[][][][][][][[I]]
Handbuch
der
Entwickelungsgeschichte
des Menschen

mit
vergleichender Rücksicht der Entwickelung
der Säugethiere und Vögel.


Berlin,: bei August Rücker.
1835.

[[II]][[III]]

Seinen hochgeehrten Lehrern, Gönnern und Freunden,
dem
Herrn

C. G. Nees von Esenbeck,
Doctor der Medizin und Philosophie; Professor der Botanik und Direc-
tor des botanischen Gartens der Universität zu Breslau; Präsidenten der
Kaiserlichen Leopoldinisch-Carolinischen Akademie der Naturforscher und
Aerzte; Mitgliede vieler Akademieen und gelehrten Gesellschaften und
Ritter mehrerer hohen Orden,
und dem
Herrn
Joh. Ev. Purkinje,
Doctor der Medizin und Philosophie; Professor der Physiologie und
Pathologie an der Universität zu Breslau; Mitgliede der Kaiserlichen
Leopoldinisch-Carolinischen Akademie der Naturforscher und Aerzte, der
Akademie der Wissenschaften zu Berlin, der Academie royale de
Médecine zu Paris und vieler gelehrten Gesellschaften,
aus Achtung, Dankbarkeit und Liebe
der Verfasser.


[[IV]][[V]]

Vorrede.


Ueber Entwickelungsgeschichte in gegenwärtiger Zeit zu
schreiben, bedarf kaum einer Entschuldigung, da diese Rich-
tung anatomisch-physiologischer Forschung nicht nur in un-
seren Tagen sorgfältiger, als früher verfolgt, sondern auch
jeder höheren Betrachtung und Anschauung der Natur als
genetisches Moment zum Grunde gelegt wird. Es wäre da-
her überflüssig, hier über die Wichtigkeit und den Einfluſs
solcher Untersuchungen noch Worte verlieren zu wollen, da
mit Recht vorausgesetzt werden kann, daſs das Wesentliche
hiervon schon allgemein bekannt und anerkannt sey. Der
Verfasser, dem von sich und der Richtung seiner Studien
zu reden, in der Vorrede allein gegönnt ist, hält es daher
für zweckmäſsiger, sich über die Entstehung vorliegender
Schrift und den in ihr herrschenden Geist auszusprechen,
um so den Standpunkt zu bezeichnen, von welchem aus er
beurtheilt und gerichtet zu werden wünscht.


Schon von Anfang seiner medizinisch-physiologischen
Studien im Jahre 1829 faſste derselbe eine innige Vorliebe
zu der Lehre der Entwickelungsgeschichte, mit welcher er
theils durch die Vorträge seiner geehrten Lehrer, theils durch
die hierüber erschienenen Schriften, vorzüglich Deutscher
Physiologen, theils auch durch eigene häufige Untersuchung
von Embryonen der Wirbelthiere vertraut wurde. Nachdem
[VI]Vorrede.
er sich so zu diesem eben so schwierigen, als genuſsreichen
Felde Bahn gebrochen, muſste es sich ihm fast von selbst
ergeben, daſs, wenn einerseits die Entwickelung der Organe
durch den glücklichen Fleiſs vieler Gelehrten ziemlich aufge-
hellt worden, die der Gewebe nicht nur stiefmütterlich be-
handelt, sondern so gut, als gar nicht bearbeitet sey. Da-
durch, daſs Heusingers System der Histiologie *) unvollendet
blieb, war auch die Hoffnung geschwunden, daſs wir von
diesem geachteten Naturforscher eine Histiogenie erhalten
würden. Mit Ausnahme der Entwickelungsgeschichte der
Blutflüssigkeit und der Blutkörperchen, welche jedoch eben-
falls mangelhaft bearbeitet worden, fanden sich nur sehr
wenige Data, die zu einer wissenschaftlichen Darstellung
benutzt werden konnten. Es war daher für das jugendliche
Gemüth des Vf. die Idee lockend genug, so ein neues Feld
physiologischer Wissenschaft, die Histiogenie, zu schaffen.
Aber bald zeigte sich der Schwierigkeiten groſse Fülle.
Denn wenn es schon einen Aufwand von mehr, als mittel-
mäſsigen Kräften erfordert, um die Entwickelung der Organe
zu verfolgen, so stöſst man nicht selten bei der Beobachtung
der Gewebeentwickelung auf Dinge, welche die Grenzen
unserer Sinne weit hinter sich lassen. Zuvörderst muſs man
hier durchaus an frischen Präparaten arbeiten, oder solche
Untersuchungen wenigstens der Beobachtung an Früchten,
die in Weingeist aufbewahrt worden, vorausschicken; dann
ist es unerläſslich, eben so starke, als klare Vergröſserungen
anzuwenden, da die schwachen, welche bei der Entwicke-
lung der Organe so gute Dienste leisten, hier gar nicht zu
[VII]Vorrede.
gebrauchen sind. Ueberdieſs muſs auch die Form der aus-
gebildeten Gewebe sicher constatirt werden, bevor man ihrer
Entstehung nachzuspüren unternimmt. Die strengste Selbst-
kritik, Miſstrauen gegen jedes nur ein Mal oder undeutlich
Beobachtete darf den Naturforscher zwar überall, aber vor
Allem auf diesem dornigten Wege nie verlassen.


Durch diese Schwierigkeiten nicht nur nicht abgeschreckt,
sondern vielmehr angespornt und zur Ausdauer angeregt, ver-
folgte der Vf. seine Untersuchungen drei Jahre lang, ohne
vor 1832 etwas zu veröffentlichen. Zu Ende dieses Jahres
gab er seine: historiae evolutionis systematis muscularis
prolusio
heraus — eine kleine Schrift, die, wiewohl sie ihm
heute gar nicht mehr genügt, doch eine durchaus günstige
Aufnahme zu finden das Glück hatte. Vielfache Untersuchun-
gen wurden noch später gemacht, und da es bei der Menge
von Früchten, welche dem Vf. zu Gebote standen, niemals
an Materiale fehlte, so wuchs natürlich der Stoff während
eines fünfjährigen Zeitraumes fast täglich angestellter Unter-
suchungen bedeutend an. Nothwendiger Weise wurden nicht
bloſs die Gewebe, sondern auch die Organe in das Gebiet
der Forschung mit hineingezogen, und so dürfte es wohl
keinen Theil des Körpers geben, dessen Evolution der Vf.
nicht aus eigener Erfahrung mehr oder minder vollständig
kennen gelernt hat. Auf diese Weise vermochte er natür-
lich vieles Bekannte zu bestätigen und nicht wenig des Neuen
hinzuzufügen, wiewohl er selbst die Lücken, die er lassen
muſste, am Wenigsten verkennt.


In jedem Zweige der Physiologie muſs man bei dem
jetzigen Stande der Wissenschaft sich nicht mit der Unter-
suchung einzelner Klassen oder gar Genera oder Species von
Pflanzen oder Thieren begnügen, sondern, sey es compara-
tiv, sey es ergänzend, auf eine gröſsere oder geringere Zahl
oder die Gesammtheit der vegetabilischen oder animalischen
[VIII]Vorrede.
Organismen Rücksicht nehmen. Wenn daher auch ein ein-
zelnes Wesen, wie z. B. der Mensch vorzüglich bei Behand-
lung eines Gegenstandes berücksichtigt wird, so darf doch
die Darstellung seiner Verhältnisse nicht ausschlieſslich das
Object der Beobachtung und jede Rücksicht auf die übrige
Thierwelt zurückgewiesen seyn. In dieser Idee arbeitete
schon der groſse Haller seine Elementa physiologiae aus;
in dieser Idee sind in neuerer Zeit mehrere Schriften über
allgemeine und specielle Physiologie erschienen, welche ei-
nen bleibenden Werth in der Geschichte der Wissenschaf-
ten haben werden. Ist aber dieses schon bei der Darstellung
der Erscheinungen des Lebens, der Bedeutung und Function
der Organe, der Formen der Gewebe der Fall, so tritt das-
selbe Requisit in dem Gebiete der Entwickelungsgeschichte
mit weit gröſserer Nothwendigkeit hervor, da hier noch der
Umstand dazu nöthigt, daſs viele in dem Menschen völ-
lig unbekannte Verhältnisse aus der Geschichte der Thiere
ergänzt oder erläutert werden müssen. So wie Vivisectionen
nur an diesen anzustellen sind und nichts desto weniger
auch über dieselben Functionen in dem Menschen den ge-
nügendsten Auſsschluſs geben, so ist dieses nicht minder in
der Entwickelungsgeschichte der Fall. Denn wenn auch
die Voraussetzung bestimmt ungegründet, ja falsch ist, daſs
in dem Menschen der Entwickelungsproceſs der Organe ge-
nau derselbe, wie in den Säugethieren sey, so läſst sich doch
mit Recht annehmen — und durch genaue Beobachtung ist
es von vielen Theilen sogar schon erwiesen — daſs analoge
Processe in beiden Statt finden und daſs das Individuelle
und Specielle Verschiedenheiten, das Generelle Gleichheiten
erzeuge. Es ist zwar von höchstem Interesse, das Erstere
so genau, als möglich kennen zu lernen; allein der Mensch
wird in eben dieser Beziehung immer am Wenigsten voll-
ständig zu erforschen seyn, da zu vielen Experimenten und
[IX]Vorrede.
Untersuchungen der Art sein Organismus völlig unzugänglich
ist. Wir mögen noch so weit vorschreiten; hier werden
stets Lücken übrig bleiben, welche nur die Geschichte der
Säugethiere und Vögel auszufüllen vermag.


Als die deskriptive Anatomie noch allein den Menschen
als Hauptziel vor Augen hatte und nur ein mehr oder min-
der vollständiges Verzeichniſs der einzelnen, unseren Orga-
nismus constituirenden Theile gab, als man auf diese Weise
nur nach gesonderten Einzelnheiten strebte und lieber in die-
ser Beziehung auf das Kleinlichste einging, denn einen hö-
heren und innigeren Zusammenhang mit der Thierwelt und
deren Organisation überhaupt zu suchen sich bemühte, fehlte
auch in der Entwickelungsgeschichte das Bedürfniſs, über
den Menschen hinaus genauere Forschungen anzustellen.
Wie man im Allgemeinen bei dem Erwachsenen alle
Höcker, Ecken, Kanten u. dgl. eines Knochen kennen zu
lernen und mit gröſst möglicher Breite bis in’s Kleinste zu
beschreiben strebte, war man auch im Allgemeinen zufrie-
den gestellt, wenn man wuſste, daſs dem Menschen Cho-
rion, Amnion, Nabelblase, Nabelstrang u. dgl. mit ihren be-
stimmten Eigenthümlichkeiten zukommen. In diesem Sinne
haben Danz, Lucä u. A. ihre Darstellungen bearbeitet. Nur
bei Wenigen tauchte die Idee eines allgemeineren Standpunk-
tes auf, wurde aber bald theils durch Mangel an Realien,
theils durch die widerstrebende Gewalt der Zeit unterdrückt.
Abgesehen davon, daſs so jeder wissenschaftliche Werth der
Entwickelungsgeschichte verloren ging, hatte es auch noch
den Nachtheil, daſs reelle Beobachtungen falsch gedeutet und
von unkundigeren Nachfolgern falsch gemacht wurden. Auch
die reinste Empirie kann durch unrichtige Wahrnehmungen
verfälscht werden. Denn sie kommt ja erst durch das Glas
des Beobachters in die Augen der Mitwelt. Ja wie oft ist
nicht schon die Erfahrung gemacht worden, daſs sonst ru-
[X]Vorrede.
hige und bedächtige Forscher sahen, was sie sehen wollten
oder gewissen subjectiven Ideen nachsehen muſsten, daſs von
ihnen allgemeine Sätze und Schlüsse nach ungegründeten Ana-
logieen und Factis aufgestellt wurden, und so Gelehrte, die reine
Empiriker zu seyn glaubten, in Hypothesen geriethen, die
an Unrichtigkeit denen excentrischer Köpfe oft gleich waren,
an Genialität dagegen ihnen um Vieles nachstanden.


Indem der Vf. diese Fehler zu vermeiden sich nach Kräften
bemüht hat, muſs er es andern zu beurtheilen überlassen, ob
und in wie fern ihm dieses geglückt sey oder nicht. Da
er es aber für nothwendig gefunden, wesentliche Theile der
Geschichte der Thierwelt mit in seinen Plan zu ziehen, so
hat er dieses nicht ohne Principien, sondern von folgenden
Grundsätzen geleitet gethan.


Unbedingt ist die Klasse der Vögel das Centrum, um
welches sich alle Beobachtungen über Entwickelungsge-
schichte drehen, nicht innerer Gründe halber, sondern we-
gen äuſserer uns zu Gebote stehender Umstände. In keiner
Thierklasse haben wir es so sehr in unserer Gewalt, Em-
bryonen verschiedener Stadien zu erlangen, als in dieser.
Nirgends können wir unsere Untersuchungen so sehr ver-
vielfältigen, als hier. Daher begann auch Fabrizius ab Aqua-
pendente seine Beobachtungen an dem bebrüteten Hühnchen:
an diesem setzten Harvey und Malpighi ihre Forschungen
fort; an ihm machte Wolff seine wichtigen Entdeckungen
über Entstehung des Darmkanales, des Blutes, der Extremi-
täten und der Nieren, so wie in neuerer Zeit der Embryo
des Hühnchens es war, durch dessen Studium Döllinger
und seine Schüler die Entwickelungsgeschichte als Wissen-
schaft bleibend begründet haben. Der Vogel ist also in die-
ser Rücksicht Ausgangspunkt für alle folgenden Untersuchun-
gen und Norm und Basis, auf welche vereinzelte Facta der
Entwickelung der Säugethiere und des Menschen zurückzu-
[XI]Vorrede.
führen sind. Da jedoch vermöge seiner ganzen Organisation
das Säugethier dem Menschen ähnlicher ist, als der Vogel,
so muſs sich natürlich dasselbe Verhältniſs auch in der Ent-
wickelung reflectiren. Und wenn daher auch die Geschichte
des Vogelembryo der Boden ist, auf dem wir einherschrei-
ten, so ist die des Säugethierfötus das leitende Gestirn, wel-
ches uns erst Sicherheit auf unserer Bahn der Entwickelung
des Menschen verspricht.


Es ist daher in dem vorliegenden Werke die kurze Ge-
schichte des Vogels an den passenden Stellen immer vorausge-
schickt worden. Wenn der Vf. hierbei sich gröſstentheils
der Bär’schen Relationen bedient, so geschieht dieses nicht
deshalb, weil er diese Dinge aus eigener Anschauung nicht
kennt, sondern weil er es für billig hält, dem, der zuerst
das Wahre einer Sache beschrieben, genau zu folgen und
nicht mit Sachen, die man nach Anderen gesehen, als sei-
nen Entdeckungen zu wirthschaften, weil man nur zu dem
Bekannten kleine oder kleinliche Zusätze zu machen ver-
mochte. —


Ein in unseren Tagen zu physiologischen Untersuchun-
gen unentbehrliches Hülfsmittel ist das Mikroscop. Die Zei-
ten sind vorüber, wo man mikroscopische Beobachtungen
wegen Fehler der Untersuchenden verdächtig zu machen sich
bemühte. Das Mikroscop hat jetzt dieselbe Auctorität, wie
die astronomischen Vergröſserungsinstrumente, wiewohl man
durch diese eben so gut die Gebäude der Menäen, als durch
jenes die präexistirende Gestalt des Menschen in seinen Saa-
menthierchen zu sehen geglaubt hat. Geduld und Uebung
macht hier wie dort gleich sicher, und es dürfte in beiden
Fällen wohl ohne Zweifel jede Differenz der Beobachtung
weniger von dem Instrumente, als dem Forscher selbst ab-
hängen. Die Gegenstände, mit denen wir uns hier be-
schäftigen, entgehen zum Theil, wie die frühesten Rudimente
[XII]Vorrede.
der Organe, dem unbewaffneten Auge, und doch zeigt die
groſse Uebereinstimmung, welche die Erfahrungen eines Bär,
Burdach, Rathke, Huschke, Joh. Müller, Carus, E. H. We-
ber, Ehrenberg, R. Wagner u. A. unter einander darbieten,
welcher Grad von Sicherheit und Bestimmtheit auf diesem
Felde zu erreichen sey. Irrthümer kommen in allen mensch-
lichen Bestrebungen vor, und deshalb, weil sie hier nicht
fehlen, kann am Wenigsten die ganze Methode verdächtig
gemacht werden.


Eine andere der neuesten Zeit angehörende und noch
in ihrer Kindheit befindliche Richtung ist die, die Mathema-
tik der organischen Natur kennen zu lernen. Man hat aber
hier zwei untergeordnete Disciplinen: 1. Die Auseinander-
setzung der räumlichen Stellungs- und Formenverhältnisse
der Theile der organischen Wesen — eine Lehre, die im
Pflanzenreiche Schimper begründet und Alexander Braun,
Bischoff, Fürnrohr und Andere fortgeführt haben. Daſs diese
Gesetze auch auf die Thiere ihre Anwendung finden, hat
der Vf. bald nach dem Erscheinen des Schimperschen Auf-
satzes öffentlich ausgesprochen und Agassiz in neuester Zeit
in einigen Beispielen nachgewiesen. 2. Die Gröſsenverhält-
nisse der kleineren und kleinsten Theile der Körper, die Mi-
krometrie. Diese, welche nur von Wenigen, wie Prevost
und Dumas, R. Wagner besonders behandelt und von E.
H. Weber, Ehrenberg, Joh. Müller, Berres und dem Vf. vor-
züglich bei ihren neuesten Untersuchungen berücksichtigt
worden, wird gewiſs zu wichtigen allgemeinen Resultaten
führen und binnen Kurzem so sehr an Umfang und Inhalt
gewinnen, daſs sie als eine durchaus gesonderte Disciplin
wird angesehen werden müssen. Der Vf. enthält sich hier
aller weiteren Ausführung, da schon mehreres Treffliche
hierüber in der neuesten Zeit gesagt worden. Er kann
nur die Bemerkung nicht unterdrücken, daſs, wiewohl er
[XIII]Vorrede.
seine Messungen nicht zu häufen sich bemühte, die Zahl
derselben bei der Menge der zu bestimmenden Gegenstände
in die Hunderte lief. Doch glaubt er anderseits, daſs die aus
seinen Messungen gezognen Resultate den Leser für die un-
angenehme und trockene Aufführung der Zahlen zum Theil
entschädigen werden.


Nicht mit Unrecht könnte Mancher Abbildungen zu vor-
liegendem Werke verlangen. Allein aus folgenden Gründen
sind sie hier gänzlich ausgeschlossen worden. Die Entwik-
kelungsgeschichte der Thiere kann nie durch bloſse Abbil-
dungen genügend erläutert werden. Ueberhaupt wird man,
wie in allen Naturwissenschaften, so besonders in diesem
Theile derselben aus bloſsen Büchern am Wenigsten lernen.
Einige Kupfer nützen hier gar Nichts und können den Un-
kundigen zwar blenden, aber den Wiſsbegierigen nie befrie-
digen. Ein groſser Atlas würde aber vorliegende Schrift,
welche der Vf. in jeder Rücksicht so leicht zugänglich als
möglich zu machen gesucht hat, zu sehr im Preise erhöhen.


Was die Literatur betrifft, so hat er Alles, was ihm zu
Gebote stand, mit möglichster Sorgfalt benutzt und nur die
Bücher angeführt, die er selbst gelesen. Er ist aber hierin
möglichst genau verfahren, weil er die Ansicht hat, daſs das
bloſse Nennen des Namens eines Schriftstellers oder eines Bu-
ches zu gar Nichts führt. Jedem Leser muſs es möglich seyn,
nachzusehen, wie sich ein bestimmter Autor über eine Sache
ausspricht, ob ihn der citirende Schriftsteller richtig verstanden
u. dgl. Daher ist der specielle Beleg des Citates ganz und gar un-
erläſslich. Was die Wahl der Schriften betrifft, so hat der
Vf. besonders deutsche zu nennen sich bemüht, und lieber
die Citate von ausführlichen und richtigen Auszügen aus auslän-
dischen Sachen, als von diesen selbst aus dem Grunde ange-
führt, weil jene dem Leser im Allgemeinen weit leichter zugäng-
lich sind. Er hat gewissenhaft das Fremde anzuerkennen sich
[XIV]Vorrede.
bemüht, nicht, wie dieses von egoistischen und verblendeten
Gelehrten lächerlicher Weise so oft geschieht, seine eigenen
Sachen vor ähnlichen Beobachtungen Anderer prahlerisch
hervorgehoben oder diese gar gänzlich verschwiegen, um
selbst desto mehr zu glänzen. Eben so wenig hat er in sei-
ner Sprache affektirt, um sich den Schein von Originalität
(denn Originalität selbst besteht wahrlich in diesem die
Wissenschaft nicht um ein Haar breit fördernden Prunke
eben so wenig, als in irgend einem manierirten Wesen in
der Kunst) anzueignen. Jedoch hofft er, wenn ihm Eines
oder das Andere von fremden Arbeiten völlig entgangen seyn
sollte, bei der so groſsen Menge der zu benutzenden Schrif-
ten Entschuldigung zu finden. Daſs er Unbedeutendes oder
rein Theoretisches, auf keiner Erfahrung Basirtes übergan
gen, dürfte ihm nicht zum Vorwurfe gereichen.


Breslau im März 1835.


Der Vf.


[[XV]]

Uebersicht des Inhalts.


  • Seite
  • Erster Abschnitt. Von dem Eie 1
  • I. Das unbefruchtete, in dem Eierstocke enthaltene Ei3
  • Ei des Vogels 3
  • Dotterhaut 5
  • Dotter 5
  • Anlage der Keimhaut 6
  • Ei der Säugethiere 9
  • Die äuſsere Haut 15
  • Flüssiger Inhalt des Folliculus Graafianus15
  • Die Scheibe 16
  • Das Eichen 17
  • Tabellarische Uebersicht der angestellten mikrometrischen Mes-
    sungen der Theile des Folliculus und des Eichens in verschie-
    denen Säugethieren und dem Menschen 22
  • Verhältniſs des ausgebildeten Eies des Vogels zu dem ausgebil-
    deten Ei der Säugethiere 25
  • II. Das Ei von dem Momente seiner Lostrennung von
    dem Eierstocke bis zu seiner Fixirung in dem Frucht-
    hälter zur Entwickelung der Frucht
    28
  • Ausgang des Eies aus dem Eierstocke 28
  • Versuche über die ersten Folgen der Conception 32
  • Zeichen der geschehenen Befruchtung 39
  • Flimmerbewegung 42
  • III. Das Ei während der Fruchtentwickelung42
  • A. Die von dem Fruchtbehälter ausgeschiedenen Membranen und
    Flüssigkeiten 44
  • Seite
  • a. Anwesenheit der decidua47
  • 1. In dem Thierreiche überhaupt 47
  • 2. In dem Menschen insbesondere 50
  • α. Ihre Existenz überhaupt 50
  • β. Ihre Existenz in den verschiedenen Monaten der
    Schwangerschaft 53
  • b. Aeuſsere und innere Conformation der decidua vera
    und reflexa53
  • c. Gewebe der hinfälligen Häute 60
  • d. Verbindung der hinfälligen Häute mit den Nachbarthei-
    len und unter einander selbst 62
  • e. Entstehung der hinfälligen Häute 62
  • α. Entstehung der decidua vera63
  • β. Entstehung der reflexa65
  • Theorie über diese Erscheinung 66
  • f. Schwinden der hinfälligen Häute 70
  • g. Bedeutung und Nutzen der decidua und ihres Conten-
    tums 71
  • h. Synonymik der Membranae deciduae72
  • Rückblick auf diese Materie 75
  • B. Die von dem Eileiter wahrscheinlich gebildeten Häute und
    Stoffe des Eies oder die eigenthümliche Eihaut nebst dem
    Stoffe, welcher in den Eiern der Säugethiere dem Eiweiſse
    analog ist 79
  • C. Die Eitheile, welche mit dem Embryonalkörper in Verbin-
    dung stehen und von denen das neue Individuum ausgeht,
    oder die selbst erst durch die Bildung des Letztern oder von
    ihm erzeugt werden 93
  • a. Die Nabelblase 94
  • b. Das Amnion 111
  • c. Die Allantois und die mit ihrer Existenz nothwendig
    verbundenen Membranen und Gebilde des Eies, wie das
    Endochorion, die mittlere Haut, die Placenta und der
    Nabelstrang 115
  • Anhang.
    I. Ueber Pockels Vesicula erythroides und dessen Theorie
    der frühesten Formation des menschlichen Eies und Embryo
    überhaupt 134
  • II. Ueber kranke, durch Abortus abgegangene Eier 136
  • Zweiter Abschnitt. Von dem Embryo 141
  • Embryo und Nahrung 143
  • Seite
  • Unterschiede der Keimhaut 147
  • Sonderungen der Keimhaut 149
  • I. Seröses Blatt154
  • Erste Momente der Bildung des neuen Individuums 154
  • A. Gehirn und Rückenmark nebst deren häutigen Umhüllungen 160
  • Höhlen des Gehirns und Rückenmarks 179
  • Nervensubstanz 183
  • Anhang. Höhere Sinnesorgane 185
  • 1. Auge 186
  • 2. Ohr 205
  • B. Peripherischer Theil des serösen Blattes 217
  • A. Oberes Centralrohr 219
  • Schädel und Wirbelsäule 219
  • 1. Schädel 225
  • a. Stirnbein 225
  • b. Scheitelbein 226
  • c. Grundbein 227
  • d. Schläfenbein 229
  • e. Siebbein 231
  • 2. Wirbelkörper 231
  • B. Unteres Knochenrohr 235
  • 1. Die Knochen des Gesichtes 235
  • a. Die Pflugschaar 236
  • b. Die Nasenbeine 236
  • c. Die Muschelbeine 237
  • d. Die Thränenbeine 237
  • e. Die Jochbeine 237
  • f. Die Oberkieferbeine 238
  • g. Die Gaumenbeine 239
  • h. Der Unterkieferknochen 240
  • 2. Rippen und Brustbein 241
  • Anhang.
    C. Extremitätengürtel 243
  • 1. Schlüsselbein 250
  • 2. Schulterblatt 250
  • 3. Oberarmbein 251
  • 4. Ulna und Radius 252
  • 5. Handwurzelknochen 252
  • 6. Mittelhandknochen 253
  • 7. Phalangen des Daumens und der Finger 253
  • 8. Schaambeine 254
  • 9. Sitzbein 254
  • 10. Darmbein 254
  • Seite
  • 11. Oberschenkelknochen 255
  • 12. Tibia und Fibula 256
  • 13. Fuſswurzelknochen 256
  • 14. Mittelfuſsknochen 257
  • 15. Phalangen der Zehen 257
  • Knorpelskelett 258
  • Ligamente 265
  • D. Muskeln, Sehnen und Schleimgewebe 266
  • Anhang. Rumpfnerven 270
  • E. Haut nebst den accessorischen Gebilden und der von
    der Peripherie des serösen Blattes ausgehende Hüllen-
    theil des Embryo 271
  • 1. Fettpolster 271
  • 2. Lederhaut 272
  • 3. Der malpighische Schleim 273
  • 4. Die Oberhaut 273
  • II. Gefäſsblatt278
  • Entstehung des Blutes und der Blutgefäſse 278
  • a. Die Blutflüssigkeit 291
  • b. Die Blutkörperchen 293
  • c. Die Blutbahnen 298
  • 1. Die Dottergefäſse 304
  • 2. Die Embryonalgefäſsverbreitung 306
  • d. Körpergefäſse 330
  • Anhang. Geschlechts- und Harnorgane 352
  • Geschichte der Wolff’schen Körper 356
  • A. Die Wolff’schen Körper bei Säugethieren und dem
    Menschen, besonders nach ihrer Structur in den ver-
    schiedenen Perioden der Entwickelung 376
  • B. Geschichte der keimbereitenden und ausführenden Ge-
    schlechtsorgane bis zu der Zeit, wo die Verschieden-
    heit des Geschlechtes mehr unmittelbar in die Augen
    fallende Differenzen bedingt 386
  • C. Keimbereitende und ausführende Geschlechtstheile bei
    den weiblichen Früchten 389
  • D. Keimbereitende und ausführende Geschlechtstheile bei
    den männlichen Früchten 391
  • E. Erste Entstehung der Nieren nebst den Ureteren und
    den Nebennieren 408
  • F. Entwickelungsgeschichte der mittleren Sphäre der
    Harn- und Geschlechtsorgane 416
  • G. Entwickelungsgeschichte der äuſseren Sphäre der Harn-
    und Geschlechtsorgane.
  • Seite
  • a. Bei dem männlichen Geschlechte 419
  • b. Bei dem weiblichen Geschlechte 422
  • III. Schleimblatt426
  • 1. Primäre Metamorphose des Schleimblattes.
    Darmrohr und Gekröse 427
  • Zwerchfell 469
  • Sympathischer Nerv 470
  • 2. Secundäre Metamorphosen des Schleimblattes 474
  • A. Einfurchungsbildungen 475
  • a. Nase 476
  • b. Mund 481
  • Zähne 482
  • c. After 488
  • d. Kiemenspalten und Kiemenbogen 488
  • Anhang.
    Zungenbein 493
  • B. Ausstülpungsbildungen.
    a. Das Lungensystem 495
  • Anhang.
    1. Schilddrüse 506
  • 2. Thymus 506
  • b. Leber 514
  • Anhang.
    Milz 520
  • c. Speicheldrüsen 521
  • Gröſsenverhältnisse der Theile der Drüsen 543
  • Anhang.
    Lymphsystem und lymphatische Drüsen 546
  • d. Allantois 548
  • Aeuſseres des Embryo 549
  • Tabellarische Uebersicht der Metamorphosen des Eies 562
  • Dritter Abschnitt. Fragmente zu einer künftigen Gesetz-
    lehre der individuellen Entwickelung.
    I. Nothwendiger Gegensatz zwischen Idealismus und Realis-
    mus. Tendenz der Zeit 565
  • II. Allgemeine Begriffe. Uridee. Metamorphose 582
  • III. Wissenschaftliche Bearbeitung der Thierwelt. Bedeutung
    der Organe der Thiere 587
  • IV. Entwickelung des individuellen Thieres 590
  • V. Metamorphosengang der individuellen Entwickelung 595
  • VI. Specielle Darstellung der Gesetze der individuellen Entwik-
    kelung. Wirbellose und Wirbellthiere 598
  • Seite
  • VII. Genese der Organe 612
  • VIII. Entstehung der Organtheile und Gewebe 624
  • IX. Functionen der Organe 651
  • Nachträge, welche die wichtigsten über Entwickelungsgeschichte
    während des Drucks der vorliegenden Schrift bekannt gemachten
    Beobachtungen enthalten 653

[[XXI]]

Verbesserungen.


  • S. 12 Z. 17 v. o. statt Cruikschank lies Cruikshank.
  • ‒ 17 ‒ 6 ‒ ‒ ‒ undurchsichtig l. undurchsichtig ist.
  • ‒ 42 ‒ 4 v. u. ‒ 1825 l. 1835.
  • ‒ 44 ‒ 13 v. o. ‒ Zum Eie l. 1. Zum Eie.
  • ‒ 48 ‒ 13 ‒ ‒ ‒ Ilsis l. Isis.
  • ‒ 50 ‒ 20 ‒ ‒ ‒ Eichen l. Folliculi.
  • ‒ 51 ‒ 18 ‒ ‒ ‒ inr echt l. in recht.
  • ‒ 64 ‒ 24 ‒ ‒ ‒ zwar α. l. zwar.
  • ‒ 69 ‒ 13 ‒ ‒ ‒ sehsten l. sechsten.
  • ‒ 76 ‒ 18 ‒ ‒ ‒ Huuptsache l. Hauptsache.
  • ‒ 79 ‒ 13 ‒ ‒ ‒ Höhe l. Höhle.
  • ‒ 87 ‒ 5 ‒ ‒ ‒ die l. das.
  • ‒ 93 ‒ 89 v. u. ‒ werden seyn l. seyn werden.
  • ‒ 94 ‒ 16 v. o. ‒ desselben l. derselben.
  • ‒ 105 ‒ 1 v. u. ‒ ena ve l. vena e.
  • ‒ 126 ‒ 18 ‒ ‒ ‒ Batrachier l. Amphibien.
  • ‒ 147 ‒ 8 v. o. ‒ welches l. welche.
  • ‒ 148 ‒ 11 ‒ ‒ ‒ welcher l. welchen.
  • ‒ 207 ‒ 17 ‒ ‒ ‒ von mir l. vor mir.
  • ‒ 240 ‒ 20 ‒ ‒ ‒ Clarikel l. Clavikel.
  • ‒ 240 ‒ 4 v. u. ‒ Miſsverständniſs l. Miſsverhältniſs.
  • ‒ 248 ‒ 17 ‒ ‒ ‒ Biegung l. Biegung ein.
  • ‒ 304 ‒ 5 ‒ ‒ ‒ gegen l. von.
  • ‒ 331 ‒ 13 v. o. ‒ eben l. oben.
  • ‒ 351 ‒ 13 ‒ ‒ ‒ Gene l. Genese.
  • ‒ 352 ‒ 16 ‒ ‒ ‒ unpoëtischen.
  • ‒ 383 ‒ 20 ‒ ‒ ‒ 0,006160 l. 0,005160.
  • ‒ 389 ‒ 19 ‒ ‒ ‒ 0,00385 l. 0,003850.
  • ‒ 392 ‒ 13 ‒ ‒ ‒ 0,91650 l. 0,091650.
  • ‒ 409 ‒ 14 v. u. ‒ 0,408400 l. 0,070840.
  • ‒ 445 ‒ 15 ‒ ‒ ‒ Anfang l. Anfangsdarm.
  • ‒ 454 ‒ 8 v. o. ‒ Wirsugianus l. Wirsungianus.
  • ‒ 476 ‒ 3 ‒ ‒ ‒ hier l. dort.
[[XXII]]

Erster Abschnitt.
Von dem Eie.


1
[[2]]

Und in der That kann es ein sichereres und edleres Mittel geben, um
sich die klarsten Einsichten über die Function und Bedeutung einzelner
Theile und über das harmonische Ineinandergreifen des [ganzen] Organis-
mus zu verschaffen, als die bildende Natur von dem Augenblicke an zu
belauschen, wo sie ihre Schöpfung beginnt, und ihr unermüdet zu folgen,
bis sie ihr Werk vollendet einer höheren Bestimmung übergiebt? — Je-
doch leicht ist der Wunsch und schwer ist die That! — Wohl ist es
wahr, es ist des Geistes kühnstes Wagestück in das Heiligthum der Na-
tur zu dringen, und nirgends in dem weiten Reiche menschlicher For-
schungen grünt herrlicher die lohnende Palme, als hier — allein die Wege
dorthin sind dunkel und vielfach verschlungen und wenig betreten ist
der wahre Pfad. — Deshalb hüte sich Jeder, statt des Goldes unreines,
mit Schlacken vermengtes Metall zu Tage zu fördern, und dieser War-
nung, die ich mir selbst in meinen Untersuchungen über diesen Gegen-
stand zurief, stets eingedenk, will ich den Versuch beginnen.


(H. Fr. Kilian über den Kreislauf des Blutes in dem Kinde,
welches noch nicht geathmet hat. 1826. 4. S. 40.
)

[[3]]

Das unbefruchtete, in dem Eierstocke enthaltene Ei.


Das Ei der höheren Thiere enthält vor der Befruchtung, während
es in dem Eierstocke sich befindet, folgende verschiedene Theile,
welche theils in der Zeit, wo in Folge der Conception das Ei
den Eierstock verläſst, sich verändern oder vergehen, theils aber
beharren.


  • 1) Eine äuſsere, das Ei umschlieſsende und begrenzende Haut,
    die Dotterhaut.
  • 2) Einen mehr oder minder flüssigen Inhalt, den Dotter.
  • 3) Eine mehr oder minder weit über die Oberfläche des
    Dotters und unter der Dotterhaut verbreitete, eigenthümliche Lage
    von Körnern, die Keimanlage.
  • 4) Ein durchsichtiges, in der Mitte der Keimanlage eingebet-
    tetes, an der inneren Oberfläche der Dotterhaut anliegendes und
    mit einer wasserhellen Lymphe gefülltes Bläschen, das Keimbläs-
    chen, das nach seinem Entdecker auch das Purkinje’sche Bläschen
    genannt wird.
  • Auſserdem empfängt das Ei noch von dem Eierstocke selbst
  • 5) eine durch eine körnige Lage und zähen Stoff zu einer
    membranartigen Ausbreitung mit einander verbundene Schicht, in
    welcher die Blutgefäſse liegen und
  • 6) eine von der Substanz oder dem Stratum des Eierstockes
    ausgehende Hülle, eine meistens körnerhaltige, zähe, derbe und
    dichte Haut.

Zur Basis der Untersuchung möge der am genauesten ge-
kannte Eierstock der Vögel dienen, um das von diesem Berich-
tete dann als Anhaltspunkt für die Säugethiere und den Men-
1*
[4]I. Das unbefruchtete, im Eierstock enthaltene Ei.
schen benutzen zu können. Wir folgen aber in diesem Punkte
den Untersuchungen von Purkinje (Symbolae ad ovi avium hi-
storiam ante incubationem. Wratisl
. 1825. ed alt. Lips. 1830.
4), welche wir nach eigenen, zum Theil mit dem Verfasser ge-
meinschaftlich angestellten neueren Beobachtungen nur zu be-
stätigen und in sehr Wenigem zu erweitern vermögen.


Untersucht man die kleinsten Eier des Ovarium eines Vo-
gels, z. B. des Haushuhnes, so findet man dieselben von ziem-
lich bestimmt sphärischer Form und graulich weiſser Farbe. Die
äuſsere, sie umschlieſsende Membran so wie die Lamelle der Blut-
gefäſse ist sehr schwer von der Dotterhaut zu trennen, und ge-
lingt dies auch, so nimmt man nichts als ein feinkörniges dun-
keles Wesen, welches den ganzen Inhalt des Eichens constituirt,
wahr. Durch Zerpressen zwischen zwei Glasplatten kann man
aber die vollkommen durchsichtige und scheinbar strukturlose
Dotterhaut von dem Inhalte des Eichens trennen. Dieser letz-
tere besteht aus einer flüssigen Masse, welche eine ungemein
groſse Anzahl sehr kleiner, bestimmt runder Körperchen enthält.
Die Gröſse dieser durchsichtigen Körperchen ist so gering, daſs
sie die der Brownschen [Moleküle] nur um Weniges übertrifft.
Auch zeigen diese Körnchen, wie Gruithuisen schon beobachtet
hat (s. unten im zweiten Abschnitte die Genese des Blutes) und
wir selbst bestätigen können, sehr oft Brownsche Molekularbe-
wegung. In gröſseren Eichen hat sich nun die, die Körnchen
verbindende, homogene, durchsichtige Masse vermehrt und eine
ölartige Consistenz angenommen. Dieses zeigt sich einerseits da-
durch, daſs die Flüssigkeit einen höheren Grad von Tenacität er-
langt hat und einzelne runde Tropfen in ihr, wie Oel- oder Fett-
tropfen, erscheinen, anderseits aber dadurch, daſs sowohl diese
isolirten Kugeln als das ganze Ei selbst eine immer mehr satu-
rirt gelbe Farbe erhalten. Man nennt dann gewöhnlich dieses
Contentum des Eies Dotter. Betrachten wir aber das hier Statt
findende Verhältniſs genauer, so sehen wir, daſs der Dotter des
Vogels einerseits aus der primären, sehr kleinkörnigen Masse, an-
derseits aus einem öligten Stoffe besteht. Dieses hellt uns aber
über den Zustand der Eier, der Säugethiere so wie der niederen
Wirbelthiere auf. Bei den Letzteren sind nämlich diese beiden
Massen nicht, wie bei dem Vogel, mit einander vermengt, sondern
mehr oder minder geschieden. So finden sich in dem Eie der
[5]Ei des Vogels.
Fische, sowohl vor als während der Befruchtung und Entwicke-
lung des Embryo, eine körnerhaltige zähe Masse, welche man im
Allgemeinen den Dotter nennt, und ein oder mehrere isolirte
Oeltropfen, welche hier während der ganzen Evolutionsgeschichte
eine wichtige Rolle spielen, wie Cavolini, Carus, Rathke u. A.
schon beobachtet haben und wir selbst an einem anderen Orte ausführ-
lich auseinander zu setzen uns bemühen werden. In dem Eie
der Batrachier finden sich in einer äuſserst körnerreichen flüssigen
Masse einzelne Oeltropfen eingeschlossen. Ebenso hat man dieses
auch bei den Ophidiern und Cheloniern beobachtet. Ueber die
Säugethiere und den Menschen wird bald ausführlich gesprochen
werden.


Auſser dem Dotter und der Dotterhaut sind in etwas gröſse-
ren Eichen des Ovarium der Vögel noch das Keimbläschen
und die Keimanlage zu unterscheiden, so daſs alle oben genann-
ten Theile des Eies überhaupt schon mit Deutlichkeit dann isolirt
dargestellt werden können. Der Durchmesser der kleinsten Ei-
chen, in [welchen] uns dieses möglich war, betrug ⅙ Linie. Da-
her wir nun von diesen bis zu den gröſsten, d. h. in dem Mo-
mente befindlichen, in welchem sich das Ei von dem Eierstocke
löst, um in den Eileiter zu gelangen, die einzelnen Theile durch-
gehen wollen.


1) Die Dotterhaut ist eine durchsichtige, structurlose Mem-
bran, welche zwar in vielen Fällen an ihrer inneren Oberfläche
eine Schicht sehr dünner, zarter Kügelchen zeigt, die aber, wie
wir bald sehen werden, ihr selbst wahrscheinlich nicht angehört.
Sie umschlieſst genau das aus dem Parenchym des Eierstockes
gelöste Eichen und vergröſsert sich gleichmäſsig mit dem Eie
selbst, so lange dieses in oder an dem Eierstocke sich befindet.
Nirgends läſst sich an ihr die Spur einer Nath oder Narbe wahr-
nehmen. Sie stellt vielmehr einen überall geschlossenen, conti-
nuirlichen Sack dar und conformirt sich in ihrer äuſseren Gestalt
ganz nach der des Eies überhaupt und des Dotters insbesondere.
Sie ist daher in kleinen Eiern von rundlicher oder länglicher Ge-
stalt, in gröſseren dagegen immer von bestimmt runder Form.
Nur äuſserst selten sind in ihr schwache Spuren von Fäden wahr-
zunehmen.


2) Der Dotter ist in dem vorgerückten Stadium der Ausbil-
dung eine gelbe, flüssige Masse von ziemlich zäher Consistenz und
[6]I. Das unbefruchtete, im Eierstocke enthaltene Ei.
enthält in frischem Zustande eine Menge gröſserer oder kleinerer
gelber Kugeln von bestimmt runder Form und vollkommener
Durchsichtigkeit. Neben diesen Kugeln finden sich in ihm eine
Menge kleinerer Kügelchen zerstreut, welche, wie wir gesehen
haben, der Bildung der wahren Dotterkugeln in ihrer zeitlichen
Genese vorangehen, in früherer Zeit aber sich in relativ gröſse-
rer Menge vorfinden, als späterhin. Durch Einwirkung der höhe-
ren Temperatur, des Weingeistes u. dgl. wird der Dotter in eine
feste, bröckelige Masse verwandelt, welche in ihren einzelnen
Theilen eine nicht ganz unregelmäſsige Begrenzung zeigt, wiewohl
ihr die mathematisch bestimmte Form von Crystallen abgeht.


Macht man mit einer scharfen Scheere Querschnitte des Dot-
ters, so sieht man, daſs in der Mitte desselben sich eine Substanz
befinde, welche von der wahren Dottersubstanz wesentlich ab-
weicht. Sie giebt sich dann als einen mehr oder minder bestimmt
runden, begrenzten Kreis zu erkennen, und Purkinje (l. c. p. 7.)
schloſs aus der Conformation dieser Kreise, daſs diese Masse in
einem Kanale des Dotters verlaufe, welcher von der Narbe aus-
gehend zuerst ziemlich eng nach der Mitte des Dotters hinab-
steigt, hier aber eine blasig erweiterte Form annimmt. In der
zweiten Auflage (l. c. p. 8.) hat er jedoch diese früher geäuſserte
Ansicht in Zweifel gezogen. Wiewohl bei der flüssigen Masse
des Dotters über die Form, welche der in dem Centrum befind-
liche Stoff in dem Dotter annehme, eine sichere Entscheidung
kaum möglich ist, so scheint doch so viel gewiſs zu sein, daſs
innerhalb des Dotters eine ihm heterogene Substanz überhaupt
enthalten sey, die nach Purkinje (l. c. p. 7. 8.) aus einer Menge
Kügelchen besteht, welche gröſser als die Eiweiſskügelchen sind.
In dem gekochten Eie ist dieser Stoff von milchweiſser Farbe
und einem etwas salzigen Geschmacke. Ob aber der Raum, in
dem diese Substanz enthalten und welcher in frisch gelegten
Eiern am deutlichsten zu erkennen ist, die von Purkinje (l. c.
tab. I. Fig. 16—18) angegebene Gestalt oder die etwas verän-
dert von Burdach (Die Physiologie als Erfahrungswissenschaft.
Bd. 2. 1828. 8. tab. II. Fig. 1.) und Karl Ernst v. Bär (Ueber
Entwickelungsgeschichte der Thiere. Beobachtung und Reflexion.
1828. 4. tab. III. Fig. 2.) gezeichnete Form habe, dürfte wohl
nie mit aller Gewiſsheit bestimmt werden können.


3) Die Anlage der Keimhaut. — In dem Eie des Huhnes,
[7]Ei des Vogels.
welches in seiner Entwickelung so weit vorgerückt ist, daſs es
den Eierstock verläſst und in den Eileiter eintritt, sieht man
schon durch die Dotterhaut hindurch einen graulich weiſsen, cir-
culären Fleck, welcher von frühen Zeiten her unter dem Na-
men der Narbe, Macula oder Cicatricula bekannt ist. Zer-
reiſst man nun das Ei und durchsucht alsdann den Inhalt dessel-
ben genau, so findet man die Narbe als eine graulich weiſse
Scheibe, welche in der ganzen Peripherie dicht, körnig und un-
durchsichtig ist, in der Mitte dagegen einen hellen, körnerlosen
und vollkommen durchsichtigen Punkt zeigt. Diese Beobachtung
wurde schon von Fabrizius ab Aquapendente, Harvey u. A. ge-
macht und von sehr vielen Naturforschern mit Leichtigkeit wie-
derholt. Purkinje, welcher die Untersuchungen über das unbe-
brütete Ei des Vogels im Jahre 1825 wiederum aufnahm, war
so glücklich, das Verhältniſs dieses durchsichtigen, körnerlosen
Punktes in ein helleres Licht zu setzen. Er fand nämlich (l. c.
p. 5.), daſs, wenn er die dunkele, körnige Masse mit einem
Röhrchen aufsog, ein vollkommen durchsichtiges, mit einer hellen
Lymphe gefülltes Bläschen zurückblieb, welches eine bestimmt
kugelrunde Gestalt hatte, aber von äuſserster Zartheit war, so
daſs es sehr leicht riſs und zerrann. Da er dieses Bläschen, wel-
ches spätere Naturforscher auch nach seinem Entdecker das Pur-
kinje’sche Bläschen genannt haben, in den Eiern des Eierstockes
vorfand, nicht aber in denjenigen zu sehen vermochte, welche
schon in den Eileiter getreten waren, so belegte er dasselbe mit
dem Namen des Keimbläschens. Dieses Keimbläschen ist in der
Körnerschicht der Narbe eingebettet, so daſs diese rings um das-
selbe eine Vertiefung bildet, welche aber, von oben angesehen,
als ein das Bläschen umgebender, runder Kreis erscheint (s. die
Abbildung bei Purkinje l. c. tab. X. Fig. 5.). Mit seiner nach
auſsen gekehrten Oberfläche berührt es die Innenfläche der Dot-
terhaut (Purkinje l. c. tab. I. Fig. 8.), ohne mit ihr auf organi-
sche Weise verwachsen zu sein. Die Scheibe, welche dasselbe
zunächst umgiebt, besteht aus vielen kleinen, dicht an einander
liegenden und durch einen durchsichtigen, zähen Stoff mit einan-
der verbundenen Körnchen, welche auf den ersten Blick in Form
einer rundlichen oder länglich runden Scheibe begrenzt zu seyn
scheinen. Allein durch Beobachtung dieser Scheibe vermittelst
applanatischer Linsen innerhalb des unverletzten Eies wird es
[8]I. Das unbefruchtete, im Eierstocke enthaltene Ei.
wahrscheinlich, daſs die an der Innenfläche der Dotterhaut dicht
anliegende Körnerschicht eine Fortsetzung dieser Scheibe sey,
welche dann, zwischen Dotterhaut und Dotter gelegen, den letz-
teren überall umfaſste und einschlösse. Die Körnerhaut, der ver-
dichtete Theil derselben, die sogenannte Narbe und das Keimbläs-
chen constituiren diejenigen Theile des Eies, welche unmittelbar
in die Uranlage des Embryo, die sogenannte Keimhaut, überge-
hen. Wir wollen daher die Gesammtheit der genannten Theile
mit dem Namen der Keimanlage belegen und an dieser 1) die
Körnerschicht unterhalb der Dotterhaut, 2) die Narbe oder den
verdickten Theil dieser Haut und 3) das Keimbläschen unterscheiden.


Wenn die genannten drei, die Keimanlage constituirenden
Theile in gröſseren Eiern des Eierstockes leicht darzustellen sind,
so ist anderseits ihre Erkenntniſs in den kleinsten Eichen des
Ovarium mit fast unendlichen Schwierigkeiten verbunden. Denn
das kleine, zarte Keimbläschen platzt bei jeder noch so vorsich-
tigen Manipulation; die der Dotterhaut anliegende Körnerschicht
läſst sich kaum von dem Inhalte des Eichens, welcher noch gar
keine Dotterkugeln zeigt, mit Bestimmtheit unterscheiden, beson-
ders da die Verdickung derselben in der Nähe der Narbe noch
gänzlich mangelt oder sehr unbedeutend ist. Merkwürdig ist
aber das sicher constatirte Factum, daſs das Keimbläschen in den
kleinsten Eiern, aus welchen es dargestellt werden kann, relativ
am gröſsten ist und selbst absolut ein im Ganzen nur unbedeu-
tend geringeres Volumen hat, als wenn das Ei in dem Eierstocke den
höchsten Grad seiner Ausbildung erreicht hat. Purkinje fand (Art. Ei
in dem Berliner encyklopädischen Wörterbuche 1834. 8.) bei einer
Reihe angestellter micrometrischer Messungen folgende Gröſsen.


Durchmesser in Wiener Linien:

[9]Ei der Säugethiere.

Man sieht also aus diesen Gröſsenverhältnissen, daſs das
Keimbläschen sich durchaus nicht in gleichem Maaſse vergröſsert,
als das Ei wächst, d. h. vorzüglich der Dotter an Volumen zu-
nimmt, sondern daſs es früher schon gröſser verhältniſsmäſsig ge-
bildet sey, als der Dotter und der äuſsere Umfang des Eies über-
haupt. Anders dagegen verhält es sich mit der Narbe oder der
verdichteten, das Keimbläschen umgebenden Scheibe. Diese fehlt
oder ist noch überaus zart, wenn das Keimbläschen schon eine
bedeutende Gröſse und seine bestimmte Gestalt erreicht hat. Nur
allmählig wird die Masse rings um das Bläschen dichter, so daſs
einerseits erst in 1½—2 Linien groſsen Eiern die Scheibe als ein
weiſser Fleck schon mit bloſsem Auge auf dem Dotter gesehen
werden kann, anderseits dann erst das Keimbläschen in einer Ver-
tiefung dieser Scheibe wie eingebettet liegt. Die dünne, an der
Dotterhaut anliegende Schicht, welche wahrscheinlich eine ver-
dünnte Fortsetzung der Scheibe ist, läſst sich schon dann mit ei-
niger Bestimmtheit erkennen, wenn das Keimbläschen sicher wahr-
genommen zu werden vermag.


Dieses wäre das Wichtigste aus der Geschichte des Eies des
Vogels, so lange es sich in dem Eierstocke befindet, von dem er-
sten Momente seiner Entstehung bis zu der Zeit, wo es aus dem
Stratum und der innerhalb desselben liegenden Gefäſslamelle her-
austritt, um in den Eileiter zu gelangen. Wir muſsten diese Aus-
einandersetzung vorausschicken, um die in dem Eierstocke der
Säugethiere und des Menschen vorkommenden Phänomene zu verste-
hen und richtig würdigen zu können. Jener bestehet nämlich aus
dem Bauchfellüberzuge, einem mehr oder minder faserigen Gefüge
(Stroma von Baer) und Blutgefäſsen. In dieser Substanz liegen
eine gröſsere oder geringere Menge runder oder rundlicher Bläs-
chen eingeschlossen, deren Gröſse in den verschiedenen Thieren
sowohl, als in den einzelnen Theilen desselben Eierstockes durch-
aus verschieden ist. Obgleich man diese Gebilde des Eierstockes
vor Regner de Graaf schon kannte, so hat dieser doch das Ver-
dienst, zuerst mit Evidenz nachgewiesen zu haben, daſs nach je-
der Befruchtung, entsprechend der Zahl der zukünftigen Embryo-
nen diese Bläschen platzen, ihren Inhalt entleeren und sich dann
in eine [fleischige], gelbe oder röthliche Masse verwandeln. Man
nannte daher diese Gebilde Vesiculae Graafianae oder genauer,
da Graaf sich selbst an mehreren Orten dieses Ausdruckes bedient,
[10]I. Das unbefruchtete, im Eierstocke enthaltene Ei.
Folliculi Graafiani. Die Analogie mit dem Eierstocke der Vögel
war auf diese Weise gewissermaaſsen constatirt; denn es war
nachgewiesen, daſs auch bei den Säugethieren dasjenige Organ,
welches man bald nach dem Vorgange älterer Schriftsteller testes
muliebres
, bald nach Stenon Ovaria nannte, gleich dem Eierstocke
der Vögel nach der Befruchtung eine gewisse Zahl von Eichen
in die Tuben entlasse. Am nächsten lag nun zu behaupten, daſs
die Folliculi Graafiani selbst diese Eichen wären, wie auch in
dem Eierstocke der Vögel der Dotter ein sehr bedeutendes Vo-
lumen erlangt, ehe er in den Eileiter eintritt. Allein Regner de
Graaf selbst hatte bei einer Reihe von Versuchen über die ersten
Effecte der Befruchtung bei Kaninchen gefunden, daſs die Eichen
in den ersten Tagen nach der Conception, so lange sie in den
Tuben oder in den Gebärmutterhörnern enthalten waren, um vie-
les kleiner, als die Folliculi seyen, besonders da diese unmittelbar
nach einem fruchtbaren Beischlafe noch bedeutend an Volumen
zunehmen (de mulierum Organis Cap. xvi. in Opp. omn. 1677.
8. p. 396—411.). Er war also zu dem negativen Resultate un-
mittelbar gekommen, daſs die Folliculi des Eierstockes selbst die
in den Uterus übergehenden Eichen nicht seyn könnten. Sie
platzten aber an ihrem erhabensten Punkte, entleerten ihren In-
halt, enthielten daher in der ersten Zeit eine Höhlung in ihrer
Mitte und verwandelten sich allmählig, indem diese Höhlung sich
anfüllte, in die corpora lutea. Die nächste Frage muſste nun
seyn, ob die Folliculi in sich das bei Weitem kleinere Eichen
enthalten oder nur einen Saft ergieſsen, welcher in den Tuben
erst von einer Membran umschlossen würde und so die Eiform
annähme. Regner de Graaf war der richtigen Lösung dieser
Frage, daſs der Folliculus das schon geformte und in einer Mem-
bran eingeschlossene Eichen enthalte, sehr nahe, wiewohl er diese
Antwort eher erschloſs, als durch unmittelbare Beobachtung un-
terstützte. An einigen Stellen spricht er sich genauer hierüber
aus. Bei Gelegenheit der Untersuchung eines Kaninchens 3 Tage
nach der Befruchtung heiſst es (l. c. p. 401.): „Unde liquet, ova
jamjam e testibus exclusa aliis adhuc in testibus haerentibus
decuplo minora esse, quod eatinus contingere nobis videtur,
quatenus scilicet in testibus existentia adhuc aliam materiam
complectuntur, illam scilicet, ex qua glandulosa folliculorum
substantiaprovenit
.“ — Deutlicher vielleicht noch dürfte eine andere
[11]Ei der Säugethiere.
Aeuſserung desselben Schriftstellers auf das wahre Verhältniſs des
Eies der Säugethiere zu dem Folliculus hindeuten, wo es heiſst
(l. c. p. 399.): „In altero (sc. ovario cuniculi) quattuor immuta-
tos folliculos reperimus, quibus dissectis materiam quasi glandu-
losam offendimus, in cujus medio exigua cavitas erat, in qua,
quum nullum notabilem liquorem comperiremus, suspicari coe-
pimus, num limpida eorum substantia, quae propriis membra-
nis obvolvitur, disrupta vel expulsa foret
.“ — Wenn aus die-
sen Worten noch nicht mit aller Gewiſsheit erhellt, daſs nach Reg-
ner de Graafs Ueberzeugung das Eichen in dem Folliculus schon in
rundlicher Form und mit einer eigenthümlichen Membran versehen
existire, so kann man dieses aus einer anderen Aeuſserung (l. c.
p. 410.) leicht ersehen. Man bemerkt aber zugleich, daſs er, da
ihm das wahre Eichen unbekannt war und er die innere Haut
des Folliculus nebst dessen Inhalt für dasselbe hielt, anderseits
aber die ungemeine Kleinheit der Eier in den Tuben genau kannte,
zu der Annahme kam, das Eichen der Säugethiere verkleinere
sich nach der Conception auf Kosten der übrigen Masse des Fol-
liculus, welche später in den gelben Körper übergehe; denn das
zweite aus seinen Beobachtungen erschlossene allgemeine Resul-
tat (l. c. p. 410.) ist: Quod ova intra spatium duorum vel trium
dierum ad magnitudinem cerasi nigri majoris non excrescant
quoniam illa masculino semine irrorata, per tres dies in cu-
niculis et in aliis animalibus, quae diutius uterum gerunt, per
aliquot septimanas in testibus immorentur, in iisque sensim
magis et magis diminuantur, donec decuplo quam ante coitum
minora per crassiusculam eorum membranem expellantur et ab
oviductibus excepta ad uterum deducantur
.“ — Um es also kurz
zusammenzufassen, so scheint Graafs Fundamentalansicht die zu seyn,
daſs das in dem Folliculus enthaltene Eichen zuerst sehr groſs sey
und der inneren Haut des Folliculus dicht anliege; während der zwi-
schen dem Momente der Conception und dem Austritte des Eichens
aus dem Eierstocke fallenden Zeit aber bedeutend an Gröſse ver-
liere. Wie aus dem Folgenden von selbst sich ergeben wird, hat also Gr.
nicht sowohl das wahre Eichen der Säugethiere in dem unbefruchteten
Zustande innerhalb des Ovarium gekannt, als aus seinem befruch-
teten Zustande erschlossen. Es wurde von ihm das flüssige Con-
tentum des Folliculus für das Ovulum gehalten. Da vor der Bil-
dung der Corpora lutea statt der Flüssigkeit ein fester Stoff in
[12]I. Das unbefruchtete, im Eierstocke enthaltene Ei.
dem Folliculus an der Peripherie erscheint, wurde er hierdurch
ohne Zweifel zu seiner eben so sonderbaren, als unrichtigen An-
sicht verleitet. Die Nachfolger Graaf’s schritten in diesem Dinge
eher rückwärts, als vorwärts. Die Idee, daſs der Folliculus schon
innerhalb des Eierstockes das Eichen in sich enthalte, wurde im-
mer mehr verlassen, und vorzüglich war es die Auctorität Hal-
lers (Elem. physiol. viii. p. 43.), welche fast alle Naturforscher
zu der Annahme bewog, daſs der Folliculus kein Bläschen, son-
dern eine freie Flüssigkeit in die Tuben ergieſse, die hier erst
eine eigene Membran erhalte und die Eiform annehme. Haighton,
welcher ein Jahrhundert nach Regner de Graaf die Versuche über
die ersten Wirkungen der Befruchtung bei Kaninchen wiederholte,
führt zwar als historische Meinung die Annahme eines Eichens
innerhalb des Folliculus an (Reils Archiv III. S. 69.), entscheidet
sich aber für Hallers Ansicht, daſs die Substanz, welche sich aus
dem Folliculus ergieſse, das Eichen erst constituire (l. c. S. 72.).
Schon näher trat Cruikschank (Reil’s Archiv III. S. 74—94.)
der Wahrheit der Sache. Wiewohl sich nirgend eine Spur fin-
det, daſs er das Eichen innerhalb des Folliculus in dem unbe-
fruchteten Eierstocke gesehen habe, so spricht er doch von dem
schon in dem Ovarium gebildeten Eichen als einer bekannten und
constatirten Sache (l. c. S. 75. 90. 92.). Ja es ist wohl als ge-
wiſs anzunehmen, daſs er dasselbe in dem Momente, wo es den
Folliculus sprengen und in die Tuben übergehen wollte, zu beob-
achten Gelegenheit hatte. Denn in seinem siebzehnten Versuche
heiſst es (l. c. S. 84.): „Drei Tage nach der Befruchtung öff-
nete ich ein anderes Weibchen. Die hervorstehenden Theile der
Corpora lutea waren sehr durchsichtig, ehe man die Gebärmutter
anrührte. Der vorliegende Theil, glaube ich, ist das Ei, das an
der Spitze des Corpus luteum steht u. s. w.“ — Die ausgezeich-
neten, über die ersten Folgen der Conception an Kaninchen und
Hunden angestellten Versuche und gemachten Beobachtungen von
Prevost und Dumas (Annales des sciences naturelles Tom. III.
1824. p. 113—138. Froriep’s Notizen Jan. 1825. No. 188. S.
177—186.) lieferten nicht bloſs die Bestätigung der schon von Graaf
gemachten Erfahrungen über die ungemeine Kleinheit der Eier
in den ersten Tagen nach deren Eintritte in die Tuben und den
Uterus, sondern diese vorzüglichen Naturforscher sprachen sich
mit folgenden Worten deutlich genug für die Existenz des Ei-
[13]Ei der Säugethiere.
chens innerhalb des Folliculus aus, da sie dasselbe sogar zweimal
hier gesehen hatten: „Très probablement,“ heiſst es bei ihnen
(l. c. p. 135.): „les vésicules ou les oeufs de l’ovaire contien-
nent dans leur interieur les petits ovules des cornes, qui s’y
[trouvent] environnés d’un liquide destiné peut-être à faciliter
leur arrioée dans l’utérus. Il nous est sourvenu deux fois
en ouvrant des vésicules très-avancées de rencontrer dans
leur intérieur un petit corps sphérique d’un millimeter de
diamètre. Mais il differait des ovules, que nous observions
dans les cornes par sa transparence, qui était beancoup
moindre
.“ — Das nächste Bedürfniſs war nun, die Verhält-
nisse des schon gesehenen Eichens innerhalb des Folliculus im
nicht geschwängerten Zustande aufzuhellen, und den nächsten
Schritt hierzu that ein deutscher Naturforscher, Karl Ernst v.
Bär (de ovi mammalium et hominis genesi Lips. 1827. 4. und
Commentar zu dieser Schrift in Heusingers Zeitschrift II. S.
125—194.). Er sah nämlich schon mit bloſsen Augen in den
Folliculis des Hundes (de ovi genesi p. 12.) kleine weiſse
Flecke, welche mit Hilfe einer Sonde weiter geschoben wer-
den konnten. Als er diese unter dem Microscope untersuchte,
fand er den in den Tuben gefundenen überaus ähnliche Eichen.
Sie hatten einen Durchmesser von 1/30—1/20, einige sogar nur ei-
nen Diameter von 1/50 Pariser Linie, waren von einem Körnerringe
(discus proligerus von Baer) umgeben oder in eine Art von Ver-
tiefung der Körnermasse (cumulus) wie eingesenkt oder eingebet-
tet. Die Untersuchung der Folliculi anderer Säugethiere, wie
der Kuh, des Schweines, des Schaafes, des Kaninchens u. dgl. und
des Menschen zeigte dasselbe Bläschen des Folliculus. Seine Be-
deutung als Eichen der Säugethiere ergab sich von selbst. Allein
es entstand nun eine neue gleich wichtige Frage. Entspricht
nämlich das in dem Folliculus enthaltene Eichen dem Eie des
Vogels in dem Ovarium, wie verhält es sich mit dem Keimbläs-
chen der Säugethiere? v. Bär, welcher dieses in den unbefruch-
teten Eiern aller wirbellosen und Wirbel-Thiere gesehen hatte (l.
c. p. 27.), glaubte, daſs das von ihm gesehene Eichen dem Keim-
bläschen der übrigen Thierwelt entspreche (l. c. p. 19.), und
schrieb ihm so eine ambigue Bedeutung zu, indem er einerseits
das Eichen als den Dotter, d. h. ein peristirendes, anderseits als
das Keimbläschen, d. h. ein vergängliches Gebilde, ansah. Es war
[41[14]]I. Das unbefruchtete, im Eierstocke enthaltene Ei.
also auf diese Weise zwar die Existenz des Eichens der Säuge-
thiere innerhalb des Eierstockes über allen Zweifel erhoben; allein
die Analogie mit dem Vogel fehlte noch gänzlich oder muſste
durch Raisonnement ersetzt werden. Seiler (die Gebärmutter
und das Ei des Menschen 1832. Fol. p. 36.) bestätigte das von
Bär Gesehene, ohne etwas wesentlich Neues hinzuzufügen. Coste
und Delpech, welche in neuester Zeit über die erste Entwickelung
der Thiere geschrieben haben, lieſsen sich zwar durch ungenü-
gende Theoreme zu manchen Irrthümern verleiten, haben jedoch
das entschiedene Verdienst, die vollkommene Analogie des Säuge-
thiereies mit dem Vogeleie bestimmt ausgesprochen zu haben.
Wiewohl sie über das Keimbläschen, wie wir weiter unten noch
ausführlich zeigen werden, ganz falsche Begriffe haben, so behaup-
ten sie doch in dem unbefruchteten Eie des Kaninchens an der
Oberfläche des Dotters und in der Dicke der Keimhaut selbst ein
kleines Bläschen von solcher Dünne und Durchsichtigkeit ent-
deckt zu haben, daſs es einem Seifenbläschen völlig ähnlich sah
(Froriep’s Notizen Novemb. 1833. No. 830. S. 243.). Dieses sey
das wahre in dem Eie des Kaninchens enthaltene Keimbläschen.
Dieses merkwürdige Resultat bewog mich selbst, von Neuem über
das schon gekannte Ei des Folliculus Untersuchungen anzustel-
len. Ich war so glücklich, das Keimbläschen in allen Säugethie-
ren aufzufinden und mich über die Verhältnisse desselben so-
wohl zu dem Eichen als dem Folliculus der Säugethiere vollstän-
dig zu belehren. Meine hierüber gemachten Erfahrungen nebst
den dazu gehörenden Abbildungen sind in der Schrift von Bern-
hardt symbolae ad ovi mammalium historiam ante praegnatio-
nem. Wratisl
. 1834. 4. enthalten. Eine kurze Auseinandersetzung
des hierher Gehörenden dürfte an der rechten Stelle seyn, beson-
ders da ich nur nach eigenen, möglichst vorurtheilsfreien Erfah-
rungen berichte.


In dem Eierstocke jeden Säugethieres finden sich eine grö-
ſsere oder geringere Menge runder heller Bläschen, die sogenann-
ten Folliculi Graafiani, deren gröſster Theil gegen die Oberfläche
des Organes hin gelagert ist. Ihre Gröſse ist sowohl in den ver-
schiedenen Thieren, als in demselben Eierstocke desselben Thieres
sehr verschieden, da die älteren bald nur 4—5 Mal, wie in Ka-
ninchen, Hunden, Katzen, bald 8—10 Mal wie in dem Menschen,
bald 10—20 Mal wie in den Wiederkäuern, bald 30—50 Mal
[15]Ei der Säugethiere.
und noch mehr wie in dem Schweine gröſser sind, als die jün-
geren, abgesehen davon, daſs die durch die Befruchtung auf-
geregten noch an Volumen zunehmen. Sie werden, wenn sie der
Oberfläche dicht anliegen, von dem Bauchfelle allein, wenn aber
nicht, von diesem und dem faserigen Gewebe des Eierstockes ein-
geschlossen und dicht von einem Blutgefäſsnetze, das eine kör-
nigte Membran zwischen sich hat, umgeben. Sie selbst sind über-
all geschlossen, ohne Spur von Fortsätzen, aber genau mit der
Substanz des Eierstockes verbunden, so daſs es meist nicht ganz
leicht wird, den Folliculus frei, ohne Zerreiſsung von allen Sei-
ten heraus zu präpariren. Der Folliculus selbst aber besteht in
jedem Säugethiere und dem Menschen aus folgenden Theilen:


1. Der äuſseren Haut. Sie ist sehr zart und innig mit den
umschlieſsenden Lagen, welche dem Eierstocke noch angehören,
verbunden, so daſs sie nur durch Hilfe der Maceration, wie auch
v. Bär (l. c. p. 16.) schon gefunden hatte, in bedeutenderer Con-
tinuität getrennt dargestellt werden kann. An ihrer Innenfläche
liegt eine Schicht ziemlich dichter kleiner Körner, welche viel-
leicht eine eigene Haut ausmachen; doch ist dieses hier noch
schwerer zu bestimmen, als an der Innenfläche der Dotterhaut
des Vogels. Einen Unterschied der Dicke jener äuſseren, umhül-
lenden Membran an irgend einer Stelle des Folliculus ist nicht
wahrzunehmen; denn die scheinbar gröſsere Dünne gegen die
nach der Bauchhöhle hingekehrte Oberfläche hängt von dem Ue-
berzuge des Eierstockes, nicht von der Membran des Folliculus
selbst ab. In kleineren Folliculis aber ist sie verhältniſsmäſsig be-
deutend stärker als in gröſseren.


2. Der flüssige Inhalt des Folliculus Graafianus ist eine mit
sehr vielen kleinen Körnchen versehene Masse, welche von sehr
fluider Consistenz und graulich oder sehr schwach gelblich weiſs
aussehend ist. Er füllt immer im frischen Zustande genau die
Höhlung des Folliculus aus, so daſs dieser überall eine pralle, runde
Form hat und scheint sich seiner Natur nach dem Eiweiſse zu
nähern, da er, wie v. Bär (l. c. p. 17.) bemerkt, durch höhere
Temperatur oder Einwirkung des Weingeistes zu einer weiſsen,
albuminösen Masse gerinnt. Die Flüssigkeit ist nicht überall
gleichmäſsig, sondern die Körnchen sind an manchen Stellen, be-
sonders gegen die Peripherie hin dichter zusammengehäuft, so
daſs man, vorzüglich in den zwischen zwei Glasplatten sanft ge-
[16]I. Das unbefruchtete, im Eierstocke enthaltene Ei.
preſsten Folliculis, dunkele mehr oder minder verbreitete Inseln
sieht. Bei dem Kaninchen und zum Theil auch der Katze, dem
Schweine sind diese Inseln von bestimmt runder Form und lie-
gen in ziemlich regelmäſsigen Zwischenräumen, so daſs das Ganze
hierdurch eine Art von chagrinirtem Ansehen erhält oder unter
stärkeren Vergröſserungen den merenchymatischen Zellen der
Pflanzen entfernt ähnlich sieht. Diese Erscheinung hat aber in
Folgendem seinen Grund. Es finden sich nämlich, wie v. Bär (l.
c. p. 16.) angiebt, bei allen Säugethieren in dem Inhalte des
Folliculus Oeltropfen, welche wir selbst besonders deutlich in der
Kuh, der Katze und dem Kaninchen wahrzunehmen Gelegenheit
hatten. Bei dem Letzteren nun ist die Zahl dieser hellen voll-
kommen durchsichtigen structurlosen Tropfen sehr bedeutend.
Jeder von ihnen aber wird in seiner Peripherie von einer Menge
dicht aneinander liegender Körnchen des Folliculus umgeben, so
daſs, da diese peripherischen Anhäufungen aneinanderstoſsen, man
entfernt an das Zellgewebe der Pflanzen erinnert wird. Jede
solche Körnchenanhäufung erscheint bei unverletztem Folliculus
als eine dunkele, beinahe schwarze Insel. — In den älteren Folli-
culis, deren Inhalt sich natürlich in gröſserer Quantität vorfindet,
hat sich die Flüssigkeit in bedeutenderem Grade, als der Körn-
chengehalt vermehrt. Die Farbe ist eher etwas heller, als
dunkeler.


3. Die Scheibe. Mit dieser Benennung bezeichnen wir den-
jenigen Theil des Folliculus, welchen von Bär, der das Eichen
für ein Analogon des Keimbläschens der Vögel hält, discus pro-
ligerus
und cumulus nennt (l. c. p. 17.). Es ist dieses nämlich eine
mehr oder minder kreisrunde Scheibe, welche das Eichen rings-
um umgiebt. Ihre Gröſse correspondirt so ziemlich der des Ei-
chens, welches auf oder in ihrer Mitte ruht. Ihr Gefüge besteht
aus einer Menge nahe an einander liegender Körner, welche mehr
oder minder durchsichtig sind und dem Ganzen ein mehr oder
minder graulich weiſses oder gelblich graues Ansehen verleihen.
Ihre Dicke und Undurchsichtigkeit ist verschieden. Bei der
Katze und dem Hunde ist sie so bedeutend, daſs die Scheibe
schon als ein graulich weiſser Fleck in den Folliculis innerhalb
des Eierstockes gesehen werden kann. Bei dem Kaninchen ist
dieses einem in der Nähe scharf sehenden Auge ebenfalls möglich,
nicht aber bei den Wiederkäuern, dem Schweine und dem Men-
schen,
[17]Ei der Säugethiere.
schen, wo die Scheibe nur unter dem Vergröſserungsglase wahr-
genommen wird. Ob sie mit irgend einem Theile des Folliculus
continuirlich und membranartig zusammenhänge oder nicht, läſst
sich bei den meisten Thieren mit Gewiſsheit nicht entscheiden,
da einerseits die Wand des Foll[i]culus zu dick und undurchsich-
tig, anderseits nach dem Aufschlitzen desselben die Scheibe, ohne
Zusammenhang mit irgend einem anderen Theile des Folliculus
auſser dem Eichen, frei in der Flüssigkeit herumschwimmt. Nur
bei dem Kaninchen zeigt es sich deutlich, daſs sie von den oben
beschriebenen Inseln rings herum umgeben wird, und selbst nach
Entfernung derselben aus dem Folliculus bleibt oft ein mehr oder
minder breiter Ring um die Scheibe, welcher aus durchsich-
tigen, mit Körnermasse umgebenen Kügelchen besteht. Es erhellt
daher, daſs die Scheibe, so wie man sie auſserhalb des Follicu-
lus unter dem Microscope sieht, ein zerrissenes und durch die
Behandlung verletztes Gebilde sey. — Der Körncheninhalt des Fol-
liculus liegt wahrscheinlich der Innenfläche der äuſseren Haut
desselben mehr oder minder dicht an und verdickt sich nur in
der Circumferenz des Eichens zur Scheibe. Daher hat diese letz-
tere für sich nie eine bestimmt runde, äuſsere Peripherie, wie es
nothwendig der Fall seyn müſste, wenn sie ein für sich bestehen-
der, isolirter Theil des Folliculus wäre.


4. Der wichtigste Theil des Folliculus ist das Eichen. Es
liegt als ein vollkommen sphärischer, kleiner Körper in der Mitte
der Scheibe, mehr oder minder tief eingesenkt, dicht unter der
Oberfläche der eigenthümlichen Haut des Folliculus. Mit seiner
nach auſsen gerichteten Oberfläche berührt es in der Regel die
Innenfläche der Membran des Folliculus, ohne jedoch mit ihr or-
ganisch verwachsen zu seyn. Unter seiner Unterfläche aber geht
die Scheibe fort, während es in dem Umkreise freier zu seyn
scheint, da die Vertiefung, welche die Scheibe für das Eichen
bildet, gröſser ist, als dieses selbst, und daher zwischen ihm und
der flächenartigen Ausbreitung der Scheibe ein circulärer Raum
entsteht, welcher wahrscheinlich von einer durchsichtigen Flüssig-
keit ausgefüllt ist. Nirgend sieht man die Spur eines Fortsatzes,
durch welche das Eichen an irgend einem Theile befestigt oder
aufgehängt wäre. An der Innenfläche der Membran des Follicu-
lus liegt es auch nur lose an, während es auf eine dichtere oder
innigere Weise mit der Scheibe wahrscheinlich durch die zähe,
2
[18]I. Das unbefruchtete, im Eierstocke enthaltene Ei.
den Raum zwischen beiden ausfüllende, helle Flüssigkeit verbun-
den ist; denn nie habe ich das Eichen ohne mehr oder minder
deutliche Spuren der Scheibe wahrnehmen können. Nur ist sie
um so schmäler, zarter und durchsichtiger, je jünger der Follicu-
lus. Merkwürdig ist es, daſs das Eichen durchaus nicht in glei-
chem Maaſse mit dem Folliculus wächst. In kleinen Folliculis ist es,
gleich dem Keimbläschen in dem Eie des Vogels, verhältniſsmäſsig
sehr groſs, während es in älteren relativ um vieles kleiner, absolut da-
gegen bedeutend gröſser gefunden wird. Die Belege hierzu geben
die weiter unten gelieferten micrometrischen Messungen. Ueberhaupt
werden wir auf diesen Punkt noch ein Mal zurückkommen.


Um die genauere Structur des Eichens selbst kennen zu ler-
nen, muſs man dasselbe mit der Scheibe von dem übrigen Inhalte
des Folliculus möglichst trennen und zwischen zwei Glasplatten
unter dem Compressorium leise zusammendrücken. Zu diesem
Verfahren ist aber vor Allem Geduld, Ruhe und einige manuelle
Fertigkeit nöthig, da das Eichen selbst sehr leicht, und noch leich-
ter das in ihm enthaltene, sehr zarte Keimbläschen platzt. Um
dieses in dem Eie der Säugethiere aufzufinden, hatten sowohl
Purkinje, als ich schon viele vergebliche Versuche gemacht, die
aber deshalb unglücklich ausfielen, weil wir sie an Eiern derje-
nigen Thiere, nämlich der Wiederkäuer und des Schweines, an-
stellten, bei denen das Keimbläschen überaus zart und nur dann
mit Bestimmtheit zu erkennen ist, wenn man es in anderen Säu-
gethiereiern schon gesehen hat. In neuester Zeit, wo ich, aufge-
regt durch Coste’s Angaben, dieses Feld von Untersuchungen wie-
derum vornahm, entdeckte ich zuerst das Keimbläschen in dem
Eichen der Katze, wo es stark und ziemlich fest ist. Daher ich
auch Jedem, welcher sich von der Existenz dieses wichtigen Ge-
bildes bei Säugethieren überzeugen will, rathe, die Katze zuerst
vorzunehmen. Seit dieser Zeit ist es mir fast nie miſsglückt,
das Keimbläschen aus den Eiern aller Säugethiere, die ich unter-
suchte, darzustellen, z. B. des Hundes, des Kaninchens, des Eich-
hörnchens, des Schaafes, der Kuh, des Maulwurfes, der Ratte u.
dgl. Auch kann ich Purkinje als Auctorität hier anführen, der es
bei allen genannten Thieren ebenfalls gesehen hat. Es ist also
als Erfahrungssatz fest begründet, daſs auch das in dem Follicu-
lus Graafianus
enthaltene Eichen der Säugethiere im Eierstocke
sein Keimbläschen habe, welches ganz unter denselben Verhält-
[19]Ei der Säugethiere.
nissen in ihm enthalten ist, als das Keimbläschen in den Eiern
der übrigen Thiere, insbesondere des Vogels. Die Abbildung des-
selben s. in Bernhardt’s oben angeführter Dissertation. tab. I. Fig.
I—IV. VII. X. XVI. XIX.


Nur bei dem Menschen gelingt es äuſserer Verhältnisse hal-
ber sehr selten, dasselbe wahrzunehmen. Da in der Regel
die menschlichen Leichen, ehe sie zu Untersuchungen vorge-
nommen werden, einen Tag und länger gelegen haben, so hat
während dieser Zeit innerhalb des Folliculus schon der erste An-
fang der Fäulniſs und der Maceration [begonnen]. Man erkennt
dieses auch leicht an dem Eichen. Sein Inhalt ist in der Regel
trübe, ohne regelmäſsige Anordnung; keine Spur des Keimbläs-
chens kann mehr wahrgenommen werden und selbst die äuſsere
Peripherie des Eichens erscheint doppelt, indem auſser dem den
Körncheninhalt umgebenden Kreise noch ein sehr zarter gröſserer
Kreis um diesen sichtbar ist. So müssen wir offen bekennen, daſs es
uns unter sehr vielen Untersuchungen nur zwei Mal geglückt ist, das
Keimbläschen des Menschen mit aller Bestimmtheit zu beobachten.


An dem Eichen der Säugethiere selbst lassen sich folgende
vier Theile unterscheiden: 1. Eine äuſsere Haut, 2. eine unter
derselben liegende Körnerlage, 3. ein vollkommen durchsichtiger,
halbflüssiger Inhalt und 4. das Keimbläschen. Wir wollen nun
das Wichtigste, was über diese Theile anzumerken ist, der Reihe
nach durchgehen.


1. Die Membran des Eichens. Sie ist immer einfach, zeigt
im frischen Zustande nie eine Spur von Trennung in mehrere
Lamellen, hat keine Körnchen und läſst keine Faserung irgend
einer Art in sich wahrnehmen. Ihre Durchsichtigkeit scheint
durch eine ins Gelbliche leicht spielende Färbung etwas einzubü-
ſsen. Ihre Dicke fand ich stets an allen Theilen des Umkreises
gleich. In dem Eichhörnchen z. B. betrug sie überall 0,000455.
Durch Pressen des Eichens zwischen zwei Glasplatten wird diese
Haut als ein mehr oder minder breiter, das Ei umgebender Ring
sichtbar. Wird jedoch der Druck weiter fortgesetzt, so platzt
die Membran und das Contentum flieſst sogleich heraus. Bei den
Nagern geschieht dieses immer später, als bei den Wiederkäuern,
dem Schweine und dem Menschen. Hat sich aber dieses ereignet,
so ist die durchsichtige Membran nur an dem Schattenkreise, den
sie wirft, oder bei gedämpftem Lichte zu erkennen.


2*
[20]I, Das unbefruchtete, im Eierstocke enthaltene Ei.

2. Unter der äuſseren Membran des Eies befindet sich eine
Lage bestimmt [runder], sehr kleiner Körner, welche das Ei voll-
kommen, mit Ausnahme der Region des Keimbläschens, ausfüllt.
Meist sind sie in der Peripherie des Letzteren sparsamer oder
fehlen ganz. Nie finden sie sich aber da, wo das Keimbläschen
an der Innenfläche der Membran des Eies anliegt. Nur in äuſserst
seltnen Fällen habe ich die Körnchen von gleicher Gröſse gese-
hen. Am meisten verhältniſsmäſsig traf sich dieses noch bei dem
Kaninchen, Eichhörnchen, dem Schweine und dem Menschen.
Aber selbst bei diesen sieht man sie häufig genug in demselben
Eichen bald so klein, daſs sie sich kaum von den Brownschen
[Molekülen] unterscheiden, bald um 10 mal und mehr gröſser, als
diese. So hatten z. B. in dem Eichen der Katze die gröſsten
Körnchen einen Durchmesser von 0,000202 P. Z., kleinere dage-
gen schon einen Diameter von 0,000076 P. Z., während die
kleinsten von einer nicht mehr meſsbaren Gröſse waren. — Eine
andere wichtige Frage ist aber die, ob diese Körnerlage eine ei-
genthümliche Membran bilde oder nicht. Bei der Kleinheit des
Gegenstandes und einer so überaus groſsen Zartheit der ihn con-
stituirenden Theile muſs jede Antwort hier nur behutsam gegeben
werden. Nie ist es uns freilich gelungen, einzelne Stücke einer
solchen Körnerhaut darzustellen. Allein die Bestimmtheit, mit
welcher sie immer dicht an der Peripherie liegen, während sie
nie in dem inneren flüssigen Inhalte gefunden werden, die mehr
oder minder definite Grenze, welche sie in der Gegend der An-
heftungsstelle des Keimbläschens finden, läſst sich wohl mit der
Annahme vereinigen, daſs ein dichterer Stoff als der bald zu be-
schreibende flüssige Inhalt die Körner verbinde und auf diese
Weise eine sehr zarte und weiche Membran bilde. Wenn
aber Coste in diesen Körnern einerseits das eben Gesagte, an-
derseits Aehnlichkeit mit den ausgebildeten Dotterkugeln des
Vogels findet, so kann sich die Analogie wohl nur auf die circuläre
Form und die vollkommene Durchsichtigkeit beziehen. In allen
übrigen Eigenschaften weichen sie von einander ab.


3. In dem Centrum des Eichens, also gröſstentheils in der
eben betrachteten Körnerlage eingeschlossen, liegt ein vollkommen
durchsichtiger, wasserheller, halbflüssiger und zäher Stoff, welcher
nach Zerreiſsung der Membran des Eichens zum Theil langsamer,
als die Körnerschicht herausflieſst. Er scheint durch Maceration
[21]Ei der Säugethiere.
von seiner Zähigkeit zu verlieren und überhaupt leicht flüssiger
zu werden.


4. Das Keimbläschen liegt immer dicht unter der Oberfläche
der Membran des Eichens und wird meistens von der Körnerlage
zum Theil umfaſst. Ueber seine Existenz kann kein Zweifel mehr
seyn, da ich es theils allein, theils in Gemeinschaft mit Purkinje,
Bernhardt u. A. wohl mehr als 60 mal an den Eichen der ver-
schiedensten Säugethiere beobachtet; ja, einige Exemplare von
Wiederkäuern ausgenommen, in keinem bisjetzt untersuchten Ei-
chen vergeblieh gesucht habe. Seine Auffindung ist aber nicht
so ganz leicht. Daſs es nur durch Compression des Eichens sicht-
bar gemacht werden könne, haben wir schon oben bemerkt.
Allein man muſs es lernen, das richtige Maaſs zu beobachten;
denn ist der Druck zu schwach, so sieht man nichts, wenig-
stens das Bläschen nicht mit Bestimmtheit; drückt man aber zu
stark, so platzt das äuſserst zarte Keimbläschen, noch ehe die
Continuität der äuſseren Membran des Eies gestört ist, gerade so
wie in kleineren Eiern der Vögel das Keimbläschen in der Regel
früher platzt, als die Dotterhaut reiſst. Nur äuſserst selten findet
in dem Eichen der Säugethiere das Gegentheil Statt, daſs das
Keimbläschen frei und unverletzt aus dem zerrissenen Ovulum
hervortritt. Ich habe diese Erscheinung bis jetzt nur dreimal zu
sehen Gelegenheit gehabt und auch in Bernhardt’s oben angeführ-
ter Dissertation gezeichnet. Denjenigen, welchen es möglich ist,
empfehle ich auſserdem noch den Gebrauch aplanatischer Ocu-
lare. Mit diesen Hilfsmitteln ausgerüstet dürfte bei einiger Ge-
schicklichkeit und Uebung in Untersuchungen der Art das Keim-
bläschen kaum entgehen können. — Es ist, ganz wie in dem Vo-
geleie, ein vollkommen durchsichtiges Bläschen von kugelrunder
oder schwach länglich runder Form, und besteht aus einer
vollkommen durchsichtigen, homogenen Membran, und einem eben
so durchsichtigen, durchaus körner- und farblosen Inhalte, der zwar
selbst von zäher Consistenz, aber lange nicht so zähe, als die in
dem Centrum des Eichens enthaltene, durchsichtige Flüssigkeit ist.
Gelingt es in seltenen Fällen, das Keimbläschen auſserhalb der
Höhle des Eichens zu isoliren, so kann man es durch weitere
Pressung sprengen und so Hülle und Contentum auch hier von
einander sondern. — Die relative Gröſse des Keimbläschens bleibt
immer, wie es scheint, fast dieselbe. Die absolute dagegen rich-
[22]I. Das unbefruchtete, im Eierstocke enthaltene Ei.
tet sich nach der absoluten Gröſse des Eichens. So fand ich es
bei Kaninchen, wo die Eichen verhältniſsmäſsig kleiner sind, als
bei den Raubthieren, auf entsprechende Weise auch kleiner.


Was nun aber die Gröſsenverhältnisse der Theile des Folli-
culus und des Eichens in den Säugethieren und dem Menschen
betrifft, so habe ich folgende, mit einem feinen Schraubenmicro-
meter angestellte Messungen ausgewählt, um zu sicheren Resulta-
ten über diesen wichtigen Gegenstand zu gelaugen:


Tabellarische Uebersicht der von mir angestellten
micrometrischen Messungen der Theile des Folliculus
und des Eichens in verschiedenen [Säugethieren] und
dem Menschen
.


(Das Maaſs ist nach Pariser Zollen bestimmt.)


Durchmesser des Keimbläschens. Eichens.


I. Vespertilio murinus.


Der Durchmesser des Keimbläschens des in No. 2 befindli-
chen Eichens betrug: 0,001821.


II. Hund.


Der Durchmesser der das Eichen No. 1. umgebenden hellen Flüs-
sigkeit, die es von der Scheibe trennt, betrug: 0,008096.


III. Eichhörnchen.


Der Durchmesser der Membran des Eichens in No. 1. betrug:
0,000450.


Der Durchmesser des Keimbläschens desselben Eichens be-
trug: 0,001133.


Durchmesser des Folliculus. des Ovulum.


IV. Maulwurf.


[23]Ei der Säugethiere.

IV. Maulwurf.


Bei einem Durchmesser des Eichens von 0,004650 betrug das
Keimbläschen 0,001012. — Bei einem Durchmesser des Eichens
0,005060 betrug der des Keimbläschens 0,001568 P. Z.


V. Kaninchen.


VI. Schwein.


Hier betrug bei einem Durchmesser des Eichens von 0,005060
der des Keimbläschens 0,003340.


VII. Kuh.


Bei einem Eichen von 0,004857 Durchmesser betrug der Dia-
meter des Keimbläschens 0,002125.


VIII. Schaaf.


Bei einem Eichen von 0,006274 war der Durchmesser des
Keimbläschens 0,003945.


IX. Katze.


Der Durchmesser des Eichens 0,004857 bis 0,004350.


Der halbe Durchmesser der Scheibe, welche das Eichen um-
giebt, im Mittel 0,003946.


Der Durchmesser der in dieser Scheibe enthaltenen Kügel[-]
chen 0,000202 bis 0,000076.


Durchmesser des Keimbläschens 0,001520 bis 0,001416.


[24]I. Das unbefruchtete, im Eierstocke enthaltene Ei.

X. Mensch.


Bei einem Durchmesser der Scheibe von 0,005566 betrug
der des Eichens 0,002934 und der des darin enthaltenen Keim-
bläschens 0,001820.


Bei einem anderen Eichen von 0,003137 Diameter betrug
der des Keimbläschens 0,001922.


Aus diesen Messungen lassen sich folgende Resultate mit Be-
stimmtheit entnehmen:


1. Wie es schon der bloſse äuſsere Anblick lehrt, ist die
absolute Gröſse des Folliculi weit gröſseren Variationen unterwor-
fen, als die der Eichen.


2. Das Eichen ist im Verhältniſs zu dem Folliculus um so
gröſser, je jünger und kleiner derselbe ist.


3. Das Keimbläschen befolgt in den Säugethieren und dem
Menschen nicht dieselben Gröſsenverhältnisse, wie in dem Vogel,
wo es sich zur Dotterkugel in dieser Beziehung eben so verhält,
wie das Säugethiereichen zu seinem Folliculus. Es scheint viel-
mehr, wie wir dieses bei den Embryona[l]theilen noch häufig zu
sehen Gelegenheit haben werden, in einer gewissen bestimmten
Gröſse angelegt zu seyn und im Ganzen nur wenig nach seinen
Altersverhältnissen zu variiren.


4. Die Gröſse der in dem Eie der Säugethiere enthaltenen
Kugeln differirt um sehr vieles von der der Dotterkugeln des
Vogels, nähert sich aber mehr oder minder den kleinen, zwischen
den groſsen Dotterkugeln befindlichen Körperchen.


Mehrere andere, das Speciellere betreffende Resultate der obi-
gen Messungen s. in Bernhardt’s oben angeführter Dissertation
Cap. VI. p. 30—32.


Nachdem wir nun auf diese Weise ohne alle Nebenbemer-
kung, ohne alle Tendenz der Analogisirung die bloſs von Ande-
ren und uns gesehenen und aufgefundenen Facta beschrieben ha-
ben, müssen wir es zunächst übernehmen, die Bedeutung der ge-
nannten Theile festzusetzen. Diese würde sich mit aller Bestimmt-
heit aussprechen lassen, wenn man eine genügende und vollstän-
dige Analyse der Eichen besäſse, die bald nach ihrem Austritte
aus dem Ovarium in dem Anfange der Tuben gefunden wurden.
So lange uns aber eine solche mangelt, müssen noch manche,
bald zu erwähnende Lücken nothwendig übrig bleiben. Doch
vermag schon die genaueste Kenntniſs der in den Folliculis ent-
[25]Ei der Säugethiere.
haltenen Eichen und der Theile derselben einen nicht ganz geringen
Grad von Sicherheit in diesem Gebiete zu verschaffen.


K. E. v. Bär wurde, wie wir wohl ohne Anmaſsung behaup-
ten können, bei seinen Deutungen dadurch verwirrt, daſs er das
wahre in dem Eichen der Säugethiere enthaltene Keimbläschen
nicht kannte, dieses daher mit dem Eichen selbstidentificirte und die
das Eichen umgebende, in dem Folliculus enthaltene Scheibe für
die Keimanlage hielt. Man sieht es aber seinen Arbeiten nur zu sehr
an, wie wenig er sich heraus zu finden vermochte. Denn obgleich
er mehrere Annahmen als möglich setzt, so vermag er doch keine
einzige mit Bestimmtheit durchzuführen, und ist daher nicht
im Stande, die Cardinalfrage, ob das Ei der Säugethiere dem des
Vogels vor der Befruchtung analog sey oder nicht, genügend zu
beantworten. Wenn wir es nun versuchen, nach unserer voll-
ständigeren Erfahrung über diesen Punkt Auskunft zu geben, so
dürfte es am zweckmäſsigsten seyn, den Vergleich zwischen bei-
den Thierklassen so sorgfältig als möglich zu verfolgen.


Das ausgebildete Ei des Vogels stimmt nur in wenigen Punk-
ten mit dem ausgebildeten Eichen der Säugethiere überein, diffe-
rirt dagegen in den meisten Stücken:


1. Die äuſsere umschlieſsende Membran oder die Dotterhaut
ist bei beiden ohne alle wahrnehmbare innere Structur, höchstens
in dem Vogel mit verwirrten, unregelmäſsig gelagerten selte-
nen und schwer sichtbaren Fasern versehen. Nirgend wird sie
auf organische Weise durch einen besonderen Fortsatz u. dgl. mit
den Nachbartheilen verbunden, sondern bildet eine in sich voll-
kommen geschlossene, begrenzte Kugel.


2. Der gröſste Theil des Inhaltes des unbefruchteten Eies
oder der Dotter des Vogels besteht aus drei verschiedenen Thei-
len: a. aus groſsen, ölartigen, gelben oder ge[l]blichen Dotterkugeln,
b. aus sehr kleinen, zwischenden Dotterkugeln eingestreueten Kügel-
chen und c. aus einer durchsichtigen, hellen Flüssigkeit, in welcher
sowohl die Dotterkugeln, als die kleineren Kügelchen sich befin-
den. Von diesen in dem erwachsenen und dem Austritte nahen
Eie des Vogels vorkommenden Theilen finden sich in dem Eie
der Säugethiere und des Menschen folgende Analoga: a. die helle
durchsichtige Flüssigkeit, welche hier eine mehr öligte Consistenz
zu haben scheint. b. Körperchen, welche zum Theil von gleicher
Gröſse, wie die kleineren Körperchen des Vogeldotters, zum Theil
[26]I. Das unbefruchtete, im Eierstocke enthaltene Ei.
etwas gröſser als diese sind. Dagegen fehlt hier jede Spur von
gröſseren, öligten Dotterkugeln.


3. In der Centralhöhle des Dotters der Vögel findet sich
eine eigene halbflüssige Masse. Eine ölartige, vollkommen durch-
sichtige Flüssigkeit kommt auch in dem Centrum des Eichens
der Säugethiere [auf] gleiche Weise vor. Nur ist die Central-
höhle in diesem bei Weitem nicht so bestimmt begrenzt, ja, wie
es scheint, überhaupt nicht sicher begrenzt und von der körnigten
Masse geschieden.


4. Das Keimbläschen findet sich sowohl in dem Eie der
Vögel, als in dem der Säugethiere als ein helles durchsichtiges,
überaus zartes Bläschen, welches aus einer structurlosen, äuſse-
ren Haut und einem gleichförmigen, körnerlosen, flüssigen Inhalte
besteht. Allein bei den Vögeln ist es in die Scheibe eingesenkt,
ganz so, wie das Eichen der Säugethiere in die Scheibe des Fol-
liculus eingesenkt ist. In der letzteren dagegen wird ein, im
Ganzen kleiner Theil von dem körnerhaltigen Contentum bedeckt.
Auch ist das Keimbläschen der Vögel im Verhältniſs zu dem Dot-
ter weit kleiner, als das Keimbläschen der Säugethiere im Ver-
hältniſs zu seinem Eichen.


Hierzu kommt noch, daſs das Vogelei nur von den Hüllen und
der Substanz des Eierstockes umschlossen wird, während das Ei-
chen der Säugethiere in dem Folliculus und zwar in dessen Scheibe
eingebettet liegt.


Aus diesem Allen können wir mit Bestimmtheit den Schluſs
ziehen, daſs das Eichen des Säugethieres dem ausgebildeten Eie
des Vogels ganz und gar unähnlich ist. Zu einem fast direct ent-
gegengesetzten Ausspruche aber führt uns die Vergleichung des
ausgebildeten Eies der Säugethiere mit dem frühen oder ersten
Zustande des Vogeleies. Wie wir schon oben zum Theil gesehen
haben, ist das Ei des Vogels in dem ersten Stadium der Entwicke-
lung von graulich weiſser Farbe und besteht aus einer völlig
durchsichtigen, faserlosen Dotterhaut, kleineren Kügelchen ohne
alle Spur wahrer groſser Dotterkugeln und einer vorzüglich in
dem Centrum angehäuften, völlig durchsichtigen, flüssigen Masse,
die zugleich die einzelnen in dem Eie enthaltenen Körperchen
mit einander verbindet. Das Keimbläschen ist im Verhältniſs zu
dem Eichen um Vieles gröſser, als späterhin, während alle Spur
einer Einbettung desselben in die Scheibe, so wie diese überhaupt,
[27]Ei der Säugethiere.
gänzlich mangelt. Paſst diese Beschreibung nicht Wort für Wort
auch auf das Eichen der Säugethiere? Die Gleichheit ergiebt
sich hier ganz und gar von selbst, und wir sprechen daher den
durch sichere Beobachtung constatirten Satz aus:


Das Ei der Säugethiere gleicht vollkommen dem unausge-
bildeten Eie des Vogels, unterscheidet sich aber von die-
sem, sobald die wahren Dotterkugeln in ihm erschienen
sind, wesentlich.


Es versteht sich aber von selbst, daſs hier von vollkomme-
ner Identität nicht die Rede seyn kann, da schon die Verschie-
denheiten der Individualitäten der Säugethiere und Vögel eine
solche unmöglich machen. So variiren z. B. die in dem Eichen
der Säugethiere enthaltenen Körperchen weit mehr, als die in
den frühesten Formen des Vogeleies enthaltenen. Daſs aber die
Natur bei der Bildung der beiden Eiformen die oben bezeichnete
Uridee befolgt habe, leidet keinen Zweifel.


Wenn es sich nun so ergeben hat, daſs das Eichen der Säu-
gethiere gleichsam ein unausgebildetes oder in dem frühesten Sta-
dium der Entwickelung befindliches Vogelei sey, so steht dieses
mit der ganzen Evolution des Säugethieres in vollkommener Ue-
bereinstimmung. Wir werden es in der Folge sehen, daſs und
weshalb der Dotter der Vögel eine so bedeutende, der der Säu-
gethiere eine mehr untergeordnete Rolle spiele. Die so unge-
heure Differenz der Ausbildung desselben Organes in den beiden
verschiedenen Thierklassen findet durch unsere Darstellung seine
erste, sichere, morphologische Begründung, indem wir nachgewie-
sen haben, daſs das Eichen der Säugethiere auf einer Stufe der
Ausbildung stehen bleibt, welche der Dotter des Vogels von
ziemlich früher Zeit an überschreitet und hinter sich läſst.


Dagegen zeigt sich in den Säugethieren und dem Menschen
eine eigenthümliche, in keiner anderen Thierklasse vorkommende
Formation, nämlich die, daſs das wahre Eichen in einem anderen
eiförmigen Körper, dem Folliculus, eingeschlossen ist. Die Func-
tion dieses Theiles ist in der That räthselhaft. Doch könnte
man seine Bedeutung vielleicht darin suchen, daſs bei den Säu-
gethieren die Idee der inneren Brütung so weit ausgedehnt wird,
daſs selbst das Eichen in dem Eierstocke in einer der Mutter an-
gehörenden Bildung besonders eingeschlossen und aufbewahrt
werde. Denn daſs der Folliculus und sein Contentum von sehr
[28]II. Das Ei v. d. Momente s. Lostrennung v. Eierstocke.
bedeutendem Einflusse nach der Conception und dem Austritte
des Eichens aus dem Ovarium sey, läſst sich nach dem, was wir
über die Bildung der gelben Körper anführen werden, kaum er-
warten. Eben so wenig kann die Scheibe, in welcher das Ei-
chen eingesenkt ist, eine so hohe Bedeutung für die Folgezeit
haben. Vgl. unten über die Bildung der Corpora lutea. —


II. Das Ei von dem Momente seiner Lostrennung
von dem Eierstocke bis zu seiner Fixirung in dem
Fruchthälter zur Entwickelung der Frucht.


Die Geschichte des Vogeleies soll uns auch hier zur Basis
dienen, auf die wir das bei den Säugethieren Gefundene beziehen
können. Wir folgen in diesem Punkte wiederum gröſstentheils
den Beobachtungen von Purkinje, welcher am vollständigsten diese
Reihe von Erscheinungen durchforscht hat. Wenn das Ei des
Eierstockes eine bestimmte Gröſse erlangt hat, aber noch aus der
Dotterhaut, dem Dotter, der Scheibe und dem Keimbläschen be-
besteht, so beginnt es sich von dem Ovarium abzulösen, um in
den Eileiter zn gelangen. Hierbei zeigt sich aber eine doppelte
Veränderung: 1) die Haut, welche dem Eierstocke angehört, an
ihrer Innenfläche mit Blutgefäſsen überzogen ist und die äuſsere
Hülle des innerhalb des Ovarium befindlichen Eies ausmacht, reiſst
an einer bestimmten Stelle, um das Ei frei herauszulassen. Diese
Stelle (Purkinje l. c. p. 9.) ist schon bei kleineren Eiern
durch ein verändertes Aussehen charakterisirt. Sie wird nun im-
mer dünner und feiner und so allmählig bald aufgelöst. Der ent-
gegengesetzte Theil des Eies hat sich aber unterdessen bedeutend
verlängert, so daſs das dem [Austritte] nahe Ei am meisten von
dem Eierstocke herabhängt. 2) Das Keimbläschen (l. c. p. 5.)
wird unsichtbar. Es platzt wahrscheinlich und ergieſst seine Flüs-
sigkeit zunächst in die Scheibe. Man sieht es daher nicht mit
Unrecht als ein Analogon des Samens, als eine Art von weibli-
chen Samen, an. Die Scheibe, welche früher da, wo das Keim-
bläschen liegt, einen durchsichtigen Punkt zeigte, hat jetzt an
dieser Stelle einen weiſsen Kern (l. a. p. 15.) Auf diese Weise
vorbereitet tritt nun das Ei in den Eileiter, während die dem Eier-
stocke angehörende, blutgefäſsreiche Hülle an diesem sitzen bleibt.
[29]Ausgang des Eies aus dem Eierstocke.
Es wird aber durch die Contractionen des Eileiters, welcher eine
wahre ausgebildete, muskulöse Structur zu dieser Zeit hat, fort-
getrieben und erhält während dieses Durchganges neue, es um-
hüllende Gebilde, wie das Eiweiſs, die Chalazen, die Eischaa-
lenhaut und die Eischaale. Zuerst gelangt es in den Anfangstheil
des Eileiters (l. c. p. 15.), welcher durch Längenfalten der
Schleimhaut bezeichnet ist. Hier umgiebt eine abgesonderte, sehr
zarte Eiweiſslage dasselbe, welche es vollkommen bedeckt, oben
und unten aber, d. h. da, wo die durch das Ei bewirkte Aus-
dehnung des Eileiters aufhört, einen sehr weichen Knoten dar-
stellt, von dem sich ein Strang fortsetzt, der von den Falten der
Schleimhaut des Oviductus dicht umschlossen wird. Der durch
die peristaltische Bewegung des Eileiters erzeugte Fortgang des
Eies geschieht nun in spiraligem Laufe, und das Eiweiſs, wel-
ches immer unmittelbar an der Stelle abgesondert wird, wo das
Ei liegt, nimmt daher auch diese Spiralrichtung an. Hiervon kann
man sich unmittelbar überzeugen, wenn man ein aus diesen Thei-
len des Oviductes genommenes Ei in kaltes Wasser legt, wo das
erhärtete Eiweiſs in Form spiraliger Blätter erscheint und ab-
gezogen zu werden vermag. Die Fäden an den beiden Enden des
Eies drehen sich nun ebenfalls spiralig um ihre Axe und stellen
so die gewundenen Organe des ausgebildeten Eies dar, welche man
Chalazen nennt (l. c. p. 16). Allein diese zeigen dichtere gewun-
dene Fäden, welche dadurch entstehen, daſs die allererste Eiweiſs-
lage, welche sich um das Ei, sobald es in den Eileiter getreten ist, bildet,
erhärtet und eine membranartige Gestalt annimmt. Diese Membran,
welche die Dotterhaut zunnächst umgiebt und besonders von Du-
trochet genauer berücksichtigt wurde, verdichtet sich immer mehr,
wird der Dotterhaut ähnlicher und stellt so die Fortsetzung der
Chalazenstränge dar. Diese Darstellung der Genese der Chalazen
hat im Ganzen nach eigenen Erfahrungen Berthold (Isis 1829. S.
408.) bestätigt. Wenn nun so das Ei durch den Eileiter bis zu
einer bestimmten Stelle, welche mit dem Namen des Isthmus be-
legt wird, deren Schleimhaut sich auch bestimmt von der des
vorgehenden Theiles des Oviductes unterscheidet und auch auf
der Innenfläche durch eine circuläre Grenzlinie bezeichnet, vor-
geschritten ist, so ist es von einer dicken gleichartigen Eiweiſs-
schicht umgeben und an seinen beiden Enden mit den Chalazen
versehen. In dem Isthmus d. h. in der Abtheilung des Eileiters
[30]II. Das Ei v. d. Momente d. Lostrennung v. Eierstocke.
von der genannten marquirten Stelle bis zu dem Anfange des
sogenannten Uterus wird die Eischaalenhaut rings um das Eiweiſs
gebildet. Da der Isthmus eine verengte Stelle des Eileiters ist,
so wird (l. c. p. 21.) derselbe, sobald das Ei in ihn eintritt, durch
dieses so ausgedehnt, daſs alle Falten der Schleimhaut schwin-
den. Dieses trägt wahrscheinlich, wenigstens zum Theil, mit da-
zu bei, daſs hier nun eine dünnere, aber membranösere Lage, die
Eischaalenhaut, abgesondert wird. Diese findet sich auch nur so-
weit auf dem Eie, als es eben in den Isthmus eingedrungen, wel-
ches mit dem spitzen Ende immer zuerst geschieht. Purkinje,
der zu seinen früheren Versuchen mehr, als 30 Hennen auf-
geopfert hatte, fand nie ein Ei vollkommen in dem Isthmus, son-
dern nur zum Theil in demselben, zum Theil schon aus demsel-
ben herausgetreten. In neuester Zeit waren wir beide so glück-
lich, ein Ei gerade in dem Isthmus zu finden und uns daher über
die Art und Weise der Entstehung der Eischaalenhaut belehren
zu können. In dem oberen Theile des Isthmus entsteht nämlich
die faserige Lage der Eischaalenhaut, welche die Natur gleichsam
zusammenspinnt. Es finden sich isolirte Fäden, von denen jeder
wahrscheinlich das Sekret einer Schleimdrüse des Isthmus ist,
welche immer häufiger und mit einander inniger verbunden sind,
je tiefer die Stelle des Isthmus, in welcher sie liegen. An dem
unteren Theile dagegen findet sich auſser dieser Faserlage noch
eine Lage von Körnern, welche als eigenthümliches Sekret hin-
zukommt. Auſserdem entsteht wahrscheinlich der in dem
Eie sich findende Luftraum in dem Isthmus, und zwar dort, wo
unmittelbar unter der Strictur desselben sich eine Stelle befindet,
in welcher die Falten der Schleimhaut unterbrochen sind (l. c.
p. 21.). Aus dem Isthmus gelangt das Ei in den oberen Theil
des Uterus, wo die Kalkschaale dadurch entsteht, daſs sich zuerst
einzelne, polygone Kalkablagerungen finden, welche sich immer
vermehren, bis sie eine dichte Hülle bilden (l. c. p. 22.). Durch
den unteren Theil des Uterus und die Scheide wird das Ei her-
ausgetrieben oder gelegt. — Nach dieser Darstellung, welche ein-
zig und allein auf Beobachtungen beruht, nimmt die Mündung
des Trichters das Ei auf. Das erste Viertel des Eileiters sondert
die Membrana Dutrochetii und die ersten Rudimente der Cha-
lazen ab, der übrige Theil bis zu dem Isthmus das Eiweiſs, der
obere Theil des Isthmus die faserige, der untere die körnige Lage
[31]Ausgang des Eies aus dem Eierstocke.
der Eischaalenhaut, der gröſste Theil des Uterus endlich die Ei-
schaale, während die Scheide zur Expulsion des Eies bestimmt
ist. Das auf diese Weise geborene Vogelei besteht, wenn es
frisch und normal ist, aus folgenden Theilen: 1. der Eischaale,
2. der Eischaalenhaut oder Schaalenhaut, 3. dem Eiweiſse. Man
hat drei Abtheilungen in dem Eiweiſse unterschieden und zwar
a. eine dünne flüssige Schicht unmittelbar unter der Schaalenhaut,
b. eine dickere zähere Schicht zwischen der dünneren Schicht
und der Dotteroberfläche und c. einen noch dichteren Theil in
der Nähe und um die Chalazen. Was diesen Letzteren betrifft,
so dürfte er kaum als eigenthümlich anzunehmen seyn. Die er-
stere dagegen entsteht erst nach der Bildung der Schaale und
formirt sich durch [Verflüssigung] der äuſseren Schicht des sonst
gleich zähen Eiweiſses (Purkinje l. c. p. 20.). 4. Den Chalazen,
5. der Dotterhaut, 6. dem Dotter, 7. der in dem Centrum dessel-
ben enthaltenen Masse und 8. der Scheibe, Keimanlage, Keimhaut
(bei dem Beginne der Brütung) oder nach älterer Benennung dem
Hahnentritte. Dieser besteht jedoch, wie es sich in der Folge
deutlich erweiset, aus zwei Körnchenlagen, der oberen, der wah-
ren Keimhaut und einer unteren, welche auf dem Dotter sitzen
bleibt, von untergeordneter Bedeutung zu seyn scheint und bald
wahrscheinlich resorbirt wird.


Wenn wir nun zu der Periode des Eilebens der Säugethiere
übergehen, welche der eben abgehandelten in dem Vogeleie zum
Theil oder gänzlich entspricht, so halten wir es für zweckmäſsi-
ger, da man hier zur Zeit nur aus vereinzelten und gröſstentheils
unvollständigen Erfahrungen Schlüsse ziehen kann, zuvörderst die
hierher gehörenden Beobachtungen historisch nach ihren speciellen
Momenten anzuführen und dann erst das aus ihnen sowohl, als
der Analogie der übrigen Thiere, besonders des Vogels sich Er-
gebende auseinander zu setzen. In das hier zu betrachtende Ge-
biet gehören aber die Bemühungen derjenigen Naturforscher,
welche die ersten Folgen der Conception und die befruchteten Eier in
den frühen Zuständen kennen lernen wollten, wo sie entweder in
dem Austritte aus dem Eierstocke oder in ihrem Durchgange
durch die Tuben begriffen oder zwar schon in der Gebärmutter
angelangt, dort aber nicht fixirt und mit der Innenfläche des
Fruchthälters in genaue Berührung getreten sind. Die hierher
zu rechnenden Schriftsteller sind folgende:


[32]II. Das Ei v. d. Momente d. Lostrennung v. Eierstocke.

1. Regner de Graaf hat über die ersten Folgen der Concep-
tion eine Reihe von Versuchen angestellt, welche von wenigen
Nachfolgern erreicht und von keinem, man kann wohl sagen, über-
troffen worden sind. (Opera omnia. L. B. 1677. 8. p. 396—
411.). Die Resultate seiner Erfahrungen sind kürzlich folgende:
a. Eine halbe Stunde nach der Begattung hatten sich die Eichen
im Eierstocke noch nicht verändert, höchstens nur etwas an
Durchsichtigkeit verloren. In den Hörnern des Fruchthälters war
keine Spur von Saamen wahrzunehmen. Dagegen waren sie et-
was mehr, als in dem unbefruchteten Zustande, geröthet. b. Nach
sechs Stunden waren die Folliculi röther und enthielten eine
zähe, durchsichtige Flüssigkeit. Von dem Saamen war aber in
den Hörnen keine Spur zu entdecken. c. Nach 24 Stunden wa-
ren in dem einen Eierstocke drei, in dem anderen fünf Folliculi
dunkel, undurchsichtig und schwach röthlich gefärbt. An ihrer
Oberfläche ragte wie eine kleine Warze hervor. Aufgeschnitten
zeigten sie eine geringe Quantität einer durchsichtigen Flüssig-
keit und in der Peripherie eine dicke, röthliche Masse. d. Nach
27 Stunden umfaſste jedes trichterförmige Ende der Tuben den
Eierstock. Aehnliche Wärzchen, wie in dem vorigen Eie, rag-
ten mitten auf der Oberfläche der Folliculi hervor. Bei dem
Zerdrücken dieser letzteren entleerte sich zuerst eine durchsich-
tige und dann eine röthliche, dichtere Flüssigkeit. Eier fanden
sich nicht in den Hörnern, aber diese letzteren waren sehr blut-
reich und ihre Schleimhaut sehr aufgelockert. e. Nach 48 Stun-
den ragten die Wärzchen auf den Folliculis noch mehr hervor
und durch sie entleerten sich bei dem Drucke eine mäſsige Quan-
tität einer eiweiſsartigen Flüssigkeit. Die übrige röthliche Sub-
stanz der Folliculi aber war jetzt schon dicker geworden und
ging daher nicht mehr so leicht als früher durch die Oeffnung
hinaus. f. Nach 52 Stunden fand sich in den Folliculis eine drü-
sigte Masse, in deren Mitte eine Höhlung ohne Flüssigkeit ent-
halten war. Eichen dagegen fand G. weder hier noch in den
Tuben (hat sie jedoch hier ohne Zweifel übersehen). g. Nach
72 Stunden umfaſste der Trichter die Eierstöcke ringsherum sehr
genau. Die auf den Folliculis befindlichen Wärzchen hatten in
der Mitte ein kleines Loch und enthielten in dem Innern eine
leere Höhlung. Die äuſserst kleinen, aus den Folliculis herausge-
tretenen Eichen fanden sich nun in den Tuben und bestanden
aus
[33]Ausgang des Eies aus dem Eierstocke.
aus zwei in einander eingeschlossenen, kugelförmigen Membranen,
nach deren Zerreiſsung eine äuſserst durchsichtige Flüssigkeit her-
vortrat. h. Nach vier Tagen fanden sich die Eichen in den Tu-
ben noch weiter vorgerückt und jedes enthielt noch deutlicher
ein in ihnen eingeschlossenes Bläschen. i. In fünftägigen Eiern
war diese innere, blasenförmige Haut noch mehr kenntlich. k. Nach
sechs bis sieben Tagen hatten die Eichen sehr bedeutend an Um-
fang zugenommen, ohne daſs jedoch Graaf einen Embryo zu er-
kennen im Stande gewesen wäre. Eben so verunglückten, wie
dieses später Prevost, Dumas u. v. Bär ebenfalls vielfach erfahren
haben, auch de Graaf Eichen von dem achten Tage, weil sie ei-
nerseits fest an der Innenfläche des Uterus schon angeheftet, an-
derseits so äuſserst zart sind, daſs sie bei der geringsten Verlet-
zung reiſsen. l. In einigen Eiern von neun Tagen zeigte sich der
Embryo als ein schwaches Wölkchen. Deutlich dagegen sah Graaf
den in seiner Ausbildung schon weit vorgeschrittenen Embryo in
10tägigen Eiern. — Hätte Regner de Graaf bei diesen Untersu-
chungen sich des Microscopes bedient, so wäre schon vor mehr,
als 150 Jahren die Wissenschaft mit Resultaten bereichert wor-
den, die wir leider heute noch vermissen.


2. Ein in der Wissenschaft, wie im Leben gleich häufiges
Phänomen zeigte sich auch bei den vortrefflichen, von Regner de
Graaf unternommenen Arbeiten über die ersten Wirkungen der
Conception. Weil man nicht mit solcher Umsicht, Mühe und
Gründlichkeit, wie es dieser ausgezeichnete Naturforscher gethan,
die Erscheinungen selbst verfolgt hatte, glaubte man nicht an die
Richtigkeit seiner Darstellung, von der man sich nothwendiger
Weise hätte überzeugen müssen, wenn man nur mit gleicher Em-
sigkeit, wie er selbst, geforscht hätte. Aber der eigene Feh-
ler machte das eigene Auge blind und lieſs durch das Bessere
des Anderen nicht seinen Irrthum erkennen, sondern einen Fehl-
tritt desselben erblicken. Und so wurde durch die Auctori-
täten eines Vallisneri, Kuhlemann, Haller u. A. die Wahrheit,
daſs das Eichen aus dem Folliculus in die Tuben gelange, unter-
drückt und an ihre Stelle die falsche Behauptung gesetzt, daſs
aus dem Eierstocke in die Tuben eine bloſse Flüssigkeit ohne
Hülle ergossen werde oder daſs, wie Osiander noch im Anfange
des neunzehnten Jahrhunderts behauptete, die Eierstöcke bei der
Conception gar nicht in Affection kämen. Es war daher recht
3
[34]II. Das Ei v. d. Momente s. Lostrennung v. Eierstocke.
verdienstlich, daſs Crnikschank (Reils Arch. III. S. 74—100.) die
Graaf’schen Versuche wiederholte und bestätigte, wenn er auch
keine wesentlich neuen Resultate hinzuzufügen vermochte, ja durch
manche Irrthümer sogar den Gegenstand entstellte. So will er
schon (Versuch II. S. 78.) zwei Stunden nach der Begattung die
Oeffnungen in den Folliculis gesehen haben, welches sicher unrich-
tig ist. Denn er selbst fand (Vers. XXV. S. 88.) zugleich nach zwei
und ein halb Tagen noch keine Oeffnungen in den Folliculis.
Dagegen beobachtete er nach zwei Tagen und 22 Stunden (Vers.
XXVIII. S. 89.) schon sehr kleine Eichen in den Tuben, die mit
drei Häuten versehen gewesen seyn sollen, welche er mit den
Halonen des Vogeleies vergleicht. Drei Tage nach der Begattung
suchte er in einem Falle (Vers. III. S. 78.) vergeblich die Eichen
in den Tuben, wiewohl die Folliculi an der Spitze ein Loch hat-
ten; in einem anderen Falle (Vers. XVII. S. 84.) fanden sich die
Eichen noch in den Spitzen der Folliculi; in einem dritten (Vers.
XXIII. S. 87.) machte die innere Haut einen Fleck in der Mitte
des in den Tuben befindlichen Eichens (ob erstes Rudiment des
Embryo?). In einem vierten Falle (Vers. XXVI. S. 88.) endlich
schienen die aus der Nähe des Endes der Muttertrompeten ge-
nommenen Eichen aus drei Häuten zu bestehen. Am vierten
Tage (Vers. XX. S. 85. 86.) waren die Eichen an der Spitze wie
eingedrückt ohne deutliche Oeffnung. Auch konnte er keine Ei-
chen in den Tuben auffinden. Nach 3½ Tagen (Vers. XXIV.
S. 87.) konnten die Eichen in den Trompeten gesehen wer-
den, obwohl man in den Folliculis keine Mündung (mehr) be-
merkte. Am Ende des vierten Tages (Vers. XIX. S. 85.) fand
er die Eichen in der Nähe der Mündung der Tuben angehäuft.
Die innere Membran des Eichens lag der anderen näher an. Wie-
wohl Cruikschank in einem Falle (Versuch IV. S. 79.) fünf Tage
nach der Befruchtung keine Eichen in den Tuben oder Gebärmut-
terhörnern aufgefunden hatte, so hingen diese doch in einem an-
deren Falle (Vers. XV. S. 83.) locker in der Gebärmutter. Noch
deutlicher zeigte sich dieses nach sechs Tagen (Vers. IX. S. 81.)
Die Eichen enthielten deutlich eine Blase in ihrem Inneren und
hatten an einer bestimmten Stelle einen Fleck. Am siebenten
Tage (Vers. XII. S. 82.) war ein gallertartiger Stoff dicht unter-
halb des Eichens (Eiweiſs des Säugethiereies s. unten), nicht aber
die Spur eines Embryo zu erkennen. Nach sieben und ein halb Ta-
[35]Ausgang des Eies aus dem Eierstocke.
gen (Vers. XXI. S. 86.) fingen die Eichen an, sich in der Gebär-
mutter anzuheften, während nach acht Tagen (Vers. V. S. 79.) die
Frucht mit Hilfe des Weingeistes schon den bloſsen Augen sicht-
bar wurde.


3. Prevost und Dumas haben in neuerer Zeit eine Reihe
mühsamer und genauer Versuche über die ersten Wirkungen der
Conception bei Kaninchen und Hunden geliefert (Annales des
sciences naturelles Vol. III.
p. 113—133. Frorieps Notizen
No. 188. S. 177—186). Vier und zwanzig Stunden nach der
Befruchtung fanden sie weder bei Hunden noch bei Kaninchen
irgend eine Veränderung in dem Eierstocke. Es zeigte sich da-
gegen lebhafte Bewegung der Saamenthierchen innerhalb der Tu-
ben (l. c. p. 119.). Ebenso fand es sich nach zwei Tagen. Nur
hatten die Folliculi eine bedeutendere Gröſse erlangt und der
Mittelpunkt ihrer Oberfläche war durchsichtiger geworden (p.
121.). Noch gröſser aber, bisweilen von 7—8 Millimeter im
Durchmesser, waren die Folliculi bei Hunden nach drei bis vier
Tagen. Nach 6—7 Tagen öffneten sich die Bläschen, so daſs
sie dann eine Mündung an ihrer Oberfläche zeigten (p. 122.) Ein
anderes Mal fanden sie nach acht Tagen (p. 123.) Eichen in den
Tuben und auſserdem auf dem Momente des Platzens befindliche
Folliculi. Die Ersteren hatten ½—2 Millimeter im Durchmesser,
eine ellipsoidische Form und bestanden aus einer einfachen und
durchsichtigen Haut und einer hellen Flüssigkeit. An dem oberen
Theile des Eichens befand sich ein flockiges Schildchen, welches viel
dichter und mit sehr vielen, kleinen, warzenartigen Erhabenheiten
versehen war, und an dessen einem Ende man einen weiſsen, dun-
kelen, runden Fleck, ähnlich einer Narbe, wahrnahm (p. 125.).
Nach zwölf Tagen sind die in den Hörnern des Fruchthälters an-
zutreffenden Eichen noch kleiner, als die Folliculi des Eierstok-
kes, und zwar um so mehr, je näher sie dem Ovarium liegen.
Der Embryo ist dann sehr schön und deutlich wahrzunehmen
(p. 127.). In späteren Eiern sieht man ihre beiden Extremitäten
hörnerartig längs der Axe der Hörner der Gebärmutter verlän-
gert, selten aber nur nach einer Seite hin ein solches Horn aus-
gehen. Das Ei ist, mit Ausnahme derjenigen Stelle, an welcher
der Fötus sich findet, durchaus glatt (p. 129.). Wenn bei dem
Hunde die Eichen an dem achten Tage in die Tuben eintreten,
so geschieht dieses bei dem Kaninchen am dritten und achttägige
3*
[36]II. Das Ei v. d. Momente s. Lostrennung v. Eierstocke.
Kanincheneier sind auf der Stufe der Ausbildung, auf welcher
sich wenigstens 13tägige Hundeeier befinden (p. 131. 132.).


4. Karl Ernst von Bär (de ovi mamalium et hominis ge-
nesi
1827. 4. und Heusingers Zeitschrift II. S. 125. fgg.) hat
eine Reihe hierhergehörender Beobachtungen, vorzüglich an Hun-
den, angestellt. So hatte er (de ovi genesi p. 7.) oft Gelegen-
heit, eine halbe Linie im Durchmesser haltende Eichen zu beob-
achten. Diese waren vollkommen durchsichtig und lagen ganz
frei in der Höhlung des Fruchthälters. Bei der Untersuchung
unter dem Microscope ergab es sich, daſs sie von nicht ganz run-
der, sondern etwas länglicher Form waren (p. 8.). Anfangs schie-
nen sie nur eine einfache Haut zu haben. In weniger, als einer
Minute trennte sich aber die innere Membran von den beiden
Enden her von der äuſseren los, so daſs ein gebogener leerer
Raum zwischen beiden entstand. Diese Trennung schritt bis auf
einen hestimmten Punkt, an welchem sie verbunden blieben, im-
mer fort. Allmählig collabirte so die innere und später auch die
äuſsere Haut des Eies. Die äuſsere Haut (p. 9.) ist halb durch-
sichtig und mit kleinen warzigen Erhabenheiten versehen und
scheint aus zwei Lamellen zu bestehen. An der inneren Haut
befinden sich eine Menge kleiner, runder Ringe, welche in ihrer
Mitte durchsichtig sind. Diese Ringe aber bestehen, wie eine
stärkere Vergröſserung zeigt, aus vielen, einander nicht berühren-
den, im Kreise gestellten Körnchen. Auſserdem zeigt sich ein
noch weit gröſserer, dunkeler, runder Fleck, die Keimhaut
(blastoderma), die schon mit bloſsem Auge als ein weiſses Pünkt-
chen gesehen werden kann, von der inneren Haut des Eies et-
was absteht und mit einem äuſserst zarten Hofe umgeben ist.
Andere Eier des Hundes von ⅓ Linie im Durchmesser waren we-
niger durchsichtig und mehr rundlich, als die eben beschriebenen.
Sie hatten ebenfalls zwei Häute, von denen die äuſsere aber die
Körnchen (oder Wärzchen) kaum erkennen lieſs, die innere da-
gegen aus Körnchenhaufen bestehende, kleine Flecke zeigte. Die
Keimhaut war dicker und nicht eben, wie in dem vorigen Fal-
le, sondern hügelig. An der Mündung der Tube fand sich in dem-
selben Fruchthälter frei ein sehr kleines, weiſses Körnchen,
welches unter dem Microscope einen dunkelen Kern mit einem
hellen Ringe zeigte. Ob dieses ein eben aus der Tube gefallenes
Eichen war? (p. 11.) v. Bär untersuchte deshalb in den Tuben
[37]Ausgang des Eies aus dem Eierstocke.
befindliche Eichen des Hundes. Sie waren etwas kleiner, als die-
ses Körperchen und erschienen als kleine, gelblich weiſse Punkte
von 1/15 Linie im Durchmesser. In der Mitte fand sich hier ein
dunkeler Kern, welcher selbst aus vielen Körnern bestand und
eine granulirte Oberfläche hatte. Diesen Kern umgab ein enger,
durchsichtiger Zwischenraum und eine mit Körnchen versehene
Peripherie, deren Membran kaum sichtbar war.


5. Coste (Frorieps Notizen Novemb. 1833. No. 830. S. 241
—244.) hat in der neuesten Zeit Einiges über seine Erfahrungen
mitgetheilt. Nach ihm sind bei dem Kaninchen die Eier schon
zwei Tage nach der Befruchtung in den Oviduct eingedrungen
und zeigen sich dann noch den in den Folliculis eingeschlossenen
Bläschen vollkommen ähnlich. Nach vier Tagen sind sie schon
in den Hörnern des Fruchthälters, jedoch hier noch frei und be-
weglich, von einer Linie im Durchmesser. Man soll das Keim-
bläschen und die Dotterhaut noch erkennen, während der Dotter
in Verhältniſs zu dem Wachsthume des Keimbläschens absorbirt
sey. Nach fünf Tagen befestigen sich die Eier in dem Frucht-
hälter und haben zwei Linien im Durchmesser. Ihre Dotterhaut
ist nun mehr gewachsen, als das von ihr eingeschlossene Keim-
bläschen, welches nur ungefähr den dritten Theil derselben ein-
nimmt, an der Anheftungstelle des Eies an dem Uterus in einem
Punkte ihr anhängt und hier einen wolkenartig getrübten, run-
den oder elliptischen Fleck zeigt.


Endlich müssen wir noch die Fälle anreihen, in welchen
man Eichen des Menschen in den Tuben gefunden haben will.
Schon John Burs (the anatomy of the gravid uterus I. 1799. 8.
p. 10. Burdachs Physiologie II. S. 40.) soll eine Beobachtung der
Art gemacht haben. In neuester Zeit hat Seiler (die Gebärmut-
ter und das Ei des Menschen. 1832. Fol. S. 9. 10.) einen Fall be-
schrieben, in welchem sich in der Muttertrompete ein mit gelb-
lich weiſser Flüssigkeit gefüllter und an der Oberfläche mit einem
eine Linie langen Korn versehener, zottiger Körper fand, den der
Verf., nur durch sehr schwache Gründe unterstützt, für ein Eichen
hält. Dasselbe läſst sich von einem anderen Falle sagen (l. c. S.
11.), welcher eine beginnende Tubenschwangerschaft gewesen
seyn soll.


Wenn wir es nun unternehmen den fortlaufenden Hergang
der ersten Erscheinungen, welche in dem Säugethiereie nach der
[38]II. Das Ei v. d. Momente s. Lostrennung v. Eierstocke.
Befruchtung sich ereignen, der Reihe nach anzudeuten, so dürfen
wir es nicht unterlassen, darauf aufmerksam zu machen, daſs trotz
der eben angeführten vielfachen Bemühungen der Gegenstand nicht
nur nicht erschöpft, sondern noch äuſserst lückenhaft und dunkel
ist, daſs die Berichte in manchen wesentlichen Punkten einander
widersprechen und daſs die microscopische Untersuchung der zarten
Eichen noch nicht vollständig genug unternommen worden ist. Wie
in dem Eie des Vogels haben wir in dem Eichen der Säugethiere
Dotterhaut, Dotter, Keimbläschen und später vielleicht auch Keim-
anlage. Alle diese Theile constituiren das in dem Folliculus ent-
haltene Eichen, welches in Folge der Conception in die Tuben
gelangt. Unmittelbar nach der Befruchtung wird der Zufluſs des
Blutes zu den Eierstöcken gröſser, die Folliculi schwellen
bedeutend an, während einerseits die gefäſsreiche Hülle derselben
verbunden mit der äuſseren Lage des Balges zu einer röthli-
chen, dichten Masse wuchert. Das Eichen tritt immer mehr an
die Oberfläche hervor, die Stelle der Höhle des Folliculus, an
welcher es anliegt, scheint verdünnt oder zum Theil resorbirt zu
werden und so geht, nachdem der Eierstock von den turgescirenden
Tuben umfaſst worden, das Eichen in dieselben über. Nach Coste soll
nun hier das Keimbläschen nicht platzen, sondern persistiren, ja sogar
mit fernerem Wachsthume sich vergröſsern. Wir müssen aber
in diese Angabe noch Zweifel setzen. Denn zuvörderst spricht,
wie wir bestimmt nach unseren Untersuchungen behaupten kön-
nen, die Analogie aller übrigen Thiere, der wirbellosen sowohl,
als der Fische, Amphibien und Vögel dagegen, wo immer das
Keimbläschen vor der Entwickelung des Embryo platzt. Auch
dürfte es dann sicher nicht v. Bär u. A. entgangen seyn, wenn
es mit Vergröſserung des Eies auch zuerst an Volumen bedeutend
zunähme. Zugleich hält offenbar Coste, wie wir weiter unten
sehen werden, noch an der von Rolando durchgeführten Idee fest,
daſs selbst der Hühnerembryo sich auf einem Bläschen entwickele,
eine Angabe, deren Irrthümlichkeit von selbst einleuchtet. — Der
Analogie mit dem Vogel und den übrigen Wirbelthieren nach
sollte sich nun Eiweiſs und Schaalenhaut um das Ei bilden, be-
vor sich dasselbe in dem Fruchthälter fixirt. Das Eiweiſs, wel-
ches auch dem Säugethiereie nicht fehlt, entsteht höchst wahr-
scheinlich während des Durchganges durch die Tuben. Zum
Theil spricht schon das enorme Anschwellen der Eier bei dem
[39]Bildung der gelben Körper.
Durchgange durch die Fallopischen Röhren dafür. Eine Andeu-
tung von Chalazen aber könnte man vielleicht in den von Pre-
vost und Dumas gefundenen, seitlichen Verlängerungen sehr zar-
ter Eier des Hundes finden. Eben so ist auch zu vermuthen,
daſs die Schaalenhaut oder das Chorion in den Tuben erst ent-
stehe, ganz wie die Schaalenhaut des Vogels in dem Isthmus erst
gebildet wird. Zwar glaubt v. Bär (Heusinger’s Zeitschr. II. S.
177.), daſs die äuſsere Membran des in dem Folliculus enthalte-
nen Eichens zum Chorion werde. Allein einerseits widerstrebt
dieses aller Analogie, da überdieſs sich dann, wie er auch behaup-
tet (l. c. p. 23.), die Dotterhaut in den Tuben erst bilden müſste,
anderseits war eine andere, äuſsere Membran von ihm selbst nur
nach der Maceration deutlich wahrgenommen worden (p. 11.) —
eine Erscheinung, die sich an Hühnereiern, welche noch keine
Schaalenhaut haben, ebenfalls wiederholt. Auch wäre es von In-
teresse zu bestimmen, ob zur Sekretion dieser verschiedenen Ge-
bilde auch verschiedene Conformationen der Schleimhaut in den
Tuben sich vorfinden.


Wenn nun das Eichen aus dem Folliculus herausgetreten ist,
so wuchert nach v. Bär (l. c. p. 20. 21.) und z. Th. nach Regner
de Graaf die innere Lage des Folliculus zu dem sogenannten Cor-
pus luteum
. Der Anfang hierzu geschieht schon, während das
Eichen in dem Folliculus noch enthalten ist. Sobald jenes aber diesen
verlassen, ist der gröſste Theil des Letzteren mit einer röthlichen,
fleischigten Masse gefüllt. Nur in der Mitte unter der Oeff-
nung findet sich eine leere oder eine mit einer albuminösen Masse
ausgefüllte Höhle, die bei dem Menschen am gröſsten zu seyn
scheint (l. c. p. 22.) Nun schlieſst sich, wie es scheint, zuvör-
derst die Mündung, während später die Höhle immer kleiner
wird, bis sie endlich ganz schwindet. So finden sich dann in
dem Eierstocke mehr oder minder groſse, gelbe, röthliche oder
bläuliche Körper, welche unter dem Namen der Corpora lutea
bekannt sind.


Diese fälschlich sogenannten gelben Körper (denn in den
verschiedenen Thieren haben sie constante, verschiedene Farben)
werden mit Recht in jetziger Zeit allgemein als das sicherste
Zeichen eines zerstörten Folliculus und herausgetretenen Eichen,
also der geschehenen Befruchtung angesehen. Obgleich ihre [Bil-
dung]
und Entstehung schon von früheren Beobachtern richtig an-
[40]II. Das Ei v. d. Momente s. Lostrennung v. Eierstocke.
gegeben worden ist, so habe ich doch nach eigenen an Kaninchen
angestellten Untersuchungen manche, nicht unwichtige Punkte
hinzuzufügen. Hier ist aber der Proceſs folgender. In Folge der
Conception entsteht eine bedeutende Congestion des Blutes nach
den Eierstöcken überhaupt und einzelnen Folliculis ins Besondere.
Diese werden von Netzen feiner Blutgefäſse durchzogen und neh-
men an Volumen zu, wiewohl nur die gröſsten Folliculi von die-
sem Processe ergriffen zu werden scheinen. Mit dem Beginne
dieser Veränderung aber zeigt sich von der Innenfläche der Mem-
bran des Folliculus aus eine röthliche, fleischigte Masse, welche
den ganzen Umkreis derselben mit Ausnahme der Stelle einnimmt,
wo das Eichen sich befindet, also mit Ausnahme des höchsten,
nur von dem Bauchfelle überzogenen Punktes. [Hierdurch] wird
nun zwar die Menge der in dem Folliculus enthaltenen Flüssig-
keit nothwendig vermindert. Allein sie nimmt nicht in gleichem
Maaſse mit dem Erscheinen der röthlichen Masse ab, wird daher
relativ reichlicher und sammelt sich nothwendig gegen die nur
von dem Bauchfelle überzogene Seite hin an. Auf diese Art wird
dieser nur von dem Peritoneum bedeckte Theil des Folliculus
hervorgedrängt, indem einerseits die immer zunehmende, röthliche
Masse und die in relativer Quantität zu groſse Flüssigkeit des Folli-
culus anderseits wie eine Vis a tergo wirkt. Das Eichen selbst ge-
langt an die äuſserste Spitze der nur von dem Bauchfelle bedeckten
Stelle. Diese wird immer dünner und zuletzt durchbohrt, so daſs
das Eichen herausschlüpft, während es nur von sehr wenigem oder
gar keinem, flüssigen Inhalte des Folliculus umgeben ist. An der
Stelle des früheren Folliculus aber findet sich dann eine fleischigte
Masse, welche in ihrem Innern eine kleine Höhlung hat, die durch
eine Art von Ausführungsgang sich nach auſsen öffnet (s. die Ab-
bildung bei Bernhardt l. c. Fig. 29.). Nun wird die äuſsere Oeff-
nung durch eine kleine, hervorragende Warze geschlossen, die
sich anfangs noch etwas zu vergröſsern scheint, später aber, wäh-
rend die Höhle im Innern von fleischigter Masse ausgefüllt wird,
sich verkleinert und zuletzt ganz schwindet, so daſs dann endlich
das Corpus luteum ein kugliches, gleichförmiges Gebilde dar-
stellt.


Vergleichen wir die Processe, durch welche die Natur den
Austritt der Eier aus dem Ovarium der Vögel und der Säuge-
thiere bewirkt, so sehen wir leicht, wie sie durch äuſsere Ver-
[41]Erste Veränderungen d. inneren Geschlechtstheile etc.
hältnisse gezwungen wird, dieselben Effecte auf verschiedenen
Wegen hervorzubringen. Bei den Vögeln geschieht dieses durch
einfache Vergröſserung des Eies überhaupt und des Dotters ins
Besondere. Da dieses aber bei den Säugethieren nicht angeht,
so benutzt sie die erste Bildung der gelben Körper und das Con-
tentum des Folliculus, um so vermöge einer Vis a tergo den-
selben Endzweck zu erreichen. Doch wirken in beiden Fällen
auſser der mechanischen Kraft noch die vitalen Kräfte, da das Peri-
toneum und die Membran des Folliculus an der Austrittsstelle
des Eichens nicht bloſs mechanisch reiſst, sondern mehr auf or-
ganische Weise resorbirt wird.


Aus dem eben dargestellten Hergange der Bildung der Cor-
pora lutea
erhellt deutlich, daſs das Contentum des Folliculus
unmittelbar nach der Befruchtung von höchst untergeordnetem,
vielleicht von gar keinem Einflusse sey. Eben so kann die Scheibe
des Folliculus, in welchem das Eichen eingebettet liegt, durchaus
nicht als Keimanlage gedeutet werden. Denn 1. frägt es sich
noch sehr, ob sie noch mit in die Tuben gelange oder nicht.
Für das Letztere scheinen meine eigenen Erfahrungen zu spre-
chen, wiewohl sie es nicht mit aller nothwendigen Evidenz be-
weisen. 2. Kann die Keimanlage nur innerhalb, nicht auſserhalb
des Eies liegen. Unmittelbar vermag aber die Scheibe auf keine
Art in das Eichen zu gelangen. Es scheint daher fast gewiſs zu
seyn, daſs die Säugethiere vor der Befruchtung keine Keimscheibe,
sondern ein bloſses Keimbläschen besitzen. Ganz dasselbe ist
auch bei dem Vogeleie in den frühesten Stadien seiner Entwik-
kelung innerhalb des Eierstockes der Fall.


Nach geschehener Conception zeigen sich aber auch an dem
Fruchthälter und den Tuben gewisse Veränderungen, welche
theils eine Folge der allgemein erhöheten Thätigkeit dieser Or-
gane, theils eigenthümliche Lebensprocesse derselben sind. Zu-
vörderst turgescirt das ganze System der inneren Geschlechts-
theile. Manche Stellen desselben, wie z. B. das Orificium uteri
u. dgl., werden fast schwarz von der Menge des enthaltenen Blu-
tes. Die Tuben und die Hörner der Gebärmutter dehnen sich
aus und die Enden der ersteren umfassen den Eierstock. Wäh-
rend nun die Eichen sich zu ihrem Austritte aus den Folliculis
vorbereiten, durch die Tuben hindurchgehen und sich in dem
Uterus fixiren — ein Proceſs, der bei dem Menschen 12—14
[42]III. Das Ei während der Fruchtentwickelung.
Tage zu dauern scheint, — finden sich in dem Fruchthälter manche
veränderte Erscheinungen und Sekretionsprodukte. In dem Uterus
der Säugethiere erheben sich die Falten und Zöttchen auf eigen-
thümliche Weise, wie weiter unten noch ausführlich auseinander
gesetzt werden wird, und eine bedeutende Menge von Schleim
wird an der Innenfläche des Fruchthälters abgesondert. Auch bei
dem Menschen geht ohne Zweifel etwas Analoges vor sich. So fan-
den Home und Bauer (Meck. Arch. IV. S. 279.), angeblich 8 Tage
nach der Befruchtung, eine Lage ausgeschwitzter Lymphe auf der
Innenfläche des Uterus, welche ziemlich lange Fasern bildete. John
Burns (Reils Arch. VIII. S. 380—382.) und später K. E. v. Bär
(Untersuchungen über die Gefäſsverbindung zwischen Mutter und
Frucht. S. 24.) haben Aehnliches beobachtet. Eduard Weber (s. Hilde-
brandts Anatomie, besorgt v. E. H. Weber. IV. S. 466.) fand 7 Tage
nach der Conception die innere Lage des Uterus sehr geröthet, mit
einer blasseren, weicheren, ½—1 Linie dicken Lage bedeckt, welche
aus sehr vielen kleinen, senkrecht stehenden Cylindern bestand,
die durch eine schleimigte Membran mit einander verbunden wa-
ren. Alle Cylinderchen endigten mit einem runden, nicht ange-
schwollenen Ende. Manche von ihnen aber hatten eine Länge
von 2—3 Linien, indem die Lage, wo dieses der Fall war, Fal-
ten bildete. Einiges hierher Gehörende s. unten bei Beschreibung
der Decidua.


Endlich wären hier die merkwürdigen Flimmerbewegungen
zu erwähnen, welche Purkinje und ich an der Schleimhaut des
Eileiters der Amphibien, Vögel und Säugethiere entdeckt haben.
Da jedoch dieses Phänomen der ausgebildeten Schleimhaut der
Genitalien in allen Stadien ihres Lebens und auſserdem der der
Respirationsorgane angehört, so kann hier dasselbe nicht ausführ-
lich und besonders berücksichtigt werden. Ich verweise deshalb
auf die vorläufige Nachricht, die wir von dieser Entdeckung in
Joh. Müllers Archiv. Bd. I. Hft. 5. S. 391—400 gegeben haben
und auf unsere Schrift: de phaenomeno generali motus vibra-
torii. Wratisl
. 1825. 4.


III. Das Ei während der Fruchtentwickelung.


Wir kommen zu einer Periode des Eilebens, welche seit den
ältesten Zeiten der beobachtenden Anatomie und Physiologie viel-
[43]III. Das Ei während der Fruchten[t]wickelung.
fach untersucht worden ist und daher eine so groſse Menge von Be-
schreibungen aufzuweisen hat, wie kein anderer Theil der Entwik-
kelungsgeschichte. Wenn uns diese vielfachen Bemühungen eine
Anzahl besonderer und einzelner Data geliefert haben, deren Ueber-
sicht durch ihre Menge fast unübersehbar wird, so zeigt es sich
nirgends deutlicher als hier, wie wenig wir solide Bereicherungen
der Wissenschaft von isolirten und vereinzelten Beobachtungen zu
erhalten im Stande sind, wie sehr der menschliche Geist strauchelt,
sobald er die Entwickelung eines Organes, Organtheiles oder Ge-
webes nicht durch Beobachtung vollständig verfolgt, sondern ent-
weder durch Hypothesen ausschmückt oder die Lücken nach Ana-
logien, Inductionen oder gar willkührlichen Principien ergänzt,
sobald er das Untaugliche für Taugliches hält oder ausgiebt, und
von krankhaften, degenerirten Produkten auf gesunde, die er gar
nicht oder wenigstens nicht vollständig kennt, sich Schlüsse er-
laubt — kurz sobald er Wege einschlägt, welche von denen der
wahren und ächten Naturerkenntniſs sich entfernen. Freilich
vereinigen sich hier auch eine Reihe der gröſsten Schwierigkeiten
und Hindernisse mit einander. Die Beobachtung selbst ist nur
schwer mit aller nothwendigen Sicherheit zu machen; noch schwie-
riger ist es, die Gegenstände zu erreichen und selbst hierunter ist
die bei Weitem gröſste Menge krankhaft verändert. Was man
an Abortus gefunden, kann nur dann erst mit Sicherheit benutzt
werden, wenn man Leichname genau untersucht hat von Frauen,
welche in den ersten Monaten der Schwangerschaft gestorben
sind. Sonst wird die Beobachtung unsicher und in Vielem noth-
wendiger Weise unrichtig. Da aber der bei Weitem gröſste Theil
der bisher bekannten Erfahrungen, welche hierher gehören, von
der oben bezeichneten Art sind, so sieht man leicht ein, wie sie
bei aller Richtigkeit und Treue der Beobachtung, bei aller Bürg-
schaft durch groſse und ausgezeichnete Auctoritäten sowohl, als
durch vielfache Bestätigung der verschiedenen Observationen, ihrer
Natur nach von untergeordneter Bedeutung seyn, und jenen Er-
fahrungen nachstehen müssen, welche aus den Untersuchungen der
Leichen Schwangerer entnommen sind. Aber auch bei den Re-
lationen dieser finden sich, wie wir bald sehen werden, noch
Widersprüche in Menge. Ueberhaupt ist es auf diesem Gebiete
der Entwickelungsgeschichte eine Hauptschwierigkeit, die Ueber-
sicht des durch die Literatur Gegebenen zu erhalten. Bei
[44]III. Das Ei während der Fruchtentwickelung.
manchen Dingen ist Vollständigkeit zu erreichen, fast durchaus
ein Ding der Unmöglichkeit, wenn man nicht etwa ein ganzes,
voluminöses Werk über die Literatur eines einzelnen Gegenstan-
des zu liefern Lust hätte. Die Wissenschaft aber würde durch
eine solche Darstellung im Ganzen wenig gewinnen. Es würde
nur ein neuer Beleg dafür seyn, wie sehr für uns das Reich der
Möglichkeiten geöffnet ist, sobald das der Wirklichkeiten fehlt.
Unsere Absicht kann nur seyn, Alles unter Hauptpunkte zusam-
menzufassen und das Unwesentliche und Untergeordnete mehr an-
zudeuten, als auszuführen.


In dem Eie der Säugethiere und des Menschen kommen aber
drei verschiedene Verhältnisse während der Entwickelungszeit
der Frucht in Betracht. Es giebt nämlich, zum Eie gehörende
Theile, welche mittelbar oder unmittelbar durch die Thätigkeit
des Fruchthälters erzeugt werden, 2) Theile welche dem Eie ei-
genthümlich angehören und der Individualität des Embryo nur
auf mittelbare Weise dienen und 3) Theile, welche entweder un-
mittelbar in den Embryo übergehen und sich mit ihm verbinden,
oder deren Formation von ihm ausgeht, sey es nun, daſs er ein
abgegrenzter Theil von ihnen ist oder daſs eine Produktion von
ihm diese Eitheile constituirt. Nach den genannten Momenten
wollen wir die hierher [gehörenden] Objecte nun einzeln durchgehen.


A. Die von dem Fruchthälter ausgeschiedenen
Membranen und Flüssigkeiten
.


Wir hatten es oben gesehen, wie sich in Folge der Befruch-
tung Gestalt und innere Oberfläche des Uterus umändern. Er
bleibt [aber] nicht bloſs bei diesen Veränderungen stehen, sondern
es bildet sich auch eine membranförmige Ausscheidung vor der
Ankunft des Eies in der Höhle der Gebärmutter. Diese Bildung
einer Haut, welche man Membrana decidua nennt, ist das Pro-
dukt der erhöhten Thätigkeit des Uterus in Folge der geschehe-
nen Befruchtung oder irgend einer bestimmten Reizung der Ge-
schlechtstheile überhaupt. Sie entsteht nicht bloſs früher, als das
Eichen in die Cavität der Gebärmutter gelangt, sondern findet
sich in manchen Verhältnissen ohne daſs überhaupt ein Eichen
in dem Uterus enthalten ist. a. Bei Unfruchtbarkeit soll nicht
selten eine bloſse decidua ohne Ei abgehen (Burdach’s Physiol.
II. S. 74.), wie Denman, Evrat und Andere beobachtet haben.
[45]V. d. Fruchthälter ausgesch. Membranen u. Flüssigk.
Doch bedürfen alle Fälle dieser Art der sorgfältigsten Prüfung,
ob nicht das überaus kleine Eichen in oder an der decidua ent-
halten sey. So war dieses wenigstens bei einer leicht concipiren[-]
den Frau, von welcher scheinbar eine bloſse decidua abging, der
Fall und wurde erst dann entdeckt, als das Eichen schon durch
Oeffnung der decidua zerstört worden war. (Vgl. J. Güntz de
conceptione tubaria Lips
. 1831. 4. p. 25. 26.) b. Wir haben
es oben gesehen daſs wir noch keinen, mit aller nothwendigen
Gewiſsheit constatirten Fall haben, in welchem während einer
vollkommen gesunden und normalen Schwangerschaft ein mensch-
liches Eichen in den Tuben gefunden worden und besitzen daher
keine unter diese Kategorie gehörende anatomische Untersuchung
des Uterus. Dagegen kennen wir mehrere Fälle, in welchen bei
etwas abnormen, hierher zu rechnenden Produktionen der Fruchthäl-
ter anatomirt worden ist. Hierher gehören die Erfahrungen von
J. Hunter, Ev. Home und Bauer, Seiler u. A., wo sich eine ge-
rinnbare, pulpöse Masse auf der inneren Oberfläche des Uterus
vorfand. Auch will Velpeau (Heusinger’s Zeitschrift für die or-
ganische Physik Bd. 2. S. 69.) 5 Wochen nach der Empfängniſs
ein Eichen, welches halb in der Tube, halb in dem Uterus steckte,
gefunden haben, während in der Gebärmutter selbst als eine Am-
pulle von der Gröſse eines Eies, die mit röthlicher Flüssigkeit
gefüllt war, die decidua beobachtet werden konnte. Bei einer
sechs- bis siebenwöchentlichen Schwangerschaft (Embryologie, p.
5.) fand er wesentlich dasselbe. Nur befand sich das Eichen schon
in dem Grunde der Gebärmutter und war etwas adhärirt. So
erwähnt schon W. Hunter (anatom. Beschreib. des schwang. Ute-
rus S. 81.) zweier Fälle, in welchen der Fruchthälter kurz nach
der Schwängerung untersucht wurde und wo sich innerhalb des-
selben kein Ei, doch aber eine schon vollkommen gebildete deci-
dua
vorfand. c. In den bei Weitem meisten Fällen von Extrau-
terinalschwangerschaften, wo das Ei sich entweder in dem Eier-
stocke, den Tuben oder der Bauchhöhle befindet, hat man eine
decidua innerhalb der Gebärmutter gesehen. Hierfür zeugen die
Beobachtungen der beiden Hunter (Medic. Comment. of Edinb.
Vol
. 4. p. 429. Anatomie des schwangeren Uterus übers. von
Froriep 1802. 8. S. 82.), Böhmer (Obs. anat. var. fasc. I. p.
27. fasc. 2. p. 14.), Romieu, Clarke, Heim, J. Fr. Meckel (Mek-
kels pathol. Anat. Bd. 2. Abth. I. 1816. 8. S. 163), C. F. Czihak
[46]III. Das Ei während der Fruchtentwickelung.
(de graviditate extrauterina Heidelberg. 1824. 4. p. 8. et 19),
Carus (zur Schwangerschaft und Geburt Abthl. 2. p. 172), Heu-
singer (Zeitschr. für die org. Physik Bd. 1. p. 337), Menière
(Froriep’s Notiz. No. 312. p. 55), C. W. Stoll (diss. illustrans
graviditalis tubariae casum, praeside Emmert. Tubing
. 1819.
4. p. 5. 6), J. Güntz (de conceptione tubaria Lips. 1831. 4. p.
11. et p. 15. fig. 2. b) u. A. Nach J. Fr. Meckels pathol. Anat.
(l. c. S. 163.) soll in der unter Ph. Fr. Meckel’s Aufsicht erschie-
nenen Dissertation von Weinknecht, de conceptione extraute-
rina. Hal
. 1781. 4., auch die Bildung der decidua bei Schwan-
gerschaft auſserhalb der Gebärmutter erwähnt werden. Doch
finde ich nirgends einen bestimmten Ausspruch, höchstens einige
allgemeine und unbestimmte Andeutungen davon in der genann-
ten Schrift (p. 5. et 9). Die neuesten Beobachtungen haben aber
wiederum die Allgemeinheit dieses Factums zweifelhaft gemacht.
So vermiſste sie Lee in dem Uterus einer Frau, welche im neun-
ten Monate der Schwangerschaft gestorben war, und Velpeau fand
die hinfällige Haut unter drei hierher gehörenden Fällen nur ein
Mal (Vgl. Alf. A. M. Velpeau embryologie ou ovologie humaine.
Paris
. 1833. Fol. p. 9). d. Wenn bei einem zweigehörnten Ute-
rus die eine Hälfte concipirt hat, so findet sich auch in der lee-
ren Hälfte der Gebärmutter eine Membrana decidua. So sahen
es Hunter, J. Fr. Meckel (pathol. Anat. Bd. I. S. 684.), A. Floer-
ken (de superfoetatione. 1830. 4. p. 3.) u. A. In dem Falle
von Purcell, dessen Meckel (l. c.) schon Erwähnung thut und
den Clift und Lee von Neuem untersucht haben, fanden diese
letzteren keine Spur der decidua. (Vgl. Velpeau Embryologie
p
. 9.) Jedoch hat anderseits Lee in neuester Zeit eine Beobach-
tung bekannt gemacht, nach welcher in einem Uterus bicornis
ein Ei in dem rechten Horne gefunden wurde, in dem linken
Horne dagegen sich eine decidua zeigte, welche gegen den Mut-
termund blind endigte, an der Einmündung der linken Tube aber
eine kleine Oeffnung hatte (S. Medico-chirurg. transact. 1832.
Pabst’s mediz. Zeit. 1834. S. 303. 304). Es scheint also aus al-
len diesen Beobachtungen wenigstens so viel zu folgen, daſs die
Bildung der decidua nicht von dem Eie ausgehe, sondern das Pro-
dukt einer eigenthümlichen Thätigkeitsäuſserung der Gebärmutter
sey, daſs sie schon existire, wenn das Eichen in den Tuben an-
lange und durch dieses dann auf secundäre Weise die Verände-
[47]V. d. Fruchthälter ausgesch. Membranen u. Flüssigk.
rungen eingehe, welche wir bald näher zu betrachten Gelegen-
heit haben werden.


Alle Angaben, welche wir über die Verhältnisse der Mem-
brana decidua
besitzen, sind nicht, wie es bei anderen vollständig
beobachteten und durch alle Momente verfolgten Naturgegenstän-
den der Fall ist, bloſse Relationen von Erfahrungen. Man sieht
es fast sämmtlichen Darstellungen an, daſs eine gewisse Theorie,
die subjective Annahme eines gewissen Vorgangs auch die besten
Naturforscher leitete, weil Alle statt der einzelnen Beobachtung
zusammengestellte Entwickelungsvorgänge zu liefern sich bemüh-
ten. Wenn es daher auch keinen Punkt in der Geschichte der
decidua giebt, über den Alle einig wären, so läſst sich doch bei
Vielen wenigstens eine gewisse Parallele zwischen ihren einzel-
nen consequenten Behauptungen keinesweges verkennen. Wir
wollen es daher versuchen die Hauptpunkte unter gewissen Ru-
briken abzuhandeln. Einige bei dieser Methode ebenfalls noth-
wendige Wiederholungen muſs die Natur des Gegenstandes selbst
entschuldigen.


a. Anwesenheit der decidua.

1. In dem Thierreiche überhaupt.

Nach dem eben Gesagten müssen wir die Idee festhalten,
daſs die Membrana decidua ein Sekret der Gebärmutter und
kein primärer Theil des Eies sey. Sie kann daher vollständig
nur in der Klasse der Säugethiere vorkommen, wo sie, wir Bur-
dach (Physiol. II. S. 72. fgg.) sagt, einen Theil des Genistes ver-
tritt. Mertens (Meck. Arch. 1827. 6. 315.) hat deſshalb gewiſs Un-
recht, wenn er sie in dem bebrüteten Hühnereie sucht. Dutro-
chet (Meck. Arch. V. S. 570.) vergleicht die hinfällige Haut mit
der Schaalenhaut auf eine nicht minder willkührliche, als einsei-
tige Weise. Was aber die Berichte über die Existenz der deci-
dua
in der Klasse der Säugethiere betrifft, so lassen sich die
hierüber bekannt gewordenen Ansichten unter folgende Rubriken
bringen. a. Einige hatten die als dicke Membran bei dem Men-
schen vorkommende, hinfällige Haut kennen gelernt und such-
ten eine Hülle von gleicher Qualität in der Klasse der Säu-
gethiere, die sie aber hier entweder gar nicht oder nur in den
dem Menschen am nächsten stehenden Thieren beobachteten. So
schrieb J. Hunter (Bemerkungen über die thierische [Ökonomie]
[84[48]]III. Das Ei während der Fruchtentwickelung.
übersetzt von Scheller 1802. 8. S. 198.) eine decidua nur dem
Affen- und Menschengeschlechte zu. Oken (S. s. und Kieser’s
Beiträge zur vergleichenden Zoologie Anatomie und Physiologie
Bd. I. Hft. I. S. 9.) hatte zuerst in dem Uterus von Schweinen, in
welchem Junge enthalten waren, denen nur drei Wochen zur Reife
fehlten, eine zarte durchsichtige und farblose Membran gefunden,
welche sich nur durch Einblasen erheben lieſs und in einzelnen
Stücken zu trennen war. Er glaubte aber mit Recht (p. 10.),
daſs dieses durchaus nicht der decidua des Menschen gleich wäre.
Durch die Anatomie von Hunde-Embryonen und ihrer Eitheile kam
er alsdann zu dem Schlusse (l. c. Hft. 2. p. 2) daſs die innere oder
Gefäſshaut des Uterus fehle und an ihrer Stelle eine decidua sich
bilde. Späterhin (Ilsis XX. p. 371.) wiederholte er dieselbe
Behauptung mit dem Unterschiede, daſs die decidua vera allen
Säugethieren zukäme; die reflexa dagegen nur dem Menschen
eigenthümlich sey. Auch Samuel (de ovorum mammalium ve-
lamentis. Wirceburgi p
. 18.) läugnet auf diese Weise ihre Exi-
stenz bei den Säugethieren. b. Andere gingen von der Idee aus,
daſs ein gallertartiger, mehr oder minder fester Stoff, welcher sich
zwischen der inneren Oberfläche des Uterus und dem Chorion in der
Klasse der Säugethiere findet, der Membrana decidua entspräche
und daſs auf diese Weise die hinfällige Haut allen Säugethieren
allgemein zukomme. So hat schon Needham (disquisitio anato-
mica de formato foetu. Lond
. 1667. 8. p. 177.) aus dem
Schweine eine Masse eigenthümlicher Art beschrieben, welche
von Einigen als decidua gedeutet wird. Eben so berichtet von
ihr aus den Säugethieren in’s Besondere aber aus der Kuh mit
mehr oder minder Ausführlichkeit Stalpart van der Wiel (S. Lob-
stein über die Ernährung des Fötus übers. von Kestner. Halle 1804.
8. S. 14.). Wenn die äuſsere Haut, von welcher Haller (Elem.
physiol. VIII. p
. 185) spricht und für die er den angeblich alten
Namen Chorion beibehält, die decidua in der That ist, welches
sich wenigstens nicht mit Evidenz erweisen läſst, so findet sie
sich nach seinem Zeugnisse bei allen Säugethieren, selbst denen, wel-
che keine höher gebildete Placenta haben, wie z. B. dem Schweine.
Lobstein (l. c. S. 14.) hat sie bei der Kuh und dem Schaafe als
eine weiche, breiartige Masse gefunden und ihre Gefäſse (S. 15.)
durch Injectionen dargestellt. Bojanus spricht einerseits bei der
Beschreibung sehr zarter Hundeembryonen gar nicht von der de-
cidua,
[49]V. d. Fruchthälter ausgeseh. Membranen u. Flüssigk.
cidua, sondern nur von zwei Lamellen des Chorion, anderseits
erwähnt er der hinfälligen Haut, als einer rothen, zottigen und
schwammigten Membran (Nov. Acta. Acad. Leopold. Carol. N.
C. Vol. X. p
. 141.). Nach Dutrochets Untersuchungen (Meck.
Arch. V. S. 565.) ist sie bei dem Schaafe eine gefäſslose Haut,
welche durch Maceration in Schuppen abfällt. In einer Menge
anderer Säugethiere haben sie Emmert (Meck. Arch. IV. S. 185.),
Breschet (Mém. de l’ácad. roy. de medecine. Vol. II. p. 36.
III. u. a. v. a. O.), Velpeau (Embryologie p. 8.) u. A. gesehen. Der
Letztere spricht sich dahin mit Bestimmtheit aus, daſs die Ca-
duca reflexa
nur dem Menschen zukomme. c. Endlich gehen
Einige in ihren Untersuchungen von den Thieren aus und erlau-
ben sich von diesen Schlüsse über die Verhältnisse der decidua
bei dem Menschen. So hatten wir schon oben gesehen, daſs
Oken auf diese Weise verfuhr. Jörg (die Zeugung S. 18. fgg.
und Meissner anidmadvers. nonnullae ad doctrinam de se-
cundinis et superfoetatione. Lips
. 1819. 4. p. 2. fgg.) sah die
gefäſsreiche innere Oberfläche des Fruchthälters für die decidua bei
den Thieren an, hält sie daher zum Theil consequent mit der pla-
centa materna
für identisch und läugnet die Anwesenheit einer
decidua reflexa in dem Menschen. v. Bär (Untersuchungen über
die Gefäſsverbindung zwischen Mutter und Frucht. Leipz. 1828.
Fol. p. 24.) spricht sich, nachdem er die Veränderungen der
inneren Oberfläche der Gebärmutter beschrieben, geradezu für
Okens Ansicht aus, daſs decidua und Schleimhaut der Gebär-
mutter eines und dasselbe seyen. Endlich ist hier noch die auf
Irrthümern beruhende, abentheuerliche Ansicht von Coste (Revue
medic. Février
. 1834. p. 285.) zu erwähnen. Nach ihm ist die
sogenannte Caduca eine Art von Eiweiſs, ähnlich dem der Vö-
gel. Es existirt noch nicht in dem Uterus bei der Ankunft des
Eies und bildet später um dasselbe eine homogene Masse, welche aus
mehreren Lagen besteht. Nur an der Stelle des Embryo (tache
embryonaire)
ist es dünn und durchsichtig. Offenbar wird hier
nur das schon längst durch Cuvier und Bär gekannte Eiweiſs des
Säugethiereies beschrieben. Wir selbst glauben nach unseren
Beobachtungen folgendes hierüber festsetzen zu können. Da ohne
Zweifel die decidua ein Product der Thätigkeit der Gebärmutter
und nicht des Eies ist, so läſst es sich schon im Voraus erwar-
ten, daſs nur bei denjenigen Thieren diese Haut den hohen Grad
4
[50]III. Das Ei während der Fruchtentwickelung.
ihrer Bildung erreichen werde, in welchen der Uterus eine hö-
here, selbstständigere Form erlangt hat. Daher sehen wir sie so
sehr in Form einer bestimmten und dichten Membran in dem
Menschen und nächst diesem nach Hunters Erfahrung auch in dem
Affen ausgebildet. Bei den übrigen, bis jetzt hierauf untersuchten
Säugethieren, wo der Uterus oder die Stelle, in welcher das Ei
sich entwickelt, in seiner Ausbildung zwischen Tuben und Gebär-
mutterkörper die Mitte hält, kann die decidua nicht jenen hohen
Grad von Bildung erreichen, den sie in dem Menschen und dem
Affen hat. Allein hier kommt noch ein anderes für diese Mem-
bran ungünstiges Verhältniſs hinzu. Bei dem Schweine nämlich,
welches, wie von Bär schon erwiesen, eine über das ganze Ei
sich ausdehnende Placenta hat, muſs die decidua um so unkennt-
licher werden, je mehr die Zotten des Chorion sich zwischen die
Zottenfalten der inneren Oberfläche des Uterus hineinbilden. Aber
auch abgesehen davon, daſs man hier nur in frühester Zeit der
Entwickelung ein schleimiges, keinesweges membranöses Wesen
sieht, welches mit einigem Grunde für die decidua ausgegeben
werden könnte, ist es selbst in frühester Zeit kurz nach dem
Platzen der Eichen noch überaus gering. Wenigstens fand ich in
einem frisch untersuchten Falle seine Quantität sehr unbedeu-
tend. Anders ist es in dieser Rücksicht schon in der Klasse der
Wiederkäuer. Vor der Bildung der Kotyledonen ist hier eine
gallertartige Schicht zu beobachten, welche das ganze Ei zu über-
ziehen scheint. Späterhin findet sich eine ähnliche gelatinöse
Masse in den einzelnen Kotyledonen zwischen Mutter und Frucht-
antheil, welche Harvey schon kannte und die mit der decidua
des Menschen vielleicht auf entfernte Weise in Vergleich gebracht
werden könnte. Ueber das Ei der Raubthiere fehlen mir in die-
ser Beziehung eigene Beobachtungen in hinreichender Menge


2. In dem Menschen ins Besondere.

α. Ihre Existenz überhaupt.

Man hat mit vielem Aufwande von Gelehrsamkeit und Scharf-
sinn zu ermitteln gesucht, welcher Naturforscher zuerst die hin-
fällige Haut gesehen habe. Unter denjenigen, welche dieses zu
enthüllen sich bemüheten, sind vor Allen Lobstein (l. c. S. 10.
11.) und in neuester Zeit Velpeau (Embryologie p. 1. 2.), vor-
züglich aber Breschet (Mem. de l’ácad roy. Vol. II. p. 3—93.)
[51]V. d. Fruchthälter ausgesch. Membranen u. Flüssigk.
zu nennen. So sehr dieses Bestreben auch zur Begründung un-
serer literarischen Kenntnisse beitragen kann, so stehen ihm doch
zwei Hindernisse entgegen, welche den Werth solcher Bemühun-
gen um nicht Weniges beeinträchtigen. Denn erstlich liegt es in
der Natur der Sache, daſs Dinge, wie die decidua, sehr leicht
gesehen werden, besonders da sie nicht selten theilweise oder
ganz an den durch Abortus entfernten Eiern haftet, ja, z. B.
nach Bischoff (Beiträge zur Lehre von den Eihüllen des mensch-
lichen Fötus. 1834. 8. S. 21.) selbst an dem ausgetragenen Eie
nie fehlt. Es handelt sich daher hier nicht darum, wer sie über-
haupt gesehen, sondern die Hauptfrage bleibt vielmehr die, wer
sie zuerst vollständig und richtig gesehen, in allen ihren Verhält-
nissen beobachtet und erkannt habe. Zweitens muſs man beden-
ken, daſs alle älteren Beschreibungen von Eihäuten in gewissem
Grade für uns unverständlich, wenigstens nicht ganz sicher zu
deuten sind, da zu jener Zeit Mancher gerade die Genauigkeit in
der Anatomie darin zu finden glaubte, ein Organ oder einen Or-
gantheil [in recht] viele Membranen, und seyen diese noch so sehr er-
künstelt, zu zerfällen. Auch wechseln die Ausdrücke auf die freieste
Weise, so daſs schon zu der Zeit des Erscheinens der älteren Werke
der Undeutlichkeiten genug existirten. Einen Beleg zu dem Ge-
sagten kann uns die Angabe des ersten Entdeckers der decidua
geben. Nach Lobstein (l. c. p. 10.) und Breschet (l. c. p. 4.)
soll Aretäus von Cappadocien zuerst die decidua erwähnen, wäh-
rend er nach Velpeau (Embryologie p. 1.) keinen Begriff davon
hatte. Das Wahre ist aber hier dieses, daſs der genannte Schrift-
steller nur von zwei Membranen spricht, von denen die eine in-
niger an dem Uterus hafte, die andere mehr zu dem Eie selbst
gehöre. Nur um der Vollständigkeit zu gnügen, fügen wir Eini-
ges über die ältesten Schriftsteller nach Breschets Angaben (l. c.
p. 3. 93.) hinzu, bemerken aber ausdrücklich, daſs meistens hier nur
von Wahrscheinlichkeit, nicht aber von Gewiſsheit die Rede seyn
kann. Nach Breschet kannte Aretaeus Cappadox zuerst die de-
cidua
. Arantius dagegen spricht nur von einer nicht einfachen
Substanz. Fabrizius ab Aquapendente unterscheidet zwei Lagen,
nämlich eine schwärzliche, dem Leber- oder Milzparenchym ähn-
liche und eine andere, weiſse und schleimige. Fallopius war die
decidua bekannt; nicht aber Vesal und Spigel. Dagegen kannte
sie Harvey, während Ruysch nur das Chorion beschreibt. Hobo-
4*
[52]III. Das Ei während der Fruchtentwickelung.
ken nennt Chorion, Amnion und Allantois und deutet [vielleicht]
nur an einer Stelle auf die decidua hin. Rouhault kannte sie
wahrscheinlich von dem Menschen. Eben so Haller und Stalpart
van der Wiel, welcher Letztere sie für eine Fortsetzung des Cho-
rion ausgiebt. Albinus hat nur undeutliche Begriffe von ihr und
bei Böhmer kommt sie unter dem Namen substantia Fibro-spon-
giosa
vor (Breschet l. c. p. 3—14.). Aus unserer Lecture dage-
gen glauben wir entnehmen zu können, daſs Ruysch und Albinus
die Haut wenigstens theilweise gekannt haben. — W. Hunter hat
unstreitig das groſse Verdienst, ihre Existenz als gesondertes Ge-
bilde nicht nur ausgesprochen, sondern auch zuerst mit Sicherheit
dargethan zu haben, daſs die hinfällige Haut aus zwei in einan-
der gesackten Membranen bestehe, von denen er die äuſsere wahre
hinfällige Haut, Membrana decidua vera, die innere umgeschla-
gene, hinfällige Haut, Membrana decidua reflexa, nannte. (Ana-
tomie des schwangeren Uterus übers. von Froriep. S. 78.). Durch
diese Arbeit auf diese Membran gelenkt, bestätigten fast alle Ana-
tomen die Angaben des englischen Naturforschers. Nur Jörg (l.
c. S. 21.), Samuel (l. c. p. 61.), Maygrier (bei Breschet l. c. p.
63.) u. A., so wie Seiler nach einer früheren Darstellung (Pie-
rers anatomisch-physiologisches Realwörterbuch Bd. II. Leipz.
1818. S. 459.) läugneten die Reflexa. Maygrier (bei Breschet l.
c. p. 63.) hielt die von Hunter beschriebene decidua für die äu-
ſserste Lamelle des Chorion, eine Ansicht, welche vor W. Hun-
ters Darstellung in der Hallerschen Schule besonders verbreitet
war und die in neuester Zeit bei Granville (Froriep jun. in Cas-
per’s Wochenschrift 1834. S. 373.) wiederkehrt. Osiander da-
gegen unterschied zwischen der Membrana decidua vera oder
seiner Membrana mucosa und Membrana decidua reflexa
oder seiner Membrana crassa noch ein drittes Blatt als so-
genannte Membrana cribrosa. Endlich hat Dutrochet (s.
Velpeau Embryologie p. 2.) die Anwesenheit der decidua gänz-
lich geläugnet, während Chaussier unter seinem epichorion ca-
duca vera
und reflexa begreift (bei Breschet p 40.). — Durch
Bojanus (Isis 18. 21. S. 268.) wurde, wie später genauer noch
dargestellt werden soll, die Annahme eines dritten eigenen Blattes,
welches Manche vor ihm schon geahndet hatten, wahrscheinlich ge-
macht und für dasselbe der Namen decidua serotina vorgeschla-
gen. Dieser Name wurde von den meisten späteren auch ange-
[53]V. d. Fruchthälter ausgesch. Membranen u. Flüssigk.
nommen so wie die Existenz einer solchen Lamelle zum Theil
bestätigt.


β. Ihre Existenz in den verschiedenen Monaten der
Schwangerschaft
.

W. Hunter (l. c. p. S. 75.) sprach sich für ihre Existenz
während der ganzen Schwangerschaft aus und gab die Methode
an, durch welche man sich von ihr an der Nachgeburt überzeu-
gen könne. Dasselbe bestätigten Metzger (bei Danz Grundriſs der
Zergliederungskunde des ungeborenen Kindes I. 1792. 8. S. 22.),
Lobstein (l. c. S. 8.) Velpeau (Embryologie p. 6.), Bischoff (l. c.
p. 21.) und noch viele Andere. R. Wagner (Meckels Arch. 1830.
S. 88.) beschrieb die decidua noch aus dem Fruchthälter einer
Frau, welche in dem siebenten Schwangerschaftsmonate verstor-
ben war. Eben so fand er sie in einem Uterus aus dem dritten
Monate der Schwangerschaft (S. 85.) in einem sehr hohen Grade
von Ausbildung. Nach Moreau (bei Breschet p. 33.) ist die de-
cidua
um so mehr entwickelt, je näher die Frucht dem dritten
Monate sich befindet. Nach Meckel (Menschliche Anatomie IV.
S. 699.) ist sie in den früheren Schwangerschaftsperioden locke-
rer mit der Gebärmutter verbunden, als später. Auch wird sie
mit der Zeit dünner und auf ihrer Innenfläche glätter. Das Letz-
tere ergiebt sich auch aus den Erfahrungen von Hunter, Lobstein,
Moreau, Burdach, Breschet, Velpeau u. A.


b. Aeuſsere und innere Conformation der decidua
vera
und reflexa
.

Da die wahre hinfällige Haut ein Product der Schleimhaut
des Uterus oder gar wie Einige, jedoch mit Unrecht, glauben, ein
Theil dieser Schleimhaut selbst ist, so wird sie natürlich in ihrer
äuſseren Gestaltung auch die Form der inneren Cavität des Uterus
nachahmen. Es kommen aber zwei Fragen, welche von den
Schriftstellern auf das Verschiedenste beantwortet worden sind,
hierbei in Betracht, nämlich 1. Wie verhält sich die äuſsere Be-
grenzung der decidua vera an drei Mündungen des Uterus, d.
h. an den Einmündungen der Trompeten und dem Gebärmutter-
munde? [und] 2. Ist die decidua vera ein überall geschlossner
Sack oder nicht? Die Antworten, welche doch bloſse Resultate
einfacher Untersuchungen seyn sollen, fallen hier nach den verschie-
[54]III. Das Ei während der Fruchtentwickelung.
denen Schriftstellern so verschieden aus, daſs sich Facta nur mit
einigem Grade von Wahrscheinlichkeit annehmen, nicht mit Ge-
wiſsheit bestimmen lassen. Nach W. Hunter (anatomische Be-
schreibung des schwangeren Uterus S. 73.) ist der Theil der de-
cidua
, welcher sich in der Nähe des Gebärmutterhalses befindet,
sehr dünn und mit wenigen sichtbaren Gefäſsen versehen. Gegen
die placenta zu wird sie dicker und trennt sich in zwei Lamel-
len, welche beide Flächen des mütterlichen Antheiles der Pla-
centa überziehen. An jungen Eiern von einigen Wochen (S. 77.)
erstreckt sich die wahre decidua bis zu dem Anfange des Gebär-
mutterhalses und eine kleine Strecke in den Anfang der fallopi-
schen Röhren hinein. Nach Lobstein aber (l. c. S. 5.) sitzt sie
im fünften Monate der Schwangerschaft fester an der inneren
Mündung des Halses der Gebärmutter an. Nach Sandifort dage-
gen soll die decidua an den Mündungen der Trompeten und dem
Muttermunde fehlen. (Bei Breschet p. 22.), worin Krummacher
(Diss. sist. observ. quasdam anat. circa velamenta ovi hu-
mani. Duisb
. 1790. bei Breschet p. 24.) mit ihm übereinkommt.
Nach Meckel (menschliche Anatomie IV. S. 701.) reicht sie nie
bis über den inneren Muttermund. Der Hals der Gebärmutter
aber wird durch einen gallertartigen Pfropfen verschlossen. Sie
soll sich nach J. Hunters Angabe besonders in die Trompete der
Seite fortsetzen, in deren Eierstock der gelbe Körper sich finde,
während Tiedemann (Anatomie der kopflosen Miſsgeburten 1814.
Fol. p. IV.) die Fortsätze in die Tuben überhaupt bestätigt. Ca-
rus (Zur Schwangerschaft und Geburt 2. Bdchen S. 6.) glaubt, daſs
sie in den Muttermund und die fallopischen Röhren eindringe,
während sie nach Burdach (Physiol. II. S. 73.) an den Tuben
oder in den Hals des Uterus sich eine kleine Strecke fortsetzt,
an der letzteren Stelle aber überhaupt dünner, lockerer und mit
weniger Gefäſsen versehen ist. Auch Adelon nimmt (Phyolsiogie
de l’homme. Vol. IV. Paris
. 1824. 8. p. 136.), wie er angiebt,
nach den bestätigenden Erfahrungen von Krummacher und Du-
trochet diese Fortsätze an. Das von Heusinger (Zeitschr. für org.
Physik II. S. 514.) untersuchte Ei zeigte die Fortsätze in die
Tuben, wie sie Carus (l. c. tab. I. Fig. II.) abgebildet hatte; am
Gebärmutterhalse aber fand sich hier sowohl, als auch in anderen
Fällen die Substanz der hinfälligen Haut zwar zarter und wei-
cher, doch ohne Spur von wahren Oeffnungen. R. Wagner (Meck.
[55]V. d. Fruchthälter ausgesch. Membranen u. Flüssigk.
Arch. S. 86.) sah in einer dreimonatlichen Schwangerschaft an
der inneren Fläche der decidua kleine Grübchen von einigen
kreisförmigen Fältchen umgeben, welche Grübchen den Mündungs-
stellen der Trompeten entsprachen. Einige Linien von dem Mut-
termunde dagegen entsprang jederseits ein länglich runder Lappen,
welche zusammen den Eingang des Muttermundes verschlossen. Die
decidua war hier dicht an die innere Fläche der Gebärmutter
geheftet und ihre Oeffnung nur durch diese Lappen verstopft. In
einem Fruchthälter aus dem siebenten Monate fand er (S. 89.)
an der Mündungsstelle des linken Eileiters eine ähnliche Grube,
wie in dem vorigen Falle; an der Muttermundsöffnung dagegen
war die hinfällige Haut entschieden offen. In den Abbildungen
des von Joh. Müller und Bock (de membrana decidua Hunteri.
Bonnae
1831. 4. Fig. I—III.) untersuchten Eies kann man die
in den Gebärmutterhals gehende Verlängerung der decidua deut-
lich erkennen. Von Fortsätzen in die Tuben ist jedoch keine
Spur [angedeutet]. Seiler (die Gebärmutter und das Ei des Men-
schen in den ersten Schwangerschaftsmonaten. Dresden. 1832. Fol.
p. 30.) glaubt, seiner unten noch näher zu erörternden Theorie
consequent, daſs die Mündungen der Trompeten und des Gebär-
mutterhalses frei seyen, daſs sich nur in dem oberen Theile des
Collum uteri ein gallertartiges Gerinsel finde. Nach der Bildung
der decidua reflexa und der ferneren [Ausbildung] der decidua
vera
werde diese freie Communication aufgehoben. Nach Bre-
schet (Mém. de l’ácad. roy. de Medec. Vol. II. p. 97.) finden
sich zwar die Verlängerungen in die Tuben, sie sind aber keine
bloſse Fortsätze der decidua, und eben so wenig (wogegen sich
schon Burdach (Physiol. II. S. 73.) ausgesprochen), wie Dutrochet
glaubte, ein Analogon der Chalazen, sondern sie sind vielmehr im-
mer solid. Nach dem Munde der Gebärmutter aber (p. 98.) geht kein
solcher Fortsatz, sondern jener wird durch einen eigenen Gallert-
pfropf geschlossen. Wahrscheinlich dienen alle diese Anhänge
zur Fixirung der decidua. Velpeau (Heusinger’s Zeitschrift. II. S.
68.) giebt an, daſs die decidua zuweilen Fortsätze in den Gebär-
mutterhals und die Trompeten schicke. Wir selbst haben alle
drei Fortsätze in dem fünften Monate deutlich gesehen. An den
Tuben waren es längliche, gracile gallertartige Massen ohne Höh-
lung, die aber so dicht an der decidua hingen, daſs sie bei dem
Abziehen derselben leicht aus der Höhlung der Trompeten her-
[56]III. Das Ei während der Fruchtentwickelung.
ausgezogen werden konnten und in ihrem Zusammenhange mit
der decidua vera blieben. In dem Halse der Gebärmutter fand
sich ein einfacher, dicker, gallertartiger Pfropf, welcher ohne allen
innigen Zusammenhang mit der decidua vera war und bei der
Trennung dieser an seiner Stelle sitzen blieb. Diesem schreibt
R. Wagner (Isis 1832. S. 785.) eine eigenthümliche Organisa-
tion zu. — Eine zweite, bei Weitem wichtigere Frage ist die,
ob die decidua immer oder nur zu einer bestimmten Zeit Oeff-
nungen habe oder einen von allen Seiten geschlossenen Sack
bilde. Die Antworten der Schriftsteller fallen hier so verschie-
den aus, daſs selbst Einige, wie R. Wagner, zu dem Resultate zu
gelangen glaubten, daſs die Natur hier in verschiedenen Fällen ver-
schiedene mögliche Verhältnisse wirklich realisirt habe. Nach
Bock (l. c. p. 10.) findet sich in den Abbildungen und Darstel-
lungen von Blancard, Heister, Madai, D. Chr. Burdach keine Spur
eines Loches. So wahr dieses auch ist, so muſs man doch an-
derseits bedenken, daſs die meisten dieser Abbildungen noch ziem-
lich roh und unvollkommen sind, daſs sie gröſstentheils durch
Abortus entfernte Eier betreffen, bei denen die Entscheidung bei
Weitem schwieriger und unsicherer ist, als bei der Untersuchung
des ganzen Fruchthälters, daſs man endlich nur zu leicht Punkte,
auf die man noch nicht aufmerksam geworden, übersieht. W.
Hunter (anatomische Beschreibung des schwangeren Uterus. S. 77.)
beschreibt im Allgemeinen die kleinen Oeffnungen der in die Tu-
ben sich hineinerstreckenden Fortsätze und fand in einem schwan-
geren Uterus von zwei Wochen (?) die decidua im Anfange des
Gebärmutterhalses so fein, wie die Retina, aber ohne Löcher. In
späteren Perioden der Schwangerschaft scheint sich jedoch die
decidua vera zu trennen und so hier eine wahre Oeffnung zu
haben. Auſserdem stellt er (anatomia uteri gravidi tab.
XXXIV
.) alle drei Oeffnungen aus mehreren Eiern dar. J. Hun-
ter soll nach Meckels Angabe (menschliche Anatomie IV. S. 701.)
dieses Factum dahin berichtigt haben, daſs man sie schon im er-
sten Monate verschlossen finde. Nach Breschets Bericht (l. c. p.
17.) ist nach J. Hunter die decidua an der hinteren Fläche der
Gebärmutter gegen die Tuben hin dichter und hängt hier auch
fester an. Nach Sandifort (Obs. anat. pathol. L. B. 1777. lib.
2. cap. 1. p. 5. bei Breschet p. 22.) fehlt die decidua vera an
den Trompetenmündungen und an dem Muttermunde. Krumma-
[57]V. d. Fruchthälter ausgesch. Membranen u. Flüssigk.
cher (l. c. bei Breschet p. 24.) und Burns (Hunter’s anat. Be-
schreib. d. Uterus S. 80. 81.) stimmten in ihrer Annahme und
Beschreibung der Oeffnungen mit W. Hunter überein. Blumen-
bach (institutiones physiologicae ed. II. 1798. 8. p. 438.) läſst
die Membrana decidua vera s. crassa an den drei Mündungs-
stellen durchbohrt seyn und deutet in seiner Abbildung (tab. IV.
Fig. I.) die eine Oeffnung an der Mündungsstelle der Trompete an.
Nach A. C. Reuſs (obs. circa structuram vasorum in placenta
humana. Tubing
. 1784. p. 53. bei Danz l. c. I. S. 21.) soll die
ganze decidua vera zuweilen unbeschädigt bei der Geburt ab-
gehen, die drei Oeffnungen zeigen und sich hierdurch von der
reflexa unterscheiden. Lobstein (über die Ernährung des Fötus
übers. von Kestner S. 6.) hat die drei Oeffnungen der hinfälligen
Haut nie gefunden, giebt jedoch zu, daſs sie in der ersten Zeit
der Schwangerschaft existiren können. An der inneren Mündung
des Halses der Gebärmutter sitzt die decidua aber so fest, daſs sie
nur mit Zerreiſsung von ihm losgetrennt werden kann. Gardieu
läugnet die drei Löcher der decidua gänzlich. Eben so wenig
konnte Tiedemann (l. c. p. IV.) die Oeffnungen an den Tuben
finden, bestätigte aber die Oeffnung an dem Muttermunde. Mo-
reau (essai sur la disposition de la membrane caduque, sa
formation et ses usages par F. S. Moreau. Paris
1814. p. 12.
Bei Burdach Physiol. S. 73. bei Breschet l. c. p. 32.), Samuel
(l. c. p. 16.), Rosenmüller (s. Bock. l. c. p. 11. 12.) konnten alle
drei Oeffnungen gar nicht sehen. Meckel (menschliche Anatomie
IV. S. 701.) glaubt, ganz, wie es scheint, durch fremde Erfahrun-
gen geleitet, daſs nach dem ersten Monate die Mündung an dem
Halse der Gebärmutter, nach dem zweiten dagegen auch die an
den Tuben schwinde. Bojanus (Isis 1821. S. 268.) spricht von
den Oeffnungen an den Trompetenmündungen als etwas Bekann-
tem und Constatirtem, wiewohl er sie in seiner schematischen
Abbildung nicht dargestellt hat. Nach Carus (l. c. II. S. 6.) ist
die decidua nach dem Muttermunde hin offen und würde es auch
an den beiden Trompeten ebenfalls seyn, wenn sie nicht bei dem
Eindringen in die Tuben zusammengedrückt würde. Pockels (Isis
1825. tab. XIII. Fig. 2.) bildet, dem Halse der Gebärmutter ent-
sprechend, eine groſse und an den Tuben zwei kleine Oeffnungen
ab. Gegen die Existenz von Oeffnungen erklärt sich Adelon
(physiologie de l’homme IV. p. 136.) und erkennt gar keine
[58]III. Das Ei während der Fruchtentwickelung.
Oeffnung an, während nach Heusinger (Zeitschrift für die organ.
Physik II. S. 514.) an den Mündungen der Tuben [durchaus] keine
existirt, die decidua dagegen an dem Gebärmutterhalse immer
zarter wird, so daſs sie hier äuſserst leicht zerreiſst. Nach unten
aber befindet sich (dslb. Zeitschr. Bd. 1. S. 465.) ein gallertarti-
ger Pfropf, welcher die Mündung der Gebärmutter schlieſst. Burdach
(Physiol. II. S. 73.) sah deutlich, wie die Mündungen der Tuben von
der decidua verschlossen wurden; in der Nähe des Muttermundes
dagegen ist sie nur dünner, lockerer und weniger gefäſsreich. R. Wag-
ner, welcher der irrthümlichen Ansicht ist, daſs John Hunter die Oeff-
nungen der decidua genau beschrieben habe (Meck. Arch. 1830. S.
76.), folgert aus der Reihe der ihm bekannten Beobachtungen (S. 100.),
daſs die hinfällige Haut entweder eine überall geschlossene Blase
darstelle oder daſs sie nach unten und an einer oder an allen bei-
den Trompetenmündungen offen sey. Daſs Seiler in Consequenz
seiner Ansicht der decidua überhaupt drei Oeffnungen annimmt,
welche später geschlossen werden, haben wir oben schon ange-
führt. Velpeau (Heusinger’s Zeitschrift II. S. 69.) hielt in einem
früheren Berichte die Oeffnungen für zufällig, läugnet sie dagegen
in seinem neuesten Werke (Embryologie p. 3.) in dem normalen
und natürlichen Zustande gänzlich. Die Verlängerungen, welche
nach Breschet (l. c. p. 98.) sich nur in die Tuben (bisweilen so-
gar nur in eine, was jedoch wahrscheinlich nur zufällig ist) er-
strecken, sind hier stets geschlossen. Der Muttermund wird
durch den Gallertpfropf noch besonders verschlossen.


Fassen wir nun kürzlich die vielfach abweichenden Angaben
der Schriftsteller über die Oeffnungen der decidua zusammen,
so erhalten wir folgende Rubriken:


1. Diejenigen, denen decidua nichts ist, als die aufgelockerte
Schleimhaut der Gebärmutter, müssen natürlich ursprünglich drei
Oeffnungen annehmen. Hierher gehören besonders Oken, Bär,
Raspail, Seiler u. A.


2. Die drei Mündungen lassen sich durch Beobachtung nach-
weisen. W. Hunter, Burns, Sandifort, Krummacher, Blumenbach,
Reuſs, Bojanus, Pockels.


3. Die drei Mündungen existiren; sie haben jedoch nur eine
temporäre Existenz. John Hunter, Lobstein (nach seiner Ver-
muthung), Meckel (nach literarischen Angaben). Seiler u. A.


[59]V. d. Fruchthälter ausgesch. Membranen u. Flüssigk.

4. Es existirt nur eine Mündung an dem Muttermunde; an
den Tuben dagegen fehlt jede Oeffnung. Tiedemann, Carus.


5. Es findet sich in dem unverletzten Zustande gar keine
Oeffnung. An der dem Mutterhalse entsprechenden Stelle aber
ist die decidua überaus dünn, so daſs sie ohne Zerreiſsung nicht
getrennt werden kann. Heusinger, Burdach.


6. Alle drei Löcher wurden nicht gefunden. Lobstein (nach
seinen Beobachtungen), [Gardieu], Moreau, Samuel, Rosenmüller,
Adelon, Breschet, Velpeau.


7. Man kann alle möglichen Modificationen annehmen, da die
Verhältnisse variiren. R. Wagner.


W. Hunter hat nicht bloſs das Verdienst, die Aufmerksam-
keit der Naturforscher auf die bisweilen auch nach ihm genannte,
hinfällige Haut gelenkt, sondern auch die fixe Unterscheidung
zwischen den beiden Theilen, der caduca vera und reflexa auf-
gestellt zu haben (anatomische Beschreibung des schwangeren
Uterus. S. 78.). Nach ihm haben die meisten Anatomen und Phy-
siologen diese beiden Lagen anerkannt. Osiander unterschied
zwischen ihnen noch eine dritte unter dem Namen der Membrana
cribrosa
, während Jörg, Samuel, Seiler (nach einer früheren Dar-
stellung) u. A. die reflexa gänzlich läugnen, E. v. Siebold,
Chaussier u. A. decidua vera und reflexa nicht hinlänglich von
einander unterscheiden. Endlich muſs derjenige Theil der Natur-
forscher, welcher der bald zu erörternden Einstülpungstheorie
huldigt, noch eine dritte Membran, die sogenannte decidua se-
rotina
annehmen, von der weiter unten noch ausführlicher ge-
handelt werden soll.


Innerhalb der decidua oder späterhin zwischen decidua
vera
und decidua reflexa ist eine Höhle befindlich, welche im
Verlaufe der Schwangerschaft immer kleiner wird, indem sie [end-
lich]
dadurch schwindet, daſs die beiden deciduae sich dicht an
einander legen oder mit einander verwachsen. Dadurch, daſs W.
Hunter (anat. Beschreib. des schwang. Uterus S. 79.) die allmäh-
lige Verwachsung der beiden deciduae angiebt, setzt er natürlich
die Existenz einer in frühester Zeit zwischen beiden sich finden-
den Höhlung voraus. Burns (s. Heusingers Zeitschrift II. S. 515.)
beschrieb nach ihm bestimmt diese Höhle, so wie überhaupt jeder
von selbst darauf kommen muſste, welcher sich auf eine genaue
und gründliche Weise das Verhältniſs zwischen caduca vera
[60]III. Das Ei während der Fruchtentwickelung.
und reflexa vorstellte, wie Bojanus, Meckel u. A. Eben so lieſse
sich schon im Voraus erwarten, daſs eine Flüssigkeit innerhalb
dieser Höhlung enthalten sey, da eine solche sich immer da zeigt,
wo zwei Membranen sich in mehr oder minder innigem Con-
tact befinden, ohne mit einander zu verwachsen. So gehören
vielleicht die von Lobstein wahrgenommenen Filamente (l. c. p.
8.) und Osianders Membrana cribrosa hierher. Das Verdienst
der näheren Beobachtung und Beschreibung dieser Flüssigkeit aber
eigenet sich Breschet zu. Er belegt sie mit einem eigenen Namen,
[nämlich] dem der hydroperione. Sie ist nach ihm in der ersten Zeit
klar, farblos, schleimigt oder etwas eiweiſsartig, später dagegen
etwas milchigt. Bisweilen ist sie einer schwachen Emulsion ähn-
lich, mit etwas Schleim verbunden und von einer schwach rosen-
rothen Farbe. Heusinger (Zeitsch. für org. Physik II. S. 515.)
fand in der Höhlung zwischen den beiden hinfälligen Häuten statt
einer lymphatischen Feuchtigkeit Blut. Nach Velpeau (Embryo-
logie p. 4.) dagegen ist die Flüssigkeit klar, in der Regel röth-
lich und dem Eiweiſse nicht unähnlich.


c. Gewebe der hinfälligen Häute.

Auch hierüber finden sich in den Angaben der Anatomen
fast alle, nur irgend möglichen Widersprüche. Nach W. Hunter
(l. c. S. 73.) selbst ist sie zwar dicker und [durchsichtiger], als
die anderen Eihäute, sie hat aber ein bei Weitem zarteres Ge-
webe und ist mit vielen Gefäſsen versehen. Die äuſsere Fläche
der decidua zeigt viele Flocken, ihre innere dagegen ist glatt.
Dadurch aber, daſs die Flocken im Laufe der Entwickelung schwin-
den, wird später der Unterschied zwischen äuſserer und innerer
Fläche der hinfälligen Haut minder scharf marquirt. Die deci-
dua reflexa
(S. 79.) ist überaus dünn und zart, ja sie wird wäh-
rend des Verfolges der Schwangerschaft immer zarter. An ihrem
Verbindungswinkel mit der decidua vera finden sich in ihr sehr
viele, kleine Löcher. Diese von ihm zuerst gegebene Structur-
lehre ist genauer und brauchbarer, als die seiner Vorgänger, wel-
che gröſstentheils entartete und durch Abortus entfernte Eier
vor sich hatten. Mayer und Danz (l. c. I. S. 20) beschreiben die
caduca vera als ein dicke, schleimigte Haut, welche von locke-
rem Gefüge und mit vielen Gefäſsen versehen ist; die reflexa
dagegen (S. 27.) ist nach ihnen eine dunkelweiſse, zellenförmige,
[61]V. d. Fruchthälter ausgesch. Membranen u. Flüssigk.
fein durchlöcherte, zum Theil durchsichtige Haut, welche nach
Metzger aus den allerfeinsten Gefäſsen besteht. Nach Lobstein
(l. c. S. 4.) ist sie um so dicker, je jünger das Ei, und gleicht
dann geronnenem Blute, das mehrere Male gewaschen eine Ent-
zündungshaut von gelblicher Farbe darstellt. So erscheint sie zu
Anfange des zweiten Monates der Schwangerschaft. Späterhin zeigt
sich eine um einen Punkt versammelte Menge Flocken auf der
mütterlichen Seite, um den Mutterkuchen zu bilden. An den
übrigen Stellen finden sich nur kleine, von Gefäſsen herrührende
Unebenheiten. Mit bloſsem Auge betrachtet scheint die caduca
von vielen, schief durch ihre Substanz hindurchgehenden Löchern
durchbohrt zu seyn; unter Vergröſserung sieht man eine Menge
paralleler Erhöhungen, welche Vertiefungen verschiedener Gröſse
zwischen sich lassen. Die mütterliche Seite ist viel höckeriger,
als die kindliche. Die Gefäſse der hinfälligen Haut (S. 12.) lassen
sich sehr leicht in dem ganz frischen Zustande beobachten u. sind
Fortsetzungen der Gebärmuttergefäſse. Nach Moreau (bei Brechet p.
33.)zeigt die hinfällige Haut, gegen das Licht gehalten, viele schief durch
ihre Substanz hindurchgehende Oeffnungen. Nach dem dritten Mo-
nate der Schwangerschaft wird sie dünner, nimmt im vierten und
fünften Monate ein zelliges, grauliches Ansehen an, wird im sech-
sten röthlich und hat sich im siebenten Monate in wahres Zell-
gewebe verwandelt. Meckel (Menschliche Anatomie IV. S. 699.)
vergleicht sie ihrem Wesen und ihrer gelblichen Farbe nach mit
dem geronnenen Faserstoff, Heusinger (Zeitschr. für die org. Phy-
sik. II. S. 515.) mit einem homogenen, weichen, leicht zerreiſsli-
chen Zellstoff, welcher maschenförmige Oeffnungen zwischen sich
läſst. Die Beschreibung von R. Wagner (Meck. Arch. 1830. S.
82.) stimmt mit der von Lobstein überein, so wie Burdach (l. c.
S. 73.) den [Vergleich] des Letzteren mit der ausgewaschenen
Speckhaut wiederholt. Güntz (l. c. p. 21.) hat die Gefäſse der
decidua selbst injicirt und E. H. Weber (Hildebr. Anat. IV. S.
486.) genau beschrieben. Breschet’s Beschreibung (l. c. p. 99.)
stimmt mit dem, was Lobstein und Moreau hierüber gesagt haben,
überein. Nur bemerkt er noch, daſs die schief durchgehenden
Oeffnungen sich in der decidua schon vor der Ankunft des Ei-
chens in den Uterus und bei Extrauterinalschwangerschaften fin-
den. Velpeau (Embyologie. p. 5.) vertheidigt die früher schon
ausgesprochene Ansicht (s. Heusingers Zeitschr. II. S. 70.), daſs
[62]III. Das Ei während der Fruchtentwickelung.
die decidua ohne Organisation sey. Sie ist nicht unorganisch,
sondern unorganisirt, wie der Zahnschmelz, der Schleim u. dgl.
Sie ist ohne Blutgefäſse, ohne bestimmte Fasern, vielmehr eine
einfache Lage eines ausgeschwitzten Stoffes. Endlich hat Bischoff
(l. c. S. 23.) die Gefäſse der decidua an der eben aus dem Ute-
rus ausgestoſsenen Nachgeburt nicht nur mit Blut gefüllt gesehen,
sondern auch mit Quecksilber und anderen Massen injicirt.


d. Verbindung der hinfälligen Häute mit den Nachbar-
theilen und unter einander selbst
.

Daſs die Membrana decidua vera sich genauer an die Ge-
bärmutter, die decidua reflexa sich genauer an das Ei anschlieſse,
erhellt aus allen über diese Häute angestellten Untersuchungen.
Zwischen beiden aber bleibt ein Zwischenraum, der um so gröſser
ist, je jünger das Ei, und welcher durch Breschet’s Hydroperione
ausgefüllt wird. Was nun die Adhärenz an die Gebärmutter be-
trifft, so schlieſst sich die decidua nach Breschet (l. c. p. 99)
genau an die innere Oberfläche des Uterus an. Nach W. Hunter
Lobstein, Burdach u. A. ist dieses inniger an dem Halse, nach J.
Hunter an dem Grunde der Gebärmutter der Fall. Nach Meckel
ist in früherer Zeit die Verbindung weit lockerer, als später.
Eben so heftet sich die decidua vera inniger an das Chorion,
so daſs nach Velpeau (Embryologie. p. 3) die Entfernung des
Eies ohne Zerreiſsung der hierher gehörenden Membranen nur in
der vierten bis sechsten Woche möglich ist. Was aber die Ver-
wachsung der beiden deciduae mit einander betrifft, so setzt sie
Lobstein (l. c. S. 8.) spätestens in den fünften bis sechsten, Mo-
reau (bei Breschet l. c. p. 35) in den sechsten und R. Wagner
(l. c. S. 96.) in das Ende des zweiten oder den Anfang des drit-
ten Monates, Breschet (l. c. p. 109.) in den dritten und Velpeau
(l. c. p. 68.) in den vierten Monat der Schwangerschaft. Zur
wahren Verwachsung selbst kommt es nie, sondern beide Blätter
liegen dicht und auf innige Weise an einander geleimt.


e. Entstehung der hinfälligen Häute.

Auf die mannigfaltigste Art ist die Entstehung der beiden
hinfälligen Häute von den Schriftstellern gedacht und gelehrt
worden. Wenn man einen Versuch machen will, in dieses Chaos
von Meinungen und Widersprüchen eine systematische Ordnung
[63]V. d. Fruchthälter ausgesch. Membranen u. Flüssigk.
zu bringen, so muſs man zwar einerseits nothwendiger Weise die
Entstehung der decidua vera und reflexa unter gewissen Haupt-
ansichten für sich betrachten, bei jedem einzelnen Schriftsteller
aber auch nachsehen, wie er sich den Zusammenhang beider Häute
gedacht, wie er es sich vorgestellt habe, ob die eine aus der an-
deren, innerhalb der anderen oder unabhängig von der anderen
sich bilde. Wir werden daher hier am Zweckmäſsigsten verfah-
ren, wenn wir die Genese jeder der beiden deciduae gesondert
nach den verschiedenen Ansichten der Schriftsteller [abhandeln],
bei Gelegenheit der reflexa aber, welche die zweite [Abtheilung]
füllt, zugleich auf die Ansicht der Verfasser von der Entstehung
der decidua vera und ihren nothwendigen Zusammenhang der-
selben mit der reflexa Rücksicht nehmen. Eine bloſs chronolo-
gische Ordnung würde die hier ohnedies nicht ganz leichte Ueber-
sicht nur noch mehr verwirren.


α. Entstehung der decidua vera.

Zuvörderst frägt es sich: Ist die decidua vera ein eigen-
thümliches und selbstständiges Gebilde oder nur ein Theilorga-
nismus des Uterus, welcher einen höheren Grad von Selbststän-
digkeit erreicht. Die Antworten der Anatomen und Physiologen
fallen hier sehr verschieden aus. 1. Sie ist kein selbständiges
Gebilde, sondern die aufgelockerte, ganz oder theilweise meta-
morphosirte Schleimhaut der Gebärmutter. Gegen diese Ansicht,
welche Sabatier u. A. schon im vorigen Jahrhunderte vorgetragen,
haben sich Danz, Lobstein u. A. erklärt. Als eine Modification
derselben ist die von Burns (bei Burdach Physiol. II. S. 74.) an-
zusehen, daſs die decidua durch Hervorsprossen der Gefäſse des
Fruchthälters entstehe. Zu demselben Resultate, daſs die decidua
nur die locker gewordene und zuletzt losgestoſsene Schleimhaut
der Gebärmutter sey, kamen, wie schon oben berichtet wurde,
Oken und v. Bär durch die Untersuchung der Säugethiere, wo
sich eine einfache, mehr gelatinöse, als bestimmt membranöse Masse
findet, welche vielleicht der decidua entspricht, da die innere
Fläche des Fruchthälters überhaupt einen hohen Grad von Ausbil-
dung erlangt, um die verschiedenen Formen der Placenta darzu-
stellen. Dieses letztere Moment scheint Jörg bei seiner, oben
schon berührten Ansicht geleitet zu haben. Dasselbe Princip
scheint auch Raspail (Repert. d’anat. VI. bei Breschet p. 76. 77.)
[64]III. Das Ei während der Fruchtentwickelung.
zu bestimmen, wenn er die Meinung ausspricht, daſs die decidua
die höher ausgebildete Schleimhaut des Uterus sey, da er gleich-
sam zur Bestättigung am Schlusse des Hundes [und] der Katze er-
wähnt, in welchen die Gefäſse sehr lange Zeit persistirten. Seiler
endlich (die Gebärmutter und das Ei des Menschen S. 28.) scheint
nur durch Beobachtung am Menschen zu seinem hierher gehören-
den Ausspruche gekommen zu seyn. Nach ihm lockert sich die
Schleimhaut in Folge der Befruchtung auf, ihre Blutgefäſse wer-
den ausgedehnt und ihr Zusammenhang mit der Faser- und Ge-
fäſssubstanz geringer. 2. Die decidua ist eine eigenthümliche
Bildung und zwar die einzige eigenthümliche Formation des Frucht-
hälters selbst in seinem Innern. Zu dieser die Paradoxie auf das
Weiteste treibenden Ansicht kam Chaussier (bei Breschet S. 38
— 40.). Er nimmt keine Schleimhaut auf der inneren Fläche der
Gebärmutter an. Bisweilen aber finde man [auf] ihr eine durch-
sichtige und weiche Lage, welche durch Maceration oder Tren-
nung entfernt werden könne und immer eine einfache aus dem
Faserstoffe des Blutes bestehende (couenneuse) Concretion sey.
Sie bilde sich, wie jede andere Pseudomembran in Folge einer
höheren Reizung, aus der inneren Fläche des Uterus und faſse,
als sein sogenanntes Epichorion, die Caduca vera und reflexa
in sich. 3. Die decidua vera besteht als ein eigenthümliches
Gebilde innerhalb des Fruchthälters und zunächst innerhalb der
Schleimhaut desselben und zwar α. diese Schleimhaut scheidet
sie nach der Analogie anderer [entzündeter] Häute, wie z. B.
der trachea, in Form plastischer Exfudationen aus. W. Hunter
(anat. Beschreib. des schwang. Uterus S. 80.) vergleicht schon die
decidua mit der Schicht coagulabler Lymphe, welche sich auf
entzündeten Oberflächen bildet. Denn beide seyen zart, markig
und von gelblich weiſser Farbe und hätten sehr viele Blutgefäſse.
Auch dadurch, daſs die Gefäſse des Uterus sich nach der Befruch-
tung sehr füllten, sey eine gewisse Aehnlichkeit mit einem ent-
zündlichen Zustande vorhanden. Doch finde der Unterschied Statt,
daſs die durch Entzündung entstandene Membran sich nach und
nach in eine feste, aus Zellstoff bestehende Haut verwandele, die
decidua aber immer ein eigenthümliches Gebilde bleibe. Seine
Nachfolger übersahen diesen Unterschied und so nannten Danz
(l. c. I. S. 18.), Blumenbach (institutiones physiol. ed. II. p.
437.), E. Siebold (bei Breschet S. 30.) u. A., sie geradezu eine
durch
[65]V. d. Fruchthälter ausgesch. Membranen u. Flüssigk.
durch Entzündung der [Oberfläche] ausgeschiedene Schicht plastischer
Lymphe. Die Thätigkeit, durch welche die hinfällige Haut entsteht,
ist geradezu eine entzündliche. Lobstein (l. c. p. 20.) geht zwar
ebenfalls in den Hunterschen Vergleich der Entzündung ein und sucht
ihn noch durch neue Beweise zu unterstützen, kommt jedoch auf
eine andere dagegen sprechende Differenz, als Hunter selbst, daſs
nämlich die falschen Membranen in verschiedenen Individuen von
ungleicher, die Caduca aber immer von gleichartiger Beschaffenheit
sey. Wenn daher eine Analogie der Genese derselben mit der der
Entzündungshäute Statt finde, so sey doch noch etwas Eigenthüm-
liches und auf besondere Weise Gesetzliches in ihrer Entstehung
(S. 21.). Aehnlich scheint die Meinung von R. Wagner (l. c. S.
90. 91.) zu seyn, daſs die durch die Begattung entstehende Auf-
regung der Gebärmutter, ein mit der Entzündung zu vergleichen-
der Zustand, die hinfällige Haut erzeuge, so wie die Ansicht Bocks
(l. c. p. 21.), welche er durch die in den falschen Membranen
nachgewiesenen Blut- und Lymphgefäſse zu unterstützen sucht.
4. Lobstein’s der unmittelbaren Beobachtung entnommene Ansicht
führt zu dem höheren Gesichtspunkte daſs die decidua das Pro-
duct einer eigenthümlichen Thätigkeit der Gebärmutter sey, die
aber mehr oder minder entfernte Analoga in anderen Prozessen,
wie z. B. in dem der Entzündung, habe. Zu dieser geläuterten Auf-
fassung bekennen sich noch auſser ihm Einige, welche schon un-
ter der vorigen Abtheilung angeführt wurden, Burdach (Physiol.
II. S. 74-), E. H. Weber (Hildebr. Anat. IV. S. 486), Breschet
(l. c. p. 95), Bischoff (l. c. S. 13.) u. A. Velpeau (Embryologie
p
. 6.) dagegen bemüht sich sogar durch Verschiedenheit der hi-
stiologischen Charaktere den Unterschied zwischen decidua und
plastischen Membranen nachzuweisen. Das Unrichtige seiner Mei-
nung ist schon oben angeführt worden.


β. Entstehung der Reflexa.

Wir müssen hier, wie überall, zwei wesentlich verschiedene
Dinge von einander unterscheiden, nämlich reelle Beobachtung und
Theorie der Erklärung. Thatsache ist es, daſs innerhalb der
decidua vera und zwischen dieser und dem Chorion eine andere
Membran eingeschlossen ist, welche das Ei von allen Seiten um-
giebt, und welche decidua reflexa genannt wird. An der Um-
gebung der Placenta stoſsen wahre und umgeschlagene hinfällige Haut
5
[66]III. Das Ei während der Fruchtentwickelung.
zusammen und auf dem kindlichen Antheile der Placenta, dem so-
genannten Fruchtkuchen, läſst sich mit mehr oder minder Deutlich-
keit ein hautartiges Gebilde erkennen, welches mit den hinfälli-
gen Häuten in unmittelbarer Verbindung steht. Wiewohl diese
Thatsachen, wie Alles in den Berichten über die decidua, nicht
von Allen zugestanden werden, so können wir sie doch voraus-
setzen, weil sie sich sowohl in jedem Eie nachweisen lassen, als
auch von den meisten Naturforschern, so wie uns selbst, wenigstens
übereinstimmend gefunden worden sind. Daſs nun die äuſsere [dieser]
[beideu][Häute] ein in der Gebärmutter, unabhängig von der Ankunft
des Eies in dieselbe, sich erzeugendes Product sey, ist oben schon
durch eine Reihe von Erfahrungen nachgewiesen worden und dürfte
heute wohl [überhaupt] von keinem Physiologen bezweifelt werden.
Es bleibt also nur zu erklären übrig, wie die innere Haut, Hunters
decidua reflexa, entstehe, und was es mit dem häutigen Gebilde
auf dem Fruchtkuchen für ein Bewandniſs habe. — William Hun-
ter selbst (anatom. Beschreib. d. schwang. Uterus S. 78.) giebt
nur an, daſs die decidua sich an dem Rande des Mutterkuchens
in zwei Lamellen theile und daſs (S. 79.) an dieser Stelle ein
Verbindungswinkel sich finde. In seiner Abbildung (anatomia
uteri gravidi tab. XXXIV
) muſste sich also das Verhältniſs so
darstellen, als ob die decidua reflexa in die Höhlung der deci-
dua vera
hineingestülpt sey. Eine wahre Theorie der Entstehung
der decidua hat er aber nicht geliefert. In späteren Bearbeitungen
dieses Theiles der Physiologie finden wir erst Begründungen der
Art, welche sich unter folgende Hauptpunkte zusammenfassen lassen:


1. Die beiden deciduae entstehen in verschiedenen Orga-
nen. Mayer (catal. mus. anat. Bonnens. p. 21. bei Bock l. c.
p. 29 und Müllers Arch. für die Anatomie, Physiologie und wis-
senschaftliche Medicin 1834. Hft. I. S. 5.) hat, geleitet durch die
Beobachtung, daſs bei Tubenschwangerschaft sich auch eine deci-
dua
um das Ei finde, die Vermuthung aufgestellt, daſs die de-
cidua vera
dem Uterus angehöre, die decidua reflexa aber sich
in den Tuben bilde. Wenn dieses erwiesen wäre, so würde sie
in dieser Rücksicht der Eischaale, mit welcher sie auch biswei-
len verglichen worden, analog seyn, die sich auch in dem un-
teren Theile des Eileiters der Vögel bildet. Doch können noch
viele gegründete Zweifel dagegen erhoben werden.


2. Die beiden deciduae entstehen in demselben Organe,
dem Fruchthälter. Sie sind aber völlig gesonderte Gebilde und zwar:


[67]V. d. Fruchthälter ausgesch. Membranen u. Flüssigk.

a. Von verschiedenem Ursprunge und Werthe. Die decidua
vera
ist kein neues Gebilde, sondern die aufgelockerte und me-
tamorphosirte Gebärmutterschleimhaut, von welcher dann die re-
flexa
um das Ei herum abgeschieden wird. Seiler (die Gebär-
mutter und das Ei des Menschen S. 30.) spricht diese mit seiner
Ansicht von der wahren hinfälligen Haut in völliger Consequenz
stehende Vorstellung am deutlichsten aus.


b. Von verschiedenem zeitlichen Ursprunge. Joh. Müller
(s. Arch. Hft. 1. S. 6.) stellt die Vorstellung zur Prüfung auf,
daſs das Exsudat der decidua vera vor dem Eintritte des Eies
in den Uterus entstehe, daſs aber das einmal schon organisirte
Exsudat eben bei dem Eintritte des Eies ein neues Exsudat um
die Eintrittsstelle von jenem bilde. —


c. Nicht bloſs von verschiedenem zeitlichen, sondern auch
von verschiedenem örtlichen Ursprunge. Nach Breschet (l. c. p.
103.) hat das Eichen während seines Durchganges durch die Tube
sich mit einer plastischen Masse umgeben und gelangt, wenn es
in den Uterus gekommen, in die Substanz der hinfälligen Haut
selbst. Durch die Vergröſserung nun entsteht auf diese Weise
eine hinfällige Haut an dem Eichen selbst, die decidua reflexa,
ohne daſs die decidua vera an irgend einer Stelle umgestülpt
oder die innere Schleimhaut des Uterus an irgend einem Ort ent-
blöſst worden wäre. Diese Theorie bildet den unmittelbaren
Uebergang zu den folgenden Ansichten.


4. Die Theorien der Propulsion und Einsaat. Die decidua
reflexa
entsteht dadurch, daſs das Eichen einen Theil der deci-
dua vera
vor sich hertreibt. Sie findet sich auf folgende Weise
modificirt.


a. Die Vorstellung von J. Burns. Nach ihm (Hunter ana-
tom. Beschreib. d. schwang. Uterus S. 80. 81.) besteht die deci-
dua
aus zwei Lamellen. Die äuſsere ist an den Mündungen der
Trompeten und dem Gebärmutterhalse offen. Die innere Lamelle
ist überall geschlossen, erstreckt sich an den Oeffnungsstellen über
die äuſsere Lamelle hinaus und verschlieſst auf diese Weise die Lük-
ken der äuſseren Schicht. Das Eichen wird nun durch die innere
Lamelle gleichsam aufgehalten, wenn es in den Uterus kommt,
treibt diese vor sich her und stellt so die decidua reflexa dar.
Zuletzt endlich, im dritten Monate, kommen beide Lamellen in
innige Berührung.


5*
[68]III. Das Ei während der Fruchtentwickelung.

b. Die Vorstellung von Meckel. Dieser glaubt (menschliche
Anatomie IV. S. 702.) daſs das Eichen in die weiche und lockere
Substanz der decidua dringe, die dadurch entstandene Lücke sich
wiederum schlieſse und das Eichen [nun] innerhalb der Substanz
der hinfälligen Haut sich weiter entwickele.


c. Die Vorstellung von Carus. Sie ist ähnlich, fast iden-
tisch mit der von Meckel und besteht in Folgendem (Zur Schwan-
gerschaft Bd. 2. S. 7.). Das Eichen dringt in die weiche deci-
dua
und ist von ihrer Substanz überall umgeben. Die nach in-
nen liegende Schicht der decidua wird nun vorwärts gedrängt
und durch Vergröſserung zur reflexa, während die Eintrittsstelle
des Eichens verwächst und die Lücke sich schlieſst. Dieser Mei-
nung pflichtet auch Heusinger (Zeitschr. für org. Physik II. S.
514.) bei.


5. Die Theorie der Einstülpung. Wenn man die decidua
für eine überall geschlossene Membran ansieht, welche in dieser
Qualität früher gebildet ist, als das Eichen in den Uterus eintritt,
so kann dieses, sobald es sich durch keine entstehende Oeffnung
in die Cavität derselben einen Weg zu bahnen vermag, nur zwi-
schen der äuſseren Oberfläche der decidua und der inneren des
Uterus in den Fruchthälter eintreten und muſs bei seiner weite-
ren Vergröſserung die losgelöste Lamelle der decidua vor sich
hertreiben und nicht sowohl in die Höhlung der decidua vera ein-
dringen, als diese verengen und so sich seinen eigenen Raum schaffen.
An der Stelle, wo es auf diese Weise die decidua vera ein-
stülpte, muſs nothwendiger Weise eine Lücke entstehen, die, wenn
sie ausgefüllt wird, entweder durch eine Verlängerung der deci-
dua
oder durch eine neu entstehende Membran sich ersetzt. Diese
Einstülpungstheorie ist also unter den oben angegebenen Annah-
men eine von selbst sich ergebende Folge, und wenn auch Hunter
ihr schon sehr nahe war, indem er die beiden deciduae mit der
Einsackung des Herzbeutels verglich und vielleicht nur durch die
von ihm aufgestellte Angabe der drei Oeffnungen von ihrer voll-
ständigen Durchführung abgehalten wurde, so hat Lobstein merk-
würdiger Weise, indem er die Mündungen läugnete, diese Durch-
führung ganz auſser Acht gelassen. Von späteren Schriftstellern
haben sich vorzüglich folgende zu ihr bekannt:


a. F. J. Moreau (Essai sur la disposition de la membrane
caducque, sa formation et ses usages Paris
1814. bei Bre-
[69]V. d. Fruchthälter ausgesch. Membranen u. Flüssigk.
schet l. c. p. 33. 34.) läſst das Ei zwischen die innere Oberfläche
des Uterus und die decidua gelangen und so an dieser Stelle die
decidua vera zur reflexa sich einstülpen. Die dadurch in der
decidua entstandene Lücke füllt sich durch eine eiweiſsartige
Substanz, welche sich in die decidua fortsetzt, mit ihr aber nicht
identisch ist, weil sie später entsteht und besondere, ihr eigen-
thümliche Veränderungen eingeht. Sie fehlt in den ersten Tagen
nach dem Eintritte des Eies, entwickelt sich erst zu Ende des
ersten Monates, wird im Verlaufe des zweiten dicker, als die de-
cidua
selbst, im dritten Monate dagegen durchsichtiger, um die
Gebärmuttergefäſse in die Placenta zu lassen, nimmt im vierten
Monate ein grauliches, zellulöses Ansehen an und scheint sich
zwischen die Lappen der Placenta einzusenken. Im sehsten Mo-
nate wird sie röthlich und im siebenten in wahres Zellgewebe
umgewandelt.


b. Bojanus (Isis 1821. S. 268.) scheint, weniger durch Beob-
achtung, als durch die Consequenz der Theorie geleitet, zuerst
unter den Deutschen die Idee der Einstülpung ausgesprochen zu
haben, wiewohl er merkwürdiger Weise die Existenz der Oeff-
nungen in der hinfälligen Haut als bekannt und erwiesen voraus-
setzt. Er stellt die Umstülpung durch eine ziemlich gute, sche-
matische Abbildung dar und schlägt für die Membran, welche die
Oeffnung der decidua wiederum schlieſst, den Namen der deci-
dua serotina
vor, welche Bezeichnung auch von den meisten
Nachfolgern angenommen wurde.


c. Burdach (Physiologie II. S. 76. 77.) bestättigt die Theorie
der Einstülpung und bemerkt, daſs er sogar eigene Präparate habe,
in welchen die durch die Einstülpung entstandene Lücke noch offen
ist. Die Ausfüllung derselben entsteht durch Sekretion des durch
die Einstülpung entblöſsten Theiles des Fruchthälters und bezeich-
net das Rudiment des Mutterkuchens. Die Einstülpung selbst er-
folgt in der dritten Woche der Schwangerschaft.


d. R. Wagner (Meck. Arch. S. 94.) stimmt in seiner Ueber-
zeugung mit der von den Vorgängern gegebenen Darstellungs-
weise überein.


[e]. S. Bock (l. c. p. 30.) glaubt aus seinem durch Abortus
abgegangenen Eie einen genügenden Beweis für die Einstülpung
liefern zu können, da das Ei in einer Grube der decidua einge-
senkt war. Zugleich folgert er daraus, daſs die Umbiegungsstelle
[70]III. Das Ei während der Fruchtentwickelung.
nicht an den Tuben, sondern innerhalb des Körpers der Gebärmut[-]
ter selbst stattfinde.


f. Velpeau (Heusingers Zeitschr. II. S. 68. Embryologie p.
4—6.) berichtet, nachdem er einige, im Ganzen nicht haltbare
Gründe, wie z. B. den fixen Sitz der Placenta, für die Einstül-
pungstheorie angeführt, daſs er mehrere Mal die Einstülpung selbst
zu beobachten Gelegenheit gehabt hätte. So fand er fünf Wo-
chen nach der Conception den Uterus durch eine Blase von der
Gröſse eines gewöhnlichen Eies ausgedehnt. Diese war mit ei-
ner durchsichtigen und schwach rosenfarbigen Flüssigkeit gefüllt
und durch ein Eichen niedergedrückt, das zur Hälfte noch in der
entsprechenden Tube saſs. Sechs bis sieben Wochen nach der
Empfängniſs fand er die caduca eben so. Nur entsprach die
Stelle der Niederdrückung durch das Eichen nicht der Mündung
der Tube, sondern dem Grunde der Gebärmutter, wo es auch schon
schwach adhärirte. Aehnliche Verhältnisse hatte er oft an 25 bis
50tägigen, durch Abortus abgegangenen Eiern zu sehen Gelegenheit.


Anhangsweise mögen der Vollständigkeit halber hier noch
die sonderbaren Vorstellungen von Roux (bei Burdach l. c. S. 76.)
und Alessandrini (Meckels Arch. V. S. 606.) angeführt werden,
daſs die decidua reflexa ein Product der Zotten des Chorion sey.


f. Schwinden der hinfälligen Häute.

Da manches hierher Gehörende schon unter den vorhergehen-
den Rubriken berührt worden ist, so werden wir hier nur die
noch fehlenden Rückstände nachholen. Nach W. Hunter (l. c.
S. 79.) wird die decidua, wenn vera und reflexa verschmolzen
sind, nicht nur nicht dicker, sondern dünner. Dieses hat darin
seinen Grund, daſs die reflexa ohnehin sehr dünn ist und durch
ihr Hinzutreten die Dicke nicht sehr zu vermehren vermag, die
vera aber mit zunehmender Schwangerschaftszeit immer an Dicke
abnimmt. Lobstein (l. c. S. 8.) fand die reflexa im fünften Mo-
nate so fein, daſs sie durchsichtig war und an manchen Stellen
durchlöchert zu seyn schien. Späterhin dagegen ist sie als geson-
dertes Blatt nicht mehr deutlich zu unterscheiden. Hierin stim-
men die meisten Beobachter auch überein, so wie auch in dem
Punkte, daſs die aus beiden wiederum verschmolzene hinfällige
Haut bis zur Geburt verharrt und dann theils mit der Placenta,
theils mit den Lochien ausgestoſsen wird. Carus (l. c. S. 9.) ist
[71]V. d. Fruchthälter ausgesch. Membranen u. Flüssigk.
der Meinung, daſs die decidua auf folgende merkwürdige Weise
schwinde. Die Flocken des Chorion drängen sich in diese hinein
und es entstehen daher in ihr eine Menge Gruben, welche der
ganzen Membran ein maschenförmiges Ansehen geben. Indem
diese sich nun vergröſsern, verwandelt sich die reflexa in ein
das Chorion locker umgebendes Zellgewebe. Heusinger (s. Zeit-
schr. II. S. 517.) erklärt sich jedoch gegen diese Ansicht, weil
die Löcher oder Maschen sich nicht bloſs in der zurückgeschla-
genen, sondern auch in der wahren hinfälligen Haut finden. Auch
läugnet er eine von Carus beschriebene und abgebildete Höhlung
zwischen Chorion und decidua.


g. Bedeutung und Nutzen der decidua und ihres
[Contentums]
.

Man hat theils willkührlich, theils durch gewisse Analogieen
geleitet, die decidua mit manchen Theilen anderer Thierklassen,
als der Säugethiere und des Menschen, verglichen, ohne jedoch
durch specielle Analogisirung zu sehr wichtigen Resultaten ge-
kommen zu seyn. So verglich sie, wenigstens der Lage nach
richtig, Cuvier (Meck. Arch. V. S. 592.) mit der Eischaale und
minder consequent Dutrochet (Meck. Arch. S. 585.) mit der Ei-
schaalenhaut, während Mertens (Meck. Arch. 1827. S. 315.) sogar
in den während der Entwickelung des Hühnchens innerhalb der
Eischaalenhaut entstehenden Lamellen ein Analogon derselben fin-
den will. Burdach (Physiol. II. S. 63.), der die bestimmten zur
Entwickelung der Frucht vorbereiteten und tauglichen Lagerstätten
der Eier unter der Bezeichnu[n]g der Geniste umfasset, rechnet
die caduca der Säugethiere ebenfalls hierher (S. 77.) und sucht
sie insofern nicht mit diesem oder jenem Gebilde eines Vogels
oder eines anderen Thieres in Vergleich zu bringen, sondern un-
ter einen allgemeinen Gesichtspunkt unterzuordnen. Nach Bre-
schet (l. c. p. 113.) kommen den hierher zu rechnenden Theilen
folgende Functionen zu. 1. Die caduca selbst verschlieſst die
Höhlung des Uterus von allen Seiten, hindert so den Ausfluſs
der in ihr enthaltenen Flüssigkeit und wird ein intermediärer Kör-
per zwischen Ei und Uterus. Ihre Membranen sollen das Ei auf-
nehmen, [und] dieses findet in ihnen nicht bloſs einen Anhaltspunkt,
sondern einen tauglichen Mittelkörper, um mit dem Fruchthälter
in Wechselwirkung zu treten. Die caduca selbst aber tritt
[72]III. Das Ei während der Fruchtentwickelung.
wahrscheinlich keine Stoffe an den Uterus ab. Der hier Statt
findende Stoffwechsel gründet sich auf Erscheinungen, welche
denen der Endosmose und der Exosmose gleich sind. 2. Die in
der caduca enthaltene Flüssigkeit, die hydroperione, trägt zur
allmähligen Ausdehnung des Uterus in der ersten Zeit bei, be-
schützt das zarte Eichen bei etwa eintretenden Zusammenziehun-
gen der Gebärmutter und dient zur ersten Nahrung desselben so-
wohl, als des Embryo, da Nabelstrang, Allantois u. dergl. in
der ersten Zeit entweder gar nicht oder nur höchst rudimentär
existiren. Gegen diese, freilich zum Theil unerwiesenen Resultate
hat Velpeau (in der Einleitung zu s. Embryologie) Widersprüche,
doch nicht ohne sichtbare Leidenschaftlichkeit, erhoben, indem
er theils die Priorität mancher Sätze für sich zu erweisen sucht
(Embryologie. Introduction. p. XIV.), wie z. B., daſs die ca-
duca
schon unmittelbar nach der Befruchtung in dem Fruchthäl-
ter entstehe, daſs sie von allen Seiten geschlossen sey, daſs sie
eine Flüssigkeit enthalte u. dgl., theils aber auch die Richtigkeit
mancher Behauptungen geradezu läugnet. So entsteht nach ihm
(p. XIV.) die placenta weit später, als die beiden Blätter der
caduca sich an einander legen und die zwischen ihnen enthal-
tene Flüssigkeit geschwunden ist. So haben die Säugethiere
nicht, wie Breschet glaubt, eine dem Menschen analoge, doppelte
caduca und eine hydroperione, sondern eine einfache hinfällige
Haut ohne dazwischen befindliche Flüssigkeit. Velpeau (Embryo-
logie p. 8.) glaubt nicht, daſs die decidua und die in ihr ent-
haltene Flüssigkeit zur Ernährung des Embryo diene, sondern
daſs sie nur dem Eichen bei seiner Ankunft in den Fruchthälter
einen fixen Anhaltpunkt gäbe und so den Ort der künftigen Pla-
centa bestimme.


h. Synonymik der Membranae deciduae.

Bei jedem in der Folge noch zu betrachtenden häutigen
Theile des Eies werden wir uns genöthigt sehen, verschiedene
Benennungen anzugeben, unter welchen er von den Schriftstellern
erwähnt oder näher beschrieben worden. Nirgends wird aber die
Zahl der Namen so groſs ausfallen, als gerade bei den hinfälligen
Häuten, wo vor Hunter ältere Naturforscher einzelne Stücke der-
selben, meist nach abortirten Eiern, beschrieben und mit beson-
deren Bezeichnungen belegt haben. Diese Versuche, eine Synony-
[73]V. d. Fruchthälter ausgesch. Membranen u. Flüssigk.
mik der caduca zu liefern, haben bisher vorzüglich Danz (l. c.
I. S. 23. und 29.), Lobstein (l. c. S. 10. 11.), Burdach (l. c. S.
72. und 75.), Bock (l. c. p. 9. und p. 24.), Breschet (l. c. p. 93.
94.) und Velpeau (l. c. p. 18.) gemacht. Wenn wir in dieser
Richtung fortzufahren uns bemühen, so wollen wir zugleich den
Versuch machen, einerseits die Gründe der Benennungen mancher
Schriftsteller anzudeuten, anderseits auf kritische Weise, wo es
angeht, die älteren Namen zu bestimmen. — Ohne über das bei
Galen angeblich schon Vorkommende über die decidua etwas
entscheiden zu können, wollen wir gleich zu Aretaeus Cappadox
übergehen, welcher eine dichte, der inneren Oberfläche des Uterus
adhärirende Haut beschreibt. Daſs die decidua in einem solchen
häutigen Gebilde enthalten sey, leidet wohl keinen Zweifel.
Ob er sie aber allein gemeint habe oder diese mit dem anliegen-
den Chorion verschmolzen, ist eine andere kaum zu entscheidende
Frage. Wenn in der Stelle von Arantius vielleicht nur durch sehr
künstliche Auslegung eine schwache Spur der Kenntniſs der de-
cidua
gesucht werden kann, so hat sie offenbar Fabrizius ab
Aquapendente, wie es scheint nach abortirten Eiern, als eine
schwärzliche, dem Parenchym der Leber oder der Milz ähnliche,
Fallopia als eine fleischige, leimähnliche und Harvey aus den
Wiederkäuern als eine eiterähnliche, geronnene Masse beschrie-
ben. Dagegen scheint Ruysch’s Epichorion mehr auf eine äuſsere
Lamelle unseres heutigen Chorion zu passen. Hoboken’s vierte
Hülle, deren Existenz er selbst noch nicht für völlig constatirt
hält, scheint doch nur höchstens die decidua reflexa gewesen
zu seyn. Stalpart van der Wiel kannte unsere Membran offen-
bar, besonders an und auf der Placenta. Albinus und Böhmer
kannten wenigstens Theile derselben an abortirten Eiern (s. bei
Breschet l. c. p. 1—14.) Hallers Chorion ist die wahre deci-
dua
. Die ältere Synonymie, wie sie Danz (l. c. p, 23.) gegeben
und Burdach, Breschet u. A. wiederholt haben, ist retiformis
membrana chorii Hoboken, reticulum Rouhault, villosa mem-
brana placentae Burton et Ruysch involucrum membrana-
ceum Albinus, membrana filamentosa Wrisberg, Chorion Hal-
ler, Chorion fungosum, flocculentum, filamentosum, lanugi-
nosum, spongiosum, tomentosum, reticulatum
Anderer, Chorion
villosum Schaarschmidt, tunica flocculenta s. caduca Hun-
teri Mayer
, schwammiges Chorion, zottige oder hinfällige Hun-
[74]III. Das Ei während der Fruchtentwickelung.
tersche Haut, umgestülpte zottige Haut, zottigte oder Huntersche
Haut, zurückgeschlagene Aderhaut u. dgl. Denman nennt sie
the connecting membrane of the ovum. Burns schlägt für die
innere Lamelle der decidua den Namen decidua protrusa vor
(s. oben S. 67. Vorstellung der Bildung der reflexa). Chaussier,
welcher weniger genau unterscheidet, begreift unter seinem epi-
chorion
beide Lamellen der decidua. Jörg, welcher die deci-
dua
für die Schleimhaut des Uterus selbst hält, vermischt ihre
Bezeichnung mit der des Mutterkuchens. Seiner allgemeinen
Ansicht gemäſs nennt sie Burdach Nesthaut [und] Seiler, dem die
decidua vera die Schleimhaut des Uterus selbst in einem Zu-
stande höherer Entwickelung ist, Membrana uteri interna evo-
luta
, die reflexa dagegen als eine eigenthümliche, in dem Ute-
rus erst um das Ei sich bildende Haut, Membrana ovi uterina.
Velpeau belegt sie wegen ihrer angeblichen Structurlosigkeit mit
dem Namen Membrane anhiste. Wir fassen nun nach der Ana-
logie von Bock, Breschet [und] Velpeau alle Bezeichnungen über-
sichtlich zusammen.


  • a. Benennung für die hinfällige Haut überhaupt, ehe durch W.
    Hunter ihre beiden Lamellen bekannt wurden.
    • Membrana retiformis Chorii Hoboken.
    • Reticulum Rouhault.
    • Villosa membrana placentae Burton, Ruysch.
    • Involucrum membranaceum Albinus.
    • Membrana filamentosa Roederer, Wrisberg.
    • Chorion Haller.
    • Membrana ovi exterior Ejusd.
    • Chorion fungosum, flocculentum, filamentosum, lanu-
      ginosum, spongiosum, tomentosum Al
      .
    • Chorion reticulatum, Müller, Stein.
    • Chorion villosum Schaarschmidt.
  • b. Benennungen, durch welche zwei Lamellen nicht unterschie-
    den oder von deren Verfassern die Distinction nicht einmal
    anerkannt wird.
    • The Connecting membrane of the ovum Denman.
    • Epichorion Chaussier.
    • Placenta uterina Joerg, Meissner.
    • Placenta succenturiata, subplacenta Al.
    • Epione Dutrochet.
    • Nidamentum Burdach.
    • Perione Breschet.
    • Membrane anhiste Velpeau.
  • c. Besondere Benennungen der wahren hinfälligen Haut.
    • Membrana decidua vera W. Hunter et m. a.
    • Decidua externa Sandifort.
    • Caduca crassa Mayer.
    • Membrana mucosa Osiander.
    • Membrana ovi materna Meckel.
    • Mütterliche Eihaut oderNesthaut Burdach.
    • Membrana uteri interna evoluta Seiler.
  • d. Besondere Benennungen der umgeschlagenen, hinfälligen Haut.
    • Membrana decidua reflexa W. Hunter et m. al.
    • Decidua protrusa (z. Th.) Burns.
    • Membrana adventitia Blumenbach.
    • Membrana crassa Osiander.
    • Eingestülpte Nesthaut Blumenbach.
    • Membrana ovi uterina Seiler.
  • e. Bezeichnungen für die in der Cavität der decidua enthaltene
    Masse.
    • Hydroperione Breschet.
    • Membrana cribrosa Osiander (?)
  • f. Benennung für das die Eintrittsstelle des Eies wiederum ver-
    schlieſsende Blatt (s. ob. Einstülpungstheorie.)
    • Decidua serotina Bojanus et m. al.
    • Secundäre Nesthaut Burdach.

Rückblick.

Es gehört wahrlich nicht zu den erfreulichsten Resultaten,
wenn nach mühsamer Durchforschung alles dessen, was bisher
über die hinfälligen Häute bekannt gemacht ist, zwar sehr vieles
Materiale, in keinem Punkte aber die nöthige Gewiſsheit und
Uebereinstimmung sich findet. Der wahre Naturforscher wird
ein solches Flitterwesen lieber verwünschen, als begierig auffas-
sen. Kein Factum ist ohne Widerspruch, nicht bloſs von Seiten
der Theorie, sondern durch angeblich beobachtete und mit Sorg-
falt verfolgte Erfahrungen. Das Ganze ist ein Labyrinth von den
mannigfaltigsten Widersprüchen, der Sammelplatz von Angaben,
deren Richtigkeit Jeder versichert, wiewohl sie nicht selten mit
[76]III. Das Ei während der Fruchten[t]wickelung.
Berichten gleich groſser oder noch gröſserer Auctoritäten im Ge-
gensatze sind. Wenn man in anderen Theilen der Naturwissen-
schaft durch geläuterte und genauere Beobachtungen sich des Bal-
lastes der leichtsinnigen und oberflächlichen Erfahrungen, der will-
kührlichen Hypothesen und einseitigen Theorieen entledigen kann,
so ist hier eine scharfe Kritik fast unmöglich, weil Facta gegen
Facta, Zeichnungen gegen Zeichnungen stehen. Es ist eine Ver-
wirrung alles Möglichen. Gesunder und Kranker Zustand, ruhige
Beobachtung und leichtfertige Erdichtung, bescheidener Zweifel
und anmaſsendes Absprechen, Bekenntniſs der Unwissenheit und
Affectation, daſs Alles erklärt sey — diese widerstrebende Momente
sind hier in einem Brennpunkte vereinigt, sollen ein Ganzes con-
stituiren, das nicht eine in sich gährende Masse ist, sondern ein
Knoten, der wohl nie entwirrt und gelöst, sondern durch eine
Reihe consequenter und vorurtheilsfreier Beobachtungen eines
Einzelnen wird zerhauen werden müssen. Die Gegenwart aber
vermag dieses noch nicht, da ihr die nothwendigen objectiven
Data in ihrer Vollständigkeit mangeln. Versuchen wir daher
dasjenige, was wir durch Bekanntschaft mit dem gröſsten Theile
der hierher gehörenden Literatur sowohl, als durch eigene Er-
fahrung wissen, zusammen zu stellen. Die Darstellung wird frei-
lich nur die subjective Idee eines Einzelnen seyn und kann, insofern
ihr die [Hauptsache], die Vollständigkeit der Fakta, abgeht, auf all-
gemeine Annahme keinen Anspruch machen. Sie ist aber nicht
ohne Kritik entworfen und bei der wiederholten Durchsicht je-
der Theorie geprüft worden, so daſs sie wenigstens um Gehör
bitten darf, eine Vergünstigung, welche jedem Produkte zu Theil
wird, sobald es [nur] das Bestreben zeigt, ein Problem aufzuhellen
oder seine Lösung [vorzubereiten].


Wir wissen, daſs das Ei, um in sich die Frucht zu entwik-
keln, bei den höheren Thieren seinen früheren Ort im gesunden
Zustande verläſst. Die hierzu nothwendigen, bedingenden Vor-
gänge finden sich sowohl in dem Eie selbst, als in dem dasselbe
früher enthaltenden Organe, dem Eierstocke, so wie auch in den
Theilen, durch welche es hindurch geht, bedingt. Die Säuge-
thiere, welche ein besonderes Organ zur Aufnahme des Eies wäh-
rend der Entwickelung der Frucht haben, nämlich den Fruchthäl-
ter, zeigen in diesem bestimmte verbreitende und coincidirende
Veränderungen. Um diese aber ihrem Wesen nach zu begreifen,
[77]V. d. Fruchthälter ausgesch. Membranen u. Flüssigk.
muſs man sich in Erinnerung bringen, daſs in dem Fruchthälter
der Säugethiere die Schleimhaut auch im ungeschwängerten Zu-
stande gröſstentheils leicht von der Muskelhaut zu trennen ist,
daſs sie eine Menge von Falten hat, welche meistens parallel neben
einander liegen, bisweilen auch netzförmig mit einander sich ver-
binden. In dem Fruchthälter des Menschen ist die Schleimhaut
so fest an die Muskelsubstanz der Gebärmutter angeheftet, daſs
sie in nicht geschwängertem Zustande nur schwierig losgetrennt
werden kann, ja mehrere hierdurch bewogen, jedoch mit Unrecht,
ihre Existenz als gesondertes Gebilde überhaupt geläugnet haben.
Und doch ist bei dem Menschen die Secretion um Vieles verhält-
niſsmäſsig stärker und bestimmter als bei den Säugethieren. Diese
Verschiedenheit der inneren Oberfläche des Fruchthälters aber
zeigt sich auch deutlich genug in ihrem metamorphosirten Zu-
stande nach der Befruchtung. Bei den Säugethieren wird die
Schleimhaut aufgelockert, ihre Blutgefäſse entfalten sich, ihre Zot-
tenfalten gewinnen an Gröſse und Ausbildung und es scheidet
sich eine schleimige oder gallertartige Membran ab, welche sich
vor der Ankunft des Eichens in den Hörnern des Fruchthälters
schon findet, wie ich bei Schweinen mit Bestimmtheit zn beo-
bachten Gelegenheit hatte. In dieser Beziehung wäre diese Mem-
bran der decidua vera des Menschen zu vergleichen; allein mit
weiterer Ausbildung des Eies tritt sie mehr in die Bedeutung
der reflexa. Denn sobald sich die Flocken des Chorion zwischen
die Zottenfalten hineinbilden, wird die Verbindung dieser mit der
Schleimhaut des Uterus dichter. Die frühere ausgeschiedene ge-
latinöse Lage erscheint alsdann inniger mit den Chorionflocken,
als mit der Schleimhaut des Uterus verbunden. Es scheint also,
als ob hier die Schleimhaut der Gebärmutter zwar eine Masse
ausscheide, welche der Membrana decidua überhaupt analog sei,
daſs aber in dem späteren Verlaufe der Entwickelung diese selbst in
sofern die Stelle der decidua vera übernehme, als sie allein den
Mutterkuchen (s. unten Placenta) constituirte, die ausgeschiedene
Masse dagegen die Rolle der reflexa insofern spielte, als sie
dann inniger mit den Flocken des Chorion, denn mit der
Schleimhaut der Gebärmutter verbunden sey; ein Verhältniſs, das
vielleicht in der decidua serotina oder an der Verbindungsstelle
des Fruchtkuchens auch an dem Menschen wiederkehrt. Wie
also in dem ungeschwängerten Zustande die Schleimhaut anato-
[78]III. Das Ei während der Fruchtentwickelung.
misch mehr ausgebildet und geschieden, die Sekretion dagegen
weniger reichlich und seltener ist, so bildet sich auch die Schleim-
haut im Laufe der Schwangerschaft zu dem Mutterkuchen um,
die Sekretion dagegen bleibt auf einer niederen Stufe der Aus-
bildung stehen; denn sie wird nie wahrhaft membranartig und
sinkt zu einem die Zotten nur verbindenden Gewebe hinab. An-
ders dagegen ist das Ganze in dem Menschen, wo die anatomische
Ausbildung der Schleimhaut zurücktritt, die Sekretion dagegen
reichlicher, constant und an gewisse Zeitperioden gebunden ist. Wir
wissen, daſs vor dem Eintritte des Eies in die Tuben sich auf der
inneren Fläche der Gebärmutter kleine Zotten entwickeln, welche
zwischen sich eine dichtere gelatinöse Masse erzeugen, die nach
Ed. Webers Erfahrung auf ihrer Oberfläche zu einem zarten Häut-
chen organisirt ist. Hier fehlt nun noch eine entscheidende Beo-
bachtung, ob nämlich das Häutchen eine überall geschlossene
Wandung schon darstelle oder nicht, wenn das Eichen in den
Uterus eintritt. Ist das Erstere der Fall, so wäre die Einstül-
pungstheorie freilich nothwendig. Allein mit Recht lassen sich
noch mehrere Gründe gegen dieselbe erheben. So ist z. B. die
reflexa gefäſslos, während die decidua gefäſsreich ist. So
konnte noch Niemand einen längeren oder kürzeren Einstülpungs-
canal, auſser an abortirten Eiern, mit aller nöthigen Bestimmtheit
nachweisen. Wenn aber angegeben wird, daſs die Einstülpungs-
stelle die der späteren Placenta sey, so spricht mehreres bestimmt
dagegen, wie z. B. wie Breschet schon bemerkt, daſs die Affen
eine dem Menschen ähnliche Organisation der decidua haben
und zwei Placenten besitzen, daſs die Placenta aus dem gesammten
Theile des flockigen Chorion entstehe, wie E. H. Weber gezeigt
hat u. dgl. mehr. Von abortirten Eiern läſst sich keine sichere
Entscheidung entnehmen und es wäre daher sehr zu wünschen,
daſs Burdach und Velpeau, welche ihrer Angabe nach die Ein-
stülpungstheorie selbst durch Präparate nachweisen können, nach
diesen entnommene Zeichnungen veröffentlichten. Ist dagegen die
Ausscheidung innerhalb der Gebärmutter noch nicht zu einer
Membran organisirt, wenn das Eichen in die Cavität des Uterus
anlangt, so ist dann die Theorie der Einsaat das Wahrscheinlich-
ste. Nach dieser gelangte nämlich das Eichen in die gelatinöse
Masse der Seite des Fruchthälters, durch dessen Tuben es gekom-
men sey. Die ausgeschiedene Masse, welche einerseits die ganze
[79]Die in dem Eileiter gebildeten Stoffe des Eies.
innere Oberfläche des Fruchthälters bekleidet, [organi[sie]rte] sich hier
zur decidua vera. Da aber auch durch dieselbe Masse das Eichen
überall umkleidet wird, so würde sie hier durch einen analogen,
aber etwas abweichenden Organisationsproceſs zur decidua re-
flexa
. Wenn nun später die Placenta entstände, so bildeten
sich die Productionen des Fruchthälters in die decidua vera,
die des Chorion dagegen in die decidua reflexa. Dieses ge-
schieht aber wahrscheinlich da, wo das Eichen an der inneren
Oberfläche des Uterus befestigt war. Welcher von diesen beiden
Vorgängen in der Natur Statt finde, können einzig und allein
künftige, glückliche Erfahrungen entscheiden — Unterdeſs haben
sich aber, wie ich aus eigener Beobachtung selbst bezeugen kann,
neue Produkte zur Abschlieſsung der Höhe des Uterus gebildet.
Zwei kleine gallertartige Pfröpfe verschlieſsen die Mündungen der
Tuben. Sie hängen mit der decidua vera innig zusammen, sind
solid und erstrecken sich im vierten Monat drei bis vier Linien
lang in jeden Eileiter. An der Gebärmuttermündung dagegen
haftet ein beinahe einen Zoll langer und dicker, die Mündung
fast gänzlich verschlieſsender einfacher Gallertpfropf. Dieser er-
scheint nicht bloſs in der Schwangerschaft. Ich habe ihn, nur
natürlich weit kleiner, auch in solchen Leichen gefunden, welche
kurz vor dem Tode an Nymphomanie gelitten hatten, wo auch soge-
nannte Ovula Nabothi in der Regel vorkommen. — Anfangs besteht
natürlich zwischen decidua vera und reflexa eine Höhle, wel-
che immer kleiner wird, je näher die beiden Häute an einander rük-
ken, bis sie zuletzt ganz geschwunden ist, wenn die beiden de-
ciduae
in ihrem ganzen Umfange einander berühren. Ueber Bre-
schet’s Hydroperione vermag ich nichts aus eigener Erfahrung zu
berichten.


B. Die in dem Eileiter wahrscheinlich gebildeten
Häute und Stoffe des Eies oder die eigenthümliche
Eihaut nebst dem Stoffe, welcher in den Eiern der
Säugethiere dem Eiweiſse analog ist
.


Es ist schon oben bemerkt worden, daſs v. Bär (Heusingers
Zeitschrift II. S. 176.) in der äuſsern Haut des Ovulum Graafia-
num
das künftige Chorion oder die zottige Haut des Eies sieht.
Wir selbst dagegen haben die durch genauere Beobachtungen und
triftige Gründe unterstützte Vermuthung ausgesprochen, daſs diese
[80]III. Das Ei während der Fruchtentwickelung.
Membran sich erst um das Eichen bei seinem Eintritte oder
Durchgange durch die Tuben bilde und das Ei selbst selbstständig
begrenze. Wie dem auch sey, so scheint wenigstens so viel mit
Gewiſsheit angenommen werden zu können, daſs die Eihaut oder
das Chorion schon in seiner Grundlage formirt sey, wenn das Ei
sich in der Gebärmutter oder deren Hörnern befindet, überhaupt
aber sich fixirt, um in die weitere Ausbildung des Embryo ein-
zugehen. Insofern diese Membran die äuſsere Begrenzung des
Eies als eine besondere Individualität darstellt, dürfte der von
Bär vorgeschlagene Namen Eihaut der Zweckmäſsigste seyn. Nach
älteren Bezeichnungen nennt man sie auch Chorion. Doch hat
man, wie wir bald sehen werden, mit diesem Namen manches
andere, nicht hierher gehörende Gebilde belegt [und] so die in der
ganzen Synonymik der Eihäute herrschende Abweichung auch
hier eingeführt.


Die Eihaut oder das Chorion ist so leicht in den meisten
Perioden der Schwangerschaft zu erkennen, ja ihre Zotten sind
durch ihre zierliche Conformation kurz vor der [Bildung] der Pla-
centa so auffallend, daſs es uns nicht wundern darf, wenn ihre
erste Kenntniſs in das früheste Alterthum dieses Theiles der beo-
bachtenden Naturwissenschaft hinabreicht. Galen nennt zwar schon
ein Gebilde Chorion, versteht jedoch hierunter nicht insbesondere
die Eihaut, sondern den Mutterkuchen oder die Nachgeburt über-
haupt. Er unterscheidet aber doch zwei Lamellen seines Chorions
(Danz l. c. I. p. 29.). Nach der von Haller gegebenen Synonymik
(Elem. phys. VIII. p. 188. und 195.) heiſst diese Haut bei Need-
ham, Diemerbroek, Bidloo, Harder, Simson, Littre, Fantonius Allan-
tois, bei Ruysch, Pseudoallantois, bei Vieusseas secunda ovi mem-
brana
, bei Hoboken, Vernheyen, Peyer, Munniks, Pauli, Rouhault
u. A. membrana ovi media, bei Pfister membrana tertia, bei Stal-
part von der Wiel membrana cellulosa pituitae similis inter cho-
rion et amnion
. Doch ist es fast ganz unmöglich, bei Vielen der ge-
nannten älteren Schriftsteller heute mit Gewiſsheit zu bestimmen,
welche Dinge sie mit den eben genannten Namen bezeichnet ha-
ben, da sie bei ihrer unvollständigen Kenntniſs der Eihüllen theils
die Benennungen unrichtig wählten, theils künstliche Theilungen,
theils abnorme Zustände, besonders an abortirten Eiern des Menschen,
für angeblich richtige Beschreibungen auswählten. Auch sind die
meisten Angaben im höchsten Grade unbestimmt, wie schon aus den
we-
[81]Die in dem Eileiter gebildeten Stoffe des Eies.
wenigen bei Velpeau (Embryologie p. 12.) zu findenden Citaten
hinlänglich erhellt. Von neueren Benennungen gehören noch
Chorion pellucidum sive laeve (Wrisberg de structura ovi
in Collect. Comment. Vol. I
. 1800. 8. p. 321.), dritte Eihaut
(Ph. Fr. Meckel in Hallers Physiol. II. S. 870.), Membrana media
(Haller elem. physiol. VIII. p. 194.), Chorion laeve (Schaar-
schmidt bei Danz p. 30.), tunica vasculosa s. extima (bei Joh. Fr.
Meckel Anat. IV. S. 703.), Aderhaut, mittlere, glatte Aderhaut, Le-
derhaut und dgl. hierher. In den Arbeiten von Cuvier und Dutrochet
herrscht, in Bezug auf die Benennung der einzelnen Eihäute, ein sol-
cher Widerspruch und zum Theil eine so groſse Verwirrung, daſs sich
mit Bestimmtheit durchaus nicht angeben läſst, was der Eine oder
der Andere mit seinen Namen gemeint habe. Nach Dutrochet
(Meckel. Arch. V. S. 585.) nennt Cuvier das Chorion rete vas-
culosum vasorum umbilicalium, prima allantoidis lamina
.
Wahrscheinlich bezeichnet aber dieser groſse Naturforscher hier-
mit das der Allantois angehörende Blatt, welches wir als soge-
nanntes Endochorion bald kennen lernen werden und das sich in
das wahre Chorion hineinbildet. Dutrochet selbst (Meck. Arch.
V. S. 565.) glaubt durch Beobachtung eines 6,5‴ langen Schaafs-
embryo zur Annahme folgender Hüllen gekommen zu seyn: 1.
eine äuſsere, gefäſslose, durch Maceration in Schuppen abfallende
Haut, Hunters decidua. 2. Eine gefäſsreiche, mit einer Oberhaut
versehene Membran, das Chorion. 3. Eine gefäſslose, mit durch-
sichtiger Flüssigkeit gefüllte Haut, die Allantois. 4. Eine mittlere,
gefäſsreiche, Amnion und Nabelblase umgebende Haut, die mittlere
Haut. 5. Das gefäſslose Amnion und 6. die Nabelblase. Nach
unseren später noch anzuführenden Beobachtungen, glauben wir
die Synomik hier auf folgende Weise feststellen zu können. 1. Seine
hinfällige Haut und die Oberhaut seines Chorion entsprechen dem,
was wir unten Exochorion nennen werden. 2. Sein gefäſsreicher
Theil des Chorion und vielleicht seine mittlere Haut sind das so-
genannte Endochorion. 3. Allantois, Amnion und Nabelblase sind
richtig bestimmt und bezeichnet. Burdach (Physiol. II. 413.)
nennt die ursprüngliche Eihaut, wie sie bei dem Eintritte des
Eies in den Fruchthälter sich findet, Exochorion. An dieses legt
sich im Laufe der Entwickelung das Gefäſsblatt einer anderen Haut
an und bildet sich in dasselbe hinein. Dieses ist das Endocho-
rion. Beide zusammen werden sehr häufig als Chorion überhaupt
6
[82]III. Das Ei während der Fruchtentwickelung.
beschrieben. Da das Exochorion der Schaalenhaut der niederen
Thierklassen entspricht, so nennt es v. Bär (Untersuch. über die
Gefäſsverb. zwischen Mutter und Frucht S. 3.) geradezu Schaa-
lenhaut.


Wir müssen, ehe wir an die Beschreibung des Chorion in
den verschiedenen Stadien seiner Entwickelung gehen, darauf auf-
merksam machen, daſs zu drei Perioden des Eilebens die Eihaut
ganz verschiedene Charaktere zeigt, und daſs es daher unrichtig
wäre, das in der einen Periode Beobachtete auf eine andere an-
zuwenden. Die Zeitabschnitte sind folgende. 1. So lange die
Eihaut bloſs Exochorion ist, das Endochorion sich noch nicht an
dasselbe angelegt oder in dasselbe hineingebildet hat; 2. während
der Genese der Placenta und 3. sobald das Amnion nicht mehr
durch eine gröſsere Zwischenmasse von dem Chorion getrennt ist.


Die Eihaut oder das Exochorion, welches sich nach Velpeau
(Heusingers Zeitschr. II. S. 74.) und v. Bär schon im Eierstocke
gebildet finden soll, stellt eine runde, das Ei von allen Seiten
umschlieſsende Blase dar, die nirgends geöffnet ist oder in den
Körper des Embryo übergeht. Zwar hatte Velpeau (Heusingers
Zeitschr. II. S. 73. Embryologie p. 18. 19.) behauptet, daſs das
Chorion eine Fortsetzung der [äuſseren] Haut der Frucht sey. Diese
falsche Annahme ist aber von ihm selbst wiederum zurückge-
nommen worden. Sobald das Eichen in den Uterus gelangt ist,
tritt seine äuſsere Oberfläche mit der decidua, seine innere mit
einer eigenthümlichen, unten noch näher zu beschreibenden Masse,
später dem Endochorion und zuletzt mit der mittleren Haut in
Berührung. Schon diejenige Membran, welche von Bär an dem Ei-
chen vor seiner Fixirung im Uterus beobachtet und als künftiges Ex-
ochorion gedeutet hat, zeigt kleine rundliche Erhabenheiten auf
ihrer äuſseren Oberfläche. Diese verlängern sich nun, verästeln
sich und werden zu denjenigen Gebilden, welche als die soge-
nannten Zotten des Chorion bekannt sind. Sie erscheinen über-
aus frühzeitig, bei Säugethieren sowohl, als bei dem Menschen,
da sie das erste Produkt sind, welches eine innigere, contiguirliche
Verbindung zwischen Fruchthälter und Ei bewirkt. Wie dieses
geschehe, wie hierdurch dasjenige zu Stande komme, welches
man im Allgemeinen Placenta nennt, werden wir unten, wo von
dem Endochorion und von dem Gefäſsblatte des Embryo die Rede
seyn wird, näher erörtern. Hier sollen nur die Veränderungen
[83]Die in dem Eileiter gebildeten Stoffe des Eies.
der Zotten des Chorion selbst näher beleuchtet werden. In frü-
hester Zeit ist nach allen Beobachtern, wie Lobstein, Meckel,
Velpeau u. A. das Chorion auf seiner ganzen Oberfläche mit Zot-
ten besetzt. Doch findet sich auch an sehr kleinen Eiern nach
E. H. Weber (Hildebr. Anat. IV. S. 492.) eine Stelle, welche
glatt ist und auf welcher die Zotten weniger dicht stehen. Nach
ihm wird dieser glatte Theil durch bedeutende Vergröſserung zu
der gröſseren, glatten Hälfte des Chorion, während der dicht mit
Zotten besetzte in die Bildung des Mutterkuchens eingeht. Nach
den übrigen Schriftstellern aber, welche glauben, daſs im Anfange
das ganze Chorion mit Zotten bedeckt sey, schwindet ein Theil
derselben im Laufe der ferneren Entwickelung, während der übrig
bleibende Theil zur Bildung der Placenta eingeht. Was nun aber
die morphologischen Veränderungen der Zotten in dieser Bezie-
hung betrifft, so hat sie besonders von Bär (Untersuchungen über
die Gefäſsverb. etc. 1828. Fol.) an mehreren Säugethieren und
Seiler (die Gebärmutter und das Ei des Menschen 1832. Fol.) so
wie auch E. H. Weber (Hildebr. Anat. IV.) an dem Menschen
verfolgt. Nach K. E. v. Bär (l. c. S. 3.) sieht man drei und eine
halbe Woche nach der Befruchtung auf dem Eie des Schweines
⅙ Linie hohe Falten, welche er Zottenfalten des Eies nennt. Jede
von diesen hat auf ihrem freien Rande kleine Erhabenheiten oder
Zotten. Diese bedecken nicht bloſs den mittleren gefüllten Theil,
sondern auch die leeren und zusammengefallenen Zipfel des Eies,
welche noch nicht von der Allantois ausgedehnt und ausgefüllt
werden. Diese Zottenfalten constituiren eine eigenthümliche Mem-
bran, das wahre Exochorion. In fünfwöchentlichen Eiern (l. c.
S. 5.) haben sich zwar die Zottenfalten erhoben, mehr aber
noch die auf ihnen befindlichen Zotten, welche sich auch zu wöl-
ben anfangen. Zugleich beginnen sich schon Verbindungsfältchen
zu zeigen. Die beiden Enden des Eies dagegen haben keine Zot-
tenfalten mehr, da diese hier allmählig abnehmen und dann plötz-
lich mit einer deutlichen, weiſsen Narbe aufhören. Sie stellen auf
diese Weise die sogenannten diverticula allantoidis dar. Nun
bilden sich (S. 6.) die Zotten des Chorion in ansehnliche, dicke
Zapfen um, welche in Querreihen bald vereinzelt, bald zusam-
menhängend stehen. Chorion und Allantois aber, welche von
zwei benachbarten Eiern einander berühren, stülpen sich in ein-
ander ein. In dem Eie der Wiederkäuer fehlen die Zottenfalten
6*
[84]III. Das Ei während der Fruchtentwickelung.
(S. 13.). Die äuſserste Lage des Chorion aber wird hier dunkel,
und man bemerkt in ihr kleine rundliche Erhebungen, welche in
entsprechende Vertiefungen des Mutterkuchens passen. Die Er-
höhungen vergröſsern sich und werden kolbig. Ihr dunkeler Ue-
berzug fällt dann ab, so daſs die kleinen Kölbchen durchsichtig
werden, während an ihrer Basis die dunkele Decke noch eine
Zeit lang bleibt (S. 14.). Diese theilen sich später aber an dem
hervorragenden Ende in mehrere Zipfel. Die Zipfel verlängern
sich nun, theilen sich immer weiter (S. 16.) und verbinden
sich zuletzt auf eine innige und ziemlich feste Weise mit den Mut-
terkuchen. Auſserdem erheben sich (S. 19.) aus dem Chorion
kleine Faltenhäufchen, ähnlich analogen, sternchenförmigen Gebil-
den in dem Schweine, welche den Endigungen der Saugadern im
Fruchthälter entsprechen sollen. Das Ei des Hundes (S. 20.) zu
Ende der dritten Woche ist überall, mit Ausnahme der zugespitz-
ten Enden, mit Zotten besetzt. Diese werden von den Zotten
des Fruchthälters umfaſst und beide durch eine dichtere Masse
noch inniger mit einander verbunden. Die Enden des Eies ver-
lieren nun ihre Zotten, während in der Mitte ein zottentragender
Gürtel übrig bleibt. — Was den Menschen betrifft, so finden sich
auf der äuſseren Fläche des Chorion in der frühesten Zeit nach
Seiler (die Gebärmutter und das Ei etc. S. 31.) kleine, weiſse, nur
durch das Microscop erkennbare Flocken, welche nach Velpeau
(Embryologie p. 14.) bis zum Anfange des zweiten Monates nicht
verästelt sind. Diese vergröſsern sich und nehmen, wie die über-
einstimmenden Beobachtungen von Breschet, Raspail, Carus, Sei-
ler, Velpeau u. A. zeigen, eine kolbige Gestalt an ihren Enden
an. Zugleich verästeln sie sich dann baumförmig, ungefähr nach der
Art, wie wir dieses an den äuſseren Kiemen der Salamander und
Frösche zu sehen Gelegenheit haben, nur daſs sich weit mehr
Neben- und Seitenzweige zeigen, als dort. Dabei sollen sie jedoch
nach Velpeau ihre kolbigen Anschwellungen verlieren (l. c. p. 14.
15.). Diese Flocken, welche Seiler u. A. Saugflocken nennen,
dienen nach ihm, wenn in ihnen Blutgefäſse erscheinen, diesen
nur zur zellgewebigen Grundlage und werden (l. c. S. 32.) zum
Theil zur Gefäſsbildung der Placenta verwendet, zum Theil da-
gegen verkümmern sie, fallen ab und werden wahrscheinlich ein-
gesogen, so daſs nun der zottenlose Theil des Chorions einen
membranartigen Ueberzug von der decidua reflexa erhält. Nach
[85]Die in dem Eileiter gebildeten Stoffe des Eies.
E. H. Weber (Hildebr. Anat. IV. S. 496.) dagegen findet sich,
wie schon oben berichtet wurde, auch an sehr kleinen Eiern eine
glatte Stelle des Chorion, auf welcher die Zotten weniger dicht
sind. Diese Stelle dehnt sich nun im dritten Monate mehr aus, und
ihre Zotten stehen daher dann viel vereinzelter, als früher. Indem
dieses [nun] auf dieselbe Weise während der ganzen Schwanger-
schaftszeit fortgeht, entsteht so der gröſste, glatte Theil des Cho-
rion. Nach Seiler (l. c. S. 32.) werden nun im dritten Monate
die einzeln stehenden Gefäſsflocken zahlreicher und verweben
sich dichter unter einander. Sie gruppiren sich zwar schon zu
einzelnen Abtheilungen. Ihre Verbindung ist jedoch nur noch
eine lockere Nebeneinanderlage. An der Stelle, wo sich die Pla-
centa bildet, schwindet die decidua reflexa, während sich die
Membrana decidua vera nicht nur in die äuſsere Platte des
Chorion (der Placenta) hineinbildet, sondern auch mit ihm (mit
ihr) auf das Genaueste verbunden ist. (Einiges hierher noch Ge-
hörende s. unten, wo in dem zweiten Abschnitte von der Pla-
centa gehandelt wird.) — Die innere Oberfläche des Chorion ist
immer glatt, wie sich jeder leicht überzeugen kann, und auch
die Angaben der meisten Beobachter übereinstimmen, wiewohl
selbst J. Fr. Meckel (menschl. Anatomie IV. S. 703.) sagt, daſs
das Chorion an seinen beiden Oherflächen Zotten habe. In den
verschiedenen Entwickelungsperioden ist es zwar mit verschiedenen
bald zu erörternden Stoffen und Theilen in mehr oder minder
inniger Berührung, nie aber mit von ihm selbst ausgehenden Fort-
sätzen auf der Innenfläche versehen. — Abgesehen von den Zot-
ten ist das Chorion nach Velpeau (Embryologie p. 16.) immer
dünn und durchsichtig. — Eine andere vielfach bestrittene und
heute noch nicht entschiedene Frage ist die, ob dasselbe aus ei-
nem oder aus mehreren Blättern bestehe. Zuvörderst ist es aber
nothwendig, zu bemerken, daſs diese Frage, in ihrer Allgemein-
heit hingestellt, im höchsten Grade ungenügend ist. Denn man
muſs hier nothwendig unterscheiden, ob man nur das Exochorion
oder das Chorion in dem Zustande meine, wenn das Gefäſsblatt
der Allantois sich an dasselbe angelagert und in dasselbe hinein-
gebildet, oder ob man die Zeit schon bezeichne, in welcher selbst
das Schleimblatt der Allantois mit dem Chorion in Berührung
getreten ist. Die Antwort muſs auch nach diesen drei wesent-
lich verschiedenen Momenten durchaus verschieden ausfallen.
[86]III. Das Ei während der Fruchtentwickelung.
1. Von dem Exochorion an und für sich vermuthet von Bär (Ge-
fäſsverb. S. 3.), daſs es aus zwei Blättern bestehe, von denen das
äuſsere die Zotten constituire. Wenn sich auch Jeder leicht
überzeugen kann, daſs die Zottenschicht, besonders bei zarten
Eiern der Schweine, durch schnell erfolgende Maceration leicht
abgeht, so konnten wir doch an frischen Chorionstücken unter
dem Microscope keine zwei Lamellen durch lange Strecken tren-
nen, selbst dann nicht, wenn wir in kohlensauerem Kali erhär-
tete Stücke untersuchten, wodurch man sonst verschiedene La-
mellen eines Theiles an feinen Durchschnitten äuſserst leicht zu
erkennen vermag. 2. So lange noch die bald als Eiweiſs zu be-
zeichnende Schicht sich zwischen Chorion und Allantois oder
zwischen Chorion und Amnion zeigt, obgleich das Endochorion
mit seinen Gefäſsen sich schon in das Exochorion hineingebildet
hat, findet sich, wenigstens bei den von mir untersuchten Säu-
gethieren, keine von dem Exochorion gesonderte Membran. Man
erkennt aber an der Innenfläche des Chorion eine Schicht, die
mit eigenthümlichen Körnchen versehen ist und die dem Endocho-
rion offenbar angehört, da die Natur allgemein das schon von
Haller ausgesprochene Gesetz zu beobachten scheint, daſs Gefäſse
ohne stützende Membran nicht existiren. 3. Zu der Zeit, wo
nach dem Schwinden des Eiweiſses Allantois oder Membrana
media
dicht an dem Chorion anliegen, lassen sich zwar leicht
zwei Blätter von einander trennen. Man sieht aber bei einiger
Aufmerksamkeit, daſs diese Blätter nicht einmal innig verwach-
sen, sondern nur genau mit einander verbunden sind, und daſs
die innere Lamelle einem fremden Eitheile angehört. Wir müs-
sen uns daher dahin entscheiden, daſs jede Trennung des Chorion
in mehrere Lamellen bei den Säugethieren sowohl, als bei dem
Menschen entweder künstlich oder scheinbar sey. Das Letztere
beruht darauf, daſs andere Eitheile sich genau an die Innenfläche
der Eihaut anlagern oder in dieselbe hineinbilden. Wie wenig
aber durch künstliche Trennung der Theile in Lamellen und Mem-
branen der Wissenschaft genützt werde, dürften z. B. die vielfa-
chen und nicht ohne Leidenschaftlichkeit geführten Streitigkei-
ten über die verschiedenen Hüllen des Penis hinlänglich zu be-
weisen im Stande seyn — Verhandlungen, die heut zu Tage mit
Recht fast ganz vergessen worden sind. — Mit diesen Resultaten
stimmt auch die Angabe von Velpeau (Embryologie p. 18.) über-
[87]Die in dem Eileiter gebildeten Stoffe des Eies.
ein, welcher das Chorion in mehr, als 400 Eiern zu untersuchen
Gelegenheit hatte, und es zu vierzehn Tagen, drei Wochen, ei-
nem und zwei Monaten immer einfach fand, während Granville
(Joh. Müllers Arch. Hft. I. S. 7.) es aus zwei bis drei Blättern
bestehen läſst, von denen die innere (Endochorion?) vasculös seyn
soll. Wenn Joh. Müller (ebds. S. 7.) von der inneren Oberfläche
eines Eies ein feines Blatt loszutrennen vermochte, so wird sich
über diese Erfahrung erst etwas Genaueres bestimmen lassen,
wenn die Periode, in welcher das Ei sich befindet, bekannt seyn
wird. — Eine andere an die eben besprochene sich zunächst an-
schlieſsende Frage ist die, ob das Chorion mit Blutgefäſsen verse-
hen sey oder nicht. Vielfach hat man über diesen Punkt gestritten
und sich in den mannigfaltigsten Gegensätzen erschöpft, während
sich, wenn man die genetischen Verhältnisse dieser Theile und
ihren Charakter in Erwägung zieht, die Antwort von selbst fast
ergiebt. Soll ein Eitheil Blutgefäſse haben, so kann er sie nur
von der Mutter oder von dem Embryo erhalten. Daſs die Ge-
fäſse des Uterus in keiner unmittelbaren Communication mit de-
nen des Eies selbst oder des Kindes stehen, soll unten bei Gele-
genheit der Placenta erwiesen werden. Ehe aber das Gefäſsblatt
der Allantois das Exochorion erreicht und sich zum Theil in das-
selbe hineingebildet hat, finden sich auſserhalb des Embryonal-
körpers nur die Blutgefäſse des Gefäſshofes oder die Dotterblut-
gefäſse. Von diesen geht fast kein Aestehen heraus zu irgend
einem anderen Theile (s. unten), am wenigsten aber zum Chorion.
Das Exochorion ist daher, wie die Eischaalenhaut der Vögel, an
und für sich ohne Blutgefäſse. Es erhält dieselben aber dadurch,
daſs das Endochorion in dasselbe sich hineinbildet, ja sein eige-
nes Parenchym zum Theil verdrängt. Da nun aber bestimmt
noch kein gesunder menschlicher Embryo beobachtet worden, in
welchem die Allantois mit ihrem Gefäſsblatte das Exochorion
noch nicht erreicht hatte, wie z. B. in dem von Bär (de ovo
mammalium VII
a) gezeichneten Hundeembryo, so ist es na-
türlich, daſs das frische Chorion der menschlichen, bis jetzt un-
tersuchten Eier Blutgefäſse zeigen muſste. Das Exochorion hat
auch hier ursprünglich und für sich keine Blutgefäſse, erhält sie aber
secundär durch Hineinbilden des Endochorion in dasselbe. — Es
wäre eine eben so wenig interessante, als fruchtbringende Arbeit,
alle über unseren Gegenstand geäuſserten Meinungen anzuführen.
[88]III. Das Ei während der Fruchtentwickelung.
Wir wollen daher das hierher Gehörende unter gewiſse Hauptru-
briken bringen, um wiederum die Erfahrung zu machen, wie sehr
der menschliche Geist sich bei dem besten Willen verirren kann, so-
bald er den sicheren Weg der ruhigen und vorurtheilsfreien Beob-
achtung verläſst oder aus einzelnen, abgerissenen Momenten auf das
Ganze Schlüsse sich erlaubt. 1. Eine der gröſsten Verirrungen stellt
die Behauptung dar, daſs die Zotten des Chorion selbst Blutgefäſse
seyen. In Deutschland hat diese Verirrung, welche mit jedem wahren
Begriffe von Blutgefäſsen in Widerspruch steht, nie sehr festen
Fuſs gefaſst. Durch die Widerlegungen von Carus (Siebold
Journ. 1827. S. 20.), Breschet, Raspail (Heusingers Zeitschr. Bd.
II.), [Velpeau] (l. c. p. 14.) u. A. dürfte sie überhaupt aus dem
Gebiete der Wissenschaft entfernt seyn. 2. Daſs das Chorion
Blutgefäſse enthalte, dürfte nach den Untersuchungen an Thieren
dahin zu berichtigen seyn, daſs nur dem Endochorion diese Ge-
fäſse angehören. Von den in den Flocken des Chorion, welche
zu dem Fruchtkuchen eingehen, befindlichen Blutgefäſsen ist die-
ser Ursprung wohl keinem Zweifel unterworfen. Allein es hatte
wohl offenbar denselben Grund, wenn Joh. Müller (s. Arch. Hft.
I. S. 6.) an einem Eie, welches noch keine Placenta hatte,
die frisch untersuchten Nabelgefäſse deutlich bluthaltig von der
Eintrittsstelle in das Chorion aus zwischen den Zotten desselben
in einigem Umfange sich verbreiten sah. Denn die Hüftnabelge-
fäſse gehören dem Endochorion an. Wenn übrigens derselbe
Schriftsteller (l. c. p. 7.) behauptet, daſs es späterhin nicht ge-
linge, auf der Oberfläche des Chorions selbst Gefäſse nachzuwei-
sen, so spricht die Erfahrung von E. H. Weber (Hildebr. Anat.
IV. S. 493.) zum Theil dagegen, nach welcher bei reifen Eiern
zu dem nicht in den Fruchtkuchen eingehenden Theile des zotti-
gen Chorion sehr enge Fortsetzungen der Nabelgefäſse verlaufen,
während die völlig glatten Stellen ganz ohne sichtbare Blutge-
fäſse sind. 3. Manche Schriftsteller wurden zu der Ansicht ver-
leitet, daſs das Chorion des Menschen, wie man an vielen abor-
tirten Eiern es sehen könne, blutgefäſslos sey. Allein da bei dem
Menschen noch kein gesundes Ei beschrieben worden, in welchem
noch Exochorion und Endochorion getrennt gewesen wären, so
dürfte ein aus den bekannten Eiern gezogener Schluſs eben so
unrichtig seyn. Man sieht dieses auch an der Methode, nach
welcher die Schriftsteller ihre Behauptung darzuthun sich bemü-
[89]Die in dem Eileiter gebildeten Stoffe des Eies.
hen. So sollten z. B. nach Breschet und Raspail (Répert. génér.
d’anat. et physiol. Tom. V. p. II. P.
380. in Heusinger’s Zeit-
schr. II. S. 564.) die Gefäſse durch Aufbewahrung in Weingeist
besonders deutlich werden, — eine Behauptung, von deren Un-
wahrheit sich Jeder leicht an irgend einem mit Blutgefäſsen ver-
sehenen Theile überzeugen kann. — Hieran schlieſst sich zunächst
die Frage, ob Saugadern in den Flocken des Chorion vorhanden
seyen oder nicht. Von den hierher gehörenden Erfahrungen von
Fohmann wird noch weiter unten die Rede seyn. Auſser die-
sem Naturforscher, welcher auf ihre Existenz nach gemachten
Quecksilberinjectionen schlieſst, haben Einige, wie Schreger, Chaus-
sier, Ribes u. A., sie hypothesisch angenommen oder verworfen. —
Eine Höhlung im Innern der Flocken, die von Vielen beschrieben
wurde, konnten Manche, wie z. B. Seiler (l. c. p. 30.), nicht mit
Bestimmtheit beobachten. — Eben so wenig ist bis jetzt die von
Mehreren gelehrte Existenz von Nerven bestätigt worden (S. un-
ten Nabelstrang und Mutterkuchen). — Uebereinstimmend nach allen
Beobachtern bestehen die Zotten, wie sich auch Jeder leicht über-
zeugen kann, aus einem durchsichtigen, viele, ziemlich groſse
Körnchen enthaltenden Stoffe, welcher mit der Masse der Süſs-
wasserpolypen, der Darmzotten u. dgl. einige entfernte Aehnlich-
keit hat. — Das Exochorion umschlieſst also nach allem bisher
Gesagten, wie die Schaalenhaut der Vögel, das Ei vollständig,
ist keine Fortsetzung irgend eines Theiles des Embryo und für
sich ohne Blutgefäſse. Im Laufe der Entwickelung tritt als Pro-
duction des Embryo das Endochorion an dasselbe, dessen Blutge-
fäſse sich besonders an den Stellen des Fruchtkuchens in das Exo-
chorion hineinbilden, so daſs aus diesen, dem Ursprunge sowohl,
als ihrer Bedeutung nach verschiedenen Theilen ein mit Blutge-
fäſsen versehenes Gebilde, das Chorion, entsteht.


Dicht an der inneren Oberfläche des Chorion liegt in dem
Eie des Menschen in einer frühen Periode des Fruchtlebens ein
eigenthümlicher, gallert- oder eiweiſsartiger Körper, dessen Exi-
stenz von Vielen dargethan, dessen Bedeutung aber von Keinem
mit Gewiſsheit festgestellt werden konnte. Schon Wrisberg
(descr. anat. embryonis. 1764. 4. p. 5.) und W. Hunter (anatom.
Beschreib. des schwang. Uterus S. 66. 67.) sprechen von einer
gallertartigen Substanz zwischen Chorion und Amnion. Lobstein,
welcher sie in zwei Eiern vom zweiten und dritten Monate nicht
[90]III. Das Ei während der Fruchtentwickelung.
finden konnte, etwas Aehnliches dagegen in Eiern von vier und
fünf Monaten gesehen hatte, hielt die Anhäufung von Feuchtig-
keit zwischen Chorion und Amnion für krankhaft (l. c. S. 34.).
Kieser (Ursprung des Darmkanales aus der Vesicula umbilicalis
1810. 4. S. 30.) sah zwischen Chorion und Amnion eine röth-
liche Flüssigkeit und in derselben eine Menge sie durchzie-
hender, sehr feiner Fäden. Nach Pockels (Isis 1825. S. 1343.)
enthält die Höhle des Chorions in frühester Zeit eine röthliche,
durchsichtige Flüssigkeit von der Consistenz des Eiweiſses, welche
ein zartes, farbloses Gewebe in verschiedenen Richtungen durch-
streicht, so daſs eine Aehnlichkeit mit dem humor vitreus des
Auges hierdurch entsteht. Joh. Müller (Meck. Arch. 1830. S.
422. 423.) fand in einem Eie, dessen Embryo 7/12 Zoll lang war,
zwischen Chorion und Amnion einen mit gallertartiger Substanz
gefüllten Zwischenraum, so daſs eine Menge feiner, spinngeweb-
artiger Fäden dieselbe durchzogen. Diese Fäden schienen an der
inneren Fläche des Chorion ein sehr dünnes[,] häutiges Gewebe zu
bilden. Jedoch war diese Gallerte bestimmt nicht in einem ei-
genen häutigen Säckchen enthalten. An einem anderen Eie, des-
sen Embryo 5 Linien lang war, fand er (l. c. S. 430.) eine reich-
liche Quantität einer durchsichtigen Gallerte mit fadenartigem
Gewebe, und eben so beobachtete er dasselbe in noch zwei an-
deren jungen Eiern (l. c. S. 424.). Seiler (l. c. S. 20. 21.) sah
aus Eiern, die angeblich aus der dritten Schwangerschaftswoche
waren, eine helle, eiweiſsartige Flüssigkeit ausflieſsen. Velpeau
(Embryologie p. 49—53.) führt folgende, nach seiner Meinung
hierher gehörende Erfahrungen an. 1. In einem ungefähr fünf-
wöchentlichen, in Alkohol aufbewahrten Eie fand sich mitten in
der Höhle des Chorion eine groſse Menge von Flocken. Eine
durchsichtige und ungleiche Lage ähnlichen Stoffes hing an der
innern [Oberfläche] des Chorion, welches keinen Embryo, kein
Amnion, keine Nabelblase enthielt. An einem anderen Eie des-
selben Alters fand sich dasselbe, nur daſs der Embryo noch nicht
vollkommen zerstört war. 2. Ein Ei aus der sechsten bis sieben-
ten Woche enthielt dieselben Flocken. Nur waren der Embryo und
dessen Hüllen unversehrt. 3. An einem Eie aus dem ersten Mo-
nate gingen nach Oeffnung des Chorion einige Tropfen einer
durchsichtigen Flüssigkeit heraus. Es fand sich auſserdem inner-
halb der Höhlung dieser Haut eine continuirliche, unregelmäſsige,
[91]Die in dem Eileiter gebildeten Stoffe des Eies.
poröse, zähe, netzförmig durchsponnene, röthliche, weiche und
schwammige Lage, welche von der Nabelblase bestimmt ge-
schieden war. 4. In einem ungefähr zwanzig Tage alten, drei
Tage im Wasser aufbewahrten Eie fand sich der zwischen Cho-
rion und Amnion befindliche Zwischenraum von einer schwam-
migten, gelblichen, ins Rostfarbene fallenden Flüssigkeit erfüllt.
Mitten in dieser Substanz lag das Amnion mit dem Embryo und
die Nabelblase. Es bestand aus einer Menge verworrener Fila-
mente oder Lamellen und stellte einen netzförmigen Bodensatz
(Magma reticulé) dar. Beim Drucke traten einige Stückchen
einer weiſsen, pulpösen Masse hervor. 5. In einem drei bis vier-
wöchentlichen frischen Eie (Vgl. auch Heusinger’s Zeitschr. II.
S. 82.) fand sich unmittelbar unter dem Chorion eine mattweiſse,
sehr feine und, wie die Retina, leicht zerreiſsbare Lage. Sie hing
durch viele, zarte, weiſse Fäden genau an der inneren Fläche des
Chorion, und war mit einer grumösen, weiſsgelblichen Masse ge-
füllt. Von ihrer Innenfläche entsprangen zahlreiche Fäden, La-
mellen und Verlängerungen, welche sich nach allen möglichen
Richtungen durchkreuzten. Diese Lamellen gingen zu einem an-
deren, sehr feinen Blatte, welches unmittelbar die Oberfläche des
Amnion und der Nabelblase nebst deren Stiele umgab. Die Flüs-
sigkeit selbst bildete unter Wasser eine Menge weiſslicher Flok-
ken. 6. An einem zwölftägigen Eie zeigten sich dieselben Cha-
raktere. Die [Flüssigkeit] war nur weniger gleichartig und minder
dunkel gefärbt. 7. In einem ungefähr sechswöchentlichen Eie
fand sich in dem Zwischenraume zwischen Chorion und Amnion
eine durchsichtige, mit einigen Flocken vermischte Flüssigkeit,
welche dem Eiweiſs der Vögel vollkommen ähnlich war. Sie
hing viel genauer an dem Amnion, als an dem Chorion. Am
Nabelstrange schien sie noch durchsichtiger zu werden und sich mit
der Whartonschen Sulze zu vereinigen. 8. An einem anderen et-
was gröſseren Eie fand sich eine dichtere und etwas consisten-
tere Lage, welche keine Flocken irgend einer Art enthielt, leich-
ter von dem Chorion, als von dem Amnion sich trennen lieſs und
sich mit dem die Nabelgefäſse umgebenden Zellgewebe zu ver-
mischen schien. 9. In einem frischen, dreimonatlichen Eie fing
diese gallertartige Lage an, undurchsichtiger zu werden und eine
gelbliche oder grauliche Farbe anzunehmen. Der Placenta gegen-
über betrug ihre Dicke noch mehr, als eine Linie. Die einzel-
[92]III. Das Ei während der Fruchtentwickelung.
nen Lamellen waren nur schwer von einander zu trennen und
die zwischen ihnen früher befindliche Serosität war geschwun-
den. 10. In einem fünf- bis sechsmonatlichen Eie fand sich zwi-
schen Chorion und Amnion nur eine sehr durchsichtige Lamelle,
welche viel weicher und zarter, als in früheren Perioden war.
Sie unterschied sich nicht von der gelatinösen Schicht, die man
sehr häufig zwischen Chorion und Amnion an der Nachgeburt
findet. — Velpeau (l. c. p. 53.) schlieſst daher aus seinen Beob-
achtungen, daſs sich von der fünften Woche bis zum Ende der
Schwangerschaft zwischen Chorion und Amnion eine durchsich-
tige, farblose oder graulich gelbe Schicht finde, welche ähnlich
dem Glaskörper im Auge construirt ist. Ihre Dicke wird um so
geringer, je mehr die anderen Membranen sich vergröſsern. Die
Flüssigkeit dagegen steht in umgekehrtem Verhältnisse mit der
Zeit der Schwangerschaft. Sie wird durchsichtiger und dünner
und bildet zuletzt eine homogene, pulpöse Lage, welche häufig
vor der Geburt des Kindes schon gänzlich schwindet. Mehrere
Lamellen lagern sich an der äuſseren Oberfläche des Amnion, (ohne
Zweifel identisch mit der von den Alten sogenannten Membrana
Hobokenii
) vorzüglich an der Wurzel des Nabelstranges. Selte-
ner geschieht dasselbe am Chorion. — Wenn nun die Existenz
dieser Flüssigkeit auſser allen Zweifel gesetzt ist, so ist ihre Be-
deutung doch noch keineswegs bestimmt. Vorläufig genüge zu
bemerken, daſs Manche, wie Pockels, Joh. Müller u. A., dieselbe
für ein Analogon des Eiweiſses, Andere dagegen, wie Velpeau,
Seiler u. A., für die Allantois des Menschen halten. Wir müſs-
ten der folgenden Darstellung vorgreifen, wenn wir hier schon
die Gründe für die eine oder die andere Ansicht entwickeln
wollten. Um daher nicht unverständlich zu seyn, verweisen wir
dieses Thema auf den Theil des Abschnittes von dem Eie, welcher
von der Allantois der Säugethiere und des Menschen handelt. Hier
wollen wir nur noch theils nach v. Bär’s, theils nach eigener Erfah-
rung die Beschreibung dessen hinzufügen, was in dem Eie unse-
rer Haussäugethiere für ein Analogon des Eiweiſses der Vögel
angesehen werden muſs.


Schon Cuvier (Meck. Arch. V. S. 580.) bemerkte bei dem
Pferde, daſs die Nabelgefäſse bei ihrem Austritte aus dem Nabel-
strange nach seinem Ausdrucke eine dicke, halb knorpelige Haut
erhalten, welche sie überall bekleidet. Dieser Stoff, der nicht
[93]Eitheile d. m. d. Embryonalkörper in Verbindung stehen.
bloſs hier, sondern bei dem Schweine, dem Hunde, dem Kanin-
chen u. a. Haussäugethieren in frühester Zeit der Entwickelung
vorkommt, ist keine wahre Membran, sondern eine Masse von dich-
ter, gallertartiger, halb knorpeliger Natur und findet sich besonders
an der Stelle angehäuft, wo die Nabelgefäſse als Endochorion zu dem
Exochorion treten. v. Bär, welcher (Untersuchungen über die
Gefäſsverbindung etc. S. 4. 5.) besonders das Ei der Hufthiere
in dieser Beziehung genau beschreibt, hat zuerst auf bestimmte
und speciellere Weise diesen im Eie der Säugethiere vorkommen-
den Stoff für ein Analogon des Eiweiſses der Vögel erklärt. In
seiner Lagerung dicht unter dem Chorion stimmt er mit dem
Albumen des Vogeleies überein. Nur findet hier der Unterschied
Statt, daſs das Endochorion, indem es sich genauer an das Exo-
chorion anlegt und in dasselbe sich hineinbildet, mehr durch das
Eiweiſs hindurchgeht, dieses also mehr unter und zwischen ihm zu
liegen kömmt. Das Eiweiſs der Säugethiere besteht aus einem
dichten, durchsichtigen und mit vielen Körnchen vermischten
Stoffe, welcher nach v. Bär (l. c. S. 5.) begierig Wasser einsaugt,
in kochendem Wasser und Weingeist gerinnt und weiſs wird.
Er glaubt daher, daſs jener zuerst mehr der Natur des Eiweiſses
und späterhin mehr der der Gallerte sich annähere.


C. Die Eitheile, welche mit dem Embryonalkörper in
unmittelbarer Verbindung stehen und von denen das
neue Individuum ausgeht, oder die selbst erst durch
die Bildung desselben oder von ihm erzeugt
werden
.


Wir müssen uns selbst einer Inconsequenz zeihen, wenn wir
hier diese Eitheile abhandeln, da sie integrirende Theile des Em-
bryo sind, von ihm gröſstentheils ausgehen und an passenden
Stellen des zweiten Abschnittes wiederum zu berühren werden
seyn. Um aber einerseits eine übersichtliche Darstellung des gan-
zen Eies zu liefern, haben wir es vorgezogen, hier auch von die-
sen Eitheilen zu sprechen, auf welche wir an vielen Stellen des
zweiten Abschnittes nothwendiger Weise wieder werden zurück-
kommen müssen. Wenn nun so derselbe Gegenstand hier sowohl,
als in der Geschichte des Embryo besprochen wird, so wird doch
an beiden Orten seine Behandlung verschieden ausfallen. Denn
hier kann es sich nur mehr darum handeln, wie diese Theile un-
[94]III. Das Ei während der Fruchtentwickelung.
mittelbar am Eie zu dieser oder jener Periode erscheinen, welche
Gestalt, Ausdehnung u. dgl. sie haben; dort dagegen, in welchem
Zusammenhange der Form und Function sie mit dem Embryo
stehen, von welchen Theilen desselben sie ausgehen, mit welchen
sie in Verbindung, in Abhängigkeit u. s. w. sind. So liegt es
zwar in der Natur der Sache, daſs hier Wiederholungen unver-
meidlich sind, allein da bei der [zweifachen] Behandlung dasselbe
Object unter zwei Gesichtspunkten angesehen wird, soll wenig-
stens dadurch die Zahl derselben möglicherweise gemindert wer-
den. — Es zerfallen aber die hierher gehörenden Theile in drei
Gebilde, welche entweder immer oder zu einer bestimmten Pe-
riode des Fruchtlebens geschlossene Blasen darstellen und in ih-
rem Inneren eine geringere oder gröſsere Quantität einer bestimm-
ten Flüssigkeit enthalten und zwar a. Die Blase existirt schon
vor der Entwickelung des Embryo und dieser entsteht aus einem
Theile desselben, die Nabelblase. b. Die Blase entsteht aus den
an den Embryo angrenzenden, hautförmigen Gebilden, welche sich
schlieſsen und auf eine bestimmte unten noch zu erörternde
Weise die Blasenform annehmen, das Amnion und c. Ein einfa-
ches oder doppeltes blasenförmiges Organ, welches von dem Em-
bryo aus, aus einem Theile desselben, dem Darmkanale, hervor-
gestülpt wird, über die Frucht hinauswächst und so zwischen
Chorion und Amnion tritt, die Allantois. Als Anhang dieses letz-
teren Gebildes soll das Wichtigste über die Conformation des
Mutterkuchens und des Nabelstranges abgehandelt werden.


a. Die Nabelblase.

Wir haben im Vorhergehenden zu zeigen uns bemüht, daſs
das Eichen der Säugethiere schon von dem Eierstocke aus ein
Bläschen darstelle, welches der Dotterkugel des Vogeleies [analog]
sey, sich bei dem Durchgange durch die Tuben ungemein vergrö-
ſsere, und entweder auf einem Theile seiner Oberfläche oder in
seiner ganzen Peripherie ein Gebilde zeige, welches der Keim-
haut der Vögel entspräche. Wir hatten dieses wichtige Bläs-
chen bis zu seinem Eintritte in die Gebärmutter verfolgt, und
müssen hier wieder dessen Geschichte [von] da fortsetzen, wo wir sie
oben abgebrochen. Wenn nun dieses Bläschen, was kaum zu bezwei-
feln ist, dem Dotter der Vögel entspricht, wenn der Embryo der
Säugethiere sich auf analoge Weise entwickelt, als der der Vö-
[95]Eitheile d. m. d. Embryonalkörper in Verbindung stehen.
gel, welches durch vielfache Untersuchung schon bestättigt wor-
den, so dürfte es wohl erlaubt seyn, durch die Geschichte des
Vogels auch hier die in der Geschichte der Säugethiere vorhan-
denen Lücken zu completiren. So entsteht auch der Säugethier-
embryo als eine Wucherung der Mitte der Keimhaut, welche
sich von dem Dotter abschnürt und oder mehr oder minder ent-
fernt. Bei dem Vogel bleibt die Distanz des Embryo von dem
Dotter gering, so daſs der Verbindungsgang kurz ist. Bei den Säuge-
thieren dagegen scheint diese Entfernung nicht bloſs sehr früh,
sondern auch auf eine äuſserst energische Weise zu erfolgen. Der
Communicationscanal zieht sich sehr lang aus, wird immer dünner
und zuletzt fadenförmig. Da dieser Hergang sich schon in den
ersten Wochen nach der Entwickelung der Frucht ereignet, so
erscheint die Nabelblase in der Regel in secundärer Form, d. h.
als eine Blase mit einem mehr oder minder langen, vollständig
oder unvollständig zum Embryo hinlaufenden Stiele. Es finden
sich aber noch mehrere Unterschiede zwischen der Nabelblase
der Säugethiere und dem Dotter der Vögel. Diese letzteren Thiere,
welche ihre Eier auſserhalb des mütterlichen Körpers brüten, müs-
sen nothwendig eine gröſsere Quantität von Nahrungsstoffen in
dem Eie haben, als die Säugethiere, deren Ei innerhalb des Mut-
terkörpers seinen Embryo entwickelt und Stoffe für denselben
fortwährend aus dem mütterlichen Organismus entnimmt. Daher
ist auch der Dotter oder die Nabelblase bei den Säugethieren
klein und unansehnlich, functionirt nur in der allerfrühesten Zeit
des Fruchtlebens, wird als ein wenig nothwendiges oder wenig-
stens bald unnöthiges Gebilde weit von dem Körper des Embryo
abgestoſsen und schwindet zuletzt entweder ganz oder tritt auſser
Verbindung mit der Frucht, während der Dotter der Vögel im
Verlaufe der ganzen Entwickelungszeit von groſsem Umfange ist,
eng an dem Embryonalkörper angeschlossen bleibt, ja zuletzt in
denselben aufgenommen wird. Diese verschiedenen Verhält-
nisse scheinen sogar bei den Säugethieren und den Vögeln eine
Verschiedenheit der Lage der Nabelblase zu bedingen. Denn bei
den Vögeln ist die Alles umschlieſsende Hülle die Eischaale und
Eischaalenhaut, und es füllen einerseits Amnion und Allantois, ander-
seits die Nabelblase den durch jene gebildeten Raum mehr gleich-
mäſsig aus. In dem Eie der Säugethiere bildet das Chorion die
äuſsere Umschlieſsung, und innerhalb derselben liegt bei den Mei-
[96]III. Das Ei während der Fruchtentwickelung.
sten zunächst die fast das ganze Ei zuletzt umgebende Allantois
und nächst dieser das Amnion. Zwischen diesen beiden Gebil-
den und dem Chorion befindet sich die im Ganzen verhältniſs-
mäſsig kleine Nabelblase. Die Lagerung ist also noch ziemlich
leicht analog, wie bei dem Vogel, zu erkennen. Etwas abwei-
chend aber scheint sie bei dem Menschen zu seyn. Denn hier
findet man jene zwischen Chorion und Amnion oder, wo zwischen
beiden der gallertartige, mit vielen Fäden durchzogene Stoff noch
vorhanden ist, innerhalb dieses Letzteren. Allein dieser Schein trügt.
Denn wenn man bedenkt, daſs das Amnion bei dem Menschen sich so
weit ausdehnt, daſs es zuletzt das Chorion mittelbar oder fast
unmittelbar berührt, daſs die Allantois, wenn auch nicht der glas-
förmige Körper selbst, doch in ihm entfallen ist, und man dann
den Stiel des Nabelbläschens zu der Stelle hingehen sieht, wo
die Nabelgefäſse aus der Höhlung des Amnion hervortreten, so
nimmt man leicht wahr, daſs die Lagerung der Nabelblase für
sich durchaus dieselbe ist, wie in den Säugethieren und Vögeln,
daſs nur die verschiedene Gröſse der Nebengebilde, wie des Am-
nion und der Allantois, eine Verschiedenheit zu bedingen scheint,
ohne in der That eine Differenz zu zeigen.


Dadurch, daſs das kleine Nabelbläschen des Menschen früh-
zeitig von dem Embryo entfernt und zwischen Chorion und Am-
nion oder in der gallertartigen Substanz gleichsam versteckt wird,
blieb seine Erkenntniſs natürlich weit länger verborgen, als die
des Amnion und der anderen Gebilde. Ja man hielt es sogar
eben seiner Kleinheit, seiner später isolirten Stellung wegen
u. dgl. bisweilen für ein krankhaftes Product, welches in gesun-
den Eiern nie vorkommen könne, und so wurde gerade das Wich-
tigste, ohne dessen Daseyn keine Entwickelung des Embryo mög-
lich ist, für etwas Unwesentliches und Accessorisches gehalten.
— Die Bestimmung, welcher Anatom die Nabelblase zuerst gese-
hen und beschrieben habe, ist besonderer Schwierigkeit unter-
worfen, da die früheren Naturforscher sie zum Theil mit der Al-
lantois verwechselten oder dafür ausgaben, ihre Ausdrücke zu
kurz, zu unbestimmt und oft zu undeutlich sind, als daſs sich
mit Sicherheit aus ihnen etwas entnehmen lieſse. Oken hat in
dieser Hinsicht, als ihm die freieste Benutzung der Göttingschen
Bibliothek zu Gebote stand, Ausgezeichnetes geleistet (Beiträge
zur vergl. Anatomie etc. Hft. 2.). Doch bedürfen manche seiner
An-
[97]Eitheile d. m. d. Embryonalkörper in Verbindung stehen.
Angaben einer nochmaligen Kritik. Nach ihm (l. c. S. 63.) soll,
was den Menschen betrifft, Joh. Riolan, der Sohn, Einer der Er-
sten gewesen seyn, welche im siebzehnten Jahrhundert die Na-
belblase gekannt und beschrieben haben. Allein es scheint sich
eben so wenig aus den Beschreibungen dieses Mannes, als aus der
von Diemerbroek mit Bestimmtheit zu ergeben. Interessant ist
es, daſs Hoboken, welcher von der Nabelblase so spricht, daſs man
es kaum zu läugnen vermag, daſs er sie bei dem Menschen in
der That gekannt habe, sie an Eiern gesehen, welche entweder
ihre Ausbildung schon vollendet hatten oder derselben sehr nahe
waren. So heiſst es in seiner Anatomia secundinae humanae
repetita, aucta, roborata etc. Ultrajecti
1775. 8. p. 37. bei
Gelegenheit der Beschreibung der Nachgeburt eines neugeborenen
Mädchens: Hoc autem in Amnio singulare esse animadverti,
quod viderem circa ejusce extremitatem quasi-glandulam
aut potius granulum ovalis figurae, albicans, grano Canna-
bino ferme aequali. Quod stadio examinandi actus aperui,
sed inclusam inveni materiam quamdam albicantem, visco-
sam, ramosamque induratam
. Eine ähnliche Stelle findet sich,
wie Oken schon bemerkt, l. c. p. 217. 218. Ob auch p. 354.
von der Nabelblase die Rede sey, muſs ich sehr bezweifeln.
Vielleicht ist sie aber tab. XXVI. E. roh abgebildet. Mehr zwei-
felerregend sind die Angaben von Ruysch, wiewohl die Anschwel-
lungen im Nabelstrange, welche viele hierher ziehen, gar nicht
hierher gehören, Hydatiden sind und auch für nichts Anderes
von dem genannten Anatomen erklärt wurden. Ein gleiches Ur-
theil läſst sich über Diemerbroek fällen, den Lobstein (l. c. S.
60.) und Dzondi (supplementa ad anatomiam et physiologiam,
potissimum comparatam
1806. 4. p. 19.) als den Entdecker der
Nabelblase anführen, weil er angiebt, daſs er in drei abortirten
Eiern ein Bläschen von der Gröſse einer Haselnuſs gesehen, wel-
ches mit einer durchsichtigen Flüssigkeit gefüllt war (vgl. Vel-
peau’s gleiche Ansicht hierüber Embryologie p. 33. 34.). Von
Schurig’s Beschreibung (Embryologia. 1732. 4. p. 37. bei Oken l.
c. S. 65.) läſst sich dasselbe behaupten. — Nachdem nun Noort-
wyk die Nabelblase schon gekannt, aber als Allantois beschrie-
ben hatte, zeigte Albinus (acad. adnott. Leid. 1754. 4. lib. I.
p. 74. 75. tab. I. fig. 12.) an einem siebenwöchentlichen Eie,
daſs es ein eigenthümliches, mit einem Faden versehenes, zwi-
7
[98]III. Das Ei während der Fruchtentwickelung.
schen Chorion und Amnion gelegenes Gebilde sey, an welchem
sich zwei Blutgefäſse seiner Beschreibung nach finden. Böhmer
und Madai (bei Oken l. c. S. 67.) verfielen in den alten Fehler,
indem sie den Faden für den Urachus hielten. Dasselbe ist auch
mit Boerhave (institutiones medicae 684. bei Velpeau l. c. p.
35.) der Fall. Eben so scheint Haller (Elem. physiol. VIII. p.
208. 209.) noch nicht recht die Nabelblase von dem Harnsacke
zu unterscheiden im Stande zu seyn. Wrisberg (descriptio ana-
tom. embryonis
1764. 4. p. 19.) beschrieb nicht nur das Nabel-
bläschen aus menschlichen Eiern aus dem dritten Monate genau,
sondern lehrte auch zwei in den Nabelstrang und in die Bauch-
höhle eindringende Fäden kennen, die sich nach seinen späteren
Injectionen (Hallers Grundriſs der Physiol. übers. v. Leveling S.
799.) als Gefäſse charakterisirten. W. Hunter (anatomia uteri
gravidi
1777. fol. tab. XXXIII. Fig. 5. 6. und tab. XXXIV.
fig. 2.) bildete die Nabelblase aus 5- und 8wöchentlichen Eiern
ab und kannte ebenfalls die zu ihr aus dem Körper des Embryo
gehenden Gefäſse. Zugleich bemerkte er (anat. Beschreib. d.
schwang. Uterus S. 69.), daſs das Nabelbläschen bisweilen noch
in reifen Nachgeburten sichtbar sey, daſs es dann auf der Innen-
fläche der Placenta oder in der Nähe derselben sich finde, einen
rundlichen, weiſsen Körper bilde und dann noch das Ansehen, wie
in einem Eie von zwei bis drei Monaten, habe. Sandifort und van
der Laar (s. Dzondi l. c. p. 21.) beschrieben ebenfalls unser Ge-
bilde, und der Erstere belegte dasselbe mit dem Namen des pro-
cessus infundibuliformis amnii
. Eben so stellten es Sömme-
ring (Icones embr. hum. 1799. fol. tab. 1. fig. 2.), Loder, Mayer
u. A. theils durch Zeichnung, theils in Beschreibungen dar. Blu-
menbach verglich es bestimmt mit dem Dotter der Vögel, und
gleichzeitig stellte auch Sömmering dieselbe Ansicht auf (S. un-
ten in der Abhandlung des Schleimblattes). Lobstein (über die
Ernährung des Fötus S. 60. 61.) beschrieb das Nabelbläschen nach
eigener Anschauung aus einem Eie aus dem Ende des zweiten
und einem Eie aus dem dritten bis vierten Monate, erklärte sich
aber gegen die von Manchen seiner Vorgänger gemachte Parallele
mit dem Dotter (S. 63.), weil er keine Gemeinschaft mit der
Darmhöhle, wie dieses bei dem Dotter der Vögel der Fall ist, gefun-
den habe, sondern kehrt vielmehr zu der alten Ansicht zurück, daſs
die Nabelblase die Allantois des Menschen sey. Chaussier (bei Oken
[99]Eitheile d. m. d. Embryonalkörper in Verbindung stehen.
l. c. S. 70. 71.) hatte schon im Jahre 1776. (Mem. de l’acud. de
Dijon.
1782. 8. p. 186.) die zu der Nabelblase gehenden Gefäſse
in einem 7 bis 8monatlichen Embryo gefunden, und zeigte 1802
(Bulletin des sciences par la soc. philom. de Paris 4. Tom.
3. No. 67. p. 148.) die injicirte Nabelgekrösarterie eines Neuge-
borenen. An Embryonen von 30—60 Tagen waren ihm immer
diese Gefäſse nebst dem Bläschen vorgekommen. In jungen Em-
bryonen liegt es nach ihm mit Flüssigkeit gefüllt an der Inser-
tion der Nabelschnur. In älteren Früchten dagegen sieht man
es welk und leer als eine mit Blutgefäſsen versehene Haut am
Rande der Placenta. Autenrieth (supplementa ad historiam
embryonis humani
1797. 4. p. 9. 10.) beschrieb es in zwei
Eiern, wie Knorre angiebt. Wenn Oken (Beiträge zur verglei-
chenden Zoologie, Anatomie und Physiologie 1806. u. 1807. 4.)
zu zeigen sich bemühte, daſs der Darmkanal aus der Nabelblase
entstehe, so hatte dieser Ausdruck einerseits etwas Schiefes. An-
derseits ist er aber auch den Beweis durch unmittelbare Beob-
achtung schuldig geblieben. Doch hat das Werk für die Erkennt-
niſs der Nabelblase vorzüglich zwei Verdienste, nämlich: 1. daſs
bestimmt ausgesprochen wurde, daſs die Höhlungen der Nabel-
blase und des Darmkanales in frühester Zeit in unmittelbarer
Communikation stehen; 2. daſs eine Reichhaltigkeit, besonders
der älteren Literatur, in seiner Schrift enthalten ist, wie in kei-
nem ähnlichen, bis jetzt erschienenen Werke. Dzondi (l. c. p.
56.) beobachtete zweimal die Nabelblase. 1. In den Eihäuten ei-
nes männlichen, ungefähr fünfmonatlichen Embryo zwischen Cho-
rion und Amnion, ungefähr drei Zoll von der Insertion des Na-
belstranges entfernt. Sie soll mit dem Chorion zusammengehan-
gen, eine etwas trübe Flüssigkeit enthalten haben und mit einem
1½ Zoll langen, sehr zarten, an eine Protuberanz (?) sich anset-
zenden Faden versehen gewesen seyn. 2. In einer anderen, et-
was macerirten Placenta aus derselben Zeit der Schwangerschaft
fand er ein mit trüber Flüssigkeit gefülltes Bläschen ohne Faden
frei zwischen Chorion und Amnion. In der Nachgeburt reifer
Früchte konnte er sich aber über ihre Existenz nicht vergewis-
sern. Ueber die hierher gehörenden Erfahrungen von Kieser,
Meckel, Emmert u. A. s. unten in dem zweiten Abschnitte die Dar-
stellung des Schleimblattes. Nach Cuvier (Meck. Arch. V. S.
587.) soll die rundliche Nabelblase des Menschen bald im Nabel-
7*
[100]III. Das Ei während der Fruchtentwickelung.
strange, bald an seinem äuſseren Ende, bald etwas weiter ab und
wahrscheinlich in einer Vertiefung der Allantois liegen. Obgleich
nun auf diese Weise durch vielfache Untersuchungen die Existenz
der Nabelblase auſser allen Zweifel gesetzt war, erklärte sie Osi-
ander (Salzb. medizin. chirurg. Zeit. 1814. S. 173.) paradoxer
Weise für ein krankhaftes und daher in normalen Eiern durch-
aus fehlendes Gebilde, und lehrte Döllinger in seinen Vorlesun-
gen (vgl. Samuel l. c. p. 82.), daſs sie kein beständiger Theil
wäre. J. Fr. Meckel, welcher früher schon ausgezeichnete Un-
tersuchungen über die Nabelblase und die mit ihr in Verbindung
stehenden Embryonaltheile bekannt gemacht hatte, lieferte (mensch-
liche [Anatomie] IV. S. 722—726.) eine Zusammenstellung frem-
der sowohl als eigener Beobachtungen (über die letzteren s. un-
ten Schleimblatt.). Samuel (l. c. p. 81.) gab zwar eine tabel-
larische Zusammenstellung fremder und eigener Erfahrungen über
die vesicula umbilicalis, bezweifelte aber (l. c. p. 72.) ihre Ana-
logie mit dem Dotter des Vogels. C. A. Knorre (de vesicula
umbilicali. Dorpati Livonorum
1822. 8. p. 17.) bemerkte, daſs
er vier Mal das Nabelbläschen bei dem Menschen zu beobachten
Gelegenheit gehabt und lieferte eine vergleichende Zusammen-
stellung mit den Säugethieren und der Analoga in der Thier-
welt überhaupt, auf welche Arbeit wir bald zurückkommen
werden. Von Pockels (Isis 1825. S. 1344. fgg.) irrthümli-
cher Ansicht über das Wesen und die Veränderungen der Na-
belblase werden wir unten, besonders bei Gelegenheit seiner Ve-
sicula erythroides
, ausführlich sprechen. In Burdachs geistrei-
cher Zusammenstellung alles über die Nabelblase Bekannten (Phy-
siol. II. S. 481—488.) bemerkt v. Bär (l. c. S. 484.), daſs er
sich auch bei dem Menschen von der unmittelbaren Communica-
tion der Höhlung des Nabelbläschens und des Darmkanales über-
zeugt habe. Joh. Müller (Meck. Arch. 1830. S. 412—417.) be-
schrieb das Nabelbläschen eines sehr zarten menschlichen Em-
bryo, an welchem der Gang sich als eine unmittelbare Verlänge-
rung zeigte. Der Gang selbst, den M. ductus omphalo-entericus
nennt, schien hohl zu seyn. Nach einigen literarischen Citaten
und eigenen Beobachtungen schlieſst er endlich auf die Identität
des Nabelbläschens und des Dotters der Vögel. Derselbe Natur-
forscher hat in neuester Zeit (s. Arch. 1834. Hft. S. 8.) die Be-
schreibung eines sehr zarten menschlichen Embryo geliefert, wel-
[101]Eitheile d. m. d. Embryonalkörper in Verbindung stehen.
cher über das Verhältniſs des Darmes zur Nabelblase auſser allen
Zweifel setzen soll. Der Embryo selbst ist 2½ Linien, der Na-
belstrang ⅔ Linien lang und das Nabelbläschen hat 1½ Linien im
Durchmesser. Die Darmhöhle ist ein die Carina einnehmender
Kanal, welcher ganz breit in das Nabelbläschen übergeht, so daſs
an der Stelle des späteren Stieles nur eine geringe Einschnürung
sich findet. Auch E. H. Weber (Hildebr. Anat. IV. S. 509—512.)
und Seiler sprechen sich für die Analogie des Nabelbläschens und
des Dotters im Vogel aus. Der Letztere (die Gebärmutter und
das Ei des Menschen 1832. fol. S. 37.) fand zwar selbst bei den
kleinsten Embryonen die Unterleibshöhle schon geschlossen und
das Nabelbläschen wenigstens eine Linie davon entfernt, schlieſst
aber aus der, besonders an Thieren, zu beobachtenden Rückbildung
desselben, daſs es das Dotterbläschen sey, in welchem die ersten
Bildungen der Frucht beginnen. Velpeau, welcher früher schon
(s. Heusingers Zeitschrift II. S. 78—81.) wichtige Beobachtun-
gen über das Nabelbläschen des Menschen bekannt gemacht hatte,
liefert in seinem neuesten Werke (Embryologie p. 33—45.) eine
Kritik mancher fremden Erfahrung sowohl, als auch eine voll-
ständige Aufzählung seiner über diesen Gegenstand gemachten
Beobachtungen. Er läugnet (l. c. p. 33—35.) mit vollem Rechte,
daſs Diemerbroek, Ruysch u. A. die Vesicula umbilicalis ge-
kannt haben, daſs das von Lobstein (l. c. fig. 1.) abgebildete Ei
und Nabelbläschen gesund gewesen sey, und bemerkt, daſs über-
haupt selbst die Abbildungen von Albinus, Wrisberg und Söm-
mering noch Vieles zu wünschen übrig lassen. Nach seinen ei-
genen Untersuchungen findet sich ein Bläschen der Art, wie es
die genannten Naturforscher beschrieben haben, in der sechsten
bis achten Woche der Entwickelung des Eies. An beinahe 200
Eiern aber, die noch vor dem Ende des dritten Monats waren,
fand er (l. c. p. 39.) nur 30mal die Nabelblase in einem Zu-
stande, welcher normal genannt werden konnte. 1. In einem
einen Zoll im Durchmesser haltenden und mit der decidua ver-
sehenen Eie fand sich innerhalb des Chorion eine ovale oder
birnförmige Blase, welche sich unterhalb der Leber des Fötus
endigte. Der Stiel schien sich an dem Ansatzpunkte gablich zu
spalten und an der Wirbelsäule zu endigen. Zwei Gefäſse, wel-
che sich auf der Nabelblase verzweigten, waren an ihm mit
Deutlichkeit zu erkennen. Der in der Nabelblase enthaltene,
[102]III. Das Ei während der Fruchtentwickelung.
sehr flüssige, schwach gelbliche Inhalt konnte längs der ganzen
Länge des Stieles von dem Bauchende bis zu seiner Insertion in
die Nabelblase mit Hilfe einer Nadel hin und her bewegt wer-
den. 2. In einem noch jüngeren Eie war die Nabelblase von
mehr kuglicher Form, und ihr kürzerer Stiel setzte sich an den
Darm an. Durch Druck konnte die Flüssigkeit der Nabelblase
in den Darm, nicht aber wiederum zurück befördert werden. 3.
In einem anderen Eie lag die Nabelblase in der zwischen Cho-
rion und Amnion befindlichen Gallerte, Velpeau’s sogenanntem
netzförmigen Körper, und hatte nur eine Linie im Durchmesser.
Ihr Stiel war ¼ Linie dick und ging eine Linie von dem unteren
Theile des Bauches des Embryo entfernt in den Nabelstrang.
4. In einem sechs- bis siebenwöchentlichen Eie war die Nabel-
blase abgeplattet, von gelber Farbe, von der Gröſse einer kleinen
Linse und endigte sich mit einem 3—4 Linien langen, sehr feinen
Stiele in dem Nabelstrange. Dasselbe fand sich auch in einem
anderen Eie. Nur hatte hier die Nabelblase einen etwas gerin-
geren Umfang. 5. In einem sechs- bis siebenwöchentlichen Eie
hatte die rundliche, gelbe und abgeplattete Nabelblase einen 4—5
Linien langen Stiel. 6. In einem anderen Eie gleichen Alters
war die Nabelblase an der inneren Oberfläche des Chorion angehef-
tet. Ihr sehr feiner 5—6 Linien langer Stiel pflanzte sich erst
in der Mitte der Länge des Nabelstranges in denselben ein, weil
dieser letztere innerhalb des Chorion eine Strecke fortlief. 7. Die
Nabelblase eines fünf- bis sechswöchentlichen Eichens hatte einen
so feinen, 7—8 Linien langen Stiel, daſs seine Einpflanzung in
den Nabelstrang nicht genau beobachtet werden konnte. 8. In
einem ungefähr dreimonatlichen Eie fand sich frei zwischen Cho-
rion und Amnion, einen Zoll von der Wurzel des Nabelstranges
entfernt, die gelbe, eine Linie ungefähr im Durchmesser haltende
Nabelblase. Der Stiel war überaus fein und konnte nur einige
Linien weit in dem Strange der Nabelgefäſse verfolgt werden.
9. In einem wenigstens dreimonatlichen Eie fand sich die Nabel-
blase viel stärker, als in den vorhergehenden Fällen, zwei Zoll
von dem Nabelstrange entfernt. Ihr Stiel konnte 12—15 Linien
weit verfolgt werden und ging dann in eine Art blutigen Strei-
fens über. 10. Der Stiel der Nabelblase eines sieben- bis acht-
wöchentlichen Eies konnte nicht mehr bis zur Wurzel des Na-
belstranges verfolgt werden. 11. Mehrere Male fand V. die Na-
[103]Eitheile d. m. d. Embryonalkörper in Verbindung stehen.
belblase völlig frei in der unmittelbar von dem Chorion einge-
schlossenen, eiweiſsartigen Flüssigkeit. 12. In einem fünf- bis
sechsmonatlichen Eie, wo die Nabelblase fast vier Zoll vom Na-
belstrange entfernt war, und in einem sechsmonatlichen Eie, wo
diese Entfernung nur ungefähr drei Zoll betrug, verlor sich bald
der äuſserst feine Stiel in der Dicke des Amnion. 13. In einem
zwölftägigen Eie (?) war die Nabelblase mit Ausnahme ihres halb
so groſsen Volumens wie in No. 2. beschaffen. Ihr sehr kurzer
Stiel ging zu dem schon sehr deutlichen Leibe des Embryo. Sie
selbst aber war in einem kleinen Punkte am Chorion befestigt.
— Velpeau glaubt (l. c. p. 41.) daher, daſs die Nabelblase ein
kleiner, birnförmiger, runder oder rundlicher Sack ist, welcher
15—20 Tage nach der Befruchtung 2—4 Linien im Durchmes-
ser hat. Wahrscheinlich ist sein Diameter in der dritten bis
vierten Woche am gröſsten, verkleinert sich aber bestimmt nach
dem ersten Monate. Sobald sie aber zur Gröſse eines Corian-
dersaamens reducirt worden, wird sie platt und verringert ihren
Durchmesser in einem sehr unbedeutenden Verhältnisse. Sie liegt
immer zwischen Chorion und Amnion, und zwar bis 30 — 40
Tage nach der Befruchtung innerhalb der gallertartigen Feuchtig-
keit. Selten liegt sie späterhin völlig frei, sondern in der Regel
am Amnion oder an dem Chorion angeheftet, so daſs es dann den
Anschein hat, als sey sie innerhalb der Lamellen einer dieser
Membranen enthalten. Der Stiel der Nabelblase (p. 42.) ist bis
zum Ende des ersten Monates 2 bis 6 Linien lang und oft ¼
Linie dick. Bei seinem Eintritte in das Bläschen dehnt er sich
trichterförmig aus, nicht aber an der Bauchseite der Frucht. Un-
zweifelhaft hängt er auch mit dem Darme continuirlich zusam-
men. Nach dem ersten Monate verlängert er sich bis zu einem
halben bis 1½ Zoll, wird aber viel feiner, indem er zugleich in
den Nabelstrang eintritt und dort undeutlich wird oder schwin-
det. Bis zum zwanzigsten Tage ist er unzweifelhaft hohl, so
daſs man den Inhalt der Blase in ihn hineindrücken kann. Die
Schlieſsung erfolgt wenigstens bestimmt vor der fünften Woche
und scheint im Nabelringe zuerst vor sich zu gehen. Die Wan-
dungen der Nabelblase sind glatt, wenn sie selbst voll ist; wenn
dies aber nicht Statt findet, so sind sie gefaltet und zusammen-
gefallen. Drei Häute aber, wie Dutrochet, correspondirend den
Häuten des Darmkanales, angenommen, kommen nicht vor. Mit
[104]III. Das Ei während der Fruchtentwickelung.
Deutlichkeit lassen sich die Nabelgekrösgefäſse, für welche V.
den Namen Dottergekrösgefäſse oder Dottergefäſse vorschlägt,
nicht bloſs auf dem Gange, sondern auch auf der Nabelblase ver-
folgen. Sie kommen aber nicht, wie man gewöhnlich angiebt,
von der arteria und vena mesaraica superior, sondern aus
den untergeordneten Aesten der groſsen Unterleibsgefäſse, vorzüg-
lich derer des Coecum. Die Natur der in der Vesicula umbili-
calis
enthaltenen Flüssigkeit ähnelt in Bezug auf ihren Oelgehalt
der des Dotters im Vogeleie. — Endlich erklärt sich auch Bischoff
(l. c. S. 57.), freilich mehr nach theoretischen Gründen, als nach
stringenten Erfahrungen, für die freie Communication der Nabel-
blase mit dem Darme. — Was nun die Formation der Nabelblase
in der Klasse der Säugethiere anbetrifft, so werden wir im zwei-
ten Abschnitte auf die wichtigen hierher gehörenden Erfahrungen
von J. Fr. Meckel, Bojanus, v. Bär u. A. zurückkommen müs-
sen, wenn von der Bildung des Darmkanales aus dem Schleim-
blatte der Keimhaut die Rede seyn wird. Wir wollen daher
hier nur einiges Ergänzende der Vollständigkeit wegen aufneh-
men, um so theils durch das hier Gegebene, theils durch das
weiter unten noch zu Berührende das Wichtigste der diesem Ge-
genstande angehörenden Literatur vollständig zu liefern. Oken
(Beiträge zur vergl. Zoologie etc. Hft. 2. S. 35. fgg.) versuchte,
unterstützt durch die sehr reichhaltige Göttingsche Bibliothek,
eine vollständige Angabe der hierher gehörenden Literatur zu
liefern. Wir würden auch unbedingt seine Angaben angenommen
haben, wenn nicht zur Zeit des Erscheinens seiner Schrift die
Natur der Nabelblase mit zu wenig Vollständigkeit gekannt gewe-
sen wäre, als daſs sich nicht nothwendig eine Menge von Irr-
thümern in seine Arbeit eingeschlichen hätten. Needham wird
bei Gelegenheit der Nabelblase von Allen als derjenige genannt,
welcher dieselbe im manchen Säugethieren zuerst gefunden
und auch die Parallele derselben mit dem Dotter der Vögel
zuerst aufgestellt habe. Es dürfte daher von Wichtigkeit seyn,
zu untersuchen, in wiefern diese Aussprüche wahr sind oder ei-
ner Berichtigung bedürfen. Daſs Needham die Nabelblase bei
dem Hunde als seine sogenannte Tunica quarta beschrieben habe,
leidet durchaus keinen Zweifel. Denn in seiner Schrift Disqui-
sitio anatomica de formato foetu authore Gualthero Need-
ham. Lond
. 1667. 8. p. 65. heiſst es: „Absoluta tandem Al-
[105]Eitheiie d. m. d. Embryonalkörper in Verbindung stehen.
lantoidis descriptione opportuna erit alterius quoque mem-
branae mentio, quae eandem figura quidem repraesentat,
usui tamen longe diverso destinatur. In canibus felibusque
occurrit, sub cingulo sita, prope funiculi umbilicalis diva-
ricationes; ubi vasa ab invicem discedere incipiunt et ver-
sus placentam pergere. In longum extenditur in cavitate
quadam in eum prorsus finem a membranis aliis illuc coe-
untibus facta et utrimque ligamento cartilagineo albissimo
et quasi fibula iisdem in sui extremitatibus alligatur. Quod
caeteras partes, nusquam cavitatis suae parietibus arcte ad-
haeret, sed fere libera pendet. In gestationis initio magna
est et humoris plena, ut multo copiosius hic, quam in ce-
teris membranis, simul sumtis conspiciatur. Venis arteriis-
que frequentissime spargitur, quibus pcculiaribus ex mesen-
terio oriundis donatur. Progressu autem temporis decrescit
paullatim, donec succo omni absumpto membranulam cho-
roideam in cerebro adeo accurate imitatur, ut exempla in-
cautis imponere possit. Succus hic loci reservatus minime
urina est, sed nobilissinum quid, quod foetui prioribus sep-
timanis impenditur. Idque per vasa, ut dixi, peculiaria
.
l. c. p. 193. u. P. 195. heiſst es: „Haec membrana (sc. quarta)
ut prius dictum, figura quidem allantoides est, usu tamen
longe alia, quam allantoides bubula aut ovilla. Humorem
nempe in se generosissimum continet, qui in initio gestatio-
nis copiosissimus est et liquorem amnii quantitate superat.
Progressu temporis vasorum dictorum opera absumitur, ita
ut sub finem tunica omnino vacua compareat. In cavitate
autem sua recumbens venisque et arteriis copiose sparsa
plexui choroidi simillima evadit
.“ Auch stellt er (l. c. p. 66.)
in dem Kaninchen die gefäſsreiche Haut unterhalb des Chorions
mit der Nabelblase zusammen, wie es die meisten nach ihm eben-
falls gethan haben (s. unten Schleimblatt). Was aber die Ver-
gleichung der Nabelblase mit dem Dotter betrifft, so hat Need-
ham nur die Gefäſse beider mit einander parallelisirt, den Inhalt
der Nabelblase dagegen dem Eiweiſse der Vogeleier gleichgestellt,
wie aus folgender, hierauf bezüglicher Stelle (l. c. p. 79. 80.)
deutlich erhellt. „Ut cumque demum sit, de hisce animalibus
certo dici potest, quod sint oviparis proxima, in quibus
arteria et ena ve mesenterio prodeunt et peculiari humori

[106]III. Das Ei während der Fruchtentwickelung.
inserviunt. Hoc tamen discrimine fit, quod vitellus, cujus
ista sunt vasa, ultimo in loco absumitur, quum e contra li-
quor hic caninus primus in nutritionem cedit et licet initio
gestationis copiosus est, tamen ante partum prorsus evanes-
cit et ne guttulam quidem in membrana relinquit; adeo, ut,
si recte computemus, vasa vitellaribus respondeant. Humor
vero contentus albumini tenuiori; nempe primus in embryo-
nis alimentum facessit et tenellis ejusdem staminibus augen-
dis ac roborandis inservit, donec robustior fiat et crassior
succo digerendo aptior
.“ — Nächst Needham ist Regner de
Graaf zu nennen, welcher die Nabelblase zwar nicht erkannt,
sondern vielmehr dieselbe für das Amnion gehalten, aber die erste
Entstehung des Embryo auf so deutliche Art für seine Zeit be-
schrieben hat, daſs man unwillkührlich an den Dottersack der
Vögel erinnert wird. Nachdem er (de mulierum organis in
Opp. omn
. 1677. 8. p. 363.) dargethan, daſs das Eichen des Ka-
ninchen auſser seiner allgemeinen Hülle noch ein kleines Eichen
in sich enthalte und dieses, wie es auch später von Cruikshank
u. A. geschehen, als Amnion gedeutet hat, während es nach unse-
rem heutigen Wissen unzweifelhaft Chorion und Nabelblase ist,
sagt er (l. c. p. 364.): „Dum ovum ad hunc modum gran-
descit, in interiori ejus tunica Amnios dicta
(der wahren Na-
belblase) nubecula quaedam comparet, quae sensim crassior
evadens mucosam materiem acquirit, in cujus medio primo
punctum saliens, deinde rude embryonis corpusculum, ut in
formis galba, conspicitur, quod in dies augendo majorem
perfectionem nanciscitur
.“ Daſs Graaf dagegen, wie Oken (l.
c. S. 42.) angiebt, die Nabelblase für die Allantois gehalten, ist un-
richtig. Was aber das nach Hallers Angabe (Elem. physiol. p. 190.
191.) von Aldes, Stenon, Harder, Heucher, Zeller, Carper und
Malpighi an dem Amnion der Kuh gesehene Gebilde gewesen,
dürfte schwer zu bestimmen seyn. Nach Oken sollen Seve-
rinus, Bartholinus, Trew, Aquapendente, Haller u. A. bei dem
Hunde (l. c. S. 38.), Needham bei der Katze (l. c. S. 39.), Th.
Bartholinus bei dem Löwen (l. c. p. 40.) u. dgl. m. die Vasa
omphalo-mesaraica
und Daubenton die Vesicula umbilicalis als
Allantois bei dem Hunde (l. c. S. 37.), dem Hausmarder (l. c. S.
40.) und anderen Säugethieren, Haller als eine ihm nicht recht
bekannte Blase bei dem Hunde (l. c. S. 39.), Needham bei der
[107]Eitheile d. m. d. Embryonalkörper in Verbindung stehen.
Katze (l. c. S. 39.), dem Kaninchen (S. 46.) und anderen Nagern
beschrieben haben. Die in Cruikshanks Versuchen schon oben
angeführte innere Blase ist ohne Zweifel die Nabelblase gewesen
(s. oben). Eben so läſst sich, wie z. Thl. Dzondi (l. c. p. 59.)
schon bemerkt, mit Bestimmtheit behaupten, daſs Lobstein, fuſsend
auf Hallers Erfahrung, mit Unrecht die Blase, welche im Eie des
Schaafes noch vor dem Erscheinen des Fötus vorkömmt, für die
Allantois hält, sondern daſs sie die Nabelblase sey (üb. Ernährung
des Fötus S. 73.). Der weitere Verfolg der Versuche spricht
auch deutlich genug dafür. Oken (Beiträge etc. S. 37. u. a. v.
a. O.) hat die Nabelblase des Hundes und Schweines und ihr
Verhältniſs zu den Embryonen selbst, besonders dem Darmka-
nale genau beschrieben und (tab. II. tab. III. fig. III. tab. IV.
fig. I.) abgebildet. Dzondi (supplementa ad anatomiam etc.
tab II. fig. I.) deutete wenigstens in seiner Abbildung eines jun-
gen Eies des Schaafes die Nabelblase an. Wegen der in die Fol-
gezeit fallenden Arbeiten der berühmtesten Deutschen müssen
wir auf den Abschnitt von dem Embryo verweisen, wo bei Ge-
legenheit des Ursprunges des Darmkanales von den Beobachtun-
gen von J. Fr. Meckel, Emmert, Hochstätter, Bojanus u. A. aus-
führlich gesprochen werden soll. Dutrochet beschrieb bei Gele-
genheit der Eihüllen überhaupt die Nabelblase aus einer Reihe
von Schaaffötus (Meck. Arch. V S. 566. 567.) und lieferte rich-
tige Bemerkungen (l. c. S. 568. 569.) über die Lage und Bedeu-
tung derselben. Die Arbeit von Cuvier (Mém. du Muséum
Vol. III. p.
98—113. u. in Meck. Arch. V. S. 574—584.) ver-
räth auch hier wie überall den weitblickenden Naturforscher.
Nach ihm (l. c. p. 577.) hängt die Nabelblase, das Analogon des
Dotters, bei allen Säugethieren durch Gefäſse mit dem Gekröse
des Fötus und durch 1—2 Bänder, welche den Chalazen ent-
sprechen sollen, mit dem Chorion zusammen liegt immer nebst
der Allantois zwischen Chorion und Amnion, schwindet aber
meistens lange vor der Geburt. Bei dem Hunde und der Katze ist
(l. c. S. 579.) die Vesicula umbilicalis spindelförmig, wegen
der Menge von Gefäſsen röthlich, mit gerunzelter äuſserer und
zottiger, innerer Oberfläche versehen und bei dem Hunde mit ei-
ner hellen, bei der Katze mit einer schleimigten, dotterähnlichen
Flüssigkeit gefüllt. Sie beharrt während des ganzen Fruchtlebens,
wächst jedoch weniger als die übrigen Eihüllen und wird zuletzt
[108]III. Das Ei während der Fruchtentwickelung.
dreieckig. Bei dem Pferde (l. c. S. 180.) ist sie von länglicher
Form, röthlich und runzlich, liegt ihrer ganzen Länge nach per-
pendiculär zu dem Unterleibe des Fötus, verkleinert sich wäh-
rend des Verlaufes der Entwickelung und schwindet vielleicht
vor dem Ende des Fruchtlebens. Sie hat aber nur eine Chalaze
und ist auch nur an einer Seite an dem Chorion befestigt. Ihre
Gefäſse anastomosiren mit denen des Chorion. Bei dem Schweine
liegt die Nabelblase schief gegen den Fötus; bei dem Menschen
dagegen (l. c. S. 581.) bald in dem Nabelstrange, bald an seinem
äuſseren Ende, bald etwas weiter ab und vermuthlich in einer
Vertiefung der Allantois. Bei den Wiederkäuern schwinden Na-
belblase und Nabelgekrösgefäſse verhältniſsmäſsig am schnellsten.
Bei den Nagern dagegen ist die Nabelblase gröſser als die Allan-
tois und bekleidet die innere Fläche des Chorion und die äuſsere
der Allantois. Die Verbindung der Nabelblase mit dem Darme
hat Cuvier (l. c. S. 583.) nicht, wie Oken behauptete, an dem
Blinddarme, sondern oberhalb desselben gefunden. Seine Angaben
über die Nabelblase hat Dutrochet (Meck. Arch. V. S. 586—592.)
bei wiederholten Untersuchungen bestätigt gefunden. Alessan-
drini (Meck. Arch. V. S. 613.) fand sie bei einem der Reife na-
hen Eie des Seehundes klein und spindelförmig. Sie hing mit
einem dicken cellulösen Strange an dem inneren Blatte des Cho-
rion, mit einem anderen zelligen Strange am Nabelstrange. Dem
ersten Bande gegenüber ging ein drittes kleineres Band zum Cho-
rion. Auch gingen von der Oberfläche der Nabelblase zellgewe-
bige Fäden zum Chorion, die vielleicht früher Blutgefäſse enthiel-
ten. Die Nabelblase selbst enthielt eine halbe Unze einer weiſsen,
geruchlosen, durchsichtigen, eiweiſsähnlichen Substanz und bestand
aus einer festen, nach auſsen glatten, nach innen gerunzelten
Membran. Die Nabelgekrösgefäſse waren im Nabelstrange sowohl
als in dem Unterleibe völlig verschlossen. Doch glaubt er, daſs
nur durch diese der Darmkanal mit der Nabelblase communicire.
Knorre (de vesicula umbilicali. 1822. 8.) hat zwar keine eige-
nen Beobachtungen über die Nabelblase geliefert, aber sorgfältig
Alles, was zu seiner Zeit existirte, gesammelt und Schlüsse daraus
gezogen, welche für den damaligen Zustand der Entwickelungs-
geschichte in jeder Rücksicht ausgezeichnet genannt werden
müssen. So deutet er z. B. die von Cruikschank in zarten Ka-
nincheneiern schon gefundene, innere Blase für die Nabelblase (l.
[109]Eitheile d. m. d. Embryonalkörper in Verbindung stehen.
c. p. 42. 43.) u. dgl. m. Die hierher gehörenden Beobachtungen
anderer Naturforscher, besonders v. Bär’s, werden unten noch
speciell berührt werden.


Fassen wir nun kürzlich das Wichtigste dessen, was uns die
reichhaltige Literatur sowohl, als eigene Beobachtung gelehrt ha-
ben, zusammen. Die Nabelblase entspricht dem Dottersacke der
Vögel. Ihre Haut ist also Dotterhaut und ihr Contentum Dotter.
Unterhalb der ersteren liegt die Keimhaut, aus welcher sich der
Embryo entwickelt. Das Schleimblatt berührt auch hier, wie
unten noch dargethan werden soll, den Dotter. Allein indem
sich sein centraler Theil zu dem Darmrohre abschürt, fliehen sich
gleichsam Nabelblase und Embryo, so daſs sich zwischen beiden
ein mehr oder minder langer Stiel auszieht. Wenn auch die
Nabelblase als der Dotter der Säugethiere bei Weitem kleiner
ist, als der Dotter der Vögel — ein Verhältniſs, welches offen-
bar in der inneren Brütung des Säugethieres und der Conforma-
tion seiner Genitalien seinen Grund hat — so stimmen doch an-
derseits die relativen Gröſsen vollkommen mit einander überein.
So ist in allerfrühester Zeit der Embryo klein, selbst gegen den
kleinen Dotter; ja dieses Verhältniſs nimmt nicht sogleich mit
der Vergröſserung des Embryo ab, weil in der ersten Zeit der
Entwickelung desselben auch die Nabelblase ihr Volumen ver-
gröſsert. Da der Embryo zuerst unmittelbar auf dem Dotter auf-
liegt, später dagegen sich immer weiter von ihm entfernt, so
wird natürlich der Stiel der Nabelblase um so dicker seyn, je
kürzer er ist und umgekehrt. Sobald aber die Vergröſserung der
Nabelblase sowohl, als die Verlängerung ihres Stieles ihren höch-
sten Grad erreicht hat, hört die unmittelbare [Function] des Säu-
gethierdotters auf. Dies geschieht durch folgende Umstände.
1. Die Nabelblase wird welk. Ihre Wandungen fallen zusammen,
weil das Contentum derselben geringer, besonders aber weniger
flüssig wird. Doch selbst in dem ersten Stadium der rückgän-
gigen Metamorphose geben sich die Charaktere des Dotters an der
Nabelblase noch deutlich zu erkennen. So zeigt noch der Inhalt
runde Körnchen, welche zwar ziemlich klein sind, durch ihre
bestimmt runde Form aber und ihre vollkommene Durchsichtig-
keit an die Dotterkugeln des Vogeleies erinnern. So zeigen die
Wandungen der Nabelblase jene Erhabenheiten und Vertiefungen,
welche Haller unter dem Namen der Vasa lutea aus dem Hüh-
[110]III. Das Ei während der Fruchtentwickelung.
nereie beschrieb und von denen im zweiten Abschnitte bei Ge-
legenheit der Genese des Blutes ausführlich die Rede seyn soll.
So vertrocknet gleichsam der Inhalt der Nabelblase. Sie selbst
aber persistirt entweder in diesem Zustande während des ganzen
Fruchtlebens oder schwindet constant oder nur bisweilen vor dem
Ende desselben. Daſs man häufig noch die Ueberreste der Na-
belblase in den reifen Fruchthüllen des Menschen finde, ist eine
nichts weniger, als neue Erfahrung. Denn derjenige, welcher
zuerst die Nabelblase des Menschen genauer und deutlicher be-
schrieben hat, Hoboken (s. oben S. 97.)[,] hatte sie an der reifen Nach-
geburt beobachtet. Nach ihm aber haben Hunter, Sandifort u. A.,
und in neuester Zeit Mayer, Bischoff und wir selbst dieselbe Erfah-
rung vielfach wiederholt. 2. Der Stiel der Nabelblase zeigt eben so
wichtige Veränderungen, als diese selbst. Indem er immer dünner
wird, schlieſst er sich, sobald der unmittelbare Einfluſs der Na-
belblase auf den Embryo ihr höchstes Ziel erreicht hat. Diese
Schlieſsung erfolgt, wie ich an Eiern des Schweines mit Be-
stimmtheit zu verfolgen vermochte, von der Leibeswand des Em-
bryo aus nach der Nabelblase hin. Ich hatte zwar noch keine
Gelegenheit, einen Embryo dieses Säugethieres zu untersuchen,
bei welchem ich den Inhalt der Nabelblase durch den Stiel in
den Darmkanal überzuführen vermochte. Allein oft konnte ich
bei ganz jungen Früchten das noch flüssige Contentum noch wei-
ter, als die Hälfte des Ganges in diesen hineindrücken, während
die Ausdehnung in welcher dieses möglich war mit dem Wachs-
thume des Embryo immer abnahm und so der Strang eine immer
kürzere Strecke von der Nabelblase aus hohl sich zeigte. 3. Auſser
diesem mit dem Darmrohre communicirenden Stiele der Nabel-
blase gehen noch die Vasa omphalo-mesaraica zu derselben.
Man muſs aber diese durchaus von dem Gange selbst unterschei-
den. Denn dieser letztere schwindet, nachdem er eine fadenför-
mige Dünne erlangt hat, gröſstentheils oder gänzlich. Es scheint
aber ein wenigstens für die Säugethiere allgemein geltendes Ge-
setz zu seyn, daſs die Gefäſse der Nabelblase länger verharren,
als der Gang, als wollte die Natur von dem Wenigen, welches
die Vesicula umbilicalis enthält, sobald sie Nichts mehr durch
unmittelbare Communication in den Embryo zu befördern vermag,
mit Hülfe des Kreislaufes das Brauchbare überführen. Man muſs
sich daher wohl hüten einen später an der Nabelblase erscheinen-
[111]Eitheile d. m. d. Embryonalkörper in Verbindung stehen.
den isolirten Faden, wie es Bischoff gethan (l. c. S. 57.), für das
Rudiment des Ganges zu halten, so lange man sich nicht mit Be-
stimmtheit davon überzeugt hat, daſs es nicht die Arteria oder
Vena omphalo-mesenterica oder ein daran liegender Zellge-
websfaden sey. Noch Mehreres über die Nabelblase ist in dem
zweiten Abschnitte bei der Genese des Darmkanales enthalten.


b. Das Amnion.

Die innerste Eihaut, welche zugleich von dem Embryo ausgeht,
ist die Schaafhaut, das von Empedokles schon so benannte (Vgl.
Haller elem. physiol. VIII. p. 195.) Amnion, welches, um mich
der Erklärung Regner de Graaf’s (Opp. omnia. p. 369.) zu bedie-
nen, deshalb Amnion i. e. amiculum heiſst, quia amice foetum
obvolvat
. Diese Haut, welche bei Haller und Meckel die vierte
Haut und bei Blumenbach die zweite eigenthümliche Haut ge-
nannt wird, kann so leicht in dem Menschen sowohl, als in den
Säugethieren wahrgenommen werden, daſs es ganz erklärlich ge-
nannt werden muſs, wenn sie fast keinem, nur irgend genaueren
Beobachter von den ältesten bis auf die neuesten Zeiten entgan-
gen ist. Doch finden sich theils in Bezug auf ihre Genese, theils
in Rücksicht ihrer Verbindung mit den anderen Eihäuten und
der Frucht eine Menge ganz unrichtiger Ansichten. Wie man
nämlich bei dem Hühnchen sehr leicht verfolgen kann, entsteht
das Amnion (s. im zweiten Abschnitte) dadurch, daſs sich der
centrale Theil der Keimhaut, der Embryo, einsenkt und der peri-
pherische Antheil des serösen Blattes zuerst am Kopfe, dann am
Schwanze und zuletzt an den Seiten über ihn hinwegschlägt.
Es verbindet sich daher continuirlich mit den Bauchplatten und
nach Schlieſsung derselben mit dem Nabel. Man pflegt auch diese
Hülle des Embryo zum Unterschiede einer anderen, vor ihr er-
scheinenden das wahre Amnion zu nennen, während jene das
falsche Amnion heiſst (S. im zweiten Abschnitte am Schlusse des
serösen Blattes.). — Es wäre ermüdend, wenn wir die Literatur
des Amnion vollständig durchgehen wollten, da der Natur der
Sache nach die Differenz der Ansichten im Wesentlichen nicht
so groſs und so mannigfach seyn kann. Daher wir nur einiges
Wichtigere anzuführen uns begnügen. So wird das Amnion zwar
oberflächlich, doch ohne wesentlichen Fehler von Galen u. a. äl-
teren Aerzten beschrieben (S. Velpeau l. c. p. 23.) und von Al-
[112]III. Das Ei während der Fruchtentwickelung.
len fast für eine durchsichtige, weiche und structurlose Haut ge-
halten. Nur Manche, wie z. B. Burns, geben sie für ein Gewebe
von Fasern aus und manche ältere Beobachter, wie Harvey, Graaf
und selbst Haller (Elem. physiol. VIII. p. 191.), glaubten ein-
mal Gefäſse in ihm wahrgenommen zu haben. So beschreibt auch
Bischoff (l. c. S. 88. 89.) an der inneren Fläche des Amnion eine
dichte Schicht von kleinen Kügelchen, welche in dichten mehr
oder minder isolirten Haufen beisammen stehen und sich leicht
abschaben lassen sollen. Geschieht dieses letztere, so verbreiten
diese Stellen ein mattes Ansehen und das Amnion selbst wird
hierdurch an diesen Punkten glatter und durchsichtiger (Vgl.
l. c. tab. II. fig. 5. 6.). — Eine Trennung in verschiedene Lamellen
wird nur von einigen älteren Schriftstellern z. B. Harvey und
ohne genügende Erfahrung angenommen. Dagegen sind von Au-
toren, welche mehr nach einzelnen, zum Theil ungenügenden Beo-
bachtungen an Säugethieren und dem Menschen, als nach einer
allgemeineren Ansicht Schlüsse machten, eigenthümliche Meinun-
gen aufgestellt worden. So glaubte z. B. Pockels (Isis 1825. S[.]
1342.) durch Beobachtung gefunden zu haben, daſs das Amnion
zuerst eine völlig geschlossene Blase wäre, in welche sich der
Embryo hineinsenkt. Allein abgesehen davon, daſs, wie Seiler
und Velpeau mit Recht bemerken, Pockels Eier krank waren und
daſs eine solche Entstehung des Amnion gegen alle Analogie mit
den Säugethieren und Vögeln streitet, sieht man auch nicht recht
ein, was aus dem innern, von dem Körper der Frucht unmittel-
bar eingedrückten Theile des Embryo werden solle. Velpeau hat
seine Ansicht über Genese des Amnion vielfach geändert. An
einem etwa zwanzigtägigen Eie sah er (Heusinger’s Zeitschrift II.
S. 75.) das Amnion 1½ Linie von dem Embryo getrennt, sich
über den Nabelstrang schlagen und in die Epidermis des Embryo
sich fortsetzen. Spätere Untersuchungen dagegen (l. c. S. 76.)
lieſsen ihn sich für die Ansicht von Pockels bestimmen. In sei-
ner neuesten Schrift (Embryologie p. 27.) spricht er die Ueber-
zeugung aus, daſs Amnion und Epidermis sich vor dem er-
sten Monate des Fruchtlebens nicht verbinden. Er glaubt auch
gefunden zu haben, daſs während der ersten 14 Tage das Amnion
nur mit dem Embryonaltheile des Nabelstranges, um den es sich
scheidenförmig einstülpt, in unmittelbarer Verbindung stehe, daſs
dieses Verhältniſs bis zur vollständigen Entwickelung der Bauch-
platten
[113]Eitheile d. m. d. Embryonalkörper in Verbindung stehen.
platten fortdauere, und daſs selbst in der Folge die Continuität
mit der Epidermis nur schwer nachzuweisen sey. So durchbohre
also der Nabelstrang in der ersten Zeit das Amnion (p. 34.). —
Diejenigen, welche das Amnion schon in dem Eie vorgebildet
glauben, haben, wie schon oben dargethan wurde, die Nabelblase
und die Keimhaut mit demselben verwechselt. — Ueber den
zwischen Amnion und Chorion befindlichen Zwischenraum ist
schon theils oben gesprochen worden, theils soll noch bei Gele-
genheit der Allantois davon die Rede seyn. Er schwindet mit
vorschreitender Entwickelung immer mehr, so daſs zuletzt zwi-
schen innerer Fläche des Chorion und äuſserer des Amnion nur
eine dünne Schicht übrig bleibt.


Zwischen Amnion und Embryo befindet sich eine Flüssigkeit,
welche im Laufe der Entwickelung immer mehr an Quantität
zunimmt, je näher das Amnion an das Chorion tritt. Diese Flüs-
sigkeit ist schon vielfach untersucht und chemisch analysirt wor-
den. Was das Letztere betrifft, so haben Kühn (Versuch einer
Anthropochemie. 1824. 8. S. 133. 134.), Berzelius (Lehrbuch der
Thierchemie übers. von Wöhler. 1831. 8. S. 531—535.), Leopold
Gmelin (Handbuch der theoretischen Chemie S. 1408—1409.),
das Wichtigste von eigenen und fremden Erfahrungen zusammen-
gestellt. Van der Bosch (Kühn l. c. S. 133.), der zuerst die
Amnionflüssigkeit des Menschen genauer untersuchte, fand dieselbe
in den ersten Monaten wasserhell oder leicht gelblich; John da-
gegen (bei Gmelin l. c. S. 1408.) fand sie in einem zweimonatli-
chen Eie röthlichweiſs, opalisirend und alkalisch. Sie bestand
aus 99,58 Wasser und 0,42 thierischer Materie mit milchsauerem,
phosphorsauerem, schwefelsauerem und salzsauerem Natron mit
phosphorsauerem Kalk. Die meisten Analysen der Amnionflüs-
sigkeit betreffen die späteren Stadien der Schwangerschaft oder ins
Besondere die Zeit unmittelbar vor der Geburt. Hier fanden
Vauquelin [und] Buniva (Gmelin l. c. S. 1408.) dieselbe von spec.
[Gew.] 1,004 und aus 98,8 Wasser und 1,2 Eiweiſs, Natron, salz-
sauerem Natron und phosphorsauerem Kalk bestehend. Nach John
(Gmelin l. c. S. 1408.) ist sie sehr schwach weiſslich, opalisirend
und dünnflüssig, wird durch Filtriren wasserhell, hat einen faden
Geruch und ein spec. Gew. von 1,03, reagirt alkalisch und liefert
bei dem Kochen sehr wenig geronnener Häute. Sie besteht aus
96,7 Wasser und 3,3 Mucus (Eiweiſs), Osmazom, in Wasser und
8
[114]III. Das Ei während der Fruchtentwickelung.
nicht in Weingeist löslicher Materie und freiem milchsaueren
phosphorsaueren, schwefelsaueren und salzsaueren Natron und et-
was Kali. Nach Brande (Kühn l. c. S. 134.) ist sie frisch durch-
sichtig, trübt sich aber an der Luft und bildet einen weiſsen,
flockigen Niederschlag. Im frischen Zustande färbt sie die Veil-
chentinktur grün, wirkt aber nicht auf Lacmus. Dieses wird je-
doch nach Kurzem schwach geröthet, weil sich bald Schwefel-
wasserstoff entwickelt. Durch die Hitze werden trübe Flocken
geronnenen Eiweiſses niedergeschlagen. Eben so entsteht durch
Säuren ein Niederschlag, während Alkalien gar nicht einwirken.
Im Ueberschuſs die letzteren zugesetzt, entwickelt sich Ammo-
niak. Am elektrischen negativen Pole sammelt sich Eiweiſs und
Natron, an dem positiven dagegen Salzsäure. Nach Frommherz
und Gugert (Gmelin l. c. S. 1408. Berzelius l. c. S. 531.) ist
der liquor amnii gelb, unklar, von fadem Geschmacke und Ge-
ruche, reagirt vermöge seines Ammoniakgehaltes stark alkalisch
und hinterläſst nach dem Verdampfen 3 % festen Rückstandes.
Siedhitze und Alkohol erzeugen Coagula; starke bringt die Sal-
peter- und die Salzsäure, schwache dagegen die Essigsäure her-
vor. Kali causticum schlägt grauweiſse Flocken nieder. Durch
Quecksilberchlorid entsteht ein bald sich rosenroth färbendes,
durch Gallapfeltinctur ein gelbes Präcipitat. Es besteht aus Ei-
weiſs, Käsestoff, Speichelstoff, Osmazom, Harnstoff, durch Kali
fällbarer, sauerstoffhaltiger Materie, hydrothionsauerem und koh-
lensauerem Ammonium, benzoesauerem, kohlensauerem, phosphor-
sauerem und schwefelsauerem Natrum, phosphorsauerem und schwe-
felsauerem Kalke und Spuren von Kalisalzen. — Was nun die
Amnionsflüssigkeit der Säugethiere betrifft, so enthält, nach Las-
saigne (Gmelin l. c. S. 1409.) die der Stute etwas Eiweiſsstoff,
Mucus, Osmazom, gelbe Materie, Chlorkalium, Chlornatrium, koh-
lensaueres Natrum und phosphorsaueren Kalk. An dem liquor
amnii
der Kuh findet sich (Gmelin l. c. S. 1409. Berzelius l. c.
S. 534.) in den ersten Monaten nach Prout und Dzondi Eiweiſs-
stoff 0,26, Osmazom und milchsaueres Alkali 1,66, Milchzucker
und in Weingeist nicht lösliche Salze 0,38 und Wasser 97,70,
und in dem fünften bis achten Monat nach Lassaigne Eiweiſsstoff,
Mucus (Speichelstoff? G.), gelbe der Galle ähnliche Materie, Chlor-
kalium, Chlornatrium, kohlensaueres Natrum und phosphorsauerer
Kalk.


[115]Eitheile d. m. d. Embryonalkörper in Verbindung stehen.
c. Die Allantois und die mit ihrer Existenz nothwen-
dig verbundenen Membranen und Gebilde des Eies, wie
das Endochorion, die mittlere Haut, die Placenta und
der Nabelstrang
.

Wir kommen zu einem Abschnitte der Lehre des Eies, wel-
cher einerseits seiner Wichtigkeit wegen die Aufmerksamkeit fast
aller Naturforscher, die sich je mit unserem Gegenstande beschäf-
tigt haben, auf sich gezogen, anderseits aber mit so vielen Schwie-
rigkeiten verbunden ist, daſs manche wesentliche Punkte trotz der
Bemühungen so vieler Männer heute noch unerklärt sind. Um
auf diesem verwickelten Felde eine möglichst klare Anschauung
zu gewinnen, müssen wir daher auch den Gang des Vortrages
auf eine eigenthümliche Weise einrichten, da wir sonst nothwen-
dig zur Vermehrung der Verwirrung nur beitrügen. Wir werden
aber zuvörderst a. die allgemeinen Verhältnisse, wie sich die Al-
lantois und die mit ihrer Existenz zusammenhängenden Gebilde
darstellen, als allgemeines Resultat vorausschicken, um so einen
Anhaltpunkt für die specielleren Facta zu gewinnen. Der Beweis
für jenes ist theils fremde Auctorität, theils später noch zu lie-
fernde eigene Beobachtung. b. Wir werden kürzlich die wich-
tigsten Beobachtungen über die Allantois der Thiere anreihen und
c. dasjenige endlich anführen, was von dem Menschen in dieser
Rücksicht zu sagen sey.


Einige Zeit nachdem der Darmkanal des Embryo sich als
ein Rohr gebildet und abgeschlossen, entsteht an der vorderen
Wandung des hintersten Theiles desselben eine Ausstülpung, die
Allantois oder Harnhaut. Diese wächst bald über den Embryo
hinaus, bis sie die innere Fläche des Chorion bei den Vögeln und
den Säugethieren mittelbar oder unmittelbar erreicht. Dadurch
aber, daſs die Bauchspalte sich bis auf die Nabelöffnung schlieſst,
entstehen zwei Abtheilungen der Harnhaut, nämlich der dem Eie
angehörende und der in dem Embryonalkörper befindliche Theil.
Dieser letztere zerfällt allmählig in die nach hinten und unten
gelegene Blase und den nach vorn und oben gerichteten Harn-
strang oder Urachus. An und für sich ist die Allantois ohne
Blutgefäſse. Es verlängern sich aber die Hüftnabelgefäſse, beson-
ders über die nach dem Chorion hinsehende Fläche der Harnhaut.
Diese Gefäſse, welche Burdach für ein eigenes Blatt ansieht (Phy-
8*
[116]III. Das Ei während der Fruchtentwickelung.
siologie II. S. 533.) und zum Theil als Endochorion bezeichnet,
legen sich nun an das Chorion im Laufe der Entwickelung ge-
nauer an, fliehen also, wenn eine Eiweiſsschicht zwischen Chorion
und Amnion sich befindet, zum Theil die Allantois und gehen
durch das Albumen hindurch. So an die Innenfläche des Cho-
rion (Exochorion) gelangt bilden sie sich in diese hinein und
stellen den Fruchtkuchen dar. Sie selbst dagegen liegen nebst
dem Urachus, so weit sie von der Bauchöffnung des Embryo in
dem Amnion vorlaufen, in einem eigenen Strange, welcher von
dem Amnion, einer sulzigen Masse, dem Urachus, den Nabelgefä-
ſsen gebildet wird und Nabelstrang, funiculus umbilicalis, heiſst.
Wie sich dieses Alles in den verschiedenen Säugethieren und dem
Menschen und in den einzelnen Epochen der Schwangerschaft
verhalte, werden wir bald zu berichten Gelegenheit haben.


Die sehr vielen Beobachtungen, welche über die Allantois
der Säugethiere existiren, sind sämmtlich, mit Ausnahme einer
einzigen, aus einer Zeit der Schwangerschaft, in welcher die Harn-
haut schon über den Embryonalkörper hinaus gewachsen ist und mehr
oder minder schon den Raum zwischen Chorion und Amnion
einnimmt. Die einzige Erfahrung, bei welcher dieses nicht der
Fall ist, ist an sehr zarten Früchten des Hundes gemacht und
gehört K. E. v. Bär an. Dieser sah bei 5 Linien langen Hunde-
embryonen die Allantois in Form einer kleinen, bläschenförmigen
Ausstülpung des hintersten Endes des Darmrohres, gerade so,
wie man dasselbe an dem dritten bis vierten Tage während der
Entwickelung des Hühnchens zu beobachten vermag. Reicher ist
dagegen die Literatur desjenigen Zustandes, in welchem die Harn-
haut mehr oder minder dicht an dem Chorion anliegt. Allein
hier tritt eine andere, wiederum nicht mit Bestimmtheit immer
zu lösende Schwierigkeit entgegen. Denn häufig genug werden
mit dem Namen Allantois Exochorion, Endochorion oder andere
schon durch die Natur oder künstlich getrennte Theile bezeich-
net. Oft läſst sich auch nicht einmal mit Gewiſsheit bestimmen,
was der Schriftsteller immer beschrieben, und mit der Benennung
der Harnhaut belegt habe. Es würde aber eine eben so unin-
teressante, als undankbare Arbeit seyn, alle vollständigen und
unvollständigen Angaben über Allantois hier durchgehen und
kritisch beleuchten zu wollen. Wir können in dieser Beziehung
auf Oken (Beiträge etc.), Dzondi (supplementa[etc.]) u. dgl. verwei-
[117]Eitheile d. m. d. Embryonalkörper in Verbindung stehen.
sen und halten es dagegen für zweckmäſsiger auf einige Wenige
Rücksicht zu nehmen, welche sich durch Reichhaltigkeit und
Genauigkeit ihrer Untersuchungen auszeichnen. Vor Allen müs-
sen wir hier von älteren Naturforschern Needham erwähnen.
Dieser treffliche Beobachter hat in dem siebenten Kapitel seines
Werkes de formato foetu 1667. 8., der Embryotomia compa-
rata sive directio cultri
das Resumé seiner vielfachen, über
die Eihäute der Säugethiere angestellten Untersuchungen gegeben.
Bei dem Schweine fand er (l. c. p. 178.) die Allantois selbst ge-
fäſslos und konnte sie, obwohl sie mit ihren Divertikeln mit den
Nachbareiern verwachsen war, doch vollständig isoliren und auf-
blasen. Bei dem Pferde (l. c. p. 181.) drücken die Gefäſse des
Endochorion Furchen in die Allantois, ohne einen Ast der Harn-
haut selbst abzugeben. Jene geht rings um den Fötus herum
und schlieſst eine dunkele, kleine Concremente enthaltende Flüs-
sigkeit ein. Bei der Kuh (l. c. p. 185.) erstreckt sich die Allan-
tois in beide Mutterhörner, wenn auch, wie es in der Regel der
Fall ist, nur eine Frucht sich findet. Diesem stehen auch die
übrigen Wiederkäuer ganz nahe. Bei dem Kaninchen (l. c. p.
192.) bildet die Allantois eine Pyramide, deren Basis an der Pla-
centa sich befindet. Bei dem Hunde endlich (l. c. p. 196.) um-
giebt die Allantois ebenfalls den ganzen Fötus. Haller (Elem.
physiol. VIII. p.
204.) hat die Allantois in allen untersuchten
Vierfüſsern gesehen; nur beschreibt er sie als eine aus zwei La-
mellen bestehende und mit Blutgefäſsen versehene Haut und will
sogar mehrere Male Lymphgefäſse in ihr beobachtet haben. Doch
hat er oft das Nabelbläschen für die Allantois gehalten, worin
sich an ihn, wie in der Beschreibung der Blutgefäſse, Lobstein
innig anschlieſst (Ernährung des Fötus S. 65.). Oken (Beiträge
zur Zoologie S. 25.) glaubte nach seinen Untersuchungen an Eiern
des Schweines die Behauptung aufstellen zu müssen, daſs die
diverticula allantoidis keine durch einen Riſs des Chorions
hervortretende Fortsetzungen der Harnhaut, sondern eigenthüm-
liche, durch eine Narbe mit der Allantois verwachsene Blasen
seyen, eine Ansicht, die von späteren Schriftstellern, besonders von
Samuel und v. Bär hinlänglich widerlegt ist. Bei Hunden (l. c.
Hft. II. S. 7.) sah er die Harnhaut dicht von dem Chorion über-
zogen. An den Enden des Eies dagegen vermochte er nicht zu
unterscheiden, ob sich ein doppeltes Blatt, also Chorion und Al-
[118]III. Das Ei während der Fruchtentwickelung.
lantois finde, oder nicht. Vollständiger waren schon die Unter-
suchungen von Dzondi (supplementa ad anatomiam etc. p. 25
sqq.), wiewohl sie anderseits manche Irrthümer enthalten. So
fand er (l. c. p. 26.) zuerst die Allantois als eine lange, cylin-
drische, mit keinen Erhabenheiten und Vertiefungen versehene
Haut, welche an den Enden sich abrundet und hier, wo die Di-
vertikel oder die von ihm sogenannten Membranae excretoriae
sich ansetzen, ein kleines Loch hat. Im Laufe der Entwickelung
(l. c. p. 27.) wird sie breiter und länger und bekommt Erhaben-
heiten und Vertiefungen. Was ihre Gröſsenverhältnisse in dieser
Beziehung betrifft, so fand er sie (l. c. p. 28.) bei einem Fötus
von 8 Linien 19 Zoll lang und ¾ bis 1½ Linie breit, bei einem
von 1 Zoll 22 Zoll lang und eben so breit, bei einem von 5 Zoll
25 Zoll lang und 1 bis 2 Zoll breit, bei einem von 7½ Zoll 28
Zoll lang und eben so breit, bei einem 14 Zoll langen 3½ Fuſs
lang und 3—5 Zoll breit, bei einem von 18 Zoll 5½ Fuſs lang
und 3—6 Zoll breit, bei einem von 21 Zoll 7½ Fuſs lang und
3—7 Zoll breit, bei einem von 2¼ Fuſs endlich 10½ Fuſs lang
und an einigen Stellen 6, an anderen 15 Zoll breit. Ihre Lage
in dem Fruchthälter (l. c. p. 31.) ist immer von der Art, daſs
wenn das Thier einherschreitet, dieselbe über dem Amnion und
dem Fötus sich befindet. Mit Ausnahme der Gefäſse des Exocho-
rion fand er (l. c. p. 35. 36.) durchaus keine Blutgefäſse in ihr
und eben so wenig mehrere Lamellen. Die Divertikel der Harn-
haut, welche er appendices s. membranae excretoriae nennt,
sah er in den verschiedenen Eiern (l. c. p. 48.) 1—5 Zoll lang
und 5 Linien bis beinahe zwei Zoll breit. Sie sind in der Re-
gel zusammengefallen und enthalten nur ungefähr 1—2 Drachmen,
ja zuletzt gar keine Flüssigkeit. In den früheren Schwanger-
schaftsmonaten sind sie relativ gröſser, als später und von der
Substanz des Chorion sowohl, als der Allantois verschieden. Von
hier wenden wir uns an Cuvier, da die schätzbaren Untersuchun-
gen von Emmert, Hochstetter, Meckel u. A. keine wesentlichen
Differenzen von seinen über den gröſsten Theil der Säugethier-
klassen angestellten Beobachtungen darbieten und Samuel (l. c. p.
35—37.) nur die Entstehung der Divertikel aus der Harnhaut von
Neuem nachweiset. Nach Cuvier (Meck. Arch. V. S. 579.) ist
die Allantois bei dem Hunde und der Katze eine die innere
Fläche des Chorion bekleidende Membran, welche sich hernach
[119]Eitheile d. m. d. Embryonalkörper in Verbindung stehen.
umbiegt, um die zweite die Nabelblase und das Amnion einschlie-
ſsende Haut zu bilden. Der Urachus tritt zu ihr aus einem sehr
kurzen Nabelstrange. Die Nabelgefäſse verbreiten sich über die
ganze Oberfläche der Harnhaut, also an der inneren Fläche des
Chorion, an der äuſseren des Amnion. Die Maschen der Blutge-
fäſse sind durch ein feines Zellgewebe verbunden. Bei dem Pferde
(l. c. S. 580.) füllt sie den Raum zwischen Chorion und Amnion
und ist dünn, fest und beinahe gefäſslos. Bei dem Schweine liegt
sie neben dem Amnion und bildet, indem sie das Chorion durch-
bohrt, die Divertikel oder die Anhänge. Bei den Wiederkäuern
(l. c. S. 581.) erweitert sich der Urachus bei seinem Austritte
aus dem Nabelstrange, biegt sich auf der einen Seite um und
verwandelt sich in einen langen Darm, der sich an den beiden
Enden des Chorion anheftet. Bei den Nagern ist die Nabelblase
gröſser, als die Allantois. Diese ist klein, von flaschenförmiger
Form und liegt mit ihrer Basis auf der Placenta. Die Ratten
und Meerschweinchen haben eine dünnere Harnhaut, als die Ka-
ninchen. Nach Burdach (Physiol. II. S. 531.) ist sie bei den
Nagern klein, von birnförmiger Gestalt und in der Nabelscheide
eingeschlossen; bei den Einhufern und Fleischfressern sackförmig,
indem sie das Amnion bis auf eine kurze Stelle um den Nabel-
strang einschlieſst, bei dem Schweine und den Wiederkäuern
dagegen schlauch- oder darmförmig, indem sie von ihrem Gange
nach und über das Kopf- und Schwanzende des Embryo hinaus-
geht, das Chorion an seinen beiden Enden durchbohrt und die
Divertikel darstellt. Von v. Bär’s Untersuchungen wird bald
ausführlich die Rede seyn.


Nachdem wir nun so das Wichtigste aus der Geschichte der
Allantois der Säugethiere angeführt und manche das Angeführte
nur bestätigende oder minder interessante Beobachtung unterdrückt
haben, bleiben uns nur noch zwei Punkte zu berücksichtigen
übrig, nämlich 1. die Betrachtung der Flüssigkeit der Allantois,
des Inhaltes derselben und 2. die Verhältnisse der sie bedecken-
den Blutgefäſse, des Endochorion und ihre Relation zu Häuten und
Gefäſsen des Fruchthälters oder die Geschichte der Placenta. Was
den liquor allantoidis betrifft, so ist er von den Vögeln, dem
Schweine, dem Pferde und den Wiederkäuern schon vielfachen Un-
tersuchungen unterworfen worden. Bei Vögeln ist die Allantoisflüs-
sigkeit nach Jacobson zuerst wasserhell, wird später gelblich und zähe
[120]III. Das Ei während der Fruchtentwickelung.
und setzt weiſsliche Concretionen ab, welche fast nur aus Harn-
säure bestehen. Diese nehmen gegen Ende der Brütung immer
zu, so daſs zuletzt nur sie und eine zähe, eiweiſsstoffige Flüssig-
keit übrig bleiben (Gmelins Chemie II. S. 1455.). Nach Dzondi
(l. c. p. 39.) ist sie im Anfange vollkommen wasserhell, von
süſslichem, fadigen Geschmacke. Sie wird im Laufe der Schwan-
gerschaft gelblich und pflegt einen etwas eckelhaften Geruch an-
zunehmen. Noch später dagegen wird sie gelbroth und zuletzt
braunroth. Immer aber bleibt sie wäſsrig. In der Regel finden
sich in ihr am Ende des Fruchtlebens weiſse, leicht zerreibbare
Concretionen. Was ihre Quantität sowohl, als die der Amnion-
flüssigkeit anlangt, so fand sich bei einem Fötus von dr. j Gewicht
unc. j liq. allant. und dr. β liquor amnii, bei dr. ij Körperge-
gewicht unc. j und dr. ij liq. allant. und dr. j. liquor amnii,
bei unc. j dr. ⅓ Körpergewicht unc. ij liq. allant. und unc. vij
liq. amnii, bei unc. j dr. j Körpergewicht unc. j dr. iv liq. allant.
und unc. v liq. amnii, bei unc. iv Körpergewicht unc. iv liq.
allant
. und unc. xiv liq. amnii, bei unc. viij Körpergewicht unc.
viij. liq. allant. und unc. xxiv liq. amnii, bei unc. xxiv½ Körper-
gewicht unc. xvij liq. allant. und unc. xxxxj liq. amnii, bei
Pfd. ij unc. vj Körpergewicht Pfd. vj unc. ix liq. allant. und Pfd.
ij unc. iij liq. amnii und bei xx Pfd. Körpergewicht vj Pfd. liq.
allant
und iij Pfd. liq. amnii. Was das specifische Gewicht der
beiden Flüssigkeiten anlangt, so fand D. (l. c. p. 72.) bei unc. j
Körpergewicht des Embryo das der Allantoisflüssigkeit 1,007 und
das der Amnionflüssigkeit 0,982, bei unc. iv Körpergewicht das
der ersteren 1,003½ und das der letzteren 1,000, bei unc. vj Kör-
pergewicht 1,009 der ersteren und 1,007 der letzteren, bei unc. viij
Körpergewicht 1,020 der ersteren und 1,011 der letzteren, bei
unc. xxiv½ Körpergewicht 1,009 der ersteren und 1,003½ der letz-
teren, bei unc. xxx Körpergewicht 1,029½ der ersteren und 1,028
der letzteren, bei Pfd. iv½ Körpergewicht 1,012 der ersteren und
1,002 der letzteren und bei Pfd. xx Körpergewicht 1,018 der er-
steren und 1,011 der letzteren. Bei der Destillation im Wasser-
bade (l. c. p. 74.) erhält man aus dem liquor allantoidis zuerst eine
bräunliche, syrupartige Flüssigkeit von einem unangenehmen ammo-
niakalischen Geruche, bei fortgesetzter Destillation eine der getrock-
neten Blase ähnliche Masse, welche bei noch stärkerer Hitze auf-
schwillt und einen Ammoniakgeruch verbreitet. 100 Theile Flüs-
[121]Eitheile d. m. d. Embryonalkörper in Verbindung stehen.
sigkeit geben 20 bis 25 Theile Rückstand. Mit salzsauerem Ba-
ryt, kohlensauerem Kali entsteht ein weiſses, pulveriges oder flok-
kiges Präzipitat; Alkohol erzeugt nach einigen Stunden ein wei-
ſses, gelatinöses Sediment, Sublimatauflösung einen wolkigen,
gelblichen, später pomeranzenfarbenen Niederschlag. Die Allantois-
flüssigkeit der Stute enthält nach Lassaigne (Gmelin l. c. S. 1409.)
Eiweiſsstoff, Osmazom, Mucus, Milchsäure, Chlorkalium und Chlor-
natrium, phosphorsaueren Kalk, viel schwefelsaueres Kali und
phosphorsauere Bittererde. Nach demselben Chemiker ist der li-
quor allantoidis
der Kuh im fünften bis achten Monate durch-
sichtig, fahlgelb, von spec. Gew. 1,0072, von fadem, schwach sal-
zigen Geschmack und sauer reagirend und besteht aus Eiweiſs-
stoff, vielem Osmazom, Mucus, Allantoissäure, Milchsäure, salz-
saurem Ammoniak, milchsaurem, phosphorsauerem, salzsaurem
und vielem schwefelsaueren Natrum, phosphorsauerem Kalk und
phosphorsaurer Bittererde. Dagegen ist die weiſse zähe Materie
(Hippomanes), welche in der Allantoisflüssigkeit am Ende der
Schwangerschaft schwimmt, aus wenig löslichem Eiweiſsstoff, vie-
lem geronnenen Eiweiſsstoff und 27 % kleesauerem Kalk zusam-
mengesetzt (Gmelin l. c. S. 1409. Vgl. Berzelius Thierchemie
S. 535—537.). Ueber die Eigenthümlichkeiten der in dem liquor
allantoidis
vorkommenden Säure, der sogenannten Allantoissäure
vgl. Gmelin l. c. S. 833. 834. und Berzelius l. c. S. 536.


Wollten wir alle Formen der Placenta, wie sie von jedem
einzelnen Autor dargestellt werden, wiedergeben, so müſsten wir
uns nothwendig eine Menge höchst unnützer und uninteressanter
Wiederholungen zu Schulden kommen lassen, ohne dadurch die
Wissenschaft zu fördern oder die Anschauung zu verdeutlichen.
Um daher nicht in einen so thörichten Versuch zu gerathen,
dürfte es zweckmäſsiger seyn, sich in dieser Beziehung an einen
oder einige wenige Schriftsteller zu halten, welche den Gegen-
stand auf eine naturgetreue Art darstellen und in möglichst voll-
ständiger und übersichtlicher Weise erschöpfen. In Bezug auf
die äuſsere Form der Placenten der wichtigsten Säugethierabthei-
lungen dürfte Needham genügen. Dieser (de formato foetu
1667. 8. p. 177. fgg.) geht das hierher Gehörende auf folgende
Weise durch. 1. Das Schwein hat nach ihm (l. c. p. 178.) we-
der Placenta noch Drüsen, sondern das weiche und poröse Cho-
rion saugt, wie ein Schwamm, die durch die Fruchthältergefäſse
[122]III. Das Ei während der Fruchtentwickelung.
dargebotenen Flüssigkeiten auf. 2. Diesem am Nächsten steht
das Pferd (l. c. p. 180.), wo sich anfangs keine Spur von Drüsen
oder Placenta findet, im Laufe der Schwangerschaft aber zer-
streute Karunkeln entstehen und zuletzt das Chorion eine solche
Dicke erreicht, daſs es in seiner Totalität eine Placenta darstellt.
Bei der Kuh (l. c. p. 183.) hängen die kleinen zerstreuten Pla-
centen an den Drüsen des Fruchthälters (Mutterkuchen) an, wo
sie convex sind, während sie bei dem Schaafe und der Ziege,
welche ganz dasselbe zeigen, eine concave Oberfläche (l. c. p. 186.)
haben. Der Hirsch hat eine geringere Anzahl von Mutterkuchen,
als die Kuh (l. c. p. 188.). Bei dem Kaninchen (l. c. p. 187.)
werden die einzelnen Placenten durch einen drüsigten Körper an
den Uterus befestigt. Im Hunde (l. c. p. 194.) umgiebt sie gürtelför-
mig das Ei in seiner Mitte, ohne daſs eine Spur eines drüsigten
Körpers (gesonderten Mutterkuchens) wahrzunehmen wäre. Das-
selbe findet auch (l. c. p. 196.) bei der Katze und anderen Raub-
thieren statt. Cuvier (Meck. Arch. K. S. 578.) fand, daſs bei
dem Hunde und der Katze die gürtelförmig das Ei umschlieſsende
Placenta an ihrer äuſseren Oberfläche mit vielen kleinen weichen
Spitzen besetzt ist, welche in die Vertiefungen eines ähnlichen
Gürtels an der Gebärmutter treten. Bei dem Pferde (l. c. S.
580.) ist die äuſsere Fläche des Chorion mit kleinen, rothen, die
Stelle der Placenta vertretenden Körnchen besetzt. Bei dem
Schweine bedeckt ebenfalls die Placenta das ganze Chorion, bil-
det aber linsenförmige Höckerchen. Die Placenta des Kaninchens
endlich (l. c. S. 582.) besteht aus zwei parallelen, durch eine
Kreisfurche abgegränzten Kuchen, von welchen der äuſsere mehr
weiſse der Gebärmutter, der innere rothe dem Fötus zugewandt
ist. Nach Alessandrini (Meckels Arch. V. S. 607.) ist bei dem
Seehunde die Placenta gürtelförmig, wie bei den Fleischfressern,
platt, ungefähr einen Zoll dick und mit unregelmäſsigen, seichten
Furchen besetzt. Endlich fand schon John Hunter (Bemerkungen
über die thierische Oekonomie übers. von Scheller S. 205.) bei
dem Affen eine Placenta, welche in zwei oblonge Körper getrennt
zu seyn schien, die an ihren inneren Rändern vereinigt waren,
an ihren äuſseren Enden dagegen in stumpfe Spitzen verliefen,
welche wahrscheinlich gegen die Mündungen der Tuben gerichtet
waren. Jeder dieser Lappen der Placenta bestand wiederum aus
kleinern, mehr oder minder deutlichen und mit einander dicht
[123]Eitheile d. m. d. Embryonalkörper in Verbindung stehen.
vereinigten Läppchen. Die Substanz der Placenta glich sehr der
des Menschen. Stellen wir nun, wie es z. Thl. schon Burdach
(Physiol. II. S. 543.) gethan, die einzelnen Typen der Placenta-
formation nach diesen nun aufgezählten Erfahrungen zusammen,
so erhalten wir folgende Klassen: 1. Die ganze Oberfläche des
Chorion vertritt die Stelle der Placenta. Es finden sich nur a.
kleinere Höckerchen auf demselben als besonders ausgebildete
Theile, Schwein und b. Es zeigen sich gröſsere Karunkeln, Pferd.
2. Auf der Innenfläche des Fruchthälters sowohl, als auf der Au-
ſsenfläche des Chorion erscheinen eine Menge rundlicher Erhaben-
heiten, welche sich gegenseitig an einander anlegen und eine
Menge Placenten darstellen, Wiederkäuer. 3. Es entsteht ein
einzelnes, eigens gesondertes Gebilde. a. Dieses umgiebt das Ei
in seiner Mitte gürtelförmig, während sich färbende, meist grün-
liche Materie zu den Seiten desselben ablagert, Hund. Katze.
Seehund. b. Es ist eine einzelne Placenta, welche in mehrere
gröſsere, mehr oder minder verbundene Lappen zerfällt, Nager.
c. Es ist eine einzelne Placenta, welche aus zwei innig verbun-
denen Abtheilungen besteht, Affen. — v. Bär (Untersuchungen über
die Gefäſsverbindung zwischen Mutter und Frucht in den Säuge-
thieren. 1828. fol.) hat genauere Untersuchungen über einige
Säugethierklassen bekannt gemacht, welche die Allantois, das En-
dochorion, Exochorion und die Innenfläche des Fruchthälters be-
treffen. Das Wichtigste, hierher Gehörende werden wir bald an-
führen, während dasjenige aus der genannten Schrift, welches die
Gefäſsverbindung zwischen Mutter und Frucht selbst betrifft, im
zweiten Abschnitte bei Gelegenheit des Kreislaufes des Embryo
benutzt werden soll. v. Bär fand (l. c. S. 2.) 1. bei dem Schweine
in Eiern von mittlerer Ausbildung, wie die Innenfläche des Frucht-
hälters, so die äuſsere Fläche des Chorion mit Ausnahme der
durchsichtigen Enden desselben mit Zotten bedeckt. Zuerst (l.
c. S. 3.) zeigen sich auf dem Eie seiner ganzen Länge nach quer-
verlaufende, gekerbte Fältchen, während das Ei selbst an beiden
Enden in meist ungleiche Zipfel ausläuft. Diese Zipfel haben
alle Charaktere des Chorion selbst, sind mit gleichen Querfältchen
besetzt, im Innern aber leer und zusammengefallen, da sie nicht
von der Allantois ausgefüllt werden. Nur so weit, als die Allan-
tois reicht, sieht man Blutgefäſse in dem Chorion. Diese gehö-
ren also der Harnhaut und nicht der Eihaut an und sind durch
[124]III. Das Ei während der Fruchten[t]wickelung.
ein membranartiges Gewebe zu einer Haut, dem Endochorion, ver-
bunden. Die Gefäſsstämme desselben schlieſsen sich nicht dicht
an die Allantois an, sondern gehen durch das Eiweiſs (s. oben)
zu dem Exochorion, in welches sie sich hineinbilden. Nun er-
heben sich auf dem Eie die Zottenfalten und besonders die Zot-
ten immer mehr. Jene nehmen allmählig nach den Enden zu ab
und hören mit einer weiſsen Narbe, in welcher das Endochorion
mit dem Exochorion genau verwachsen ist, auf. Hinter dieser fin-
den sich nun die Anhänge, welche zwar zottenleer sind, aber auſser
der durchsichtigen Allantois Blutgefäſse besitzen. Der Harnsack
(l. c. S. 6.) durchreiſst daher bei seinem Wachsthume das Exo-
chorion an seinen beiden Enden und stellt so die beiden Diverti-
kel dar. Die Gefäſse der Anhänge sterben bald ab, so wie sie
selbst, welche anfangs frei liegen, bald sich gegenseitig in ein-
ander einstülpen. Diese Einstülpung betrifft zuerst nur die An-
hänge, endlich aber, da sie im Laufe der Entwickelung immer
fortgeht, auch einen mit Zotten versehenen Theil des Chorion.
An den eingestülpten Stellen vergehen jedoch bald alle Blutgefä-
ſse. Der Fruchtkuchen des Schweines reicht über die ganze
Oberfläche des Eies, da die Zotten des Chorion an der ganzen
Oberfläche in die Maschen des Uterus treten und die Gefäſse bei-
der in die nächste, durch dünne häutige Gebilde vermittelte Be-
rührung kommen. Er umgiebt also das ganze Ei (mit Ausnahme
der eingestülpten Theile) gürtelförmig. 2. Das Ei der Wieder-
käuer hat anfangs ein durchaus glattes Exochorion (l. c. S. 13.).
Während die Allantois breiter als das Amnion ist, wird die ganze
rechte Seite des Amnion mit dem Endochorion bedeckt, welches
etwas über die obere Wölbung der Allantois hinauszugehen
scheint. Daher ist später das Amnion, wenn die Allantois nur
auf seiner rechten Seite liegt, mit einem Gefäſsnetze bedeckt, zu
dem nur noch einige Gefäſse aus den Nabelgefäſsen unmittelbar
auf der linken Seite treten. — Die Anhänge des Eies sind hier
noch länger und dünner, immer unter einander ungleich und ha-
ben dieselbe Genese, wie in dem Schweine. Die Placenten ent-
stehen aber auf folgende Weise (l. c. S. 14.): Schon vor der
Befruchtung finden sich an zerstreuten Stellen der Innenfläche
des Fruchthälters kreisrunde, flache Hervorragungen mit ziemlich
tiefen Gruben. An den correspondirenden Stellen des Eies ent-
steht ein Fleck, eine Verdickung des Exochorion, vorzüglich des
[125]Eitheile d. m. d. Embryonalkörper in Verbindung stehen.
äuſseren Blattes desselben, da es hier bestimmt zwei Lamellen
hat. Man bemerkt bald kleine rundliche Erhebungen, welche in
die Vertiefungen des Fruchthälters passen. Jene werden nun
bald kolbig. Ihr dunkeler Ueberzug wird lose und fällt dann
ab, während die kleinen Kolben durchsichtig werden und später
durch ihren Blutinhalt sich röthen. Die Fruchtkuchen bilden
sich nun immer inniger in und an die Produktionen des Fruchthäl-
ters oder die Mutterkuchen (S. im zweiten Abschn. die Genese
des Blutgefäſssystems.) 3. Das Ei des Hundes (l. c. S. 20.) hat
in der dritten Woche die Gröſse eines Lercheneies und ist mit
zwei spitz zulaufenden Enden versehen. Mit Ausnahme dieser
beiden Enden ist es überall mit Zotten besetzt, welche zwischen
die Zotten des Fruchthälters eingreifen. Die Allantois ist um
diese Zeit noch im Hervorkeimen und, wie in dem Vogel, eine
Ausstülpung des hinteren Endes des Darmrohres. Später werden
die beiden Enden noch von dem Exochorion gebildet, während
der rechts aus dem Leibe hervortretende Harnsack das Exocho-
rion schon erreicht hat. Die Blutgefäſse des Endochorion biegen
sich da, wo die Allantois das Exochorion erreicht, von derselben
ab, verlaufen an der Innenfläche des Exochorion und werden so
mit Ausnahme der beiden Enden durch eine eiweiſsartige Masse
von der Harnhaut getrennt. Später zeigen sich die zottenlosen
Enden (l. c. S. 21.) an der Grenze der zottentragenden Gürtel
verengt und so, indem sie sich dann bedeutend ausdehnen, von
pilzförmiger Gestalt. Das Exochorion war wahrscheinlich durch-
rissen. Bei drei Zoll groſsen Früchten hat sich der Harnsack
ganz innig mit der Innenfläche des Chorion und der Auſsenfläche
des Amnion verbunden, da jede Spur des hier in geringer Menge
vorhandenen Eiweiſses geschwunden ist. Mutter- und Fruchtku-
chen waren aber schon auf innige Weise (s. d. zweiten Abschn.)
mit einander verschmolzen.


Nach dieser aus den vielfachen Beobachtungen ausgewählten
Darstellung des Wichtigsten, was von den Säugethieren in Be-
zug auf unseren Gegenstand berichtet worden ist, kommen wir zu
dem Endziele unserer Untersuchung, dem Menschen. Es frägt
sich nun hier zuvörderst, welches Gebilde die Allantois oder die
Harnhaut des menschlichen Embryo sey. Trotz der ungeheuren
Menge von Beobachtungen, die an gesunden und kranken mensch-
lichen Früchten angestellt wurden, hat doch Niemand die Harn-
[126]III. Das Ei während der Fruchtentwickelung.
haut genetisch, d. h. als Ausstülpung des hinteren Endes des
Darmrohres nachgewiesen, sondern immer durch mehr oder min-
der subjective Gründe geleitet das Eine oder das Andere dafür gehal-
ten. Es kann daher hier nicht von allseitig beobachteten und genü-
gend verfolgten Factis, sondern nur von der Relation von Ansichten
die Rede seyn, an welche höchstens die Analogie des aus der
Geschichte der Vögel und der Säugethiere Bekannten einen kri-
tischen Maaſsstab anzulegen vermag. Und so können wir im
Voraus als Resultat eines solchen Verfahrens es anticipiren, daſs
es bei dem jetzigen Stande der Wissenschaft möglich sey, zu be-
stimmen, was die Allantois des Menschen nicht sey, nicht aber ir-
gend ein Gebilde mit Sicherheit dafür zu halten oder über den
Hergang etwas mehr, als Wahrscheinliches auszusagen. — Man
kann aber vorzüglich die vielen hier sich findenden Angaben un-
ter folgende Rubriken bringen:


1. Mehrere Schriftsteller haben die Anwesenheit der Allan-
tois in dem Menschen überhaupt geläugnet. So noch in neuester
Zeit vorzüglich Pockels (Isis 1825. S. 1343.). Jedoch hat man
hierbei den wichtigen Fehler begangen, daſs man über die Exi-
stenz dessen, was man noch nicht beobachtet hat, abzusprechen
wagte. Vielmehr ist es im höchsten Grade wahrscheinlich, daſs
dieses Gebilde, welches bei einem Theile der Batrachier, allen Vö-
geln und den bisher untersuchten Säugethieren vorkömmt, bei dem
Menschen, dessen Urachus ebenfalls nachgewiesen ist, auch vor-
kommt. Künftige Erfahrungen werden diesen Punkt wohl
ohne Zweifel bejahend mit aller nothwendigen Gewiſsheit be-
antworten.


2. Viele ältere Beobachter, wie Graaf, Needham, Littre,
Rouhault u. A. (S. J. Fr. Meckel menschl. Anat. IV. S. 727.,
Velpeau’s Embryologie p. 17. 18.), glaubten die Allantois des
Menschen beobachtet zu haben. Sie haben aber entweder irr-
thümlicher Weise das Chorion dafür angesehen oder die Mem-
brana media Hobokenii
für die Harnhaut gehalten. Auf den
letzteren Punkt werden wir bald zurückzukommen Gelegenheit
haben.


3. Die Ansicht, daſs die Nabelblase des Menschen der Allan-
tois der Säugethiere entspreche, hat Niemand eifriger vertheidigt,
als Lobstein (über die Ernährung des Fötus übers. v. Küstner S.
65—80.). Seine Gründe dafür können unter zwei Rubriken ge-
[127]Eitheile d. m. d. Embryonalkörper in Verbindung stehen.
bracht werden. a. Gegenbeweise gegen die Analogie des Nabel-
bläschens mit dem Dotter der Vögel. Er läugnet jede Höhlen-
communikation des Nabelbläschens mit dem Darmkanale, welches,
wie wir schon oben ausführlich auseinander gesetzt, unrichtig ist.
b. Gründe für die Analogie der Allantois und der Nabelblase. Ge-
leitet durch unvollständige und zum Theil irrthümliche Ansichten
von Haller über den Urachus des Hühnchens (l. c. S. 64.) und
auf eine willkührliche Weise die verschiedenen Formen der
Harnhaut der Säugethiere mit einander verwechselnd (l. c. S. 65.)
glaubt er aus der Beständigkeit beider Gebilde, der Allantois der
Säugethiere und der Vesicula umbilicalis des Menschen, einen
Schluſs auf ihre Identität herleiten zu können (l. c. S. 66.). Das
Folgende der Auseinandersetzung ist ein Convolut von Miſsver-
ständnissen und Irrthümern, welche theils aus eigenen, theils aus
Hallers unvollständigen und unrichtig gedeuteten Beobachtungen
hervorgegangen sind. Die Wiederlegung derselben folgt aus
den vielen Widersprüchen und Unklarheiten, in welche sich die
Auseinandersetzung verwickelt, von selbst und würde hier von
eben so geringen Interesse, als an dem unrechten Orte seyn.


4. Zwischen Chorion und Amnion findet sich eine gelatinöse
mit vielen Fäden durchzogene Masse, welche Einige entweder
selbst für die Allantois, wie z. B. in neuester Zeit vorzüglich
Velpeau, andere für das Contentum der Harnhaut angesehen ha-
ben, während diese als eine äuſserst feine Lamelle an der Innen-
fläche des Chorion und der Auſsenfläche des Amnion sich finde.
Die Beschreibung dieser gallertartigen Masse haben wir schon
oben am Schlusse der Geschichte des Chorion geliefert und schon
beiläufig berichtet, daſs sie nach Pockels, Joh. Müller u. A. ein
Analogon des Eiweiſses sey. Hier dürfte der Ort seyn, genauer
zu bestimmen, welchem Gebilde des Eies der Säugethiere dieser
Theil analog wäre und daraus zu folgern, ob man das Recht habe,
sie für die Allantois des Menschen oder deren Contentum zu
halten oder nicht. — Wir haben es oben gesehen, daſs von Bär
an der Innenfläche des Chorion sehr junger Säugethiereier eine
gelatinöse Schicht gefunden hat, welche er für das Eiweiſs die-
ser Eier hält und daſs wir selbst diese Erfahrung bestätigt gefun-
den haben. Das Endochorion tritt mit dieser Masse in ein eigen-
thümliches Verhältniſs. Da es von dem Exochorion angezogen
die Allantois verläſst, so müssen die Gefäſsstämme desselben die
[128]III. Das Ei während der Fruchtentwickelung.
Eiweiſsschicht durchlaufen, um zu dem Exochorion zu gelangen.
Hiervon kann sich auch mit Leichtigkeit Jeder an jungen Eiern
des Schweines überzeugen. Ist nun die gallertartige Masse zwi-
schen Chorion und Amnion in dem Eie des Menschen ein Ana-
logon dieser bei den Säugethieren vorkommenden Eiweiſsschicht,
so müſsten auch hier diese Blutgefäſsstämme durch dieselbe hin-
durchgehen, um zu dem Exochorion zu gelangen. Diese bisher
rein theoretisch ausgesprochene Ansicht hat auch in der neuesten
Zeit durch eine hierher gehörende, wirklich gemachte Beobachtung
eine nicht geringe Stütze erhalten. Bischoff (Beiträge zur Lehre
von den Eihüllen des menschlichen Fötus. 1834. 8. S. 75. 76.)
fand in Gemeinschaft mit Windischmann jun., Hergersberg und
Nägelé jun., daſs in der gallertartigen Masse eine sehr groſse
Menge von Blutgefäſsen sich befinden und durch die gallertartige
Masse hindurch zu dem Chorion gehen. Dadurch scheint also
die Indentität dieses Stoffes mit dem Eiweiſse der Säugethiereier
fast jeden Zweifels überhoben zu seyn: Da er nun bis zum Ende
der Entwickelung bleibt und nur im Laufe der Schwangerschaft
eine veränderte, membranartige Gestalt annimmt, wie ältere Ana-
tomen schon wuſsten und Samuel, Velpeau und Bischoff in neue-
ster Zeit bestätigt haben, so wäre nur der Unterschied, daſs er
bei dem Menschen, in einer sich metamorphosirenden Gestalt
während des ganzen Fruchtlebens verharrte. Aber selbst bei den
Säugethieren finden hier mannigfaltige Verschiedenheiten Statt.
So fand schon v. Bär, daſs bei den Raubthieren die Eiweiſsschicht
viel früher schwindet, als bei den Pachydermen und den Wie-
derkäuern. — Gegen die Identität der gallertartigen Masse mit
der Allantois spricht aber der Umstand, daſs noch Keiner mit
Bestimmtheit eine gesonderte, den spinnwebeartigen Körper ein-
schlieſsende Haut, so wie eine offene Communication durch den
Urachus mit der Harnblase nachgewiesen hat. Wenn zwar Vel-
peau (l. c. p. 55.) durch einige Aehnlichkeit zwischen dem netz-
förmigen Körper und dem Inhalte der Allantois seine Ansicht zu
unterstützen sich bemüht, so muſs er auch anderseits selbst ein-
gestehen, daſs [wesentliche], zum Theil noch gröſsere und wichti-
gere Verschiedenheiten zwischen ihnen Statt finden.


5. Es soll zwischen Chorion und Amnion eine eigenthümliche
Blase in frühester Zeit sich finden, welche späterhin im Laufe
der Entwickelung in eine Membran sich umwandelt. Für diese
An-
[129]Eitheile d. m. d. Embryonalkörper in Verbindung stehen.
Ansicht, welche von theoretischer Seite aus viel Wahrscheinli-
ches hat, spricht die wichtige Auctorität von J. Fr. Meckel (Menschl.
Anat. IV. S. 727.). Joh. Müller, welcher wahrscheinlich die bald
zu erwähnende Vesicula erythroides oder ein anderes, vielleicht
abnormes, blasenartiges Gebilde für die Allantois des Menschen hält,
zieht auch Pockels Angabe hierher (Meck. Arch. 1830. S. 425.),
wiewohl Pockels selbst die Anwesenheit der Harnhaut bei dem Men-
schen läugnet (Isis 1825. S. 1342.). Endlich scheint auch E. H. We-
ber (Hildebr. Anat. IV. S. 489.) dafür zu sprechen. Doch ist
von Keinem der entscheidende Beweis der freien Communication
mit der Harnblase geführt worden. — Die Haut, welche nach
Meckel der Ueberrest der Allantois seyn soll, ist wahrscheinlich
der metamorphosirte gallertartige, glasförmige oder netzförmige
Körper, die membrana media.


5. K. Fr. Burdach hat über die Allantois des Menschen eine
eben so geistreiche, als scharfsinnige Ansicht [aufgestellt]. Nach
ihm entsteht die Allantois, wie bei den übrigen Thieren, so auch
bei dem Menschen, als eine Ausstülpung des Darmrohres und ist
von birn- oder keulenförmiger Gestalt. Dadurch aber, daſs das En-
dochorion sich vorzüglich ausbildet, schrumpft sie sehr zeitig ein
und überschreitet nie die Länge des Nabelstranges. Das Endo-
chorion soll daher nun als ein einfaches Blatt sich an das Exo-
chorion anlegen und zuletzt eine einfache Blase bilden (Physiol.
II. S. 531. 541.) (Vgl. die schematische Darstellung tab. IV. fig.
5.). — Dieser Ansicht ganz nahe ist auch die von Joh. Müller
(Meck. Arch. 1830. S. 426.), welcher einmal zwischen Chorion
und Amnion dicht an dem Nabelstrange ein mit harter Materie ge-
fülltes Bläschen sah. Vgl. auch Bischoff l. c. S. 78.


Das Produkt der an bestimmten Punkten erfolgten Ineinan-
derbildung des Exochorion und Endochorion, so wie der möglichst
innigen Contiguität dieses Theiles mit den bestimmten Produktio-
nen des Fruchthälters ist die Placenta, während das strangförmige
Gebilde zwischen dem Bauche des Embryo und der Placenta der
Nabelstrang genannt wird. Wie sich die Placenta aus den Flok-
ken des Chorion hervorbilde, ist schon oben bei diesem berichtet
worden. Was die Blutgefäſse des Endochorion und des Fruchthäl-
ters betrifft, so wird im zweiten Abschnitte von denselben bei Gele-
genheit des Kreislaufes der Frucht ausführlich die Rede seyn. Wir
haben daher hier nur Einiges über das Aeuſsere der Placenta an-
9
[130]III. Das Ei während der Fruchtentwickelung.
zuführen. Sie ist in dem ausgebildeten Zustande in der Regel
eine länglich runde, 6 — 8 Zoll im Durchmesser haltende, kuchen-
förmige Masse, welche aus einer gröſseren oder geringeren Menge
mehr oder minder innig mit einander verbundener, runder Gebilde
besteht, welche man nach Analogie der ähnlichen Formationen der
Thiere Cotyledonen genannt hat. Eine weitere Fortbildung dieser
normalen Form ist die in manchen Fällen vorkommende Zerfällung
in zwei oder mehrere verbundene Theile, wie sie Wrisberg, Loder,
Velpeau u. A. vielfach beobachtet haben. Auf ihrer dem Fruchthäl-
ter zugekehrten Oberfläche findet sich eine Schicht einer halbwei-
chen, membranartigen Masse, welche Einige für die decidua vera,
Andere für die decidua scrotina halten. Man hat dieser Placenta
auſser den ihr zukommenden Blutgefäſsen auch Saugadern und
Nerven zugeschrieben. Doch haben sich die älteren Angaben hier-
über nicht bestätigt, und gegen manche unten noch anzuführende
Berichte aus der neuesten Zeit lassen sich gegründete Einwen-
dungen machen. — In dem Uterus sitzt die Placenta in der Regel
in dem Muttergrunde und zwar meistens etwas nach rechts.
Doch dürfte es keine Stelle an der inneren Oberfläche des Frucht-
hälters geben, an welcher man sie nicht ansitzen gesehen hätte.


Der Nabelstrang ist dasjenige Gebilde, welches von dem
Leibe der Frucht nach der Ausbildung der Placenta zu dieser als
ein dicker, mehr oder minder langer Strang verläuft. Er ist kein
einfacher Theil, sondern entsteht durch die Vereinigung der ver-
schiedenartigsten Gebilde, wie bald die specielle Auseinandersez-
zung seiner Theile lehren wird und im zweiten Abschnitte a. m.
O. noch wird dargestellt werden müssen. Daher herrschen auch
verschiedene Angaben über die Zeit seiner Entstehung, da die
Periode, in welcher er seinen Anfang nimmt, d. h. wenn die
Allantois hervortritt, das Endochorion aus dem Unterleibe des
Embryo zu dem Exochorion sich begiebt und die Haut der Frucht
zu dem Nabel sich abschnürt, bei den Säugethieren nur äuſserst
selten und bei dem Menschen noch gar nicht beobachtet wor-
den ist. Der Letztere scheint besonders frühzeitig dieses Stadium
der Entwickelung zu durchlaufen. Denn so fand z. B. schon
Velpeau (Embryologie p. 59.) bei den jüngsten Embryonen von
2—3 Wochen einen Nabelstrang, und Joh. Müller (s. Arch. S.
8.) sah ihn bei einem 34 Tage alten Eie schon ⅔ Linie lang u.
dgl. m. — Wir haben folgende Momente an ihm zu berücksichtigen:


[131]Eitheile d. m. d. Embryonalkörper in Verbindung stehen.

1. Seine Einpflanzung in die Placenta. Diese ist in der Re-
gel in der Mitte derselben. Doch kommen hier häufig Abwei-
chungen vor, theils als bloſse sogenannte Varietäten, theils als
rein pathologische Erscheinungen.


2. Sein Ausgang von dem Unterleibe des Embryo ist um
so mehr nach hinten, je jünger das Ei ist. Erst im fünften bis
sechsten Monate erreicht er mit dem weiteren Wachsthume der
Unterbauchgegend die Mitte des Unterleibes.


3. Sein Länge. Velpeau (l. c. p. 59.) stellt es als allgemei-
nes Gesetz auf, daſs der Nabelstrang eben so lang sey, als der
Embryo selbst. Doch bedarf dieser Satz noch mannigfaltiger
Einschränkung.


4. Seine Dicke ist in dem normalen Zustande gleichmäſsig.
Doch findet man sehr häufig, besonders an abortirten Eiern, An-
schwellungen in denselben, welche theils durch wassersüchtige
Ausdehnungen, theils durch Verengerungen oder varicöse Erweite-
rungen der Gefäſse, theils durch Verknotungen bedingt werden.
Die Häufigkeit dieser Anschwellungen lieſs Velpeau (Archiv géné-
rale tom. VI
. p. 186.) anfangs auf die Vermuthung kommen, daſs
diese Auftreibungen normal seyen und daſs die Nabelblase und der
Harnsack bei dem Menschen in der Nabelschnur liegen. Doch hat
er selbst später diese Ansicht als irrthümlich zurückgenommen,
wiewohl Mehrere, wie wir oben gesehen haben, in Betreff der
Allantois diese Meinung heute noch vertheidigen.


5. Seine Bestandtheile. Diese sind:


a. Eine äuſsere durchsichtige Hülle. Diese hängt continuir-
lich einerseits mit dem Amnion, anderseits mit dem Embryo und
zwar, wie es jetzt von theoretischer Seite sowohl, als durch Be-
obachtung ausgemacht ist, mit der Haut des Embryo zusammen.
Bei dem Menschen ist sie durchaus glatt, bei manchen Thieren aber,
z. B. den Wiederkäuern, in späteren Perioden der Entwickelung
mit kleinen, zerstreuten, weiſsen Granulationen besetzt.


b. Die Nabelgefäſse. Eine Vene und zwei Arterien, von
denen die letzteren oder welche sämmtlich spiralig nur meist
von links nach rechts gewunden sind. Ihnen sollen die eigen-
thümliche Gefäſshaut und den Venen jede Spur von Klappen feh-
len. Die Nabelarterien entspringen in späterer Zeit aus den Arteriis
hypogastricis
, während die Nabelvene zur Pfortader sich begiebt.
Mehr über diese Gefäſse s. unten bei der Genese der Blutgefäſse.


9*
[132]III. Das Ei während der Fruchtentwickelung.

c. Ein weiſser, mehr oder minder deutlicher Faden, die Fort-
setzung des in der Bauchhöhle des Embryo bis zur Nabelöffnung
verlaufenden Urachus. So fand z. B. Wrisberg (descr. anat. embr.
p. 23.), daſs dieser Faden bei einem 5½ Monat alten Fötus nach
Verlauf von 1½ Zoll in dem Zellgewebe des Nabelstranges ver-
schwand. W. Hunter und Cruikshank (S. d. Ersteren Anatomie
des schwangeren Uterus übers. von Froriep S. 45.) konnten das
feine Fädchen längs des ganzen Nabelstranges verfolgen.


d. Der Faden der Nabelblase. Ueber diesen s. die Lehre
von der Nabelblase.


e. Eine gallertartige, die Theile verbindende Masse. Dieses
unter dem Namen der Whartonschen Sulze bekanntes Gebilde
hängt einerseits mit dem Schleimgewebe des Chorion und dem
Eiweiſse, anderseits mit dem Schleimgewebe der Bauchdecken des
Embryo zusammen, ist durchsichtig, halbflüssig und nie mit Fett
versehen. Getrocknet und aufgeblasen stellt es ein schwammigtes
Gewebe dar, ist bei dem Menschen in gröſserer Menge vorhanden,
als bei den meisten Säugethieren und soll nach Burns (in Burdachs
Physiol. II. S. 539.) gegen Ende des Fruchtlebens abnehmen.


Auſserdem soll nach mehreren Beobachtern der Nabelstrang
noch enthalten:


a. Lymphgefäſse. Ohne durch Injection dieselben bestimmt
nachweisen zu können, haben Schreger, Uttini, Michaelis u. A.
ihre Existenz vertheidigt. Ueber diese sowohl, als über die von
Fohmann in neuester Zeit verfertigten Injectionen s. im zweiten
Abschnitte, wo von der Allantois als einer Ausstülpung des
Darmkanales nochmals die Rede seyn wird.


b. Es sollen nach Home und Bauer, Chaussier, Ribes u. A.
Nerven in dem Nabelstrange sich finden. Doch sprechen die
vielfachen und genauen Untersuchungen von Meckel, Rieke, We-
ber, Otto u. A. entschieden dagegen. Joh. Müller (L. Scheulen
placentae humanae physiol. et pathol. Bonnae. 1833. 8. p. 10.)
fand sogar, daſs die Aeste des Nervus sympathicus, welche die
Arteria umbilicalis aus dem Becken oder die Vena umbilicalis
aus der Leber begleiten, auf eine merkwürdige Weise an dem
Nabel wie abgeschnitten sind.


Bevor der Fötus frei hervortritt, reiſsen bei der normalen
Geburt die Eihäute und entleeren eine gröſsere oder geringere
Quantität des liquor Amnii. Es ist aber nicht selten der Fall,
[133]Eitheile d. m. d. Embryonalkörper in Verbindung stehen.
daſs sich aus der Gebärmutter eine Menge Flüssigkeit ergieſst,
ohne daſs das Amnion durchrissen ist, daſs dieses daher erst später
berstet und seine Flüssigkeit entleert. Die Geburtshelfer und man-
che Anatomen sehen dieses Wasser für ein Contentum der Harn-
haut an und nennen es geradezu liquor Allantoidis. Abgesehen
davon, daſs man dieses Gebilde und dessen Inhalt bei dem Men-
schen noch nicht genau kennt, dürfte es kaum, wenn es selbst
auf abnorme Weise bis zur Geburt verharrte, in solcher Quan-
tität vorhanden seyn, in welcher die sogenannten falschen Wäs-
ser oder der liquor Allantoidis erscheinen. Vielmehr glauben
wir, daſs zwei krankhafte Zustände das Erscheinen der falschen
Wässer vor dem Sprunge der Eihäute und des Amnion insbeson-
dere bedingen können. 1. Wasseransammlung zwischen der Ge-
bärmutterhöhle und dem Eie und 2. Wasseransammlung zwischen
Chorion und Amnion. Unter die letztere Rubrik muſs der von
Diemerbroek (S. E. H. Weber in Hildebrandts Anat. IV. S. 508.)
beschriebene Fall gehören. Wie leicht aber abnorme Wasser-
anhäufungen innerhalb des Eies entstehen können, werden wir
bald anzumerken Gelegenheit haben.


Nach der Ausschlieſsung der Frucht werden Placenta, Nabel-
strang und Eihäute als sogenannte Nachgeburt entfernt. Nur in
den ersten drei bis vier Schwangerschaftsmonaten wird das über-
all unverletzte Ei mit dem Embryo zugleich in der Regel ausge-
stoſsen. Die Theile, welche in einer solchen Nachgeburt enthal-
ten sind, sind folgende: 1. Mehr oder minder vollständige Reste
der decidua vera, reflexa und serotina. 2. Chorion. 3. Die
mittlere Schicht, der Ueberrest des glasförmigen Körpers, des Ei-
weiſses. 4. Das Amnion. 5. Das Nabelbläschen (meistens) und 6. Pla-
centa und Nabelstrang. Ueber diese alle Theile ist in dem Obigen
schon hinlänglich gesprochen worden. Wir wollen hier nur noch Ei-
niges über die Gewichtsverhältnisse der Nachgeburt nach Wrisbergs
Erfahrungen (Commentat. Vol. I. p. 20—22.) nachholen. Er fand:

[134]Anhang zum ersten Abschnitt.

Anhang.
I. Ueber Pockels Vesicula erythroides und dessen
Theorie der frühesten Formation des mensch-
lichen Eies und Embryo überhaupt
.


Pockels wählte unter mehr, als 50 durch Abortus abgegan-
genen Eiern vier aus, welche er für völlig normal hielt und aus
denen er den allerfrühesten Zustand der Entwickelungsgeschichte
des Menschen zu erkennen im Stande zu seyn glaubte (Isis 1825.
S. 1342—1350.). Das Chorion liegt nach ihm in der decidua,
ohne mit ihr durch Blutgefäſse verbunden zu seyn, und enthält
zunächst eine röthliche, mit Fäden durchzogene, eiweiſsartige
Flüssigkeit. In dieser letzteren befindet sich in den ersten 14
Tagen das Amnionbläschen von meist birnförmiger, bisweilen ku-
gelrunder Gestalt, mit seinem Stiele an einer Stelle des Chorion
befestigt. Der Embryo ist kaum 1 Linie groſs, weiſslich gelb,
in der Mitte platt und zusammengedrückt, an beiden Enden dik-
ker und von gallertartiger Consistenz. Er liegt bis zu dem zwölf-
ten Tage nach der Befruchtung auſserhalb der Amnionhöhle mit
seinem Rücken in einer flachen Grube desselben durch Zellge-
webe etwa seit dem achten Tage locker befestigt. Mit fernerem
Wachsthume senkt sich der Embryo tiefer in das Amnion hinein
und bildet auf diese Weise eine Scheide aus dem Amnion an
seiner Bauchseite. Um diese Zeit stehen zwei wichtige Gebilde
mit dem Embryo in Verbindung: 1. Die Vesicula erythroides,
ein bisher unbekanntes Organ des Eies. Sie ist eine plattge-
drückte, länglich birnförmige Blase, deren breiteres Ende auf dem
Amnion über den Embryonalkörper hinaus liegt, deren schmäleres
Ende in die Bauchseite desselben mündet. In Eiern von 8—12
Tagen ist sie ungefähr dreimal so lang, als der Embryo; in der
vierten Woche dagegen nicht mehr sichtbar. Sie ist durchschei-
nend, milchweiſs. In ihren Wänden lassen sich im frischen Zu-
stande eine Menge rother Kügelchen erkennen, welche sich in
[135]I. Ueber Pockels Theorie etc.
mehreren Linien gruppiren, die zuletzt zu einem doppelten Strange
eingehen. Nach dem Eintritt des Embryo in die Amnionhöhle
zeigt sich der Strang als ein in der Höhle der Vesicula ery-
throides
liegender doppelter Strang, welcher sich in der Mitte
in zwei Kanäle theilt und so in die Bauchfläche des Embryo
übergeht. In der dritten Woche wird nun bei dem Eintre-
ten des Embryo in die Amnionhöhle die Vesicula erythroi-
des
in die Scheide des Amnion hineingezogen und so zur Nabel-
schnur. Die Stränge wachsen in den Embryo hinein und die
Höhle der Vesicula erythroides obliterirt von deren stumpfem
Ende nach der Frucht hin. Am Bauche bleibt jedoch im norma-
len Zustande eine kleine Höhle der Vesicula erythroides in der
Nabelschnur bis zu dem Ende des dritten Monates zurück, welche
mit dem Unterleibe communicirt und in welcher mehrere Darm-
windungen später liegen. Die Vesicula umbilicalis ist ein ku-
gelrundes Bläschen, etwas gröſser, als der Embryo und liegt über
dem Kopfende desselben hinaus, locker auf dem Amnion befestigt.
Es hat eine meist gelblich weiſse Farbe, ist mit einer klaren, in
Weingeist sich nicht trübenden Flüssigkeit gefüllt und ohne deut-
liche Blutgefäſse. Bis zur Entstehung der Nabelschnur nimmt sie
mit dem Embryo gleichmäſsig an Gröſse zu, wächst aber, sobald
sie eine Gröſse von zwei Linien erreicht hat, nicht mehr. Von
ihr geht ein feiner 1—3 Linien langer Kanal dicht an dem Em-
bryo in die Vesicula erythroides über. Später entfernt sie sich
durch Verlängerung des Kanales immer mehr und wird zu einer
runden, weiſsen Platte, welche zu Ende des dritten Monates bis-
weilen noch sichtbar ist. Der feine Kanal bildet die sogenannten
Vasa omphalo-mesenterica. — Diese Theorie, welche zum Theil
von E. H. Weber angenommen wurde, haben Seiler, Velpeau u.
Bischoff mit Recht verworfen, weil sie sämmtliche von Pockels
für normal ausgegebene Eier für krank hielten. Auch streitet sie
zu sehr gegen die mit mehr Sicherheit erkannte Entwickelungs-
geschichte der Thiere, als daſs sie insofern auf Annahme Anspruch
machen dürfte. Wollte man jedoch auf eine weniger absprechende
Weise über die Erfahrungen urtheilen, so lieſse sich vielleicht
das Eine oder das Andere auf das durch die Evolutionsgeschichte
des Vogels und der Säugethiere Constatirte reduciren, und so
könnte man, in der Voraussetzung, daſs in Pockels Eiern das
eine oder andere Gebilde gesund gewesen, die dem Embryo un-
[136]Anhang zum ersten Abschnitt.
mittelbar anliegende Platte des Amnion als seröse Hülle und die
Vesicula erythroides, wie Joh. Müller schon gethan, als Allan-
tois deuten. Mit Bestimmtheit läſst sich aber selbst über diese
Punkte nicht entscheiden. —


Anhang.
II. Ueber kranke, durch Abortus abgegangene Eier.


Wiewohl es unserem Plane durchaus fremd ist, von patho-
logischen Erscheinungen hier zu reden, so müssen wir doch ei-
nige Worte über krankhaft verbildete Eier und Embryonen aus-
sprechen, weil unbedingt die meisten frühzeitigen menschlichen
Embryonen Produkten der Art entnommen sind. Fast alle durch
Abortus abgegangene Eier sind krankhaft, und dieses fühlten
manche Beobachter so sehr, daſs z. B. Samuel schon sagt (l. c.
p. 7.): „Vix fieri posse videtur, quin, quae sint ovorum
attributa essentialia et quasi legalia, eruantur, et ab his se-
jungantur accidentalia, praeternaturalia et morbosa
.“ —
Die Mannigfaltigkeit ist hier so groſs, daſs der abnorme Zustand
von einzelnen, mehr unbedeutenden Erscheinungen an dem Em-
bryo bis zu dem Fehlen desselben mit völliger Degeneration der
Eihäute sich durch Mittelstufen nachweisen läſst. Ja es dürfte
nicht selten ganz unmöglich seyn, in den sogenannten Molen zu
bestimmen, ob sie degenerirte Eier oder krankhafte, selbststän-
dige Produkte sind. Das ganze hierher gehörende Gebiet von
Erscheinungen hat, so interessant und wichtig es auch für die
Physiologie sowohl, als für die Geburtshilfe ist, doch bisher eine
fast stiefmütterliche Behandlung erfahren und muſs für die Zu-
kunft einer vollständigen, genauen und umfassenden Bearbeitung
entgegensehen, wiewohl in neuester Zeit schon Breschet u. Vel-
peau mit mehr Ausführlichkeit, als es vor ihnen geschehen, dar-
auf Rücksicht genommen haben. — Die Degenerationen scheinen
aber entweder von dem Embryo oder von den Eihäuten, oder
von beiden zugleich auszugehen, sich auf einige Theile zu be-
schränken oder alle zu ergreifen. In den meisten Fällen scheinen
sie auch dadurch bedingt zu seyn, daſs der Embryo in dem Eie,
sey es in Folge pathologischer Erscheinungen an ihm, oder aus
[137]II. Ueber kranke, durch Abortus abgegangene Eier.
anderen Ursachen abstirbt, die Eihäute dagegen in der Folge nicht
der Regel nach fortwachsen, sondern fortwuchern und so biswei-
len durch und durch veränderte Gebilde darstellen. Sucht man
nach allgemeinen Gesichtspunkten, an welche man sich in diesem
Labyrinthe von Erscheinungen zu halten hätte, so dürften sich
etwa folgende ergeben:


1. Wahre Miſsbildungen. Wiewohl bei dem ersten Blicke
diese die bei Weitem häufigsten zu seyn scheinen, so werden doch
die bei erster oberflächlicher Untersuchung hierher zu rechnenden
Fälle bei genauerer Prüfung unter die folgenden Rubriken zu
bringen seyn.


2. Krankhafte Zustände der Eitheile. Hier lassen sich, wie
es scheint, die vorkommenden Fälle auf zwei Hauptklassen redu-
ciren, nämlich:


a. Verdickung, besonders der Eihäute, so daſs sie alle oder
theilweise eine mehr oder minder dichte, feste, blutreiche, fleischigte
Masse bilden, welche Ausdehnungen von Blutgefäſsen, Substanz-
wucherungen in Form von Knollen und dgl. enthält, und


b. Wasseransammlungen. Der niedrigste Grad dürften bla-
sige, mit Wasser gefüllte Ausdehnungen des Nabelstranges seyn.
Nächstdem finden sich Wasseransammlungen zwischen der Ober-
haut und dem Körper des Fötus, übermäſsig groſse Quantitäten
von Flüssigkeit in der Höhle des Amnion, zwischen Amnion und
Chorion u. dgl.


Nicht selten sieht man die äuſseren Eihäute verdickt und
degenerirt, während in dem Innern Ansammlungen groſser Quan-
titäten von Flüssigkeit sich finden.


c. Veränderungen durch Zersetzung, Fäulniſs, Auflösung
u. dgl. Diese treffen besonders den Embryo und erzeugen For-
men, die man nur zu leicht für wahre Monstra hält. Ja es fin-
den sich nicht selten Gestalten, über die zur Zeit ein sicheres
Urtheil noch nicht zu geben ist, da man den normalen frühesten
Zustand noch nicht bestimmt und allseitig genug kennt.


Eine weitere Ausführung des hier nur leise Angedeuteten s.
in dem von mir bearbeiteten Artikel Fötus in der Berliner Ency-
klopädie der medizinischen Wissenschaften. Es dürfte zu den
Seltenheiten gehören, wenn ein durch Abortus abgegangenes Ei
die eine oder die andere der genannten Abnormitäten nicht ent-
hielte oder noch neue Formen darböte. Das Ungenügende des-
[138]Anhang zum ersten Abschnitt.
sen, was wir darüber gesagt haben, fühlen wir nur zu gut und
schlieſsen daher mit der dringenden Bitte, daſs irgend ein viel-
fach beschäftigter Geburtshelfer, welcher in das Innere der Ent-
wickelungsgeschichte der Thiere überhaupt eingeweiht ist, den
Gegenstand aufnehme und vollständig und allseitig, wie er es
verdient, behandele und durchführe. —


Ei.

[[139]]

Zweiter Abschnitt.
Von dem Embryo.


[[140]]

Eine systematische Physiologie ruht vorzüglich auf ihr (der Entwik-
kelungsgeschichte) und kann, wenn sie nicht vollendeter ist, nimmer-
mehr schnell vorrücken; denn sie giebt dem Philosophen den Stoff zur
Aufführung eines festen Gebäudes des organischen Lebens. Man sollte
daher in der Anatomie und Physiologie jetzt noch mehr, als es geschieht,
in ihrem Sinne arbeiten d. h. man sollte jedes Organ, jeden Stoff und
auch jede Thätigkeit nur immer mit der Frage untersuchen, wie sind sie
entstanden.


(E. Huschke in Meckels Archiv Bd. VI. S. 1.)

[[141]]

Embryo heiſst ein individuelles, organisches Wesen in der Pe-
riode seines Lebens, in welcher seine individuelle Existenz und
die mit derselben verbundenen Metamorphosen der Stoff- und
Gröſsenverhältnisse nicht nur durch die eigene Kraft, und die
zur Darlegung derselben nothwendigen Gegenstände und Bedin-
gungen der fremden, organischen oder anorganischen Auſsenwelt,
sondern durch Beihilfe einer von einem gleichartigen, mütterlichen
Körper excernirten, nicht bloſs hinzugeführten Productes, welches
der in Folge der Befruchtung mit dem Triebe zur individuellen
Ausbildung und zur selbstständigen Existenz versehenen Anlage
Bildungsmaterie und entweder alle oder doch bei Weitem die
meiste Nahrung giebt, realisirt werden. Durch diese freilich et-
was weitläufige, aber, wie wir glauben, alles hierher Gehörende
erschöpfende Begriffsbestimmung wird als Embryonalzustand alles
dasjenige angesehen, bei welchem zur Existenz des (neugebildeten)
Individuums die beiden nothwendigen Bedingungen, die eigene
Kraft und die äuſseren Verhältnisse (im weitesten Sinne des Wor-
tes Nahrung zu nennen), welche das Leben bestimmen, nicht
hinreichen, um das Daseyn des Einzelwesens zu behaupten und
den äuſseren und inneren Stoffwechsel zu unterhalten. Für diese
Bestimmung bleibt es daher ganz gleichgültig, ob das neue thie-
rische Wesen innerhalb des Fruchthälters, oder auſserhalb dessel-
ben, wie man zu sagen pflegt, in gelegten Eiern, oder, wie unter den
wirbellosen Thieren z. B. bei Oniscus, unter den Wirbelthieren bei
dem Känguruh und vielleicht auch den Syngnathen und einigen tro-
pischen Amphibien, in dem Inhalte oder Raume einer inneren oder
äuſseren Bruthöhle enthalten sey. Anderseits ist aber die Nestbil-
dung sobald das Nidamentum dem in keinem Eie mehr enthaltenen
Jungen zum ersten Aufenthaltsorte dient, von dieser Begrenzung
[142]Von dem Embryo.
des Begriffes mit Recht ausgeschlossen, da hier an keine von der
Mutter excernirte, sondern nur von ihr herbeigeführte oder von
ihr äuſserlich dargereichte Nahrung gedacht werden kann.


So stellen sich in dem Embryo zwei verschiedene Seiten
dar, erstlich die mit eigener Kraft versehene, individuelle, nicht
mehr bloſs entwickelungsfähige, sondern sich entwickelnde Anlage,
und zweitens die als Bildungs- und Ernährungsmaterie, von der
Mutter ausgesonderte und entweder für längere Zeit aufgesparte
oder während der ganzen Entwickelung oder eines Theiles der-
selben dargereichte Nahrung. Die verschiedenen, hierdurch be-
dingten Verhältnisse lassen sich unter folgende Rubriken bringen:


1. Es wird der excernirte (nicht bloſs secernirte, da der
Embryo, wenn er auch in dem Mutterleibe sich befindet, für den
Mutterkörper doch relativ äuſserlich ist) Stoff unmittelbar zur
Bildung des Embryonalkörpers gänzlich verwandt; so daſs keine
für eine spätere Zeit der Entwickelung bestimmte Nahrungsma-
terie sich vorfindet, sondern diese von Anfang an oder während
der ganzen Zeit der Entwickelung unausgesetzt immer abgeson-
dert und sogleich unmittelbar nicht bloſs zu Embryonalstoffen,
sondern auch zu Embryonaltheilen benutzt wird. Diese niedrigste
Stufe der Bildung scheint bei den untersten Klassen der Thier-
welt, den Infusorien und Polypen vorzukommen. Doch selbst
da kann nach den neuesten Erfahrungen ihre Existenz mit Recht
bezweifelt werden. Dagegen ist dieser Fall bei der Sprossenbil-
dung der Pflanzen und der niederen Thiere durchaus realisirt.


2. Die Anlage hat schon bei dem ersten Momente ihrer
Ausbildung eine gewisse Quantität von Nahrungsmaterie bei sich,
welche sie während des Fötallebens verzehrt und in dem durch
die eigene Kraft assimilirten Zustande zur Bildung der Organe
verwendet. Hierher gehören die Eier im weitesten Sinne des
Wortes, welche neben der Anlage Dotter, Eiweiſs oder diesen
analoge Stoffe enthalten. Eine Abänderung hiervon ist


3. Der Fall, in welchem die Anlage während der Ausbil-
dung und Entwickelung neue Nahrungsmaterie erhält, die sich
entweder


  • a. in gewissen Häuten und Hüllen anhäuft, um dem bloſsen
    Entwickelungsleben äuſserlich zu dienen und nach Beendi-
    gung dieser Periode als nicht mehr tauglich ausgestoſsen
    oder im Laufe der Entwickelung aufgezehrt zu werden,
    [143]Embryo und Nahrung.
    doch ohne vorher erst in den Embryonalkörper als solche
    übergegangen zu seyn. Hierher gehören vorzüglich der Stoff
    im Eie der Säugethiere, welcher in früher Zeit von dem
    Chorion unmittelbar eingeschlossen wird (S. d. Abschnitt
    vom Eie), die Amnionflüssigkeit u. dgl. m.
  • b. Oder der secernirte Stoff wird zwar in Theile des Embryo-
    nalkörpers verwandelt, doch keinesweges in Organe, welche
    in ihrer Ausbildung beharren, sondern in Niederlagen von
    Nahrungsstoffen, welche entweder noch während des Em-
    bryonal- und Fötallebens oder einige Zeit nachher verbraucht
    werden. Deutliche hierher gehörende Beispiele sind die
    mannigfaltigen Fettablagerungen, besonders der in vielen
    Thieren eine so groſse Rolle spielende Fettkörper, so wie
    dieselben Ansammlungen unter der Haut der menschlichen
    Frucht, die lymphatischen Drüsen am Halse u. dgl. m.

4. Der excernirte Stoff umschlieſst ohne intermediäre Hülle
oder Hüllen alle in dem Mutterkörper enthaltenen Embryonen,
ohne in deren Körper unmittelbar einzugehen oder mit jedem
einzelnen in einer besonderen Haut eingeschlossen zu seyn. Hier-
her gehören die Ablagerungen in der Bruthöhle des Oniscus
aquaticus
(Rathke Abh. aus der Bildungs- und Entwickelungs-
geschichte des Menschen und der Thiere. Th. I. 1832. S. 16.),
des Blennius viviparus (desselben Werkes Th. II. 1833. S. 39.)
u. s. w.


Individuum und Nahrung sind aber nicht immer so streng
geschieden, als es dem ersten Anblicke nach scheinen dürfte. Viel-
mehr metamorphosirt sich ein Theil der Fruchtanlage selbst sehr
häufig in die bloſse Hülle der Nahrung und wird entweder erst spä-
ter in den Embryonalkörper wieder hineingezogen oder geht in die-
ser bloſsen Aeuſserlichkeit ganz unter. Immer ist es, wo dieses ge-
schieht, der minder wichtige peripherische Theil der Fruchtanlage,
nie der centrale derselben. Dieser letztere hat vielmehr stets die
gröſste Tendenz zu individueller Ausbildung und in ihm entstehen
die Hauptorgane des Wirbelthieres, die Centraltheile des Nerven-
systems, Hirn und Rückenmark.


Diese beiden Seiten des Embryo, Nahrung und Fruchtanlage
verhalten sich zu einander, wie mütterliches zu kindlichem Indi-
viduum. Je weiter daher die Entwickelung des jungen, selbst-
ständigen Einzelwesens vorschreitet, desto mehr überwältigt das
[144]Von dem Embryo.
neue Eigenleben den sich gegen dasselbe relativ passiv verhalten-
den Stoff und eignet sich ihn an, bis am Ende des Fruchtlebens
alle Spur oder ein groſser Theil desselben geschwunden ist. Im
Gegentheile kann jedoch krankhaft, wie schon Meckel (Beiträge
zur vergl. Anatomie I. S. 62.) bemerkt hat, eine zu groſse Ge-
walt dieser Nahrungsstoffe das individuelle Wesen vernichten und
so jede Entwickelung eines neuen Organismus hindern — ein
Punkt, den wir später noch berühren werden.


Die mannigfachen Metamorphosen der Fruchtanlage sind das
Hauptobject der Entwickelungsgeschichte; die Veränderungen der
Nahrung dagegen, wenn auch wichtig, doch von untergeordnetem
Werthe. Wir werden daher die ersteren speciell ins Auge fas-
sen und in möglichst gedrängter, aber vollständiger Darstellung
behandeln, an schicklichen Orten dagegen die Variationen der
Nahrung einzuschalten uns bemühen.


Die Keimhaut zeigt in der Reihe der Thierwelt mancherlei
Verschiedenheiten. Ueber ihre Bedeutung, Lage und Gestalt in
den Säugethieren ist das Nöthige schon in dem Abschnitt Ei ab-
gehandelt worden. Bei den niederen Wirbelthieren ist sie ent-
weder mehr oder minder scheibenförmig, so daſs sie nur einen
Theil, und zwar meist den oberen, des Dotters bedeckt, oder
kuglich, so daſs sie den ganzen Dotter umfasset und einschlieſst.
Bei den Wirbellosen ist durch die Untersuchungen von Herold
und Rathke noch ein drittes, der Zeit nach verschiedenes Ver-
hältniſs bekannt geworden. Der Erstere fand nämlich bei den Spin-
nen (Unters. üb. d. Bildungsgeschichte der wirbellosen Thiere im
Eie. 1824. Fol.) und der Letztere bei dem Fluſskrebse (Unter-
suchungen über die Bildung und Entwickelung des Fluſskrebses.
1829. Fol.), nicht aber bei den Onisciden (Abh. Thl. I. und II.),
daſs die Keimanlage, welche nur einen kleinen Theil des Dotters
bedeckt, sich nebelartig über den Dotter beim Beginne der Ent-
wickelung verbreitet und in einem neuen Acte der Bildung erst
zu einer verhältniſsmäſsig kleinen, aber dichten Fruchtanlage con-
densirt, von welcher letzteren dann die Bildung des neuen Indi-
viduums ausgeht. Endlich soll bei manchen Thieren die Entste-
hung des neuen Wesens ohne alle Fruchtanlage beginnen —
eine Behauptung, welche wahrscheinlich nur das Resultat un-
serer bisher mangelhaften Kenntnisse, nicht vollständiger und um-
sichtiger Beobachtung ist. Es geht hier gewiſs eben so, wie
schon
[145]Embryo und Nahrung.
schon oben bei Gelegenheit des Keimbläschens gezeigt wurde,
daſs die genaueste Untersuchung nur Analogieen, nie Ausnahmen
nachweist.


Die Entwickelung des Embryo, d. h. die normale Ausbil-
dung der Fruchtanlage, kann, wenn man sich nur an das sinnlich
Wahrnehmbare und Erkennbare hält, von zwei Gesichtspunkten aus
angesehen werden. Entweder hält man diese Naturerscheinung
für die Folge der immer sich erneuernden Anlagerung von Bil-
dungsstoffen an die Fruchtanlage überhaupt, welche durch die eigene
Kraft des Embryo zn neuen Organen umgewandelt werden, so
daſs durch diesen Hergang ein Zuwachs in allen drei körperlichen
Dimensionen bedingt ist, in welchem Organ neben Organ, Ge-
webe neben Gewebe zu liegen kommt. Oder man sieht die
Fruchtanlage als in mehrere Blätter getheilt an, welche auf ver-
schiedene Weise nach bestimmten Gesetzen sich falten, an Masse
und Ausbildung zunehmen und so die einzelnen Körpertheile dar-
stellen. Diese letztere Betrachtungsweise ist ein Product der
neuesten Zeit und zuerst von Döllinger und dessen Schüler Pan-
der angeregt, von K. E. von Bär, H. Rathke und K. F. Burdach aber
zu einer Höhe der Ausbildung gebracht worden, welche in Con-
sequenz der Durchführung gewiſs Nichts zn wünschen übrig läſst.
Doch ist auch die Ansicht dieser Männer leider hier und da
miſsverstanden, schief aufgefaſst und daher falsch beurtheilt wor-
den. Bekanntlich trennen sie die Fruchtanlage der Wirbelthiere
(denn bei den Wirbellosen stöſst man auf manche nicht unbedeu-
tende Schwierigkeiten, die sich jedoch zum Theil, wie wir an
einem anderen Orte zeigen werden, lösen lassen,) in drei Blätter.
Nach oben und auſsen liegt das sogenannte seröse, nach unten
und innen das Schleimblatt. Zwischen beiden bildet sich im
Laufe der Entwickelung das Gefäſsblatt aus. Wahr ist es, daſs,
wenn wir hier als Beweis der Gültigkeit der Annahmen die
Möglichkeit, diese Schichten getrennt durch das Messer darzu-
stellen, postuliren, diese fehlt. Allein wenn diese auch mangelt,
so wird jeder vorurtheilsfreie Beobachter doch bald einsehen,
daſs diese mehr idealen Abtheilungen der Natur entsprechen,
daſs, wenn sie auch in die Beobachtung hineingelegt, sie doch
keinesweges gegen die Beobachtung sind, vielmehr eine Klarheit
der Uebersicht und der Darstellung zulassen, wie sie ohne ein
solches Hilfsmittel auf keine Weise zu geben ist. Auch haben
10
[146]Von dem Embryo.
die Letzteren der genannten Naturforscher zur Erläuterung ihrer
Darstellungen nur ideale Zeichnungen meist [von] Durchschnitten
geliefert und so den Charakter ihrer Arbeit schon hierdurch
deutlich genug bezeichnet. Mit Unrecht wird ihnen aber in der
neuesten Zeit der Vorwurf gemacht, als wollten sie aus bloſsen
Faltungen der Blätter die Entstehung der Organe herleiten. Ihre
Darstellungen beziehen sich nur auf Gestalt- und Lagerungsver-
hältnisse der Theile; sie bemühen sich, naturgemäſse Gruppen von
Organen und Systemen unter ein Formurbild im unentwickelten
Zustande zu bringen und aus einem Urbilde entstehen zu lassen.
An einen Versuch aber, das innere Wesen der Entstehung der
Organe und Gewebe begreiflich machen zu wollen, wagen sie sich
mit vollem Rechte von diesem Gesichtspunkte aus gar nicht.
Ihr Bemühen ist daher im strengsten und wahrsten Sinne des
Wortes morphologisch zu nennen d. h. das durch nüchterne Er-
fahrung über Form und Lage der Theile beobachtete unter ideale,
allgemeine Gesichtspunkte zu bringen, doch nicht die Natur nach
bloſs subjectiven Ideen zu modeln, sondern diese letzteren aus
den bekannten Realitäten zusammenzusetzen und erst nach ge-
machter Erfahrung entstehen zu lassen. Indem wir aber für diese
Richtung das Wort führen, müssen wir anderseits doch offen
bekennen, daſs bisweilen selbst von diesen Männern Manches in
die Beobachtung hineingelegt worden zu seyn scheint. Die Ent-
wickelungsgeschichte der Sinne, der Respirationsorgane u. dgl.
kann uns hier mehr, als ein Beispiel liefern. Es geht hier ge-
rade so, wie mit der Bestimmung der Analogien und Bedeutun-
gen der Organe, in welche ebenfalls so viele subjective Lieblings-
ideen sich eingeschlichen haben, ohne daſs der Autor sie für et-
was Anderes hielt, als für das Resultat einer rein objectiven Ver-
gleichung und die Frucht einer neuen, aber wahreren Auffassung
der Dinge.


Schon hier am Eingange der Darstellung kann die Annahme
der blättrigen Spaltung der Fruchtanlage uns über einen Grund-
unterschied zwischen den Wirbellosen und den Wirbelthieren
Aufschluſs geben. Bekanntlich war die Bedeutung des Ganglien-
stranges der Wirbellosen der Gegenstand fortwährenden Streites,
indem Einige ihn dem Gangliensysteme, Andere dagegen dem
Hirn- und Rückenmarkssysteme der Wirbelthiere gleichstellten und
dann den Eingeweidenerven als das Analogon des Nervus sympa-
[147]Unterschiede der Keimhaut.
thicus ansahen. Die Lagenverhältnisse der Theile hatten sogar zu
dem Ausspruche gebracht, daſs diese niederen Thiere nicht auf
ihrer Bauch-, sondern auf ihrer Rückenfläche einhergingen. Durch
Rathkes Untersuchungen ist in dieser Hinsicht sehr vieles Licht
verbreitet worden. (Siehe vorzüglich den Abschnitt hierüber in
seinem Werke über den Fluſskrebs. S. 77—91.) Bei den Wir-
belthieren nämlich bildet sich Hirn- und Rückenmark an der
äuſseren Seite des serösen Blattes, welches die Fleischschicht zum
Theil centrisch umgiebt, während der Extremitätengürtel an das
Rohr selbst sich lagert. Bei den Wirbellosen entsteht dagegen
der Ganglienstrang an der inneren, dem Dotter näher liegenden
Fläche des serösen Blattes, die Gliedmaſsen dagegen unmittelbar
an der äuſseren Seite desselben. Man kann also, wenn man die
sonst nur relativen Bezeichnungen von oben und unten hier ge-
brauchen will, mit Burdach den Satz aussprechen: „Das wirbel-
lose Thier bildet sich unter dem Dotter, das Wirbelthier über
dem Dotter.“ (Die Physiologie als Erfahrungswissenschaft II.
S. 612. 613.) v. Bär führt in seinen Corollarien (Ueber Ent-
wickelungsgeschichte der Thiere. Beobachtung und Reflexion.
1828. 4. Thl. I. S. 245—247.) dieses Verhältniſs durch einen
Vergleich noch deutlicher vor Augen. Die Entwickelung der
Wirbelthiere kann nämlich nach ihm durch die Form einer ara-
bischen Achte (8) versinnlicht werden, indem man den oberen
Kreis als Durchschnitt des Rohres für die Centraltheile des Ner-
vensystemes und deren sämmtliche Hüllen, den unteren dagegen
als den der plastischen Organe ansieht. Diese Art der Entwik-
kelung nennt er Evolutio bigemina (l. c. S. 164. fgg.). Die
wirbellosen Thiere dagegen haben nur eine evolutio gemina d. h.
ein einfaches in der Mittellinie sich schlieſsendes Rohr. Ihr Ty-
pus wird daher durch die Hälfte der Acht repräsentirt, doch so,
daſs an der unteren Vereinigungsstelle oder nach ihr hin die Cen-
traltheile des Nerven- und Gefäſssystemes zu liegen kommen.
Man muſs sich daher das für die Entwickelung der Wirbelthiere
geltende Schema für die Wirbellosen halbirt und umgekehrt den-
ken, wie es auch v. Bär bildlich dargestellt hat (l. c. tab. 3. fig. 8.
Vgl. Rathke in Burdachs Phys. II. tab. I. fig. 1—4. Fluſskrebs
tab. 3. fig. 1—8.). So ist nun die Verschiedenheit der Lage des
Ganglienstranges zu der des ganzen Körpers überhaupt durch
diese Urdifferenz der Entwickelung begründet. — Auch die ganze
10*
[148]Von dem Embryo.
Darstellung der Evolutionsgeschichte der Wirbelthiere muſs, wenn
sie nicht bloſs eine trockene Aufzählung der verschiedenen Ent-
wickelungszustände der Organe seyn, sondern die Rücksicht auf
das Ganze immer im Auge behalten will, die Form und Lage
der drei Blätter nothwendig in Betrachtung ziehen. Leider ist
dies gerade bei der Untersuchung von Säugethierembryonen nur
sehr wenig, von menschlichen dagegen noch gar nicht berück-
sichtigt worden. Der Grund des Letzteren liegt theils darin, daſs
man diese Distinction erst in der neuesten Zeit kennen gelernt,
theils darin, daſs man nur in höchst seltenen Fällen Früchte zu
untersuchen Gelegenheit hat, in welcher die verschieden entwik-
kelten Theile der drei Blätter als Urtypen für die folgenden Zei-
ten sich noch darstellen. Die aller Wahrscheinlichkeit nach in ge-
wissen Grenzen richtige Analogie mit dem Vogelembryo kann
und muſs auf diesem dunkelen Gebiete leiten.


Das seröse Blatt giebt den sogenannten animalen Orga-
nen und Hilfsorganen ihre Entstehung d. h. Hirn, Rückenmark,
Sinnen, Haut, Muskeln, Sehnen, Bändern, Knorpeln und Knochen;
das Schleimblatt den vegetativen d. h. Darmkanal, Lungen, Leber,
Milz, Pankreas u. a. Drüsen. Herz und Gefäſssystem entstehen
aus dem Gefäſsblatte, wenn dieses als ein gesondertes Blatt an-
zunehmen ist. Welchen Platz die Geschlechtstheile einnehmen,
ob sie dem Schleim- oder dem Gefäſsblatte angehören, ist zur
Zeit noch ungewiſs. Rathke hält es für wahrscheinlich, daſs sie
aus dem Gefäſsblatte entstehen. Näheres hierüber siehe unten
bei diesen selbst. — Ehe wir nun die Metamorphosen der ein-
zelnen Blätter gesondert durchgehen, müssen wir zuvor die Ver-
änderungen, welche in Folge der Befruchtung in der Fruchtan-
lage überhaupt sich ereignen, als die ersten Schritte zur Bildung
eines neuen individuellen Wesens, kürzlich betrachten.


Die Wirkungen desjenigen, was wir nach der Analogie Cas-
par Fr. Wolffs eigene oder wesentliche Kraft (vis essentialis)
nennen, ist hier die Veränderung des als Urrudiment gegebenen
Stoffes in die zur individuellen Ausbildung nöthigen Formen und
Gestalten. Die gleichmäſsig aus Körnern und einem zähen Bindemit-
tel bestehende und nur in der Dimension der Dicke etwas ungleiche
Fruchtanlage sondert sich in verschiedene, sowohl dem Aeuſseren
nach different gebildete, als der Masse nach mehr gleichmäſsig flüs-
sige und gleichmäſsig feste Theile. Die Beobachtung dieses Urvor-
[149]Sonderungen der Keimhaut.
ganges ist am Vogelembryo am leichtesten wahrzunehmen und
von Döllinger, Pander, Prevost und Dümas, Bär, Müller, Coste,
Delpech u. A. verfolgt worden. Nach diesen Erfahrungen und
eigener Anschauung läſst sich dieser Proceſs auf folgende Punkte
reduciren:


1. Die Fruchtanlage sucht sich mehr zu individualisiren und
von den sie umgebenden oder mit ihr verwachsenen Theilen zu
sondern, wenn sie schon früher den nothwendigen Grad von Selbst-
ständigkeit während der Ausbildung des Eies erlangt hat, oder,
wo dieses noch nicht geschehen ist, vorher eine solche eigene
Form zu erlangen. Das Erstere findet nach den bisherigen Er-
fahrungen bei allen Wirbelthieren, das Letztere bei mehreren
Wirbellosen Statt. So sah, wie schon angeführt worden, Herold
bei den Eiern der Spinnen und Rathke bei denen des Fluſskreb-
ses die Keimanlage in Folge des Beginnens der Entwickelung
über die Oberfläche des Dotters sich zerstreuen und nach diesem
Hergange zur mehr individuellen Fruchtanlage sich sammeln
(Burdachs Physiol. II. S. 190. 192. Fluſskrebs S. 8—11.). Der
Letztere fand dagegen nie etwas der Art bei Oniscus aquaticus
(Abh. Thl. I. S. 5.), bei Daphnia, Lynceus und Cyclops (Abh.
Thl. II. S. 87—94.). Bei Oniscus asellus (Abh. Thl. II. S. 72.)
u. O. Armadillo (Abh. Thl. II. S. 83.) dagegen scheint der groſse
äuſsere Theil der Keimhaut zu verschwinden und ist dann durch
kein Mittel wiederherzustellen. In den Wirbelthieren dürfte
eine solche Vorbereitung zur mehr individuellen Darstellung der
Fruchtanlage keinesweges nothwendig seyn, da sie, so viel bis
jetzt bekannt, in allen vier Klassen unmittelbar, wie sie in dem
Eie vor dem ersten Acte der Entwickelung (nach dem Bersten
und der Assimilation des Keimbläschens) enthalten ist, zur Son-
derung von den umgebenden Theilen schreitet. Doch mag viel-
leicht die von Prevost, Dümas und Bär bei Fröschen beschriebene
Furchung des Eies (Ann. des sc. nat. Tom. 2. p. 102. Frorieps
Notizen. Novemb. 1824. No. 176. S. 342. Burdachs Physiol. S.
223.), welche von der Fruchtanlage ausgehet, eine entfernte Ana-
logie liefern. In neuester Zeit ist jene auch von Baumgärtner
(über Nerven und Blut. 1830. 8.), bei Fröschen (S. 27.), Kröten
und Salamandern (S. 52.) gesehen worden. Auch wir können
ihre Richtigkeit nach eigenen Erfahrungen bestätigen. — Der
Individualisationsproceſs geht in den Vögeln auf folgende Weise
[150]Von dem Embryo.
vor sich. Wenn nämlich früher Fruchtanlage und Dotter genau
mit einander verbunden waren und an einander adhärirten, so
wird jetzt die Trennung derselben schon leichter und in einem
gröſseren Umkreise möglich. An der Peripherie jedoch bleibt in
den ersten Stunden der Brütung immer noch bei dem Versuche,
die Fruchtanlage von dem Dotter zu lösen, etwas von dem letz-
teren an der ersteren hängen (Bär l. c. S. 9., bei Burdach Phys.
S. 239.). Auch Panders Kern des Hahnentrittes oder z. Th. Bärs
Keimhügel wird so von der dadurch mehr blattförmig werdenden
Fruchtanlage immer mehr gesondert. Alle diese ersten und zar-
testen Nüancen der selbstständigen Sonderung der Fruchtanlage
treten so leicht ein, daſs sie nach unseren Erfahrungen sehr häufig
schon bei nicht bebrüteten Eiern wahrzunehmen sind. Eine jede
etwas höhere Temperatur, nicht bloſs die gewöhnliche Brutwärme
(28—32°) vermag schon diese leisen Effekte hervorzubringen.


2. Die mehr gesonderte Fruchtanlage geht in ihren verschie-
denen Dimensionen der Dicke (Tiefe), Breite und Länge verschie-
dene Theilungen ein, welche der Zahl nach einander entsprechen
und in ihren Bedeutungen gewisse Analogieen darbieten. Ganz
zuerst tritt die Spaltung in der Dimension der Tiefe hervor, doch
auch da nicht gleich vollständig, da das Mittelglied im Anfange
ganz mangelt und einige Zeit darauf nur schwach angedeutet ist.
Auf diese folgt nach einer kürzeren oder längeren Unterbrechung
die der Breite mit gleichem Zurückbleiben des Mittelgliedes und
zuletzt die der Länge mit zwar von Anfang an rudimentär ange-
deutetem, doch noch nicht functionell auftretendem Mittelgliede.
Bei der nun folgenden Betrachtung ist auſser eigenen, gröſstentheils
bestätigenden Erfahrungen, v. Bärs Darstellung (l. [c]. S. 160—163.)
bis auf einige kleine Veränderungen zu Grunde gelegt.


a. Die Keimhaut sondert sich in eine obere, dünnere, festere
und eine untere, dickere, mit anderen Körnern versehene Schicht,
welche freilich in der frühesten Zeit nie getrennt werden kön-
nen; doch aber durch Vergleichung der Textur der beiden Sei-
ten der Fruchtanlage oder durch Zerreiſsung derselben wahrzu-
nehmen sind. Zu ersterer Untersuchung dürfte ein mit aplana-
tischem Ocular versehenes Microscop sich am besten eignen; denn
hierdurch nur geht ein diese Art von Beobachtung nur zu leicht
verwirrendes Moment, der Blick in die Tiefe des Objectes, ver-
loren. (S. unten die Genese des Blutes.) Die obere Schicht
[151]Sonderungen der Keimhaut.
nennen wir mit Pander das seröse, die untere das Schleimblatt.
Zwischen beiden entsteht im Laufe der Entwickelung eine La-
melle zarter Kügelchen, in welcher Blutgefäſse und Herz sich
ausbilden. Man sieht zwar diese auch als ein gesondertes Blatt
an und nennt sie allgemein das Gefäſsblatt. Doch lassen sich
noch einige Gründe dagegen aufstellen.


b. Die Sonderung in der Dimension der Breite (Fläche) ist
zuerst dadurch angedeutet, daſs der Embryo sich bestimmter von
der ihn peripherisch umgebenden Dotteroberfläche trennt. Es bildet
sich nämlich um ihn ein Ring, welcher nach v. Bär (l. c. S. 11.)
nicht vollkommen kreisförmig ist, sondern aus zwei Bogenlinien
besteht und nach vorn und hinten sich einbiegt, während eine
den Embryo selbst umgebende kreisförmige Umgrenzung durch
Helle und Durchsichtigkeit sich auszeichnet. Hierdurch entsteht
zuerst nach der Mitte der Fruchtanlage (und des ersten Rudimen-
tes des Embryo) der Fruchthof, nach auſsen zu und gegen die
Peripherie hin der Dotterhof. Zwischen beiden bildet sich ein
neuer Hof, gleichzeitig mit dem Gefäſsblatte, der Gefäſshof und
eben so, wie dieses, zuerst als eine begrenzte Kügelchenschicht,
später als der Raum der Gefäſsbildung.


c. Die Sonderung der Theile in der Dimension der Länge
geht den beiden vorigen entsprechend eben so vor sich. Doch
kann hier die Trennung weniger rein seyn, da die einzelnen Or-
gane, wie es auch im ausgebildeten Zustande der Fall ist, keine
bloſse Nebeneinanderlagerung in einer geraden Linie, sondern eine
Ueberlagerung beobachten. Am meisten nach vorn (und zugleich
nach oben) liegt das Gehirn, nach hinten (und zugleich nach un-
ten) der Verdauungskanal. Zwischen beide und in die Mitte der-
selben legt sich später das Herz. Doch wenn einerseits die pri-
märe Darstellung des Darmkanal-Endes in der fovea cardiaca
diese Ansicht zu bestätigen scheint, so wird sie doch durch die
längs des ganzen Körpers verlaufende Anlage der Centraltheile
des Nervensystemes, so wie durch die mehr nach oben und vorn
rückende Einmündungsstelle der Verdauungsorgane und die Hin-
einbildung der Fortsetzungen des Herzens (der Blutgefäſse) in die
Organe nicht wenig getrübt. — Stellen wir nun diese drei Arten
von Spaltungen zusammen, so erhalten wir folgendes Schema:
[152]Von dem Embryo.

Anm. In den Dimensionen der Dicke und Breite, zum Theil
auch der Länge, kann man sich die Verhältnisse auch auf fol-
gende Weise vergegenwärtigen. Man denke sich die Fruchtan-
lage in der Dimension der Tiefe in drei Lagen, seröses Blatt,
Gefäſsblatt und Schleimblatt gespalten. Diese Lamellen sind je-
doch in der Flächen-Dimension von ungleicher Ausbreitung, und
zwar von geringerer das innere seröse, von gröſserer das mittlere
Gefäſs- und von gröſster das äuſsere Schleimblatt. Da jedes die-
ser Blätter seinen Repräsentanten in einem Organsysteme hat,
welches sich aus ihm hervorbildet, so müssen diese letzteren
durch diese nothwendige Bedingung ihres Ursprunges übereinan-
der gelagert seyn. Auſser dieser durch ihre verschiedene Entste-
hung aus verschiedenen Blättern gegebene Differenz der Lage in
der Dimension der Tiefe beobachten sie aber für sich eine ähn-
liche Differenz in der Dimension der Länge und so kann zwar
der Typus ihrer Ortsbestimmung als eine gerade Linie oder eine
gerade Richtung angesehen werden, jedoch so nur, daſs diese an zwei
Stellen getheilt ist und jeder Theil etwas nach unten abweicht.
Man sieht daher leicht, daſs genau genommen die Sonderung in Blät-
ter eine Trennung in Form der Linie (des durch Dicke der Frucht-
anlage gefällten Perpendikels), die in Höfe eine solche in der
Fläche und die in Organsysteme in Fläche und Linie zugleich
d. h. eine wahrhaft körperliche Trennung bedingt. Wahrschein-
lich geht auch so die Anordnung der Zeit nach in der Natur
selbst im Eie vor sich.


3. Diese ersten Veränderungen der Fruchtanlage ziehen auch
homogene Veränderungen des ganzen Eies und seiner einzelnen
Theile nach sich.


a. Das aus dem Mutterkörper entfernte Ei saugt Flüssigkei-
ten aus den umgebenden Medien an und giebt solche an diese wieder
zurück, geht also, wenn man will, einen wahren Assimilations-
und Respirationsproceſs ein. Die im Wasser sich entwickelnden
Eier vergröſsern sich bedeutend und schwellen an, welche Volu-
mensveränderung bis zu einem bestimmten Grade fortgeht und
[153]Sonderungen der Keimhaut.
ziemlich rasch vollendet wird. Sie correspondirt entweder mit
den ersten Sonderungen der Fruchtanlage oder geht dieser noch
voran. Die Beobachtungen Rathkes beim Fluſskrebse und Blen-
nius
, Prevosts, Dumas und Bärs bei Fröschen und Rusconis beim
Salamander stimmen hierin überein. Eben so nehmen die in der
Luft sich entwickelnden Eier Stoffe von dieser in sich auf. (S.
Frorieps Notiz. Bd 3. 1822. S. 20. fgg.) Doch ist die dadurch
entstandene äuſsere Veränderung, abgesehen von manchen ande-
ren Hindernissen, wie die harte kalkige Schaale, hier weit weni-
ger kenntlich, als im Wasser. Auch muſs später, wie Pfeils,
Prouts und Schwanns (vgl. Frorieps Notizen. 1834. No. 896. S.
241—245.) Beobachtungen zeigen, das Ei mehr Stoffe an die
äuſsere Luft abtreten, als von dieser empfangen, da es im Laufe
der Entwickelung einen nicht ganz unbedeutenden Gewichts-
verlust erleidet. Bei den Säugethieren ist die Stoffaufnahme in
der ersten Zeit so bedeutend, daſs sie jedem Beobachter auffallen
muſste. Die schon groſse Anschwellung des Eies bei seinem
Durchgange durch den Eileiter wird im Uterus selbst noch so
sehr vermehrt, daſs nach einer ungefähren Berechnung ein Ver-
hältniſs, wie 1:1240 dem kubischen Inhalte nach herauskommt.


b. Die Flüssigkeiten des Eies selbst beginnen ihre Metamor-
phosenreihe, welche durch die ganze Zeit des Embryonenlebens
und bisweilen sogar über diese hinaus sich fortsetzt. So wird
nach Carus der Dotter der Mollusken mehr aufgelockert und zel-
lig; der der Spinnen wird durchsichtiger und flüssiger; der der
Onisciden verändert bisweilen nach Rathke Gestalt und Farbe.
Der Dotter des Blennius viviparus vergröſsert sich nach Eben-
demselben auf Kosten des ganz schwindenden Eiweiſses (Abh.
Th. II. S. 7.). Dieses wird selbst zum Theil oder ganz aufge-
zehrt, verändert seine mehr zähe Consistenz in die flüssigere
Form; der Dotter wird weiſslich, dichter und öliger, wie wir
dies bei der Entwickelung der Amphibien und Vögel täglich zu
sehen Gelegenheit haben.


c. Es werden nun flüssige Stoffe in der Nähe der Fruchtanlage
ausgeschieden. So sieht man bei Vögeln die Dotterhaut nebst einem
Theile der Fruchtanlage durch eine darunter entstehende Flüssig-
keit sich emporheben und unter der ersteren einen wäſsrigen Stoff
sich ansammeln, welches Phänomen mit dem Schwinden des Ei-
weiſses zusammenhängt, überhaupt mit dem Näherrücken des Dot-
[154]Von dem Embryo. I. Seröses Blatt.
ters an die Eischaale verbunden ist und zur Bildung der soge-
nannten Halonen Veranlassung giebt. Nach Prevosts und Dumas
Darstellung scheint derselbe Proceſs auch bei Säugethieren vor
sich zu gehen.


Nich minder wird die Mischung der Fruchtanlage offenbar
mit Umänderung ihrer Form verändert. Leider giebt es zur Zeit,
um solche Metamorphosen zu erkennen, kein anderes Kriterium,
als die schon beschriebenen Sonderungen in den drei körperlichen
Dimensionen, bei denen die früher gleichmäſsig aus Körnern und
einem zähen Bindemittel bestehende Fruchtanlage in verschiedene,
dichtere und undurchsichtigere, flüssigere und durchsichtige Ab-
theilungen zerfällt. Dieser Gegensatz der Consistenzgrade findet
aber nicht bloſs im Anfange, sondern im Verlaufe der ganzen Ent-
wickelungszeit Statt und jede histiologische Sonderung beruht auf
dieser Urverwandlung des Festen in Flüssiges und des Flüssigen
in Festes. Denn kein Theil wird unmittelbar so ausgesondert und
abgesetzt, wie er im ausgebildeten Zustande, ja nur für eine Zeit
functionell hervortretend gefunden wird, sondern muſs an dem
Orte seiner Bestimmung selbst die genannten Cohäsionsverände-
rungen unter den ihm eigenen Verschiedenheiten durchgehen.


Wir werden nun die Entwickelung eines jeden der drei Blät-
ter der Keimhaut speciell betrachten und zuletzt erst, das Ganze des
Embryo wieder ins Auge fassend, auf die Entwickelung des indivi-
duellen Thieres überhaupt zurückkommen. Der Mensch wird na-
türlich das Hauptobject unserer Darstellung werden. Allein da
vorzüglich in früheren Stadien die Erfahrungen noch viel zu
mangelhaft und in einem groſsen Theile widersprechend und un-
richtig sind, wird häufig die Evolutionsgeschichte der Säugethiere
zur Ausfüllung der Lücken benutzt werden müssen. Wo selbst
diese nicht ausreicht, wie in der allerfrühesten Zeit der Entste-
hung, ist die Entwickelungsgeschichte des Vogelembryo das Lei-
tende und Ergänzende. Von den niederen, sowohl wirbellosen,
als Wirbel-Thieren wird nur vorzüglich das zum Verständniſs und
zur Erklärung der bei den höheren Thieren vorkommenden Er-
scheinungen Nothwendige hier einen Platz finden.


I. Seröses Blatt.


Der Zeit nach ist es bei den verschiedenen Thieren verschie-
den, ob die Fruchtanlage sich in einzelne Blätter sondert oder
[155]Erste Momente der Bildung des neuen Individuums.
die elementare Darstellung der Hauptsysteme des Körpers beginnt,
oder ob die Urscheidung in der Dimension der Tiefe oder in der
der Länge und Breite zuerst hervortritt. So scheint bei den
Spinnen der Gegensatz von Kopf und Rumpf eben so früh, wo
nicht früher angedeutet zu seyn, als die Urbildungen des serösen
Blattes, d. h. die Extremitäten, die Leibeswand und der später
erst sichtbare Ganglienstrang. Wenigstens läſst sich eine Sonde-
rung in differente Blätter durch keine Beobachtung in diesem frü-
hesten Zeitraume nachweisen. Der Urproceſs, welcher durch eine
Metamorphose der Keimanlage in die Fruchtanlage eingeleitet
worden, scheint sich auch insofern jetzt noch unmittelbar fortzu-
setzen, als an den Stellen, wo später differente Körpertheile zu
liegen kommen, in frühester Periode differente Massenanhäufungen
abgelagert werden. Die ähnliche Gestalt der Theile bei dem
Fluſskrebse, mehr noch in den Onisciden macht hier einen ähnli-
chen Vorgang wahrscheinlich. Bei Fischen geht nach Rathke’s Be-
obachtungen (in Burdachs Phys. II. S. 202. u. Abh. II. S. 10.
12.), die wir aus Embryonen von Perca und Cyprinus bestätigen
können, die Entstehung der Rückensaite der Spaltung der Frucht-
anlage in Blätter voraus. Bei den Amphibien scheinen beide
Processe gleichzeitig vorzugehen. In den Vögeln dagegen ist die
Sonderung in Blätter früher, als die Entstehung der Rückensaite
ja sogar des Primitivstreifens. Ueber die Säugethiere mangeln
hier durchaus noch alle Beobachtungen.


Wie v. Bär zuerst dargestellt hat, bildet sich um die vier-
zehnte Stunde der Bebrütung der von ihm sogenannte Primitiv-
streifen, d. h. eine Masse von losen, mit einander zusammenhängen-
den Kügelchen, welche in einer der Queraxe des Eies entsprechen-
den Längenreihe gelagert sind. Dieser Streifen ist schon mit blo-
ſsen Augen sichtbar, 1—1½ Linien lang und etwas über die Ober-
fläche, bis ⅓ Linie, erhaben (Bär üb. Entw. Gesch. Th. I. S. 12.
13. 14. und in Burdachs Phys. II. S. 242. 243.). Die Deutung
dieses Theiles ist sicher mit sehr vielen Schwierigkeiten verbun-
den. v. Bär drückt sich hierüber nicht ganz bestimmt aus und
nennt ihn Verläufer der Wirbelsäule. Allein man könnte ihn
eben so gut Vorläufer des Nervensystemes heiſsen. Er ist über-
haupt, wie auch Burdach und Bär an einem anderen Orte bemer-
ken, die Uranlage von Hüllen des centralen Nervensystemes aller
Art und von diesem selbst, eine Ansicht, welche, wie wir bald
[156]Von dem Embryo. I. Seröses Blatt.
sehen werden, der Erfolg der Entwickelung hinlänglich begrün-
det. Eben dieser Streifen, so wie die bald zu nennende Rücken-
saite sind auch von Bär und Burdach dazu benutzt worden, um
gegen Serres, Bourdon u. A. zu zeigen, daſs die ersten Rudimente
der Theile nicht zwei Hälften, sondern ein Ganzes wären, welches
sich später erst in zwei gleiche, nur in der Lage entgegenge-
setzte Hälften spalte. Allein solche Sätze sind überhaupt mehr
der Gegenstand metaphysischen Witzes und können und werden
nie durch Erfahrung und Beobachtung ins Reine gebracht wer-
den, da diese nicht die Entstehung selbst, sondern nur einen ent-
standenen Moment der Bildung zu belauschen vermag. So läſst
sich eben so gut, wie die urplötzliche Entstehung eines solchen
einfachen Streifens, der Fall denken, daſs von beiden Seiten die
Kügelchen der Fruchtanlage sich erheben und zu dem Primitiv-
streifen sich verbinden. Ueberhaupt werden wir bei vielen aus
zwei symmetrischen Hälften bestehenden Organen noch oft zu se-
hen Gelegenheit haben, daſs zuerst jede Hälfte auf ihrer Seite
besonders sich bildet, diese in einer Mittellinie zusammen kommen
und von Neuem symmetrisch sich theilen. Aus dem Gebiete der
beobachtenden Anatomie und Physiologie müssen solche Aufgaben
mit Recht entfernt bleiben.


Kurze Zeit, nachdem der Primitivstreifen bestanden, erhebt
sich zu jeder Seite desselben eine Falte oder eine Ansammlung
dichterer, körnerhaltiger Masse, deren Höhe in verschiedenen
Individuen variirt, doch aber häufig genug ½ Linie erreicht. v.
Bär läſst sie dadurch entstehen, daſs die Körnchen des Primitiv-
streifens auseinander weichen. Wir müssen dagegen diese dich-
tere Masse aus mehr als einem Grunde für ein durchaus neues
Produkt halten, während die Körnchen des Primitivstreifen wahr-
scheinlich wieder in Flüssigkeit umgewandelt werden. Döllinger
und Pander nannten diese bandartigen Theile Primitivfalten (Bei-
träge zur Entwickelungsgeschichte des Hühnchens im Eie. 1817.
fol. p. 9.), welche Bezeichnung aber durch die Entdeckung des Primi-
tivstreifens unrichtig geworden ist. Bär schlägt daher für sie den
Namen der Rückenplatten (über Entwick. gesch. S. 14.) oder
Spinalplatten (in Burdachs Physiol. II. S. 244. 416. u. m. a. O.)
vor. Gleichzeitig mit diesen oder bisweilen sogar noch etwas
früher bildet sich nach unten zwischen den beiden Rückenplatten
ein dunkeler Körnerstreif, die Rückensaite, welche aber nicht
[157]Erste Momente der Bildung des neuen Individuums.
unmittelbar mit den Spinalplatten zusammenhängt, sondern durch
eine helle, vollkommen durchsichtige und körnerlose Flüssigkeit
von ihnen getrennt ist. Von Bär glaubt in der Rückensaite ein
Analogon der in manchen Knorpelfischen vorkommenden einfachen
und gleichmäſsigen Knorpelsäule finden zu müssen und sieht sie
daher als Rudiment der Wirbelsäule zum Theil an. Ob mit
Recht oder nicht, lassen wir dahin gestellt. Doch können wir
wohl dann fragen, welche Bedeutung hat die die Rückensaite
umgebende durchsichtige, glashelle und feste Hülle, die sich bei
Fischen nach unseren Beobachtungen in die Wirbelsäule umwan-
delt? Wenn auch das äuſsere Ansehen der Rückensaite offenbar
eine gewisse Aehnlichkeit mit einem Knorpel darbietet, so spricht
doch die microscopische Untersuchung ihrer Structur entschieden
dagegen. Ueberall wo sie vorkommt besteht sie aus einer äuſse-
ren gleichmäſsigen, völlig durchsichtigen Hülle und mehr oder
minder groſsen Kugeln, die immer sehr zahlreich und dicht an
einander liegen. In den von ihnen gelassenen Zwischenräumen
befindet sich eine gallertige, vollkommen durchsichtige Masse.
Am gröſsten sind diese Kugeln bei Fischen und Amphibien, noch
kleiner bei Vögeln und kleiner bei Säugethieren. — Die über der
Rückensaite befindliche Flüssigkeit ist aber mit Recht als Urru-
diment des Centralnervensystemes anzusehen. Die Rückensaite
verdickt sich bald knopfförmig und bildet nach Bär so die erste
Grundlage des Schädels (über Entwickelungsgeschichte S. 16.).
Die zwischen den Rückenplatten enthaltene Flüssigkeit vermehrt
sich in gleichem Maaſse und so wird immer correspondirend Cen-
tralnervensystem und Hülle zugleich angelegt und vergröſsert.
Hirn- und Rückenmark sondern sich sehr früh und gleichzeitig
mit Schädel und Wirbelsäule, und diese ganze Trennung steht mit
der ersten Krümmung des Embryo, der Biegung der Rückenplat-
ten in inniger Verbindung. — Diese erste Periode der Entwicke-
lung ist aber nicht bloſs bei Vögeln, sondern auch in den übri-
gen Abtheilungen der Wirbelthiere mit Ausnahme des Menschen
beobachtet worden. Rathke hat sie bei Fischen wahrgenommen,
doch konnte er die Spinalplatten nicht mit Deutlichkeit unter-
scheiden. Eben so wenig Bestimmtes findet sich hierüber in den
Untersuchungen von Carus (Erläuterungstafeln zur vergl. Anat.
1831. Heft 3. tab. IV.) über Cyprinus Dobula und von Prevost
und Dumas (Frorieps Notizen 1831. No. 631. S. 225—232.) über
[158]Von dem Embryo. I. Seröses Blatt.
Mulus Gobio. Allein ihre Anwesenheit kann nach dem Verfolge
der Bildung kaum in Zweifel gezogen werden. Den Primitiv-
streifen haben Prevost und Dumas (Frorieps Notiz. 1824. Novemb.
No. 176. S. 342. 343.), so wie Bär (in Burdachs Physiologie S.
223.) bei Fröschen gesehen. Die ersteren haben ihn auch, so wie
die Rückensaite abgebildet (l. c. fig. R—V.). Bei den Vögeln
ist, wie v. Bär selbst bemerkt, der Primitivstreifen schon von
Pander (l. c. tab. 1. fig. 4. 5. tab. 2. fig. 2.) dargestellt worden.
Auch können vielleicht einige Zeichnungen in Wolffs Abhandlung
über Entstehung des Darmkanales hierher gezogen werden. Die
von Prevost und Dumas dagegen gegebenen Abbildungen sind
nicht ganz der Natur entsprechend. Deutlicher und richtiger sind
ihre Zeichnungen aus dem Eie des Hundes (Frorieps Notizen Jan.
1825. No. 188. fig. 5. a. u. fig. 6. b.) und, wenn auch aus einer
etwas späteren Zeit, aus dem des Kaninchens (ib. fig. 12.). Daſs
dieser erste Proceſs der Bildung auf eine ganz ähnliche Weise
auch bei dem Menschen vor sich gehe, dürfte eine mehr als bloſs
wahrscheinliche Vermuthung seyn. Er mag in den Anfang der
dritten oder das Ende der zweiten Woche fallen und, wie alle
frühesten Zustände bei der Bildung des Menschen, sehr rasch vor-
übergehen. Direkte Beobachtungen fehlen hier noch ganz und gar.


Wir haben schon bemerkt, daſs die Sonderung des Schädels
von der Wirbelsäule und des Hirnes von dem Rückenmarke sehr
früh und rasch eintritt. Die Bestimmung des Endes aber, wel-
ches zum Kopfe sich umwandeln soll, ist durchaus nicht zufällig,
sondern nur bei den zu dieser Zeit vielleicht noch vollkommen
sphärischen Eiern der Säugethiere für uns weniger kenntlich. Im
Vogeleie, wo die Längenaxe des Embryo in der kleineren Quer-
axe des Eies liegt, wird das nach Rechts gelegene Ende, wenn
man das stumpfe Ende des Eies als abgewandt, das spitze als
sich zugewandt ansieht, zum Kopfe des neuen Individuums. Diese
schon von Bär gemachte Beobachtung (üb. Entw. gesch. S. 12.
und in Burdachs Physiol. S. 242.) haben wir immer bestätigt ge-
funden und müssen jede Ausnahme hiervon als eine Miſsbildung,
welche in schlechter Lage oder anderen äuſseren Hindernissen
ihren Grund hat, ansehen. Das Kopfende sondert, verdickt und
verbreitert sich immer mehr, während das Schwanzende noch im-
mer mehr oder minder mit der übrigen körnerhaltigen Masse der
Fruchtanlage verschwimmt. Diesen Zustand finden wir bei Pre-
[159]Erste Momente der Bildung des neuen Individuums.
vost und Dumas aus dem Kaninchen (l. c. fig. 12.) ziemlich na-
turgetreu dargestellt. Bald aber tritt auch am hinteren Ende die
Sonderung deutlicher hervor. Die Rückenplatten verdicken sich
zwar auch hier, doch weniger als am vorderen Ende, dafür ver-
breitert sich der durchsichtige Zwischenraum um so mehr und
nimmt, während die ganze Andeutung des Embryo sich rasch ver-
längert, eine rhombische Gestaltung an, wie sie am Vogelembryo
von Wolff, Haller, Döllinger, Pander, Bär, Prevost und Dumas
u. A. beschrieben und abgebildet worden. Bei Säugethieren ha-
ben Meckel, Prevost u. Dumas u. A. denselben Zustand beobach-
tet. Die Letztgenannten stellen ihn aus dem Hunde (l. c. fig. 7. 6.)
und aus dem Kaninchen (fig. 13.), doch nicht vollkommen natur-
getreu, dar.


Unterdeſs gehen zwei wichtige Veränderungen in den Rük-
kenplatten vor sich: 1. die Schlieſsung u. 2. die Krümmung der-
selben. Die beiden Spinalplatten vergröſsern sich so, daſs ihre
inneren Ränder näher rücken, zusammenstoſsen und sich verbin-
den, so daſs nun ein geschlossenes Rohr (Anlage der Wirbelsäule
und des Schädels nebst Decken) entsteht, welches eine abgeson-
derte Flüssigkeit (Rudiment von Hirn und Rückenmark) enthält.
Die Krümmung der Rückenplatten geschieht am vorderen Ende
und bildet sich schnell aus, so daſs durch sie erst die Trennung
von Schädel und Wirbelsäule, von Hirn und Rückenmark schär-
fer marquirt wird. Nachgewiesen ist dieser Proceſs erst durch
unmittelbare Beobachtung von v. Bär am Vogelembryo (üb. Entw.
gesch. S. 16. in Burdachs Physiol. S. 246.). Durch den Erfolg
dagegen ist auch dieser Vorgang bei Säugethieren documentirt.
— Ist nun die Bildung in dem serösen Theile der Fruchtanlage
so weit vorgerückt, so folgt sowohl die Bildung der Centraltheile
des Nervensystemes, als die ihrer Umhüllungen nebst dem noch
nicht metamorphosirten Theile des serösen Blattes seiner eigenen,
bestimmten Richtung. Beide müssen daher im Vortrage von nun
an der Deutlichkeit wegen getrennt und besonders behandelt wer-
den. Doch ist die Verbindung zwischen den Centraltheilen des
Nervensystems und deren häutigen Hüllen zu innig, als daſs sie
füglich von einander gesondert werden könnten. In die erste Ab-
theilung gehört Hirn und Rückenmark nebst deren häutigen Hüllen,
in die zweite Haut (äuſsere), Muskeln, Sehnen, Bänder, Knochen,
Knorpel, Zellgewebe. Endlich muſs noch, wie dies später sich zei-
[160]Von dem Embryo. I. Seröses Blatt.
gen wird, als wahres Mittelglied zwischen diesen beiden Abtheilun-
gen und zwar als Anhang der ersten, die Entwickelungsgeschichte
der beiden höheren Sinnesorgane, des Auges und des Ohres, ab-
gehandelt werden.


A. Gehirn und Rückenmark nebst deren häutigen
Umhüllungen.


Die von den Rückenplatten und der Rückensaite eingeschlos-
sene Flüssigkeit stellt das Urrudiment von Hirn und Rückenmark zu-
gleich dar, und Burdach streitet daher mit Recht gegen die Ansicht,
als sey das Hirn für einen aus dem Rückenmarke hervorgewach-
senen Theil anzusehen. Der Gegensatz beider entsteht durch all-
mählige Individualisation der nach gewissen polaren Contrasten
sich hervorbildenden Organe. Anfangs ist die einfache Hirnblase
dem einfachen Rückenmarksrohre entgegengesetzt. Bald jedoch
beurkundet das Hirn durch weitere Ausbildung seine höhere Be-
deutung. Der Kopf trennt sich durch die immer spitzer wer-
dende Biegung, welche am Ende des ersten Tages bei dem Hüh-
nerembryo eintritt. Bei den Säugethieren scheint sie sich der
Zeit nach etwas später verhältniſsmäſsig zu bilden. Jedenfalls
deutet diese Krümmung des Embryo auf die hohe Wichtigkeit
des Hirnes überhaupt, so wie insbesondere auf einen gewiſs tief
eingreifenden Proceſs, da sie in anderer Form auch im Schleim-
blatte eben so auftritt, sich in der Folge mehrere Male wieder-
holt und mit der Ausbildung von Organen oder Organtheilen im-
mer auf das Innigste verbunden ist. Bald jedoch bilden sich
beim Hühnerembryo nach Bär (l. c. S. 23. bei Burdach l. c. S.
252.) am Beginne des zweiten Tages statt der einfachen Hirn-
zelle mehrere und zwar eine vordere, eine mittlere und eine hin-
tere mit sinuösen Wandungen versehene Hirnzelle. Diese entste-
hen nicht etwa dadurch, daſs die eine aus dem Innern der ande-
ren hervorwächst, sondern dadurch, daſs die ganze Hirnblase sich
in der Dimension der Länge verhältniſsmäſsig bedeutender, als in
[]der Breite vergröſsert und späterhin von auſsen nach innen
sich einschnürend diese Abtheilungen bildet. Die Sinuosität in
den Wänden der hinteren Hirnzelle ist ein Stehenbleiben in der
Mitte dieses Abschnürungsprocesses. Die drei Zellen entsprechen,
wie der Verfolg der Ausbildung es lehrt, folgenden späteren
Theilen: Die vorderste dem groſsen Gehirn, die mittlere den
Vierhügeln und ihren Nachbartheilen und die hinterste dem ver-
längerten
[161]Gehirn und Rückenmark.
längerten Marke und seinen Nachbartheilen. Auch ihr Contentum
ist zuerst durchaus flüssig und durchsichtig. Später setzt sich
eine mehr körnige Masse an der Peripherie an, während das In-
nere flüssig bleibt. Man hat häufig Gelegenheit, die genannten
Hirnzellen selbst an Embryonen der Säugethiere wahrzunehmen.
Am schönsten hat sie von Bär aus dem Hunde (de ovi mamma-
lium et hominis genesi
. 1827. 4. fig. 7.), Rathke aus dem Schaafe
(Meck. Arch. 1830. tab. I.), Joh. Müller (ibid. tab. XI.) u. vor-
züglich Burdach (de foetu humano adnott. acad. 1828. fol. fig.
1. 2.) aus dem Menschen dargestellt. Doch sind in allen diesen
Abbildungen die Begrenzungen derselben weit weniger scharf
ausgedrückt, als sie in dem ganz frischen Fötus sich zeigen. Es
werden aber diese durch jede Flüssigkeit, selbst das reine Was-
ser nicht ausgenommen, undeutlicher, da die Hirnwände sehr
bald an Durchsichtigkeit viel verlieren. Die einzelnen Zellen
zeigen zwar bei den einzelnen Säugethieren kleine Verschieden-
heiten der Form sowohl, als der zeitlichen Ausbildung, die je-
doch so unbedeutend sind, daſs eine wichtigere Abweichung we-
der unter einander, noch von dem Typus des Vogelembryo Statt
findet. Bei dem Menschen fällt die erste Ausbildung der Hirn-
zellen wahrscheinlich in die dritte Woche.


Eine andere Frage ist es, ob diese Hirnzellen in offener Ver-
bindung mit einander stehen oder nicht. Schon aus der Natur
ihrer Genese folgt es, durch eigene Untersuchung an durch-
schnittenen Köpfen sehr junger Schaafembryone ist es gewiſs,
daſs eine Communication in frühester Zeit Statt finde. Auch Tie-
demann (Anatomie und Bildungsgeschichte des Gehirns. Nürnb.
1816. 4. S. 9.) hatte Aehnliches an drei menschlichen Embryo-
nen aus dem Anfange des zweiten Monates zu sehen Gelegenheit.
Die partielle Schlieſsung erfolgt aber bald, wenigstens zu einem
groſsen Theile, beim Schweine und Schaafe und wahrscheinlich
auch bei dem Menschen sehr früh in der Grenze zwischen Groſs-
hirn- und Vierhügelblase. Abgesehen von dem Massenansatze im
Innern wird diese Trennung durch eine von der um diese Zeit
schon sehr festen basis cranii kommende Falte bewirkt. Ein
ähnlicher, aber kleinerer Vorsprung bildet sich an der Grenze
zwischen Vierhügelzelle und Zelle des verlängerten Markes noch
vor Ablaufe des zweiten Monates. Man findet daher bei dem
Menschen dann drei gesonderte, blasenartige Kugeln. Vier blasen-
11
[162]Von dem Embryo.
förmige Körper dagegen, wie C. H. Weber sie gefunden hat (Meck.
Arch. 1827. S. 227.), sind erst das Resultat einer weiter vorge-
schrittenen Bildung. Die ferneren Metamorphosen dieser Theile
müssen wir aber für jetzt wieder auf das Vogelhirn basiren, weil
die bisherigen Untersuchungen an Säugethieren und dem Menschen
nur Bruchstücke geliefert haben.


Frühzeitig tritt bei dem [Hühnchen] in den Centraltheilen des
Nervensystemes eine Differenz zwischen Spinal- und Visceralseite
ein, indem an der letzteren gröſsere Anhäufung soliderer Kügelchen-
substanz und Faserung eher sich zeigt, als an der ersteren. So ge-
schieht dies im Rückenmarke zuerst an der unteren Fläche und spä-
ter erst an der oberen; im Gehirn dagegen schreitet die Bildung von
der Basis nach oben vor sich. In ihr ist auch das frühere Ende der
Rückensaite als bestimmendes Glied enthalten. Denn dieses ist
nun bei der erfolgten Biegung und Krümmung des Schädels und
Hirnes nach unten vorgerückt, und nach v. Bär finden wir bald
an seiner Stelle Trichter und Hirnanhang (l. c. S. 30. in Burdachs
Phys. II. S. 259.). Daher auch Burdach, welcher mit Recht den
Nabel als Centrum der Fötuskrümmung ansieht, hypophysis und
infundibulum als Centrum der Schädelkrümmung und der Hirn-
bildung betrachtet (de foetu humano p. 3.). Von unten aus ge-
schieht hier jede neue Ablagerung festerer Masse, also jede hi-
stiologische, zum Theil auch morphologishe Sonderung, während
von oben her durch Einfurchung die Trennung in zwei symme-
trische Seitenhälften vollführt wird. So werden sehr früh die
Hirnschenkel zwar schwach, doch kenntlich genug angedeutet
(Bär l. c. S. 65. bei Burdach S. 295.). Seh- und Streifenhügel
fehlen noch ganz. Der Sehnerve ist zwischen Groſshirn- und
Vierhügelblase deutlich zu erkennen. Eben so bald auch der
Riechnerve (Bär l. c. S. 65.) und wahrscheinlich der Hörnerve. Auch
die untere Wand der Zelle des verlängerten Markes verdichtet
sich rasch an der Basis und bildet, während ihre Oberfläche von
einer äuſserst feinen Marklamelle bedeckt wird, den frühesten
Zustand der vierten Hirnhöhle in ihrem Innern. Vor dieser
Höhle breiten sich nun die Rückenmarksblätter (Visceralstränge,
Urrudimente der strickförmigen Körper) zu einem rundlichen Blätt-
chen jederseits aus, welche beide nach vorn und oben zusammen-
stoſsen und die Rudimente des kleinen Gehirnes darstellen. (Bär
l. c. S. 75. bei Burdach S. 306.) Auch die Vierhügel erhalten
[163]Gehirn und Rückenmark.
eine deutliche Höhlung im Inneren, welche v. Bär die sylvische Höh-
lung nennt und die später zum Aquaeductus Sylvii gröſstentheils
wird. Die Seitenventrikel bilden sich mit Seh-, Streifenhügel und
Hemisphärenmasse hervor. Die Visceralstränge marquiren sich
deutlicher, endigen sich zuerst nicht mehr, wie früher, am hin-
teren, sondern am vorderen Ende des Trichters und scheinen sich
bald nach den Seitenventrikeln hin umzuschlagen (v. Bär l. c. S.
76. bei Burdach S. 307.), wogegen jedoch Huschke’s Erfahrungen
(Meck. Arch. 1832. S. 15.) sprechen dürften. Der zwischen
kleinem Gehirn und Vierhügelblase befindliche Kanal wird länger
und die Letztere verhältniſsmäſsig bedeutend vergröſsert. Das
Hirn ist nun am meisten in sich gekrümmt, und mit dieser Krüm-
mung haben sich die Stränge der Grundfläche mehr nach vorn
hin verbreitet (Bär l. c. S. 85. 86. bei Burdach S. 317. 318.).
Unterdeſs hat sich auch die Hülle vom Nervenmarke bestimmter
gesondert, zuerst am Rückenmarke, dann am Gehirne. Jede frü-
her durch eine bloſse Flüssigkeit begrenzte Spaltung der Nerven-
masse wird durch Markplatten oder durch eine Fortsetzung der
Gefäſshaut geschlossen. Seh- und Streifenhügel, Hirnanhang und
andere Theile werden kenntlicher (Bär l. c. S. 103—105. bei Bur-
dach S. 333—335.), bis das Vogelhirn überhaupt alle seine Theile
der Zahl nach, wie im erwachsenen Zustande, der Form nach
aber von diesem bedeutend abweichend enthält.


Vergleichen wir hiermit die Reihe der an den Säugethieren
angestellten Beobachtungen, so ist J. F. Meckel d. j. zuerst zu
nennen, da er die frühesten Formen des Gehirnes und Rücken-
markes bei Kaninchen (Meckels deutsches Arch. I. S. 35.) und
Schaafen (l. c. S. 43.), zum Theil auch dem Menschen (l. c. S.
76.) zu sehen Gelegenheit hatte. Leider aber fehlt jenen Beschrei-
bungen und Abbildungen oft der wünschenswerthe Grad von
Deutlichkeit, und wir werden daher von ihnen nur dasjenige her-
vorheben, welches mit dem Vogelhirne und den Beobachtungen
Anderer in Analogie steht. Mehr Licht kann dagegen die von
Tiedemann mit musterhafter Genauigkeit aus einem siebenwö-
chentlichen, 7 Linien langen (l. c. S. 11—15.) und von C. H. We-
ber aus einem 8½ Linien langen (Meck. Arch. 1827. S. 227.) Embryo
entnommene Beschreibung verbreiten. — Auch bei den Säuge-
thieren finden sich die genannten drei Hirnzellen, wie bei den
Vögeln. Schon Harvey, welcher sie beim Vogel auch gesehen
11*
[164]Von dem Embryo.
und als Groſshirn-, Augen und Kleinhirnblase gedeutet hatte (de
generatione animal. Exerc
. LVI. Ed. Amstelod. 1651. 12. p.
356.), sagt bei Beschreibung der zarten Embryonen des Damm-
hirsches aus der Mitte des Novembers (l. c. exerc. LXIX. p.
447.): „Caput ex tribus vesiculis sive globulis parvis imper-
fecte compositum cernitur.
“ In neuerer Zeit beobachtete sie
Meckel am Kaninchen (l. c. tab. 1. fig. 1—3.), dem Schaafe (l.
c. tab. 1. fig. 22—26.) und dem Menschen (l. c. tab. 2. fig. 1.
2.), Tiedemann (l. c. tab. 1. fig. 2.) und E. H. Weber (l. c. tab.
3. fig. 5.) dem Menschen, Joh. Müller (Bildungsgeschichte der
Genitalien. 1830. 4. tab. 3. fig. 1.) bei der Maus und bei dem
Menschen (de ovo hum. atque embryone obs. anat. 1830. 4. p. 4.
Meckels Arch. 1830. S. 431.) und wir selbst am Kaninchen, der
Ratte, dem Schweine, dem Schaafe, dem Maulwurfe und zum
Theil dem Menschen. Eben so setzt sich hier wie im Vogelhirne,
die Masse von unten nach oben an. An der Basis erfolgt der erste
Körnchenniederschlag und späterhin die erste Spur von Faserung.
Hierauf beruht auch die von Meckel, Tiedemann und Weber an-
gegebene frühe Entstehung der Hirnschenkel, da diese Männer
den dichteren Stoff an der unteren Fläche zwischen Vierhügel-
und Groſshirnblase mit diesem Namen belegen. Doch sey mir
die Bemerkung hier erlaubt, daſs man bei der Deutung der Urru-
dimente keines Theiles vorsichtiger seyn müsse, als der des Hirnes.
Denn hier existiren offenbar schon früher die einzelnen Gebilde
als äuſserst feine Nüancen der halbflüssigen Masse, bevor sie durch
gröſsere Stoffanhäufung leichter der Beobachtung zugänglich sind.
Dies zeigt vorzüglich die Bildung der einzelnen Hirntheile als
Fortsetzungen der Visceralstränge, wie später noch bemerkt wer-
den soll. Das centrale Nervensystem überhaupt sondert sich ohne
Zweifel auch früher morphologisch, als histiologisch. Daher ist
auch die Idee, als entstehe das Hirn- und Rückenmark aus dem
Umschlagen gewisser Blätter (der Visceralstränge) durchaus man-
gelhaft und unrichtig.


Die weitere Ausbildung der einzelnen Hirnblasen hängt, wie
schon Meckel und Tiedemann, vorzüglich aber Burdach (Physiol.
II. S. 424.) bemerkt haben, mit der Krümmung des Embryo über-
haupt zusammen. Wie nämlich die Neigung der vordersten Hirn-
blase gegen die Visceralwand hin abnimmt und die spitzwinkli-
gere Einknickung des Kopfes mehr zu kreisförmigen Begrenzun-
[165]Gehirn und Rückenmark.
gen verflieſst, wird die erste Hirnzelle auch länger und bald durch
eine von oben sich einsenkende Furche in zwei symmetrische
Hälften getheilt. Durch gröſseren Massenansatz an der Basis wer-
den die an der Stelle der späteren Hirnschenkel befindlichen
Theile verlängert und mehr ausgebildet. Ihre Divergenz vermehrt
sich, wie Schönlein (von der Hirnmetamorphose. 1816. 8. S. 60.)
vermuthet, im Laufe der Entwickelung und sie rücken auch hier
wahrscheinlich, wie bei den Vögeln, noch mehr gegen die Basis
hinab, um den Trichter zu bilden. Tiedemann konnte diesen zwar
im Anfange des zweiten und dritten Monates noch nicht finden, sah
ihn aber, wie dieses Wrisberg schon bemerkt hatte (historia em-
bryonis p.
25.), späterhin um so mehr vergröſsert und ausgebildet (l.
c. S. 172.). Auch Meckel und Weber erwähnen in ihren Beschrei-
bungen zeitiger Embryonen dieses Theiles durchaus nicht. Allein
er entgeht um so leichter dem Beobachter, je mehr er in der
um diese Zeit schon ziemlich festen Schädelbasis verborgen liegt
und man muſs, um ihn zu erhalten, die knorpeligen Seitenwände
erst entfernen, bevor er vollständig zu Gesichte kommen kann.
Auf diese Weise habe ich ihn an einem Embryo aus dem An-
fange des dritten Monates, so groſs wie ein Stecknadelknopf, ge-
funden, wie Döllinger (Bildungsgeschichte des mensch. Gehirns.
1814. fol. p. 18.) ihn auch um diese Zeit gesehen hat, eine starke
halbe Linie im Durchmesser haltend. Er war deutlich hohl,
röthlich von Farbe und dem Hirne selbst näher, als im Erwach-
senen. Seine Communicationsöffnung mit der dritten Hirnhöhle
lieſs eine feine Borste bequem hindurch. Die Anhäufung solide-
rer Stoffe tritt nun von da mehr nach vorn und bildet zuerst die
Ganglien des groſsen Gehirnes, Seh- und Streifenhügel, welche
gegen Ende des zweiten Monates schon bestimmt angedeutet
sind. Zuerst sind die letzteren schmäler und kürzer, als die er-
steren. Doch bald kehrt sich das Verhältniſs in das entgegenge-
setzte um, während beide, nach Burdachs Angabe (Physiol. II.
S. 429.) bis zum zehnten Monate, durch eine tiefe Furche ge-
trennt bleiben. Eine gleiche Furche scheidet die beiden Sehner-
venhügel von einander. Doch sind die Beobachtungen hierüber
abweichend. Die Gebrüder Wenzel (de penitiori structura ce-
rebri hominis et brutorum
. 1812. fol. p. 311.) sahen sie nur
zwei- und Döllinger (l. c. p. 5.) ein Mal schon im Fötus mit ein-
ander verbunden, während Carus (Darstellung des Nervensyste-
[166]Von dem Embryo.
mes 1814. 4. S. 295.) den verwachsenen Zustand nur als Norm
betrachtet und Meckel (deutsches Archiv. I. S. 380.) diesen Aus-
spruch dahin berichtigt, daſs sie nur in frühester Zeit des Fötus-
lebens getrennt seyen. Wir selbst haben sie zu Anfange des
dritten Monates schon bestimmt verbunden gesehen. Eben so
müssen wir mit Meckel (l. c. S. 381.) den Streit, ob die Sehhü-
gel oder die nach Tiedemanns Vorschlag (l. c. S. 134.) Anschwel-
lungen der Hirnschenkel zu nennenden Theile anfangs hohl seyen
(Gall Anat. u. Phys. d. Nerv. syst. Bd. 1. S. 144.) oder nicht
(Döllinger l. c. p. 5.), dahin berichtigen, daſs sie in der ersten
Zeit (Ende des zweiten Monates) hohl, späterhin aber solid ge-
funden werden, eine Bildung der Art bei Erwachsenen jedoch durch-
aus als krankhaft angesehen werden müsse. Vermöge der zuerst
noch sehr dünnen Wandungen des groſsen Gehirnes liegen diese
Theile der äuſseren Oberfläche näher, als im erwachsenen Zu-
stande. Vorzüglich kann dieses von der Richtung nach den bei-
den Seitenflächen hin behauptet werden. Früher jedoch etwas
zurückbleibend, später dagegen mit desto gröſserer Schnelligkeit
legt sich bald eine Massenschicht um die innere Seite der Auſsen-
fläche der vordersten Hirnblase herum, um die Hemisphären zu
erzeugen. So entsteht Döllingers groſse Hirnwulst (l. c. p. 6.)
und Burdachs fächerförmige Ausstrahlung (Physiol. II. S. 429.
de foetu humano tab. I. fig. 3.), welche zum Theil die Grund-
lage der Hemisphären bildet. Diese sind zuerst dünn, bedecken
im Anfange nur die Streifenhügel und wachsen erst zu Ende des
dritten Monates über die Sehhügel herüber. Mit fortschreitender
Ausbildung nach allen Dimensionen überdecken sie vom vierten
Monate an die Vierhügel immer mehr (Tiedemann l. c. tab. 1.
fig. 6.), bis sie im sechsten Monate die vorderen Lappen des klei-
nen Gehirnes erreichen (Burdach Physiol. II. S. 430.). Im vier-
ten Monate zeigt sich die fossa Sylvii als eine kleine, noch
ziemlich seichte Vertiefung. An der Oberfläche entstehen die
Windungen nach Tiedemann (l. c. S. 141.) im vierten Monate,
nach meinen Beobachtungen schon gegen Ende des dritten *) als
[167]Gehirn und Rückenmark.
seichte Einschnitte, in welche Falten der Gefäſshaut sich einsen-
ken. Da die harte Hirnhaut in dieser frühen Zeit fest mit der
weichen Hirnmasse zusammenhängt, so bedarf es der gröſsten Vor-
sicht bei der Trennung beider, um die ersten Spuren der sulci
und gyri wahrzunehmen. Sie entstehen einzeln als schmale
Einschnitte, sind zuerst ohne unmittelbaren Zusammenhang mit
einander und liegen daher bis zum Anfange oder der Mitte des
vierten Monates auf der Oberfläche der Hemisphären wie zer-
streut. Bis zum siebenten Monate nehmen sie wenig, später aber
mehr und rascher zu, so daſs sie im achten, spätestens zu An-
fange des neunten Monates ihre völlige Ausbildung haben. Ob die
primär gebildeten sulci wieder verwachsen und dann neue entste-
hen, wie J. Fr. Meckel (Arch. I. p. 400.) will, oder nicht muſs ich
dahin gestellt seyn lassen. Jedenfalls aber hat Almás (Paulus
Balogh de F. Almás de evolutione et vita encephali
. 1823.
8. p. 81.) Unrecht, wenn er behauptet, daſs dieses aller Analogie
widerstreitet, da z. B. an den Nieren dasselbe Phänomen her-
vortritt. — Mit dem Beginne des dritten Monates wird der An-
satz soliderer Masse in der Mittellinie der vorderen Hirnblase
unterhalb der Einfurchung derselben stärker, und so zeigt sich am
Ende desselben Monates eine noch verhältniſsmäſsig schmale Com-
missur, welche in diesem noch weniger ausgebildeten Zustande ge-
raume Zeit stehen bleibt und, ohne bedeutend gröſser oder dik-
ker zu werden, mit den Hemisphären sich verlängert, bis sie im
siebenten Monate auch die dritte Hirnhöhle vollkommen deckt.
Sie documentirt sich aber schon früher durch ihre erkennbare
Querfaserung als Fortsetzung und seitliche Umbiegung des vorde-
ren Endes der Hirnschenkel, als Balken (Tiedemann S. 155. 156.).
Das Gewölbe bildet sich nach Burdach (Physiol. II. S. 431.)
gleichzeitig, nach Tiedemann (l. c. 163.) und meinen Untersuchun-
gen etwas später als der Balken (Ende des dritten Monates). Zu-
erst erscheinen zwei kleine schmale Leisten (crura fornicis an-
terioria
nach Tiedemann), welche später an einander stoſsen und
verwachsen. Die Scheidewand zeigt sich im dritten Monate an
ihrem untersten Theile zuerst (Tiedemann l. c. S. 165.); ihre
Marklamellen bilden sich dagegen erst im fünften Monate voll-
kommen aus (Burdach Physiol. II. S. 432.) und folgen überhaupt
der Entwickelung und mehr horizontalen Lagerung des fornix.
Die Entstehung einer geschlossenen Höhle (des Ventrikels) in den-
[168]Von dem Embryo.
selben fällt in den letzten Monat der Schwangerschaft, da bis
dahin die beiden Lamellen unten nicht an einander liegen (Bur-
dach Physiol. II. S. 432.). Doch beschreibt Döllinger (l. c. S.
12.) die Höhlung schon genau aus dem Fötusgehirne und bildet
sie aus dem siebenten Monate ab (l. c. tab. 1. fig. 1. m.). Die
Hirnschenkel nehmen anfangs immer noch verhältniſsmäſsig zu,
werden im vierten Monate deutlich faserig (Tiedemann l. c. S.
149.) und erhalten dann eine von den Spinalsträngen kommende
Verstärkung, die sie bedeckende Haube (Burdach l. c. S. 427.).
Gegen Ende des Fötallebens sind diese Theile dichter und fester,
als die übrige Hirnmasse. In Bezug auf die Entstehung der emi-
nentiae candicantes
hat Tiedemann offenbar seinen eigenen Be-
obachtungen widersprechende Resultate angegeben. Er läſst sie
nämlich gegen Ende des dritten Monates als eine einfache Erha-
benheit sich bilden und erst gegen den siebenten Monat durch
eine Längsfurche sich theilen (l. c. S. 162.). Nichtsdestoweniger
beschreibt er schon dieselben als getrennte Körperchen aus der
eilften Woche (l. c. S. 19.). Nach dem, was wir zu beobachten
Gelegenheit hatten, ist ihre Entstehung mit der des grauen Hü-
gels innig verbunden. Es entsteht nämlich frühzeitig (noch vor
der Mitte des dritten Monates) vor dem Trichter eine kleine Er-
habenheit, welche sich bald in den grauen Hügel und zwei nach au-
ſsen liegende, zierliche Fortsätze, die eminentiae candicantes,
trennt. Diese liegen anfangs näher beisammen, sind jedoch schon
früh durch einen ziemlich bedeutenden Zwischenraum getrennt
und rücken erst gegen Ende des Fötuslebens wieder näher an
einander. Die durch Fasern vollbrachte Verbindung mit der in-
neren Seite der Sehhügel sah Tiedemann schon im vierten Mo-
nate (l. c. S. 35. tab. II. fig. 4. g. g. m.). Nach ihm fehlt auch
im zweiten und dritten Monate jede Spur des Ammonshornes (l.
c. S. 169.). Doch kann man seine Urandeutung in der zwölften
Woche schon wahrnehmen, wenn man die ganze Hemisphäre
auf die unten noch zu beschreibende Weise entfaltet, wo es neben
der später das abstreigende Horn von dem mittleren trennenden
Masse als eine kleine Erhabenheit wahrzunehmen ist. Im vierten
Monate bildet es eine deutlich hervorspringende Falte (Wenzel l.
c. p. 139. 141.), in welche sich eine Duplicatur der Gefäſshaut
legt (Tiedemann l. c. S. 170.). Mit der Verlängerung und Ver-
gröſserung des groſsen Gehirnes steigt es mehr abwärts, verbindet
[169]Gehirn und Rückenmark.
sich mit Fasern des Bogens und verharret so bis zum sie-
benten oder achten Monate, wo der Eingang in die Falte durch
die gröſser gewordenen Windungen verdeckt wird. — Der pes hip-
pocampi minor
zeigt sich im vierten Monate als eine Falte der
dünneren Hemisphären (l. c. S. 171.) und bleibt als Falte selbst
im Erwachsenen (Wenzel l. c. p. 145.). — Die Entstehung der
Zirbel ist nach v. Bär (über Entwick. gesch. S. 130. bei Burdach
S. 363.) beim Vogel folgende: Die Sehhügel sind in früherer
Zeit durch eine feine Marklamelle verbunden, welche in die ur-
sprüngliche Decke der dritten Hirnhöhle sich fortsetzt, im Laufe
der Entwickelung hinten zur hinteren Commissur wird, nach oben
aber sich erhebt und die Zirbel darstellt. Die letztere ist daher
nach ihm die aufgehobene, obere Wand der dritten Hirnhöhle,
wie der Trichter die hervorgetriebene untere Wand derselben
war. Wahrscheinlich findet dasselbe auch bei den Säugethieren
und dem Menschen Statt. J. F. Meckel hat eine gleiche Lamelle
als Matrix der Zirbel beschrieben und nennt die hintere Commis-
sur als Ueberbleibsel dieses von ihm sogenannten Hornstreifens,
stria cornea. (Arch. I. S. 378. Aehnliches s. bei Döllinger l. c.
S. 16. 17.). Tiedemann sah sie zuerst (l. c. S. 131.) im vierten,
Gebrüder Wenzel dagegen (l. c. p. 313. 314.) im fünften Monate.
Ersterem erschien sie rundlich, plattgedrückt und mit einem
Stiele versehen, welcher von den Sehhügeln herkam; den Letzte-
ren wie ein kleiner Stecknadelknopf, sphärisch und blaſs. Serres
(Anat. comparée du cerveau. 1827. 8. I. p. 118.) leitet ihre Ent-
stehung aus der Vereinigung ihrer beiden Stiele her. In der
Folge vergröſsert sie sich, bleibt immer sehr weich und enthält
im Fötus nie Hirnsand, wie die [Beobachtungen] von J. und C.
Wenzel (l. c. p. 315.), Döllinger (l. c. p. 18.) und Tiedemann (l.
c. S. 132.) beweisen. Bei Neugeborenen dagegen hat ihn Söm-
mering (in Noethig diss. de acerv. cerebr. recus. in Ludw.
scr. neurol. min. Tom. II. p.
333.) gefunden, während J. u. C.
Wenzel ihn erst im siebenten Lebensjahre beobachteten (l. c. p.
316.). Endlich glaubt der geistreiche Schönlein (l. c. S. 107.),
daſs die Zirbel in der Klasse der Säugethiere und in dem Fötus des
Menschen vorzüglich ausgebildet sey. „So wird,“ sagt er, „ihre
Lebenssphäre von der Klasse der Säugethiere und den frühesten
Perioden des menschlichen Fötuslebens umkränzt.“ — Aus die-
sen nun kürzlich dargestellten Metamorphosenveränderungen der
[170]Von dem Embryo.
ersten Hirnzelle sehen wir, daſs der Massenansatz sich von einem
Punkte aus strahlig verbreitet. Dieser Punkt ist, wenn nicht
der Trichter selbst, doch dessen Umgegend. Wir sahen, daſs der
zum Trichter und Hirnanhang später sich umändernde Theil in
frühester Zeit unverhältniſsmäſsig groſs ist. Ueber und vor, doch
dicht neben ihn lagert sich zuerst Seh- und Streifenhügel, später
in der Mitte Balken, Gewölbe und Scheidewand, während von
innen nach auſsen und oben die groſse Hirnwulst sich umschlug,
um die Hemisphären darzustellen. Nach unten endlich protube-
rirte der Theil, welcher dem grauen Hügel und den Markkügel-
chen den Ursprung gab.


Die zweite der oben bezeichneten Hirnzellen war die Vier-
hügelblase. Sie lag an der gröſsten Krümmungsstelle des Kopfes
und war auch zu der Zeit die längste. Allein auch auf sie hat
die Veränderung der Biegung [wesentlichen] Einfluſs. Wie näm-
lich die Kopfform weniger eingeknickt, als rund wird, bleibt ihre
extensive Ausbildung verhältniſsmäſsig zurück, während das
Wachsthum der vorderen Hirnzelle um Vieles bedeutender wird.
In diesem Zustande stellt sie noch eine mit einer homogenen
Flüssigkeit gefüllte Blase dar. Auch hier geht der Massenansatz
von unten und der Mitte her nach auſsen und oben vor sich, so
daſs beide Hälften sich zuerst von der Mittellinie entfernen, dann
sich oben gegen einander neigen, einander erreichen und endlich
verwachsen. So kann man es mit Bestimmtheit am Vogel- und
Schaafsembryo verfolgen. Allein auch bei dem Menschen ist der
Entwickelungsvorgang durchaus derselbe. So sind die beiden
seitlichen Hälften im zweiten Monate noch nicht vereinigt (Meckel
in s. Arch. I. S. 81. Tiedemann l. c. S. 115.), im dritten dage-
gen stoſsen sie an einander, im vierten hat die Masse eine der
Länge nach verlaufende Nath in der Mitte als Zeichen der ge-
schehenen Vereinigung. (Tiedemann l. c. S. 116.) Um diese
Zeit ist die Höhlung noch groſs und ungleich, welche aber in
der Folge mit Vermehrung des Massenansatzes sich verkleinert,
so daſs im siebenten Monate nur noch ein etwas breiter Ka-
nal übrig ist, der, später sich noch mehr verengernd, zum
Aquaeductus Sylvii wird. Diese neue Ablagerung festeren Stof-
fes giebt aber auch hier zur Bildung mehrerer Theile Anlaſs.
Unten nämlich haben hierdurch überhaupt die beiden mittleren
Stränge der Medulla oblongata, die Olivarstränge, an Ausbildung
[171]Gehirn und Rückenmark.
zugenommen und setzen sich nun in die Vierhügel fort, um den
Theil zu bilden, welchen Reil die Schleife nennt. (Tiedemann
l. c. S. 117. 118.) Döllinger leitet die Entstehung der Vierhü-
gel selbst, so wie der oberen Schenkel des kleinen Gehirnes und
der Hirnklappe von einem Markblatte her (l. c. S. 17.), wleches
nach der von ihm gegebenen Beschreibung (l. c. S. 16.) mit Mek-
kels Hornstreifen zusammenfällt. Richtiger jedoch ist nach Meckels,
Tiedemanns und meinen Erfahrungen folgende Entstehung dieser
Gebilde. Zuerst theilt sich die Hügelblase in eine rechte und
eine linke Hälfte durch eine von oben nach unten sich bildende
Einfurchung (Ende des zweiten Monates) (cf. Meckels Arch. I.
S. 372.), so daſs hierdurch ein Gebilde gegeben ist, welches man
eher Zwei- als Vierhügel nennen kann (ib. S. 371.). Bald jedoch
(Anfang oder spätetens Mitte des dritten Monates) bildet sich eine
Querfurche, wodurch ein doppeltes Hügelpaar entsteht, zwischen
welches eine Falte der Gefäſshaut sich einsenkt. (Tiedemann l.
c. S. 118.) Der vordere Theil verdickt sich weit früher, als der
hintere (Meckels Arch. I. S. 372.). Auch ist das vordere Vier-
hügelpaar in früherer Zeit, wie bei den Wiederkäuern (Schön-
lein l. c. S. 67. und der Gebrüder Treviranus verm. Schr. Bd. 3.
1820. 4. S. 72.), gröſser, als das hintere. Doch habe ich ein Mal
in einem Embryo aus dem fünften Monate das Gegentheil zu se-
hen Gelegenheit gehabt, was an Raubthierbildung erinnern würde.
Die Breite dagegen ist vom vierten Monate an am hinteren Paare
etwas gröſser, als am vorderen, was J. und C. Wenzel (l. c. p.
313.) an Neugeborenen erst sahen. Schon gegen Ende des dritten
Monates gehen die beiden seitliehen Hälften etwas mehr ausein-
ander. Später wird aber durch weitere Entwickelung des klei-
nen Gehirnes, und der von demselben zu den Vierhügeln sich
fortsetzenden Schenkel vorzüglich das hintere Paar auseinander
getrieben (Meckel in s. Arch. I. S. 372.). Die freilich zweideu-
tige Angabe bei Burdach (Physiol. II. S. 427.), daſs die Trennung
in ein vorderes und ein hinteres Paar erst im siebenten Monate
eintrete, ist jedenfalls unrichtig. Nach Girgensohns Beschreibung
scheint diese Veränderung schon im dritten Monate vorzugehen
(Meck. Arch. 1827. S. 366. tab. 6. fig. 4. i. i.). Wir selbst sa-
hen im vierten Monate beide Paare nicht bloſs von einander ge-
schieden, sondern ungefähr ⅓ Linie von einander entfernt, so daſs
auf dem Grunde dieser Zwischenraum durch die Decke der
[172]Von dem Embryo.
darunter liegenden Höhle ausgefüllt ward. — Auch hier geht also
der Massenansatz von unten und innen nach auſsen und oben vor
sich. Ob aber an der Basis ein Unterschied von vorn und hin-
ten Statt finde, ist durch Beobachtung noch nicht ermittelt.


Wir kommen nun zur dritten und hintersten Hirnzelle, näm-
lich zu der des verlängerten Markes. An ihr ist die Einknickung
am gröſsten und schon äuſserlich am Embryo durch den Nacken-
höcker scharf marquirt. Auch haben wir in ihr schon eine Ten-
denz zu gröſserer Abschnürung nicht bloſs von der Vierhügelblase
und dem Rückenmarke, sondern in sich selbst durch Sinuosität
ihrer Wandungen erkannt. Der Typus des Massenansatzes geht
aber hier nicht so einfach vor sich, als in den beiden vorderen
Hirnblasen, sondern hängt [von] dem Complexe folgender Verhält-
nisse ab: 1. Die Visceralstränge des Rückenmarkes bilden ihre
solideren Nervenparthieen früher, als die Spinalstränge. Diese
hier die unmittelbare Fortsetzung des Rückenmarkes constituiren-
den Theile behalten aber immer die Tendenz sich zur geschlosse-
nen Röhrenform auszubilden. 2. Die als Centrum der Hirnbildung
überhaupt ihre Gewalt geltend machende Gegend des Trichters,
als früheres Schädelende der Rückensaite, bewirkt, daſs der An-
satz dichterer Masse nicht, wie in der Groſshirnblase von hinten
und unten nach vorn und oben oder, wie in der Vierhügelblase von
unten nach oben, sondern von vorn nach hinten vor sich geht.
Hierzu kommt noch 3. die nach den äuſseren Seiten hervorge-
hende Ausbildung eines neuen wichtigen Theiles, des kleinen Ge-
hirnes, welches aus der Blase des verlängerten Markes gegen die
Vierhügelblase zu von unten und innen nach unten und auſsen
und zuletzt nach oben und innen sich bildet. Bei diesem Allen
sucht aber der Entwickelungsproceſs die aus dem Rückenmarke
heraufkommenden Visceralstränge in ihrer Längendimension mit
dem dem Gehirn eigenthümlichen, gegen die Mitte der Schädelbasis
hin liegenden Centrum der Bildung nicht sowohl zu einem an-
deren, mittleren dritten zu vereinigen, sondern beide Richtungen
neben einander stehen zu lassen. — Im Verbältniſs zum ganzen
Gehirn ist das verlängerte Mark je früher, desto breiter. Die
Massenanlage für das dreifache, in ihm vorkommende Strangpaar
beginnt schon im zweiten Monate; die Sonderung in die einzel-
nen Stränge dagegen wird erst verhältniſsmäſsig spät vollendet.
Dahin ist auch Meckels Ausdruck (Arch. I. S. 356.), daſs die
[173]Gehirn und Rückenmark.
strickförmigen Körper früher, als Pyramiden- und Olivarstränge
entstehen, zu berichtigen. Diese Visceralstränge, wie man sie
bis zu ihrer völligen Trennung nennen könnte, gehen, wie man
wegen des Mangels der Brücke auf das deutlichste im dritten Mo-
nate verfolgen kann, zum Theil in die Hirnschenkel über, nachdem
vorher eine partielle Kreuzung derselben Statt gefunden (Tiede-
mann l. c. S. 95.). Diese ist im vierten Monate noch schöner
darzustellen und, wie es der Natur der histiologischen Ausbildung
gemäſs ist, zu der Zeit nicht durch Fasern, sondern durch Faser-
bündel oder kleine Stränge bewirkt. Aber auch abgesehen hier-
von ist die Kreuzungsstelle verhältniſsmäſsig breiter, als im Er-
wachsenen. Zuerst sondern sich mit Ausbildung des kleinen Ge-
hirnes die strickförmigen Körper von der Masse der Visceralstränge
durch einen leichten Einschnitt (Meck. Arch. I. S. 356.). Die
Pyramiden- und Olivarstränge werden nach Meckel im fünften
(Arch. I. S. 357.), nach Tiedemann (l. c. S. 96.) im sechsten
Monate deutlich geschieden. Jeder strickförmige Körper ist im
siebenmonatlichen Fötus nach Döllinger (l. c. S. 23.) in drei flache
Wülste getheilt, während die olivenförmigen ein mehr verlänger-
tes Ansehen, schärfere Trennung und überhaupt gröſsere Deut-
lichkeit, als bei dem Erwachsenen haben (l. c. S. 24.). — Die
verschiedenartigen Fortsetzungen der einzelnen Visceralstränge
sind nur aus der Combination des Fötusgehirnes und des des Er-
wachsenen zu erkennen, und so gehen die Pyramidenstränge (nicht
vom ersten Anfang an, sondern sobald die histiologische Sonde-
rung in Faserbündel begonnen), wie Tiedemann (l. c. S. 100.)
schon bemerkt, in Seh-, Streifenhügel und groſse Hirnwulst, die
Olivarstränge dagegen in die Vierhügel über. Als Fortsetzung
der strickförmigen Körper ist aber endlich das kleine Gehirn an-
zusehen. Denn diese (oder genauer gesagt, die Stelle derselben,
d. h. die äuſsere Seite der Visceralstränge) verdicken sich im
zweiten Monate und proliferiren so zwei schmale Leistchen (Tie-
demann tab. 1. fig. 7. d. d.), welche, indem sie mehr nach oben
gehen, die vierte Hirnhöhle bedecken und das Rudiment des klei-
nen Gehirnes darstellen. Wahrscheinlich entstehen diese an dem
vorderen eingeschnürten Theile des verlängerten Markes. Doch
glückte es uns noch nicht, dies in der Natur vollständig zu ver-
folgen. Diesen frühesten Zustand des kleinen Gehirnes haben
v. Bär (über Entwgesch. S. 75. bei Burdach S. 306.) am Vogel,
[174]Von dem Embryo.
Meckel (Arch. I. S. 45.) am Schaafe und Tiedemann (l. c. S.
19. tab. 1. fig. 5. d. fig. 8. c. fig. 9. 10. 11. b.) am Menschen
beschrieben. Die obere Zusammenwachsung bedeckt jedoch nur
einen Theil der Rautengrube. Unablässig setzt sich nun solidere
Masse an diese beiden Blätter von unten und innen nach oben
und auſsen an, so daſs sie an den Seiten immer mehr kugelig
anschwellen, während das Innere derselben bis zum Anfange des
vierten Monates hohl d. h. mit Flüssigkeit gefüllt bleibt. So ist
auch Carus (l. c. S. 285.) Beobachtung zu deuten, daſs die Mark-
kerne oder Ciliarkörper im vierten Monate hohl und, was auch
Tiedemann bestätigt (l. c. S. 104.), überaus gefäſsreich seyen.
Das Letztere hat Serres zu dem schon von Burdach (Physiol. II.
S. 424.) hinlänglich widerlegten Ausspruche verleitet, daſs das
kleine Gehirn aus der Wirbelarterie entstehe. Im fünften Monate
geht nun die Sonderung weiter vor sich, so daſs der im vierten
schon angedeutete Unterschied von Wurm und Hemisphären kennt-
licher wird. Die Einsenkung der Gefäſshaut und die dadurch
bedingte Entstehung der Lappen ist schon etwas früher, zu An-
fange des vierten Monates, gegeben. Im Inneren dagegen setzt
sich immer reichlichere Markmasse an, so daſs die Höhlung stets
kleiner wird und im sechsten oder siebenten Monate ganz ver-
schwindet. Der mittlere Theil, der Wurm, bleibt gegen die He-
misphären in der Entwickelung zurück und läſst erst im sieben-
ten Monate nach Tiedemann (l. c. S. 106.) die von Reil in ihm
beschriebenen Theile, das Knötchen, den Zapfen, die Pyramide
und die kurzen Querbänder mit Deutlichkeit erkennen. Die Son-
derung der Hemisphären in Lappen, Aeste und Zweige wird eben-
falls vor dem achten Monate nicht vollendet. Die Markkerne
selbst treiben (Tiedemann l. c. S. 106. 107.), sobald sie angelegt
sind, Fortsetzungen nach unten, welche einander begegnen und
eine schmale, aber ziemlich breite Commissur darstellen. Diese
verlängert sich, wird noch breiter und dicker und stellt so die Va-
rolsbrücke, die ich im fünften Monate schon deutlich erkannte, dar.
Im Laufe der Entwickelung legt sich auch an sie, wie an die
übrigen Hirntheile, eine Schicht von Belegungsmasse von auſsen
an. — Wir haben so die Veränderungen der dritten Hirnzelle, so
weit sie die Unterfläche und die aus ihr hervorgehenden Theile
betreffen, betrachtet und müssen nun noch die Metamorphosen
der Oberfläche durchgehen. Diese bleibt zu Anfange noch durch-
[175]Gehirn und Rückenmark.
sichtig, wird dagegen später (Anfang des dritten Monates) von
einer dünnen Marklamelle, welche ohne Zweifel sich von unten
nach oben gegen die Mitte herumschlägt, bedeckt, wodurch die
dritte Hirnzelle schon für sich selbst zu einem geschlossenen
Markrohre wird. Diesen Zustand hat Girgensohn (Meck. Arch.
1827. S. 362.) aus einem dreimonatlichen Embryo genau beschrie-
ben. Die Markplatte ist nach vorn zu dicker und G. ist geneigt,
den Ursprung der Varolsbrücke aus ihr herzuleiten, was uns je-
doch kaum wahrscheinlich zu seyn scheint. Sie ist schon von
Tiedemann (l. c. S. 108.) um dieselbe Zeit des Fötuslebens er-
kannt und wohl mit mehr Recht als Reils vorderes Markseegel
oder die groſse Hirnklappe gedeutet worden. Die untere Hirn-
klappe dagegen läſst er aus dem nach unten umgeschlagenen Rande
des kleinen Gehirnes entstehen. Die Ursprünge der Gehörnerven,
die taeniolae cinereae der Gebrüder Wenzel oder Burdachs Hör-
ganglien kommen (Tiedemann l. c. S. 113.) im vierten bis fünf-
ten Monate zuerst als zwei kleine längliche Erhabenheiten zum
Vorschein. Doch sah Wenzel (l. c. p. 184.) ihre ersten An-
deutungen schon im dritten Monate. Die hinter ihnen liegenden
weiſsen markigen Streifen dagegen konnten weder Wenzel (l. c.
p. 189.) noch Tiedemann (l. c. p. 113.) vor der Geburt wahrneh-
men. — Die Massenanhäufung geht also hier ursprünglich von
den Visceralsträngen aus, wird aber durch das am vorderen, der
Gegend des Trichters näheren Ende entstehende kleine Gehirn
wesentlich modificirt. Wir müssen daher, wenn wir auch nicht
mit Burdach (de foetu humano p. 6.) die einzelnen hier im Er-
wachsenen liegenden Theile als bestimmend aufzuzählen wagen,
doch die hohe Wichtigkeit dieser in der Mitte der Schädelbasis
überhaupt gelegenen Gegend anerkennen. — Interessant ist noch
eine Vergleichung des groſsen und des kleinen Gehirnes. Denn
während hier die Ganglien späterer Entstehung sind, sind sie
dort früher gegeben und wohl nur deshalb, weil sie dort in dem
Ausgangspunkte der Bildung, in jeder Hemisphäre nach der Mitte
des ganzen Gehirnes zu, liegen, während diese Stelle in dem klei-
nen Gehirne der künftige Wurm einnimmt. Die dann seitlich
gelagerte Markmasse kommt daher verhältniſsmäſsig viel später
zur Ausbildung — der deutlichste Beweis, wie sehr in der ersten
Zeit jede Lagenveränderung, als das morphologische Verhältniſs,
über alle histiologische Sonderung die Oberhand behauptet. —


[176]Von dem Embryo.

Wir kommen nun zu dem zweiten Haupttheile des centra-
len Nervensystemes, dem Rückenmarke. Schon oben hatten wir
bemerkt, daſs die oberhalb der Rückensaite enthaltene Flüssig-
keit Hirn und Rückenmark zugleich darstelle und daſs bald eine
mehr oder minder runde oder längliche Anschwellung am oberen
Ende die Verschiedenheit beider anlege, ohne daſs jedoch eine
bestimmte Trennung zwischen ihnen anzunehmen gewesen wäre.
Erst die Krümmung und Einknickung des Embryo und der da-
durch entstandene Nackenhöcker hatte eine feste Grenzlinie zwi-
schen beiden bestimmt. Wir müssen daher die Metamorphosen
des unter dem Nackenhöcker gelegenen Theiles in Erwägung
ziehen, wenn wir die Bildungs- und Entwickelungsgeschichte des
Rückenmarkes betrachten wollen. Zuvor sey uns noch die Be-
merkung erlaubt, daſs wir absichtlich dieser Darstellung die Evo-
lutionsgeschichte des Gehirnes gegen die gebräuchliche Anordnung
vorausschickten, weil es ganz ungegründet ist, wenn man glaubt,
daſs das Hirn später entstehe, als das Rückenmark, oder daſs das
erstere aus dem letzteren hervorwachse. In der Uranlage sind sie
beide gegeben; denn diese ist centrales Nervensystem überhaupt.
Bald scheidet dasselbe aber eine obere (Hirn) und eine un-
tere Abtheilung (Rückenmark) aus sich heraus, da die voran-
gegangene Verlängerung keineswegs allein das Kopfende, wie es
nach jener Ansicht der Fall seyn müſste, sondern die ganze Aus-
dehnung der Rückensaite und der Rückenplatten betraf. Wie es
aber zur bestimmten Scheidung zwischen Hirn und Rückenmark
gekommen, verfolgt jedes seinen eigenen Entwickelungsgang, das
erstere in den Vögeln und Säugethieren um Vieles rascher, als
das letztere. Daſs dieses aber in noch höherem Grade bei dem
Menschen der Fall sey, ist aus folgenden Gründen wahrscheinlich:
1. prävalirt hier der Kopf, besonders der Schädeltheil, am meisten
in der ganzen Thierreihe, selbst in den allerersten Monaten des
Fötallebens; 2. geht die Thierähnlichkeit der Gesichtsbildung, wie
Joh. Müller mit Recht bemerkt (de ovo atque embryone p. 5.),
sehr früh verloren und 3. streitet, wie später erhellen soll, die
Bildung der höheren Sinnesorgane durchaus für diese Ansicht. —
Zu der Zeit, wo der Nackenhöcker hervortritt, ist das Rücken-
mark ein nach oben in die Zelle des verlängerten Markes sich
öffnendes, nach unten aber geschlossenes, mehr oder minder scharf
begrenztes Rohr, welches in seinem Innern eine helle, vollkommen
durch-
[177]Gehirn [und] Rückenmark.
durchsichtige Flüssigkeit enthält. Will man jetzt schon conse-
quent deuten, so muſs man die Wandung des Rohres für die
Hülle, die Flüssigkeit dagegen für das Nervensystem erklären.
Dieser Zustand findet sich bei dem Vogelembryo nach v. Bärs
Angabe (über Entwickelungsgesch. S. 28., bei Burdach S. 257.)
am zweiten Tage. Bei dem Menschen scheint er bis zum Ende
des ersten oder höchstens dem Anfange des zweiten Monates zu
dauern. (Tiedemann l. c. S. 84. Burdach de foetu p. 4.) Ab-
gesehen von seiner Gestaltveränderung legt sich auch hier die
dichtere Masse von unten und innen nach auſsen und später nach
oben und innen an, wie wir dies schon am Gehirne zu sehen
Gelegenheit hatten. So wird es nun erklärlich, wie Meckel auf
die Vermuthung kommen konnte, daſs das Rückenmark aus einer
einfachen oder doppelten Platte entstehe, welche sich nach oben
und dann nach innen einrolle (Arch. I. S. 335.). Es wurde von
ihm dieses zweite Stadium, welches er an Kaninchenembryonen
vorzüglich wahrzunehmen Gelegenheit hatte, für die Urmetamor-
phose gehalten. Man thäte ihm aber Unrecht, wenn man behaup-
tete, daſs er die richtige Ansicht der Sache, wie sie vor ihm
Carus schon dargestellt (l. c. S. 218. 19.), nicht gekannt oder
geläugnet hätte. Nur in der Deutung weichen beide ab und so
dürfte der von Meckel gemachte Einspruch (l. c. S. 336—338.)
mehr auf einen Wortstreit, als auf wahre Differenz des Objectes
sich reduciren lassen. — Auch hier werden die Visceralstränge frü-
her, als die Spinalstränge mit solider Masse versehen; anfangs so-
gar rascher verhältniſsmäſsig, als in dem Gehirne. Doch bleibt die
Mittellinie die erste Zeit leer, wodurch der Schein einer Spalte
an der Oberfläche entsteht. Die Faserung bildet sich an der Vor-
derfläche, also auch an den Visceralsträngen, im vierten Monate
deutlich aus und nimmt nicht blos hier, sondern auch an den
Seiten rasch zu (Tiedemann l. c. S. 85.). Später, als die weiſse,
soll die graue Substanz entstehen. Doch wurden beide von uns
ein Mal schon zu Anfange des vierten Monates deutlich wahrge-
nommen. — Je jünger der Embryo ist, desto gröſser ist das Rük-
kenmark im Verhältnisse zur Hirnmasse. Dies hängt aber, wie
schon Tiedemann (l. c. S. 92.) nachgewiesen, nicht sowohl von
einer absolut groſsen Ausbildung desselben, als von der verhältniſs-
mäſsig in früberer Zeit bedeutenderen Kleinheit des Kopfes ab. Mit
diesem in gleichem Maaſse kehrt das Verhältniſs allmählig in das
12
[178]Von dem Embryo.
entgegengesetzte um. Als Wendepunkt desselben kann bei dem Men-
schen der fünfte Monat angesehen werden. — Im ersten Zustande ist
die Urbildung des ganzen centralen Nervensystemes ein gleich brei-
tes und dickes Rohr, welches sich bald von oben nach unten gleich-
mäſsig zuspitzt. Dieser früheste Zustand ist zwar bei dem Menschen
noch nicht gesehen worden. Man kann ihn aber leicht bei dem Vogel
beobachten, wo ihn auch schon Wolff, Nicolai, Pander, Prevost und
Dumas, Bär u. A. dargestellt haben. Bei Säugethieren haben ihn
Prevost und Dumas am besten aus dem Kaninchen (Annales des
sc. nat. Tom. III. pl.
5—7. Frorieps Notiz. Jan. 1825. No.
188. fig. 12.) und dem Hunde (ebds. fig. 5. a.) gezeichnet. Allein
diese Bildung dauert nur sehr kurze Zeit und der Verdickung
am Kopfende folgt bald eine ähnliche am Schwanzende, kurz
nachdem die ersten Wirbelrudimente sich gezeigt haben. Die
Anschwellung am hinteren Ende ist in frühester Zeit so groſs, ja
bei dem Vogel oft gröſser, als die vordere und stellt eine mehr
oder minder rhombische oder rhomboidische Begrenzung dar.
Mit ihr wird auch das früher mehr in die Fruchtanlage verflie-
ſsende Ende des Rückenmarkes und der Wirbelsäule schärfer ge-
sondert und deutlicher marquirt. Der übrige, zwischen Kopf-
und Endanschwellung gelegene Theil des Rückenmarkes bleibt
sich durchaus gleich und wird eher, wie wir in der Folge noch
sehen werden, durch die neben ihm sich bildenden Wirbelrudi-
mente, als in sich selbst, bezeichnet. Erst nach der Bildung und
Entwickelung der Extremitäten entstehen auch die Anschwellun-
gen für die aus denselben heraustretenden Nerven. Die Nacken-
anschwellung wird so im dritten Monate deutlicher und scheint
durch gröſseren Massenansatz von auſsen her bedingt zu seyn.
Daſs aber die rhomboidische Anschwellung nicht in dieser Be-
deutung bloſs auftreten könne, erhellt sowohl aus ihrer Umbil-
dung in den sinus rhomboidalis bei vielen Thieren, als aus der
um die Zeit der Entwickelung der unteren Extremitäten sich um
ein Bedeutendes vermehrenden Massenanhäufung an den äuſseren
Seitenflächen, endlich noch daraus, daſs zur mittleren Zeit des
Fötuslebens sie bisweilen sogar kleiner ist, als die obere An-
schwellung. Doch läſst sich anderseits ein gewisser Zusammen-
hang mit dem sinus nicht verkennen. — Das untere Ende des
Rückenmarkes hängt dagegen mit der Ausbildung der Nerven der
unteren Extremitäten zusammen. Im dritten Monate füllt das
[179]Höhlen des Hirnes und Rückenmarkes.
Rückenmark den ganzen Wirbelkanal, ohne in eine Cauda
equina
auszugehen. Vom vierten Monate an werden die Lum-
bar- und Sacralnerven stärker, als die übrigen Rückenmarksner-
ven und in gleichem Verhältnisse mit ihnen bildet sich auch,
wie Tiedemann (l. c. S. 91.) schon bemerkt, der Pferdeschweif
hervor. Dadurch, daſs das Rückenmark selbst in seiner Längen-
ausbildung stehen bleibt, rückt es später scheinbar nach dem
Kopfe zurück und reicht so im siebenten Monate bis in den un-
tersten, im neunten Monate bis in den obersten Lendenwirbel
(Burdach Physiol. II. S. 422.). Endlich hat Tiedemann (l. c. S.
91.) die von Frotscher (Descriptio medullae spinalis ejusque
nervorum
. 1788. Fol. p. 7.) u. A. beschriebenen Knötchen,
welche Andere wieder läugnen, im Fötus nie auffinden können. —
Auch hier übt die Krümmung wieder ihren gewohnten Einfluſs
aus. Durch sie entsteht, wie schon angegeben worden, der Nak-
kenhöcker, welcher die obere Grenze des Rückenmarkes bezeichnet;
nach unten dagegen die Sacralbiegung, an welcher Stelle der frei-
lich früher schon entstehende sinus rhomboidalis zu liegen kommt.
Beide stehen mit dem Nabel als Centrum der Krümmung in wesentli-
cher Beziehung. Die seitliche Umlegungsbiegung hat hier, wie auf
das ganze seröse Blatt überhaupt, wenig Einfluſs, wirkt aber um so
tiefer, wie später noch dargestellt werden soll, auf die Metamor-
phosen des Schleimblattes ein.


Wir haben bisher absichtlich Nichts von den Höhlen des
Gehirnes und Rückenmarkes erwähnt, um sie sämmtlich in ihrer
Continuität darstellen zu können. Die anfangs vollkommen helle
Flüssigkeit, welche das Rudiment des centralen Nervensystemes
ausmacht, setzte nach auſsen dichtere Masse ab, während die in-
nere scheinbare Höhlung mit Flüssigkeit gefüllt bleibt. So ent-
stehen jene Höhlen, Kanäle und Spalten, welche wir bei allen
Beobachtern verzeichnet finden. Allein obere Spalten, oberes
Offenseyn derselben muſs man, wenn man consequent seyn will,
durchaus verwerfen, weil die den Centraltheilen des Nervensy-
stemes eben so gut angehörende Flüssigkeit zwischen den sich
noch nicht berührenden Rändern der von unten heraufkommen-
den Bildungsmasse liegt und jede Trennung vollkommen ausfüllt.
Dasselbe läſst sich für die frühere Zeit von sämmtlichen Kanälen und
Ventrikeln des Rückenmarkes und Gehirnes im Fötus sagen,
welche nur mit Flüssigkeit gefüllte Räume oder Lücken zwischen
12*
[180]Von dem Embryo.
der reichlicher abgesetzten, festeren Masse des Hirnes und Rük-
kenmarkes sind. Man muſs daher den Anfang der Höhlenbildung
als mit dem Acte der Scheidung in festere und flüssigere Masse
zusammenfallend sich denken. Und so folgte die erste Spur der
Höhlenbildung unmittelbar nach der Scheidung zwischen Hirn und
Rückenmark. Diese ist der Uract der morphologischen, jene
der der histiologischen Sonderung. Was nun die Form der Höh-
lungen betrifft, so stellen sie zuerst eine die feste Bildungsmasse
trennende, durch die ganze Länge des Centraltheils verlaufende
Spalte dar, welche von unten nach oben und zum Theil in der
Direktion von vorn nach hinten sich schlieſst und so sich in einen
Kanal umwandelt. Die Schlieſsung geschieht zuerst am ganzen
Rückenmarke mit Ausnahme des untersten Theiles, des sinus rhom-
boidalis
, dann an dem verlängerten Marke, den Vierhügeln, dem
kleinen und groſsen Gehirne. Der Kanal hat aber an jeder seiner
Wandungen keine ebenen Begrenzungen, sondern diese werden
immer sowohl durch die Form des Organtheiles überhaupt, als
auch das Verhältniſs der inneren Massenanlage insbesondere be-
stimmt. So entstehen in dem Rhomboidalsinus [und] den Hirnzel-
len blasenartige Erweiterungen, welche, sobald halbkugliche Aus-
dehnungen sich bilden, auch in diese sich erstrecken und, wo
die Hemisphären durch eine Mittelspalte getrennt sind, ebenfalls
in zwei symmetrische Hälften geschieden erscheinen. Es ist also
ihre Gröſse und Form ganz und gar von der Ausbildung und Ge-
staltung soliderer Nervenmasse abhängig und wie die Krümmung
des Embryo unmittelbar diese bestimmt, wird ihr Einfluſs auch
mittelbar auf jene ausgedehnt. So wird der Nackenhöcker die
Grenze zwischen dem Kanale des Rückenmarkes und den Kanä-
len des Gehirnes. Die verschiedenen Stellen des Kanales erlei-
den aber auch im Laufe der Entwickelung verschiedene Metamor-
phosen, so daſs ein Theil von ihnen als vergängliche Fötalbildung
später schwindet, ein Theil dagegen als constante Bildung auch
im Erwachsenen fortbesteht. Am Rückenmarke bleibt der Kanal
wahrscheinlich während des ganzen Fötuslebens offen, wiewohl
er vom Anfange des vierten Monates an schon sehr eng ist,
schlieſst sich dagegen nach der Geburt, so daſs der entgegenge-
setzte Zustand bei Erwachsenen durchaus zu den Bildungshem-
mungen zu rechnen ist. Die Schlieſsung geschieht aber so, daſs
sich 1. die Masse, wie im Gehirn, allgemein von auſsen nach in
[181]Höhlen des Hirnes und Rückenmarkes.
nen anlegt, so daſs dadurch ein im Laufe des Fötallebens sich
immer mehr verengender Kanal entsteht, zu welcher Verengerung
auch 2. die durch eine in ihn sich einsenkende Falte der Gefäſs-
haut vorzüglich begünstigte Ausscheidung der grauen Masse Vie-
les beiträgt. Nur an den Extremitätenanschwellungen erweitert
er sich etwas und hier ist es auch, wo er bei dem Erwachsenen
noch am häufigsten gefunden wird. So verläuft er bis zum Nak-
kenhöcker, wo er sich in die vierte Hirnhöhle fortsetzt. Der
Uebergangspunkt ist an der Stelle des späteren Calamus scrip-
torius
. Die von Gall (Anat. et physiol etc. p. 51.) angegebe-
nen, ohne unmittelbare Berührung mit der vierten Hirnhöhle durch
pons Varolii und Hirnschenkel unter den Vierhügeln bis in die
Sehhügel sich erstreckenden, angeblich als Fortsetzung des Rücken-
markkanales erscheinenden Kanäle, hält Tiedemann (l. c. S. 88.)
mit Recht für ein bloſses, durch Lufteinblasen erzeugtes Kunst-
product. Der hinterste Theil des in das Hirn fortgesetzten Ka-
nales wird in die vierte Hirnhöhle umgewandelt. Durch die im
dritten Monate stärker hervortretende Ausbildung der Visceral-
stränge, der Pyramidal- und Olivarkörper wird die ganze Me-
dulla oblongata
breiter und der hintere Uebergang der vierten
Hirnhöhle in den Centralkanal zur Schreibfeder (Tiedemann l. c.
S. 133.). Die vierte Hirnhöhle selbst entsteht ganz aus der Höh-
lung der hinteren Hirnzelle, welche an Massenanhäufung in ihrer
Oberfläche immer reicher und in ihrer Aushöhlung daher immer
kleiner wird. Vermöge der seitlichen Ausbildung der Hemisphä-
ren des kleinen Gehirnes setzt sich dieser Kanal, wie durch Sei-
tenäste, in diese fort, so daſs in früher Zeit auch hier Ventrikel,
und zwar an den Stellen der späteren Markkerne, gefunden wer-
den. Der Hauptstamm des Kanales geht jedoch in die Vierhü-
gelblase unmittelbar über. Dort wird er immer dünner und auch
relativ kleiner, so daſs der gröſste Theil von ihm in den Aquae-
ductus Sylvii
sich umwandelt. Nicht so einfach scheinen aber
die Metamorphosen der in der Groſshirnzelle sich bildenden
Höhlungen zu seyn. Man muſs sich nämlich das Verhältniſs so
denken, daſs der Hauptstamm sich zwar etwas gerade nach vorn
fortsetzt, bald aber in zwei gabelförmig aus einander weichende
gröſsere Aeste theilt, welche durch die sich bildenden seitlichen
Groſshirnhälften, die Hemisphären, bestimmt werden. Der Grund
dieser, wie es scheint, so sonderbaren Spaltung liegt in der frü-
[182]Von dem Embryo.
hen Spaltung der vordersten Hirnblase in zwei seitliche symme-
trische Hälften einerseits, und in der sehr zeitigen Ausbildung der
Groſshirnganglien und der sie umhüllenden Hirnwulst anderseits.
Das vordere, blinde Ende des Kanales wird zur dritten Hirnhöhle, die
gabelförmigen Aeste zu Seitenventrikeln. Daſs die letzteren in
frühester Zeit nur eine Höhlung bilden, welche der Zwischenraum
zwischen Hirnganglien und Hirnwulst ist, kann man an härteren
Gehirnen aus dem dritten oder dem Anfange des vierten Mona-
tes sehr leicht darstellen. Trennt man nämlich eine Hemisphäre
los, so läſst sich mit einem Acte, wenn man dicht unter dem
zukünftigen Balken seitlich eingeht, die ganze Hirnwulst, wie
ein groſses, einem halbirten Ellipsoid ähnliches Markblatt ausbreiten,
eine Beobachtung, welche bei dem Fötus offenbar so gut gelingt,
weil bei ihm die im Erwachsenen so vielfach störenden, äuſseren
und inneren (in die Ventrikel hineinragenden wulstartigen) Win-
dungen fehlen. Von der Mitte des vierten Monates an zeigen
sich bei dieser Ausbreitung immer mehr Ungleichheiten der Ober-
fläche, welche so zuerst den vorderen Ventrikel von dem hinte-
ren scheiden, den unteren aber noch geraume Zeit als bloſse Fort-
setzung des hinteren erscheinen lassen. So wird die früher so
weite Communication mit der dritten Hirnhöhle immer kleiner
und enger, zur zukünftigen monroischen Oeffnung. Die dritte
Hirnhöhle selbst hängt ganz und gar von dem Wachsthume der sie
umgebenden Theile, des Trichters und Hirnanhanges, der Sehhü-
gel, der Streifenhügel, des Balkens, der grauen Masse u. dgl. ab
und verbindet sich auſser den Seitenventrikeln noch mit der vier-
ten Hirnhöhle durch den Aquaeductus Sylvii (den Kanal der
Vierhügelblase). Aus einer noch mehr ins Einzelne durchgeführ-
ten Entwickelungsgeschichte von Hirn und Rückenmark würden
folgende, schon aus dem hier Gegebenen erhellende Sätze ihre ferne-
ren Belege finden: 1. Die Anlage der solideren Parthieen geschieht in
einer Bogenlinie oder bei den Hemisphären in einer kreisähnlichen
Linie von unten und innen nach oben und innen. 2. Sie bildet
in ihrem Haupttypus zwei durchaus gleiche, nur umgekehrt ge-
lagerte Hälften. 3. Sie läſst sich als ein Continuum durch das
Ganze verfolgen. 4. Alles dasjenige, was wir in dem Hirne als
einzelne Theile unterscheiden, sind entweder wahrhaft von An-
fang an gesonderte Theile, wie vor Allem die Masse der Groſs-
hirnganglien, oder einzelne Unebenheiten, nach innen hervorge-
[183]Nervensubstanz.
triebene Wülste und Windungen, wie der gröſste Theil der am
groſsen Gehirne in den Ventrikeln distinguirten Gebilde, oder
brückenartige Fortsätze, welche entweder das ganze Leben hin-
durch oder nur während eines Theiles desselben wahre Commis-
suren bilden. Eine wissenschaftliche Morphologie des Gehirnes
muſs durchaus diese nur durch die Entwickelungsgeschichte
aufzuhellenden Punkte ins Auge fassen, um nicht bloſs ein Aggre-
gat von mannigfachen, zufälligen Theilen, sondern ein lebendiges
Ganze des Hirnbaues darzustellen.


Die Masse der sensiblen Substanz ist zuerst ganz und gar
flüssig und durchsichtig und wird später an den Stellen, wo So-
lidescenz der Bildung eintritt, mit Körnern vermischt, während
sie in deren Umgebung noch flüssig bleibt. Diese Körner legen
sich immer dichter an einander, vermehren sich also auch ihrer
absoluten Zahl nach bedeutend und haben eine nicht ganz be-
stimmt runde Form. Späterhin sieht man, wenn man die frische
Hirnmasse zwischen zwei Glasplatten leise preſst, gewisse unbe-
stimmte Fäden, die aus den genannten Kügelchen auf dieselbe
Weise zusammengesetzt sind, wie die frühesten Muskelfäden (s.
unten). Man muſs aber diese undeutlicheren und weniger selbst-
ständigen, transitorischen Fäden wohl von den varicösen Fäden des
Rückenmarkes unterscheiden, welche zu Ende des vorigen Jahr-
hunderts Fontana (Viperngift. 1787. 4. tab. 4. fig. 11.) abgebildet
und in neuester Zeit Ehrenberg (Poggendorfſs Annalen. 1833.
No. 7. S. 449. fg.), Krause (ebendaselbst 1834. No. 8.) und wir
selbst (Joh. Müllers Arch. Bd. I. S. 401 — 409.) näher beschrie-
ben haben. Denn diese letzteren Gebilde erscheinen nach mei-
nen Untersuchungen sehr spät, kurz vor oder nach der Geburt.
Während des allergröſsten Theils des Fötallebens fehlen sie gänz-
lich und man sieht nur jene körnige Masse und die undeutlichen,
durch sie und die verbindende Gallerte gebildeten Fäden. Des-
senungeachtet giebt sich der Unterschied von grauer und weiſser
Substanz deutlich genug frühzeitig zu erkennen; ja man kann beide
schon an ihren verschiedenen Körnchen oder Körperchen von ein-
ander unterscheiden, ehe die Farbendifferenz bestimmter hervortritt,
wie ich an Früchten des Schweines besonders gefunden habe.
Doch darf die Nervensubstanz zu solchen Untersuchungen nicht frü-
her in Weingeist aufbewahrt gewesen seyn. In dem Menschen habe
ich die Differenz in frischen Hirnen aus dem dritten Monate so
[184]Von dem Embryo.
deutlich erkannt, daſs ich nicht zu irren glaube, wenn ich den
Anfang dieser Sonderung schon in den zweiten Monat des Frucht-
lebens setze.


Die dichtere Schicht von Bildungsgewebe, welche die klare
Flüssigkeit in frühester Zeit umgiebt, muſs als die erste Spur
von häutigen Hüllen des Hirnes und Rückenmarkes gedeutet wer-
den und so hat Tiedemann (l. c. S. 10.) eine deutlich zu tren-
nende Hülle schon in der achten Woche gesehen. Anfangs scheint
sie einfach zu seyn. Vielleicht geht aber auch hier ein völlig
analoger Proceſs, wie in der Fruchtanlage überhaupt vor sich, d. h.
eine Trennung in zwei Blätter, ein oberes und unteres. Das
obere hieſse dura mater, das untere arachnoidea. Die letztere
umhüllte in frühester Zeit (vor Entstehung des Gefäſsblattes) die
flüssige Nervenmasse unmittelbar und schlösse alle scheinbaren
Spalten der Oberfläche. Mit weiterer Ausbildung des Gefäſsblat-
tes und gröſserer Hineinbildung der Gefäſse in die einzelnen Or-
gane entstünde nun die pia mater oder die von Sömmering so-
genannte Membrana vasculosa. Ueber das Letztere wird noch
später Einiges gesagt werden. Die Gefäſshaut bleibt aber nicht
bloſs an der äuſseren Fläche des Gehirnes, sondern senkt sich in
die Furchen nach innen; ja jede Vertiefung, sie möge später zu
Hirnwindung, Ventrikel oder was immer werden, enthält eine
ihrer jedesmaligen Gröſse entsprechende Falte des Gefäſsblattes.
Doch wäre es falsch zu behaupten, die Gefäſshaut bohre sich die
Furche, als ginge von ersterer die Bildung der letzteren aus;
vielmehr bedingt dieselbe Kraft, welche die Verlängerung der
Falte erzeugt, auch die Vertiefung der Hirnmasse und beide ver-
danken einer Thätigkeit ihre gleichzeitige Entstehung. Die
Ausbildung des plexus Choroideus fällt in den dritten oder den
Anfang des vierten Monates. Um diese Zeit läſst sich auch die
Faserung der dura mater schon deutlich erkennen. — Wie in
der ersten Zeit durch den Nackenhöcker Rückenmark und Hirn,
so wird bald durch eine Falte der Hirnhaut kleines Hirn und
Medulla oblongata von den Vierhügeln und dem groſsen Gehirn
geschieden. Dieses in Zukunft als tentorium cerebelli auftre-
tende Gebilde sah Tiedemann (l. c. S. 12. 13.) schon im zweiten
Monate sehr ausgebildet. Auch ist diese Falte in früher Zeit
fester, als jeder andere Theil des Hirnes und Rückenmarkes.


[185]Höhere Sinne.
Anhang. Höhere Sinnesorgane.

Als Anhang der Entwickelungsgeschichte des sensiblen Central-
systemes muſs die Entstehung der höheren Sinnesorgane, des Auges
und des Ohres abgehandelt werden. Sie gehören zwar später der
peripherischen Schicht des serösen Blattes mehr an, ja scheinen so-
gar in frühester Zeit den ersten Anfang von ihr aus zu nehmen,
sind jedoch ihrer Natur und Bedeutung nach so innig mit dem
Gehirn verbunden, daſs eine Trennung von ihm gewaltsam zu
nennen wäre. Wesentlich dürfte freilich dasselbe auch von dem
Geruchssinne gelten. Allein dieser greift nicht bloſs von dem
centralen Theile des serösen Blattes in den peripherischen, son-
dern zugleich in das Schleimblatt selbst über und hängt auch mit
dem ganzen Systeme der Respirations- und Kopfverdauungsorgane
so innig zusammen, daſs er passender bei Gelegenheit dieses ab-
gehandelt werden kann. Ueberhaupt macht hier das Ueber- und
Ineinandergreifen der Organe, welche verschiedenen Blättern der
Fruchtanlage angehören, wesentliche Distinctionen nothwendig,
wie wir bald auch bei dem peripherischen Theile des serösen
Blattes in Beziehung der Kiemen z. B. dasselbe zu thun uns ge-
nöthigt sehen werden.


Die höheren Sinnesorgane überhaupt sind, wie der Verfolg der
Entwickelung nach den neuesten Beobachtungen zeigt, keine Pro-
duktionen des centralen Theiles des serösen Blattes; denn Auge,
Ohr und Nase stülpen sich nicht, wie v. Bär (üb. Entw. Gesch.
S. 24. 30. u. 65. und bei Burdach S. 252. 260. u. 295.) u. Bur-
dach (Physiol. II. S. 446.) glaubten, aus dem Gehirne hervor.
Sie gehören vielmehr dem gröſsten Theil ihrer Gebilde nach der
Leibeswand an und zwar den Visceralplatten des serösen Blattes
allein oder vielleicht, wie vorzüglich bei den Organen des Ge-
ruchs und Gehörs, diesen und dem Schleimblatte zugleich. Die
Richtung ihrer Entwickelung entspricht auch durchaus ihren Func-
tionen. Wie diese darin bestehen, daſs sie die äuſseren Eindrücke
dem sensiblen Centralsystem zuführen, so drängen sie sich auch
bei ihrer ersten Bildung von der dem Centralnervensysteme ent-
gegengesetzten Seite nach diesem hin ein und entstehen als Gruben,
welche in der Visceralseite des Fötus von unten nach oben,
d. h. von der Darm- nach der Hirnseite fortschreiten. Dies bestä-
tigt sich allgemein bei allen Sinnesorganen; nur muſs man nicht
[186]Von dem Embryo.
die Ausdrücke „unten und oben“ wörtlich nehmen, sondern sich
darunter überhaupt in allen in frühester Zeit so sehr schnell
wechselnden Lagenverhältnissen den Gegensatz der sensibeln Cen-
tralmasse gegen den mehr vegetativen Leib hierdurch ausgespro-
chen denken. Daher bildet in diesem Sinne selbst das Auge
durchaus keine Ausnahme, wenn es in seiner ersten Formation sich
in der Richtung von vorn nach hinten gegen das vorderste Ende
des centralen Nervensystems scheinbar begriffen zeigt.


Durch diese Einfurchungen entstehen Unebenheiten an der
Unterseite der Schädelbasis, so wie bestimmte Distinktionen in
dem Kopftheile des Leibes. Die wesentlichen Momente zur Ge-
sichtsbildung sind hierdurch gegeben, und das Gesicht selbst ist
nichts anderes, als die metamorphosirte, früheste, durch die Sin-
nesorgane bestimmte und ihre Scheidungswand ausmachende Haut-,
Fleisch- und Knochenschicht. Es gehört also gänzlich den Sin-
nesorganen an, ist durchaus keine eigene, selbstständige Bildung,
ragt mit keinem Theile in die Schädelhöhle hinein, legt sich über-
haupt nur an die Schädelbasis an, drückt diese durch seine Ein-
geweide, die einzelnen Sinnesorgane, ein und ist wenigstens
seinem Knochengerüste nach ganz und gar von dem Schädelge-
wölbe verschieden. Es wäre daher eine eigene Aufgabe, das Ver-
hältniſs der Gesichtsknochen zu den Schädelknochen in diesem
Sinne zu bestimmen und so ihre Bedeutung speciell durchzufüh-
ren. Die Gründe für diese Ansicht sind aus der Entwickelungs-
geschichte selbst entnommen.


I. Auge.

v. Bär (üb. Entw. gesch. S. 24. bei Burdach S. 242.) setzt
die erste Entstehung des Auges bei dem Hühnchen in die drei-
und dreiſsigste Stunde der Bebrütung. Huschke (Meck. Arch.
1832. S. 3.) beobachtete dagegen, daſs bei der Entstehung der
Panderschen Primitivfalten oder der Bärschen Rückenplatten, also
schon vor Ablauf des ersten Tages, das Urrudiment der Augen
angelegt sey. Wir geben die Geschichte der frühesten Entwik-
kelung nach seiner Darstellung (l. c. S. 1—20.). Bis zur vier-
und zwanzigsten Stunde, wo nach ihm (nach v. Bär [über Entw.
gesch. S. 18.] noch vor dem Ende des ersten Tages) die Rücken-
platten sich schlieſsen, laufen diese parallel neben einander und
haben eine von Bär (l. c. S. 19.) schon gekannte Erweiterung.
[187]Höhere Sinne. Auge.
Vor dieser letzteren legen sie sich wieder an einander und bilden
dann am vordersten Ende eine nach unten umgebogene Bucht
oder Grube, welche von dem innern Rande der Rückenplatten
umgeben wird und das einfache Urrudiment der beiden Augen
darstellt (l. c. S. 3.). Die Grube wird jedoch bald dadurch in
eine Blase verwandelt, daſs von den beiden Leisten der Rücken-
platten eine feine Membran nach der Mittellinie zu wächst, wel-
che die früher oben offene Bucht deckend schlieſst (l. c. S. 5.).
Noch communicirt diese Augenhöhlung mit der Hirnblase durch
eine Oeffnung. Bald aber zieht sich der hintere Rand der Au-
genbucht nach der Mitte zu, während das vordere stumpfe Ende
breiter wird, also vorderer und hinterer Augenbuchtrand näher
kommen, oder vielmehr beide mehr parallel und gerade von au-
ſsen nach innen verlaufen. Unterdessen drängt sich die vordere
Hirnzelle zwischen die hinteren Theile der Augenbuchten mitten
ein, und so erhält jede Hälfte des früher einfachen und das vor-
derste Ende bildenden Augenrudiments eine mehr seitliche Lage,
indem es schief von innen nach auſsen gedrängt wird. Die frü-
her offene Communication wird hierdurch in zwei immer noch
sehr weite Verbindungsöffnungen des Auges getheilt, welche bei
fernerer Ausbildung des Organes sich immer mehr verkleinern.
Denn der früher mit dem vordern Augenbuchtrande parallel lau-
fende hintere Augenbuchtrand erhält eine nach vorn convex ge-
bogene und, wie zum Theil der untere Augenbucht, schief von
unten und innen nach oben und auſsen verlaufende Rich-
tung. Gegen die Mitte zu dagegen neigt er sich vorzüglich nach
dem untern Augenbucht hin, und so entsteht aus der frühern
Communication der Spalt des Auges. Das Auge selbst erhält,
wenn die beiden Buchten mit ihren Rücken an seiner Innenseite
an einander stoſsen, eine birnförmige Figur, wie es auch Rathke
bei Blennius viviparus in der ersten Zeit zum Theil gesehen
zu haben scheint (vgl. zur Erläuterung des Gesagten Meck. Arch.
1832. tab. I. fig. 1. 4. 5. und Huschke de pectinis in oculo
avium potestate. Jen
. 1827. 4. tab. I. fig. 1.). Mit Entstehung
der Nasen- und Mundhöhle, so wie mit Bildung des Oberkiefers
und Intermaxillartheils (Schnabeltheils) rücken die Augäpfel im-
mer weiter von einander. Die Spalte selbst bleibt noch eine
Zeit lang, läuft dann unter der Nase weg und verbindet sich
über dem Oberkiefer mit der der andern Seite, kömmt aber spä-
[188]Von dem Embryo.
ter aus der horizontalen in eine mehr schiefe Richtung. — Von
Ammon (Zeitschrift für Ophthalmologie Bd. III. 1833. S. 341.
fgg.) hat Einiges hiervon aus eigener Untersuchung bestätigt,
zieht aber aus seinen Beobachtungen, welche nur bis zur Mitte
des zweiten Tages zurückgehen (l. c. S. 355.), von Huschke
abweichende Schlüsse, wie z. B., daſs beide Augen, obwohl
sie in einer Höhle entstehen, doch nicht anfangs eine Cavität
bilden, daſs sie schon bei ihrer ersten Formation eine seitliche
Lage haben u. dgl. m. Seiler (über Cyklopie 1833. fol.) dagegen
ist in der neuesten Zeit Huschke’s Ansicht völlig beigetreten. —
Wir selbst können nun eine cyklopenartige Miſsbildung eines sechs
Tage alten Hühnerembryo hier hinzufügen und die Richtigkeit
unserer Beobachtung durch die Auctoritäten von Purkinje und
Retzius, welche den frischen Embryo sahen, unterstützen. Beide
Augen waren zwar geschieden und an den Seiten des Kopfes ge-
legen, liefen aber nach unten schmal zu. Die hierdurch entste-
hende schmale Rinne verband beide mit einander und war selbst
sowohl, als auch ein kreisförmiger Rand um die Krystalllinse her-
um mit schwarzem Pigmente leicht angefüllt, während sich von
einer wahren Spalte durchaus keine weitere Spur wahrnehmen lieſs.
Die Form der Augen kam also genau mit derjenigen überein, welche
Huschke (Meck. Arch. 1832. tab. I. fig. 5.) aus der ersten Hälfte
des dritten Tages dargestellt hat. Was aber unsere Untersuchun-
gen an dem bebrüteten Hühnchen betrifft, so haben wir trotz
sehr vieler Beobachtungen und mehr als zwanzig entnommenen
verschiedenen Zeichnungen einzelner Stadien noch keine über allen
Zweifel erhobenen Resultate erhalten können. Es scheint uns
daher zweckmäſsiger, die Bekanntmachung unserer Erfahrungen
in dieser Beziehung für die Folgezeit aufzusparen.


Sobald die primäre Augenfurche sich geschlossen und in zwei
Theile getheilt hat, ist die Bedingung zur weiteren Sonderung
des bulbus gegeben. Aus den nun erfolgenden Metamorphosen
der Wände dieser Blase entstehen Sclerotica, Chorioidea, Cor-
nea, Iris, Uvea, Ciliarligament
und vielleicht auch Ciliarkör-
per nebst den zu diesen Häuten gehörigen, durchsichtigen Mem-
branen, aus der Flüssigkeit dagegen Retina, Glaskörper, Hyaloi-
dea
und Zonula Zinni. Das Linsensystem scheint einen eigenen
Ursprung zu haben.


Die allgemeine Form des Augapfels wird äuſserlich durch
[189]Höhere Sinne. Auge.
die Conformation der cornea und sclerotica bestimmt, sobald
nur überhaupt Augapfel und Orbita deutlich von einander ge-
schieden sind. Das Auge liegt nämlich in frühester Zeit mit sei-
ner gröſsern vorderen Fläche frei, ohne daselbst von Augenlidern
bedeckt oder einer Augenhöhle eingeschlossen zu seyn. Unter-
sucht man daher das Auge eines sechs- bis achtwöchentlichen
menschlichen Embryo, so erhebt es sich und mit sich wahrschein-
lich eine feine Oberhautschicht über die Oberfläche des übrigen
Kopfes, indem es von einem dunkeln in frühester Zeit nach unten
mit einer Spalte versehenen, späterhin dagegen völlig geschlosse-
nen schwarzen Kreise (dem Vorderrande der Chorioidea) und ei-
nem kugligen, etwas hervorragenden, hellen Körper (dem gröſsten
Theile der Vorderfläche der Linse) gebildet wird. Im Laufe we-
niger Wochen (im Normale noch vor der eilften), haben die
Augen sich durch die in diese Zeit fallende rasche Ausbildung des
Gesichtes scheinbar mehr in die Orbita zurückgezogen. Genau
genommen muſs man aber sagen, die Orbita sei über einen Theil
der Augen hervorgewachsen. In dieser Zeit sondert sich das in
der Augenhöhle enthaltene Bildungsgewebe in Muskeln u. Schleim-
gewebe, während jede Spur von Fett anfangs fehlt. Irre ich
mich nicht, was jedoch bei so schwierigen Untersuchungen leicht
möglich ist, so entstehen bei dem Menschen die geraden Augen-
muskeln früher, als die schiefen.


Die erste Form des Augapfels ist kugelähnlich, jedoch so,
daſs der Längendurchmesser in der sechsten bis siebenten Woche
nur wenig mehr, als die Hälfte des Querdurchmessers ausmacht.
Aus der frühesten Entwickelungsgeschichte des Auges erhellt es
aber, daſs der Sehnerve keinesweges genau in die Achse des Bul-
bus
sich einsenkt, sondern immer mehr nach innen, je jünger der
Embryo ist. Hierdurch wird die gröſsere hintere Abtheilung des
Augapfels, die Skleroticalpartie, in zwei ungleiche Hälften, eine
innere und eine äuſsere, getheilt, die während des ganzen Fö-
tallebens dem Aeuſsern nach von einander differiren. Es vergrö-
ſsert sich nämlich bald die Längenachse des Bulbus, so daſs in
der eilften Woche derselbe eine fast sphärische Form angenom-
men hat. Vom dritten Monate an richtet sich wegen der bald
zu nennenden Skleroticalprotuberanz die imaginäre Längenachse
des Auges schief von innen nach auſsen, und so übertrifft sie
bald die Querachse des Bulbus, bis diese Differenz im achten
[190]Von dem Embryo.
Monat wieder schwindet (vgl. Brendel opuscula mathem. et me-
dic. argum ed. Wrisberg
1769. 4. I. pag. 132.). Im Laufe
der Entwickelung wird auch die Divergenz der Sehachse und
imaginären Längenachse immer kleiner. Auch die anderen Krüm-
mungsverhältnisse, wie sie vorzüglich Petit Chaussat und Krause bei
dem Erwachsenen anzugeben versucht haben, ändern sich während
des Fötallebens auf die mannigfaltigste Weise, deren Modificatio-
nen wir bald bei den einzelnen Augentheilen anzugeben Gelegen-
heit haben werden.


Eine andere ebenfalls bei äuſserer Ansicht des Bulbus schon
auffallende Eigenthümlichkeit ist der Spalt des Auges. Nach
Huschke’s oben gelieferter Darstellung ist er durch die früheste
Genese des Organes bedingt; allein Spuren desselben dauern dann
noch fort, wenn die äuſserste Haut, die Sclerotica, sich selbst
schon vollkommen geschlossen hat. Man sieht nämlich noch ei-
nige Zeit nachher in dem durch schwarzes Pigment gefärbten,
äuſserlich erkennbaren Ringe der Chorioidea an ihrem untern
und äuſsern Winkel eine schief von innen nach auſsen gehende
farblose Leiste. Ueber die Existenz derselben bei allen Wirbel-
thieren kann kein Zweifel mehr seyn, da sie bei ihnen Malpighi,
Kuhlemann, Haller, Wrisberg, Autenrieth, Sömmering, Meckel,
Emmert, Carus, Treviranus, Huschke, Bär, Ammon, Joh. Müller, Ge-
scheidt und wir selbst wahrgenommen haben. Bei dem Men-
schen, wo ihr Verschwinden in die seehste bis siebente Woche
fällt, haben sie Huschke, Ammon, Joh. Müller, Gescheidt und
wir gesehen. Viele Beobachter halten sie für eine wahre
Spalte. Von Bär dagegen (l. c. S. 77. bei Burdach S. 508.) sah
sie beim Hühnchen am vierten Tage als eine verdünnte Stelle
der Netzhaut, über welcher am sechsten Tage noch (l. c. S. 106.
bei Burdach S. 136.) der Chorioidea die Pigmentschicht fehlt.
Für die nächste Zeit, nach welcher die harte Haut sich geschlossen
hat, müssen wir nach eigener Untersuchung dem Letztern auch bei-
stimmen. — Die Ansicht Kiesers (de anamorphosi oculi 1804.
4. p. 64. und Okens und Kiesers Beiträge Hft. II. 1806. 4. S.
108.), daſs die Spalte auch die Iris trenne, ist wohl nur aus ei-
ner miſsverstandenen Stelle Malpighis hervorgegangen, da Kieser
selbst die Spalte nur in der Chorioidea gefunden hat (Beitr. S.
93. bis 97.). Auf einem ähnlichen Grunde mag die Angabe bei
Meckel (Anat. IV. S. 116.) beruhen. Bei Fischen dagegen scheint
[191]Höhere Sinne. Auge.
die Spaltung entweder bis nach der Bildung der Iris zu verhar-
ren oder wenigstens so tief einzugreifen, daſs ihr Narbenüberrest
noch bei jungen Thieren deutlich, selbst an der Iris, zu sehen ist,
wie Carus (Zoot. S. 282.) beim Wels, Huschke (Beitr. zur Anat.
und Naturgesch. Bd. I. S. 55.) beim Karpfen und zum Theil Tre-
viranus (Verm. Schr. III. S. 159.) beim Stör gefunden hat. Rathke
dagegen (Abth. II. 1833. S. 27.) konnte beim Schleimfische keine
Spalte wahrnehmen. Daſs ursprünglich die Spalte die Chorioi-
dea
treffe, erhellt daraus, daſs jene meist früher verschwindet, als die
Iris erscheint. Walthers Ansicht (s. Journ. II. S. 591.), daſs die
Spaltung die Entstehung des Auges aus zwei seitlichen Hälften
beweise, ist durchaus ungegründet, da sie sowohl durch die neue-
ren Data unmittelbar widerlegt wird, als auch, wie E. H. Weber
(Hildebr. Anat. IV. S. 100.) richtig bemerkt, die Spalte sich dann
oben und unten zugleich finden müſste. Den Streit dagegen,
ob das Coloboma iridis eine bloſse Bildungshemmung sey (Joh.
Müller in Ammons Zeitschr. Bd. I. Hft. 2.) oder auf einem über
die Normalzeit sich erstreckenden Hiatus beruhe (v. Ammon in
s. Zeitschr. Bd. I. Hft. 1. und Bd. II. Hft. 3. S. 409. Gescheidt
de colobomate iridis p. 24.) halten wir nur für einen Wort-
streit; denn am Ende sind doch auch bei andern Spaltungen,
welche wir als Bildungshemmungen ansehen, wie Haasenscharte
und Wolfsrachen, Hypospadie und dgl., später sich entwickelnde
Theile von demselben abnormen Processe ergriffen, wie die im
Normal in frühester Zeit getrennten Urtheile. —


Die Augenhäute treten der Zeit nach verschieden auf; zuerst
bildet sich das Rudiment von Sclerotica und Chorioidea nach
auſsen und von Retina nach innen, späterhin die Cornea und zu-
letzt die Iris. Es könnte aber nur verwirrend seyn, wenn wir
nach dieser Anordnung die Häute des Augapfels abhandeln woll-
ten. Die speciellen Data über ihre temporäre Entwickelung sol-
len bei den einzelnen angegeben werden, und wir werden daher
hier die Membranen nach der bei Beschreibung derselben aus
dem Erwachsenen gewöhnlichen Reihe durchgehen.


Die Hornhaut entsteht bei dem Menschen vor der sechsten
Woche als eine körnige Membran, welche zuerst der Oberfläche
der Linse überaus nahe ist, ja sie vielleicht zum Theil berührt.
Anfangs bildet sie eine theilweise Fortsetzung der Sclerotica
ohne sichtbare Grenze zwischen beiden und ohne bemerkbare
[192]Von dem Embryo.
Structurveränderung. Bald jedoch wölbt sie sich mehr und bil-
det eine im Verhältniſs zum Auge bedeutend hervorstehende
Halbkugel, welche als dickwandiges Kugelsegment die vordere
Fläche des Auges fast ganz begrenzt. Eine ähnliche conisch her-
vorragende Wölbung der Hornhaut fanden Gescheidt (Ammons
Zeitschr. II. 1832. S. 484. und Wimmer de hyperceratosi 1831.
4. p. 23.) und v. Ammon (Zeitschr. Bd. II. S. 513.). Sie ist in
der zehnten bis zwölften Woche am stärksten. Um diese Zeit
wird auch der Unterschied zwischen Sclerotica und Cornea
deutlicher. Die letztere wird durchsichtiger, die erstere dagegen
erhält einen mehr bläulichen Anstrich. Auch sieht man vom
vierten Monate an die Hornhaut von der harten Haut durch eine
Kreislinie begränzt, welche von Ammon (Zeitschr. Bd. II. S.
505.) schon im zweiten Monate bemerkt zu haben scheint. Die
Convexität der Cornea wird im Verhältnisse zum übrigen Aug-
apfel nun immer geringer, und diese früher in allen Theilen fast
gleich dicke Membran verdünnt sich in der Mitte. Dennoch ist
sie selbst bei dem Neugebornen, wie Brendel (l. c. p. 133.) schon
wuſste, noch dicker verhältniſsmäſsig, als im Erwachsenen, wel-
ches nach Meckel (Anat. IV. S. 112.) von einer Anhäufung röth-
licher Flüssigkeit zwischen ihren Blättern herrühren soll. Die
Membrana humoris aquei kann, wenigstens in einiger Continui-
tät, nicht dargestellt werden (Vergl. Henle de membrana pupil-
lari aliisque membranis oculi pellucentibus. Bonnae
1832. 4.
p. 66.). — Anfangs besteht das Gewebe der Hornhaut aus einem
Aggregat von Körnchen, welche in der achten Woche 0,000608
p. Z. bis 0,000405 p. Z. im Durchmesser haben. Späterhin er-
kennt man undeutliche und in einander gewirrte Fasern, deren
Durchmesser zu Anfange des fünften Monates 0,000152 p. Z. be-
trägt und zwischen welchen Kügelchen von 0,000354 im Durch-
messer sich befinden. Lymphgefäſse, wie Arnold gesehen haben
will, habe ich eben so wenig, als Joh. Müller (Physiol. I. Abth.
I. S. 250. und 361.) und R. Wagner (Ammons Zeitschr. Bd. III.
S. 277.) beobachten können.


Die harte Haut. — Mit der Scheidung der Augengrube in
Orbita und Bulbus ist ihre Existenz gegeben. Sie stellt von
Anfang an eine körnige, dichte und ziemlich feste Membran dar,
deren Kügelchen in der achten Woche 0,000304 p. Z. bis 0,000405
p. Z. im Durchmesser haben und welche später eine mehr fase-
rige
[193]Höhere Sinne. Auge.
rige Structur erlangt, doch ohne daſs eine bestimmte Anordnung
ihrer Fasern vorherrschend und deutlich wäre. Ihre Dicke va-
riirt so sehr, daſs sich hierüber durchaus nichts Bestimmtes an-
geben läſst. — Die Entstehung ihres bläulichen Aussehens fällt
in die Mitte des dritten Monates. — Um dieselbe Zeit bildet sich
auch die von v. Ammon (Isis 1829. S. 430, s. Zeitschr. II. S.
508. und de genesi et usu maculae luteae. 1830. 4. p. 10.)
näher beschriebene protuberantia scleroticalis, d. h. eine durch
den noch sehr starken Neigungswinkel der Bulbusaxe gegen die
Sehaxe entstandene Hervorragung der harten Haut nach hinten
und auſsen, welche immer weniger auffallend wird, je mehr der
Sehnerve gegen die Mitte zu an die dem Erwachsenen eigen-
thümliche Stelle rückt und die Axe des Auges seinem Diameter
mehr gleich wird. So vermindert sie sich schon bei dem fünf-
monatlichen Fötus (Ammon in s. Zeitschr. l. c. S. 513.) und noch
mehr verhältniſsmäſsig in den folgenden Monaten. Diese Stelle
der Sklerotica ist jedoch im zehnten Monate noch dünn und
durchsichtig (Ammon l. c. S. 519.), wie überhaupt bei Neugebo-
renen die ganze Sklerotica, im Verhältniſs zum Erwachsenen,
von noch geringer Stärke gefunden wird. Vorzüglich aber ist
dieses nach Diemerbroek und Zinn (s. d. descr. anat. oculi hu-
mani ed Wrisberg
. 1780. 4. p. 6.) gegen die Hornhaut zu der
Fall, während J. F. Meckel (Anat. IV. S. 112.) mit Unrecht im
Allgemeinen behauptet, daſs die Sklerotica des Fötus verhältniſs-
mäſsig dicker sey, als die des Erwachsenen. — Die Arnoldsche
Arachnoidea (l. c., Salzb. Zeit. 1831. Bd. 3. S. 237. u. Ammons
Zeitschr. II. S. 378.) ist, wie Arnold selbst bemerkt, bei Neuge-
borenen leichter wahrzunehmen, als bei Erwachsenen.


Die Aderhaut. — Um ihre Entstehung zu begreifen, muſs
man vier Lagen in ihr unterscheiden: 1. Die äuſsere Gefäſslage,
2. die Substanzlage, 3. die Pigmentlage und 4. die als Ruyschiana
bekannte Gefäſslage. Die Substanzlage scheint am frühesten
von allen zu entstehen, und zwar als eine verhältniſsmäſsig
feste und der Sklerotica genau anliegende Membran und kurz
nach ihr oder mit ihr vielleicht zugleich die beiden Gefäſslagen.
Leider konnte ich nur in Weingeist aufbewahrte menschliche Em-
bryonen vor dem Ablaufe des zweiten Monates hierauf untersu-
chen, und vermag daher gar nichts über die Gefäſsschichten aus
dieser frühesten Zeit mit Bestimmtheit anzugeben. Die Substanz-
13
[194]Von dem Embryo.
lage dagegen ist in der achten Woche bestimmt schon in ihrer
ganzen Ausdehnung da und bildet, da zu der Zeit die Iris noch
gänzlich mangelt, mit ihrem vordersten Ende den Pupillarring. —
Die Pigmentschicht entsteht nach meinen Beobachtungen an Men-
schen, Säugethieren und Vögeln auf folgende Weise: Es setzen
sich zuerst auf der inneren Oberfläche der Substanzlage einzelne
runde, farblose und durchsichtige Körperchen ab, welche in frü-
hester Zeit (bis zur zehnten Woche) bei dem Menschen 0,000355
P. Z. bis 0,000405 P. Z. im Durchmesser haben. Sie sind die zu-
künftigen Pigmentkörperchen oder Pigmentbläschen. Bald jedoch
entstehen an ihrer Peripherie Pigmentkügelchen von schwarzer
Farbe, so daſs die ersteren in ihrer Mitte noch durchscheinend, an
ihrem Umkreise aber dunkel und undurchsichtig sind. Diesen Zu-
stand hat auſser mir offenbar schon v. Ammon (Zeitschr. II. S. 510.)
und R. Wagner (ib. III. 3. 4.) gesehen. Die Kügelchen sind von
Anfang an so klein, daſs sie gar nicht mehr micrometrisch gemessen
werden können und wahre Brownsche Körperchen zu nennen sind.
Sie nehmen auch, sobald sie frei im Wasser schwimmen, eine so
lebhafte Molekularbewegung an, wie, die Drüsenkörnchen vielleicht
ausgenommen, kein Elementartheil des thierischen Körpers. Spä-
terhin belegen sich die Pigmentkörperchen immer mehr mit
schwarzen Farbekügelchen, und zwar so stark, daſs sie von allen
Seiten von den letzteren eingehüllt und verdeckt und erst dann
sichtbar werden, wenn man die Pigmentkügelchen durch Druck
oder Abwaschen entfernt hat. Da die Pigmentbildung in der Cho-
rioidea und Uvea während des gröſsten Theiles des Fötallebens
ununterbrochen vor sich geht, so wiederholt sich derselbe Proceſs
nur an verschiedenen Stellen in allen Schwangerschaftsmonaten.
Nur scheinen die in späterer Zeit neu entstehenden Pigmentkör-
perchen etwas kleiner zu seyn, als die früheren. So fand ich zu
Ende des dritten Monates ihren Durchmesser 0,000254 P. Z. bis
0,000405 P. Z. und zu Ende des vierten 0,000235 P. Z. bis
0,000354 P. Z. — Wie zuerst einzelne Pigmentkörperchen, nach
Art der Blutgefäſse und Knochenkanäle, sich ablagern (s. unten), so
bilden sich anfangs auch getrennte Pigmentflecke, welche später zu-
sammenschmelzen. — Die erste Pigmentbildung findet sich, wie
schon Heusinger (Meck. Arch. VII. S. 404.) und v. Ammon (l. c. S.
510.) angeben, an dem vordersten Rande der Aderhaut und sie
scheint von hier in der Richtung von vorn nach hinten fortzu-
[195]Höhere Sinne. Auge.
schreiten. Doch findet man kaum bei zwei gleich alten Früch-
ten auch gleiche Stadien der Pigmentbildung. — v. Ammon (Isis
1829. S. 430. 31.) glaubte anfangs an der der protuberantia scle-
roticalis
entsprechenden Stelle eigenthümliche Falten gefunden
zu haben, welche an den Kamm des Vogelauges erinnern sollten,
erkannte aber späterhin (de macula lutea p. 11.), daſs diese
nur Gefäſse seyen, die dicht mit schwarzem Pigmente überzogen
sind und nach ihm zuerst von allen Gefäſsen der Aderhaut er-
scheinen sollen. — Die äuſsere Gefäſslage habe ich schon an ei-
nem zehnwöchentlichen Embryo mit Bestimmtheit erkannt, wo
die Aeste in zwei über einander liegenden Schichten parallel von
hinten nach vorn verliefen. Das innere Gefäſsblatt, das wohl
schon um dieselbe Zeit da ist, konnte ich noch nicht mit Deut-
lichkeit wahrnehmen. Den Charakter der feinsten Blutgefäſsnetze
der Ruyschiana hat Sömmering (Denkschriften d. Münch. Acad.
Bd. VII. 1820. 4. tab. 1. fig. 2., copirt in Hildebr. Anat. besorgt
von E. H. Weber Bd. I. 1830. 8. tab. 2. fig. 33. b.) meisterhaft
dargestellt. Vgl. unsere Arbeit über die feinsten Blutgefäſse in
Heckers Annalen. März. 1834.


Das Strahlenband habe ich schon in der Mitte des dritten
Monates als einen verhältniſsmäſsig breiten Ring erkannt, in wel-
chem ich bis zur Mitte des fünften Monates mir noch ganz räth-
selhafte Fasern gefunden habe.


Die Iris entsteht unter den oben genannten Häuten am spä-
testen, um die Mitte oder das Ende des dritten Monates, als eine
schmale, von auſsen nach innen eindringende Lamelle, welche
sich schnell ihrem Gewebe nach umändert und ihr granulirtes An-
sehen verliert. Man sieht in ihr die Falten früher (Ende des
dritten Monates), als die Fasern. Da sie mit ihrem äuſsersten
Rande an die vorderste Begrenzung der Aderhaut und zum Theil
an den Ciliarkörper stöſst, so erhält sie von diesen Punkten aus
an der Hinterfläche ihre Pigmentlage. Doch scheint sich auch
unabhängig von diesem Ansatze eine Absonderung von Farben-
masse an dem Pupillarrande zu bilden und man sieht daher im
vierten Monate sehr häufig die hintere Fläche der Regenbogen-
haut von zwei Ringen umfaſst, zwischen denen ein farbloser kreis-
förmiger Streif enthalten ist. — Einiges hierher noch Gehörende
s. unten bei der Pupillarmembran.


Aus der in der früheren Augengrube, der späteren Augen-
13*
[196]Von dem Embryo.
blase enthaltenen Flüssigkeit entsteht zuvörderst die Retina ganz
nach Analogie der Hirnbildung durch Ablagerung von Nerven-
masse an den Seitenwänden. Ihre erste Formation fällt in eine
sehr frühe Zeit. So erkannten sie schon v. Bär (üb. Entw. gesch.
S. 65. bei Burdach S. 295.) bei dem Hühnchen am dritten Tage,
v. Ammon (Zeitschr. II. S. 505.) bei dem Menschen in der sie-
benten und wir selbst in der achten Woche. Sie umgiebt dann
Glaskörper und Linse als eine dicke (wenigstens nach der Erhär-
tung im Weingeiste), faltige Membran und erstreckt sich von der
Eintrittsstelle des Sehnerven bis nach vorn zu dem Sehloche.
Nach Huschke (de pectine p. 3. 4. und Isis 1831. S. 950.) ist
sie an ihrem vorderen Rande sowohl, als an ihren Augenspalt-
rändern bei dem Hühnchen umgeschlagen, welches Verhältniſs
aber von v. Bär (l. c. S. 86. bei Burdach S. 319.) nicht gefun-
den wurde und wir selbst mit Deutlichkeit noch nicht haben sehen
können. Die in ihr enthaltenen Kügelchen berechnete ich in einem
achtwöchentlichen menschlichen Embryo zu 0,000304 P. Z. im
mittleren Durchmesser. In der zehnten Woche fand ich die Netz-
haut noch dicker und konnte sie als eine becherförmige Halbku-
gel von allen sie umgebenden Theilen trennen. Sie hatte eine
ziemliche Anzahl sehr tiefer Falten, welche alle von dem Seh-
nerven ausgingen. In den Vertiefungen war die Masse sehr dünn
und zart, in den Zwischenräumen dagegen dicker und aufgewul-
stet. Wie bedeutend ihre Stärke sey, zeigte die micrometrische
Messung. Denn ich fand sie an den Diametralendpunkten des
Augapfels 0,009082 P. Z. dick, während die Queraxe des Bulbus
0,072750 P. Z. betrug. Beide verhielten sich also zu einander, wie
1 : 8, während sie sich im Erwachsenen wie 1 : 25 bis 30 verhal-
ten. Die Nervenkügelchen hatten 0,000254 P. Z. bis 0,000330
P. Z., im fünften Monate dagegen 0,000120 P. Z. bis 0,000380
P. Z. im Durchmesser. Der Diameter der Siebplatte betrug
0,003300 P. Z., verhielt sich also zu dem des Auges, wie 1 : 22,2,
während im Erwachsenen (nach D. W. Soemmering de oculorum
sectione horizontali
. 1818. fol. p. 79. und Treviranus Beitr. zur
Anat. u. Physiol. der Sinneswerkzeuge. Hft. I. 1828. fol. S. 22.
23.) das Verhältniſs wie 1 : 13,5 ist. In der Folge verdünnt sich
die Retina, die nach Erhärtung in Weingeist vorzüglich deutlichen
Falten werden regelmäſsiger und concentriren sich in den letzten
Schwangerschaftsmonaten zu den beiden vorzüglich, welche den
[197]Höhere Sinne. Auge.
späteren gelben Fleck umgeben. — Die auch nach unseren an
Erwachsenen angestellten Untersuchungen richtigere Ansicht
Schneiders (das Ende der Nervenhaut. München 1827. 4.), daſs
die Retina erst kurz vor dem Rande der Linsenkapsel sich endige,
kann vorzüglich leicht wegen der bedeutenden Dicke der Nervenhaut
durch die Untersuchung von Fötusaugen aus dem zweiten bis
vierten Monate bestätigt werden.


Der Glaskörper scheint eine Metamorphose der nicht mehr
zur Bildung der Nervenhaut verwandten Flüssigkeit zu seyn.
Ueber die Art seiner Entstehung ist man noch völlig im Dunke-
len. Er ist, je jünger der Fötus, um so kleiner und man stellt
sich die Art seiner Formumänderung am besten vor, wenn man
sich ein Kugelsegment denkt, welches durch ein anderes sich ein-
schiebendes Kugelsegment (die hintere Abtheilung der Linse) be-
stimmt wird und in gleichem Verhältniſs des Wachsthumes sei-
ner Durchmesser- (früheren Radial- späteren Diametralabschnitts-)
länge auch seine Oberfläche in eine immer gröſsere Kugelsegments-
fläche verwandelt. Er ist im frischen und normalen Zustande
immer klar und durchsichtig und hat, indem die Crystalllinse
sich nach vorn und mit sich die Arteria centralis zieht, im Fö-
tus eine wahre Area Martegiani, wie ich mich nach wiederhol-
ten Untersuchungen wiederum überzeugt habe. — Die tellerför-
mige Grube ist, je jünger der Embryo, desto tiefer und gröſser.


Die Ciliarfortsätze entstehen nach v. Ammon (Zeitschr. II. S.
510.) durch Faltung der Chorioidea. Man sieht sie nach ihm zu-
erst bei drei- bis viermonatlichen, die Ciliarkrone dagegen (l. c.
S. 514.) erst bei fünfmonatlichen Früchten. — v. Bär (l. c. S.
105. bei Burdach S. 336.) glaubt, daſs die Zonula aus der Me-
tamorphose des Nervenblättchens entstehe, welches jedoch auf
der Ansicht zu beruhen scheint, daſs die Retina nicht bis zu der
Linsenkapsel reiche. Wir selbst konnten sie vor dem Anfange
des fünften Monates mit Bestimmtheit nicht unterscheiden.


v. Ammon (Zeitschr. II. 446—59.) hat endlich in der neuesten
Zeit auf eine häufig bei Embryonen vom vierten Monate an und bei
Neugeborenen vorkommende rothe Färbung der Augenhäute und des
Glaskörpers, während die Linse farblos bleibt, aufmerksam gemacht
und wagt nicht zu entscheiden, ob die Erscheinung pathologisch oder
normal sey. Die Farbe unterschied sich bestimmt von der schmut-
zigen, welche die Augenhäute haben, wenn der Fötus in oder
[198]Von dem Embryo.
auſserhalb des Mutterleibes in Fäulniſs übergegangen ist, und soll,
wie es scheint, mit dem Mangel der Arteria centralis verbun-
den seyn.


Ohne Zweifel hat das Linsensystem seine eigene, besondere
Genese, wenn auch der Hergang dieser Formation noch keines-
wegs mit allen zu wünschenden Specialitäten gekannt ist. Die
meisten Schriftsteller gaben über die Entstehung der Linse nichts
Genaueres an und beschrieben sie nur als eine verhältniſsmäſsig sehr
groſse und dichtere Eiweiſskugel, die v. Bär (l. c. S. 65. bei Bur-
dach S. 295.) bei dem Hühnchen schon am dritten Tage und v.
Ammon (Zeitschr. II. S. 505.) bei dem Menschen in der sieben-
ten Woche deutlich erkannte. Huschke vermuthete früher (Beitr.
S. 67.), daſs sie aus dem Grunde der Augenhöhle nach vorn her-
vorwachse und dann von hinten nach vorn sich löse, fand aber
nach einer Reihe späterer Untersuchungen (Isis 1831. S. 950. u.
Meck. Arch. 1832. S. 17.), daſs die Linsenkapsel durch Einstül-
pung der Integumente nach Art einer Hautdrüse entstehe. Es
gräbt sich nämlich die schleierartige Hülle, welche die Augen-
bucht zuerst schlieſst, von auſsen nach innen ein und stellt so
die in frühester Zeit vorn noch ganz offene Linsenkapsel dar,
welche allmählig sich verengt und abschnürt, so daſs man bis zu
Ende des dritten Tages mit einem Pferdehaar hineindringen, spä-
ter dagegen die Sehlieſsungsstelle als dunkeleren Punkt wahrneh-
men kann. Das Letztere konnten v. Ammon und Gescheidt
(Zeitschr. III. S. 358.) nicht finden. Jedenfalls deutet diese Beob-
achtung aber auf ein auch durch andere Thatsachen unterstütztes
merkwürdiges Verhältniſs bei erster Bildung der Linse hin, wel-
ches sich bei Säugethieren vielleicht eher eruiren lassen wird, da
bei ihnen die Linse in frühester Zeit um Vieles gröſser ist, als
bei den Vögeln. — So liegt nun die Linse in der bald darauf
folgenden Bildungsperiode mit einem groſsen Theile frei und nur
von einer sehr dünnen Integumentalschicht, der künftigen Hornhaut,
bedeckt. Die Pupille wird einzig und allein von dem vorderen
Ende der Chorioidea gebildet und die Linse selbst berührt fast
unmittelbar die hintere Wand der Cornea. Sie wird nun von
einem Gefäſsblatte, dem Kapselpupillarsacke, vollkommen umschlos-
sen, welcher zum gröſsten Theile aus der durch den Glaskörper
dringenden Arteria capsularis gebildet wird. Dieses Gefäſsblatt
erleidet aber bald, sowohl durch die intercurrirende Iris, als durch
[199]Höhere Sinne. Auge.
das Entstehen einer wahren vorderen Augenkammer, bedeutende
Veränderungen. Es verbindet sich nämlich zum Theil mit den
Gefäſsen der Regenbogenhaut, so daſs nun seine vordere Wand
mit dieser in eine innigere Gemeinschaft tritt. Da aber der frei
liegende Theil der Linse immer kleiner wird, indem sie sich so-
wohl von vorn nach hinten zurückzieht, als auch die Iris von
auſsen nach innen gegen das Centrum ihrer Vorderfläche eindringt,
so entsteht in dem Kapselpupillarsacke eine Art von Einschnü-
rung, welche in der Pupille am gröſsten ist. Nach hinten dage-
gen erweitert sich die Membran wieder, um dann die hintere
Wand der hinteren Linsenkapselabtheilung zu umkleiden. So
entsteht eine dreifache Differenz in dem Kapselpupillarsacke, näm-
lich nach vorn die Membrana pupillaris, nach den Seiten die
capsulo-pupillaris und hinten die gefäſsreiche hintere Linsenkap-
selwand. Daher finden wir auch die Pupillarmembran bei Säu-
gethieren der Linse um so näher und die capsulo-pupillaris um
so kürzer, je jünger der Embryo ist. Daher schreitet auch das
Wachsthum der Letzteren in gleichem Verhältnisse mit dem Zu-
rücktreten der Linse und das der Einschnürung mit der Vergrö-
ſserung der Iris in gleichem Grade fort, während die hintere ge-
fäſsreiche Linsenkapselwand nur der Ausbildung und Gröſse der
Linse und Linsenkapsel immer parallel läuft. So sieht man bei
dem Menschen noch in der eilften Woche den Kaspelpupillarsack
als ein Gefäſsblatt, welches die hintere Fläche der Linsenkapsel
überzieht, sich an den Seitenrändern derselben umschlägt, einen
groſsen Theil des äuſseren Umkreises der vorderen Fläche dersel-
ben ringförmig bedeckt und nur einen kleinen Kreis der vorde-
ren Linsenkapselwand frei läſst, welches vielleicht zu Ammons
Angabe (Zeitschr. II. S. 511.) Anlaſs gegeben hat, daſs um diese
Zeit die vordere Linsenkapselwand ganz fehle. — Innerhalb die-
ses Sackes bildet sich nun die gefäſslose Linsenkapsel fort. Von
auſsen dagegen wird der Kapselpupillarsack wahrscheinlich eben-
falls von einer gefäſslosen Membran umgeben, nämlich von der von
mir zuerst beschriebenen Haut (Ammons Zeitschr. 1833. Hft. 3. u.
4.), welche ich nun auch in dem Auge menschlicher Embryonen
aus der letzten Hälfte des dritten Monates gefunden und Purkinje
gezeigt habe. Nach hinten zu dagegen liegt die gefäſsreiche hin-
tere Linsenkapselwand bei einem injicirten menschlichen Embryo
nicht frei, sondern von einer körnigen Membran bedeckt. In wel-
[200]Von dem Embryo.
chem Zusammenhange die erstere mit der letzteren stehe, habe
ich noch nicht ermitteln können. Vielleicht ist die Huschkesche
Einstülpung ein solcher Sack, in welchem sich die Linse und von
ihr ausgehend die Linsenkapsel bildet, zwischen welche der Kapsel-
pupillarsack als Gefäſsblatt sich einlegt und der wegen des inter-
currirenden Wachsthumes der Iris mit seinem äuſsersten Rande
an der hinteren Fläche der Regenbogenhaut mit seinem cylindri-
schen Theile (Ausführungsgange) als die von mir beschriebene
Membran und mit ihrem hintersten Theile als die die hintere ge-
fäſsreiche Linsenkapselwand bedeckende Haut erscheint. Weitere
Beobachtungen müssen hierüber noch bestimmten Aufschluſs ge-
ben. Die von mir beschriebene Membran ist mit Körnchen dicht
erfüllt und ziemlich dick. Eine darunter liegende, von Reich
(de membrana pupillari 1833. 4. p. 37.) aufgefundene völlig
durchsichtige und gefäſslose Haut konnte ich in dem menschli-
chen Auge noch nicht sehen und zugleich mit der von mir be-
schriebenen Membran überhaupt noch nicht in einem und demsel-
ben Thierauge beobachten.


Die Pupillarhaut. — Ueber ihren ersten Entdecker sind die
Angaben verschieden. Nach W. Hunter (Medic. Comment. I.
1762. p. 63.) und Blumenbach (Instit. physiol. p. 208.) ist es
wahrscheinlich Sandys. Auf dem Continente hat sie offenbar
zuerst Wachendorff (Commerc. litt. Noric. 1740. p. 137.) im
Jahre 1740 beschrieben und nach ihm und unabhängig von ihm
Haller (Opp. min. I. 4. p. 529. 30.) gesehen und abgehandelt.
Albin (Acad. adnott. lib. 3. p. 92.) will sie zwar schon 1731
beobachtet und 1737 abgebildet haben, machte sie jedoch erst im
Jahre 1754 bekannt (Acad. adnott. lib. I. p. 33.). Ueber ihre
Struktur und ihren Zusammenhang sind die verschiedensten und
unrichtigsten Angaben vorgebracht worden. Für eine Fortsetzung
der Chorioidea halten sie Huschke (de pectine p. 9.) und ein Un-
genannter (Ammons Zeitschr. II. S. 436.) und für eine solche
der Iris Wachendorff (l. c.), Wrisberg (Commentat. Vol. I. 1800.
8. p. 11.), Troxler (Himly’s und Schmidt’s Bibliothek. Bd. I. St.
2. S. 54.), Kieser (s. u. Okens Beitr. Hft. 2. S. 105.), W. Spren-
gel (Meck. Arch. V. S. 360.) u. A. Zinn (descr. oculi ed.
Wrisberg p
. 82. 83.) und Haller (Opp. min. I. p. 530.) sprechen
nur von Fortsetzungen der Blendungsgefäſse in die Pupillarhaut.
Desgleichen, wie es scheint, in neuester Zeit v. Ammon (Zeit-
[201]Höhere Sinne. Auge.
schr. II. S. 517.). Daſs sie eine ganz eigene, für sich bestehende
Haut sey, haben Ph. Fr. Meckel und Sömmering (Hallers Grundr.
der Physiol., bearb. von Leveling. Thl. I. 1795. 8. S. 453.) im
Jahre 1795. ausgesprochen. J. F. Meckel (Anat. IV. S. 114.)
läſst sie aus dem inneren Rande der Iris entspringen. Nach Cloc-
quet (Meck. Arch. IV. S. 636.), Meckel (l. c.) u. A. besteht sie
aus zwei Lamellen, zwischen welche die Gefäſse sich ausbreiten.
Rudolphi’s Untersuchungen (Abh. d. Berl. Akad. für 1816. 17.
Berl. 1819. 4. S. 117. und Physiol. Bd. 2. Abthl. 1. 1823. 8.
S. 178.) zeigten, daſs sie nur ein einfaches Blatt sey und an die
Vorderfläche der Iris, etwas entfernt von dem Pupillarrande, sich
ansetze, ein Verhältniſs, welches Henle (l. c. p. 2), Reich (l. c.
p. 5.) und wir selbst (Ammons Zeitschr. III. Hft. 3 u. 4.) voll-
kommen bestätigt gefunden haben. — Die Zeit der gröſsten Aus-
bildung der Pupillarmembran fällt ungefähr in den sechsten Mo-
nat. Sie verschwindet vom Centrum aus nach der Peripherie
hin (wo sie überhaupt dicker zu seyn scheint, als in der Mitte),
wahrscheinlich im Normale gröſstentheils noch vor der Geburt,
nach Zinn (l. c. p. 82.) und Haller (Elem. physiol. p. 373.) im
siebenten, nach Wrisberg (l. c. p. 10.) J. F. Meckel (l. c. S. 115.),
Rudolphi (l. c.), Mende (s. Held de membrana pupill. Gryphisrv.
1803. in Cuviers vergl. Anat. übers. v. Meckel II. S. 520.) im
neunten Monate. Auf jeden Fall verlieren sich nach den Beo-
bachtungen von Meckel, Ammon, Henle, Reich u. A. ihre Gefäſse
noch vor der Geburt. Eine durchsichtige Membran aber, welche
die Pupille vollkommen verschloſs, haben Jacob (Medic.-chir.
transact. Vol
. 12. P. 2. p. 487.) und Tiedemann (S. s. u. Tre-
viranus Zeitschr. II. S. 336.) noch nach der Geburt wahrgenom-
men und sehen dieses durchaus als Norm an. — Gegen die Be-
hauptung Blumenbachs und Clocquet’s, daſs durch das Zurück-
weichen der Gefäſse der Pupillarmembran der Circulus vasorum
iridis internus
entstehe sind Henle (l. c. p. 4.) und Reich (l. c.
p. 9.) mit Recht aufgetreten. Der Letztere behauptet (l. c. p.
10.), daſs jener von der Pupille um eben so viel, als der Ansatz von
der Pupillarmembran entfernt sey. Abbildungen der Gefäſse der
Membr. pupill. siehe vorzüglich bei Wrisberg l. c. fig. 2., Blu-
menbach instit. physiol. tab. 2. fig. 2. Sömmering Abbild. des
menschl. Auges. 1801. tab. 5. fig. 11. und Henle l. c. fig. 1. 2.


Die Kapselpupillarhaut. — Diese hat, wie es scheint, W.
[202]Von dem Embryo.
Hunter (l. c. p. 63.) zuerst entdeckt und beschrieben und Haller
um dieselbe Zeit nach dessen Beobachtungen in seine Physiolo-
gie (Elem. physiol. IV. p. 372.) aufgenommen. Walter (Send-
schreiben über die Blutadern des Auges. 1778. 4. S. 17.) hat offenbar
die Gefäſse dieser Haut gesehen und zum Theil abgebildet (tab. 3. fig.
3. b.), die Membran selbst aber übergangen. Wrisberg (l. c. p.
11.) hat ihre Anwesenheit mit Unrecht geläugnet und seine Auc-
torität scheint der Grund gewesen zu seyn, weshalb alle ihm
nachfolgenden Beobachter, mit Ausnahme von Bährends vielleicht,
von ihr schwiegen, bis 1832 Joh. Müller sie unabhängig von diesen
früheren Angaben von Neuem entdeckte, während Czermak ihre
Gefäſse im Auge des Leoparden im Jahre 1829 schon gefunden
hatte (S. Isis. 1832. S. 557.). So wurde sie dann in der neuesten
Zeit von Henle und Reich beschrieben. Ein Ungenannter (Ammons
Zeitschr. II. S. 430. fgg.) und Arnold (ebds. III. Hft. 1.) haben
die Richtigkeit dieser Haut in Zweifel gezogen. Wir selbst da-
gegen (ebds. Hft. 3. und 4.) ihre Existenz vertheidigt. Auſserdem
haben sie auch Retzius (Müllers Physiol. I. S. VII.) und R. Wagner
(Ammons Zeitschr. Hft. 3. und 4.) gefunden, und Rudolphi und
Schlemm (Reich l. c. p. 14.) gesehen. — Ihre Lage ist verschie-
den. Je jünger der Fötus ist, über einen desto gröſseren Theil
der Linsenkapsel breitet sie sich aus. Immer ist sie nach Maaſs-
gabe der Pupillengröſse an dieser etwas verengt. Henle (l. c. p.
7.) läſst sie von dem vorderen Ende der Zonula beginnen und
an dem Ansatzpunkte der Pupillarhaut, an der Iris, endigen.
Ihre Gefäſse sind durchaus parallef, gerade von hinten nach vorn
verlaufend und bilden wenige oder gar keine Anastomosen. (S.
d. Abbild. bei Henle l. c. fig. 3. und 4.) In einem dreimonatli-
chen, menschlichen Embryo fand ich das Minimum des Durchmes-
sers jener Gefäſse 0,000665, das Medium 0,000814 P. Z. und das
Summum 0,001013 P. Z. und in einem fünfmonatlichen das Mini-
mum 0,000760 P. Z., das Medium 0,001165 P. Z. und das Summum
0,001571 P. Z. — Die Haut selbst ist vollkommen durchsichtig,
dünn, aber dabei verhältniſsmäſsig fest, und läſst selbst unter
starker Vergröſserung keine gröſseren Körnchen unterscheiden.


Die hintere Linsenkapselwand wird ringsum von einem Ge-
fäſsblatte umgeben, welches vorzüglich durch Ramificationen der
Arteria capsularis entsteht und das in neuester Zeit Werneck
(Salzb. Zeitschr. 1823. S. 115. fig. a. B.) und mit besonderer
[203]Höhere Sinne. Auge.
Treue und Schönheit Henle (l. c. fig. 6. e.) abgebildet haben. Schon
ohne Injection findet man häufig in frischen Augen diese Gefäſse
von Blut roth gefärbt. Ihren Durchmesser berechnete ich am
Ende des dritten Monates im Minimum zu 0,000532 P. Z., im
Medium. 0,000658 P. Z. und im Maximum 0,001202 P. Z. und
am Ende des vierten Monates im Minimum 0,000608 P. Z., im
Medium 0,001520 P. Z. und im Maximum 0,001723 P. Z. —
Man sieht hieraus, daſs im Allgemeinen im Kapselpupillarsacke
die Gefäſse von hinten nach vorn schwächer werden. Nur die
Pupillarmembran macht wegen des Hinzutrittes neuer Gefäſse aus
der Iris hiervon eine Ausnahme an manchen Stellen. — In der
zehnten Woche beobachtete ich hinter dem Gefäſsblatte eine kör-
nige, ziemlich dichte Membran, welche dem äuſseren Ansehen
nach wenigstens, der oben beschriebenen, von der Capsulo-pu-
pillaris
nach auſsen gelegenen vollkommen glich.


Linse und Kapsel scheinen in ihrer frühesten Bildung gegen-
seitig einander zu bedingen, da beide aus einer Flüssigkeit ent-
stehen und, je jünger der Embryo, desto inniger mit einander
verbunden sind. So sah ich in der achten Woche, wie in Hüh-
nerembryonen vom fünften bis sechsten Tage, die ganze Linse
noch aus den bald zu erwähnenden Körnchen bestehen, welche
nach auſsen durch eine äuſserst zarte und durchsichtige, von ih-
nen noch nicht streng geschiedene Membran begrenzt wurden.
Ob nun zu dieser Zeit schon Faserung in dem Centrum der Linse
vorhanden sey, oder nicht, wage ich nicht zu entscheiden. In
der zehnten Woche dagegen habe ich sie in der dichteren, schon
mit bloſsem Auge kenntlichen Centrallinsenkugel mit vollkomme-
ner Deutlichkeit beobachtet. Die umgebende, lockerere Masse
bestand aus einer groſsen Anzahl regelmäſsiger, runder, zierlicher
Kugeln, wie ich sie in Ammons Zeitschr. II. Hft. 3. und 4. be-
schrieben und abgebildet habe. Die Faserung verbreitet sich
nun immer mehr gegen die Oberfläche hin, so daſs schon im An-
fange des fünften Monates nur eine verhältniſsmäſsig eben so
dünne Körnerschicht vorhanden ist, als bei dem Erwachsenen.
Die Gröſse der Körner fand ich im vierten Monate 0,000253 P.
Z. bis 0,000405 P. Z. und im fünften 0,000506 P. Z. Die Fa-
sern der Linse selbst entstehen dadurch, daſs die Körnchen sich
longitudinal richten, verflüssigen und verschmelzen und so sich
in Fasern umwandeln, an deren Wandungen man im Anfange
[204]Von dem Embryo.
und selbst im Erwachsenen noch Spuren von Einschnürungen wahr-
nimmt. Auſser diesen sieht man aber noch zwischen ihnen, besonders
an den aneinander stoſsenden Seitenwänden je zweier Fäden sehr
kleine Kügelchen von ungefähr 0,000102 P. Z. im Durchmesser. Die
mittlere Dicke dieser Fasern fand ich an verschiedenen Linsen
0,000375 P. Z. — Da die Faserbildung in der Linse von innen nach
auſsen vorschreitet, so kann man selbst noch in älteren Linsen die
verschiedenen Metamorphosenreihen wahrnehmen. — Die von
Walther u. A. beobachtete röthliche Farbe und Verdunkelung der
Linse in früherer Zeit des Embryolebens können wir nicht als
Norm ansehen, da wir sie nur in Früchten, welche längere Zeit
vorher in oder auſserhalb des Mutterleibes abgestorben waren,
wahrnehmen konnten. — Die Linsenkapsel umgiebt die äuſserste
Linsenschicht genau und hängt innig mit derselben zusammen.
Wir haben sie nur immer geschlossen gesehen; von Ammon da-
gegen vermuthet (Zeitschr. II. S. 511.), daſs sie im dritten Mo-
nate vorn vielleicht geöffnet, bestimmt aber verdünnt sey. Auch
habe ich sie selbst, sogar an ihrer vorderen Wand, an welcher früher
schon Döllinger und in neuester Zeit Müller und Henle (l. c. p.
35. und Joh. Müllers Arch. I. S. 23.) zwei Mal Gefäſse gefunden
haben, bis jetzt immer durchaus gefäſslos gesehen. —


Mit der Entstehung der Orbita wird auch eine Quantität
Bildungsgewebe abgelagert, welches zum gröſsten Theile für die
Augenmuskeln bestimmt ist. Erst zu Anfange des vierten Monates
können diese, wie Brendel (l. c. p. 132.) schon wuſste, einzeln un-
terschieden werden, schreiten aber dann in ihrer Bildung rasch
vorwärts. Die Recti scheinen früher zu entstehen, als die Obli-
qui
. Im Uebrigen ist ihre Bildung durchaus nicht von der der
anderen Muskeln unterschieden. — Die erste Entstehung der
Conjunctiva fällt in den Anfang des dritten Monates. — Die
Thränendrüse ist in der letzten Hälfte des vierten Monates schon
deutlich. — Nach Burdach (Physiol. II. S. 461.) erscheint der
Anfang des Thränenkanales bei dem ersten Auftreten der Augen-
lieder als eine in die Mundnasenhöhle sich herabsenkende Haut-
falte. Um dieselbe Zeit ist auch die Karunkel schon wahrzuneh-
men. — Die Augenlieder wachsen als zwei Hautfalten über den
Bulbus und bedecken ihn nach v. Ammon (Zeitschr. II. S. 506.)
gegen Ende des dritten oder zu Anfange des vierten Monates.
Die Augenwimpern erscheinen frei erst um den sechsten Monat.
[205]Höhere Sinne. Ohr.
Die erste Entstehung des Sehnerven ist schon oben bei der
Genese der Augen erwähnt worden. Da die festere Masse sich
auch bei ihm zuerst an die Peripherie ansetzt, so ist er anfangs
hohl und man kann daher mit einer Borste im Anfange aus der
Hirnblase in die Augapfelblase dringen. — Die Sehnerven rücken
immer näher zusammen, stoſsen nach von Bär (l. c. S. 105. bei
Burdach S. 336.) am siebenten Tage an einander, so daſs sie dann
an dem Vereinigungswinkel nur eine Oeffnung bilden, später je-
doch über einander übergreifen (l. c. S. 119. 120. bei Burdach
S. 352.) und so die Kreuzung darstellen. — Da nach Huschke
(Meck. Arch. 1832. S. 15.) die lanzettförmige Figur eine Rinne
des noch hohlen Sehnerven ist, so stellt diese, der Nath der Rük-
kenplatten gegenüber, das Chiasma dar. —


2. Ohr.

Ist, wie wir gesehen haben, in der Entwickelungsgeschichte
des Auges, trotz der zahlreichen und bedeutenden Arbeiten, noch
manche fühlbare Lücke auszufüllen, so muſs in der des Ohres
das Meiste fast durch allseitige Beobachtung festgesetzt werden.
Alle älteren Angaben beschränken sich beinah nur auf die verknö-
cherten oder der Verknöcherung nahen Gebilde des Gehörorganes,
also auf einen Zustand, in welchem sie im Ganzen nur wenig
von dem des Erwachsenen abweichen. J. F. Meckel, welcher
sich viele Verdienste auch um diesen Theil der Entwickelungs-
geschichte erworben, hat offenbar mehr für den äuſseren Theil
des Gehörorganes gethan, als für den inneren. Desgleichen in
neuerer Zeit vorzüglich Huschke und Rathke. — Es findet sich
deshalb nirgends so vieles Dunkele, anderseits aber auch eine so
bedeutende Schwierigkeit der Untersuchung, als hier und wir ha-
ben dieses selbst erfahren, als wir, um auf dem noch sparsam
bebaueten Felde doch wenigstens einige Früchte zu erndten, eine
nicht ganz geringe Zahl von Schaaf-, Kuh-, Schweine- und Men-
schenembryonen zergliederten und dabei nicht bloſs die äuſseren
Theile, sondern die bisher fast ganz vernachlässigten inneren zu
berücksichtigen uns bemühten. Die Resultate unserer Beobach-
tungen sollen dem Folgenden einverleibt werden.


Nach Huschke (Isis 1831. S. 951.) entsteht, analog dem Auge,
auch das Ohr als eine Hautgrube, welche nach auſsen zu enger
wird und so ebenfalls, gleich einer Drüse, einen Ausführungsgang
[206]Von dem Embryo.
hat. Ja wir können aus eigenen Erfahrungen sogar noch hinzufü-
gen, daſs in allerfrühester Zeit beide Ohrgruben bestimmt mit einan-
der communiciren. Die Oeffnung dieser Grube glaubt Huschke selbst
bei dem Menschen gesehen zu haben. Bald jedoch tritt der Hör-
nerve, wie am Auge der Sehnerve, hervor, und so entsteht jene
Form, welche v. Bär (l. c. S. 31. bei Burdach S. 260.) beobach-
tet hat. Nach ihm ragt der vordere Rand der Ohrhöhle (Ohr-
grube) mehr vor, als der hintere. Dieser Theil wird, wie wir
bald sehen werden, zum inneren Ohre, d. h. zu dem Labyrinthe
und dessen accessorischen Gebilden. Das äuſsere Gehörorgan da-
gegen, d h. Eustachische Trompete, Paukenhöhle, ein Theil der
Gehörknöchelchen und äuſseres Ohr entstehen später, nachdem
die Visceralplatten sich kreisförmig gegen einander gebogen, um
die Rumpfwände des Halses darzustellen. So sind am Ohre zwei
durchaus verschiedene Bildungshergänge zu unterscheiden, welche
erst später zu einem Ganzen zusammentreten.


Ueber die Ausbildung des Labyrinthes besitzen wir noch
gar keine Angaben. Das Folgende ist aus einer Reihe mühsamer
Untersuchungen entnommen, welche ich an sehr kleinen Schaaf-
embryonen vorzüglich angestellt habe. Das Labyrinth bildet eine
durchaus von der übrigen membranösen und späterhin knorpeligen
Substanz getrennte Masse, welche als ein länglich rundes Gebilde
selbst dann noch isolirt hervorgezogen werden kann, wenn schon
die Schnecke und zum Theil die Bogengänge existiren. In frü-
hester Zeit stellt es einen einfachen länglichen Schlauch dar,
welcher eine länglich runde Höhlung hat, die im Innern eine
etwas unebene Oberfläche zeigt. Wir werden bald sehen, daſs
dieses Rudiment vorzüglich als Vestibulum zu deuten sey. Kurz
darauf jedoch verlängert sich das innere Ende der Höhlung und
wird, indem es im Kreise eine Wendung zu machen beginnt,
zu einer rundlichen Höhle. Indem nun so die roheste Grundlage der
Schnecke entsteht, bilden sich die Windungen derselben auf fol-
gende interessante Weise. Es wird nämlich die Wand der
Schneckenblase, wenn man sich in die Höhle derselben versetzt
denkt, von innen nach auſsen wie eingegraben und zwar zuerst nach
der Richtung von dem Vestibulum aus gegen die Mitte der Schä-
delbasis hin und dann weiter fort spiralig bis zum obersten Ende
der Perpendikularaxe. Hierdurch entsteht 1. von auſsen die der
Schneckenschaale ähnliche äuſsere Gestalt, indem die untere Win-
[207]Höhere Sinne. Ohr.
dung relativ tiefer eingegraben ist, als die obere und 2. im In-
nern ein tief eingefurchter Halbkanal, dessen Wände mit ihren in-
neren Rändern immer näher an einander rücken und indem sie end-
lich zusammenstoſsen einen cylinder- oder vielmehr kegelförmigen
Körper als Axe der Windung darstellen, welcher daher in frühester
Zeit hohl ist und die Stelle des künftigen Modiolus einnimmt. Ob
dieser bloſs durch diese secundäre Bildung entstehe, oder ob sich für
ihn neue Knorpelmasse an die inneren Wände des Schneckenrohres
ansetze, wage ich nicht zu entscheiden. So ist er nun aber zuerst
eine Höhlung und läſst sich, sobald seine Auſsenwände eine etwas
festere Consistenz erlangt haben, den Windungen gemäſs abreiſsen,
so daſs, wenn man dann die oberste Windung trennt, nicht der
ganze Modiolus folgt, sondern ein kreisförmiges Knorpelblatt in
der Mitte der Basis der Schnecke sitzen bleibt. Die Schlieſsung
der früheren Schneckenfurche zu dem späteren Schneckenrohre
erfolgt bei dem Schaafe viel früher, als bei dem Schweine. Bei
dem Kalbe hat das Rohr auch Huschke (Isis 1831. S. 951.) von mir
beobachtet. — Vorher jedoch noch wird das Vestibulum breiter und
erhält dann eine mehr rundliche Form, da sein früherer innerer
Theil zugleich zur Bildung der Schnecke eingegangen zu seyn
scheint. Dessen ungeachtet übertrifft ihn die Schnecke bald an
Gröſse und Umfang. — Kurze Zeit, nachdem die erste Ausbildung
der Schnecke begonnen, entstehen die Bogengänge und zwar zu-
erst, wie es scheint, der hintere, als eine Aussackung des Vesti-
bulum hinter und über dem eirunden Loche, welche sich von
innen und unten, nach auſsen und oben verlängert, bogenförmig
umbiegt und oberhalb des eirunden Loches wieder in den Vorhof
eindringt. Nach ihm bildet sich der obere Bogengang auf ähn-
liche Weise. Ueber den unteren wage ich nichts Näheres anzu-
geben. Auch die Kanäle der Bogengänge sind im Anfange verhält-
niſsmäſsig sehr breit, verschmälern sich zuerst an den Umbiegungs-
stellen, von wo aus die Verschmälerung fortgeht und so zuletzt
die Ampullen nur als Andeutungen ihrer früheren, relativ so be-
deutenden Gröſse zurückläſst. Der Vorhof selbst hat hierdurch
in seiner Längendimension noch mehr verloren, ist aber noch et-
was breiter geworden und hat eine mehr trapezoidische Gestalt
erlangt. Das eirunde Loch, welches früher minder deutlich war,
wird immer kenntlicher und geht aus seiner zuerst runden Form
in die längliche über. Alle diese Vorgänge aber ereignen sich
[208]Von dem Embryo.
sämmtlich zu einer Zeit, wo das ganze innere Gehörorgan noch
eine weiche Knorpelmasse darstellt. Sie sind daher an Schaaffötus
von sechs Linien bis zwei Zoll Länge aufzusuchen. Die späteren
Stadien habe ich auch an etwas gröſseren Kuh- und Schweinefö-
tus bestätigt gefunden. Von nun an schreitet das Labyrinth in sei-
ner Ausbildung rasch vorwärts und erreicht bald seine vollkommene
Gestalt. Am Schnellsten geschieht dieses vielleicht verhältniſsmäſsig
bei dem Menschen. So sah es Meckel (Anat. IV. S. 48.) schon im
dritten Monate morphologisch ausgebildet, eine Erfahrung, die
zum Theil schon früher Valsalva, Cassebohm, Schelhammer u. A.
gemacht hatten. — Auch besteht nach ihm das häutige Labyrinth
aus zwei Membranen, welche in einander geschoben und sonst
durchaus nicht mit einander verbunden sind. Die innerste von
diesen ist weiſs, durchsichtig, dünn, aber fest, ohne weder mit
dem früheren Knorpel, noch dem späteren Knochen zusammenzu-
hängen. Nach Breschet (Ann. des sc. nat. 1833. p. 119.) ist die-
ses nur an den Stellen der Fall, wo Nervenfäden in dieselbe ein-
gehen. Die äuſsere Haut ist nach innen glatt, nach auſsen rauh,
scheint nach Meckel in früherer Zeit genauer an den Knorpel ge-
heftet zu seyn, als später und verschwindet nach ihm (l. c. S.
48.) im siebenten Monate. Breschet (l. c. p. 129.) dagegen hat
sie im zarteren Alter deutlicher gesehen, als in dem Erwachse-
nen. Der Hörnerve, welcher die Höhle des einfachen Schlauches
fast ganz ausfüllt, verliert späterhin etwas an Dicke und folgt,
wie es scheint, den Aussackungen. So sieht man ihn als einen
dicken weiſsen Strang den Windungen des Schneckenrohres fol-
gen, keine bedeutenden Seitenfasern gegen die Wände hin abge-
ben, sondern frei in ihm liegen. Vergeblich suchte ich an dieser
Stelle nach Crystallen. Ich wage aber ihre Anwesenheit in frü-
hester Zeit nicht zu läugnen. Dagegen sah ich in der Substanz
der Flüssigkeit selbst eine sonderbare Eigenthümlichkeit. Sie ent-
hielt nämlich eine Masse meist rundlicher, bisweilen auch mit
geradlinigten Seitenflächen begabter Kügelchen von 0,000608 P.
Z. bis 0,000810 P. Z. im Durchmesser, welche in ihrem Innern
einen dunkelen Kern hatten und deutlich mit kleinen lanzettför-
migen Schwänzchen versehen waren, so daſs eine entfernte Aehn-
lichkeit mit Zerkarien hieraus entstand. Ist dieses etwa ein Ue-
bergangsmoment der Histiogenie der Sinnesnerven? — Die in dem
Labyrinthe enthaltene Blainvillesche Vitrine sowohl, als auch
die
[209]Höhere Sinne. Ohr.
die Cotugnosche Feuchtigkeit sollen im Fötus von röthlicher
Farbe seyn. Nach meinen Untersuchungen dagegen ist dieses in
frühester Zeit bestimmt nicht der Fall, sondern beide sind hell
und durchsichtig. Sie enthielten bei dem Schweine eine groſse
Menge rundlicher oder nierenförmiger Körperchen von schwach
ins Gelbliche spielender Farbe, welche in ihrer Mitte eine deut-
liche Grube hatten, die von einem circulären Ringe umgeben war.
Oft hingen mehrere von ihnen an einander nach Art einer gebo-
genen Perlenschnur, oft nur zwei und so, daſs der Rand des
einen in die Grube des anderen eingeschoben war. Ihre Gröſse
betrug 0,000270 P. Z. im Durchschnitte. Ob dieses eigene Mo-
leküle sind oder durch das Wasser des Labyrinthes nur verän-
derte Blutkörperchen, welehe aus den auf dem Labyrinthe sich
ausbreitenden und zerrissenen Gefäſsen austraten? — Die Kalk-
anhäufungen im häutigen Vestibulum, welche von Scarpa, Blainville
u. A. schon gesehen waren, die Breschet aber (l. c. p. 186.) genauer
beschrieben hat, sind von Huschke (Frorieps Notizen 1832. Febr.
No. 707. S. 36.) auch in dem Neugeborenen als spieſsige Krystalle
derselben Art, wie sie von ihm in der Vogelschnecke erkannt
wurden, beobachtet worden. Bei ferneren Untersuchungen dage-
gen fand er sie (Isis. 1833. Hft. 7. S. 676.) ein Mal in der
Schnecke eines Kindes als achtseitige Säulen mit vierflächiger Zu-
spitzung, d. h. in einer Crystallform, welche auf die des Arrago-
nites reducirt werden kann. Sie sind jedoch nach seiner späteren An-
gabe (Isis. 1834. Hft. I.) wahre Kalkspathkrystalle. Wir selbst
haben ebenfalls rhombische Säulen mit vierflächiger auf die Sei-
tenflächen aufgesetzter Zuspitzung in der Vestibulumvitrine eines
drei Zoll langen Schweinefötus schon wahrgenommen. — Endlich
muſs ich hier noch Einiges über die Labyrinthknorpel selbst an-
führen. Sie zeigen bei ihrem Ossificationsprocesse eine Gestalt-
veränderung, welche von der unten ausführlicher zu beschreibenden
der meisten übrigen Knorpel des Körpers wesentlich abweicht. Statt
der gewöhnlichen Knorpelkörperchen (s. unten die Verknöche-
rungsgeschichte) enthalten sie groſse Körper von wenig bestimm-
ter, meist mit linearen Begrenzungen versehener, rundlicher, halb-
mondförmiger, tetraedrischer oder polyedrischer Form von 0,000405
P. Z. bis 0,000650 P. Z. im mittleren Durchmesser. Sobald sie
dagegen ossificiren, besteht der verknöchernde oder so eben ver-
knöcherte Theil aus einem Gewebe schöner, fast wie Pflanzenzell-
14
[210]Von dem Embryo.
gewebe aussehender, sechsseitiger Balken, an und in welchen kleine
Körnchen von runder Form und ungefähr 0,000152 P. Z. im Durch-
messer sich befinden. Die letztere Form haben Purkinje und ich
auſserdem noch in den Knorpeln der Froschlarven, besonders deren
Kiemenbogen, schon vor längerer Zeit wahrgenommen. — Was nun
das knöcherne Labyrinth anlangt, so entsteht es schon als Knorpel
isolirt von dem es umgebenden Theile des Felsenbeines und geht
diesem entsprechend seinen eigenen Verknöcherungsgang ein. 1.
Die Verknöcherung der Paukenhöhle beginnt nach Kerkring (spi-
cilegium anat
. 1670. 4. p. 222.) im vierten, nach Cassebohm da-
gegen (de aurehumana. 1734. 4. p. 45.) im dritten Monate. Nach
Meckel (l. c. S. 49.) fängt sie zuerst gegen Ende des dritten Monates
am runden Fenster an und steigt nach vorn hinab. Nach einiger
Zeit aber (l. c. S. 50.) geht sie auch nach unten und hinten,
wodurch der Boden des Labyrinthes erhärtet. 2. Um dieselbe
Zeit, als die Umgebung des foramen rotundum ossificirt, bildet
sich ein isolirter Kern an dem oberen Ende des halbzirkelförmi-
gen Kanales (l. c. S. 49.) und nach diesem ein gleicher in der
Mitte des inneren, senkrechten (l. c. S. 50.). Die Erhärtung des
horizontalen dagegen beginnt erst in dem fünften Monate (l. c.
S. 50.), nicht etwa durch einen eigenen Kern, sondern durch Fort-
setzung des den oberen senkrechten Kanal bildenden Knochen-
stückes. Dies stimmt auch mit Cassebohms Angabe (l. c. p. 6.
§. 177.), welcher im fünften Monate alle drei Bogengänge ver-
knöchert fand. 3. Die Schnecke. Cassebohm (l. c. p. 15. §.
207.) fand im dritten Monate die Gegend des runden Fensters,
im vierten die übrige Schnecke mit Ausnahme der lamina spi-
ralis
und diese selbst im fünften Monate verknöchert. Hiermit
stimmt auch Sömmerings Angabe (de c. h. fabr. I. p. 139.)
überein. Nach Meckel (l. c. S. 50.) entsteht der knöcherne
Boden der Schnecke durch Verlängerung der Ossification des
foramen auditorium internum. Den Modiolus fand Cassebohm
(l. c. p. 7. §. 183.) im Fötus immer hohl.


Die Paukenhöhle und Eustachische Trompete haben einen
von dem inneren Labyrinthe gesonderten Ursprung und stehen
mit der Kiemenbildung in innigster Beziehung. Nach Huschke’s
Beobachtungen (Isis Bd. 20. 1827. S. 401. 1828. S. 162. 1831.
S. 951. und Meck. Arch. 1832. S. 40.) bleibt der hintere Winkel
der ersten Kiemenspalte, also zwischen Unterkiefer und dem er-
[211]Höhere Sinne. Ohr.
sten Kiemenbogen, offen und stellt so das Urrudiment von Eusta-
chischer Trompete und Paukenhöhle dar. Rathke (Isis 1828. S.
85.) trat früher bestimmt gegen diese Behauptung auf, und lehrte mit
v. Bär (l. c. S. 106. bei Burdach S. 337.), daſs der äuſsere Ge-
hörgang durchaus nichts mit der Kiemenspalte zu thun habe und
die Eustachische Trompete eine Ausstülpung der Mundhöhle
sey. Nach seinen neuesten Beobachtungen (Anat.-physiol. Un-
ters. über den Kiemenapparat und das Zungenbein. 1832. 4. S.
119. 120.) scheint er sich zu der richtigeren Ansicht hinzuneigen,
während Burdach (Physiol. II. S. 466.) von theoretischer Seite
aus Huschkes Meinung sich zuwendet. Wir glauben nämlich
nach unseren Untersuchungen als gewiſs annehmen zu müssen,
daſs die Eustachische Trompete der Rest der inneren Abtheilung
des früheren ersten Kiemenspaltes ist. Daſs aber die Paukenhöhle
und der äuſsere Gehörgang sich aus der ganzen äuſseren Abthei-
lung des Kiemenspalttheiles bilde, müssen wir noch sehr in Zweifel
ziehen. Denn wenn auch die Spalte zuerst nach hinten etwas wei-
ter ist, so sieht man doch, sobald sie durch eine dünne Haut ge-
schlossen worden, die äuſsere Andeutung der Ohröffnung nicht in
einer Linie mit dieser verdünnten Hautstelle, sondern offenbar
über ihr in der Substanz der hinteren Grenze des ersten Kie-
menbogens selbst. Auch müſste, wenn die Oeffnung der Spalte
selbst zur Ohröffnung würde, diese eine veränderte Richtung an-
nehmen, da sie später in die frühere Spaltlinie sich nicht fortsetzt,
sondern dieselbe unter einem schiefen Winkel schneidet, wie Husch-
ke’s eigene Abbildungen (Isis 1828. tab. 2. fig. 3. 4. e.) schon zeigen.
Doch muſs ich auch anderseits anführen, daſs ich bei Menschen
und Säugethieren nie beobachtete, daſs die durchsichtige Linie
sich unter oder hinter die äuſsere Ohröffnung fortsetzte und daſs ich
so mit Bestimmtheit den isolirten Ursprung des äuſseren Gehörgan-
ges wahrzunehmen keine Gelegenheit hatte. — Die Eustachische
Trompete ist, vermöge ihrer Genese, je jünger der Embryo, desto
weiter und steigt zuerst von innen und oben nach auſsen und unten
hinab, erhält späterhin eine mehr horizontale und zuletzt eine
mehr schiefe Richtung von unten und innen nach auſsen und oben.
Ihr Knorpelüberzug erscheint nach mir schon im dritten Monate,
nach Burdach (l. c. S. 465.) erst im fünften. — Die Bildung der
Paukenhöhle erfolgt aus der äuſseren Abtheilung der hohlen in die
Mundhöhle sich öffnenden Kammer, deren innere Wand an die
14*
[212]Von dem Embryo.
geschlossene Oeffnung der Labyrintheinsackung stöſst, deren äuſsere
Wand aber offenbar den Visceralplatten angehört. Schon zu der
Zeit, wo Eustachische Trompete und Trommelhöhle eine kegel-
förmige oder pyramidale Grube noch ausmachen, wächst, wie ich
an einem siebenwöchentlichen menschlichen Embryo gesehen habe,
an der Schlieſsungsstelle der früheren Labyrintheinsackung eine
rundliche, pyramidale Warze hervor und unter und etwas hinter
derselben eine ähnliche dickere Warze. Die erstere ist, wie der
Erfolg lehrt, das Rudiment des Steigbügels, die letztere des Am-
bosses und Hammers. Die äuſsere Oeffnung der Paukenhöhle ist
um diese Zeit, nicht bloſs durch eine feine Hautlamelle, sondern auch
durch körnige Substanz der Visceralplatten verschlossen. Zog
ich nämlich die dünne obere Haut genau hinweg, so war es mir
nicht möglich, eine Oeffnung zu sehen oder ein Haar einzubrin-
gen. Als ich aber die Stelle mit einem feinen Staarmesser spal-
tete, sah ich deutlich eine Schicht körnerhaltigen Bildungsgewe-
bes über dem äuſseren Ende der Paukenhöhle liegen. Sollte die-
ses etwa die erste Andeutung des knöchernen Gehörganges und
des äuſseren Ohres gewesen seyn, die wie die Extremitätengrund-
lagen (s. unten) aus der Körnchenschicht des peripherischen Thei-
les des serösen Blattes entstehen? — So wird nun erst während des
weiteren Verlaufes der Entwickelung Paukenhöhle von Eustachi-
scher Trompete abgegrenzt, indem die letztere an Länge zu, an
Breite aber relativ abnimmt. Die Paukenhöhle ist nach Meckel
(l. c. S. 44.) während des Fötallebens mit einer dicken, gallert-
artigen Flüssigkeit erfüllt und wird nach Burdach (l. c. S. 465.)
vom vierten Monate an gröſser, hat aber im achten ihre relative
Gröſse erreicht. Nach Cassebohm (l. c. §. 47. p. 111.) bleibt das
foramen ovale und rotundum vom siebenten Monate in seiner
Ausbildung stehen. Der Trommelfellring ist in der eilften Woche
schon als ein zarter, zierlicher, circulärer Knochenstreif wahrzu-
nehmen und läſst den sulcus transversus deutlich erkennen.
Er hat in früherer Zeit eine mehr horizontale Richtung und ver-
gröſsert sich nach Burdach (l. c. S. 466.) bis zum siebenten bis
achten Monate. Im dritten Monate sah Cassebohm (l. c. p. 26.
§. 63.) in ihm longitudinelle Fasern, welche aber nicht ganz um
ihm herumliefen, sondern sich zum Theil frei an der Oberfläche
endigten. Nach ihm (l. c. p. 29. §. 71.) ist auch der sulcus im
vierten bis fünften Monate sehr tief und verengert sich mehr bei
[213]Höhere Sinne. Ohr.
dem Kinde. — Das Trommelfell hängt nach Cassebohm (l. c. p.
29. §. 72.) in der Frucht nur locker an dem Gehörringe, wird, wie
Fabricius (de auditu. P. I. Cap. 4.) schon wuſste und Kerkring
(l. c. p. 221.) mit Unrecht als Entdeckung sich zurechnete, von
einer gelatinösen Haut im Fötus bedeckt, welche Ruysch für eine
Fortsetzung der Epidermis, Duverney und Valsalva für erhärteten
Schleim und Röſslein für den Ueberrest der Fruchtschmiere hielt und
besitzt viele Blutgefäſse. Je jünger der Fötus, desto mehr wird
das äuſsere Ohr von dem Trommelfelle und dem Trommelfellringe
an Gröſse übertroffen. — Die Gehörknöchelchen haben nach Rath-
ke’s (Kiemenapparat S. 122.) und meinen Untersuchungen einen
verschiedenen und nicht, wie Huschke (Isis 1833. S. 678.) angiebt,
einen gleichartigen Ursprung. Hammer und Amboſs entstehen
nämlich früher, als der gesondert sich bildende Steigbügel, als
eine aus der hinteren Wand der Paukenhöhle hervorwachsende
Warze, welche sich schnell verlängert und die innere Seite des
Unterkiefers erreicht. Diese metamorphosirt sich nun zu dem
Hammer und dessen bald zu nennenden Meckelschen Fortsatze,
so wie ohne Zweifel auch zu dem Körper des Ambosses. Erst
nachdem dieses erste Rudiment der äuſseren Gehörknöchelchen
erschienen und sich gegen den Unterkiefer schon verlängert, ihn
jedoch noch nicht erreicht hat, entsteht die Warze des Steigbü-
gels an der Verwachsungsstelle der früheren Labyrintheinsackung,
wie schon Rathke (l. c. S. 123.) bemerkt, wahrscheinlich als Wu-
cherung des Labyrinthes in die Paukenhöhle und nicht der hin-
teren Wand der Paukenhöhle selbst. Dieser späte Ursprung des
Steigbügels giebt sich auch lange nachher noch deutlich zu er-
kennen. Er ist noch immer weich und ohne Spur von Knorpel,
wenn Hammer und Amboſs, so wie Meckelscher Fortsatz und
Zungenbein eine knorpelige Consistenz und eine sie von allen
Nachbargebilden, selbst dem Unterkiefer, unterscheidende und in
frischen oder nur kurze Zeit in Weingeist aufbewahrten Früchten
auf den ersten Blick auffallende intensiv rothe Färbung haben.
Beide Warzen stoſsen bald nach oben an einander und so bildet
sich das Köpfchen und die concave Gelenkfläche des Steigbügels,
während dieser in einen soliden, etwas platt gedrückten, rundlich
dreieckigten Körper übergeht.


a. Aeuſsere Kette der Gehörknöchelchen. — Zu ihnen ge-
hören Hammer, Amboſs, Meckelscher Fortsatz und vielleicht auch
[214]Von dem Embryo.
ein Theil des proc. styloideus und des Zungenbeines. Die oben
beschriebene Warze nämlich verlängert sich bis au den Unterkie-
fer und kann, bevor noch Hammer und Amboſs getrennt zu er-
kennen sind, schon als eine dichtere körnige Masse herauspräpa-
rirt werden, die aber keinen Kiemenbogen ausmacht, sondern theils
an, theils innerhalb eines solchen liegt. Sie zerfällt dann in Amboſs
und Hammer nebst dessen Fortsatze an den Unterkiefer. Dieser
Fortsatz wurde von Meckel zuerst an dem Menschen wahrgenom-
men. Er geht von dem späteren Kopfe des Hammers nach dem
Unterkiefer herüber, ziemlich gerade bei dem Schaafe und
dem Schweine, in einer Furche des Unterkiefers, und erreicht fast
so die mittlere Verbindung der beiden Seitentheile desselben.
Bei dem Menschen dagegen steigt er zuerst schief hinab und biegt
dann unter einem stumpfen Winkel nach der horizontalen Rich-
tung um, von wo an er nun in einer an der hinteren Seite
des Unterkiefers gelegenen knorpeligen Rinne eingeschlossen wird,
deren Seitenblätter sich immer mehr nähern, je näher der Fort-
satz selbst der Mitte des Unterkiefers rückt. Von seinem vorde-
ren Ende geht eine, wie es scheint, ligamentöse Masse nach der
Mittellinie des Halses hinüber. So im dritten und Anfange des
vierten Monates. Seine Anwesenheit, sowohl in dem Menschen,
als in den Säugethieren, haben schon vor mir Huschke (Beitr. I.
S. 48. tab. 2. fig. 1. Isis 1825. S. 1105. Isis 1833. S. 678.),
Serres (Ann. des sc. natur. 1827. p. 112.), E. H. Weber (Hildebr.
Anat. IV. S. 47.), Joh. Müller (Meck. Arch. 1830. S. 419.)
und Rathke (Kiemenapparat S. 122.), bestätigt. Er verknö-
chert nie, erhält aber, wie ich gefunden habe, gleichzeitig
mit den Gehörknöchelchen Knochenkanälchen (siehe unten) und
verschwindet bei dem Menschen nach Meckel (Anat. IV. S.
47.) im achten Monate. Neben ihm entsteht nun der Hammer
mit seinen beiden Fortsätzen und der Amboſs mit seinen Fort-
sätzen. Der quere, kürzere Fortsatz des Ambosses ist nach
Huschkes schöner Entdeckung (Isis 1833. S. 678.) mit dem Zun-
genbeine auf eine ähnliche Weise verbunden, wie der Kopf des
Hammers mit dem Meckelschen Fortsatze. Ich kann dieses merk-
würdige Verhältniſs nicht nur zum Theil aus dem Schaafe bestä-
tigen, sondern auch aus dem Menschen erzählen. Wie nämlich
zu der Zeit, wo diese Theile verknorpelt sind, sie sich nicht bloſs
durch einen höheren Consistenzgrad, sondern auch durch stärkere
[215]Höhere Sinne. Ohr.
Röthe von allen Nachbartheilen unterscheiden, so sieht man zwei
gürtelförmige Streifen, die vorn ziemlich parallel neben einander
liegen und hinten durch eine bogenförmige Krümmung zusammen-
stoſsen. Der obere sowohl, als der untere Seitenast rückt zwar
dem entsprechenden der anderen Seite nahe; beide aber sind, sobald
Verknorpelung eingetreten ist, immer durch eine weiche Mittellinie
von einander getrennt, während sie vorher ununterbrochen und von
gleichartiger Masse, wie es scheint, in einander übergehen. Der
obere Seitenast ist der Meckelsche Fortsatz, der untere das Zungen-
bein, die bogenförmige Krümmung dagegen das Rudiment des Ham-
mers, Ambosses und zum Theil des griffelförmigen Fortsatzes. Durch
die Bildung des Trommelfellringes wird die Continuität der Kette
auf den ersten Blick, doch nur scheinbar unterbrochen. Denn
wie dieser eine kleine Stelle des Meckelschen Fortsatzes bedeckt,
so verhüllt er auch die weiſse, verbindende Masse des Ambosses
und des Zungenbeines. Sie verdünnt sich zwar, erhält sich aber
noch eine Zeit lang, selbst bei dem Menschen und geht als liga-
mentöse Verbindungsmasse zwischen dem kurzen Fortsatze des Am-
bosses und dem Zungenbeinhorne fort. Das Zungenbein nun, wel-
ches den hinteren Rand des Trommelfellringes tangental berührt,
verlängert sich nach hinten und oben, erreicht so die pars mastoi-
dea
, verdickt und verbreitert sich und stellt nun den Griffelfort-
satz dar, der dann ein dichtes Continuum mit dem Zungenbeine
bildet. Später werden sie wieder von einander geschieden [und]
vereinigen von nun an sich in der Regel nur durch ein Ligament. —
Aus dem eben Dargestellten dürfte wohl Folgendes mit Wahr-
scheinlichkeit zu entnehmen seyn. Am Halse bilden sich zuerst
zwei parallele Querleisten, welche gegen einander umbiegen und
sich erreichen. Die obere Querleiste ist der Meckelsche Fortsatz,
die untere das Zungenbein und der kurze Fortsatz des Ambosses.
In der Indifferenzstelle, wo beide zusammenstoſsen, entsteht nun
der Hammer mit seinen Fortsätzen und der Körper des Ambosses
mit seinem langen Fortsatze.


b. Der Steigbügel erscheint zuerst als eine kleine pyrami-
dale Warze, welche an ihren beiden Seitenflächen abgeplattet
wird und in der Mitte endlich sich noch mehr verdünnt. Er
stöſst noch als Warze an den Amboſs und articulirt sich bald
mit ihm. Wenn alle drei Gehörknöchelchen verknorpelt sind,
[216]Von dem Embryo.
schien mir die Articulation etwas fester zu seyn, als vorher so-
wohl, denn als nachher.


Die Ossification der Gehörknöchelchen wird sehr früh voll-
endet, so daſs diese mit Recht bei dem Neugeborenen als die rela-
tiv vollendetesten Knochen angesehen werden. Auch hier bekun-
det sich die eigene Entstehung des Steigbügels und die gleichmä-
ſsige von Hammer und Amboſs. Denn nach Meckel (l. c. S. 46.)
verknöchern die letzteren zuerst und dann der Steigbügel, wäh-
rend nach Cassebohm (l. c. p. 46. §. 133.) zuerst Amboſs und
Steigbügel und dann der Hammer verknöchern sollen. Nach Mek-
kel ossificirt zuerst (im vierten Monate) Kopf und vorderer Fort-
satz des Hammers und gleichzeitig mit ihm der Körper und vor-
dere Schenkel des Ambosses. Der Steigbügel verknöchert ent-
weder am unteren Theile des hinteren Schenkels oder an der
Grundfläche, nie dagegen am Kopfe, zuerst. Nach Rathke (Kie-
menapparat S. 123.) entstehen in jedem der drei Stücke des Sei-
tendreieckes desselben drei Knochenkerne, welche erst spät mit
einander verschmelzen. Mit dem späteren Wachsthume der Pau-
kenhöhle rücken die Gehörknöchelchen immer mehr aus einan-
der. — Die Erfahrung Cassebohms (l. c. p. 60. §. 141.), welche
zum Theil früher schon Casserius, Valsalva u. A. gemacht hatten,
daſs der Kopf und gröſsere Fortsatz des Hammers, der Körper
und die Schenkel des Ambosses bei dem Fötus hohl seyen, be-
richtigt Sömmering (bei Danz l. c. S. 208.) dahin, daſs sie nicht
mit Knochenmasse, sondern mit Knorpel ausgefüllt sind. — Eine
Zusammenstellung der älteren Beobachtungen über ossicula au-
ditus
im Fötus s. bei Berghaus de partibus firmis org. audi-
tor. Viteb.
1799. 4. p. 37—99.


Erst gegen Ende des zweiten Monates wird die Ohrmuschel
äuſserlich gebildet und mit ihr zugleich entsteht das Rudiment
des äuſseren Gehörganges. Es erhebt sich nämlich die dreieckige
Fläche, welche früher von auſsen das Gehörorgan marquirte, et-
was in die Höhe, in welcher Production sich nach Meckel (l. c. S. 42.)
ein schmaler und tiefer Einschnitt befindet. Der hintere Theil die-
ses Wulstes wird nun emporgetrieben, von der übrigen Schädel-
masse gelöst, und enthält nach Cassebohm (l. c. p. 23. §. 56.) im
Anfange des dritten Monates eine Furche als erste Scheidungslinie
zwischen helix und anthelix. Zugleich oder nach Meckels rich-
tigerer Angabe noch etwas früher entsteht eine obere Querfurche
[217]Peripherischer Theil des serösen Blattes.
als Scheidung zwischen helix und antitragus und kurz darauf
der tragus als eigene Hervorragung. Vom sechsten Monate an
entfernt sich das äuſsere Ohr immer mehr von dem Schädel und
bildet allmählig eine wahre Muschel. Der Knorpel in ihr fängt
schon im dritten Monate an sich zu entwickeln.


B. Peripherischer Theil des serösen Blattes.


Der peripherische Theil des serösen Blattes geht im Laufe
seiner Entwickelung in die verschiedensten Organe und Organ-
theile über, so daſs es bei dem ersten Anblicke den Anschein
hat, als ob hier morphologische und histiologische Sonderung ohne
Ordnung neben einander erfolgten, ja sogar als ob, ganz abwei-
chend von dem centralen Theile desselben Blattes und den beiden
folgenden Blättern, der Zeit nach die histiologische Trennung der
morphologischen voranginge. Allein die genauere Betrachtung
läſst auch hier das Verhältniſs auf die allgemeinen Gesetze redu-
ciren. Wir müssen nämlich als die Uranlage des peripherischen
Theiles des serösen Blattes die Rückenplatten ansehen, welche
nach innen sich scharf begrenzen, nach auſsen dagegen mit dem
Ende des serösen Blattes überhaupt, also ohne besondere Schei-
dung zwischen Embryonal- und Hüllentheil, aufhören. Die Vor-
bereitung zur speciellen Organbildung geschieht durch die Schlie-
ſsung der Rückenplatten, welche Pander, Döllinger und d’Alton
(hist. metamorphoseos etc. p. 35.) in die dreiſsigste Stunde, von
Bär dagegen (üb. Entwgesch. S. 18. bei Burdach S. 247.) in das
Ende des ersten Tages bei dem Hühnchen setzen. Hierdurch wird
1. ein Rohr gebildet, welches das centrale Nervensystem unmit-
telbar umgiebt, aus der Rückensaite und den beiden geschlosse-
nen Rückenplatten besteht und das Rudiment des künftigen Schä-
dels und der Wirbelsäule darstellt, während 2. oberhalb dieses
Rohres eine dünne durchsichtige und zarte Schicht von Bildungs-
gewebe liegen bleibt, welches sich längs des ganzen Umkreises
des serösen Blattes fortsetzt. Fassen wir nun dieses, wie die bald
folgenden Veränderungen schematisch auf, so erhalten wir folgende
allgemeine Resultate:


1. Der äuſsere Theil des serösen Blattes spaltet sich in eine
obere, dünnere und eine untere, dickere Schicht. Die erstere
schlieſst den ganzen Embryo kreisförmig ein und geht noch über
ihn hinaus, indem der nicht embryonale Theil zur Hülle sich um-
[218]Von dem Embryo.
schlägt. Ihre ganze Bestimmung ist also eine mehr äuſserliche,
die des Schutzes und der Abhaltung fremder, den Embryo selbst
nicht berührender Dinge. Die untere Schicht dagegen verbindet
diese die zarteren Organe umschlieſsende Eigenschaft mit wahr-
haft höheren animalischen Functionen. So entsteht in ihr das
umhüllende obere (hintere) (Schädel und Rückenwirbelsäule) und
das untere (vordere) Rohr (Rippenringe) vorzüglich zu ersterem
und die die Knochen als passive Motoren benutzenden Muskeln
und Sehnen vorzüglich zu letzterem Zwecke. Es bilden sich aber
unter diesen Veränderungen


2. Zwei Röhren, ein oberes und ein unteres, welche durch
eine der Länge des Embryo nach verlaufende Mittellinie scharf
marquirt werden. In dieser Scheidungslinie entstehen nun als
neue Gebilde die Extremitäten. Sie sind zuerst einfache lineare
Ausstrahlungen dieser Indifferenzlinie, werden jedoch selbst bald
durch den Typus der Röhrenbildung in ihrer Tendenz verändert
und schicken von ihrem Ansatzpunkte aus bogenartige Fortsätze,
welche sich immer mehr einander nähern und gürtelförmige Um-
schlieſsungen der beiden Röhren darstellen. (Vgl. die schemati-
sche Abbildung bei Bär üb. Entwgesch. tab. 3. fig. 7. so wie
Text S. 181—197, wo naturgemäſs den Beckenknochen ihr Recht
als Extremitätengürtel gegen ihre Deutung als Rippenbögen vin-
dicirt wird.)


3. Die erste Sonderung ist so hier ebenfalls morphologisch,
welcher dann die histiologische nachfolgt. Denn in der primären
Bildung ist zwar die Form des hüllenden und eingehüllten Theiles,
des oberen und unteren Rohres angedeutet, doch ohne Trennung
in verschiedenartige Gewebe, wie weiter unten specieller berich-
tet werden soll. Es könnte vielleicht auffallen, daſs, indem wir
oberes und unteres Rohr und Extremitätengürtel so von einander
scheiden, Rückenwirbel und Rippen, Schädel und Gesichtskno-
chen in verschiedene Abtheilungen kommen; allein geschieht
dieses in der allgemein befolgten Anordnung der Anatomie an-
ders? Warum behandeln wir die Knorpel des Kehlkopfes und
der trachea bei den Lungen? warum die Muskulatur des Her-
zens bei dem Gefäſssysteme, die des Magens und Darmkanales
bei den Verdauungsorganen? Doch nur um übersichtliche Com-
plexa gewisser Ganzen zu liefern und nicht durch Einzelheiten
die Darstellung zu zersplittern (Vgl. Bär l. c. S. 197. 198.). —


[219]Schädel und Wirbelsäule.

Die Entwickelungsgeschichte des peripherischen Theiles des
serösen Blattes wird nun von uns nach folgender Anordnung abge-
handelt werden. A. Knochengerüst nebst den dazu gehörigen
ligamentösen Theilen: 1. Oberes Centralrohr, oberes Rohr, Ner-
vensystemrohr, Schädel und Wirbelsäule. 2. Unteres Rohr, ve-
getatives Rohr, Rippenbögen nebst den analogen Theilen. 3. Ex-
tremitätengürtel. B. Weiche Theile: 1. Muskeln, Sehnen, Apo-
neurosen und Schleimgewebe. 2. Aeuſsere Haut des Embryo
nebst dem die Fortsetzung derselben darstellenden Hüllentheile.


A. Oberes Centralrohr.
Schädel und Wirbelsäule.

Kein Theil der Entwickelungsgeschichte hat weniger wahr-
haft wissenschaftliche Resultate bei einer verhältniſsmäſsig gröſse-
ren Anzahl von Datis aufzuweisen, als die Evolution des Skelet-
tes. Denn was sind alle jene Angaben über die erste Verknöche-
rung, als Einzelheiten, die Keiner bisher in einen inneren Zusam-
menhang zu bringen im Stande war und Jemand wohl kaum je
im Stande seyn wird? Wollte man dagegen zweckmäſsig diesen
Theil der Entwickelungsgeschichte auffassen, so müſste man zuerst
die Morphologie des Skelettes, d. h. seine bloſs äuſsere Gestalt-
bildung ohne Rücksicht auf seine Beschaffenheit als hautartigen
Theil, als Knorpel oder als Knochen ins Auge fassen. Die Auf-
zählung der zuerst sich bildenden Knochenkerne ist von unterge-
ordnetem Werthe und von mehr histiologischem Interesse; sie hat
aber für die morphologische Betrachtung der früheren Zeit nur
insofern Bedeutung, als man im Allgemeinen behaupten kann, daſs
in jedem gesonderten und entschieden getrennten Theile des Knor-
pelskelettes ein isolirter Kern entstehe. So viel in letzterer
Richtung schon vorgearbeitet ist, so wenig ist in ersterer gethan
worden. Erst in der neuesten Zeit hat E. H. Weber (Meckels
Arch. 1827. S. 230—232.) zu den einzelnen früher von Senff,
Meckel, Blumenbach, Serres, Bär u. A. gegebenen Andeutungen
einiges Zusammenhängende, wiewohl aus einer relativ späteren
Zeit, hinzugefügt. Die folgenden Fragmente sind theils nach die-
sen Angaben, theils nach eigenen an Vögeln, Säugethieren und
dem Menschen gemachten Untersuchungen zusammengestellt.


Die Rückensaite und die Rückenplatten, vorzüglich der nach
[220]Von dem Embryo.
innen gelegene Theil derselben sind die ersten Anlagen des Schä-
dels und der Wirbelsäule. Sie entstehen gleichzeitig, wie es
scheint, aus dem Primitivstreifen, welcher sich in einem Acte in
die festere Hülle und die noch flüssige Centralnervenmasse sondert.
Die Rückensaite ist eine dichtere Anhäufung loser Kügelchen,
welehe in einer hellen glasartig durchsichtigen Scheide eingeschlos-
sen sind und wird umschlossen von den Rückenplatten, in welchen
zur Seite der Spinalcorde die ersten Wirbelrudimente entstehen.
Deutet man schon hier, so entspricht vielleicht, wie von Bär (üb.
Entw. gesch. S. 15. bei Burdach S. 245.) es angenommen, die
Rückensaite der Knorpelsäule mancher Knorpelfische (doch nur in
morphologischer und nicht in histiologischer Beziehung), über wel-
cher dann in beiden Fällen die Wirbel sich wölben, um Hirn und
Rückenmark einzuschlieſsen. Dadurch, daſs die Rückensaite knopf-
förmig anschwillt und die Rückenplatten in gleichem Wachsthume
fortschreiten, entstehen die drei Wirbel des Schädels, welche
durch die sich eindrängenden höheren Sinnesorgane an den cor-
respondirenden Stellen eingebogen und verändert werden, ohne
ihre Continuität zu verlieren. In diesem Sinne nur kann man,
wie es die früheste Entwickelungsgeschichte des Hühnchens zeigt,
von Zwischenwirbeln des Schädels sprechen. So entstehen nun
1. Ein vorderer Wirbel für die Hirnblase des groſsen Gehirnes,
das künftige Stirnbein, der vordere Körper und ein Theil der Ala
magna
des Keilbeins. 2. Ein Zwischenwirbel des Geruchsorga-
nes, lamina cribrosa und crista galli. 3. Ein mittlerer Wirbel
für die Vierhügelblase, die beiden Seitenwandbeine, die Basis und
seitlichen Ränder der sella turcica und die Alae minores. 4.
Ein Zwischenwirbel des Auges, der Schädeltheil der Orbita.
5. Ein Wirbel für das verlängerte Mark, Schuppe pars basilaris
und partes condyloideae des Hinterhauptbeines (Grundbeines)
und 6. ein Zwischenwirbel des Ohres pars petrosa, squamosa
und ein Theil der Mastoidea des Felsenbeines. Früher jedoch,
als die Rudimente der Schädelbildung, sehen wir die Rückenwir-
bel sich innerhalb der Substanz der Rückenplatten sondern. Es
entstehen nämlich dicht hinter der Umbeugung derselben in dem
künftigen oberen Theile der Brust auf beiden Seiten gleichzeitig
dunkele Anhäufungen von Körnchen, welche anfangs mehr oder
minder rund sind, bald dagegen in eine mehr viereckige Form
übergehen und durch helle Zwischenräume von einander geschie-
[221]Schädel und Wirbelsäule.
den werden, so daſs sie als dichtere isolirte Knöpfe neben der
ganz durchsichtigen Nervenmasse erscheinen. Das erste Wirbel-
rudiment entsteht dicht an der Umbeugungsstelle der Rückenplat-
ten, doch so, daſs nach vorn ein kleiner Raum für die hellere,
durchsichtigere Masse übrig bleibt, und so stellt die Urform ein
Paar Knöpfe oder einen Wirbel dar. Rasch vermehrt sich ihre
Zahl sowohl oben, als unten, so daſs das zuerst gebildete Wirbel-
rudiment mehr nach der Mitte rückt, indem der Theil der Rük-
kenplatten, welcher der Umbiegungsstelle nahe liegt, wahrschein-
lich an Wachsthum bedeutend zunimmt. Doch bald wird die
Anzahl der Wirbelrudimente nach hinten zu gröſser, indem nach
vorn die dichtere Masse verhältniſsmäſsig stärker sich anhäuft,
um die Schädelbasis zu bilden. Jede Hälfte verfolgt nun ihre ei-
genthümliche Formation, und wir gehen daher


1. Zur Entstehung des Schädels über. Dieser bildet zuerst
eine geschlossene Blase, welche die Flüssigkeit des künftigen Hir-
nes umgiebt und alle Einbiegungen, wenn auch weniger tief,
nachahmt, die von den Hirnblasen gebildet werden. Es concen-
trirt sich die Massenanhäufung, wie an den Rückenwirbeln, gegen
die Basis hin; ob auch, wie dort, in zwei seitlichen Hälften, die
durch eine Mittellinie geschieden werden, wage ich nicht zu ent-
scheiden. Doch halte ich dies nach meinen Untersuchungen und
der Analogie wegen für wahrscheinlich. Der ganze Schädel scheint
nun so aus einem membranösen gleichartigen Theile zu bestehen.
Untersucht man aber in Weingeist erhärtete Hühnerembryonen
vom dritten bis vierten Tage, so findet man folgende Verhältnisse:
1. Der vorderste Schädelwirbel ist nach vorn geschlossen und be-
steht aus dem verhältniſsmäſsig sehr groſsen Stirntheile, welcher
bedeutend nach vorn hervorragt, nach hinten und auſsen dagegen
durch eine von innen und unten nach oben und auſsen laufende
Kante begrenzt wird. Diese ist am oberen Theile die Scheidungs-
linie zwischen der Hülle der Vierhügelzelle und der des groſsen
Gehirnes, nach unten dagegen die zwischen letzteren und dem
sich eindrängenden Zwischenwirbel des Auges. 2. Vorn ist ein
kleiner, schmaler, dreieckiger Raum, wahrscheinlich der künftige
Zwischenwirbel der Nase. 3. Die Vierhügelblasenhülle ist fast
gleichförmig rundlich und etwas kleiner als die vorhergehende.
Ihre Seitenwände, die künftigen ossa parietalia, laufen nach in-
nen spitz gegen einander und senken sich verhältniſsmäſsig bedeu-
[222]Von dem Embryo.
tend in die Tiefe nach der Gegend des Keilbeinkörpers hin. Hier
liegt vor ihnen 4. der breite Rand des sich einsenkenden Zwi-
schenwirbels des Auges, welches unter der unteren Lamelle des
zweiten Schädelwirbels in die Schädelhöhle selbst einzudringen
scheint. 5. Der Hinterhauptswirbel ist hinten verhältniſsmäſsig
dünn, nach unten in der Gegend des foramen occipitale am
dicksten und geht nach vorn durch eine kleine Leiste in die Um-
gebung des Trichters über. Zwischen seinem vorderen und mehr
nach auſsen gelegenen Rande und dem hinteren und mehr nach
auſsen gelegenen des zweiten Schädelwirbels bleibt ein von auſsen
nach innen sich zuspitzender Zwischenraum übrig, den ein klei-
ner Wulst, vielleicht 6. der Zwischenwirbel des Ohres ausfüllt.
Er liegt zwar von der äuſseren Ohröffnung um ein Bedeutendes
entfernt, da diese viel tiefer nach unten und hinten sich befindet.
Allein hat man die Höhle des Schädels von der darin enthaltenen
Nervensubstanz gereinigt, so sieht man einen länglich runden Wulst,
in welchem ein kleiner Höcker, vielleicht das Rudiment des Laby-
rinthes, zu erkennen ist und welcher die beschriebene Spalte voll-
kommen ausfüllt. Es stellt sich daher nach unsern an Vogelembryo-
nen vorgenommenen Untersuchungen das Verhältniſs der Wirbel in
der Kopfhöhle auf folgende Weise dar: Als Grundanlage des
Schädels entstehen die drei Wirbel für die drei Hirnzellen, d. h.
mehr oder minder vollkommene nach vorn und hinten oder nach
hinten allein geöffnete Kugeln oder Ringe. In sie hinein schieben
sich die Zwischenwirbel der Sinne und zwar zuerst des Auges, dann
des Ohres und zuletzt der Nase. Eine nicht minder bemerkenswer-
the Veränderung scheint der zu dieser Zeit noch durchaus häutige
Schädel durch die Bildung des kleinen Gehirnes zu erleiden, in-
dem mit der Schlieſsung seiner beiden Seitenblätter die Entste-
hung des Hirnzeltes, als einer breiten Hautfalte, welche verhält-
niſsmäſsig bedeutend stärker und dicker ist, als im Erwachsenen,
unmittelbar sich verbindet. Ob bei dem Menschen der Proceſs
durchaus derselbe sei, oder nicht, kann ich mit Gewiſsheit noch
gar nicht bestimmen. Fremde Beobachtungen mangeln hier noch
gänzlich und zwei von mir unternommene Untersuchungen der
Basis cranii eines 6½ und eines 8 Linien langen Embryo sind
zu wenig, um über diesen so wichtigen Hergang zu entscheiden.
Doch so viel ist gewiſs, daſs zu der Zeit, wo bei dem Menschen
die Kiemenspalten noch nicht gänzlich geschlossen, die Wolff-
[223]Schädel und Wirbelsäule.
schen Körper noch von bedeutender Gröſse und die Extremitäten
als rundliche Stumpfe vorhanden sind, der vordere Schädelwirbel
noch sehr dünn und zart ist und von unten durch eine sich an-
legende Haut nur bedeckt, unmittelbar die obere Wand der noch
gemeinschaftlichen Rachen- und Nasenhöhle bildet. Der Zwischen-
wirbel des Auges scheint von der Art, wie wir ihn aus dem
Huhne beschrieben haben, nicht wesentlich abzuweichen. Der
mittlere und hintere Schädelwirbel sind noch durchaus häutig.
Der Zwischenwirbel des Ohres ist sehr klein und zart, doch ver-
hältniſsmäſsig lang. Die Gegend des späteren Keilbeinkörpers
nimmt fast den dritten Theil der Schädelbasis ein, hat jedoch
eine geringe Dicke und Tiefe. Die Art und Weise, durch welche
die wesentliche Abweichung von der oben beschriebenen Form
des Hühnerembryo zu Stande kommt, kann erst der Gegenstand
künftiger Forschungen werden. Bei einem sieben- bis achtwöchent-
lichen 9½ Linien langen Embryo war der künftige horizontale
Theil des Stirnbeines kaum ⅓ Linie lang, breiter dagegen verhält-
niſsmäſsig als in der Folge. Die Sichel zeigte sich schon deutlich
ausgebildet, die crista galli dagegen als eine äuſserst kleine, her-
vorspringende, vorn etwas dickere Leiste. Der Zwischenwirbeltheil
der Augen stand fast gerade von vorn nach hinten und bildete ein
ziemlich spitzwinkliges Dreieck, dessen hinterer Schenkel länger
und etwas bogenförmig nach hinten zu gekrümmt war. Die Ge-
gend des Keilbeinkörpers bildete eine längliche Vertiefung, deren
Ausdehnung die Seitenwandbeine berührte und welche nach den
äuſseren Seiten spitz zulief. Von ihr stieg eine sehr groſse und
bedeutend ausgebildete Hautfalte empor, welche die Schädelbasis
in zwei durchaus getrennte Hälften in eine kleine vordere und
eine gröſsere hintere sonderte. Diese Membran zerfiel in eine
dicke hintere und eine dünne vordere Lamelle, von welcher die
erstere die Schädelbasis eine Strecke bekleidete, nach hinten zu
aber von ihr sich entfernte und zum tentorium cerebelli wurde.
Hinter ihr lag eine sehr groſse länglich runde Grube, welche sehr
steil von oben und vorn nach unten und hinten abfiel. Man
konnte wegen des in ihrem hinteren Dritttheile liegenden Felsen-
beines eine vordere und eine hintere Hälfte unterscheiden. Das
Felsenbein selbst war schief von hinten und auſsen nach vorn
und innen gerichtet; das Hinterhauptsloch rundlich, in seinem
Breiten-Durchmesser etwas gröſser, als dem der Länge. Der Hin-
[224]Von dem Embryo.
terhauptstheil war an der Schädelbasis sehr klein und verhältniſs-
mäſsig wenig ausgebildet, desto mehr dagegen an der Schädel-
oberfläche. Die bedeutende Gröſse des hintern Theiles des Kop-
fes bedingt dann auch die unverhältniſsmäſsige Länge desselben,
welche vorzüglich deutlich wird, wenn durch langes Aufbewahren in
Wasser oder Weingeist die Hirnmasse zu Grunde gegangen, wie
dieses vorzüglich bei Meckel (Beitr. Bd. I. Heft 1. tab. V. fig.
XII., XVII., XXVII.) zu sehen ist.


Die Geschichte der unmittelbar folgenden Veränderungen ist
bis zu Ende des dritten Monates unvollständig. So viel uns be-
kannt, findet sich aus dieser Zeit nur eine mangelhafte Abbildung des
Keilbeines von Meckel in seinem Arch. I. tab. VI. fig. 14. Bis
zur zwölften bis dreizehnten Woche hat sich das Verhältniſs
schon so weit ausgeglichen, daſs es dem des Erwachsenen ziem-
lich nahe kömmt; doch finden sich im Einzelnen noch manche
Eigenthümlichkeiten. Die Erhebung der Stirnbeine ist schroffer
als später, der ebene Theil verhältniſsmäſsig sehr breit und die
crista galli eine platte nach hinten sich verbreiternde Erhaben-
heit, so daſs ihre Oberfläche einem schief liegenden Dreiecke,
dessen Basis nach hinten, die Spitze nach vorn gerichtet ist, ähn-
lich sieht. Der Zwischenwirbeltheil des Auges verbreitert sich
nach der Mitte hin immer mehr und hat oberhalb des Sehnerven-
loches eine wulstige Erhabenheit. Der Körper des Keilbeines ist
oblong mit gröſserem Breiten-Durchmesser. Der Trichter, am
hinteren Ende des Längendurchmessers desselben von kleinem, in
Rücksicht auf das ganze Gehirn aber noch sehr groſsem Umfange
ist in der ihn eng umschlieſsenden sella turcica enthalten. Das
Felsenbein steht noch schiefer von vorn nach hinten, als von in-
nen nach auſsen. Die Abtheilung für den hinteren Theil des gro-
ſsen Hirns und das kleine Gehirn ist relativ noch sehr groſs und vor-
züglich tief, indem alle Theile vom Felsenbeine an senkrecht herab-
gehen und es so das Ansehen hat, als ob der Hinterhauptswirbel
nur eine blasige Erweiterung des Wirbelkanales sey, die sich
gegen das Hinterhauptsloch trichterförmig zuspitzt. Im Verlaufe
des vierten Monates wird die Wölbung des Stirnbeines sanfter und
für die mittleren Gehirnlappen erscheinen länglich runde Gruben.
Hierdurch wird der Körper des Keilbeines beträchtlich kleiner
und geht aus der oblongen Form in die eines ungleichen Vierek-
kes über, dessen nach vorn stehende Seite gröſser ist, als die hin-
tere.
[225]Schädelknochen.
tere. Das Felsenbein rückt mehr nach auſsen; der Hinterhaupts-
wirbel geht noch steil abwärts, ist aber seinem Volumen nach
enger geworden; der Trichter dagegen hat sich mehr verbreitert.
Während des fünften bis sechsten Monates verringern sich auch
diese feineren Unterschiede und ändern sich allmählig in die Form
um, welche im Ganzen der Schädelbasis des Neugeborenen eigen ist.


Wir gehen nun zu den einzelnen, den Schädel constituiren-
den Knochen über und fassen ihre Ossification speciell ins Auge.


a. Schädel. 1. Die Stirnbeine. — Sie verknöchern zuerst
nach J. F. Meckel (menschl. Anat. II. S. 119.), Bèclard (allgem.
Anatomie übers. v. Cerutti. 1823. 8. S. 162.) und Nicolai (Be-
schreib. d. Knoch. d. mensch. Föt. 1829. 4. S. 9.) im zweiten,
nach Nesbitt (Osteogenie übers. v. Greding. 1753. 4. S. 32.) und
Senff (nonnulla de incremento ossium embryonum. Hal. 1801.
4. p. 19.) dagegen zu Anfange des dritten Monates. Wir müssen
nach eigenen Beobachtungen den Ersteren beistimmen und mit
Nicolai die pars frontalis als die erste Spur beginnender Ver-
knöcherung ansehen. Im dritten Monate schreitet diese rasch
vorwärts, sowohl in den Stirntheilen, so daſs zwischen ihnen
dann eine dreieckige, mit ihrer nach unten gerichteten Spitze das
obere Ende der Oberkieferbeine berührende häutige Decke be-
findlich ist, als auch in dem Augenhöhlentheile und vorzüglich
in der Gegend des Augenhöhlenrandes (Vgl. Nicolai S. 11.
12; Senff p. 20; E. H. Weber in Hildebrandts Anatomie II. S.
57.). Später (im vierten Monate) wird der Stirntheil immer grö-
ſser, so daſs dicht oberhalb der Nasenbeine die beiden Stirnbeine
zusammenstoſsen und hierdurch für eine feine membranöse Linie
Raum lassen, der dreieckige Zwischenraum dagegen verhältniſs-
mäſsig längere Schenkel erhält und gegen die Basis hin geboge-
ner wird. Dieser Proceſs geht im normalen Verlaufe bis zum
siebenten Monate so weit vor sich, daſs dann die Spalte bis ge-
gen die tubera frontalia hin sich ziemlich gleich bleibt, von
dort an aber mäſsig sich erweiternd eine wahre groſse Fonta-
nelle darstellt. Hiermit stimmen auch die Erfahrungen von Senff
(l. c. tab. II. fig. 7. 9. 11. 13.), Nesbitt (l. c. tab. I. fig. 3. 4.)
und Nicolai (l. c. 1. Tabelle) überein. Bei rhachitischen und an-
derweitig kranken Früchten dagegen bleibt der membranöse Zwi-
schenraum längere Zeit breit, und so habe ich ihn an einem
Schädel aus dem Ende des siebenten Monats als einen zwei Li-
15
[226]Von dem Embryo.
nien breiten Streifen, der nur gegen die linke Seite in eine
schmale und kleine Ossification zeigt, vor mir. Der Augenhöh-
lentheil verknöchert nach Sömmering (Bau des menschl. Körp. I. S.
103.) am frühesten; und zwar nach Senff (l. c. p. 19.) in der neun-
ten Woche. Nicolai (l. c. S. 11.) dagegen setzt die Bildung dessel-
ben erst in den dritten Monat; doch scheint mir diese Angabe
irrthümlich zu seyn. Im dritten und vierten Monate verbreitet
sich die Verknöcherung vollständig über den ganzen Augenhöh-
lentheil, kann jedoch auch hier verhältniſsmäſsig krankhaft zu-
rückbleiben. Der Augenhöhlenrand wird im dritten Monate
schärfer und tritt mit seiner Kante mehr hervor, zuerst an der
äuſseren, dann (Anfang und Mitte des fünften Monates) an der in-
nern Seite. Das foramen oder die fissura supraorbitalis ent-
steht als ein schwacher, schief von unten und innen nach oben
und auſsen verlaufender Einschnitt, welcher primär eine bloſse
Fissur zu seyn scheint und sich nur bisweilen durch die Entste-
hung eines queren Knochenblättchens zu einer Oeffnung umwan-
delt. Der processus nasalis ist im vierten Monate schon ver-
knöchert, bleibt im fünften etwas an Wachsthum zurück, wird
im sechsten und siebenten jedoch etwas breiter, als früher. Die
Incisura ethmoidalis spitzt sich vom vierten Monate an etwas
zu, desgleichen der processus zygomaticus. Die Stirnhöcker
sind im vierten Monate angedeutet, im siebenten aber vollkommen
ausgebildet. Mit diesen aus der Natur entlehnten Beschreibungen
vergleiche Danz (Zergliederungskunde des Ungebornen I. S. 201.),
Nesbitt (l. c. S. 30. 31.), Senff (l. c. p- 21. 22.) und Nicolai (l. c.
S. 17. 22. 29. 36.). — Stirnhöhlen sind bei dem Neugebornen noch
nicht vorhanden; die fossa lacrymalis ist schon zu Ende des
dritten Monates deutlich, wird aber im siebenten oder achten erst
abgerundeter. Die strahlige Verknöcherung ist an dem Stirn-
theile vorzüglich schön zu sehen. Einzelne abgesetzte Strahlen
findet man an der Stirn- und Kronennath besonders vom vierten
bis zum sechsten Monate. Vergleiche auſser den angeführten
Stellen Kerkring osteogenia foetuum p. 215—217., Nesbitt S.
32., Danz S. 201. 202., Senff p. 21. 22., Meckel S. 119., Bèc-
lard in Meckels Archiv VI. S. 430., Ritgen Probefragment einer
Physiologie des Menschen S. 177. bis 180.


b. Die Scheitelbeine verknöchern nach Senff (l. c. p. 22.)
zuerst in der zwölften Woche. Nicolai (l. c. S. 9.) dagegen sah
[227]Schädelknochen.
schon in der neunten Woche einzelne Knochenpünktchen, welche
noch isolirt waren und sich noch nicht strahlig verbreiteten.
Später treten diese zu einem Kerne zusammen, welcher unter allen
Schädelknochen nur hier ein einziger ist, und verbreitet sich
dann strahlig nach allen Seiten, am meisten verhältniſsmäſsig
nach oben und innen. So ist der gröſste Theil der Scheitelbeine
schon im dritten Monate knöchern und jeder Rand derselben ziem-
lich scharf angegeben. Die distinctere Bestimmung der Kanten
dagegen fällt erst in den sechsten bis siebenten Monat. Die Emis-
saria Santorini,
besonders das foramen parietale, sind während
des ganzen Fötuslebens klein. Die strahlige Verknöcherung ist
nirgends so deutlich, als hier und der Verlauf der Fasern Radien
ähnlich, welche aus der erhabensten Stelle, dem früheren Kerne,
kommen. Der Zusammentritt beider Scheitelbeine in der Pfeil-
nath scheint bei normalen Früchten vor dem achten Monate kaum
zu geschehen. Vgl. Kerkring p. 217. 218., Nesbitt S. 33., Danz S.
202. Senff p. 23. Bèclard S. 430. Nicolai S. 12. 17. 23. 29.
fgg. Ritgen S. 171—174.


c. Das Grundbein. — Die Sonderung dieses Knochens in
Hinterhaupts- und Keilbein ist hier immer durch eine dazwi-
schenliegende Knorpelmasse deutlich. An ersterem erscheinen
um das Ende des zweiten Monates nach Nicolai (l. c. S. 10.),
nach Senff (l. c. p. 24.), J. F. Meckel (Beitr. z. vergl. Anat. Bd.
I. Hft. 2. S. 36.) u. A. in der zehnten Woche die ersten Ver-
knöcherungsstellen in der Gegend der protuberantia occipitalis
externa,
welche bald als zwei an der Basis sich anlegende und
mit einander sich verbindende Triangel zusammenschmelzen.
Ueber diesen bilden sich kurz darauf zwei neue Knochenkerne, wel-
che im vierten Monate als halbmondförmige breite Hälften erscheinen
und verhältniſsmäſsig sehr groſs sind. Die Annäherung ihrer
beiden hinteren Enden scheint bei verschiedenen Individuen sehr
verschieden zu seyn. Eben so die Verbindung mit dem Grund-
theile. Rhachitis hält sie auch offenbar bedeutend zurück. In
der Schuppe entstehen oft noch zwei Kerne, welche aber in der
Regel schon vor der Mitte des vierten Monates vollkommen ver-
wachsen sind. Oft jedoch bleibt dieser frühere Zustand als Bil-
dungshemmung zurück und es entstehen z. Th. so die bekannten
wormischen Knochen. Das Grundstück verknöchert schon gegen
die letzte Hälfte des dritten Monates, ist jedoch im vierten noch
15*
[228]Von dem Embryo.
durch eine groſse Knorpelmasse von den Gelenktheilen getrennt
(S. Senff l. c. tab. 2. fig. 14.), rückt ihnen aber rasch näher, so
daſs beide bei gesunden Fötus schon in der funfzehnten Woche an
einander stoſsen, bei rhachitischen Schädeln dagegen noch im sechs-
ten Monate um zwei Linien und mehr von einander entfernt sind.
Eben so variirt die vordere Distanz von dem Keilbeine. Seine
Gestalt ändert sich vom vierten Monate an wenig; nur der hin-
tere und vordere Ausschnitt werden etwas schärfer. Der Hin-
terhauptshöcker ist im vierten Monate verhältniſsmäſsig am stärk-
sten vorgezogen und zu einer kleinen crista occipitalis ausge-
bildet, welche ungefähr ¾ Linie lang ist, unter sich aber eine
eben so groſse kanalförmige Vertiefung hat. Eben so steht um
diese Zeit die linea semicircularis superior vorzüglich hervor
und bleibt im Fötus überhaupt stärker marquirt, als im Erwach-
senen. Die Form des Hinterhauptsloches ist früher etwas ovaler,
als später. S. Kerkring p. 219. Nesbitt S. 37. Danz S. 203.
Sömmering de c. h. fabrica I. p. 115. Senff p. 25. 26. Mek-
kel Anat. II. S. 38. 39. Bèclard S. 422. 423. Nicolai S. 12.
18. fgg. Ritgen S. 166. fgg. Weber S. 66. Schlieſslich muſs
ich noch bemerken, daſs Bèclard die Schuppe nur aus vier Kno-
chenkernen entstehen läſst, welches wir in einem Falle insofern
realisirt sahen, als bei diesem vier gesonderte Stücke im vierten
Monate die Schuppe zusammensetzten. Bei den Säugethieren
scheint der Proceſs eben so vor sich zu gehen, nur daſs nach
Meckel (Arch. I. S. 618.) das Schwein nur einen, das Kaninchen
dagegen nur drei Paar Knochenkerne hat.


Das Keilbein ist weniger als die übrigen Schädelknochen in
seiner Ossificationsgeschichte gekannt, offenbar aus dem Grunde,
weil die wenigsten Fötusschädel geöffnet, sondern die meisten im
Ganzen und unverletzt aufbewahrt werden. Einiges hierher Gehö-
rige s. oben bei Gelegenheit der Basis cranii. Kerkring (l. c. p. 226.)
Nesbitt (l.c. S. 53.), Meckel (l. c. S. 620.), Ritgen (l. c. S. 168.)
und Nicolai (l. c. S. 13.) setzen die erste Verknöcherung in den
dritten, Burdach (Physiol. II. S. 444.) in den vierten Monat.
Senff (l. c. p. 30.) bestimmt den Zeitpunkt genauer als die eilfte
Woche. Zuerst bildet sich in den groſsen Flügeln jederseits ein
Knochenkern, so daſs bald der ganze die Augenhöhle constituirende
Theil mit Ausnahme seines unteren Randes verknöchert ist. Doch
bleibt auch der obere Rand bei rhachistischen Schädeln bis in
[229]Schädelknochen.
den sechsten oder siebenten Monat membranös. Frühzeitig, schon
im Anfange des vierten Monates, erscheinen zwei neue Knochen-
kerne in den kleinen Flügelfortsätzen. Nach Meckel (l. c. S.
621.) jedoch stellen diese nur das innere Blatt derselben dar,
indem das äuſsere Blatt aus dem groſsen Flügel hervorsproſst.
Neue Knochenkerne bilden sich bald in dem kleinen Flügel. Die-
ser ist wenigstens theilweise schon in dem unverletzten Schädel
sichtbar, im vierten Monate länglich, nach vorn spitz, nach vorn
und unten bogenförmig ausgeschnitten. Im fünften und sechsten
wird er gröſser und dreieckig. Ueber die Verknöcherung des
Körpers weichen die Angaben ab. Kerkring (l. c. p. 227.) und
Nesbitt (l. c. S. 53.) lassen ihn aus zwei Kernen im vierten Mo-
nate entstehen; desgleichen Meckel (l. c. S. 623.) und Ritgen (l.
c. S. 169.). Nicolai (l. c. S. 13.) beschreibt ihn aus dem dritten
Monate als einen unpaaren Knochenkern, wie wir es aber vor
dem vierten Monate nicht sehen. Rasch verknöchert der an der
Unterfläche des Schädels gelegene Theil. Im vierten Monate ist
er rundlich, im fünften wird er nach hinten breiter, im sechsten
dagegen bedeutend länger. Die Entfernung vom Hinterhaupts-
beine ist bis zum sechsten Monate bedeutend. Die Verschmel-
zung dagegen findet erst nach der Geburt Statt. Das ganze Keil-
bein hat so acht oder neun Knochenkerne, welche durch rasche
Ausbildung den später so vielgestaltigen Knochen constituiren.
Doch ist seine äuſsere Form im Wesentlichen schon als Knorpel
gebildet und nur der Erhärtungsproceſs geht im Allgemeinen auf
die erwähnte Weise vor sich. Vgl. Kerkring p. 225. 230. Nes-
bitt S. 53. Sömmering p. 115. Danz S. 204. Meckel S. 223—
225. Senff p. 30. 31. Oberkampf anat. foet. p. 41. Nicolai S.
13. 18. 24. fgg. Ritgen S. 168—171. E. H. Weber S. 74. 75.


d. Die Schläfenbeine. — Hier muſs man zwei wesentlich
verschiedene Theile unterscheiden, nämlich 1. die dem Gehöror-
gane angehörigen Knochen und 2. die übrigen knöchernen Theile
des Schläfenbeines. Die ersteren sind schon oben bei der Ent-
wickelungsgeschichte des Ohres erwähnt worden. Daher wir
nur die letzteren noch zu berühren haben. Hier ebenfalls müssen
wir, wie wir dies bei den übrigen Schädelknochen schon still-
schweigend gethan, manches zu dem Gesichte Gehörige abhan-
deln, um nicht durch Zerreiſsung des Ganzen den Ueberblick zu
verwirren. Kerkring (l. c. p. 220.) sah die erste Verknöcherung
[230]Von dem Embryo.
im dritten Monate. Doch erhellt aus seiner Beschreibung deut-
lich genug, daſs dieses unmöglich der erste Anfang seyn könne.
Auch Nesbitt (l. c. S. 44.) sah im zweiten Monate keine Spur
von Verknöcherung, Meckel (l. c. S. 636.) setzt als Termin die
Mitte des dritten Monates, Senff (l. c. p. 27.) die eilfte Woche,
Nicolai (l. c. S. 10.) dagegen das Ende des zweiten Monates. Zu-
erst entsteht, wie Senff (tab. 2. fig. 5.) es auch abgebildet hat,
ein kleiner freier Knochenkern am unteren Theile der Schuppe,
welcher sich schnell vergröſsert, gegen das Ende des vierten Mo-
nates schon einen ziemlich groſsen Halbkreis darstellt, vom fünf-
ten Monate an dagegen, besonders in der Dimension von hinten
nach vorn, wächst. Eben so früh bildet sich der processus zy-
gomaticus,
so daſs schon im vierten Monate kein Knorpeltheil
an ihm wahrgenommen wird und er sich späterhin nur in glei-
chem Maaſse mit dem Schädel vergröſsert. Selbst in rhachiti-
schen Köpfen ist dies ganz so, wie es im Gesunden der Fall ist.
Die die knöchernen Theile des Gehörorganes deckenden Knochen-
platten entstehen nach Meckel (l. c. S. 636.) im vierten, nach
meinen Untersuchungen jedoch erst im fünften Monate vollständig.
Der Zitzentheil hat einen eigenen Knochenkern im vierten bis
fünften Monate, bei rhachitischen Schädeln noch später und ist
im siebenten Monate noch durch eine Spalte von der Schuppe
getrennt. Der proc. mastoideus dagegen entsteht gewöhnlich
erst nach der Geburt. Der Carotidenkanal hat zu Anfange des
fünften Monates schon seine deutliche Windung. Ueber das an
demselben liegende Sesambein vermag ich nichts Bestimmtes an-
zugeben. Wahrscheinlich entsteht es kaum vor dem siebenten
Monate, wo ich seine erste Spur in einem rhachitischen Schädel
zu sehen glaube. Die Oeffnung in die tuba Eustachiana ist im
dritien Monate am trockenen Schädel schon bedeutend groſs. Vgl.
Kerkring p. 220—224, Nesbitt S. 38—43, Danz S. 205, Senff
p. 27—29, Meckel S. 606, Bèclard S. 427—430, Nicolai S.
12. 18. fgg., Ritgen S. 174—177., Oberkampf p. 40., E. H. We-
ber S. 82. 83.


Dadurch, daſs die Schädelknochen in früherer Zeit nicht voll-
kommen an einander stoſsen, entstehen membranöse Zwischen-
räume, welche zum Theil vor der Geburt verschwinden, zum
Theil aber im normalen Zustande bei dem Neugeborenen noch
vorhanden und als die sogenannten Fontanellen bekannt sind. Die
[231]Anlagen der Wirbelkörper.
groſse und kleine Fontanelle haben die bei der Geburt sich vor-
findende Form im Allgemeinen schon im sechsten Monate, die
Casserische dagegen erst im siebenten. Rhachitische Schädel ma-
chen hiervon natürlich bedeutende Ausnahmen und bilden die
schönsten Uebergänge zu den krankhaften Verhältnissen, welche
wir bei dem Wasserkopfe oder den in Folge abnormer Wasser-
häufung erfolgten Zerstörungen der Knochen, bei Hemicephalie u.
dgl. in so hohem Grade ausgebildet sehen, daſs die normale Ver-
knöcherung an vielen Stellen gehindert ist, daſs die Augen, durch
die Schwere des Wassers gedrängt, aus ihren Höhlen hervortre-
ten u. dgl. mehr.


5. Das Siebbein. — Schon Kerkring (l. c. p. 231.) wuſste
es, daſs das Siebbein an seinen Papierplatten zuerst verknö-
chere und setzte (l. c. p. 231.) den ersten Act in den fünften
Monat; Nesbitt (l. c. S. 54.) dagegen zwischen den vierten und
sechsten, Senff (l. c. p. 32.) in die vierzehnte Woche und E. H.
Weber (l. c. S. 87.) in die Mitte der Schwangerschaft. Die Ver-
knöcherung der Muscheln folgt schnell nach. Doch soll die la-
mina perpendicularis
und cribrosa während des ganzen Fötus-
lebens knorpelig bleiben. Die letztere ist bei dem reifen Kinde
nach Sömmering (l. c. p. 143.) verhältniſsmäſsig sehr groſs. Die
Crista Galli verknöchert erst lange nach der Geburt. Vergl.
Kerkring p. 230. 231., Nesbitt S. 54., Bèclard S. 426. 427., Senff
p. 32., Danz S. 212., Ritgen S. 182., E. H. Weber S. 87.


b. Die Anlagen der Wirbelkörper, welche wir als dunke-
lere quadratische Flecke mit hellen Zwischenräumen entstehen sa-
hen, erscheinen zuerst, da im Anfange jede Spur des Halses noch
fehlt, in der Brustgegend, von wo aus sie sich rasch nach oben und
mehr noch nach unten verbreiten. Ihre erste feste Entstehung
fällt bei den Vögeln ohne Zweifel, nach Prevost und Dumas beim
Hunde und Kaninchen und nach Ritgen (l. c. S. 93.) beim Igel
noch vor die Zeit der Schlieſsung der Rückenplatten. Auch wird,
wie man bei Vögeln genauer verfolgen kann, mit ihnen erst das
untere Ende der Rückenwirbelsäule genauer bestimmt. Am voll-
ständigsten finden wir diese von Malpighi, Haller, Tredern, Wolff
u. A. schon gekannte Bildung in den Zeichnungen von Pander,
Döllinger u. d’Alton (Entw. des Hühnchens tab. 2.) dargestellt.
Die früher quadratischen Flecke werden im Laufe der Entwicke-
lung breiter und daher auch scheinbar schmäler und stoſsen nach
[232]Von dem Embryo.
vorn zusammen, während der hintere in der früheren Nath der Rük-
kenplatten gelegene Theil noch membranös dünn und durchsich-
tig bleibt. Dieser Zustand dauert einige Zeit fort, bis die dar-
über liegenden Schichten des serösen Blattes sich mehr histiolo-
gisch gesondert haben. Wir finden ihn daher in den Abbildun-
gen sehr vieler Beobachter, z. B. Malpighi’s (Opp. omn.), Hallers,
Wolffs (theoria generat. und de format. intest.), Sömmerings (ic.
embr.
), Panders (Beitr.), Rathke’s (Meckels Arch. 1830. N. A.
N. C. Vol. XIV. u. Abth. Bd. 2.), E. H. Webers (Meck. Arch.
1827.), Joh. Müllers (Entw. der Geschl.thle u. Meck. Arch. 1830.)
und Burdachs (de foetu. hum.) mehr oder minder deutlich dar-
gestellt. Mit vollkommener Klarheit sieht man es in ganz fri-
schen Embryonen, da ein längeres Liegen derselben in Wasser
oder Weingeist durch Trübung der Masse die Anschauung ver-
dunkelt. Sie stellen sich, wie es scheint, bei allen Wirbelthieren
nach fast gleichem Typus dar, nach unseren Erfahrungen wenig-
stens bei den Fröschen, Eidechsen und Schlangen, dem Huhne,
der Gans, dem Kaninchen, dem Hunde, dem Schaafe, der Kuh,
dem Schweine, der Ratte und dem Menschen. Zuerst werden
die vorderen, den künftigen äuſseren Seitenparthieen entsprechen-
den Theile der Wirbelkörper knorpelig. Die Verhärtung schrei-
tet an der unteren Fläche von den Seiten nach der Mitte vor,
und so verknorpelen die Wirbelbeinkörper, während die Bogen
und Andeutungen der Fortsätze noch durchaus membranös blei-
ben. Die Ossification dagegen geht einen gänzlich verschiede-
nen Weg.


Kerkring (l. c. p. 240.) schreibt allen Wirbelbeinen, mit
Ausnahme des Epistropheus und der früher gesonderten Wirbel-
beine des os sacrum, drei Knochenkerne zu. Nesbitt (l. c. S.
67.) giebt diesen Unterschied bei seiner Beschreibung nicht an,
bemerkt (l. c. S. 69.) aber ausdrücklich, daſs im sechsten Monate
der proc. odontoid. epistroph. besonders verknöchere und daſs
(l. c. S. 68.) vom dritten Monate an in allen Wirbelbeinkörpern
mit Ausnahme des ersten wahren und der fünf unteren After-
wirbelbeine, Ossificationsstückchen wahrgenommen werden. Söm-
mering beschreibt die Theile nach dem reifen Fötus, und giebt
für den Atlas zwei (l. c. p. 236.), für den Epistropheus vier
(p. 240.), für alle Hals- und Rückenwirbel (p. 244. 249.) drei
Knochenkerne an. Bei Gelegenheit des proc. odontoid. wieder-
[233]Anlagen der Wirbelkörper.
holt er die interessante Beobachtung Mauchart’s (de capitis ar-
ticulatione p
. 9.), daſs der schon früher verknöcherte proc.
odontoid
. in dem Körper des Wirbelbeinkörpers oft sich einsenke.
Der sonst genaue Senff weicht hier bedeutend ab. Alle Wirbel
haben drei Verknöcherungspunkte nach ihm (l. c. p. 49.), nur
der epistropheus vier. Zuerst verbeinern die Halswirbel, dann
Brust- und Bauchwirbel, zuletzt der Atlas (l. c. p. 51.). Joh. Fr.
Meckel gab auch hier die speciellen Verhältnisse genauer an. Der
Atlas verknöchert mit zwei Knochenkernen in seinen Bogenhälf-
ten gegen Ende des Fötuslebens. Nach der Geburt dagegen ent-
steht oft analog den übrigen Wirbeln ein dritter Knochenkern
an der dem Körper entsprechenden Stelle. Doch findet dieses
nur bei dem Menschen Statt, während bei dem Hunde, dem
Schweine und der Katze dieser Wirbel von den übrigen Wirbeln
durchaus nicht abweicht. (Arch. I. S. 605.) Der epistropheus
entsteht aus fünf oder sieben Knochenkernen, im letzteren Falle
aus zweien für die Seitenhälften, zweien für den proc. odontoid.
und zweien für die Bogen der Wirbelarterien und einem für den
Körper (S. 603.). Die übrigen Halswirbel haben zuerst drei Ver-
knöcherungspunkte, einen im Körper und zwei in den Bogenhälf-
ten. Hierzu kommt noch jederseits einer für den den Wir-
belkanal umschlieſsenden Bogen, am deutlichsten am siebenten
Halswirbel, minder deutlich, jedoch noch erkennbar an mehreren
darüber liegenden Wirbeln (l. c. S. 595.). Die Rückenwirbel
haben drei Knochenkerne; desgleichen in der Regel die Lenden-
wirbel. Die drei oberen Kreuzbeinwirbel entstehen aus fünf, die
zwei unteren aus drei Kernen. Sie weichen auch darin von den
übrigen Wirbeln ab, daſs bei ihnen der Körper zuerst (im dritten
oder vierten Monate) und dann die Bogenhälften verknöchern
(S. 608. 609.), eine Erscheinung, welche mit der Krümmung und
Lage des Embryo innig zusammenhängt. Meckel’s Beobachtungen
die wir, so weit sie den Fötus angehen, hier berührt haben,
stimmen mit denen von Albinus (ic. oss. foet. p. 54—57.) fast
gänzlich überein. Wie Flamm (de vertebr. ossiv. Berol. 1818.
8.) seine Aeuſserung falsch verstanden, hat Meckel selbst hinläng-
lich gezeigt (Arch. VI. S. 397—404.). Nach Bèclard (Meck.
Arch. VI. S. 405—415.) entstehen in der siebenten Woche die
Verknöcherungen der Bogenhälften, während an allen Wirbeln
einige Tage später die Knochenkerne der Körper entstehen. Nur
[234]Von dem Embryo.
sind von Letzterem die beiden Endpunkte der Wirbelsäule aus-
genommen (S. 407). Nicolai (l. c. 2. und 3. Tabelle) fand die
Bogenhälften des Atlas im dritten Monate ½ Linie lang verknö-
chert. Im Epistropheus sind die Bogenhälften eben so sehr ver-
knöchert, während im fünften Monate im Körper und im sechsten
im proc. odont. ein Knochenkern erscheint. Die übrigen fünf
Halswirbel haben im dritten Monate zwei ½ Linie lange Knochen-
streifen für die Bogenhälften und einen undeutlichen für den Kör-
per; die Rückenwirbel einen schon etwas gröſseren für den Kör-
per und die Lendenwirbel in den Bogenhälften vier, in dem Kör-
per fünf weiſse Pünktchen. Am Ende des vierten Monates sieht
man in dem Körper der drei falschen Wirbel des Kreuzbeines
Knochenpunkte. Der Atlas entsteht nach Ritgen (l. c. S. 209.)
aus drei, der Epistropheus aus fünf (l. c. S. 214.), die übrigen
Halswirbel aus drei Knochenpaaren (l. c. S. 216.). Für die Rük-
kenwirbel stellt er folgende mögliche Knorpelkerne dar: zwei
Paare für den Körper, ein inneres, ein äuſseres und ein hinteres
Paar für die Bogen, eines für die seitlichen Hälften der Dornfort-
sätze und eines für das hintere Ende derselben. Nach unserer
Untersuchung ist die Ossification der Wirbel durchaus variabel.
Es entstehen Knochenpünktchen, welche zu einem sogenannten
Kerne zusammentreten. Man kann der letzteren im Allgemeinen
für die Rückenwirbel drei annehmen, einen für den Körper und
zwei für die Bogenhälften. Vielleicht entsteht auch der erste
aus zwei seitlichen Hälften. Die Anhänge der Wirbel dagegen
haben doppelte oder wenigstens einfache gesonderte Knochenkerne;
so der proc. odontoid., die Querfortsätze, die Dornfortsätze, der
Bogen des Canalis vertebralis u. dgl. m. Die Bogenhälften sind
am Halse und dem oberen Theile der Rückenwirbel länger und
schmäler, die der unteren Rücken- und Lendenwirbel breiter und
kürzer. Die Körper zeigen vom fünften Monate an fast dieselben
Verhältnisse, wie im Erwachsenen. Uebrigens ist die Verknöcherung
der Rückenwirbelsäule bei der Geburt noch nicht vollendet, son-
dern wird erst nach den Angaben Sömmerings, Meckels und Bèclards
in oder nach dem ersten Lebensjahre vervollkommnet. Im aus-
getragenen Kinde sind Körper, Bogenhälften, Querfortsätze und
ein Theil der Anhänge verknöchert. Vgl. Kerkring p. 238—245.
Albinus p. 52—58. Nesbitt S. 64—69. Danz S. 225—230.
Sömmering p. 236. 240. 244. 249 fgg. Senff p. 405—416. Flamm
[235]Unteres Knochenrohr. Knochen des Gesichtes.
l. c., Meckel Arch. I. S. 594—611. Arch. VI. S. 397—404.
Anat. II. S. 266., Nicolai S. 15. 20. 26 fgg., E. H. Weber in
Meck. Arch. 1827. S. 230. und in Hildebrandts Anatomie II. S.
163—165. Ritgen S. 202—225. —


B. Unteres Knochenrohr.

Während das obere Centralrohr überall geschlossen und selbst
durch die Zwischenwirbel der Sinne nur eingedrückt, nicht aber
in seiner Continuität unterbrochen war, ist das untere Rohr nur
selten und nie der ganzen Länge nach in seinen Knorpel- und
Knochentheilen gänzlich geschlossen. Bei dem Menschen gehören
zu ihm die Gesichtsknochen, die Rippen nebst dem Brustbeine.
Die ersteren gehören, wie wir schon oben bemerkt und später
noch entwickeln werden, ganz und gar den Sinnesorganen an.
In ähnlicher Qualität tritt noch ein isoliter Knochengürtel, das
Zungenbein, auf. Die Schlieſsung dieser Wirbelstücke ist durch
die Lage und die sich gegenseitig bedingenden Formveränderun-
gen der Sinnesorgane bestimmt und daher nur mehr oder minder
im Einzelnen vollständig. Am Rippenkorbe dagegen bildet das
Brustbein eine feste Schluſslinie und mit ihm hallt, wenn auch
in schwächeren Tönen, ein bei den Wirbellosen realisirtes Ver-
hältniſs wieder, wie später noch sich ergeben wird.


Die Entstehung der das Gesicht constituirenden härteren
Theile hängt zu innig mit der Ausbildung der Sinnesorgane zu-
sammen, als daſs sie ohne den Verlust des nöthigen Ueberblickes
oder unnütze Wiederholungen getrennt von diesen behandelt
werden könnte. Wir werden daher hier nur die einzelnen Ge-
sichtsknochen nach ihrer speciellen Ossificationsgeschichte durch-
gehen und müssen wegen des Uebrigen auf die Abschnitte von
dem serösen Blatte und dem Schleimblatte verweisen, in welchen
von den Sinnen gehandelt wird.


I. Die Knochen des Gesichtes.

Es würde ein eigenes Werk erheischen, wenn man diejeni-
gen Knochen und Knochentheile, welche wahrhaft dem Gesichte
(den Sinnesorganen) angehören, bestimmen und diese Bestimmung
auf die durch die Entwickelungsgeschichte des Individuums sowohl,
als der Thierwelt gewonnenen Ansichten basiren wollte. Denn die
gültige aus dem Erwachsenen entnommene Bestimmung der soge-
nannten Gesichtsknochen ist im höchsten Grade willkührlich und
[236]Von dem Embryo.
unwissenschaftlich. Um jedoch hier nicht unverständlich zu seyn,
wo eine solche weitläufige Darstellung am unrechten Orte wäre,
werden wir die gebräuchlichste Distinction befolgen.


a. Die Pflugschaar. — Nach Rathke sollen lamina papyra-
cea
des Siebbeines, Vomer, knorpelige Nasenscheidewand und
Intermaxillarknochen aus einer Mittelwand entstehen (S. Abh. I.
S. 102.). Die Pflugschaar hat im dritten bis vierten Monate nach
Nesbitt (l. c. S. 60.) dieselbe Gestalt, wie im Erwachsenen und
besteht aus zwei seitlichen an einander liegenden Knorpelplatten.
Dasselbe bestätigen Sömmering (l. c. p. 170.) und Danz (l. c. S.
214.); nach Senff (l. c. p. 39.) dagegen ist wenigstens der hintere
Rand in frühester Zeit einfach. Der Letztere sah es, wie Kerk-
ring, Mayer u. A., in der dreizehnten Woche verknöchert. Bè-
clard (l. c. S. 430.) setzt seine Ossification um den 45sten Tag.
Meckel nimmt als Verknöcherungstermin den vierten Monat an.
In diesem ist nach Nicolai (l. c. S. 20.) und Ritgen (l. c. S. 197.)
die Ossification oben und hinten am stärksten. Von der Mitte
des dritten Monates an werden die beiden Platten des Vomer
deutlicher kenntlich und klaffen am vorderen Ende, besonders
an getrockneten Schädeln etwas von einander. Die Gröſse über-
trifft die der knorpeligen Scheidewand um ein Bedeutendes, bis
nach dem siebenten bis achten Monate das Verhältniſs sich dem
des Erwachsenen ziemlich nähert. Mehr, als ein Knochenkern,
scheint nicht vorzukommen. Vgl. Kerkring p. 233., Nesbitt S.
59. 60., Danz S. 214., Sömmering p. 170., Mayer II. S. 76.,
Senff p. 39. 40., Bèclard S. 429. 430., Oberkampf p. 42., Nicolai
S. 20. 26 fgg., Ritgen S. 197. 198., E. H. Weber S. 107.


b. Die Nasenbeine. — Ihre frühe Verknöcherung war Kerk-
ring (l. c. p. 233.) und Nesbitt (l. c. S. 55.) schon bekannt. Die
sehr frühe Ausbildung der ganzen Knochen aber erwähnen Blu-
menbach (Knochenlehre S. 210.), Sömmering (l. c. p. 162.) und
Danz (l. c. S. 213.). Die Zeit der Ossification setzt Senff (l. c.
p. 38.) in die zwölfte Woche, Bèclard (l. c. S. 431.) vor den
45sten Tag, Meckel (l. c. S. 185.) in den Anfang des dritten und
Nicolai (l. c. S. 20.) in den des vierten Monates. Unsere Erfah-
rungen stimmen für Meckels Ansicht. Rasch vergröſsert sich in
ihnen die Knochenmasse, so daſs sie im vierten Monate schon
lange und von oben nach unten breiter werdende Platten dar-
stellen, die im fünften an einander stoſsen und bis an das Ende
der Schwangerschaft selbst noch relativ gröſser verhältniſsmäſsig,
[237]Unteres Knochenrohr. Knochen des Gesichts.
als die Knorpel sind. Vgl. Kerkring p. 233., Nesbitt S. 55.,
Sömmering p. 162., Danz S. 213. 214., Senff p. 38. 39., Bèclard
S. 431., Meckel S. 185., Nicolai S. 20. 25 fgg., Ritgen S. 183.
184., E. H. Weber S. 104.


c. Die Muschelbeine. — Sie entstehen nach Rathke (Abh. I.
S. 97.) eben so, wie die Muscheln des Siebbeines, erst nach der
Bildung der Nasenhöhle. Noch völlig knorpelig haben sie Nesbitt
(l. c. S. 59), Blumenbach (l. c. S. 216.), Senff (l. c. p. 39.) und
Nicolai (l. c. S. 32.) bis gegen die Mitte des Fruchtlebens gese-
hen. Nach Letzterem beginnt die erste Verknöcherung im vier-
ten Monate. Der Kieferfortsatz soll nach Mayer noch bei der
Geburt fehlen. S. Nesbitt S. 59., Sömmering p. 168., Danz S.
214., Senff p. 39., Meckel S. 147., Nicolai S. 32. 38 fgg., Ritgen
S. 198., E. H. Weber S. 105.


d. Die Thränenbeine. — Mayer (l. c. S. 75.) giebt als erste
Verknöcherungszeit den dritten, Bèclard (l. c. S. 431.) das Ende
des zweiten, Nesbitt (l. c. S. 59.) und Meckel (l. c. S. 000.) da-
gegen den fünften bis sechsten Monat an. Ritgen (l. c. S. 183.)
sah im vierten Monate einen eine Linie langen und breiten Kno-
chenkern und Nicolai (l. c. S. 38.) fand im siebenten den ganzen
Knochen drei Linien lang und mit einer Rinne versehen. Wir
selbst sahen im Anfange des vierten Monates die erste Verknö-
cherung. Ihre Ausbildung nimmt rasch zu, so daſs sie bei der
Geburt, wie Sömmering (l. c. p. 164.) schon bemerkt, die voll-
endenste von der aller Gesichtsknochen ist. Vgl. Nesbitt S.
55. 56., Sömmering p. 164., Danz S. 213., Senff p. 39., Bèclard
S. 431., Meckel S. 191., Nicolai S. 38., Ritgen S. 183., E. H.
Weber S. 102.


e. Die Jochbeine. — Ihre zeitige Verknöcherung kannte
Kerkring (l. c. p. 232.) schon und Nesbitt (l. c. S. 56.) beobach-
tete im dritten Monate den Anfang derselben. Senff (l. c. p. 40.)
sah die erste Spur in der eilften Woche, Meckel (S. 130.) um
den Anfang des dritten, Bèclard (l. c. S. 431.) und Nicolai (l. c. S.
10.) um den Anfang des zweiten Monates. Das Jochbein nimmt sehr
rasch an Umfang zu, so daſs es am Ende des dritten oder zu
Anfange des vierten Monates fast die Gestalt und die verhältniſs-
mäſsige Gröſse des Erwachsenen hat. Offenbar irrig ist aber
Danz’s Angabe (l. c. S. 212.), daſs bei dem Fötus ein groſser
Theil der Gesichtsknochen nur aus einem Stücke bestehe und nur
[238]Von dem Embryo.
einen Knochenkern habe. — Am Neugeborenen fehlen die Zacken
an den Verbindungsstellen, die Augenhöhlenwand ist schärfer, die
Gesichts- und Schlaffläche verhältniſsmäſsig kleiner. Vgl. Kerk-
ring p. 232., Nerbitt S. 56., Senff p. 40—42., Danz S. 212. 213.,
Sömmering p. 160., Bèclard S. 431., Meckel S. 137., Nicolai S.
10. 14. 19 fgg., E. H. Weber S. 109. 110., Ritgen S. 180—182.


f. Die Oberkieferbeine. — Sie verknöchern sehr früh und
rasch, wie Kerkring (l. c. p. 233.) angiebt, schon im dritten Mo-
nate. Dasselbe beobachtete Nesbitt (l. c. S. 58.); Senff (l. c. p.
32.) dagegen sah in der achten Woche einen rundlichen Kern in
der Mitte des Knochens selbst. Bèclard (l. c. S. 432.) will schon
vor Ablauf der fünften Woche eine sogenannte knöcherne Rinne
am unteren Theile desselben gesehen haben. Nicolai (l. c. S. 10.)
setzt die ersten Verknöcherungspunkte in den zweiten Monat.
Die Verbreitung der Knochenmasse geht rasch vor sich, indem
sowohl die alten Punkte schnell an Umfang zunehmen, als auch
neue Kerne entstehen. Bertin (nach E. H. Weber l. c. S. 94.)
sah deren zwei, Meckel drei, während Senff, Nicolai und Ritgen
hiervon ganz schweigen. Wir selbst konnten vom Anfange des
dritten Monates nur einen Kern wahrnehmen. Doch findet man
gerade hier öfter, als an anderen Knochen, Anhäufungen soliderer
Knochenmasse an manchen Stellen, besonders gegen das Jochbein
und die Zahnfortsätze hin, welches vielleicht zu den ersteren An-
gaben Veranlassung gegeben hat. Im dritten Monate ist das os
maxillare superius
schon ganz knöchern und wegen der verhält-
niſsmäſsig so unbedeutenden Gesichtshöhe breiter, als im Erwach-
senen. Der Nasenfortsatz bildet ein Dreieck mit breiterer Basis
und geringerer Höhe, als in der Folgezeit. Die crista lacryma-
lis
ist ein schon verhältniſsmäſsig groſses, schiefes Knochenblätt-
chen; der Jochfortsatz mehr in die Länge gezogen; die Jochgrube
dagegen fehlt fast noch ganz. Der schon dicke Zahnfortsatz hat
besonders an der Stelle der künftigen Backenzähne einen rundli-
chen, groſsen Wulst. Der Gaumenfortsatz ist ein plattes Stück
und das foramen incisivum zwar schon klein, doch im Verhält-
nisse gröſser, als im Erwachsenen. In der Folge wird der Stirn-
fortsatz länglicher (schon im vierten bis fünften Monate). Am
Alveolarfortsatze entstehen neue Beutel für die Alveolen. Der
Gaumenfortsatz gewinnt an Festigkeit und das foramen incisi-
vum
schlieſst sich zum gröſsten Theile. — Man hat bekanntlich
[239]Unteres Knochenrohr. Knochen des Gesichtes.
den Intermaxillarknochen der Säugethiere durch eine Nath, die
sutura incisiva, auch am menschlichen Schädel angedeutet ge-
funden. (S. die Notizen hierüber bei E. H. Weber l. c. S. 95.
Göthe zur Naturwissenschaft etc. Bd. I. Hft. 2. S. 209. und Nov.
Act. Ac. N. C. Vol. XV. Tom
. 1. p. 8 fgg. und M. J. Weber
in Frorieps Notizen Jan. 1828. p. 282.). Einen gesonderten Kno-
chen, wie Bèclard (l. c. S. 431.) angiebt, habe ich nicht gesehen.
Nur an einem völlig gesunden viermonatlichen Schädel sah ich
auf der einen Seite eine tief durchgehende Nath, welche durch
eine kleine Knorpelmasse von dem übrigen Oberkieserknochen ge-
trennt war. Das hierdurch entstandene gesonderte, als os inter-
maxillare
zu deutende Knochenstück enthielt zwei Schneide-
zähne, indem die Spalte genau zwischen dem äuſseren Schneide-
zahn und dem inneren Rande des Eckzahnes hindurchging. In-
teressant war es mir, daſs ich an allen von mir untersuchten rha-
chitischen Fötusschädeln keine Spur dieser Trennung vorfand. —
In dem Neugeborenen sind nach Sömmerings Angabe (l. c. p. 151.
152.) alle Theile der maxilla superior zwar schon vorhanden,
doch noch mehr in die Breite gezogen, als lang. Es findet sich
das planum orbitale und der proc. nasalis noch am meisten
ausgebildet. Vgl. Kerkring p. 231—233., Nesbitt S. 56—58.,
Sömmering p. 151. 152., Danz S. 215. 216., Senff p. 32—38.,
Bèclard S. 432. 433., Meckel S. 130—132., Nicolai S. 10. 13.
18 fgg., E. H. Weber S. 94. 95., Ritgen S. 189—195.


Die Entstehung der Zähne und der Highmorshöhle sollen bei
dem Schleimblatte abgehandelt werden.


g. Die Gaumenbeine. — Sie entstehen nach Kerkring (l. c.
p. 233.), Nesbitt (S. 59.) und Portal (Lietauds Zerglied. Kunst.
S. 253.) im dritten Monate, nach Senffs genauerer Bestimmung
(l. c. p. 37.) in der zwölften Woche. Meckel sah im dritten
Monate einen Knochenkern und Nicolai beobachtete im zweiten
Monate schon Spuren der Verknöcherung. (S. seine zweite Ta-
belle.) Gegen die Mitte des dritten Monates ist das ganze Gau-
menbein schon in Knochenmasse verwandelt. Die horizontale
Platte hat fast schon die verhältniſsmäſsige Gröſse des Erwach-
senen, nur daſs der mittlere Theil etwas breiter und mehr nach
vorn ausgeschweift wird. In der Regel ist die Verbindung des-
selben eine einfache Nath. Doch sehe ich an einem viermonat-
lichen Schädel an ihrer Stelle eine kleine crista vorstehen. Das
[240]Von dem Embryo.
perpendikuläre Blatt ist verhältniſsmäſsig kurz und niedrig. Der
ganze Knochen jedoch hat im Fötus relativ mehr Stärke, als
im Erwachsenen. Vgl. Kerkring p. 232. 233., Nesbitt S. 58.
59., Sömmering p. 157., Danz S. 212., Senff p. 36—38., Bèclard
S. 431., Nicolai S. 20. 25. 32 fgg., Oberkampf p. 42., E. H. We-
ber S. 100., Ritgen S. 195. 196.


h. Der Unterkieferknochen. — Schon die knorpelige Grund-
lage desselben ragt in frühester Zeit bedeutend hervor und wird
erst später mit weiterer Ausbildung des Oberkiefergerüstes diesem
mehr gleichgestellt. Der knöcherne Unterkiefer steht eben so im
zweiten Monate als ein weiter Gürtel hervor, wie dies schon
Kerkring (l. c. p. 234.) bemerkt hat. Seine Ossification gehört
zu den frühesten des Körpers. Kerkring (l. c. p. 234.), Nesbitt
(l. c. S. 61.), Portal (l. c. S. 252.), Mayer (l. c. S. 76.), Danz
(l. c. S. 216.) u. A. setzten ihre erste Spur in den zweiten Mo-
nat, Senff (l. c. p. 42.) genauer in die siebente Woche. Bèclard
(l. c. S. 433.) glaubt sogar, daſs diese schon vor dem 35sten
Tage erscheine. Nicolai (l. c. S. 10.) bemerkt ganz richtig, daſs
zu Ende des zweiten Monates die Gröſse dieser Knochenleiste die
der Clarikel um ⅓ Linie überträfe und Ritgen (l. c. S. 199.) fand sie
um dieselbe Zeit 1⅔ bis 3 Linien lang. Nach den meisten Beobach-
tern entsteht der ganze Unterkieferknochen bloſs aus zwei seitlichen
Knochenkernen. Nur Bèclard (l. c. S. 434.) beschreibt noch zwei
in den Kronenfortsätzen, welche um die achte Woche entstehen und
schnell mit den Hauptkernen verwachsen. Autenrieth und Spix
(s. b. E. H. Weber S. 113.) geben vier Paare von Knochenker-
nen an, zwei in den Gelenkfortsätzen, zwei in den Kronenfort-
sätzen, zwei in den Winkeln der Kinnlade und zwei in den Kör-
perhälften. Der Unterkiefer steht über dem Oberkiefer in der
neunten Woche ⅔‴, in der zehnten 1½‴—2¼‴, in der eilften
2‴ vor, bis er in der dreizehnten bis vierzehnten zu dem ge-
wöhnlichen Verhältnisse zurückkehrt. Der Winkel, den der ho-
rizontale Theil mit dem aufsteigenden macht, ist in früheren Monaten
stumpfer, als in späteren, im Fötus überhaupt sind beide mehr aus
einander gerichtet, als im Erwachsenen. Selbst im reifen Kinde
ist das in früherer Zeit vorwaltende Miſsverständniſs noeh deut-
lich genug. So sind die Kronenfortsätze dicker, der horizontale
Theil länger, als der aufsteigende u. dgl. m. Vgl. Kerkring p.
234—236., Nesbitt S. 60. 61., Sömmering p. 175., Danz S. 216.
217.,
[241]Rippen und Brustbein.
217., Senff p. 24. 25., Bèclard S. 433. 434., Meckel S. 146—148.,
Nicolai S. 10. 11. 14. 19 fgg., E. H. Weber S. 113. 114., Ritgen
S. 198—202.


Das Zungenbein, dessen Ossification wir hier noch anhangs-
weise berühren, verknöchert nach Nesbitt (l. c. S. 64.) im ach-
ten Monate, während dessen knorpelige Grundlage schon im drit-
ten erkennbar ist. (Die entgegengesetzte von Nesbitt schon wi-
derlegte Ansicht s. bei Kerkring l. c. p. 238.) Es besteht im
Fötus aus drei Kernen, einem mittleren und zwei seitlichen in
den Seitenhälften, welche bei dem Neugeborenen noch nicht ver-
einigt sind. Ob die Bogenhälften oder der Körper früher ver-
knöchern, ist bis jetzt noch unbekannt. Vgl. Kerkring p. 238.,
Nesbitt S. 63. 64., Sömmering p. 210., Danz S. 222. 223., We-
ber IV. S. 146.


2. Rippen und Brustbein.

Das untere Rohr des peripherischen Theiles des serösen Blat-
tes umschlieſst, dem oberen durchaus entsprechend, in seinem
ersten Zustande den Embryo seiner ganzen Länge nach auf gleiche
Weise und bildet so ein homogenes Continuum. Wolff und nach
ihm v. Bär nennen die Wände desselben Bauch-, Burdach: Visceral-
platten. So entstehen aus ihnen von Skelettheilen am Kopfe die
Gesichtsknochen, die feste Grundlage der Sinnesorgane, weiter
unten am Halse das vergängliche Kiemengerüst nebst den aus ihm
entstehenden Organtheilen. In der Brust bilden sich aus ihnen
die Rippen mit ihrem Schluſsgliede, dem Brustbeine.


Die Entstehung der Rippen als knorpelige Platten fällt spä-
testens in die sechste Woche des Fötuslebens, obgleich, wie so-
bald gezeigt werden soll, der auf Blumenbachs und eigener Er-
fahrung begründete Ausspruch E. H. Webers (Meck. Arch. 1827.
S. 231.), daſs sich die knorpeligen Grundlagen derjenigen Theile,
welche das Herz schützen, zuerst bilden, nicht vollkommen rich-
tig ist. Die Verknorpelung des Brustbeines folgt erst einige Zeit
nach der der Rippen. Ihm fehlt in frühester Zeit nach Webers
Angabe (l. c. S. 232.) jede Spur des proc. xiphoidcus. Später
dagegen ossificiren erst diese Theile. Nach Kerkring (l. c. p.
246.) sind im zweiten Monate die obersten und untersten Rippen
noch knorpelig, die übrigen dagegen verknöchert. Nesbitt (l. c.
S. 70.) fügt hinzu, daſs die hinteren Enden dann noch knor-
16
[242]Von dem Embryo.
pelig seyen. Diese letzteren stellen nach Albinus (ic. oss. foet.
p
. 75.) späterhin wahre Epiphysen dar. Ueber die Verknöche-
rung und Ausbildung der Rippen drückt sich Sömmering (l. c.
p. 259.) auf folgende, treffende Weise aus: „Costae iis ossibus
adnumerandae sunt, quae maturo tempore ad justum incre-
mentum perveniunt; non enim, exceptis ossibus organo au-
ditorio dicatis, jamjam tam perfecta pro suo modo ossa in
foetu maturo inveniuntur
.“ — Senff sah die erste Verknöche-
rung erst in der neunten bis eilften Woche (l. c. p. 56 und Ta-
bula
No. 15.) und Nicolai (l. c. S. 15.) fand die Rippen in dem
dritten Monate als lange bis zur sechsten Rippe an Länge zuneh-
mende gebogene Knochen. Bèclard dagegen, welcher offenbar in
der Zeitbestimmung vielfach gefehlt hat, giebt an (l. c. 418.),
daſs vor Ablauf der siebenten Woche alle Rippen schon verknö-
chert seyen. Die Kerne füllen erst am Ende des dritten oder
dem Anfange des vierten Monates ihre knorpeligen Grundlagen
vollkommen aus. Dennoch sah Ritgen (l. c. S. 229.) im Anfange
des dritten Monates diese von den künftigen, ebenfalls schon an-
gelegten Rippenknorpeln (seinen Gegenrippen) bestimmt geschie-
den. Der Anfang des Köpfchens und des tuberculum fällt nach
Senff (l. c. p. 58.) in die dreizehnte Woche, so daſs in der Mitte
oder gegen das Ende des vierten Monates die Verknöcherung voll-
kommen ist und in der Folgezeit nur von Wachsthumsverände-
rungen die Rede seyn kann. Die Rippen vergröſsern sich dann nach
ihren bestimmten Verhältnissen und werden platter, während sie
früher, besonders am vorderen Ende mehr kolbig waren. Ueber
ihre verschiedene Gröſse s. Nicolai l. c. und die bei Ritgen (l. c.
S. 227.) aus ihm entlehnte Zusammenstellung der Maaſse der er-
sten Rippe. Vgl. Kerkring p. 246—248., Nesbitt S. 69—71.,
Sömmering p. 259., Danz S. 226. 227., Senff p. 56—58., Nico-
lai S. 15. 21. 27 fgg., E. H. Weber in Meck. Arch. 1827. S. 230.
232. und in Hildebrandts Anat. II. S. 174., Ritgen S. 226—29.


Die Verknöcherung des Brustbeines variirt nach Kerkring
(l. c. p. 248.) sehr. Sie findet sich nach ihm nie vor Ablaufe
des vierten Monates und so sah er bisweilen im fünften Monate
zwei Knochenkerne, im sechsten vier oder fünf, manches Mal auch
nur einen, im achten drei bis sechs, im Neugeborenen sieben,
während Fallopius und Bartholinus acht annahmen. Bald sind
sie an den Enden, bald in der Mitte, bald die oberen gröſser,
[243]Extremitätengürtel.
bald die unteren (l. c. p. 249.). Nesbitt (l. c. S. 72.) setzt noch
hinzu, daſs vor dem zweiten Monate die Articulation des oberen
und unteren Endes schon deutlich seyn solle. Nach Mayer (l. c.
S. 203.) verknöchert es selten vor dem sechsten Monate; nach
Danz (l. c. S. 227.) am Ende des vierten. Ersterem treten Bè-
clard und Meckel (l. c. S. 67 — 71.) bei. Nicolai bemerkte im
siebenten Monate im Manubrium einen ovalen Knochenkern und
im Körper 3 — 4 Knochenpunkte (l. c. S. 43.). Man findet über-
haupt keinen Knochen des Körpers, der in Hinsicht der Ossifica-
tion so unbestimmt wäre, als dieser und es dürfte schwer seyn,
mehrere gleich alte Fötusskelette zu erhalten, in welchen der
Verknöcherungsproceſs des Brustbeines auf gleiche Weise vorge-
schritten ist. Bei der Geburt hat, wie Sömmering (p. 265.) angiebt,
der obere Theil einen, der mittlere meist vier und der untere
einen Kern. Vgl. Kerkring p. 248 — 50., Nesbitt S. 71. 72., Söm-
mering p. 265., Danz S. 227. 228., Nicolai S. 43. 60., E. H. We-
ber in Meck. Arch. 1827. S. 232. und in Hildebr. Anat. II. S.
174., Ritgen S. 229 — 131.


Anhang. C. Extremitätengürtel.

Wenn der peripherische Theil des serösen Blattes sich in
obere (Haut-) und untere (Fleisch-) Schicht gesondert und die
letztere ein oberes, das centrale Nervensystem umfassendes und ein
unteres, die Organproductionen des Gefäſs- und Schleimblattes
einschlieſsendes Rohr gebildet hat, ist die Bedingung zur Entste-
hung der Extremitäten und deren gürtelförmigen Anhängen gege-
ben. Diese beide liegen unter der Hautschicht, an der obersten und
äuſsersten Stelle der Knochen- und Fleischschicht. Wir müssen
aber offen bekennen, daſs wir hier nur aus Mangel an den nothwen-
digen, bestimmten Datis von dem systematischen Wege abzuwei-
chen uns genöthigt sehen. Wollten wir nämlich consequent ver-
fahren, so müſsten wir zuerst, wie wir es eben gethan haben,
das obere und untere Knochenrohr durchgehen, dann die über
ihm liegende Fleischschicht, dann die Extremitäten in ihrem ei-
genen Knochengerüste nebst dem ihrer Gürtel sowohl, als auch
in der auf ihnen gelagerten Fleischschicht und zuletzt die Haut
abhandeln. Da aber eine Anordnung der Art ohne Hypothesen
zur Zeit noch nicht durchgeführt werden kann, so ziehen wir es vor,
die Knochenschicht zuerst in ihrer Vollständigkeit zu betrachten
16*
[244]Von dem Embryo.
und auf diese die Fleisch- und Hautschicht folgen zu lassen.
Hierdurch werden auch überflüssige Wiederholungen möglichst
vermieden. — Um sich aber die Entstehung der Extremitäten
auf eine klare Weise zur Anschauung zu bringen, ist es nöthig,
daſs wir uns die Spaltungen des serösen Blattes kurz vor der
Genese von jenen in das Gedächtniſs zurückrufen. Es hatte sich
in einen centralen und einen peripherischen Theil geschieden.
Der Letztere zerfiel in ein oberes, dünneres, festeres und ein un-
teres, dickeres aber lockereres Blatt. Jenes umgab den ganzen
Embryo d. h. Rücken- und Bauchplatten zugleich, ohne nach der
Schlieſsung der Rückenplatten in seiner Form geändert zu seyn
und bildete nach dieser Zeit ein einfaches den ganzen Embryo
abschlieſsendes Rohr (die näheren Verhältnisse s. bei Entwick.
gesch. d. Haut). Nicht so dagegen die Fleisch- und Knochen-
schicht. Diese bildete ein oberes (Schädel und Wirbelsäule) und
ein unteres Rohr (Gesicht, Hals, Brust und Unterleib). Man kann
also den Typus der Fötusbildung zu der Zeit sich so denken, daſs
ein oberes, später kleineres und ein unteres bald darauf gröſseres
Rohr von einem einfachen beide umfassenden Rohre umgeben ist.
Zwischen den beiden inneren Röhren entsteht nun jederseits eine
nach der Länge des ganzen Körpers verlaufende Grenzlinie und
von dieser Linie aus, also unterhalb des umschlieſsenden, einfa-
chen (Haut-) Rohres entstehen und bilden die Extremitäten sich
hervor. Vgl. v. Bär über Entwickgesch. Th. I. tab. 1. 3. fig. 7.
Die Extremitäten gehören so der Uranlage nach der Fleisch- und
Knochenschicht allein an, während die Hautschicht mehr passiv
durch sie fortgezogen und emporgehoben wird. Sie sind aber,
wie die Sinne das centrale seröse Blatt mit dem peripherischen
vermittelen, eben so die Vermittelungsglieder zwischen der Haut-
schicht einerseits und der Fleisch- und Knochenschicht anderseits.
Bevor wir jedoch in das Specielle eingehen, müssen wir noch
bemerken, daſs hier nur von den oberen und unteren Extremitä-
ten des Rumpfes die Rede ist, die dafür ausgegebenen sogenann-
ten Kopfextremitäten aber bei dem Schleimblatte werden abge-
handelt werden.


In die Furche zwischen dem oberen und unteren Rohre der
inneren Schicht des serösen Blattes legt sich auf jeder Seite eine
Masse Bildungsstoff; welcher an dieser Stelle den zwischen den
ersteren und dem äuſsersten Rohre entstandenen Zwischenraum
[245]Extremitätengürtel.
ausfüllt, so daſs äuſserlich keine Spur der Theilung der unteren
Schicht in zwei röhrige Gebilde sichtbar und dieselbe erst bei
Querdurchschnitten kenntlich ist. Für die Bildung der Extremi-
täten ist diese Masse der Urstoff, welcher noch durch die ganze
Länge des Körpers sich erstreckt und in seiner Entwickelung
und Ausbildung bei Wirbellosen und Wirbelthieren verschieden ist.
Bei den ersteren umschlieſst er einfach röhrig, wie der Typus der
Entwickelung der niederen Thiere überhaupt ist, die beiden ande-
ren Blätter der Keimhaut und kerbt sich zur Extremitäten- und Kie-
ferbildung an bestimmten Stellen ein, wie dies aus den Erfahrungen
von Herold, Rathke u. A. sich ergeben hat. Bei den Wirbel-
thieren concentrirt sich bald der Stoffansatz an dem oberen Ende
der Brust und dem unteren Ende des Unterleibes oder der Ba-
sis der Nacken- und der Spitze der Sakralkrümmung. Hierdurch
entstehen an den genannten Stellen kleine Leisten, welche den
sie umgebenden Theil des äuſsersten Rohres als ihre Haut vor
sich hertreiben. Die zwischen jeder oberen und unteren Extre-
milät einer Seite liegende Schicht bleibt in ihrer Entwickelung
zurück und wird wahrscheinlich zu den noch unten näher zu
bezeichnenden muskulösen und sehnigten Gebilden. Die erste
Spur der Extremitäten als schmaler Leistchen kann man bei dem
Hühnerembryo leicht beobachten, nach v. Bärs (üb. Entwgesch.
S. 63. 6. Burdach S. 293.) Zeitbestimmung in der zweiten Hälfte
des zweiten Tages. Man muſs dann den unter der Haut noch
verborgen liegenden Theil als Rumpfglied deuten, während der
über dieselbe hervorragende Theil Endglied genannt wird. Diese
Bildungsperiode ist bei den Säugethieren ebenfalls schon vielfach
beobachtet, bei dem Menschen dagegen noch nicht in einer Zeich-
nung dargestellt worden. Sie fällt wahrscheinlich in die vierte
bis fünfte Woche. Bald darauf verlängert sich der hervorstehende
Theil, wird an seinem äuſseren Ende breiter und kolbiger, wäh-
rend auch die bisher unter der Haut verborgene Extremitätenab-
theilung ebenfalls mehr hervortritt. So ist schon dann äuſserlich
ein Unterschied zwischen dem Engliede (Hand und Fuſs) und
Rumpfgliede (Oberarm und Oberschenkel) wahrzunehmen. Mit-
telglieder (Vorderarm und Unterschenkel) fehlen noch ganz, wie
wir dieses auch bei der Entwickelung der Thierreihe zu sehen
Gelegenheit haben. (Vgl. Heusinger erster Bericht von der zoo-
tomischen Anstalt zu Würzburg 1826. 4. S. 20 fgg. und v. Bär
[246]Von dem Embryo.
über Entwgesch. S. 181. 182.) Die Extremitäten gehen nun aus
der kurzen, mehr gerundeten Formation in die schmale längliche
und bei vielen Säugethieren in eine mehr zungenartige Form über.
Abbildungen dieses Zustandes bei dem Menschen, wo diese Periode
der Bildung in die sechste bis achte Woche fällt, s. W. Hunter
anat. uteri grav. tab. 33. fig. 2. 3., Meckels Beitr. zur vergl.
Anat. Th. I. Hft. I. tab. 5. fig. 4., Burdach de foetu humano
tab.
1. fig. 1. 2., E. H. Weber in Meck. Arch. 1827. tab. 3.
fig. 4. und Joh. Müller ebendaselbst. 1830. tab. XI. fig. 11. und
11. (Letztere Zeichnung stellt einen der frühesten, mit ächt
naturwissenschaftlichen Sinne beobachteten menschlichen Embryo-
nen dar.) Aus der kurz darauf folgenden Zeit sind die Abbil-
dungen der Extremitäten bei W. Hunter anat. uteri tab. 33.
fig. 6., Meckels Beitr. tab. 5. fig. 17., Kiesers Ursprung des
Darmkanales tab. 1. fig. 1. und tab. 2. fig. 3., Wrisberg descrip-
tio embr. tab.
1. fig. 1. 2., Samuel praeside Doellinger de
ovorum mammalium velamentis fig. I — III.,
Joh. Müller in
Meck. Arch. 1830. tab. XI. fig. 12. C. u. Entw. der Geschlthle.
fig. 11. A. und fig. 12. A. An dem abgerundeten platten und
fast tafelförmigen Endgliede entstehen vier seichte Einsehnitte
zuerst an der Dorsal, dann an der Volarfläche als die erste An-
zeige der Sonderung in Finger und Zehen. Die Trennung trifft
primär nur die Fleischschicht und die Knochenschicht und zwar
nach meinen neuesten Erfahrungen die letztere zuerst, während die
Hautschicht sich später in die Furchen hineinlegt, und geht allmäh-
lig tiefer, so daſs von der zehnten bis eilften Woche an die An-
deutungen der Finger und Zehen schon gesondert anzutreffen sind.
Nachdem nämlich zuerst die Furchen sich gebildet haben, entste-
hen an der Spitze Einschnitte und mit ihnen ungleiche Ausbil-
dung der Finger- und Zehenrudimente unter einander. Diesen
allen Veränderungen folgt die Hautschicht genau nach und um-
kleidet auf diese Weise handschuhförmig Hand und Fuſs, wie
sich denn noch bei dem Erwachsenen die Epidermis nach Art
eines Handschuh durch die Maceration vollständig lostrennen läſst.
Was nun die Verhältnisse der beiden Extremitäten unter einander
betrifft, so entwickeln sich die Endglieder der oberen früher, als die
der unteren, ja die ersteren übertreffen bald sogar die letzteren um
etwas an Masse. Im dritten Monate stehen beide auf ziemlich
gleicher Stufe der Ausbildung bis im vierten die unteren an
[247]Extremitätengürtel.
Masse gewinnen. Indem nun aber die Extremitäten auf diese
Weise als radienförmige Ausstrahlungen der Mittellinie zwischen
oberem und unterem Rohre entstehen, erhalten sie zugleich die
Tendenz, beide Röhren kreisförmig zu umschlieſsen. Dieser Act
der Ausbildung folgt erst nach ihrer Genese und ihrer ersten
Sonderung. Denn so lange sie als Leisten existiren, ist die Masse
in der Furche der Scheidungslinie noch sparsam und von wei-
cher und gallertartiger Consistenz, während der die Extremitäten
selbst constituirende Stoff zwar noch halbflüssig, durch Weingeist
aber zu einer dichteren Masse zu erhärten ist, wie man dieses
an Hühnerembryonen vom dritten bis vierten Tage leicht beo-
bachten kann. Mit weiterer Evolution der Extremitäten, wo
diese in End- und Rumpfglied sich geschieden haben, sieht man
zwar mehr und dichtere Masse in der Mittellinie sich anhäufen;
bei dem Wegbrechen der Extremitaten aber bemerkt man deut-
lich, daſs das Rumpfglied tiefer in die untere Schicht hineingeht
und länger ist, als es äuſserlich erscheint, dagegen durchaus keine
Spur der Sonderung in härtere, bogenartige Fortsätze (Schlüssel-
bein, Schulterblatt, Beckenknochen) hat. Erst dann wenn deut-
liche Zeichen der Finger und Zehen entstehen, beobachtet man
auch Rudimente von Schlüsselbeinen und Schulterblättern und
um dieselbe Zeit oder bisweilen etwas früher schwache Andeu-
tungen der Beckenknochen. Von dem Rumpfende der oberen
Extremität geht ein dünnes Band dichterer Masse gegen die
Mitte der Brust zu, das künftige Schlüsselbein. Beide Clavikeln
sind frühzeitig um ein Bedeutendes von einander entfernt. Eine
harte, dicke Leiste liegt anderseits auch nach hinten zu. Sie er-
streckt sich nur wenig über den Durchmesser des zu der Zeit noch
transversal stehenden Rumpfgliedes und hört dicht an der Mittellinie
auf. So findet es sich bei dem Menschen in der sechsten bis sie-
benten Woche. Die Rudimente der Beckengürtel scheinen etwas
früher hervorzutreten. Man sieht nämlich bei dem Hühnerem-
bryo vom dritten Tage einen langen über die Breite des Rumpf-
gliedes mehr nach oben, doch etwas auch nach unten hervorra-
gende Wulst in der Scheidungslinie liegen. Er entspricht offen-
bar dem os ilei und ischii. Auſserdem geht nach dem zu der Zeit
noch groſsen Schwanze eine bandartige Falte herüber, deren Haupt-
theil späterhin zum Schaambeine wird. Vergeblich suchte ich aus-
zumitteln, ob der hintere Wulst eine bloſse Verdickung der Visceral-
[248]Von dem Embryo.
wand überhaupt oder eine Bildung neuer Masse oberhalb der Vis-
ceralwand sey. Nach der Analogie mit den oberen Extremitäten
zu schlieſsen, wäre das Letztere der Fall. Lieſse es sich aber
durch genaue Beobachtung nachweisen, so wäre jedes Bedenken
aus der Annahme entfernt, daſs die Beckenknochen keine ver-
schmolzenen Rippen, sondern ein eigener Knochengürtel, wie
Schlüsselbein und Schulterblatt sind. Die Beweise aus der späteren
Zeit, die für diese Ansicht streiten, hat schon v. Bär (üb. Entw.
gesch. S. 185 — 188.) speciell angeführt. Aus dem hier Erzählten
erhellt jedoch so viel, daſs der Typus der Entwickelung der Ex-
tremitäten zuerst als einfache lineare Austrahlung der scheiden-
den Mittellinie sich zeige. Von dieser gehen später seitliche,
gürtelartige Fortsätze aus, welche oben und unten getrennt sind,
später unten in ihrer Knorpelgrundlage, oben dagegen durch ge-
wisse muskulöse Schichten mit einander verschmelzen. — Die
Extremitäten bekommen nun eine Biegung, welche in die Grenze
zwischen Rumpf- und Endglied fällt, aber weder bestimmt, noch
scharf genug ist, um ein unterschiedenes Mittelglied zu setzen.
Bald jedoch verlängert sich zuerst die obere, dann die untere
Extremität und an die Stelle der einfachen Biegung tritt eine
doppelte Einknickung oder, genauer betrachtet, eine in eine dop-
pelte Einknickung nach abweichenden Richtungen übergehende
Biegung. Hierdurch wird an jeder Extremität ein Mittelglied be-
stimmt geschieden, nämlich der Vorderarm an der oberen und der
Unterschenkel an der unteren. Ob auch Hand- und Fuſswurzel
schon dadurch gebildet sey, läſst sich durch Nichts mit Gewiſsheit
entscheiden. — Was nun die relative Lage der einzelnen Extremi-
tätenabtheilungen betrifft, so tritt das Rumpfglied allmählig mehr
hervor, sondert sich durch eine immer tiefer gehende Furche von
der Leibeswand ab und erscheint so gröſser und verhältniſsmäſsig
am längsten. Das Mittelglied ist anfangs noch etwas kleiner, als
das Endglied, und dieses Verhältniſs wird am Ende des vierten
Monates erst zu dem des ausgebildeten Menschen ausgeglichen,
während die letztgenannten Veränderungen überhaupt in die neunte
bis zehnte Woche fallen. Alle Extremitäten sind in Form und Lage
zuerst einander ganz gleich. Doch während die oberen mit ihrer
Innenfläche gegen die Rumpfwand gekehrt bleiben und in ihrer
wenig schiefen Direction auf dieser zu liegen kommen, treten bald
die unteren in eine relativ entgegengesetzte Drehung, so nämlich,
[249]Extremitätengürtel.
daſs ihre innere Fläche, je näher dem Endglied, sich immer mehr
von der Leibeswand entfernt. So bildet anfangs die obere Extremi-
tät mit den Visceralwänden einen spitzen, die untere einen immer
weniger spitzen und zuletzt einen stumpfen Winkel. Bei der dar-
auf folgenden Einknickung stehen die Rumpfglieder der oberen Ex-
tremitäten unter einem nach unten gerichteten, spitzen Winkel von
der Leibeswand ab. Die Mittelglieder neigen sich unter einem et-
was weniger nach oben gerichteten, spitzen Winkel gegen die Lei-
beswand hin, während die Endglieder unter einem rechten oder
einem ihm nahen nach auſsen gerichteten Winkel in halber Prona-
tion gegen die Brustwand befindlich geneigt sind. Dadurch, daſs
der Neigungswinkel des Rumpfgliedes gegen die Brustwand hin
in der Folge kleiner wird, kreuzen sich zuerst die End- und spä-
terhin die Mittelglieder. Der Winkel zwischen Rumpf- und Mit-
telglied wird aber spitzer, während der zwischen Mittel- und
Endglied befindliche zweien Rechten immer näher kommt und
die Pronation der Hand in Flexion oder Extension übergeht. An-
ders dagegen gestaltet sich die Lage der unteren Extremitäten.
Das Rumpfglied entfernt sich zuerst von der Leibeswand von in-
nen nach auſsen und von unten nach oben; der Unterschenkel ist
unter einem weniger spitzen Winkel von auſsen nach innen und
von vorn nach hinten geneigt; das Endglied dagegen von hinten
nach vorn und vorzüglich von auſsen nach innen. Das Rumpf-
glied entfernt sich allmählig von der Bauchwand; das Endglied
stellt sich gegen das Mittelglied unter einem rechten oder stum-
pfen Winkel, so daſs der Unterschenkel gegen den Oberschenkel
und der Fuſs, wiewohl weniger, gegen den Unterschenkel sich
beugt. Der Neigungswinkel ist bei den ersteren nach hinten, bei
den letzteren nach vorn gerichtet. Die Beugung im Kniegelenke
wird immer stärker und, während die Rumpfglieder der Bauch-
wand wieder näher treten, kreuzen sich die Unterschenkel und
unmittelbar durch sie die Füſse. Diese Lagenveränderungen las-
sen sich nicht bloſs bei ungestörter Lage des Fötus im Eie bemer-
ken, sondern auch durch Monstrositäten (Bildungshemmungen)
nachweisen, wie ich an einem anderen Orte entwickeln werde.
— Unterdeſs erlangen die Extremitätengürtel mehr Geschieden-
heit und eine dichtere Consistenz, zuerst die oberen, ziemlich
spät dagegen die unteren. Die knorpelige Grundlage des Schlüs-
selbeines und des Schulterblattes fällt wahrscheinlich in die sechste
[250]Von dem Embryo.
bis siebente Woche. Rudimente des knorpeligen Beckengerüstes
finden sich zwar schon um dieselbe Zeit schwach angedeutet,
doch wenigstens nach Senffs Abbildungen zu schlieſsen, in einer
der Folgezeit ähnlichen Form, kaum vor der achten bis zehnten
Woche. In dieser kann man schon die vier Haupttheile, das
künftige Os ilei, pubis, ischii und das acetabulum von einan-
der unterscheiden. Die Knorpelgrundlage der Extremitäten selbst
ist am Ende des zweiten Monates, so weit die Extremität da ist,
deutlich gebildet. Die Verknöcherung geht aber nach folgenden
Momenten vor sich:


1. Das Schlüsselbein. — Die sehr frühzeitige Verknöcherung
der Clavikel ist allgemein bekannt. So will sie Kerkring (l. c.
p. 250.) in der sechsten Woche schon vollendet gesehen haben.
Nesbitt (l. c. S. 74.) setzt den Anfang dieses Actes in die erste
Zeit des zweiten Monates, Senff (l. c. p. 61.) in die achte und
Ritgen (l. c. S. 241.) in die fünfte Woche. Nach Nicolai (l. c.
S. 11.) ist sie am Ende des zweiten Monates 1¼ — 1½ Linie lang.
Die Verknöcherung beginnt in der Mitte und der kleine, längliche
Knochen verdickt sich bald etwas an seinen Extremitäten. Seine
Länge ist in der frühesten Zeit überaus groſs und übertrifft nach
Meckel (s. E. H. Weber l. c. S. 200.) im zweiten Monate die
des Oberschenkels um das Vierfache. Späterhin gleicht sich das
Verhältniſs aus, indem am Ende des dritten Monates beide schon
gleich lang gefunden werden. In der eilften Woche ist er schon
seiner Continuität nach verknöchert. Der Sternaltheil soll bis
zur gänzlichen Ausbildung des Skelettes nach der Geburt nach
Sömmerings Angabe (l. c. p. 312.) eine Epiphyse bleiben. Vgl.
Kerkring p. 250. 251., Nesbitt S. 74., Sömmering p. 311. 312.,
Danz S. 232., Senff p. 60. 62., Bèclard S. 435. 436., Meckel S.
199., Nicolai S. 11. 14. fgg., E. H. Weber S. 200., Burdach S.
470., Ritgen S. 240 — 242.


2. Das Schulterblatt. — Die knorpelige Grundlage der sca-
pula
bildet sich gleichzeitig mit dem Schlüsselbeine; die Verknö-
cherung tritt aber bei diesem viel früher ein, als bei jenem. Den
ersten Act derselben, so wie die scheinbare Fortsetzung des Grund-
knorpels erzählt Kerkring (l. c. p. 251.) mit folgenden Worten:
Ac primum de tota scapulae massa (dicendum est), quae
secundo mense adhuc informis quaedam ac rotunda carti-
lago est, puncto albo in medio notata, quod indicat ossifi-

[251]Extremitätengürtel.
cationis principium; desinit haec cartilago sine ullo distinc-
tionis indicio in partem angustiorem, longiusculam, lineam
albam in medio ostentantem, quae postea in os humeri a
scapula distinctum efformatur.
“ — Im dritten Monate ist nach
ihm die Spina zum gröſsten Theile knöchern, der proc. cora-
coid
., der Hals und die Mitte der Basis noch knorpelig. Im We-
sentlichen stimmen hiermit die Beschreibungen von Nesbitt (l. c.
S. 75.), Mayer (l. c. S. 508.), Blumenbach (l. c. S. 370.) u. Danz
(l. c. S. 232. 33.) überein. Senff (l. c. p. 62.) setzt die erste Os-
sification in die zehnte Woche, wo ein eine halbe Linie langer
Knochenstreifen die scapula durchsetzt und zu der Zeit die Länge
desselben die Breite des ganzen Schulterblattrudiments übertrifft.
Auch Nicolai’s (l. c. p. 14.) Angaben stimmen hiermit vollkom-
men überein. Bèclard (l. c. S. 436.) dagegen will schon am vier-
zigsten Tage Verknöcherung beobachtet haben. Ritgen (l. c. S.
242.) fand es im dritten Monate 1½‴ — 2‴ lang und ¾‴ — 6½‴
Linien breit. Die spina scapulae entsteht in der bald darauf
folgenden Zeit nicht aus einem neuen Kerne, sondern durch Ver-
längerung des breiten Kernes des Körpers selbst, wo sich nicht
bloſs mehr Substanz, sondern auch dichtere Knochenablagerung
ansammelt. Sie bildet sich schnell aus und hat gegen Ende des
vierten Monates so ziemlich schon ihre bestimmte Form. Dadurch,
daſs vom dritten Monate an die Gräthe mehr hinabrückt, entsteht
die fossa supraspinata. Die übrigen Theile dagegen bleiben
während des ganzen Fötuslebens knorpelig und es sind nach Söm-
merings (l. c. p. 317.) Ausdruck der proc. coracoid., das acro-
mion
und die basis scapulae nichts, als cartilaginöse Epiphysen.
Die Form derselben stimmt genau mit der der ausgebildeten Kno-
chen überein. Vgl. Kerkring p. 251 — 253., Nesbitt S. 75., Senff
p. 62 — 64., Sömmering p. 317., Danz S. 233. 233., Bèclard S.
436. 437., Nicolai S. 14. 20. 21. 27. fgg., E. H. Weber S. 204.
205., Ritgen S. 242 — 244.


3. Das Oberarmbein. — Noch bevor sich aus dem gleichmä-
ſsigen Knorpel der Oberextremität die einzelnen Glieder trennen,
soll nach Einigen die Verknöcherung des humerus eintreten.
Doch scheint uns diese Angabe nicht ganz richtig zu seyn. Kerk-
ring (l. c. p. 254.) und Nicolai (l. c. S. 11.) setzen den ersten
Act in den zweiten Monat, Nesbitt (l. c. S. 76.) gleich nach der
vierten Woche, Senff (l. c. p. 64.) in die neunte Woche, Beclard
[252]Von dem Embryo.
(l. c. S. 438.) um den dreiſsigsten Tag und Ritgen (l. c. S. 246.)
in die fünfte Woche. In den folgenden drei bis vier Wochen
wird der anfangs rundliche Knochenkern länglich und an seinen
beiden Enden etwas verdickt. Die Enden des Knochens selbst
dagegen bleiben während des ganzen Fötuslebens knorpelig. Vgl.
Kerkring p. 254 — 256., Nesbitt S. 76. 77., Sömmering p. 322.,
Danz S. 233. 234., Senff p. 64. 65., Oberkampf p. 46. 47., Nico-
lai S. 11. 16. fgg., E. H. Weber S. 210. 211., Ritgen S. 246. 248.


4. Ulna und Radius. — Beide Knochen scheinen zuerst eine
einfache Knorpelmasse auszumachen und sondern sich durch eine
von beiden Seiten entstehende Einfurchung von einander. Die
dazwischen liegende Masse bleibt als lig. interosseum zurück.
Nach Nesbitt (l. c. S. 78.), Senff (l. c. p. 65.) und Ritgen (l. c.
S. 249.) verknöchern beide zu derselben Zeit, nach Bèclard (l. c.
S. 439.) dagegen der Radius, nach Nicolai (l. c. S. 11.) die Ulna
früher. Als erste Ossificationszeit betrachtet Nesbitt den Anfang
des zweiten Monates, Senff die neunte Woche, Nicolai den zwei-
ten Monat und Ritgen die fünfte bis sechste Woche. Bald zei-
gen sich die beiden Knochen als zwei schmale neben einander
liegende Streifen, welche mit der Vergröſserung des Mittelgliedes
überhaupt sich ebenfalls verlängern, im dritten und vierten Mo-
nate aber an ihren Enden noch wenig oder gar nicht verdickt
sind. Beide sind, je zeitiger der Embryo, desto mehr an Stärke
einander gleich. Auch hier sind bei dem Neugeborenen die Epi-
physen noch knorpelig. Vgl. Kerkring p. 255., Nesbitt S. 77.
78., Sömmering p. 327. 331., Danz S. 234., Senff p. 65. 66.,
Bèclard S. 439., Nicolai S. 11. 16. fgg., E. H. Weber S. 217.,
Ritgen S. 248 — 250.


5. Die Handwurzelknochen. — An der Einbiegungsstelle
zwischen End- und Mittelglied der oberen Extremität entsteht
um die Mitte des dritten Monates eine Knorpelmasse, welche
bald in die einzelnen Knorpel für die später hier liegende dop-
pelte Reihe von Knochen zerfällt. Alle Beobachter, mit Ausnahme
von Loder und Meckel, haben vor der Geburt keine Verknöche-
rung in ihnen wahrgenommen. Diese dagegen sahen Ossificatio-
tionen in dem Os capitatum und hamatum (S. Ritgen l. c. S.
252.). Vgl. Kerkring p. 255., Nesbitt S. 78. 79., Mayer S. 311.,
Blumenbach S. 333., Danz S. 235., Bèclard S. 440., Nicolai l. c.
dritte Tabelle, Ritgen S. 252.


[253]Extremitätengürtel.

6. Die Mittelhandknochen. — Sie sind am Ende des zwei-
ten Monates schon vollständig in ihre knorpeligen Grundlagen ge-
schieden und verknöchern nach Art der langen Röhrenknochen
von der Mitte nach den beiden Enden hin. Die erste Ossifica-
tion setzen Kerkring (l. c. p. 255.), Sömmering (l. c. p. 347. 348.),
Danz (l. c. S. 235.), Senff (l. c. p. 66.) und Nicolai (l. c. S. 16.)
in den dritten, Nesbitt (l. c. S. 79.) und Bèclard (l. c. S. 440.)
dagegen in den zweiten Monat. Des Letzteren Angabe, daſs die
Verknöcherung zuerst in dem zweiten, dann in dem dritten, dann
in dem vierten Finger und zuletzt in dem Daumen beginne,
beruht auf unzureichenden Gründen. Dagegen hat Senff (l. c.
p. 67. tab. 2. fig. 7. 8.) gezeigt, daſs die Metacarpusknochen
des Zeige- und Mittelfingers ohne Zweifel zuerst ossificiren.
Sie vergröſsern sich rasch, ohne an ihren Enden merklich anzu-
schwellen. Nur der Mittelhandknochen des Daumens steht etwas
zurück, indem an seinem oberen Ende eine gröſsere Knorpelmasse
sitzen bleibt. Die Epiphysen sind auch hier bei dem Neugebo-
renen noch knorpelig. Vgl. Kerkring p. 254. 256., Nesbitt S.
79., Sömmering p. 347. 348., Danz S. 235., Senff p. 66. 67.,
Bèclard S. 440. 441., Nicolai S. 16. 21. fgg., Ritgen S. 252. 254.,
E. H. Weber S. 227.


7. Die Phalangen des Daumes und der Finger. — Nach Nes-
bitt (l. c. S. 80.) verknöchern der erste und dann der dritte;
nach Senff (l. c. p. 67. 68.) dagegen der erste und dritte vor
dem zweiten. Nicolai (l. c. S. 21.) stimmt Ersterem, Ritgen (l.
c. S. 255. 257.) Letzterem, wie es scheint, bei. Dieser hat aber
Nagel- und Phalangenbildung wahrscheinlich confundirt (l. c. S.
247.) und daher geirrt. Auch diese Knochen verlängern sich
bald, sind anfangs dick und plumper, als späterhin. Die einzel-
nen Verschiedenheiten der Gröſsenverhältnisse unter einander
nüanciren sich schon in der Mitte des vierten Monates bestimm-
ter. Die Epiphysen sind bei der Geburt noch kleine Knorpel-
scheiben. Vgl. Kerkring p. 255., Nesbitt S. 79. 80., Danz S.
246., Senff p. 67. 68., Nicolai S. 21. 28. fgg., E. H. Weber S.
232., Ritgen S. 254 — 258.


Das Becken besteht in frühester Zeit aus vier Knorpelstük-
ken, einem für das Heiligbein, einem für das Schwanzbein und
zweien für die Beckenknochen. Das Heiligbein ist aus fünf
Wirbeln zusammengesetzt, welche zu Anfange des dritten Mona-
[254]Von dem Embryo.
tes zu verknöchern beginnen, indem allmählig, wie schon oben
berichtet wurde, die drei obersten Wirbel fünf Knochenkerne er-
halten. Das Steiſsbein besteht auch aus verkümmerten Wirbeln
und bleibt entweder bis zur Geburt knorpelig oder verknöchert
schon zwischen dem achten Monate und dem Ende der Schwan-
gerschaft. Die knorpelige Grundlage der Beckenknochen haben
wir schon oben berührt. Wie schon dort die Masse für das
Hüft- und Sitzbein über die für das Schooſsbein bestimmte vor-
waltete, so tritt auch, dem Verhältnisse am Arme entgegenge-
setzt, die Verknöcherung an dem hinteren Theile früher ein, als
an dem vorderen. Wir lassen der Analogie halber diesen jedoch
zuerst folgen.


8. Die Schaambeine. — Sie verknöchern am spätesten von
den drei Beckenknochen, nach Nicolai (l. c. S. 34.) im sechsten
Monate, nach meinen Beobachtungen bisweilen noch später. Rit-
gen (l. c. S. 266.) dagegen setzt diesen Act, wie Kerkring (l. c.
p. 245.) es schon gethan, in den fünften und Mayer (l. c. S. 305.),
was aber offenbar unrichtig ist, in den vierten Monat. Nach
Ritgen beträgt der verknöcherte Theil in der sechzehnten Woche
1½‴, die Länge des ganzen Schaambeines dagegen 2½‴. An
den Enden bleiben Knorpelstücke bis lange nach der Geburt. Vgl.
Kerkring S. 245., Nesbitt S. 73., Danz S. 230. 231., Nicolai S.
34. 41. fgg., E. H. Weber S. 186., Ritgen S. 265. 266.


9. Die Sitzbeine. — Nach Kerkring verknöchern sie im vier-
ten, nach Nesbitt (l. c. S. 73.) bisweilen im vierten, sicher aber
im fünften, nach Nicolai (l. c. S. 27.) und Ritgen (l. c. S. 267.)
im fünften Monate. Der Höcker desselben ist, wie Nicolai (l. c.
S. 20.) angiebt und ich selbst bestätigen kann, im Anfange des
fünften Monates schon kenntlich genug angedeutet. Die Verknö-
cherung beginnt aber schon am Ende des vierten Monates. Sie
zeigt sich am absteigenden Aste gegen das acetabulum hin. Der
aufsteigende Ast ist selbst bei Neugeborenen zum gröſsten Theile
noch knorpelig, indem nur in dem an der Pfanne liegenden Theile
sich Knochenmasse angelagert hat. Vgl. Kerkring p. 245., Nes-
bitt S. 73. 74., Nicolai S. 20. 27. fgg., E. H. Weber S. 186.,
Ritgen S. 267. 268.


10. Die Darmbeine. — Ihre erste Verknöcherung fällt nach
Kerkring, Ruysch (catal. rar. p. 26.) und Mayer (l. c. S. 205.)
in den zweiten, nach Nesbitt (l. c. S. 73.) und Nicolai (l. c. S.
[255]Extremitätengürtel.
15.) in den dritten Monat, nach Bèclard (l. c. S. 437.) in die sie-
bente bis achte und nach Senff (l. c. p. 54.) in die eilfte Woche.
Zuerst erscheint ein kleiner, bald in die rautenförmige Grube sich
umgestaltender Kern gegen die Mitte des das Darmbein repräsen-
tirenden Knorpels hin, der sich bald mit einem Aste nach dem
Heiligbeine zu, mit einem Aste dagegen gegen die Pfanne zu sich
verlängert. Im fünften Monate hat das os ilium schon ziemlich
seine permanente Form. Der knöcherne Theil ist mit Ausnahme
einer Stelle zwischen der Crista anterior superior und ante-
rior inferior
von einem Knorpelringe rings umgeben. Bei der
Geburt sind nach Ritgen (l. c. S. 264.) alle Theile, mit Ausnahme
des groſsen Beckeneinschnittes, verknöchert und das Darmbein
wird von dem Sitzbeine durch eine 2‴ starke Knorpelmasse ge-
trennt. Zwischen dem Darm- und Schooſsbeine, so wie dem
Sitz- und Schooſsbeine beträgt diese aber nur ½‴ — ¼‴. Vgl.
Kerkring p. 244. 45., Nesbitt S. 73. 74., Danz S. 230. 231., Bèc-
lard S. 437. 38., Nicolai S. 15. 20. 26. 27. fgg., E. H. Weber
S. 185., Ritgen S. 264. 65.


Der Act der Verknöcherung in den unteren Extremitäten
ist dem in den oberen durchaus analog. Die knorpelige Grund-
lage der Schenkel und Füſse erscheint etwas später, als die der
oberen Extremitäten. Die Verknöcherung tritt aber nach Angabe
der Meisten hier etwas früher ein; Senff (l. c. S. 64.) ist dage-
gen der Meinung, daſs dieses nur als Varietät anzusehen wäre
und die Ossification in beiden zu gleicher Zeit beginne.


11. Der Oberschenkelknochen. — Seine erste Ossification
beginnt nach Nesbitt (l. c. S. 82.) im Anfange, nach Nicolai (l.
c. S. 16.) am Ende des zweiten Monates, nach Senff (l. c. p. 69.)
hingegen in der achten und nach Bèclard (l. c. S. 438.) in der
vierten Woche. In der Mitte des dritten Monates erreicht er die
Gröſse des humerus und am Ende desselben übertrifft er diesen
schon um 1‴ — 2‴. Im vierten Monate wird er in der Mitte
graciler, an den Enden dicker und biegt sich nach meiner Beobach-
tung selbst bei ganz gesunden, nicht rhachitischen Früchten etwas
nach innen, während Meckel und Ritgen das Gegentheil hiervon
angeben. Im sechsten Monate werden die Andeutungen der Tro-
chanteren kenntlicher und nach ihnen in demselben oder dem
darauf folgenden Monate auch die des Halses. Bei dem Neugebore-
nen ist nur das Mittelstück knöchern. Vgl. Kerkring p. 257 — 259.,
[256]Von dem Embryo.
Nesbitt S. 81. 82., Sömmering p. 377., Danz S. 237. 238., Bèc-
lard S. 438. 439., Nicolai S. 16. 21. 28. fgg., Senff p. 69. 70.,
E. H. Weber S. 257., Ritgen S. 271 — 273.


Die Kniescheibe wird als ein kleiner kuglicher Knorpel
schon in der neunten bis zehnten Woche kenntlich, verknöchert
aber erst nach der Geburt.


12. Tibia und Fibula. — Nur mit Miſstrauen führt Kerkring
(l. c. p. 257.) seine zweimal gemachte Beobachtung an, daſs in den
ersten zwei Monaten nur die Knorpelgrundlage der tibia existire,
die fibula aber ganz fehle. Offenbar hatte der letzte Irrthum
darin seinen Grund, daſs sehr frühzeitig schon die tibia die fi-
bula
an Stärke übertrifft, wiewohl im zweiten Monate die fibula
mit der tibia verglichen, um Vieles dicker ist, als im Erwachse-
nen. Die Ossification beider Knochen setzen Kerkring und Nico-
lai (l. c. S. 16.) in den dritten Monat, Senff (l. c. p. 70.) vor die
neunte, Bèclard (l. c. S. 439.) in die fünfte und Ritgen (l. c. S.
274.) in die siebente Woche. Die tibia hat in der frühesten Zeit
schon weit mehr Knochenmasse, als die fibula, und hiervon abgese-
hen übertrifft die erstere in der neunten bis zehnten Woche die letz-
tere schon bedeutend an Umfang. Das im Erwachsenen Statt fin-
dende Verhältniſs wird jedoch in der Regel nicht vor dem siebenten
Monate realisirt, bisweilen sogar erst nach der Geburt. Der obere
Ansatz der tibia verknöchert nach Meckel (l. c. S. 259-) schon
im neunten Monate, nach Bèclard (l. c. S. 440.) erst am Ende
des ersten Jahres. Jedenfalls ossificirt der obere früher, als der
untere. Vgl. Kerkring p. 257 — 259., Nesbitt S. 83. 84., Söm-
mering p. 384. 389., Danz S. 239., Senff p. 70. 71., Nicolai S.
16. 22. fgg., E. H. Weber S. 266., Ritgen S. 274. 276.


13. Die Fuſswurzelknochen. — Sie entstehen etwas später
als die Handwurzelknochen und sind in der neunten bis zehnten
Woche von ziemlich gleicher Gröſse. Am Ende des dritten Mo-
nates vergröſsern sich der talus und calcaneus in ausgezeichne-
tem Grade. Nach Senff (l. c. p. 71.) verknöchern sie sämmlich
lange nach dem vierten, nach Kerkring (l. c. p. 257.) im sieben-
ten Monate. Nach Nesbitt (l. c. S. 85.) ossificirt das Fersenbein
im vierten, nach Bèclard (l. c. S. 440.) im fünften, nach Meckel
(l. c. S. 269.) im sechsten und nach Nicolai (l. c. S. 49.) im ach-
ten oder neunten Monate. Es enthält nach Danz (l. c. S. 239.)
nach hinten zu noch einen besonderen Kern, woraus eine Epi-
physe
[257]Extremitätengürtel.
physe sich bildet. Das Sprungbein aber verknöchert nach Nes-
bitt (l. c. S. 85.) im fünften oder sechsten, nach Nicolai (l. c.
S. 58.) dagegen im zehnten Monate. Um diese Zeit bilde sich
ein Knochenkern im Kahnbein, welchem Puncte aber die Erfahrung
von Sömmering (l. c. p. 398.) widerspricht. Vgl. Kerkring p. 257.
258., Nesbitt S. 85., Sömmering p. 392. 96. 98., Danz S. 239.,
Bèclard S. 440., Meckel S. 269., Nicolai S. 49. 58., E. H. We-
ber S. 277., Ritgen S. 276. 77.


14. Die Mittelfuſsknochen. — Sie verknöchern um dieselbe
Zeit oder etwas später, als die Mittelhandknochen, und zwar das
os metatarsi secundum zuerst. Nach Nesbitt (l. c. S. 85.) ist
dieser Termin der dritte Monat, nach Senff (l. c. p. 71.) und Rit-
gen dagegen die zwölfte Woche. Nicolai (l. c. S. 16.) fand in
dem dritten Monate schon fünf längliche Knochen. Ihre nach
unten concave Biegung haben sie schon zu Anfange des vierten
Monates. Ihr übriges Wachsthum gleicht völlig dem der Mittel-
handknochen, nur daſs das gegenseitige Verhältniſs der Gröſse
und Dicke im fünften Monate schon realisirt ist. Die Epiphysen
bleiben während der ganzen Schwangerschaftszeit knorpelig. Vgl.
Kerkring p. 257 — 59., Nesbitt S. 85., Senff p. 71. 72., Bèclard
S. 441., Meckel S. 278., Danz S. 239., Nicolai S. 16. 22. fgg.,
E. H. Weber S. 283., Ritgen S. 277. 278.


15. Die Phalangen der Zehen. — Ihre erste Entstehung wird
verschieden angegeben. Kerkring (l. c. p. 257.), Nesbitt (l. c. S.
85. mit Ausnahme des letzten Phalanx der kleinen Zehe) und
Nicolai (l. c. S. 21.) parallelisiren sie völlig den Fingern. Nach
Senff (l. c. S. 72.) verknöchert der dritte Phalanx vor der drei-
zehnten, der erste aber in der vierzehnten Woche; nach Bèclard
(l. c. S. 441. 42.) der erste Phalanx nach dem funfzigsten, der
dritte vor dem fünfundvierzigsten Tage und der mittlere in der
Mitte der Schwangerschaft. Ritgen (l. c. S. 279. 80.) läſst den
dritten Phalanx in der zehnten und den ersten in der zwölften
Woche ossificiren. Die Verknöcherung des mittleren Phalanx be-
ginnt im sechsten Monate. Schon im vierten oder fünften haben
die verknöcherten Phalangen ziemlich das Verhältniſs des Er-
wachsenen, im siebenten auch die mittleren Glieder. Nach Danz
beginnt auch hier die Ossification in den äuſsersten Phalangen an
den Spitzen. Vgl. Kerkring p. 257. 59., Nesbitt S. 85., Danz S.
17
[258]Von dem Embryo.
240. 41., Senff p. 72., Bèclard S. 441. 42., Nicolai S. 22. 29.
fgg., E. H. Weber S. 290., Ritgen S. 279 — 81.


Die Sesambeinchen sind im dritten Monate knorpelig ange-
legt und verknöchern nach Nesbitt (l. c. S. 86.) bisweilen, nach
Ritgen (l. c. S. 281.) in der Regel vor der Geburt.


In der Bildungsgeschichte der Knochen muſs man drei Zu-
stände unterscheiden: 1. denjenigen, in dem die Masse noch weich,
membranös und mit den jedem Bildungsgewebe eigenen Körnchen
oder Molekülen, versehen ist. Die Sonderung ist hier noch eine
mehr morphologisch ausgesprochene, als histiologisch begründete.
Hiervon ist schon oben Mehreres berührt worden. Einiges soll so-
gleich noch hinzugefügt werden. 2. den knorpeligen Zustand, den
des Knorpelskelettes, welcher seine eigene Ausbildung hat, und
3. den verknöcherten Zustand, der, wie wir ausführlich berich-
tet haben, ebenfalls seine eigene Bahn verfolgt. Wir haben also
hier nur noch über das zweite Verhältniſs das Nöthige nachzu-
tragen und dann zu entwickeln, wie allmählig das Gewebe des
ausgebildeten Knochens aus der Urmasse seine Entstehung nimmt.


Das knorpelige Skelett verfolgt bei seinem Auftreten in dem
individuellen Thiere seinen eigenen Weg. An dem oberen Cen-
tralrohre erscheint es an der Rückenwirbelsäule zuerst, etwas
später dagegen an dem unteren Centralrohre in den Rippen, wie
sorgfältige Untersuchungen mir gezeigt haben. Das Schluſsstück
verknorpelt dagegen bei dem letzteren früher, als bei den ersteren.
Was nun den Menschen betrifft, so war bei einem sechs Linien
langen Embryo die Grundlage der Wirbelkörper knorpelig, des-
gleichen und verhältniſsmäſsig sogar noch mehr ausgebildet der
Rippenkorb. Bei einem acht Linien langen Embryo dagegen
zeigte sich die knorpelige Anlage der Wirbel (oder vielleicht der
zwischen den Wirbeln liegenden Bandscheiben?) als parallele
dünne, weiſse Streifen, die, wie der ganze Rückenmarkskanal,
sehr breit waren und durch dunkelere breitere, ebenfalls ziemlich
feste Streifen von einander getrennt waren. Auch ich fand, wie
E. H. Weber (Meck. Arch. 1827. p. 230.) da, wo die Wände des
Wirbelkanales sich nach oben emporbogen, zwei weiſse, die Dicke
des weiſsen Querstreifen übertreffende Linien, welche sich längs
des ganzen Wirbelkanales erstreckten. Sie bildeten rundliche
Flecke in den dickeren Zwischenmassen, stieſsen fast immer in
den weiſsen Streifen an einander, verbanden sich in allen mit
[259]Extremitätengürtel. Knorpelskelett.
dem oberen derselben innig und schienen sich ein wenig über
die graue Zwischenmasse zu erheben, wiewohl keineswegs in dem
Grade, als die weiſsen Querstreifen selbst. Die Anlagen der Bo-
genhälften waren kleine weiſse Leisten, welche nahe an den Wir-
belstreifen sich befanden. Interessant war jedoch die Beschaffen-
heit der obersten Brustwirbel. An diesen waren die runden
Flecke gröſser und unregelmäſsiger. Man konnte deutlich wahr-
nehmen, daſs sie Productionen des immer zuächst nach oben gelege-
nen weiſsen Querstreifens waren. Der oberste Brustwirbel war ¾‴
von dem Hinterhauptsloche entfernt und zwischen ihnen beiden la-
gen die Anlagen der Halswirbelkörper. Sie stiegen etwas schief von
auſsen und unten nach oben und innen empor. Nur der unterste
hatte ein transversales knorpeliges Mittelstück; die folgenden stie-
ſsen jeder an einen dunkelen, nach vorn schwach ausgeschweiften
Streif weicherer Masse, zwischen welchen ähnliche dunkele Sub-
stanz, wie an den anderen Wirbeln, lag. Der oberste stieſs mit
seinem inneren Ende an den Rand des Hinterhauptsloches. Eine
verbindende Querleiste war nur schwer und undeutlich zu er-
kennen. Diese schien unmittelbar an die Grenze des Hinterhaupts-
loches zu stoſsen oder vielmehr mit derselben noch verschmolzen
zu seyn. Die untersten Halswirbel waren von den Brustwirbeln
gar nicht verschieden, lagen aber noch im Bereiche der oberen
Extremität, da die Anschwellung des Rumpfgliedes der letzteren
noch die Rudimente des Schulterblattes und der dazu gehörigen
Muskeln enthielt. Am Schädelgewölbe war keine Spur von Knor-
pelmasse wahrzunehmen, welches mir um so interessanter war,
als bei fast gleich groſsen Schaafsembryonen die ganze Schädel-
grundfläche fast verknorpelt ist. — Bei einem 8½ Linien langen
menschlichen Embryo hat E. H. Weber (Meck. Arch. 1827. S.
230. 31.) wesentlich dasselbe gefunden. — Von dem unteren Cen-
tralrohre entstehen die Rippen zuerst. Sie sind, wie ich an Hun-
deembryonen von 5½ Linien Länge wahrgenommen habe, früher
schon als dichterer Stoff von einander geschieden, bevor sich
noch knorpelige Masse in ihnen ansetzt und bilden dann breite
bis ein Dritttheil von der unteren Extremität entfernte Ringe.
Der Schluſspunkt des Brustkastens, das sternum, entsteht in seiner
knorpeligen Anlage später, als die Rippen. Bei einem 8 Linien
langen Embryo habe ich es eben so wenig, als bei einem 6 Linien
langen gefunden, während E. H. Weber (l. c. tab. 3. fig. 7.) es
17*
[260]Von dem Embryo.
ohne proc. xiphoid. aus seinem 8½ Linien langen Embryo dar-
stellt. In Blumenbachs Abbildung (specimen physiol. comp.
1789. 4. fig. 1.) dagegen ist es auch noch nicht angegeben. Von
Knorpeln des Extremitätengürtel sind bei einem sechs Linien lan-
gen Embryo durchaus noch keine Spuren wahrzunehmen. Bei
einem acht Linien langen dagegen ist die knorpelige Grundlage
von Rumpf- und Endglied, wiewohl von noch weicherer Consi-
stenz als die Rippen zu beobachten. Schulterblatt und Becken
waren als dichte, länglich runde Massen, so wie das Schlüsselbein
als ein soliderer Faden, doch ohne Spur wahren Knorpels, ange-
legt. Schon in diesem Zustande der Entwickelung jedoch ist es
nach meinen vollständigeren Untersuchungen an Hunde-, Schaaf-
und Schweineembryonen deutlich wahrzunehmen, wie die hinte-
ren Theile der beiden Extremitätengürtel sich um das obere Cen-
tralrohr herumlegen. In früherer Zeit nämlich ragen sie fast gar
nicht über die Mittellinie hervor, später dagegen reichen sie mehr
nach der Mitte zu hinein und nähern sich einander bis zu einer
bestimmten Grenze. Doch ist dieser Proceſs erst dann gänzlich
vollendet, wenn Rumpf-, Mittel- und Endglied einer jeden Extre-
mität sich völlig ausgebildet haben. — Mehreres hierher noch
Gehörige s. oben bei Gelegenheit der Verknöcherungsgeschichte.


Die Entstehung des Knochengewebes gehört zu den schwie-
rigsten Punkten der Histiogenie und kann erst dann vollständig
begriffen werden, wenn man die oben angeführten drei Zustände
weniger scharf begrenzt ins Auge faſst und nur die Metamorphose
des primären Urstoffes in die feste Knochensubstanz verfolgt. In
dem Folgenden ist das Resultat meiner Beobachtungen hierüber
vom Menschen niedergelegt, die Ausbildung der Thierknochen da-
gegen, welche mehr oder minder wesentlich von den unserigen
abzuweichen scheinen, ganz unberücksichtigt gelassen worden.


Wo späterhin ein umschlieſsender platter Knochen sich fin-
det, ist in frühester Zeit eine mehr oder minder dichte Mem-
bran; wo in Zukunft ein langer oder runder Knochen gebildet
wird, sehen wir die Substanz der Uranlage zuerst solider und
dunkeler werden. Die Kügelchen des Keimstoffes werden häufi-
ger, liegen näher an einander und verbinden sich durch eine glas-
artig durchsichtige gallertartige Masse zu einem dichteren und
weniger durchscheinenden Stoffe. Noch ist keine Spur von re-
gelmäſsiger Anordnung der Kügelchen wahrzunehmen. Nur eine
[261]Extremitätengürtel. Knochengewebe.
gewisse lineare Stellung erscheint undeutlich hin und wieder,
wenn man zarte Schnitte zwischen zwei Glasplatten zerdrückt,
was aber auch in anderen Geweben, z. B. des Hirnes, des Rük-
kenmarkes, der serösen Häute, in frühester Zeit der Fall ist.
Dieser Zustand dauert so lange, bis der erste Anfang zu einem
höheren Grade von Solidescenz gemacht wird, nicht etwa bis
das erste punctum ossificationis mit bloſsem Auge gesehen wer-
den kann, sondern um Vieles früher, wenn dem äuſseren Anscheine
nach die ganze Masse nur noch von knorpeliger Consistenz ist.
Man hat nämlich die Verknöcherung aus einem schiefen Gesichts-
punkte angeschen. Man glaubte, daſs zu der Knorpelmasse phos-
phorsauere Kalkerde hinzutrete, oder, wie es sich Einige sogar
ganz mechanisch dachten, in gewissen Höhlen oder Zwischenräu-
men abgelagert werde, während die erstere Parthei die Knorpel-
substanz entweder dieselbe bleiben oder während dieses Actes
aufgesogen werden und an ihre Stelle Knochenmaterie treten lieſs.
Allein die Metamorphose geht hier eben so ununterbrochen fort,
als in jedem anderen Organe. Ja sie wird sogar rascher und
auffallender ihre Bildungsstufen durchlaufen müssen, weil sie grö-
ſsere Extreme zu erreichen hat. Das Nähere, wie sich dieser
Stoffwechsel durch chemische Zusammensetzung verändere, wird
erst bei weiterer Vervollkommnung der microchemischen Analyse
sich ergeben können. — Die Gestaltveränderungen dagegen sind
folgende: An die Stelle der körnerreichen Masse tritt eine glas-
artig durchsichtige Substanz, welche in Verhältniſs zu dem un-
mittelbar vorhergehenden Zustande weniger, an und für sich aber
noch viele Körnchen enthält. Mit diesem Acte hat aber eine neue
Bildungsperiode angefangen, und er kann mit Recht als der Wende-
und Uebergangspunkt zur Formation des eigenthümlichen Kno-
chengewebes angesehen werden. Es entstehen nämlich 1. die
Knochenkanäle. Diese machen, wie Purkinje und ich bald zeigen
werden, in jedem Knochen ein eigenes, bestimmtes und charakteri-
stisches System aus, welches dem ersteren einen besonderen Charak-
ter aufdrückt und, wie die feinsten Blutgefäſsnetze, in jedem Theile
von eigenthümlicher Conformation ist. Auch die Entstehung der
Knochenkanäle stimmt mit der der Blutgefäſse auffallend überein.
Denn es bilden sich zuerst in der früher ganz soliden Masse ein-
zelne rundliche Höhlen, anfangs von durchaus kugliger Form, ge-
gen die Mitte der Masse zu, jedoch der äuſseren Oberfläche etwas
[262]Von dem Embryo.
näher, als der Centrallinie selbst. Diese verlängern sich bald in
ihrer Mitte, so daſs sie die Form eines an beiden Enden abge-
rundeten Kanales annehmen, stoſsen dann an einander und stellen
zuletzt die ersten wahren Knochenkanäle dar. In der Breitendi-
mension dagegen scheinen sie nur wenig zuzunehmen. Unterdeſs
haben sich auch schon einzelne Quergänge gebildet, wahrscheinlich
indem von zwei benachbarten Kanälchen ausgehende Seitenaus-
wüchse zusammenstoſsen. Diese Anfänge der Kanalbildung finden
sich in jedem Knochenrudimente kurze Zeit, bevor die ersten Kno-
chenpünktchen mit bloſsem Auge sichtbar werden oder in der noch
weichen und knorpeligen Umgebung der ersten weiſsen und un-
durchsichtigen Streifen. Am deutlichsten kann man diese eben
so interessanten, als wichtigen Beobachtungen an den platten Kno-
chen, vorzüglich dem Schulterblatte und dem Darmbeine, verfol-
gen. — Je jünger der Embryo ist, um so gröſser sind die Kno-
chenkanälchen im Verhältnisse zu dem ganzen Knochen. Nur
um Weniges verhältniſsmäſsig übersteigen sie die Durchmesser
dieser Theile im Erwachsenen. Doch selbst noch lange Zeit über
das Fötalleben hinaus ist dieses Verhältniſs vielfachen Verände-
rungen unterworfen. So fand ich, um nur einen Beleg für das
Gröſsenverhältniſs der Kanälchen anzuführen, in der tibia eines
siebenmonatlichen Fötus dicht unter der äuſseren Oberfläche den
Durchmesser eines Ganges 0,002485 Pariser Zoll und den des
Zwischenraumes zwischen zwei Gängen 0,004407 P. Z. Der
ganze Schnitt war 0,075021 P. Z. breit und enthielt eilf Kanäle,
welches mit den eben angegebenen Durchmesserzahlen der Ka-
nälchen und der Zwischenräume genau übereinstimmt, da die
Summe des eilfmaligen Productes beider 0,075812 P. Z. beträgt. —
Die sogenannte schwammige Substanz der Knochen entsteht durch
Nichts, als durch die vielfache Verbindung der sich erweiternden
Kanälchen, so daſs die Lacunen gröſser werden, als die dichteren
Wände selbst. Wo aber das Umgekehrte der Fall ist, erscheint die
Knochensubstanz, wie man es mit Unrecht gewöhnlich nennt, fase-
rig. 2. Die Knochenkörperchen. Diese Theile (vgl. Deutsch de pe-
nitiori ossium structura. Wratisl
. 1834. 4. fig. 3. 4.), welche
Purkinje und ich in unserer in kurzer Zeit über die Structur der
Knochen herauszugebenden Abhandlung näher beschreiben werden,
scheinen, so sehr ich anfangs selbst an der Richtigkeit dieser Beob-
achtung zweifelte, nach meinen vielfach wiederholten Untersuchun-
[263]Extremitätengürtel. Knochengewebe.
gen metamorphosirte Körnchen der Uranlage zu seyn. Sie mögen
überhaupt, wie die Molekülen in jedem Gewebe, eine Art von
Nehrungsstoff ausmachen [und] so dem jungen Knochen als erste zu
verzehrende Materie von der frühesten Anlage an mitgegeben wer-
den. Man kann nämlich die deutlichsten Uebergänge von den in
dem früheren Knorpel enthaltenen Körnchen in diese verfolgen.
Wir haben es schon oben bemerkt, daſs jene zum gröſsten Theil
mit der Knochenbildung verschwinden. Die zurückbleibenden
dagegen ordnen sich mehr mathematisch bestimmt, meist parallel
den Knochenfasern. Diese regelmäſsige Anordnung hat darin ih-
ren Grund, daſs sich in der gallertartigen Masse bestimmte und
gesonderte Scheiden um jene Körperchen bilden, welche den künf-
tigen Knochenfaserbündeln zu entsprechen scheinen. In den ge-
wöhnlich später sogenannten faserigten Knochentheilen liegen
diese Scheiden parallel neben einander und haben einen gröſseren
Breitendurchmesser; in den netzförmigen Knochentheilen dagegen
sind sie dünner und netzförmig mit einander verbunden. Immer
enthalten sie aber in ihrem Innern die Knochenkörperchen. Da-
her zeigen sich, sobald die letzteren herausgefallen oder durch
lang anhaltende Maceration in verdünnten Säuren zerstört sind,
Lücken für dieselben. Die Urkörperchen selbst gehen aus ihrer
früher runden Form durch die mannigfachsten Nuancen in die
den Knochenkörperchen eigenthümliche längliche, an beiden En-
den scharf zugespitzte über. Hierdurch werden sie in ihren
Durchmessern, die in früherer Zeit auch von denen des Erwach-
senen abweichen, ebenfalls wesentlich verändert. So fand ich in
der Ulna eines dreimonatlichen Fötus ihren Breitendurchmesser
0,000456 P. Z. bis 0,000507 P. Z. und ihren Längendiameter
0,000658 P. Z., während im Erwachsenen in demselben Theile
der Durchmesser der Breite 0,000405 P. Z. und der der Länge
0,000707 P. Z. beträgt. Ihre Umgrenzung geht auch aus der
ungleichen kreisrunden in die scharfe an jeder Seite bogenförmig
begrenzte Form über. Die Zuspitzung an beiden Enden findet
sich erst am Schlusse ihrer Metamorphosenreihe. 3. Die Kno-
chenfasern. — Was man bisher faserige Knochensubstanz nannte,
war Nichts, als die dünnen Balken, welche da, wo die Knochen-
kanäle nicht so zahlreich und ihre Mündungen nicht so sehr netz-
förmig verbunden sind, in mehr oder minder paralleler Richtung
verlaufen. Sie sind aber sonst in Nichts von der übrigen Kno-
[264]Von dem Embryo.
chensubstanz verschieden, und jede solche Trennung ist nicht bloſs
daher überflüssig, sondern verwirrend. Die Knochenmasse ist viel-
mehr mehr oder minder gleichartig und durchsichtig (vollkommen
wenigstens in sehr dünnen Lamellen von Knochen, die durch Säu-
ren ihrer Kalkerde beraubt sind) und enthält parallele oder con-
centrische Fasern, die nur nicht einzeln getrennt, sondern in die
eine Knochenmasse zusammengeschmolzen zu seyn scheinen. Ja
läſst man einen Knochen Jahre lang in verdünnten Säuren mace-
riren, so löst sich die ganze Substanz in Zellgewebsfasern und
Zellgewebskörnchen vollkommen auf. Von Lamellen sieht man
bei dem Menschen auf Querdurchschnitten nur Spuren als mehr
oder minder vollständige, concentrische Kreisbögen. Eine Tren-
nung in gröſsere Lamellen dagegen gelingt nur durch gewaltsame
Behandlung, vorzüglich sehr langes Erweichen in Säuren, wie die-
ses schon gegen Du Hamels Annahme Howship, Berzelius, E. H.
Weber u. A. bemerkt haben. Mit dem Momente, in welchem
die Kügelchen der Uranlage seltener werden, erhält die Masse
mehr Durchsichtigkeit und ein eigenes crystallhelles Ansehen.
Nach Bildung der Markhöhlen sieht man besonders da, wo eine
solche sich blind endigt, concentrische Fasern wie mit sicherem
Griffel in die starre Masse eingegraben. Die Knochenkörperchen
scheinen zwischen ihnen ihren Platz einzunehmen. Wenigstens
sieht man sie häufig diesen folgen und bei concentrischen Fasern
auch in concentrischen Zwischenlinien ziemlich regelmäſsig geord-
net, eine natürliche Folge der früher gebildeten, eben beschriebe-
nen Scheiden. Andeutungen lamellöser Structur durch die ge-
nannten abgebrochenen Streifen habe ich selbst im sechsten Mo-
nate nur spurweise wahrgenommen. — Auſserdem sieht man mit
den Knochenkörperchen in der hellen dichten Masse sehr häufig
kleine Kügelchen, welche den Brownschen Molecülen sich nähern
und wahrscheinlich dieselben sind, welche an sehr dünnen La-
mellen der ausgebildeten Knochen wahrgenommen werden.


Der Knorpel, welcher nicht ossificirt, bleibt auf einer nie-
deren Stufe der Ausbildung stehen. Die durchsichtige Masse ist
geringer, die Anzahl der Körperchen dagegen gröſser, als in den
Knochen. Diese rücken im Laufe der Entwickelung immer mehr
aus einander, indem sie in früherer Zeit zwar getrennt, aber nur
um kleine Zwischenräume von einander entfernt sind. Ihre An-
ordnung ist, wiewohl man keine Stellungslinie irgend einer Art
[265]Extremitätengürtel. Ligamente.
an ihnen ausfindig machen kann, doch so zierlich, daſs eine ge-
wisse Regelmäſsigkeit schon bei dem ersten Blicke auffällt. Sie
sind bei dem Erwachsenen sowohl, als bei dem Fötus von mehr
rundlicher Form. Selbst bei dem Ersteren ist es möglich, die
Uebergänge derselben bis in die Knochensubstanz auf feinen Per-
pendikularschnitten zu verfolgen. Der knorpelige Theil löst sich
von dem verknöcherten sehr leicht los, wie dieses schon Haller
(Elem. physiol. VIII. p. 310. 314.) bekannt war. — Mehreres
mit bloſsem Auge über das Knochengewebe des Fötus zu Beob-
achtende haben Haller (sur la formation de os und Opp.
min. Tom II
.), Howship (Meck. Arch. III. S. 288—297.) und
E. H. Weber (Hildebrandts Anat. I. S. 334—38.) schon be-
schrieben.


Ueber die Entstehung der Ligamente sind die Beobachtungen
noch mangelhaft. Man muſs offenbar zwei Zustände an ihnen un-
terscheiden: 1. denjenigen, in welchem sie ihrer änſseren Form
und ihrer histiologischen Grundgestalt nach gebildet erscheinen
und 2. denjenigen, in welchem sie das ihnen eigenthümliche Aus-
sehen und den Grad ihrer Festigkeit erhalten. Der letztere Zu-
stand folgt im Allgemeinen erst spät auf den ersten. Mit der
Trennung der knorpelig körnigen Hauptanlage in Knorpelstück-
chen als Rudimente der künftigen Knochen bleibt in dem Zwi-
schenraume eine dichte körnige Masse übrig, welche heller und
durchsichtiger wird, in eine Membran sich umgestaltet und die
Endflächen der beiden Knochengrundlagen umfaſst. Diese stellt
entweder das künftige Band allein oder wie an den Gelenken
der Extremitäten, die Synovialmembran nebst den ihr unmittel-
bar anliegenden Bändern im ersten Rudimente dar. Die Körn-
chen ordnen sich bald nach einem gewissen Längentypus, doch
nicht so, daſs die hierdurch entstehenden Linien immer parallel
laufen, sondern daſs sie oft an einander stoſsen und dann Eine
Linie ausmachen. Die Unterscheidung der einzelnen Gelenkbän-
der von der Synovialhaut wird bald darauf deutlicher, indem jene
etwas dichter sind, fester werden und eine hellere Farbe erhal-
ten. Eine Structurdifferenz ist jedoch mit Bestimmtheit noch
nicht wahrzunehmen. So dauert es, während diese Theile sich
stets vergröſsern, bis zum siebenten Monate, wo an den Extremi-
tätengelenken der zweite Zustand seinen Anfang nimmt. Später
als hier tritt er an der Wirbelsäule des Menschen ein. Bei Säu-
[266]Von dem Embryo.
gethieren und Vögeln wird dieser letztere Proceſs früher und
zwar zuerst in der Gegend der Nackenkrümmung realisirt.


Die Gelenkknorpel erscheinen verhältniſsmäſsig später, als
die übrigen, sowohl ossificirenden als nicht verknöchernden Knor-
pel. Wenigstens konnte ich z. B. vor der Mitte des dritten
Monates die groſsen halbmondförmigen Knorpel des Kniegelenkes
nicht mit Bestimmtheit unterscheiden. Ihre Histiogenie weicht
in Nichts von der der ossificirenden Knorpel ab.


D. Muskeln, Sehnen und Schleimgewebe.

Zwischen dem unteren Centralrohre und seiner Haut und
dem oberen und dessen Haut befindet sich eine Masse von Bil-
dungsstoff, welcher zur Entstehung dieser Theile verwandt wird.
Die von ihr conformirte Schicht ist aber natürlich da am dick-
sten, wo oberes und unteres Centralrohr zusammenstoſsen, in und
neben der Furche also, welche, wie wir oben gesehen haben, für die
Extremitätenbildung bestimmend ist. Allein da das untere Central-
rohr das obere bald in seinem Diameter bei Weitem übertrifft, so ist
die Masse der genannten Bildungsstoffschicht an dem oberen Rohre
stärker und vorzüglich tiefer. Denkt man nun daran, daſs die
Extremitätenbildung dazwischen kömmt, und daſs das Ende des
Rumpfgliedes, welches aus der Furche hervorkeimt, die Mitte
derselben als hintere Begrenzung hat, daſs ferner in gleicher Li-
nie mit den Extremitäten eine Art von Scheidungslinie entsteht,
so sieht man, daſs zwischen dieser und der äuſsersten Grenze des
oberen Rohres ein schmaler langer Kanal übrig bleibt, welcher
von Bildungsstoffe ausgefüllt wird. Dieser wird zuerst am Kör-
per zu willkührlichen Muskeln umgewandelt. Zu der Zeit, wo
es geschieht, hat die Längenaxe des Embryo zwei Hauptkrüm-
mungen, die des Nackens und die der Sakralgegend. Zuerst an
der letzteren und bald darauf an der ersteren tritt die Muskelfa-
serbildung hervor. Sie dehnt sich von beiden Punkten so weit
aus, daſs bald ein deutlicher Längsmuskel entsteht. Wir finden
dann bei achtwöchentlichen Embryonen zu jeder Seite des obe-
ren Centralrohres ein muskulöses Längsgebilde, wie es schon E.
H. Weber (eck. Arch. 1827. S. 232. und Hildebrandt’s Anat. I.
S. 405.) beschrieben hat. Es ist dieses aber nicht bloſs das Ru-
diment des sacrolumbaris, sondern der beiden untersten Schich-
ten der Rückenmuskeln. Denn mit weiterer Ausbildung der Ex-
[267]Muskeln, Sehnen und Schleimgewebe.
tremitäten entsteht in diesen eine Schicht von Bildungsstoff,
welche gallertartig zähe ist und nicht bloſs die in diesen enthal-
tenen Knochen und die zu ihnen gehörigen Knochengürtel be-
deckt, sondern sich auch über diese erstreckt und die Anlage
der beiden oberen Lagen der Rückenmuskeln und der Mus-
keln und Sehnen der Extremitäten darstellt. Während dieses
geschieht, entsteht in sehr kurzer Zeit die Muskulatur des Bau-
ches, des Halses und Kopfes, so daſs, wenn man die Hauptmus-
kulatur des Körpers nach ihren genetischen Momenten ordnet,
sie wahrscheinlich folgende Reihe bildet: 1. Die beiden unter-
sten Schichten der Rückenmuskeln. 2. M. longus colli, rectus
capitis antic. major
. und minor. (?). 3. M. rectus abdominis
und transversus. 4. Musculi extremitatum, die beiden oberen
Schichten der Rückenmuskeln, M. obliquus adscendens und
descendens. 5. Musculi faciei mit No. 4. zum Theil zusam-
menfallend *). Ueber die übrigen hier nicht genannten Muskeln
wage ich durchaus Nichts zu entscheiden. Den Grund zu dieser
Anordnung legte die Untersuchung mehrerer menschlicher Früchte
aus dem dritten bis vierten Monate, so wie vieler kleiner Säu-
gethier- und Vögelembryonen. Wer sich aber von der Wahrheit,
daſs die Rückenmuskeln in zwei zu verschiedenen Zeiten entste-
hende differente Lagen, eine tiefere eigenthümliche und eine spä-
tere mit der Extremitätenbildung innig zusammenhängende, zer-
fallen, überzeugen will, dem empfehlen wir vor Allem die Un-
tersuchung frischer Schaafsembryonen von 1½ bis 2 Zoll Länge
und besonders die microscopische Anschauung bei etwas stärke-
rer Vergröſserung. Man sieht dann die untere, schon dem äuſse-
ren Anblicke nach verschiedene Schicht in ihrer Ausbildung um
Vieles weiter vorgeschritten. Ihre Muskelfasern sind einzeln ge-
sondert, während die der oberen Schicht in ihrer frühesten For-
mation sich befinden und mit den rudimentären der Extremitäten
auf gleicher Stufe stehen, ja eine bloſse Fortsetzung von diesen
zu seyn scheinen.


Die Muskelfaser entsteht, wie ich in meiner Inaugural-Dis-
[268]Von dem Embryo.
sertation (historiae evolutionis systematis muscularis prolusio.
Wratisl
. 1832. 4. p. 9. 10.) schon beschrieben habe, aus der
gallertartigen Bildungsmasse (stratum gelatinosum) auf folgende
Weise: Lange vorher, als gesonderte Muskelfasern wahrgenommen
werden, sieht man die Kügelchen der Urmasse nach Längslinien
geordnet, vorzüglich wenn diese zwischen zwei Glasplättchen
leise gepreſst wird. Die Körnchen scheinen nun etwas näher
an einander zu rücken und an einzelnen Stellen gänzlich, an an-
deren dagegen an der einen oder der anderen Seite zu verschmel-
zen und zu einer durchsichtigen Masse sich zu verbinden. Hier-
durch entstehen Fäden, welche an manchen Stellen ein perlschnur-
artiges Ansehen haben, an anderen dagegen minder scharf einge-
kerbt, oft auch an der einen Seite noch eingefurcht, an der anderen
dagegen schon mehr geradlinigt begrenzt sind. Später verschwindet
in dem Faden jede Spur von Körnchen oder Abtheilung und er
wird gleichmäſsig durchsichtig, begrenzt und cylindrisch. In die-
sem Zustande hat er mit den kleinen Blutgefäſsen, welche das
Bildungsgewebe vielfach durchstreichen, wenn sie vom Blute ent-
leert sind, einige Achnlichkeit und unterscheidet sich von ihnen
vorzüglich dadurch, daſs er mehr gerade, gleichmäſsig und nie
ramificirt ist, während diese ungleich, verästelt und fast niemals
parallel sind. So verharrt die Muskelfaser im Normale bis um die
Zeit des sechsten Monates, nur daſs ihre Substanz etwas dunke-
ler und ihre Cohäsion dichter wird. Im sechsten Monate habe
ich die ersten Spuren von Querstreifen in neuerer Zeit an ihnen
wahrgenommen und ich muſs daher, seitdem mir der Gebrauch
eines der besten Plöſslschen Instrumente zu Gebote steht, mei-
nen früheren Ausspruch, daſs diese bei Embryonen gänzlich feh-
len, nunmehr zurücknehmen. Diese Querstreifen stehen aber
während des ganzen Fötallebens weiter aus einander und sind
nur bei hellem Lichte und sehr starker Vergröſserung deutlich
wahrzunehmen. — Schon von der Zeit an, in welcher die Mus-
kelfäden durchsichtig und gleichförmig werden, häufen sich zwi-
schen ihnen Massen von Kügelchen rundlicher oder bestimmt
runder Form an, welche etwas gröſser als die Blutkörperchen,
nämlich 0,000407 P. Z. sind, und concentriren sich überhaupt
auf die bald näher zu bezeichnenden Stellen.


Zuerst werden die Muskelfibern und zuletzt ihre Fibrillen
gebildet. Dies erhellt aus folgenden Gründen: 1) Die zarteste
[269]Muskeln, Sehnen und Schleimgewebe.
als selbstständig erkennbare Faser, in welche sich die Muskelsub-
stanz zerlegen läſst, wird einfache Faser (Muskelfibrille) genannt,
so wie eine ebenfalls selbstständige Verbindung mehrerer Fibril-
len eine Fiber. So relativ diese Distinction auch ist, so gewährt
sie doch einen bestimmten Ausdruck dafür, wie fein eine gewisse
Muskelsubstanz theilbar sey. Bei dem Embryo ist eine solche
Theilung wie bei dem Erwachsenen weniger mit dem Messer,
als durch den Druck zwischen zwei Glasplatten möglich, dann
zeigt es sich, daſs, je jünger der Embryo, die Elementartheile
um so stärker sind. So fand ich, um von dem Menschen einige
Beispiele anzuführen, die Muskelfibern der untersten Lage der
niedrigsten Stelle des Nackens bei einem in der achten Woche
befindlichen Embryo 0,000709 P. Z., in der zehnten Woche
0,000632 P. Z., in der Mitte des fünften Monates 0,000405 P. Z.,
am Ende des achten Monates 0,000304 P. Z. und bei dem Neu-
geborenen 0,000228 P. Z. 2) Wir haben es schon oben bemerkt,
daſs von der Zeit an, wo die Muskelfaser gleichförmig und durch-
sichtig wird, sich Kügelchen in groſser Menge anhäufen. Sie ver-
mindern sich später wieder und werden mit der gallertartigen
Masse, welche sie zusammenhält, zu dem verbindenden Schleim-
gewebe. Dieses verbindet aber nicht die Fibrillen, sondern die
Fibern. Da die Kügelchen in frühester Zeit zwischen den ein-
zelnen, durch die gröſstmöglichste Zertheilung erhaltenen, relativ
einfachen Fasern liegen, so müssen diese für Fibern und nicht
für Fibrillen erklärt werden. Eben so kann man sich leicht über-
zeugen, daſs die Faserbündel isolirt von einander, wie die Kno-
chenkanälchen entstehen, wenn man ein Stückchen stratum ge-
latinosum
in der ersten Periode der Muskelbildung unter schwa-
cher Vergröſserung betrachtet. Denn dann erscheinen die ge-
trennt formirten Faserbündel, wie parallele Saiten, die durch
Gallertplatten sicher von einander geschieden werden. Auf ana-
loge Weise entstchen auch zuerst die Muskelbäuche und dann
die lacertuli. Der Typus der Muskelfasergenese, so wie der der
Faser überhaupt, beruht auf der Bildung eines isolirten, einfachen
Cylinders und dem Zerfallen dieses Cylinders in kleinere und
kleinste.


Die Schnenfaser wird bei dem Menschen histiologisch früher
ausgebildet, als die Muskelfaser, wiewohl im Embryo die Sehnen
dem äuſseren Ausehen nach unvollkommener zu seyn scheinen, als
[270]Von dem Embryo.
die Muskeln. So sind gegen das Ende des dritten Monates schon
die Sehnenfasern durchsichtige Cylinder und von den daran sich
fügenden Muskelfasern bestimmt geschieden. Man sieht, wie hier
die solideren Sehnenfasern sich unter den noch körnigen Muskel-
fasern fortsetzen, wie zwischen ihnen keine Spur von Körnchen
wahrzunehmen ist und wie schon in so früher Zeit Sehnen- und
Muskelfaser geschieden sind und durchaus kein wechselseitiger
Uebergang der einen in die andere Statt findet. — Die Sehnen-
fasern sind in früheren Zeiten stärker, als später. So fand ich
ihren Durchmesser in der Achillessehne eines dreimonatlichen
Embryo 0,000814 P. Z., in demselben Theile eines fünfmonatli-
chen 0,000507 P. Z. und in dem Neugeborenen 0,000456 P. Z.
— Das äuſsere Ansehen der Sehnen ist in jedem Fötus röthlich
und daher den blassen Muskelgebilden nicht unähnlich. Doch
sind sie von diesen schon vom dritten Monate an durch bedeu-
tendere Dichtigkeit und Zähigkeit unterschieden.


Das stratum gelatinosum, welches in frühester Zeit auf
beiden Oberflächen fast glatt war, erhält, je mehr musculöse und
sehnigte Theile ausgebildet werden, ein immer mehr zerrissenes
Ansehen auf seiner Unterfläche, indem es sich zwischen die ein-
zelnen Muskeln und Muskelbündel, Sehnen und Sehnenbündel ein-
schlägt und das Bindungsmittel derselben abgiebt. In diesem
Zustande enthält sein gallertartiger Grundbestandtheil eine groſse
Anzahl von Kügelchen, deren Durchmesser im zweiten und drit-
ten Monate von 0,000262 P. Z. bis 0,000456 P. Z. variirt. Spä-
ter wird die Zahl der gröſseren Kügelchen kleiner und es ent-
steht die bekannte Form des Schleimgewebes d. h. eine gallert-
artige Masse, welche häufig feine Fäden und sehr kleine, unge-
fähr 0,000152 P. Z. im Durchmesser haltende Körperchen enthält.
Schon am Anfange des vierten Monates ist dieses Schleimgewebe
an manchen Stellen, z. B. dem Rücken, vollständig ausgebildet.


Die Extremitätenscheiden stimmen in ihrer Genese mit den
fibrösen Häuten überhaupt völlig überein.


Anhang. Rumpfnerven. — Ueber ihre erste Entstehung ist Vie-
les gefabelt und Weniges nur wahrhaft beobachtet worden. Die
Frage aber, ob diese von dem Centralsysteme aus in die Organe hin-
ein, oder von den Organen nach diesem hin, wie Serres sogar gese-
hen haben will, sich bilden, halten wir, wie v. Bär (Burdachs Phy-
siol. II. S. 446.) es schon ausgesprochen, für eine durch Erfahrung
[271]Haut nebst den accessorischen Gebilden.
kaum zu lösende Aufgabe. Trotz aller Mühe konnten wir in der
gallertartigen Masse des peripherischen Theiles des serösen Blat-
tes, selbst dann, wenn schon Rumpf- und Endglieder angelegt
waren, keine Spur eines Nervenfadens mit Bestimmtheit wahr-
nehmen. v. Bär (üb. Entwgesch. S. 84. bei Burdach S. 316.)
sah am fünften Tage die Rückenmarksnerven bei dem Hühnchen
zuerst, doch zeigt seine Beschreibung hinlänglich, daſs dieses un-
möglich ihr primärer Zustand gewesen seyn könne. Bei einem
achtwöchentlichen Embryo fand ich die Ganglien der Spinalner-
ven überaus dick, rundlich und jedes von fast ¼ Linie im Durch-
messer. Bei dem Herausziehen des Rückenmarkes blieben sie an
der Wirbelsäule sitzen. Aus meiner übrigen Untersuchung ist
mir nur so viel fast gewiſs, daſs die Nerven zuerst, dann die Ner-
venbündel und zuletzt die Nervenfäden entstehen. Schon im
dritten Monate sind die Nervenkörnchen überaus fein und zart.
Ueber die Genese des sympathischen Nerven s. unten bei dem
Schleimblatte.


E. Haut nebst den accessorischen Gebilden und der von
der Peripherie des serösen Blattes ausgehende Hüllentheil
des Embryo.

Die Haut des Erwachsenen zerfällt in folgende Schichten:
1. das Fettpolster. 2. die Lederhaut. 3. der malpighische Schleim
und 4. die Oberhaut. Hierzu kommen die Hautdrüsen, die Haare,
die Spiralfäden und die Nägel als accessorische Theile. Nach
diesem Plane wollen wir nun auch die Entwickelungsgeschichte
des äuſseren Hautsystemes abhandeln.


1. Das Fettpolster. — Seine Entstehung ist bei dem ver-
schiedenen Fötus verschieden. Doch scheinen hier Abweichun-
gen vorzüglich deshalb häufig beobachtet zu werden, weil sehr
viele, durch Abortus abgehende Früchte, besonders die, welche
selbst den Grund zur unzeitigen Geburt gegeben, an wahrer Atro-
phie leiden und dürr und abgezehrt zur Welt kommen. Es er-
scheint gleich anfangs als eine ⅕ Linie dicke Lage und vergröſsert
sich während des ganzen Fötuslebens immer mehr, so daſs es bei
Neugeborenen bekanntlich bedeutend stärker ist, als im Erwach-
senen (Vgl. die hierauf bezügliche, sehr treffende Aeuſserung von
Huber bei Danz Th. I. S. 178.). Doch habe ich die erste Spur
desselben in der 14. Woche an der Fuſssohle und Hohlhand wahr-
[272]Von dem Embryo.
genommen, wo unterhalb der Lederhaut zwar noch keine Fett-
träubchen, doch isolirte, in einem dichteren Bildungsgewebe ein-
geschlossene Bläschen zu sehen waren. Am Ende des fünften
Monates besteht es aus Häufchen einzelner, meist völlig runder
Fettbläschen, welche traubenförmig an einander hängen. Die
Gröſse der einzelnen Vesiculae adiposae ist eben so wenig con-
stant, als die eines freien Oeltropfens überhaupt und am Ende ist
doch ein jedes Fettbläschen nichts Anderes, als ein in das weiche
Schleimgewebe eingebettetes Fetttröpfchen. Nur dadurch erhält
ihre Gröſse einige Bedeutung, daſs jedes von ihnen von einem
feinen Blutgefäſsnetze von ziemlich bestimmtem Durchmesser
umschlossen wird. Im Embryo sind die Bläschen, je jünger die-
ser ist, desto kleiner und im Fötus überhaupt kleiner, als im
Erwachsenen. Denn ich fand ihren mittleren Durchmesser in der
Mitte des vierten Monates 0,000709 P. Z. bis 0,000912 P. Z. und
im achten bis neunten Monate 0,001520 P. Z. bis 0,002380
P. Z., während E. H. Weber (Hildebrandts Anat. I. S. 145.)
als Mittelzahl aus dem Erwachsenen 0,003205 P. Z., als Minimum
0,00280 P. Z. und als Maximum 0,003546 P. Z. angiebt. Interes-
sant ist es, daſs man an dem die Fetttropfen unmittelbar einhüllen-
dem Schleimgewebe von Anfang an keine Kügelchen wahrnimmt.
Diejenige tela mucosa aber, welche die Fettträubchen umschlieſst,
unterscheidet sich in Nichts von dem übrigen Schleimgewebe.


2. Die Lederhaut. — Unter der völlig durchsichtigen und
zarten Oberhautschicht sieht man in frühester Zeit eine Körner-
lage, welche für das Rudiment des Coriums angesehen werden
muſs. Den Durchmesser ihrer Körperchen fand ich in der achten
Woche 0,000329 P. Z. bis 0,000405 P. Z. Mit der Ausbildung
der Extremitäten gewinnt auch das Hautsystem rasch an Vollen-
dung [und] so ist um die zehnte bis eilfte Woche die ganze Schicht
schon fester und mit weit kleineren Kügelchen versehen. Noch
am Ende des dritten Monates werden die Spiralfurchen deutlich
und lassen sich gegen die Mitte des vierten Monates nicht bloſs
an den Fingern und Zehen, sondern auch an den übrigen Stellen
des Körpers, vorzüglich an der Brust, leichter noch verfolgen, als
im Erwachsenen. Auch Gewebe und specielle Form der Lederhaut
werden rasch vollendet. So sieht man im vierten Monate die
Papillen von fast derselben Form, wie in dem Erwachsenen, und
spätestens am Anfange des fünften schwinden in ihnen die isolir-
ten
[273]Aeuſseres Hautsystem.
ten Körner und es zeigen sich schon jene concentrischen Streifen,
welche in ihrem Verlaufe sich nach den äuſseren Umrissen der
Papillen richten und, wie selbst bei dem Erwachsenen, weder aus
granulöser Substanz, noch aus durchaus soliden Fibern bestehen.
Doch lassen sie sich jetzt noch bei starkem Drucke in einzelne
Körnehenhaufen trennen, die zwar unregelmäſsig und ungleich sind,
im Mittel jedoch ungefähr 0,000203 P. Z. im Durchmesser haben.
Die Gröſse der Wärzchen scheint in frühester Zeit um etwas
kleiner zu seyn, als im Erwachsenen.


3. Der malpighische Schleim. — Bei dem Erwachsenen be-
steht dieser aus einer sehr dünnen, zwischen Epidermis und Le-
derhaut gelegenen und mit sehr kleinen Kügelchen versehenen
vollkommen durchsichtigen Bildungsgewebeschicht. Bei dem Fötus
ist diese sehr zart, weniger fest und zähe, als im Erwachsenen
und, je jünger die Frucht, um so näher mit dem bildungsfähigen
Gewebe, selbst dem äuſseren Ansehen nach, verwandt. Vor der
Mitte des dritten Monates d. h. vor der individuellen Ausbildung
der Lederhaut scheint der malpighische Schleim bestimmt nicht
vorhanden zu seyn.


4. Die Oberhaut. — Sie entsteht als eine dünne, feine,
trennbare Lage, wahrscheinlich mit der Ausbildung der beiden
Centralröhren, soll jedoch nach Bèclard bei dem Menschen vor
der Mitte des zweiten Monates nicht erkennbar seyn. In der
achten Woche bildet sie eine durchsichtige, dünne, aber verhält-
niſsmäſsig sehr feste Lamelle, welche oft von selbst in gröſseren
Lappen abgeht, immer aber nach Entfernung der darunter liegen-
den, relativ weicheren Theile in einiger Continuität erhalten wer-
den kann. Je früher der Embryo, desto inniger hängt sie im
normalen Zustande mit der Lederhaut zusammen. Mit der Bil-
dung des malpighischen Schleimes aber wird sie von dieser
leichter trennbar, ja oft so leicht, daſs es unmöglich wird, feine
Durchschnitte der Epidermis und der Lederhaut zu machen, weil
durch den bloſsen Druck eines selbst sehr scharfen Messers die
erstere von der letzteren getrennt wird. Sie bildet im Fötus,
je jünger dieser ist, eine mehr granulirte Lage und geht erst in
den letzten Monaten in den Zustand über, welchen wir bei Neuge-
borenen wahrnehmen, der aber von dem des Erwachsenen sowohl
in Rücksicht der Festigkeit, als der Structur abweicht. — Ihre
gröſsere Dicke in der Fuſssohle und Hohlhand findet sich, wie
18
[274]Von dem Embryo.
Albinus schon wuſste, selbst im Fötus und zwar von dem fünften bis
sechsten Monate an, ist also nicht bloſse Folge des mechanischen
Druckes an diesen Theilen. Nach v. Bärs Angabe häutet sich
der Embryo (s. Frorieps Notizen 1831. August. S. 149.) mehrere
Male, wobei die wahre Epidermis jedoch nur ein Mal abgeworfen
wird. Er nimmt folgenden [dreifachen][Häutungsprozeſs] an: 1. die
Häutung der Dotterhaut, 2. die der serösen Hülle und 3. die der
Oberhaut selbst. Breschet (sur l’oeuf humain in Bd. II. der
Mem. de l’acad. roy. de medicine. p. 96. und in den Anmer-
kungen zur Uebersetzung des Bärschen Aufsatzes in den Ann.
des sc. nat. Janv
. 1833. p. 10. 11.) behauptet, daſs die Häutung
des Embryo überhaupt nur das Amnion (wahrscheinlich die se-
röse Hülle) treffe. Die von v. Bär an Säugethierembryonen, vor-
züglich Schweinen, gemachten Erfahrungen können wir auch aus
dem Menschen bestätigen.


Die Hautdrüsen bilden sich nach meinen Beobachtungen
auf eine den Haaren gerade entgegengesetzte Weise, d. h. von
auſsen nach innen, während diese von innen nach auſsen hervor-
keimen. Sie entstehen in der Mitte oder gegen Ende des vier-
ten Monates wahrscheinlich zuerst als runde Gruben, welche an-
fangs eine völlig conische Höhlung zu haben scheinen. Sie sind
dann viel häufiger, als die rudimentären Haarkeime der lanugo,
jedoch nicht minder spiralig geordnet, und finden sich an jeder
Stelle des Körpers. Nur an der Handfläche und Fuſssohle schei-
nen sie in geringerer Zahl vorhanden zu seyn. Ob die Säckchen
an denen ich übrigens keinen Unterschied von den übrigen wahr-
nehmen konnte, hier zugleich die Anfänge der Spiralfäden sind, wage
ich nicht zu entscheiden. Am Rücken fand ich den Durchmesser der
Oberfläche jener Grübchen 0,000814 P. Z. Sie wachsen nun ziem-
lich rasch in die Tiefe, erweitern sich meistens etwas nach un-
ten und verästeln sich oft, wie sie bei Erwachsenen in der Ge-
gend der Nymphen oft vorkommen (vgl. A. Wendt de epider-
mide humana
. 1833. 4. fig. 6), doch nie mit so zahlreichen Ra-
mificationen. Im achten Monate fand ich ihren mittleren Breiten-
durchmesser an der Basis 0,001623 P. Z., an der Spitze 0,001165
P. Z. und ihre Länge von 0,007296 P. Z. bis 0,012167 P. Z.,
während E. H. Weber (Meck. Arch. 1827. S. 206.) bei dem Neu-
geborenen den Querdurchmesser 0,005000 P. Z. und die Länge
[275]Aeuſseres Hautsystem.
der ganzen Drüse 0,031666 P. Z. berechnet. Doch scheinen mir
diese Angaben etwas zu groſs zu seyn.


Die erste Entwickelung der Haare ist schwierig, ja nur bei
stärkerer Vergröſserung und heller Beleuchtung, vorzüglich von
oben, wahrzunehmen und daher von den Beobachtern bei dem
Menschen nicht ganz richtig angegeben worden. Selbst der neueste
Schriftsteller hierüber, Eble (die Lehre von den Haaren. Wien.
1831. 8. Bd. 2. S. 70.) setzt ihre Entstehung viel zu spät in das
Ende des fünften Monates. Bichat (Anatomie generale Tom.
IV
. Paris 1812. 8. p. 821.) parallelisirt der Zeit nach ihren Ur-
sprung mit der Faserbildung in der Lederhaut, was jedoch in Be-
zug auf unsere oben angeführten mieroscopischen Untersuchungen
wohl etwas zu früh ist. Das Resultat einer Reihe hierüber an-
gestellter Beobachtungen ist kürzlich folgendes. Gegen das Ende
des dritten oder den Anfang und die Mitte des vierten Monates
erscheinen unter der Oberhaut runde, schwarze Flecken, welche
ziemlich regelmäſsig begrenzt, in beinahe gleichen Entfernungen
und nach geometrischen Linien geordnet sind. In der letzten
Hälfte des fünften Monates haben diese früher kugeligen Massen
sich vergröſsert, zu pyramidalischen oder conischen Formen sich
umgeändert und an Intensität ihrer Farbe eher etwas gewonnen,
als verloren. Sie liegen noch durchaus unter der Epidermis und
zwar, wie es scheint, etwas schief von unten nach oben gerich-
tet. Den mittleren Durchmesser ihrer Basis fand ich 0,001582
P. Z., den ihrer Spitze 0,000507 P. Z. Zerdrückt man sie zwi-
schen zwei Glasplatten, so weichen die Pigmenttheile aus einan-
der, in der Regel in zwei Bogenlinien und man sieht in der
Mitte einen Schaft von ungefähr 0,000406 P. Z. im Durchmesser.
Der Letztere ist nur selten von Pigment völlig frei, sondern die-
ses haftet gewöhnlich noch an seinem oberen oder unteren Ende.
Interessant war es mir, daſs ich um diese Zeit an allen von mir
untersuchten Theilen des Körpers, am Hinterhaupte, dem Rücken,
der Brust, dem Bauche, dem Oberarme und dem Oberschenkel durch-
aus ein und dasselbe Entwickelungsstadium der Haare vorfand.
Diese Beobachtung steht offenbar mit der längst bekannten Er-
fahrung in Verbindung, daſs die ersten Haare, die sogenannte la-
nugo
(Wollhaare) an allen Theilen des Körpers in früher Zeit
gleichmäſsig entwickelt seyen. Diese bricht nun am Ende des
fünften Monates hervor, ist zart, weich und in der Regel von
18*
[276]Von dem Embryo.
weiſsgelblicher Farbe (Eble l. c. S. 70.) und wird zum Theil
während der folgenden Monate von selbst wieder abgeworfen.
Sie gelangt daher in das Fruchtwasser, wird mit diesem theilweise
von dem Fötus verschluckt und daher nicht selten noch nach
der Geburt mit dem Meconium ausgeleert. Der Theil dagegen,
welcher mit auf die Welt kommt, wird bald darauf ebenfalls ab-
geworfen. Wahrscheinlich steht dieses Abwerfen mit dem Häu-
tungsprocesse in inniger Verbindung. — Heusinger (Meck. Arch.
VII. S. 410.) läſst die Haare aus Pigmentkügelchen entstehen.
So sehr das von mir an dem menschlichen Embryo bemerkte
Erscheinen der schwarzen Flecke an der Stelle der künftigen
Haare hierfür zu sprechen scheint, so muſs ich doch offen be-
kennen, daſs ich einiges Miſstrauen gegen den Heusingerschen
Satz hege. Denn 1) gelang es mir zweimal bei dem Zerdrücken
dieser schwarzen runden Flecke eine längliche darin enthaltene,
scheinbar solidere und farblose Masse zu sehen, welche als Art
von Haarzwiebel oder Haarbalg anzusprechen wäre. 2) In späte-
rer Zeit zeigt sich neben dem kurzen Schafte und innerhalb der
Grenzen des zerdrückten Balges eine ähnliche ovale und vollkommen
durchsichtige Masse und 3) spricht die Analogie der Choroidea des
Auges dagegen, in welcher sich die Pigmentkügelchen um die früher
vorhandenen Pigmentkörperchen herumlagern. Sollte daher nicht
auch hier zuerst die innere durchsichtige Kugel, dann das Pig-
ment und zuletzt der Schaft entstehen? — Noch zu Anfange des
fünften Monates sind die Haare in geringerer Menge vorhanden,
als die in regelmäſsigen Spiralen gestellten Hautdrüsen. Nur an ei-
nigen wenigen Schneidepunkten der nach entgegengesetzten Seiten
gerichteten Wendel der Haarlinie und der Hautdrüsenlinie erschei-
nen Rudimente von Haaren. Später vermehrt sich die Zahl der
letzteren und in jedem Punkte der beiden sich schneidenden Spi-
rallinien entsteht ein Haar. Daher fallen vom Ende des achten
Monates an, wie von Albinus bis auf E. H. Weber fast alle Beob-
achter gefunden haben, Hautdrüse und Haar in einen Punkt zu-
sammen.


Die Spiralfäden, welche von Breschet und Purkinje gleich-
zeitig entdeckt worden sind und von dem Letzteren binnen Kur-
zem werden ausführlicher beschrieben werden, sind im Neugebore-
nen schon sehr dünn und werden es noch mehr, je jünger der Fötus
ist. So fand ich die Breite ihres Durchmessers, da, wo sie die
[277]Aeuſseres Hautsystem.
Windungen machen, beim Erwachsenen 0,000714 P. Z. bei dem
Neugeborenen dagegen 0,000304 P. Z. — Offenbar sind sie schon
viel früher gebildet und nur die Unmöglichkeit, feine Hautschnitte
zu machen, bei denen die Epidermis nicht von der Lederhaut ab-
geht, hindert, sie zu verfolgen. Denn wenn sie mit den elasti-
schen Fäden, welche bei dem Abziehen der Epidermis sich zeigen,
identisch sind, so müssen sie schon vom Anfange des fünften Mo-
nates an spätestens vorhanden seyn. Doch konnte ich sie nach un-
säglichen miſsglückten Versuchen bis jetzt nur zweimal in siebenmo-
natlichen Früchten auf erhärteten Perpendiculärschnitten beobachten.


Die Nägel entstehen, wie schon Albinus (Acad. adnott. lib.
2. p. 59.) wuſste, aus der Hautschicht und sind keineswegs mit
dem dritten Phalanx in der innigen Beziehung, in die sie Ritgen
(Probefragment etc. S. 257.) in neuester Zeit gebracht hat. Sie
folgen im dritten, vierten und bisweilen noch im fünften Monate
der Haut und so kann man leicht das ganze Glied unverletzt von
dem Phalanx selbst mit Ausnahme der Sehne abziehen. In ih-
rem Gewebe läſst sich dann auch durchaus keine Abweichung
von dem der Haut selbst wahrnehmen. Die Angabe der Meisten,
daſs die Nägel zuerst im fünften Monate entstehen, muſs dahin
abgeändert werden, daſs sie um diese Zeit mehr Festigkeit, ihre
eigenthümliche Structur, überhaupt mehr äuſsere Differenzen von
der Oberhaut erhalten. Der freie Rand derselben, welcher sich
bei Neugeborenen schon vorfindet, geht nach E. H. Weber (Hil-
debr. Anat. I. S. 195.) nach der Geburt oft von selbst ab.


Nachdem aus dem serösen Blatte alle die genannten Organe
und Organtheile entstanden sind, bleibt noch eine peripherische
Parthie desselben übrig, welche zu Fötushüllen verwandt wird.
Es ist also auf diese Weise das seröse Blatt in einen centralen
Fötal- und einen peripherischen Hüllentheil geschieden. Allein zu
der Zeit, wo diese Differenz vollkommen ausgesprochen ist und
selbst während sie gebildet wird, liegen die Spinalplatten des Fötus
nicht mehr in einer Ebene, sondern haben (als Visceralplatten)
ihre Biegung zur Bildung des unteren Centralrohres begonnen,
so daſs mit ihrer Scheidung zugleich ein Unterschied in der Di-
mension der Tiefe gegeben ist. Man sagt daher der Embryo
senke sich ein und der peripherische Theil des serösen Blattes
schlage sich um ihn von allen Seiten herum. Dieser Proceſs geht
zuerst am Kopfe, dann am Schwanze und gleichmäſsig an den
[278]Von dem Embryo.
beiden Seitenwänden vor sich, so daſs zuerst eine Einhüllung für
den Kopf, die sogenannte Kopfkappe, und dann eine gleiche für
den Hintertheil des Körpers, die Schwanzkappe, sich bildet.
Alle Ränder, der vordere, hintere und die seitlichen, stoſsen end-
lich oberhalb des Embryo (seiner Rückenfläche) in der Rücken-
nath zusammen und verwachsen mit einander. (S. die Schemen
bei v. Bär üb. Entw.gesch. tab. 1. fig. 5. tab. 2. fig. 6—8. und bei
Burdach Physiol. II. tab. 2. fig. 4. 5. tab. 3. fig. 6—8.) Hier-
durch entstehen zwei Hüllen 1. das Amnion und 2. das falsche
Amnion oder die seröse Hülle innerhalb des ersteren. Da beide
mit den Spinalplatten in unmittelbarer Continuität stehen, diese
aber später am Nabel nur noch geöffnet sind, so verbinden sich
dann nur an dieser Stelle diese von der Frucht ausgehenden
Hüllen mit dem Embryo, wie alle neueren Beobachter am Vogel
und die Meisten auch an Säugethieren und dem Menschen gefun-
den haben. Ueber die abweichenden Ansichten von Pockels und
Velpeau, so wie über das Amnion selbst siehe den Abschnitt
von dem Eie. Die seröse Hülle, welche C. F. Wolff schon ge-
sehen und mit dem Namen des falschen Amnion bezeichnet hatte,
Pander und v. Bär aber genauer verfolgt haben, wird durch die
sich später dazwischen legende Allantois von dem Amnion ent-
fernt und rückt daher dem Embryo näher. In der Folge geht
sie wie die Dotterhaut verloren und es wird auf diese Weise
nach v. Bär (Frorieps Notizen. 1831. S. 149.) die zweite Häu-
tung des Embryo vollendet. Daſs dieser Proceſs in den Säuge-
thieren eben so wie in den Vögeln, sich ereigne, wird derselbe
Naturforscher in seinem hoffentlich bald erscheinenden zweiten
Theile der Entwickelungsgeschichte ausführlich zeigen.


II. Gefäſsblatt.


Wir haben schon oben berichtet, daſs die erste Entstehung
des Gefäſsblattes bei dem Hühnchen in die 16. bis 20. Stunde
der Bebrütung nach v. Bär (l. c. S. 11. bei Burdach S. 242.)
fällt und dasselbe dadurch sich bildet, daſs nach auſsen von dem
Fruchthofe zwei Bogenlinien sich zeigen, welche den übrigen
Theil der Keimhaut in einen äuſseren und inneren Ring sondern.
Der erstere besteht aus einer Masse lose an einander hängender
Kügelchen, welche mit dem serösen Blatte inniger verbunden zu
seyn scheinen, als mit dem Schleimblatte, da sie bei der Tren-
[279]Gefäſsblatt.
nung beider von einander an der inneren Fläche des serösen
Blattes sitzen bleiben. Dieses Blatt wurde von Döllinger und
Pander das Gefäſsblatt oder die Gefäſshaut genannt, weil aus ihm
Herz und Gefäſse sich bilden. Es ist wohl ohne Zweifel primär als
ein eigenes Blatt anzusehen. Wie es aber ein allgemeiner Charakter
der Blutgefäſse überhaupt ist, sich an die Organsubstanz innig
anzulegen und in sie hineinzubilden, so haftet auch von Anfang
an das Gefäſsblatt fest an dem serösen Blatte und verbindet sich,
wie wir bald sehen werden, an manchen Stellen zugleich innig mit
dem Schleimblatte. Wie aber schon nach Hallers Ausspruche Gefäſse
ohne eine verbindende Membran nicht existiren können, so müs-
sen wir, der Analogie nach, zu der Zeit, wo noch keine völlig
gesonderten Organe existiren, in welche die Gefäſse sich hinein-
bilden könnten, die Anwesenheit einer sie verbindenden Membran
schon von theoretischer Seite aus durchaus vertheidigen. Doch
zeigen sich hier bald manche merkwürdige Modificationen, die
wir in der Folge noch zu entwickeln Gelegenheit haben werden. —
Nach Panders Entdeckung (Beitr. S. 13., bei Bär l. c. S. 31. und
bei [Burdach] S. 260.) geht das Gefäſsblatt, noch ehe wahre Blut-,
Gefäſs- und Herzbildung beginnt, in eine eigene Metamorphose
ein oder stellt sich vielmehr erst in seiner Vollständigkeit sicht-
lich dar. Es bildet sich nämlich vor der 20. Stunde der Brütung
an seiner äuſsersten Begrenzung ein dunkeler Kreis und in ihm
selbst dunkele Inselchen, welche aus kleinen, gleichförmigen, der
Unterfläche des serösen Blattes anklebenden Kügelchen zusammen-
gesetzt sind. Die Inselchen vergröſsern sich, stoſsen an einander,
so daſs nun ein körnigtes Continuum sich darstellt, welches sich
bald zur ersten Formation des Blutes und der Blutgefäſse an-
schickt. Diesen letzteren Act haben die Wenigsten wahrhaft
beobachtet, sondern meistens nach einzelnen gesehenen Momenten
combinirt und willkührlich zusammengestellt. Daher ist hier
eine Verwirrung, wie in wenig anderen Theilen der Entwicke-
lungsgeschichte und diese wird oft noch dadurch vergröſsert,
daſs sehr häufig der Nachfolger seinen Vorgänger nicht recht
verstanden und deſshalb falsch ausgelegt hat. Wir lassen deſshalb
zuerst eine chronologische Uebersicht der aus Beobachtungen ge-
schöpften Ansichten vorangehen, ehe wir den Hergang der Blut-
bildung nach unseren eigenen Wahrnehmungen beschreiben.


1. C. Fr. Wolff hat die früheste, auf vorurtheilsfreie Beob-
[280]Von dem Embryo.
achtung gegründete Darstellung der Genese des Blutes geliefert
und, so weit es die verhältniſsmäſsige Unvollkommenheit seiner
Instrumente zulieſs, die Meisten seiner Nachfolger an Genauigkeit
und Wahrheit übertroffen. Er hat zwar seine Ansicht in späte-
rer Zeit in manchen einzelnen Punkten berichtigt, sie aber im
Ganzen bei seinen so vielfach wiederholten Untersuchungen den
Hauptmomenten nach nur immer bestätigt gesehen. Seine erste
Darstellung findet sich in seiner Inauguraldissertation: theoria
generationis, def
. d. 28. Novembr. 1759. 4. p. 76. 77. und ent-
hält folgende Momente: die Substanz der Keimhaut (das Gefäſs-
blatt), welche früher in ihrem äuſseren Theile (auſserhalb des
Fruchthofes) gleichmäſsig körnig war (§. 177.), wird durch eine
Flüssigkeit aus einander gerissen. Es bilden sich hierdurch mehr
oder minder getrennte oder zusammenhängende Inseln, zwischen
denen eine feinere Substanz hindurchgeht, so daſs hieraus unre-
gelmäſsige Kreisformen entstehen. Die weiſse feinere Flüssigkeit
trennt nun endlich die noch zusammenhängenden Inseln von ein-
ander und in immer kleinere Theile, welche hierdurch ohne alle
sichtbare Ordnung zerstreut zu seyn scheinen, gelangt so in das
Herz und reizt dasselbe zur Zusammenziehung. Späterhin (Theo-
rie von der Generation. Berlin 1764. 8. S. 263.) fügte er noch
hinzu, daſs, sobald die Rinnen mit einander communiciren, drei-
eckige Zwischenräume zwischen den Inseln entstehen, welche
durch diese Rinnen sich mit einander verbinden. Auch halte er
zuerst das Glück, die Natur einmal bei einer ihrer interessante-
sten Hergänge zu belauschen (Vgl. ebds. S. 266. 267. und theo-
ria generat. ed. alt. Hal
. 1774. 8. p. 103. 104.). Er sah näm-
lich an einem Eie von neunundzwanzig Stunden, welches eine
Area, wie man sie nach vierundsechszig Stunden findet, hatte,
die ersten Anfänge der Bewegung des Herzens. Dieses zog sich nicht,
wie es in der Folgezeit gewöhnlich ist, so zusammen, daſs durch
die Systole alles Blut entleert und das Herz selbst daher weiſs
und durchsichtig wird, sondern drückte nur leise auf die in ihm
enthaltene Flüssigkeit, so daſs dieselbe nur etwas geschüttelt,
nicht wahrhaft fortgestoſsen wurde. Wolff selbst (Theorie v. d.
Generat. S. 267.) vergleicht daher die Bewegung mit dem pul-
sus rarus
und tardus und die Zusammenziehung mit dem mo-
tus peristalticus
des Magens. — In seiner letzten Schrift (von
der eigenthümlichen und wesentlichen Kraft als Anhang zu Blu-
[281]Entstehung des Blutes und der Blutgefäſse.
menbachs und Borns Preisschriften über die Nutritionskraft. Pe-
tersb. 1789. 4. S. 13. 14.) endlich setzte er die Entstehung des
Blutes am vollständigsten aus einander. Die ersten Spuren der
Gefäſse erscheinen als verschieden gestaltete Zwischenräume, zu-
erst am äuſsersten Umfange des Aderkreises, während um den
Embryo herum Nichts von ihnen wahrzunehmen ist. Sie hängen
zum gröſsten Theile unter einander, nicht aber mit dem Embryo
zusammen. Bald entstehen ähnliche Zwischenräume auch in der
Nähe des Embryo und mit ihnen die Anlage der Hauptgefäſs-
stämme. Nun flieſsen alle Zwischenräume in einander, so daſs
eine netzförmige Figur sich bildet und die entfernten vereinigen
sich mit den dem Embryo näheren. So entsteht die vollstän-
digste Verästelung und ein gemeinschaftlicher Zusammenhang aller
Gefäſse, während von jetzt erst die Bewegungsrichtung der Flüssig-
keit eine wahrhaft bestimmte ist. Die ersten Gefäſse sind so
Gruben oder Rinnen, welche anfangs einen ungleichen Durchmes-
ser haben, der späterhin mehr gleichmäſsig wird, während die
früher bloſs körnigten Seitenwände dichter und fester werden,
eine wahre hautartige Structur annehmen und so von ihrer pri-
mären Form gar sehr abweichen. (Vgl. theoria generat. ed. I.
p
. 84. ed II. p. 116., Theorie v. d. G. S. 165. und von der we-
sentl. Kraft S. 15.).


2. Haller, verblendet durch seine Evolutionstheorie, trat ge-
gen Wolffs Inauguralabhandlung auf (Götting. Gel. Anz. 1760.
St. 143., Wolffs Theorie v. d. G. S. 138., 139., theoria generat.
ed. alt. p. XLI. XLII
.) und sprach selbst dann noch wider ihn (Elem.
physiol. VIII
. p. 115—117. und addend. p. 217—219.), als er
die Haupterscheinungen bei wiederholten Untersuchungen gesehen
hatte. Mit tiefer Gründlichkeit hat aber Wolff selbst an vielen
Stellen seiner Schriften diese Theorie, so wie die der Evolution
überhaupt widerlegt und gezeigt, daſs Herz und Gefäſse eben
nicht schon vorgebildet seyen, sondern im Laufe der Entwicke-
lung erst entstünden.


3. Nach Pander (Beitr. S. 14.) löst sich um die dreiſsigste
Stunde das Gefäſsblatt in ein netzartiges Gewebe auf, indem zwi-
schen den Kügelchen durchsichtige, maschenartig sich verbindende
Risse entstehen. Die hierdurch getrennten Kügelchen sammeln
sich bald wieder zu Inseln, die zuerst gelblich, hernach roth wer-
den, während der um die Inseln herumlaufende Kreis sich wie-
[282]Von dem Embryo.
derherstellt, mit den benachbarten Inseln verflieſst und, wie die
Inseln selbst, ebenfalls sich röthet. Die Inseln verschmälern und
verlängern sich, greifen mit ihren Enden in einander und bilden
ein röthliches Netz mit durchsichtigen Zwischenräumen. Auf
diese Weise entstehen ramificirte Ströme rother Kügelchen. Der
Zwischenraum zwischen ihnen füllt sich mit einer Haut und,
während auch die Gefäſswände häutig werden, entsteht eine
wahre Gefäſshaut. — Man sieht also aus dieser gröſstentheils mit
Panders eigenen Worten wiedererzählten Blutgenese, daſs er Un-
recht hat, wenn er seine Ansicht über Entstehung des Blutes mit
der von Wolff identificirt. Nach ihm werden die Inseln zu Blut-
strömchen, während nach Wolff die Flüssigkeit der Zwischen-
räume zu Blut verwandelt wird, wie auſser vielen anderen Stel-
len seiner Abhandlungen vorzüglich aus folgenden Worten deut-
lich erhellt: „Inter felicissima,“ heiſst es (theoria generat.
ed. II. p
. 103.), „refero hoc experimentum, quod fig. 7. 8.
tibi offero, L. B., quum in eo ipso momento naturam depre-
hendisse puto, ubi summum negotium absolvendo occupata
erat, repens nempe per interstitia insularum fluidum in cur-
rentem per vasa sanguinem mutando
.“


4. Döllinger, welcher seine Ansicht über erste Entstehung
des Blutes bei dem Hühnchen in Panders Schriften niedergelegt,
hatte bald darauf Gelegenheit, dieselben in jungen Fischembryo-
nen zu beoachten und glaubte hierüber Folgendes (Münch. Akad.
schr. für 1818—20. VII. 4. p. 189. fgg.) hinzufügen zu müssen:
1. Ein Blutkörperchen geht bisweilen aus seinem Strome heraus
und kehrt entweder in einem Bogen zu ihm zurück (bildet also
ein einfaches Arterien- oder Venennetz) oder verflieſst mit dem
Thierschleime und verschwindet oder bahnt sich einen besonde-
ren Weg in demselben, erreicht einen benachbarten, anderen Strom
und bildet so ein Zwischenströmchen. 2. Die Schleimkörner
des Thierstoffes gerathen in der Nähe eines Stromes in Bewe-
gung, werden so zu beweglichen Säulchen und, indem sie in Strö-
mung kommen und ihre Körnchen eine ovale Form erhalten, zu
kleinsten Gefäſsen.


5. Pfeil (de evolutione pulli in ovo incubato. Berol.
1823. 8. p. 21.) nähert sich zum Theil der Wolffschen Dar-
stellung. Er sah nämlich zuerst kleine, weiſse und gelbliche
Punkte ohne alle Ordnung verbreitet, so daſs es das Anse-
[283]Entstehung des Blutes und der Blutgefäſse.
hen hatte, als seyen weiſse Fleckchen über eine gelbe Ober-
fläche zerstreut. Die weiſsen Stellen vergröſserten sich und die
gelben wurden enger, mehr linien- oder streifenähnlich, so daſs
das Ganze ein netzförmiges Ansehen erhielt. Die Streifen waren
an der Peripherie am Schmalsten, an dem Fruchthofe stärker und
durchsichtiger, wo sie eine klare gelbliche Flüssigkeit enthielten.
Alle sammelten sich jederseits zu einem Aste, während sie vorher
fast alle eine gleiche Stärke hatten und daher Stamm von Aesten
nicht unterschieden werden konnte. Um dieselbe Zeit sah er in
dem Embryo ein erweitertes Gefäſs sich zusammenziehen und
ausdehnen, wiewohl noch keine Spur rothen Blutes zu sehen
war. Die Farbe der Flüssigkeit wurde nun dunkeler und die Be-
wegung lebhafter. In der Vena terminalis, und zwar häufig
an der Kopfstelle derselben zuerst, erschienen rothe Tröpfchen.
Diese vermehrten sich, bis sowohl die Terminal-, als die Kopfvene
rothes Blut enthielten. Auch der hintere Theil des Gefäſsblattes
erhielt rothe Tröpfchen, und so färbte sich die dem Schwanze nä-
her liegende Vene ebenfalls. Um dieselbe Zeit oder kurz vorher
färbten sich auch die Seitengefäſse. Doch war die Reihe der sich
färbenden Theile nicht immer constant.


6. Nach Prevost und Dumas (Frorieps Notiz. Novemb. 1824. S.
175. S. 322.) verdickt sich in der dreiſsigsten bis zweiunddrei-
ſsigsten Stunde die Membrana vascularis an gewissen Stellen,
die anfangs schön gelb sind. Ihre Farbe wird bald orangengelb,
dann blaſsroth und man kann endlich wegen des nun bestimmten
Aussehens der Blutkügelchen die Circulation vollständig beobachten.


7. V. Bär (l. c. S. 31. 32. bei Burdach S. 260. 61.) sah in
dem Gefäſsblatte am ersten Tage Bläschen entstehen, die von dem
Bildungsgewebe zusammengehalten wurden. Später zeigten sich
dunkele Körner und zwischen ihnen Risse, welche dieselben ma-
schenförmig umgaben. In den Rinnen entstand eine Strömung,
jedoch nur in dem durchsichtigen Fruchthofe. In dem Gefäſshofe
sammelte sich eine Flüssigkeit in groſser Masse an, die sich bald
röthete und Blutstropfen zu erkennen gab. Das im Fruchthofe
Flieſsende war dagegen ungefärbt und ohne rothe Blutstropfen. Zu-
erst schien ihm Bewegung im Herzen einzutreten, später dagegen
in den Rinnen des Fruchthofes, während zuletzt das rothe Blut
des Gefäſshofes hinzuströmte.


8. Nach Burdach (Physiol. II. S. 506. fgg.) tritt das Gefäſs-
[284]Von dem Embryo.
system zuerst an beiden entgegengesetzten Punkten zugleich auf:
1. an seiner äuſsersten Peripherie, in dem vergänglichen Hüllentheile,
und 2. im Centrum des Embryo, im Herzen. Wahrscheinlich wer-
den Blut- und Gefäſswandung gleichzeitig angelegt. Die isolirten
Gefäſswände entstehen jedoch später, als das Blut. Wahrscheinlich
schafft das Blut selbst sich seine eigene Bahn. Die Gefäſse bilden
sich nun entweder aus den erhärtenden Wänden dieser Bahn oder
dadurch, daſs die in den früheren Rinnen enthaltene Flüssigkeit
sich in ein äuſseres festeres (Gefäſswand) und ein inneres flüssi-
geres Gebilde (Blut) scheidet.


9. Baumgärtners Ansicht (Beobachtungen über Nerven und
Blut. 1830. 8. S. 79. fgg.) dürfte kaum in jeder Rücksicht, wie
es aus dem Folgenden sich ergeben wird, die wahre zu nennen
seyn und beruht auf Voraussetzungen, welche, indem sie beste-
hende Begriffe nicht anerkennen, nur Verwirrung zu erzeugen im
Stande sind. Die Schicht der Dotterkügelchen (richtiger Keim-
hautkügelchen) gewinnt mehr an Festigkeit, so daſs das seröse Blatt
vom Schleimblatte sich leichter trennt. Die den Dotter umschlie-
ſsende Haut (Schleimblatt?) besteht aus rundlichen Kugeln, die
entweder einfach oder aus kleineren Kügelchen (Dotterkügelchen!)
zusammengesetzt sind. Ein Theil derselben verwandelt sich in
die Organenmasse (S. 80.), indem die Dotterkügelchen in die
Substanz des Organes sich auflösen und diese dabei durchsichti-
ger wird. Ein anderer Theil wird zu Blutkörperchen. Diese
ordnen sich entweder linear oder bogenförmig, trennen sich im-
mer mehr los, werden frei und bewegen sich. So entstehen Rin-
nen und auf diese Weise die Blutgefäſse. In dem Hühnchen er-
langen die Blutkörperchen schon einen hohen Grad von Ausbil-
dung, bevor die Strömchen vereinigt sind und das Blut wird da-
her früher gebildet, als seine Gefäſse. Die letzteren entstehen
aber nicht durch Anlagerung der Blutkügelchen, sondern sind
Nichts, als Rinnen in der angrenzenden sensiblen Organmasse (S.
81.). Die Richtung der Blutströme wird durch das Gehirn, das
Rückenmark und die Nerven bestimmt, gegen welche Tendenz
überhaupt, Alles den Nerven zuzuschreiben, schon Burdach (Phy-
siol. IV. S. 461. 62.) mit Nachdruck aufgetreten ist.


10. E. H. Weber (Hildebr. Anat. IV. S. 477.) vermuthet,
daſs die gröſseren Gefäſsstämme sich anders, als ihre Zweige bil-
den und zwar als eine in sich selbst zurücklaufende Falte oder
[285]Entstehung des Blutes und der Blutgefäſse.
Rinne, die später einen geschlossenen Kanal darstellt und nach
der einen Seite hin die Hauptarterie, nach der andern die Haupt-
vene und in der Mitte das Herz darstellt. In diesem Gefäſsringe
bilde sich zuerst ein Kreislauf und das Gefäſssystem vergröſsere
sich dadurch, daſs Gefäſsbogen entstehen, welche entweder mit
Arterien und Venen oder mit zwei Stellen derselben Arterie und
Vene sich verbinden. Aus diesem Gefäſsbogen entstehen dann
neue u. s. f. Ein Unterschied zwischen Arterie und Vene lasse
sich in frühester Zeit nur an entgegengesetzten Strömungen wahr-
nehmen.


11. Nach Joh. Müller (Physiol. I. Abth. I. S. 143.) liegt
zwischen dem serösen und dem Schleimblatte eine Körnerschicht,
welche sich bald in körnigte, dichte Inseln und durchsichtige
Zwischenräume zertheilt, in denen sich eine zuerst gelbliche, dann
rothe Flüssigkeit, das zuerst in der Area vasculosa deutliche
Blut, ansammelt. Er glaubt (S. 358.), daſs die organische Sub-
stanz aufgelöstes Eiweiſs und Faserstoff anziehe und so in Rin-
nen und feste Zwischenräume sich theile, wodurch neue Gefäſse
entstehen. Die Behauptung dagegen, daſs die Gefäſsenden sich
in die neue Masse verlängern sollen, sey durchaus unrichtig, da
es keine Blutgefäſsenden, sondern Uebergänge zwischen arteriö-
sen und venösen Strömchen giebt.


Muſs nicht diese ungeheure Differenz der Ansichten uns leb-
haft an die von Nasse (Meckels Arch. II. S. 435.) und Burkhardt
(üb. das Blut und das Athmen. 1828. 8. S. 21.) schon gemachte
Vergleichung der Wandelbarkeit der Blutlehre mit dem Blute
selbst erinnern, welche Burdach (Physiol. IV. S. 13.) mit folgen-
den treffenden Worten ausdrückt? „Und in der That,“ sagt
dieser ausgezeichnete Naturforscher, „hat die Hämatologie ganz
den Charakter des Blutes selbst. Wie das Blut ein nie ruhender
Proteus ist und sich zu Allem und Jedem umzugestalten vermag,
so ist auch Nichts denkbar, was man nicht von ihm ausgesagt
hätte; hier ist keine Thatsache, die nicht geläugnet, keine Deu-
tung, die nicht durch eine andere bekämpft worden wäre; über
jeden Punkt wurden entgegengesetzte Erfahrungen und Ansichten
aufgestellt (S. 14.). Diese Erscheinungen, welche in der Litera-
tur anderer physiologischer Gegenstände keineswegs fehlen, aber
doch in der Lehre vom Blute am stärksten hervortreten, mögen
uns denn mahnen, mit Besonnenheit und Ruhe zu Werke zu ge-
[286]Von dem Embryo.
hen, das Blut rein objectiv zu betrachten, jede Thatsache und
keine Meinungsauctorität zu berücksichtigen
und Schritt
für Schritt zu einer allgemeinen Ansicht vorzudringen.“ — Die-
ses soll uns auch immer vorschweben, wenn wir die ersten Me-
tamorphosen des Gefäſssystemes darzustellen uns bemühen, und
wir waren seiner stets eingedenk, als wir die Entstehung des
Blutes in der Natur selbst aufzufinden und ihr nachzuspüren such-
ten. Denn je mehr wir die Untersuchung dieses Herganges ver-
folgten, desto mehr überzeugten wir uns, wie schwierig er zu
beobachten sey und sahen bald ein, daſs man hier nur mit den
besten Instrumenten ausgerüstet und nur durch groſse Vorsicht und
vielfache Wiederholung der Beobachtungen zu sicheren und wahren
Resultaten kommen kann. Die hohe Bedeutung des Gegenstandes
mag es entschuldigen, wenn wir hier die nothwendige Kürze weni-
ger beobachten. — Zuerst von der Methode der Untersuchung, wel-
che hier von der höchsten Wichtigkeit ist. Ich öffne die Eier, wel-
che den Augenblick vorher aus der Blutmaschine genommen sind,
unter Wasser, welches eine Temperatur von 32° R. hat und eine
mäſsige Menge Kochsalz aufgelöst enthält. Denn zu wenig thut
gar Nichts und zu viel schadet mehr, als bloſses Wasser. Das
Ei wird nun unter dieser Auflösung geöffnet, die Keimhaut auf
die gewohnte Weise gelöst und in einem Tuschglase unter Salz-
wasser, dem man immer heiſseres Wasser zusetzt, um die Tempe-
ratur gleichmäſsig 32° R. zu unterhalten, unter dem Microscope
betrachtet. Allein hier genügt es nicht, eine Vergröſserung an-
zuwenden, sondern man muſs von der schwächsten anfangen, um
den ganzen Gefäſshof oder einen groſsen Theil desselben zu über-
blicken und dann zu immer stärkeren Vergröſserungen übergehen,
bis man jedes einzelne Blutkörperchen, wenn solche schon exi-
stiren, genau sehen und messen zu können im Stande ist. Allein
eben so unerläſslich ist es, auſser den gewöhnlichen in die Tiefe
schauenden Ocularen auch Applanativoculare anzuwenden, um so
ein bestimmtes Urtheil über die oberste, mittlere, untere und un-
terste Schicht des Keimblattes zu erhalten und die Charaktere
jeder dieser Abtheilungen genau kennen zu lernen. Die Keim-
haut selbst darf weder verletzt, noch vor mehreren Stunden aus
dem Eie schon genommen seyn. Erst, nachdem ich auf diesem
beschwerlichen Wege meine Untersuchungen wiederholt und
bestätigt hatte, wagte ich ein bestimmtes Urtheil über Blutge-
[287]Entstehung des Blutes und der Blutgefäſse.
nese zu fällen. So lernte ich schon vor ihrer Umbildung die
drei Blätter der Keimhaut durch histiologische Charaktere von
einander unterscheiden, und dieses einzige Moment hellte mir
den ganzen Hergang bedeutend auf. Das seröse Gefäſs- und
Schleimblatt sind, wie Pander und Bär schon fanden, in späterer
Entwickelung oder in früherer Zeit durch Maceration leicht von
einander zu trennen, vorzüglich das seröse und Gefäſsblatt einer-
seits und das Schleimblatt anderseits. Jedes von ihnen ist eine
gesonderte Schicht, ein getrenntes Blatt einer vollkommen durch-
sichtigen glasartigen Gallerte und insofern sind alle drei durchaus
einander gleich. Allein durch ihre Körperchen, welche in der
durchsichtigen Masse enthalten sind, werden sie streng von ein-
ander geschieden und lassen sich bei einiger Uebung in den klein-
sten Stellen mit Bestimmtheit erkennen. Die im serösen Blatte
enthaltenen Kügelchen sind einzeln zerstreut, von zierlicher, be-
stimmt runder oder länglicher Form, durchsichtig und weiſs, von
0,000263 P. Z. bis 0,000354 P. Z. im Durchmesser. Ueber die
Histiologie des Gefäſsblattes kann man nur im durchsichtigen
Fruchthofe ein Urtheil fällen und dort erscheint es wie aus gro-
ſsen Kugeln von 0,001013 P. Z. im mittleren Durchmesser zu-
sammengesetzt, die in ihrem Innern vollkommen durchsichtig und
so eng zusammengedrängt sind, daſs sie an vielen Berührungs-
punkten sich abplatten und oft, wie Pflanzenzellgewebe, eine
sechseckige Form annehmen. Anders dagegen ist es in dem
Schleimblatte. Hier befinden sich die Kügelchen dichter gedrängt,
als in dem serösen Blatte, doch auch noch zerstreut von 0,000203
P. Z. im Durchmesser bis zu einer nicht mehr mit Sicherheit
meſsbaren Kleinheit. Zuerst muſs man auch sie im Fruchthofe
kennen lernen. Ist dieses aber geschehen, so erkennt man sie
leicht auch in dem Gefäſs- und Dotterhofe. Doch liegen sie in
den beiden letzteren nicht frei, sondern von einer Schicht wah-
rer Dotterkugeln bedeckt. Diese sind gelb, rund, vollkommen
durchsichtig, von meistens gleichem Durchmesser (was den übri-
gen Dotterkugeln wenig oder gar nicht eigen ist), der im Mittel
0,001216 P. Z. beträgt. Zwischen ihnen sind kleinere Kügel-
chen von derselben Gröſse, wie die des Schleimblattes, die sich
aber durch zwei Momente deutlich von einander unterscheiden. 1.
Diese Zwischenkügelchen der Dotterschicht sind circumscript rund
und nehmen, wenn sie kurze Zeit im Wasser gelegen, Brown-
[288]Von dem Embryo.
sche Molecularbewegung an. Die Kügelchen des Schleimblattes
sind mehr von länglicher und unbestimmter Form und haben nie
bei dem Leben des Embryo oder kurz nach seinem Tode Brown-
sche Bewegung, ein deutlicher Beweis, daſs sie nicht bloſs passiv
in dem Schleimblatte liegen, sondern innig und fest auf eine
wahrhaft organische Weise mit ihm verbunden sind. Erst nach
der Maceration, d. h. wenn die glasartige Masse aufgelöst ist, tritt
Molecularbewegung ein. 2. Die Zwischenkügelchen des Dotters
liegen zwischen den Dotterkugeln eingestreut, nie in oder über
denselben und sind in der Regel selbst von gelblicher Färbung.
Die Schleimblattkügelchen liegen häufig über den Dotterkugeln,
scheinen sogar auf den ersten Anblick in denselben zu liegen,
eine Täuschung, die nur dann schwindet, wenn man sich bei hin-
länglich starker Vergröſserung durch Objectivlinsen eines appla-
natischen Oculares bedient. Erst nach dieser Vorbereitung kön-
nen wir über die Metamorphosen des Gefäſsblattes ein bestimm-
tes Urtheil fällen. Wie es in dem Gefäſshofe beschaffen sey,
konnte ich trotz sehr vieler hierauf verwandter Mühe nicht er-
mitteln, sondern es ist dann erst erkennbar, wenn es die erste
Metamorphose eingegangen. Diese besteht nun darin, daſs sich
einzelne Ansammlungen bilden, die aus einer zähen, vollkommen
durchsichtigen und weiſsen Flüssigkeit bestehen. Indem nun so
das Gefäſsblatt in gewissen Punkten sich concentrirt und colli-
quescirt, wird seine Masse verdünnt und schwindet zum gröſsten
Theile an den Stellen, welche die Zwischenräume zwischen den
Ansammlungen ausmachen. Hierdurch schwindet der untere Theil
des Gefäſsblattes und es bilden sich Lücken, in welche das
Schleimblatt und die oberflächliche, cohärentere Dotterschicht sich
einlegen, wie Wülste, welche in die nun entstandenen Furchen
passen. Irrthümlicher Weise hat man die Aufwulstungen des
Schleimblattes und der oberflächlichen Dotterschicht für Inseln
des Gefäſsblattes angesehen, wiewohl sie dem Gefäſsblatte selbst
durchaus gänzlich fremd sind und nur die von ihm gelassenen
Lücken ausfüllen, während man das verflüssigte Gefäſsblatt als
Rinnen bezeichnete. Vielmehr ist diese Aufwulstung der Dotter-
schicht die wahre erste Bildung der Hallerschen vasa lutea.
Die Ansammlungen der flüssigen Masse werden gröſser, stoſsen
zusammen und bilden eine Art von netzförmiger Verbindung. In
der Area pellucida ist der Proceſs wesentlich derselbe. Nur
schei-
[289]Entstehung des Blutes und der Blutgefäſse.
scheinen hier die zwischen den einzelnen Ansammlungen befind-
lichen Lücken oben von dem serösen Blatte bedeckt, unten aber
von der Flüssigkeit, welche sich zwischen dem Keimblatte
und dem Dotter befindet, mittelbar dadurch ausgefüllt zu
werden, daſs das Schleimblatt dem serösen Blatte näher tritt.
Doch konnte ich nicht entscheiden, ob auch in diesen Zwi-
schenräumen, zwischen dem serösen und dem Schleimblatte,
eine Quantität einer hellen Flüssigkeit oder eine durch-
sichtige Membran sich befinde. Das Letztere ist mir das Wahr-
scheinlichste. — Die angesammelte, völlig durchsichtige Flüssig-
keit, also die metamorphosirten Theile des Gefäſsblattes selbst,
scheiden sich nach auſsen zu völlig durchsichtigen, wasserhellen
Massen, den künftigen Gefäſswänden, und nach innen in unbe-
stimmte kugligte oder längliche Körperchen, welche anfangs ganz
dicht an einander liegen, oft sogar noch ohne zu unterscheidende
Grenzen und Nuancen in einander übergehen und, so weit sich
eine Peripherie mit Sicherheit an ihnen wahrnehmen läſst, von
sehr verschiedener Gröſse sind. Ich sah ihren Durchmesser von
0,000304 P. Z. bis 0,000665 P. Z. variiren. Diese Körperchen
sondern sich nun zu bestimmten Kugeln von runder Form, die
0,000608 P. Z. im Durchmesser haben und röthen sich, während
die sie umgebende Masse immer flüssiger wird. Die durchsichtigen
Streifen, welche die Gefäſswandungen bezeichnen, werden in der
Folge immer schmäler — ein Verhältniſs, das wir weiter unten bei
der ersten Entstehung der Drüsen wiederkehren sehen werden. —
Ich muſs daher nach meinen vielfach wiederholten und geprüften Un-
tersuchungen durchaus jede Entstehung der Blutkörperchen durch
unmittelbare Metamorphose der Dotterkugeln gänzlich läugnen.
Es hat zwar späterhin, wenn im Terminalgefäſse schon rothes
Blut vorhanden ist, oft den Anschein, als ob einzelne Dotterku-
geln roth gefärbt seyen. Allein diese Täuschung rührt einzig und
allein von der darüber liegenden sehr kleinen Blutinsel her oder
ist nur die Folge der bei durchfallendem Lichte entstehenden
Brechung. Beleuchtet man daher bei schwarzem Grunde den Ge-
genstand von oben und gebraucht man als Ocular ein aplanati-
sches Glas, so sieht man bald seinen Irrthum ein Eine andere
Quelle der Täuschung kann hier, wie es auch bei Baumgärtner
geschehen, aus der Untersuchung von Embryonen der Amphibien
und Fische hervorgehen, wie wir bald auseinanderzusetzen Gele-
19
[290]Von dem Embryo.
genheit haben werden. Unterdeſs hat sich, wie in der Periphe-
rie die Gefäſse, so in der Mitte das Centralgefäſs, das Herz ge-
bildet. Es entstehet nämlich, wie ein groſses Gefäſs, als eine
längliche Ansammlung, welche bald erhaben ist und, wenn der
Embryo auf dem Rücken liegt, von dem Schleimblatte und des-
sen oben beschriebenen Körperchen bedeckt wird. Es ist läng-
lich rund, zuerst von fast gleichem Durchmesser und hat das untere
Ende des Gesichtes nach oben und das obere Ende der fovea
cardiaca
nach unten zur Begrenzung. Bald läuft es unten in
zwei seitliche Schenkel aus, welche ziemlich breit sind, eine
kurze Strecke in der Area pellucida nach auſsen, nach dem Ge-
fäſshofe hin gehen und dann wegen ihrer Durchsichtigkeit und
wahrscheinlich deſshalb, weil sie sich nicht nach der Dotterfläche
zu erheben und das Schleimblatt nebst seinen Körnchen nach
sich ziehen, dem Auge entschwinden. Bald jedoch bildet sich
nach der linken Seite hin ein rundlicher Ausbug, von dem ich
nicht unterscheiden konnte, ob er eine bloſse Wucherung der
äuſsersten Masse oder eine wahre Aussackung war. Um dieselbe
Zeit oder noch etwas früher tritt die erste Bewegung ein, eine
leise, wurmförmige Zusammenziehung der Wandung, ohne daſs
der Inhalt, wahrscheinlich eine helle Flüssigkeit, fortbewegt werde.
Sie schiebt sich nur leise hin und her. Bei der Systole (Con-
traktion) nähern sich die Wandungen, bleiben aber durch einen be-
deutenden Zwischenraum immer getrennt. — Ob die Bewegung
des Blutes vom Gefäſshofe oder dem Herzen ausgehe, wird sich
wahrscheinlich nie entscheiden lassen. Man sieht zwar bei den
ersten Contractionen des Herzens noch keine Spur von Bewegung
im Gefäſshofe. Allein dieser ist in seiner ganzen Continuität nie
durchsichtig genug, um über die erste Bewegung des Blutes, wie im
Fruchthofe, ein Urtheil fällen zu lassen. Wenn späterhin die Zusam-
menziehung des Herzens so stark wird, daſs sie wahrhaft propelli-
rend wirkt, so läſst sich keineswegs mit Bestimmtheit läugnen, daſs
nicht auch schon aus dem Gefäſshofe Strömung entgegenkomme
oder entgegengekommen sey. Auf diesem Felde kann also auch
keineswegs die Frage über das Eigenleben des Blutes entschieden
werden. Eine von mir gemachte Erfahrung scheint freilich dafür
zu zeigen. Doch theile ich sie mit Schüchternheit mit, weil
Täuschung hier nur zu leicht ohwalten kann. Hatte nämlich in
Embryonen, in welchen ich vorher die vollständigste Circulation
[291]Entstehung des Blutes und der Blutgefäſse.
beobachtete, wegen der gesunkenen Temperatur des Wassers der
Kreislauf völlig still gestanden, so daſs eine Minute und länger
keine Spur von Bewegung irgend einer Art, weder im Herzen
noch in den Gefäſsen wahrgenommen werden konnte, so gelang
es sehr häufig durch hinzugetröpfeltes, sehr warmes Wasser, vor-
züglich auf die Herzgegend, die Blutbewegung wieder herzustel-
len. Hatte ich nun Herz und Gefäſse der Area pellucida in dem
Gesichtsfelde und unverwandt meinen Blick auf beide gerichtet,
während ich einen Tropfen sehr warmen Wassers auf die Herz-
region fallen lieſs, so strömte zuerst, ohne daſs eine Zusammen-
ziehung des Herzens von mir vorher bemerkt wurde, das Blut
nach dem Herzen, dieses contrahirte sich, trieb das Blut wieder
rückwärts, und so wiederholte sich dieser Proceſs mehrere Male,
ohne daſs es zu einem Kreislaufe gekommen wäre. Setzte ich
mehr warmen Wassers zu, so stellte sich dieser in der Regel
wieder her. Doch will ich auf diese precäre Erfahrung in Bezug auf
die oben erwähnte, wichtige Frage wenig bauen. Denn wie
leicht konnte das Herz während der durch den Zusatz neuen
Wassers erregten Undulation der Flüssigkeit sich zusammengezo-
gen haben? Anderseits dagegen kann ich nicht verschweigen,
daſs bei Embryonen von Perca das Herz nach meinen Beobach-
tungen früher in Thätigkeit zu gerathen scheint, als die Blutge-
fäſse in dem Körper oder auf dem Dottersacke sich ausbreiten,
wie ich an einem anderen Orte auseinandersetzen werde. Doch
muſs uns die ungemeine Durchsichtigkeit der äuſserst zarten Fisch-
embryonen bei unserem Urtheile sehr vorsichtig machen, da die
zarten dickeren Blutströmchen selbst nur bei gedämpftem Lichte
beobachtet werden können. — Nachdem wir nun so die Genese des
Blutes und der Gefäſse überhaupt betrachtet haben, gehen wir
zu den einzelnen Theilen über und zwar


a. Zur Blutflüssigkeit. — Je jünger der Embryo ist, desto
gröſser ist ihre relative und desto geringer ihre absolute Quanti-
tät. Denn immer bilden sich im Laufe der Entwickelung neue
Gefäſse aus und mit ihnen neue Blutflüssigkeit. Diese enthält
aber in einer frühen Periode nur weniger Blutkörperchen, macht
also zu der Zeit den etwas gröſseren Theil des Blutes aus. Bald
jedoch tritt das umgekehrte Verhältniſs ein, daſs die Blutkörper-
chen die Hauptmasse des Blutes constituiren. Denn dann sowohl,
als in dem Erwachsenen sind zwar die Blutkörperchen nicht ohne
19*
[292]Von dem Embryo.
Blutflüssigkeit, wie man Döllinger (Was ist Absonderung? 1819.
8. S. 21.) oft mit Unrecht behaupten läſst, sondern, wie es offen-
bar dieser geistreiche Naturforscher gemeint hat (S. die Rechtfer-
tigung bei R. Wagner zur vergl. Physiol. des Blutes. 1833. 8.
S. 41.) mit einer sehr geringen Quantität derselben verbunden.
Dies zeigt schon der Umstand, daſs es mir sehr selten zu sehen
gelang, daſs ein Blutkörperchen im lebenden Individuum das an-
dere drückte und in seiner Form umänderte, sondern, daſs sie
zum gröſsten Theile frei schwammen und sich häufig ohne alles
Hinderniſs und ohne allen sichtbaren Stützpunkt um ihre eigene
Axe drehten.


Das Blut ist anfangs vollkommen hell und durchsichtig, wird
späterhin gelblich und nimmt zuletzt eine rothe Farbe an. Das
des menschlichen Fötus hat nach Haller (Elem. physiol. II. 1760.
4. p. 13.) eine weniger schöne, rothe und mehr dunkele, braune,
Färbung, als in dem Erwachsenen. Haller, Hunter, Autenrieth,
Osiander, Magendie (s. Joh. Müller in Nasse’s Zeitschr. für An-
thropol. 1824. 8. S. 443.), Lauten (de respiratione foetus.
Bonn. 1832. 8.) und E. H. Weber (Hildebr. Anat. IV. S. 524.)
fanden bei dem Fötus gar keinen Unterschied zwischen venösem
und arteriellen Blute, während Hoboken, Swammerdamm, Diest,
Girtanner, Beaudelocque u. A. einen solchen wahrgenommen ha-
ben wollen. Bichat (Anatomie generale II. 1812. 8. p. 344.)
fand bei lebendig geöffneten, trächtigen Schweinen und Hunden,
so wie bei Frauen, welche während ihrer Schwangerschaft ver-
storben waren, in dem Fötus das ateriöse sowohl, als das ve-
nöse Blut von derselben Farbe (vgl. recherches sur la vie et
la mort.
1801. 8. p. 169.), wie im Erwachsenen. Späterhin je-
doch (Anat. II. p. 465.) äuſsert er die Vermuthung, daſs die ihm
mündlich von Beaudelocque mitgetheilte Erfahrung der gröſseren
Röthe des in der Vena umbilicalis befindlichen Blutes, für den
Menschen vorzüglich, vielleicht seine Richtigkeit habe. Joh.
Müller glaubte nach früheren Untersuchungen (Nasse’s Zeitschrift
1824. S. 449.), daſs das Nabelarterienblut dunkeler, als das der
Nabelvene, nicht so dunkel aber, als das venöse des Erwachse-
nen, das Nabelvenenblut dagegen bei Weitem weniger hellroth,
als das des Erwachsenen sey, überzeugte sich aber nach späte-
ren, vorzüglich an Schaaf- und Kuhembryonen vorgenommenen
Untersuchungen (Physiol. I. Abthl. 1. S. 303.), daſs kein Unter-
[293]Entstehung des Blutes und der Blutgefäſse.
schied zwischen beiden Blutarten Statt finde. Jörg (die Zeugung.
1815. 8. S. 303.) giebt an, daſs er an dem Chorion des Pferdes
einen Unterschied gesehen habe, während nach Blainville (l. c.
p. 262.) beide Blutarten wenig oder gar nicht von einander ab-
weichen. Nach Lavagna (Meck. Arch. I. S. 151.) gerinnt das
Blut der Nabclvene zum gröſsten Theile fest, während das der
Nabelarterie nur in einem äuſserst geringen Theile gerinnt und
einige dünne Faserstofffäden giebt. Nach Joh. Müller (Nasse’s
Zeitschr. 1824. S. 450.) gerinnt das Blut der Nabelvene später,
scheint eine gröſsere Quantität und lockereren Faserstoff, (der im
Fötus überhaupt lockerer, als im Erwachsenen ist) zu besitzen,
als das der Nabelarterien hat. Es färbt sich nach seinen älteren
Erfahrungen (l. c. S. 441.) dunkeler, bleibt dagegen nach seinen
neueren Beobachtungen (Physiol. S. 303.) unverändert unter der
Luftpumpe. Unter kohlensaurem Gase wird es dunkeler violett.
Das Blut der Nabelgefäſse wird nach Fourcroy und Joh. Müller
an der Luft hellroth, wie das des Erwachsenen; nach Ersterem
etwas langsamer und in geringerem Grade. Das Fötusblut ist
nach Bichat (l. c. p. 345.) nie geronnen und enthält nach Blain-
ville (l. c. p. 262.) eine geringere Menge gelatinösen, weichlichen
Faserstoffes, dagegen mehr Eiweiſs als im Erwachsenen. Nach
ihm hat es auch in früherem Alter weniger phosphorsaure Salze
und nach Denis mehr Wasser. Das Letztere wird jedoch von
Lecanu bestritten. S. Joh. Müllers Physiol. I. S. 114.


b. Die Blutkörperchen. — Nach Baumgärtner (l. c. S. 80.)
verwandeln sich die Dotterkügelchen, welche bei der Forelle ein-
fach, bei den Amphibien und Vögeln aus kleineren Kügelchen zu-
sammengesetzt sind, zu Blutkörperchen, indem sie sich in einer
bestimmten Ordnung an einander reihen, durchsichtiger werden
und eine mehr längliche und scheibenförmige Form erhalten. So-
bald sie elliptisch geworden sind, färben sie sich auch roth. E.
H. Weber hat keineswegs, wie es vielleicht aus R. Wagners (l.
c. S. 37.) Worten zu folgen scheinen könnte, alles bestätigt ge-
funden, sondern er giebt nur an (Hildebr. Anat. IV. S. 478.),
daſs die frühesten Blutkörperchen körnigt und rund, nicht platt
sind. Wir selbst haben schon oben bei der Geschichte der Blut-
genese überhaupt das Resultat unserer eigenen Beobachtungen re-
ferirt und können hier nur noch hinzufügen, daſs bei dem Hühn-
chen die Gröſse der Dotterkugeln (s. oben) noch einmal so viel,
[294]Von dem Embryo.
als die der ersten Blutkörperchen beträgt. Daſs die frühesten
Blutkörperchen gröſser seyen als die der mehr ausgebildeten der
Frucht und des Erwachsenen, wuſste W. Hewson schon. So fand
er sie im sechstägigen Hühnerembryo gröſser, als im erwachsenen
Huhne (Opus posthumum Latine vert. Vinpersse 1785. 8. p.
31. tab. I. fig. 4. 3.) und in Vipernembryonen gröſser als in dem
Mutterkörper (l. c. tab. I. fig. 7. 6.). So kann ich selbst als das
Resultat sehr vieler angestellter Messungen Folgendes hervorhe-
ben. Vom dritten bis zum achten Tage der Bebrütung beträgt
der Durchmesser der vollkommen runden Blutkörperchen 0,000608
P. Z., die mittlere Länge der elliptischen dagegen 0,000612 bis
0,000506 P. Z. und ihre mittlere Breite 0,000565 P. Z. bis
0,000304 P. Z., während im Huhne Prevost und Dumas ihre
Länge 0,000453 P. Z. und ihre Breite 0,000246 P. Z. und R.
Wagner ihre Länge 0,000555 P. Z. und ihre Breite 0,000333 P.
Z. berechneten. Späterhin dagegen nehmen sie an Volumen ab,
werden sogar, wie es scheint, oft kleiner, als sie im Erwachse-
nen sind. So fand I. C. Schmidt (über die Blutkörner. 1822. 4.
S. 18.) die Blutkörperchen des neugeborenen Kindes um ⅕ bis ⅙
kleiner, als die des Erwachsenen, welches jedoch vor ihm Hew-
son (l. c. p. 31.) nicht gesehen hatte. E. H. Weber (l. c. S.
478.) berechnete den Durchmesser derselben bei Froschlarven im
ersten oder zweiten Tage, wo sie zu schwimmen angefangen hat-
ten, zu 0,000622 P. Z. bis 0,000100 P. Z. und R. Wagner (l.
c. S. 32.) in Kaulquappen, welche schon mit Füſsen versehen wa-
ren, zu 0,000833 P. Z., während sie im erwachsenen Frosche
nach Prevost und Dumas 0,000927 P. Z., nach R. Wagner 0,000833
P. Z. bis 0,000927 P. Z., nach Joh. Müller aber 0,000920 P. Z.
bis 0,001400 P. Z. betragen. Nach anderen Beobachtungen scheint
jedoch bei den Vögeln und Säugethieren während des gröſsten
Theiles des Fötallebens, so wie bald nach der Geburt die Gröſse
der Blutkörperchen von der des Erwachsenen nicht abzuweichen.
So läugneten in älterer Zeit Muys, Senac und Spallanzani jeden
Unterschied zwischen Blutkörperchen des Fötus und denen des
Erwachsenen. So konnte Schmidt (l. c. S. 18.) keine Differenz
zwischen denen sehr junger Kälber und denen des Ochsen wahr-
nehmen. Ein Gleiches beobachtete R. Wagner (l. c. S. 39.) an
Schaafen und Eidechsen und von Fischen bei Syngnathus. Wir
selbst konnten sogar durch micrometrische Messung keinen Un-
[295]Entstehung des Blutes und der Blutgefäſse.
terschied auffinden; so betrug z. B. schon bei zwei Zoll langen
Schweineembryonen ihr Durchmesser, wie im erwachsenen
Schweine, 0,000304 P. Z. und bei 6‴ langen 0,000405 P. Z. bis
0,000328 P. Z. Ihre äuſsere Form und Gestaltung wechselt im
Laufe der Entwickelung sehr. Nach Hewson sind sie zuerst voll-
kommen rund und gehen erst später in die längliche Form des
Erwachsenen über. Dasselbe folgt auch aus Döllingers Beobach-
tungen, sowohl an Fisch- als Froschembryonen. Nach Prevost
und Dumas (Frorieps Notizen Novembr. 1824. S. 323.) sind sie
bei dem Hühnchen vom zweiten und dritten bis zu dem sechsten
Tage durchaus rund. An diesem letzteren zeigen sich einzelne
elliptische Körperchen, die am siebenten und achten Tage sich so
sehr vermehren, daſs am neunten Tage kein rundes mehr, sondern
lauter elliptische Blutkörperchen zu bemerken sind. Sie schrei-
ben diese Veränderung der Thätigkeit der Leber zu, welche un-
terdeſs sich gebildet hat, was jedoch unrichtig ist. Denn ich sah
sogar schon am Ende des dritten Tages recht häufig elliptische
Körperchen unter den runden. J. C. Schmidt (l. c. S. 26.) fand
die Blutkörperchen in der Keimhaut des bebrüteten Hühnchens
durchaus sphärisch, niemals comprimirt. Nach Baumgärtner (l.
c. S. 46. 47.) sind sie bei dem Frosche anfangs Kugeln, welche
mit ihrer vollkommen sphärischen Oberfläche herumrollen, später,
nachdem sie sich geröthet haben, länglich werden und in die
Form plattgedrückter Linsen übergehen. Wesentlich dasselbe sah
er auch bei Salamandern (S. 58.), Schlangen (S. 63.) und dem
Hühnchen (S. 68.). E. H. Weber (l. c. S. 478.) fand das Gesagte
bei Froschlarven bestätigt. Meine Resultate von vielen Beobach-
tungen am Hühnchen, wo man allein ein sicheres Kriterium über
Entstehung der Blutkörperchen in frühester Zeit hat, sind fol-
gende: Ich kenne keinen sensibleren Theil des Körpers, welcher
aus dem lebenden Individuum entfernt schneller und auch bei
den schwächsten, äuſseren Einflüssen merklicher sich änderte, als
das Blut. Daher wird auch selbst von reinem Wasser, wie Hew-
son schon wuſste und in neuester Zeit Schmidt, Joh. Müller, R.
Wagner, wir selbst u. A. vielfach erfahren haben, die Form der
Blutkörperchen wesentlich verändert. Schon Hewson bemerkte
(l. c. p. 25.), daſs die Auflösung eines Neutralsalzes in den Ver-
hältnissen wie 1 : 6 bis 1 : 12 die Form der Blutkörperchen nicht
verändere. Joh. Müller (Poggendorfs Annal. 1832. S. 520.) em-
[296]Von dem Embryo.
pfahl zu diesem Zwecke das Zuckerwasser, welches R. Wagner
(l. c. S. 1, 2.) minder passend fand, als Auflösungen von Koch-
salz und Salmiak oder das Eiweiſs der Hühnereier (Letzteres ha-
ben auch wir sehr zweckmäſsig gefunden, wenn man die äuſser-
ste, sehr flüssige und halbdurchsichtige Schicht anwendet). Nach
unserer Erfahrung kommt es weniger auf den Stoff, als darauf an,
daſs eine geringe Quantität eines neutralen (weder auffallend saue-
ren noch auffallend alkalischen, noch auffallend ätzenden, wie
viele Neutralsalze bei stärkerem Grade der Sättigung) Körpers
in dem Wasser aufgelöst sey. Untersucht man nun Blutkörper-
chen in der frühesten Zeit des Lebens, nachdem sie sich schon
individualisirt haben, unter einer solchen Flüssigkeit oder, was
noch besser ist, in ihrem eigenen Serum, so findet man ihre Form
selbst in den Thieren, in welchen sie in der Folge elliptisch sind,
durchaus rundlich. Ihre Oberfläche ist im kreisenden Blute sphä-
risch, nicht so dagegen in dem eben aus dem lebenden Embryo
entfernten. Hier sieht man sie ungleich, warzig, ja meist mehr
geradlinigt begrenzt. So fand ich bei Hühnerembryonen vom
dritten bis zum achten Tage wahrhaft tetraedrische Gestalten und
in seltenen Fällen wahre Polyeder. Bei Schweineembryonen gin-
gen von der Oberfläche Warzen wie Spitzen aus, welche fast
ganz regelmäſsig von ihrer äuſsersten Begrenzung ausliefen. Diese
ersten und feinsten Nuancirungen des Todes des Blutes, d. h. sei-
ner Entfernung aus dem lebenden Körper zeigen einerseits, wie
sehr der organische Stoff noch zur geradflächigten Begrenzung,
wie in den Crystallen hinneigt, was in Batrachiern und Fischen
noch mehr erhellt, anderseits, wie leicht und schnell die Blutkör-
perchen sich umändern. Zu der Klasse der letzteren Erscheinun-
gen glaube ich auch die Kerne der Blutkörperchen rechnen zu
dürfen, womit auch die Beobachtungen von Krause (Handbuch
der Anatomie 1833. 8. Th. l. S. XII.) und Wedemeyer (Meck.
Arch. 1828. S. 346.) übereinstimmen. Ich finde keine Beschreibung
des Erscheinens derselben genauer und naturgetreuer, als die von
Blainville (Cours de Physiol. Vol. I. 1833. 8. p. 212.) gelie-
ferte. Sie erscheinen unter den Augen des Beobachters, wenn
das todte Blut auf dem Objectträger sich befindet und mögen da-
her eine der ersten Folgen der raschen Decomposition des Blutes
überhaupt seyn. Im kreisenden Blute gelang es mir nie, die
Kerne der Blutkörperchen mit Bestimmtheit, wenigstens so scharf
[297]Entstehung des Blutes und der Blutgefäſse.
begrenzt als später, wahrzunehmen. Nach Baumgärtner entstehen
sie dadurch, daſs die Kugel in drei Theile zerfällt, in einen rund-
lichen Kern, einen ihn umgebenden Ring und eine kleinere Quan-
tität zwischen beiden enthaltener Flüssigkeit. Auf eine eigen-
thümliche Weise modificirt sich noch die Genese der Blutkörper-
chen in den Embryonen der Batrachier nach Purkinje’s und mei-
nen Erfahrungen. Die in dem Dottersacke enthaltenen Kugeln
scheinen auf den ersten Anblick aus einer Menge kleinerer Kü-
gelchen zu bestehen. Zerdrückt man aber eine solche Kugel un-
ter dem Compressorium, so zerfällt sie in eine sehr bedeutende
Anzahl kleinerer Kugeln, welche meist eine regelmäſsig vierek-
kige, würfelartige Begrenzung haben. Die ersten Blutkörperchen
sind runde Kugeln, welche ebenfalls kleinere Körnchen zu ent-
halten scheinen und bei dem Zerdrücken auf dieselbe Art in wür-
felförmige Körperchen zerfallen. Dieses mag vielleicht Baumgärtner
verleitet haben hier und der Analogie nach auch bei anderen Thie-
ren beide zu identificiren. Doch sind bier die Dotterkugeln sowohl,
als die in ihnen enthaltenen Körperchen weit kleiner als die Blut-
kugeln und die in ihnen enthaltenen Körperchen. Auch habe ich
nirgends selbst bei Fröschen und Salamandern einen unmittelba-
ren Uebergang beider gesehen, noch etwas beobachtet, aus dem
ein solcher mit Sicherheit zu erschlieſsen sey. Ja nicht bloſs die
Blutkörperchen, auch die Kugeln des Rückenmarkes, der Wirbel-
säule, des Darmes zeigen hier dieselbe Erscheinung, die wir eben
so auch in den dem Dotter der noch nicht befruchteten Eier von
Cobitis wahrgenommen haben.


Auſser den Blutkörperchen finden sich in dem Blute noch
andere solidere Theile und zwar 1. weit kleinere, rundliche,
zwischen den Blutkörperchen wie eingestreute Kügelchen, welche
Joh. Müller bei seinen Untersuchungen des Blutes des Erwachse-
nen zum Theil vorzüglich berücksichtigte. Sie kommen eben so
sehr in dem Embryonalblute, als in dem des Erwachsenen vor
und haben aus dem lebenden Körper entfernt, wiewohl sie grö-
ſser sind, als die Brownschen Körperchen, lebhafte Molekularbe-
wegung. Diese letztere hat der treffliche und noch immer viel
zu wenig benutzte Gruithuisen (Beitr. z. Physiognosie und Heau-
tognosie 1812. 8. S. 168. Vgl. Organozoonomie 1811. 8. S.
XIII. Anhang S. 31.) schon vor länger als 20 Jahren in der
Dottersubstanz wahrgenommen. Ich schalte daher seine eigene
[298]Von dem Embryo.
Beschreibung hier wörtlich ein: „Das Wunderbarste in diesem
Dotter,“ sagt er (Beitr. S. 168.), „der durch die Brütung schon
sehr verdünnt war, waren jene, fast wie Granit-Infusorien so
kleine Körperchen, von nicht genau begrenzt gesehener Gestalt,
die in ungeheuerer Menge da sind, welche Bewegung sich von
der Bewegung der Infusorien dadurch unterscheidet, daſs sie äu-
ſserst gleichmäſsig ist und nie aufhört; es unterscheidet sich aber
diese Bewegung auch von der dynamischen und chemischen da-
durch, daſs diese beim Anziehen des Körperchens in der Bewe-
gung beschleunigt, beim Abstoſsen retardirt werden, jene Körper
aber immer eine gleichmäſsige Bewegung beibehalten, so wie sie
fast nur allein von lebenden Organismen hervorgebracht werden
kann.“ — 2. Wahre Dotterkugeln hat Gruithuisen (l. c. S. 169.)
in der Terminalvene und in dem Gefäſskreise beobachtet, nie
aber in der Aorta und Vena cava. Er sieht daher das Blut der
Terminalvene als diluirten Dotter an (l. c. S. 166.) und vermu-
thet (l. c. S. 169.), daſs es im Küchlein mehrere Kreisläufe gäbe,
daſs der Dotterkreislauf vielleicht ein bloſser Abdominalkreislauf
sey und die Leber die Scheidung des reinen Blutes vom Dotter-
blute bewirke. — Wir selbst haben unter einer sehr groſsen Zahl
von Hühnerembryonen, welche wir seit mehreren Jahren unter-
suchten, zweimal wahre Dotterkugeln im Herzen gefunden. Das
eine Mal wurden sie durch die noch bestehende Systole weiter
fortgetrieben. Entstünden die Blutkörperchen aus Dotterkugeln,
so müſste dieser Fall tagtäglich zu sehen seyn und nicht, wie es
in der That ist, zu den gröſsten Seltenheiten gehören. Wir glau-
ben vielmehr, daſs diese zwei Fälle pathologisch waren und da-
durch entstanden, daſs das Blut ein zu groſses Maaſs von Dot-
tersubstanz eingesogen hatte, mehr als es zu fassen im Stande
war, daher sich aus dem Blute erst die Oelsubstanz in freien
Tropfen ausschied und mit demselben circulirte.


c. Die Blutbahnen. — Wir müssen hier zwei verschiedene
Momente nothwendig unterscheiden, nämlich das histiologische
oder die Bildung der Gefäſswandungen und das morphologische
oder den Verlauf und die Ramificationen der Gefäſse. Was das
Erstere betrifft, so haben wir oben gesehen, daſs aus der Ansamm-
lungsflüssigkeit des Gefäſsblattes die Wände entstehen und da-
durch sich bilden, daſs die Masse nach auſsen sich consolidirt, im
Innern dagegen colliquescirt. Dies sieht man am deutlichsten im
[299]Entstehung des Blutes und der Blutgefäſse.
Fruchthofe, wo neben dem Blutstrome zwei zarte durchsichtige
Streifen, an denen ich keine Spur von Kügelchen wahrnehmen
konnte, sichtbar sind. Die sogenannten Rinnen und die Wan-
dungen derselben d. h. die Erhebungsseiten der von dem Schleim-
blatte und der Dotterschicht gebildeten Aufwulstungen sind also
von den wahren späteren Gefäſswänden durchaus geschieden und
begrenzen nur die Flüssigkeit, aus der sich Blut- und Gefäſswan-
dung erst herausbilden. Dieses ist die schlichte Darstellung vie-
ler von uns und mit möglichster Umsicht und Ruhe angestellter
Beobachtungen, wobei vorzüglich Applanativ-Oculare besondere
Dienste leisteten. Es folgt aber nothwendig aus dieser Darstel-
lung, daſs wir die Annahme wandungsloser Gefäſse durchaus ver-
werfen müssen. Bekanntlich hat der treffliche Döllinger nebst
mehreren aus seiner Schule hervorgegangenen ausgezeichneten
Naturforschern das Gegentheil behauptet und dieser Voraussetzung
gemäſs auch die Genese der Capillargefäſse beschrieben. Wir
haben schon oben berichtet, daſs er vorzüglich zwei neue Wege
der Blut- und Gefäſsbildung beschreibt, indem I. ein oder meh-
rere Blutkörner in dem Thierschleime sich einen Weg bahnen,
bald ihnen mehrere nachfolgen und so neue Stämmchen sich bil-
den. Allein daſs hier ein Irrthum obwalte, erhellt aus folgenden
Gründen. a. Denn es wird die Wandungslosigkeit der kleinsten
Gefäſse und Gefäſsnetze nothwendig vorausgesetzt und behauptet,
diese seyen bloſse Lücken des Thierschleimes. Zu der Reihe von
Gegengründen, welche in neuester Zeit Burdach (Physiol. IV. S.
193.). E. H. Weber (Hildebr. Anat. III. S. 35.), Joh. Müller (bei
Burdach IV. S. 197. und in s. Physiol. I. S. 206.) und R. Wag-
ner (l. c. S. 68. 69.) angeführt haben, müssen wir auſser dem
Obigen noch folgendes hinzufügen: Lieſsen wir ein Stückchen
gut injicirter Dünndarmschleimhaut eine lange Zeit maceriren,
so blieb zuletzt die Conformation des einer jeden Zotte entspre-
chenden feinsten Blutgefäſsnetzes frei und ohne alle verbindende
Membran zurück, also das vollkommenste Analogon der Windisch-
mann’schen Erfahrung. Auſserdem sahen wir nie, so oft wir auch
den Blutumlauf in lebenden Thieren beobachteten, selbst in den
Insektenlarven, auf die wir bald zurückkommen werden, etwas,
das bei genauer Betrachtung auf gefäſslose Wandungen im
Mindesten schlieſsen lieſse. Wenn man auch bedenkt, wie
leicht durchsichtige, körnerlose Häute, dem bloſsen, und auch
[300]Von dem Embryo.
vorzüglich dem bewaffneten Auge verschwinden, so wird man
diese gewiſs, weil man sie nicht gleich sieht, deſshalb nicht gänz-
lich zu läugnen geneigt seyn. b. Hieran reihet sich die Behaup-
tung, daſs in frühester Zeit die kleinsten Gefäſse in ihren Bah-
nen nicht ganz bestimmt seyen. v. Bär (l. c. S. 32. bei Burdach
S. 508.) hat eine Beobachtung gemacht, welche diese Ansicht
direct zu beweisen scheinen könnte. Er sah nämlich an Eidech-
senembryonen mit Bestimmtheit, wie aus einer Arterie für das
Hirn sieben bis acht dünne Strömchen ausflossen und daſs, je
nachdem der einzelne Herzschlag kräftiger oder schwächer war,
die beiden hintersten Strömchen näher oder entfernter von der
vorderen verliefen. Allein genau betrachtet beweist diese Erfah-
rung gerade das Gegentheil von dem, was v. Bär daraus herlei-
tet. Denn hätten diese beweglichen Gefäſschen noch keine be-
stimmte Bahnen und distincte Wände gehabt, so wären sie bei
den heftigeren Contractionen des Herzens nicht seitlich ausgewi-
chen, sondern es wären nothwendig bei stärkerem Impulse brei-
tere Extravasaten nicht unähnliche Strömungen entstanden, wie
man sie bei unglücklichen Injectionen der feinsten Blutgefäſse
täglich sieht. Sie hatten vielmehr schon ihre Wandungen und
mithin bestimmte Bahnen. Die ersteren waren schon fest und
leisteten, selbst dem heftigeren Stoſse des Herzens für sich auch
schon den gehörigen Widerstand. Allein nicht so der flüssige
sie umgebende Thierstoff. Er gab nach und daher oscillirten
die mit Blut gefüllten Gefäſse in ihm. An einem anderen Orte
(Untersuchungen über Gefäſsverb. zwischen Mutter und Frucht
1828. fol. S. 12. 16 fgg.) sucht v. Bär die Wandungslosigkeit
der kleinsten Gefäſse durch Injectionen zu beweisen. Allein auch
hier hat mich meine Erfahrung eines Anderen belehrt. Bei Er-
wachsenen füllen sich nach glücklicher Einspritzung alle Capil-
largefäſse, d. h. die Masse geht aus den Arterien in die Venen
und umgekehrt über, ohne an irgend einem Punkte auszutreten
oder die Gefäſse an einzelnen Stellen zu erweitern. Bei Fötus
ist dieses anders. So leicht es hier ist, die gröſseren Gefäſs-
stämme mit passenden Kanülen und sehr kleinen Spritzen anzu-
füllen, so überaus schwer ist es, die Capiilargefäſse vollständig
zu injiciren, so daſs die Masse durch die entsprechenden Venen
oder Arterien zurückkehrt. Ist der Druck, welchen man auf
den Stempel der Spritze anwendet zu schwach, so füllen sich
[301]Entstehung des Blutes und der Blutgefäſse.
die Gefäſsästchen nur bis zu einem gewissen Punkte und die
microscopische Betrachtung läſst dann nur Bäumchen, nicht aber
die wahre Gestalt der feinsten Blutgefäſse als Netze wahrnehmen.
Wird die Injectionsmasse aber mit einer relativ zu groſsen Kraft
eingetrieben, so zerstört sie die zarten Wände der Capillarge-
fäſse und es entstehen daher entweder mehr oder minder groſse
und ausgedehnte Extravasate, oder sie reiſst den halbflüssigen
Stoff der Wände in die durch ihre Gewalt in dem weichen
Thierstoffe gebahnten Wege mit sich. In dem letzteren Falle
vermischen sich der Embryonalstoff mit der Einspritzungsmasse
und es zeigen sich so einzelne gefärbte Punkte der Letzteren,
aus denen sich aber durchaus nichts entnehmen läſst. Gelingt
es, was freilich nur sehr selten der Fall ist, die feinsten Blutge-
fäſse auch bei zarten Früchten vollständig zu füllen, so bilden
sie eben so schöne und bestimmte Netze als in dem Erwachse-
nen, wie auſser meinen, auch Czermak’s Erfahrungen (Haulik l.
c. p. 4.) beweisen. c. Es soll ein Blutkörperchen von einem
schon gebildeten Gefäſschen abgehen, sich in dem Thierstoffe
einen eigenen Weg bahnen und so ein neues Gefäſschen erzeugen
oder in dem Thierstoffe verschwinden und sich an ihn anlegen.
— Man sollte doch endlich einmal von dem Wahne zurückkom-
men, solche dynamische Vorgänge, wie Wachsthum, Ernährung
u. dgl. mit körperlichen, wenn auch mit den trefflichsten Linsen
bewaffneten Augen als Ankleben, Anlagerung, unmittelbare me-
chanische Verbindung u. s. f. sehen zu wollen! — Sind denn
die Blutkörperchen in der That so hart, daſs sie sich Wege gra-
ben können? sie, die in ihrer Form sogleich geändert und zu-
sammengedrückt werden, sobald sie ein feineres Aestchen, als sie
selbst sind, durchlaufen müssen? die sich in jeder Flüssigkeit so
leicht zum Theil lösen und in keiner Rücksicht eine Spur gröſse-
rer Härte, wie die des Thierstoffes ist, verrathen? — Allein die-
ses scheinbare Einschieſsen eines oder mehrerer Blutkörperchen
in ein früher noch nicht gesehenes Seitengefäſs läſst sich leicht
aus folgenden Thatsachen erklären: 1. Nie werden nach einer
Systole des Herzens alle feinsten Blutgefäſsnetze zugleich gefüllt,
sondern viele bleiben einen Augenblick scheinbar leer (enthalten
wahrscheinlich bloſse Serosität) und nehmen erst nach einem
kürzeren oder längeren Zwischenraume Blutkörperchen auf, wie
Wedemeyer und Joh. Müller gefunden haben und ich selbst be-
[302]Von dem Embryo.
stätigen kann. 2. Wir haben schon oben berichtet, daſs in aller-
frühester Zeit eine geringere Anzahl von Blutkörperchen im
Blute vorhanden sey, als später. Ein solcher Zustand kommt
partiell sehr häufig an einzelnen Stellen selbst in späteren Sta-
dien vor und ist vielleicht hier wegen der immer neu hinzukom-
menden Blutströmchen gesetzlich. Im ganzen Kreislaufe dagegen
habe ich mit Purkinje diesen Zustand bisher nur einmal bei einem
viertägigen Embryo als Bildungshemmung beobachtet. Es war
keine Spur rothen Blutes mit bloſsen Augen wahrzunehmen, mit
Ausnahme des Terminalgefäſses, welches einige wenige roth ge-
färbte Pünktchen enthielt. Dessenungeachtet schlug das Herz
mit groſser Heftigkeit und dieses sowohl, als die Gefäſse, enthiel-
ten eine weiſse, farblose Flüssigkeit mit überaus wenigen, ihrer
Form nach ganz und gar normalen Blutkörperchen. Allein we-
der hier, noch bei den Larven von Ephemera und Corethra,
wo wir anhaltend den Blutumlauf beobachteten, konnten wir je
eine Spur einer unmittelbaren Veränderung der Blutbahn oder
eine Abweichung des Blutes von dem vorgeschriebenen Wege
wahrnehmen, sondern manche Aestchen verschwanden für einige
Zeit, wenn nur Blutflüssigkeit in ihnen circulirte, dem Anblicke,
erschienen aber durchaus an denselben Stellen und in denselben
Bahnen wieder, sobald einige Blutkörperchen hindurchgingen. —
Auch wird durch die von uns bestrittene Döllingersche Behaup-
tung zwar das Entstehen eines neuen Gefäſsästchens begreiflich
gemacht, allein man sieht nicht, wie Joh. Müller (l. c. S. 358.)
schon bemerkt, warum dieses gerade zur Arterie oder Vene ge-
lange und so zum feinsten Blutgefäſsnetzchen würde. Zur Erklä-
rung des Letzteren wäre eine neue vis occulta nothwendig. —
II. Eine zweite Art der Entstehung von Blutgefäſsnetzen oder
Aestchen hat ebenfalls Döllinger (Absond. S. 25.) angegeben.
Die Körner des Thierstoffes fangen an zu oscilliren, lösen sich
ab, runden sich zu und stellen so ein in benachbarte Stämmchen
mündendes Gefäſs dar, in welchem bald wahre Strömung eintritt.
Baumgärtner (l. c. S. 50.) dagegen glaubt, daſs die neuen Ström-
chen von den alten Gefäſsen in ihr Bereich gezogen werden. —
Ich möchte wohl fragen, ob diese Männer alle einzelne Momente
verfolgt oder die Lücken durch Combination ausgefüllt haben.
Von theoretischer Seite aus läſst sich gegen diese Entstehungs-
weise fast gar Nichts sagen. Sie steht mit der Natur der Blut-
[303]Entstehung des Blutes und der Blutgefäſse.
bildung dem Wesen nach in Consonanz. Ob aber Alles mit sinn-
lichen Augen gesehen worden sey, muſs ich durchaus bezweifeln.
Dergleichen Naturprocesse gehen eben so wenig, als die Wachs-
thumsveränderungen, so unmittelbar und rasch vor sich, daſs sie
von uns sinnlich vollständig zu verfolgen wären. Sie entstehen
in den feinsten Nüancen, gehen in den zartesten Nüancirungen
fort und erst das Product derselben und das Ganze der Umbil-
dung wird uns dadurch kenntlich, daſs wir einzelne, abgerissene
und der Zeit nach entfernte Momente ergreifen, mit einander ver-
gleichen und in ihren Unterschieden auffassen. Zuletzt syntheti-
siren wir den Hergang, der für das Blut wohl folgender seyn
dürfte: Es verflüssigt sich zwischen den alten Netzen und Gefä-
ſsen ein Theil des Thierstoffes für sich und unabhängig von den
Gefäſsen. Die Verflüssigung setzt sich nach beiden Seiten ver-
schmälert fort, bis sie benachbarte Gefäſswände erreicht, auch
diese in ihr Bereich zieht und so mit dem übrigen Blutgefäſssy-
steme in Communication tritt und gleiche Bewegung mit ihm er-
hält. Daſs es aber auſser dieser Bewegung für sich (noch vor
seiner Einmündung in die älteren Stämmchen) eigene, selbststän-
dige Bewegung habe, dürfte kaum unmittelbar wahrgenommen
werden können. Von theoretischer Seite aus möchte ich es so-
gar bezweifeln. Mehreres noch über Gefäſsbildung, besonders über
Histiogenie der Wände, siehe unten bei Gelegenheit des Herzens.


Was nun die morphologischen Verhältnisse des Gefäſssyste-
mes betrifft, so muſs man hier nothwendig mehrere Distinctionen
machen, um bei der nicht geringen Zahl von Einzelheiten die
Uebersicht des Ganzen im Auge zu behalten. 1. Ganz nach au-
ſsen liegt der Kreislauf der Dottergefäſse, vergänglicher bei ver-
schiedenen Thieren zu verschiedenen Zeiten verschwindender Ge-
fäſse. Bei den Säugethieren sind die Gefäſse der Nabelblase (Ve-
sicula umbilicalis
bei dem Menschen, v. erythroides bei den
übr. Säugethieren) wahre Dottergefäſse. 2. Nach ihnen müssen
wir die in dem Embryo selbst enthaltenen Gefäſse nebst ihrer
Ausbreitung an und zwischen den Eihäuten und 3. das Central-
gefäſs des Embryonalkörpers, das Herz betrachten. Diese drei
Klassen von Gefäſsen haben ursprünglich einen Charakter und in
gewissen Hauptrepräsentanten eine zeitliche Genese, indem das
Gefäſsblatt nach Analogie der Keimhaut selbst in der Fläche in
drei Zonen sich gliedert, von denen die äuſsere dem Dotter an-
[304]Von dem Embryo.
gehörende zeitig schwindet, die mittlere dem Gefäſsblatte analoge
theils zu bleibenden Gefäſsen sich sondert, theils mit der Geburt
bei verändeter Athmung eingeht und die innerste endlich, wie
der innerste Theil des Fruchthofes, der Embryo nämlich, relative
Selbständigkeit behauptet und functionell sowohl, als histiologisch
mit einem eigenthümlichen Charakter als Herz sich darstellt.


1. Die Dottergefäſse. — Um einen sicheren Anhaltspunkt
zu bekommen, müssen wir auch hier auf den Vogelembryo zu-
rückgehen. Wir haben schon oben bemerkt, daſs die äuſserste
Grenze der Zone des Gefäſsblattes sich mit einem Ringe bezeich-
nete. Diese Peripherie des Gefäſsblattes wird zu einem circulä-
ren Blutgefäſse, welches man im Allgemeinen Vena terminalis,
Pander (Beitr. S. 15.) dagegen sinus terminalis nennt. Denn
er liegt in dem Zwischenraume zwischen dem serösen und dem
Schleimblatte und soll nach P., was wir jedoch noch sehr be-
zweifeln müssen, nie eine eigene Haut erhalten. Er ist ein Kreis,
welcher in der Regel nur oberhalb des Kopfes, bisweilen jedoch
auch unterhalb des Schwanzendes etwas unterbrochen ist. Nach-
dem er nämlich den ganzen übrigen Theil des Embryo circulär
umgeben, biegt er am Kopfe jederseits ein, um mit ihm selbst
zu communiciren. Nach Pander hat er am vierten Tage seine
relativ gröſste Ausbildung erreicht, vergröſsert sich seinem Um-
fange nach zwar noch in der Folge, wird aber schmäler, erscheint
am siebenten bis achten Tage als ein dünner rother Faden und
verschwindet zuletzt, ohne eine Spur zu hinterlassen. Nach in-
nen zu verbindet er sich mit vielen Gefäſsen netzförmig, so daſs
das Ganze [einen] herrlichen Anblick gewährt, wie ihn so schön
Pander in s. Beitr. tab. 8. hat abbilden lassen. Diese feineren
Gefäſschen sammeln sich in Aeste und zwar zu folgenden vier
bis fünf Hauptstämmen: a. Von der Einbiegungsstelle geht ein
einfacher oder doppelter Hauptstamm nach dem Herzen des
Embryo hin. Wo zwei Stämme vorkommen, ist dieses nach v.
Bär (l. c. S. 36. bei Burdach S. 266.) nur Varietät, durchaus
nicht Entwickelungsverschiedenheit. Finden sich zwei Gefäſse,
so laufen sie anfangs ziemlich parallel, später mehr gegen einan-
der divergirend von den beiden Rändern des Kopfes, um in das
Herzrohr von beiden Seiten einzumünden. Kommt nur einer vor,
so senkt er sich in den linken Herzschenkel ein; in den rechten
dagegen tritt nach v. Bär (l. c. S. 36. bei Burdach S. 266.) ein
aus
[305]Entstehung des Blutes und der Blutgefäſse.
aus dem Gefäſshofe kommender Ast. b. Ein unterer Stamm,
welcher nur selten doppelt ist, in welchem Falle dann immer
das Terminalgefäſs auch am hinteren Ende, wie am Kopfe, ein-
gebogen und unterbrochen sich findet. Der Stamm geht an der
linken Seite des Embryo hinauf und mündet mit den oben ge-
nannten Stämmen zusammen. c. Zwei quere Stämme. Diese
stehen einerseits mit den Netzen des Gefäſshofes, anderseits mit
Rumpfgefäſsstämmen und zwar mit diesen unter beinahe rechten
Winkeln in Verbindung. — Den Charakter dieser Gefäſse hat
Spallanzani entdeckt. Die beiden Quergefäſse sind Arterien und
der obere sowohl, als der untere Längenstamm Venen. In der
frühesten Zeit ist nun, wenn wir den noch weiter unten zu be-
schreibenden temporären Zustand des Herzens und der groſsen
Gefäſse berücksichtigen, der Kreislauf folgender: Alles Blut des
Gefäſshofes sammelt sich in dem venösen Terminalgefäſse und
dieses schickt es durch seinen oberen und unteren Ast zum Her-
zen, welches jetzt noch ein in sich gekrümmtes, einfaches Rohr
darstellt. Durch die Systole des Herzens getrieben geht nun das
Blut in einem einfachen Stamme (Arterienstamme) fort, der sich
an seiner Umbiegungsstelle am Halse in zwei an der inneren
Seite der Wirbelsäule fast parallel verlaufende starke Aeste theilt.
Jeder derselben giebt nun constant etwas unter der Mitte seiner
Länge einen groſsen Querstamm, und auſserdem an anderen Stel-
len, vorzüglich an dem hinteren Ende kleinere Aeste ab, welche
das Blut wieder in den Gefäſshof führen, um es wiederum den
alten Kreislauf durchmachen zu lassen. — Auch in den Säugethie-
ren und den übrigen Wirbelthieren, so wie dem Menschen findet
sich in allerfrühester Zeit wahrscheinlich derselbe oder ein ähnli-
cher Kreislauf, wie dieses von Amphibien Emmert, Hochstetter, Tie-
demann, Joh. Müller u. A. und Rathke von Fischen gezeigt hat. So
hat Cuvier an der Darmblase der Nager die Terminalvene deutlich
gesehen (vgl. Meck. Arch. V. S. 582.). Doch ist sie ihres zeitigen
Verschwindens wegen weder bei den übrigen Säugethieren, noch
bei dem Menschen wahrgenommen worden. — Ist nun das Con-
tentum der Nabelblase Dotter, so sind die auf derselben sich ver-
breitenden Gefäſse Dottergefäſse. Diese entspringen, wenigstens
in späterer Zeit aus einer Arterie, der Arteria omphalo-mesa-
raica
, und sammeln sich zu einem gleichnamigen Venenstamme,
20
[306]Von dem Embryo.
welcher sich in die Vena mesenterica einsenkt, während die
Arterie aus der Arteria mesenterica superior entspringt.


2. Die Embryonalgefäſsverbreitung. — Zu dieser gehört
nicht bloſs der Complex aller derjenigen Gefäſse, welche in dem
Embryo selbst enthalten sind, sondern auch derjenigen, welche
sich in seinen jedesmaligen Athmungsorganen befinden, diese mö-
gen sich innerhalb seines Körpers selbst verästeln oder auſserhalb
desselben verbreiten. Gehen wir nun von dem Herzen, welches
zuerst ein gerades Centralgefäſs ist und später sich in sich krümmt,
aus, so sehen wir, a. daſs bei dem Vogel da, wo das Centralge-
fäſs nach der vorderen Seite der Wirbelsäule umbiegt, zwei
Stämme sich finden, welche ziemlich parallel bis zu dem Schwanz-
ende des Embryo verlaufen. Diese geben in der Mitte ihres
Verlaufes unter fast rechten Winkeln die schon oben genannten
Gefäſshofarterien und am Ende ihres Verlaufes zwei oder meh-
rere kleinere Pulsaderstämmchen für die Area vasculosa ab. So
finden sich zuerst zwei aortenähnliche Stämme, so wie in frühe-
ster Zeit des Embryonallebens (s. unten) zwei Hohlvenen vor-
kommen. Nun tritt eine neue und wichtige Bildung dazwischen.
Denn wenn man vielleicht nicht mit Unrecht die Functionen des
Gefäſshofes so ansieht, daſs bei ihm Verdauung und Athmung, wie
in vielen niederen Thieren, in eines zuammenfallen, so tritt nun
später entweder rudimentär oder functionell eine wahre Fötalath-
mung ein und zwar a. als Halskiemenbildung, wenn auch nicht zu
wahrer Respiration, doch als merkwürdige Andeutung von Ath-
mungsorganen gebildet, wie sie bei den niedrigsten Wirbelthieren
weiter ausgebildet im erwachsenen Zustande vorkommen. Diese
geht auch, wie wir bald sehen werden, in die Lungengefäſsbildung
zu einem nicht geringen Theile ein. Nach Pander (Beitr. tab. IX.
fig. 3.) entstehen aus dem aus dem Herzen kommenden Stamme drei
Aeste, welche am Rücken wiederum zu einem Hauptstamme zu-
sammenstoſsen. Nach Huschke (Isis 1827. S. 402.) theilt sich
der einfache aus dem Herzen kommende Stamm in drei quere
Aeste jederseits, welche in den Kiemenspalten (s. unten Schleimbl.)
verlaufen, dann sich allmählig mit einander und zuletzt zu einem
Stamme vereinigen. Der Fischtypus ist also in dieser Hinsicht
vollkommen realisirt. Der einfache, aus dem Herzen kommende
Stamm ist truncus arteriosus, die Queräste, Kiemengefäſse und
der vereinigte Hauptstamm Körperarterie. Diesem Factum stimmte
[307]Entstehung des Blutes und der Blutgefäſse.
auch Rathke (Isis 1828. S. 83.) nach seinen früheren Untersu-
chungen bei. Nach v. Bär (l. c. S. 52. bei Burdach S. 282.)
theilt sich der truncus arteriosus am dritten Tage der Bebrü-
tung in vier Paar Kiemengefäſse, von denen der am hinteren
Rande der Mundöffnung verlaufende der stärkste, der unterste
aber so schwach ist, daſs er nur farbloses Blut aufnimmt. So
scheint es auch Rathke nach späteren Beobachtungen (Nov. Act.
Acad. N. C. XIV.
Abth. 1. S. 166.) gesehen zu haben. — Allein
der unterste Ast ist ein neuer und entsteht erst im Laufe des
dritten Tages. Die weiteren Metamorphosen dieser Kiemenge-
fäſse sind nicht ganz leicht zu beobachten und daher verschieden
angegeben worden. Nach Huschke (Isis 1827. S. 402.) schickt
am vierten oder vielleicht schon am dritten Tage das oberste
Kiemengefäſs an seinem hinteren Ende einen Ast, die Carotis,
nach dem Kopfe. Zwischen dem fünften und sechsten Tage aber
verschwindet das hintere linke, dem Herzen zunächst abgehende
Kiemengefäſs gänzlich, während das rechte bleibt, nur seinen
Verbindungszweig mit den übrigen Querästen verliert und zuletzt
die rechte Arteria pulmonalis darstellt. Die linke Arteria pul-
monalis
dagegen bildet sich aus der übrig gebliebenen zweiten
Kiemenarterie. Das zweite rechte Kiemengefäſs wird zur Aorta,
verliert bloſs die Verbindungszweige mit den benachbarten Kie-
mengefäſsen und diese metamorphosiren sich hierdurch zu den
Anonymis. Unterdeſs wird der aufsteigende Stamm der Aorta
verkürzt. Das rechte dritte und das linke zweite Kiemengefäſs
verbinden sich zu dem gemeinschaftlichen Stamme der Arteria
pulmonalis
und rücken an das rechte Herz, während die beiden
vorderen Kiemengefäſse als Anonymae sich mit dem zweiten
rechten verbunden haben, das als Aorta in das linke Herz ein-
tritt. — Nach Rathke (Isis 1828. S. 83.) verschmelzen das linke
vordere [und] das rechte hintere Kiemengefäſs in ihrem Vorsprunge
zu einem einfachen Stamme, der sich in den rechten Ventrikel
mündet. Das linke vordere Gefäſs entspringt allein aus dem
linken Ventrikel und wird, indem es sich erweitert, zur Aorta
pectoralis
. Aus jedem der beiden übrig gebliebenen Gefäſse ent-
steht ein besonderer in die Lunge sich einsenkender Gefäſszweig,
der sich mit dieser immer mehr vergröſsert. Der obere Theil
dieses Gefäſses tritt nun im Laufe der Entwickelung in die Be-
deutung des ductus arteriosus Botalli. Huschke (Isis 1828. S.
20*
[308]Von dem Embryo.
160. 163.) hat jedoch späterhin seine eigene Ansicht wiederum
vertheidigt, nach Untersuchungen an Amphibien bestätigt und
mehrere von Rathke’s Irrthümern berichtigt. — Nach K. E. v.
Bär treten bei dem Hühnchen die vier Bogen erst in einen Sei-
tenast jederseits zusammen, zu seiner sogenannten Aortenwurzel.
Am Anfange des dritten Tages laufen beide Aortenwurzeln noch
eine Strecke getrennt und vereinigen sich erst in einiger Entfer-
nung vom ersten Kiemenbogen nach hinten zu einem einfachen
Stamme, zur Aorta (l. c. S. 53. bei Burdach S. 282.). Aus dem
ersten Kiemengefäſse tritt die Kopfschlagader hervor. Am vier-
ten Tage aber schlieſst sich das erste Kiemengefäſs und der
Kopfschlagader strömt nun auf demselben Wege neues Blut zu,
auf welchem es früher abfloſs (l. c. S. 57. bei Burdach S. 287.).
Nun wird auch das zweite Kiemengefäſs schwächer, während das
dritte und vierte sich verstärken. Zugleich entsteht ein fünftes
Kiemengefäſs unterhalb des vierten, welches auf der rechten
Seite stärker ist, als auf der linken und so hat man wiederum
vier Kiemengefäſse, die aber den früheren vier Kiemengefäſsen
durchaus nicht entsprechen (l. c. S. 73. bei Burdach S. 304. und
Meck. Arch. 1827. S. 559.). (Parallelisirt man beide Reihen, so
hat man folgendes Schema:


  • Erste Reihe. a. 1. 2. 3. 4. 0.
  • Zweite Reihe. b. 0. 1. 2. 3. 4.)

Das vorderste Kiemengefäſs a. No. 2 = b. No. 1. verschwin-
det allmählig, während die drei hinteren sich noch immer erwei-
tern. b. No. 4. bleibt jedoch schwach und nur mit Mühe kennt-
lich (l. c. S. 83. bei Burdach S. 315.) und schwindet endlich
ganz. Nun bilden sich zwei Ströme deutlich aus. Der Strom
aus der rechten Herzkammer geht am Ende des sechsten und
Anfange des siebenten Tages nach b. No. 3. (= a. No. 4.) der
linken und b. No. 4. der rechten Seite; der Strom aus der lin-
ken Kammer dagegen nach a. No. 3. (= b. No. 2.) beider Seiten
und nach b. No. 3. (= a. No. 4.) der rechten Seite (l. c. S. 101.
bei Burdach S. 331.). Wenn nun mit weiterer Trennung der
Herzkammer beide Bogen sich deutlicher scheiden, so geht na-
türlich der aus der linken Kammer nach a. No. 4. (= b. No. 3.)
der rechten und a. No. 3. (= b. No. 2.) beider Seiten, der aus
der rechten Kammer dagegen nach b. No. 4. der rechten und
a. No. 4. (= b. No. 3.) der linken Seite. Nun schicken bald b.
[309]Entstehung des Blutes und der Blutgefäſse.
No. 4. der rechten und b. No. 3. (= a. No. 4.) der linken Seite
Zweige in die Lungen. Im Laufe der Entwickelung werden a.
No. 3. (= b. No. 2.) zu truncis anonymis (vorderen Schlagader-
stämmen), a. No. 4. (= b. No. 3.) der rechten Seite zur abstei-
genden Aorte und b. No. 4. der rechten und a. No. 4. (= b. No.
3.) der linken Seite zu Lungenschlagadern (l. c. S. 116. bei
Burdach S. 346. und Meck. Arch. 1827. S. 364.). Man sieht
also aus der schönen Darstellung Bärs, daſs er in manchen Punk-
ten von Huschke abweicht, in manchem aber ihn bestätigt. —
In der Folge lösen sich die vorderen Schlagaderstämme allmählig
immer mehr von den hinteren Bogen und gehen dann unmittel-
bar in die Kopf- und Armschlagader über, während ihre Ueber-
gänge in die Aortenwurzeln sich immer mehr verdünnen. Die
Lungenschlagader der linken Seite ist gröſser, als die der rech-
ten und bildet die Wurzel der Aorte selbst. Es wird nämlich
der hintere Schlagaderstamm auf Kosten der Lungenschlagader
dieser Seite weiter, so daſs der truncus anonymus vorzüglich
die rechte Wurzel der Aorta bildet und die Lungenschlagader
nur als Ast aufnimmt (l. c. S. 129. bei Burdach S. 362.). Zuletzt
endlich erscheinen die Uebergänge der Lungenschlagadern in die
Aorta mehr als communicirende Kanäle, während die Verbindungs-
canäle zwischen truncis anonymis und den Wurzeln der Aorta
schwinden (l. c. S. 136. bei Burdach S. 368.). Der rechte bo-
tallische Gang ist bei dem Auskriechen um Vieles kürzer, als der
linke (l. c. S. 137. bei Burdach S. 370.). — Eine kürzere, mit
der v. Bär im Wesentlichen übereinstimmende Darstellung hat
Rathke (Nov. Act. Acad. N. C. XIV. Abth. I. S. 180.) nach
späteren Untersuchungen geliefert. — Wir haben absichtlich diese
vollständige Geschichte der Gefäſsmetamorphosen, wie sie bei
dem Hühnchen verfolgt wurden, vorausgeschickt, um die verein-
zelten bei Säugethieren und Menschen gemachten Beobachtungen
besser beurtheilen und jede specielle Form in ihre bestimmte
Stelle bringen zu können. — v. Bär (de ovi mammalium et
hominis genesi
. 1827. 4. p. 3. tab. 1. fig. VIIa.) fand in einem
4 Linien langen Hundeembryo eine Anordnung der Kiemenge-
fäſse, wie sie früher schon von ihm und Anderen aus dem Vogel
beschrieben worden war. Aus der Aortenzwiebel kamen vier
deutliche Paare von Gefäſsbogen (Kiemengefäſsen), die sich unter
der Wirbelsäule zu einem gemeinschaftlichen Stamme, der Aorta,
[310]Von dem Embryo.
sammelten. Das erste Kiemengefäſs schickte einen Ast nach
oben nach dem Kopfe, das zweite einen nach hinten oberhalb
und das dritte einen nach hinten unterhalb des Ohres. Das erste
und zweite kam aus einem ähnlichen Bulbus hervor, wie man
ihn ebenfalls bei dem Hühnerembryo beobachtet. Spätere Unter-
suchungen (Meck. Arch. 1827. S. 564. und dasselbe 1828. S. 145.)
an Hunden und Kaninchen lieſsen ihn wahrnehmen, daſs bei Säu-
gethieren eben so, wie es oben von den Vögeln angegeben wurde,
fünf Paar Gefäſsbogen vorhanden sind, welche ihrer zeitlichen
Genese nach in dieselben beiden vorigen Reihen zerfallen. Auch
Rathke (Nov. Act. Acad. N. C. XIV. Abth. 1. S. 193.) fand,
wenn auch nicht directe Beweise, doch einige Belege für diesen
kaum zu bezweifelnden Ausspruch. (Vgl. auch Kiemenapparat
S. 41.) — Doch muſs, wie v. Bär (Meckels Archiv 1827. S. 564.)
schon bemerkt, in der ferneren Metamorphose dieser Gefäſse inso-
fern ein Unterschied von den Vögeln sich zeigen, als bei den Säu-
gethieren nur ein botallischer Gang vorkömmt. Leider ist aber
die nothwendige Reihe von genauen Beobachtungen, welche ein-
zig und allein mit Bestimmtheit hier ein Urtheil fällen läſst, noch
überaus lückenhaft. Ja die Angaben der entschiedensten Aucto-
ritäten widersprechen hierin nicht selten einander gerade zu.
Indem wir die meist unsicheren, unbestimmten und mehr für die
Gröſsenverhältnisse der einzelnen Gefäſse berechneten Angaben
aus älterer Zeit übergehen und in dieser Hinsicht auf Hallers
Elem. physiol. Vol. II. p. 159. und Vol. VIII. p. 392. verwei-
sen, wo sie sämmtlich gesammelt sind, heben wir folgende hier-
her gehörige Erfahrungen gediegener Naturforscher heraus. 1.
Wrisberg (descr. embr. hum. p. 61.) sah bei einem viermonat-
lichen Fötus die Arteria pulmonalis bis zu dem botallischen
Gange weiter als die Aorta, bei ihrer Theilung in die Lungen
selbst fadendünn, während der botallische Gang sehr breit sich
zeigte. 2. J. F. Meckel (Abh. aus der menschl. u. vergl. Anat.
1806. 8. S. 283.) sah bei einem 13 Linien langen Embryo Aorta
und botallischen Gang von gleicher Weite; bei einem 15 Linien
langen (S. 298.) stieg der arteriöse Kanal gerade zur Aorta em-
por, war von gleicher Weite mit ihr und senkte sich in der
Mitte ihres Bogens unter der linken Carotis ein. Die Lungen
entsprangen in der Mitte der Länge des arteriösen Ganges und
waren kaum halb so weit, als dieser. Die groſsen Aeste des
[311]Entstehung des Blutes und der Blutgefäſse.
Aortenbogens waren ganz dicht neben einander und entfernten
sich nach oben unter einem stumpfen Winkel. Bei einem Em-
bryo von 18 Linien Länge (S. 311.) schlug sich die Lungenarte-
rie gleich nach ihrem Austritte nach links und senkte sich, in-
dem sie, um zur Aorta zu gelangen, einen kleinen Bogen machte,
unter der linken Subclavia in dieselbe ein. Die Aorta ging hin-
ter der Lungenarterie zuerst nach rechts, schlug sich dann in
einem der Lungenarterie concentrischen Bogen über sie nach oben
und schickte dicht neben einander den Truncus anonymus und
die Carotis sinistra, eine halbe Linie nach links aber und unter
der letzteren die Subclavia sinistra ab. Bei einem Fötus von
2 Zoll und 2 Linien Länge war der Aortenbogen noch spitzer.
Die Arteria pulmonalis verlief fast horizontal von vorn nach
hinten und senkte sich am Ende des Bogens links von der Wir-
belsäule unter einem spitzen Winkel in die Aorta ein, die sich
hierdurch aber nur um Weniges erweiterte. Bei einem 3½ Zoll
langen Fötus (l. c. S. 351.) war der arteriöse Gang etwas enger,
als die Lungenarterien, ging fast gerade nach hinten und schien
wegen der stärkeren Biegung der Aorta tiefer unter den Aorten-
bogen hinabgerückt. — Ueberaus interessant ist, daſs Meckel
die aus dem Hühnchen ihm schon bekannten Quergefäſse mit
den Kiemengefäſsen der Fische parallelisirt (Beitr. zur vergl.
Anat. Bd. 1. Hft. 1. S. 103.), so wie überhaupt noch weiter un-
ten gezeigt werden soll, daſs dieser geistreiche Forscher schon
vor langer Zeit die Existenz von Kiemen in den Embryonen der
Säugethiere vermuthet habe. — Nach seinen späteren Untersuchun-
gen (in s. Arch. II. S. 404.) entsprang bei einem 5 Linien langen Em-
bryo die Aorta aus dem obersten Theile des Herzens, lag in der Mit-
tellinie, stieg gerade in die Höhe und spaltete sich in zwei Aeste,
welche nach oben gewölbt über dem oberen Rande der Vorhöfe
nach auſsen verliefen. Bei einem 6 Linien langen Embryo (S.
406.) war der aus dem Herzen kommende Gefäſsstamm durchaus
noch einfach. Der in ihm enthaltene Kanal neigte sich jedoch
mehr nach der rechten, als nach der linken Seite. Bei einem Em-
bryo von 7½ Linien (S. 408.) entsprang der einfache Pulsader-
stamm aus beiden Kammern. Bei einem 9 Linien langen Embryo
(S. 410.) war die Aorta dem äuſseren Anscheine nach noch ein-
fach, entsprang noch aus der rechten Kammer und schickte aus
ihrem Bogen die gewöhnlichen Stämme ab. In ihrem unteren
[312]Von dem Embryo.
Theile jedoch war die Höhlung derselben durch eine von vorn
nach hinten verlaufende Wand in zwei Hälften getheilt. So
schien die Lungenpulsader von der Grundfläche des Herzens aus
eine Scheidewand nach oben zu schicken. Bei einem 11 Linien
langen Embryo (l. c. S. 412.) waren Art. pulmonalis und Aorta
deutlich von einander geschieden; die erstere zeigte sich etwas
weiter, als die letztere. Sie stieg steil [von] unten und rechts
nach unten und links zur Aorta und schickte vor der Verbin-
dung mit ihr einen Lungenast auf beiden Seiten ab, nach wel-
chem sie sich merklich verkleinerte. In einem einen Zoll und
vier Linien langen Embryo war die Lungenarterie noch weiter, als
die Aorta. Jede Lungenpulsader aber hatte kaum ¼ der Dicke
des Stammes der Art. pulmonal. Bei einem Embryo von zwei
Zoll fünf Linien Länge (S. 416.) waren die Lungenäste der Art.
pulmonalis
stärker als bisher, und hatten die Hälfte des Durch-
messers des arteriösen Ganges. In einem Embryo von 3 Zoll 4
Linien Länge war die Lungenarterie bedeutend weiter, als die
Aorta und die Lungenäste fast so weit, als der arteriöse Gang
(S. 417.). In fünfmonatlichen Früchten endlich ist der Durchmes-
ser des arteriösen Ganges und der Lungenäste von gleicher Weite
oder der erstere nur um ein Unbedeutendes gröſser. Diese An-
gaben hat zum gröſsten Theile Kilian (Blutkreislauf im Kinde,
welches noch nicht geathmet hat. 1826. 4. S. 96.) bestätigt. —
3. E. H. Weber (Meck. Arch. 1827. S. 228. Vgl. Hildebr. Anat.
III. S. 160.) sah die Aorta ein Stück gegen den Kopf emporstei-
gen, konnte aber keine Umbiegung derselben nach der Wirbel-
säule hin wahrnehmen. Vielmehr hatte es den Anschein, als ob
die Fortsetzung der Arteria pulmonalis an der Stelle, wo der
ductus arteriosus gebildet werden sollte, allein links neben dem
Oesophagus neben der Wirbelsäule herabgestiegen sey. Kurz vor
der Umbiegungsstelle der Arteria pulmonalis ging von ihr ein
kurzer Querast zur Aorta. Dieser würde bei weiterem Verlaufe
der Entwickelung zum Aortenbogen und die Fortsetzung der Ar-
teria pulmonalis
zum ductus arteriosus Botalli geworden seyn.
4. Nach Burdachs Ansicht (Physiol. II. S. 519.) ist die Gefäſs-
metamorphose folgende: Es finden sich im zweiten Monate zwei
Arterienstämme, ein oberer und ein unterer. Der obere kommt
aus der linken Kammer und geht nach dem Kopfe und den Ar-
men, ist daher Aorta adscendens. Der untere kommt aus der
[313]Entstehung des Blutes und der Blutgefäſse.
rechten Kammer und geht zu dem unteren Theile des Rumpfes,
ist also Aorta descendens. Den oberen hält er für den Stamm
der dritten Gefäſsschlinge, den unteren für den übrig gebliebenen
Rest der hinteren vierten und fünften Gefäſsschlingen nebst den
Zweigen der drei vordersten Gefäſsschlingen. In der achten Wo-
che giebt der untere Arterienstamm Zweige an die Lungen. Der
übrig gebliebene Theil heiſst nun ductus Botalli. Die Lungen-
zweige vergröſsern sich und erhalten mehr Blut, während der bo-
tallische Gang schwächer wird und die absteigende Aorta eine
groſse Quantität von Blut aus der oberen Körperhälfte erhält.
So wird nun der untere Stamm zur Lungenarterie, ihr Uebergang
in die absteigende Aorta zum botallischen Gange und der ur-
sprüngliche Verbindungszweig zum Mittelgliede zwischen auf-
und absteigender Aorta (Aortenbogen.). 5. Nach der Darstellung
Thomsons (Frorieps Notiz. März. 1831. S. 23.), dessen Referat
zum Theil auf Meckels Beobachtungen am Menschen, zum Theil
auf Owens Untersuchungen an Schaafen und Schweinen basirt ist,
entspringt zuerst nur ein Gefäſs aus dem Ventrikel des Herzens,
der bulbus Aortae, welches späterhin von unten nach oben in
zwei Gefäſse getheilt wird, um die Aorta descendens und die
Wurzel der Lungenarterie zu bilden. Oben bleiben beide Ge-
fäſse in Communication und stellen so den botallischen Gang dar.
In einer späteren Auseinandersetzung der Gefäſsmetamorphosen
im Besonderen (Frorieps Notizen. Jan. 1833. S. 321.) folgt er
ganz Burdachs Ansicht (vgl. auch das Schema dieser Verwand-
lungen der Gefäſse bei Burdach Physiol. II. tab. IV. fig. 3. und
bei Thomson in Frorieps Notizen 1833. fig. 30. u. fig. 39.). — Nach
unseren eigenen, hierüber angestellten Untersuchungen müssen wir
zuvörderst bemerken, daſs man sehr irrt, wenn man aus der je-
desmaligen Gröſse eines Embryo auf die Gröſse seiner Gefäſs-
stämme nahe am Herzen sicher schlieſsen zu können glaubt. Man
findet hier immer eigenthümliche Bildungen und muſs sich erst
durch zweckmäſsige Composition der einzelnen gefundenen Daten
ein deutliches Bild des Ganzen machen. In frühester Zeit kommt
bei dem Menschen sowohl, als bei den Säugethieren ein einfacher
Stamm aus dem vorderen Theile des noch einfach geschiedenen
Herzens, welcher gerade von unten nach oben verläuft und sich
später in zwei Aeste spaltet. In der Folgezeit findet sich ein
einfacher Stamm, der von der Stelle ausgeht, welche dem oberen
[314]Von dem Embryo.
Theile des rechten Ventrikels in der Folge entspricht. Er steigt
in einem nach links sich wendenden Bogen empor, schickt von
seiner Wölbung aus in frühester Zeit einen einfachen Ast, der
eine kurze Strecke einfach verläuft und dann den truncus ano-
nymus
und Carotis sinistra und subclavia sinistra absendet.
Aus der unteren Seite dieses Bogens, doch der Aorta descendens
näher, entspringt der Lungenast. Späterhin wird der einfache
Pulsaderstamm breiter und relativ kürzer. Die Einmündungs-
stelle der Kopf- und Armgefäſse rückt daher mehr nach rechts
und der innere Rand des einfachen Stammes dem Lungenaste nä-
her. Während diese Metamorphose immer mehr fortschreitet,
theilt sich der einfache Pulsaderstamm, wie es scheint, in zwei
Stämme, welche sich immer mehr sondern und bald entgegenge-
setzte Richtungen annehmen. Mit Ausbildung der beiden Ventri-
kel des Herzens und vorzüglich mit Vervollständigung der sie
trennenden Scheidewand, rückt der einfache Pulsaderstamm im-
mer mehr in die Mitte, so daſs er bald mit der rechten Hälfte
seiner Höhlung in den rechten, mit der linken dagegen in den
linken Ventrikel hineinragt. Indem nun diesem entsprechend
auch die beiden Gefäſse sich scheiden und mit Ausbildung des
linken Ventrikels die Blutmasse ihrem allgemeinen Typus nach
nach rechts getrieben wird, vervollständigt sich der linke Stamm
der früher einfachen Pulsader zu einem Bogen, der unmittelbar
in die Aorta descendens übergeht und von nun an ebenfalls ei-
nen Theil seiner Blutmasse in die Kopf- und Armgefäſse ergieſst.
Der rechte Stamm dagegen erhält eine mehr schiefe und, da er
mit dem Lungenaste sich inniger verbindet, gleichsam getheilte
Richtung, indem er sich zwar in einem kleineren dem Aortenbo-
gen fast concentrischen Bogen nach dem Lungenaste umbiegt, mit
einem Stamme dagegen, der wegen seiner bedeutenden Breite
noch Hauptstamm zu seyn scheint, in den Bogen der Aorta ein-
biegt. Von nun an sind die Theile gesondert und können mit den
gebräuchlichen Namen benannt werden. Der aus dem linken Ven-
trikel kommende Stamm ist Aorta, sein Bogen Aortenbogen; der
aus dem rechten Ventrikel kommende Stamm ist vor seiner Wöl-
bung Arteria pulmonalis. Der unterste Theil seiner Wölbung, wel-
cher sich in den Lungenast fortsetzt, gehört diesem an, während
sein oberster Theil bis zu seinem Eintritte in den Aortenbogen als
ductus arteriosus Botalli zu deuten ist. Früher dagegen die
[315]Entstehung des Blutes und der Blutgefäſse.
Theile mit den Namen derjenigen Gefäſse zu belegen, welche später
aus ihnen entstehen, ist unzweckmäſsig und verwirrend, ja sogar
zum Theil unrichtig. — Der Blutumlauf im Fötus des Menschen und
der Säugethiere durchläuft also in seinem Gegensatze zwischen Lun-
gen- und Körperkreislaufe alle diejenigen Metamorphosen, welche er
in der Reihe der Wirbelthiere vereinzelt darstellt, wie dieses schon
J. Fr. Meckel und Joh. Müller angemerkt haben. In dem frühesten
Kiemenkreislaufe ist das Respirationssystem der Fische ihren Haupt-
stämmen nach (da jedes componirte Capillargefäſssystem fehlt und
die Kopfschlagader aus der zweiten Hälfte des ersten Kiemengefä-
ſses entspringt, während sie bei Fischen aus der ersten Kiemenvene
kommt) realisirt. Die beiden Aortenbogen, welche zur Aorta
descendens
zusammentreten, stellen den allgemeinen Amphibien-
kreislauf dar und unter diesen sind es vorzüglich die Schlangen,
deren Bildung am längsten verhältniſsmäſsig in dem Embryo ver-
harrt. Bei Säugethieren und Vögeln tritt erst aus diesem ge-
meinsamen Amphibientypus das inverse Verhältniſs ein, daſs bei
den Letzteren der rechte Aortenbogen bleibt und der linke zur
linken Lungenarterie wird, während bei den Säugethieren der
linke Aortenbogen bleibt und aus dem rechten die rechte Lun-
genarterie sich bildet. (Vgl. hiermit die vortreffliche Darstellung
der Formen des Kreislaufes in der Thierwelt von Joh. Müller in
Burdachs Physiol. IV. S. 141—171. und bes. S. 167. und in s.
Physiol. I. S. 152—161. und bes. S. 160.). Daher die von Sa-
batier (Mém. de l’acad. 1778. p. 198.) geäuſserte Idee, welcher
Bichat, Kilian, Meckel, zum Theil E. H. Weber u. A. beistim-
men, daſs in frühester Zeit der Kreislauf in Form einer Achte
(8) vor sich ginge, nämlich was die Arterien betrifft in einer
Strömung von links nach rechts für die obere und einer Strö-
mung von rechts nach links für die untere Körperhälfte. — Auf
diese Verschiedenheit der Gefäſse im Laufe der Embryonalent-
wickelung lassen sich auch die meisten der sogenannten Varietä-
ten der groſsen Gefäſsstämme am Herzen, wie sie pathologisch
gefunden werden (vgl. vorzüglich Otto Bernhard de arteriarum
e corde prodeuntium aberrationibus Berol
. 1818. 4., Fr. Tie-
demann tabulae arteriarum c. h
. 1822. fol. tab. IV., Otto
Lehrb. d. pathol. Anat. Bd. 1. 1830. 8. S. 300—308. und E. H.
Weber in Hildebr. Anat. III. S. 173—177.), wo nicht alle Ge-
fäſsvarietäten überhaupt als Bildungshemmungen reduciren. Mek-
[316]Von dem Embryo.
kel und Huschke haben schon manche schwierige Form auf diese
Weise erklärt. —


Als Ergänzung des Gesagten, welches vorzüglich die spä-
teren Arterienstämme anging, müssen wir nun die Darstellung
der Venenmetamorphose folgen lassen. Allein wie bei den
Arterien der Centralpunkt die Nähe des Herzens war, so ist
er hier auſser diesem noch die Leber, gleichsam eine zweite
Venenlunge. Wir müssen daher noch auſser den der Aorte und
Lungenschlagader entsprechenden Hohlvenen und Lungenvenen
das Verhältniſs der Pfortader zur Hohlader hier nothwendig in
Betrachtung ziehen. Zuvörderst nun wiederum zuerst die voll-
ständige Metamorphose bei dem Vogel. Wir haben oben gesehen,
daſs über den Kopf des Embryo eine bis zwei und über dem
Schwanze desselben eine oder nur selten zwei Venen aus dem
Gefäſshofe verliefen, welche zusammentraten und in ihrer einfa-
chen Verbindung den untersten Theil des in sich gewundenen
Herzschlauches darstellten. Die nun später entstehenden neuen
Venen des Gefäſshofes ergieſsen sich nach v. Bär (l. c. S. 54. bei
Burdach S. 281.) auf der linken Seite in die aufsteigende Vene,
auf der rechten in einen eigenen kleineren Stamm, der sich kurz
vor (oder bei) ihrem Eintritte in das Herz mit der linken auf-
steigenden Vene verbindet. Die eintretenden Venenstämme bil-
den nun den Zipfel des Herzens (l. c. S. 58. bei Burdach S.
284.). Mit der weiteren Krümmung des Herzens zieht sich dann
das venöse Ende nach oben gegen die Wirbelsäule zu zurück und
die Vene wird von dem Speisekanal mit zwei Schenkeln umfaſst,
die sich verlängern, diesen Theil des Gefäſsblattes hervortreiben,
indem sie selbst sich verzweigen und den Anfang der Leber dar-
stellen. Diese besteht nun am Ende des dritten Tages aus zwei
Blättchen, auf denen sich Blutgefäſschen verästeln und den noch
ungetheilt zwischen ihnen hindurchlaufenden Venenstamm um-
schlieſsen. So wird eine Stelle desselben als Stamm der künfti-
gen Pfortader bezeichnet. Zwischen diesem Punkte und dem
Herzen zieht sich nun der Venenstamm aus und in diesen Theil
desselben münden die späteren Körpervenen. Nun (S. 72. bei
Burdach S. 302.) sondert sich Pfortader- und Hohlvenensystem
immer mehr, indem die Vena portarum sich in der Leber ver-
ästelt und der Stamm, in welchen sie mündet, in bedeutender
Extension zu dem Herzen verläuft. Am vierten Tage sah Bär
die Vena jugularis deutlich und auſserdem noch eine Vene (In-
[317]Entstehung des Blutes und der Blutgefäſse.
tercostalvene nach ihm), die mit der Drosselvene jeder Seite noch
vor ihrem Eintritte in das Herz sich verbindet. — Der Stamm
der Pfortader (l. c. S. 93. bei Burdach S. 322.), welche die übri-
gen Darmvenen in frühester Zeit aufnimmt, entstand aus einer
Dottervene, welche v. Bär zum Unterschiede von der bald zu
nennenden die vordere Dottervene nennt. Denn längs des hinte-
ren Theiles des Darmkanales verläuft nun noch eine Vene, welche
die vereinigten Venen des Schwanzes, der Kloake und der ande-
ren daselbst gelegnen Theile aufnimmt. Sie stellt die von Nico-
lai beschriebene Venenverbindung bei dem Vogel, das Analogon
von Jacobsons Entdeckung bei den Amphibien dar. — Die Na-
belvene verläuft an der unteren Fläche der Bauchwand nach vorn,
giebt später einen Ast an jede Hälfte der Leber, verbindet sich
nach vorn mit einer Lebervene, die sogleich in die von oben sich
eindrückende Hohlvene mündet. Der vorderste Theil dieses Ge-
fäſses entspricht also dem ductus venosus Arantii. — Anfangs
(l. c. S. 114. bei Burdach S. 345.) ist bei dem Hühnchen nur
eine Hohlvene da, welche die vorderen Hohlvenen, d. h. Drossel-,
Arm- und Intercostalvenen als Aeste aufnimmt. Der gemeinschaft-
liche Stamm wird nun immer kürzer, so daſs am achten oder
neunten Tage alle genannten Venen in einen Punkt nur münden
und späterhin gänzlich aus einander treten. So (l. c. S. 129.
bei Burdach S. 361.) nimmt die hintere Hohlvene die rechte vor-
dere auf, während die linke vordere eine selbstständige Mündung
hat. Zuletzt endlich (l. c. S. 132. bei Burdach S. 365.) trennen
sich auch die Mündungen der linken vorderen und der hinteren
Hohlvene und rücken bedeutend aus einander.


Ueber die früheste Form des hierher gehörigen Venensyste-
mes bei den Säugethieren hat Rathke schöne Beobachtungen
in neuester Zeit bekannt gemacht (Meck. Arch. 1830. S. 63
— 70. und S. 434—439.), die sich leider nur auf Schaaf-
und Schweineembryonen, wo die Vena azygos fehlt, beschrän-
ken. Bei Früchten, deren Kiemenspalten nebst ihren Gefäſsbogen
noch vorhanden waren, kam von hinten nach vorn, von der äu-
ſseren Seite des oberen Randes der falschen Nieren (Wolffschen
oder Okenschen Körper) auf jeder Seite eine Vene, welche nach
vorn stärker wurde und viele Nebengefäſse aus den falschen Nie-
ren aufnahm. Der rechte Venenstamm (hintere Hohlvene der
rechten Seite) entsprang aus den Venen des Schwanzes und der
[318]Von dem Embryo.
hinteren Extremitäten, der linke (hintere Hohlvene der linken
Seite) aus den hinteren Enden der falschen Nieren. Es existiren
daher in frühester Zeit zwei hintere Hohlvenen. Auf dieselbe
Weise gingen auch zwei vordere Hohlvenen zum Herzen. Ueber
der venösen Herzhälfte flossen obere und untere Hohlvene in ei-
nen Bogen jederseits zusammen, aus dem ein kurzer etwas enge-
rer Ast hervorging. Mit dem Aste der rechten Seite verband
sich die von unten kommende Lebervene. Beide Aeste aber ver-
einigten sich zu einem in die Vorkammer sich einsenkenden
Stamme, in welchem Vereinigungswinkel Lungen und Speiseröhre
lagen. — Der Stamm, in welchen beide Aeste zusammentreten,
verkürzt sich nun und verschwindet dann, so daſs bald beide
Aeste in die Vorkammer münden. Auf gleiche Weise verkürzt
sich jetzt der Ast der rechten Hohlader, so daſs diese sich neben
einander in die Vorkammer einsenken und zuletzt sogar aus ein-
ander rücken. Bald nach der Schlieſsung der Kiemenspalten ent-
steht ein Verbindungszweig zwischen der vorderen rechten und
der vorderen linken Hohlvene, der sich schnell vergröſsert, wäh-
rend der hinter ihm liegende Theil der vorderen linken Hohl-
vene sich verkleinert und schwindet. Die linke Hohlvene ver-
längert sich mit dem weiteren Wachsthume des Embryo und ver-
dickt sich, indem sie alle hinter dem fünften Rippenpaare befind-
lichen Intercostalvenen aufnimmt, schlägt sich dann über die linke
Vorkammer hinweg und mündet in die rechte hintere Hohlvene.
Ihr in der Bauchhöhle gelegener Theil verkürzt sich nun und
schwindet bis auf einen kleinen Ueberrest in der Nähe des Zwerch-
felles. Das Ende der Vene dagegen liegt dicht vor der Mündung
der rechten Hohlvene und verbindet sich mit einer eigenen Oeff-
nung mit der Vorkammer. Sie wird nun so allmählig zur Vena
hemiazygea
. Die unterdeſs entstandenen Lungenvenen liegen auf
ihr und kreuzen sich mit ihr. Der zwischen V. hemiazygea und
V. jugularis sinistra befindliche Theil der linken, vorderen
Hohlvene ist unterdeſs bis auf einen kleinen Gefäſszweig geschwun-
den. Die rechte hintere (bleibende) Hohlvene ist mehr nach der
Mitte gerückt und nimmt jetzt auch mehr Blutadern aus der lin-
ken falschen Niere auf (S. 435.). Zuerst geht die Nabelvene in
überall gleicher Weite unterhalb der Leber in einer Furche fort,
tritt nach vorn etwas vor und mündet in den oben genannten
Communicationsstamm der vorderen und hinteren Hohlvene der
[319]Entstehung des Blutes und der Blutgefäſse.
[rechten] Seite. Unterhalb der Leber giebt die Nabelvene einige
Aeste zur Leber, von denen der hinterste zur hinteren Fläche die-
ses Organes, wo auch die Gekrösvene in dasselbe tritt, geht.
Die hinteren Aeste führen wahrscheinlich das Blut in die Leber
hinein, während die vorderen es wieder in die Nabelvene brin-
gen, wo es mit dem Blute der Nabelvene, welches die Leber
nicht passirt hatte, zu dem Herzen strömt. Daſs dieses so sey,
giebt sich in der Folge noch deutlicher zu erkennen. Der Theil
der Nabelvene, welcher in der Furche der Leber liegt, wird in
seiner Mitte zusammengezogen und schwindet endlich ganz, und
so wird die Communication zwischen der vorderen und hinteren
Hälfte der Vena umbilicalis völlig unterbrochen. Die vordere
Hälfte wird nun zur wahren Vena hepatica und mündet in den
Communicationsast der rechten vorderen und hinteren Hohlvene.
Nun nähert sich die Leber der hinteren Hohlvene immer mehr
und es bilden sich zwischen ihr und dieser Verbindungsäste.
Man sicht später zwei Venae hepaticae aus der vorderen
Fläche der Leber hervorkommen, von denen die eine sich
in die rechte, die andere in die linke Seite der hinteren
Hohlader mündet, während zwei bis drei Gefäſse von dem hin-
teren Theile der rechten Leberhälfte hervortreten und sich hinter
einander in die Hohlvene öffnen. Die beiden vorderen Venen
vereinigen sich nun zu einem Stamme, der sich in die Hohlvene
ergieſst. Der Ast der Nabelvene dagegen, welcher zu der hinte-
ren Fläche der Leber verläuft, spaltet sich immer mehr in zwei
Hälften für die rechte und linke Leberhälfte, verbindet sich durch
den rechten Hauptast mit der Gekrösvene und führt zuletzt nach
dem Verschwinden des Mittelstückes der Nabelvene alles Blut
aus der Nabel- und Gekrösvene zur Leber und stellt so die
Vena portarum dar, deren Bildung also mehr von der Nabel-
als von der Gekrösvene ausgeht. Vor der Mitte des Fruchtle-
bens entsteht ein Verbindungszweig zwischen dem rechten Aste
der Pfortader und der rechten hinteren Hohlvene, der Ductus
venosus Arantii
, indem hinter den bleibenden Lebervenen eine
dritte Vene sich bildet, deren einer Ast sich mit dem rechten
Aste der Pfortader vereinigt. Dieser erweitert sich immer mehr,
während die übrigen Aeste der ursprünglichen Vene immer mehr
schwinden und so flieſst nun ein Theil des Nabelvenenblutes,
ohne die Leber passirt zu haben, unmittelbar in die untere Hohl-
[320]Von dem Embryo.
ader. — Was nun die vereinzelten Beobachtungen bei dem Men-
schen betrifft, so beschreiben Haller (Grundr. der Physiol. übers.
v. Leveling II. S. 609.) und mit ihm Hildebrandt, Sömmering,
E. H. Weber u. A. Aeste, welche vor der Theilung der Leber-
vene in der Leber selbst verlaufen, die jedoch von Heister, Trew,
Röſslein und Morgagni bestritten werden. (S. Danz l. c. S. 221.)
In einem 3½ Zoll langen Fötus sah Meckel (Abhandl. S. 454.) die
Nabelvene, nachdem sie an die Leber getreten, einen groſsen Ast
nach oben und einen kleineren nach unten in den rechten Leber-
lappen abgeben. Bei ihrem Eintritte in die Pfortader erweiterte
sie sich beträchtlich, setzte sich dann nach links fort, sendete
nach dem linken Leberlappen kleinere Aeste und verband sich
durch den venösen Gang mit der hinteren Hohlvene kurz vor dem
Eintritte derselben in die Brusthöhle. An dem Anfange und
Ende des ductus venosus Arantii glaubte Trew (de diff.
inter h. natum et nascendum.
1736. 4. p. 75.) Klappen
gesehen zu haben, welches aber unrichtig ist, wie schon
Danz (l. c. S. 223.), Schrag (de diff. int. h. nasc. et nat. 1827.
4. p. 21.) u. A. bemerken. Denn die Nabelvene ist durchaus
ohne Klappen. — Nach Burdach (Physiol. II. S. 520.) geht wahr-
scheinlich eine einfache Gefäſsschlinge zur Leber, die in ihrem
arteriösen Schenkel zur Pfortaderverzweigung, in ihrem venösen
zur Lebervene wird. — Die Aberrationen der Venen (vollständig
zusammengetragen bei Otto l. c. S. 347.) lassen sich ebenfalls
zum gröſsten Theile auf Bildungshemmungen reduciren.


b. Ein zweiter Athmungskreislauf entsteht an dem hinteren
Ende des Körpers. Wenn der Kiemenkreislauf in dem Embryo
der höheren Wirbelthiere nur angedeutet wird, bald schwindet
und zum Theil in die Vorbereitung des Athmungskreislaufes des
Erwachsenen eingeht, so versieht der entgegengesetzt gelagerte
Kreislauf während des gröſsten Theiles des Fötuslebens die Res-
pirationsfunctionen und schwindet erst in dem Momente, wo
Mutter und Frucht sich trennen d. h. wo die letztere wahre
Selbsständigkeit erlangt. Die Entstehung dieses Kreislaufes geht
aber primär von dem schon relativ selbstständigen Embryonal-
körper aus, schmiegt sich an den mütterlichen, ihm als ernähren-
des Medium dienenden Körpertheil an und kommt mit dessen
Blute in dieselbe Berührung, in welcher späterhin die feinsten
Blutgefäſsnetze der Lungen mit der äuſseren Luft stehen. Was
aber
[321]Entstehung des Blutes und der Blutgefäſse.
aber im Erwachsenen die Atmosphäre ist, ist hier ein flüssiges
Medium, das Blut der Mutter, welches jedoch nicht frei, sondern
in dünnen Kanälen eingeschlossen das Blut des Fötus umspült.
Die Respiration selbst ist auch hier kein wahrer Austausch bloſs
luftförmiger Stoffe. Die Blutbahn des Athmungsorganes, die Pla-
centa, erinnert daher mehr oder weniger an Kiemenbildung und
stellt auf diese Weise ein schönes Mittelglied zwischen früherer
Kiemenbildung (bogenförmig gekrümmter Stamm, dessen dem Her-
zen näheres Ende Arterie, der Aortenwurzel näheres Ende dage-
gen Vene ist) und den Blutgefäſsnetzen der Lungenzellen nach
eingetretener Lungenrespiration dar. Eben daher steht auch der
Charakter der feinsten Blutgefäſsnetze, die in den äuſseren, im
Wasser frei flottirenden Kiemenblättchen der Larven der Frösche,
Salamander u. dgl. vorkommen, dem Charakter derselben in der
Placenta so äuſserst nahe. — Die Placenta entsteht aber theils
durch Vorbereitung des mütterlichen Körpers, theils durch eine
bei dem ferneren Wachsthume des Embryo entstehende neue Bil-
dung aus dem Körper der Frucht selbst. Es ist daher nothwen-
dig, daſs wir diese beiden Seiten in das Auge fassen und in ih-
ren gegenseitigen Verhältnissen darstellen. Um aber ihren Zu-
sammenhang genau einzusehen, müssen wir sie nicht bloſs bei
dem Menschen, sondern auch ihren Charakter bei Vögeln und
Säugethieren kürzlich berühren, wie wir ihn durch die neuesten
Untersuchungen von Bär (üb. Gefäſsverb. zwisch. Mutt. u. Frucht
1828. fol.), Haulik (de nexu inter foetum et matrem 1830. 4.)
und E. H. Weber (Hildebr. Anat. IV. S. 495—507.) kennen ge-
lernt haben. — Die Allantois (s. d. Abschn. Ei und unten Schleimbl.)
ist eine Ausstülpung der Kloake, die aus dem Körper heraus-
wächst und sich zwischen Chorion und Amnion einlegt. An ih-
rer Ursprungsstelle aus der Kloake liegt sie an den beiden gabel-
förmigen Spaltungslinien der Aorte, die sich später erst in iliacae
und hypogastricae trennen. Sie bedeckt sich nun mit einem
Gefäſsblatte, das seine arterielle Wurzel mit zwei Stämmen, den
künftigen Arteriis umbilicalibus, unter der Spaltung der Aorte,
seine venöse Mündung in frühester Zeit wahrscheinlich in der
rechten, hinteren Hohlader (s. oben), späterhin aber zum Theil in
dieser, zum Theil in der Pfortader hat. Dieses Gefäſsblatt wächst
bis an die Eischaalenhaut, wo es durch diese und die poröse
Schaale mit der äuſseren Luft in Berührung kommt. Bei den
21
[322]Von dem Embryo.
Säugethieren erscheint derselbe Hergang in einer der Natur der
Sache nach veränderten Gestalt. Es kommt nämlich, da das Ei
in mehr oder minder innigem Contacte mit dem Mutterkörper
bleibt, eine Veränderung der Innenfläche des Uterus hinzu, wel-
che, der Production des Gefäſsblattes entsprechend, sich neben
diesem einlegt, in innige Contiguität, durchaus aber in keine Con-
tinuität mit ihm tritt. Wir wissen nämlich, daſs die äuſserste
Eihaut des Säugethieres das Chorion oder nach Burdachs genaue-
rer Benennung das Exochorion ist. Auf dieses folgt in frühester
Zeit die von ihm rings umschlossene Fötalhülle, das Amnion.
Zwischen beide tritt auch hier, wie bei den Vögeln, die Allan-
tois mit ihrem Gefäſsblatte. Dieses Letztere, Burdachs Endocho-
rion, legt sich nun an die Innenfläche des Exochorion und bildet
sich an der oder den Stellen, wo von mütterlicher Seite Pro-
ductionen entgegenkommen, in das Exochorion hinein. Beide
treten in mehr oder minder innige Berührung mit einander und
stellen zusammen die Placenta dar. Die von der Gebärmutter
kommende Produktion heiſst Mutterkuchen, placenta materna
s. uterina
, die von dem Kinde kommende, aus Exochorion und
Endochorion bestehende, Fruchtkuchen, placenta foetalis. Func-
tionell betrachtet ist für den Embryo der Fruchtkuchen Athmungs-
organ, der Mutterkuchen dagegen das den Stoffwechsel in dem
Blute bedingende Medium. Um aber das so oft bestrittene und
so verschieden angesehene Verhältniſs zwischen Frucht- und Mut-
terkuchen klar aufzufassen, müssen wir nothwendig einen Blick
auf die Gestaltung dieser Theile bei den Säugethieren werfen.
Durch v. Bärs Untersuchungen hat man bei ihnen bis jetzt vier
Reihen kennen gelernt und zwar: Die Placenta ist 1. gürtelför-
mig und zusammenhängend bei den Pachydermen, 2. in mehrere
Theile getrennt bei den Wiederkäuern, 3. gürtelförmig um das
Ei bei den Raubthieren und 4. an einem Ende des Eies bei dem
Menschen. — 1. Auch in dem nicht schwangeren Fruchthälter
des Schweines findet sich eine Reihe nur schwer kenntlicher,
kleiner Zotten auf dicht zusammengedrängten schmalen Leistchen
(Gefäſsverb. S. 3.). Diese Zottenfalten des Uterus (S. 5.) vergrö-
ſsern sich in dem Anfange der Schwangerschaft, so wie die sie
verbindenden Falten, so daſs ein maschenförmiges Aussehen an
der Innenfläche des Fruchthälters entsteht, wenn aus dem in das-
selbe getretenen Eie die Zottenfalten sich ebenfalls gebildet und
[323]Entstehung des Blutes und der Blutgefäſse.
erhoben haben. Diese letzteren hören an beiden Enden des Eies natür-
lich da auf, wo das Exochorion bei diesen Thieren von dem Endo-
chorion und der Allantois durchbohrt wird und die diverticula
allantoidis
dargestellt werden. Nun tritt ein gewisser Gegen-
satz ein. Im Fruchthälter vergröſsern sich die verbindenden
Leistchen etwas stärker, als die Zottenfalten, so daſs das Ganze
ein bienenzellenartiges Gewebe darstellt. In dem Exochorion da-
gegen bilden sich die Falten allein und vorherrschend aus (S. 7.).
Die Zottenfalten des Exochorion greifen nun in die Maschenhöh-
len zwischen den Zottenfalten des Fruchthälters ein, und so stel-
len die letzteren den Mutter-, die ersteren dagegen den Frucht-
kuchen, beide zusammen aber eine gürtelförmige Placenta dar.
Nun dringt das Gefäſsnetz der inneren Fläche des Uterus in den
Mutterkuchen ein, das Endochorion, dessen auf dem diverticulum
allantoidis
befindlicher Theil unterdeſs geschwunden ist, in das
Exochorion. Auf diese Weise liegen die Gefäſse der Mutter und
des Kindes in einer sehr groſsen Oberfläche neben einander, ge-
hen aber nirgends in einander über. — 2. Das Ei der Wieder-
käuer ist über seine Oberfläche nie continuirlich mit Zottenfalten,
eben so wenig, als der Uterus bedeckt, sondern beide concentri-
ren sich nur an gewissen einander entsprechenden Stellen. Beide
zusammen entsprechen den künftigen, kleineren und gröſseren Co-
tyledonen (getrennten Placenten), die nach E. H. Weber (l. c. S.
505.) bei der Kuh gegen 60, bei dem Rehe 5 der Zahl nach sind.
Die Productionen des Fruchthälters (Mutterkuchen) sind nach v.
Bär (l. c. S. 13.) früher, als die des Exochorion (Fruchtkuchen).
Beide treten nun in innige Verbindung, bleiben jedoch durch eine
Masse einer chylösen Flüssigkeit getrennt, wodurch sie leicht und
ohne Verletzung von einander geschieden werden können. Schon
Harvey kannte diesen gallertartigen Stoff bei dem Dammhirsche
und machte hieraus schon den Schluſs, daſs Mutter- und Frucht-
kuchen durchaus nicht continuirlich in einander übergehen, so wie
er ihm zu einer interessanten Vergleichung des Eies der Säuge-
thiere mit dem der Vögel diente. Seine eigenen Worte (Con-
ceptus Cervarum et Damarum ut se habeat mense Decembri
in Exerc. de generat. animal. Exere. LXX. Amstelod.
1651.
12. p. 461. 462.) sind folgende: In gibba sive convexa carun-
cularum parte, quae conceptum spectant, miram Naturae
observavi solertiam: in plurimis nempe cavitatibus et coty-

21*
[324]Von dem Embryo.
ledonibus, sive acetabulis exterius hiantibus, materia alba
et mucilaginosa reperiebatur, quae (ut mel favos) carun-
culam totam implebat eratque colore, consistentia ac sapore
albumini ovi persimilis. Conceptum vero a carunculis istis
si avulseris, videas illico ex singulis cotyledonibus et favis
eorundemque mucore totidem surculos, sive capillares vaso-
rum umbilicalium ramusculos
(tamquam filamenta oblonga)
simul extrahi: quemadmodum herbas e terra evulsas radi-
ces suae comitantur. — Unde clare constat, vasorum umbi-
licalium extrema nullo modo cum vasis uterinis per anasto-
mosin conjungi; neque sanguinem ex illis haurire, sed in
mucagine ista terminari atque obliterari indeque sibi ali-
mentum sumere
; eodem prorsus modo, quo antea ex humore
albugineo intra conceptus tunicas comprehenso victum quae
ritabant. Et quemadmodum in ovo gallinaceo pullus per
vasa sua umbilicalia ex albumine alitur, sic etiam foetus
in damis et cervis ex consimili in his cellulis reservato al-
bumine nutritur, non autem ex sanguine
.“ — Der Mutterku-
chen tritt bedeutend über die Innenfläche des Fruchthälters her-
vor und hat bei Kühen eine convexe und bei Schaafen eine con-
cave Oberfläche. Die Blutgefäſse des Fruchthälters bilden sich nun
in den Mutterkuchen, das Endochorion in den Fruchtkuchen so ein,
daſs beide zwar nur an einzelnen Stellen, aber in einer fast und zu-
gleich gröſseren, als bei dem Schweine noch möglichst ausgedehnten
Oberfläche mit einander in Berührung kommen. — 3. Bei Hunden
findet sich eine gürtelförmig das Ei umgebende Placenta, in welcher
Mutter- und Fruchtkuchen auf das Innigste zusammenhängen, im
Ganzen also einen wahren Mutterfruchtkuchen darstellen (v. Bär
S. 23.). Die Uteringefäſse umspinnen die Zotten des Fruchtku-
chens von allen Seiten, gehen sogar in ihre Grundlage ein, indem
sie sich zwischen die Abtheilungen der placenta foetalis drän-
gen und in der Tiefe verzweigen. Ein unmittelbarer Zusammen-
hang beider findet aber durchaus nicht Statt und die scheinbare
Anfüllung der Aorte von dem Fruchthälter aus beruht auf Extra-
vasation der Masse, in der zwischen den Darm- und Visceralplat-
ten liegenden Rinne, der künftigen Bauchhöhle, in deren Mitte
die unausgefüllte Aorta sich befindet. So weit von Bär. Haulik
(Casparus Haulik de nexu inter foetum et matrem. Vindo-
bon
. 1830. 4.) hat, gestützt auf die feinen Injectionspräparate des
[325]Entstehung des Blutes und der Blutgefäſse.
trefflichen Czermark, diese Beobachtungen theils bestätigt, theils
erweitert. Nach ihm (p. 3.) hängt, wie Ev. Home schon angege-
ben, entweder die ganze Oberfläche des Eies mit dem Uterus zu-
sammen oder mehrere Cotyledonen bilden diese Verbindung oder
es findet sich nur eine einfache Placenta. 1. Das Erstere findet bei
den Solidungulis Statt, wo die äuſsere Oberfläche des Chorion mit
Büscheln sehr zarter Gefäſse bedeckt ist, welche den Darmzotten
ähnlich sehen und denen Vertiefungen in dem Fruchthälter entspre-
chen. Zwischen beiden befindet sich eine reichliche Quantität einer
chylusartigen Masse. So zertheilen sich in einem fünf Monate träch-
tigen Pferde die gröſseren Gefäſse in sehr viele Aeste; jeder
Stamm aber endigt in zehn bis zwölf Büschel, in denen der Ue-
bergang der Arterien in die Venen schon mit bloſsem Auge ge-
sehen werden kann. Eben so ist die Verbindung in dem Kameele,
wo das Chorion eine Gefäſsmembran darstellt, und in Balaena,
wo die Gefäſse zu Büscheln sich sammeln, beschaffen. Was das
Schwein betrifft, so fügt der Vf. zu den richtigen Beobachtungen
Bärs noch hinzu (p. 4.), daſs nach Czermak der unmittelbare Ue-
bergang aus den Arterien in die Venen schon in den ersten Wo-
chen nachgewiesen werden kann. 2. Einzelne Cotyledonen fin-
den sich bei den Wiederkäuern, in der Kuh meist 70—100 (p.
4.). Sie bestehen aus zwei Theilen: 1. dem Uterustheile, glan-
dulae uterinae
und 2. dem Fötustheile, villi foetales, nach
Czermak. Diese Letzteren sind von verschiedener Gröſse von ⅕
Linie bis 1 Zoll 4—5 Linien Länge; die gröſseren meist rund,
die kleineren oval. Auſserdem finden sich einzelne Zotten zwi-
schen den Cotyledonen zerstreut. Die in der Mitte eines jeden
Cotyledon befindlichen Zotten sind perpendikulär, die an der
Peripherie nach dem Centrum hin gerichtet. In jeder Zotte,
welche ⅙—2½ Linien lang und 1/40—1/60 Linie breit ist, verlaufen
die Arterien an dem Rande und die mit ihnen sich verbindenden
Venen in der Mitte (p. 5.). Zu jedem Fötaltheile eines Cotyle-
don geht eine Arterie hin und aus ihm kehren zwei Venen zu-
rück. Doch ergieſsen oft zwei Cotyledonen ihr Blut in eine
Vene, so wie die kleineren Cotyledonen nur eine Blutader haben.
An der inneren Oberfläche des Chorion aber bilden die Gefäſse
da, wo die Zottenbüschel ansitzen, Schlingen, d. h. Anastomosen
von Arterien und Venen. Die glandulae uterinae sind meist
oblong-eiförmig und sitzen mit einer verschmälerten Basis am
[326]Von dem Embryo.
Uterus (p. 7.). Jedem Zottenbüschel entsprechend hat jede glan-
dula
eine ¼—⅕ Linie im Durchmesser haltende Vertiefung, die
in der oberen Oberfläche am gröſsten ist und nach dem Rande
hin abnimmt. Die Gefäſse verlaufen in ihnen theils geschlängelt,
wie die Saamengefäſse, theils traubig, wie in mehreren Drüsen,
theils knäuelförmig, wie in den Nieren. In dem Zebra (p. 8.)
sind die gröſseren Cotyledonen symmetrisch in zwei Reihen ge-
ordnet und variiren von 3 Zoll 7⅞ Linien Längen- und 1 Zoll 3
Linien Breiten-Durchmesser bis zu einer halben Linie. Zu jedem
Cotyledon gehen 2 bis 3 Arterien, aus ihm kommen 4 bis 5 Ve-
nen. In dem Schaafe fand der Vf. nach einem von Barth ange-
fertigten Präparate an der äuſseren Oberfläche des Fruchthälters
gröſsere Arterienstämme, die an die innere Oberfläche des Uterus
gelangen und sich in sehr viele Aeste spalten, mehr gerade nach
der Glandula hin verlaufen, ihren Rand vielfach umstricken,
fast bis zur Hälfte ihrer Höhe emporsteigen und sehr zierliche
Schlingen bilden. Andere Aestchen dringen in die Gruben selbst
hinein und bilden um die Poren eigene Kreise. Noch andere
minder feine verlaufen in dem Parenchyme am Rande und bilden
zahlreiche Büschel, so daſs eine Aehnlichkeit mit den Nieren aus
diesem Allen entsteht (p. 9.). 3. Wegen der dritten Form ver-
weiset H. auf die von Home und Bär an Thieren gemachten Beob-
achtungen. — Was nun den Menschen betrifft, so ist schon Meh-
reres über die Eizotten oben berichtet worden (s. d. Abschn. Ei).
Hier müssen wir daher noch das Wichtigste über die Blutgefäſse
nachholen. Die Verbreitung der Nabelarterien und der Nabelvene
ist von der Art, daſs zu jedem Zottenbüschel wenigstens eine Arterie
geht und aus ihm eine Vene zurückkömmt. Dies hat schon Wrisberg
(observ. de struct. ovi et secund. h. 1783. 4 tab. I. fig. 2. ab-
gedr. doch mit weit zurückstehenden Abbildungen in s. Com-
mentat. Vol. 1. p. 332.) sehr schön dargestellt und Haulik
(l. c. p. 12. 13.) nach einem Barthschen Präparate bestätigt. Bis
an das Ende der Flocken die Blutgefäſse zu verfolgen, gelang in
neuerer Zeit vorzüglich Lobstein und E. H. Weber. Nach Letz-
terem tritt in der Regel zu jeder Zotte ein Blutgefäſs, wel-
ches an ihrem abgerundeten Ende umbiegt und die rücklaufende
Vene darstellt. Den Durchmesser der Arterie und Vene, die
gleich dick waren, fand er (l. c. S. 494.) 0,000750 P. Z. 0,000250
P. Z. Leider ist es bei dem Menschen durch eine consequente
[327]Entstehung des Blutes und der Blutgefäſse.
Reihe von genauen Beobachtungen noch nicht nachgewiesen, wie
diese Chorionflocken (Fruchtkuchen) zum Mutterkuchen in den
verschiedensten Bildungsstadien sich verhalten — ein Umstand,
den nur eine vollständige Reihe guter Injectionspräparate aufhel-
len könnte. Wir ziehen es daher vor zuerst über den Bau der
ausgebildeten Placenta zu sprechen und zuletzt einiges Historische
und Vermuthungen über die Art und Weise der Entstehung der-
selben anzuführen. Nach E. H. Weber (l. c. S. 495. 96.) besteht
die ausgebildete Placenta des Menschen ebenfalls aus dem Mut-
terkuchen (pars uterina placentae) und dem Fruchtkuchen
(pars foetalis placentae). Der Mutterkuchen ist der an dem
Fruchtkuchen liegende Theil der decidua vera nebst den von
dem Uterus aus sich hineinbildenden Gefäſsen des Fruchthälters;
der Fruchtkuchen besteht aus den baumförmigen Flocken des
Exochorion nebst den Blutgefäſsen des Endochorion, welche sich
in dieses hineinbilden. Die Gefäſse der placenta uterina haben
nur die innere Gefäſshaut. Die Venen bilden vielfach mit ein-
ander communicirende Netze und werden um so weiter, je tiefer
sie in die placenta foetalis eindringen. Diese besteht aus vie-
len einzelnen Lappen (Cotyledonen), welche von dem Mutterku-
chen überzogen werden. Die Flocken derselben ragen in die
Zwischenräume der Mutterkuchennetze hinein, wodurch die da-
zwischen liegende decidua vera durchbohrt wird. So sind zwar
Mutter- und Fruchtkuchen auf das Innigste mit einander in Ver-
bindung. Sie treten aber genauer ausgedrückt nur in die dich-
teste Berührung, gehen jedoch durchaus an keiner Stelle in einander
über. Der Blutkreislauf von Mutter und Frucht sind gänzlich
von einander geschieden und jeder unmittelbare Zusammenhang
zwischen beiden findet nirgends Statt. Zwar streiten die gröſsten
Auctoritäten gegen diesen Satz und Haller, als der Centralpunkt
der Physiologie des vergangenen Jahrhunderts, ist an der Spitze
der Gegner, wiewohl anderseits auch ein Theil seiner Erfahrun-
gen wider die unmittelbare Communication beider Blutarten
spricht. Allein betrachtet man seine Darstellung genauer, so sieht
man, daſs er zwei durchaus verschiedene Dinge confundirt hat,
nämlich: 1. den Stoffwechsel zwischen mütterlichem und kindli-
chem Körper und 2. den unmittelharen Gefäſszusammenhang der
Mutter und der Frucht. Das Erstere wird in allgemeinem Sinne
Keiner bestreiten, wohl aber Jeder in dem Sinne, in welchem es
[328]Von dem Embryo.
Haller (Elem. physiol. VIII. p. 238—250.) nimmt, nämlich nicht
sowohl als modificirte Respiration, denn als wahre Ernährung und
wahrhaft reichliche und durch nichts vermittelte Zufuhr von Ali-
mentations- und Wachsthumsstoffen. Den Uebergang der Frucht-
gefäſse in die Gefäſse der Mutter stützt H. auf folgende leicht
zu widerlegende Gründe: 1. Das plötzliche Aufhören des Ka-
tamenialflusses nach der Conception sey unerklärlich, wenn man
nicht annähme, daſs das auszuscheidende Blut unmittelbar in die
Placenta übergehe. Die Möglichkeit aber überhaupt, daſs wäh-
rend der Ausbildung des Eies im Uterus wahres Blut ausgeschie-
den werde, wird nirgends dargethan. Wodurch würde auch der
Fötus derjenigen Frauen ernährt, welche selbst während der
Schwangerschaft oder nur in dieser menstruiren? 2. Stärkere
Fötus haben weniger Schaafwasser; ihre Placenta hängt aber fe-
ster an. Von beiden Dingen wird häufig genug gerade das Ge-
gentheil beobachtet. 3. Hat die Mutter vor ihrem Tode sehr viel
Blut verloren, so ist auch die Frucht blutlos, wie Deny’s Erfah-
rungen an Katzen und Mery’s an Hasen darthun. Nach Letzterem
sey, wenn der Fötus in dem Uterus durch Compression der Na-
belschnur abgestorben, der erstere mit Blut überfüllt. Auch sol-
len sich Frauen nach der Ausschlieſsung der Frucht durch den
Nabelstrang verblutet haben. Allein die letztere Erfahrung hat
schon Röderer bestritten, die zweite beweist gar Nichts und die
erste ist, wie v. Bär (Gefäſsverb. S. 25.) gezeigt hat, durchaus
unwahr. Ja Wrisberg hat schon vor einem halben Jahrhundert
an Menschen, Hunden und Katzen in dieser Beziehung dieselben
Erfahrungen wie v. Bär gemacht (s. Hallers Grundr. II. S. 790.).
4. Nach Entfernung der Placenta trete bedeutende Hämorrhagie
aus dem Uterus ein. Die oben beschriebene innige Verbindung
zwischen Mutter- und Fruchtkuchen, wodurch so leicht einzelne
Uterinalgefäſse verletzt werden, läſst dieses nur erwarten. Könnte
aber eine Frau eine Geburt überleben, wenn bei Lösung der Pla-
centa nothwendiger Weise alle die groſsen Gefäſsstämme des
Fruchthälters zerrissen würden? 5. Bei Injection des Fruchtku-
chens durch die Nabelgefäſse tritt Masse auf der Uterinfläche aus.
Wie leicht aber die Placentargefäſse ohne die vorsichtigste Be-
handlung verletzt werden, hat W. Hunter schon hinlänglich ge-
zeigt. 6. Mehrere und unter ihnen sehr geachtete Anatomen
sahen Injectionen aus den Gebärmuttergefäſsen in die Placentar-
[329]Entstehung des Blutes und der Blutgefäſse.
gefäſse übergehen. Allein diese Angaben beruhen entweder durch-
aus nur auf Extravasen oder auf Irrthümern, die dadurch entstan-
den sind, daſs man das gegenseitige Einsenken des Mutter- und
Fruchtkuchens bei dem Menschen nicht berücksichtigte. Ja die-
ses wird sogar durch W. Hunters Erfahrung (anat. Beschreib. des
Uterus S. 62.) zum Theil direct dargethan. Setzt man nämlich
den Tubulus der Injectionssprütze in das Zellgewebe der sonst
unverletzten placenta foetalis, so füllt sich bei dem Ein-
sprützen nicht allein dieses, sondern auch die Vena sper-
matica
und hypogastrica der Mutter. Auch haben geschickte
Zergliederer nie einen wahren Uebergang beobachtet. Als die
vorzüglichsten Namen der neueren Zeit sind in dieser Rück-
sicht zu nennen: Wrisberg (Hallers Grundr. der Physiol. II.
S. 788.), Ph. Fr. Meckel (ebendaselbst), Walter (Uterus
gravid. p.
25 sqq.), Lobstein (Ernähr. des Fötus übers. von
Kestner 1804. 8. S. 102.), W. Hunter (l. c. S. 61.), J. Fr. Meckel
(Anat. IV. S. 720.), Burdach (Physiol. II. S. 545.), Bär (Gefäſs-
verb. S. 27.), E. H. Weber (Hildebr. Anat. IV. S. 499.), Joh.
Müller (Physiol. I. S. 187. und 302.), Czermak und Haulik (l. c.
p. 14.), Lee (Annal. d. sc. nat. 1833. S. 428—433.) und Leg
(Revue médicale Sept. 1833. p. 443—447.). Ein anderes Re-
sultat liefert die Einsprützung von Oel in die Aorta abdomina-
lis
des lebendig geöffneten, trächtigen Mutterthieres, da dann
Oeltropfen nach den übereinstimmenden Erfahrungen von William
und Traill, so wie von Czermak und Haulik in den Nabelgefäſsen
angetroffen werden. Daſs dieses aber nur durch Endesmosmose
dieses leicht durchdringenden Stoffes geschehe, zeigt die Gegen-
erfahrung von Czermak und Haulik (l. c. p. 17.), daſs Bleizucker
weder in das Blut noch das Amnioswasser der Frucht ein-
drang. — Die wahre Structur der menschlichen Placenta hat
nach der Angabe E. H. Webers (l. c. S. 501.) A. Vater (Müller
diss. qua uterus etc. consideratur 1725. 4. p. 13.) und zum
Theil Nortwyk schon gekannt. — Was nun die Entstehung der
Placenta anlangt, so haben wir es schon oben berichtet, wie der
flockenleere Theil des Eies sich ausbilde und vergröſsere. Der
flockenhaltige dagegen, der Exochorion im wahrsten Sinne ist,
(aus einer oberen flockigen und der unteren glatten Schicht be-
steht) wird von dem mütterlichen Theile angezogen und bildet
sich in ihn hinein. Dieser Act der gegenseitigen innigeren Verbin-
[330]Von dem Embryo.
dung fällt in den dritten Monat der Schwangerschaft und entsteht
dadurch, daſs die Flockenbüschel und Flocken des Chorion in die
Lücken der Netze der Gebärmutter sich hineinziehen, anderseits
dagegen auch Productionen des Uterus in die Zwischenräume der
Ungleichheiten des Exochorion wiederum eindringen. Die deci-
dua
, welche zwischen beiden liegt, wird weich, körnig, und so
kann man sie noch im fünften Monate als eine körnige, leicht
destruirbare Schicht auf der Placenta deutlich wahrnehmen. Doch
wäre es interessant, die einzelnen Specialitäten des Herganges
bei dem Menschen durch fortgeführte Beobachtung zu erfahren,
wozu leider bis jetzt noch alle Daten fehlen. — So steht in dieser
Hinsicht die Placenta des Menschen der der Raubthiere, wie v.
Bär bemerkt hat, und wie es auch von der des Affen wahr-
scheinlich ist (vgl. John Hunter Bem. üb. die thier. Oekon. 1803.
S. 205.), am nächsten. Jedenfalls aber saugt sich bei ihm nicht
bloſs ein einzelner Theil in den andern ein, sondern Mutter- und
Fruchtkuchen treten in ihm in ein gleiches Verhältniſs gegen
einander, so daſs Theile des ersten eben so tief in die des zwei-
ten hineinragen, als des zweiten in die des ersten. Zwischen
beiden ist jedoch die weiche leicht zerreiſsbare decidua enthal-
ten, welche durch das Eindrängen der beiden Placenten gegen
einander zum Theil schwindet, überhaupt an Bedeutung sehr viel
verliert und vielleicht dann hier dieselbe Function zum Theil hat,
wie die sulzige Masse zwischen Mutter- und Fruchtkuchen bei
den Wiederkäuern. — Die Placenta hängt aber nicht unmittelbar
mit dem Nabel des Fötus zusammen, sondern vermittelst eines
eigenen Stranges, des Nabelstranges (funiculus umbilicalis).
Er besteht aus dem Urachus, oder dessen Ueberrest, den beiden
Nabelarterien, der Nabelvene und einer eigenen Sulze, welche
diese Theile verbindet und die Whartonsche Sulze genannt wird
(s. unten Schleimbl.). Die Gefäſse des Nabelstranges haben we-
der Vasa vasorum, noch eine äuſsere Arterienhaut und sind
wie der Nabelstrang selbst mehr oder minder spiralig gewunden.
Leicht läſst sich ein Gefäſs durch Injection des anderen füllen.


c. Wir haben nun die bisher noch nicht genannten Kör-
pergefäſse nachzuholen. Die Ausbeute ist hier leider gering,
da das Meiste noch durch künftige Forschungen aufgehellt wer-
den muſs. Die Carotis ist, wie wir oben gesehen haben, ein
Ast des ersten Kiemengefäſses. Sie verläuft ziemlich gerade nach
[331]Körpergefäſse. Herz.
dem Kopfe und umfaſst mit zwei nach hinten von ihr abgehen-
den Aesten das Ohrrudiment, geht am Augenhöhlenrande vorbei
und verästelt sich zwischen den einzelnen Hirnblasen, vorzüglich
in die zweite. So kann man es leicht bei dem Hühnerembryo
des vierten Tages sehen und eben so hat es v. Bär an seinen
Hundeembryonen beobachtet. Das zu dem Gehirne gehende
Gefäſs ist schon frühzeitig sehr stark und läſst sich daher leicht
durch die durchsichtigen Wände des frischen Embryo wahrneh-
men. Man unterscheidet an ihm bald die temporalis von der
Carotis cerebralis. Später entstehen die Gefäſse für die oberen
Extremitäten. Die Intercostalgefäſse sind bei den Säugethieren
schon deutlich wahrzunehmen, kurze Zeit, nachdem die Kiemen-
spalten sich geschlossen haben. — Wir hatten eben gesehen, daſs
längs des Rückgrathes des Embryo zwei arterielle Gefäſse ver-
liefen. Nach der allgemeinen Angabe verwachsen diese zur ein-
fachen Aorte. Allein dieses muſs ich sehr bezweifeln. Vielmehr
glaube ich in der Mitte noch ein drittes Gefäſs beobachtet zu
haben, welches sich später wahrscheinlich zur Aorte vergröſsert.
Merkwürdig bleibt es jedoch, daſs während bei den Vögeln zu
dem Dotter zwei Pulsadern unter rechten Winkeln abgehen, bei
den Säugethieren nur eine Arteria omphalo-mesaraica verläuft.
So wie am Kopfe die Carotis zuerst und die Subclavia später
sich bildet, so entsteht auch unten die Iliaca interna vor der
externa. Einiges über Gefäſse des Darmkanales und der Ge-
schlechtstheile siehe bei diesen Organen selbst.


d. Das Herz. — Man kann wohl mit Recht behaupten, daſs
es beinahe keinen Theil des Thierkörpers gäbe, dessen Entwicke-
lungsgeschichte zu allen Zeiten mit mehr Vorliebe behandelt
worden sey, als das Herz. In den ersten Jahrzehenden der wie-
der erwachenden, beobachtenden Naturforschung hatte dasselbe
auſser seiner ihm zukommenden Dignität auch der leider im ver-
gangenen und selbst hin und wieder in unserem Jahrhundert
wiederhallende Irrthum sanctionirt, als sey es, das punctum sa-
liens
, das zuerst erscheinende Organ des Embryo. So falsch
diese Behauptung auch ist, so liegt doch eine gewisse Wahrheit
hinter ihr verborgen. Denn wenn wir von der uns überhaupt
noch so völlig verschlossenen Thätigkeit des Nervensystemes ab-
sehen, so ist es das Herz, welches unter allen Organen des Kör-
pers zuerst functionell auftritt; ja diese seine erste Bewegung
[332]Von dem Embryo.
zeigt sich so früh, daſs wenigstens von Seiten der Entwickelungs-
geschichte die vielfach angeregte Frage, ob das Blut durch seine
eigene Kraft oder durch die Stoſskraft des Herzens in Bewegung
gesetzt werde, wohl nie mit Gewiſsheit wird entschieden werden
können. — Selbst nachdem man durch genauere Beobachtung
kennen gelernt hatte, daſs das Herz eben nicht zuerst gebildet
werde, dauerte doch bei den gröſsten Männern des vorigen und
des jetzigen Jahrhunderts eine gewisse Vorliebe dafür fort, dieses
Organ genetisch so vollständig, als möglich, kennen zu lernen.
So entstanden die Arbeiten von Malpighi, Haller, Pander und Bär
über die Entwickelung desselben bei dem Vogel, so die vielen Dar-
stellungen und Abhandlungen über seine Genese bei Säugethieren
von Albinus, Haller, Wolff, Ph. Fr. Meckel, Sömmering, J. Fr.
Meckel d. j. u. A. Allein dessenungeachtet kennen wir die Ge-
schichte des Herzens im Embryo vollständig nur bei dem Vogel,
vorzüglich durch die neuen Untersuchungen Bär’s, wiewohl vor
ihm Malpighi, Haller, Wolff, Pander, Pfeil, Prevost und Dumas,
Döllinger u. A. schon zerstreute Beiträge hierzu geliefert haben.
— Um nun einen Ueberblick des Ganzen zu erhalten, wollen wir
zuerst die Entwickelungsgeschichte des Herzens bei dem Hühn-
chen, vorzüglich nach v. Bär in aller Kürze möglichst vollstän-
dig auseinandersetzen und an diese das Wichtigste von den an
Säugethieren und Menschen hierüber gemachten Beobachtungen
anreihen, nachdem wir zuvor die verschiedenen Ansichten über
den Embryonalkreislauf selbst zwischen beide eingeschaltet ha-
ben. — Nach v. Bär (Entw.gesch. S. 28. bei Burdach S. 256.)
zeigt sich am Ende des ersten Tages in dem Centraltheile des
Gefäſsblattes eine dunkele körnige Masse *), welche hinten an
dem Rande der Kopfkappe in zwei seitliche Schenkel ausläuft,
die anfangs durch einen dünnen Faden nur verbunden sind, bald
aber näher zusammenrücken. Kurze Zeit darauf (Mitte des zwei-
ten Tages) wird die Masse hell, während die Circumferenz zur
Wandung sich ausbildet und so nun entsteht ein wahres mit Blut
gefülltes Herz. Die früheren Schenkel der dunkelen Masse (S.
32. bei Burdach S. 261.) sind nun Schenkel des Herzens. Die-
ses hat eine längliche etwas gekrümmte Gestalt und verläuft auch
[333]Körpergefäſse. Herz.
nach vorn in zwei äuſserst zarte, mehr angedeutete, als wahrhaft
ausgebildete Schenkel. Bald findet sich in ihm eine Art von
Pulsation, welche C. Fr. Wolff schon kannte (s. oben Genese des
Blutes) und mit der peristaltischen Bewegung der Gedärme ver-
glich. v. Bär parallelisirt sie mit den Contractionen des Rücken-
gefäſses der Insekten. Doch finde ich diesen Vergleich für die
allererste Zeit nicht ganz passend. Denn dieses treibt die Blut-
masse des Insektes mit relativ sehr groſser Gewalt fort, während
hier die enthaltene Flüssigkeit aus dem Bereiche der Herzwan-
dung zuerst durchaus nicht hervortritt; das Rückengefäſs (Insek-
tenherz) zieht sich in der Regel so zusammen, daſs in dem Mo-
mente der stärksten Systole beide Seitenwände in der Mitte ein-
ander gänzlich berühren, was hier nicht im Anfange, wohl aber
in einer etwas späteren Zeit, wenn das Herz kein gerader Schlauch
mehr ist, eintritt. — Die von dem vorderen Ende des Herzens aus-
gehenden Schenkel laufen nun bis an den Knopf der Rückensaite
während die hinteren in der Gegend der Umschlagungsstelle der
Keimhaut nach vorn liegen. Nun treibt das Herz die Visceral-
platten aus einander und fällt gleichsam aus ihrer Höhlung vor,
wird jedoch von der Kopfkappe gänzlich bedeckt. Seine Krüm-
mung vermehrt sich und seine beiden Enden nähern sich einan-
der, indem vorzüglich das vordere Ende sich zurückzieht. Die
Lage des Herzens ist nun am Ende des zweiten Tages folgende:
Der Zusammenfluſs der Venen (hintere Schenkel des Herzens)
liegt beinahe in der Mittellinie des Leibes. Der aus ihrer Ver-
bindung entstandene Herzkanal geht nun zuerst ein Wenig nach
links und biegt sich dann stark nach rechts um, indem er im
Ganzen von hinten nach vorn, zuerst nach unten, dann nach oben
verläuft. Nun (l. c. S. 55. bei Burdach S. 285.) zieht sich das
ganze Herz mehr nach hinten und mehr in sich selbst zusammen,
so daſs es daher wulstartiger hervorragt. Der aufnehmende (ve-
nöse) Theil weicht mehr nach links, und die Wölbung seiner Um-
beugung wendet sich daher immer mehr nach der rechten Seite.
Es bildet sich die früher schon rudimentär angedeutete Sonde-
rung im Herzen nun deutlicher aus. Es entsteht nämlich an der
convexen Seite der Umbiegung eine dunkele Masse, welche bald
Fäden erkennen läſst und die Muskulatur der Ventrikel darstellt.
Diese beschränkt sich anfangs vorn und hinten durch eine kleine
Hervorragung und nimmt nur die convexe Seite der Krümmung
ein, während die concave in ihrer alten Gefäſsform verharret.
[334]Von dem Embryo.
Auch erhebt sich schon jetzt von der inneren Wand der Conve-
xität aus eine Falte, das Rudiment der die beiden Herzkammern
in der Folge trennenden Scheidewand. Später verdickt sich auch
die eigentliche Gefäſswand (concave Seite) des Herzens, so wie
der vor ihr liegende Theil des Gefäſsschlauches, die bald auftre-
tende Aortenzwiebel. Zwischen beiden entsteht eine Einschnü-
rung, das fretum Halleri. Der venöse Theil des Herzens (die
gemeinschaftliche Verbindung der beiden eintretenden Venen,
früheren hinteren Schenkel) wird länger, bekommt zwei seitliche
Erweiterungen, die künftigen Herzohren, während das mittlere
Rohr noch einfach bleibt und so die Bedeutung eines einfachen
Venensackes annimmt. Die Herzohren (l. c. S. 72. bei Burdach
S. 302.) verdicken sich und werden eingekerbt. Eben so wird
die Wandung des einfachen Venensackes stärker. Die Kammer
spitzt sich mehr zu und ihre Spitze rückt mehr nach hinten,
während ihre Wandungen immer mehr an Dichtigkeit gewinnen.
Zwischen Kammer und Vorkammer (dem einfachen Venensacke
neben den beiden Herzohren) wird der Zwischenraum gröſser und
heller, zum Ohrkanal (Canalis auricularis). Die Falte in dem
Ventrikel hat sich unterdeſs vergröſsert, doch so, daſs beide Kam-
mern unter einander noch communiciren. Bald reicht sie einer-
seits bis an die Aortenzwiebel, anderseits bis an den Ohrkanal.
Die Aortenzwiebel verdickt sich mit einer Hauptkrümmung nach
links und enthält eine spiralige nicht ganz cylindrische Höhlung.
Am fünften Tage (l. c. S. 81. bei Burdach S. 313.) zieht sich
das ganze Herz noch mehr zusammen, so daſs Vorkammer und
Aortenzwiebel an einander grenzen. Die Spitze ist stärker und
mehr nach hinten gerichtet. An dem einfachen Venensacke ist
äuſserlich eine Einkerbung sichtbar. Eben so an dem Ohrkanale
der jetzt seine gröſste Ausbildung erreicht hat. Die Scheidewand
des Ventrikels trennt beide Kammern bis auf eine längliche Lücke
vollständig von einander. In der Aortenzwiebel ist die spaltför-
mige Höhlung in der Mitte verwachsen, so daſs zwei sich um
sich drehende Kanäle entstehen. Nun (l. c. S. 98. bei Burdach
S. 328.) verlängert sich die Wand der Herzohren über den Ve-
nensack. An der Stelle der äuſseren Einschnürung desselben ent-
steht eine unvolltständige Scheidewand im Inneren. Der Ohrka-
nal schiebt sich in die Kammer hinein und wird von deren Mus-
kulatur überwachsen. An dem Ventrikel zeigt sich schon äuſser-
[335]Körpergefäſse. Herz.
lich eine Trennung durch eine Furche, so daſs die kleinere rechte
Kammer nicht bis zur Spitze reicht, die gröſsere linke Kammer
daher diese umfaſst. Die Aortenzwiebel scheint äuſserlich zwar
nur aus der rechten Seite zu kommen; man sieht aber bei inne-
rer Untersuchung, daſs sie beiden Kammern angehört. Das Er-
stere rührt daher, daſs die von der Bauchseite aus sichtbare
(obere) Hälfte aus der rechten Kammer kommt und die aus der
linken Kammer kommende (untere) Hälfte völlig verdeckt. Die
Aortenzwiebel selbst hat sich in einen langen Bogen ausgezogen.
Die rechte Herzkammer und mit ihr die rechte Seite der Aorten-
zwiebel dreht sich unterdeſs schnell von unten und links nach
oben und rechts, indem die Vorkammer von links nach der Mitte
zu rückt, die Spitze des Herzens aber sich etwas nach hinten
und dann nach unten neigt. In der Folge (l. c. S. 113. bei Bur-
dach S. 344.) theilt sich der Venensack immer deutlicher in zwei
Vorhöfe durch eine vorspringende Hervorragung, welche da, wo
die Scheidewand der Kammer den Venensack berührt, am brei-
testen ist, von hier an der unteren Wand fortläuft und an der
oberen, vor der Venenmündung aufhört. Die Hohlvene mündet
also in den noch ungetheilten Theil des Vorhofes. Indem die
Aortenzwiebel sich mehr in die wahre Gefäſsgestalt umändert,
sondert sie sich in die zwei früher in ihr schon angedeuteten
Gefäſsstämme, von denen der eine aus der rechten, der andere
aus der linken Kammer kommt. (Den weiteren Verlauf dieser
Aeste s. oben bei den Kiemengefäſsen.) Wenn früher die linke
Vorkammer die rechte an Gröſse etwas übertraf, so erhält diese
nun (l. c. S. 128. bei Burdach S. 361.) gleiche Gröſse mit jener.
Da unterdeſs (s. oben das Venensystem) der gemeinschaftliche
Stamm der vorderen und hinteren Hohlvene in das Herz einge-
zogen worden, so mündet die linke vordere Vena cava über
der Lücke der Scheidewand der beiden Vorkammern und ergieſst,
da ihre Strömung von links nach rechts gerichtet ist, ihr Blut
in die rechte Vorkammer. Die hintere Hohlvene dagegen tritt
in die rechte Vorkammer und ihre Mündung ist von der der lin-
ken, vorderen Hohlvene durch eine kleine Klappe getrennt. Ihr
Strom geht vorzüglich nach der Scheidewand und gerade durch
das eirunde Loch oder die Lücke der Scheidewand nach der lin-
ken Vorkammer. Beide Mündungen der Hohlvenen rücken dann
(l. c. S. 132. bei Burdach S. 365.) mehr aus einander, während
[336]Von dem Embryo.
ein musculöser Wulst den Strom aus der linken vorderen Hohl-
vene von dem eirunden Loche scheidet. Vordere rechte Hohl-
vene und hintere Hohlvene haben zwar äuſserlich noch scheinbar
eine Mündung. Beim Aufschneiden sieht man aber an der Mün-
dung der hinteren Hohlvene zwei Klappen, von denen die eine
nach der Lücke der Scheidewand, und durch diese hindurch sich
zieht, also valvula foraminis ovalis ist, die andere dagegen,
die aus der entgegengesetzten Vene kommt, die rechte vordere
und die hintere Hohlvene von einander trennt. Das foramen
ovale
und die Mündung der hinteren Hohlvene rücken nun immer
mehr aus einander und indem die zwischen der hinteren und
vorderen rechten Hohlvene befindliche Klappe sich vergröſsert,
gelangt das Blut der hinteren Hohlvene in die linke, das der bei-
den vorderen dagegen in die rechte Vorkammer. Gegen das Ende
der Bebrütung endlich (l. c. S. 135. bei Burdach S. 368.) scheint
die rechte Vorkammer gröſser, als die linke zu seyn. Das fora-
men ovale
und die Mündung der hinteren Hohlvene entfernen
sich immer mehr von einander. Die Mündung der hinteren Hohl-
vene und der rechten vorderen Hohlvene wird durch die Eusta-
chische Klappe noch mehr geschieden. Ihr gegenüber findet sich
dann in der Regel auch noch eine kleine Klappe.


Der Kreislauf des Blutes in dem Fötus der Säugethiere hat
die Naturforscher aller Zeiten vielfach beschäftigt und in verschie-
denen Perioden theils zu wiederholten Untersuchungen, theils zu
neuen Theorieen Veranlassung gegeben, daher ist hier ein Reich-
thum literarischer Quellen, wie in fast keinem anderen Theile der
Entwickelungsgeschichte und es wird deshalb nothwendig, gewisse
Perioden festzusetzen, um eine Uebersicht des Ganzen zu gewin-
nen. Am füglichsten kann man drei solcher Abschnitte annehmen
und zwar 1. von Galenus bis auf Sabatier (1774.); 2. von Sabatier
bis auf J. Fr. Meckel d. j. (1816.) und 3. von J. Fr. Meckel bis
auf die neueste Zeit. Die ältesten Ansichten, welche vor die be-
stimmte Erkenntniſs des Kreislaufes des Erwachsenen fallen, sind
von mehr historischem, als physiologischem Interesse und gehören
deshalb weniger hierher, als in eine Geschichte der Medizin.
Harvey selbst und diejenigen seiner Vorgänger, welche den Kreis-
lauf des Blutes vor ihm geahnet hatten, wie Michael Servetus,
Sarpa, Thomas Bartholinus, Nardius, Realdus Columbus, Caesalpi-
nus, Peucerus, Aegidius Guttmann u. A. legten die ersten Grund-
steine
[337]Körpergefäſse. Herz.
steine zu einer solideren Theorie der Circulation im Fötus. Von
dem Ende des siebzehnten bis über die Mitte des achtzehnten
Jahrhunderts wurde dieser Gegenstand mit besonderer Vorliebe,
vorzüglich von den Pariser Akademikern, bearbeitet und so ent-
standen die vielen Abhandlungen hierüber von Duverney, Tauury,
Vernheyen, Mery, Littre, Boussiere, Rouhault, Vieussens, Lemery,
Cröser, Hunauld, Heister, Crell, Brendel, Praget und Busson,
Bertin, Trew, Haller, Huber u. A., bis Sabatier durch einige Blät-
ter geistvollen Inhaltes für die wahre Lehre fast mehr that, als
die ausführlichen Arbeiten aller früheren Schriftsteller zusammen-
genommen. (Ueber die Lehren vieler dieser älteren Autoren s.
Kilian über den Kreislauf des Blutes im Kinde, welches noch
nicht geathmet hat. 1826. 4.) C. Fr. Wolff schritt in wesentlich
derselben Richtung fort und basirte seinen Ausspruch auf die ge-
nauesten Untersuchungen der Natur selbst. In der Folge bearbei-
teten Lobstein, Wrisberg, Ph. Fr. Meckel, Sömmering, Danz, Bi-
chat u. A. dasselbe mit verschiedenem Erfolge. Allein bisher
hatte man nur gewisse Einzelheiten im Baue des Fötalherzens,
welche ihrer Eigenthümlichkeit halber vorzüglich in das Auge
fielen, aufgefaſst und zum Theil bis in das Speciellste verfolgt.
An einer Durchführung des Gegenstandes durch alle Entwicke-
lungszustände fehlte es in der Anatomie der höchsten Thierklasse
noch gänzlich. Als Schöpfer dieser Richtung ist unser trefflicher
Meckel anzusehen. Er hatte zwar schon früher in zwei Abhand-
lungen, wo er die Anatomie menschlicher Embryonen lieferte,
die Form des Herzens, wie er sie bei jedem Einzelnen gesehen,
genau beschrieben, allein erst im Jahre 1816 veröffentlichte er
eine zusammenhängende Uebersicht der Herzmetamorphose nach
neuen Untersuchungen an Embryonen des Menschen und mehre-
rer Haussäugethiere. Nun war eine sicherere Basis gewonnen, auf
welche neue Facta bezogen und nach der alte Unrichtigkeiten ver-
bessert werden konnten. Nach ihm lieferten noch einzelne Beiträge
zur Geschichte des Säugethier- und Menschenherzens Rolando
(1823), Prevost und Dumas (1824), Kilian (1826), v. Bär (1827), E.
H. Weber (1827), Rathke (1828) und Owen und Thomson (1831),
während Kilian und Biel, welches Letzteren Schrift ich leider durch
eigene Lectüre noch nicht kenne, die gesammte Lehre des Kreis-
laufes im Fötus im Jahre 1827 wiederum behandelten. So herrscht
also in der ersten und zweiten Periode vorzüglich die Tendenz
22
[338]Von dem Embryo.
vor, die Functionsveränderungen der einzelnen Herztheile im Fö-
tus zu erforschen, während die dritte Periode eine im Ganzen
mehr morphologische Richtung angenommen hat. Aus leicht er-
klärbaren Gründen werden wir die Gestaltmetamorphosen zuerst
behandeln und Einiges dann über den Kreislauf nachfolgen lassen.


Die früheste Form des Säugethierherzens hat v. Bär (de
ovo mammal
. p. 3. tab. I. fig. VIIa. g. h. i.) aus einem drei-
wöchentlichen, 4 Linien langen Hundeembryo beschrieben und
abgebildet. Es war in sich, wie das des Hühnchens vom dritten
Tage, gekrümmt und bestand aus einem einfachen Venensacke,
einem in sich gekrümmten einfachen Ventrikel und einem durch
kein fretum deutlich geschiedenen Aortenwulst, von welchem
die vier Kiemengefäſse jederseits ausgingen. Auch hier kamen,
wie bei den Vögeln, die beiden vorderen Kiemengefäſse aus einer
Anschwellung des arteriösen Stammes. Wiewohl die nun zu-
nächst folgenden Momente bei den Säugethieren und dem Men-
schen noch wenig beobachtet sind, so läſst sich doch, wie Burdach
(Physiol. II. S. 515.) aus beschriebenen Miſsbildungen mit Recht
schlieſst, ein ähnlicher Hergang erwarten. Auch hier zieht sich
Ohrkanal und Aortenzwiebel in das Arterienherz zurück, wäh-
rend die Herzohren sich aus dem einfachen Venensacke hervor-
stülpen und dieser selbst in zwei Höhlen, den rechten und linken
Vorhof sich scheidet. So sah Rathke (Nov. Act. Acad. N. C.
XIV.
Abth. 1. S. 192.) bei sechs Linien langen Schweineembryo-
nen den Ventrikel noch einfach und, so war, nach seiner Abbil-
dung wenigstens zu schlieſsen (tab. XVIII. fig. 18. f.), auch der
Venensack einfach und begann nur an seinen Wänden zu den
Herzohren sich auszustülpen. So beobachtete Meckel (Arch. II.
S. 404.) bei einem fünf Linien langen menschlichen Embryo an
dem venösen Theile des Herzens zwei groſse Höhlen, welche den
Ventrikel an Gröſse übertrafen und die er als Vorhöfe deutet.
In dem Letzteren verfährt er aber nicht consequent, sondern
nennt dieselben Theile (S. 405.) bei einem sechs Linien langen
Embryo richtiger Herzohren, während er bei 7‴ (S. 407.), 7½‴
(S. 408.), 8‴ langen und gröſseren Embryonen sie wiederum
Vorhöfe nennt. Als Atria sieht auch diese Theile Joh. Müller
(Meck. Arch. 1830. S. 427.) bei einem 7‴ und E. H. Weber
(Meck. Arch. 1827. S. 227.) bei einem 8½ Linien langen, mensch-
lichen Embryo an. Allein dieser Meinung kann ich keineswegs
[339]Körpergefäſse. Herz.
beistimmen. Nach meinen Untersuchungen an Embryonen des
Menschen und des Schaafes sind sie Nichts, als Herzohren, welche
sich in frühester Zeit mit ihren seitlichen Verschmälerungen un-
mittelbar in den Venensack fortsetzen. Der Venensack selbst
aber theilt sich früh in zwei Vorhöfe, die jedoch anfangs nur dann
zu erkennen sind, wenn man die Herzohren zurückgeschlagen und
die vordere oder hintere Wand des Venensackes entfernt hat.
Die Bildung der Scheidewand geht von der Mittellinie der bei-
den früher getrennten Ventrikel aus und zwar bei dem Schaafe
so, daſs eine dünne Falte sich an der unteren, den Herzkammern
anliegenden Fläche von vorn nach hinten und etwas nach rechts
schief herüberschlägt, späterhin sich mehr nach der Mitte zieht,
halbmondförmig sich ausschweift und indem sie in ihrem Wachs-
thume fortschreitet, so die Scheidewand zwischen beiden durch
ein groſses Loch noch verbundenen Vorhöfen darstellt. Die Thei-
lung des Venensackes wird nun auch äuſserlich kenntlich. Doch
bleibt er noch lange von den verhältniſsmäſsig sehr groſsen Herz-
ohren überdeckt und wird deshalb leicht übersehen. Was nun
aber besonders den Menschen betrifft, so muſs ich ebenfalls die
genannten Theile, die E. H. Weber (l. c. fig. 8. c. d.) recht ge-
nau abgebildet hat, nicht als Atrien, sondern als Herzohren deu-
ten. Legte ich nämlich das noch in seiner Lage befindliche
Herz menschlicher Embryonen von 6‴ bis 8‴ Länge nach dem
Kopf zu um, so sah ich deutlich, wie sich beide in einen mittleren,
sie gleichsam brückenartig verbindenden Sack öffneten, von dem
ich, da ich nur in Weingeist aufbewahrte Exemplare zu unter-
suchen Gelegenheit hatte, nicht zu entscheiden wage, ob er noch
einfach oder schon in zwei Vorhöfe getheilt war. — Nicht min-
der verschiedene Angaben finden sich über die erste Entstehung
der Ventrikel. Daſs sie zuerst eine einzige, noch nicht in zwei
Kammern geschiedene Höhlung ausmachen, ist nach den Untersu-
chungen von Meckel, Bär, Rathke und mir keinem Zweifel un-
terworfen. Rolando’s Angabe (Journ. compl. du dictionn. d. sc.
medic. XVI.
1823. p. 44.), daſs die beiden Ventrikel immer von
einander geschieden und ohne gegenseitige Communication seyen,
gehört in die Reihe der Irrthümer, an denen seine Abhandlungen
über Entwickelungsgeschichte so überaus reich sind. Das Septum
entsteht bei dem Schaafe als eine von der rechten Seite der Spitze
des Herzens nach der Mitte der Basis zu gehende Falte, welche an-
22*
[340]Von dem Embryo.
fangs noch nicht gänzlich hindurchgeht und so eine freie Communi-
cation zwischen beiden Kammern zuläſst. Nach Meckel (l. c. S.
424.) giebt es bei dem Menschen sich zuerst äuſserlich durch
eine Einkerbung zu erkennen, welche in frühester Zeit noch
ganz in der rechten Herzhälfte und fast gleich entfernt von der
Basis, wie von der Spitze liegt, späterhin aber mehr nach der
Mitte zu und dann über diese hinaus nach links rückt. Hier-
durch wird das Gröſsenverhältniſs der beiden Kammern zu ein-
ander bedeutend geändert. Zuerst ist die rechte Kammer kleiner,
als die linke. Bald jedoch wächst sie mit dem Fortrücken
der Trennungslinie nach links so sehr, daſs sie die linke an
Gröſse bedeutend übertrifft. Diese Veränderungen fallen in die
früheste Zeit. Als Uebergangspunkte können die bei Embryo-
nen von 7‴ bis 9‴ gefundenen Zustände angesehen werden. So
sah Meckel (l. c. S. 408.) bei einem 7½‴ langen Embryo die
linke Kammer noch gröſser, als die rechte, bei einem 8‴ langen
dagegen die linke schon bedeutend kleiner, als die rechte. E.
H. Weber (l. c. S. 228.) beobachtete dasselbe bei seinem Embryo
von 8½‴ Länge und an einem 8‴ langen sahen wir selbst die
rechte Kammer fast doppelt so groſs, als die linke. Nach mei-
nen Beobachtungen an Schaafembryonen schlieſst sich die Schei-
dewand beider Kammern noch vor dem völligen Schlusse der Kie-
menspalten vollständig. Allein da die Wandung des Herzens an der
Stelle ihres Ausgangspunktes, die sich auch zuerst verdickt hat,
an der Spitze am stärksten ist, so beginnt sie mehr gegen die
Mitte der Höhlung zu, als an dem Brustende der inneren Herz-
oberfläche. Bald jedoch und zwar noch vor ihrer vollkommenen
Schlieſsung verdickt sie sich so sehr, daſs ihre Stärke nicht nur
der der Herzwandungen gleich kommt, sondern diese sogar noch
übertrifft. Hiervon kann man sich an Querschnitten leicht über-
zeugen. — Nachdem wir nun so die allgemeinsten Momente der
Herzbildung nach den fragmentarisch existirenden Daten durchge-
gangen, müssen wir die einzelnen Theile, so wie die Gröſsen
und Lagenverhältnisse des ganzen Herzens speciell ins Auge fas-
sen. — Was nun zuerst die Gröſse des Herzens betrifft, so ist
diese, je jünger der Fötus, um so bedeutender. So fand Meckel
(Arch. II. S. 414—418.) das Verhältniſs des Gewichtes desselben
zu dem des ganzen Körpers bei einem Embryo von 1″ 4‴ Länge,
wie 1:50, bei einem von 2″ 5‴ wie 1:53, bei einem von 3″
[341]Körpergefäſse. Herz.
4‴ wie 1:100 und bei einem von 7″ 6‴ wie 1:120. So be-
trägt sogar das Herz nach E. H. Weber (Meck. Arch. 1827. S.
228.) in der achten Woche ⅙ der Länge des Körpers. Dieses in
späterer Zeit des Fruchtlebens immer abnehmende Längenverhält-
niſs haben im Allgemeinen schon Boume, Haller und Mayer an-
gemerkt. — Die Lage des Herzens ist hier fast denselben Verän-
derungen unterworfen, wie bei dem Vogel. Sobald es sich in
sich gekrümmt und Vorhof und Ventrikel sich deutlich heraus-
gebildet haben, liegt es mehr in der Mittellinie, mit seiner Basis
nach hinten, mit seiner Spitze nach vorn und nach unten gerich-
tet, also in einem schiefen, queren Durchmesser der Brust. Diese
quere Richtung ist jedoch selbst in sehr früher Zeit bei dem
Menschen lange nicht so bedeutend, als bei Schaafen und Schwei-
nen. Ja sie schneidet bei dem Ersteren die Perpendikularaxe
nur unter einem sehr kleinen spitzen Winkel. Vom vierten Mo-
nate an dagegen rückt das Herz nach Meckel (Anat. IV. S. 44.) von
der rechten nach der linken Seite hin. — Von einzelnen Theilen
unterscheiden wir: 1. das venöse Herz und zwar a. die Herzoh-
ren. Diese mit Unrecht oft für Vorhöfe ausgegebenen Organe sind
anfangs zwei groſse, längliche, wulstige Säcke, deren Verbindung
bei der Ansicht von vorn von dem Ventrikel nebst dem aus die-
sem entspringenden arteriösen Gefäſse verdeckt wird. Ihre Wan-
dung ist, je jünger der Fötus, desto mehr relativ angeschwollen
und im Verhältnisse zur Höhlung gröſser. In der ersten Hälfte
des dritten Monates beginnen sie sich einzukerben und erhalten
allmählig, indem sie durch die Ausbildung und das Wachsthum
der Atrien an ihrem hinteren Theile emporgehoben werden, die
bekannte ihnen eigenthümliche, schiefe Richtung. 2. Die Vor-
höfe. Ueber ihre früheste Entstehung haben wir schon oben
berichtet. Es kommen aber in ihnen manche einzelne Theile vor,
welche die Aufmerksamkeit der Naturforscher vorzüglich auf sich
gezogen, wie die Eustachische Klappe, das foramen ovale, die
Klappe desselben u. dgl. m. Was nun das eirunde Loch betrifft,
so hat es Galen (de usu part. lib. XV. Cap. 6.) so wie die
Membrana foraminis ovalis schon gekannt und geglaubt, daſs
durch dieses Loch das Blut der Hohlvene in die Lungenvene
träte. Arantius nennt das eirunde Loch ein foramen, cujus
forma quartam circuli partem repraesentat (de format.
foet. libell. Basil.
1579. 8. p. 93.). Van der Wiel, Bohn, Pech-
[342]Von dem Embryo.
lin, Mery u. A. beschrieben es auf verschiedene Weise, wie es
Jedem von ihnen erschienen war, je nachdem er es gerade in
diesem oder jenem Momente der Schwangerschaft untersucht
hatte. Der geistreiche Sabatier (hist. de l’acad. roy. d. sc.
Année
1774. Paris 1778. hist. p. 7. mem. p. 200.) faſste die
Bedeutung desselben allgemeiner auf und stellte es vorzüglich
mit der Valvula Eustachii in nähere Beziehung. Er sah näm-
lich die Eustachische Klappe für ein bloſses Fötusorgan, eben so
gut, als das eirunde Loch an. Durch die erstere wird nach ihm
das rechte Atrium in zwei Theile geschieden und zwar in einen
Theil, welcher das Blut der vorderen Hohlvene aufnimmt, wäh-
rend das der hinteren Hohlvene durch das eirunde Loch unmit-
telbar in das linke Atrium gelangt. C. Fr. Wolff (Nov. Com-
ment. acad. Petrop. Vol. XX. leci. d.
11. Jan. 1776.) führte
die Untersuchung des eirunden Loches auf das Genaueste durch.
Nach ihm ist seine Form in beiden Vorhöfen sehr verschieden.
Im rechten wird es nach oben durch den isthmus Vieussenii,
nach unten durch eine halbmondförmige Klappe begrenzt; im lin-
ken dagegen befindet sich über jenem isthmus eine halbmond-
förmige zusammengehüllte Haut, die an beiden Seiten befestigt
ist und einen Sack bildet. Beugt man sie aber so weit zurück,
daſs der Bogen zum Vorschein kommt, so zeigt sich zwischen
dem Bogen und der inneren Oberfläche der Membran eine von
diesen Theilen begrenzte Oeffnung. Es giebt also in jedem Ven-
trikel ein eigenes, von dem anderen verschiedenes foramen
ovale
. Beide Sinus communiciren keineswegs durch eine Oeff-
nung, sondern die hintere Hohlvene liegt nur zwischen beiden.
Die in dem rechten Atrium sichtbare Oeffnung führt in den Stamm
der hinteren Hohlvene, die in dem linken Atrium bemerkbare,
das besonders sogenannte foramen ovale, ist eine andere Mün-
dung derselben Hohlvene (p. 362.). Das Loch ist also nichts,
als die linke Oeffnung der hinteren Vena cava, wo sie sich in
den linken Vorhof einsenkt. Hier setzt sie sich an die Basis der
röhrenförmigen Klappe an (p. 371.). Nach der Geburt verwach-
sen beide Mündungen der Hohlvenen. „Et eo magis,“ fügt er
hinzu (p. 375.), „in hac opinione persuadeor, cum idem sen-
serit perill. L. B. de Haller, cujus magni viri testimonium,
uti in universa anatomia, ita inprimis in illis casibus ma-
ximi ponderis esse debet, ubi plurimus in pluribus cadaveribus

[343]Körpergefäſse. Herz.
observationum consensus requiritur.“ Hallers hierauf bezüg-
liche Stellen finden sich in seinem format. du poulet II. p. 77.,
Opp. min. I. p. 39. und Elem. physiol. VIII. p. 376. Nach
ihm geht das foramen ovale in einen schiefen oder queren
Gang über, der 0,15″ breit und 0,13″ tief ist, der von dem rech-
ten Vorhofe nach hinten und aufwärts zwischen dem eirunden
Loche und der Klappe führt. — Die Wolffsche Ansicht bekämpfte
Ph. Fr. Meckel, während Beaudelocque, Sabatier, J. Fr. Meckel,
Kilian u. A. sie bestätigten. Nach J. Fr. Meckel (Anat. IV. S.
48.) fehlt bis zum Anfange des dritten Monates noch alle Spur
einer Verschlieſsung des foramen ovale von der linken Seite
her. Später aber wächst von dem hinteren Theile des Umfanges
der vorderen Hohlvene die Valvula foraminis ovalis herauf
und nähert sich der Scheidewand, während die Eustachische
Klappe sich etwas verkleinert und von der Scheidewand entfernt.
Indem nun die Valvula foraminis ovalis straffer wird und
das eirunde Loch völlig verschlieſst, mündet dann die hintere
Hohlvene nicht mehr in den linken, sondern in den rechten Vor-
hof. Vom sechsten Monate an stellt das sogenannte foramen
ovale
einen kurzen Kanal dar. Erst gegen Ende des Fötuslebens
wird, wie Sömmering (Bau des menschlichen Körpers IV. S. 16.)
bemerkt, die Eustachische Klappe durchlöchert. — Interessant
ist endlich noch die von Kilian gemachte Bemerkung, daſs das
foramen ovale sich von seinem ersten Entstehen bis zu seiner
vollen Reife in einem Bogen von 40°—45° um seine Axe drehe.
Dieses Phänomen hängt mit der Lagenveränderung des Fötusher-
zens zusammen und setzt sich noch nach der Geburt fort. —
Was nun die Verhältnisse der beiden Kammern anlangt, so ist,
wie schon oben bemerkt wurde, die rechte Kammer zuerst klei-
ner, als die linke, wird aber bald darauf gröſser, gegen Ende des
Fötuslebens jedoch wiederum kleiner, als diese. Nach le Gallois
(dict. d. sc. med. V. p. 440. bei Meck. Anat. IV. S. 46.) faſste
die rechte Kammer eines todtgeborenen Fötus 34 Grammen
Quecksilber, die linke 37; die rechte einer siebenmonatlichen
Frucht 23, die linke, schlaffe 34. — Zuerst ist die Spitze des
Herzens stumpf und die rechte Kammer nimmt im Anfange an ihr
noch gar keinen Antheil. Später dagegen erscheint sie zweige-
theilt, bis zuletzt die Theilungslinie mehr nach rechts und oben
rückt. Die Dicke der Wände der Kammer ist, wie Meckel
[344]Von dem Embryo.
(Anat. IV. S. 49.) schon gegen Gordon lehrte, in früherer Zeit
viel gröſser als später, ja in sehr früher Zeit gröſser, als die Höh-
lung selbst.


Hieran mögen sich einige allgemeine Bemerkungen über den
Kreislauf des Fötus reihen, welche die nothwendigsten histori-
schen Ansichten, so wie unsere eigene Meinung hierüber enthal-
ten werden, indem wir denjenigen, welcher Vollständigkeit sucht,
auf das in dieser Rücksicht fast erschöpfende Werk Kilians (über
den Kreislauf des Blutes im Kinde, welches noch nicht geathmet
hat. Karlsruh 1826. 4.) verweisen. Schon Galen (l. c.) lehrte,
daſs das Blut durch das foramen ovale aus dem rechten Vor-
hofe in den linken, also aus der Hohlvene in die Lungenvene bei
dem Fötus gelange, vermöge der Klappe des eirunden Loches aber
nicht wieder zurücktreten könne, daſs dagegen die Lungen ihr
lebensgeistiges Blut durch den ductus arteriosus aus der Aorta
empfangen. Das Letztere wurde nach Entdeckung des Kreislau-
fes dahin abgeändert, daſs, da die Lungen das ganze Blut der
Lungenschlagadern vor dem Athmen des Thieres durch dieselben
noch nicht aufnehmen, der Theil des Blutes, welcher in sie ge-
langen sollte und nach der Geburt in der That in sie gelangt,
durch den arteriösen Gang abgeführt würde. Diese Ansicht theil-
ten im Allgemeinen alle Anatomen und Physiologen des sieben-
zehnten Jahrhunderts, bis zu Anfange des achtzehnten Jahrhun-
derts der bekannte Streit unter den Pariser Akademikern sich
entspann. Als Häupter der beiden Gegenpartheien können Du-
verney und Mery angesehen werden. Merkwürdig ist jedoch die
Veranlassung dieser Zwistigkeiten. Als ob man nämlich damals
schon erkannte, daſs der Typus, nach welchem Gefäſssystem und
Herz in der Reihe der Wirbelthiere sich ausbildeten, derselbe
sey, welcher in der zeitlichen Entwickelung der immer höher
gestellten Thiere gegeben werde, war es die Untersuchung der nie-
deren Wirbelthiere, welche den ersten Anlaſs zu dieser Meinungs-
verschiedenheit gab. Duverney hatte seine Beobachtungen über
das Herz der Amphibien, vorzüglich der Schildkröte und das der
Fische in den Jahren 1699—1701 bekannt gemacht und die Cir-
culation des Fötus mit der in diesen Thieren vorkommenden in
Verbindung zu bringen gesucht. Hierdurch besonders fühlte sich
Mery (Nouveau système de la circulation du sang par le
trou ovale dans le foetus humain. Paris
1700. 12. u. Mem.
[345]Körpergefäſse. Herz.
de Paris Vol. II. p. 175. Vol. X. p. 32.) bewogen, seine neue
Theorie von dem Kreislaufe des Blutes im Fötus darzustellen.
Er ging von der schon an sich unrichtigen Voraussetzung aus,
daſs das Blut der Mutter unmittelbar in das des Kindes übergehe
und in diesem circulire. Hieran reihete er die noch weit unstatt-
haftere Ansicht, daſs die Frucht im Mutterleibe Luft einathmen
müsse. Da nun aber nur eine geringe Menge Luft zu ihm ge-
langen und daher sein Blut nur wenig belebt werden kann, das
Herz überdieſs noch zart und schwach ist, so kann das Blut nicht,
wie in dem Erwachsenen, in dem ganzen Körper herumgetrieben
werden. Es geht vielmehr ein Theil desselben durch die Aeste der
Aorta, ein Theil aber durch die Lungenschlagader. Ein Theil der
Blutmasse, welche aus dem rechten Ventrikel in die Lungenarterie
kommt, geht durch den ductus arteriosus zur Aorta, durchläuft
nun alle Organe des Körpers mit Ausnahme der Lungen, kommt
durch die rechte Hohlvene zurück in den rechten Ventrikel, von
da von Neuem in die Lungenarterie und durch den botallischen
Gang in die Aorta. Eine andere Blutmasse aber, welche bloſs
in den Lungen kreiset, geht durch die Lungenschlagadern in die
Lungenvenen, kommt von da in den linken Vorhof, gelangt durch
das foramen ovale in den rechten, und von da wiederum in die
Lungenschlagader. Man sieht also hieraus, daſs sein Bemühen
dahin zielt, auch bei dem Fötus, wie bei dem Erwachsenen, zwei
von einander unabhängige Kreisläufe anzunehmen, einen Körper-
und einen Lungenkreislauf. — Mit Recht aber fand diese Ansicht
den heftigsten Widerspruch an Duverney, Tauury, Buissiere, Littre
u. a. Akademikern und späterhin an Heister, Trew, Haller u. A.
Statt aber die zeitlichen Metamorphosen der groſsen in das Herz
eintretenden und aus demselben herausgehenden Gefäſse zu ver-
folgen und so zu sicheren Resultaten zu gelangen, waren es vor-
züglich zwei Punkte, welche man auszumitteln sich bemühete,
nämlich 1. die Capacität der Gefäſse, vorzüglich der Lungenve-
nen im Verhältnisse zu der des aus dem rechten Ventrikel kom-
menden Arterienstammes (s. hierüber das Vorzüglichste gesammelt
bei Haller Elem. physiol. VIII. p. 393—396.) und 2. den Durch-
gang des Blutes durch das eirunde Loch. Mery war seiner An-
sicht nach anzunehmen genöthigt, daſs das Blut aus dem linken
Vorhofe durch das eirunde Loch in den rechten übergehe, wäh-
rend die ältere Ansicht die gerade entgegengesetzte Hypothese, daſs
[346]Von dem Embryo.
es durch dasselbe umgekehrt aus dem rechten Atrium in das linke
ströme, postulirte. Winslow (Mem. de l’acad. 1717. hist. p. 23.
Mem. p. 280. u. 1725. Mem. p. 34.) suchte beide Meinungen durch
die Annahme zu vereinigen, daſs das Blut in beiden Vorhöfen un-
bestimmt ströme und durch das eirunde Loch bald aus dem rech-
ten in den linken, bald aus dem linken in den rechten gelange.
Rouhault und Vieusseus modificirten beide Ansichten wiederum
dahin, daſs der Uebergang des Blutes von einem Vorhofe in den
anderen in den beiden verschiedenen Herzcontractionen, der Sy-
stole und Diastole, verschieden seyen, während Morgagni, A.
Vater, Albinus u. A. Jeder auf eigene Weise zu zeigen sich be-
strebten, daſs das Blut aus dem rechten Vorhofe zwar durch das
eirunde Loch in den linken Vorhof gelange, daſs es aber auch an-
derseits Momente gäbe, in welchen es umgekehrt von dem lin-
ken in den rechten durch diese Oeffnung strömen könne. Eine
kurze und kritische Zusammenstellung der Ansichten und Gründe
der genannten Männer findet sich bei Trew de diff. quibusd.
inter h. natum et nascend. intercedent. Norimb.
1736. 4. p.
62—97. — So hatte die Verwirrung ihren höchsten Grad er-
reicht, als Sabatier mit seiner gehaltvollen Abhandlung (hist. de
l’acad. roy. d. sc. Année
1754. Paris 1758. 4. hist. p. 7. 9.
Mem. p. 198—209. und Traité complet d’anatomie Trois.
edit. Tom. III.
1791. 8. p. 386—398.) auftrat. Nach ihm hat,
wie schon oben bemerkt wurde, die Eustachische Klappe ihren
vorzüglichsten Nutzen im Fötus. Durch sie kann kein Blut aus
dem rechten Vorhofe in den linken gelangen, sondern das der
vorderen Hohlvene, welche sich in das rechte Atrium ergieſst,
kommt unmittelbar in die Aorta descendens. Das Blut der hin-
teren Hohlvene dagegen gelangt in den linken Vorhof und von
da in den auſsteigenden Aortentheil, in die Kopfgefäſse. Beide
Blutarten seyen geschieden, vorzüglich durch die Valvula Eusta-
chii,
die ihren Uebergang in beiden Vorhöfen, der durch das fo-
ramen ovale
sonst möglich wäre, verhindert. Der arteriöse
Stamm, welcher aus dem linken Herzen kommt, der das Blut
führt, welches durch die hintere Hohlvene und das eirunde Loch
in den linken Vorhof gelangt ist, leitet seine Blutmasse nach dem
Kopfe (u. d. oberen Extremitäten), das arteriöse Gefäſs aus dem
rechten Herzen dagegen, welches sein Blut aus der vorderen
Hohlvene und dem rechten Atrium mittelst der Direction der
[347]Körpergefäſse. Herz.
Valvula Eustachii empfängt, durch den Botallischen Gang (Stamm
der Lungenarterie und ductus arteriosus) nach der absteigenden
Aorte, also nach der unteren Körperhälfte und von da besonders
in die Nabelarterien, welche in früherer Zeit Nichts, als die Fort-
setzungen des Hauptstammes der Aorta sind. So geschehe der
Kreislauf im Fötus in Form einer Achte (8), deren oberer Ring
die Mündung der hinteren Hohlvene durch das eirunde Loch in
den linken Vorhof, der arteriöse Stamm für die obere Körper-
hälfte und die vordere Hohlvene, deren unterer Ring dagegen die
Mündung der vorderen Hohlvene in den rechten Vorhof, der Stamm
der Lungenarterie, der ductus arteriosus, die Aorta descendens,
die Nabelarterien, die Nabelvene und die hintere Hohlvene bilde.
Die Circulation des Blutes im Fötus ist auf diese Weise einfach,
und, wie bei dem Erwachsenen zu den Lungen, so strömt bei
ihm kein Blut zur Placenta zurück, welches nicht vorher den
ganzen Körper durchkreiset hätte. Diese Ansicht, welche, was
die arteriösen Stämme betrifft, zum Theil früher schon Cassebohm
(de differentia foet. et adulti. Hal. 1730. 4. p. 6. 7.) geäuſsert
hatte, wurde in Bezug auf den venösen Theil des Herzens durch
C. Fr. Wolff (s. oben S. 342.) bestätigt und vervollkommnet. Nach
ihm ergieſst die hintere Hohlvene ihr Blut sowohl in die rechte,
als in die linke Vorkammer. Der Theil, welcher in das rechte
Atrium flieſst, geht von da in die rechte und der, welcher in das
linke Atrium strömt, in die linke Kammer. Nach Ph. Fr. Mek-
kel (Danz l. c. II. S. 208.) geht, so wie ein Theil des Blutes
aus der hinteren Hohlvene auch in das rechte Atrium überflieſst,
so ebenfalls ein Theil des Blutes aus der vorderen Hohlader in
die linke Vorkammer. Bichat (Anat. generale Tom. II. 1812.
8. p. 346.) läſst das Blut der hinteren Hohlvene gänzlich in den
linken Vorhof gelangen und sich durchaus nicht mit dem der
Vena cava superior mischen, während anderseits Lobstein (s.
E. H. Weber in Hildebr. Anat. III. S. 161.) Sabatiers Lehre be-
streitet. Allein dieser, welche zum Theil früher schon Trew (l.
c. p. 92.) angedeutet hatte, folgten endlich in neuester Zeit J.
Fr. Meckel, Burdach u. A., während die Entwickelungsgeschichte
des Vogelembryo ihr eine neue nicht unwichtige Stütze gab.
Auch Kilian pflichtet dieser Ansicht bei (l. c. S. 204—206.). Nur
theilt sich nach ihm die untere Hohlvene in zwei Stämme, von
denen der linke das Blut unmittelbar in den linken Vorhof, der
[348]Von dem Embryo.
rechte dagegen einen Theil desselben in das rechte Atrium leitet.
Das Blut der Nabelvene durchströmt gröſstentheils die Leber,
während eine nur geringe Abtheilung desselben durch den venö-
sen Gang unmittelbar zur unteren Hohlader geleitet wird. Da
der Blutlauf im Fötus sich über den Körper desselben in die Pla-
centa erstreckt, so würde die bloſse Kraft des linken Ventrikels
nicht hinreichen, um dem Blute einen so starken Impuls zu ge-
ben (S. 211.). Es wird daher auch die rechte Herzkammer zu
Hilfe genommen, welche den arteriellen Kreislauf des Kopfes ver-
sorgt, während der linke Ventrikel das Blut nach dem Unterleibe
hin und von da in die Placenta treibt. Wegen dieser Einrich-
tung haben auch beide Herzhälften gleich dicke Wandungen (S.
212.). — Man muſs überhaupt in den Naturwissenschaften die Idee
festhalten, daſs Function und Form, wie Zeit und Raum, nur auf
niederer Stufe, verschieden sind, in einer höheren Sphäre dage-
gen durchaus in einander und in ein höheres Dritte eingehen
und insofern identisch seyn müssen. So ist es die Uridee des
Thieres, seine Individualität im Gegensatze der Auſsenwelt zu be-
haupten, in sich Centrum und Peripherie zu haben und von die-
sem geschlossenen Kreise aus nach auſsen hin zu wirken. Das
Blut ist aber unter den Säften dasjenige, welche diese Individua-
lität am meisten darstellt und behauptet. Daher die von den äl-
testen Zeiten her wiederhallende Ahndung, daſs Blut und Cha-
rakter innig zusammenhangen — ein Ausspruch, der sicher auch
schon durch bestimmte Erfahrungen nachgewiesen wäre, wenn
man mit ruhigem, ächt naturforschenden Blicke von ärztlicher und
philosophischer Seite aus danach geforscht hätte. Seine Bahn ist
auf gleiche Weise ursprünglich die des Kreises, dessen Mittelpunkt
oder vielmehr Mittelstelle sich jedoch bald dem Längentypus
des Embryo gemäſs auch zu einer länglichen Ellipse ausdehnt.
So erscheint er im ersten Dotterkreislaufe. Allein bald tritt der
Gegensatz des Innern (Individuums) und des Aeuſsern auf. Es
bildet sich so ein neuer Kreis, dessen Peripherie ebenfalls über
den Embryo hinausgeht und mit dem Aeuſseren, sey dieses ath-
mosphärische Luft oder Mutterblut, in Contiguität tritt. Das Cen-
tralrohr, welchem im Gegensatze zu dem Aeuſseren, wie es frü-
her der Embryo selbst in Bezug auf die Höfe gethan, in diesem
Kreise sich selbstständig zu individualisiren bestrebt, krümmt sich
in sich zusammen und stellt so anfangs in einem halben Bogen,
[349]Körpergefäſse. Herz.
der sich nach dem Kopfe und von da nach dem Rücken zu wendet,
das System der Kiemengefäſse dar. Allein diese centrale Krüm-
mung bedingt so durch ihre höhere Individualisation eine centrale
Strömung, und da der Hauptstrom zugleich von der nach der
Placenta gerichteten Strömung seinen Einfluſs erleidet, so entste-
hen zwei in einander gewundene (in Herzen daher spiralige) el-
liptische Ströme, wie zwei in dem Herzen selbst, wie Ketten-
ringe, in einander greifende Ellipsen, eine für den Ober- und für
den Unterkörper nebst Placenta. Die Ellipsen bleiben noch nach
der Geburt in ihrem Wesen dieselben. Nur ändern sie Function
und Organ. Die obere, welche man vielleicht nicht unpassend
Kiemenellipse nennen könnte und die vor der selbstständigen Aus-
bildung der Bauchkiemenfunction, wenn auch vielleicht nicht
functionell, doch morphologisch die Athmungsorgane repräsentirt,
evolvirt sich während des übrigen Fötuslebens fast nur, um nach
der Geburt als Lungenkreislauf auftreten zu können. Die untere
Ellipse dagegen ist, je jünger der Embryo, desto mehr bloſser
Athmungsplacentarkreislauf, theilt sich aber bald und mit zuneh-
mendem Alter des Fötus immer mehr in Körper und Athmungs-
kreislauf, bis sie nach der Geburt mit dem Verschwinden der
Placentarathmung Körperkreislauf für das ganze Leben bleibt.
An den Knotenpunkten der Ellipsen entsteht das Herz als selbst-
ständige Fortbildung des früheren Gefäſstheiles. Es giebt so zwei
Herzen, weil es zwei Ellipsen giebt, die nur in und mit einander
verwachsen sind. Hier ist dieses immer nur die centrale Umbie-
gungsstelle der Ellipse, welche sich zu dem Herzen individualisirt
und die so mit der Umbiegungsstelle des Capillargefäſses von der
einfachen, kleinsten Arterie in die kleinste Vene ihrem höchsten
Wesen, d. h. der Uridee nach durchaus identisch ist, wie in der
Pflanze der Fruchtknoten nur aus dem metamorphosirten Blatte
besteht. Denn, daſs auch die der centralen diametral entgegen-
gesetzte Stelle sich in der Reihe der Thierwelt zu einem selbst-
ständigen, hinteren Herzen bisweilen ausbilde, kann nach den
neuesten Erfahrungen mit Wahrscheinlichkeit vermuthet werden.
Carus (Erläut.taf. z. vergl. Anat. Hft. 3. tab. 5. fig. 11.) bildet
aus Cyprinus Dobula eine im Embryo vorkommende Gefäſs-
schlinge ab, und merkwürdiger Weise findet sich an der entspre-
chenden Stelle im erwachsenen Aale das von Marschall Hall ent-
deckte Caudalherz, von dessen Richtigkeit sich Jeder leicht mit
[350]Von dem Embryo.
bloſsen Augen überzeugen kann. Was ist also wahrscheinlicher,
als daſs dieses eine solche selbstständig gewordene Gefäſsschlinge
sey? Es wäre interessant, zu wissen, wie die von Joh. Müller
und Panizza beschriebenen Lymphherzen der Batrachier in ihrer
frühesten Entwickelung sich verhalten.


Die Structur des Herzens, als eines unwillkührlichen Mus-
kels, weicht von der der willkührlichen Muskeln in mehreren
wesentlichen Punkten ab. 1. Die Muskelfäden der willkührlichen
Muskeln haben eine Reihe sehr zierlicher, fast immer wellenför-
mig gebogener und in einer mittleren Distanz von etwas weniger
als 0,000100 P. Z. stehender paralleler Querstreifen, welche längs
der ganzen Muskelfäden verlaufen und sowohl in frischen als in ge-
kochten, erhärteten Muskeln u. dgl. sichtbar sind und nur dann
verschwinden, wenn nach einer länger anhaltenden Maceration die
gestreifte Scheide schwindet und die einzelnen angelegten Muskelfa-
sern sich von einander trennen. Ob die letzteren schon in dem fri-
schen Muskel gebildet seyen oder nicht, wage ich für jetzt mit Be-
stimmtheit noch nicht zu entscheiden, doch glaube ich sie wenig-
stens in Amphibien mit Gewiſsheit annehmen zu können. In der
Muskulatur des Herzens sieht man bei den gewöhnlichen Vergröſse-
rungen keine Querstreifen, während man diese schon unter densel-
ben Verhältnissen mit jeder nur irgend zu wünschenden Bestimmt-
heit bei allen willkührlichen Muskeln wahrnehmen kann. Aber ver-
mittelst des groſsen Plöſsl’schen Microscops gelang es mir auch an
ihnen Querstreifen wahrzunehmen, welche freilich hier nur fast
mehr angedeutet, als wahrhaft gebildet zu seyn scheinen. Bei stär-
keren Vergröſserungen sieht man nämlich an der Oberfläche der
vollkommen hellen Herzmuskelfasern zarte parallele Querstreifen,
welche aber wenig oder gar nicht wellenförmig gebogen sind und
ebenso wie in den willkührlichen Muskeln um den ganzen Faden
herumgehen. Doch gehört schon ein gröſserer Grad von Aufmerk-
samkeit dazu, um sie bestimmt wahrzunehmen. Hiermit stimmen
auch die neuesten Beobachtungen von R. Wagner (Vergl. Anat.
Abth. I. 1834. 8. S. 64.) überein. 2. Die Dicke der im frischen
Zustande sichtbaren und ohne bedeutende künstliche Behandlung
darstellbaren Fäden ist in dem Herzen weit geringer, als in den
der Willkühr unterworfnen Muskeln. Purkinje und ich fanden
die Breite der Fäden (nicht der Fasern) im Herzen des Rindes
0,000405 P. Z. und die der willkührlichen Muskeln 0,001825 P.
[351]Körpergefäſse. Herz.
Z. Die Breite der ersteren verhält sich also zu der der letzte-
ren wie 1:4,5. 3. Schon beim ersten Anblick weichen die Mus-
kelfäden des Herzens von denen der willkührlichen Muskeln ab.
Die ersteren sind fast nie eine gröſsere Strecke lang gerade
und continuirlich fortgesetzt, wie die letzteren, sondern durch-
kreuzen einander in allen Dimensionen, setzen sich daher oft in
die Tiefe fort u. dgl. Man sieht deshalb auf kleinen Schnitten
meistens kleinere oder gröſsere Bruchstücke von Muskelfäden.
Allein dieser Unterschied ist durchaus kein histiologischer sondern
ein morphologischer. Er beruht einzig und allein auf der im
höchsten Grade intricaten Faserung des Herzens, deren Entwirrung
wohl kaum je vollständig gelingen wird.


Was nun die Gene der Herzensmuskulatur betrifft, so ver-
dankt sie keineswegs einem so körnerreichen Blastema ihren Ur-
sprung, wie die der willkührlichen Muskeln. Auf den ersten An-
blick scheint freilich das Entgegengesetzte Statt zu finden. Man
sieht fast in keinem Theile des Körpers eine so groſse Anzahl
runder oder rundlicher Körperchen, als hier. Allein ich habe
mich durch vielfach fortgesetzte Untersuchung mit Bestimmtheit
überzeugt, daſs die Muskelfäden hier nicht aus diesen Körnern,
sondern zwischen ihnen in der durchsichtigen Gallerte nach den-
selben Gesetzen entstehen, nach welchen überhaupt jedes bloſs fa-
serartige Gebilde erzeugt wird. — Die Arterienhaut besteht an den
groſsen, dem Herzen nahe gelegenen Gefäſsen besonders deutlich
aus einer nicht unbedeutenden Anzahl circulär um einander lie-
gender Blätter, welche auf gleichartige Weise wellenförmig ge-
bogen sind. Hiervon kann man sich auf Querschnitten frischer
Gefäſse deutlich überzeugen. Allein da es hier wegen der unge-
meinen Elasticität dieser Theile seltner gelingt, feine Querschnitte
zu präpariren, so empfehle ich deshalb vorzüglich das kohlensauere
Kali. Dieses Salz, welches ich bei meinen mit Wendt angestellten
Untersuchungen über die Oberhaut in dieser seiner Vorzüglichkeit
zuerst kennen lernte, hat die besondere Eigenschaft, sehr viele thie-
rische Theile, meist schon nach 24 Stunden, zu einem fast holzarti-
gen Consistenzgrade zu erhärten, ohne ihre Structur wesentlich zu
ändern, ja ohne zum Theil ihr Blut zu entfärben. An Arterien,
welche auf diese Weise behandelt werden, kann selbst der Unge-
übtere diese schöne Structur der Arterienhäute nachsehen. Bei
dem Fötus ist die Zahl der über einander liegenden Schichten
[352]Von dem Embryo.
oder Blätter geringer als bei dem Erwachsenen. Doch habe ich
schon 6—8 derselben bei Schaffötus von 2 Zoll Länge und
bei menschlichen Früchten aus der Mitte des dritten Monates
deutlich erkannt. Später werden sie, je mehr sie an Zahl zu-
nehmen, relativ um so dünner. Jedes dieser Blätter oder dieser
Schichten besteht aus einer granulösen Masse, deren Körner um so
deutlicher isolirt sind, je jünger die Frucht ist.


Anhang. Geschlechts- und Harnorgane.


Kein System von Organen hat in einer geordneten Entwik-
kelungsgeschichte eine so precäre Stellung, als das der Geschlechts-
und Harnwerkzeuge. Während nämlich von allen bisher erwähn-
ten Organen sich mit Gewiſsheit nachweisen läſst, welchem Blatte
der Keimhaut sie angehören, während sie aber (mit Ausnahme der
später noch zu nennenden Blut- und Lymphdrüsen) eben hierdurch
den ihrem Charakter angemessenen Platz nothwendig einnehmen,
so ist es der Complex der Genitalien und der unpöetischen Or-
gane, welche mit allen drei Blättern von ihrem ersten Anfange
an in die innigste Berührung kommen. Dieses, wie es scheint, so
paradoxe Verhältniſs hat aber darin seinen Grund, daſs man hier
der Genese nach durchaus verschiedene Theile unterscheiden muſs,
und zwar nicht bloſs, wie man gewöhnlich thut, die inneren Ge-
nitalien von den äuſseren, sondern folgende aus dem Verlaufe
der genau verfolgten Entwickelungsgeschichte fast von selbst er-
hellenden Abtheilungen:


  • 1. Das innere harnabsondernde Organsystem, die Nieren
    nebst deren abführenden Anhängen, den Harnleitern.
  • 2. Das innere geschlechtliche keimbereitende System, Hoden,
    (welche, wie wir bald sehen werden, als Eingeweide der Bauch-
    höhle angesehen werden müssen) und Eierstöcke nebst deren
    abführenden Anhängen, den Saamenleitern und den Tuben.
  • 3. Das System der als Behältniſs für die Excreta der ge-
    nannten Organe dienenden Theile bei beiden Geschlechtern, die
    Harnblase und auſserdem bei den Männern der bisweilen vorkom-
    mende einfache Gang, in welchen die beiden ductus ejaculatorii
    münden, die Saamenblasen, die Harnröhre nebst ihren Umgebun-
    gen, Penis und Eichel, und die innersten Häute des Scrotum, bei
    dem weiblichen Geschlechte der Uterus, die Scheide, die Harn-
    röhre, die Klitoris und das Hymen. Endlich

4.
[353]Geschlechts- und Harnorgane.
  • 4. Das System der äuſseren Hautbedeckungen der Theile der
    Harn- und Geschlechtswerkzeuge, bei Männern die äuſseren Integu-
    mente des Penis und Hodensackes, bei Frauen die Schaamlippen.

Dadurch, daſs man diese, wie wir sehen werden, aus der
Entwickelungsgeschichte von selbst sich ergebenden Abtheilungen
unberücksichtigt lieſs, entstanden über den Ursprung der Harn-
und Geschlechtsorgane die widersprechendsten Aeuſserungen und
Conjecturen. Vorzüglich betrafen dieselben unsere erste und zweite
Gruppe. Bevor nämlich deutlich gesonderte Rudimente der hier-
zugehörigen Organe sichtbar werden, finden sich nicht nur an
den späterhin von diesen eingenommenen Stellen, sondern noch
um Vieles über diese hinaus zwei eigenthümliche, höchst merk-
würdige, symmetrische Organe, von welchen wir bald ausführlich
handeln werden, und die wir unterdeſs vorläufig mit dem Namen
der Wolffschen Körper belegen wollen. Es muſs daher die Frage,
aus welchen Blättern Nieren, Hoden und Eierstöcke entspringen,
auf der Entscheidung der Frage basirt werden, welchem Blatte die
Wolffschen Körper wohl angehören. v. Bär lieſs sie, wie später
noch angeführt werden soll, aus einem Blutgefäſse entstehen, und
Rathke sowohl, als vorzüglich Burdach (Physiol. II. S. 562.) äu-
ſserten die Vermuthung, daſs sie wahrscheinlich dem Gefäſsblatte
angehören, während Joh. Müller (Bildungsgeschichte der Genitalien.
1830. 4. S. 45.) es sogar für möglich hielt, daſs sie aus dem Schleim-
blatte entspringen. Die Wichtigkeit der Frage regte mich zu
wiederholten Beobachtungen an und diese führten mich auf diese
Weise zu einem neuen Wege der Untersuchung, der sicher noch
Vieles aufhellen und manche Zweifel zu heben im Stande seyn
wird. Es ist nämlich das vielfach schon erwähnte kohlensauere
Kali, welches hier auf eine besondere Art sich auszeichnet.
Embryonen jeden noch so zarten Alters erhärten in demselben,
ohne daſs, wenn sie nur ganz frisch und unverletzt in eine mit
Kali carbon. gesättigte Flüssigkeit gethan werden, selbst ihre
gröſseren Blutgefäſsstämme dem Auge entschwinden. Sie bleiben
zum Theil so roth, wie im frischen Zustande. Nur mit Flüssig-
keit gefüllte Höhlungen, wie vor Allem die Gehirnblasen, fallen
zusammen. Dieses ist der einzige, im Ganzen sehr unbedeutende
Nachtheil dieser Behandlung. Allein durch sie ist man in den
Stand gesetzt, feine Querschnitte von zarten Früchten zu machen,
in welchen die drei Blätter noch einzeln gesehen und von ein-
23
[354]Von dem Embryo.
ander unterschieden werden können. Wer sich überhaupt davon
überzeugen will, daſs die Schichten der Keimhaut etwas Reelles
und eben so gut empirisch Nachweisbares sind, wie die Präpara-
tion irgend eines Theiles im Erwachsenen, dem rathe ich diese
Methode sorgfältig zu verfolgen. Bei einiger Uebung gelingt es,
durch seine Querschnitte Präparate hervorzubringen, welche auf
eine überraschende Weise den von v. Bär gelieferten Idealdurch-
schnitten ähnlich sind. — Aus einer Reihe von Beobachtungen,
die ich hierüber angestellt und zum gröſsten Theil auch Purkinje
gezeigt habe, ergab sich mir 1. daſs die Wolff’schen Körper durch-
aus nicht das Mindeste mit dem Schleimblatte gemein haben.
So lange kein Gekröse sichtbar ist (welches sich auf Querschnit-
ten natürlich als eine Linie oder Leiste darstellt), liegen sie von
dem Schleimblatte bestimmt geschieden. Sobald dieses sich bil-
det, sind sie schon gröſstentheils in zwei Massen deutlich getrennt,
und das Mesenterium tritt in den zwischen ihnen befindlichen
Zwischenraum, nie aber in sie hinein, ja in der ersten Zeit nicht ein-
mal an sie heran. 2. Mit dem Gefäſsblatte stehen die Wolffschen
Körper, sobald sie deutlich geschieden sind, in innigster Verbin-
dung. Man sieht durchaus keine deutliche Grenzlinie zwischen der
Aortenhaut und dem inneren und vorderen Theile von jenem. Auch
haben sie wahrscheinlich wegen der groſsen Menge der in ihnen ent-
haltenen Blutgefäſse eine auffallend röthliche Farbe. 3. Der hintere
Theil der Wolffschen Körper ist, wie es scheint, in unmittelba-
rer Continuität mit dem serösen Blatte, und zwar mit der inne-
ren Oberfläche des unteren inneren Rohres desselben. Ich schlieſse
hieraus, daſs die Wolffschen Körper ihrer Genese nach mit dem
Schleimblatte durchaus gar nichts gemein haben, vermuthe aber,
daſs das Blastema derselben dem inneren unteren Rohre des se-
rösen Blattes, die Gefäſse aber dem Gefäſsblatte angehören. Be-
stätigung oder Berichtigung dieser so einfluſsreichen Meinung hoffe
ich binnen Kurzem nach fortgesetzten Untersuchungen liefern zu
können. Jedenfalls wird meine Ansicht schon dadurch noch wahr-
scheinlicher, daſs die Nieren, wie bald angegeben werden soll,
dem serösen Blatte angehören. Hoden und Eierstock könnten
dann leicht Productionen des Gefäſsblattes seyn.


So würde vielleicht die erste Klasse dem inneren Theile des
serösen Blattes, die zweite dem Gefäſsblatte angehören. Die
dritte Klasse entspringt allein aus dem Schleimblatte, die vierte
[355]Geschlechts- und Harnorgane.
dagegen aus der Haut- und Fleischschicht des serösen Blattes.
Auf diese Weise kommt die Gesammtheit der Geschlechts- und
Harnorgane mit allen drei Blättern der Keimhaut in die innigste
Berührung, und wir haben gerade diese Stelle für sie im Verlaufe
der Darstellung aus folgenden Gründen gewählt:


  • 1. Die Hauptorgane dieses Complexes entstehen aus dem se-
    rösen und dem Gefäſsblatte, deren Metamorphosenzustände wir
    hier schon als bekannt voraussetzen können.
  • 2. Diejenige Abtheilung, welche mit dem Schleimblatte in
    Berührung kommt, kann leicht noch vor der Auseinandersetzung der
    in ihm erfolgenden Veränderungen dargestellt und begriffen werden.
  • 3. Die Organe nach ihrem verschiedenartigen Ursprunge zu
    zersplittern, könnte nur gewaltsam und am wenigsten gerade na-
    türlich erscheinen.

Ehe wir nun die Entstehung aller zu dem systema uropoe-
ticum
und genitale gehörenden Theile einzeln durchgehen, ist es
nothwendig, daſs wir die Geschichte der Wolffschen Körper vor-
ausschicken. Um aber den in sich vielfach verwirrten Gegenstand
zugänglicher zu machen, halten wir es für zweckmäſsig, eine hi-
storische, nach unseren Kräften und Mitteln möglichst vollständige
Uebersicht der Erkenntniſs dieser sonderbaren Organe vorauszu-
schicken und das Weitere theils nach fremden, theils nach eige-
nen Beobachtungen anzureihen:


  • 1. Nach Oken (Beiträge zur vergleichenden Zoologie, Ana-
    tomie und Physiologie Bd. I. Hft. II. 1807. p. 19.) haben wahr-
    scheinlich Haller, Wrisberg, Bidloo, Denysen, Morgagni, Röſslein,
    Cassebohm, Danz u. A. die Nebennieren, Nierendrüsen mit den
    Wolffschen Körpern verwechselt. Allein wenigstens von denje-
    nigen Schriftstellern, welche mir zugänglich waren, muſs ich die-
    ses geradezu verneinen. Bidloo (Anat. c. hi. Tab. 63. Q. R.) hat
    nichts weiter, als Nieren und Nebennieren, wie sie am Ende des
    Fruchtlebens und bei dem Neugebornen vorkommen, abgebildet.
    Morgagni (Ep. anat. XX. p. 391.) spricht nur deutlich von den
    wahren Nebennieren. Cassebohm (de differentia foetus et
    adulti
    1730. 4. p. 5.) sagt ganz einfach: „Glandulae supra re-
    nes sitae succenturiatae dictae majores in foetu sunt, ac in
    adulto.
    “ — Ebenso ist die Aeuſserung von Danz (l. c. S. 120.),
    und Haller (Elem. physiol. VII. p. 287.) verweist bei seiner Be-
    schreibung auf seine aus dem Kinde gegebene Abbildung.

23*
[356]Von dem Embryo.
  • 2. Rosenmüller, auf den wir bald zurückkommen werden,
    giebt an (Quaedam de ovariis embryonum et foetuum huma-
    norum.
    1802. 4. p. 8.), daſs die bei weiblichen Körpern des Men-
    schen von ihm gefundenen Ueberreste der Wolffschen Körper
    schon Trew und Röderer gekannt, beschrieben und abgebildet ha-
    ben. Von dem Letzteren kann dieses der Fall seyn, ebenso gut aber
    nicht. Die ganze Vermuthung stützt sich darauf, daſs Röderer in
    seiner Abbildung der weiblichen Genitalien eines Neugeborenen
    (de foetu perfecto 1730. 4. rec. in Ejusd. Opp. med. 1760. 4.
    p. 88. fig. 3. G. G. H.) einige, selbst nicht gehörig wahrnehmbare
    Fasern andeutet. Die Angabe dagegen, daſs Trew (de diff. in-
    ter h. natum et nascendum
    1736. 4. und Uebersetzung 1770.
    4. fig. 75. c. c. d. d.) diese Andeutungen abbilde, ist durchaus
    falsch. Denn erstlich sind die dort abgebildeten Organe keines-
    wegs den Ueberresten der Wolffschen Körper ähnlich, sondern
    ziemlich naturgetreue rohe Abbildungen der Ovarien. Ueberdieſs
    heiſst es aber in der Erklärung der lateinischen Urschrift (p. 40.)
    ausdrücklich: „Corpus glandulosum (man weiſs hinlänglich,
    wie weit die Alten den Begriff ausdehnten) et locum ovarii oc-
    cupans
    “ und in deutscher Uebersetzung (p. 65.) wörtlich: „Ein
    Körper auf der rechten Seite, welcher einer drüsigen Substanz
    gleichet und den Ort des Eierstockes einnimmt.“
  • 3. Nach Oken (l. c. S. 10.) und Joh. Müller (l. c. S. 42. u.
    54.) soll Kuhlemann die Wolffschen Körper schon gesehen und
    abgebildet, als Nieren aber beschrieben haben. Allein die von
    ihm gelieferte Abbildung (Experimenta circa generationis ne-
    gotium facta. ed. alt. Lips.
    1750. p. 55. tab. 2. fig. 8. h.) ist
    so undeutlich und roh, daſs man durchaus nicht aus ihr zu ent-
    nehmen vermag, was unter den als Nieren beschriebenen Orga-
    nen gemeint sey. Ueberdieſs ist sein Fötus schon so groſs, daſs
    in ihm die Nieren nur um Weniges kleiner, als die Wolffschen
    Körper seyn konnten.

Die mir bis jetzt bekannten Schriftsteller, welche die Wolff-
schen Körper gesehen und theils verkannt, theils aber mehr oder
minder richtig in ihren Verhältnissen zu den Harn- und Ge-
schlechtsorganen aufgefaſst haben, sind folgende:


1759. — C. Fr. Wolff (theoria generationis 4. def. die
28. Nov. 1759. p. 96. 97. ed. alt. 8. p. 238. 239. Theorie von
der Generation S. 209.) beschreibt sie aus dem Hühnchen als eine
körnerreiche Substanz, welche am dritten und vierten Tage er-
[357]Geschlechts- und Harnorgane.
scheine, begeht aber hierbei mehrere Unrichtigkeiten. 1. Soll
jene nach ihm bis zu dem Kopfe hinaufgehen (§. 220—21.), 2.
soll sie Häufchen späterhin bilden (§. 223.) und 3. in die Nie-
ren sich unmittelbar verwandeln (l. c. und Theorie von der Ge-
neration §. 66.) u. s. w.


1764. — Wrisberg (descriptio anatom. embryonis. hu-
mani observationibus illustrata
1764. 4.) beschreibt aus einem
zehnwöchentlichen Embryo (l. c. S. 25. 26.) alle zu den inneren
Harn- und Geschlechtsorganen gehörenden Theile aus dem Men-
schen mit folgenden Worten: „Capsula suprarenalis dextra
totum renem sibi subjectum ita tegit, ut vix ora augustis-
sima infima renis infra capsulam emineat. Marginem hunc
renis inferiorem ex parte tegit quoque testiculus ultra re-
nem musculo psoadi impositus, apice obtuso attingit intes-
tinum rectum eo praecipue in loco, ubi in pelvis fundum il-
lud se demergit. Ipse testiculus totus extra augustissimam
pelvim haeret. Figura testiculi arcuata hilo medio quasi ex-
sculpta, cujus concavus margo interiora versus, convexus
autem ad exteriora dirigitur. Apex acutior, unde epididy-
midis caput conspicue oritur; superiori loco positus est in
hypochondrio sinistro et fere attingit oram inferiorem et
posteriorem capsulae suprarenalis et inde oblique versus
intestinum rectum deflectit. Epididymis optime distincta et
libera oram testiculi inferiorem legens super psoadem ver-
sus vesicam descendit. Vesica urinaria minima tota vacua
in pelvi latet et inter duas arterias umbilicales fere evanes-
cit. Renes capsulis, uti dictum est, fere tecti, breves, sub-
rotundi, capsula dimidio minores.
“ In seiner Abbildung ist
aber offenbar, wenn auch etwas roh und unrichtig, doch deutlich
genug (fig. 3. unterhalb T) der Hode nebst den Wolffschen Kör-
pern gezeichnet. Daſs er übrigens diese nicht etwa, wie Oken
glaubt, mit dem Namen der Nierenkapseln bezeichne, erhellt aus
der Abbildung sowohl, als aus der Beschreibung dieser Theile in
einer dreimonatlichen (l. c. p. 36.) und 5½ monatlichen Frucht
(l. c. S. 49.).


Haller (Opp. min. p. 440.) beschreibt die Wolffschen Körper
aus dem Vogel und erwähnt sie als Renes praelongi striarum
rectarum similes.
Aus anderen Embryonen dagegen nennt er
sie Nierenkapseln.


[358]Von dem Embryo.

1778. — Wrisberg (in Comment. reg. soc. Gott. Vol. I. p. 1. u.
besonders abgedruckt: de testiculorum ex abdomine in scrotum
descensu
1779. 4. rec. in Comment. Vol. I. 1800. 8. p. 173.
fgg.) nennt (p. 187.) aus einem achtwöchentlichen Embryo den
Wolffschen Körper ein sehr langes Ligament. Bei einem neun-
wöchentlichen dagegen scheint er ihn mit Vasibus spermaticis
zu verwechseln.


1782. — Wrisberg (Experimenta et observat. anatom. de
utero gravido, tubis, ovariis et corpore luteo quorundam
animalium cum iisdem partibus in homine collatis. Götting.

1782. 4. in Comment. soc. Gott. Vol. IV. I. et in Comment.
Vol. I.
) hat offenbar, wie Joh. Müller (Bildungsgesch. der Genitalien.
S. 42.) schon anführt, die späteren Ueberreste der Wolffschen Körper
mit Blutgefäſsen verwechselt. Seine Beschreibung aus späteren
Früchten des Schweines ist folgende: „Medium hili (Ovarii sc.)
nunc ingreditur pulcherrimus vasorum spermaticorum fas-
ciculus, in tenellis foetubus mirabili elegantia conspicuus.
In distantia enim aliquot ab ovario linearum arteria et vena
spermatica ad se invicem accedunt et repetitis contorsioni-
bus, anfractibus, gyris et capreolis sese amplcctuntur, ut co-
nicum quoddam corpus pampiniforme constituant, cujus to-
tam basim hilus ovarii suscipit et missis multis ad tubarum
alas vespertilionum surculis per eadem distribuitur. Etiam
sine vasorum repletione per tenuem membranam gyri trans-
lucent, nitidius autem cerni nil potest, si idonea materia pe-
rito repleta fuerint artifice
(Comment. Vol. I. p. 285. 286.).


1797. — Blumenbach (Institutiones physiol. ed. alt. p. 394. §.
512.) erwähnt einer Bulla an dem oberen Ende der Bauchfellfalte,
dem späteren Processus peritonei. Ob diese der in dem Bauch-
felle enthaltene und schon zum Theil geschwundene Wolffsche
Körper sey? Doch wird diese Vermuthung im Ganzen dadurch
höchst unwahrscheinlich, daſs die Abbildung (tab. 3. fig. 1. a.) aus
einem fast reifen Fötus entnommen ist.


1803. — Rosenmüller (Quaedam de ovariis embryon. et.
foet. h.
1802. 4.) fand bei seinen mit Isenflamm angestellten
Untersuchungen menschlicher Früchte einen konischen Körper, wel-
chen er aus einem Neugeborenen und aus einem zwölfwöchentlichen
Kinde vorzüglich genau beschreibt. Bei Letzterem (p. 15.) besteht
dieser Körper aus vielen in einander gewundenen Kanälen, wel-
[359]Geschlechts- und Harnorgane.
che noch zartere geschlängelte Gänge in sich enthalten. Er stellt
die Vermuthung auf (p. 15.), daſs derselbe vielleicht Aehnlichkeit mit
dem vas deferens und dem Nebenhoden habe. Auſserdem be-
schreibt er die angeblich weiblichen innern Genitalien aus einer
neunwöchentlichen (p. 9.), einer vierzehnwöchentlichen Frucht (p.
11.) und einem zweijährigen Kinde (p. 16.). In fig. 2. d. hat er als
Funiculi exteriores wahrscheinlich die Wolffschen Körper aus
dem Anfange des dritten Monates abgebildet.


1806. — Dzondi (supplementa ad anatomiam et physiolog.
potissimum comparatam
. 1806. 4. p. 60—62.) bekämpft Lob-
steins Ausspruch, daſs die Nieren spät entstünden und stellt im
Gegentheil die eben so unwahre Ansicht auf, daſs Herz, Leber,
Hirn und Nieren sich noch vor dem Darmkanale bilden (p. 60.).
Er beschreibt die für Nieren gehaltenen Wolffschen Körper aus 6—8
Linien langen Embryonen als eine körnige, aus vielen, wie eine Menge
kleiner Gedärme, in einander gewundenen Röhren bestehende Masse,
welche sehr blutreich und oben zugespitzt, unten dagegen abgerun-
det ist. Seine Abbildungen dieser Theile aus verschiedenen Früchten
(tab. 3. fig. 9—11.) sind nicht genau und im Ganzen auch unrichtig.


Oken (Beiträge zur vergl. Zoologie. Bd. I. Hft. 1. 1806. 4.)
beschreibt aus jungen Schweineembryonen die Wolffschen Körper
als zwei ungeheure cylindrische Organe, welche in ihrem Inne-
ren hohl seyn sollen (S. 74. 75.). Seine Abbildung (tab. 3. fig.
3. m. d. l. c.) stellt die äuſsere Form fast ganz richtig dar.


In demselben Jahre lieferte J. Fr. Meckel (Abhandlungen aus
der menschl. und vergleichenden Anatomie und Physiologie. 1806.
8.) eine Anatomie vieler menschlichen Früchte (S. 277—381.),
bei welchen Untersuchungen er offenbar die Wolffschen Körper
gesehen, nur nicht erkannt hat. So beschreibt er aus einem 13
Linien langen Embryo drei über einander liegende Organe, welche
er wahrscheinlich unrichtig als Nieren, Nebennieren und Eierstöcke
deutet (S. 285—86.). Aus einem 15 Linien langen Embryo be-
richtet er sogar (S. 309.), daſs die angeblichen 2½ Linien langen
Ovarien an ihrem oberen Rande etwas eingeschnitten seyen. In
einem 17 Linien langen Embryo waren die Ovarien nur 1½‴
lang und convergirten nach unten (S. 319.) die Trompeten (wahr-
scheinlich die Wolffschen Körper), reichten über die äuſseren En-
den der Ovarien empor, waren platt (S. 320.) und ohne Abdo-
minalöffnung. Von ihrer vorderen Fläche setzte sich ein kleiner
[360]Von dem Embryo.
dünner Faden (wahrscheinlich die wahre Trompete oder der
Saamenstrang) über die hintere Fläche des Ovarium fort und
legte sich in dessen Mitte an. Die Tuben (Wolffsche Körper)
verengern sich hinter den Ovarien beträchtlich und senken sich
in den Uterus ein. Dasselbe gilt von seinem angeblich weibli-
chen 2 Zoll und 2 Linien langen Embryo (S. 336.).


1807. — Oken (Beitr. Bd. 1. Hft. 2. 1807. 4.) beschreibt
seine wurmförmigen Organe (die Wolffschen Körper) (S. 17.) nebst
ihren Ausführungsgängen aus 1½ Zoll langen Hundeembryonen,
begeht aber mehrere Unrichtigkeiten: 1. Verwechselt er (S. 18.)
die Ovarien mit den Nieren (tab. IV. fig. 2. k. k. fig. 1. q.);
2. glaubt er mit Unrecht, daſs frühere Beobachter die Wolffschen
Körper für Nebennieren gehalten haben (S. 19.), ja neigt sich so-
gar selbst zu dieser Ansicht hin (p. 21.). Er injicirte aber zuerst
mit Himly zum Theil glücklich sein wurmförmiges Organ (S. 21.
22.). Neue Untersuchungen lieſsen jedoch den trefflichen Mann
bald der Wahrheit näher kommen. In Ziegenembryonen beobach-
tete er hinter den wurmförmigen Organen die Nieren und Neben-
nieren (S. 23.) in ihren gewöhnlichen Verhältnissen. Die früher als
Nieren gedeuteten Theile muſsten daher innere, keimbereitende
Genitalien seyn; die wurmförmigen Körper dagegen Tuben oder
Saamenstrang (S. 24.). Ueberdieſs macht er die interessante [und]
wichtige Bemerkung, daſs bei den Haussäugethieren die Neben-
nieren nicht gröſser, sondern kleiner, als die Nieren seyen.


1808. — J. Fr. Meckel liefert (Beitr. zur vergl. Anat. Bd.
1. Hft 1. S. 56—134.) von Neuem die Beschreibung einer Reihe
zergliederter, menschlicher Embryonen. Aus einem 6 Linien lan-
gen Embryo (S. 71. 72.) beschreibt er die Wolffschen Körper
als eine mit der Länge nach verlaufenden Einschnitten versehene
Masse. Ob von den drei Körpern, welche er aus einer 9 Linien
langen Frucht erwähnt (S. 81.) und die er als Niere, Nebenniere
und keimbereitendes Geschlechtsorgan deutet, der eine der Wolff-
sche Körper gewesen sey oder nicht, muſs ich dahin gestellt
seyn lassen. Dasselbe gilt auch von den Geschlechtstheilen der
später beschriebenen Früchte (S. 101. 120. 122.).


1810. — J. Fr. Meckel erzählt (Cuviers vergl. Anat. IV.
1810. 8. S. 530.) die schon oben angeführte Beobachtung Rosen-
müllers, nach dessen Beschreibung aus einem zehnwöchentlichen
Kinde, stellt die Organe auch mit den Nebenhoden gleich und
[361]Geschlechts- und Harnorgane.
berichtet, daſs er bei jungen Embryonen die Trompeten verschlos-
sen gefunden habe.


1815. — J. C. Müller (Johan. Christophorus Müller prae-
side J. F. Meckel de genitalium evolutione dissertatio def.
d.
1. April. 1815. 4.) vertheidigt die Geschlechtslosigkeit sehr
früher Embryonen, besonders nach den Erfahrungen von Auten-
rieth, Ackermann, Home, Meckel und Tiedemann (p. 6.). Er er-
klärt die Wolffschen Körper, die er, so wie ihren Ausführungs-
gang genau kennt, für Organa genitalia (p. 7.). Nach ihm
wird der Ausführungsgang zur Tube oder dem vas deferens
und der Wolffsche Körper zum Nebenhoden, während Hoden und
Eierstöcke selbstständig an der inneren Seite derselben entstehen
(p. 8.). Der Mensch kommt zwar im Allgemeinen hierin mit den
Säugethieren überein. Es finden sich in dieser Rücksicht bei ihm
folgende Abweichungen: 1. Das Volumen der Genitalien (Wolff-
scher Körper) ist hier nie so groſs, auch in frühester Zeit, als
in den Säugethieren. 2. Nie glückte es ihm die Wolffschen
Körper allein ohne keimbereitende Geschlechtstheile zu sehen.
3. Der Geschlechtsunterschied findet sich hier früher, als in je-
dem anderen Säugethiere, schon nach Ablauf der zehnten oder
eilften Woche (p. 8.). Das Rosenmüllersche Organ deducirt er
aus den Wolffschen Körpern und stellt es daher dem Nebenhoden
der männlichen Thiere gleich (p. 9.). — Die Nebennieren sind,
wie er ausdrücklich bemerkt, bei den Säugethieren kleiner, bei
dem Menschen in frühester Zeit gröſser, als die Nieren (p. 10.).
Sie entstehen vielleicht aus den Wolffschen Körpern; jedenfalls
aber bei Säugethieren später, als die Nieren. Seine Abbildungen
stellen die Wolffschen Körper ziemlich deutlich und genau aus
Rinds-, Schaafs- und Schweineembryonen dar.


1820. — J. Fr. Meckel (Handbuch der menschlichen Anato-
mie. Bd. 4. 1820. 8.) berichtet (S. 590.) die Rosenmüllersche Ent-
deckung bestätigend und vermuthet, daſs zwischen diesem Organe
und dem Eierstocke in frühester Zeit eine offene Communication
Statt finde, welche später schwindet, wenn das Unterleibsende
der Trompete sich öffnet (S. 591.).


Rathke beleuchtet viele Punkte aus der späteren Entwicke-
lungsgeschichte der Geschlechtstheile der Urodelen und der Anu-
ren. (Neueste Schriften der naturforschenden Gesellschaft zu
Danzig. Bd. I. Hft. 1. 1820. 4.) Er scheint hier noch oft Nie-
[362]Von dem Embryo.
renmasse mit Wolffschen Körpern, wenn er von den frühsten Sta-
dien spricht, zu verwechseln (z. B. S. 50. 53.).


1825. — Rathke bearbeitet zuerst die Entwickelungsge-
schichte der Geschlechtstheile nach allen 4 Wirbelthierklassen
(Beiträge zur Geschichte der Thierwelt. 3. Ahth. in den neuesten
Schriften der Danziger Gesellschaft Bd. I. Hft. 4. 1825. 4.). Bei
den Eidechsen scheint er noch die Wolffschen Körper als Nieren
zu beschreiben (S. 45.). Seine wichtigsten über Vögel und Säu-
gethiere gewonnenen Resultate sind aber kürzlich folgende: Es
findet sich bei dem Hühnchen am vierten Tage der Bebrütung
ein einfaches Urgebilde, welches von der Brust bis zu dem Ende
des Darmkanals reicht und aus einer körnigen, polypösen Masse
besteht, bald jedoch, und zwar an demselben Tage, spaltet es sich
in zwei Seitenhälften, welche eine spindelförmige Gestalt annehmen
(§. 63.). Da Wolff diese Theile am genauesten beschrieben, so nennt
er sie die Wolffschen Körper (S. 50.). Während sie sich bis
zum sechsten Tage mehr verbreitern, aber verkürzen, entstehen in ih-
nen quere Schichten von abwechselnder Dichtigkeit, welche nicht
bloſse neben einander liegende Platten bilden, sondern durch einen
zarten Stoff mit einander verbunden sind (S. 51.). Auf ihnen liegt
von 5½ Tag an, ein sehr zarter Faden, welcher sich mit dem hin-
teren Ende des Darmkanales vereinigt (§. 64.). Die Wolffschen
Körper rücken nun immer tiefer hinab und vom siebenten Tage
an ist der linke gröſser, als der rechte bei weiblichen Embryonen.
Doch ist er nie so groſs, als der entsprechende bei männlichen
Embryonen und beide verschwinden hier im Laufe der Entwickelung
vollkommen. Bei männlichen Individuen dagegen metamorphosi-
ren sie sich in den Nebenhoden (§. 66.) (S. 53.). Unterdeſs bil-
den sich die Querstreifen in einzelne Gefäſse um, welche schon
am neunten Tage jederseits in einen Gang zusammenkommen,
von welchen der eine nach unten gegen Hoden oder Eierstock,
der andere nach dem auf der Oberfläche der Wolffschen Körper
gelegenen Faden verläuft. Später verwickeln sie sich mannigfach
und verwachsen zum Theil mit einander (S. 54.). Die vordere
Abtheilung des Fadens, welcher über die ganze Oberfläche des
Wolffschen Körpers verlief, hat sich unterdeſs verkürzt und ist
bis zum zwölften bis vierzehnten Tage schon völlig geschwunden.
Die andere Abtheilung desselben aber verdickt und verlängert
sich immer mehr, je mehr bei fortschreitendem Wachsthume der
[363]Geschlechts- und Harnorgane.
Wolffsche Körper sich von der Kloake entfernt, schwindet jedoch
bei beiden Geschlechtern im Laufe der Entwickelung ebenfalls
gänzlich (§. 68. S. 55. 56.). Am sechsten Tage erscheinen die
keimbereitenden Geschlechtstheile als schmale zugespitzte Strei-
fen, die sich am siebenten Tage schärfer begrenzen (S. 56.).
Die Hoden sind dann mehr bohnen-, die Eierstöcke mehr tafel-
förmig. Der rechte Eierstock schwindet aber allmählig (§. 70.
S. 57.). Am vierzehnten Tage hängen die Hoden schon durch einige
den Wolffschen Körpern angehörende Gefäſse mit diesen zusammen.
Diese Gefäſse werden zum Nebenhoden. Dadurch, daſs diese
sich in die Hoden weiter hineinbilden, entstehen wahrscheinlich
die Saamengefäſse desselben (S. 60.). Die Nieren gehen am
sechsten Tage aus den Wolffschen Körpern hervor. Am sieben-
ten zeigt sich die erste Spur des Harnleiters (S. 61.), die der
Nebennieren dagegen nicht vor dem zwölften Tage (S. 62.). —
Der Saamen- und Eileiter zeigt sich am siebenten Tage auf der
Oberfläche des Wolffschen Körpers, nahe dem äuſseren Rande
der Niere. Er wird am folgenden Tage cylindrisch, springt nach
vorn, besonders aber nach hinten über den Wolffschen Körper
vor (S. 63.) und mündet hinten in die Kloake (§. 77.). Das
vordere Ende wird bei dem Weibchen schon am neunten bis
zehnten Tage kolbiger, während es bei dem Männchen unverän-
dert bleibt (§. 78. S. 64. 65.). Der rechte Eileiter wird je-
doch bald wieder aufgesogen, so daſs er schon am eilften Tage
nur bis zur Mitte des Wolffschen Körpers geht, am dreizehnten
Tage ihn aber gar nicht erreicht. In diesem Zustande verharrt
er, bis er einige Wochen nach der Geburt gänzlich verschwindet
(§. 79. 80. S. 65.). Der linke Eileiter rückt immer weiter nach
auſsen und erhält nach Ausbildung der Bursa Fabricii eine
mehr schräge Stellung (S. 66.). Die Oeffnung im Trichter bildet
sich am zwölften bis dreizehnten Tage. Um dieselbe Zeit erwei-
tert sich auch das hintere Ende des Eileiters und wird allmählig
zu dem sogenannten Uterus (S. 67.). Auch der Saamenleiter
verkürzt sich zuerst etwas; seine hintere Abtheilung wird dage-
gen dünner. Der Faden des Wolffschen Körpers verschwindet
früh bei dem Männchen. Sein Saamenleiter verbindet sich aber
so mit dem Körper, wie der Faden, welcher bei dem Weibchen
noch lange verbleibt (S. 68.). Aus dem auf dem Wolffschen
Körper aufliegenden Faden entspringen in früherer Zeit die Ge-
[364]Von dem Embryo.
fäſse desselben. Wie dieser aber in seiner vorderen Abtheilung
schwindet, münden diese untereinander und nach hinten gemein-
schaftlich in die hintere Abtheilung desselben. Wenn später der
entstandene Saamenleiter sich inniger an den Wolffschen Körper
anschlieſst, tritt er in dasselbe Verhältniſs mit seinen Gefäſsen,
als der frühere Faden. Dadurch entsteht die Gefäſsverbindung
zwischen Nebenhoden und Saamenleiter (S. 69.). So bei den
Vögeln. — Auch bei den Säugethieren finden sich zwei solche
Urgebilde, welche er Oken zu Ehren die Okenschen Körper nennt
(S. 74.). Sie werden aus älteren Embryonen und Neugeborenen
des Schweines (S. 75—80.), der Ratte (S. 83—86.), des Schaa-
fes (S. 80. 82.), des Rehes (S. 82. 83.), des Igels (S. 86.), be-
schrieben. — Auch bei den Säugethieren entstehen, wie bei den
Vögeln, aus den Okenschen Körpern die keimbereitenden und
ausführenden Geschlechtstheile. Mit letzteren stehen die ersteren
in umgekehrtem Verhältnisse und aus diesen bildet sich auch
hier der Nebenhoden, während bei den Weibchen jede Spur von
ihnen schwindet. Nur geht bei diesen die Verminderung der
Okenschen Körper an beiden Seiten auf gleiche Weise vor sich
(S. 89.). — Die Wolffschen und Okenschen Körper sind wahr-
scheinlich frühere Nieren (S. 115.), also falsche Nieren überhaupt
(S. 119.). — Aus einer Reihe späterer Untersuchungen fand er
(S. 135. 136.), daſs alle mit wahren Nebenhoden versehene Thiere
zuerst falsche Nieren haben, aus welchen Eierstöcke, Hoden, Eier-
und Saamenleiter, so wie wahre Nieren sich hervorbilden. Sie
fehlen dagegen bei den Thieren, welche keine wahren Nebenho-
den haben, wie bei den Fischen und Batrachiern. Bei diesen
bleiben die wahren Nieren von derselben Form, wie es die fal-
schen Nieren sind. Diese sind also nur auf niederer Entwicke-
lungsstufe befindliche wahre Nieren. — Bei den Säugethieren sind
innere und äuſsere Genitalien beider Geschlechter in frühester
Zeit einander gleich. —


1826. — Rathke (Beiträge zur Geschichte der Thierwelt. 4.
Abth. in den neuesten Schriften der Danziger Gesellschaft Bd. 2.
Hft. 2. 1826. 4.) liefert die Beschreibungen und Zergliederungen
mehrerer Hai- und Rochenembryonen (S. 4—66.), findet aber bei
Keinem die Spur eines Wolffschen Körpers.


1828. — Nach v. Bär (über Entw.gesch. S. 63. bei Burdach
S. 292.) erscheint in dem Winkel zwischen der Gekrös- und
[365]Geschlechts- und Harnorgane.
Bauchplatte in der zweiten Hälfte des dritten Tages ein rundli-
cher Streifen als der erste Anfang der Wolffschen Körper. Er
sah ihn hohl und in ihm ein Blutströpfchen, so wie längs dessel-
ben bald darauf ein Blutgefäſs, vermuthet daher, daſs der Wolff-
sche Körper aus einem Blutgefäſse entstehe (S. XI. XII. und S.
81.). Beide sind nach ihm von ihrem ersten Anfange an durch
die Gekrösplatte von einander getrennt. Die Quergefäſse schei-
nen später Blut zu enthalten (l. c. S. 71. bei Burdach S. 301.).
Im Uebrigen stimmt seine Darstellung fast gänzlich mit Rathkes
überein. Nur scheint er (über Entw.gesch. S. 127.) gegen die
Entstehung des Nebenhodens aus den Wolffschen Körpern später
einige Zweifel gehabt zu haben.


Burdach (Physiol. II. S. 562.) sieht die Wolffschen Körper
zum Theil als ein indifferentes Harnzeugungsorgan an, dessen ver-
gängliche Natur sich auch dadurch beurkunde, daſs es sich nur
bei denjenigen Thieren (Sauriern, Ophidiern, Cheloniern, Vögeln
und Säugethieren) finde, welche ein Amnion oder einen vergäng-
lichen Theil der Keimhaut haben. Eine Beziehung zu den Bauch-
kiemen werde auch dadurch angedeutet, daſs es nur da vorkomme,
wo diese sich fänden. — Bei dem Menschen (S. 569.) müssen
sie sehr früh entstehen und von sehr kurzer Dauer seyn. —
Beide Geschlechter (S. 567.) ähneln in früherer Zeit mehr ein-
ander und jedes durchläuft die ihm entgegengesetzten Bildungs-
stufen, ehe es in seiner vollen Eigenthümlichkeit erscheint. —
Endlich vermuthet er (S. 591.), daſs Ei und Saamenleiter aus
dem falschen Harnleiter entstehen und die Kanäle der Wolffschen
Körper bei dem männlichen Geschlechte als Saamengefäſse ver-
harren, an den Eileitern dagegen schwinden. —


Rathke lieferte (an mehreren Stellen der Burdachschen Phy-
siologie) eine Reihe wichtiger Zusätze und Berichtigungen sei-
ner früheren Untersuchungen. — Die Wolffschen Körper (bei
Burdach S. 563.) erreichen bei Säugethieren vor der Mitte, bei
höheren Amphibien erst geraume Zeit nach der Mitte, bei Vögeln
um die Mitte des Embryonenlebens ihren gröſsten Umfang. Je
schneller sie bei fortgesetztem Wachsthume absolut zugenommen
haben (S. 564.) um so früher verschwinden sie auch. Auf der
Oberfläche der falschen Nieren entsteht bald nach ihrem Erschei-
nen ein nach dem Längendurchmesser derselben verlaufendes zar-
tes Rohr, welches in die Kloake sich mündet. Nur bei Säuge-
[366]Von dem Embryo.
thieren hat es Rathke bisher nicht gesehen, vermuthet aber der
Analogie halber auch hier seine Existenz. Dies Rohr ist der
falsche Harnleiter. Es liegt immer in der Nähe des äuſseren Ran-
des der falschen Niere, bald oben, bald unten. Es verschwindet
durch Resorbtion und seine Stelle nimmt der spätere Ei- oder
Saamenleiter ein, welcher sich mit den eigenthümlichen Gefäſsen
der falschen Niere verbindet. Bei den Amphibien besteht im
Weibchen seine hintere Hälfte fast so lange, als die falsche Niere
selbst, aus deren hinterm Ende er nach dem Verschwinden seiner
vorderen Hälfte herauszutreten scheint. Im Männchen ist der
falsche Harnleiter schon gänzlich geschwunden, bevor die Wolff-
schen Körper ihren gröſsten Umfang erreicht haben, wo der an
seine Stelle getretene Saamenleiter sich eben so mit der falschen
Niere verbindet, wie es der frühere falsche Harnleiter mit dieser
gethan, während bei dem Weibchen der Eileiter mit dem Wolff-
schen Körper nie in unmittelbare Communication tritt. — Die
Wolffschen Körper bestehen bei den Säugethieren (S. 566.) aus
Gefäſsen, von welchen diejenigen, welche in die Ei- oder Saamen-
leiter einmünden, sich von diesen aus um die falsche Niere von
innen und unten nach auſsen und oben und von da um den obern
Rand wieder nach innen und unten herum in die Tiefe sich um-
schlagen. Hier spalten sie sich in feinere Zweige, welche dicht
verschlungen das Innere der falschen Niere sowohl ausfüllen, als
auch an der innern Seite derselben unter der Oberfläche liegen.
Viele von ihnen endigen sich blind, manche dagegen in ein plat-
tes, senkrecht gestelltes Drüsenkorn, welches aus einigen zarten,
parallelen und stark geschlängelten Gefäſsen besteht. —


Die Nieren (S. 570.) keimen bei allen mit falschen Nieren
versehenen Thieren aus deren oberer und hinterer Seite hervor.
Die Harngefäſse stellen zuerst (S. 579.) einige wenige Büschel
dar, die sich an dem inneren Rande der Nieren sammeln und an
ihrer Peripherie mit kleinen Anschwellungen, wie die Luftgefäſse
in den Lungen versehen sind. Diese Gefäſse vermehren sich,
werden relativ enger. Die geraden Theile eines Büschels dersel-
ben stellen, indem sie an einander rücken, die Ferreinschen Py-
ramiden dar, und bald zeigt sich mit vermehrtem Schleimstoffe
der Unterschied zwischen Medullar- und Corticalsubstanz. Der
Nebenhoden entsteht (S. 592.) nicht aus der falschen Niere, son-
dern aus dem Saamenleiter selbst.


[367]Geschlechts- und Harnorgane.

1829. — Joh. Müller (Meck. Arch. 1829. No. I. und II. S.
65—70.) macht seine Entdeckung der Wolffschen Körper in den
Embryonen der Batrachier bekannt und zwar als eine am oberen
Theile des Körpers unterhalb der Kiemen befindliche Ansamm-
lung von Blinddärmchen, von welchen ein langer Ausführungs-
gang zur Aftergegend hinabgeht (S. 67. 68.). Zugleich erklärt
er sich (S. 66.) gegen den Ursprung der Nieren aus den Wolff-
schen Körpern, wie Rathke es gelehrt hatte.


1830. — In dieses Jahr fallen die Untersuchungen zweier
Männer, von denen der eine die Wolffschen Körper, der andere
die Genitalien überhaupt zu Objecten besonderer Schriften machten.


Joh. Müller lieferte eine besondere, mehr durch eine Reihe
eigener Beobachtungen, als durch ausgedehnte Benutzung literari-
scher Hilfsmittel sich auszeichnende Arbeit (Bildungsgeschichte
der Genitalien. 1830. 4.). In seinem gröſseren Drüsenwerke (de
glandularum secernentium structura penitioni
. 1830. fol.)
wurden gleichzeitig noch manche hierher gehörige Punkte be-
leuchtet und kennen gelehrt. Seine wichtigsten Resultate sind
folgende: 1. Die Vögel. Jeder Wolffsche Körper ist hier von
Anfang an von dem anderen geschieden (Bildungsgeschichte S.
21.) und besteht zuerst aus einem Aggregate gestielter Bläschen,
welche sich bald in näher an einander gerückte Cylinderchen um-
wandeln, die in den Ausführungsgang münden (Bildungsgeschichte.
S. 22. 23. de glandulis p. 90.). Sie entspringen aus keinem
Blutgefäſse (Bildungsgeschichte S. 22.), sind einfach, nie verzweigt
und endigen blind. Die Breite eines Jeden beträgt 0,00300 bis
0,00377 P. Z. (S. 23.). Sie führen ein gelbliches, leicht fortzu-
schiebendes Sekret, welches in ihren Ausführungsgang und von
da in die Kloake übergeführt wird (S. 26.). Weder Nieren noch
keimbereitende Geschlechtstheile sind Metamorphosen der Wolff-
schen Körper (S. 24. 25. de glandulis p. 91.). Der Ausführungs-
gang derselben wird bei den Männchen zum Saamenleiter (S. 29.
33.) und verläuft immer längs der ganzen Oberfläche der Wolff-
schen Körper (S. 34.). Von dem oberen Ende des Hodens gehen
graulich weiſse Fäden, vasa efferentia, der Zahl nach im Allge-
meinen fünf in den Wolffschen Körper, von denen das oberste
das stärkste ist, und welche nur in die Zwischenräume zwischen
den Wolffschen Körper sich einlegen, nie aber in dieselben über-
gehen. Später dagegen erkennt man deutlich ihren Zusammen-
[368]Von dem Embryo.
hang mit dem Ausführungsgange, dem Saamenleiter (S. 34. 35.),
welcher bei jungen Thieren, aber auch nur bei diesen, ein blin-
des von Nebenhoden zur Niere gehendes Gefäſs darstellt, das von
Morgagni, Valsalva, Scorzone und Tannenberg erwähnte vas ab-
errans
(S. 39.). Die vasa efferentia rücken nun immer näher
an einander, bilden zuletzt eine dünne, platte Anschwellung, und
stellen so den Nebenhoden der Vögel dar (S. 40.). Dieser ent-
steht also durchaus selbstständig, keineswegs aber gänzlich oder
zum Theil aus dem Wolffschen Körper (S. 41.). Bei dem Weib-
chen entstehen die Eileiter unabhängig und neben dem Ausfüh-
rungsgange der Wolffschen Körper. Dieser ist noch bei der Ge-
burt vorhanden (S. 31.). Ueber das erste Entstehen eines doppel-
ten und das spätere Schwinden des rechten Eileiters stimmt M.
gänzlich mit Bär und Rathke überein (S. 36. 37.). Beim Aus-
kriechen sind hier die Wolffschen Körper bis auf einen sehr klei-
nen Rest geschwunden. 2.) Die Säugethiere. Auch bei diesen
erscheinen die Wolffschen Körper, wie bei den Vögeln (S. 44.),
und Nieren, Hoden und Eierstöcke zeigen sich auf gleiche Weise
an ihnen (S. 47.). Ein über den äuſseren convexen Theil dersel-
ben verlaufender Faden nimmt zuerst aus dem am unteren Theile
des Wolffschen Körpers liegenden Gange seinen Ursprung. Unter
dem Körper sind dieser Faden und der Ausführungsgang noch ver-
bunden, an dem übrigen Theile jedoch weichen sie aus einander,
indem der Ausführungsgang die Blinddärmchen aufnimmt, der feine
Faden aber oberflächlich über die Blinddärmchen verläuft, ohne
eine Verbindung mit ihnen einzugehen (S. 48. 49.). Beide sind
aber schon in der frühesten Zeit von einander geschieden. Der
Faden ist das Rudiment des Saamen- und des Eierleiters. Er er-
hebt und verdickt sich nun immer mehr (S. 51.), während der
Wolffsche Körper sich immer mehr verkleinert (S. 53.). Nun
erhebt sich von dem Bauchringe zu dem unteren Ende des Wolff-
schen Körpers eine zarte Falte des Bauchfelles, welche bei dem
Männchen zum Gubernaculum Hunteri, bei dem Weibchen zu
dem lig. uteri rotundum wird (S. 59.). Bei dem Männchen
entwickelt sich nun ohne Vermittlung des Wolffschen Körpers
und selbstständig eine Substanz zwischen dem Hoden und dem
feinen Faden oder Gange, dem künftigen Saamenleiter und stellt
das Rudiment des Kopfes des Nebenhodens dar (S. 60.). Der
Gang selbst kräuselt sich an seinem vorderen Ende und wird
zum
[369]Geschlechts- und Harnorgane.
zum Schwanze des Nebenhodens und, indem er sich an seinem
hinteren Ende erweitert, zum vas deferens. Der Insertionspunkt
des Gubernaculum Hunteri ist nun scheinbar vermöge dieser
Kräuselung an den Schwanz des Nebenhodens gerückt (S. 61.).
Die Einmündungsstelle des vas deferens ist jederseits getrennt.
Beide rücken nur nahe an einander. — Bei dem Weibchen dage-
gen reicht der Gang etwas über den Wolffschen Körper hinauf
und endigt oben (vorn) mit einer kegelförmigen Anschwellung,
die später eine Oeffnung erhält. Der über den Wolffschen Kör-
per verlaufende Theil desselben bleibt gerade und wird zur
Trompete, während der untere Theil desselben sich in das Horn
des Uterus umwandelt. Nach unten verschmelzen sie hier bei-
derseits zu einem einfachen Stücke, dem Uterus (S. 60. 61.). —
Die Nieren erscheinen bei Vögeln und Säugethieren hinter den
Wolffschen Körpern (S. 24. 55. 98. de glandulis p. 91. 94.)
sind bei den Vögeln im Anfange eine Menge in eine Masse mit ein-
ander verbundener Blinddärmchen, welche sich zu Blättchen verei-
nigen (de glandulis. tab. XIII. fig. 1. 2. 4.). Bei den Säugethieren
enthalten sie zuerst gewundene Kanäle mit kolbigen Enden (de
gland
. p. 94. tab. XIV. fig. I.) und durch Krümmung und Verwicke-
lung dieser Harnkanäle entsteht dann die Rindersubstanz der Nieren.
— 3. Der Mensch. — Er hat in frühester Zeit ebenfalls Woffsche
Körper, die sich aber schnell verkleinern (Bildungsgeseh. S. 74. 76.).
— Am spätesten verkümmern sie bei den Fröschen, früher bei den
Vögeln und noch früher bei den Säugethieren (S. 95. 96.), am
frühesten aber bei dem Menschen, da sie bei einen Zoll langen
menschlichen Früchten schon sehr klein und undeutlich sind (S.
97.). — Die Nebennieren sind nur beim Menschen anfangs gröſser,
als die Nieren (S. 98.). — Die Wolffschen Körper sind Absonde-
rungsorgane, stehen in einem vicären Verhältnisse zu den Nieren,
wie die Kiemen zu den Lungen, und excerniren einen harnähnli-
chen Stoff (S. 109.), haben aber nicht die innige Beziehung zu
den Genitalien, wie Rathke glaubte (S. 110.).


L. Jacobson (die Okenschen Körper oder die Primordialnie-
ren. 1830. 4.) hat seine Untersuchungen an einer Reihe Schwei-
neembryonen angestellt. Die Okenschen Körper sind nach ihm
bei Embryonen von 1½ Zoll in ihrer höchsten Ausbildung vorzu-
finden (S. 3.). Sie liegen in der Höhle des Bauchfelles, von wel-
chem sie gänzlich umgeben werden, bestehen aus einer Masse
24
[370]Von dem Embryo.
von Querstreifen und haben keine Höhlung (S. 4.). Ihre Kanäl-
chen entstehen im Parenchym und münden in den Ausführungs-
gang (S. 5.). Der Hauptausführungsgang verläſst aber die Kör-
per, mündet mit dem der anderen Seite zusammen und zuletzt
unter der Blase in die Scheide (S. 5.). Die Wolffschen Körper
sondern wahrscheinlich ab, sind harnabsondernde Organe in den
frühesten Entwickelungszuständen und können daher Primordial-
nieren genannt werden. Die Nieren entstehen später, als die Ho-
den und Ovarien (S. 8.). Mit dem Wachsthume der Nieren di-
vergiren die Okenschen Körper immer mehr und schwinden von
vorn nach hinten (S. 9.). Längs des Ausführungsganges erhebt
sich der Peritoneum zu einer Falte, dem künftigen Gubernacu-
lum Hunteri
oder lig. uteri rotundum (S. 11.). Die Nieren
stehen mit den Okenschen Körpern in gar keiner Verbindung,
denn diese liegen innerhalb, jene aber auſser dem Bauchfell (S. 11.).
Auſserdem beweisen dieses drei in einem und demselben Fruchthäl-
ter von ihm gefundene Monstrositäten, wo die linke Niere fehlte oder
die rechte in abnormer Lage sich befand, die Okenschen Körper
dagegen nichts desto weniger in der gewöhnlichen Lage und
Form sich zeigten (S. 12.). Eben dasselbe gilt von den Ne-
bennieren (S. 13.). Auch die keimbereitenden Geschlechtstheile
sind von den Okenschen Körpern unabhängig. — Die Gebärmut-
ter, Eier- und Saamengänge finden sich in ihren ersten Spuren,
wenn die Okenschen Körper ihre höchste Entwickelung erreicht
haben und sind keine Metamorphosen des Ausführungsganges der
letzteren (S. 14.). Reste der Primordialnieren sind vielleicht
das Rosenmüllersche Organ bei dem Menschen und gelbliche
Massen in der Nähe der Ovarien bei den Säugethieren. Ueberreste
der Ausführungsgänge derselben sind die in erwachsenen Haussäu-
gethieren sich findenden Gartnerschen Kanäle (S. 17—19.). Bei
den Männern bleibt vielleicht die Spur derselben als vas aber-
rans Halleri
zurück (S. 20.).


J. Müller (de ovo atque embryone humano observ. anat. 1830.
4. in Meck. Arch. 1830. S. 411—434.) beschreibt die Wolffschen
Körper aus einem 7 Linien langen (de ovo p. 10. bei Meckel S.
428.) und einem 5 Linien langen menschlichen Embryo (de ovo
p. 14.). Seine Abbildungen davon sind in Meckels Arch. 1830.
tab. XI. fig. 13. B. h. h. und fig. 12. B. h.


1831. — Arnold (Salzburg. medizin. chirurg. Zeitung. 1831.
[371]Gesehlechts- und Harnorgane.
Bd. 2. S. 236. 237.) glaubt, daſs die Nebennieren durch Abschnü-
rung des vordersten Theiles der Wolffschen Körper in Folge der
Entwickelung der Nieren entstehen. Ja die Nebennieren sollen
sogar zuerst unter dem Microscope dieselbe Bildung, wie die
Wolffschen Körper zeigen. Ebenso flieſsen Hoden und Ovarien
anfangs mit ihrem oberen (vorderen) Ende in die Substanz der
Wolffschen Körper zusammen, trennen sich aber sehr bald von ihnen.


1832. — Rathke (Abhandlungen zur Bildungs- und Entwicke-
lungsgeschichte des Menschen und der Thiere. 1832. 4.) verthei-
digt (S. 18.) gegen Joh. Müller, daſs der über den ganzen Wolff-
schen Körper verlaufende Kanal der wahre falsche Harnleiter, der
von Müller dagegen als solcher beschriebene nur eine Ansammlung
von Zellstoff sei, daſs die Nebenhoden aus einigen Gefäſsen der
falschen Nieren enstehen (S. 19.) und daſs Eierstöcke und Hoden
bestimmt Metamorphosen derselben bei den höheren Amphibien,
Vögeln und Säugethieren seyen. Von den Nieren aber ist dieses
zweifelhaft. — Die Wolffschen Körper bei Batrachiern hat Rathke,
wie J. Müller sie beschrieben, gefunden. Vergeblich aber haben beide
nach ähnlichen Organen bei Blennius viviparus gesucht (S. 20.).


Rathke liefert eine Arbeit über die Geschlechtswerkzeuge
der Schlangen, Eidechsen und Schildkröten (Abh. I. S. 21—44.),
woraus erhellt, daſs die Wolffschen Körper auch hier allgemein
vorkommen, daſs Saamen- und Eileiter neben den falschen Harn-
leitern entstehen (S. 27.) und daſs auch hier die den malpighschen
Körperchen analogen Gefäſsconvolute in den Wolffschen Körpern
sich zeigen (S. 30.).


In demselben Werke von Rathke finden sich Untersuchun-
gen über die Geschlechtswerkzeuge der Säugethiere (S. 45—87.),
die folgende Thiere betreffen.


1. Wiederkäuer und zahmes Schwein. Bei sehr jungen
Schafsembryonen, deren Kiemenspalten zum Theil noch offen stan-
den, waren die Wolffschen Körper allein vorzufinden (S. 47.).
Längs ihrer ganzen Ausdehnung verlief ein Gefäſs, aus welchem
ihre kleinern Gefäſse entsprangen. Nun beugt sich jede falsche
Niere, besonders in ihrer Mitte ein, und verdickt sich vorzüglich
an ihrer hinteren Hälfte (S. 48.). Beide bleiben durch eine Masse
Schleimstoff, in welcher die Aorte und Hohlvene liegen, mit ein-
ander verbunden (S. 49.). Die Kanälchen der falschen Nieren
vergröſsern sich, treiben an ihren blinden Enden zarte schlauch-
24*
[372]Von dem Embryo.
artige Produktionen hervor, welche sich vielfach in einander ver-
knäueln und es entstehen daher zarte Drüsen, welche in einer dich-
teren Hülle eingeschlossen sind und in einander gewundene Blutge-
fäſse enthalten. Sie sind den Malpighischen Körperchen der wah-
ren Nieren analog (S. 51.) und hängen wahrscheinlich mit den
Kanälchen der falschen Nieren continuirlich zusammen. So sind
die letzteren im höchsten Grade ihrer Ausbildung. — Hoden und
Eierstock entstehen aus den falschen Nieren. Der Hoden enthält
sowohl die Albuginea, als seine Saamenkanäle lange vor seinem
Herabsteigen in den Hodensack, kurze Zeit, nachdem das Ge-
schlecht äuſserlich kenntlich geworden. Zuerst entstehen die
Saamengefäſse im ganzen Hoden und erst später bildet sich im
Innern der zellstoffige Kern, das Corpus Highmori (S. 52.).
Die falschen Harnleiter werden dicker und gröſser und gehen un-
mittelbar in die Eier- und Saamenleiter über. Bei beiden Ge-
schlechtern verdicken sie sich an der Spitze, erhalten eine Mün-
dung (S. 53.) und bilden sich bei dem Weibchen zum Trichter,
bei dem Männchen aber, indem sie sich wieder verschlieſsen, zu
dem Saamenleiter aus (S. 54.). Nun lösen sich die Gefäſse der
falschen Nieren von dem Ausführungsgange los und schwinden
von hinten nach vorn, bei dem Weibchen gänzlich, bei dem
Männchen dagegen nur in ihrem hinteren Theile, indem der vor-
dere zum Nebenhoden wird. Dieser Rest sowohl, als das vor-
derste Ende des Saamenleiters, welcher sich zuerst spiralförmig,
dann verknäuelnd windet, verschwinden mit einander zu dem
Nebenhoden (S. 56.). — Die übrigen hier noch erzählten wichti-
gen Beobachtungen über die Entwickelung der beiden anderen
Sphären der Harn- und Geschlechtsorgane, so wie über das Her-
absteigen der Hoden, werden wir noch weiter unten am passen-
den Orte erwähnen. —


2. Der Narval. Bei einem 7 Zoll langen Embryo waren die
falschen Nieren etwas länger, als der anliegende Hoden. Mit dem
Saamenleiter hingen nur wenige Gefäſse der falschen Nieren zu-
sammen. Sie bildeten eine kleine Anschwellung derselben und
gingen nach innen und unten zu einem kurzen Stamm vereinigt,
in das vordere Ende des Hodens (S. 84. 85.). —


3. Der Mensch. Bei einem Embryo, welcher noch mit Kie-
menspalten versehen war, fanden sich die falschen Nieren mit
deutlichen Quergefäſsen, ein röhriges ihnen anliegendes Gebilde,
[373]Geschlechts- und Harnorgane.
welches als falscher Harnleiter gedeutet wird und auſserdem ein
keimbereitendes Organ und eine Niere jederseits. Die Nebennie-
ren fehlten aber noch gänzlich (S. 86.). Bei einem anderen et-
was längeren Embryo divergirten die falschen Nieren weit mehr
nach vorn, und ihre angeblichen Ausführungsgänge waren länger.
Die Nieren waren in der Mitte durch Schleimstoff verbunden und
jede von ihnen hatte ihren eigenen Harnleiter. Die Nebennieren
fehlten noch (S. 87.).


Endlich giebt Rathke (S. 91. 92.) noch einige in dem Vori-
gen schon enthaltene Berichtigungen mehrerer seiner Angaben in
Burdachs Physiol. Bd. 2.


1833. — Im zweiten Bande seiner Bildungs- und Entwicke-
lungsgeschichte des Menschen und der Thiere. 1833. 4. liefert
Rathke eine Entwickelungsgeschichte der Nieren der Wieder-
käuer (S. 95—102.). Sie zeigen sich zuerst bei 6⅓ Linien langen
Rindsembryonen als kleine rundliche Körper, von denen die rechte
um eine Linie, die linke noch weniger von dem hinteren Ende
der Bauchhöhle entfernt war. Jede lag in einer Vertiefung der
inneren Seite der Rückenwand und hatte 6 bis 7 kleine warzen-
förmige Erhöhungen, welche kleine durch Schleimstoff verbundene
Kolben waren, die in der Mittellinie convergirten; es sind dieses
die Harngefäſse. Ein Harnleiter war nicht sichtbar. Neben den
Nieren aber fand sich ein Wulst, den Rathke für die erste An-
deutung des Psoas hält (S. 97.). Späterhin vergröſsern sich die
Nieren, krümmen sich zusammen, werden glatt und enthalten
drei Reihen nach innen convergirender, kolbiger Harngefäſse. Der
Harnleiter erscheint als ein durchsichtiger Faden, welcher beinahe
ganz am vorderen Ende der Niere entspringt, längs ihrer inneren
Fläche verläuft und sich zu der Andeutung der Harnblase fortsetzt.
Die an der Niere verlaufende Abtheilung desselben war sehr
dick, der übrige Theil dagegen um vieles dünner (S. 99.). Die
äuſseren Enden der Harnkanälchen schwellen nun immer mehr an
und der äuſsere Rand der Niere wird daher ausgedehnter und
krümmt sich mehr in sich zusammen, während der Harnleiter an
der gegenüber liegenden Stelle immer mehr anschwillt und das
Nierenbecken bildet. Die Harngefäſse vermehren sich nun. Das
Nierenbecken theilt sich in mehrere Aeste, welche strahlenförmig
aus einander fahren. Jeder von ihnen zerfällt wieder in mehrere
Zweige, die sogenannten Nierenkelche, in welche eine sich immer
[374]Von dem Embryo.
mehrende Zahl von Harngefäſsen mündet. Zugleich erhalten die
Nierenkelche eine gröſsere Weite, bis die Ausgangsstücke meh-
rerer Harngefäſse eine siebartig durchlöcherte, in die Höhle eines
Nierenkelches hineinragende Warze darstellen. Auch mehret sich
zugleich die Zahl der Nierenkelche, indem diese und die Harn-
kanälchen sich verlängern (S. 100.). Diese letzteren verlieren
ihre keulenförmige Gestalt, werden allenthalben gleich dick und
schlängeln sich zuerst in der ganzen Ausdehnung der Niere.
Später strecken sie sich, indem sie an Länge zunehmen, in der
Nähe der Nierenkelche gerade und so bildet sich ein Unterschied
zwischen Rinden und Marksubstanz. Die Harnkanälchen enthal-
ten zuletzt eine dichotomische Verzweigung. — Die Malpighi-
schen Körperchen entstehen frühzeitig, sind zuerst kleiner und
im Ganzen der Zahl nach geringer, als im erwachsenen Zustande
und liegen, so lange nur Rindensubstanz existirt, bis an der Pe-
ripherie des Nierenbeckens zerstreut. Mit Bildung der Pyrami-
den weichen sie nach der Rindensubstanz zurück. Sie erschei-
nen zuerst als einfache Kügelchen. Die Gefäſsverknäuelung wird
erst spät kenntlich (S. 101.). — Nach der Mitte des Fruchtlebens
werden die Nieren traubig, indem die einzelnen Lappen derselben
den einzelnen Pyramiden entsprechen (S. 102.). — Die Nieren
entstehen wahrscheinlich nicht, wie Rathke früher angegeben,
aus den falschen Nieren (S. 98.). —


Endlich hat Rathke (über die Bildung der Saamenleiter der
Fallopischen Trompete und der Gartnerschen Kanäle in der Ge-
bärmutter und Scheide der Wiederkäuer (in Meck. Arch. VI.
Hft. 3. S. 379—389.) nach seiner neuesten Untersuchung berich-
tet, daſs zuerst nach der Länge der ganzen falschen Niere ein
vorn offener Kanal, der falsche Harnleiter verläuft (S. 380.).
Neben diesem entsteht an der äuſseren Seite ein dünner Faden,
welcher bei dem Weibchen zur Trompete, bei dem Männchen
zum Saamengange wird (S. 89.). Er bildet sich wahrscheinlich
mit einem Male längs der ganzen falschen Niere. Die falschen
Nieren nebst ihren Ausführungsgängen schwinden von vorn nach
hinten und der letztere scheint daher aus dem hinteren Ende
hervorzugehen (S. 382.). Bei dem Männchen scheint bei dem
Schwinden des falschen Harnleiters der Saamenleiter sich mit den
vordersten eigenthümlichen Gefäſsen der falschen Niere zu verbin-
den (S. 384.). Die falschen Harnleiter münden in den Vorhof
[375]Geschlechts- und Harnorgane.
der Geschlechtstheile. Zwischen ihnen setzt sich ein kurzer Gang
fort, welcher sich mit den Tuben verbindet. Dieser wird nun
im Laufe der Entwickelung zur Scheide und zum Halse und Kör-
per der Gebärmutter nebst den weiteren Stücken der Hörner
derselben. Unterdeſs schwinden die den Ausführungsgängen der
falschen Nieren entsprechenden Höhlen gänzlich. Eine ähnliche
Bildung findet sich auch zuerst bei dem Männchen. Nur wandelt
sich hier der mittlere Theil in die pars membracea urethrae
um (S. 388.). — Zugleich nimmt Rathke seine frühere Meinung,
daſs Joh. Müller eine Ansammlung von Zellstoff für den falschen
Harnleiter gehalten habe, zurück, glaubt aber, daſs Joh. Müller
diesen nur aus seinem späteren Zustande kenne, wo er mit der
falschen Niere von vorn nach hinten geschwunden sey (S.
389.).


Wir haben hier absichtlich eine möglichst vollständige Ge-
schichte der bis auf unsere Tage gelieferten Arbeiten über die
Entwickelung der innersten Sphären der Geschlechts- und Harn-
organe zusammengestellt, um den Leser unmittelbar in ein Gebiet
einzuführen, welches an und für sich von dem höchsten Interesse
ist, dadurch aber für uns eine noch höhere Bedeutung erhalten hat,
daſs mehrere der ausgezeichnetsten Naturforscher unseres Jahrhun-
derts dieses Feld von Untersuchungen zum speciellen Objecte ihrer
genauen und mühsamen Beobachtungen gemacht haben. Es lag
uns ob, auch unsere schwachen Kräfte auf diesem Gebiete zu ver-
suchen und nach Möglichkeit die Aufhellung der Wahrheit zu
befördern. Wenn es uns bei unseren Forschungen überhaupt
Grundregel ist, nur das von uns genau Gesehene und Verfolgte
zu berichten, so muſsten wir hier doppelt vorsichtig seyn, weil
wir mit den gröſsten Autoritäten in die Schranken zu treten
uns genöthigt sahen. Um aber einen sicheren Haltpunkt zu ge-
winnen, werden wir uns die Resultate sehr vieler mühevoller
Beobachtungen, die wir an Säugethieren und zwar an dem Rinde,
dem Schaafe, dem Schweine, dem Hunde, der Katze, der Ratte und
dem Kaninchen gemacht haben, hier vortragen, mit diesen die weni-
gen an Menschen gemachten Erfahrungen verbinden, unsere Be-
merkungen über niedere Wirbelthierklassen dagegen an einem an-
deren schicklichen Orte bekannt machen. — Die wurmförmigen
Organe nach Oken, die Wolffschen (bei Vögeln) und die Oken-
schen (bei Säugethieren) Körper oder die falschen Nieren nach
[376]Von dem Embryo.
Rathke, die Wolff’schen Körper nach Joh. Müller, die Primordial-
nieren nach Jacobson finden sich in folgenden Thierklassen.


1. Bei den Batrachiern. Joh. Müller, Rathke und wir.


2. Bei den höheren Amphibien. Emmert und Hochstetter,
Rathke, Joh. Müller und wir.


3. Bei den Vögeln. Wolff, Haller, Rathke, Bär, Joh. Mül-
ler und wir.


4. Bei den Säugethieren. Hier kennt man sie bei folgenden
Thieren: Bei dem Hunde, der Katze, dem Kaninchen, der Ratte,
der Maus, dem Igel, dem Ochsen, dem Schaafe, dem Rehe, dem
Schweine, dem Narwall und endlich bei dem Menschen. Es läſst
sich daher wohl kaum die Allgemeinheit dieser Organe, so wie
ihre hohe Wichtigkeit nicht bloſs für die uropöetischen und Ge-
schlechtsorgane, sondern für das ganze früheste Embryonalleben be-
zweifeln. Dieses Letztere muſs daher als vorzüglichste Anregung
betrachtet werden, sie in jeder Rücksicht und in allen Verhält-
nissen so genau, als möglich kennen zu lernen. Das Ziel der fol-
genden, auf eigener Untersuchung basirten Darstellung soll vor-
züglich dieses seyn, zu zeigen, daſs sie selbstständige wichtige
Organe des Embryo sind und mit den Harnorganen gar nicht,
mit den Geschlechtstheilen aber nur in secundäre und untergeord-
nete Berührung kommen. —


A. Die Wolff’schen Körper bei Säugethieren und dem
Menschen, besonders nach ihrer Structur in den
verschiedenen Epochen der Entwickelung
.

Diese merkwürdigen Organe kommen doppelt in dem Körper
jeder Frucht zu verschiedenen Zeiten der [Entwickelung] vor.
Ihre Ausdehnung ist verschieden. In frühester Zeit, wo noch
weiter keine Scheidung zwischen Brust- und Unterleibshöhle Statt
findet, reichen sie von der hinteren Gegend des Herzens bis zu
dem hintersten Ende des Körpers und scheinen sich dort an den
Enddarm kurz vor seinem Ausgange anzulegen oder einzumünden.
Zuerst sind sie eine mehr unförmliche Masse, deren Blastem ur-
sprünglich von dem serösen Blatte ausgeht, das sich mit dem
Gefäſsblatte zu der neuen Bildung verbindet und so auf jeder
Seite ein langes spindelförmiges Organ darstellt. Es entsteht nun
aber die Frage, ob diese Urmasse in der ersten Zeit einfach sei
[377]Die Wolff’schen Körper.
und sich dann in zwei gesonderte Organe spalte, oder ob sie von
einer Urmasse jederseits ausgehe und so beide von Anfang an ge-
trennt und geschieden werden. 1. Bei den Vögeln hatte Rathke
ihre ursprüngliche Einfachheit behauptet, v. Bär und Joh. Müller
dagegen bezweifelt. Zu einem sicheren und über allen Zweifel
erhobnen Resultate zu gelangen, wollte mir bis jetzt noch nicht
gelingen. Ich glaube aber durch eine nicht geringe Zahl feiner,
von mir gemachter und unter dem Plöſslschen Instrumente mög-
lichst genau untersuchter Querdurchschnitte von in kohlensaue-
rem Kali erhärteten Hühnerembryonen vom dritten bis zum sechs-
ten Tage mich mit einem hohen Grade von Wahrscheinlichkeit
überzeugt zu haben, daſs das Verhältniſs folgendes sey. Zu jeder
Seite des Ursprunges des unteren inneren Centralrohres, d. h.
dicht neben der der Bauchseite hinzugekehrten Oberfläche der
Wirbelsäule, geht (von dem serösen Blatte also) eine Massenpro-
duction aus. Der Antheil des serösen Blattes ist daher bestimmt
von Anfang an zweifach. Nicht so der des Gefäſsblattes; denn
dieses wird in der Mittellinie nicht bloſs zur Bildung der Aorte
verwandt, sondern es bleibt von ihr auſserdem noch ein Theil
übrig, welcher wahrscheinlich in die Bildung der Wolff’schen
Körper eingeht. Die Trennung schreitet aber hier von der Bauch-
nach der Rückenseite vor sich. Es ist daher gar nichts Seltenes,
aus dem dritten oder vierten Tage (denn gerade in dieser frühen
Zeit variirt die Entwickelung am meisten, und jede Zeitangabe
muſs um so ungewisser und willkührlicher sein, je jünger der
Embryo ist) Durchschnitte zu erhalten, in welchen das untere in-
nere, noch durchaus nicht vollkommen geschlossene Centralrohr
folgendes Aussehen darbietet: Unterhalb der Rückensaite liegt
in der Mittellinie eine Partie des serösen Blattes, die künftige
der Bauchfläche zugekehrte Abtheilung der Wirbelsäule, zum
Theil den Wirbelkörpern entsprechend. Von dieser geht jeder-
seits eine Leiste aus, welche beide sich aber an der vorderen
Fläche noch nicht erreichen. Es sind dieses die Bauchplatten,
die sich aber schon zu ihrer Umschlagung in das wahre Am-
nion anschicken. An der gegen den Rücken gekehrten inneren
Oberfläche der beiden Bauchplatten sieht man eine mit ihnen ver-
schmolzene Masse, welche sich nach allen Charakteren als zu
dem serösen Blatte gehörig ausweist. Sie ist aber in der Mitte
geschieden, und zwar durch eine sich einlegende Produktion des
[378]Von dem Embryo.
Gefäſsblattes, die Aorta. Ueber diesen Theilen liegt jederseits
der aus dem Gefäſsblatte kommende Antheil der Wolff’schen Kör-
per. Beide Theile sind aber nicht getrennt, sondern in der Mit-
tellinie mit einander verbunden, jedoch so, daſs auch hier auf
der nach der Bauchseite, dem Dotter hinsehenden Fläche eine
Furche oder Lücke übrig bleibt, welche nur nicht, wie an dem
serösen Blatte, völlig durchgeht, sondern zum Theil noch durch
eine Brücke des Gefäſsblattes, welches sich hier nicht vollständig
zur Aorte umgewandelt, abgeschnitten ist. In diese Furche legt
sich die der Wirbelsäule zugekehrte Leiste oder verwachsene
Falte des Schleimblattes, von welcher dann jederseits eine Leiste
ausgeht, um das künftige Darmrohr zu bilden und sich mit sei-
nem excentrischen Theile über den Dotter fortzusetzen. So viel
habe ich bisjetzt gefunden, und wenn ich die frühere Gemein-
schaft des Antheiles des Gefäſsblattes kaum bezweifele, so muſs
ich doch bei meinen künftigen Forschungen auf die dem serösen
Blatte zugehörende Abtheilung meine vorzügliche Aufmerksamkeit
richten. Die ganze Frage dürfte auf folgenden Hauptpunkt sich
zurückführen lassen. Entsteht die allererste Spur der Wolff’schen
Körper noch vor der Bildung der Aorte, so sind sie in ihrem Ur-
zustande höchst wahrscheinlich einfach. Bildet sie sich aber,
nachdem die Aorte schon da ist, so ist diese Partie derselben zu-
erst doppelt und von einander geschieden angelegt. Das Letztere
ist mir auſser meinen bisherigen Erfahrungen auch von theoreti-
scher Seite aus zu vermuthen. 2. Bei den Säugethieren hat sie
noch kein Beobachter in einem so frühen Zustande gesehen, in
welchem beide als selbstständige Organe noch nicht geschieden
seyn sollten. — Hieran reihet sich die Erfahrung von Oken, daſs
seine wurmförmigen Organe oder die Wolff’schen Körper in frü-
hester Zeit hohl seyen. Allein dieser Irrthum beruht gewiſs auf
einem der folgenden zwei Punkte: 1. An Hundeembryonen von
fünf Linien Länge, die ich schon länger als zwei Jahre in Wein-
geist aufbewahrt hatte, fand ich oberhalb des auf jeder Seite lie-
genden völlig isolirten Wolff’schen Körpers eine dicke, wulstige,
fast hufeisenförmig gekrümmte Masse, welche sich genauer an den
vorderen Rand der Wolff’schen Körper, als an den der unter densel-
ben liegenden Nieren anschloſs, und die ich für die Nebennieren
zu halten geneigt wäre. Dieses noch einfache Organ war, sey es
[379]Die Wolff’schen Körper.
durch Wirkung des Weingeistes *) oder nicht, in seinem Innern
mit einer deutlichen Höhlung versehen. 2. Zu einer bald näher zu
beschreibenden Periode der inneren Ausbildung der Wolff’schen Kör-
per ist, wie dieses besonders Jacobson im Allgemeinen schon bemerkt
hat, die innere Masse derselben bei Weitem lockerer, als die Periphe-
rie, so daſs bei einer nicht ganz genauen Untersuchung frischer
oder noch leichter bei etwas faulenden Embryonen der Schein
entstehen kann, als seyen die Wolff’schen Körper im Innern hohl.
Jedenfalls aber kann ich aus vielfacher Untersuchung mit Rathke,
Joh. Müller, Jacobson u. A. behaupten, daſs nie im normalen Zu-
stande eine Höhlung in den Wolff’schen Körpern enthalten sey.


Wir kommen nun zur Structurlehre dieser merkwürdigen
Organe in der Klasse der Säugethiere. Es ist aber nothwendig,
daſs wir zur besseren Einsicht in unserer Darstellung zwei Be-
merkungen vorauschicken: 1. Die Bestimmung der von uns in
Bezug auf ihre Lage zu gebrauchenden Ausdrücke. Wir denken
uns hier immer den Embryo auf den Rücken gelegt und bestim-
men nach dieser Lage die Bedeutung der von uns zu benutzenden
Verhältnisse. Die Oberfläche, welche an der inneren Fläche der
Rückenwand anliegt, heiſst daher die untere, die entgegengesetzte
dem Nabel und den Eingeweiden zugekehrte Fläche die obere.
Nach innen heiſst gegen die Mittellinie des Körpers, gegen die
Aorte, nach auſsen gegen die Seite der Leibeswandungen, nach
vorn gegen den Kopf, nach hinten gegen den Schwanz zu. Nach
innen der Wolff’schen Körper selbst dagegen bezeichnet die Rich-
tung gegen ihre ideale, im Centrum des Querdurchschnittes ver-
laufende Längenaxe. 2. Wir müssen im Voraus bemerken, daſs
die Hauptfunction der Wolff’schen Körper, d. h. ihre Thätigkeit
als se- und excernirende Organe, als warhaft conglomerirte Drü-
sen in der Klasse der Mammalien auf eine sehr kurze und in dem
[380]Von dem Embryo.
Menschen auf die kürzeste Zeit von allen Thieren beschränkt sey.
Diese Bemerkung müssen wir durchaus festhalten, weil es sich nur
hieraus erklären läſst, wie es hier weder Joh. Müller, Rathke und
Jacobson, noch mir selbst trotz aller Mühe gelungen ist, das Se-
kret der Kanälchen der Wolff’schen Körper in den Ausführungs-
gang und in die Kloake zu befördern, also ihre wahre Se- und
Excretion durch Erfahrung nachzuweisen, welches bei den Vö-
geln, wie Johannes Müller zuerst bemerkt hat, so überaus leicht
geschehen kann. Ich vermuthe daher, daſs ihre vorzüglichste
Sekretionsthätigkeit schon in Abnahme oder wenigstens bedeutend
alienirt ist, wenn sie sich ihrem Aeuſsern nach in einem sehr ho-
hen Grade der Ausbildung zu befinden scheinen. Bei Gelegen-
heit des Ausführungsganges werden wir auch auf diesen Gegen-
stand zurückkommen.


Bei den Wolff’schen Körpern sind drei Momente zu berück-
sichtigen, und zwar 1. die Hülle. Diese bildet das Bauchfell,
ein dem Schleimblatte angehörender Theil. Sein Verhältniſs zu
den Wolff’schen Körpern ist in den verschiedenen Entwickelungs-
graden verschieden. In der allerfrühesten Zeit bedeckt es wahr-
scheinlich nur die obere Fläche der Wolffschen Körper. Indem
diese aber sich immer mehr heben und lösen, umhüllt es diesel-
ben immer mehr, so daſs sie zuletzt gänzlich von ihm eingeschlos-
sen werden. Durch diese Einwickelung des Bauchfelles entste-
hen nun mehrere Falten, und zwar zuerst eine, welche über die
obere Fläche der Wolff’schen Körper verläuft und sich verschmä-
lernd an das Zwerchfell ansetzt. Nach hinten senkt sie sich in
die Tiefe und geht etwas schief von auſsen und vorn nach unten
und hinten. Eine andere Falte entsteht etwas später. Auf sie
hat Joh. Müller zuerst aufmerksam gemacht und gezeigt, daſs sie
mit dem Saamen- und Eileiter in innigster Verbindung ist. Bei
Schaafen liegt sie zuerst an der untern Oberfläche, dann aber nach
auſsen, und gelangt so an den äuſsern Rand und von da an die
obere Fläche der Wolff’schen Körper, so daſs sie die erstere Falte
zuletzt erreicht, ja sogar noch etwas von ihr nach innen rückt.
Wo sie bei Schweinen zuerst liege, vermag ich nicht anzugeben.
Bei den jüngsten Embryonen dieser Thiere, welche ich hierauf zu un-
tersuchen Gelegenheit hatte, nämlich bei solchen, deren Länge vom
Kopfe bis zur Schwanzspitze acht Linien betrug, lag diese zweite
Falte schon mit der ersteren verschmolzen an der oberen Fläche
[381]Die Wolff’schen Körper.
der Wolff’schen Körper, dem innern Rande näher als dem äuſsern.
Endlich sieht man noch in der Tiefe eine dritte Falte (oder bis-
weilen sogar zwei Falten) von dem hintern und unteren Rande
der Wolff’schen Körper nach der untern Wand des Enddarmes
gehen. Diese umhüllt wahrscheinlich ihren Ausführungsgang. 2.
Die Masse der Wolff’schen Körper selbst. Die besteht in frühe-
ster Zeit bei dem Vogelembryo aus einer Menge gestielter kol-
benförmig und blind sich endigender Bläschen, wie dieses Joh.
Müller (Bildungsgesch. d. Genit. tab. 2. fig. 3.) so schön abgebil-
det hat. Ob dasselbe in frühester Zeit auch bei Säugethieren der
Fall sey oder nicht, muſs künftigen Erfahrungen anheim gestellt
bleiben. Späterhin bilden sie bei diesen eine Menge paralleler
querlaufender Röhrchen, welche alle ziemlich frei durch das Bauch-
fell durchscheinen. Nehmen wir ungefähr das erste Viertel der Brei-
tendimension des Wolff’schen Körpers von innen zum Ausgangs-
punkte, so gehen die meisten ziemlich parallel und nahe an ein-
ander liegend von innen nach auſsen, schlagen sich dann an dem
äuſseren Rande von oben nach unten um und laufen, sich ver-
dünnend, an der untern Fläche von auſsen nach innen. Indem
sie immer dünner werden, ehe sie hier zuletzt anlangen, ver-
knäueln sie sich endlich in frühester Zeit. — Die Verknäuelun-
gen, welche in diesem Zustande in ganz frischen Schweineembryo-
nen schon mit bloſsem Auge sogar sichtbar sind, liegen in meh-
reren Lagen übereinander und reichen nicht ganz von dem innern
Rande bis beinahe zu der Stelle, wo die Falte des Ei- oder Saamen-
leiters mit der Längenfalte zusammenstöſst. Hierdurch werden
in den Wolff’schen Körpern fast zwei Substanzen mehr oder minder
deutlich unterschieden, nämlich die äuſsere Hälfte, welche beinahe
nur Kanälchen enthält, und die innere, welche zum gröſsten Theile
aus Verknäuelungen besteht. Bei weiterer Entwickelung sind
diese beiden Substanzen auch äuſserlich mehr marquirt, und zwar
die innere dadurch, daſs die Oberfläche der Wolff’schen Körper
hier gleichsam steiler abfällt und unter einem dem Rechten nä-
heren schiefen Winkel in die Tiefe geht. Wir haben oben ge-
sagt, daſs die Röhrchen ziemlich parallel von innen nach auſsen
gehen. Manche von ihnen aber senken sich, ehe sie den äuſsern
Rand erreichen, in die Tiefe, und es hat daher bei schwächern
Vergröſserungen den Anschein, als ob diese Cylinderchen schon
hier sich blind endigten. Allein man überzeugt sich von dem
[382]Von dem Embryo.
Gegentheile dadurch, daſs man dieselben mehr in die Tiefe zu
verfolgen sich bemüht. Jedoch gelingt dieses wegen der unge-
meinen Verwickelung der Kanälchen nur selten, und nie in bedeu-
tenderer Ausdehnung. Man kann sich daher hiervon auch auf
eine weit leichtere und eben so sichere Weise überzeugen. Be-
trachtet man nämlich einen solchen Wolff’schen Körper unter
stärkerer Vergröſserung, z. B. unter Ocular No. 2. und Objectiv
No. 1. des groſsen Plöſsl’schen Microscopes, besonders wenn er
sich auf schwarzem Grunde befindet und von oben mittelst des
Selligueschen oder eines diesem ähnlichen Prisma beleuchtet wird,
so sieht man, daſs der deutlich wahrnehmbare Kanal in den Wolff-
schen Körpern, welcher sich als ein breiter dunkeler Streif von
den schmalen weiſsen Wänden genugsam unterscheidet, nicht, wie
es bei solchen blinden Enden, z. B. in den Drüsen, den Lungen,
den Nieren und dgl. der Fall ist, von eben solchen schmalen wei-
ſsen Linien begrenzt wird, sondern ohne solche aufhört — ein
Factum, welches jeden geübten microscopischen Beobachter, wie
ich es an Purkinje, als er dieses Verhältniſs sah, selbst erfuhr,
zu demselben Schlusse leiten wird. Daſs die Kanälchen der
Wolff’schen Körper in ihrem Innern hohl seyen, erkennt man schon
von auſsen. Man kann sich aber leicht, wie Joh. Müller und
Rathke schon bemerkt haben, hiervon überzeugen, wenn man den
Wolff’schen Körper durchschneidet und die Durchschnittsfläche be-
trachtet. Ihre Wandungen sind so rigide, daſs sie nach der Tren-
nung nicht zusammenfallen, sondern das Lumen des Kanales offen
bleibt. Ja ich habe bisweilen die Wandung eines solchen Ka-
nales nur angeschnitten, ohne die weitere Continuität seines Ver-
laufes zu unterbrechen, und die Seitenwände dann so klaffen gesehen,
daſs mit Leichtigkeit ein Haar hineingebracht werden konnte. —
Die Gröſse der Kanälchen ist in jedem Thiere in derselben Epoche
der Entwickelung ziemlich constant. Wir heben aus sehr vielen
von uns angestellten micrometrischen Messungen die vorzüglich-
sten hervor, bemerken aber zuvor ausdrücklich, daſs hier noth-
wendig zwei Zustände zu berücksichtigen sind. Wir haben näm-
lich gar nicht selten bedeutende Differenzen gefunden, je nachdem
wir die durch das Bauchfell hindurch scheinenden oder die von
demselben getrennten Kanälchen zu messen unternahmen, beson-
ders wenn dieses nicht ganz frische, sondern längere oder kür-
zere Zeit in Weingeist aufbewahrte Früchte betraf. Der Grund
[383]Die Wolff’schen Körper.
dieses Widerspruches ist auch leicht einzusehen. Die Wandung
ist nach innen zu in jedem Kanälchen immer am stärksten, nach
auſsen dagegen dem verbindenden Schleimgewebe, besonders der
Consistenz nach, immer homologer, je jünger die Frucht ist. Wird
nun das Bauchfell abgezogen, so sieht man, besonders nach eini-
ger Erhärtung in Weingeist, an der innern Fläche des Bauchfelles
kleine Querstreifen von Bildungsgewebe sitzen, welche den Fur-
chen, den Zwischenräumen der einzelnen Kanälchen entsprechen.
Diese machen dann ungefähr die halbe Differenz der Gröſsenun-
terschiede aus, welche aus den verschiedenen Messungen der Ka-
nälchen mit und ohne Bauchfellüberzug resultiren. — Alle Mes-
sungen betreffen die freien Kanälchen in der Linie von dem zweiten
Viertel vom innern Rande (dem Ansatz der Längenfalte) des Brei-
tendurchmessers bis an das Ende desselben, d. h. bis an den äu-
ſseren späterhin convexen Rand desselben. So fand ich denn:

(Im Weingeist lange aufbewahrt.)


Das Lumen der Höhle der Kanälchen


Der Ausführungsgang von No. 2. b. betrug in seinem Bauch-
fellüberzuge an seinem vorderen Ende 0,008096 P. Z., an seinem
hinteren 0,010727 P. Z. An letzteren betrug das Lumen 0,005560
P. Z. und die Dicke der Wandung 0,002480 P. Z. Nach dieser
letzteren Messung betrüge die Dicke des Ausführungsganges
0,005560 + 2. 0,002480 = 0,010520 P. Z., welches also bis auf
zwei Zehntausendtheil mit der oben durch unmittelbare Messung
[384]Von dem Embryo.
gefundenen Zahl stimmt. Die Knäuel der inneren Substanz hat-
ten bei No. 2. c. im Durchmesser 0,013660 P. Z. und (in ihrem
schon metamorphosirten Zustande) bei No. 2. d. 0,014674
P. Z. bis 0,012650 P. Z. und die Stielchen (s. unten), an denen
sie befestigt waren, 0,001012 P. Z. bis 0,001820 P. Z. Endlich
fand ich den Diameter der Knäuel bei No. 3. a. 0,011230 P. Z.
Welch einen bedeutenden Unterschied endlich die Messung der
Kanälchen mit und ohne Bauchfellüberzug in frühester Zeit aus-
mache, mag folgendes Beispiel erhärten: Bei einem acht Linien
langen Schweinefötus fand ich (nach No. II. a.) den Durchmesser
0,005566 P. Z. bis 0,005160 P. Z. Nach einiger Erhärtung in
Weingeist betrug der Durchmesser der einzelnen von dem Bauch-
felle getrennten Röhrchen 0,003542 P. Z. bis 0,003238 P. Z.


Was nun die weiteren zeitlichen Metamorphosen der Wolff-
schen Körper betrifft, so sind diese nach unseren Erfahrungen
kürzlich folgende: Die Knäuel bilden in dem Zustande der gröſs-
ten Ausbildung der Primordinalniere den gröſsten Theil der in-
neren Substanz, die aber doch neben ihnen eine ziemliche Menge
mehr oder minder gewundener Kanälchen enthält. Wie nun die
Wolff’schen Körper schwinden, werden ihre Kanälchen kleiner und
verringern sich gröſstentheils, so daſs die äuſsere Substanz viel
weniger parallele Röhrchen enthält, die innere dagegen eine be-
deutende und scheinbar noch gröſsere Veränderung erlitten hat.
Die Kanälchen sind nämlich hier fast gänzlich geschwunden; die
Knäuel haben daher einen durchaus veränderten Character ange-
nommen. Indem mit dem Verschwinden der Kanälchen das sie
verbindende Schleimgewebe derber und fester geworden, sieht man
sie jetzt als hohle Blasen oder Kugeln, welche an einem zarten
Stiele, dem früherhin in sie eintretenden Kanälchen, wahrscheinlich
hängen. Zuletzt scheinen endlich die Blasen selbst wiederum zu
schwinden, während ein mehr oder minder deutlicher Ueberrest
der Knäuel zurückbleibt. 3. Der Ausführungsgang. Kein Theil
des Wolff’schen Körpers hat mir bei meinen vielfachen hierüber
angestellten Untersuchungen so viel Schwierigkeiten gemacht, als
eben dieser, und ich muſs offen bekennen, daſs ich hier noch
lange nicht den bestimmten Grad von Sicherheit in meinen Er-
fahrungen habe, welchen ich nach meinen Grundsätzen durchaus
fordere, um über ein Objekt der Naturwissenschaft mit der nö-
thigen Präcision entscheiden zu können. So viel kann ich mit
Be-
[385]Die Wolff’schen Körper.
Bestimmtheit angeben, daſs der über die obere Fläche des Wolff-
schen Körpers verlaufende Faden, an den sich später ein weit
dickerer auf das deutlichste hohler Faden, der zukünftige Saamen-
oder Eileiter, anlegt, durchaus nicht der Ausführungsgang sey, daſs
dieser Letztere vielmehr, wenigstens in Schaafsembryonen von fünf,
und Schweineembryonen von sechs Linien Länge, wahrscheinlich,
wie J. Müller schon gelehrt hat, aus dem hinteren Ende der Wolff-
schen Körper hervorkomme. In dem Zwischenraume zwischen
dem hinteren Ende der Primordialnieren und der unteren Wand
der Allantois liegen folgende hier zu berücksichtigende Gegen-
stände, nämlich die hinterste Abtheilung der über den Wolffschen
Körper verlaufenden Bauchfellfalte und des künftigen Ei- und Saa-
menleiters. Genau genommen sind dieses zwei ganz verschiedene
Dinge. Auf der oberen Fläche der Wolffschen Körper liegt zur
Zeit ihrer gröſsten Ausbildung die Bauchfellfalte nach innen, der
Ei- und Saamenleiter dagegen nach auſsen. In dem Zwischen-
raume weicht der Saamen- und Eileiter, je näher er seiner Ein-
senkungsstelle kommt, desto mehr nach innen. Zuerst erreicht
er hier nur die Bauchfellfalte. Indem er aber unter dieser nach
innen sich fortsetzt, entsteht immermehr nach innen eine Kreu-
zung, welche ungefähr in das untere Drittheil des Zwischenrau-
mes fällt. Unter diesen beiden Theilen liegt noch schiefer von
auſsen nach innen gerichtet ein von Bauchfell umschlossener Gang,
welcher unmittelbar an das hintere Ende des Wolffschen Körpers
sich ansetzt und wahrscheinlich der Ausführungsgang desselben
ist. Es schien mir als ob dieser Gang bei zehn Linien langen
Schweinefötus in das Innere sich fortsetzte. Doch war die Beob-
achtung nur sehr undeutlich, so daſs ich selbst kein groſses Ge-
wicht hierauf legen zu können glaube. Ueberhaupt muſs ich offen
bekennen, daſs es mir trotz aller angewandten Mühe bis jetzt noch
nicht recht gelingen wollte, den unmittelbaren Zusammenhang des
Ganges mit den Kanälchen des Wolffschen Körpers bei den Säuge-
thieren nachzuweisen. Ich wünsche, daſs Anderer oder meine
zukünftigen Erfahrungen hierüber glücklicher ausfallen mögen.


Endlich kommen noch einige Falten des Bauchfelles mit den
Wolffschen Körpern in unmittelbare Berührung, welche aber zum
Theil oder gänzlich den keimbereitenden oder ausführenden inne-
ren Geschlechtsorganen angehören, und daher füglicher bei diesen
abgehandelt werden können.


25
[386]Von dem Embryo.
B. Geschichte der keimbereitenden und ausführenden
inneren Geschlechtsorgane überhaupt bis zu der Zeit,
wo die Verschiedenheit des Geschlechtes mehr unmit-
telbar in die Augen fallende Differenzen bedingt
.

Man hat oft mit mehr oder minder Bestimmtheit und Gründlich-
keit die Ansicht ausgesprochen und vertheidigt, daſs in frühester Zeit
die spätere Geschlechtsdifferenz ganz und gar mangele. Die Frage ist
für das ganze Gebiet der Physiologie zu wichtig, als daſs wir
hier am Eingange der Genese der Geschlechtstheile nicht hierauf
Rücksicht nehmen sollten. Man kann aber hier, wie es sich auch
geschichtlich nachweisen läſst, drei Modificationen der Meinungen
annehmen, nämlich 1. daſs in frühester Zeit alle Spur einer Ge-
schlechtsverschiedenheit an dem ganzen Körper mangele; 2. daſs
zwar keine Differenz in den Geschlechtstheilen, eine solche aber
an dem Totalhabitus des Körpers vorkomme, und 3. daſs von An-
fang an jedes Individuum in seinem Geschlechte genau bestimmt
und individualisirt sey. Die erste Ansicht wird schon durch
Sömmerings Erfahrung widerlegt, daſs bei menschlichen Embryo-
nen schon in der achten Woche die Brust bei dem Weibchen
kürzer und weiter, bei den Männern aber länger und enger sey.
Diese Unterschiede sprechen sich aus gleiche Weise mehr oder
minder auch an den übrigen Theilen des Körpers aus. Daſs die
Differenz in den Geschlechtstheilen selbst später, und auf welche
Weise sie hervortrete, werden wir bald zu erwähnen Gelegenheit
haben. In Rücksicht der beiden anderen Ansichten aber können wir
nur dasjenige, was der treffliche Burdach (Physiol. II. S. 577.)
hierüber sagt, wörtlich unterschreiben: „Nun fragt es sich aber,“
heiſst es bei ihm, „wann und wodurch entsteht die Geschlecht-
lichkeit? Es sind hier zwei Fälle möglich: Der Embryo ist ent-
weder eine Zeit lang absolut geschlechtlos und wird, da er den
Grund der Geschlechtlichkeit nicht in sich selbst enthält, wäh-
rend seiner weiteren Entwickelung durch ein äuſseres Moment
zur Geschlechtsverschiedenheit determinirt, oder er hat von sei-
nem ersten Ursprunge an eine bestimmte Richtung seines Daseins
auch in Hinsicht auf die Geschlechtlichkeit in sich, die aber erst
späterhin in der Erscheinung hervortritt, so daſs die anfängliche
Indifferenz der Zeugungsorgane zwar thatsächlich, aber nur Er-
[387]Keimbereitende und ausführende innere Geschlechtsth.
scheinungsform ist. Wir entscheiden uns mit Carus und Rathke
für die letztere Meinung.“ — Es ist wohl kaum zu bezweifeln,
daſs die Individualität sich auch hier von frühester Zeit an in ihrer
strengen Eigenthümlichkeit darstellen muſs, und daſs, je tiefer wir
in das so schwierige Gebiet der Entwickelungsgeschichte eindrin-
gen werden, uns um so mehr auch die allerfeinste unterschei-
dende Nuancirung zugänglich seyn wird.


Die inneren keimbereitenden Geschlechtstheile entstehen un-
abhängig von ihren inneren ausführenden Gängen, und beide müs-
sen daher gesondert betrachtet werden. Was nun 1. den Eier-
stock und den Hoden betrifft, so ist ihre Geschichte folgende:
Noch ehe die Wolffschen Körper sich auf der höchsten Stufe ih-
rer anatomischen Ausbildung befinden, erhebt sich an ihnen eine
längs derselben verlaufende Falte des Bauchfelles. Wir müssen
aber, um jeder Verwirrung oder Verwechselung möglichst vorzu-
beugen, die verschiedenen Falten des Peritoneum mit eigenen
Namen belegen, und zwar soll die über die obere Fläche des
Wolffschen Körpers verlaufende, schon oben beschriebene Falte die
Aushängefalte (ligamentum suspensorium Corporis Wolffiani)
von uns genannt werden. Die, in welcher Ei- und Saamenleiter
sich bilden, möge die Falte des ausführenden inneren Geschlechts-
theiles, die endlich, in welcher der Ausführungsgang sich befin-
det, die des Ausführungsganges heiſsen. Zu diesen schon oben
berührten Falten kommt endlich noch diejenige, in welcher sich
bald Eierstock oder Hoden erzeugen und für die wir den Namen
der Falte der keimbereitenden Geschlechtsorgane vorschlagen, so
wie endlich für die bald näher zu bezeichnende, welche von dem
Bauchringe aus von auſsen und hinten nach vorn und innen em-
porsteigt und bei dem Männchen zum Gubernatuculum Hun-
teri
, bei dem Weibchen aber zum ligamentum rotundum wird,
den der äuſseren Falte. Die Falte für die keimbereitenden Ge-
schlechtstheile verläuft zuerst fast in der Mitte zwischen dem in-
neren Rande der Wolffschen Körper und ihrem Aufhängebande
längs ihrer ganzen Oberfläche, doch etwas mehr nach auſsen, als
nach innen gerichtet. Sie erhebt sich von Anfang an über die
Oberfläche, so daſs sie eine zarte schmale Leiste bildet, welche
in ihrem Innern nicht hohl, sondern durch eine geringe Quantität
eines zarten Bildungsstoffes ausgefüllt ist. Bald jedoch vermehrt
sich derselbe an einer Stelle in seiner vorderen Hälfte, so daſs
25*
[388]Von dem Embryo.
diese sich als ein länglich rundes Körperchen aufwulstet, welches
von Anfang an durch bedeutende Weiſse sich auszeichnet. Die-
ses Körperchen ist der Eierstock oder der Hoden. Beide sind
sich am Anfange vollkommen gleich. Der Unterschied der Form
tritt aber an ihnen frühzeitiger hervor, als der des Gewebes. Bei
dem Weibchen nämlich, als zukünftiger Eierstock, wird das Kör-
perchen platt und um ein Weniges breiter; bei dem Männchen
dagegen wird es mehr rundlich und behält, wie es scheint, seine
frühere Breitendimension bei. Vergeblich habe ich bis jetzt sowohl
in frischen, als in den durch Weingeist, kohlensaueres Kali und
dgl. erhärteten Früchten nach Differenzen der inneren Structur
gesucht. Beide bestanden aus einem körnigen undurchsichtigen
Gewebe ohne Spur von Saamengängen oder den bald zu beschrei-
benden Leisten. Je mehr sich der Hoden vergröſsert, um so mehr
folgt ihm der ihn überziehende Theil des Bauchfelles nach, so
daſs es ihn völlig umschlieſst, dann sich aber nach vorn sowohl,
als nach hinten als eine sehr zarte Falte fortsetzt. 2. Die aus-
führenden Gänge der inneren Geschlechtstheile entstehen völlig
unabhängig von den keimbereitenden Genitalien. Eine andere
Frage ist es aber, ob sie als eine Ausstülpung der Kloake sich
bilden, wie besonders Rolando mit Bestimmtheit behauptete, oder
mit einem Male in ihrer ganzen Continuität entstehen. Ihre
erste Spur beobachtete ich bei einem sechs Linien langen Schaaf-
fötus als eine zarte dunkele Linie an der unteren Fläche der
Wolffschen Körper. So sehr diese auch auf den ersten Blick ei-
ner offenen nur durch das Bauchfell verdeckten Furche ähnlich
war, so war es mir doch durchaus nicht möglich, das Bauchfell
in diese Furche hineinzudrängen oder unter dem Peritoneum in
dieselbe zu gelangen, so daſs sie wahrscheinlich durch eine zähe,
aber durchsichtige Masse ausgefüllt wird. Späterhin erhebt sich
die Falte der ausführenden Geschlechtstheile über die Oberfläche
und rückt zugleich von innen nach auſsen vor, so daſs sie, wie
Joh. Müller es schon beschrieben hat, als ein zarter, isolirter Fa-
den längs des äuſseren Randes des Wolffschen Körpers erscheint;
von hier rückt sie nun auf der oberen Fläche der Primordialnieren
von auſsen nach innen, bis sie an das ligamentum suspensorium ge-
langt, während sie im Innern an Masse immer zunimmt und zuletzt
hohl wird. Nach Rathke ist sie dann zuerst bei beiden Geschlech-
tern vorn offen, so daſs es gelingt, von hier aus ein feines Haar in
[389]Keimbereitende und ausführende innere Geschlechtsth.
die Höhlung einzubringen. Die weitere Entwickelung aller dieser
Theile aber ist nun bei den verschiedenen Geschlechtern verschieden.


C. Keimbereitende und ausführende Geschlechtstheile
bei den weiblichen Früchten
.

Wir haben es schon oben bemerkt, daſs die Eierstöcke sich
zuerst durch eine eigenthümliche Plattheit, verbunden mit einer
etwas gröſseren Breite des ganzen Organes unterscheiden. Im
Laufe der Entwickelung wird ihre Oberfläche wiederum etwas
convexer und man bemerkt in ihnen eine eigenthümliche, schon
von Rathke angedeutete Structur. Denkt man sich nämlich eine
ideale Längenaxe, welche durch die Mitte des Eierstockes ver-
läuft, so gehen von der ganzen Oberfläche nach dieser hin paral-
lele Leisten dichterer Masse, in denen ich bis jetzt keine Höhlung
wahrnehmen konnte. In den Zwischenräumen dieser Leisten
sieht man nicht selten rundliche, geradlinigt gelagerte und in
ziemlich gleichen Distanzen von einander geordnete Kugeln (die
nach innen zurückgeschlagenen Enden der Leisten?). In einem
vier Zoll langen Schweinefötus habe ich den Durchmesser dieser
Leisten zu 0,003036 P. Z. und den der Kugeln zu 0,00385 P.
Z. berechnet. Eine Ortsveränderung, wie wir diese bald aus-
führlicher von dem Hoden abhandeln werden, findet auch bei den
Ovarien Statt, nur nicht so vollständig, als dort, so daſs sie gänzlich
aus der Bauchhöhle heraustreten. Sie gleiten nämlich längs ihrer
Falte des Bauchfelles von vorn nach hinten bis zu der Stelle,
wo die äuſsere Falte der inneren keimbereitenden Geschlechts-
theile mit ihr zusammenstöſst. Dafür aber erhalten sie eine neue
Richtung der Lage. Ihr Breitendurchmesser nämlich, welcher
früher fast ganz in die Längenaxe des Körpers fiel, macht all-
mählig einen immer schieferen Winkel mit dieser, und nähert sich
daher der Breitenaxe des ganzen Körpers. Bei dem Menschen
steigen sie in der Regel etwas von auſsen und vorn nach innen
und hinten hinab. Ihre Länge bestimmt Meckel (Anat. IV. S.
587.) in der Mitte des dritten Monates bei ungefähr zwei Zoll Kör-
perlänge kaum zu 1¼ Linie, ihre Höhe zu ½ und ihre Dicke zu ⅓
Linie. Im dreimonatlichen Embryo fand ich ihr Gewebe schon
aus groſsen mehr oder minder isolirten Körnern bestehend, welche
0,001518 P. Z. bis 0,007185 P. Z. im Durchmesser hatten. Vor
dem sechsten Monate nach der Geburt konnte man bei dem Menschen
[390]Von dem Embryo.
noch keine Spur von Folliculis an ihnen wahrnehmen. Eben so wenig
habe ich solche an neugeborenen Säugethieren gefunden. Die Trom-
peten bleiben nach vorn gerade und geöffnet, so daſs zuerst ihre vor-
dere Mündung den vordersten Rand des Eierstockes überragt. Später-
hin krümmen sie sich von auſsen nach innen immer mehr und
rücken zugleich etwas von unten nach oben vor. Sie verändern
daher ihr Verhältniſs zu dem Eierstocke sowohl, als zu den
Wolffschen Körpern bedeutend. Nach vorn umfassen sie mit ih-
rer Mündung den Eierstock, doch so, daſs sie im Allgemeinen mit
ihrem vordersten Ende über den Rand desselben hinausragen.
Der Wolffsche Körper kommt aber mehr neben ihnen zu liegen,
zwischen ihren eigenthümlichen Bauchfellpartien, und befindet sich
daher in seinen letzten Ueberresten dicht vor dem Eierstocke.
(S. zur Erläuterung besonders die Abbildungen bei Rosenmüller
tab. 1. fig. 5—8.). Die Mündungen der Trompeten zeigen sich
nach Meckel (Anat. IV. S. 489.) zuerst im fünften Monate bei
dem Menschen und sind im achten Monate, bei dem Neugebore-
nen und in den ersten Lebensjahren stärker, als im Erwachsenen.
Die vordere Oeffnung der Trompeten setzt Meckel (Anat. IV. S.
590.), jedoch ohne Zweifel zu spät, in den vierten Monat, die
Entstehung der Einschnitte aber noch später. Ihre Höhle ist
nach ihm desto gröſser, je jünger der Embryo. Seine Vermu-
thung, daſs das Rosenmüllersche Organ, die Ueberreste der Wolff-
schen Körper, mit dem Eierstocke in frühester Zeit unmittelbar
zusammenhänge, dürfte sich aus dem Obigen von selbst als un-
richtig ergeben. — Das Rosenmüllersche Organ, d. h. der Ueber-
rest der Wolffschen Körper bei weiblichen Früchten, besteht bei
dem Menschen zu Ende des dritten Monates aus Kanälchen (die
wahrscheinlich nicht mehr hohl sind), welche parallel von vorn
nach hinten verlaufen und zwischen sich runde Körperchen, wahr-
scheinlich metamorphosirte Knäuel, haben. Nach innen dagegen
besteht das Gewebe aus einem Apparate von rundlichen Kugeln,
die sich dem Aeuſsern nach wenigstens von den metamorphosir-
ten Knäueln gar nicht unterscheiden. Ueber ihre Gröſsenverhält-
nisse s. oben die Tabelle. — Endlich verdient noch bemerkt zu
werden, daſs bei den Vögeln immer zuerst doppelte Eierstöcke
und Eileiter angelegt werden, von denen der eine, meist der
rechte, wiederum schwindet. Doch verharrt er selbst hier in
weit öfteren Fällen, als man gewöhnlich glaubt.


[391]Keimbereitende und ausführende innere Geschlechtsth.
D. Keimbereitende und ausführende Geschlechts-
theile bei den männlichen Früchten
.

Der Hoden giebt sich zuerst in seiner Individualität als ein
längliches Körperchen zu erkennen, welches auf seiner oberen
Fläche convexer, im Ganzen aber etwas schmäler und länglicher,
als der Eierstock ist. Er besteht zu dieser Zeit noch aus einem
granulirten Wesen und man kann trotz aller Mühe die Saamenkanäl-
chen in seinem Innern nicht wahrnehmen. Auch durch seine Lage
differirt er bald von dem Eierstocke, indem er mehr in der Län-
genaxe des Körpers bleibt, die testes muliebres dagegen eine
mehr schiefe Lage von auſsen und vorn nach innen und hinten
annehmen. Bald aber erscheinen in ihm die ersten deutlichen
Spuren der Saamenkanälchen, wie es scheint, gleichzeitig mit
der Albuginea, welche, wie schon Rathke gegen Oesterreicher
mit Recht behauptet, lange vor seiner Einsenkung in den Hoden-
sack gefunden wird. Zieht man nämlich um diese Zeit die Bauch-
fellfalte von dem Hoden ab, so bleibt ein länglich rundes Kör-
perchen, in welchen die Saamenkanälchen erst dann sichtbar
werden, wenn man eine zweite Membran, offenbar die spätere
Albiginea, entfernt hat. Eine andere Frage ist es, ob die Saa-
menkanälchen von der Oberfläche gegen die Mitte oder umgekehrt
sich bilden. Mir scheint nach meinen Untersuchungen das er-
stere der Fall zu seyn. — Hatte ich den Hoden von seinen bei-
den Hüllen bei 2 bis 2½ Zoll langen Schweinefötus befreit, so
sah ich auf seiner Oberfläche eine Reihe breiter Querstreifen, von
denen jede von der anderen durch eine kleine Querfurche ge-
schieden war. Der Durchmesser einer solchen Leiste betrug
0,013156 P. Z. Diese Leisten theilen dann sich in kleinere Leisten,
welche unmittelbar höchst wahrscheinlich in die Saamengefäſse
übergehen. Den Durchmesser dieser kleineren Leisten berechnete
ich zu 0,005060 P. Z. bis 0,004048 P. Z. Es hat daher den
Anschein, als ob die Saamenkanälchen nach Analogie der Faser-
gebilde, d. h. dadurch entstehen, daſs eine angelegte Hauptmasse
in kleinere und zahlreichere Massen zerfällt. Dieses alles kann
man aber nur an der Oberfläche des Zeugen wahrnehmen. Sein
Inneres dagegen besteht aus derselben körnerhaltigen Urmasse,
welche früher ohne deutlich erkennbares Gewebe den ganzen
Hoden zusammensetzte. — Die Gröſse der Saamenkanälchen ist
[392]Von dem Embryo.
sowohl absolut, als relativ zur Länge des Hodens verschieden.
Wir geben hier wieder eine tabellarische Uebersicht einer zweck-
mäſsigen Auswahl, um hieraus dann allgemeine Gesetze herleiten
zu können. Wir fanden:

Das Verhältniſs der Saamenkanälchen zu der Länge des Hodens
war also

  • bei No. 1. a. wie 1 : 42,9.
  • bei No. 1. b. wie 1 : 41,4.
  • bei No. 2. b. wie 1 : 62,9 bis 1 : 68.

Wir ziehen hieraus den Schluſs, daſs man wie bei allen
Theilen, so auch in Bezug auf die Saamenkanälcheu die absolute
Gröſse von der relativen wohl unterscheiden muſs. Die relative
Gröſse, d. h. das Verhältniſs des Durchmessers der Saamenkanäl-
chen zur Gröſse des Hodens ist durch einen um so kleinern Ex-
ponenten ausgedrückt, also um so gröſser, je jünger der Fötus ist.
Die absolute Gröſse hält sich dagegen, sobald wahre Kanälchen da
sind, zwischen sehr mäſsigen Grenzen und bleibt sich entweder ganz
gleich oder variirt nach beiden Seiten in kleinen Nüancirungen. Wir
werden dieses Gesetz noch bei allen drüsigen und drüsigten Gebilden
wiederkehren sehen und können es unterdeſs in seiner Allgemeinheit
bezeichnen. Das fernere Wachsthum des Hodens besteht also in
Ablagerung neuen Bildungsstoffes, der aber rasch zur Formation
neuer Saamenkanälchen verwandt wird. — Der ausführende Ge-
schlechtsgang rückt hier eben so, wie wir dieses von dem weib-
lichen Geschlechte schon oben beschrieben haben, von auſsen nach
innen. Während dieses aber geschieht, bleibt er nicht, wie die
Trompete gerade, sondern schlängelt sich, so daſs er, wenn er
den Hoden erreicht, eine Spirale von 3 bis 4 Windungen be-
schreibt. Diese Windungen aber macht das umhüllende Perito-
neum keineswegs selbst mit, sondern sie scheinen durch das
[393]Keimbereitende und ausführende innere Geschlechtsth.
Bauchfell hindurch und man kann sie leicht durch Abziehen des
Peritoneums isolirt darstellen. Nun gehen hierfür von den Neben-
hoden parallele, schief von auſsen und hinten nach oben und vorn
aufsteigende Quergefäſse aus, welche sich in die Substanz des Ho-
dens einsenken. Die frühesten Embryonen, in welchen ich sie sah,
waren Schweineembryonen von 4 Zoll Länge, in welchen sie,
wenn man die obere Platte des Bauchfelles abzog, als zarte Fä-
den ohne sichtbare Höhlung zum Vorschein kamen. Ihren Durch-
messer in dieser Zeit berechnete ich zu 0,004756 P. Z. Sie ver-
vielfältigen sich nun, verschlingen sich unter einander und stel-
len so den Kopf des Nebenhodens dar, während die Windungen
des vas deferens zur Bildung seines Schwanzes eingehen. —
Allgemein wird behauptet, daſs das vas aberrans Halleri der
übrig gebliebene Ausführungsgang der Wolffschen Körper sey.
Jedoch müssen wir die Richtigkeit dieses Satzes noch so lange
in Zweifel ziehen, als die specielle Nachweisung durch eine
Reihe von Beobachtungen uns fehlt. Wenigstens fanden wir in
einem Falle bei einem 15 Zoll langen Schaaffötus das vas aber-
rans
so sehr von den Rudimenten der Wolffschen Körper ent-
fernt, daſs ohne wichtige und einsluſsreiche Lagenveränderungen
diese Metamorphose des Ausführungsganges auf jeden Fall nicht
erfolgen kann. Daſs aber die Gartnerschen Kanäle bei dem weib-
lichen Geschlechte, wie auch Jacobson und Rathke vermuthen,
höchst wahrscheinlich die Reste der Ausführungsgänge der Wolff-
schen Körper sind, bin ich ebenfalls anzunehmen sehr geneigt. —
Man sieht, daſs diese unsere Darstellung der späteren Metamor-
phosen der Hoden und Saamenleiter, welche wir durchaus nach
eigenen Untersuchungen entworfen haben, im Ganzen nur eine
Bestätigung der genauen Beobachtungen von Joh. Müller sind.


Endlich ist hier der Ort, noch eine andere wichtige Verän-
derung in Betracht zu ziehen, nämlich die der Lage der Hoden.
Man muſs aber hier zwei verschiedene Punkte von einander un-
terscheiden:


1. Die Ortsveränderung der keimbereitenden Geschlechtstheile
überhaupt. Diese beobachtet bei beiden Geschlechtern die Rich-
tung von vorn nach hinten. Der Hoden bleibt ziemlich der Län-
genaxe des Körpers parallel, der Eierstock dagegen lagert sich
schief von auſsen und vorn nach innen und hinten. Das Nöthig-
ste hierüber ist schon oben erzählt worden.


[394]Von dem Embryo.

2. Die Ortsveränderung der Hoden, oder, wie wir sie zum
Unterschiede der vorigen genauer bezeichnen wollen, die eigen-
thümliche Locomotion der Hoden. Dieser auf die praktische
Chirurgie unmittelbar einflieſsende Gegenstand ist von vielen Sei-
ten, besonders seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts bis auf
die neueste Zeit bearbeitet worden. Da Berufene und Unberu-
fene sich der Sache annahmen, so konnte es zwar an Beleuch-
tung, aber auch an Irrthümern nicht fehlen. Die Zahl der letz-
teren wurde oft sogar durch groſse Auctoritaten begründet und
vermehrt. Wir selbst hatten bis jetzt noch keine Gelegenheit,
den Gegenstand so vollständig zu verfolgen, daſs ein entscheiden-
des Urtheil uns zukäme. Es schien uns daher rathsamer, in aller
Kürze die wichtigsten Ansichten jedoch nur nach den uns zu
Gebote stehenden Urquellen anzuführen. Wir können aber die
Bemerkung nicht unterdrücken, daſs die Darstellungen von Seiler,
Joh. Müller und Rathke von theoretischer Seite sowohl, als nach
den wenigen Beobachtungen, die wir zu machen Gelegenheit fan-
den, uns die wahrsten zu seyn scheinen.


1756. — P. Camper (kleine Schriften übers. von Herbell.
Bd. 2. 1781. 8.) beschreibt den Kanal, durch welchen der Hoden
hindurchgeht, zuerst genauer. Dieser Kanal war schon Galen
als sogenannter πορος, meatus, Nuck als diverticulum bekannt
(S. 46.). Er ist nach Camper das Bauchfell selbst, welches gleich-
sam ausgewachsen ist und eine Höhlung bildet, nicht aber eine
Verdoppelung des Darmfelles. Den Meatus, welchen er früher
geleugnet hatte, fand er unter 17 Neugeborenen männlichen Ge-
schlechtes bei 7 vollständig auf beiden Seiten, bei 3 auf der rech-
ten Seite ganz, auf der linken bis zu dem Hoden, links den gan-
zen Meatus bei einem, rechts bis zu dem Hoden, bei einem an-
dern rechts in einem Ueberreste und links keinen, bei zweien
rechts fehlend, links einen Ueberrest, bei einem rechts bis auſser
die Annuli, links keinen, bei einem endlich auf beiden Seiten
fehlend (S. 52.). Die Entstehung des Ganges ist folgende: Das
Peritoneum steigt zuerst aufwärts und bildet in dem letzten
Ende des Fruchtlebens einen ½ Zoll langen Cylinder, auf dessen
vorderem Ende der mit dem Bauchfelle bedeckte Hode und Ne-
benhode ruht. Dieser Cylinder geht mit dem Herabsteigen des
Hodens ebenfalls abwärts, und wendet sich um, wie der Finger
eines Handschuhes, der schnell ausgezogen wird (S. 61.). Das
[395]Keimbereitende und ausführende innere Geschlechtsth.
Auswendige kömmt also inwendig und das Oberste unten, das
ist der Zeuge, der erst oben war, liegt nun unten in dem umge-
kehrten Cylinder. Der Meatus ist also gemacht und behält eine
Oeffnung oder Mündung in dem Bauche, die in kleineren Kindern
weiter ist, als in gröſseren, weiter in denjenigen, deren Zeugen
eben durchgeschossen sind u. s. w. Dadurch, daſs während der
ersten Lebensjahre die Blase die sich erweiternde Beckenhöhle
allmählig ausfüllt, fällt der Druck der Gedärme auf den Bauch-
ring und dieser schlieſst sich allmählig. — Gleichzeitig und un-
abhängig von Camper hat Pott (1757.) Aehnliches bekannt ge-
macht (S. 67.).


1777. — J. B. Paletta (Nova Gubernaculi testis Hunte-
riani et tunica vaginalis anat. descript. in Opusc. anat. se-
lect. L. B.
1788. 8.) bestätigt im Allgemeinen die von Hunter
angegebene Ansicht. Oeffnet man den Unterleib einer Frucht,
so sieht man nach Entfernung der dünnen Gedärme eine cylin-
drische Produktion, welche über den Psoas heraufsteigt und bald
oberhalb, bald unterhalb der crista ossis ilium aufhört. Der
Hoden sitzt mit seinem hinteren Ende auf dem vorderen Ende
des Cylinders. Der Nebenhoden liegt nach vorn und der Kopf
etwas nach innen und oben. Hoden und Cylinder werden von
dem Bauchfelle überzogen (p. 101.). Dadurch, daſs der Cylinder
nach unten lockerer an den Psoas befestigt ist, entsteht hier eine
Duplicatur des Peritoneum. Die Saamengefäſse laufen zuerst un-
ter dem Bauchfelle, gehen etwas hinter dem Hoden in die ge-
nannte Duplicatur ein und senken sich zwischen deren Lamellen
in den Hoden selbst. Zwischen diesen liegt auch der Nebenhode,
welcher nach hinten in das vas deferens umbiegt (S. 102.).
Der Cylinder, den Hunter unpassend Gubernaculum nennt, be-
steht aber aus folgenden Theilen: 1. Aus dem dasselbe beklei-
denden Bauchfelle. 2. Aus einem weiſsen, festeren, gleichartige-
ren Körper einer anderen Hülle, welche von dem Obliquus ma-
jor
ausgeht und durch Einbiegung seiner Aponeurose gebildet
wird. Er ist an seinem hinteren Ende, dem Hauptringe, enger
und erweitert sich nach vorn (p. 104. 105.). Durch seine (hin-
tere) Oeffnung steigt das Zellgewebe des Hodens nach vorn, wel-
ches Hunter vielleicht als ligamentum bezeichnet hat. 3. Eine
Hülle, welche von der Vagina obliqui externa ausgeht und
sich kaum von der des Obliquus major trennen läſst. 4. Unter
[396]Von dem Embryo.
diesen beiden liegen Muskelfasern, welche an der äuſseren Seite
des Cylinders sich befinden, von dem Obliquus internus ent-
springen, parallel zu dem Hoden hin verlaufen und sich hier zu
einer breiten, dünnen, festen Aponeurose verbreiten. 5. Von die-
ser Aponeurose geht nach hinten ein zuerst unbestimmter, hernach
mehr bestimmter weiſser Strang, welcher mitten durch den Cy-
linder, durch die Höhlung der aponeurotischen Scheide und durch
den Bauchring sich fortsetzt, und mit einem Faden sich an den
oberen, mit zweien oder dreien dagegen an den unteren Theil
des Schaambeines befestigt (p. 107.). Der feste Theil des Cylin-
ders dringt nun bei der Ortveränderung der Hoden in den hoh-
len Theil desselben ein, so daſs dieser sich in sich selbst einstülpt
(p. 110.).


1778. — Wrisberg (de testiculorum ex abdomine in scro-
tum descensu
. 1778. 4. in Comment. anat. Vol. I.) führt zuerst
historisch seine Vorgänger, wie Galen, Reneaulme de la Garanne,
Pott, Camper, Haller, Sharp, die beiden Hunter, Neubauer, Lob-
stein, Meckel, Girardi und Paletta auf (p. 175—177.) und kömmt
dann aus eigenen Erfahrungen zu folgenden Resultaten.


1. Vor dem sechsten Monate geht der Hoden nie durch den
Bauchring. In der Nähe desselben, entweder in oder vor oder
hinter ihm findet man ihn zwischen dem sechsten bis siebenten
Monate.


2. In dem Hodensacke befindet sich zuerst ein laxes Zell-
gewebe, mit dem ein Bündel von Fasern, das ligamentum testis,
vermischt ist.


3. Seine Beschreibung der Theile, so lange der Hoden sich
in der Bauchhöhle befindet, weicht von der des Paletta nur darin
ab, daſs er in dem Peritoneum unterhalb des Zeugen meist kei-
nen Kanal gefunden hat (p. 206. 207.).


4. Es giebt auſser diesem Bauchfellfortsatze ein eigenthüm-
liches Faserbündel, welches von der äuſseren Region des Bauch-
ringes zu dem Zeugen geht und denselben gleichsam stützt, so
lange er in der Bauchhöhle sich befindet. Dieser (Basis, Cylin-
der, Ligamentum, Gubernaculum
der Schriftsteller) erweitert
sich bei dem Herabsteigen des Hodens und kehrt sich, indem
dieser in ihn eintritt, um (p. 222.).


5. Die tunica vaginalis propria entsteht wahrscheinlich
dadurch, daſs die eingekehrte Basis nach dem Herabsteigen des
[397]Keimbereitende und ausführende innere Geschlechtsth.
Hodens über diesem mit der tunica vaginalis funiculi sperma-
tici
verwachse und die tunica vaginalis propria testis auf
diese Weise bilde.


1780. — Vie d’Azyr (recherches sur la structure et la
position des testicules in hist. de l’acad. royale. Année
1780.
Paris 1784. 4. p. 494—507.) nimmt in Bezug auf die Ortsver-
änderung der Hoden vier Zeiträume an (p. 497.) und zwar: 1.
Von dem 3. bis zu 4½ Monaten. Die Hoden liegen dann neben
dem Rectum von den Nieren bedeutend entfernt. Eine Duplica-
tur des Bauchfelles geht hinter der Blase von einem Zeugen zu
dem andern. Der Kopf des Nebenhodens ist voluminöser und
mehr isolirt, als im Erwachsenen. Er hat einen gröſsern Umfang
und in seinem Innern findet sich ein laxes Zellgewebe. Eine Ver-
doppelung des Bauchfelles hüllt ihn ein, und hält ihn zwar fest,
doch nicht so sehr, daſs er an einem bestimmten Punkte fixirt
sey. Das vas deferens geht schief von vorn nach hinten und
setzt sich in einem spitzen Winkel hinter dem Ursprung des li-
gamentum
oder Gubernaculum an. Dieses ist ein fester Sten-
gel, in seinem Innern weicher, als in der Nähe seiner Oberfläche,
wo er von dem Bauchfelle bedeckt ist. 2. Von 4½ Monaten bis
zu dem sechsten Monate. Der Hoden ist tiefer hinabgestiegen;
das Gubernaculum mehr in sich eingegraben, so daſs das Bauch-
fell in einem Theile desselben in der Form eines Sackes herab-
steigt. 3. Von sechs bis acht Monaten. In diesem Zeitraume
geht der eine oder der andere Hode aus der Bauchhöhle heraus.
Die Bildung des Sackes aber ist durchaus nicht unmittelbar durch
das Eindringen des Hodens bedingt. 4. Von acht Monaten bis
zur Geburt. Hier senkt sich der Hoden in der Regel völlig in
den Hodensack. Aus seinen Beobachtungen bemerkt er, daſs das
Bauchfell die Albuginea testis, den Nebenhoden und die ganze
vordere Gegend des Gubernaculum einhüllt, daſs die tunica
vaginalis
eine Fortsetzung desselben sey, daſs die Vasa sper-
matica
und das vas deferens hinter dem Peritoneum und auſser-
halb der tunica vaginalis liegen, daſs das Gubernaculum seine
vollkommenste Ausdehnung und Form vom vierten bis sechsten Mo-
nate habe, später sich verkleinere und zu Ende des neunten gänzlich
schwinde, daſs der Cremaster ein von dem Gubernaculum ver-
schiedenes Gebilde sey, daſs endlich die durch das Herabsteigen
der Hoden in den Hodensack gebildete Oeffnung sich durch zwei
[398]Von dem Embryo.
verschiedene Momente schlieſse, nämlich: 1. durch eine unmittel-
bar mit dem Bauchfelle zusammenhängende Haut und 2. durch
einen Zellgewebestrang, der zwischen Bauchring und tunica va-
ginalis
über den Vasibus spermaticis befindlich ist.


1780. — R. Martin (Commentarius de herniae ita dictae
congenitae ortu et sede in Nov. Act. reg. soc. scient. Upsal.
Vol. III. p.
225—247.) behauptet, daſs die Hoden zuerst hinter
dem Peritoneum liegen und dann aus einer Masse von Blut-,
Lymphgefäſsen, Nerven und etwas schleimigen Zellgewebe beste-
hen (p. 227.). Sie werden nun in das Bauchfell hineingestoſsen
und von demselben, wie die übrigen Eingeweide, umhüllt; die
Vasa spermatica bleiben aber auſserhalb desselben. Der Zeuge glei-
tet nun, geleitet von zwei Bauchfellfalten, hinab (p. 228.). — Die
Vasa spermatica (ob er vielleicht hierunter die Reste der
Wolffschen Körper versteht?) sind wie der Nebenhoden in früher
Zeit relativ gröſser. Im Uebrigen weicht er von Hunter und Lob-
stein nicht wesentlich ab.


1786. — J. Hunter (Beschreibung der Lage des Hoden in
der Frucht und seines Herabsteigens in den Hodensack in seinen
Bemerkungen über die thierische Oekonomie übers. von Scheller
1802. 8. S. 1—35.) beschreibt die Hoden, Nebenhoden, Saamen-
gefäſse, vas deferens u. dgl. nach den bekannten, Verhältnissen
und definirt sein Gubernaculum oder ligamentum (S. 11.) als
eine Substanz, welche von dem unteren Ende des Hoden bis zu
dem scrotum hinabläuft. Es ist pyramidenförmig. Sein dicker,
runder Kopf ist aufwärts gerichtet und an das untere Ende des
Hoden und Nebenhoden geheftet und sein unteres oder dünnes
Ende verliert sich in der zelligen Haut des Hodensackes. — Das
Bauchfell bekleidet einen etwas gröſseren Theil des Leitbandes,
als sich von diesem in der Bauchhöhle selbst befindet, indem
es an der Umschlagsstelle der Bauchmuskeln noch etwas nieder-
wärts geht. Hierdurch entsteht eine Oeffnung, welche gröſser
wird, je tiefer der Hoden herabsteigt, welches in der Regel in
dem achten Monate geschieht. Indem dieses vorgeht, kehrt der
Zeuge das Band einiger Maſsen um, und bildet den unteren und
vorderen Theil der Scheidenhaut, an welchen der Cremaster sich
verliert. Nun zieht der immer noch vom Bauchfelle überzogene
Hoden das Peritoneum mit sich, so daſs die Höhle des Sackes
im Scrotum durch eine groſse Oeffnung mit der Bauchhöhle
[399]Keimbereitende und ausführende innere Geschlechtsth.
communicirt. Diese schlieſst sich in der Regel noch vor der
Geburt.


1788? — J. Brugnone (de testium in foetu positu in
Opusc. anat. select. ed. Sandifort
. 1788. 8. p. 213—258.) fand
bei allen seinen Untersuchungen den Hoden vor dem sechsten
Monate in der Bauchhöhle. Er liegt dann innerhalb des Sackes
der Bauchhöhle, während die Nieren, Nebennieren u. dgl. sich
auſserhalb desselben befinden. Den Cylinder beschreibt er im
ganzen so wie Paletta. An der inneren Seite desselben findet
sich bisweilen eine offene Mündung des Bauchfelles, durch welche
man zu einem häutigen blind in dem Scrotum sich endigenden
Sacke gelangt. Dieser findet sich bei allen Früchten zuerst ohne
Unterschied des Geschlechts. Das Gubernaculum selbst besteht
aus dem Cremaster und vielem losen Zellgewebe, ist aber weder
hohl noch mit einem weiſsen Strange ausgefüllt. Der Hoden hat,
so lange er in der Bauchhöhle ist, nur zwei Hüllen. 1. Das Peritoneum
und 2. eine zweite eine eigene feine Substanz enthaltende Hülle.
Die andere findet man erst dann, wenn er in dem Hodensacke
sich befindet. Die tunica erythroides ist das umgekehrte Gu-
bernaculum
, das zuletzt schwindet, die tunica elythroides s.
vaginalis
ist der hohle Fortsatz des Peritoneum. Die Albuginea
soll endlich der Fortsatz des Bauchfelles seyn, welcher den Ho-
den schon umhüllte, als er in der Unterleibshöhle befindlich war.
Die innerste Haut des Hoden dagegen führt gar keinen besonde-
ren Namen; die tunica vaginalis setzt sich also in die albugi-
nea
fort. Die Oeffnung schlieſst sich durch Verkleben der Wan-
dungen, welches in der Action des Cremaster seinen entfernten
Grund hat. Einige Unrichtigkeiten abgerechnet können wir diese
Abhandlung vor allen gleichzeitigen Arbeiten vorzüglich ihrer
Präcision und Klarheit wegen empfehlen.


1790. — Joh. Tuminati (Ricerche anatomiche intorno
alle tonache dei testicoli di Dottor Giovanni Tuminati. Ve-
nezia
1790. 8. im Auszuge übers. in Kühn und Weigels italien.
Bibliothek Bd. 2. S. 139 — 303.) fand an dem Hoden, so lange
er sich noch in dem Unterleibe befand, eine eigenthümliche Haut,
die Albuginea, und einen Ueberzug des Bauchfelles, welcher hin-
ter dem Hoden ein wahres Gekröse für diesen bildete (S. 165.).
Die Leithaut läſst sich nur eine bis zwei Linien vom Hoden ent-
fernt aufblasen und ist mit einer schleimigen Gallerte gänzlich
[400]Von dem Embryo.
gefüllt (S. 171.). Er hält sie für eine von dem Hodenmuskel ge-
bildete cylinderische Röhre, welche mit schleimiger Gelatina ge-
füllt ist (S. 172.). So lange die Hoden hoch oben in der Bauch-
höhle bei den Nieren liegen, werden sie durch eine an der Wir-
belsäule liegende Bauchfellfalte verbunden (S. 174.). Bei dem
Herabsteigen schwindet diese Falte und das Leitband verkürzt
sich und unten entsteht eine kleine halbmondförmige Falte,
welche bald die Form eines Sackes annimmt, der zu dem Bauchringe
hinausgeht. Der Cremaster wird während des Descensus umge-
wendet, so daſs sein fleischiger Theil nach auſsen, sein zellstoffi-
ger nach innen liegt (S. 175. 176.). Der Sack wird nun zur
Scheidenhaut des Hodens. Die Fibern des Leitbandes sind durch-
aus weder ein Hodenmuskel noch eine Aponeurose (S. 177.).
Der Hodenmuskel des Erwachsenen ist die umgewendete Leithaut
des Ungeborenen; die Scheidenhaut des Saamenstranges, eine Ver-
längerung des von den Unterleibsmuskeln kommenden Zellgewe-
bes, die Scheidenhaut des Hodens wird von dem Peritoneum ge-
bildet, die schleimige Gelatina der Hodenhaut und des Leitban-
des wird endlich zu den zelligen Blättern, welche Hodenhaut
und Hodenmuskel zusammenhalten (S. 186).


1792. — Danz (Zergliederungskunde des nengeborenen Kin-
des II. S. 137—172.) stellt die Ansichten von Hildebrandt, Blu-
menbach, Wrisberg, Neubauer, Röslein, Camper, Paletta, Pott,
Hunter, Lobstein, Bell, Vie d’Azyr, Brugnoni, Quellschmalz,
Martin u. A. zusammen.


1798. — Blumenbach (institutiones physiologicae ed. nova.
1798. 8.) findet in der Leistengegend jederseits ein sehr kleines
Loch in dem Peritoneum selbst, das zu einem kleinen Gange
führt, welcher den Bauchring durchbohrt und in einem eigen-
thümlichen, auſserhalb der Bauchhöhle befindlichen und nach dem
Scrotum zu gerichteten Säckchen sich endigt (p. 393. 94.). An
dem hinteren (unteren) Rande dieses Loches entspringt ein ande-
rer Bauchfellfortsatz, aus dessen Basis ein kurzer Cylinder oder
ein umgekehrter Kegel hervorkömmt, welcher vorn in einer An-
schwellung sich endigt, an welcher Hoden und Nebenhoden sit-
zen. Der Saamenstrang verläuft aber dann noch hinter dem
Bauchfell (p. 395.). Ungefähr von der Mitte der Schwanger-
schaft steigen die Hoden herab und nähern sich daher dem Loche.
Dieses erweitert sich nun und läſst denselben endlich durch.
Sobald
[401]Keimbereitende und ausführende innere Geschlechtsth.
Sobald dieses aber geschehen, schlieſst es sich (p. 396.). Die
Reise des Hodens selbst wird durch die vita propria vollbracht (p.
396.). Die tunica vaginalis communis entsteht durch den Fort-
satz des Bauchfelles; die tunica vaginalis propria testis durch
den Fortsatz des Peritoneum, welcher nach vorn von dem Cylin-
der geht, und den Hoden von Anfang an bekleidet; die tunica
vaginalis propria funiculi spermat
. endlich aus der Falte und
dem kurzen Cylinder, in welchen das Bauchfell eingeht, bevor
es den Hoden selbst umhüllt. Die Albuginea aber ist mit dem
Hoden selbst auf das genaueste verwachsen (p. 401.).


C. J. Langenbeck (Commentarius de structura peritonei
etc. Götting
. 1817. 8.) unterscheidet bekanntlich an dem Bauch-
felle zwei Lamellen, eine äuſsere und eine innere. Die äuſsere
hat nur einen Fortsatz, der später membranös und beim Herab-
steigen des Hodens in den Hodensack herabgedrängt wird (p. 60.).
Er bringt nun den Hoden in Analogie mit dem übrigen Einge-
weide und so ist bei ihm die Albuginea dasselbe, was bei jenen
z. B. die erste Haut der Gedärme, bei ihm das Bauchfell, was
bei den Lungen die Pleura ist u. dgl. (p. 61.). Der Cylinder lei-
tet den Hoden in die Bauchhöhle hinab, kehrt sich dabei um
und treibt die äuſsere Lamelle des Bauchfelles vor sich her (p.
62.). Die tunica vaginalis propria ist eine seröse Haut, wie
die innere Lamelle des Peritoneum (p. 64.).


1820. — Nach J. Fr. Meckel (menschl. Anat. IV. S. 599—
610.) entspringt (S. 603.) das Leitband unter dem Bauchringe
aus der oberen Gegend des Hodensackes, tritt durch den Annulus
hindurch, erhält Fasern von dem Musculus obliquus internus
und transversus und schlägt sich mit seinem oberen Theile auf
den Hüftbeinmuskel zum unteren Ende des Nebenhoden empor.
Es ist mit einer gallertartigen Masse gefüllt, aber nicht deutlich
hohl. Nun bildet sich (S. 604.) ein blind geendigter Fortsatz
des Bauchfelles, während der Hode noch frei in der Bauchhöhle
auf dem oberen Ende des Leitbandes sitzt. So lange der Hode
in dem Unterleibe sich befindet, ist er von der Albuginea und
einer Lamelle des Bauchfelles bekleidet (p. 608.). Der Fortsatz
des Bauchfelles wird nun zur tunica vaginalis communis, ent-
steht aus dem in dem Leitbande früher befindlichen Schleimge-
webe. Die früher aufsteigenden von den beiden inneren Bauch-
muskeln kommenden Fasern wenden sich nun nach auſsen und
26
[402]Von dem Embryo.
bilden den Cremaster. Die Dartos befindet sich endlich schon
früher in dem Hodensacke, ehe der Hoden hinabgesunken ist.
Diese Veränderungen kommen gröſstentheils dadurch zu Stande,
daſs das Leitband während des descensus testiculi sich umkehrt;
doch tritt unabhängig von dieser Umkehrung der Bauchfellfortsatz
eigenmächtig hervor. Die Zusammenziehung des Leitbandes (S.
610.) ist nur das Mittel zu dem Herabsteigen des Hoden. —


1822. — Seiler (neue Abhandlungen über die Schenkel und
Mittelfleischbrüche übers. und vermehrt von B. W. Seiler 1822.
8. S. 365—397.) liefert eine gehaltvolle Zusammenstellung aller
früheren Beobachtungen, so wie die Resultate vieler, sehr genauer
eigener Untersuchungen. Die Hoden sind zuerst als eigene Ge-
bilde in der zehnten Woche zu erkennen (S. 365.). Sie sind
dann mehr länglich rund, liegen nur wenig schräg von auſsen
nach einwärts und haben eine Länge von 1¼—1½‴, am Ende des
dritten Monates dagegen eine Länge von 3 Linien und eine Dicke
von 1½ Linie. Vom sechsten bis zum achten Monate vergröſsert
sich ihre Länge um 1—2 Linien und sie beträgt in dem Neuge-
borenen gewöhnlich 5 Linien, die Dicke aber 1½—5 Linien (S.
367.). So lange der Hoden in der Bauchhöhle ist, wird er von
dem Peritoneum, wie der Darmkanal u. dgl. überzogen. Diese
Duplikatur des Bauchfelles, ein wahres Gekrös des Hodens, hat
eine ungleich dreiseitige Gestalt und endigt sich abgestumpft über
dem inneren Rande des Schenkelbogens, wo bis zu dem fünften
Monate nur eine schwache Vertiefung in dem Bauchfelle, der
Anfangspunkt des späteren Scheidenkanales sich befindet (p. 369.).
Der angebliche Processus vaginalis ist kein hohler Cylinder,
sondern der untere Theil des Gekröses des Hodens und stülpt
sich keinesweges bei weiterer Ortsveränderung des Zeugen um.
Man könnte ihn am zweckmäſsigsten von dem Gekröse des Ho-
dens Mesorchium überhaupt mit dem Namen Gekrös des Ho-
denbandes (Mesorchiagogos) unterscheiden (S. 370.). Das Leit-
band des Hodens (Gubernaculum s. ligamentum testis) ist zur
Zeit seiner höchsten Ausbildung ein rundlicher, cylindrischer,
oder unten stark abgestumpfter, conischer Strang, welcher von
dem Hodensacke aus durch den vorderen Leistenring bis zu dem
unteren Ende des Nebenhodens heraufsteigt und von den beiden
Platten des Mesorchium eingeschlossen wird (S. 371.). Der Zell-
stoff, welcher sich an der Aponeurose des äuſseren, schiefen
[403]Keimbereitende und ausführende innere Geschlechtsth.
Bauchmuskels fortsetzt und später die äuſserste Hülle des Saa-
menstranges bildet, stellt den Kern des Leitbandes dar. An sei-
nem oberen (vorderen) Ende verbindet sich mit ihm eine gallert-
artige Masse von runder oder ovaler Form, welche an den unte-
ren Rand des Nebenhodens grenzt. Um diesen Kern legen sich
Muskelfasern, welche von der Verbindung des Obliquus inferior
mit dem transversus abgehen und mit Zellstoff, der später zur
fascia transversa wird, bedeckt sind (S. 372.). Im dritten Monate
ist das Leitband verhältniſsmäſsig am längsten, im fünften und
sechsten wird es kürzer und dicker, bildet sich zuletzt aus der
Unterleibshöhle ganz heraus und entwickelt sich zu den Hüllen
des Saamenstranges und des Hodens, an deren unteren Theilen
sich auch später die gallertartige Masse findet, die sich früher
mit dem vorderen Ende des Gubernaculum verband (S. 373.).
Bis zur zweiten Hälfte des dritten Monates verändert der Zeuge
nun seine Lage durch das Wachsthum des ganzen Körpers über-
haupt sowohl, als des Beckens insbesondere. Um diese Zeit be-
ginnt die eigenthümliche Senkung des Hodens. Die frühere
kleine Furche an der äuſseren und vorderen Fläche des Scheiden-
fortsatzes ist zu einer kleinen Grube geworden und das Bauchfell
ragt in Form eines kleinen Säckchens aus dem Bauchringe her-
vor. So entsteht der Scheidenfortsatz vor und unabhängig von
dem Eindringen des Hoden und das Gubernaculum stülpt sich,
wie man es im Allgemeinen lehrt, nicht um, sondern wird mit
dem Hoden zugleich aus der Bauchhöhle herausgebildet (S. 375.).
Die beiden Platten des Gekröses entfalten sich nun immer mehr,
so daſs zuletzt die Saamengefäſse an der äuſseren Fläche des
Bauchfelles und des Scheidenkanales liegen (S. 376.). Sobald
der Zeuge in den Grund des Hodensackes gelangt, beginnt die
Rückbildung des Scheidenkanales in die tunica vaginalis pro-
pria testis
(S. 379.). Dieses geschieht in vier Stadien: 1. Der
obere Theil von dem hinteren Leistenringe, bis zur Mitte des
Saamenstranges schlieſst sich. Es bleibt nur noch eine kleine
Grube an dem inneren Leistenringe, hinter der bisweilen eine
klappenartige Falte des Bauchfelles liegt. 2. Die Wände des
Scheidenkanales verwachsen ganz bis zu dem oberen Ende des
Hodens oder jener schlieſst sich zuerst in der Nähe des Hodens, so
daſs der mittlere Theil noch offen bleibt. 3. Der bandartige
Streifen seröser Haut wird zu Zellgewebe zurückgebildet als Ru-
26*
[404]Von dem Embryo.
diment des Scheidenkanales. 4. Dieser Zellstoffstreifen schwin-
det ganz oder es bleibt nur ein kleines Stückchen von ihm zu-
rück (S. 380—81.). Der Irrthum, daſs die tunica vaginalis
communis
für eine Fortsetzung des Bauchfelles gehalten wird,
basirt sich zum Theil auf Galens aus Affen von dem Genus Cy-
nocephalus
und Cercopithecus entnommenen Beschreibungen.
Fernelius und Sylvius verbreiteten dagegen die unrichtige Ansicht,
daſs das Bauchfell sich nie über den Bauchring hinausstrecke
(S. 384.). Das Rudiment des Scheidenkanales hat aus männli-
chen Leichen Bidloo (anat. c. h. tab. XXXII. fig. 4.) zuerst,
Nuck dagegen aus weiblichen Körpern als sein diverticulum ab-
gebildet. Vic d’Azyr und Brugnone erkannten zuerst seine Be-
deutung; Schreger (Abhandlung. d. Physikal. medizin. Societ. zu
Erlangen Bd. I. 1810. S. 345.) jedoch hat dasselbe am genaue-
sten untersucht und Cloquet stellt es als prolongement du pe-
ritoine
und poche sereuse dar (S. 392—93.). Seiler hat end-
lich eine Synomik der Scheidenhäute geliefert, von welcher wir
hier einen Auszug zu geben für zweckmäſsig halten.


1. Der obere Theil der Verdoppelung des Bauchfelles, das
Gekrös des Hodens, Mesorchium Seiler, Falte des Bauchfelles
der meisten Schriftsteller, Mesenterium testiculi s. laminae pe-
ritonei internae processus Langenbeck
. (Doch bezeichnet der
Letztere mit diesen Namen die ganze Verdoppelung bis zu dem
Bauchringe hinunter.)


2. Der untere Theil, das Gekrös des Hodenbandes, Mesor-
chiagogos Seiler = Vagina cylindrica Haller = Cylindrus
Camper, Pancera, Paletta = Vagina Halleri Hildebrandt
=
Scheidenfortsatz, processus vaginalis Halleri auctt.


3. Das Leitband oder Band des Hodens = ligamentum s.
Gubernaculum testis Hunter et al.
= ein Theil der Vagina
cylindrica Haller = Basis Girardi = ligament de testicule
Vic d’Azyr = ligamentum testis Paletta = Appendix testis
Lobstein = Regolatore,
Leithaut Tuminati = ein Theil des Pro-
cessus laminae externae peritonei Langenbeck
.


4. Der Scheidenkanal, Scheidenfortsatz, Processus perito-
nei vaginalis
, Bauchfellfortsatz, ἀποβλᾳστημα τοῦ περιτοναίου,
propago peritonei. Der Gang von der Unterleibshöhle in der-
selben πόρος, meatus Galen, Camper.


5. Das Rudiment des Scheidenkanals, Ruinae canalis va-
[405]Keimbereitende und ausführende innere Geschlechtsth.
ginalis Scherper = diverticulum Bidloo, Camper = Habercula
Brugnone = Prolongement du peritoine, poche sereuse J.
Cloquet
.


6. Der Hodenmuskel, Aufhebungsmuskel oder Aufhängemus-
kel des Hodens, Cremaster, testis musculus, tunica erythroides.


7. Die gemeinschaftliche Scheidenhaut, tunica vaginalis
communis = exterior tunicae vaginalis cortex Haller = va-
gina communis Lobstein = processus peritonei Heister = l’en-
veloppe des vaisseaux spermatiques, le tissu de la gaine du
cordon des vaisseaux spermatiques Winslow
.


8. Die eigene Scheidenhaut des Saamenstranges, tunica va-
ginalis propria funiculi = Vagina funiculi Lobstein = la gaine
du cordon des vaisseaux spermatiques Winslow
.


9. Die eigene Scheidenhaut des Hodens tunica vaginalis
testis propria = inferior tunicae vaginalis cavea testi pro-
pria Haller = Vagina testis Lobstein = Peritestis Verdier
= Tunica elythroides Vett
.


10. Die seröse Haut des Hodens, tunica testiculi serosa
= (in Gemeinschaft mit der folgenden Albuginea) tunica alba,
tunica propria testis
, ἐπιδίδυμος.


11. Die eigentliche weiſse oder sehnigte Haut des Hodens
tunica testiculi propria, alba, aponeurotica = albuginea plur.
= conjunctiva Tuminati = tunica nomine expers Brugnone
.


1828. — K. Fr. Burdach (die Physiologie als Erfahrungswis-
senschaft Bd. 2. S. 581—589.) liefert eine geistvolle Darstellung
der Ortsveränderung der Hoden, welcher Arbeit vorzüglich die
Abhandlung von Seiler zu Grunde gelegt ist.


1830. — Joh. Müller (Bildungsgesch. der Genitalien 1830.
4. S. 91—93.) bestätigt die besonders in Burdachs Physiologie
sich findenden Angaben vorzüglich aus eigener Erfahrung.


H. Oesterreicher (neue Darstellung der Lehre von der Orts-
veränderung der Hoden 1830. 4.) fand den Stiel zwischen Hoden
und Leistenring, wie Vic d’Azyr, dünner, als den Hoden (S. 12.).
Das Leitband besteht in ganz frischem Zustande untersucht aus
einem röthlich gelben, klebrigen Stoffe ohne alle Spur von Faser-
bildung (S. 13.). Diese zeigt sich aber sogleich, sobald das Prä-
parat einige Zeit in Weingeist gelegen hat (S. 15.). Das Bauch-
fell überzieht als Mesorchium den Hoden auf dieselbe Weise,
wie es das Colon überzieht (S. 17.). So lange der Hode an dem
[406]Von dem Embryo.
inneren Rande der Niere anliegt, fehlt jede Spur des inneren
Leistenringes. Der Leistenkanal ist dagegen schon gebildet und
durch ihn kommt ein Theil des Leistenbandes heraus, um in den
Hodensack zu gelangen (S. 19.). Alle diese Beobachtungen sind
an Katzen-, Hunde-, Ratten- und Menschenembryonen gemacht,
wo überall das Verhältniſs dasselbe ist. In der zweiten Periode
ist der Hoden hinabgerückt, das Leitband ist kürzer geworden.
In der Gegend des Leistenkanales befindet sich eine schwache
Vertiefung des Bauchfelles, die aber noch nicht in ein Säckchen
oder einen Schlauch führt. Diese bildet sich nicht auf Kosten
des Ueberzuges des Leitbandes, sondern des Theiles des Perito-
neum, welches sich rings um das untere Ende des Bauchtheiles
des Leitbandes befindet, welches also früher den Abdominalmus-
keln auflag (S. 20.). Sie ist nicht allein vom Zellgewebe, son-
dern auch von mehr oder minder deutlichen einzelnen Muskelfa-
sern bedeckt (S. 21.). In der dritten Periode liegt der Hode
nahe an dem Leistenkanale. Das Säckchen enthält in seinem
Innern wieder eine Falte, in welcher sich so viel von dem Bauch-
theile des Leitbandes befindet, als bei oberflächlicher Betrachtung
von demselben geschwunden zu seyn scheint. Es hat sich also
in dieser Periode nur der Hodensacktheil des Leitbandes verkürzt
(S. 24.). In der vierten Periode endlich befindet sich der Hoden
auſserhalb der Bauchhöhle. Der Sack ist dann gröſser, als es
der Hode und Nebenhode erforderte und zwar aus dem Grunde,
weil sich in ihm noch der Bauchtheil des Leitbandes befindet.
Dieses hat sich verkürzt, ist von fast viereckiger Gestalt und
wird bald zu einem zapfenförmigen Fortsatze, welcher beinahe
so groſs ist, als der Hode und Nebenhoden. Dieser erscheint von
röthlich blauer Farbe und besteht aus vielen durch einen eigenen
Schleim zusammengehaltenen Fasern (S. 26.). Durch ihn geht
der Schwanz des Nebenhodens hindurch. In der fünften Periode
ist der zapfenförmige Ueberrest des Leitbandes geschwunden und
an seiner Stelle findet sich nun etwas festes Zellgewebe (S. 27.).
In der sechsten Periode endlich ist der Zustand wie in dem Er-
wachsenen (S. 28.). Das Leitband ist das Hauptorgan für die
Ortsveränderung der Hoden (S. 37.).


1832. — Rathke (Abhandlung. aus der Bildungs- und Entw.
gesch. des Menschen und der Thiere. Thl. I. S. 69. fg.) beschreibt
zuerst mit der ihm eigenen Genauigkeit und Bestimmtheit den
[407]Keimbereitende und ausführende innere Geschlechtsth.
Descensus testiculorum aus den Wiederkäuern und dem Schweine
(S. 69—74.) und liefert dann folgende Resultate seiner an fünf
menschlichen Früchten aus dem fünften oder sechsten Monate un-
ternommenen Untersuchungen (S. 75. 79.). Von dem hinteren
Ende des Hodens und dem an dieser Stelle liegenden Theile des
Saamenleiters, geht ein fibröser ziemlich dicker Strang, das Leit-
band oder Gubernaculum Hunteri, ab, welches durch den Lei-
stenkanal hindurch nach auſsen tritt. Das Bauchfell umhüllt es
nicht gänzlich wie bei den Wiederkäuern und dem Schweine,
sondern nur an seiner vorderen Hälfte und bildet noch keine
Scheide für den Leistenkanal. Das Leitband selbst breitet sich
beinahe flächenförmig gegen den Grund des Hodensackes aus;
der auſserhalb des Leistenkanales befindliche Theil des Guberna-
culum
war nirgends gallertartig und ohne deutlich sichtbare Mus-
kelfasern, sondern bestand aus einem zwischen fibrösem Gewebe
und Zellstoffe das Mittel haltenden Gefüge. Der zellstoffige Kern
des Leitbandes ist wahrscheinlich ein eigenthümliches Gebilde.
Die tunica vaginalis communis ist wahrscheinlich auch bei dem
Menschen in ihrer Anlage früher vorhanden, als der Hoden die
Bauchhöhle verläſst und schlieſst hier den inneren Theil des Leit-
bandes ein, und zwar gleich einer an beiden Enden offenen Scheide,
die von den Bauchmuskeln nach innen geht. Verkürzt sich nun
darauf das Leitband, so wird diese dasselbe umgebende Scheide,
deren oberes Ende dicht am Hoden mit dem oberen Ende des
Leitbandes aufs Innigste verwachsen und von ihm gleichsam ver-
stopft ist, wie der Körper eines Handschuhes umgestülpt, und
nimmt darauf an Umfang und Dicke durch Anbildung plastischen
Stoffes immer mehr zu. — Dadurch, daſs der Hoden bei seinem
Heraustreten aus der Bauchhöhle den benachbarten und mit sei-
nem Ueberzuge zusammenhängenden Theil des Bauchfelles mit
sich zieht, entsteht die tunica vaginalis propria (Scheidenka-
nal). — Nachdem er einige wesentliche Unterschiede über die ver-
schiedenen Verbältnisse der tunica vaginalis propria und com-
munis
angegeben, liefert er noch polemische Bemerkungen gegen
Oesterreichers Dissertation (de gubernaculo s. d. Hunteriano.
1828. 4.), in welcher dieselben Ansichten, wie in der von uns
oben angeführten, späteren Schrift von Oesterreicher enthalten
zu seyn scheinen. Er zeigt, daſs die Ortsveränderung der Hoden
eine andere bei den Thieren und eine andere bei dem Menschen sey.


[408]Von dem Embryo.

E. H. Weber (Hildebrandts Anatomie IV. S. 393—97.) lie-
fert eine mit gewohnter Gründlichkeit zusammengestellte Ausein-
andersetzung des Descensus testiculi nach den Erfahrungen von
Wrisberg, Hunter, Seiler, Scarpa u. A.


Dies wäre ein möglichst kurzer Auszug aus den wichtigsten
Quellen, welche uns über den Descensus testiculi zu Gebote
standen. Eigene vollständige Erfahrungen fehlen uns hier noch
gänzlich.


E. Entstehung der Nieren nebst den Ureteren und
den Nebennieren
.

Die erste Spur der Nieren zeigt sich, wie die der keimbe-
reitenden Genitalien, lange nach dem Auftreten der Wolffschen
Körper. Sie erscheinen bei Schaafen nach Rathke (Abhandl. Thl.
II. S. 97.) und bei Schweinen nach meinen Beobachtungen als
ein kleines kugliges Gebilde, welches der inneren Oberfläche der
Bauchplatten fest ansitzt und in der allerersten Zeit in der Re-
gel an diesen sitzen bleibt, ohne den abgegangenen Wolffschen
Körpern zu folgen. Die Nieren gehören daher wahrscheinlich
ursprünglich dem serösen Blatte an, so wie vielleicht die inneren
keimbereitenden Genitalien aus dem Gefäſsblatte entspringen. Das
Nierenrudiment liegt in frühester Zeit mehr nach hinten als spä-
terhin, ist im Anfange solid und weder mit warzigen Erhaben-
heiten noch mit Fortsätzen oder einem Ureter versehen. Bald
jedoch zeigen sich nach Rathke (Abhandl. II. S. 97. tab. 7. fig.
8—12.) auf seiner Oberfläche warzenähnliche Erhöhungen, und
um diese Zeit sieht man in dem Innern kleine Kolben, deren
dicke, blinde Enden nach auſsen, deren Spitzen nach innen lie-
gen. Die Kolben sind die Rudimente der Harngefäſse. Was nun
den Ureter betrifft, so äuſserte Rolando (Journ. de Compl. XVI.
S. 53.), daſs er als eine Ausstülpung der Kloake entstehe. Allein
seine ganze Darstellung verleitet sehr zu glauben, daſs er dieses
Factum keineswegs selbst gesehen, sondern der Analogie der Le-
ber, des Pancreas und dgl. gemäſs erschlossen habe. Auch ma-
chen es die Erfahrungen von Rathke u. A. so wie unsere eige-
nen Beobachtungen im höchsten Grade unwahrscheinlich, daſs der
Vorgang auf diese Weise Statt finde. Denn 1. müſste man dann
den Harnleiter vor der Bildung der Harngefäſse sehen, welches
bestimmt nicht der Fall ist. 2. Müſste er zuerst von gleicher
[409]Nieren, Ureter und Nebennieren.
Dicke mit den Harngefäſsen und diese eine unmittelbare Fortset-
zung desselben seyn, was eben so wenig Statt findet. 3. Müſste
das Blastem der Nieren zum Theil oder gänzlich von dem Schleim-
blatte ausgehen, welches, wie wir bestimmt behaupten können,
durchaus nicht in der That so ist. Wir glauben vielmehr, daſs,
so wie die Nieren ursprünglich als eine Ablagerung von Bildungs-
stoff an der inneren Fläche der [Bauchwandungen] hervorkeimen,
so auch eine gleiche fadenförmige Bildung entsteht, welche sich
später aushöhlt, ebenso, wie wir es oben bei Gelegenheit der
keimausführenden Geschlechtstheile gesehen haben. Nur ist zwi-
schen beiden der Unterschied, daſs diese von einer Falte des Bauch-
felles überzogen werden, jene dagegen von Anfang an frei von einem
solchen Ueberzuge wenigstens in ihrem oberen Theile ist. Die ur-
sprünglich an die Niere sich anlagernde Bildungsmasse wird wahr-
scheinlich zu Ureter und Nierenbecken. So fand ich in einem
fünf Linien langen Schweineembryo in dieser Beziehung folgende
Verhältnisse: Die Nieren bildeten länglich runde Körperchen.
Ihre äuſsere Begrenzung bestand aus einem hellen durchsichtigen
Blastem, wie das der Speicheldrüsen z. B. ist. Da es nur an
der den Eingeweiden zugekehrten Fläche von dem Bauchfelle um-
hüllt war, so war es zwar von der übrigen Masse minder be-
stimmt gesondert, doch definit genug, um es für sich genau zu
unterscheiden. Sein äuſserer Rand war convex, sein innerer da-
gegen schien mehr gerade zu seyn. Seine dem Bauchfelle zuge-
kehrte Oberfläche gewölbt; die nach dem Rücken hin gewandte
platt und mehr eben. Die Länge einer jeden Niere betrug 0,408400
P. Z. Ihre gröſste Breite, welche in die Mitte ihres Längen-
durchmessers fiel, 0,028336 P. Z. An ihre innere Seite setzte
sich eine länglich runde Masse, wie sie Rathke aus einer etwas
späteren Zeit abgebildet hat. Diese verlief dicht der Niere an-
liegend längs des gröſsten Theiles der inneren Seite derselben und
setzte sich nach hinten in einen dünnen Faden fort. In dem ganz
frischen Zustande bildeten die bald zu beschreibenden Andeutun-
gen der Harnkanälchen durchaus keine Erhabenheiten [auf] der äu-
ſseren Oberfläche der Niere; diese also, welche Rathke gesehen,
waren Folge des Weingeistes, welcher das Blastem zusammenge-
zogen hatte. Mit bloſsen Augen betrachtet, zeigten sich diese
Rudimente der Harngänge als kleine, längliche und rundliche An-
schwellungen von gröſserer Dichtigkeit und weiſserer Farbe, als
[410]Von dem Embryo.
das übrige Blastema. Die microscopische Untersuchung lehrte
aber folgende Verhältnisse: Es waren vier breite, länglich runde
Höhlen, deren Wandungen ein dichteres Gefüge hatten und wel-
che in ihrem Innern wahrscheinlich eine helle Flüssigkeit enthiel-
ten. Der Durchmesser dieser Höhlen variirte von 0,003542 P.
Z. bis 0,005570 P. Z. bis 0,008600 P. Z. bis 0,010626 P. Z. Sie
waren von einander getrennt und enthielten einzelne, bläschenar-
tige Anschwellungen, die ihrer Oberfläche ein warzenartiges Aus-
sehen gaben. Diese ersten Rudimente der wahren Harnkanäle
hatten einen Durchmesser von 0,002327 P. Z. im Minimum,
0,003542 P. Z. im Medium, 0,005060 P. Z. im Maximum. Sie
verhielten sich also zur Länge der ganzen Niere wie 1 : 30,4 bis
1:20 bis 1:14 und zur Breite derselben wie 1:12,1 bis 1:8 bis 1:5,6.
Die Rudimente des Harngefäſssystemes füllten nicht die ganze
Niere aus, sondern lieſsen einen schmalen, länglichen, nach der
vorderen und hinteren Seite einen breiteren queren, nach der inneren
Seite dagegen den breitesten Zwischenraum einfacher Urmasse
übrig. Anderseits hatte der Ureter eine in seinem Innern ent-
haltene, äuſserst deutliche cylindrische Höhlung, welche bis zu
der Stelle verlief, wo an den inneren Rand sich die längliche,
oben erwähnte Urmasse ansetzte. Hier hörte sie nicht plötzlich
auf, sondern sie wurde allmählig undeutlicher. Man sah, daſs an
dieser Stelle die Masse im Innern sich eben zu verflüssigen im
Begriffe war. Ich berechnete den Breitendurchmesser des Ureter
zu 0,007084 P. Z. und den seiner Höhlung zu 0,001620 P. Z.
Zwischen dem vorderen Ende des Ureter und den Rudimenten
des Harngefäſssystemes schien die Masse ganz solid zu seyn und
das Nierenbecken selbst ganz zu fehlen. Preſste ich aber Niere
und Ureter leise zwischen zwei Glasplatten, so zeigte sich die-
ses deutlich in Gestalt eines Dreieckes, dessen Basis nach dem
Harngefäſsstamme oder der äuſseren Seite der Niere hin, dessen
Spitze nach der inneren Seite der Niere oder nach der Einmün-
dung des Ureter hin sah. Ich fand den Längendurchmesser die-
ses Triangels 0,022770 P. Z., den Breitendurchmesser seiner Ba-
sis 0,023782 P. Z. und den seiner Spitze 0,009108 P. Z. Das
Nierenbecken war nur seiner äuſseren Form nach durch dichtere
Masse angedeutet. Sein Inneres bestand noch aus dem dem Aeu-
ſseren nach unveränderten Urstoffe und enthielt bestimmt noch
keine Höhlung. — Diese Beobachtungen führen mich zu folgen-
[411]Nieren, Ureter und Nebennieren.
den Schlüssen: 1. Das System der Harngefäſse entsteht unab-
hängig und getrennt von der Höhlung des Ureter. 2. Eben so
unabhängig entsteht das Nierenbecken. 3. Diese Theile bilden
sich sämmtlich dadurch, daſs sie in der Urmasse der äuſseren
Form und Begrenzung nach angedeutet werden und dann erst
gleichzeitig Flüssigkeit im Innern und gröſsere Dichtigkeit der
Wände sich zeigt. 4. In dem Systeme der Harngefäſse bilden
sich, wie bei der Genese des Blutes, der Knochen und dgl. grö-
ſsere Complexe isolirt und unabhängig von einander, Theile, wel-
che ungefähr den späteren Pyramiden entsprechen. 5. In jeder
Pyramide entstehen die einzelnen Harngefäſse, als Ausstülpungen
der Begrenzung, gleichsam der Haut oder der Wandung dersel-
ben. — Was nun aber die selbstständig vermuthlich entstehenden
Harnkanälchen besonders betrifft, so geben wir auch hier zuerst eine
tabellarische Uebersicht einer Auswahl von uns hierüber angestellter
mikrometrischer Messungen, ehe wir die äuſsere Gestaltung so-
wohl als die speciellen inneren und äuſseren Formen der Nieren
im Einzelnen verfolgen:

Bei No. II. b. betrug die Länge der Niere 1 Zoll 4 Linien.
Bei No. III. a. 0,0131560 P. Z. Bei No. III. a. fand ich den
Durchmesser des Harnleiters 0,011940 P. Z. Bei No. III. c. be-
trug der Durchmesser der Malpighischen Körperchen 0,007590 P.
Z. und bei No. III. e. berechnete ich die verknäuelten Enden der
Harngefäſse auf der Oberfläche der Niere 0,006072 P. Z. bis
0,004048 P. Z. im Durchmesser. Bei No. III. c. aber betrug er
0,007590 P. Z.


Die Harnkanälchen entstehen, wie dieses die Beobachtungen
von Joh. Müller, Rathke und mir gezeigt haben, als längliche mit
blinden kolbigen Enden sich schlieſsende Gefäſse, welche nach
[412]Von dem Embryo.
der inneren Seite hin spitz zulaufen und mit einander convergi-
ren. Es dürfte kaum etwas Interessanteres und selbst für das
Auge Ergötzenderes geben, als die Genese der Harnkanälchen in
der Natur zu verfolgen, und wir empfehlen sie daher einem Je-
den, welcher mit den dazu absolut nothwendigen Instrumenten,
besonders guten, ziemlich vergröſsernden und mit weiter Focaldi-
stanz versehenen Linsen ausgerüstet ist. Wir haben folgende
Methode als vorzüglich brauchbar zu solchen Untersuchungen ge-
funden. Es ist unablässig nothwendig, daſs man, wie vorzüglich
Joh. Müller (de glandulis p. 23. 24.) schon bemerkt, alle diese
Theile auf schwarzem Grunde betrachte. Am vortheilhaftesten
ist es, wenn sie unmittelbar auf demselben aufliegen, bei weitem
zweckwidriger dagegen, wenn zwischen der dunklen Oberfläche
und dem Objecte ein heller Lichtraum noch befindlich ist, wie
wenn man z. B. den Gegenstand auf ein durchsichtiges Glas legt
und den Reflexionsspiegel des Microscopes umkehrt. Die Theile
müssen vollkommen frisch seyn, und lassen nur in diesem Zu-
stande durchaus sichere Resultate zu, wiewohl bei einiger Uebung
in Untersuchungen der Art sich auch aus Präparaten, welche
lange Zeit in schwachen Weingeist (doch dies ist wesentlich)
aufbewahrt worden, das Rechte ersehen läſst. Allein auch in
ganz frischem Zustande erscheinen sie mit bloſsem Wasser benetzt
keineswegs mit der möglichsten Schärfe. Um diese zu erlangen,
bediente ich mich eines nur sehr wenig verdünnten Alkohol, den
ich während der Untersuchung auf das Präparat einwirken lieſs.
Auf diese Weise erscheinen die zarten Kanälchen von schöner
milchweiſser Farbe, im Gegensatz zu dem völlig schwarzen
Grunde. Allein man darf dann die Untersuchung keineswegs auf-
schieben, weil sich bald nach längerer Einwirkung des Alkohols
das Ganze in eine weiſse undurchsichtige Masse verwandelt. —
Was nun die Linsen betrifft, so müssen sie mit dem nöthigen
Grade von Klarheit auch einen mäſsigen Blick in die Tiefe erlau-
ben und zugleich wenigstens eine Focaldistanz von ½ Zoll haben.
(Am zweckmäſsigsten zeigte sich uns an dem groſsen Plöſslschen
Instrumente Ocular No. 1. und Obj. No. 1. od. Obj. No. 1. und
No. 2.) Die Beleuchtung vermittelst des Selligueschen Prisma,
sey es durch Sonnen- oder Kerzenlicht, nützt zwar bisweilen sehr,
doch keineswegs in dem Grade, als man es im Anfange erwartet
[413]Nieren, Ureter und Nebennieren.
hatte. (Vgl. Annales des sc. nat. Tom. III. 1824. p. 354. bei
Joh. Müller de glandulorum structura p. 24.)


Was nun die mit kolbigen Enden versehenen Kanälchen in
der früheren Form der Nieren anbelangt, so laufen sie in meh-
reren Schichten (ob gerade in drei Lagen, wie Rathke angiebt,
war mir unmöglich auszumitteln) von der äuſseren nach der in-
neren Seite convergirend zusammen. Ein Zusammenhang mit dem
schon existirenden Nierenbecken ist zuerst nicht vorhanden, son-
dern dieses und das Nierenbecken stoſsen vermuthlich erst später
an einander. Wenigstens konnte ich in frühester Zeit ebenso
wenig als Rathke eine Communication zwischen beiden wahrneh-
men. Zuerst sind sie, wie man aus den obigen Messungen leicht
ersehen kann, sowohl absolut als relativ zur Niere gröſser als in
dem späteren Zustande. In der Folge der Entwickelung nun
werden sie länger und dünner, behalten aber noch geraume Zeit
ihre kolbigen Enden bei. Ja diese erscheinen sogar um so be-
stimmter, je mehr sie gegen die dünneren Harnkanälchen con-
trastiren (von Abbildungen s. Joh. Müller de glandulis tab. XIV.
fig.
1. und Rathke Abhandlungen Thl. II. tab. VII. fig. 11.).
Während dieser Metamorphose der ursprünglichen Kanälchen ent-
stehen neue ähnliche Kanälchen, wie es scheint, selbstständig.
Wenigstens sieht man gleichmäſsig mit der Vergröſserung des
Volumens auch die Harnkanälchen rasch zunehmen. Doch kann
man auf keine Weise die neu entstandenen von den alten meta-
morphosirten unterscheiden. Unterdessen hat auch das Nieren-
becken sich weiter ausgebildet. Es hat sich nämlich vergröſsert
und verlängert und schickt einzelne Fortsätze in die innere Sub-
stanz der Nieren, zwischen denen Bündel von Harngefäſsen sich
befinden. Beide umfassen sich gegenseitig ungefähr wie die Pro-
ductionen der Placenta foetalis und materna bei den Pachy-
dermen oder wie wenn man die Finger beider Hände wechsel-
seitig in einander greifen läſst. Dadurch nun, daſs diese Bildung
im Innern fortschreitet, entsteht natürlich nach innen das Nieren-
becken, nach auſsen dagegen die Nierenkelche. Die Harngefäſse ha-
ben dagegen nach innen zu ihre mehr gestreckte Lage erhalten und
behauptet und sind büschelförmig vereinigt zu Ferreinschen Pyrami-
den. Nach auſsen haben sie sich immer mehr verlängert und ver-
schmälert, und gewinnen anfangs mehr Raum, indem des verbinden-
den Schleimgewebes immer weniger wird. Indem aber die kolbigen
[414]Von dem Embryo.
Enden dadurch immer mehr schwinden, gewinnen die Harnkanäl-
chen, welche zwar immer mehr sich verschmälern, dagegen desto
mehr an Länge, und winden und verknäueln sich auf eine eben so
zierliche als eigene Weise an einzelnen Stellen in einander. Dieses
bedingt auch einen Unterschied der Oberfläche der Niere selbst;
zuerst war sie mehr eben und nur dann ungleich, wenn wie z.
B. durch die Einwirkung des Weingeistes das umhüllende Schleim
gewebe sich zusammengezogen und so die kolbigen Enden der
Harnkanälchen von der Oberfläche aus sichtbar waren. Indem sie
sich aber schlängeln und verknäueln und das umhüllende Schleim-
gewebe unterdeſs schwindet, erhebt sich jede Verknäuelung über
die Oberfläche in Form einer sehr kleinen Warze, welche von
der angrenzenden durch eine kleine Vertiefung und etwas verbin-
dendes Schleimgewebe getrennt wird. Diese zierliche Bildung
kann man in Embryonen von zwei Zoll Länge schon mit bloſsem
Auge wahrnehmen. Deutlicher jedoch ist sie unter einer schwa-
chen Vergröſserung zu erkennen. Gleichzeitig mit den Windun-
gen der Harnkanälchen, d. h. mit dem deutlicher ausgesprochenen
Gegensatze zwischen Cortical- und Medullarsubstanz der Nieren
scheinen sich die Malpighischen Körperchen in derselben zu bil-
den. Wenn aber Rathke (Abhandl. Thl. II. S. 101.) behauptet,
daſs die Zusammenknäuelung der Blutgefäſse zuerst fehle, so müs-
sen wir diesem direct widersprechen. Denn immer haben wir
sowohl in ganz frischen Nieren, deren Blutgefäſse noch zu erken-
nen waren, als auch nach gelungenen Injectionen die Knäuel er-
kannt, obschon mit einem gröſseren oder geringeren Grade von
Deutlichkeit. Ganz richtig bemerkt dagegen Rathke, daſs sie in
früherer Zeit sowohl kleiner als sparsamer erscheinen, als im spä-
teren Zustande. Wie man aus den oben angeführten mikrome-
trischen Messungen ersieht, sind die Harngefäſse zuerst sowohl
absolut als relativ gröſser wie in späterer Zeit. Sie werden dann
zuerst sowohl absolut als relativ kleiner. Mit fortschreitendem
Wachsthume aber vermehrt sich zwar ihre absolute Gröſse. Ihre
relative dagegen ist noch unterdeſs beständiger Verminderung un-
terworfen.


Die Nieren enthalten, wie man sich an frischen Embryonen
leicht überzeugen kann, von sehr früher Zeit an eine bedeutende
Anzahl von Blutgefäſsen. Eine vollständige Injection derselben
gelang mir an 2¼ Zoll langen Schweinefötus, nach welchen ich
[415]Nieren, Ureter und Nebennieren.
sie folgendermaſsen vertheilt fand: Von dem inneren Rande nach
auſsen verliefen gerade, transversal gerichtete Gefäſse, welche
sich häufig mit einander verbanden. An der Oberfläche dagegen
wurde jede durch eine Verknäuelung entstandene, kleine Hervor-
ragung von einem Netzchen umgeben, so daſs das Ganze ein zier-
liches maschenförmiges Ansehen annahm. Zwischen den inneren
Quergefäſsen (Longitudinalgefäſsen, sobald man sich die Niere auf
ihrem Hylus aufgestellt denkt) befanden sich die Malpighischen
Körperchen als kleine Knäuel äuſserst zarter Blutgefäſse. Den
Durchmesser der injicirten Quergefäſse berechnete ich zu 0,003530
P. Z. bis 0,000910 P. Z. und den Breitendiameter der malpighi-
schen Körperchen zu 0,019734 P. Z. bis 0,014168 P. Z., den
Längendurchmesser dagegen von 0,025300 P. Z. bis 0,0107240 P. Z.


Die äuſsere Form der Nieren wird ziemlich frühzeitig voll-
endet. Zuerst stellt sie ein rundliches Knötchen dar, welches
sich bald verlängert und sich krümmt. Mit dieser Krümmung ist
natürlich die Bildung des Hylus gegeben. Dieser wird jedoch
immer mehr bestimmt, je mehr das Nierenbecken sich in die Niere
selbst zurückzieht, und je weniger es daher bloſs äuſserlich ange-
legt zu seyn scheint. — Der Wachsthum der äuſseren Form der
Nieren schreitet schnell vor sich, und sie erscheinen daher, wäh-
rend die Wolffschen Körper selbst an ihrem hinteren und äuſse-
ren Rande zu liegen kommen, frei. — In ziemlich später Zeit
theilt sich die Niere in mehr oder weniger tief getrennte einzelne
Läppchen, welche von den früheren durch die einzelnen Windun-
gen hervorgebrachten Erhöhungen durchaus verschieden sind.
Jede einzelne von ihnen umfaſst sehr viele solcher von den Ver-
knäuelungen herrührender Erhabenheiten. Später verschmelzen
diese wiederum mit einander und stellen die glatte Oberfläche
der Nieren dar. Das Gewicht der Niere ist früher im Verhält-
nisse zu dem ganzen Körper bedeutender als in dem Erwachse-
nen. So bestimmt Meckel (Anat. IV. S. 486.) die Relation des
Gewichtes beider Nieren zu dem ganzen Körper bei dem reifen
Fötus wie 1 : 80, während sie beim Erwachsenen wie 1 : 240 ist.
Auch ist nach ihm in der Frucht jede Niere länglicher; das Nie-
renbecken selbst liegt mehr an der vorderen Fläche; die Ausbil-
dung des Nierenschnittes ist geringer.


Die Nebennieren gehören wahrscheinlich dem Gefäſsblatte an,
denn sie entstehen oberhalb der Niere und der Aorta als eine
[416]Von dem Embryo.
selbstständig abgesonderte Masse, keineswegs aber durch Abschnü-
rung von den Wolffschen Körpern, wie dieses Arnold (Salzburg.
medizin. chirurg. Zeit. 1831. S. 236. 37.) behauptet hat. Auch
soll nach diesem Schriftsteller die Nebenniere zuerst dieselbe
Structur wie die Wolffschen Körper haben — eine Beobachtung,
welche auſser Arnold noch keinem zu machen gelungen ist und
kaum je wohl gelingen wird. Beide Nebennieren entstehen viel-
mehr als eine einfache Masse oberhalb der Wirbelsäule und vor
den Nieren, wie ich an Embryonen des Schaafes und Hundes ge-
sehen habe. Diese wulstet sich auf, sondert sich in zwei symme-
trische Hälften und so entstehen die beiden getrennten Nebennie-
ren, welche bei den Haussäugethieren immer kleiner als die Nie-
ren sind und nach innen und vorn von ihnen liegen. Die be-
stimmte Sonderung der Nebennieren fällt in eine spätere Zeit,
als die Entstehung der Nieren. Bei dem Menschen sind die Ne-
bennieren von ungemeiner Gröſse und sind, je jünger der Fötus,
desto gröſser, ja sogar in der Frucht von persistirender Bedeutung,
während sie im Erwachsenen in ihrer Ausbildung stehen bleiben
und im Alter zum Theil oder gänzlich schwinden.


J. Fr. Meckel sah sie schon bei einem zweimonatlichen Em-
bryo deutlich (Anat. IV. S. 506.). Nach ihm (S. 507.) verhält sich
das Gewicht derselben zu dem der Nieren im Anfange des sechs-
ten Monates wie 2 : 5. Bei dem reifen Fötus ist es wie 1 : 3,
bei dem Erwachsenen aber wie 1 : 28. Bekanntlich haben viele
Anatomen in dem Inneren der Nebenniere eine Höhle sehen wol-
len. Allein weder im frischen noch im ausgebildeten Fötuszustande
ist eine solche wahrzunehmen, in Früchten dagegen, welche lange
Zeit in stärkeren Weingeist gelegen, oder macerirt haben, wird oft
eine solche künstlich erzeugt, indem das im Innern nach Joh.
Müllers Untersuchungen (Hildebr. Anat. herausgegeben von E. H.
Weber IV. S. 355.) befindliche Venennetz durch die Wirkung
des Weingeistes unsichtbar wird oder das Parenchym sich auflöst
und so der Schein einer Höhlung entsteht. Ganz dasselbe ist
auch bei dem Erwachsenen der Fall.


F. Entwickelungsgeschichte der mittleren Sphäre der
Harn- und Geschlechtsorgane
.

Wir werden es weiter unten bei dem Schleimblatte sehen,
daſs anfangs auch bei den Säugethieren, wie bei dem Hühnchen
ein
[417]Mittlere Sphäre der Harn- und Geschlechtsorgane.
ein einfacher Enddarm vorhanden ist, welcher sich nach hinten
frei öffnet, daſs nachher an dem hinteren Theile der oberen Fläche
dieses einfachen Enddarmes eine zuerst kuglige, späterhin cylin-
drische Ausstülpung entsteht, welche aus der Bauchhöhle hervor-
tritt und über den Fötus hinauswächst. Indem nun die Bauch-
platten sich so weit schlieſsen, daſs nur die Nabelöffnung als Spur
der früheren Spaltung übrig bleibt, so entsteht eine Begrenzung,
eine Verengung in der Allantois. Der Theil, welcher in der
Bauchhöhle sich befindet, ist von länglicher cylindrischer Form
und mündet nach unten und hinten in den Mastdarm, so daſs das
Stück des Enddarmes von der Einmündungsstelle der Allantois bis
zu seiner äuſseren Oeffnung mit Recht als das Analogon einer
Kloake auch bei den Säugethieren angesehen werden kann. Rathke
(Abhandl. Thl. I. S. 57.) glaubt nun, daſs, indem die Trennungs-
falte zwischen Mastdarm und Allantois gröſser wird, sich zugleich
von beiden Seiten Falten in der Kloake bilden und, indem diese
drei Falten mit einander zusammenstoſsen, die Trennung der bei-
den gesonderten Gebilde entsteht. Ich möchte wohl wissen, ob
Rathke diese drei Falten getrennt gesehen oder ihre Existenz und
ihre Ausbildung nur aus einer Reihe von Präparaten erschlossen
hat. Mir wenigstens wollte es nie gelingen, etwas der Art wahr-
zunehmen, und nach meinen hierüber an Schweinen, Schaafen und
Rindern angestellten Untersuchungen geht der Proceſs höchst
wahrscheinlich auf folgende Weise vor sich: Indem die Allan-
tois sich immer von dem Mastdarm abschnürt, verkürzt sich die
Kloake, während der hinterste Theil der getrennten Allantois und
des getrennten Mastdarmes sich verlängert. Ist nun die Kloake
endlich gänzlich geschwunden, so haben wir nach unten einen
durchaus getrennten Mastdarm, nach oben dagegen ein cylindri-
sches Rohr, die unmittelbare Verlängerung des früher vor und
über ihm befindlichen Allantois-Anfanges. Rathke nennt dieses
Rohr die Harnröhre, Joh. Müller dagegen (Bildungsgesch. der Ge-
nit. S. 70.) Sinus uro-genitalis. Uns scheint für dieses Gebilde
der Name Canalis uro-genitalis noch zweckmäſsiger zu seyn. Un-
terdeſs hat sich aber der in der Bauchhöhle befindliche Theil der
Allantois ebenfalls wesentlich metamorphosirt; doch erfolgen
diese Metamorphosen bei den Säugethieren weit später, als bei
dem Menschen. Während nämlich früher dieser Theil der Allan-
tois überall gleich zart und dünnwandig war, schwillt die untere
27
[418]Von dem Embryo.
und hintere Abtheilung desselben blasenförmig an und verdickt
sich in seinen Wandungen, während der übrige Theil dünn und
kanalförmig bleibt, sich sogar immer mehr verdünnt, je stärker
die Ausbildung des unteren Theiles vor sich geht. Die untere
Anschwellung heiſst nun Harnblase, die kanalförmige Communi-
cation zwischen dem auſserhalb des Embryonalkörpers befindli-
chen Theile der Allantois und der Harnblase heiſst Urachus oder
Harnstrang. Bei dem Menschen und den meisten Säugethieren
ist der Urachus als die unmittelbare Fortsetzung der Harnblase
dadurch bezeichnet, daſs er aus ihrem oberen und vorderen Ende
entspringt. Doch fand Rudolphi (über den Embryo der Affen
und einiger anderen Säugethiere. Gelesen in der Berl. Academie
1828. S. 7.), daſs bei dem Faulthiere der Urachus nicht aus dem
Grunde, sondern aus der vorderen Wand der Harnblase näher dem
Halse entspringe. — Die Harnblase des Menschen liegt in früher
Zeit, wie schon J. Fr. Meckel (Anat. IV. S. 487.) bemerkt, au-
ſserhalb der Beckenhöhle. Der Harnstrang ist nach ihm noch bei
dem Neugeborenen hohl und läſst sich von der Blase aus eine
gröſsere oder geringere Strecke in den Nabelstrang hinein verfol-
gen und mit Quecksilber, wie es Röderer schon gethan, anfüllen.
Die Harnleiter münden zuerst in den hintersten und untersten
Theil der Harnblase; vor ihnen münden dagegen die keimberei-
tenden Geschlechtstheile in einen einfachen mittleren Gang, wel-
cher sich in den vordersten und untersten Theil des Canalis
uro-genitalis
einsenkt. Dieser einfache mittlere Geschlechtsgang
findet sich zuerst bei dem Männchen ebenso gut, als bei dem
Weibchen. Bei dem ersteren bleibt er sehr dünn und zart, nimmt
die beiden Saamengänge an seinen beiden Seiten auf, verkürzt
sich allmählig und wächst gleichsam in den bleibenden und sich
nur metamorphosirenden Theil des Canalis uro-genitalis hinein.
Dadurch erhält dann natürlich jeder Saamengang seine eigene, von
dem anderen getrennte Mündung. Bei dem Weibchen dagegen wird
dieser unpaare Geschlechtstheil gröſser, verlängert sich besonders
von hinten nach vorn, erhält eine dichtere Textur und bleibt als
Fruchthälter oder Uterus. Die Trompeten bilden entweder, in-
dem sie sich an ihren Mündungsstellen berühren, einen Uterus
bicornis
, wie bei den meisten Säugethieren, oder werden durch
das sich fortbildende Mittelstück, welches hier zum fundus uteri
wird, getrennt, wie bei dem Menschen. Indem sich aber der
[419]Aeuſsere Sphäre der Harn- und Geschlechtsorgane.
Fruchthälter und mit ihm gleichzeitig die Tuben verlängern und
vergröſsern, winden sich die letzteren mehr oder minder spiralig,
und ihre Drehungen sind sogar in der Frucht bei Weitem ver-
hältniſsmäſsig stärker und auffallender, als im Erwachsenen. Die
Höhle der Gebärmutter sowohl, als der Tuben ist anfangs mit
einer mehr oder minder hellen, wäſsrigen Flüssigkeit gefüllt.


G. Entwickelungsgeschichte der äuſseren Sphäre
der Harn- und Geschlechtsorgane
.

a. Bei dem männlichen Geschlechte.

Der Canalis uro-genitalis bildet hier einen länglichen
Schlauch, welcher von der Vereinigung der Harnblase mit dem
unpaaren Gange, in den die beiden Saamengänge münden, bis zur
äuſseren Oeffnung reicht. Diese liegt über der Aftermündung und
wird von ihr durch eine Leiste, das künftige Prineum, getrennt.
Der Canalis uro-genitalis erhält nun, wie Rathke (Abhandl. I.
S. 59.) zuerst beschrieben hat und ich selbst bestätigen kann,
zwei seitliche Ausstülpungen, die künftigen Saamenblasen. Diese
erscheinen bald als zwei seitliche, fast cylindrische Körperchen,
welche mit ihren inneren Rändern sich bald erreichen, doch aber
durch eine zarte Masse von Schleimgewebe in ihrer Mitte getrennt
bleiben. Auf ihrer Oberfläche erscheinen sie einer in ihrer er-
sten Formation begriffnen Drüse nicht unähnlich, indem ihre Höh-
lung ebenso blinde, zuletzt kolbig anschwellende und verzweigte
Gänge darstellt. Bei Durchschnitten sieht man aber, daſs diese Gänge
in der Mitte und etwas nach innen hin zu einer groſsen länglichen
Höhlung zusammenstoſsen, welche mit dem Canalis uro-genita-
lis
communicirt. Nun verkürzt sich der Kanal immer mehr und
schwindet endlich ganz. Dieses zieht aber, wie Rathke schon
beobachtet hat, merkwürdige Veränderungen nach sich. Die Ein-
mündungsstelle der Saamenleiter rückt daher den Saamenblasen
immer näher, und beide vasa deferentia öffnen sich, indem ihr
Mittelstück, die unmittelbare Fortsetzung des Canalis uro-geni-
talis
, ebenfalls verschwunden ist, mit zwei gesonderten Mündungen.
Die Saamenblasen communiciren ebenfalls mit zwei gesonderten, an
kleinen Stielen geöffneten Einpflanzungsstellen. Die Harnröhre
verläuft zuerst in der oberen (vorderen) Fläche des Canalis uro-
genitalis
und tritt unten mit dem Penis aus der Beckenhöhle
27*
[420]Von dem Embryo.
nach auſsen. Sie isolirt sich schon in ihrer Bildung, wenn noch
der Canalis uro-genitalis im hohen Grade der Ausbildung sich
befindet. Indem dieser aber schwindet, rücken die Vasa defe-
rentia
sowohl, als die Saamenblasen in ihr Bereich hinein. Sie
ist nämlich anfangs eine nach unten offene Rinne, welche mit dem
Verschwinden des Canalis sich von beiden Seiten zusammenlau-
fend schlieſst und an ihrer unteren (hinteren) Hälfte die Saamenbla-
sen und die Vasa deferentia aufnimmt. Die Vorsteherdrüse ent-
steht wahrscheinlich zuerst als eine Anschwellung der hinteren
Wand des Canalis. Wenigstens habe ich bei Schweinen an der
Stelle der künftigen Prostata einen kleinen dichteren Wulst an-
fangs wahrgenommen. Später nach dem Verschwinden desselben
rückt sie an die untere (hintere) Wand der Harnröhre und weicht
in ihrem Baue in Nichts von den übrigen Drüsen ab. — Diese,
Rathke’s Erfahrungen gröſstentheils bestätigende Reihe von Beob-
achtungen sind die Resultate meiner an Embryonen des Rindes
und des Schweines angestellten Untersuchungen. — Schon frühzei-
tig wächst an dem oberen Rande des Canalis uro-genitalis ein
länglicher, warzenartiger Körper hervor, welcher an seiner unte-
ren Fläche eine ziemlich breite Rinne hat. Er hat zuerst eine
nach unten zu concav gekrümmte Gestalt und an seinem äuſser-
sten Ende eine kleine rundliche Anschwellung. Dieser Theil,
welcher bei beiden Geschlechtern gleich vorkommt, verlängert
sich bei dem Männchen im Laufe der Entwickelung immer mehr,
bleibt aber im Ganzen dünn und gracil und wird zu dem Penis.
Bei den Wiederkäuern und dem Schweine verläuft er unter den
Bauchdecken, wie Joh. Müller und Rathke schon beobachtet ha-
ben, bis dicht an den Nabel, wo er mit einer rundlichen, dichte-
ren und härteren Anschwellung endigt. Bei dem Schweine ra-
gen zuerst aus der Oeffnung der Bauchdecken, in welcher das
vorderste Ende des Penis liegt, zwei kleine Warzen hervor, wel-
che sich bald in die Oeffnung selbst hineinziehen. Die Zeit die-
ses Hineintretens in die Oeffnung ist bei den verschiedenen Indi-
dividuen verschieden. So fand ich sie bei einem 4½ Zoll langen
Schweineembryo noch auſserhalb der Oeffnung, bei einem ande-
ren gleich langen und aus demselben Fruchthälter genommenen
Individuum wiederum innerhalb der Oeffnung. Die Structur des
Penis war bei diesen Früchten folgende: Nach unten (hinten)
lagen die Corpora cavernosa penis als zwei cylindrische, ziem-
[421]Aeuſsere Sphäre der Harn- und Geschlechtsorgane.
lich dichte und mit einem weicheren hautartigen Ueberzuge um-
gebenen Organtheile neben einander, und oben sowohl als unten
befand sich zwischen ihnen eine der Länge nach verlaufende
Furche. In der oberen (vorderen) Furche lag die Harnröhre als
ein zartes durchsichtiges Rohr mit den corporibus cavernosis
urethrae
. Die vordere der Eichel entsprechende Mündung war
von knorpeliger Härte und in ihr waren die drei cylindrischen
Körper keineswegs mit Deutlichkeit zu unterscheiden. Feine
Querdurchschnitte auf schwarzer Unterlage betrachtet, boten ein
äuſserst zierliches Ansehen dar. Der vordere Cylinder hatte in
der Mitte, doch etwas mehr nach vorn, eine runde Oeffnung, den
Durchschnitt der Harnröhre. Von ihr liefen sternförmig und ra-
dienartig sehr schön geordnete und an ihren äuſseren Enden et-
was sich verdickende Höhlungen aus. Diese nebst dem unge-
benden Gewebe bezeichneten die cavernösen Körper der Urethra.
Die Corpora cavernosa penis dagegen zeigten so schön ramifi-
cirte und mit kolbigen, blinden Enden versehene Höhlungen, daſs
sie der Ungeübtere leicht mit einer angelegten Drüse verwech-
seln konnte. Wurden solche feine Durchschnitte zwischen zwei
Glasplatten gepreſst, so zeigten sich parallele und concentrische
Fasern von 0,000708 P. Z. im Durchmesser. Sie bestanden aus
zarten, gallertartigen Fäden, in welchen die Körnchen des Bil-
dungsstoffes von einem mittelern Durchmesser von 0,000506 P.
Z. nach longitudineller Richtung geordnet waren. — Was nun
den Menschen betrifft, so fand J. Fr. Meckel (Anatomie IV. S.
610.) um die Mitte des dritten Monats die Eichel noch durchaus
nicht von der Vorhaut bedeckt und noch gänzlich verschlossen.
Ihre künftige Mündung wurde jedoch schon durch einen weiſsli-
chen Fleck bezeichnet. An der unteren Fläche der Ruthe befand
sich eine longitudinelle Spalte, welche sich sogar oft bis eine
kleine Strecke in die Eichel hinein verlängerte. An dem hintersten
Ende der Ruthe war die Harnröhre schon gänzlich geschlossen.
Im vierten Monate wird die hintere gröſsere Abtheilung der Ei-
chel (S. 64.) von der Vorhaut bedeckt, und die Mündung der
Harnröhre ist an dem unteren Theile ihrer vorderen Fläche als
eine kleine Spalte sichtbar. Nun vergröſsert sich die Vorhaut
und umschlieſst die ganze Eichel während des übrigen Fruchtle-
bens so genau, daſs sie über die Eichel nicht zurückgebracht wer-
den kann. Der Fötus hat also, wie Joh. Müller bemerkt, eine
[422]Von dem Embryo.
normale Hypospadie und nach Meckels Ausdruck zuerst Paraphy-
mosis (doch nicht ganz mit Recht) und zuletzt Phymosis. Der
Hodensack entsteht, wie Tiedemann (Anatomie der kopflosen Miſs-
geburten. 1814. fol. S. 84.) und Rathke (Abhandl. I. S. 60.) be-
merken, dadurch, daſs die seitlichen Ränder nach auſsen von der
Ruthenrinne sich verdicken, und, indem sie mehr an Schleim-
stoff gewinnen, an einanderstoſsen und zu einem einzigen Gebilde
sich vereinigen. Die Stelle ihres Zusammenstoſsens bildet die
Nath oder Raphe. Diese ist, wie Rathke berichtet, die Fortset-
zung der Nath des Dammes. Die Scheidewand kann man leicht
als eine dichtere, weiſsere Schleimstoffmasse erkennen.


b. Bei dem weiblichen Geschlechte.

Es ist schon oben bemerkt worden, daſs der einfache un-
paare Gang, in welchen die beiden keimausführenden Geschlechts-
theile münden, bei dem weiblichen Geschlechte bleibe und sich
zu dem Uterus entwickele. Zuerst stoſsen die beiden Trompe-
ten, wie dieses schon J. Fr. Meckel, Joh. Müller und Rathke be-
obachtet haben, zu einem einfachen Kanale zusammen. Selbst
bei dem Menschen ist dieses der Fall, und auch er hat in früher
Entwickelungszeit einen normalen Uterus bicornis. Später je-
doch entwickelt sich der unpaare Gang mehr nach vorn, und es ent-
steht auf diese Weise der Fundus der Gebärmutter, während die
Mündungsstellen der Trompeten mehr nach den beiden Seiten hin
zurücken. Zugleich gewinnt seine Substanz mehr an Dichtigkeit
und Stärke, und aus dem Schleimgewebe, das in der Mitte liegt,
also zwischen seröser und Schleimhaut sich befindet, entstehen
die Fasern des Uterus. Dieser selbst setzt sich zuerst unmittel-
bar in den Canalis uro-genitalis fort, welcher in frühester Zeit
nicht bloſs die Scheide, sondern auch die Harnröhre darstellt.
Unterdeſs hat sich die schon oben erwähnte bei beiden Geschlech-
tern zuerst gleiche Warze gebildet, welche in conischer oder cy-
lindrischer Gestalt herauswächst, sich nach unten und hinten um-
biegt und auf ihrer unteren Fläche eine Rinne enthält, die un-
mittelbar mit der vorderen oder oberen Abtheilung des Canalis
zu communiciren scheint. Während sie sich bei dem männlichen
Geschlechte immer mehr vergröſsert und zum Penis wird, bleibt
hier ihr Wachsthum relativ stehen, und ihre Volumenvermehrung
[423]Aeuſsere Sphäre der Harn- und Geschlechtsorgane.
ist jetzt fast nur eine absolute. Unterdeſs vermehrt sich auch
das Schleimgewebe unter der Haut an der äuſseren Mündung des
Canalis uro-genitalis, doch nicht in dem Grade, wie bei den
Männern, wo beide Hälften an einanderstoſsen und den Hodensack
darstellen. Die Spalte bleibt vielmehr offen und die wulstigen
Hautränder bilden auf jeder Seite die äuſseren Schaamlippen.
Nun hat sich aber, während dieses geschah, der hintere, der äuſse-
ren Mündung nahe Theil des Canalis uro-genitalis verlängert,
und die Klitoris, welche an den Schaambeinen festsitzt, wird daher
von Schaamlippen gänzlich bedeckt. Sobald diese so in das Innere
der Scheide hineingezogen worden, bildet sich, wie Rathke gesehen
und ich aus dem Schweine bestätigen kann, an dem oberen Ende
der Scheidenspalte ein kleiner sie halb verdeckender Hauptlappen,
welcher später wieder schwindet. Nicht minder wichtige Ver-
änderungen sind aber während dieser Zeit mit dem vorderen
(oberen) Theile des Canalis uro-genitalis vorgegangen. Es hat
sich nämlich die Harnröhre als eine unmittelbar verdünnte Fort-
setzung des Körpers der Harnblase von dem Canalis abgesondert
und liegt als ein schmales, cylindrisches und kürzeres Rohr ober-
halb desselben (vor demselben). Wahrscheinlich geschieht dieses
durch eine rasch und vielleicht von beiden Seiten her erfolgende
Abschnürung. Doch bin ich über diesen Hergang noch ungewiſs.
Sobald die Trennung vollendet ist, findet man, wie z. B. bei 4
—6″ langen Schweineembryonen, folgendes Verhältniſs: Exente-
rirt man, was bei beiden Geschlechtern überaus leicht geschieht,
die Viscera uropoetica und genitalia und schneidet man die
untere (hintere) Wand des Canalis uro-genitalis der Länge nach
auf, so kommt man, von der äuſseren Mündung ausgehend, in ei-
nen ziemlich weiten cylindrischen Kanal, welcher endlich vorn
(oben) etwas nach unten (hinten) umbiegt und sich in den Frucht-
hälter unmittelbar fortsetzt. An der Umbiegungsstelle liegt eine
andere kleine Oeffnung, welche in ein ziemlich langes, aber um
vieles engeres Rohr, die Harnröhre, führt. Wir wollen den Theil,
welcher von der äuſseren Oeffnung bis zu der Mündung der Harn-
röhre reicht, Scheideneingang, den Theil dagegen von der Mün-
dung der Urethra bis zu dem hintersten (untersten) Ende des
Fruchthälters Scheidengewölbe im engeren Sinne nennen. Der
Scheideneingang ist um diese Zeit noch verhältniſsmäſsig sehr
weit. Allein auch er scheint bald nicht mehr relativ an Gröſse
[424]Von dem Embryo.
zuzunehmen, ja sogar sich zu verkürzen. An dem Scheidengewölbe
dagegen sondert sich der Vaginaltheil der Gebärmutter deutlicher
und bestimmter ab. Die Unebenheiten der inneren Oberfläche
erscheinen schon sehr frühzeitig; sie werden selbst als Ansamm-
lung dichterer und daher dunkeler Massen schon angelegt, sobald
die Abschlieſsung der Harnröhre begonnen. So viel über die all-
gemeinen Verhältnisse der äuſseren Sphäre der weiblichen Geni-
talien, wie sie bei den Säugethieren sowohl, als bei dem Men-
schen leicht beobachtet werden können. Man sieht, daſs diese
aus eigenen Erfahrungen gewonnenen Resultate fast nur Bestä-
tigungen der Beobachtungen von Tiedemann, Joh. Fr. Meckel, J.
Müller und vorzüglich von Rathke sind. Nun sey es uns nur noch er-
laubt, einige specielle Data, die vorzüglich den Menschen betreffen,
hier anzureihen. Wir folgen hierin besonders J. Fr. Meckel, welcher
an dem Menschen die meisten Untersuchungen angestellt hat. Nach
ihm (menschl. Anat. IV. S. 591.) ist der Uterus bis zum Ende des
dritten Monates zweihörnig und erweitert sich am Ende des vier-
ten Monates, um den Fundus zu bilden. Während des ganzen
Fruchtlebens und noch später finden sich auf der inneren Ober-
fläche der Gebärmutter Runzeln, welche gegen die Mündungen
der Trompeten zu convergiren. Der äuſsere Muttermund erscheint
als ein kleiner Vorsprung der Gebärmutter in die Scheide, der
sich jedoch so sehr vergröſsert, daſs in der letzten Zeit des Fö-
tuslebens die portio vaginalis gröſser ist, als späterhin. Sie ist
anfangs uneben, faltig und ungleich, wird späterhin glatt, so daſs
der Muttermund zuletzt als eine einfache quere Spalte erscheint (S.
592.). Der Canalis uro-genitalis ist, wie J. Müller (Bildungsgesch.
der Genitalien S. 88.) gezeigt hat und ich selbst bestätigen kann,
ein Gang, welcher eben so gut den Harn- als den Geschlechtsor-
ganen angehört. Später trennt er sich in die obere (vordere)
noch verhältniſsmäſsig sehr weite Harnröhre und die ziemlich
lange und weite Scheide (vergl. die Abbildung. bei Joh. Müller
l. c. tab. IV. fig. 9. c.), so daſs man dann einen einfachen Kanal
hat, welchen Joh. Müller (l. c. S. 89.) Aditus uro-genitalis
nennt, der sich oben in die nach vorn gehende Urethra und das
nach hinten gehende Scheidengewölbe spaltet. Dieses letztere
vergröſsert sich nun immer mehr auf Kosten der ersteren, so daſs
indem zugleich Uterus und Scheide sich nach vorn (oben) be-
stimmter sondern, das Scheidengewölbe die Oberhand über die
[425]Aeuſsere Sphäre der Harn- und Geschlechtsorgane.
enge und kurze Harnröhre gewinnt und der Aditus uro-genitalis,
indem er sich zugleich relativ noch zu verkürzen scheint, zum
Aditus vaginae sich umwandelt. Nach Meckel (l. c. S. 596.)
erscheint in dem fünften Monate an der vorderen (oberen) und
hinteren (unteren) Fläche der Scheide eine Längenerhabenheit,
welche durch viele bald sich hinzugesellende Querfalten ungleich
wird. Diese verbreiten sich durch andere, in schräger Richtung
verlaufende, verbunden durch die ganze innere Oberfläche der
Scheide. Sie erscheint daher als ein zusammengesetztes Netz,
welches dadurch noch ungleicher wird, daſs die Falten wiederum
vielfach eingeschnitten und gefranzt sind. Der eben geschilderte
Zustand ist im siebenten und achten Monate am deutlichsten zu
erkennen. Die Falten verkleinern sich nun, und sind schon bei
dem Neugeborenen weniger deutlich und bestimmt wahrzuneh-
men. Die Scheide selbst ist anfangs sehr eng, im siebenten bis ach-
ten Monate aber unstreitig relativ weiter, als in irgend einer Lebens-
periode. Die Scheidenklappe (S. 597.) findet sich erst in der
zweiten Hälfte der Schwangerschaft. Der Kitzler ist im An-
fange des dritten Monates über eine Linie lang und eine halbe
Linie dick. Er erigirt sich nie sehr gegen den Nabel. Die Eichel
(S. 598.) ist bis in der Mitte des vierten Monates unbedeckt.
Rasch wächst nun die Vorhaut über sie hinweg, indem sich gleich-
zeitig die inneren Lefzen hervorbilden. Die äuſseren Schaamlip-
pen bedecken (S. 599.), je jünger die Frucht ist, den Kitzler und
die inneren Schaamlippen um so weniger.


Endlich müssen wir hier noch auf einen Punkt wenigstens
aufmerksam machen, welchen wir weiter unten nochmals zu be-
rühren Gelegenheit haben werden. Man hat nämlich über das
Geschlecht der Frucht vielfach gestritten und glaubte endlich in
den ersten beiden Jahrzehenden dieses Jahrhunderts zu dem Re-
sultate gelangt zu seyn, daſs alle Früchte zuerst weiblich seyen,
und daſs aus dem weiblichen Typus sich allmählig erst bei den
dazu bestimmten Individuen der männliche hervorbilde. Man
meinte für diesen Satz die deutlichsten Belege aus der Erfahrung
selbst gefunden zu haben und gerade die äuſseren Genitalien ge-
ben nicht wenige scheinbare Gründe für diese Ansicht dar. Al-
lein geblendet von diesem Vorurtheile hatte man einiger bei ober-
flächlicher Betrachtung sich ergebenden Aehnlichkeit halber alle
frühzeitigen Früchte, in denen man das Geschlecht nicht mit Be-
[426]Von dem Embryo.
stimmtheit zu erkennen vermochte, für weibliche erklärt, wozu
besonders der Umstand verleitete, daſs die äuſsere Oeffnung des
Canalis uro-genitalis als Schaamöffnung, das einfache äuſsere
Geschlechtsglied als Penis gedeutet wurde. Allein genauere Un-
tersuchungen muſsten auch hier bald den Irrthum aufhellen und
so gelangte man vorzüglich durch die Bemühungen von Rathke,
Burdach und besonders Joh. Müller dahin, daſs man einsah, daſs
ein Typus oder vielmehr dasjenige, welches wir weiter unten die
Uridee nennen werden, in beiden Geschlechtern wiederkehre und
sich bei dem Männchen nur in einer anderen Richtung ausbilde,
als bei dem Weibchen, daſs man daher eben so wenig eine
Frucht vom Anfange an geschlechtslos, als in ihrer Geschlechts-
sphäre so ausgebildet nennen kann, wie es späterhin der Fall ist.
Mehreres hierüber siehe unten in den Fragmenten zu einer Ge-
setzlehre der Entwickelungsgeschichte.


Wahrscheinlich mit noch mehr Recht als die Geschlechtstheile
selbst, gehören zu dem Gefäſsblatte die Blutdrüsen und vielleicht
auch das System der lymphatischen Drüsen und der Lymphge-
fäſse. Allein da ihr erstes Sichtbarwerden in eine spätere Zeit
fällt, als die drei Blätter der Keimhaut durch unmittelbare An-
schauung von einander unterschieden werden können, überdieſs
manche von ihnen, wo nicht alle mit dem Schleimblatte in die
innigste Berührung kommen, so halten wir es für zweckmäſsiger,
sie bei diesem an den passenden Stellen und in Verbindung mit
den immer dazugehörenden ausführenden Drüsen abzuhandeln.
Ueberdieſs könnte ihre Geschichte hier nur noch unvollständig
erzählt werden und müſste daher gröſstentheils nothwendiger
Weise unverständlich seyn.


III. Schleimblatt.


Das Schleimblatt ist das unterste von drei Blättern der
Keimhaut und liegt daher der Oberfläche des Dotters am näch-
sten. Auſserdem hat der Umkreis seines Hofes, des Dotterhofes,
den gröſsten Radius und reicht unter dem Frucht- und Gefäſshofe
über diese beiden hinaus. Der Gegensatz zwischen centralem
Embryonaltheil und excentrischem Hüllentheil, mangelt ihm eben
so wenig, als den beiden übrigen Blättern der Keimhaut. Nur
wird er hier später, als bei diesen deutlicher marquirt und ist daher
zuerst minder leicht kenntlich. Die Individualisirung des Embryo-
[427]Darm und Gekröse.
naltheiles giebt sich hier nur durch zwei aus einem Acte hervor-
gehende Momente zu erkennen, nämlich durch Elevation und
Abschnürung. Dieses ist aber nur dadurch möglich, daſs er sich
in ein röhrenförmiges Gebilde umwandelt. Da auch das Schleim-
blatt in seinem centralen Theile in eine Epidermisschicht und
eine Substanzschicht wahrscheinlich zerfällt, so entsteht zuerst
auſser den Anlagerungen der Epidermisschicht an die innere Ober-
fläche des unteren Centralrohres des serösen Blattes und die obere
Fläche der Substanzlage des Schleimblattes selbst eine Rinne der
Epidermisschicht, deren beide Seitenwände mit einander zu dem
Gekröse verwachsen. Die Substanzlage des Schleimblattes (ver-
bunden mit einem Theile der Epidermislage desselben) schlieſst
sich zu einem Rohre, welches den allergröſsten Theil des zukünf-
tigen tractus intestinorum darstellt. Dieses wäre die primäre
Bildung des Schleimblattes, an dessen Darstellung wir noch die
Genese zweier vielleicht z. Thl. hierher gehörender Organtheile an-
knüpfen werden, nämlich des Zwergfelles und des sympatischen Ner-
ven. Auſserdem entsteht aus dem primär gebildeten Darmrohre
eine Reihe secundärer Bildungen, welche sich auf folgende allge-
meine Gesichtspunkte reduciren lassen. a. Einfurchungen des se-
sösen Blattes nach dem Schleimblatte hin, welche dieses an be-
stimmten Stellen endlich erreichen und sich mit ihm in unmittel-
bare Continuität setzen. Aeuſsere Nase, Mund, Kiemenspalten, After.
b. Blastematische Ausstülpungen, Kehlkopf und Lungen. Anhang.
Schilddrüse, Thymus und Drüsen des Halses. Leber. Anhang. Milz
und lymphatische Drüsen. Speicheldrüsen. c. Eine membranöse
Ausstülpung, welche über den Embryonalkörper hinauswächst und
eines Theils zu einem persistirenden Gebilde, anderseits zu ver-
gänglichen Fötaltheilen wird, die Allantois.


1. Primäre Metamorphose des Schleimblattes.
Darmrohr und Gekröse
.


Aus leicht erhellenden Gründen schicken wir auch hier eine
kurze Darstellung der frühesten Entstehung und Bildung des
Darmkanales, wie man diese beim Hühnchen beobachtet hat, vor-
aus. Der erste, welcher mit unermüdlicher Geduld und gröſst
möglicher Unbefangenheit diesen Gegenstand verfolgt hat, war
C. Fr. Wolff. Seine Beobachtungen (de formatione intestino-
[428]Von dem Embryo.
rum in Nov. Comment. Petrop. Tom. XII. und Tom. XIII.)
wurden vorzüglich in den Jahren 1764—66 veranstaltet. Allein
man berücksichtigte sie weniger, als sie es verdienten, so daſs sie
ausgezeichneten Männern, welche über diesen Hergang bei Säuge-
thieren schrieben, unbekannt blieben. Erst J. Fr. Meckel (C. F. Wolff
über die Bildung des Darmkanales in bebrüteten Hühnchen, übers.
von J. Fr. Meckel. 1812. 8.) zog diese trefflichen Abhandlungen
aus demStaube der Bibliotheken hervor. Die in diesen Schriften
enthaltenen Beschreibungen umfassen einen Schatz genauer Beob-
achtungen, welche die unterdeſs oder bald nachher erschienenen
Versuche von Tiedemann, Nicolai, Niemeyer u. A. weit hinter
sich lieſsen. Nur drei Momente sind an ihnen auszusetzen, wo-
durch sie minder brauchbar werden, wie v. Bär schon aufmerk-
sam gemacht hat. 1. Die unendliche, ermüdende Wiederholung,
welche mehr zu verwirren, als aufzuklären vermag. 2. Die In-
constanz der Ausdrücke für die zu bezeichnenden Gegenstände,
die Meckel zum Theil in seiner Uebersetzung noch vermehrt hat
und 3. der Mangel der Unterscheidung der drei Blätter. Denn
er spricht nur von einer oberen Haut, unserer Dotterhaut, und
einer unteren Membran, unserer Keimhaut überhaupt. Ueber den
Werth dieser Abhandlungen, so wie über den der übrigen Schrif-
ten Wolffs hoffen wir in einer eigenen Uebersetzung seiner
Schriften noch ausführlicher und specieller zu handeln. Durch
die Pandersche Arbeit (Beiträge zur Entwickelungsgeschichte des
Hühnchens im Eie. 1817. fol.) wurde die Entstehung des Darm-
kanals durch die specielle Nachweisung, daſs er dem Schleimblatte
angehöre, in helles Licht gesetzt. v. Bär aber (über Entwicke-
lungsgeschichte, Beobachtung und Reflexion. 1828. 4. und in Bur-
dachs Physiol. 1828. 8.) hat die Entstehung des Darmrohres so
klar beschrieben, daſs im Wesentlichen wohl kein Irrthum nach-
zuweisen seyn dürfte. Nur gegen die Entstehung des Gekröses könn-
ten sich einige gegründete Einwendungen machen lassen. Da uns aber
jetzt (mitten im Winter) keine frischen Hühnerembryonen zu Ge-
bote stehen, um dasjenige, welches wir bei früheren anderen Un-
tersuchungen hierüber unvollständig gelassen hatten, von Neuem
aufzunehmen und zu vollenden, so halten wir es für zweckmäſsi-
ger, vorläufig auch in der Darstellung der Genese des Gekröses
von Bär zu folgen. Indeſs können wir jedoch die Bemerkung
nicht unterdrücken, daſs nach seiner Darstellung die Entstehung
[429]Darm und Gekröse.
des Theiles des Peritoneum, welches die innere Oberfläche des unte-
ren Centralrohres bekleidet, unerklärt bleibt, ja kaum genügend er-
klärt werden könnte. Die Scheidung des Embryonaltheiles der Keim-
haut von dem Hüllentheile giebt sich zuerst durch Abschnürung
zu erkennen. Sobald diese in dem serösen Blatte begonnen und
etwas vorgeschritten ist, senkt sich der Embryo in die peripheri-
sche Partie des serösen Blattes ein, und diese selbst schlägt sich
über ihn herum (siehe oben S. 277.). Da diese Umschlagung aber vorn
zuerst geschieht, so entsteht hier in der ersten Hälfte des zwei-
ten Tages an der unteren Fläche der Frucht eine Höhlung, welche
durch das Schleimblatt gebildet wird. Diese Höhlung ist zuerst
dicht hinter der vorderen Umbeugung des serösen Antheiles des
Embryo blind geendigt, und geht nach hinten an dem Anfange
der Umschlagsstelle in den Raum über, welcher sich zwischen
Dotteroberfläche und unterer Fläche des Scheimblattes befindet.
Wolff (über Bild. d. Darmkan. S. 118. u. a. m. O.) nannte diese
Höhlung fovea cordiaca, Magen- oder Herzgrube nach Meckel,
zweckmäſsiger dagegen belegte sie v. Bär (über Entw.gesch. S.
27. bei Burdach S. 256.) mit dem Namen des vorderen Eingan-
ges in den Speisekanal. Während sich nun am Ende des zwei-
ten Tages die Kopfkappe nach hinten zu verlängert, entsteht zu-
gleich nach hinten die Schwanzkappe und mit ihr ebenfalls eine
Grube des Schleimblattes; um diese Zeit ist auch schon die Ab-
schnürung des Keimblattes von allen Seiten eingeleitet (über
Entw.gesch.S. 37. bei Burdach S. 267.); denn die Bauchplatten, wel-
che mit ihren äuſseren Rändern sich etwas nach unten neigten, fah-
ren in dieser convergirenden Richtung fort. Die Trennung in ihre den
verschiedenen Lagen entsprechenden Blätter beginnt jetzt auch
deutlicher zu werden. Es scheidet sich nämlich eine obere Lage
(seröses und Gefäſsblatt) von einer unteren (Schleimblatt) ziemlich
rasch, so daſs die Anlagerung an den beiden Bauchplatten des
serösen Blattes aufhört, die an die innere Fläche der Wirbelsäule
dagegen verharrt. Indem sich nun das Schleimblatt immer nach
unten wölbt, an der Wirbelsäule aber angeheftet bleibt, so muſs
der gelöste innere Rand der (früheren) Anheftung sich senkrecht
stellen und dann als ein dunkler, von der Wirbelsäule ausgehen-
der Streifen erscheinen (über Entw.gesch. S. 40. bei Burdach S.
271.). Er verdickt sich nun und sondert sich sowohl durch einen
Winkel von dem serösen, als durch einen Winkel von dem nicht
[430]Von dem Embryo.
verdickten Theile des Gefäſsblattes. Der verdickte Streifen zwi-
schen beiden Winkeln ist eine Gekrösplatte. Anfangs sind die
beiden unteren dem übrigen Schleimblatte näheren Winkel von
einander entfernt und es entsteht daher zwischen beiden Leisten
eine Rinne oder ein Halbkanal, Wolffs Darmrinne. Indem nun
die beiden unteren Winkel immer näher an einander rücken,
schlieſst sich hier die Rinne und so entsteht Wolffs Nath. Wäh-
rend dies geschieht, und so die beiden Gekrösplatten an einander
treten, schieben sie das Schleimblatt vor sich, so daſs dieses nach
vollendeter Schlieſsung nicht mehr zwischen, sondern unter ihnen
befindlich ist; zwischen ihnen liegt vielmehr dann nur ein An-
theil des Gefäſsblattes (über Entw.gesch. S. 43. bei Burdach S.
272.). Nun rückt die Verwachsung der Gekrösplatten von vorn
(unten) nach hinten (oben) vor und wird im Laufe des dritten
Tages im Allgemeinen vollendet. Es entsteht ein Gekröse, wel-
ches um diese Zeit zuerst gleichmäſsig von dem vordersten bis
zu dem hintersten Ende des Darmrohres verläuft, bald jedoch et-
was hinter der Mitte des Rumpfes rascher wächst, als in der
übrigen Länge. Nach der Schlieſsung der Nath erhebt sich jeder-
seits ein Streifen des Gefäſs- und Schleimblattes, welche Streifen
in der Mittellinie an der Nath des Gekröses zusammenstoſsen und
einen Halbkanal, das noch offene Darmrohr, darstellen. Die bei-
den Streifen nennt B. Darmplatten und die zwischen ihnen be-
findliche Rinne Darmrinne. Indem nun die Enden der Kopf- und
Schwanzscheide mehr einander entgegen rücken und das Schleim-
blatt immer mehr dadurch in den Embryo hineingezogen wird,
schlieſst sich die Darmrinne vorn sowohl, als hinten zu einem
wahren röhrigen Gebilde. So hat am Ende des dritten Tages
nur ein Drittheil des Speisekanales die Form einer Rinne, wel-
chen Theil Wolff den Mitteldarm nennt (üb. Entw.gesch. S. 44
—46. bei Burdach S. 273—76.). Am folgenden Tage stellen
sich Rachenhöhle, Speiseröhre, Zwölffingerdarm und Magen geson-
derter dar (über Entw.gesch. S. 60. bei Burdach S. 290.). Die
Darmrinne schlieſst sich an diesem und dem folgenden Tage im-
mer mehr, indem die Kopf- und Schwanzkappe nebst den Seiten-
kappen immer näher an einander rücken und so der Nabel durch
Schlieſsung der Bauchplatten gebildet wird. Nur ein kleiner Theil
des Darmes hat noch die Form einer Rinne und selbst dieser schon an
beiden Seiten gewölbte Wandungen. Durch die oben beschriebene
[431]Darm und Gekröse.
Trennung der Bauchplatten in eine obere und untere Lage war der
erste Antrieb zur Entstehung der Bauchhöhle gegeben. Sie ist daher
Anfangs jederseits offen und wird um so mehr geschlossen, je mehr
der Nabel sich ausbildet, indem zugleich die Trennung immer
fortschreitet und das Gekröse sich vergröſsert (Entw.gesch. S. 68.
bei Burdach S. 298.). Der Speisekanal ist an dem vierten Tage
noch ganz gerade. Nur der mit der offenen Rinne versehene
Theil liegt tiefer, indem sich hier das Gekröse vergröſsert hat.
In dem vorderen Eingange liegt nach vorn die Rachenhöhle, hin-
ter dieser die kurze Speiseröhre und hinter ihr eine Erweiterung
der noch in der Längenaxe befindliche Magen, zuletzt endlich
das duodenum, welches sich erweiternd in den vorderen Eingang
der Speiseröhre ausläuft. Diese Rinne ist ⅓ Linie lang. Im hin-
teren Theile des Speisekanals findet sich der dicke Darm nebst
seinen beiden Blinddärmen und der von ihm sonst nicht unter-
schiedene dünne Darm (üb. Entw.gesch. S. 70. bei Burdach S.
300.). Die Lücke im Gekröse hat sich indeſs verengt (üb. Entw.
gesch. S. 71. bei Burdach S. 301.). Am fünften Tage gewinnt
nun das Gekröse in der Mitte an Ausdehnung, so daſs die beiden
Darmhälften mit einander einen scharfen Winkel gegen den Dot-
tergang (den verengerten Nabel) machen. Die übrigen Theile des
Darmkanales individualisiren sich immer mehr (üb. Entw.gesch.
S. 80. bei Burdach S. 312.). Es scheidet sich der Vormagen
von dem Magen. Der Darm bildet hinter dem Magen eine den
Zwölffingerdarm enthaltene Schlinge und hinter dieser eine zweite
Schlinge, welche aus zwei gleichen, einfachen Bogen besteht.
Der erstere ist der vordere Theil des Dünndarmes, und der Dick-
darm, an welchem sich jetzt rasch die Blinddärme weiter ent-
wickeln (üb. Entw.gesch. S. 96. bei Burdach S. 325.). Nun ver-
längert sich die vordere Hälfte des Dünndarmes, so daſs ihr Bo-
gen nicht mehr einfach bleiben kann, der dicke Darm dagegen
ist viel weiter, als die dünnen Gedärme. Am Halse bildet sich
der Kropf als eine blasige Erweiterung (üb. Entw.gesch. S. 111.
bei Burdach S. 340. 41.). Endlich scheiden sich die einzelnen
Theile des Darmkanales noch deutlicher von einander und bilden
auch an ihrer inneren Fläche, Unebenheiten, so wie in sich ihre
verschiedenen histiologischen Charaktere vollständiger aus.


Es entsteht nun zuvörderst die Frage, welches ist bei den
Säugethieren der analoge Theil, aus dem die primäre Bildung des
[432]Von dem Embryo.
Darmrohres hervorgeht, oder wie ist die Conformation des Schleim-
blattes in der höchsten Thierklasse bei den ersten Momenten der
Entwickelung beschaffen. Da es an Beobachtungen der Säugethier-
embryonen der allerersten Zeit der Entwickelung gänzlich fehlt,
die Zahl derselben aus den frühsten Stadien der Evolution,
besonders solcher, welche mit Sicherheit zu wissenschaftlichen
Resultaten zu benutzen sind, gering ist, so ist natürlich den Con-
jecturen hier das Feld geöffnet. Daher wird auch eine Reihe sich
vielfach widersprechender Angaben gefunden, welche weniger,
wiewohl auch zum Theil auf differenten Erfahrungen beruhen,
als darin ihren Grund haben, daſs man von bestimmten gesehenen
Stadien einer frühen Entwickelung auf verschiedene Weise rück-
wärts schloſs. Man muſs aber hier zwei Ansichten unterscheiden,
aus welchen die hauptsächlichsten Angaben hervorgingen. Die
einen nämlich, welche nur dasjenige annahmen, was sie aus spä-
teren Stadien der Entwickelung wirklich gesehen hatten, wurden
von manchen unläugbar hier sich zeigenden Eigenthümlichkeiten
so geblendet, daſs sie die spezielle Analogie mit dem Vogel we-
niger berücksichtigten, als sie es in der That verdiente und ihre
freilich frühen Embryonenbildungen für früheste auszugeben kei-
nen Anstand nahmen. Andere dagegen verfielen in ein anderes
Extrem. Sie parallelisirten, bewuſst oder unbewuſst, den Vogel
mit dem Säugethiere in dieser Rücksicht völlig, und sprachen
daher mit Bestimmtheit Sätze aus, welche jedenfalls unbegründet,
zum Theil aber auch ganz falsch waren. Als einer mittleren
und wahreren Richtung angehörig kann endlich die Zahl derjeni-
gen angesehen werden, welche die Aehnlichkeiten sowohl als die
Verschiedenheiten zwischen Vögeln und Säugethieren in Betrach-
tung zogen und so weder den allgemeinen Typus noch die spe-
ziellere Individualität unberücksichtigt lieſsen.


Vor Allem ist es hier zu bestimmen nothwendig: Welches
ist der Dotter der Säugethiere? Wie er in dem Eie sich ver-
halte, ist schon oben abgehandelt worden. Wir müssen aber hier
den Faden von Neuem wieder aufnehmen, um zur klaren Einsicht
dieses Verhältnisses zu gelangen. Bei den Vögeln, so wie bei
den niederen Thierklassen ist der Dotter die Nahrungsflüssigkeit
der Frucht und zwar der gröſste Theil derselben, indem ein im
Ganzen geringerer Antheil von Ernährungsstoffen durch die Res-
piration des Eies hinzugefügt wird. Nicht so bei den Mamma-
lien.
[433]Darm und Gekröse.
lien. Hier ist früher die Ei- und später die Fötusrespiration nicht
blos wesentlicher Charakter der ganzen Thierklasse, sondern das
vorzüglichste Vehicel zur Ausbildung und dem Wachsthume der
Frucht. Wenn sie daher in den niederen Thierklassen nur acces-
sorisch und mehr neben der Dotterassimilation auftrat, so über-
wiegt sie bei den Säugethieren und dem Menschen diese so sehr,
daſs die Letztere vielleicht nur in der allerfrühesten Zeit von
bedeutenderer Wichtigkeit ist. Dieses sowohl, als die frühere
selbstständige Stellung des Säugethier- und Menschenembryo,
sind aber zwei wesentliche Momente, welche groſse Differenzen
hervorzubringen im Stande sind und in der That auch bald her-
vorbringen. Denn wenn in den niederen Thierklassen der Dot-
ter mit der Leibesmasse des Embryo in enge oder engste Berüh-
rung tritt, zuletzt sogar in dieselbe aufgenommen wird, so ist
hier das Verhältniſs gerade das umgekehrte. Wahrscheinlich
schon während oder bald nachdem der centrale Theil des Schleim-
blattes sich abschnürt, fliehen sich Embryo und Dotter und zwischen
beiden zieht sich ein immer länger und dünner werdender Communi-
cationskanal aus. Hiermit schwindet auch jede höhere unvermittelte
Thätigkeit des Dotters. Er verzehrt sich, die Wandungen seiner
Blase fallen zusammen und der Dottersack mit seiner Verbindung
liegt als ein mehr oder minder unansehnliches Gebilde zwischen
den anderen schon so bedeutenden Ei- und Fötushüllen, vorzüg-
lich zwischen Chorion und Amnion. Wahrscheinlich hat in der
Klasse der Säugethiere und in dem Menschen der Dotter nur so
lange wesentlichen und bedeutenden Einfluſs auf die Ernährung
und das Wachsthum des Embryo, als das Ei lose in den Tuben
oder dem Fruchthälter liegt und mit den Wandungen des letzte-
ren noch nicht in jene unmittelbare innige Berührung getreten ist,
welche wesentliche Eigenthümlichkeit des Fruchtlebens der Säuge-
thiere genannt werden kann.


Das auſser der Allantois vorkommende rundliche, durch einen
mehr oder minder langen Strang mit dem Embryo verbundene
Gebilde, welches später zwischen Chorion und Amnion sich be-
findet, nennt man bekanntlich Nabelblase, Vesicula umbilicalis,
allgemein bei dem Menschen. In der Klasse der Säugethiere hat
man dieses Organ zum Theil auch mit dem Namen der vesicula
erythroides
bezeichnet (über Pockels Vesicula erythroides bei
dem Menschen siehe oben Abschnitt Ei S. 134—136.). Es kom-
28
[434]Von dem Embryo.
men hier aber folgende Momente in Betracht. a. Der Inhalt des
Dotters. b. Die Verbindung mit dem Fötus und c. die Natur
der Wandungen oder Hüllen.


a. Der Inhalt des Nabelbläschens, der Dotter. — Die mei-
sten Naturforscher, welche sehr frühe Eier der Säugethiere und
des Menschen zu untersuchen Gelegenheit hatten, haben doch in
ihrer Ausbildung schon zu weit vorgerückte Früchte vor sich
gehabt, als daſs sie den Embryo mit dem Dotter in unmittelba-
rem Zusammenhange noch befindlich hätten sehen können. K.
E. v. Bär war hierin der glücklichste und auch bis jetzt der ein-
zige, der das den Vögeln völlig analoge Verhalten des Säugethier-
embryo in allerfrühester Zeit zu beobachten Gelegenheit hatte
Er sah nämlich (de ovi mammalium et hominis Genesi. 1827.
4. p. 2.) bei vier Linien langen Hundeembryonen den Embryo
auf dem groſsen Dottersacke, Darmsacke, Vesicula umbilicalis
s. erythroides
völlig aufliegen, gerade so wie es bei dem Hühn-
chen am zweiten bis dritten Tage der Fall ist. Der Dotter selbst
war gelblich, die denselben umkleidende und einschlieſsende Haut
war gelblich und an ihrer inneren Oberfläche ungleich zottig (Bur-
dachs Physiol. II. S. 484.) und mit Körnern bestreut (Bär de ovo l.
c.). Früher noch, als die Dottermasse selbst sich bedeutend verrin-
gert, scheint schon die Trennung des Embryo von dem Dotter-
sacke, wenigstens bei mehreren Säugethieren, zu beginnen. Die
Masse selbst ist dann dem Aeuſseren nach dem Dotter zwar nicht
unähnlich, scheint aber auſser der vielleicht schon ursprünglich
existirenden Differenz neue rasche und bedeutende Veränderungen
einzugehen. So bemerken Emmert und Burgätzky (Meck. Arch. IV.
S. 18.), daſs die Flüssigkeit der Darmblase arm an thierischen
Stoffen sey und keine dem Dotter ähnliche Substanz enthalte,
während in dem Dottersacke der Vögel gerade das Entgegenge-
setzte der Fall ist. Emmert und Hochstetter fanden in einem
Katzenembryo von acht Linien Länge den flüssigen Inhalt der
Darmblase gelb von Farbe und von salzigem Geschmacke. Mit
Weingeist trübte er sich und nach dem Abdampfen lieſs er einen
bräunlichen Rückstand zurück (Reils Arch. X. S. 54.). Auch bei
Hunden war er gelblich und gerinnbar. Jedenfalls aber weicht die
Flüssigkeit der Darmblase von dem der übrigen Ei- und Frucht-
hüllen wesentlich ab (ebendas. S. 53.). J. Hunter (Anat. des
schwangeren Uterus übers. von Froriep 1802. S. 68.) fand in der
späteren Periode des menschlichen Darmbläschens eine rahmähn-
[435]Darm und Gekröse.
liche, leicht bewegliche Flüssigkeit; Pockels (Isis 1825. S. 1346.)
in der Vesicula umbilicalis des Menschen eine klare Flüssigkeit,
welche sich durch Weingeist nicht trübte. Nach Velpeau (Heu-
singers Zeitschr. der organ. Physik II. S. 80.) ist diese blaſsgelb
undurchsichtig, von der Consistenz einer etwas dickeren Emulsion
bald flüssiger und heller, bald dicker und undurchsichtiger. Bis-
weilen enthält sie geronnene Klumpen, dem gekochten in einer
wenig gefärbten Flüssigkeit schwimmenden Dotter der Hühnereier
nicht unähnlich. Joh. Müller (de ovo humano p. 13. Meckels
Arch. 1830. S. 430.) sah das Nabelbläschen in einem fünf Linien
langen Embryo mit einer weiſsen dichten Materie gefüllt. — Wir
selbst haben in sieben bis achtwöchentlichen menschlichen Früch-
ten, welche längere Zeit schon im Weingeist aufbewahrt waren,
eine geringe Quantität einer gelblichen, körnigen Masse gefunden,
welche unter dem Microscope wie gekochter Dotter nur entfernt
aussah. Jedenfalls dürfte sich aus den bisherigen sicheren, aber
sparsamen Erfahrungen so viel ergeben, daſs der Dotter der Säuge-
thiere zwar functionell in frühester Zeit dem Dotter der Vögel gleich
ist, in seiner äuſseren und chemischen Beschaffenheit dagegen auf
eine eigenthümliche und wesentliche Weise von diesem abweicht.
Mehreres hierüber siehe oben in dem Abschnitte von dem Eie.


Die Existenz des Nabelbläschens ist allen Säugethieren
gemein. Doch war auch diese Behauptung Gegenstand des
Streites. Was den Menschen betrifft, so erklärte es Osian-
der (Salzb. medizin. chirurg. Zeit. 1814. S. 415.) für eine krank-
hafte Erscheinung und bald nach ihm läugneten Döllinger und
Samuel (de ovorum mammalium velamentis. 1816. 8. p. 82.)
seine Anwesenheit in der Klasse der Wiederkäuer. Allein alle
nachfolgenden Beobachter, selbst Döllinger (siehe Meck. Arch. II.
S. 401.) haben später die paradoxe Osiandersche Behauptung nicht
bestätigt gefunden, so daſs wohl jetzt kaum Jemand seyn dürfte,
welcher an der Existenz der Nabel- oder Darmblase in normalen,
sehr frühzeitigen Früchten mit Ernst zweifelte. — Die äuſsere
Form der Darmblase ist bei den verschiedenen Säugethieren ver-
schieden (vergl. Cuvier in Mém. de Muséum d’hist. nat. Tom.
III
. p. 114—138.). So beschreiben sie Emmert und Hochstetter
(Reils Arch. X. S. 56.) bei den Wiederkäuern, wo sie sehr zei-
tig schwindet, als ein dünnes mit vielen Blutgefäſsen durchzoge-
nes Bläschen und Bojanus (Meck. Arch. IV. S. 44.) bei jungen
28*
[436]Von dem Embryo.
Schaafembryonen in ihren Ueberresten als einen länglichen Strang
jederseits, welcher einen Knoten vor (unter) dem Unterleibe bil-
det und dann in diesen eintritt. Doch mag in dem letzteren
Falle vielleicht eine Verwechselung mit der zusammengefallenen
und ihres Inhaltes entleerten Allantois vorgekommen seyn. Da-
gegen bildet sie Carus (Erläuterungstafeln zur vergl. Anat. Hft.
II. 1831. fol. tab. IX. fig. 1. f.) in einer dem menschlichen Nabelbläs-
chen nicht unähnlichen Form aus einem jungen Schaafembryo ab. Bei
Schweinen sahen sie Emmert und Hochstetter (l. c. S. 57.) als
ein länglich rundes, mit gelblicher Flüssigkeit gefülltes Säckchen,
welches später etwas länglicher und zusammengefallen sich zeigte.
Bei Pferden fand sie (l. c. S. 59.) sich von birnförmiger Gestalt,
so daſs ihre Längenaxe mit der der Nabelschnur parallel lief.
Sie enthielt eine gelbliche, dem Ohrenschmalz ähnliche Masse und
hatte auf der Oberfläche viele der Länge nach verlaufende Falten.
In der Katze dagegen ist sie nach ihnen (l. c. S. 61.) bei acht
Linien langen Embryonen in der Mitte bauchigt erweitert, ge-
gen beide Enden verengert und strotzt von Flüssigkeit. Sie
ist gröſser, als der Embryo und liegt in der Längenaxe des Eies.
Bei Hunden hat sie Bojanus (Nov. Act. Ac. N. C. Tom. X. p.
139—152.) als einen länglichen, cylindrischen, in der Längenaxe
des Eies befindlichen und dem Embryo parallelen Sack beschrie-
ben und abgebildet (fig. 4.) und Emmert und Hochstetter (l. c.
S. 63.) beschreiben sie an Hundeembryonen von 5—6 Zoll Länge
als einen 1 Zoll im Querdurchmesser haltenden und in der Mitte
erweiterten, gegen die Enden aber verengerten Sack, welcher schon
bei vier Linien langen Embryonen fast dieselbe Gestalt hatte.
Bei einem reifen Fledermausfötus dagegen fanden sie (l. c. S. 65.)
den Sack zusammengefallen und, wenn er aufgeblasen wurde, von
ovaler gegen die Enden zugespitzter Form. Bei den Nagern end-
lich glaubten sie einen breiten Streif des Chorion dafür halten zu
müssen, und Cuvier (l. c. S. 119.) folgte ihnen hierin nach.
Schon Needham (de formato foetu. 1668. 8. p. 66.) soll diese
Ansicht gehabt haben. Doch scheint mir dieses nicht deutlich
genug aus seinen Worten hervorzugehen. Allein G. R. Trevira
nus (die Erscheinungen und Gesetze des organ. Lebens. Thl. I.
1831. S. 90.) hat auch in dieser Thierklasse ein eigenes Bläschen
entdeckt, welches er für das wahre Nabelbläschen der Nagethiere
hält. (Ueber noch einige Formen der Nabelblase s. Oken Beitr
[437]Darm und Gekröse.
S. 39 fg.) Bei dem Menschen ist es bis jetzt noch nie geglückt,
einen so zeitigen Embryo zu untersuchen, daſs dieser oder viel-
mehr die Keimhaut unmittelbar auf dem Nabelbläschen, dem Dot-
ter, auflag. Am nächsten kommt noch der in der neuesten Zeit
von J. Müller beschriebene Embryo diesem Zustande (vgl. den Ab-
schnitt von dem Eie S. 100. 101.). Man hat es bis jetzt nur immer von
dem Embryonalkörper entfernt und durch einen mehr oder min-
der langen Stiel mit demselben verbunden gesehen. Dieser Letz-
tere ist anfangs kürzer und dicker und verläuft mehr unmittelbar
in die Hüllen des Nabelbläschens, je jünger der Embryo ist. Die
am meisten zur Ansicht zu empfehlenden Abbildungen des mensch-
lichen Nabelbläschens sind folgende: Albini acad. adnott. libr.
I. tab. I. fig
. 12. Hunter anat. uteri h. gravidi tab. 33. fig.
6. tab. 34. fig. I. 2. Wrisberg descr. anat. embr. fig. 2. 3.
Blumenbach specimen physiologiae comparatae fig. 1. Soem-
mering icones embr. hum. tab. I. fig
. 2. Kieser der Ursprung
des Darmkanales aus der vesicula umbilicalis dargestellt im
menschlichen Embryo. 1800. 4. tab. 2. fig. 1—3. Meckel in sei-
nen Beiträgen zur vergl. Anat. tab. 5. und in seinem Archiv III.
tab. 1. Samuel praeside Doellinger de ovorum mammalium
velamentis
. 1816. 8. fig. 1—3. Pockels in der Isis 1825. tab.
XII—XIV. Joh. Müller in Meckels Arch. 1830. tab. XI. fig.
B. A. und vorzüglich fig. 11. und 11 †.


b. Die Verbindung des Nabelbläschens mit dem Embryo gab
zu Verschiedenheiten der Ansichten Veranlassung, welche erst in
der neuesten Zeit ausgeglichen wurden. So viel war ausgemacht,
daſs die Nabelblase an einem Faden hange, der sich an dem Em-
bryonalkörper selbst ansetzt. Allein wie er sich mit diesem ver-
binde und was er eigentlich sey, wurde verschieden berichtet.
1. Nachdem Albinus schon den Faden beschrieben hatte, unter-
suchte ihn Wrisberg (descr. anat. embr. h. p. 19.) in einer zehn-
wöchentlichen Frucht genauer und fand, daſs er genau genommen aus
zwei Fäden bestehe. Diese gelangen mit einander verbunden in den
Nabelstrang und sind so lange spiralig gedreht, als sie von dem End-
punkte des Nabelbläschens aus mitten im Nabelstrange verlaufen,
sobald dieser sich aber in den Bauch inserirt, weichen sie aus-
einander, und verlaufen getrennt zwischen den Windungen der
in dem Nabelstrange z. Th. noch enthaltenen Gedärme. Der eine
Faden inserirt sich in das Mesenterium, der andere in die Membran,
[438]Von dem Embryo.
welche das duodenum da umgiebt, wo das Pancreas sich mit ihm
verbindet. Späterhin (s. Hallers Grundriſs der Physiol. übers. v.
Leveling Bd. 2. S. 677.) gelang es Wrisberg das früher Gesehene
zu bestätigen und bei Injection des einen Embryo das kleine Fäd-
chen mit zu füllen. Es war eine aus dem Netzgefäſse in den
Nabelstrang verlaufende Arterie, welche sich mit feinen Zweigen
in das Zellgewebe und über das Bläschen verbreitete. Lobstein
(üb. die Ernährung des Fötus übers. von Kastner. 1804. S. 63.)
erklärte hierauf bestimmt, daſs die Verbindung des Nabelbläschens
mit dem Fötus nichts als verwachsene oder offene Blutgefäſse
seyen. 2. Die Selbstständigkeit des Verbindungsfadens hatte
W. Hunter (Anat. des schwangeren Uterus S. 68.) gewissermaſsen
schon durch seine Beobachtung vindicirt, daſs die in dem Nabel-
bläschen enthaltene Flüssigkeit durch Druck sich in den Faden
hineinbefördern lasse. Von theoretischer Seite hatten Blumen-
bach (specimen physiol. comp. p. 10. und Handbuch der vergl.
Anat. 1815. 8. S. 289.) und Sömmering (Hallers Physiol. S. 800.)
dasselbe stillschweigend vorausgesetzt, indem sie die Analogie des
Nabelbläschens mit dem Dottersacke der Vögel aussprachen. Oken
(Beitr. zur vergl. Zoologie, Anatomie und Physiologie 1806. 7.
4.) stellte, nachdem er schon früher (die Zeugung. 1805. 8. S.
150.) die Existenz eines wahren ductus intestinalis bei den Säu-
gethieren vertheidigt hatte, die Behauptung auf, daſs der Darm-
kanal aus dem Nabelbläschen entstehe. Einer der hierher gehö-
rigen Cardinalsätze war der, daſs der Darm eine unmittelbare
Fortsetzung des Nabelbläschens sey (S. 3. S. 78.). Doch findet
sich nirgends ein stringenter Beweis für die Communication der
Höhlungen beider, da das Eindringen der eingeblasenen Luft in
die Bauchhöhle nur Folge von Ruptur seyn kann. Durch J. Fr.
Meckels Bemühungen (Beitr. Thl. I. Hft. I. No. V. und vorzügl.
Arch. III. S. 1—53.) wurden theils manche von Oken aufge-
stellte Irrthümer berichtigt, theils auch die unmittelbare Commu-
nication der Höhle des Darmrohres mit der der Nabelblase durch
den hohlen Faden oder Zwischengang bestimmt dargethan und
abgebildet. Unterdeſs aber hatten Kieser (der Ursprung des Darm-
kanales 1810. 4.) für, Emmert und Hochstetter aber (Reils Arch.
X. S. 75.) zum Theil gegen die Okensche Ansicht gesprochen,
indem die Letzteren jede Communication der Höhle des Nabelbläs-
chens mit der Höhle des Darmkanales läugneten. Als eifriger
[439]Darm und Gekröse.
Anhänger der Letzteren zeigte sich Fleischmann (Leichenöffnungen.
1815. 8. S. 20.). Bojanus wies nun die offene Communication
der Nabelblase mit der Darmhöhle an vierundzwanzig Tage alten
Hundeembryonen deutlich nach (Nov. N. C. tom. X. fig. 4. 7. 9.).
Velpeau (Heusingers Zeitschr. II. S. 79.) berichtete sogar, daſs er
Flüssigkeiten aus dem Nabelbläschen in den Darmkanal übergetrie-
ben habe. Eine vorzüglichere und solidere Stütze erhielt aber die
früher schon vielfach ausgesprochene Ansicht, daſs die Vesicula um-
bilicalis
dem Dottersacke analog sey, durch v. Bärs schöne Beob-
achtung an einundzwanzig Tage alten Hundeembryonen (de ovo
mammal
. 1827. 4. p. 2. fig. 7.), so daſs also die Annahme einer
freien Communication zwischen Nabelblase und Darmrohr unmit-
telbar sich daraus ergab. Von Letzterem hatte sich auſserdem
v. Bär (Burdachs Physiol. II. S. 484.) noch in Schweinen und
dem Menschen mit Bestimmtheit überzeugt. Joh. Müller (de
ovo humano atque embryone humano
. 1830. 4. p. 4. und Meck.
Arch. 1830. S. 415—417.) beschrieb die Nabelblase und den
Communicationsgang, den er passend mit dem Namen des duc-
tus omphalo-entericus
bezeichnet, aus einem, wie es scheint,
völlig normalen, überaus frühen menschlichen Embryo und stellte
seine Communication mit dem Darmkanale aus einer etwas älte-
ren Frucht dar, indem er sich noch auſserdem bestimmt über-
zeugte, daſs der ductus omphalo-entericus unabhängig von den
Blutgefäſsen der Nabelblase existire (de ovo p. 13. Meck. Arch.
S. 431.). Mayer (ic. musei anat. Bonnens. 1831. fol.) stellte
sie endlich aus späteren Perioden der Schwangerschaft dar, pflich-
tete aber merkwürdiger Weise der Emmertschen Ansicht bei,
während Bischoff mit Recht die entgegengesetzte Meinung ver-
theidigte. Es läſst sich nach dem bisher gegebenen wohl kaum
bezweifeln, daſs das Nabelbläschen der Dottersack und der duc-
tus omphalo-entericus
der Dottergang der Vögel sey. Für diese
Analogie hatte im vorigen Jahrhundert, nachdem Needham schon
einige Andeutungen geliefert, Blumenbach und Sömmering sich
öffentlich erklärt und sie hatten eine gröſsere Anzahl von Nach-
folgern als Gegnern erhalten. Emmert (Reils Arch. X. S. 69—72.
und Meckels Arch. III. S. 15—24.) und Meckel (s. Arch. III.
S. 10.) haben die Analogien sowohl, als die Verschiedenheiten
aufzuhellen gesucht, wiewohl sie bei den Letzteren auch einige
unwesentliche Momente zu sehr hervorhoben. Eine kurze Dar-
[40[440]]Von dem Embryo.
stellung des Herganges, wie er wahrscheinlich bei den Säugethie-
ren Statt findet, wird uns den Weg bahnen, den folgenden Punkt,
die Häute der Nabelblase deutlich zu erkennen. Bei der verhält-
niſsmäſsig so überaus groſsen Kleinheit der Eier scheint bei den
Säugethieren sowohl, als bei dem Menschen die Keimhaut zwar
absolut ebenfalls sehr klein, doch relativ über eine gröſsere Fläche
des Dotters verbreitet zu seyn, als bei den Vögeln. Die Abschnürung
des Embryo von dem Dotter scheint hier sowohl früher, als voll-
ständiger und rascher zu erfolgen, als bei den Vögeln. So sah v. Bär
bei einundzwanzig Tage alten Hundeembryonen den Embryo nur we-
nig von der Darmblase entfernt, während diese bei Bojanus Em-
bryonen von vierundzwanzig Tagen ihre Gestalt schon verändert und
ihre Entfernung von dem Embryo sich merklich vergröſsert hatte.
So bemerkt auch Meckel (Anat. IV. S. 296.), daſs anfangs das
Nabelbläschen bis dicht an die vordere Bauchfläche des Embryo
reiche. Je mehr sich nun aber der Dotter von dem Embryo
entfernt, um so gröſser wird auch der ductus omphalo-entericus.
Bei dem Menschen muſs dieses schon vor Ablaufe des ersten Mo-
nates der Schwangerschaft der Fall seyn, da alle Beobachter um
diese Zeit den ductus mehr oder minder lang gefunden haben.
Wenn wir annehmen, daſs die erste Ausbildung des Embryo in den
Anfang der dritten Woche fällt, so mag die energische Abschnürung
und Entfernung desselben von dem Dotter der ersten Hälfte der vier-
ten Woche angehören, wiewohl mit der weiteren Entwickelung der
Frucht die Entfernung und mit ihr die Dünne des ductus omphalo-
entericus
immer mehr zunimmt. Fragen wir nach den drei Blättern
der Keimhaut, so bildet, der Analogie nach zu schlieſsen, das Schleim-
blatt die innerste Lamelle des Nabelbläschens und des ductus om-
phalo-enter
.; auf einem Theile der Oberfläche des Nabelbläs-
chens verbreitete sich das Gefäſsblatt als Gefäſshof und über die-
sem läge vielleicht theilweise das seröse Blatt. Die wenigen
fragmentarischen Beobachtungen, welche wir hierüber besitzen,
stimmen auch hiermit überein, denn


c. Während die meisten übrigen Beobachter es gänzlich über-
gehen, ob das Nabelbläschen aus einer oder aus mehreren La-
mellen bestehen, so bemerken Emmert und Hochstetter ausdrück-
lich (Reils Arch. X. S. 55.), daſs die Blutgefäſse des Nabelbläs-
chens (Gefäſshof, peripherischer Antheil des Gefäſsblattes) durch-
aus nicht frei liegen, sondern zwischen zwei Blättern enthalten
[441]Darm und Gekröse.
zu seyn scheinen. Das obere entspräche dann dem serösen Blatte
oder der Dotterhaut und das untere dem Schleimblatte, die mitt-
lere Gefäſsverbreitung dagegen dem Gefäſsblatte. Da diese drei
Blätter ebenfalls in dem an dem Embryo anliegenden Theile des gan-
zen ductus omphalo-entericus wahrscheinlich wiederkehren, so
setzt sich die äuſsere Lamelle vermuthlich in die Bauchplatten, die in-
nere dagegen in das Bauchrohr fort. Fassen wir nun noch
schlieſslich die Analogie des Säugethieres mit dem Vogel und
ihre Verschiedenheiten ins Auge, so erhalten wir folgende nach den
jetzigen Erfahrungen wahrscheinlich unbezweifelt richtige Momente:


1. Beide Thierklassen haben einen Dotter, welchem in al-
lerfrühester Zeit die Keimhaut unmittelbar aufliegt.


2. Der Dotter der Vögel unterscheidet sich aber von dem
Dotter der Säugethiere durch äuſsere sowohl, als durch chemische
Eigenschaften. Auſserdem ist ihre absolute Gröſse und wahr-
scheinlich ihre relative (in Bezug auf die Keimhaut) verschieden.


3. Die Abschnürung des Embryo von dem Dotter fällt bei den
Säugethieren zwar in dasselbe Stadium der Ausbildung, wie bei
den Vögeln; allein


4. Die Entfernung des Embryo von dem Dotter erfolgt bei
den Säugethieren viel rascher und ist bei ihnen weit vollständi-
ger. Wie überhaupt der Embryo der höchsten Thierklasse seine
frühere höhere Individualität schon dadurch beurkundet, daſs er
sich (durch den Nabelstrang) von dem mütterlichen Körper mög-
lichst weit hinwegbegiebt, so ist dies auch mit seinem früheren
Einährungsstoffe, dem Dotter, der Fall. Es wäre interessant zu wis-
sen, ob die gröſste Länge der Nabelschnur und des ductus omphalo-
entericus
in der Reihe der Säugethiere einander parallel laufen.


5. Die Ausbreitung des Gefäſsblattes als Gefäſshof scheint
bei den Säugethieren gröſser zu seyn, als bei den Vögeln. In
den Klassen der Säugethiere geschieht dieses im Allgemeinen
durch eine Arterie und eine Vene; im Pferde dagegen kommen
zwei hierher gehörende Arterien vor.


6. Der Dotter selbst persistirt bei den Vögeln weit länger
und wird zuletzt, was bei den Säugethieren nie der Fall ist, in den
Embryonalkörper hineingezogen. Das Terminalgefäſs scheint bei
beiden zu gleichen Stadien zu schwinden, der Gefäſshof dagegen
bei den Säugethieren, wenigstens bei einigen, verhältniſsmäſsig
länger zu verharren, als bei den Vögeln.


[442]Von dem Embryo.

7. Der Dotter kann in beiden Klassen unmittelbar von dem
Embryo aufgenommen werden. Bei den Säugethieren geschieht
dieses nicht, wie es früher von Burdach einmal irrthümlich ange-
geben wurde, durch den Urachus, sondern durch den ductus om-
phalo-entericus
.


8. Die augeblich verschiedenen Lagenverhältnisse des Dot-
tersackes und des Nabelbläschens zu den übrigen Ei- und Frucht-
hüllen ergeben sich von selbst. Das Chorion umschlieſst bei den
Säugethieren sowohl, als bei den Vögeln die Frucht und die Frucht-
hüllen. Bei den Vögeln dagegen, wo der Dottersack einen sehr
groſsen Umfang hat und der Dottergang überaus kurz ist, wo
also das Amnion keine verhältniſsmäſsige so groſse Extension in
Rücksicht der Chorionhöhle haben kann, liegt das Letztere mehr
vor und über dem Dottersacke. Bei den Säugethieren dagegen, in
welchen das kleine Nabelbläschen mit einem verhältniſsmäſsig sehr
langen ductus omphalo-enter. versehen ist, liegt es deutlicher zwi-
schen Amnion und Chorion. Im Grunde genommen ist aber das Ver-
hältniſs bei beiden dasselbe. Das Chorion umschlieſst in beiden
Klassen die Frucht und die Fruchthüllen (Dottersack, Amnion und
Allantois). Die Letzteren gehen sämmtlich von der Nabelöffnung
aus, und zwar das Amnion in gröſster Extension um den bei Wei-
tem ausgedehntesten Theil der inneren Fläche des Chorion, der
Dottersack (relativ zur Lage des Embryo) mehr nach unten, die
Allantois dagegen nach hinten und zuletzt nach oben.


Wir kommen nun zur Entwickelungsgeschichte des Darmka-
nales selbst, d. h. zur Darstellung der primären Entwickelung
des Schleimblattes in der Klasse der Säugethiere. Wie es oben
von den Vögeln berichtet wurde, daſs durch Hineinziehen des
Schleimblattes in die Höhle des Embryo zuerst eine vorn und
hinten eindringende Grube, welche in der Mitte durch eine dem
Dotter zugekehrte Rinne verbunden ist, sich bildet, so findet die-
ses nicht minder bei den Säugethieren Statt. Diesen sehr frü-
hen Zustand hat von Bär (de ovo p. 4.) bei seinen vier Linien
langen Hundeembryonen gefunden und (fig. VII. a.) abgebildet, so
wie durch eine schöne Durchschnittszeichnung (fig. VII. 6.) er-
läutert. Die Abschnürung geht nun rasch von hinten nach vorn
sowohl, als von vorn nach hinten vor sich, so daſs bald der Darm-
kanal ein einfaches langes, nur durch eine kleine Mündung mit
dem ductus omphalo-entericus verbundenes Rohr darstellt. Al-
[443]Darmkanal.
lein in ihm sowohl als dem Gekröse geht bald eine wichtige,
auch in der Klasse der Vögel nicht fehlende Veränderung vor.
Je mehr er sich nämlich von dem Dotter entfernt und abschlieſst,
um so mehr wird er mit seinem mittleren Theile, durch den er
mit dem Dotter zusammenhängt, gegen diesen gleichsam hin und
von dem übrigen Theile des Embryo abgezogen. In dem Darme ent-
steht daher eine winkelförmige Einbiegung und in dem Gekröse an
der entsprechenden Stelle eine Vergröſserung. Besonders aber wird
das Letztere hier länger und breiter. Diesen Zustand des Darm-
kanales hat man schon vielfältig bei dem Menschen und den Säu-
gethieren beobachtet. Wir führen nur einige deutliche, hiervon
gegebene Abbildungen an, um das Verhältniſs durch Vergleichen
derselben anschaulicher machen zu lassen. S. Meck. Arch. III.
1817. tab. I. fig. 2—4. tab. 2. fig. 1. (Mensch) 1830. tab. 1. fig.
1. (Schaaf) tab. XI. fig. 1. (Mensch und Wiederkäuer) Rathke’s
Abhandl. Thl. II. tab. VII. fig. 6—8. (Schaaf). In diesem Zu-
stande des Darmkanals kann man drei verschiedene Abtheilungen
an ihm unterscheiden. Der vordere gerade Theil ist der Anfangs-
darm, der hintere gerade der Enddarm, der mittlere gebogene
oder eingeknickte der Mitteldarm. Dieser zerfällt natürlich wie-
derum in zwei Schenkel, nämlich in einen vorderen, mit dem
Anfangsdarme, und einen hinteren, mit dem Enddarme in Ver-
bindung stehenden. Die beiden Schenkel bilden einen mehr oder
minder spitzen Winkel mit einander, welcher von dem sie ver-
bindenden Gekröse ausgefüllt wird. Nun wächst der Mitteldarm
immer mehr, und tritt, was z. Th. schon, als er noch einen ein-
fachen Winkel bildete, der Fall war, aus der Bauchhöhle des
Embryo heraus. Denn diese ist noch zum gröſsten Theile offen,
da die Bauchplatten sich noch nicht bis auf die enge Nabelring-
öffnung geschlossen haben. Ein Theil des Darmes und zwar die
bei Weitem gröſsere Abtheilung des Mitteldarmes liegt nun, wie
man sich nicht ganz richtig und passend auszudrücken pflegt, au-
ſserhalb der in dem Embryo befindlichen Cavität. Wenn auch
dieser Ausdruck ungeschickt ist, so ist das Factum doch unbe-
zweifelt richtig, wie schon längst Emmert, Oken u. A. beobachtet
und Meckel gegen Osiander und Fleischmann vertheidigt haben. In-
dem nun das Wachsthum des Mitteldarmes immer mehr fort-
schreitet, kräuselt und windet er sich besonders in seinem auſser-
halb der Bauchhöhle befindlichen Theile der Frucht. Die Kräu-
[444]Von dem Embryo.
selung geschieht zuerst an seinem vorderen Schenkel, während
der hintere noch mehr gerade bleibt. Zu gleicher Zeit mit Kräu-
selung des Letzteren oder kurz vorher winden sich auch die bei-
den Schenkel um einander, ein Factum, welches für die Entste-
hung der Netze von gröſster Wichtigkeit wird, und auf das wir
bald zurückzukommen Gelegenheit haben werden. Die Kräuse-
lungen des vorderen Schenkels des Mitteldarmes werden, indem
dieser sich immer mehr verlängert, stets zahlreicher, während die
des hinteren Schenkels ihrer Zahl nach nur gering und von mehr un-
tergeordneter Bedeutung sind. Unterdeſs hat sich das früher ein-
fache Darmrohr, welches in seinem ganzen Verlaufe von gleicher
Dicke war, in seinen Abtheilungen mehr gesondert. Zugleich haben
auch die sekundären Bildungen, und zwar diese mit verschiede-
nen Graden der Extensität, begonnen. Der Anfangsdarm hat sich
in seinem vorderen Theile zur Speiseröhre ausgezogen und ist in
seinem hinteren Theile zu dem Magen angeschwollen. Dieser ist
aber anfangs nur eine der Länge nach verlaufende Erweiterung
des Anfangsdarmes, und daher mit seiner kleinen Curvatur nach
rechts, mit seiner groſsen dagegen nach links gewandt. Der hin-
terste Theil des Anfangsdarmes geht als ein kurzes gerade von
vorn nach hinten verlaufendes und mit dem Magen mehr oder
minder verschmolzenes Rohr bis zu der Stelle, wo der vordere
und hintere Schenkel des Mitteldarmes seine Windung macht,
und stellt so das Rudiment des künftigen Duodenum dar. Der frü-
here vordere, jetzt nach geschehener Windung aber hintere Schenkel
bildet die dünnen Gedärme, während der frühere hintere, jetzt
aber vordere Schenkel die dicken Gedärme darstellt. Diese bil-
den zuerst einen ziemlich geraden Winkel, werden aber bald, in-
dem sie sich ebenfalls vergröſsern und verlängern, mehr bogen-
förmig gekrümmt, und erhalten daher einen aufsteigenden, einen
kurzen horizontalen und einen absteigenden, fast ganz in der Län-
genaxe der Frucht befindlichen Theil. Bei dem Menschen fallen
diese Veränderungen in die achte bis zehnte Woche. Nun bildet
sich jede Abtheilung des Darmkanales allmählig selbstständiger
aus. Der Oesophagus verlängert sich. Der Magen wird weiter
und von dem übrigen Anfangsdarme geschieden. Zugleich begiebt
er sich aus seiner longitudinellen Richtung in eine mehr trans-
versale, indem sein Kardiatheil nach links, vorzüglich aber sein
Pylorustheil nach rechts sich wendet. Gleichzeitig mit dieser
[445]Darmkanal.
Veränderung verlängert sich auch das Duodenum, scheidet sich
bestimmter von dem Magen und erhält allmählig seine Flexuren.
Die dünnen Gedärme bilden sich immer mehr aus und nehmen
die mittlere Region des Unterleibes ein. Zu ihnen gehört auch
das Caecum und der processus vermiformis. Der Blinddarm
war schon an ihnen in seinen ersten Anfängen sichtbar, als die
beiden Schenkel des Mitteldarmes noch auſserhalb der Bauchhöhle
befindlich waren. Selbstständig erscheint auch an ihm der Wurm-
fortsatz. Zwar hatte Oken geglaubt, daſs der processus vermi-
formis
der Ueberrest der früheren Verbindung der Nabelblase
mit dem Darmkanale sey. Allein genauere Untersuchungen von
Emmert und besonders von Meckel und in neuester Zeit von J.
Müller haben es hinlänglich nachgewiesen, daſs diese Ansicht un-
richtig sey. Denn die Verbindung mit der Nabelblase findet an
der Stelle des Ueberganges des vorderen Schenkels in dem hin-
teren des Mitteldarmes Statt. Das Caecum dagegen gehört der
hinteren Hälfte des vorderen Schenkels des Mitteldarmes an.
Vielmehr glaubt Meckel, daſs ein bisweilen vorkommendes Diver-
tikel an dem dünnen Darme die Spur der früheren Verbindung
des Darmkanales mit der Nabelblase darstelle. Der Dickdarm
scheidet sich endlich früher durch seine Lagenverhältnisse und
später durch seine Structur von dem Mastdarme. Diese verschie-
denen Sonderungen und Metamorphosen sind zwar in den ver-
schiedenen Individuen der Zeit nach sehr verschieden. Im All-
gemeinen kann man aber für den Anfang und den vorderen
Schenkel des Mitteldarmes den dritten, für den hinteren Schen-
kel des Mitteldarmes und den Enddarm den vierten bis fünften
Monat als die Zeit ihrer wichtigsten Metamorphosen ansehen. —
Was nun die Länge des ganzen Darmkanales überhaupt betrifft,
so übertrifft diese schon, sobald er sich von der Nabelblase ab-
geschlossen, die Länge des Embryonalkörpers. Dies hat darin sei-
nen vorzüglichen Grund, daſs um diese Zeit schon der vordere
und hintere Schenkel des Mitteldarmes ein relativ bedeutendes
Gekröse haben. Dieses vermehrt sich nun natürlich bei zuneh-
mender Kräuselung des Mitteldarmes sowohl, als bei fortschrei-
tendem Wachsthume des ganzen Darmkanales. J. Fr. Meckel
(Tabelle zum ersten Heft des dritten Bandes s. Arch.) fand das
Verhältniſs der Länge des Embryo zu der seines Darmes bei dem
Menschen auf folgende Weise bestimmt:


[446]Von dem Embryo.

A. Verhältniſstabelle der Länge des ganzen Körpers
(vom Scheitel bis zur Zehe) zur Länge des Darm-
kanales
.


  • Embryo von 12—13 Wochen wie 1 : 2,500.
  • ‒ ‒ 15 ‒ ‒ 1 : 3,000—1 : 3,333.
  • ‒ ‒ 16 ‒ ‒ 1 : 3,625.
  • ‒ ‒ 17 ‒ ‒ 1 : 3,500.
  • ‒ ‒ 20 ‒ ‒ 1 : 5.333.
  • ‒ ‒ 21 ‒ ‒ 1 : 4,200.
  • ‒ ‒ 26 ‒ ‒ 1 : 4,142.
  • ‒ ‒ 28 ‒ ‒ 1 : 3,500.
  • Neugebornes Kind 1 : 7,500.
  • Erwachsener 1 : 4,1—1 : 6,6.
  • Alte Personen 1 : 3,7—1 : 4.

B. Verhältniſstabelle der Länge des Körpers (vom
Scheitel bis zum After) zur Länge des Darmes
.


  • Embryo von 7 Wochen wie 1 : 1,428.
  • ‒ ‒ 8 ‒ ‒ 1 : 1,333.
  • ‒ ‒ 9 ‒ ‒ 1 : 1,750.
  • ‒ ‒ 10 ‒ ‒ 1 : 2,333.
  • ‒ ‒ 11—13 ‒ ‒ 1 : 3,500.
  • ‒ ‒ 14 ‒ ‒ 1 : 4,500.
  • ‒ ‒ 15 ‒ ‒ 1 : 5—1 : 5,250.
  • ‒ ‒ 16—17 ‒ ‒ 1 : 5,500.
  • ‒ ‒ 20 ‒ ‒ 1 : 7,500.
  • ‒ ‒ 21—26 ‒ ‒ 1 : 6.
  • ‒ ‒ 28 ‒ ‒ 1 : 5,666.

Hieraus ersieht man nun, daſs die Länge des Darmkanales
bis zum Anfange des fünften Monates noch immer bedeutend im
Verhältniſs der Körperlänge zunimmt. Späterhin treten gewisse
Undulationen ein, die sich um so weniger genau im Einzelnen
bestimmen lassen, je mehr sie durch viele und mannigfach con-
cidirende verschiedenartige Verhältnisse bedingt sind.


Auch über die Längenverhältnisse des Dick- und Dünndar-
mes, so wie des Wurmfortsatzes hat Meckel Beobachtungen an-
gestellt, die wir hier nach ihren Verhältniſszahlen wiedergeben.


[447]Darmkanal.

A. Verhältnisse der Länge des Körpers (vom Munde
bis zum After) zu der der dünnen Gedärme
.


  • Embryo von 7 Wochen wie 1 : 1,750.
  • ‒ ‒ 8 ‒ ‒ 1 : 1,714.
  • ‒ ‒ 9 ‒ ‒ 1 : 2,000.
  • ‒ ‒ 10 ‒ ‒ 1 : 3,000.
  • ‒ ‒ 11 ‒ ‒ 1 : 4,500.
  • ‒ ‒ 12—13 ‒ ‒ 1 : 4,500.
  • ‒ ‒ 14 ‒ ‒ 1 : 5,333.
  • ‒ ‒ 15 ‒ ‒ 1 : 6,000—1 : 5,333.
  • ‒ ‒ 16 ‒ ‒ 1 : 6,000.
  • ‒ ‒ 17 ‒ ‒ 1 : 6,000.
  • ‒ ‒ 20 ‒ ‒ 1 : 10,000.
  • ‒ ‒ 21 ‒ ‒ 1 : 7,333.
  • ‒ ‒ 26 ‒ ‒ 1 : 7,000.
  • ‒ ‒ 28 ‒ ‒ 1 : 5,500.
  • Neugeborener 1 : 15,000.
  • Mann von 50 Jahren 1 : 8,000.

B. Verhältnisse der Länge des Körpers (vom Munde
bis zu dem After) zu der Länge der dicken Gedärme


  • Embryo von 7 Wochen wie 1 : 0,750.
  • ‒ ‒ 8 ‒ ‒ 1 : 0,266.
  • ‒ ‒ 9 ‒ ‒ 1 : 0,666.
  • ‒ ‒ 10 ‒ ‒ 1 : 0,666.
  • ‒ ‒ 11 ‒ ‒ 1 : 1,000.
  • ‒ ‒ 12—13 ‒ ‒ 1 : 1,055.
  • ‒ ‒ 14 ‒ ‒ 2-1,000.
  • ‒ ‒ 15 ‒ ‒ 1 : 0,966—1 : 0,965.
  • ‒ ‒ 16 ‒ ‒ 1 : 1,076.
  • ‒ ‒ 17 ‒ ‒ 1 : 1,500.
  • ‒ ‒ 20 ‒ ‒ 1 : 1,300.
  • ‒ ‒ 21 ‒ ‒ 1 : 1,111.
  • ‒ ‒ 26 ‒ ‒ 1 : 1,181.
  • ‒ ‒ 28 ‒ ‒ 1 : 1,083.
  • Neugeborner 1 : 3,00.
  • Mann von 50 Jahren 1 : 1,600.
[448]Von dem Embryo.

C. Verhältniſs der Länge des Wurmfortsatzes zur
Länge des Darmkanales
.


  • Embryo von 7 Wochen wie 1 : 20.
  • ‒ ‒ 8 ‒ ‒ 1 : 21.
  • ‒ ‒ 9 ‒ ‒ 1 : 18.
  • ‒ ‒ 10 ‒ ‒ 1 : 30.
  • ‒ ‒ 11 ‒ ‒ 1 : 43.
  • ‒ ‒ 12—13 ‒ ‒ 1 : 51.
  • ‒ ‒ 14 ‒ ‒ 1 : 43.
  • ‒ ‒ 15 ‒ ‒ 1 : 51—1 : 54.
  • ‒ ‒ 16 ‒ ‒ 1 : 50.
  • ‒ ‒ 17 ‒ ‒ 1 : 66.
  • ‒ ‒ 20 ‒ ‒ 1 : 67.
  • ‒ ‒ 21 ‒ ‒ 1 : 65.
  • ‒ ‒ 26 ‒ ‒ 1 : 62.
  • ‒ ‒ 28 ‒ ‒ 1 : 53.
  • Neugeborner 1 : 71.
  • Mann von 50 Jahren 1 : 115.

Wenn diese Verhältniſszahlen richtig sind, so ergiebt sich
hieraus a. daſs der Dünndarm in Vergleich der oben angegebenen
theilweisen Körperlänge bis zu Ende des fünften Monates sich
verlängert, daſs von Ende des fünften bis zu Ende des siebenten
Monates seine relative Länge wieder abnimmt, bei der reifen
Frucht aber minder vergröſsert und auf dem Culminationspunkte
des Lebens wiederum verkleinert gefunden wird; b. daſs die re-
lative Länge der dicken Gedärme mannigfachen Undulationen un-
terworfen ist. Von der siebenten zur achten Woche nimmt sie
ab, in der neunten bis zehnten wiederum zu, in der zwölften
bis dreizehnten ab, in der vierzehnten wiederum zu. In der
funfzehnten verringert sie sich etwas, vergröſsert sich in der sech-
zehnten und siebzehnten, verkleinert sich von Neuem in der
zwanzigsten und einundzwanzigsten, nimmt dagegen etwas zu in
der sechsundzwanzigsten und vermindert sich wiederum etwas in
der achtundzwanzigsten Woche, bis endlich in dem Neugebornen
der Exponent des Verhältnisses der gröſste wird. Denn im funf-
zigjährigen Körper ist er wieder fast um die Hälfte geringer.
Doch steht es noch zu erwarten, ob diese Resultate sich allge-
mein bestätigen werden. c. Der Wurmfortsatz endlich wird in
der
[449]Darmkanal.
der achten Woche relativ kürzer, in der neunten länger, in der
zehnten bis dreizehnten kürzer, in der vierzehnten länger, in der
funfzehnten kürzer, in der sechszehnten etwas länger und von
der siebzehnten Woche endlich an immer kürzer, so daſs der
Wurmfortsatz des Neugebornen relativ 3½ und der des Erwach-
senen von funfzig Jahren 5¾ mal so kurz ist, als der des sieben-
wöchentlichen Embryo. Auch die Breite oder Dicke des Darm-
rohres ist zu verschiedenen Zeiten verschieden. Nach Meckel
(Arch. III. S. 66.) ist in den frühesten Perioden der Darmkanal
im Verhältniſs zu seiner Länge weiter, als in späteren Perioden
des Fötuslebens, in der letzteren Zeit aber relativ zu seiner Länge
selbst enger, als in dem vollkommen ausgebildeten Zustande. —
Was nun aber die Durchmesser der einzelnen, das Darmrohr con-
stituirenden Abtheilungen betrifft, so müssen wir vorerst an ein
Gesetz erinnern, das wir in den sekundären Bildungen des Schleim-
blattes modificirt wiederkehren sehen werden. Alle einzelnen
Abtheilungen des Darmkanales sind Anfangs von durchaus gleicher
Weite, die dickeren daher zum Theil anfangs dünner und die
dünneren umgekehrt relativ dicker. Diejenigen Abtheilungen end-
lich, welche, wie das Caecum, Ausstülpungen der dritten Art,
wie wir sie unten nennen werden, von dem Darmrohre sind, ha-
ben zuerst und noch eine geraume Zeit nach ihrer ersten Bildung
einen ganz gleichen Durchmesser der Breite mit dem Darmrohre
selbst. — Um mehr in das Einzelne einzugehen, geben wir hier
wiederum eine Reihe von Verhältniſszahlen, welche nach einem
Theile der von Meckel hierüber gelieferten Resultate entnom-
men sind.


A. Verhältniſs des Durchmessers des Dünndarmes
zur Länge desselben
.


  • Embryo von 7 Wochen wie 1 : 42.
  • ‒ ‒ 8 ‒ ‒ 1 : 60.
  • ‒ ‒ 9 ‒ ‒ 1 : 63.
  • ‒ ‒ 10 ‒ ‒ 1 : 135.
  • ‒ ‒ 11 ‒ ‒ 1 : 144.
  • ‒ ‒ 12—13 ‒ ‒ 1 : 168.
  • ‒ ‒ 14 ‒ ‒ 1 : 152.
  • ‒ ‒ 15 ‒ ‒ 1 : 234—1 : 189.
  • ‒ ‒ 16 ‒ ‒ 1 : 236.

29
[450]Von dem Embryo.
  • Embryo von 17 Wochen wie 1 : 184.
  • ‒ ‒ 20 ‒ ‒ 1 : 240.
  • ‒ ‒ 21 ‒ ‒ 1 : 264.
  • ‒ ‒ 26 ‒ ‒ 1 : 234.
  • ‒ ‒ 28 ‒ ‒ 1 : 396.
  • Neugeborner 1 : 480.
  • Mann von 50 Jahren 1 : 288.

B. Verhältniſs des Durchmessers des dicken Darmes
zur Länge desselben
.


  • Embryo von 7 Wochen wie 1 : 21.
  • ‒ ‒ 8 ‒ ‒ 1 : 26.
  • ‒ ‒ 9 ‒ ‒ 1 : 35.
  • ‒ ‒ 10 ‒ ‒ 1 : 36.
  • ‒ ‒ 11 ‒ ‒ 1 : 42.
  • ‒ ‒ 12—13 ‒ ‒ 1 : 54.
  • ‒ ‒ 14 ‒ ‒ 1 : 48.
  • ‒ ‒ 15 ‒ ‒ 1 : 37—1 : 38.
  • ‒ ‒ 16 ‒ ‒ 1 : 60.
  • ‒ ‒ 17 ‒ ‒ 1 : 35.
  • ‒ ‒ 20 ‒ ‒ 1 : 66.
  • ‒ ‒ 21 ‒ ‒ 1 : 60.
  • ‒ ‒ 26 ‒ ‒ 1 : 39.
  • ‒ ‒ 23 ‒ ‒ 1 : 55.
  • Neugeborner 1 : 53.
  • Mann von 50 Jahren 7 : 24.

C. Verhältniſs des Durchmessers des Wurmfortsatzes
zu seiner Länge
.


  • Embryo von 7 Wochen wie 1 : 3,5.
  • ‒ ‒ 8 ‒ ‒ 1 : 4.
  • ‒ ‒ 9 ‒ ‒ 1 : 7.
  • ‒ ‒ 10 ‒ ‒ 1 : 6.
  • ‒ ‒ 11—13 ‒ ‒ 1 : 8.
  • ‒ ‒ 14 ‒ ‒ 1 : 10.
  • ‒ ‒ 15 ‒ ‒ 1 : 8—1 : 12.
  • ‒ ‒ 16—17 ‒ ‒ 1 : 10.
  • ‒ ‒ 20 ‒ ‒ 1 : 11.
  • ‒ ‒ 21 ‒ ‒ 1 : 10.
[451]Darmkanal.
  • Embryo von 26—28 Wochen wie 1 : 12.
  • Neugeborner 1 : 19.
  • Mann von 50 Jahren 1 : 10.

D. Verhältniſs der Weite des Wurmfortsatzes zur
Weite des Dickdarmes
.


  • Bis zu Ende der zehnten Woche sind beide gleich weit.
  • Embryo von 11 Wochen wie 1 : 1,333.
  • ‒ ‒ 12—13 ‒ ‒ 1 : 1,000.
  • ‒ ‒ 14 ‒ ‒ 1 : 1,200.
  • ‒ ‒ 15 ‒ ‒ 1 : 1,111—1 : 2,250.
  • ‒ ‒ 16 ‒ ‒ 1 : 1,333.
  • ‒ ‒ 17 ‒ ‒ 1 : 3,000.
  • ‒ ‒ 20 ‒ ‒ 1 : 1,333.
  • ‒ ‒ 21 ‒ ‒ 1 : 2,000.
  • ‒ ‒ 26 ‒ ‒ 1 : 2,666.
  • ‒ ‒ 28 ‒ ‒ 1 : 2,000.
  • Neugeborner 1 : 4.
  • Mann von 50 Jahren 1 : 8.

Die Richtigkeit dieser Verhältnisse vorausgesetzt (was wir
jedoch noch sehr in Zweifel ziehen müssen, da nicht wenige Ver-
hältniſszahlen mit den angebenen Längen- und Breitendimensionen
der einzelnen Theile in Widerspruch stehen) dürfte sich Folgendes
ergeben: a. Der Dünndarm wird in Verhältniſs zu seiner Länge
bis zu der dreizehnten Woche immer enger, in der vierzehnten
weiter, in der funfzehnten und sechszehnten mehr oder minder
enger, in der siebzehnten wiederum ein Weniges weiter, in der
zwanzigsten und einundzwanzigsten enger, in der sechsundzwan-
zigsten etwas enger und in der achtundzwanzigsten Woche und
bei der reifen Frucht endlich enger, bei dem ausgebildeten Manne
dagegen wiederum verhältniſsmäſsig weiter. b. Der dicke Darm
wird in Verhältniſs zu seiner Länge dicker, von der neunten bis
zur dreizehnten Woche dünner, in der vierzehnten dicker, in der
sechszehnten wiederum dünner, in der siebzehnten dicker, in der
sechsundzwanzigsten dünner, in der einundzwanzigsten bis sechs-
undzwanzigsten wiederum immer dicker, in der achtundzwanzig-
sten Woche dünner, um weniges dicker endlich bei der reifen
Frucht und um noch mehr dicker bei dem Erwachsenen. c. Bis
zu Ende der vierzehnten Woche verlängert sich der Wurmfort-
29*
[452]Von dem Embryo.
satz auf Kosten seines Breitendurchmessers. Von da bis zu Ende
des siebenten Monates undulirt das Verhältniſs, bis der proces-
sus vermiformis
bei dem Neugebornen neunzehnmal und bei dem
Manne von funfzig Jahren zehnmal so lang, als dick ist. d. Wurm-
fortsatz (s. unten) und Dickdarm sind bis zur Mitte des dritten
Monates von gleicher Weite. In der eilften Woche wird der
Dickdarm etwas weiter, während in der zwölften bis dreizehn-
ten Woche das alte gleiche Verhältniſs wieder Statt findet. Von
der vierzehnten Woche an hat die Weite des Dickdarmes wie-
derum das Uebergewicht. Dieses ist während des Fötallebens in
der siebzehnten Woche am Stärksten, stärker jedoch in der rei-
fen Frucht und noch stärker endlich in dem Erwachsenen von
funfzig Jahren. Dieses wären die wesentlichsten aus Meckels
Angaben folgenden Resultate. Doch müssen sie der Natur der
Sache nach nochmals wiederholt und zum Theil berichtigt wer-
den, ehe die aus ihnen von selbst sich ergebenden Folgerungen
der Wissenschaft einverleibt werden können. Krause (s. d. Vorrede z.
s. Lehrb. d. Anat. Th. I. 1833. 8.) dürfte ihr am ersten diesen
Dienst zu erweisen im Stande seyn. — Ueber die verschiedene
Gröſse der Höhlung des Darmkanales und die wechselnde Dicke
seiner Wandungen s. unten bei den Häuten desselben.


Wir wollen nun noch die einzelnen Abtheilungen des Darm-
kanales besonders durchgehen, um bei jeder speciell dasjenige
nachtragen zu können, was über seine morphologische Entwicke-
lung zu bemerken uns noch übrig ist.


a. Die Speiseröhre — Diese ist anfangs nur der integrirende
vorderste Theil des Anfangsdarmes oder fehlt vielleicht zuerst
gänzlich. Sobald späterhin das Herz sich scheinbar mehr nach
hinten zurückzieht und mit weiterer Evolution der Lungen und
bei den Säugethieren des musculösen Zwerchfelles sich eine wahre
Brusthöhle ausbildet, wird diese auch länger. Indem nun einerseits
vorn die Rachenhöhle (s. unten) sich mit ihr in ein bestimmteres Ver-
hältniſs setzt, anderseits der Magen sich ausweitet, und sich so
distinkter von ihr abgrenzt, erlangt sie selbst mehr Selbstständig-
keit. Ihre Häute sowohl als ihre Höhlung sind frühzeitig schon
dem Verhältnisse, welches sie in dem Erwachsenen haben, näher,
als dieses in den meisten anderen Theilen des Darmkanales der
Fall zu seyn scheint. Doch sind auch hier die Wandungen zu-
erst relativ noch um ein Bedeutendes dicker als später.


[453]Darmkanal.

b. Der Magen. — Wir haben schon oben über die früheste Entste-
hung des Magens berichtet und zugleich angemerkt, daſs er in der er-
sten Zeit senkrecht gestellt sey. Er ist anfangs eine etwas ungleiche
Erweiterung des Anfangdarmes. Doch scheint selbst von der er-
sten Zeit an die linke Seite desselben etwas zu prävaliren. Im
Ganzen hat er zuerst eine mehr längliche Form, welche später
mehr in das Rundliche übergeht, so daſs er dann nach Meckel
(Arch. III. S. 72.) selbst rundlicher ist, als in der folgenden Fö-
tuszeit und in dem Erwachsenen. Ehe er noch aus der senk-
rechten Lage in die wagerechte übergeht, läſst sich schon an ihm
die groſse Curvatur von der kleinen unterscheiden. Die erstere
hat schon einen nach auſsen convexen Rand und liegt nach der
linken Seite zu, die andere ist mit einem äuſseren concaven Rande
versehen und gegen die rechte Seite hin gerichtet. Die Cardia
ist dann von auſsen deutlicher zu erkennen, als der Pylorus.
Denn nach hinten setzt sich der Magen mehr unmittelbar und
allmählig in ein kurzes Darmstück, das Rudiment des Duodenum
fort. Die erste Spur des fundus ventriculi entsteht schon bei
noch senkrechter Lage des Magens. Nun geht dieser aus der longi-
tudinellen Richtung in eine mehr schiefe und zuletzt transverselle
über. Zuerst geschieht dieses an dem Pförtnerende, welches sich
sowohl von links nach rechts, als auch von hinten nach vorn
wendet. Die der Cardia nähere Hälfte folgt bald nach, doch geht
sie offenbar später, als die Pylorushälfte in diese Lagenverände-
rung ein. Durch die letztere wird aber die kleine Curvatur be-
sonders schärfer. Der Blindsack wird immer mehr ausgebildet
und ist dann verhältniſsmäſsig stärker, als in irgend einem späte-
ren Zustande. Interessant ist auch noch die Entwickelungsge-
schichte des Magens der Wiederkäuer, welche bekanntlich im
ausgebildeten Zustande vier Magen besitzen. So lange ihr Magen
senkrecht steht, ist er durch zwei quere Einschnitte in drei Ta-
schen getheilt, von denen die mittlere die gröſste ist. Sie schnü-
ren sich nun mehr von einander ab, und die mittlere zerfällt wie-
derum in zwei Abtheilungen, so daſs endlich auf diese Weise die
vier Magen der Wiederkäuer gebildet werden. Das Speciellere
hierüber s. bei Meckel in s. Arch. III. S. 75. 76.


c. Das Duodenum. — Seine vordere Grenze verflieſst an-
fangs mehr mit der Pylorushälfte des Magens, seine hintere da-
gegen wird durch die Windungsstelle des Mitteldarmes frühzeitig
[454]Von dem Embryo.
bezeichnet. Mit der Lagenveränderung des Magens verlängert es
sich und erhält seine Flexuren. Die Valvula pylori ist nach
Meckel (Arch. III. S. 72.) vor dem Ende des vierten Monates
nicht sichtbar. Sein klappenartig in das Duodenum vorspringen-
der Theil ist noch im sechsten Monate sehr unbedeutend und bei
dem Neugebornen verhältniſsmäſsig noch sehr niedrig. Nach ihm
(l. c. S. 70. 71.) sind auch bei dem Menschen die Mündungen
des ductus choledochus und Wirsuguianus anfangs von einander
getrennt und entfernt. Der letztere öffnet sich durch ein eigenes,
meist in dem Neugebornen noch vorkommendes Wärzchen und
oben in den absteigenden Theil des Zwölffingerdarmes, der
Gallengang dagegen mehr nach rechts und unten durch eine noch
im dritten Monate deutlich erkennbare Longitudinalspalte. Beide
Mündungen verkleinern sich später und rücken an einander.


d. Die dünnen Gedärme. — Da, wie wir bald sehen wer-
den, die Leber in früher Zeit der Entwickelung den gröſsten
Theil der Unterleibshöhle einnimmt, so liegen dann die dünnen
Gedärme unmittelbar unter ihr und von ihr in der ersten Zeit
seit dem Zurücktreten des Darmkanales aus der Nabelscheide in die
Bauchhöhle bedeckt. Man sieht dann ein verschlungenes Convolut
von Därmen frei unter der Leber. Je mehr diese und mit ihr
der Nabel nach vorn zurückweicht, um so mehr treten sie an die
Oberfläche, werden aber auch desto mehr von dem nach hinten
sich herabsenkenden Kolon transversum, wenigstens zum Theil,
bedeckt. Von dem Momente der Windung des Mitteldarmes an
liegen sie immer als Metamorphosen des früheren vorderen, spä-
teren hinteren Schenkels hinter dem vorderen Theile der dicken
Gedärme, da diese aus dem früheren hinteren, späteren vorderen
Schenkel des Mitteldarmes entstehen.


e. Die dicken Gedärme. — Nach der Windung des Mittel-
darmes befindet sich der nun vordere Schenkel des Mitteldarmes
mit seiner gröſseren Hälfte nach vorn und biegt unter einem bei-
nahe rechten Winkel ein, wo sein hinterer Theil dann in der
Mittellinie des Körpers oder nahe derselben von vorn nach hin-
ten verläuft. Indem nun die dicken Gedärme sich immer mehr
verlängern, macht ihre vordere Abtheilung zuerst einen Bogen,
dessen Concavität nach hinten sieht. Hierdurch entsteht ein kur-
zer aufsteigender, ein mehr oder minder gekräuselter und trans-
versaler, mittlerer und ein absteigender Theil, welcher sich nach
[455]Darmkanal.
der Mittellinie zu wendet und so eine Art von S Romanum zuletzt
darstellt. Im Laufe der Entwickelung verlängert sich nun der auf-
steigende Theil und rückt mehr nach rechts, der absteigende da-
gegen mehr nach links. Die Grimmdarmklappe ist bis zu dem
dritten Monate nach Meckel (l. c. S. 70.) sehr unvollkommen,
dann aber sehr deutlich. Den Blinddarm fand er (l. c. S. 79.)
zuerst bei einem in der zweiten Hälfte des zweiten Monates be-
findlichen sieben Linien langen Embryo. Anfangs sind beide,
Blinddarm und Wurmfortsatz, nicht wie in dem Erwachsenen
von einander geschieden, sondern mehr eins. Der Wurmfortsatz
ist zuerst das ein wenig zusammengezogene, über den Krumm-
darm hinausreichende blinde Ende des dicken Darmes (Meckels
Anatomie IV. S. 309.). Daſs er kein Ueberrest der früheren
Communication des Darmkanales mit der Nabelblase sey, haben
wir schon oben angeführt.


Es bleibt uns nur noch übrig, die den Darmkanal zusammen-
setzenden und an den übrigen Theil des Embryonalkörpers befe-
stigenden Häute durchzugehen. Die Schleimhaut ist ohne Zwei-
fel ein reines Produkt des Schleimblattes. Ob aber die Gefäſs-
haut eine Hineinbildung des Gefäſsblattes sey oder nicht, muſs
noch unentschieden bleiben. Nach v. Bärs Ansicht scheint dieses
wenigstens der Fall zu seyn. Ebenso wenig wagen wir über
das Bauchfell zu entscheiden, welches das Darmrohr völlig um-
schlieſst, als Gekröse an die Wirbelsäule anheftet und zuletzt noch
die ganze innere Oberfläche der Rumpfwände der Bauchhöhle
(nebst der Oberfläche der harn- und keimbereitenden Organe)
theilweise bekleidet. Ihr Ursprung aus den Blättern der Keim-
haut ist aber auch für diesen unseren nächsten Zweck von ge-
ringerem Interesse, da ihre speciellere histiologische Ausbildung
in eine weit spätere Zeit fällt, und daher auch ohne diese Kennt-
niſs sicher verfolgt werden kann.


Das Bauchfell bildet sich wahrscheinlich in frühester Zeit
auf dieselbe Weise bei den Säugethieren, wie bei den Vögeln.
Wenigstens hat v. Bär (de ovo fig. VII. b.) aus seinen vier Li-
nien langen Hundeembryonen den Zustand des Gekröses so dar-
gestellt, wie er bei dem Hühnchen unmittelbar nach begonnener
Nathbildung vorkommt. So lange der Darm noch einfach gebo-
gen ist, heftet ihn das Gekröse als eine einfache Doppellamelle
an die Mittellinie des Körpers. Am Anfang- und Enddarme ist
[456]Von dem Embryo.
diese von ziemlich gleicher Breite. Nur in der Mitte zwischen
den beiden Schenkeln des Umbiegungswinkels wird sie breiter,
gleichsam ausgezogen. An denjenigen Stellen des Darmkanales, wel-
che durch Einstülpung von dem serösen Blatte aus entstehen,
fehlt das Gekröse gänzlich, da diese Bildungen später, als es selbst,
auftreten. Ich wäre zum Theil aus diesen, zum Theil auch aus
anderen Gründen zu vermuthen geneigt, daſs der Oesophagus nicht
sowohl den Anfangdarm selbst, als seiner vorderen Einstülpung
angehöre und sich dann erst mit der Bildung der Brust länger
ausziehe. Dadurch, daſs nun die beiden Schenkel des Mitteldar-
mes sich umeinander winden, kommt natürlich das Gekröse der
dünnen Gedärme, d. h. des früheren vorderen, jetzigen hinteren
Schenkels, hinter und zum Theil unter der vordersten Abtheilung
des Gekröses der dicken Gedärme, d. h. des früheren hinteren,
jetzigen vorderen Schenkels zu liegen. Mit den Kräuselungen
der dünnen Gedärme vergröſsert sich nun auch ihr Gekröse. Es
bleibt jedoch in der Mittellinie haften, und es erhält daher bald
das Ansehen, als ob die dünnen Därme durch das Bauchfell ro-
settenförmig an die Wirbelsäule und die vor ihr liegenden von
dem Bauchfelle nicht bekleideten Theile befestigt wären. Das
Gekröse der dicken Gedärme dagegen bildet sich an verschiede-
nen Orten verschieden aus. Das Colon transversum, welches
der bald nach der Windung schon transversal gelagerte Theil des
früheren hinteren, jetzigen vorderen Schenkels des Mitteldarmes
war, hat ein sehr groſses Gekröse, welches unmittelbar von der
noch kennbaren Windungsstelle entspringt und als eine breite
Doppellamelle nach vorn und oben geht. Sein linker gegen die
pars descendens gerichteter Theil ist später mehr nach der lin-
ken Seite gedehnt und sein Gekröse auch auf entsprechende Weise
gröſser. Das Colon descendens, wie das rectum behalten ihr
deutliches, nach der Mittellinie hin sich ziehendes Gekröse, wel-
ches nur gleichzeitig mit ihnen sich verlängert. Das Colon ad-
scendens
ist kleiner und nach der Windungsstelle wie hingezo-
gen. Da der Blinddarm und Wurmfortsatz durch Ausstülpung
der dem späteren hinteren Schenkel nahen Abtheilung des vorderen
Theiles entsteht, so zieht er eine doppelte Lamelle des Bauch-
felles, eine Gekrösfalte nach sich, und erscheint daher dann durch
ein kleines spitz zulaufendes Gekröse an dem der dicken Gedärme
befestigt. Dadurch, daſs das Gekröse des Colon descendens
[457]Darmkanal.
um etwas, das des Colon adscendens aber um ein Bedeutendes
schmäler wird, und zwar das letztere so sehr, daſs das Bauchfell
an dieser Stelle zuletzt nicht einmal das ganze Darmrohr um-
hüllt, entsteht die eigenthümliche Einhüllung des Grimmdarmes,
wie wir sie bei dem Erwachsenen vorfinden. Da jedoch die Ge-
kröse nicht von der Mittellinie der Wirbelsäule beginnen, sondern
sich von dort über die innere Oberfläche des unteren Centralroh-
res fortsetzen, so müssen natürlich die Theile des Bauchfelles,
welche zuletzt den Grimmdarm überziehen, ohne ein Gekröse zu
bilden, sich unmittelbar, nachdem sie ein gröſseres oder geringe-
res Stück dieses Darmtheiles eingehüllt, sich über die innere
Oberfläche der Bauchmuskeln verbreiten. So sehen wir es schon
in den letzten Monaten des Fruchtlebens bei dem Colon adscen-
dens
. Das Colon descendens dagegen macht selbst bei dem
Neugebornen eine gröſsere nach links gerichtete Biegung, und hat
daher, so lange dies der Fall ist, auch ein gröſseres Gekröse.


Die Bildung der Netze ist vorzüglich durch die Untersuchun-
gen von Meckel (Arch. III. S. 82—84.) und Joh. Müller (Meck.
Arch. 1830. S. 395—411. Revue medic. Fevrier. 1834. p.
265—269. Physiol. I. 2. 1834. 8. S. 476—478.) aufgehellt worden.
Wir haben es oben gesehen, daſs der Anfangsdarm zuerst, so lange er
noch gänzlich in longitudineller Richtung sich befindet, durch ein Ge-
kröse, d. h. eine Doppellamelle des Bauchfelles an die Mittellinie der
Wirbelsäule angeheftet ist. Müller, welcher zuerst hierauf aufmerk-
sam gemacht hat (Arch. S. 400.) nennt dieses Gekröse des Magens Ma-
gengekröse, Mesogastrium. Da die Leber als Ausstülpung des Darm-
kanales (s. unten) den Peritonealüberzug mit sich fortzieht und eben-
falls von dem Bauchfelle eingehüllt wird, das Mesogastrium aber,
um die noch nach links gerichtete groſse Curvatur des Magens
zu erreichen, sich nach links wendet, so entsteht hinter dem Ma-
gen ein von dem Bauchfelle gebildeter halbmondförmiger Beutel,
dessen vordere Wand der Magen und dessen hintere Wand das
Bauchfell (zum gröſsten Theile das Mesogastrium) ist und des-
sen Eingang, d. h. dessen Communication mit dem übrigen von
dem Peritoneum bedeckten Theile der Bauchhöhle rechts von dem
Magen an seiner kleinen Curvatur sich befindet (s. die Abbildung.
bei Joh. Müller l. c. tab. XI. fig. 1. 2. 12. Bd.). Während nun
das übrige Gekröse die Bauchhöhle in zwei ziemlich gleiche, seit-
liche Hälften theilt, so geht zwar das Mesogastrium auch von
[458]Von dem Embryo.
der Mittellinie aus und thut jenes wahrscheinlich, so lange der
Anfangsdarm keine Anschwellung hat, ebenfalls; später dagegen
biegt es sich nach links, um die groſse Curvatur zu erreichen
und bildet also unten (hinter dem Magen) eine nach links sich
erstreckende beutelförmige Verlängerung. Wiewohl nun Meso-
gastrium
und Mesenterium aus denselben Blättern entstehen, so
zieht sich das erstere, doch nur der grofen Curvatur entsprechend,
aus und hört daher am Anfange des Darmes im engeren Sinne
auf. An dieser Unterbrechungs- oder Abgrenzungsstelle liegt spä-
ter der hinter dem Bauchfellsacke befindliche Anfang des dünnen
Darmes (Joh. Müller l. c. S. 402.). Bisher war der Eingang in
den Beutel des Mesogastrium groſs und offen. Indem sich nun
aber der Magen und zwar mit seinem Pylorustheile zuerst nach
der rechten Seite und vorn hinwendet, und die von der Leber
zur kleinen Curvatur gehende Falte des Peritoneum mehr hinab-
zieht, wird er unter der Leber kleiner und enger. Das Meso-
gastrium
rückt aber durch diese Veränderungen aus der senk-
rechten in eine mehr schiefe Lage. Der Beutel des Mesogastrium
verlängert sich nach hinten und wird zugleich runzelig (l. c. S.
403. 404.). Indem nun das Gekröse des Dickdarmes sich immer
mehr aufstellt, rückt es mit seinem dem Colon transversum
entsprechenden Theile dem Magen immer näher. Das Mesocolon
transversum
nähert sich daher immer mehr dem Mesogastrium
und beide scheidet nur die hintere, an der Wirbelsäule aufliegende
Platte des Bauchfelles, in welche sie übergehen. Diese verklei-
nert sich nun immer mehr und zwar von rechts nach links, so
daſs sie endlich gänzlich schwindet und die innere Lamelle des
Mesogastrium oder Netzbeutel in die äuſsere Lamelle des Meso-
colon
unmittelbar übergeht (S. 407.). Nun verwächst, wie Meckel (l.
c. S. 83.) und Müller (l. c. S. 408.) gefunden haben und jeder sich
leicht überzeugen kann, der hintere obere (untere, vordere) Theil
des Netzbeutels mit der oberen Wand des Mesocolon transver-
sum
von hinten und oben nach unten und vorn, so daſs hinten
zuletzt das Netz an das Colon transversum sich anzusetzen
scheint. Die untere und innere Lamelle des Netzbeutels geht
nun über die vordere und untere Seite des Colon transversum
in die obere Lamelle des Mesocolon transversum und dann in
die vordere untere Peritonealwand über; die obere und äuſsere
Lamelle des Netzbeutels dagegen scheint über die untere Seite
[459]Darmkanal.
des Colon transversum und die untere und hintere Platte des
Mesocolon überzugehen, ist jedoch nur am Colon transversum
mit ihr verwachsen (Joh. Müller l. c. S. 409.). Der Eingang in
den Peritonealbeutel hat sich nun immer mehr verengt und liegt
dann als sogenanntes foramen Winslowii zwischen ligamentum
hepatico-duodenale
und dem ligamentum duodeno-renale (l. c.
S. 411.). Da jedoch die beiden Lamellen des Netzbeutels mit
einander verwachsen sind, so kann von dem foramen Winslowii
aus nur der hinter dem Magen befindliche Theil, nicht mehr aber
der ganze Netzbeutel aufgeblasen werden. Zur Erläuterung des
Gesagten siehe die Durchschnittszeichnungen von Müller in Meck.
Arch. 1830. tab. XI. fig. 2—10. besonders fig. 10. a. und b.


Die Structur des Peritoneums ist dieselbe, es mag das Ge-
kröse bilden oder sich an den Darm oder die Bauchwandungen
anlegen. Zuerst besteht es aus einem durchsichtigen Stoffe, in
welchem eine sehr groſse Anzahl von Körnchen enthalten sind.
Die Körnchen haben einen mittleren Durchmesser von 0,000425
P. Z. Nun entstehen in dem gallertartigen, durchsichtigen Stoffe
feine, sich vielfach verbindende Fäden. Ihren Durchmesser be-
rechnete ich aus dem dritten Monate des menschlichen Embryo
zu 0,000220 P. Z. Mit der Ausbildung dieser offenbar späterhin
eine eigene Schicht bildenden Fäden, vermindert sich die Zahl
der Körnchen. Durch weitere Fortbildung stellt nun allmählig
die Faserschicht die seröse Haut, die Körnerlage dagegen das
verbindende Schleimgewebe dar.


Die Muskelfasern des Darmkanales entstehen auf ähnliche
Weise, wie die Muskelfasern des Herzens, d. h. nicht wie die will-
kührlichen Muskeln aus longitudinell zusammengereiheten und mit
einander scheinbar verschmelzenden Kügelchen, sondern durch ur-
sprüngliche Bildung in der vorhandenen, verbindenden Gallertmasse,
während die Kügelchen mehr zwischen ihnen befindlich bleiben.
Die Muskelfasern selbst erscheinen dann als dünne homogene und
durchsichtige, mehr oder minder mit einander verwebte und zum
Theil, wie es scheint, mit einander anastomosirende Fäden, deren
Durchmesser ich bei dem menschlichen Embryo aus dem fünften
Monate in der longitudinellen Schicht des Dünndarmes zu 0,000506
P. Z. in der circulären dagegen zu 0,000404 P. Z. bestimmt habe.
Der Diameter der zwischen ihnen enthaltenen Kügelchen betrug
0,000304 P. Z. im Durchschnitte.


[460]Von dem Embryo.

An der Schleimhaut des Darmkanales nimmt vor Allem die
Gestaltung ihrer Oberfläche, besonders in den dünnen Gedärmen,
unsere Aufmerksamkeit und unser Interesse in Anspruch. Bekannt-
lich nennt man die Produktionen der Schleimhaut des duodenum
sowohl, als der dünnen Gedärme, Darmzotten. Diese zierlichen
Gebilde haben in dem erwachsenen Menschen sowohl, als in
den verschiedenen Thieren, die berühmtesten Forscher, wie Lie-
berkühn, R. Hedwig, Rudolphi, J. Fr. und Alb. Meckel, Bleuland,
Döllinger, Seiler, Joh. Müller, E. H. Weber, Retzius u. A. ver-
folgt. Ueber ihre Entwickelung in dem Menschen hatte J. Fr.
Meckel (Arch. III. S. 68—70.) Untersuchungen angestellt, deren
Resultate kürzlich folgende waren. Sie erscheinen zu Anfange
des dritten Monates in ihren ersten Spuren als dicht neben ein-
ander stehende Längenfalten, welche kaum an ihrem freien Rande
eingekerbt sind. Die Zahl der Einschnitte vermehrt sich nun
immer mehr; sie dringen mehr in die Tiefe. Die Zotten entste-
hen also durch allmählig geschehende Einkerbung und dadurch
bewirkte Zerfällung von einfachen Längenfalten. — Bis zum sie-
benten Monate finden sie sich nicht blos in den dünnen, sondern
auch in den dicken Gedärmen. Hier sind sie aber schon in dem
dritten Monate niedriger jedoch noch sehr zahlreich. Im vierten
ist ihre Gröſse, Anzahl, Höhe und Dicke geringer geworden.
Dieses nimmt nun immer mehr zu, bis im achten Monate nur
niedrige, flach eingeschnittene Längenfalten sich finden. — Ich
habe es mir angelegen seyn lassen, die Entstehung so schöner
und wichtiger Gebilde, als die Darmzotten sind, genau zu ver-
folgen und glaube daher über ihre Genese einige nicht ganz un-
interessante Zusätze anführen zu können. Schon Meckel hatte
bemerkt, daſs die Schleimhaut des Darmkanales in früher Zeit
des Embryonallebens verhältniſsmäſsig bedeutend dicker sey, als
späterhin. Diese Beobachtung läſst sich äuſserst leicht bestätigen,
und so fand ich, um nur ein Beispiel anzuführen, bei einem 1
Zoll langen Schweinefötus das Verhältniſs der Dicke der Schleim-
haut zu der des inneren Darmrohres im Dünndarme, wie 1 : 7
(s. unten die micrometrischen Messungen). Schon um diese Zeit
lassen sich zwei Lagen an der Schleimhaut des Darmrohres un-
terscheiden, eine obere dickere und eine untere dünnere Lage.
Die Dicke der ganzen inneren Schleimhaut ist aber so bedeutend,
daſs dadurch ein nur verhältniſsmäſsig kleiner Raum für die ganze
[461]Darmkanal.
übrige Höhlung des Darmrohres übrig bleibt. Nun erhebt sich
die Schleimhaut mit ihren beiden Lamellen zuerst in eine oder
mehrere, fast den dritten Theil der Peripherie des Rohres
einnehmenden Falten, welche sich schnell mit dem Wachsthume
des Darmes vermehren, so daſs es den Anschein hat, als seyen
die groſsen wulstigen, fast das ganze innere Darmrohr ausfüllen-
den Falten die ersten Rudimente der später persistirenden Darm-
zotten. Allein daſs dieses nicht so sey, davon kann man sich
leicht überzeugen. Zieht man nämlich die innere dickere Lage
der Schleimhaut ab, welches vorzüglich an solchen Stücken leicht
gelingt, die einige Zeit in Weingeist gelegen, so liegen erst unter
ihr die einzelnen isolirten, kleinen Darmzotten. Offenbar näm-
lich ist der Häutungsproceſs der inneren Oberfläche der Schleim-
haut des Darmkanales ein wesentlicher und ein nothwendiger
Vorgang. Schon Rudolphi, vorzüglich aber Joh. Müller (Physiol.
I. S. 254.) sprechen von einer epidermisartigen, mehr oder min-
der leicht abstreifbaren Hülle der Darmzotten, welche der Letz-
tere für eine Mittelform zwischen Epithelium und Schleim hält.
Dieser fortwährende Häutungsproceſs, d. h. die Losstoſsung der
alten und gleichzeitige Bildung einer neuen Hülle findet zwar,
wie ich an einem anderen Orte nachweisen werde, während des
ganzen Lebens Statt. Im Fötus aber ist er von einer hohen und
einfluſsreichen Wichtigkeit. Die oben genannte, dickere Lage ist
nämlich eine solche erste Abstoſsungsschicht, welche also zuerst
stärker und dichter ist, als die Darmzotten selbst. Je mehr sich
nämlich diese dickere Lage erhebt, um so mehr folgt ihr anfangs
die untere etwas dünnere Lage nach. Bald jedoch überwächst
diese letztere die erstere, so daſs die kleinen wahren Zotten in
ihnen ungefähr eben so liegen, wie die Finger der Hand in einem
Handschuh sich befinden. Hat man ein taugliches Stück der
dünnen Gedärme, z. B. eines menschlichen Embryo aus dem vier-
ten oder dem Anfange des fünften Monates besonders etwas in
Weingeist erhärten lassen, so kann man die obere dichtere Lage
von der unteren abziehen. Die abgezogene Lamelle hat dann,
von der inneren Seite angesehen, ein sehr zierliches, maschenför-
miges Ansehen, welche Maschen von einer mehr oder minder re-
gelmäſsigen Gestalt und von einer meistens rundlichen Form sind.
Von jedem Maschennetze geht eine cylinderförmige einem Hand-
schuhfinger nicht unähnliche Verlängerung aus, die Scheide der
[462]Von dem Embryo.
wahren Zotte. Erst nachdem man nun die obere dickere La-
melle abgezogen, kommen die kleinen zierlichen, der unteren
Lamelle allein angehörenden Zotten zum Vorschein. Diese sind
(s. die micrometr. Messungen) um vieles kleiner und durchaus
nicht mit einander verbunden, sondern discret. Sie haben daher
in der That ein ganz anderes Ansehen, als sie vorher mit der
dickeren Hülle überzogen zu besitzten schienen und erscheinen
wenigstens von dem Momente an, in welchem sie sich schärfer
von der dickeren Lamelle scheiden, isolirt, wiewohl sie vorher
wahrscheinlich auch in den dünnen Gedärmen (denn in dem
Zwölffingerdarm ist dieses, wie Joh. Müller schon bemerkt, nor-
mal) durch zarte Fältchen an ihrer Basis mit einander verbunden
seyn mögen. Die dickere obere Lamelle wird oben abgestoſsen
und ich werde diesen merkwürdigen Prozeſs mit dem Namen
der Urhäutung der inneren Oberfläche des Darmrohres belegen.
Diese Urhäutung wird aber durch zwei Momente vollbracht:
1. Die obere Lage wird besonders an den Seiten und in den
Zwischenräumen der Darmzotten zuerst etwas losgestoſsen, so
daſs ein kleiner Zwischenraum zwischen ihr und den entsprechen-
den Stellen der unteren Lage entsteht und 2. sowohl die so von
ihrer unmittelbaren Verbindung mit der blutreichen Darmober-
fläche befreiten Stellen, als die noch in Verbindung mit ihm ste-
henden Oberflächen werden zum Theil resorbirt, zum Theil ent-
fernt und aufgelöst. Das sie verbindende und umhüllende Schleim-
gewebe wird lockerer und in eine wahre schleimartige Masse
verwandelt; die in ihm enthaltenen Körnchen werden zum Theil
aufgelöst, die rückbleibenden verharren aber zum Theil in dersel-
ben Form und Gestalt, als früherhin. Die so metamorphosirte Masse
füllt nun das innere Darmrohr. Das Meconium oder die facces des
Fötus sind nichts weiter, als diese Masse verbunden mit der aus-
geschiedenen, als kleine gelbe Körnchen oder Klümpchen erscheinen-
den Galle und vielleicht einen noch durch die Schleimhaut des Darm-
kanales abgesonderten flüssigen Materie. In früher Zeit ist bloſs
die durch den Urhäutungsprozeſs gebildete Masse mit nur sehr
weniger Galle vorhanden, welche in einzelnen Pünktchen theils
in der Kothmasse, theils an den wahren Darmzotten sitzen.
Diese dagegen bestehen schon aus einer oberen und einer unte-
ren inneren Lage. Die Blutgefäſse reichen, so viel ich wenig-
stens an ganz frischen Säugethierfötus sah, keineswegs bis an die
[463]Darmkanal.
obere und äuſsere Lage der wahren Darmzotten, sondern schei-
nen schon in der Mitte der unteren Lage aufzuhören. Leider
ist mir bis jetzt noch keine vollständige feine Injection der Darm-
zotten in so früher Zeit des Fötuslebens gelungen, daſs ich mit
Bestimmtheit anzugeben vermöchte, wie weit die Blutgefäſse in
die innere Lage derselben hineinreichen. Ist nun diese Urhäutung
vollendet, so erscheinen die Darmzotten zwar freier, es beginnt
aber von nun an der permanente Häutungsprozeſs derselben, wel-
cher durch das ganze Leben anhält. Nur ist die obere sich ab-
stoſsende Lage um so dicker, und um so leichter trennbar, je
jünger das Individuum ist. Im Fötus der letzteren Hälfte der
Schwangerschaft sowohl, als in den Neugeborenen, ist das Häut-
chen noch ziemlich fest und man findet in dem frischen Meconium
auſser der nunmehr zum Theil verflüssigten Galle und der schleim-
artigen Masse nicht selten ganze Scheiden der Darmzotten. Nach
Berzelius ist das Meconium des Neugeborenen ohne Geruch und
ohne Geschmack, zuweilen jedoch übelriechend, verliert bei dem
trocknen ⅘ seines Gewichtes, wird braun, süſslich riechend und
pulverisirbar. Bei der trockenen Destillation giebt es brennbare
Gase, kohlensaueres Ammonium, Wasser, empyreumatisches Oel
und hinterläſst ⅙ seines Gewichtes Kohle. Nach Payen zieht
Alkohol aus ihm 1/10 einer grünen dem Gallertharze ähnlichen
Materie aus; Alkali dagegen eine braungelbe Substanz. Die
Asche enthält Kochsalz, kohlensaueres Kali und phosphorsaueren
Kalk. Siehe Berzelius Thierchemie S. 596. 597. — Wie der
erste Vorläufer der Zotten, die Falten des gröſseren Theiles der
oberen und eines kleineren Theiles der unteren Lage sind, so
kehrt durchaus derselbe Prozeſs in den übrigen Theilen des
Darmkanales wieder. Ja es geht sogar so weit, daſs in dem
Magen sowohl, als in dem Dünndarme Zotten zu entstehen
scheinen und zum Theil wahre Zotten sich auch bilden. Es
wird nämlich auch die zuerst entstehende Reihe der Längen-
falten transversal mehr oder minder regelmäſsig eingekerbt, so
daſs, wenn man das Darmrohr, sey es im Magen oder den dicken
Gedärmen, öffnet, man eine mit Zotten besetzte Fläche vor sich
zu sehen glaubt. Man sieht nämlich rundliche oder cylinderför-
mige Erhabenheiten, welche durch Einschnitte deutlich genug von
einander geschieden sind. Zieht man aber die obere Lage der
Schleimhaut ab, so sieht man im Magen verhältniſsmäſsig später,
[464]Von dem Embryo.
als in den dicken Gedärmen eine ebenso zierliche, als eigenthüm-
liche Conformation der unteren Lage der Schleimhaut. Diese er-
hebt sich nämlich und bildet in dem Magen ein zierliches Netz
von maschenförmig mit einander verbundenen Falten, welche
runde, vier- oder vielseitige Areolen zwischen sich lassen. In den dik-
ken Gedärmen findet sich ein ähnliches Maschennetz. Nur sind
hier die Areolen kleiner und mehr von gleicher Gröſse. An den
Winkeln der Areolen, d. h. an denjenigen Stellen, wo die Falten
der unteren Lage zusammenstoſsen, bildet sich ein Knotenpunkt,
d. h. eine rundliche Anschwellung. Auf dieser aber steht eine
wahre Darmzotte. Macht man daher Durchschnitte, so werden die
Falten, selbst in der Profilansicht weniger kenntlich, während die
über die Ebene hinausragenden in den Knotenpunkten stehenden
Zotten sogleich in die Augen fallen. Dieses scheint auch Meckel
verführt zu haben, wenn er in seiner Abbildung (Profilansicht
fig. 21. tab. I. s. Arch. Bd. III.) aus dem fünften Monate isolirt
stehende Darmzotten aus dem Dickdarme darstellt. Die zierliche
maschenförmige Conformation kann man aber in den dicken Ge-
därmen schon zu Ende des dritten oder im Anfange des vierten
Monates sehen; in dem Magen dagegen undeutlich im Anfange
des vierten und deutlich erst beim Beginne des fünften Monates
erkennen. Im Magen nun treten an der Stelle der Areolen groſse
Conglomerate von Schleimdrüsen. In den dicken Gedärmen erheben
sich nun die Falten immermehr, während die auf den Knotenpunkten
stehenden Zotten kleiner werden oder wenigstens sich nicht vergrö-
ſsern, so daſs sie zuletzt mit den Falten in gleiches Niveau kom-
men. Wir müssen nun aber wieder zu der oberen Lage zurück-
kehren. Wir hatten gesehen, daſs sie in dem Magen sowohl als
in den dicken Gedärmen zuerst die untere Lage so bekleidete,
daſs der Schein existirender Zotten entstand. Vergleicht man die
Art und Weise, wie hier die obere Lage die Falten und Zotten
überzieht, mit der, wie dieses in den dünnen Gedärmen mit den
wahren Zotten der Fall ist, so finden wir das Verhältniſs in bei-
den von einander abweichend. Während in dem Jejunum und
Ileum jede zottenförmige Umkleidung der oberen Lage einer wah-
ren Zotte der unteren Lage entspricht, so ist dieses in den dik-
ken Gedärmen nur bei den in den Knotenpunkten befindlichen
Zotten der Fall. Die übrigen scheidenförmigen und zottenarti-
gen Hüllen der oberen Lage dagegen entsprechen den Falten und
ihre
[465]Darmkanal.
ihre in die Tiefe gegen die untere Lage hingehende Einsenkungen
der Areolen. Da diese letzteren besonders zu Anfange des fünf-
ten Monates eine relativ groſse Tiefe haben, so erscheint die obere
Lage auch von ihrer inneren, der unteren Lage zugekehrten Ober-
fläche angesehen, wie die obere Fläche der oberen Lage der
dünnen Gedärme. Dieses natürlich sich ergebende Verhältniſs
kann leicht auf den ersten Blick Verwirrungen veranlassen. Man
orientirt sich aber, sobald man nur das relative Verhältniſs der
Falten und Areolen der unteren Lage in Erwähnung zieht. — Wir
geben nun eine Auswahl der sehr zahlreichen, von uns veranstal-
teten mikrometrischen Messungen, theils um Manches des bisher
Erörterten mehr zu begründen, theils um die Erkenntniſs einiger
noch nicht erwähnter Verhältnisse vorzubereiten:


  • A. Schweinefötus.
    • a. Länge des Körpers 1 Zoll.
      • 1) Durchmesser des Darmrohres, wie es sich auf
        Durchschnitten einer in Weingeist erhärteten
        Frucht zeigte 0,014168P.Z.
      • 2) Durchmesser der Dicke der ganzen Schleim-
        haut (in beiden Lagen) von demselben Durch-
        schnitte 0,002024P.Z.
    • b. Körperlänge 1½ Zoll.
      • 1) Mittlere Breite der ganzen Dünndarmzotten (mit
        oberer und unterer Lage), frisch 0,005570P.Z.
      • 2) Mittlere Länge derselben 0,014674P.Z.
      • 3) Ein Stückchen Dünndarm von 0,12144 P. Z.
        Länge und 0,10938 P. Z. Breite enthielt 18
        Zotten.
      • 4) Nach diesen Daten kommen auf einen Quadrat-
        zoll Dünndarm 1356 Zotten.
    • c. Körperlänge 2 Zoll
      • Mittlere Breite einer Falte des Magens 0,015180P.Z.
    • d. Körperlänge 4 Zoll.
      • 1) Breite der Dünndarmzotten 0,004454P.Z.
      • 2) Länge derselben 0,017204P.Z.
      • 3) Durchmesser der inneren Oberfläche des Darm-
        rohres 0,035420P.Z
      • 4) Auf ein Stück Darm von 0,067084 P. Z.
        30
        [466]Von dem Embryo.
        Länge und 0,080600 P. Z. Breite gehen unge-
        fähr 15 Zotten.
      • 5) Dieses giebt für einen Quadratzoll 277,7 Zotten.
  • B. Rindsfötus.
    • a. Körperlänge 3 Zoll.
      • 1) Mittlere Breite der Dünndarmzotten 0,004655P.Z.
      • 2) Mittlere Länge derselben 0,017204P.Z.
    • b. Halbreifes Kalb.
      • 1) Länge der Dünndarmzotten 0,013156P.Z.
        bis 0,026818P.Z.
      • 2) Breite derselben 0,003542P.Z.
        bis 0,005262P.Z.
  • C. Menschenfötus.
    • a. Am Ende des dritten Monates.
      • Dünndarmzotten.
        • 1) Mittlere Breite derselben mit beiden Lagen (in
          Weingeist aufbewahrt) 0,004554P.Z.
        • 2) Mittlere Länge derselben mit beiden Lagen 0,000910P.Z.
        • 3) Breite (Dicke) der oberen Lage 0,001518P.Z.
        • 4) Mittlere Breite der Darmzotten ohne obere Lage 0,002530P.Z.
        • 5) Mittlere Länge derselben ohne Epithelium 0,006072P.Z.
    • b. In der Mitte des fünften Monates.
      • α. Dünndarmzotten.
        • αα. Mit der oberen Lage.
          • 1) Mittlere Breite 0,005060P.Z.
          • 2) Mittlere Länge 0,014168P.Z.
        • ββ. Ohne die obere Lage.
          • 1) Mittlere Breite 0,004048P.Z.
          • 2) Extreme der Breite 0,002732P.Z.
            bis 0,005566P.Z.
          • 3) Mittlere Länge 0,001214P.Z.
        • γγ. Die obere Lage selbst.
          • 1) Ihre Dicke 0,000607 P.Z.
          • 2) Die Dicke ihres Zwischenraumes zwischen ihr
            und der unteren Lage, wenn sie sich von die-
            ser zu entfernen beginnt 0,000708P.Z.
          • 3) Mittlerer Durchmesser ihrer nach dem Abziehen
            erscheinenden Areolen 0,003542P.Z.
          • 4) Mittlerer Durchmesser ihrer Körnchen, welche
            mit der der unteren Lage von ziemlich glei-
            cher Gröſse sind 0,000354P.Z.
      • β. Dickdarm.
        • 1) Areolen desselben 0,003542P.Z.
          bis 0,004048P.Z.
        • 2) Durchmesser der Knotenpunkte 0,001315P.Z.
        • 3) Breite einer Zotte der oberen Lage 0,003036P.Z.
        • 4) Länge derselben 0,007590P.Z.
        • 5) Die Zotten der unteren Lage an den Knoten-
          punkten befindlich. Ihre Breite 0,001820P.Z.
        • 6) Ihre Länge 0,002024P.Z.
          bis 0,007590P.Z.
    • c. In der Mitte des sechsten Monates.
      • α. Dünndarmzotten.
        • 1) Länge derselben Minimum 0,008096P.Z.
          Medium 0,017710P.Z.
          Maximum 0,026312P.Z.
        • 2) Breite derselben Minimum 0,002024P.Z.
          Medium 0,002226P.Z.
          Maximum 0,003036P.Z.
      • β. Duodenumzotten.
        • 1) Länge derselben Minimum 0,009108P.Z.
          Medium 0,014168P.Z.
          Maximum 0,021252P.Z.
        • 2) Breite derselben Minimum 0,003036P.Z.
          Medium 0,104350P.Z.
          Maximum 0,004554P.Z.
      • γ. Magen.
        • 1) Areolen der unteren Lamelle 0,004048P.Z.
          bis 0,019228P.Z.
        • 2) Zottenartige Falten in der oberen Lamelle.
          Mittlerer Durchmesser 0,004554P.Z.

Ein so groſses Gewicht wir auch sonst, wie man aus dieser
Schrift sowohl, als aus mancher anderen von uns gelieferten Ar-
beit sehen kann, auf mikrometrische Messungen legen, so müssen
wir doch offen bekennen, daſs wir bei den Unebenheiten der in-
neren Oberfläche des Darmrohres weniger bestimmte Resultate
aus denselben ziehen zu können glauben. Wie jeder vorurtheils-
30*
[468]Von dem Embryo.
freie Beobachter sich bald überzeugt, daſs die Form der Darm-
zotten z. B. keineswegs eine so entschieden bestimmte ist, als
von manchen Schriftstellern angegeben wird, so ist es auch mit ih-
rer Gröſse der Fall. Die Extreme, zwischen welchen die dicht neben
einander stehenden Zotten variiren, sind so bedeutend, daſs die
Sicherheit des Resultates dadurch um Vieles geschmälert wird.
Wir geben daher nur mit einer gewissen Zurückhaltung die aus
diesen und noch manchen andern von uns veranstalteten Messun-
gen folgenden Resultate und können höchstens nur, so sehr wir
auch die Gröſsen genau zu finden uns bemüheten, für die Wahr-
scheinlichkeit derselben als approximative Werthe stehen.


1. Die Breite der Zotten wird im Allgemeinen in derselben
absoluten Extension beinahe angelegt, welche sie späterhin besitzen.
Ihre relative Ausdehnung ist aber daher früher natürlich um Vieles
gröſser. Mit dem Wachsthume des Embryo überhaupt und des Darm-
kanales insbesondere vergröſsert sich auch die Zahl der Zotten des-
selben. Bei Vermehrung derselben aber nimmt ihre Breite immer
ab, bis sie zu einem bestimmten persistirenden Verhältnisse ge-
langt. Diese letztere Gröſse weicht absolut im Ganzen nur wenig
von der primären Gröſse der zuerst angelegten Zotten ab. Belege
hierzu sind besonders A. b. No. 1. c. a. d. No. 1. e. No. 1. b. No.
1. c. No. 2. Auſserdem spricht auch die Analogie der anderen Ge-
bilde für diesen Satz.


2. Die Länge der Zotten wird auch in einer gewissen ab-
soluten Gröſse angelegt, die natürlich relativ so bedeutend ist,
daſs dadurch die Höhlung des Darmrohres fast ganz ausgefüllt wird.
Nachdem sie sich im Mittelmaſse etwas verkleinert hat, vergröſsert
sie sich wieder, so daſs sie bald um etwas ihre zuerst angelegte
Gröſse übersteigt und in diesem mittleren Maſse zuletzt verharrt.


3. Die obere Lage ist absolut sowohl, als relativ vor der
Urhäutung am dicksten und jede nächstfolgende neu sich bildende
oder vielmehr neu erscheinende Lage ist dünner, als die vorher-
gehende.


4. Die absolute Zahl der Zotten vermehrt sich natürlich bei
vorschreitendem Wachsthume des Darmkanales immer mehr.
Die relative dagegen wird immer geringer, nicht sowohl dadurch
daſs die Zotten sich vergröſsern (welches zum Theil an ihrer
Basis unläugbar der Fall zu seyn scheint), als durch Gröſserwer-
den ihrer Distanzen oder durch Weiterrücken der Zotten selbst.


[469]Zwerchfell.

5. In Bezug auf die Distanzen der Zotten von einander
muſs man ein absolutes Verhältniſs von einem relativen unter-
scheiden. Die erstere nenne ich die Distanzen der Zotten der
unteren Lage, nach Entfernung der oberen; die letztere die Distan-
zen derselben, so lange beide Lagen noch in ihnen verbunden sind.
Diese letztere ist, je jünger der Fötus ist, um so kleiner. Die
erstere dagegen ist von Anfang an schon sehr groſs, scheint aber
doch im Laufe der Entwickelung immer noch zuzunehmen.


6. Wie die einzelnen Lagen immer näher an die innere
Oberfläche rücken, indem die erste sich stets durch Häutung löst und
jede nächst folgende immer dünner wird, tritt die mit Blutgefäſsen
versehene Lage der Oberfläche der Zotten immer näher. Die feinsten
Blutgefäſsnetze der Darmzotten liegen deshalb der inneren Ober-
fläche des Darmes um so näher, je weiter die Entwickelung vor-
schreitet und im Erwachsenen daher derselben am nächsten. Viel-
leicht läſst dieses einen Schluſs für die von Plagge geäuſserte Idee zu,
daſs eine wahre Darmrespiration Statt finde, — eine Meinung,
welche in gewisser Beziehung wohl unbezweifelt wahr ist und
durch die Aehnlichkeit der Verbreitung der feinsten Blutgefäſs-
netze, auf welche besonders Carus schon hingedeutet hat, noch
unterstützt wird. Denn die feinsten Netze der Duodenumzotten
nähern sich mehr dem Charakter der in den Lungen vorkommen-
den, die des jejunum und ileum mehr dem der in den Kiemen
vorhandenen Capillaren.


Anhangsweise müssen hier noch zwei Gebilde abgehandelt
werden, welche dem serösen Blatte zwar angehören, mit dem
Schleimblatte aber in eine so innige Berührung kommen, daſs sie
am Füglichsten hier betrachtet werden können, nämlich das Zwerch-
fell und der sympathische Nerve. — Das Diaphragma scheint sehr
frühzeitig zu entstehen, und ist bei Embryonen von 8—10‴
Länge schon als eine dünne, aber dichte, zwischen Brusthöhle und
Unterleib gespannte Haut wahrzunehmen. Untersucht man diese
letztere näher, so findet man, daſs sie aus zwei Lamellen besteht,
nämlich einer oberen, der unmittelbaren Fortsetzung der Pleura
und einer unteren, der unmittelbaren Fortsetzung des Bauchfelles.
Zwischen ihnen liegt eine in dem Centrum sehr dünne, an der
Circumferenz des Diaphragma dickere Schicht von einem zähen
Bildungsgewebe. Man sieht daher leicht, daſs das scheinbar so
sehr ausgebildete Zwerchfell es in der That nicht ist, sondern
[470]Von dem Embryo.
sich auf den ersten Stufen seiner rudimentären Anlage befindet.
In dieser mittleren Bildungsmasse entstehen die Muskelfasern und
Muskelbündel, wie in allen unwillkührlichen Muskelgebilden und
zwar zuerst an der Peripherie, dann im Centrum. Bei einem 1½ Zoll
langen Schweinefötus ist die Circumferenz schon weit stärker
und dicker und ihre Muskelfäden sind weit mehr ausgebildet, als in
dem Centrum. Diese hatten in der Mitte 0,000354 P. Z., an dem
Umkreise dagegen 0,000202 P. Z. im Durchmesser. Nun wird
die Muskelschicht immer stärker und deutlicher, die serösen
Ueberzüge derselben aber, die Fortsetzungen der Pleura und des
Peritoneum werden zwar relativ geringer, sind jedoch während
der ganzen Fötalzeit verhältniſsmäſsig ausgebildeter, als in dem
Erwachsenen.


Ueber die Entwickelung des sympathischen Nerven habe ich
nirgends eine auf Erfahrung beruhende Notiz gefunden. Man hat
überhaupt über dieses Gebilde Vieles gefabelt und im Ganzen nur
noch sehr Weniges beobachtet, so daſs ein geistreicher Schriftsteller
es mit Recht den Phantasien älterer Aerzte über schwarze Galle u.
dgl. gleichstellt, wenn man zu unserer Zeit so vieles Unbekannte und
Räthselhafte im gesunden oder kranken Organismus der Thätigkeit
dieses fast ganz noch unbekannten Theiles zuschreibt. Die Divergenz
der Meinungen ist auch endlich so weit gekommen, daſs, während
man einerseits so viele sensible (fast alle unwillkührlichen oder alle
unbewuſsten) Handlungen von diesem räthselhaften sympathischen
Nerven herleitet, anderseits Magendie (Lehrbuch der Physiologie
übers. von Elsässer Thl. I. 1834. 8. S. 145.) seine Natur als Ner-
ven sehr in Zweifel zu ziehen sucht. Vielleicht wird es unse-
rem thätigen Zeitalter, welchem die merkwürdige Entdeckung
der verschiedenen Functionen der vorderen und hinteren Wur-
zeln der Rückenmarksnerven vorbehalten war, auch noch gelin-
gen, dieses dunkele und jedenfalls höchst wichtige Feld durch
Erfahrung und Experimente aufzuhellen. — Den sympathischen
Nerven in seiner Entwickelung zu beobachten, ist eine der schwie-
rigsten Aufgaben der feineren Anatomie. In frischen Embryonen
sehr früher Zeit verliert sich das feine Fädchen leicht dem Blicke
des Naturforschers und wenn die Erhärtung in Weingeist es auch
ohne Zweifel deutlicher macht, so werden doch neben ihm auch
andere fadenartige Gebilde eben so weiſs und brüchig, als der
Nervus sympathicus selbst. Ich habe daher wohl kaum bei
[471]Sympathischer Nerve.
der Untersuchung der Evolutionsgeschichte irgend eines anderen
Organtheiles so viele, weniger als ½—¾ Zoll lange Embryo-
nen zerschnitten, als zu dieser. — Wenn Rathke (Burdachs
Physiol. II. S. 193. und Fluſskrebs S. 30. u. 50. tab. 3. fig. 30.
u. 31.) den Ganglienstrang bei dem Krebse zuerst als eine Reihe
hinter einander liegender Knötchen sah und E. H. Weber (Meck.
Anat. 1828. S. 392. tab. X. fig. 9. und tab. XI. fig. 13.) an dem
Blutegel dasselbe beobachtete, so war dieses entweder schon ein
secundärer Zustand, oder die Entstehung des Ganglienstranges
der Wirbellosen ist eine andere, als die des sympathischen Ner-
ven der Wirbelthiere. Dieser ist wahrscheinlich (denn diesen
Urzustand zu sehen, ist mir bis jetzt trotz aller angewandten
Mühe noch nicht geglückt; ich erschlieſse ihn nur aus dem Fol-
genden) zuerst ein verhältniſsmäſsig starker, aber überall gleich dik-
ker Faden. Er bekommt nun theilweise Anschwellungen in glei-
chen Entfernungen, welche aber unmerklich in den verbindenden
Theil des Fadens übergehen. Es hat daher auf den ersten Blick
den Anschein, als bestünde der sympathische Nerve aus einer
Kette kegelförmiger Glieder, welche so übereinander stehen, daſs
die Spitze eines vorderen Gliedes mit der Basis des nächst hin-
teren verschmilzt. Die Anschwellung zieht sich nun immer mehr
in jedem Gliede nach vorn zurück und der Gegensatz zwischen
Ganglien und verbindendem Faden wird schärfer, ja sogar zum
Theil bestimmter, als späterhin; denn bald darauf nimmt der
Ganglientheil wiederum relativ ab, und wird daher nicht mehr
so überaus bestimmt und auffallend von dem verbindenden Theile
geschieden. Diese Metamorphosen des sympathischen Nerven
habe ich an einer Reihe von Schaaf- und Schweineembryonen
verfolgt. Der kleinste Embryo, in dem ich den Nervus sympa-
thicus
in jener Form, wie ich sie als von mir wirklich gesehen
beschrieben, beobachtet habe, war ein acht Linien langer Schwei-
neembryo. Der zuletzt erwähnte Zustand dagegen findet sich
schon bei 4—5 Zoll langen Früchten des Schaafes und des
Schweines. Wenn ich etwa in der Darstellung der Genese des
sympathischen Nerven wegen des Mangels von Abbildungen
undeutlich gewesen bin, so werde ich vielleicht verständlicher
werden, wenn ich eine, wie ich glaube, nicht ganz unzweckmä-
ſsige Vergleichung anführe. Man kann nämlich dem Aeuſseren
des Bildungsherganges nach die Entstehung des Nervus sympa-
[472]Von dem Embryo.
thicus mit der der inneren keimbereitenden Genitalien in mehr
als einer Hinsicht parallelisiren. Beide entstehen aus einer depo-
nirten Bildungsmasse, welche von der darauf liegenden serösen
Haut eingeschlossen wird. Die Urmasse des Hodens und Eier-
stockes liegt freilich in einer mehr oder minder sich erhebenden
Falte des Bauchfelles; bei dem symphatischen Nerven bilden we-
der Pleura noch Peritoneum eine wahre Falte; allein sie schlie-
ſsen doch die Urmasse von ihrer einen Hälfte in sich ein und
bedecken sie völlig. Ob nun der früheste einfache Faden noch
eine bloſse solche Urmasse sey, oder aus wahrer nervenähnlicher
Substanz bestehe, wage ich nicht zu entscheiden, da ich in die-
sem Zustande den sympathischen Nerven noch nie mit Bestimmt-
heit zu sehen vermochte. Nun haben wir es oben gesehen, daſs
die ursprüngliche längliche und fadenförmige Bildungsmasse sich
an einer bestimmten Stelle verdickt, im Uebrigen aber schwindet,
um Hoden oder Eierstock darzustellen. Ein ähnlicher Proceſs
findet auch hier mit folgenden zwei Modificationen Statt. 1. Der
Faden verdickt sich an vielen Stellen und jede Verdickung bildet
das Urrudiment eines Ganglion. 2. Diese Verdickung geht, wie
dieses zuerst bei den keimbereitenden inneren Genitalien eben-
falls der Fall ist, ohne sicher fixirte Grenzen in den Verbindungs-
theil über. Später wird diese Begrenzung, was auch bei den
Hoden und Eierstöcken vorkömmt, bestimmter und so das Gang-
lion von dem Verbindungstheile mehr geschieden. Endlich zuletzt
wird aber auch der Verbindungstheil dicker und so die Grenze
wieder um etwas weniger scharf, wiewohl noch deutlich genug
marquirt. — Die Substanz des Nervus sympathicus giebt sich
bald als eigene nervenähnliche Masse zu erkennen, und es ist
völlig unrichtig, wenn Manche, wie Ackermann (de nervei sy-
stematis primordiis
. 1813. 8. p. 90), Ehrenberg u. A. die Ner-
venkügelchen des sympathicus oder der retina für ausgeschie-
dene Blutkügelchen oder deren Kerne hielten. — Einige auf be-
stimmte Gesteze hindeutende mikrometrische Gröſsenverhältnisse,
welche sich gröſstentheils auf Schweineembryonen, die in Wein-
geist etwas erhärtet worden sind, beziehen, sind folgende:


  • a. Körperlänge 8 Linien.
    • 1) Dicke des sympathischen Nerven 0,003643P.Z.
    • 2) Länge des stärker angeschwollenen gangliösen
      Theiles 0,011233P.Z.
    • 3) Länge des dünneren Verbindungstheiles 0,004250P.Z.
    • 4) Verhältniſs des gangliösen zu dem Verbindungs-
      theile seiner Länge nach wie 1:0,378.
  • b. Körperlänge 1 Zoll (Schaaffötus).
    • 1) Breite des gangliösen Theiles 0,006072P.Z.
    • 2) Breite des Verbindungstheiles 0,001820P.Z.
    • 3) Verhältniſs des gangliösen Theiles zu dem Ver-
      bindungstheile seiner Breite nach wie 1:0,299.
    • 4) Diameter der Nervenkügelchen von 0,000303P.Z.
      bis 0,000607P.Z.
  • c. Körperlänge 2½ Zoll.
    • 1) Breite des gangliösen Theiles 0,013186 P.Z.
    • 2) Breite des Verbindungstheiles 0,004452P.Z.
    • 3) Verhältniſs des gangliösen Theiles zu dem Ver-
      bindungstheile seiner Breite nach wie 1:0,339.
    • 4) Länge des gangliösen Theiles 0,011132P.Z.
    • 5) Länge des Verbindungstheiles 0,024288P.Z.
    • 6) Verhältniſs des gangliösen Theiles zu dem Ver-
      bindungstheile seiner Länge nach wie 1:2,181.
  • d. Körperlänge 4 Zoll.
    • 1) Breite des gangliösen Theiles 0,010626P.Z.
    • 2) Breite des Verbindungstheiles 0,009614P.Z.
    • 3) Verhältniſs des gangliösen Theiles zu dem Ver-
      bindungstheile ihrer Breite nach wie 1:0,904.
    • 4) Länge des gangliösen Theiles 0,030360P.Z.
    • 5) Länge des verbindenden Theiles 0,05896P.Z.
    • 6) Verhältniſs des gangliösen zu dem verbindenden
      Theile ihrer Länge nach wie 1:1,933.

Diese von mir gefundenen Gröſsenverhältnisse, von denen ich
nur wünschen kann, daſs andere mit guten, vorzüglich Schrau-
ben-Mikrometern versehene Naturforscher sie entweder bestätigten
oder berichtigten, deuten auf folgende Resultate hin: 1. Das Ver-
hältniſs der Länge des gangliösen Theiles des sympathischen Ner-
ven zu der des Verbindungstheiles wird mit erfolgender Entwik-
kelung kleiner und undulirt zuletzt, wie es scheint, zwischen
mehr bestimmten Grenzen. 2. Die Verschiedenheiten des Brei-
tenverhältnisses (wenigstens in dem ersten Drittheile des Fötus-
lebens) sind weit geringer, als die des Längenverhältnisses. 3. Die
Kügelchen des sympathischen Nerven unterscheiden sich nicht bloſs
[474]Von dem Embryo.
durch ihre Form, sondern auch durch ihre Gröſse von den Blut-
körperchen und sind durchaus eine eigenthümliche und selbststän-
dige Bildung, wie die eines jeden anderen Theiles des Körpers.


2. Secundäre Metamorphosen des Schleimblattes.


Mit dieser Benennung belegen wir eine Reihe von Verände-
rungen, welche zwar zum Theil oder gänzlich dem Schleimblatte
angehören, erst dann aber zum Vorschein kommen können und in
der That kommen, wenn die primäre Bildung des Schleimblattes
längere oder kürzere Zeit schon aufgetreten ist. Die secundären
Umänderungen basiren sich mittelbar oder unmittelbar hierauf; die
Urbildung des Darmkanales dienet ihnen entweder als Ziel, wel-
ches sie erreichen müssen oder als Grundlage, von welcher sie
ausgehen. Dieses zwiefache Verhältniſs bedingt auch zwei, ihrem
Charakter nach verschiedene, ja gewissermaſsen entgegengesetzte
Abtheilungen, nämlich die Klasse der Einfurchungen und die der
Ausstülpungen. Wenn wir nach dem scheinbaren Vorgange diese
beiden Abtheilungen benennen, so müssen wir ausdrücklich be-
merken, daſs wir diese gebräuchlichen Redensarten vorzüglich ge-
wählt haben, um die Sache anschaulicher zu machen, nicht um
sie zu erklären. Am Ende ist ja unsere ganze Sprache, unser
ganzes Auffassen der äuſseren Natur eine solche metaphorische Be-
handlungsweise ihrem Wesen nach einseitig und deshalb z. Thl. un-
richtig, da wir die speciellsten Hergänge nie begreifen, viel weniger
ausdrücken können, da unsere für sie benutzten Benennungen im-
mer allgemeiner und daher nicht ganz wahrer (abstracterer und
nicht völlig concreter) Natur sind. Der Charakter der Einfur-
chung ist der, daſs von auſsen nach innen eine Vertiefung sich
bildet. Diese gehört, da sie von der äuſseren Oberfläche des
Embryo ausgeht, dem serösen Blatte an und dringt von ihm in
das Schleimblatt. Bei der Ausstülpung ist es umgekehrt. Hier
geht die Höhlung von dem Rohre des Schleimblattes aus und be-
giebt sich entweder in eine schon gebildete Verdickung dessel-
ben, in ein Blastema oder hebt die Wandung des Rohres des
Schleimblattes empor, so daſs in diesem Falle die Ausstülpung
das primäre, in jenem dagegen das secundäre ist. Diese bei-
den letzteren Unterabtheilungen sind aber natürlich keineswegs
so sehr streng von einander geschieden, als die Hauptabtheilungen
selbst.


[475]Einfurchungsbildungen.
A. Einfurchungsbildungen.

Auch hier kann man, wie wir es oben von den Ausstül-
pungsbildungen angedeutet haben, zwei Formationsreihen von ein-
ander unterscheiden, nämlich 1. die Einstülpungsbildungen und
2. die Einfurchungsbildungen im engeren Sinne. Wir werden
der Deutlichkeit wegen und um uns des bloſsen logischen Distin-
guirens für fernerhin zu entledigen, die Charaktere der beiden
parallelen Unterabtheilungen der zwei Hauptklassen angeben und
einander gegenüberstellen. Da die Einfurchungsbildungen gewis-
sermaaſsen das Entgegengesetzte der Ausstülpungsbildungen sind,
so werden sich auch die parallelen Unterabtheilungen auf entge-
gengesetzte Weise verhalten. 1) Die Einstülpungsbildungen ent-
sprechen der zweiten Abtheilung der Ausstülpungsbildungen, näm-
lich derjenigen, in welcher keine Verdickung, sondern eine bloſse,
seitliche Verlängerung des Darmrohres Statt findet. Wie hier
die Höhlung von innen nach auſsen vorschreitet, so dort von au-
ſsen nach innen; wie hier der Anfangspunkt der Höhlung Aus-
gangspunkt der Höhlung ist, so ist es dort der Endpunkt. Nur
die Differenz muſs Statt finden, daſs die Ausstülpungsbildung nach
auſsen sich blind endigen, die Einstülpungsbildungen dagegen sich
mit ihrem Endpunkte nach innen wendend, das Schleimblatt oder
das seröse Blatt allein oder beide zugleich afficiren und mit ih-
nen (durch ihren frühen Endpunkt) in offener Communication ste-
hen. Zu dieser Reihe von Bildungen gehören die Sinnesorgane und
gewissermaaſsen der Mund und der After. Das Auge tritt nur mit
dem serösen Blatte in Berührung; das Ohr mit seiner inneren Ab-
theilung mit dem serösen Blatte allein, mit seiner äuſseren dagegen
mit dem Schleim- und dem serösen Blatte zugleich. Wir haben
daher diese beiden höheren Sinnesorgaue als Anhang des serösen
Blattes schon oben abgehandelt. Die Nase kommt zwar eben-
falls mit ihrer inneren Abtheilung, dem Labyrinthe, mit dem
serösen Blatte allein in Contact, ihre gröſsere, wenn auch nicht
gerade wichtigere Abtheilung dagegen mit diesem und dem Schleim-
blatte. Mund und After endlich gehen fast nur von dem serösen
Blatte aus und liegen im Uebrigen gänzlich in der Region des
Schleimblattes. Ja das eigentliche Sinnesorgan des Mundes, die
Zunge, scheint gröſstentheils ein Product des Schleimblattes (we-
nigstens ihrer Hauptmasse nach) zu seyn. 2) Die Einfurchungen
[476]Von dem Embryo.
entsprechen den mit Verdickung, Blastemen, verbundenen Aus-
stülpungen. Hier zeigt sich Verdickung, dort Verdünnung; hier
eine in das Blastem eindringende Höhlung, hier eine von auſsen
nach innen sich verschmälernde Einfurchung, daher bei völligem
Durchdringen Trennung, Spaltbildung. In diese Reihe gehören
die Kiemenspalten. Ihrer Natur nach gehören diese allen drei
Blättern der Keimhaut an. Ihr Ausgangspunkt ist aber das se-
röse, ihr Endpunkt das Schleimblatt.


a. Nase.

Ueber die früheste Entwickelung der Nase bei dem Hühn-
chen hat Huschke (Meck. Arch. Bd. VI. 1832. S. 12. 13.) frag-
mentarische Beobachtungen mitgetheilt. Da, wie sich jeder leicht
überzeugen kann, und aus den Untersuchungen vorzüglich von
Huschke (l. c.) und Rathke (Ueber die Bildung und Entwicke-
lung des Oberkiefers und der Geruchswerkzeuge der Säugethiere
in s. Abhandl. Abth. I. S. 93—103.) erhellt, die Formation des
Oberkiefergerüstes mit der der Nase innig zusammenhängt, so
müssen wir beide in dieser Darstellung mit einander verflechten,
die Ossification der hierher gehörenden Knochen aber in die Ver-
knöcherungsgeschichte (s. oben bei dem serösen Blatte) verwei-
sen. Nach Huschke (l. c. S. 12.) hängt am vierten Tage der
Entwickelung des Hühnchens über der viereckigen weit geöffne-
ten Mundhöhle ein fast eben so viereckiger Lappen (Meck. Arch.
1832. tab. I. fig. 7. p.), welcher die Mundhöhle bedeutend ver-
engert. Zuerst hat er einen etwas nach vorn eingeschnittenen
Rand, welcher bald gerade wird, im Verlaufe des sechsten Tages
sich zuspitzt und so die Schnabelspitze des Oberkiefers darstellt.
Die Nase selbst erscheint zuerst am dritten Tage als eine flache,
erst runde, dann länglicher werdende Grube jederseits, welche
nicht durchbohrt ist. Sie liegt neben den vorspringenden vorde-
ren Hirnblasen nach innen und oben von dem Auge und steigt,
der anderen Nasengrube sich nähernd, schief von auſsen und vorn
nach innen und unten hinab. Wahrscheinlich (S. 13.) entsteht, wie
bei dem Ohre das Labyrinth (s. oben), auch der anfängliche
Blindsack der Nase an der äuſseren Fläche der Spinalplatten.
Die beiden Nasengruben sind am vierten Tage mit länglichen
Wülsten umgeben und rücken allmählig zwischen die Augen, so
daſs sie am fünften bis sechsten Tage in die Gegend des Augen-
[477]Einfurchungsbildungen. Nase.
spaltes kommen. Mit Vergröſserung der Schnabelspitze aber wer-
den sie tiefer und dringen zwischen dieser und den Oberkiefern
in die Mundhöhle durch. So entstehen die ersten Formationen
der Choanen und der sutura intermaxillaris, da die Schnabel-
spitze von dem Zwischenkiefer gebildet wird, von ihr aber nach
auſsen der Hasenschartenspalt und dann der Oberkiefer folgt.
Dieser letztere ist zuerst ein runder Wulst am Ende der Bauch-
platten, welcher sich verlängert, der Schnabelspitze näher rückt und
zuletzt sich an der äuſseren Seite der Nasenöffnung endigt. Ganz
so entspringt der Unterkiefer am zweiten Tage. Die Verschmel-
zung seiner beiden Seitenhälften fällt in den dritten Tag. Am
fünften Tage (S. 14.) krümmen sie sich nach oben (vorn) und
spitzen sich abgesondert zu. Am sechsten Tage verflieſsen die
beiden Spitzen und der gekrümmte Unterschnabel berührt mit
seiner Spitze den Oberschnabel. — „Die Nase entstünde sonach,
genau genommen, hinter den Augen und zieht sich erst mit den
Hemisphären herab nach innen und vor die Augen.“ — So die
Darstellung Huschke’s. — Nach von Bär (über Entwickelungs-
geschichte S. 65. bei Burdach S. 295.) sieht man im Verlaufe des
dritten Tages an der Unterfläche jeder Hemisphäre des groſsen
Gehirnes eine kleine runde, helle Fläche, umgeben von einem
dunkelen Kreise. Dieses ist der hohle Riechnerve, welcher ge-
gen die Basis des Schädels hervortritt. Aeuſserlich ist jedoch
an der unteren Fläche des Schädels noch keine Veränderung wahr-
zunehmen. An dem vierten Tage bildet sich jedoch an der ent-
sprechenden Stelle in der jetzt verdickten Masse des Schädels
(üb. Entw.gesch. S. 78. bei Burdach S. 309.) ein längliches mit
einem wulstigen Rande versehenes Grübchen, die Nasengrube.
Beide Nasengruben liegen ziemlich dicht beisammen. Der Ober-
kiefer entsteht als eine schmale Leiste von Bildungsgewebe, wel-
che von dem hinteren Augenrande beginnt und nach vorn zu
wächst. Der Unterkiefer ist schon da, aber noch nicht kenntlich,
da der erste Kiemenbogen zum Unterkiefer wird und um diese
Zeit schon sich verdickt. Am fünften Tage werden die Nasen-
gruben tiefer und durch den vorspringenden Stirnfortsatz mehr
getrennt (üb. Entw.gesch. S. 87. bei Burdach S. 319.). Die
Tiefe der Nasengrube (üb. Entw.gesch. S. 106. bei Burdach S.
337.) wird am sechsten Tage bedeutender. Der Oberkiefer er-
reicht mit dünner Spitze den Stirnfortsatz. Zwischen beiden
[478]Von dem Embryo.
bleibt eine Lücke, der Nasenfortsatz, welcher nach auſsen in die
äuſsere Nasenöffnung übergeht, mit dem anderen Ende aber in
die Mundhöhle reicht. Dieser kurze Gang steigt fast senkrecht
hinab. Das Riechorgan entsteht also früher, als der für die Ath-
mung bestimmte Luftkanal. Denn die schon an dem vierten
Tage bemerkte Grube ist eigentlich das Riechorgan. Später (üb.
Entw.gesch. S. 122. bei Burdach S. 355.) stellt sich der Nasen-
gang immer mehr horizontal, während sich zugleich die Nasen-
scheidewand immer mehr ausbildet. So entstehen die Gaumen-
bogen, welche vorn an einander stoſsen, hinten aber durch einen
Schlitz getrennt sind, in den die Nasengänge auslaufen. Die Mu-
scheln wachsen aus der Nasengrube gegen den Nasengang hervor,
und (üb. Entw.gesch. S. 134. bei Burdach S. 367.) ziehen sich
endlich lang aus. — Mit diesen an den Vögeln bisher beobachte-
ten, freilich noch lange nicht vollständig genug verfolgten Vor-
gängen stehen auch die an Säugethieren gemachten Erfahrungen
in Analogie. So fand Rathke (Abhandl. Th. I. S. 95.) bei sehr
jungen Schaafembryonen die vordere Gesichtsfläche von verhält-
niſsmäſsig sehr geringer Länge und Breite, und in der Nähe der
Mundspalte viel breiter, als nach dem Scheitel hin. An dem un-
teren Ende der Gesichtsfläche fanden sich zwei kleine flache,
rundliche Gruben, die Nasengruben. Von dem äuſseren Winkel
der Mundspalte gingen zwei schmale lange und etwas divergi-
rende Furchen nach oben bis zu der Stelle fast, wo in dem In-
nern der Stamm der Wirbelsäule sich befand. Die Nasengruben
werden nun tiefer, indem die Gesichtswand in ihrer Circumfe-
renz dicker wird. Zugleich dehnen sie sich aber auch in ihrem
senkrechten Durchmesser mehr aus, als in ihrem Querdurchmes-
ser. Nun entsteht gleichzeitig und nahe an dem inneren Ende
einer jeden Grube ein kleiner pyramidaler Vorsprung, welcher sich
über die Grube weg nach auſsen wendet und den R. (l. c. S.
96.) den Nasenfortsatz der Stirnwand nennt. (Er entspricht
Huschke’s Schnabelspitze, Intermaxillartheil bei dem Hühnchen.)
Der spitzwinklige Lappen (Rudiment des Oberkiefers) jederseits
verlängert sich und verwächst immer mehr mit dem vorderen
Rande der Mundspalte. Sein spitziges Ende aber bleibt frei und
es nähert sich, indem es sich vorn umbiegt, dem Vorsprunge des
Nasenfortsatzes der Stirnwand. Der hintere Rand des Lappens
dagegen begrenzt nach vorn die Mundspalte. Indem sich nun der
[479]Einfurchungsbildungen. Nase.
Lappen verlängert, entsteht aus der inneren Fläche seiner gröſse-
ren und breiteren Hälfte eine Leiste, welche sich in eine dünne
Platte umwandelt, die rechtwinkelig mit dem Lappen verbunden
ist und an der Basis Cranii anliegt. Sie stellt das Rudiment
einer Seitenhälfte des Gaumengewölbes dar. Die Lappen ver-
wachsen nun mit dem Nasenfortsatze des Stirnbeines und stellen
so eine Brücke dar, über welche die äuſsere Oeffnung der Na-
sengrube, die bleibende äuſsere Nasenöffnung, sich befindet. Da-
durch, daſs alle hierher gehörenden Theile sich rasch verlängern
und der Nasenfortsatz und der hintere Rand der Nasengrube sich
verbreitern, entstehen die Nasenhöhlen. Die beiden Leisten, die
Rudimente des Gaumengewölbes, verwachsen nun, wiewohl rela-
tiv spät, mit einander (S. 97.). Der mittlere gröſsere und ur-
sprünglich existirende Theil des Nasenfortsatzes wird zu dem
Knorpel der Nasenscheidewand, dem Vomer, der lamina perpen-
dicularis
des Siebbeines und den Gaumenstücken der Ossa in-
termaxillaria
, die Seitenvorsprünge des Nasenfortsatzes aber zu
den äuſseren Schenkeln des Intermaxillarknochens. In den Fort-
sätzen, welche von den Nasenfortsätzen des Stirnbeines zu dem
Oberkieferlappen herübergehen, entstehen die Nasenknochen nebst
den knorpeligen Nasenflügeln. In dem Oberkieferlappen selbst
bilden sich die Oberkiefer- und Jochbeine; in den horizontalen
Platten endlich die Ossa palatina und die Gaumenfortsätze der
Oberkieferbeine. — Wenn die Nasengruben schon ziemlich lang
sind, entstehen an ihrer hinteren (unteren) Wand zwei seitliche
Hervorragungen, die ersten Andeutungen der Muscheln des Sieb-
beines. Gleichzeitig oder noch etwas früher wächst über dem
Gaumengewölbe ein länglicher Wulst aus der inneren Oberfläche
des Oberkiefers hervor, welcher sich bald verdickt und das Ru-
diment der unteren Nasenmuschel darstellt. Später als diese bil-
det sich auf analoge Weise die obere Nasenmuschel (S. 98.). Die
Schneidersche Haut ist anfangs fester mit den Knorpeln verbun-
den, als später. Lange vor dem Ende des Fruchtlebens wird
diese Verbindung jedoch wiederum fester. Aus der die Nasen-
höhle umgebenden Knorpelplatte wachsen nun neue Fortsätze
aus, welche die Schneidersche Haut vor sich hertreiben. Hier-
durch vermehrt sich die Zahl der Siebbeinmuscheln eben so rasch
als bedeutend. Die beiden Nasenmuscheln verdicken sich nun.
Während die obere aber in ihrer alten Form bleibt und sich in
[480]Von dem Embryo.
dem Inneren nur aushöhlt, verdickt sich die untere zuerst an ih-
rem inneren Ende und schickt dann nach beiden Seiten blattar-
tige Fortsätze aus, welche sich dütenförmig einrollen (S. 99.).
Sobald der Oberkiefer zu verknöchern begonnen hat, bilden sich
auch in ihm die Anfänge der Backenzähne. Es entfernt sich
aber dann die Seitenwand des Oberkiefers von der Seitenwand
der Knorpelplatte der Nasenmuscheln, und so ist die Formation
der Highmorshöhle gegeben. Die Schleimhaut der Nase bildet
dann dicht unterhalb der unteren Nasenmuschel eine sackförmige
Ausstülpung, welche sich an die innere Oberfläche der Wände
des Antrum Highmori anlegt. Später erst entstehen die das
Antrum von der Nasenhöhle abgrenzenden Knochenwände. Kurz
nach der Mitte des Fruchtlebens erscheinen bei den Wieder-
käuern, der Vereinigungsstelle der Nasenbeine mit den Stirnbei-
nen gegenüber, in jeder Körperhälfte zwei dicht neben einander
liegende, und die Knorpelplatte der Riechmuscheln durchboh-
rende Aussackungen der Schneiderschen Haut, welche sich an
die innere Seite des Nasenfortsatzes des Stirnbeines anlegen.
Die innere Fläche des os frontis wird nun an der Stelle,
wo die Säcke anliegen, resorbirt und so dringen nun diese
in das Innere des Knochens, wo schon früher eine reichli-
che Menge von Diploe angehäuft war. Sobald dieses ge-
schehen, vergröſsern sich die Säcke beständig, während die Di-
ploe zurückweicht und die beiden Lamellen des Stirnbeines aus
einander rücken. Der obere Sack schickt nun einen Fortsatz
nach vorn und gegen das hintere Ende der oberen Nasenmuschel.
Diese wird an dieser Stelle resorbirt und die Verlängerung dringt,
indem sie sich aushöhlt, in ihr Inneres ein. Auf ähnliche Weise
zeigt sich auch dieser Proceſs bei dem Schweine. Nur ist für
jede Stirnhöhle hier eine Ausstülpung vorhanden. Dafür findet
sich auch in dem hinteren Ende des Nasenbeines ein ähnlicher
Vorgang (S. 101.). Auf analoge Art entstehen wahrscheinlich
die Keilbeinshöhlen. Doch fällt ihre Genese erst in die Zeit
nach der Geburt (S. 102.). — Rathke schlieſst daher aus seinen
Untersuchungen, daſs die Oberkiefer sich nach Art der Extremi-
täten bilden, zwischen ihnen aber ein dritter Fortsatz entstehe,
mit dem sie später verwachsen. Durch das Wachsthum dieser
Fortsätze vergröſsert sich die zuerst flache und fischähnliche Na-
senhöhle. Durch die Verwachsung entsteht die Trennung zwi-
schen
[481]Einfurchungsbildungen. Mund.
schen dem künftigen Nasenloche und dem gegen die Mundhöhle
gekehrten Theile. Nasen- und Mundhöhle sind anfangs gar nicht
von einander geschieden. Das Gaumengewölbe aber ist ursprüng-
lich der Länge nach gespalten und seine Hälften sind Productio-
nen der Oberkieferparthieen des Kopfes. — Was nun die spe-
ciellen Beobachtungen bei dem Menschen betrifft, so fand Joh
Müller (Meck. Arch. 1830. S. 428.) bei einem sieben Linien lan-
gen Embryo zwischen den Augen einen hervorragenden dreiecki-
gen Lappen, ohne Zweifel wohl Rathke’s Nasenfortsatz der Stirn-
wand. Nach Burdach (Physiol. II. S. 467.) fällt die Bildung des
Gaumens in den dritten Monat. Die Nasenlöcher sind nach ihm
in der sechsten Woche nur verdünnte Hautstellen (Gruben?); in
der siebenten dagegen kleine, durch einen breiten Mitteltheil ge-
trennte und wegen Kürze der Oberlippe dem Munde nahe lie-
gende Oeffnungen. In der achten Woche aber erhebt sich
die Nase als ein Wulst, welcher in der folgenden Woche noch
niedrig und sehr breit ist. Nun werden die Nasenlöcher durch
einen hautartigen Pfropf geschlossen, welcher bis zu dem fünften
Monate verharrt. Um diese Zeit entfernt sich auch durch Ver-
gröſserung der Oberlippe die Distanz der Nase von dem Munde.
Im siebenten Monate (S. 468.) wird die Scheidewand schmäler
und die Nasenlöcher rücken einander näher. Die Nasenhöhle
selbst bleibt eng; die Stirn- und Keilbeinhöhlen sind ganz, die
Oberkieferhöhlen aber nur wenig im Fötus entwickelt. Die Na-
senlöcher dagegen (Danz II. S. 43.) sind in der ersten Hälfte des
Fruchtlebens sehr weit offen. Die senkrechte Dimension der
Nase (Hildebrandts Anat. v. E. H. Weber IV. S. 115.) ist kleiner,
als alle anderen Dimensionen.


b. Mund.

Wir haben es oben gesehen, daſs zuerst das vordere Ende
des Speisekanales blind geschlossen ist. Indem nun so noch
alle wahre Mundöffnung fehlt, rückt allmählig dasselbe immer
mehr nach vorn. Derjenige Theil aber, welcher der wahren
Mundhöhle entspricht, ist zuerst nur eine vertiefte oder abge-
setzte Stelle der Bauchfläche des Embryo. Da jedoch später die
Bauchplatten am Halse in Form rippenartiger Fortsätze jederseits
als Oberkieferparthieen und Kiemenbogen einander entgegenwach-
sen und sich zuletzt in der Mittellinie vereinigen, so entsteht
31
[482]Von dem Embryo.
hierdurch erst eine wahre, der Mund- und Rachenhöhle entspre-
chende Höhlung. Diese hat, wenn die Mittellinie auch schon ge-
schlossen ist, noch eine wesentlich verschiedene Form. Denn sie
ist kürzer und breiter, von mehr trichterförmiger Gestalt; nach
vorn ist sie wegen des mangelnden Gaumengewölbes noch nicht von
der Nasenhöhle getrennt oder diese liegt vielmehr in ihrem Berei-
che. Nach auſsen öffnet sie sich aber jederseits durch die noch nicht
geschlossenen Kiemenspalten. Da Vieles über ihre Form- und Ge-
staltveränderungen schon bei Gelegenheit des Speisekanales, des
Ohres und der Nase vorgekommen ist und Manches bald bei den
Kiemenspalten, den Lungen, den Speicheldrüsen u. dgl. noch vor-
kommen wird, so beschränken wir uns hier, um jede unnöthige
und ermüdende Wiederholung zu vermeiden, auf die Entwicke-
lungsgeschichte zweier in der Mundhöhle enthaltenen wichtigen
Gebilde, welche am Füglichsten hier abgehandelt werden können,
nämlich der Zähne (so weit sie aber nur das Fruchtleben ange-
hen) und der Zunge. 1. Die Zähne. Wir folgen hier theils den
Darstellungen von J. Fr. Meckel (Arch. III. S. 256—574. und
Anat. IV. S. 212—219.), Burdach (Physiol. II. S. 472—475.),
Arnold (Salzb. mediz. chir. Zeit. 1831. S. 236.), E H. Weber
(in Hildebr. Anat. I. 1830. 8. S. 212. 213.), theils eigenen Er-
fahrungen. Der Zahnrand des Oberkiefers und Unterkiefers ver-
dickt sich sehr frühzeitig, bei den Wiederkäuern und Schweinen,
wenn die Frucht länger, als einen Zoll geworden, bei dem Men-
schen schon in der ersten Hälfte des dritten Monates. In jenem Rande
entstehen eine Reihe rundlicher, fibröser Bläschen, welche zuerst
nahe an einander liegen und durch eine dichte, körnige Substanz
von einander getrennt werden. Diese vergröſsert und sondert sich
immer mehr, und durchläuft die oben schon angeführten Stadien
der Verknöcherung, um als Alveolen zu ossificiren, wo sich die
Bläschen dann an sie genau anlegen. Innerhalb jeden Bläschens
bildet sich, wahrscheinlich etwas später, als dieses, das Säckchen
des Zahnes, welches nach der allgemeinen Angabe durchaus nicht
mit der Schleimhaut des Mundes in Verbindung steht. Nach Ar-
nold dagegen (l. c. S. 236.) soll das ganze Säckchen dadurch gebil-
det werden, daſs diese Schleimhaut sich in die Rinne des Ober- und
Unterkiefers einstülpt. Das Säckchen selbst besteht aus zwei
Häuten. Nach Hunter ist nur die innere, nach Blake nur die äu-
ſsere gefäſsreich; nach Fox, Meckel (Anat. IV. S. 213.) und E.
[483]Einfurchungsbildungen. Zähne.
H. Weber (Hildebr. Anat. I. S. 212.) sind beide gefäſsreich. In
das Säckchen treten durch ein der äuſseren Seite entgegengesetz-
tes Loch die Gefäſse und Nerven ein. Zwischen den beiden
Blättern befindet sich eine Flüssigkeit, welche nach Meckel (l. c.
S. 214.) zuerst eine röthliche, dann eine weiſslich gelbe Farbe
hat und nach Meiſsners Erfahrung (Meck. Arch. III. S. 642.)
wasserhell und nur durch einige darin schwimmende Flocken ge-
trübt, ohne Geruch und von schleimigem Geschmacke ist, sich
leicht in Fäden zieht und eine freie Säure (wahrscheinlich Milch-
säure), Schleim (nach E. H. Weber zweifelhaft), etwas Eiweiſs,
phosphorsaueren Kalk (mehr in der der bleibenden, als in der der
Milchzähne) und salzsauere und schwefelsauere Salze enthält. Bei
der Analyse derselben Flüssigkeit eines jungen Kalbes ergab sich
wesentlich dasselbe. Sie enthielt nur mehr Schleim und es fand
sich statt der freien Säure ein freies Alkali. Innerhalb des Säck-
chens entsteht nun der Keim des Zahnes als ein kleines weiches,
dichtes rundliches Körperchen, welches bald die Gestalt der Krone
annimmt und später erst mit seiner Vergröſserung auch die Form
des Halses neben dieser erhält. Der Verknöcherungsproceſs des
Zahnes weicht in histiogenetischer Hinsicht etwas ab. Die Zähne
bestehen, wie Purkinje und ich in unserer Abhandlung über die Struc-
tur der Knochen ausführlich darstellen werden, im Allgemeinen aus
über einander liegenden Fasern oder Röhren, welche wie Radien
nach der Mittelaxe zusammenlaufen und entweder gerade oder nach
oben oder nach unten gleichförmig gebogen sind. Zwischen ihnen fin-
det sich in dem völlig ausgebildeten Zustande keine Spur von Kno-
chenkörperchen. Die erste Bildungsmasse des Zahnes besteht eben-
falls aus einem körnerhaltigen, sonst durchsichtigen Stoffe. Nun ord-
nen sich die Kügelchen nach derselben Richtung, welche die spä-
teren Fasern haben; fast schien es mir, als ob die Kügelchen
selbst aufgelöst zu den Fasern eingingen, während die verbindende
Gallerte hierbei eine mehr untergeordnete Rolle spielte. Nach
Meckel (Anatomie IV. S. 214.) beginnt um die Mitte der Schwan-
gerschaft die Verknöcherung dadurch, daſs dünne feine elastische
Scherbchen erscheinen, welche allmählig dicker und fester wer-
den. Sie entsprechen zuerst den Spitzen der künftigen Zähne
und werden bald an der Kaufläche dicker und härter, während
der Zahn noch kurz (ohne Hals) und in dem Inneren hohl ist.
Mit der weiteren Verdickung des Zahnes verringert sich seine
31*
[484]Von dem Embryo.
Höhlung und der Zahnkeim verschwindet. Der Schmelz wird
von der inneren Fläche des inneren Blattes gebildet und lagert
sich an die Knochensubstanz des Zahnes an. Die Verbindung
desselben mit dem Zahne ist in dem Fötus noch ziemlich locker.
Seine Formation fällt der Zeit nach (Meck. Arch. III. S. 567.)
mit der des Zahnes selbst zusammen. Was nun die einzelnen
Zähne anlangt, so bilden sich die des Unterkiefers (Burdachs Phy-
siol. II. S. 474.) früher, als die des Oberkiefers. Zuerst erschei-
nen die zwei Schneidezähne, dann zwei Backzähne und nach ih-
nen die Eckzähne in jeder Kieferhälfte, welche sämmtlich den
Milchzähnen angehören. Neben ihnen entstehen bald die Säckchen
für die bleibenden Zähne, welche zuerst auf den Säckchen der
Milchzähne sitzen, später sich von ihnen entfernen und nur durch
einen Faden mit ihnen verbunden bleiben, während sie weiter in
die Kiefer hineinrücken (Burdach Physiol. II. 8. 475.). — J. Hun-
ter hatte den Schneidezähnen drei, den kleinen Backzähnen zwei
bis drei, den groſsen Backzähnen vier bis fünf und den Eckzäh-
nen ein Verknöcherungsstück zugeschrieben. Rudolphi gab für
die Eckzähne zwei an, während Clocquet für alle Zähne und
Albinus, Blake und Serres für die Schneidezähne nur ein Kno-
chenstück annehmen (s. Meck. Arch. III. S. 569.). Nach Meckel
(S. 370.) haben die Schneide- und Eckzähne einen, die Backzähne
dagegen mehrere Kerne. Nach Burdach (Physiol. II. S. 475.)
sind gegen Ende der Schwangerschaft die Kronen der Schneide-
zähne ganz gebildet und die Wurzel beginnt sich an den innern
zu entwickeln. An den Eckzähnen ist ein Drittheil der Krone
und an dem ersten Backzahne der obere Theil derselben mit ih-
ren Spitzen gebildet. Am zweiten Backzahne sind die vier Spit-
zen noch getrennt. Von den bleibenden Zähnen hat bisweilen
die Verknöcherung der Krone des dritten Backzahnes angefangen.
2. Die Zunge entwickelt sich bald, nachdem die beiden ersten
Kiemenbogen, der zukünftige Unterkiefer, sich geschlossen baben.
Sie entsteht als eine Erhebung des Schleimblattes durch eine dich-
tere und zuerst körnerhaltige Masse. So fand ich sie schon bei
einem nicht ganz fünf Linien langen Schaaffötus. Ihre Gröſse ist
in frühester Zeit sehr bedeutend; ja sie ist sogar, wenn auch schmäler,
doch relativ dicker, als späterhin. Auch ragt sie dann in der Regel aus
der Mundhöhle hervor. In einem 1½ Zoll langen Embryo sind
schon deutliche Spuren der nach Analogie der Muskelschicht des
[485]Einfurchungsbildungen. After, Kiemenspalten etc.
Darmkanales zu beobachtenden Muskulatur. Die Papillen treten
später hervor und sind in frühester Zeit verhältniſsmäſsig stärker,
als späterhin. In dem dreimonatlichen Fötus berechnete ich den
mittleren Durchmesser der gröſseren papillae conicae zu 0,002530
P. Z. — Endlich sey uns noch die Bemerkung anzureihen erlaubt,
daſs die Mundspalte im vierten Monate durch die wulstigen, star-
ken Lippen geschlossen wird, im sechsten Monate dagegen sich
wiederum öffnet (Burdach Physiol. S. 497.).


c. After.

Dasselbe Moment, wodurch der Darmkanal nach vorn zuerst
geschlossen ist, erzeugt auch seine Verschlieſsung nach hinten.
Bei weiterer Ausbildung erreicht ihn eine aus dem serösen
Blatte ihm entgegenkommende Einstülpung oder Grube, so daſs
der Darmkanal sich bald nach auſsen wahrhaft öffnet. Diese
dem Darmkanal entgegenkommende Abtheilung ist überaus kurz,
wird aber späterhin bei weiterer Ausbildung durch die auf ihrer inne-
ren Fläche (wenigstens constant bei Wiederkäuern und Schweinen)
vorkommenden Längenfalten charakterisirt. Correspondirend der
Mundöffnung schlieſst sich auch die Afteröffnung und öffnet sich
dann wieder. Ueber die Verhältnisse der Afteröffnung zu dem
Perineum und zu der Geschlechtsöffnung ist schon oben bei Ge-
legenheit der Genitalien das Nöthige abgehandelt worden.


d. Kiemenspalten und Kiemenbogen.

Ehe wir zur Beschreibung dieser merkwürdigen Gebilde selbst
übergehen, dürfte es von Interesse seyn, von litterarhistorischem
Standpunkte aus das Vorzüglichste aus der Geschichte ihrer Kennt-
niſs und ihrer Erforschung kürzlich darzustellen. Die Kiemen-
spalten und die Kiemenbogen sind so leicht in die Augen fallende
Gebilde, daſs sie genauen Beobachtern keineswegs entgehen konn-
ten, wenn sie auch dieselben keiner besonderen Würdigung werth
zu halten schienen. Anderseits war es aber auch die theoretische
Schule, welche die Existenz der Kiemen bei den beiden höheren
Klassen der Wirbelthiere voraussagte, der Zeit nach um Vieles
früher, als dieser Gegenstand durch Beobachtung nachgewiesen
war. — Nach Ascherson (de fistulis colli congenitis p. 13.) soll
Malpighi (Appendix repititas auctasque de ovo incubato obss.
continens. Lond
. 1688. fol. tab. V. fig. 38.) Andeutungen von
[486]Von dem Embryo.
Kiemenspalten darstellen. Allein ich kann weder in der Beschrei-
bung (p. 7.), noch in der Abbildung des fünftägigen Hühnerem-
bryo eine Spur hiervon erkennen. Die erste Spur einer freilich
noch rohen und ungenauen Abbildung von Kiemenspalten findet
sich in C. F. Wolff de formatione intestinorum. Uebersetzung
von Meckel tab. 2. fig. 1. 2. 5. 6. Besser sind schon die Zeich-
nungen von Bojanus (Obss. anatt. de foetu canino 24 dierum
in Nov. Act. Ac. N. C. Vol. X. p
. 139—152. fig. 5. 7. t.),
während anderseits die Spur einer Spalte oder der eben verwach-
senen Spalten von mehreren menschlichen Embryonen früher noch
z. B. von Wrisberg, Sömmering (Ic. embr. hum. tab. 1. fig. 2.),
Meckel u. A. dargestellt worden. Die Idee, daſs der Embryo der hö-
heren Thiere die Stufen der niederen Thierwelt in seiner individuel-
len Entwickelung durchlaufe, muſste natürlich zu dem Ausspruche
bringen, daſs auch bei den Säugethieren und den Vögeln in frühester
Zeit der Entwickelung wahre Kiemenbildung vorkomme. Keiner
führte aber diesen divinatorischen Ausspruch mehr in das Specielle,
als der vielverdiente J. Fr. Meckel, welcher seine Ansicht hierüber
schon im Jahre 1811 öffentlich vortrug. Der Merkwürdigkeit wegen
theile ich die von ihm gemachte Aeuſserung (Beiträge zur ver-
gleichenden Anatomie Bd. 2. Hft. I. S. 25.) wörtlich mit. Es
heiſst bei ihm: „Vielleicht findet sich sogar eine sehr frühe Pe-
„riode, wo der Embryo der höheren Thiere auch mit inneren
„Kiemen versehen ist, und der doppelte Ursprung der Aorte ist
„nur ein Ueberbleibsel dieser Bildung, so wie die beiden abstei-
„genden Aorten der Batrachier nach bestimmten Beobachtungen
„die Spuren der bis auf eine verschwundenen Kiemenarterien und
„Venen der Larven sind, die nach hinweggerückten Kiemen zu
„einem continuirten Gefäſse mit einander verschmolzen sind.
„Vielleicht kommt auch diese Anordnung beim Embryo der hö-
„heren Thiere auf eine nicht weniger interessante Weise als ur-
„sprüngliche Bildung vor, ohne daſs ihr jene vorangegangen wäre,
„welche durch die beständig bleibende Placenta, die, wie die
„äuſseren Kiemen, in den frühesten Perioden ihrer Existenz ei-
„nen bei Weitem gröſseren, verhältniſsmäſsigen Umfang, als in
„den späteren hat, ersetzt seyn mag.“ — So standen die Dinge
bis zum Jahre 1825, wo Rathke die Wissenschaft mit einer der
glänzendsten Entdeckungen bereicherte. Er erkannte und beschrieb
zuerst die Kiemenspalten an einem jungen Schweineembryo (Isis
[487]Einfurchungsbildungen. Kiemenspalten u. Kiemenbogen.
1825. Bd. I. S. 747—749.) als vier durchgehende Spalten an je-
der Seite des Halses, welche an ihrer inneren Fläche mit zarten
Leistchen versehen seyn sollten (S. 748.). Auch hatte er die
eben geschlossenen Kiemenspalten an einem sehr jungen in Wein-
geist aufbewahrten Pferdeembryo erkannt. Bei dem Vogel, wo
Rathke (S. 749.) ihre Existenz zuerst bezweifelt und späterhin
(S. 1100.) gefunden hatte, lehrte sie Huschke (Isis 1826. Bd. 20.
S. 401—403.) als drei durchgehende Spalten kennen, welche in
den Schlund führen und von vorn nach hinten kleiner werden. Er
beleuchtete (s. oben Gefäſsblatt S. 307.) die zwischen den Kiemenbo-
gen verlaufenden Gefäſse und deren Metamorphosen und stellte die
Behauptung auf, daſs vor der ersten Kiemenspalte das Zungenbein
liege. Gegen diesen letzteren Satz, so wie gegen seine Darstel-
lung des Gesäſssystemes trat Rathke (Isis 1827. S. 84.) wiederum
auf (s. oben den Abschn. v. d. Kiemengefäſsen S. 307. 308.). Huschke
aber (Isis 1827. S. 102.) vertheidigte seine früheren Aeuſserungen
von Neuem und erläuterte sie durch schöne Abbildungen aus dem
Hühnchen. Zugleich stellte er einen frühzeitigen Embryo der La-
certa agilis
dar und vermuthete aus der Arnordnung des Gefäſssy-
stemes, daſs dieser in früher Zeit ebenfalls Kiemenspalten habe. Un-
terdeſs hatte Rathke (Isis 1828. S. 108. und Meck. Arch. 1827. S.
556.) die Kiemenspalten an den Embryonen des Menschen nachge-
wiesen. v. Bär, welcher eine herrliche Zeichnung der Kiemen bei
jungen Embryonen des Hundes geliefert hatte (de ovo fig. VII a.),
fand (Meck. Arch. 1827. S. 556—558.) an den kleinsten Em-
bryonen aller höheren Wirbelthiere gar keine Kiemenspalten; bei
dem Menschen dagegen sah er sie am deutlichsten bei einem
sechswöchentlichen Embryo, wo sie jedoch schon ihre rückgän-
gige Metamorphose begonnen hatten. Nach ihm kommen bei
dem Menschen sowohl, als den übrigen Landwirbelthieren später
vier Kiemenspalten vor, da er auch bei dem Hühnchen am drit-
ten Tage vier Spalten gesehen hatte. Er liefert eine genaue Dar-
stellung der Gefäſsmetamorphose und der Veränderungen der Spal-
ten selbst. Das Jahr 1828 ist unstreitig das Reichste an Beob-
achtungen und Erfahrungen über die Kiemen und Kiemengefäſse.
1. Von Rathke erschien eine bei der Akademie schon zu Ende
des Jahres 1826 eingegangene Abhandlung über die Entwickelung
der Athemwerkzeuge in den Schriften der Leopoldnisch-Caroli-
nischen Akademie der deutschen Naturforscher Bd. XIV. I. S.
[488]Von dem Embryo.
159—216., in welcher Arbeit viele genauen Beobachtungen über
die Kiemenbogen und Kiemenspalten der Vögel, der Wiederkäuer,
des Pferdes und des Schweines enthalten sind. 2. v. Bär (Meck.
Arch. 1828. S. 143—148.) lieferte nachträgliche Bemerkungen
über das Kiemengefäſssystem der Säugethiere und einige interes-
sante und wichtige Zusätze zu seinem früheren Aufsatze. Au-
ſserdem stellte er (Entwickelungsgeschichte der Thiere. Beobach-
tung und Reflexion 1828. 4. und in Burdachs Physiologie Bd.
II. 1828. 8.) die vollständige Metamorphose des Kiemenapparates
bei dem Hühnchen dar. 3. K. F. Burdach bildete die Kiemen-
spalten (de foetu humano adnott. anatom. 1828. fol. fig. 1.
2.) aus einem frühen menschlichen Embryo ab und ordnete (Phy-
siol. II.) das bisher Bekannte zu einer lichtvollen Zusammenstel-
lung. — Im folgenden Jahre lieferte Rathke (Meckels Arch. 1829.
tab. 1. fig. 1. 2.) bei Gelegenheit seiner Untersuchungen über die
früheste Form des Venensystemes eine zierliche Abbildung der
Kiemenspalten aus jungen Schaafsembryonen und im nächst fol-
genden Jahre (1830) schöne Zeichnungen derselben (Abhandlun-
gen Theil I. tab. VII. fig. 1—3.) auf Veranlassung seiner über
die Entwickelung des Oberkiefers und der Geruchswerkzeuge ge-
machten Beobachtungen. Joh. Müller, welcher in seinem Drü-
senwerke (de glandularum secernentium structura peni-
tiori carumque prima formatione in homine atque animali-
bus
. 1830. fol.) das Kiemengerüst der Lacerta viridis (tab. X.
fig. 13.) und des Hühnchens (tab. XI. fig. 1.) und in seinem Werke
über die Genitalien (Bildungsgeschichte der Genitalien 1830. 4.)
das der Maus (tab. 3. fig. 1.) naturgetreu dargestellt hatte, lie-
ferte eine Abbildung des Kiemengerüstes bei dem Menschen (Mek-
kels Arch. 1830. tab. XI. fig. 11. u. fig. 11 †.) und sprach sich
bei dieser Gelegenheit (Arch. S. 419.) dahin aus, daſs die rippen-
artigen Fortsätze an dem Halse früher Embryonen des Menschen,
der Säugethiere und der Vögel den Kiemenbogen analog seyen.
In dem 1831 erschienenen zweiten Bande von Rathke’s Abhand-
lungen zur Bildungs- und Entwickelungsgeschichte des Menschen
und der Thiere findet sich wiederum eine feine Zeichnung der
Kiemenspalten (tab. VII. fig. 6.) aus einem jungen Rindsembryo.
Zugleich sind auch die ähnlichen Spalten aus den Embryonen des
Blennius viviparus dargestellt (besonders tab. I. fig. 1. 5. 6.
8. u. 10.). In seinem Werke über Kiemenapparat und Zungen-
[489]Einfurchungsbildungen. Kiemenspalten u. Kiemenbogen.
bein 1832. 4. hat er viele neue Bemerkungen über die verschie-
denen Stadien der Kiemen bei den vier Wirbelthierklassen mit-
getheilt und mehrere seiner älteren Angaben berichtigt oder wei-
ter ausgeführt. Dann lieferte Thomson (Frorieps Notizen 1833.
Jan. Bd. XXXV. No. 19. fig. 36.) eine instructive Abbildung des
Kiemengerüstes des Menschen. Endlich machte F. M. Ascherson
(de fistulis colli congenitis adjecta fissurarum brauchialium
in mammalibus historia succincta. def. d. XII. Jul
. 1832. 4.)
eine Anwendung der Rathke’schen Entdeckungen auf die patho-
logische Anatomie, indem er ihre Hemmungsbildungen nachzu-
weisen sich bemühte, und veröffentlichte zugleich (l. c. p. 19.),
daſs Becker die Kiemenspalten bei einem sechswöchentlichen, Phö-
bus und er aber bei einem zwei Linien (?) langen menschli-
chen Embryo beobachtet habe. Vgl. auch Phöbus Medicin. Ver-
eins.-Zeit. 1834. No. 27. Wir selbst haben sie bei unseren viel-
fachen Untersuchungen über Entwickelungsgeschichte an den Em-
bryonen der Eidechsen, der Schlangen, des Haushuhnes, der Gans,
der Ente, des Sperlings, des Rindes, des Schaafes, des Schwei-
nes, des Hundes, des Kaninchens und des Menschen (acht
Mal) zu sehen Gelegenheit gehabt. Während nun so von vie-
len Seiten die Entdeckung von Rathke bestätigt und auſser
allen Zweifel gesetzt wurde, haben merkwürdiger Weise mehrere
ältere Coryphäen der Wissenschaft die Anwesenheit der Kiemen
in den Embryonen der Vögel und der Säugethiere entweder ganz
geläugnet, oder nicht in ihrer vollen Bedeutung anerkannt. Ru-
dolphi versprach (Physiol. II. 2. Abth. 1828. S. 358), daſs er in
dem Buche von der Zeugung die angebliche Deutung Rathke’s
widerlegen werde und muſs wahrscheinlich an die Existenz der
Kiemen gar nicht geglaubt haben, da Joh. Müller, welcher ihn
persönlich genau kannte, ausdrücklich bei dieser Gelegenheit sagt
(Meck. Arch. 1830. S. 419.): „unbegreiflich aber ist mir, wie Ru-
dolphi eine unbestreitbare Beobachtung nicht anerkennen will,
bloſs, weil ihm diese Analogie miſsfällt.“ Leider ist durch
den Tod des trefflichen Rudolphi jede Aussicht, hierüber fer-
ner ins Klare gesetzt zu werden, abgeschnitten. E. H. Weber
(Hildebrandts Anat. I. S. 127.) bezweifelt geradezu die von
Rathke, Bär und Huschke beschriebenen Kiemen. Durch einen
Irrthum des nun auch der Wissenschaft schon entrissenen J. Fr.
Meckel könnte es den Anschein haben, als ob G. R. Treviranus
auch hierher zu rechnen sey. Nachdem Meckel in seinem letz-
[490]Von dem Embryo.
ten gröſseren Werke, in dem sechsten Bande seines Systemes der
vergleichenden Anatomie bemerkt, daſs er die Kiemenspalten an
Embryonen von Python tigris gefunden habe (S. 264.) und nach-
dem er diese Gebilde bei den Früchten der Vögel nach den Erfah-
rungen von Bär, Huschke und Rathke beschrieben (S. 291. 292.),
macht er bei Gelegenheit dieser Theile in den Embryonen der Säu-
gethiere und des Menschen (S. 367.), welche er nach Rathke, Bär,
Huschke und Joh. Müller beschreibt, G. R. Treviranus den Vor-
wurf, daſs er diesen Punkt in seinem neuesten Werke (Erschei-
nungen und Gesetze des organischen Lebens. 1831. 8.) gänzlich
übergehe. Allein diese Aeuſserung ist völlig ungegründet. Denn
wenn auch Treviranus an der von Meckel citirten Stelle (Thl. I.
S. 264.) nicht davon spricht, so berührt er sie doch ausführlich
an zwei anderen Stellen seiner Arbeit (S. 26. u. 96.) und erklärt
sich nur mit Recht gegen ihre wahre Athmungsfunction. — Aus
dieser Darstellung dürfte wohl hinreichend erhellen, daſs die
Existenz der Kiemen auch in den frühen Entwickelungsstadien
der höheren Amphibien, der Vögel und der Säugethiere eben so
constatirt ist, als jede andere allgemein bestätigte Thatsache der
Anatomie und Physiologie. — Wenn wir nun an die Darstellung
der Kiemen selbst gehen, so müssen wir im Voraus bemerken,
daſs hier zur Vermeidung aller unnöthigen Wiederholungen das
Kiemengerüst nur im Allgemeinen abgehandelt werden soll. We-
gen mancher hierher noch gehörenden Dinge müssen wir theils
auf das Gefäſsblatt, theils auf mehrere unten noch zu berührende
Gegenstände, wie das Zungenbein, die Lungen, die Schilddrüse u.
dgl. verweisen. Während die Kiemengefäſse (s. oben S. 308.) sich
ausbilden, verdünnen sich die den Gefäſsen entsprechenden Stel-
len der Bauchplatten von auſsen nach innen, bis endlich die
Wandung durchbrochen wird und Lücken in ihr entstehen. So
wird hiermit der Gegensatz zwischen Kiemenbogen und Kiemen-
spalten gegeben. Die Kiemenbogen sind breite und ziemlich dicke
rippenartige Fortsätze, welche in der kleineren nach der Bauch-
fläche zugekehrten Hälfte jeder Seitenhälfte des Embryo sich be-
finden. Man sagt im Allgemeinen, und wir haben uns auch des
angenommenen Ausdruckes bedient, daſs die Kiemenbogen und
Kiemenspalten in dem Halse des Embryo befindlich wären. Al-
lein daſs diese Bezeichnungen schief und zum Theil unrichtig
sind, werden wir bald anzuführen Gelegenheit haben. — Die
[491]Einfurchungsbildungen. Kiemenspalten u. Kiemenbogen.
Kiemenbogen individualisiren sich nicht auf einmal aus den Vis-
ceralplatten, sondern zuerst der erste nach vorn, d. h. dadurch,
daſs sich die Continuität der Bauchplatten des Rumpfes im Ge-
gensatze zu den schon existirenden des Kopfes hervorbildet.
Allein seine vollkommene Individualität erlangt er erst durch die
Bildung der ersten Kiemenspalte. Der zweite Kiemenbogen son-
dert sich gleichzeitig mit oder bald nach dem ersten und nach-
dem dieses geschehen, individualisirt sich auch bald darauf der
dritte. Dadurch entstehen drei Bogen am Halse, welche bei Vö-
geln sowohl, als bei den Säugethieren gefunden werden. Der
vierte Kiemenbogen ist dann noch mit den Bauchplatten ver-
schmolzen. Die Sonderung und Individualisirung dieses Letzteren
erfolgt nun, wie schon v. Bär beobachtet hat (Meck. Arch. 1828.
S. 146.), bei Säugethieren, wenn die drei vorderen Kiemenbogen
sich noch auf der höchsten Stufe ihrer Ausbildung befinden. In
den Vögeln dagegen findet jene gleichzeitige Entwickelung nicht
Statt, sondern diese ist vielmehr eine successive. — Die Kiemen-
spalten selbst sind transversal, zur Zeit ihrer höchsten Ausbildung
von ungleicher Form, nach der Wirbelsäule hin breiter, nach der
entgegengesetzten Seite hin schmäler und durchdringen die ganze
Wandung des sogenannten Halses. Durch sie wird also nicht
bloſs die Continuität des serösen Blattes, sondern auch die des
Schleimblattes unterbrochen. Das Gefäſsblatt existirt hier aber
als die sogenannten Kiemengefäſsbogen, welche man auch schlecht-
weg Kiembogen nennt, von den rippenartigen Fortsätzen aber,
den wahren Kiemenbogen unterscheiden muſs. Diese Letzteren
sind (wenigstens die ersten ohne allen Zweifel und wahrscheinlich
auch die zweiten, vielleicht aber auch die folgenden) in der Mit-
tellinie anfangs getrennt und schlieſsen sich erst hier in der
Folge. Die Schluſslinie ist dann als eine verhältniſsmäſsig dicke
Leiste wahrzunehmen. — Die Kiemenbogen umschlieſsen nun eine
von vorn nach hinten sich verengende Höhlung und es ist für
die Entwickelungsgeschichte überhaupt von höchstem Interesse,
diese Cavität genau zu kennen. Nach vorn öffnet sie sich hinter
dem Kopfe und scheint auf diese Weise als Mundhöhle auszuge-
hen. Dies ist aber durchaus nicht der Fall. Vielmehr ist ihr
wahrer Ausgang Rachenhöhlenanfang, denn die Mundhöhle fehlt
noch ganz, oder ist nur in ihrer vorderen (bei aufrechter Stel-
lung oberen) Hälfte angedeutet. Dieses beweist die ursprüngliche
[492]Von dem Embryo.
Kürze des ersten Kiemenbogens, welcher von dem Gesichtsende
des Oberkiefergerüstes um ein bedeutendes entfernt ist. Erst spä-
ter, wo der erste Kiemenbogen sich verlängert und verbreitert,
um den Unterkiefer zu bilden, entsteht eine geschlossene unmit-
telbar in die Rachenhöhle übergehende Mundhöhle. (Zur Erläu-
terung des Gesagten vergleiche z. B. die Abbildungen bei Rathke
in Nov. Act. Acad. N. C. Tom. XIV. I. tab. XVII. fig. 3. 4.)
Der Theil der Höhlung, in welchen die beiden Kiemenspalten
führen, ist Rachenhöhle. Es frägt sich nun aber, in welche Ka-
tegorie die hintere Abtheilung der Höhlung des sogenannten Hal-
ses zu stellen sey. In ihrem hintersten Theile liegt das Herz.
Sie ist also gewissermaſsen Brusthöhle zu nennen, denn bald hin-
ter dem Herzen liegt das vordere Ende der Wolff’schen Körper
und bald darauf das Rudiment der Leber, welche unfehlbar der
Unterleibshöhle angehören. Daſs die oberen Extremitäten hinter
dem Herzen liegen, kann keinen Eintrag thun, weil auch die
analogen Theile der Fische an dem Vorderende des Unterleibes
angeheftet sind. — Nun beginnt allmählig die Schlieſsung der
Kiemenspalten und die weitere Fortbildung der Kiemenbogen.
Der erste derselben vergröſsert sich und wird zum Unterkiefer,
wie schon oben berichtet worden. Der zweite mit dem ersten
verwachsene Kiemenbogen verlängert sich besonders mit seinem äu-
ſseren Theile nach hinten. v. Bär und Rathke haben wohl nicht ganz
richtig diese Verlängerung mit dem Kiemendeckel verglichen. Sie
verlängert sich immer mehr nach hinten und verwächst und über-
wächst zum Theil die hinteren Kiemenbogen, deren Kiemenspalten
sich durch Annäherung ihrer Wandungen unterdeſs schlieſsen. Da-
durch, daſs der Kiemendeckel sich nach hinten, der von den bei-
den letzten Kiemenbogen kommende Theil sich auch verlängert,
das Herz selbst mehr nach hinten sich zurückzieht und ein Raum
für das gebildete und sich vergröſsernde Lungensystem entwickelt,
entsteht der wahre, von der Brusthöhle geschiedene Hals der
Vögel und der Säugethiere. — Man sieht aus dieser allgemeinen
Darstellung, daſs zwar ein gewisser Kiementypus hier realisirt,
das Kiemengerüst der Embryonen aber nichts weniger, als ein
wahres Kiemengerüst der ausgebildeten Fische sey, denn so wie
die Gefäſsbogen ganz einfach sind (nur der erste schickt später,
wie schon oben S. 308. berichtet wurde, die Carotis ab), so sind die
Kiemenbogen selbst durchaus glatt und ohne Leistchen oder Blätt-
[493]Einfurchungsbildungen. Kiemenspalten etc. Zungenbein.
chen, welche zuerst zwar von Rathke angegeben wurden. Er
selbst aber hat bald diese Angabe als irrthümlich zurückgenom-
men. Ueber die Verhältnisse der Kiemenspalten zu dem äuſseren
Gehörgange siehe oben bei dem Ohre; über die der Kiemenbogen
zu dem Zungenbeine, dem Kehlkopfe, den Lungen u. dgl. siehe diese
bald abzuhandelnden Organe selbst. — Es ist schon angegeben
worden, daſs Ascherson eine eigenthümliche Form angebore-
ner Halsfisteln beschrieben, welche er mit den Kiemenspalten in
Verbindung bringt. Wiewohl wir bis jetzt noch nie das Glück hatten,
einen solchen unzweifelhaften Fall in der Natur zu beobachten, so
dürste es doch nicht ganz uninteressant seyn, eine von uns gemachte
Erfahrung zu erzählen, welche möglicher Weise hierher gehören
konnte. Ein Freund von uns hat eine farblose erbsengroſse Warze an
der inneren Seite des sternocleidomastoideus der linken Seite
(während Ascherson die Miſsbildungen immer nur rechts beobach-
tete) dicht oberhalb der Clavikel mit auf die Welt gebracht. Sie
soll bei der Geburt schon so groſs gewesen seyn, als sie heute
ist, wo das Individuum in dem dritten Jahrzehend seines Lebens
sich befindet. Wenigstens hat sie ihr Volumen seit mehr, als zehn
Jahren bestimmt nicht sehr verändert. Dieser warzenartige Kör-
per hat auf seiner Oberfläche keine Spur irgend einer Oeffnung
und enthält in seinem Inneren einen dichteren Körper von einer
knorpelartigen Consistenz, welcher einen eben so deutlichen, aber
dünneren und gleich harten Hals oder Stiel nach der hinteren
Fläche der Luftröhre absendet. Sehr häufig füllt sich dieser Hals,
schwillt etwas an und erhält dann eine weichere Consistenz,
vielleicht von einer gefüllten Flüssigkeit, besonders bei catarrha-
lischen Affectionen, von welchen das Individuum nicht selten be-
fallen wird. Ob er vielleicht mit der Speiseröhre in Verbindung
stehen mag? — Merkwürdig bleibt es jedenfalls, daſs dieser Hals
offenbar gegen den Raum zwischen Luftröhre und Speiseröhre
sich hinwendet und hier wahrscheinlich sich ansetzt oder ein-
mündet. —


Anhang. Zungenbein.

Da dieses Organ einerseits mit den eben abgehandelten Kie-
menbogen, anderseits mit den bald zu betrachtenden Athmungs-
organen in die innigste Berührung kommt, so ist es das Zweck-
mäſsigste, das über seine Entwickelungsgeschichte Bekannte hier
[494]Von dem Embryo.
einzuschalten. Wir folgen hier den neuesten Erfahrungen Rathke’s
(anatomisch-philosophische Untersuchungen über den Kiemenappa-
rat und das Zungenbein der Wirbelthiere. 1832. 4. S. 40—45.),
welcher seine über alle vier Klassen der Wirbelthiere gemachten
Beobachtungen ausführlich mitgetheilt hat. Nach ihm ist das
Verhältniſs in den beiden höheren Thierklassen folgendes: Bei
den Vögeln und Säugethieren finden sich zwar nur vier Kiemen-
spalten und daher eben so viele distincte Kiemenbogen. Da aber
dicht hinter der hintersten Spalte ein dem Ursprunge und dem
Verlaufe nach ähnliches Kiemengefäſs existirt, so darf man an-
nehmen, daſs auch hier fünf Kiemenbogen vorkommen, von denen
die hinterste, wie bei Gadus Aeglifinus und mehreren anderen
Fischen sich von den übrigen Körpertheilen noch nicht getrennt
hat. Die beiden vordersten Kiemenbogen verwachsen nun bald
mit einander zu einem auf ihrer äuſseren sowohl, als ihrer inne-
ren Fläche mit einer Furche versehenen Halbgürtel zusammen,
welcher dem Gebilde analog ist, aus welchen sich bei den Fischen
Unterkiefer und Zungenbein bilden. Nun erscheinen in allen über
den Batrachiern stehenden Thieren in den beiden Bogen des zwei-
ten Paares zwei sulzig-knorpelige Fäden, welche an die künfti-
gen Schläfenbeine angrenzen und an der Bauchseite unmittelbar
in einander übergehen. Auf diese Weise wird nun ein ununter-
brochener Halbgürtel gebildet. Dieser theilt sich bei den Vögeln,
indem er verknorpelt, in fünf in einer einfachen Reihe liegende
Theile, und zwar in vier paarige und einen zwischen ihnen lie-
genden unpaarigen. Der mittlere verlängert sich nach vorn und
nach hinten und theilt sich allmählig in einen vorderen, in die
Zunge eindringenden, und in einen hinteren, gegen den Kehlkopf
gewendeten Knorpel. Dieser letztere wird zu dem Körper des
Zungenbeines, die ihm zur Seite liegenden paarigen Theile aber
zu den Hörnern des Zungenbeines. — In den Säugethieren bildet
sich mit dem eben erwähnten, dem Zungenbeine der Gräthenfische,
Schlangen und Vögel entsprechenden Halbgürtel ein zweiter, dicht
hinter ihm liegender, kürzerer aus, welcher anfangs ebenfalls
eine sulzig-knorpelige Beschaffenheit hat. Beide hängen bei wei-
terer Ausbildung innig zusammen und sind nur durch eine seichte
Furche von einander getrennt. Bald aber nimmt der mittlere
Theil des hinteren Halbgürtels bedeutend zu, während der mitt-
lere Theil des vorderen Halbgürtels abnimmt und zuletzt ganz
[495]Ausstülpungsbildungen. Lungensystem.
schwindet. Die Seitentheile des Letzteren oder die Hörner des
künftigen Zungenbeines erscheinen dann an den mittleren Theil
des hinteren Halbgürtels beweglich angeheftet. Gleichzeitig bie-
gen sich nun die beiden hinteren Hörner des Zungenbeines nach
hinten und entfernen sich daher von den vorderen. Das Zungen-
bein der Säugethiere entsteht also nicht bloſs aus einem Körper-
theile, welcher dem Theile analog ist, aus welchem es sich bei
den Schlangen und Vögeln bildet (der hinteren Abtheilung des
durch Verschmelzung der beiden ersten Kiemenbogen entstande-
nen Halbgürtels), sondern auch aus einem demjenigen ähnlichen
Körpertheile, aus welchem das erste Kiemenpaar der Gräthenfische
entsteht (dem hinteren, dem dritten Kiemenbogen angehörenden
Halbgürtel). Vgl. auſserdem die Entwickelung des Gehörorganes
oben S. 214. 15.


B. Ausstülpungsbildungen.

a. Das Lungensystem.

Ueber die Entwickelung des Lungensystemes am bebrüteten
Hühnchen haben besonders Rathke (über die Entwickelung der
Athemwerkzeuge bei Vögeln und Säugethieren (erste Hälfte S.
162—190.) in den Nov. Act. Ac. N. C. Tom. XIV. 1. S. 162
—216.) und v. Bär (über Entwickelungsgeschichte der Thiere
und in Burdachs Physiologie II.) ihre Beobachtungen bekannt ge-
macht. — Die Höhlung, in welche die Kiemenspalten führen und
die nach vorn von den Kiemenbogen umschlossen wird, ist. wie wir
oben gesehen haben, Rachenhöhle und setzt sich unmittelbar in
die Höhle der Speiseröhre fort. Zur Erläuterung von manchen
schon oben berührten Punkten sowohl, als zum besseren Ver-
ständniſs des Folgenden müssen wir aber zuvörderst die verschie-
denen Verhältnisse des serösen und des Schleimblattes in Erwä-
gung ziehen. Wir haben es schon früher angeführt, daſs die
Kiemenhöhlenwandung sowohl aus dem Schleim- als aus dem
serösen Blatte besteht, und daſs anfangs die Kiemenspalten beide
Blätter durchbohren, daſs die Oeffnung, welche dem serösen Blatte
angehört nur etwas breiter ist, als diejenige, welche das Schleim-
blatt angeht. Nun erfolgt aber in der Richtung von hinten nach
vorn eine Trennung und Abschlieſsung des Schleimblattes, von
dem serösen Blatte. Dieses wird durch folgende Momente be-
wirkt. 1. Die Rachenhöhle weicht immer mehr nach vorn,
[496]Von dem Embryo.
während der Theil des Halses, welcher die Speiseröhre enthält,
sich immer mehr verlängert. Der Osophagus schlieſst sich so
gänzlich ab und daher wird der Theil des Schleimblattes, wel-
cher den hintersten Kiemenbogen angehörte, von dem serösen
Antheile derselben getrennt. 2. Aus dem Antheile des serösen
Blattes, welcher den beiden vorderen Kiemenbogen angehört, ent-
steht die gröſsere Abtheilung der Muskulatur und der Haut des
Halses, so wie der Unterkiefer und das Zungenbein, und daher
wird der Zwischenraum zwischen der Gröſse der Schleimhaut-
fläche und äuſserer Oberfläche des Halses (an der Bauchseite und
den Seitenwandungen hin) immer bedeutender. 3. Aus dem
Schleimblatte selbst entstehen als Productionen Kehlkopf und
Lungen und daher rückt das Urgebilde des Schleimblattes selbst
ganz an die Wirbelsäule. Auf und neben ihm liegen sodann so-
wohl seine eigenen Productionen, als auch die metamorphosirten
Theile der früher mit ihm innig verbundenen Abtheilung des se-
rösen Blattes. — Wenn nun bei dem Hühnchen noch die vier
Kiemenspalten offen sind, die Abgrenzung des serösen Blattes
und des Schleimblattes nach hinten aber schon begonnen hat, so
schwillt die der Bauchseite zugekehrte Wandung der Speiseröhre
an. Rathke (l. c. S. 169.) fand diese Anschwellung bald gleich-
mäſsig dick, bald an den Seiten dicker, als in der Mitte. v. Bär
(l. c. S. 61. bei Burdach S. 291.) sah sie von Anfang an als
zwei Höckerchen von noch nicht ¼ Linie Höhe, von denen jedes
eine kurze, kegelförmige Höhle enthielt, die in die Speiseröhre
mündete. Die Anschwellung ist zuerst von der Speiseröhre selbst
nicht bestimmt geschieden, sondern geht unmittelbar in sie über.
Nun sondern sich die Hökerchen, die Rudimente der Lungen, im-
mer mehr von dem Speisekanale, und an der Stelle, wo sie zu-
sammenflieſsen, zieht sich ein einfaches Gebilde, die künftige
Luftröhre, länger aus (Rathke S. 170. v. Bär Entw.gesch. S. 70.
bei Burdach S. 300.). Die Röhre in jedem Lungenflügel erhält
an ihrem Ende eine kugliche, blinde Anschwellung. Beide Röh-
ren oder Bronchien stoſsen an ihrer Ursprungsstelle zu der ein-
fachen Luftröhre zusammen (v. Bär l. c.). Diese ist jedoch noch
sehr kurz (nach Bär ⅙ Linie lang). Nun trennen sich die Ath-
mungsorgane von der Speiseröhre von hinten nach vorn, d. h.
die Lungen zuerst und dann die Luftröhre (Rathke S. 172. 175.
Bär S. 80. bei Burdach S. 312.). Die Luftröhre hat sich mehr
ver-
[497]Ausstülpungsbildungen. Lungensystem.
verlängert; desgleichen auch die Lungenflügel und zum Theil auch
die Bronchien, welche aber bald bei geringerem Wachsthume re-
lativ kürzer werden. Nun bildet sich an dem vorderen Ende
der Luftröhre der obere und untere Kehlkopf (Rathke S. 181.
Bär S. 96. u. 112. bei Burdach S. 326. u. 343.). Die Lungen-
flügel erhalten ihre Einschnürungen (Bär l. c.) und die Bronchien
ihre Verzweigungen (Rathke S. 181. Bär l. c.). Diese vermehren
sich immer mehr und auf die dem Vogel charakteristische Weise.
Die Luftröhre selbst erhält gröſsere Sonderung ihrer Schichten, so
wie auch ihre Luftröhrenringe (Rathke S. 182. v. Bär S. 128. bei Bur-
dach S. 361.). Zugleich wird der Kehlkopf mehr ausgebildet. Hierin
stimmen die Beobachtungen von Rathke und v. Bär völlig über-
ein. Nur in der Zeitangabe finden sich bedeutende Differenzen.
Allein wie sehr diese, besonders in früheren Perioden der Ent-
wickelung Nüancirungen unterworfen seyen, dürfte Keinem ent-
gehen, welcher selbst Versuche, besonders mit künstlicher Brütung
der Vogeleier, angestellt hat. — Wir haben absichtlich den dem
Vogel eigenthümlichen Bau seiner Lungen, in Bezug seiner Ent-
wickelung, übergangen, um die vorbereitende Anschauung für die
Genese der Lungen der Säugethiere nicht zu verwirren. Was
aber diese betrifft, so besitzen wir vollständige Beobachtungen vor-
züglich von J. Fr. Meckel (Arch. II. S. 430—432.) und Rathke
(Nov. Act. XIV. I. S. 191—210. und Meck. Arch. 1830. S.
70—72.) und fragmentarische Notizen von Burdach (Physiol. II.
S. 555.), Joh. Müller (de glandularum structura p. 199.) und
E. H. Weber (Hildebr. Anat. IV. S. 213. 14.). Auch hat Fleisch-
mann (de chondrogenesi asperae arteriae et situ oesophagi
abnormi nonnulla
. 1810. 4.) eine Reihe von Untersuchungen
über Entwickelung des Kehlkopfes, der Luftröhre und Luftröh-
renäste des Menschen mitgetheilt. — Daſs die erste Entwicke-
lung der Lungen der Säugethiere auf analoge Weise, wie bei den
Vögeln, vor sich gehe, läſst sich zwar schon zum Theil im Vor-
aus erwarten, wird aber durch eine Reihe früher, übereinstimmen-
der Verhältnisse im höchsten Grade wahrscheinlich gemacht.
Zwar hatte Rathke (Entwickelung der Athemwerkzeuge S. 206.)
den Satz aufgestellt, daſs die Säugethierlungen ursprünglich ein-
fach wären und glaubte hiermit Meckeln widersprechen zu müs-
sen. Allein gegen das Letztere hat Meckel (s. Arch. 1829. S.
231. 232.) protestirt; das Erstere dagegen Rathke (Meck. Arch.
32
[498]Von dem Embryo.
1830. S. 72.) selbst nach späteren Untersuchungen zurückgenom-
men. Die früheste Form der Lungen hat dieser geachtete Natur-
forscher aus einem sehr jungen (wahrscheinlich kaum mehr, als
5‴ langen) Schaafsembryo beschrieben. Aus der der Bauchseite
zugewendeten Seite der Speiseröhre entsprang die mit ihr innig
verwachsene Luftröhre, welche überall gleichmäſsig dick, kurz und
schmäler, als die Speiseröhre war. Ihre Höhle communicirte mit
der der Speiseröhre. Nirgends aber war von auſsen eine An-
schwellung wahrzunehmen. Sie ging ungetheilt von vorn nach
hinten bis zum gemeinschaftlichen Stamme aller Venen, wo sie
sich in zwei halbkugliche oder halbmondförmige hohle Gebilde
theilte, die Rudimente der Lungen (Meck. Arch. 1830. S. 70. 71.).
An einem fünf Linien langen Schaafsembryo fand ich die noch
einfache Luftröhre der Speiseröhre fest anliegend, etwas länger
und ohne alle Anschwellung. Jeder Lungenflügel zeigte sich als
ein längliches Gebilde, welches auf seiner äuſseren Oberfläche
wellenförmig eingekerbt war, durchaus aber noch keine Spur von
Einschnitten oder Lappen enthielt. Deutlich erkannte ich dagegen
diese schon bei acht Linien langen Embryonen des Hundes und neun
Linien langen Früchten des Schweines, doch entgehen sie selbst hier
noch leichter dem Blicke, weil sie sich im Ganzen nur noch we-
nig von den Crenulationen der ganzen Lunge unterscheiden. Was
die äuſsere Form anlangt, so hat schon Rathke bemerkt, daſs jede
Lunge zuerst nach innen ausgeschnitten ist und ihre hinteren und
vorderen Enden beiderseits einander daher näher liegen, als ihre
Mitten. — Die Luftröhre verlängert sich unterdeſs; es bildet sich
der Kehlkopf und in den Lungen selbst die Luftgefäſse, so daſs
alle Theile des Lungensystemes allmählig gesondert hervortreten.
Die Veränderungen, welche diese nun im Laufe der Entwickelung
erleiden, sind folgende:


1. Der Kehlkopf und die Luftröhre. — Der Kehlkopf ent-
steht nach Rathke später, als die Luftröhre, wie jeder sich bei äuſse-
rer Ansicht auch leicht überzeugen kann. Doch wird der Anfang
der Luftröhre in der Höhlung der Speiseröhre von zwei Wülsten
umgeben, welche eine längliche oder linienförmige Spalte zwischen
sich lassen und selbst von eirunder Form sind. Sie sehen zuerst
gerade gegen die Wirbelsäule hin und liegen noch völlig in dem
Bereiche der Schlundhöhle. So fand ich es schon bei Früchten
der Wiederkäuer und des Schweines, in den letzten Momenten
der Schlieſsung ihrer Kiemenspalten. Aeuſserlich giebt sich bald
[499]Ausstülpungsbildungen. Lungensystem.
der Kehlkopf als eine rundliche Anschwellung zu erkennen und
er ist, wie Rathke (l. c. S. 202.) schon bemerkt, je jünger der
Embryo, relativ desto gröſser und rundlicher; seine Wandun-
gen sind, ehe sich die einzelnen Knorpel geschieden haben, desto
dicker. Nach ihm (l. c. S. 203.) bilden sich auch Schild- und
Ringknorpel gleichzeitig und früher, als die Cartilagines aryte-
noidei
aus. Zuletzt entsteht der Knorpel des Kehldeckels. Die
Knorpel des Kehlkopfes entwickeln sich früher, als die der Luft-
röhrenäste. In der Luftröhre selbst entstehen die Knorpel, nicht
wie Fleischmann (de chondrogenesi p. 25—27.) geglaubt hatte,
durch Bildung zweier symmetrischer, an einander stoſsender Hälf-
ten, sondern, wie Rathke (l. c. S. 205.) es angegeben und ich
selbst es bestätigen kann, durch Bildung einfacher Streifen. Man
sieht nämlich zuerst feine, in relativ groſsen Distanzen befindliche
Querstreifen, welche sich bei microscopischer Untersuchung als
dichtere Massen von körnerhaltigem Bildungsgewebe zu erkennen
geben. Indem nun dieser Massenansatz immer gröſser wird, durch-
läuft diese selbst die schon oben geschilderten Metamorphosen
der Chondrogenese. Nur schienen mir hier die Körnchen, wenn
auch von derselben Gröſse, doch von etwas mehr rundlicher und
weniger bestimmter Gestalt zu seyn, als ich sie in anderen Knor-
plen zu sehen Gelegenheit hatte. Bald darauf sondert sich auch
die Schleimhaut der Luftröhre. Die Faserhaut derselben erkannte
ich bei 1½ Zoll langen Schweineembryonen schon deutlich als
aus vielen longitudinellen, parallel zarten und sehr zierlichen Fa-
sern bestehend. Die Flimmerbewegungen finden sich schon bei 2
Zoll langen Früchten. Mit fernerem Wachsthume vermehrt sich nach
Rathke (S. 206.) die Zahl der Luftröhrenringe. — Was nun die
an dem Menschen gemachten Beobachtungen anlangt, so will
Fleischmann (l. c. p. 2.) in einem sechswöchentlichen Embryo
den Kehlkopf als eine rundliche Anschwellung gesehen haben.
(Ob dieses vielleicht die Andeutung des Mittelstückes des Zungen-
beines war?) Hinter diesem lag eine halbmondförmige in zwei
Hörner auslaufende Masse, welche er für die Glandula thyreoidea
hält. Die Luftröhre selbst war ein dünner Faden. Ihr linker
Bronchus war länger, weiter und fester, als der rechte. Ja er
war bei einem siebenwöchentlichen Embryo eine Linie lang, kaum
¼ Linie dick und ohne alle Spur von Knorpeln. Deutlicher wa-
ren diese Gebilde schon bei einem achtwöchentlichen Embryo.
32*
[500]Von dem Embryo.
Das Zungenbein bestand aus einem mittleren Theile und zwei
Seitentheilen. Der Larynx war ¼ Linie lang; der Schildknorpel
enthielt zwei oben breitere, unten engere Blätter, welche stumpf-
winklicht, nach vorn etwas convex und durch eine Membran mit
einander verbunden waren. Unter diesen lagen zwei Körperchen,
die Rudimente der Cartilag. cricoid. Unter diesen befanden
sich noch drei andere Körperchen, von denen das mittelste, läng-
lich und zierlich, die Schilddrüse darstellte (p. 2.). Von der
Cartilago cricoidea bis zur Bifurcation war die Luftröhre eine
Linie lang und ihr linker Ast etwas länger, als der rechte.
Beide divergirten nun deutlich; auf der vorderen Fläche sah man
sehr zarte Querstreifen, welche nach beiden Seiten hin verschwan-
den. An den Aesten aber konnten diese nicht verfolgt werden.
In einem zehnwöchentlichen Embryo fand sich eine häutige Ver-
bindung zwischen Zungenbein und Larynx; der Schild- und Ring-
knorpel waren aber noch getrennt. Der Stamm der Trachea war
1¾ Linie lang und ¼ Linie breit, von oben nach unten zusam-
mengedrückt und hatte sechzehn nahe an einander liegende Ringe.
Der linke Ast zeigte sich länger und vollkommener, als der
rechte (p. 3.). Bei einer dreimonatlichen männlichen Frucht wa-
ren Schild- und Ringknorpel zwar schon ganz nahe, doch aber
noch nicht vereinigt, in sich dagegen mehr bestimmt. Jeder ½
Linie lang und breit. Die Länge der Luftröhre bis zu ihrer Bi-
furcation betrug kaum zwei Linien; die Zahl der Ringe sieben-
zehn. Diese waren auch in den Aesten schon deutlich; die
Luftröhre selbst war noch zusammengedrückt. In einem weibli-
chen Fötus gleichen Alters (p. 4.) war Alles noch weicher und
der Schildknorpel verhätniſsmäſsig gröſser. Die Trachea 1¾ Linie
breit und kaum ½ Linie lang. In einer viermonatlichen männli-
chen Frucht (p. 5.) war die Luftröhre schon cylindrisch; ihre
Ringe waren breiter und dicker. Der achte und neunte Ring
waren einander am nächsten gelegen und vorn mit einander ver-
schmolzen. In einem Alter von achtzehn Wochen war die Luft-
röhre breiter, als rund und in ihrer Mitte sehr zusammengedrückt.
Sie enthielt zwanzig, meist sehr breite Ringe. Der Schild- und
Ringknorpel bestand noch aus zwei seitlichen getrennten Hälften.
Zu Ende des fünften Monates wird die Luftröhre mehr rundlich.
Mehrere ihrer Ringe sind gabelförmig gespalten. In der Mitte
des siebenten fanden sich Segmente von Ringen, welche frei en-
[501]Ausstülpungsbildungen. Lungensystem.
digten und an andere Ringe noch nicht so angewachsen waren,
daſs eine wahre Bifurcation entstanden wäre. Zuletzt endlich
entsteht der dem Erwachsenen ähnliche Zustand (p. 6.).


2. Die Lungen. — Sie sind zuerst von länglich runder, bald
darauf von länglicher Form. Anfangs ist ihre Oberfläche ohne
Spur von Ungleichheiten. Bald aber werden sie an ihrem Rande
crenulirt und auf ihrer Oberfläche ungleich. Nachdem dieser Zu-
stand bei den verschiedenen Thieren eine verschiedene Zeit be-
standen, werden sie in ihre bestimmte Zahl von Lappen dadurch
getheilt, daſs sich Furchen in ihnen bilden, welche allmählig
durchdringen und auf diese Weise Trennungen erzeugen. Je
seichter diese Furchen sind, desto schwieriger sind sie von den
schon existirenden und verhältniſsmäſsig sehr ausgebildeten Lap-
pen zu unterscheiden. Bei genauerer Untersuchung erkennt man
sie aber an ihrer gröſseren Extensität ziemlich bestimmt. Die
Crenulationen des Randes sowohl, als die Unebenheiten der Ober-
fläche entsprechen zukünftigen Läppchen. Sey es nun, daſs sie
selbst in mehrere zerfallen, welche sich vergröſsern, oder daſs
neue zwischen ihnen entstehen, so sieht man bald die Anzahl
dieser Läppchen in jedem Lungenflügel um ein Bedeutendes ver-
mehrt. Ihre sehr zierliche Conformation ist aber dann folgende.
Es sind rundliche, oder mit abgerundeten Ecken versehene, sonst
vierseitige Felder, welche durch eine dünnere Bindemasse von
einander geschieden werden und in sich selbst wieder meisten-
theils vier, bisweilen jedoch mehr, selten weniger kleinere, rund-
liche Hügel enthalten. Man würde aber sehr irren, wenn man
diese schon für die an der Oberfläche endigenden Lungenbläschen
erklären wollte. Im Laufe der Entwickelung vermehrt sich nun
die Zahl dieser kleinsten Hügel immer mehr. Der sie verbin-
dende Stoff wird mit ihrer Vermehrung geringer. Sie rücken
daher immer näher. Dadurch wird aber die Oberfläche der Lunge
ebener und erhält auf den ersten Blick ein etwas verändertes
Aussehen. — Die Gröſse der Lungen ist im Fötus überhaupt un-
bedeutender, als im Erwachsenen. Das Miſsverhältniſs erscheint
aber bis zur Geburt gröſser zu seyn, als es in der That ist, weil
die Lungen noch dicht und durch eingeathmete Luft noch nicht aus-
gedehnt und gefüllt sind. Je jünger aber der Fötus ist, um so
gröſser ist nicht bloſs ihre absolute, sondern auch ihre relative
Kleinheit. Vorzüglich ist dieses in Verhältniſs zu dem Herzen
[502]Von dem Embryo.
deutlich. Denn das Letztere scheint zuerst die ganze Brust-
höhle auszufüllen und erst nach Entfernung desselben sicht man
die sehr kleinen länglichen Lungen dicht an der Wirbelsäule an-
liegen. Später treten sie mehr vor, so daſs ein Theil derselben
schon nach Entfernung des Sternum unmittelbar in die Augen
fällt. Dieses rührt aber vorzüglich anfangs mehr von ihrer Vo-
lumenvergröſserung allein her. — Ihre Farbe ist zuerst weiſs, wird
dann gelblich weiſs und zuletzt heller oder dunkeler röthlich. — Ihre
Consistenz ist zuerst (besonders in Rücksicht auf ihre Wandungen),
relativ genommen, stärker, als späterhin. Von absolutem Stand-
punkte dagegen findet das Gegentheil Statt. Doch ist ihre Consistenz
nach der Luftathmung scheinbar (wegen der in ihnen enthaltenen
Luft) lockerer, als vorher. — Ihr (specifisches) Gewicht ist nach ge-
schehener Athmung natürlich leichter, als vor derselben. So fand
Wrisberg (bei Danz II. S. 68.) das specifische Gewicht der noch
nicht durch Luft ausgedehnten Lunge 1,077, oder 1,053, oder
1,037, Sauvages 1,036. Doch ist dies, wie Schmitt zeigte (siehe
Meckels Anat. IV. S. 437.), nicht constant. Er fand das speci-
fische Gewicht von Lungen, welche noch nicht durch Athmung
verändert waren, bisweilen sogar geringer, als das lebendig gebore-
ner Früchte. Ueberhaupt finden sich hierüber in den Schriften der
Gerichtsärzte, da auf diesem Umstande die sogenannte Lungen-
probe beruht, die mannigfaltigsten Nachweisungen. Das Gewicht
der Lungen verhält sich zu dem des übrigen Körpers nach Meckel
(s. Burdachs Physiol. II. S. 555.), in der neunten und zehnten
Woche, wie 1:25 bis 1:27, am Ende des dritten Monates, wie
1:43, im zehnten Monate, wie 1:75 und im Erwachsenen, wie
1:35. — Ihre Lage verändert sich im Laufe der Entwickelung.
In ihrer ersten Bildungsepoche rücken sie von vorn nach hinten,
theils dadurch, daſs sie selbst an Volumen, besonders in der Di-
mension der Länge zunehmen, theils durch Ausbildung des Hal-
ses nach der Schlieſsung der Kiemenspalten. Späterhin aber ver-
mehrt sich ihr Umfang und sie nehmen dann nicht mehr bloſs
die Nähe der Wirbelsäule ein, sondern füllen auch mehr den nach
dem Sternum hingerichteten Raum aus. — Da sie als eine Aus-
stülpung der Speiseröhre entstehen, so nehmen sie die Gekrös-
platte mit sich und diese wird zu dem sie umhüllenden Blatte der
Pleura. Jedoch bedarf gerade dieser Punkt noch directer, künftiger
Erfahrungen, weil besonders das Verhältniſs der Luftröhre zu die-
[503]Ausstülpungsbildungen. Lungensystem.
ser Haut durchaus noch ein Problem ist. Der Ueberzug ist relativ
um so dicker, je jünger der Fötus ist. Die Pleura hängt aber auch
eben so lockerer, wegen der Menge des verbindenden Schleimge-
webes an, und läſst sich daher um so leichter entfernen. In Rück-
sicht ihres Gewebes gleicht sie völlig dem Peritoneum. — Was
nun die Structur der Lungen anbetrifft, so müssen wir zuvörderst
bemerken, daſs die Ausbildung der Luftröhrenäste bis zu ihren
letzten bläschenförmigen Endigungen auf ähnliche Weise vor sich
geht, wie wir dieses bei Gelegenheit der Speicheldrüsen für die
Drüsen und drüsigten Organe überhaupt aus einander setzen wer-
den. Nur finden hier folgende Eigenthümlichkeiten Statt. 1.
Das Blastema oder der Stoff, in welchem die Aushöhlungen und
Verästelungen sich bilden, ist dichter und nimmt für sich auch
eine bestimmtere Form an, als das zarte, weiche, gelatinöse Bla-
stema der Speicheldrüsen. Doch trägt hierzu nicht bloſs seine
festere Consistenz, sondern auch seine Einhüllung durch die Pleura
wesentlich bei. Alle Bildung hat aber in diesem dichteren Lun-
genblastema bald auch einen dichteren Zusammenhang. Die Wan-
dungen der Bronchien sind stark und fest und erscheinen selbst
bei noch zarteren Lungen auf Querdurchschnitten, in länglich
runder Form. Ja ihre Wandungen sind frühzeitig von dem Bla-
stema bestimmt abgegrenzt, haben einen gröſseren Umfang zuerst,
als die in ihnen enthaltene Höhlung und in der Regel eine solche
Rigidität, daſs sie auf Querschnitten nicht zusammenfallen. Man
sieht daher dann das Lumen als eine linienförmige Spalte, welche
von einem länglichen Ringe umgeben ist. Auch die bläschenför-
migen Endigungen der Luftröhrenäste haben eine relativ dichtere
Consistenz, als die der wahren ausführenden Drüsen. Man kann
sie vorzüglich durch folgende Mittel erkennen. a. Durch die
Betrachtung zarter Schnitte aus ganz frischen Lungen unter dem
Microscope auf schwarzem Grunde. Diese Methode paſst vorzüg-
lich für frühe Stadien der Entwickelung. b. Durch Pressen der
Lungenschnitte, welche durch Weingeist oder kohlensaueres Kali
erhärtet sind, zwischen zwei Glasplatten. Der Druck darf hier
ja nicht zu stark seyn, weil man dann leicht Alles vernichtet.
c. Um die Lungenbläschen isolirt darzustellen, kann man frische
oder etwas erhärtete Stückchen unter Wasser zerreiſsen, die
Riſsflächen sorgfältig abspülen und unter dem Microscope betrach-
ten. Man vermag dann in der Regel ein oder mehrere Lungen-
[504]Von dem Embryo.
bläschen frei und isolirt zu sehen. d. Durch lang anhaltende
Maceration stellen sich die Lungenbläschen besonders nach ihrer
Tiefe dar, wenn man aus den macerirten Stücken kleine, zarte
Querschnitte betrachtet. e. An kleinen Querschnitten aufgebla-
sener und getrockneter Lungen kann man das gegenseitige Ver-
hältniſs der Lungenbläschen vorzüglich in Bezug auf ihre Conti-
guität anschaulich darstellen. Diese Methode ist besonders für
die letzten Stadien der Ausbildung die vorzüglichste. — 2. Die
Bildung und Verästelung der Bronchien bis zu ihren letzten bläs-
chenförmigen Enden geht der Form nach, wie Joh. Müller (de
glandulis
p. 99.) schon bemerkt und aus Rathkes Beobachtun-
gen (Burdachs Physiol. II. S. 557.) auch ersichtlich ist, genau so
vor sich, als in den ausführenden Drüsen. Es finden sich zuerst
einige Ramificationen der Luftröhre in jedem Lungenflügel, welche
mit bläschenförmigen Enden gegen die Oberfläche hin sich endi-
gen und durch eine [sehr] groſse Quantität von Bildungsmasse
umgeben werden. Während diese sich vermindert, vermehren
sich die Verästelungen und ihre rundlichen Enden (s. die Abbil-
dung in Joh. Müllers Drüsenwerk tab. XVII. fig. 7.) und stellen
so allmählig das Gewebe der erwachsenen Lunge dar. Doch
findet hier die wesentliche Verschiedenheit von den wahren aus-
führenden Drüsen Statt, daſs die letzten Stämmchen der Bron-
chien im Verhältniſs zu den Lungenbläschen um so stärker sind,
je jünger der Fötus ist. Auch zeigt sich hier die Vermehrung
durch einfache Bifurcation deutlicher. — 3. Je mehr sich diese
Ramificationen ausbilden, desto gröſser wird auch die Anzahl der
sie durchziehenden Blutgefäſse. Dies folgt schon zum Theil aus
den Veränderungen ihres Hauptstammes, welche wir oben bei dem
Gefäſsblatte S. 210—16. dargestellt haben. Schon in der letzten
Hälfte des Fruchtlebens und bei dem Neugeborenen, welcher noch
nicht geathmet, gelingt nicht selten eine feine Injection der Lungen.
Die feinsten Blutgefäſsnetze verästeln sich dann schon so vielfach
in den Lungenbläschen, daſs ihre Zwischenräume meistentheils
kleiner sind, als die sie umgebenden und einschlieſsenden Netze.
Die micrometrischen Messungen der Lungenbläschen und Bron-
chien siehe unten bei den Speicheldrüsen.


[505]Ausstülpungsbildungen. Anhang. Schilddrüse.
Anhang.

Wir reihen an diese Darstellung die Genese zweier anderen
Organe, welche theils durch Contiguität, theils vielleicht auch
durch ihre Function mit den Lungen in naher Beziehung stehen,
nämlich der Schilddrüse und der Thymus. Wenn man annehmen
kann, daſs die drei Blätter der Keimhaut gleichsam die Urtypen
der Bildung für die übrigen Organe sind, und daſs jedes einzelne
Organ in dem Bereiche des ihm bestimmten Blattes entstehe, so
ist es doch der gröſste Theil der Organe des Körpers, wo nicht
vielleicht Alle, welche im Laufe ihrer Entwickelung mit einem
oder beiden anderen Blättern in Berührung kommen, so daſs diese
zum Theil ebenfalls in seine Organisation eingehen. Nun giebt
es aber wahrscheinlich eine Reihe von Gebilden, welche ursprüng-
lich zwar auch ihrem bestimmten Blatte angehören, in deren Zu-
sammensetzung aber die Ramisication des Gefäſsblattes so sehr
eindringt, daſs es dieselben fast ganz zu constituiren scheint. Es ent-
steht hierbei die freilich sehr schwer zu lösende Frage, ob das
frühere Blastema schon ursprünglich dem Gefäſsblatte angehört
oder nicht. So lange dieses aber noch nicht ausgemacht ist,
kann es nicht bestimmt werden, zu welchem Blatte das Organ
selbst zu stellen sey. Ein Beispiel möge das Gesagte erläutern.
Huschke hatte es als das Resultat seiner vielfachen und mühsa-
men Untersuchungen ausgesprochen, daſs die Carotidendrüse der
Frösche durch Verästelung der Kiemengefäſse sich bilde. Allein
die bloſse Constitution eines Organes aus Gefäſsen erinnert an
den früheren, durch Ruyschs Auctorität erzeugten Irrthum, daſs
die Leber ein Convolut von Gefäſsen sey. Auch hat Joh. Mül-
ler ein Blastema, einen bestimmten Stoff auſser den Gefäſsen in
der Carotidendrüse gefunden. Dasselbe ist unstreitig wohl auch
bei der Schilddrüse der Fall, welche wahrscheinlich dem Gefäſs-
blatte allein oder vielleicht dem Gefäſs- und Schleimblatte zugleich
angehört. Von der Thymus ist es zum Theil eben so wahrscheinlich.
Allein diese schlieſst sich inniger an die lymphatischen Drüsen
an, deren Entstehung dem Schleim- und Gefäſsblatte zugleich zu-
zuschreiben wir geneigter sind, während uns die Vermuthung
sehr anspricht, daſs die Schilddrüse eben so wie vielleicht die Ne-
bennieren bloſs dem Gefäſsblatte angehören.


[506]Von dem Embryo.
1. Schilddrüse.

Nach Huschke (Isis 1826. S. 621. 1827. S. 403.) entsteht sie
aus den vordersten Halskiemen, welches jedoch Rathke’s Beobach-
tungen gemäſs sehr zweifelhaft ist. Nach diesem (Nov. Act. Ac.
N. C. T. XIV.
1. S. 208.) erscheint sie bei Schweinen um die-
selbe Zeit, in welcher sich die Ringe der Luftröhre bilden, und
entwickelt sich sehr rasch, so daſs sie bald den Theil der Luft-
röhre bedeckt, welcher sich zwischen Kehlkopf und Sternum be-
findet. Bei dem Schaafe, wo sie doppelt ist, liegen beide anfangs
dicht an einander und rücken später erst auseinander. Diesem
scheinen die an dem Menschen gemachten Beobachtungen entge-
gengesetzt zu seyn. So giebt Meckel (Anat. IV. S. 451.) an, daſs
die Schilddrüse anfangs aus zwei von einander getrennten Lappen
bestehe, und Fleischmann (de chondrogenesi p. 5.) beschreibt
sie auch so aus einem viermonatlichen, männlichen Embryo. Nur
war sie da in der Mitte schon vereint. Sie ist im Fötus gröſser
verhältniſsmäſsig und blutreicher, als im Erwachsenen. Ihre Blut-
gefäſse werden von der Carotis aus sehr leicht gefüllt. Sie um-
geben in zierlichen Netzen jedes Läppchen derselben und haben
in jedem derselben ganz die Conformation, wie sie Huschke aus
der Carotidendrüse der Frösche abgebildet hat.


2. Thymus.

Dieses räthselhafte, für das kindliche Leben, wie es scheint,
gröſstentheils berechnete, in dem vordersten Theile der Brust-
höhle befindliche und nach dem Halse hin sich erstreckende Or-
gan hat die Aufmerksamkeit der Naturforscher mit Recht in ho-
hem Grade auf sich gezogen, wiewohl trotz aller bisherigen Be-
mühungen mehr ihre äuſsere Form, als ihre innere Structur ent-
räthselt ist. Die ältesten Beobachter kannten sie schon und be-
schrieben sie mehr oder minder richtig nach ihrem Aeuſseren.
Im vorigen Jahrhundert suchte man besonders an ihr einen Aus-
führungsgang auszufinden, wie sich dieselbe Richtung auch bei
den Untersuchungen über die Schilddrüse kund gab. Allein man
fröhnte hierbei mehr vorgefaſsten Meinungen und eigenen Phan-
tasien und wollte die letzteren lieber, als genaue und gründliche
Beobachtungen liefern. Diese haben wir in unserem Jahrhundert
besonders von Lucä (anatomische Untersuchung der Thymus in
[507]Ausstülpungsbildungen. Anhang. Thymus.
Menschen und Thieren Hft. I. 1811. Hft. II. 1812. 4. u. anato-
mische Bemerkungen über die diverticula am Darmkanal und
die Höhlen der Thymus 1813. 4.) und in neuester Zeit von F.
C. Haugsted (Thymi in homine ac per seriem animalium de-
scriptio anatomico-physiologica Fasc. I
. 1831. Fasc. II. 1832.
8.) erhalten. Einzelne, sehr schätzenswerthe Beobachtungen haben
J. Fr. Meckel, Tiedemann, Cooper u. A. mitgetheilt. Wir folgen
gröſstentheils der trefflichen Arbeit von Haugsted, welcher mit
Ausnahme der gleichzeitigen Untersuchungen von Cooper das
früher gelieferte Anatomische und Physiologische gekannt und
gewürdigt hat, und thun dies um so lieber, als nicht Jedem das
in Kopenhagen erschienene Original zugänglich seyn dürfte. Auch
enthalten die übrigen Erfahrungen von Meckel, Tiedemann, Fleisch-
mann, Lucä u. A. nur Weniges, welches von Haugsted nicht be-
rührt worden und das am passenden Orte noch eingeschaltet wer-
den soll. H. setzt (I. p. 91.) das erste Erscheinen der Thymus
bei dem Menschen in die neunte bis zehnte Woche. Zu Anfange
des dritten Monates erscheinen nämlich hinter (unter) dem obe-
ren Theile des Sternum zwei getrennte Körperchen, welche in der
zehnten Woche deutlicher und an ihrem hinteren Ende durch
Schleimgewebe verbunden sind. Mit Unrecht behauptet Cowper
(anat. c. h. 1739. fol. tab. XXI.), die Thymus sey um diese
Zeit verhältniſsmäſsig gröſser, als späterhin. Sie fehlt sogar noch
in der achten Woche nach Haugsted (l. c. p. 92.), Wrisberg
(descr. anat. embr. p. 23.), Meckel (Abhandl. S. 282.) und Bur-
dach (Physiol. S. 600.). In der dreimonatlichen Frucht (p. 93.)
ist sie klein, in einem gelblichen Schleimgewebe eingeschlossen,
liegt auf dem Herzen und besteht aus zwei an den Seiten der
Luftröhre befindlichen Körnchen. Im viermonatlichen Fötus reicht
sie über die Gegend des Schlüsselbeines hinaus und besteht aus
zwei deutlichen, seitlichen Lappen, deren körnige Structur schon
mit bloſsem Auge sichtbar ist. Zu Ende des vierten Monates
wächst die Thymus mehr und ihre beiden Seitentheile vereinigen
sich inniger. In der sechsmonatlichen Frucht reicht (p. 94.) sie
schon bis zu der Schilddrüse. Am Ende des siebenten Monates
hat sie sich noch mehr vergröſsert und enthält, zwar in geringe-
rer Quantität als später, doch einen leicht herauszüdrückenden
Saft und eine bei genauerer Untersuchung kennbare zellige Struc-
tur. Nun wächst die Thymus immer mehr, je mehr die Frucht
[508]Von dem Embryo.
sich ihrer Reife nähert. Ihr specifisches Gewicht nimmt aber mit
weiterer Ausbildung ihrer Zellen ab. In einem dreimonatlichen
Fötus (p. 95.) betrug es 1,099, in dem Neugeborenen dagegen
1,071. Ihre Gröſse und ihr Gewicht ist in den verschiedenen
neugeborenen Individuen sehr verschieden. Das Letztere giebt
Verheyen (respons. ad Bidloum p. 474.) zu dr. viij, Meckel
(menschl. Anat. IV. S. 456.) zu Une. β und mehr, Burdach (Phy-
siol. III. S. 225.) zu dr. iij an. Haugsted (p. 104.) fand, was
das Fötusleben betrifft, folgende Verhältnisse:

Die Meinung von Cowper, Heister, Martineau, Mason, Danz
und Hildebrandt, daſs die Thymus in dem Neugeborenen ihre
Vollkommenheit erlangt, nach der Geburt aber ohne Nutzen sey
und abnehme, ist unrichtig (p. 96.). Schon Verheyen (anat. c.
h. tract. III. cap. VIII
.) hat es bemerkt, daſs die Brustdrüse
sich wenigstens bis zum ersten bis zweiten Lebensjahre vergrö-
ſsere. Vom zweiten bis zum achten Jahre (p. 98.) nimmt ihr
Umfang weder zu, noch ab; ihre Zellen aber werden enger, der
in ihnen enthaltende Saft, so wie ihr sp. G. geringer. So be-
trägt dieses in dem Neugeborenen 1,071, in dem Kinde von zwei
Wochen 1,02 und dem zehnjährigen Kinde kaum 1. Von dem
zwölften bis zu dem sechszehnten Lebensjahre nimmt die Thy-
mus (p. 99.) bedeutend ab und schwindet später bis auf eine sehr
unbedeutende Spur. Sie schwindet (p. 100.) von unten (hinten)
nach oben (vorn). — Die ausgebildete Thymus des Menschen hat
[509]Ausstülpungsbildungen. Anhang. Thymus.
eine oblonge Form, convexe Oberflächen und stumpfe Ränder,
von welchen letzteren der obere und untere in zwei Hörner aus-
gehen (p. 16.). Sie liegt in der ganzen Höhle des Mediastinum
anterius
und reicht in den Hals hinein, welches Letztere G. H.
Müller (de thymo praeside Bidloo 1706. 4.) mit Unrecht ge-
läugnet hat (p. 22.). Wharton (adenographia 1656. 8. p. 106.)
und Cowper (anat. c. h. tab. XXI.) fanden sie in weiblichen
Körpern gröſser, als in männlichen (p. 40.). Der Verf. (p. 41.)
konnte dagegen in Rücksicht des Geschlechtes durchaus keinen
Unterschied wahrnehmen. Sie ist bei ihrem ersten Erscheinen
gelblich, wird später weiſslich und dann röthlich, zuletzt sogar
braun oder schmutzig grau (p. 44.). — Was nun ihre Structur
betrifft, so rechneten sie Verheyen (l. c. lib. I. T. III. cap. VI.),
Hugo (de glandulis p. 28.), Dionis, Garengeot, Teichmeyer, Hew-
son (experiment. inquir. T. III. p. 74.) zu den conglomerirten
Drüsen; nur fehle ihr der Ausführungsgang (also ein Hauptcha-
rakter dieser Drüsen). Wharton (adenogr. 1651. 8. p. 102.) fand
sie dem Pankreas am Aehnlichsten. Aehnlicher den conglobirten
Drüsen fanden sie Cowper (anat. of hum. body tab. XXI.),
Haller (element. physiol. III. p. 118.) und vorzüglich Lucä (anat.
Unters. II. p. 21.), unähnlich dagegen Bellinger (tract. de foetu
nutrito
1747. 8. p. 68.) und Cheselden (Anat. d. menschl. Körp.
übers. von Wolff 1790. 8. S. 204.). Mit den Nebennieren vergli-
chen sie Hugo (de gland. p. 40.) und Sprengel (inst. medic.
1809. 8. p. 453.), mit der Schilddrüse Cheselden (l. c.) und Hal-
ler (not. in Boerh. prael. II. p. 475.) und mit der Milz G. R.
Treviranus (Biologie IV. S. 631.). Eine schwammige Structur
schrieb ihr endlich Lieutaud (essays anatomiques 1712. 8. p.
218.) zu (vgl. H. p. 45—48.). Nach H. hat die Thymus (p. 40.)
eine äuſsere und eine innere Hülle. Die äuſsere umgiebt das
ganze Organ, senkt sich aber nicht, wie Clocquet (traité d’anat.
descr
. 1816. II. p. 825.) mit Unrecht angiebt, zwischen ihre Lap-
pen ein. Sie ist von auſsen durch Zellgewebe an die benachbar-
ten Theile angeheftet, nach innen dagegen glatt (p. 50.). Lucä
(anat. Untersuch. II. S. 44.) hält sie für eine seröse Haut, Hew-
son (l. c. p. 74.) für verdichtetes Zellgewebe (Cf. H. p. 50.). Die
innere eigenthümliche Haut senkt sich zwischen die Läppchen ein.
Die Thymus selbst besteht aus drei bis fünf Lappen (p. 51.).
Diese aber aus mehreren Läppchen (p. 52.) und diese selbst wie-
[510]Von dem Embryo.
derum aus Körnern (p. 43.). Die Läppchen enthalten durchsich-
tige Säckchen oder Bläschen, welche durch Communicationsäste
mit einander verbunden sind, wie Hewson, Putnus, Morand, Hal-
ler, Sabatier, Bichat schon gewuſst und besonders Lucä (l. c. II.
S. 21. u. üb. Divertik. am Darmk. u. Höhl. der Thymus 1813.
4. S. 9—12.) auseinandergesetzt haben. Eine in der Mitte be-
findliche Höhle der Thymus, wie Bartholinus, Dionis, Bellinger,
Meckel u. A. geglaubt haben, giebt es nicht. Der in der Brust-
drüse enthaltene Saft ist milchigt oder chylös, ja fast eiterähnlich
und gerinnt durch Weingeist. Nach Hewson ist er der Lymphe,
nach Meckel dagegen der Masse am ähnlichsten, welche sich zwi-
schen Frucht- und Mutterkuchen der Wiederkäuer befindet. Die
Gefäſse der Thymus kommen im Allgemeinen aus der Mamma-
ria interna
, der subclavia, dem Arcus aortae, der thyreoidea
inferior, vertebralis
und den Carotiden (p. 68. 69.). Die lym-
phatischen Gefäſse derselben senken sich, nachdem sie einige lym-
phatische Drüsen der Brust durchgegangen, in den oberen Theil
des Brustganges ein (p. 74.) und sind nicht mit Klappen verse-
hen (p. 76.). Was nun den angeblichen Ausführungsgang der
Thymus betrifft, so lieſsen ihn ältere Zergliederer in die Spei-
cheldrüsen, die Basis der Zunge, den Schlund, den Magen, die
Luftröhre, die Vena subclavia sinistra oder den ductus thora-
cicus
gehen (Cf. H. p. 78—87.). Die Neueren läugnen jeden
ductus excretorius der Art mit vollem Rechte. Die Thymus
kommt nur den Säugethieren zu (II. p. 160.). Hier findet sie
sich aber bei allen normalen Früchten. Den Acephalen fehlt sie
in der Regel. Auſserdem vermiſste sie einmal Bell. in einem sie-
benmonatlichen Fötus mit dem Herzen, der Pleura und der Le-
ber (p. 165.). Was nun ihre Function betrifft, so bringt H. das
Historische derselben unter folgende Rubriken: 1. Mechanische
Functionen. Nach Galen dient sie zur Befestigung der Hohlvene
und der arteriösen Stämme (p. 218.). Ihm folgten Vesal, Plater,
Bauhin, Laurentius, Th. Bartolinus, Vesling, Marchetti u. A.
Nach B. G. Müller dient sie sogar den Nerven zur Stütze. Au-
ſserdem glaubte Galen noch (p. 221.), daſs sie verhüte, daſs das
Brustbein nicht die Vena cava berühre und verletze. Dieser
Ansicht waren auch Vesal, Bauhin und Riolan zugethan. Th.
Bartholin sah sie auſserdem noch als Decke des Herzens an. B.
G. Müller glaubte, daſs ohne sie die zarten Knorpel der Brust
[511]Ausstülpungsbildungen. Anhang. Thymus.
zusammenbrechen und die Lungen verletzen würden (p. 222.).
Nach ihm soll sie auch die noch nicht athmenden Lungen zusam-
mendrücken. Auf ähnliche Weise glaubte Pozzi, daſs sie den
später von den Lungen einzunehmenden Raum ausfülle, damit
kein leerer Raum entstünde. Ihm stimmten Senac und Lietaud
bei. Malacarne läſst durch die Thymus Nebenniere u. dgl. nur
den später von anderen Theilen eingenommenen Platz ausfüllen.
Aehnlich sind die Ansichten von Bichat und Köpp (p. 224—226.).
Nach Prunelle erhält die Brustdrüse den Schlaf ähnlichen Zu-
stand des Fötus und der Winterschläfer (p. 227.). 2. Vitale
Functionen verschiedener Art. Nach Hecker dient sie nebst der
Schilddrüse, der Milz und den Nebennieren zur Erzeugung der
thierischen Wärme (p. 229.). Nach Verheyen und Muralt son-
dert sie den liquor pericardii ab (p. 230.). Ihnen stimmte spä-
ter Petit bei (p. 231.). 3. Beziehung zu den Geschlechtsfunctio-
nen. Nach Meckel soll die Thymus die keimbereitenden Ge-
schlechtstheile, die Thyreoida die Prostata oder den Uterus und
die Lungen die Nieren in der vorderen oder oberen Körperhälfte
repräsentiren. 4. Beziehungen, besonders zu dem Nervensystem.
Riegels stellt die Thymus mit dem Gehirn in Beziehung, weil
sie bei hirnlosen Miſsgeburten fehlet. Nach Wharton reinigt sie
den Nervensaft (p. 234. 235.). 5. Beziehungen zur Ernährung
und Blutbereitung. Muralt glaubte, daſs ein Theil ihrer Ausfüh-
rungsgänge in das Pericardium, ein anderer dagegen in die Mund-
höhle führe (p. 238.). Nach Bellinger geht die durch die Pla-
centardrüsen abgesonderte Milch in die Thymus, von da in den
Mund und von da durch den Oesophagus in den Magen, um zur
Nahrung zu dienen (p 240.). Nach Martineau liefert die Thymus
einen eigenthümlichen, zur Nahrung dienenden Saft, welcher auf
ähnlichem Wege in den Magen gelange (p. 242.). Dionis läſst
sie einen chylösen oder Milchsaft in die Vena subclavia ergie-
ſsen. Ihm stimmen St. Hilaire und Ruysch bei (p. 243.). Nach
Nicolai vermischt sich die Secretion der Thymus mit den aus der
oberen Körperhälfte kommenden Venen überhaupt (p. 244.). Nach
Teichmeyer sondert sie aus dem Blute einen rohen Chylus aus,
verarbeitet ihn und führt ihn in den Brustgang (p. 245.). Nach
Heister liefert sie einen in den ductus thoracicus übergeführten
Saft, welcher das Blut oder den Chylus verdünnt (p. 246.). Die-
ser Ansicht treten im Ganzen auch Müller, Schaarschmidt, Ri-
[512]Von dem Embryo.
cherand bei. Für eine lymphatische Drüse hielt sie schon Cow-
per, Lucä dagegen für ein vielleicht den mesaraischen Drüsen
entsprechendes Drüsenconvolut (p. 247.). Nach Hewson dient die
Thymus dazu, die Kerne der Blutkörperchen zu bereiten. Seiner
Theorie nach sind, worauf in neuester Zeit Joh. Müller und R.
Wagner zurückkommen, die Kerne der Blutkörperchen in der
Lymphe enthalten und erhalten erst im Blute ihre Hüllen (p.
249.). Nach Diemerbrök dient der Saft der Thymus dazu, um
das Blut zu erregen und das Herz zu reizen. Aehnlich ist die
Ansicht Lobsteins. Vercelloni läſst durch die Brustdrüse die in
dem Fötusblute in gröſserer Quantität angehäuften serösen Säfte
einsaugen und durch eigene Gänge in die Luftröhre und die Lun-
gen überführen (p. 251.). Nach Pallas dient sie zur Aneignung
der Nahrungsflüssigkeiten der Frucht. Nach Wrisberg und Mi-
chälis gehen die einsaugenden Gefäſse der Placenta und des Na-
belstranges in die Thymus. Hier wird ihr Saft ausgearbeitet und
flieſst von da in den ductus thoracicus oder in die subclavia,
um sich mit dem Blute zu mischen. Dieser Ansicht stimmt im
Allgemeinen auch Schreger bei (p. 251.). Boekler glaubte, Thy-
mus, Schilddrüse und Nebennieren dienten dazu, das von der
Mutter durch die Nabelvenen empfangene Blut zur Assimilation
und Ernährung der Frucht vorzubereiten. Nach Caldani sondert
die Leber, welche in der Frucht so sehr entwickelt ist, in dieser
noch keine Galle ab (welches aber durchaus unwahr ist. S. oben
Darmkanal), sondern verändert das in dasselbe geführte Blut und
secernirt daraus Lymphe. Diese wird durch lymphatische Ge-
fäſse in die Thymus geleitet, dort verarbeitet und gelangt dann
in den Brustgang (p. 255.). Nach Osiander soll der durch die
Brustwarzen absorbirte liquor amnii in die Thymus übergeführt,
dort verändert und assimilirt werden. Nach Treviranus wird das
im Zellgewebe Aufgesogene in die Thymus, die Schilddrüse, die
Nebennieren und ähnliche Organe übergeführt, welche jenen Saft
in Blut umwandeln (p. 258.). Sabatier, Baudelocque, Bichat und
Richerand glauben, daſs, da der Kreislauf für die obere Körper-
perhälfte (s. oben Gefäſssystem S. 315.) im Fötus verhältniſsmäſsig zu
viel Nahrungsstoffe zuführe, die Thymus einen Theil derselben
aufzunehmen bestimmt sey. Bartholinus, Verheyen, Cowper u.
A. hielten sie für ein receptaculum oder diverticulum chyli.
Hoffmann dagegen glaubte, sie nehme den Chylus deshalb auf,
damit
[513]Ausstülpungsbildungen. Anhang. Thymus.
damit das Hirn von demselben nicht belästigt werde (p. 261.).
Danz meint, daſs sie das Blut von den Lungen ableite, und die-
sem ähnlich sind endlich auch die Ansichten von Karch, Acker-
mann und Broussais. — 6. Beziehungen zu den Athmungsorga-
nen. Einige glauben, die Thymus vollführe wahre Athmungs-
function des Fötus, Oxygenation der an sie gelangten Stoffe; An-
dere dagegen, sie entnehme aus dem Fötusblute gesäuerte Stoffe
und mische sie der übrigen Blutmasse bei. Zu solchen, zum
Theil etwas modificirten Ansichten bekannten sich Puteus, Mo-
rand der Sohn, Kaith, Autenrieth, Sprengel, Meckel, Burdach u.
A. — Nach Haugsted endlich selbst (p. 280.) ist die Thymus
nicht dem Fötus, sondern dem durch die Milch sich nährenden
Kinde von vorzüglichem Nutzen. Dieser besteht in Vervollkomm-
nung der durch die Milch zu vollbringenden Nutrition. Die
Thymus scheint bei dem Kinde der Mamma der Mutter zu ent-
sprechen. Hiermit stimmt auch die Beobachtung, daſs die Brust-
drüse nur in der Klasse der Säugethiere vorkomme. — Dieses wäre
ein Auszug des Wichtigsten von demjenigen, welches in der treff-
lichen Schrift von Haugsted, bei welcher selbst die äuſsere Aus-
stattung vorzüglich gut genannt werden muſs, aus dem Gebiete
der Anatomie und Physiologie vorkommt. Wir haben jetzt nur
noch die in der neuesten Zeit bekannt gewordenen Resultate der Un-
tersuchungen von Astley Cooper (Frorieps Notiz. 1832. Jul. 1832.
No. 730. S. 49—51.) in dieser Beziehung nachzuholen. Nach
ihm finden sich in den Läppchen der Thymus Höhlen, welche
einen milchigten Saft in reichlicher Quantität enthalten. Jeder
Lappen besteht nun aus einer Menge neben einander liegender
Absonderungszellen, deren Oeffnungen gegen einen oder mehrere
mit einer Schleimhaut ausgekleidete Absonderungsbehälter gerich-
tet sind. Jeder Behälter steht mit dem eines anderen Lappen durch
ein sehr gewundenes und von einer Portion der Drüse selbst um-
gebenes Gefäſs in Verbindung. Absorbirende Kanäle führen die
Flüssigkeit der Thymus in die Venen. Bei dem Menschen besteht
sie nach ihm aus einer Drüse jederseits, welche in der Mitte
durch Zellgewebe vereinigt sind. Jede von ihnen hat eine Cen-
tralhöhle, deren Höhlung spiralig oder geschlängelt, und welche
selbst mit einer sehr gefäſsreichen Schleimhaut ausgekleidet ist.
Er huldigt der schon alten Ansicht, daſs die Thymus aus dem
Blute der Mutter eine zur Ernährung taugliche Flüssigkeit ab-
33
[514]Von dem Embryo.
scheide und in das Venenblut überführe, auf ähnliche Weise, wie
dieses nach der Geburt bei dem Chylus der Fall ist. — Was die
chemische Analyse betrifft, so fanden Frommherz und Gugert
in der vom Blute ausgewaschenen Thymus des Menschen Faser-
stoff (nach Berzelius unlösliches Gewebe), Eiweiſs, Käsestoff, Spei-
chelstoff, Fleischextract, gewöhnliche Salze und Fett. Nach Mo-
rins Analyse besteht die Thymus des Kalbes aus:


  • Faserstoff (?) mit phosphors. Natron und Kalk 8,0
  • Eigener thierischer Materie 0,3
  • Leim, durch Kochen ausgezogen 6,0
  • Eiweiſs 14,0
  • Fleischextract 1,65
  • Wasser 70,00

S. Berzelius Thierchemie S. 596.


b. Leber.

Schon Harwey (de generatione exercitatio XIX. Amste-
lod
. 1651. 12. p. 147.) hatte den Ursprung der Leber nach der
Genese des Blutes bei dem Hühnchen beobachtet und Malpighi
(de formatione pulli in Ovo p. 9. in Opp. 1688. fol.) als eine
Ansammlung von Blinddärmchen aus früher Zeit der Entwicke-
lung beschrieben. Des Letzteren merkwürdige Worte sind fol-
gende: „Jecur ipsum, subluteo interdum suffusum colore,
quandoque cinereo, auctius et solidius reddebatur et ipsius
glandulae non omnino rotundam et sphaericam referebant
figuram, sed oblongiores et quasi caecales utriculos, ductui
hepatico appensos, repraesentabant, quod in aliquibus glan-
dulosis hepatis racemis et miliaribus glandulis frequenter
observatur.
“ Rolando aber (Journ. compl. des dict. des sc.
medic. XVI. p
. 48.) hat es zuerst als Erfahrungssatz ausgespro-
chen, daſs die Leber als eine Ausstülpung des Darmkanales er-
scheine und sich ausbilde, und es ist daher unrichtig, wenn Bur-
dach (Physiol. II. S. 504.) Rathke und Bär die erste Entdeckung
zuschreibt. Seit dieser Zeit haben Rathke und vor Allen K. E.
v. Bär und Joh. Müller, so wie wir selbst diesen Vorgang so
vielfach und bei so verschiedenen Thieren verfolgt, daſs über die-
sen merkwürdigen Proceſs durchaus kein Zweifel mehr Statt fin-
den kann. Der Charakter dieser Ausstülpung ist aber, wie man
es besonders an dem Hühnchen sehr leicht beobachten kann, der,
[515]Ausstülpungsbildungen. Leber.
daſs die Wandung der Speiseröhre sich an der entsprechenden
Stelle verdickt, dieser Verdickung bald eine mit der Höhlung der
Speiseröhre in unmittelbarer Continuität stehende Höhle nachfolgt,
und so, indem dieser Bildungshergang der Zahl nach sowohl durch
das äuſserliche Zerfallen der verdickten Masse, als durch Verästelung
der in derselben befindlichen Höhle weiter vor sich schreitet, nach
und nach und die wahre Form der persistirenden Leber hervor-
gebracht wird. Dieser Proceſs ist auf diese Weise an Amphi-
bien, Vögeln und Säugethieren verfolgt worden. Da die Amphi-
bien uns hier nicht unmittelbar berühren, so begnügen wir uns
auf die schönen Darstellungen und Zeichnungen von Joh. Müller
zu verweisen (de glandulis p. 72. 73.), welche aus Embryonen
von Bufo obstetricans (tab. X. fig. 6. 7. 8. 9.), Triton (tab.
X. fig. 10. 11.), Rana (tab. X. fig. 12.) und Lacerta viridis
(tab. X. fig. 13.) entnommen sind und auſserdem auf den von ihm
beobachteten Blutumlauf in der Leber der lebenden Tritonlarven (Meck.
Arch. 1829. S. 182—191. und de glandulis p. 74. u. 112.) auf-
merksam zu machen. Bei den Vögeln dagegen läſst sich die Ent-
stehung der Leber sehr leicht von ihren ersten Anfängen verfol-
gen, da der Embryo zur Zeit ihrer ersten Formation schon eine
ziemliche Gröſse erreicht hat und die ersten Anfänge der Leber selbst
von scharfen Augen ohne Vergröſserung deutlich gesehen werden
können. Es wird aber von Nutzen seyn, wenn wir vor dem Re-
ferate der speciellen Hergänge einiges Allgemeine über den eigen-
thümlichen Charakter dieser Ausstülpung des Darmkanales anfüh-
ren. Es bildet sich hier gleichzeitig ein Blastem und eine mit dem
Darmkanale in unmittelbarer Verbindung stehende Centralhöhle.
Nun entstehen in dem sich fortbildenden Blastem die Rudimente
der Lebergänge, welche bald hohl werden und mit der Haupt-
höhle communiciren. So zeigt sich nach v. Bär (üb. Entw.gesch.
S. 58. bei Burdach S. 291.) am dritten, nach Joh. Müller (l. c.
p. 77.) aber am vierten Tage eine Ansehwellung der Wandung
des Speiserohres dicht hinter dem Herzen, aus welcher bald zwei
kleine Höcker hervortreten, die die Vena portarum umfassen.
Jeder besteht aus einer dicken Wandung und einer anfangs klei-
neren mit dem Darmrohre unmittelbar zusammenhängenden Höh-
lung. In diesem frühesten Zustande der Leber, wo sie also noch
zwei kleine längliche, dickwandige und innen mit einer inneren
Höhlung versehene Höckerchen darstellt, fand ich folgende Grö-
33
[516]Von dem Embryo.
ſsenverhältnisse, welche aus einem frischen Hühnerembryo vom
Anfange des vierten Tages entnommen sind:


  • 1) Breite der Basis der Leberausstülpung überhaupt 0,017204 P. Z.
  • 2) Breite der Höhlung in jeder einzelnen Aus-
    stülpung 0,001720 P. Z.
  • 3) Breite der Wand dieser Höhlung 0,003036 P. Z.
  • 4) Länge einer jeden einfachen Ausstülpung 0,018456 P. Z.
  • 5) Durchmesser der in der Ausstülpung enthalte-
    nen Körnchen 0,000253 P. Z. bis 0,000303 P. Z.

Nun vergröſsert sich die Masse der Ausstülpung; sie selbst
wird auf ihrer Oberfläche ungleich und läſst hier bläschenförmige
Körper erkennen (Joh. Müller l. c. p. 77.); die in ihr enthaltenen
Höhlen verzweigen sich immer mehr, ziehen sich aber gleichsam
mehr aus dem Darmrohre aus, so daſs ihre Mündungen in das-
selbe zuerst einander berühren (Joh. Müller l. c.) und zuletzt in
eine Mündung zusammenstoſsen (v. Bär l. c. S. 70. bei Burdach
S. 301.). (Vgl. die Abbildungen bei Joh. Müller l. c. tab. XI.
fig. 1. u. 1* u. fig. 2. u. 2*.). Nun verdicken sich die beiden
Leberlappen (v. Bär S. 81. bei Burdach S. 312.). Zwischen den
Gallengängen vertheilen sich die Blutgefäſse. Jene selbst erschei-
nen aber zuerst solid, späterhin hohl und anfangs an ihren blin-
den Endigungen kolbig. Sie sammeln sich endlich zu gefiederten
Blättchen und ihre Enden erscheinen zuletzt als kleine kuglige
Erhabenheiten auf der Oberfläche der Leber (Joh. Müller l. c. p.
80. Vgl. zur Erläuterung bei ihm tab. XI. fig. 4. fig. 5. a. b.
fig. 6. 8. 9. (Coturnix) fig. 7. (spec. ignot.) fig. 10. (Garrulus)
Bei dem Letzteren betrug der Durchmesser der Gallengefäſse
0,00172 P. Z., der der feinsten Blutgefäſse aber 0,00025 P. Z.
bis 0,00050 P. Z.). — Späterhin verkleinert sich noch der linke
Leberlappen (v. Bär S. 96. bei Burdach S. 326.), während am
achten bis neunten Tage die Gallenblase, die durch Ausstülpung ei-
nes Gallenganges entsteht (vgl. Müller p. 80.), an ihr kenntlich wird
(v. Bär S. 110. bei Burdach S. 342.). — Was nun die Säugethiere
und den Menschen betrifft, so müssen wir hier folgende Momente
unterscheiden: 1. Aeuſseres der Leber. Noch keinem Beobach-
ter ist es geglückt, den ersten Ursprung der Leber bei Säugethie-
ren oder dem Menschen wahrzunehmen. Dies hat offenbar in der
ungemein schnellen Ausbildung der Leber in dieser Klasse der
Thierwelt seinen hinreichenden Grund. In den 21 Tage alten
[517]Ausstülpnngsbildungen. Leber.
Hundeembryonen, welche v. Bär (de ovo mammalium p. 2—4.)
beschrieben, wird dieses Organes noch durchaus keine Erwähnung
gethan, während Bojanus (Nov. Act. Ac. N. C. Tom. X.) in sei-
nen etwas älteren Früchten desselben Thieres die Leber eben so
fand, wie Rathke und wir selbst dieses Organ bei jungen Schaaf-
und Schweineembryonen zu beobachten Gelegenheit hatten, näm-
lich schon von bedeutendem Umfange, wenn auch noch nicht in
dem Grade, daſs sie, wie es bald darauf der Fall ist, den gröſs-
ten Theil des Unterleibes ausfüllt. In diesem Zustande hat sie
auch Joh. Müller (Meck. Arch. 1830. S. 421. 429. 434.) bei
zarten menschlichen Embryonen gesehen. Je jünger die Frucht
ist, desto weniger sind der rechte und linke Leberlappen von ein-
ander verschieden. Hierin stimmen alle zuverlässigen Beobachter
überein, und Jeder kann sich von dieser merkwürdigen Thatsache
leicht überzeugen, welche mit der Entwickelung des Hühnchens
in Analogie steht und aus welcher Burdach (Phys. II. S. 504.)
mit Recht den Schluſs zieht, daſs wahrscheinlich auch bei dem
Menschen eine doppelte Ausstülpung das erste Rudiment der Le-
ber bilde. Nach allen Erfahrungen nimmt die Leber sehr bald
den gröſsten Theil des Unterleibes ein. So fand ich sie schon,
die Hälfte desselben einnehmend, bei noch nicht fünf Linien lan-
gen Schaafembryonen, während bei acht Linien langen ihr Um-
fang schon mehr als ¾ der Viscera intra peritoneum sita be-
trägt. Die Gedärme liegen daher während des gröſsten Theiles
des Fruchtlebens, besonders bald nach ihrem Rücktritte aus der
Nabelschnur oder nach vollkommenerer Schlieſsung der Bauch-
platten, hinter ihr verborgen, und erst später, wenn der hintere
Theil des Unterleibes mehr wächst und der Nabel mehr nach
vorn rückt, befindet sich auch wiederum ein groſser Theil der
Gedärme frei unter den Bauchdecken und ihrem Peritonealüber-
zuge. Dennoch aber dauert es sehr lange und wird weder bei
den Säugethieren noch bei dem Menschen vor der Geburt so voll-
endet, daſs die Leber ihre dem Zwerchfelle parallele Richtung
annimmt, wie dieses in dem Erwachsenen der Fall ist. Ueber
den Menschen hat in dieser Rücksicht J. Fr. Meckel eine Reihe
von Beobachtungen bekannt gemacht, von denen wir hier das
Wichtigste auszugsweise mittheilen. Bei einem ½ Zoll langen Em-
bryo (Beitr. z. vgl. Anat. I. S. 75.) sah er die Leber durch die
durchsichtigen Bauchwandungen hindurchschimmern. Sie war et-
[518]Von dem Embryo.
was breiter, als das Herz und umfaſste dieses seitlich. Bei einem
9‴ langen Embryo ragte sie bis zu dem Nabel herab, ist jedoch
von der linken Seite schon etwas zurückgewichen und zeigt deut-
lich einen gelappten Bau. In einem einen Zoll langen Embryo
(S. 99.) bedeckt die Leber noch alle Organe des Unterleibes. Nur
die linke Trompete wird durch den linken etwas kürzeren Leber-
lappen zum Theil freigelassen. Beide Lappen laufen nach hinten
in zwei stumpfe Spitzen aus, zwischen welchen auf der Unter-
fläche sich eine tiefe Furche befindet. Fast eben so hatte schon
Wrisberg (descr. embr. p. 24.) die Leber in seinem zweiten, an-
geblich zehnwöchentlichen Embryo gefunden. Aehnliches hatte
Meckel zum Theil schon früher in einem 13‴ langen Embryo ge-
sehen (Abhandl. aus d. menschl. u. vergl. Anat. u. Physiol. S.
284.). Noch deutlicher erkannte er den vielgelappten Bau der
Leber in einer vierzehn Linien langen Frucht (Beitr. S. 119.).
Bei einem 2″ 2‴ langen Fötus (Abhandl. S. 330.) drückte sie die
Eingeweide der Brust schon sehr hinauf und bedeckte einen Theil
der Gedärme, deren gröſster Theil links unter ihr lag. Links
nahm sie ebenfalls noch das ganze Hypochondrion ein, reichte
aber hier nur bis zu dem oberen Rande der Nebennieren, wäh-
rend sie rechts bis zu dem unteren Rande derselben sich erstreckte.
Bei einem etwas längeren Fötus (S. 365.) fand er den linken Le-
berlappen verkleinert, ohne daſs der rechte sich merklich vergrö-
ſsert hatte. Der auf der oberen Leberfläche früher mit Deutlich-
keit kenntliche tiefe Einschnitt zeigt sieh jetzt als eine kaum be-
merkbare Furche. Mit diesen Angaben, welche sich leicht veri-
ficiren lassen, stimmen auch die früheren von Walter (adnott.
acad. auct. F. A. Walter
1786. 4. p. 42. fgg.) überein. In
den folgenden Monaten des Fruchtlebens tritt nun ein dem Er-
wachsenen ähnlicher Zustand ein, indem der linke Leberlappen
sich immer mehr in Verhältniſs zum rechten verkleinert, der lo-
bulus Spigelii
dagegen sich vergröſsert (Meck. Anat. IV. S. 353.),
die Leber selbst aus ihrer senkrechten Stellung in eine mehr ho-
rizontale tritt, die beiden hinteren Flächen der Leberhälften
ihre bedeutende Concavität, in welcher früher ein groſser Theil
der Eingeweide lag, verlieren (Walter l. c. p. 46. 47. Danz
II. S. 104. 105.) und die Gallenblase auf die bald zu beschrei-
bende Weise ihren Ort verändert. Daſs jene aber während des
ganzen Fruchtlebens und noch in dem Neugeborenen bedeutend
[519]Ausstülpungsbildungen. Leber.
präponderirt, beweisen vorzüglich ihre Gewichtsverhältnisse. So
verhält sich nach Sauvages (Embryologia p. 11. et 120. bei
Schrag de pruecipuis diff., quae int. nasc. et nat. h. obtinent
1827. 4. p. 20.) die Leber des Fötus zu der des Erwachsenen
wie 1/86 zu 1/43. Nach Walter (l. c. p. 45.) ist sie bei dem zwei-
undzwanzigtägigen Embryo halb so schwer, als sein ganzer Kör-
per. Nach Meckel (Anat. IV. S. 352.) verhält sich das Gewicht
von jener zu dem von diesem wie 1:18 bis 1:20, während bei
dem Erwachsenen das Verhältniſs wie 1:35 bis 1:36 ist. Ihre
Farbe ist anfangs weiſslich, wird später bräunlich, zuletzt endlich
dunkelroth, welche letztere Farbe ihr bis zur Geburt eigen ist.
2. Innere Structur. Wahrscheinlich bilden auch hier die Gallen-
gänge eben dieselbe Conformation, als bei den Vögeln. Spuren
derselben sah Joh. Müller (l. c. p. 80.) bei einem einen Fuſs lan-
gen Rindsfötus und noch undeutlichere bei einem kurze Zeit nach
der Geburt verstorbenen Kinde (l. c. p. 81. tab. X. fig. 13.). Wir
selbst glaubten in frischen fünf Linien langen Schweineembryonen
Anastomosen derselben wahrzunehmen, wie sie Lauth in neuester
Zeit aus den Saamenkanälchen beschrieben hat. In früherer Zeit
wird alle durch die Leber ausgesonderte Galle in den Darm durch
den Gallengang übergeführt. Der sich zuletzt bildende Ast des-
selben verzweigt sich nicht in die Leber, sondern bleibt an ihrer
Oberfläche frei liegen (Burdachs Physiol. II. S. 505.) und erwei-
tert sich hier allmählig zur Gallenblase (s. die Abbildung dessel-
ben aus Bufo obstericans bei Joh. Müller de glan. tab. X. fig.
8.). Doch soll sie nach Meckel nicht als eine Ausstülpung eines
Gallenganges entstehen (Anat. IV. S. 354.). Je jünger die Frucht
ist, desto länger und schmäler ist sie. Sie nähert sich (Burdach
l. c.) nach diesem mehr der Birnform, bleibt jedoch während des
ganzen Fötuslebens mehr cylindrisch und ragt nie über die Leber
selbst hervor, wie dieses bei dem Erwachsenen der Fall ist (Danz
S. 100.). Nach Wrisberg, Walter, Meckel, Burdach u. A. ist ihre
innere Oberfläche bis zu dem sechsten bis siebenten Monate glatt.
Dann bekommt sie Erhabenheiten und zwischen diesen Risse,
welche tiefer und zahlreicher werden, indem sich die Erhaben-
heiten furchen (Meckel l. c.). Das Contentum derselben ist bis
zu dem siebenten Monate Schleim, von da an Galle, welche aber
nach Haller bei dem Fötus nicht bitter, ohne Geschmack, schlei-
migt und röthlich ist. Die Mündungen des ductus choledochus
[520]Von dem Embryo.
und pancreaticus liegen anfangs weit aus einander (s. oben Darm-
kanal. Meckels Abh. S. 331. u. a. v. a. O. u. s. Arch. III. S. 71.)
und rücken erst später zusammen.


Anhang. Milz.

So räthselhaft und unbekannt uns fast Alles von diesem
merkwürdigen Organe mit Ausnahme des seine äuſsere Form Be-
treffenden ist, so wenig genau kennen wir seine früheste Ent-
wickelungsgeschichte. So viel ist gewiſs, daſs es verhältniſsmä-
ſsig spät zum Vorschein kommt, später vielleicht, als die ver-
wandten Nebennieren. Die Milz scheint aus einer selbstständig
abgelagerten Bildungsmasse an der linken Seite des Magens zu
entstehen und mag vielleicht ihrem Haupttheile nach dem Schleim-
blatte, im Ganzen aber dem Gefäſs- und Schleimblatte zugleich
angehören. Bei dem Menschen erscheint sie zuerst nach Meckel
(Anat. IV. S. 374.) in dem zweiten Monate, nach Burdach (Phy-
siol. II. S. 601.) in der zehnten Woche als ein kleines, weiſsli-
ches, an beiden Enden zugespitztes, gelapptes Körperchen, welches
horizontal und mehr nach der Bauchseite hin gekehrt liegt. Sie
liegt zuerst dem Magen ganz dicht an, weicht aber später etwas
von ihm mehr nach der Wirbelsäule und der linken Seite hin
zurück. Sie ist anfangs relativ klein und verhält sich zur Leber
nach Heusinger (bei Burdach l. c.) wie 1:500, bei dem Neuge-
borenen wie 1:50, bei dem Erwachsenen wie 1:5. Zum Ge-
sammtkörper dagegen ist ihr Verhältniſs wie 1:3000, bei dem
Erwachsenen aber wie 1:50. Zuletzt endlich weicht sie nach
innen zurück, und liegt daher in dem oberen Winkel des hypo-
chondrium sinistrum
mehr versteckt. — Was nun die innere
Structur der Milz betrifft, so finden sich bekanntlich in der vie-
ler Säugethiere weiſse bläschenförmige Körperchen, welche schon
Malpighi kannte, die von vielen Anatomen und Physiologen ge-
sehen worden sind und welche Joh. Müller (Medicin. Zeit. des
Vereines für Heilkunde No. 48. und s. Archiv für Anatomie,
Physiol. und wissenschaftl. Medizin. 1834. Hft. I. S. 80—90.)
einer neuen Untersuchung unterworfen hat. Bei 3½ Zoll lan-
gen Schweineembryonen konnte ich noch keine Körperchen der
Art mit Bestimmtheit erkennen. Es fanden sich aber in der übri-
gens gleichartig körnigen Masse rundliche Anhäufungen von Körn-
chen, welche vielleicht als die ersten Spuren derselben angesehen
[521]Ausstülpungsbildungen. Speicheldrüsen.
werden können, da sie sich, auf schwarzem Grunde betrachtet,
durch gröſsere Weiſse von dem übrigen rothen Parenchym unter-
scheiden. Mit mehr Deutlichkeit dagegen konnte ich sie an der
Milz eines halb reifen Kalbes wahrnehmen. Auf einfachen Durch-
schnitten bemerkte ich schon ein netzförmiges Gewebe von dich-
ten Fäden, an welchen, wie die microscopische Betrachtung lehrte,
kleine Bläschen, doch in geringerer Zahl als im Erwachsenen, sa-
ſsen. Dadurch, daſs kleine Parthieen der frischen Milz zwischen
den Fingern zerrieben wurden, lieſs sich ein freies Skelett dieser
zierlichen Fäden darstellen. Leider blieb mir aber ihr Verhältniſs
zu den Blutgefäſsen unbekannt, da das Organ nicht injicirt war.
Durch kohlensaueres Kali wurden Stücke dieser Milz sehr hart.
Auf feinen Querschnitten zeigten sich die genannten Fäden und
Bläschen mitten in einem sehr körnerreichen, rothen Parenchym.
Bei stärkeren Vergröſserungen aber stellten sich die Fäden als
eine Ansammlung von longitudinell verlaufenden, parallelen, sehr
dünnen Fasern dar, zwischen welchen eine vollkommen helle und
durchsichtige Masse befindlich war. Sie weichen also der Struc-
tur nach von dem Bauchfelle wesentlich ab und nähern sich viel-
leicht den Zwischen-Faserschichten der Arterien, welche nach Pur-
kinje’s und meinen Beobachtungen ebenfalls aus parallelen Längsfa-
sern bestehen. — Die bläuliche Farbe der Milz erscheint, wenigstens
bei den Haussäugethieren, schon vor der Mitte des Fruchtlebens.


c. Speicheldrüsen.

Die letzte Abtheilung der blastematischen Wucherungen des
Schleimblattes sind die Speicheldrüsen, welche entweder ganz in
dem Bereiche des Schleimblattes bleiben oder in das seröse Blatt
sich hineinbegeben. Es wird aber zweckmäſsig seyn, übersicht-
lich noch einmal die beiden vorigen Abtheilungen in das Gedächt-
niſs zurückzurufen, um so den eigenthümlichen Charakter der
Speicheldrüsengenese desto deutlicher zu erkennen. Lungen, Le-
ber und Speicheldrüsen (mit einem Ausführungsgange versehene
Drüsen überhaupt) kommen darin überein, daſs sie ein Blastem
haben, d. h. eine von der Stelle des Schleimblattes, in welche
sie später münden oder von welcher sie ausgehen, abgelagerte
Urmasse, welche als erste Grundlage der Bildung angesehen wer-
den kann. Allein schon diese ist in jeder Abtheilung verschieden.
Bei den Lungen und der Leber ist sie von Anfang an bestimmt,
[522]Von dem Embryo.
ringsum von einer bestimmten Haut (dem künftigen Brust- und
Bauchfell) eingeschlossen; bei den Speicheldrüsen entweder, wie
das Pankreas, nur zum Theile von einer solchen Membran umge-
ben oder durch die angrenzenden Theile allein begrenzt, wie die
Speicheldrüsen des Mundes. Allein dieser Unterschied, welcher
auf den ersten Blick wesentlich zu seyn scheint, beruht am Ende
nur auf accessorischen Lagerungsverhältnissen und tritt daher in
untergeordnete Bedeutung zurück. Von gröſserer Wichtigkeit
aber sind die äuſseren und inneren Metamorphosen des Blastema
selbst. Unter äuſseren Metamorphosen verstehe ich die Gestal-
tungen, welche die äuſsere Oberfläche des Blastema annimmt; un-
ter inneren dagegen die Bildung der Kanäle und Gänge innerhalb
desselben. Folgende Punkte sind allen drei Arten der blastematischen
Ausstülpungen gemeinschaftlich und sie können daher mit Recht als
die Urgesetze für diese Ausstülpungen überhaupt angesehen werden.
1. Die äuſsere Form des Blastema geht, selbstständig und völlig
unabhängig von der inneren Ausbildung desselben, in ihre eigen-
thümlichen Veränderungen ein. Sie begrenzt sich, zerfällt zuerst
in Lappen, dann in Läppchen, welche letztere sich dann wiederum
zu gröſseren Abtheilungen sammeln. 2. Die innere Form geht
ihren selbstständigen und eigenen, mit der äuſseren Form der Zeit
nach im Allgemeinen coincidirenden Gang. Zuerst erscheint der
Hauptgang, dann seine Nebenzweige. Diese zerfallen und ver-
mehren sich immer mehr, bis sie den ganzen Umfang des Blastema
füllen und dieses in die Bedeutung eines verbindenden Schleim-
gewebes zurücktritt. 3. Der Hauptgang ist zuerst ebenfalls in
das Blastema eingebettet und wird späterhin, indem sich der sei-
ner Mündung nähere Theil gleichsam auszieht, frei und selbststän-
dig. Diese Urtypen modificiren sich aber auf verschiedene Weise.
In den Lungen entstehen verhältniſsmäſsig gröſsere Lappen, welche
bald in kleinere Läppchen zerfallen. Diese bleiben aber auf eine
regelmäſsige Weise gruppirt, meist zu vier, bisweilen auch zu
drei, fünf bis sechs. In der Leber bleiben die gröſseren Lappen,
welche zuerst zwei durchaus gesonderte Theile darstellen, zuerst
auf beiden Flächen, zuletzt aber nur auf der den Därmen zuge-
kehrten Fläche marquirt. Sie zerfallen aber frühzeitig in kleine
zierliche Läppchen, welche die blinden Enden der Gallengänge
enthalten. Bei den Speicheldrüsen endlich ist die äuſsere Form we-
niger bestimmt begrenzt, weil ein vollständiger Ueberzug von dem
[523]Ausstülpungsbildungen. Speicheldrüsen.
Peritoneum oder der Pleura fehlt; allein dessen ungeachtet bezeich-
net sich die äuſsere Begrenzung bestimmt genug und das Blastem
nimmt ein ungleiches deutlich lappiges Ansehen an. Es zerfällt end-
lich im Laufe der Entwickelung in ähnliche kleinere Läppchen, wel-
che dann, wenn das Blastema bis auf seinen in Schleimgewebe sich
metamorphosirenden Theil aufgezehrt ist, die einzelnen Drüsen-
läppchen constituiren. Die innere Ausbildung geht zwar bei allen
dreien dem Normaltypus gemäſs vor sich. Ob sie aber genau nach
denselben Momenten sich ereigne, wie wir dieses von den Spei-
cheldrüsen bald mit Bestimmtheit aussprechen werden, wagen
wir noch nicht zu entscheiden. Für die Lungen ist uns dieses
fast gewiſs; weniger dagegen für die Leber. Allein eine andere
bestimmte Differenz tritt hier ein, nämlich die Dichtigkeit der
Wandungen der Gänge. In den Lungen sind sie bald sehr dicht,
rigide und zum Theil sehr dick, wiewohl ihre blinden Enden,
die Lungenbläschen, überaus zart und dünn sind. In der Leber
sind jene zwar schon um Vieles weicher, allein doch besonders
von dem Blastema bestimmter geschieden; daher selbst künstlich
leichter in Aggregate von Schläuchen zu trennen (wenigstens in
frühester Zeit bei Amphibien und Vögeln). Anders ist es aber
bei den Speicheldrüsen. Hier sind sie zuerst nur dichtere Anhäu-
fungen von Körnermasse, welche eben so leicht zerflieſsen und
bei einem selbst sehr leisen Drucke eben so rasch in eine struk-
turlose, körnerhaltige Masse umgewandelt werden, als das Blastema
selbst. Die Gänge entstehen aber, wie ich bestimmt beobachtet
habe, auf folgende Weise. Von der Stelle des Darmrohres, in
welchen der Ausführungsgang der Drüse mündet, entsteht ein
langer und verhältniſsmäſsig weiter Hauptgang. An diesem hän-
gen bald blind sich endigende Nebenäste. Diese entstehen aber
keinesweges durch Verlängerung und seitliche Ramification des
Hauptganges, sondern auf folgende, eben so interessante, als ge-
nau zu beobachtende Art. In der Nähe des Hauptganges oder
eines Astes desselben entstehen selbstständig längliche, bald gegen
die Peripherie hin angeschwollene dichtere Massenanhäufungen,
welche zuerst durchaus in keiner Verbindung mit dem Hauptgange
stehen, ja von ihm um eine kleinere oder etwas gröſsere Strecke
entfernt sind. Nicht unzweckmäſsig könnte man diese Theile mit
dem Namen der Inseln der Nebengänge bezeichnen. Diese ver-
binden sich nun mit dem Hauptgange oder dessen Ramificationen,
[524]Von dem Embryo.
werden in ihrem Innern deutlich hohl, während ihre Wandung
solide bleibt, ja sogar an Bestimmtheit, Dichtigkeit und Festig-
keit zunimmt. Während nun so dieser Proceſs in jedem Läpp-
chen des Blastema vor sich geht, verlaufen die Blutgefäſse zuerst
neben und späterhin zwischen den ausführenden Kanälen, in-
dem sie sich zum Theil auf ihnen verästeln, so wie zwischen
den einzelnen bläschenförmigen Enden selbst, von denen sie jedes
mit einem oder mehreren Netzen umspinnen. Hiervon kann man
sich vor Allem leicht an der Ohrspeicheldrüse überzeugen, deren
feine Gefäſse bei jeder gelungeneren Injection sich gut füllen.
Die hier nur nach eigenen vielfachen Beobachtungen gegebenen
Erfahrungen sind nichts weiter, als die nothwendige Bestätigung
und fernere Fortführung dessen, was Rolando, E. H. Weber, K.
E. v. Bär, Rathke und Joh. Müller über diesen Gegenstand be-
kannt gemacht haben. Es dürfte aber von Nutzen seyn, Einiges
über die Methode der [Untersuchung] hier anzuknüpfen. Bekannt-
lich hat es Joh. Müller (de glandulis p. 24.) besonders hervor-
gehoben, daſs man alle drüsenartige Gebilde nicht bei durchfal-
lendem Lichte, sondern auf dunkelem und am besten auf schwar-
zem Grunde beobachten müsse. Hierin wird gewiſs Jeder, wel-
cher die Natur selbst befrägt, gern beistimmen, und für den er-
wachsenen, ja für den ausgebildeteren Zustand dürfte die genannte
Methode in diesem Falle die einzige seyn, welche sichere, von aller
Täuschung freie Beobachtungen zuläſst, sobald man nur (was aber
durchaus unerläſslich ist) mit dem nöthigen, sehr guten und pas-
senden optischen Instrumentenapparate ausgerüstet ist. Allein um
die Entwickelungsgeschichte genau und von allen Seiten kennen
zu lernen, muſs man auch das durchfallende Licht (besonders bei
stärkeren Vergröſserungen) anwenden und man verfährt daher
am zweckmäſsigsten, wenn man beide Methoden zugleich in Ge-
brauch ziehet. So kann man über Dünne oder Dicke der Wan-
dung der Gänge im Ganzen nur sehr ungenügend urtheilen, wenn
man sein Object bloſs auf dunkelem Grunde gesehen hat; eben
so wenig in späteren Stadien mit Gewiſsheit entscheiden, ob
eine Insel des Nebenganges mit dem Hauptgange oder dessen Ra-
mification bestimmt schon vereinigt sey oder nicht, so wie auch
nicht die Verhältnisse der Blutgefäſse zu den ausführenden Gängen
mit Präcision verfolgen, wenn man das Object nicht bei durchfallen-
dem Lichte betrachtet. Absolut nothwendig wird endlich das
Letztere, wenn man die Bildungskörnchen der Drüsen zu verfol-
[525]Ausstülpungsbildungen. Speicheldrüsen.
gen die Absicht hat. — Endlich kann ich mich nicht enthalten,
einen Punkt ausführlicher zur Sprache zu hringen, auf welchen
Joh. Müller (de glandulis p. 118.) schon hingedeutet hat. Fast
in jeder Rücksicht läſst sich eine Parallele zwischen der Genese
des Blutes und der der Drüsengänge ziehen. In beiden entstehen
isolirte Anhäufungen dichterer Masse, Inseln, die später zusam-
menflieſsen, im Innern colliquesciren und an den Wandungen sich
consolidiren. Bei den Blutgefäſsen münden die einzelnen Netze
in Hauptstämme und diese in das Herz. Bei den Drüsen als se-
cundären Bildungen ist der Fall der Natur der Sache nach anders.
Sie münden in einen Hauptgang und dieser als der Repräsentant der
secundären Bildung mündet wiederum in die primäre Bildung des
Schleimblattes, in das Darmrohr. Dafür behalten aber ihre peri-
pherischen Enden ihre Selbstständigkeit. Sie verbinden sich nicht
netzförmig mit einander, sondern bleiben isolirt, endigen blind
und stellen so einen Hauptgang im Kleinen zugleich dar. Wenn
aber in dem Blutgefäſssysteme die Flüssigkeit das Hauptagens
wird, so ist es hier besonders die Wandung, welche als möglichst
groſse Ab- und Aussonderungsfläche thätig ist. Die zweite Art der
Entstehung der Blutgefäſse (s. oben Gefäſsblatt S. 302. 303.), daſs
zwischen zwei feinsten Gefäſsen ein Streifen des Urstoffes colliques-
cirt, entspricht hier den Sprossenbildungen des Hauptganges, welche
in den Lungen einzig und allein, in den Speicheldrüsen dagegen
neben der vorigen Art die Vermehrung der Gänge und ihrer
blinden Enden bewirken. — Was nun die einzelnen Speicheldrü-
sen betrifft, so entsteht nach Rathke (Burdachs Physiol. II. S.
509.) zuerst das Pankreas, bald darauf die Kieferdrüse und zuletzt
die Ohrspeicheldrüse. Die Richtigkeit dieser Behauptung läſst
sich aus der vergleichenden Beobachtung dieser Drüsen in einem
und demselben Individuum darthun. So hat das Pankreas in
einen 3½ Zoll langen Schweinefötus schon Läppchen, welche mit
Gängen gefüllt sind, während diese in der Parotis desselben In-
dividuums nur einen einzelnen oder wenige Ramificationen und
zum gröſsten Theile übrigens Blastema enthalten. Allein eine
kaum je mit Bestimmtheit zu lösende Frage ist, wann und wie
das Blastema entsteht und ob es auch der Zeit nach in derselben
Reihenfolge bei den drei Speicheldrüsenarten sich bilde oder
nicht. — Der allgemeine Typus der Drüse ist bei dem Pankreas
derselbe, wie bei der Parotis u. dgl. bei der Kieferspeicheldrüse,
[526]Von dem Embryo.
eine möglichst groſse Secretionsfläche, eine Menge kleiner Bläs-
chen, welche auf längere oder kürzere Stielchen sitzen, die zu-
sammen münden und sich zuletzt in einen einfachen, mit dem
Darmrohre communicirenden Hauptgang verbinden. So ist ihnen
auf diese Art und Weise die Entstehung dieser Structur gemein-
schaftlich. Es bildet sich der in unmittelbarer Verbindung mit
der Mundhöhle oder dem Duodenum stehende Hauptgang und
selbstständig in dem Blastem die Menge der Nebengänge, welche
in den Hauptgang (oder dessen Ramification, wenn diese nicht
auch vielleicht secundärer Bildung und von dieser dann die frü-
heste ist) einmünden und an ihren Wänden dichter werden, wäh-
rend sie im Innern colliquesciren. Wie aber jede Drüse auch
in Bezug ihrer Structur, wie jedes besondere Organ seinen eigen-
thümlichen Charakter hat, so giebt sich auch dieses möglichst
frühzeitig durch die Art ihrer Genese kund. 1. Das Pankreas
oder die Bauchspeicheldrüse. Bei dem Hühnchen entsteht seine
erste deutliche Spur nach v. Bär (über Entw. gesch. S. 81. bei
Burdach S. 312.) am fünften Tage der Bebrütung. Die Genese
seiner Gänge ist nach ihm (üb. Entw.gesch. S. 62. bei Burdach
S. 290.) durchaus dieselbe, wie die der Leber. Joh. Müller (de
glandulis
p. 65.) sah bei einem einen Zoll langen Vogelembryo
das Pankreas aus vielen mit einander verbundenen Läppchen zusam-
mengesetzt, die aus vielen weiſsen länglichen und abgerundeten Kör-
perchen bestanden, welche mit ihren stumpfen Enden frei an der
Oberfläche hervorragten, vermochte aber ihre innere Verbindung
nicht zu ermitteln (vgl. l. c. tab. VII. fig. 8. a. b. c.). In einem
schon befiederten Wachtelembryo aber verbanden sich diese cy-
lindrischen überall hervorragenden Körperchen, welche sämmtlich
mit stumpfen und angeschwollenen Köpfchen endigten, zu fieder-
spaltigen, kleinen Rispen (vgl. tab. VII. fig. 9.). Dieses Letztere
sieht er daher (l. c. p. 66.) wahrscheinlich durch Rathkes bald
anzuführende Angabe geleitet für ein charakterisches Merkmal
des Pankreas an. Rathke (bei Burdach S. 502.) nämlich betrach-
tete es als der Bauchspeicheldrüse der Säugethiere cigenthümlich,
daſs die Nebengänge zwar, wie in der Kieferspeicheldrüse nach
einer Richtung verlaufen, aber desto länger sind und nicht so
stark divergiren, daſs die Zweige derselben ebenfalls länger sind
und mit den kurzstielig an ihnen sitzenden blinden Enden das
Ansehen von vielen kleinen Rispen haben. In Uebereinstimmung
[527]Ausstülpungsbildungen. Speicheldrüsen.
mit unseren oben schon berührten Beobachtungen fand früher schon
J. Müller (l. c. p. 66.) in einem vier Zoll langen Schaaffötus das Bla-
stema des Pankreas fast ganz aufgezehrt, während es in den Spei-
cheldrüsen derselben Frucht noch reichlich vorhanden war. Die
länglichen Cylinder ragten überall auf der Oberfläche frei hervor,
waren gröſser als die der Speicheldrüsen und überall in kleine
Rispen verbunden. Theils gingen die kleinen Schläuche abwech-
selnd aus einem Mittelstämmchen hervor, theils bildeten sie, wie
in dem Pankreas der Vögel, fiederspaltige Rispen. Alle Schläuche
waren an ihren blinden Enden etwas angeschwollen und diejeni-
gen von ihnen, welche eine Rispe darstellten, lagen in einer und
derselben Ebene. Nun rücken die kleinen Schläuche näher an
einander und es entstehen so kleine von einander völlig geschie-
dene, den Blättern des Blumenkohles ähnliche Lappen von beinahe
½ Linie im Durchmesser. Diese selbst sind durch laxes Zellge-
webe verbunden und zerfallen durch deutliche auf ihrer Ober-
fläche kenntliche Furchen in kleinere Läppchen. Sie verbinden
sich aber mit den Aesten des Ausführungsganges, auf dem sie,
wie die Blätter auf einem Stamme sitzen. So fand er es (l. c.
p. 67.) in einem fast einen Fuſs langen Schaaffötus. — Nach un-
seren besonders an Embryonen des Schweines angestellten Beob-
achtungen hat die Bauchspeicheldrüse die absolut kleinsten, blin-
den angeschwollenen Enden ihrer Gänge. Diese sind zuerst iso-
lirt und nähern sich durch ihr Verhältniſs zu dem relativen Haupt-
gange noch am meisten der Unterkieferdrüse, wiewohl ihre Stiel-
chen kürzer sind und ihre Köpfchen dichter bei einander stehen.
Späterhin verbinden sich die Enden immer mehr mit einander
und verwachsen zu verschiedenen einfachen oder zusammengesetz-
ten Figuren. Sobald dieses geschehen, kann man sehr leicht die
kleinen Drüsenläppchen mit blind sich endigenden Gängen ver-
wechseln, welche kleiner als sie und in ihnen erst enthalten sind.
— Nach Meckel (Anat. IV. S. 367.) soll der Ausführungsgang
des Pankreas anfangs doppelt seyn, indem sich auſser dem blei-
benden noch einer in den Zwölffingerdarm öffnet. Nach v. Bär
(üb. Entw.gesch. S. 172.) soll sogar auch auf der rechten Seite
des Darmrohres eine Ausstülpung Statt finden. Wenn dieses der Fall
ist, so finden sich zuerst zwei Bauchspeicheldrüsen angedeutet, von
denen die rechte bald schwindet, die linke dagegen an Umfang
zunimmt, sich innerlich immer mehr ausbildet und verharret.
[528]Von dem Embryo.
2. Die Unterkieferdrüse. Nächst dem Pankreas bildet diese sich
am frühesten von allen Speichel- und ähnlichen Drüsen aus, wie
schon aus den Erfahrungen von E. H. Weber und Joh. Müller
erhellt. Nach Rathke (bei Burdach S. 503.) ist folgendes der
Charakter ihrer inneren Structur während der früheren Zeit des
Fruchtlebens: „Vom Stamme aus verlaufen die Aeste nur nach
einer Richtung, divergiren jedoch bedeutend. Die Verzweigun-
gen sind nur sehr kurz und haben mit ihren deshalb dichter bei-
sammen liegenden Drüsenkörnern ein blumenkohlartiges Ansehen;
die Urmasse ist sparsamer vorhanden und dichter als in der Ohr-
speicheldrüse und die einzelnen Drüsenkörner erscheinen verhält-
niſsmäſsig gröſser, als in dieser.“ Wir können dieser Angabe nur
folgendes hinzufügen. Es ist Charakter der Ramificationen der
Gänge, daſs ein Hauptstiel kurze Seitenäste ausschickt, auf wel-
chen die rundlich blinden Enden, wie angeschwollene Köpfchen
aufsitzen. Die Aestchen sind in der Regel einfach, theilen sich
aber auch oft in zwei Zweige, auf welchen dann Köpfchen sich be-
finden. Der Winkel, unter welchem die Aestchen an dem Stämm-
chen sitzen, beträgt in der Regel 70—80°, erreicht auch häufig
einen Rechten. Nie jedoch sah ich ihn diesen letzteren überstei-
gen. Auſserdem finden sich aber auch, wenn auch ungleich sel-
tener, einfache Hauptgänge, an welchen unter rechten Winkeln
aufsitzende Köpfchen in ziemlich gleichen Distanzen, doch in der
Regel, mehr nach der einen, als nach der anderen Seite hin sich
befinden. Die Drüse selbst ist bald, verhältniſsmäſsig, sehr blut-
reich, in deutliche, zierliche Läppchen getheilt, mit einem ver-
hältniſsmäſsig geringen Blastem versehen, füllt frühzeitig dasselbe
fast gänzlich aus und ist dann von den umgebenden Theilen weit
mehr, als die anderen ausführenden Drüsen bestimmt geschieden.
Ihre frühe einfache und oben beschriebene Form zeigt sich am
deutlichsten bei Embryonen des Schweines und des Schaafes von
drei bis fünf Zoll Länge. 3. Die Unterzungendrüse steht in ihrer
inneren Bildung zwischen Unterkieferdrüse und Parotis in der
Mitte. Ihre Aestchen sind kurz, laufen bald in gestielte Bläschen
aus und geben so den kleinen Läppchen ein mehr traubenförmi-
ges Ansehen. Hierdurch nähern sie sich der Unterkieferdrüse.
Allein die Distanzen, in welcher hier die Seitenäste abgehen,
sind gröſser, mehr rechtwinkelig, durch eine gröſsere Masse von
Blastem mit einander verbunden und im Verhältniſs zu dem Gan-
zen
[529]Ausstülpungsbildungen. Speicheldrüsen.
zen dünner. Hierdurch nähern sie sich anderseits ihrem inneren
Charakter nach der Parotis. Ihr steht die Drüse auch in Bezug
auf die äuſsere Form näher. Sie ist, wie diese, besonders in frü-
hester Zeit ihrer Entwickelung, minder genau begrenzt, hat eine
mehr längliche Conformation, gröſsere Helle und Zartheit, als
die Unterkieferdrüsen. Die zeitliche Entwickelung ihrer Drüsen-
gänge steht ebenfalls zwischen Glandula submaxillaris und
Parotis. 4. Die Parotis. Da sie verhältniſsmäſsig am spätesten
sich ausbildet, so ist ihre früheste Form am leichtesten zu beob-
achten. Der treffliche E. H. Weber war der erste, welcher hier-
über eine eben so interessante, als richtige Beobachtung bekannt
gemacht hat (Meck. Arch. 1827. S. 278.). Die Parotis bestand
bei einem zwei Zoll sieben Linien langen Kalbsembryo aus einem
mit bloſsen Augen sichtbaren Ausführungsgange ohne alles ihn
verbergende Parenchym. Dieser theilte sich in sieben Zweige, von
denen jeder in ein bis drei an ihrem Ende angeschwollenen Aest-
chen aufhörte. Nur ein Ast theilte sich in zwei gröſsere Aeste,
von denen jeder seine in Bläschen endigende Nebenäste hatte.
Die Unterkieferdrüse war schon in ihrer Ausbildung weiter vor-
geschritten, hatte ihre eigene Haut und eine schon verwickeltere
Zertheilung ihrer Ausführungsgänge. Dennoch waren auch diese
im Verhältniſs zur ganzen Drüse dicker und weniger verzweigt,
als es später der Fall ist. Er schloſs aus dieser Beobachtung
(S. 279. 280.), daſs die Stämme der Ausführungsgänge sich zuerst
bilden, daſs an diesen neue sich immer mehr verästelnde Knospen
entstehen und so die Drüse wachse, und daſs vielleicht die Ge-
fäſse und Nervenstämme der Drüse sich nach der Zerästelung
der Ausführungsgänge so vergröſsern, daſs sie diese selbst mit
verbergen helfen. Joh. Müller (de glandulis p. 60.) sah in einem
zwei Zoll langen Schaaffötus die Ohrspeicheldrüse als einen weiſs-
lichen halb durchsichtigen Kanal, der sich in viele, kaum kleinere,
sehr kurze Aeste spaltete. Die einfachen Aestchen schwollen
entweder zu einfachen Bläschen an oder zertheilten sich zuvor
in zwei kleinere Aeste. (Vgl. tab. VI. fig. 9.). Später ziehen
sich die Protuberanzen in gestielte Bläschen aus, alle Stiele und
Aeste aber endigen sich in etwas gröſsere Bläschen (vgl. die Copie
von Webers Abbild. tab. VI. fig. 10.). In einem vier Zoll lan-
gen Schaaffötus (p. 61.) fand er das Blastema der Drüse schon
vielfach gelappt, undurchsichtiger und dichter, als früher, die Ver-
34
[530]Von dem Embryo.
ästelung füllte noch nicht dasselbe ganz aus. Der Ausführungs-
gang spaltete sich in lange, weiſsliche Aeste. Jeder von diesen
ging zu einem Lappen, so jedoch, daſs die Aeste kaum dünner,
als der relative Hauptgang waren. Diese aber schickten neue
bläschenförmig sich endigende Stielchen aus. Sämmtliche Aeste
des abgeplatteten Lappen liegen beinahe in derselben Ebene (tab.
VI. fig. 11.). Die Blutgefäſse folgen nicht den Gängen, sondern
noch mehr dem noch nicht metamorphosirten Blastema (p. 61.).
Nun vermehrt sich die Verästelung der Gänge. Diese legen sich
dann in jedem Lappen mehr über einander, während das Blastema
selbst immer mehr aufgezehrt wird (vgl. tab. VI. fig. 12.). Die End-
bläschen sind in einem fünf Zoll langen Fötus noch gröſser zwar,
als die Stielchen, im Verhältnisse zu diesen aber kleiner, als frü-
her. Der Durchmesser der kleineren und kleinsten Aeste ist im
Verhältniſs zur Gröſse der Drüse und der Stämme kaum gröſser,
relativ daher, wie Rathke schon bemerkt, kleiner. Dieser Anatom
schildert ihren Charakter mit folgenden Worten (bei Burdach S.
503.). „Als Eigenthümlichkeit derselben bemerke ich, daſs in ihr
die einzelnen Aeste vom Stamme nach allen Seiten aus einander
fahren und, so wie die von ihnen sehr gespreizt ausgehenden
Zweige, in den früheren Perioden, ziemlich lang gestreckt sind,
also auch die Bläschen oder Drüsenkörner ziemlich weit aus ein-
ander liegen; letztere sind in Verhältniſs zum Umfange des gan-
zen Gebildes sehr klein und die übrigens sehr weiche Urmasse
ist in groſser Quantität vorhanden.“ Unsere Erfahrungen bestä-
tigen diesen Charakter der Gänge der Parotis. Sie bilden zier-
liche Rispen, während die der Unterkiefer und der Unterzungen-
drüse mehr zusammengedrängte fast thyrsusähnliche Gestalten zei-
gen. Am meisten nähert sich die Form der in der Parotis vor-
kommenden Rispe der panicula effusa vieler Gräser, während die
der genannten Drüsen sich dem Blüthenstande unserer Artemisia-
arten und die im Pankreas sogar nicht selten einem flos capita-
tus
ähnlich sieht. Die Gänge der Parotis sind sehr groſs und um so
leichter in die Augen fallend, je jünger die Frucht ist, anderseits
dagegen um so sparsamer und zum Theil zarter. Die Begrenzung
des Blastema ist minder scharf und eine eigene sie dicht um-
schlieſsende Hülle fehlt ihr, wenn die Unterspeicheldrüse schon
eine solche hat. — Die Vereinigung zu einem Hauptgange ge-
schieht in früher Zeit mehr mittelbar und so finden sich zu An-
[531]Ausstülpungsbildungen. Speicheldrüsen.
fange des fünften Monates bei dem Menschen zwei unter einem
spitzen Winkel verbundene Hauptgänge, welche erst dann zu dem
einfachen ductus Stenonianus eingehen. An diese vier Spei-
cheldrüsen reihen sich die anderen ähnlichen Drüsen, wie
die Meibomischen, die Harderschen, die Thränendrüsen. Die
letztere steht bei dem Menschen und den Säugethieren in ih-
rer Entwickelungsform zwischen Parotis und Unterkieferdrüse.
Es finden sich in ihr Rispen meistens mit kurzen Seitenästen, die
im Ganzen aber (wenigstens bei dem Schweine) nur selten eine
so schöne Panicula effusa darstellten, wie sie Joh. Müller (de
glandulis
tab. V. fig. 8.) abgebildet hat. Er beschreibt diese
nach unseren Erfahrungen seltenere Form mit folgenden Worten
(l. c. p. 52.): „Ramificatio surculorum ductus excretorii in
substantia glandulae primigenia tenera ad superficiem emer-
gentium admodum simplex erat; spargit enim quisque ra-
mulus hic illic surculum brevem, qui in unam alteramque
vesiculam paullo majorem coecis finibus intumescit. Vesi-
cularum terminalium numerus ratione ramulorum longe mi-
nor, quam in glandulis salivalibus foetus ejusdem
(kann je-
doch nur im Allgemeinen von der Unterkieferdrüse und Unter-
zungendrüse gelten) hinc minor et rarior, cetera paria. Om-
nes ramuli et vesiculae terminales, uti in ramulis salivalibus
albidi erant ideoque in substantia reliqua subtilissima fere
diaphana optime conspicui. Haec vero jam in lobulis dis-
tincta, tamquam canalium matrix et blastema ultra surculo-
rum vesicularumque cymas et germina longe prominebat
minus quidem, quam blastema glandularum salivalium pellu-
cida
.“ — Die Hardersche Drüse steht nach ihrer Structur wäh-
rend des Fötuslebens (bei dem Schweine) zwischen der Unterkie-
fer- und Unterzungendrüse. Ihre Entwickelung weicht sonst in
Nichts von der der übrigen Drüsen ab. — Nach unseren Erfahrun-
gen über die Entwickelungsgeschichte können wir die erwähnten
Drüsen auf folgende Weise gruppiren. 1. Forma capitato-cy-
mosa
Pankreas, Unterkiefer-, Unterzungen- und Hardersche Drüse.
2. Forma capitato-racemosa, Thränendrüse. 3. Forma race-
mosa
Parotis. Der Zeit nach bildet sich die innere Structur
derselben in folgender Reihe aus: Pankreas, Unterkieferdrüse,
Hardersche Drüse, Unterzungendrüse, Thränendrüse (die letzteren
drei fast gleichzeitig), Parotis und zuletzt die Meibomischen Drü-
34*
[532]Von dem Embryo.
sen. — Um die Histiogenie der Drüsenkanälchen zu erkennen, ist
es durchaus nothwendig, daſs man die mikroscopische Untersu-
chung bei durchscheinendem Lichte vornehme. Das Blastema
besteht aus einem durchsichtigen, gelatinösen, körnerartigen Stoffe.
Die Körnchen sind im frischen Zustande von verschiedener Gröſse.
Im Allgemeinen kann man ihren Durchmesser zu 0,000253 P. Z.
bis 0,000304 P. Z. annehmen. In den Drüsenkanälchen finden
sich dieselben Körnchen, nur in einer etwas gröſseren Menge, die
jedoch nicht so bedeutend ist, daſs hierdurch das dichtere Anse-
hen entstünde. Dieses liegt vielmehr in ihrer gelatinösen Binde-
masse selbst. Auf dunkelem Grunde und bei reflectirtem Lichte
zeichnen sie sich, wie E. H. Weber, Rathke und Joh. Müller
schon bemerkt haben und Jeder leicht schon mit bloſsen Augen
sehen kann, durch eine auffallende, beinahe opalartige Weiſse aus,
welche gegen das weiſslich graue oder gelblich weiſse Blastema
bedeutend absticht. Dieser Unterschied erhält sich sogar eine
Zeit lang in Weingeist auffallend gut. Er verschwindet aber zum
Theil bei durchscheinendem Lichte. Hier erscheint nämlich die
dichtere Masse der Gänge dunkeler, als das übrige halbdurchsich-
tige Blastema. Man erkennt aber an frischen Präparaten sehr
deutlich, daſs selbst die gelatinöse die Körnchen verbindende Masse
der Gänge dichter sey, als die des übrigen Blastema. Je mehr
sich nun die Gänge vermehren und verzweigen, um so geringer
wird die relative Masse des Blastema. Zuletzt endlich, wenn
seine Läppchen von den Verästelungen der Gänge vollkommen
ausgefüllt sind, ist es zu verbindendem Schleimgewebe und aus
einem bildungsfähigen Gewebe zum Theil in Bildungsgewebe über-
gegangen. Wie die Körnchen des Urstoffes der Knochen im Laufe
der Entwickelung zu Knochenkörperchen werden, so werden hier
die Körnchen des Blastema (doch auch vielleicht nur zum Theil)
zu den eigenthümlichen Drüsenkörperchen. — Um alle Verwir-
rung zu vermeiden, haben wir absichtlich bis jetzt von jedem mi-
krometrischen Verhältnisse geschwiegen und liefern nun übersicht-
lich eine Auswahl von mikrometrischen Messungen, welche die
Lungen-, die Leber-, die Speicheldrüsen und andere ausführende
Drüsen betreffen. Das Medium der Messung ist das Mittel von
sechs bis zehn angestellten einzelnen Messungen, da nur auf diese
Weise zuverlässigere Zahlen erhalten werden können.


[533]Tabellar. Uebers. an Drüsen angestellter mikrom. Mess.
Tabellarische Uebersicht der an den Drüsen und drü-
sigten Organen angestellten mikrometrischen
Messungen, nach Pariser Zoll
.
  • I. Lungen.
    • A. Hund.
      • Körperlänge 5 Linien.
        • a. Länge der rechten Lunge 0,119416P.Z.
        • b. Durchmesser der Lungenbläschen 0,009108P.Z.
          bis 0,010120P.Z.
        • c. Mittlerer Durchmesser der Höhlung 0,005570P.Z.
        • d. Verhältniſs der Lungenbläschen zur Länge
          der Lunge wie 1 : 13,1.
          bis 1 : 11,8.
    • B. Schwein.
      • α. Körperlänge 6 Linien.
        • a. Länge der rechten Lunge 0,111320P.Z.
        • b. Breite derselben (in der Mitte ihres Län-
          gendurchmessers) 0,056672P.Z.
        • c. Dicke der Abtheilungen (Crenulationen) der
          Lungen (s. oben S. 513.).
          Minimum 0,015180P.Z.
          Medium 0,018216P.Z.
          Maximum 0,030360P.Z.
        • d. Blinde Enden der Bronchien (Lungenbläs-
          chen).
          Minimum 0,006072P.Z.
          Medium 0,008096P.Z.
          Maximum 0,009108P.Z.
        • e. Verhältniſs der Lungenbläschen zur Länge
          der Lunge wie 1 : 18,1.
          bis 1 : 13,7.
          bis 1 : 12,2.
        • f. Verhältniſs der Lungenbläschen zur Breite
          der Lunge wie 1 : 9,3.
          bis 1 : 7,0.
          bis 1 : 6,2.
        • g. Dicke der Bronchien kurz vor ihren blinden
          Anschwellungen.
          [534]Von dem Embryo.
          Minimum 0,004554P.Z.
          Medium 0,005560P.Z.
          Maximum 0,006072P.Z.
        • h. Verhältniſs der letzten Bronchialäste zur
          Länge der Lunge wie 1 : 24,4.
          bis 1 : 20,0.
          bis 1 : 18,3.
        • i. Verhältniſs der letzten Bronchialäste zur
          Breite der Lunge wie 1 : 12,3.
          bis 1 : 10,2.
          bis 1 : 9,3.
        • k. Durchmesser der Höhlung der Bronchien.
          Minimum 0,002732P.Z.
          Medium 0,003238P.Z.
          Maximum 0,003845P.Z.
      • β. Körperlänge 3½ Zoll.
        • a. Durchmesser der Lungenbläschen 0,008096P.Z.
        • b. Durchmesser der Höhlung derselben 0,005870P.Z.
        • c. Dicke der Wandung derselben 0,001416P.Z.
        • d. Dicke eines Bronchus dicht vor seiner
          letzten Spaltung 0,003946P.Z.
        • e. Dicke der zuletzt gespaltenen Bronchialäste,
          ehe sie zu Lungenbläschen werden 0,003137P.Z.
      • γ. Körperlänge 4 Zoll.
        • a. Durchmesser der Lungenbläschen 0,006072P.Z.
          bis 0,003744P.Z.
    • C. Rind.
      • α. Körperlängs 6 Zoll.
        • a. Durchmesser der Lungenbläschen.
          Minimum 0,006072P.Z.
          Medium 0,008602P.Z.
          Maximum 0,013156P.Z.
      • β. Halbreifes Kalb.
        • a. Durchmesser der Lungenbläschen.
          Minimum 0,002833P.Z.
          Medium 0,003340P.Z.
          Maximum 0,004048P.Z.
    • D. Mensch.
      • α. Dreimonatliche Frucht.
        [535]Tabellar. Uebers. an Drüsen angestellter mikrom. Mess.
        • a. Durchmesser der Lungenbläschen.
          Minimum 0,003542P.Z.
          Medium 0,004857P.Z.
          Maximum 0,005667P.Z.
        • b. Mittlerer Durchmesser der kleinsten Lun-
          genläppchen 0,007490P.Z.
      • β. Sechsmonatliche Frucht.
        • a. Durchmesser der Lungenbläschen.
          Minimum 0,003845P.Z.
          Medium 0,005322P.Z.
          Maximum 0,006375P.Z.
      • γ. Erwachsener.
        • a. Kleinste Lungenzellen nach E. H. Weber 0,004415P.Z.
          bis 0,013333P.Z.
    • Anhang.
      • Cylinderförmige Blinddärmchen in den Lungen
        eines Vogelembryo nach Joh. Müller 0,004740P.Z.
  • II. Leber.
    • a. Elementarbläschen der Leber von helix poma-
      tia
      nach Joh. Müller 0,005650P.Z.
    • b. Reiserförmiger frei Enden der Gallengänge auf
      der Oberfläche der Leber eines Hühnerembryo
      von 1 Zoll Länge nach demselben 0,001720P.Z.
    • c. Enden der Gallengänge auf der Oberfläche der
      Leber bei einem 6 Linien langen Schweineem-
      bryo 0,003238P.Z.
    • d. Dieselben bei dem neugeborenen Kaninchen 0,002530P.Z.
  • III. Parotis.
    • A. Schwein.
      • α. Körperlänge 1 Zoll.
        • a. Blinde angeschwollene Enden der Speichel-
          gänge.
          Minimum 0,001820P.Z.
          Medium 0,002024P.Z.
          Maximum 0,003440P.Z.
      • β. Körperlänge 1 Zoll 3 Linien.
        • a. Blinde Enden der Speichelgänge.
          [536]Von dem Embryo.
          Minimum 0,002230P.Z.
          Medium 0,002327P.Z.
          Maximum 0,002732P.Z.
        • b. Durchmesser des Ausführungsganges eines
          kleinsten Drüsenconglomerats 0,002530P.Z.
        • c. Verhältniſs des Ausführungsganges zu den
          blinden Enden wie 1 : 0,88.
          bis 1 : 0,92.
          bis 1 : 1,08.
      • γ. Körperlänge 2 Zoll.
        • a. Blinde Enden der Speichelgänge.
          Minimum 0,002024P.Z.
          Medium 0,002125P.Z.
          Maximum 0,003542P.Z.
        • b. Durchmesser des Ausführungsganges eines
          kleinsten Drüsenconglomerats 0,001820P.Z.
        • c. Verhältniſs von b zu a wie 1 : 1,11.
          bis 1 : 1,16.
          bis 1 : 1,9.
      • δ. Körperlänge 3½ Zoll.
        • a. Blinde Enden der Speichelgänge.
          Minimum 0,002530P.Z.
          Medium 0,003340P.Z.
          Maximum 0,004554P.Z.
        • b. Mittlerer Durchmesser des Ausführungsgan-
          ges und kleinsten Drüsenconglomerates 0,004048P.Z.
        • c. Verhältniſs von b zu a wie 1 : 0,62.
          bis 1 : 0,82.
          bis 1 : 1,12.
        • d. Mittlere Länge eines Stielchens, an welchen
          die blinden Enden sitzen 0,005670P.Z.
      • ε. Körperlänge 4 Zoll.
        • a. Blinde Enden der Speichelgänge.
          Minimum 0,002630P.Z.
          Medium 0,002884P.Z.
          Maximum 0,003440P.Z.
        • b. Durchmesser des Ausführungsganges eines
          kleinsten Drüsenconglomerates 0,003339P.Z.
        • c. Verhältniſs von b zu a wie 1 : 0,78.
          bis 1 : 0,83.
          bis 1 : 1,03.
    • B. Rind.
      • α. Körperlänge 2 Zoll.
        • a. Blinde Enden der Speichelgänge. Minimum 0,002744P.Z.
          Medium 0,003036P.Z.
          Maximum 0,003536P.Z.
        • b. Ausführungsgang eines kleinsten Drüsen-
          conglomerats 0,002833P.Z.
        • c. Verhältniſs von b zu a wie 1 : 0,96.
          bis 1 : 1,07.
          bis 1 : 1,25.
      • β. Halbreifer Rindsembryo.
        • a. Blinde Enden der Speichelgänge.
          Minimum 0,000911P.Z.
          Medium 0,001619P.Z.
          Maximum 0,002327P.Z.
    • C. Mensch.
      • α. Dreimonatlicher Embryo.
        • a. Blinde Enden der Speichelgänge.
          Minimum 0,002630P.Z.
          Medium 0,003036P.Z.
          Maximum 0,004048P.Z.
        • b. Durchmesser des ductus stenonianus0,014564P.Z.
        • c. Mittlerer Durchmesser seiner nächst kleine-
          ren Hauptäste 0,012447P.Z.
      • β. Viermonatliche Frucht.
        • a. Blinde Enden der Speichelgänge.
          Minimum 0,001518P.Z.
          Medium 0,001920P.Z.
          Maximum 0,002125P.Z.
      • γ. Sechsmonatliche Frucht.
        • a. Blinde Enden der Speichelgänge.
          Minimum 0,002327P.Z.
          Medium 0,002530P.Z.
          Maximum 0,003036P.Z.
      • δ. Nach der Geburt.
        • a. Zellenförmige Acini nach E. H. Weber 0,000820P.Z.
  • IV. Unterkieferdrüse.
    • A. Schweineembryo.
      • α. Körperlänge 1 Zoll.
        • a. Blinde Enden der Drüsengänge.
          Minimum 0,001315P.Z.
          Medium 0,001416P.Z.
          Maximum 0,001820P.Z.
      • β. Körperlänge 2 Zoll.
        • a. Blinde Enden der Speichelgänge.
          Minimum 0,002152P.Z.
          Medium 0,002372P.Z.
          Maximum 0,002934P.Z.
        • b. Mittlere Dicke eines Ausführungsganges 0,002042P.Z.
      • γ. Körperlänge 3½ Zoll.
        • a. Blinde Enden der Drüsengänge.
          Minimum 0,002428P.Z.
          Medium 0,003340P.Z.
          Maximum 0,004250P.Z.
        • b. Mittlere Dicke eines Ausführungsganges 0,004554P.Z.
      • δ. Körperlänge 4 Zoll.
        • a. Blinde Enden der Drüsengänge.
          Minimum 0,002327P.Z.
          Medium 0,002680P.Z.
          Maximum 0,002732P.Z.
    • B. Mensch.
      • α. Dreimonatlicher Embryo.
        • a. Blinde Enden der Drüsengänge.
          Minimum 0,002732P.Z.
          Medium 0,003542P.Z.
          Maximum 0,003843P.Z.
        • b. Mittlere Dicke eines Ausführungsganges 0,004026P.Z.
      • β. Sechsmonatliche Frucht.
        • a. Blinde Enden der Drüsengänge.
          Minimum 0,002126P.Z.
          Medium 0,002327P.Z.
          Maximum 0,003238P.Z.
  • V. Unterzungendrüse.
    • A. Schwein.
      • α. Körperlänge 4 Zoll.
        • a. Blinde Enden der Drüsengänge.
          Minimum 0,002378P.Z.
          Medium 0,002530P.Z.
          Maximum 0,003036P.Z.
        • b. Mittlere Dicke eines Ausführungsganges 0,002631P.Z.
    • B. Rind.
      • α. Körperlänge 2 Zoll.
        • a. Blinde Enden der Drüsengänge.
          Minimum 0,002024P.Z.
          Medium 0,002327P.Z.
          Maximum 0,002833P.Z.
        • b. Mittlere Dicke eines Ausführungsganges 0,001872P.Z.
      • β. Körperlänge 3 Zoll.
        • a. Blinde Enden der ausführenden Gänge.
          Minimum 0,002378P.Z.
          Medium 0,002530P.Z.
          Maximum 0,003238P.Z.
        • b. Mittlerer Durchmesser eines Ausführungs-
          ganges 0,001770P.Z.
        • c. Mittlerer Durchmesser eines Stielchens, auf
          welchem die angeschwollenen Enden sitzen 0,001214P.Z.
      • γ. Halbreifer Embryo.
        • a. Blinde Enden der Drüsengänge.
          Minimum 0,001619P.Z.
          Medium 0,001820P.Z.
          Maximum 0,002024P.Z.
  • VI. Pankreas.
    • A. Schweineembryo.
      • α. Körperlänge 1 Zoll.
        • a. Blinde Enden der Drüsengänge.
          Minimum 0,001163P.Z.
          Medium 0,001315P.Z.
          Maximum 0,001670P.Z.
      • β. Körperlänge 2 Zoll.
        [540]Von dem Embryo.
        • a. Blinde Enden der Drüsengänge.
          Minimum 0,001012P.Z.
          Medium 0,001214P.Z.
          Maximum 0,001820P.Z.
      • γ. Körperlänge 3½ Zoll.
        • a. Blinde Enden der Gänge.
          Minimum 0,001315P.Z.
          Medium 0,002024P.Z.
          Maximum 0,002934P.Z.
      • δ. Körperlänge 4 Zoll.
        • a. Blinde Enden der Gänge. Minimum 0,001416P.Z.
          Medium 0,001922P.Z.
          Maximum 0,002125P.Z.
    • B. Rindsembryo.
      • α. Körperlänge 3 Zoll.
        • a. Blinde Enden der Gänge. Minimum 0,001416P.Z.
          Medium 0,001821P.Z.
          Maximum 0,002250P.Z.
        • b. Mittlere Dicke eines Ausführungsganges 0,002024P.Z.
    • Anhang.
      • Bläschenförmige Acini im Pancreas der Gans
        mit Quecksilber gefüllt nach Joh. Müller 0,001370P.Z.
        bis 0,002970P.Z.
  • VII. Meibomische Drüsen.
    • A. Schwein.
      • α. Körperlänge 3½ Zoll.
        • a. Durchmesser eines Häufchens der Meibomi-
          schen Drüsen 0,005363P.Z.
        • Länge desselben 0,009514P.Z.
    • B. Halbreifer Rindsembryo.
      • a. Blinde Enden der einzelnen Drüsengänge.
        Minimum 0,003530P.Z.
        Medium 0,003540P.Z.
        Maximum 0,004554P.Z.
    • C. Erwachsener Mensch.
      • a. Zellen an den Meibomischen Drüsen des Men-
        schen nach E. H. Weber 0,002583P.Z.
        bis 0,006333P.Z.
  • VIII. Thränendrüse.
    • A. Schwein 3½ Zoll.
      • a. Blinde Enden der Gänge.
        Minimum 0,002024P.Z.
        Medium 0,003036P.Z.
        Maximum 0,003238P.Z.
      • b. Mittlerer Durchmesser der gröſseren Ausfüh-
        rungsgänge 0,005060P.Z.
    • B. Halbreifer Rindsembryo.
      • a. Blinde Enden der Gänge.
        Minimum 0,001518P.Z.
        Medium 0,001820P.Z.
        Maximum 0,002530P.Z.
    • Anhang.
      • Zellen der mit Quecksilber gefüllten Thränen-
        drüse der Gans nach Joh. Müller 0,003270P.Z.
  • IX. Hardersche Drüse.
    • A. Schwein 3½ Zoll.
      • a. Blinde Enden der Gänge.
        Minimum 0,002024P.Z.
        Medium 0,002732P.Z.
        Maximum 0,003542P.Z.
      • b. Mittlerer Durchmesser eines Ausführungs-
        ganges 0,004452P.Z.
    • B. Erwachsener Hase.
      • a. Zellen mit Quecksilber gefüllt nach Johannes
        Müller 0,00776P.Z.
    • Anhang.
      • Zellen der Harderschen Drüse der Ganz mit
        Quecksilber gefüllt nach Joh. Müller
        Minimum 0,016666P.Z.
        Medium 0,020836P.Z.
        Maximum 0,027777P.Z.

[Die Mikrometrie ist ein Produkt der neuesten Zeit. Es
dürfte daher nicht ganz unzweckmäſsig seyn, einige Worte über
sie und verwandte Richtungen in dem Gebiete der Anatomie,
Physiologie und phlosophischen Naturwissenschaft hier einzu-
[542]Von dem Embryo.
schalten, besonders da alle diese Tendenzen noch nicht allgemein
in ihrem wahren Lichte angesehen und von richtigem Standpunkte
aus beurtheilt werden. — Es war ein gewaltiger Fehlgriff, zu be-
haupten, daſs die Natur selbst jeder mathematischen Form in dem
Reiche der organischen Wesen abhold sey, daſs es eben den Cha-
rakter der Letzteren ausmache, jede genau bestimmte Gestalt zu
fliehen, als sey die Negation der durch die Mathematik vorgeschrie-
benen Gesetze die Bedingung und Folge des höheren Standpunktes.
Jedoch nicht die geradlinigte Figur bedingt allein die mathema-
tisch bestimmte Gestalt. Dies ist nur so für uns zugänglicher, leichter
zu begreifen und in ihren einzelnen Verhältnissen zu erkennen. Die
höhere und wahrere mathematische Form ist die Curve im wei-
testen Sinne des Wortes, deren Verhältnisse freilich so sehr com-
plicirt sind, daſs wir nur die regelmäſsigsten und einfachen der-
selben nach ihren Einzelnheiten aufzufassen vermögen. Und so
ist gewiſs jeder Organtheil in seinen bestimmtesten Verhältnissen
construirt, wie wir anderswo ausführlicher auseinandersetzen und
mit Beispielen belegen werden. In dem Pflanzenreiche ist zur
Enthüllung dieser mathematischen Gestaltungsverhältnisse, vorzüg-
lich was die einzelnen Theile in Bezug auf ihre Stellung betrifft,
in der neuesten Zeit (1827) durch Martius und Göthe die erste
Anregung gegeben worden. Mit glänzendem Erfolge wurde diese
Richtung durch Schimper und Alexander Braun fortgeführt und
zum Theil Andere, wie Fürnrohr, Bischoff u. dgl. vervollkomm-
net. Es ist daher höchst wunderbar, wie Einer der gröſsten Na-
turforscher unserer Zeit, dem es wahrlich in jeder Rücksicht an
Empfänglichkeit nicht mangelt, sich gegen diese Tendenz ziemlich
heftig erklären konnte. — Für die Thiere ist, so viel uns bekannt,
kein vollständiger Versuch der Art gemacht worden. Doch haben
wir auch in dieser Rücksicht Wichtiges, besonders von Schimper,
Nitzsch und Agassiz zu erwarten. Dagegen ist hier eine andere
Seite derselben Tendenz bearbeitet worden; es wurden nämlich die
einzelnen Gröſsenverhältnisse, sowohl an gröſseren Theilen des aus-
gebildeten Körpers, wie dem Auge von Petit, Sömmering dem
Sohne, Treviranus, Krause u. A., als auch besonders an den klei-
nen und kleinsten Theilen des Thierkörpers von J. Fr. Meckel,
Prevost und Dumas, E. H. Weber, Joh. Müller, Ehrenberg, Berres,
R. Wagner, Treviranus, Lauth und uns bestimmt. Soll aber diese
ganze Richtung in keine bloſse Spielerei ausarten, so ist es durch-
[543]Gröſsenverhältnisse der Theile der Drüsen.
aus nothwendig, daſs man die mittlere Gröſse zu finden und diese
mit homogenen Gröſsen desselben oder verwandter Körper in
Verbindung zu bringen sucht. Nur so kann man eine genaue und
wahrhaft wissenschaftliche Bestimmung erhalten. Immer aber ist
es gut, wenn wo möglich dieselben Gegenstände von verschiedenen
Beobachtern mit verschiedenen Instrumenten nicht sowohl gemes-
sen, als in einzelnen Gröſsenverhältnissen mit einander verglichen
werden. Denn die Gröſse ist variabel, das Verhältniſs dagegen
constant. Daſs die Erstere mit der gröſstmöglichen Genauigkeit
und Schärfe bestimmt werden müsse, versteht sich von selbst,
da auf ihr alle weiteren Folgerungen beruhen. Aus diesem Ge-
sichtspunkte mögen auch die zahlreichen in dieser Schrift enthal-
tenen Messungen beurtheilt werden. Wir haben absichtlich diese
kurze und im Ganzen ungenügende Einschaltung nach dem Schlusse
der letzten mikrometrischen Tabelle hinzugefügt, um uns vor je-
der muthwilligen Ansicht zu verwahren, nicht weil es vielleicht
uns, sondern weil es die Wissenschaft angeht.]


In allen drüsigten und drüsigen Gebilden variirt während
der Entwickelungszeit die Stärke der Gänge und Enden zwischen
bestimmten, im Ganzen nicht sehr weiten Grenzen. Nur die Aus-
führungsgänge und die ihnen zunächst befindlichen Zweige der-
selben machen hiervon gänzlich eine Ausnahme, da sie sich mit
dem Wachsthume in fast gleichen Verhältnissen, wie das Ganze
des Organes zunimmt, vergröſsern. Was aber die kleineren Gänge
und deren Enden betrifft, so läſst sich im Allgemeinen folgendes
Gesetz für sie aufstellen. Sie werden absolut in einer gewissen
Gröſse angelegt. Diese vermindert sich, vergröſsert sich dann
wiederum, und bleibt so zuletzt in ihrem persistirenden Gröſsen-
verhältnisse. Nur selten kehret diese Undulation mehr als ein-
mal wieder und noch seltener ist die letzte Veränderung keine
Vergröſserung, sondern eine Verkleinerung. Die relative Gröſse
der Gänge steht aber in umgekehrtem Verhältnisse mit der Zahl
der in einem Organe überhaupt existirenden oder, was äquivalent
ist, mit der durch das Wachsthum und die Entwickelung der
Frucht bedingten Gröſse des Organes selbst. Diese scheinbar nur
den drüsigten Organen eigenthümlichen Gesetze gelten aber für
jede histiologische Sonderung, wie wir unten in dem dritten
Abschnitte unter der Rubrik Histiogenie ausführlicher zeigen wer-
den. — Wir wollen nun die einzelnen aus den obigen mikrome-
[544]Von dem Embryo.
trischen Verhältnissen sich ergebenden Resultate durchgehen. 1.
In den Lungen vermehrt sich die primäre Gröſse der Lungen-
bläschen nur um Weniges und kehrt dann zur fixen Gröſse, welche
ebenfalls nur wenig kleiner, bisweilen fast gleich ist, zurück.
Wie früh aber die relative Gröſse abnehme, kann Jedem auf den
ersten Blick schon I. A. d. B. e. zeigen. Ja die Exponenten die-
ses Verhältnisses sind so klein, als sie sich vielleicht kaum in ir-
gend einer wahren Drüse sonst finden. 2. Leider sind die über
die Gallengänge veranstalteten Messungen noch zu gering, als daſs
sich sichere Resultate daraus entnehmen lieſsen. In der ersten
Zeit der Entwickelung der Leber bei dem Hühnchen werden sie
mit Vermehrung ihrer Zahl dem allgemeinen Gesetze nach klei-
ner. Späterhin aber ist uns bis jetzt noch keine sichere Messung der
Gallengänge gelungen. 3. Wie das Pankreas sich zuerst unter
den vier Speicheldrüsen in seinen inneren Gängen ausbildet, so
sind auch seine blinden Enden der Drüsengänge, wenn man viel-
leicht die allererste Fötalzeit abrechnet, die kleinsten. Auf sie
folgen in aufsteigender Ordnung die Parotis, die Unterzungen-
drüse, die Unterkieferdrüse. In der Parotis hält sich die abso-
lute Gröſse der Gänge anfangs zwischen sehr engen Grenzen. Die
Undulation der primären Gröſse scheint sich aber dafür mehrere
Male zu wiederholen; späterhin dagegen wird diese bedeutend ver-
mindert. Die Unterkiefer- und Unterzungendrüse scheinen von dem
allgemeinen Gesetze durchaus nicht abzuweichen. Dagegen scheint
die absolute Gröſse der blinden Enden der Meibomischen Drüsen
wiederum etwas zuzunehmen. 4. Die ausführenden Gänge, wel-
che dem Hauptausführungsgange nahe liegen, vergröſsern sich im
Laufe des Wachsthumes um so mehr, je näher sie sich jenem be-
finden. Die kleinsten Gänge dagegen, auf denen die Endbläschen
unmittelbar sitzen, werden mit der Vermehrung dieser Letzteren
sowohl dünner, als kürzer. 5. Die äuſseren Begrenzungen des
Blastema laufen der Ausbildung der inneren Gänge immer paral-
lel. Die Lappen desselben sind also verhältniſsmäſsig um so grö-
ſser, je gröſser das Verhältniſs der Gröſse der einzelnen blinden
Enden zur Gröſse des ganzen Organes sind. Im Laufe der Ent-
wickelung zerfallen sie in immer kleinere Läppchen, welche je-
doch stets die Gröſse der blinden Enden um mehr oder weniger
übertreffen. Wie aber die Gänge sich zu gröſseren sammeln
und diese gröſseren sich wiederum zu Hauptgängen und zuletzt
zu
[545]Anhang. Ueb. mikrom. Result. d. ant. Entw. d. Drüs.
zu einem Hauptgange vereinigen, so verbinden sich die kleinsten
Läppchen zu gröſseren und diese wiederum zu Hauptlappen. Die
Trennung aller dieser Abtheilungen von einander nimmt aber von
den höheren zu den unteren zu ab, so daſs die kleinsten Läpp-
chen nur durch Furchen von einander geschieden werden. Die
Gänge dagegen individualisiren sich so sehr, daſs der Hauptgang
immer durchaus isolirt und von der Masse des Drüsenorganes ge-
schieden, ja über dieses hinausgehend gefunden wird.


Nachdem wir nun so den Cyclus der drüsenartigen Gebilde
in Bezug auf ihre Entwickelungsgeschichte durchgemacht, dürfte
es von Nutzen seyn, das allgemeine Urgesetz kürzlich mit einigen
Worten anzudeuten. Die Genese aller hierher gehörenden Gebilde
kommen in folgendem mit einander überein. Sie haben zwei schein-
bar verschiedene und entgegengesetzte Momente, 1. einen Urstoff,
ein Blastema und 2. eine innere Organisation. Wenn es für das be-
fangene Auge des Menschen den Anschein hat, daſs Blastema und
Gänge, ein Jedes sich selbstständig organisire, so rührt dieses von
der Beschränktheit unseres Geistes her, welcher nur Einzelnes
sieht und auffaſst und aus dem Einzelnen erst das Ganze zusam-
mensetzt und combinirt. Das Blastema zerfällt in Läppchen, diese
in kleinere Läppchen, und wenn dieses geschehen, constituiren
sich allmählig bei fernerer Ausbildung gröſsere bleibende Abthei-
lungen. Dieses giebt sich überall kund, natürlich aber da am mei-
sten, wo das ganze Gebilde von einer festen Hülle umschlossen wird.
Die innere Organisation geht aber ihren eigenen parallelen Gang.
Es bildet sich eine Urhöhle, ein Urgang, welcher mit der primä-
ren Bildung des Schleimblattes communicirt. Dieser verästelt
sich, indem sich in dem Blastema neue Nebengänge erzeugen, die,
da sie mit dem Urgange und dessen Aesten communiciren, als
Nebenäste des Urganges und seiner Verästelung darstellen. So
wird allmählig eine möglichst groſse Verästelung in einem mög-
lichst kleinen Raume zu Stande gebracht. Wie aber kein Theil des
Körpers seine Individualität verläugnet und einen überall bestimm-
ten und distincten Charakter hat, so ist dieses auch bei den Verä-
stelungen der Fall. Anders sind sie in der Lunge, anders in der
Leber, dem Pankreas, der Parotis u. dgl. Die Nuancen sind oft
sehr fein und am Wenigsten durch trockene Beschreibungen aus-
zudrücken. Eigene Uebung und unmittelbare Anschauung vermag-
hier, wie bei jedem Individuellen, mehr, als die immer nur All-
35
[546]Von dem Embryo.
gemeines bezeichnende Rede. Es gehört wahrlich auch für den sin-
nigen und geübten Naturforscher nicht zuviel dazu, jeden einzelnen
Theil eines bestimmten Thieres, z. B. des Menschen, unter dem Mi-
kroscope an seiner Structur zu erkennen. Wir haben dieses selbst
an uns mannigfaltig erfahren; wir haben dieses an Freunden ge-
sehen, welche sich nicht sowohl selbst mit feinen Injectionen der
Blutgefäſse abgaben, als diese nur häufig zu sehen Gelegenheit
hatten und nach einiger Uebung mit Sicherheit nach dem Cha-
rakter der Netze anzugeben wuſsten, aus welchen Theilen diese
entnommen waren. Von den Knochenfasern und Knochenkanäl-
chen haben wir in dieser Beziehung schon oben gesprochen; von
der eigenthümlichen Conformation eines jeden Gewebetheiles ist
besonders in der neueren Zeit so vieles geredet (und mehr noch
leider gefabelt) worden, daſs wir es für unnöthig halten, selbst
noch einige Worte hinzuzufügen. Und so möge unser langer Ab-
schnitt mit dem einfachsten, aber auch wahrsten Satze schlieſsen:
Die objective Natur ist in ihrer Mannigfaltigkeit der positivste
Gegensatz aller Allgemeinheit; sie ist die bis in ihre allerklein-
sten Theile fortgesetzte bestimmteste Individualität. Sie ist frei-
lich kein Aggregat, sondern das höchste System von unendlich
vielen Einzelnheiten, deren Zusammenhang wir ahnen, wir hier
und da fragmentweise zu erkennen vermögen, den aber der
menschliche Geist noch nie vollständig enträthselt hat und nie
enträthseln wird, den er freilich oft genug erkannt zu haben ge-
glaubt und noch glaubt; welcher Wahn sich aber um so bitterer
an ihm rächt, je tiefer er in denselben gerathen und je hochmü-
thiger er ihn ausgesprochen und vertheidigt. Denn auf ihm zu
beharren, ist die höchste Verirrung des schwachen menschlichen
Geistes, der am Weitesten getriebene Egoismus, dessen durchaus
Entgegengesetztes die Wahrheit, die Erkenntniſs, die Weisheit
genannt werden muſs.


Anhang. Lymphsystem und lymphatische Drüsen.

Wenn die Kenntniſs des ausgebildeten Lymphsystemes der
Thiere im Ganzen genommen Vieles noch zu wünschen übrig
läſst, da das im Ganzen sparsame Bekannte noch eine bedeutende
Zahl von Irrthümern und Unrichtigkeiten enthält, so sind wir
über die Genese dieser merkwürdigen Theile noch völlig im Dun-
keln. Wollte man, wie es so oft geschehen, die Unebenheiten
[547]Anhang. Lymphsystem.
der Oberfläche, die Täuschungen starker, unzweckmäſsig gebrauch-
ter Vergröſserungen und fingirte Figuren für Lymphgefäſse ausgeben,
man könnte leicht, wie dieses auch zum Theil z. B. von Rolando
schon geschehen, selbst in der Keimhaut ein ganzes System von
Lymphgefäſsen auffinden. Die Schädlichkeit eines solchen Verfah-
rens ergiebt sich von selbst, und wir ziehen es vor, lieber unsere völ-
lige Unwissenheit zu bekennen, als uns mit selbstgeschaffenen Phan-
tasmen zu täuschen. Wir wollen es vielmehr offen sagen, daſs wir
diese wichtige Abtheilung der thierischen Oekonomie in der Frucht
noch so gut, als gar nicht beobachtet haben.


Die Lymphdrüsen in der Achselhöhle und der Schenkelbuge
lassen sich in dem sechsten Monate schon wahrnehmen, später
dagegen, wie es scheint, die des Darmkanales.


Von Fohmann sind gründliehe Arbeiten über diesen Gegen-
stand zu erwarten. Nachdem er in seinem Saugadersysteme der
Wirbelthiere Hft. I. das Saugadersystem der Fische 1827. fol. S.
7. sich gegen die Gründlichkeit der Untersuchungen von Lippi
erklärt und die Ansichten von Rossi berichtiget hatte, sagte er:
„Die Verbindung der Saugadern mit den Venen in den Saugader-
drüsen ist nicht verschieden von dem Zusammenhange kleiner
Saugaderzweige mit Venenzweigen auſserhalb der Drüsen an den
verschiedenen Stellen des Körpers in den niederen Thieren, die
nur einzelne Saugaderdrüsen besitzen. Sie vermitteln nur den
Zusammenhang der Verbindungen kleiner Gefäſse, wie ich dieses
an einem anderen Orte über die Entwickelungsgeschichte und die
verschiedenen Bildungsstufen der Saugaderdrüsen näher darthun
werde.“ — Vorläufig beschreibt dieser ausgezeichnete Anatom
(S. 11.) ein besonderes Gefäſsnetz, welches die ganze innere Fläche
des Chorion des Pferdes einnimmt, sich über die Harnhaut aus-
breitet, in der Nabelscheide zusammenflieſst und in dieser endigt.
Bei Schlangenfötus hat er einen Zusammenhang der Nabelscheide
mit dem Milchbrustgange entdeckt.


Ueber die Lymphgefäſse der Placenta und des Nabelstranges ist
vielfach gestritten worden. Diejenigen, welche ihre Existenz verthei-
digten, stützten sich entweder auf bloſs theoretische Gründe oder
auf die unrichtige mikroscopische Betrachtung nicht injicirter Theile.
S. oben S. 132. — Fohmann hat in neuester Zeit (Tiedemann und
der Gebrüder Treviranus Zeitschr. Bd. IV. S. 277. fgg.) eine sehr
schöne Darstellung der Lymphgefäſsnetze, wie er sie in dem Na-
35*
[548]Von dem Embryo.
belstrange und der Placenta entdeckt zu haben glaubt, geliefert.
Nach ihm ist das ganze sogenannte Zellgewebe des Nabelstranges
ein so dichtes Lymphgefäſsnetz, daſs jeder in dasselbe gemachte
Einstich Gefäſse der Art verletze. Jene setzen sich in die Pla-
centa, besonders nach ihrer gegen das Chorion gewandten Ober-
fläche, fort. Man injicirt sie dadurch, daſs man die Kanüle in ei-
nen kleinen in den Nabelstrang gemachten Einschnitt einsetzt.
Allein schon diese Darstellungsmethode überhaupt macht den
Verdacht rege, daſs man durch das Quecksilber gewaltsam Gänge
in dem weichen Schleimgewebe des Nabelstranges bilde. Auch
konnten Joh. Müller und Scheulen diese Netze an einer sechsmo-
natlichen Frucht nicht wahrnehmen. Nur an der Insertion des
Nabelstranges in den Fötus waren einige vier Linien lange Kanäle
zu bemerken. Vgl. Laurentius Scheulen placentae humanae
physiologia et pathologia. Bonn. diss. def. d. XI. Mai
1833.
8. p. 9. 10.


c. Allantois.

Im Verlaufe dieser Darstellung haben wir schon häufig von
dieser Haut, der sogenannten Harnhaut, zu sprechen Gelegenheit
gehabt. In dem Abschnitte vom Eie wurde ihre Form und Be-
rührung mit den anderen Eihäuten, bei Gelegenheit des Gefäſs-
blattes die Ausbreitung ihrer Gefäſse, und bei Gelegenheit der se-
cundären Bildungen des Schleimblattes überhaupt ihr Ausstül-
pungscharakter besprochen. Hier am Schlusse mögen noch einige
Worte über sie zur Ergänzung des Gesagten einen Platz finden.
Die Allantois erscheint bei dem Hühnchen als eine Ausstülpung
des Darmkanales zwischen dem dritten bis vierten Tage, und ist
dann sehr leicht schon mit bloſsem Auge deutlich zu beobachten
(s. d. Abbild. bei Job. Müller de glandulis tab. XI. fig. 1. f.).
Sie wird hier sehr bald kuglig, hat dann dünnere und durch-
sichtigere Wandungen, als das Darmrohr selbst und tritt, indem
sie sich verlängert, aus dem Embryo in den zwischen Amnion
und Chorion befindlichen Raum hinaus. Dadurch erhält der in
dem Körper befindliche Theil eine mehr längliche cylindrische Ge-
stalt. Zur Erläuterung des Gesagten s. die vortrefflichen Durch-
schnittszeichnungen, welche von Bär in seinem Werke über Ent-
wickelungsgeschichte der Thiere und in Burdachs Physiologie Th.
II. geliefert hat. Daſs die Allantois auch bei den Säugethieren
sich auf dieselbe Weise hervorstülpe, hat derselbe Naturforscher
[549]Aeuſseres des Embryo.
an sehr kleinen Hundeembryonen gezeigt (de ovo mammalium
p.
5. fig. VIIa. Z.). Wie sich nun der in dem Körper befindliche
Theil des Harnsackes in die Blase und den Urachus umändere,
ist schon oben bei der mittleren Sphäre der Geschlechtstheile be-
sprochen worden; desgleichen wurde der auſserhalb des Embryo-
nalkörpers befindliche Theil schon in dem Abschmitte vom Eie
abgehandelt, auch daselbst auseinandergesetzt, welcher Theil des
menschlichen Eies dem Eitheile des Harnsackes entspreche. Da-
her wir, um unnütze Wiederholungen zu vermeiden, auf diese
Rubriken verweisen.


Nachdem wir nun die einzelnen Organe und wichtigsten Or-
gantheile des Körpers in Rücksicht ihrer Entwickelungsgeschichte
durchgegangen, müssen wir wiederum auf das Ganze des Embryo-
nalkörpers zurückkommen. Da dasjenige, welches die philoso-
phische Naturwissenschaft angeht, in den folgenden Abschnitt ge-
hört, so bleiben hier nur zwei Punkte übrig, nämlich 1. das Aeu-
ſsere des Embryo und die an ihm äuſserlich kenntlichen Zeichen,
um über sein Alter ein einigermaſsen sicheres Urtheil zu fällen,
und 2. über die von dem Embryo aufgenommenen se- und ex-
cernirten Stoffe. — 1. Das Alter des Embryo nach dem Aeuſse-
ren zu bestimmen, ist immer etwas Miſsliches, da hier die Zahl
der individuellen Verschiedenheiten zu groſs ist und besonders in
den ersten Monaten jede Woche zu bedeutende Verschiedenheiten
darbietet. Ein gewisses Urtheil gewinnt man mehr durch öftere
unmittelbare Anschauung, als durch die specielle Vergleichung
der einzelnen diagnostischen Merkmahle. Diese Letzteren aufzu-
stellen, haben sich schon die ausgezeichnetsten Anatomen und Ge-
burtshelfer bemüht, und wir geben hier eine kurze Uebersicht
derselben nach den Erfahrungen von W. Hunter, Sömmering, J.
Fr. Meckel, Tiedemann, K. Fr. Burdach, E. H. Weber, Busch, Ca-
rus, Ritgen u. A. Die Monate sind Mondsmonate.


Erster Monat. — Sichere Beobachtungen sind hier überaus
selten. Man hat oft verdorbene und kranke Eier und Früchte,
aus dem einzigen Grunde, weil nichts Bestimmtes an ihnen zu
sehen war, hierher gerechnet. Die frühesten Formen haben viel-
leicht in neuester Zeit Pockels und Joh. Müller beschrieben. Da
von diesen schon oben ausführlich gesprochen wurde, so verwei-
sen wir hier der Kürze halber auf dieselben.


[550]Von dem Embryo.

Zweiter Monat. Fünfte bis neunte Woche. — Körperlänge 4‴
—10‴—1″. Der Kopf sehr voluminös; seine Länge fast ⅓ des
Körpers. Die Augen schwarze rundliche Kreise mit hellem Mittel-
punkte, mit oder ohne Choroidealspalte. Die Nasenlöcher zwei
kleine kaum sichtbare Grübchen an dem Untertheile des Gesich-
tes. Die Ohren kleine dreieckige Grübchen oder Fältchen an der
hintersten Abtheilung des Kopfes, dicht an der Begrenzung des-
selben von dem Halse. Der Mund sehr groſs, fast von einem
Ohre zu dem anderen reichend und offen. Kiemenspalten offen
oder in Schlieſsung begriffen oder schon gänzlich geschlossen.
Im letzteren Falle jedoch fast immer noch als verdünnte Haupt-
linien zum Theil kenntlich. Der Hals sehr kurz, so daſs der ge-
neigte Kopf mit seinem Kinne fast die Brust berührt. Die Brust
rundlich, ähnlich einem breiten abgeschnittenen Kegel mit breiter
Basis und kurzer Höhe. Ihre Wandung besonders in der Mittel-
linie dünn und zart. Der Unterleib lang, an der Bauchfläche oft
etwas wulstig hervorgetrieben. An der Spitze seines hinteren
Drittheiles ungefähr sitzt der Nabel. Der Nabelstrang gegen den
Embryo hin erweitert und eine Schlinge des Darmkanales ent-
haltend. Von ihm geht einerseits der Nabelstrang an das Cho-
rion, besonders nach der Stelle der künftigen Placenta, ander-
seits zwischen Chorion und Amnion ein dünner feiner, mehr oder
minder langer Faden zu dem Nabelbläschen, der ductus omphalo-
entericus
. Das Schwanzbein nebst seinen Weichgebilden befin-
det sich au dem hintersten Ende des Embryo als ein kleines,
nach vorn umgebogenes, mehr oder minder langes und spitz zu-
laufendes Schwänzchen. Die Extremitäten sind kurze rundliche
Stumpfe mit mehr oder minder deutlich ausgebildetem Rumpf-
und Endgliede. Die vorderen stehen mehr horizontal von der
Schluſslinie der Wirbelsäule nach der der Bauchseite hin. Die
hinteren Extremitäten sind schon mehr oder minder schief von
vorn nach hinten gerichtet. — Das ganze Aeuſsere des Embryo
von zartem, gallertartigem Ansehen. Oft löst sich an einzelnen
Stellen eine feine Oberhautschicht von selbst los. Von Eitheilen
sind leicht zu erkennen: 1. Das gröſstentheils flockige Chorion.
2. Innerhalb desselben eine gelatinöse, mit Fäden durchzogene
Masse. 3. Das verhältniſsmäſsig noch kleine und von dem Cho-
rion noch mehr oder minder entfernte Amnion. 4. Das Nabel-
bläschen mit seinem mehr oder minder langen und dicken duc-
[551]Aeuſseres des Embryo.
tus omphalo-entericus. Doch sind die letzteren Theile im Gan-
zen seltener wahrzunehmen, je mehr man meistens durch Abor-
tus entfernte, kranke und degenerirte Eier zu untersuchen Gele-
genheit hat. In diesen sind auſser mannigfaltigen anderen Abnor-
mitäten besonders die Eihäute verdickt, mit einander verwach-
sen und die einzelnen daher mit minderer Bestimmtheit zu er-
kennen und trennbar.


Dritter Monat. Neunte bis dreizehnte Woche. — Körper-
länge 1″—3″—5¼″. — Das Aeuſsere des Fötus ändert sich im
Verlaufe keines anderen Monates, den beiden vorhergehenden viel-
leicht ausgenommen, so sehr, als in diesem. Der Kopf hat zwar
noch ein relatives Uebergewicht, welches aber in der ersten Hälfte
des dritten Monates stärker ist, als in den letzten beiden Wochen
desselben. Vorzüglich präponderirt der Schädeltheil, während
der Gesichtstheil noch kurz und klein ist. Die vordere Fläche
des Gesichtes nimmt die groſse, mehr rundliche, als erhabene
Stirn ein. Die Augen liegen nicht mehr seitlich, wie in dem
vorigen Monate, sondern in der Gesichtsfläche und fangen an sich
mit den als Hautfalten hervorwachsenden Augenlidern zu über-
decken. Die Ohren rücken verhältniſsmäſsig mehr von dem
Halse nach vorn. Die Ohrmuschel wird deutlicher gesondert.
Die Nase fängt an hervorzutreten. Zwischen beiden Nasenlöchern
findet sich ein dickes, aber kurzes Septum. Der Mund ist offen,
aber relativ schmäler. Dieses Alles, verbunden mit dem Mangel
des Fettes, giebt dem Fötus eine mürrische, zum Theil greisen-
ähnliche Physiognomie, welche nicht unpassend mit dem Anse-
hen scrophulöser, im höchsten Grade an Atrophie leidender Kin-
der verglichen wird. Der Hals wird zwar etwas länger, ist im
Ganzen jedoch noch sehr kurz. Die Brust wird breiter, aber
flacher. Der Unterleib mehr eben und dem des Erwachsenen
ähnlich. Der Nabel liegt mehr in seiner Mitte. Der Nabelstrang
enthält keine Darmschlinge mehr und beginnt sich zu winden.
Die Genitalien haben bei beiden Geschlechtern ein ähnliches Aus-
sehen, da die Klitoris penisartig hervorragt, auf ihrer Unterfläche
gefurcht ist, der gespaltene Hodensack von den Schaamlippen bei
oberflächlicher Betrachtung sich wenig unterscheidet. Die Extre-
mitäten, welche schon in der ersten Woche des dritten Monates
ihre Mittelglieder deutlicher ausgebildet haben, wachsen sehr schnell
und sind auf die ihnen eigenthümliche Weise in ihren verschie-
[552]Von dem Embryo.
denen Gelenken gebogen. Auf der Haut sind die verschiedenen
regelmäſsigen Linien leicht kenntlich und zeigen eine zierliche
Anordnung. Das ganze Skelett hat schon mehr Festigkeit er-
langt, da sogar die Ossification in ihm schon ihren Anfang ge-
nommen. Das Chorion hat an einer Stelle, meist dem rechten
Muttergrunde entsprechend, die in ihrer Bildung begriffene und
am Ende des Monates schon etwas vorgeschrittene Placenta. Das
Amnion liegt dem Chorion schon an; die gallertartige Masse zwi-
schen beiden Häuten ist zum Theil oder fast gänzlich geschwun-
den. Die Quantität des liquor amnii ist ziemlich ansehnlich.


Vierter Monat. Dreizehnte bis siebzehnte Woche. — Kör-
perlänge 5½″—6″—7″. — Der Kopf hat noch im Ganzen das-
selbe Verhältniſs, wie in dem vorigen Monate. Allein der Ge-
sichtstheil ist im Verhältniſs zu dem Schädeltheile gröſser. Die
Augenlider verdecken die Augen ganz. Die Nase tritt noch mehr
hervor. Eben so verkleinert sich relativ der Mund. Das äuſsere
Ohr wird immer gröſser, steht aber noch nicht sehr von dem
Schädel ab. Der Hals verlängert sich. Eben so haben sich fast
gleichmäſsig Brust und Unterleib vergröſsert. Die scheinbare
Aehnlichkeit der äuſseren Geschlechtstheile vermindert sich zwar
immer mehr, ist jedoch am Ende dieses Monates noch nicht gänz-
lich geschwunden. Der ganze Körper des Embryo füllt sich
mehr. Seine Muskulatur wird stärker. Die Andeutungen der
Nägel an den Fingern und Zehen, welche im vorigen Monate sich
schon kenntlich zu machen anfingen, treten mehr hervor. Sie
haben jedoch noch keine hornartige Beschaffenheit angenommen.
Der flockige Theil des Chorion hat sich zur Placenta concentrirt,
während der flockenlose bedeutend an Umfang gewonnen hat.
Die Adhäsion zwischen Chorion und Amnion ist fester, die Menge
des Fruchtwassers bedeutender geworden. Das Gewicht des Fötus
beträgt nach Hallers Angabe 4—8 Loth.


Fünfter Monat. Siebzehnte bis ein und zwanzigste Woche. —
Körperlänge 7″—8″—12″. — Der Kopf hat eine bedeutende
Gröſse. Schädel- und Gesichtstheil desselben sind von verhält-
niſsmäſsig gleichem Volumen. Oberes und unteres Lid eines je-
den Auges verkleben mit einander. Die Nase tritt noch mehr
hervor. Die Nasenlöcher sind durch zähen Schleim verstopft.
Die Ohren stehen mehr vom Schädel ab. Die Physiognomie hat
noch etwas Eigenthümliches, Fremdartiges, nähert sich jedoch
[553]Aeuſseres des Embryo.
schon mehr der kindlichen. Die an dem ganzen Körper hervorge-
brochne Lanugo fällt schon auf den ersten Blick in die Augen.
Die Nägel werden dichter und fester. Die Frucht fängt an sich
selbstständig zu bewegen. Ihr Gewicht beträgt nach Steins An-
gabe 24 Loth bis 1 Pf. 24 Loth in der letzten Hälfte des fünften
Monates.


Sechster Monat. Ein und zwanzigste bis fünf und zwanzigste
Woche. — Der Kopf beträgt ungefähr den vierten Theil der
Länge des ganzen Körpers. An ihm werden die Haare auf den
ersten Blick bemerklich. Desgleichen auch die Cilien. Die Menge
des Fettes vermehrt sich, doch ist das Gesicht noch runzelig. Die
Nase ist verhältniſsmäſsig schmäler. Die Nägel werden deutlich
hornig. Das Kind ist geboren schon der Luftathmung fähig.


Siebenter Monat. Fünf und zwanzigste bis neun und zwanzigste
Woche. — Körperlänge 13″—15″—17″. — Die Länge des Kop-
fes verhält sich zu der des Körpers wie 1 : 5. Die Augenlider
haben sich vergröſsert. Die Hoden sind in der Nähe des Bauch-
ringes oder in demselben. Der Penis hat eine vollständige Vor-
haut. Die Masse des Fettes ist bedeutender. Die Haut ist röth-
lich. Die Extremitäten in bekannter Weise gekrümmt. Körper-
gewicht nach Burdach gegen 2 Pfund.


Achter Monat. Neun und zwanzigste bis drei und dreiſsigste
Woche. Körperlänge ungefähr 17″—18″. — Die Augenlider lie-
gen weniger fest an einander. Die Nägel noch kurz und weich.
Der linke Hode ist in den meisten Fällen schon herabgestiegen.
In der Vagina ist ein weiſslicher Schleim enthalten. Die Pupil-
larmembran schwindet. Gewicht nach Burdach 3 bis 4 Pfund.


Neunter Monat. Drei und dreiſsigste bis sieben und dreiſsigste
Woche. Körperlänge ungefähr 18″. — Die Kopfknochen nähern
sich einander mehr, und die Fontanellen werden daher kleiner.
Von der Pupillarhaut sind von auſsen nur noch einige Reste sicht-
bar. Der ganze Körper, besonders die Gliedmaaſsen, werden vol-
ler und mehr gerundet. Die Nägel dichter, die Kopfhaare län-
ger, während die Wollhaare sich mehr verlieren. Die Placenta
verliert von ihrer hohen Vitalität. Gewicht nach Burdach 5 bis
6 Pfund.


Zehnter Monat. Sieben und dreiſsigste Woche bis an das Ende
des Fruchtlebens. Körperlänge ungefähr 18″—19″—20″. — Die
Kopfhaare verlängern sich; die Wollhaare schwinden immer mehr,
[554]Von dem Embryo.
die Oberhaut glatt und fest, die Nägel dicht. Der Nabel begrenzt
sich mehr von der Haut der Frucht. Die Hoden treten ganz in
Hodensack und der Leistenkanal beginnt sich zu schlieſsen. Die
Schaamlippen verschlieſsen die Schaamspalte. Die Ausbildung
des ganzen Körpers schreitet vorwärts, so daſs zu Ende dieses
Monates die normale Geburt der reifen Frucht erfolgt. Körper-
gewicht nach Burdach 6—7 Pfund. Doch sind hierin gerade die
meisten Abweichungen beobachtet worden. So wog nach Römer
(bei Danz I. S. 153.) unter 14 reifen Früchten eines 4¾ Pfund,
vier aber 7—7¾ Pfund und eines 8 Pfund und nach der Mad.
Lachapelle (bei E. H. Weber in Hildebr. Anat. IV. S. 522.) un-
ter 7430 zeitigen Kindern eines 3 Pfund, 427 bis 4 Pfund, 1445
bis 5 Pfund, 2996 bis zu 6 Pfund, 1931 bis zu 7 Pfund, 477 bis
zu 8 Pfund, 90 bis zu 9¾ und 13 bis zu 10 Pfund, wobei jedoch
die Hauptsumme differirt.


Wir haben diese Darstellung des Aeuſseren nur der Vollstän-
digkeit halber hier gegeben, können aber auf diese ganze Tendenz
nur wenig Gewicht legen. Der durch Erfahrung und Uebung
gewonnene Blick thut hier mehr, als jede Beschreibung, und wo
jener uns verläſst, dürfte diese kaum mit Bestimmtheit zu ent-
scheiden im Stande seyn. Die Zufälligkeit solcher den mannigfal-
tigsten Variationen unterworfenen Bestimmungen zeigt sich auch
dadurch, daſs die Darstellungen der besten Auctoritäten hier gänz-
lich von einander abweichen. Eine Vergleichung der Darstellung
z. B., wie sie Burdach (Physiol. II. S. 370—404.) geliefert, mit
der von E. H. Weber (Hildebr. Anat. IV. S. 522. 523.) kann
das Gesagte leicht darthun.


2. Endlich müssen wir hier noch ein paar Worte über die
Ab- und Aussonderungen des Embryo hinzufügen. Da wir aber
unserem Plane nach nur beobachtete Facta hier berücksichtigen
können, so müssen unsere Bemerkungen über diesen Gegenstand
gerade dürftiger seyn, als nach dem reichlichen Materiale der Li-
teratur sich erwarten lieſse. — Wir haben gesehen, daſs der Em-
bryo innerhalb der Dotterkugel sich bilde, daſs der Dotter in der
frühesten Zeit seinen Hauptnahrungsstoff ausmache, daſs das Ei-
weiſs von diesem aufgenommen, der Dotter selbst dadurch ver-
flüssigt werde. Allein offenbar reicht bei keinem Thiere der in
dem Eie vorhandene Nahrungsstoff zu der Ausbildung des Em-
[555]Ab- und Aussonderungen des Embryo.
bryo sowohl der Quantität als der Qualität nach hin, sondern das
Ei selbst als ein lebendiges Ganze muſs Stoffe von Auſsen aufneh-
men, um diese sich anzueignen und seine Masse zu vermehren.
Bei äuſserer Brütung ist dieses zum Theil minder merklich, wenn
die meistens harte Eischaale jede Volumenveränderung hindert.
Bei welchen Thieren und auf welche Weise dieses jedoch auch
hier Statt finde, haben wir schon oben zu bemerken Gelegenheit
gehabt. Bei den Säugethieren, wo der Dotter so überaus klein
ist, wo die Vergröſserung des Eies so sehr durch die innere Brü-
tung bedingt wird, wird die Volumenveränderung so bedeutend,
daſs man von den ältesten Zeiten den hierdurch veränderten Zu-
stand des Eies kannte, Jahrhunderte aber vergingen, ehe man die
überaus groſse Kleinheit des Urzustandes nur zu ahnen vermochte.
Wie sich aber Carus (Nov. Act. Ac. N. C. Vol. XVII. P. I. p. 99.
100.) das Verhältniſs des Organismus der Krankheit zu dem der Ge-
sundheit vorstellt, so kann man sich auch das des Eies zur Mutter
und das des Embryo zu dem Eie denken. Es liegt nämlich in der
unendlichen Metamorphose der Natur, daſs kein Object absolut
und für sich sey, sondern immer in Relation zu anderen, daſs es
zwar absolut zu werden strebe, nie es aber werde. Dieses egoi-
stische Princip jedes Wesens constituirt eben erst die einzelne
Individualität. Indem sie aber die Existenz des Einzelwesens
darstellt, constituirt sie zugleich seine Vernichtung, den Kampf
anderer mit gleichem Rechte gegen ihn auftretender, mit gleicher
Tendenz zur Selbstständigkeit begabter Wesen. Durch dieses
immerwährende Schwanken, durch den zeitlichen Sieg des einen
und das zeitliche Unterliegen des anderen entsteht dasjenige,
welches wir in der Natur Entwickelung nennen, das Leben und
Tod auf gleiche Weise in sich und nothwendig enthält. Will
man den neuen anstrebenden Organismus einen Parasiten nennen,
so kann man das Individuelle gegen das andere Individuelle (im
Reiche des Geistes sowohl, als in dem des Körpers), den Organ-
theil gegen den ganzen Organismus, die Krankheit gegen den ge-
sunden Körper, das Ei gegen den Organismus der Mutter, den
Embryo gegen das Ei mit diesem Ausdrucke bezeichnen. In dem
gewöhnlichen Sinne des Wortes Parasiten scheint dieser Ausdruck,
wenn er im Allgemeinen den neuen Organismus im Verhältnisse
zu dem alten, von ihm bekämpften Organismus gebraucht wird,
[556]Von dem Embryo.
etwas Schiefes und für seinen Begriff zu Enges zu enthalten,
weil er zugleich eine in sich mehr abgeschlossene Individualität
bezeichnet. Allein dieses liegt durchaus nicht in seiner Etymo-
logie, da diese nur bezeichnet, daſs etwas von einem anderen,
oder bei einem anderen, oder neben einem anderen iſst oder zehrt.
Auf diese Weise ist weder die relative Selbstständigkeit des an-
strebenden Organismus, noch seine innere, nothwendige und rela-
tive Abhängigkeit von dem anderen Organismus ausgeschlossen.
Es ist auf eine eben so einfache, als treffende Weise der unend-
liche, nie ruhende Kampf bezeichnet, der auch nie aufhören kann,
weil er den unendlichen und höchsten Widerspruch in sich ent-
hält, die Tendenz zur absoluten Selbstständigkeit einerseits und
die Nothwendigkeit, mit Anderen immer in Relation zu bleiben
anderseits. So kann es bei diesem unendlichen Wogen nie zu
einem festen Resultate kommen. Es kann nie Sieg ohne Nieder-
lage, Bestehen ohne Vergehen, Leben ohne Tod seyn. Jede Indi-
vidualität ist nur eine relative, jede Selbstständigkeit eine abhän-
gige und es giebt in der ganzen Natur nur Nüancen, nur ein be-
stimmtes Mehr oder Weniger, nie ein bestimmtes Festes und für
sich Bestehendes. Wenn wir daher ein Wesen individuell nen-
nen, so geschieht dieses nur dadurch, daſs wir, weil es einen
höheren Grad von Selbstständigkeit hat, die Momente, welche seine
Abhängigkeit, seine Verhältnisse zu seinem Mutter- oder Neben-
organismus bezeichnen, in dem Augenblicke auſser Acht lassen.
Da aber dieses ein rein subjectives Verfahren ist, so hat man
auch auf verschiedene Weise die Selbstständigkeit bestimmt und
aufgefaſst, und so kann man die Individualität eines Thieres, eines
an ihm befindlichen Theiles, einer an ihm haftenden Krankheit
mit gleichem Rechte vertheidigen, weil alle diese Verhältnisse nur
reine Abstracta, Unwahrheiten des Reellen sind. In der Natur des
Einzelnen dagegen ist nur ein Streben realisirt, das nie vollendet, ein
Ziel, welches nie erreicht werden kann. — Wenden wir das Gesagte
auf die von uns oben zuletzt erwähnten Säugethiere an, so ist
das Ei ein Parasit der Mutter, die Frucht ein Parasit des Eies.
Beide haben einen gleichen Charakter, eine gleiche Tendenz, bei-
den kommt eine relative Selbstständigkeit zu. Nur wird die zeit-
liche Dauer, so wie die Intensität der letzteren, durch ihre ver-
schiedenen Kräfte, Anlagen und Bedeutungen wesentlich geändert.
Der Parasit des Eies, der Embryo, überwindet bald seinen Mut-
[557]Ab- und Aussonderungen des Embryo.
terorganismus, das Ei, so daſs dieser an Uebergewicht verliert
und wie dieses überall der Fall ist, mehr als dienendes Mittel,
denn als widerstrebendes Individuum erscheint. Es saugt Stoffe
aus dem ihn unmittelbar berührenden Mutterkörper ein, vermischt
diese mit seiner eigenen Substanz, dem Dotter, und bereitet so
seinem eigenen Parasiten, dem Embryo, die reichlichste Nahrung.
Dieser eignet sich, seiner Natur gemäſs, diese sogleich an. Jede
wahre Aneignung ist aber keine bloſse Aufnahme eines Stoffes,
wie er unmittelbar von auſsen dargeboten wird, sondern besteht
in der Reception der tauglichen Theile desselben und der Absto-
ſsung und Aussonderung derer, welche von dem individuellen
Organismus nicht gebraucht werden können. Mit der Aufnahme
der durch das Ei dem Embryo von der Mutter zugeführten Stoffe
ist also nothwendig Ausscheidung verbunden und wahrscheinlich
ist dieses Excretum derselben das Fruchtwasser. Allein dieses
besteht auch bei den Säugethieren aus zwei verschiedenen Thei-
len, dem liquor Amnii und Allantoidis. Beide kommen also
darin höchst wahrscheinlich überein, daſs sie Auswurſsstoffe der
Frucht sind, welche durch die rege Assimilation derselben bedingt
werden. Der kindliche Körper nähret sich also nicht erst von
der Amnions- und Allantoisflüssigkeit, sondern hat sich schon von
denselben genähret, sobald sie frei in dem Eie erscheinen. Wie
aber jeder innerhalb des lebenden Organismus befindliche Theil
entweder unter unglücklichen und selteneren Verhältnissen dem
Faulungsprocesse anheimfällt, oder einen, wenn auch minder leb-
haften Stoffwechsel, von Neuem eingeht, so mag dieses Letztere
auch wohl bei den Eiflüssigkeiten der Fall seyn und der Embryo
wahrscheinlich noch ausziehbare Stoffe von ihnen aufnehmen und
neue an sie abgeben. Wenn nun auf diese Weise durch nüch-
terne Benutzung und Verfolgung der bekannten Erfahrungen sich
wohl Wahrscheinliches über die Bedeutung der Fruchtwasser
überhaupt schlieſsen läſst, so ist uns die Verschiedenheit der Func-
tion der Amnions- und Allantoisflüssigkeit noch durchaus räthsel-
haft, wiewohl es die verschiedenen Schriftsteller gerade hier nicht
an einer groſsen Anzahl von Hypothesen fehlen lieſsen. Ueber
ihre physikalischen Differenzen haben wir schon oben in dem
Abschnitte vom Eie gehandelt. Hier daher nur einiges über ihre
functionellen Eigenthümlichkeiten. 1. Die Amniosflüssigkeit. Mit
der Entstehung des Amnion findet sich auch, wie die Entwicke-
[558]Von dem Embryo.
lungsgeschichte des Hühnchens zeigt, die Flüssigkeit desselben.
Wenn nun diese Fötalhaut der Individualität des Eies und der
Keimhaut ursprünglich angehört, die doch in ihrem peripherischen
sowohl, als in ihrem centralen Theile, dem Embryo, ein Eitheil
ist, so ist diese Flüssigkeit ebenfalls durch das Wachsthum der
sie umschlieſsenden Haut bedingt und mit ihr coexistirend. Ihr
Erscheinen ist eben so gut ein Evolutionsproduct des Eies, als
das des Amnion selbst und es folgt aus keiner der bekannten
Thatsachen, daſs nur der centrale Theil der Keimhaut, der Em-
bryo, die ihn umgebende Flüssigkeit aussondere. Diejenigen,
welche das Letztere behaupten, haben auch die Idee des indivi-
duellen, parasitischen Lebens des Eies nicht gehörig erfaſst und
den Embryo als das einzige Individuum der Entwickelung ange-
sehen, weil er relativ letztes Ziel derselben wird. Daher entstan-
den auch die verschiedenen eben so sonderbaren, als falschen An-
sichten, daſs die Amnionsflüssigkeit durch die Haut als Schweiſs,
durch den After u. dgl. ausgesondert werde. Alle diese Angaben
fallen schon von selbst in ihr Nichts zusammen. (Zusammenstel-
lungen derselben finden sich bei Lobstein von der Ernährung des
Fötus übers. von Kestner. 1802. 8., G. Levestamm de liquore
amnii foetus humani praecipue de ejusdem usu. Kiliae
. 1823.
8. Ricklefs de liquore amnii Wirceburgi. 1826. 8. u. A.)
Wir glauben vielmehr die Genese dieser Flüssigkeit auf folgende
Weise auffassen zu müssen. Das Ei als relative Individualität
nimmt selbstständig Nahrungsstoffe aus dem ihn umgebenden Kör-
per, aus dem mütterlichen Organismus auf. Diese werden aber
nicht passiv angehäuft, sondern zur Nahrung der Eitheile über-
haupt und vorzüglich des parasitischen Organismus, des Haupt-
theiles des Eies verwandt. Dieser ist aber im allgemeinsten
Sinne die Keimhaut. Wenn nun der centrale Theil derselben,
der Embryo, die ihm passenden und sein Wachsthum und seine
Ausbildung begründenden Bestandtheile sich angeeignet und mit
ihm die übrigen Eitheile sich vergröſsert haben, so werden die
als Excreta übrig bleibenden Stoffe in den Raum zwischen ihm und
dem umschlieſsenden Theile der Eihaut ausgeschieden. So ist der
liquor amnii nicht das Excretionsproduct dieses oder jenen Thei-
les der Frucht, sondern das als minder brauchbare Abgeschiedene,
welches freilich noch einen gewissen Stoffwechsel eingeht, nach-
dem es schon ausgeschieden worden, alsdann aber mehr als Ne-
[559]Ab- und Aussonderungen des Embryo.
benproduct functionirt, wie wenn z. B. in dem Erwachsenen Urin
oder Eiter in eine Höhle des lebenden Körpers ausgeschieden,
von Neuem aber wieder theilweise nach seinen noch zu benutzen-
den Bestandtheilen aufgesogen wird. Daſs der Fötus sich von
dem liquor amnii nähre, ist eine eben so falsche, als schiefe
Ansicht. Man hat zwar diese Flüssigkeit in dem Munde und
dem Magen der Frucht gefunden und wir selbst haben sogar
in Früchten des Schweines Meconium in dem Kehlkopfe gesehen.
Daſs dieses aber auf einem bloſs mechanischen Einströmen des
Wassers und seiner Contenta beruhe, dürfte der Umstand bewei-
sen, daſs nicht bloſs die Verdauungsorgane, sondern auch die
Respirationsorgane, wie die Luftröhre, und die Nasenhöhlen von
dieser Flüssigkeit eben so wie die obere Abtheilung der Diges-
tionswerkzeuge gleichmäſsig erfüllt sind, daſs dagegen in dem
tractus intestinorum tenuium fast nie deutliche Spuren der
Amnionsflüssigkeit gefunden werden. Auch besteht das Meconium
nur aus Schleim, den Häutungen des Darmrohres und der Galle.
Daſs aber die Amniosflüssigkeit vielleicht Stoffe noch an den Fö-
tus abgebe läſst sich vermuthen. Mit dem Mutterkörper steht jene
wenigstens in inniger Wechselwirkung. Dies zeigt ein Versuch
von Dayer (Salzb. mediz. Zeit. 1817. S. 431.), welcher eine In-
digolösung in die Lungen eines trächtigen Kaninchens einsprützte
und nach einiger Zeit den liquor amnii grün gefärbt fand. Nach
Haller und Hertort (Ricklefs l. c. p. 7.) soll bei einer Frau, die
als Schwangere viel Safran gebraucht hatte, der liquor amnii
von safrangelber Farbe gefunden worden seyn. Vergleiche
Mayer in Meckels Archiv III. S. 502. 503. Für eine rege
Aufnahme des liquor amnii durch die Haut des Fötus scheint
wenigstens zum Theil die groſse Ausbildung der Hautdrüsen nicht
bloſs in den Früchten des Menschen, worauf E. H. Weber schon
aufmerksam machte, sondern auch in denen der von mir hierauf
untersuchten Säugethiere, wie des Rindes, des Schaafes, des
Schweines, des Hundes und der Ratte hinzudeuten. — 2. Eben
so wenig kann aber auch die Allantoisflüssigkeit als ein bloſses
Excret des schon gebildeten Embryonalkörpers angesehen werden,
wiewohl das ganze Wesen dieses Stoffes noch weit räthselhafter
ist, als das des Amnion. Man hat ihn für den Harn des Fötus
angesehen und eine ziemliche Anzahl scheinbar treffender Gründe
für diese Meinung angeführt (s. J. G. Betschler disquisitio phy-
[560]Von dem Embryo.
siologica, num a foetu urina secernatur et secreta excerna-
tur Berol.
1820. 8. p. 34.). Allein daſs die Allantoisflüssigkeit
durch die Nieren oder die Wolffschen Körper ausgesondert werde,
ist schon deshalb unmöglich, weil die Allantois früher erscheint,
als die deutlich gesonderten und mit zusammenhängenden Harn-
kanälchen versehenen Nieren und gerade ihr gröſstes Wachsthum
im Allgemeinen erreicht hat, wenn die innere Structur der Nie-
ren noch in ihrer Formation begriffen ist, das Secret der Wolff-
schen Körper aber anderer Natur, als das Allantoiswasser ist.
Eben so wenig Sicherheit hat die Vermuthung, daſs sie ein Se-
cret des Darmkanales sey. Ja die schon oben berührten Con-
tenta des Darmrohres in frühester Zeit scheinen eine jede solche
Ansicht direct zu widerlegen. Wir müssen also die Genese der
Allantoisflüssigkeit der des Amnionswassers gleichstellen, d. h.
beide als Evolutionsmomente des Eies und zwar des peripheri-
schen Theiles der Keimhaut ansehen. Interessant bleibt es aber,
daſs von den beiden selbstständigen Urblättern der Keimhaut ein
jedes sein eigenes Fruchtwasser habe, nämlich das seröse Blatt
die Amnionsflüssigkeit, das Schleimblatt dagegen den liquor Allan-
toidis
. — Wenn die erstere mit den Ernährungsorganen des Fö-
tus, seiner Haut und seinem Darmkanale in Berührung kommt,
so geschieht dasselbe bei der Allantois mit den zeitigen Respira-
tionsorganen des Fötus, seinem Mutterkuchen, dessen Fruchtantheil
bekanntlich zuerst als Endochorion auf der Allantois liegt. Ja
die Verbindung scheint noch inniger zu seyn. Bei den Säuge-
thieren, wo die Placenta nicht so dicht an eine Stelle des Eies
concentrirt ist, bleibt die Allantois gröſser und länger, als bei
dem Menschen. Vielleicht versieht sie dort einen Stoffwechsel,
der bei uns durch die an eine Stelle concentrirte und vielfach
verwickelte Placenta zu Stande gebracht wird. Eine Zusammen-
stellung der Ansichten über die Allantoisflüssigkeit siehe bei Bur-
dach Physiol. II. S. 676—681. —


Endlich findet sich noch auf der ganzen Oberfläche des Fö-
tus eine gelatinöse, schmierige, farblose oder gelbliche Materie,
der sogenannte Vernix caseosa oder Hautschmiere verbreitet.
Daſs diese durch die Hautdrüsen abgesondert werde, davon kann
man sich durch die mikroscopische Untersuchung unmittelbar
überzeugen. Denn in sehr vielen, wo nicht allen, Hautdrüsen
sieht man dieselbe als eine Ansammlung einer aus groſsen Kör-
nern
[561]Ab- und Aussonderungen des Embryo.
nern bestehenden Masse, welche sich durch Druck aus ihnen
leicht entfernen läſst. Nach Frommherz und Gugert besteht sie
aus einem innigen Gemenge von eigenem, dem Gallenfett ähnli-
chen Fette und geronnenem Eiweiſs. Beim Uebergieſsen mit
Schwefelsäure, die mit zwei Theilen Wasser verdünnt war, wurde
sie in der Kälte dunkelroth, ohne sich aufzulösen. Siehe Berze-
lius Thierchemie S. 303. 304. —


[562]Uebersicht der Metamorphosen des Eies.

Tabellarische Uebersicht der Metamorphosen des Eies.

[[563]]

Dritter Abschnitt.
Fragmente zu einer künftigen Gesetzlehre
der individuellen Entwickelung
.


36 *
[[564]]

„Noch Manchem wird ein Preis zu Theil werden. Die Palme aber
„wird der Glückliche erringen, dem es vorbehalten ist, die bildenden
„Kräfte des thierischen Körpers auf die allgemeinen Kräfte oder Lebens-
„richtungen des Ganzen zurückzuführen. Der Baum, aus welchem seine
„Wiege gezimmert werden soll, hat noch nicht gekeimt.“


(Karl Ernst von Bär über Entwickelungsgeschichte der
Thiere S. XXII.
)

[[565]]

I.
Nothwendiger Gegensatz zwischen Idealismus und Realismus.
Tendenz der Zeit.


Das egoistische Princip des Menschen hat zu allen Zeiten mit
der ihm gegenüberstehenden Auſsenwelt in Widerspruch ge-
standen und daher seine Ideen gegen die objective Realität
geltend zu machen gesucht. Denn wohl wissend, daſs unser
Geist die äuſseren Dinge zu umfassen und in eine höhere Einheit
zu bringen vermag, werden wir nur zu leicht zu dem Irrthume
verleitet, daſs wir den äuſseren Stoff nicht nur bändigen und
ordnen, sondern auch beherrschen und ändern könnten; als sey
es kein bloſs thörigter Wahn, der Natur unsere Ideen anzupas-
sen, die Spiele unserer Phantasie ihr als bestehende Gesetze auf-
drücken und ihre unverrückbaren Bahnen durch ungleiche Kräfte
erschüttern zu wollen. Es ist freilich für einen etwas aufgeregten
Geist lockend genug, divinatorisch, wie von dem Dreifuſse herab,
Orakel über die Natur und deren Erscheinungen auszusprechen,
Lehrsätze in einem mehr oder minder systematischen Zusammen-
hange vorzutragen und auf diese Weise einen vollständigen und
scheinbar genügenden Commentar der sich überall aufdrängenden
unendlichen Wunder liefern zu wollen. Wie das Temperament
eines Jeden von uns unser Handeln im Leben sowohl, als in der
Wissenschaft bestimmt und erklärt, so sind es besonders diejeni-
gen, welche scharfe Combinationen entfernter und scheinbar
unähnlicher Gegenstände zu machen, ein Convolut von Einzelhei-
ten schnell zu überblicken und die Mannigfaltigkeit der objecti-
ven Welt in allen ihren Modificationen und unter allen Verhält-
nissen lebhaft und anschaulich in sich aufzunehmen vermögen,
welche sich vorzüglich zu der bezeichneten Richtung der Natur-
[566]Fragmente z. Gesetzlehre d. individuellen Entwickelung.
forschung (im weitesten Sinne des Wortes) hinneigen — dem
sogenannten Idealismus. Da die Koryphäen dieser wissenschaftli-
chen Tendenz sich besonders dadurch auszeichnen, daſs sie viele,
dem schlichten Sinne leicht und in der Regel entgehende Ver-
hältnisse auf eine glänzende Weise hervorheben und durchführen,
so belegt sie ein Theil der wissenschaftlich Gebildeten, insbeson-
dere die Schaar der Dilettanten, vorzugsweise mit dem Namen
der Geistreichen. Ja man sicht sogar sehr häufig bei vielen Idea-
listen Spuren eines gewissen Eigendünkels und Stolzes, welcher
aus ihrem meist lebhaften Selbstgefühle hervorgeht, und sie in ih-
ren eigenen Augen höher stellt, als die emsigsten Forscher und
die genauesten und consequentesten Beobachter. Sie glaubten oft
ein besonderes Verdienst darin zu finden, daſs sie vor langer Zeit
durch Deduction auf Sätze kamen, oder diese, bewogen durch
subjective Gründe, voraussagten, welche nach einer Reihe von
Jahren erst durch Erfahrung begründet oder näher bestimmt wor-
den sind. Mitleidigen oder gar verächtlichen Blickes voll schauen
sie bisweilen auf die Zahl derjenigen hinab, welche nüchtern und
treu nur das sinnlich Wahrnehmbare auffassen und zusammentra-
gen und so Stein auf Stein zu einem Gebäude häufen, das sie
nie vollenden; als ob es verdienstlicher sey, mit Wachsflügeln
dem Adler, als mit den nöthigen Kräften ausgerüstet der fleiſsigen
Ameise nachzuahmen. Die einnehmende Idee einer subjectiven
Einheit läſst hier oft die reelle Vielheit zum Theil vergessen, wie
im Auge das lebhafte subjective Farbenbild die äuſseren Gegen-
stände verdeckt und unkenntlich macht oder der helle Sonnen-
schein die Myriaden von Welten verhüllt, welche am meisten
dem Sterblichen zu zeigen vermögen, was die Welten neben sei-
ner und wie wenig er selbst in diesen sey.


Die idealistische Tendenz im Allgemeinen ist aber keine
bloſs zufällige, nur dem Menschen inwohnende subjective Rich-
tung. In ihr wiederholt sich nur Einer der Gegensätze des un-
endlichen Processes, der in der äuſseren wie der inneren, der
materiellen wie der immateriellen Welt stets existirt und stets
sich wiederfindet. Sie kann auch nothwendiger Weise keine
absolut freie und für sich bestehende seyn. Ihre Individualität
muſs vielmehr wie die jedes anderen Individuums überhaupt, ih-
rem Charakter nach nur durch ein Mehr oder Minder bestimmt
werden, während ihre Totalität Idealität eben so gut in sich
[567]I. Gegensatz zwischen Idealismus und Realismus.
schlieſst, als Realität. Denn es ist besondere Eigenthümlichkeit
eines jeden Concreten, Einzelnen, nicht Absoluten, die beiden
Gegensätze des Ideellen und Reellen, Geistigen und Körperlichen
nicht in sich auf gleiche Weise zu einem höheren, absoluten Drit-
ten verschmolzen und ausg[eg]lichen zu haben, sondern dem Einen
oder dem Andern das Uebergewicht, gleichsam das Vorrecht des
Herrschers, zu lassen und so ein einseitiges, beschränktes Wesen
darzustellen. Wenn nun durch das Ueberwiegen des einen Poles
der Idealismus entsteht, so erzeugt das des Anderen den Realis-
mus, d. h. die Tendenz, nur das Empirische, sinnlich Darstell-
bare, durch Beobachtung oder Versuch Jedem Vorzuführende zu
verfolgen und die unendliche Mannigfaltigkeit der Natur wo mög-
lich auf dem Felde der Wissenschaft zu wiederholen, die Reihen
der gemachten Erfahrungen in planmäſsiger Ordnung aufzustellen
und zur leichten Uebersicht vorzubereiten. Werden daher durch
den Idealisten consequente Systeme geschaffen, so liefert der
Realist geordnete Aggregate. In dem ersteren herrscht die eigene
Macht des schaffenden, in dem letzteren die Kraft des empfan-
genden Geistes vor.


Idealismus und Realismus werden und müssen so lange ein-
ander gegenüberstehen, als unser stets individueller Geist die Ge-
biete der Wissenschaften bearbeiten wird. Zu einer absoluten
Vereinigung beider zu einem höheren, für sich bestehenden Drit-
ten kann unsere Bemühung nie gelangen, weil wir selbst nicht
absolut, wir selbst Individualitäten, mit dem Charakter der Ein-
seitigkeit nothwendig begabte Wesen sind. Nur das Uebergewicht
der einen oder der anderen Richtung herrscht in diesem oder
jenem Menschen, diesem oder jenem Zeitalter vor. Da aber jede
wissenschaftliche Thätigkeit eben durch die reelle Objectenwelt
bedingt und bestimmt wird, so müssen Idealismus und Realismus
auf gleiche Weise nach der Menge und dem Werthe der zur Zeit
bekannten und gewonnenen Erfahrungen charakteristisch bezeich-
net seyn. Wie der Dichter nicht nur durch seinen Geist an und
für sich, sondern auch durch die ihn umgebende, äuſsere Natur,
die Richtung der Zeit, den Charakter des Volkes, ja selbst durch
die höhere oder niedere Stufe der eigenen geistigen Ausbildung
bestimmt wird, so kann auch der Idealist nur durch die Masse
der ihm zu Gebote stehenden objectiven Kenntnisse geleitet, seine
Combinationen und Abstractionen zu Stande bringen, Gesetze ent-
[568]Fragmente z. Gesetzlehre d. individuellen Entwickelung.
wickeln und fortführen und umfassende Theorieen und Systeme
aufbauen. Es wird ihm nur Nebensache, dienendes Mittel, was
einzige und Haupttendenz des realistischen Forschers ist. Und
während so die Gebäude von beiden auf denselben Grundvesten
ruhen, kehrt auch hier in dem Gebiete geistiger Bestrebungen
dieselbe Norm wieder, welche in dem Gebiete der äuſseren Na-
tur überall realisirt ist, ein nie für sich bestehendes, absolutes
Dritte, dessen zerfallene Seiten, dessen ungleiche Vertheilung der
constituirenden Elemente die einseitigen und abhängigen Indivi-
dualitäten darstellt und charakterisirt.


Die Geschichte der Wissenschaften ist, wie die der Zeiten,
kein bloſs zufälliges Ding, sondern das nothwendige Produkt der
Aus- und Fortbildung des literarischen Zeitgeistes. Jede neue
Epoche ruht hier, wie dort, auf den Schultern der vorhergehen-
den und ist ihr nicht etwa von auſsen her angefügt und ange-
paſst, sondern aus ihr hervorgegangen, durch sie bedingt, ein wei-
teres Moment derselben. Die durch die Zeit gegebenen Probleme
müssen trotz aller scheinbaren Hindernisse, trotz der gröſsten
Zahl der Widerwärtigkeiten gelöst werden, weil sie der Zeitgeist,
nicht dieser oder jener menschliche Geist will. Eine solche Idee,
die eine Wissenschaft in einer bestimmten Zeitepoche vorzugs-
weise beherrscht, pflegt man mit dem Namen der Tendenz der
Zeit zu belegen, d. h. dem vereinten und mehr oder minder aus-
schlieſsenden, bewuſsten oder unbewuſsten Streben der gleichzei-
tig thätigen Geister. In ihr vereinigen sich nothwendig Idealis-
mus und Realismus, als Formen desselben Materiales einerseits
und als Materien desselben geistigen Gehaltes anderseits, in jener
Beziehung als beherrschende, in dieser als dienende Elemente.
Das Problem der jüngsten Vergangenheit, so wie der uns umfas-
senden Gegenwart in jedem Zweige wissenschaftlicher Bestrebun-
gen ist die Erkenntniſs des unendlichen Processes, des nie ruhen-
den Wogens von Entstehen und Vergehen, die Auffassung des
scheinbar Bestehenden als Transitorischen, des Seyn’s als Wer-
dens, die Durchführung der eben so tiefen, als wahren Lehre,
daſs die wahre Existenz nur dem Processe und nicht der Schein-
existenz des Persistirenden zukomme. Von welcher Bedeutung
diese Richtung in der Lehre von dem Leben der thierisch-orga-
nischen Geschöpfe sey, möge hier mit möglichster Kürze vorge-
stellt werden.


[569]I. Gegensatz zwischen Idealismus und Realismus.

Im vorigen Jahrhunderte gingen im Allgemeinen Philosophie
und Naturwissenschaften gesonderte Wege. Nur der mathemati-
sche Theil lieferte einen kleinen, einseitigen und im Ganzen un-
tergeordneten Berührungspunkt. Kant und seine Nachfolger such-
ten zwar die Verhältnisse beider Disciplinen zu einander genauer
festzusetzen und hierdurch zugleich die frühere so schroffe Stel-
lung beider gegen einander zu vernichten. Allein nur lose blieb das
Band geknüpft und, während in den metaphysichen Anfangsgrün-
den der Naturwissenschaft die mathematische Seite als einendes
Element vorzüglich hervorgehoben ward, dienten die übrigen na-
turwissenschaftlichen Kenntnisse nur zu anschaulicheren Erläute-
rungen der a priori constatirten Sätze oder wurden als Grund-
lage von Analogieen benutzt, welche auf den Gang der streng
wissenschaftlichen Philosophie von gar keinem oder nur höchst
untergeordnetem Einflusse waren. Fichte’s Idealismus war dazu
geeignet, die Grenzlinien noch schärfer zu bezeichnen, die einzel-
nen Gebiete noch weiter zu entfernen, und schien durch seine
absondernden Principien nicht nur die innere Natur des subjecti-
ven Geistes von der äuſseren objectiven Natur überhaupt distinc-
ter scheiden, sondern sogar diese letztere gegen die erstere als
unwahr darstellen, in ihrer ganzen Wesenheit vernichten und ih-
res unendlichen Einflusses berauben zu wollen. Da trat als noth-
wendig entgegengesetztes Element Schelling auf, fuſsend auf Vor-
gänger ganz verschiedenartigen Charakters, als Spinoza, Baco,
Leibnitz und Anderen. Die objective Natur wurde mit Nachdruck
und nicht ohne Gewalt in das Gebiet der Philosophie hineinge-
zogen; die einzelnen reellen Objecte in die philosophische Form
geschmiedet, nach geistigen Schemen zusammengestellt, geordnet
und als Typen einer Geist und Körper zugleich umfassenden und
einenden Welt angesehen. Wiewohl Schelling selbst mehr die
physikalisch chemischen Disciplinen zunächst in das Auge faſste,
um ihre einfachen Elemente als allgemeine Urgegensätze und Ur-
metamorphosen darzustellen, so ward doch durch seine Bemühun-
gen anderen gleichgesinnten Männern der erste Antrieb gegeben,
auch auf neuen Feldern der Wissenschaft in derselben Richtung
ihre Kräfte zu nennen. Vor Allen aber sind H. Steffens und L.
Oken zu nennen, welche es sich angelegen seyn lieſsen, in den
übrigen Zweigen der Naturwissenschaften dasjenige zu vollen-
den, was Schelling in den Reichen der Physik und Chemie an-
[570]Fragmente z. Gesetzlehre d. individuellen Entwickelung.
gefangen. Steffens ergriff besonders die anorganische, Oken da-
gegen die organische Natur, und hatte hier Männer wie Schel-
ver, Kieser, Meckel, Nees v. Esenbeck, Döllinger u. A. zu Nach-
folgern oder Mitarbeitern. Es war aber die Haupttendenz der
naturphilosophischen Schule, die allgemeine Idee aufzufassen und
die objectiven Erscheinungen in ihren allgemeinsten Verhältnissen
als Factoren der allgemeinen Idee darzustellen. Oken, der nicht
bloſs bei den allgemeinen und vagen Betrachtungen stehen blieb,
sondern in die speciellen Verhältnisse der beiden organischen
Reiche auf eine möglichst vollständige Weise einzugehen sich be-
mühte, sah es bald als eines der sich darstellenden Hauptprobleme
an, die Entwickelung der animalischen Welt von einem höheren
Standpunkte aus aufzufassen und durch ihre speciellen Combina-
tionen zu verfolgen. Die Zeugung der Thierwelt, so wie des
einzelnen individuellen Thieres erschien ihm so in ihrem hellsten
Lichte, und die vielseitigere Bearbeitung der naturphilosophischen
Richtung in dem speciell zoologischen und physiologischen Gebiete
führte unmittelbar auf einen wesentlichen Berührungspunkt des
thierischen Individuums und der Thierwelt, die Entwickelungs-
geschichte. Diese war indeſs, was die einzelnen empirischen
Facta betraf, früher schon bearbeitet worden, doch mehr nur als
Nebenzweig der Anatomie und in einzelnen aphoristischen Frag-
menten, wie sie der Zufall dargeboten hatte, oder wenigstens nicht
consequent und selbstständig genug, um als eigene physiologische
Disciplin auftreten zu können. Denn ihre ausgedehntere Anwen-
dung, wie ihr bedeutender Einfluſs auf die ganze wissenschaft-
liche Behandlung der Lehre von dem Leben war von Wenigen
nur geahnet und von Keinem vollständig aufgefaſst und zur Aus-
führung gebracht worden. Man hatte daher nur einzelne unge-
nügende Data, welche meistens mehr die heute noch so sehr in
Dunkel gehüllte Entwickelung des Menschen betrafen, oft ohne
alle Kritik angenommen, oder einige Lieblingsprobleme, wie den
Kreislauf des Blutes, die Ernährung des Fötus, die Ossifications-
geschichte, die Darstellung des äuſseren Habitus in den verschie-
denen Schwangerschaftsmonaten u. dgl. einer gründlicheren Durch-
führung zu unterwerfen versucht. Auf diesem Wege waren die
für das Specielle so äuſserst wichtigen Arbeiten eines Duverney,
Trew, Mery, Haller, C. Fr. Wolff, Sabatier, Hunter, Böhmer,
Wrisberg, Ph. Fr. Meckel, Sömmering und vieler Anderer ent-
[571]I. Gegensatz zwischen Idealismus und Realismus.
standen — Leistungen von zum Theil bleibendem Werthe, so fern
man von der feineren Anatomie — einem Hauptprobleme jeder
Entwickelungsgeschichte — und von dem meist unrichtigen oder
schiefen Raisonnement abstrahirt. Allein gerade die wichtigsten
und interessantesten Fragen blieben ungelöst, weil man fast nie
die frühen entscheidenden Verhältnisse beobachtet, oft die krank-
haften Zustände bei menschlichen Eiern und Früchten für normale
Produkte angesehen und die wichtige Untersuchung unter dem
Mikroscope vernachlässigt hatte, weil man seltene Präparate früh-
zeitiger Embryonen durch Vorurtheil oder äuſsere Verhältnisse
geleitet lieber in Weingeist verderben, als in frischem Zustande
zerschneiden und untersuchen lieſs. Nun hatte die herrschende
Naturphilosophie auffallende und jedenfalls merkwürdige Sätze auf
diesem Gebiete hervorgebracht, welche von den Anhängern oder
Verfechtern noch näher begründet, von den Gegnern durch Er-
fahrungen und Versuche widerlegt werden sollten. Dieses regte
nothwendiger Weise ein allgemeineres Streben, die Entwicke-
lungsgeschichte des Individuums zu erforschen, an, so daſs Män-
ner, welche sonst jeder naturphilosophischen Richtung ihre Theil-
nahme versagt hatten, zur Beachtung gezwungen wurden, weil
man empirische zum Theil neue Facta zur Stütze naturphiloso-
phischer Aussprüche benutzte. Es würde aber äuſserst schwierig
seyn, die Forscher hier in zwei Reihen theilen zu wollen, in
solche nämlich, welche reine Naturphilosophen, und solche, wel-
che bloſse Empiriker seyen. Die Meisten von ihnen verfolgten
der Natur der Sache nach beide Richtungen zugleich, wie Oken
selbst, Kieser, Joh. Fr. und Albert Meckel, Horkel, Carus u. A.
Nur sehr Wenige, wie z. Th. Tiedemann, Emmert, Hochstetter,
Rudolphi u. A., dürften mit Recht zu den reinen Empirikern,
welche sich von dem Einflusse der weit verbreiteten Naturphilo-
sophie möglichst fern hielten, gerechnet werden können. Aus
diesen ihrem Wesen nach polemischen Bestrebungen gingen eine
Reihe vortrefflicher Arbeiten über die Eihüllen, den Darmkanal,
die Geschlechtstheile auf dem Felde der individuellen Entwicke-
lungsgeschichte hervor. Die seegenreichsten Früchte, welche diese
einerseits entgegengesetzten, anderseits aber und von einem hö-
heren Standpunkte aus verbundenen Bestrebungen trugen, waren
die in Deutschland sorgfältig gepflegten Untersuchungen über die
Entwickelung des Gehirnes, vorzüglich von Carus, Tiedemannn,
[572]Fragmente z. Gesetzlehre d. individuellen Entwickelung.
J. Fr. Meckel, Döllinger u. A. In Frankreich, Italien und Eng-
land, wo die Naturphilosophie von gar keinem oder nur geringem
Einflusse war, verfolgte man die alte, bei uns seit dem ersten
Decennium des neunzehnten Jahrhunderts fast ganz verlassene
Richtung. Allein in diesen Ländern hatte die von Frankreich be-
sonders ausgegangene Idee der vergleichenden und allgemeinen
Anatomie zu tief Wurzel gefaſst, als daſs man nicht diese auch
auf die individuelle Entwickelungsgeschichte, als einen Zweig der
Anatomie überhaupt, hätte anwenden sollen. So entstanden die
Arbeiten von Rusconi, Mondini, Configliachi, von Ev. Home,
Bauer, Hamilton u. A. Vorzüglich erwachte aber in Frankreich
ein lebendiger Trieb mehr vergleichend die Geschichte des Eies
zu bearbeiten, wie die vielen Abhandlungen von Dutrochet, Cu-
vier, Serres u. A. zeigen, während specielle Zweige der Fötalge-
schichte von Serres, Béclard, Clocquet, Ribes, Geoffroy u. A. mehr
oder minder vollständig von Neuem vorgenommen wurden. Die-
ses Alles geschah bis zu dem Jahre 1817. Einerseits hatte also
die Entwickelungsgeschichte an empirischen Daten, welche zu
Ende des vorigen und zu Anfange des jetzigen Jahrhunderts durch
Wrisberg, Ph. Fr. Meckel, Sömmering, Autenrieth, Rosenmüller,
Dzondi, Oken, Kieser, Tiedemann, Carus, J. Fr. und Albert Mek-
kel, Dutrochet, Cuvier, Rudolphi und sehr viele Andere gewon-
nen waren, vielfachen Zuwachs erhalten, anderseits wurde ihre
höhere Bedeutung mehr, als dieses früher der Fall gewesen war,
besprochen, ihr Studium vielfach angeregt und zum Theil geför-
dert, vorzüglich durch Oken, welcher das Ideele mehr auffaſste
und besprach und Joh. Fr. Meckel, welcher mehr die Erfahrungen
vervollkommnete, um die Ideen zu erkennen, herzuleiten oder
zu begründen. Doch versuchte auch Jeder von ihnen auf beiden
Wegen, dem der Ratiocination, wie dem der Empirie seine nicht
geringen Kräfte. Meckel hat sich auch hier, wie in fast jedem
anderen Zweige der anatomisch-physiologischen Disciplinen durch
eine sehr groſse Zahl genauer und mühsamer Untersuchungen
nicht bloſs den Dank der Mitwelt erworben, sondern auch die
Unsterblichkeit des durch Bruder, Vater und Groſsvater schon
berühmten Namens für alle Folgezeiten gesichert. — Es war aber
zu dieser Zeit zwar das empirische Wissen bedeutend erweitert,
so wie anderseits die einfluſsreiche Bedeutung der Entwickelungs-
geschichte lebhaft erkannt; es mangelte jedoch noch eine innige
[573]I. Gegensatz zwischen Idealismus und Realismus.
Durchdringung dieser beiden entgegengesetzten Elemente. Es war
eine Epoche der Gährung, die selbst zu keinem abgeschlossenen
Resultate kam, dieses aber dadurch vorbereitete, daſs sie zu einer
neueren, höheren Richtung überführte, in welcher wir uns jetzt
befinden. Die Idee des Werdens, des nie Ruhenden in der Na-
tur, die Idee des unendlichen, immer sich erneuernden und eben
hierdurch das Leben constituirenden Processes trat aus den ihr
bisher angewiesenen Schranken innerhalb der bloſsen Theoreme
zu Anfange unseres Jahrhunderts mehr und allgemeiner in das
Leben, so daſs, hatte man bisher nur die existirenden Objecte
der Auſsenwelt vorzugsweise zu erforschen sich bemüht, man sich
mit der bloſsen Existenz zu irgend einer Periode oder in irgend
einem Verhältnisse nicht zufrieden stellte, sondern die nach Raum
und Zeit verschiedenartigen Daseynsformen zu Problemen der
Untersuchung machte. In der Philosophie hatte Fichte diese
Bahn durch seine Wissenschaftslehre begonnen und weniger
Schelling, als Hegel (als sein sogenanntes dialektisches Moment)
weiter fortgeführt. Auf dem Gebiete der Wissenschaften des
organischen Lebens wurden neue Richtungen mit Sorgfalt durch
diese Idee gepflegt und zu einer nicht geringen Höhe der Aus-
bildung gebracht. So ist die in neuerer Zeit erst wissenschaftlich
begründete Geographie der Pflanzen offenbar nichts anderes, als
die Darstellung der räumlichen Entwickelungsgeschichte der Ve-
getabilien und es ist nur zu bedauern, daſs, während diese durch
Humboldt, Shouw, Wahlenberg, Agardh, Schübler u. A. einen
so hohen Grad von Ausbildung erlangt hat, die schon vor sechzig
Jahren durch Zimmermann begründete Geographie der Thiere
hinter ihrer wissenschaftlichen Schwester so weit noch zurück
ist. Was aber die Geschichte der thierischen Organisation an-
geht, so sind es zwei Disciplinen, welche auf dieser allgemeinen
Idee der Metamorphose des Processes fuſsen, nämlich die verglei-
chende Anatomie, als Evolutionsgeschichte der Thierwelt, und
die Geschichte der individuellen Entwickelung als Evolutionsge-
schichte des Thieres. Jene hat ihre wissenschaftliche Begründung
in dem letzten Jahrzehend des vergangenen Jahrhunderts durch
Cuvier erhalten und während fast die Gesammtzahl der Anatomen
und Physiologen an der Vervollständigung ihres materiellen In-
haltes eifrig arbeiteten, gewann sie zugleich ein mehr speculatives
Interesse durch die Idee der Bedeutung der Organe, d. h. durch
[574]Fragmente z. Gesetzlehre d. individuellen Entwickelung.
die allgemeine Ueberzeugung, daſs alle Thiere, alle thierischen
Organe nur Modificationen oder Metamorphosen von Urideen seyen,
auf welchem Gebiete zum Theil Cuvier selbst, besonders aber
d’Aubenton, Meckel, Oken, Carus, Geoffroy St. Hilaire, Spix,
Huschke u. A. sich auszeichneten. nachdem nun aber so die
Entwickelung der Thierwelt mit inniger Liebe umfaſst, die Idee
des sich entwickelnden Processes in der Natur überhaupt lebhaf-
ter erkannt und zur Anwendung gebracht worden war, so blieb
die individuelle Entwickelungsgeschichte als ein zum Theil homo-
loges, zum Theil ergänzendes Element, das zunächst zu lösende
Problem. Wie jedes neue, groſse Ereigniſs durch Einen oder
Mehrere angeregt, durch einzelne taugliche Anhänger fortgeführt
und zuletzt erst von Allen, sobald es sich in sein vortheilhaftes
Licht gestellt hat, aufgenommen, gepflegt und benutzt wird, so
erging es auch nun der Entwickelungsgeschichte, welche zwar in
Bezug auf beobachtete Facta nichts weniger, als neu, in Rücksicht
ihrer Bedeutung und Anwendung für die Physiologie überhaupt
aber einer höheren Stufe werth ward. Hatte Oken schon zu
Anfange unseres Jahrhunderts, von ihrem groſsen Einflusse auf
die Lehre von dem Leben durchdrungen, mit Nachdruck von Sei-
ten der Speculation auf sie hingewiesen, so trat jetzt das Haupt
der sogenannten Würzburger physiologischen Schule, Döllinger,
mit neuen empirischen Daten ausgerüstet, als der erste Wende-
punkt zu einer einfluſsreichen Betrachtungsweise derselben auf.
Er und seine beiden Schüler, Pander und d’Alton, bearbeiteten
die früheste Entwickelung des Hühnchens mit aller ihnen mögli-
chen Genauigkeit und Vollständigkeit, und als Epoche machendes
Resultat dieser Bemühungen muſs es angesehen werden, daſs sie
zuerst die drei Blätter der Keimhaut, von denen jedes seine be-
stimmten Metamorphosen eingeht, unterschieden. In dieser Zeit
empfing auch Karl Ernst v. Bär, damals ein Schüler Döllingers,
den ersten Impuls zu seinen späteren, wichtigen Arbeiten. Aber
auch zum Theil unabhängig von der Würzburger Schule wurden
die Untersuchungen specieller Gegenstände der Entwickelungsge-
schichte zahlreicher. So erschienen neue Beiträge zur Geschichte
des Eies von Oken, Bojanus u. A., zu der des Gehirnes von Ser-
res, Desmarest u. A., zu der des Blutes von Döllinger, zu der des
Athmens und dessen Folgen von Joh. Müller, zu der der Mollus-
ken von Stiebel, zu der der Amphibien von Rusconi, Configliachi,
[575]I. Gegensatz zwischen Idealismus und Realismus.
Steinheim u. A., zu der der Vögel von Rolando, zu der der Säu-
gethiere von Bojanus, Cuvier u. A. und wenn auch diese Arbei-
ten keinesweges aus den Anregungen Döllingers unmittelbar und
allein hervorgingen, so zeugten sie doch deutlich genug von dem
lebhaft gefühlten Bedürfnisse, durch die Entwickelungsgeschichte
des Thieres wichtige Probleme der Physiologie zu lösen und eben
so glänzende Resultate auch auf diesem Wege zu erlangen, als die-
jenigen waren, welche man mit Hülfe der vergleichenden Anatomie
schon gewonnen hatte. Es war natürlich, daſs beide Disciplinen
nun immer mehr Hand in hand gingen, einander wechselseitig
unterstützten, ergänzten und beleuchteten. Und so gewannen die
physiologischen Resultate, welche von Seiten des Idealismus durch
die Naturphilosophie, von Seiten des Realismus durch die ver-
gleichende Anatomie gewonnen waren, immer mehr an Breite, an
Specialitäten, an innerem Gehalte. Purkinje hatte im Jahre 1825
die Untersuchung des Vogeleies vor der Brütung, welches zuletzt
Dutrochet in Frankreich bearbeitet, wieder aufgenommen und au-
ſser vielen mit Scharfsinn und Originalität behandelten Einzeln-
heiten die wichtige Entdeckung gemacht, daſs das Vogelei, so
lange es dem Eierstocke angehört, in der Mitte der Narbe ein
Bläschen enthalte, welches bei dem Eintritte des Eies in den Ei-
leiter schwinde, wahrscheinlich platze und seinen Inhalt entleere.
Bei niederen Thieren wurde bald ein solches Bläschen ebenfalls
gefunden und auf die Allgemeinheit seines Vorkommens in der
Reihe der Thierwelt mit Recht geschlossen. Allein die Säuge-
thiere, deren erste Entwiekelungsgeschichte zum Theil heute noch
zu den Desideraten der Wissenschaft gehört, schienen hiervon
eine unerklärbare Ausnahme zu machen. Die Aehnlichkeit der
Form der Folliculi Graafiani mit den Eiern des Ovariums der
Vögel hatte schon vor drei Jahrhunderten zur Ueberzeugung ge-
führt, daſs die Eierstöcke der Säugethiere und Vögel analoge Ge-
bilde seyen. Regner de Graaf hatte schon zu Ende des siebzehn-
ten Jahrhunderts aus einer Reihe ausgezeichneter Beobachtungen
mit vieler Wahrscheinlichkeit den Schluſs gezogen, daſs der Fol-
liculus ein sehr kleines Eichen in seinem Innern enthalte, welches
bei dem in Folge der Conception stattfindenden Platzen des Fol-
liculus übergeführt werde. Minder sorgsame Beobachtungen der
Nachfolger und vorzüglich die gewichtige Auctorität Hallers hat-
ten diese Wahrheit verdunkelt, und selbst erneuerte Versuche
[576]Fragmente z. Gesetzlehre d. individuellen Entwickelung.
Haightons schienen gegen den halb vergessenen Graaf zu sprechen,
während ihn freilich die genaueren Beobachtungen Cruikshanks
von neuem unterstützten. So ruhete dieser wichtige Gegenstand
ohne Entscheidung, bis Prevost und Dumas, zwei in jeder Bezie-
hung ausgezeichnete Forscher Frankreichs, die Entwickelung der
Wirbelthiere von Neuem vornahmen. Nachdem sie die Batrachier
und Vögel in dieser Rücksicht behandelt hatten, suchten sie das
schwierige Feld der ersten Evolution der Säugethiere aufzuhellen,
und sprachen bei dieser Gelegenheit mit Bestimmtheit die Ver-
muthung aus, daſs der Folliculus hier ein Ovulum in sich ent-
halte. Unbegreiflicher Weise entging ihnen aber die bestimmte
Beobachtung desselben, wiewohl sie häufig genug Hunde unter
suchten, deren Eichen schon mit bloſsem Auge in dem unver-
letzten Folliculus wahrgenommen werden kann. Dieses Problem,
durch Empirie die Existenz eines Eichens innerhalb des Follicu-
lus nachzuweisen, löste von Bär, welcher seine Entdeckungen
nebst sehr vielen anderen wichtigen und schätzbaren Beobachtungen
in seinem Schreiben an eine Akademie bekannt machte, die den von
Deutschland verkannten und verstoſsenen Caspar Friedrich Wolff
aufgenommen hatte und Pander und Döllinger, so wie Bär selbst zu
ihren Mitgliedern rechnet. Indem er aber das Eichen der Säuge-
thiere mit dem Keimbläschen der Vögel indentificirte, brachte er
neue Verwirrung in die so dunkele Lehre, und so muſste erst in
der neuesten Zeit eine zweite Entdeckung des wahren Keimbläs-
chens der Säugethiere gemacht werden, um die Analogie mit dem
Vogel deutlich und richtig darzustellen. Auſserdem wurden in
den Jahren 1823 — 28 eine Reihe von Vorarbeiten über die Ent-
wickelungsgeschichte der Frucht selbst gemacht, welche in sich
einen gemischten Charakter trugen. Denn indem die Einen mehr
durch idealistische Principien geleitet ihre aus philosophischer
Deduction folgenden Sätze durch Beobachtungen zu bestätigen
oder zu erläutern sich bemüheten, kamen Andere, nur der sinn-
lichen Erfahrung trauend, auf allgemeine Resultate, welche merk-
würdiger Weise mit naturphilosophischen Ideen entweder zu-
sammenfielen oder wenigstens in inniger Verbindung standen.
Jeder weiſs, welche Männer ich hier vorzugsweise nennen muſs,
wenn ich mich nur auf diejenigen beschränke, welche mit beson-
derer Vorliebe und fast ausschlieſslich die Entwickelungsgeschichte
bearbeiteten. Es sind Karl Friedrich Burdach, Karl Ernst von
Bär,
[577]I. Gegensatz zwischen Idealismus und Realismus.
von Bär, Heinrich Rathke und Emil Huschke, deren Leistungen
zwar schon 1820 auf diesem Felde begannen, deren Concentra-
tionspunkt jedoch in das Jahr 1828 fällt. Emil Huschke, ein frü-
herer Schüler Okens und von diesem in naturphilosophische Stu-
dien und Speculationen eingeweiht, suchte in einer Schrift über
die Sinnesorgane seine Ideen, vorzüglich in Betreff des Gehöror-
ganes und zum Theil des Auges durch Momente aus der Entwik-
kelungsgeschichte dieser Theile zu begründen. Untersuchungen
über den Kamm des Vogelauges gaben neue Gelegenheit, die Ent-
wickelung dieses Organes bei dem Hühnchen darzustellen, so wie
Untersuchungen über das Gehörorgan bei Thieren überhaupt, auf
den merkwürdigen Meckelschen Fortsatz bei Embryonen wieder-
um zurückzukommen. Heinrich Rathke hatte zuerst die Entwik-
kelungsgeschichte der Urodelen und Anuren mit Ausführlichkeit
und Gründlichkeit bearbeitet und späterhin seine Forschungen
über alle vier Wirbelthierklassen ausgedehnt, die Verhältnisse der
Wolffschen und Okenschen Körper genauer verfolgt und durch
Abbildungen erläutert. Die Untersuchung von zarten Embryonen
des Schaafes, Schweines und Pferdes hatten ihn zu der wichti-
gen Entdeckung der Kiemenspalten bei Säugethierembryonen ge-
führt, und wider Vermuthen fand er auch bald diese merkwürdi-
gen Gebilde in zeitigen Früchten der Schlangen und Vögel. Die
Anordnung der Kiemengefäſse wurde Gegenstand eines lebhaften
Streites zwischen ihm und Huschke, dessen Folgen, wie die jeder
ächt wissenschaftlichen Discussion, nur ersprieſslich waren und
zu dessen Schlichtung auch zwei Arbeiten von karl Ernst v. Bär
beitrugen. Auſserdem lieferte Rathke in diesem Zeitraume wich-
tige Beiträge zur Entwickelung der Rochen und Hayen und zur
Evolutionslehre der Athmungswerkzeuge in den Vögeln und Säu-
gethieren. Karl Ernst v. Bär hatte in seinem Sendschreiben an
die Petersburger Akademie auſser dem schon oben erwähnten Ei-
chen der Säugethiere die Bildung der gelben Körper, vorzüglich
aber die früheste Entwickelung der Säugethiere mit musterhafter
Genauigkeit beschrieben und abgebildet und die gröſstmögliche
Analogie mit dem Vogel nachgewiesen. Auſser diesem waren von
den beiden zuletzt genannten Naturforschern eine Menge Beobach-
tungen gemacht worden, welche in Kürze wenigstens der bald zu
nennenden Schrift einverleibt wurden. Karl Friedrich Burdach,
seit mehr als einem Viertel eines Jahrhunderts in dem Felde fast
37
[578]Fragmente z. Gesetzlehre der individuellen Entwickelung.
aller naturwissenschaftlichen Disciplinen thätig, hatte zuletzt mit
bewunderungswürdigem Fleiſse eine groſse Arbeit über Hirn- und
Rückenmark vollendet, welche einen Aufwand ausgedehnter und
genauer Lectüre enthielt, wie wenig Werke Deutschlands oder
anderer Völker, ein Vorzug, den man in keiner Burdachschen
Schrift vergeblich sucht. Nun wandte sich dieser ausgezeichnete
Naturforscher an die Bearbeitung der Physiologie, und hatte in
dem Jahre 1826 den ersten über die Zeugung handelnden Band
herauszugeben. Der zweite sollte nun die Entwickelung umfas-
sen. Auſserdem, daſs Burdach eine auſserordentliche Fülle von
Gelehrsamkeit, eine ziemlich bedeutende Zahl von eigenen Beob-
achtungen zu Gebote stand, konnte er noch die hülfreiche Hand
Ernst Meyers für das Botanische und Karl Ernst von Bärs und
Heinrich Rathke’s für das Zoologische benutzen. Die Beiträge
der Letzteren waren aber das Resultat jahrelanger, mühevoller
Forschungen über die wichtigsten Objecte der individuellen Ent-
wickelungsgeschichte. Wir erinnern nur an dasjenige, was Rathke
über den Fluſskrebs, die Fische, die Geschlechtsorgane, den Darm
u. dgl. mehr hier bekannt macht, was Bär über Frösche und vor
allen über Vögel hier lehrte, um anzuzeigen, mit welchem Rechte
man bloſs wegen dieses Werkes das Jahr 1828 als dasjenige an-
sehen kann, in welchem eine neue Aera der Entwickelungsge-
schichte beginnt, wie hier sich die 1817 beginnende vorbereitende
Periode schlieſst, um nun dem eigenthümlichen und selbstständi-
gen Gange der wissenschaftlichen Evolutionslehre Platz zu ma-
chen. Noch in demselben Jahre gab v. Bär die Entwickelungs-
geschichte des Hühnchens mit wenigen Veränderungen gesondert
heraus, begleitete aber diese Beobachtungen durch eine Reihe von
allgemeinen Betrachtungen. Auſserdem feierte er Samuel Thomas
Sömmerings Jubelfeier durch seine oben vielfach genannte Schrift
über die Gefäſsverbindung zwischen Mutter und Frucht. Das In-
teresse für die Entwickelungsgeschichte wurde nun mit jedem
Jahre gröſser und allgemeiner. Zu den oben genannten vier Co-
ryphäen der Entwickelungsgeschichte gesellten sich bald andere,
gröſstentheils durch frühere Arbeiten schon berühmte Naturfor-
scher, welche gleiche Ehre auf diesem Felde zu erwerben sich
bemühten. Joh. Müller beschrieb zuerst die Wolffschen Körper
bei Batrachiern, wo man sie vorher noch nicht gesehen hatte,
bearbeitete ausführlich in einer gesonderten Schrift die Entwik-
[579]I. Gegensatz zwischen Idealismus und Realismus.
kelung der Geschlechtstheile, berücksichtigte stets mit besonderer
Aufmerksamkeit die Entwickelungsgeschichte in seinem Werke
über die Drüsen, beschrieb sehr zeitige menschliche Embryonen,
die Verhältnisse der Netze, machte Beobachtungen über die de-
cidua
, die Lymphgefäſse des Nabelstranges u. dgl. mehr bekannt.
Carus bearbeitete mit vieler Vorliebe die Entwickelung der Schnek-
ken und Muscheln, lieferte in seinen Erläuterungstafeln zur ver-
gleichenden Anatomie Abbildungen von Embryonen der Fische,
seltener Säugethiere u. dgl. mehr. Purkinje verleibte der 1830
erschienenen zweiten Auflage seiner Schrift die neuen von ihm
gemachten Erfahrungen, indem die älteren schon Berthold gröſs-
tentheils bestätigt hatte, ein. Jacobson beschrieb die Okenschen
Körper der Säugethiere nach eigenen Beobachtungen. v. Ammon
bearbeitete die Genese des Auges bei dem Menschen, und Huschke,
unermüdlich in seinen Forschungen über die Sinnesorgane, hellte
die früheste Entwickelungsgeschichte des Auges auf, während er
die Entwickelung des Gehörorganes mit einfluſsvollen Entdeckun-
gen bereicherte. v. Bär machte neue Erfahrungen über das Hären
der Embryonen der Säugethiere und des Menschen, über die Ent-
wickelung der Schwimmblase bei Fischen bekannt. Heinrich
Rathke ging auf der rühmlichst begonnenen Bahn rüstigen Fuſses
fort und machte Beobachtungen über die Entwickelung der Insek-
ten, Crustazeen, Arachniden, über Knochenfische, die Geschlechts-
werkzeuge, die Harnorgane, das Gehörorgan u. dgl. mehr. Mayer
nahm die Untersuchungen über die Nabelblase von Neuem auf,
während Bischoff die Eihüllen des Menschen überhaupt zum Ob-
jecte einer eigenen Schrift wählte. Wir könnten noch viele aus-
gezeichnete Arbeiten hier aufzählen, wenn wir nur mit irgend
einem Grade von Vollständigkeit die vielfachen in die letzten
sechs Jahre fallenden Bemühungen, die individuelle Entwickelungs-
geschichte aufzuhellen, auseinanderzusetzen die Absicht hätten.
Wir wollten aber nur durch einige wenige Züge die Bedeutsam-
keit und Allgemeinheit dieser Richtung anschaulich machen, und
glauben durch diese unvollständige Darstellung unsere Absicht
schon hinlänglich erreicht zu haben. Sehen wir aber auf die
Reihe der oben genannten Naturforscher, so finden wir fast nur
deutsche Namen genannt, die sich um die individuelle, wissen-
schaftliche Entwickelungsgeschichte in der neuesten Zeit verdient
gemacht haben. Wie die Naturphilosophie in ihrem ersten Be-
37*
[580]Fragmente z. Gesetzlehre der individuellen Entwickelung.
ginnen einst Deutschland ausschlieſslich angehörte und erst in
dem zweiten Decennium ihrer Existenz in Frankreich ebenfalls
Wurzel faſste, so scheint auch die scientifische Entwickelungsge-
schichte demselben Schicksale entgegenzusehen. Die französischen
hierher zu rechnenden Arbeiten gehören sämmtlich noch jenem
Geiste an, der die früheren Untersuchungen von Dutrochet, Cu-
vier, Serres u. A. erzeugt hatte, wie die neuesten Arbeiten über
das menschliche Ei von Breschet, Velpeau u. A. hinlänglich zei-
gen. Vorzüglich aber können die Beobachtungen von Coste und
Delpech zu Beweisen dienen, wie diese Naturforscher sich von
schiefen und unrichtigen Ideen, als physikalischen Analogieen,
der Präexistenz des Amnion u. dgl. noch nicht loszumachen ver-
mögen. In England scheint die ganze Entwickelungsgeschichte
noch nicht mit so vieler Liebe, als in Deutschland und Frank-
reich, gepflegt zu werden. Doch zeigt die Arbeit von Themson
über die Entstehung des Gefäſssystemes, daſs der deutsche Geist
der Evolutionslehre auch jenseits des Kanales nicht ganz unge-
kannt ist und auch dort wohl bald seine seegenreichsten Früchte
erndten wird. Dieselben Hoffnungen dürften mit Recht auch von
Italien zu machen seyn. Und wie Frankreich sich die Ehre an-
eignet, daſs die Entwickelungsgeschichte der Thierwelt durch den
Einfluſs und die Bemühung seiner Gelehrten zuerst zur Wissen-
schaft geworden, so kann Deutschland gleiche Ansprüche auf den-
selben Ruhm in Rücksicht der individuellen Entwickelungsge-
schichte machen, die sogar noch verhältniſsmäſsig rascher und
mit relativ geringeren Mitteln in das Leben trat, als die verglei-
chende Anatomie.


Daſs durch diese vielfachen Bemühungen und regen Forschun-
gen das Gebiet der individuellen Entwickelungen seine Grenzen
immer mehr ausgedehnt und erweitert habe, ist leicht zu begrei-
fen, und es giebt fast keine Thierklasse oder kein Thierorgan
mehr, dessen Genese nicht mit mehr oder minder Vollständigkeit
durch die Arbeiten unseres Jahrhunderts bekannt wäre. So ver-
danken wir mannigfaltige Erfahrungen über die Evolutionsge-
schichte der Wirbellosen einem Herold, Rathke, Carus, Joh. Mül-
ler, Ehrenberg, Audouin, Milne Edwards, Strauſs-Dürkheim, Bur-
meister, Owen, Grant, Della Chiaja, R. Wagner u. A., über die der
Fische Carus, Baumgärtner, Prevost und Dumas, Rathke u. A.,
über die der Amphibien Prevost und Dumas, von Bär, Rathke,
[581]I. Gegensatz zwischen Idealismus und Realismus.
Huschke, Siebold, Joh. Müller, Baumgärtner, Tiedemann, Owen
u. A., die der Vögel Purkinje, von Bär, Rathke, Huschke, Bur-
dach, Prevost und Dumas, Pfeil u. A., die der Säugethiere Boja-
nus, Oken, Joh. Fr. Meckel, Rudolphi, Döllinger, Tiedemann, Ca-
rus, Bär, Rathke, Prevost und Dumas, Huschke, Ammon, Henle,
Reich, Rudolph Wagner, Breschet, Geoffroy, St. Hilaire, Coste,
Retzius, Jacobson und noch sehr vielen Anderen. Für die Or-
ganogenese wurden von besonderer Wichtigkeit die Arbeiten von
Oken, Bojanus, J. Fr. Meckel, Purkinje, Carus, v. Bär, Rathke,
Burdach, Joh. Müller, Seiler, Breschet, Raspail, Velpeau, E. H.
Weber, Leo, Burns u. A. über das Ei und die einzelnen Eitheile,
von Bär, Rathke, Burdach, Huschke u. A. über Hirn und Rücken-
mark, von Carus, E. H. Weber u. M. J. Weber über das Ske-
lett, von Bär, Rathke, Huschke, Joh. Müller, Baumgärtners Thom-
son, Owen, Prevost und Dumas, Coste, Delpech, Burdach u. A.
über das Blutgefäſssystem, v. Bär, Rathke, Burdach, Joh. Müller,
G. R. Treviranus u. A. über den Darmkanal, von Rathke, Joh.
Müller u. A. über die Athmungswerkzeuge, von E. H. Weber,
Rathke, Joh. Müller u. A. über die Drüsen, v. Bär, Rathke, Bur-
dach, Huschke, Joh. Müller, Ammon, Gescheidt, Henle, Reich, R.
Wagner u. A. über das Auge u. dgl. m. Kurz fast alle in unse-
rem Zeitalter thätigen und ausgezeichneten Physiologen und Ana-
tomen, welche vollständig anzuführen hier der Ort nicht seyn
kann, haben einen Theil ihrer vorzüglichsten Bestrebungen auf
die individuelle Entwickelungsgeschichte gerichtet, der gegenüber
als anderseitiges Problem die Entwickelungsgeschichte der Thier-
welt, die vergleichende Anatomie steht. Beide zusammen sind
die Grundlagen, auf denen jede wahre und ächte Erkenntniſs der
Natur des thierischen Lebens basirt werden muſs. — So zeigt
sich die Idee der genetischen Beziehungen als das herrschende
Element unserer heutigen physiologischen Leistungen, wie nicht
minder der Gesammtheit alles wissenschaftlichen Strebens unserer
Zeit. In der Naturwissenschaft des thierischen Lebens wird durch
sie das Problem gestellt, nachzuweisen, daſs jedes organische We-
sen, jedes Organ, jeder Organtheil seine bestimmte Eigenthüm-
lichkeit habe und behaupten müsse, daſs aber alle nur, im Gan-
zen wie im Einzelnen, unendliche Metamorphosen der einen und
höchsten Uridee sind. Wenn früher die letztere nur im Allge-
meinen angedeutet wurde, und so ein bloſses Object des speculi-
[582]Fragmente z. Gesetzlehre der individuellen Entwickelung.
renden Geistes war, so machte bald ihr specielleres Verfolgen die
Mannigfaltigkeit empirischer Facta, sowohl schon bekannter, als
noch aufzufindender nothwendig. Und wenn anderseits vollstän-
dig verfolgte Erfahrungen zu allgemeinen, den durch die Idee ge-
wonnenen Schlüssen nicht unähnlichen Resultaten führten, so ist
der schroffe Gegensatz zwischen Idealismus und Realismus um
Vieles geringer geworden. Sie sind beide zu einer höheren Ver-
einigung zum Theil eingegangen und insofern der absoluten Ver-
bindung, die hienieden nie vollständig seyn kann, um einen Schritt
näher getreten. Die vollständigere Erfahrung führt so zu einer
deutlicheren Auffassung des Ganzen, die um so richtiger ist, je
mehr sie aus der innigen und wahren Verknüpfung sicherer em-
pirischer Data hervorgegangen. „Denn der Mensch, als der Die-
ner und Ausleger der Natur, wirkt und erkennt nur so viel, als
er von der Ordnung derselben entweder durch angestellte Ver-
suche oder durch Beobachtung bemerkt hat, und über dieses hin-
aus weiſs und vermag er Nichts. Keine Kraft ist nämlich im
Stande, die Kette der Ursachen aufzulösen oder zu zerbrechen,
und man bemächtigt sich der Natur nicht anders, als dadurch,
daſs man ihr gehorcht.“ — Baco von Verulam. —


II.
Allgemeine Begriffe. — Uridee. — Metamorphosen.


Dem oberflächlichen und Sinne des Menschen erscheint die Natur
als eine Mannigfaltigkeit verschiedener Objecte, von denen jedes
einen gewissen Grad von Unabhängigkeit und Selbstständigkeit
behauptet. Anderseits wird jedoch die Spur eines Zusammen-
hanges durch äuſsere Verhältnisse bald kenntlich. Doch die Idee
eines innig verschmolzenen Ganzen, dessen einzelne Theile auf das
Genaueste sich verbinden, nur in und durch einander bestehen,
mangelt noch gänzlich. Dieses übt natürlich auf den ganzen
Gang der noch auf niederem Standpunkte befindlichen Auffas-
sungsweise einen wesentlichen Einfluſs aus. Denn wenn auch
die lebhafte Anschauung eines in allen seinen Theilen sich wech-
selseitig durchdringenden Ganzen fehlt, so stellt sich doch mit
Erweiterung objectiver Kenntnisse ein um so gröſseres Aggregat
von Erscheinungen dar, die von dem systematisirenden und um-
fassenden Geiste des Menschen als ein Complex angesehen wer-
[583]II. Allgemeine Begriffe. Uridee. Metamorphosen.
den. Allein diese Verstellungsweise bedingt es, daſs der Geist
zwei Ansichten fest hält, welche, so wie er sie auffaſst, schief
und zum Theil unwahr sind. Da ihm der innige und wesentliche
Zusammenhang der Naturerscheinungen entgeht, die Natur selbst
ihm also nicht einmal ein solches Ganze ist und seyn kann, als
seine eigene Persönlichkeit, seine relative Individualität, er selbst für
sich daher schon höher zu stehen scheint, als das All der äuſse-
ren Objectenwelt, so glaubt er den Grund und den Ursprung al-
ler reellen Totalität aus etwas Höherem, für sich Individuellen, Per-
sönlichen ableiten zu müssen. Er stellt daher eine geistige Per-
son über die Welt, welcher sie erzeugt hat, ihre Fortdauer un-
terhält und die Herrschaft derselben besitzt. Diesem scheinbar
höheren Wesen wird nun die Welt als etwas Aeuſserliches un-
tergeordnet, als sein Produkt, sein Werk, seine Freude angesehen,
und auf diese Art unwillkührlich und unbewuſst der höchste, von
aller Relativität zu befreiende Begriff anthropomorphisirt, in nie-
dere, unwahre Verhältnisse hinabgezogen, indem man ihn gerade
zu erheben und von dem angeblich Niederen zu trennen sich be-
müht. Man geht sogar noch weiter. Man sagt zwar, daſs
der höchste Begriff untheilbar sey, verfehlt aber sogleich die
eben ausgesprochene Ansicht, wenn man gleichsam erklärend
hinzugefügt, daſs er eine Unendlichkeit von Eigenschaften in
sich vereinige. Diesem in Rücksicht der Ursachen begange-
nen Irrthume steht aber ein anderer, in Bezug des Zweckes
gemachter vollkommen zur Seite. Man glaubt nämlich, da
die Idee eines innern, wesentlichen Zusammenhanges der äuſse-
ren Objecte noch fehlt, daſs das Eine nur zum Nutzen des
Anderen oder behuſs seiner eigenen Selbsterhaltung existire, daſs
also überall eine gewisse äuſsere Zweckmäſsigkeit, eine weltkluge
Combination der Erscheinungen vorhanden sey — eine nothwen-
dige Folge dessen, daſs man nur das Aeuſserliche in der Natur
aufgenommen und erkannt hat. Diese rein teleologische Richtung
ging Jahrhunderte lang jener anthropomorphisirenden physikotheo-
logischen Ansicht zur Seite, hatte im siebzehnten und achtzehn-
ten Jahrhundert die gröſste Höhe ihrer Ausbildung durch reelle
Kenntnisse erreicht und hallt selbst in unseren Tagen auf eine
merkwürdige Weise, wenn auch nur vereinzelt, von manchen Or-
ten wieder. Zwar ist diese niedere Stufe der Betrachtung für
denjenigen, welcher auf ihr steht, beruhigend genug, weil sie
[584]Fragmente z. Gesetzlehre der individuellen Entwickelung.
Vieles erklärt, die Einsicht des bis jetzt Unerklärten mit einem
gewissen Rechte von der Zukunft erwartet und am Ende nur
ein Räthsel ungelöst läſst, nämlich den höchsten Begriff selbst.
Allein mit ihr ist auch der Knoten eher zerhauen, als gelöst, und
die schwierigsten, aber auch fruchtbarsten Gebiete der höheren
Forschung sind gänzlich abgewiesen, sobald man die Natur als ein
aus der Hand des Schöpfers gekommenes, abgeschlossenes und
fertiges Product ansieht, die einzelnen Realitäten dagegen als Ob-
jecte der höchsten individuellen Weisheit mit dem höchsten
Grade äuſserer Zweckmäſsigkeit begabt seyn läſst. — Dringt je-
doch der Geist tiefer und mit unbefangenerem Blicke in die Ge-
heimnisse der Natur ein, so genügt ihm jene bloſs oberflächliche
und einseitige Betrachtung derselben keinesweges mehr. Die
nächste Folge des eingesehenen Irrthumes und der neu verfolgten
Bahn der Forschung, ist die immer lebhafter aufsteigende Erkennt-
niſs, daſs es nicht bloſs jene äuſsere Zweckmäſsigkeit sey, welche
der Natur inhärire, daſs vielmehr ein innerer, weit höherer Zu-
sammenhang, eine Verbindung, die ihr ganzes Wesen, Inneres und
Aeuſseres, durchdringet und einet, zwischen ihren Objecten Statt
finde. So sinkt nun vor den Augen des Menschen jenes rein te-
leologische Princip in seine untergeordnete, zum Theil unwahre
Stellung hinab. Freilich waren für die verlassene Ansicht der
anzuführenden Beispiele oder Scheinbeweise Viele zu finden, nicht
aber deshalb, weil die Sache an sich so klar gewesen und sich
unmittelbar von selbst ergeben, sondern weil das Aeuſserliche
von dem sinnlichen Menschen immer leichter aufgegriffen wird,
weil es selbst minder Begabten und Einsichtsvollen deutlicher
und zugänglicher ist und aus diesen Gründen auf den Beifall der
Menge mit Gewiſsheit rechnen kann. Was aber auf den ersten
Blick sich kund giebt, ist deshalb nicht immer das Richtige und
eine Idee nicht aus dem Grunde wahr, weil sie leicht, sondern
weil sie sich aus dem Wesen der Objecte nothwendig und, so-
bald die Totalität derselben vollständig erkannt ist, von selbst
ergiebt. Mit der Resignation auf eine bloſs teleologische Erkennt-
niſs der Natur wird die Idee eines höheren inneren Zusammen-
hanges nothwendig gegeben und deren Enthüllung als das höchste
und wichtigste Postulat der Naturwissenschaften gesetzt. Jene
frühere anthropomorphische Vorstellung der Beziehung zu dem
höchsten Begriffe aber räumt nun einer höheren, ideelleren oder
[585]II. Allgemeine Begriffe. Uridee. Metamorphosen.
vielmehr erhabeneren Ansicht den Platz ein, welche nur zu leicht
miſsverstanden und von Gegnern oft nicht ohne Leidenschaftlich-
keit und Partheisucht unrichtig gedeutet wird.


Nun ist die Natur dem so erschlossenen Geiste kein Aggre[-]
gat äuſserer Erscheinungen mehr, sondern das höchste System
zusammenhängender Phänomene, eine wunderbare Verschlingung
unendlicher Glieder, deren Gesammtheit in die absoluteste Ein-
heit eingeht. Wir selbst sind solche einzelne Glieder, solche
scheinbar isolirte, in der Wahrheit aber mit einander verbundene
und an einander gekettete Theile einer höheren Totalität, eines
umfassenderen Organismus. Denn diese letztere Benennung ge-
bührt jedem aus relativ selbstständigen Theilen verbundenen Gan-
zen, welches sich den Schein absoluter Selbstständigkeit anzueig-
nen bestrebt, seinem Wesen nach aber eine nur mehr oder min-
der relative zu erlangen vermag. In dem Reiche der organischen
Wesen giebt sich uns dieser Individualisationstrieb vorzüglich
deutlich kund; daher man auch im gewöhnlichen Wortgebrauche
nicht selten die Ausdrücke Individualität, Individuum nur auf
diese anwendet und mit der Bezeichnung menschlicher Individua-
lität unsere Selbstständigkeit und Abhängigkeit auf gleiche Weise
andeutet. Denn trotz aller scheinbaren Verschiedenheit aller ein-
zelnen Individualitäten ist es doch ein ihnen allen zum Grunde
liegendes Identische, welches sie an einander kettet, aus ihren
Einzelheiten als Allgemeines hervorleuchtet und als solches ab-
strahirt zu werden vermag. Für unsere sinnliche Auffassung ist
zwar jedes Abstrahirte unwahr, weil es unvollständig ist. Allein
die unser ganzes geistiges Wesen beherrschende Methode der Ab-
straction beruht darauf, daſs wir als Individualitäten, Persönlich-
keiten jeder äuſseren Mannigfaltigkeit gegenübergestellt und ent-
gegengesetzt sind, daſs wir eben deshalb über sie erhaben zu
seyn wähnen. Unsere Abstraction ist der geistige Ausdruck un-
serer Individualisationstendenz und wie diese der Widerspruch
des höheren organischen Ganges, so ist jene der Widerspruch der
ihr unterworfenen Objecte. Die Abstraction ist daher unsere
geistige Individualität und steht zur Idee in demselben Verhält-
nisse, wie wir zu dem höheren Ganzen, dessen Theilorganismen
wir ausmachen.


Unser ganzes Wissen, sey es von körperlichen oder geistigen
Dingen, ist, wie wir eben gesehen, etwas Abstraktes, Unvollstän-
[586]Fragmente z. Gesetzlehre der individuellen Entwickelung.
diges und Einseitiges, daher z. Thl. Unwahres, der allgemeinen um-
fassenden Idee Entgegengesetztes. Die Tendenz oder vielmehr das
Princip der Einheit, des einzigen Alles in sich einschlieſsenden
Ganzen haben wir mit der höheren Totalität, dessen Theilorganis-
men wir selbst sind, gemeinschaftlich. Allein die Realitäten sind ver-
schieden, für uns eine gröſsere oder geringere Anzahl sinnlicher Ob-
jecte, deren Erkenntniſs uns immer mehr oder minder mangelhaft
bleibt. Mit der Zahl dieser erkannten Dinge aber wächst einzig und
allein das Materiale unseres wahren Wissens und wenn dieses auch
nie die Natur vollkommen zu umfassen vermag, so vollbringt es
doch dieses um so genügender, eine je gröſsere Menge von Ein-
zelheiten der singulären Objecte wir in ihrem inneren Zusammen-
hange aufgenommen und zu einer umfassenden Einheit verbunden
haben. Der Mangel an empirischen Factis führt zu einer Leer-
heit, in welcher der Forschergeist nie ruhen kann. Daher keine
Erfahrung, und scheine sie noch so unbedeutend und kleinlich,
es in der That ist, sondern das wesentliche Glied einer schon
geoffenbarten oder in Zukunft noch zu enthüllenden Erkenntniſs.


Zunächst ist es nun aber von Interesse, das Verhältniſs des
höheren Ganzen zu den relativen Individualitäten und dieser un-
ter einander zu erforschen. Der Weg, auf dem wir zur Erkennt-
niſs des Allgemeinen, welches allen Objecten zum Grunde liegt,
gelangen, ist für unsere Weise ein durchaus synthetischer. An
und für sich lieſse sich aus der unendlichen Mannigfaltigkeit der
unserer sinnlichen Auffassung sich darbietenden Objecte von uns
keine Ordnung, kein Plan entnehmen. Denn keines derselben
ist dem anderen vollkommen gleich, sondern durch bestimmte
eigenthümliche Merkmahle geschieden. Unser Geist entfernt nur
das Unähnliche und Ungleiche und erzeugt so eine Zahl neben
einander stehender Gruppen, welche eine Reihe in gewissen Cha-
rakteren übereinstimmender Objecte umfassen, wo also die spe-
cielle Individualität der Einzelnen durch die Gruppirung vernich-
tet worden. Das Aehnliche und Gleiche constituirt aber den
Gruppencharakter. Es ist die derselben zum Grunde liegende Idee
und für diese Gruppe oder Abtheilung Uridee. Je höher jene
also ist, einen je gröſseren Umfang sie hat, von um so gröſserem
Umfange auch ist natürlich die Uridee. Allein diese findet sich
nothwendiger Weise in keinem Individuum vollständig realisirt,
da die Charaktere jedes Einzelwesens zahlreicher seyn müssen.
[587]III. Wiss.schaftl. Bearb. d. Th.w. Bed. d. Org. d. Th.
Sie ist in jeder untergeordneten Abtheilung, also auch in jedem
Individuum enthalten, jedoch auf eine specielle, die relative Indi-
vidualität constituirende Weise realisirt und diese verschiedenen
Arten der Realisation nennt man Metamorphosen der Uridee.
Die Relativität beider Begriffe leuchtet von selbst ein. Denn
jede Abtheilung hat ihre relative Metamorphosen und für zwei
einander zunächst stehende Abtheilungen ist Uridee der subsu-
mirten Metamorphose der Metamorphose der subsumirenden gleich.
Die Beschränktheit unserer Erkenntniſs giebt sich hier, wie über-
all, deutlich genug kund.


Auf die uns hier zunächst interessirende Thierwelt angewen-
det, können als Metamorphosen der Uridee die Abtheilungen der
Thierwelt, dann die Thiere, dann die Organe und Organtheile
derselben angesehen werden, und Jedes dieser Dinge muſs seine
bestimmte Metamorphosenreihe durchlaufen. Die Nachweisung
der Letzteren für die Totalität der Thiere ist die Aufgabe der
höheren Zoologie. Nach dem Vorhergehenden könnte dieses Pro-
blem zwar sonderbar scheinen, da die Uridee erst das Resultat
der Erfahrungswissenschaft ist. Allein es ist Charakter unseres
Geistes, dasjenige, welches wir durch Synthese auf Erfahrungs-
wegen gewonnen, als höchsten Satz bei künftigen Beobachtungen
zu Grunde zu legen und wenigstens prüfend und der Correction
halber anzuwenden. Die Realisation der Uridee in den Organen
der Thiere kann aber auf zweifache Weise aufgefaſst werden,
entweder in der Thierwelt überhaupt oder in der zeitlichen Ent-
wickelung jedes einzelnen Thieres insbesondere. Die erstere Auf-
gabe behandelt die vergleichende Anatomie; die zweite, die ganze
Individualität umfassend, die Entwickelungsgeschichte. Die Ur-
idee der Thierheit und des Thieres liegt also allen diesen Disci-
plinen zum Grunde.


III.
Wissenschaftliche Bearbeitung der Thierwelt. — Bedeutung
der Organe der Thiere.


Die Thierwelt besteht aus der Menge der einzelnen, thieri-
schen Individualitäten und jedes von diesen wiederum aus einzel-
nen thierischen Organen. Die Metamorphosen der Uridee, wie
[588]Fragmente z. Gesetzlehre der individuellen Entwickelung.
sie sich gleichzeitig in den verschiedenen Raumverhältnissen dar-
bieten, verfolgte die höhere Zoologie und die vergleichende Ana-
tomie. Diese den beiden Wissenschaften gestellten Probleme sind
aber nicht so einfach, als es auf den ersten Blick den Anschein
haben dürfte. Es giebt zwar gewisse Hauptcharaktere, auf wel-
chen die gröſseren Abtheilungen der Thierwelt in den Systemen
basirt werden, die mit inneren wichtigen Merkmahlen auch äu-
ſserlich leicht kenntliche Zeichen verbinden und auf diese Weise
ziemlich feste und unverrückbare Gruppen abgeben. So die Zer-
fällung der Thierwelt in Wirbellose und Wirbelthiere, und der
letzteren in Säugethiere, Vögel, Amphibien und Fische. Allein
zeigen sich hier schon Schwierigkeiten, jeder einzelnen Form
ihren bestimmten Platz anzuweisen, so häufen sich in der Meta-
morphosenlehre der Organe die Hindernisse um so mehr, je viel-
seitigere und abweichendere Verhältnisse die einzelnen Organe
in ihren Veränderungen behaupten, je gröſser die Aberrationen
in den Metamorphosenreihen der einzelnen Organe unter einander
selbst sind. So ist z. B. der Darmkanal von einer weit allge-
meineren, constanten Bildung, während eine wahre Lungenbildung
in der Reihe der Wirbellosen vielleicht zum Theil bei den Spin-
nen, in der Reihe der Wirbelthiere erst bei den luftathmenden
Amphibien im Ganzen noch unvollkommen hervortritt und in
der Klasse der Vögel einen höheren Grad der Ausbildung erreicht
als in der angeblich höher stehenden Klasse der Säugethiere.
Ein neuer Beweis für die Unvollständigkeit unserer Auffassungs-
weise. Denn wir sehen nach gewissen abstrahirten Merkmahlen
eine Thierklasse für höher stehend, als die andere, an, und wer-
den durch ähnliche Beispiele, als das eben angeführte, nur zu oft
widerlegt. Es hat daher immer etwas Schiefes, wenn wir sagen,
daſs ein Thier höher gestellt sey, als das andere, da in der Regel
die einseitige Rücksicht auf die mehr oder minder Statt findende
Präponderanz der animalischen Organe über die vegetativen bei
solchen Bestimmungen uns leitet.


Für die Realisationen der Uridee in der Thierwelt überhaupt
pflegt man auch den Namen des Typus zu gebrauchen. Wir wol-
len aber diesen Ausdruck nur für die Verwirklichung der Uridee
in den einzelnen Organen benutzen. Wir haben es schon oben
gesehen, daſs das den Urideen nach entworfene System keines-
weges mit den Organtypen correspondirt, sondern daſs jedes von
[589]III. Wiss.schaftl. Bearb. d. Th.w. Bed. d. Org. d. Th.
diesen seinen eigenen, gesonderten Weg gehe. Dieser ist hin-
sichtlich der Typen noch schwieriger zu bearbeiten, als in Rück-
sicht der Thierklassen selbst, nicht bloſs wegen der mühsameren
Auffindung, sondern wegen der oft schwierigen Erkenntniſs eines
bestimmten Organes in einem bestimmten Thiere, weil sich nicht
bloſs äuſsere Form, sondern innere Struktur, Lage, Gröſse, Aus-
dehnung und Verbindung verschieden finden. Die Functionen
bleiben bald durchaus dieselben, bald werden sie zum Theil eben-
falls geändert. Zwei solche Theile können daher nicht immer
mit einander identificirt werden, wiewohl die Uridee in ihnen
dieselbe ist, sie nach demselben Typus gebildet sind. Man sagt
von solchen Organen, daſs sie in den verschiedenen Thieren
gleiche Bedeutung haben. Der Zweck aller höheren vergleichen-
den Anatomie kann daher auch so aufgefaſst werden, daſs sie die
Bedeutung der Organe durch eine möglichst groſse Menge von
Beobachtungen entwickeln und mit ächtem naturwissenschaftlichen
und philosophischen Geiste die Typen der Organisation und der
Organe kennen lehre.


In der Thierwelt suchen wir durch Constitution der Klassen,
Arten u. s. w. die Urideen zu bestimmen. Die gegenseitigen
Berührungspunkte dieser Abtheilungen häufen sich aber, je grö-
ſser die Masse unserer speciellen Kenntnisse wird. Hiernach rich-
tet sich auch die Art unserer Auffassung. Gewöhnt, der Zeit
nach Eines nach dem Anderen kennen zu lernen, tragen wir
diese unsere Perceptionsweise auf die äuſseren Objecte über.
Wir reihen dieselben daher nach einer einfachen Kette an einan-
der und bürden uns so die Vorstellung einer vom Niederen zu
dem Höheren gerade aufsteigenden progressiven Reihenfolge auf.
Die Stufenleiter der organischen Wesen, wie sie besonders im
vorigen Jahrhundert gelehrt wurde, ist die consequenteste Aus-
bildung dieser einseitigen Vorstellungsart. Wenn auch durch die
ungemeinen Fortschritte, welche die Zoologie seit dieser Zeit ge-
macht hat, diese Lehre in ihren Grundfesten erschüttert worden,
so wird unser Geist doch nie ihr ganz fremd bleiben können,
weil sie das Product seiner Natur als relativen Individualität,
seines Bestrebens zu absoluter Individualisation ist.


Den Gang, welchen die Uridee in den unendlichen Metamor-
phosen eines Ganzen durchläuft, nennen wir die Entwickelung
desselben. Es kann diese daher nirgends eine einfache seyn und
[590]Fragmente z. Gesetzlehre der individuellen Entwickelung.
unsere Erkenntniſs derselben wird in geradem Verhältnisse ihrer
Vielseitigkeit vollständiger und richtiger.


Die Idee der Entwickelung findet aber auf verschiedene
Ganze ihre Anwendung und constituirt nach diesen verschiedene
Disciplinen, so z. B. in Rücksicht der Thierwelt die höhere Zoo-
logie, in Rücksicht der organischen Verbindung der einzelnen
Organe in den Thieren die vergleichende Anatomie und in Rück-
sicht der Zeit in dem einzelnen Thiere die individuelle Entwicke-
lungsgeschichte. Alle diese Disciplinen sind aber derjenigen,
welche von dem höheren Ganzen handelt, der Lehre von dem
Leben untergeordnet. Unserem sinnlichen Blicke fehlt jede Ver-
knüpfung dieser scheinbar geschiedenen Disciplinen. Die Ent-
wickelung der Thierwelt, sowohl in Rücksicht der Totalität, als
der einzelnen Organe, ist eine gleichzeitig existirende Mannigfal-
tigkeit verschiedener Objecte, die des individuellen Thieres eine
Reihe in der Zeit erscheinender und wechselnder Zustände des-
selben Objectes. Da aber in dem höheren Ganzen, als dem Ab-
stractum, der Negation der Sinnlichkeit, Zeit und Raum als nie-
dere Verhältnisse untergehen, so bleibt nur die einende und iden-
tische Uridee des Thieres übrig, welche in allen drei Disciplinen
einen und denselben Charakter haben muſs. Wir schlieſsen da-
her hieraus, daſs die Entwickelung der Thierwelt und des indi-
viduellen Thieres in der Uridee durchaus Eines und identisch, in
der sinnlichen Welt der Einzelwesen aber völlig different und
nach verschiedenen Richtungen hin ausgebildet seyen. Zu der
weiteren Ausführung und Anwendung des Gesagten wird sich
bald die erwünschte Gelegenheit darbieten.


IV.
Entwickelung des individuellen Thieres.


Die Tendenz jeder individuellen Entwickelung besteht darin,
aus einem gegebenen Objecte ein bestimmtes, relativ selbststän-
diges, lebendiges Individuum zu machen. Die Gesammtheit der
speciellen Eigenthümlichkeiten des darzustellenden Individuum
ist daher der Zweck derselben, den sie im Laufe ihrer bestimm-
ten Entwickelungszeit erreicht. Hierzu sind aber zwei Dinge
nothwendig, 1. ein wiederum specieller, relativ individualisirter
[591]IV. Entwickelung des individuellen Thieres.
Urstoff und 2. die Uridee des speciellen, darzustellenden, thieri-
schen Individuums, durch welche die von auſsen zu dem Wachs-
thume und der Ausbildung herbeizuführenden Stoffe nach den
bestimmten individuellen Verhältnissen umgeändert werden. Diese
beiden Seiten des Verhältnisses sind in und durch einander be-
dingt. Das Blastem des neuen Wesens muſs schon eigenthümlich
organisirt seyn, um dieses oder jenes Individuum unter den noth-
wendigen, begünstigenden Verhältnissen zu erzeugen. Eine form-
lose, allen beliebigen späteren Individualitäten zum Grunde lie-
gende Materie ist ein bloſses Abstractum des Geistes und existirt
nirgends in der Natur, wo es nur Concreta, mehr oder minder
charakteristische und in einem höheren Ganzen enthaltene Indi-
vidualitäten giebt. Der bestimmte Urstoff wird zu der bestimm-
ten Individualität, doch im Laufe der Zeit, geleitet durch die
Uridee des Thieres überhaupt und der singulären thierischen Indivi-
dualität insbesondere, welches hier in den verschiedenen Zeitmomen-
ten sich eben so kund giebt, als in der Thierwelt überhaupt in dem
räumlichen Nebeneinanderseyn. Nothwendig erscheint aber die
Metamorphose der Uridee in beiden Verhältnissen verändert.
Zwar stehen in beiden Uridee als höchstes Abstractum und Indi-
vidualität als höchstes Concretum einander gegenüber; in beiden
ist die letztere die reale Existenz, die erstere die ideelle Verbin-
dung. In der Thierwelt ist aber der Charakter des speciellen
Thieres bleibend und für jedes specielle Individuum bestimmt
fixirt. In dem Embryo ist der Individualitätsgrad wechselnd,
zeitlich gesetzt. Die Metamorphosen der Uridee des Thieres ha-
ben in der Thierwelt einen bei weitem gröſseren Umfang, eine
gröſsere Mannigfaltigkeit als in denen der individuellen Entwicke-
lungsgeschichte. Alle Zweige derselben sind dort in das Einzelne
verfolgt, alle singulären Momente in einer Reihe verschiedenartiger
Formen fixirt, und jede Abtheilung höherer oder niederer Ord-
nung wird auf das Freieste, Breiteste und Vollständigste nach al-
len Seiten hin ausgeführt und in bestimmten Gestalten dargestellt.
Nicht so in der individuellen Entwickelungsgeschichte. Jede all-
seitige Metamorphosirung der Uridee wird hier durch die Kraft
der bestimmten Individualität gefesselt. Diese ist einziges und
Hauptziel [und] jeder scheinbare Seitenweg ist nur der Vorläufer
der individuellen Bildung dieses oder jenes Theiles, wie es der
darzustellenden Individualität gemäſs ist. Beiden Reihen ist die
[592]Fragmente z. Gesetzlehre der individuellen Entwickelung.
Uridee des Thieres auf gleiche Weise involvirt. Dort wird die
gröſste Mannigfaltigkeit, hier concrete Einheit erstrebt.


Der Keim jedes thierischen Wesens ist von seinem ersten
Momente an eben so bestimmt individuell, als zu jeder späteren
Zeit. Die Annahme, daſs der Embryo der höheren Thiere die
Stufen der niederen Thierwelt durchlaufe, wäre daher dem Satze
völlig gleichzustellen, daſs das thierische Individuum zu einer be-
stimmten Zeit seine Individualität ablegen und mit der eines an-
deren individuellen Wesens vertauschen könnte, welche Annahme
aber seine ganze Existenz als bestimmt Concretes aufheben würde.
Auch läſst sich, wie v. Bär schon treffend bemerkt hat, der Satz,
daſs der Embryo der höheren Thiere die Stufen der niederen
Thierwelt durchlaufen müsse, ohne die irrthümliche Ansicht einer
einfachen aufsteigenden Kette der Wesen nicht denken. Es ist
zwar nicht zu läugnen, daſs bei oberflächlicher Betrachtung ge-
wisse frappante Aehnlichkeiten für diese Ansicht zu sprechen
scheinen, wie die Genese des Herzens und der groſsen Gefäſs-
stämme, die Bildungsgeschichte des Gehirnes, des Skelettes, die
Anwesenheit eines Kiemengerüstes u. dgl. mehr. Allein bei ei-
ner schon etwas genaueren Betrachtung müssen selbst die eifrig-
sten Anhänger der besprochenen Meinung zugeben, daſs die Ue-
bereinstimmung im Ganzen unvollkommen und stets durch ge-
wisse Verhältnisse modificirt sey. Schon der groſse Meckel be-
merkte dieses und seinen Grund, daſs in der Welt der Sinnlich-
keit nur Individualitäten, Einzelnheiten und Verschiedenheiten
existiren, wenn auch die in ihnen liegende Uridee etwas Identi-
sches an ihnen erzeugt. Diese aber wird immer specieller, je
mehr die Entwickelung vorschreitet. So hat der Keim des Hühn-
chens z. B. zwar von Anfang an die Tendenz zur Darstellung
des speciellen Hühnchens in sich, und ist daher schon von jeder
bestimmten, fremden Individualität durchaus geschieden. Allein
anderseits muſs es die verschiedenen Urideen durch immer grö-
ſsere Specialisirungen sich aneignen, gleichsam in Kampf für sie
treten und jede einzelne derselben sich erringen. Daher wird 1.
in frühesten Entwickelungszuständen, wo die einzelne Individua-
lität vor dem concret allgemeinen Charakter weniger hervortritt,
dem ersten Blicke nach die Uridee in den verschiedenen speciali-
sirenden Verhältnissen deutlicher zu erkennen seyn. 2. Diese
wird aber mit dem Zuwachse der Individualitätscharaktere immer
mehr
[593]IV. Entwickelung des individuellen Thieres.
mehr in den Hintergrund treten, weil sie als concret Allgemeines
immer weniger deutlich ausgeprägt ist. Als Beleg möge das
Kiemengerüste dienen. So sollen die höheren Wirbelthiere, z. B.
die Säugethiere zu einer Periode ihrer individuellen Entwicke-
lung Fischkiemen haben. Allein in den Fischen ist das Gefäſssy-
stem derselben vielfach verzweigt und zum Theil in gewissen,
eigenthümlich construirten Anhängen, den Kiemenblättchen, ent-
halten; bei den Säugethieren ist es eine einfach umbiegende Ge-
fäſsschlinge ohne alle weitere Verästelung (mit Ausn. d. ersten s.
o. S. 307). In den ausgebildeten Fischen findet offenbar wahre und
alleinige Athmungsfunction durch die Kiemen Statt; bei den Säu-
gethieren läſst sich die einzige Athmung durch die Kiemen mit
Bestimmtheit läugnen, da einestheils die Dotterrespiration durch
den Gefäſskreis, anderntheils die Eischaalenrespiration durch
das Endochorion zu wichtigeren Athmungsprocessen eingehen u.
dgl. m. Die Kiemen der Säugethierembryonen sind also von
denen der ausgebildeten Fische durchaus verschieden. Allein in
den Embryonen aller vier Wirbelthierklassen findet sich zu be-
stimmten frühen Perioden ihrer Entwickelung eine analoge Kie-
menformation, nämlich eine Zahl von Kiemenbogen, nebst zwischen
ihnen befindlichen Spalten, welche aus dem animalen Theile des Lei-
bes (dem serösen Blatte) in den vegetativen desselben (das Schleim-
blatt) hineindringen und zwischen sich Gefäſsbogen, die von dem am-
biguen Gefäſsblatte kommen, enthalten. Wir schlieſsen daher, daſs
durch die Uridee der Wirbelthiere überhaupt eine solche Durch-
gangsformation bedingt sey. Allein selbst in diesem Punkte treffen
wir noch Ungleichheiten an. Abgesehen von den minder auffallenden
kleineren Differenzen sehen wir, daſs bei den Fischen und vielen Am-
phibien sich fünf Spalten bilden, während die fünfte Spalte in den hö-
heren Wirbelthieren nur durch einen Gefäſsbogen angedeutet wird,
daſs diese fünf Spalten hier gleichzeitig, dort nach einander auf-
treten u. dgl. m. Ein gewisser Grundtypus liegt hier zwar au-
genscheinlich zu Grunde, aber wie die Realisirung desselben in
den speciellen Einzelwesen, so ist auch die weitere Fortbildung
verschieden. Bei den Fischen erzeugen sich knorpelig häutige
Anhänge, die Kiemenblätter, während in dem Kiemengerüste Kno-
chenbogen sich bilden; bei den Fröschen entstehen zwar auch
äuſsere Kiemen oder genauer Kiemenanhänge, diese schwinden
aber bald, während die Kiemenhöhle theilweise oder gänzlich zur
38
[594]Fragmente z. Gesetzlehre d. individuellen Entwickelung.
Paukenhöhle sich umwandelt u. dgl. m. Die Metamorphose der
einzelnen Gefäſsstämme, wie sie in dem zweiten Abschnitte dar-
gestellt wurde, kann noch viele Beweise leicht liefern.


Was hier von den Thierreihen gesagt worden, kann auch
auf die Organe angewandt werden. Es ist die jeder Leberbildung,
wie jedem drüsigten Organe z. B. zum Grunde liegende Uridee
eine möglichst groſse Absonderungsfläche, eine möglichst groſse
Menge secernirender, blind sich endigender Schläuche zu haben,
zwischen denen sich die Blutgefäſsnetze, Nerven, Parenchymkör-
ner, Schleimgewebe u. dgl. befinden. In der concret allgemein-
sten Form erscheint die Leber daher in Gestalt blinder, für sich
bestehender und in den Darmkanal sich öffnender Schläuche.
So sah sie Rathke (Meck. Arch. neue Folge Bd. VI. tab. IV. fig.
5.) bei Insekten, wo sich bald aus ihnen die sogenannten Malpighi-
schen Harn- oder Gallengefäſse entwickeln. So ist auch die erste
Formation der Leber in Amphibien, Vögeln und Säugethieren als
eine Aggregation zweier oder mehrerer blinder Schläuche beob-
achtet worden. Allein bei der Blatta verzweigen sie sich we-
der weiter, noch verbinden sie sich zu einem parenchymatösen
Organe, während in der Regel in den höheren Thieren, allen Wir-
belthieren, sich die beiden zuerst gebildeten Ausstülpungen an ein-
ander legen, indem sie ein Blutgefäſs zwischen sich fassen. Die
Schläuche verzweigen und vermehren sich und constituiren so ein
bisweilen relativ auſserordentlich entwickeltes Organ, wie z. B. in
manchen Mollusken. Den Antagonismus desselben mit den Luftres-
pirationsorganen hat schon Meckel in der Thierwelt, wie in dem
Embryo nachgewiesen. Seine Tendenz zur Zerfällung in mehrere
Abtheilungen findet sich (besonders in dem linken Lappen) in der
Reihe der Säugethiere eben so, wie in dem menschlichen Em-
bryo. Und wie verschieden ist doch die Leber in verschiedenen
Arten, während die Uridee dort in der räumlichen, hier in der
zeitlichen Entwickelung wiederkehrt, dort nach der verharrenden
Individualität modificirt, hier durch die Richtung nach der zu
erreichenden Individualität hin beherrscht.


Endlich kann als letzte [Abtheilung] noch das Geschlecht hier
angeführt werden. Denn dieses steht mit seiner Individualität
zwischen der abstrahirten der Art und der speciellen des Einzel-
wesens. Es ist das zuerst Zusammenfassende, concret Allgemeine.
Beide Geschlechter ruhen aber in einer Uridee. Der Keim ist
[595]V. Metamorphosengang der individuellen Entwickelung.
von Anfang an individuell, mithin auch geschlechtig bestimmt.
Dies zeigt z. B. die schon im zweiten Abschnitte angeführte Er-
fahrung Sömmerings, daſs noch früher, als sich die Differenz des
Geschlechtes durch äuſsere und innere Genitalien kund giebt, der
Habitus des Körpers, die vorherrschende Ausbildung mancher
Theile zwei constante Reihen erzeugen, die mit den künftigen
geschlechtigen zusammenfallen. Allein die beiden zum Grunde
liegende Uridee, das in ihnen enthaltene (und in den Genitalien
besonders hervortretende) concret Allgemeine muſs sich in dem
männlichen Geschlechte eben so zeigen, wie in dem weiblichen
und in jedem nur durch die specielle Individualität modificirt
seyn. Daher ein höherer Typus auch hier, wie Joh. Müller schon
richtig bemerkt, früher dargestellt wird, bevor die singulären
Geschlechter hervorgehen. Die Ansicht, daſs das männliche Ge-
schlecht, als das angeblich höhere, das niedere, früher existirende
weibliche durchlaufen müsse, fällt mit der Meinung zusammen,
welche für das Durchlaufen der Stufen der niederen Thierwelt
streitet. Diese aber, mit welcher nothwendig die Annahme einer
einfachen Kette der Wesen verbunden ist, erreicht ein bloſs äuſse-
res, scheinbar anschauliches Verhältniſs und gleicht so in Rück-
sicht ihrer Einseitigkeit und Beschränktheit dem teleologischen
Principe. Der Weg einer mehr allseitigen Beobachtung ist zwar
dornigter, als der der niederen Vorstellungsweise; die Resultate
der ersteren sind deutlicher und planer, als die der letzteren, da
jene der speciellen denkenden Individualität mehr consonirende
Sätze liefert, eben deshalb aber gerade mehr an dem Aeuſserlichen
hängen bleibt, während diese aller eigenen Persönlichkeit entsa-
gend nur das höhere Ganze nach Kräften zu begreifen und immer
vollständiger aufzufassen sich bemüht.


V.
Metamorphosengang der individuellen Entwickelung.


Wir haben gesehen, daſs die Entwickelung der Thierwelt
die Darstellung der mannigfach sich sub- und coordinirenden
Urideen war; die Entwickelung des individuellen Thieres dagegen
die Individualisation des Einzelwesens aus einer bestimmten, in-
dividuellen Anlage durch eine Reihe von Metamorphosen der Ur-
ideen hervorgehen lieſs; daſs in jener in einer unendlichen Menge
38*
[596]Fragmente z. Gesetzlehre d. individuellen Entwickelung.
von Individualitäten unendliche Metamorphosen der Urideen räum-
lich fixirt, hier in der Zeit gegeben werden. Auf die allseitige
Beziehung jedes Einzelwesens als das Resultat dieses Verhältnis-
ses ist schon oben ebenfalls hingedeutet worden und jede nur
irgend einseitige Vorstellungsweise kann und muſs hier abgewie-
sen werden. In dieser Hinsicht ist der wahre Ausspruch Ba-
cos nicht oft genug einzuschärfen: „Man muſs den menschlichen
Verstand nicht mit Schwingen beflügeln, sondern mit Blei und
Gewicht beschweren, um ihn von jedem voreiligen Sprunge
zurückzuhalten.“ — Nicht die Identität, sondern die Mannigfal-
tigkeit ist hier das Ziel des beobachtenden Naturforschers.


Wäre die Natur eine einfache Kette sich in jeder Rücksicht
progressiv vervollkommender Wesen, so müſste der anfangs un-
bestimmte Keim eine Vollkommenheit nach der anderen, einen
Individualisationscharakter nach dem anderen sich aneignen, bis
die specielle Individualität erreicht ist. Da jenes aber nicht
Statt findet, so kann auch der Gang der individuellen Entwicke-
lung kein so einfacher seyn. Er muſs daher in jeder Beziehung
complicirt und für die sinnliche Beobachtung nicht bloſs progres-
siv, sondern undulirend, bald vor, bald rückwärts schreitend er-
scheinen. Es ist auch in der That nichts häufiger, als daſs Or-
gane und Organtheile in dem Laufe ihrer Entwickelung bald sich
innerlich, wie äuſserlich bedeutend ausbilden, um in der Folgezeit
wiederum von ihrer Mannigfaltigkeit von Eigenschaften zu ver-
lieren, wie z. B. die Lungen, Leber, Nieren, Theile der Genitalien
u. dgl. m. Dieses merkwürdige Verhältniſs aber, welches auf
eine höhere Auffassung unmittelbar leitet, zeugt gerade auch an-
derseits, wie sehr in den ganzen Gang der Entwickelung die
specielle Individualisation eingreift. Formen nämlich, welche der
Individualität eines Thieres, einer Klasse u. dgl. speciell und
charakteristisch angehören, werden, sobald eine im Uebrigen höher
stehende Klasse sie nicht hat, wie in dieser und sey es nur tem-
porär, um wieder rückgebildet zu werden, nicht dargestellt. Ein
Beispiel kann uns in dieser Rücksicht das Lungensystem der Vögel
geben. Während sich bei diesen die Luftsäcke als Anhänge des
Lungensystemes durch den Körper verbreiten, so findet sich bei
Säugethieren zu keiner Zeit des Fötallebens die Spur einer Bil-
dung der Art, welches nothwendig der Fall seyn müſste, wenn die
Säugethiere im Laufe ihrer individuellen Entwickelung durch die
[597]V. Metamorphosengang der individuellen Entwickelung.
Klasse der Vögel durchgehen müſsten. Vielmehr werden bei dem
Hühnchen, wie den Säugethieren die Lungen anfangs relativ sehr
vergröſsert, dann relativ verkleinert, und erst zuletzt, nachdem
sie wiederum an Volumen zugenommen, erscheinen als Anhänge
die Luftsäcke. Die Erklärung ist leicht. Die Bildung der Luft-
säcke ist Individualitätscharakter des Vogels, in seiner Uridee,
nicht aber in der der Säugethiere oder der der Wirbelthiere über-
haupt enthalten. Sie könnte daher in anderen Thierklassen nur
durch Verläugnen der ihr eigenthümlichen Individualität auftre-
ten. Dasselbe ist aber so bei allen charakteristischen Theilen
eines Thieres der Fall.


Dieser eigene Gang der Entwickelung, welcher immer durch
eine sehr enge Specialität der Uridee bedingt wird, vermag uns
auch mit Gewiſsheit den Charakter der Bedeutung eines Organes
in einem bestimmten Thiere nachzuweisen. Denn dieses hat zwei
Arten von Theilen und eben so zwei Arten von Charakteren an
diesen Theilen, 1. concret allgemeine, d. h. solche, welche einer
höheren Uridee angehören und nicht bloſs der bestimmten Thier-
species, sondern einer gröſseren oder geringeren Abtheilung der
Thierwelt zukommen und 2. concret individuelle, d. h. solche,
welche die Individualität nur dieser oder jener bestimmten Spe-
cies charakterisiren. Es versteht sich von selbst, auf welche
Weise sich diese beiden Arten im Gange der individuellen Ent-
wickelung von einander unterscheiden müssen. Da die ersteren
allgemeinere Urideen sind, so werden sie sowohl in einer gröſse-
ren Anzahl von Thieren während der individuellen Evolution er-
scheinen, als auch der Zeit nach früher sich zeigen, als die letz-
teren, welche nur bei der bestimmten Species vorkommen, als
die Vollendung ihrer speciellen Individualität in ihrer Vollkom-
menheit zuletzt und nirgends als Durchgangsformationen auf-
treten.


Wenn daher zwei Organe oder Organtheile in zweien Thie-
ren gleiche Bedeutung haben, so ist es der concret allgemeine
Charakter in denselben, der diese Identität begründet. Indem
nun aber so aus ihnen das concret Individuelle hinweggedacht
wird, darf es zugleich nicht übersehen oder gar geläugnet werden.
Dasselbe gilt auch von den Functionen gleichbedeutender oder
mehr oder minder gleicher Theile in verschiedenen Thieren.
Ueberall ist eine solche Gleichstellung unser Werk, dessen Gegen-
[598]Fragmente z. Gesetzlehre d. individuellen Entwickelung.
bild zwar in der Natur existirt, zu dem sich aber unsere Vor-
stellung eben so verhält, wie die Skizze zu dem ausgeführten
Gemählde. Auch hier also kehrt nur in anderer Form der idea-
listische und realistische Gegensatz vollkommen wieder.


VI.
Specielle Darstellung der Gesetze der individuellen Entwicke-
lung. — Wirbellose und Wirbelthiere.


Uridee und Individualität verhalten sich wie Abstraktes zu
Concretem, wie Allgemeines zu Besonderem, wie Einfaches zu
Zusammengesetztem, wie das höhere Ganze zu den umfaſsten
Theilen. Beide sind aber nothwendig in und mit einander. Die
Uridee allein hätte ohne Individualität keinen Inhalt, wäre
leer und unbestimmt. Eine Individualität ohne Uridee dagegen
wäre etwas Isolirtes, für sich Bestehendes, mit keinem Anderen
Zusammenhängendes und so auch ohne Bestimmtheit, ohne Cha-
rakter. Die specielle, reel existirende Individualität muſs beide
nothwendig in sich vereinigt und verschmolzen enthalten. Es
frägt sich nun aber, welches ist der Gang dieser Verschmelzung
in dem Verlaufe der individuellen Entwickelung?


Der Keim hat einerseits die Bestimmung in sich, ein Thier
von einer gewissen Art aus sich zu entwickeln, anderseits als
relative Individualität, seinen eigenen, gesonderten, individuellen
Charakter zu constituiren. Insofern also in ersterer Beziehung
alle reale Existenz des auszubildenden Thieres noch durchaus ne-
girt ist, keine speciellen Individualisationscharaktere sich in ihm
finden, ist er das abstrakt Allgemeinste. Als individueller Keim
dagegen ist er ganz und gar concret individuell und besteht so
als relatives Ganze aus gewissen subordinirten Organtheilen, den
Hüllen (Chorion, Eihülle), der Fruchtanlage (Keimanlage und nach
geschehener Befruchtung Keimhaut) und den Nahrungsstoffen (Ei-
weiſs und dem in der Dotterhaut eingeschlossenen Dotter). Von
diesen gewinnt durch die Entwickelung zuerst die Keimhaut
überhaupt und dann der centrale Theil derselben insbesondere eine
immer gröſsere relative Individualität. Denn das Leben des Embryo
ruhet auf der Tödtung des selbstständigen Lebens des Eies. In jenem
[599]VI. Specielle Darstellung d. Gesetze d. indiv. Entwickel.
ist aber die Individualität und die Uridee des Thieres überhaupt,
dann der Hauptabtheilung und der bestimmten Reihe der Unter-
abtheilungen bis zu der bestimmten Individualität enthalten.
Der Keim ist von Anfang an selbst individuell, ein Theilorganis-
mus eines bis zu der Art hinab mit der späteren entwickelten
Frucht identischen Ganzen. Die individuelle Entwickelung des
Embryo muſs also einerseits mit der höchsten Uridee anfangen
und zu immer specielleren fortgehen. Sie ist aber deshalb von
Anfang an nichts Allgemeines, sondern eine durchaus specielle
Individualität, wegen der speciellen Individualität des Keimes
selbst. Dieses Verhältniſs ist kein bloſs theoretisch deducirtes,
sondern wird durch die genaueste Beobachtung bestätigt. Der
Primitivstreifen ist die erste Metamorphose der den Embryo des
Thieres aus sich hervorbildenden Keimhaut und als solche eine
Metamorphose, welche die Uridee des thierischen Wesens über-
haupt auszudrücken scheint. Und wie verschieden ist er nicht
in den Wirbellosen, den Crustazeen z. B. und den Wirbelthieren,
und unter diesen wiederum in der Klasse der Amphibien, beson-
ders der Batrachier, und der Vögel. Ja jede Art muſs in diesem
ersten Acte der Bildung ihren bestimmten Charakter haben, wel-
cher unserem mehr auf das Gemeinschaftliche, die Uridee, gerich-
teten Blicke nur zu leicht entgeht. Der weitere Fortschritt der
Bildung wird nun einerseits von weiteren Urideen zu immer en-
geren, anderseits von einer geringeren Zahl von Individualitäts-
zeichen zu einer immer gröſseren derselben übergehen, bis sie
das speciellste zu erreichende Ziel wirklich erreicht hat. Wäre
unsere Eintheilung der Thierwelt eine vollkommen richtige (daſs
sie dieses aber nicht seyn könne, haben wir schon oben gezeigt),
so könnte man den Satz auch so ausdrücken: der specielle sich
z. B. in das Schaaf umgestaltende Keim enthalte zuerst die Ur-
idee des Thieres, dann die des Wirbelthieres, dann die des Säu-
gethieres, dann die des Wiederkäuers, dann die des Schaafes, zu-
letzt endlich dieses oder jenes Schaafes. Er durchliefe in gleichem
Verhältnisse der Vermehrung seiner Individualitätscharaktere im-
mer enger werdende Urideen, bis er endlich die speciellste, die
selbst specielle Individualität ist, erreichte.


Die individuelle Entwickelung beginnt, indem sich der dazu
tauglichen Keimanlage, und zwar dem sich besonders individuali-
sirenden centralen Theil derselben, in seiner speciellen Individuali-
[600]Fragmente z. Gesetzlehre d. individuellen Entwickelung.
tät, die Uridee des Thieres überhaupt aufdrückt. Dieses scheint aber
nach den bis jetzt bekannten Erfahrungen in folgenden Momenten
zu bestehen.


1. Wie jeder höhere Organismus aus Theilorganismen besteht,
diese aber wiederum in einem mehr oder minder innigen Zusam-
menhange stehen, so theilt sich auch die Keimhaut in mehrere
Theile und Blätter, welche bestimmten Complexen von Organsy-
stemen entsprechen.


2. Der Hauptgegensatz in jedem Thiere ist das Verhältniſs
der rein animalen Theile zu den vegetativen. Dieser Gegensatz
spricht sich in der Spaltung des Keimblattes in ein seröses und
mucöses Blatt aus. Wie das Blut beiden Sphären auf gleiche
Weise angehört, so liegt das Gefäſsblatt, wo es gesondert existirt,
zwischen ihnen, bald mehr an das Eine, bald mehr an das Andere
sich anschlieſsend.


3. Das Schleimblatt, als der Repräsentant der vegetativen
Sphäre kommt mit der Hauptnahrungsmasse, dem Dotter in die
innigste Berührung. Sein peripherischer Theil umfaſst denselben,
während sein centraler zunächst in die primäre Bildung des
Darmrohres eingeht.


4. Die Idee der thierischen Individualität ist ein Einfaches,
von Anderen sich Unterscheidendes, welches zwar zwei entgegen-
gesetzte Momente in sich enthält, deshalb aber nicht nothwendig
aus ihnen, wie aus zwei gleichen Hälften zusammengesetzt ist.
Diesen allerersten Act der Individualisation des Embryo stellt
vielleicht der Primitivsteifen zum Theil dar, welcher bei allen
Thieren vorzukommen scheint. Er mag als der Repräsentant des
selbstständig thierischen Wesens überhaupt auch deshalb in dem
rein animalischen Blatte desselben erscheinen, während um die-
selbe Zeit oder bald nachher das Schleimblatt seinen ersten Schritt
zur Embryonalbildung, die Entfernung von dem Dotter, realisirt.


5. Wie die rein animalischen Organe und Functionen die
Thiere vor den anderen organischen Wesen auszeichnen, während
sie z. B. die vegetativen (der Idee nach) mit den Pflanzen gemein
haben, so ist auch die Entwickelung derselben der Zeit nach frü-
her, als die der vegetativen Theile. Ja es ist hier der erste Act
eine selbstständige Entwickelung, die Erzeugung eines neuen Gebil-
des, während es dort nur die Position eines Gegensatzes, eine rein
locale Entfernung ist, während das centrale Schleimblatt sich bloſs
[601]VI. Specielle Darstellung d. Gesetze d. indiv. Entwickel.
faltet und dem Dottersack gegenüberstellt, um ihn als entge-
gengesetztes, fremdes Moment in sich aufzunehmen und sich an-
zueignen.


6. Die einzelnen Organe stehen in demselben Verhältniſs
zu einander und zu dem Ganzen. Wie diejenigen in der Reihe
der Thierwelt, welche gleiche Bedeutung haben, auch ihrer Uridee
nach identisch sind, so entwickeln sie sich auch als primäre oder
secundäre Bildungen aus denselben Blättern der Keimhaut, wel-
ches Reale dieses Urverhältniſs der einzelnen Organe zu einander
am bestimmtesten ausdrückt.


Die gemeinschaftlichen ersten Acte der Bildung und Sonde-
rung der Keimhaut liegen in der Uridee des Thieres überhaupt
so sehr involvirt, daſs sie wahrscheinlich der erste Anfang der gan-
zen individuellen Thierwelt sind. Die sogenannten niederen Thier-
klassen sind hier noch das gröſste Räthsel, weil unsere Zeit ge-
rade hier mehr die Mangelhaftigkeit und Oberflächlichkeit der
früheren Erfahrungen kennen gelehrt hat. Es wird sich sicher
durch möglichst genaue Beobachtungen noch vieles Interessante
und Wichtige ergeben, ja mancher der eben berührten und nach
den jetzigen Erfahrungen für die ganze Thierwelt allgemein gel-
tenden Sätze dürfte eben dadurch seine Correction, Einschrän-
kung, wo nicht gar verdiente Vernichtung finden. Und wenn in
der Reihe der Wirbelthiere genügende Data über einige Arten
aller Klassen derselben in Rücksicht der individuellen Entwicke-
lung vorhanden sind, so wissen wir von der ungeheuren Reihe
der Wirbellosen nur zu wenig. Bloſs einzelne aphoristische Be-
merkungen sind uns zu Theil geworden, und nur über die Klasse
der Crustazeen, Insekten, Mollusken besitzen wir vollkommen ge-
nügende und sicher zu benutzende Untersuchungen. Wenn wir
daher jetzt zur Angabe der Differenzen der individuellen Entwik-
kelung bei Wirbellosen und Wirbelthieren schreiten, so muſs na-
türlich nur von diesem Standpunkte aus der ganze Versuch an-
gesehen und beurtheilt werden. Zur Grundlage dienen einerseits
die hierüber schon gemachten Bemerkungen von Burdach (Phy-
siol. II. S. 602. fgg.), Bär (über Entwickelungsgeschichte S. 244
—245.), vorzüglich aber von Rathke (Fluſskrebs S. 78—90.),
theils nach den Erfahrungen von Ehrenberg, Meyen, Suckow, Bär,
Rathke, E. H. Weber, Carus, Burmeister, Duge’s u. A. und unseren
eigenen Beobachtungen entnommene Schlüsse. Die wesentlichsten
[602]Fragmente z. Gesetzlehre d. individuellen Entwickelung.
und wichtigsten Differenzen zwischen Wirbelthieren und Wirbel-
losen sind in Bezug auf die individuelle Entwickelung folgende:


1. Da der Zeit nach die Uridee des ganzen Thieres sich im-
mer mehr specialisirt, so wird sie natürlich bloſs die allgemein-
sten Verhältnisse durchlaufen, und je tiefer die Entwickelung
hinabsteigt, desto kleinere Sprünge gleichsam machen. So stellt
sich vielleicht allgemein zuerst der Primitivstreifen dar. Seine
unmittelbare nächste Metamorphose ist aber die in den wichtigsten
animalen Theil des speciellen thierischen Leibes. Daher wird sich
bei den Wirbellosen das System der Bewegungorgane, der Extremi-
täten besonders, zuerst entwickeln. Die Wirbelthiere dagegen wer-
den ihr centrales Nervensystem speciell daraus bilden und ihren übri-
gen animalen Theil als Rücken und Bauchplatten nur in der all-
gemeinsten Uridee andeuten. In der Klasse der Wirbellosen ent-
steht also auf diese Weise der Hauptcharakter des Thieres über-
haupt, sein animaler Theil zuerst, in der Klasse der Wirbelthiere
zerfällt sogleich dieser animale Theil, indem sich sein Haupttheil
(centrales Nervensystem und Hülle, Wirbelsäule) besonders her-
vorhildet, sein untergeordneter animaler Theil dagegen nur in der
Uridee angedeutet ist. Organe der willkührlichen Bewegung der
Wirbellosen und der Empfindung der Wirbelthiere sind also die
beiden höchsten Charaktere der beiden Thierreihen überhaupt.


2. Die Uridee zerfällt in eine gröſsere Zahl nächst niederer
Urideen bei den Wirbellosen, als bei den Wirbelthieren. Denn
hier sind einige wenige (nach der allgemeinen Annahme vier)
Hauptklassen, welche sich vielfach individualisiren. Es werden
daher in Bezug auf die Urvorgänge der individuellen Entwicke-
lung weit mehr und weit gröſsere Verschiedenheiten sich finden,
als bei den Wirbelthieren. Rathke.


3. In jeder individuellen Entwickelung setzt sich die indi-
viduelle Keimanlage den Nahrungsflüssigkeiten des Eies entgegen.
Bei den Wirbelthieren ist jene nun eine mehr oder minder be-
grenzte Scheibe, welche auf dem Dotter liegt und von der Dot-
terhaut eingeschlossen wird, später mit dem Verschwinden dieser
Letzteren sich über den Dotter ausbreitet und ihn umfaſst. Bei
den Wirbellosen findet hierin ein anderes Verhältniſs Statt. Wie
dieses aber im Allgemeinen sey, läſst sich bei den zum Theil wi-
derstreitenden Relationen mit Sicherheit noch nicht bestimmen.
So ist es nach den von Herold, Rathke u. A. gemachten Erfah-
[603]VI. Wirbellose und Wirbelthiere.
rungen bei Arachniden und Crustazeen gewiſs, daſs die Keim-
scheibe, ehe sie sich zu dem Embryo umbilde, sich selbst erst in-
dividualisiren müsse (s. oben S. 144.). Sobald dieses geschehen,
bildet sie sich gänzlich zu den Embryonaltheilen um. Nach
den Beobachtungen von Carus, Stiebel u. A. zu schlieſsen,
scheint auch etwas Analoges, wo nicht Identisches bei den
Mollusken vorzukommen. Nach einer Reihe über die Entwik-
kelung des Blutegels gemachter Erfahrungen sprach E. H. We-
ber sich dahin aus, daſs, während die Keimhaut der Wir-
belthiere beschränkt und gewissermaſsen unabhängig von dem
Dotter sey, diese ihn bei den Wirbellosen gänzlich umschlieſse,
ja bei dem Blutegel insbesondere sogar erst erzeuge. Doch halten
Carus und R. Wagner dasjenige, welches E. H. Weber für den
Keim ansieht, für Dotter. Gerade dieser so schwierige Theil be-
dürfte der genauesten und bestimmtesten Beobachtung.


4. Die Lage der Keimhaut zu dem Dotter, welche besonders
während des Verlaufes der Entwickelung deutlich wird, bedingt
einen Fundamentalunterschied. Wir verdanken diesen wichtigen
Satz, von dessen Richtigkeit die Entwickelung jedes Crustazeen-
eies leicht überzeugen kann, vorzüglich Rathke und nächst ihm
Bär, Burdach und E. H. Weber. Wir wissen, daſs das seröse
Blatt gegen die Dotterhaut, das mucöse Blatt dagegen gegen den
Dotter hin liegt. In der Reihe der Wirbelthiere entsteht nun in
der gegen die Dotterhaut zugekehrten Seite des serösen Blattes
das centrale Nervensystem, und die Extremitäten laufen bald dem
unteren centralen Rohre, mithin dem Schleimblatte, parallel. Die
Bauchplatten umfassen den embryonalen Theil des Schleimblattes,
und so kommt der Dotter unter dem Embryo an der Bauchseite
desselben zu liegen. Nicht so bei den Wirbellosen. Die Extre-
mitäten derselben befinden sich nicht in einer dem Schleim-
blatte parallelen, sondern demselben entgegengesetzten Richtung.
Der Dotter liegt also über dem Embryonaltheile, wegen welcher
Lage die Einfügung der Extremitäten hier nach unten gewandt,
also an der Bauchseite ist; der Dotter liegt daher bei den
Wirbellosen über, bei den Wirbelthieren unter dem Embryo.
Vgl. oben S. 147.


5. Der Dotter der Wirbelthiere wird nie unmittelbar in den
Embryonalkörper verwandelt, sondern sein Sack bleibt mit der
primären Bildung des Schleimblattes in unmittelbarer Verbindung,
[604]Fragmente z. Gesetzlehre d. individuellen Entwickelung.
und er schwindet entweder lange vor Beendigung des Fruchtle-
bens gänzlich oder wird zuletzt in den Leib des Embryo aufge-
nommen. Bei einem Theile der Wirbellosen wenigstens scheint
er unmittelbar in die Körpermetamorphose einzugehen, welchen
Punkt jedoch noch künftige Erfahrungen näher erläutern müssen.
Wenigstens ist aber der Gegensatz zwischen ihm und der Keim-
haut durchaus nicht so bestimmt und in der Bildung fixirt.


6. Wir haben es in dem zweiten Abschnitte gesehen, daſs
in der Keimhaut der Wirbelthiere ein oberes und ein unteres
Rohr entstehe, welche beide von der Mittellinie ausgehen.
Das obere hat seine Schluſslinie nach der Rücken-, das un-
tere nach der Bauchseite zu. v. Bär nannte daher diese Art
der Entwickelung eine Evolutio bigemina. Bei den Wirbelthie-
ren findet sich nur ein einfaches Rohr, welches von der unterhalb
des Dotters liegenden Mittellinie ausgehend diesen umfaſst und
über ihm an der Rückenseite sich schlieſst. v. Bär nennt dieses
daher Evolutio gemina. — Dieses Verhältniſs könnte vielleicht
vollständiger noch auf folgende Art aufgefaſst werden. In der
Klasse der Wirbelthiere giebt es drei röhrige Gebilde: 1. Das
begrenzende und umschlieſsende Hautrohr, welches 2. das obere
Centralrohr und 3. das untere Centralrohr umfaſst. Aus dem
oberen entstehen die mehr animalen, aus dem unteren die mehr
vegetativen Organe. Die Extremitäten wachsen aus der Mittel-
linie zwischen beiden hervor und drängen den früher über ihnen
liegenden Theil des Hautrohres vor sich her, so daſs dieses auch
sie, wie den übrigen Körper, einhüllt. Ihre Eutstehung gehört
aber hier im weitesten Sinne des Wortes zu den Hervorstülpungs-,
zu den Verdickungsbildungen. Nicht so bei den Wirbellosen.
Hier findet sich nur eine einfache Umschlagung, welche zwei
Röhren (der Idee nach) concentrisch in sich enthält. Das innere
Rohr ist Höhlung des Schleimblattes, welche den Dotter in sich
aufnimmt. Das äuſsere Rohr tritt in die Bedeutung des Haut-
rohres, ist aber hier nicht bloſse Umschlieſsung, sondern enthält
die vorzüglich animalen Organe. Ja das Verhältniſs kann sogar eini-
ges Licht auf die Natur der beiden Thierabtheilungen überhaupt wer-
fen. Abstrahiren wir nämlich von dem unteren, gröſstentheils dem
Schleimblatte angehörenden Centralrohre, wie dieses auch bei dem
inneren Rohre der Wirbellosen der Fall ist, so haben wir das
obere Centralrohr als ein Gebilde, aus welchem die sensiblen Cen-
[605]VI. Wirbellose und Wirbelthiere.
tralsysteme des Wirbelthieres nebst ihren Hüllen entstehen und
das Hautrohr (die Fleischschicht und die Bildungsmasse für die
Extremitäten kommen dann zu diesem hinzu) für die animalen
Functionen, für willkührliche Bewegung. Wir haben also dann 1.
unteres Centralrohr, Repräsentant der vegetativen Organe, 2. obe-
res Centralrohr, Repräsentant der rein sensiblen Organe und 3.
Hautrohr, Repräsentant der motorischen Organe. Bei den Wir-
bellosen dagegen haben wir 1. inneres Rohr, Repräsentant der
vegetativen Organe und 2. äuſseres Rohr, Repräsentant der rein
animalen Organe. Diese sind aber vorzüglich noch rein motorisch
und die sensiblen erscheinen ihnen mehr untergeordnet, mehr in
ihnen. Daher verwandelt sich auch der bei Weitem gröſste Theil
dieser Abtheilung der Keimhaut in die der willkührlichen Bewe-
gung bestimmten Organe. Der Unterschied der specielleren Me-
tamorphosen hat in eben diesen Verhältnissen seinen Grund. Bei
den Wirbelthieren sondert sich das Hautrohr als Haut von der
von ihm umfaſsten Fleischschicht. Die Skelettgrundlage der Letz-
teren legt sich an und um die beiden Skelettröhren des oberen
und unteren Centralrohres. Bei den Wirbellosen wird die nach
auſsen gekehrte Oberfläche des äuſseren Rohres der Keimhaut
nicht bloſs zur äuſseren Haut, sondern zu dem Stützpunkte der
motorischen Organe, zum Skelette. Die Fleischmasse liegt also
hier innerhalb desselben, wie sie bei den Wirbelthieren auſserhalb
desselben sich befindet. Die Extremitäten erscheinen bei den
Wirbelthieren als Ausstülpungsbildungen, ausgehend von der Mit-
tellinie des oberen und unteren Centralrohres. Bei den Wirbel-
losen sind sie wahre Einfurchungsbildungen; und so kann man in
der ganzen Reihe der motorischen Organe der Wirbellosen den
Gang als einen von auſsen nach innen, bei den Wirbelthieren von
innen nach auſsen sich richtenden bezeichnen.


7. Bei den meisten Wirbellosen entsteht in der Keimhaut nicht
ein Gegensatz zwischen centralem Embryonaltheile und peripheri-
schem Hüllentheile, sondern sie geht ganz in die Bildung des Embryo
ein. Der Erstere aber findet bei allen bisher untersuchten Wir-
belthieren mit Ausnahme der Batrachier und z. Th. der Fische
Statt. Dieser Unterschied ist also nicht durchgreifend.


8. Die Keimhaut spaltet sich bei Wirbellosen sowohl, als
bei den Wirbelthieren zunächst in ein seröses und ein mucöses
Blatt, zwischen welchen nun früher oder später ein drittes, das
[606]Fragmente z. Gesetzlehre d. individuellen Entwickelung.
Gefäſsblatt, sich findet. Rathke vermuthete, daſs dieses letztere bei
dem Krebse sich mehr an das seröse, bei den Wirbelthieren an das
Schleimblatt halte. Bei den Letzteren mit Ausnahme der Cy-
clostomen und Cyprinen trenne es sich zum Theil als Gekröse,
welches R. mit v. Bär u. A. von dem Gefäſsblatte herleitet. Er
erklärt auch hieraus das besondere Verhältniſs der Leber beider
Thierabtheilungen. Da dieser als Ausstülpungsbildung des Schleim-
blattes die Gefäſsschicht fehlt, so erscheinen ihre Blinddärmchen
frei und ohne verbindendes gefäſsreiches Parenchym. — Wie ver-
hält es sich mit der Leber der Mollusken? —


Dieses sind die wichtigsten, aus den bisherigen Erfahrungen
herzuleitenden Differenzen der Totalität des Embryo oder der Keim-
haut. Wir gehen nun zu den wesentlichsten Unterschieden, welche
durch die Organe und Organsysteme bedingt werden, über.


9. Bei den Wirbelthieren bildet sich an dem oberen Cen-
tralrohre zuerst eine solide Masse nach auſsen und ein flüssiger
Stoff im Innern. Dieser letztere verwandelt sich in die Central-
theile des Nervensystemes, während die erstere zur Wirbelsäule
wird. Bei den höheren Wirbellosen tritt der Bauchganglienstrang
als der Repräsentant des centralen Nervensystemes von Anfang
an in solider Form auf, und zwar nach Rathke und E. H. We-
ber so, daſs die einzelnen Knoten schon durch dünnere Fäden
verbunden sind, also selbst abweichend von der Entstehungsart,
welche wir an dem sympathischen Nerven der Wirbelthiere zu
beobachten Gelegenheit hatten. Auch entsteht Hirn und Rücken-
mark, wie das obere Centralrohr überhaupt, in der oberen, von
dem Dotter abgewandten Hälfte, der Ganglienstrang der Wirbel-
losen mehr in der unteren Hälfte des serösen Blattes. Ueberhaupt
herrscht das rein sensible Centralsystem in der Klasse der Wir-
belthiere während der ganzen Zeit der Entwickelung, am deut-
lichsten aber in den ersten Stadien derselben, nicht nur vor den
übrigen Metamorphosen vor, sondern scheint auch nicht ohne Ein-
fluſs auf manche wichtige Metamorphosen der anderen Blätter
überhaupt (wiewohl gerade in dieser Rücksicht sehr Vieles ohne
allen wahren Erfahrungsgrund behauptet worden ist und noch be-
hauptet wird) zu seyn. Bei den Wirbellosen tritt der Ganglien-
strang in ein mehr untergeordnetes Verhältniſs zurück, und so-
wohl der Masse als der Bedeutung nach ist es der motorische
Theil des Leibes, welcher das Uebergewicht hat.


[607]VI. Wirbellose und Wirbelthiere.

10. In der Klasse der Wirbelthiere entstehen vermöge ihrer
eigenthümlichen Evolutio bigemina zwei nach oben gehende
Rücken- und zwei nach unten gehende Bauchplatten; bei den Wir-
bellosen sind dem Typus nach nur zwei von der Bauch- nach der
Rückenseite gehende Platten, welche ihrer Bedeutung nach als
bloſse Bauchplatten angesehen werden müssen, vorhanden. Die
Wirbelthiere haben, um mich dieses zweideutigen und ungeschick-
ten Ausdruckes zu bedienen, keinen wahren Rücken, sondern bloſs
die Tendenz einen solchen zu bilden. Sie sind ein umgekehrtes
unteres Centralrohr, von einem einfachen Hautrohre umgeben.


11. In der Mittellinie zwischen oberem und unterem Cen-
tralrohre und unter dem Hautrohre entstehen bei den Wirbel-
thieren die Extremitäten wenigstens allgemein in den drei höhe-
ren Klassen derselben, und so viel ich sehen konnte, auch in den
Fischen. Sie sind dann von oben nach unten gerichtet, und in
einem idealen Querdurchschnitte ginge ihre ideale Richtungslinie
dem Durchschnitte des Dotters parallel. Wenn man den Embryo
der Wirbelthiere sich so gelagert denkt, daſs der Dotter unter
ihnen liegt, so ist parallel dieser nach unten gerichteten Lage des
Dotters auch die der Extremitäten auf gleiche Weise nach unten
gewandt. Bei den Wirbellosen ist das Verhältniſs anders. Wir
müssen nach dem unter No. 4. Angeführten diese Thiere als un-
ter dem Dotter liegend uns denken. Es müſste daher, wenn
diese eine gleiche Lage zu den Nahrungsflüssigkeiten des Embryo,
wie in den Wirbelthieren hätten, ihre Richtung hier nicht, wie
in den Wirbelthieren von oben nach unten. sondern ebenfalls von
unten nach oben seyn. Allein die Gliedmaaſsen des wirbellosen
Thieres sind dessenungeachtet ebenfalls von oben nach unten und
innen gerichtet, dem Dotter nicht parallel, sondern abgewandt,
nicht über oder neben dem Dotter, sondern unter demselben. — Man
kann vielleicht dieses merkwürdige Verhältniſs auf einen höheren
Standpunkt zurückführen. Bei den Wirbelthieren herrscht das sen-
sible Centralorgan vor und das System der motorischen Organe ist
von untergeordnetem Verhältnisse. Es zerfällt daher die Reihe
der Metamorphosen des serösen Blattes, als der rein animalischen
Organe, in ein oberes Centralrohr für das centrale Nervensystem
und ein unteres Centralrohr. Zwischen beiden stehen die Extre-
mitäten, einerseits die Hauptträger der Bewegung, anderseits die Re-
präsentanten eines eigenen Sinnes. Bei den Wirbellosen sind die
[608]Fragmente z. Gesetzlehre d. individuellen Entwickelung.
motorischen Organe die vorherrschenden. Sie suchen daher ein ei-
genes Rohr zu bilden. Wie in der Klasse der Wirbelthiere das
obere Centralrohr sich dem unteren als dem das Rohr des Schleim-
blattes unmittelbar einschlieſsenden entgegensetzt, so nehmen die
in ihrer Tendenz wenigstens die Röhrenform darstellenden Extre-
mitäten eine dem das Schleimblatt und den Dotter unmittelbar
umschlieſsenden Rohre entgegengesetzte Form an. Es ist also
auch bei den Wirbellosen die Neigung wenigstens ausgedrückt,
ein zweites Rohr zu bilden, welches dem repräsentativen anima-
lischen Organsysteme oder Complexe angehört und entgegengesetzt
von dem Schleimblattrohre sowohl, als dem dasselbe parallel um-
schlieſsenden Rohre des serösen Blattes ist. Es tritt nur der Fun-
damentalunterschied ein, daſs, da diese Bildung das Hauptsystem
der animalischen Organe unmittelbar angeht, sie in den Wirbel-
thieren die sensiblen, in den Wirbellosen dagegen die motorischen
Organe betrifft.


12. Was wir eben von den Extremitäten gesagt haben, läſst
sich auch mit einigen Modificationen von dem Kopfe und dem
Schwanze behaupten. Die Lagerungsverhältnisse sind durchaus
dieselben. Nur darin findet noch ein Unterschied Statt, daſs,
während bei allen Wirbelthieren sich der Kopf und Schwanz nicht
bloſs mit ihrem serösen Antheile, sondern mit der Keimhaut über-
haupt von dem Dotter und dem ihn überziehenden Theile der
Schleimhaut abschnüren und entfernen, dieses wenigstens bei den
Crustazeen nur mit dem Schwanze der Fall ist. Die gröſsere
Macht der vegetativen Organe giebt sich auch hier deutlich zu
erkennen.


13. Das Gefäſsblatt. Daſs dieses sich vorzüglich nach den
Angaben von Rathke bei den Wirbellosen mehr an das seröse,
bei den Wirbelthieren mehr an das mucöse Blatt anschlieſse, ha-
ben wir schon oben berichtet. Vieles hierüber muſs noch die
künftige Forschung aufhellen und die genaueste an Durchschnitten
vorgenommene Untersuchung über die erste Bildung des Gekröses
der Wirbelthiere wird hier nicht wenig zu entscheiden im Stande
seyn. Von eben solcher Wichtigkeit dürfte es seyn, die Lage
des Herzens nach allen seinen Metamorphosen zu verfolgen. Es
scheint sich immer gegen die Schluſslinie desjenigen röhrigen Ge-
bildes zu richten, welches dem Schleimblattrohre parallel geht.


14. Das Schleimblatt kommt bei allen Thieren mit dem
Dot-
[609]VI. Wirbellose und Wirbelthiere.
Dotter in innige und unmittelbare Verbindung. Bei den Wirbel-
thieren schnürt sich der centrale Theil desselben, der Embryonal-
theil, mehr oder minder von dem peripherischen Theile, dem Dot-
tertheile, ab und begrenzt sich von ihm, wenn auch der Dotter
selbst innerhalb der Bauchplatten, d. h. des serösen Antheiles,
des unteren Centralrohres aufgenommen wird. Bei den Wirbel-
losen fehlt diese bestimmte Begrenzung, wie überhaupt die stren-
gere und durchgeführtere Scheidung von centralem und periphe-
rischem Theile der Keimhaut. Der Dotter wird so bei ihnen im
Laufe der Entwickelung zu einem wahren Körpertheile des Em-
bryo, bei den Wirbelthieren dagegen in den Embryonalkörper
mehr als ein fremder von einer eigenen Hülle umgebener Eitheil
aufgenommen. Bei den Säugethieren bleibt er sogar immer von
dem Embryonalkörper geschieden.


15. Die Verbindung des Dotters mit dem Darmrohre ist in
der ganzen Reihe der bis jetzt untersuchten Wirbelthiere eine
Stelle der dünnen Gedärme, bei Vögeln, Säugethieren und dem
Menschen die frühere Umbiegungsstelle derselben. Anders ist die-
ses jedoch bei den Wirbellosen. Es fehlt entweder jene innige
an einer bestimmten Stelle concentrirte Verbindung ganz oder sie
findet sich an anderen Orten, als an einem bestimmten Punkte
des Mitteldarmes. Die interessanteste der Art, welche schon
Aristoteles und Cavolini gekannt, v. Bär und Burdach aber be-
zweifelt haben, hat Carus in neuester Zeit durch treffliche Zeich-
nungen erläutert, wiewohl Cuviers Beobachtungen noch manchen
Zweifel hierüber rege werden lassen. Es ist dieses in der Klasse der
Cephalopoden beiden Sepien, wo die Einmündungsstelle der Mund
selbst ist oder vielmehr eine ihm nahe anliegende Stelle. Carus
sagt bei dieser Gelegenheit: „Wenn ich übrigens früher an meh-
reren Orten die Mollusken als die Bauchthiere bezeichnet habe,
so frage ich, was kann diese Bedeutung der Klassen vollkom-
mener rechtfertigen, als daſs selbst in der höchsten Form der-
selben, den Cephalopoden, der Kopf insofern sich doch nicht
über die Bedeutung des Bauches erhob, als er eben so dem übri-
gens hier zuerst von dem Embryo sich bestimmter absondernden
Dotter den Eingang in den Nahrungskanal verstattet, wie dies in
den Thieren, welche ich Kopfthiere nenne, d. h. in Fischen, Lur-
chen, Vögeln und Säugethieren, durch die eigentliche Bauchge-
gend geschieht.“


39
[610]Fragmente z. Gesetzlehre d. individuellen Entwickelung.

16. Wenn zwar im Laufe der individuellen Entwickelung
eines jeden organischen Wesens manche Theile vorzüglich ausge-
bildet und kürzere oder längere Zeit darauf wiederum rückgebil-
det werden, so zeigen sich doch in dieser Beziehung in der Klasse
der Wirbellosen so auffallende Veränderungen, wie in keinem der
bis jetzt untersuchten Wirbelthiere. Merkwürdiger Weise wer-
den aber hier fast alle diese Metamorphosen durch den in der
Physiologie der Pflanzen und der Thiere gleich wichtigen Häutungs-
proceſs vollendet. Hierher gehört z. B. das Verschmelzen von
früher gesonderten Ganglien, die so bedeutende Verwandlung des
äuſseren Habitus, vorzüglich der Extremitäten, so daſs der Em-
bryo oder das junge Thier dem ausgebildeten Thiere ganz und
gar nicht ähnlich sieht, wie besonders in neuester Zeit die schö-
nen Beohachtungen von Nordmann und Burmeister gelehrt haben.
Das Ablegen von früher existirenden Sehorganen, welches Ehren-
berg beobachtet hat, ist wegen der hohen Dignität der Sinnes-
werkzeuge überhaupt noch merkwürdiger fast, als das von Thom-
son u. A. wahrgenommene Factum, daſs Thiere, welche die übrige
Zeit ihres Lebens einer jeden weiteren Locomotion ermangeln, als
Embryonen frei herumschwimmen. Doch läſst sich anderseits nicht
läugnen, daſs wenigstens analoge Erscheinungen auch bei den Wir-
belthieren vorkommen, wie z. B. die Metamorphosen der Kiemen,
der Extremitäten, der Batrachier u. dgl. m. Auch haben Embryo-
nen des Maulwurfes nach meinen Beebachtungen relativ um so
gröſsere und ausgebildetere Augen, je jünger sie sind.


Wir haben hier die wichtigsten nach den bisherigen siche-
ren und wissenschaftlichen Erfahrungen zu entnehmenden Unter-
schiede der individuellen Entwickelung bei Wirbellosen und Wir-
belthieren hervorgehoben. Künftige Beobachtungen werden noch
Vieles berichtigen, Manches aufhellen, Manches hinzufügen, Man-
ches in besserem Lichte darstellen. Vor Allem muſs noch die
Entwickelungsgeschichte der Wirbellosen mehr im Zusammen-
hange untersucht und aufgefaſst werden, wenn die vielen Lücken
unseres Wissens in dieser Rücksicht einigermaſsen ausgefüllt wer-
den sollen. Die obige Darstellung ist nach folgenden Werken,
zum Theil aber auch aus eigenen Erfahrungen, welche wir an ei-
nem anderen Orte speciell erzählen werden, entnommen.


Wichtigste Quellen. — M. Herold Untersuchungen über die
Bildungsgeschichte der wirbellosen Thiere im Eie. 1824. fol. —
[611]VI. Wirbellose und Wirbelthiere.
Carus von den äuſseren Lebensbedingungen der weiſs- und kalt-
blütigen Thiere. Leipz. 1824. 4. u. Nov. Act. N. C. Tom. XV.
— Rathke in der Isis. 1825. — K. E. v. Bär über Entwickelungs-
geschichte der Thiere. 1828. 4. S. 245. fgg. — Burdach die Phy-
siologie als Erfahrungswissenschaft. Zweiter Theil. 1828. 8. S.
417. 603. u. a. v. a. O. — E. H. Weber in Meck. Arch. 1828.
S. 366—418. u. 424—436. — H. Rathke über die Bildung und
Entwickelung des Fluſskrebses. 1829. fol. S. 78—80. — Cuvier
in Ann. des sc. nat
. 1832. Mai p. 69.


Aus dem oben Dargestellten sowohl, als aus anderen consta-
tirten physiologischen Sätzen lassen sich folgende allgemeine De-
ductionen machen:


1. In jedem Thiere findet sich ein Gegensatz zwischen ve-
getativen und animalen Organen.


2. Die animalen Organe und Functionen zerfallen im Ganzen
in sensible und motorische.


3. Die vegetativen Organe gehören gröſstentheils dem Schleim-
blatte, die animalen dem serösen Blatte an.


4. Die vegetativen Organe sind in den Embryonen aller
Wirbelthiere zu einer nach den einzelnen Klassen bestimmten
Zeit der Entwickelung mit dem Dotter in naher Verbindung. Bei
den Wirbellosen wird dieser integrirender Körpertheil; bei den
Wirbelthieren dagegen wie ein fremder Theil in den Körper aufge-
nommen oder entfernt sich im Laufe der Entwickelung immer
mehr von diesem, wie bei den Säugethieren.


5. Das Schleimblatt schnüret sich bei den Wirbelthieren von
dem Dotter ab, bleibt dagegen bei der gröſsten Zahl der Wir-
bellosen organisch mit ihm verbunden. Die Verdauungsorgane
der Wirbelthiere haben also ihrer individuellen Entwickelung
nach eine höhere Selbstständigkeit, als die der Wirbellosen.


6. Ein Fundamentalunterschied der Wirbellosen und Wirbel-
thiere scheint der zu seyn, daſs bei den ersteren die motorischen
Organe und Functionen vorzüglich ausgebildet, die sensiblen da-
gegen mehr zurückgedrängt, zum Theil fast annulirt sind. In den
Wirbelthieren entwickelt sich das sensible Centralsystem zum
Hauptsysteme des Körpers und die motorischen Organe haben
eine mehr untergeordnete Wichtigkeit und Bedeutung. Diesem
gemäſs lagert sich auch Hirn- und Rückenmark an die obere
Hälfte des serösen Blattes und ein Theil der motorischen Organe
39*
[612]Fragmente z. Gesetzlehre d. individuellen Entwickelung.
an die untere Hälfte desselben. Die Extremitäten stehen zwi-
schen beiden, einerseits als Bewegungs-, anderseits als Sinneswerk-
zeuge. Ja dieser Unterschied spricht sich überall im Erwachsenen
in der Differenz zwischen hinteren (oberen) und vorderen (unte-
ren) Nervenwurzel als Leiter der Empfindung und Bewegung
deutlich genug aus.


Die nun am Nächsten liegende Foderung wäre die, Vergleiche
unter den einzelnen Klassen der Wirbelthiere sowohl, als der
Wirbellosen anzustellen. Allein hierzu sind, wie man wohl sa-
gen kann, bei dem jetzigen Stande der Wissenschaft kaum einige
Vorarbeiten geliefert. Eine Darstellung der Unterschiede selbst
müſste noch zu viele Hypothesen enthalten, da wir in manchen
Klassen die Entwickelungsgeschichte eines einzigen Thieres nur
und selbst diese nicht vollständig besitzen. Wir gehen daher zu
den Theilorganismen des individuellen Thieres, seinen Organen,
unmittelbar über.


VII.
Genese der Organe.


Das Folgende ist das Resultat der im zweiten Abschnitte
vorgetragenen Beobachtungen und mit möglichster Genauigkeit
und Treue aus diesen gefolgert. Wir fassen das Wichtigste in
eine Anzahl von Hauptpunkten zusammen, müssen aber bei die-
ser sowohl, als der folgenden Rubrik das in dem zweiten Ab-
schnitte Abgehandelte als bekannt voraussetzen, da Alles sonst
nicht begriffen, Vieles sogar weder verstanden, noch richtig auf-
gefaſst werden kann. Es ist daher Jedem zu rathen, zuvor die
Lehre von der Entwickelung des Embryo genau durchzugehen,
ehe er an die Lesung dieser Theile der Schrift selbst schreitet.


Wir müssen hier drei einander untergeordnete Verhältnisse
unterscheiden: 1. die Organcomplexe, 2. die Organsysteme, 3.
die Organe selbst.


Es giebt in jedem Thiere zwei Hauptcomplexe der in ihm
vorkommenden Organsysteme, von denen der eine seiner Bedeu-
tung nach mit dem pflanzlichen Organismus übereinkommt, der
andere dagegen bloſses Eigenthum und charakteristisches Unter-
scheidungszeichen des Thieres ist. Den ersteren pflegt man mit
dem Namen der vegetativen, den anderen mit dem der animali-
schen Organe zu belegen. Organsysteme dagegen sind die den
Complexen untergeordneten individuellen Systeme des Körpers,
[613]VII. Genese der Organe.
welche für sich zu seyn und die Herrschaft über die übrigen Sy-
steme auszuüben streben.


1. Die erste Bildung der Organe selbst hat die Andeutung
der Organcomplexe und Organsysteme zum Vorläufer. Nach den
bisherigen Erfahrungen scheint die Urdarstellung der ersteren nicht
immer der der letzteren voranzugehen. Doch frägt es sich, ob
auch diese Beobachtungen bis in ihre feinsten Nüancirungen rich-
tig sind. Die Urbildung der beiden Hauptorgancomplexe ist näm-
lich die Spaltung der Keimhaut in ein seröses und ein mucöses
Blatt, in das erstere als den Repräsentanten der rein animalen und
das letztere als den Repräsentanten der rein vegetabilischen Or-
gane. Die Urdarstellung der Organsysteme beginnt in etwas ver-
wickelteren Momenten. Zuvörderst ist es der in dem serösen
Blatte sich bildende Primitivstreifen, welcher die thierische Indi-
vidualität überhaupt andeutet. Nächstdem aber die Abschnürung,
welches das Urbild der Individualisation des Embryo als eines
Theilorganismus des Eies bezeichnet. Erst, wenn diese Acte in
ihrer frühesten Form begonnen und mehr oder minder gedauert
haben, kommt es zur Darstellung einzelner Organe.


2. Die einzelnen Organsysteme scheinen zwar unabhängig
von einander sich zu entwickeln. Sie sind aber durch ein höhe-
res Band, die Individualität des ganzen Organismus, gebunden.
Ueberhaupt entsteht jedes Ganze nicht dadurch, daſs sich eine
bestimmte Zahl von Einzelnheiten unabhängig von einander dar-
stellen und zuletzt mit einander verbinden, sondern das Ganze ist
von Anfang an das Beherrschende. Es specialisirt sich der Zeit
nach immer mehr und an verschiedenen discreten Punkten. Da-
durch wird aber die höhere Einheit nicht im Mindesten gestört
und aufgehoben. Wir erkennen sie oft nur nicht deshalb, weil
wir diese Einzelnheiten in der Beobachtung wahrnehmen und
das Ganze daher aus dem Auge verlieren. Das geistige Auge ist
hier demselben Fehltritte unterworfen, wie wenn wir z. B. mit
dem leiblichen bei unmittelbarer Anschauung die Niere als ein
ganzes, bei genauerer Zergliederung als einen Complex von Rin-
de, Marksubstanz, Nierenbecken, Nierenkelchen u. dgl., bei mi-
kroscopischer Vergröſserung als eine Menge von gestreckten und
geschlängelten Harngefäſsen u. dgl., und bei noch stärkerer Ver-
gröſserung als eine aus einem dichten mit Körnchen vermischten
Stoffe zusammengesetzte Bildung angesehen. — Je mehr die Zahl
[614]Fragmente z. Gesetzlehre d. individuellen Entwickelung.
der untergeordneten Specialitäten sich häuft, um so schwerer ist
es, den Einheitspunkt und die Verbindung klar im Auge zu be-
halten, und doch fühlen wir wohl, daſs durch die Mannigfaltig-
keit des Einzelnen jener nichts weniger als aufgehoben, sondern
nur mehr individualisirt wird.


3. Theile von gleicher Bedeutung haben einen durchaus
gleichen Gang der Entwickelung, sowohl für sich, als im Ver-
hältniſs zu dem nächst höheren und höchsten Ganzen. Dieser
Satz ist im allgemeinsten Sinne ausgesprochen durchaus wahr,
und auf seiner Voraussetzung beruht sogar die Möglichkeit aller
Erkenntniſs, aller Wissenschaft. Wenn aber bei der speciellen
Anwendung scheinbare Ausnahmen sich finden, so sind diese nur
durch unsere Auffassungsweise dadurch bedingt, daſs wir Einzel-
heiten statt der allseitigen Beziehungen aufgenommen, daſs wir die
Bedeutung eines Theilorganismus nur halb erkannt und daher von
einem unrichtigen Standpunkte und in einem unwahren Verhältnisse
angesehen haben. Weil wir sie nicht begreifen, deshalb geht die
Einheit der Natur nicht von ihrem bestimmten und fixirten Wege ab.


4. Wenn man dasjenige, in welchem die Uridee sich noch
einfacher ausspricht, mit dem Namen des Allgemeinen belegt,
dasjenige dagegen, in welchem sie schon mehr specialisirt ist, als
Besonderes bezeichnet, so läſst sich als Urgesetz angeben: der
Zeit wie dem Raume nach erscheint das Allgemeine vor dem
Besonderen. Da jedoch diese Ausdrücke etwas Schiefes und Un-
richtiges haben, da die Bezeichnung der speciellsten Individuali-
tät in ihnen nicht enthalten ist, so können wir in Voraussetzung
des oben Gesagten und in Uebereinstimmung mit demselben den
Satz dahin abändern, daſs in dem individuellen Keime die durch
die speciellste Individualität hervorleuchtende und in ihr enthal-
tene Uridee sich immer mehr specialisirt, bis sie zuletzt zur in-
dividuellsten Uridee wird, d. h. mit der einzelnen Individualität
selbst zusammenfällt.


5. Es liegt aber zunächst in der Natur unseres Auffassungs-
vermögens, daſs wir bei jeder Reihe von Specialitäten das nächste
Ganze, welches dieses umschlieſst, ins Auge fassen und als etwas
Gesondertes und für sich Bestehendes angesehen, gleichsam als
fürchteten wir uns zu verwirren, wenn wir die einzelnen Ver-
hältnisse zu dem entfernt höheren und höchsten Ganzen zur An-
schauung bringen wollten — eine Furcht, welche bei der Indivi-
[615]VII. Genese der Organe.
dualität und Beschränktheit unseres Geistes sehr gegründet ist.
Es geht aber dadurch jede Vollständigkeit eines Systemes zu
Grunde. Wir gerathen hierdurch in einen nothwendigen, nie völ-
lig zu lösenden Widerspruch, indem wir eine groſse Menge von
Specialitäten unmittelbar, höchstens aber den Zusammenhang ein-
zelner zu Theilorganismen, nie aber das ganze Individuum erken-
nen. Entweder müſste uns das ganze Universum vollständig ent-
hüllt seyn oder es ist uns, da dieses unmöglich ist, auch nicht
möglich ein Individuum vollständig zu begreifen und allseitig ge-
nug aufzufassen. Dies hat aber auf die Behandlung wesentlichen
Einfluſs. Es entsteht nicht ein Urgesetz, welches alle Specialitä-
ten nach ihren kleinsten Einzelheiten vollständig in sich enthielte,
sondern nur für jedes einseitig immer aufgefaſste Moment eine
Reihe von Normen. Das Ganze wird in der Wissenschaft so
nothwendig kein System, sondern ein Aggregat dieser einzelnen
Reihen. Auf die Entwickelung der Organe angewendet, werden
wir hier am Zweckmäſsigsten folgende Reihen hervorheben.


6. Der Zeit nach entsteht nothwendig das Urorgan vor dem
Nebenorgane. So bildet sich ein centrales Nervensystem über-
haupt früher, als Hirn und Rückenmark, der Darmkanal überhaupt
vor der Leber, den Lungen.


7. Dem Raume nach ist in dem Urorgane die Nebenbildung
enthalten, und es ist daher unrichtig, wenn man das Urorgan mit
einem Namen belegt, welcher später, sobald Nebenorgane aus ihm
sich gebildet haben, dem Hauptorgane zukommt. So sehr dieses
spitzfindig und, wie die Benennung überhaupt, minder wichtig
scheinen könnte, so wollen wir doch an einem Beispiele es er-
härten, wie leicht durch nicht genaue Distinctionen grobe Un-
wahrheiten zu Tage gefödert werden. Man hatte nämlich beob-
achtet, daſs sich zuerst ein centrales Nervensystem in Form eines
mehr oder minder breiten Streifens bilde. Der äuſseren Aehn-
lichkeit nach hat man diesen mit dem Namen des Rückenmarkes
belegt und, wenn später an dem vorderen Ende desselben An-
schwellungen als Andeutungen des Hirnes entstehen, gesagt, daſs
das Hirn aus dem Rückenmarke hervorwachse, daſs das Rücken-
mark die primäre und das Hirn die secundäre Bildung sey. Eine
gröſsere Unwahrheit kann aber kaum ausgesprochen werden, und
der Grund dieses Irrthumes ruht nicht sowohl auf einer falschen
Erfahrung selbst, als auf einer falsch gedeuteten Beobachtung,
[616]Fragmente z. Gesetzlehre d. individuellen Entwickelung.
daſs man die allgemeinere Uridee des centralen Nervensystemes
überhaupt mit der specielleren des Rückenmarkes identificirte.


8. Keine Organbildung ist für sich, sondern entsteht durch
Specialisirung des nächst höheren Ganzen. Dieses zerfällt also
in zwei oder mehrere subordinirte Theile und wird auf diese
Weise in seiner Einfachheit negirt. Der Satz ist die unmittel-
bare Folge des Vorhergehenden, und was sich aus ihm über die
Bedeutung der Organe in der individuellen Entwickelung sowohl,
als in der der Thierwelt ergiebt, haben wir schon oben anzufüh-
ren Gelegenheit gehabt.


9. Das nächst höhere Ganze ist so der Urstoff der Organe
und diese bilden sich aus diesem Urstoffe hervor. Hierdurch ent-
stehen aber drei verschiedene Gradationen der Genese in dem
Thierkörper, welche sich bequem durch die möglichen Theilungs-
arten einer Linie versinnlichen lassen. a. Man denke sich eine
gerade Linie in zwei ungleiche Theile getheilt. Der gröſsere
Theil wird also das präponderirende und der kleinere von einem
untergeordneten Verhältnisse seyn. So entsteht auch aus dem
Urstoffe ein Hauptorgan und ein untergeordnetes Nebenorgan.
Wie aber eine gerade Linie in mehrere ungleiche Theile zerfäll-
bar ist, so können auch mehrere Nebenorgane in Bezug auf ein
Hauptorgan vorkommen. Was also den Urstoff anlangt, so haben
wir hier ein gleichmäſsig subordinirendes Verhältniſs und daher in
dieser Beziehung ein coordinirtes der Theile selbst. Wie aber
jede kleinere Linie als ein Theil einer gröſseren angesehen wer-
den kann, so ist auch das Nebenorgan in einem subordinirten
Verhältnisse zu dem Hauptorgane, wiewohl beide in Bezug auf
das höhere Ganze einander coordinirt sind. Dieses ist, wie wir
specieller auseinandersetzen werden, das Schema der Bildung
der vegetativen Organe. b. Der nächste Uebergang von dem
Falle, daſs eine gerade Linie in viele ungleiche Theile zerfällt,
ist der, daſs sie in eine Anzahl gleicher Theile getheilt wird.
Hier sind die einzelnen Abtheilungen nicht nur in Bezug auf das
Ganze, sondern auch unter einander coordinirt. Dieses ist das
Schema der animalischen, motorischen Organe. c. In den beiden
genannten Fällen ist die Einfachheit der geraden Linie in viele
Theilindividuen zerfallen, wo sich als untergeordnetes Verhältniſs
die Ungleichheit, als höheres die Gleichheit ergab. Wenn nun
die Zerfällung möglichst gering wird, so ist der höchste Stand-
[617]VII. Genese der Organe.
punkt erreicht. Der Halbirungspunkt einer geraden Linie aber
kann als das Centrum eines Kreises oder einer Kugel angesehen
werden, deren Radien die Hälften der Linien sind. Darauf be-
ruht die Bildung des Thieres überhaupt, die Genese der animali-
schen, sensoriellen Organe aber insbesondere. Wir wollen nun
diese einzelnen Momente durchgehen.


10. Das Urbild der vegetativen Organe in den Wirbelthie-
ren ist das Schleimblatt, welches sich zunächst dadurch individuali-
sirt, daſs es sich über den Dotter wie die übrige Keimhaut erhebt und
für sich die Röhrenform annimmt. Diese Abschnürung gehet von
vorn sowohl als von hinten nach der Mitte zu fort, und so wird
die primäre Bildung des Schleimblattes als Darmkanal zu Stande
gebracht. Wiewohl diese thierischen Organe in ihren stereome-
trischen Begrenzungen die Röhrenform haben, so ist es doch das
Zweckmäſsigste, die Genese der Organe in und aus ihnen nach
ihren Dimensionen oder idealen Durchschnitten zu betrachten,
weil nur auf diese Weise die gegenseitige Lage der Theile sich
durch die einfachsten, mathematischen Formen darstellen läſst.
Diese Methode haben die Crystallographen zum Theil dadurch
nicht ohne Glück befolgt, daſs sie die Axen der Crystalle mit
einander in Verhältniſs brachten und die Durchschnittzeichnungen
der organischen Körper beruhen im Wesentlichen auf denselben
Grundsätzen und demselben Ziele. Es wird aber hier gut seyn,
zuvörderst die Breitendurchschnitte in Erwägung zu ziehen. Die
Axe des einfachen Darmrohres ist der Diameter seines Durch-
schnittkreises und viele secundären Bildungen entstehen hier da-
durch, daſs dieser sich verlängert, und insofern eine neue Ansatz-
linie als das Product der weiteren Ausbildung an demselben ent-
steht. Diese Art von Bildungen haben wir oben mit dem Namen
der Ausstülpungsbildungen bezeichnet. Sie sind immer unterge-
ordnet der primären Bildung und doch nur ein Theil der sich
verbreiternden Queraxe der primären Bildung an einer bestimm-
ten Stelle. Die Längenaxe zerfällt später auf dieselbe Weise in
mehrere untergeordnete und ungleiche Abtheilungen, welche aber
einander mehr coordinirt sind. Und so kann man sich das ganze
Verhältniſs des röhrigen Schleimblattes als Zeichnung so denken,
daſs eine Perpendikulärlinie an allen ihren Punkten von Queraxen
durchschnitten wird, welche gröſstentheils einander gleich, an be-
stimmten Punkten dagegen nach einer oder beiden Seiten verlän-
[618]Fragmente z. Gesetzlehre d. individuellen Entwickelung.
gert oder verkürzt sind. Diese letztere Abtheilung entspricht
dann den Einfurchungsbildungen. In den motorischen Organen
wäre der Typus auf diese Weise dahin zu reduciren, daſs die
Queraxe in kleinere Linien zerfällt. Durch jeden Theilungspunkt
gingen parallele Längenaxen. In den sensiblen Organen ginge
in dem Centrum, so wie an den beiden Endpunkten der Queraxe
eine ideale Längenaxe. Construirt man aber dieses lineare Schema
nach stereometrischen Verhältnissen, so entständen hierdurch der
Gegensatz eines umschlossenen und eines umschlieſsenden Körpers,
von Contentum und Hülle, ein Gegensatz, welcher der Uridee
des Thieres überhaupt angehörend in jedem individuellen Thiere
wiederkehrt. — Alle diese Fortschritte der Bildung sind aber
kein Ansetzen einer neuen Linie an die alte Axe, sondern die
Vergröſserung jener überhaupt und das Zerfallen der so neu ent-
standenen gröſseren Linien in differente Theile.


11. Dadurch, daſs die Queraxen der Urbildung des Schleim-
blattes, des Darmkanales entweder nach beiden Seiten hin sich
andauernd verlängern oder nicht, entstehen verschiedene Bildun-
gen. Doch ist dieser Unterschied nur scheinbar. Im Urprocesse
ist die Verlängerung nach beiden Seiten hin gleich, und da bei
einem Cylinder alle Diameter, also alle Queraxen, einander gleich
sind, so kommt es dann nur darauf an, die wahre Richtung der
Queraxe zu bestimmen. Zu den einseitigen Bildungen scheinen
die Lungen, die Leber, das Pankreas, der Blinddarm zu gehören.
Allein bei Lungen und Leber geht zuerst die Verdickung der
Queraxe gleichmäſsig vor sich, wenn man diese nicht von der
Rücken- nach der Bauchseite, sondern von rechts nach links nimmt.
Daſs aber zuerst ein doppeltes Pankreas wahrscheinlich sich finde,
haben wir schon oben bemerkt. Es ist der Unterschied zwischen
secundärer und primärer Bildung, daſs die erstere sich selbststän-
dig zu machen bestrebt, die letztere dagegen in untergeordnete
Theile zerfällt. Dies hat natürlich in Bezug auf die Axen einen
wesentlichen Unterschied zur Folge. Bei den secundären Bildun-
gen wird im Laufe der Entwickelung die Queraxe möglichst
selbstständig und kommt mit der Längenaxe bei veränderter Lage
in gar keine Berührung. In der primären Bildung zerfällt die
Längenaxe in mehrere Abtheilungen und jede Differenz der Län-
genaxe bedingt auch eine gröſsere oder geringere Differenz der
Queraxen, z. B. im Magen, Dünndarm, Colon. In den motorischen
[619]VII. Genese der Organe.
Organen constituirt sich jede Längenaxe selbstständig für sich und
zerfällt in ihre eigenen differenten Bildungen und auf gleiche
Weise sind in den sensuellen Organen Centrum und Peripherie,
Contentum und Hülle geschieden und jedes von ihnen seiner eige-
nen Differenzirung überlassen. Die Trennung der Längenaxe ge-
schieht aber in beiden Abtheilungen auf dieselbe Weise, wie in
den primären Bildungen des Schleimblattes.


12. Jedes der drei Blätter der Keimhaut hat seinen Embryo-
naltheil und peripherischen Theil, in der Frucht selbst aber seine
primäre und seine secundäre Bildung. Die primäre Bildung er-
scheint als Röhre und ihr Anhang wird zur secundären Bildung.
In dem serösen Blatte sind primäre Bildung das Centralnerven-
system nebst Hüllen, in dem Gefäſsblatte das Herz, in dem Schleim-
blatte der Darmkanal; in dem serösen Blatte sind secundäre Bil-
dungen die inneren Abtheilungen der Sinnesorgane und vielleicht
die Nieren, in dem Gefäſsblatte das Herz und vielleicht die inne-
ren keimbereitenden Geschlechtstheile, die Schilddrüse, die Thy-
mus, die Milz und die Nebennieren, in dem Schleimblatte endlich
die Drüsen, die Lungen, die Leber. In jedem ist der Typus,
nach welchem diese Theile sich bilden, verändert, der höheren
Uridee nach aber ein und derselbe. In dem serösen Blatte ent-
steht zuerst ein Gegensatz von centraler Flüssigkeit und Leibes-
platten, als der Gegensatz von animalischem sensuellen und moto-
rischen Leben überhaupt. Das sensuelle Leben scheidet sich in
Centrum und Peripherie, Contentum und Hülle, centrales Nerven-
system und Wirbelsäule. Die Leibesplatten trennen sich, diesem
entsprechend, in Rücken und Bauchplatten als Organe der thieri-
schen Bewegungsfunctionen überhaupt. Diese sondern sich aber
beiderseits in der die Dimension der Tiefe entsprechend der Keim-
haut überhaupt in eine obere, schützende Schicht, das Haut- und
eine untere, die Bewegung vermittelnde, das Muskelsystem.
Zwischen beiden Schichten, d. h. zwischen den an die Wirbel-
säule sowohl, als dem oberen Centralrohre, angelagerten Bildun-
gen und dem unteren Centralrohre, als auch zwischen der Haut
und der primären Muskelschicht entsteht die abgelagerte Urmasse
für die Extremitäten und deren Gürtel. Die Extremitäten selbst
stehen mit beiden in inniger Verbindung. Als wahre Ausstül-
pungsbildungen treiben sie die Hautschicht vor sich her. Ihre
Verwandtschaft mit der unteren Muskelschicht wird aber dadurch
[620]Fragmente z. Gesetzlehre d. individuellen Entwickelung.
beurkundet, daſs sie Fortsätze ausschicken, welche sich um diese
herumlagern. In dem motorischen Organe überhaupt ist der
Gegensatz von Bewegtem und Bewegendem, Passivität und Acti-
vität, Knochen und Muskeln nothwendig gegeben. — Wie die
Extremitäten die Mittelglieder zwischen oberem und unterem
Centralrohre, zwischen schützender und begrenzender Schicht
sind, so müssen die Sinnesorgane als Vermittler zwischen rein
sensuellen und motorischen Organen angesehen werden. Die drei
höheren, Auge, Ohr und Nase, zerfallen daher auch in äuſsere
und innere Abtheilungen. Als Verbindungsglieder zwischen den
Leibesplatten und dem centralen Nervensysteme erscheint ihre
innere Abtheilung als Einfurchung (Grube), welchen wahrschein-
lich eine Ausstülpung des sensiblen Centralorganes entgegenkommt.
Die äuſseren Abtheilungen erscheinen später nach Verhältniſs ihrer
zeitlichen Ausbildung und ihrer der absoluten Stellung des Sinnesor-
ganes entgegengesetzten Dignität als Productionen der Bauchplatten,
daher zuerst die des Ohres, dann die der Nase und zuletzt die der Au-
gen. Das obere und untere Centralrohr werden aber zu Hüllen und
zwar das erstere zu denen der rein sensuellen, das letztere zu denen
der vegetativen Organe. In dem Letzteren wird der Embryonaltheil
des Schleimblattes eingeschlossen, so wie der über ihm liegende,
entsprechende Antheil des Gefäſsblattes. Wir haben also in dem
serösen Blatte alle rein animalischen Functionen vereinigt und
zwar die rein sensuellen und die motorischen, die das Denken,
die Bewegung und die Empfindung vermitteln. Auſserdem nimmt
es auch an seiner äuſsersten Oberfläche die schützende Function
an, wie es, als das das Thier überhaupt Bestimmende, seine Form
meistens festsetzt.


In dem Gefäſsblatte ist die centrale Bildung das Herz und
die peripherische das System der Blutgefäſse. Alle Gefäſse ent-
stehen durch Verdichtung im Aeuſseren und Verflüssigung im In-
nern und dem Herzen selbst, als dem Centralgefäſse ist ganz der-
selbe Proceſs eigenthümlich. Nur krümmt dieses sich, zum Theil
noch früher, als es in seinem Innern vollständig verflüssigt wor-
den, in sich selbst zusammen und bekundet hierdurch seine hö-
here Individualität. Es läſst sich der Analogie gemäſs erwar-
ten, daſs auch hier secundäre Bildungen vorkommen. Welches
aber ihr Charakter sey, ist durch Beobachtung noch nicht ausge-
macht.


[621]VII. Genese der Organe.

Deutlicher ist das Verhältniſs dagegen in dem Schleimblatte.
Seine primäre Bildung ist das Darmrohr in der Gestalt, daſs es
ein vorn und hinten geschlossenes und in der Mitte nach dem
Dotter hin geöffnetes Rohr bildet. Dieses zerfällt selbst auf die
oben angegebene Weise in einzelne untergeordnete Theile. Es
erscheinen aber an ihm eine Reihe secundärer Bildungen, welche
es erst vervollständigen. So zeigen sich erstlich Einfurchungen,
d. h. Ausstülpungen des serösen Blattes nach innen, welche das
Schleimblatt erreichen, so daſs dieses sich zuletzt an dem serösen
Blatte nach auſsen öffnet. Man sieht, daſs hier das seröse Blatt
überhaupt mit dem Schleimblatte in dasselbe Verhältniſs tritt,
wie die Leibesplatten mit dem centralen Nervensysteme. Eine
zweite Art secundärer Bildungen sind die sogenannten Ausstül-
pungen, d. h. Verdickung der Wandung des Darmrohres, so daſs
die Höhle des letzteren sich in einen Theil des ersteren fortsetzt.
Die gröſsere Massenbildung, die höhere Plasticität überhaupt ist
der Urcharakter dieser secundären Bildungen, zu welchem die
ausführenden Drüsen, die Lungen und die Leber gehören.


13. Jedes Organ hat, ehe es in seiner bestimmten Form ent-
steht, einen Urstoff zum Vorläufer, wie der des Embryo selbst
die Keimhaut ist. Die Art und Weise, wie aus dem Urstoffe
sich die Form des bestimmten Organes hervorbilde, läſst sich un
ter folgende Rubriken bringen.


a. Der niedrigste Standpunkt ist der, wo ein mehr oder
minder unbestimmtes Blastem in seiner gröſsten Ausdehnung zu
Grunde geht und sich nur zu einem kleinen Umfange zu seinem
bestimmten Organe concentrirt, wo also ein kleines Organ ein
gröſseres oder wenigstens länger ausgedehntes Blastema überwin-
det. Diese Form findet sich z. B. bei den inneren keimbereiten-
den Genitalien. Es entsteht an der inneren Seite der Wolff’schen
Körper eine sehr lange und schmale Bildungsmasse, welche sich
an einem Punkte verdickt, während ihr übriger Theil schwindet.
Dasselbe findet wahrscheinlich auch bei den Nieren Statt.


b. Wenn in der nun eben erwähnten Form das ganze Bla-
stem in die Bildung eines einzigen Punktes eingegangen, so ist
der nächst höhere Standpunkt der, daſs es zu einem gröſseren
oder geringeren Theile in das bestimmte Organ eingeht, mit sei-
ner übrigen Abtheilung aber nicht schwindet, sondern unter einer
metamorphosirten Gestalt, nämlich als verbindendes Schleimge-
[622]Fragmente z. Gesetzlehre d. individuellen Entwickelung.
webe, verharrt. So entstehen alle activ motorischen Organe und
zwar scheint dieser Gegensatz von Umwandlung in das bestimmte
Organ und verbindendes Schleimgewebe sich um so schärfer aus-
zuprägen, je mehr das System der Bewegungsorgane überhaupt
ausgebildet und je höher das Individuum in der Reihe der Thier-
welt steht.


c. In der vorigen Form ist von dem Blastema nichts verlo-
ren gegangen. Es bestanden aber Organ- und Schleimgewebe
mehr neben einander. Das Organ selbst lag noch nicht in dem
Blastema, wie ein centrischer oder excentrischer Punkt innerhalb
der Fläche des Kreises, wiewohl in dem höchsten Verhältnisse
derselben dem der Knochen und Muskeln schon eine Annäherung
hierzu Statt findet. Diese Modification wird nun realisirt und
zwar auf eine dreifach verschiedene Weise.


α. In den secundären Bildungen des Schleimblattes herrscht
das dem Organ selbst Angehörende bedeutender vor und das
Schleimgewebe hat nur eine untergeordnete Stellung. Die Or-
gantheile verbreiten sich allmählig längs des ganzen Raumes des
Blastema und dieses verbindet nun jedes Einzelne von jenen als
Parenchym auf der Oberfläche sowohl, als in jeglichem Punkte
des Innern selbst.


β. In den höheren, inneren Abtheilungen der Sinnesorgane
bildet sich dadurch ein Gegensatz von Centrum und Peripherie.
Beide sind aber von gleich wichtiger Bedeutung, das Centrum
sogar von noch gröſserer, weil es zu dem empfindenden Theile
wird, während die peripherische Abtheilung nur die Möglichkeit
jeder Perception bedingt. Es wiederholt sich hier derselbe Ge-
gensatz, welcher zwischen centralem Nervensysteme und Sinnes-
organen überhaupt Statt findet.


γ. Die höchste Form endlich ist die, wo das ganze Blastema
in die Bildung des Organes eingeht und durch den einfachsten
Act der Genese überhaupt, durch Scheidung des Festen aus dem
Flüssigen, die Metamorphose vollendet wird. Dieses ist in dem
centralen Nervensysteme der Fall.


14. Was die Gröſse der Organe betrifft, so findet bei ihnen
dasselbe Urgesetz Statt, welches wir bald bei den einzelnen Or-
gantheilen und Geweben werden wiederkehren sehen, nämlich,
daſs sie sich relativ zuerst vergröſsern und dann verkleinern.
Man hat diesen Satz so ausgedrückt, daſs die Organe relativ grö-
[623]VII. Genese der Organe.
ſser angelegt werden, als sie in der Folge selbst sind. Dies ist
jedoch nicht allgemein wahr.


15. Verbundene Organe entstehen auf zwiefachem Wege
durch Synthese oder durch Analyse. Jede von diesen beiden
Entstehungsweisen hat aber wiederum mehrere Seiten. Die Ana-
lyse ist


a. Zerfällung, so die des centralen Nervensystemes in Hirn
und Rückenmark, die des Darmrohres in Magen, Duodenum,
Dünndarm u. dgl.


b. Wucherung in Form secundärer Bildungen (Individualisi-
rung durch Abschnürung und Gegensatz) und zwar


α. Wucherung der Masse. Dieses aus der primären Bildung
hervorgegangene Blastem ist der vorzüglichste Antheil der secun-
dären Bildung und die Höhlencommunication ihr untergeordnet.
So die Leber, die Lungen, die Speicheldrüsen.


β. Prolongation der Höhlung. Die Wandung bleibt hier
entweder ungeändert oder enthält wenigstens analoge Schichten,
wie die primäre Bildung selbst. Die Höhlung dagegen nimmt den
gröſsten Raum ein. Allantois und Harnblase. Wurmfortsatz.


Die Synthese geschieht


a. Durch Näherung. Zwei Organe, welche später verbun-
den sind, rücken an einander und verwachsen entweder mit ein-
ander oder nähern sich nur möglichst, wie die Asymptote der
höheren Curve sich unendlich nähert, ohne sie je zu erreichen.
Ist das Erstere der Fall, so geschieht dieses meistens durch ein
Mittelorgan, wie dieses zwischen Hoden und Saamenleiter der
Nebenhoden, zwischen Ureter und Nieren das Nierenbecken ist
u. dgl. m. In dem letzteren Falle dagegen befinden sich z. B.
Trompete und Eierstock. —


b. Durch Verwachsung symmetrischer Hälften. Bei allen
diesen Bildungen scheint zuerst ein einfacher Urstoff zu entstehen,
welcher sich in zwei seitliche gleiche Hälften theilt, die zuletzt
zu einem einfachen Organe mehr oder minder zusammenwachsen.
So bei dem kleinen Gehirn, der Schilddrüse u. dgl.


c. Es constituirt sich ein gröſseres Organ in seiner einfachen
äuſseren Form dadurch, daſs es zuerst einfach angelegt, in eine
Menge kleinerer oder gröſserer Abtheilungen zerfällt, welche zu-
letzt zu einem einfachen Organe sich zusammensetzen, z. B. die
Nieren, Nebennieren u. dgl.


[624]Fragmente z. Gesetzlehre d. individuellen Entwickelung.

d. In jedem Organe, welches in ausgebildetem Zustande
Lappen hat, entstehen diese dadurch, daſs sich kleinere Läppchen
zu gröſseren Abtheilungen sammeln, nicht aber etwa dadurch,
daſs diese von Anfang an schon angedeutet worden wären, z. B.
bei den Lungen, der Leber u. dgl. Dieses Gesetz ist eine bloſse
Modification des unmittelbar Vorhergehenden.


16. Hohle Organe entstehen durch Veränderung des Urstoffes
und zwar


a. Der Urstoff ist flüssig und scheidet sich in dichtere Wan-
dung, während die Flüssigkeit im Innern beharrt und gar nicht
oder erst zuletzt schwindet. So im Gehirn, im Rückenmarke,
zum Theil in den Sinnesorganen u. dgl.


b. Der Urstoff ist dichterer Natur und scheidet sich in festere
Wandung und Höhlung. So in den Drüsenorganen, dem Ureter,
den Trompeten u. dgl.


VIII.
Entstehung der Organtheile und Gewebe.


Das mehr Flüssige ist, wie Carus schon treffend bemerkt, das
Bestimmbare, aus welchem durch Gegensatz eines mehr Festen und
mehr Flüssigen das Bestimmte hervorgeht. Da aber die Keim-
haut schon das Produkt eines solchen Gegensatzes zwischen Em
bryonaltheil und Dotter ist, so muſs sie schon in der Form eines
Halbfesten sich zeigen. Ja als das mehr Individualisirte und einer
noch höheren Individualisation Fähige ist sie dichter als der ihr
gegenüberstehende Dotter, wiewohl zarter, als die beide schüt-
zende Hülle. Sie selbst besteht aber aus einer zähen, farblo-
sen Masse und einer Menge in dieser enthaltener durchsichtiger
Kügelchen. Mit ihrer Spaltung in Blätter werden diese beiden
Substanzen derselben wahrscheinlieh ebenfalls verändert. Da aber
die feineren Nuancirungen in dem halbflüssigen Stoffe dem Auge
unmittelbar entgehen und chemische Untersuchungen der Art mit
der wünschenswerthen Schärfe noch nicht durchzuführen sind,
so müssen wir uns für jetzt allein auf die Metamorphosen der
Kügelchen beschränken. Daſs die des serösen Blattes von denen
des Schleimblattes bestimmt abweichen, haben wir oben bei Ge-
legenheit der Genese des Blutes angegeben. Diese Verschieden-
heit ist im Anfange der individuellen Entwickelung am deutlich-
sten
[625]VIII. Entstehung der Organtheile und Gewebe.
sten kenntlich, indem sie sich besonders durch Gröſsendifferenzen
kund giebt, späterhin aber die Durchmesser sich wiederum auf
das Mannigfaltigste verändern, wenn bestimmte Organe aus jedem
Blatte sich zu bilden begonnen haben. Man könnte daher viel-
leicht diese nur mit guten Instrumenten wahrnehmbaren Unter-
schiede (s. oben S. 287.) die Urdifferenz der Gewebe der animalen und
vegetativen Organe nennen, da die Spaltung der Blätter in Bezug
auf die Organogenese dieselbe Bedeutung zu haben scheint. Auch
erscheint die Differenz der Kügelchen vollkommen deutlich aus-
gesprochen später, als die erste Spur der Spaltung in einzelne
Blätter überhaupt.


Wie die einzelnen Organe aus ihrem bestimmten Blatte, so
entstehen die Organ- und Gewebtheile der ersteren aus den Kü-
gelchen und der einfachen und verbindenden Masse des letzteren.
Wir müssen es aber als ein für alle diese Theile geltendes Urge-
setz aufstellen, daſs weder die Körnchen, noch die Masse selbst
unmittelbar in die Gewebe, so wie sie im ausgebildeten Zustande
gefunden werden, übergehen, sondern vorher bestimmte Mittel-
stufen durchlaufen müssen, um die permanente Gewebsbildung
zu erreichen. Ohne Zweifel ist dieses auch in Bezug auf ihre
Mischung der Fall. Was aber die Form betrifft, so modificirt
sich dieses Gesetz auf folgende Weise.


  • 1. Die verbindende Masse wird dichter, dunkeler und durch-
    läuft die verschiedensten Grade der Consistenz in aufsteigender
    Reihe. Oder
  • 2. Die verbindende Masse wird durchsichtiger, gewinnt an
    Zähigkeit und Zusammenhang und permanirt entweder so ziem-
    lich in ihrem früheren halbweichen Zustande oder durchläuft so-
    gar die verschiedenen Consistenz- und Härtegrade in absteigender
    Ordnung.
  • 3. Die Körnchen werden verflüssigt und zwar
    • a. Es tritt an ihre Stelle ein vollkommen liquider Stoff,
      welcher sich von der mehr colliquescirten weichen Masse gar nicht
      unterscheidet, mit ihr zusammenflieſst und ein Ganzes, der weite-
      ren Metamorphose Fähiges darstellt oder
    • b. Die Körnchen verflieſsen in einer bestimmten Richtung
      mit einander und stellen dann gewisse fadenartige Gebilde dar,
      welche an Consistenz bei weiterer Entwickelung zunehmen.
  • 4. Die Körnchen permaniren zum Theil, colliquesciren also
    40
    [626]Fragmente z. Gesetzlehre der individuellen Entwickelung.
    nicht unmittelbar, verändern aber Form, Gestalt und Gröſse nach
    den durch die Organe fixirten individuellen Verschiedenheiten.

Die näheren Belege hierzu siehe unten.


Die Formation, welche der Bildung eines bestimmten Orga-
nes vorhergeht, kann im engeren Sinne des Wortes der Urstoff
desselben genannt werden. Dieser hat äuſserlich seine definite,
individuelle Form. Sein Gewebe ist aber nicht minder eigenthüm-
lich. Es hat zuerst den Charakter eines Keimstoffes überhaupt,
d. h. es hat in seinem Inneren noch keine ungleichartige Struc-
tur, sondern besteht, wie die Keimhaut, aus Körnchen und ver-
bindender Masse; die Totalität des Charakters dieses Urstoffes ist
aber in den einzelnen Organen eigenthümlich und verschieden.
Sie steht der Bildung der Organe selbst durchaus parallel. Wie
diese daher von ihrem ersten Uranfange sich immer mehr specia-
lisiren, so durchläuft auch der Urstoff analoge Metamorphosen-
grade. Diese geben sich aber nothwendiger Weise nur durch das
Totale des Charakters zu erkennen und zeigen sich bald durch
Differenz der Körnchen, bald durch Differenz der verbindenden
Masse und bald durch einen dritten verschiedenen Stoff, in wel-
chen diese beiden Theile eingegangen sind und in dem ein neuer
Gegensatz von Körnchen und verbindender Masse sich findet. Es
wird von Nutzen seyn, diese Veränderungen specieller durchzu-
gehen.


1. In dem serösen Blatte ist die erste Bildung der Primitiv-
streifen. Hier scheinen sich die Körnchen auf Kosten der verbin-
denden Masse nur anzuhäufen, übrigens aber sich weder an Gröſse
noch an Form, noch an Gestalt wesentlich zu ändern. Sie liegen
aber nicht bloſs dichter an einander, als in der übrigen Keimhaut,
sondern scheinen auch fester mit einander zusammenzuhängen und
auf diese Weise entsteht, für den ersten Blick, der dunkele Con-
tour, welcher sich besonders dann zu erkennen giebt, wenn man
sich zur Beobachtung in die Tiefe schauender Linsen bedient.
Der Anfang der Bildung ist auf diese Weise, wie die Tendenz
derselben überhaupt, eine gröſsere Solidescenz. Die verbindende
flüssige Masse wird fester und dichter, die von Anfang an dich-
tere Abtheilungen (die Körnchen) reichlicher. In der nun nächst-
folgenden Sonderung der Rückensaite, der Leibesplatten und einer
wahrscheinlich zwischen diesen enthaltenen Flüssigkeit spricht sich
der Gegensatz von Flüssigem und Festen in seinen wesentlichen
[627]VIII. Entstehung der Organtheile und Gewebe.
Momenten recht deutlich aus. Wiewohl im Ganzen noch sehr
weich und zart, bietet die Rückensaite doch schon dem betrachten-
den Auge einen Körper von dichterer Consistenz dar; sie zeigt
sich von dichterem, derberem Gefüge, ohne bedeutende Körner-
anhäufung im Innern, von einer mehr ins Opalartige gehenden
Farbe, mit einem Worte von einem entfernt knorpelartigen Aus-
sehen. Bei Vögeln und Säugethieren kann sich Jeder hiervon
auf das Leichteste überzeugen. Die Rückenplatten scheinen mit
denselben Körnchen versehen, überhaupt von demselben Consistenz-
und Dichtigkeitsgrade zu seyn, als der Primitivstreifen war. Ob
ihre Körnchen vielleicht etwas mehr zerstreut seyen oder nicht,
läſst sich nur schwer mit Gewiſsheit entscheiden, doch glaube
ich aus Erfahrung das Erstere wenigstens mit Wahrscheinlichkeit
aufstellen zu können. Mehr, als bloſse Vermuthung, läſst sich
auch nicht über die zwischen den Leibesplatten enthaltene Flüs-
sigkeit geben, da eine genaue Isolirung derselben, so daſs sie
mikroscopisch untersucht werden könnte, unmöglich ist. Diese
drei ihrem Gewebe nach verschiedenen Theile gehen nun ver-
schiedene Metamorphosen ein. Die Flüssigkeit zerfällt ganz nach
auſsen in Hülle, mehr nach innen in Nervensubstanz und mag
im Innern vielleicht unverändert bleiben oder sich der Consistenz
nach verdünnen. Sie ist also Urstoff des centralen Nervensyste-
mes und dessen Hüllen. Um die Rückensaite wird die Masse
dichter und bildet mit dieser den Urstoff für die Wirbelsäule im
engeren Sinne, d. h. für die über einander liegenden Wirbelkör-
per. Die Leibesplatten zerfallen nach innen in eine Schicht von
dichterer Consistenz, den Urstoff des oberen und unteren Central-
rohres, in eine mittlere Schicht von gelatinöser zäher Consistenz
für die motorischen Organe und die ihnen zugehörenden Theile,
und endlich in eine äuſsere Schicht für das äuſsere Hautsystem.
Alle diese drei Schichten gehen aber an ihren Grenzen mehr oder
minder in einander über. Die Extremitäten gehören ihrem Ur-
stoffe nach zu der mittleren Schicht. — Anfangs scheinen die
Gruben, welche die ersten Rudimente der höheren Sinnesorgane
andeuten, mit keiner eigenen Flüssigkeit gefüllt zu seyn. Diese
existirt aber unzweifelhaft, sobald z. B. am Auge die hintere
Wand der Grube kugelig hervortritt oder am Ohre das Labyrinth
als rundliche Blase dargestellt wird, und hängt continuirlich mit
der Flüssigkeit des centralen Nervensystemes zusammen. Als
40*
[628]Fragmente z. Gesetzlehre der individuellen Entwickelung.
Urstoff der Sinnesorgane überhaupt ist daher der Theil der Lei-
beswand, welcher eingegraben wird, anzusehen. Späterhin aber
verwandelt er sich nur in den Urstoff der peripherischen Gebilde
des Sinnesorganes, während die centralen durch dieselbe Flüssig-
keit erzeugt werden, als Hirn und Rückenmark selbst.


2. Die ersten histiologischen Metamorphosen des Gefäſsblat-
tes sind schwieriger zu verfolgen, da sie durch die der beiden
anderen Blätter nur zu leicht verhüllt und der genauen Beobach-
tung entzogen werden. Es scheint hier in der Masse selbst der
geringste Gegensatz zwischen Festem und Flüssigem obzuwalten,
da, wenigstens bei der ersten Bildung des Herzens und der Gefäſse
die ganze Masse aus zarten, dicht aneinander liegenden Kugeln
besteht. (Die kleinen scheinbar an dem Herzen liegenden Kügelchen
gehören wahrscheinlich, wie schon oben S. 332. bemerkt wurde,
dem Schleimblatte ganz und gar an.) In dem Herzen und den
Gefäſsen sondert sich die dichtere Wandung von dem flüssigen
Contentum. Zwischen den einzelnen Gefäſsnetzen bleibt aber eine
durchsichtige structurlose Membran, wie man an den Stellen sieht,
wo sie frei zu Tage liegt, wie z. B. in dem Kapselpupillarsacke
des Auges.


Aus der Verbindung des serösen und des Schleimblattes ge-
hen die Wolffschen Körper und hinter und neben diesen die Nie-
ren und keimbereitenden Geschlechtstheile hervor, und es dürfte
daher hier der schicklichste Ort seyn, von dem Urstoffe dieser
genannten Theile zu sprechen. Dieser ist eine dichte Masse, wel-
cher aus Körnchen zusammengesetzt ist, wie sie sich später in
den Rücken- und Bauchplatten finden. Auch der Charakter der
verbindenden Masse kommt mit diesen überein und sie unterschei-
den sich hierdurch wesentlich von dem Urstoffe der Drüsen.


3. So lange es in der primären Bildung des Schleimblattes
zu keiner Sonderung in die das Darmrohr zusammensetzenden
Membranen gekommen ist, behält dieses die kleinen, früheren
Körnchen, wie sich an dem Hühnchen leicht wahrnehmen läſst,
bei. Bald jedoch ändert sich der Charakter dahin ab, daſs die
Körnchen gröſser und mehr regelmäſsig erscheinen. Die secun-
dären Bildungen aber durchlaufen in Bezug auf ihre Urstoffe ver-
schiedene Grade. Am dichtesten mit Körnchen gefüllt und weni-
ger mit verbindender Masse versehen sind die der Lungen und
der Leber; weit mehr der verbindenden Masse und wenn auch
[629]VIII. Entstehung der Organtheile und Gewebe.
weniger, dagegen zum Theil etwas gröſsere Körnchen finden sie
sich in den Urstoffen der Speicheldrüsen. Die Allantois ist in
der Rücksicht ihnen am nächsten, wiewohl sich in ihr der bald
anzugebende membranartige Charakter am deutlichsten ausgeprägt
hat. Die Zunge nähert sich meistens den Bauchplatten; die Milz,
die Nebennieren und die Thymus meistens der Leber und den
Lungen.


Wenn nun so die Urstoffe der einzelnen Organe gegeben
sind, durchlaufen sie ihre bestimmte Metamorphosenreihe, um die
einzelnen Organtheile und Organstructuren zu erzeugen. Wir
führen zuerst die wichtigsten Verhältnisse, wie sie sich der An-
schauung unmittelbar darbieten, einzeln an.


1. Die Urflüssigkeit, aus welcher Hirn und Rückenmark ent-
stehen, scheidet sich in eine dichtere äuſsere Masse und eine
dünne innere. Ganz nach auſsen dagegen an ihrer Begrenzung
bilden sich die Hüllen. Die dichtere Masse, welche die wahre
Nervensubstanz darstellt, hat sowohl an Körnchengehalt, als auch
an Menge der verbindenden Substanz gewonnen. Die letztere
ist sehr weich, aber zähe. Anfangs läſst sich an ihr keine wei-
tere Structur unterscheiden. Die sehr häufigen Körnchen liegen
dann ohne alle deutlich kennbare Ordnung in dem verbindenden
Stoffe eingebettet. Späterhin werden gewisse sich vielfach kreu-
zende linearische Anordnungen der Kügelchen mehr kenntlich, bis
endlich zuletzt die eigenthümlichen Hirnfasern sichtbar werden,
nachdem viel früher schon der Unterschied von weiſser und
grauer Substanz entstanden ist. Doch bedarf gerade dieser Me-
tamorphosengang noch künftiger genauer Untersuchungen. — Die
dura mater entsteht an der äuſsersten Grenze der Hirnsubstanz
auf die bald näher anzugebende Weise, wie die übrigen faserigen
Häute.


2. Vor der Anlage der Wirbel besteht die Masse der Leibes-
platten aus Körnchen des serösen Blattes und einer zähen durch-
sichtigen Gallerte. Diese wird nun an den Stellen, wo Knochen
späterhin sich befinden, dichter, so daſs sie wahrscheinlich schon
von Anfang an dichtere Scheiden für diese Körnchen bildet und die-
selben nach bestimmten Gesetzen zusammenhält. Dieses schlieſse ich
wenigstens daraus, daſs man an den ersten Wirbelanlagen des
Hühnchens schon strahlenförmige Scheiden deutlich, wie ich an
einem anderen Orte darstellen werde, findet. Indem nun dieser
[630]Fragmente z. Gesetzlehre der individuellen Entwickelung.
dichtere Stoff in Knorpelmasse, den unmittelbaren Urstoff des
Knochens übergeht, werden seine Körnchen rundlicher, distincter
und zum Theil gröſser. Nun intercurrirt die Höhlenbildung, be-
vor die Verknöcherung eintritt. Diese geschieht nach dem bald
auseinanderzusetzenden Princip der Isolirung und Verbindung; der
Act der Ossification ereignet sich aber auf folgende Art. Ein
Theil der im Knorpel enthaltenen Körnchen wird aufgelöst, ein
Theil dagegen bleibt zur weiteren Metamorphose zurück. Wenn
in den Körnchen des Knorpels eine gewisse Regularität der Stel-
lung, welche diesen sogleich kenntlich macht, nicht unberück-
sichtigt bleiben konnte, die Masse dagegen mehr gleichartig war,
wenn diese schon in sich durch die Höhlenbildung bestimmte
Gegensätze zeigt, so giebt sich die Sicherheit und Bestimmtheit
ihrer Form durch die nun eintretende Scheidenbildung deutlich
zu erkennen. In den netzförmigen Knochenstücken sind diese
Scheiden netzförmig mit einander verbunden; in den sogenannten
faserigen Knochenantheilen dagegen liegen sie, wie parallele Cy-
linder neben einander. Jeder dieser Cylinder umfaſst eine, häu-
figer zwei parallele Reihen von Körnchen, welche von einander
eben so weit entfernt zu seyn scheinen, als von der äuſseren
Oberfläche. Die Masse dieser Scheiden ist selbst schon dichter,
als die des noch nicht so gesonderten Knorpels. Sie wird nun
immer härter und weiſser, bis sie in wahre Knochensubstanz
übergeht. Dieses geschieht aber nicht nur durch das bloſse Hin-
zukommen des phosphorsaueren oder kohlensaueren Kalkes, son-
dern durch eine vollkommene innere Umgestaltung des Stoffes
selbst. Die zurückbleibenden Körnchen verändern Form, Gröſse
und Gestalt, um zu wahren Knochenkörperchen zu werden. Die
dichtere verbindende Masse des Knochens selbst theilt sich nach
dem Gesetze der secundären Zerfällung (s. unten) in die feinsten
Lamellen und Fasern des Knochens.


Der Urstoff der willkührlichen Muskeln ist eine zähe Gallerte,
welche ihrer Consistenz nach zwischen der Flüssigkeit des Hirnes
und Rückenmarkes und der ersten Ausbildung des Knorpels das
Mittel hält. Die Gallerte, welche die einzelnen Körnchen ver-
bindet, gewinnt nicht sowohl an Umfang, als an Dichtigkeit der
Masse und giebt daher dem Stoffe überhaupt ein etwas veränder-
tes Aeuſsere. Die Körnchen sind anfangs in keinen so bestimm-
ten Distanzen geordnet, als in der sich entwickelnden Knorpel-
[631]VIII. Entstehung der Organtheile und Gewebe.
und Knochenmasse. Ehe sie sich aber verflüssigen, nehmen sie
eine bestimmte lineare Richtung an. Ihre Verflüssigung fällt mit
der Faserbildung zusammen, und es ist daher möglich, in den er-
sten Fasern an den meisten Stellen die halb verflüssigten Körn-
chen wahrzunehmen. Die Fasern entstehen nach dem Princip der
Isolirung und theilen sich nach dem Princip der Zerfällung in
einzelne Muskelfäden. Bei den Sehnen habe ich den Vorberei-
tungszustand noch nicht mit der nothwendigen Bestimmtheit
wahrnehmen können. Der übrige Hergang dagegen ist derselbe,
wie in den Muskeln. Die Scheiden stehen den übrigen faserigen
Häuten, so wie die Bänder, durchaus gleich.


4. Die auſserste Begrenzung des Körpers wird durch die
membranartige Constitution charakterisirt. Die Kügelchen sind
nämlich in dieser Abtheilung von Bildungen in reichlichem Maaſse
enthalten, die verbindende Masse dagegen ist durchsichtig und
anfangs ohne deutliche, weitere Structur. Ihre Consistenz ist
aber von gröſserer Dichtigkeit, wenn ihre Dicke auch verhältniſs-
mäſsig sehr gering, so daſs eine membranförmige Bildung eben
dadurch entsteht. Zuerst beschränkt sich diese nur auf ein dün-
nes oberflächliches Blatt, welches unmittelbar in den darunter
liegenden Urstoff der Muskeln und Knochen übergeht. Späterhin
wird sie dichter und ändert sich dahin ab, daſs sie, je weiter
von der Oberfläche entfernt, um so reicher an Körnchengehalt
wird. Zuletzt entstehen die Fasern der Lederhaut auf die Art,
welche wir bald die Faserbildung der zweiten untergeordneten
Klasse nennen werden. Ihre Organtheile stehen aber mit ihrem
Gewebe in einem minder innigen Zusammenhange. Die Drüsen
und wahrscheinlich auch die Spiralfäden bilden sich von auſsen
in sie hinein, die Haare dagegen aus ihr heraus.


5. Die Gefäſse und das Blut sind, wie wir oben gesehen
haben, dadurch entstanden, daſs die Urmasse sich in äuſseres Fe-
stes und inneres Flüssiges schied. Dieses zerfällt aber wiederum
in Blutflüssigkeit und Blutkörperchen. Diese constituiren gleich-
sam die Bildungskörperchen des Blutes und es wäre interessant,
zu wissen, ob nicht ein Theil derselben durch unmittelbare Ver-
wandlung der Körperchen ihres Urstoffes entstehe. Nach unseren
Beobachtungen dürfte dieses schwer möglich seyn. Die Entschei-
dung eines so äuſserst difficilen Punktes muſs aber nicht, wie es
viele gethan haben (s. oben Gefäſsblatt), auf eine leichtfertige
[632]Fragmente z. Gesetzlehre der individuellen Entwickelung.
und daher in keiner Rücksicht wahre und genügende Weise vor-
genommen werden. — Die Häute der Gefäſse bestehen aus einem
dichten durchsichtigen Stoffe, welcher viele Körnchen enthält;
die Fasern in denselben bilden sich auf die bald anzugebende se-
cundäre Weise.


6. Seiner Bedeutung nach ist das Herz ein groſses Central-
gefäſs. In seinen morphologischen Verhältnissen giebt sich dieses
durch die individuelle Entwickelung sowohl, als durch die der
Thierwelt deutlich zu erkennen. Noch sichtlicher ist dieses in
seiner Histiologie und Histiogenie. Die innere Haut derselben ent-
spricht der inneren Haut der Gefäſse, daſs aber seine sogenannte
Muskulatur mit der Faserhaut der Gefäſse genetisch zusammen-
hänge, und diese auf einer höheren wiewohl verschiedenen Stufe
der Ausbildung sey, werden wir bald durch ihre Entstehung bei Ge-
legenheit der Fasergewebe überhaupt darzuthun Gelegenheit haben.


7. Der Urstoff des Darmrohres ist anfangs eine gleichmäſsige
Masse mit vielen in ihr enthaltenen Körnchen. Sie sondert sich
bald, wie die Rücken- und Bauchplatten, in drei Lagen, nämlich
die Schleimhaut, die Muskelhaut und die seröse Haut. Die Schleim-
haut zerfällt, wie die Hautschicht, in eine oberflächliche, sich
häutende und eine untere, relativ persistirende Lage. Das Ge-
webe der Schleimhaut ist eine durchsichtige, zähe, verbindende
Masse von membranösem Charakter. Die in ihr enthaltenen Kü-
gelchen sind von einer meist rundlichen Form und im Allgemei-
nen gröſser, als in der äuſseren Haut. Die Muskelschicht entsteht
aus der verbindenden Masse, und eben so die seröse Haut durch
netzförmige Faserung in dieser (s. unten). —


8. Der Urstoff der Speicheldrüsen ist eine sehr zähe Gallerte,
welche zerstreute Körnchen in sich enthält. Durch diese Gal-
lerte werden auch die Organtheile derselben, die Gänge, gebildet.
Diese bilden sich dadurch, daſs die Masse an den Wandungen
derselben sich verdichtet (ohne in gleichem Verhältnisse an Körn-
chengehalt zu gewinnen), im Innern dagegen colliquescirt, zuletzt
aber hohl wird. Die unten noch zu erwähnenden Fasern entste-
hen, wie die der Arterienhäute.


9. Die Leber besteht zuerst aus einem Stoffe, welche dem
des Darmkanales am nächsten steht, d. h. aus einer zähen Masse,
welche ziemlich viele Körnchen zerstreut enthält. Späterhin
hat die Masse selbst eine geringere Consistenz und eine noch
[633]VIII. Entstehung der Organtheile und Gewebe.
unverhältniſsmäſsig gröſsere Anzahl von Körnchen, welche auch
kleiner als die früheren sind. Wahrscheinlich entstehen die Gal-
lengefäſse auf dieselbe Weise, wie die Gänge in den Speicheldrü-
sen, wie ich an einem anderen Orte specieller aus dem Hühnchen
auseinandersetzen werde.


10. Die Milz besteht zuerst aus einer gelatinösen, äuſserst
körnerreichen Masse, einer Mittelform zwischen der der Lungen
und der Leber. Als ich die ersten Fäden und Bläschen bei den
Säugethieren in ihr erkannte, hatten diese schon ihre faserige
Structur aufs deutlichste ausgebildet. Wahrscheinlich entstehen
sie wie die äuſserste Lage der mittleren Arterienhaut.


11. Das Gefüge der Lungen ist bald das dichteste von allen
drüsigten Eingeweiden, wiewohl die Körnchen der Zahl nach
weniger gefunden werden, als in der Leber. Auch sind die Gänge
durch die dichtere übrige Masse weniger scharf bei der Durch-
sicht vermittelst reflectirten Lichtes marquirt und die ihre genaue
Beobachtung vermittelnde Durchsichtigkeit geht bald durch Wein-
geist verloren, während sie in den Speicheldrüsen z. B. sich noch
lange erhält. Die späteren Bildungen unterscheiden sich nicht
von den analogen histiologischen Gebilden, so wie die Ringe der
Luftröhre und der Bronchien nicht von den übrigen Knorpeln,
die Faserhaut von der der Arterien u. dgl. m.


12. Die Nieren haben anfangs einen mäſsig körnerhaltigen
Urstoff, welcher ungefähr dem der Milz am nächsten steht. Die
Harnkanälchen enthalten späterhin sehr viele Körnchen und ihre
Masse ist so dicht und mit der übrigen Masse der Nieren gleich-
artig, daſs man sie bei durchfallendem Lichte nie genügend er-
kennen und mit Deutlichkeit unterscheiden kann. Am Wenig-
sten ist dieses bei solchen Früchten möglich, welche in Wein-
geist aufbewahrt werden, wiewohl ich hier noch anfangs die Harn-
kanälchen auf dunkelem Grunde mit Bestimmtheit wahrzunehmen
vermochte. Wesentlich dasselbe gilt von den Eierstöcken und
im Ganzen auch von den Hoden.


13. Die höheren Sinnesorgane bestehen aus einer die Wan-
dung bildenden sehr körnerreichen Masse, welche im Wesentli-
chen mit der des serösen Blattes überhaupt und der der Rücken-
und Bauchplatten insbesondere übereinkommt. Innerhalb dieses
Stoffes ist eine helle Flüssigkeit enthalten, in welcher sich kleine
Körperchen befinden, welche aber wahrscheinlich erst durch die
[634]Fragmente z. Gesetzlehre der individuellen Entwickelung.
Manipulation der Untersuchung in sie gelangen und durch sie
selbst veränderte Blutkörperchen sind. Späterhin sondern sich
diese beiden Theile auf die mannigfaltigste und verschiedenste
Weise. So entstehen aus der äuſseren Wandung im Auge 1. die
Sklerotika. Ihre Fasern stehen ihrer Genese nach den fibrösen
Häuten parallel. 2. Die Choroidea. In ihr sind auſser den Ge-
fäſsschichten die Kügelchenschicht und das Pigment von vorzüg-
licher Wichtigkeit. Die erstere entsteht nach dem Princip der
Isolirung aus einzelnen zerstreuten Körperchen oder Bläschen, um
welche sich nach demselben Principe die Pigmentkörperchen an-
legen. 3. Die Cornea besteht zuerst aus sehr vielen rundlichen
Körnchen und einer festen durchsichtigen verbindenden Masse,
welche später sich nach dem Gesetze der Verbindung in ein fa-
seriges Gewebe umwandeln. 4. Die Iris besteht aus einem kör-
nerhaltigen Gewebe, innerhalb welchem sich nach dem Principe
der Isolirung die Falten und Fasern bilden. 5. Die Linse be-
steht zuerst aus einem sehr körnerhaltigen weichen und durch-
sichtigen Stoffe, in welchem sich nach dem Principe der unmittelba-
ren Verbindung die Fasern von innen nach auſsen bilden. Ueber die
übrigen Theile des Auges und des Gehör- und Geruchsorganes sind
in dieser Rücksicht meine Beobachtungen noch nicht vollständig ge-
nug, als daſs ich sie hier specieller durchzugehen wagen dürfte.


14. Wenn an allen Stellen des Körpers sich die bestimmten
Organe, Organtheile und Gewebe hervorgebildet haben, so bleibt
zwischen den einzelnen Abtheilungen derselben eine Masse übrig,
welche man bei dem Erwachsenen mit dem Namen des Schleim-
gewebes, des Zellgewebes, des Bildungsgewebes u. dgl. mehr be-
zeichnet hat. Sein allgemeiner Charakter ist der, vermöge seiner
Zähigkeit die einzelnen Theile des Körpers zusammenzuleimen,
sie sowohl, als die in sie gehenden Gefäſse, Nerven u. dgl. in
ihrer bestimmten und nothwendigen Verbindung zu erhalten. Als
solches erscheint es in drei verschiedenen Hauptformen, welche
einander keinesweges nothwendig ausschlieſsen.


a. Es umhüllt kleinere oder gröſsere Theile membranartig,
und erscheint daher als eine hautförmige Ausbreitung von einer
mehr oder minder dichten Consistenz.


b. Es zieht sich als Verbindungsglied in Fäden entweder
schon als Zellgewebe oder verwandelt sich in solche nach jeder
selbst nicht sehr eingreifenden Behandlung.


[635]VIII. Entstehung der Organtheile und Gewebe.

c. Es bildet eine mehr unbestimmte Masse, welche aus einem
mehr oder minder zähen und durchsichtigen Stoffe und einer grö-
ſseren oder geringeren Anzahl von diesem eingeschlossener Körn-
chen besteht.


Mit der letzteren Form kommt die Masse der Keimhaut und
ihrer secundären Urstoffe noch am Meisten überein, wiewohl Körn-
chen sowohl, als verbindende Masse wesentlich differiren. Die
Körnchen sind der Zahl nach geringer und im Allgemeinen klei-
ner, als in der Keimhaut; die verbindende Masse ist zäher, feiner
und durchsichtiger. Durch künstliche Behandlung werden die Fä-
den erst dann erzeugt werden können, wenn die verbundenen
Organe schon einen hohen Grad von Selbstständigkeit haben und
ihre Organtheile in weiterer Ausbildung vorgeschritten sind.


So fein auch die Nuancen der einzelnen Urstoffe und ihrer
Metamorphosen zu seyn scheinen, so bestimmt lassen sie sich doch
in der Beobachtung verfolgen und unterscheiden. Ja Beschreibung
und Abbildung müssen hier am Wenigsten genügen können, da
sie nie die feinen Unterschiede und das Charakteristische der
Massen mit der erfoderlichen Bestimmtheit und Genauigkeit aus-
zudrücken vermögen.


Ehe wir nun in dem Versuche, die Gesetze der Histiogenie
zu entwickeln, fortfahren, müssen wir einige Begriffe näher in
das Auge fassen. Man hat nämlich in den bisherigen sogenann-
ten Systemen der Histiologie die verschiedensten morphologi-
schen, physiologischen, chemischen Elemente u. dgl. zusammenge-
worfen und aus diesem Complexe höchst verschiedenartiger Theile
gewisse Gruppen gemacht, welche nicht minder unnatürlich, als
verfehlt zu nennen sind. Auch hat man den Begriff der Gewebe
selbst viel zu wenig fixirt. So spricht man von dem Gewebe der
Drüsen und begreift hierunter das Verhältniſs der Drüsengänge
zu den übrigen Theilen der Drüse; bald darauf dagegen spricht
man inconsequent genug wiederum von einem Gewebe dieser
Drüsengänge. Ein solcher Mangel an Distinctionen kann nur
Verwirrung erzeugen, und hat sie auch schon in hinreichendem
Grade erzeugt. — Jede Geweblehre ist eine morphologische Wis-
senschaft, und eben so wenig als man zur Eintheilung der Or-
gane chemische Merkmahle u. dgl. zu Hülfe nimmt, eben so we-
nig kann und darf dieses in einer Histiographie geschehen. Für
die Geweblehre müssen wir den Begriff festhalten, daſs sie nur
[636]Fragmente z. Gesetzlehre der individuellen Entwickelung.
von den ohne künstliche Behandlung wahrzunehmenden einfachen
Theilen als eine morphologische Wissenschaft (im allgemeinen
Sinne des Wortes) handele. Hierdurch ist jede wieder aus Ge-
weben zusammengesetzte höhere Abtheilung eines Organes von
ihr ausgeschlossen. Wir wollen aber diese ersteren zwischen
dem Ganzen des Organes und seinen Geweben in der Mitte ste-
henden Dinge Organtheile nennen.


Jedes Organ hat nothwendiger Weise Organtheile, welche
nur dann mit dem Gewebe zusammenfallen, wenn sie einfach und
gleichartig durch und durch, wie z. B. in den Haaren, oder nur
durch andere, auch dem übrigen Systeme überhaupt eigene Or-
gantheile, wie Blutgefäſse, Nerven u. dgl. durchzogen, wie in den
Muskeln, Sehnen u. dgl., oder einem oder mehreren Nachbarthei-
len gemeinschaftlich sind, z. B. in der Oberhaupt, welche die auch
die Lederhaut durchdringenden Haare, Hautdrüsen, Spiralfäden u.
dgl. hat. Je differenter aber die Organtheile eines Organes sind,
um so differenter sind auch im Allgemeinen die Gewebe dersel-
ben unter einander. Die Organtheile selbst zerfallen aber


1. In allgemeine, d. h. solche, welche sich in derselben Qua-
lität in den meisten Organen des Körpers finden, z. B. die Ge-
fäſse, die Nerven u. dgl.


2. In charakteristische, d. h. in solche, welche nothwendig
sich finden müssen, sobald das Organ diesen oder jenen bestimm-
ten Charakter hat. So muſs sich in dem drüsigen Organe ein
Complex von Organtheilen finden, welche die Stoffe aussondern,
die Drüsengänge.


3. In besondere, d. h. solche, welche einem einzelnen oder
einigen wenigen eigenthümlich sind, wie die Spiralfäden der Ober-
haut und Lederhaut, die eigenen Höhlungen der Knochen und
Knorpel u. dgl. m.


Die Schemen, nach welchen die Organe in ihre besondere
Organtheile zerfallen, lassen sich aber in folgende Rubriken bringen:


1. Sie zerfallen nach der Dimension der Linie in Bündel,
so z. B. die Muskeln, die Sehnen.


2. Sie zerfallen nach der Dimension der Fläche in Membra-
nen, welche einander circulär einschlieſsen, z. B. in dem Darme.


3. Das Verhältniſs der Organtheile zu den Organen ist wie
das eines Contentum zu einem Continens überhaupt, und zwar
sind die einzelnen Organtheile selbst


[637]VIII. Entstehung der Organtheile und Gewebe.

a. Nur contiguirlich oder nur zum Theil continuirlich mit
einander verbunden, wie im Gehirn.


b. Allseitig continuirlich, d. h. netzförmig mit einander ver-
bunden, wie die Blutgefäſse.


c. Einseitig continuirlich, d. h. so mit einander verbunden,
daſs ein Hauptstamm derselben sich in sehr viele und immer klei-
nere Aeste, welche zuletzt blind endigen, verästelt, wie in den
drüsigten Organen.


Im Allgemeinen ist No. 3. a. den besonderen, No. 3. b. den
allgemeinen und No. 3. c. den charakteristischen Organtheilen ei-
genthümlich.


Jeder Organtheil hat sein bestimmtes Gewebe. Gleichartige
Organtheile haben im Allgemeinen auch gleichartige Gewebe, im-
mer wenigstens gleiche Urtypen der Gewebe.


Alle Gewebe des Körpers lassen sich unter folgende Rubri-
ken unterordnen.


1. Die beiden Momente aller Gewebbildung überhaupt, ein
relativ Festes als Körnchen und ein relativ Flüssiges als verbin-
dende Masse, sind geschieden neben einander, und zwar


a. Das Flüssige constituirt die Hauptmasse und die festen
Theile, die Körnchen nehmen nur eine sehr untergeordnete Stel-
lung an. Die Masse bleibt daher auch noch in flüssiger Form,
wenn sie aus dem Körper entfernt ist. Excretionsstoffe wie Spei-
chel, Urin u. dgl.


b. Das Flüssige constituirt die Hauptmasse. Es findet sich
in ihm zwar ein relativ Festes, allein gröſsere Unterschiede der Cohä-
sion geben sich besonders bald nach Entfernung aus dem Körper
durch Gerinnung zu erkennen. Blut, Lymphe, Milch u. dgl.


c. Flüssiges und Festes sind geschieden. Allein schon selbst
das erstere erscheint nicht unter der Form eines reinen Flüssigen,
sondern eines Halbflüssigen, Gelatinösen, Zähen. In einfacher Ge-
stalt ist diese Form in dem Gewebe aller Urstoffe und der Keim-
haut selbst enthalten. In modificirten Formen findet sie sich in
der grauen Substanz des Gehirnes, dem Parenchym der Drü-
sen u. dgl.


2. Die ursprüngliche Scheidung der Masse in relativ Festes
und Flüssiges schreitet zu höheren Bildungen fort, welche durch
folgende Momente bedingt werden:


a. Die ursprüngliche Form des Urstoffes ändert sich dahin
[638]Fragmente z. Gesetzlehre der individuellen Entwickelung.
um, daſs sie halbflüssig bleibt und als solche die Neigung zur Fa-
serbildung annimmt, wie in der weiſsen Substanz des Hirnes und
Rückenmarkes.


b. Der ursprüngliche Stoff verwandelt sich entweder ganz
in dichte feste Gebilde, in welchen keine Körperchen enthalten
sind, und zwar


α. In faseriger Gestalt. Willkührliche Muskeln, Sehnen.


β. In membranförmiger Gestalt. Linsenkapsel. Oder


c. Der ursprüngliche Stoff verwandelt sich in eine neue mehr
oder minder dichte Masse, in welcher wiederum ein Gegensatz
von verbindender Masse und Körnchen auftritt, und zwar


α. Die Körnchen sind in der verbindenden Masse, welche
die membranöse Form angenommen, zerstreut. Schleimhäute.


β. Die membranöse Form besteht aus einem Gewebe von Fa-
sern, welche selbst eine körnige Structur besitzen.


αα. Die Fasern sind neben einander parallel gelagert. Un-
willkührliche Muskeln des Darmes, contractile Fasern der Iris,
des Uterus, des Penis mancher Thiere u. dgl.


ββ. Die Fasern laufen strahlenförmig auseinander und beste-
hen aus mehr oder minder deutlich mit einander verschmolzenen
Körperchen. Crystalllinse.


γγ. Die Fasern sind netzförmig verbunden. Fibröse Häute
und dgl.


c. Die membranöse Form ist zu einem sehr dichten Gewebe
eingegangen, in welchem mehr oder minder regelmäſsige Körper-
chen eigenthümlicher Art sich befinden. Knorpel, Knochen.


d. Die ganze Masse ist zu einem dichten Fasergewebe ein-
gegangen, welche als feste gleichartige Fäden parallel mit einan-
der verlaufen und innig verbunden sind, z. B. die von Purkinje
und mir beobachteten Faserschichten an den Arterien, dem Vas
deferens
, den Ausführungsgängen der Drüsen u. dgl.


c. Die ganze Masse oder der bei Weitem gröſste Theil der-
selben ist in Körperchenbildung eingegangen, welche daher dicht
beisammen sind, einander meist sehr fest adhäriren und selbst
nicht selten geradlinigte geometrische Begrenzungen annehmen,
wie die Pigmentschicht der Choroidea, die Jacobsche Haut u. dgl.


Um es also nochmals kurz zu wiederholen, so ist das Prin-
cip dieser scheinbar willkührlichen Eintheilung folgendes: Alle
Theile des Organismus gehen aus einem mehr Festen und einem
[639]VIII. Entstehung der Organtheile und Gewebe.
mehr Flüssigen hervor. Dieser Gegensatz spricht sich aber in der
Urmasse als der von verbindender Masse und Körnchen aus. Ent-
weder wird nun ein Drittes von diesen und zwar eine mehr flüs-
sige oder eine mehr feste Masse gebildet, oder das Festere geht
in eine höhere feste Form über oder das Flüssige durchläuft diese
Metamorphose, während die Körnchen entweder zwischen oder
in ihm bleiben oder ganz schwinden. Mehr Momente sind nicht
denkbar und jede Form der Gewebe muſs nothwendig in eine
dieser Abtheilungen gehören. Der beste Probierstein wird bald
die Geschichte der Genese derselben liefern. Zuvörderst müssen
wir aber erst die der Organtheile selbst in Erwägung ziehen.


Die Organtheile sind nicht einfache, einander coordinirte
Theile, sondern befinden sich in einer mehrfachen Reihe von Sub-
ordinationen, sind also überaus relativ. Man kann aber im All-
gemeinen hier drei Grade unterscheiden, und zwar nähere, ent-
ferntere und entfernteste Organtheile. Einige Beispiele mögen
das Gesagte erläutern und tiefer begründen. So sind die nähe-
ren Organtheile eines jeden drüsigen oder drüsigten Organes Gänge,
eigenthümliches Parenchym (?), Blutgefäſse, eine äuſsere dichtere
oder lockerere Hülle u. dgl. m. Das Ganze der Gänge zerfällt
wiederum in untergeordnete Theile, und zwar z. B. in den Nie-
ren in ferreinsche Pyramiden, in den Speicheldrüsen in die Drü-
senlappen, in den Lungen in Läppchen. Diese endlich zerfallen
in die entferntesten Bestandtheile, so in den Nieren in die Harn-
kanälchen, in den Speicheldrüsen in die Speichelkanälchen u. dgl.
mehr. Die entferntesten Bestandtheile nehmen noch bisweilen
verschiedene Formen an, wie z. B. in den Nieren, in der Mark-
und Rindersubstanz. Die entfernteren Bestandtheile bilden ge-
wisse Mittelglieder, welche auch durch Abtheilungen der äuſse-
ren Form oft bezeichnet sind.


Die Entstehung aller Organtheile und Gewebe läſst sich un-
ter fünt Gesetze bringen, denen sie mehr oder minder in dem
zeitlichen Verfolge ihrer Genese unterworfen sind.


1. Das Gesetz der vorbereitenden Umänderung. Die beiden
Gegensätze des Urstoffes, die Kügelchen und die zähe verbindende
Masse gehen gewisse Metamorphosen ein und verflüssigen sich
entweder gänzlich oder zum Theil oder nehmen theilweise eine
dichtere Consistenz, veränderte Gestalt und Gröſse an.


2. Das Gesetz der isolirten Entstehung. Es bilden sich ein-
[640]Fragmente z. Gesetzlehre der individuellen Entwickelung.
zelne Theile dem Raume und z. Th. der Zeit nach völlig von
einander geschieden aus und jeder von ihnen formirt oder schei-
det sich nach eigenthümlichen Gesetzen, welche durch seine ei-
gene Individualität, wie die seines Organes, bedingt werden.


3. Das Gesetz der Vereinigung. Die isolirten Theile treten
zu den bestimmten Theilen zusammen entweder nach der Dimen-
sion der Linie parallel neben einander oder netzförmig oder ein-
seitig (Verästelungsform) u. dgl.


4. Das Gesetz der Zerfällung. Von den isolirt entstandenen
Theilen zerfällt jedes in untergeordnete Theile, sey es in Form
der Linie neben einander oder netzförmig mit einander oder als
Ramificationen aus den Alten.


5. Endlich das Gesetz der Charakterisirung. Die so zuletzt
entstandenen entferntesten Organtheile charakterisiren sich nach
ihren bestimmten Individualitäten. Meist trifft diese letztere die
Mischung, Cohäsion u. dgl., bisweilen aber auch das Morpholo-
gische.


Wir wollen nun die einzelnen Gesetze specieller durchgehen.


1. Das Gesetz der vorbereitenden Umänderung. Wie die
äuſsere Gestalt des Urstoffes seine bestimmten Metamorphosen ein-
geht, um zu dem individuellen Organe zu werden, so erzeugen
sich auch bestimmte Metamorphosen desselben, um seine Organ-
theile und Gewebe darzustellen. Ihre innere Mischung wird hier
wahrscheinlich im Wesentlichen eine andere. Ebenso aber auch
ihre morphologische Form, ihr Gewebe. Beide Bestandtheile ge-
hen gleich wichtige Umbildungen ein. Sie müssen sich selbst in
ein Drittes umändern, ehe sie in die bestimmte Bildung sich me-
tamorphosiren. Wenn man daher auch bisweilen sieht, daſs die
Körnchen des Urstoffes unmittelbar in die eigenthümlichen Kör-
perchen eines Theiles übergehen, so muſs man sich diesen Pro-
ceſs nur als ein beständiges Werden, d. h. ein mittelbares Hervorge-
hen eines Neuen aus dem in eine Reihe von Veränderungen eingegan-
genen Alten, denken. Gerade dieser Theil der Entwickelungsge-
schichte ist ohne Zweifel derjenige, welcher am Unerforschtesten ist
und seyn wird, da uns die Hauptkriterien der Distinction, die Unter-
schiede der Mischung durch chemische Mittel zu erforschen un-
möglich sind. Nur physikalische Zeichen leiten uns bisweilen
auf diesem Wege, so z. B. a. die Cohasion. So sehen wir, be-
vor wahres rothes Blut sich bildet, eine zähe halbflüssige Masse
aus
[641]VIII. Entstehung der Organtheile und Gewebe.
aus dem Urstoffe entstehen, und noch weit zäher zeigt sich das
Blastema der Drüsen. So wird der Urstoff des Knochens immer
fester und enthält dichtere Körperchen u. dgl. m.


b. Die Härte. Die Knorpelmasse zeigt sich härter, als die
seines Urstoffes, und der Knochen härter, als der Knorpel; die Ar-
terienhäute dichter, als das Blut u. dgl. m.


c. Die Durchsichtigkeit. Alle Organe und Organtheile,
welche später Höhlungen in ihrem Innern enthalten, werden zu-
erst in der Mitte ihres Urstoffes durchsichtiger, als an ihren künf-
tigen Wandungen.


d. Farbe. Wiewohl alle Fötaltheile eine mehr helle Farbe
haben, so charakterisirt sich doch diese bald auf eigenthümliche
Weise in jedem Organe und Organtheile. Ich erinnere nur z. B.
an das scharfe Weiſs der Harnkanälchen (auf schwarzem Grunde),
an das mehr graulich Weiſse mehrerer Häute des Auges u.
dgl. mehr.


Alle diese feinen Nüancen lassen sich in der Natur selbst weit
schärfer bestimmen und leichter erkennen, als durch jede Be-
schreibung oder Abbildung wiedergeben.


2. Das Gesetz der isolirten Entstehung. Dieses Gesetz gilt
wahrscheinlich allgemein für alle entfernteren Organtheile eines
Organes. Wir haben es bis jetzt in folgenden Theilen mit Be-
stimmtheit durch Beobachtung nachgewiesen.


a. In den Knochen. Die Höhlungen der Knochen entstehen
als einzelne isolirte Höhlen, welche sich verlängern und überhaupt
vergröſsern und zuletzt zusammenstoſsen.


b. In den Muskeln. An frischen willkührlichen Muskeln
zeitiger Embryonen kann man sich sehr leicht hiervon überzeu-
gen. Bringt man ein Stück derselben unter das Mikroscop, so
sieht man die einzelnen Muskelbündel durch Blastemmassen auf
das Bestimmteste von einander geschieden.


c. In den Sehnen findet dasselbe wie in den Muskeln, im
Allgemeinen jedoch in einer etwas früheren Zeit Statt.


d. In dem Fette. Hier entstehen, wie schon oben berichtet
wurde, einzelne isolirte Fettkugeln, welche später erst zu ver-
bundenen Massen zusammenstoſsen.


e. In der Haut. Wir haben es oben schon wahrscheinlich
zu machen gesucht, daſs die Spiralen der Hautdrüsen und der
Haare nur secundär zusammenfallen. Daſs die ersteren von au-
41
[642]Fragmente z. Gesetzlehre d. individuellen Entwickelung.
ſsen nach innen, die letzteren von innen nach auſsen sich bilden,
ist durch Beobachtung erwiesen.


f. Im Blute. Von der isolirten Entstehung der Blutinseln
haben wir oben ausführlich gehandelt.


g. Im Darmkanal. An der Stelle der netzförmig verbunde-
nen Falten entstehen isolirte Zotten in dem Magen und den dik-
ken Gedärmen, wie oben berichtet wurde.


h. In den Nieren. Hier haben wir durch unsere Beobach-
tung mit Bestimmheit erwiesen, daſs die entfernteren Organtheile
isolirt entstehen. Denn jede dort gefundene getrennte und für
sich bestehende Bildung hat, wie es der Erfolg der Entwickelung
zeigt, nicht die Bedeutung eines Harnkanales, sondern eines be-
stimmten Conglomerates derselben, oder, um mich eines in der
Folge gebrauchten Ausdruckes zu bedienen, einer Pyramide.


i. In den Drüsen. Wenn es uns bis jetzt noch nicht auch
mit aller Bestimmtheit gelang, die isolirte Urbildung nachzuwei-
sen, so haben wir doch von einem diesem analogen Processe aus
späterer Zeit oben gesprochen.


k. In dem Hoden. Wir haben es oben gesehen, daſs die
erste Andeutung der Saamenkanälchen breite parallel neben ein-
ander liegende Leisten waren, welche im Anfange wahrscheinlich
nur contiguirlich mit einander verbunden waren.


Es ist schon oben bemerkt worden, daſs den entfernteren
Organtheilen oder den bestimmten Verbindungen der entfernte-
sten gewisse äuſsere Abtheilungen correspondirend entsprechen.
Anhangsweise wollen wir daher Einiges hierüber anführen. Or-
gan und Organtheil scheinen auf den ersten Blick von einander
unabhängig und getrennt zu seyn, und doch zeigt es sich im fer-
neren Verlaufe der Entwickelung, daſs beide zu einem Ziele ten-
diren. Wir wollen hier, um für diese Erscheinung einen höhe-
ren Grund zu finden, uns eines scheinbaren Vergleiches bedienen,
welcher aber eben das Wesen dieses so merkwürdigen Processes
ausmacht, und bei näherer Betrachtung daher aus einem Verglei-
che zu einer Erklärung wird. Wir haben es oben gesehen, daſs
in der ganzen Natur die Uridee als Allgemeines der Individuali-
tät als Besonderes gegenübersteht, daſs beide für sich Nichts sind,
sondern einander durchdringen müssen, um das Einzelwesen dar-
zustellen, und daſs daher specialisirteste Uridee und speciellste
Individualität in dem besonderen Einzelwesen zusammenfallen.
[643]VIII. Entstehung der Organtheile und Gewebe.
Uridee und Individualität sind Verschiedenes, Entgegengesetztes,
und werden doch erst dadurch zu wahren Realitäten, daſs sie zu
einem Dritten, von ihnen Verschiedenen und sie beide Umfassen-
den eingehen. So sind auch in dieser frühen Zeit Organ und
entfernterer Organtheil, wie Aeuſseres und Inneres, wie Uridee
und Individualität überhaupt einander Entgegengesetztes. Beide
sind in diesem Zustande für sich Nichts, als etwas Unvollkommenes.
Jedes von ihnen muſs sich specieller individualisiren, um das spe-
ciellste Organ mit seiner bestimmten äuſseren Form und der be-
stimmten Conformation seiner entfernteren und entferntesten Or-
gantheile darzustellen. Damit aber das Gesagte nicht als bloſses
Raisonnement aufgenommen werde, wollen wir es durch das Bei-
spiel eines Theiles erläutern. So findet sich in dem Blastema der
Drüsen, sobald die erste einfache Ramification der Gänge entstan-
den, ein gelappter Bau, scheinbar unabhängig von den im Innern
enthaltenen Gängen. Das ganze Organ kann aber auch noch lange
nicht die specielle Individualität aufweisen, welche es als ausge-
bildete Drüse hat. Dies geschieht jedoch im Laufe der Entwicke-
lung dadurch, daſs einerseits die Lappen sich immer theilen, die
äuſsere Form also immer vielfacher wird, anderseits die Gänge
sich immer mehr verästeln, der innere Bau immer zusammenge-
setzter wird, bis zuletzt endlich jedes Drüsenläppchen ein be-
stimmtes Conglomerat von Gängen, ein oder mehrere Drüsen-
träubchen enthält. Dasselbe läſst sich auf die Muskeln, Sehnen,
Knochen u. dgl. anwenden.


Manche drüsigte Organe haben eine mehr einfache Form, wie
die Nieren, die Leber, die Lungen u. dgl. Daſs diese aber erst
secundär aus vielen äuſserlich getrennten Theilen entstehen, haben
wir schon oben erwähnt.


3. Das Gesetz der Vereinigung. — Schon oben in der Ge-
setzlehre der Organe hatten wir Gelegenheit zu bemerken, wie
manche später verbundene Organe getrennt und einzeln entstehen
und erst secundär zusammenstoſsen. Ganz dasselbe findet bei
den isolirt entstandenen Organtheilen Statt, doch combinirt es
sich hier zu folgenden verschiedenen Formen.


a. Als parallele Nebeneinanderlage. In den Muskeln und Seh-
nen rücken die isolirten Bündel immer nähe an einander, zwar
nicht so, daſs sie lauter parallele Leisten bilden, doch auf die
Art, daſs sie nach der Längenrichtung neben einander gelagert
41*
[644]Fragmente z. Gesetzlehre d. individuellen Entwickelung.
sich befinden. Denn wo ein Muskelbauch sich verschmälern soll,
hören, was die Dimension der Länge betrifft, manche Bündel zwi-
schen anderen auf, und die übrigen erhalten daher eine conver-
girende Richtung.


b. Als eine Contiguität der Fläche. So vereinigen sich viele
isolirt entstandene Fettkügelchen zu Fettklümpchen.


c. Als netzförmige Verbindung. Diese ist entweder nur in
der Flächendimension ausgebreitet, wie in dem Magen und den
dicken Gedärmen, oder nach allen Dimensionen hin mit den dem
Organe oder Organtheile eigenthümlichen Charakteren, wie in den
Knochen, in den Blutgefäſsen u. dgl.


d. Einseitige Verbindung. Die isolirt entstandenen Organ-
theile tendiren nach einem bestimmten Gebilde, um sich in die-
ses zu münden oder unmittelbar mit ihm zu verbinden. Das Er-
stere findet z. B. in den Nieren, das Letztere in den Speichel-
drüsen Statt.


e. Vielfach einmündende Verbindung? Diese Form findet
sich vielleicht in den Hoden, den Lymphdrüsen u. dgl. In dem
ersteren finden sich zuerst eine Menge Platten, welche sich ver-
mehren, dünner werden und verknäueln, wo dann statt des
bloſs contiguirlichen Zusammenhanges ein continuirlicher gefun-
den wird.


Fragen wir aber nach den Momenten, durch welche die Ver-
bindung der isolirt entstandenen Theile geschieht, so finden wir


a. Fortgesetzte Vermehrung der Theile eines Organes, so daſs
sie sowohl absolut, als auch in Verhältniſs zu dem Raume des
Organes immer zahlreicher werden.


b. Fortgesetzte Zertheilung der alten schon entstandenen iso-
lirten Gebilde, welche nach den bald näher zu bestimmenden Mo-
menten geschieht.


Der Zeit nach wird das Moment der Verbindung entweder
vor dem Acte der Zertheilung (doch im Ganzen seltener) oder
nach demselben realisirt.


4. Das Gesetz der Zerfällung. Wir haben es eben gesehen, daſs
die entfernteren Organtheile als relativ isolirte Individuen für sich
und getrennt entstanden waren und sich erst auf dem Wege der
Vervielfältigung, Vergröſserung und Zerfällung zu gröſseren Grup-
pen verbanden. Für sich zerfällt nun jeder entferntere Organtheil
in seine entferntesten Theile und zwar


[645]VIII. Entstehung der Organtheile und Gewebe.

a. Nach der Dimension der Länge. So theilt sich das zu-
erst entstandene Muskelbündel in parallele Muskelfasern.


b. Nach der Dimension der Fläche. So theilt sich die Haut-
schicht in Lederhaut, malpighische Schicht und Oberhaut.


c. Nach körperlichen Dimensionen.


α. Die netzförmige Verbindung zertheilt sich dadurch, daſs
neue netzförmige Verbindungen zwischen ihnen und innerhalb
derselben entstehen. Diese bilden sich durch Entstehung neuer
isolirter Theile innerhalb und zwischen den alten und secundäre
Verbindung mit ihnen. Diese Art der Genese ist durch Beobach-
tung nachgewiesen. Als eine andere Art derselben wird angege-
ben, daſs die alten sich an bestimmten Stellen verlängern, bis sie
so andere Netze erreichen und neue bilden. Doch bedarf diese
Art der Entstehung noch sehr der Stütze der Erfahrung. Vgl.
die Genese des Blutes.


β. Die einseitige Verästelung. Hier haben sich die isolirten
Theile mit einem entfernteren Haupttheile so verbunden, daſs sie
als Seitenzweige desselben erscheinen, z. B. die Gänge der Drü-
sen mit dem Hauptgange. Nun vermehren sich die Seitenzweige
und ihre Verästelungen immer mehr und mehr und constituiren
auf diese Weise die entfernteren und entferntesten Nebengänge
bis zu ihren einfachen traubenförmig verbundenen blinden Enden.


γ. Die Verknäuelung. Die Nebengänge sind vielfach in ein-
ander gewunden und haben einen oder mehrere Hauptgänge, wel-
che entweder wieder entfernte Theile, wie in den Nieren die
Becken, oder nahe Theile, wie in dem Hoden das Vas defe-
rens
, sind.


5. Das Gesetz der Charakterisirung. Wie jedes Organ sei-
nen bestimmten individuellen Charakter hat, so auch jeder Or-
gantheil, und dieses ist eben der Grund, daſs jedes Partikelchen
eines Organes eben so nothwendig auf die bestimmteste Weise
charakterisirt ist, als das Organ selbst. Nach unseren bisherigen
Kenntnissen kann man so die Charaktere der Blutgefäſsnetze, der
Knochenkanäle u. dgl. schon erkennen. Da diese Eigenthümlich-
keiten aber die speciellsten sind, so müssen sie auch der Zeit
nach zuletzt sich bilden. Und so entsteht z. B. als Schluſspunkt
der Organ- und Organtheilentwickelung die eigenthümliche Cha-
rakteristik der entfernteren und entferntesten Organtheile. Um
aber eben den [ganzen] Gang anschaulicher zu machen, wollen wir
[646]Fragmente z. Gesetzlehre d. individuellen Entwickelung.
die Nieren zum Beispiel wählen. Hier entstehen isolirt und von
einander getrennt 1. die einzelnen Höhlen, welche in die Bedeu-
tung von Pyramidenabtheilungen treten. 2. Das Nierenbecken
und 3. der Ureter. Diese Alle verbinden sich erst secundär mit
einander. Unterdeſs haben sich aber an jeder isolirten Höhlung,
welche die Bedeutung einer Pyramide hat, einzelne Hervorragun-
gen gebildet, welche sich bald so vermehren, daſs, das Ganze die
Form zurammentretender mit blinden Anschwellungen versehener
Kanälchen bildet. Das nächste Moment ist nun dieses, daſs jene
sich verlängern, vielfach durch einander winden und verknäueln.
Endlich charakterisiren sie sich bestimmt dadurch, daſs sie an
der Peripherie gewunden bleiben, nach dem Centrum dagegen sich
gerade strecken und auf diese Weise den Gegensatz von Mark-
und Rindersubstanz erzeugen. Man irrt daher sehr, wenn man
glaubt, daſs die Marksubstanz nach oder aus der Rindensubstanz
entstehe. Ihre vorhergehende Bildung ist ein fremdes Drittes,
aus welchem beide erst hervorgehen.


Was wir hier als specielle Gesetze der Entstehung der Or-
gantheile angeführt haben, ist am Ende nur dasselbe durch un-
mittelbare Beobachtung dargethan, was wir oben schon im All-
gemeinen als in dem Wesen der Natur überhaupt dargestellt ha-
ben. Es findet sich auch hier nur jener überall wiederkehrende
Kampf zwischen dem Individualisationstriebe einerseits und der
nothwendigen Subsumption unter einem höheren Ganzen anderseits.
Daher die anfangs isolirte Entstehung von Theilen, die sich spä-
ter zu einem harmonischen Ganzen verbinden und dann wieder-
um in einzelne untergeordnete Theile zerfallen. Dieses letztere
Moment als ein von den Organen überhaupt und deren Organthei-
len besonders Abhängendes beginnt daher entweder vor oder nach
der Verbindung der entfernten Organtheile. Alle aber müssen die
angegebenen Momente durchlaufen, wenn auch bisweilen zwei der
Zeit nach zusammenfallen.


Wir haben oben die Gewebe von den Organtheilen dadurch
unterschieden, daſs sie die bei unmittelbarer Beobachtung (ohne
künstliche Behandlung durch Maceration, Reagentien u. dgl.) sich
ergebenden allereinfachsten Theile der Organe sind. Man sieht,
daſs, wenn auch nach unten hin die Grenze dadurch sicher be-
stimmt ist, sie doch von den näheren, entfernteren und entfern-
testen Organtheilen nur dem Grade nach verschieden sind. Eine
[647]VIII. Entstehung der Organtheile und Gewebe.
nothwendige Folge hiervon ist die, daſs auch ihre Gesetze sich
mehr oder minder auf die der Genese der Organtheile reduciren
lassen. Doch findet sich hier kaum das Princip der Isolirung, es
sey denn in den bald zu bezeichnenden Theilen, wo durch bloſse
Massenveränderung überhaupt das Gewebe organisirt wird.


Der Urstoff besteht aus Körperchen und verbindender Masse.
Beide gehen Metamorphosen ein, um sich in bestimmte Gewebe
zu verändern, und zwar nach allen möglichen Nüancen.


1. Der Gegensatz von Körnchen und verbindender Masse
bleibt wie früher. Jedes von Beiden nimmt nur ein nach dem Cha-
rakter des Gewebes verändertes Wesen an. So im Schleimgewebe,
in der grauen Substanz des Gehirnes, im Blute, der Lymphe u. dgl.


2. Beide lösen sich zu einem völlig durchsichtigen, im All-
gemeinen festen Stoffe auf, in welchem die Körnchen entweder
ganz fehlen, wie in der Linsenkapsel, der die Gefäſse verbinden-
den Membran des Kapselpupillarsackes u. s. w., oder sehr klein und
schwer zu bemerken sind, wie in der Membrana humoris vitrei.


3. Der Gegensatz der Körnchenbildung und der der verbin-
denden, homogenen Massenbildung durchläuft alle denkbaren Me-
tamorphosenreihen.


a. Die ganze neue Masse constituirt sich durch dicht an einander
liegende Körnchen, welche nach dem Principe der Isolirung entstan-
den sind und durch die Zahlvermehrung endlich zu einem zusammen-
hängenden Ganzen werden, wie in der Kugelschicht der Choroidea.


b. Die Körnchen gehen durch sichtbar zu verfolgende Ver-
schmelzung in eine Bildung ein, welche im vollendeten Zustande
aus der verbindenden Masse selbst wegen ihrer Gleichartigkeit und
ihres dann sich findenden Mangels ohne Körnchen zu seyn scheint.
Dieses ist, wie schon oben angegeben wurde, unterscheidender
Charakter der willkührlichen Muskelfäden von den meisten unwill-
kührlichen und anderen ähnlichen Geweben. Nach dem Gesetze der
Charakterisirung erhalten nun zuletzt die Muskelfäden ihre zier-
lichen mit Querstreifen versehenen Scheiden.


c. Von der verbindenden Masse, welche aber nicht mehr als
solche dann existirt, sondern ein drittes aus der Vereinigung der
Körnchen und der verbindenden Masse des Urstoffes Hervorgegan-
genes ist, entstehen die neuen Gewebe. Die nächste Form ist
nun die, wie die verbindende Masse sich zu den Fäden umbildet,
während sich zwischen ihnen eine um so gröſsere Anzahl von
[648]Fragmente z. Gesetzlehre d. individuellen Entwickelung.
Körnchen befindet, je jünger jene Fäden sind. Diese Form ist
im Allgemeinen den unwillkührlichen Muskeln, vorzüglich denen
des Herzens eigen. Doch haben alle diese Fäden mehr oder min-
der das Eigenthümliche, daſs sie keinen so hohen Grad von Fe-
stigkeit erlangen, als die der willkührlichen Muskeln, und stets
jedoch mit Ausnahme der Herzmuskulatur ein mehr oder min-
der granulirtes Aussehen behalten.


d. Es schwindet jede Spur von Körnchen und die einfache
Gewebemasse besteht aus gleichartigen, durchsichtigen mehr oder
minder soliden Fibern, welche aber um so weicher und um so
granulirter sind, je früher die Stufe der Ausbildung ist, auf wel-
cher sie sich befinden, wie die Quer- und Längenfasern der Ar-
terien, die Fasern der Sklerotika u. dgl.


e. Zwischen den Fasern fehlt jede Spur von Körnchen oder
eigenthümlichen Körperchen. Jene selbst bestehen entweder aus
aneinander gereiheten Kügelchen oder aus einem granulirten We-
sen. Hornhaut, Lederhaut, seröse Häute u. dgl.


f. Die ganze Masse wird flüssig. Als solche für sich besteht
sie aus Kugeln, welche durch das umhüllende Schleimgewebe,
die Blutgefäſse u. dgl. eingeschlossen werden. Fett.


g. Die Masse ist halbflüssig, breiartig. Vermöge ihrer un-
gemeinen Liquidität nimmt sie isolirt sehr leicht die Gestalt von
Tropfen an. Sie hat aber ihrer Natur gemäſs die Tendenz zur
Faserbildung, und das Ganze erscheint daher in Form gewöhnli-
cher Fäden oder Fasern oder angeschwollenen, varicösen Fasern
(Kugel- und Faserbildung in und mit einander), wie in der Ner-
vensubstanz.


h. Die Masse ist dicht. Sie besteht aus einem mehr festen
durchsichtigen fast opalartigen weiſsen oder röthlichen Stoffe und
einer Menge regelmäſsig geordneter Körperchen von einer meist
rundlichen Form. Knorpel.


i. Die ganze Masse geht aus der vorigen hervor. Ein Theil
der Körperchen verschmilzt mit der verbindenden Masse, verän-
dert im Laufe der Metamorphose seine Consistenz, Farbe, Durch-
sichtigkeit, chemischen Bestandtheile u. dgl. und scheidet sich zu-
letzt in contiguirliche, dicht verschmolzene durchsichtige einfache
Lamellen und Fasern, zwischen welchen ein Theil der früheren
Knorpelkörperchen nach bestimmten Veränderungen der Gestalt,
Härte u. dgl. als eigenthümliche Körperchen zurückbleiben. Knochen.


k. Die ganze Masse verändert sich zwar; sie besteht aber,
[649]VIII. Entstehung der Organtheile und Gewebe.
wie der Urstoff, aus verbindender, durchsichtiger homogener Masse
und Körnchen und hat beide Gegensätze fast in denselben Men-
genverhältnissen. Schleimhäute u. dgl.


Wir haben oben schon einiges Fragmentarische über die aus-
gebildeten Gewebe angeführt und hier die Schemen ihrer Ent-
wickelung darzustellen versucht. Ehe wir nun weiter fortschrei-
ten, müssen wir noch einige Worte über die künstliche Behand-
lung derselben durch Reagentien hinzufügen.


Diese eben angegebene Richtung verhält sich zu der unmit-
telbaren Beobachtung der Gewebe, wie das Experiment zur Beob-
achtung. Jenes stellt, um mich eines von einem geistreichen Schrift-
steller gebrauchten Ausdruckes zu bedienen, die Natur gleichsam
auf die Folter. Ihr Resultat ist daher im Allgemeinen häufig entweder
unwahr oder wenigstens nicht speciell genug. Nun liefert die
reine Beobachtung der Gewebe eine Reihe von individuellen For-
men, welche sich unter bestimmte Typen oder Schemen bringen
lassen. Durch das Experiment dagegen, d. h. durch chemische
Reagentien wird das Individuelle z. Th. vernichtet, und man erhält
dafür in der Erfahrung und Anschauung gewisse gleiche oder ähn-
liche Formen, welche eine gleiche oder analoge Individualität
haben. Man kann die auf diesem Wege erzeugten Effekte in
vor- und rückschreitende zerlegen. So zerfällt durch anhaltende
Maceration die Muskel- und Sehnenfaser in einfache, den Zellgewebs-
fäden völlig gleiche Fäden. Eben dasselbe geschieht mit dem Gewebe
der Arterienhäute, der fibrösen Häute, der Knochen u. dgl. Dies
wäre die rückschreitende Veränderung. Eine vorschreitende z. B.
ist die, wo durch Einwirkung von Weingeist, liq. kali carbonic.
u. dgl. Fasern in Gebilden deutlicher oder sichtbar werden, wo
sie früher entweder unvollständig oder gar nicht wahrgenommen
werden konnten. Man sieht daher, daſs in bestimmten Grenzen
diese Methode wohl zu gebrauchen und zu allgemeineren Gesichts-
punkten zu führen im Stande sey.


Schon Wolff hatte bekanntlich in seiner Generationstheorie
den Satz aufgestellt, daſs jedes Organ zuerst überhaupt angelegt
und später organisirt werde. J. Fr. Meckel (System der verglei-
chenden Anatomie Bd. 1. S. 285.) sprach sich ebenfalls dahin
aus, daſs die äuſsere Form sich schneller entwickele, als die in-
nere oder das Gewebe. Es dürfte hier der Ort diesen im Allge-
meinen wahren Satz nach seinen speciellen Verhältnissen zu li-
mitiren. In jedem Organe wird in den ersten Zeiten der Ent-
[650]Fragmente z. Gesetzlehre d. individuellen Entwickelung.
wickelung der Urstoff in einer Form angelegt, welche im allge-
meinsten Umrisse der des zukünftigen Organes entspricht. Seine
innere Organisation enthält noch nicht die späteren individuellen
Theile, ist jedoch auf bestimmte Weise charakterisirt, wie wir
oben auseinanderzusetzen versucht haben. Nun theilt sich das
Organ äuſserlich in eine bestimmte Anzahl von Theilen; innerlich
entstehen die isolirten Organtheile. Beide Processe ereignen sich
scheinbar unabhängig von einander. Daſs sie jedoch durch eine
höhere Einheit zusammengehalten und bestimmt werden, zeigt
der Umstand, daſs sie zuletzt zu einem Ziele zusammenstoſsen
und sich verbinden, in ihrer Totalität nämlich zu dem bestimmt
charakterisirten und in seinem ausgebildeten Zustande völlig in-
dividualisirten Organe. Die Gewebe (nach dem von uns definir-
ten Sinne) entstehen zuletzt vollständig, wenn Organe und Or-
gantheile sich gänzlich individualisirt haben.


Alle entferntesten Organtheile werden in einer bestimmten
Gröſse angelegt, welche absolut und relativ im Ganzen nur we-
nigen Schwankungen unterworfen ist. Im Allgemeinen verklei-
nern sie sich zuerst und vergröſsern sich dann wiederum. Das-
selbe gilt auch von der relativen Gröſse (in Verhältniſs sowohl
zu einander als zu dem ganzen Organe), doch schlieſst hier oft
die Metamorphosenreihe nicht mit Vergröſserung, sondern mit
Verkleinerung. Ihre absolute Gröſse dagegen nimmt fortwährend
bis zu dem völlig ausgebildeten Zustande zu. Die Gewebe als
die allereinfachsten Organtheile haben so enge Grenzen der Grö-
ſsen, innerhalb deren sie sich in dieser Rücksicht bewegen, daſs sie
wohl ohne bedeutenden Fehler gleich Null geachtet werden dürften.
Man sieht also von dem Organe bis zu den einfachsten Organtheilen,
den Geweben, hinab diese durch die individuelle Entwickelung
bedingten relativen Gröſsenvariationen in directer Reihe abnehmen.


Vergleichen wir endlich die einzelnen Organtheile in Bezug
auf ihre Genese unter einander, so sehen wir, daſs scheinbar
gleichartige auf differente Weise entstehen. Allein eben diese
Differenz kann uns auch als sicheres Zeichen dienen, daſs ihre
Identität nur scheinbar ist. Eines der einleuchtendsten Beispiele
dürften die Muskeln geben. Man hat zwar schon längst functio-
nell die willkührlichen Muskeln von den unwillkührlichen unter-
schieden und mit Unrecht die zwischen beiden morphologisch-
histiologisch Statt findenden Differenzen nicht berücksichtigt. So
[651]IX. Functionen der Organe.
sind die Fasern der willkührlichen Muskeln dichter; ihre Quer-
streifen bestimmt gebildet; nur bei den unwillkührlichen des Her-
zens, der Zunge mancher Thiere u dgl. existiren diese, jedoch so
schwach, daſs sie bei dem Gebrauche schwächerer Vergröſserun-
gen gänzlich entgehen. Dafür haben sie entweder selbst ein gra-
nulirtes Ansehen oder es finden sich zwischen ihnen zahlreiche
Körnchen, welches beides den willkührlichen Muskeln gänzlich
fehlt. Nun zeigt sich aber ihre Genese durchaus verschieden,
ja gewissermaaſsen entgegengesetzt. Die willkührlichen Muskeln
entstehen aus einer granulirten Masse; die unwillkührlichen in
dem durchsichtigen und homogenen verbindenden Stoffe. In der
Metamorphose des Blastema von jenen herrscht die Kügelchen-
bildung, in der von diesen die des weicheren Bildungsstoffes vor.
Man könnte in diesem Sinne sagen: die willkührlichen Muskeln
entstehen aus dem Elemente des Festen, die unwillkührlichen
aus dem des Flüssigen.


IX.
Functionen der Organe.


Die Function eines Organes wird durch die Individualität
desselben überhaupt, sein Verhältniſs zu anderen Organen, die
Eigenthümlichkeit aller seiner Organtheile bestimmt. Sie umfaſst
auf diese Weise einerseits alle in jedem Theile vorkommenden
Verhältnisse, welche dasselbe sowohl für sich constituiren, als
auch mit Anderen in Relation bringen. Anderseits ist aber Func-
tion so nur der geistige Ausdruck der vollständigen morphologi-
schen Gestaltung, und es haben gleichartige Organe und Organ-
theile gleichartige Functionen; ein jedes derselben besitzt aber
nothwendiger Weise, wie seine durchaus bestimmte Individuali-
tät in morphologischer und histiologischer Beziehung, so auch
seine bestimmte Eigenthümlichkeit in Rücksicht der Function.
Alle Veränderungen der morphologischen und histiologischen Ver-
hältnisse bedingen auch nothwendig eine Umänderung der Func-
tionen, möge diese in dem normalen Entwickelungszustande oder
in krankhaften Verhältnissen begründet seyn.


Wie das Embryonalleben durch den Mangel an Selbststän-
digkeit und freier Individualität sich von dem des Erwachsenen
unterscheidet, so ist auch die Urfunction der Fruchtanlage Bildung,
reine Vegetation. Wie diese vorschreite, haben wir schon oben
auseinanderzusetzen Gelegenheit gehabt. Sie aber von dem Ner-
[652]Fragmente z. Gesetzlehre d. individuellen Entwickelung.
vensysteme, welches doch selbst erst ein Erzeugniſs von ihr ist,
abhängig zu machen, ist eine der vielen Inconsequenzen, in
welche der von vorn herein specialisirende Geist nothwendig
verfällt. Aus der functionellen Uridee der Fruchtanlage als Bil-
dung gehen erst die übrigen Organe hervor, zuerst als reine Ob-
jecte der Vegetation, deren Function selbst als bestimmte Indivi-
dualität um so mehr untergeordnet ist, je jünger die Stufe ihrer
Entwickelung. Sobald die entfernteren Bestandtheile eines Orga-
nes gebildet sind, scheint das Verhältniſs sich so weit gesteigert zu
haben, daſs die individuelle Function beginnen kann. Dieses se-
hen wir z. B. an den Muskeln, welche bei dem Hühnchen erst
dann wahre Bewegung zeigen, wenn ihre Fasern schon in hohem
Grade der Ausbildung sind, und noch deutlicher an den Drüsen.
Die Secretion der Galle findet sich z. B. erst, wenn die Leber
schon ihr gröſstes Volumen erreicht hat, ja an diesem zum Theil
schon wiederum abnimmt. Diese bedeutende Gröſse also auch
mit einer individuellen bedeutenden Function der Leber in Ver-
bindung bringen zu wollen, wie Einige z. B. in Bezug auf die
Metamorphose des Blutes gethan haben, ist a priori schon rein
willkührlich, wird aber durch die Erfahrung direct widerlegt.
Denn die angeblich gleichzeitige Metamorphose der Blutkörper-
chen ist, wie oben schon angegeben wurde, durchaus selbststän-
dig und am wenigsten mit der Gröſse der Leber zusammenhän-
gend. Ihre Gallenabsonderung, welche dann am stärksten seyn
sollte, fehlt zu der Zeit noch ganz oder zeigt sich nur in höchst
unbedeutenden Spuren. Sie nimmt aber, wie sich jeder leicht
überzeugen kann, mit dem Verlaufe der Entwickelung direct zu.
Dasselbe läſst sich auf ähnliche Weise von allen drüsigen und
drüsigten Organen behaupten.


Wie die morphologischen Verhältnisse eines Organes dadurch
entstehen, daſs die individuelle Uridee sich immer mehr speciali-
sirt, bis sie zur speciellsten Individualität wird, so ist es auch
mit den Functionen der Fall. Ihre erste Tendenz ist Bildung
überhaupt. Nachdem diese eingeleitet und in einem gewissen
Grade erreicht worden, beginnt sich jedes Organ, jeder Organtheil
in seiner individuellen Eigenthümlichkeit zu zeigen, seine Secreta
abzusondern und in seinem bestimmten oder subordinirten Ver-
hältnisse zu erscheinen. Die unmittelbare Folge hiervon ist, daſs
auch die Functionen der Organe dieselben Reihen durchlaufen
müssen, als die Stoffe und Gestalten dieser selbst.


[[653]]

Nachträge,
welche die wichtigsten über Entwickelungsgeschichte wäh-
rend des Druckes vorliegender Schrift bekannt gewordenen
Beobachtungen und Abhandlungen enthalten.


Zu S. 9 fgg. und 148 fgg.


Nach einzelnen in Zeitschriften gegebenen Notizen haben wir
an den passenden Stellen von Coste und Delpech’s Arbeiten ge-
sprochen. Jetzt ist es uns möglich, da das Originalwerk von
Coste: Recherches sur la génération des Mammifères par
M. Coste, suivies par des recherches sur la formation des
embryons par M. M. Coste et Dêlpech. Paris
1834. 4. erschie-
nen, genauer über diese literarische Erscheinung, die in sehr
vielen Worten nur wenig Neues und Wahres enthält, zu berichten.
Coste giebt an, daſs das Keimbläschen der Säugethiere so zart
sey, daſs es bei Berührung der Luft platze (p. 30.). Auch scheint
seine Abbildung (fig. 2. E.) fast mehr auf eine gröſsere Dotter-
kugel, wie ich sie bei Bernhardt l. c. fig. 11. c. gezeichnet habe, als
auf das wahre Keimbläschen zu passen. Mit Recht aber glaubt
er jetzt (p. 30.), daſs das Keimbläschen nach der Conception nicht
persistire. — Bei Kaninchen will er schon nach 24 Stunden Ei-
chen in den Tuben gefunden haben (p. 31.), — eine Angabe, die
allen bisherigen Untersuchungen geradezu widerspricht. Am drit-
ten Tage sollen sie in den Hörnern der Gebärmutter seyn, wobei
sich der Dotter zu einer klaren Flüssigkeit umgewandelt hat
(p. 32.). Auch Coste beschreibt ausführlich (p. 32.) die im Was-
ser von Statten gehende Trennung der Keimhaut von der Dotter-
haut, ohne freilich v. Bärs ähnliche Beobachtung zu erwähnen.
Der Durchmesser des Eichen des Kaninchens beträgt nach ihm
am vierten Tage 1½‴, am fünften 2‴, am sechsten 3‴ und am
[654]Nachträge.
siebenten 3½‴. An diesem Tage wird auch die erste Spur des
Embryo an der Auſsenfläche der Keimhaut zuerst sichtbar (p. 36.).
Am achten und neunten Tage bilden sich Schwanz- und Kopf-
kappe (p. 37.). Das Ei überzieht sich nun mit einem pseudo-
membranösen, secundären Produkte (produit adventif pseudo-
membraneux
), das aber nicht, wie v. Bär glaubt, die äuſserste
Haut des in dem Eierstocke enthaltenen Eichens ist (p. 38.). Da
die Ansicht Bärs sich auf das Chorion bezieht, so sollte man hier-
nach glauben, daſs Coste anderer Meinung sey und so einen Irr-
thum (denn dafür halten wir diese Ansicht) aufgedeckt habe.
Allein an einer anderen Stelle heiſst es ausdrücklich (p. 43.),
das Chorion sey die Dotterhaut. Daſs diese aber schon in dem
Eichen des Eierstockes enthalten ist, wird früher ausführlich be-
richtet. — Die Vasa omphalo-mesaraica und das Amnion er-
scheinen am neunten (p. 40.) und die Harnhaut am zehnten Tage.
Durch Letztere entsteht eine wichtige Lagenänderung des Embryo.


Der zweite Theil des Werkes behandelt die ersten Entwicke-
lungsstadien des Hühnchens und ist von Coste und Delpech ge-
meinschaftlich verfaſst. Allein hier werden Dinge vorgebracht,
die das gerade Gegentheil aller Wahrheit sind. So heiſst es
z. B. p. 71: „la peau se trouve donc le tissu, dans lequel
sont formés les élémens du nerf; la peau est donc la pre-
mière partie, qui s’est formée et avec elle la membrane à
tissu sereux, que nous avons dit constituer la double couche
du nuage central ou blastoderme
.“ — So wird behauptet, daſs
das rothe Blut zuerst dem Hühnchen fehle, daſs dieses also dann,
da sein Herz schon schlage, ein weiſsblütiges Thier sey (p. 82.).
Einen directen Widerspruch enthält folgender Satz (p. 91.): „A
ce point vers la trente-sixième heure, on voit naître le sang
rouge. Jamais il ne parait dans l’embryon, mais toujours
dans le tapis et exclusivement dans la partie opposée à celle
de la tète de l’embryon. Sa couleur est d’abord d’un jaune
orangé; peu à peu elle devient plus intense, mais jamais il
n’acquiert un rouge decidé, qu’apres avoir passé le corps
de l’embryon
. — Auf interessante Weise wird Panders Idee, daſs
das Terminalgefäſs ein Sinus sey, ausgeschmückt (p. 94.). Auch
wird die Hypothese von Prevost und Dumas von dem Einflusse
der Leber auf die Genese des Blutes etwas geändert wiederholt
(p. 108.). Die Dotterkugeln werden als ganz weiſs beschrieben
[655]Nachträge.
(p. 60.). Unbedingt das gröſste Wunder des ganzen Werkes ent-
hält folgende Stelle (p. 70.): „On diroit, qu’une force com-
mune attire les globules vers la ligne axuelle de l’ellipse in-
terieur; qu’en même temps les globules du tapis sont attirés
par cette force vers le point central; mais que ces mêmes
globules trouvent un obstacle à la distance, à laquelle l’el-
lipse exterieur se forme; que cette ligne resulte de l’accu-
mulation des globules arretés et accumulés à cette distance.
Non seulement cette idée resulte de la forme et de la teinte
de cette ligne, surtout de ce, qu’elle est nettement et forte-
ment opaque à l’interieur, tandis qu’elle finit, comme un
nuage à l’exterieur, mais encore de ce que, avec de l’atten-
tion et de la patience sous un grossissement considérable du
microscope et en entretenant l’elevation de la temparature
dans la pièce observée on peut voir des globules du tapis
marcher dans la direction rayonnante de la circonference
vers le centre arriver dans le pénombre de la ligne de l’el-
lipse exterieur, s’y arrêter, courrir quelquefois parallele-
ment à cette même ligne, enfin s’y arrêter et probablement
s’y concréter
.“


Auch in den allgemeinen Resultaten finden sich einige allen
bisherigen Beobachtungen widersprechende Stellen. So soll die
Haut der zuerst gebildete Theil (p. 110.) und eine wahre Pseu-
domembran (114.), die Rückensaite dagegen nur eine optische
Täuschung (jeu de la lumière) und die Rückenplatten die Ru-
dimente des Nervensystemes seyn (p. 123.); der Dotter aus un-
vollkommenen [Nervenmolekülen] und unvollkommenen Blutkörper-
chen bestehen (p. 135.); das weiſse Blut ohne Gefäſse verlaufen,
diese dagegen der Condensation eines Theiles der Blutkörperchen
ihren Ursprung verdanken (p. 138. 139.).


Ueber Coste’s hier ausführlich wiederholte Generationstheorie
(S. 149—185.) vgl. J. Müllers Arch. I. 1834. S. 155.


Nach neueren französischen Journalberichten sollen Coste’s
fortgesetzte [Untersuchungen] die vollkommene Identität der Ent-
wickelung der Säugethiere und Vögel nachweisen.


Ueber die höchst merkwürdigen Beobachtungen über die
Eier des Schnabelthieres und Känguruhs s. Müllers Arch. 1835.
S. 37—41.


Ueber die erste Entwickelung der Schildkröten s. Bär in
[656]Nachträge.
Müllers Arch. 1834. Heft VI. S. 544—550. und Müllers interes-
sante Bemerkungen hierüber in s. Arch. 1835. Hft. 1. S. 60—61.


Ueber Entwickelung der Fische s. die klassische Schrift von
K. E. v. Bär Untersuchungen über die Entwickelungsgeschichte
der Fische nebst einem Anhange über die Schwimmblase. Leipz.
1835. 4.


Ueber Schwanns Versuche über den Einfluſs irrespirabler Gase
auf die Entwickelung der Hühnereier s. Müllers Arch. 1835. S. 121.


Zu S. 199.


Die Furchungen des befruchteten Froscheies hat v. Bär ge-
nau beschrieben und abgebildet. S. Müllers Arch. I. Hft. 5. S.
481—509.


Zu S. 192.


Nach Werneck (v. Ammons Zeitsch. Bd. IV. Hft. 1. u. 2.)
soll die Membrana humoris aquei im Fötus vom Ende des fünf-
ten bis gegen die Mitte des sechsten Monates kenntlich werden
und überhaupt mit der Ausbildung der vorderen und hinteren Au-
genkammer auf das Genaueste zusammenhängen (S. 2—6.).


Zu S. 200—203.


Arnold (v. Ammons Zeit. Bd. IV. S. 28—38.) hat seine Ein-
würfe gegen die Existenz der Kapselpupillarhaut wiederum er-
neuert. Henle dagegen, dessen Ansichten über die Metamorpho-
sen des Kapselpupillarsackes (S. 24. 25.) ganz mit den unserigen
übereinstimmen, mit Recht von Neuem vertheidigt. Zugleich geht
aus den Worten desselben Schriftstellers hervor (S. 26.), daſs die
angeblichen Gefäſse der vorderen Linsenkapselwand aus dem Auge
eines siebenmonatlichen menschlichen Fötus (Joh. Müllers Arch.
1835. Hft. I. S. 42. 43.) nur die Gefäſse der Pupillarmembran
seyen (vgl. oben S. 204.). Hierauf konnten schon die Divarica-
tionen — ein Charakter der Gefäſse dieser Haut, besonders im
Menschen — leiten.


Zu S. 204.


Nach Werneck besteht die Linsenkapsel aus zwei Schichten.
Die äuſsere ist vollkommen durchsichtig und homogen; die in-
nere besteht aus runden Blättchen, zwischen denen sich fein
schattirte Gefäſschen schlängeln. Durch letztere soll der liquor
Morgagni
abgesondert werden.


Zu S. 260.


Nach Bérard (Revue medicule. Decemb. 1834. p. 418—
420.)
[657]Nachträge.
420.) ist die schnellere Verknöcherung nach der Seite hin ge-
richtet, wo eine gröſsere Menge Blutes hinströmt. So vereini-
gen sich die Knochenpunkte der Epiphysen mit dem Mittelstücke
an der Seite des Nahrungskanales früher, als an der entgegenge-
setzten. Wo nur das eine Ende einen gesonderten Knochenpunkt
hat, ist dieses immer an der dem Nahrungskanale abgewandten
Seite der Fall.


Zu S. 265.


Nach Joh. Müller (Physiol. I. 2. S. 412.) ist der in der Ge-
lenkhöhle liegende Theil der Sehne des langen Kopfes des Biceps
durch eine gekrösartige Falte der Synovialhaut an die Wand der
Gelenkkapsel angeheftet. Später findet sich diese Falte nur an
dem unteren Theile der Sehne in der Rinne zwischen den bei-
den tuberculis. Auch in dem Kniegelenke findet sich zuerst eine
gleichsam ein unvollkommenes Mediastinum bildende Falte, die un-
mittelbare Fortsetzung der die Ligamenta cruciata überziehen-
den Synovialhaut. Der vordere Rand derselben bleibt als ligam.
mucosum
übrig.


Zu S. 270. 71.


Van Deen (de differentia et nexu inter nervos vitae ani-
malis et vitae organicae L. B.
1834. Müll. Arch. I. S. 477.)
entdeckte bei der Larve der Rana paradoxa einen Zweig des
Nervus vagus, der, wie der Ramus lateralis der Fische, gleich
unter der Haut in der Längsfurche zwischen den Muskeln bis zu
dem Schwanze hinab verläuft. Er hängt mit den Nervenästen
der Kiemen, einem Aste für die Eingeweide und einem sehr dün-
nen Faden für den Kopf zusammen. Er steht mit der Ausbildung
des Schwanzes in geradem und mit der der vorderen Extremitä-
ten in inversem Verhältniſs.


Zu S. 344 fgg.


Eine gelehrte kritische Zusammenstellung der hierher gehö-
renden Ansichten findet sich in: J. H. Knabbe disquisitiones histo-
rico-criticae de circulatione sanguinis in foetu maturo no-
vis observ. anat. exaratae. Bonnae
1834. 4.


J. Reid (Frorieps Notiz. No. 931. Jan. 1835. S. 96 — 98.)
fand nach Injection der Vena cava inferior in einem viermo-
natlichen Fötus, daſs der gröſste Theil der Masse durch die Eu-
stachische Klappe in den linken Vorhof und von da in die linke
Herzkammer gegangen war, während die rechte Herzkammer leer
42
[658]Nachträge.
gefunden wurde. Bei einer siebenmonatlichen Frucht füllt die in
der hinteren Hohlvene eingesprützte rothe Masse von der linken
Seite des Herzens aus alle groſsen nach dem Kopfe und den obe-
ren Extremitäten gehenden Gefäſsstämme. Die durch die obere
Hohlvene eingetriebene gelbe Masse war in die rechte Herzhälfte,
von da in die Lungenarterie und die Aorta thoracica und ab-
dominalis
gegangen.


Zu S. 408.


Hansen liefert eine im Wesentlichen mit Rathke übereinstim-
mende Darstellung des descensus testiculorum. Vgl. Frorieps
oNotiz. No. 932. 1835. S. 120. 121.


Zu S. 457.


Ueber die Bildung der Netze s. Valentin Hansen Peritonei
humani anatomia et physiologia
. 1834. 4. Frorieps Notiz. 1835.
No. 932. S. 117—120. Müllers Arch. 1835. S.


Zu S. 548.


Kühnau (v. Siebolds Journ. f. Geburtshülfe Bd. XIV. St. 2.
S. 317. fgg.) schlieſst aus einem Falle, wo bei einem Kinde sich
eine groſse Geschwulst am halse zeigte, die immer nach der
Punktion eine harnähnliche Flüssigkeit entlieſs und wo nach Di-
latation der Oeffnung und Unterbindung der Geschwulst so tief
als möglich die Harnabsonderung auf dem normalen Wege wie-
derkehrte, daſs die Allantois hier durch die Bauchwandungen ein-
geschlossen worden sey. Dies würde vielleicht darauf hindeu-
ten, daſs dieselbe bei dem Menschen zu kurz ist, um bei norma-
ler Länge des Nabelstranges aus derselben herauszutreten. Vgl.
oben S. 129.

Appendix A

Gedruckt bei Brandes und Klewert in Berlin, Roſsstraſse Nr. 8.


[]

Appendix B

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Notes
*)
Der Ausdruck Histologie, der bisher allgemein gebraucht wurde,
ist unrichtig. Ἱστός heiſst der Webestuhl und kommt nur bei Dichtern
(ἱστόν ὑφαίνειν Homer) und späteren Prosaisten und auch hier sehr sel-
ten, in der Bedeutung von Gewebe vor. Das Letztere heiſst richtiger
ἱστίον.
*)
Hierfür zeugt auch schon die Erfahrung Wrisbergs (hist. embr.
p.
21.), da sein Embryo No. II. nicht, wie er angiebt, der zehnten, son-
dern, wie die Abbildung zeigt (tab. I. fig. 2.), der zwölften bis dreizehn-
ten Woche angehört. —
*)
Völlig irrthümlich ist die einzige sich bis jetzt hierüber vorfin-
dende Angabe bei C. F. Wolff (Theorie von der Generation. Berlin 1764.
8. S. 258.), daſs aus dem Bildungsstoffe der Kante der M. serratus
anticus major, descendens, adscendens
und transversalis abdominis,
nicht aber der pectoralis major entstehe.
*)
Daſs die körnige Masse dem Gefäſsblatte angehöre, muſs ich sehr
bezweifeln. So viel ich sah, ist sie nur das durch den vollkommen durch-
sichtigen Herzkanal emporgehobene Schleimblatt. S. oben Entstehung
des Blutes.
*)
Wie leicht durch die Einwirkung des Weingeistes widernatür-
liche, noch so regelmäſsig aussehende Höhlungen entstehen, hat unter
anderen auch die neueste Zeit wiederum gelehrt. So beschrieb Volkmann
eine eigenthümliche in den Hemisphären des groſsen Gehirnes bei dem
Maulwurfe vorkommende Höhlung, von welcher Carus gezeigt hat, daſs
sie nicht im frischen Gehirne vorkomme, sondern nur nach der Behand-
lung mit Weingeist durch Contraktion der Nervenmasse bedingt werde
(vgl. Carus Lehrb. der vergl. Zootomie. 2te Aufl. 1834. Bd. I. S. 80.).
Wahrscheinlich findet dasselbe auch bei den Nebennieren Statt. Mehr
hierüber s. unten bei diesen. —

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2025). Valentin, Gabriel Gustav. Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bhxc.0