DIVAN.
in der Cottaischen Buchhandlung
1819.
Moganni Nameh.
Buch des Sängers.
1
[[2]][[3]]
Hegire.
1 *
[4]
[5]
[6]
Segenspfänder.
[7]
[8]
Freysinn.
[9]
Talismane,
Amulete, Abraxas, Inschriften
und Siegel.
[10]
[11]
Vier Gnaden.
[12]
[13]
Geständniſs.
[14]
Elemente.
[15]
[16]
Erschaffen und Beleben.
[17]
2
[18]
Zwiespalt.
[19]
Phaenomen.
2 *
[20]
Liebliches.
[21]
[22]
Im
Gegenwärtigen Vergangnes.
[23]
[24]
Lied und Gebilde.
[25]
Dreistigkeit.
[26]
Derb und Tüchtig.
[27]
[28]
Allleben.
[29]
[30]
Selige Sehnsucht.
[31]
[32]
[[33]]
Hafis Nameh.
Buch Hafis.
3
[[34]][[35]]
Beyname.
3 *
[36]
[37]
Anklage.
[38]
[39]
Fetwa.
[40]
Der Deutsche dankt.
[41]
Fetwa.
[42]
Unbegrenzt.
[43]
[44]
Nachbildung.
[45]
Offenbar Geheimniſs.
[46]
Wink.
[[47]]
Usch Nameh.
Buch der Liebe.
[[48]][49]
Musterbilder.
4
[50]
Lesebuch.
[51]
Gewarnt.
4 *
[52]
Versunken.
[53]
Bedenklich.
[54]
Schlechter Trost.
[55]
Genügsam.
Dichter.
[56]
Gruſs.
[57]
[58]
Ergebung.
[59]
Unvermeidlich.
[60]
Geheimes.
[61]
Geheimstes.
[62]
[[63]]
Tefkir Nameh.
Buch der Betrachtungen.
[[64]][[65]]
5
[66]
Fünf Dinge.
[67]
Fünf andere.
5 *
[68]
[69]
[70]
[71]
[72]
[73]
[74]
[75]
An
Schach Sedschan
und
seines Gleichen.
[76]
Höchste Gunst.
[77]
Ferdusi
spricht.
[78]
Dschelâl-eddîn Rumi
spricht.
Suleika
spricht.
[[79]]
Rendsch Nameh.
Buch des Unmuths.
[[80]][[81]]
6
[82]
[83]
6 *
[84]
[85]
[86]
[87]
[88]
[89]
[90]
[91]
[92]
[93]
[94]
Wanderers Gemüthsruhe.
[95]
[96]
[97]
7
[98]
[[99]]
Hikmet-Nameh.
Buch der Sprüche.
7 *
[[100]][[101]]
[102]
[104]
[105]
[106]
[107]
[108]
[109]
[110]
[111]
[112]
[[113]]
Timur Nameh.
Buch des Timur.
8
[[114]][[115]]
Der Winter und Timur.
8 *
[116]
[117]
An Suleika.
[118]
[[119]]
Suleika Nameh.
Buch Suleika.
[[120]][[121]]
Einladung.
[122]
[123]
[124]
Hatem.
[125]
Suleika.
[126]
[127]
Suleika.
[128]
Hatem.
[129]
9
[130]
[131]
Gingo biloba.
9 *
[132]
Suleika.
Hatem.
[133]
Suleika.
[134]
[135]
[136]
[137]
[138]
[139]
[140]
[141]
[142]
[143]
Suleika.
[144]
[145]
Hatem.
10
[146]
[147]
10 *
[148]
[149]
Hatem.
[150]
[151]
[152]
[153]
[154]
[155]
[156]
Suleika.
[157]
Suleika.
[158]
[159]
[160]
[161]
Suleika.
11
[162]
[163]
Hochbild.
11 *
[164]
[165]
Nachklang.
[166]
Suleika.
[167]
[168]
Wiederfinden.
[169]
[170]
[171]
Vollmondnacht.
[172]
[173]
Geheimschrift.
[174]
[175]
Abglanz.
[176]
[177]
Suleika.
12
[178]
[179]
12 *
[180]
[[181]]
Saki Nameh.
Das Schenkenbuch.
[[182]][[183]]
[184]
[185]
[186]
[187]
[188]
Suleika.
[189]
[190]
Dem Kellner.
Dem Schenken.
[191]
Schenke spricht.
[192]
[193]
Schenke.
13
[194]
[195]
13 *
[196]
[197]
Schenke.
[198]
Schenke.
[199]
Dichter.
[200]
[201]
Sommernacht.
[202]
[203]
[204]
[[205]]
Mathal-Nameh.
Buch der Parabeln.
[[206]][[207]]
[208]
[209]
14
[210]
[211]
14 *
[212]
[213]
[214]
Esist gut.
[[215]]
Parsi Nameh.
Buch des Parsen.
[[216]][[217]]
Vermächtniſs
alt persischen Glaubens.
[218]
[219]
[220]
[221]
[222]
[[223]]
Chuld Nameh.
Buch des Paradieses.
[[224]][225]
Berechtigte Männer.
Nach der Schlacht von Bedr,
unterm Sternenhimmel.
Mahomet spricht.
15
[226]
[227]
15 *
[228]
Auserwählte Frauen.
[229]
[230]
Begünstigte Thiere.
[231]
[232]
Höheres und Höchstes.
[233]
[234]
[235]
Siebenschläfer.
[236]
[237]
[238]
[239]
[240]
Gute Nacht!
[[241]]
Besserem Verständniſs.
16
[[242]][[243]]
Einleitung.
Alles hat seine Zeit! — Ein Spruch
dessen Bedeutung man bey längerem Leben
immer mehr anerkennen lernt; diesemnach
giebt es eine Zeit zu schweigen, eine andere
zu sprechen, und zum Letzten entschlieſst
sich diesmal der Dichter. Denn wenn dem
früheren Alter Thun und Wirken gebührt,
so ziemt dem späteren Betrachtung und Mit-
theilung.
Ich habe die Schriften meiner ersten
Jahre ohne Vorwort in die Welt gesandt,
ohne auch nur im mindesten anzudeuten
wie es damit gemeynt sey; dieſs geschah im
Glauben an die Nation, daſs sie früher oder
später das Vorgelegte benutzen werde. Und
16 *
[244] so gelang mehreren meiner Arbeiten augen-
blickliche Wirkung, andere, nicht eben so
faſslich und eindringend, bedurften um an-
erkannt zu werden mehrerer Jahre. In-
dessen gingen auch diese vorüber und ein
zweytes, drittes nachwachsendes Geschlecht
entschädigt mich doppelt und dreyfach für
die Unbilden die ich von meinen früheren
Zeitgenossen zu erdulden hatte.
Nun wünscht’ ich aber, daſs nichts den
ersten guten Eindruck des gegenwärtigen
Büchleins hindern möge. Ich entschlieſse
mich daher zu erläutern, zu erklären, nach-
zuweisen, und zwar bloſs in der Absicht
daſs ein unmittelbares Verständniſs Lesern
daraus erwachse, die mit dem Osten wenig
oder nicht bekannt sind. Dagegen bedarf
derjenige dieses Nachtrags nicht, der sich
um Geschichte und Literatur einer so höchst
merkwürdigen Weltregion näher umgethan
hat. Er wird vielmehr die Quellen und
Bäche leicht bezeichnen, deren erquickliches
Naſs ich auf meine Blumenbeete geleitet.
Am liebsten aber wünschte der Verfas-
ser vorstehender Gedichte als ein Reisen-
der angesehen zu werden, dem es zum Lobe
[245] gereicht, wenn er sich der fremden Landes-
art mit Neigung bequemt, deren Sprachge-
brauch sich anzueignen trachtet, Gesinnun-
gen zu theilen, Sitten aufzunehmen versteht.
Man entschuldigt ihn, wenn es ihm auch
nur bis auf einen gewissen Grad gelingt,
wenn er immer noch an einem eignen Ac-
cent, an einer unbezwinglichen Unbiegsam-
keit seiner Landsmannschaft als Fremdling
kenntlich bleibt. In diesem Sinne möge
nun Verzeihung dem Büchlein gewährt seyn!
Kenner vergeben mit Einsicht, Liebhaber,
weniger gestört durch solche Mängel, neh-
men das Dargebotne unbefangen auf.
Damit aber alles was der Reisende zu-
rückbringt den Seinigen schneller behage,
übernimmt er die Rolle eines Handelsmanns,
der seine Waaren gefällig auslegt und sie
auf mancherley Weise angenehm zu machen
aucht; ankündigende, beschreibende, ja lob-
preisende Redensarten wird man ihm nicht
verargen.
Zuvörderst also darf unser Dichter wohl
aussprechen daſs er sich, im Sittlichen und
Aesthetischen, Verständlichkeit zur ersten
Pflicht gemacht, daher er sich denn auch
[246] der schlichtesten Sprache, in dem leichtesten,
faſslichsten Sylbenmaſse seiner Mundart be-
fleiſsigt und nur von weitem auf dasjenige
hindeutet, wo der Orientale durch Künst-
lichkeit und Künsteley zu gefallen strebt.
Das Verständniſs jedoch wird durch
manche nicht zu vermeidende fremde Worte
gehindert, die deſshalb dunkel sind, weil
sie sich auf bestimmte Gegenstände bezie-
hen, auf Glauben, Meynungen, Herkom-
men, Fabeln und Sitten. Diese zu erklä-
ren hielt man für die nächste Pflicht und
hat dabey das Bedürfniſs berücksichtigt, das
aus Fragen und Einwendungen deutscher
Hörenden und Lesenden hervorging. Ein
angefügtes Register bezeichnet die Seite, wo
dunkle Stellen vorkommen und auch wo sie
erklärt werden. Dieses Erklären aber ge-
schieht in einem gewissen Zusammenhange,
damit nicht abgerissene Noten, sondern ein
selbstständiger Text erscheine, der, obgleich
nur flüchtig behandelt und lose verknüpft,
dem Lesenden jedoch Uebersicht und Er-
läuterung gewähre.
Möge das Bestreben unseres dieſsmaligen
Berufes angenehm seyn! Wir dürfen es
[247] hoffen: denn in einer Zeit, wo so vieles
aus dem Orient unserer Sprache treulich an-
geeignet wird, mag es verdienstlich erschei-
nen, wenn auch wir von unserer Seite die
Aufmerksamkeit dorthin zu lenken suchen,
woher so manches Groſse, Schöne und Gute
seit Jahrtausenden zu uns gelangte, woher
täglich mehr zu hoffen ist.
[248]
Hebräer.
Naive Dichtkunst ist bey jeder Nation
die erste, sie liegt allen folgenden zum
Grunde; je frischer, je naturgemäſser sie
hervortritt, desto glücklicher entwickeln sich
die nachherigen Epochen.
Da wir von orientalischer Poesie spre-
chen, so wird nothwendig der Bibel, als der
ältesten Sammlung, zu gedenken. Ein gro-
ſser Theil des alten Testaments ist mit er-
höhter Gesinnung, ist enthusiastisch ge-
schrieben und gehört dem Felde der Dicht-
kunst an.
Erinnern wir uns nun lebhaft jener Zeit
wo Herder und Eichhorn uns hierüber
persönlich aufklärten, so gedenken wir ei-
nes hohen Genusses, dem reinen orientali-
schen Sonnenaufgang zu vergleichen. Was
solche Männer uns verliehen und hinterlas-
sen darf nur angedeutet werden, und man
[249] verzeiht uns die Eilfertigkeit mit welcher
wir an diesen Schätzen vorüber gehen.
Beyspiels willen jedoch gedenken wir
des Buches Ruth, welches bey seinem ho-
hen Zweck einem Könige von Israel an-
ständige, interessante Voreltern zu verschaf-
fen zugleich als das lieblichste kleine Ganze
betrachtet werden kann, das uns episch und
idyllisch überliefert worden ist.
Wir verweilen sodann einen Augenblick
bey dem hohen Lied, als dem zartesten und
unnachahmlichsten was uns von Ausdruck
leidenschaftlicher, anmuthiger Liebe zuge-
kommen. Wir beklagen freylich daſs uns
die fragmentarisch durcheinander geworfe-
nen, übereinander geschobenen Gedichte
keinen vollen reinen Genuſs gewähren, und
doch sind wir entzückt uns in jene Zu-
stände hinein zu ahnden, in welchen die
Dichtenden gelebt. Durch und durch we-
het eine milde Luft des lieblichsten Bezirks
von Canaan; ländlich trauliche Verhältnisse,
Wein-, Garten- und Gewürzbau, etwas von
städtischer Beschränkung, sodann aber ein
königlicher Hof, mit seinen Herrlichkeiten
im Hintergrunde. Das Hauptthema jedoch
[250] bleibt glühende Neigung jugendlicher Her-
zen, die sich suchen, finden, abstoſsen, an-
ziehen, unter mancherley höchst einfachen
Zuständen.
Mehrmals gedachten wir aus dieser lieb-
lichen Verwirrung einiges herauszuheben,
aneinander zu reihen; aber gerade das Räth-
selhaft-Unauflösliche giebt den wenigen
Blättern Anmuth und Eigenthümlichkeit.
Wie oft sind nicht wohldenkende, ordnungs-
liebende Geister angelockt worden irgend
einen verständigen Zusammenhang zu finden
oder hinein zu legen und einem folgenden
bleibt immer dieselbige Arbeit.
Eben so hat das Buch Ruth seinen
unbezwinglichen Reiz über manchen wa-
ckern Mann schon ausgeübt, daſs er dem
Wahn sich hingab, das, in seinem Laconis-
mus unschätzbar dargestellte Ereigniſs, könne
durch eine ausführliche, paraphrastische Be-
handlung noch einigermaſsen gewinnen.
Und so dürfte Buch für Buch das Buch
aller Bücher darthun, daſs es uns deſshalb
gegeben sey, damit wir uns daran, wie an
einer zweiten Welt, versuchen, uns daran
verirren, aufklären und ausbilden mögen.
[251]
Araber.
Bey einem östlichern Volke, den Ara-
bern, finden wir herrliche Schätze an den
Moallakat. Es sind Preisgesänge die
aus dichterischen Kämpfen siegreich her-
vorgingen; Gedichte, entsprungen vor Ma-
homets Zeiten, mit goldenen Buchstaben
geschrieben, aufgehängt an den Pforten des
Gotteshauses zu Mekka. Sie deuten auf eine
wandernde, heerdenreiche, kriegerische Na-
tion, durch den Wechselstreit mehrerer
Stämme innerlich beunruhigt. Dargestellt
sind: festeste Anhänglichkeit an Stammge-
nossen, Ehrbegierde, Tapferkeit, unver-
söhnbare Rachelust gemildert durch Liebes-
trauer, Wohlthätigkeit, Aufopferung, sämmt-
lich gränzenlos. Diese Dichtungen geben
uns einen hinlänglichen Begriff von der ho-
hen Bildung des Stammes der Koraischiten,
aus welchem Mahomet selbst entsprang, ih-
[252] nen aber eine düstre Religionshülle über-
warf und jede Aussicht auf reinere Fort-
schritte zu verhüllen wuſste.
Der Werth dieser trefflichen Gedichte,
an Zahl Sieben, wird noch dadurch erhöht,
daſs die gröſste Mannigfaltigkeit in ihnen
herrscht. Hiervon können wir nicht kür-
zere und würdigere Rechenschaft geben, als
wenn wir einschaltend hinlegen, wie der
einsichtige Jones ihren Charakter aus-
spricht. „Amralkais Gedicht ist weich,
froh, glänzend, zierlich, mannigfaltig und
anmuthig. Tarafas: kühn, aufgeregt, auf-
springend und doch mit einiger Fröhlichkeit
durchwebt. Das Gedicht von Zoheir
scharf, ernst, keusch, voll moralischer Ge-
bote und ernster Sprüche. Lebid’s Dich-
tung ist leicht, verliebt, zierlich, zart; sie
erinnert an Virgil’s zweite Ekloge: denn er
beschwert sich über der Geliebten Stolz und
Hochmuth und nimmt daher Anlaſs seine
Tugenden herzuzählen, den Ruhm seines
Stammes in den Himmel zu erheben. Das Lied
Antaras zeigt sich stolz, drohend, tref-
fend, prächtig, doch nicht ohne Schönheit
der Beschreibungen und Bilder. Amri ist
[253] heftig, erhaben, ruhmredig; Harez darauf
voll Weisheit, Scharfsinn und Würde. Auch
erscheinen die beiden letzten als poetisch-
politische Streitreden, welche vor einer Ver-
sammlung Araber gehalten wurden, um den
verderblichen Haſs zweyer Stämme zu be-
schwichtigen.“
Wie wir nun durch dieses Wenige un-
sere Leser gewiſs aufregen jene Gedichte zu
lesen oder wieder zu lesen; so fügen wir ein
anderes bei, aus Mahomets Zeit, und völlig
im Geiste jener. Man könnte den Charak-
ter desselben als düster, ja finster anspre-
chen, glühend, rachlustig und von Rache
gesättigt.
[254]
[255]
[256]
[257]
17
[258]
[259]
Wenig bedarf es, um sich über dieses
Gedicht zu verständigen. Die Gröſse des
Charakters, der Ernst, die rechtmäſsige
Grausamkeit des Handelns sind hier eigent-
lich das Mark der Poesie. Die zwey ersten
Strophen geben die klare Exposition, in der
dritten und vierten spricht der Todte und
legt seinem Verwandten die Last auf ihn
zu rächen. Die sechste und siebente schlieſst
sich dem Sinne nach an die ersten, sie ste-
hen lyrisch versetzt, die siebente bis drey-
zehnte erhebt den Erschlagenen, daſs man
die Gröſse seines Verlustes empfinde. Die
vierzehnte bis siebzehnte Strophe schildert
die Expedition gegen die Feinde; die acht-
zehnte führt wieder rückwärts, die neun-
zehnte und zwanzigste könnte gleich nach
den beiden ersten stehen. Die einundzwan-
stigste und zweiundzwanzigste könnte nach
17 *
[260] der siebzehnten Platz finden, sodann folgt
Siegeslust und Genuſs beim Gastmahl, den
Schluſs aber macht die furchtbare Freude
die erlegten Feinde, Hyänen und Geyern
zum Raube, vor sich liegen zu sehen.
Höchst merkwürdig erscheint uns bey
diesem Gedicht, daſs die reine Prosa der
Handlung durch Transposition der einzelnen
Ereignisse poetisch wird. Dadurch, und
daſs das Gedicht fast alles äuſsern Schmucks
ermangelt, wird der Ernst desselben erhöht
und wer sich recht hinein liest muſs das
Geschehene, von Anfang bis zu Ende, nach
und nach vor der Einbildungskraft aufge-
haut erblicken.
[261]
Uebergang.
Wenn wir uns nun zu einem friedli-
chen, gesitteten Volke, den Persern wen-
den, so müssen wir, da ihre Dichtungen
eigentlich diese Arbeit veranlaſsten, in die
früheste Zeit zurückgehen, damit uns da-
durch die neuere verständlich werde. Merk-
würdig bleibt es immer dem Geschichtsfor-
scher daſs, mag auch ein Land noch so
oft von Feinden erobert, unterjocht, ja
vernichtet seyn, sich doch ein gewisser Kern
der Nation immer in seinem Charakter er-
hält, und, ehe man sich’s versieht, eine
alt bekannte Volkserscheinung wieder auf-
tritt.
In diesem Sinne möge es angenehm
seyn von den ältesten Persern zu verneh-
men und einen desto sicherern und freyeren
Schritt, bis auf den heutigen Tag, eilig
durchzuführen.
[262]
Aeltere Perser.
Auf das Anschauen der Natur gründete
sich der alten Parsen Gottes-Verehrung,
Sie wendeten sich, den Schöpfer anbetend,
gegen die aufgehende Sonne, als der auffal-
lend herrlichsten Erscheinung. Dort glaub-
ten sie den Thron Gottes, von Engeln um-
funkelt, zu erblicken. Die Glorie dieses
herzerhebenden Dienstes konnte sich jeder,
auch der Geringste täglich vergegenwärtigen.
Aus der Hütte trat der Arme, der Krieger
aus dem Zelt hervor und die religioseste
aller Functionen war vollbracht. Dem neu-
gebornen Kinde ertheilte man die Feuer-
taufe in solchen Strahlen, und den ganzen
Tag über, das ganze Leben hindurch, sah
der Parse sich von dem Urgestirne bey al-
len seinen Handlungen begleitet. Mond
[263] und Sterne erhellten die Nacht, ebenfalls
unerreichbar, dem Gränzenlosen angehörig.
Dagegen stellt sich das Feuer ihnen zur
Seite; erleuchtend, erwärmend, nach sei-
nem Vermögen. In Gegenwart dieses Stell-
vertreters Gebete zu verrichten, sich vor dem
unendlich Empfundenen zu beugen wird an-
genehme fromme Pflicht. Reinlicher ist
nichts als ein heiterer Sonnen-Aufgang und
so reinlich muſste man auch die Feuer ent-
zünden und hewahren, wenn sie heilig,
sonnenähnlich seyn und bleiben sollten.
Zoroaster scheint die edle, reine Na-
turreligion zuerst in einen umständlichen
Cultus verwandelt zu haben. Das mentale
Gebet, das alle Religionen einschlieſst und
ausschlieſst, und nur bey wenigen, gottbe-
günstigten Menschen den ganzen Lebens-
wandel durchdringt, entwickelt sich bey
den meisten nur als flammendes, beseeligen-
des Gefühl des Augenblicks; nach dessen
Verschwinden sogleich der sich selbst zu-
rückgegebene, unbefriedigte, unbeschäftigte
Mensch in die unendlichste Langeweile zu-
rückfällt.
[264]
Diese mit Ceremonien, mit Weihen und
Entsühnen, mit Kommen und Gehen, Nei-
gen und Beugen umständlich auszufüllen,
ist Pflicht und Vortheil der Priesterschaft,
welche denn ihr Gewerbe, durch Jahrhun-
derte durch, in unendliche Kleinlichkeiten
zersplittert. Wer von der ersten kindlich-
frohen Verehrung einer aufgehenden Sonne
bis zur Verrücktheit der Guebern, wie sie
noch diesen Tag in Indien Statt findet, sich
einen schnellen Ueberblick verschaffen kann,
der mag dort eine frische, vom Schlaf dem
ersten Tageslicht sich entgegenregende Na-
tion erblicken, hier aber ein verdüstertes
Volk, welches gemeine Langeweile durch
fromme Langeweile zu tödten trachtet.
Wichtig ist es jedoch zu bemerken,
daſs die alten Parsen nicht etwa nur das
Feuer verehrt; ihre Religion ist durchaus
auf die Würde der sämmtlichen Elemente
gegründet, in sofern sie das Daseyn und
die Macht Gottes verkündigen. Daher die
heilige Scheu das Wasser, die Luft, die
Erde zu besudeln. Eine solche Ehrfurcht
vor allem was den Menschen Natürliches
umgiebt leitet auf alle bürgerliche Tugen-
[265] den: Aufmerksamkeit, Reinlichkeit, Fleiſs
wird angeregt und genährt. Hierauf war
die Landescultur gegründet, denn wie sie
keinen Fluſs verunreinigten, so wurden auch
die Canäle mit sorgfältiger Wasserersparniſs
angelegt und rein gehalten, aus deren Cir-
kulation die Fruchtbarkeit des Landes ent-
quoll, so daſs das Reich damals über das
Zehnfache mehr bebaut war. Alles wozu
die Sonne lächelte ward mit höchstem Fleiſs
betrieben, vor anderm aber die Weinrebe,
das eigentlichste Kind der Sonne, gepflegt.
Die seltsame Art ihre Todten zu be-
statten leitet sich her aus eben dem über-
triebenen Vorsatz, die reinen Elemente nicht
zu verunreinigen. Auch die Stadtpolizey
wirkt aus diesen Grundsätzen: Reinlichkeit
der Straſsen war eine Religions-Angelegen-
heit, und noch jetzt, da die Guebern ver-
trieben, verstoſsen, verachtet sind und nur
allenfalls in Vorstädten in verrufenen Quar-
tieren ihre Wohnung finden, vermacht ein
Sterbender dieses Bekenntnisses irgend eine
Summe, damit eine oder die andere Straſse
der Hauptstadt sogleich möge völlig gerei-
nigt werden. Durch eine so lebendige prak-
[266] tische Gottesverehrung ward jene unglaub-
liche Bevölkerung möglich, von der die Ge-
schichte ein Zeugniſs giebt.
Eine so zarte Religion, gegründet auf
die Allgegenwart Gottes in seinen Werken
der Sinnenwelt, muſs einen eignen Einfluſs
auf die Sitten ausüben. Man betrachte ihre
Hauptgebote und Verbote: nicht lügen,
keine Schulden machen, nicht undankbar
seyn! die Fruchtbarkeit dieser Lehren wird
sich jeder Ethiker und Ascete leicht entwi-
ckeln. Denn eigentlich enthält das erste
Verbot die beyden andern und alle übrigen,
die doch eigentlich nur aus Unwahrheit und
Untreue entspringen; und daher mag der
Teufel im Orient bloſs unter Beziehung des
ewigen Lügners angedeutet werden.
Da diese Religion jedoch zur Beschau-
lichkeit führt, so könnte sie leicht zur
Weichlichkeit verleiten, so wie denn in
den langen und weiten Kleidern auch et-
was Weibliches angedeutet scheint. Doch
war auch in ihren Sitten und Verfassungen
die Gegenwirkung groſs. Sie trugen Waf-
fen, auch im Frieden und geselligen Leben,
und übten sich im Gebrauch derselben auf
[267] alle mögliche Weise. Das geschickteste
und heftigste Reiten war bey ihnen her-
kömmlich, auch ihre Spiele, wie das mit
Ballen und Schlägel, auf groſsen Rennbah-
nen, erhielt sie rüstig, kräftig, behend;
und eine unbarmherzige Conscription machte
sie sämmtlich zu Helden auf den ersten
Wink des Königs.
Schauen wir zurück auf ihren Gottes-
sinn. Anfangs war der öffentliche Cultus
auf wenige Feuer eingeschränkt und daher
desto ehrwürdiger, dann vermehrte sich ein
hochwürdiges Priesterthum nach und nach
zahlreich, womit sich die Feuer vermehr-
ten. Daſs diese innigst verbundene geist-
liche Macht sich gegen die weltliche gele-
gentlich auflehnen würde, liegt in der Na-
tur dieses ewig unverträglichen Verhältnis-
ses. Nicht zu gedenken daſs der Falsche
Smerdis, der sich des Königreichs be-
mächtigte, ein Magier gewesen, durch seine
Genossen erhöht und eine Zeitlang gehal-
ten worden, so treffen wir die Magier mehr-
mals den Regenten fürchterlich.
Durch Alexanders Invasion zerstreut,
unter seinen Parthischen Nachfolgern nicht
[268] begünstigt, von den Sassaniden wieder her-
vorgehoben und versammlet, bewiesen sie
sich immer fest auf ihren Grundsätzen, und
widerstrebten dem Regenten der diesen zu-
widerhandelte. Wie sie denn die Verbin-
dung des Chosru mit der schönen Schirin,
einer Christin, auf alle Weise beyden Thei-
len widersetzlich verleideten.
Endlich von den Arabern auf immer
verdrängt und nach Indien vertrieben und
was von ihnen oder ihren Geistesverwand-
ten in Persien zurückblieb bis auf den heu-
tigen Tag verachtet und beschimpft, bald
geduldet, bald verfolgt nach Willkühr der
Herrscher, hält sich noch diese Religion
hie und da in der frühesten Reinheit, selbst
in kümmerlichen Winkeln, wie der Dich-
ter solches durch das Vermächtniſs des
alten Parsen auszudrücken gesucht hat.
Daſs man daher dieser Religion durch
lange Zeiten durch sehr viel schuldig gewor-
den, daſs in ihr die Möglichkeit einer höhern
Cultur lag, die sich im westlichen Theile
der östlichen Welt verbreitet, ist wohl
nicht zu bezweifeln. Zwar ist es höchst
schwierig einen Begriff zu geben, wie und
[269] woher sich diese Cultur ausbreitete. Viele
Städte lagen als Lebenspunkte in vielen
Regionen zerstreut; am bewundernswürdig-
sten aber ist mir daſs die fatale Nähe des
indischen Götzendienstes nicht auf sie wir-
ken konnte. Auffallend bleibt es, da die
Städte von Balck und Bamian so nah an
einander lagen, hier die verrücktesten Gö-
tzen in riesenhafter Gröſse verfertigt und
angebetet zu sehen, indessen sich dort die
Tempel des reinen Feuers erhielten, groſse
Klöster dieses Bekenntnisses entstanden und
eine Unzahl von Mobeden sich versammel-
ten. Wie herrlich aber die Einrichtung
solcher Anstalten müsse gewesen seyn, be-
zeugen die auſserordentlichen Männer die
von dort ausgegangen sind. Die Familie
der Barmekiden stammte daher, die so lange
als einfluſsreiche Staatsdiener glänzten, bis
sie zuletzt, wie ein ungefähr ähnliches
Geschlecht dieser Art zu unsern Zeiten, aus-
gerottet und vertrieben worden.
[270]
Regiment.
Wenn der Philosoph aus Prinzipien sich
ein Natur-Völker- und Staatsrecht aufer-
baut, so forscht der Geschichtsfreund nach,
wie es wohl mit solchen menschlichen Ver-
hältnissen und Verbindungen von jeher ge-
standen habe. Da finden wir denn im äl-
testen Oriente: daſs alle Herrschaft sich
ableiten lasse von dem Rechte Krieg zu
erklären. Dieses Recht liegt, wie alle
übrige, anfangs in dem Willen, in der
Leidenschaft des Volkes. Ein Stammglied
wird verletzt, sogleich regt sich die Masse,
unaufgefordert, Rache zu nehmen am Be-
leidiger. Weil aber die Menge zwar han-
deln und wirken, nicht aber sich führen
mag, überträgt sie, durch Wahl, Sitte, Ge-
wohnheit, die Anführung zum Kampfe ei-
[271] nem Einzigen, es sey für Einen Kriegszug,
für mehrere; dem tüchtigen Manne verleiht
sie den gefährlichen Posten auf Lebenszeit,
auch wohl endlich für seine Nachkommen.
Und so verschafft sich der Einzelne, durch
die Fähigkeit Krieg zu führen, das Recht
den Krieg zu erklären.
Hieraus flieſst nun ferner die Befugniſs
jeden Staatsbürger, der ohnehin als kampf-
lustig und streitfertig angesehen werden
darf, in die Schlacht zu rufen, zu fordern,
zu zwingen. Diese Conscription muſste von
jeher, wenn sie sich gerecht und wirksam
erzeigen wollte, unbarmherzig seyn. Der
erste Darius rüstet sich gegen verdächtige
Nachbarn, das unzählige Volk gehorcht dem
Wink. Ein Greis liefert drey Söhne, er
bittet den Jüngsten vom Feldzuge zu be-
freyen, der König sendet ihm den Knaben
in Stücken zerhauen zurück. Hier ist also
das Recht über Leben und Tod schon aus-
gesprochen. In der Schlacht selbst leidets
keine Frage: denn wird nicht oft willkühr-
lich, ungeschickt ein ganzer Heerestheil
vergebens aufgeopfert, und niemand fordert
Rechenschaft vom Anführer.
[272]
Nun zieht sich aber bey kriegerischen
Nationen derselbe Zustand durch die kur-
zen Friedenszeiten. Um den König her
ist’s immer Krieg, und niemanden bey Hofe
das Leben gesichert. Eben so werden die
Steuern fort erhoben, die der Krieg nöthig
machte. Deſshalb setzte denn auch Darius
Codomannus, vorsichtig, regelmäſsige Abga-
ben fest, statt freywilliger Geschenke. Nach
diesem Grundsatz, mit dieser Verfassung
stieg die Persische Monarchie zu höchster
Macht und Glückseligkeit, die denn doch
zuletzt an dem Hochsinn einer benachbar-
ten, kleinen, zerstückelten Nation endlich
scheiterte.
[273]
Geschichte.
Die Perser, nachdem auſserordentliche
Fürsten ihre Streitkräfte in eins versammelt
und die Elasticität der Masse auf’s höchste
gesteigert, zeigten sich, selbst entferntern
Völkern, gefährlich, um so mehr den be-
nachbarten.
Alle waren überwunden, nur die
Griechen, uneins unter sich, vereinigten
sich gegen den zahlreichen, mehrmals her-
andringenden Feind und entwickelten mu-
sterhafte Aufopferung, die erste und letzte
Tugend, worin alle übrigen enthalten sind.
Dadurch ward Frist gewonnen daſs, in
dem Maſse wie die Persische Macht inner-
lich zerfiel, Philipp von Macedonien eine
Einheit gründen konnte, die übrigen Grie-
chen um sich zu versammeln und ihnen für
18
[274] den Verlust ihrer innern Freiheit den Sieg
über äuſsere Dränger vorzubereiten. Sein
Sohn überzog die Perser und gewann das
Reich.
Nicht nur furchtbar sondern äuſserst
verhaſst hatten sich diese der griechischen
Nation gemacht, indem sie Staat und Gottes-
dienst zugleich bekriegten. Sie, einer Reli-
gion ergeben, wo die himmlischen Gestirne,
das Feuer, die Elemente, als gottähnliche
Wesen in freier Welt verehrt wurden, fan-
den höchst scheltenswerth daſs man die Göt-
ter in Wohnungen einsperrte, sie unter
Dach aubetete. Nun verbrannte und zer-
störte man die Tempel, und schuf dadurch
sich selbst ewig Haſs erregende Denkmäler,
indem die Weisheit der Griechen beschloſs
diese Ruinen niemals wieder aus ihrem
Schutte zu erheben, sondern, zu Anreizung
künftiger Rache, ahndungsvoll liegen zu
lassen. Diese Gesinnungen ihren beleidigten
Gottesdienst zu rächen, brachten die Grie-
chen mit auf persischen Grund und Boden;
manche Grausamkeit erklärt sich daher, auch
will man den Brand von Persepolis damit
entschuldigen.
[275]
Die gottesdienstlichen Uebungen der
Magier, die freilich, von ihrer ersten Ein-
falt entfernt, auch schon Tempel und Klo-
stergebäude bedurften, wurden gleichfalls
zerstört, die Magier verjagt und zerstreut,
von welchen jedoch immer eine groſse
Menge versteckt sich sammelten und, auf
bessere Zeiten, Gesinnung und Gottesdienst
aufbewahrten. Ihre Geduld wurde freylich
sehr geprüft: denn als mit Alexanders Tode
die kurze Alleinherrschaft zerfiel und das
Reich zersplitterte, bemächtigten sich die
Parther des Theils, der uns gegenwärtig be-
sonders beschäftigt. Sprache, Sitten, Re-
ligion der Griechen ward bey ihnen ein-
heimisch. Und so vergingen fünfhundert
Jahre über der Asche der alten Tempel und
Altäre, unter welchen das heilige Feuer im-
merfort glimmend sich erhielt, so daſs die
Sassaniden, zu Anfang des dritten Jahrhun-
derts unserer Zeitrechnung, als sie, die alte
Religion wieder bekennend, den frühern
Dienst herstellten, sogleich eine Anzahl
Magier und Mobeden vorfanden, welche
an und über der Gränze Indiens sich und
ihre Gesinnungen im Stillen erhalten hat-
18 *
[276] ten. Die altpersische Sprache wurde her-
vorgezogen, die griechische verdrängt und
zu einer eignen Nationalität wieder Grund
gelegt. Hier finden wir nun in einem Zeit-
raum von vierhundert Jahren die mytholo-
gische Vorgeschichte persischer Ereignisse,
durch poetisch-prosaische Nachklänge, ei-
nigermaſsen erhalten. Die glanzreiche Däm-
merung derselben erfreut uns immerfort und
eine Mannigfaltigkeit von Charakteren und
Ereignissen erweckt groſsen Antheil.
Was wir aber auch von Bild- und Bau-
kunst dieser Epoche vernehmen, so ging es
damit doch bloſs auf Pracht und Herrlich-
keit, Gröſse und Weitläuftigkeit und un-
förmliche Gestalten hinaus; und wie konnt’
es auch anders werden? da sie ihre Kunst
vom Abendlande hernehmen muſsten, die
schon dort so tief entwürdigt war. Der
Dichter besitzt selbst einen Siegelring Sa-
por des Ersten, einen Onyx, offenbar von
einem westlichen Künstler damaliger Zeit,
vielleicht einem Kriegsgefangnen, geschnit-
ten. Und sollte der Siegelschneider des
überwindenden Sassaniden geschickter ge-
wesen seyn als der Stempelschneider des
[277] überwundenen Valentinian? Wie es aber
mit den Münzen damaliger Zeit aussehe,
ist uns leider nur zu wohl bekannt.
Auch hat sich das Dichterisch-mährchen-
hafte jener überbliebenen Monumente nach
und nach, durch Bemühung der Kenner,
zur historischen Prosa herabgestimmt. Da
wir denn nun deutlich auch in diesem Bey-
spiel begreifen, daſs ein Volk auf einer
hohen sittlich-religiosen Stufe stehen, sich
mit Pracht und Prunk umgeben und in Be-
zug auf Künste noch immer unter die bar-
barischen gezählt werden kann.
Eben so müssen wir auch, wenn wir
orientalische und besonders persische Dicht-
kunst der Folgezeit redlich schätzen und
nicht, zu künftigem eignen Verdruſs und
Beschämung, solche überschätzen wollen,
gar wohl bedenken, wo denn eigentlich die
werthe, wahre Dichtkunst in jenen Tagen
zu finden gewesen.
Aus dem Westlande scheint sich nicht
viel selbst nach dem nächsten Osten verlo-
ren zu haben, Indien hielt man vorzüglich
im Auge; und da denn doch den Verehrern
des Feuers und der Elemente jene verrückt-
[278] monstrose Religion, dem Lebemenschen aber
eine abstruse Philosophie keineswegs an-
nehmlich seyn konnte; so nahm man von
dort her, was allen Menschen immer gleich
willkommen ist, Schriften die sich auf
Weltklugheit beziehen; da man denn auf
die Fabeln des Bidpai den höchsten Werth
legte und dadurch schon eine künftige Poe-
sie in ihrem tiefsten Grund zerstörte. Zu-
gleich hatte man aus derselben Quelle das
Schachspiel erhalten, welches, in Bezug
mit jener Weltklugheit, allem Dichtersinn
den Garaus zu machen völlig geeignet ist.
Setzen wir dieses voraus, so werden wir
das Naturell der späteren persichen Dichter,
sobald sie durch günstige Anlässe hervorge-
rufen wurden, höchlich rühmen und be-
wundern, wie sie so manche Ungunst be-
kämpfen, ihr ausweichen, oder vielleicht
gar überwinden können.
Die Nähe von Byzanz, die Kriege mit
den westlichen Kaisern und daraus entsprin-
genden wechselseitigen Verhältnisse bringen
endlich ein Gemisch hervor, wobey die
christliche Religion zwischen die der alten
Parsen sich einschlingt, nicht ohne Wider-
[279] streben der Mobeden und dortigen Religions-
bewahrer. Wie denn doch die mancherlei
Verdrüſslichkeiten, ja groſses Unglück selbst,
das den trefflichen Fürsten Chosru Parvis
überfiel, bloſs daher seinen Ursprung nahm,
weil Schirin, liebenswürdig und reizend, am
christlichen Glauben festhielt.
Dieses alles, auch nur obenhin betrach-
tet, nöthigt uns zu gestehen, daſs die Vor-
sätze, die Verfahrungsweise der Sassaniden
alles Lob verdienen; nur waren sie nicht
mächtig genug, in einer von Feinden rings
umgebenen Lage, zur bewegtesten Zeit sich
zu erhalten. Sie wurden, nach tüchtigem
Widerstand, von den Arabern unterjocht,
welche Mahomet durch Einheit zur furcht-
barsten Macht erhoben hatte.
[280]
Mahomet.
Da wir bey unseren Betrachtungen vom
Standpunkte der Poesie entweder ausgehen
oder doch auf denselben zurückkehren, so
wird es unsern Zwecken angemessen seyn
von genanntem auſserordentlichen Manne
vorerst zu erzählen, wie er heftig behauptet
und betheuert: er sey Prophet und nicht
Poet und daher auch sein Koran als göttli-
ches Gesetz und nicht etwa als menschliches
Buch, zum Unterricht oder zum Vergnügen,
anzusehen. Wollen wir nun den Unterschied
zwischen Poeten und Propheten näher an-
deuten, so sagen wir: beyde sind von einem
Gott ergriffen und befeuert, der Poet aber
vergeudet die ihm verliehene Gabe im Ge-
nuſs, um Genuſs hervorzubringen, Ehre
durch das Hervorgebrachte zu erlangen, al-
lenfalls ein bequemes Leben. Alle übrigen
Zwecke versäumt er, sucht mannigfaltig zu
[281] seyn, sich in Gesinnung und Darstellung
gränzenlos zu zeigen. Der Prophet hinge-
gen sieht nur auf einen einzigen bestimmten
Zweck; solchen zu erlangen, bedient er sich
der einfachsten Mittel. Irgend eine Lehre
will er verkünden und, wie um eine Stan-
darte, durch sie und um sie die Völker ver-
sammeln. Hiezu bedarf es nur daſs die
Welt glaube, er muſs alſo eintönig werden
und bleiben. Denn das Mannigfaltige glaubt
man nicht, man erkennt es.
Der ganze Inhalt des Korans, um mit
wenigem viel zu sagen, findet sich zu An-
fang der zweyten Sura und lautet folgender-
maſsen. „Es ist kein Zweifel in diesem
Buch. Es ist eine Unterrichtung der From-
men, welche die Geheimnisse des Glau-
bens vor wahr halten, die bestimmten
Zeiten des Gebets beobachten und von
demjenigen was wir ihnen verliehen haben
Almosen austheilen; und welche der
Offenbarung glauben, die den Prophe-
ten vor dir herabgesandt worden, und ge-
wisse Versicherung des zukünftigen Lebens
haben: diese werden von ihrem Herrn ge-
leitet und sollen glücklich und selig seyn.
[282] Die Ungläubigen betreffend, wird es ihnen
gleichviel seyn, ob du sie vermahnest oder
nicht vermahnest; sie werden doch nicht
glauben. Gott hat ihre Herzen und Ohren
versiegelt. Eine Dunkelheit bedecket ihr
Gesicht und sie werden eine schwere Strafe
leiden.“
Und so wiederholt sich der Koran Sure
für Sure. Glauben und Unglauben theilen
sich in Oberes und Unteres, Himmel und
Hölle sind den Bekennern und Läugnern zu-
gedacht. Nähere Bestimmung des Gebote-
nen und Verbotenen, fabelhafte Geschichten
jüdischer und christlicher Religion, Ampli-
ficationen aller Art, gränzenlose Tautolo-
gieen und Wiederholungen bilden den Kör-
per dieses heiligen Buches, das uns, so oft
wir auch daran gehen, immer von neuem an-
widert, dann aber anzieht, in Erstaunen
setzt und am Ende Verehrung abnöthigt.
Worin es daher jedem Geschichtsfor-
scher von der gröſsten Wichtigkeit bleiben
muſs, sprechen wir aus mit den Worten ei-
nes vorzüglichen Mannes: „Die Hauptab-
sicht des Korans scheint diese gewesen zu
seyn, die Bekenner der drei verschiedenen,
[283] in dem volkreichen Arabien damals herr-
schenden Religionen, die meistentheils ver-
mischt unter einander in den Tag hinein
lebten und ohne Hirten und Wegweiser
herum irrten, indem der gröſste Theil Gö-
tzendiener und die übrigen entweder Juden
oder Christen eines höchst irrigen und ketze-
rischen Glaubens waren, in der Erkennt-
niſs und Verehrung des einigen, ewigen
und unsichtbaren Gottes, durch dessen All-
macht alle Dinge geschaffen sind, und die
so es nicht sind geschaffen werden können,
des allerhöchsteu Herrschers, Richters und
Herrn aller Herrn, unter der Bestätigung
gewisser Gesetze und den äuſserlichen Zei-
chen gewisser Ceremonien, theils von alter
und theils von neuer Einsetzung, und die
durch Vorstellung sowohl zeitlicher als
ewiger Belohnungen und Strafen eingeschärft
wurden, zu vereinigen und sie alle zu dem
Gehorsam des Mahomet, als des Propheten
und Gesandten Gottes zu bringen, der nach
den wiederholten Erinnerungen, Verheiſsun-
gen und Drohungen der vorigen Zeiten
endlich Gottes wahre Religion auf Erden
durch Gewalt der Waffen fortpflanzen und
[284] bestätigen sollte, um sowohl für den Hohen-
priester, Bischoff oder Papst in geistlichen,
als auch höchsten Prinzen in weltlichen
Dingen erkannt zu werden.“
Behält man diese Ansicht fest im Auge,
so kann man es dem Muselmann nicht ver-
argen, wenn er die Zeit vor Mahomet die
Zeit der Unwissenheit benennt, und völlig
überzeugt ist daſs mit dem Islam Erleuch-
tung und Weisheit erst beginne. Der Styl
des Korans ist seinem Inhalt und Zweck
gemäſs: streng, groſs, furchtbar, stellenweis
wahrhaft erhaben; so treibt ein Keil den
andern und darf ſich über die groſse Wirk-
samkeit des Buches niemand verwundern.
Weſshalb es denn auch von den ächten Ver-
ehrern für unerschaffen und mit Gott gleich
ewig erklärt wurde. Demohngeachtet aber
fanden ſich gute Köpfe, die eine bessere
Dicht- und Schreibart der Vorzeit aner-
kannten und behaupteten: daſs, wenn es
Gott nicht gefallen hätte durch Mahomet
auf einmal seinen Willen und eine entschie-
den gesetzliche Bildung zu offenbaren, die
Araber nach und nach von selbst eine sol-
che Stufe, und eine noch höhere würden
[285] erstiegen und reinere Begriffe in einer rei-
nen Sprache entwickelt haben.
Andere, verwegener, behaupteten, Ma-
homet habe ihre Sprache und Literatur
verdorben, so daſs sie sich niemals wieder
erholen werde. Der verwegenste jedoch,
ein geistvoller Dichter, war kühn genug
zu versichern: alles was Mahomet gesagt
habe, wollte er auch gesagt haben, und
besser, ja er ſammelte sogar eine An-
zahl Sectirer um ſich her. Man bezeich-
nete ihn deſshalb mit dem Spottnamen Mo-
tanabbi, unter welchem wir ihn kennen,
welches so viel heiſst als: einer der gern
den Propheten spielen möchte.
Ob nun gleich die Muselmännische Kri-
tik selbst an dem Koran manches Bedenken
findet, indem Stellen die man früher aus
demselben angeführt gegenwärtig nicht mehr
darin zu finden sind, andere, ſich wider-
sprechend, einander aufheben und was der-
gleichen bey allen schriftlichen Ueberliefe-
rungen nicht zu vermeidende Mängel ſind;
so wird doch dieses Buch für ewige Zeiten
höchst wirksam verbleiben, indem es durch-
aus praktisch und den Bedürfnissen einer
[286] Nation gemäſs verfaſst worden, welche ih-
ren Ruhm auf alte Ueberlieferungen grün-
det und an herkömmlichen Sitten festhält.
In seiner Abneigung gegen Poesie er-
scheint Mahomet auch höchst consequent, in-
dem er alle Mährchen verbietet. Diese Spiele
einer leichtfertigen Einbildungskraft, die vom
Wirklichen bis zum Unmöglichen hin- und
wiederſchwebt, und das Unwahrscheinliche
als ein Wahrhaftes und Zweifelloses vor-
trägt, waren der orientalischen Sinnlichkeit,
einer weichen Ruhe und bequemem Müssig-
gang höchst angemessen. Diese Luftge-
bilde über einem wunderlichen Boden schwan-
kend, hatten ſich zur Zeit der Sassaniden
in’s Unendliche vermehrt, wie ſie uns Tau-
send und Eine Nacht, an einen loſen Fa-
den gereiht, als Beispiele darlegt. Ihr ei-
gentlicher Charakter ist, daſs ſie keinen
ſittlichen Zweck haben und daher den Men-
schen nicht auf ſich selbst zurück, sondern
auſser ſich hinaus ins unbedingte Freie füh-
ren und tragen. Gerade das Entgegenge-
setzte wollte Mahomet bewirken. Man
sehe wie er die Ueberlieferungen des alten
Testaments und die Ereignisse patriarchali-
[287] scher Familien, die freilich auch auf einem
unbedingten Glauben an Gott, einem un-
wandelbaren Gehorsam und also gleich-
falls auf einem Islam beruhen, in Legen-
den zu verwandeln weiſs, mit kluger Aus-
führlichkeit den Glauben an Gott, Ver-
trauen und Gehorsam immer mehr auszuſpre-
chen und einzuschärfen versteht; wobey
er ſich denn manches Mährchenhafte, ob-
gleich immer zu seinen Zwecken dienlich,
zu erlauben pflegt. Bewundernswürdig ist
er, wenn man in diesem Sinne die Bege-
benheiten Noahs, Abrahams, Josephs be-
trachtet und beurtheilt.
[288]
Kaliphen.
Um aber in unsern eigensten Kreis zu-
rückzukehren, wiederholen wir daſs die
Sassaniden bey vierhundert Jahre regier-
ten, vielleicht zuletzt nicht mit früherer
Kraft und Glanz; doch hätten sie sich
wohl noch eine Weile erhalten, wäre die
Macht der Araber nicht dergestalt gewach-
sen daſs ihr zu widerstehen kein älteres
Reich im Stande war. Schon unter Omar,
bald nach Mahomet, ging jene Dynastie zu
Grunde, welche die altpersische Religion
gehegt und einen seltenen Grad der Cultur
verbreitet hatte.
Die Araber stürmten sogleich auf alle
Bücher los, nach ihrer Ansicht, nur über-
flüssige oder schädliche Schreibereyen; sie
zerstörten alle Denkmale der Literatur, so
daſs kaum die geringsten Bruchstücke zu
uns gelangen konnten. Die sogleich einge-
führte arabische Sprache verhinderte jede
[289] Wiederherstellung dessen was Nationell hei-
ſsen konnte. Doch auch hier überwog die
Bildung des Ueberwundenen nach und nach
die Rohheit des Ueberwinders und die Ma-
hometanischen Sieger gefielen sich in der
Prachtliebe, den angenehmen Sitten und
den dichterischen Resten der Besiegten.
Daher bleibt noch immer, als die glän-
zendste Epoche berühmt, die Zeit, wo die
Barmekiden Einfluſs hatten zu Bagdad.
Diese, vom Balch abstammend, nicht so-
wohl selbst Mönche als Patrone und Be-
schützer groſser Klöster und Bildungsan-
stalten, bewahrten unter sich das heilige
Feuer der Dicht- und Redekunst und be-
haupteten durch ihre Welt-Klugheit und
Charakter-Gröſse einen hohen Rang auch
in der politischen Sphäre. Die Zeit der Bar-
mekiden heiſst daher sprichwörtlich: eine
Zeit localen, lebendigen Wesens und Wir-
kens, von der man, wenn sie vorüber ist,
nur hoffen kann daſs sie erst nach gerau-
men Jahren an fremden Orten unter ähn-
lichen Umständen vielleicht wieder aufquel-
len werde.
19
[290]
Aber auch das Caliphat war von kur-
zer Dauer; das ungeheure Reich erhielt
sich kaum vierhundert Jahre; die entfern-
teren Statthalter machten sich nach und
nach mehr und mehr unabhängig, indem
sie den Caliphen, als eine geistliche, Ti-
tel und Pfründen spendende Macht, allen-
falls gelten lieſsen.
Fortleitende Bemerkung.
Physisch-climatische Einwirkung auf
Bildung menschlicher Gestalt und körperli-
cher Eigenschaften leugnet niemand, aber
man denkt nicht immer daran daſs Regie-
rungsform eben auch einen moralisch-cli-
matischen Zustand hervorbringe, worin die
Charaktere auf verschiedene Weise sich aus-
bilden. Von der Menge reden wir nicht,
sondern von bedeutenden, ausgezeichneten
Gestalten.
[291]
In der Republik bilden sich groſse,
glückliche, ruhig-rein thätige Charaktere;
steigert sie sich zur Aristokratie, so ent-
stehen würdige, consequente, tüchtige, im
Befehlen und Gehorchen bewunderungswür-
dige Männer. Geräth ein Staat in Anarchie,
sogleich thun sich verwegene, kühne, sit-
tenverachtende Menschen hervor, augen-
blicklich gewaltsam wirkend, bis zum Ent-
setzen, alle Mäſsigung verbannend. Die
Despotie dagegen schafft groſse Charaktere;
kluge, ruhige Uebersicht, strenge Thätig-
keit, Festigkeit, Entschlossenheit, alles Ei-
genschaften die man braucht um den Des-
poten zu dienen, entwickeln sich in fähi-
gen Geistern und verschaffen ihnen die er-
sten Stellen des Staats, wo sie sich zu
Herrschern ausbilden. Solche erwuchsen
unter Alexander dem Groſsen, nach dessen
frühzeitigem Tode seine Generale sogleich
als Könige dastanden. Auf die Caliphen
häufte sich ein ungeheures Reich, das sie
durch Statthalter muſsten regieren lassen,
deren Macht und Selbstständigkeit gedieh,
indem die Kraft der obersten Herrscher ab-
nahm. Ein solcher trefflicher Mann, der
19 *
[292] ein eigenes Reich sich zu gründen und zu
verdienen wuſste, ist derjenige, von dem
wir nun zu reden haben, um den Grund
der neueren persischen Dichtkunst und ihre
bedeutenden Lebens-Anfänge kennen zu
lernen.
Mahmud von Gasna.
Mahmud, dessen Vater, im Gebirge
gegen Indien, ein starkes Reich gegründet
hatte, indessen die Caliphen in der Fläche
des Euphrats zur Nichtigkeit versanken,
setzte die Thätigkeit seines Vorgängers fort
und machte sich berühmt wie Alexander
und Friedrich. Er läſst den Caliphen als
eine Art geistlicher Macht gelten, die man
wohl, zu eigenem Vortheil, einigermaſsen
anerkennen mag; doch erweitert er erst
sein Reich um sich her, dringt sodann auf
Indien los, mit groſser Kraft und beson-
derm Glück. Als eifrigster Mahometaner
beweist er sich unermüdlich und streng
[293] in Ausbreitung seines Glaubens und Zerstö-
rung des Götzendienstes. Der Glaube an
den einigen Gott wirkt immer geisterhebend,
indem er den Menschen auf die Einheit
seines eignen Innern zurückweist. Näher
steht der Nationalprophete, der nur Anhäng-
lichkeit und Förmlichkeiten fordert und
eine Religion auszubreiten befiehlt, die,
wie eine jede, zu unendlichen Auslegungen
und Miſsdeutungen dem Secten- und Par-
teygeist Raum läſst und demohngeachtet im-
mer dieselbige bleibt.
Eine solche einfache Gottesverehrung
muſste mit dem Indischen Götzendienste im
herbsten Widerspruch stehen, Gegenwir-
kung und Kampf, ja blutige Vernichtungs-
kriege hervorrufen, wobey sich der Eifer
des Zerstörens und Bekehrens noch durch
Gewinn unendlicher Schätze erhöht fühlte.
Ungeheure, fratzenhafte Bilder, deren hoh-
ler Körper mit Gold und Juwelen ausge-
füllt erfunden ward, schlug man in Stücke
und sendete sie, geviertheilt, verschiedene
Schwellen Mahometanischer Heilorte zu
pflastern.’ Noch jetzt sind die Indischen
Ungeheuer jedem reinen Gefühle verhaſst,
[294] wie gräſslich mögen sie den bildlosen Ma-
hometaner angeschaut haben!
Nicht ganz am unrechten Orte wird
hier die Bemerkung stehen, daſs der ur-
sprüngliche Werth einer jeden Religion
erst nach Verlauf von Jahrhunderten aus
ihren Folgen beurtheilt werden kann. Die
Jüdische Religion wird immer einen gewis-
sen starren Eigensinn, dabey aber auch freien
Klugsinn und lebendige Thätigkeit verbrei-
ten; die Mahometanische läſst ihren Beken-
ner nicht aus einer dumpfen Beschränktheit
heraus, indem sie, keine schweren Pflichten
fordernd, ihm innerhalb derselben alles Wün-
schenswerthe verleiht und zugleich, durch
Aussicht auf die Zukunft, Tapferkeit und
Religionspatriotismus einflöſst und erhält.
Die Indische Lehre taugte von Haus
aus nichts, so wie denn gegenwärtig ihre
vielen tausend Götter, und zwar nicht etwa
untergeordnete, sondern alle gleich unbe-
dingt mächtige Götter, die Zufälligkeiten
des Lebens nur noch mehr verwirren, den
Unsinn jeder Leidenschaft fördern und die
Verrücktheit des Lasters, als die höchste
[295] Stufe der Heiligkeit und Seligkeit, begün-
stigen.
Auch selbst eine reinere Vielgötterey,
wie die der Griechen und Römer, muſste
doch zuletzt auf falschem Wege ihre Beken-
ner und sich selbst verlieren. Dagegen ge-
bührt der christlichen das höchste Lob,
deren reiner, edler Ursprung sich immerfort
dadurch bethätigt, daſs nach den gröſsten
Verirrungen, in welche sie der dunkle
Mensch hinein zog, eh man sichs versieht
sie sich in ihrer ersten lieblichen Eigen-
thümlichkeit, als Mission, als Hausgenos-
sen- und Brüderschaft, zu Erquickung des
sittlichen Menschenbedürnisses, immer wie-
der hervorthut.
Billigen wir nun den Eifer des Götzen-
stürmers Mahmud, so gönnen wir ihm die
zu gleicher Zeit gewonnenen unendlichen
Schätze, und verehren besonders in ihm den
Stifter persischer Dichtkunst und höherer
Kultur. Er, selbst aus persischem Stamme,
lieſs sich nicht etwa in die Beschräncktheit
der Araber hineinziehen, er fühlte gar
wohl daſs der schönste Grund und Boden
für Religion in der Nationalität zu finden
[296] sey; diese ruhet auf der Poesie, die uns
älteste Geschichte in fabelhaften Bildern
überliefert, nach und nach sodann ins Klare
hervortritt und ohne Sprung die Vergangen-
heit an die Gegenwart heranführt.
Unter diesen Betrachtungen gelangen
wir also in das zehnte Jahrhundert unserer
Zeitrechnung. Man werfe einen Blick auf
die höhere Bildung die sich dem Orient,
ungeachtet der ausschlieſsenden Religion,
immerfort aufdrang. Hier sammelten sich,
fast wider Willen der wilden und schwachen
Beherrscher, die Reste Griechischer und Rö-
mischer Verdienste und so vieler geistreichen
Christen, deren Eigenheiten aus der Kirche
ausgestoſsen worden, weil auch diese, wie
der Islam, auf Eingläubigkeit los arbeiten
muſste.
Doch zwey groſse Verzweigungen des
menschlichen Wissens und Wirkens gelang-
ten zu einer freyern Thätigkeit!
Die Medicin sollte die Gebrechen des
Mikrokosmus heilen, und die Sternkunde
dasjenige dolmetschen, womit uns für die
Zukunft der Himmel schmeicheln oder bedro-
hen möchte; jene muſste der Natur, diese
[297] der Mathematik huldigen, und so waren
beide wohl empfohlen und versorgt.
Die Geschäftsführung sodann unter
despotischen Regenten blieb, auch bey
gröſster Anfmerksamkeit und Genauigkeit,
immer gefahrvoll, und ein Canzleyver-
wandter bedurfte so viel Muth sich in den
Divan zu bewegen als ein Held zur Schlacht;
einer war nicht sicherer seinen Heerd wieder
zu sehn als der andere.
Reisende Handelsleute brachten immer
neuen Zuwachs an Schätzen und Kenntnis-
sen herbey, das Innere des Landes, vom
Euphrat bis zum Indus, bot eine eigne Welt
von Gegenständen dar. Eine Masse wider
einander streitender Völkerschaften, vertrie-
bene, vertreibende, Herrscher, stellten
überraschenden Wechsel von Sieg zur Knecht-
schaft, von Obergewalt zur Dienstbarkeit
nur gar zu oft vor Augen, und lieſsen geist-
reiche Männer, über die traumartige Ver-
gänglichkeit irdischer Dinge, die traurigsten
Betrachtungen anstellen.
Dieses alles und noch weit mehr, im
weitesten Umfange unendlicher Zersplitte-
rung und augenblicklicher Wiederherstel-
[298] lung, sollte man vor Augen haben, um billig
gegen die folgenden Dichter, besonders ge-
gen die Persischen zu seyn; denn jedermann
wird eingestehen, daſs die geschilderten
Zustände keineswegs für ein Element gelten
können, worin der Dichter sich nähren,
erwachsen und gedeihen dürfte. Deſswegen
sey uns erlaubt schon das edle Verdienst der
Persischen Dichter des ersten Zeitalters als
problematisch anzusprechen. Auch diese
darf man nicht nach dem Höchsten messen,
man muſs ihnen manches zugeben indem
man sie liest, manches verzeihen wenn man
sie gelesen hat.
[299]
Dichterkönige.
Viele Dichter versammelten sich an
Mahmuds Hofe, man spricht von vierhunder-
ten, die daselbst ihr Wesen getrieben. Und
wie nun alles im Orient sich unterordnen,
sich höheren Geboten fügen muſs, so be-
stellte ihnen auch der Fürst einen Dichter-
fürsten, der sie prüfen, beurtheilen, sie
zu Arbeiten, jedem Talent gemäſs, auf-
muntern sollte. Diese Stelle hat man als
eine der vorzüglichsten am Hofe zu betrach-
ten: er war Minister aller wissenschaftli-
chen, historischpoetischen Geschäfte; durch
ihn wurden die Gunstbezeigungen seinen
Untergebenen zu Theil, und wenn er den
Hof begleitete, geschah es in so groſsem
Gefolge, in so stattlichem Aufzuge, daſs man
ihn wohl für einen Vezier halten konnte.
[300]
Ueberlieferungen.
Wenn der Mensch daran denken soll
von Ereignissen, die ihn zunächst betreffen,
künftigen Geschlechtern Nachricht zu hin-
terlassen, so gehört dazu ein gewisses Be-
hagen an der Gegenwart, ein Gefühl von
dem hohen Werthe derselben. Zuerst also
befestigt er im Gedächtniſs was er von
Vätern vernommen und überliefert solches
in fabelhaften Umhüllungen; denn mündli-
che Ueberlieferung wird immer mährchen-
haft wachsen. Ist aber die Schrift erfunden,
ergreift die Schreibseligkeit ein Volk vor dem
andern, so entstehen alsdann Chroniken,
welche den poetischen Rhythmus behalten,
wenn die Poesie der Einbildungskraft und
des Gefühls längst verschwunden ist. Die
späteste Zeit versorgt uns mit ausführlichen
Denkschriften, Selbstbiographien unter
mancherley Gestalten.
[301]
Auch im Orient finden wir gar frühe
Documente einer bedeutenden Weltausbil-
dung. Sollten auch unsere heiligen Bücher
später in Schriften verfaſst seyn, so sind
doch die Anlässe dazu als Ueberlieferungen
uralt, und können nicht dankbar genug be-
achtet werden. Wie vieles muſste nicht
auch in dem mittlern Orient, wie wir
Persien und seine Umgebungen nennen dür-
fen, jeden Augenblick entstehen, und sich
trotz aller Verwüstung und Zersplitterung
erhalten. Denn wenn es zu höherer Aus-
bildung groſser Landstrecken dienlich ist,
daſs solche nicht Einem Herrn unterworfen,
sondern unter mehrere getheilt seyen, so ist
derselbe Zustand gleichfalls der Erhaltung
nütze, weil das was an dem einen Ort zu
Grunde geht, an dem andern fortbestehen,
was aus dieser Ecke vertrieben wird, sich in
jene flüchten kann.
Auf solche Weise müssen, ungeachtet
aller Zerstörung und Verwüstung, sich
manche Abschriften aus frühern Zeiten er-
halten haben, die man von Epoche zu Epo-
che theils abgeschrieben, theils erneuert.
So finden wir daſs unter Jesdedschird, dem
[302] letzten Sassaniden, eine Reichsgeschichte
verfaſst worden, wahrscheinlich aus alten
Chroniken zusammengestellt, dergleichen
sich schon Ahasverus in dem Buch Esther
bey schlaflosen Nächten vorlesen läſst.
Copien jenes Werkes, welches Bastana-
me betitelt war, erhielten sich: denn vier-
hundert Jahre später wird unter Mansur I.,
aus dem Hause der Samaniden, eine Bear-
beitung desselben vorgenommen, bleibt aber
unvollendet und die Dynastie wird von den
Gasnewiden verschlungen. Mahmud jedoch,
genannten Stammes zweyter Beherrscher,
ist von gleichem Triebe belebt, und ver-
theilt sieben Abtheilungen des Bastaname
unter sieben Hofdichter. Es gelingt An-
sari seinen Herrn am meisten zu befriedi-
gen, er wird zum Dichterkönig ernannt
und beauftragt das Ganze zu bearbeiten.
Er aber, bequem und klug genug, weiſs
das Geschäft zu verspäten und mochte sich
im Stillen umthun, ob er nicht jemand fände,
dem es zu übertragen wäre.
[303]
Firdusi.
Starb 1030.
Die wichtige Epoche persischer Dicht-
kunst, die wir nun erreichen, giebt uns
zur Betrachtung Anlaſs, wie groſse Welt-
ereignisse nur alsdann sich entwickeln, wenn
gewisse Neigungen, Begriffe, Vorsätze hie
und da, ohne Zusammenhang, einzeln aus-
gesäet sich bewegen und im Stillen fort-
wachsen, bis endlich früher oder später ein
allgemeines Zusammenwirken hervortritt. In
diesem Sinne ist es merkwürdig genug daſs
zu gleicher Zeit, als ein mächtiger Fürst
auf die Wiederherstellung einer Volks- und
Stammes-Literatur bedacht war, ein Gärt-
nersohn zu Tus gleichfalls ein Exemplar
des Bastaname sich zueignete und das ein-
geborene schöne Talent solchen Studien eif-
rig widmete.
In Absicht über den dortigen Statthal-
ter, wegen irgend einer Bedrängniſs, zu
[304] klagen, begiebt er sich nach Hofe, ist lange
vergebens bemüht zu Ansari durchzudrin-
gen, und durch dessen Vorsprache seinen
Zweck zu erreichen. Endlich macht eine
glückliche, gehaltvolle Reimzeile, aus dem
Stegreife gesprochen, ihn dem Dichterkö-
nige bekannt, welcher, Vertrauen zu sei-
nem Talente fassend, ihn empfiehlt und ihm
den Auftrag des groſsen Werkes verschafft.
Firdusi beginnt das Schach Nameh unter
günstigen Umständen, er wird im Anfange
theilweis hinlänglich belohnt, nach drey-
ſsigjähriger Arbeit hingegen entspricht das
königliche Geschenk seiner Erwartung kei-
neswegs. Erbittert verläſst er den Hof und
stirbt, eben da der König seiner mit Gunst
abermals gedenkt. Mahmud überlebt ihn
kaum ein Jahr, innerhalb welches der alte
Essedi, Firdusi’s Meister, das Schach Nameh
völlig zu Ende schreibt.
Dieses Werk ist ein wichtiges, ernstes,
mythisch-historisches National-Fundament,
worin das Herkommen, das Daseyn, die
Wirkung alter Helden aufbewahrt wird.
Es bezieht sich auf frühere und spätere
Vergangenheit, deſshalb das eigentlich Ge-
[305] schichtliche zuletzt mehr hervortritt, die
früheren Fabeln jedoch manche uralte Tra-
ditions-Wahrheit verhüllt überliefern.
Firdusi scheint überhaupt zu einem sol-
chen Werke sich vortrefflich dadurch zu
qualificiren, daſs er leidenschaftlich am Al-
ten, ächt Nationellen, festgehalten und auch,
in Absicht auf Sprache, frühe Reinigkeit
und Tüchtigkeit zu erreichen gesucht, wie
er denn arabische Worte verbannt und das
alte Pelehwi zu beachten bemüht war.
Enweri.
Stirbt 1152.
Er studirt zu Tus, einer wegen bedeu-
tender Lehranstalten berühmten, ja sogar
wegen Ueberbildung verdächtigen Stadt;
und als er, an der Thüre des Collegiums si-
tzend, einen, mit Gefolge und Prunk, vor-
beireitenden Groſsen erblickt, zu seiner gro-
ſsen Verwunderung aber hört, daſs es ein
Hofdichter sey, entschlieſst er sich zu glei-
cher Höhe des Glücks zu gelangen. Ein
20
[306] übernacht geschriebenes Gedicht, wodurch
er sich die Gunst des Fürsten erwirbt, ist
uns übrig geblieben.
Aus diesem und aus mehreren Poesien
die uns mitgetheilt worden blickt ein hei-
terer Geist hervor, begabt mit unendlicher
Umsicht und scharfem glücklichen Durch-
schauen, er beherrscht einen unübersehba-
ren Stoff. Er lebt in der Gegenwart, und
wie er vom Schüler sogleich zum Hofmann
übergeht, wird er ein freyer Encomiast und
findet daſs kein besser Handwerk sey, als
mitlebende Menschen durch Lob zu ergö-
tzen. Fürsten, Veziere, edle und schöne
Frauen, Dichter und Musiker schmückt er
mit seinem Preis und weiſs auf einen jeden
etwas Zierliches aus dem breiten Weltvor-
rathe anzuwenden.
Wir können daher nicht billig finden,
daſs man ihm die Verhältnisse in denen er
gelebt und sein Talent genutzt, nach so
viel hundert Jahren, zum Verbrechen macht.
Was sollt’ aus dem Dichter werden, wenn
es nicht hohe, mächtige, kluge, thätige,
schöne und geschickte Menschen gäbe, an
deren Vorzügen er sich auferbauen kann?
[307] An ihnen, wie die Rebe am Ulmenbaum,
wie Epheu an der Mauer, rankt er sich
hinauf, Auge und Sinn zu erquicken. Sollte
man einen Juwelier schelten, der die Edelge-
steine beyder Indien zum herrlichen Schmuck
trefflicher Menschen zu verwenden sein Le-
ben zubringt? Sollte man von ihm verlan-
gen daſs er das, freylich sehr nützliche Ge-
schäft eines Straſsenpflasterers übernähme?
So gut aber unser Dichter mit der Erde
stand, ward ihm der Himmel verderblich.
Eine bedeutende, das Volk aufregende Weis-
sagung: als werde an einem gewissen Tage
ein ungeheurer Sturm das Land verwüsten,
traf nicht ein und der Schach selbst konnte
gegen den allgemeinen Unwillen des Hofes
und der Stadt seinen Liebling nicht retten.
Dieser floh. Auch in entfernter Provinz
schützte ihn nur der entschiedene Charakter
eines freundlichen Statthalters.
Die Ehre der Astrologie kann jedoch
gerettet werden, wenn man annimmt, daſs
die Zusammenkunft so vieler Planeten in
Einem Zeichen auf die Zukunft von Dschen-
20 *
[308] gis Chan hindeute, welcher in Persien mehr
Verwüstung anrichtete als irgend ein Sturm-
wind hätte bewirken können.
Nisami.
Stirbt 1180.
Ein zarter, hochbegabter Geist, der,
wenn Firdusi die sämmtlichen Heldenüber-
lieferungen erschöpfte, nunmehr die lieb-
lichsten Wechselwirkungen innigster Liebe
zum Stoffe seiner Gedichte wählt. Medsch-
nun und Leila, Chosru und Schirin, Lie-
bespaare, führt er vor; durch Ahndung,
Geschick, Natur, Gewohnheit, Neigung,
Leidenschaft für einander bestimmt, sich
entschieden gewogen; dann aber durch Grille,
Eigensinn, Zufall, Nöthigung und Zwang
getrennt, eben so wunderlich wieder zu-
sammengeführt und am Ende doch wieder
auf eine oder die andere Weise weggerissen
und geschieden.
[309]
Aus diesen Stoffen und ihrer Behandlung
erwächst die Erregung einer ideellen Sehn-
sucht. Befriedigung finden wir nirgends.
Die Anmuth ist groſs, die Mannigfaltigkeit
unendlich.
Auch in seinen andern, unmittelbar
moralischem Zweck gewidmeten Gedichten
athmet gleiche liebenswürdige Klarheit. Was
auch dem Menschen Zweideutiges begegnen
mag, führt er jederzeit wieder ans Prakti-
sche heran und findet in einem sittlichen
Thun allen Räthseln die beste Auflösung.
Uebrigens führt er, seinem ruhigen
Geschäft gemäſs, ein ruhiges Leben unter
den Seldschugiden und wird in seiner Va-
terstadt Gendsche begraben.
[310]
Dschelaleddin Rumi.
Stirbt 1262.
Er begleitet seinen Vater, der, wegen
Verdrieſslichkeiten mit dem Sultan, sich
von Balch hinweg begiebt, auf dem langen
Reisezug. Unterwegs nach Mekka treffen
sie Attar, der ein Buch göttlicher Ge-
heimnisse dem Jünglinge verehrt und ihn zu
heiligen Studien entzündet.
Hiebey ist so viel zu bemerken: daſs
der eigentliche Dichter die Herrlichkeit der
Welt in sich aufzunehmen berufen ist und
deſshalb immer eher zu loben als zu tadeln
geneigt seyn wird. Daraus folgt, daſs er
den würdigsten Gegenstand aufzufinden sucht,
und, wenn er alles durchgegangen, endlich
sein Talent am liebsten zu Preis und Ver-
herrlichung Gottes anwendet. Besonders
aber liegt dieses Bedürfniſs dem Orientalen
[311] am nächsten, weil er immer dem Ueber-
schwenglichen zustrebt und solches bey Be-
trachtung der Gottheit in gröſster Fülle ge-
wahr zu werden glaubt, so wie ihm denn
bey jeder Ausführung niemand Uebertrie-
benheit Schuld geben darf.
Schon der sogenannte Mahometanische
Rosenkranz, wodurch der Name Allah mit
neun und neunzig Eigenschaften verherrlicht
wird, ist eine solche Lob- und Preis-Lita-
ney. Bejahende, verneinende Eigenschaften
bezeichnen das unbegreiflichste Wesen; der
Anbeter staunt, ergiebt und beruhigt sich.
Und wenn der weltliche Dichter die ihm
vorschwebenden Vollkommenheiten an vor-
zügliche Personen verwendet, so flüchtet
sich der Gottergebene in das unpersönliche
Wesen, das von Ewigkeit her alles durch-
dringt.
So flüchtete sich Attar vom Hofe zur
Beschaulichkeit, und Dschelaleddin, ein rei-
ner Jüngling, der sich so eben auch vom
Fürsten und der Hauptstadt entfernte, war
um desto eher zu tieferen Studien zu ent-
zünden.
[312]
Nun zieht er mit seinem Vater, nach
vollbrachten Wallfahrten, durch Klein-Asien,
sie bleiben zu Iconium. Dort lehren sie,
werden verfolgt, vertrieben, wieder einge-
setzt, und liegen daselbst, mit einem ihrer
treusten Lehrgenossen, begraben. Indessen
hatte Dschengis Chan Persien erobert, ohne
den ruhigen Ort ihres Aufenthaltes zu be-
rühren.
Nach obiger Darstellung wird man die-
sem groſsen Geiste nicht verargen, wenn
er sich ins Abstruse gewendet. Seine Werke
sehen etwas bunt aus, Geschichtchen, Mähr-
chen, Parabeln, Legenden, Anecdoten, Bey-
spiele, Probleme behandelt er, um eine ge-
heimniſsvolle Lehre eingängig zu machen,
von der er selbst keine deutliche Rechenschaft
zu geben weiſs. Unterricht und Erhebung
ist sein Zweck, im Ganzen aber sucht er
durch die Einheitslehre alle Sehnsucht wo
nicht zu erfüllen doch aufzulösen und an-
zudeuten, daſs im göttlichen Wesen zuletzt
alles untertauche und sich verkläre.
[313]
Saadi.
Stirbt 1291, alt 102 Jahre.
Gebürtig von Schiras, studirt er zu Bag-
dad, wird als Jüngling durch Liebesunglück
zum unstäten Leben eines Derwisch be-
stimmt. Wallfahrtet funfzehnmal nach Mek-
ka, gelangt auf seinen Wanderungen nach
Indien und Klein-Asien, ja als Gefangener
der Kreuzfahrer in’s Westland. Er über-
steht wundersame Abentheuer, erwirbt aber
schöne Länder- und Menschenkenntniſs.
Nach dreyſsig Jahren zieht er sich zurück,
bearbeitet seine Werke, und macht sie be-
kannt. Er lebt und webt in einer groſsen
Erfahrungsbreite und ist reich an Anecdo-
ten, die er mit Sprüchen und Versen aus-
schmückt. Leser und Hörer zu unterrich-
ten ist sein entschiedener Zweck.
Sehr eingezogen in Schiras erlebt er
das hundert und zweyte Jahr und wird da-
selbst begraben. Dschenschis Nachkommen
hatten Iran zum eignen Reiche gebildet, in
welchem sich ruhig wohnen lieſs.
[314]
Hafis.
Stirbt 1389.
Wer sich noch, aus der Hälfte des vo-
rigen Jahrhunderts, erinnert, wie unter den
Protestanten Deutschlands nicht allein Geist-
liche, sondern auch wohl Layen gefunden
wurden, welche mit den heiligen Schriften
sich dergestalt bekannt gemacht, daſs sie,
als lebendige Concordanz, von allen Sprü-
chen, wo und in welchem Zusammenhange
sie zu finden, Rechenschaft zu geben sich
geübt haben, die Hauptstellen aber auswen-
dig wuſsten und solche zu irgend einer
Anwendung immerfort bereit hielten; der
wird zugleich gestehen daſs für solche Män-
ner eine groſse Bildung daraus erwachsen
muſste, weil das Gedächtniſs, immer mit
würdigen Gegenständen beschäftigt, dem
Gefühl, dem Urtheil reinen Stoff zu Genuſs
und Behandlung aufbewahrte. Man nannte
[315] sie bibelfest und ein solcher Beyname
gab eine vorzügliche Würde und unzwey-
deutige Empfehlung.
Das was nun bey uns Christen aus na-
türlicher Anlage und gutem Willen ent-
sprang, war bey den Mahometanern Pflicht:
denn indem es einem solchen Glaubensgenos-
sen zum gröſsten Verdienst gereichte Abschrif-
ten des Korans selbst zu vervielfältigen oder
vervielfältigen zu lassen, so war es kein
geringeres denselben auswendig zu lernen, um
bey jedem Anlaſs die gehörigen Stellen anfüh-
ren, Erbauung befördern, Streitigkeit schlich-
ten zu können. Man benannte solche Per-
sonen mit dem Ehrentitel Hafis, und die-
ser ist unserm Dichter als bezeichnender
Hauptname geblieben.
Nun ward, gar bald nach seinem Ur-
sprunge, der Koran ein Gegenstand der un-
endlichsten Auslegungen, gab Gelegenheit
zu den spitzfindigsten Subtilitäten und, in-
dem er die Sinnesweise eines jeden aufregte,
entstanden gränzenlos abweichende Meinun-
gen, verrückte Combinationen, ja die un-
vernünftigsten Beziehungen aller Art wur-
den versucht, so daſs der eigentlich geist-
[316] reiche verständige Mann eifrig bemüht seyn
muſste, um nur wieder auf den Grund des
reinen guten Textes zurück zu gelangen.
Daher finden wir denn auch in der Ge-
schichte des Islam Auslegung, Anwendung
und Gebrauch oft bewundernswürdig.
Zu einer solchen Gewandtheit war das
schönste dichterische Talent erzogen und
heran gebildet; ihm gehörte der ganze Ko-
ran und was für Religionsgebäude man dar-
auf gegründet war ihm kein Räthsel. Er
sagt selbst:
„Durch den Koran hab’ ich alles
Was mir je gelang gemacht.“
Als Derwisch, Sofi, Scheich lehrte er
in seinem Geburtsorte Schiras, auf welchen
er sich beschränkte, wohl gelitten und ge-
schätzt von der Familie Mosaffer und ihren
Beziehungen. Er beschäftigte sich mit theo-
logischen und grammatikalischen Arbeiten,
und versammelte eine groſse Anzahl Schüler
um sich her.
Mit solchen ernsten Studien, mit einem
wirklichen Lehramte stehen seine Gedichte
völlig im Widerspruch, der sich wohl
dadurch heben läſst, wenn man sagt: daſs
[317] der Dichter nicht geradezu alles denken
und leben müsse was er ausspricht, am
wenigsten derjenige der in späterer Zeit in
verwickelte Zustände geräth, wo er sich
immer der rhetorischen Verstellung nähern
und dasjenige vortragen wird was seine
Zeitgenossen gerne hören. Dieſs scheint
uns bey Hafis durchaus der Fall. Denn
wie ein Mährchen-Erzähler auch nicht an
die Zaubereyen glaubt die er vorspiegelt,
sondern sie nur aufs beste zu beleben und
auszustatten gedenkt, damit seine Zuhörer
sich daran ergötzen, eben so wenig braucht
gerade der lyrische Dichter dasjenige alles
selbst auszuüben, womit er hohe und ge-
ringe Leser und Sänger ergötzt und be-
schmeichelt. Auch scheint unser Dichter
keinen groſsen Werth auf seine so leicht
hinflieſsenden Lieder gelegt zu haben, denn
seine Schüler sammelten sie erst nach seinem
Tode.
Nur wenig sagen wir von diesen Dich-
tungen, weil man-sie genieſsen, sich damit
in Einklang setzen sollte. Aus ihnen strömt
eine fortquellende, mäſsige Lebendigkeit.
Im Engen genügsam froh und klug, von
[318] der Fülle der Welt seinen Theil dahin neh-
mend, in die Geheimnisse der Gottheit von
fern hinein blickend, dagegen aber auch
einmal Religionsübung und Sinnenlust ab-
lehnend, eins wie das andere; wie denn
überhaupt diese Dichtart, was sie auch zu
befördern und zu lehren scheint, durch-
aus eine sceptische Beweglichkeit behalten
muſs.
Dschami.
Stirbt 1494, alt 82 Jahre.
Dschami faſst die ganze Erndte der
bisherigen Bemühungen zusammen und zieht
die Summe der religiosen, philosophischen,
wissenschaftlichen, prosaisch-poetischen
Cultur. Er hat einen groſsen Vortheil drey
und zwanzig Jahre nach Hafis Tode gebo-
ren zu werden und als Jüngling abermals
ein ganz freyes Feld vor sich zu finden.
Die gröſste Klarheit und Besonnenheit ist
sein Eigenthum. Nun versucht und leistet
[319] er alles, erscheint sinnlich und übersinnlich
zugleich; die Herrlichkeit der wirklichen
und Dichterwelt liegt vor ihm, er bewegt
sich zwischen beyden. Die Mystik konnte
ihn nicht anmuthen; weil er aber ohne die-
selbe den Kreis des National-Interesses nicht
ausgefüllt hätte, so giebt er historisch Re-
chenschaft von allen den Thorheiten, durch
welche, stufenweis, der in seinem irdischen
Wesen befangene Mensch sich der Gottheit
unmittelbar anzunähern und sich zuletzt mit
ihr zu vereinigen gedenkt; da denn doch
zuletzt nur widernatürliche und widergei-
stige, grasse Gestalten zum Vorscheine kom-
men. Denn was thut der Mystiker anders?
als daſs er sich an Problemen vorbey schleicht,
oder sie weiter schiebt, wenn es sich thun
läſst.
[320]
Uebersicht.
Man hat aus der sehr schicklich-gere-
gelten Folge der sieben ersten römischen
Könige schlieſsen wollen, daſs diese Ge-
schichte klüglich und absichtlich erfunden
sey, welches wir dahin gestellt seyn lassen;
dagegen aber bemerken daſs die sieben Dich-
ter, welche von dem Perser für die ersten
gehalten werden, und innerhalb eines Zeit-
raums von fünfhundert Jahren nach und
nach erschienen, wirklich ein ethisch-poe-
tisches Verhältniſs gegen einander haben,
welches uns erdichtet scheinen könnte, wenn
nicht ihre hinterlassenen Werke von ihrem
wirklichen Daseyn das Zeugniſs gäben.
Betrachten wir aber dieses Siebenge-
stirn genauer, wie es uns aus der Ferne
vergönnt seyn mag; so finden wir daſs sie
alle ein fruchtbares, immer sich erneuendes
Talent besaſsen, wodurch sie sich über die
Mehrzahl sehr vorzüglicher Männer, über
[321] die Unzahl mittlerer, täglicher Talente er-
hoben sahen; dabey aber auch in eine be-
sondere Zeit, in eine Lage gelangten, wo
sie eine groſse Erndte glücklich wegnehmen
und gleich-talentvollen Nachkommen sogar
die Wirkung auf eine Zeit lang verkümmern
durften, bis wieder ein Zeitraum verging,
in welchem die Natur dem Dichter neue
Schätze abermals aufschlieſsen konnte.
In diesem Sinne nehmen wir die Dar-
gestellten einzeln nochmals durch und be-
merken: daſs
Firdusi die ganzen vergangenen Staats-
und Reichsereignisse, fabelhaft oder histo-
risch aufbehalten, vorwegnahm, so daſs
einem Nachfolger nur Bezug und Anmer-
kung, nicht aber neue Behandlung und
Darstellung übrig blieb.
Enveri hielt sich fest an der Gegen-
wart. Glänzend und prächtig, wie die Na-
tur ihm erschien, freud- und gabenvoll er-
blickt er auch den Hof seines Schahs; bey-
de Welten und ihre Vorzüge mit den lieb-
lichsten Worten zu verknüpfen, war Pflicht
und Behagen. Niemand hat es ihm hierin
gleich gethan.
21
[322]
Nisami griff mit freundlicher Gewalt
alles auf, was von Liebes- und Halbwun-
derlegende in seinem Bezirk vorhanden seyn
mochte. Schon im Koran war die Andeu-
tung gegeben, wie man uralte lakonische
Ueberlieferungen zu eigenen Zwecken be-
handeln, ausführen und in gewisser Weit-
läuftigkeit könne ergötzlich machen.
Dschelaleddin Rumi findet sich
unbehaglich auf dem problematischen Boden
der Wirklichkeit, und sucht die Räthsel
der innern und äuſsern Erscheinungen auf
geistige, geistreiche Weise zu lösen, daher
sind seine Werke neue Räthsel, neuer Auf-
lösungen und Commentare bedürftig. End-
lich fühlt er sich gedrungen in die Allei-
nigkeits-Lehre zu flüchten, wodurch soviel
gewonnen als verloren wird, und zuletzt
das, so tröstliche als untröstliche, Zero
übrig bleibt. Wie sollte nun also irgend
eine Rede-Mittheilung poetisch oder pro-
saisch weiter gelingen? Glücklicherweise
wird
Saadi, der Treffliche, in die weite
Welt getrieben, mit gränzenlosen Einzeln-
heiten der Empirie überhäuft, denen er
[323] allen etwas abzugewinnen weiſs. Er fühlt
die Nothwendigkeit sich zu sammeln, über-
zeugt sich von der Pflicht zu belehren, und
so ist er uns Westländern zuerst fruchtbar
und segenreich geworden.
Hafis, ein groſses heiteres Talent,
das sich begnügt, alles abzuweisen wonach
die Menschen begehren, Alles bey Seite zu
schieben was sie nicht entbehren mögen,
und dabey immer als lustiger Bruder ihres
Gleichen erscheint. Er läſst sich nur in
seinem National- und Zeitkreise richtig an-
erkennen. Sobald man ihn aber gefaſst hat,
bleibt er ein lieblicher Lebensgeleiter. Wie
ihn denn auch noch jetzt, unbewuſst mehr
als bewuſst, Kameel- und Maulthier-Trei-
ber fortsingen, keineswegs um des Sinnes
halben, den er selbst muthwillig zerstü-
ckelt, sondern der Stimmung wegen, die
er ewig rein und erfreulich verbreitet. Wer
konnte denn nun auf diesen folgen da
alles andere von den Vorgängern wegge-
nommen war? als
Dschami, allem gewachsen was vor
ihm geschehen und neben ihm geschah; wie
er nun dieſs alles zusammen in Garben band,
21 *
[324] nachbildete, erneuerte, erweiterte, mit der
gröſsten Klarheit die Tugenden und Fehler
seiner Vorgänger in sich vereinigte, so
blieb der Folgezeit nichts übrig als zu seyn
wie er, insofern sie sich nicht verschlim-
merte; und so ist es denn auch drey Jahr-
hunderte durch geblieben. Wobey wir nur
noch bemerken daſs, wenn früher oder
später das Drama hätte durchbrechen und
ein Dichter dieser Art sich hervorthun
können, der ganze Gang der Literatur eine
andere Wendung genommen hätte.
Wagten wir nun mit diesem Wenigen
fünfhundert Jahre persischer Dicht- und
Rede-Kunst zu schildern; so sey es, um
mit Quintilian unserm alten Meister zu re-
den, von Freunden aufgenommen in der
Art wie man runde Zahlen erlaubt, nicht
um genauer Bestimmung willen, sondern
um etwas Allgemeines, bequemlichkeits-
halber, annäherend auszusprechen.
[325]
Allgemeines.
Die Fruchtbarkeit und Mannigfaltigkeit
der persischen Dichter entspringt aus einer
unübersehbaren Breite der Auſsenwelt und
ihrem unendlichen Reichthum. Ein immer
bewegtes öffentliches Leben, in welchem
alle Gegenstände gleichen Werth haben,
wogt vor unserer Einbildungskraft, deſswe-
gen uns ihre Vergleichungen oft so sehr
auffallend und miſsbeliebig sind. Ohne Be-
denken verknüpfen sie die edelsten und nie-
drigsten Bilder, an welches Verfahren wir
uns nicht so leicht gewöhnen.
Sprechen wir es aber aufrichtig aus:
ein eigentlicher Lebemann, der frey und
praktisch athmet, hat kein ästhetisches Ge-
fühl und keinen Geschmack, ihm genügt
Realität im Handlen, Genieſsen, Betrach-
ten, eben so wie im Dichten; und wenn
der Orientale, seltsame Wirkung hervorzu-
[326] bringen, das Ungereimte zusammenreimt,
so soll der Deutsche, dem dergleichen wohl
auch begegnet, dazu nicht scheel sehen.
Die Verwirrung, die durch solche Pro-
ductionen in der Einbildungskraft entsteht,
ist derjenigen zu vergleichen, wenn wir durch
einen orientalischen Bazar, durch eine eu-
ropäische Messe gehen. Nicht immer sind
die kostbarsten und niedrigsten Waaren im
Raume weit gesondert, sie vermischen sich
in unsern Augen und oft gewahren wir
auch die Fässer, Kisten, Säcke, worin sie
transportirt worden. Wie auf einem Obst-
und Gemüsmarkt sehen wir nicht allein
Kräuter, Wurzeln und Früchte, sondern
auch hier und dort allerley Arten Abwürf-
linge, Schalen und Strunke.
Ferner kostets dem orientalischen Dich-
ter nichts uns von der Erde in den Him-
mel zu erheben und von da wieder herun-
ter zu stürzen oder umgekehrt. Dem Aas
eines faulenden Hundes versteht Nisami eine
sittliche Betrachtung abzulocken, die uns in
Erstaunen setzt und erbaut.
[327]
Jedermann fühlt sich betroffen, wenn
der, so liebevolle als geistreiche Prophet,
nach seiner eigensten Weise, Schonung und
Nachsicht fordert. Wie kräftig weiſs er
die unruhige Menge auf sich selbst zurück
zu führen, sich des Verwerfens, des Ver-
wünschens zu schämen, unbeachteten Vor-
[328] zug mit Anerkennung, ja vielleicht mit Neid
zu betrachten! Jeder Umstehende denkt
nun an sein eigen Gebiſs! Schöne Zähne
sind überall, besonders auch im Morgen-
land, als eine Gabe Gottes hoch angenehm.
Ein faulendes Geschöpf wird, durch das
Vollkommene was von ihm übrig bleibt,
ein Gegenstand der Bewunderung und des
frömmsten Nachdenkens.
Nicht eben so klar und eindringlich
wird uns das vortreffliche Gleichniſs, womit
die Parabel schlieſst, wir tragen daher Sorge
dasselbe anschaulich zu machen.
In Gegenden, wo es an Kalklagern ge-
bricht, werden Muschelschaalen zu Berei-
tung eines höchst nöthigen Baumaterials an-
gewendet und, zwischen dürres Reisig ge-
schichtet, von der erregten Flamme durch-
geglüht. Der Zuschauende kann sich das
Gefühl nicht nehmen, daſs diese Wesen,
lebendig im Meere sich nährend und wach-
send, noch kurz vorher der allgemeinen Lust
des Daseyns nach ihrer Weise genossen und
jetzt, nicht etwa verbrennen, sondern durch-
geglüht, ihre völlige Gestalt behalten, wenn
gleich alles Lebendige aus ihnen weggetrie-
[329] ben ist. Nehme man nunmehr an, daſs die
Nacht hereinbricht und diese organischen
Reste dem Auge des Beschauers wirklich
glühend erscheinen, so läſst sich kein herr-
lichers Bild einer tiefen, heimlichen Seelen-
qual vor Augen stellen. Will sich jemand
hievon ein vollkommenes Anschauen erwer-
ben, so ersuche er einen Chemiker ihm
Austerschaalen in den Zustand der Phos-
phoreszenz zu versetzen, wo er mit uns
gestehen wird, daſs ein siedend heiſses Ge-
fühl, welches den Menschen durchdringt,
wenn ein gerechter Vorwurf ihn, mitten
in dem Dünkel eines zutraulichen Selbst-
gefühls, unerwartet betrifft, nicht furchtbarer
auszusprechen sey.
Solcher Gleichnisse würden sich zu
Hunderten auffinden lassen, die das unmit-
telbarste Anschauen des Natürlichen, Wirk-
lichen voraussetzen und zugleich wiederum
einen hohen sittlichen Begriff erwecken,
der aus dem Grunde eines reinen ausgebil-
deten Gefühls hervorsteigt.
Höchst schätzenswerth ist, bey dieser
gränzenlosen Breite, ihre Aufmerksamkeit
aufs Einzelne, der scharfe liebevolle Blick
[330] der einem bedeutenden Gegenstand sein ei-
genthümlichstes abzugewinnen sucht. Sie
haben poetische Stillleben, die sich den
besten niederländischer Künstler an die
Seite setzen, ja im Sittlichen sich darüber
erheben dürfen. Aus eben dieser Neigung
und Fähigkeit werden sie gewisse Lieblings-
gegenstände nicht los; kein Persischer Dich-
ter ermüdet die Lampe blendend, die Kerze
leuchtend vorzustellen. Eben daher kommt
auch die Eintönigkeit die man ihnen vor-
wirft; aber genau betrachtet, werden die
Naturgegenstände hey ihnen zum Surrogat
der Mythologie, Rose und Nachtigall neh-
men den Platz ein von Apoll und Daphne.
Wenn man bedenkt was ihnen abging, daſs
sie kein Theater, keine bildende Kunst hat-
ten, ihr dichterisches Talent aber nicht ge-
ringer war als irgend eins von jeher, so
wird man, ihrer eigensten Welt befreundet,
sie immer mehr bewundern müssen.
[331]
Allgemeinstes.
Der höchste Charakter orientalischer
Dichtkunst ist, was wir Deutsche Geist
nennen, das Vorwaltende des oberen Lei-
tenden; hier sind alle übrige Eigenschaf-
ten vereinigt, ohne daſs irgend eine, das
eigenthümliche Recht behauptend, hervor-
träte. Der Geist gehört vorzüglich dem
Alter, oder einer alternden Weltepoche.
Uebersicht des Weltwesens, Ironie, freyen
Gebrauch der Talente finden wir in allen
Dichtern des Orients. Resultat und Prä-
misse wird uns zugleich geboten, deſshalb
sehen wir auch wie groſser Werth auf ein
Wort aus dem Stegreife gelegt wird. Jene
Dichter haben alle Gegenstände gegenwär-
tig und beziehen die entferntesten Dinge
leicht auf einander, daher nähern sie sich
auch dem was wir Witz nennen; doch steht
der Witz nicht so hoch, denn dieser ist
[332] selbstsüchtig, selbstgefällig, wovon der Geist
ganz frey bleibt, deſshalb er auch überall
genialisch genannt werden kann und muſs.
Aber nicht der Dichter allein erfreut
sich solcher Verdienste, die ganze Nation
ist geistreich, wie aus unzähligen Anecdo-
ten hervortritt. Durch ein geistreiches Wort
wird der Zorn eines Fürsten erregt, durch
ein anderes wieder besänftigt. Neigung
und Leidenschaft leben und weben in glei-
chem Elemente; so erfinden Behramguhr und
Dilara den Reim, Dschemil und Boteinah
bleiben bis ins höchste Alter leidenschaft-
lich verbunden. Die ganze Geschichte der
persischen Dichtkunst wimmlet von solchen
Fällen.
Wenn man bedenkt, daſs Nuschirwan,
einer der letzten Sassaniden, um die Zeit
Mahomets mit ungeheuren Kosten die Fabeln
des Bidpai und das Schachspiel aus Indien
kommen läſst, so ist der Zustand einer sol-
chen Zeit vollkommen ausgesprochen. Jene,
nach dem zu urtheilen was uns überliefert ist,
überbieten einander an Lebensklugheit und
freyeren Ansichten irdischer Dinge. Deſs-
halb konnte vier Jahrhunderte später, selbst
[333] in der ersten besten Epoche persischer Dicht-
kunst, keine vollkommen-reine Naivetät statt
finden. Die groſse Breite der Umsicht, die
vom Dichter gefordert ward, das gesteigerte
Wissen, die Hof- und Kriegsverhältnisse,
alles verlangte groſse Besonnenheit.
Neuere, Neueste.
Nach Weise von Dschami und seiner
Zeit vermischten folgende Dichter Poesie
und Prosa immer mehr, so daſs für alle Schreib-
arten nur ein Styl angewendet wurde. Ge-
schichte, Poesie, Philosophie, Canzley- und
Briefstyl, alles wird auf gleiche Weise vorge-
tragen und so geht es nun schon drey Jahr-
hunderte fort. Ein Muster des allerneusten
sind wir glücklicherweise im Stande vorzu-
legen.
Als der Persische Botschafter, Mirza
Aboul Hassan Khan, sich in Peters-
burg befand, ersuchte man ihn um einige
Zeilen seiner Handschrift. Er war freund-
[334] lich genug ein Blatt zu schreiben, wovon
wir die Uebersetzung hier einschalten.
Ich bin durch die ganze Welt gereist,
bin lange mit vielen Personen umgegangen,
jeder Winkel gewährte mir einigen Nutzen,
jeder Halm eine Aehre, und doch habe ich
keinen Ort gesehen dieser Stadt vergleich-
bar, noch ihren schönen Huris. Der Se-
gen Gottes ruhe immer auf ihr! —
Wie wohl hat jener Kaufmann gespro-
chen, der unter die Räuber fiel die ihre Pfeile
auf ihn richteten. Ein König der den Han-
del unterdrückt, verschlieſst die Thüre des
Heils vor dem Gesichte seines Heeres. Wel-
cher Verständige möchte bey solchem Ruf
der Ungerechtigkeit sein Land besuchen?
Willst du einen guten Namen erwerben, so
behandle mit Achtung Kaufleute und Ge-
sandte. Die Groſsen behandeln Reisende
wohl, um sich einen guten Ruf zu machen.
Das Land das die Fremden nicht beschützt
geht bald unter. Sey ein Freund der Frem-
[335] den und Reisenden, denn sie sind als Mittel
eines guten Rufs zu betrachten; sey gastfrey,
schätze die Vorüberziehenden, hüte dich un-
gerecht gegen sie zu seyn. Wer diesen Rath
des Gesandten befolgt, wird gewiſs Vortheil
davon ziehen.
Man erzählt daſs Omar ebn abd el
asis ein mächtiger König war, und Nachts
in seinem Kämmerlein voll Demuth und Un-
terwerfung, das Angesicht zum Throne des
Schöpfers wendend, sprach: O Herr! Gro-
ſses hast du anvertraut der Hand des schwa-
chen Knechtes; um der Herrlichkeit der
Reinen und Heiligen deines Reiches willen,
verleihe mir Gerechtigkeit und Billigkeit,
bewahre mich vor der Bosheit der Menschen;
ich fürchte daſs das Herz eines Unschuldi-
gen durch mich könne betrübt worden seyn,
und Fluch des Unterdrückten meinem Na-
cken folge. Ein König soll immer an die
Herrschaft und das Daseyn des höchsten
Wesens gedenken, an die fortwährende Ver-
änderlichkeit der irdischen Dinge, er soll
bedenken daſs die Krone von einem würdi-
[336] gen Haupt auf ein unwürdiges übergeht
und sich nicht zum Stolze verleiten lassen.
Denn ein König der hochmüthig wird, Freund
und Nachbarn verachtet, kann nicht lange
auf seinem Throne gedeihen; man soll sich
niemals durch den Ruhm einiger Tage auf-
blähen lassen. Die Welt gleicht einem
Feuer das am Wege angezündet ist, wer so
viel davon nimmt als nöthig, um sich auf
dem Wege zu leuchten, erduldet kein Ue-
bel, aber wer mehr nimmt verbrennt sich.
Als man den Plato fragte, wie er in
dieser Welt gelebt habe, antwortete er:
mit Schmerzen bin ich hereingekommen,
mein Leben war ein anhaltendes Erstaunen
und ungern geh ich hinaus, und ich habe
nichts gelernt als daſs ich nichts weiſs.
Bleibe fern von dem der etwas unternimmt
und unwissend ist, von einem Frommen
der nicht unterrichtet ist; man könnte sie
beide einem Esel vergleichen, der die Mühle
dreht, ohne zu wissen warum. Der Säbel
ist gut anzusehen, aber seine Wirkungen
sind unangenehm. Ein wohldenkender Mann
verbindet sich mit Fremden, aber der Bös-
artige entfremdet sich seinem Nächsten.
[337] Ein König sagte zu einem der Behloul hieſs:
gieb mir einen Rath. Dieser versetzte:
beneide keinen Geitzigen, keinen ungerech-
ten Richter, keinen Reichen der sich nicht
aufs Haushalten versteht, keinen Freygebi-
gen der sein Geld unnütz verschwendet,
keinen Gelehrten dem das Urtheil fehlt.
Man erwirbt in der Welt entweder einen
guten oder einen bösen Namen, da kann
man nun zwischen beyden wählen, und da
nun ein jeder sterben muſs, gut oder bös,
glücklich der, welcher den Ruhm eines Tu-
gendhaften vorzog.
Diese Zeilen schrieb, dem Verlangen
eines Freundes gemäſs, im Jahr 1231 der
Hegire den Tag des Demazsul Sani, nach
christlicher Zeitrechnung am .. May 1816,
Mirza Eboul hassan Chan, von
Schiraz, während seines Aufenthalts in
der Hauptstadt St. Petersburg, als auſser-
ordentlicher Abgesandter Sr. Majestät von
Persien Fethali Schah Cadzar. Er hofft
daſs man mit Güte einem Unwissenden ver-
zeihen wird, der es unternahm einige Worte
zu schreiben.
22
[338]
Wie nun aus Vorstehendem klar ist,
daſs, seit drey Jahrhunderten, sich immer
eine gewisse Prosa-Poesie erhalten hat,
und Geschäfts- und Briefstyl öffentlich und
in Privat-Verhandlungen immer derselbige
bleibt; so erfahren wir, daſs in der neu-
sten Zeit am persischen Hofe sich noch im-
mer Dichter befinden, welche die Chronik
des Tages, und also alles was der Kaiser
vornimmt und was sich ereignet, in Reime
verfaſst und zierlich geschrieben, einem hie-
zu besonders bestellten Archivarius überlie-
fern. Woraus denn erhellt daſs in dem
unwandelbaren Orient, seit Ahasverus Zei-
ten, der sich solche Chroniken bey schlaf-
losen Nächten vorlesen lies, sich keine wei-
tere Veränderung zugetragen hat.
Wir bemerken hiebey daſs ein solches
Vorlesen mit einer gewissen Declamation
geschehe, welche mit Emphase, einem Stei-
gen und Fallen des Tons vorgetragen wird,
und mit der Art wie die französischen
Trauerspiele declamirt werden sehr viel
Aehnlichkeit haben soll. Es läſst sich dies
um so eher denken, als die persischen Dop-
[339] pelverse einen ähnlichen Contrast bilden,
wie die beyden Hälften des Alexandriners.
Und so mag denn auch diese Beharr-
lichkeit die Veranlassung seyn, daſs die
Perser ihre Gedichte seit acht hundert Jah-
ren noch immer lieben, schätzen und ver-
ehren; wie wir denn selbst Zeuge gewesen,
daſs ein Orientale ein vorzüglich eingebun-
denes und erhaltenes Manuscript des Mes-
newi mit eben so viel Ehrfurcht als wenn
es der Koran wäre, betrachtete und be-
handelte.
Zweifel.
Die persische Dichtkunst aber, und
was ihr ähnlich ist, wird von dem West-
länder niemals ganz rein, mit vollem Be-
hagen aufgenommen werden; worüber wir
aufgeklärt seyn müssen, wenn uns der Ge-
nuſs daran nicht unversehens gestört werden
soll.
22 *
[340]
Es ist aber nicht die Religion die uns
von jener Dichtkunst entfernt. Die Ein-
heit Gottes, Ergebung in seinen Willen,
Vermittlung durch einen Propheten, alles
stimmt mehr oder weniger mit unserm Glau-
ben, mit unserer Vorstellungsweise über-
ein. Unsere heiligen Bücher liegen auch
dort, ob nur gleich legendenweis, zum
Grund.
In die Mährchen jener Gegend, Fabeln
Parabeln, Anecdoten, Witz- und Scherz-
reden sind wir längst eingeweiht. Auch
ihre Mystik sollte uns ansprechen, sie ver-
diente wenigstens, eines tiefen und gründ-
lichen Ernstes wegen, mit der unsrigen
verglichen zu werden, die in der neusten
Zeit; genau betrachtet doch eigentlich nur
eine charakter- und talentlose Sehnsucht
ausdrückt; wie sie sich denn schon selbst
parodirt, zeuge der Vers:
Mir will ewiger Durst nur frommen
Nach dem Durste.
[341]
Despotie.
Was aber dem Sinne der Westländer
niemals eingehen kann, ist die geistige und
körperliche Unterwürfigkeit unter seinen
Herren und Oberen, die sich von uralten
Zeiten herschreibt, indem Könige zuerst an
die Stelle Gottes traten. Im alten Testa-
ment lesen wir ohne sonderliches Befrem-
den, wenn Mann und Weib vor Priester
und Helden sich aufs Angesicht niederwirft
und anbetet, denn dasselbe sind sie vor
den Elohim zu thun gewohnt. Was zuerst
aus natürlichem frommen Gefühl geschah
verwandelte sich später in umständliche
Hofsitte. Der Ku-tou, das dreymalige
Niederwerfen dreymal wiederholt, schreibt
sich dort her. Wie viele westliche Gesandt-
schaften an östlichen Höfen sind an dieser
Ceremonie gescheitert, und die persische Poe-
sie kann im Ganzen bey uns nicht gut auf-
[342] genommen werden, wenn wir uns hierüber
nicht vollkommen deutlich machen.
Welcher Westländer kann erträglich
finden daſs der Orientale nicht allein sei-
nen Kopf neunmal auf die Erde stöſst, son-
dern denselben sogar wegwirft irgend wo-
hin zu Ziel und Zweck.
Das Maillespiel zu Pferde, wo Ballen
und Schlägel die groſse Rolle zugetheilt ist,
erneuert sich oft vor dem Auge des Herr-
schers und des Volkes, ja mit beyderseitiger
persönlicher Theilnahme. Wenn aber der
Dichter seinen Kopf als Ballen auf die
Maillebahn des Schahs legt, damit der Fürst
ihn gewahr werde, und mit dem Schlägel
der Gunst zum Glück weiter fort spedire;
so können und mögen wir freilich weder
mit der Einbildungskraft noch mit der Em-
pfindung folgen; denn so heiſst es:
[343]
Ferner:
Nicht aber allein vor dem Sultan, son-
dern auch vor Geliebten erniedrigt man sich
eben so tief und noch häufiger:
Man sieht deutlich hieraus daſs eins
so wenig als das andere heiſsen will, erst
[344] bey würdiger Gelegenheit angewendet, zu-
letzt immer häufiger gebraucht und gemiſs-
braucht. So sagt Hafis wirklich possen-
haft:
Ein tieferes Studium würde vielleicht
die Vermuthung bestätigen, daſs frühere
Dichter mit solchen Ausdrücken viel be-
scheidener verfahren und nur spätere, auf
demselben Schauplatz in derselben Sprache
sich ergehend, endlich auch solche Miſs-
bräuche, nicht einmal recht im Ernst, son-
dern parodistisch beliebt, bis sich end-
lich die Tropen dergestalt vom Gegenstand
weg verlieren, daſs kein Verhältniſs mehr
weder gedacht noch empfunden werden
kann.
Und so schlieſsen wir denn mit den lieb-
lichen Zeilen Enweris, welcher, so anmu-
thig als schicklich, einen werthen Dichter
seiner Zeit verehrt:
[345]
Einrede.
Um uns nun über das Verhältniſs der
Despoten zu den Ihrigen, und wiefern es
noch menschlich sey, einigermaſsen aufzu-
klären, auch uns über das knechtische Ver-
fahren der Dichter vielleicht zu beruhigen,
möge eine und die andere Stelle hier eige-
schaltet seyn, welche Zeugniſs giebt wie
Geschichts- und Weltkenner hierüber geur-
theilt. Ein bedächtiger Engländer drückt
sich folgendermaſsen aus:
„Unumschränkte Gewalt, welche in
Europa, durch Gewohnheiten und Umsicht
einer gebildeten Zeit, zu gemäſsigten Re-
gierungen gesänftiget wird, behält bey Asia-
[346] tischen Nationen immer einerley Charakter
und bewegt sich beynahe in demselben Ver-
lauf. Denn die geringen Unterschiede,
welche des Menschen Staatswerth und Würde
bezeichnen, sind bloſs von des Despoten
persönlicher Gemüthsart abhängig und von
dessen Macht, ja öfters mehr von dieser
als jener. Kann doch kein Land zum Glück
gedeihen, das fortwährend dem Krieg aus-
gesetzt ist, wie es von der frühsten Zeit
an das Schicksal aller östlichen schwäche-
ren Königreiche gewesen. Daraus folgt
daſs die gröſste Glückseligkeit, deren die
Masse unter unumschränkter Herrschaft ge-
nieſsen kann, sich aus der Gewalt und dem
Ruf ihres Monarchen herschreibe, so wie
das Wohlbehagen, worin sich dessen Un-
terthanen einigermaſsen erfreuen, wesent-
lich auf den Stolz begründet ist, zu dem
ein solcher Fürst sie erhebt.“
„Wir dürfen daher nicht bloſs an nie-
drige und verkäufliche Gesinnungen denken,
wenn die Schmeicheley uns auffällt, welche
sie dem Fürsten erzeigen. Fühllos gegen
den Werth der Freyheit, unbekannt mit
allen übrigen Regierungsformen, rühmen sie
[347] ihren eigenen Zustand, worin es ihnen we-
der an Sicherheit ermangelt noch an Beha-
gen, und sind nicht allein willig, sondern
stolz sich vor einem erhöhten Manne zu de-
müthigen, wenn sie in der Gröſse seiner
Macht Zuflucht finden und Schutz gegen
gröſseres unterdrückendes Uebel.“
Gleichfalls läſst sich ein deutscher Re-
censent geist- und kenntniſsreich also ver-
nehmen:
„Der Verfasser, allerdings Bewunderer
des hohen Schwungs der Panegyriker dieses
Zeitraums, tadelt zugleich mit Recht die
sich im Ueberschwung der Lobpreisungen
vergeudende Kraft edler Gemüther, und die
Erniedrigung der Charakterwürde, welche
dieſs gewöhnlich zur Folge hat. Allein es
muſs gleichwohl bemerkt werden daſs in
dem, in vielfachem Schmucke reicher Voll-
endung aufgeführten, Kunstgebäude eines
ächt poetischen Volkes panegyrische Dich-
tung eben so wesentlich ist, als die satyri-
sche, mit welcher sie nur den Gegensatz
bildet, dessen Auflösung sich sodann ent-
weder in der moralischen Dichtung, der
ruhigen Richterin menschlicher Vorzüge
[348] und Gebrechen, der Führerin zum Ziele
innerer Beruhigung, oder im Epos findet,
welches mit unpartheyischer Kühnheit das
Edelste menschlicher Trefflichkeit neben die
nicht mehr getadelte, sondern als zum Gan-
zen wirkende Gewöhnlichkeit des Lebens
hinstellt, und beyde Gegensätze auflöst und
zu einem reinen Bilde des Daseyns verei-
nigt. Wenn es nämlich der menschlichen
Natur gemäſs, und ein Zeichen ihrer höhe-
ren Abkunft ist, daſs sie das Edle mensch-
licher Handlungen, und jede höhere Voll-
kommenheit mit Begeisterung erfaſst, und
sich an deren Erwägung gleichsam das in-
nere Leben erneuert, so ist die Lobprei-
sung auch der Macht und Gewalt, wie sie
in Fürsten sich offenbart, eine herrliche
Erscheinung im Gebiete der Poesie, und
bey uns, mit vollestem Rechte zwar, nur
darum in Verachtung gesunken, weil die-
jenigen, die sich derselben hingaben, mei-
stens nicht Dichter, sondern nur feile
Schmeichler gewesen. Wer aber, der Cal-
deron seinen König preisen hört, mag hier,
wo der kühnste Aufschwung der Phantasie
ihn mit fortreiſst, an Käuflichkeit des Lo-
[349] bes denken? oder wer hat sein Herz noch
gegen Pindars Siegeshymnen verwahren wol-
len? Die despotische Natur der Herrscher-
würde Persiens, wenn sie gleich in jener
Zeit ihr Gegenbild in gemeiner Anbetung
der Gewalt bey den meisten, welche Für-
stenlob sangen, gefunden, hat dennoch durch
die Idee verklärter Macht, die sie in edlen
Gemüthern erzeugte, auch manche, der Be-
wunderung der Nachwelt werthe Dichtun-
gen hervorgerufen. Und wie die Dichter
dieser Bewunderung noch heute werth sind,
sind es auch diese Fürsten, bey welchen
wir ächte Anerkennung der Würde des
Menschen, und Begeisterung für die Kunst,
welche ihr Andenken feyert, vorfinden.
Enweri Chakani, Sahir Farjabi und
Achestegi sind die Dichter dieses Zeit-
raums im Fache der Panegyrik, deren Werke
der Orient noch heute mit Entzücken liest,
und so auch ihren edlen Namen vor jeder
Verunglimpfung sicher stellt. Ein Beweis,
wie nahe das Streben des panegyrischen
Dichters an die höchste Forderung, die an
den Menschen gestellt werden kann, gränze,
ist der plötzliche Uebertritt eines dieser pa-
[350] negyrischen Dichter, Sanaji’s, zur reli-
giösen Dichtung: aus dem Lobpreiser seines
Fürsten ward er ein nur für Gott und die
ewige Vollkommenheit begeisterter Sänger,
nachdem er die Idee des Erhabenen, die er
vorher im Leben aufzusuchen sich begnüg-
te, nun jenseits dieses Daseyns zu finden
gelernt hatte.“
Nachtrag.
Diese Betrachtungen zweyer ernsten,
bedächtigen Männer werden das Urtheil
über persische Dichter und Enkomiasten
zur Milde bewegen, indem zugleich unsere
früheren Aeuſserungen hiedurch bestätigt
sind: in gefährlicher Zeit nämlich komme
beym Regiment alles darauf an, daſs der
Fürst nicht allein seine Unterthanen be-
schützen, sondern sie auch persönlich ge-
gen den Feind anführen könne. Zu dieser,
bis auf die neusten Tage, sich bestätigenden
Wahrheit lassen sich uralte Beyspiele fin-
[351] den; wie wir denn das Reichsgrundgesetz
anführen, welches Gott dem israelitischen
Volke, mit dessen allgemeiner Zustimmung,
in dem Augenblick ertheilt, da es ein-für
allemal einen König wünscht. Wir setzen
diese Constitution, die uns freilich heut zu
Tag etwas wunderlich scheinen möchte,
wörtlich hieher.
„Und Samuel verkündigte dem Volk
das Recht des Königes den sie von dem
Herrn forderten: das wird des Königes Recht
seyn, der über euch herrschen wird: Eure
Söhne wird er nehmen zu seinen Wagen
und Reutern, die vor seinem Wagen her-
traben, und zu Hauptleuten über Tausend
und über Funfzig, und zu Ackerleuten, die
ihm seinen Acker bauen, und zu Schnittern
in seiner Erndte, und daſs sie seinen Har-
nisch und was zu seinem Wagen gehört,
machen. Eure Töchter aber wird er neh-
men, daſs sie Apothekerinnen, Köchinnen
und Beckerinnen seyn. Eure besten Äcker
und Weinberge und Obstgärten wird er
nehmen und seinen Knechten geben. Dazu
von eurer Saat und Weinbergen wird er
den Zehnden nehmen und seinen Kämme-
[352] rern und Knechten geben. Und eure Knechte
und Mägde und eure feinesten Jünglinge,
und eure Esel wird er nehmen und seine
Geschäfte damit ausrichten. Von euren
Heerden wird er den Zehenden nehmen:
und ihr müsset seine Knechte seyn.“
Als nun Samuel dem Volk das Bedenk-
liche einer solchen Uebereinkunft zu Ge-
müthe führen und ihnen abrathen will, ruft
es einstimmig: „Mit nichten, sondern es
soll ein König über uns seyn; daſs wir auch
seyn wie alle andere Heiden, daſs uns un-
ser König richte, und vor uns her ausziehe,
wenn wir unsere Kriege führen.“
In diesem Sinne spricht der Perser:
Ueberhaupt pflegt man bey Beurthei-
lung der verschiedenen Regierungsformen
nicht genug zu beachten, daſs in allen, wie
sie auch heiſsen, Freyheit und Knechtschaft
zugleich polarisch existire. Steht die Ge-
walt bey Einem, so ist die Menge unter-
würfig, ist die Gewalt bey der Menge, so
[353] steht der Einzelne im Nachtheil; dieses geht
denn durch alle Stufen durch, bis sich viel-
leicht irgendwo ein Gleichgewicht, jedoch
nur auf kurze Zeit, finden kann. Dem Ge-
schichtsforscher ist es kein Geheimniſs; in
bewegten Augenblicken des Lebens jedoch
kann man darüber nicht ins Klare kommen.
Wie man denn niemals mehr von Freyheit
reden hört als wenn eine Parthey die andere
unterjochen will und es auf weiter nichts
angesehen ist, als daſs Gewalt, Einfluſs und
Vermögen aus einer Hand in die andere ge-
hen sollen. Freyheit ist die leise Parole
heimlich Verschworner, das laute Feldge-
schrey der öffentlich Umwälzenden, ja das
Losungswort der Despotie selbst, wenn
sie ihre unterjochte Masse gegen den Feind
anführt, und ihr von auswärtigem Druck
Erlösung auf alle Zeiten verspricht.
23
[354]
Gegenwirkung.
Doch so verfänglich-allgemeiner Be-
trachtung wollen wir uns nicht hingeben,
vielmehr in den Orient zurückwandern
und schauen wie die menschliche Natur,
die immer unbezwinglich bleibt, sich dem
äuſsersten Druck entgegen setzt; und da
finden wir denn überall daſs der Frey- und
Eigensinn der Einzelnen sich gegen die
Allgewalt des Einen ins Gleichgewicht stellt;
sie sind Sclaven, aber nicht unterworfen, sie
erlauben sich Kühnheiten ohne gleichen.
Bringen wir ein Beyspiel aus den älteren
Zeiten, begeben wir uns zu einem Abend-
gelag in das Zelt Alexanders, dort treffen
wir ihn mit den Seinigen in lebhaften, hef-
tigen, ja wilden Wechselreden.
Clitus, Alexanders Milchbruder, Spiel-
und Kriegsgefährte, verliert zwey Brüder
im Felde, rettet dem König das Leben,
[355] zeigt sich als bedeutender General, treuer
Statthalter wichtiger Provinzen. Die ange-
maſste Gottheit des Monarchen kann er
nicht billigen; er hat ihn herankommen se-
hen, dienst- und hülfsbedürftig gekannt;
einen innern hypochondrischen Widerwillen
mag er nähren, seine Verdienste vielleicht
zu hoch anschlagen.
Die Tischgespräche an Alexanders Ta-
fel mögen immer von groſser Bedeutung ge-
wesen seyn, alle Gäste waren tüchtige, ge-
bildete Männer, alle zur Zeit des höchsten
Rednerglanzes in Griechenland geboren.
Gewöhnlich mochte man sich nüchterner
Weise bedeutende Probleme aufgeben,
wählen, oder zufällig ergreifen und solche
sophistisch-rednerisch mit ziemlichem Be-
wuſstseyn gegeneinander behaupten. Wenn
denn aber doch ein jeder die Parthey ver-
theidigte der er zugethan war, Trunk und
Leidenschaft sich wechselsweise steigerten;
so muſste es zuletzt zu gewaltsamen Scenen
hinauslaufen. Auf diesem Wege begegnen
wir der Vermuthung daſs der Brand von
Persepolis nicht bloſs aus einer rohen, ab-
surden Völlerey entglommen sey, vielmehr
23 *
[356] aus einem solchen Tischgespräch aufge-
flammt, wo die eine Parthey behauptete,
man müsse die Perser, da man sie einmal
überwunden, auch nunmehr schonen, die
andere aber, das schonungslose Verfahren
der Asiaten in Zerstörung griechischer Tem-
pel wieder vor die Seele der Gesellschaft
führend, durch Steigerung des Wahnsinnes
zu trunkener Wuth, die alten königlichen
Denkmale in Asche verwandelte. Daſs
Frauen mitgewirkt, welche immer die hef-
tigsten, unversöhnlichsten Feinde der Feinde
sind, macht unsere Vermuthung noch wahr-
scheinlicher.
Sollte man jedoch hierüber noch eini-
germaſsen zweifelhaft bleiben, so sind wir
desto gewisser, was bey jenem Gelag, des-
sen wir zuerst erwähnten, tödtlichen Zwie-
spalt veranlaſst habe; die Geschichte be-
wahrt es uns auf. Es war nämlich der im-
mer sich wiederholende Streit zwischen dem
Alter und der Jugend. Die Alten, auf deren
Seite Clitus argumentirte, konnten sich auf
eine folgerechte Reihe von Thaten berufen,
die sie, dem König, dem Vaterland, dem
einmal vorgesteckten Ziele getreu, unabläs-
[357] sig mit Kraft und Weisheit ausgeführt.
Die Jugend hingegen nahm zwar als be-
kannt an, daſs das alles geschehen, daſs
viel gethan worden und daſs man wirklich
an der Gränze von Indien sey; aber sie gab
zu bedenken wie viel zu thun noch übrig
bliebe, erbot sich das Gleiche zu leisten,
und eine glänzende Zukunft versprechend,
wuſste sie den Glanz geleisteter Thaten zu
verdunkeln. Daſs der König sich auf diese
Seite geschlagen ist natürlich, denn bey
ihm konnte vom Geschehenen nicht mehr
die Rede seyn. Clitus kehrte dagegen sei-
nen heimlichen Unwillen heraus und wie-
derholte, in des Königs Gegenwart, Miſsre-
den, die dem Fürsten, als hinter seinem
Rücken gesprochen, schon früher zu Ohren
gekommen. Alexander hielt sich bewun-
dernswürdig zusammen, doch leider zu lange.
Clitus verging sich gränzenlos in widerwär-
tigen. Reden, bis der König aufsprang, den
seine Nächsten zuerst festhielten und Cli-
tus bey Seite brachten. Dieser aber kehrt
rasend mit neuen Schmähungen zurück, und
Alexander stöſst ihn, den Spieſs von der
Wache ergreifend, nieder.
[358]
Was darauf erfolgt gehört nicht hier-
her, nur bemerken wir, daſs die bitterste
Klage des verzweiflenden Königs die Be-
trachtung enthält, er werde künftig, wie
ein Thier im Walde, einsam leben, weil
niemand in seiner Gegenwart ein freyes
Wort hervorzubringen wagen könne. Diese
Rede, sie gehöre dem König oder dem Ge-
schichtsschreiber, bestätigt dasjenige was
wir oben vermuthet.
Noch im vorigen Jahrhunderte durfte
man dem Kaiser von Persien bey Gastmalen
unverschämt widersprechen, zuletzt wurde
denn freylich der überkühne Tischgenosse
bey den Füſsen weg und am Fürsten nah vor-
bey geschleppt, ob dieser ihn vielleicht be-
gnadige? Geschah es nicht, hinaus mit ihm
und zusammengehauen.
Wie gränzenlos hartnäckig und wider-
setzlich Günstlinge sich gegen den Kaiser
betrugen, wird uns von glaubwürdigen Ge-
schichtsschreibern anecdotenweis überliefert.
Der Monarch ist wie das Schicksal, uner-
bittlich, aber man trotzt ihm. Heftige Na-
turen verfallen darüber in eine Art Wahn-
[359] sinn, wovon die wunderlichsten Beyspiele
vorgelegt werden könnten.
Der obersten Gewalt jedoch, von der
alles herflieſst, Wohlthat und Pein, unter-
werfen sich mäſsige, feste, folgerechte Na-
turen, um nach ihrer Weise zu leben und
zu wirken. Der Dichter aber hat am er-
sten Ursache sich dem Höchsten, der sein
Talent schätzt, zu widmen. Am Hof, im
Umgange mit Groſsen, eröffnet sich ihm
eine Weltübersicht, deren er bedarf um
zum Reichthum aller Stoffe zu gelangen.
Hierin liegt nicht nur Entschuldigung, son-
dern Berechtigung zu schmeicheln, wie es
dem Panegyristen zukommt, der sein Hand-
werk am besten ausübt, wenn er sich mit
der Fülle des Stoffes bereichert, um Für-
sten und Veziere, Mädchen und Knaben,
Propheten und Heilige, ja zuletzt die Gott-
heit selbst, menschlicher Weise überfüllt
auszuschmücken.
Auch unsern westlichen Dichter loben
wir, daſs er eine Welt von Putz und Pracht
zusammengehäuft, um das Bild seiner Ge-
liebten zu verherrlichen.
[360]
Eingeschaltetes.
Die Besonnenheit des Dichters bezieht
sich eigentlich auf die Form, den Stoff giebt
ihm die Welt nur allzufreygebig, der Ge-
halt entspringt freywillig aus der Fülle sei-
nes Innern; bewuſstlos begegnen beyde ein-
ander und zuletzt weiſs man nicht, wem
eigentlich der Reichthum angehöre.
Aber die Form, ob sie schon vorzüg-
lich im Genie liegt, will erkannt, will bedacht
seyn, und hier wird Besonnenheit gefor-
dert, daſs Form, Stoff und Gehalt sich zu
einander schicken, sich in einander fügen,
sich einander durchdringen.
Der Dichter steht viel zu hoch als daſs
er Parthey machen sollte. Heiterkeit und
Bewuſstseyn sind die schönen Gaben, für
die er dem Schöpfer dankt: Bewuſstseyn,
daſs er vor dem Furchtbaren nicht erschre-
cke, Heiterkeit, daſs er alles erfreulich dar-
zustellen wisse.
[361]
Orientalischer Poesie
Ur-Elemente.
In der Arabischen Sprache wird man
wenig Stamm- und Wurzelworte finden,
die, wo nicht unmittelbar, doch mittelst
geringer An- und Umbildung sich nicht
auf Kameel, Pferd und Schaaf bezögen.
Diesen allerersten Natur- und Lebensaus-
druck dürfen wir nicht einmal tropisch nen-
nen. Alles was der Mensch natürlich frey
ausspricht sind Lebensbezüge; nun ist der
Araber mit Kameel und Pferd so innig ver-
wandt als Leib mit Seele, ihm kann nichts
begegnen, was nicht auch diese Geschöpfe
zugleich ergriffe und ihr Wesen und Wir-
ken mit dem seinigen lebendig verbände.
Denkt man zu den obengenannten noch an-
dere Haus- und wilde Thiere hinzu, die dem
frey umherziehenden Beduinen oft genug
vors Auge kommen, so wird man auch diese
in allen Lebensbeziehungen antreffen. Schrei-
tet man nun so fort und beachtet alles übri-
ge Sichtbare; Berg und Wüste, Felsen und
[362] Ebene, Bäume, Kräuter, Blumen, Fluſs
und Meer und das vielgestirnte Firmament,
so findet man daſs dem Orientalen bey al-
lem alles einfällt, so daſs er, übers Kreuz
das Fernste zu verknüpfen gewohnt, durch
die geringste Buchstaben- und Silbenbiegung
Widersprechendes aus einander herzuleiten
kein Bedenken trägt. Hier sieht man daſs
die Sprache schon an und für sich produc-
tiv ist und zwar, in so fern sie dem Ge-
danken entgegen kommt, rednerisch, in so
fern sie der Einbildungskraft zusagt, poe-
tisch.
Wer nun also, von den ersten noth-
wendigen Ur-Tropen ausgehend, die freye-
ren und kühneren bezeichnete, bis er end-
lich zu den gewagtesten, willkührlichsten,
ja zuletzt ungeschickten, conventionellen
und abgeschmackten, gelangte, der hätte
sich von den Hauptmomenten der orienta-
lischen Dichtkunst eine freye Uebersicht
verschafft. Er würde aber dabey sich leicht
überzeugen, daſs von dem was wir Ge-
schmack nennen, von der Sonderung näm-
lich des Schicklichen vom Unschicklichen,
in jener Literatur gar nicht die Rede seyn
[363] könne. Ihre Tugenden lassen sich nicht
von ihren Fehlern trennen, beyde beziehen
sich auf einander, entspringen aus einander
und man muſs sie gelten lassen ohne Mä-
ckeln und Markten. Nichts ist unerträgli-
cher, als wenn Reiske und Michaelis
jene Dichter bald in den Himmel heben,
bald wieder wie einfältige Schulknaben be-
handeln.
Dabey läſst sich jedoch auffallend be-
merken, daſs die ältesten Dichter, die zu-
nächst am Naturquell der Eindrücke lebten
und ihre Sprache dichtend bildeten, sehr
groſse Vorzüge haben müssen; diejenigen,
die in eine schon durchgearbeitete Zeit, in
verwickelte Verhältnisse kommen, zeigen
zwar immer dasselbe Bestreben, verlieren aber
allmählig die Spur des Rechten und Lobens-
würdigen. Denn wenn sie nach entfernten
und immer entfernteren Tropen haschen, so
wird es baarer Unsinn, höchstens bleibt
zuletzt nichts weiter als der allgemeinste
Begriff, unter welchem die Gegenstände
allenfalls möchten zusammen zu fassen seyn,
der Begriff der alles Anschauen, und somit
die Poesie selbst aufhebt.
[364]
Uebergang von Tropen
zu Gleichnissen.
Weil nun alles Vorgesagte auch von
den nahe verwandten Gleichnissen gilt, so
wäre durch einige Beyspiele unsere Behaup-
tung zu bestätigen.
Man sieht den im freyen Felde auf-
wachenden Jäger, der die aufgehende Sonne
einem Falken vergleicht:
Oder noch prächtiger einem Löwen:
Wie muſs nicht Marko Polo, der
alles dieses und mehr geschaut, solche
Gleichnisse bewundert haben!
[365]
Unaufhörlich finden wir den Dichter
wie er mit Locken spielt.
ist höchst lieblich an ein schönes locken-
reiches Haupt gerichtet, die Einbildungs-
kraft hat nichts dawider sich die Haarspi-
tzen hakenartig zu denken. Wenn aber
der Dichter sagt, daſs er an Haaren aufge-
hängt sey, so will es uns nicht recht ge-
fallen. Wenn es nun aber gar vom Sultan
heiſst:
so giebt es der Einbildungskraft entweder
ein widerlich Bild oder gar keins.
Daſs wir von Wimpern gemordet
werden, möchte wohl angehn, aber an
Wimpern gespieſst seyn, kann uns nicht
behagen; wenn ferner Wimpern, gar mit
Besen verglichen, die Sterne vom Himmel
herabkehren, so wird es uns doch zu bunt.
Die Stirn der Schönen als Glättstein der
Herzen; das Herz des Liebenden als Ge-
[366] schiebe von Thränenbächen fortgerollt und
abgerundet; dergleichen mehr witzige als
gefühlvolle Wagnisse nöthigen uns ein
freundliches Lächeln ab.
Höchst geistreich aber kann genannt
werden, wenn der Dichter die Feinde des
Schachs wie Zeltenbehör behandelt wis-
sen will.
Hier sieht man den Dichter im Haupt-
quartier; das immer wiederholte Ab- und
Aufschlagen des Lagers schwebt ihm vor
der Seele.
Aus diesen wenigen Beyspielen, die man
ins Unendliche vermehren könnte, erhellet,
daſs keine Gränze zwischen dem was in
unserm Sinne lobenswürdig und tadelhaft
heiſsen möchte gezogen werden könne,
weil ihre Tugenden ganz eigentlich die
Blüthen ihrer Fehler sind. Wollen wir an
diesen Productionen der herrlichsten Geister
Theil nehmen, so müssen wir uns orienta-
[367] lisiren, der Orient wird nicht zu uns her-
über kommen. Und obgleich Uebersetzun-
gen höchst löblich sind um uns anzulocken,
einzuleiten, so ist doch aus allem Vorigen
ersichtlich, daſs in dieser Literatur die Spra-
che als Sprache die erste Rolle spielt. Wer
möchte sich nicht mit diesen Schätzen an
der Quelle bekannt machen!
Bedenken wir nun daſs poetische Tech-
nik den gröſsten Einfluſs auf jede Dich-
tungsweise nothwendig ausübe; so finden
wir auch hier daſs die zweyzeilig gereim-
ten Verse der Orientalen einen Parallelis-
mus fordern, welcher aber, statt den Geist
zu sammeln, selben zerstreut, indem der
Reim auf ganz fremdartige Gegenstände hin-
weist. Dadurch erhalten ihre Gedichte einen
Anstrich von Quodlibet, oder vorgeschrie-
benen Endreimen, in welcher Art etwas
Vorzügliches zu leisten freilich die ersten
Talente gefordert werden. Wie nun hier-
über die Nation streng geurtheilt hat, sieht
man daran, daſs sie in fünf hundert Jahren
nur sieben Dichter als ihre Obersten aner-
kennt.
[368]
Warnung.
Auf alles was wir bisher geäuſsert kön-
nen wir uns wohl berufen, als Zeugniſs
besten Willens gegen orientalische Dicht-
kunst. Wir dürfen es daher wohl wagen,
Männern, denen eigentlich nähere ja un-
mittelbare Kenntniſs dieser Regionen ge-
gönnt ist, mit einer Warnung entgegen zu
gehen, welche den Zweck allen möglichen
Schaden von einer so guten Sache abzu-
wenden nicht verläugnen wird.
Jedermann erleichtert sich durch Ver-
gleichung das Urtheil, aber man erschwert
sich’s auch: denn wenn ein Gleichniſs, zu
weit durchgeführt, hinkt, so wird ein ver-
gleichendes Urtheil immer unpassender, je
genauer man es betrachtet. Wir wollen
uns nicht zu weit verlieren, sondern im
gegenwärtigen Falle nur so viel sagen: wenn
der vortreffliche Jones die orientalischen
[369] Dichter mit Lateinern und Griechen ver-
gleicht, so hat er seine Ursachen, das Ver-
hältniſs zu England und den dortigen Alt-
kritikern nöthigt ihn dazu. Er selbst, in
der strengen classischen Schule gebildet,
begriff wohl das ausschlieſsende Vorurtheil,
das nichts wollte gelten lassen als was von
Rom und Athen her auf uns vererbt wor-
den. Er kannte, schätzte, liebte seinen
Orient und wünschte dessen Productionen
in Alt-England einzuführen, einzuschwär-
zen, welches nicht anders als unter dem
Stempel des Alterthums zu bewirken war.
Dieses alles ist gegenwärtig ganz unnöthig,
ja schädlich. Wir wissen die Dichtart der
Orientalen zu schätzen, wir gestehen ihnen
die gröſsten Vorzüge zu, aber man ver-
gleiche sie mit sich selbst, man ehre sie
in ihrem eignen Kreise, und vergesse doch
dabey daſs es Griechen und Römer gegeben.
Niemanden verarge man, welchem Ho-
raz bey Hafis einfällt. Hierüber hat ein
Kenner sich bewundrungswürdig erklärt,
so daſs dieses Verhältniſs nunmehr ausge-
sprochen und für immer abgethan ist. Er
sagt nämlich:
24
[370]
„Die Aehnlichkeit Hafisens mit Horaz
in den Ansichten des Lebens ist auffallend,
und möchte einzig nur durch die Aehnlich-
keit der Zeitalter, in welchen beyde Dich-
ter gelebt, wo, bey Zerstörung aller Sicher-
heit des bürgerlichen Daseyns, der Mensch
sich auf flüchtigen, gleichsam im Vorüber-
gehen gehaschten Genuſs des Lebens be-
schränkt, zu erklären seyn.“
Was wir aber inständig bitten ist, daſs
man Firdusi nicht mit Homer vergleiche,
weil er in jedem Sinne, dem Stoff, der
Form, der Behandlung nach, verlieren muſs.
Wer sich hiervon überzeugen will verglei-
che die furchtbare Monotonie der sieben
Abenteuer des Isfendiar mit dem drey und
zwanzigsten Gesang der Ilias, wo, zur Tod-
tenfeyer Patroklos, die mannigfaltigsten
Preise, von den verschiedenartigsten Helden,
auf die verschiedenste Art gewonnen wer-
den. Haben wir Deutsche nicht unsern
herrlichen Niebelungen durch solche Ver-
gleichung den gröſsten Schaden gethan? So
höchst erfreulich sie sind, wenn man sich
in ihren Kreis recht einbürgert und alles
vertraulich und dankbar aufnimmt, so wun-
[371] derlich erscheinen sie, wenn man sie nach
einem Maſsstabe miſst, den man niemals bey
ihnen anschlagen sollte.
Es gilt ja schon dasselbe von dem Wer-
ke eines einzigen Autors, der viel, mannig-
faltig und lange geschrieben. Ueberlasse
man doch der gemeinen unbehülflichen
Menge vergleichend zu loben, zu wählen
und zu verwerfen. Aber die Lehrer des
Volks müssen auf einen Standpunct treten,
wo eine allgemeine deutliche Uebersicht rei-
nem unbewundenen Urtheil zu statten
kommt.
24 *
[372]
Vergleichung.
Da wir nun so eben bey dem Urtheil
über Schriftsteller alle Vergleichung abge-
lehnt, so möchte man sich wundern, wenn
wir unmittelbar darauf von einem Falle
sprechen, in welchem wir sie zulässig fin-
den. Wir hoffen jedoch daſs man uns
diese Ausnahme darum erlauben werde, weil
der Gedanke nicht uns, vielmehr einem
dritten angehört.
Ein Mann, der des Orients Breite, Hö-
hen und Tiefen durchdrungen, findet daſs
kein deutscher Schriftsteller sich den östli-
chen Poeten und sonstigen Verfassern mehr
als Jean Paul Richter genähert habe;
dieser Ausspruch schien zu bedeutend, als
daſs wir ihm nicht gehörige Aufmerksam-
keit hätten widmen sollen; auch können
wir unsere Bemerkungen darüber um so
leichter mittheilen, als wir uns nur auf das
oben weitläufig Durchgeführte beziehen
dürfen.
[373]
Allerdings zeugen, um von der Per-
sönlichkeit anzufangen, die Werke des ge-
nannten Freundes von einem verständigen,
umschauenden, einsichtigen, unterrichteten,
ausgebildeten und dabey wohlwollenden,
frommen Sinne. Ein so begabter Geist
blickt, nach eigentlichst orientalischer Wei-
se, munter und kühn in seiner Welt um-
her, erschafft die seltsamsten Bezüge, ver-
knüpft das Unverträgliche, jedoch derge-
stalt daſs ein geheimer ethischer Faden sich
mitschlinge, wodurch das Ganze zu einer
gewissen Einheit geleitet wird.
Wenn wir nun vor kurzem die Natur-
Elemente, woraus die älteren und vorzüg-
lichsten Dichter des Orients ihre Werke
bildeten, angedeutet und bezeichnet, so
werden wir uns deutlich erklären, indem
wir sagen: daſs, wenn jene in einer frischen,
einfachen Region gewirkt, dieser Freund
hingegen in einer ausgebildeten, überbilde-
ten, verbildeten, vertrakten Welt leben
und wirken, und eben daher sich anschi-
cken muſs die seltsamsten Elemente zu be-
herrschen. Um nun den Gegensatz zwischen
der Umgebung eines Beduinen und unseres
[374] Autors mit wenigem anschaulich zu machen,
ziehen wir aus einigen Blättern die bedeu-
tendsten Ausdrücke:
Barrierren-Traktat, Extrablätter, Car-
dinäle, Nebenreceſs, Billard, Bierkrüge,
Reichsbänke, Sessionsstühle, Prinzipalcom-
missarius, Enthusiasmus, Zepter-Queue,
Bruststücke, Eichhornbauer, Agioteur,
Schmutzfink, Incognito, Kolloquia, kano-
nischer Billardsack, Gypsabdruck, Avance-
ment, Hüttenjunge, Naturalisations-Acte,
Pfingstprogram, Maurerisch, Manual-Pan-
tomine, Amputirt, Supranumerar, Bijou-
teriebude, Sabbaterweg u. s. f.
Wenn nun diese sämmtlichen Ausdrü-
cke einem gebildeten deutschen Leser be-
kannt sind, oder durch das Conversations-
Lexicon bekannt werden können, gerade
wie dem Orientalen die Auſsenwelt durch
Handels- und Wallfahrts-Caravanen; so
dürfen wir kühnlich einen ähnlichen Geist
für berechtigt halten dieselbe Verfahrungs-
Art auf einer völlig verschiednen Unterlage
walten zu lassen.
Gestehen wir also unserm so geschätz-
ten als fruchtbaren Schriftsteller zu, daſs
[375] er, in späteren Tagen lebend, um in seiner
Epoche geistreich zu seyn, auf einen, durch
Kunst, Wissenschaft, Technik, Politik,
Kriegs- und Friedensverkehr und Verderb
so unendlich verklausulirten, zersplitterten
Zustand mannigfaltigst anspielen müsse; so
glauben wir ihm die zugesprochene Orien-
talität genugsam bestätigt zu haben.
Einen Unterschied jedoch, den eines
poetischen und prosaischen Verfahrens, he-
ben wir hervor. Dem Poeten, welchem
Takt, Paralell-Stellung, Sylbenfall, Reim
die gröſsten Hindernisse in den Weg zu le-
gen scheinen, gereicht alles zum entschie-
densten Vortheil, wenn er die Räthselkno-
ten glücklich löst, die ihm aufgegeben sind,
oder die er sich selbst aufgiebt; die kühn-
ste Metapher verzeihen wir wegen eines
unerwarteten Reims und freuen uns der
Besonnenheit des Dichters, die er, in einer
so nothgedrungenen Stellung, behauptet.
Der Prosaist hingegen hat die Ellebo-
gen gänzlich frey und ist für jede Verwe-
genheit verantwortlich, die er sich erlaubt;
alles was den Geschmack verletzen könnte
kommt auf seine Rechnung. Da nun aber,
[376] wie wir umständlich nachgewiesen, in einer
solchen Dicht- und Schreibart das Schick-
liche vom Unschicklichen abzusondern un-
möglich ist; so kommt hier alles auf das
Individuum an, das ein solches Wagstück
unternimmt. Ist es ein Mann, wie Jean Paul,
als Talent von Werth, als Mensch von
Würde, so befreundet sich der angezogene
Leser sogleich; alles ist erlaubt und will-
kommen. Man fühlt sich in der Nähe des
wohldenkenden Mannes behaglich, sein Ge-
fühl theilt sich uns mit. Unsere Einbil-
dungskraft erregt er, schmeichelt unseren
Schwächen und festiget unsere Stärken.
Man übt seinen eigenen Witz, indem
man die wunderlich aufgegebenen Räthsel
zu lösen sucht und freut sich in und hin-
ter einer buntverschränkten Welt, wie hin-
ter einer andern Charade, Unterhaltung,
Erregung, Rührung, ja Erbauung zu finden.
Dieſs ist ohngefähr was wir vorzubrin-
gen wuſsten, um jene Vergleichung zu rech-
fertigen; Uebereinstimmung und Differenz
trachteten wir so kurz als möglich auszu-
drücken; ein solcher Text könnte zu einer
gränzenlosen Auslegung verführen.
[377]
Verwahrung.
Wenn jemand Wort und Ausdruck als
heilige Zeugnisse betrachtet und sie nicht
etwa, wie Scheidemünze oder Papiergeld,
nur zu schnellem augenblicklichen Verkehr
bringen, sondern im geistigen Handel und
Wandel als wahres Aequivalent ausgetauscht
wissen will; so kann man ihm nicht ver-
übeln daſs er aufmerksam macht, wie her-
kömmliche Ausdrücke, woran niemand mehr
Arges hat, doch einen schädlichen Einfluſs
verüben, Ansichten verdüstern, den Begriff
entstellen und ganzen Fächern eine falsche
Richtung geben.
Von der Art möchte wohl der einge-
führte Gebrauch seyn daſs man den Titel:
schöne Redekünste, als allgemeine
Rubrik behandelt, unter welcher man Poe-
sie und Prosa begreifen und eine neben der
andern, ihren verschiedenen Theilen nach,
aufstellen will.
[378]
Poesie ist, rein und ächt betrachtet,
weder Rede noch Kunst; keine Rede, weil
sie zu ihrer Vollendung Takt, Gesang,
Körperbewegung und Mimik bedarf; sie ist
keine Kunst, weil alles auf dem Naturell
beruht, welches zwar geregelt, aber nicht
künstlerisch geängstiget werden darf; auch
bleibt sie immer wahrhafter Ausdruck eines
aufgeregten erhöhten Geistes, ohne Ziel und
Zweck.
Die Redekunst aber, im eigentlichen
Sinne, ist eine Rede und eine Kunst; sie
beruht auf einer deutlichen, mäſsig leiden-
schaftlichen Rede, und ist Kunst in jedem
Sinne. Sie verfolgt ihre Zwecke und ist
Verstellung vom Anfang bis zu Ende. Durch
jene von uns gerügte Rubrik ist nun die
Poesie entwürdigt, indem sie der Redekunst
bey- wo nicht untergeordnet wird, Namen
und Ehre von ihr ableitet.
Diese Benennung und Eintheilung hat
freylich Beyfall und Platz gewonnen, weil
höchst schätzenswerthe Bücher sie an der
Stirne tragen, und schwer möchte man sich
derselben sobald entwöhnen. Ein solches
Verfahren kommt aber daher, weil man,
[379] bey Classification der Künste, den Künstler
nicht zu Rathe zieht. Dem Literator kom-
men die poetischen Werke zuerst als Buch-
staben in die Hand, sie liegen als Bücher
vor ihm, die er aufzustellen und zu ordnen
berufen ist.
Dichtarten.
Allegorie, Ballade, Cantate, Drama,
Elegie, Epigramm, Epistel, Epopee, Er-
zählung, Fabel, Heroide, Idylle, Lehrge-
dicht, Ode, Parodie, Roman, Romanze,
Satyre.
Wenn man vorgemeldete Dichtarten,
die wir alphabetisch zusammengestellt, und
noch mehrere dergleichen, methodisch zu
ordnen versuchen wollte, so würde man auf
groſse, nicht leicht zu beseitigende Schwie-
rigkeiten stoſsen. Betrachtet man obige
Rubriken genauer, so findet man daſs sie
bald nach äuſseren Kennzeichen, bald nach
[380] dem Inhalt, wenige aber einer wesentlichen
Form nach benamst sind. Man bemerkt
schnell daſs einige sich neben einander stel-
len, andere sich andern unterordnen lassen.
Zu Vergnügen und Genuſs möchte jede wohl
für sich bestehen und wirken, wenn man
aber, zu didaktischen oder historischen
Zwecken, einer rationelleren Anordnung
bedürfte, so ist es wohl der Mühe werth
sich nach einer solchen umzusehen. Wir brin-
gen daher Folgendes der Prüfung dar.
[381]
Naturformen der Dichtung.
Es giebt nur drey ächte Naturformen
der Poesie: die klar erzählende, die enthu-
siastisch aufgeregte und die persönlich han-
delnde: Epos, Lyrik und Drama. Diese
drey Dichtweisen können zusammen oder
abgesondert wirken. In dem kleinsten Ge-
dicht findet man sie oft beysammen, und
sie bringen eben durch diese Vereinigung
im engsten Raume das herrlichste Gebild
hervor, wie wir an den schätzenswerthe-
sten Balladen aller Völker deutlich gewahr
werden. Im älteren griechischen Trauer-
spiel sehen wir sie gleichfalls alle drey ver-
bunden und erst in einer gewissen Zeit-
folge sondern sie sich. So lange der Chor
die Hauptperson spielt zeigt sich Lyrik
oben an, wie der Chor mehr Zuschauer
wird treten die andern hervor, und zuletzt
wo die Handlung sich persönlich und häus-
lich zusammenzieht, findet man den Chor
[382] unbequem und lästig. Im französischen
Trauerspiel ist die Exposition episch, die
Mitte dramatisch und den fünften Act, der
leidenschaftlich und enthusiastisch ausläuft,
kann man lyrisch nennen.
Das Homerische Heldengedicht ist rein
episch; der Rhapsode waltet immer vor,
was sich ereignet erzählt er; niemand darf
den Mund aufthun, dem er nicht vorher
das Wort verliehen, dessen Rede und Ant-
wort er nicht angekündigt. Abgebrochene
Wechselreden, die schönste Zierde des Dra-
ma’s, sind nicht zulässig.
Höre man aber nun den modernen Im-
provisator auf öffentlichem Markte, der ei-
nen geschichtlichen Gegenstand behandelt;
er wird, um deutlich zu seyn, erst erzäh-
len, dann, um Interesse zu erregen, als han-
delnde Person sprechen, zuletzt enthusia-
stisch auflodern und die Gemüther hinrei-
ſsen. So wunderlich sind diese Elemente
zu verschlingen, die Dichtarten bis ins Un-
endliche mannigfaltig; und deſshalb auch
so schwer eine Ordnung zu finden, wor-
nach man sie neben oder nach einander auf-
stellen könnte. Man wird sich aber eini-
[383] germaſsen dadurch helfen daſs man die drey
Hauptelemente in einem Kreis gegen einander
überstellt und sich Musterstücke sucht, wo je-
des Element einzeln obwaltet. Alsdann sammle
man Beyspiele die sich nach der einen oder nach
der andern Seite hinneigen, bis endlich die
Vereinigung von allen dreyen erscheint und
somit der ganze Kreis in sich geschlossen ist.
Auf diesem Wege gelangt man zu
schönen Ansichten, sowohl der Dichtarten,
als des Charakters der Nationen und ihres
Geschmacks in einer Zeitfolge. Und ob-
gleich diese Verfahrungsart mehr zu eigner
Belehrung, Unterhaltung und Maſsregel,
als zum Unterricht anderer geeignet seyn
mag, so wäre doch vielleicht ein Schema
aufzustellen, welches zugleich die äuſseren
zufälligen Formen und diese inneren noth-
wendigen Uranfänge in faſslicher Ordnung
darbrächte. Der Versuch jedoch wird im-
mer so schwierig seyn als in der Natur-
kunde das Bestreben den Bezug auszufinden
der äuſseren Kennzeichen von Mineralien
und Pflanzen zu ihren inneren Bestandthei-
len, um eine naturgemäſse Ordnung dem
Geiste darzustellen.
[384]
Nachtrag.
Höchst merkwürdig ist daſs die Persische
Poesie kein Drama hat. Hätte ein drama-
tischer Dichter aufstehen können, ihre
ganze Literatur müſste ein anderes Ansehn
gewonnen haben. Die Nation ist zur Ruhe
geneigt, sie läſst sich gern etwas vorerzäh-
len, daher die Unzahl Mährchen und die
gränzenlosen Gedichte. So ist auch sonst
das orientalische Leben an sich selbst nicht
gesprächig; der Despotismus befördert keine
Wechselreden und wir finden daſs eine
jede Einwendung gegen Willen und Befehl
des Herrschers allenfalls nur in Citaten des
Korans und bekannter Dichterstellen her-
vortritt, welches aber zugleich einen geist-
reichen Zustand, Breite, Tiefe und Conse-
quenz der Bildung voraussetzt. Daſs je-
doch der Orientale die Gesprächsform so
wenig als ein anderes Volk entbehren mag,
[385] sieht man an der Hochschätzung der Fabeln
des Bidpai, der Wiederholung, Nachahmung
und Fortsetzung derselben. Die Vögelge-
spräche des Ferideddin Attar geben hievon
gleichfalls das schönste Beyspiel.
Buch-Orakel.
Der in jedem Tag düster befangene,
nach einer aufgehellten Zukunft sich um-
schauende Mensch greift begierig nach Zu-
fälligkeiten, um irgend eine weissagende
Andeutung aufzuhaschen. Der Unentschlos-
sene findet nur sein Heil im Entschluſs,
dem Ausspruch des Looses sich zu unter-
werfen. Solcher Art ist die überall her-
kömmliche Orakelfrage an irgend ein be-
deutendes Buch, zwischen dessen Blätter man
eine Nadel versenkt und die dadurch bezeich-
nete Stelle beym Aufschlagen gläubig beach-
tet. Wir waren früher mit Personen genau
verbunden, welche sich auf diese Weise bey
der Bibel, dem Schatzkästlein und ähnlichen
25
[386] Erbauungswerken zutraulich Raths erholten
und mehrmals in den gröſsten Nöthen Trost,
ja Bestärkung fürs ganze Leben gewannen.
Im Orient finden wir diese Sitte gleich-
falls in Uebung, sie wird Fal genannt und
die Ehre derselben begegnete Hafisen gleich
nach seinem Tode. Denn als die Streng-
gläubigen ihn nicht feyerlich beerdigen
wollten, befragte man seine Gedichte, und
als die bezeichnete Stelle seines Grabes er-
wähnt, das die Wanderer dereinst vereh-
ren würden, so folgerte man daraus daſs
er auch müsse ehrenvoll begraben werden.
Der westliche Dichter spielt ebenfalls auf
diese Gewohnheit an und wünscht daſs sei-
nem Büchlein gleiche Ehre wiederfahren
möge.
[387]
Blumen- und Zeichenwechsel.
Um nicht zu viel Gutes von der soge-
nannten Blumensprache zu denken, oder
etwas Zartgefühltes davon zu erwarten,
müssen wir uns durch Kenner belehren las-
sen. Man hat nicht etwa einzelnen Blumen
Bedeutung gegeben, um sie im Strauſs als
Geheimschrift zu überreichen, und es sind
nicht Blumen allein, die bey einer solchen
stummen Unterhaltung Wort und Buchsta-
ben bilden, sondern alles Sichtbare, Trans-
portable wird mit gleichem Rechte ange-
wendet.
Doch wie das geschehe, um eine Mit-
theilung, einen Gefühl- und Gedankenwech-
sel hervorzubringen, dieses können wir uns
nur vorstellen, wenn wir die Haupteigenschaf-
ten orientalischer Poesie vor Augen haben:
den weit umgreifenden Blick über alle
25 *
[388] Welt-Gegenstände, die Leichtigkeit zu rei-
men, sodann aber eine gewisse Lust und
Richtung der Nation Räthsel aufzugeben,
wodurch sich zugleich die Fähigkeit aus-
bildet Räthsel aufzulösen, welches denje-
nigen deutlich seyn wird, deren Talent sich
dahin neigt Charaden, Logogryphen und
dergleichen zu behandeln.
Hiebey ist nun zu bemerken: wenn ein
Liebendes dem Geliebten irgend einen Ge-
genstand zusendet, so muſs der Empfan-
gende sich das Wort aussprechen, und
suchen was sich darauf reimt, sodann
aber ausspähen, welcher unter den vielen
möglichen Reimen für den gegenwärtigen
Zustand passen möchte? Daſs hiebey eine
leidenschaftliche Divination obwalten müs-
se, fällt sogleich in die Augen. Ein Bey-
spiel kann die Sache deutlich machen und
so sey folgender kleine Roman in einer sol-
chen Correspondenz durchgeführt.
[389]
| Amarante | Ich sah und brannte. |
| Raute | Wer schaute? |
| Haar vom Tiger | Ein kühner Krieger. |
| Haar der Gazelle | An welcher Stelle? |
| Büschel von Haaren | Du sollt’s erfahren. |
| Kreide | Meide. |
| Stroh | Ich brenne lichterloh. |
| Trauben | Will’s erlauben. |
| Corallen | Kannst mir gefallen. |
| Mandelkern | Sehr gern. |
| Rüben | Willst mich betrüben. |
| Carotten | Willst meiner spotten. |
| Zwiebeln | Was willst du grübeln. |
| Trauben, die weiſsen | Was soll das heiſsen? |
| Trauben, die blauen | Soll ich vertrauen? |
| Quecken | Du willst mich necken. |
| Nelken | Soll ich verwelken! |
| Narzissen | Du muſst es wissen. |
| Veilchen | Wart’ ein Weilchen. |
| Kirschen | Willst mich zerknirschen. |
| Feder vom Raben | Ich muſs dich haben. |
| Vom Papageyen | Muſst mich befreyen. |
| Marronen | Wo wollen wir wohnen? |
| Bley | Ich bin dabey. |
| Rosenfarb | Die Freude starb. |
| Seide | Ich leide. |
| Bohnen | Will dich schonen. |
| Majoran | Geht mich nichts an. |
| Blau | Nimm’s nicht genau. |
| Traube | Ich glaube. |
| Behren | Will’s verwehren. |
| Feigen | Kannst du schweigen? |
| Gold | Ich bin dir hold. |
| Leder | Gebrauch die Feder. |
| Papier | So bin ich dir. |
| Maslieben | Schreib nach Belieben. |
| Nacht-Violen | Ich laſs es holen. |
| Ein Faden | Bist eingeladen. |
| Ein Zweig | Mach keinen Streich. |
| Straus | Ich bin zu Haus. |
| Winden | Wirst mich finden. |
| Myrthen | Will dich bewirthen. |
| Jasmin | Nimm mich hin. |
| Melissen | *** auf einem Kissen. |
| Cypressen | Will’s vergessen. |
| Bohnenblüthe | Du falsch Gemüthe. |
| Kalk | Bist ein Schalk. |
| Kohlen | Mag der *** dich holen. |
Vorstehende seltsame Mittheilungsart
wird sehr bald unter lebhaften, einander
gewogenen Personen auszuüben seyn. So-
bald der Geist eine solche Richtung nimmt
thut er Wunder. Zum Beleg aus manchen
Geschichten nur Eine.
Zwey liebende Paare machen eine Lust-
fahrt von einigen Meilen, bringen einen
frohen Tag mit einander zu; auf der Rück-
kehr unterhalten sie sich Charaden aufzu-
geben. Gar bald wird nicht nur eine jede,
wie sie vom Munde kommt, sogleich er-
rathen, sondern zuletzt sogar das Wort,
[392] das der andere denkt und eben zum Wort-
räthsel umbilden will, durch die unmittel-
barste Divination erkannt und ausgespro-
chen.
Indem man dergleichen zu unsern Zei-
ten erzählt und betheuert, darf man nicht
fürchten lächerlich zu werden, da solche
psychische Erscheinungen noch lange nicht
an dasjenige reichen, was der organische
Magnetismus zu Tage gebracht hat.
Chiffer.
Eine andere Art aber sich zu verstän-
digen ist geistreich und herzlich! Wenn
bey der vorigen Ohr und Witz im Spiele
war, so ist es hier ein zartliebender, ästhe-
tischer Sinn, der sich der höchsten Dich-
tung gleich stellt.
Im Orient lernte man den Koran aus-
wendig und so gaben die Suren und Verse,
durch die mindeste Anspielung, ein leichtes
Verständniſs unter den Geübten. Das Glei-
[393] che haben wir in Deutschland erlebt, wo
vor funfzig Jahren die Erziehung dahin ge-
richtet war, die sämmtlichen Heranwach-
senden bibelfest zu machen; man lernte
nicht allein bedeutende Sprüche auswendig,
sondern erlangte zugleich von dem übrigen
genugsame Kenntniſs. Nun gab es mehrere
Menschen, die eine groſse Fertigkeit hatten
auf alles was vorkam biblische Sprüche an-
zuwenden und die heilige Schrift in der
Conversation zu verbrauchen. Nicht zu
läugnen ist, daſs hieraus die witzigsten,
anmuthigsten Erwiederungen entstanden,
wie denn noch heutiges Tags gewisse ewig
anwendbare Hauptstellen hie und da im Ge-
spräch vorkommen.
Gleicherweise bedient man sich classi-
scher Worte, wodurch wir Gefühl und Er-
eigniſs als ewig wiederkehrend bezeichnen
und aussprechen.
Auch wir vor funfzig Jahren, als Jüng-
linge, die einheimischen Dichter vereh-
rend, belebten das Gedächtniſs durch ihre
Schriften und erzeigten ihnen den schön-
sten Beyfall, indem wir unsere Gedanken
durch ihre gewählten und gebildeten Worte
[394] ausdrückten und dadurch eingestanden daſs
sie besser als wir unser Innerstes zu ent-
falten gewuſst.
Um aber zu unserm eigentlichen Zweck
zu gelangen, erinnern wir an eine, zwar
wohlbekannte, aber doch immer geheim-
niſsvolle Weise, sich in Chiffern mitzuthei-
len. Wenn nämlich zwey Personen, die
ein Buch verabreden und indem sie Seiten-
und Zeilenzahl zu einem Briefe verbinden,
gewiſs sind, daſs der Empfänger mit ge-
ringem Bemühen den Sinn zusammen finden
werde.
Das Lied, welches wir mit der Rubrik
Chiffer bezeichnet, will auf eine solche
Verabredung hindeuten. Liebende werden
einig Hafisens Gedichte zum Werkzeug ih-
res Gefühlwechsels zu legen; sie bezeich-
nen Seite und Zeile die ihren gegenwärti-
gen Zustand ausdrückt, und so entstehen
zusammengeschriebene Lieder vom schön-
sten Ausdruck; herrliche zerstreute Stellen
des unschätzbaren Dichters werden durch
Leidenschaft und Gefühl verbunden, Nei-
gung und Wahl verleihen dem Ganzen ein
inneres Leben und die Entfernten finden
[395] ein tröstliches Ergeben, indem sie ihre
Trauer mit Perlen seiner Worte schmücken.
[396]
Künftiger Divan.
Man hat in Deutschland zu einer ge-
wissen Zeit manche Druckschriften vertheilt,
als Manuscript für Freunde. Wem
dieses befremdlich seyn könnte, der bedenke
daſs doch am Ende jedes Buch nur für
Theilnehmer, für Freunde, für Liebhaber
des Verfassers geschrieben sey. Meinen
Divan besonders möcht’ ich also bezeich-
nen, dessen gegenwärtige Ausgabe nur als
unvollkommen betrachtet werden kann. In
jüngeren Jahren würd’ ich ihn länger zurück-
gehalten haben, nun aber find’ ich es vor-
theilhafter ihn selbst zusammenzustellen, als
ein solches Geschäft, wie Hafis, den Nach-
[397] kommen zu hinterlassen. Denn eben daſs
dieses Büchlein so da steht, wie ich es jetzt
mittheilen konnte, erregt meinen Wunsch
ihm die gebührende Vollständigkeit nach
und nach zu verleihen. Was davon allen-
falls zu hoffen seyn möchte, will ich Buch
für Buch der Reihe nach andeuten.
Buch des Dichters. Hierin, wie
es vorliegt, werden lebhafte Eindrücke man-
cher Gegenstände und Erscheinungen auf
Sinnlichkeit und Gemüth enthusiastisch aus-
gedrückt und die näheren Bezüge des Dich-
ters zum Orient angedeutet. Fährt er auf
diese Weise fort, so kann der heitere Gar-
ten aufs anmuthigste verziert werden; aber
höchst erfreulich wird sich die Anlage er-
weitern, wenn der Dichter nicht von sich
und aus sich allein handeln wollte, viel-
mehr auch seinen Dank, Gönnern und
Freunden zu Ehren, ausspräche, um die
Lebenden mit freundlichem Wort fest zu
halten, die Abgeschiedenen ehrenvoll wie-
der zurück zu rufen.
Hiebey ist jedoch zu bedenken, daſs der
orientalische Flug und Schwung, jene reich
und übermäſsig lobende Dichtart, dem Ge-
[398] fühl des Westländers vielleicht nicht zusagen
möchte. Wir ergehen uns hoch und frey,
ohne zu Hyperbeln unsre Zuflucht zu neh-
men: denn wirklich nur eine reine, wohl-
gefühlte Poesie vermag allenfalls die eigent-
lichsten Vorzüge trefflicher Männer auszu-
sprechen, deren Vollkommenheiten man erst
recht empfindet, wenn sie dahin gegangen
sind; wenn ihre Eigenheiten uns nicht mehr
stören und das Eingreifende ihrer Wirkun-
gen uns noch täglich und stündlich vor
Augen tritt. Einen Theil dieser Schuld
hatte der Dichter vor kurzem, bey einem
herrlichen Feste in Allerhöchster Gegenwart,
das Glück nach seiner Weise gemüthlich
abzutragen.
Das Buch Hafis. Wenn alle dieje-
nigen, welche sich der arabischen und ver-
wandter Sprachen bedienen, schon als Poe-
ten geboren und erzogen werden, so kann
man sich denken daſs unter einer solchen
Nation vorzügliche Geister ohne Zahl her-
vorgehen. Wenn nun aber ein solches Volk
in fünfhundert Jahren nur sieben Dichtern
den ersten Rang zugesteht, so müssen wir
einen solchen Ausspruch zwar mit Ehrfurcht
[399] annehmen, allein es wird uns zugleich
vergönnt seyn nachzuforschen, worin ein
solcher Vorzug eigentlich begründet seyn
könne.
Diese Aufgabe in sofern es möglich ist
zu lösen, möchte wohl auch dem künftigen
Divan vorbehalten seyn. Denn, um nur
von Hafis zu reden, wächst Bewunderung
und Neigung gegen ihn, jemehr man ihn
kennen lernt. Das glücklichste Naturell,
groſse Bildung, freye Facilität und die reine
Ueberzeugung daſs man den Menschen nur
alsdann behagt, wenn man ihnen vorsingt
was sie gern, leicht und bequem hören,
wobey man ihnen denn auch etwas Schwe-
res, Schwieriges, Unwillkommenes gele-
gentlich mit unterschieben darf. Wenn
Kenner im nachstehenden Liede Hafisens
Bild einigermaſsen erblicken wollen, so
würde den Westländer dieser Versuch ganz
besonders erfreuen.
[400]
[399[401]]
26
[400[402]]
Buch der Liebe würde sehr an-
schwellen, wenn sechs Liebespaare in ihren
Freuden und Leiden entschiedener aufträ-
ten und noch andere neben ihnen aus der
düsteren Vergangenheit mehr oder weniger
klar hervorgingen. Wamik und Asra z. B.
von denen sich auſser den Namen keine
weitere Nachricht findet, könnten folgender-
maſsen eingeführt werden:
[401[403]]
Nicht weniger ist dieses Buch geeignet
zu symbolischer Abschweifung, deren man
sich in den Feldern des Orients kaum ent-
halten kann. Der geistreiche Mensch, nicht
zufrieden mit dem was man ihm darstellt,
betrachtet alles was sich den Sinnen dar-
bietet, als eine Vermummung, wohinter ein
höheres geistiges Leben sich schalkhaft-ei-
gensinnig verstekt, um uns anzuziehen und
in edlere Regionen aufzulocken. Verfährt
hier der Dichter mit Bewuſstseyn und Maaſs,
so kann man es gelten lassen, sich daran
freuen und zu entschiedenerem Auffluge die
Fittige versuchen.
26 *
[402[404]]
Buch der Betrachtungen erwei-
tert sich jeden Tag demjenigen der im Orient
hauset; denn alles ist dort Betrachtung, die
zwischen dem Sinnlichen und Uebersinnli-
chen hin und her wogt, ohne sich für eins
oder das andere zu entscheiden. Dieses
Nachdenken, wozu man aufgefordert wird,
ist von ganz eigner Art; es widmet sich
nicht allein der Klugheit, obgleich diese
die stärksten Forderungen macht, sondern
es wird zugleich auf jene Puncte geführt,
wo die seltsamsten Probleme des Erde-Le-
bens strack und unerbittlich vor uns stehen
und uns nöthigen dem Zufall, einer Vor-
sehung und ihren unerforschlichen Rath-
schlüssen die Knie zu beugen und unbe-
dingte Ergebung als höchstes politisch-sitt-
lich-religionses Gesetz auszusprechen.
Buch des Unmuths. Wenn die
übrigen Bücher anwachsen, so erlaubt man
auch wohl diesem das gleiche Recht. Erst
müssen sich anmuthige, liebevolle, verstän-
dige Zuthaten versammlen, eh die Ausbrü-
che des Unmuths erträglich seyn können.
Allgemein menschliches Wohlwollen, nach-
sichtiges hülfreiches Gefühl verbindet den
[403[405]] Himmel mit der Erde und bereitet ein den
Menschen gegönntes Paradies. Dagegen ist
der Unmuth stets egoistisch, er besteht auf
Forderungen, deren Gewährung ihm auſsen
blieb; er ist anmaſslich, abstoſsend und er-
freut niemand, selbst diejenigen kaum die
von gleichem Gefühl ergriffen sind. Dem-
ungeachtet aber kann der Mensch solche
Explosionen nicht immer zurückhalten, ja
er thut wohl, wenn er seinem Verdruſs,
besonders über verhinderte, gestörte Thätig-
keit, auf diese Weise Luft zu machen trach-
tet. Schon jetzt hätte dies Buch viel stär-
ker und reicher seyn sollen; doch haben
wir manches, um alle Miſsstimmung zu
verhüten, bey Seite gelegt. Wie wir denn
hierbey bemerken daſs dergleichen Äuſse-
rungen, welche für den Augenblick bedenk-
lich scheinen, in der Folge aber, als unver-
fänglich, mit Heiterkeit und Wohlwollen
aufgenommen werden, unter der Rubrik
Paralipomena künftigen Jahren aufge-
spart worden.
Dagegen ergreifen wir diese Gelegen-
heit von der Anmaſsung zu reden, und zwar
vorerst, wie sie im Orient zur Erscheinung
[404[406]] kommt. Der Herrscher selbst ist der erste
Anmaſsliche, der die übrigen alle auszu-
schlieſsen scheint. Ihm stehen alle zu Dienst,
er ist Gebieter sein selbst, niemand gebie-
tet ihm, und sein eigner Wille erschafft die
übrige Welt, so daſs er sich mit der Sonne,
ja mit dem Weltall vergleichen kann. Auf-
fallend ist es jedoch, daſs er eben dadurch
genöthigt ist sich einen Mitregenten zu
erwählen, der ihm in diesem unbegränzten
Felde beystehe, ja ihn ganz eigentlich auf dem
Weltenthrone erhalte. Es ist der Dichter,
der mit und neben ihm wirkt und ihn über
alle Sterbliche erhöht. Sammlen sich nun
an seinem Hofe viele dergleichen Talente, so
giebt er ihnen einen Dichterkönig, und zeigt
dadurch, daſs er das höchste Talent für sei-
nes Gleichen anerkenne. Hierdurch wird
der Dichter aber aufgefordert, ja verleitet,
eben so hoch von sich zu denken als von
dem Fürsten, und sich im Mitbesitz der
gröſsten Vorzüge und Glückseligkeiten zu
fühlen. Hierin wird er bestärkt durch die
gränzenlosen Geschenke die er erhält, durch
den Reichthum den er sammelt, durch die
Einwirkung die er ausübt. Auch setzt er
[405[407]] sich in dieser Denkart so fest, daſs ihn
irgend ein Miſslingen seiner Hoffnungen
bis zum Wahnsinn treibt. Firdusi erwartet
für sein Schah Nameh, nach einer früheren
Aeuſserung des Kaisers, sechzig tausend
Goldstücke; da er aber dagegen nur sech-
zig tausend Silberstücke erhält, eben da er
sich im Bade befindet, theilt er die Summe
in drey Theile, schenkt einen dem Bothen,
einen dem Bademeister und den dritten dem
Sorbetschenken, und vernichtet sogleich,
mit wenigen ehrenrührigen Schmähzeilen,
alles Lob was er seit so vielen Jahren dem
Schah gespendet. Er entflieht, verbirgt
sich, widerruft nicht, sondern trägt seinen
Haſs auf die Seinigen über, so daſs seine
Schwester ein ansehnliches Geschenk, vom
begütigten Sultan abgesendet, aber leider
erst nach des Bruders Tode ankommend,
gleichfalls verschmäht und abweist.
Wollten wir nun das alles weiter ent-
wicklen, so würden wir sagen daſs vom
Thron, durch alle Stufen hinab, bis zum
Derwisch an der Straſsenecke, alles voller
Anmaſsung zu finden sey, voll weltlichen
und geistlichen Hochmuths, der auf die
[406[408]] geringste Veranlassung sogleich gewaltsam
hervorspringt.
Mit diesem sittlichen Gebrechen, wenn
mans dafür halten will, sieht es im West-
lande gar wunderlich aus. Bescheidenheit
ist eigentlich eine gesellige Tugend, sie
deutet auf groſse Ausbildung; sie ist eine
Selbstverleugnung nach auſsen, welche, auf
einem groſsen innern Werthe ruhend, als
die höchste Eigenschaft des Menschen an-
gesehen wird. Und so hören wir, daſs die
Menge immer zuerst an den vorzüglichsten
Menschen die Bescheidenheit preist, ohne
sich auf ihre übrigen Qualitäten sonderlich
einzulassen. Bescheidenheit aber ist immer
mit Verstellung verknüpft und eine Art
Schmeicheley, die um desto wirksamer ist
als sie ohne Zudringlichkeit dem andern
wohlthut, indem sie ihn in seinem behag-
lichen Selbstgefühle nicht irre macht. Alles
aber was man gute Gesellschaft nennt, be-
steht in einer immer wachsenden Vernei-
nung sein selbst, so daſs die Societät zu-
letzt ganz Null wird; es müſste denn das
Talent sich ausbilden, daſs wir, indem wir
[407[409]] unsere Eitelkeit befriedigen, der Eitelkeit
des andern zu schmeicheln wissen.
Mit den Anmaſsungen unsers westli-
chen Dichters aber möchten wir die Lands-
leute gern versöhnen. Eine gewisse Auf-
schneiderey durfte dem Divan nicht fehlen,
wenn der orientalische Charakter einiger-
maſsen ausgedrückt werden sollte.
In die unerfreuliche Anmaſsung gegen
die höheren Stände konnte der Dichter
nicht verfallen. Seine glückliche Lage über-
hob ihn jedes Kampfes mit Despotismus.
In das Lob, das er seinen fürstlichen Ge-
bietern zollen könnte, stimmt ja die Welt
mit ein. Die hohen Personen, mit denen
er sonst in Verhältniſs gestanden, pries und
preist man noch immer. Ja man kann dem
Dichter vorwerfen, daſs der enkomiastische
Theil seines Divans nicht reich genug sey.
Was aber das Buch des Unmuths be-
trifft, so möchte man wohl einiges daran
zu tadeln finden. Jeder Unmuthige drückt
zu deutlich aus, daſs seine persönliche Er-
wartung nicht erfüllt, sein Verdienst nicht
anerkannt sey. So auch er! Von oben
herein ist er nicht beengt, aber von unten
[408[410]] und von der Seite leidet er. Eine zudring-
liche, oft platte, oft tückische Menge, mit
ihren Chorführern, lähmt seine Thätigkeit;
erst waffnet er sich mit Stolz und Verdruſs,
dann aber, zu scharf gereizt und gepreſst,
fühlt er Stärke genug sich durch sie durch-
zuschlagen.
Sodann aber werden wir ihm zuge-
stehen, daſs er mancherley Anmaſsungen
dadurch zu mildern weiſs, daſs er sie, ge-
fühlvoll und kunstreich, zuletzt auf die Ge-
liebte bezieht, sich vor ihr demüthigt, ja
vernichtet. Herz und Geist des Lesers
wird ihm dieses zu gute schreiben.
Buch der Sprüche, sollte vor an-
dern anschwellen; es ist mit den Büchern
der Betrachtung und des Unmuths ganz nahe
verwandt. Orientalische Sprüche jedoch be-
halten den eigenthümlichen Charakter der
ganzen Dichtkunst, daſs sie sich sehr oft
auf sinnliche, sichtbare Gegenstände bezie-
hen; und es finden sich viele darunter, die
man mit Recht lakonische Parablen nen-
nen könnte. Diese Art bleibt dem West-
länder die schwerste, weil unsere Umge-
bung zu trocken, geregelt und prosaisch
[409[411]] erscheint. Alte deutsche Sprichwörter je-
doch, wo sich der Sinn zum Gleichniſs
umbildet, können hier gleichfalls unser
Muster seyn.
Buch des Timur. Sollte eigentlich
erst gegründet werden, und vielleicht müſs-
ten ein paar Jahre hingehen, damit uns die
allzunah liegende Deutung ein erhöhtes An-
schaun ungeheurer Weltereignisse nicht
mehr verkümmerte. Erheitert könnte diese
Tragödie werden, wenn man des fürchter-
lichen Weltverwüsters launigen Zug- und
Zeltgefährten Nussreddin Chodscha von
Zeit zu Zeit auftreten zu lassen sich ent-
schlösse. Gute Stunden, freyer Sinn wer-
den hiezu die beste Förderniſs verleihen.
Ein Musterstück der Geschichtchen die zu
uns herüber gekommen, fügen wir bey.
Timur war ein häſslicher Mann; er
hatte ein blindes Auge und einen lahmen
Fuſs. Indem nun eines Tags Chodscha
um ihn war, kratzte sich Timur den Kopf,
denn die Zeit des Barbierens war gekom-
men, und befahl der Barbier solle geru-
[410[412]] fen werden. Nachdem der Kopf gescho-
ren war, gab der Barbier, wie gewöhnlich,
Timur den Spiegel in die Hand. Timur sah
sich im Spiegel und fand sein Ansehn gar
zu häſslich. Darüber fing er an zu wei-
nen, auch der Chodscha hub an zu weinen,
und so weinten sie ein paar Stunden. Hier-
auf trösteten einige Gesellschafter den Ti-
mur und unterhielten ihn mit sonderbaren
Erzählungen, um ihn alles vergessen zu
machen. Timur hörte auf zu weinen, der
Chodscha aber hörte nicht auf sondern fing
erst recht an stärker zu weinen. Endlich
sprach Timur zum Chodscha: höre! ich
habe in den Spiegel geschaut und habe
mich sehr häſslich gesehen, darüber be-
trübte ich mich, weil ich nicht allein
Kaiser bin, sondern auch viel Vermö-
gen und Sclavinnen habe, daneben aber so
häſslich bin, darum habe ich geweint. Und
warum weinst du noch ohne Aufhören?
Der Chodscha antwortete: wenn du nur
einmal in den Spiegel gesehen und bei Be-
schauung deines Gesichts es gar nicht hast
aushalten können dich anzusehen, sondern
darüber geweint hast, was sollen wir denn
[411[413]] thun, die wir Nacht und Tag dein Gesicht
anzusehen baben? Wenn wir nicht weinen,
wer soll denn weinen! deſshalb habe ich
geweint. — Timur kam vor Lachen auſser
sich.
Buch Suleika Dieses, ohnehin das
stärkste der ganzen Sammlung, möchte wohl
für abgeschlossen anzusehen seyn. Der
Hauch und Geist einer Leidenschaft, der
durch das Ganze weht, kehrt nicht leicht
wieder zurück, wenigstens ist dessen Rück-
kehr, wie die eines guten Weinjahres, in
Hoffnung und Demuth zu erwarten.
Ueber das Betragen des westlichen
Dichters aber, in diesem Buche dürfen wir
einige Betrachtungen anstellen. Nach dem
Beyspiele mancher östlichen Vorgänger hält
er sich entfernt vom Sultan. Als genüg-
samer Derwisch darf er sich sogar dem
Fürsten vergleichen; denn der gründliche
Bettler soll eine Art von König seyn. Ar-
muth giebt Verwegenheit. Irdische Gü-
ter und ihren Werth nicht anzuerkennen,
nichts oder wenig davon zu verlangen ist
sein Entschluſs, der das sorgloseste Behagen
erzeugt. Statt einen angstvollen Besitz zu
[412[414]] suchen, verschenkt er in Gedanken Län-
der und Schätze, und spottet über den der
sie wirklich besaſs und verlor. Eigentlich
aber hat sich unser Dichter zu einer frey-
willigen Armuth bekannt, um desto stol-
zer aufzutreten, daſs es ein Mädchen ge-
be, die ihm deſswegen doch hold und ge-
wärtig ist.
Aber noch eines gröſsern Mangels
rühmt er sich: ihm entwich die Jugend;
sein Alter, seine grauen Haare schmückt
er mit der Liebe Suleikas, nicht gecken-
haft zudringlich, nein! ihrer Gegenliebe
gewiſs. Sie, die Geistreiche, weiſs den
Geist zu schätzen, der die Jugend früh
zeitigt und das Alter verjüngt.
Das Schenken-Buch. Weder die
unmäſsige Neigung zu dem halb verbote-
nen Weine, noch das Zartgefühl für die
Schönheit eines heranwachsenden Knaben
durfte im Divan vermiſst werden; letzte-
res wollte jedoch unseren Sitten gemäſs in
aller Reinheit behandelt seyn.
Die Wechselneigung des früheren und
späteren Alters deutet eigentlich auf ein
ächt pädagogisches Verhältniſs. Eine lei-
[413[415]] denschaftliche Neigung des Kindes zum
Greise ist keineswegs eine seltene, aber
selten benutzte Erscheinung. Hier gewahre
man den Bezug des Enkels zum Groſsva-
ter, des spätgebornen Erben zum über-
raschten zärtlichen Vater. In diesem Ver-
hältniſs entwickelt sich eigentlich der
Klugsinn der Kinder; sie sind aufmerksam
auf Würde, Erfahrung, Gewalt des Aelte-
ren; rein geborne Seelen empfinden dabey
das Bedürfniſs einer ehrfurchtsvollen Nei-
gung; das Alter wird hievon ergriffen und
festgehalten. Empfindet und benutzt die
Jugend ihr Uebergewicht um kindliche
Zwecke zu erreichen, kindische Bedürfnisse
zu befriedigen, so versöhnt uns die An-
muth mit frühzeitiger Schalkheit. Höchst
rührend aber bleibt das heranstrebende Ge-
fühl des Knaben, der, von dem hohen Gei-
ste des Alters erregt, in sich selbst ein
Staunen fühlt, das ihm weissagt, auch der-
gleichen könne sich in ihm entwickeln. Wir
versuchten so schöne Verhältnisse im
Schenkenbuche anzudeuten und gegenwär-
tig weiter auszulegen. Saadi hat jedoch
uns einige Beyspiele erhalten, deren Zart-
[414[416]] heit, gewiſs allgemein anerkannt, das voll-
kommenste Verständniſs eröffnet.
Folgendes nämlich erzählt er in seinem
Rosengarten: „Als Mahmud der König
zu Chuaresm mit dem König von Chattaj
Friede machte, bin ich zu Kaschker (einer
Stadt der Usbeken oder Tartern) in die
Kirche gekommen, woselbst, wie ihr wiſst,
auch Schule gehalten wird, und habe allda
einen Knaben gesehen, wunderschön von
Gestalt und Angesicht. Dieser hatte eine
Grammatik in der Hand um die Sprache
rein und gründlich zu lernen; er las laut
und zwar ein Exempel von einer Regel:
sarab Seidon Amran. Seidon hat Am-
ran geschlagen oder bekriegt. Amran ist
der Accusativus. (Diese beiden Namen ste-
hen aber hier zu allgemeiner Andeutung
von Gegnern, wie die Deutschen sagen:
Hinz oder Kunz.) Als er nun diese Worte
einigemal wiederholt hatte, um sie dem
Gedächtniſs einzuprägen, sagte ich: es ha-
ben ja Chuaresm und Chattaj endlich
Friede gemacht, sollen denn Seidon und
Amran stets Krieg gegeneinander führen?
Der Knabe lachte allerliebst und fragte
[415[417]] was ich für ein Landsmann sey? und als
ich antwortete: von Schiras, fragte er:
ob ich nicht etwas von Saadis Schriften
auswendig könnte, da ihm die persische
Sprache sehr wohl gefalle?
Ich antwortete: gleichwie dein Ge-
müth aus Liebe gegen die reine Sprache
sich der Grammatik ergeben hat, also ist
auch mein Herz der Liebe zu dir völlig
ergeben, so daſs deiner Natur Bildniſs das
Bildniſs meines Verstandes entraubet. Er
betrachtete mich mit Aufmerksamkeit, als
wollt’ er forschen, ob das was ich sagte
Worte des Dichters, oder meine eignen
Gefühle seyen; ich aber fuhr fort: du hast
das Herz eines Liebhabers in dein Netz
gefangen, wie Seidon. Wir gingen gerne
mit dir um, aber du bist gegen uns, wie
Seidon gegen Amron, abgeneigt und feind-
lich. Er aber antwortete mir mit einiger
bescheidenen Verlegenheit in Versen aus
meinen eignen Gedichten und ich hatte
den Vortheil ihm auf eben die Weise
das allerschönste sagen zu können, und so
lebten wir einige Tage in anmuthigen Un-
terhaltungen. Als aber der Hof sich wie-
27
[416[418]] der zur Reise beschickt und wir willens
waren den Morgen früh aufzubrechen, sagte
einer von unsern Gefährten zu ihm: das
ist Saadi selbst nach dem du gefragt hast.
Der Knabe kam eilend gelaufen, stellte
sich mit aller Ehrerbietung gar freundlich
gegen mir an und wünschte, daſs er mich
doch eher gekannt kätte, und sprach: wa-
rum hast du diese Tage her mir nicht of-
fenbaren und sagen wollen, ich bin Saadi,
damit ich dir gebührende Ehre nach mei-
nem Vermögen anthun und meine Dienste
vor deinen Füſsen demüthigen können.
Aber ich antwortete: indem ich dich an-
sah, kannte ich das Wort, ich bin’s, nicht
aus mir bringen, mein Herz brach auf ge-
gen dir als eine Rose die zu blühen be-
ginnt. Er sprach ferner, ob es denn nicht
möglich wäre daſs ich noch etliche Tage
daselbst verharrte, damit er etwas von
mir in Kunst und Wissenschaft lernen
könnte; aber ich antwortete: es kann
nicht seyn: denn ich sehe hier vortreff-
liche Leute zwischen groſsen Bergen sit-
zen, mir aber gefällt, mich vergnügt nur
eine Höhle in der Welt zu haben und da-
[417[419]] selbst zu verweilen. Und als er mir dar-
auf etwas betrübt vorkam, sprach ich: wa-
rum er sich nicht in die Stadt begebe, wo-
selbst er sein Herz vom Bande der Trau-
rigkeit befreien und fröhlicher leben könn-
te. Er antwortete: da sind zwar viel
schöne und anmuthige Bilder, es ist aber
auch kothig und schlüpfrig in der Stadt,
daſs auch wohl Elephanten gleiten und
fallen könnten. Und so würd’ auch ich,
bei Anschauung böser Exempel, nicht auf
festem Fuſse bleiben. Als wir so gespro-
chen, küſsten wir uns darauf Kopf und
Angesicht und nahmen unsern Abschied.
Da wurde denn wahr was der Dichter
sagt: Liebende sind im Scheiden dem
schönen Apfel gleich; Wange die sich an
Wange drückt wird vor Lust und Leben
roth; die andere hingegen ist bleich wie
Kummer und Krankheit.“
An einem andern Orte erzählt dersel-
bige Dichter:
„In meinen jungen Jahren pflog ich
mit einem Jüngling meines Gleichen auf-
richtige beständige Freundschaft. Sein
Antlitz war meinen Augen die Himmelsre-
27 *
[418[420]] gion, wohin wir uns, im Beten, als zu ei-
nem Magnet wenden. Seine Gesellschaft
war von meines ganzen Lebens-Wandel
und Handel der beste Gewinn. Ich halte
davor, daſs keiner unter den Menschen,
(unter den Engeln möchte es allenfalls
seyn,) auf der Welt gewesen der sich ihm
hätte vergleichen können an Gestalt, Auf-
richtigkeit und Ehre. Nachdem ich sol-
cher Freundschaft genossen, hab’ ich es
verredet und es däucht mir unbillig zu seyn
nach seinem Tode meine Liebe einem an-
dern zuzuwenden. Ohngefähr gerieth sein
Fuſs in die Schlinge seines Verhängnisses,
daſs er schleunigst ins Grab muſste. Ich
habe eine gute Zeit auf seinem Grabe als
ein Wächter gesessen und gelegen und gar
viele Trauerlieder über seinen Tod und
unser Scheiden ausgesprochen, welche mir
und andern noch immer rührend bleiben.“
Buch der Parabeln. Obgleich die
westlichen Nationen vom Reichthum des
Orients sich vieles zugeeignet, so wird
sich doch hier noch manches einzuerndten
[419[421]] finden, welches näher zu bezeichnen wir
folgendes eröffnen.
Die Parabeln sowohl als andere Dicht-
arten des Orients, die sich auf Sittlichkeit
beziehen, kann man in drei verschiedene
Rubriken nicht ungeschickt eintheilen: in
ethische, moralische und ascetische. Die
ersten enthalten Ereignisse und Andeutun-
gen, die sich auf den Menschen überhaupt
und seine Zustände beziehen, ohne daſs
dabey ausgesprochen werde was gut oder
bös sey. Dieses aber wird durch die zwei-
ten vorzüglich herausgesetzt und dem Hö-
rer eine vernünftige Wahl vorbereitet. Die
dritte hingegen fügt noch eine entschiedene
Nöthigung hinzu: die sittliche Anregung
wird Gebot und Gesetz. Diesen läſst sich
eine vierte anfügen, sie stellen die wunder-
baren Führungen und Fügungen dar, die aus
unerforschlichen, unbegreiflichen Rath-
schlüssen Gottes hervor gehen; lehren und
bestätigen den eigentlichen Islam, die un-
bedingte Ergebung in den Willen Gottes,
die Ueberzeugung, daſs niemand seinem
einmal bestimmten Loose ausweichen kön-
ne. Will man noch eine fünfte hinzuthun,
[420[422]] welche man die mystische nennen müſste:
sie treibt den Menschen aus dem vorher-
gehenden Zustand, der noch immer ängst-
lich und drückend bleibt, zur Vereinigung
mit Gott schon in diesem Leben und zur
vorläufigen Entsagung derjenigen Güter,
deren allenfallsiger Verlust uns schmerzen
könnte. Sondert man die verschiedenen
Zwecke bey allen bildlichen Darstellungen
des Orients, so hat man schon viel gewon-
nen, indem man sich sonst in Vermischung
derselben immer gehindert fühlt, bald eine
Nutzanwendung sucht, wo keine ist, dann
aber eine tieferliegende Bedeutung über-
sicht. Auffallende Beyspiele sämmtlicher
Arten zu geben, müſste das Buch der Pa-
rabeln interessant und lehrreich machen.
Wohin die von uns dieſsmal vorgetragenen
zu ordnen seyn möchten, wird dem ein-
sichtigen Leser überlassen.
Buch des Parsen. Nur vielfache
Ableitungen haben den Dichter verhindert
die so abstrakt scheinende und doch so
praktisch eingreifende Sonn- und Feuer-
Verehrung in ihrem ganzen Umfange dich-
terisch darzustellen, wozu der herrlichste
[421[423]] Stoff sich anbietet. Möge ihm gegönnt
seyn, das Versäumte glücklich nachzu-
holen.
Buch des Paradieses. Auch diese
Region des Mahometanischen Glaubens hat
noch viele wunderschöne Plätze, Paradiese
im Paradiese, daſs man sich daselbst gern
ergehen, gern ansiedlen möchte. Scherz
und Ernst verschlingen sich hier so lieb-
lich in einander, und ein verklärtes Alltäg-
liche verleiht uns Flügel zum Höheren und
Höchsten zu gelangen. Und was sollte den
Dichter hindern, Mahomets Wunderpferd
zu besteigen und sich durch alle Himmel
zu schwingen? warum sollte er nicht ehr-
furchtsvoll jene heilige Nacht feyern, wo
der Koran vollständig dem Propheten von
obenher gebracht ward? Hier ist noch gar
Manches zu gewinnen.
[422[424]]
Alt-Testamentliches.
Nachdem ich mir nun mit der süſsen
Hoffnung geschmeichelt sowohl für den
Divan als für die beygefügten Erklärungen
in der Folge noch manches wirken zu kön-
nen, durchlaufe ich die Vorarbeiten, die,
ungenutzt und unausgeführt, in zahllosen
Blättern vor mir liegen; und da find’ ich
denn einen Aufsatz, vor fünf und zwan-
zig Jahren geschrieben, auf noch ältere
Papiere und Studien sich beziehend.
Aus meinen biographischen Versuchen
werden sich Freunde wohl erinnern, daſs
ich dem ersten Buch Mosis viel Zeit und
Aufmerksamkeit gewidmet, und manchen
jugendlichen Tag entlang in den Paradie-
sen des Orients mich ergangen. Aber auch
den folgenden historischen Schriften war
Neigung und Fleiſs zugewendet. Die vier
letzten Bücher Mosis nöthigten zu pünct-
[423[425]] lichen Bemühungen, und nachstehender
Aufsatz enthält die wunderlichen Resultate
derselben. Mag ihm nun an dieser Stelle
ein Platz gegönnt seyn. Denn wie alle
unsere Wanderungen im Orient durch die
heiligen Schriften veranlaſst worden, so
kehren wir immer zu denselben zurück,
als den erquicklichsten, obgleich hie und
da getrübten, in die Erde sich verbergen-
den, sodann aber rein und frisch wieder
hervorspringenden Quellwassern.
Israel in der Wüste.
„Da kam ein neuer König auf in
Egypten, der wuſste nichts von Joseph.“
Wie dem Herrscher so auch dem Volke
war das Andenken seines Wohlthäters ver-
schwunden, den Israeliten selbst scheinen
die Namen ihrer Urväter nur wie alt her-
kömmliche Klänge von weitem zu tönen.
Seit vier hundert Jahren hatte sich die
kleine Familie unglaublich vermehrt. Das
[424[426]] Versprechen, ihrem groſsen Ahnherren von
Gott unter so vielen Unwahrscheinlichkei-
ten gethan, ist erfüllt; allein was hilft es ih-
nen! Gerade diese groſse Zahl macht sie
den Haupteinwohnern des Landes verdäch-
tig. Man sucht sie zu quälen, zu ängsti-
gen, zu belästigen, zu vertilgen, und so
sehr sich auch ihre hartnäckige Natur da-
gegen wehrt, so sehen sie doch ihr gänz-
liches Verderben wohl voraus, als man sie,
ein bisheriges freyes Hirtenvolk, nöthiget
in und an ihren Grenzen mit eignen Hän-
den feste Städte zu bauen, welche offenbar
zu Zwing- und Kerkerplätzen für sie be-
stimmt sind.
Hier fragen wir nun, ehe wir weiter
gehen und uns durch sonderbar, ja unglück-
lich redigirte Bücher mühsam durcharbei-
ten; was wird uns denn als Grund, als
Urstoff von den vier letzten Büchern Mo-
sis übrig bleiben, da wir manches dabey
zu erinnern, manches daraus zu entfernen
für nöthig finden?
Das eigentliche, einzige und tiefste
Thema der Welt- und Menschengeschichte,
dem alle übrigen untergeordnet sind, bleibt
[425[427]] der Conflict des Unglaubens und Glaubens.
Alle Epochen, in welchen der Glaube
herrscht, unter welcher Gestalt er auch
wolle, sind glänzend, herzerhebend und
fruchtbar für Mitwelt und Nachwelt. Alle
Epochen dagegen in welchen der Unglau-
be, in welcher Form es sey, einen küm-
merlichen Sieg behauptet, und wenn sie
auch einen Augenblick mit einem Schein-
glanze prahlen sollten, verschwinden vor
der Nachwelt, weil sich niemand gern mit
Erkenntniſs des Unfruchtbaren abquälen
mag.
Die vier letzten Bücher Mosis haben,
wenn uns das erste den Triumph des Glau-
bens darstellte, den Unglauben zum Thema,
der, auf die kleinlichste Weise, den Glau-
ben, der sich aber freylich auch nicht in
seiner ganzen Fülle zeigt, zwar nicht be-
streitet und bekämpft, jedoch sich ihm von
Schritt zu Schritt in den Weg schiebt, und
oft durch Wohlthaten, öfter aber noch
durch greuliche Strafen nicht geheilt,
nicht ausgerottet, sondern nur augenblick-
lich beschwichtigt wird, und deſshalb
seinen schleichenden Gang dergestalt im-
[426[428]] mer fortsetzt, daſs ein groſses, edles, auf
die herrlichsten Verheiſsungen eines zuver-
lässigen Nationalgottes unternommenes Ge-
schäft gleich in seinem Anfange zu schei-
tern droht, und auch niemals in seiner
ganzen Fülle vollendet werden kann.
Wenn uns das Ungemüthliche dieses
Inhalts, der, wenigstens für den ersten
Anblick, verworrene, durch das Ganze lau-
fende Grundfaden unlustig und verdrieſs-
lich macht, so werden diese Bücher durch
eine höchst traurige, unbegreifliche Redac-
tion ganz ungenieſsbar. Den Gang der
Geschichte sehen wir überall gehemmt
durch eingeschaltete zahllose Gesetze, von
deren gröſstem Theil man die eigentliche
Ursache und Absicht nicht einsehen kann,
wenigstens nicht warum sie in dem Augen-
blick gegeben worden, oder, wenn sie spä-
tern Ursprungs sind, warum sie hier ange-
führt und eingeschaltet werden. Man sieht
nicht ein, warum bey einem so ungeheuren
Feldzuge, dem ohnehin so viel im Wege
stand, man sich recht absichtlich und kleinlich
bemüht, das religiöse Ceremonien-Gepäck
zu vervielfältigen, wodurch jedes Vorwärts-
[427[429]] kommen [unendlich] erschwert werden muſs.
Man begreift nicht, warum Gesetze für
die Zukunft, die noch völlig im Ungewis-
sen schwebt, zu einer Zeit ausgesprochen
werden, wo es jeden Tag, jede Stunde an
Rath und That gebricht, und der Heerfüh-
rer, der auf seinen Füſsen stehen sollte,
sich wiederholt aufs Angesicht wirft, um
Gnaden und Strafen von oben zu erflehen,
die beyde nur verzettelt gereicht werden,
so daſs man mit dem verirrten Volke den
Hauptzweck völlig aus den Augen ver-
liert.
Um mich nun in diesem Labyrinthe
zu finden, gab ich mir die Mühe, sorgfäl-
tig zu sondern, was eigentliche Erzählung
ist, es mochte nun für Historie für Fabel,
oder für beides zusammen, für Poesie gel-
ten. Ich sonderte dieses von dem was ge-
lehret und geboten wird. Unter dem er-
sten verstehe ich das, was allen Ländern,
allen sittlichen Menschen gemäſs seyn
würde, und unter dem zweyten, was das
Volk Israels besonders angeht und verbin-
det. In wiefern mir das gelungen, wage
ich selbst kaum zu beurtheilen, indem ich
[428[430]] gegenwärtig nicht in der Lage bin, jene
Studien nochmals vorzunehmen, sondern
was ich hieraus aufzustellen gedenke, aus
frühere nund späteren Papieren, wie es der
Augenblick erlaubt, zusammentrage. Zwey
Dinge sind es daher, auf die ich die Auf-
merksamkeit meiner Leser zu richten wünsch-
te. Erstlich, auf die Entwickelung der
ganzen Begebenheit dieses wunderlichen
Zugs aus dem Charakter des Feldherrn, der
Anfangs nicht in dem günstigsten Lichte
erscheint, und zweytens auf die Vermu-
thung, daſs der Zug keine vierzig, sondern
kaum zwey Jahre gedauert; wodurch denn
eben der Feldherr, dessen Betragen wir
zuerst tadeln muſsten, wieder gerechtfer-
tigt und zu Ehren gebracht, zugleich aber
auch die Ehre des Nationalgottes gegen
den Unglimpf einer Härte, die noch uner-
freulicher ist als die Halsstarrigkeit eines
Volks, gerettet und beynah in seiner frü-
hern Reinheit wieder hergestellt wird.
Erinnern wir uns nun zuerst des Israe-
litischen Volkes in Aegypten, an dessen
bedrängter Lage die späteste Nachwelt auf-
gerufen ist Theil zu nehmen. Unter diesem
[429[431]] Geschlecht, aus dem gewaltsamen Stamme
Levi, tritt ein gewaltsamer Mann hervor;
lebhaftes Gefühl von Recht und Unrecht
bezeichnen denselben. Würdig seiner grim-
migen Ahnherren erscheint er, von denen
der Stammvater ausruft: „Die Brüder Si-
meon und Levi! ihre Schwerter sind mör-
derische Waffen, meine Seele komme nicht
in ihren Rath und meine Ehre sey nicht
in ihrer Versammlung! denn in ihrem Zorn
haben sie den Mann erwürgt und in ihrem
Muthwillen haben sie den Ochsen verderbt!
Verflucht sey ihr Zorn, daſs er so heftig
ist, und ihr Grimm, daſs er so störrig ist!
Ich will sie zerstreuen in Jakob und zer-
streuen in Israel.“
Völlig nun in solchem Sinne kündigt
sich Moses an. Den Egypter, der einen
Israeliten miſshandelt, erschlägt er heimlich.
Sein patriotischer Meuchelmord wird ent-
deckt und er muſs entfliehen. Wer, eine
solche Handlung begehend, sich als bloſsen
Naturmenschen darstellt, nach dessen Er-
ziehung hat man nicht Ursache zu fragen.
Er sey von einer Fürstin als Knabe begün-
stigt, er sey am Hofe erzogen worden;
[430[432]] nichts hat auf ihn gewirkt; er ist ein treff-
licher, starker Mann geworden, aber unter
allen Verhältnissen roh geblieben. Und als
einen solchen kräftigen, kurz gebundenen,
verschlossenen, der Mittheilung unfähigen
finden wir ihn auch in der Verbannung
wieder. Seine kühne Faust erwirbt ihm
die Neigung eines Midianitischen Fürsten-
priesters, der ihn sogleich mit seiner Fa-
milie verbindet. Nun lernt er die Wüste
kennen, wo er künftig in dem beschwerli-
chen Amte eines Heerführers auftreten soll.
Und nun lasset uns vor allen Dingen
einen Blick auf die Midianiten werfen, un-
ter welchen sich Moses gegenwärtig befin-
det. Wir haben sie als ein groſses Volk
anzuerkennen, das, wie alle nomadischen
und handlenden Völker, durch mannigfaltige
Beschäftigung seiner Stämme, durch eine
bewegliche Ausbreitung, noch gröſser er-
scheint als es ist. Wir finden die Midiani-
ten am Berge Horeb, an der westlichen
Seite des kleinen Meerbusens und sodann
bis gegen Moab und den Arnon. Schon
zeitig fanden wir sie als Handelsleute, die
[431[433]] selbst durch Canaan caravanenweis nach
Aegypten ziehn.
Unter einem solchen gebildeten Volke
lebt nunmehr Moses, aber auch als ein ab-
gesonderter, verschlossener Hirte. In dem
traurigsten Zustande, in welchem ein treff-
licher Mann sich nur befinden mag, der,
nicht zum Denken und Ueberlegen gebo-
ren, bloſs nach That strebt, sehen wir ihn
einsam in der Wüste, stets im Geiste be-
schäftigt mit den Schicksalen seines Volks,
immer zu dem Gott seiner Ahnherren gewen-
det, ängstlich die Verbannung fühlend, aus
einem Lande, das, ohne der Väter Land
zu seyn, doch gegenwärtig das Vaterland
seines Volks ist. Zu schwach durch seine
Faust in diesem groſsen Anliegen zu wir-
ken, unfähig einen Plan zu entwerfen, und,
wenn er ihn entwürfe, ungeschickt zu je-
der Unterhandlung, zu einem, die Persön-
lichkeit begünstigenden, zusammenhangen-
den mündlichen Vortrag. Kein Wunder
wär’ es wenn in solchem Zustande eine so
starke Natur sich selbst verzehrte.
Einigen Trost kann ihm in dieser Lage
die Verbindung geben, die ihm, durch hin
28
[432[434]] und wiederziehende Caravanen, mit den
Seinigen erhalten wird. Nach manchem
Zweifel und Zögern entschlieſst er sich zu-
rückzukehren und des Volkes Retter zu
werden. Aaron, sein Bruder, kommt ihm
entgegen, und nun erfährt er, daſs die
Gährung im Volke aufs höchste gestiegen
sey. Jetzt dürfen es beide Brüder wagen,
sich als Repräsentanten vor den König zu
stellen. Allein dieser zeigt sich nichts we-
niger als geneigt, eine groſse Anzahl Men-
schen, die sich seit Jahrhunderten in sei-
nem Lande, aus einem Hirtenvolk, zum Acker-
bau, zu Handwerken und Künsten gebildet,
sich mit seinen Unterthanen vermischt ha-
ben, und deren ungeschlachte Masse we-
nigstens bey Errichtung ungeheurer Monu-
mente, bey Erbauung neuer Städte und
Festen, frohnweis wohl zu gebrauchen ist,
nunmehr so leicht wieder von sich, und in
ihre alte Selbstständigkeit zurückzulassen.
Das Gesuch wird also abgewiesen, und,
bey einbrechenden Landplagen, immer drin-
gender wiederholt, immer hartnäckiger ver-
sagt. Aber das aufgeregte hebräische Volk,
in Aussicht auf ein Erbland, das ihm eine
[433[435]] uralte Ueberlieferung verhieſs, in Hoffnung
der Unabhängigkeit und Selbstbeherrschung,
erkennt keine weiteren Pflichten. Unter
dem Schein eines allgemeinen Festes lockt
man Gold- und Silbergeschirre den Nach-
barn ab, und in dem Augenblick da der
Aegypter den Israeliten mit harmlosen Gast-
malen beschäftigt glaubt, wird eine umge-
kehrte sicilianische Vesper unternommen;
der Fremde ermordet den Einheimischen,
der Gast den Wirth, und, geleitet durch
eine grausame Politik, erschlägt man nur
den Erstgebornen, um, in einem Lande,
wo die Erstgeburt so viele Rechte genieſst,
den Eigennutz der Nachgebornen zu be-
schäftigen, und der augenblicklichen Rache
durch eine eilige Flucht entgehen zu kön-
nen. Der Kunstgriff gelingt, man stöſst
die Mörder aus, anstatt sie zu bestrafen.
Nur spät versammelt der König sein Heer,
aber die, den Fuſsvölkern sonst so fürch-
terlichen, Reiter und Sichelwagen streiten
auf einem sumpfigen Boden einen unglei-
chen Kampf mit dem leichten und leicht
bewaffneten Nachtrab; wahrscheinlich mit
demselben entschlossenen, kühnen Haufen,
28 *
[434[436]] der sich bey dem Wagestück des allgemei-
nen Mordes schon vorgeübt, und den wir
in der Folge an seinen grausamen Thaten
wieder zu erkennen, und zu bezeichnen,
nicht verfehlen dürfen.
Ein so zu Angriff und Vertheidigung
wohlgerüsteter Heeres- und Volkszug konn-
te mehr als einen Weg in das Land der
Verheiſsung wählen; der erste am Meere
her, über Gaza, war kein Karavanenweg
und mochte, wegen der wohlgerüsteten,
kriegerischen Einwohner, gefährlich wer-
den; der zweyte, obgleich weiter, schien
mehr Sicherheit und mehr Vortheile anzu-
bieten. Er ging an dem rothen Meere hin
bis zum Sinai, von hier an konnte man
wieder zweyerley Richtung nehmen. Die
erste, die zunächst zum Ziel führte, zog
sich am kleinen Meerbusen hin durch das
Land der Midianiter und der Moabiter zum
Jordan; die zweyte, quer durch die Wüste,
wies auf Kades; in jenem Falle blieb das
Land Edom links, hier rechts. Jenen er-
sten Weg hatte sich Moses wahrscheinlich
vorgenommen, den zweyten hingegen ein-
zulenken scheint er durch die klugen Mi-
[435[437]] dianiter verleitet zu seyn, wie wir zu-
nächst wahrscheinlich zu machen gedenken,
wenn wir vorher von der düsteren Stim-
mung gesprochen haben, in die uns die
Darstellung der, diesen Zug begleitenden,
äuſseren Umstände versetzt.
Der heitere Nachthimmel, von unend-
lichen Sternen glühend, auf welchen Abra-
ham von seinem Gott hingewiesen worden,
breitet nicht mehr sein goldenes Gezelt
über uns aus; anstatt jenen heiteren Him-
melslichtern zu gleichen, bewegt sich ein
unzählbares Volk, miſsmuthig in einer trau-
rigen Wüste. Alle fröhlichen Phänomene
sind verschwunden, nur Feuerflammen er-
scheinen an allen Ecken und Enden. Der
Herr, der aus einem brennenden Busche
Mosen berufen hatte, zieht nun vor der
Masse her, in einem trüben Gluthqualm,
den man Tags für eine Wolkensäule, Nachts
als ein Feuermeteor ansprechen kann. Aus
dem umwölkten Gipfel Sinai’s schrecken
Blitz und Donner, und bey gering schei-
nenden Vergehen brechen Flammen aus dem
Boden und verzehren die Enden des Lagers.
Speise und Trank ermangeln immer aufs
[436[438]] neue und der unmuthige Volkswunsch nach
Rückkehr wird nur bänglicher, je weniger
ihr Führer sich gründlich zu helfen weiſs.
Schon zeitig, ehe noch der Heereszug
an den Sinai gelangt, kommt Jethro sei-
nem Schwiegersohn entgegen, bringt ihm
Tochter und Enkel, die zur Zeit der Noth
im Vaterzelte verwahrt gewesen, und be-
weis’t sich als einen klugen Mann. Ein
Volk wie die Midianiter, das frey seiner
Bestimmung nachgeht, und seine Kräfte in
Uebung zu setzen Gelegenheit findet, muſs
gebildeter seyn als ein solches, das, unter
fremdem Joche, in ewigem Widerstreit mit
sich selbst und den Umständen lebt; und
wie viel höherer Ansichten muſste ein Füh-
rer jenes Volkes fähig seyn, als ein trüb-
sinniger, in sich selbst verschlossener, recht-
schaffener Mann, der sich zwar zum Thun
und Herrschen geboren fühlt, dem aber
die Natur zu solchem gefährlichen Hand-
werke die Werkzeuge versagt hat.
Moses honnte sich zu dem Begriff nicht
erheben, daſs ein Herrscher nicht überall
gegenwärtig seyn, nicht alles selbst thun
müsse; im Gegentheil machte er sich durch
[437[439]] persönliches Wirken seine Amtsführung
höchst sauer und beschwerlich. Jethro giebt
ihm erst darüber Licht, und hilft ihm das
Volk organisiren und Unter-Obrigkeiten
bestellen; worauf er freylich selbst hätte
fallen sollen.
Allein nicht bloſs das Beste seines
Schwähers und der Israeliten mag Jethro
bedacht, sondern auch sein eigenes und der
Midianiten Wohl erwägt haben. Ihm kommt
Moses, den er ehemals als Flüchtling auf-
genommen, den er unter seine Diener, un-
ter seine Knechte noch vor kurzem gezählt,
nun entgegen, an der Spitze einer groſsen
Volksmasse, die, ihren alten Sitz verlas-
send, neuen Boden aufsucht und überall,
wo sie sich hinlenkt, Furcht und Schre-
cken verbreitet.
Nun konnte dem einsichtigen Manne
nicht verborgen bleiben, daſs der nächste
Weg der Kinder Israel durch die Besitzun-
gen der Midianiter gehe, daſs dieser Zug
überall den Heerden seines Volkes begeg-
nen, dessen Ansiedelungen berühren, ja auf
dessen schon wohleingerichteten Städte tref-
fen würde. Die Grundsätze eines derge-
[438[440]] stalt auswandernden Volks sind kein Ge-
heimniſs, sie ruhen auf dem Eroberungs-
rechte. Es zieht nicht ohne Widerstand,
und in jedem Widerstand sieht es Unrecht;
wer das Seinige vertheidigt ist ein Feind,
den man ohne Schonung vertilgen kann.
Es brauchte keinen auſserordentlichen
Blick um das Schicksal zu übersehen, dem
die Völker ausgesetzt seyn würden über
die sich eine solche Heuschrecken-Wolke
herabwälzte. Hieraus geht nun die Ver-
muthung zunächst hervor, daſs Jethro sei-
nem Schwiegersohn den geraden und besten
Weg verleidet, und ihn dagegen zu dem
Wege quer durch die Wüste beredet; wel-
che Ansicht dadurch mehr bestärkt wird,
daſs Hobab nicht von der Seite seines
Schwagers weicht, bis er ihn den angera-
thenen Weg einschlagen sieht, ja ihn so-
gar noch weiter begleitet, um den ganzen
Zug von den Wohnorten der Midianiter
desto sicherer abzulenken.
Vom Ausgange aus Egypten an gerech-
net erst im vierzehnten Monat, geschah
der Aufbruch von dem wir sprechen. Das
Volk bezeichnete unterwegs einen Ort, wo
[439[441]] es wegen Lüsternheit groſse Plage erlitten,
durch den Namen Gelüstgräber, dann
zogen sie gen Hazaroth, und lagerten
sich ferner in der Wüste Paran. Dieser
zurückgelegte Weg bleibt unbezweifelt. Sie
waren nun schon nah an dem Ziel ihrer
Reise, nur stand ihnen das Gebirg entge-
gen, wodurch das Land Canaan von der
Wüste getrennt wird. Man beschloſs Kund-
schafter auszuschicken und rückte indessen
weiter vor bis Kades. Hierhin kehrten
die Botschafter zurück, brachten Nachrich-
ten von der Vortrefflichkeit des Landes,
aber leider auch von der Furchtbarkeit der
Einwohner. Hier entstand nun abermals
ein trauriger Zwiespalt und der Wettstreit
von Glauben und Unglauben begann aufs
neue.
Unglücklicher Weise hatte Moses noch
weniger Feldherren- als Regententalente.
Schon während des Streites gegen die Ama-
lekiter begab er sich auf den Berg um zu
beten, mittlerweile Josua an der Spitze des
Heers den lange hin- und wieder schwan-
kenden Sieg endlich dem Feinde abgewann.
Nun zu Kades befand man sich wieder in
[440[442]] einer zweydeutigen Lage. Josua und Ka-
leb, die beherztesten unter den zwölf Ab-
gesandten, rathen zum Angriff, rufen auf,
getrauen sich das Land zu gewinnen. In-
dessen wird durch übertriebene Beschrei-
bung von bewaffneten Riesen-Geschlech-
tern allenthalben Furcht und Schrecken er-
regt; das verschüchterte Heer weigert sich
hinauf zu rücken. Moses weiſs sich wie-
der nicht zu helfen, erst fordert er sie auf,
dann scheint auch ihm ein Angriff von die-
ser Seite gefährlich. Er schlägt vor nach
Osten zu ziehen. Hier mochte nun einem
biedern Theil des Heeres gar zu unwürdig
scheinen, solch einen ernstlichen, mühsam
verfolgten Plan, auf diesem ersehnten Punct,
aufzugeben. Sie rotten sich zusammen und
ziehen wirklich das Gebirg hinauf. Moses
aber bleibt zurück, das Heiligthum setzt
sich nicht in Bewegung, daher ziemt es
weder Josua noch Kaleb sich an die Spitze
der Kühneren zu stellen. Genug! der nicht
unterstützte, eigenmächtige Vortrab wird
geschlagen, Ungeduld vermehrt sich. Der
so oft schon ausgebrochene Unmuth des
Volkes, die mehreren Meutereyen, an de-
[441[443]] nen sogar Aaron und Myriane Theil ge-
nommen, brechen aufs neue desto lebhafter
aus, und geben abermals ein Zeugniſs, wie
wenig Moses seinem groſsen Berufe ge-
wachsen war. Es ist schon an sich keine
Frage, wird aber durch das Zeugniſs Kalebs
unwiderruflich bestätigt, daſs an dieser
Stelle möglich, ja unerläſslich gewesen ins
Land Canaan einzudringen, Hebron, den
Hain Mamre in Besitz zu nehmen, das
heilige Grab Abrahams zu erobern und sich
dadurch einen Ziel-Stütz- und Mittelpunct
für das ganze Unternehmen zu verschaffen.
Welcher Nachtheil muſste dagegen dem
unglücklichen Volk entspringen, wenn man
den bisher befolgten, von Jethro zwar nicht
ganz uneigennützig, aber doch nicht ganz
verrätherisch vorgeschlagenen Plan auf ein-
mal so freventlich aufzugeben, beschloſs.
Das zweyte Jahr, von dem Auszuge
aus Egypten an gerechnet, war noch nicht
vorüber und man hätte sich vor Ende des-
selben, obgleich noch immer spät genug,
im Besitz des schönsten Theils des erwünsch-
ten Landes gesehen; allein die Bewohner,
aufmerksam, hatten den Riegel vorgescho-
[442[444]] ben, und wohin nun sich wenden? Man
war nordwärts weit genug vorgerückt, und
nun sollte man wieder ostwärts ziehen um
jenen Weg endlich einzuschlagen, den man
gleich anfangs hätte nehmen sollen. Allein
gerade hier in Osten lag das von Gebirgen
umgebene Land Edom vor, man wollte
sich einen Durchzug erbitten, die klügeren
Edomiter schlugen ihn rund ab. Sich durch-
zufechten war nicht räthlich, man muſste
sich also zu einem Umweg, bey dem man
die edomitischen Gebirge links lieſs, be-
quemen, und hier ging die Reise im Gan-
zen ohne Schwierigkeit von Statten, denn
es bedurfte nur wenige Stationen Oboth,
Iiim, um an den Bach Sared, den
ersten der seine Wasser ins todte Meer
gieſst, und ferner an den Arnon zu gelan-
gen. Indessen war Miriam verschieden,
Aaron verschwunden, kurz nachdem sie sich
gegen Mosen aufgelehnt hatten.
Vom Bache Arnon an ging alles noch
glücklicher wie bisher. Das Volk sah sich
zum zweitenmale nah am Ziele seiner Wün-
sche, in einer Gegend die wenig Hinder-
nisse entgegensetzte; hier konnte man in
[443[445]] Masse vordringen, und die Völker, welche
den Durchzug verweigerten überwinden,
verderben und vertreiben. Man schritt
weiter vor, und so wurden Midianiter,
Moabiter, Amoriter in ihren schönsten Be-
sitzungen angegriffen, ja die ersten sogar,
was Jethro vorsichtig abzuwenden gedachte,
vertilgt, das linke Ufer des Jordans wurde
genommen und einigen ungeduldigen Stäm-
men Ansiedelung erlaubt, unterdessen man
abermals, auf hergebrachte Weise, Gesetze
gab, Anordnungen machte und den Jordan
zu überschreiten zögerte. Unter diesen Ver-
handlungen verschwand Moses selbst, wie
Aaron verschwunden war, und wir müſsten
uns sehr irren, wenn nicht Josua und Ka-
leb die seit einigen Jahren ertragene Re-
gentschaft eines beschränkten Mannes zu
endigen, und ihn so vielen Unglücklichen,
die er vorausgeschickt, nachzusenden für
gut gefunden hätten; um der Sache ein
Ende zu machen und mit Ernst sich in den
Besitz des ganzen rechten Jordanufers und
des darin gelegenen Landes zu setzen.
Man wird der Darstellung, wie sie hier
gegeben ist, wohl gerne zugestehen, daſs
[444[446]] sie uns den Fortschritt eines wichtigen Un-
ternehmens so rasch als consequent vor
die Seele bringt; aber man wird ihr nicht
sogleich Zutrauen und Beyfall schenken,
weil sie jenen Heereszug, den der ausdrück-
liche Buchstabe der heiligen Schrift auf
sehr viele Jahre hinausdehnt, in kurzer Zeit
vollbringen läſst. Wir müssen daher un-
sere Gründe angeben, wodurch wir uns zu
einer so groſsen Abweichung berechtigt
glauben, und dieſs kann nicht besser ge-
schehen, als wenn wir über die Erdfläche,
welche jene Volksmasse zu durchziehen
hatte, und über die Zeit, welche jede Ca-
ravane zu einem solchen Zuge bedürfen
würde, unsere Betrachtungen anstellen und
zugleich was uns in diesem besonderen Falle
überliefert ist, gegen einander halten und
erwägen.
Wir übergehen den Zug vom rothen
Meer bis an den Sinai, wir lassen ferner
alles, was in der Gegend des Berges vor-
gegangen, auf sich beruhen, und bemerken
nur, daſs die groſse Volksmasse am zwan-
zigsten Tage des zweyten Monats, im zwey-
ten Jahr der Auswanderung aus Egypten,
[445[447]] vom Fuſse des Sinai aufgebrochen. Von
da bis zur Wüste Paran hatten sie keine
vierzig Meilen, die eine beladene Caravane
in fünf Tagen bequem zurücklegt. Man
gebe der ganzen Colonne Zeit um jedes-
mal heranzukommen, genugsame Rasttage,
man setze anderen Aufenthalt, genug sie
konnten auf alle Fälle in der Gegend ihrer
Bestimmung in zwölf Tagen ankommen,
welches denn auch mit der Bibel und der
gewöhnlichen Meynung übereintrifft. Hier
werden die Botschafter ausgeschickt, die
ganze Volksmasse rückt nur um weniges
weiter vor bis Kades, wohin die Abgesen-
deten nach vierzig Tagen zurückkehren,
worauf denn sogleich, nach schlecht aus-
gefallenem Kriegsversuch, die Unterhand-
lung mit den Edomitern unternommen wird.
Man gebe dieser Negotiation so viel Zeit
als man will, so wird man sie nicht wohl
über dreiſsig Tage ausdehnen dürfen.
Die Edomiter schlagen den Durchzug rein
ab, und für Israel war es keineswegs räth-
lich in einer so sehr gefährlichen Lage
lange zu verweilen: denn wenn die Cana-
niter mit den Edomitern einverstanden, jene
[446[448]] von Norden, diese von Osten, aus ihren
Gebirgen hervorgebrochen wären, so hätte
Israel einen schlimmen Stand gehabt.
Auch macht hier die Geschichtserzäh-
lung keine Pause, sondern der Entschluſs
wird gleich gefaſst um das Gebirge Edom
herum zu ziehen. Nun beträgt der Zug
um das Gebirge Edom, erst nach Süden,
dann nach Norden gerichtet, bis an den
Fluſs Arnon abermals keine vierzig Meilen,
welche also in fünf Tagen zurückzulegen
gewesen wären. Summirt man nun auch
jene vierzig Tage, in welchen sie den Tod
Aarons betrauert hinzu, so behalten wir
immer noch sechs Monate des zweyten Jahrs
für jede Art von Retardation und Zaudern
und zu denen Zügen übrig, welche die
Kinder Israel glücklich bis an den Jordan
bringen sollen. Wo kommen aber denn die
übrigen achtunddreiſsig Jahre hin?
Diese haben den Auslegern viel Mühe
gemacht, so wie die einundvierzig Statio-
nen, unter denen funfzehn sind von wel-
chen die Geschichtserzählung nichts meldet,
die aber, in dem Verzeichnisse eingeschal-
tet, den Geographen viel Pein verursacht
[447[449]] haben. Nun stehen die eingeschobenen Sta-
tionen mit den überschüssigen Jahren in
glücklich fabelbaftem Verhältniſs; denn
sechzehn Orte, von denen man nichts
weiſs, und achtunddreyſsig Jahre, von de-
nen man nichts erfährt, geben die beste
Gelegenheit, sich mit den Kindern Israel in
der Wüste zu verirren.
Wir setzen die Stationen der Geschichts-
erzählung, welche durch Begebenheiten
merkwürdig geworden, den Stationen des
Verzeichnisses entgegen, wo man dann die
leeren Orts-Namen sehr wohl von denen
unterscheiden wird, welchen ein historischer
Gehalt inwohnt.
Stationen der Kinder Israel in der Wüste.
| Geschichtserzählung nach dem II. III. IV. V. Buch Mose. | Stationen-Verzeichniſs nach dem IV. Buch Mose 33. Capitel. |
| Raemses. | |
| Suchoth. | |
| Etham. | |
| Hahiroth. |
|
| durchs Meer. |
[448[450]]
| Mara, Wüste Sur. | Mara, Wüste Etham. |
| Elim. | Elim. 12 Brunnen. |
| Am Meer. | |
| Wüste Sin. | Wüste Sin. |
| Daphka. | |
| Alus. | |
| Raphidim. | Raphidim. |
| Wüste Sinai. | Wüste Sinai. |
| Lustgräber. | Lustgräber. |
| Hazeroth. | Hazeroth. |
| Rithma. | |
| Kades in Paran. | Rimmon Perez. |
| Libna. | |
| Rissa. | |
| Kehelata. | |
| Gebirg Sapher. | |
| Harada. | |
| Makeheleth. | |
| Tabath. | |
| Tharah. | |
| Mithka. | |
| Hasmona. | |
| Moseroth. | |
| Bnejaekon. | |
| Harpidad. | |
| Talhbatha. |
| Abrona. | |
| Ezeongaber. | |
| Kades, Wüste Zin. | Kades, Wüste Zin. |
| Berg Hor, Gränze Edom. | Berg Hor, Gränze Edom. |
| Zalmona. | |
| Phunon. | |
| Oboth. | Oboth. |
| Ijim. | |
| Diban Gad. | |
| Almon Diblathaim. | |
| Gebirg Abarim. | Gebirg Abarim, Nebo. |
| Bach Sared. | |
| Arnon disseits. | |
| Mathana. | |
| Nahaliel. | |
| Bamoth. | |
| Berg Pispa. | |
| Jahzah. | |
| Hesbon. | |
| Sihan. | |
| Basan. | |
| Gefild der Moabiter am Jordan. | Gefild der Moabiter am Jordan. |
Worauf wir nun aber vor allen Dingen
merken müssen, ist, daſs uns die Geschichte
29 *
[450[452]] gleich von Hazeroth nach Kades führt,
das Verzeichniſs aber hinter Hazeroth das
Kades ausläſst und es erst nach der einge-
schobenen Namenreihe hinter Ezeon-Gaber
aufführt, und dadurch die Wüste Zin mit
dem kleinen Arm des Arabischen Meerbu-
sens in Berührung bringt. Hieran sind die
Ausleger höchst irre geworden, indem ei-
nige zwey Kades, andere hingegen, und
zwar die meisten, nur eines annehmen,
welche letztere Meynung wohl keinen Zwei-
fel zuläſst.
Die Geschichtserzählung, wie wir sie
sorgfältig von allen Einschiebseln getrennt
haben, spricht von einem Kades in der
Wüste Paran, und gleich darauf von einem
Kades in der Wüste Zin; von dem ersten
werden die Botschafter weggeschickt und
von dem zweyten zieht die ganze Masse
weg, nachdem die Edomiter den Durch-
zug durch ihr Land verweigern. Hieraus
geht von selbst hervor, daſs es ein und
eben derselbe Ort ist; denn der vorgehabte
Zug durch Edom war eine Folge des fehl-
geschlagenen Versuchs von dieser Seite in
das Land Canaan einzudringen, und so viel
[451[453]] ist noch aus anderen Stellen deutlich, daſs
die beyden öfters genannten Wüsten an
einander stoſsen, Zin nördlicher, Paran
südlicher lag, und Kades in einer Oase als
Rastplatz zwischen beyden Wüsten gelegen
war.
Niemals wäre man auch auf den Ge-
danken gekommen sich zwey Kades einzu-
bilden, wenn man nicht in der Verlegen-
heit gewesen wäre, die Kinder Israel lange
genug in der Wüste herumzuführen. Die-
jenigen jedoch, welche nur Ein Kades an-
nehmen und dabey von dem vierzigjährigen
Zug und den eingeschalteten Stationen Re-
chenschaft geben wollen, sind noch übler
dran, besonders wissen sie, wenn sie den
Zug auf der Charte darstellen wollen, sich
nicht wunderlich genug zu gebährden, um
das Unmögliche anschaulich zu machen.
Denn freylich ist das Auge ein besserer
Richter des Unschicklichen, als der innere
Sinn. Sanson schiebt die vierzehn un-
ächten Stationen zwischen den Sinai und
Kades. Hier kann er nicht genug Zick-
zacks auf seine Charte zeichnen, und doch
beträgt jede Station nur zwey Meilen, eine
[452[454]] Strecke die nicht einmal hinreicht, daſs sich
ein solcher ungeheurer Heerwurm in Be-
wegung setzen könnte.
Wie bevölkert und bebaut muſs nicht
diese Wüste seyn, wo man alle zwey Mei-
len, wo nicht Städte und Ortschaften, doch
mit Namen bezeichnete Ruheplätze findet?
Welcher Vortheil für den Heerführer und
sein Volk! Dieser Reichthum der inneren
Wüste aber wird dem Geographen bald
verderblich. Er findet von Kades nur fünf
Stationen bis Ezeongaber, und auf dem
Rückwege nach Kades, wohin er sie doch
bringen muſs, unglücklicherweise gar keine;
er legt daher einige seltsame, und selbst
in jener Liste nicht genannte Städte dem
reisenden Volk in den Weg, so wie man
ehemals die geographische Leerheit mit
Elephanten zudeckte. Kalmet sucht sich
aus der Noth, durch wunderliche Kreuz-
und Querzüge zu helfen, setzt einen Theil
der überflüssigen Orte gegen das mittellän-
dische Meer zu, macht Hazeroth und Mo-
seroth zu Einem Orte, und bringt, durch
die seltsamsten Irrsprünge, seine Leute end-
lich an den Arnon. Well, der zwey Ka-
[453[455]] des annimmt, verzerrt die Lage des Lan-
des über die Maſsen. Bey Nolin tanzt
die Caravane eine Polonaise, wodurch sie
wieder ans rothe Meer gelangt und den
Sinai nordwärts im Rücken hat. Es ist
nicht möglich weniger Einbildungskraft,
Anschauen, Genauigkeit und Urtheil zu zei-
gen, als diese frommen, wohldenkenden
Männer.
Die Sache aber aufs genauste betrach-
tet, wird es höchst wahrscheinlich, daſs
das überflüssige Stationen-Verzeichniſs zu
Rettung der problematischen vierzig Jahre
eingeschoben werden. Denn in dem Texte,
welchem wir bey unserer Erzählung genau
folgen, steht: daſs das Volk, da es von
den Cananitern geschlagen, und ihm der
Durchzug durchs Land Edom versagt wor-
den, auf dem Wege zum Schilfmeer, ge-
gen Ezeongaber, der Edomiter Land um-
zogen. Daraus ist der Irrthum entstanden,
daſs sie wirklich an’s Schilfmeer nach Ezeon-
gaber, das wahrscheinlich damals noch nicht
existirte, gekommen, obgleich der Text
von dem Umziehen des Gebirges Seir auf
genannter Straſse spricht, so wie man sagt
[454[456]] der Fuhrmann fährt die Leipziger Straſse,
ohne daſs er deſshalb nothwendig nach
Leipzig fahren müsse. Haben wir nun die
überflüssigen Stationen bey Seite gebracht,
so möchte es uns ja wohl auch mit den
überflüssigen Jahren gelingen. Wir wissen
daſs die alttestamentliche Chronologie künst-
lich ist, daſs sich die ganze Zeitrechnung
in bestimmte Kreise von neunundvierzig
Jahren auflösen läſst, und daſs also diese
mystischen Epochen herauszubringen man-
che historische Zahlen müssen verändert
worden seyn. Und wo lieſsen sich sechs
bis achtunddreiſsig Jahre die etwa in ei-
nem Cyklus fehlten, bequemer einschieben,
als in jene Epoche, die so sehr im Dun-
keln lag, und die auf einem wüsten unbe-
kannten Flecke sollte zugebracht worden
seyn.
Ohne daher an die Chronologie, das
schwierigste aller Studien, nur irgend zu
rühren, so wollen wir den poetischen Theil
derselben hier zu Gunsten unserer Hypo-
these kürzlich in Betracht ziehen.
Mehrere runde, heilig, symbolisch,
poetisch zu nennende Zahlen kommen in
[455[457]] der Bibel so wie in anderen alterthümli-
chen Schriften vor. Die Zahl Sieben scheint
dem Schaffen, Wirken und Thun, die Zahl
Vierzig hingegen dem Beschauen, Erwar-
ten, vorzüglich aber der Absonderung ge-
widmet zu seyn. Die Sündfluth, welche
Noah und die Seinen von aller übrigen
Welt abtrennen sollte, nimmt vierzig Tage
zu; nachdem die Gewässer genugsam ge-
standen, verlaufen sie während vierzig Ta-
gen, und so lange noch hält Noah den
Schalter der Arche verschlossen. Gleiche
Zeit verweilt Moses zweymal auf Sinai,
abgesondert von dem Volke; die Kund-
schafter bleiben eben so lange in Canaan,
und so soll denn auch das ganze Volk durch
so viel mühselige Jahre abgesondert von
allen Völkern, gleichen Zeitraum bestätigt
und geheiligt haben. Ja ins neue Testa-
ment geht die Bedeutung dieser Zahl in
ihrem vollen Werth hinüber; Christus bleibt
vierzig Tage in der Wüste um den Versu-
cher abzuwarten.
Wäre uns nun gelungen die Wande-
rung der Kinder Israel vom Sinai, bis an
den Jordan in einer kürzeren Zeit zu voll-
[456[458]] bringen, ob wir gleich hiebey schon viel
zu viel auf ein schwankendes, unwahr-
scheinliches Retardiren Rücksicht genom-
men; hätten wir uns so vieler fruchtlo-
sen Jahre, so vieler unfruchtbaren Sta-
tionen entledigt, so würde sogleich der
groſse Heerführer, gegen das was wir an
ihm zu erinnern gehabt, in seinem ganzen
Werthe wieder hergestellt. Auch würde
die Art wie in diesen Büchern Gott er-
scheint uns nicht mehr so drückend seyn
als bisher, wo er sich durchaus grauenvoll
und schrecklich erzeigt; da schon wieder
im Buch Josua und der Richter, sogar auch
weiter hin, ein reineres patriarchalisches
Wesen wieder hervortritt und der Gott
Abrahams nach wie vor den Seinen freund-
lich erscheint, wenn uns der Gott Mosis
eine Zeitlang mit Grauen und Abscheu er-
füllt hat. Uns hierüber aufzuklären spre-
chen wir aus: wie der Mann so auch sein
Gott. Daher also von dem Charakter Mo-
sis noch einige Schluſsworte!
Ihr habt, könnte man uns zurufen, in
dem Vorhergehenden mit allzu groſser Ver-
wegenheit einem auſserordentlichen Manne
[457[459]] diejenigen Eigenschaften abgesprochen, die
bisher höchlich an ihm bewundert wurden,
die Eigenschaften des Regenten und Heer-
führers. Was aber zeichnet ihn denn aus?
wodurch legitimirt er sich zu einem so
wichtigen Beruf? Was giebt ihm die Kühn-
heit sich, trotz innerer und äuſserer Un-
gunst, zu einem solchen Geschäfte hinzu-
drängen, wenn ihm jene Haupterforder-
nisse, jene unerläſslichen Talente fehlen,
die ihr ihm mit unerhörter Frechheit ab-
sprecht? Hierauf lasse man uns antwor-
ten: Nicht die Talente, nicht das Geschick
zu diesem oder jenem machen eigentlich
den Mann der That, die Persönlichkeit
ist’s von der in solchen Fällen alles ab-
hängt. Der Charakter ruht auf der Per-
sönlichkeit, nicht auf den Talenten. Ta-
lente können sich zum Charakter gesellen,
er gesellt sich nicht zu ihnen: denn ihm
ist alles entbehrlich auſser er selbst. Und
so gestehen wir gern, daſs uns die Persön-
lichkeit Mosis, von dem ersten Meuchel-
mord an, durch alle Grausamkeiten durch,
bis zum Verschwinden, ein höchst bedeu-
tendes und würdiges Bild giebt, von einem
[458[460]] Manne, der durch seine Natur zum Gröſs-
ten getrieben ist. Aber freylich wird ein
solches Bild ganz entstellt, wenn wir einen
kräftigen, kurz gebundenen, raschen That-
mann, vierzig Jahre ohne Sinn und Noth,
mit einer ungeheuren Volksmasse, auf ei-
nem so kleinen Raum, im Angesicht seines
groſsen Zieles, herum taumeln sehen. Bloſs
durch die Verkürzung des Wegs und der
Zeit, die er darauf zugebracht, haben wir
alles Böse, was wir von ihm zu sagen ge-
wagt, wieder ausgeglichen und ihn an seine
rechte Stelle gehoben.
Und so bleibt uns nichts mehr übrig,
als dasjenige zu wiederholen, womit wir
unsere Betrachtungen begonnen haben. Kein
Schade geschieht den heiligen Schriften,
so wenig als jeder anderen Ueberlieferung,
wenn wir sie mit critischem Sinne behan-
deln, wenn wir aufdecken, worin sie sich
widerspricht, und wie oft das Ursprüngli-
che, Bessere, durch nachherige Zusätze,
Einschaltungen und Accommodationen ver-
deckt, ja entstellt worden. Der innerliche,
eigentliche Ur- und Grundwerth geht nur
desto lebhafter und reiner hervor, und die-
[459[461]] ser ist es auch, nach welchem jedermann,
bewuſst oder bewuſstlos, hinblickt, hin-
greift, sich daran erbaut und alles übrige,
wo nicht wegwirft, doch fallen oder auf
sich beruhen läſst.
Summarische Wiederholung.
Zweytes Jahr des Zugs.
- Verweilt am Sinai ‒ ‒ Monat 1 Tage 20
- Reise bis Kades ‒ ‒ — ‒ — 5
- Rasttage ‒ ‒ ‒ ‒ — ‒ — 5
- Aufenthalt weg. Myriams Krankheit — ‒ — 7
- Auſsenbleiben der Kundschafter — ‒ — 40
- Unterhandlung mit den Edomitern — ‒ — 30
- Reise an den Arnon ‒ ‒ — ‒ — 5
- Rasttage ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ — ‒ — 5
- Trauer um Aaron ‒ ‒ ‒ — ‒ — 40
- Tage 157
Zusammen also sechs Monate. Woraus
deutlich erhellt, daſs der Zug, man rechne
auf Zaudern und Stockungen, Widerstand
so viel man will, vor Ende des zweyten
Jahrs gar wohl an den Jordan gelangen
konnte.
[460[462]]
Nähere Hülfsmittel.
Wenn uns die heiligen Schriften uran-
fängliche Zustände und die allmälige Ent-
wickelung einer bedeutenden Nation verge-
genwärtigen; Männer aber, wie Michae-
lis, Eichhorn, Paulus, Heeren,
noch mehr Natur und Unmittelbarkeit in
jenen Ueberlieferungen aufweisen als wir
selbst hätten entdecken können; so ziehen
wir, was die neuere und neuste Zeit an-
geht, die gröſsten Vortheile aus Reisebe-
schreibungen und andern dergleichen Docu-
menten, die uns mehrere, nach Osten vor-
dringende Westländer, nicht ohne Mühse-
ligkeit, Genuſs und Gefahr, nach Hause
gebracht und zu herrlicher Belehrung mit-
getheilt haben. Hievon berühren wir nur
einige Männer, durch deren Augen wir
jene weit entfernten, höchst fremdartigen
Gegenstände zu betrachten, seit vielen Jah-
ren beschäftigt gewesen.
[461[463]]
Wallfahrten und Kreuzzüge.
Deren zahllose Beschreibungen beleh-
ren zwar auch in ihrer Art; doch verwir-
ren sie über den eigentlichsten Zustand des
Orients mehr unsere Einbildungskraft, als
daſs sie ihr zur Hülfe kämen. Die Ein-
seitigkeit der christlich-feindlichen Ansicht
beschränkt uns durch ihre Beschränkung,
die sich in der neuern Zeit nur einigerma-
ſsen erweitert, als wir nunmehr jene Kriegs-
ereignisse durch orientalische Schriftsteller
nach und nach kennen lernen. Indessen
bleiben wir allen aufgeregten Wall- und
Kreuzfahrern zu Dank verpflichtet, da wir
ihren religiosen Enthusiasmus, ihrem kräf-
tigen, unermüdlichen Widerstreit gegen öst-
liches Zudringen doch eigentlich Beschü-
tzung und Erhaltung der gebildeten euro-
päischen Zustände schuldig geworden.
[462[464]]
Marco Polo.
Dieser vorzügliche Mann steht aller-
dings oben an. Seine Reise fällt in die
zweyte Hälfte des dreyzehnten Jahrhun-
derts; er gelangt bis in den fernsten Osten,
führt uns in die fremdartigsten Verhältnis-
se, worüber wir, da sie beynahe fabelhaft
aussehen, in Verwunderung, in Erstaunen
gerathen. Gelangen wir aber auch nicht
sogleich über das Einzelne zur Deutlich-
keit, so ist doch der gedrängte Vortrag die-
ses weitausgreifenden Wanderers höchst ge-
schickt das Gefühl des Unendlichen, Unge-
heuren in uns aufzuregen. Wir befinden
uns an dem Hof des Kublai Chan, der, als
Nachfolger von Gengis, grenzenlose Land-
strecken beherrschte. Denn was soll man
von einem Reiche und dessen Ausdehnung
halten, wo es unter andern heiſst: „Per-
sien ist eine groſse Provinz, die aus neun
Königreichen besteht;“ und nach einem
[463[465]] solchen Maſsstab wird alles übrige gemes-
sen. So die Residenz, im Norden von Chi-
na, unübersehbar; das Schloſs des Chans,
eine Stadt in der Stadt; daselbst aufgebäufte
Schätze und Waffen; Beamte, Soldaten und
Hofleute unzählbar; zu wiederholten Fest-
mahlen jeder mit seiner Gattin berufen.
Eben so ein Landaufenthalt! Einrichtung
zu allem Vergnügen, besonders ein Heer
von Jägern, und eine Jagdlust in der gröſs-
ten Ausbreitung. Gezähmte Leoparden, ab-
gerichtete Falken, die thätigsten Gehülfen
der Jagenden, zahllose Beute gehäuft. Da-
bey das ganze Jahr Geschenke ausgespendet
und empfangen. Gold und Silber; Juwe-
len, Perlen, alle Arten von Kostbarkeiten
im Besitz des Fürsten und seiner Begün-
stigten; indessen sich die übrigen Millionen
von Unterthanen wechselseitig mit einer
Scheinmünze abzufinden haben.
Begeben wir uns aus der Hauptstadt
auf die Reise, so wissen wir vor lauter
Vorstädten nicht, wo die Stadt aufhört.
Wir finden sofort Wohnung an Wohnun-
gen, Dorf an Dörfern, und den herrlichen
Fluſs hinab eine Reihe von Lustorten. Al-
30
[464[466]] les nach Tagereisen gerechnet und nicht
wenigen.
Nun zieht, vom Kaiser beauftragt, der
Reisende nach andern Gegenden; er führt
uns durch unübersehbare Wüsten, dann zu
heerdenreichen Gauen, Bergreihen hinan,
zu Menschen von wunderbaren Gestalten
und Sitten, und läſst uns zuletzt, über Eis
und Schnee, nach der ewigen Nacht des
Poles hinschauen. Dann auf einmal trägt
er uns, wie auf einem Zaubermantel, über
die Halbinsel Indiens hinab. Wir sehen
Ceylon unter uns liegen, Madagascar, Java;
unser Blick irrt auf wunderlich benamste
Inseln, und doch läſst er uns überall von
Menschengestalten und Sitten, von Land-
schaft, Bäumen, Pflanzen und Thieren, so
manche Besonderheit erkennen, die für die
Wahrheit seiner Anschauung bürgt, wenn
gleich Vieles mährchenhaft erscheinen möch-
te. Nur der wohlunterrichtete Geograph
könnte dies alles ordnen und bewähren.
Wir muſsten uns mit dem allgemeinen Ein-
druck begnügen; denn unsern ersten Stu-
dien kamen keine Noten und Bemerkungen
zu Hülfe.
[465[467]]
Johannes von Montevilla.
Dessen Reise beginnt im Jahre 1320
und ist uns die Beschreibung derselben als
Volksbuch, aber leider sehr ungestaltet, zu-
gekommen. Man gesteht dem Verfasser zu
daſs er groſse Reisen gemacht, vieles ge-
sehen und gut gesehen, auch richtig be-
schrieben. Nun beliebt es ihm aber nicht
nur mit fremdem Kalbe zu pflügen, sondern
auch alte und neue Fabeln einzuschalten,
wodurch denn das Wahre selbst seine Glaub-
würdigkeit verliert. Aus der lateinischen
Ursprache erst ins Niederdeutsche, sodann
ins Oberdeutsche gebracht, erleidet das Büch-
lein neue Verfälschung der Namen. Auch
der Uebersetzer erlaubt sich auszulassen und
einzuschalten, wie unser Görres, in sei-
ner verdienstlichen Schrift über die deut-
schen Volksbücher anzeigt, auf welche Weise
Genuſs und Nutzen an diesem bedeutenden
Werke verkümmert worden.
30 *
[466[468]]
Pietro della Valle.
Aus einem uralten römischen Geschlechte
das seinen Stammbaum bis auf die edlen
Familien der Republik zurückführen durf-
te, ward Pietro della Valle geboren,
im Jahre 1586 zu einer Zeit da die sämmt-
lichen Reiche Europens sich einer hohen
geistigen Bildung erfreuten. In Italien lebte
Tasso noch, obgleich in traurigem Zustan-
de; doch wirkten seine Gedichte auf alle
vorzügliche Geister. Die Verskunst hatte
sich so weit verbreitet, daſs schon Impro-
visatoren hervortraten und kein junger Mann
von freyern Gesinnungen des Talents ent-
behren durfte sich Reimweis auszudrücken.
Sprachstudium, Grammatik, Red- und Styl-
kunst wurden gründlich behandelt, und so
wuchs in allen diesen Vorzügen unser Jüng-
ling sorgfältig gebildet heran.
Waffenübungen zu Fuſs und zu Roſs,
die edle Fecht- und Reitkunst dienten ihm
zu täglicher Entwickelung körperlicher
[467[469]] Kräfte und der damit innig verbundenen
Charakterstärke. Das wüste Treiben frü-
herer Kreuzzüge hatte sich nun zur Kriegs-
kunst und zu ritterlichem Wesen herange-
bildet auch die Galanterie in sich aufge-
nommen. Wir sehen den Jüngling wie er
mehreren Schönen, besonders in Gedichten,
den Hof macht, zuletzt aber höchst un-
glücklich wird als ihn die eine, die er sich
anzueignen, mit der er sich ernstlich zu
verbinden gedenkt, hinantsetzt und einem
unwürdigen sich hingiebt. Sein Schmerz
ist gränzenlos und um sich Luft zu machen
beschlieſst er, im Pilgerkleide, nach dem
heiligen Lande zu wallen.
Im Jahre 1614 gelangt er nach Constan-
tinopel, wo sein adeliches, einnehmendes
Wesen die beste Aufnahme gewinnt. Nach
Art seiner früheren Studien wirft er sich
gleich auf die orientalischen Sprachen, ver-
schafft sich zuerst eine Uebersicht der tür-
kischen Literatur, Landesart und Sitten,
und begiebt sich sodann, nicht ohne Be-
dauern seiner neu erworbenen Freunde, nach
Aegypten. Seinen dortigen Aufenthalt nutzt
er ebenfalls um die alterthümliche Welt und
[468[470]] ihre Spuren in der neueren auf das ernst-
lichste zu suchen und zu verfolgen; von
Cairo zieht er auf den Berg Sinai, das Grab
der heiligen Catharina zu verehren, und
kehrt, wie von einer Lustreise, zur Haupt-
stadt Aegyptens zurück; gelangt, von da
zum zweitenmale abreisend, in sechzehn
Tagen nach Jerusalem, wodurch das wahre
Maaſs der Entfernung beyder Städte sich
unserer Einbildungskraft aufdrängt. Dort,
das heilige Grab verehrend, erbittet er sich
vom Erlöser, wie früher schon von der
heiligen Catharina, Befreyung von seiner
Leidenschaft; und wie Schuppen fällt es
ihm von den Augen, daſs er ein Thor ge-
wesen, die bisher Angebetete für die ein-
zige zu halten die eine solche Huldigung
verdiene; seine Abneigung gegen das übrige
weibliche Geschlecht ist verschwunden, er
sieht sich nach einer Gemalin um und
schreibt seinen Freunden, zu denen er bald
zurückzukehren hofft, ihm eine würdige
auszusuchen.
Nachdem er nun alle heiligen Orte be-
treten und bebetet, wozu ihm die Empfeh-
lung seiner Freunde von Constantinopel,
[469[471]] am meisten aber ein ihm zur Begleitung
mitgegebenen Capighi, die besten Dienste
thun, reist er mit dem vollständigsten Be-
griff dieser Zustände weiter, erreicht Da-
maskus, sodann Aleppo, woselbst er sich
in syrische Kleidung hüllt und seinen Bart
wachsen läſst. Hier nun begegnet ihm ein
bedeutendes, schicksal-bestimmendes Aben-
theuer. Ein Reisender gesellt sich zu ihm,
der von der Schönheit und Liebenswürdig-
keit einer jungen georgischen Christinn, die
sich mit den Ihrigen zu Bagdad aufhält,
nicht genug zu erzählen weiſs, und Valle
verliebt sich, nach ächt orientalischer Wei-
se, in ein Wortbild, dem er begierig ent-
gegen reist. Ihre Gegenwart vermehrt
Neigung und Verlangen, er weiſs die
Mutter zu gewinnen, der Vater wird be-
redet; doch geben beyde seiner ungestü-
men Leidenschaft nur ungerne nach; ihre
geliebte, anmuthige Tochter von sich zu
lassen, scheint ein allzu groſses Opfer.
Endlich wird sie seine Gattin und er ge-
winnt dadurch für Leben und Reise den
gröſsten Schatz. Denn ob er gleich mit
adelichem Wissen und Kenntniſs mancher
[470[472]] Art ausgestattet die Wallfahrt angetreten
und in Beobachtung dessen was sich un-
mittelbar auf den Menschen bezieht so auf-
merksam als glücklich, und im Betragen
gegen jederman in allen Fällen musterhaft
gewesen; so fehlt es ihm doch an Kennt-
niſs der Natur, deren Wissenschaft sich
damals nur noch in dem engen Kreise ern-
ster und bedächtiger Forscher bewegte. Da-
her kann er die Aufträge seiner Freunde,
die von Pflanzen und Hölzern, von Gewür-
zen und Arzneyen Nachricht verlangen, nur
unvollkommen befriedigen; die schöne
Maani aber, als ein liebenswürdiger Haus-
arzt, weiſs von Wurzeln, Kräutern und
Blumen wie sie wachsen, von Harzen, Bal-
samen, Oelen, Saamen und Hölzern, wie
sie der Handel bringt, genugsame Rechen-
schaft zu geben und ihres Gatten Beobach-
tung, der Landes-Art gemäſs, zu berei-
chern.
Wichtiger aber ist diese Verbindung
für Lebens- und Reisethätigkeit. Maani,
zwar vollkommen weiblich, zeigt sich von
resolutem, allen Ereignissen gewachsenem
Charakter; sie fürchtet keine Gefahr, ja
[471[473]] sucht sie eher auf und beträgt sich überall
edel und ruhig; sie besteigt auf Mannsweise
das Pferd, weiſs es zu bezähmen und anzutrei-
ben, und so bleibt sie eine muntere aufregende
Gefährtin. Eben so wichtig ist es, daſs
sie unterwegs mit den sämmtlichen Frauen
in Berührung kommt, und ihr Gatte da-
her von den Männern gut aufgenommen,
bewirthet und unterhalten wird, indem sie
sich auf Frauenweise mit den Gattinnen zu
bethun und zu beschäftigen weiſs.
Nun genieſst aber erst das junge Paar
eines, bey den bisherigen Wanderungen im
türkischen Reiche, unbekannten Glücks. Sie
betreten Persien im dreyſsigsten Jahre der
Regierung Abbas des zweyten, der sich,
wie Peter und Friedrich, den Namen des
Groſsen verdiente. Nach einer gefahrvollen,
bänglichen Jugend wird er sogleich beym
Antritt seiner Regierung aufs deutlichste
gewahr, wie er, um sein Reich zu beschü-
tzen, die Gränzen erweitern müsse, und
was für Mittel es gebe auch innerliche
Herrschaft zu sichern; zugleich geht Sinnen
und Trachten dahin das entvölkerte Reich
durch Fremdlinge wieder herzustellen und
[472[474]] den Verkehr der Seinigen durch öffentliche
Wege- und Gastanstalten zu beleben und
zu erleichtern. Die gröſsten Einkünfte und
Begünstigungen verwendet er zu gränzen-
losen Bauten. Ispahan, zur Hauptstadt ge-
würdigt, mit Palästen und Gärten, Cara-
vansereyen und Häusern, für königliche
Gäste übersäet; eine Vorstadt für die Ar-
menier erbaut, die, sich dankbar zu bewei-
sen, ununterbrochen Gelegenheit finden, in-
dem sie für eigene und für königliche Rech-
nung handelnd, Profit und Tribut dem Für-
sten zu gleicher Zeit abzutragen klug ge-
nug sind. Eine Vorstadt für Georgier, eine
andere für Nachfahren der Feueranbeter,
erweitern abermals die Stadt, die zuletzt
so gränzenlos als eine unserer neuen Reichs-
mittelpuncte sich erstreckt. Römisch-Ca-
tholische Geistliche, besonders Carmeliten
sind wohl aufgenommen und beschützt; we-
niger die Griechische Religion die, unter
dem Schutz der Türken stehend, dem all-
gemeinen Feinde Europens und Asiens an-
zugehören scheint.
Ueber ein Jahr hatte sich della Valle
in Ispahan aufgehalten und seine Zeit un-
[473[475]] unterbrochen thätig benutzt, um von allen
Zuständen und Verhältnissen genau Nach-
richt einzuziehen. Wie lebendig sind da-
her seine Darstellungen! wie genau seine
Nachrichten! Endlich, nachdem er alles
ausgekostet, fehlt ihm noch der Gipfel des
ganzen Zustandes, die persönliche Bekannt-
schaft des von ihm so hoch bewunderten
Kaisers, der Begriff wie es bey Hof, im
Gefecht, bey der Armee zugehe.
In dem Lande Mazenderan, der süd-
lichen Küste des Caspischen Meers, in ei-
ner, freylich sumpfigen, ungesunden Ge-
gend, legte sich der thätige unruhige Fürst
abermals eine groſse Stadt an, Ferhabad
benannt, und bevölkerte sie mit beorderten
Bürgern; sogleich in der Nähe erbaut er
sich manchen Bergsitz auf den Höhen des
amphitheatralischen Kessels, nicht allzuweit
von seinen Gegnern den Russen und Türken,
in einer durch Bergrücken geschützten Lage.
Dort residirt er gewöhnlich und della Valle
sucht ihn auf. Mit Maani kommt er an, wird
wohl empfangen, nach einem orientalisch
klugen, vorsichtigen Zaudern, dem Könige
vorgestellt, gewinnt dessen Gunst und wird
[474[476]] zur Tafel und Trinkgelagen zugelassen, wo
er vorzüglich von europäischer Verfassung,
Sitte, Religion dem schon wohlunterrich-
teten, wissensbegierigen Fürsten Rechen-
schaft zu geben hat.
Im Orient überhaupt, besonders aber
in Persien, findet sich eine gewisse Naivi-
tät und Unschuld des Betragens durch alle
Stände bis zur Nähe des Throns. Zwar
zeigt sich auf der obern Stufe eine ent-
schiedene Förmlichkeit, bey Audienzen,
Tafeln und sonst; bald aber entsteht in des
Kaisers Umgebung eine Art von Carnevals-
Freyheit, die sich höchst scherzhaft aus-
nimmt. Erlustigt sich der Kaiser in Gär-
ten und Kiosken, so darf niemand in Stie-
feln auf die Teppiche treten worauf der
Hof sich befindet. Ein tartarischer Fürst
kömmt an, man zieht ihm den Stiefel aus;
aber er, nicht geübt auf Einem Beine zu
stehen, fängt an zu wanken; der Kaiser
selbst tritt nun hinzu und hält ihn, bis die
Operation vorüber ist. Gegen Abend steht
der Kaiser in einem Hofzirkel in welchem
goldene, weingefüllte Schaalen herumkrei-
sen; mehrere von mäſsigem Gewicht, einige
[475[477]] aber durch einen verstärkten Boden so
schwer, daſs der ununterrichtete Gast den
Wein verschüttet, wo nicht gar den Be-
cher, zu höchster Belustigung des Herrn
und der Eingeweihten, fallen läſst. Und
so trinkt man im Kreise herum, bis einer,
unfähig länger sich auf den Füſsen zu hal-
ten, weggeführt wird, oder zur rechten
Zeit hinwegschleicht. Beym Abschied wird
dem Kaiser keine Ehrerbietung erzeigt, ei-
ner verliert sich nach dem andern, bis zu-
letzt der Herrscher allein bleibt, einer me-
lancholischen Musik noch eine Zeitlang zu-
hört und sich endlich auch zur Ruhe be-
giebt. Noch seltsamere Geschichten wer-
den aus dem Harem erzählt, wo die Frauen
ihren Beherrscher kitzeln, sich mit ihm
balgen, ihn auf den Teppich zu bringen su-
chen, wobey er sich, unter groſsem Geläch-
ter, nur mit Schimpfreden zu helfen und
zu rächen sucht.
Indem wir nun dergleichen lustige Din-
ge von den innern Unterhaltungen des Kai-
serlichen Harems vernehmen, so dürfen wir
nicht denken, daſs der Fürst und sein Staats-
Divan müssig oder nachlässig geblieben.
[476[478]] Nicht der thätig-unruhige Geist Abbas des
Groſsen allein war es der ihn antrieb eine
zweyte Hauptstadt am Caspischen Meer zu
erbauen; Ferhabat lag zwar höchst günstig
zu Jagd- und Hoflust, aber auch, von ei-
ner Bergkette geschützt, nahe genug an
der Gränze, daſs der Kaiser jede Bewegung
der Russen und Türken, seiner Erbfeinde,
zeitig vernehmen und Gegenanstalten tref-
fen konnte. Von den Russen war gegen-
wärtig nichts zu fürchten, das innere Reich,
durch Usurpatoren und Trugfürsten zerrüt-
tet, genügte sich selbst nicht; die Türken
hingegen hatte der Kaiser, schon vor zwölf
Jahren in der glücklichsten Feldschlacht,
dergestalt überwunden, daſs er in der Folge
von dort her nichts mehr zu befahren hat-
te, vielmehr noch groſse Landstrecken ih-
nen abgewann. Eigentlicher Friede jedoch
konnte zwischen solchen Nachbarn sich
nimmer befestigen, einzelne Neckereyen,
öffentliche Demonstrationen weckten beyde
Parteyen zu fortwährender Aufmerksam-
keit.
Gegenwärtig aber sieht sich Abbas zu
ernsteren Kriegesrüstungen genöthigt. Völ-
[477[479]] lig im urältesten Styl ruft er sein ganzes
Heeresvolk in die Flächen von Aderbijan
zusammen, es drängt sich in allen seinen
Abtheilungen, zu Roſs und Fuſs, mit den
mannigfaltigsten Waffen herbey; zugleich
ein unendlicher Troſs. Denn jeder nimmt,
wie bey einer Auswanderung, Weiber, Kin-
der und Gepäcke mit. Auch della Valle
führt seine schöne Maani und ihre Frauen,
zu Pferd und Senfte, dem Heer und Hofe
nach, weſshalb ihn der Kaiser belobt, weil
er sich hiedurch als einen angesehenen
Mann beweist.
Einer solchen ganzen Nation, die sich
massenhaft in Bewegung setzt, darf es nun
auch an gar nichts fehlen was sie zu Hause
allenfalls bedürfen könnte; weshalb denn
Kauf- und Handelsleute aller Art mitzie-
hen, überall einen flüchtigen Bazar aufschla-
gen, eines guten Absatzes gewärtig. Man
vergleicht daher das Lager des Kaisers je-
derzeit einer Stadt, worin denn auch so
gute Polizey und Ordnung gehandhabt wird,
daſs niemand, bey grausamer Strafe, weder
fouragiren noch requiriren, viel weniger
aber plündern darf, sondern von Groſsen
[478[480]] und Kleinen alles baar bezahlt werden muſs;
weſshalb denn nicht allein alle auf dem
Wege liegenden Städte sich mit Vorräthen
reichlich versehen, sondern auch aus be-
nachbarten und entfernteren Provinzen Le-
bensmittel und Bedürfnisse unversiegbar zu-
flieſsen.
Was aber lassen sich für strategische,
was für tactische Operationen von einer
solchen organisirten Unordnung erwarten?
besonders wenn man erfährt daſs alle Volks-
Stamm- und Waffenabtheilungen sich im
Gefecht vermischen und ohne bestimmten
Vorder-, Neben- und Hintermann, wie es
der Zufall giebt, durcheinander kämpfen;
daher denn ein glücklich errungener Sieg
so leicht umschlagen und eine einzige ver-
lorne Schlacht auf viele Jahre hinaus das
Schicksal eines Reiches bestimmen kann.
Diesmal aber kommt es zu keinem sol-
chen furchtbaren Faust- und Waffengemen-
ge. Zwar dringt man, mit undenkbarer
Beschwerniſs, durchs Gebirge; aber man
zaudert, weicht zurück, macht sogar An-
stalten die eigenen Städte zu zerstören, da-
mit der Feind in verwüsteten Landstrecken
[479[481]] umkomme. Panischer Allarm, leere Sieges-
botschaften schwanken durch einander; fre-
ventlich abgelehnte, stolz verweigerte Frie-
densbedingungen, verstellte Kampflust, hin-
terlistiges Zögern verspäten erst und be-
günstigen zuletzt den Frieden. Da zieht
nun ein jeder, auf des Kaisers Befehl und
Strafgebot ohne weitere Noth und Gefahr
als was er von Weg und Gedränge gelit-
ten, ungesäumt wieder nach Hause.
Auch della Valle finden wir zu Casbin
in der Nähe des Hofes wieder, unzufrie-
den, daſs der Feldzug gegen die Türken
ein so baldiges Ende genommen. Denn wir
haben ihn nicht bloſs als einen neugierigen
Reisenden, als einen vom Zufall hin und
wieder getriebenen Abenteurer zu betrach-
ten; er hegt vielmehr seine Zwecke die er
unausgesetzt verfolgt. Persien war damals
eigentlich ein Land für Fremde; Abbas
vieljährige Liberalität zog manchen muntern
Geist herbey, noch war es nicht die Zeit
förmlicher Gesandtschaften, kühne, ge-
wandte Reisende machen sich geltend. Schon
hatte Sherley, ein Engländer, früher sich
selbst beauftragt und spielte den Vermittler
31
[480[482]] zwischen Osten und Westen; so auch della
Valle, unabhängig, wohlhabend, vornehm,
gebildet, empfohlen, findet Eingang bey
Hofe und sucht gegen die Türken zu rei-
zen. Ihn treibt eben dasselbe christliche
Mitgefühl das die ersten Kreuzfahrer auf-
regte; er hatte die Miſshandlungen from-
mer Pilger am heiligen Grabe gesehen, zum
Theil mit erduldet, und allen westlichen
Nationen war daran gelegen, daſs Constan-
tinopel von Osten her beunruhigt werde:
aber Abbas vertraut nicht den Christen,
die, auf eignen Vortheil bedacht, ihm zur
rechten Zeit niemals von ihrer Seite bey-
gestanden. Nun hat er sich mit den Tür-
ken verglichen; della Valle läſst aber nicht
nach und sucht eine Verbindung Persiens
mit den Kosaken am schwarzen Meer an-
zuknüpfen. Nun kehrt er nach Ispahan zu-
rück, mit Absicht sich anzusiedeln und die
Römisch-Catholische Religion zu fördern.
Erst die Verwandten seiner Frau, dann noch
mehr Christen aus Georgien zieht er an
sich, eine georgianische Waise nimmt er an
Kindesstatt an, hält sich mit den Carmeli-
ten, und führt nichts weniger im Sinne als
[481[483]] vom Kaiser eine Landstrecke, zu Gründung
eines neuen Roms, zu erhalten.
Nun erscheint der Kaiser selbst wieder in
Ispahan, Gesandte von allen Weltgegenden
strömen herbey. Der Herrscher zu Pferd,
auf dem gröſsten Platze, in Gegenwart sei-
ner Soldaten, der angesehnsten Diener-
schaft, bedeutender Fremden, deren Vor-
nehmste auch alle zu Pferd mit Gefolge
sich einfinden, ertheilt er launige Audien-
zen; Geschenke werden gebracht, groſser
Prunk damit getrieben, und doch werden
sie bald hochfahrend verschmäht, bald da-
rum jüdisch gemarktet, und so schwankt
die Majestät immer zwischen dem Höchsten
und Tiefsten. Sodann, bald geheimniſsvoll
verschlossen im Harem, bald vor aller Au-
gen handelnd, sich in alles Öffentliche ein-
mischend, zeigt sich der Kaiser in uner-
müdlicher, eigenwilliger Thätigkeit.
Durchaus auch bemerkt man einen be-
sondern Freysinn in Religionssachen. Nur
keinen Muhamedaner darf man zum Chri-
stenthum bekehren; an Bekehrungen zum
Islam, die er früher begünstigt, hat er selbst
keine Freude mehr. Uebrigens mag man
31 *
[482[484]] glauben und vornehmen was man will. So
feyern z. B. die Armenier gerade das Fest
der Kreuzestaufe, die sie in ihrer prächti-
gen Vorstadt, durch welche der Fluſs Syn-
deruth läuft, feyerlichst begehen. Dieser
Function will der Kaiser nicht allein mit
groſsem Gefolge beywohnen, auch hier
kann er das Befehlen, das Anordnen nicht
lassen. Erst bespricht er sich mit den Pfaf-
fen was sie eigentlich vorhaben? dann
sprengt er auf und ab, reitet hin und her,
und gebietet dem Zug Ordnung und Ruhe,
mit Genauigkeit wie er seine Krieger be-
handelt hätte. Nach geendigter Feyer sam-
melt er die Geistlichen und andere bedeu-
tende Männer um sich her, bespricht sich
mit ihnen über mancherley Religionsmey-
nungen und Gebräuche. Doch diese Frey-
heit der Gesinnung gegen andere Glaubens-
genossen ist nicht bloſs dem Kaiser per-
sönlich, sie findet bey den Schiiten
überhaupt statt. Diese, dem Ali anhän-
gend, der, erst vom Caliphate verdrängt
und als er endlich dazu gelangte, bald er-
mordet wurde, können in manchem Sinne
als die unterdrückte mahomedanische Reli-
[483[485]] gionspartey angesehen werden; ihr Haſs
wendet sich daher hauptsächlich gegen die
Sunniten, welche die zwischen Mahomed
und Ali eingeschobenen Caliphen mit zäh-
len und verehren. Die Türken sind diesem
Glauben zugethan und eine sowohl politi-
sche als religiöse Spaltung trennt die bey-
den Völker; indem nun die Schiiten ihre
eigenen verschieden denkenden Glaubensge-
nossen aufs äuſserste hassen, sind sie gleich-
gültig gegen andere Bekenner und gewäh-
ren ihnen weit eher als ihren eigentlichen
Gegnern eine geneigte Aufnahme.
Aber auch, schlimm genug! diese Li-
beralität leidet unter den Einflüssen Kaiser-
licher Willkühr! Ein Reich zu bevölkern
oder zu entvölkern ist dem despotischen
Willen gleich gemäſs. Abbas, verkleidet
auf dem Lande herumschleichend, vernimmt
die Miſsreden einiger armenischen Frauen
und fühlt sich dergestalt beleidigt, daſs er
die grausamsten Strafen über die sämmtli-
chen männlichen Einwohner des Dorfes
verhängt. Schrecken und Bekümmerniſs
verbreiten sich an den Ufern des Synde-
ruths, und die Vorstadt Chalfa, erst durch
[484[486]] die Theilnahme des Kaisers an ihrem Feste
beglückt, versinkt in die tiefste Trauer.
Und so theilen wir immer die Gefühle
groſser, durch den Despotismus wechsels-
weise erhöhten und erniedrigten Völker.
Nun bewundern wir auf welchen hohen
Grad von Sicherheit und Wohlstand Abbas,
als Selbst- und Alleinherrscher das Reich
erhoben, und zugleich diesem Zustand eine
solche Dauer verliehen, daſs seiner Nach-
fahren Schwäche, Thorheit, folgeloses Be-
tragen erst nach neunzig Jahren, das Reich
völlig zu Grunde richten konnten; dann
aber müssen wir freylich die Kehrseite die-
ses imposanten Bildes hervorwenden.
Da eine jede Alleinherrschaft allen Ein-
fluſs ablehnet und die Persönlichkeit des
Regenten in gröſster Sicherheit zu bewah-
ren hat, so folgt hieraus, daſs der Despot
immerfort Verrath argwöhnen, überall Ge-
fahr ahnden, auch Gewalt von allen Seiten
befürchten müsse, weil er ja selbst nur
durch Gewalt seinen erhabenen Posten be-
hauptet. Eifersüchtig ist er daher auf je-
den, der auſser ihm Ansehn und Vertrauen
erweckt, glänzende Fertigkeiten zeigt, Schä-
[485[487]] tze sammlet und an Thätigkeit mit ihm zu
wetteifern scheint. Nun muſs aber in je-
dem Sinn der Nachfolger am meisten Ver-
dacht erregen. Schon zeugt es von einem
groſsen Geist des königlichen Vaters wenn
er seinen Sohn ohne Neid betrachtet, dem
die Natur, in kurzem, alle bisherigen Be-
sitzthümer und Erwerbnisse, ohne die Zu-
stimmung des mächtig Wollenden, unwider-
ruflich übertragen wird. Anderseits wird
vom Sohne verlangt, daſs er, edelmüthig,
gebildet und geschmackvoll, seine Hoffnun-
gen mäſsige, seinen Wunsch verberge und
dem väterlichen Schicksal auch nicht dem
Scheine nach vorgreife. Und doch! wo ist
die menschliche Natur so rein und groſs,
so gelassen abwartend, so, unter nothwen-
digen Bedingungen, mit Freude thätig? daſs
in einer solchen Lage sich der Vater nicht
über den Sohn, der Sohn nicht über den
Vater beklage. Und wären sie beyde en-
gelrein, so werden sich Ohrenbläser zwi-
schen sie stellen, die Unvorsichtigkeit wird
zum Verbrechen, der Schein zum Beweis.
Wie viele Beyspiele liefert uns die Ge-
schichte! wovon wir nur des jammervollen
[486[488]] Familienlabyrinths gedenken, in welchem
wir den König Herodes befangen sehen.
Nicht allein die Seinigen halten ihn immer
in schwebender Gefahr, auch ein durch
Weissagung merkwürdiges Kind erregt seine
Sorgen, und veranlaſst eine allgemein ver-
breitete Grausamkeit, unmittelbar vor sei-
nem Tode.
Also erging es auch Abbas dem Gro-
ſsen; Söhne und Enkel machte man ver-
dächtig und sie gaben Verdacht; einer ward
unschuldig ermordet, der andere halb schul-
dig geblendet. Dieser sprach: mich hast
du nicht des Lichts beraubt, aber das
Reich.
Zu diesen unglücklichen Gebrechen der
Despotie fügt sich unvermeidlich ein ande-
res, wobey noch zufälliger und unvor-
gesehener sich Gewalttbaten und Verbre-
chen entwickeln. Ein jeder Mensch wird
von seinen Gewohnheiten regiert, nur wird
er, durch äuſsere Bedingungen eingeschränkt,
sich mäſsig verhalten und Mäſsigung wird
ihm zur Gewohnheit. Gerade das Entge-
gengesetzte findet sich bey dem Despoten;
ein uneingeschränkter Wille steigert sich
[487[489]] selbst und muſs, von auſsen nicht gewarnt,
nach dem völlig Gränzenlosen streben. Wir
finden hiedurch das Räthsel gelös’t wie
aus einem löblichen jungen Fürsten, dessen
erste Regierungsjahre gesegnet wurden, sich
nach und nach ein Tyrann entwickelt, der
Welt zum Fluch, und zum Untergang der
Seinen; die auch deſshalb öfters dieser Qual
eine gewaltsame Heilung zu verschaffen ge-
nöthigt sind.
Unglücklicherweise nun wird jenes, dem
Menschen eingeborne, alle Tugenden be-
fördernde Streben ins Unbedingte seiner
Wirkung nach schrecklicher wenn physi-
sche Reize sich dazu gesellen. Hieraus
entsteht die höchste Steigerung, welche
glücklicherweise zuletzt in völlige Betäu-
bung sich auflös’t. Wir meynen den über-
mäſsigen Gebrauch des Weins, welcher die
geringe Gränze einer besonnenen Gerechtig-
keit und Billigkeit, die selbst der Tyrann
als Mensch nicht ganz verneinen kann, au-
genblicklich durchbricht und ein gränzenlo-
ses Unheil anrichtet. Wende man das Ge-
sagte auf Abbas den Groſsen an, der durch
seine funfzigjährige Regierung sich zum
[488[490]] einzigen, unbedingt-Wollenden seines aus-
gebreiteten, bevölkerten Reichs erhoben
hatte; denke man sich ihn freymüthiger
Natur, gesellig und guter Laune, dann aber
durch Verdacht, Verdruſs und was am
schlimmsten ist, durch übel verstandene
Gerechtigkeitsliebe irre geführt, durch hef-
tiges Trinken aufgeregt, und, daſs wir das
Letzte sagen, durch ein schnödes, unheil-
bares körperliches Uebel gepeinigt und zur
Verzweiflung gebracht: so wird man geste-
hen daſs diejenigen Verzeihung, wo nicht
Lob verdienen, welche einer so schreckli-
chen Erscheinung auf Erden ein Ende mach-
ten. Selig preisen wir daher gebildete Völ-
ker, deren Monarch sich selbst durch ein
edles sittliches Bewuſstseyn regiert; glück-
lich die gemäſsigten, bedingten Regierun-
gen, die ein Herrscher selbst zu lieben und
zu fördern Ursache hat, weil sie ihn man-
cher Verantwortung überheben, ihm gar
manche Reue ersparen.
Aber nicht allein der Fürst, sondern
ein jeder der, durch Vertrauen, Gunst oder
Anmaſsung, Theil an der höchsten Macht
gewinnt, kommt in Gefahr den Kreis zu
[489[491]] überschreiten, welchen Gesetz und Sitte,
Menschen-Gefühl, Gewissen, Religion und
Herkommen, zu Glück und Beruhigung um
das Menschengeschlecht gezogen haben.
Und so mögen Minister und Günstlinge,
Volksvertreter und Volk auf ihrer Huth
seyn, daſs nicht auch sie, in den Strudel
unbedingten Wollens hingerissen, sich und
andere unwiederbringlich ins Verderben
hinabziehen.
Kehren wir nun zu unserm Reisenden
zurück, so finden wir ihn in einer unbe-
quemen Lage. Bey aller seiner Vorliebe
für den Orient muſs della Valle doch end-
lich fühlen daſs er in einem Lande wohnt
wo an keine Folge zu denken ist, und wo
mit dem reinsten Willen und gröſster Thä-
tigkeit kein neues Rom zu erbauen wäre.
Die Verwandten seiner Frau lassen sich
nicht einmal durch Familien-Bande halten;
nachdem sie eine Zeitlang, zu Ispahan,
in dem vertraulichsten Kreise gelebt finden
sie es doch gerathener zurück an den Eu-
phrat zu ziehen, und ihre gewohnte Le-
bensweise dort fortzusetzen. Die übrigen
Georgier zeigen wenig Eifer, ja die Car-
[490[492]] meliten, denen das groſse Vorhaben vor-
züglich am Herzen liegen muſste, können
von Rom her weder Antheil noch Beystand
erfahren.
Della Valle’s Eifer ermüdet und er ent-
schlieſst sich nach Europa zurückzukeh-
ren, leider gerade zur ungünstigsten Zeit.
Durch die Wüste zu ziehen scheint ihm
unleidlich, er beschlieſst über Indien zu
gehen; aber jetzt eben entspinnen sich
Kriegshändel zwischen Portugiesen, Spa-
niern und Engländern wegen Ormus, dem
bedeutendsten Handelsplatz, und Abbas
findet seinem Vortheil gemäſs Theil daran
zu nehmen. Der Kaiser beschlieſst die un-
bequemen portugiesischen Nachbarn zu be-
kämpfer, zu entfernen und die hülfreichen
Engländer zuletzt; vielleicht durch List
und Verzögerung, um ihre Absichten zu
bringen und alle Vortheile sich zuzueignen.
In solchen bedenklichen Zeitläuften
überrascht nun unsern Reisenden das wun-
derbare Gefühl eigner Art, das den Men-
schen mit sich selbst in den gröſsten Zwie-
spalt setzt, das Gefühl der weiten Entfer-
nung vom Vaterlande, im Augenblick wo
[491[493]] wir, unbehaglich in der Fremde, nach
Hause zurückzuwandern, ja schon dort an-
gelangt zu seyn wünschten. Fast unmög-
lich ist es in solchem Fall sich der Unge-
duld zu erwehren; auch unser Freund wird
davon ergriffen, sein lebhafter Charakter,
sein edles tüchtiges Selbstvertrauen täuschen
ihn über die Schwierigkeiten die im Wege
stehen. Seiner zu Wagnissen aufgelegten
Kühnheit ist es bisher gelungen alle Hin-
dernisse zu besiegen, alle Plane durchzu-
setzen, er schmeichelt sich fernerhin mit
gleichem Glück und entschlieſst sich, da eine
Rückkehr ihm durch die Wüste unerträg-
lich scheint, zu dem Weg über Indien, in
Gesellschaft seiner schönen Maani und ihrer
Pflegetochter Mariuccia.
Manches unangenehme Ereigniſs tritt
ein, als Vorbedeutung künftiger Gefahr;
doch zieht er über Persepolis und Schiras,
wie immer aufmerkend, Gegenstände, Sit-
ten und Landesart genau bezeichnend und
aufzeichnend. So gelangt er an den persi-
schen Meerbusen, dort aber findet er, wie
vorauszusehen gewesen, die sämmtlichen
Häfen geschlossen, alle Schiffe, nach Kriegs-
[492[494]] gebrauch, in Beschlag genommen. Dort
am Ufer, in einer höchst ungesunden Ge-
gend, trifft er Engländer gelagert, deren
Caravane gleichfalls aufgehalten, einen gün-
stigen Augenblick erpassen möchte. Freund-
lich aufgenommen, schlieſst er sich an sie
an, errichtet seine Gezelte nächst den ih-
rigen und eine Palmhütte zu besserer Be-
quemlichkeit. Hier scheint ihm ein freund-
licher Stern zu leuchten! Seine Ehe war
bisher kinderlos, und zu gröſster Freude
beyder Gatten erklärt sich Maani guter
Hoffnung; aber ihn ergreift eine Krank-
heit, schlechte Kost und böse Luft zeigen
den schlimmsten Einfluſs auf ihn und lei-
der auch auf Maani, sie kommt zu früh
nieder und das Fieber verläſst sie nicht.
Ihr standhafter Charakter, auch ohne ärzt-
liche Hülfe, erhält sie noch eine Zeitlang,
sodann aber fühlt sie ihr Ende heranna-
hen, ergiebt sich in frommer Gelassen-
heit, verlangt aus der Palmenhütte unter
die Zelte gebracht zu seyn, woselbst sie,
indem Mariuccia die geweihte Kerze hält
und della Valle die herkömmlichen Gebete
verrichtet, in seinen Armen verscheidet.
[493[495]] Sie hatte das dreyundzwanzigste Jahr er-
reicht.
Einem solchen ungeheuren Verluste zu
schmeicheln beschlieſst er fest und unwi-
derruflich den Leichnam in sein Erbbegräb-
niſs mit nach Rom zu nehmen. An Har-
zen, Balsamen und kostbaren Specereyen
fehlt es ihm, glücklicherweise findet er eine
Ladung des besten Kampfers, welcher,
kunstreich durch erfahrne Personen ange-
wendet, den Körper erhalten soll.
Hiedurch aber übernimmt er die gröſste
Beschwerde, indem er so fortan den Aber-
glauben der Cameeltreiber, die habsüchtigen
Vorurtheile der Beamten, die Aufmerksam-
keit der Zollbedienten auf der ganzen künf-
tigen Reise zu beschwichtigen oder zu be-
stechen hat.
Nun begleiten wir ihn nach Lar, der
Hauptstadt des Laristan, wo er bessere
Luft, gute Aufnahme findet, und die Er-
oberung von Ormus durch die Perser ab-
wartet. Aber auch ihre Triumphe dienen
ihm zu keiner Förderniſs. Er sieht sich
wieder nach Schiras zurückgedrängt, bis
er denn doch endlich mit einem englischen
[494[496]] Schiffe nach Indien geht. Hier finden wir
sein Betragen dem bisherigen gleich; sein
standhafter Muth, seine Kenntnisse, seine
adlichen Eigenschaften verdienen ihm über-
all leichten Eintritt und ehrenvolles Ver-
weilen, endlich aber wird er doch nach
dem persischen Meerbusen zurück und zur
Heimfahrt durch die Wüste genöthigt.
Hier erduldet er alle gefürchteten Un-
bilden. Von Stammhäuptern decimirt, taxirt
von Zollbeamten, beraubt von Arabern und
selbst in der Christenheit überall vexirt und
verspätet, bringt er doch endlich Curiosi-
täten und Kostbarkeiten genug, das Selt-
samste und Kostbarste aber, den Körper
seiner geliebten Maani nach Rom. Dort,
auf Ara cöli, begeht er ein herrliches Lei-
chenfest und als er in die Grube hinab-
steigt, ihr die letzte Ehre zu erweisen, fin-
den wir zwey Jungfräulein neben ihm,
Silvia, eine während seiner Abwesenheit
anmuthig herangewachsenen Tochter, und
Tinatin di Ziba, die wir bisher unter
dem Namen Mariuccia gekannt, beyde un-
gefähr funfzehnjährig. Letztere, die seit
dem Tode seiner Gemalin eine treue Rei-
[497] segefährtin und einziger Trost gewesen,
nunmehr zu heirathen entschlieſst er sich,
gegen den Willen seiner Verwandten, ja
des Papstes, die ihm vornehmere und rei-
chere Verbindungen zudenken. Nun be-
thätigt er, noch mehrere Jahre glanzreich,
einen heftig-kühnen und muthigen Cha-
rakter, nicht ohne Händel, Verdruſs und
Gefahr, und hinterläſst bey seinem Tode,
der im sechsundsechzigsten Jahre erfolgt,
eine zahlreiche Nachkommenschaft.
Entschuldigung.
Es läſst sich bemerken daſs ein jeder
den Weg, auf welchem er zu irgend einer
Kenntniſs und Einsicht gelangt, allen übri-
gen vorziehen und seine Nachfolger gern
auf denselben einleiten und einweihen möch-
te. In diesem Sinne hab’ ich Peter della
Valle umständlich dargestellt, weil er der-
jenige Reisende war, durch den mir die
Eigenthümlichkeiten des Orients am ersten
32
[498] und klarsten aufgegangen, und meinem Vor-
urtheil will scheinen daſs ich durch diese
Darstellung erst meinem Divan einen ei-
genthümlichen Grund und Boden gewon-
nen habe. Möge dieſs andern zur Aufmun-
terung gereichen, in dieser Zeit, die so
reich an Blättern und einzelnen Heften ist,
einen Folianten durchzulesen, durch den
sie entschieden in eine bedeutende Welt
gelangen, die ihnen in den neusten Reise-
beschreibungen zwar oberflächlich-umgeän-
dert, im Grund aber als dieselbe erschei-
nen wird, welche sie dem vorzüglichen
Manne zu seiner Zeit erschien.
[499]
Olearius.
Die Bogenzahl unserer, bis hierher ab-
gedruckten Arbeiten erinnert uns vorsich-
tiger und weniger abschweifend von nun
an fortzufahren. Deſswegen sprechen wir
von dem genannten trefflichen Manne nur
im Vorübergehen. Sehr merkwürdig ist es,
verschiedene Nationen als Reisende zu be-
trachten. Wir finden Engländer, unter
welchen wir Sherley und Herbert ungern
vorbeygingen; sodann aber Italiäner; zu-
letzt Franzosen. Hier trete nun ein Deut-
scher hervor in seiner Kraft und Würde.
Leider war er auf seiner Reise nach dem
persischen Hof an einen Mann gebunden,
der mehr als Abenteurer, denn als Gesand-
ter erscheint; in beidem Sinne aber sich
eigenwillig, ungeschickt, ja unsinnig be-
nimmt. Der Geradsinn des trefflichen Olea-
rius läſst sich dadurch nicht irre machen; er
giebt uns höchst erfreuliche und belehrende
Reiseberichte, die um so schätzbarer sind,
32 *
[500] als er nur wenige Jahre nach della Valle
und kurz nach dem Tode Abbas des Gro-
ſsen nach Persien kam, und bey seiner
Rückkehr die Deutschen mit Saadi dem
Trefflichen, durch eine tüchtige und er-
freuliche Uebersetzung bekannt machte.
Ungern brechen wir ab, weil wir auch
diesem Manne, für das Gute das wir ihm
schuldig sind, gründlichen Dank abzutra-
gen wünschten. In gleicher Stellung finden
wir uns gegen die beyden folgenden, deren
Verdienste wir auch nur oberflächlich be-
rühren dürfen.
[501]
Tavernier und Chardin.
Ersterer, Goldschmidt und Juwelen-
händler, dringt mit Verstand und klugem
Betragen, kostbar-kunstreiche Waaren zu
seiner Empfehlung vorzeigend, an die orien-
talischen Höfe und weiſs sich überall zu
schicken und zu finden. Er gelangt nach
Indien zu den Demantgruben, und, nach
einer gefahrvollen Rückreise, wird er im
Westen nicht zum freundlichsten aufgenom-
men. Dessen hinterlassene Schriften sind
höchst belehrend, und doch wird er von
seinem Landsmann, Nachfolger und Rival
Chardin nicht sowohl im Lebensgange
gehindert, als in der öffentlichen Meynung
nachher verdunkelt. Dieser, der sich gleich
zu Anfang seiner Reise durch die gröſsten
Hindernisse durcharbeiten muſs, versteht
denn auch die Sinnesweise orientalischer
Macht- und Geldhaber, die zwischen Groſs-
muth und Eigennutz schwankt, trefflich zu
[502] benutzen, und ihrer, beym Besitz der gröſs-
ten Schätze, nie zu stillenden Begier nach
frischen Juwelen und fremden Goldarbeiten
vielfach zu dienen, deſshalb er denn auch
nicht ohne Glück und Vortheil wieder nach
Hause zurückkehrt.
An diesen beyden Männern ist Ver-
stand, Gleichmuth, Gewandtheit, Beharr-
lichkeit, einnehmendes Betragen und Stand-
haftigkeit nicht genug zu bewundern, und
könnte jeder Weltmann sie auf seiner Le-
bensreise als Muster verehren. Sie besaſsen
aber zwey Vortheile, die nicht einem je-
den zu statten kommen; sie waren Prote-
stanten und Franzosen zugleich. Eigen-
schaften, die, zusammen verbunden, höchst
fähige Individuen hervorzubringen im Stande
sind.
[503]
Neuere und neuste Reisende.
Was wir dem achtzehnten und schon
dem neunzehnten Jahrhundert verdanken,
darf hier gar nicht berührt werden. Die
Engländer haben uns in der letzten Zeit
über die unbekanntesten Gegenden aufge-
klärt. Das Königreich Kabul, das alte
Gedrosien und Caramanien sind uns zu-
gänglich geworden. Wer kann seine Bli-
cke zurückhalten daſs sie nicht über den
Indus hinüberstreifen und dort die groſse
Thätigkeit anerkennen die täglich weiter
um sich greift; und so muſs sich denn, hie-
durch gefördert, auch im Occident, die
Lust nach ferner und tieferer Sprachkennt-
niſs immer erweitern. Wenn wir beden-
ken, welche Schritte Geist und Fleiſs Hand
in Hand gethan haben, um aus dem be-
schränkten hebräisch-rabbinischen Kreise
bis zur Tiefe und Weite des Sanscrit zu
gelangen; so erfreut man sich, seit so vie-
len Jahren, Zeuge dieses Fortschreitens zu
[504] seyn. Selbst die Kriege die, so manches
hindernd, zerstören, haben der gründlichen
Einsicht viele Vortheile gebracht. Von den
Himelaja-Gebirgen herab sind uns die Län-
dereyen zu beiden Seiten des Indus, die
bisher noch mährchenhaft genug geblieben,
klar, mit der übrigen Welt im Zusammen-
hang erschienen. Ueber die Halbinsel hin-
unter bis Java können wir nach Belieben,
nach Kräften und Gelegenheit unsere Ueber-
sicht ausdehnen und uns im Besondersten
unterrichten; und so öffnet sich den jün-
gern Freunden des Orients eine Pforte nach
der andern, um die Geheimnisse jener Ur-
welt, die Mängel einer seltsamen Verfas-
sung und unglücklichen Religion, so wie
die Herrlichkeit der Poesie kennen zu ler-
nen, in die sich reine Menschheit, edle
Sitte, Heiterkeit und Liebe flüchtet, um
uns über Castenstreit, phantastische Reli-
gions-Ungeheuer und abstrusen Mysticis-
mus zu trösten und zu überzeugen, daſs
doch zuletzt in ihr das Heil der Mensch-
heit aufbewahrt bleibe.
[505]
Lehrer;
Abgeschiedene, Mitlebende.
Sich selbst genaue Rechenschaft zu ge-
ben von wem wir, auf unserem Lebens-
und Studiengange, dieses oder jenes gelernt,
wie wir nicht allein durch Freunde und
Genossen, sondern auch durch Widersacher
und Feinde gefördert worden, ist eine
schwierige, kaum zu lösende Aufgabe. In-
dessen fühl’ ich mich angetrieben einige
Männer zu nennen, denen ich besonderen
Dank abzutragen schuldig bin.
Jones. Die Verdienste dieses Mannes
sind so weltbekannt und an mehr als einem
Orte umständlich gerühmt, daſs mir nichts
übrig bleibt als nur im Allgemeinen anzu-
erkennen daſs ich aus seinen Bemühungen
von jeher möglichsten Vortheil zu ziehen
gesucht habe; doch will ich eine Seite be-
zeichnen, von welcher er mir besonders
merkwürdig geworden.
[506]
Er, nach ächter englischer Bildungs-
weise, in griechischer und lateinischer Li-
teratur dergestalt gegründet, daſs er nicht
allein die Producte derselben zu würdern,
sondern auch selbst in diesen Sprachen zu
arbeiten weiſs, mit den europäischen Lite-
raturen gleichfalls bekannt, in den orien-
talischen bewandert, erfreut er sich der
doppelt schönen Gabe, einmal eine jede
Nation in ihren eigensten Verdiensten zu
schätzen, sodann aber das Schöne und Gute
worin sie sämmtlich einander nothwendig
gleichen überall aufzufinden.
Bey der Mittheilung seiner Einsichten
jedoch findet er manche Schwierigkeit, vor-
züglich stellt sich ihm die Vorliebe seiner
Nation für alte classische Literatur entge-
gen und wenn man ihn genau beobachtet,
so wird man leicht gewahr daſs er, als ein
kluger Mann, das Unbekannte ans Be-
kannte, das Schätzenswerthe an das Ge-
schätzte anzuschlieſsen sucht; er verschleyert
seine Vorliebe für asiatische Dichtkunst
und giebt mit gewandter Bescheidenheit
meistens solche Beyspiele, die er lateinischen
und griechischen hochbelobten Gedichten
[507] gar wohl an die Seite stellen darf, er be-
nutzt die rhythmischen antiken Formen, um
die anmuthigen Zartheiten des Orients auch
Classicisten eingänglich zu machen. Aber
nicht allein von alterthümlicher, sondern
auch von patriotischer Seite mochte er viel
Verdruſs erlebt haben, ihn schmerzte Herab-
setzung orientalischer Dichtkunst; welches
deutlich hervorleuchtet aus dem hart-iro-
nischen, nur zweyblättrigen Aufsatz: Arabs,
sive de Poësi Anglorum Dialogus, am Schlusse
seines Werkes: über Asiatische Dichtkunst.
Hier stellt er uns mit offenbarer Bitterkeit
vor Augen, wie absurd sich Milton und
Pope im orientalischen Gewand ausnähmen;
woraus denn folgt, was auch wir so oft
wiederholen, daſs man jeden Dichter in
seiner Sprache und im eigenthümlichen Be-
zirk seiner Zeit und Sitten aufsuchen, ken-
nen und schätzen müsse.
Eichhorn. Mit vergnüglicher An-
erkennung bemerke ich, daſs ich bey
meinen gegenwärtigen Arbeiten noch das-
selbe Exemplar benutze, welches mir der
[508] hochverdiente Mann, von seiner Ausgabe
des Jones’schen Werks, vor zweyundvier-
zig Jahren verehrte, als wir ihn noch un-
ter die Unseren zählten und aus seinem
Munde gar manches Heilsam-Belehrende
vernahmen. Auch die ganze Zeit über bin
ich seinem Lehrgange im Stillen gefolgt,
und in diesen letzten Tagen freute ich mich
höchlich abermals von seiner Hand das höchst
wichtige Werk, das uns die Propheten
und ihre Zustände aufklärt, vollendet zu
erhalten. Denn was ist erfreulicher, für
den ruhig-verständigen Mann, wie für den
aufgeregten Dichter, als zu sehen, wie
jene gottbegabten Männer mit hohem Gei-
ste ihre bewegte Zeitumgebung betrachte-
ten und auf das Wundersam-Bedenkliche
was vorging strafend, warnend, tröstend
und herzerhebend hindeuteten.
Mit diesem Wenigen sey mein dankba-
rer Lebensbezug zu diesem würdigen Manne
treulich ausgesprochen.
Lorsbach. Schuldigkeit ist es hier
auch des wackern Lorsbach zu gedenken.
[509] Er kam betagt in unsern Kreis, wo er, in
keinem Sinne, für sich eine behagliche La-
ge fand; doch gab er mir gern über alles
worüber ich ihn befragte treuen Bescheid,
sobald es innerhalb der Grenze seiner Kennt-
nisse lag, die er oft mochte zu scharf ge-
zogen haben.
Wundersam schien es mir anfangs ihn
als keinen sonderlichen Freund orientali-
scher Poesie zu finden; und doch geht es
einem jeden auf ähnliche Weise, der auf
irgend ein Geschäft mit Vorliebe und En-
thusiasmus Zeit und Kräfte verwendet und
doch zuletzt eine gehoffte Ausbeute nicht
zu finden glaubt. Und dann ist ja das Al-
ter die Zeit die des Genusses entbehrt, da
wo ihn der Mensch am meisten verdiente.
Sein Verstand und seine Redlichkeit waren
gleich heiter und ich erinnere mich der
Stunden die ich mit ihm zubrachte immer
mit Vergnügen.
[510]
Von Diez.
Einen bedeutenden Einfluſs auf mein
Studium, den ich dankbar erkenne, hatte
der Prälat von Diez. Zur Zeit da ich mich
um orientalische Literatur näher beküm-
merte, war mir das Buch des Kabus zu
Handen gekommen, und schien mir so be-
deutend, daſs ich ihm viele Zeit widmete
und mehrere Freunde zu dessen Betrachtung
aufforderte. Durch einen Reisenden bot ich
jenem schätzbaren Manne, dem ich so viel
Belehrung schuldig geworden, einen ver-
bindlichen Gruſs. Er sendete mir dagegen
freundlich das kleine Büchlein über die
Tulpen. Nun lieſs ich, auf seidenartiges
Papier, einen kleinen Raum mit prächtiger
goldner Blumen-Einfassung verzieren, wor-
in ich nachfolgendes Gedicht schrieb:
[511]
Und so entspann sich eine briefliche
Unterhaltung, die der würdige Mann, bis
an sein Ende, mit fast unleserlicher Hand,
unter Leiden und Schmerzen getreulich fort-
setzte.
Da ich nun mit Sitten und Geschichte
des Orients bisher nur im Allgemeinen, mit
Sprache so gut wie gar nicht bekannt ge-
wesen, war eine solche Freundlichkeit mir
von der gröſsten Bedeutung. Denn weil
es mir, bey einem vorgezeichneten, metho-
dischen Verfahren, um augenblickliche Auf-
klärung zu thun war, welche in Büchern
zu finden Kraft und Zeit verzehrenden Auf-
wand erfordert hätte, so wendete ich mich
in bedenklichen Fällen an ihn, und erhielt
auf meine Frage jederzeit genügende und
[512] fördernde Antwort. Diese seine Briefe ver-
dienten gar wohl wegen ihres Gehalts ge-
druckt und als ein Denkmal seiner Kennt-
nisse und seines Wohlwollens aufgestellt
zu werden. Da ich seine strenge und ei-
gene Gemüthsart kannte, so hütete ich mich
ihn von gewisser Seite zu berühren; doch
war er gefällig genug, ganz gegen seine
Denkweise, als ich den Charakter des
Nuſsreddin Chodscha, des lustigen
Reise- und Zeltgefährten des Welteroberers
Timur, zu kennen wünschte, mir einige
jener Anecdoten zu übersetzen. Woraus
denn abermal hervorging, daſs gar manche
verfängliche Mährchen, welche die West-
länder nach ihrer Weise behandelt, sich
vom Orient herschreiben, jedoch die ei-
gentliche Farbe, den wahren angemessenen
Ton bey der Umbildung meistentheils ver-
loren.
Da von diesem Buche das Manuscript
sich nun auf der Königlichen Bibliothek
zu Berlin befindet, wäre es sehr zu wün-
schen daſs ein Meister dieses Faches uns
eine Uebersetzung gäbe. Vielleicht wäre
sie in lateinischer Sprache am füglichsten
[513] zu unternehmen, damit der Gelehrte vor-
erst vollständige Kenntniſs davon erhielte.
Für das deutsche Publikum lieſse sich als-
denn recht wohl eine anständige Ueberse-
tzung im Auszug veranstalten.
Daſs ich an des Freundes übrigen
Schriften, den Denkwürdigkeiten des
Orients u. s. w. Theil genommen und
Nutzen daraus gezogen, davon möge gegen-
wärtiges Heft Beweise führen; bedenklicher
ist es zu bekennen daſs auch seine, nicht
gerade immer zu billigende, Streitsucht mir
vielen Nutzen geschafft. Erinnert man sich
aber seiner Universitäts-Jahre, wo man gewiſs
zum Fechtboden eilte, wenn ein paar Mei-
ster oder Senioren Kraft und Gewandtheit
gegen einander versuchten, so wird niemand
in Abrede seyn, daſs man bey solcher Ge-
legenheit Stärken und Schwächen gewahr
wurde, die einem Schüler vielleicht für
immer verborgen geblieben wären.
Der Verfasser des Buches Kabus,
Kjekjawus, König der Dilemiten, wel-
che das Gebirgs-Land Ghilan, das gegen
Mittag den Pontus euxinus abschlieſst,
bewohnten, wird uns bey näherer Bekannt-
33
[514] schaft doppelt lieb werden. Als Kronprinz
höchst sorgfältig zum freysten, thätigsten
Leben erzogen, verlieſs er das Land, um
weit in Osten sich auszubilden und zu prü-
fen.
Kurz nach dem Tode Mahmuds, von
welchem wir so viel Rühmliches zu melden
hatten, kam er nach Gasna, wurde von
dessen Sohne Messud freundlichst aufge-
nommen und, in Gefolg mancher Kriegs-
und Friedensdienste, mit einer Schwester
vermählt. An einem Hofe, wo vor we-
nigen Jahren Firdusi das Schach Nameh ge-
schrieben, wo eine groſse Versammlung
von Dichtern und talentvollen Menschen
nicht ausgestorben war, wo der neue Herr-
scher, kühn und kriegerisch wie sein Va-
ter, geistreiche Gesellschaft zu schätzen
wuſste, konnte Kjekjawus auf seiner Irr-
fahrt den köstlichsten Raum zu fernerer
Ausbildung finden.
Doch müssen wir zuerst von seiner
Erziehung sprechen. Sein Vater hatte, die
körperliche Ausbildung aufs höchste zu stei-
gern, ihn einem trefflichen Pädagogen über-
geben. Dieser brachte den Sohn zurück,
[515] geübt in allen ritterlichen Gewandtheiten:
zu schieſsen, zu reiten, reitend zu schie-
ſsen, den Speer zu werfen, den Schlägel
zu führen und damit den Ball aufs geschick-
teste zu treffen. Nachdem dieſs alles voll-
kommen gelang und der König zufrieden
schien, auch deſshalb den Lehrmeister höch-
lich lobte, fügte er hinzu: Ich habe doch
noch eins zu erinnern. Du hast meinen
Sohn in allem unterrichtet, wozu er frem-
der Werkzeuge bedarf, ohne Pferd kann
er nicht reiten, nicht schieſsen ohne Bo-
gen, was ist sein Arm wenn er keinen
Wurfspieſs hat, und was wäre das Spiel
ohne Schlägel und Ball. Das Einzige hast
du ihn nicht gelehrt, wo er sein selbst al-
lein bedarf, welches das Nothwendigste ist
und wo ihm niemand helfen kann. Der
Lehrer stand beschämt und vernahm daſs
dem Prinzen die Kunst zu schwimmen feh-
le. Auch diese wurde, jedoch mit einigem
Widerwillen des Prinzen, erlernt und diese
rettete ihm das Leben, als er auf einer
Reise nach Mekka, mit einer groſsen Men-
ge Pilger, auf dem Euphrat scheiternd nur
mit wenigen davon kam.
33 *
[516]
Daſs er geistig in gleich hohem Grade
gebildet gewesen beweist die gute Auf-
nahme die er an dem Hofe von Gasna ge-
funden, daſs er zum Gesellschafter des Für-
sten ernannt war, welches damals viel hei-
ſsen wollte, weil er gewandt seyn muſste,
verständig und angenehm von allem Vor-
kommenden genügende Rechenschaft zu ge-
ben.
Unsicher war die Thronfolge von Ghi-
lan, unsicher der Besitz des Reiches selbst,
wegen mächtiger, eroberungssüchtiger Nach-
barn. Endlich nach dem Tode seines erst
abgesetzten, dann wieder eingesetzten kö-
niglichen Vaters bestieg Kjekjawus mit
groſser Weisheit und entschiedener Erge-
benheit in die mögliche Folge der Ereig-
nisse den Thron, und, in hohem Alter,
da er voraussah daſs der Sohn Ghilan
Schach noch einen gefährlichern Stand
haben werde als er selbst, schreibt er dieſs
merkwürdige Buch, worin er zu seinem
Sohne spricht: „daſs er ihn mit Künsten
und Wissenschaften aus dem doppelten
Grunde bekannt mache, um entweder durch
irgend eine Kunst seinen Unterhalt zu ge-
[517] winnen, wenn er durchs Schicksal in die
Nothwendigkeit versetzt werden möchte,
oder im Fall er der Kunst zum Unterhalt
nicht bedürfte, doch wenigstens vom Grun-
de jeder Saohe wohl unterrichtet zu seyn,
wenn er bey der Hoheit verbleiben sollte.
Wäre in unsern Tagen den hohen
Emigrirten, die sich oft mit musterhafter
Ergebung von ihrer Hände Arbeit nährten,
ein solches Buch zu Handen gekommen,
wie tröstlich wäre es ihnen gewesen.
Daſs ein so vortreffliches, ja unschätz-
bares Buch nicht mehr bekannt geworden,
daran mag hauptsächlich Ursache seyn, daſs
es der Verfasser auf seine eigene Kosten
herausgab und die Firma Nicolai solches
nur in Commission genommen hatte, wo-
durch gleich für ein solches Werk im Buch-
handel eine ursprüngliche Stockung entsteht.
Damit aber das Vaterland wisse, welcher
Schatz ihm hier zubereitet liegt, so setzen
wir den Inhalt der Capitel hierher und er-
suchen die schätzbaren Tagesblätter, wie das
Morgenblatt und der Gesellschaft-
ter, die so erbaulichen als erfreulichen
Anecdoten und Geschichten, nicht weniger
[518] die groſsen unvergleichlichen Maximen, die
dieses Werk enthält, vorläufig allgemein
bekannt zu machen.
Inhalt des Buches Kabus capitelweise.
- 1) Erkenntniſs Gottes.
- 2) Lob des Propheten.
- 3) Gott wird gepriesen.
- 4) Fülle des Gottesdienstes ist nothwendig
und nützlich. - 5) Pflichten gegen Vater und Mutter.
- 6) Herkunft durch Tugend zu erhöhen.
- 7) Nach welchen Regeln man sprechen
muſs. - 8) Die letzten Regeln Nuschirewans.
- 9) Zustand des Alters und der Jugend.
- 10) Wohlanständigkeit und Regeln beym
Essen. - 11) Verhalten beym Weintrinken.
- 12) Wie Gäste einzuladen und zu bewir-
then. - 13) Auf welche Weise gescherzt. Stein und
Schach gespielt werden muſs. - 14) Beschaffenheit der Liebenden.
- 15) Nutzen und Schaden der Beywohnung.
- 16) Wie man sich baden und waschen muſs.
[519]
- 17) Zustand des Schlafens und Ruhens.
- 18) Ordnung bey der Jagd.
- 19) Wie Ballspiel zu treiben.
- 20) Wie man dem Feind entgegen gehen
muſs. - 21) Mittel das Vermögen zu vermehren.
- 22) Wie anvertraut Gut zu bewahren und
zurück zu geben. - 23) Kauf der Sclaven und Sclavinnen.
- 24) Wo man Besitzungen ankaufen muſs.
- 25) Pferdekauf und Kennzeichen der besten.
- 26) Wie der Mann ein Weib nehmen muſs.
- 27) Ordnung bey Auferziehung der Kinder.
- 28) Vortheile sich Freunde zu machen und
sie zu wählen. - 29) Gegen der Feinde Anschläge und Ränke
nicht sorglos zu seyn. - 30) Verdienstlich ist es zu verzeihen.
- 31) Wie man Wissenschaft suchen muſs.
- 32) Kaufhandel.
- 33) Regeln der Aerzte und wie man leben
muſs. - 34) Regeln der Sternkundigen.
- 35) Eigenschaften der Dichter und Dicht-
kunst. - 36) Regeln der Musiker.
[520]
- 37) Die Art Kaisern zu dienen.
- 38) Stand der Vertrauten und Gesellschafter
der Kaiser. - 39) Regeln der Canzley-Aemter.
- 40) Ordnung des Vezirats.
- 41) Regeln der Heerführerschaft.
- 42) Regeln der Kaiser.
- 43) Regeln des Ackerbaues und der Land-
wirthschaft. - 44) Vorzüge der Tugend.
Wie man nun aus einem Buche solchen
Inhalts sich ohne Frage eine ausgebreitete
Kenntniſs der orientalischen Zustände ver-
sprechen kann, so wird man nicht zweiflen
daſs man darin Analogien genug finden wer-
de sich in seiner europäischen Lage zu be-
lehren und zu beurtheilen.
Zum Schluſs eine kurze chronologische
Wiederholung. König Kjekjawus kam un-
gefähr zur Regierung Heg 450=1058, re-
gierte noch Heg 473=1080, vermählt mit
einer Tochter des Sultan Mahmud von
Ghasna. Sein Sohn, Ghilan Schach, für
welchen er das Werk schrieb, ward seiner
[521] Länder beraubt. Man weiſs wenig von
seinem Leben, nichts von seinem Tode.
Siehe Diez Uebersetzung. Berlin 1811.
Diejenige Buchhandlung die vorgemelde-
tes Werk in Verlag oder Commission über-
nommen wird ersucht solches anzuzeigen.
Ein billiger Preis wird die wünschenswerthe
Verbreitung erleichtern.
Von Hammer.
Wie viel ich diesem würdigen Mann
schuldig geworden, beweist mein Büchlein
in allen seinen Theilen. Längst war ich
auf Hafis und dessen Gedichte aufmerksam,
aber was mir auch Literatur, Reisebeschrei-
bung Zeitblatt und sonst zu Gesicht brachte,
gab mir keinen Begriff, keine Anschauung
von dem Werth, von dem Verdienste die-
ses auſserordentlichen Mannes. Endlich
aber, als mir, im Frühling 1813, die voll-
[522] ständige Uebersetzung aller seiner Werke
zukam, ergriff ich mit besonderer Vorliebe
sein inneres Wesen und suchte mich durch
eigene Production mit ihm in Verhältniſs
zu setzen. Diese freundliche Beschäftigung
half mir über bedenkliche Zeiten hinweg,
und lieſs mich zuletzt die Früchte des er-
rungenen Friedens aufs angenehmste genie-
ſsen.
Schon seit einigen Jahren war mir der
schwunghafte Betrieb der Fundgruben im
Allgemeinen bekannt geworden, nun aber
erschien die Zeit wo ich Vortheil daraus
gewinnen sollte. Nach mannichfaltigen Sei-
ten hin deutete dieses Werk, erregte und
befriedigte zugleich das Bedürfniſs der Zeit;
und hier bewahrheitete sich mir abermals
die Erfahrung, daſs wir in jedem Fach von
den Mitlebenden auf das schönste gefördert
werden, sobald man sich ihrer Vorzüge
dankbar und freundlich bedienen mag. Kennt-
niſsreiche Männer belehren uns über die
Vergangenheit, sie geben den Standpunct
an, auf welchem sich die augenblickliche
Thätigkeit hervorthut, sie deuten vorwärts
auf den nächsten Weg, den wir einzuschla-
[523] gen haben. Glücklicher Weise wird ge-
nanntes herrliche Werk noch immer mit
gleichem Eifer fortgesetzt, und wenn man
auch in diesem Felde seine Untersuchungen
rückwärts anstellt; so kehrt man doch im-
mer gern mit erneutem Antheil zu demje-
nigen zurück, was uns hier so frisch ge-
nieſsbar und brauchbar von vielen Seiten
geboten wird.
Um jedoch eines zu erinnern muſs ich
gestehen, daſs mich diese wichtige Samm-
lung noch schneller gefördert hätte, wenn
die Herausgeber, die freylich nur für voll-
endete Kenner eintragen und arbeiten, auch
auf Laien und Liebhaber ihr Augenmerk
gerichtet und, wo nicht allen, doch meh-
reren Aufsätzen eine kurze Einleitung, über
die Umstände vergangner Zeit, Persönlich-
keiten, Localitäten, vorgesetzt hätten; da
denn freylich manches mühsame und zer-
streuende Nachsuchen dem Lernbegierigen
wäre erspart worden.
Doch alles was damals zu wünschen
blieb ist uns jetzt in reichlichem Maſse ge-
worden, durch das unschätzbare Werk,
das uns Geschichte persischer Dichtkunst
[524] überliefert. Denn ich gestehe gern daſs
schon im Jahre 1814, als die Göttinger
Anzeigen uns die erste Nachricht von des-
sen Inhalt vorläufig bekannt machten, ich
sogleich meine Studien nach den gegebenen
Rubriken ordnete und einrichtete, wodurch
mir ein ansehnlicher Vortheil geworden.
Als nun aber das mit Ungeduld erwartete
Ganze endlich erschien, fand man sich auf
einmal wie mitten in einer bekannten Welt,
deren Verhältnisse man klar im Einzelnen
erkennen und beachten konnte, da wo man
sonst nur im Allgemeinsten, durch wech-
selnde Nebelschichten bindurchsah.
Möge man mit meiner Benutzung die-
ses Werks einigermaſsen zufrieden seyn
und die Absicht erkennen auch diejenigen
anzulocken, welche diesen gehäuften Schatz
auf ihrem Lebenswege vielleicht weit zur
Seite gelassen hätten.
Gewiſs besitzen wir nun ein Fun-
dament, worauf die persische Literatur
herrlich und übersehbar aufgebaut werden
kann, nach dessen Muster auch andere Li-
teraturen Stellung und Förderniſs gewin-
nen sollen. Höchst wünschenswerth bleibt
[525] es jedoch daſs man die chronologische Ord-
nung immerfort beybehalte und nicht etwa
einen Versuch mache einer systematischen
Aufstellung, nach den verschiedenen Dicht-
arten. Bey den orientalischen Poeten ist
alles zu sehr gemischt, als daſs man das
Einzelne sondern könnte; der Charakter der
Zeit und des Dichters in seiner Zeit ist
allein belehrend und wirkt belebend auf
einen jeden; wie es hier geschehen, bleibe
ja die Behandlung sofortan.
Mögen die Verdienste der glänzenden
Schirin, des lieblich ernst belehrenden Klee-
blatts, das uns eben am Schluſs unserer
Arbeit erfreut, allgemein anerkannt werden.
[526]
Uebersetzungen.
Da nun aber auch der Deutsche durch
Uebersetzungen aller Art gegen den Orient
immer weiter vorrückt, so finden wir uns
veranlaſst etwas zwar Bekanntes, doch nie
genug zu Wiederholendes an dieser Stelle
beyzubringen.
Es giebt dreyerley Arten Uebersetzung.
Die erste macht uns in unserm eigenen
Sinne mit dem Auslande bekannt, eine
schlicht ‒ prosaische ist hiezu die beste.
Denn indem die Prosa alle Eigenthümlich-
keiten einer jeden Dichtkunst völlig auf-
hebt und selbst den poetischen Enthusias-
mus auf eine allgemeine Wasser-Ebne nie-
derzieht, so leistet sie für den Anfang den
gröſsten Dienst, weil sie uns mit dem frem-
den Vortrefflichen, mitten in unserer natio-
nellen Häuslichkeit, in unserem gemeinen
Leben überrascht und, ohne daſs wir wis-
sen wie uns geschieht, eine höhere Stim-
[527] mung verleihend, wahrhaft erbaut. Eine
solche Wirkung wird Luthers Bibelüber-
setzung jederzeit hervorbringen.
Hätte man die Nibelungen gleich in
tüchtige Prosa gesetzt und sie zu einem
Volksbuche gestempelt, so wäre viel ge-
wonnen worden, und der seltsame, ernste,
düstere, grauerliche Rittersinn hätte uns
mit seiner vollkommenen Kraft angespro-
chen. Ob dieses jetzt noch räthlich und
thunlich sey werden diejenigen am besten
beurtheilen, die sich diesen alterthümlichen
Geschäften entschiedener gewidmet haben.
Eine zweyte Epoche folgt hierauf, wo
man sich in die Zustände des Auslandes
zwar zu versetzen, aber eigentlich nur
fremden Sinn sich anzueignen und mit eig-
nem Sinne wieder darzustellen bemüht ist.
Solche Zeit möchte ich im reinsten Wort-
verstand die parodistische nennen.
Meistentheils sind es geistreiche Menschen,
die sich zu einem solchen Geschäft beru-
fen fühlen. Die Franzosen bedienen sich
dieser Art bey Uebersetzung aller poetischen
Werke; Beyspiele zu Hunderten lassen sich
in Delilles Uebertragungen finden. Der
[528] Franzose, wie er sich fremde Worte mund-
recht macht, verfährt auch so mit den Ge-
fühlen, Gedanken, ja den Gegenständen, er
fordert durchaus für jede fremde Frucht
ein Surrogat das auf seinem eignen Grund
und Boden gewachsen sey.
Wielands Uebersetzungen gehören zu
dieser Art und Weise; auch er hatte einen
eigenthümlichen Verstands- und Geschmack-
sinn, mit dem er sich dem Alterthum, dem
Auslande nur insofern annäherte, als er
seine Convenienz dabey fand. Dieser vor-
zügliche Mann darf als Repräsentant seiner
Zeit angesehen werden; er hat auſseror-
dentlich gewirkt, indem gerade das was
ihn anmuthete, wie er sichs zueignete und
es wieder mittheilte, auch seinen Zeitge-
nossen angenehm und genieſsbar begeg-
nete.
Weil man aber weder im Vollkommenen
noch Unvollkommenen lange verharren
kann, sondern eine Umwandlung nach der
andern immerhin erfolgen muſs; so erleb-
ten wir den dritten Zeitraum, welcher der
höchste und letzte zu nennen ist, derjenige
nämlich, wo man die Uebersetzung dem Ori-
[529] ginal identisch machen möchte, so daſs eins
nicht anstatt des andern, sondern an der
Stelle des andern gelten solle.
Diese Art erlitt anfangs den gröſsten
Widerstand; denn der Uebersetzer der sich
fest an sein Original anschlieſst giebt mehr
oder weniger die Originalität seiner Nation
auf, und so entsteht ein Drittes, wozu der
Geschmack der Menge sich erst heran bil-
den muſs.
Der nie genug zu schätzende Voſs
konnte das Publikum zuerst nicht befriedi-
gen, bis man sich nach und nach in die
neue Art hinein hörte, hinein bequemte.
Wer nun aber jetzt übersieht was gesche-
hen ist, welche Versatilität unter die Deut-
schen gekommen, welche rhetorische, rhyth-
mische, metrische Vortheile dem geistreich
talentvollen Jüngling zur Hand sind, wie
nun Ariost und Tasso, Shakespear und Cal-
deron, als eingedeutschte Fremde, uns
doppelt und dreyfach vorgeführt werden,
der darf hoffen daſs die Literargeschichte
unbewunden aussprechen werde, wer die-
sen Weg unter mancherley Hindernissen
zuerst einschlug.
34
[530]
Die von Hammerschen Arbeiten deuten
nun auch meistens auf ähnliche Behandlung
orientalischer Meisterwerke, bey welchen
vorzüglich die Annäherung an äuſsere Form
zu empfehlen ist. Wie unendlich vortheil-
hafter zeigen sich die Stellen einer Ueber-
setzung des Firdusi, welche uns genannter
Freund geliefert, gegen diejenigen eines
Umarbeiters, wovon einiges in den Fund-
gruben zu lesen ist. Diese Art einen Dich-
ter umzubilden halten wir für den traurig-
sten Miſsgriff den ein fleiſsiger, dem Ge-
schäft übrigens gewachsener Uebersetzer
thun könnte.
Da aber bey jeder Literatur jene drey
Epochen sich wiederholen, umkehren, ja
die Behandlungsarten sich gleichzeitig aus-
üben lassen; so wäre jetzt eine prosaische
Uebersetzung des Schahname und der Werke
des Nisami immer noch am Platz. Man
benutzte sie zur überhineilenden, den Haupt-
sinn aufschlieſsenden Lectür, wir erfreuten
uns am Geschichtlichen, Fabelhaften, Ethi-
schen im Allgemeinen und vertrauten uns
immer näher mit den Gesinnungen und
[531] Denkweisen, bis wir uns endlich damit
völlig verbrüdern könnten.
Man erinnere sich des entschiedensten
Beyfalls den wir Deutschen einer solchen
Uebersetzung der Sakontala gezollt, und
wir können das Glück was sie gemacht
gar wohl jener allgemeinen Prosa zuschrei-
ben, in welche das Gedicht aufgelöst wor-
den. Nun aber wär’ es an der Zeit uns
davon eine Uebersetzung der dritten Art
zu geben, die den verschiedenen Dialecten,
rhythmischen, metrischen und prosaischen
Sprachweisen des Originals entspräche und
uns dieses Gedicht in seiner ganzen Eigen-
thümlichkeit aufs neue erfreulich und ein-
heimisch machte. Da nun in Paris eine
Handschrift dieses ewigen Werkes befind-
lich, so könnte ein dort hausender Deut-
scher sich um uns ein unsterblich Verdienst
durch solche Arbeit erwerben.
Der englische Uebersetzer des Wolken-
boten, Megadhuta, ist gleichfalls aller
Ehren werth, denn die erste Bekanntschaft
mit einem solchen Werke macht immer
Epoche in unserem Leben. Aber seine
Uebersetzung ist eigentlich aus der zwey-
34 *
[532] ten Epoche, paraphrastisch und suppleto-
risch, sie schmeichelt durch den fünffüſsi-
gen Jambus dem nordöstlichen Ohr und
Sinn. Unserm Kosegarten dagegen ver-
danke ich wenige Verse unmittelbar aus
der Ursprache, welche freylich einen ganz
andern Aufschluſs geben. Ueberdieſs hat
sich der Engländer Transpositionen der
Motive erlaubt, die der geübte ästhetische
Blick sogleich entdeckt und miſsbilligt.
Warum wir aber die dritte Epoche
auch zugleich die letzte genannt, erklären
wir noch mit Wenigem. Eine Ueberse-
tzung die sich mit dem Original zu iden-
tificiren strebt nähert sich zuletzt der Inter-
linear-Version und erleichtert höchlich das
Verständniſs des Originals, hiedurch wer-
den wir an den Grundtext hinangeführt, ja
getrieben und so ist denn zuletzt der ganze
Zirkel abgeschlossen, in welchem sich die
Annäherung des Fremden und Einheimi-
schen, des Bekannten und Unbekannten
bewegt.
[533]
Endlicher Abschluſs!
In wiefern es uns gelungen ist den ur-
ältesten abgeschiedenen Orient an den neu-
sten, lebendigsten anzuknüpfen, werden
Kenner und Freunde mit Wohlwollen be-
urtheilen. Uns kam jedoch abermals eini-
ges zur Hand das, der Geschichte des
Tags angehörig, zu frohem und belebtem
Schlusse des Ganzen erfreulich dienen
möchte.
Als, vor etwa vier Jahren, der nach
Petersburg bestimmte persische Gesandte
die Aufträge seines Kaisers erhielt, ver-
säumte die erlauchte Gemalin des Monar-
chen keineswegs diese Gelegenheit, sie sen-
dete vielmehr von ihrer Seite bedeutende
Geschenke Ihro der Kaiserin Mutter aller
Reuſsen Majestät, begleitet von einem Brie-
fe, dessen Uebersetzung wir mitzutheilen
das Glück haben.
[534]
Schreiben
der Gemalin des Kaisers von Persien an Ihro
Majestät die Kaiserin Mutter aller Reuſsen.
So lange die Elemente dauern aus wel-
chen die Welt besteht möge die erlauchte
Frau des Pallasts der Gröſse, das Schatz-
kästchen der Perle des Reiches, die Con-
stellation der Gestirne der Herrschaft, die,
welche die glänzende Sonne des groſsen
Reiches getragen, den Zirkel des Mittel-
punkts der Oberherrschaft, den Palmbaum
der Frucht der obersten Gewalt, möge sie
immer glücklich seyn und bewahrt vor allen
Unfällen.
Nach dargebrachten diesen meinen auf-
richtigsten Wünschen hab’ ich die Ehre an-
zumelden, daſs, nachdem in unsern glück-
lichen Zeiten, durch Wirkung der groſsen
Barmherzigkeit des allgewaltigen Wesens,
die Gärten der zwey hohen Mächte aufs
neue frische Rosenblüthen hervortreiben
und alles was sich zwischen die beyden
[535] herrlichen Höfe eingeschlichen durch auf-
richtigste Einigkeit und Freundschaft be-
seitigt ist; auch in Anerkennung dieser
groſsen Wohlthat, nunmehr alle welche
mit einem oder dem andern Hofe verbun-
den sind, nicht aufhören werden freund-
schaftliche Verhältnisse und Briefwechsel
zu unterhalten.
Nun also in diesem Momente, da Se.
Excellenz Mirsa Abul Hassan Chan, Ge-
sandter an dem groſsen russischen Hofe,
nach dessen Hauptstadt abreist, hab’ ich
nöthig gefunden die Thüre der Freundschaft
durch den Schlüssel dieses aufrichtigen Brie-
fes zu eröffnen. Und, weil es ein alter Ge-
brauch ist, gemäſs den Grundsätzen der
Freundschaft und Herzlichkeit, daſs Freun-
de sich Geschenke darbringen, so bitte ich
die dargebotenen artigsten Schmuckwaaren
unseres Landes gefällig aufzunehmen. Ich
hoffe daſs Sie dagegen, durch einige Trop-
fen freundlicher Briefe, den Garten eines
Herzens erquicken werden, das Sie höch-
lich liebt. Wie ich denn bitte mich mit
Aufträgen zu erfreuen, die ich angelegent-
lichst zu erfüllen mich erbiete.
[536]
Gott erhalte Ihre Tage rein, glücklich
und ruhmvoll.
Geschenke.
- Eine Perlenschnur an Gewicht 498 Karat.
- Fünf indische Schawls.
- Ein Pappenkästchen, Ispahanische Arbeit.
- Eine kleine Schachtel, Federn darein zu
legen. - Behältniſs mit Geräthschaften zu nothwen-
digem Gebrauch. - Fünf Stück Brokate.
[537]
Wie ferner der in Petersburg verwei-
lende Gesandte über die Verhältnisse beyder
Nationen sich klug, bescheidentlich aus-
drückt, konnten wir unsern Landsleuten,
im Gefolg der Geschichte persischer Lite-
ratur und Poesie, schon oben darlegen.
Neuerdings aber finden wir diesen
gleichsam gebornen Gesandten, auf
seiner Durchreise für England, in Wien
von Gnadengaben seines Kaisers erreicht,
denen der Herrscher selbst, durch dichte-
rischen Ausdruck, Bedeutung und Glanz
vollkommen verleihen will. Auch diese
Gedichte fügen wir hinzu, als endlichen
Schluſsstein unseres zwar mit mancherley
Materialien, aber doch, Gott gebe! dauer-
haft aufgeführten Domgewölbes.
[538]
[539]
[540]
[541]
mit dem Bilde der Sonne und des Königes.
[542]
Die orientalischen Höfe beobachten,
unter dem Schein einer kindlichen Naivetät,
ein besonderes kluges, listiges Betragen und
Verfahren; vorstehende Gedichte sind Be-
weis davon.
Die neueste Russische Gesandtschaft
nach Persien fand Mirsa Abul Hassan Chan
zwar bey Hofe, aber nicht in ausgezeich-
neter Gunst, er hält sich bescheiden zur
Gesandtschaft, leistet ihr manche Dienste
und erregt ihre Dankbarkeit. Einige Jahre
darauf wird derselbige Mann, mit stattli-
chem Gefolge, nach England gesendet, um
ihn aber recht zu verherrlichen bedient man
sich eines eigenen Mittels. Man stattet ihn
bey seiner Abreise nicht mit allen Vorzü-
gen aus, die man ihm zudenkt, sondern
läſst ihn mit Creditiven und was sonst nö-
thig ist seinen Weg antreten. Allein kaum
ist er in Wien angelangt, so ereilen ihn
glänzende Bestätigungen seiner Würde, auf-
fallende Zeugnisse seiner Bedeutung. Eine
Fahne mit Insignien des Reichs wird ihm
gesendet, ein Ordensband mit dem Gleich-
niſs der Sonne, ja mit dem Ebenbild des
Kaisers selbst verziert, das alles erhebt ihn
[543] zum Stellvertreter der höchsten Macht, in
und mit ihm ist die Majestät gegenwärtig.
Dabey aber läſst man’s nicht bewenden,
Gedichte werden hinzugefügt, die, nach
orientalischer Weise, in glänzenden Meta-
phern und Hyperbeln, Fahne, Sonne und
Ebenbild erst verherrlichen.
Zum bessern Verständnisse des Einzel-
nen fügen wir wenige Bemerkungen hinzu.
Der Kaiser nennt sich einen Türken, als
aus dem Stamme Katschar entsprungen, wel-
cher zur türkischen Zunge gehört. Es wer-
den nämlich alle Hauptstämme Persiens,
welche das Kriegsheer stellen, nach Spra-
che und Abstammung getheilt in die Stäm-
me der Türkischen, Kurdischen, Lurischen
und Arabischen Zunge.
Er vergleicht sich mit Dschemschid,
wie die Perser ihre mächtigen Fürsten mit
ihren alten Königen, in Beziehung auf ge-
wisse Eigenschaften, zusammen stellen.
Feridun an Würde, ein Dschemschid an
Glanz, Alexander an Macht, ein Darius
an Schutz. Schirm ist der Kaiser selbst,
Schatten Gottes auf Erden, nur bedarf er
freilich am heiſsen Sommertage eines Schirms,
[544] dieser aber beschattet ihn nicht allein, son-
dern die ganze Welt. Der Moschusge-
ruch, der feinste, dauerndste, theilbarste,
steigt von des Kaisers Gürtel bis in Saturns
Gehirn. Saturn ist für sie noch immer der
oberste der Planeten, sein Kreis schlieſst
die untere Welt ab, hier ist das Haupt,
das Gehirn des Ganzen, wo Gehirn ist,
sind Sinne, der Saturn ist also noch em-
pfänglich für Moschusgeruch, der von dem
Gürtel des Kaisers aufsteigt. Dara ist der
Name Darius und bedeutet Herrscher, sie
lassen auf keine Weise von der Erinnerung
ihrer Voreltern los. Daſs Iran Löwen-
schlucht genannt wird, finden wir deſs-
halb bedeutend, weil der Theil von Per-
sien, wo jetzt der Hof sich gewöhnlich
aufhält, meist gebirgig ist, und sich gar
wohl das Reich als eine Schlucht denken
läſst, von Kriegern, Löwen bevölkert. Das
seidene Banner erhöhet nun ausdrück-
lich den Gesandten so hoch als möglich,
und ein freundliches liebevolles Verhältniſs
zu England wird zuletzt ausgesprochen.
Bey dem zweyten Gedicht können wir
die allgemeine Anmerkung vorausschicken,
[545] daſs Wortbezüge der Persischen Dichtkunst
ein inneres anmuthiges Leben verleihen,
sie kommen oft vor und erfreuen uns durch
sinnigen Anklang.
Das Band gilt auch für jede Art von
Bezirkung, die einen Eingang hat und
deſswegen wohl auch eines Pförtners bedarf,
wie das Original sich ausdrückt und sagt:
„dessen Vorhang (oder Thor) die Sonne
aufhebt (öffnet)“, denn das Thor vieler
orientalischen Gemächer bildet ein Vorhang;
der Halter und Aufheber des Vorhanges ist
daher der Pförtner. Unter Mani ist Ma-
nes gemeint, Sectenhaupt der Manichaer,
er soll ein geschickter Maler gewesen seyn,
und seine seltsamen Irrlehren hauptsächlich
durch Gemälde verbreitet haben. Er steht
hier wie wir Apelles und Raphael sagen
würden. Bey dem Wort Herrscher-
perlen fühlt sich die Einbildungskraft
seltsam angeregt. Perlen gelten auch für
Tropfen und so wird ein Perlenmeer denk-
bar, in welches die gnädige Majestät den
Günstling untertaucht. Zieht sie ihn wieder
hervor, so bleiben die Tropfen an ihm
hängen, und er ist köstlich geschmückt
35
[546] von Haupt zu Fuſs. Nun aber hat der
Dienstweg auch Haupt und Fuſs, An-
fang und Ende, Beginn und Ziel; weil nun
also diesen der Diener treu durchschrit-
ten, wird er gelobt und belohnt. Die fol-
genden Zeilen deuten abermals auf die Ab-
sicht den Gesandten überschwenglich zu
erhöhen, und ihm an dem Hofe, wo er
hingesandt worden, das höchste Vertrauen
zu sichern, eben als wenn der Kaiser selbst
gegenwärtig wäre. Daraus wir denn schlie-
ſsen, daſs die Absendung nach England
von der gröſsten Bedeutung sey.
Man hat von der Persischen Dicht-
kunst mit Wahrheit gesagt, sie sey in
ewiger Diastole und Systole begriffen, vor-
stehende Gedichte bewahrheiten diese An-
sicht. Immer geht es darin ins Grenzen-
lose und gleich wieder ins Bestimmte zu-
rück. Der Herrscher ist Weltlicht und
zugleich seines Reiches Herr, der Schirm,
der ihn vor der Sonne schützt, breitet seine
Schatten über die Weltflur aus, die Wohl-
gerüche seines Leibgurts sind dem Saturn
noch ruchbar, und so weiter fort strebt
alles hinaus und herein, aus den fabelhaf-
[547] testen Zeiten zum augenblicklichen Hoftag.
Hieraus lernen wir abermals, daſs ihre
Tropen, Metaphern, Hyperbeln niemals
einzeln, sondern im Sinn und Zusammen-
hange des Ganzen aufzunehmen sind.
Revision.
Betrachtet man den Antheil der, von
den ältesten bis auf die neusten Zeiten,
schriftlicher Ueberlieferung gegönnt wor-
den; so findet sich derselbe meistens da-
durch belebt, daſs an jenen Pergamenten
und Blättern immer noch etwas zu verän-
dern und zu verbessern ist. Wäre es mög-
lich daſs uns eine anerkannt-fehlerlose Ab-
schrift eines alten Autors eingehändigt wür-
de, so möchte solcher vielleicht gar bald
zur Seite liegen.
Auch darf nicht geleugnet werden daſs
wir persönlich einem Buche gar manchen
35 *
[548] Druckfehler verzeihen, indem wir uns durch
dessen Entdeckung geschmeichelt fühlen.
Möge diese menschliche Eigenheit auch
unserer Druckschrift zu gute kommen, da
verschiedenen Mängeln abzuhelfen, manche
Fehler zu verbessern, uns oder andern,
künftig vorbehalten bleibt; doch wird ein
kleiner Beytrag hiezu nicht unfreundlich
abgewiesen werden.
Zuvörderst also möge von der Recht-
schreibung orientalischer Namen die Rede
seyn, an welchen eine durchgängige Gleich-
heit kaum zu erreichen ist. Denn, bey
dem groſsen Unterschiede der östlichen und
westlichen Sprachen, hält es schwer für
die Alphabete jener bey uns reine Aequi-
valente zu finden. Da nun ferner die eu-
ropäischen Sprachen unter sich, wegen
verschiedener Abstammung und einzelner
Dialecte, dem eignen Alphabet verschiede-
nen Werth und Bedeutung beylegen; so
wird eine Uebereinstimmung noch schwie-
riger.
Unter französischem Geleit sind wir
hauptsächlich in jene Gegenden eingeführt
worden. Herbelots Wörterbuch kam
[549] unsern Wünschen zu Hülfe. Nun muſste
der französische Gelehrte orientalische
Worte und Namen der nationellen Ausspra-
che und Hörweise aneignen und gefällig
machen, welches denn auch in deutsche
Cultur nach und nach herüberging. So sa-
gen wir noch Hegire lieber als Hedschra,
des angenehmen Klanges und der alten Be-
kanntschaft wegen.
Wie viel haben an ihrer Seite die
Engländer nicht geleistet! Und, ob sie
schon über die Aussprache ihres eignen
Idioms nicht einig sind, sich doch, wie
billig, des Rechts bedient, jene Namen
nach ihrer Weise auszusprechen und zu
schreiben, wodurch wir abermals in Schwan-
ken und Zweifel gerathen.
Die Deutschen, denen es am leichte-
sten fällt zu schreiben wie sie sprechen,
die sich fremden Klängen, Quantitäten und
Accenten nicht ungern gleichstellen, gingen
ernstlich zu Werke. Eben aber weil sie
dem Ausländischen und Fremden sich im-
mer mehr anzunähern bemüht gewesen, so
findet man auch hier zwischen älteren und
neueren Schriften groſsen Unterschied, so
[550] daſs man sich einer sichern Autorität zu
unterwerfen kaum Ueberzeugung findet.
Dieser Sorge hat mich jedoch der eben
so einsichtige als gefällige Freund, J. G.
L. Kosegarten, dem ich auch obige
Uebersetzung der Kaiserlichen Gedichte ver-
danke, gar freundlich enthoben und Be-
richtigungen, wie sie im Register enthalten
sind, wo auch zugleich einige Druckfehler
bemerkt worden, mitgetheilt. Möge dieser
zuverlässige Mann meine Vorbereitung zu
einem künftigen Divan gleichfalls geneigt
begünstigen.
- Holder of rights
- Kolimo+
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- TextGrid Repository (2025). Collection 1. West-östlicher Divan. West-östlicher Divan. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bhw5.0