eines feindlichen Bauers
der König sich dem andern stets gegenüber stellen kann,
oder, wie man mit dem Kunstausdruck sagt, die Opposition
zu halten vermag, wird er meist das Spiel remis halten. Hat
z. B. in folgender Stellung des weissen Königs auf g 1, des
schwarzen auf g 4 und eines schwarzen Bauers auf g 5 die
weisse Partei den Anzug, so kann sie jenen Zweck der
Gegenstellung oder Opposition durch den Zug 1. K g 1—g 2
erreichen und damit das Avancement verhüten, denn es
geschieht
1. K g 1—g 2 K g 4—f 4.
2. K g 2—f 2 K f 4—f 5
3. K f 2—f 3 K f 5—g 6.
4. K f 3—g 3 K g 6—h 5.
5. K g 3—h 3 g 5—g 4 †
6. K h 3—g 3 K h 5—g 5.
7. K g 3—f 2 h g 5—f 4.
8. K f 2—g 2 g 4—g 3.
9. K g 2—g 1 aber nicht nach h 1 oder f 1.
9. … K f 4—f 3.

10. K g 1—f 1 g 3—g 2 †, ohne Schach müsste
der Bauer gewinnen; dies kann aber in diesem Falle nicht
erreicht werden.


11. K f 1—g 1 K f 3—g 3 Patt.


§. 71. Man wende nun die eben erörterte Theorie auf
[57] folgendes interessante Beispiel von Lolli an, indem man die
Behauptung zu prüfen versuche, dass Weiss am Zuge remis
machen, im andern Falle aber verlieren wird. Beide Könige
stehen auf ihren Standfeldern, auf e 7 aber findet sich ein
schwarzer Bauer. Schwarz kann hier, wenn er anzieht, nur
durch den Zug 1. K e 8—f 7 gewinnen. Es folgt 2. K e 1—
f 2, K f 7—f 6. 3. K f 2—f 3, K f 6—e 5. 4. K f 3—e 3,
e 7—e 6 (um den weissen König aus der Opposition zu ver-
treiben). 5. K e 3—d 3, K e 5—f 4. 6. K d 3—e 2, K f 4
e 4. 7. K e 2—f 2, K e 4—d 3. 8. K f 2—f 3, e 6—e 5.
9. K f 3—f 2, e 5—e 4. 10. K f 2—e 1, K d 3—e 3. 11. K
e 1—f 1, K e 3—d 2 und gewinnt; geht Weiss 10. K f 2—f 1,
so folgt 10. e 4—e 3 nebst e 3—e 2.


Hätte Weiss angezogen, so würde sein König bis f 4
gekommen und dann stets die Opposition gehalten haben.
Schliesslich ist noch zu bemerken, dass ein Thurmbauer,
oder überhaupt ein Bauer am Rande nie gewinnen kann,
wenn der feindliche König sich vor ihm befindet, da er ihn
zuletzt immer Patt setzen wird.


§. 72. Seltener pflegen solche Endspiele vorzukommen,
in denen nur König und Thurm gegen den einzelnen König
übrig bleiben. Auch in diesem Falle vermag die stärkere
Partei und zwar auf jedem beliebigen Randfelde das Matt
zu erzwingen. König und beide Laufer gewinnen ebenfalls
gegen den einzelnen König, indem sie auf einem Eckfelde
so wie auf den daneben befindlichen Randfeldern Matt
setzen können. Auf gleiche Weise ist das Matt von Laufer
und Springer gegen den einzelnen König möglich, doch nur
in einer Ecke von der Farbe des Laufers, oder auf einem
der daneben befindlichen Randfelder. Dagegen ist, wie
schon gesagt, das Matt zweier Springer gegen den einzelnen
König bei richtigem Spiele unmöglich. Die specielle Er-
örterung aller dieser schwierigern Fälle lehrt die eigent-
liche Theorie der Endspiele.


[58]

Dritte Abtheilung.
Allgemeine Regeln.


Sechszehntes Kapitel.
Praktische Vorschriften.

§. 73. Allgemeine Regeln für die Praxis haben den
Zweck, dem Spieler für sein Verhalten beim praktischen
Spielen gewisse wohlmeinende Winke und Rathschläge an
die Hand zu geben. Dazu gehören zunächst sogenannte
praktische Vorschriften, welche auf der einen Seite Klug-
heitsregeln, auf der andern Schicklichkeitsgrundsätze be-
treffen.


§. 74. Als erste Klugheitsregel lässt sich der Rath
empfehlen, niemals zu spielen, wenn man sich nicht beson-
ders aufgelegt dazu fühlt und in solchem Falle lieber der
Aufforderung zu einer Partie, wenn es irgend möglich ist,
zu entgehen. Ausser den offenbaren und allgemeinen Mängeln,
welche gewöhnlich ein mehr oder weniger gezwungenes Spie-
len begleiten, entsteht nicht selten bei solchen Partieen gar
häufig die Neigung, wiederholt Züge zurückzunehmen. Diese
Schwäche muss aber der Anfänger vor allen Dingen zu ver-
meiden suchen. Strenges Spiel, welches den zuerst berühr-
ten Stein selbst bei Folge des Verlustes allein zu ziehen
gestattet, ist die erste Bedingung zur Erlangung geübter
Fertigkeit und zum Wege zur Meisterschaft. Der Spieler
prüfe daher stets, ehe er eine Figur zu ziehen gedenkt,
noch einmal im Ganzen, ob sich nicht ein besserer Zug auf
dem Brette finde.


§. 75. Auch für gewisse Aeusserlichkeiten beim Spiele
empfiehlt die Klugheit manche Winke. Man gewöhne sich
daher vor allen Dingen nicht an eine bestimmte Farbe der
Figuren; man kommt dadurch nicht selten bei Begegnung
mit Fremden in Verlegenheit. Andere gute Rathschläge
liessen sich noch in Menge geben; sie sind meist unbedeu-
[59] tenderer Art und werden auch bei einiger Aufmerksamkeit
durch die Erfahrung ohne Weiteres gewonnen. So wähle
man das Brett nicht zu klein, wenigstens müssen die einzel-
nen Felder in splendidem Verhältniss zur Basis der Figuren
stehen. Es erleichtert diess wesentlich den Ueberblick; aus
demselben Grunde erscheint es vortheilhaft, sich so zu
setzen, dass der Schein des Tages oder des Lichtes von der
linken Hand herkommt.


§. 76. Zu den Schicklichkeitsregeln gehört vor allen
Dingen der Rath, üble Angewohnheiten, die das Spiel für
den Gegner mehr oder minder unangenehm machen können,
zu vermeiden. So ist es gewiss lästig, wenn Spieler bei
ihren Plänen laut denken, oder mit den Fingern auf den
Feldern des Brettes umherfahren; auch jegliches Schwatzen
während des Spieles und Kritisiren der Züge des Andern
darf ebenso wenig zur Gewohnheit werden. Bei hoffnungs-
loser Aussicht auf Remis oder Patt zwinge man nicht den
Gegner zu vollkommener Beendigung der Partie, sondern
gebe lieber ein Spiel zur rechten Zeit auf; am allerwenig-
sten aber beklage oder entschuldige man sich über den Ver-
lust der Partie.


§. 77. Für das äussere Benehmen beim Spiele lassen
sich hier kaum specielle Schicklichkeitsregeln anführen; es
kommen hier die Grundsätze der Bildung und des allgemei-
nen Anstandes in Betracht. In wie weit man z. B. während
des Spieles rauchen, essen oder trinken und andere Nei-
gungen befriedigen dürfe, hängt natürlich von der Ueberein-
kunft und dem gesellschaftlichen Verhältnisse der beiden
Spielenden ab. Wiederholtes und unnützes Aufstehen beim
Spiele, alles unruhige Benehmen und andere Verstösse
sind streng zu vermeiden. Als allgemeiner Grundsatz gilt
überhaupt, alles, was dem Gegner lästig fallen könnte,
wofern es nur irgend billig erscheint, stets zu unterlassen.


§. 78. Unter den Schicklichkeitsrücksichten giebt es
endlich noch gewisse Galanterieregeln, wie sie sich z. B. für
das Spielen mit Damen empfehlen lassen. Die französische
Schule hat auch nach dieser Seite hin die meisten Fein-
heiten herausgefunden. Wir wollen hier nur der vom Comte
[60] Robiano gegebenen Regel Erwähnung thun, welche dem
Spieler den Wink ertheilt, der Gegnerin die schwarzen Steine
zu überlassen, damit durch den Contrast der Farbe die
Weisse der Hände gehoben wird.


Siebenzehntes Kapitel.
Irrthümer.

§. 79. Bei rein praktischen Spielern begegnet man
nicht selten einer Menge von Irrthümern über theoretische
Grundsätze, wie sie weder von Schachgesellschaften, noch
überhaupt von wirklich gebildeten Spielern anerkannt wer-
den. Wir wollen hier die bedeutendsten solcher irrthüm-
lichen Ansichten hervorheben und den Leser, wo er ihnen
begegnen mag, zur Warnung davor auffordern.


§. 80. Zunächst muss hier die Unkenntniss über die
im siebenten und achten Kapitel gelehrten complicirteren
Grundgesetze des Spieles hervorgehoben werden. Man be-
gegnet ihr leider nur allzuhäufig, indem man die wunder-
lichsten Ansichten über jene zusammengesetzten Grundregeln
antrifft. Ihr an den vorgeführten Stellen gegebener Inhalt
muss als allein gültig festgehalten werden.


§. 81. Die oft beliebte Gewohnheit, das Spiel mit
doppeltem Anzuge zu eröffnen, haben wir bereits früher
ausdrücklich als verwerflich bezeichnet; ebenso unregelmässig
ist es, in dem sogenannten Falle des roi depouillé ab-
schliessen zu wollen. Gewisse Spieler glauben nämlich irr-
thümlich, es sei unerlaubt, den feindlichen König aller sei-
ner Steine zu berauben und erklären in solchem Falle die
Partie für Remis. Nach diescm Grundsatze würden manche
schwierigere, sinnreiche Matts unmöglich werden, und weder
die Theorie noch die Meister und Schachgesellschaften
haben jene Regel je anerkannt.


§. 82. Manche Spieler fürchten sich vor dem Ab-
tauschen, insbesondere vor dem Damentausch. Es kommt
[61] nur darauf an, in der kürzesten und sichersten Weise Matt
zu setzen, und wenn durch den Tausch auch nur ein Fuss
breit bessere Stellung gewonnen würde, muss der Tausch
sogar empfohlen werden. Auch ist es völlig unnütz, den
Angriff auf die feindliche Dame durch den Zuruf gardez zu
begleiten. Nur dem Könige und zwar, weil er nicht ge-
nommen werden darf, gebührt solch Vorrecht. Will man
freilich, wie gewisse Spieler, Abgötterei treiben und die
Dame ebenso heilig wie den König schützen, so mag jene
Schwäche entschuldigt werden. Dem wahrhaft gebildeten
Spieler wird solche Verkennung des eigentlichen Geistes
des Spieles nie in den Sinn kommen.


Achtzehntes Kapitel.
Gesetze.

§. 82. Die Gesetze des Spieles haben den Zweck,
das eigentlich praktische Spielen selbst d. h. die Willens-
äusserungen der Spielenden als solcher zu regeln. Sie un-
terscheiden sich auf der einen Seite von den Grundgesetzen
des Spieles, welche die theoretische Organisation desselben
bedingen, auf der andern Seite von den praktischen Vor-
schriften, welche den Spieler als Menschen überhaupt ins
Auge fassen. Die Gesetze haben es sonach mit dem Spie-
ler als Spielendem zu thun und enthalten die Principien
für die praktische Durchführung der Grundgesetze; sie ord-
nen daher auf der einen Seite den ganzen Fortgang der
Partie und bestimmen auf der andern die Strafen bei Ver-
gehen gegen die Grundgesetze. Die consequente und um-
fassende Darstellung der Gesetze kann erst im zweiten Buche
erfolgen; hier wollen wir dem Anfänger zunächst nur die
wichtigsten und gebräuchlichsten Bestimmungen andeuten.


§. 83. Bei einer Reihe von Spielen wechselt der An-
zug, welcher zuerst bei nicht besonderer Verabredung durch
[62] das Loos bestimmt wird. In solchem Falle muss auch
am strengen Spiele d. h. an der Bestimmung festgehalten
werden, dass ein berührtes Stück zieht und eine losgelassene
Figur steht.


§. 84. Bei Verstössen gegen die Grundgesetze, na-
mentlich gegen Gangweise und Schlagweise der Figuren,
gilt im Allgemeinen nach Vernichtung der Unregelmässig-
keit als Strafe die Bewegung des Königs. Erst wenn diese
unmöglich ist, soll das Vergehen, also entweder ein unmög-
licher Zug oder eine unberechtigte Berührung ungestraft
bleiben, indem an die Stelle der Unregelmässigkeit ein be-
liebiger correcter Zug tritt.


[[63]]

Dritter Abschnitt.
Grundzüge der Theorie.


Erste Abtheilung.
Taktische Regeln.


Neunzehntes Kapitel.
Allgemeine Grundsätze.

§. 85. Die Taktik des Schachspiels lehrt die mehr
oder weniger correcte Führung der Partie im Ganzen und
hat es auf der einen Seite mit der allgemeinen Behandlung
des Angriffs wie der Vertheidigung, auf der andern mit der
speciellen Verwendung der einzelnen Figuren zu thun. Die
Lehren der ersteren Art betreffen allgemeine Grundsätze
über Entwickelung der Figuren, über ihr Zusammenwirken
zur Durchführung bestimmter Pläne, so wie über die Bil-
dung der letzteren; mit ihrer Andeutung haben wir es in
diesem Kapitel zunächst zu thun.


§. 86. Für die Entwicklung der Figuren gilt als all-
gemeiner Grundsatz, dass die Königsfiguren den Vorrang
haben. Zunächst werden die beiden Mittelbauern,
oder wenigstens der Königsbauer angezogen; so-
dann folgt Springer und Laufer des Königs, erste-
rer am besten auf f 3, letzterer auf c 4 oder d 3.
Hierauf kann die Rochade erfolgen oder zunächst
die Entwicklung der Damenfiguren erstrebt werden
.


[64]

Nicht selten fehlt der Anfänger gegen diese Hauptregel
durch zu frühe und nachtheilige Bewegung der Dame, durch
nutzloses Schachbieten und durch ängstliches, unnützes Auf-
ziehn der Eckbauern. Vor solchen Hauptfehlern gegen obigen
Grundsatz hat man sich besonders in Acht zu nehmen.


§. 87. Ausser jenem allgemeinen Princip kann noch
die Bildung eines Centrums durch die Mittelbauern sowie
der direkte Angriff gegen gewisse schwache Punkte des Geg-
ners speciell ins Auge gefasst werden. Nur ist vor zu früh-
zeitiger Ausführung dieser letzteren Pläne dringend zu warnen.


Die Aufstellung eines Centrums wird gewöhnlich durch
den Zug c 2—c 3 eingeleitet; als schwächste Stelle bietet
sich aber der Punkt f 7, welcher nicht selten durch Posti-
rung des Springers auf g 5 in Verbindung mit dem Laufer
auf c 4 bedroht wird. Häufig aber erfolgen beide Angriffe
zu früh und der Gegner gewinnt durch Vertreibung der An-
griffsfiguren oder Ausführung kräftiger Gegenangriffe wich-
tige Tempi.


§. 88. Der in §. 86 gegebene Grundsatz bedingt den
eigentlichen Eröffnungsangriff, welchem als ähnliche Er-
öffnungsvertheidigung
eine analoge Entwicklung der nach-
ziehenden Partei gegenüber steht. Die in §. 87 angedeutete
Bildung eines Centrums sowie dessen Benutzung bildet den
Mittelangriff, der Angriff gegen den schwachen Punkt f 7
aber den eigentlichen Königsangriff. Letzterer gewinnt
eine besondere Bedeutung nach der Rochade des Königs
und wird dann zum sogenannten Rochadeangriff. Die
specielle Lehre dieser einzelnen Angriffsarten sowie ihrer
zweckmässigen Vertheidigung kann aber erst im zweiten Buche
ihre Stelle finden.


Zwanzigstes Kapitel.
Anwendung der einzelnen Figuren.

§. 89. Der König wird im Anfange der Partie am
besten sehr bald durch die Rochade sicher gestellt; sind
[65] aber die Damen und mehrere Officiere getauscht, so bringt
man ihn nicht selten mit Erfolg ins Spiel, und seine rich-
tige Führung entscheidet gewöhnlich im Bauerspiele die
Partie. — Einen Angriff feindlicher Figuren parire man in
der Regel durch gleichartige Officiere, setze also dem Schach
des Thurmes den Thurm, dem Laufer den Laufer entgegen.
— Endlich hüte man sich vor gleichzeitigen Angriffen des
Gegners auf König und Dame, sei es vor den besonders
dazu geschickten Springern, sei es bei Stellung der beiden
Hauptfiguren auf einer Linie vor dem Angriff von Thurm
oder Laufer; auch jegliches Abzugschach, insbesondere Dop-
pelschach muss in der Regel vermieden werden.


§. 90. Die Dame darf weder zu früh in Thätigkeít
gesetzt noch überhaupt von ihrem Spiele zu weit entfernt
werden. Verstösse gegen diesen Satz haben wir bereits in
ihren schädlichen Folgen früher genugsam kennen gelernt.
Am besten steht sie im Anfange nicht selten auf dem Felde
e 2, oder auch c 2 wenn der Bauer c 2 auf c 3 gegangen
ist. Ihr Werth übertrifft den von Thurm und Laufer zu-
sammengenommen; auch hält sie meist zwei Thürmen das
Gegengewicht. Was ihren Abtausch gegen die feindliche
Dame betrifft, so sehe man Andeutungen darüber in den
praktischen Spielen früherer Kapitel.


§. 91. Die Thürme beherrschen mit Erfolg offene Li-
nien, welche von Bauern entblösst sind. Hinter verbunde-
nen Bauern unterstützen sie vortheilhaft deren Streben zum
Avancement. Stellt der Gegner den Thürmen, welche eine
offene Linie beherrschen, die eigenen Thürme entgegen, so
sehe man darauf, dass im Falle des Abtausches der feind-
liche Thurm nicht im Besitze der offenen Linie bleibt. Den
vom Thurm gedeckten Thurm des Gegners nimmt man da-
her nicht, sondern lässt ihn vielmehr zuerst schlagen; den
anders gedeckten feindlichen Thurm nimmt man aber häufig
mit Vortheil zuerst, um danach durch den anderen Thurm
die offene Linie zu behaupten.


§. 92. Die Laufer werden in ihrer Vereinigung zu
einer starken Waffe, namentlich wenn sie auf die feindliche
5
[66] Rochade gerichtet werden. Sie sind auch meist stärker als
Springer und Laufer, während am Ende der Partie ein ein-
zelner Springer, welcher Felder von beiden Farben betreten
kann, gegen einen einzelnen Laufer nicht selten einen klei-
nen Vortheil bringt. Auf dies Verhältniss ist daher beim
Abtausch der leichten Officiere schon in der Mitte der Partie
besonders zu achten.


§. 93. Der Springer eignet sich besser zum Angriff
als zur Vertheidigung, namentlich bei verwickelten Stellun-
gen, indem ihm sein eigenthümlicher Gang durch Positions-
hindernisse leicht Bahn bricht. Ein in des Gegners Spiel
fest eingekeilter und von Bauern geschützter Springer
wirkt nicht selten entscheidend für den Sieg.


§. 94. Mittelbauern, namentlich wenn sie geschlos-
sen erhalten werden können, führen nicht selten wesentlichen
Positionsvortheil mit sich. Doch soll man auf ihre Er-
reichung nicht allzu ängstlich bedacht sein, in keinem Falle
aber darüber die anderweitige gute Entwicklung des Spieles
versäumen, welche stets erster Zweck der Eröffnung bleibt.
Doppelbauern, welche nach der Mitte zu schlagen,
sind so sehr nachtheilig nicht; vor Doppelbauern, welche
sich von der Mitte entfernen, namentlich auf der Thurm-
linie, hat man sich jederzeit in Acht zu nehmen. — Ein
Bauer, welcher von keinem feindlichen Bauer mehr behin-
dert frei in die Dame gehen könnte, heisst ein Freibauer
und die Möglichkeit seiner Erhaltung entscheidet nicht sel-
ten im Endspiele die Partie.


[67]

Zweite Abtheilung.
Die Lehre von den Eröffnungen.


Einundzwanzigstes Kapitel.
Vorerörterungen.

§. 95. Die Lehre von den Eröffnungen betrachtet den
Anfang der Partie und lehrt die verschiedenen mehr oder
weniger correcten Methoden, für Angriff und Vertheidigung
das Spiel zu entwickeln. Sie bildet den eigentlichen Haupt-
theil der Theorie, indem sie auf analytische Weise sämmt-
liche Angriffsprincipien veranschaulicht und dem Spieler durch
die Betrachtung aller Arten von Combinationen im Anfang
ein formelles Bildungsmittel für seine Geschicklichkeit im
Allgemeinen und für sein Verständniss aller nur denkbaren
Schachpositionen gewährt.


§. 96. In der zuletzt angedeuteten Beziehung giebt
vorzüglich die sogenannte Königsbaueröffnung das reichste
Material. Sie entsteht durch die Bewegung der Königs-
bauern beider Parteien um zwei Schritt im ersten Zuge und
ist durch den Kunstausdruck début royal ausgezeichnet
worden. Die bei weitem überwiegende Anzahl sämmtlicher
theoretischen Schacharbeiten geht von diesem Anfange aus,
und der Anfänger kann aus diesem Studium allein den Rang
völliger Meisterschaft erringen. Wir wollen daher diesen
Anfang, also 1. e 2—e 4, e 7—e 5 dem gegenwärtigen Ab-
riss der Lehre von den Eröffnungen vorzüglich zu Grunde
legen und nur im folgenden Paragraphen die Möglichkeit
anderer Anfänge kurz andeuten.


§. 97. Wenn der Anziehende den Königsbauer zwei
Schritt gezogen hat und der Gegner seinerseits den gleichen
Anzug vermeiden will, so stehen diesem als Antworten von
Wichtigkeit nur die drei Anfänge des Königsbauers einen
Schritt, also 1. e 2—e 4, e 7—e 6, des Damenbauers zwei
Schritt, also 1. e 2—e 4, d 7—d 5, endlich des Damen-
5*
[68] lauferbauers zwei Schriit, also 1. e 2—e 4, c 7—c 5 zu Ge-
bot. Davon ist der erste Anfang, welcher gewöhnlich den
Namen die französische Partie trägt, d. h. 1. e 2—e 4,
e 7—e 6, der correcteste. Ihm steht an Sicherheit znnächst
die letzte Eröffnung, welche nicht selten die sicilianische
Partie genannt wird, also 1. e 2—e 4, c 7—c 5. Die Ent-
gegnung des Damenbauers, d. h. 1. e 2—e 4, d 7—d 5 ist
ist im Allgemeinen wenig zu empfehlen; sie trägt in der
Theorie den einfachen Namen Damenbauer gegen Kö-
nigsbauer
.


Wenn aber der Anziehende seinerseits von der Be-
wegung des Königsbauer abweicht, so kann er mit einiger
Zweckmässigkeit nur durch den Damenbauer, oder einen
der Lauferbauern das Spiel beginnen. Die Eröffnung mit
dem Damenbauer, also 1. d 2—d 4 ist im Allgemeinen mehr
defensiv und entspricht daher keineswegs dem Character des
Anziehenden als Angreifenden. Auch sind die Consequenzen
dieses Anfanges im Allgemeinen nur wenig interessant, ein
Mangel, welcher in fast noch höherem Grade die Eröffnung
durch die Lauferbauern, also 1. c 2—c 4 oder 1. f 2—f 4
trifft.


§. 98. Im début royal oder in der Königsbauereröff-
nung 1. e 2—e 4, e 7—e 5 kann man sämmtliche Fortsetzun-
gen nach zwei Rücksichten scheiden, je nachdem nämlich
der Anziehende jetzt einen Officier oder einen Bauer be-
wegt. Für den ersteren Fall kommt zunächst die Entwicke-
lung der Königsfiguren in Betracht, und man scheidet hier
die sogenannte Springerpartie von der Lauferpartie,
je nachdem zunächst 2. S g 1—f 3 oder 2. L f 1—c 4 ge-
schieht. Für den andern Fall ist vorzüglich die Bewegung
der beiden Nachbarbauern des Königsbauers, also 2. d 2—
d 4 und 2. f 2—f 4, hervorzuheben. Beide Fortsetzungen
bilden Gambitzüge, da die betreffenden Bauern von dem
feindlichen Königsbauer ohne Weiteres geschlagen werden
können. Unter Gambit versteht man aber die Aufopferung
eines Bauers, in der Hoffnung, dadurch einen Positions-
vortheil zu gewinnen. Letzterer besteht in den vorliegenden
Fällen in der Absicht, dem eignen Königsbauer freie Bahn
[69] zum Vordringen zu ermitteln, um dadurch später den Geg-
ner in seiner freien Bewegung und Entwickelung zu behin-
dern. Wird das Gambit durch den Königslauferbauer, also
auf der Königsseite durch den Zug 2. f 2—f 4 eingeleitet,
so heisst es Königsgambit, entsteht es aber durch den
Damenbauer, also in der Mitte des Brettes durch 2. d 2—d 4,
so trägt es den Namen Mittelgambit.


Zweiundzwanzigstes Kapitel.
Die Springerpartie.

§. 99. Die Springerpartie oder das sogenannte Königs-
springerspiel besteht nach §. 98 in dem Anfange 1. e 2—e 4,
e 7—e 5; 2. S g 1—f 3. Es kommt hiebei zunächst auf
Deckung des durch den Springer angegriffenen schwarzen
Königsbauer an; sie erfolgt am correctesten durch die Be-
wegung des entgegengesetzten Springers, also durch den
Zug 2. S b 8—c 6. Dieser Springer wirkt allein am kräftig-
sten dem Angriffe des weissen Königsspringers entgegen, da
er die von letzterem angegriffenen Mittelpunkte d 4 und e 5
ebenfalls beherrscht. Man fasst deshalb alle anderen Deckun-
gen des schwarzen Königsbauers unter dem Namen unregel-
mässige Vertheidigungen zusammen. Einige unter ihnen ha-
ben besonders ausgezeichnete Namen erhalten. Es sind dies
die Entgegnungen Petroff’s und Philidor’s, zweier ausgezeich-
neter Meister; ersterer empfahl den Gegenangriff des corre-
spondirenden Springers, also des Königsspringers 2. g 8—f 6,
letzterer zog die einfache Deckung durch den Damenbauer
einen Schritt 2. d 7—d 6 vor. Beide Antworten lassen sich
zwar mit mehr oder weniger Glück durchführen, gewähren
aber bei weitem nicht die solide Fortsetzung der correcten
Spielart. Namentlich bleibt bei der Entgegnung Philidor’s
der Königslaufer von Schwarz eingeschlossen und die freie
Entwickelung dieser Partei deswegen lange gehemmt.


Andere unregelmässige Vertheidigungen sind aber als
[70] gänzlich schwach völlig zu verwerfen; so z. B. die bereits
in der Partie des §. 62 behandelte Entgegnung 2. d 7—d 5.
Noch schwächer wäre endlich die Deckung durch 2. f 7—f 6,
welcher Zug dem Königsspringer seinen wichtigsten Ausgang
raubt und den König vor und nach der Rochade bloss stellt.
Auch giebt er den Weissen zu einer interessanten Combina-
tion Gelegenheit, da dieser ruhig mit dem Königsspringer
den feindlichen Königsbauer durch 2. S f 3—e 5: schlagen
könnte. Denn nimmt nun Schwarz den Springer wieder,
3. f 6—e 5: so kann 4. D d 1—h 5 †, g 7—g 6, 5. D h 5—
e 5 †, D d 8—e 7, D e 5—h 8: folgen, wodurch Weiss einen
Thurm gewinnt.


§. 100. In der correcten Vertheidigung der Springer-
partie, also in dem Anfange 1. e 2—e 4, e 7—e 5; 2. S g 1
f 3, S b 8—c 6 fährt nun der Anziehende am einfachsten
in der Entwickelung der Königsfiguren, also mit dem Zuge
L f 1—c 4 weiter fort. Daneben kommt auch der schon im
§. 98 angedeutete Zug des Mittelgambits 3. d 2—d 4 in
Betracht, dessen interessante Consequenzen uamentlich in
neuester Zeit bei Theoretikern wie Praktikern grosse Be-
achtung gefunden haben. Beide Combinationen bilden die
regelmässigen Fortsetzungen der Springerpartie. Ausserdem
kennt noch im jetzigen dritten Momente die Theorie zwei
andere Angriffsarten, von denen die eine unmittelbar die
Eroberung der Mitte anstrebt, während die andere direct
den schwarzen Damenspringer, also die Deckung des Königs-
bauers, angreift. Der erstere Angriff besteht in dem Zuge
3. c 2—c 3 als Vorbereitung für die Bewegung des Damen-
bauer; er wird gewöhnlich durch den Zug des Königsprin-
gers von g 8 nach f 6 beantwortet. Die andere Fortsetzung
wird durch den Angriff des Laufers 3. L f 1—b 5 gegeben
und ebenfalls am besten durch denselben Königsspringerzug
erwidert. Denn geschieht hierauf, also nach 3. L f 1—b 5,
S g 8—f 6 nun 4. L b 5—c 6: d 7—c 6: 5. S f 3—e 5:, so
folgt 5. D d 8—d 4 und Schwarz gewinnt den Bauer auf e 4
wieder. Man nennt diese Fortsetzung durch 3. L f 1—b 5
nach dem Schriftsteller, welcher sie besonders empfohlen
hat, das Spiel des Ruy Lopez.


[71]

§. 101. Von den beiden im vorigen Paragraphen an-
gedeuteten regelmässigen Combinationen kommt zunächst die
Variante 1. e 2—e 4, e 7—e 5, 2. S g 1—f 3, S b 8—c 6, 3.
L f 1—c 4 in Betracht. Sie wurde besonders von der italieni-
schen Schule hervorgehoben und hat daher auch den Namen
der italienischen Partie oder des giuoco piano d. h. ein-
fachen Spieles erhalten. Schwarz kann in dieser Variante
zunächst eine seiner Königsfiguren herausbringen und zwar
am sichersten den Königslaufer 3. L f 8—c 5. Denn auf die
Entgegnung des Königspringers 3. S g 8—f 6 (welche Spiel-
art, wegen der frühen Entwickelung beider Springer, den
Namen Zweispringerspiel im Nachzuge trägt) findet
Weiss Gelegenheit zum drohenden Angriffe auf den schwa-
chen Punkt f 7, indem er nach 3. S g 8—f 6 die Partie
durch 4. S f 3—g 5 fortsetzt. Man zieht deshalb, als allein
richtige Antwort in der italienischen Partie, den Zug des
Laufers 3. L f 8—c 5 vor und nennt diese Spielart also den
Anfang 1. e 2—e 4, e 7—e 5, 2. S g 1—f 3, S b 8—c 6,
3. L f 1—c 4, L f 8—c 5 das complette giuoco piano, oder
schlechtweg das eigentliche giuoco piano. Dem Anziehen-
den stehen in dieser Variante vorzüglich drei Methoden in
der Fortführung des Angriffes zu Gebote, je nachdem er
zunächst die consequente Entwickelung der Königsfiguren
durch die Rochade fortsetzt also 4. Rochirt oder die Bil-
dung eines Centrums durch den Zug 4. c 2—c 3 vorbereitet
oder endlich ein in neuester Zeit beliebt gewordenes inter-
essantes Flügelgambit durch 4. b 2—b 4 versucht. Die ein-
fachste Fortsetzung erfolgt durch die Rochade und es kann
hier am correctesten auf beiden Seiten geschehen: 4. Rochirt,
d 7—d 6 (bester Zug); 5. d 2—d 3, S g 8—f 6; 6. S b 1—
c 3, Rochirt; 7. L c 1—g 5 u. s. w. Auch könnte 4. Rochirt,
d 7—d 6; 5. c 2—c 3, S g 8—f 6; 6. d 2—d 4, e 5—d 4;
7. c 3—d 4: L c 5—b 6; 8. S b 1—c 3, Rochirt; 9. h 2—h 3,
h 7—h 6; 10. L c 1—e 3, D d 8—d 7; 11. S b 1—d 2 u. s. w.
die Folge sein.


Am gebräuchlichsten ist die Fortsetzung durch 4. c 2—
c 3; es geschieht darauf am stärksten S g 8—f 6. Die nächste
correcte Fortsetzung könnte dann sein 5. d 2—d 4, e 5—
[72]d 4: 6. c 3—d 4: L c 5—b 4 † 7. L c 1—d 2, L b 4—d 2: †
8. S b 1—d 2, d 7—d 5. 9. e 4—d 5: S f 6—d 5: und das
Spiel steht ausgeglichen. Geschieht aber 4. c 2—c 3, S g 8
f 6. 5. d 2—d 4, e 5—d 4: 6. e 4—e 5, so folgt nun
am stärksten sofort 6. d 7—d 5; 7. L c 4—b 5, S f 6—e 4
u. s. w.


Das Flügelgambit endlich 4. b 2—b 4 trägt nach seinem
Erfinder, dem englischen Seecapitain Evans, den Namen
Evansgambit. Es wird sonach durch den Anfang 1. e 2—
e 4, e 7—e 5; 2. S g 1—f 3, S b 8—c 6; 3. L f 1—c 4, L f 8
c 5; 4. b 2—b 4 bedingt und seine correcteste Fortsetzung
besteht in den Zügen 4. L c 5—b 4: 5. c 2—c 3, L b 4—
a 5; 6. Rochirt, d 7—d 6; 7, d 2—d 4, e 5—d 4:; 8. c 3—
d 4:, L a 5—b 6; 9. L c 1—b 2 u. s. w.


§. 102. Die zweite regelmässige Combination der
Springerpartie besteht in der Fortsetzung durch ein Mittel-
gambit, und die betreffende Variante 1. e 2—e 4, e 7—e 5;
2. S g 1—f 3, S b 8—c 6; 3. d 2—d 4 trägt den Namen
des schottischen Gambits, da der schottische Club zu
Edinburg in seinem Kampfe mit der Londoner Schachgesell-
schaft (während der Jahre 1824 — 1828) jenen Anfang mit
besonderer Vorliebe zur Anwendung brachte. Die beste
Fortsetzung dieses Gambits besteht nach 3. d 2—d 4, e 5—
d 4: in den Zügen 4. L f 1—c 4, L f 8—c 5; 5. Rochirt,
d 7—d 6; 6. c 2—c 3, d 4—c 3:; 7. S b 1—c 3: S g 8—
e 7 u. s. w. Auch könnte statt der Rochade der Angriff
5. c 2—c 3 erfolgen, worauf Schwarz durch 5. S g 8—f 6 in
die vorher behandelte Variante des giouco piano 4. c 2—c 3
S g 8—f 6 5. d 2—d 4, e 5—d 4: einlenkt.


Dreiundzwanzigstes Kapitel.
Die Lauferpartie.

§. 103. Die Lauferpartie, oder das sogenannte König-
lauferspiel besteht nach §. 98 in dem Anfange 1. e 2—e 4,
[73]e 7—e 5; 2. L f 1—c 4. Sie war in früheren Zeiten, beson-
ders durch Philidor’s Empfehlung sehr beliebt, gilt jetzt aber
sogar für mehr oder minder altmodisch. Sie gewährt bei
weitem nicht den nachhaltigen Angriff der Springerpartie, in
welcher bereits mit dem zweiten Zuge der feindliche Königs-
bauer bedroht wird. Philidor, welcher die Bauern für die
Seele des Spieles erklärte, empfahl die Lauferpartie vorzüg-
lich im Gegensatz zur [italienischen] Schule, welche mit Recht
das rasche Figurenspiel vorzog und die Bauern nur zur Ein-
leitung der Figurenangriffe benutzte. Jener Meister glaubte
nämlich durch den Springerzug 2. S g 1—f 3 den Königslau-
ferbauer zu verstellen, indem nach seinem Principe die Bauern
vor den Officieren vorrücken sollten, um von letzteren im
Rücken geschützt allmählig zu avanciren. Ihm schien daher
die Eröffnung durch den Königslaufer, welcher keinen Bauer
behindert, und bei der gleichen Antwort 2. L f 8—c 5 zur
Bildung eines Bauerncentrums mitwirkt, als der beste An-
fang. Er bedachte indess dabei nicht die Kräftigkeit eines
andern, namentlich von der Berliner Schule empfohlenen
Gegenzuges 2. S g 8—f 6, welcher jene Pläne mehr oder we-
niger vereitelt. Endlich kommt noch gegen die Lauferpartie
die Antwort des Königgambitzuges 2. f 7—f 5 in Betracht,
welche Variante man, da das Gambit hier vom Nachziehenden
gegeben wird, gewöhnlich Gambit in der Rückhand nennt.
Diese Spielart ist weniger zu empfehlen, als die beiden an-
dern Varianten; es geschieht auf 1. e 2—e 4, e 7—e 5;
2. L f 1—c 4, f 7—f 5 zunächst am besten 3. d 2—d 3,
worauf die ruhige Entwickelung der Hauptfiguren weiter folgt,
Schwarz aber wegen Oeffnung seines Königflügels durch den
feindlichen auf g 8 zielenden Laufer lange Zeit an der Rochade
u. s. w. behindert bleiben wird.


§. 104. In der einen Hauptvariante der Lauferpartie
1. e 2—e 4, e 7—e 5; 2. L f 1—c 4, L f 8—c 5 trägt nun
die von Philidor empfohlene Fortsetzung 3. c 2—c 3 den
Namen des klassischen Angriffes. Die correcteste Entgeg-
nung kann hier auf verschiedene Weise durch Züge wie
3. S g 8—f 6 oder 3. D d 8—e 7 oder endlich 3. D d 8—g 5
gegeben werden. Fehlerhaft wäre es aber andere Antworten
[74] wie 3. S b 8—c 6 oder 3. c 7—c 6 zu wählen, indem darauf
das interessante Manöver 4. d 2—d 4, e 5—d 4:; 5. L c 4—
f 7: † K e 8—f 7:; 6. D d 1—h 5 † g 7—g 6; 7. D h 5—c 5:
u. s. w. dem Schwarzen Verlust der Rochade und Positions-
nachtheil bringt.


§. 105. Die einfachste Behandlung der Laufpartie von
Seiten des Nachziehenden geschieht durch die sogenannte
Berliner Vertheidigung 2. S g 8—f 6. Diese Variante 1. e 2
e 4, e 7—e 5; 2. L f 1—c 4, S g 8—f 6 wird nun am leichte-
sten durch die Combination 3. d 2—d 3, L f 8—c 5; 4. S g 1
f 3, d 7—d 6 u. s. w. fortgeführt.


Vierundzwanzigstes Kapitel.
Das Königsgambit.

§. 106. Das Königsgambit besteht nach §. 98 in der Er-
öffnung 1. e 2—e 4, e 7—e 5; 2. f 2—f 4 und wird zunächst in
angenommenes und abgelehntes Gambit geschieden, je
nachdem Schwarz das gebotene Opfer des Königslauferbauer
durch 2. e 5—f 4: annimmt oder durch Ausführung irgend
eines andern Zuges ablehnt. Die Theorie zog bisher das
angenommene Königsgambit vor, indem sie den Grundsatz
aufstellte, der Nachziehende könne den gewonnenen Bauer
bis an’s Ende der Partie behaupten und dadurch letztere
entscheiden. Unter den Methoden des abgelehnten Gambits
sind besonders zwei Varianten bemerkenswerth. Davon be-
steht die eine in dem Zuge des Königslaufers also im Au-
fange 1. e 7—e 5; 2. f 2—f 4, L f 8—c 5 mit der nächst
besten Fortsetzung 3. S g 1—f 3, d 7—d 6; 4. L f 1—c 4,
S g 8—f 6; 5. d 2—d 3 u. s. w. Weiss dürfte hier auf 2.
f 2—f 4, L f 8—c 5 nicht den feindlichen Königsbauer durch
3. f 4—e 5: schlagen; denn es droht in dem Falle 3. D d 8—
h 4 nebst 4. D h 4—e 4: †. Die andere Art das Gambit ab-
zulehnen, besteht in der Variante 1. e 2—e 4, e 7—e 5;
2. f 2—f 4, d 7—d 5 und es kann hier folgen 3. e 4—d 5:
[75]e 5—f 4: (schwächer ist 3. D d 8—d 5: wegen 4. S b 1—c 3
u. s. w.); 4. S g 1—f 3, D d 8—d 5:; 5. S b 1—c 3, D d 5—
e 6 †; 6. K e 1—f 2, S g 8—f 6; 7. L f 1—b 5 † c 7—c 6;
8. T h 1—e 1 und gewinnt die Dame.


§. 107. In der Eröffnung des angenommenen Königs-
gambits 1. e 2—e 4, e 7—e 5; 2. f 2—f 4, e 5—f 4: kann
nun zunächst wieder Springer oder Läufer gezogen werden
und man scheidet danach das Springergambit vom Lau-
fergambit
. Andere Fortsetzungen wären wegen des auf h 4
drohenden Schachs der feindlichen Dame verwerflich. Durch
den Springerzug 3. g 1—f 3 wird aber der Dame jenes Feld
direct abgeschnitten, während im Falle des Lauferzuges
3. f 1—c 4 der weisse König jenem Damenangriff 3. D d 8—
h 4 † durch die Fortsetzung 4. K e 1—f 1 ausweichen kann.


§. 108. Im Springergambit d. h. im Anfange 1. e 2—
e 4, e 7—e 5; 2. f 2—f 4, e 5—f 4: 3. S g 1—f 3 wird nun
zunächst zur Erreichung des oben von der Theorie empfoh-
lenen Verfahrens die unmittelbare Deckung des sogenannten
Gambitbauers d. h. des auf f 4 geschobenen schwarzen Kö-
nigbauers durch die Antwort 3. g 7—g 5 erforderlich. Im
Falle jeder anderen Entgegnung wird Weiss den Gambit-
bauer früher oder später mit Positionsvortheil zurückerobern.
Der Gambitgeber kann hierauf, also nach 3. S g 1—f 3 g 7—
g 5, entweder in der consequenten Entwickelung mit 4. L f 1
c 4 oder zum Zweck der unmittelbaren Sprengung der
Gambitbauerkette auf f 4 und g 5 mit dem Angriff 4. h 2—
h 4 fortfahren. Im ersteren Falle entsteht das gemeine
Springergambit
, also die Variante 1. e 2—e 4 e 7—e 5;
2. f 2—f 4 e 5—f 4: 3. S g 1—f 3 g 7—g 5; 4. L f 1—c 4,
in welcher als beste Fortsetzung die Züge L f 8—g 7; 5. Ro-
chirt h 7—h 6; 6. d 2—d 4 d 7—d 6; 7. c 2—c 3 D d 8—e 7
u. s. w. gelten. In dem andern Falle ergeben sich, je nach-
dem auf 4. h 2 h 4 g 5—g 4 der Springer auf e 5 oder g 5 vor-
geht, zwei andere Hauptvarianten des Spieles. Davon trägt
die eine, nämlich 1. e 2—e 4 e 7—e 5; 2. f 2—f 4 e 5—f 4:
3. S g 1—f 3 g 7—g 5; 4. h 2—h 4 g 5—g 4; 5. S f 3—e 5
den Namen des Kieseritzky Gambits, nach dem verstor-
benen Meister Kieseritzky, welcher diese Eröffnung als be-
[76] sonders stark empfohlen hatte. Die einfachste Fortsetzung
besteht zunächst in dem Zuge 5. d 7—d 6; sodann kann auf
6. S e 5—g 4: der Nachziehende durch 6. L f 8—e 7; 7. d 2—
d 4 L e 7—h 4: † 8. S g 4—f 2 D d 8—g 5; 9. D d 1—f 3 L h 4
g 3; 10. T h 1—h 5 D g 5—g 6; 1l. L f 1—e 2 S g 8—f 6
Angriff und bessere Stellung gewinnen. Die andere Variante
in welcher der Springer auf g 5 geht, also die Eröffnung
1. e 2—e 4 e 7—e 5; 2. f 2—f 4 e 5—f 4: 3. S g 1—f 3
g 7—g 5; 4. h 2—h 4 g 5—g 4; 5. S f 3—g 5 wird eben-
falls nach einem Meister, welcher sie besonders hervorhob,
Gambit des Allgaier genannt. Die einfachste Entgegnung
wird hier [zunächst] durch den Zug 5. h 7—h 6 gegeben, wo-
rauf 6. S g 5—f 7: K e 8—f 7: 7. D d 1—g 4: S g 8—f 6;
8. D g 4—f 4: L f 8—d 6; 9. D f 4—f 3 S b 8—c 6; 10. c 2
c 3 S c 6—e 5; 11. D f 3—f 2 S e 5—g 4; 12. D f 2—f 3
D d 8—e 7; 13. d 2—d 3 D e 7—e 5 u. s. w. zum Vortheil
des Nachziehenden entscheidet.


§. 109. Im Laufergambit d. h. in der Eröffnung 1. e 2
e 4 e 7—e 5; 2. f 2—f 4 e 5—f 4: 3. L f 1—c 4 stehen
dem Vertheidigenden zunächst zwei Combinationen zu Ge-
bote, je nachdem er durch den gleichen Gambitzug 3. f 7—
f 5 einen Gegenangriff einleitet, oder durch 3. D d 8—h 4 †
4. K e 1—f 1 g 7—g 5 den Gambitbauer dauernd zu schützen
versucht. In der ersteren Variante, also in dem Anfange
1. e 2—e 4 e 7—e 5; 2. f 2—f 4 e 5—f 4: 3. L f 1—c 4
f 7—f 5 würde die Fortsetzung 4. D d 1—e 2 D d 8—h 4 †
5. K e 1—d 1 f 5—e 4: 6. D e 2—e 4: † L f 8—e 7; 7. S g 1
f 3 D h 4—h 5; 8. D e 4—f 4: die Spiele schnell ausglei-
chen. Im anderen Falle, also in der Eröffnung 1. e 2—e 4
e 7—e 5; 2. f 2—f 4 e 5—f 4: 3. L f 1—c 4 D d 8—h 4 †
4. K e 1—f 1 g 7—g 5 geschieht nun zunächst am st5rksten
5. S b 1—c 3 L f 8—g 7; 6. d 2—d 4 d 7—d 6; 7. S g 1—
f 3 D h 4—h 5; 8. h 2—h 4 h 7—h 6; 9. e 4—e 5 und
der Gambitgeber erhält einen vortheilhaften Angriff auf das
Centrum des Spieles, aus welchem die schwarze Dame zum
Nachtheile ihrer eigenen Partei entfernt ist.


[77]
Fünfundzwanzigstes Kapitel.
Das Mittelgambit.

§. 110. Das Mittelgambit besteht nach §. 98 in dem
Anfange 1. e 2—e 4 e 7—e 5; 2. d 2—d 4. Es folgt zu-
nächst 2. e 5—d 4: worauf Weiss wieder mit Springer oder
Laufer fortfahren kann, also entweder 3. S g 1—f 3 oder
3. L f 1—c 4 wählen mag. In beiden Fällen wird das Schach
des feindlichen Laufers 3. L f 8—b 4 von besonderer Kräf-
tigkeit, und man kann deshalb nicht mit Unrecht die Aus-
führung des Mittelgambits im zweiten Zuge als eine Art
frühzeitigen Angriffes betrachten. Es ist deshalb rathsamer,
diese Combination erst im spätern Stadium der Partie in
Anwendung zu bringen, und so haben wir dieselbe bereits
innerhalb der Springerpartie als schottisches Gambit kennen
gelernt. Gleichwohl bietet auch für manche Fälle die frühe
Ausführung des Mittelgambits durch 1. e 2—e 4 e 7—e 5;
2. d 2—d 4 eigenthümliche Vortheile, welche besonders in
der frühen Oeffnung der Damenfiguren ihren Grund haben.


§. 111. Die interessantesten Varianten entstehen durch
den Anfang 1. e 2—e 4 e 7—e 5; 2. d 2—d 4 e 5—d 4;
3 L f 1—c 4. Es kann hier z. B. 3. L f 8—b 4 † 4. c 2—
c 3 d 4—c 3: 5. b 2—c 3: D d 8—f 6; 6. c 3—b 4: D f 6
a 1: 7. D d 1—b 3 D a 1—f 6; 8. L c 1—b 2 D f 6—g 6;
9. S g 1—e 2 u. s. w. mit unwiderstehlichem Angriff folgen.
Am einfachsten wäre auf 3. L f 1—c 4 die Entgegnung
3. S g 8—f 6 mit der Fortsetzung 4. e 4—e 5 d 7—d 5;


§. 112. Wenig empfehlenswerth erscheint es im Mittel-
gambit 1. e 2—e 4 e 7—e 5; 2. d 2—d 4 e 5—d 4: durch
unmittelbare Wiedernahme 3. D d 1—d 4: den Gambitcha-
rakter, welcher ja in der Aufopferung eines Bauer besteht,
sofort zu verwischen. Der Nachziehende könnte die Dame
durch 3. S b 8—c 6 vertreiben dadurch ein Tempo und wo-
möglich den Angriff gewinnen.


[78]

Dritte Abtheilung.
Die Lehre von den Endungen.


Sechsundzwanzigstes Kapitel.
Die einfachen Endspiele.

§. 113. Die einfachen Endspiele bestehen in allen den
Fällen, welche auf der einen Seite den blossen König, auf
der andern neben dem Könige noch einen oder einige Offi-
ciere darbieten. Die einfachste Möglichkeit nämlich Dame
und König gegen König ist bereits im elften Kapitel genug-
sam erörtert worden. Wir gehen jetzt zu den drei andern
Fällen über, nämlich König und Thurm gegen König, König
gegen beide Laufer, endlich König nebst Laufer und Springer
gegen den einzelnen König.


§. 114. Das Matt von König und Thurm gegen König,
welches auf jedem beliebigen Randfelde gegeben werden
kann, erfordert Entgegenstellung der Könige und Angriff des
Thurmes auf der vom feindlichen Könige betretenen Rand-
linie. Steht der weisse König auf e 6, der schwarze aber
auf seinem Standfelde e 8, so kann nun ein weisser Thurm
auf c 8 oder f 8 Matt geben. In derselben Position der
Könige und der Stellung eines weissen Thurmes auf e 5 giebt
letzterer durch die 3 Züge 1. T e 5—f 5 K e 8—d 8; 2. T f 5
c 5 K d 8—e 8; 3. T c 5—c 8 † Matt.


§. 115. Man stelle nun den schwarzen König auf e 5,
den weissen aber auf e 1 und einen weissen Thurm auf a 1
und suche die Aufgabe zu lösen, den König auf seinem
Standfelde e 8 Matt zu machen. Die erforderlichen Züge
sind: 1. T a 1—a 4 K e 5—d 5; 2. K e 1—d 2 K d 5—c 5;
3. K d 2—c 3 K c 5—b 5; 4. T a 4—e 4 K b 5—c 5; 5. T
e 4—e 5 † K c 5—d 6; 6. K c 3—d 4 K d 6—c 6; 7. K d 4
c 4 K c 6—d 6; 8. T e 5—e 2 K d 6—c 6; 9. T e 2—e 6 †
K c 6—d 7; 10. K c 4—d 5 K d 7—c 7; 11. K d 5—c 5
K c 7—d 7; 12. T e 6—e 2 K d 7—c 7; 13. T e 2—e 7 †
[79] K c 7—d 8; 14. K c 5—d 6 K d 8—c 8; 15. K d 6—c 6
K c 8—d 8; 16. T e 7—e 2 K d 8—c 8; 17. T e 2—b 2
K c 8—d 8; 18. K c 6—d 6 K d 8—c 8; 19. T b 2—b 3 K c 8
d 8; 20. K b 3—c 3 K d 8—e 8; 21. K d 6—e 6 K e 8—
f 8; 22. T c 3—g 3 K f 8—e 8; 22. T g 3—g 8 † und
Matt.


§. 116. Das Matt von König und beiden Läufern ge-
gen den König möge man aus folgendem Beispiel ersehen.
Man stelle den weissen König auf e 4 den schwarzen ihm
gegenüber auf e 6, zwei weisse Läufer aber auf c 3 und e 2.
Es geschehen die Züge: 1. L c 3—e 5 K d 6—e 7; 2. K e 4
d 5 K e 7—f 7; 3. L e 2—h 5 † K f 7—e 7; 4. L h 5—
g 6 K e 7—d 7; 5. L e 5—d 6 K d 7—d 8; 6. K d 5—c 6
K d 8—c 8; 7. L d 6—e 7 (ginge hier der Läufer auf c 7,
so wäre dor schwarze König Patt) K c 8—b 8; 8. K c 6—
b 6 K b 8—c 8; 9. L g 6—f 5 † K c 8—b 8; 10. L e 7—d 6 †
K b 8—a 8; 11. L f 5—e 4 † und Matt.


§. 117. Das Matt von König nebst Läufer und Springer
gegen den einzelnen König ist das schwierigste der einfachen
Endspiele. Man denke sich den weissen König auf e 4, den
Läufer auf f 1, den Springer auf b 1, den schwarzen König
aber auf f 6. Es geschehn folgende Züge: 1. L f 1—c 4
K f 6—g 6; 2. K e 4—f 4 K g 6—f 6; 3. S b 1—c 3 K f 6
g 6; 4. S c 3—e 4 (der Springer sucht die Felder von der
entgegengesetzten Farbe des Laufers abzuschneiden); 4. K g 6
h 6; 5. K f 4 f 5 K f 6—h 7; (falls 5. K h 6—h 5, so 6. L c 4
e 2 † K h 5—h 4; 7. K f 5—g 6 u. s. w., falls aber 5. K h 6
g 7; so 6. S e 4—d 6 K g 7—f 8; 7. K f 5—e 6 K f 8—
g 7; 8. S d 6—f 7 u. s. w.) 6. K f 5—f 6 K h 7—h 8; (geht
der König nach h 6, so wehrt der Laufer zunächst das Feld
h 5 und zwingt ihn auf das schwarze Eckfeld, von welchem
ihn darauf der Springer, wie gleich gezeigt wird, vertreibt.)
7. S e 4—d 6 K h 8—h 7; 8. S d 6—f 7 K h 7—g 8; 9. L
c 4—d 3 K g 8—f 8; 10. L d 3—h 7 K f 8—e 8; 11. S f 7
e 5 K e 8—f 8; 12. S e 5—d 7 † K f 8—e 8; 13. K f 6—
e 6 K e 8—d 8; 14. K e 6—d 6 K d 8—e 8; 15. L h 7—g 6
K e 8—d 8; 16. L g 6—f 7 K d 8—c 8; 17. S d 7—c 5
K c 8—d 8; 18. S c 5—b 7 † K d 8—c 8; 19. K d 6—c 6
[80] K c 8—b 8; 20. K c 6—b 6 K b 8—c 8; 21. L f 7—e 6 †
K c 8—b 8; 22. L e 6—d 7 K b 8—a 8; 23. S b 7—c 5 K a
8—b 8; 24. S c 5—a 6 † K b 8—a 8; 25. L d 7—c 6 † und
Matt. Sollte aber das Matt auf dem Felde b 8 gegeben
werden, so muss 24. L d 7—e 6 K b 8—a 8; 25. L e 6—c 8
K a 8—b 8; 26. L c 8—a 6 K b 8—a 8; 27. L a 6—b 7 †
K a 8—b 8; 28. S c 5—a 6 † und Matt erfolgen. Schliess-
lich ist zu bemerken, dass im elften Zuge der schwarze
König auch nach d 8 ausweichen konnte. Es geschieht dann:
12. K f 6—e 6 K d 8—c 7; 13. S e 5—d 7 K c 7—c 6;
14. L h 7—d 3 K c 6—c 7; 15. L d 3—e 4 K c 7—d 8; 16.
K e 6—d 6 K d 8—e 8; 17. L e 4—d 5 K e 8—d 8; 18. L
d 5—f 3 K d 8—c 8; 19. S d 7—c 5 und das Matt wird
auf die vorher erörterte Weise erzwungen.


Siebenundzwanzigstes Kapitel.
Die schwierigeren Endspiele.

§. 118. Als schwierigere Endspiele, in denen sich gleich-
wohl nur Officiere finden, kann man alle diejenigen End-
spiele betrachten, welche auf beiden Seiten neben dem Kö-
nige einen oder einige Officiere darbieten. Die leichtesten
Möglichkeiten dieser Art haben auf der einen Seite die Dame
auf der entgegengesetzten beliebige andere Officiere. Es
gehört hierher zunächst das Endspiel von Dame und König
gegen König und Thurm, sodann von König und Dame
gegen zwei leichte Officiere. Andere schwierigere Fälle,
wie z. B. das Matt von Thurm und Laufer gegen Thurm
müssen den speciellen Lehren des zweiten Buches überlassen
bleiben, ebenso wie die schwierigern Bauernendspiele und
die gemischten mit Officieren und Bauern auf beiden Seiten.


§. 119. Im Endspiel von Dame gegen Thurm hat im
Allgemeinen die stärkere Partei Aussicht auf Gewinn; doch
vermag auch in nicht seltenen Fällen der Thurm durch Her-
[81] beiführung einer Pattstellung das Remis zu erzwingen. Es
kommt hierbei gewöhnlich auf die eigenthümliche Stellung
an, in welcher das Endspiel aus der Partie entsteht. So
kann z. B. in folgender Position des weissen Königs auf h 4,
der Dame auf e 6, des schwarzen Königs auf f 8 und seines
Thurmes auf g 7 letzterer, wenn er am Zuge ist, das Remis
erzwingen. Es geschieht 1. T g 7—h 7 † 2. K h 4—g 5 T
h 7—g 7 † 3. K g 5—h 6 T g 7—h 7 † 4. K h 6—g 6 T h 7—
h 6 † und gewinnt entweder die Dame, oder, wenn der König
den Thurm nähme, wäre Schwarz Patt. Auch dürfte der
weisse König nicht nach der linken Seite des Brettes ent-
fliehen, da z. B. bei 1. T g 7—h 7 † 2. K h 4—g 5 T h 7—
h 7 † 3. K g 5—f 5 T g 7—f 7 † 4. K f 5—e 5 nun der Thurm
durch 4. f 7—e 7 ebenfalls die Dame abtauschen und Re-
mis machen könnte.


Die Möglichkeit des Sieges in günstigeren Fällen möge
man aber an folgendem Beispiele ersehen. Man stelle den
weissen König auf e 6, die Dame auf h 5, den schwarzen
König auf g 8 und seinen Thurm auf a 7. Weiss zieht hier
zunächst 1. D h 5—b 5 und droht damit auf a 8 ein verderb-
liches Schach. Geht der Thurm nach a 2, so gewinnt 2. D
b 5—c 4; besser wäre es 1. T a 7—f 7 zu ziehen. Es folgt
dann 2. D b 5—e 8 † T f 7—f 8; 3. D e 8—g 6 † K g 8—
h 8; 4. D g 6—h 5 † K h 8—g 7; 5. K e 6—e 7 T f 8—g 8.
Auf diesem einzigen Felde geht allein der Thurm nicht un-
mittelbar durch Schach verloren; Weiss aber hat zunächst
ein Tempo zu gewinnen, um Schwarz zum Verlassen dieser
Position zu zwingen 6. D h 5—g 4 † K g 7—h 7; 7. D g 4—
h 3 † K h 7—g 6; 8. D h 3—h 4 T g 8—g 7 † 9. K e 7—e 6
T g 7—g 8, (der einzige Zug um sich zu retten) 10. D h 4—
g 4 † K g 6—h 7; 11. D g 4—h 5 K h 7—g 7; 12. K e 6—
e 7 T g 8—h 8; (auf jedem anderen Felde gewinnt die Dame
durch Schachbieten den Thurm, falls z. B. T g 8—a 8, so
giebt die Dame auf g 3 u. s. w. Schach, bis sie den Thurm
erobert); 13. D h 5—g 5 † K g 7—h 7; 14. K e 7—f 7 und
Weiss setzt entweder Matt, oder gewinnt den Thurm. Wollte
sich aber Weiss verleiten lassen 13. D h 5—f 7 † zu geben,
so würde nach 14. K g 7—h 6; 15. D f 7—f 6 † K h 6—h 7;
6
[82] 16. K. e 7—f 7 T h 8—f 8; 14. K f 7—f 8: der schwarze
König Patt gesetzt sein.


§. 120. Im Allgemeinen vermögen zwei leichte Officiere,
namentlich zwei gleichartige, also die beiden Läufer, oder
die beiden Springer, gegen die einzelne Dame das Remis zu
erzwingen. Es kommt darauf an, dass sich die beiden Offi-
ciere neben einander in der Nähe ihres Königs halten; na-
mentlich ist dies für die Springer zu beachten, deren ge-
genseitige Deckung nicht zu empfehlen ist, denn sie können
in solcher Position leicht vom feindlichen zwischen sie ge-
stellten Könige, falls einer von beiden zum Ziehen genöthigt
wird, aufgerieben werden. Die speciellere analytische Aus-
führung der einzelnen Fälle muss auch hier den Erörterungen
des zweiten Buches überlassen bleiben.


[[83]]

ZWEITES BUCH.
Lehren für praktisch geübte Spieler.


6*
[[84]][[85]]

Vorerörterungen.


§. 121. Die Lehren für geübtere Spieler haben nicht nur
den Zweck, die im ersten Buche für Anfänger behandelte Ma-
terie specieller auszuführen, d. h. umfassendere wie schwie-
rigere Untersuchungen darüber mitzutheilen, sondern sie sol-
len auch das Schachspiel nach seiner ganzen Ausdehnung hin
ins Auge fassen, um den Leser mit allen nur möglichen
Richtungen und Erkenntnissen dieses Spieles bekannt und
vertraut zu machen. Es muss deshalb dem Plane dieses
Buches ein encyclopädisches Princip zu Grunde gelegt und
somit eine streng systematische Classification der einzelnen
Materien durchgeführt werden. Zu diesem Zwecke kann
man zunächst die ganze Masse der im Schachspiel vorhan-
denen Erfahrungen auf drei Gebiete zurückführen, je nach-
dem die theoretische, praktische oder literarische Seite des
Spiels in den Vordergrund tritt. Wir geben deshalb die
Lehren dieses Buches zuerst unter den drei Hauptrubriken
der Theorie, der Praxis und der Literatur. Ein anderer
Gesichtspunkt scheidet sodann sämmtliche Lehren in die-
jenigen Erfahrungen, welche das eigentliche Schachspiel als
solches betreffen und in eigenthümliche von jenem Spiele
abgeleitete Erkenntnisse, welche einem anderen Gebiete ver-
wandt, ihre besondere Existenz gleichwohl erst dem Schach-
spiele verdanken. In letzterer Hinsicht wird das Schach-
spiel gleichsam als Quelle für anderweitige Erzeugnisse be-
trachtet, um so mehr als die Möglichkeit derselben bei
jedem der genannten drei Haupttheile wiederkehren wird.


[[86]]

Theorie.


1. Das eigentliche Schachspiel.


§. 122. Die Lehren der Theorie, welche das eigent-
liche Schachspiel als solches ins Auge fassen, betreffen zu-
nächst die äussere Stellung desselben als Spiel, und zwar
nach allgemein logischer Methode sowie nach seiner mathe-
matischen und geschichtlichen Natur. Daraus ergeben sich
zuvörderst drei Theile, von denen der erste die Organi-
sation des Spieles im Allgemeinen behandelt, der zweite
seine mathematische Natur erörtert, der dritte endlich die
Geschichte des Spieles ins Auge fasst. Nach solcher äusse-
ren Kritik folgen sodann in drei anderen Theilen die Lehren
der inneren Theorie, welche auf der einen Seite die Taktik,
auf der anderen die Eröffnung des Spieles, auf der dritten
endlich die Spielendungen betreffen.


Erster Theil.
Organisation des Spieles.

Erstes Kapitel.
Die Grundbedingungen des Schachspieles.

§. 123. Für die Organisation jedes Spieles kommen zu-
nächst drei Grundbedingungen in Betracht. Sie folgen aus
dem Grunde, dass das Spiel als solches in der Aeusserung
einer Thätigkeit des Menschen besteht. Denn hieraus ergiebt
sich: 1) die Grundlage, oder der Stoff, an welchem die
Thätigkeit des Spielenden sich äussert und durch welchen ob-
jectiv die äussere Existenz des Spieles bedingt wird; 2) die
Bedingungen, unter welchen die Thätigkeit des Spielenden
[87] an dem Stoffe sich äussert; 3) der Act oder der Process
des Spielens selbst, d. i. die Thätigkeitsäusserung des Spielers.


§. 124. Die für jedes Spiel eigenthümliche Natur der
Grundbedingungen wird durch die Grundgesetze desselben
festgestellt; durch beide aber wird die besondere Organisation
des Spieles bedingt. Wir wollen nun zunächst die Grund-
bedingungen des Schachspieles zu fixiren suchen, um daraus
im nächsten Kapitel in grösst möglicher Klarheit seine
Grundgesetze entwickeln zu können.


§. 125. Das Schachspiel wird mit Recht unter die all-
gemeine Classe der Brettspiele gerechnet, für welche sich
eine noch höhere Classe, die der Situationsspiele, denken
lässt. Für letztere besteht der Stoff ganz allgemein in Raum
und Bewegungsstücken. Jener wird in den Brettspielen durch
das Brett repräsentirt, welches im allgemeinen Geschlechte
der Schachspiele ein System von Feldern bildet, die in
sämmtlichen Hauptarten des Schachspieles in vierundsechzig
gleichen Quadraten bestehen.


Die Bewegungsstücke bestehen in den Brettspielen in
einer Anzahl von Steinen, welche in dem allgemeinen Ge-
schlechte der Schachspiele auch nach Qualität geschieden sind.


  • Anmerkung. Zur allgemeinsten Classe der Situationsspiele ge-
    hört z. B. das Billardspiel, in welchem der Raum durch
    die Billardtafel, die Bewegungsstücke aber durch die
    Bälle dargestellt werden. Zur allgemeinsten Classe der
    Brettspiele gehört ferner das sogenannte Mühlenspiel,
    in welchem das Brett ein System von Linien bildet.
    Im sogenannten Damenspiel sind die Steine nach ihrer
    Qualität einander gleich.

§. 126. Die Bedingungen des Spieles liegen in den Si-
tuationsspielen überhaupt in der Existenz von Theilnehmern
begründet, deren Verhältniss in den Brettspielen nach An-
zahl und gegenseitiger Beziehung fixirt ist. Letztere ist in
der allgemeinen Gattung der Schachspiele in dem Verhält-
niss von gegen einander operirenden Parteien gegeben, deren
Quantität und Qualität genau festgestellt ist.


§. 127. Der Process des Spielens besteht ganz allgemein
in einer Reihe von Bewegungen, die in den Brettspielen
successive von Seiten beider Parteien auf einander folgen.
Aus der Summe solcher Bewegungen besteht für die allge-
[88] meine Classe der Schachspiele die Partie, deren Anfang,
Fortgang und Ende durch Aufstellung der Stücke, Tempi-
system und Erreichung des Endzweckes genau fixirt ist.


§. 128. Aus dem Vorigen ergeben sich als besondere
Grundbedingungen des Schachspieles folgende sieben Stücke:
a) die eigenthümliche Natur des Brettes, b) Anzahl und
Qualität der Steine, c) Anzahl und Qualität der Parteien,
d) besonderes Verhältniss der Parteien, e) Aufstellung der
Stücke, f) Tempisystem, g) Endzweck des Spieles und Mög-
lichkeit dessen Erreichung. An diese einzelnen Punkte knü-
pfen sich nun die Grundgesetze des Spieles, und es wird
Aufgabe des nächsten Kapitels sein, ihnen eine eben so
strenge und präcise wie klare Fassung zu geben.


Zweites Kapitel.
Die Grundgesetze des Schachspieles.

§. 129. Einleitung.


  • a) Das Schachspiel ist ein Brettspiel, welches von zwei
    Personen auf dem Schachbrette mit den Schachfiguren
    gespielt wird und in der Schachpartie seinen Ausdruck
    findet.
  • b) Das Schachbrett und die Schachfiguren bilden das
    Material des Spieles, die spielenden Personen aber
    zwei gegen einander operirende Parteien.
  • c) Die Partie besteht aus der abwechselnden Bewegung
    einzelner Figuren von Seiten beider Parteien, indem
    letztere von der gesetzlichen Aufstellung der Figuren
    ausgehen und dahin streben, den Endzweck des Spieles
    zu erreichen.

1) Das Material.

§. 130. Das Brett.


  • a) Das Schachbrett besteht in einem Quadrate, das in 64
    gleiche Felder getheilt ist.
  • b) Die Felder sind in der Regel abwechselnd hell und
    dunkel gefärbt; die Lage des Brettes wird in diesem
    [89] Falle durch ein helles Eckfeld zur Rechten der Spieler
    bedingt.
  • c) Auf jedes einzelne Feld darf nur eine Figur gestellt
    werden.

§. 131. Die Figuren.


  • a) Jede Partei hat 16 Steine und zwar 6 Arten, nämlich
    einen König, eine Dame, zwei Thürme, zwei Laufer,
    zwei Springer, acht Bauern. Die ersten 5 Arten fasst
    man unter dem gemeinsamen Namen Officiere zu-
    sammen.
  • b) Die eigenthümlichen Eigenschaften dieser sechs Arten
    von Figuren bestehen in ihrer Gangweise und Schlag-
    weise; ausserdem knüpfen sich an gewisse Figuren be-
    sondere Gesetze oder Privilegien.
  • c) Unter Gangweise der Figuren wird das Gesetz ver-
    standen, nach welchem sie vom Spieler auf dem Brette
    bewegt werden.
  • d) Die Schlagweise der Figuren besteht in dem Gesetze,
    nach welchem Figuren der einen Partei Figuren der
    anderen schlagen, d. h. sich auf das Standfeld der
    letzteren stellen, indem diese vom Brett entfernt werden.
  • e) Besondere Gesetze oder Privilegien giebt es drei. Der
    König hat das Privileg der Rochade, der Bauer aber
    das des Avancements sowie das des Zweischrittes mit
    der Einschränkung durch Schlagen im Vorübergehen.

§. 132. Die Gangweise.


  • a) Der König geht nach jeder Richtung einen Schritt
    ins nächste Feld.
  • b) Die Dame geht nach jeder Richtung d. h. in gerader
    oder schräger Linie über beliebig viele unbesetzte Felder.
  • c) Der Thurm geht entweder in waagerechter oder in
    senkrechter Richtung über beliebig viele unbesetzte
    Felder.
  • d) Der Laufer zieht in schräger Richtung über beliebig
    viele unbesetzte Felder. Bei gefärbtem Schachbrette
    ist er daher an die Farbe seines Standfeldes gebunden.
  • e) Der Springer springt, sein Standfeld eingerechnet, auf
    jedes dritte Feld von anderer Farbe als jenes.

[90]
  • f) Der Bauer geht einen Schritt gerade aus in das
    nächst vor ihm gelegene Feld.

§. 113. Die Schlagweise.


  • a) Die Schlagweise der Officiere d. h. sämmtlicher Figuren
    ausser den Bauern ist ihrer Gangweise gleich.
  • b) Der Bauer schlägt schräg vorwärts rechts oder links
    einen Schritt in das nächste Feld.

§. 134. Die Privilegien.


  • a) Die Rochade besteht in einer solchen gleichzeitigen
    ersten Bewegung von König und Thurm, dass letzterer
    auf das nicht bedrohete leere Feld neben dem nicht
    angegriffenen Königsfelde zieht und ersterer über
    den Thurm hinweg auf das nächste Feld an diesem
    und dem Rande des Brettes springt.
    Daraus folgt, dass unter Umständen die Benutzung
    des Privilegs der Rochade durch die feindliche Partei
    verhindert werden kann. Wenn nämlich auf die Ro-
    chade als unmittelbare Antwort der Gegner den Ro-
    chadethurm schlagen könnte, so ist die Rochade nicht
    gestattet.
  • b) Das Avancement besteht in der nothwendigen Umwandlung
    eines die feindliche Officierreihe erreichenden Bauers in
    einen beliebigen Officier seiner Partei, welcher als solcher
    unmittelbar und unwiderruflich volle Wirksamkeit erhält.
  • c) Jeder Bauer hat für seine erste Bewegung das Recht,
    zwei Schritt geradeaus zu gehen, dabei muss das Ueber-
    gangsfeld natürlich unbesetzt sein.
    Dem Privileg des Zweischrittes kann unter Um-
    ständen durch die Möglichkeit des Schlagens im Vor-
    übergehen von Seiten der anderen Partei begegnet
    werden. Wenn nämlich ein Bauer bei Ausführung des
    Zweischrittes neben einem feindlichen Bauer zu stehen
    kommt, so hat letzterer als unmittelbare Antwort das
    Recht, ersteren so zu schlagen, als habe dieser nur
    einen Schritt gethan. Dieses Recht bildet das Privileg
    des Schlagens im Vorübergehen oder des en passant
    Schlagens.

[91]
2) Die Parteien.

§. 135. Rechte.


  • a) Die beiden Parteien haben gleiche Rechte in Bezug
    auf Anzahl, Eigenschaften und Aufstellung der Figuren.
  • b) Bei der Vorgabe eines Bauers wird in der Regel der
    Königslauferbauer verstanden.

§. 136. Verpflichtungen.


  • a) Die Parteien dürfen nur feindliche Steine schlagen und
    zwar, wo dies möglich ist, jede Art von Figuren mit
    alleiniger Ausnahme des Königs.
  • b) Der König darf weder geschlagen, noch überhaupt
    einem feindlichen Angriffe ausgesetzt werden.
  • c) Die Parteien sind verpflichtet, bei jedem Angriff auf
    den feindlichen König den Gegner ausdrücklich zu
    warnen, um das Hauptgesetz des Spieles in §. 136, b)
    aufrecht zu erhalten.

3) Die Partie.

§. 137. Anfang.


  • a) Die gesetzliche Aufstellung der Figuren ist folgende:
    Die Bauern stehen auf der zweiten Felderreihe vor
    jeder Partei; die Officiere werden aber in folgender
    Ordnung auf die erste Reihe vertheilt. In diebeiden
    Eckfelder jeder Partei kommen ihre Thürme; daneben
    werden die Springer, an diese aber die Läufer ge-
    stellt. Die beiden Mittelfelder bleiben für König und
    Dame und zwar kommen die gleichen Steine beider
    Parteien einander gegenüber.
  • b) Bei gefärbtem Brette steht die Dame auf dem Mit-
    telfelde von der Farbe ihrer Partei.

§. 138. Fortgang.


  • a) Jede Partei darf vom ersten Zuge an abwechselnd
    nur einen Zug thun. Ein Zug aber besteht entweder
    in der einfachen Bewegung einer Figur, oder im
    Schlagen einer feindlichen.

[92]
  • b) Die Privilegien der Rochade, des Zweischrittes der
    Bauern und des Schlagens im Vorübergehen gelten für
    einen Zug; das Avancement aber knüpft sich unmittel-
    bar an den avancirenden Zug.

§. 139. Ende.


  • a) Das Ende der Partie wird durch Erreichung des End-
    zweckes oder durch den Eintritt der Unmöglichkeit
    ihn je zu erreichen festgesetzt.
  • b) Der Endzweck des Spieles besteht für jede Partei in der
    Mattstellung des feindlichen Königs. Matt aber ist
    derjenige König, welcher den Angriff einer feindlichen
    Figur weder abzuwehren, noch ihm auszuweichen ver-
    mag. Seine Partei hat die Partie verloren.
  • c) Beim Eintritt der Unmöglichkeit für beide Parteien,
    den Endzweck des Spieles je zu erreichen, wird die
    Partie als remis oder unentschieden abgeschlossen.
  • d) Der wichtigste Fall des Remis wird durch Unzuläng-
    lichkeit der Mittel zum Mattsetzen bedingt. Dahin
    gehören folgende Hauptarten: a) der einzelne König
    gegen den einzelnen König; b) König und ein leichter
    Officier, so wie König und beide Springer gegen den
    einzelnen König.
  • e) Eine besondere Art des Remis bildet das Patt d. h. die-
    jenige Stellung, in welcher einer Partei, deren König
    nicht angegriffen ist, kein regelrechter Zug zu Ge-
    bote steht.
  • f) Bei Wiederholung derselben Züge oder derselben
    Reihe von Zügen kann die Partie als Remis abge-
    schlossen werden. Bei doppelter Wiederholung d. h.
    bei dreimaliger ununterbrochener Ausführung derselben
    Combination tritt ohne Weiteres von selbst der ge-
    setziche Schluss durch Remis ein. Als besondere Art
    dieser Klasse von Remisspielen gilt das ewige Schach,
    échec éternel.

[93]
Zweiter Theil.
Mathematische Behandlung.

Drittes Kapitel.
Möglichkeit der mathematischen Behandlung.

§. 140. Die durchgehends mathemathische Natur des
Schachspiels lässt schon von vorn herein die Möglichkeit, es
auf mathematischem Wege zu behandeln, vermuthen. Die
eigenthümliche Einrichtung des Brettes giebt zunächst der
Untersuchung eine Grundlage von räumlichen Beziehungen;
die einzelnen Figuren aber lassen sich in abstracto als reine
Träger von Bewegungen auffassen, welche letztere ebenfalls
der mathematischen Forschung unterworfen sind.


§. 141. Grosse Autoritäten der mathematischen Wissen-
schaften haben ausserdem nicht selten jene Möglichkeit ge-
radezu ausgesprochen; wir errinnern hier nur an Leibnitz.
Zwar ist es ein Irrthum, wenn manche Schriftsteller diesem
grossen Gelehrten kühn die Meinung unterlegten, das Schach-
spiel käme dem Range einer Wissenschaft gleich, da er
ausdrücklich bemerkt, dass es der Wissenschaft nur nahe
kommt. *) Leibnitz will durch ernste Behandlung des
Spiels die Denkkraft geübt sehen, indem er die Menschen
nirgends so sinnreich nennt als in den Spielen. **) Aber er
[94] spricht doch hierbei mehrmals ausdrücklich die Möglichkeit
der Anwendung von mathematischen Untersuchungen auf
unser Spiel aus. *)


§. 142. Gleichwohl bietet die mathematische Behand-
lung und die wirkliche Anwendung mathematischer Principien
auf das Schachspiel wie auf jedes andere Spiel ganz be-
sondere Schwierigkeiten dar. Ein wahrhaft ausgezeichneter
Versuch solcher Arbeit ist daher noch nirgend gelungen und
kommenden Zeiten ist selbst die Anbahnung solcher Unter-
suchungen noch vorbehalten. Der erste directe Versuch die-
ser Art wurde ohne weiteren Erfolg bisher von Herrn Dr.
Raedell im Jahre 1848 unternommen. Er suchte zu-
nächst nur einige Gleichungen über die Natur des Brettes
und die Geschwindigkeit der Figuren aufzustellen. An Lö-
sung der eigentlichen Schachfrage konnte er aber um so
weniger denken, je unbedeutender sich die bisherigen Vor-
arbeiten herausstellten.


§. 143. Die Hauptfrage des Schachspiels, die zu be-
antworten hat, welcher Zug in jeder Position einer Partie
der best möglichste sei, hat daher bis jetzt noch nicht ein-
mal einen Versuch ihrer Lösung finden können. Auch kann
vielleicht nicht mit Unrecht bezweifelt werden, dass die
jetzigen Mittel der Mathematik überhaupt im Stande sind,
jene Frage genügend zu lösen. Sicherlich lehrt aber ein
einziger Blick auf die Organisation des Spiels, dass es ge-
wiss einer spätern Zeit gelingen wird, sämmtliche Schach-
probleme auf mathematischem Wege in einfacher Weise leicht
und sicher zu lösen. Die Elemente dazu nöthiger Erkennt-
nisse sollen im nächsten Kapitel im Allgemeinen ange-
deutet werden. Hier haben wir schliesslich noch das Vor-
urtheil zu berühren, die Mathematik könne wegen der Un-
endlichkeit der Schachcombinationen letztere nicht bewälti-
[95] gen. Man weiss aber, dass sie in der Lehre von den Funk-
tionen z. B. oft mit unendlich vielen Fällen zu thun hat und
trotzdem diejenigen, welche besondere ausgezeichnete Eigen-
schaften besitzen, genau zu bestimmen vermag. Ein ähn-
liches Verhältniss findet sich in einer Schachpartie, in wel-
cher bei unzählig vielen Combinationen häufig nur äusserst
wenige von ausgezeichneter Bedeutung in Betracht kommen.


Viertes Kapitel.
Mathematische Elemente des Schachspieles.

§. 144. Das Brett stellt ein System von Feldern vor,
deren Mittelpunkte durch materielle Längen von einander
getrennt sind, indem die Seite eines Feldes hierbei als Län-
geneinheit gilt. Die Coordinatenachsen werden in der Ent-
fernung einer halben Längeneinheit von den beiden Seiten-
kanten des Brettes angenommen, so dass die Abscissenachse
der Reihe a 1—h 1 der Ordinatenachse der Linie a 1—a 8
parallel läuft. Daher ist der Abscissenwerth für das Feld
a 1 gleich a, indem die Buchstaben hierbei einen von ihrer
Reihenfolge bedingten Zahlenwerth erhalten.


§. 145. Die Figuren werden als Bewegungsträger aufge-
fasst, und jede Bewegung eines Stückes wird durch die Aen-
derung der Coordinaten seines Standfeldes bedingt. Letztere
kann in doppelter Weise vor sich gehen, je nachdem nur
die eine Coordinate sich ändert, während die andere con-
stant bleibt, oder je nachdem beide zu gleicher Zeit sich
ändern. Die Bewegung, welche bei Aenderung der Ordinate
die Abscisse constant erhält, ist durch den Bauer vertreten.
Daraus folgt, dass der Bauer durch seine Gangart an die
ursprüngliche Abscisse gebunden ist, also an a oder b oder
c etc. Thurm und Dame enthalten die Bewegungen, welche
entweder bei Aenderung der Abscisse die Ordinate constant
erhalten, oder umgekehrt.


§. 146. Bei gleichzeitiger Aenderung beider Coordinaten
ist zunächst der Fall denkbar, dass sie der Zahl nach gleich-
[96] mässig zu- oder abnehmen. Das Gesetz der Veränderung
liegt hier, wenn C eine beliebige Constante und δ die Diffe-
renz der neuen Coordinatenwerthe und der ursprünglichen
bezeichnet, in folgenden Gleichungen:

Daraus ergiebt sich unmittelbar als Verhältniss der Ver-
änderung die Einheit d. h. . Nun ist als erster
Differenzialquotient der veränderlichen Coordinaten gleich der
trigonometrischen Tangente des Winkels, welchen die Be-
wegungsgerade mit der Abscissenachse einschliesst. Der-
jenige Winkel, dessen Tangente der Einheit gleich ist, ist
aber die Hälfte des rechten Winkels und daraus folgt wieder,
dass die Bewegungsgerade als Diagonale eines Quadrates
aufzufassen ist. Diejenige Bewegungskraft, welche in der
Diagonale eines Quadrats geht, ist aber der Laufer, und
daraus folgt umgekehrt, dass bei der Bewegung des Laufers
beide Coordinaten sich gleichmässig der Zahl nach ändern.
Für den Laufer gelten daher speciell die Gleichungen 1)
und 2) und sie geben die Möglichkeit, aus ihrer Discussion
mehrere Eigenschaften des Laufers sofort zu ermitteln. Spe-
ciellere Untersuchungen dieser Art sind von uns in der Ber-
liner Schachzeitung des Jahres 1854 veröffentlicht worden.


§. 147. Wenn sich die Coordinaten der Zahl nach un-
gleichmässig ändern, so erhält man im allgemeinsten Falle
eine solche Bewegungskraft, welche von jedem Felde auf
jedes andere in einem einzigen Zuge gelangen kann. Bei
Annahme einer Beschränkung ergiebt sich hier die Gang-
weise des Springers, für dessen Bewegung sich die Coordi-
naten nach dem Verhältnisse 1 : 2 ändern. Auch hieraus
lassen sich mannichfach interessante Grundsätze entwickeln,
welche zum Theil an der oben bezeichneten Stelle zu finden
sind. Am schwierigsten hält aber die Begründung allgemei-
ner Gleichungen für König und Dame, welche bei doppelter
Bewegungsrichtung für jedes Tempo entweder die eine oder
andere äussern dürfen.


[97]

§. 148. Die obigen wenigen Andeutungen mögen ge-
nügen, um den Leser von der mathemathischen Organisation
wie von der Möglichkeit der mathematischen Behandlung
des Spieles zu überzeugen. Weitere Erkenntnisse können
erst durch spätere, tiefere Forschungen gewonnen werden,
welche, wie schon bemerkt ist, zunächst Ansammlung mathe-
matischen Materiales sowie Anbahnung des Weges zur ma-
thematischen Rechnung zu erstreben haben. Namentlich
dürfte letztere vor der Hand allein auf die Lösung einzelner
Aufgaben oder einfacher Endspiele gerichtet werden.


Dritter Theil.
Geschichte des Spieles.

Fünftes Kapitel.
Urgeschichte.

§. 149. Die Urgeschichte des Schach hat die Aufgabe,
über Erfindung und erste Verbreitung dieses Spieles Aus-
kunft zu geben. Zwar haben mannigfache Untersuchungen
auf diesem Gebiete kaum einige vollkommen historisch fest-
gestellte Daten begründet. Indess kommt doch in neuester
Zeit die Mehrzahl der gelehrten Forscher dabei über fol-
gende Angaben überein.


§. 150. Nach Zurückweisung sehr verschiedener Ansich-
ten, welche Erfindung und erste Kenntniss des Spieles theils
der klassischen Welt, theils Chinesen, Egyptern und Persern
zuerkannt haben, knüpft man jetzt allgemein die Erfindung
an das sagenreiche Indien. Durch Verwechselung und Miss-
verständniss einiger Stellen bei klassischen Autoren hat man
nicht selten das römische Latronspiel, ludus latrunculorum
oder ludus latronum, sowie die griechische πεττεία oder
τέχνη πεττευτικὴ mit unserm Schachspiel zusammengeworfen;
7
[98] indess scheinen diese Spiele eher mit unserem Damenspiel
einige Aehnlichkeit zu haben, da ihnen wahrscheinlich die
Qualität der Stücke und die Abhängigkeit des Endzweckes
von einem einzigen Steine abgeht. Auch giebt ein Vers des
Martial I, 14
Calculus hic gemino discolor hoste perit,
der sich auf das Geschenk eines Brettes bezieht, geradezu
die Regel, dass der anders gefärbte Stein d. i. der feind-
liche nur von zwei Feinden, also wahrscheinlich beim Zu-
sammentreffen, geschlagen werden kann. Kannten aber die
Römer unser Spiel, so hätten sich gewiss auch in Gallien,
wo ihre Sprache so tief eindrang, die alten Namen der
Steine erhalten, und obgleich die Gesetze des Theodosius
sich z. B. in Spanien erhielten, ist doch die Bezeichnung
der Schachfiguren dort aus dem Orient entlehnt. Denn al fil
heisst im Persischen und Arabischen der Elephant d. i. der
Laufer; ebenso heisst er im Spanischen, im Italienischen
alphiero. In Frankreich hat man bei Weglassung des Ar-
tikels aus fil den Ausdruck fou gemacht.


Man darf hiernach wohl mit Recht annehmen, dass von
den klassischen Nationen das Schachspiel nicht gekannt war,
um so mehr, als auch vielleicht der ganze Geist des klassi-
schen Alterthums einem solchen Spiele wenig hold gewesen
sein kann.


§. 151. Eine andere Verwechselung schreibt die Erfin-
dung dem griechischen Helden Palamedes von Troja zu, in-
dem man ihm die Absicht unterlegt, er habe bei der zehn-
jährigen Belagerung den leichtgeistigen Griechen die Lange-
weile kürzen wollen. Es kann auch hier nur höchstens an
die πεττεία oder κυβεια (cubi, tesserae) erinnert werden.
Noch andere haben an zwei lydische Brüder Lydus und Tyrr-
henus gedacht, welche nach Herodot das Schachspiel aus
Hunger erfunden hätten. Wichtiger erscheint eine andere
Sage aus Persien oder Chaldäa, welche sich zwar in man-
cherlei Namenangaben spaltet, darin aber übereinstimmt,
dass ein greiser und weiser Rath eines herrischen, jungen
Königs das Spiel für letzteren erfunden und seinen Herrn
darin belehrt, gemildert und umgewandelt habe. Diese Ty-
[99] rannensänftigungssage finden wir übrigens in Indien wieder;
doch wechselt vielfach der Name des Erfinders. Die Einen
nennen ihn Ledschladsch, andere Nassir, die meisten aber
Ziza oder Sissa ben Dahir.


§. 152. Für die Abstammung des Spieles aus Indien
spricht auch der ursprüngliche Name Schathrandsch, welcher
noch bis auf den heutigen Tag in jenen Gegenden gebräuch-
lich ist, in den literarischen Werken Indiens jedoch Scha-
turangka geschrieben wird und die 4 angka oder Glieder
eines Heeres bedeutet, nämlich hasty (Elephant oder Läufer),
aswa (Pferd oder Springer), ratha (Wagen oder Thurm)
und padatam (Fussvolk, Bauern). Die Zeit der Erfindung
muss spätestens um das 4. Jahrhundert nach Christi fest-
gesetzt werden. Da soll ein junger König, Schachram,
nach anderen Balhib Indien beherrscht haben. Durch
Schmeichler verleitet sei er hochmüthig und grausam ge-
worden, und es habe der Bramine Sissa das Schachspiel
ersonnen zur Belehrung, dass der König ohne Hülfe seiner
sich opfernden Unterthanen verloren erscheine, sich wenig-
stens nicht allein zu vertheidigen möge. Er habe gezeigt,
wie der geringste Bauer oft das Spiel entscheide, dem
Könige seinen Thron retten, sich selbst aber zum Feldherrn
aufschwingen könne. Spielend hörte der junge König die
Lehre an, spielend ging sie ihm zu Herzen. Er sagte dem
weisen Erfinder jegliche Belohnung zu, und dieser bat nur
um so viel Waizen, als die Summe betrüge, wenn er auf
das erste der 64 Felder seines Schachbrettes ein Korn, auf
das zweite 2, auf das dritte 4 und sofort auf jedes nächste
nur das Doppelte des vorigen legte. Der König bewilligte,
erstaunt ob der bescheidenen Forderung, das Sonderbare.
Bald aber kamen die Kornkämmerer und Schatzmeister mit
der Klage, der Reichthum des ganzen Indiens, ja der gan-
zen Welt, würde nicht hinreichen, den Braminen zu be-
friedigen.


  • Anmerkung: Wirklich macht diese geforderte Belohnung eine
    Menge von 18446744073709551615 Waizenkörnern, d. h.
    einen Haufen Waizen, zu dessen jährlicher Hervorbringung
    das feste Land der Erde, ganz ohne Wälder, Wüsten,
    Wege, Seen und Flüsse und durchaus zu dem besten
    7*
    [100] Waizenboden angenommen nahe an 76 mal grösser sein
    müsste; — zu dessen Fortschaffung wenigstens 625499948245
    vierspännige Wagen erforderlich wären, die über 231666
    mal rund um die Erde reichten; — und wenn man den
    Kornhaufen zu Gelde, den Wispel nur zu 50 Thalern
    rechnet, so würden nicht weniger als 2085000 Jahresein-
    künfte eines Staates, welcher 30 Millionen Thaler Ein-
    kommen hat, dazu gehören, um den Werth desselben zu
    bezahlen. — Für Mathematiker fügen wir noch folgende
    von uns berechnete kürzeste Methode, jene Endsumme zu
    finden, hier an. Da das 2. Feld 2 Körner, jedes folgende
    aber das Doppelte enthalten soll, so lässt sich die Zahl
    auf jedem folgenden Feld als die nächst höhere Potenz der
    Zahl zwei im Verhältniss zu derjenigen des vorhergehen-
    den Feldes betrachten; so kommen auf das 3. Feld 4 = 22
    Körner, auf das 4. Feld aber 8 = 23 also auf das 64. Feld
    263 Körner. Nun ist 2 = 21, folglich 2 + 21 = 21 + 21; da
    aber letztere Summe 4 = 22 ist, so ist auch 2 + 21 = 22.
    Man addire auf beiden Seiten den Werth 22 so hat man
    2 + 21 + 22 = 22 + 22 = 2 (22) = 23. Addirt man hier wie-
    der 23, so erhält man 2 + 21 + 22 + 23 = 23 + 23 = 2 (23)
    = 24. Setzt man dies Verfahren weiter fort, so findet
    man endlich
    also
    .
    Somit ist die Summe sämmtlicher Potenzen von 2 mit
    von 1 an aufsteigenden Exponenten der natürlichen Zahlen-
    reihe gleich der nächst höheren Potenz als die höchste
    jener einzelnen Potenzen von 2 und zwar vermindert um
    die Zahl 2 selbst. Daraus folgt, dass die Summe aller
    Potenzen von 2 mit dem Exponenten von 1 bis 63 gleich
    der um 2 verminderten 64. Potenz von 2 ist. Zu dieser
    Summe kommt noch das auf dem ersten Felde des Brettes
    befindliche 1 Korn hinzu, so dass sich schliesslich als die
    zu berechnende Zahl der Werth 264—1 herausstellt. Zur
    Berechnung der 64. Potenz der Zahl 2 bemerke man zu-
    nächst, dass 264 = 2(8 × 8) = (28)8 ist. Nun ist 28 = (22)4
    = (42)2 = 162 = 256. Folglich wird 264 = (256)8 = (2564)2
    Nun ist 2564 = (2562)2 und 2562 = 256 × 256 = 65536. Daher
    ist 2564 = (65536)2 = 42949667296. Folglich wird
    264 = (2564)2 = 42949672962 = 18446744073709551616;
    davon geht 1 ab, so dass die letzte 6 sich in 5 verwandelt
    und die oben angegebene Zahl sich ergiebt.

§. 153. Aus Indien verbreitete sich das Spiel zunächst
nach China, wie die Chinesen, welche es um das Jahr 537
erhalten haben wollen, selbst zugeben. Nicht unwahrschein-
lich ist, dass das Spiel dann von China aus über Tibet,
Bengalen, Indostan nach Persien wanderte. Sicher ist
wenigstens, dass die Perser um das Jahr 600, zur Zeit des
Königs (Coshra) Nuschirvân, es aus der indischen Stadt Ka-
nosse nach ihrem Lande herübergezogen haben. Von den
[101] Persern ist dann das Spiel thatsächlich zu den Arabern ge-
kommen, und diese haben es schnell dem europäischen Westen
überbracht. Schon Carl der Grosse soll vom Kalifen Harun
al Raschid unter anderen kostbaren Ehrengaben ein elfen-
beinernes Schachspiel erhalten haben, von welchem einzelne
Figuren noch heute im Museum zu Paris aufbewahrt werden,
wohin sie die Revolution von St. Denis aus entführte. Andere
nennen die Kaiserin Irene oder ihren Nachfolger Nicephorus
als Schenker. Wahrscheinlich ist das Spiel auch in Frank-
reich durch Vermittelung der Mauren, welche Carl Martel
bei Poitiers im Herzen Frankreichs schlug, heimisch ge-
worden. Nach England aber scheint es durch Wilhelm den
Eroberer gelangt zu sein. In Deutschland muss es ebenfalls
vor dem Jahre 1000 bekannt gewesen sein, indem mehrere
deutsche Familien aus so alter Zeit Schachfelder oder ganze
Bretter in ihrem Wappen führen. So haben z. B. die Hohen-
zollern ein roth und weisses Brett, die Stadt Aschersleben
führt ein vollständiges Brett im Wappen und das anhaltische
Fürstenhaus einen Theil desselben. Die Russen endlich
haben wahrscheinlich, wie alle Slaven und die Griechen, das
Schach direct aus dem Orient erhalten.


§. 154. Die allgemeinere Verbreitung des Spieles be-
ginnt aber erst seit der Zeit der Kreuzzüge. Auf ihren hei-
ligen Zügen lernten es die Kreuzeskämpfer näher kennen,
und mit dem schnell wachsenden Handelsverkehr fand auch
das Schachspiel allgemeinere Anerkennung. So erwähnt der
Mönch Robert von St. Rémy auf dem ersten Zuge 1095
bereits der Scacci unter den Vergnügungen des Heeres, und
Richard I. nahm in Palästina eine Caravane von Babylon
gefangen, welche unter anderen Handelsgegenständen auch
„uteres et scaccaria“, d. h. Schläuche und Schachspielmate-
rial, geladen hatte.


[102]
Sechstes Kapitel.
Entwicklungsgeschichte.

§. 155. Die Entwicklungsgeschichte des Schachspieles
hat die Aufgabe, zu zeigen, wie jenes Spiel allmählig seine
gegenwärtige Gestalt erhalten hat, namentlich also die Ver-
änderungen nachzuweisen, welche in der Einrichtung des Spie-
les, besonders in der Gangart der Figuren, zu besonderen
Zeiten getroffen worden sind. Die Untersuchungen können
auf diesem Gebiete sehr weitläufiger Art sein; hier wollen
wir nur die nothwendigsten Resultate der bisherigen For-
schung kurz andeuten. Dass das Schachspiel selbst seinen
Namen von der bedeutendsten Figur, dem König, erhalten
hat, unterliegt wohl heutzutage keinem Zweifel mehr. Denn
Schach oder Schah lautet der Name bei den Persern, von
denen die übrigen Nationen das Spiel überkommen haben.


§. 156. Der Name wie der Gang dieser Hauptfigur des
Spieles ist auch bei allen Nationen und zu allen Zeiten der-
selbe gewesen. Doch kennen die früheren Zeiten das Pri-
vileg der Rochade noch nicht, und die ersten Schriftsteller
lassen dafür einmal den König einen Sprung in das dritte
Feld thun, z. B. von e 1 auf g 1, g 2, f 3 u. s. w. ziehen.
Auch nach den heutigen Regeln in Hindostan ist dem Könige
gleichfalls jener Sprung gestattet und zwar so lange ihm noch
kein Schach geboten ist. Das eigenthümliche Privileg der
Rochade findet sich in seiner gegenwärtigen Natur zuerst in
dem zu Paris verfassten Werke des Gioachino Greco, des
Calabresen mit Beinamen, vom Jahre 1615. Vor ihm ro-
chirte man frei, d. h. König und Thurm konnten beim Um-
wechseln ihrer Plätze auf beliebige Felder gestellt werden.
Bei solcher freien Rochade darf also z. B. der König auf
h 1, der Thurm auf e 1, oder der König auf h 1 und der
Thurm auf f 1 u. s. w. gestellt werden; nur müssen die
Figuren innerhalb ihrer Standfelder umgetauscht werden.
Noch heutzutage findet sich diese freie Rochade in Italien;
im übrigen Europa aber ist zuerst durch jenen genannten
Schriftsteller die sogenannte beschränkte Rochade, d. h. die
gegenwärtige eingeführt.


[103]

§. 157. Die Dame ist nach den alten Gesetzen, wie sie
sich z. B. noch im Schachzabel von 1507 finden, der
schwächste Officier. Sie konnte nur zur Seite ein Feld vor
und rückwärts, d. h. schräg, wie die Laufer gehen; ausser-
dem stand ihr als erster Zug ein Sprung über ein selbst
besetztes Feld zu Gebote. Somit erklärt sich, dass ein
Bauer, welcher die letzte Felderreihe erreichte, stets den
Rang der Dame, d. h. des zunächst höheren Stückes, also
des schwächsten Officiers erlangte. Dies geschah selbst,
wenn sich auch die Dame noch im Spiele befand. Bei den
alten Indiern war unsere Dame der Feldherr und hiess darum
später bei den Persern Vezir oder Ferz (d. i. Verstand,
Weisheit), aus welchem Namen das mittellateinische ferzia
wurde und die gewälschten Ueberklänge fierce, fierche, fierge,
endlich zu vierge, d. i. virgo oder Dame, führten. Der rit-
terliche Sinn des frauendienstlichen Mittelalters liess aber
die frau kunigin den wichtigsten Einfluss auf das ganze
Spiel gewinnen. So wurde ihr Zug bis zur grössten Frei-
heit, d. h. bis zur gegenwärtigen Gangweise ausgedehnt.


§. 158. Thurm und Springer haben von jeher ihre
Gangweise beibehalten. Der Laufer aber war früher in
seinem Gange sehr beschränkt, denn er durfte nur schräg
über ein Feld weg in das nächste springen, so dass er vom
Mittelfelde d 4 aus nur die vier Punkte b 6, f 6, b 2 und f 2
beherrschte. Uebrigens hatte früher diese Figur im persi-
schen Schachspiel ein ganz eigenthümliches Privileg. Wenn
nämlich dort ein Läufer fünf Principalsteine geschlagen hatte
und die Königin seiner Partei nicht mehr vorhanden war,
so bekam er deren Würde.


§. 159. Der Bauer hat von Anfang seine beschränkte
Gangweise gehabt; ja früher war ihm selbst bei seinem
ersten Zuge nicht einmal die Concession des Zweischrittes
gestattet. Das Gesetz des unbeschränkten Avancement hat
aber wenigstens in Deutschland stets bestanden. Danach
kann ein Bauer zu jedem beliebigen Officíer, selbst wenn
letzterer noch nicht geschlagen ist, gemacht werden. Man-
cherlei Abweichung findet sich endlich beim Privileg des
en passant Schlagens. Es sei hier nur erwähnt, dass gegen-
[104] wärtig dasselbe von der Mehrzahl der europäischen Spieler
angenommen ist, während es in Italien fast allein ohne An-
erkennung blieb. Dort gilt die ungehinderte Ausübung des
Zweischrittes unter dem Ausdruck passare battaglia, d. h.
der feindliche Bauer, bei welchem der zwei Schritt Ziehende
vorbeigeht, darf letzteren unter keiner Bedingung schlagen,
dieser also kann frei das Schlagen passiren.


Siebentes Kapitel.
Geschichtlich begründete Abarten.

§. 160. Gar mannigfachen Abarten und ähnlichen Spie-
len hat das eigentliche ursprüngliche Spiel zur Quelle ge-
dient. Es ist hier nicht der Ort über diese verschiedenen
einzelnen Spiele, wie sie sich im Laufe der Zeit bei ver-
schiedenen Nationen gestaltet haben, abzuhandeln und die
besonderen nationalen und particularen Gesetze aufzuführen.
Nur an eine in Deutschland selbst eigenthümlich ausgebil-
dete Art des Spieles soll hier speciell erinnert werden. Es
ist dies die eigenthümliche Sitte des Schachspielens in dem
Dorfe Ströbeck bei Halberstadt.


§. 161. Seit mehreren Jahrhunderten findet sich in dem
genannten Dorfe die merkwürdige Observanz, dass jeder
Insasse, männlichen wie weiblichen Geschlechtes, Schach
spielen lernt. Interessante Sagen begründen diese Obser-
vanz, an deren Erhaltung sich später besondere Privilegien
knüpften. Specielle Belehrung hierüber findet man nament-
lich in mehreren Artikeln der Berliner Schachzeitung, worin
unter Andern auch der Autor dieser Zeilen, welcher zwei-
mal selbst in Ströbeck anwesend war, sich ausgesprochen
hat. Hier muss zunächst auf die besondere Art des Spieles
selbst eingegangen werden.


§. 162. Vor allen Dingen bemerke man, dass die Strö-
becker das rechte Eckfeld des Brettes von schwarzer Farbe
wählen. Man findet dies an allen Preisschachbrettern be-
[105] stätigt, welche, von Mann und Frau in ihrer Jugend als
Siegespreis erworben, schwerlich in der Wohnung irgend
eines Ströbecker Bauers an der Wand der Thür gegenüber
vermisst werden. Die Aufstellung der Figuren gleicht der
unsrigen bis auf die Thurmbauern, welche auf beiden Seiten
zwei Schritt vor, gleichsam als Wachposten, aufgestellt wer-
den und auf die Dame nebst ihrem Bauer. Letzterer wird
ebenfalls zwei Felder weit gezogen und die Dame stellt sich
gleichsam als Anführer zwei Felder vor hinter denselben
als ihren Adjutanten. Geht man daher von der gewöhn-
lichen Aufstellung aus, so gelten für Ströbeck als unwider-
ruflich feste Anzüge die vier Züge 1) a 2—a 4; a 7—a 5,
2) d 2—d 4, d 7—d 5, 3) h 2—h 4, h 7—h 5, 4) D d 1—d 3,
D d 8—d 6. Man nennt diesen stets nothwendigen Anfang
den Aussatz der Partie.


§. 163. Andere Abweichungen bestehen nur im Mangel
der Rochade und des Zweischrittes aller übrigen Bauern,
sowie endlich in einem bedingten Avancement. Wird näm-
lich ein Bauer Dame, so erlangt er erst diesen Rang nach
glücklicher Ausführung dreier Rücksprünge, welche Freuden-
oder Probesprünge genannt werden und darin bestehen, dass
der Bauer von dem erreichten Randfelde aus, auf welcher
Stelle allein er vom Feinde nicht geschlagen werden kann,
auf gleicher Verticallinie unter Ueberspringung je eines Fel-
des zurückkehrt. So hat der auf f 8 avancirte Bauer noch
die Freudensprünge f 8—f 6, 2. f 6—f 4, 3. f 2—f 2, wäh-
rend derer er geschlagen werden kann, in beliebigen Pausen
auszuführen. Erst nach glücklichem Erreichen der ursprüng-
lichen Felderreihe wird der Bauer zur gewünschten Figur.


[106]
Vierter Theil.
Taktik.

Achtes Kapitel.
Vorerörterungen.

§. 164. Unter Taktik im weitesten Sinne versteht man
die Lehre von der ganzen inneren Einrichtung des Spieles,
im Gegensatze zur Organisation, welche nur die äussere
Einrichtung des Spieles behandelt. Die Taktik hat daher
die Aufgabe für die Natur der einzelnen Elemente des Spie-
les und ihre Wechselwirkung gewisse durch die Erfahrung
gewonnene Regeln abzuleiten, welche nicht nur die Materie
des Spieles, also das Brett und die Figuren, sondern auch
die Anordnung des praktischen Spielens selbst, d. h. die
Führung der Partie im Ganzen betreffen.


§. 165. In der zuletzt gedachten Beziehung geben die
taktischen Lehren eine allgemeine Theorie von Angriff und
Vertheidigung; in der ersteren aber behandeln sie die Kennt-
niss des Brettes, also die Notation und der Figuren, d. h.
deren eigenthümliche Natur, Anwendung und gegenseitigen
Werth. Endlich hat es noch die Taktik mit den Kunstaus-
drücken des Spieles zu thun, welche direct zur inneren Ein-
richtung desselben gehören, in diesem Buche aber nur an
der Stelle, wo sie sich zuerst finden, erläutert werden.


Neuntes Kapitel.
Allgemeine Natur des Angriffes.

§. 166. Ein Angriffsspiel im Gegensatze zur Vertheidi-
gung ist im Allgemeinen jederzeit zu empfehlen. Wer den
Angriff hat, ist Herr der Partie, und der Gegner wird stets
[107] mehr oder weniger durch feindliche Attaken in der Wahl
seiner Operationen beschränkt. Der Angriff besteht aber
keinesweges allein in der speciellen Bedrohung der oder jener
Figur, dieses oder jenes Punktes; schon in den ersten Mo-
menten der Eröffnung hat die Partei, welche um ein Tempo
voraussteht, den Angriff; sie kann jederzeit die entwickelten
Kräfte zu Attaken verwenden. Auch übt freiere und
schnellere Entwickelung der Stücke schon an und für sich
einen Druck auf die Stellung des Gegners aus, welcher voll-
kommen einem Angriffe gleich steht. Daher knüpft die
Theorie gewöhnlich an den Anzug den Angriff und giebt dem
Gegner die Vertheidigung.


§. 167. Die Kunst des eigentlichen speciellen Angriffes
besteht aber in der schnellen Vereinigung überlegener Kräfte
gegen einen Punkt, und falls dies nicht für den Augenblick
möglich ist, in der fortdauernden Beschäftigung der bereits
thätigen Stücke des Gegners. Nicht selten kann dabei eine
Figur oder ein Bauer erobert werden. Bei sonst gleicher
Stellung entscheidet gewöhnlich ein solches Uebergewicht.
Die Klugheit lehrt dann, so viel als möglich zu tauschen,
um schliesslich den Vortheil zur Geltung zu bringen.


§. 168. Grosse Schwierigkeit bietet aber die Aufgabe,
correct eine Angriffscombination einzuleiten und durchzu-
führen. Nur zu häufig laufen voreilige Züge unter, und der
Gegner gewinnt nach hartnäckiger Ausdauer Gelegenheit zum
Gegenangriff. Nichts ist aber verderblicher als ein mit Er-
folg zurückgeschlagener Angriff, denn die einzelnen zur
Attake verwendeten Stücke finden sich gewöhnlich nicht in
der Stellung, sofort zum Schutze der eigenen Partei zurück-
zukehren, so dass der Gegner mit Macht in die entblössten
Stellen einzudringen vermag.


§. 169. Jeder voreilige Zug führt Tempoverlust mit sich.
Auf Tempogewinn beruht aber zuletzt jeder Vortheil an
Figuren oder Stellung, welcher zum Siege führt. Tempo-
verluste entstehen nun hauptsächlich aus inconsequenter Ent-
wickelung der Hauptfiguren sowie aus unwirksamen Angriffen,
z. B. Attaken auf feindliche Figuren, welche mit Vortheil
anderswohin gehen können, ferner nutzlose Schachs, durch
[108] deren Deckung der Gegner Figuren entwickelt oder Terrain
gewinnt, endlich zweckloses Abtauschen von solcher Art,
dass der Gegner beim Wiedernehmen unthätige Figuren in
Wirksamkeit setzt. Vor allen solchen Fehlern hat man sich
jederzeit zu hüten; oft wirkt ein einziger Verstoss der Art
entscheidend auf Gewinn oder Verlust der ganzen Partie.


§. 170. Correcte Angriffe werden in der Regel durch
Bauerbewegungen eingeleitet, durch Manoeuvres der klei-
neren Officiere fortgesetzt und überhaupt unterhalten,
schliesslich meist durch grössere Officiere, wie Dame und
Thürme, entschieden. Letztere wirken überhaupt in den
eigentlichen Angriffen während der Mitte der Partie wenig
mit; die Hauptrollen fallen hier einigen Bauern, namentlich
aber den Springern und Laufern zu. Jede Ueberstürzung
eines Angriffes durch grössere Officiere allein ist daher
ebensowohl im Anfange wie in der Mitte einer sonst correct
gespielten Partie verwerflich. Nur die Vereinigung ver-
schiedener einzelner Kräfte, namentlich die geeignete Com-
bination der geringeren Figuren vermag einen sicheren an-
haltenden und correcten Angriff zu begründen.


Fast in jeder Partie zeigen sich nun drei besonders
wichtige Möglichkeiten von Angriff und Vertheidigung. Man
kann sie kurz als Eröffnungsangriff, Mittelangriff und Königs-
angriff bezeichnen, welchen die analogen drei Vertheidigungs-
arten gegenüberstehen.


Zehntes Kapitel.
Der Eröffnungsangriff.

§. 171. Die Lehre vom Eröffnungsangriff zeigt zunächst
die richtige und consequente Enwickelung der Figuren und
giebt über die Zweckmässigkeit verschiedener im Anfange
der Partie gebräuchlicher Züge Auskunft.


Die bei völlig gleicher Ausrüstung der Parteien mög-
liche gleichzeitig correcte Eröffnung der Partie ist bereits
[109] in §. 86 des ersten Buches angedeutet. Dort sind auch die
besten Plätze für die erste Entwickelung der Figuren ange-
geben. Ausser besonderen Verstössen dagegen kommt nun
für den Eröffnungsangriff hier noch die Lehre von der so-
genannten Sperrung der Officiere und von der Bildung eines
Centrums in Betracht. Davon handeln die §§. 174—175.


§. 172. Für die Vertheidigung gelten in der Eröffnung
nach dem vorigen Paragraphen im Allgemeinen dieselben
Grundsätze über die Entwickelung der Figuren, wie für den
Angriff. Häufig ergiebt sich indessen die beste Gegenwir-
kung auf gewisse Angriffe aus der eigenthümlichen Natur
und Stellung der Officiere. So ertheilt die Theorie den
Rath, der in das Spiel eindringenden feindlichen Dame zu-
nächst die eigene Dame, dem feindlichen Königslaufer auf
c 4 oder c 5 den eigenen Damenlaufer auf e 6 oder e 3 ent-
gegenzustellen. Die Vertheidigung besteht hier in einer Art
Gegenwirkung oder Opposition, welche aber am deutlichsten
bei den Springern hervortritt. So wirkt dem Springer auf
f 3, welcher die beiden Mittelfelder d 4 und e 5 beherrscht,
direct der feindliche Damenspringer auf c 6 entgegen; dem
weissen Damenspringer auf c 3 aber der feindliche Königs-
springer auf f 6. Endlich den feindlichen Thürmen, welche
offene Linien beherrschen, treten am wirksamsten die eigenen
Thürme entgegen.


Ein solches Oppositionsverfahren der Vertheidigung lässt
sich indess im Allgemeinen nur gegen bestimmte Angriffe
des Gegners empfehlen, und bei Zügen des allgemeinen cor-
recten Eröffnungsangriffes wird meist eine gleichartige Ent-
wickelung rathsam.


§. 173. Verstösse des Anziehenden gegen die correcte
Angriffsführung beruhen meist auf frühzeitigen Attaken, sei
es durch nutzlose vereinzelte Bedrohung besonderer schwa-
cher Punkte, wie des Feldes f 7, sei es durch zweckloses
Manoeuvriren mit einzelnen Figuren, namentlich mit der
Dame, sei es endlich durch übereilte Bauernführung. In den
ersten Fällen gewinnt der Vertheidigende meist nach ein-
facher Abwehr oder Deckung des voreiligen Angriffes durch
nachfolgende Zurückdrängung der feindlichen Officiere (z. B.
[110] des Springers auf g 5 [durch]h 7—h 6) einen kräftigen Gegen-
angriff. Der letzte Fall trifft besonders die frühzeitige Be-
wegung der Lauferbauern, welche in solchem Falle nicht
selten die Position, noch ehe sie durch Entwickelung der
Hauptfiguren genügenden Halt gewonnen hat, feindlichen An-
griffen all zu sehr öffnet und den König bloss stellt. Doppelt
schädlich sind aber solche Züge von Seiten der Vertheidi-
gung gegen die correcte Entwickelung des Anziehenden.
Vorzüglich ist hier der frühe Zug f 2—f 4 oder f 7—f 5 zu
tadeln. Wir haben ihn bereits in §. 103 des ersten Buches
als Gambit in der Rückhand kennen gelernt und müssen hier
ausdrücklich den Satz aussprechen, dass jedes solche Gam-
bit in der Rückhand gegen correcte Eröffnung des Anziehen-
den nur verderbliche Folgen mit sich führt. Dahin gehören
z. B. die Anfänge: 1. e 2—e 4 e 7—e 5; 2. S g 1—f 3
S b 8—c 6; 3. L f 1—c 4 f 7—f 5 u. s. w. Auf der anderen
Seite sind aber gegen incorrecte Manoeuvres des Angreifen-
den zuweilen dergleichen Gegenzüge zu empfehlen; so wirkt
nicht selten das Moment f 7—f 5 entscheidend gegen zu
frühzeitige Bildung eines Centrums.


Für die Eröffnung ist endlich noch als besonders schwacher
Zug die Bewegung des Königslauferbauers um nur einen Schritt,
also f 2—f 3 oder f 7—f 6, zu tadeln. Dadurch wird nicht
nur dem Springer sein bester Ausgangspunkt sowie der Dame
ihre Diagonale genommen, sondern auch dem König durch
den feindlichen Angriffslaufer auf c 4 oder c 5 die Rochade er-
schwert und ersterer überhaupt mannigfachen Gefahren aus-
gesetzt. Man sehe z. B. folgenden bei Anfängern nicht selten
üblichen Anfang: 1. e 2—e 4 e 7—e 5; 2. S b 1—c 3 S g 8
f 6; 3. d 2—d 3 d 7—d 5; 4. f 2—f 3 S f 6—h 5;
5. e 4—d 5: D d 8—h 4 †; nun muss 6. g 2—g 3 das Schach
decken und es kann 6. S h 5—g 3: folgen, da bei 7. h 2—g 3:
die Dame den Thurm h 1 gewinnt. Schlagenden Beweis liefert
auch folgender Anfang aus dem Springergambit: 1. e 2—e 4
e 7—e 5; 2. f 2—f 4 e 5—f 4: 3. S g 1—f 3 g 7—g 5
4. L f 1—c 4 f 7—f 6 (Schwarz will die Deckung der Gambit-
bauerkette verstärken) 5. S f 3—g 5: f 6—e 5: 6. D d 1—h 5 †
und Weiss setzt in drei Zügen Matt. Oft entscheidet auch
[111] gegen f 7—f 6 zunächst das Vorrücken des Königsbauers von
e 4 auf e 5; zu empfehlen ist deshalb jener Zug für den ersten
Anfang und namentlich vor der Rochade niemals.


§. 174. Unter Sperrung der Officiere versteht man
für die Eröffnung vorzugsweise die Fesselung der Springer
durch die feindlichen Laufer; das Springers auf f 6 z. B.
durch den Lauferzug c 1—g 5, des Damenspringers auf c 6
durch den Königslaufer auf b 5. Man sehe z. B. den Anfang
1. e 2—e 4 e 7—e 5; 2. S g 1—f 3 S b 8—c 6; 3. L f 1—c 4
L f 8—c 5; 4. Rochirt S g 8—f 6; 5. d 2—d 3 Rochirt;
6. L c 1—g 5 u. s. w. Der Springer f 6 ist hier gefesselt,
da er beim Wegziehen die Dame dem Lauferangriff aus-
setzen würde. Die Frage nach den Folgen solcher Sperrung
lässt sich aber sehr schwer beantworten. Manche Spieler
pflegen der letzteren durch Vorrücken der Thurmbauern
zuvorzukommen; doch werden dadurch nicht selten wichtige
Tempi eingebüsst. Auch möchte wohl im Allgemeinen die
Sperrung keinen Nachtheil mit sich führen; ja in manchen
Fällen sind ihre Folgen für die Partei, deren Springer ge-
fesselt wird, äusserst günstig. Wird nämlich der Laufer ge-
zwungen, den gefesselten Springer zu schlagen, so kann
nicht selten der Flügelbauer mit Vortheil wieder nehmen,
das Centrum verstärken und dem Thurm eine wirksame
Angriffslinie auf die feindliche Rochade eröffnen. In man-
chen Fällen wirkt auch die Sperrung geradezu entscheidend,
wie in folgendem Anfange: 1. e 2—e 4 e 7—e 5; 2. f 2—f 4
L f 8—c 5; 3. S g 1—f 3 d 7—d 6; 4. L f 1—c 4 L c 8—g 4;
5. f 4—e 5: d 6—e 5: 6. L c 4—f 7: † K e 8—f 7: 7. S f 3
e 5: † und gewinnt den Laufer g 4. Der berühmte Meister
Falkbeer hat die Sperrung in folgender schönen Partie ele-
gant ausgebeutet: 1. e 2—e 4 e 7—e 5; 2. S g 1—f 3 S b 8
c 6; 3. L f 1—c 4 d 7—d 6; 4. c 2—c 3 L c 8—g 4;
5. d 2—d 4 e 5—d 4: 6. Rochirt d 4—c 3: 7. S b 1—c 3:
S c 6—e 5 (um den gesperrten Springer wiederholt zu be-
drohen) 8. S f 3—e 5: L g 4—d 1: 9. L c 4—f 7 † K e 8—e 7;
10. S c 3—d 5 † und Matt.


Trotzdem kann die Sperrung in manchen Fällen lästig
werden. Als Mittel zu ihrer Aufhebung bietet sich dann
[112] zunächst der Angriff der Flügelbauern gegen den fesselnden
Laufer. Doch muss man hiebei sehr vorsichtig zu Werke
gehen, namentlich wenn schon der König des gesperrten
Springers nach derselben Seite rochirt hat. Das Aufziehen
der Flügelbauern, also h 7—h 6 nebst L g 5—h 4 und g 7—g 5,
schwächt dann gewöhnlich den Rochadflügel in hohem Masse
und giebt den Officieren des Gegners nicht selten Gelegen-
heit, nach Umgehung der gezogenen Bauern auf den freien
König einzudringen. Mitunter kann sogar der Laufer oder
der Springer von f 3 aus auf g 5 geopfert werden. Die
besondere Anwendung aller dieser einzelnen Möglichkeiten
ist freilich von dem eigenthümlichen Entwickelungsgange
jeder Partie abhängig; meist wird man aber mit Erfolg nach
Oeffnung einer Linie für den Thurm streben. Endlich ist
noch zu erinnern, dass es allerdings zuweilen rathsam wer-
den kann, der Sperrung durch Bewegung der Thurmbauern
zuvorzukommen; in der speziellen Lehre von den Eröff-
nungen werden wir noch mehrere von den wenigen Fällen
dieser Art kennen lernen.


§. 175. Die Bildung eines Centrums wird in der
Königsbauereröffnung gewöhnlich durch den Zug c 2—c 3
eingeleitet; nur darf diese Absicht nicht zu früh und be-
sonders nicht vor der Entwickelung wichtigerer Steine aus-
geführt werden. Der Nachziehende vermag sonst durch
Gegenangriffe wie d 7—d 5 oder selbst f 7—f 5 theils das
Streben zu vereiteln, theils den Angriff sich in die Hände
zu spielen. Wir halten das Streben nach einem Centrum
deshalb erst nach der Entwicklung der Königsfiguren und
selbst nach Ausführung der Rochade für rathsam. Wird es
z. B. im Anfange 1. e 2—e 4 e 7—e 5 unmittelbar mit dem
nächsten Zuge ins Auge gefasst, 2. c 2—c 3, so kann nun
ohne Weiteres 2. d 7—d 5 mit Positionsvortheil folgen.
Geschieht 1. e 2—e 4 e 7—e 5; 2. S g 1—f 3 S b 8—c 6;
3. c 2—c 3, so kann sogar 3. f 7—f 5 versucht werden.
Auch im vierten Zuge 1. e 2—e 4 e 7—e 5; 3. S g 1—f 3
S b 8—c 6; 3. L f 1—c 4 L f 8—c 5; 4. c 2—c 3 ist dieser
Plan kaum rathsam, da die beste Fortsetzung 4. S g 8—f 6;
5. d 2—d 4 e 5—d 4: 6. e 4—e 5 d 7—d 5 7. L c 4—b 5
[113] S f 6—e 4; 8. L b 5—c 6: 9. c 3—d 4: L c 5—b 6; 10. S b 1
c 3 f 7—f 5 den Vertheidigenden ziemlich günstig stellt,
wie die dritte Correspondenzpartie zwischen Amsterdam und
London lehrt. Dagegen halten wir in dem correcten Anfange
1. e 2—e 4 e 7—e 5; 2. S g 1—f 3 S b 8—c 6; 3. L f 1—c 4
L f 8—c 5; 4. Rochirt d 7—d 6, jetzt das Streben nach
Mittelbauern durch 5. c 2—c 3 für ziemlich empfehlenswerth.


Wird ein Centrum in anderen Anfängen bezweckt, so
entscheidet nicht selten sofort das Gegengambit f 7—f 5, z. B.
in der Eröffnung: 1. d 2—d 4 d 7—d 5; 2. c 2—c 4 d 5—c 4:
3. e 2—e 4 e 7—e 5; 4. d 4—d 5 f 7—f 5 u. s. w.


Zwölftes Kapitel.
Der Mittelangriff.

§. 176. Unter Mittelangriff verstehen wir denjenigen
Angriff, welcher nach der ersten Entwickelung der Figuren
in der Mitte des Brettes versucht zu werden pflegt. Dahin
gehört zunächst die Benutzung der Mittelbauern, sowie die
Attake gegen die schwachen Punkte c 7 und d 6. Das Vor-
schieben des Königsbauers von e 4 nach e 5, die Postirung
des Damenspringers auf b 5 oder d 5 oder e 4, endlich die
Ermöglichung des Zuges f 2—f 4 zur Verstärkung der Atta-
ken im Centrum ergeben sich hier als charakteristische
Combinationen.


§. 177. Es gilt als Regel, die Mittelbauern auf ihren
vierten Feldern, so lange als es irgend möglich ist, ge-
schlossen zu erhalten, da sie von dort aus die freie Bewe-
gung des Gegners wirksam behindern. Nur um dem Ab-
tausch zu entgehen oder zur entscheidenden Verstärkung des
Angriffes sollen sie vorgerückt werden. Gewöhnlich trifft
dies zuerst den Königsbauer. Der Damenbauer verstellt auf
dem Felde d 5 den Angriffslaufer auf c 4 und lässt dem
später möglichen Gegenzuge f 7—f 5 grössere Wirksamkeit.
Doch kann der spezielle Charakter einiger besonderer An-
8
[114] fänge, wie des Ruy-Lopezspieles und des Evans Gambits,
mitunter als beste Fortsetzung den Sturm des Damenbauers
erheischen. Zuweilen wird auch der Königsbauer durch
Schlagen auf das Feld d 5 gebracht, dadurch z. B., dass
auf den Zug des Laufers c 8—e 6 der Springer c 3—d 5
geht und nun L e 6—d 5: nebst e 4—d 5: erfolgt. Hiebei
entscheidet der Vortheil, welchen die offene Königslinie für
einen Thurmangriff gewährt. In den meisten Fällen wird
aber der Königsbauer zum wirksamen Angriff auf die Punkte
d 6 und f 6 vorgezogen; bei Unterstützung durch beide
Springer wird diese Attake, namentlich wenn der Gegner
nicht schleunigst rochirt, sehr häufig von Entscheidung.


§. 178. Der Angriff des Damenspringers auf d 5 er-
hält, nachdem die feindliche Dame ihr Standfeld verlassen
hat, eine besondere Kraft; er verspricht nicht selten wirk-
samen Erfolg, wenn die Dame auf e 7 oder f 6 gegangen ist.
Auch auf e 4 steht der Springer nicht selten gut, nachdem
der Königsbauer vorgeschoben ist. Er beherrscht von dort
aus die Punkte d 6, f 6, g 5 und verstärkt zu gleicher Zeit
die Attake auf Centrum und Rochadeflügel.


Besonders stark wirkt aber die Bewegung des Laufer-
bauers f 2—f 4, welcher durch den Rochadethurm auf f 1
unterstützt wird. Gewöhnlich muss zu diesem Zwecke erst
der Springer auf f 3 Platz machen und dies Manoeuvre wo
möglich ohne Tempoverlust zu Wege bringen, gehört zu
den schwierigeren Aufgaben des Angriffs. Mitunter bietet
sich der Angriffszug f 3—g 5, doch kann später nicht selten
der Springer zurückgetrieben werden. Wenigstens muss
dann inzwischen der f-Bauer gestossen werden. Seltener
gewährt das Feld am Rande h 5 dem Springer einen siche-
ren Standpunkt und gar häufig sieht man ihn nach e 1 zu-
rückgehen, von wo aus er auch später leicht wieder über
d 3 ins Spiel geführt werden kann. Manche Spieler ziehen
auch den Thurmbauer, um dem Springer das Feld h 2 zu
öffnen, von wo aus er sogar über g 4 den Angriff auf die
feindliche Rochade zuweilen fördert. Aus der jedesmaligen
Lage des Spiels folgt hier die Entscheidung für das eine
oder andere Feld; überhaupt nothwendig wird es aber in
[115] den meisten Fällen, das Vordringen des f-Bauern auf die
eine oder andere Weise zu vermitteln.


§. 179. Die Vertheidigung gegen den Mittelangriff der
Bauern haben wir, was Lösung des Centrums betrifft, theil-
weise schon kennen gelernt. In §. 175 wurden hier die
beiden Gegenangriffe d 7—d 5 und f 7—f 5 angegeben,
ersterer gewöhnlich durch den Springer auf f 6 unterstützt.
Man sehe folgenden Anfang: 1. e 2—e 4 e 7—e 5; 2. S g 1
f 3 S b 8—c 6; 3. L f 1—c 4 L f 8—c 5; 4. c 2—c 3 S g 8
f 6; 5. d 2—d 4 e 5—d 4: 6. c 3—d 4: L c 5—b 4: †
7. L c 1—d 2 L b 4—d 2: 8. S b 1—d 2: d 7—d 5 und das
Centrum wird gesprengt. In der anderen Variante dieses
Anfanges 5. d 2—d 4 e 5—d 4: 6. e 4—e 5 d 7—d 5;
7. L c 4—b 5 S f 6—e 4: 8. L b 5—c 6: † b 7—c 6: 9. c 3
d 4: L c 5—b 6 kann das Centrum nun später durch c 6
c 5 oder auf der anderen Seite durch f 7—f 6 gelöst
werden. Zuweilen kann auch der Mittelbauer e 4 unmittel-
bar vom Springer f 6 geschlagen und auf S c 3—e 4: erst
d 7—d 5 gezogen werden. Das zeigt z. B. der Anfang:
1. e 2—e 4 e 7—e 5; 2. S g 1—f 3 S b 8—c 6; 3. L f 1—c 4
L f 8—c 5; 4. c 2—c 3 d 7—d 6; 5. d 2—d 4 e 5—d 4:
6. c 3—d 4: L c 5—b 6; 7. h 2—h 3 S g 8—f 6; 8. S b 1—c 3
Rochirt; 9. Rochirt S f 6—e 4: 10. S c 3—e 4: d 6—d 5;
11. L c 4—d 5: D d 8—d 5: und der Mittelangriff ist gelöst.


Schwächer wirkt ein Gegenangriff auf das Centrum
durch Sperrung des Springers auf f 3. Man sehe den nor-
malen Anfang: 1. e 2—e 4 e 7—e 5; 2. S g 1—f 3 S b 8—c 6;
3. L f 1—c 4 L f 8—c 5; 4. Rochirt d 7—d 6; 5. c 2—c 3
S g 8—f 6; 6. d 2—d 4 e 5—d 4: 7. c 3—d 4: L c 5—b 6;
8. S b 1—c 3 L c 8—g 4; die Absicht des letzten Zuges ist
Bedrohung des Damenbauers. Es geschieht aber 9. L c 1—e 3;
so kann nun durch 10. g 2—f 3: das Centrum verstärkt und
nach Stellung des Königs in die Ecke eine offne Linie für
Thurmangriffe auf die feindliche Königsseite gewonnen
werden.


Endlich ist noch die Vertheidigung gegen den vorge-
schobenen Königsbauer auf e 5 zu berücksichtigen. Hier
wird nach Ausführung der Rochade nicht selten die Lösung
8*
[116] des Mittelangriffes durch das Moment f 7—f 6 eingeleitet.
Wir haben es früher in den ersten Eröffnungszügen und zwar
vor der Rochade tadeln müssen; hier aber wächst sein Werth
um so mehr, je schwächer es früher war. Man sehe die
Partie: 1. e 2—e 4 e 7—e 5; 2. S g 1—f 3 S b 8—c 6;
3. d 2—d 4 e 5—d 4; 4. L f 1—c 4 S g 8—f 6; 5. e 4—e 5
d 7—d 5; 6. L c 4—b 5 S f 6—e 4; 7. S f 3—d 4: L c 8—d 7;
8. L b 5—c 6: b 7—c 6; 9. Rochirt L f 8—c 5; 10. f 2—f 3
S e 4—g 5; 11. L c 1—g 5: D d 8—g 5: 12. f 3—f 4 D g 5
g 6; 13. T f 1—f 2, Rochirt; 14. c 2—c 3 f 7—f 6;
jetzt erst kann dieser Zug erfolgen, welcher nun aber ent-
scheidend den feindlichen Mittelangriff bricht. In manchen
besonderen Varianten darf freilich diese Sprengung des Mittel-
angriffes schon früher Statt finden, wie z. B. folgender An-
fang zeigt: 1. e 2—e 4 e 7—e 5; 2. S g 1—f 3 d 7—d 6;
3. d 2—d 4 f 7—f 5; 4. d 4—e 5: f 5—e 4: 5. S f 3—g 5
d 6—d 5; 6. e 5—e 6 S g 8—h 6; 7. f 2—f 3 und Weiss
wird sich dadurch günstig stellen.


Nur muss natürlich f 7—f 6 unterbleiben, wenn e 5
nach e 6 mit Vortheil vorbeigehen und f 4 nach f 5 nach-
folgen kann. Das ist gewöhnlich der Fall, wenn f 7—f 6
zu spät bewegt wird. Es ist daher gut jene Sprengung so-
bald als möglich nach der Rochade vorzunehmen; in beson-
deren Varianten, wie die zuletzt angeführte, auch schon
früher. Man vergleiche damit den für Weiss ungünstigen
Anfang: 1. e 2—e 4 e 7—e 6; 2. d 2—d 4 d 7—d 5; 3. e 4
e 5 (zu früh; es muss e 4—d 5: geschehen) 3. c 7—c 5;
4. c 2—c 3 S b 8—c 6; 5. S g 1—f 3 D d 8—b 6; 6. L f 1
d 3 L c 8—d 7; 7. L d 3—c 2 T a 8—c 8 8. Rochirt
f 7—f 6 und Schwarz löst die Mittelbauern.


§. 180. Angriffen des feindlichen Damenspringers auf
b 5 oder d 5 kann man zuweilen durch c 7—c 6 zuvorkom-
men. Steht aber die Dame noch auf ihrem Felde, so ist
dieser Zug, namentlich bei rückständigem Damenbauer,
nicht zu empfehlen, da er das Feld d 6 nicht selten nach-
theilig schwächt. Dem Springerangriffe auf e 4 wird häufig
durch Bewegung des Königslauferbauer ein oder zwei Schritt
am besten begegnet. Der Rochadethurm gewinnt dann auf
[117] das Feld f 6 Wirksamkeit und paralysirt die Attake jenes
Springers. Dem Springer auf d 5 kann auch durch einen
Springer auf e 7 entgegen gewirkt werden, indem meist der
Damenspringer von c 6 aus dies Feld bezieht.


Dem Angriffe des Lauferbauern f 2—f 4 wird aber durch
Bewegung des gleichen Bauers am wirksamsten geantwortet.
Ob dieser Bauer einen oder zwei Schritte gehen soll, kommt
auf die eigenthümliche Stellung des Spieles an; meist geht
er einen Schritt, wenn der Königsbauer vorgeschoben ist
und nicht mit Vortheil noch weiter, nach e 6, vorrücken
kann. — Oft darf auch gegen die Rochade in jenem Falle
ein directer Angriff durch Combination des Königslaufers
auf c 5 oder b 6 mit dem Springerzuge f 6—g 4 versucht
werden. Der Punkt f 2 ist meist sehr schwach vertheidigt
und bei passender Nachhülfe der Dame von d 8 aus auf der
Randlinie ist nicht selten gegen die Bewegung des Laufer-
bauern ein unmittelbarer Vortheil zu erringen.


Zwölftes Kapitel.
Der Königsangriff.

§. 181. Beim Königsangriff hat man den Angriff vor
und nach der Rochade von einander zu unterscheiden.
Ersterer bildet den eigentlichen Königsangriff, und der Ziel-
punkt fast aller Attaken ist hier das Feld f 7 oder f 2; zu-
weilen kommt auch Damen- oder Thurmangriff auf der ge-
öffneten Königslinie in Betracht oder die Hinderung an der
Rochade bei Bedrohung der Uebergangsfelder f 8 und d 8
durch die feindlichen Läufer, z. B. durch den Läufer
c 1—a 3.


Für die Vertheidigung gegen den Königsangriff lassen
sich überdies noch einige allgemeine Regeln angeben, welche
keiner bestimmten Art jener beiden Angriffe entsprechen.
So soll die Deckung gegen schachbietende Officiere im All-
gemeinen durch gleichartige Officiere erfolgen, also dem
[118] Lauferangriff wo möglich ein Laufer dem Thurm ein Thurm
entgegengesetzt werden. Der vom dritten Felde des Königs
aus schachbietenden Dame setzt man nicht selten mit Vor-
theil einen Springer entgegen, da sie nun das Schach nicht
zu wiederholen vermag. Steht ein König auf e 6, ein
Springer auf f 5 und sagt die feindliche Dame auf c 6 Schach,
so sind nach S f 4—d 6 der Dame die Felder c 8, c 4, e 8,
e 4, auf denen sie das Schach wiederholen könnte, vom
Springer abgeschnitten. Ferner ein feindlicher Bauer vor
dem Könige soll ohne besonderen Grund nicht genommen
werden; er deckt den König am besten gegen gewisse feind-
liche Attaken. Einem Abzugsschach endlich soll man soviel
als möglich aus dem Wege gehen; die wenigen Fälle, in
denen es nicht zu fürchten und seine Ausführung von Seiten
des Gegners sogar schwach ist, hängen von der eigenthüm-
lichen Stellung des betreffenden Spieles ab.


§. 182. Die einfachste Durchführung des Königsangriffes
vor und nach der Rochade zeigt folgender freilich incorrec-
ter Anfang: 1. e 2—e 4 e 7—e 5; 2. S g 1—f 3 S b 8—c 6;
3. L f 1—c 4 L f 8—c 5; 4. Rochirt S g 8—e 7; 5. S f 3
g 5 Rochirt; 6. D d 1—h 5 h 7—h 6 (um das Matt auf h 7
zu decken); 7. S g 5—f 7: T f 8—f 7: 5. D h 5—f 7: † und
muss gewinnen. Eine einseitige Anwendung des Königsan-
griffes vor der Rochade haben wir bereits im ersten Buche
an dem Beispiele 1. e 2—e 4 e 7—e 5; 2. L f 1—c 4 L f 8
c 5; 3. D d 1—h 5 S b 8—c 6; 4. D h 5—f 7: † und Matt,
gesehen. Bei correcter Vertheidigung können solche früh-
zeitige Attaken niemals zur Geltung kommen und werden
dem übereilt Angreifenden selbst zum Nachtheil gereichen.
Es muss die richtige Entwickelung der Königsfiguren er-
folgen und zu rechter Zeit d 7—d 6 oder d 7—d 5 geschehen.
So hätte in dem ersten Beispiele statt der Rochade lieber
5. d 7—d 5, oder noch besser gleich im 4. Zuge zuerst
d 7—d 6 geschehen sollen, um dann S g 8 nach f 6 heraus-
zubringen.


Einige besondere Anfänge kennt aber die Theorie, in
welchen schon früh auf f 7 ein Officier geopfert wird, um
den feindlichen König, nach Verlust der Rochade, andauernden
[119] Angriffen bloss zu stellen. Das berühmteste Beispiel bietet
hier das sogenannte Zweispringerspiel im Nachzuge, d. h.
die Eröffnung 1. c 2—e 4 e 7—e 5; 2. S g 1—f 3 S b 8—c 6;
3. L f 1—c 4 S g 8—f 6 (besser ist L f 8—c 5) 4. S f 3—g 5
d 7—d 5; 5. e 4—d 5: S f 6—d 5:, in welcher nun mit Vor-
theil der Springer auf f 7, 6. g 5—f 7:, geopfert wird, um
den König nach 6. K e 8—f 7: 7. D d 1—f 3 K f 7—e 6
(um den Springer d 5 zu schützen); 8. S b 1—c 3 S c 6—e 7
u. s. w. einem wirksamen Angriffe auszusetzen. Nicht so
correct ist der Angriff 1. e 2—e 4 e 7—e 5; 2. L f 1—c 4
L f 8—c 5; 3. L c 4—f 7: † K e 8—f 7: 4. D d 1—h 5 †
K f 7—f 8; 5. D h 5—e 5: wobei Weiss keinen besonderen
Positionsvortheil gewinnt. Will man aber diese Attake um-
gehen, so wähle man die Variante: 1. e 2—e 4 e 7—e 5;
2. L f 1—c 4 S g 8—f 6 u. s. w.


§. 183. Der Angriff gegen die Rochade wird entweder
durch die Flügelbauern oder allein durch die kleinen Offi-
ciere eingeleitet; auf erstere Weise gewöhnlich, wenn der
Angreifende nach der anderen Seite als der Gegner rochirt
hat. So geht in folgender Partie: 1. e 2—e 4 e 7—e 5;
2. S g 1—f 3 S b 8—c 6; 3. L f 1—c 4 L f 8—c 5; 4. Rochirt
d 7—d 6; 5. c 2—c 3 D d 8—e 7; 6. d 2—d 4 L c 5—b 6;
7. L c 1—g 5 f 7—f 6; 8. L g 5—h 4 (besser L e 3), nun der
Schwarze mit dem Plane um, nach der Damenseite zu
rochiren und sucht gegen des Anziehenden Rochade sofort
einen Bauernangriff einzuleiten durch 8. h 7—h 5; 9. h 2
h 3 g 7—g 5; 10. L h 4—g 3 h 5—h 4; 11. L g 3—h 2
g 5—g 4: 12. h 3—g 4: L c 8—g 4: 13. L c 4—b 5 Rochirt
nach c 8; 14. L b 5—c 6: b 7—c 6:, jetzt sucht zwar Weiss
durch 15. a 2—a 4 a 7—a 5; 16. D d 1—d 3 seinerseits die
feindliche Rochade zu bedrohen; allein hier wird wohl nach
16. h 4—h 3, 17. S b 1—d 2 h 3—g 2: 18. T f 1—e 1 D e 7
h 7 u. s. w. Schwarz zuerst mit der Attake durchdringen.


§. 184. Haben beide Parteien nach derselben Seite
rochirt, so muss der Angriff der Bauern vor dem Könige
gegen die feindliche Rochade mit grosser Umsicht geleitet
werden, da bei ungünstigem Erfolge die Entblössung des
eigenen Königs leicht übele Folgen haben kann. Am besten
[120] bringt man bei solchen Angriffen den König in die Ecke,
den Thurm aber in die Springerlinie und rückt dann mit
den so gedeckten Bauern vor. Besonders günstig wirkt in
solchem Falle oft die Oeffnung der Springerlinie für den
Thurm, welcher, wo möglich nach Verdoppelung durch den
anderen, die Fronte vor dem feindlichen Könige bestreicht.


Oft ist auch die Oeffnung der Lauferlinie durch Be-
wegung des Lauferbauern f 2—f 4 von grossem Vortheil,
besonders wenn letzterer nach f 5 vorzurücken und die feind-
lichen Officiere zurückzudrängen vermag. Die Thürme wer-
den dann häufig gut auf f 1 und f 3 postirt, letzterer auch
mit Vortheil nach g 3 geführt.


§. 185. Kann man beim Rochadeangriff den Ver-
theidigenden zur Bewegung des Bauers g 7—g 6 oder g 2—g 3
verleiten, so bringt dies nicht selten wirksamen Vortheil.
Ein Läufer auf f 6 oder h 6 (f 3 oder h 3) postirt übt dann
mächtigen Druck auf die Vertheidigung, und kann diesem
Angriff durch die Dame oder andere Officiere weitere Folge
gegeben werden, so ist hier häufig ein schneller Sieg zu
erringen. Besonders wichtig für den Rochadeangriff ist end-
lich noch die Stellung der beiden Läufer auf dem entgegen-
gesetzten Flügel. Sie wirken hier aus der Ferne nicht sel-
ten entscheidend, indem sie auf die Bewegung der feind-
lichen Rochadebauern einen unwiderstehlichen Druck aus-
üben.


Schliesslich verweisen wir wegen Beispiele zu den in
verschiedener Art gelungenen Rochadeangriffen auf die prak-
tischen Partien im Theile der Praxis.


Dreizehntes Kapitel.
Anwendung der Officiere.

§. 186. Die Thätigkeit des Königs tritt (nach §. 89
des ersten Buches) in der Eröffnung wenig hervor; nur in
einigen seltenen Anfängen (z. B. im Laufergambit) wirkt er
[121] auf den Feldern f 1, g 1 oder f 2 zur Einleitung von Mittel-
und Flügelangriff mit. Auf f 2 wird er zuweilen gebracht,
um bei offener Königslinie schnell den Königsthurm wirken
zu lassen. Dies geschieht besonders, wenn die feindliche
Dame sich vor ihren König auf eine Linie mit letzterem
gestellt hat. Ueber die Thätigkeit des Königs im Endspiele,
seine regelmässige Sicherstellung durch frühe Rochade, end-
lich über die Abwehr einzelner Angriffe vergleiche man
§. 89 und §. 161.


§. 187. Die Thätigkeit der Dame soll ebenfalls in den
ersten Momenten einer regelmässigen Eröffnung so gering
als möglich sein. Ueber ihre Verwendung sowie ihr Ent-
gegentreten der feindlichen Dame sehe man §. 90 und
§. 172. Im Endspiele ist sie die beste Bauernstütze,
namentlich auf der zweiten Reihe ihrer Partei. Ihre Sicher-
stellung erfolgt nicht selten auf ihrem eigenen Felde oder
auf den in §. 90 angegebenen Punkten. Gleichzeitige
Angriffe des Gegners gegen sie und den König müssen vor
allen Dingen vermieden werden. Man sehe folgendes treffende
Beispiel: 1. e 2—e 4 e 7—e 5; 2. d 2—d 4 e 5—d 4;
3. D d 1—d 4; S b 8—c 6; 4. D d 4—d 1 L f 8—c 5;
5. L f 1—c 4 d 7—d 6; 6. D d 1—f 3 S g 8—f 6; 7. L c 1
g 5 S c 6—d 4; 8. D f 3—c 3, um den Punkt c 2 zu decken;
nun folgt aber 8. L c 5—b 4 D c 3—b 4:, 9. S d 4—c 2: †
und gewinnt die Dame. Ueber den Abtausch der Damen
vergleiche man §. 90. Zu vermeiden ist der Tausch,
wenn die feindliche Partei ein materielles Uebergewicht hat;
in letzterem Falle besonders, wenn sich noch Hoffnung zeigt,
durch die Dame ein ewiges Schach zu erzwingen.


§. 188. Ueber die Thätigkeit der Thürme auf offenen
Linien und ihre Verdoppelung sehe man §. 91; über
ihren Angriff gegen die feindliche Rochade aber §. 91.
Gegen das Ende der Partie wirken beide Thürme auf der
zweiten Reihe des Gegners oft einen unwiderstehlichen An-
griff gegen den feindlichen König. Ueberhaupt findet der
Thurm auf jener Reihe oft einen guten Platz, um die Bauern
des Gegners aufzuräumen. Endlich ist der Thurm in dem-
selben Maasse ein Bauernführer wie der Laufer ein Bauern-
[122] wehrer. — In der Mitte der Partie stehen die Thürme
nicht selten sehr gut auf den Feldern vor König und Dame.
— Ueber den Abtausch der Thürme endlich vergleiche
man §. 91.


§. 189. Die Laufer bedingen nebst den Springern
hauptsächlich den Eröffnungsangriff und leiten den Mittel-
angriff ein. Ueber ihre Stellung vergleiche man §. 86.
Der Damenlaufer findet nicht selten auf b 2 einen guten
Platz; in manchen Anfängen vermag er auch, wie §. 181
zeigt, auf a 5 mit Wirksamkeit die feindliche Rochade zu
hindern. Der Königslaufer dagegen bildet auf c 4 oder b 3
den Hauptangriffshebel gegen den feindlichen König, man
sehe §. 182. Deshalb wird nicht selten nach §. 172
die Opposition des feindlichen Damenlaufers erforderlich.
Die Laufer eignen sich ferner im Eröffnungsangriff zur
Sperrung der feindlichen Springer; die Lehre darüber sehe
man in §. 174. Beide Laufer in ihrer Vereinigung sind
endlich die wirksamste Waffe für den Rochadeangriff. Sie
wirken aus der Ferne und müssen, falls sie belästigt werden,
unter Festhaltung derselben Direction zurückgezogen werden.
Im Endspiele sind die Laufer besonders geschickt, dem
Streben feindlicher Bauern zum Avancement vorzubeugen.
Ueber ihr Verhältniss zu den Springern in dieser Beziehung
sehe man §. 92, 93. Bei Mehrzahl von einigen Bauern
auf einer Seite bleibt die Partie nicht selten remis, wenn
jede Partei nur einen Laufer und zwar von entgegengesetzter
Farbe als der Gegner hat.


§. 190. Die Thätigkeit des Springers ist vorzüglich auf
den Angriff berechnet. Er eignet sich besonders gut zu
Doppelangriffen, z. B. gegen König und Dame, wie oben
§. 94, oder gegen König und Thurm. Seine active Deckung
angegriffener Figuren ist wenig zu empfehlen, da er sich
Angriffen auf ihn selbst, nicht wie der Laufer unter Fest-
haltung derselben Direction entziehen kann. Seine passive
Deckung des Königs aber gegen die feindliche Dame ist in
§. 181 anerkennend hervorgehoben. Nachtheilig wirkt sein
eigenthümlicher Gang auf die Geschwindigkeit in der Er-
reichung gewisser Felder und auf die Sicherheit seiner
[123] Stellung an gewissen Punkten. In ersterer Beziehung be-
merke man, dass ein Springer das dritte schräge Feld von
seinem Standfelde aus nicht vor dem dritten Zuge angreifen,
nicht vor dem vierten Zuge betreten kann, z. B. das Feld
e 5 von c 3 aus. In der anderen Hinsicht wird ein Springer
in der Ecke von dem Könige erobert, oder ein Springer
am Rande, z. B. auf a 4, von einem feindlichen Laufer, z. B.
auf d 4, festgehalten. Die besonders wichtige Verwendung
der Springer in der Eröffnung lehren genugsam die vor-
hergehenden Kapitel. Er eignet sich am besten zur Auf-
opferung, um dem Angriffe Bahn zu brechen und vermag
das eigenthümliche erstickte Matt (siehe §. 48) hervor-
zubringen. Seine Wirksamkeit im Endspiel übertrifft nicht
selten den einzelnen Laufer (vergl. §. 92), dagegen sind
zwei Laufer gewöhnlich stärker als zwei Springer. Die
Opposition der Springer in der Eröffnung endlich ist in
§. 172 genugsam erläutert.


Vierzehntes Kapitel.
Anwendung der Bauern.

§. 191. Die wichtigste Thätigkeit der Bauern für Er-
öffnung und Mitte der Partie besteht in der Einleitung der
Angriffe; frühere Kapitel haben in dieser Beziehung die be-
sondere Bedeutung der einzelnen Bauern speciell erwiesen.
Man vergleiche hier §. 173 u. ff. Die Eroberung eines feind-
lichen Bauer bei jenen Angriffen ist im Falle gleicher
Stellung gewöhnlich entscheidend. Der Werth des Bauern
wächst, je mehr die Partie sich dem Ende neigt, er selbst
aber zum Avancement Aussicht gewinnt. So können selbst
zwei verbundene Bauern, welche die Mitte passirt haben,
gegen einen einzelnen feindlichen Thurm den Sieg erringen.
— Die eigenthümliche Gang- und Schlagweise des Bauern
giebt endlich noch zu zwei allgemeinen Bemerkungen Ver-
[124] anlassung. Häufig gewährt ein feindlicher Bauer vor dem
Könige diesem die beste Deckung; man vergleiche §. 181.
Greift ein Bauer zu gleicher Zeit zwei Officiere an, so er-
hält man die sogenannte Gabelstellung, welche bereits aus
dem 17. Zuge der Partie in §. 59 bekannt ist.


§. 192. Nicht selten ist es vortheilhaft, einen leichten
Officier gegen mehrere feindliche Bauern zu opfern, falls
man dadurch freie und verbundene Bauern gewinnen kann.
Freilich hängt der Vortheil dieses Verfahrens von der jedes-
maligen Lage des Spieles ab; doch kennt die Theorie selbst
einige besondere Anfänge (z. B. im giuco piano und Can-
ningham-Gambit), in welchen jener Plan mit mehr oder
weniger Erfolg sich durchführen lässt.


§. 193. Die Wichtigkeit der Freibauern, so wie die
allgemeine Regel über Benutzung der Doppelbauern ist in
§. 94 erörtert worden. In wiefern Doppelbauern auf der
Lauferlinie besonders geschickt zur Vertheidigung gegen den
Mittelangriff sich erweisen, haben wir in §. 179 gesehen.
Oft wird auch ein Doppelbauer zur Stütze des Centrums
und zur Bedingung eines kräftigen Rochadeangriffes, wie man
aus §. 179 ebenfalls ersehen mag.


§. 194. Die Bedeutung der Mittelbauern für den Mit-
telangriff ist im 11. Kapitel dieses Buches ausführlich
erörtert. Dort sind die Regeln über Bildung und Benutzung
eines Centrums zu finden. Die Verwendung des c-Bauers
zu diesem Zwecke ist ebenfalls genugsam hervorgehoben;
man vergleiche hier besonders §. 175. Schwieriger ist die
richtige Führung des wichtigen f-Bauers. Die correcte Be-
wegung desselben nach vorhergehender Entwickelung der
Hauptfiguren ist in §. 173 gezeigt; seine Bedeutung für den
Rochadeangriff aber in §. 184. Die Ermöglichung seiner
Bewegung durch Entfernung des Königsspringers ersehe man
aus §. 178. Die eigenthümlichen Vortheile und Nachtheile
endlich in der einzügigen Bewegung dieses Bauers findet
man in §. 173 und §. 179 erläutert.


§. 195. Die Bewegung der Flügelbauern kommt zu-
nächst gegen die Sperrung der Officiere in Betracht; ihr
Vortheil und Nachtheil in dieser Beziehung ist genugsam in
[125] §. 174 erwogen. Besonders wichtig sind jene Bauern zur
Einleitung des Rochadeangriffes; man vergleiche hier §. 183
und 184. Ihre einzügige Bewegung namentlich des g-Bauers
zur Rochadedeckung ist selten zu empfehlen, wie z. B. §. 185
zeigt. Noch haben jene Bauern eine besondere Wichtigkeit
für die Vertheidigung gegen gewisse Gambitangriffe. Bei-
spiele davon wird die specielle Theorie der Eröffnungen vor-
führen. Schliesslich ist noch zu berücksichtigen, dass die
einzügige Bewegung des Thurmbauers nicht selten zur noth-
wendigen Deckung des Königs erfordert wird, namentlich
wenn letzterer durch ein Opfer, wie im Zweispringerspiel,
herausgebracht ist.


Fünfzehntes Kapitel.
Werth der Figuren.

§. 196. Beim Werth der Steine kann man Spielwerth
von Tauschwerth unterscheiden. Ersterer ist der eigenthüm-
liche Werth eines Steines, welcher durch dessen Gangart
und Stellung bedingt wird. Es giebt hier keinen besonderen
Maassstab als allein die eigenthümliche Lage des Spieles.
So kann nach Umständen ein Springer wirksamer als die
Dame sein, ja ein Bauer grösseren Werth als letztere haben.
Ersterer giebt das erstickte Matt, letzterer schlägt en passant;
es kann Fälle geben, in denen diese Möglichkeiten, welche
der Dame nicht zu Gebote stehen, entscheiden. Steht von
Weiss der König auf h 2, ein Springer auf e 7, Bauern aber
auf h 3, g 2 und f 3 und von Schwarz der König auf h 5,
die Dame auf h 4, ein Thurm auf a 7, Bauern aber auf h 6
und g 5, so gewinnt Weiss durch g 2—g 4, während er,
wenn die schwarze Dame ein Bauer wäre, verlieren müsste.
In der Stellung des weissen Königs auf f 6, zwei weisser
Bauern auf f 7 und h 5, des schwarzen Königs auf h 7 und
eines schwarzen Bauers auf h 6 kann Weiss bei f 7—f 8 nur
gewinnen, wenn dieser Bauer zu einem leichten Officier,
[126] z. B. zu einem Läufer, wird; würde er Dame oder Thurm,
so wäre Schwarz Patt und das Spiel remis. Hier hat also
ein leichter Officier grösseren Werth, als Dame oder Thurm.


§. 197. Der Tauschwerth dagegen ist der Vergleichs-
werth, welchen die einzelnen Figuren im Verhältniss zu
einander und nach Maassgabe ihrer Wirksamkeit haben.
Diese Wirksamkeit wird von der Gangweise und von der
Fähigkeit zum Mattsetzen im Allgemeinen abhängig gemacht.
Die Dame allein soll danach etwas stärker als Thurm und
Laufer sein; zwar ist die Zahl der beherrschten Felder die-
selbe, aber Thurm und Laufer brauchen stets zwei Züge,
wo der Dame einer genügt. Zwei Thürmen gegenüber soll
sie im Endspiel etwas im Nachtheil sein; ihre grosse Beweg-
lichkeit gestattet aber auch hier in den meisten Fällen gün-
stige Ausgleichung. Schwächer ist sie im Allgemeinen als
drei leichte Officiere, obgleich bei einem gebotenen Tausche
der Art auf die eigenthümliche Stellung vorzügliche Rück-
sicht zu nehmen ist. Nur bei völliger Sicherstellung des
Königs und günstiger Entwickelung der Thürme ist die Hin-
gabe der Dame gegen drei leichte Officiere zu empfehlen.
Bei unentwickeltem und nicht festen Spiele hüte man sich
aber vor dem Tausche.


§. 198. Läufer und Springer haben durchschnittlich
gleichen Tauschwerth, doch hält man im Allgemeinen zwei
Läufer für stärker als zwei Springer. Auch sind Läufer und
Thurm besser als Springer und Thurm. Zwei Thürme fer-
ner schätzt man drei leichten Officieren gleich und Thurm
nebst zwei Bauern hält man für besser als zwei leichte
Officiere. Was die Bauern endlich betrifft, so rechnet man
drei Bauern einem leichten Officier gleich, doch sind drei
verbundene oder freie Bauern nicht selten etwas mehr werth
als Laufer oder Springer. Man hat auch wohl zur mathe-
matischen Abschätzung einen Bauer der Mitte als Einheit
angenommen und danach den Werth der Steine in Zahlen
angegeben. So sollen die Thurmbauern um ⅓ schwächer
als die anderen sein, also gleich ⅔, die leichten Officiere
schätzt man dann je gleich 3; den Thurm aber gleich 5;
die Dame endlich gleich 10. Könnte der König getauscht
[127] werden, so würde er einen Werth von 4½ haben. Solche
Durchschnittswerthe haben natürlich für die Praxis gar kei-
nen Sinn, sie können höchstens einen annähernden Maass-
stab für die Beurtheilung beim wirklichen Tausch in der
Praxis abgeben. Für letztere haben eigentlich nur die vor-
her angegebenen relativen Werthbestimmungen wirklichen
Nutzen.


Sechszehntes Kapitel.
Die Notation.

§. 199. Für die Bezeichnung der einzelnen Schach-
felder zur Darstellung der Züge sind von jeher verschiedene
Methoden in Anwendung gebracht. Die Theoretiker sowie
die grosse Mehrzahl der Meister kommen aber darin gegen-
wärtig überein, dass unsere deutsche Methode durch An-
wendung von Buchstaben und Zahlen die praktisch bequemste
Notation ergiebt. Um den Leser hier selbst urtheilen zu
lassen, wollen wir ihm in Kürze die wichtigsten bisher ge-
bräuchlichen Notationen vorführen.


§. 200. Als nächstliegende Notation hat man früher
fast allgemein die schwerfällige Umschreibung der Felder
nach der ursprünglichen Aufstellung der Figuren angewandt.
So nannte man die Reihe e 1—e 8 die Königsreihe, die Reihe
a 1—a 8 dagegen die Reihe des Damenthurmes und das
Feld e 5 hiess das fünfte Feld des Königs, wie das Feld a 8
das achte Feld des Damenthurmes. Der Anfang 1. e 2—e 4
e 7—e 5; 2. S g 1—f 3 S b 8—c 6 lautete daher 1. der Königs-
bauer geht zwei Schritt, der schwarze Königsbauer ebenfalls;
2. der Königsspringer geht auf das dritte Feld des Laufers,
der Springer der Dame geht auf das dritte Feld ihres Lau-
fers. Diese von Philidor adoptirte Notation hat sich noch
in Frankreich und England erhalten.


§. 201. Nicht weniger nahe lag es ferner, sämmtliche
Felder des Schachbrettes nach der Reihe der natürlichen
[128] Zahlen von 1 bis 64 zu bezeichnen. Man fing dabei von
a 8 an und endete von links nach rechts gehend auf h 1 mit
64. Sehr lange Zeit kostet es aber, diese unpraktische
Methode genau einzuprägen. Der obige Anfang lautet hier:
1. Bauer auf 37, Bauer auf 29; 2. Spr. auf 46, Spr. auf 19.
Nur von einzelnen unbedeutenderen Schriftstellern wurde
diese Notation versucht.


§. 202. Eine dritte Methode kommt der unsrigen am
nächsten, indem sie nur statt der Buchstaben ebenfalls Zah-
len wählt. Diese Methode ist insofern mangelhaft, als sie
die scharfe Unterscheidung zwischen den beiden Reihen
nicht deutlich ausspricht und die beiden neben einander-
gestellten Ziffern leicht als zusammengehörige Zahl lesen
lässt. Danach lautet der obige Anfang, wenn man also statt
der Buchstaben die entsprechenden Zahlen einsetzt, folgen-
dermassen: 1. 5 2—5 4, 5 7—5 5; 2. S 7 1—6 3, S 2 8
—3 6. Von Koch wurde diese Notation vorgeschlagen.


§. 203. Endlich hat man jede Figur durch einen be-
stimmten Buchstaben markirt, die Felder aber nach der zu-
letzt angegebenen Methode bezeichnet. Man giebt dann für
jeden Zug nur das Zeichen der zu ziehenden Figur so wie
ihr Zielfeld an. Der Damenthurm aber hat das Zeichen A,
der Damenspringer B, der Damenlaufer C, die Dame D,
der König E, der Königslaufer F, der Königsspringer G,
der Königsthurm H, und die Bauern werden nach der Linie
von a—h durch die betreffenden kleinen Buchstaben aus-
gezeichnet. Der benutzte Anfang lautet daher 1. e 54, e 55;
2. G 63, B 36. Diese Methode scheint zwar nicht unprak-
tisch, hat aber den Mangel, dass die zu ziehende Figur erst
auf dem Brett gesucht werden muss, während bei unserer
Methode die einfache Angabe von Standfeld und Zielfeld
die Hand leicht und sicher zu dem betreffenden Zuge hinführt.


[129]
Fünfter Theil.
Lehre von den Eröffnungen.

Siebenzehntes Kapitel.
Einleitung.

§. 204. Die Grundbegriffe dieses auf das praktische
Spiel so einflussreichen Theiles der Schachtheorie findet man
im 21. Kapitel des ersten Buches im Allgemeinen dargestellt.
Hier haben wir uns zunächst noch mit speciellen einleitenden
Grundsätzen, welche für die ganze Theorie von Entscheidung
sind, zu beschäftigen. Es entsteht zuerst die Frage nach
der Eintheilung und Begrenzung der einzelnen Eröffnungs-
arten. Die Autoren haben hier nach Belieben verschiedene
Anwendungen des Stoffes getroffen, indem sie theils nach
Willkühr den oder jenen Anfang, welcher sich zunächst am
natürlichsten darbot, ins Auge fassten, theils von einer be-
sonderen Variante, die sie für das correcteste Spiel hielten,
ausgingen. Die eigenthümliche Einrichtung des ganzen Spie-
les lässt nun gewiss eine von beiden Parteien so streng als
möglich correct durchgeführte Partie denken, die man des-
halb zur Normaleröffnung des Spieles erheben kann. Alle
anderen Anfänge werden ihr gegenüber als mehr oder min-
der verwerfliche Abweichungen angesehen.


§. 205. Die Möglichkeit der Normaleröffnung lässt sich
aus der völlig gleichen Ausrüstung beider Parteien leicht
dahin bestimmen, dass in solchem Anfange die Entwickelung
auf beiden Seiten nach §. 86 in gleich correcter und con-
sequenter Folge vor sich geht. Die analytische Begründung
dieses Satzes erfolgt aber zunächst aus einer tieferen Be-
trachtung des Verhältnisses zwischen Angriff und Vertheidi-
gung im Anfange der Partie überhaupt.


§. 206. Man fasst im streng theoretischen Sinne nach
§. 166 den Anziehenden als die Angriffspartei, den Nach-
9
[130] ziehenden als die Vertheidigungspartei auf. Der Angriff aber
besteht für die Eröffnung entweder in einzelnen Entwicke-
lungszügen, und in diesem Falle nennen wir ihn den allge-
meinen
Angriff, oder in directen Attaken auf bestimmte
Punkte des Gegners, d. i. der directe Angriff. Auf gleiche
Weise theilt sich die Vertheidigung in allgemeine und
directe. Gewöhnlich entspricht nun dem allgemeinen An-
griff auch die allgemeine Vertheidigung. Doch lässt sich
dies Verfahren nur so lange annehmen, als die Angriffszüge
wirklich correcter Natur sind; denn gegen incorrecte An-
griffe wird die Vertheidigung nicht selten als entscheidende
Antwort den Gegenangriff aufnehmen. So lange aber die
Bewegungen der Angriffspartei als richtig gelten, muss auch
an dem eben gegebenen Grundsatze über das correspondi-
rende Verhältniss von Angriff und Vertheidigung festgehalten
werden.


§. 207. Fassen wir nun den in §. 86 gegebenen Grund-
satz für den Eröffnungsangriff ins Auge, so tritt hier zu-
nächst als correctester Angriff die Bewegung der Mittel-
bauern entgegen. Wir wählen zunächst den Königsbauer,
welcher Dame und Königslaufer zugleich den Ausgang er-
öffnet und schon von vornherein einen directen Angriff ver-
steckt in sich birgt. Da nach §. 181 der Königsangriff sich
zuerst an den Punkt f 7 knüpft, so gewährt der Königsbauer,
welcher dem Laufer das Feld c 4 öffnet, dadurch unstreitig
eine Grundlage und Vorbereitung für jenen directen An-
griff; er trägt somit die Natur eines directen Angriffs-
momentes ebenfalls in sich. Die Vertheidigung hat deshalb
nicht nur dem allgemeinen Angriffe, welcher in 1. e 2—e 4
liegt, sondern auch dem eben angedeuteten damit zusammen-
hängenden directen Angriffe zu entsprechen. Ersteres kann
allein durch die Bewegung desselben Bauers, letzteres aber
durch seine einzügige Bewegung erreicht werden. Denn
durch diesen Zug, d. i. 1. e 7—e 6, wird die Bewegung des
Damenbauers d 7—d 5 vorbereitet und dadurch der Laufer
von der Diagonale c 4—f 7 und somit von dem directen
Angriffe auf letzteren Punkt abgeschnitten. Daneben öffnet
auch die einzügige Bewegung des Königsbauers sowohl
[131] Dame wie Laufer freien Ausgang. Es gilt demnach der
Anfang 1. e 2—e 4 e 7—e 6, welcher innig dem Verhältnisse
von Angriff und Vertheidigung in der Eröffnung entspricht,
als der überhaupt correcteste Anfang oder als die Normal-
eröffnung des Spieles. Die analytische Fortsetzung dieses
Anfanges wird zeigen, dass er die in §. 205 gegebenen für
die Normaleröffnung erforderlichen Bedingungen vollkommen
erfüllt.


§. 208. Sämmtliche andere Eröffnungen lassen sich nun
zunächst in zwei grosse Klassen scheiden, je nachdem der
Nachziehende oder der Anziehende von dem normalen An-
fange abweicht. Im ersteren Falle ergeben sich die anor-
malen Vertheidigungseröffnungen, im anderen die anormalen
Angriffseröffnungen. Unter jenen zeichnet sich besonders
die sogenannte Königsbauereröffnung oder das début royal
1. e 2—e 4 e 7—e 5 aus; ihm zunächst steht die sicilianische
Partie 1. e 2—e 4 c 7—c 5; sodann andere unregelmässige,
d. i. fehlerhafte Anfänge, z. B. 1. e 2—e 4 d 7—d 5, welche
keiner speciellen Erörterung bedürfen (vgl. §. 63). Unter
den anormalen Angriffseröffnungen sind von besonderer Wich-
tigkeit der Anzug des Damenbauers 1. d 2—d 4 und der
Lauferbauern 1. c 2—c 4 oder 1. f 2—f 4.


Erster Abschnitt.
Die Normal-Eröffnung.

Achtzehntes Kapitel.
Die Normalpartie.

§. 209. Nach dem correcten Eröffnungsprincip, wel-
ches (s. §. 86) Bewegung der Mittelbauern und dann Ent-
wickelung der Königsfiguren nebst der Rochade vorschreibt,
kommt in der Normaleröffnung
1. e 2—e 4 e 7—e 6
9*
[132] zunächst für beide Parteien die Bewegung des Damenbauer
2. d 2—d 4 d 7—d 5
in Betracht. Es geschieht sodann
3. e 4—d 5: e 6—d 5:
und in der jetzt gleichen Stellung beider Parteien kann nun
nach obigem Grundsatze die Entwickelung der Königsfiguren
durch
4. S g 1—f 3 S g 8—f 6
5. L f 1—d 3 L f 8—d 6
6. Rochirt Rochirt

erfolgen. Hierauf steht der mehr oder weniger gleichartigen
Entwickelung der Damenfiguren, z. B. durch
7. L c 1—e 3 L c 8—e 6
8. S b 1—c 3 S b 8—c 6
9. D d 1—d 2 D d 8—d 7
10. Th a 1—e 1 Th a 8—e 8 u. s. w.

nichts mehr im Wege. Letztere konnte, wie gesagt, auf
verschiedene Weise, z. B. auch durch 7. L c 1—e 3 L c 8
e 6; 8. c 2—c 3 S b 8—c 6; 9. S b 1—d 2 D d 8—e 7;
10. D d 1—c 2 Th a 8—e 8 vor sich gehen. Bei 7. c 2—c 4
könnte 7. c 7—c 5; 8. c 4—d 5: c 5—d 4: u. s. w. ge-
schehen.


§. 210. Der allgemeine Charakter des ganzen eben
vorgeführten Anfanges zeigt nicht nur von der einfachsten
und leichtesten Möglichkeit der Vertheidigung, sondern zu-
gleich von der vollkommensten Befriedigung der in obigem
Grundsatze für die Eröffnung beider Parteien ausgesproche-
nen Bedingungen. Dadurch wird die in §. 207 gegebene
Behauptung über den Charakter der Normaleröffnung durch-
aus begründet. Endlich ersieht man auch aus der Aus-
gleichung des Centrums, dessen Bildung in der Bewegung
beider Mittelbauern der Eröffnungsgrundsatz (s. §. 86) zu-
nächst vorschrieb, die einfachste und correcteste Durchfüh-
rung der Vertheidigung, indem bei gleicher Berechtigung
beider Parteien die Ansprüche sich gleichmässig auf einen
einfachen Mittelbauer (d 4 und d 5) reduciren müssen, da
bei der eigenthümlichen Schlagweise beiderseits doppelte
Mittelbauern unmöglich Stand halten können.


[133]

§. 211. In letzterer Beziehung möchte indess manchem
Spieler der dritte Zug der vorgeführten Partie zweifelhaft
erscheinen, indem er vielleicht statt 3. e 4—d 5: das Ver-
rücken des Königsbauers 3. e 4—e 5 vorziehen würde. Mit
solchem fehlerhaften Zuge weicht aber der Angreifer sofort
von dem Charakter der Normalpartie ab; seine Schwäche
wird in dem nächsten Kapitel, welches von solchen Neben-
varianten der Normaleröffnung handelt, genau erkannt wer-
den. Hier wollen wir noch auf einige Abweichungen inner-
halb der Hauptvariante der Normaleröffnung selbst, oder der
eigentlichen Normalpartie, welche durch die drei ersten Züge
des §. 209 constituirt wird, näher eingehen.


§. 212. In dem normalen Anfang 1. e 2—e 4 e 7—e 6;
2. d 2—d 4 d 7—d 5; 3. e 4—d 5: e 6—d 5: pflegen nun
manche Spieler mit dem Angriff 4. c 2—c 4 fortzufahren.
Dergleichen Züge des Lauferbauern sind aber nach §. 173
vor genügender Entwickelung der Hauptfiguren nicht zu
empfehlen; sie gelten als voreilige Attaken. Der Gegen-
angriff im vorliegenden Falle besteht in dem Schach des
Laufers 4. L f 8—b 4 †, worauf nach 5. S b 1—c 3 nun die
gleiche Vertheidigung durch 5. c 7—c 5 wiederhergestellt
werden kann. Bei 6. c 4—d 5: erfolgt dann 6. D d 8—d 5:
7. a 2—a 3 L b 4—a 5; 8. b 2—b 4 D d 5—e 6 †; 9. S c 3
e 2 c 5—b 4: 10. L c 1—d 2 D e 6—d 6; 11. D d 1—a 4 †
S b 8—c 6; 12. T a 1—b 1 L c 8—d 7; 13. a 3—b 4: L a 5
b 6; und der Nachziehende erobert bei guter Position den
feindlichen Damenbauer. Geschähe aber sofort 6. a 2—a 3
so wäre die Folge 6. L b 4—c 3 †; 7. b 2—c 3: S g 8—e 7;
8. c 4—d 5: D d 8—d 5: 9. S g 1—f 3 c 5—d 4: 10. c 3
d 4: L c 8—g 4; 11. L f 1—e 2 S b 8—c 6; 12. L c 1—b 2
L g 4—f 3: 13. L e 2—f 3: D d 5—a 5 † 14. D d 1—d 2
D a 5—d 2: 15. K e 1—d 2: Rochirt auf c 8 etc. zu Gunsten
der Vertheidigung.


Wenn jedoch nach 4. c 2—c 4 das Lauferschach 4. L f 8
b 4 † durch 5. L c 1—d 2 gedeckt wird, so möchte die
Fortsetzung 5. D d 8—e 7 † 6. D d 1—e 2 L c 8—e 6; 7. c 4
d 5: L b 4—d 2 †, 8. S b 1—d 2: L e 6—d 5; 9. S g 1—f 3
S b 8—c 6; 10. D e 2—e 3 L d 5—f 3: 11. S d 2—f 3:
[134] Rochirt; 12. T a 1—d 1 D e 7—b 4 † 13. D e 3—d 2 S c 6
d 4: 17. S f 3—d 4: T d 8—d 4: oder 17. D d 2—b 4: S d 4
c 2 † u. s. w. den Nachziehenden günstig stellen.


§. 213. Noch weniger rathsam wäre nach 1. e 2—e 4
e 7—e 6; 2. d 2—d 4 d 7—d 5; 3. e 4—d 5: e 6—d 5:
4. S g 1—f 3 jetzt für die Vertheidigung der Zug 4. c 7—c 5.
Es folgt 5. L f 1—b 5 † S b 8—c 6; 6. c 2—c 4 a 7—a 6;
7. L b 5—c 6: b 7—c 6: 8. c 4—d 5: c 6—d 5: 9. S b 1—c 3
L c 8—e 6; 10. L c 1—e 3 und der Anziehende wird einen
starken Angriff gewinnen.


Folgt aber auf 4. S g 1—f 3 etwa 4. L c 8—g 4 so wäre
zunächst 5. L f 1—e 2 die beste Fortsetzung.


Neunzehntes Kapitel.
Nebenvarianten der Normaleröffnung.

§. 214. Die Nebenvarianten der Normaleröffnung ent-
stehen durch Abweichungen innerhalb der ersten drei Züge,
welche die eigentliche Normalpartie oder die Hauptvariante
der Normaleröffnung bedingen. Der Anziehende kann im
dritten Zuge durch 3. e 4—e 5, beide Parteien aber
können im zweiten Zuge von der Bewegung des Damen-
bauers abweichen.


§. 215. Die Schwäche des Zuges 3. e 4—e 5 im An-
fange 1. e 2—e 4 e 7—e 6; 2. d 2—d 4 d 7—d 5 beruht auf
dem schon in §. 173 gerügten Fehler übereilter Bauern-
führung. Das weisse Spiel wird hier, noch ehe die Stellung
durch Entwickelung der Hauptfiguren genügenden Halt ge-
wonnen hat, durch frühzeitiges Vorrücken des Königsbauers
zu sehr geöffnet; bald muss, um letzteren zu halten, f 2—f 4
erfolgen und die Position wird dann weit aufgerissen, der
König aber blosgestellt. Der analytische Beweis liegt in
der Fortsetzung 3. e 4—e 5 c 7—c 5; 4. c 2—c 3 S b 8—c 6;
5. f 2—f 4 D d 8—b 6; 6. S g 1—f 3 L c 8—d 7; 7. L f 1
e 2 S g 8—h 6; 8. Rochirt c 5—d 4: 9. c 3—d 4: S c 6
[135]d 4: 10. S f 3—d 4: S h 6—f 5 u. s. w. zu Gunsten des
Schwarzen; auf 8. b 2—b 3 aber würde 8. c 5—d 4: 9. c 3
d 4: L f 8—b 4 † ein gleiches Resultat erzielen. Unter-
bleibt endlich f 2—f 4 so könnte 5. S g 1—f 3 D d 8—b 6
6. L f 1—d 3 geschehen, um, wenn Schwarz sich jetzt auf
6. c 5—d 4: 7. c 3—d 4: S c 6—d 4: 8. S f 3—d 4: D b 6
d 4: einlässt, durch 9. L d 3—b 5 † die Dame zu gewinnen.
Schwarz zieht deshalb vor, mit 6. L c 8—d 7 zu antworten
und wird nach 7. L d 3—c 2 T a 8—c 8; 8. Rochirt f 7—f 6;
9. b 2—b 3 c 5—d 4: 10. c 3—d 4: f 6—e 5: 11. d 4—e 5:
L f 8—c 5 u. s. w. sich besser stellen.


§. 216. Abweichungen im zweiten Zuge der in §. 209
gegebenen Normalpartie verletzen zunächst direct das all-
gemeine Eröffnungsprincip und sind deshalb an und für sich
nicht zu empfehlen. Der Laufer 2. f 1—c 4 würde nach
2. d 7—d 5; 3. 3. e 4—d 5: e 6—d 5: zurückgedrängt wer-
den und daher Tempoverlust mit sich führen. Besonders
mangelhaft sind aber Züge, wie 2. f 2—f 4, welche nach
§. 173 besonderen Tadel verdienen. Es kann 2. f 2—f 4
d 7—d 5; 3. e 4—e 5 c 7—c 5; 4. S g 1—f 3 S b 8—c 6;
5. c 2—c 3 f 7—f 6 erfolgen, und Schwarz wird sich hier
meist günstig stellen. Weniger schädlich als 2. f 2—f 4
wäre 2. c 2—c 4. Darauf kann 2. c 7—c 5 geschehen, zöge
aber der Nachziehende auf 1. e 2—e 4 e 7—e 6; 2. d 2—d 4
etwa 2. c 7—c 5, so würde 3. d 4—d 5 mit Positionsvor-
theil für Weiss erfolgen.


[136]
Zweiter Abschnitt.
Die Königsbauer-Eröffnung.

Zwanzigstes Kapitel.
Einleitung.

§. 217. Die Königsbauereröffnung 1. e 2—e 4 e 7—e 5
ist zwar nicht vollkommen correct, da sie weder dem Streben
des feindlichen Königsangriffs auf f 7 direct entgegenwirkt,
noch überhaupt den Anforderungen beider Parteien auf gleich-
artige correcte Entwickelung genügt, vielmehr durch den
Punkt e 5 nur zu directen Angriffen Veranlassung giebt; sie
bietet aber gerade wegen dieser eigenthümlichen Schwächen,
welche bei Weitem noch nicht entscheidenden Nachtheil,
sondern nur eine mehr oder weniger schwierige Vertheidi-
gung zur Folge haben, besondere Gelegenheit zur Erörterung
aller nur möglichen Angriffscombinationen des Spieles und
gilt daher als besonderes Bildungsmittel für das Studium wie
als ergiebigste Quelle für interessante praktische Spiele.


§. 218. Nach §. 206 kann der Angriff in der Eröff-
nung zunächst doppelter Natur, d. h. allgemein oder direct
sein. Durch Verbindung beider Angriffsarten gewinnt man
ein drittes Verfahren, welches wir den gemischten Angriff
nennen wollen. Der allgemeine Angriff erfordert nun auch
in der Königsbauereröffnung wie überall zuerst die unge-
störte Entwickelung der Königsfiguren nebst der Rochade.
Der directe Angriff dagegen verfolgt allein den Zweck der
Eroberung des Bauers e 5. Der gemischte Angriff endlich
wird durch eine innige Vereinigung von allgemeinen und
directen Angriffszügen constituirt. Letztere betreffen zwar
ebenfalls den Punkt e 5 doch ohne alleinigen Zweck ihn
durchaus zu erobern. Es kommt hier nur auf Eröffnung des
Punktes e 5 für die Fortbewegung des eigenen Königsbauer
an, damit hierdurch Terraingewinn vorbereitet und so zu-
gleich dem Character des ferneren allgemeinen Angriffes
[137] Genüge geleistet werde. Dieser Zweck wird nun durch den
Angriff der Nachbarbauern d 2 und f 2, welche auf ihre
vierten Felder vorrücken, eingeleitet, und da letztere Züge
nach §. 98 des ersten Buches als Gambitzüge gelten, so
lässt sich der Character des dritten zusammengesetzten An-
griffes auf den Gambitangriff zurückführen. Man erhält so-
nach als die drei wichtigsten Angriffssysteme den allgemeinen
Angriff, den directen Angriff und die Gambitsysteme.


§. 219. Zu diesen drei Grundformen des Angriffes
kommt aber endlich noch die Möglichkeit, durch Verbindung
der wichtigeren Züge aus den einzelnen Systemen wieder
neue Spielweisen zu erzeugen. Wir fassen sie unter dem
gemeinsamen Namen der gemischten Systeme zusammen.
Für die systematische Behandlung lassen sich deshalb die
mannigfaltigen Fortsetzungen der klassischen Eröffnung zu-
nächst unter drei grosse Classen bringen. Davon enthält die
erste die einfachen Combinationen der reinen Angriffssysteme,
d. h. des allgemeinen und des directen Angriffes, die andere
begreift die reinen Gambitsysteme, die letzte endlich um-
fasst die gemischten Systeme.


Erste Abtheilung.
Die einfachen Angriffssysteme.

I. Der allgemeine Angriff.

Einundzwanzigstes Kapitel.
Die Hauptvariante.

§. 220. Die Hauptvariante des allgemeinen Angriffes
wird nach §. 86 und §. 206 zunächst durch die consequente
Entwickelung der Königsfiguren bedingt:
[138]1. e 2—e 4 e 7—e 5
2. S g 1—f 3 S b 8—c 6
3. L f 1—c 4 L f 8—c 5
4. Rochirt d 7—d 6.


Hierauf folgt die Entwickelung der Damenseite, welche
auf verschiedene Weise vor sich gehen kann, z. B. durch
5. d 2—d 3 S g 8—f 6; 6. L c 1—g 5 Rochirt; 7. S b 1—d 2
L c 8—e 6 u. s. w.


§. 221. Besonders wichtig wird aber für die Fortsetzung
des vorgelegten Anfanges die Einleitung des Mittelangriffes
durch
5. c 2—c 3 S g 8—f 6
6. d 2—d 4 e 5—d 4:
7. c 3—d 4: L c 5—b 6
8. S b 1—c 3.


Hier entsteht nun die Frage nach bester Fortführung
der Vertheidigung. Erfolgt z. B. die Rochade, so kann nun
9. L c 4—b 5 L c 8—d 7; 10. L b 5—c 6: L d 7—c 6:
11. D d 1—d 3 T f 8—e 8; 12. T f 1—e 1 h 7—h 6; 13. L c 1
f 4 D d 8—e 7; 14. S f 3—d 2 die Fortsetzung sein, und
Weiss wird den Vortheil der geschlossenen Mittelbauern
erhalten.


§. 222. Es erscheint deshalb vielleicht für Schwarz
günstiger, in der obigen Eröffnung mit
8. .... L c 8—g 4
fortzufahren. Indess nach
9. L c 1—e 3 L g 4—f 3:
kann nun Weiss durch
10. g 2—f 3:
das Centrum nicht nur entscheidend verstärken, sondern auch
nach Sicherstellung des Königs in der Ecke die offene
g-Linie zu directen Angriffen auf die feindliche Königsseite
passend verwenden. Eine interessante Durchführung dieser
Angriffe zeigt die dritte Tournirpartie zwischen Anderssen
und Staunton.


§. 223. Schwach wäre aber durch 8. S f 6—e 4: sofort
das Centrum sprengen zu wollen. Es geschieht 9. S c 3
e 4: d 6—d 5; 10. L c 4—d 5: D d 8—d 5: 11. S e 4—c 3
[139] D d 5—d 8; 12. T f 1—e 1 † S c 6—e 7; 13. L c 1—g 5 f 7
f 6; 14. S f 3—e 5 f 6—g 5: (Bei f 6—e 5: folgt 15. T e 1
e 5:) 15. D d 1—h 5 † g 7—g 6 16. S e 5—g 6: und steht
besser. Die Rückzüge der Dame 11. D d 5—h 5 und
11. D d 5—d 6 wären noch mangelhafter gewesen; im erste-
ren Falle konnte nach 12. T f 1—e 1 † S c 6—e 7; 12. L c 1
g 5 f 7—f 6 nun 14. S c 3—d 5 folgen, im anderen aber
14. S c 3—e 4 nebst S e 4—f 6 u. s. w. geschesen.


§. 224. Abweichungen innerhalb der vorgelegten Haupt-
variante bilden gewisse Nebenvarianten des allgemeinen
Angriffs und werden im nächsten Kapitel speciell erörtert.
Hier haben wir nur noch einen letzten Blick auf die Ver-
theidigung gegen Einleitung eines Mittelangriffs, welcher in
der durch die vier ersten Züge constituirten Hauptvariante
mit 5. c 2—c 3 vorbereitet wurde, zu werfen. Die Ent-
gegnung 5. S g 8—f 6 bildet zunächst die correcteste Ver-
theidigung gegen jenen Angriff: besonders wenn d 7—d 5
später nachfolgen kann. Ausserdem käme gegen 5. c 2—c 3
noch die zuweilen beliebte Antwort 5. D d 8—e 7 in Be-
tracht; sie ist indess im gegenwärtigen Anfange bei richtiger
Fortsetzung kaum zu empfehlen. Letztere besteht aber in
den Zügen 6. d 2—d 4, L c 5—b 6; 7. a 2—a 4, a 7—a 5;
8. S b 1—a 3, S g 8—f 6; 9. T f 1—e 1, Rochirt nach g 8;
10. h 2—h 3, h 7—h 6; 11. S a 3—c 2; L c 8—d 7; 12. b 2
b 3, T f 8—e 8; 13. L c 1—a 3, D e 7—d 8; 14. D d 1
d 3 und Weiss steht besser entwickelt. Nicht gut wäre
es hier für Schwarz gewesen, im sechsten Zuge die Mittel-
bauern zu tauschen, da nach 6. e 5—d 4: 7. c 3—d 4: nebst
8. S b 1—c 3 Weiss zu elegantem Angriffsspiel das Centrum
dauernd erhalten könnte.


Zweiundzwanzigstes Kapitel.
Nebenvarianten.

§. 225. Die Entwicklung des in §. 220 vorgelegten
Anfanges könnte auch auf folgende Weise 1. e 2—e 4 e 7—e 5;
[140] 2. L f 1—c 4 L f 8—c 5; 3. S g 1—f 3 S b 8—c 6; 4. Rochirt
u. s. w. vor sich gehen; allein hier lässt Weiss nicht nur
den gleich im zweiten Zuge möglichen Angriff auf e 5 ausser
Acht, sondern Schwarz könnte auch durch die Antwort
2. S g 8—f 6 ihn zur eigenen Vertheidigung des Punktes e 4
nöthigen. Diese Zugfolge ist daher für die correcte Her-
stellung der Combination des allgemeinen Angriffs nicht zu
empfehlen.


§. 226. Auf der anderen Seite könnte der Nachziehende
auf verschiedene Weise von der Hauptvariante abweichen
und zwar zunächst im zweiten Zuge. Wir machen hier be-
sonders nach 1. e 2—e 4 e 7—e 5; 2. S g 1—f 3 auf die von
Philidor empfohlene Deckung 2. d 7—d 6 und auf den von
Petroff angerathenen Gegenangriff 2. S g 8—f 6 aufmerksam.
Im ersteren Falle kann 3. L f 1—c 4 folgen und Weiss wird
stets das bequemere Spiel erhalten, da der Königslaufer von
Schwarz lange Zeit eingeschlossen bleibt. Bei 3. L c 8—e 6
giebt die Fortsetzung 4. L c 4—e 6: f 7—e 6: 5. c 2—c 3
S b 8—c 6; 6. d 2—d 4 dem Schwarzen eine unbequeme
Stellung; bei 3. L c 8—g 4 folgt wegen 4. c 2—c 3 L g 4
f 3: 5. D d 1—f 3: S g 8—f 6; 6. d 2—d 4 L f 8—e 7,
ein gleiches Resultat; endlich bei dem oft empfohlenen Zuge
3. c 7—c 6 stellt sich Weiss besser durch 4. d 2—d 4 d 6
d 5; 5. e 4—d 5: e 5—e 4; 6. S f 3—e 5 c 6—d 5: 7. L c 4
b 5 † L c 8—d 7; (auf S b 8—d 7 geschieht 8. S b 1—c 3)
8. D d 1—h 5 g 7—g 6; 9. S e 5—g 6: f 7—g 6: 10. D h 5
e 5 † K e 8—f 7; 11. D e 5—d 5: K f 7—g 7; 12. D d 5
b 7:, wodurch entweder noch ein Bauer, oder der Thurm
gegen den Läufer b 5 gewonnen wird. Philidor empfahl nach
1. e 2—e 4 e 7—e 5; 2. S g 1—f 3 d 7—d 6 den Angriff
3. d 2—d 4 und liess dann den Schwarzen durch f 7—f 5;
4. d 4—e 5: f 5—e 4: 5. S f 3—g 5 d 6—d 5; 6. e 5—e 6
S g 8—h 6; 7. f 2—f 4 u. s. w. sich ziemlich günstig stellen.
Hier scheint indess der Zug 7. f 2—f 3, welcher das feind-
liche Centrum löst, von Entscheidung zu sein und wir kön-
nen auch deshalb die Vertheidigung keineswegs empfehlen.


§. 227. Die Vertheidigung von Petroff 1. e 2—e 4
e 7—e 5; 2. S g 1—f 3 S g 8—f 6 zeigt die Schwäche der
[141] Königsbauereröffnung gegenüber der Normalpartie. Denn
während in letzterer der Nachziehende leicht und sicher eine
gleichartige Entwickelung gewinnt, scheitert dieser Versuch
bei der eben angedeuteten Variante an der Fortsetzung
3. S f 3—e 5: S f 6—e 4: 4. D d 1—e 2 D d 8—e 7 (geht der
schwarze Springer von e 4 fort, so giebt der weisse auf c 6
Schach) 5. D e 2—e 4: d 7—d 6; 6. d 2—d 4 f 7—f 6;
7. f 2—f 4 S b 8—d 7; 8. S b 1—c 3 und Weiss stellt sich
besser. Geschieht aber 3. S f 3—e 5: d 7—d 6, so gewinnt
Weiss nach 4. S e 5—f 3 S f 6—e 4: 5. d 2—d 4 (besser als
d 2—d 3) d 6—d 5; 6. L f 1—d 3 L f 8—d 6; 7. Rochirt,
Rochirt; 8. c 2—c 4 S e 4—f 6 (bester Zug) mehrere Tempi
und hat bei fast ähnlicher Entwickelung noch einen Zug vor
der Position in der Normalpartie voraus.


§. 228. Unter den Abweichungen des Nachziehenden
im dritten Zuge der Hauptvariante sind besonders die Mo-
mente 3. S g 8—f 6 und 3. f 7—f 5 hervorzuheben.


Im ersteren Falle erhält man die Variante des Zwei-
springerspiels im Nachzuge, welches den Angriff 4. S f 3—g 5
gestattet. Die beste Fortsetzung nach 1. e 2—e 4 e 7—e 5;
2. S g 1—f 3 S b 8—c 6; 3. L f 1—c 4 S g 8—f 6; 4. S f 3
g 5 scheint hier 4. d 7—d 5; 5. e 4—d 5: S c 6—a 5;
6. L c 4—b 5 † c 7—c 6: 7. d 5—c 6: b 7—c 6: 8. L b 5—e 2 und
Weiss wird den gewonnenen Bauer bei allmähliger Entwickelung
behalten. Deckt statt c 7—c 6 der Laufer also 6. L c 4—b 5 †
L c 8—d 7, so kann Weiss durch 7. D d 1—e 2, L f 8—d 6
8. Rochirt, Rochirt; 9. L b 5—d 7: D d 8—d 7: 10. c 2—c 4
seinen Bauer sicher stellen. Nicht zu empfehlen wäre aber
für Schwarz die Spielart 4. S f 3—g 5 d 7—d 5; 5. e 4—d 5:
S f 6—d 5:, weil nun Weiss das Opfer 6. S g 5—f 7: K e 8
f 7: 7. D d 1—f 3 K f 7—e 6; 8. S b 1—c 3 S c 6—e 7;
9. d 2—d 4 h 7—h 6; 10. Rochirt c 7—c 6: 11. T f 1—e 1
u. s. w. wagen kann, wobei er einen starken Angriff sich
dauernd erhält.


Für den anderen Fall, d. i. 1. e 2—e 4 e 7—e 5;
2. S g 1—f 3 S b 8—c 6; 3. L f 1—c 4 f 7—f 5 verweisen
wir zunächst auf die allgemeine Bemerkung in §. 173, nach
welcher alle frühzeitigen Lauferbauerzüge, namentlich als
[142] Gambit in der Rückhand tadelnswerth sind. Es kann zu-
nächst 4. d 2—d 4 d 7—d 6 geschehen, und Schwarz ver-
liert bei 5. d 4—e 5: S c 6—e 5: 6. S f 3—e 5: d 6—e 5:
7. D d 1—d 8: die Möglichkeit der Rochade. Auch im zwei-
ten Zuge nach 1. e 2—e 4 e 7—e 5; 2. S g 1—f 3 würde bei
f 7—f 5 sich Weiss nun durch 3. S f 3—e 5: günstiger stel-
len; hier könnte auch 3. L f 1—c 4 erfolgen und das Spiel
stets zu Gunsten der solide entwickelten weissen Partei
wenden.


§. 229. Endlich ist noch eine Abweichung im vierten
Zuge der erörterten Hauptvariante zu erwähnen. Schwarz
könnte nach 1. e 2—e 4 e 7—e 5; 2. S g 1—f 3 S b 8—c 6;
3. L f 1—c 4 L f 8—c 5; 4. Rochirt, statt des correcten
Damenbauer sofort den Springer 4. S g 8—f 6 ziehen. Der
Anziehende könnte zwar hierauf durch 5. d 2—d 3 Rochirt;
6. L c 1—g 5 u. s. w. dem allgemeinen Angriffe treu bleiben;
indess ständen ihm auch in diesem Falle andere kräftigere
Angriffszüge, wie 4. d 2—d 4 zu Gebote, deren Erörterung
vorzüglich in der Abtheilung der gemischten Systeme ihre
Stelle finden wird.


II. Der directe Angriff.

Dreiundzwanzigstes Kapitel.
Analysis.

§. 230. Der directe Angriff verfolgt die Eroberung des
Bauers e 5. Die Hauptvariante wird hier durch den soge-
nannten Ruy-Lopez-Angriff dargestellt:
1. e 2—e 4 e 7—e 5;
2. S g 1—f 3 S b 8—c 6;
3. L f 1—b 5.


Damit bedrohet Weiss die Deckung des Königsbauers
und sonach indirect abermals den Punkt e 5; indess er-
scheint dieser frühe Angriff an sich nicht bedeutend und
[143] Schwarz könnte sofort zum Gegenangriff und zur eigenen
besten Entwickelung
3. .... S g 8—f 6
antworten. Weiss kann dann seinen Königsbauer zunächst
durch
4. D d 1—e 2
sicher stellen, worauf
4. .... a 7—a 6;
5. L b 5—a 4 b 7—b 5;
6. L a 4—b 3 L f 8—c 5;
7. Rochirt Rochirt;
8. a 2—a 4 T a 8—b 8;
9. a 4—b 5: a 6—b 5:
10. S b 1—c 3 b 5—b 4
11. S c 3—d 5 d 7—d 6

die Stellungen mehr oder weniger ausgleicht.


§. 231. Bei Abweichungen des Nachziehenden kann
man aber besonders die Stärke des directen Angriffes er-
kennen. Geht z. B. im dritten Zuge statt des Königs-
springers der Laufer 3. L f 8—c 5, so würde hier Weiss
einen mächtigen Mittelangriff erlangen: 4. c 2—c 3 S g 8—e 7;
5. Rochirt, Rochirt; 6. d 2—d 4 e 5—d 4: 7. c 3—d 4:
L c 5—b 6; 8. d 4—d 5 S c 6—b 8; 9. d 5—d 6 c 7—d 6:
10. D d 1—d 6: L b 6—c 7: 11. D d 6—a 3 und das schwarze
Spiel leidet an grosser Schwäche wegen des vereinzelten
Bauers d 7, welchem sich später der weisse Thurm gegenüber
stellen wird. Bei 4. d 7—d 6 hätte 5. Rochirt S g 8—f 6;
6. d 2—d 4 nebst d 4—d 5 einen Officier erobert.


§. 232. Auch für den Angriff finden sich in der vor-
gelegten Hauptvariante einige Abweichungen. So könnte
nach 1. e 2—e 4 e 7—e 5; 2. S g 1—f 3 S b 8—c 6; 3. L f 1
b 5 S g 8—f 6 zunächst die Rochade erfolgen. Geschieht
dann 4. S f 6—e 4: so möchte sich Weiss durch 5. T f 1
e 1 S e 4—f 6; 6. d 2—d 4 e 5—e 4; 7. d 4—d 5 S c 6—b 8
(auf S c 6—e 7 folgt d 5—d 6 oder S f 3—g 5) 8. S b 1—c 3
c 7—c 6; 9. S c 3—e 4: S f 6—e 4: 10. T e 1—e 4: L f 8
e 7; 11. d 5—d 6 besser stellen. Auch ist bei 4. Rochirt
S f 6—e 4: der unmittelbare Angriff 5. d 2—d 4 ziemlich
[144] kräftig, indem bei 5. S c 6—d 4: 6. S f 3—d 4: e 5—d 4:
7. T f 1—e 1 f 7—f 5; 8. T e 1—e 4 † f 5—e 4: 9. D d 1
h 5 † g 7—g 6; 10. D h 5—e 5 †, D d 8—e 7; 11. D e 5
h 8: der Anziehende günstiger stehen dürfte.


§. 233. Die zuletzt gegebene Variante:
1. e 2—e 4 e 7—e 5;
2. S g 1—f 3 S b 8—c 6;
3. L f 1—b 5 S g 8—f 6;
4. Rochirt S f 6—e 4:
5. d 2—d 4

erscheint deshalb so kräftig, dass sie vielleicht an Stärke der
in §. 230 gegebenen Hauptvariante wenigstens gleichkommt;
sie trägt den Typus eines gemischten Angriffsystemes, indem
sie mit dem directen Angriff L f 1—b 5 den Gambitangriff
d 2—d 4 vereinigt. Ihre specielle Behandlung gehört daher
in die dritte Abtheilung unter die gemischten Systeme.
Eben dahin ist auch die Variante: 1. e 2—e 4 e 7—e 5;
2. S g 1—f 3 S b 8—c 6: 3. L f 1—b 5 S g 8—f 6; 4. d 2
d 4 zu verweisen.


Zweite Abtheilung.
Die Gambitsysteme.

Vierundzwanzigstes Kapitel.
Allgemeine Grundsätze.

§. 234. Die Gambitsysteme werden, wie aus früheren
Erörterungen bekannt ist, in der Königsbauereröffnung durch
die Züge der Nachbarbauern d 2—d 4 und f 2—f 4 charac-
terisirt. Letztere Züge, die wir deshalb Charactermomente
nennen, vertreten den directen Angriff gegen den Punkt e 5.
Ihnen gesellt sich als Moment des allgemeinen Angriffs der
Läuferzug f 1—c 4 zu; dadurch wird die gemischte Natur
[145] des Gambitangriffes bedingt. Wir nennen diesen Lauferzug
Grundmoment, da er durch den gleichzeitigen Angriff auf
den Punkt f 7 den Königsangriff vertritt und somit dauernd
an die Grundidee des Spieles erinnert. Ein drittes Moment
muss endlich noch zur Ausführung des Gambits als Hülfsmo-
ment herangezogen werden, indem es einmal das Character-
moment bei dem Angriff auf den Punkt e 5 direct oder in-
direct unterstützt und indem es durch die Entwickelung einer
Figur dem allgemeinen Angriff wiederholt Genüge leistet.
Durch jene drei Züge, das Charactermoment, Grundmoment,
Hülfsmoment wird das erste Stadium des Gambitangriffes
vollständig abgeschlossen.


§. 235. Das zweite Stadium des Gambitangriffes knüpft
zunächst an die correcten Vertheidigungsvarianten des ersten
an. Letztere enthalten sämmtliche Spielarten des angenom-
menen Gambits, d. h. diejenigen, in welchen der Nachzie-
hende die Angriffe der Gambitbauern gegen den Punkt e 5
durch Wegnahme derselben mit dem eigenen Königsbauer
abschlägt, denn hierin allein kann die regelmässige Verthei-
digung, welche dem directen Angriffe der Charactermomente
entspricht, gefunden werden. Nach diesem Verfahren bieten
sich nun dem Nachziehenden zwei normale Fortsetzungen,
indem er entweder seinen auf d 4 oder f 4 geschobenen Kö-
nigsbauer in consequenter directer Weise zu vertheidigen
sucht, oder indem er den Bauer aufgebend nun seinerseits
zu einem gleichen Gambitverfahren sich entschliesst. Die
consequente Fortsetzung des Gambitangriffes knüpft sich
hauptsächlich an jenes erste Verfahren des Nachziehenden,
welches eine fortgesetzte directe Vertheidigung des König-
bauers oder überhaupt des Vortheiles von einem Bauer mehr
zum Zwecke hat. Letzterer wird nun mit dem Ausdruck
Gambitbauer bezeichnet, und der Gambitgeber kann entweder
den Angriff darauf allein richten, oder ganz abgesehen da-
von bloss in der allgemeinen Entwickelung fortwährend den
gemeinen Angriff ins Auge fassen. Endlich giebt es noch
eine gemischte Angriffsweise, welche beide Zwecke so gut
als möglich zu gleicher Zeit verfolgt.


§. 236. Der Character der drei Angriffsarten im zwei-
10
[146] ten Stadium des Gambitangriffes lässt sich kurz in folgen-
den Zügen andeuten. Der gemeine Angriff gewinnt den
Gambitbauer selten zurück, nöthigt aber den Gegner zu lange
andauernder Vertheidigung und die freizumachende Gambit-
linie bildet hier die Hauptbasis der Angriffscombinationen.
Der directe Angriff auf den Gambitbauer gewinnt letzteren
gewöhnlich zurück, gleicht aber die Positionen schnell aus.
Der gemischte Angriff endlich gewinnt entweder schliesslich
den Bauer mit Verlust des Angriffs zurück oder führt bei
Aufgabe des Bauers zu einer bequemen Angriffscombination.


§. 237. Die Gambitcombinationen werden sonach die
mannichfachsten Schattirungen in Angriff und Vertheidigung
darbieten, und ihr genaueres Studium kann dem Schachspie-
ler, als tüchtiges formelles Bildungsmittel für Kenntniss und
Behandlung aller nur möglichen Combinationen des Spieles
überhaupt, nur empfohlen werden. Darin aber liegt wieder
der grosse Werth der klassischen Königsbauereröffnung, welche
die Möglichkeit solcher mehr oder weniger künstlichen An-
griffe gestattet, wenn auch ihre einfacheren Varianten der
reinen Angriffssysteme zuweilen grössere Gediegenheit und
Sicherheit der Combination versprechen.


I. Das Mittelgambit.

Fünfundzwanzigstes Kapitel.
Einleitung.

§. 238. Das Charactermoment im Mittelgambit ist d 2
d 4. Das Hülfsmoment besteht im Zuge des Springers
g 1—f 3, welcher einmal den Angriff auf den Punkt e 5 di-
rect unterstützt und sodann später nach dem Zuge e 5—d 4:
zugleich den feindlichen Königsbauer auf dem Felde d 4 wie-
derholt bedroht. Das Hülfsmoment hat wegen dieser gün-
stigen Eigenschaften einen besonderen Werth für das Mittel-
gambit und geht deshalb auch bei Constituirung der stärksten
[147] Bedingungsvarianten dieses Gambits in der Reihenfolge dem
Charactermomente voran. Das Grundmoment kann darauf
sogleich oder erst nach dem Charactermoment erfolgen.


§. 239. Die correcte Bedingungsvariante des Mittel-
gambits wird daher zunächst durch den Anfang 1. e 2—e 4,
e 7—e 5; 2. S g 1—f 3 oder durch die sogenannte Springer-
partie gegeben. Die incorrecten Bedingungsvarianten ent-
stehen theils durch unmittelbare Anwendung der übrigen Be-
dingungsmomente, theils durch noch andere frühzeitige An-
griffe, welche zum Mittelgambit gehören. Man sehe darüber
das neunundzwanzigste Kapitel.


§. 240. Die regelmässigen Fortsetzungen der correcten
Bedingungsvariante 1. e 2—e 4 e 7—e 5; 2 S g 1—f 3 S b 8
c 6, werden nun durch Anwendung der beiden übrigen
Momente des ersten Stadium gebildet. Die Hauptvariante
oder das complette Mittelgambit erfordert streng ihre unmit-
telbare Vereinigung, wenn auch auf die Reihenfolge der bei-
den Momente in diesem Falle nichts Besonderes ankommt.
Je nachdem aber bei zuerst folgendem Charactermoment oder
Grundmoment später noch eigenthümliche Zwischenvarianten
möglich werden, sind hier noch ausserdem besonders zu be-
trachten die beiden Grundvarianten des schottischen Gambits
und der italienischen Partie, deren eine durch das Charac-
termoment 3. d 2—d 4, die andere durch das Grundmoment
3. L f 1—c 4 constituirt wird. Die vorgeführten drei Va-
rianten bilden die regelmässigen Combinationen des Mittel-
gambits.


§. 241. Die unregelmässigen Combinationen des Mit-
telgambits entstehen im dritten Zuge durch vorzeitige Anwen-
dung gewisser zum Mittelgambit gehöriger Züge und werden
nebst den im zweiten Zuge incorrecten Bedingungsvarianten
ihre Behandlung im neunundzwanzigsten Kapitel finden.


10*
[148]
Sechsundzwanzigstes Kapitel.
Die Hauptvariante des Mittelgambits.

§. 242. Die Hauptvariante des Mittelgambits wird durch
den Anfang 1. e 2—e 4 e 7—e 5; 2. S g 1—f 3 S b 8—c 6;
3. d 2—d 4 e 5—d 4: nebst 4. L f 1—c 4, oder durch die
Zugfolge 1. e 2—e 4 e 7—e 5; 2. S g 1—f 3 S b 8—c 6; 3.
L f 1—c 4 nebst 4. d 2—d 4 e 5—d 4: erzeugt; die Entgeg-
nung auf das Grundmoment f 1—c 4 bestimmt den Character
der gegen den Gambitangriff angewandten Vertheidigungs-
methode. Entweder lässt sich nach §. 235 der Nachziehende
auf die Vertheidigung des Gambitbauers ein, und in diesem
Falle folgt auf f 1—c 4 zunächst zum Schutze desselben die
Antwort f 8—c 5, oder der Vertheidigende giebt den Gam-
bitangriff sofort auf, indem er seinerseits zum Gambitprincip
übergeht. Diese Methode wird natürlich auf f 1—c 4 zu-
nächst durch die Entgegnung g 8—f 6 nebst dem später fol-
genden d 7—d 5 bedingt.


§. 243. Die erste Normalvariante des Mittelgambits
besteht daher in folgenden beiden Anfängen:
a.
1. e 2—e 4 e 7—e 5
2. S g 1—f 3 S b 8—c 6
3. d 2—d 4 e 5—d 4:
4. L f 1—c 4 L f 8—c 5
b.
1. e 2—e 4 e 7—e 5
2. S g 1—f 3 S b 8—c 6
3. L f 1—c 4 L f 8—c 5
4. d 2—d 4 e 5—d 4:


In dieser Position nimmt nun das zweite Stadium des
Gambitangriffes seinen Anfang, in welchem die drei beson-
deren in §. 236 angedeuteten Angriffsarten möglich werden.


§. 244. Der gemeine Angriff wird durch die Rochade
5. Rochirt
eingeleitet, wodurch dem Angriff die nöthige Festigkeit und
dem Vorrücken des Königsbauers gehörige Sicherheit gege-
ben wird. Die beste Antwort ist hier zunächst
5. . . . . d 7—d 6,
damit dem auf die Mitte drohenden Angriff einigermassen
begegnet werde. Hierauf folgt zur freien Oeffnung der Gam-
bitlinie, d. i. der d Linie die Fortsetzung
[149]6. c 2—c 3 d 4—c 3:
7. S b 1—c 3:


Es könnte auch 7. D d 1—b 3 geschehen, worauf die
einzig richtige Entgegnung D d 8—f 6 folgende für Schwarz
günstige Fortsetzung einleitet: 8. S b 1—c 3: S g 8—e 7;
9. S c 3—d 5 S e 7—d 5: 10. e 4—d 5: S c 6—e 7; 11. L
c 1—g 5 D f 6—g 6; 12. T a 1—e 1 f 7—f 6 und Schwarz
bewahrt den Vortheil eines Bauers.
7. . . . . S g 8—e 7
Schwarz sucht nun sobald als möglich zu rochiren, und die
Vertheidigung wird vollkommen, indem er den Vortheil des
Gambitbauers zu conserviren vermag. Bei 8. S f 3—g 5
müsste zunächst 8. S c 6—e 5; 9. b 2—b 4 L c 5—b 6; 10.
D d 1—b 3 Rochirt erfolgen.


Noch ist zu bemerken, dass im fünften Zuge die Ver-
theidigung 5. S g 8—f 6 wegen des directen Angriffes 6.
e 4—e 5 mangelhaft gewesen sein würde.


§. 245. Der directe Angriff auf den Gambitbauer
wird durch
5. c 2—c 3
sofort eingeleitet. Schwarz darf jetzt nicht 5. d 4—c 3: ant-
worten, weil hierauf 6. L c 4—f 7: K e 8—f 7: 7. D d 1—d 5
K f 7—e 8; 8. D d 5—c 5: den Verlust der Rochade herbei-
führen würde. Ebensowenig lässt sich der Bauer durch 5.
D d 8—f 6 oder D d 8—e 7 wegen der Rochade nebst e 4—
e 5 decken, da auf S c 6—e 5: zunächst 8. S f 3—e 5: D f 6—
e 5: und dann 9. T f 1—e 1 entscheiden könnte. Schwarz
sucht daher den Gegenangriff aufzunehmen, und zwar nach
der in §. 235 angedeuteten Theorie zunächst durch Vorbe-
reitung eines gleichen Gambitverfahrens mit
5. . . . . S g 8—f 6
6. e 4—e 5 d 7—d 5


Weiss kann hier den Springer ohne bedeutenden Positions-
nachtheil nicht schlagen, da 7. e 5—f 6: d 5—c 4: 8. f 6—
g 7: T h 8—g 8 dem Gegner starke Mittelbauern verschafft
und eine offne Thurmlinie gegen die weisse Königsseite in
Aussicht stellt. Es geschieht deshalb
7. L c 4—b 5 S f 6—e 4
[150] 8. c 3—d 4: L c 5—b 6
9. L b 5—c 6: b 7—c 6:
10. S b 1—c 3 f 7—f 5

womit zwar Weiss seinen Gambitbauer zurückgewonnen, dem
Gegner aber eine durchaus günstige Entwickelung gestattet hat.


Im sechsten Zuge konnte 6. c 3—d 4: L c 5—b 4 † 7.
L c 1—d 2 L b 4—d 2: 8. S b 1—d 2: d 7—d 5 ebenfalls mit
Ausgleichung der Kräfte und der Position erfolgen. Geschah
in dieser Variante 7. S f 6—e 4: so gab 8. L d 2—b 4:
S c 6—b 4: 9. L c 4—f 7: K e 8—f 7; 10. D d 1—b 3 d 7—
d 5; 11. D b 3—b 4: eine für Weiss günstige Wendung des
Spieles; nicht gut wäre hier 11. S f 3—e 5 † wegen K f 7—
f 6; 12. D b 3—b 4: c 7—c 5; 13. D b 4—a 4 D d 8—e 8,
wobei der Punkt e 5 schwach bleibt.


Noch ist eine interessante Wendung der Variante im
sechsten Zuge des Schwarzen bemerkenswerth. Statt 6. d 7—
d 5 könnte hier 6. S f 6—e 4; 7. L c 4—d 5 S e 4—f 2
8. K e 1—f 2: d 4—c 3: 9. K f 2—g 3 c 3—b 2: 10. L c 1—
b 2: versucht werden, indem Schwarz mit drei Bauern ge-
gen einen leichten Officier zu spielen bezweckt. Es ist die
Frage, wer hier den Vorrang behalten wird; in den meisten
Fällen dürfte die Partie zum Remis hinauslaufen.


§. 246. Der gemischte Angriff bezweckt bei Ausglei-
chung der Kräfte die Fortführung der Attake und wird ein-
geleitet durch
5. S f 3—g 5 S g 8—h 6
6. S g 5—f 7: S h 6—f 7:
7. L c 4—f 7: K e 8—f 7:
8. D d 1—h 5 g 7—g 6
9. D h 5—c 5:


In diesem ersten freien Momente erfolgt nun der Ge-
genangriff
9. . . . d 7—d 5
Bei 9. d 7—d 6 kann 10. D c 5—b 5 a 7—a 6; 11. D b 5—
d 3 etc. geschehen.


10. Rochirt, und Weiss wird bei schlechter Stellung des
feindlichen Königs (durch L c 1—f 4 und S b 1—d 2 etc.)
sich ziemlich günstig stellen.


[151]

Statt dessen könnte auch die unmittelbare Combination
10. L c 1—f 4 nebst 11. S b 1—d 2 und Rochade nach der
Damenseite versucht werden.


§. 247. Die zweite Normalvariante des Mittelgambits
besteht in folgenden beiden Anfängen:
a.
1. e 2—e 4 e 7—e 5
2. S g 1—f 3 S b 8—c 6
3. d 2—d 4 e 5—d 4:
4. L f 1—c 4 S g 8—f 6
b.
1. e 2—e 4 e 7—e 5
2. S g 1—f 3 S b 8—c 6
3. L f 1—c 4 S g 8—f 6
4. d 2—d 4 e 5—d 4:


Auch hier lässt sich eine dreifache Art des Angriffes
empfehlen, welche den drei Grundformen des Gambitangriffes
mehr oder weniger entsprechen dürfte.


§. 248. Eine Art allgemeinen Angriffs wird hier eben-
falls durch die Fortsetzung
5. Rochirt
bedingt. Geschieht nun
5. . . . S f 6—e 4:
6. T f 1—e 1 d 7—d 5
7. L c 4—d 5: D d 8—d 5:
8. S b 1—c 3,

so müsste 8. . . . D d 5—h 5
die weitere Vertheidigung einleiten. Gegen 7. S f 3—d 4:
wäre aber 7. L c 8—e 6 die einzig richtige Entgegnung.


§. 249. Einen directen Angriff constituirt der Zug
5. e 4—e 5,
worauf aber 5. . . . d 7—d 5
6. L c 4—b 5 S f 6—e 4
7. S f 3—d 4: L c 8—d 7
8. L b 5—c 6: b 7—c 6:
9. Rochirt L f 8—c 5
10. f 2—f 3 S e 4—g 5
11. L c 1—g 5: D d 8—g 5:
12. f 3—f 4 D g 5—g 6

nebst nachfolgender Rochade und Sprengung des weissen
Centrums durch f 7—f 6 den Nachziehenden günstiger stellen
wird, weil auf seinem Damenflügel mit Erfolg die beiden
Läufer gegen die feindliche Rochade wirken können.


[152]

§. 250. Ein dritter Angriff giebt die Fortsetzung
5. S f 3—d 4: S f 6—e 4:
6. L c 4—f 7: K e 8—f 7:

Hier wäre die Rochade für Weiss günstiger.
7. D d 1—h 5 † g 7—g 6
8. D h 5—d 5 † K f 7—g 7
9. S d 4—c 6: b 7—c 6:
10. D d 5—e 4: D d 8—e 8
11. D e 4—e 8: L f 8—b 4 †

wobei Schwarz das bessere Spiel erhalten wird.


Siebenundzwanzigstes Kapitel.
Das schottische Gambit.

§. 251. Die Grundvariante des schottischen Gambits
1. e 2—e 4 e 7—e 5; 2. S g 1—f 3, S b 8—c 6; 3. d 2—d 4
führt durch die Fortsetzung 3. e 5—d 4: 4. L f 1—c 4 zur
Hauptvariante des Mittelgambits, in welcher nun durch 4.
L f 8—c 5 und 4. S g 8—f 6 die normalen Combinationen
eingeleitet werden. Für den Angriff sind hier aber noch
gewisse Abweichungen im vierten Zuge und für die Ver-
theidigung im dritten wie vierten Zuge zu betrachten.


§. 252. Es kommt zunächst im vierten Zuge der An-
griff 4. S f 3—d 4: in Betracht. Es kann darauf einfach
durch 4. L f 8—c 5 die correcte Entwickelung des schwarzen
Spiels erfolgen, oder man könnte auch jenen für ein Gambit
voreiligen Angriff durch einen Gegenangriff schwächen. Diesen
giebt der Zug 4. D d 8—h 4, worauf der Königsbauer weder
durch 5. L f 1—d 3 noch durch 5. f 2—f 3 u. s. w. gedeckt
werden darf. Es muss D d 1—d 3 geschehen, worauf 5. S g 8—
f 6; 6. S b 1—c 3 L f 8—b 4 Schwarz günstig stellt. Bei
5. S d 4—b 5 folgt D h 4—e 4 †, 6. L f 1—e 2 K e 8—d 8;
7. Rochirt a 7—a 6; 8. S b 5—c 3 D e 4—e 8 zum Vortheil
von Schwarz wegen des gewonnenen Bauers.


§. 253. Unter den Abweichungen der Vertheidigung
ist besonders im dritten Zuge statt 3. e 5—d 4: die Antwort
3. S c 6—d 4: zu berücksichtigen. Es kann darauf 4. S f 3—
[153]e 5: L f 8—c 5; 5. L f 1—c 4 D d 8—f 6; 6. S e 5—d 3 oder
bei 5. S d 4—e 6 noch besser 6. L c 4—e 6: f 7—e 6: 7.
D d 1—h 5 † g 7—g 6; 8. S e 5—g 6: S g 8—f 6; 9. D h 5—
c 5: die Folge sein. Fast noch stärker erscheint es aber
durch 4. S f 3—d 4: e 5—d 4: 5. D d 1—d 4: S g 8—e 7;
6. L f 1—c 4 S e 7—c 6; 7. D d 4—d 5 die freiere und be-
quemere Stellung der weissen Partei zu geben. Gleichen
Vortheil für diese böte auch jede andere Entgegnung im
dritten Zuge auf 3. d 2—d 4 statt 3. e 5—d 4:, z. B. 3. d 7—
d 6, worauf Weiss nach Abtausch der Bauern und Damen
dem Gegner die Fähigkeit zur Rochade raubt, oder wenn
er die Damen erhalten will, zunächst mit 4. L f 1—c 4 die
günstigere Stellung erstreben wird.


§. 254. Die Abweichungen im vierten Zuge der Ver-
theidigung, also sämmtliche Züge nach 3. d 2—d 4 e 5—d 4:
4. L f 1—c 4 ausser 4. L f 8—c 5 und 4. S g 8—f 6 sind
am wenigsten zu empfehlen. Sie geben entweder dem Ver-
theidigenden ein beschränktes Spiel, wie 4. d 7—d 6 wegen
5. S f 3—d 4:, oder führen zu einem starken Gambitangriffe,
wie 4. L f 8—b 4 †. Im letzteren Falle kann durch die
Fortsetzung 5. c 2—c 3 d 4—c 3: 6. Rochirt c 3—b 2: 7.
L c 1—b 2: eine Reihe starker Attaken hervorgerufen werden.
Man hat deshalb nicht selten die schwarze Partie für hoff-
nungslos gehalten und dieser Variante den Namen der compro-
mittirten
Partie beigelegt. Schwarz hat freilich zwei Bauern
gewonnen, allein seine Entwickelung steht der des Gegners,
welcher Königsfiguren und beide Läufer in Thätigkeit gesetzt
hat, bei Weitem nach. Geschieht z. B. zunächst 7. f 7—f 6,
so kann 8. e 4—e 5 L b 4—e 7; 9. S f 3—h 4 S g 8—h 6;
10. D d 1—h 5 † K e 8—f 8; 11. S h 4—f 5 S c 6—e 5: 12.
L b 2—e 5: den Anziehenden günstig stellen. Bei 7. S g 8—
f 6 wird der Angriff 8. S f 3—g 5 nebst 9. e 4—e 5 von
Entscheidung. Geschieht endlich 7. L b 4—f 8 so könnte
8. e 4—e 5 d 7—d 6: 9. e 5—d 6: D d 8—d 6: 10. D d 1—
b 3 L c 8—e 6, 11. L c 4—e 6: f 7—e 6: 12. T f 1—e 1
D d 6—b 4 13. D b 3—e 6: D b 4—e 7; 14. D e 6—h 3 zum
Vortheil für Weiss folgen.


[154]
Achtundzwanzigstes Kapitel.
Die italienische Partie.

§. 255. Die Grundvariante der italienischen Partie,
oder des giuoco piano 1. e 2—e 4 e 7—e 5; 2. S g 1—f 3
S b 8—c 6; 3. L f 1—c 4 L f 8—c 5 führt durch die Fort-
setzung 4. d 2—d 4 e 5—d 4: zur Hauptvariante des Mit-
telgambits. Für Angriff und Vertheidigung bieten sich hier
im vierten Momente mehrere Abweichungen; im letzteren
Falle kämen die Züge 4. S c 6—d 4: und 4. L c 5—d 4: in
Betracht, im ersteren aber die Angriffe 4. Rochade, ferner
4. c 2—c 3, endlich 4. b 2—b 4.


§. 256. Von den Abweichungen der Vertheidigung 4.
S c 6—d 4: und 4. L c 5—d 4: ist erstere gar nicht zu em-
pfehlen wegen 5. S f 3—e 5:. Die letztere 4. L c 5—d 4:
hat zur Folge 5. S f 3—d 4: e 5—d 4:6. Rochirt d 7—d 6;
7. f 2—f 4; oder 6. Rochirt, S g 8—f 6; 7. e 4—e 5 oder
endlich im Falle 5. S c 6—d 4, 6. Rochade nebst 7. f 2—f 4,
wobei stets der Anziehende ein gediegenes Angriffsspiel erhält.


§. 257. Der abweichende Angriff der Rochade im vier-
ten Zuge führt entweder zu der Hauptvariante des allgemeinen
Angriffs (vergl. 21. Kap.) oder, falls der Gambitzug d 2—
d 4 später noch nachfolgt, zu einem gemischten Angriffssystem.


§. 258. Die Abweichung 4. c 2—c 3 ergiebt bei 4.
S g 8—f 6; 5. d 2—d 4 e 5—d 4: 6. e 4—e 5 oder c 3—d 4:
die in §. 245 behandelte directe Angriffsvariante des Mittel-
gambits. Schwach wäre die Entgegnung 4. d 7—d 6 wegen
5. d 2—d 4 e 5—d 4: 6. c 3—d 4: L c 5—b 6; 7. S b 1—
c 3 L c 8—g 4; 8. L c 4—b 5 L g 4—f 3: u. s. w., wobei
Weiss die geschlossenen Mittelbauern erhält. Ausserdem
könnte noch die Entgegnung 4. D d 8—e 7 erwähnt werden,
welche nach 5. Rochirt d 7—d 6 die Variante des allgemei-
nen Angriffs in §. 224 herstellt.


§. 259. Der Angriff 4. b 2—b 4 ist als Evansgambit
bereits aus §. 101 des ersten Buches bekannt. Es können
hieraus sehr interessante Varianten entstehen. Die correc-
teste Spielart für Angriff und Vertheidigung möchte folgende
[155] sein: 4. b 2—b 4 L c 5—b 4: 5. c 2—c 3 L b 4—a 5; 6.
d 2—d 4 e 5—d 4: 7. Rochirt, d 7—d 6; 8. c 3—d 4:. Nun
wird der Rückzug des Läufers 8. L a 5—b 6 erforderlich, da
sonst der Angriff D d 1—a 4 nebst d 4—d 5 Nachtheil brächte.
Sodann kann Weiss mit 9. L c 1—b 2 fortfahren, oder auch
zunächst durch 9. h 2—h 3 sein Spiel vollkommen sicher
stellen. Schwarz kann zwar nach Entwickelung des König-
springers die Rochade nach der Damenseite einleiten und
später seinerseits einen Rochadeangriff auf den weissen Kö-
nigsflügel unternehmen, allein nicht selten wird in der Praxis
die weisse Partei, welcher für jede Art von Figuren freie
Ausgangslinien zu Gebote stehen, den Sieg erringen. Be-
sonders wichtig ist in dieser Beziehung die Stellung der Dame
auf b 3 und des Laufers auf a 3; zugleich können diese Fi-
guren auch eben so schnell nach der andern Seite entwickelt
werden, und diese doppelte Möglichkeit trägt nicht selten
wegen der grossen Spannung für den Vertheidigenden zur
Entscheidung wesentlich bei. Man wird daher im praktischen
Spiel öfters mit Erfolg von diesem Angriff Gebrauch machen
können.


Neunundzwanzigstes Kapitel.
Unregelmässige Varianten des Mittelgambits.

§. 260. Zu den unregelmässigen Varianten des Mittel-
gambits gehören zunächst nach §. 239 die incorrecten Be-
dingungsvarianten desselben, also einmal die Charaktervari-
ante 1. e 2—e 4 e 7—e 5; 2. d 2—d 4, und sodann die
Variante des Grundmomentes 1. e 2—e 4 e 7—e 5; 2. L f 1—
c 4, in welcher nun der Gambitzug d 2—d 4 noch nachfolgt.


§. 261. In der Variante 1. e 2—e 4 e 7—e 5; 2. d 2—
d 4 e 5—d 4: kann zunächst 3. L f 1—c 4 erfolgen, worauf
freilich dem Nachziehenden ein mehr oder weniger wirksa-
mes Lauferschach 3. L f 8—b 4 † zu Gebote steht. Für die
sicherste Vertheidigung halten wir indess 3. S g 8—f 6, ob-
gleich auch hier die Fortsetzung 4. D d 1—d 4: S b 8—c 6;
5. D d 4—d 1 L f 8—c 5; 6. S g 1 f 3, Rochirt; 7. Rochirt,
[156] S f 6—e 4: 8. D d 1—d 5 D d 8—e 7; 9. L c 1—g 5 S e 4—
g 5: 10. S f 3—g 5: d 7—d 6; 11. S b 1—c 3 S c 6—b 4;
12. D d 5—d 2 u. s. w. dem Anziehenden eine günstige Po-
sition geben möchte. Im fünften und sechsten Zuge dürfte
hier wegen L c 4—f 7: nebst D 1—d 5 u. s. w. der Königs-
bauer e 4 nicht genommen werden. Uebrigens wäre es für
Weiss nicht gerathen, im vierten Zuge den Angriff 4. e 4—
e 5 zu versuchen. Schwarz entgegnet 4. d 7 d 5 und wird
sich günstig stellen.


§. 262. Die Variante des Grundmomentes 1. e 2—e 4
e 7—e 5; 2. L f 1—c 4 gestattet bei 2. L f 8—c 5 oder
S g 8—f 6 die Fortsetzung durch 3. d 2 d 4. Im ersteren
Falle könnte 3. d 2—d 4 e 5—d 4: 4 L c 4 f 7 † nebst D d 1
h 5 † und D h 5—c 5: Vortheil erringen; auch bei 3. d 2—
d 4 L c 5—d 4: 4. S g 1—f 3 D d 8—f 6; 5. S f 3—d 4:
e 5—d 4: 6. Rochirt, möchte Weiss ein bequemes und freies
Spiel erhalten. Es ist deshalb vielleicht rathsamer, im zwei-
ten Zuge auf 2. L f 1—c 4 sofort mit 2. S g 8—f 6 zu ent-
gegnen. Hieraus kann dann bei 3. d 2—d 4 e 5—d 4: die
im vorigen §. angedeutete Variante entstehen.


§ 263. Andere unregelmässige Varianten des Mittel-
gambits werden durch vorzeitige Anwendung des speciellen
Gambitbauerangriffs, also durch c 2—c 3, gebildet. Als vor-
zeitige Angriffscombinationen sind sie nicht zu empfeh-
len; auch lehrt schon abgesehen von der Gambittheorie
die Auffassung des Zuges c 2—c 3 als Vorbereitung eines
Centrums die Schwäche desselben in seiner frühzeitigen Aus-
führung. Man sehe hier §. 175.


Zunächst wird die Variante 1. e 2—e 4 e 7—e 5 2. c 2—
c 3 durch die Entgegnung 2. d 7—d 5 für den Anziehenden
ungünstig. Es folgt 3. e 4—d 5: D d 8—d 5; 4. d 2—d 4
S b 8—c 6; 5. L c 1—e 3 L c 8—f 5; 6. S g 1—f 3 Rochirt;
7. L f 1—e 2 e 5—d 4: und Schwarz behält das freiere Spiel.
Geschähe aber 3. S g 1—f 3, so würde d 5—e 4: 4. D d 1—
a 4 † c 7—c 6; 5. D a 4—e 4 L f 8—d 6 Schwarz ebenfalls
gut stellen.


§. 264. Sodann kann in der Variante 1. e 2—e 4 e 7—
e 5; 2. S g 1—f 3 S b 8—c 6; 3. c 2—c 3 sogar das Ge-
[157] gengambit 3. f 7—f 5 gegeben werden, worauf Schwarz
durch 4. d 2—d 4 d 7—d 6; 5. d 4—e 5: f 5—e 4: 6. S f 3—
g 5 d 6—d 5; 7. e 5—e 6 S c 6—e 5; 8. f 2—f 3 e 4—f 3:
9. g 2—f 3: L f 8—f 7; 10. f 3 f 4 L e 7—g 5: 11. f 4—g 5:
L c 8—e 6: 12. D d 1—e 2 D d 8—d 6; 13. L c 1—f 4 S e 5—d
3 † 14. D e 2—e 3: D d 6—f 4: u. s. w. sich günstig stellt.
Ausserdem könnte statt 3. f 7—f 5 auch die Entgegnung 3. S g 8
f 6 versucht werden. Es folgt 4. d 2—d 4 S f 6—e 4: 5.
d 4—e 5: und der Nachziehende gewinnt sowohl durch 5. d 7—
d 6 als durch 5. d 7—d 5 eine gute Vertheidigung. Im er-
sten Falle könnte 6. L c 1—f 4 d 6—e 5: 8. D d 1—d 8:
S c 6—d 8: 8. f 4—e 5: L f 8—c 5; oder 8. S f 3—e 5:
L f 8—d 6 geschehen; im andern aber 6. L f 1—b 5 L f 8—
c 5; 7. S f 3—d 4: Rochirt; 8. L b 5—c 6: b 7—c 6: 9.
L c 1—e 3 L c 8—a 6; 10. S d 4—c 6: L c 5—e 3: und droht,
falls der Springer die Dame nimmt, auf f 2 Matt. Bei 11. f 2—
e 3: folgt D d 8—h 4 † zum Vortheil für Schwarz. Wäre
9. S d 4—c 6 erfolgt, so geschah erst L c 5—f 2 † u. s. w.


II. Das Königsgambit.

Dreissigstes Kapitel.
Einleitung.

§. 265. Das Charaktermoment im Königsgambit ist
f 2—f 4. Als Hülfsmoment kann man den Springerzug b 1—c 3
annehmen, welcher indirect den Angriff auf den Punkt e 5
stützt, indem er zunächst den eigenen schwachen Punkt e 4,
welcher in diesem Gambit bei geöffneter Diagonallinie (e 1—
h 4) des Königs leichter bedroht werden könnte, sicher stellt.
Das Hülfsmoment hat hier nicht die directe Kraft, wie im
Mittelgambit und ist daher zur Constituirung der Bedingungs-
varianten im Allgemeinen nicht so wesentlich. Die eigent-
liche Bedingungsvariante des Königsgambits wird daher un-
mittelbar durch den Anfang 1. e 2—e 4 e 7—e 5; 2. f 2—f 4
gegeben. Die übrigen Bedingungsvarianten, welche durch
[158] Grundmoment und Hülfsmoment eingeleitet werden, so wie
andere unregelmässige Varianten dieses Gambits findet man
im 34. Kapitel erörtert.


§. 266. Das Königsgambit beruht sonach auf einem
Zuge, welcher schon nach §. 173 die eigenthümliche Natur
frühzeitiger Angriffe in sich birgt. Freilich wird dieser
frühe Lauferbauerzug dadurch zum Theil gerechtfertigt, dass
der Nachziehende bereits seinerseits im ersten Zuge von der
normalen Vertheidigung abgewichen ist. Allein dem Anzie-
henden steht hier als correctes Gambitverfahren eigentlich
das Mittelgambit zu Gebote, und letzterem gegenüber tritt
daher der Werth des Königsgambits bedeutend in den Hin-
tergrund. Die Vertheidigung gegen das Königsgambit kann
deshalb mehr oder weniger den Charakter eines Gegenan-
griffs annehmen, und nicht selten wird sogar ein Gegengam-
bit, d. h. die Anwendung des Mittelgambits von Vortheil sein.


§. 267. Ausser der Annahme des Königsgambits, wo-
durch sich die Vertheidigung auf den Gambitangriff einlässt,
kommt deshalb unmittelbar für letztere ein doppelter Gegen-
angriff in Betracht, je nachdem sie das Gegengambit ver-
sucht oder aus der eigenthümlich vorzeitigen Natur des
Gambitzuges f 2—f 4 Vortheil zu ziehen bezweckt. Es kann
fraglich scheinen, welcher von den drei Vertheidigungsarten
der Vorzug einzuräumen ist. Früher glaubte die Theorie
in der Annahme des Gambits die beste siegreiche Vertheidi-
gung empfehlen zu können. Neuere Forschungen, vorzüglich
im Laufergambit von Seiten des Verfassers, haben aber diese
Ansicht mehr oder weniger widerlegt, und man kann daher
jetzt jede der drei Vertheidigungsarten für ziemlich gleich-
berechtigt ansehen, indem der Nachziehende bei richtiger
Fortsetzung stets die Positionen auszugleichen und eine
günstige Vertheidigung zu erlangen vermag.


§. 268. Die Variante des Gegengambits 1. e 2—e 4
e 7—e 5. 2. f 2—f 4 d 7—d 5 sowie die Variante des all-
gemeinen Gegenangriffs, welche gegen die Vorzeitigkeit des
Gambitzuges gerichtet ist, 1. e 2—e 4 e 7—e 5; 2. f 2—f 4
L f 8—c 5 werden wir im nächsten Kapitel speciell behan-
deln. Ueber die Variante des angenommenen Gambits end-
[159] lich 1. e 2—e 4 e 4—e 5; 2. f 2—f 4 e 5—f 4: bedarf es
hier zunächst noch einer Vorerörterung.


§. 269. Es ist aus dem ersten Buche (s. §. 107) be-
kannt, dass man im angenommenen Königsgambit zwei
Hauptvarianten, das Springergambit und Laufergambit unter-
scheidet. Correct ist nach der allgemeinen Gambittheorie
(vgl. 24 Cap.) allein das Läufergambit, welches zunächst ein
Bedingungsmoment des Gambits, nämlich das Grundmoment
3. f 1—c 4, zur [Anwendung] bringt. In ihm findet sich daher
auch der reine und vollständige Gambitangriff nach seiner
dreifachen Richtung und mit seiner zweifach normalen Ver-
theidigungsmethode. Das Springergambit dagegen bietet bei
Weitem nicht solche theoretische Gediegenheit, und der
Nachziehende dürfte hier mit Erfolg von einer consequenten
directen Vertheidigung in mehreren Fällen Gebrauch machen.


Einunddreissigstes Kapitel.
Die Hauptvarianten des Königgambit.

§. 270. Die Variante des Gegengambits
1. e 2—e 4 e 7—e 5;
2. f 2—f 4 d 7—d 5;

kann bei 3. e 4—d 5: e 5—e 4 für Schwarz eine ziemlich
günstige Wendung nehmen. Die Damenseite desselben ist
frei geöffnet, und sein vorgeschobener Königsbauer übt einen
mächtigen Druck auf die Entwickelung der weissen Partie
aus. Fortsetzungen wie 4. c 2—c 4 schwächen wegen 4. c 7—
c 6; 5. d 5—c 6: S b 8—c 6: das weisse Spiel vollkommen.
Am besten erscheint noch, durch 4. L f 1—b 5 † c 7—c 6;
5. d 5—c 6: b 7—c 6: 6. L b 5—c 4 S g 8—f 6; 7. S g 1—
e 2 L f 8—c 5; 8. d 2—d 4 u. s. w. die Partie zu entwickeln.
Gleichwohl erhält auch hier Schwarz ein ziemlich freies Spiel,
und wir ziehen daher in der oben angegebenen Variante
lieber im dritten Zuge
3. S g 1—f 3 L c 8—g 4
vor. Bei 3. d 5—e 4: würde 4. S f 3—e 5: L f 8—c 5;
5. D d 1—h 5 D d 8—e 7; 6. S e 5—f 7: g 7—g 6; 7. D h 5—
[160]e 5 mit guter Stellung für Weiss folgen. Im Falle 4. S g 8—
f 6 folgt 5. L f 1—c 4 L c 8—e 6 5. L c 4—e 6: nebst der
Rochade u. s. w. —
4. L f 1—e 2 d 5—e 4:
5. S f 3—e 5 L g 4—e 2:
6. D d 1—e 2: S g 8—f 6;
7. S b 1—c 3 u. s. w.

Weiss wird sich hier eine ziemlich günstige Stellung erhalten.


§. 271. Die Variante des allgemeinen Gegenangriffes
wird durch
1. e 2—e 4 e 7—e 5;
2. f 2—f 4 L f 8—c 5;

gegeben, indem Schwarz zunächst auf den früheren Laufer-
bauerzug die Rochade zu erschweren sucht. Es folgt
3. S g 1—f 3 d 7—d 6;
4. L f 1—c 4 S g 8—f 6;
5. d 2—d 4

oder auch 5. b 2—b 4; Weiss sucht hier eine Art Mittel-
gambit nachträglich durchzuführen. Mitunter wird auch
4. c 2—c 3 gespielt, um durch L c 8—g 4; 5. L f 1—e 2
L g 4—f 3: 6. L e 2—f 3: S b 8—c 6; 7. b 2—b 4 L c 5—
b 6; 8. b 4—b 5 S 6—e 7; 9. d 2—d 4 a 7—a 6; 10. b 5—
a 6 T a 8—a 6: 11. Rochirt S e 7—c 6; 12. L c 1—b 2
e 5—f 4: 14. L f 3—e 2 geschlossene Mittelbauern zu er-
halten. Interessante Varianten erzielt endlich die Spielart
4. L f 1—c 4 S g 8—f 6 5. f 4—e 5: d 6—e 5: 6. d 2—
d 4 e 5—d 4: 7. S f 3—g 5 Rochirt; 8. Rochirt; falls nun
Schwarz h 7—h 6 spielen wollte, so geschieht 9. S g 5—f 7:
T f 8—f 7: 10. L c 4—f 7: K g 8—f 7: 11. e 4—e 5 d 4—
d 3 † 12. K g 1—h 1 d 3—c 2: 13. D d 1—c 2: L c 5—e 7;
14. e 5—f 6: L e 7—f 6: 15. S b 1—c 3 L c 8—e 6; 16.
D c 2—h 7: mit guter Stellung für Weiss.


§. 272. Gegen andere Ablehnungsarten des Königs-
gambits vermag der Anziehende stets entscheidenden Posi-
tionsvortheil zu erlangen. Geschieht z. B. 1. e 2—e 4 e 7—
e 5; 2. f 2—f 4 d 7—d 6; so kann nun 3. d 2—d 4 eine
günstige Entwickelung einleiten. Ganz schlecht wäre aber
2. f 7—f 6 wegen 3. f 4—e 5: f 6—e 5: 4. D d 1—h 5 †
[161] nebst D h 5—e 5:; auch 2. S b 8—c 6 ist wegen 3. S g 1
f 3 nebst Lf 1—b 5 kaum zu empfehlen. Endlich 2. f 7
f 5 ist wegen 3. e 4—f 5: mangelhaft, weil auf 3. e 5—f 4:
nun 4. D d 1—h 5 † entscheidet.


Zweiunddreissigstes Kapitel.
Das Laufergambit.

§. 273. Die normalen Vertheidigungsmethoden des
Läufergambits bestehen nach §. 235 in der directen conse-
quenten Vertheidigung des Gambitbauers oder in der Ein-
leitung eines gleichen Gambitverfahrens. Erstere wird durch
die Combination 3. L f 1—c 4 D d 8—h 4 † 4. K e 1—f 1
g 7—g 5 angebahnt, letztere aber durch 3. L f 1—c 4 f 7
f 5 bedingt. Andere Vertheidigungen sind unregelmässiger
Natur, so namentlich die Variante 3. L f 1—c 4 d 7—d 6
wegen d 2—d 4 mit unmittelbarer Aussicht auf Wieder-
eroberung des Gambitbauers. Die Spielart 3. L f 1—c 4
D d 8—h 4 †; 4. K e 1—f 1 D h 4—f 6 ist wegen 5. S b 1
c 3 c 7—c 6; 6. d 2—d 4 d 7—d 6; 7. S g 1—f 3 g 7
g 5; 8. h 2—h 4 h 7—h 6; 9. e 4—e 5 d 6—e 5: 10. d 4
e 5: D f 6—g 7; 11. S c 3—e 4 S b 8—d 7; 12. h 4—g 5:
h 6—g 5: 13. T h 1—h 8: D g 7—h 8: 14. S e 4—g 5: D h 8
h 1 † 15. S f 3—g 1 S d 7—e 5; 16. D d 1—e 2 S e 5—c 4;
17. D e 2—c 4 u. s. w. nicht zu empfehlen. Das Gegen-
gambit 3. f 1—c 4 d 7—d 5 scheint wegen 4. L c 4—d 5:
S g 8—f 6; 5. D d 1—f 3 S f 6—d 5: 6. e 4—d 5: L f 8—d 6;
7. S g 1—e 2 Rochirt; 8. d 2—d 4 T f 8—e 8; 9. Rochirt
oder 9. c 2—c 4 c 7—c 6; 10. S b 1—c 3 L d 6—b 4;
11. Rochirt, bedenklich. Zuweilen wird aber das Flügel-
gambit 3. f 1—c 4 b 7—b 5 versucht, doch möchte hier
folgende Fortsetzung 4. L c 4—b 5: D d 8—h 4 † 5. K e 1
f 1 L c 8—b 7; 6. S b 1—c 3 L f 8—b 4; 7. d 2—d 3 L b 4
c 3: 8. b 2—c 3: S g 8—f 6; 9. T a 1—b 1 u. s. w. für
Weiss günstig sein. Auch bei 3. L f 1—c 4 D d 8—h 4 †
11
[162] 4. K e 1—f 1 S g 8—f 6 stellt 5. S g 1—f 3 D h 4—h 5;
6. e 4—e 5 S f 6—e 4; 7. K f 1—g 1 g 7—g 5; 8. d 2—d 3
L f 8—c 5 † 9. d 3—d 4 L c 5—b 6; 10. D d 1—e 2 D h 5—g 6;
11. L c 4—d 3 etc. den Gambitgeber besser. Schliesslich
kann noch der unmittelbare Versuch, durch 3. f 1—c 4 g 7
g 5 ohne das Schach der Dame den Gambitbauer zu hal-
ten, erwähnt werden. Es geschieht 4. h 2—h 4 L f 8—g 7;
5. d 2—d 4 h 7—h 6; 6. h 4—g 5: h 6—g 5: 7. T h 1—h 8:
L g 7—h 8: 8. D d 1—h 5 D d 8—f 6; 9. e 4—e 5 D f 6—g 7;
10. S g 1—h 3, oder 4. h 2—h 4 g 5—g 4; 5. d 2—d 4
L f 8—h 6; 6. S b 1—c 3 d 7—d 6; 7. S g 1—e 2 f 4—f 3;
8. g 2—f 3: g 4—f 3: 9. S e 2—g 1 und Weiss gewinnt den
Bauer bei gutem Spiele.


§. 274. In der correcten Vertheidigung des Laufer-
gambits
1. e 2—e 4 e 7—e 5
2. f 2—f 4 e 5—f 4:
3. L f 1—c 4 D d 8—h 4 †
4. K e 1—f 1 g 7—g 5

verlangt nun die stärkste Variante des gemeinen Angriffes
zunächst die Ausführung des Hülfsmomentes
5. S b 1—c 3 L f 8—g 7.


Der Lauferzug ist nothwendig zum Schutze der Gambit-
bauerkette. Es folgt weiter
6. g 2—g 3 f 4—g 3:
7. K f 1—g 2 D h 4—h 6


Die Dame entweicht dem drohenden Angriffe des Königs-
thurmes
8. h 2—g 3: D h 6—g 6
9. d 2—d 4 S g 8—e 7
10. S g 1—f 3 h 7—h 6.


Der Angriff kann nun weiter geführt werden durch 11. b 2
b 3 a 7—a 6 (um den Springer von b 5 abzuhalten!)
12. T h 1—f 1 T h 8—f 8; 13. e 4—e 5 d 7—d 6; 14. L c 4
d 3 L c 8—f 5; 15. L d 3—f 5: S e 7—f 5: 16. e 5—d 6:
c 7—d 6: 17. S c 3—d 5 K e 8—d 8; 18. D d 1—d 2 S b 8
c 6; 19. L c 1—b 2 g 5—g 4; 20. S f 3—e 5 d 6—e 5:
21. d 4—e 5: K d 8—c 8; 22. T f 1—f 5: D g 6—f 5:
[163] 23. S d 5—b 6 † K c 8—b 8; 24. S b 6—d 7 K b 8—c 7;
25. D d 2—d 6 † K c 7—d 8; 26. S d 7—b 6 † K d 8—e 8;
27. S c 7—a 8: und Weiss hält wenigstens die Partie remis.


§. 275. Der gemischte Angriff im Laufergambit be-
ginnt zunächst mit den Zügen
5. S b 1—c 3 L f 8—g 7
6. d 2—d 4 d 7—d 6
7. S g 1—f 3 D h 4—h 5
8. h 2—h 4 h 7—h 6.


Erstere beiden Züge verfolgen den gemeinen Entwicke-
lungsangriff, letztere den Angriff auf die Gambitbauerkette.
Nun geschieht weiter
9. e 4—e 5 d 6—e 5:
worauf Weiss durch 10. S f 3—e 5: Damentausch und darauf
sichere Eroberung des Gambitbauers erzwingen kann, oder
bei 10. K f 1—g 1 D h 5—g 6; 11. S c 3—d 5 K e 8—d 8;
12. d 4—e 5: L c 8—d 7; 13. h 4—g 5: h 6—g 5: 14. T h 1
h 8: L g 7—h 8: nun durch 15. S f 3—g 5:, eine inte-
ressante Combination des russischen Meisters Petroff, ein
versprechendes Figurenopfer, bringen darf. Es folgt 15. S f 3
g 5: D g 6—g 5: 16. L c 1—f 4: D g 5—g 6 17. e 5—e 6
f 7—e 6: 18. S d 5—c 7: e 6—e 5; 19. S c 7—e 6 † K d 8
e 7 20. L f 4—g 5 † L h 8—f 6; 21. D d 1—d 5 L f 6—g 5;
22. D d 5—c 5 † K e 7—f 6; 23. T a 1—f 1 † L g 5—f 4;
24. S e 6—f 4 e 5—f 4: 25. D c 5—f 8 † und Weiss muss
gewinnen.


§. 276. Der directe Angriff auf den Gambitbauer kann
durch
5. S g 1—f 3 D h 4—h 5
6. h 2—h 4 L f 8—g 7
7. T h 1—h 2

versucht werden, worauf nun 8. h 4—g 5: gedroht wird. Es
geschieht aber 7. g 5—g 4; 8. S f 3—g 5 S g 8—h 6; 9. d 2
d 4 d 7—d 5; 10. L c 4—d 5: g 4—g 3; 11. L d 5—f 7:
D h 5—f 7: 12. S g 5—f 7: L c 8—g 4 13. D d 1—e 1
g 3—h 2: zum Vortheile von Schwarz. Man sieht daraus,
dass diese Angriffsart nicht so kräftig wie die vorigen sich
erweist. Besser wäre es vielleicht, zunächst durch 5. D d 1—e 1
die feindliche Dame als Hauptstütze der Gambitbauern zu
11*
[164] entfernen: 5. D d 1—e 1 D h 4—e 1: 6. K f 1—e 1: L f 8—g 7;
7. h 2—h 4 h 7—h 6; 8. S g 1—f 3 g 5—g 4; 9. S f 3—g 1
und Weiss kann dann die zerstreuten Gambitbauern wieder
erobern.


§. 277. Die zweite normale Vertheidigungsvariante
wird durch
1. e 2—e 4 e 7—e 5
2. f 2—f 4 e 5—f 4:
3. L f 1—c 4 f 7—f 5

eingeleitet. Weiss kann hierauf mit 4. S b 1—c 3 oder
4. D d 1—e 2 fortfahren. Im letzteren Falle wird 4. D d 1
e 2 D d 8—h 4 †; 5. K e 1—d 1 f 5—e 4: 6. D e 2—e 4:
L f 8—e 7; 7. S b 1—c 3 nebst S g 1—f 3 und T h 1—e 1
dem Gambitgeber ein ziemlich günstiges Angriffsspiel ver-
schaffen. Endlich ist noch der Angriff 4. S g 1—h 3 zu er-
wähnen, zu dem Zwecke, auf 4. D d 8—h 4 † mit 5. S h 3—f 2
zu antworten, um sich nach 5. f 5—e 4: die Rochade zu
sichern. Bei 6. Rochirt L f 8—c 5 folgt dann 7. d 2—d 4,
und der Gambitgeber erlangt gegen Aufgabe eines Bauers
ein ziemlich freies Angriffsspiel.


Dreiunddreissigstes Kapitel.
Das Springergambit.

§. 278. Das Springergambit kennt vermöge seiner
incorrecten Natur zunächst nur eine einzige normale Ver-
theidigung 1. e 2—e 4 e 7—e 5; 2. f 2—f 4 e 5—f 4:
3. S g 1—f 3 g 7—g 5; sie genügt aber vollkommen nicht
nur zur Abwehr sämmtlicher Angriffe, sondern sichert sogar
der Vertheidigung siegreiche Entscheidung. Nach §. 108
und §. 269 stehen dem Gambitgeber hier nur zwei Angriffs-
arten zu Gebote, von welchen die eine 4. L f 1—c 4 nebst
der Rochade u. s. w. den allgemeinen Angriff vertritt, wäh-
rend eine andere gemischte Angriffscombination zunächst
[165] einen directen Angriff auf die Gambitbauerkette mit 4. h 2
h 4 einleitet.


§. 279. Der gemeine Angriff erheischt im Springer-
gambit die Entwickelung
1. e 2—e 4 e 7—e 5;
2. f 2—f 4 e 5—f 4:
3. S g 1—f 3 g 7—g 5;
4. L f 1—c 4 L f 8—g 7;
5. Rochirt d 7—d 6;
6. d 2—d 4.


Hierauf kann nun der Plan einer Sprengung der Gam-
bitbauerkette und Angriffsführung gegen den Punkt f 7 ins
Auge gefasst werden. Es könnte deshalb sofort g 2—g 3
geschehen; doch wird vorher eine Sicherung des Centrums
durch 7. c 2—c 3 durchaus noth[w]endig. Diesen Moment be-
nutzt zunächst Schwarz, um sein Spiel völlig zu sichern und
den Uebergang zum Gegenangriff vorzubereiten. Die Ent-
gegnung 7. L c 8—e 6 wäre hierzu nicht besonders tauglich.
Es könnte 8. S b 1—a 3 L e 6—c 4: 9. S a 3—c 4: S b 8—
d 7; 10. h 2—h 4 g 5—g 4; 11. L c 1—f 4: g 4—f 3: 12.
D d 1—f 3 dem Gambitgeber eine entscheidende Vereinigung
von Mittel- und Königsangriff in die Hand spielen. Vorzüg-
lich empfehlenswerth erscheint als Antwort auf 7. c 2—c 3
allein 7. D d 8—e 7, wodurch der schwache Punkt f 7 zu-
nächst gedeckt, die Rochade nach der Damenseite angebahnt
und so zugleich der Möglichkeit eines Bauernangriffes gegen
die weisse Rochadeseite Raum gegeben wird. Die Fort-
setzung 7. c 2—c 3 D d 8—e 7; 8. g 2—g 3 g 5—g 4; 9.
L c 1 f 4: g 4—f 3. 10. D d 1—f 3: scheint zwar Weiss noch
einmal die Idee eines Angriffs zu vermitteln, allein nach 10.
S b 8—c 6; 11. S b 1—d 2 L c 8—d 7; 12. T a 1—e 1 Ro-
chirt nach c 8; 13. e 4—e 5: 14. d 4—e 5: h 6—h 5 wird
der Vertheidigende sich in seinem Vortheile mit der Aussicht
auf erfolgreichen Gegenangriff erhalten.


§. 280. Der gemischte Angriff beginnt mit dem An-
fange
1. e 2—e 4 e 7—e 5;
2. f 2—f 4 e 5—f 4:
[166] 3. S g 1—f 3 g 7—g 5;
4. h 2—h 4 g 5—g 4;
5. S f 3—e 5 S g 8—f 6.


Man könnte statt dieses entscheidenden Gegenangriffs
auch die directe Vertheidung zunächst durch 5. h 7—h 5
weiter versuchen, ja die Theorie hielt früher diese
Entgegnung sogar für allein correct. Neuere Forschungen
aber, vorzüglich die Variante 6. Lf 1—c 4 T h 8—h 7;
7. d 2—d 4 d 7—d 6; 8. S e 5—d 3 f 4—f 3; 9. g 2—f 3:
L f 8—e 7; 10. L c 1—e 3 L e 7—h 4 † 11. K e 1—d 2 g 4
f 3: 12. D d 1—f 3: L c 8—g 4; 13. D f 3—f 4 u. s, w.
liessen jene Vertheidigung als ungenügend erkennen, indem
hier Weiss bei schneller Entwickelung seiner Figuren einen
starken Mittelangriff durchzuführen vermag. Besser erscheint
für die Vertheidigung immer noch die Combination 5. S f 3
e 5 d 7—d 6, wodurch für den Augenblick wenigstens Schwarz
einen ziemlich kräftigen Gegenangriff bei freier Entwickelung
erhält. Man vergleiche hier die in §. 108 angedeutete Aus-
führung.


6. L f 1—c 4 D d 8—e 7
7. d 2—d 4 d 7—d 6
8. L c 4—f 7 † K e 8—d 8
9. L f 7—b 3 d 6—e 5:
10. d 4—e 5: L c 8—d 7;
11. e 5—f 6: D e 7—e 4: †
12. K e 1—f 1 L f 8—d 6,

und der Vertheidigende möchte im Vortheil bleiben. Die
hier vorgeführte Spielart ist die stärkste für Angriff und
Vertheidigung. Vielleicht käme aber noch im sechsten Zuge
für letztere die Ausführung des Gegengambits durch 6. d 7
d 5 in Betracht, worauf bei 7. e 4—d 5: L f 8—d 6; 8. d 2
d 4 nun durch S f 6—h 5 ein ziemlich kräftiger Flügelan-
griff versucht werden kann. Die Theorie hat indess über
den Werth dieser Variante noch nicht völlig entschieden.
Jedenfalls möchte aber die Vertheidigung mehr Chancen für
sich haben.


§. 281. Wir wollen schlieslich noch einige incorrecte
Vertheidigungen des Springergamhits andeuten. Häufig sieht
[167] man die Spielart 1. e 2—e 4 e 7—e 5; 2. f 2—f 4: 3. S g 1
f 3 d 7—d 5. Darauf folgt 4. e 4—d 5: D d 8—d 5:;
5. S b 1—c 3 D d 5—e 6 † 6. K e 1—f 2 L f 8—c 5 † 7. d 2
d 4 L c 5—b 6; 8. L f 1—b 5 † c 7—c 6; 9. T h 1—e 1
und Weiss gewinnt die Dame. Auch bei anderen weniger
fehlerhaften Zügen des Gegners könnte hier Weiss wenigstens
entscheidenden Positionsvortheil erlangen.


Bei 1. e 2—e 4 e 7—e 5; 2. f 2—f 4 e 5—f 4: 3. S g 1
f 3 L f 8—e 7 folgt 4. L f 1—c 4 L e 7—h 4 † 5. K e 1
f 1 und gewinnt den Gambitbauer zurück; auch könnte
hier 5. g 2—g 3 f 4 g 3; 6. Rochirt, g 3—h 2: 7. K g 1—h 1
geschehen, wodurch Weiss bei sicherer Stellung seines Kö-
nigs hinter dem feindlichen Bauer einen mächtigen Angriff
gegen den schwachen Punkt f 7 gewinnt. Man nennt diese
Variante Gambit des Cunningham.


Endlich ist noch im vierten Zuge nach 1. e 2—e 4 e 7
e 5; 2. f 2—f 4 e 5—f 4: S g 1—f 3 g 7—g 5; 4. L f 1
c 4 die Abweichung des Muzio Gambits, welche in dem
frühzeitigen Angriff 4. g 5—g 4 besteht, zu erwähnen. Weiss
kann hier den Springer opfern durch 5. Rochirt, g 4—f 3:
6. D d 1—f 3: und damit einen überaus starken Angriff vor-
bereiten. Am besten geschieht 6. D d 8—f 6; 7. e 4—e 5
D f 6—e 5: 8. d 2—d 3 L f 8—h 6 9. S b 1—c 3 S b 8—
c 6; 10. L c 1—d 2 S g 8—e 7; 11. T a 1—e 1 D e 5—c 5 †
12. K g 1—h 1 S c 6—d 4; 13. D f 3—h 3 L h 6—g 5; 14.
D h 3—h 5 und der Gambitgeber wird beim Angriff des
Springers über e 4 nach f 6 und Postirung des schwarzen
Läufers auf c 3 den Angriff mit Erfolg durchführen.


Vierunddreissigstes Kapitel.
Unregelmässige Hauptvarianten des Königgambits.

§. 282. Es kommen hier zunächst die incorrecten Be-
dingungsvarianten in Betracht, also 1. e 2—e 4 e 7—e 5;
2. S b 1—c 3, d. i. die Variante des Hülfsmomentes und 1.
e 2—e 4 e 7—e 5; 2. L f 1—c 4 die Variante des Grund-
[168] momentes, in welchen der Gambitzug f 2—f 4 noch
nachfolgt.


§. 283. Die Eröffnung 1. e 2—e 4 e 7—e 5 2. S b 1
c 3 gestattet zunächst die einfachste Vertheidigung durch
gleiche Entwickelung mit 2. S b 8—c 6. Darauf kann 3. L f 1
c 4 L f 8—c 5; 4. S g 1—f 3 S g 8—f 6 u. s. w. geschehen.
Schwach wäre aber jetzt 3. f 2—f 4; da der Nachziehende
das Gambit annimmt und mit Hülfe seines Damenspringers
auf c 6 es siegreich vertheidigen wird. Eben so nachtheilig
wäre aber auf der andern Seite für Schwarz die Entwicke-
lung 2. S b 1—c 3 S g 8—f 6; da jetzt 3. f 2—f 4 ruhig
geschehen könnte; denn selbst bei 3. d 7—d 5 würde 4. f 4
e 5: den Anziehenden günstig stellen.


§. 284. In der andern Variante 1. e 2—e 4 e 7—e 5;
2. L f 1—c 4 kann aber Schwarz den Zweck des Königs-
gambits sofort durch 2. S g 8 f 6 hintertreiben; denn jetzt er-
scheint der Zug 3. f 2—f 4 sicherlich mehr oder weniger
gewagt. Von Erfolg ist dieses Gambit nur in der Variante
2. L f 1—c 4 c 7—c 6; 3. D d 1—e 2, wo dann 4. f 2—f 4
folgen darf.


§. 285. Ganz unregelmässig wären Anfänge wie 1. e 2
e 4 e 7—e 5; 2. S g 1—e 2 oder 2. L f 1—e 2 mit der
Absicht, den Gambitzug f 2—f 4 folgen zu lassen. Hier
könnte der Nachziehende durch consequente Anwendung des
Gegengambits, oder durch einfache allgemeine Vertheidigung,
d. i. consequente Entwickelung der Hauptfiguren sich für
alle Fälle günstig stellen.


Dritte Abtheilung.
Die gemischten Systeme.

Fünfunddreissigstes Kapitel.
Einleitung.

§. 286. Die gemischten Systeme entstehen durch Ver-
bindung der Gambitsysteme auf der einen und der einfachen
[169] Angriffssysteme auf der andern Seite. Für die Praxis haben
diese Systeme eine grosse Bedeutung und wir erkennen in
ihnen die ergiebigsten Spielweisen für die lebende Partie.


§. 287. Das Mittelgambit gestattet zunächst eine Ver-
bindung mit beiden Varianten der einfachen Angriffssysteme
d. i. sowohl mit der Combination des allgemeinen wie des
directen Angriffes. Zugleich giebt es noch einen eigenthüm-
lichen Anfang, welcher in wenigen Zügen sämmtliche drei
Angriffsarten vereinigt. Letzteren kann man daher als die
eigentliche Normalvariante der gemischten Syteme betrachten.


§. 288. Es giebt sonach im Allgemeinen drei Arten
von gemischten Systemen. Denn die eigentliche Natur des
Königsgambits tritt durch den Zug f 2—f 4 in Widerspruch
mit dem in den andern Systemen erforderlichen Springer-
zuge g 1—f 3. Es könnte hier allein an die allgemeine An-
griffsvariante des Springergambits gedacht werden, welche
im Sinne der gemischten Systeme eine Verbindung des Kö-
nigsgambits mit dem allgemeinen Angriff bieten dürfte. Wir
denken hierbei an die Spielart: 1. e 2—e 4, e 7—e 5; 2.
f 2—f 4, e 5—f 4: 3. S g 1—f 3, g 7—g 5; 4. L f 1—c 4,
L f 8—g 7; d 2—d 4, d 7—d 6; 6. Rochirt, h 7—h 6; 7.
c 2—c 3 u. s. w., welche in §. 279 genügend behandelt ist.


Sechsunddreissigstes Kapitel.
Die Hauptvariante.

§. 289. Wenn in der Eröffnung
1. e 2—e 4 e 7—e 5;
2. S g 1—f 3 S b 8—c 6

der directe Angriff durch sein aus §. 230 bekanntes Charac-
termoment
3. L f 1—b 5 S g 8—f 6
angedeutet ist, so kann nun nach Ausprägung des allgemei-
nen Angriffs durch die aus §. 220 bekannte Rochade
4. Rochirt S f 6—e 4:
schliesslich noch das Mittelgambit durch
5. d 2—d 4
[170] zur Anwendung kommen. Der Anziehende wird hier in allen
Fällen namentlich aber bei 5. e 5—d 4: oder 5. S c 6—d 4:
einen äusserst günstigen Angriff erlangen; denn auf 5. e 5—
d 4: folgt 6. T f 1—e 1 d 7—d 5. 7, S f 3—d 4: L c 8
d 7; 8. L b 5—c 6: b 7—c 6: 9. f 2—f 3, oder 6. D d 8
c 7; 7. S f 3—d 4: S c 6—d 4; 8. D d 1—d 4: f 7—f 5;
9. f 2—f 3; auf 5. S c 6 d 4: aber 6. S f 3—d 4: e 5—d 4:
7. T f 1—e 1 u. s. w.


§. 290. Es erscheint daher kaum rathsam für Schwarz,
im vierten Zuge den weissen Königsbauer zu nehmen; viel-
leicht ist hier 4. L f 8—c 5 vorzuziehen, obgleich auch dar-
auf Weiss durch 5. L b 5—c 6: nebst S f 3—e 5: oder durch
5. D d 1—e 2 nebst c 2—c 3 ein äusserst günstiges Spiel
erhalten möchte. Am sichersten möchte endlich nach 4.
Rochirt S f 6—e 4: 5. d 2—d 4 die Antwort L f 8—e 7 sein.


Siebenunddreissigstes Kapitel.
Verbindung von Mittelgambit und allgemeinem Angriff.

§. 291. Wenn in der Hauptvariante des allgemeinen
Angriffs (s. §. 220)
1. e 2—e 4 e 7—e 5;
2. S g 1—f 3 S b 8—c 6;
3. L f 1—c 4 L f 8—c 5;
4. Rochirt

der weitere Angriff durch die Gambitzüge 5. d 2—d 4 oder
5. b 2—b 4 eingeleitet wird, so verbindet man hier das
Mittelgambit mit dem allgemeinen Angriff.


§. 292. Geschieht nun zunächst
4. … d 7—d 6
so kann nun die Combination
5. b 2—b 4 L e 5—b 4:
6. c 2—c 3 L b 4—a 5;
7. c 3—d 4: oder
7. D d 1—b 3

in eine besondere Variante des Mittelgambits d. i. in das
sogenannte Evansgambit hinüberführen.


[171]

§. 293. Geschieht aber
4. … S g 8—f 6,
so kann die andere Combination
5. d 2—d 4 e 5—d 4:
6. e 4—e 5

in eine für Schwarz ungünstige Spielart einlenken, welche
am Schluss des §. 244 angedeutet ist. Hier ist noch zu
bemerken, dass die Entgegnungen 5. S c 6—d 4: und L c 5
d 4: mangelhaft wären; erstere wegen 6. S f 3—e 5:
S d 4—e 6; 7. L c 4—e 6: u. s. w., letztere aber wegen
6. S f 3—d 4: e 5—d 4: 7. e 4—e 5 oder 6. S c 6—d 4:
7. f 2—f 4 d 7—d 6; 8. f 4—e 5: d 6—e 5: 9. L c 1—g 5 etc.


Achtunddreissigstes Kapitel.
Verbindung von Mittelgambit und directem Angriff.

§. 294. In der Variante des directen Angriffes 1. e 2
e 4 e 7—e 5; 2. S g 1—f 3 S b 8—c 6; 3. L f 1—b 5
S g 8—f 6 könnte nun das Mittelgambit durch 4. d 2—d 4
seine Stelle finden, was namentlich bei der Fortsetzung
4. S c 6—d 4: 5. S f 3—d 4: e 5—d 4: 6. D d 1—d 4: c 7
c 6; 7. L b 5—c 4 d 7—d 5; 8. e 4—d 5: S f 6—d 5:
9. S b 1—c 3 für den Anziehenden günstig sein würde. In-
dess die Abweichung 7. L b 5—c 4 b 7—b 5 dürfte den
Gegner besser stellen, da sie ihm ohne materiellen Nach-
theil den Angriff später in die Hände spielt.


§. 295. Es ist deshalb rathsamer, die Grundvariante
dieses gemischten Systemes durch folgende Verbindung
1. e 2—e 4 e 7—e 5;
2. S g 1—f 3 S b 8—c 6;
3. d 2—d 4 e 5—d 4:
4. L f 1—b 5

herzustellen. Geschieht nun S g 8—f 6, so wird der Angriff
5. e 4—e 5 von grosser Kraft; geschieht aber 4. L f 8—c 5,
so sichert 5. Rochirt d 7—d 6; 6. S f 3—d 4: dem Anziehen-
[172] den den Angriff und die bessere Stellung. Am besten er-
scheint vielleicht noch
4. .... L f 8—b 4 †
5. S b 1—d 2;

allein auch hier wird der Anziehende eine günstige Ent-
wickelung erlangen, den Gambitbauer aber gewiss in den
meisten Fällen wieder gewinnen.


Dritter Abschnitt.
Die sicilianische Partie.

Neununddreissigstes Kapitel.
Die Hauptvariante.

§. 296. Die Eröffnung 1. e 2—e 4 c 7—c 5 bezweckt
zwar auf der einen Seite eine Abwehr gegen Bildung der
Mitte durch d 2—d 4 und hat die günstige Eigenschaft, dass
in ihr der Normalzug e 7—e 6 noch möglich bleibt, sie leidet
aber an dem in §. 173 streng gerügten Tempofehler einer
zu vorzeitigen Bewegung der Lauferbauern, und der An-
ziehende wird daher gegen sie bei strenger Benutzung des
Tempigewinnes einen mehr oder weniger günstigen Angriff
erlangen. Es kommt auch hier vorzüglich auf schleunige
Entwickelung der kleineren Officiere an, und nur die Ver-
nachlässigung aller dieser Gesichtspunkte hat bis jetzt noch
immer die richtige Behandlung dieses Anfanges verfehlen
lassen.


§. 297. Die einzig correcte Einleitung des Angriffes
besteht nun zunächst in den Zügen 1. e 2—e 4 c 7—c 5;
2. S g 1—f 3 e 7—e 6; 3. S b 1—c 3 S b 8—c 6; 4. L f 1—b 5
d 7—d 5; 5. e 4—d 5: e 6—d 5: 6. d 2—d 4, und die Ent-
wickelung der weissen Partei, welche nun bald die Rochade
auszuführen hat, steht der des Nachziehenden bedeutend vor.


[173]

§. 298. Aus der gegebenen Variante lässt sich kurz
folgendes specielle Princip für die Combinationen der
weissen Partei ableiten. Zunächst geht der Königsspringer
heraus, der Damenspringer entspricht sodann der Bewegung
des feindlichen Königsbauers, der Königsläufer findet am
passendsten seinen Platz auf b 5 oder, falls Schwarz durch
a 7—a 6 noch ein Tempo verliert, nach dem Mittelgambits-
zuge d 2—d 4 auf dem Felde d 3. Das Mittelgambit aber
findet ebenfalls gegen irgend ein anderes Moment des Nach-
ziehenden seine passende Ausführung. Nach diesem Ver-
fahren hat nun Weiss in den speciellen einzelnen Varianten
sich zu verhalten; später aber wird er stets geeignete An-
knüpfungspunkte für einzeln directe Angriffe in Menge
finden.


Vierzigstes Kapitel.
Nebenvarianten.

§. 299. Unter anderen Behandlungen der vorliegenden
Eröffnung sind vorzüglich zwei Angriffe bemerkenswerth, von
denen der eine dem Character der Normalpartie, der andere
aber dem Gambitverfahren in der Königsbauereröffnung ähn-
lich ist. Ersterer wird durch 2. c 2—c 3, letzterer durch
2. d 2—d 4 eingeleitet.


§. 300. Die Combination 1. e 2—e 4 c 7—c 5; 2. c 2
c 3 wird durch e 7—e 6; 3. S g 1—f 3 S b 8—c 6; 4. d 2
d 4 c 5—d 4: 5. c 3—d 4: d 7—d 5; 6. e 4—d 5: e 6—d 5:
in eine bekannte Position der Normalpartie hinübergeleitet.
Es kann nun 7. L f 1—d 3 L f 8—d 6; 8. Rochirt S g 8—e 7;
9. S b 1—c 3, Rochirt; 10. a 2—a 3 a 7—a 6; 11. L c 1
e 3 L c 8—e 6; 12. D d 1—c 2 u. s. w. geschehen.


§. 301 Die Fortsetzung 2. d 2—d 4 im Anfange
1. e 2—e 4 c 7—c 5 wird zunächst mit 2. c 5—d 4 beant-
wortet, worauf Weiss den Gambitangriff mit 3. S g 1—f 3
fortsetzen könnte. Viele Partien der neueren Zeit sind
unter den Meistern des Spieles mit dieser Combination ge-
[174] spielt worden, häufig aber zu Gunsten der Vertheidigung, so
dass wir lieber die Fortsetzung 3. D d 1—d 4: S b 8—c 6;
4. D d 4—d 1 e 7—e 6 vorziehen möchten, in welcher nun
entweder 5. L f 1—d 3 L f 8—c 5; 6. S g 1—f 3 S g 8—f 6;
7. Rochirt, oder 5. L c 1—e 3 d 7—d 5; 6. e 4—d 5: e 6
d 5: 7. S g 1—f 3 L f 8—d 6; 8. L f 1—d 3 S g 8—f 6;
9. Rochirt, Rochirt; 10. c 2—c 4 u. s. w. folgen kann.


§. 302. So günstig sich nun auch die vorgeführten
Varianten für den Anziehenden zeigen, so sind sie doch wie
alle anderen noch möglichen Abweichungen kaum der im
vorigen Kapitel gegebenen Hauptvariante zu vergleichen.
Wir glauben daher, durch die letztere Behandlungsweise die
für die sicilianische Eröffnung so günstige Meinung der
Theorie zuerst widerlegt zu haben.


Vierter Abschnitt.
Anormale Angriffs-Eröffnungen.

Einundvierzigstes Kapitel.
Eröffnung mit dem Damenbauer.

§. 303. Unter den von der Normaleröffnung abweichen-
den Anfängen des Anziehenden kommt für die Theorie haupt-
sächlich die Bewegung des Damenbauers in Betracht. Sie
hat einen rein defensiven Charakter; auch vermag der Nach-
ziehende sofort durch den gleichen Zug (1. d 7—d 5) die
richtige Vertheidigung einzuleiten. Es geht dann der Königs-
bauer gewöhnlich nur einen Schritt und der Anziehende giebt
damit mannigfache kräftige Angriffsweisen, wie sie die frü-
heren Abschnitte lehrten, von vornherein aus der Hand.


§. 304. Die einzig bedeutende Angriffsvariante ist hier
das sogenannte Damengambit
[175]1. d 2—d 4 d 7—d 5
2. c 2—c 4,

dessen Annahme durch 2. d 5—c 4: die Theorie zu ver-
meiden anräth; denn es kann darauf 3. e 2—e 3 e 7—e 5
(bester Zug); 4. L f 1—c 4: e 5—d 4: 5. e 3—d 4: L f 8
d 6 u. s. w. den Weissen einen kleinen Positionsvortheil
[durch] seinen freien Mittelbauer sichern. Man empfiehlt
deshalb die Entgegnung
2. … e 7—e 6,
worauf 3. e 2—e 3 c 7—c 5
die Spiele schnell gleich stellt.


§. 305. Zuweilen sieht man auch die Vertheidigung
1. d 2—d 4 f 7—f 5, worauf 2. c 2—c 4 S g 8—f 6;
3. S b 1—c 3 e 7—e 6; 4. e 2—e 3 d 7—d 5; 5. S g 1—f 3
u. s. w. erfolgen kann. Interessant ist hier eine Art Mittel-
gambit 1. d 2—d 4 f 7—f 5; 2. e 2—e 4 f 5—e 4: 3. S b 1
c 3 S g 8—f 6; 4. L c 1—g 5 u. s. w., oder falls 3. d 7
d 5, so 4. D d 1—h 5 † nebst 5. D h 5—d 5: mit besserem
Spiele für Weiss.


§. 306. Endlich ist noch der Anfang 1. d 2—d 4
c 7—c 5 zu erwähnen, in welchem jedoch 2. d 4—d 5 den
Anziehenden günstig stellt, wie z. B. die Fortsetzung 2. e 7
e 5; 3. e 2—e 4 d 7—d 6; 4. f 2—f 4 f 7—f 5; 5. L f 1
d 3 f 5—e 4: 6. L d 3—e 4: S g 8—f 6: 7. S b 1—c 3
u. s. w. zeigt.


Zweiundvierzigstes Kapitel.
Die Eröffnung mit den Lauferbauern.

§. 307. Die Anfänge der Lauferbauern 1. c 2—c 4 und
1. f 2—f 4 ergeben nur wenig interessante Spiele, da ihnen
der eigentliche Mittelangriff mehr oder weniger abgeht. Der
Nachziehende kann sich sofort einer gleichen Position be-
mächtigen und die hierbei häufig verschränkte Bauernstellung
gestattet nur dürftige Combinationen.


§. 308. Der Anfang 1. f 2—f 4 kann folgendes Spiel
herbeiführen: 1. f 2—f 4 d 7—d 5; 2. S g 1—f 3 L c 8—g 4;
[176] 3. S f 3—g 5 L g 4—f 5; 4. g 2—g 4 e 7—e 6; 5. g 4—g 5
f 7—f 6 6. S e 5—f 3 f 6—g 5: 7. S f 3—g 5: L f 8—e 7;
8. h 2—h 4 h 7—h 6; 9. S g 5—f 3 L f 5—g 4 zum Vortheile
von Schwarz. Auch könnte sofort 1. f 2—f 4 f 7—f 5:
2. S g 1—f 3 S g 8—f 6 die Positionen schnell gleichstellen.


§. 309. Bei 1. c 2—c 4 geschieht am besten 1. c 7—c 5;
2. e 2—e 3 e 7—e 6; 3. S b 1—c 3 S b 8—c 6 u. s. w. Statt
dessen könnte auch 1. c 2—c 4 c 7—c 5; 2. f 2—f 4 f 7
f 5; 3. d 2—d 3 S g 8—f 6; 4. S b 1—c 3 d 7—d 6;
5. e 2—e 4 S b 8—c 6; 6. S g 1—f 3 e 7—e 5 u. s. w. die
Stellungen bald ausgleichen. Nicht empfehlen möchten wir
aber auf 1. c 2—c 4 die Entgegnung 1. e 7—e 5. In allen
anderen Fällen dürfte die Vertheidigung wenig Schwierigkeit
bieten und sich meist eine auf beiden Theilen gleichartige
Entwickelung ohne besonderes Interesse herausstellen.


Sechster Theil.
Lehre von den Endungen.

Dreiundvierzigstes Kapitel.
Einleitung.

§. 310. Es giebt im Allgemeinen drei Klassen von
Endungen oder Endspielen, deren erste die eigentlich theo-
retischen Endspiele umfasst, wie wir sie schon im ersten
Buche näher kennen gelernt haben. In ihnen wird der
König nebst einigen Officieren oder Bauern gegen den feind-
lichen König, allein oder ebenfalls mit einigen Stücken ver-
sehen, gedacht. Man muss sie genau kennen, da sie mög-
licher Weise beim Ende einer wirklichen Partie sich zeigen
können.


§. 311. Eine zweite Klasse von Endspielen enthält
solche Positionen aus wirklich gespielten Partien, welche
[177] ihrem äusseren Charakter nach dem Mittelspiele angehören,
aber gleichwohl in einer bestimmten Anzahl von Zügen
irgend einen entscheidenden Abschluss gestatten. Man nennt
sie nicht unpassend Partienrester, in deren Einleitung und
eleganter Durchführung sich häufig grosse Meister aus-
zeichnen.


§. 312. Endlich giebt es noch gewisse willkührlich
aufgestellte Spielendungen, welche zwar nicht auf besonderen
Kunstwerth, wohl aber auf den Nutzen Anspruch machen,
den sie für Uebung in practischen Combinationen der Partie
bieten. Sie sind von einer wirklichen Partie unabhängig,
d. h. frei geschaffene Producte und tragen gewöhnlich den
Namen Studien. Durch die grössere Leichtigkeit, mit wel-
cher sie sich aus einer gespielten Partie herleiten lassen,
unterscheiden sie sich wesentlich von den sogenannten
Problemen oder Schachaufgaben.


Vierundvierzigstes Kapitel.
Die eigentlichen Endspiele.

§. 313. Die einfachen Endspiele mit einem Officiere
sind meist im ersten Buche schon ausführlich behandelt
Man vergleiche dort das 11., 15., 26. und 27. Kapitel. Hier
bleibt vorzüglich noch das Spiel von Thurm und Laufer
gegen Thurm zu erörtern übrig, sowie einige gemischte End-
spiele mit Officieren und Bauern.


§. 314. Die Theorie hält das Matt von Thurm und
Laufer gegen Thurm aus der Mitte des Brettes bis jetzt
noch für unmöglich; in practischen Fällen wird aber nicht
selten die stärkere Partei den Sieg erringen, da die rich-
tige Vertheidigung äusserst schwierig und künstlich ist. Es
kommt zunächst darauf an, den König der schwächeren Partei
an den Rand zu drängen, wozu der eigene König und Thurm
benutzt wird, während der Laufer gegen etwaige Thurm-
12
[178] angriffe seinen König hierbei zu decken sucht. Nun giebt
es einige bestimmte Randpositionen, in welchen das Matt
mit theoretischer Sicherheit erzwungen werden kann. Die
erste äussert sinnreiche Analyse dieser Art verdanken wir
dem berühmten Meister Philidor. Man stelle den weissen
König auf e 6, seinen Thurm aber auf c 1 und einen Laufer
auf e 5, den schwarzen König aber auf e 8 und seinen Thurm
auf d 7. Es geschehen die Züge: 1. T c 1—c 8 † T d 7—
d 8; 2. T c 8—c 7 T d 8—d 2; 3. T c 7—b 7 T d 2—d 1 (bei
T d 2—d 3 ergiebt sich die Combination vom 9. Zuge ab.)
4. T b 7—g 7 T d 1—f 1; 5. T g 7—c 7 T f 1—d 1; (Bei
5. K e 8—d 8 folgt 6. T c 7—c 6, T f 1—e 1; 7. T c 6—
c 2 T e 1—e 4; 8. T c 2—d 2 † nebst 9. T d 2—b 2) 6. L e 5
c 3 T d 1—d 3 (Bei K e 8—d 8 gewinnt 7. T c 7—c 4
K d 8—e 8; 8. L c 3—a 5 K e 8—f 8; 9. T c 4—g 4 u. s. w.)
7. L c 3—f 6 T d 3—e 3 † 8. L f 6—e 5 T e 3—d 3; 9. T c 7
e 7 † K e 8—d 8; 10. T e 7—g 7 K d 8—c 8; 11. T g 7
c 7 † K c 8—d 8; 12. T c 7—c 4 K d 8—e 8; 13. L e 5—
d 4 und Weiss gewinnt. Das Prinzip dieser Lösung ist das
Streben von Weiss, die Punkte c 7 und g 7 mit dem Thurm
einzunehmen, während der Thurm des Gegners auf d 3 oder
f 3 zu stehen kommt. Nach Philidor haben sich viele an-
dere grosse Meister, wie Lolli, Cochrane, Szen, um das
Endspiel von Thurm und Laufer gegen Thurm verdient ge-
macht, und man kann wohl sagen, dass kein Problem der
Spielendungen so grosse Beachtung auf sich gezogen hat.
Trotzdem hat die vollständige Auflösung der Theorie noch
immer nicht gelingen wollen und das Problem bleibt für
den Liebhaber noch jetzt ein Feld vieler Controversen und
reicher Ausbeute für eigene Forschungen.


§. 315. Gegen einen leichten Offizier vermögen nicht
selten ein Paar verbundene Bauern zu gewinnen. Die Haupt-
sache bleibt auch hier, wie im Endspiele überhaupt, dass der
König thätig mitwirkt. Sind die Bauern aber zerstreut, so
haben sie selten Hoffnung auf Gewinn. In der Stellung des
weissen Königs auf f 3 und drei weisser Bauern auf b 2, e 4,
g 5, ferner des schwarzen Königs auf b 4 und eines schwar-
[179] zen Läufers auf g 6 kann Schwarz das Spiel unentschieden
halten, es mag anziehen wer will. Es geschieht z. B. 1.
e 4—e 5 K b 4—c 5; 2. K f 3—f 4 K c 5—d 5; 3. b 2—
b 4 L g 6—d 3; 4. b 4—b 5 L d 3—b 5: 5. K f 4—f 5 L b 5
d 7 † und [Schwarz] hält das Spiel remis.


§. 316. Beim Spiele von Bauern gegen Bauern kommt
es hauptsächlich auf die Entgegenstellung oder Opposition
der Könige an, indem derjenige König, welcher vom anderen
aus der Opposition vertrieben werden kann, nicht selten ver-
liert. So wird in der Stellung des weissen Königs auf e 4
und zweier Bauern auf f 4 und g 5, des schwarzen Königs
dagegen auf e 6 und eines Bauers auf g 6 der weisse König
beim Anzuge nur remis machen, weil ihm dann der Gegner
die Opposition halten kann, z. B. 1. K e 4—d 4 K e 6—d 6;
2. K d 4—d 3 K d 6—d 7; 3. K d 3—e 3 K d 7—e 7; 4.
K e 3—d 4 K e 7—d 6; 5. K d 4—e 4 K d 6—e 6 u. s. w.
Bei 1. K e 6—f 5 aber verliert Schwarz durch 2. K d 4—
e 3 K f 5—g 4; 3. K e 3—e 4 oder 2. K f 5—e 6; 3. K e 3
e 4 die Opposition. Zieht indess in der gegebenen Stellung
Schwarz zuerst, so wird er die Opposition und damit das
Spiel einbüssen; z. B. 1. K e 6—d 6; 2. f 4—f 5 K d 6—
e 7; 3. f 5—f 6 † K e 7—e 6; 4. K e 4—d 4 u. s. w.
Nähme hier Weiss 3. f 5—g 6: so würde das Spiel remis,
nähme aber Schwarz 2. g 6—f 5:. so kommt Weiss mit dem
Könige nach g 7 und lässt seinen Bauer g 5 ungehindert
avanciren.


§. 317. Finden sich auf entgegengesetzten Flügeln ein-
ander feindliche Bauern, so kommt es natürlich auf die Nähe
der Könige und die mehr oder weniger vorgerückte Stellung
der Bauern an. Man merke folgendes Ende einer von uns
wirklich gespielten Partie. Der weisse König auf e 2, der
schwarze König auf g 7; weisse Bauern auf a 2, b 4, c 5, h 2;
schwarze Bauern auf a 6, c 3, g 4, h 6. Schwarz am Zuge
geht K g 7—f 7 um zunächst dem drohenden Sturm der
weissen Flügelbauern entgegen zu kommen. Weiss zieht a 2
a 4, um dieses Vorrücken durchzusetzen; Schwarz nähert
abermals seinen König f 7—e 7, denn durch c 3—c 2 hätte
12*
[180] er nur ein Tempo verloren. Jetzt sucht Weiss ebenfalls sei-
nen König durch e 3—d 3 näher zu bringen. Darauf ge-
schieht h 6—h 5; K d 3—c 3; h 5—h 4; K c 3—d 3 g 4—
g 3; h 2—g 3: Wollte nun Schwarz h 4—g 3: schlagen, so
würde Weiss durch seinen König diesen Bauern noch vor dem
Avancement glücklich erobern und dann durch sein eigenes
Bauernübergewicht auf dem linken Flügel gewinnen. Es ge-
schieht deshalb von Schwarz h 4—h 3, und der weisse Kö-
nig würde nun zu spät kommen, um diesen Bauer vom
Avanciren abzuhalten, sodass Schwarz dadurch den Sieg
erringt.


Fünfundvierzigstes Kapitel.
Partienrester.

§. 318. Häufiger als man glaubt, finden sich im Ver-
lauf wirklich gespielter Partien solche Stellungen, welche
eine schnelle und elegante Entscheidung von Seiten einer
Partei in sich bergen. Man suche nun zwar nicht ohne Grund
dergleichen künstliche Manoeuvres, sei aber auch nicht zu
hastig auf Ausbeutung jedes kleinen augenblicklichen Vor-
theils bedacht, statt dessen sich vielleicht durch einige kleine
Opfer und kunstvollere Combinationen ein glänzendes Matt
herbeiführen lässt. Zur Probe geben wir hier ein Paar Bei-
spiele solcher Art.


§. 319. In der folgenden Partie, welche der Autor
gegen einen berühmten Berliner Meister durchführte, ergab
sich nach den Zügen 1. e 7—e 5 e 2—e 4; 2. S g 8—f 6
S b 1—c 3; 3. L f 8—c 5 L f 1—c 4; 4. Rochirt d 2—d 3;
5. b 7—b 5 L c 4—b 5: 6. c 7—c 6 L b 5—c 4; 7. d 7—d 5
e 4—d 5: 8. c 6—d 5: L c 4—b 3; 9. h 7—h 6 S c 3—a 4;
10. L c 5—d 6 d 3—d 4; 11. e 5—d 4: D d 1—d 4: 12.
S b 8—c 6 D d 4—h 4; 13. T f 8—e 8 † K e 1—d 1; 14.
S f 6—g 4 D h 4—d 8: folgende Position:
[181]

[figure]

Statt nun die weisse Dame zu nehmen, wie es vielleicht
mancher Spieler zunächst gethan hätte, kündigte hier Schwarz
ein Matt in vier Zügen an. Diese Züge sind: 15. S g 4—
f 2 † K d 1—d 2; 16. L d 6—f 4 † K d 2—c 3; 17. S f 2—
d 1 † K c 3—d 3; 18. L c 8—f 5 † und Matt.


§. 320. Besonders ausgezeichnet in der Einleitung sol-
cher Positionen war der zu Berlin 1846 verstorbene Meister
Bledow. In folgender Partie 1. e 2—e 4 e 7—e 5; 2. f 2
f 4 e 5—f 4: 3. S g 1—f 3 g 7—g 5; 4. h 2—h 4 g 5—
g 4: 5. S f 3—g 5 h 7—h 5; 6. L f 1—c 4 S g 8—h 6; 7.
d 2—d 4 f 7—f 6; 8. L c 1—f 4: f 6—g 5: 9. h 4—g 5:
D d 8—e 7; 10. S b 1—c 3 S h 6 f 5; 11. Rochirt S f 5—d 6;
12. S c 3—d 5 D e 7—d 8; 13. S d 5—f 6 † K e 8—e 7; 14.
L c 4—b 3 c 7—c 6; 15. D d 1—d 3 L f 8—g 7 entsteht jetzt
die Stellung
[182]

[figure]

Hier kündigte Bledow, welcher die weissen Steine führte,
ein vierzügiges Matt an. Es sind die Züge: 16. L f 4—d 6 †
K e 7—d 6: 17. D d 3—g 3 † K d 6—e 7; 18. D g 3—e 5 †
K e 7—f 8; 19. S f 6—h 7 † und (wegen des Doppel-
schachs) Matt.


Sechsundvierzigstes Kapitel.
Studien.

§. 321. Die Studien haben entweder den Charakter
von Positionen aus der Mitte der Partie, oder sie gleichen
den eigentlichen Endspielen, indem sie bei nur wenigen Fi-
guren besondere Eigenschaften der letzteren darzulegen su-
chen. Positionen der ersteren Art hat der berühmte Meister
Stamma in seinen Schachpielgeheimnissen mit vieler Kunst
componirt; Endspiele der anderen Art sind besonders in
neuerer Zeit durch die interessanten „Schachstudien“ der
Herren Kling und Horwitz bekannter geworden. Einige
Beispiele werden den Charakter und das gegenseitige Ver-
[183] hältniss dieser verschiedenen Arten von Endspielen sogleich
in klares Licht setzen.


§. 322. Das dritte Spiel von Stamma bietet folgende
Stellung

[figure]

Weiss soll in dieser Endstellung das Matt in 9 Zügen
erzwingen. Es geschieht 1. D e 3—a 7 † K a 8—a 7: 2. T d 1
a 1 † K a 7—b 8; 3. L d 2—f 4 † T c 8—c 7, 4. L f 4—c 7 †
K b 8—c 8; 5. T a 1—a 8 † K c 8—d 7; 6. T a 8—d 8 †
K d 7—e 6; 7. T d 8—e 8 † K e 6—d 7; 8. T e 8—e 7 †
K d 7—c 8; 9. S d 5—b 6 † und Matt.


  • Anmerkung. Aehnlickeit mit vorgelegter Position hat das 39.
    Spiel desselben Meisters: Weiss. K g 1; D e 3; T a 3, c 1;
    L d 2, f 1; S c 4; Bauern a 5, f 2, g 3. Schwarz. K b 8;
    D h 5; T d 8, h 8; S c 5, g 4; L c 8; Bauern a 7, b 7, f 5, g 5.
    Hier wird das Matt ebenfalls in 9 Zügen erzwungen. 1.
    D e 3—f 4 † g 5—f 4: 2. L d 2—f 4 † T d 8—d 6; 3. L f 4—
    d 6 † K b 8—a 8; 4. S c 4—b 6 † a 7—b 6: 5. a 5—b 6 † S c 5
    a 6; 6. T c 1—c 8 † T h 8—c 8: 7. T a 3—a 6 † b 7—a 6: 8.
    L f 1—g 2 † T c 8 c 6; 9. L g 2—c 6 † und Matt.

[184]

In folgendem Spiele von Stamma:

[figure]

kann Weiss in 6 Zugen das Matt erreichen. Es geschieht
nämlich 1. T c 4—h 4 womit der Springer auf g 6 Matt droht.
Entgegnet nun Schwarz D h 3—h 4, so folgt 2. D b 3 g 8 †
K h 8—g 8: (nimmt der Thurm, so giebt der Springer auf
e 7 Matt) 3. S c 6—e 7 † K g 8—h 8; 4. S e 5—f 7 † T f 8
f 7: T c 1—c 8 † T f 7—f 8; 6. T c 8—f 8 † und Matt.
Zieht aber Schwarz 1. D h 3—f 5, so folgt 2. e 3—e 4 D f 5
g 5; 3. D b 3—g 8 † und es folgt dieselbe Combination,
— oder bei 2. S f 2—h 3 † folgt 3. K g 1—g 2 S h 3—f 4 †
4. T h 4—f 4: D f 5—f 4; 5. D b 3—g 8 und man gewinnt
ebenfalls die Hauptcombination.


§. 324. In folgender Studie von Kling u. Horwitz
steht der weisse König auf g 7, die Dame auf b 3 und ein
Laufer auf g 6; ferner der schwarzc König auf a 1, ein Thurm
auf g 2 und ein Bauer auf a 2. Nimmt hier der Laufer den
Bauer, so nimmt der Thurm wieder, da die Dame beim
Wiederschlagen Patt machen würde. Es geschieht aber 1.
D b 3—a 4 † K a 1—b 2; 2. D a 4—b 5 † K b 2—a 2; 3.
D b 5—a 6 † K a 2—b 2; 4. D a 6—b 7 K b 2—a 1; 5. D b 7
a 8 † und Weiss kann nun den Thurm nehmen, da der
[185] König (hier auf b 2 oder b 1) den Bauer dann nicht avan-
ciren lassen darf. Geschähe 4. K b 2—c 3, so würde Weiss
durch 3. D b 7—f 3 † K c 3—d 4; 6. D f 3—f 1 gewinnen.


§. 325. In der Stellung des weissen Königs auf b 8,
eines Springers auf b 1 und eines Bauers auf a 7, ferner
des schwarzen Königs auf d 8 und eines Laufers auf e 4
kann Weiss trotz des vorgerückten Thurmbauers nur remis
machen. Es folgt: S b 1—c 3 L e 4—a 8; 2. S c 3—a 4
L a 8—h 1; 3. S a 4—b 6 L h 1—g 2; 4. S b 6—a 4 L g 2
h 1; 5. S a 4—c 5 L h 1—a 8; 6. S c 5—b 7 † K d 8—
d 7; 7. K b 8—a 8: K d 7—c 8 und das Spiel bleibt remis.


§. 326. Steht der weisse König auf g 4, ein Thurm
auf e 6 und ein Bauer auf g 5, von Schwarz aber der König
auf f 7, ein Laufer auf a 1 und ein Bauer auf g 6, so kann
Weiss trotz des Vortheils von Thurm gegen Laufer nur re-
mis machen. 1. T e 6—c 6 L a 1—d 4; 2. K f 4 L d 4—b 2;
3. K e 4 K f 7—g 7; 4. T c 6—c 7 † K g 8; 5. K d 5 K f 8;
6. K e 6 L d 2—b 4 u. s. w. — Man stelle nun dieselben
Figuren folgendermaassen: K c 6, T g 7, B e 5; von Schworz
K e 8, L b 4, B c 6. Hier gewinnt Weiss durch 1. T g 7—
3. K e 4 K fg 7; 4. T c 6—c 7 † K g 8; 5. K d 5 K f 8; 6.
K c 6 L d 2—b S u. s. w. — Man stelle nun dieselben Fi-
guren folgendermassen: K c 6, T g 7, B e 5; von Schwarz K e 8,
L b 4, B e 6. Hier gewinnt Weiss durch 1. T g 7—a 7 L b 4
e 7; 2. T a 7—a 8 † K f 7; 3. K d 7 den Bauer in 2 Zügen.
Geschieht aber 1. T g 7—a 7 L b 4—f 8, so kommt durch
2. T a 7—a 8 † K f 7; 3. T a 8—f 8: K f 8: 4. K d 7 K f 7;
5. K d 6 nun der weisse Bauer in 5 Zügen zum Avancement.
Endlich bei 1. T g 7—a 7 K d 8 gewinnt Weiss durch 2. T a 7
a 4 L b 4—c 3; 3. K c 6—d 6 u. s. w.


§. 327. Zuletzt wollen wir noch eine interessante Studie
von Nathan vorführen. Man stelle von Weiss den König
auf b 7, die Springer auf e 4 und e 5, einen weissen Bauer
aber auf f 6, von Schwarz den König auf e 8, sowie die
Springer [auf]e 7 und g 7. Hier wäre es für Weis nicht ge-
rathen, einen der Springer mit seinem Bauer zu nehmen.
Schwarz möchte dann unter Umständen den Bauer erobern,
[186] und die beiden Springer können, wie bekannt, nicht matt
machen. Deshalb geshieht 1. f 6—f 7 † K e 8—f 8; 2. S e 4
g 5, und wie auch Schwarz ziehen mag, Weiss giebt auf
e 6 oder g 6 durch den Springer Matt. Geht aber der Kö-
nig 1. K e 8—d 8, so folgt 2. S e 4—c 5 und Weiss giebt
dann im nächsten Zuge auf c 6 oder e 6 Matt.


2. Das Schachſpiel als Quelle.


§. 328. Den Lehren der Theorie, welche im Vorigen
das eigentliche Schachspiel als solches ins Auge fassten,
stehen eigenthümliche von diesem Spiele abgeleitete Erkennt-
nisse gegenüber, die, meist einem anderen Gebiete verwandt,
ihre Existenz gleichwohl erst dem Schachspiel verdanken,
sodass letzteres als Quelle für ihre Entstehung angesehen
werden kann. Es schliessen sich jene abgeleiteten Erkennt-
misse mehr oder weniger streng an die einzelnen Hauptrich-
tungen der Theorie, wie wir sie in den ersten sechs Theilen
behandelt haben, und daraus ergeben sich hier sechs andere
neue Theile für die Schachtheorie. Zunächst steht der Or-
ganisation des eigentlichen Spieles die seiner Abarten und
verwandten Spiele gegenüber, sodann knüpfen sich an die
mathematische Natur des Spieles gewisse einzelne Probleme,
deren Idee und Stoff dem Spiele entlehnt ist, deren Natur
und Lösung aber wesentlich mathematischen Gesichtspunkten
unterworfen scheint; endlich stehen mit der geschichtlichen
Behandlung des Spieles gewisse kritisch-philologische und
andere Untnrsuchungen in Verbindung. Zuletzt ergeben sich
aus den Lehren innerer Theorie gewisse Abarten je aus den
drei Theilen der Taktik, der Eröffnungen und der En-
dungen des Spieles.


[187]
Siebenter Theil.
Abarten des Schachspieles.

Siebenundvierzigstes Kapitel.
Die eigentlichen Abarten.

§. 329. Für die eigentlichen Abarten gilt als Haupt-
bedingung eine wesentliche Abänderung am Materiale des
gewöhnlichen Schachspieles. Vorzüglich wird davon die Ein-
richtung und Grösse des Brettes sodann auch die Anzahl
der Figuren betroffen, doch bleiben die Eigenschaften der
letzteren, also namentlich die Gangweise, unverändert. Durch
solche mehr oder weniger wesentliche Aenderung des Ma-
terials unterscheiden sich diese Arten des Spieles von den
im siebenten Kapitel angedeuteten geschichtlich begründeten
Abarten, welche nur in der besonderen Fassung einzelner
Grundregeln abweichen, namentlich der Privilegien der Figuren,
wie sie durch die Ausbildung des Spieles bei verschiedenen
Nationen und Ortschaften (namentlich in Indien selbst, in
Italien, im deutschen Dorfe Ströbeck u. a.) entstanden sind.
Auf der andern Seite stehen jenen eigentlichen Abarten des
Spieles noch gewisse mit dem Schach verwandte oder ihm
ähnliche Spiele gegenüber, welche auf einer durchgreifenden
Abänderung am Material, vorzüglich auf Begründung neuer
Arten von Figuren, beruhen.


§. 330. Eine Vergrösserung des Brettes bei Bewahrung
der gewöhnlichen Figuren des Zweischach führte zur Ver-
mehrung der spielenden Personen oder Vervielfältigung der
Parteien. Daraus hat man die eigenthümlichen Abarten des
Dreischach und Vierschach abgeleitet, ja in manchen Gegen-
den ein sogenanntes Sechsschach gebildet. Am wenigsten
Anklang hat das Dreischach gefunden; ein sonderbar zuge-
schnittenes Bret dient ihm als Grundlage und, da sämmtliche
drei Parteien gegen einander feindlich operiren, sind die
Regeln und die Aufstellung der Figuren so complicirt, dass
[188] in ihnen schwerlich grosse Harmonie herrschen, noch im
Spielen selbst ein gediegener Genuss gefunden wird. Wer
sich darüber ausführlich unterrichten will, möge die kleine
aber höchst unklar geschriebene Schrift von „Walter
Tesche
, über das Dreischachspiel“ nachlesen.


§. 331. Weit gebräuchlicher ist das sogenannnte Vier-
schach. Hier sind der Spielenden vier und zwar, wie im
Whistspiele, je zwei gegen zwei. Die einfachste, wenn auch
vielleicht weniger übliche Methode dieser Abart beruht auf
der gewöhnlichen Spielordnung, nach welcher die feindlichen
Parteien einander gegenübersitzen. Zwei gleiche Schach-
bretter mit der gewöhnlichen Aufstellung der Figuren wer-
den neben einander gelegt und dazu zwei in ihrer techni-
schen Bildung womöglich unterschiedene Schachspiele (am
einfachsten das eine von Holz, das andere von Knochen)
gewählt. Die Regeln bleiben dieselben wie im gewöhnlichen
Schachspiele, und diejenige Partei, deren beide Könige matt
gemacht sind, hat verloren. Ist ein König matt gesetzt, so
gelten die Figuren seines Spieles für todt, d. h. sie dürfen
weder ziehen noch geschlagen werden. Doch erhalten sie
in demselben Augenblick ihre Wirksamkeit wieder, sobald
der König durch die Hülfe des Aiden, d. h. des anderen
Spielers seiner Partei vom Matt befreit oder Letzteres über-
haupt, z. B. durch den Gegner selbst, aufgehoben wird. Es
versteht sich von selbst, dass die Figuren jedes Spieles
sämmtliche Felder beider Bretter betreten können; daher
dürfen die in ganzen Linien gehenden Figuren, wie Dame,
Thurm und Laufer unter Umständen von der äussersten Sei-
tenlinie des einen Brettes bis zu der des anderen, also über
16 Felder hinweg, sich bewegen. Nennt man die Spieler
der einen, z. B. der weissen Partei A und B, die der
anderen aber C und D, so dass A und B sowie C und D
einander gegeübersitzen, so ist die Reihenfolge beim Ziehen
kreuzweis, d. h. A, D, B, C. Besonders üblich soll diese
gewiss sehr rationelle Art des Vierschachs in Mecklenburg
sein, und der berühmte Schachmeister v. Bilguer soll sie
bei seiner Anwesenheit in Schwerin in den dreissiger Jahren
für die beste erklärt haben.


[189]

§. 332. Am üblichsten scheint jedoch in Deutschland
unter allen Methoden des Vierschachs die folgende. Man
fügt an das gewöhnliche Schachbrett auf jeder Seite drei
neue Felderreihen, so dass an jeder Ecke sich eine Lücke
von neun Feldern findet. Sodann sitzen die befreundeten
Spieler einander gegenüber und jeder hat seinen Gegner zur
Seite. Die Figuren jedes Spielers werden in der bekannten
Weise auf den beiden äussersten Felderreihen aufgestellt;
auch setzt man die Damen auf die Felder ihrer Farbe.
Die Reihenfolge geht wie beim Whistspiele links herum, so
dass Freund und Feind abwechselnd ziehen. Sonst gelten
im Allgemeinen dieselben Gesetze für Gangweise der Fi-
guren und Ende der Partien, wie in der vorigen Methode.
Eine ausführliche Darstellung findet sich in dem 1849 er-
schienenen Buche über das Vierschachspiel von Dr. H. Sause.


§. 333. Weniger gebräuchlich scheint endlich eine in
Braunschweig übliche, von Dr. Theodorich Martinsen
vorgeschlagene Methode. Hier werden dem gewöhnlichen
Schachbrette nur zwei neue Felderreihen auf jeder Seite
angehängt; im Uebrigen erkennt der genannte Spieler mehr
oder weniger die Bestimmungen der vorhin erwähnten Art
des Vierschachs an. Man ist davon in Braunschweig wohl
insofern abgewichen, als man die beiden Aiden jeder Partei
neben einander sitzen lässt. In beiden Fällen dürfen aber
die sich an den Flügeln berührenden feindlichen Bauern
gegenseitig nicht schlagen. Ausser solcher besonderen Vor-
schrift werden hier aber noch manche andere sehr com-
plicirte Gesetze nothwendig, so dass wohl für die Praxis
diese Arten des Vierschachs beim grösseren Publikum wenig
Anklang finden möchten. Ueberhaupt dürften die Vortheile
sämmtlicher genannten Abarten des gewöhnlichen Schach-
spieles deren eigenthümlichen Nachtheilen bei Weitem nicht
das Gegengewicht halten, und nur ganz besondere Liebhaberei
einzelner Spieler mag sich mit ihren nothwendigerweise ver-
wickelten Gesetzen und mannigfachen Schwächen befreunden.
Als rathsam möchten wir fast nur die zuerst erwähnte ein-
fachste Methode empfehlen. Dieser ähnlich hat man, z. B.
[190] in Leipzig, ein sogenanntes Sechsschach gebildet, welches
statt zweier Bretter drei aneinander fügt, im Uebrigen aber
eine analoge Spielweise zum Grunde hat.


Achtundvierzigstes Kapitel.
Verwandte oder ähnliche Spiele.

§. 334. Die dem Schachspiele verwandten oder ähn-
lichen Spiele, welche nicht nur auf einer Erweiterung des-
selben sondern auch auf der Annahme ganz neuer Arten
von Figuren beruhen, haben verhältnissmässig nur geringen
Anklang gefunden, und ihre Uebung verschwindet in der
Gegenwart immer mehr und mehr. Dahin gehören verschie-
dene Arten von Kriegsspielen, z. B. nach der im literari-
schen Werke von Günther Wahl erörterten Methode, so-
wie das von Hofrath Hellwig erfundene sehr complicirte
grössere Spiel, ferner das sogenannte Königsspiel, das Rund-
schach des Tamerlan und ein Spiel mit kreisförmigem
100feldrigen Brette. Alle diese Abarten verletzen nicht nur
mehr oder weniger den Geist des eigentlichen Schachspieles,
sondern ermangeln auch wohl der gelungenen Harmonie sei-
ner Gesetze; zudem dienen sie meist anderen Zwecken,
wie das Kriegsspiel einer analogen Uebung in militärischen
Manoeuvres.


§. 335. Am meisten Interesse scheint noch das soge-
nannte Currierspiel zu bieten. Diese Abart wurde früher
neben dem gewöhnlichen Schachspiele (vergl. 7. Kapitel)
von den Ströbecker Bauern mit besonderer Vorliebe ge-
spielt. Das Brett besteht hier aus 12 Feldern in der Länge
und acht in der Breite, jeder Spieler aber hat 12 Bauern
und 12 Officiere, welche, analog dem gewöhnlichen Schach,
auf die beiden äussersten Reihen der längeren Seiten auf-
gestellt werden. Die Thürme, welche hier Rochen ge-
nannt werden, kommen in die beiden Eckfelder jeder Partei,
daneben die Springer; an diese aber fügen sich zunächst
die beiden Schützen, zwei neue Figuren, welche in schrä-
[191] ger Richtung ziehen, aber stets in das dritte Feld springen.
Neben die Schützen kommen sodann die Curriere, welche
unsere Läufer vertreten, und an diese fügen sich die beiden
sogenannten Räthe, von denen der eine, Mann genannt, den
Gang des Königs hat, der andere, Schleich, wie der Thurm,
aber nur bis ins nächste Feld zieht. Die beiden Mittelfelder
bleiben dann noch für König und Dame; letztere kommt
auf das Feld ihrer Farbe neben den Schleich. Die Spiel-
gesetze sind im Uebrigen die gewöhnlichen in Ströbeck ge-
bräuchlichen Bestimmungen. So wird das Eckfeld zur Rech-
ten von schwarzer Farbe gewählt und der sogenannte Aus-
satz auch hier für die Thurmbauern, den Damenbauer und
die Damen angewandt.


Achter Theil.
Mathematische Schachfragen.

Neunundvierzigstes Kapitel.

§. 336. Die Natur des Schachspieles hat zu einigen
mehr oder weniger interessanten Aufgaben Gelegenheit ge-
gehen, welche zwar einen mathematischen Charakter tragen,
bis jetzt aber ebenfalls, wie die in §. 142 und §. 143 er-
örterten Schachfragen, meist auf rein empirischen Wege be-
handelt wurden. Solche Aufgaben hat man namentlich aus
dem Verhältniss der Qualität gewisser Figuren zum Um-
fange des Brettes hergeleitet. So stellte man die Frage
nach derjenigen Aufstellung sämmtlicher acht Officiere einer
Partie, welche eine grösstmögliche Auswahl von einzelnen
Zügen ergebe. So verlangte man ferner solche Stellungen
einer grösstmöglichen Anzahl von Damen auf dem Brette,
dass keine die andere schlagen könnte. Alle solche Auf-
gaben lassen sich in abstracto gefasst natürlich unter mathe-
[192] matische Gesichtspunkte bringen, da man es hier (nach
§. 140) nur mit Linien zu thun hat und nach den Grund-
sätzen der Theorie vom Grössten und Kleinsten verfahren
kann. Jene Aufgaben haben daher einen wesentlich mathe-
matischen Charakter, wenn man auch ihre Lösung aus den
in §. 143 besprochenen Gründen zunächst allein auf rein
empirischem, d. i. versuchsmässigen Wege zu Stande ge-
bracht hat.


§. 337. Es ist natürlich, dass man bei solchen Auf-
gaben, welche an die besonderen Eigenschaften von Figuren
anknüpfen, vorzugsweise derjenigen Figur Aufmerksamkeit
schenkte, welche einen vor den übrigen Stücken ausgezeich-
neten und daher besonders in die Augen fallenden Gang hat.
Dies ist der Springer, welcher zur Aufgabe des sogenannten
Rösselsprungs führte. Damit werden sich ausschliesslich die
nächsten beiden Kapitel beschäftigen. Hier wollen wir aber
daran erinnern, dass sich andere ähnliche Aufgaben in Menge
stellen lassen, obwohl wir dem Leser, welcher zu em-
pirischen Lösungen neigt, dergleichen Spielereien, die bei
unnützem Zeitverlust noch vom eigentlichen Spiele abführen,
keineswegs empfehlen mögen. Wir deuten deshalb nur noch
die eine Aufgabe an, solche Stellungen einer kleinsten An-
zahl von Springern zu finden, dass letztere sämmtliche Fel-
der des Brettes beherrschen.


§. 338. Wir schliessen nun dies Kapitel mit der An-
gabe einiger empirischer Lösungen der im §. 336 ange
deuteten Fragen, indem wir nach §. 143 auch hier die
exacte mathematische Behandlung noch der Folgezeit vor-
behalten müssen. Zunächst sei für die erstere Frage be-
merkt, dass die Wirksamkeit aller Steine (von der Mitte
des Brettes aus) sich auf 105 Felder erstreckt; nämlich
K. 8, D. 27, Th, zus. 28, Lf. zus. 26, Sp. zus. 16, in
summa 105. Diese Zahl lässt sich aber nicht erreichen,
da sich nothwendig einige Stücke gegenseitig treffen müssen.
Wahrscheinlich lässt sich über 100 Züge nicht hinaus ge-
langen und die folgende Stellung dabei als beste empfehlen:
1) K d 2 mit 8 Zügen; 2) D b 3 mit 23 Z.; 3) Th c 7,
g 5 mit je 14 Z.; 4) L d 4, e 4 mit je 13 Z.; 5) S f 4 mit
[193] 8 und S d 6 mit 7 Zügen. Der feindliche König lässt sich
hierbei, ohne im Schach zu stehen, auf mehrere Felder, wie
a 6, f 1, h 4, h 2 stellen. Die andere Frage ergiebt für
das Maximum der Damen die Zahl 8, für ihre Stellung
beliebige Auswahl: z. B. 1) auf den Feldern a 6, b 4, c 7,
d 1, e 8, f 2, g 5, h 3; 2) auf a 2, b 7, c 3, d 6, e 8, f 5,
g 1, h 4; 3) auf a 4, b 6, c 8, e 7, d 2, f 1, g 3, h 5. Am
schwierigsten ist die Lösung, wenn eine der Damen in der
Ecke steht, z. B. 4) auf a 1, b 5, c 8, d 6, e 3, f 7, g 2, h 4.


Fünfzigstes Kapitel.
Die Lehre vom Rösselsprung.

§. 339. Der Rösselsprung besteht in der successiven
Führung des Springers über die Felder des Schachbrettes.
Schon seit alter Zeit hat diese Aufgabe die Aufmerksamkeit
vieler Schachfreunde auf sich gezogen, und man bemühte
sich mit grösserer oder geringerer Schwierigkeit unter mehr
oder weniger hinzugefügten Bedingungen auf rein empiri-
schem Wege Lösungen zu erfinden. Die ältesten Versuche
rühren aus dem Anfang des 16. Jahrhunderts her; man be-
gnügte sich damals, den Springer über sämmtliche Felder
auf der einen Hälfte des Brettes zu führen. Man stellte
hierauf sämmtliche 32 Figuren und knüpfte daran die Auf-
gabe (wahrscheinlich zur Uebung in der Springerbewegung)
sie successive im Springergange vom Brette zu nehmen.


[figure]
13
[194]

Man setze die 32 Figuren auf die numerirten Felder
und zwar einen Springer auf h 8; sodann nehme man mit
letzterem nach der Reihenfolge der Zahlen sämmtliche Stücke
vom Brett.


  • Anmerkung. Das gegebene Schema findet sich auf S. 74
    eines von Paulus Guerinus von Forli in lateinischer
    Sprache geschriebenen Manuscripts aus dem Jahre 1512.
    Es scheint noch nicht bekannt zu sein, dass sich derselbe
    halbe Rösselsprung in einem alten bei Janot in Paris ge-
    druckten Quartbändchen (aus ziemlich gleicher Zeit) findet,
    welches auf 12 unpaginirten Blättern 21 bildlich dargestellte
    Schachaufgaben und darunter jene Springerführung ent-
    hält. In beiden Werkchen sind statt der Zahlen Buch-
    staben angegeben, und man hat deshalb vielleicht die
    Identität beider Schemata übersehen. Die Anweisung ist
    in der ersteren Schrift: „Si vis capere omnes scacchos cu
    milite qui stat in angulo (d. i. Sp. auf h 8 oder Nr. 1) et
    in nullo tractu defficere, trahe milite sup alfabetus rufeus
    (hier Nr. 1 bis 16) usque ad P (hier 16), deinde incipiat
    ab alfabeto nigro (hier Nr. 17—32) et procedat per ordinem
    et accipiat omnes nullo tractu vacuo et ultimo remanebit
    miles in angulo ubi scribitur q (hier 32). In dem franzö-
    sischen Werkchen heisst es: „C’est pour lever tous les
    echez (= omnes scacchos, alle Schachsteine) au traict du
    chevalier .. tou chevalier doyt estre au coing dester de tou
    joueur et se doit rendre a loposite.“ Daraus folgt, dass
    man von der anderen Seite, also von der schwarzen Partei
    aus die andere Hälfte des Brettes in analoger Weise mit
    dem Springer betreten soll, so dass 1 auf a 1, 2 auf c 2,
    3 auf e 1 u. s. w. fällt.

§. 340. In ähnlicher Weise giebt auch Gianutio in
seinem seltenen Schachwerke von 1597 einen halben Rössel-
sprung, den man nach Ponziani’s Behauptung noch bis vor
wenig Jahren für die erste Probe dieser Aufgabe hielt.
Ueberträgt man sein Schema auf die untere Hälfte des
Brettes, also auf die Reihen (a 1—h 1) bis (a 4—h 4), so
hebt er auf dem Felde a 4 an und geht über folgende
Punkte: a 4, c 3, e 4, g 3, h 1, f 2, d 1, b 2, c 4, e 3, g 4,
h 2, f 1, d 2, b 1, a 3, c 2, a 1, b 3, d 4, f 3, h 4, g 2,
e 1, d 3, b 4, a 2, c 1, e 2, g 1, h 3, f 4. Dieser Rössel-
sprung ist zugleich der erste vollkommenere, da man ihn
analog auch auf der zweiten Hälfte des Brettes ausführen
kann, und da hiebei Anfang und Ausgang wieder in
einander übergehen
.


[195]
  • Anmerkung. Man geht zunächst von f 4 auf h 5 bis f 6, d 5
    u. s. w., indem man die Reihe h 5—a 5 analog der Reihe
    a 4—h 4 und demnach auch die Reihen a 6—h 6 gleich
    a 3—h 3 u. s. w. behandelt; so gelangt man zuletzt auf das
    Feld c 5, welches von dem Anfangsfelde a 4 ebenfalls nur
    um eine Springerweite entfernt ist.

§. 341. Später abstrahirte man von der Aufstellung
der Figuren und strebte nach correcter ununterbrochener
Führung des Springers über sämmtliche Felder des ganzen
Brettes. Dabei entdeckte man natürlich gewisse Gesetze,
welche zwar in der mathematischen Natur der Aufgabe be-
gründet liegen, aber bisher, wie gesagt, nur durch rein
empirisches Probiren gewonnen wurden. So soll zunächst
Herr von Warnsdorff die Regel angegeben haben, den
Springer stets auf solche Felder zu ziehen, von denen aus
ihm die wenigsten weiteren Züge zu Gebote stehen. Ist
auch diese Regel sehr allgemein, da sich hier häufig die
Auswahl unter mehreren Fällen bieten wird, so genügt sie
doch als nächster Anhalt für das Probiren in jeder Art von
Rösselsprüngen, und man kann nicht verkennen, dass ihr ein
bestimmtes mathematisches Prinzip, wahrscheinlich eine
Wahrheit aus der Lehre vom Grössten und Kleinsten, zu
Grunde liegt. Das hat auch schon der berühmte Astronom
Schumacher erkannt, doch vermochte auch er noch nicht
(vgl. §. 143) die Deduction jener Wahrheit auf rein mathe-
matischem Wege anzugeben. So erscheint ferner begreiflich,
dass selbst der berühmte Mathematiker Euler die mathe-
matische Behandlung umging und statt dessen rein empi-
rische, aber ungemein sinnreiche, Andeutungen für das
Probiren an die Hand gab. Er führt zunächst den Springer
über soviel Felder des Brettes als es angeht und bringt so-
dann die leer gebliebenen Felder durch einfache Umwand-
lung zum Anschluss an die Rösselsprungsreihe. Man sehe
z. B. folgendes Schema:
13*
[196]

[figure]

Man hat hier den einfachsten Versuch eines Rössel-
sprunges nach obiger allgemeiner Regel, indem man den
Springer zunächst von a 1 aus rechtshin über c 2, e 1 u. s. w.
führt. Dabei finden sich zwei leer gebliebene Felder a
und b. Nun steht das Endfeld 62 nicht allein mit 61 son-
dern auch mit anderen, wie z. B. mit 9 in Verbindung.
Man kann daher in dem Laufe von 1 bis 62 zunächst bis 9
gehen, dann auf 62 überspringen, um von hier aus abwärts
gehend bis 10 zu gelangen. An dieses Feld lässt sich so-
dann a anschliessen. Dasselbe Verfahren gestattet auch die
Benutzung des obigen Schema von 1 bis 53, sodann auf 62
überzugehen und von hier abwärts bis 54, da sich an letz-
teres Feld ebenfalls a anschliessen lässt.


  • Anmerkung. Man hat natürlich für jeden Fall die geeignete
    Anschlussordnung herauszusuchen. Hier würde z. B. der
    Auschluss über 1 bis 23, sodann 62 bis 24 nichts nutzen,
    da dieses letzte Feld an a nicht anknüpft.

§. 342. Das vorgelegte Schema kann also dahin vor-
theilhaft geändert werden, dass sich die Reihenfolge „1, 2
… bis 9, 62, 61 … bis 10, a“ ergiebt. Um nun hier
auch b anzuschliessen, bemerke man, dass die Felder 56
und 58 sowohl mit dem jetzigen Endfelde a als mit dem
[197] an b anknüpfenden Felde 57 in Verbindung stehen. Man
geht deshalb zunächst von 1 bis 9, springt auf 62 und geht
abwärts bis 58, von hier nach a, sodann auf 10, 11 bis 57,
woran sich nun b schliesst und somit die Rösselsprungreihe
vollendet:
1, 2 … 9, 62, 61 … 58, a, 10, 11 … 57, b.


  • Anmerkung. Euler hat noch eine andere Anweisung beson-
    ders für solche Fälle, in denen sich die obigen Versuche
    nicht unbedingt durchführen lassen, gegeben. Sie empfiehlt
    eine ähnliche Methode, welche die Umgestaltung der ur-
    sprünglichen mangelhaften Reihe durch Umwandlungen in
    ihrer Mitte zu Wege bringt. Die specielle Darstellung
    würde uns hier zu weit führen, ebenso wie die weitere An-
    weisung, die Rösselsprünge in sich zurücklaufen zu lassen,
    d. h. so zu formen, dass Anfang und Ende sich ebenfalls
    an einander schliessen. Der besondere Liebhaber findet
    darüber in der Berliner Schachzeitung vom Jahre 1847
    genügende Belehrung, sowie auch in Klügels mathe-
    matischem Wörterbuche, Th. IV, S. 463.

§. 343. Die ersten Rösselsprünge hat man wahrschein-
lich (vergl. §. 339) durch Theilung des Brettes gewonnen,
indem man die auf der einen Hälfte durch Probiren erlangte
Reihe sofort auf der anderen durch analoge Sprünge nach-
zuahmen suchte. Vandermonde verfolgte nun dieses Prin-
zip weiter durch Theilung des Brettes in Viertel. Zwar
lässt sich in ununterbrochener Reihe der Springer nicht über
alle 16 Felder einer solchen Quart führen; doch zeigte jener
Forscher die geeigneten Uebergänge zwischen den einzelnen
Quarten und bediente sich dabei zum Theil der durch Euler
bekannten Methode.


Weit interessanter und systematischer erscheint aber die
von Collini in einem anonym herausgegebenen Werkchen
(Solution du Probleme du Cavalier au jeu des Echecs.,
Mannheim 1773) vorgeschlagene Theilung des Brettes. Er
scheidet es in einen Rand und in ein inneres Quadrat, bildet
sodann aus den einzelnen Feldern des ersteren 4 Haupt-
reihen, aus denen des letzteren 4 Nebenreihen und erzeugt
durch ihre beliebige Zusammenstellung verschiedene Arten
completter Rösselsprünge.


  • Anmerkung. Das innere Quadrat besteht aus den zwischen
    c 3—c 6—f 6—f 3 gelegenen 16 Feldern und aus diesen die
    4 Nebenreihen, welche sich je an die 4 Hauptreihen an-
    [198] schliessen. Letztere werden durch den Rand gebildet,
    und zwar geht die erste von a 8 aus über c 7, e 8, g 7;
    h 5, g 3, h 1, f 2, d 1, b 2, a 4, b 6. Man deutet diese
    Reihe durch die Zeichen A 1 bis A 12 an, so dass z. B.
    A 4 auf g 7, A 12 auf b 6 trifft. Die zweite Hauptreihe be-
    ginnt mit B 1 auf b 7 und endet mit B 12 auf a 5. Ebenso
    C 1 auf a 7 bis C 12 auf b 5, endlich D 1 von b 8 aus bis
    D 12 auf a 6. Die erste Nebenreihe schliesst sodann an
    A 12 mit α 13 auf d 5, α 14 = f 6, α 15 = e 4, α 16 = c 3.
    Ebenso β 13 = c 6, β 14 = e 5, β 15 = f 3, β 16 = d 4. Fer-
    ner γ 13 = d 6, γ 14 = f 5, γ 15 = e 3, γ 16 = c 4; endlich
    δ 13 = c 5, δ 14 = e 6, δ 15 = f 4, δ 16 = d 3. Daher ge-
    hören die Reihen A 1 bis A 12 und α 13 bis α 16 u. s. w.
    zusammen. Aber auch zwischen den einzelnen Vollreihen
    (wie A 1 bis α 16, C 1 bis γ 16 etc.) lassen sich leicht An-
    schlüsse finden, so dass nach einem mit dieser Bezeichnung
    versehenen Diagramm sich äusserst bequem Rösselsprünge
    mannigfacher Art fertigen lassen. Man beginnt z. B. mit
    B 1, lasse B 2, B 3 bis B 12, sodann β 13 bis β 16 folgen,
    worauf sich C 12, C 1 bis C 11, γ 16 bis γ 13 anschliessen.
    Damit steht in Verbindung A 3 bis A 12, A 1, A 2, α 13
    bis α 16, demnächst D 10, 9 … 1, 12, 11 und δ 16, 15
    bis δ 13. Die Rösselsprungreihe ist jetzt nicht allein vol-
    endet, sondern auch der Anfang mit dem Ausgang ver-
    bunden. Bei jedem anderen Anfangsfelde lässt sich analog
    verfahren. Schwieriger wird die Aufgabe bei gleichzeitiger
    Vorausbestimmung von Anfang und Ende, namentlich auf
    Feldern derselben Hauptreihe wie C 10, C 11. Man darf
    dann C nicht sogleich erschöpfen, sondern muss später noch
    einmal darauf zurück kommen. Man geht deshalb zu-
    nächst von C 10 abwärts bis C 1, nimmt sodann β 13, β 14,
    ganz γ, dann ganz A, bis d 16, hierauf ganz D bis δ 16,
    ganz B, β 15, β 16, endlich C 12, C 11. Als Anleitung für
    eigene ähnliche Versuche merke man schlieslich noch die
    Notiz, welche Herr von der Lasa für obige von ihm zu
    Collini’s Methode gelieferte Bezeichnung empfohlen hat,
    dass nämlich die einzelnen Reihen folgende Hauptverbin-
    dungen gestatten: A, α mit C, γ; C, γ mit B, β ; ferner
    A, α mit D, δ; endlich D, δ mit B, β. Hiernach lassen
    sich ohne grosse Schwierigkeit von beliebigen Anfangs-
    feldern aus, in der obigen Weise, mannigfache Rössel-
    sprünge herstellen.

§. 344. Die rein empirische Bildung von Rösselsprün-
gen, soweit sie allein auf Probiren und Combiniren be-
ruht, ist vorzugsweisse in neuester Zeit durch einen ano-
nymen Forscher bedeutend erweitert worden; man sehe
die umfassenden Untersuchungen desselben in der Berliner
Schachzeitung vom Jahre 1849. Ihm verdankt man ausser
einer genauen Classification der einzelnen Rösselsprungs-
arten vorzüglich die Lehre von der Kettenbildung, vom Ket-
tenanschluss, von der Mannigfaltigkeit verschiedener Dia-
[199] grammbedingungen, endlich von der Wichtigkeit der [Quadrat]
und Rhombuslinien-Paare, besonders der Mittellinien.


  • Anmerkung. Die genauere Classification der Rösselsprünge
    steht in engerer Verbindung mit ihrer systematischen
    Theorie, welche das nächste Kapitel behandeln wird.
    Unter Kette versteht man aber eine Reihe aneinander-
    hängender Züge oder Linien, und danach lassen sich die
    Rösselsprünge, je nachdem sie aus einer oder mehreren
    solcher Reihen bestehen, in einkettige, zweikettige,
    auch vierkettige scheiden. Zu den Bedingungen eines
    zu bildenden Rösselsprungs rechnet man die Vorausbe-
    stimmung einzelner Felder, wie (siehe §. 343) des Anfangs-
    oder Endfeldes; werden aber mehrere einzelne, oder mehrere
    mit einander verbundene Züge im Voraus angegeben, so
    nennt man ihre Zusammenstellung, die passend durch Li-
    nien erfolgen kann, ein Diagramm. [Verbundene][Linien]
    eines Diagrammes können mannigfach hübsche Figuren
    vorstellen, wie Räder, Sterne, Gitter, Quadrate, auch die
    Buchstaben V, W, M u. s. w. Quadrat- oder Rhombus-
    linien entstehen durch einander parallel laufende Züge, z.
    B. b 8—a 6—c 5—d 7, oder a 5—b 3—d 2—c 4, oder
    endlich e 6—d 4—e 2—f 4. Die gegenseitige Vertauschung
    der Parallelenpaare solcher Figuren (im Falle ihrer Nicht-
    vereinigung) bildet einen besonders wichtigen Grundsatz
    unter den neuen Wahrheiten des obigen Forschers sowie
    gewiss eine grosse Erleichterung für die empirische Lösung
    der Aufgabe.

Einundfünfzigstes Kapitel.
Systematische Theorie des Rösselsprungs.

§. 345. Unter Rösselsprung versteht man eine Zusam-
menstellung der Schachfelder zu einer solchen Reihe, dass
jedes Glied vom Nachbargliede nur eine Springerbewegung
entfernt ist, d. h. (bei der gewöhnlichen Notation) im Buch-
staben um 1, in der Zahl um 2 oder umgekehrt abweicht.
Die Erzeugung solcher Reihen bietet grössere oder geringere
Schwierigkeit, je nachdem sie durch gewisse Eigenschaften
mehr oder weniger vollkommen erscheinen. Die gewöhnli-
chen Eigenschaften sind die Vollständigkeit und Ge-
schlossenheit
, besondere aber die Symmetrie und Gleich-
summigkeit
.


§. 346. Ein Rösselsprung ist vollständig, wenn seine
Reihe sämmtliche 64 Felder des Schachbrettes enthält. Er
[200] ist geschlossen, wenn sich Anfang und Ende der Reihe
an einander schliessen, d. h. ebenfalls nur einen Springerzug
auf dem Brette von einander entfernt liegen; er ist systematisch,
wenn die zweite Hälfte seiner Reihe in einem eonstanten Ver-
hältnisse zur ersten steht, d. h. wenn die einzelnen Glieder
33 bis 64 ihrer Lage nach in einem bestimmten Verhält-
nisse zu den Gliedern 1 bis 32 sich verhalten. Ein Rössel-
sprung ist endlich gleichsummig, wenn die Summen sämmt-
licher Zahlen auf den acht Feldern einer horizontalen oder
vertikalen Reihe einander gleich sind, für den Fall, dass man
die Felder der Rösselsprungsreihe nach der Ordnung der
natürlichen Zahlen bezeichnet.


  • Anmerkung. Die Eigenschaften der Vollständigkeit und der
    Geschlossenheit der Rösselsprünge sind von selbst ver-
    ständlich. Für die Symmetrie bemerke man, dass sie
    mannigfacher Art sein kann. Am wichtigsten ist die Ho-
    rizontalsymmetrie sowie die Diametralsymmetrie, und unter
    diesen wieder die letztere. Horizontal symmetrisch sind
    die Felder a 1, h 1, ferner d 4, c 4 u. s. w., daher auch
    z. B. die Züge b 2—c 4 und g 2—f 4. Diametralsym-
    metrisch dagegen sind die Felder a 1, h 8, ferner d 4, e 5
    und daher z. B. die Züge b 2—c 4 und g 7—f 5. In einem
    diametralsymmetrischen Rösselsprung ist daher das 33. Glied
    mit dem 1., das 40. mit dem 8., das 64. mit dem 32. dia-
    metralsymmetrisch, und dieser Satz gilt analog von jeder
    anderen Art der Symmetrie. In Betreff der Gleiihsummig-
    keit bemerke man, dass nach der Summenformel für die
    Reihe der natürlichen Zahlen die Totalsumme
    sämmtlicher Zahlen von 1 bis
    ist. Dividirt man dieses Product durch 8, so giebt der
    Quodient, d. i. die Zahl 260, die im Falle der Gleichsum-
    migkeit für jede Felderreihe erforderliche Zahlensumme.
    Brede hat in seinem Schachalmanach zuerst den Versuch
    eines gleichsummigen Rösselsprunges mitgetheilt; er ist
    aber nicht vollkommen, da nur die Verticalreihen die an-
    gedeutete Summe ergeben. Sodann versuchte Franz die
    Lösnug und reussirte bei vollständiger Uebereinstimmung
    der Horizontalreihen bis auf die geringe Differenz von 4
    in den Verticalreihen, indem letztere abwechselnd die Sum-
    men 256 und 264 ergaben. William Beverley war der
    erste, welcher die Aufgabe vollständig löste; auch kam
    sein Rösselprung den Anforderungen der Symmetrie fast
    vollkommen nahe.

§. 347. Der erste durchaus vollkommene Rösselsprung,
welcher sämmtliche angedeutete Eigenschaften in sich ver-
einigt, wurde zu Anfang des Jahres 1849 auf empirischem
[201] Wege von dem in §. 344 rühmlichst erwähnten Forscher in
diesem Probleme glücklich aufgefunden. Wir geben hier
sein Schema in Zahlen und überlassen dem Leser, auf einem
Diagramme die einzelnen Sprünge durch Linien anzudeuten,
um sich von der trefflichen Symmetrie dieses Beispieles zu
überzeugen.


[figure]

Dieses Beispiel zeigt den Rösselsprung im Feiertags-
gewande; er ist symmetrisch in sich zurückkehrend und durch-
aus gleichsummig und bietet sohin das trefflichste Exemplar
der Lösung jener Aufgabe.


§. 348. In rein mathematischem Sinne lässt sich (vgl.
§. 345) die Angabe der 64 Sprünge eines normalen Rössel-
sprunges als die Bestimmung einer aus 64 einzelnen Elemen-
ten bestehenden Reihe auffassen. Man betrachtet diese ein-
zelnen Elemente als Unbekannte, deren Bestimmung durch
64 Bedingungsgleichungen erlangt wird, indem hiezu die be-
kannten Eigenschaften sowie die Natur des Springerganges
benutzt werden.


  • Anmerkung. Durch die Bedingung der Symmetrie wird die
    ganze Masse der Combinationen auf die Hälfte reducirt,
    [202] da hierbei nach §. 346 Anm. die Lage der Felder 33—64
    von den Gliedern 1—32 abhängig ist. Die Gleichsummig-
    keit giebt 14 neue Bedingungen, denn für die horizontalen
    wie verticalen Reihen folgen je 7 unabhängige Bestimmun-
    gen, da die Summe jeder achten Felderreihe durch die
    anderen bedingt wird. Endlich giebt die Natur des Sprin-
    gerganges im Allgemeinen 8, die Geschlossenheit des Rös-
    selsprunges aber 2 Beziehungen, so dass sich schliesslich
    zusammen 56 Bedingungen ergeben und daher immer noch
    8 Bedingungsannahmen frei bleiben. Daraus folgt, dass
    die Bildung eines geschlossenen, symmetrischen und gleich-
    summigen Rösselsprunges im Allgemeinen 8 Möglichkeiten,
    d. i. 8 Hauptfälle einzelner Arten zulässt. — Es mögen
    diese Andeutungen genügen, um die mathematische Na-
    tur der Rösselsprungsaufgabe zu erweisen. Spätere mathema-
    tische Forschungen über das Wesen des Schach überhaupt
    werden auch hier (vgl. §. 143) erst die geeignete Anwendung
    der Rechnung selbst erzielen.

Neunter Theil.
Philologische Schachfragen.

Zweiundfünfzigstes Kapitel.
Interpretation.

§. 349. Philologische Schachfragen, welche auf kriti-
scher Interpretation beruhen, betreffen entweder die Ge-
schichte des Spieles selbst, oder die Literatur, d. h. die
Behandlung und Erklärung gewisser auf das Schach sich be-
ziehender Handschriften, endlich die Geschichte im Allge-
meinen, insofern letztere zur Erörterung gewisser Verhält-
nisse auf das Schachspiel einzugehen hat.


§. 350. Philologische Fragen aus der Geschichte des
Spieles entstehen für die correcte Interpretation solcher
Ueberlieferungen, aus deren richtigem Verständniss auf Alter
und Erfindung des Spieles geschlossen werden kann. Dahin
gehören Stellen bei klassischen Autoren, Untersuchungen
über Schachspielausdrücke in verschiedenen Sprachen u. dgl.
[203] mehr. Die Interpretation älterer Manuscripte, welche das
Schachspiel betreffen, ist besonders in neuerer Zeit wieder
durch Auffindung mancher alten Handschriften angeregt wor-
den. Endlich kann es Aufgabe der Philologie sein, die Be-
gründung gewisser geschichtlicher Thatsachen aus der He-
raldik, sowie anderer gesellschaftlicher Verhältnisse, welche
an das Schachspiel anknüpfen, nachzuweisen.


  • Anmerkung. Die mehr oder weniger richtige, correcte oder
    gezwungene Interpretation gewisser klassischer Citate hat
    nicht selten zu dem Irrthume verleitet, dass das Schach-
    spiel bereits von den klassischen Nationen gekannt sei.
    Dahin gehört vorzüglich die Erklärung einiger Stellen aus
    Ovid’s Ars amandi, welche sich sicherlich auf ein unserem
    Damenspiele ähnliches Spiel weit eher beziehen lassen als
    auf das Schach. Der verstorbene berühmte Schachspieler
    Alexandre wollte aus der Interpretation eines Verses aus
    dem 2. Buche Samuelis auf die Kenntniss unseres Spieles
    bei den alten Hebräern schliessen. Auch diese Stelle (II.
    Samuel. 2, 14), wenn sie überhaupt auf ein Spiel bezogen
    werden soll, lässt wohl eher an jedes andere als an unser
    Spiel [denken]. — Was ältere Schachhandschriften betrifft,
    so sind erst in dem vergangenen Jahre von Signor Fan-
    tacci
    zu Florenz verschiedene nicht uninteressante Manu-
    scripte meist aus dem 15. Jahrhundert, entdeckt. Wahr-
    scheinlich findet sich darunter ein Originalwerk des Greco,
    und man gewinnt hierdurch noch mehr Veranlassung zur
    endlichen Erledigung der Frage nach den eigentlichen Ori-
    ginalspielen dieses berühmten Autors. — In Betreff heral-
    discher Fragen wollen wir an die Andeutungen in §. 153
    erinnern, auch merke man, dass z. B. die Stadt Rochlitz
    in Sachsen einen Rochen im Wappen und die Verpflich-
    tung hatte, ihrem Bischof bei der Investitur ein massiv
    silbernes Schachspiel zum Geschenk zu bringen. Ferner
    soll in Schachstadt im Braunschweigischen in Folge alter
    Privilegien jeder Hausvater verbunden gewesen sein, ein
    Schachspiel zu halten und jeden ihn besuchenden Fremden
    zum Schachspiel aufzufordern.

Dreiundfünfzigstes Kapitel.
Besondere Materien.

§. 351. Die eigenthümliche Natur des Schachbrettes
und mannigfache Beziehungen der Schachfiguren haben Anlass
zu mnemotechnischen Anknüpfungen gegeben. Besonders merk-
würdig ist in dieser Hinsicht der Versuch eines Mönches aus dem
[204] Anfang des 16. Jahrhunderts, welcher das Schachspiel be-
nutzen wollte, um die Regeln der Prosodie spielend einzu-
prägen.


  • Anmerkung. Der gedachte Mönch ist Thomas Murner
    welcher im Jahre 1512 zu Frankfurt ein Werkchen unter
    folgendem Titel herausgab: „Ludus Studentium Fri-
    burgensium, worinnen die Regeln der Prosodie
    durch das Schachspiel gelehrt werden
    .“ Es sind
    nur 11 Blätter mit 6 Holzschnitten, deren einer ein Schach-
    brett mit 225 Feldern, ein anderer ein kreisrundes Schach-
    brett mit verschiedenen Figuren darstellt. Man findet da-
    rin eine ziemlich gelehrte Anweisung, die Länge der Vo-
    kale zu finden, und es handelt sich, was das Schachspiel
    betrifft, hier nur um in Quadrate getheilte Bretter. Beim
    Einüben der Silbenquantitäten indess bedeuten die weissen
    Schachfelder Längen, die schwarzen dagegen Kürzen. Jeder
    Spieler wählt 15 Figuren und knüpft an jede derselben
    eine sich auf die Quantitäten beziehende Regel. Nun be-
    ginnt das Spiel, und so oft eine Figur ihrer Bedeutung
    als Länge oder Kürze nach nicht mit dem Felde, auf das
    sie gesetzt wird, übereinstimmt, markirt der Gegner diesen
    Fehler. Wer am Schlusse sich am wenigsten gestraft fin-
    det, gilt als Sieger. Schwerlich ist diese, wiewohl sinn-
    reiche, Varietät des Schach zur gründlichen Anwendung
    gekommen; auch ist das Büchlein äusserst selten, ein wohl-
    behaltenes Exemplar ist fast allein in Stockholm aufge-
    funden worden.

§. 352. Eine Art philologischer Thätigkeit erheischt
endlich die correcte Interpretation gewisser allgemeiner
Schilderungen von Schachpartien. Man hat hierbei häufig
die Auswahl unter verschiedenen Conjecturen, und die Kritik
derselben kann nicht selten am förderlichsten nach philo-
logischen Grundsätzen erfolgen.


  • Anmerkung. Es finden sich in der Literatur, und zwar nicht
    blos in den speciellen Werken des Spiels, einige allgemeine
    Beschreibungen von Schachpositionen, einzelnen Schach-
    zügen und vollständigen Partieen. Vermuthlich lassen sich
    diese Schachfragmente in der gewöhnlichen Notation her-
    stellen, indem zu der correcten Deutung der einzelnen Be-
    schreibungen mehr oder weniger Scharfsinn aufgewandt
    wird. Wir wollen zunächst an die freilich höchst frag-
    mentarischen Schachpositionen und Züge in Lessing’s Na-
    than und Göthe’s Götz von Berlichingen erinnern. Grösse-
    ren Zusammenhang haben die bei Rabelais, Vida und in
    Minding’s Schach-Travestie von Schiller’s Glocke (s. Berl.
    Schachztg. von 1853) vorkommenden Schilderungen. In
    Vida’s grossem Schachepos findet sich ein hartnäckiger
    Schachkampf zwischen Apoll und Merkur ausführlich
    erörtert; in Rabelais’ Werk: „Gargantua et Pantagruel“,
    handelt das 24. und 25. Kapitel des 5. Buches von einer
    Schachmaskerade und einer durch lebende Figuren dar-
    [205] gestellten Schachpartie. Im letzteren Kapitel wird ge-
    schildert: „comment les trente-deux personnaiges du bal
    combattent“. Die Anfangsbewegungnn dieser Partie (einer
    Art Schach-Contredanse) scheinen wahrscheinlich folgende
    Züge gewesen zu sein: 1. d 7—d 5 d 2—d 4; 2. e 7—e 6
    c 2—c 4; 3. c 7—c 6 e 2—e 3; 4. d 5—c 4: L f 1—c 4:
    5. S g 8—f 6 D d 1—e 2; 6. Rochirt Sp. — u. s. w. (hier
    wird die nächste Fortsetzung unklar); wir empfehlen die-
    sen Versuch dem besonderen Liebhaber zu weiterer Ver-
    arbeitung. Ausserdem findet man noch allgemeine Schil-
    derungen in Boccaz’s Filocolo, in Marino’s Adonis und in
    Georg Duchi’s (zu Vicenza 1607 in Quart gedruckten)
    grösseren italienischen Gedichte. — Noch schwieriger
    scheint es endlich, zu bestimmten Positionen, z. B. soge-
    nannten Schachaufgaben, die sie erzeugenden Partieanfänge
    herzustellen. Einen höchst glänzenden Versuch der Art
    verdanken wir dem Schachfreunde Eichenbaum zu
    Odessa, welcher zum 39. Endspiele von Stamma, das wir
    im §. 322 A. mittheilten, den entsprechenden Partieanfang
    auf folgende leichte und durchaus gefällige Weise geliefert
    hat. Man ziehe 1. e 7—e 5 e 2—e 4; 2. d 7—d 5: e 4—d 5:
    3. D d 8—d 5: S g 1—f 3; 4. L c 8—e 6 c 2—c 4; 5. D d 5
    c 6 g 2—g 3; 6. L e 6—c 4: d 2—d 3; 7. L c 4—e 6 L f 1
    g 2; 8. S b 8—a 6 Rochirt; 9. Rochirt (nach c 8), S f 3
    e 5: 10. D c 6—b 6 S b 1—a 3, 11. L f 8—a 3: b 2—a 3:
    12. D b 6—b 5 d 3—d 4; 13. c 7—c 5 S e 5—f 3; 14. c 5—d 4:
    S f 3—d 4: 15. D b 5—a 5 L c 1—d 2; 16. D a 5—a 3:
    S d 4—b 3; 17. K c 8—b 8 S b 3—a 5; 18. L e 6—c 8 S a 5
    c 4; 19. D a 3—e 7 D d 1—b 3; 20. f 7—f 5 h 2—h 3;
    21. h 7—h 6 h 3—h 4; 22. g 7—g 5 h 4—g 5: 23. h 6—g 5:
    T f 1—c 1; 24. D e 7—g 7 a 2—a 4; 25. S g 8—h 6 T a 1
    a 3; 26. D g 7—g 6 a 4—a 5; 27. D g 6—h 5 L g 2—f 1;
    28. S a 6—c 5 D b 3—e 3; 29. S h 6—g 4. Die Partie hat
    jetzt die Stellung, welche wir in §. 322 A. bereits als ein Matt
    von 9 Zügen vorgeführt haben.

Zehnter Theil.
Taktik der Abarten.

Vierundfünfzigstes Kapitel.
Bemerkungen zum Vierschach und Partie dieser Art.

§. 353. Die Taktik der Abarten des Schachs und der
ihm verwandten Spiele sollte zwar am besten aus den be-
sonderen darüber handelnden Schriften ersehen werden; allein
[206] wenn schon jener Zweig der Schachtheorie bisher bei den
Autoren über das Zweischach wenig Berücksichtigung fand,
so trifft solcher Mangel in noch höherem Grade die speciellen
Abhandlungen über jene abweichenden Schacharten. Auch
erscheint wirklich fraglich, ob sich hier mit Vortheil theo-
retische Grundsätze leicht und sicher begründen lassen, und
wir wollen uns deshalb hier darauf beschränken, zu der von
uns am meisten empfohlenen Abart des Spieles (vgl. §. 331)
eine Beispielspartie mitzutheilen, aus welcher der besondere
Liebhaber, wenigstens für einzelne Fälle, gewisse Winke
und Rathschläge zu Gunsten der Praxis entnehmen möge.


  • Anmerkung. Den ersten Versuch einer gediegenen Anweisung
    über taktische Regeln hat für das Vierschach Herr von
    Petroff mitgetheilt, indem er freilich hierbei eine eigen-
    thümlich modificirte Art dieses Spieles zu Grunde legt.
    Er fügt nämlich einem gewöhnlichen vierseitigen Schach-
    brett an den Ecken jedes Spielers 16 Felder (mit einigen
    Reservefiguren versehen) hinzu und im Vergleich dieser
    Plätze mit Festungen giebt er der neuen Spielart den
    Namen „Vierschach mit Festungen“. Näheren Aufschluss
    hierüber findet der Leser in der Berliner Schachzeitung
    vom Jahre 1850, S. 377.

§. 354. Für die Mittheilung einer Partie zu der in
§. 331 von uns empfohlenen besseren Art des Vierschach
bemerke man zunächst, dass das Schachbrett zur linken Hand,
an welchem A und C einander gegenübersitzen, die ge-
wöhnliche Notation bekommt, während das andere angefügte
Brett, an welchem B und D Platz nehmen, statt der Buch-
staben a bis h mit den nächstfolgenden acht Lettern i bis q
versehen wird. Danach ziehe man nun unter Berücksich-
tigung der in §. 331 angegebenen Reihenfolge der Spieler:

[207]

  • Anmerkung. Man sieht aus diesem Beispiele, dass im Vier-
    schach recht interessante und kurzweilige Spiele entstehen
    können, auch ist diese Spielart sicherlich geselliger als das
    gewöhnliche Schach, sie ist mehr gemüthlich und zu Zeiten
    wohl auch spannend, denn nicht blos kalte Berechnung,
    sondern genauere Rücksichtnahme auf den Charakter des
    Gegners kommt zugleich in Betracht. Allein auf der
    anderen Seite hat diese erweiterte Spielart ihre gar grossen
    Schwächen, welche nicht blos in der Nothwendigkeit der
    Verdoppelung gesetzlicher Beziehungen gefunden werden,
    man denke nur an die Abhängigkeit vom Aiden und an
    Mangel jeglicher Anweisungen über Spielanfänge, End-
    spiele und überhaupt in Betreff taktischer Grundsätze. Des-
    halb finden sich auch in manchen Reglements des Vier-
    schach ganz besonders auffallende Vorschriften; wir wollen
    hier nur an den Gesetzcodex des in Braunschweig üblichen
    Vierschach erinnern. Dort heisst es in §. 24: „Jeder
    Spieler ist verpflichtet, seinen König so lange als möglich
    vor dem Matt zu schützen. Die Gegner können dies ver-
    langen und dürfen selbst den hierzu geeigneten
    Zug bezeichnen
    .“ Der erste Satz versteht sich wohl
    von selbst; der Gedanke des letzten Satzes ist aber gewiss
    im höchsten Grade merkwürdig! — Bei solchen Eigen-
    thümlichkeiten können wir nicht umhin, schliesslich noch
    einmal unsere Ansicht zu äussern, dass für das Vierschach
    die obige einfache, dem Charakter des Zweischach treueste,
    Spielart vielleicht mit dem meisten Rechte empfohlen
    werden kann.

Elfter Theil.
Eröffnungs-Abarten.

Fünfundfünfzigstes Kapitel.
Willkührliche Aufstellung, partie des pions und Bauernvorgabe.

§. 355. Eröffnungsabarten sind solche Abweichungen
vom eigentlichen Schachspiel, welche bei möglichster Be-
[208] wahrung aller anderen Gesetze allein eine Aenderung in dem
Anfange oder in der Eröffnung herbeiführen. Die Praxis
kennt bis jetzt drei Hauptklassen solcher Abarten und darunter
als wichtigste die Vorgabepartie von Bauer und einigen
Zügen. Die anderen beiden Abarten bestehen in willkühr-
licher Aufstellung und in der partie des pions.


§. 356. Die willkührliche Aufstellung der Figuren,
welche man zuweilen benutzt, um den Vortheil der Theorie-
kenntniss des Gegners zu paralysiren, besteht in einer be-
liebigen Aufstellung der Officiere hinter den Bauern. Meist
wird sie vom Loos abhängig gemacht.


  • Anmerkung. Mehrere Partien solcher Art wurden von dem
    deutschen Meister Herrn von der Lasa (in Holland mit
    dem Herrn Baron v. d. Hoven) gespielt und zwar ergab
    das Loos unter anderen folgende Aufstellungen: 1) K c 1;
    D h 1; T b 1, d 1; L a 1, e 1; S f 1, g 1; — 2) K a 1;
    D h 1; T e 1, g 1; L b 1, f 1; S c 1, d 1. Die schwarzen
    Steine werden natürlich analog aufgestellt. Bei der ersten
    Aufstellung siegte Herr v. d. Lasa als Nachziehender mit
    folgendem Anfange: 1. S g 8—f 6 b 2—b 4; 2. d 7—d 5
    d 2—d 3; 3. L e 8—a 4 f 2—f 3; 4. S f 8—e 6 e 2—e 4:
    5. D h 8—e 8 L a 1—f 6: 6. e 7—f 6: c 4—d 5: u. s. w.

§. 357. Unter partie des pions versteht man das
Spiel, in welchem die eine Partei irgend einen ihrer Offi-
ciere, besonders die Dame oder den Thurm, vom Brett ent-
fernt und dafür eine gewisse Anzahl Bauern hinzufügt. Ge-
wöhnlich wird die Dame gegen acht neue Bauern gegeben.


  • Anmerkung. Diese an manchen interessanten Combinationen
    reiche Varietät des Schach ist vorzüglich von den franzö-
    sischen Schachspielern ausgebildet worden. Letzteren ver-
    danken wir auch belehrende theoretische Untersuchungen
    über die feineren Nüancen solcher aussergewöhnlichen
    Spiele; eine Reihe interessanter Artikel darüber hat nament-
    lich der Graf Boissy d’Anglas in den französischen Schach-
    zeitungen mitgetheilt. Es wird hier besonders die richtige
    Aufstellung der Bauern besprochen. So soll es zunächst
    für die Bauernpartei nicht rathsam sein, auf der Felder-
    reihe a 3 bis h 3 die neuen acht Bauern aufzusetzen; denn
    es wird hier schwer halten, das Spiel leicht und sicher zu
    entwickeln, ehe der Gegner nach Umgehung der Mitte
    einen heftigen Flügelangriff gegen den König der Bauern-
    partei durchzusetzen vermag. Da ersterer die Dame voraus
    hat, wird er sich nicht scheuen, zur Eröffnung einer Bresche
    mittelst Durchbruch der Bauernkette einen Officier zu
    opfern, um dann durch überwiegenden Officierangriff schnell
    die Gegenpartei zu erdrücken. Unter mannigfachen anderen
    [209] Stellungen wird deshalb zur Sicherung der Bauernmacht
    und gleichzeitigen Ermöglichung schleuniger Officierent-
    wickelung folgende Position als die beste empfohlen.
    [figure]
    Als Bedingung gilt stets bei Spielen dieser Art, dass
    die Figuren die Mitte des Brettes nicht überschreiten. In
    der vorgeführten Aufstellung kann nun folgender Anfang
    empfohlen werden. 1. d 4—d 5 d 7—d 6; 2. e 4—e 5 e 7
    e 6; 3. e 2—e 4 c 7—c 6; 4. d 5—e 6: f 7—e 6: 5. d 2—d 4
    d 6—e 5: 6. f 4—e 5: g 7—g 5; 7. f 2—f 3 h 7—h 6;
    8. L f 1—d 3 L f 8—g 7; 9. L c 1—e 3 S b 8—d 7; 10. h 2
    h 3 c 6—c 5; 11. S g 1—f 3 g 5—f 4: 12. g 3—f 4: S g 8
    e 7; 13. d 4—d 5 b 7—b 6; 14. S b 1—d 2 S d 7—f 8;
    15. Rochirt nach c 1, a 7—a 5; 16. a 2—a 4 u. s. w. Die
    Partie dürfte hier einen Remischarakter annehmen.

§. 358. Unter Vorgabepartie des Bauers versteht man
das Spiel, in welchem zur Ausgleichung der Stärke beider
Spieler die eine Partei ihren Königslauferbauer (also ent-
weder Bauer f 2 oder f 7) beim Anfang vom Brett nimmt.
Die Praxis kennt eine Vorgabepartie von Bauer und Zug
sowie von Bauer und zwei Zügen. In der ersteren hat der
schwächere Spieler, welcher also den Bauer vorbekommt,
den einfachen Anzug, in der anderen hat er einen doppelten
Anzug, d. h. er zieht mit zwei Zügen an, während der vor-
14
[210] gebende Gegner darauf, wie gewöhnlich nur mit einem Zuge
eröffnet.


  • Anmerkung. In der Praxis hat die Vorgabepartie von Bauer
    und zwei Zügen weit grösseren Anklang gefunden, als die
    einfachere Vorgabe von Bauer und Zug. Der Vorgebende
    nimmt gewöhnlich die schwarzen Steine und entfernt vor
    dem Beginne des Spieles den Bauer f 7 vom Brett; der
    Gegner eröffnet dann gewöhnlich die Partie mit den beiden
    (nach §. 86.) besten Zügen: 1. e 2—e 4 und 2. d 2—d 4.
    Der Vorgebende beginnt dann seinerseits das Spiel am
    sichersten durch e 7—e 6; auch empfehlen manche Theo-
    retiker S b 8—c 6. Bei 1. e 2—e 4, 2. d 2—d 4 e 7—e 6
    kann 3. c 2—c 4 c 7—c 5; 4. d 4—d 5 d 7—d 6; 5. f 2—f 4
    nebst consequenter Entwickelung der Königsfiguren (S g 1
    f 3 und L f 1—d 3) den Anziehenden äusserst günstig
    stellen. Die Position des Vertheidigenden bleibt durchaus
    gelähmt und wird bei ruhiger consequenter Entwickelung
    des Anziehenden diesem den Sieg sichern. Letzterer hat
    sich nur vor übereilten Angriffen zu hüten, wozu nicht
    selten die geöffnete Diagonale (e 8—h 5) verleiten dürfte.
    Die meisten Spiele dieser Art werden vom Anziehenden
    durch überstürzte Attaken aus der Hand gegeben.

Zwölster Theil.
Aufgaben.

Sechsundfünfzigstes Kapitel.
Vorkenntnisse.

§. 359. Unter Schachaufgaben oder Schachproblemen
versteht man im engeren Sinne alle Abarten vom Endspiele,
d. h. beliebige Schachpositionen, welche sich zwar als End-
stellungen aus einer praktischen Partie herleiten lassen, aber
als freigeschaffene Producte auf irgend welchen Kunstwerth
Anspruch erheben. Letzterer beruht hauptsächlich auf der
Idee, welche der Aufgabe zu Grunde liegt; die Möglich-
keit der Ableitung aus einer Partie liegt in der Form der
Stellung, endlich die Bedeutung der Position, d. h. die For-
derung, welche an diese geknüpft wird, bildet den Gegen-
stand
der Aufgabe.


[211]

§. 360. Gegenstand von Aufgaben kann die allge-
meine Frage nach dem Siege einer Partei überhaupt sein,
oder die Erreichung eines bestimmten Zweckes in einer
Reihe von Zügen, z. B. eines Matt, Patt, Remis, end-
lich Selbstmatt.


  • Anmerkung. Die Form der allgemeinen Fragen, welche an
    eine Position geknüpft werden, ist z. B. „Wie gewinnt die
    eine Partei?“ oder „Weiss zieht an und gewinnt“ u. s. w.
    Am beliebtesten sind aber die einfachen Mattfragen mit
    Bestimmung der Zügezahl; die Form ist: „Wie macht die
    eine Partei in so und soviel Zügen Matt?“ oder „Weiss
    zieht an und setzt in so und soviel Zügen Matt.“ Beim
    Selbstmatt hat die eine Partei die Aufgabe, die andere zu
    solchen Zügen zu zwingen, welche schliesslich das Matt der
    ersten Partei herbeiführen. Praktische Beispiele werden
    die §§. 363 ff. vorführen.

§. 361. Die Form der Aufgaben betrifft die äussere
Position, d. h. die Postirung der Steine auf dem Brette.
Hier kommt die Correctheit der Position und ihre Freiheit
von Formwidrigkeiten in Betracht. Letztere sind solche
Eigenthümlichkeiten einer Position, welche die Herleitung
der letzteren aus einer praktischen Partie geradezu unmög-
lich
machen.


  • Anmerkung. Eine Position ist um so correcter, je leichter sie
    aus einer praktischen Partie zu begründen ist, d. h. je
    natürlicher für beide Parteien diejenigen Züge sich bie-
    ten, durch welche die Stellung erzeugt werden kann. So
    sind gewiss Positionen unnatürlich, in welchen z. B. Haupt-
    figuren, wie die Dame, mehrfachen feindlichen Angriffen
    ausgesetzt erscheinen. Zu den Formwidrigkeiten, welche
    sämmtlich unstatthaft sind, gehört z. B. der Fall, dass von
    einer Partei weniger Figuren fehlen als die andere Doppel-
    bauern hat, dass ein Laufer auf einem anderen als seinem
    Standfelde steht, obwohl die beiden ihn beim Anfange der
    Partie einschliessenden Bauern ihre Plätze noch einnehmen
    und dergleichen mehr. Der letztere Fall wäre höchstens
    durch Avancement möglich.

§. 362. In jeder Aufgabe zeigt sich als Grundgedanke
eine mehr oder weniger tief liegende Idee. Sie besteht in
einer Combination, welche entweder auf den Charakter ein-
zelner Figuren sich stützt oder durch solche Züge gebildet
wird, die in dem gewöhnlichen Verlaufe einer praktischen
Partie seltener vorkommen. Dahin gehören Aufopferungen
einzelner Figuren, gewisse Tempinutzungen, Abzugschachs
u. s. w. Durch die Verbindung mehrer solcher Combinatio-
14*
[212] nen in derselben Aufgabe kann die Schwierigkeit der letz-
teren mannigfach gesteigert werden, und darauf beruht die
Schönheit wie Eleganz vieler Aufgaben der neueren Zeit.


  • Anmerkung. Die Nothwendigkeit einer Idee liegt in dem
    Charakter der Schachaufgabe als eines Kunstproduktes
    wesentlich begründet, und damit ist zugleich der Haupt-
    unterschied des Problemes von einem einfachen praktischen
    Endspiel deutlich bezeichnet. Näher erkannt wird die
    Existenz der Ideen durch Discussion der Aufgaben. Das
    nächste Kapitel soll nun zunächst dem Leser eine Anzahl
    von Problemen vorführen, an welche wir sodann eine kurze
    Theorie der Discussion anschliessen wollen.

Siebenundfünfzigstes Kapitel.
Einzelne Schachaufgaben.

§. 363. Es leuchtet auf den ersten Blick ein, dass
in der Position: Weiss: K h 2; D e 3; T a 1, d 4; L a 2,
b 2; S h 4; B a 3, g 2, h 3. Schwarz: K h 8; D c 2; T c 8,
e 8; L b 7, g 7; S b 6, g 6; B a 6, b 5, c 7, h 6 die schwarze
Partei sich augenscheinlich in Vortheil befindet. Dennoch
fragt es sich, da die weisse Partei am Zuge ist, ob diese
nicht die Partie zu ihren Gunsten zu wenden vermag. Der
Leser beantworte daher die Frage, wer in der gegebenen
Stellung, falls Weiss den Anzug hat, gewinnen wird.


  • Anmerkung. Des Weissen bester Zug ist allein 1. T d 4—d 8.
    Geschieht nun 1. T c 8—d 8: so giebt die weisse Dame auf
    h 6 Matt, da der Laufer b 2 den Laufer g 7 fesselt. Ge-
    schieht aber D c 2—b 2: so folgt 2. D e 3—e 8 † nebst
    3. D e 8—g 8 Matt. Bei 1. K h 8—h 7 folgt ebenfalls zu-
    nächst 2. D e 3—e 8: Alle anderen Züge sind leicht zu
    finden. Das Beste ist L g 7—e 5 † wobei Weiss die Qua-
    lität gewinnen wird.

§. 364. In folgender Position:


Weiss: K g 1; D e 3; L b 4; S e 7, f 6; B a 3, g 2, h 3.


Schwarz: K g 5; D g 7; T a 8, h 8; S h 4, h 6; L b 7; B a 7,
e 6, f 4 hat Schwarz entscheidende Uebermacht. Weiss soll
trotzdem das Remis erzwingen.


  • Anmerkung. Sehr nahe liegt der Anfangszug 1. D e 3—e 5 †;
    dann aber deckt Schwarz durch 1. S h 6—f 5 und wird
    nach wenigen Zügen die Oberhand gewinnen. Durch
    1. D e 3—f 4: hingegen vermag Weiss mindestens das
    [213] Remis zu erzwingen. Es folgt 1. K g 5—f 4: 2. L b 4—d 2 †
    K f 4—e 5 (auf K f 4—g 3 entscheidet 3. S f 6—h 5).
    3. L d 2—c 3 K e 5—d 6; 4. L c 3—b 4 † K d 6—c 7
    5. L b 4—a 5 K c 7—d 6 (bei K c 7—b 8 entscheidet 6. S f 6
    d 7) 6. L a 5—b 4 † und der weisse Laufer hält die Partie
    durch ewiges Schach Remis.

§. 365. Als einfachstes Beispiel eines Selbstmatt be-
trachte man folgende Stellung: Weiss: K a 1; T d 1; L a 5,
b 1; B h 6. Schwarz: K h 8, L c 4, e 3. — Weiss soll den
Schwarzen zwingen, in sechs Zügen Matt zu setzen. Es ge-
schieht: 1. T d 1—d 8 † L c 4—g 8; 2. L a 5—c 3 † L e 3
d 4; 3. T d 8—a 8 L d 4—e 5 (Schwarz weigert sich so
lange als möglich, durch Nehmen des Läufers den Gegner
matt zu setzen) 4. L c 3—d 4 L e 5—f 6; 5. L d 4—e 5
L f 6—g 7; 6. L e 5—f 6; hierauf steht dem Schwarzen
kein anderer Zug als 6. L g 7—f 6: zu Gebote. Er wird
also gezwungen, den Gegner Matt zu setzen und auf diesen
Umstand stützt sich wesentlich der Begriff des Selbstmatt.


§. 366. Unter den gewöhnlichen Mattaufgaben lassen
sich die einfachen von den bedingten scheiden. Bei letz-
teren wird das Matt an gewisse Voraussetzungen geknüpft,
z. B. an die Forderung, mit einer bestimmten Figur, oder
auf einem bezeichneten Felde, oder ohne die Wegnahme
gewisser feindlicher Steine u. s. w. das Matt zu erzwingen.
Am häufigsten findet sich die Bedingung, mit einem bestimm-
ten Bauer dieses Resultat zu erreichen. So versuche man
in folgender Position mit dem Lauferbauer c 2 im vierten
Zuge Matt zu setzen.


Weiss: K f 5; T c 4; L a 7; S e 4; B c 2, d 3.


Schwarz: K d 5; B c 5, c 6.


  • Anmerkung. Die Lösung erheischt folgende Züge. Zuerst
    T c 4—b 4. Nimmt nun der Bauer 1. c 5—b 4: wieder, so
    folgt 2. L a 7—c 5 b 4—b 3; 3. c 2—c 4 † u. Matt. Schwarz
    zieht deshalb 1. c 5—c 4; hierauf folgt 2. L a 7—c 5
    c 4—c 3 (falls c 4—d 3: so 3. c 2—c 4 †) 3. T b 4—b 2.
    Jetzt muss Schwarz als einzigen Zug den Thurm nehmen
    3. c 3—b 2:, worauf nun der Mattzug 4. c 2—c 4 möglich
    wird. — Ohne die gestellte Bedingung wäre das Matt be-
    reits im ersten Zuge zu erreichen.

§. 367. Am beliebtesten sind die einfachen Matts ohne
weitere Beschränkung als die Angabe der Zügezahl. Wir
[214] theilen im Folgenden eine Reihe solcher Aufgaben mit, in-
dem wir dabei stets von der weissen Partei ausgehen, d. h.
dieser den Anzug und die Aufgabe zu ertheilen, in der vor-
geschriebenen Zügezahl die feindliche schwarze Partei Matt
zu machen.


Matt in zwei Zügen.


Weiss: K e 3; D b 2; L d 7; S g 4; B b 4, e 2.


Schwarz: K d 5; S a 5, b 5; L e 5; B d 6.


  • Anmerkung. Der einzig richtige Anfangzzug ist 1. K e 3—d 3,
    worauf Weiss durch 2. e 2—e 4 Matt droht. Schwarz kann
    dies nur durch 1. S b 5—c 3 verhüten; dann entscheidet
    aber 2. S g 4—e 3. Die Dame findet sich nur, um zu un-
    günstigen Versuchen zu verleiten.

§. 368. Matt in zwei Zügen.


Weiss: K e 1; T h 1; L d 3, g 5; S c 3; B a 2, b 2, g 2, h 3.


Schwarz: K g 3; T c 8, h 8; L b 4, f 7; S d 4; B a 6, b 7,
g 6, h 4.


  • Anmerkung. Der Anfangszug ist die Rochade, also
    1. Rochirt; hierauf mag Schwarz ziehen, was er will, stets
    ist das Matt im zweiten Zuge möglich.

§. 369. Matt in zwei Zügen.


Weiss: K b 5; T b 3; L g 2; S c 5; B f 4.


Schwarz; K d 4; B b 4, e 4.


  • Anmerkung. Der richtige Zug ist hier 1. L g 2—h 1, um den
    Gegner zum Zuge zu nöthigen. Zieht dieser 1. e 4—e 3,
    so folgt das Matt durch 2. S c 5—e 6, bei 1. K d 4—d 5
    aber durch 2. T b 3—d 3.

§. 370. Matt in zwei Zügen.


Weiss: K a 1; D c 4; L g 6; S c 5, e 3; L g 2.


Schwarz: K d 2; D f 2; L h 5; S e 6.


  • Anmerkung. Es geschieht 1. D c 4—c 1 † K d 2—c 1; 2. S c 5
    b 3 † und Matt. Geht aber der König 1. K d 2—e 2 so
    entscheidet 2. L g 6—h 5.

§. 371. Matt in zwei Zügen.


Weiss: K g 7; L d 4, h 1; S e 5, f 2; B g 3, h 2.


Schwarz: K g 5.


  • Anmerkung. Nur durch 1. g 3—g 4 kann Weiss im zweiten
    Zuge Matt geben, was bei K g 5—h 4 durch 3. S e 5—f 3,
    bei K g 5—f 4 aber durch 2. S f 2—h 3 erfolgt.

[215]

§. 372. Matt in drei Zügen.


Weiss: K d 3; T a 2, f 6; B a 4, b 6.


Schwarz: K b 4; B a 5.


  • Anmerkung. Der einzig richtige Anfang ist 1. T a 2—a 1.
    Darauf folgt 1. K b 4—c 5; 2. T a 1—b 1 K c 5—d 5
    3. T b 1—b 5 † und Matt, denn bei 1. K b 4—b 3 wurde
    sofort 2. T f 6—b 6 entscheiden.

§. 373. Matt in drei Zügen.


Weiss: K h 1; D e 1; L h 3, S d 2, f 7.


Schwarz: K d 4; S c 4, f 4.


  • Anmerkung. Es geschieht: 1. S d 2—b 3 † K d 4—d 5; 2. D e 1
    e 6 † S f 4—e 6: 3. L h 3—g 2 † u. M. Bei 1. K d 4
    d 3 würde 2. L h 3—f 5 † sofort entscheiden.

§. 374. Matt in drei Zügen.


Weiss: K a 4; T f 5, h 3; L a 7, g 2, S c 6, d 7; B c 2, d 2.


Schwarz: K c 4; D h 8; T e 5, h 5; L g 7; S e 8; B a 5, b 4,
e 2, g 3.


  • Anmerkung. Der richtige Anfangszug ist 1. L a 7—f 2. Ge-
    schieht nun 1. g 3—f 2: so folgt das Matt durch 2. T h 3
    c 3 b 4—c 3: 3. d 2—d 3. Geschieht aber 1. T e 5—b 5
    um das Matt des Springers d 6—b 7 zu verhüten, so ent-
    scheidet 2. L f 2—e 1 nebst 3. d 2—d 3 oder bei 2. T b 5
    d 5 der Angriff 3. L g 2—d 5:

§. 375. Matt in vier Zügen.


Weiss: K g 1; T a 1; L f 2; S d 5, f 7; B g 3.


Schwarz: K g 4; L e 2; S g 6.


  • Anmerkung. Der Anfangszug ist 1. S d 5—e 3 †; geht nun
    der König nach f 3 oder h 3, so giebt der Springer auf g 5
    Matt. Richtiger ist deshalb 1. K g 4—h 5; darauf ent-
    scheidet aber 2. g 3—g 4 † L e 2—g 4: 3. S e 3—d 5, in-
    dem dieser Springer auf f 4 oder f 6 Matt droht, je nach-
    dem Schwarz Springer oder Laufer bewegt.

§. 376. Matt in vier Zügen.


Weiss: K h 1; T e 1, f 7; L c 4; S e 2; B b 3, c 3, g 2, h 2.


Schwarz: K e 5; T c 8, d 8; L c 7; S c 6; B a 7, b 7, g 7, h 6.


  • Anmerkung. Hier entscheiden folgende 4 Sprünge: 1. S e 2
    g 3 † K e 5—d 6; 2. S g 3—e 4 † K d 6—e 5; 3. S e 4
    c 5 † K e 5—d 6; 4. S c 5—b 7 † und Matt.

§. 377. Matt in vier Zügen.


Weiss: K a 5; D f 4; L b 8, e 2; S c 2.


Schwarz; K d 5; D g 1; T c 6; L g 7, h 7.


[216]
  • Anmerkung. Es geschieht 1. D f 4—f 7 † T c 6—e 6 (falls
    K d 5—e 4, so entscheidet 2. D f 7—f 3 †) 2. D f 7—b 7
    T e 6—c 6; 3. D b 7—b 3 K d 5—e 4; 4. D b 3—f 3 † oder
    3. T c 6—c 4; 4. D b 3—c 4: † und Matt.

§. 378. Matt in vier Zügen.


Weiss: K g 5; D a 7; T h 3; L c 4; B c 2, d 3, e 4.


Schwarz: K e 5; T b 1; S a 4, f 2.


  • Anmerkung. Es geschieht: 1. d 3—d 4 † K e 5—e 4: 2. L c 4
    d 3 † S f 2—d 3: 3. c 2—d 3: K e 4—d 5; 4. D a 7—d 7 †
    und Matt. Geht der König 1. K e 5—d 6 so entscheidet
    2. T h 3—h 6 †.

§. 379. Matt in vier Zügen.


Weiss: K d 1; D f 7; T b 3; L c 8, g 1; S b 6.


Schwarz: K d 3; D c 6; L h 1; S d 2; B c 3, d 5.


  • Anmerkung. Nach den Zügen 1. D f 7—f 5 † L h 1—e 4
    (falls S d 2—e 4 so entscheidet sofort 2. D f 5—f 1 †)
    2. L c 8—a 6 † D c 6—c 4; 3. S b 6—d 7 mag Schwarz ziehen
    wie er will, der weisse Springer giebt stets, entweder auf
    c 5 oder e 5 Matt.

§. 380. Matt in vier Zügen.


Weiss: K e 3; T g 1; L d 5, g 3;


Schwarz: K g 5; B d 6, e 5, f 6.


  • Anmerkung. Es geschieht 1. L g 3—f 4 † K g 5—f 5; 2. L f 4
    h 6 e 5—e 4; 3. L h 6—g 7, K f 5 — e 5; 4. T g 1 — g 5 †
    u. M. Geht aber der König 1. K g 5 — h 4, so folgt
    2. L d5—f 3 e 5 — f 4: 3. K e 3 — f 4: nebst 4. T g 1
    h 1 † u. M.

§. 381. Matt in vier Zügen.


Weiss: K d 2; D b 3; T f 6; S a 5, h 5; L c 8.


Schwarz: K e 4; D h 1; T a 4, e 5; L c 6, d 6; S a 2, e 1;
B b 7, g 5.


  • Anmerkung. Die Lösung erfolgt durch 1. T f 6—f 4 † g 5—f 4:
    2. S h 5—f 6 † K e 4—d 4; 3. D b 3—c 4 † T a 4—c 4:
    4. S a 5—b 3 † u. M. Diese Aufgabe verdanken wir der
    Mittheilung des Herrn v. Guretzky-Cornitz.

§. 382. Matt in vier Zügen.


Weiss: K g 8; T b 6; L c 4, g 5; B d 6, e 7.


Schwarz: K e 8; L c 8; S h 8; B b 7.


  • Anmerkung. Der erste Zug ist 1. d 6—d 7 †. Nimmt der
    Lauter also 1. L c 8—d 7: so folgt das Matt durch 2. T b 6
    d 6 b 7—b 6; 3. L c 4—b 5 L d 7—b 5: 4. T d 6—d 8 †
    [217] oder bei 3. S h 8—f 7 oder g 6 durch 4. L b 5—d 7:, bei
    2. S h 8—f 7 oder g 6 aber durch 3. L c 4—f 7. Nimmt
    hingegen im ersten Zuge der König, also 1. K e 8—d 7:,
    so kann Weiss nur im 4. Zuge matt machen, wenn er
    jetzt 2. e 7—e 8 avaneiren lässt und einen Springer fordert,
    worauf bei 2. K d 7—e 8: nun 3. L c 4—b 5 † L c 8—d 7;
    4. T b 6—e 6 † entscheiden kann. Denn wird der Bauer
    Dame, so kann der König nach c 7 ausweichen und das
    Matt wird über den fünften Zug verspätet.

§. 383. Matt in vier Zügen.


Weiss: K f 6; L d 8, g 2; S f 8; B b 4.


Schwarz: K d 6; B b 7, g 3.


  • Anmerkung. Es geschieht 1. K f 6—f 5 b 7—b 6 (falls b 7—b 5
    so kann sofort 2. K f 5—e 4 nebst 3. K e 4—e 5 folgen)
    2. K f 5—f 4 b 6—b 5; 3. K f 4—e 4 K d 6—c 6; 4. K e 4
    e 5 deckt das Schach des Laufers auf und giebt dadurch
    Matt.

§. 384. Matt in fünf Zügen.


Weiss: K a 2; D d 6; L f 1.


Schwarz: K a 5; D c 1.


  • Anmerkung. Man sehe folgende einfache Mattführung:
    1. D d 6—a 6 † K a 5—b 4; 2. D a 6—b 5 † K b 4—c 3;
    3. D b 5—c 4 K c 3—d 2; 4. D c 4—d 3 K d 2—n 1; 5. D d 3
    e 2 † und Matt.

§. 385. Matt in fünf Zügen.


Weiss: K g 6; D g 3; T d 1, f 1; S d 3, h 7; L d 6; B f 4, g 5.


Schwarz: K e 6; D h 2; T c 2, f 7; L a 6; S d 7; B b 3.


  • Anmerkung. Es geschehen die Züge: 1. f 4—f 5 † T f 7—f 5:
    2. S d 3—f 4 † T f 5—f 4: 3. D g 3—g 4 † T f 4—g 4;
    4. T f 1—f 6 † S d 7—f 6: 5. S h 7—f 8 † und Matt. Geht
    zuerst der König, also 1. K e 6—d 5 so entscheidet 2. S d 3
    b 4 † K d 5—c 4; 3. D g 3—d 3 †, oder K d 5—e 4;
    3. D g 3—f 3 † u. M.

§. 386. Matt in vier Zügen.


Weiss: K b 2; L a 4; S d 4, d 6; B b 4.


Schwarz: K b 6; S b 7, c 7.


  • Anmerkung. Nach folgendem Anfange 1. S d 6—c 8 † K b 6
    a 6; 2. L a 4—b 5 † S c 7—b 5: 2. S d 4—e 6 mag nun
    Schwarz irgend einen Springer bewegen, stets wird ein feind-
    licher Springer auf c 5 oder c 7 Matt geben.

§. 387. Matt in acht Zügen.


Weiss: K f 2; L c 4; S h 2; B d 2, e 3, g 5.


Schwarz: K e 5; S d 6, f 5; B d 3, g 6.


  • Anmerkung. Die Lösung erfolgt durch einen consequenten
    Springerangriff: 1. S. h 2—g 4 † K e 5—e 4; 2. S g 4—f 6 †
    [218] K e 4—e 5; 3. S f 6—d 7 † K e 5—e 4; 4. S d 7—c 5 †
    K e 4—e 5; 5. S 5—d 3 † K e 5—e 4; 6. S d 3—c 5 † K e 4
    e 5; 7. S c 5—d 7 † K e 5—e 4; 8. d 2—d 3 † u. M.

§. 388. In folgender Position soll Weiss ein voll-
kommen ersticktes Matt geben. (cf. §. 48, a. E. oder
S 35 M.)


Weiss: K d 1; D d 6; T d 5, g 6; L h 3; S e 8, f 7; B a 7,
e 2, f 2.


Schwarz: K e 4, L a 2; S d 3; B c 4, c 5, d 7, e 3, e 6,
f 4, g 4, g 7.


  • Anmerkung. Man sehe folgende Züge: 1. f 2—f 3 † g 4—f 3:
    2. e 2—d 3: c 4—d 3: 3. L h 3—f 5 † e 6—f 5: 4. T d 5
    d 4 † c 5—d 4: 5. a 7—a 8 (wird Laufer) † L a 2—d 5;
    6. T g 6—e 6 † d 7—e 6: 7. L a 8—d 5 † e 6—d 5: 8. S e 8
    f 6 † g 7—f 6: 9. D d 6—e 5 † f 6—e 5: 10. S f 7 —d 6
    oder g 5 † u. M. Man nennt dieses Problem, das wir in
    der gegenwärtigen Ausführung dem berühmten Theoretiker
    Herrn von Jaenisch verdanken, den eisernen Käfig des
    Tamerlan
    . Man erinnere sich hierbei an die bekannte
    Sage von diesem Mongolenführer, welcher den gefangenen
    türkischen Sultan Bajazeth in einem eisernen Käfig zur
    Schau ausgestellt haben soll, und vergleiche dann die
    Lage des schwarzen Königs in der vorgeführten Aufgabe.

Achtundfünfzigstes Kapitel.
Discussion der Problemideen.

§. 389. Für die Ideen der Probleme kommt zunächst
die Frage nach ihrer Selbstständigkeit in Betracht. Letztere
stützt sich auf die Bedingung, dass der Ausdruck einer Idee
von der Verbindung mit anderweitigen Combinationen durch-
aus unabhängig ist. In diesem Sinne haben die grösste
Selbstständigkeit alle solche Ideen, welche sich an die eigen-
thümliche Natur der Figuren knüpfen. Bei ihnen kehren
zugleich gewisse Grundeigenschaften durchgehends wieder.


  • Anmerkung. Für jede Klasse von Figuren zeigen sich
    vier Hauptbeziehungen. Denkt man eine Figur an und
    für sich, so ergiebt sich zuerst ihre ausschliessliche
    einfache Benutzung in einer Reihe von Zügen; wir nennen
    diese continuirliche Benutzung Continuität. Sodann
    resultiren aus der eigenthümlichen Natur jeder Figur
    gewisse taktische Prinzipien, deren Ausdruck besondere
    [219] Ideen zu begründen vermag. Ferner knüpft sich an jede
    Figur eine gewisse Fähigkeit für die Mattstellung des
    Königs, wir nennen sie Mattkraft, und endlich ergeben
    sich aus gewisser Zusammenwirkung jedes Steines mit
    anderen einzelne ganz besondere Eigenschaften.

§. 390. Probleme, deren Grundidee an den König an-
knüpft, zeigen meist Positionen aus der Mitte der Partie, in
denen die einzelne Bewegung des Königs überrascht oder
die Rochade desselben wegen ihrer Verspätung kaum noch
erwartet wird.


  • Anmerkung. Die continuirliche Bewegung kann den Zweck
    eines Abzugschachs haben, die einfache Bewegung dagegen
    entweder die eigenthümliche Natur des Königs (d. h. die
    Nothwendigkeit seiner Sicherstellung vor feindlichen An-
    griffen) betreffen oder die Mattkraft des Königs, d. h. seine
    Mitwirkung zur Mattstellung des Königs darlegen. Der
    erste Zweck einer continuirlichen Bewegung ist im Problem
    des §. 383 ausgeprägt; in gewöhnlichen Endspielen tritt
    die Continuität des Königs meist als Oppositionsverfolgung
    des Gegenkönigs auf. Die anderen Ideen der einfachen
    Bewegung finden im Problem §. 367 ihren gleichzeitigen
    Ausdruck. Der König geht dort e 3 —d 3, theils um dem
    Gegner das Feld c 4 abzuschneiden, theils sich vor An-
    griffen sicher zu stellen, theils endlich um anderen Figuren
    zum Mattsetzen freies Feld zu geben. Dem Springer wird
    das Feld e 3 geräumt, der Angriff des Bauers e 2 aber
    demaskirt. Zweck der Königsbewegung ist hier also ausser
    Abschneidung und eigener Sicherstellung auch
    Räumung und Demaskation. — Die Idee der Rochade
    ist aus Problem §. 368 bekannt; sie entsteht aus dem Zu-
    sammenwirken des Königs mit dem Thurm, gehört also
    zur letzten Klasse der im vorigen Paragraph angedeuteten
    vier Hauptbeziehungen. Zweck der Rochade ist, zur völli-
    gen Abschneidung des feindlichen Königs das Feld g 2
    oder c 2 zu nehmen, welche beim einfacheren Thurmzuge
    (T h 1—f 1 oder T a 1—d 1) unbedroht geblieben wären.

§. 391. Die Dame giebt nicht nur wegen ihrer be-
deutenden Mattkraft und Beweglichkeit zu mancherlei Proble-
men interessante Grundlagen, sondern sie vermag auch vor-
züglich durch Tempigewinn eine Position zu conserviren und
hat gegen die einzelnen Officiere eine besondere Wirk-
samkeit.


  • Anmerkung. Zur Contuinität der Dame gehört ihre regel-
    mässige Treibkraft und ihre grosse Beweglichkeit. Man
    vergleiche deshalb §. 384 und 377. Die Mattkraft dieser
    wichtigen Figur äussert sich entweder in den ordinären
    Matts (vgl. 46, c., Mattzug der schwarzen Dame) oder in
    gewissen künstlichen Mattstellungen, wie in der des §. 378.
    Die Wirksamkeit der Dame gegen einzelne Figuren lehrt
    [220] schon meist die Praxis, oder sie stützt sich, wie namentlich
    gegen die Springer, auf gewisse künstlichere Tempigewinne.
    Als besondere Eigenschaft der Dame ist endlich ihre
    zwingende Gewalt in Verbindung mit einer anderen Figur,
    namentlich dem Thurm, zu erwähnen- Sie vermag so den
    feindlichen König in vorgeschriebener Zügezahl von einem
    Punkte des Brettes zu jedem anderen zu treiben und darauf
    beruht nicht selten die Durchführung gewisser künstlicher
    Aufgaben, wie der Selbstmatts und bedingten Matts.

§. 392. Der Thurm bedingt das sogenannte Randmatt
und darauf stützen sich manche ähnliche Matts in der Mitte
des Brettes; auch gestattet er mit der Hülfe von Springern
und Bauern viele künstliche Mattstellungen. Seine Ab-
schneidung ganzer Linien dient zur Mattvorbereitung, und in
Verbindung mit dem Laufer oder der Dame giebt er zum
Abzugsschach Gelegeuheit.


  • Anmerkung. Die continuirliche Bewegung der Thürme ist
    aus §. 372 bekannt; dasselbe Problem zeigt ein Beispiel
    des eigentlichen Thurmmatt, damit vergleiche man die
    analogen Mattstellungen in §. 369 und §. 380. Die Ab-
    schneidung gerader Linien gehört zur eigenthümlichen
    Natur des Thurmes; die Abzugschachfähigkeit aber sowie
    seine zwingende Gewalt in Verbindung mit Springer oder
    Laufer zu seinen besonderen Eigenschaften.

§. 393. Der Laufer ist vorzüglich zum Tempigewinn
und Tempizwang geeignet, begründet das Diagonalmatt und
gewährt in Verbindung mit dem Thurm die Möglichkeit des
Abzugschach.


  • Anmerkung. Die Continuität des Laufers kann zur allmähli-
    gen Bildung eines Abzugschach oder zur Stützung eines
    einfacheren Matts (wie in §. 380) dienen. Die Treibkraft
    wird besonders bei dem Zusammenwirken beider Laufer
    von Bedeutung. Die eigenthümliche Natur des Laufers
    giebt zur Abschneidung gewisser in der Diagonale liegen-
    der Felder sowie zum Tempigewinne Veranlassung. Man
    vergleiche hier §. 365 und §. 369. Auf der Mattkraft des
    Laufers beruht das Diagonalmatt, welches, wie in §. 373,
    nicht selten mit einem Damenopfer combinirt wird. Die
    Italiener nennen es Fianchetto-Matt, die Engländer open-
    slant-rayed mate. Noch vergleiche man wegen der Con-
    tinuität des Laufers die Remis-Aufgabe in §. 364.

§. 394. Die eigenthümliche Gangweise des Springers
giebt zu den mannigfachsten Ideen Veranlassung. Er ist
besonders wirksam in passender Verbindung mit anderen
Officieren, namentlich Thurm und Läufer. Zwei Springer
haben eine besonders starke Treibkraft dem feindlichen
[221] König gegenüber, sowie ein einziger Springer endlich das
eigenthümlich erstickte Matt geben kann.


  • Anmerkung. Die continuirliche Bewegung des Springers ist
    aus §. 376 und besonders aus §. 387 bekannt. Auf der
    eigenthümlichen Natur des Springers beruht vorzüglich die
    eigentliche Springerkraft, d. h. die Fähigkeit, zwei Felder
    in der Diagonale abzuschneiden, ohne sich selbst hierbei
    bloss zu stellen. Man sehe §. 375. Dahin gehört auch die
    Doppelseitigkeit des Springers, d. h. die Möglichkeit, von
    einem bestimmten Punkte aus nach 2 verschiedenen Rich-
    tungen hin jene Kraft äussern zu können, so dass hier
    nicht selten das Tempo entscheidet. Dies wird klar aus
    §. 379 und §. 386. Besonders stark wirkt in diesem Sinne
    die Combination beider Springer; man sehe §. 370 und
    §. 371. Auf die Mattkraft des Springers stützt sich das
    erstickte Matt, dessen vollkommenste Ausführung in §. 388
    gegeben ist. Gewisse analoge Springermatts, welche sich
    vorzüglich auf ein Opfer des Thurmes oder der Dame
    stützen, hat man in §. 381 und 385 gefunden. Endlich ist
    noch das Randmatt und das ihm analoge Eckmatt zu er-
    wähnen; von ersterem giebt §. 370 ein Beispiel.

§. 395. Auf die eigenthümlichen Eigenschaften des
Bauers lassen sich mannigfache Ideen zu Aufgaben gründen;
es kommt vorzüglich seine Verschiedenheit in Gang und
Schlagweise, sowie das besondere Privileg des Zweischrittes
und des Avancement in Betracht.


  • Anmerkung. Continuität und Mattkraft sind beim Bauer am
    schwächsten. Erstere tritt beim Bauersturm gegen den
    feindlichen König hervor, so wie in den Selbsmattideen,
    einen feindlichen Bauer continuirlich herunterschlagen zu
    lassen; letztere ist fast nur von Bedeutung bei Verbindung
    von ein Paar Bauern mit König und leichtem Officier.
    Dagegen giebt die eigenthümliche Natur des Bauers eine
    reiche Auswahl von Ideen; wir erinnern hier nur an §. 366,
    374, 386 und vorzüglich §. 382.

§. 396. Unter den übrigen Ideen, welche sich auf
einzelne Combinationen stützen, sind besonders die Vorbe-
reitungen
, die Doppelpläne, die Tempinutzungen und
die Opfer hervorzuheben. Zu den Vorbereitungen gehören
Züge, welche entweder eine anderweitige Combination zu
stützen bezwecken oder die Abschneidung einzelner Ausgänge
des feindlichen Königs zur Sicherung der Mattstellung.
Doppelpläne beruhen auf solchen Zügen, welchen ein doppel-
ter Zweck, sei es ein zweifacher Angriff oder eine gleich-
zeitige Verbindung von Angriff und Vertheidigung (z. B.
Sicherung des eigenen Königs) zu Grunde liegt. In letzterer
[222] Beziehung sind von besonderer Bedeutung die Abzugschachs.
Die Tempinutzungen bestehen in dem Tempigewinne ein-
zelner Figuren, wie des Laufers oder der Dame, ferner im
Tempozwang, d. h. in der Abwartung feindlicher Züge, end-
lich in der Verhütung einer feindlichen Pattstellung. Die
Opfer endlich haben den Zweck, entweder den feindlichen
König zu verstellen, bloss zu stellen und in eine Mattstellung
hinein zu ziehen, oder die Wirksamkeit feindlicher Figuren
von wichtigen Punkten abzulenken, oder endlich den eigenen
entscheidenden Figuren die Bahn zu öffnen.


  • Anmerkung. Auch bei diesen einzelnen Combinationen lassen
    sich die angedeuteten vier Grundideen wieder erkennen.
    Die Continuität der Vorbereitungen ergiebt sich in der
    consequenten Anbahnung einer anderweitigen Combination;
    man erinnere sich hier an die Aufgaben in §. 387 und
    §. 380. Manche feine Combinationen aus praktischen Par-
    tien und Endspielen gehören ebenfalls hierher. Die eigen-
    thümliche Natur der Vorbereitung zeigt sich in der Stützung
    einer anderen selbstständigen Combination, sei es als ein-
    fache Mattpräparation, wie im 2. Zuge des Laufers in
    §. 374 oder als consequente Heranziehung einer das Matt
    nothwendig [stützenden] Figur, wie im genannten §. 380.
    Der Mattzweck der Vorbereitungen wird durch Abschnei-
    dung bedingt, sei es direct wie in §. 367, 382 und §. 368,
    sei es durch Demaskation, wie in §. 374, wo der Laufer
    a 7—f 2 zieht, um beim Springerangriff d 7—b 6 das Feld
    c 5 nicht verdecken zu lassen; sei es endlich zur erfolg-
    reichen Wirkung eines anderen Angriffes, wie eines Ab-
    zugschach u. s. w. Besondere Eigenschaften der Vorbe-
    bereitungen entstehen durch ihre Verbindung mit Opfern.
    — Die Continuität eines Doppelplanes zeigt sich z. B. in
    der allmählichen Bildung eines Abzugschach (vgl. §. 383)
    oder in der consequenten Benutzung eines solchen zur
    Wegräumung feindlicher Hindernisse u. dgl. Die eigen-
    thümliche Natur des Doppelzweckes ergiebt sich in der
    eigentlichen Doppelattake, welche durch Demaskation oder
    Räumung oder durch ein Abzugschach bedingt wird. In
    ersterer Beziehung vergleiche man §. 363 und §. 374.
    Die Mattkraft der Doppelpläne zeigt sich besonders an
    den Matts durch Abzugschach und als besondere Eigen
    schaft lässt sich die Möglichkeit auffassen, in einem Zuge
    zugleich Angriff und Vertheidigung zu verbinden, wie z. B.
    §. 367 und §. 368 zeigt. Auch gehören hieher solche be-
    sondere Fälle, in denen die Nichtbenutzung eines zur Ver-
    leitung aufgestellten Abzugschach von Entscheidung wird.
    — Unter die Lehre von den Tempinutzungen fällt zunächst
    die ganze Klasse aller Roi dépouillé-Aufgaben, insofern
    hier ein continuirlicher Tempogewinn von Seiten der stär-
    keren Partei ins Auge gefasst werden muss. Man sehe
    §. 383, sowie die analogen Aufgaben in §, 369, 372, 382,
    [223] 386. Die eigenthümliche Natur der Tempinutzungen oder
    der Tempigewinn stützt sich auf die Natur einzelner Fi-
    guren (vgl. §. 391, 393) und auf die vorhin erwähnte De-
    maskation. Die Mattkraft der Tempinutzungen oder der
    Tempizwang folgt entweder ähnlichen Gesichtspunkten (vgl.
    §. 369) oder beruht auf dem Demaskationszwang (§. 369,
    382) und Räumungszwang (§. 382, 386). — Continuität von
    Opfern ist eine häufig benutzte Combination; wir haben in
    §. 385 ein Beispiel gegeben. Dort opfert sich der Bauer
    f 4, um dem Springer Platz zu machen; das ist ein Räu-
    mungsopfer. Sodann opfert sich der Springer, um theils
    den Thurm d 1 zu demaskiren, theils den feindlichen Thurm
    wieder vom Felde f 4 zu treiben; das ist ein Demaskations-
    opfer. Hierauf opfert sich die Dame auf g 4, um den
    feindlichen Thurm zum Verlassen der f-Linie zu zwingen,
    damit dem eignen Thurm f 1 das Feld f 6 demaskirt werde;
    das ist ein Demaskationszwangopfer. Hieran schliesst sich
    endlich das Thurmopfer auf f 6, um die Wirksamkeit des
    feindlichen Springers von dem Felde e 8 abzulenken oder
    ihn zur Räumung des Punktes d 7 zu zwingen; das ist ein
    Räumungszwangopfer. Für die eigenthümliche Natur der
    Opfer ergeben sich daraus von selbst die einzelnen Mög-
    lichkeiten, je nachdem der Zweck des Opfers eine oder
    mehrere der gedachten Absichten für sich hat. Von be-
    sonderer Wichtigkeit sind aber noch die Wegräumungs-
    opfer, d. h. Aufopferungen, um die Wirksamkeit feindlicher
    Figuren von gewissen Punkten oder vom Schachbieten ab-
    zulenken, damit, namentlich in letzterem Falle die Vorbe-
    reitung der Mattstellung mit Sicherheit erfolgen mag. Der
    hauptsächlichste Mattzweck der Opfer ist oben angegeben;
    meist soll der König (wie in §. 374, 375) verstellt oder
    blossgestellt oder in eine Mattstellung hineingetrieben wer-
    den. Endlich lassen sich noch die Opfer nach der zu
    opfernden Figur in Damenopfer, Figurenopfer und Bauer-
    opfer scheiden.

§. 397. Anfang und Ende der Lösung eines Problemes
geben nicht selten zu einigen besonderen Combinationen
Veranlassung. Dahin gehören die Einleitungen und die Matt-
positionen. Erstere bestehen in einer Reihe selbstständiger
Züge, welche vor der eigentlichen Idee des Problemes vor-
hergehen, letztere geben durch ihre Eleganz und Schönheit
in der Postirung der Steine zuweilen die eigentliche Basis
von Aufgaben.


  • Anmerkung. Die Einleitungen, welche an und für sich
    gar nicht zum Wesen der Aufgabe gehören, unterscheiden
    sich dadurch hauptsächlich von den so eben erörterten
    Vorbereitungen. Sie bestehen oft in einem einzigen Zuge,
    z. B. in einem Bauerschach, Damenschach u. s. w. und
    können vollständig von der eigentlichen Aufgabe abgelöst
    [224] werden. Unter den Mattpositionen zeichnen sich besonders
    Mattstellungen von Thurm und Springer nebst König gegen
    den einzelnen feindlichen König aus. Besondere Schönheit
    zeigt sich auch in einigen Diagonalmatts; man denke an
    §. 373. Endlich kann noch das Randmatt, §. 370, sowie
    das Damenmatt, §. 378, in dieser Hinsicht erwähnt werden.

Praxis.


1. Das eigentliche Schachſpiel.


§. 398. Für die Praxis, deren Umfang im Verhältniss
zur Theorie in einem Lehrbuche engere Grenzen gestattet,
ergeben sich zunächst, was ihre äussere Seite betrifft, drei
Theile, von denen der erste das Arrangement des praktischen
Spielens ordnet, der zweite die Rechtsverhältnisse der Schach-
spieler behandelt, der dritte die Geschichte des praktischen
Spieles ins Auge fasst. Die innere Seite der Praxis, welche
das praktische Spiel selbst zum Gegenstande hat, besehäftigt
sich dann noch in einem vierten Theile mit wirklich in
praxi gespielten Schachpartien.


1. Spielordnung.

Neunundfünfzigstes Kapitel.
Grundbedingungen des praktischen Spieles.

§. 399. Die Spielordnung behandelt im Gegensatze zur
Organisation (§. 124) die lebendige Gestaltung des Spieles
oder das Arrangement des praktischen Spielens. Ihre Auf-
gabe besteht in der Regelung der Thätigkeitsäusserungen
der Spielenden (§. 123), welche sich zunächst nach dem
Charakter der gewählten Partieart bestimmen.


[225]
  • Anmerkung. Die bekannteste Art von Partien ist die ge-
    wöhnliche gemeine Brettpartie, in welcher man die Züge
    unmittelbar durch Bewegung der Stücke andeutet; ihr
    stehen gegenüber alle Partien, deren Züge durch sprach-
    liche Mittheilung angegeben werden, wie die Correspondenz-
    und Consultationspartien; ferner die sogenannten Blind-
    lingsspiele, welche von einer oder beiden Parteien ohne
    Ansicht des Brettes gespielt werden. Der wesentliche
    Charakter der gemeinen Brettpartieen besteht in dem Com-
    biniren, und daher tragen sie auch den Namen Combina-
    tionspartien. Die Züge sind nämlich hier allein das Resul-
    tat des Combinirens, insofern jegliches Probiren beim Ueber-
    legen der einzelnen Züge unstatthaft ist. Bei Consultations-
    partien ist natürlich das Gegentheil gestattet, da hier bei
    Berathung Mehrerer der deutliche Nachweis einzelner Be-
    hauptungen durch faktische Ausführung der Combinationen
    erforderlich wird. Die Blindlingspartien endlich stehen auf
    der äussersten Grenze der Combinationspartien, indem hier
    der Combination selbst die materielle Grundlage von Brett
    und Figuren mangelt. Beim Engagement zum Spiel haben
    nun stets die gewöhnlichen Combinationspartien die Prä-
    sumtion für sich, ein Grundsatz, welcher für manche Fälle
    von Entscheidung wird. Verpflichtet sich z. B. ein Spieler
    gegen mehrere Andere, welche sich berathen, eine Partie
    zu führen, so ist er selbst nicht berechtigt, an seinem
    Brette zu probiren, während der in Consultation spielenden
    Gegenpartei jenes Recht als Folge der Consultation von
    selbst zufällt. — Die Spielordnung beschäftigt sich nun
    hauptsächlich mit den gemeinen Combinationspartien; für
    die Principien bei anderen Partiearten ist die Analogie
    zunächst massgebend.

§. 400. Die Thätigkeitsäusserungen der Spielenden
bestehen in einzelnen Willenserklärungen, deren gesetzliche
Form für die gewöhnlichen Partien in den Spielgesetzen
angedeutet wird. Für alle in gehöriger Form ausgedrückte
Willenserklärungen gilt sodann der allgemeine Grundsatz,
dass sie keinen Widerruf gestatten. Daher erlangt die erste
in gesetzlicher Form gegebene Willensäusserung volle Wirk-
samkeit.


  • Anmerkung. Der gedachte Grundsatz bezieht sich auf jede
    Art von Partien. Daher ist auch bei Correspondenzpartien
    der zuerst in gehöriger Form ausgedrückte Wille mass-
    gebend. Eine eigene Bewandtniss hat es hier aber mit
    den Propositionen. Es wird nämlich für jene Partien nicht
    selten praktisch sein, bei Mittheilung des pflichtmässigen
    Zuges für den Fall gewisser Gegenzüge weitere Fort-
    setzungen zu proponiren. Solche Propositionen sind aber
    Willenserklärungen, welche den eigentlichen Schachgesetzen
    nicht mehr unterliegen, da nach den Grundgesetzen des
    Spieles die Züge einzeln und successive folgen (§. 138),
    der Spieler also im Sinne des strengen Schachrechts nur
    zu einem einzigen pflichtmässigen Zuge gehalten werden
    15
    [226] kann. Deshalb treten dis genannten Propositionen (nach
    gemeinem Recht) erst in Kraft, wenn die Acceptation von
    Seiten des Gegners erfolgt ist. Inzwischen kann eine
    (rechtzeitige) Zurücknahme von Propositionen (nicht aber
    des eigentlichen pflichtmässigen Zuges) wohl gestattet
    werden. A, welcher mit B eine Correspondenzpartie spielt,
    schickt nach dem Anfange 1. e 2—e 4 e 7—e 5; 2. S g 1
    f 3 S b 8—c 6 den Zug 3. L f 1—c 4 mit der Proposition,
    falls 3. L f 8—c 5 folge, darauf Evansgambit, also 4. b 2
    b 4, spielen zu wollen. Noch ehe B diese Mittheilung
    zu Händen kommt, steigen in A durch Kenntnissnahme
    einer neuen Analyse Besorgnisse vor dem Evansgambit
    auf und er will nun lieber Schottisch Gambit spielen. Er
    lässt deshalb an B diesen Vorsatz durch telegraphische De-
    pesche melden, um dem Eintreffen des Briefes zuvorzu-
    kommen. Diese Absicht wird auch erreicht, aber B ist
    trotzdem nicht verpflichtet, den Wünschen des A entgegen
    zu kommen. Die richtige Entscheidung möchte folgende
    sein. Der Zug 3. L f 1—c 4 als erste in gehöriger Form
    ausgedrückte Willenserklärung bleibt dem obigen Grund-
    satze gemäss gültig. Dagegen wird die Proposition durch
    den rechtzeitigen Widerruf zurückgenommen, und A ist zum
    Evansgambit ebenso wenig verpflichtet wie B zur Ein-
    willigung in das schottische Gambit. Hätte jedoch B auf
    den telegraphirten Zug 3. d 2—d 4 bereits geantwortet, noch
    ehe der Brief eintraf, so würde er damit allerdings das
    schottische Gambit anerkannt haben und es würde zugleich
    (nach dem späteren Grundsatze der Convalescenz) die Ein-
    rede wegen Unregelmässigkeit der feindlichen Willens-
    erklärung fortfallen. Hätte endlich B den Brief vor der
    Depesche erhalten und das in ersterem proponirte Evans-
    gambit bereits vor erfolgtem Widerruf (also vor Aufgabe
    der Depesche) des A acceptirt, so würde Zug und Propo-
    sition Gültigkeit erlangt haben und das Evansgambit die
    Folge sein.

§. 401. Nach den verschiedenen Thätigkeiten der Spie-
ler beim Anfange, während des Fortganges und am Ende
der Partie ergeben sich zunächst 3 Hauptklassen von Wil-
lensäusserungen. Beim Anfang kommt die Bestimmung der
Parteirollen, namentlich Anzug und Farbewahl, sodann die
Aufstellung von Brett und Figuren in Frage; für den eigent-
lichen Fortgang der Partie wird die Angabe der einzelnen
Züge, die Warnung beim Königsangriff sowie die Andeutung
des Avancement nothwendig, ausserdem sind noch einzelne
Bestimmungen über die einseitige Suspension einer unvoll-
endeten Partie u. a. von Wichtigkeit. Beim Schluss der
Partie endlich kommt Mattankündigung, Verlusterklärung u.
s. w. in Betracht.


[227]
  • Anmerkung. Die Bestimmung der Parteirollen betrifft den
    Anzug d. h. die Uebernahme der anziehenden oder nach-
    ziehenden Partei, indem man gewöhnlich an erstere zugleich
    die weisse Farbe knüpft. Die Aufstellung der Figuren
    richtet sich nach der betreffenden Vorschrift in den Grund-
    gesetzen. Für Angabe der Züge entscheidet Berührung
    und Bewegung der Figuren. Ein Zug ist demnach das
    Product von wenigstens zwei Willenserklärungen, sodass
    nach der Regel in §. 400 durch eine einzige Berührung
    bereits der Zug angedeutet wird. Durch mehrere Be-
    rührungen (falls sie sich nicht bei der Rochade, beim
    Schlagen u. s. w. zu einem einzigen Zuge vereinigen lassen)
    wird die genannte Regel nicht nur, sondern auch der be-
    kannte Grundsatz verletzt, dass abwechselnd jeder Partei
    nur ein Zug zu Gebote steht. — Die Warnung beim Königs-
    angriff kann zwar nicht erzwungen werden, doch mag der
    Gegner im Falle von Verstössen dagegen Repressalien er-
    greifen. Die Vorschrift beruht mehr auf einer herkömm-
    lichen Gewohnheit als auf einer strengen Gesetzesnoth-
    wendigkeit. Am günstigsten wäre vielleicht ihre allmähliche
    Abschaffung; denn wenn schon durch den Verlust eines
    Bauers oft die Partie eingebüsst wird, wie viel mehr Strafe
    verdient dann wohl der Spieler, welcher nicht einmal die
    wichtigste Figur ohne besondere Warnung zu hüten vermag!
    — Wichtig ist noch der im Endspiele gestattete Antrag
    auf Abzählung von 50 Zügen. Um hier der Schwierigkeit
    in der Definition des Begriffs Endspiel auszuweichen, kann
    man bei Hinzunahme einer Beschränkung jedes beliebige
    Stadium der Partie dafür annehmen. Im Falle nämlich
    eine Figur während der Zählung geschlagen wird, mag der
    Antrag seine Kraft verlieren. Solche Beschränkung ist
    übrigens allein dem Sinne des Antrags gemäss, welcher
    sicherlich auf dem Gedanken beruht, der Gegner werde
    bei dem gegebenen Figurenverhältniss das Matt nicht
    erzwingen können. Aendert sich nun das Verhältniss, so
    fällt auch der Grund des Antrages. Daher wird die ge-
    dachte Beschränkung nur dem Geiste des Gesetzes gemäss
    gewählt werden, und in diesem Falle mag auch statt End-
    spiel jedes beliebige Stadium der Partie eintreten, da gewiss
    weder Anfang noch Mitte der Partie eine Reihe von 50 Zügen
    ohne die Thatsache eines einzigen Schlagens darbieten
    werden.

§. 402. Thätigkeitsäusserungen der Spieler, welche die
Gesetze verletzen, sind Gesetzwidrigkeiten und erfahren eine
verschiedenartige Behandlung. Gewöhnlich werden sie ein-
fach zurückgegeben zum Ersatze durch regelrechte Handlun-
gen; doch kann unter gewissen Umständen eine Strafe noth-
wendig erscheinen; ausserdem hat es der Gegner in seiner
Gewalt, die Unregelmässigkeit bestehen zu lassen, sodass
sie zu convalesciren oder gültig zu werden vermag.


  • Anmerkung. Man hat zwischen einzelnen Gesetzwidrigkeiten
    eines Spielers und gemeinsamen Verstössen beider Parteien
    15*
    [228] zu unterscheiden. Im erstern Falle ist es meist ein regel-
    widriger Zug. Der Gegner hat dann die Wahl, ihn als
    gültig aufzunehmen oder ihn einfach zum Ersatz durch
    einen regelrechten Zug zurückzugeben oder endlich statt
    dessen den König zur Strafe ziehen zu lassen. Bei mehrfachen
    unmittelbar einander folgenden Verstössen gestatten manche
    Gesetzentwürfe dem Gegner die Auswahl unter ihnen, eine
    Möglichkeit, welche dem Grundprinzip des Spieles (s. §. 400)
    zuwiderläuft und deshalb streng zurückzuweisen ist. Denn
    will der Gegner eine der Willenserklärungen anerkennen,
    so bietet sich nach §. 400 allein diejenige erste, welche
    wenigstens theilweise gesetzmässig erscheint. — Die ge-
    meinsamen Verstösse gehören meist zu solchen Fällen, welche
    die Convalescenz nicht gestatten, z. B. die unrichtige Lage
    des Brettes, ferner der Fall, dass ein König mehrere Züge
    hindurch im Schach geblieben wäre oder dass sich zwei
    Figuren auf einem Felde und umgekehrt befänden. In
    solchen Fällen gilt bei Nichteinigung der Spieler als cor-
    recter Ausweg allein die Nichtigkeitserklärung der Partie.
    — Wir werden nun nach diesen allgemeinen Andeutungen
    im folgenden Kapitel eine kurzgefasste Redaction sämmt-
    licher Hauptgesetze vorführen.

Sechszigstes Kapitel.
Gesetze des Schachspiels.

§. 403. Gesetze eines Spieles können für die Spielen-
den nur insoweit Kraft haben, als von letzteren nicht belie-
bige Normen selbst festgestellt werden. Nur in dem Falle
einer Differenz oder des Mangels von Selbstbestimmungen
treten positive Vorschriften, welche durch die Annahme der
Mehrzahl der Spieler und durch langjährige Uebung sanctionirt
sind, in Wirksamkeit. Daher gelten als erste Bedingungen
jedes Gesetzentwurfes die folgenden Bestimmungen.


  • Anmerkung. Die genannten Bestimmungen lassen sich am
    besten so fassen: 1. Im Schachspiele gilt wie in jedem
    anderen Spiele als Grundlage aller Gesetze das Abkommen
    unter den betheiligten Personen. Es herrscht daher voll-
    kommene Autonomie der Spielenden, insofern sie auf ge-
    meinsamer Verständigung der letzteren vor oder während
    des Spieles beruht. — 2. Soweit beim Schachspiele be-
    sondere Uebereinkunft der Spielenden mangelt, treten die
    folgenden Bestimmungen in Kraft, d. h. unter dem Aus-
    druck „Schachspielen“ wird in jenem Falle die Erfüllung
    der folgenden Gesetze verstanden. 3. Alle einseitig will-
    kürlichen Particularannahmen werden aufgehoben, unbe-
    [229] schadet gewisser allgemein anerkannter Abweichungen
    ganzer Nationen und Ortschaften. Stets spricht jedoch die
    Präsumtion für die folgenden von Meistern und Schach-
    gesellschaften genehmigten Vorschriften.

§. 404. Die erste Klasse von Gesetzen bedingt die Or-
ganisation des Spieles und umfasst demzufolge die eigentlichen
Grundgesetze des Spieles. Eine Darstellung derselben zu
theoretischem Zwecke ist im zweiten Kapitel gegeben wor-
den. Für einen Gesetzentwurf werden aber folgende Modi-
ficationen nothwendig.


  • Anmerkung. Wir knüpfen hierbei an §. 129 ff. an, indem
    wir nur die betreffenden zweckmässigen Modificationen aus-
    führen. — 4. Das Schachspiel wird von 2 Personen auf dem
    Schachbrette mit den Schachfiguren gespielt und findet in
    der Schachpartie seinen Ausdruck. 5. Man sehe §. 129,
    b u. c. — 6. = §. 130, a. — 7. = §. 130, b. — 8. = §. 130, c.
    — 9. Jede Partei hat 16 Steine oder Figuren, und zwar
    8 Officiere und 8 Bauern. — 10. Die Officiere theilen sich
    in 5 verschiedene Klassen, nämlich 1 König, 1 Dame u. s. w.
    — 11. = §. 131, b. — 12. bis 17. = §. 132. — 18. Figuren
    der einen Partei können Figuren der anderen schlagen,
    d. h. sich auf das Standfeld der letzteren stellen, indem
    diese vom Brett entfernt werden. — 19. Die Schlagweise
    sämmtlicher Officiere ist ihrer Gangweise gleich. —
    20. = §. 133, b. — 21. = §. 134, a. — 22. = §. 134, c,
    erster Absatz. Dann heisst es weiter: Dem Zweischritt
    des Bauers kann unter Umständen durch die Möglichkeit
    des Schlagens im Vorübergehen begegnet werden. Diese
    Möglichkeit beruht auf dem Rechte des Gegners, als un-
    mittelbare Antwort des Zweischrittes eines Bauers, diesen
    mit einem eigenen Bauer unter denselben Bedingungen zu
    schlagen, welche letzteres im Falle des Einschrittes ge-
    stattet hätten. — 23. = §. 134, b. — 24. Die Parteien haben
    gleiche Rechte in Hinsicht jeglicher Eigenschaften des
    Materiales. — 25. Der Unterschied der beiderseitigen
    Figuren wird in der Regel durch Verschiedenheit der
    Farbe ermöglicht; letztere ist (analog den Felderfarben)
    auf der einen Seite hell oder weiss, auf der anderen dunkel
    oder schwarz. — 26. Bei der Vorgabe eines Officiers wird
    in der Regel der betreffende Officier auf Seite der Dame
    und bei der Vorgabe eines Bauers der Königslauferbauer
    verstanden. — 27. Die Parteien dürfen nur eigene Steine
    ziehen und nur feindliche Figuren schlagen; von letzterer
    Bestimmung ist der König streng ausgenommen. —
    28. Der König darf niemals der Möglichkeit des Schlagens
    ausgesetzt und muss deshalb jedem feindlichen Angriff
    entzogen werden. — 29. = §. 137, a. — 30. = §. 137, b.
    — 31. Bei der Vorgabe mehrerer Züge darf die Mitte des
    Brettes mit keinem derselben überschritten werden. —
    32. und 33. = 138. — 34. Die Partie findet ihr Ende
    durch Mattsetzung des feindlichen Königs von Seiten einer
    Partei oder durch den Eintritt der Unmöglichkeit dieses
    [230] Endzwecks für beide Parteien. — 35. Matt ist derjenige
    König, welcher einem feindlichen Angriff auf keine gesetz-
    mässige Weise entzogen werden kann. Seine Partei hat
    die Partie verloren. — 36. bis 39. = §. 139, c — f. —
    40. Bei der Verpflichtung zu einer bedingten Endigungsart
    oder überhaupt zu einer Bedingung wird nur durch genaue
    Erfüllung der letzteren die Partie von der sich verpflich-
    tenden Partei gewonnen; jeder andere Schluss führt Ver-
    lust für diese mit sich.

§. 405. Eine zweite Klasse von Gesetzen behandelt die
Spielordnung und umfasst somit die im vorigen Kapitel an-
gedeuteten praktischen Spielgesetze. Wir empfehlen in dieser
Beziehung den in der Anmerkung mitgetheilten Entwurf, in-
dem wir zum genaueren Verständniss desselben die im vori-
gen Kapitel gegebenen Erörterungen zu vergleichen bitten.


  • Anmerkung. Es folgen zunächst die eigentlichen
    Spielgesetze
    : 41. Unter dem Ausdrucke Schachpartie
    wird in der Regel eine gewöhnliche Partie am Brett ohne
    Vorgabe verstanden, deren Züge von beiden Parteien durch
    Combiniren gefunden, sowie durch unmittelbare Bewegung
    der Figuren ausgeführt werden und deren einzelne Be-
    denkfristen eine unverhältnissmässige Zeitdauer nicht in
    Anspruch nehmen. — 42. Jede erste Willensäusserung in
    Betreff der Partie hat, soweit sie gesetzliche Ausführung
    gestattet, als solche volle Wirksamkeit. — 43. Der Anzug,
    an welchen sich in der Regel die Uebernahme der weissen
    Figuren knüpft, wird durch das Loos entschieden. —
    44. Bei einer Reihe von aufeinander folgenden Spielen
    wechselt der Anzug mit jeder gültigen Partie. — 45. Bei
    der Vorgabe eines Officiers hat in der Regel die vor-
    gebende Partei den Anzug. — 46. Ein Zug wird durch
    Berührung einer Figur angedeutet und vollendet durch
    freie Stellung einer eigenen Figur auf ein anderes Feld
    als ihr Standfeld. Berührungen zum Zweck der Zurecht-
    stellung verlieren die gedachte Kraft bei ausdrücklicher
    Andeutung jenes Zweckes. — 47. Beim Schlagen, bei der
    Rochade und beim Avancement ist es gleichgültig, welche
    der beiden erforderlichen Figuren zuerst berührt wird;
    doch hat beim en passant Schlagen die Berührung des
    feindlichen Bauers den Vorzug. — 48. Beim Angriff auf
    den König des Gegners ist letzterer durch den vernehm-
    lichen Zuruf „Schach!“ zu warnen. — 49. In irgend einem
    Stadium der Partie ist ein Antrag auf Abzählung der
    nächsten beiderseitigen 50 Züge gestattet, nach deren ohne
    Entscheidung oder ohne Aenderung in der Figurenanzahl
    erfolgtem Ablauf die Partie als unentschieden abgeschlossen
    wird. Durch Schlagen einer Figur während der beantragten
    Zählung verliert letztere ihre gedachte Wirkung; doch ist
    in diesem einzigen Falle der wiederholte Antrag erneuter
    Abzählung gestattet. — 50. Der Antrag einer Partei auf
    Suspension der Partie hat Wirksamkeit, wenn er von der
    Verpflichtung zum letzten Zuge vor der wirklichen Suspen-
    sion begleitet wird. — 51. Die Partie findet ihren Schluss
    [231] durch die in den Grundgesetzen festgestellten Endigungs-
    arten oder durch Uebereinkunft beider Parteien, sie ent-
    weder als unentschieden oder als nichtig, d. h. nicht gültig
    zu verlassen. — 52. Bei Endigung der Partie durch Matt-
    setzung des Gegners wandelt sich der Zuruf „Schach“ in
    „Matt“ oder „Schachmatt“. — 53. Gleiche Wirkung wie
    die Mattsetzung des Gegners hat dessen freiwillige Aner-
    kennung seines Verlustes, indem er z. B. die Partie als
    verloren aufgiebt. — 54. Jedes im Laufe einer Partie wirk-
    lich erreichte gesetzmässige Ende macht irrthümliche Fort-
    setzung nichtig. — Es folgen nun die Bestimmungen
    über die Behandlung von Gesetzwidrigkeiten
    :
    55. Bei Gesetzwidrigkeiten eines Spielers hat der Gegner
    die Wahl sie gültig werden zu lassen, ihren gesetzmässigen
    ersten Theil anzuerkennen oder nach vollständiger Cassa-
    tion den Strafzug des Königs zu fordern. — 56. Einzelne
    Gesetzwidrigkeiten erlangen bei nicht erhobenem Proteste
    des Gegners mit dessen unmittelbarem Gegenzuge Gültig-
    keit. — 57. Gesetzwidrigkeiten, deren Natur Gültigkeit
    nicht gestattet, begründen an Stelle letzterer die Nichtig-
    keitserklärung der Partie. — 58. Fehler gegen Aufstellung
    der Figuren und gegen Parteiübernahme erlangen sowohl
    in einer ursprünglichen als in einer wiederaufgenommenen
    Partie mit Vollendung des beiderseitigen sechsten Zuges
    Gültigkeit. Vorher begründen solche Fehler die Nichtig-
    erklärung der Partie, zu welcher die unrichtige Lage des
    Brettes uneingeschränkte Berechtigung gewährt. — 59. Unter-
    lassung sowie unbegründete Ausführung des Schach- und
    Matt-Rufes geben keine weitere Folge als ein für diesen
    einzigen Fall gestattetes Repressivrecht. — 60. Zufällige
    Störungen der Partie, vorzüglich in der Stellung von Brett
    und Figuren, begründen bei dauernder Differenz der Par-
    teien über Wiederherstellung des gestörten Zustandes die
    Nichtigkeitserklärung der Partie. Im Falle einer Störung
    durch die Schuld eines Spielers haben bei der Wiederher-
    stellung die Behauptungen des Gegners die Vermuthung
    für sich, und bei hartnäckiger Differenz gilt die Partie zu
    Gunsten des letzteren beendet.

2. Rechtsverhältnisse.

Einundsechszigstes Kapitel.
Juristische Beziehungen des Spieles selbst, der Schachgesellschaften
und der einzelnen Spieler.

§. 406. Für Rechtsverhältnisse im Gebiete des Schach
ergeben sich drei verschiedene Beziehungen, je nachdem sie
das Spiel an und für sich betreffen, oder das Wesen von
[232] Schachgesellschaften berühren oder endlich die Spieler,
sei es als Personen überhaupt, sei es als Gegner anderer
Spieler, angehen.


§. 407. Das Schachspiel hat zuweilen zur Begründung
von eigenthümlichen Privilegien und besonderen Rechtsver-
hältnissen sowie zu heraldischen Beziehungen (zu Wappen,
Emblemen u. s. w.) Gelegenheit gegeben. Von grösserer
Bedeutung wird aber für die Gegenwart die Frage nach der
Gültigkeit von Einsätzen bei diesem Spiel sowie nach ihrer
juristischen Erzwingbarkeit. Ausserdem kommen noch ju-
ristische Beziehungen bei Preisausschreibungen sowie die
Fragen nach dem geistigen Eigenthum von Schacherzeugnissen
z. B. von Partien, Problemen und nach deren Schutz in
Betracht.


  • Anmerkung. Man erinnere sich wegen der zuerst gedachten
    Verhältnisse an die Ortschaften Ströbeck und Schachstadt;
    sowie an die in §. 350 A. gegebenen Andeutungen. Dabei
    merke man noch, dass die Stadt Rochlitz einen Rochen
    (oder Thurm) im Wappen führt und verbunden gewesen
    sein soll, ihrem Bischof bei seiner Investitur ein massiv
    silbernes Schachspiel zum Geschenk zu bringen. — Die
    Gewohnheit kleiner Einsätze findet jetzt auch in Deutsch-
    land immer mehr Eingang; zu verwerfen ist sie aus dem
    Grunde, dass das Schachspiel einen gewissen Vorzug vor
    anderen Spielen habe, keinesfalls. Denn ein materielles
    Interesse wird auch bei diesem Spiele wenigstens die Auf-
    merksamkeit immer noch steigern können. Bei grösseren
    Einsätzen, wie sie wohl in neuerer Zeit öfter vorgekommen
    sind, bedarf es genauer Verständigung über Deposition
    u. dgl. — Das Wesen öffentlicher Preisstellungen ist im
    Schach noch in der ersten Ausbildung begriffen. Strenge
    Begrenzung der Fragen und Bedingungen ist hier beson-
    ders zu beobachten; am meisten hat man sich vor Unge-
    wissheit von Zeitbestimmungen, namentlich der Einsendungs-
    termine zu hüten. — Bei gespielten Partien scheint es
    billig, sie als Eigenthum beider Spieler und für jeden ein
    Publicationsrecht anzuerkennen; dass der Sieger einen
    Vorzug habe, lässt sich kaum allgemein vertheidigen. Bei
    grösseren Wetten kann aber ein besonderes Abkommen
    über diese Frage ebenfalls rathsam erscheinen. Gewöhn-
    lich erhalten jenes Recht die Freunde und Bürgen der
    Spieler, d. h. Diejenigen, welche auf die Kämpfer wetten
    und Einsatzsummen riskiren.

§. 408. Für die Organisation von Schachgesellschaften
kommen in juristischem Sinne drei Beziehungen in Betracht,
deren eine, ihr Verhältniss zum Staate, sie mit anderen Ge-
sellschaften u. Corporationen theilen können, während zwei
[233] weitere Fragen nach ihrer Verwaltung und ihren Gesetzen
durch das Wesen jener Gesellschaften specielle Beantwortung
finden. Die Verwaltung liegt meist in den Händen eines
alljährlich wählbaren Vorstandes, welcher gewöhnlich aus drei
Mitgliedern, einem Präsidenten, Vicepräsidenten und Rech-
nungsführer oder Secretair zusammengesetzt ist. Die Gesetze
regeln als Statuten die Gesellschaftsordnung und die Spiel-
ordnung; sie begrenzen in ersterer die Rechte wie Pflichten
der einzelnen Mitglieder und des Vorstandes, in letzterer das
Arrangement des praktischen Spielens.


  • Anmerkung. Die Frage nach privilegirten Rechten eines
    Schachclub wird zunächst durch seine mehr oder weniger
    öffentliche Ausdehnung sodann durch die Vorschriften der
    besonderen Landesgesetze näher bestimmt. — Bei der Vor-
    standswahl ist für das Amt des Präsidenten auf die Per-
    sönlichkeit, nicht auf die Stärke im Spiel Rücksicht zu
    nehmen. Letztere Bedingung mag man an die Person des
    Vicepräsidenten knüpfen, falls nicht ein besonderer Schach-
    meister creirt wird, welchem eine gewisse Leitung von Käm-
    pfen (namentlich bei besonderen Gelegenheiten, wie bei
    Correspondenzspielen, Besuchen von Fremden u. s. w.)
    zusteht. Der Präsident aber soll den Club in gesellschaft-
    licher Beziehung vertreten, und dazu ist vor Allem eine
    respectable Persönlichkeit erforderlich. Er hat das Recht
    zur Berufung ausserordentlicher und beschlussfähiger Ver-
    sammlungen, und die Pflicht der Honeurs, namentlich
    Fremde und Gäste im Namen des Clubs zu begrüssen.
    Dem Secretär liegt die Führung der Correspondenz und
    der Casse ob; auch übernimmt er wohl die Verwaltung
    des gemeinsamen Eigenthums, namentlich der Bibliothek,
    des Spielmaterials u. s. w. Die Rechte der Mitglieder be-
    stehen zunächst in dem Stimmrecht und Eigenthumsrecht,
    ersteres im Allgemeinen sowie im Besonderen bei der Vor-
    standswahl, bei Diplomverfügungen, Lokalveränderungen,
    Eigenthumserwerbungen u. s. w., letzteres in Hinsicht des
    gemeinsamen Eigenthums. Das Vorschlagsrecht und Gast-
    recht betreffen die Aufnahme neuer Mitglieder und die
    Einführung von Fremden oder Gästen. Das Spielrecht
    und Zuschauerrecht endlich bezieht sich auf die im Ge-
    sellschaftslokale gespielten Partien. Durch die besonderen
    Statuten jedes Club werden alle diese Rechte sowie die
    einzelnen Verpflichtungen (namentlich die Beitragspflicht)
    genauer begrenzt auch wohl Uebertretungsstrafen fixirt. —
    Für die Ballotage zum Zweck der Aufnahme sind zuweilen
    sehr enge Grenzen gezogen; so knüpfen z. B. die Consti-
    tutionen des Clubs in Nymegen den ungünstigen Fall an
    eine Minorität von drei schwarzen Kugeln. Ebenso neu
    möchte die Bestimmung sein, wonach fremde Spieler zum
    Beitritt aufgefordert werden können. Zuweilen lässt man
    für jede im Club gespielte Partie einen kleinen Geldbetrag
    (z. B. in Stockholm 4 Pf.) zahlen; zweckmässiger wäre
    [234] vielleicht eine ähnliche Verpflichtung der Mitglieder für
    jedes Spiel ausserhalb des Club. — Schliesslich ist noch
    eine Classeneinrichtung mancher Clubs zu erwähnen; da-
    nach theilen sich sämmtliche Mitglieder nach ihrer Stärke
    in einzelne Klassen, indem z. B. die erste der zweiten einen
    Springer, der dritten einen Thurm u. s. w. vorgiebt. Ueber
    die Klassenfähigkeit und Versetzung hat dann der Schach-
    meister nach gewissen Bedingungen, z. B. nach einer be-
    stimmten Anzahl gewonnener Spiele, zu entscheiden. Diese
    Anordnung, nach welcher z. B. im Club zu Nymegen die
    Mitglieder nur unter den Bedingungen ihrer Klasse spielen
    dürfen, mag gewiss günstige Resultate für den Fortschritt
    erzielen; ihre allgemeine Einführung möchte aber in vielen
    Gesellschaften auf unüberwindliche Schwierigkeiten stossen.

§. 409. Gegenseitige Beziehungen der Schachspieler
haben, was deren allgemeine persönliche Interessen betrifft,
nicht selten manche Angriffe und Entgegnungen hervorgeru-
fen, deren Stärke und Bedeutsamkeit zuweilen an juristische
Strenge erinnert. Wichtiger sind aber die Verhältnisse der
Spieler als Gegner im Spiele selbst, namentlich beim En-
gagement zu grösseren Wettkämpfen. Eine Art juristischer
Strenge erfordert endlich die Annahme von Bedingungen bei
Correspondenzpartien.


  • Anmerkung. Wie überall, wo Ehrgeiz die Geister beherrscht,
    hat sich auch in der Schachwelt nicht selten heftige Feind-
    schaft unter einzelnen Meistern gezeigt. Manche Erörte-
    rungen in ausländischen und leider auch in deutschen
    Schachjournalen beweisen das nur allzu dentlich. Wir
    brauchen bloss auf die Missverhältnisse zwischen St. Amant
    und Staunton, Harrwitz und Anderssen hinzudeuten. Frei-
    lich bewegen sich dergleichen Differenzen nur in scharfen
    Polemiken, da feste Bestimmungen, welche sich auf streng
    juristischem Wege durchsetzen liessen, für eine so freie
    Geistesbeschäftigung mangeln oder wenigstens nicht ge-
    sucht werden. Eine vorzügliche Quelle von Streitigkeiten
    und persönlichen Polemiken war in neuester Zeit das Lon-
    doner Schachtournier. Doch man gestatte uns, über der-
    gleichen unerquickliche Differenzen einen Schleier zu
    ziehen und genehmige den Rath, bei ähnlichen Gelegen-
    heiten durch klare und strenge Vorausbestimmungen,
    denen wo möglich juristische Sicherheit inne wohnt, Anlass
    zu Zwistigkeiten soviel als möglich abzuschneiden. Diese
    Bemerkung führt auf die juristischen Auseinandersetzungen
    bei Contrahirung grösserer Wetten. Es giebt hier eine
    Menge einzelner Punkte, über welche besonderes Ab-
    kommen vorher zu entscheiden hat. Dazu gehört zunächst
    die Anzahl und Art der Wettpartien, die genaue Angabe
    des Preises der Wette, seiner ganzen oder theilweisen
    Deposition und der Zahlungstermine, sodann die äussere
    Anordnung des Spielens selbst, Zeit- und Ortbestimmung,
    sowie Zeugenanzahl, auch Strafen bei Zeitversäumnissen
    [235] und Verhinderungsfällen, ferner Grenze der Partien und
    der Bedenkzeit für die einzelnen Züge, endlich die Eigen-
    thumsfrage in Betreff der zu spielenden Partien. — Noch
    machen wir auf die Frage aufmerksam, ob eine öffent-
    liche
    Herausforderung, wie sie zuweilen in neuerer Zeit
    ergangen ist, die Spieler jedem beliebigen Contrahenten
    gegenüber auch wirklich binde. Zwei solche allgemeine
    Herausforderungen sind besonders bekannt geworden; die
    eine von Staunton im Jahre 1853, die andere zu ziemlich
    gleicher Zeit von der Breslauer Schachgesellschaft. Beide
    sind wahrscheinlich wegen Schwierigkeit der gestellten Be-
    dingungen unberücksichtigt geblieben. — Für Correspon-
    denzpartien werden gleichfalls gewisse Vorausbestimmungen,
    denen eine Art juristischer Strenge innewohnt, rathsam.
    Dahin gehört zunächst die Einigung über Annahme eines
    festen Entwurfs von Grund- und Spielgesetzen, sodann die
    Grenze der Bedenkfrist und ihre Wirkungen, wobei die
    Poststempel von Entscheidung werden können, ferner Be-
    dingungen von Suspension und Waffentillstand, endlich
    Festsetzung eines Schiedsgerichts und selbst Instanzenzuges.
    Die ersten und letzten Bestimmungen kommen auch bei
    den vorher besprochenen Wettspielen in Betracht. Ausser-
    dem mag man sich bei Correspondenzspielen unter Um-
    ständen über Portokosten (welche nicht selten der Ver-
    lierende für beide Theile trägt) sowie über etwaige Inser-
    tionsgebühren u. dgl. besonders verständigen.

3. Geschichte.

Zweiundsechszigstes Kapitel.
Geschichte der Praxis bis zum Londoner Tournier, 1851.

§. 410. Die Geschichte des praktischen Spieles be-
schäftigt sich mit der Darstellung von bedeutenden Thatsachen
und Ereignissen, welche sich an die Leistungen grosser Mei-
ster knüpfen und die Fortbildung wie Theilnahme am Spiele
im Laufe der Zeiten gefördert haben. Wir versuchen in dem
folgenden Abriss die wichtigsten Notizen für jenen Zweck
zusammen zu stellen.


§. 411. Bedeutend hervorragende Meister unseres Spie-
les werden kaum vor dem 16. Jahrhundert genannt. In der
zweiten Hälfte dieses Zeitraumes findet aber die Tüchtigkeit
einiger italienischer Praktiker besondere Anerkennung. Ueber-
[236] haupt ist wohl für jene Zeit die Blüthe des Spieles in Italien
und daneben in Spanien zu suchen. Aus ersterem Lande
erhalten wir nun Kunde von dem „Licht und dem Ruhm“ des
edlen Schach, mit welchen ehrenden Prädikaten der Syraku-
saner Paolo Boi und der ihm ebenbürtige Calabrese Leo-
nardo da Cutri
(genannt il Puttino) ausgezeichnet werden.
Interessante Berichte überzeugen uns vorzüglich von den Hel-
denthaten des ersteren, welcher über die Spanier Zerone
und Rui Lopez den Sieg davon trug, in der Gegenwart des
Königs Philipp II., der ihn reichlich beschenkte, spielen
musste und nach vielen siegreichen Kämpfen in verschiedenen
Ländern auch den Puttino zu Paaren trieb. Spärliche
Kunde bringt uns das 17. Jahrhundert; Gioachino Greco,
der Calabrese genannt, zeigt sich hier von überwiegender
Geschicklichkeit und soll durch sie, namentlich in Frankreich,
gar reichen Gewinn gezogen haben.


§. 412. Berühmtere Namen knüpfen sich an das folgende
18. Jahrhundert: Philidor, Stamma und die drei grossen
Meister von Modena, unter letzteren als praktischer Spieler
vorzüglich der Consigliere Ercole del Rio vor seinen beiden
Landsleuten Lolli und Ponziani ausgezeichnet. Durch Rio
erfuhr Philidor’s einseitige Bauerntheorie eine scharfe Kritik;
auch ziehen wir Philidor’s praktische Leistungen, wegen derer
noch heutzutage dieser Name gar Manchem als Ideal zu gel-
ten scheint, seinen theoretischen Arbeiten bei Weitem vor.
Eine tiefe analytische Positionskenntniss zeichnet diesen Mei-
ster aus und befähigte ihn zu den gewaltigen Anstrengungen
mehrerer gleichzeitiger Blindlingspartien. Sein bedeutendster
Wettkampf fand gegen den durch seine Endspiele rühmlich
bekannten syrischen Meister Stamma im Jahre 1747 statt.
Philidor gab den Anzug und die Remispartie als gewonnen
vor: doch unter 10 Spielen fielen für Stamma nur 2 günstig
aus und darunter eine Remispartie. — Geboren war André
Danican Philidor
zu Dreux am 7. September 1726; er
starb am 24. August 1795 zu London, wohin er sich vor der
französischen Revolution geflüchtet hatte.


§. 413. Reicher an grossen Meistern ist aber das ge-
genwärtige Jahrhundert. Schon in seinem Anfange leuchten
[237] zwei Namen vor Allen hervor: in Frankreich der König aller
Praktiker von Genie, Deschapelles, und in Oesterreich
Johann Allgaier, letzterer auch als Theoretiker vielfach
gepriesen. Deschapelles (geboren im März 1780, gestorben
im October 1847) war in jeglicher Art von Spielen ein Genie,
das vermöge einer starken Calculationskraft Studium und
Uebung verschmähen durfte, um ohne Mühe die Meister-
schaft zu erringen und trotz Jahre langer Nichtübung jene
dennoch wieder glänzend zu bewähren. Ihm kann man in
der ersten Zeit von englischer Seite nur den als Theoretiker
hochverdienten Altmeister Lewis an Spielstärke gleichstellen.
Später freilich überflügelte den französischen Meister sein
eigener Schüler Charles Mahé de la Bourdonnais, welcher
wohl vor Allen den ersten Rang der Meisterschaft noch jetzt
unbestritten einnimmt. Leider ist dieser ausgezeichnetste
Meister bereits im Jahre 1840 (am 13. Decbr. 43 Jahre alt)
gestorben, nachdem er die wahrhaft klassische Epoche unseres
Spieles begründet und zugleich dem segensreichen Institut
periodischer Blätter Bahn gebrochen hatte. Tiefe Auffassung
und durchgehende Klarheit der Combination zeichnen dieses
Meisters praktische Leistungen aus; den Glanzpunkt bildet
der (im Westminster Schachclub zu London 1834) mit dem
Irländer Alexander Mac Donnel siegreich ausgefochtene
grosse Wettkampf, welchem wir die sogenannten klassischen
Partien unseres Spieles verdanken.


§. 414. Zehn Jahre später traten abermals Frankreich
und England gegen einander in die Schranken. Im November
und December 1843 paarten sich zu einem zähen Wettkampf von
21 Spielen um 2500 Francs der kräftige Meister Staunton
und der gewandte Bauernkenner St. Amant. Das Spiel
des ersteren, durchaus gesund und von tiefer Positionskennt-
niss zeugend, begleitet von einer ausgezeichneten persönlichen
Haltung und Steinführung, überwand damals die gewiss nicht
minder elegante aber vielleicht durch Zufälligkeiten weniger
sichere frazösische Partieführung. Leider konnten die wohl
allzuhäufig grosse Aengstlichkeit verrathenden Partien nur
wenig Anerkennung finden. Indess belebten sie doch das
allgemeine Interesse am Spiel auf eine wunderbare Weise
[238] nach vielen Seiten hin und gaben Anlass zu weiterer Aus-
bildung der Wettspiele, zur eifrigen Theilnahme an Corre-
spondenzpartien und zur Verbreitung grösserer zusammenge-
setzter Wettkämpfe, der sogenannten Turniere, welche für
das praktische Spiel dieselbe Bedeutung entwickeln sollten,
wie die Gründung periodischer Blätter für Theorie und
Literatur.


§. 415. Zu gleicher Zeit erwachte in Deutschland ein
reges Leben in theoretischer und praktischer Hinsicht, das
namentlich in der Berliner Schule einen wahrhaft classischen
Charakter annahm. Mehrere ausgezeichnete Meister in nie
gekannter Einigkeit und gleich edlem Streben verbunden
förderten im vorigen Jahzehent zu Berlin die Interessen des
Spieles auf die uneigennützigste Weise. Leider war der in
seinen Leistungen Philidor so ähnliche Meister Paul Rudolph
von Bilguer
bereits vor Anfang des vorigen Jahrzehnts (im
Septbr. 1840) dem Tode erlegen, aber Bledow und Mayet,
sowie Hanstein und Heidebrandt von der Lasa vertra-
ten in ehrendster Weise als Vorkämpfer die Berliner Schach-
gesellschaft. Anregendste Begeisterung sowie elegantes Spiel
zeichneten den ersten aus, originelle und sinnreiche Partie-
führung den zweiten, während die Kämpfe der letzten beiden
Hauptmatadore mit Recht den klassischen Spielen eines
Labourdonnais und Mac Donnel an die Seite gestellt werden
dürfen. Leider wurden Bledow, da er kaum die Berliner
Schachzeitung gegründet, (im Juli 1846) und Hanstein, nach-
dem er sie noch ein paar Jahre unter den Schwierigkeiten
ungünstiger Zeitumstände mit glücklicher Energie weiter ge-
führt hatte, (im October 1850) eine Beute des Todes.


§. 416. In anderen Städten Deutschlands machte das
[praktische] Spiel ebenfalls sichtliche Fortschritte. Wir wol-
len nur Leipzig und Wien, Breslau und Hamburg hervor-
heben. Zwar erlag in erstgenannter Stadt die kaum begrün-
dete „Deutsche Schachzeitung“ bald der Concurrenz des
Berliner Organes, doch geben die Kämpfe ihres Redakteurs,
des theoretisch tief gebildeten und in seiner praktischen
Taktik mit Staunton verwandten Meisters Herrmann Hirsch-
bach
, namentlich gegen das elegante und geistreiche Spiel
[239] des Grafen Vitzthum ein höchst erfreuliches Zeichen deut-
schen Interesses und deutscher Leistungen. Mit Ruhm leitet
noch heute der letztere Meister als Präsident die zu Ende
1848 (vorzüglich von den Herren Pollmächer, Schurig,
Pitschel, Claus
) gegründete Gesellschaft Augustea, welche,
nach glücklicher Führung einer Correspondenzpartie gegen
den leider sich bald auflösenden Magdeburger Verein So-
phrosyne
, schnell weite Ausdehnung gewann nnd gegenwär-
tig zu den blühendsten selbstständigsten Vereinen der Welt
zählt. Unter den jetzigen Mitgliedern finden sich Namen
wie Hirschbach, O. Wigand, Beygang u. A. — In
Hamburg waren die starken Spieler John, Schmeichel,
Henderson, Hoffmann
und Krüger thätig; in Wien wirk-
ten Meister wie Hampe, Jenay, Perenyi und Matschego,
während in Breslau ausser dem Altmeister Schmidt, Eich-
horn, Hillebrandt
u. A. der nachher so berühmt gewordene
Anderssen sich hervor that.


§. 417. Das Wesen grösserer Wettkämpfe um bestimmte
Einsätze fand indessen in Paris und London die eigentliche
Ausbildung. In jener Stadt wurden namentlich im Lokal des
Café de la Régence mehrfache Wetten und kleine Turniere
ausgefochten; als Meister erster Stärke zeichneten sich aber
in Frankreich ausser St. Amant vorzüglich der ebenso ori-
ginelle Theoretiker wie feine Spieler Kieseritzky aus Lief-
land (gest. 1853) und die besonders starken Kämpfer La-
roche, Des Guis
und Alph. Delannoy aus. In ähnlicher
Weise war zu London der grosse Cigar Divan am Strand
ein Hauptplatz bedeutender Wettspiele. Hier sind nächst
Staunton und Walker vorzüglich die Herren Buckle,
Tuckett, Bird
und Medley als Meister hervorzuheben.
In den lezten vierziger Jahren siedelten manche tüchtige
deutsche Meister nach England hinüber, um ihre Kräfte in
Wettkämpfen mit den englischen Matadoren namentlich mit
Staunton zu prüfen. Wir wollen nur an die Namen Horwitz
aus
Hamburg, Harrwitz aus Breslau (welcher kurz zuvor
einen interessanten Wettkampf mit Anderssen einging, in
welchem jeder fünf Partien gewann), ferner Kling, Kuiper,
Lowe
u. A. erinnern.


[240]

§. 418. Auch in anderen Städten Europa’s beginnt der
Sinn für das Schach immer herrlicher zu blühen und tüchtige
Früchte zu treiben. Wir erinnern zunächst an die modernen
Meister von Modena, an die würdigen Nachfolger jener drei
grossen oben genannten Heroen. Bonetti, Luppi und
Discart streiten dort um die Palme und zu ihnen gesellt
sich als berühmter Theoretiker Calvi. In Pesth führten
drei grosse Matadore Szen, Loewenthal und Grimm
zwei siegreiche Correspondenzpartien gegen Paris; in Copen-
hagen wirkten der tief gebildete Möller, der praktische
Holm, der Problemfertige Möllerström und der bedäch-
tige Blankensteiner, einst ein kräftiger Gegner Bledows.
In Russland endlich zeigt sich ein anderer Philidor, der
Staatsrath A. von Petroff zu Warschau, ferner ein hoch-
verdienter Theoretiker, v. Jaenisch zu St. Petersburg, so-
dann die besonders starken Meister Fürsten Urussoff und
Herr Schumoff in derselben Stadt. Der neue Petersburger
Schachclub, auf das Grossartigste eingerichtet, vereinigt viele
Notabilitäten des russischen Reiches.


§. 419. Bei so reger Theilnahme und der Existenz
so vielfach ausgezeichneter einzelner Kräfte konnte die Ver-
wirklichung der schon von Bledow mit Begeisterung ausge-
gesprochenen Idee eines grossen Turniers der gesammten
Schachwelt zu einer Zeit, wo besonders günstige Verhältnisse
zusammentrafen, nicht ausbleiben. Angebahnt wurde die Idee
schon lange durch die grossen Wettkämpfe der letzten Zeit;
so leitete die englische Vorliebe für das Schach nicht nur
im Allgemeinen sondern auch für Wettspiele und grössere
Schachfeste überhaupt sehr bald bei der besonders günstigen
Zeit der grossen Industrieaustellung (1851) zur factischen
Ausführung jener Idee. Leider wurde der günstige Erfolg
[nicht] erzielt, den man sich Anfangs wohl davon versprochen
hatte. Eifersucht zweier in London bestehender Gesellschaf-
ten um den Vorrang, Zerstreung der Kräfte und Mittel des-
halb, dazu unpraktische Anordnung der Wettkämpfe, endlich
die Erkrankung des englischen Meisters Staunton (der die
Seele des Ganzen war) — alle diese Uebelstände konnten
ein allgemein günstiges Resultat unmöglich gestatten. Es
[241] ist bekannt, dass Deutschland in seinem von Berlin ausge-
sandten Vertreter Anderssen den Sieg davon trug; und wenn
man auch nicht läugnen darf, dass dieser feine Spieler,
dessen geniale Partieführung an Labourdonnais erinnert, den
erstrittenen Ehrenrang würdig vertrat, so steht ihm doch eine
ganze Reihe ebenbürtiger Meister zur Seite mit vollem Rechte
auf gleiche Anwartschaft. Es hatte Herr v. d. Lasa, so-
wie mancher andere ausgezeichnete Spieler, wie Petroff, Harr-
witz, Falkbeer, gar nicht am Turnier Theil genommen, und
mancher tapfere Held, wie Löwenthal, Kieseritzky, war wohl
nur dem eigenthümlich fehlerhaften Arrangement, welchem
Staunton vergebens abzuhelfen suchte, erlegen. Trotzdem
führte die Anregung, welche das Turnier der gesammten
Schachwelt gab, unberechenbare Vortheile für die Praxis mit
sich, und schon dieses einzigen Grundes wegen ist das Tur-
nier, bei all’ seiner mangelhaften Einrichtung und trotz seiner
Erfolglosigkeit für wirkliche Fortbildung des Spieles, als Epoche
machend in der Geschichte der Praxis zu betrachten.


§. 420. In allen Clubs und Gesellschaften und unter
den Spielern der höchsten wie niedrigsten Classe wirkte das
Turnier belebend und anregend. Correspondenzpartien, zahl-
reiche Wettkämpfe, einzelne kleine Turniere im Schoose der
Schachgesellschaften suchten das belebte Interesse noch dauern-
der zu fesseln. Ja zur Zeit der französischen Industrieaus-
stellung im letztvergangenen Sommer kam ein ähnliches Turnier
in Frage, das wohl nur wegen ungünstiger Zeitverhältnisse
aufgegeben wurde. Doch wird eine spätere Zeit diesen Plan
sicherlich noch zur Ausführung bringen, wobei man nur die
zu London gemachten Erfahrungen weislich berücksichtigen
möge. Die Reihe bedeutender Wettkämpfe nach dem ersten
Turniere kann dem Schachfreunde als eine sichere Bürgschaft
wahren Interesses am Spiele gelten. Wir erinnern zum Schlusse
nur an die bedeutenden Kämpfe des Jahres 1853 zwischen
von der Lasa und Staunton und zwischen Löwenthal und
Harrwitz, in welchen auf beiden Seiten mit gleich ausge-
zeichneter Bravour gestritten wurde.


16
[242]
4. Partien.

Dreiundsechszigstes Kapitel.
Gewöhnliche am Brett gespielte Partien.

§. 421. Bei der folgenden Zusammenstellung einiger
praktischen Partien wählen wir zunächst ein Paar von den
stärksten jetzt lebenden Meistern aus und erlauben uns so-
dann, um Originalspiele geben zu können, die Anfügung
mehrer von uns selbst gespielter Partien.


§. 422. Zwischen Anderssen (Weiss) und v. d.
Lasa (Schwarz)
.


1. e 2 e 4 e 7 e 5; 2. S g 1 f 3 S b 8 c 6; 3. L f 1 c 4 S g 8
f 6; 4. S f 3 g 5 d 7 d 5; 5. e 4 d 5: S c 6 a 5; 6. L c 4 b 5 †
c 7 c 6; 7. d 5 c 6: b 7 c 6: 8. L b 5 a 4 L f 8 d 6; 9. d 2 d 3
h 7 h 6; 10. S g 5 e 4 S f 6 e 4: 11. d 3 e 4: L c 8 a 6; 12. S b 1
c 3 T a 8 b 8; 13. L a 4 b 3 Rochirt; 14. L c 1 d 2 L d 6 c 5;
15. D d 1 g 4 K g 8 h 8; 16. Rochirt (nach c 1) S a 5 b 3:
17. a 2 b 3: L c 5 d 4; 18. f 2 f 4 f 7 f 6; 19. f 4 f 5 D d 8
b 6; 20. S c 3 a 4 D b 6 b 7; 21. h 2 h 4 c 6 c 5; 22. T h 1 h 3
c 5 c 4; 23. T h 3 g 3 L a 6 b 5; 24. S a 4 c 3 L b 5 c 6;
25. S c 3 e 2 L d 4 f 2; 26. T g 3 f 3 L f 2 c 5; 27. S e 2 g 3
c 4 b 3: 28. T f 3 b 3: D b 7 a 6: 29. K c 1 b 1 T b 8 b 3:
30. c 2 b 3: D a 6 d 3 † 31. K b 1 c1 T f 8 c 8 und Weiss gab
das Spiel auf.


  • Anmerkung. Man vergleiche wegen der Eröffnung dieser
    Partie §. 228. Statt des hier versuchten Rückzuges des
    Laufers 8. L b 5 — a 4 wird dort der bessere Zug 8. L b 5
    e 2 angegeben, welchen Anderssen mehrmals mit Erfolg
    gegen uns selbst angewandt hat. — Im 15. Zuge geht der
    König, weil sonst L d 2 — h 6: geschehen könnte. — Vom
    20. Zuge ab, bereiten beide Parteien Rochadeangriffe vor;
    dabei kommt Schwarz wegen der beiden kräftig wirkenden
    Laufer in Vortheil. — Nach 30. T f 8 — c 8 kann Weiss die
    Partie nicht mehr halten; am besten ist vielleicht: 31. D g 4
    g 7: K h 8 g 7: 32. L d 2 h 6: K g 7 h 6; 33. T d 1 d 3:
    L c 5 — f 2 und Schwarz behält einen Officier mehr.

§. 423. Zwischen Anderssen (Weiss) und Staun-
ton (Schwarz)
.


1. e 2 e 4 e 7 e 5; 2. S g 1 f 3 S b 8 c 6; 3. L f 1 c 4 L f 8 c 5;
[243] 4. Rochirt d 7 d 6; 5. c 2 c 3 S g 8 f 6; 6. d 2 d 4 e 5 d 4:
7. c 3 d 4: L c 5 b 6; 8. S b 1 c 3 L c 8 g 4; 9. L c 1 e 3 Ro-
chirt; 10. a 2 a 3 D d 8 e 7; 11. D d 1 d 3 L g 4 f 3: 12. g 2
g 3: D e 7 d 7; 13. K g 1 g 2 S f 6 h 5; 14. S c 3 e 2 S c 6 e 7;
15. S e 2 g 3 S h 5 g 3: 16. h 2 g 3: d 6 d 5; 17. L c 4 a 2
T a 8 d 8; 18. T a 1 d 1 c 7 c 6; 19. T f 1 h 1 S e 7 g 6;
20. T h 1 h 5 d 5 e 4: 21. f 3 e 4: D d 7 g 4; 22. T d 1 h 1
T d 8 d 4: 23. D d 3 c 3 T d 4 e 4: 24. T h 5 h 7: L b 6 d 4;
25. L e 3 d 4: T e 4 d 4: 26. T h 1 h 4 S g 6 h 4: 27. T h 7
h 4: D g 4 h 4: 28. g 3 h 4: T d 4 h 4: 29. D c 3 g 3 T h 4 h 5;
30. f 2 f 4 T h 5 b 5; 31. b 2 b 4 T f 8 d 8; 32. L a 2 c 4
T d 8 d 2 † 33. K g 2 g 1 T d 2 d 1 † 34. K g 1 f 2 T b 5 f 5;
35. D g 3 g 4 und Weiss gewinnt einen der Thürme und da-
mit die Partie.


  • Anmerkung. Man vergleiche §. 222. — Im 13. Zuge geht
    der König, um dem Angriffe der Dame auf h 3 vorzubeugen.
    — Nimmt im 23. Zuge der Laufer den Thurm, so folgt
    S g 6 f 4 mit Angriff auf König, Dame und Thurm. —
    Falsch wäre aber dieser Springerangriff im 25. Zuge wegen
    K g 2 g 1; 26. S f 4 e 2 † 27. K g 1 f 1 S e 2 — g 3 † 28. D c 3
    g 3: und Schwarz kann das Matt schwerlich abwehren.

§. 424. Zwischen M. Lange (Weiss) und Han-
stein (Schwarz)
. Gespielt am 30. Januar 1848 in der
Schachgesellschaft Sophrosyne zu Magdeburg.


1. e 2 e 4 e 7 e 5; 2. S g 1 f 3 S b 8 c 6; 3. d 2 d 4 e 5 d 4:
4. L f 1 c 4 L f 8 b 4 † 5. c 2 c 3 d 4 c 3: 6. b 2 c 3: L b 4
a 5; 7. Rochirt d 7 d 6; 8. e 4 e 5 d 6 e 5: 9. L c 4 f 7: K e 8
f 7: 10. S f 3 e 5: K f 7 f 8; 11. L c 1 a 3 † K f 8 e 8; 12. D d 1
h 5 † g 7 g 6; 13. S e 5 g 6: S g 8 f 6; 14. T f 1 e 1 † S c 6 e 7;
15. D h 5 a 5: h 7 g 6: 16. T e 1 e 7: D d 8 e 7: 17. L a 3 e 7:
K e 8 e 7: 18. D a 5 e 5 † K e 7 f 7; 19. D e 5 c 7: L c 8 d 7;
20. S b 1 d 2 T a 8 c 8; 21. D c 7 b 7: T h 8 e 8; 22. S d 2 f 3
T e 8 e 7; 23. T a 1 e 1 T e 7 e 1: 24. S f 3 e 1: T c 8 c 3:
25. D b 7 a 7: T c 3 c 1; 26. D a 7 e 3 T c 1 a 1; 27. a 2 a 3
T a 1 a 2; 28. h 2 h 3 T a 2 b 2; 29. K g 1 h 2 L d 7 c 6;
30. S e 1 d 3 und Schwarz gab die rettungslose Partie auf.


  • Anmerkung. Man vergleiche §. 254. Hanstein wählte öfter
    diese schwächere Vertheidigung des schottischen Gambits,
    um die Stärke der Gegner zu prüfen. Mit dem achten
    Zuge leitet Weiss ein complicirtes Manöver ein, das ihm
    16*
    [244] schliesslich den Sieg sichert. Vielleicht ist diese Behand-
    lung der vorliegenden Vertheidigungsvariante neu.

§. 425. Zwischen M. Lange (Weiss) und Anders-
sen (Schwarz)
. Gespielt am 18. August 1851 in der
Schachgesellschaft zu Berlin.


1. e 2 e 4 e 7 e 5; 2. f 2 f 4 e 5 f 4: 3. L f 1 c 4 D d 8 h 4 †
4. K e 1 f 1 g 7 g 5; 5. S b 1 c 3 L f 8 g 7; 6. g 2 g 3 f 4 g 3:
7. K f 1 g 2 D h 4 h 6; 8. h 2 g 3: D h 6 g 6; 9. d 2 d 4 S g 8
e 7; 10. S g 1 f 3 h 7 h 6; 11. T h 1 f 1 T h 8 f 8; 12. b 2 b 3
d 7 d 6; 13. e 4 e 5 L c 8 g 4; 14. S c 3 b 5 S b 8 a 6; 15. e 5
d 6: c 7 d 6: 16. L c 1 a 3 Rochirt; 17. S b 5 a 7: K c 8 b 8;
18. S a 7 b 5 S e 7 f 5; 19. D d 1 d 3 T f 8 e 8; 20. T a 1 e 1
T e 8 e 1: 21. T f 1 e 1: D g 6 h 5; 22. S f 3 g 1 S a 6 c 7;
23. S b 5 c 7: L g 7 d 4: 24. S c 7 a 6 † K b 8 a 7; 25. L a 3
c 1 d 6 d 5; 26. S a 6 c 7 d 5 c 4: 27. b 3 c 4: L d 4 g 1:
28. S c 7 b 5 † K a 7 b 6; 29. D d 3 d 8: † K b 6 a 6; 30. S b 5
c 7 † K a 6 a 7; 31. K g 2 g 1: L g 4 f 3; 32. L c 1 e 3 † S f 5
e 3: 33. D d 8 a 8 † K a 7 b 6; 34. S c 7 d 5 † L f 3 d 5:
35. T e 1 b 1 † K b 6 c 5; 36. D a 8 f 8 † K c 5 d 4; 37. c 4
d 5: D h 5 e 2; 38. T b 1 b 4 † K d 4 c 3; 39. D f 8 c 5 † K c 3
d 2; 40. D c 5 d 4 † K d 2 c 1; 41. D d 4 b 2 † und Schwarz
gab das Spiel auf, da nun der Abtausch der Offiziere er-
zwungen wird, worauf Bauer d 5 ungehindert avanciren kann.


  • Anmerkung. Man vergleiche wegen der Eröffnung §. 274.
    — Mit dem 21. Zuge beginnt auf beiden Seiten ein Angriff
    gegen den feindlichen König, der mitunter nicht uninte-
    ressante Combinationen bietet. — Am Schluss kann folgen
    41. … K c 1 d 2; 42. T b 4 d 4 † K d 2 e 1; 43. D b 2 b 1
    nebst Abtausch der Officiere und Gewinn für Weiss durch
    den freien Mittelbauer. Die Partie wurde am Tage des
    Festes gespielt, welches die Berliner Schachgesellschaft zu
    Ehren des vom Londoner Turnier siegreich zurückgekehrten
    Anderssen veranstaltete. Kurz vor dem Festessen wurde
    noch eine andere längere Partie gespielt, in welcher
    Anderssen den Sieg davon trug.

§. 426. Zwischen M. Lange (Weiss) und K. Mayet
(Schwarz)
. Gespielt am 17. März 1853 in der Berliner
Schachgesellschaft.


1. e 2 e 4 e 7 e 5; 2. S g 1 f 3 S b 8 c 6; 3. c 2 c 3 d 7 d 6;
4. d 2 d 4 D d 8 e 7; 5. L f 1 d 3 e 5 d 4: 6. c 3 d 4: L c 8
g 4; 7. L c 1 e 3 S g 8 f 6; 8. S b 1 c 3 a 7 a 6; 9. Rochirt
[245] D e 7 d 7; 10. h 2 h 3 L g 4 h 5; 11. L d 3 e 2 L f 8 e 7;
12. S f 3 d 2 L h 5 g 6; 13. f 2 f 4 h 7 h 6; 14. f 4 f 5 L g 6
h 7; 15. L e 2 f 3 Rochirt; 16. D d 1 e 1 K g 8 h 8; 17. D e 1
g 3 T a 8 e 8; 18. e 4 e 5 S f 6 g 8; 19. L f 3 g 4 D d 7 d 8;
20. S d 2 f 3 d 6 e 5: 21. d 4 e 5: D d 8 d 3; 22. T f 1 e 1
S c 6 b 4; 23. T a 1 d 1 D d 3 c 4; 24. S f 3 d 2 D c 4 c 6;
25. S d 2 b 3 T e 8 d 8; 26. S b 3 d 4 D c 6 e 8; 27. a 2 a 3
S b 4 c 6; 28. S c 3 e 4 S c 6 d 4: 29. L e 3 d 4: c 7 c 5;
30. f 5 f 6 g 7 f 6: 31. e 5 f 6: c 5 d 4: 32. L g 4 d 7 S g 8
f 6: 33. S e 4 f 6: D e 8 d 7: 34. S f 6 d 7: T d 8 d 7:
35. T d 1 d 4: und Weiss gewann nach einigen Zügen.


  • Anmerkung. Bei 35. T d 7 d 4: würde 36. D g 3 — e 5 † ent-
    scheiden. Bei 35. T f 8 g 8 würde Weiss durch 36. D g 3
    g 8: K h 8 — g 8: 37. T d 4 — d 7: die Thürme gegen die
    Laufer und damit ein entscheidendes Uebergewicht be-
    halten. Die Partie ist wegen des von Anfang an gedräng-
    ten Standes der Vertheidigung merkwürdig; die Ursache
    ist der dritte Zug des Schwarzen, statt dessen S g 8 f 6
    oder f 7 f 5 (vgl. §. 264) geschehen musste. Unser Gegner
    in dieser Partie liebt häufig dergleichen eigenthümliche
    Abweichungen und erzielt damit bei nicht ganz conse-
    quentem Gegenspiele oft interessante Erfolge.

Vierundsechszigstes Kapitel.
Correspondenzpartien.

§. 427. Correspondenzpartien haben für Theorie und
Praxis eine gleich grosse Bedeutung. In ersterer Hinsicht
geben sie nicht selten Anregung zur gründlichen Analyse
schwieriger Controversen und auf der andern Seite heben
sie ebensosehr das Interesse einzelner Clubmitglieder am
Spiele, wie sie den Gemeinsinn der Spieler und das Zusam-
menwirken der Gesellschaften fördern. Zahlreiche Beispiele
bestätigen diese Erfahrung. Wir wollen nur auf die wichtigen
Partien zwischen London und Edinburg (aus den 20er Jahren
dies. Jahrhund.), ferner zwischen Paris und London (1843),
Paris und Pesth, Berlin und Breslau, Berlin und Potsdam,
Philadelphia und Boston und andere hindeuten. In neuerer
Zeit verdienen die interessanten Partien zwischen Amsterdam
[246] und London besondere Beachtung. Wir geben hier die
schönste, die dritte und letzte Partie zwischen diesen beiden
Städten, da sie zugleich besonders geeignet scheint, über
eine bekannte Spielart des Mittelgambits genaueren Aufschluss
zu ertheilen.


§. 428. Dritte Correspondenzpartie zwischen
Amsterdam (Weiss) und London (Schwarz)
. Gespielt
im Jahre 1852.


1. e 2 e 4 e 7 e 5; 2. S g 1 f 3 S b 8 c 6; 3. d 2 d 4 e 5 d 4:
4. L f 1 c 4 L f 8 c 5; 5. c 2 c 3 S g 8 f 6; 6. e 4 e 5 d 7 d 5;
7. L c 4 b 5 S f 6 e 4; 8. L b 5 c 6: b 7 c 6: 9. c 3 d 4: L c 5
b 6; 10. S b 1 c 3 f 7 f 5; 11. h 2 h 4 Rochirt; 12. L c 1 f 4
c 6 c 5; 13. K e 1 f 1 T a 8 b 8; 14. S c 3 a 4 c 5 d 4; 15. S f 3
d 4: D d 8 e 8; 16. b 2 b 3 c 7 c 5; 17. S d 4 c 2 d 5 d 4;
18. T a 1 c 1 L c 8 a 6 † 19. K f 1 g 1 L a 6 b 5; 20. S c 2
a 3 L b 5 a 4: 21. b 3 a 4: L b 6 c 7; 22. f 2 f 3 S e 4 c 3;
23. D d 1 c 2 L c 7 e 5; 24. T c 1 e 1 L e 5 f 4: 25. T e 1 e 8:
T f 8 e 8: 26. K g 1 f 2 T e 8 e 2 †; 27. D c 2 e 2: S c 3 e 2:
28. K f 2 e 2: T b 8 e 8 † 29. K e 2 f 2 d 4 d 3; 30. T h 1 d 1
d 3 d 2; 31. K f 2 f 1 L f 4 g 3; 32. S a 3 c 2 T e 8 e 1 †
33. T d 1 e 1: d 2 e 1: D; 34. S c 2 e 1: L g 3 e 1: 35. K f 1
e 1: K g 8 f 7 und Weiss gab die Partie auf.


  • Anmerkung. Man vergleiche zunächst §. 175 und 245. Dort
    ist bereits der Zug 10. f 7 — f 5 als besonders wirksam für
    die Vertheidigung hervorgehoben. Die Fortsetzung 11. h 2
    h 4 erscheint frühzeitig und unsolide. Aufgabe der
    Rochade und defensive Position sind die unmittelbaren
    Folgen, welche die schwarze Partei sinnreich auszubeuten
    weiss. Das Manoeuvre des Damenopfers ist besonders fein;
    der König geht im 26. Zuge nach f 2, um der gänzlichen
    Absperrung durch den Laufer (f 4 — g 3) vorzubeugen.
    Nach dem 35. Zuge muss Schwarz wegen des freien
    c Bauers gewinnen; die Herbeiführung dieses Schlusses ist
    äusserst fein durchdacht. Es kann 36. K e 1 d 2 K f 7 e 6;
    37. K d 2 c 3 K e 6 d 5 folgen und Weiss vermag dann die
    Partie nicht mehr zu halten.

[247]

2. Das Schachſpiel als Quelle.


§. 429. Die praktische Seite des Schachspiels hat meist
zu solchen besonderen Beziehungen Veranlassung gegeben,
welche sich auf gesellschaftliche Fragen und Verhältnisse zu-
rückführen lassen. Auf der einen Seite kommt hier die
Frage nach der allgemeinen gesellschaftlichen Bedeutung des
Schach in Betracht, auf der anderen ergeben sich einzelne
gesellschaftliche Verhältnisse sowie specielle Kunstproducte,
zu denen das Schachspiel im Allgemeinen oder zu welchen
gewisse besondere Schachideen unmittelbare Veranlassung bie-
ten. Zuletzt ist noch im Gegensatz zu den gewöhnlichen
Schachpartien die Klasse der Vorgabespiele zu berück-
sichtigen.


5. Sociale Bedeutung.

Fünfundsechszigstes Kapitel.
Werth, Zweck und Nutzen des Schachspiels.

§. 430. Die sociale oder gesellschaftliche Bedeutung
des Schachspieles beschäftigt sich auf der einen Seite
mit der Beurtheilung seines Werthes, auf der andern
mit der Frage nach seinem Zweck und Nutzen. In erste-
rer Beziehung lässt sich nicht läugnen, dass das Schach-
spiel eine Art wissenschaftlicher und künstlerischer Behand-
lung gestattet, ja dass es durch allgemeine Verbreitung und
Anerkennung, durch Vollkommenheit seiner mathematisch be-
gründeten Grundgesetze, sowie durch seine langjährige Uebung
und umfassende literarische Bearbeitung einen besonderen
Werth vor allen nur möglichen Spielen gewinnt. Allein alle
diese Vorzüge geben noch durchaus kein Recht zur Gleich-
stellung des Schach mit einer Wissenschaft oder Kunst als
solcher, obgleich letztere Ansicht von vielen ausgezeichneten
[248] Liebhabern des Spieles getheilt wird. Der Charakter des
Spieles beruht auf willkürlichen rein menschlichen Annahmen
von Grundbestimmungen, durch welche es constituirt wird,
während der Stoff jeder Wissenschaft erhaben über der Schö-
pfung des Einzelmenschen liegt, ja den Menschen meist un-
mittelbar aus der Hand Gottes gegeben wird.


  • Anmerkung. Die unrichtigen Ansichten über den Werth des
    Schachspieles, das bei all seinen unzählig schönen Combi-
    nationen Spiel bleibt, wurden ausser den oben erwähnten
    Vorzügen meist durch die Wahrnehmung hervorgerufen,
    dass im Schach neben dem Mangel des Zufalles und Glück-
    reizes auch noch andere den Wissenschaften zukommende
    Eigenschaften sich finden. Ausserdem zollten selbst ausser-
    schachliche hochberühmte Autoritäten, wie Leibnitz,
    Kant, Göthe
    dem Schachspiel besondere Anerkennung,
    obschon sie ihm wohl niemals (§. 141) den Rang einer
    Wissenschaft ausdrücklich zuerkannt haben. Von Schach-
    autoritäten ist ausser Koch und Hirschbach vorzüglich der
    begeisterte Bledow, welcher das Schach halb Kunst halb
    Wissenschaft nannte und der dem Spiele ganz ergebene
    Bilguer hervorzuheben, welcher in die Untersuchung von
    Schachwahrheiten sogar die Bestimmung des Menschen
    setzen wollte. Es ist allerdings wahr, dass das Schach
    einen besonderen Vorrang vor den meisten Spielen ver-
    dient; doch wäre es gewiss unnütz, ihm deshalb einen
    besonderen Rang, eine Mittelstellung etwa zwischen Spiel
    und Wissenschaft zu geben, um so zugleich der blendenden
    Antithese Kant’s, das Schach sei zu ernst für ein Spiel,
    zu viel Spiel für den Ernst, strenge Rechnung zu tragen.
    Wir wollen vielmehr den ganzen Streit mit dem Endurtheile
    abschliessen, dass das Schachspiel zwar der Uebung nach
    Kunst, der Form nach Wissenschaft sein kann, dass es
    aber seinem Inhalte, seiner socialen Bedeutung nach,
    stets in die Klasse der Spiele gehören wird.

§. 431. Aus der richtigen Würdigung des Werthes lässt
sich der wahre Zweck und Nutzen des Schachspieles mit Sicher-
heit ableiten. Zunächst hat das Schach mit jedem anderen
Spiele denselben Zweck gemein, nämlich Vergnügen und Un-
terhaltung zu gewähren, sei es als Erholung von der Arbeit,
sei es als Abwechselung nach dem Studium der Wissenschaf-
ten. Als geselliges Spiel dient das Schach zur Bildung von
Gesellschaften und Clubs, welche es fortzubilden und weiter
zu verbreiten streben. Nur darf hiebei nicht ein scheinbarer
Nutzen, wie z. B. Schärfung des Verstandes oder Förderung
anderer Geistesthätigkeiten vorgespiegelt werden. Das Schach-
spiel hat in dieser Beziehung durchaus gar keinen Einfluss
[249] und gestattet bei vielen Ausnahmen höchstens den Rückschluss,
dass ein ausgezeichneter Schachdenker kein ganz beschränk-
ter Kopf sein könne. Ebensowenig wird ein materieller
Nutzen aus dem Schachspiele an und für sich gewonnen wer-
den; doch hat es auf der andern Seite schon die fremd-
stehendsten Personen mit einander bekannt gemacht und
innige Freundschaften geschlossen. Ein praktischer Nutzen
endlich für die Vorbildung zu irgend einer Kunst, z. B. zur
Kriegskunst muss dem Schachspiele gänzlich abgesprochen
werden.


  • Anmerkung. Man hat wohl eingewandt, das Schachspiel ge-
    währe keine zweckmässige Erholung. Dennoch wird auch
    dies Spiel niemals so ernste und intensive Anstrengung der
    Geistesthätigkeiten erfordern wie die gründliche Beschäfti-
    gung mit strengen Wissenschaften, und mag deshalb
    immerhin als eine Art Erholung empfohlen werden. Auf
    der anderen Seite hüte man sich aber vor allzu emsiger
    Verbreitung des Spieles, und vermeide namentlich es in
    den Kreis der Menge herabzuziehen. Für die Menge ist
    unser Spiel durchaus nicht geschaffen; da giebt es leich-
    tere Spiele und Vergnügungen anderer Art. Das Schach
    aber ist ein königliches, ein echt aristokratisches Spiel und
    wird dem Arbeiterstande z. B. niemals dauernd behagen,
    so grosse Anstrengungen in letzterer Beziehung auch
    gegenwärtig die Engländer zu machen scheinen. Doch
    wünschten wir, dass es im Schoosse gebildeter Familien
    mehr Pflege fände. Nur hüte man sich hierbei vor der
    Ansicht, dass das Schachspiel pädagogischen Zwecken
    dienen könne. Den Verstand wird es niemals bilden, die
    Vorstellungskraft höchstens einseitig fördern, und nur auf
    den Charakter mag es in gewisser Beziehung wohlthätige
    Rückwirkung äussern. Wir schliessen auch hier mit einem
    einfachen Urtheilsspruch und zwar mit dem Ausspruche
    des ersten deutschen Meisters, Herrn v. d. Lasa: „Das
    Schach ist geistvolles Spiel aber keine nutzbare Wissen-
    schaft.“

§. 432. An die erwähnten unrichtigen und übertriebenen
Ansichten von dem Werthe und Nutzen des Schachspieles lassen
sich mannigfache wohlmeinende Winke und Rathschläge knü-
pfen; z. B. Klugheitsregeln über die Zeit wann und die
Mässigkeit, mit welcher zu spielen sei u. s. w. Dahin ge-
hören auch solche allgemeine sociale Vorschriften, welche
bereits im 16. Kapitel angedeutet wurden.


  • Anmerkung. Das Schach soll, wie Staunton sagt, kein Noth-
    helf sein in Ermangelung besseren Zeitvertreibs, noch wie
    die Hazardspiele Gegenstand einer niederen Berechnung.
    Das Schach bezweckt die Erholung geistvoller und tüch-
    [250] tiger Menschen, die ganz der Obliegenheit ihrer gesell-
    schaftlichen Stellung leben und die selbst die Erheiterung
    in Spannung und Stärkung ihrer intellectuellen Gaben
    setzen. Darauf beruht seine [gesellschaftliche] Bedeutung
    und Trefflichkeit. Unter diesem Gesichtspunkte verdient
    es unsere Achtung. Sehen wir darin ein leeres oder eigen-
    süchtiges Treiben, so erniedrigen wir es. Das Schach war
    nie ein Beruf und kann nie einer werden; es kann in
    hohem Masse den Geist eines Geschäftsmannes in Anspruch
    nehmen, es kann aber nie eine Lebensaufgabe sein.

6. Kunst und Gesellschaft.

Sechsundsechszigstes Kapitel.
Malerei, Technik und gesellschaftliche Belustigungen.

§. 433. Unter den Künsten ist es namentlich die Malerei,
welche das Schachspiel als Quelle benutzt und Schachideen
zu Productionen ausgebeutet hat. Auch kann die Malerei
in Verbindung mit der Plastik für zweckmässige Grundformen
bei der technischen Bildung von Schachfiguren wesentliche
Dienste leisten. — Von der Musik ist nicht bekannt geworden,
dass sie durch das Schach zu Schöpfungen geführt hat, ob-
wohl sich Schachmärsche und Schachfantasien mit gleichem
Rechte wie viele ähnliche Compositionen vertheidigen liessen.


  • Anmerkung. Genial hat Moritz Retzsch das Schachspiel
    zu einer sinnigen Zeichnung benutzt, indem er den Kampf
    eines Spielers mit dem Teufel darstellte, sinnreiche
    Allegorien beim Ausdruck der Schachfignren und der
    Umgebung beider Spielenden anbrachte und das Ganze
    durch den Federstrich des Meisters weihte. Man findet
    eine ausführliche Beschreibung in dem umfassenden litera-
    rischen Werke von Anton Schmidt. In neuerer Zeit haben
    wir viele geistvolle Oelgemälde und vorzüglich feine Stahl-
    stiche gesehen, denen Schachideen zu Grunde liegen. —
    Von grosser Wichtigkeit ist die Technik, welche sich auf
    der einen Seite mit der äusseren Gestaltung der Schach-
    figuren zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Län-
    dern beschäftigt, auf der anderen Seite die bequemsten
    und zweckmässigsten Formen für die Bildung der Figuren
    zu ergründen hat. In letzterer Beziehung dürfen für den
    Gebrauch der Schachclubs wohl nur grosse Bretter und
    dauerhafte Figuren (am Besten von Buxbaum [und] Pock-
    holz) empfohlen werden. Bei der Form mag man drei
    [251] Typen von einander scheiden. Die einfache schlanke
    Gestalt, welche die einzelnen Figuren vorwiegend durch
    verschiedene Länge markirt, scheint in Frankreich beliebt,
    der massive gedrungene Bau war in England heimisch,
    während Deutschland die Mitte zu halten scheint. Unter
    den Spielen von zierlicher künstlicher Bauart mögen
    gegenwärtig die englischen sogenannten Staunton-Chess-
    Men von Elfenbein den Vorzug verdienen. In früheren
    Zeiten wurde auf kostbare Schachspiele viel gehalten,
    namentlich wenn sie zu Ehrengeschenken bestimmt waren,
    wie dies im Mittelalter nicht selten der Fall sein mochte.
    Man findet hierüber nähere Auskunft in dem literarischen
    Werke über das mittelalterliche Schachspiel von Professor
    Massmann.

§. 434. Aeussere Schachformen haben nicht selten zu
gesellschaftlichen Belustigungen Gelegenheit gegeben, indem
man zu Maskeraden, lebenden Bildern u. dergl. Ideen aus
dem Spiele entlehnte. In der Anmerkung des § 352 wurde
bereits einer von Rabelais geschilderten grossen Schachmas-
kerade und Schachquadrille Erwähnung gethan. In neuerer
Zeit scheinen ähnliche Vergnügungen, welche im Mittelalter
mit dem grösseren Ansehen des Schach sich häufiger zeigten,
immer mehr zu verschwinden. Statt dessen erhalten andere
Belustigungen, welche ihre Existenz dem Schach verdanken,
grössere Anerkennung. Dahin gehören vorzüglich Schach-
rebusse und Räthsel, deren Worte auf Rösselsprungsschematen
vertheilt werden, sogenannte Rösselsprungsräthsel.


7. Vorgabepartien.

Siebenundsechszigstes Kapitel.
Einzelne Vorgabespiele.

§. 435. Abarten der gewöhnlichen Partien sind die Vor-
gabespiele und die Ausgleichungspartien. Letztere sind ge-
mischte Vorgabespiele, in denen beide Parteien, jede auf
eine andere Weise, an Werth gleiche Vorgaben gewähren;
man vergleiche die Partie des pions in 357. Bedeutend
wichtiger sind die eigentlichen Vorgabespiele, d. h. solche
[252] Partien, in welchen zur möglichsten Hebung einer Differenz
in der Geschicklichkeit zweier Spieler eine andere Differenz
in ihrem Parteiverhältniss angenommen wird. Gewöhnlich er-
zielt man diese letztere Differenz dadurch, dass der über-
legene Spieler beim Beginne der Partie eine Figur vom
Brette entfernt. Dame, Thurm oder Springer bilden die
gewöhnlichen Vorgaben; nicht selten wird auch ein Bauer,
und in diesem Falle stets der Königslauferbauer, vorgegeben.
Unter anderen Vorgaben ist die Gestattung mehrerer An-
fangszüge bemerkenswerth sowie die Verpflichtung, mit einer
bestimmten Figur Matt zu setzen, endlich die Bedingung,
nicht eher als mit dem Mattzuge Schach zu geben d. h. den
feindlichen König direct anzugreifen.


  • Anmerkung. Aus dem Begriff der Rochade als gleichzeitiger
    Bewegung von König und Thurm (§. 134, a.) folgt ohne
    Weiteres, dass bei Vorgabe eines Thurmes die vorgebende
    Partei nach der Seite desselben nicht zu rochiren (d. h.
    eigentlich die Rochade nicht zu fingiren) vermag. Ferner
    folgt bei Verpflichtung zum Matt mit einem bestimmten
    Bauer aus §. 404, Anm., No. 40, dass dieser Bauer als
    solcher, also nicht nach seinem Avancement zu einem
    Officier, das Matt zu geben hat.

§. 436. Beispiel einer Partie mit Damenvorgabe. Die
weisse Dame ist vor Beginn des Spieles vom Brett zu
nehmen.


M. Lange (Weiss) und Hr. Felgentreter (Schwarz).
Gespielt zu Halle am 1. Juni 1855.


1. e 2 e 3 e 7 e 5; 2. S g 1 f 3 e 5 e 4; 3. S f 3 d 4 d 7 d 5;
4. c 2 c 4 d 5 c 4: 5. L f 1 c 4: S g 8 f 6; 6. Rochirt L f 8 c 5;
7. S d 4 e 2 Rochirt; 8. S e 2 g 3 S b 8 c 6; 9. S b 1 c 3 S c 6
e 5; 10. L c 4 e 2 L c 8 g 4; 11. L e 2 b 5 a 7 a 6; 12. L b 5
a 4 b 7 b 5; 13. L a 4 c 2 b 5 b 4; 14. S c 3 e 4: D d 8 d 5;
15. S e 4 f 6: g 7 f 6: 16. L c 2 e 4 D d 5 c 4; 17. b 2 b 3
D c 4 b 5; 18. L e 4 a 8: T f 8 a 8: 19. d 2 d 4 S e 5 f 3 †
20. g 2 f 3: L g 4 h 3; 21. d 4 c 5: D b 5 c 5: 22. L c 1 b 2
L h 3 f 1: 23. T a 1 f 1: D c 5 c 2; 24. L b 2 d 4 f 6 f 5;
25. K g 1 h 1 D c 2 a 2: 26. T f 1 g 1 K g 8 f 8; 27. S g 3 f 5:
D a 2 b 3: 28. L d 4 c 5 † K f 8 e 8; 29. S f 5 d 4 D b 3 c 4;
30. L c 5 b 4 D c 4 b 4: 31. T g 1 g 8 † K e 8 d 7; 32. T g 8
a 8: D b 4 e 1 †; 33. K h 1 g 2 c 7 c 5; 34. S d 4 b 3 c 5
[253]c 4; 35. S b 3 c 5 † K d 7 d 6; 36. S c 5 e 4 † K d 6 d 5;
37. T a 8 a 6 f 7 f 5 und Weiss kündigte ein Matt in drei
Zügen an.


  • Anmerkung. Dergleichen Vorgabepartien haben natürlich
    nur ein beschränktes Interesse. Für den Vorgebenden
    kommt es bei so bedeutender Vorgabe hauptsächlich darauf
    an, so sehr als möglich den Abtausch zu vermeiden. Davon
    geben die Züge 10 bis 13 ein Beispiel. Zugleich mag der
    Vorgebende den Gegner zu vorzeitigen und übereilten
    Angriffen verlocken. Die gegebene Partie bietet ausserdem
    ein hübsches Ende; die letzten zwingenden Züge sind:
    38. T a 6 d 6 † K d 5 e 5; 39. f 3 f 4 † K e 5 e 4: 40. T d 6
    d 4 † und M.

§. 437. Partie mit Vorgabe des Bauers und zweier
Züge. Der schwarze Bauer f 7 ist vor Beginn des Spieles
vom Brett zu nehmen.


Zwischen v. Guretzky-Cornitz (Weiss) und M. Lange
(Schwarz)
.


1. e 2 e 4 und 2. d 2 d 4 S b 8 c 6; 3. L f 1 d 3 d 7 d 5;
4. e 4 e 5 L c 8 e 6; 5. S g 1 f 3 g 7 g 6; 6. h 2 h 4 L e 6 g 4;
7. c 2 c 3 e 7 e 6; 8. D d 1 c 2 L g 4 h 5; 9. S f 3 g 5 D d 8
e 7; 10. g 2 g 4 L h 5 g 4: 11. L d 3 g 6 † h 7 g 6: 12. D c 2
g 6 † K e 8 d 7; 13. h 4 h 5 L g 4 f 5, 14. D g 8 f 7 S g 8 h 6;
15. D f 7 f 6 S h 6 g 4; 16. D f 6 h 8: L f 8 g 7; 17. D h 8 a 8:
S c 6 d 4: 18. D a 8 b 7: D e 7 c 5; 19. L c 1 e 3 S d 4 c 2 †
20. K e 1 e 2 D c 5 c 4 †; 21. K e 2 f 3 S g 4 e 5 † 22. K f 3
g 2 D c 4 g 4 † 23. K g 2 h 2 S c 2 e 3: 24. D b 7 b 5 † S e 5
c 6; 25. T h 1 g 1 D g 4 h 4 † 26. S g 5 h 3 D h 4 h 3 † u. M.


  • Anmerkung. Diese Partie bietet ein Beispiel übereilten An-
    griffes, wie er in dergleichen Spielen von Seiten des An-
    ziehenden nicht selten versucht wird. Man vergleiche des-
    halb besonders die Züge 6 bis 13 von Weiss. Schwarz
    giebt beide Thürme auf, um die feindliche Dame von ihrem
    Spiele zu entfernen und dadurch eine entscheidende Attake
    zu gewinnen. Im 18. Zuge wäre es wohl für Weiss nicht
    rathsam, den Springer durch c 3—d 4: zu nehmen. Die
    hierdurch entblösste Stellung des Königs würde leicht zu
    schnellen verderblichen Angriffen des Nachziehenden (z. B.
    D e 7 b 4 †) Gelegenheit gegeben hahen.

[254]

Literatur.


1. Das eigentliche Schach.


§. 438. Die sich auf das Schachspiel [unmittelbar] be-
ziehenden literarischen Erzeugnisse finden ihre Beurtheilung
in einer kritischen Literärgeschichte, von welcher die näch-
sten beiden Kapitel einen kurzen Abriss zu geben bestimmt
sind. Ausserdem knüpft sich an die sociale Bedeutung und
Anerkennung des Schach eine Reihe literarischer Producte,
welche von belletristischer Färbung einen besonderen Zweig
der Schachliteratur ausmachen und deren Erörterung daher
ein besonderer Platz, im 70. Kapitel, zusteht.


1. Literärgeschichte.

Achtundsechszigstes Kapitel.
Die ältere Zeit.

§. 439. Die ersten Anfänge der Schachliteratur ent-
standen aus einer besonderen Anerkennung des früher in hohem
Ansehen stehenden Spieles. Sie haben meist den Zweck
einer begeisterten Schilderung seiner Vorzüge, einer beredten
Empfehlung seiner Uebung und knüpfen dabei nicht selten
in poetischer Form an die sagenreiche Erfindung. So be-
singen es persische und arabische Dichter im 13. und 14.
Jahrhundert, so wählen es zu gleicher Zeit deutsche Geist-
liche zum Gegenstand ihrer Abhandlungen und Predigten, sei
es als Spiegel einer sinnreichen Weltordnung, sei es als Mit-
tel wider die Hoffart. Geraume Zeit später beginnt erst
die Anbahnung theoretischer und praktischer Bearbeitung.
Freilich sind es zuerst rohe Anfänge und einzelne wenig
durcharbeitete Partien, welche Lucena und nach ihm der
Portugiese Damiano im Anfange des 16. Jahrhunderts ge-
[255] ben, denen sich sodann in der Mitte desselben Zeitabschnit-
tes der Spanier Rui Lopez mit einer grösseren Menge noch
ungenauer Eröffnungen und Endungen sowie mit einigen voll-
ständigen Spielen anschliesst. Aber bald bemächtigen sich
italienische Meister mit besonderer Vorliebe der Analyse,
und an der Scheide des 16. und 17. Jahrhunderts finden
wir Forscher wie Gianutio, welcher zuerst die Rochade ein-
führte, Salvio, der 1604 in einem geschätzten Werke vor-
züglich das Königsgambit behandelte und Gioachino Greco,
welcher in einer Reihe origineller Partien die elegante Be-
nutzung von Fehlern zeigte. Zu gleicher Zeit stellt ein
deutscher Fürst, der Herzog August von Braunschweig-Lüne-
burg, unter dem Namen Gustavus Selenus ein starkes Folio-
werk zusammen, dessen Inhalt aber grossentheils aus den
Schriften des Rui Lopez entlehnt zu sein scheint.


  • Anmerkung. Die Kunst des Schachspielens gehört im Mittel-
    alter zu einer der sieben Rittertugenden, und daraus mag
    genugsam die sociale Bedeutung dieses Spieles zu jener
    Zeit erhellen. Unter persischen und arabischen Autoren
    wollen wir nur die Namen eines Massudi und Ferdusi,
    sowie Ala Eddin und Al Suli aus dem 13. Jahrhundert
    hervorheben. Von den gedachten deutschen Schriftstellern
    ist Jacobus de Cessolis mit seiner grossen empfehlenden
    Schrift vom Jahre 1290, sowie Meister Ingold, ein Priester
    des Predigerordens, zu nennen, welcher in seinem Werk-
    chen „dz guldin spil“ gegen eine der sieben Hauptsünden,
    die Hoffart eiferte. Damiano, von dessen Werk in neuester
    Zeit Herr v. d. Lasa eine verdienstvolle Bearbeitung ge-
    geben hat, schrieb 1512; das Werk des Rui Lopez de
    Segura erschien 1561 unter dem Titel „Libro de la inven-
    cion liberaly arte del juego del Axedres;“ ihm folgte 1616
    Gustavus Selenus, während Gioachino Greco, welcher
    uzerst (§. 156) die beschränkte Rochade anwandte, seine
    Partien, von denen wir eine in §. 64 gaben, im Jahre 1615
    mittheiltte.

§. 440. Ein neuer Abschnitt beginnt in der Mitte des
vorigen Jahrhunderts. Hier treffen wir zunächst eine prin-
zipielle Behandlung des Spieles, gefördert durch Gegen-
wirkung zweier Schulen, der cis- und transalpinischen Meister.
Philidor betrachtete in einer neuen Analyse geschlossener
Partien die richtige Führung der Bauern als Grundprinzip
des Spieles, indem er sämmtliche Combinationen an ge-
schlossene Mittelbauern knüpfte und als Regel das Vorschieben
der Bauern vor den dahinter gestellten schützenden Officieren
[256] aussprach. Die Italiener dagegen zogen schnelle und selbst-
ständige Benutzung der Officiere vor und gaben als Normal-
partie das giuoco piano, während Philidor das Lauferspiel
seinen Analysen zu Grunde legte. Unter den schon §. 411
rühmlich genannten italienischen Meistern gebührt als Autor
Ponziani der Vorrang, welcher in musterhaft gediegenem
Lehrstil Eröffnung und Ende der Partie mit grosser Klar-
heit analysirte. Die moderne Theorie hat die entgegen-
stehenden Ansichten zu vermitteln gewusst, obgleich hierbei
dem italienischen Systeme grössere Rechnung getragen wer-
den musste. Auf der anderen Seite hat Philidor an solchen
Stellen, wo er unabhängig von seiner einseitigen Theorie
allein seinem tiefen Positionsblick folgte, genaue und correcte
Ansichten ausgesprochen, deren tiefe gediegene Wahrheit
erst von späteren Autoren nachgewiesen und wahrhaft ge-
würdigt werden sollte. Die gedachte Vermittelung wurde im
Anfange dieses Jahrhunderts durch Zusammenstellung der
einzelnen Arbeiten von Deutschen und Engländern wie Koch,
Heinse, Sarratt, Lewis, Walker ermöglicht und ange-
bahnt, darauf durch hochberühmte Meister, wie v. d. Lasa,
Jaenisch, Staunton bewusst erkannt und vollständig durch-
geführt. Daneben schuf Allgaier, welcher freilich der Phili-
dor’schen Schule näher blieb, eines der ersten deutschen
schätzenswerthen Originalwerke. Das Ende der Partie end-
lich, welchem zu allen Zeiten verhältnissmässig fast gleich-
grosse Aufmerksamkeit geschenkt wurde, erhielt durch Phi-
lidor’s geistreiche Analyse des Matt von Thurm und Laufer
gegen Thurm erhöhte Bedeutung, sowie durch Stamma’s
künstliche Spiele eine ganz neue Richtung, welche bald das
moderne Problem anbahnen sollte.


  • Anmerkung. Philidor’s Werk, das viele Bearbeitungen und
    Uebersetzungen erfuhr, wurde zum ersten Male 1749 unter
    dem Titel: „Analyse nouvelle du jeu des Echecs“ aus-
    gegeben; der Autor erklärte darin die Bauern für die
    Seeles des Spieles. Ponziani’s Lehrhuch, das noch heut-
    zutage für ein Musterwerk gilt, erschien im Jahre 1782.
    Allgaier schrieb zu Anfang dieses Jahrhunderts und
    sein Buch, das noch jetzt in Oesterreich besondere Aner-
    kennung findet, erlebte nach seinem Tode durch die Hand
    von Santo Vito mehrere Auflagen. Von grosser Bedeutung
    sind die Lehrbücher eines Lewis, welcher in den dreissiger
    [257] Jahren, ausser vielen anderen Schriften, unter dem Titel:
    „Series of Lessons“ schrieb; auch Walker hat den Vor-
    zug grosser Gründlichkeit und praktischer Klarheit. Für
    Deutschland hat der alte Codex von Koch aus dem An-
    fange dieses Jahrhunderts durch die gediegenen Arbeiten
    eines v. d. Lasa Erledigung gefunden. Dasselbe darf von
    den Büchern Silberschmidt’s gesagt werden, obgleich
    diese, namentlich im Königsgambit, grössere Originalität,
    als jener Codex, für sich haben.

Neunundsechszigstes Kapitel.
Die neuere Zeit.

§. 441. Die umfassenden Arbeiten eines v. Bilguer
und v. d. Lasa, eines v. Jaenisch und Staunton sowie die
grossen Compilationen Alexandre’s führten zu einer univer-
sellen Behandlung des gesammten Schachspieles, welche
durch die Gründung der periodischen Blätter eine unersetz-
liche Förderung gewann. Während die [französischen] Organe
wie der Palaméde und die ihn später ersetzende Régence
dem literarisch-gesellschaftlichen Theile vorwiegende Auf-
merksamkeit schenkten und die englische Zeitschrift „The
Chess Player’s Chronicle“ die rein praktische Seite durch
überreiche Ausstattung mit wirklich gespielten Partien ver-
trat, waren deutsche Meister wie Hanstein, v. d. Lasa,
v. Oppen, und in Verbindung mit ihnen der ausgezeichnete
Theoretiker v. Jaenisch, für die Ausbeutung des gesammten
Schachstoffes nach jeder Richtung in theoretischer, prakti-
scher und literarischer Sphäre thätig. Die Behandlung des
Spieles gewann dadurch eine Universalität, wie sie noch nie
gekannt war und ohne die erwähnten Organe wohl noch
lange fremd geblieben wäre.


  • Anmerkung. v. Bilguer entwarf und begann das nach sei-
    nem Tode von v. d. Lasa grossentheils ausgearbeitete
    rühmlichst bekannte deutsche Handbuch des Schachspieles,
    welches zuerst im Jahre 1843 erschien und 1852 eine zweite
    Auflage erlebte. v. Jaenisch gab in seiner „Analyse
    nouvelle des ouvertures du jeu des Echecs“ (1843) eine
    gediegene originelle Analyse sämmtlicher Eröffnungen und
    gründete sich nebst v. d. Lasa durch verdienstreiche Ab-
    handlungen in allen Schachjournalen den Rut des ersten
    17
    [258] Theoretikers der Gegenwart. Staunton gab im Jahre 1847
    den Engländern eine höchst verdienstvolle Bearbeitung in
    seinem Handbook und folgte in Anordnung und Inhalt
    dem grossen deutschen Werke. Alexandre endlich stellte
    1837 sämmtliche Analysen aller bis dahin erschienenen Werke
    in einer grossen Encyklopädie zusammen und liess dieser
    später eine ähnliche Compilation von 2000 der schönsten
    bekannt gewordenen Endspiele und Probleme folgen. Der
    Palaméde erschien zuerst im Jahre 1837 unter der Leitung
    von Labourdonnais, später unter St. Amant. Er ging mit
    der Februarrevolution unter, und statt seiner schuf Kise-
    ritzky
    die Zeitschrift „la Régence“, welche mit dem Tode
    dieses Meisters ihr Ende fand. Die Chess Players Chro-
    nicle wurde von Staunton redigirt. Einige andere englische
    Monatsschriften, welche später erstanden, gingen schnell
    wieder ein, ebenso wie die deutsche Schachzeitung in
    Leipzig, welche nur ein Paar Jahrgänge (1846, 1847) er-
    lebte. Die Berliner Schachzeitung hielt sich trotz ver-
    hängnissvoller Jahre; in neuester Zeit concurrirt mit ihr
    die Wiener Schachzeitung unter der Redaction des geist-
    reichen Meisters Falkbeer. Wir hoffen, dass bei so treuer
    weitverbreiteter Schachfreundschaft der Deutschen beide
    trefflich redigirte Blätter sich halten mögen, um so mehr,
    als ihre Natur sie auf zwei gesonderte Gebiete, auf Nord-
    und Süddeutschland, anzuweisen scheint.

§. 442. Neben umfassender Ergründung des Anfanges
der Partie war man auf der anderen Seite auch besonders
thätig für die Ausbildung des Endspieles (welche vorzüglich
von Kling und Horwitz gefördert wurde) und der künstlichen
Spiele oder sogenannten Probleme. Nach dem schon von
Stamma gezeigten Werthe der Ueberlegenheit einer Position
materieller Uebermacht gegenüber gingen neuere Problem-
künstler (wie Mendheim, Bone, Brede, Schmidt) auf diesem
Wege weiter, indem sie theils durch Bedingungen die Schwie-
rigkeiten häuften, theils (wie Lichtenstein) vollständig ge-
künstelte Positionen erfanden. In neuerer Zeit gewann auch
hier durch Gründung der periodischen Blätter die gediege-
nere Ausarbeitung einzelner Ideen, namentlieh der einzelnen
Figureneigenschaften, grössere Anerkennung und führte zur
Erzeugung der einfachsten und schönsten Probleme, wie sie
unter Anderen von v. Oppen, Anderssen, Eichstädt, Salpius,
Capretz, Nathan, Leow und vorzüglich von C. Bayer compo-
nirt wurden. Die kritische und wissenschaftliche Behand-
lung war vorzugsweise in den deutschen Organen, nament-
lich durch die meisterhafte Feder eines v. Oppen, vertreten.


[259]

§. 443. In der neuesten Zeit hat sich die Thätigkeit
der eigentlichen Schachtheoretiker hauptsächlich der Gesetz-
gebung des Spieles zugewandt, und die Literatur ist hier be-
reits von Seiten der Herrn v. d. Lasa und v. Jaenisch durch
gediegene Entwürfe, denen vielleicht noch andere folgen
werden, bereichert worden.


2. Belletristische Literatur.

Siebenzigstes Kapitel.

§. 444. Die literarischen Erzeugnisse belletristischer
Natur behandeln entweder das Spiel selbst oder sociale Ver-
hältnisse von Spielern. Producte der ersteren Art haben
meist eine Verherrlichung des Spieles oder eine Vergleichung
desselben mit Wissenschaften, Künsten und allgemeinen
Lebensverhältnissen zum Zweck. Zunächst finden sich Schrif-
ten, deren Inhalt eine reine Verherrlichung des Spieles dar-
stellt und welche aus Begeisterung der Verfasser über Ver-
breitung, Anerkennung und innere Gediegenheit des Spieles
entstanden. Sodann giebt es Abhandlungen, zu deren Abfassung
die Autoren durch Kenntnissnahme der Verwandtschaft des
Spieles mit allgemeinen Lebensverhältnissen begeistert wur-
den. Eine dritte Klasse literarischer Erzeugnisse scheidet
sich streng von den beiden ersten durch den Charakter
einer directen Vergleichung des Spieles mit mancherlei
Lebensverhältnissen, aus der Kriegskunst z. B., oder aus der
Staats- und Rechtswissenschaft und Moral, endlich aus der
Minne und Mythologie. Zuletzt bieten sich noch solche
Schriften, deren eigentliche Tendenz die Darstellung von
Verhältnissen aus den eben erwähnten Gebieten ist und
welche hierbei das Schach nur als Quelle für Beispiel und
Beweis gebrauchen. Das Schach liefert hier gleichsam den
Rahmen und die Farbe zu einem Bilde, dessen Idee und
Form aus einem der erwähnten Gebiete entnommen ist.


17*
[260]
  • Anmerkung. Die Erzeugnisse der zuletzt genannten Klassen
    gehören meist einer Zeit an, in welcher das Schach ein
    eigenthümlich sociales Ansehen genoss und seine theore-
    tische wie praktische Uebung fast allein bevorzugten Stän-
    den (der Ritterschaft und dem Mönchthum) anheim fiel.
    Wir bitten §. 438 zu vergleichen und wollen zum besseren
    Verständniss noch eine Ausführung des kenntnissreichen
    Forschers Wackernagel hier anführen: „Zuerst eine
    sittliche Unterweisung und sinnreiche Unterhaltung für
    einen König, ein Vorbild und eine Lehre des Krieges war
    es im weiteren Verlaufe der Wanderung desselben durch
    die Völker und die Zeiten zunächst ein Bild germani-
    scher Staatseinrichtung endlich sogar des Lebens
    aller Welt geworden, ein Bild für jechliches
    Verhältniss der Menschen unter sich und gegen
    Gott
    . Und umgekehrt erschien die ganze Welt nur als
    Schach, das der Allmächtige spiele, auf dem er nach Be-
    lieben Könige und Bauern hin und herbewege, gewinnen
    und verloren gehen lasse, oder aber wenn das Spiel des
    Lebens beendigt sei, dann kommt der Tod und räumt die
    Figuren zusammen und wirft sie unterschiedslos durch-
    einander. Also spricht Herrmann von Fritslar in seinem
    Buche das Heiligenleben am Schlusse Sancte Alexius Tars:
    Ein meister glichit diese werlt eime schafzabele; da slân
    uffe kunige vnd kuniginnen vnd rittere vnd knappen vnd
    venden; hie mite spilen si, wanne si mûde gespilet haben so
    werfen si den einen vnder den anderen in einen sack. Also
    tût der tôt; der wirfet iz allez in di erden. Welich der
    rîche sî ader der arme si ader der bâbist sî ader der kunic
    daz schowet an deme gebeine: der knecht is dicke vber den
    herren geleget, so si ligen in deme beinhûse
    .“

§. 445. Belletristische Schilderungen von socialen Ver-
hältnissen der Spieler betreffen entweder diese als solche
oder speciell ihre Persönlichkeit. In letzterer Beziehung
kommen vorzugsweise Lebensbilder und Nekrologe berühmter
Meister in Betracht, wie sie vielfach in den modernen Schach-
journalen mitgetheilt werden. Wegen ihrer belletristischen
Färbung unterscheiden sich solche Erzeugnisse durch inneren
Kunstwerth von anderen Artikeln, welche lediglich die ein-
fache Darstellung der Geschichte von Meistern und Spielern,
also die Geschichte der Praxis überhaupt, zum Zweck haben.
Zu der anderen Klasse von Abhandlungen gehören zunächst
Schilderungen vom Schachtreiben und von Schachzuständen
an einzelnen Ortschaften. Sodann giebt es eine Art humo-
ristischer Darstellungen, welche an die Gewohnheiten und
Sitten mancher Spieler anknüpfen oder auf Vergleichung von
Meistern und Spielern sich stützen. Endlich hat man wohl
noch solche belletristische Schilderungen, welche sich an
[261] das Spielen unmittelbar knüpfen und eine mehr oder weniger
kritische oder poetische oder humoristische Darstellung von
Wettkämpfen zum Zweck haben. Alle diese Arten von Ab-
handlungen findet man in den Spalten der modernen perio-
dischen Blätter mannig fach vertreten; wegen dieser letzten
Klasse von Darstellungen wollen wir ausserdem an die
treffliche Schilderung des Schachkampfes zwischen Apollo
und Merkur in dem berühmten epischen Gedichte von Hie-
ronymus Vida erinnern.


2. Das Schach als Quelle.


§. 446. Die Literatur des Schach bietet Gelegenheit
zur Begründung von Hülfsdisciplinen für die Erlernung des
Spieles und für das Verständniss der Autoren. Dahin ge-
hört die Hodegetik und die Methodik. Ausserdem kennt
noch die Literatur ganz freie belletristische Schöpfungen,
welche das Schachspiel nur als Anknüpfungspunkt, sei es
in freier Prosa, sei es in poetischer Form für anderweitige
Darstellungen benutzen. Endlich lässt sich die ganze Masse
rein poetischer Erzeugnisse, welche sich auf das Schachspiel
beziehen, hier ebenfalls anreihen.


3. Hülfsdisciplinen.

Einundsiebenzigstes Kapitel.
Hodegetik und Methodik.

§. 447. Die Hodegetik lässt sich kurz als die Lehre
von der Anweisung für das Studium der Lernenden be-
stimmen. Aeusserst spärlich ist dieser Theil des Schach
[262] bis jetzt gepflegt worden; nur wenige zerstreute Andeu-
tungen finden sich darüber bei einzelnen Autoren. Trotzdem
ist gerade dieser Theil für das Schachspiel von nicht ge-
ringer Bedeutung, was nur allzu deutlich vielfache Mängel
bei den Autoren in der Anordnung des Lehrstoffes verrathen
und allgemeine Klagen über die Schwierigkeit der Erlernung
des Spieles aus Büchern bestätigen. Wir glauben in der
Abfassung des ersten Buches dieser Schrift ein nicht un-
brauchbares praktisches Beispiel zur Theorie der Hodegetik
gegeben zu haben.


§. 448. Von gleicher Bedeutung wie die Hodegetik für
den Lernenden ist die Methodik für den geübteren Spieler.
Sie bezweckt eine kritische Vergleichung der verschiedenen
von den einzelnen Autoren bei Deduction ihrer Analysen
angewandten Methoden in der äusseren sowohl als inneren
Anordnung ihrer theoretischen Untersuchungen. In ersterer
Beziehung scheiden sich die Methoden des willkührlichen,
des natürlichen und des Normalsystemes von einander. Jenes
wird meist in Sammelwerken und Handbüchern befolgt; das
zweite, welches stets die am natürlichsten sich darbietenden
Züge in Erwägung ziehen lässt, ist am deutlichsten aus
Hirschbach’s Vorlesungen in der deutschen Schachzeitung
zu erkennen; das Normalsystem, zuerst von Philidor und
der italienischen Schule unbewusst angewandt, ist in der
gegenwärtigen Schrift deutlich ausgesprochen und wohl mit
Klarheit durchgeführt. — Der innere Charakter der Metho-
den stützt sich auf mehr oder weniger principielle Behand-
lung der einzelnen Spiele selbst. Man erinnere sich (§. 439)
an die Vergleichung der italiänischen und französischen
Schachschulen, welche ein Bauern- und Officierprincip ihren
Analysen zu Grunde legten. In der vorliegenden Schrift
haben wir uns so nah als möglich an das Princip der ein-
fachen und consequenten Entwickelung der Partie (§. 86)
angeschlossen und daraus die Methode der dreifachen An-
griffsart (§. 206) abgeleitet. Zugleich haben wir wohl einen
mehr wissenschaftlichen Weg, als früher üblich war, einge-
schlagen, indem wir specielle Analysen gewöhnlich nur als
Beweismittel für die Urtheile über bestimmte Anfänge aus-
[263] führten, während sonst analytische Untersuchungen um der
Analyse selbst gegeben wurden und bei Einfügung mehr oder
weniger unrichtiger Züge dies ausdrücklich bemerkt werden
musste.


4. Freie Literatur.

Zweiundsiebenzigstes Kapitel.
Freie Prosa und Poesie.

§. 449. Es giebt eine Klasse ganz freier belletristi-
scher Schöpfungen, denen gewisse Schachbeziehungen zu
Grunde liegen oder in welche einzelne Schachideen auf
sinnige Weise verwebt werden. Daraus entstehen sogenannte
Schachromane und Schachnovellen, welche die modernen
Schachjournale, vorzüglich Frankreichs, in mannigfacher
Weise geliefert haben. Oft treten dabei die eigentlichen
Schachbeziehungen in den Hintergrund; zuweilen werden
bloss sociale Verhältnisse einzelner Spieler aufgefasst. Stets
aber bleibt eine mehr oder weniger wichtige Anspielung auf
Schachverhältnisse der Grundcharakter. In grösserem Stile
hat der feurige Heinse diesen Literaturzweig bearbeitet,
obgleich wohl nur der erste Theil des betreffenden Werkes,
nämlich seiner Anastasia, den eigentlichen Charakter eines
Schachromans inne hält, da der andere fast gänzlich von
theoretischen und praktischen Schacherörterungen absorbirt
wird.


§. 450. Unter den poetischen Schacherzeugnissen be-
schäftigen sich die ältesten meist mit dem Schachstoffe an
sich und zwar entweder in didaktischer Methode die Erfin-
dung und Organisation des Spieles darstellend oder in ver-
herrlichender Tendenz die Vorzüge desselben schildernd.
Eine andere Klasse von Poesien betrifft sociale Verhältnisse
der Spieler in ihren gegenseitigen Beziehungen als Menschen
überhaupt. Endlich finden sich noch Gedichte, welche Spiele
und Wettkämpfe behandeln, insoweit bei deren poetischer
[264] Schilderung ein dichterischer Schwung entfaltet werden kann.
Der äusseren Form nach lassen sich die Schachpoesien in
grössere zusammenhängende Gedichte und kleinere Produkte
scheiden, letztere nicht selten in geschlossener Dichtungsart
als Lieder, Sonnette, Epigramme etc. Unter den epischen
Poesien steht das grosse lateinische Schachgedicht des
Bischof Hieronymus Vida (zu Anfang des 16. Jahrhunderts)
oben an; es hat eine unzählige Menge von Uebersetzungen
in viele Sprachen erfahren. Als Drama ist fast nur ein
einziges Produkt, aus der französischen Schule, bekannt
geworden. Die Mehrzahl der Schachpoesien gehört der
lyrischen Dichtung an, und hier bieten wieder die modernen
Schachjournale mehrere schätzenswerthe Beispiele, unter
anderen vorzüglich die trefflichen Dichtungen eines Han-
stein
und Rössler in der Berliner Zeitschrift.

[[265]]

Appendix A

[...]
[266]
[...]
[267]
[...]
[268]
[...]
[269]
[...]
[270]
[]

Appendix B

[...]
[][][][]
Notes
*)
Der hierher gehörige Satz ist: Maxime scientiae substant
ludi, qui unice arti eventum nihil casui debent, in quibus haud
dubie eminet ludus scachicus seu regius etc. Im Begriff sub-
stant ist deutlich das unter geordnete Verhältniss der Spiele zu
den Wissenschaften angedeutet.
**)
Unter vielen darauf bezüglichen Aussprüchen von Leibnitz
möge nur folgender seine Stelle finden: Les hommes ne
paraissent jamais plus ingenieux, que dans les jeux et les phi-
losophes en doivent profiter pour perfectioner l’art des arts qui
est l’art de penser.
*)
Optarem ut aliquis, sagt Leibnitz, omnis generis ludos mathe-
matice tractaret et tam regularum seu legum rationem redderet,
quam artificia primaria traderet. In einem Briefe vom 26.
August 1714 aus Wien an M. Remond de Montmort sagt er:
Je voudrais qu’un habile homme traitait en mathematicien et
en physicien de toute sorte de jeux.

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2025). Lange, Max. Lehrbuch des Schachspiels. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bhxd.0