der
Wiſſenſchaften in Deutſchland.
Geſchichte der Zoologie.
Verlag von R. Oldenbourg.
1872.
[]
auf Joh. Müller und Charl. Darwin
Verlag von R. Oldenbourg.
1872.
[][[V]]
Vorwort.
Das Thierreich nimmt in der den Menſchen umgebenden Natur
eine ſo hervorragende Stelle ein, daß die Geſchichte der Kenntniß des-
ſelben, die Entwickelung einer Wiſſenſchaft von den Thieren ohne ein
Eingehen auf die Stellung, welche der allgemeine Culturzuſtand dem
Menſchen den Thieren gegenüber anweiſt, nicht zu geben iſt. Die
Möglichkeit des Auftretens beſtimmter wiſſenſchaftlicher Fragen hängt
hiervon und damit von dem Culturzuſtande ſelbſt ab. Die Geſchichte
der Zoologie iſt nur aus einer allgemeinen Geſchichte der Cultur zu ver-
ſtehn. Dies wird um ſo deutlicher, je weiter man ſich rückwärts nach
Zeiten hin bewegt, welchen mit den Unterſuchungs- und Beobachtungs-
mitteln auch die ſpeciellen leitenden Geſichtspunkte fehlten. Es mußte
daher in der vorliegenden Darſtellung eingehende Rückſicht auf die Cul-
turgeſchichte genommen und zu zeigen verſucht werden, wie dieſelbe all-
mählich jene ſpecielleren Ideen entſtehn ließ. Es war dies eine, zwar
fruchtbare, aber durch kaum irgend eine nennenswerthe Vorarbeit er-
leichterte Unterſuchung.
Es könnte trotzdem vielleicht befremden, daß von dem für die Ge-
ſchichte der Zoologie in neuerer Zeit beſtimmten Raume ein reichliches
Drittel dem Alterthum und Mittelalter gewidmet iſt. Und doch bedarf
dies wohl kaum der Rechtfertigung. Denn abgeſehen davon, daß das
Wiederaufleben der Wiſſenſchaft nicht mit dem Eintritte der ſogenannten
[VI]Vorwort.
neuern Zeit zuſammen, ſondern bereits in das dreizehnte Jahrhundert
fällt, konnte eine Darſtellung der nicht bloß für die Geſchichte der Zoo-
logie wichtigen Erſcheinungen, welche jenen Wendepunkt in der Cultur-
geſchichte auszeichnen, nicht ohne eingehende Unterſuchung der noch
weiter zurückliegenden Aeußerungen wiſſenſchaftlichen Lebens gegeben
werden. Wenn auch der Entwickelung der Vorſtellungen von einzelnen
Thieren, der Anſichten vom Leben und Treiben ſpecieller Formen,
welche häufig den Inhalt allgemeiner Anſchauungen bedingt haben, nach
dem Plane der vorliegenden Geſammtſchilderung nicht nachgegangen
werden konnte, ſo durfte doch eine ausführliche Beſprechung der Lehr-
und Unterrichtsmittel und Schriftwerke aus früherer Zeit, welche die
Continuität jener zum großen Theile erhalten haben, um ſo weniger
vermieden werden, als gerade dieſer Seite der Geſchichte der eigenen
Wiſſenſchaft von den Fachmännern ſo gut wie gar keine Aufmerkſamkeit
geſchenkt worden iſt. Es mag hier beiſpielsweiſe nur an die Zoologie
der Araber und an den Phyſiologus erinnert werden. Jene kennt man
auch heute meiſt nur aus den von Bochart und einigen wenigen Andern
gegebenen Auszügen; dieſer war wohl den Philologen in einzelnen
Bearbeitungen bekannt, doch dürfte es auch für die Zoologen nicht
unwichtig ſein zu ſehn, wie eine kleine Anzahl nicht einmal kritiſch und
vorurtheilsfrei zuſammengeſtellter Angaben ein volles Jahrtauſend
hindurch den allgemeinen Anforderungen an ein populäres Thierbuch
genügt zu haben ſcheint. Es galt hier aber nicht bloß den Fachgenoſſen
Auskunft über im Ganzen wohl an Entdeckungen unfruchtbare Jahr-
hunderte zu geben. Man begegnet gleich in den erſten Werken der
neueren Zeit einer Menge höchſt eigenthümlicher Anſchauungen und
wunderbarer Mittheilungen, welche für den Fortſchritt nicht unweſent-
liche Momente aus dem Zuſtande der Wiſſenſchaft in jener Zeit ſelbſt
nicht, wohl aber aus ihrer Vorgeſchichte zu erklären ſind. Da dieſe in
einer allgemeinen Culturgeſchichte des Mittelalters höchſtens
andeutungs-
weiſe berührt werden könnten, durfte die Schwierigkeit, den rothen
[VII]Vorwort.
Faden auch durch ein ſonſt ſteriles Jahrtauſend zu verfolgen nicht ge-
ſcheut werden. Viele befreundete Männer habe ich, und in keinem
Falle vergebens, um Rath und Auskunft gebeten. Ob ich das mir
Dargebotene überall richtig verwandt habe, vermag ich ſelbſt nicht zu
entſcheiden. Sollten die früheren Jahrhunderte des Mittelalters für
die Geſchichte der Thierkunde heller geworden ſein, ſo verdanke ich es
vorzüglich ihrer Hülfe.
Noch weniger bedarf es einer Darlegung der Gründe, weshalb
die Geſchichte nicht bis auf das letzte Jahrzehnt fortgeführt worden iſt.
Was die Gegenwart bewegt und ihren wiſſenſchaftlichen Gährungen
als Ferment dient, kann wohl auf ſeine Quellen und auf ſeinen Zu-
ſammenhang mit dem allgemeinen Culturfortſchritt unterſucht, aber
nicht hiſtoriſch dargeſtellt werden. Erleichtert wurde der Abſchluß
durch den Umſtand, daß durch das Erſcheinen des Darwin'ſchen Werkes
über den Urſprung der Arten, welches faſt genau mit dem leider für
die Wiſſenſchaft zu früh erfolgten Tode Johannes Müller's zuſammen-
fiel, eine neue Periode der Geſchichte der Zoologie anhebt. Mitten in
der Geburtszeit derſelben drin ſtehend iſt es dem Jetztlebenden ſchwerer,
als es ſpäteren Hiſtorikern werden wird, mit ruhiger Objectivität die
weſentlichen von den unweſentlichen Momenten zu ſcheiden, die mannich-
fachen Ueberſtürzungen, zu denen das plötzlich ſo unendlich erweiterte
Geſichts- und Arbeitsfeld verführt hat, von den haltbaren, den
Sturm des Meinungsſtreites überdauernden wirklichen Fortſchritten
zu ſondern.
Die moderne Naturforſchung hat ſich bis jetzt einer hiſtoriſchen
Behandlung ihrer eignen Vorzeit wenig geneigt gezeigt. Wie ihr aber
das Bewußtſein, daß ſie nur eine Entwickelungsſtufe in dem Fortgange
der betreffenden Ideen darſtellt, den directen Vortheil bringt, daß ſie
dieſe, wie früheren Keimen entſprungen, ſo auch weiterer Ausbildung
fähig erkennt und daß ſie durch Einſicht in das Entwickelungsgeſetz
derſelben zu weiteren Schritten geführt wird, ſo würde mancher Streit
[VIII]Vorwort.
mit andern Geiſtesrichtungen eine mildere Form annehmen, wenn der
von der andern Seite ſo ſcharf betonten Nothwendigkeit einer Pflege
idealiſtiſcher Bedürfniſſe durch geſchichtliche Unterſuchungen Rechnung
getragen würde, welche ja ſowohl durch die Methode als auch durch die
zu erlangenden Reſultate jenem Zuge zum Idealismus ſo ausnehmend
Vorſchub leiſten. Wie hier der Geſchichte im Allgemeinen wohl einſt
noch eine weitere Rolle zufallen dürfte, ſo ſollten die, den geiſtigen Fort-
ſchritt ſo weſentlich mit beſtimmenden Naturwiſſenſchaften zeigen, daß
ſie außer durch ihren poſitiven Inhalt auch durch die Behandlungs-
weiſe ihrer eigenen Entwickelung fördernd auf die Entwickelung der
Cultur zu wirken im Stande ſind.
[IX]
Inhalt.
Vorwort S. V.
Einleitung.
Die verſchiedenen Seiten einer wiſſenſchaftlichen Betrachtung des Thierreichs,
S. 1. Kenntniß der thieriſchen Formen, Syſteme; Kenntniß des thieriſchen Baues,
Morphologie, S 2. Verhältniß des Thierreichs zur Erdoberfläche, Geſchichte des
Thierreichs, S. 5.
Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.
Die Urzeit. S. 9. 1) Sprachliche Begründung einer den Urvölkern eigenen
Thierkenntniß, früheſte Hausthiere, S. 10. 2) Eintritt der Thiere in den religiöſen
Vorſtellungskreis, S. 15. 3) Alter und Verbreitung der Thierfabel, geographiſche
Färbungen derſelben, S. 18. 4) Litterariſche Quellen der vorclaſſiſchen Zeit: Bibel,
indiſche Litteratur, ägyptiſche und aſiatiſche Bildwerke, S. 22.
Das claſſiſche Alterthum, S. 26. Griechen und Römer, S. 26. Beob-
achtungsmittel und Methode, S. 29. Unterſchied von Pflanze und Thier, S. 31.
1) Kenntniß der Thierformen. Fehlen des Begriffs thieriſcher Arten,
S. 32, und einer wiſſenſchaftlichen Nomenclatur, S. 34. Hausthiere, S. 35.
Ueberſicht nach den Claſſen, S. 39. Menſch, S. 44; Wirbelthiere, S. 46; Wir-
belloſe Thiere, S. 53. 2) Kenntniß des thieriſchen Baues, S. 56. Die
älteren griechiſchen Naturphiloſophen, S. 58. Ariſtoteles, S. 63; die nachari-
ſtoteliſche Zeit, S. 72. 3) Verſuche zur Syſtematik, S. 76. Ariſtoteles, S. 77.
Plinius, S. 85. 4) Anſichten über das Verhältniß der Thiere zur
Erdoberfläche. Geographiſche Verbreitung, S. 88. Foſſile Thiere, S. 89.
Ausgang des Alterthums, S. 89.
Die Zoologie des Mittelalters.
Periode des Stillſtands bis zum zwölften Jahrhundert, S. 96.
Kirchlicher Einfluß: Mönchthum und Macht der Kirche; Unterricht, S. 99. Boë-
thius, Caſſiodor, Marcianus Capella, S. 104. Iſidor von Sevilla, S. 105.
Der Phyſiologus. Elementarbuch der Zoologie, S. 108; Verbreitung
deſſelben, S. 109. Die erwähnten Thiere, S. 118. Entſtehung, S. 139, Ge-
ſchicke des Buches, S. 143. Symboliſche Zoologie, S. 144.
Stand des Wiſſens und der Cultur am Ende des zwölften
Jahrhunderts, S. 145. Höhe der päbſtlichen Gewalt, S. 146. Realismus
[X]Inhalt.
und Nominalismus, S. 148. Scholaſtik, S. 148. Reformatoriſche Verſuche
S. 150. Franziskaner und Dominikaner, S. 150.
Zoologie der Araber, S. 151. Culturhiſtoriſche Charakteriſtik der Araber,
S. 151. Originalarbeiten, S. 158. Ueberſetzungen, S. 170. Ariſtoteles und
Plinius, S. 175. Apollonius von Tyana, S. 176.
Das dreizehnte Jahrhundert, S. 178. Erweiterung der ſpeciellen Thier-
kenntniß, S. 178. Reiſen; Marco Polo, S. 195. Wiederauftritt des
Ariſtoteles, S. 201. Michael Scotus und Wilhelm von Moerbeke, S. 208.
Die drei Hauptwerke des dreizehnten Jahrhunderts: Thomas von Cantimpré,
S. 211; Albert der Große, S. 223; Vincenz von Beauvais. S. 238.
Weitere Zeichen einer litterariſchen Thätigkeit, S. 242. Bartholomäus
Anglicus, S. 245.
Ausgang des Mittelalters, S. 247. Conrad von Megenberg, S. 248.
Jacob von Maerlandt, S. 251. Univerſitäten, S. 254. Humanismus, S. 255.
Buchdruck, S. 257. Entdeckungsfahrten, S. 257.
Die Zoologie der Neuern Zeit.
Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen.
Allgemeine Charakteriſtik des Zeitraums, S. 259. Syſtematik: E. Wot-
ton, S. 265. Verbreitete Anſchauungen vom Thierreich, S. 268. Adam Lonicer,
S. 271.
Geſammtdarſtellungen: C. Gesner, S. 274. Ul[.] Aldrovandi,
S. 288. J. Jonſtonus, S. 297. Handbücher: J. Sperling, S. 305. Bibli-
ſche Zoologie: H. H. Frey, S. 310. Wolfg. Franz, S. 312; Sam. Bochart,
S. 315. — Die Zoologie in der allgem. Litteratur, S. 317. Abbildungen, S.
318.
Erweiterung der ſpeciellen Thierkenntniß, S. 321. Reiſen,
S. 322. Amerika: Oviedo, Acoſta, Hernandez, S. 324. Marcgrav und Piſo,
S. 326. Oſt-Indien: Bontius, S. 330. Afrika: Joh. Leo, Prosper Al-
pinus, S. 331. Mittelmeerküſten: P. Belon, S. 332. Nord-Europa:
Ol. Magnus, S. 335; S. von Herberſtein, S. 336. Fauniſtiſches: S. 337.
Arbeiten über einzelne Claſſen und Formen, S. 339. Säuge-
thiere, S. 340. Vögel, S. 347; Schlangen, S. 354; Fiſche, S. 355. Mollus-
ken, S. 368. Inſecten, S. 369. Würmer, S. 372. — Foſſile Formen, S. 374.
Zootomiſche und vergleichend-anatomiſche Leiſtungen, S. 376.
Volcher Coiter, S. 377. Fabricius ab Aquapendente, S. 379. Severino, S. 381.
Thom. Willis, S. 383.
Periode der Syſtematik.
Allgemeine Charakteriſtik des Zeitraumes, S. 386.
Fortſchritte der Anatomie: Einführung des Mikroſkops, S. 392.
Malpighi, S. 394; Leeuwenhoek, S. 399; Swammerdam, S. 400; Redi,
S. 403. — Blaes, S. 406; Valentini, S. 406.
Gründung der naturwiſſenſchaftlichen Akademien, S. 407.
[XI]Inhalt.
Academia Naturae Curiosorum, S. 409; Royal Society, S. 413;
Académie
des Sciences, S. 415. Französische Provincialakademien, S. 417; Akademien
in Berlin, Petersburg, Stockholm, Kopenhagen, Bologna, S. 418.
Localnaturgeſchichten, S. 420. — Pflege der Muſeen und
Thiergärten, S. 422. Duverney, Mery und Perrault, S. 424. — An-
zeichen des Fortſchritts, S. 425. Walter Charleton, S. 426.
John Ray, S. 428. Franc. Willughby, S. 430. Arbeiten Ray's, S. 431.
Martin Liſter, S. 447. Die Zeit von Ray bis Klein, S. 449. — Jak.
Theod. Klein, S. 472.
Karl von Linné, S. 492. Seine Verdienſte, S. 497; ſein Syſtem,
S. 503.
Anregungen, welche die Zoologie Nicht-Syſtematikern verdankt: Buffon,
S. 522; Bonnet, S. 526. — De Maillet und Robinet, S. 527.
Erweiterung der Thierkenntniß durch Reiſen und Faunen,
S. 528. Zoogeographie, S. 534.
Peter Simon Pallas, S. 535.
Fortbildung der Syſtematik; M. J. Briſſon, S. 539. J. Her-
mann, S. 542. — Phyſikotheologie, S. 543.
Fortſchritte der Kenntniß einzelner Claſſen: Menſch, S. 544.
Säugethiere, S. 546. Vögel, S. 549. Reptilien und Amphibien, S. 551.
Fiſche, S. 553. Mollusken, S. 555. Gliederthiere, S. 557. Würmer, S. 561.
Polypen, S. 562. Infuſorien, S. 564. — Foſſilien, S. 565.
Vergleichende Anatomie: P. Camper, S. 566; A. von Haller, S. 567;
L. Spallanzani, S. 568; C. F. Wolff, S. 568; J. Hunter, S. 568; F. Vicq
d'Azyr, S. 569. — Thierſeelenkunde, S. 570.
Auftreten wiſſenſchaftlicher Zeitſchriften, S. 571.
Periode der Morphologie.
Allgemeine Charakteriſtik des Zeitraums, S. 573.
Die deutſche Naturphiloſophie, S. 576. Schelling, S. 576;
Oken, S. 579; Schubert, Burbach, C. G. Carus, S. 589. — Goethe, S.
589.
Fortbildung der vergleichenden Anatomie. Kielmeyer, S. 592.
Geoffroy-Saint-Hilaire, S. 593. G. Cuvier, S. 597. Bichat, S. 603. Blu-
menbach, S. 603. Döllinger, Burbach, G. Fiſcher, S. 604. Tiedemann, Bo-
janus, S. 605. C. G. Carus, S. 605. J. Fr. Meckel, S. 606. Rudolphi,
E. H. Weber, S. 609. Blainville, S. 610.
Die Lehre von den thieriſchen Typen, S. 612. Lamarck, S. 612.
G. Cuvier, S. 614. Blainville, S. 615. C. E. von Baer, S. 616.
Entwicklungsgeſchichte, S. 619. Oken, S. 620; Pander, S. 621;
C. E. von Baer, S. 622; H. Rathke, S. 625. — Entdeckung des
Säugethiereies,
S. 628; Furchung, S. 629.
Zellentheorie, Th. Schwann, S. 629.
Morphologie und vergleichende Anatomie, S. 633; Rathke,
S. 635; Joh. Müller, S. 635; Rich. Owen, S. 638. Savigny, S. 641. M.
Sars, S. 643. Generationswechſel, S. 644. Handbücher, S. 646.
[XII]Inhalt.
Paläontologie, S. 647.
Erweiterung der Thierkenntniß durch Reiſen und Faunen,
S. 651. Expeditionen der Franzoſen, S.652, der Engländer, S. 653, der Ruſſen,
S. 654, der Deutſchen, S. 655, der Schweden, S. 656, der Nordamerikaner,
S. 656. — Specielle Reiſen und Faunen, S. 656. Süd-Amerika, S. 656.
Nord-Amerika, S. 658. Auſtralien, S. 660. Süd-Aſien, S. 660. Afrika,
S. 661. Europa, S. 663. — Zoogeographie, S. 664.
Fortbildung des Syſtems, S. 666. Syſteme nach einzelnen
Organen,
S. 669. Naturphiloſophiſche Syſteme, S. 672. Weitere Begründung der Typen,
S. 676.
Fortſchritte der Kenntniß einzelner Claſſen, S. 680. Proto-
zoen, S. 680. Coelenteraten, S. 684. Echinodermen, S. 687. Würmer, S. 688.
Arthropoden, S. 693. Mollusken, S. 698. Wirbelthiere, S. 702. Menſch, S.
714.
Hiſtoriſche Zoologie, S. 717.
Entwickelung der Thierwelt, S. 720. Lamarck, S. 721. F. S.
Voigt, S. 723, Et. Geoffroy St. Hilaire, S. 724, Darwin, S. 725.
Schlußbemerkungen, S. 727.
Nachträge und Verbeſſerungen.
Da der Druck dieſes Bandes ſchon vor dem Kriege begonnen, aber in Folge
dieſes ſowie einer längern Erkrankung des Verf. unterbrochen wurde, können noch
folgende Verbeſſerungen gegeben werden.
S.20.Anm.21. Ueber Klagen gegen Thiere ſ. noch Menabréa, de l'origine
des jugements contre les animaux, in Mém. Soc. acad. Savoie. T. XII.1846.
S. 32. Anm. 33. Die zweite Auflage von Wackernagel's Voces anima-
lium iſt inzwiſchen erſchienen.
S. 37. Anm. 44. Meine Anſicht unterſtützt eine Angabe Geſner's, welcher
(Hist. animal. lib. I. p. 215) Μελίτη für die Inſel Meleda bei Raguſa hält.
S. 105. Z. 7 v. o. l. Werk ſtatt Schrift.
S. 125. Aehnliches von dem was hier der Phyſiologus vom Biber erzählt,
führt Rafael. Volaterranus (teste Gesner, Quadruped. p. 838) von Poëphagus
(Yak?) an: praescindit sibi sponte caudam.
S. 193. Von der Baumgans handelt noch ausführlich Bonanni, Recreatio
mentis et oculi. Romae 1684. p. 96.
S. 281. Die hier erwähnte Schrift von Mich. Herr oder Herus iſt gedruckt:
„Gründlicher Underricht, wahrhaffte und eygentliche Beſchreibung wunderbarlicher
ſeltzſamer Art, Natur, Krafft und Eygenſchafft aller vierfüſſigen Thier“ u. ſ. w.
Straßburg, 1546, gedruckt bei Balth. Beck. Das Buch iſt ſelten.
Einleitung.
Es iſt nicht anders zu erwarten, als daß der Menſch, welcher
mitten in die belebte Natur hineingeſtellt ſich als Theil derſelben fühlen
mußte, ſchon ſehr früh die Formen der Thiere, ihr Leben und Treiben,
ihr Vorkommen und ihre Verbreitung mit der größten Aufmerkſamkeit
und Hingebung betrachtet hat. Mag die Thierwelt ihm in ihren leichter
bezwingbaren Gliedern Mittel zur Befriedigung ſeiner materiellen Be-
dürfniſſe wie Nahrung und Kleidung dargeboten haben, oder mögen
die Thiere, welche „nicht an den Boden gebannt, neben voller Freiheit
der Bewegung, die Gewalt der Stimme haben und zur Seite des
Menſchen als mitthätige Geſchöpfe in dem Stillleben einer gleichſam
leidenden Pflanzenwelt auftreten“1), ihn durch die Mannichfaltigkeit
ihrer Lebensäußerungen zum neugierigen Beobachten oder auch zur Ab-
wehr ihrer Angriffe angeregt haben, immer werden ſich zu Worten füh-
rende Begriffe gebildet haben, welche entweder den ſinnlichen Eindrücken
entſprechend oder über dieſe hinausgehend zu den früheſten Beſitzthü-
mern des Bewußtſeins gehörten. Es wird dies ſchon in Zeiten ge-
ſchehen ſein, wo nur wenig andere Beziehungen, wie etwa die des
Menſchen zum Menſchen, der Familienglieder zu einander, dem Vor-
ſtellungskreis des Menſchen begrifflich eingereiht waren.
Dürfen wir den Urſprung einer Wiſſenſchaft in die Zeit des erſten
Bekanntwerden mit dem Gegenſtande derſelben ſetzen, dann iſt die Zoo-
logie wenn nicht die älteſte doch eine der älteſten Wiſſenſchaften. Frei-
lich enthält ſie zunächſt nichts als Kenntniſſe einzelner Thierformen,
V. Carus, Geſch. d. Zool. 1
[2]Einleitung.
welche unverbunden und nur zufälligen Erfahrungen entſprungen wa-
ren. Doch iſt das, was wir aus den in der Sprache niedergelegten Er-
gebniſſen jener anfänglichen Bekanntſchaft mit den Thieren abzuleiten
im Stande ſind, auch für rein zoologiſche Fragen von wiſſenſchaftlichem
Werthe.
In Folge des gegen ſpätere Zeiten ungleich innigeren Anſchluſſes
an die Natur, von welcher den Menſchen weder Verweichlichung und
Verfeinerung der Sitten noch Beſchäftigung mit nicht ſtreng zu ihr Ge-
hörigem geſchieden hatte, entwickelte ſich allmählich ein nicht bloß äußer-
liches Vertrautſein mit dem Leben der Thiere. Wie der Menſch bei Thie-
ren gemüthliche Aeußerungen, Neigungen und Abneigungen, häusliches
oder geſelliges Leben beobachtete, Erſcheinungen, welche dem von und an
ihm ſelbſt Gefühlten und Erlebten wenn auch nicht dem Inhalte doch der
Form nach ähnlich waren, ſo trat die Veranlaſſung wohl nicht unbe-
gründet an ihn heran, ähnliche äußere Wirkungen auch auf ähnliche
innere Urſachen zurückzuführen und die bei Thieren geſehenen Regun-
gen geiſtigen Lebens mit einem ſeiner Seelenthätigkeit entſprechenden
Maßſtab zu meſſen. Miſchte auch die Einbildungskraft ein reichliches
Theil völlig Unhaltbaren der Geſammtheit des richtig Beobachteten zu,
ſo gehören doch die über das Seelenleben einzelner Thiere gewonnenen
Kenntniſſe zu dem Werthvollſten, was uns die ſchöne ſagenreiche Ur-
zeit, „als noch die Thiere ſprachen“, überliefert hat. Auch hiervon hat
eine Geſchichte der Zoologie manches Bedeutungsvolle aufzunehmen.
Führte ſo die erſte Bekanntſchaft mit Thieren zu einer Kenntniß
der äußeren Geſtalt derſelben und derjenigen ihrer Eigenſchaften, welche
weſentlich die Art ihres Verhältniſſes zum Menſchen beſtimmten, ſo
konnte das gliedernde und ordnende Denkvermögen dem ſich immer
reicher entfaltenden Bilde des Thierlebens gegenüber nicht hierbei bloß
ſtehen bleiben. Wie ſchon die Sprache in ihren Bezeichnungen für die
verſchiedenen Thiere keine Namen für Einzelweſen, ſondern Geſammt-
ausdrücke für ſämmtliche gleichgeſtaltete, gleichgefärbte, gleichlebende
Thiere ſchuf, ſo wurden dieſelben allmählich zu der Bedeutung erwei-
tert, daß ſie gewiſſermaßen als Fächer zur Aufnahme neuer, nach und
nach in die Erfahrung des Menſchen eintretender Thiere dienen konn-
[3]Einleitung.
ten. Es entſtanden Worte wie Vogel, Fiſch, Wurm u. ſ. w., welche
urſprünglich, d. h. durch die zu ihrer Bildung benutzten Wurzeln, an
hervorſtechende Eigenthümlichkeiten gewiſſer Thiere erinnernd allmäh-
lich zu Namen für Thiergruppen wurden, zuweilen ſelbſt mit Verluſt
ihrer erſten Bedeutung. Aber auch dieſe faſt unbewußte, jedenfalls
nicht wiſſenſchaftlich beabſichtigte Sammlung des Gleichen und Aehn-
lichen unter gemeinſame Bezeichnungen konnte dem Bedürfniß einer
bewußten Anordnung nicht genügen. Dieſes mußte aber eintreten, ſo-
bald Thiere bekannt wurden, welche ſich nicht ohne weiteres in das
ſprachlich entwickelte Fachwerk fügen wollten. Vielleicht ſind einige der
von Alters her als fabelhaft bezeichneten Thiere als ſolche anzuſehen,
für welche in der Sprache noch keine Gattungsbezeichnungen vorhan-
den waren.
Dieſem ſelben Drange, in die Mannichfaltigkeit des Geſehenen
nicht bloß Ordnung zu bringen ſondern auch Sinn, entſprangen die
bis in unſere Zeit hineinreichenden Verſuche das Thierreich einzutheilen
oder zu claſſificiren. Der Wunſch, die Menge der Geſtalten überſicht-
lich und ſo zu ordnen, daß Bekanntes leicht zu erkennen, Unbekanntes
bequem unterzubringen ſei, führte zu der Form von Syſtemen, welche
wir mit mehr oder weniger Recht künſtliche nennen. Iſt auch nicht zu
verkennen, daß manche Verſuche, derartige Gebäude aufzuführen,
äußerſt ſinnreich waren, ſo kommt doch in das Syſtem ſelbſt erſt da-
durch wahrer Sinn, daß nicht willkürlich einzelne Merkmale vorweg zu
Eintheilungsgründen gemacht werden und nach ihnen die Stellung des
Thieres beſtimmt wird, ſondern daß die Thiere nach allen ihren Eigen-
thümlichkeiten und Beziehungen unterſucht und mit einander verglichen
werden.
Von größter Bedeutung iſt hierbei das Eintreten eines Wortes
zur Bezeichnung des Verhältniſſes der Thiere zu einander, welches in
einzelnen Ableitungen allerdings wohl ſchon bald in die Sprachweiſe
der Schulphiloſophie übergieng und damit ſeine anfängliche Bedeutung
in Vergeſſenheit treten ließ, welches aber dennoch ſowohl dem Syſteme
Sinn, als der auffallenden Aehnlichkeit vieler Thiere Erklärung brachte,
das Wort „Verwandtſchaft“. Bei den Alten beherrſchte das
1*
[4]Einleitung.
Sinnliche den Gedanken; die Speculation ſchloß ſich daher der Form
ſtarr an. Doch konnte ſie ſich der Leitung durch den Sprachgebrauch
nicht entziehen; und dieſer führte durch ſo eine bedeutungsvolle Reihe
von Worten, wie „Gattung“, „Gattungsgenoſſen“, „verwandt“2), auf
die Muthmaßung oder wohl nur unbewußte Ahnung einer Zuſammen-
gehörigkeit ähnlicher Thierformen in einem Sinne, welcher erſt in
neueſter Zeit Quell für viele anregende und fördernde Betrachtungen
geworden iſt.
Mit der Erkennung und Unterſcheidung der Thiere gieng aber von
Anfang an eine Reihe von Beobachtungen Hand in Hand, welche nicht
wie jene allein auf das Aeußere, ſondern vorzüglich auf die innere Zu-
ſammenſetzung des Thierkörpers gerichtet waren. Zunächſt kam es
wohl nur darauf an, die zur Befriedigung der wichtigſten Bedürfniſſe
des Menſchen brauchbaren Theile kennen und irgendwie kunſtgerecht
ſondern zu lernen. Dem ſein Vieh oder ſein Wild abbalgenden und
ausweidenden Hirten und Jäger folgte bald der Haruſpex, welcher zwar
die Eingeweide und das Blut der Thiere3) nur um die Geheimniſſe der
Zukunft befragte, durch die Uebung ſeines Handwerks aber doch eine
allgemeine Kenntniß ihrer Form und Lagerung erlangen mußte. Da-
bei konnte denn die auffallende Aehnlichkeit mancher Thiere mit einander
[5]Einleitung.
nicht entgehen. Was anfangs nur zufällig gefunden wurde, gab Ver-
anlaſſung zum ſpäter beabſichtigten, wenn auch noch nicht planvollen
Suchen. Das Ziel, was man hier verfolgte, war die Begründung der
auf anderem Wege erlangten Eintheilung der Thiere. So erweiterte
zunächſt die Thieranatomie den Kreis der bei Anordnung der Thier-
gruppen verwerthbaren Merkmale.
Das ſich immer mehr vertiefende Nachdenken über die den Men-
ſchen täglich umgebenden, aber doch mit einem ſo dichten Schleier ver-
hüllten Erſcheinungen des Lebens mußte allmählich zu Verſuchen füh-
ren, das Beſtändige aus der Maſſe des Wechſelnden auszuſcheiden,
Formen und Leiſtungen der Thierkörper auf gemeinſame Grundverhält-
niſſe zurückzuführen, überhaupt das nachzuweiſen, was man trotz der
ſcheinbaren Willkür des beweglichen Lebendigen Geſetzmäßigkeit in und
an ihm nennen zu dürfen glaubte. Auch hier trat eine der täglichen
Erfahrung entſpringende Mahnung an den Beobachter. Der regel-
mäßige Ablauf der Lebensvorgänge wurde häufig geſtört; gewaltſame
Eingriffe oder langſam wirkende Urſachen führten Krankheiten des
Menſchen und ſeiner Thiere herbei; es traten angeborene Fehler und
Misbildungen auf. Allem dieſen Abhülfe zu ſchaffen wurde von denen
erwartet, welchen Beruf und Gewerbe, erſt ſpäter ausdrücklich darauf
gerichtete Beſchäftigung Bekanntſchaft mit dem Körper des Menſchen
und der Thiere einbrachten. So trat die Lehre vom Leben und die
Wiſſenſchaft von den Trägern deſſelben in Abhängigkeit von der Krank-
heits- und Heilungslehre, ein Verhältniß, deſſen Innigkeit zu lockern
zwar vorübergehend verſucht wurde, deſſen Löſung aber zum Nachtheil
beider Theile noch nicht völlig erfolgt iſt. Sicher iſt, daß entſcheidende
Wendepunkte zum Fortſchritt dahin fallen, wo ſich die Vertreter der
Naturwiſſenſchaften als freie Forſcher der Verbindung mit der Medi-
cin entſchlugen.
Es mußte von vornherein einleuchten, daß die frei beweglichen
Thiere ihre Wohnplätze nach Umſtänden wechſeln, daß ſie wandern
konnten. Als aber die Weidethiere, nach Abnutzung der alten, neue
Weideſtätten aufſuchten und ihnen die Raubthiere nachzogen, fand man
bald auch fremde Thierformen am neuen Ort. Nicht ohne Einfluß auf
[6]Einleitung.
die Anſichten über die Verbreitung der Thiere waren die wohl ſchon
lange vor Hippokrates beobachteten Einwirkungen der „Luft, des
Waſſers und der Ortslage“ auf die belebten Weſen. Man fand, daß
nicht Alles überall gedeihen konnte; Pflanzen wie Thiere hatten ihre
beſtimmten Verbreitungsgrenzen. Zu Urkund deſſen wurden Naturſchil-
derungen ferner Länder durch Erwähnung der eigenthümlichen fremdar-
tigen Thiere belebt. Doch gelangte man erſt ſpät zum Nachweiſe
eines geſetzlichen Verhaltens der Vertheilung der Thiere auf beſtimmte
Bezirke. Natürlich mußte die Entwicklung richtiger Anſichten über
dieſen Gegenſtand hindern, daß man noch nicht die natürlichen Beziehun-
gen der verſchiedenen Thierformen zu einander und zur umgebenden
Pflanzenwelt würdigte, und daß beim Mangel einer genügenden Kennt-
niß der Erdform und -oberfläche auch die hieraus fließenden Bedingun-
gen für das Leben einzelner Thiergruppen unbekannt bleiben mußten.
Daß Ueberreſte von Thieren in Steinen eingeſchloſſen oder zu
Stein geworden vorkommen, konnte ſelbſtverſtändlich erſt gefunden
werden, als großartige Bauten Steinbrüche in Betrieb ſetzen ließen
oder der Bergbau die Eingeweide der Erde zu durchwühlen begann.
Zuweilen mag es wohl ſchon bei Brunnengrabungen ſich ergeben ha-
ben, daß die Erdrinde Knochen und Muſcheln birgt. Von zufälligen, in
noch älteren Zeiten gemachten Funden ſolcher Zeugen vergangener Ge-
ſchlechter in loſem Geröll oder beim Pflügen hat ſich keine ſichere
Kunde erhalten. Als Geſteinsmaſſen reichlicher erſchloſſen, Geſchiebe
emſiger durchſucht wurden, dienten die hier entdeckten Verſteinerungen
entweder zur Stütze beſonderer Anſichten über die Bildung der Erd-
rinde, oder ſie wurden, von der Einbildungskraft mit allem Reize des
Wunderbaren geſchmückt, zu abenteuerlichen Erzählungen über vorge-
ſchichtliches Leben benutzt, oder als Naturſpiele bewundert. Daß die
verſteinerten Thiere mit den jetzt lebenden in ein großes Syſtem gehö-
ren, daß ſie mit den letzteren verwandt ſind, lernte man erſt ſpät ein-
ſehen. Und der neueſten Zeit hängt noch als Mahnung an alte Ver-
gangenheit die ungerechtfertigte Arbeitstheilung an, welche die Unter-
ſuchung foſſiler Pflanzen und Thiere der Geologie zuweiſt. Kann auch
dieſe in einzelnen Fällen kaum beſſere Merkzeichen für einzelne Schichten
[7]Einleitung.
aufſtellen, als deren organiſche Einſchlüſſe, ſo kann die Zoologie wegen
der ihr eigen angehörigen Aufgabe einer Geſchichte des Thierreichs des
eingehendſten Befaſſens mit ausgeſtorbenen Formen ebenſowenig ent-
rathen, als ein genaues Eindringen in die Natur der foſſilen Formen
ohne Beherrſchung der vergleichend-anatomiſchen Einzelheiten mög-
lich iſt.
Das Thierreich bietet hiernach der wiſſenſchaftlichen Betrachtung
verſchiedene Seiten dar. Anfänglich verbunden wurden ſie ſpäter ein-
zeln unterſucht; es bildeten ſich beſondere Lehren. Dieſe ſind dann
ſämmtlich eine Zeit lang getrennt gewachſen und haben ihre beſondere
Geſchichte. Wie aber die aufeinanderfolgenden Verſuche, die verſchiede-
nen einzelnen Thierformen in vollſtändige Syſteme zu bringen, den
jedesmaligen Stand des zoologiſchen Wiſſens in ſeiner Geſammtheit
repräſentiren, wie die Kenntniß des thieriſchen Baues und der thieri-
ſchen Form im weitern Sinne zur Entwickelung der thieriſchen Mor-
phologie, die Kenntniß der geographiſchen Verbreitung der Thiere zur
Aufklärung des Verhältniſſes der Thiere zur Oberfläche der Erde und
zu allem dem, was auf ihr ſich findet, wie endlich das Bekanntwerden
mit verſteinerten Thierformen zu einem Einblick in den Zuſammenhang
der Thierwelten verſchiedener Erdalter und dadurch zu einer Geſchichte
des nun wieder zur Einheit verbundenen Thierreichs führte, — ſo ſind
dieſe verſchiedenen Theile unſeres Wiſſens von den Thieren eben nicht
als unverbindbare, auseinander ſtrebende Zweige, ſondern als die zum
Stamm einer einheitlichen Wiſſenſchaft zuſammentretenden Wurzeln zu
betrachten.
Undankbar wäre es, ſollte bei dem erfreuenden Blick auf die jetzige
Ausbildung der Zoologie nicht der Hülfe gedacht werden, welche die
Schweſterwiſſenſchaften ihr geleiſtet haben. Nirgend wohl iſt die
Schwierigkeit, zäh eingewurzelten Vorurtheilen entgegenzuarbeiten, ſo
groß als wo es ſich um Erklärungen von Lebensvorgängen handelt,
beſonders wenn dieſe Vorgänge zu den immer noch räthſelhaften, aber
deshalb doch nicht als Wunder zu betrachtenden Geſtaltungen führen,
wie ſie ſowohl in der Entwickelungsgeſchichte einzelner Thierformen, als
in dem ganzen Bildungsgange der Thierwelt vorliegen. In nicht
[8]Einleitung.
geringerem Grade weigert ſich die geiſtige und ſittliche Trägheit, dem
ſtreng folgerichtigen Denken auf das Gebiet jener nicht materiellen aber
von körperlichen Grundlagen ausgehenden Bewegungserſcheinungen zu
folgen, welche gemeinhin als ſeeliſche bezeichnet durch Eintreten des
freien Willens wie großer Abſtractionsfähigkeit zwar vorläufig einer
ins Einzelne gehenden Erklärung ausweichen, aber doch untrennbar
mit den übrigen Theilvorgängen des Lebens verbunden ſind. Incon-
ſequent war es, den jetzt ſchon rechnen und meſſen könnenden Natur-
wiſſenſchaften die Erlaubniß zur Anwendung metaphyſiſcher Begriffe
zuzugeſtehen, und den nach dem Bedürfniß etwas erweiterten Gebrauch
ſolcher den Unterſuchungen über die belebte Natur verweigern zu wollen.
In allem dieſem hilft verwandter Fächer Rath und Beiſpiel; an ihnen
erſtarkt die Methodik auch zur Bewältigung noch dunkler Fragen. Der
Zoologie liegt wegen der Natur ihres Gegenſtandes die Gefahr nahe,
von dem Hülfsmittel allgemeiner Annahmen, deren ſich indeß auch an-
dere Wiſſenſchaften nicht entſchlagen, einen zu reichlichen Gebrauch zu
machen4). Wie ihr aber hier die ſtrenger vom Einzelnen zum Allge-
meinen fortſchreitenden Wiſſenſchaften Lehren geben, können dieſe um-
gekehrt von der Wiſſenſchaft der lebenden Natur lernen, daß es außer
Zahl und Maß noch andere Erkenntnißquellen gibt, durch welche die
Vielheit auf eine Einheit, das Mannichfaltige auf ein Geſetz geführt
wird. So ſchürzen ſich auch über dem Thierreich von neuem die Bande,
welche vorübergehend zwar gelockert, aber je länger deſto inniger die
verſchiedenen auf Erforſchung der Natur gerichteten Beſtrebungen zu
einer einzigen Naturwiſſenſchaft vereinigen.
[[9]]
Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.
Die Urzeit.
Wie im Mittelalter die Zoologie da wiſſenſchaftlich zu werden be-
ginnt, wo daſſelbe den von den Griechen erworbenen, von den Arabern
behüteten Schatz von Thatſachen zu heben verſucht, ſo konnte auch das
claſſiſche Alterthum keine Wiſſenſchaft von den Thieren entſtehen laſſen,
ohne daß hier wiederum eine einfache und anſpruchsloſe Kenntniß von
Thieren vorausgegangen wäre. Ueberall geht ja dem Naturwiſſen eine
Naturbetrachtung voraus, welche, vor jeder Verwerthung des Geſehe-
nen zu Nutz und Frommen einer nur in ſich ſelbſt Zweck und Befrie-
digung findenden Wiſſenſchaft, je nach den geiſtigen und körperlichen
Bedürfniſſen des Menſchen nutzbringend zu machen verſucht wird.
Den Anſtoß zu einer wiſſenſchaftlichen Behandlung gibt der erſte
Verſuch, eine beobachtete Erſcheinung zu erklären. Von der eigenthüm-
lichen Natur des Betrachteten hängt es ab, ob eine Erklärung ſchon
früher oder erſt ſpäter verlangt und demgemäß verſucht wird. Bei den
ſinnvoll ſogenannten Natur- „vorgängen“ waren die dieſelben als ſolche
auszeichnenden Bewegungen das Auffallendere, ſich nicht von ſelbſt Er-
gebende, daher zunächſt der Erklärung Bedürftige. Hier verſuchte ſich
daher ſchon früh Scharfſinn und Witz in Aufſtellung von Deutungen
und Lehrſätzen. Die Thierwelt bot vor Allem Mannichfaltigkeit der
Form dar; dieſe verſuchte man aufzufaſſen; die an den Thieren beo-
bachteten Bewegungen wurden aus ihrer Menſchenähnlichkeit erklärt 1).
[10]Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.
Während daher bei andern Naturwiſſenſchaften ſchon die früheſten über-
lieferten Zeugniſſe darauf ausgehen, etwa Bewegungserſcheinungen,
wie Stromlauf, Blitz und Donner, Fall und ähnliches zu erklären oder
wenigſtens Anſichten über derartige meiſt nur theilweis und unvoll-
ſtändig beobachtete Vorgänge zu entwickeln, überhaupt aber Allgemei-
nes hinzuſtellen, hebt die Zoologie damit an, Thierformen zu unter-
ſcheiden und zu beſchreiben. Selbſtverſtändlich kann dies in den früheſten
Zeiten nichts mehr geweſen ſein als die Thiere zu benennen.
1. Sprachliche Begründung älteſter Thierkenntniß.
Auf dem Beſtande der Kenntniß einzelner Thiere erhebt ſich die
ſpätere wiſſenſchaftliche Betrachtung derſelben. Es iſt daher für die
früheſte Geſchichte der Zoologie von Wichtigkeit zu unterſuchen, welche
Thiere den Culturvölkern zuerſt bekannt wurden. Da die Semiten für
dieſe Seite des Naturwiſſens durchaus nicht begründend, kaum för-
dernd eingreifen, ſind die für die neuere Wiſſenſchaft überhaupt allein
maßgebenden Indogermanen oder Arier hierauf zu befragen. Aus den
Thiernamen, welche in ihren Wurzeln oder thematiſchen Formen den
verſchiedenen ariſchen Sprachen gemeinſam ſind, deren Träger alſo den
Ariern vor ihrer Trennung bereits bekannt geweſen ſein müſſen, erge-
ben ſich Hinweiſe nicht bloß auf urſprüngliche geographiſche Verbrei-
tung einzelner Thiere und deren etwaige Veränderungen, ſondern auch
auf den Urſprung der Hausthiere. Nach beiden Richtungen hin ver-
dient der Gehalt der älteſten Sprachen an Thiernamen von der Ge-
ſchichte der Thiere ſorgfältiger geprüft zu werden 2). Es ergibt ſich
1)
[11]1. Sprachliche Begründung älteſter Thierkenntniß.
ferner wieder aus dem geographiſchen Verhalten der Thiere, welche
hierbei genannt werden, nicht bloß eine Hindeutung auf den vermuth-
lichen Urſitz der Völker, ſondern, was hier zunächſt in Betracht kommt,
es ſtellt ſich darin der Kern dar, um welchen ſich bei der ſpäteren Ent-
wickelung die weiteren zoologiſchen Kenntniſſe anſammelten3).
Ungemein merkwürdig iſt es, daß die Thiere, welche noch heute
als Hausthiere werthvoll und zum Theil unentbehrlich ſind, auch die
am älteſten bekannten waren. Schon das Wort Vieh iſt ſelbſt ein
altes (Sanskrit paçu, griech. πῶν, latein. pecus, gothiſch faihu,
fihu). Das Rind geht in verſchiedenen Alters- und Geſchlechtsnamen,
welche zuweilen wechſeln, durch die meiſten hierhergehörigen Sprachen
(ſo: Skrt. go, griech. βοῦς, lat. bos, hochdeutſch chuo,Kuh; Skrt.
ukshan, lat. vacca, goth. auhsan, hd. Ochs; Skrt. sthûra, griech.
und lat. taurus, hd. Stier). Das Schaf, deſſen ariſche Urbenen-
nung uns verloren gegangen iſt, heißt Skrt. avi, griech. ὄϊς, latein.
ovis; im Gothiſchen heißt ein Schafſtall noch avistr; das hochdeutſche
Aue wird nur dialektiſch für Lamm gebraucht. Die Bezeichnungen für
Ziege haben ſich geſpalten; möglicherweiſe ſtanden ſie, bei der ſo
2)
[12]Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.
äußerſt nahen Verwandtſchaft von Schaf und Ziege, in gleichem Ver-
hältniß zu dem Namen avi oder ὄϊς, wie die Geſchlechtsbezeichnung der
Rinder zu go oder vielleicht zu paçu. Es führt Skrt. aga nur auf αἴξ
und litt. ožys; latein. hoedus hängt mit goth. gaitei, hd. Geis zu-
ſammen, Skrt. chaga mit hd. Ziege. Dagegen geht das Schwein
gleichmäßig durch; Skrt. sû-kara (d. h. ein Thier, welches sû macht),
griech. ὗς, lat. sus, hd. Sau und Schwein. Ueberall bekannt war auch
der Hund, deſſen hochdeutſcher Name auf lat. canis, griech. κύων,
Skrt. çvan zurückführt. Das Pferd, deſſen jetzt geläufiger deutſcher
Name dem baſtardirten unſchönen parafredus entſprang, heißt im Skrt.
açu, griech. ἴππος, lat. equus, nach den Geſetzen der Lautverwand-
lung verſchiedener Formen deſſelben Wortes, welches auch noch im
Gothiſchen wiedergefunden wurde. Für den gleichfalls zur Urzeit ſchon
gezähmten Eſel fehlt die zu dem griech. ὄνος (für ὀσνος) gehörige
Sanskritform4); aus dieſem leiten ſich asinus und gothiſch asilu, hd.
Eſel ab. Vom Hausgeflügel iſt nur ſicher, daß die Gans (Skrt. hansa,
griech. χήν, latein. mit erweitertem Stamm anser, wie engl. gander,
hd. Gans) ein urbekanntes Thier iſt. Ob die Ente ein gleich hohes Al-
terthum beanſpruchen kann, iſt zweifelhaft5).
Befremdend iſt es, wenn nun zu den nicht gezähmten aber dem
Menſchen ſonſt näher tretenden Thieren übergegangen werden ſoll, daß
zwar der Name für den „ſüßen“ Honig (Skrt. madhu, griech. μέθυ,
[13]1. Sprachliche Begründung älteſter Thierkenntniß.
übertragen Meth), aber nicht für das ſo früh bewunderte Honig ſam-
melnde Inſect Allgemeingut geworden iſt6). Dagegen iſt es ein an-
heimelnder Gedanke, daß auch unſern Urſtammvätern jene zudringlichen
kleinen Diebe nicht gefehlt haben, zu deren Verfolgung im Laufe der
Thiergeſchichte bereits ein Thier ein früheres abgelöſt hat. Das Sans-
kritwort mûsh wird griech. μυς, bleibt latein. mus und iſt das hd.
Maus. Die Katze hat erſt ſpäter die Rolle der Mäuſevertilgerin
übernommen, obſchon ſie bereits in Indien altbekannt war7). Den
Mäuſen als läſtige Begleiter des Menſchen nicht unähnlich iſt die Fliege
oder Mücke zu erwähnen, welche durch musca, griech. μυῖα, Skrt.
makshika ihr hohes Alterthum (wenn auch in dieſem Falle natürlich
nicht in einer nachweisbar beſtimmten Art) beſtätigt8). Auch der Aus-
druck für das Gewürm im Allgemeinen iſt alt: Skrt.kṛmi wird ἕλμις,
vermis, goth. vaurmi, hd. Wurm (littauiſch noch kirminis).
Von wilden Thieren iſt zunächſt des Bären zu gedenken, deſſen
jetziger hochdeutſcher Name zwar andern Urſprung hat9), welcher aber
durch Skrt. ṛksha, griech. ἄρκτοσ, latein. ursus, celtiſch art, auf die
urſprünglich weite Verbreitung hinweiſt. Während der Bär von An-
fang an erkannt wurde und keiner Verwechſelung mit andern großen
Thieren unterlag, ſcheint ſich die Reihe von Namen für Wolf und
Fuchs trotz ihres ſpätern Gegenſatzes früher noch vermiſcht zu haben.
Von dem Stamm vṛka, zerreiſſen im Skrt., iſt durch griech. λύκος
das latein. lupus, andrerſeits hircus, dann aber (wohl auch ἀλώπηξ
und) vulpes, Wolf abzuleiten. Ein hohes Alter hat auch der Biber zu
[14]Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.
beanſpruchen, deſſen hochdeutſcher Name durch fiber auf Skt. babhru,
braun (auch ein Thiername) führt. Für die Schlange weiſt vielleicht
noch unſer Unke auf anguis und hängt wie Aal, anguilla, ἔγχελυς,
mit griech. ἔχις und Skrt. ahi zuſammen, während ein anderes Sans-
kritwort sarpa zu griech. ἕρπετον, lat. serpens, wäliſch sarff führt.
Wenn dieſem Verzeichniß noch der Otter (Skrt. udras, griech. ὕδρα,
Waſſerſchlange, litt. udra, ahd. Otter), der Kuckuck oder Gauch
(Skrt. kokila, griech. κόκκυξ, lat. cuculus) und der Rabe (Skrt.
kâravas, griech. κόραξ, lat. corvus, goth. hraban) angeſchloſſen
wird, ſo vervollſtändigt ſich das Bild des den Ariern geläufigen Thier-
lebens ſo ziemlich. Da natürlich hier keine Etymologie der Thiernamen
gegeben werden kann und ſoll, darf nur noch daran erinnert werden,
daß eine nicht unbedeutende Anzahl ſolcher, mehreren zum ariſchen
Stamm gehörigen Sprachfamilien gemeinſam iſt, während einzelne
Thiere, wie z. B. der Elch (Skrt. ṛc̣as, griech. und lat. alces, ahd.
elaho), erſt ſpäter einen im ariſchen Wurzelvorrath ſich findenden Na-
men erhielten. Eine Unterſuchung derartiger Verhältniſſe nach den
oben genannten Geſichtspunkten dürfte ſehr lohnend werden. Hier mag
nur Folgendes noch eine Stelle finden.
Es fällt auf, daß in der obigen Liſte manche Thiere fehlen, welche
man gern als älteſte Geſellen des Menſchen oder als Mitbewohner der
früheſten Höfe betrachten möchte und deren Vorhandenſein an den
Stätten der erſten Wohnſitze gemuthmaßt wird. Das Huhn, deſſen
Stammform man jetzt mit Recht in dem indiſchen Gallus bankiva
ſieht, war zwar den Alten bekannt. Doch fehlt es nicht bloß im alten
Teſtamente, ſondern auch im Homer und Heſiod; erſt bei den griechi-
ſchen Lyrikern erſcheint es der gewöhnlichen Annahme zufolge, noch
ſicherer bei den Tragikern und Komikern, ebenſo mit der bei letzteren
auftretenden Bezeichnung im neuen Teſtament. Die Namen gehen aber
nirgends zuſammen; meiſt liegt Nachahmung des Krähens den Namen
des Hahns zu Grunde 10). Eigenthümlich iſt endlich, daß das Kamel
[15]2. Eintritt der Thiere in den religiöſen Vorſtellungskreis.
für deſſen Bezeichnung alte, mehreren ariſchen Völkergruppen gemein-
ſame Wörter ſich finden ſollen11), ſeinen ſemitiſchen Namen, welcher
in Indien mit Hülfe einer Volksethymologie dem Sanskrit angepaßt und
von den meiſten übrigen Sprachen faſt unverändert aufgenommen
wurde12), auch in den germaniſchen Sprachen wieder erhalten hat,
nachdem im Mittelalter der Name des Elefanten dafür eingetreten war.
2. Eintritt der Thiere in den religiöſen Vorſtellungskreis.
Der lebendige unbefangene Sinn der jugendlichen inmitten der
Naturwunder aufwachſenden Menſchheit konnte ſich nun aber durch
10)
[16]Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.
eine bloße Formbekanntſchaft mit den Thieren um ſo weniger befriedigt
fühlen, als dieſe „keine charakterloſen Bewohner des Feldes und Wal-
des“ waren, ſondern die werkthätige Kraftanſtrengung, den Scharfſinn
und in nicht geringem Maße die innere Theilnahme des Menſchen her-
ausforderten. Wie auch jetzt noch, trotzdem daß „die wiſſenſchaftliche
Forſchung überall den Schein zerſtört hat und der alte Glaube an die
götterbeſeelte Natur längſt gebrochen iſt“, die in dem Gefühle der Zu-
ſammengehörigkeit wurzelnde Befreundung mit der Natur und ihren
Heimlichkeiten eine Wahrheit iſt, ſo mußte in Zeiten, wo die Berüh-
rung des Menſchen mit der Natur eine äußerſt innige war, auch das
Thierleben in nähere Verbindung mit den übrigen Naturvorgängen
treten. Die Thiere waren nicht bloß der Ausdruck der Bewegung in
der irdiſchen Natur, ſie bezeichneten nicht allein durch ihr Auftreten
und Verſchwinden den Wechſel der Jahreszeiten u. ſ. f., die in Folge
engern Zuſammenlebens ſorgfältiger beobachteten Sitten, das ſich über-
haupt weiter erſchließende Leben der Thiere bot auch der dichteriſchen
Einbildungskraft, welche in allen Zeiten und Breiten das beſtändige
Werden in der Natur mit einem erſten Gewordenen in Verbindung zu
bringen verſuchte, reichlichen Stoff zur Belebung jetzt als todt erkann-
ter, ſtarren Geſetzen gehorchender Vorgänge dar. „Werden nun aber
die Naturerſcheinungen als perſönliche göttliche Weſen oder als von
ihnen ausgehend gedacht, ſo liegt es nahe, zwiſchen dem Thier, in dem
ſich eine natürliche Fähigkeit am energiſchſten und kräftigſten zu erken-
nen gibt, und der verwandten Naturerſcheinung eine tiefere Beziehung
ſich zu denken; das Thier wird zum Ausdruck der Naturerſcheinung,
zum Träger oder Begleiter ihrer Gottheit; es wird leicht auch zu deren
Bilde.“13). So kommt es, daß es außer der jüdiſchen Schöpfungsſage
wohl kaum eine Urform religiöſer Vorſtellungskreiſe gibt, in welcher
nicht auf eine oder die andere Weiſe Thiere als Träger, Begleiter,
Sinnbilder der Gottheiten erſcheinen. Zur Erklärung dieſer Verbindung
ſcheinbar gar nüchterner, doch im Grunde tief poetiſcher Verkörperun-
gen gewiſſer Ideen mit den höchſten ſittlichen und geiſtigen Vorſtellungen
[17]2. Eintritt der Thiere in den religiöſen Vorſtellungskreis.
braucht man nicht einen urſprünglich hohen, ſpäter verlornen Entwicke-
lungszuſtand der Naturwiſſenſchaften bei den Urvölkern anzunehmen,
wie es ſeit Creuzer hier und da nur zu bereitwillig ohne jeglichen
Nachweis geſchah.
Ein Beweis dafür, daß der Eintritt von Thieren in allgemeine
kosmogoniſche oder mythologiſche Bilder erſt nach der Trennung der
Urvölker, erſt nach weiterer Entwickelung einzelner derſelben erfolgte,
liegt in der geographiſchen Färbung derartiger Sagen, wogegen ſich ge-
wiſſe gemeinſame Züge aus der Zeit des urſprünglichen Zuſammen-
lebens erhalten haben mögen. Es finden ſich daher in denſelben neben
den urbekannten Hausthieren nur Thiere, welche in ihrem Vorkommen
gewiſſen Ländern oder gewiſſen Breiten eigen ſind. Beiſpielsweiſe mag
hier nur auf Einzelnes hingewieſen werden. Die Inder ließen ihre
Welt von vier Elefanten getragen ſein, welche wiederum auf einer Rie-
ſenſchildkröte ſtanden; dagegen wurden die Flüſſe Nahrung ſpendenden
Kühen verglichen. Lakſchmi, Viſchnu’s Frau, hat als Symbol eine
Kuh. Dieſem Zeichen der völlig unterworfenen Hausthierwelt ſtehen
die im Gefolge Çiva’s ebenſo wie des griechiſchen Dionyſos erſchei-
nenden Löwen und Panther gegenüber als Symbol weiterer Gewalt
über wilde Naturkräfte. Den Sonnenwagen Mithra’s wie des grie-
chiſchen Helios ziehen Roſſe; ebenſo reitet Wuotan der nordiſche Zeus
auf einem Roſſe, während Donar in einem von zwei Böcken gezogenen
Wagen fährt. Den Wagen des Freyr, des nordiſchen Gottes der
Sonne, zieht ein Eber; doch auch ihm als Gott der Fruchtbarkeit war
die Kuh geweiht. Dem Ormuzd und Zeus war der Adler, dem Don-
nergott Donar das Rothkehlchen heilig. Während in ſüdlichen Bildern
der Löwe erſcheint (Sphinx als Löwenleib mit Menſchenkopf, nemäi-
ſcher Löwe u. a.), läßt die nordiſche Mythologie das Ende der Welt
dadurch hereinbrechen, daß ein Wolf die Sonne, ein anderer den Mond
verſchlingt. Dagegen war die Gans (Schwan) ſowohl bei den In-
dern der Göttin der Rede, bei den Römern der Juno geweiht, als
ſie bei den Griechen die Gabe der Weiſſagung und des Geſanges er-
hielt, ebenſo wie ſie auch bei den alten Deutſchen als weiſſagender Vogel
galt. — So finden ſich denn in den religiöſen Stammſagen der
V. Carus, Geſch. d. Zool. 2
[18]Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.
Menſchheit zahlreiche, hier nur in Andeutungen zu berührende Hin-
weiſe auf die Tiefe des Eindrucks, welchen die Thierwelt auf das em-
pfängliche Gemüth des Menſchen gemacht hat14). Gemeinſam iſt indeß
dieſem mythologiſchen Auftreten der Thiere, daß ſie hier gewiſſermaßen
nur in ihrer Geſammterſcheinung verwerthet werden, ohne überall eine
eingehendere Beſchäftigung mit allen kleinen Zügen ihres Weſens durch-
ſcheinen zu laſſen.
3. Alter und Verbreitung der Thierfabel.
Wird ſich auch nicht läugnen laſſen, daß die als Attribute von
Gottheiten oder als lebendige Abbilder von Naturgewalten mit einer
weihevollen Stimmung betrachteten Thiere ebenſo wie die Opferthiere
einen beſtimmten Einfluß auf das zoologiſche Bewußtſein des Men-
ſchen, wenn der Ausdruck geſtattet iſt, geäußert haben werden, ſo iſt in
der Thierfabel ein ungleich bedeutungsvollerer Schatz wirklicher
Beobachtungen enthalten, welcher nicht bloß das Thier nach der allge-
meinen Wirkung ſeiner Erſcheinung und ſeines Auftretens in der Natur
darſtellt, ſondern auf eine häufig in’s Einzelne gehende Kenntniß ſeiner
körperlichen und beſonders ſeiner geiſtigen Eigenſchaften hinweiſt.
Zwar liegt auch der Thierfabel, und namentlich der weiter ent-
wickelten Form derſelben, dem Thierepos, jene poetiſche Anſchmiegung
an alles Natürliche zu Grunde, welche in dem reizvollen, dem menſch-
lichen ähnlich wechſelvollen Leben der Thiere einen wirklichen Hinter-
grund und ſtets neue Nahrung fand15). Es lebte ja für die dichteriſche
Einbildungskraft der Menſchen die ganze Natur. Der Wald ſelbſt
wurde in der finniſchen Götterlehre zu einer Perſon, Tapio. Die
Thiere des Waldes ſtehen unter dem Schutze oder auch der Zucht be-
[19]3. Alter und Verbreitung der Thierfabel.
ſonderer Perſonen, des Thiermanns, zuweilen der Thiermutter (zu
welcher der junge Sämung kommt), auch der Wolfsmutter. Weiter
verbinden ſich dann beſtimmte Thiere mit einzelnen Naturerſcheinun-
gen. So kommt nach einem Eddaliede der Wind, der über das Waſſer
fährt den Menſchen unſichtbar, von den Schwingen des Jötun Hräs-
velg, der in Adlersgeſtalt an des Himmels Ende ſitzt. Die Jahreszei-
ten, das Wechſelnde in der unbelebten Natur, werden an das Erſchei-
nen und Verſchwinden der Thiere geknüpft, am häufigſten beſtimmter.
Der Kuckuck kündet das Jahr16); ihm folgt bei uns die Nachtigall,
während in England, wo die Nachtigall ſeltner iſt, der Kuckuck feſter
gehalten wird. Den Winter über herrſcht die Eule.
Am nächſten berührt uns aber hier das Verhältniß des Menſchen
zu den Thieren. Manche Thiere werden für edler gehalten, als andre,
daher auch für würdiger bekämpft zu werden. So iſt vor Allen bei den
alten Deutſchen der Bär der Heldenwaffe kampfgerecht. Aehnlicher
Ehre wird indeß auch der Eber theilhaft, ſowohl in Deutſchland (Sieg-
fried) als in England (Guy von Warwick), vielleicht im Zuſammen-
hange mit dem der Freya geweihten Eber des nordiſchen Heidenthums.
Dieſer wird zum Juleber, deſſen Kopf früher in Oxford zum Weih-
nachtsfeſte in feierlicher Proceſſion hereingetragen wurde17). Auf ein-
gehendere Beobachtungen ſind manche der den Thieren beigegebenen
Eigenſchaftsworte zurückzuführen18).
Die Beziehungen wurden aber noch inniger dadurch, daß man
ſich die Thiere menſchenähnlich mit Charakter, Geiſt und Sprache aus-
gerüſtet vorſtellte. „Wie durch ein Mißgeſchick ſind die Thiere nachher
verſtummt oder halten vor den Menſchen, deren Schuld gleichſam dabei
2 *
[20]Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.
wirkte, ihre Sprache zurück“19. Beſonders hören und verſtehen die
Vögel menſchlicher Sprache Laut und Sinn; ſie reden ihr eigen „La-
tein“, was nur geſcheidte Leute verſtehn20. Am reichſten iſt der Rabe
und die Nachtigall bedacht. Sprachen aber die Thiere, ſo mußten ſie
auch denken und fühlen wie Menſchen. Ergötzlich ſind die Thierhoch-
zeiten, bedeutungsvoller die Streitigkeiten zwiſchen ihnen und den Men-
ſchen oder unter einander. Hier erſcheinen ſie vor menſchlichem Rich-
ter21) oder auch vor thieriſchem (ſo Wolf und Pfaſſe vor dem Bären).
Auch werden Thiere mit dem Banne belegt.
Auch Thierfabel und Thierſage „muß durch die Vorſtellung an Be-
deutſamkeit gewinnen, daß ihr ein Gemeingut zu Grunde liege, das ſeit
früheſter Zeit ſtammverwandten Völkern, ohne nachweisbare Uebergänge
von einem auf das andere, zugehöre“. Die früheſte erhaltene Form dieſes
gemeinſamen Sagenkreiſes, deſſen urſprüngliche Kraft und Fülle nirgend
mehr anzutreffen iſt, bietet Indien dar. Doch entſpricht dieſelbe ver-
muthlich nicht der reinen älteſten Geſtalt. Denn wenn auch im Pant-
ſchatantra und Hitopadeſa, ebenſo wie in den aus erſterem entnomme-
nen Fabeln des Mahabharata Thiere redend und handelnd eingeführt
werden, ſo treten dieſelben hier nur als willkürlich gewählte Bilder auf.
Es werden ihnen menſchliche Rede und Handlungsweiſe zugeſchrieben,
um irgend eine Lehre zu verſinnlichen, aber ohne daß dabei an die Ei-
genartigkeit des Thieres gedacht würde, ſo z. B. in der Erzählung von
[21]3. Alter und Verbreitung der Thierfabel.
den beiden Fiſchen, deren Namen ſchon, Vorſicht und Schlauheit, die
allegoriſche Bedeutung verrathen; der Hauptzweck der Fabel iſt ein
didaktiſcher. Reiner hat ſich die individualiſirende, an die entſprechende
Charakteriſtik einzelner Thiere anſchließende Form bei den Griechen er-
halten. Erſcheint auch die Wahl einzelner Thiere in früheren Fällen
noch willkürlich, wie bei der Fabel vom Habicht und der Nachtigall,
welche in den Erga des Heſiod (V. 200-210) erzählt wird, ſo finden
ſich doch hier ſchon Thiere, welche mit ihrer ganzen Eigenthümlichkeit
erſcheinen und von nun an zu Haupthelden des auf anderm Boden
erwachſenden Thierepos werden.
Es wäre überflüſſig, hier mehr zu thun, als an Reineke Fuchs zu
erinnern, welcher zwar nicht ausſchließlich deutſch, aber doch in deut-
ſchen Grenzgebieten entſtanden iſt. Wichtig iſt, daß in etwas anderer
Form einzelne Züge ſchon früher ſprüchwörtlich verbreitet waren22),
noch wichtiger, daß durch die Verſchiedenheit der Länder, in denen die
Sagen ſpielen, auch in die dramatis personae einige Verſchiedenheit
kommt. So hat J. Grimm nachgewieſen, daß die deutſche Vorſtel-
lung im zehnten Jahrhundert das Königthum über die Thiere nicht
dem Löwen, ſondern dem heimiſchen Bären beilegte, welcher entſprechend
auch im finniſchen Epos Kalevala eine hervorragende Stellung ein-
nimmt. Ferner ſind in der indiſchen Fabel Schakale Stellvertreter des
Fuchſes, wenn auch nicht mit gleich treuer Charakterzeichnung. Im
Hitopadeſa wird der Eſel in eine Tigerhaut geſteckt. Es gehen aber auch
in den ſpäteren occidentaliſchen Thierfabeln Wolf und Fuchs häufig
durcheinander, wie ihre Namen 23). Zu bemerken iſt endlich, daß nicht
[22]Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.
bloß große auffallende, ſondern auch kleine Thiere beachtet wurden.
Dies beweiſt ſchon das Auftreten von Cicaden, Grillen u. ſ. w., es
ſpricht auch der Froſchmäuſekrieg dafür. Doch iſt derſelbe, wie wohl
auch manche Fabel in den arabiſchen und perſiſchen Sammlungen, mo-
derner ganz zu geſchweigen, nicht dem urſprünglichen Sagenkreis ange-
hörig geweſen, ſondern im Anſchluß an vorgefundene Muſter ſpäter
abſichtlich nachgedichtet worden.
4. Schriftquellen der vorclaſſiſchen Zeit.
Mit den letzterwähnten Stücken des ganzen Fabel- und Sagen-
kreiſes betreten wir einen andern Boden. Bis jetzt konnte aus ſprach-
licher Uebereinſtimmung und aus dem Durchgehen gewiſſer Sagen,
dem Inhalt oder der Form nach, auf eine urſprünglich vorhanden ge-
weſene gemeinſame Thierkenntniß geſchloſſen werden. Mit dem Auftre-
ten des Schriftthums eröffnen ſich andere Quellen. Jedenfalls erhält
damit die geſchichtliche Betrachtung einen andern Hintergrund. Die
Entwickelung der Wiſſenſchaft, deren Vorbedingung, die Kenntniß der
wiſſenſchaftlich zu behandelnden Gegenſtände, bisher in allen Zweigen
eines Sprach- und Volksſtammes zu ſuchen war, knüpft ſich nun be-
ſtimmter an einzelne Völker, deren Cultur mittelſt der Schriftſprache
der anderer Stämme vorauszueilen befähigt wurde. Dies iſt aber nicht
der einzige hier in Betracht zu ziehende Umſtand. Es kann die Thier-
kenntniß ſich ja auch durch andere, mit den Fortſchritten eines Volkes
zuſammenhängende Verhältniſſe erweitert haben. Vor Allem können
die Verkehrswege ausgedehnter geworden, damit eine größere Zahl von
Thieren in den Vorſtellungskreis einzelner Völker eingetreten ſein.
Dabei werden geographiſche Lage und damit in Zuſammenhang ſtehende
Naturerſcheinungen beſtimmend gewirkt haben. So hat z. B. das
regelmäßige Abwechſeln der Nordwinde auf dem rothen Meere und der
23)
[23]4. Schriftquellen der vorclaſſiſchen Zeit.
Südweſt-Monſune auf dem indiſchen Meere vom April bis October
mit dem Nordoſt-Monſun und den Südwinden auf dem rothen Meere
vom October bis April den Verkehr der Aegypter, Hebräer, Araber
mit Indien weſentlich erleichtert und die Bekanntſchaft des Weſtens
mit manchen Erzeugniſſen Indiens ſchon früh ermöglicht. Aber un-
gleich wichtiger iſt, daß ja erſt mit der Schriftſprache die Möglichkeit
eintritt, das zu überliefern, was eigentliche Wiſſenſchaft ausmacht:
die Verbindung der ſinnlichen Erfahrung mit ſpeculativen Denkpro-
ceſſen, durch welche die einzelnen mit der Beobachtung ſich ergebenden
Thatſachen zu einem wohlgegliederten, der Natur dieſer Thatſachen ent-
ſprechende allgemeine Geſetze entwickelnden einheitlichen Ganzen ver-
bunden werden. Wenn es daher auch in einzelnen Fällen von Inter-
eſſe, ja für das hiſtoriſche Verſtändniß gewiſſer Erſcheinungen geboten
ſein kann, neben dem Hinweis auf das mit der Ausbreitung des Men-
ſchen auch reichlicher zufließende zoologiſche Material, auf den genaueren
Beſtand an bekannten Thierformen oder auf einzelne ſolche näher ein-
zugehen, ſo kann es von nun an im Allgemeinen nicht mehr darauf
ankommen, durch Mittheilung vollſtändiger Verzeichniſſe der von ein-
zelnen Schriftſtellern erwähnten Thiere den Umfang ihrer Thierkennt-
niß zu belegen. Der Fortſchritt der Zoologie hängt nicht von der Zahl
der bekannten Arten, ſondern von der Auffaſſung der thieriſchen For-
men ab. Doch ſind jene Verzeichniſſe und die Deutungen der in ihnen
vorkommenden Thiernamen für eine Geſchichte der Thiere von Werth.
Nach dem eben Geſagten wird man inmitten der an Ausdehnung
beſtändig zunehmenden Litteratur dort vorzüglich nach dem rothen Faden
zu ſuchen haben, an dem ſich die Wiſſenſchaft fortſpinnt, wo unbeein-
flußt von Nebenzwecken die Erforſchung der thieriſchen Natur ſelbſt
zum Zwecke erhoben wird. Dies wird nur dann erſt möglich, wenn
nicht bloß die allgemeine Bildung einer Nation auf Gegenſtände einzu-
gehen Intereſſe gewinnt, welche nicht mit den täglichen Bedürfniſſen
des Lebens und Treibens in directem Zuſammenhange ſtehen, ſondern
beſonders, als der geſteigerte Wohlſtand eines Volkes es erlaubte,
einen Theil des baaren Capitalbeſtandes, gewiſſermaßen als Ueber-
ſchuß, vorläufig unproductiv zu verwenden, ſei es im Leben einzelner,
[24]Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.
erſt allmählich zu einem beſondern Stand erſtehender Gelehrten, ſei es
durch Gründung rein wiſſenſchaftlicher Unterrichtsanſtalten24).
Wie ſich dies im Mittelalter bewahrheitet, wo nur die andern
Beſtrebungen zugewendeten religiöſen Körperſchaften den Beſtand des
Wiſſens zu bewahren die Fähigkeit und, wie man dann gern ſagt, die
Aufgabe hatten, bis zunächſt ſie die Neubelebung auch der Naturwiſ-
ſenſchaften fördern halfen, ſo gilt dies in gleich ſtrenger Weiſe für das
frühe Alterthum. Enthalten auch ohne Zweifel die religiös-poetiſchen
Bücher ſowohl der Inder als der Hebräer, ebenſo die großen epiſchen
Dichtungen manchen Zug, welcher auf eine nähere Bekanntſchaft mit
der Natur der Thiere ſchließen läßt, ſo ſind doch naturwiſſenſchaftliche
Betrachtungen ihnen fremd. Die hohe Achtung und religiöſe Ehrfurcht,
mit welcher die Bibel angeſehen wird, hat es häufig veranlaßt, von ihr
aus die Geſchichte beginnen zu laſſen. Sieht man aber von der Er-
währung einer Anzahl von Thieren ab, ſo kann man aus ihr höchſtens
ein Urtheil über die Naturanſchauung der alten Hebräer ſich bilden.
In der moſaiſchen Schöpfungsgeſchichte werden die Thiere zwar in
verſchiedenen Gruppen aufgeführt, wie: kleine Waſſerthiere, größere
Waſſerthiere, Vögel, vierfüßige Thiere, Gewürm, ebenſo bei der noachi-
ſchen Fluth. Indeß ſoll dies ſelbſtverſtändlich kein Verſuch zu einer
Eintheilung der Thiere ſein im Sinne eines zoologiſchen Syſtems.
Der Theilung der Thiere in reine und unreine, bei welcher das Wie-
derkäuen und die geſpaltenen Klauen erwähnt werden (3. Moſ. 11. Cap.)
liegt theils alter Gebrauch, theils wahrſcheinlich jene dem Alterthum
charakteriſtiſche Auffaſſung des Unterſchieds zwiſchen Menſchen und
Thier zu Grunde, welche in einer weiteren Entwickelung zu jener „wun-
derbaren Annahme der Seelenwanderung“ führt. Fehlen auch in der
Bibel Anklänge an die Fabeln und Sagen, welche ſich mehr oder we-
niger eng an Beobachtungen des Thierlebens anſchließen, ſo iſt ſie doch
reich an Bildern und Gleichniſſen, deren Ausgangspunkte Thiere ſind;
[25]4. Schriftquellen der vorclaſſiſchen Zeit.
und einzelne Schilderungen (ſo z. B. die des Schlachtroſſes im Buche
Hiob, 39, 19-25) gehören zu den poetiſchſten und lebendigſten Stücken
morgenländiſcher Dichtung, die auf uns gekommen ſind.
In ähnlicher Weiſe enthält die Schrift des älteſten indiſchen Lexi-
kographen, des Amarakoſha, wo man dem Charakter der übrigen in-
diſchen Litteratur nach noch am eheſten Andeutungen einer wiſſenſchaft-
lichen Behandlungsweiſe des Gegenſtandes begegnen zu können ver-
muthen möchte, eine Aufzählung von Thiernamen in gewiſſen Gruppen,
welche indeſſen nicht nach Eigenthümlichkeiten der Thiere ſelbſt, ſondern
nach ihren verſchiedenen Beziehungen zum Menſchen beſtimmt ſind,
alſo ebenſowenig wie die Thiergruppen der Bibel einer Eintheilung des
Thierreichs im Sinne eines Syſtems entſprechen. Unmittelbar hinter
den Nahrungsmitteln führt Amara-ſinha als Hausthiere das Rind,
das Kamel, die Ziege, das Schaf, den Eſel auf; dann unter den
Werkzeugen des Krieges den Elefanten und das Pferd. Dann folgen
wilde Thiere, unter welchen das Schwein, der Büffel und der Yak
(deſſen Schweif ſeit uralter Zeit im Gebrauche war), die Katze und die
Taube neben Löwe, Tiger, Panther, Hyäne ſtehen. Der Hund wird
beim Jäger erwähnt. Den Beſchluß bilden Luxusthiere, Affen, Pfauen,
Papageyen, der Kokila u. a.25). Im Uebrigen verdiente wohl auch die
indiſche Litteratur, ſoweit die ungemein ſchwierige Chronologie es ge-
ſtattet, in Bezug auf eine Geſchichte der Thiere einmal ſorgfältig durch-
gearbeitet zu werden. Um hier nur beiläufig an Einzelnes zu erinnern:
es ergibt ſich, daß z. B. die Bekanntſchaft mit dem Lack-Inſecte und
der Perlmuſchel ſehr alt iſt, daß man den Byſſus der Steckmuſchel
ſchon ſehr früh zu Geweben verwendete; u. a.26).
Endlich iſt wenigſtens einer hinweiſenden Erwähnung nicht ganz
unwerth, daß uns in den ägyptiſchen und aſiatiſchen Bildwerken die
älteſten bildlichen Darſtellungen von Thieren begegnen, welche freilich
ohne irgend welche zoologiſche Nebengedanken ganz andern Zwecken zu
[26]Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.
dienen hatten, aber für die Wiedererkennung und Beſtimmung mancher
von Schriftſtellern des Alterthums erwähnten Thiere nicht ganz ohne
Bedeutung ſind. Bei einer Beſprechung der Urzeit konnte eine Berüh-
rung thiergeſchichtlicher mit zoologiſch-hiſtoriſchen Geſichtspunkten nicht
vollſtändig vermieden werden. Mit dem ſelbſtändigen Auftreten der Zoo-
logie als Wiſſenſchaft erhalten die Arbeiten über Geſchichte der Thiere,
in welche ſich bis jetzt leider Philologen und Zoologen getheilt haben,
ihre beſondere Stellung.
Das claſſiſche Alterthum.
Die Stellung der Culturvölker des claſſiſchen Alterthums über-
haupt ſowohl zur Natur als beſonders zum Thierreich intereſſirt hier
nicht ſo ſehr wie ihr allmähliches Erfaſſen der Naturkörper als Gegen-
ſtände wiſſenſchaftlicher Betrachtung. Griechen und Römer tragen
zwar in geiſtiger Hinſicht ein ſie beide in ziemlich gleicher Weiſe von
den Neueren unterſcheidendes Gepräge. Schon die wenigen oben ange-
führten Stellen griechiſcher Schriftſteller zeigen, daß die Naturan-
ſchauung der Alten jener poetiſchen gemüthlichen Vertiefung in die Na-
tur nicht ermangelte, welche man ſo gern erſt den modernen Völkern,
beſonders den Deutſchen zuſchreibt. Sehr ſchön ſagt Goethe27); „Wirft
ſich der Neuere faſt bei jeder Betrachtung in's Unendliche, um zuletzt,
[27]Das claſſiſche Alterthum.
wenn es ihm glückt, auf einen beſchränkten Punkt wieder zurückzukeh-
ren: ſo fühlten die Alten ohne weitern Umweg ſogleich ihre einzige
Behaglichkeit in den lieblichen Grenzen der ſchönen Welt“. Doch zeich-
nete die Griechen eine ſchärfer bewahrte Individualiſirung, eine glück-
liche Bewahrung vor einer Alles ebnenden und ausgleichenden Einför-
migkeit ſtaatlicher Einrichtungen, vor Allem eine Phantaſie aus, welche,
wie überall die Erzeugerin des Schaffens, auch des wiſſenſchaftlichen,
ohne ſich durch nüchterne Rückſichtnahme auf praktiſche Zwecke ge-
fangen nehmen zu laſſen, die Erſcheinungen der umgebenden Welt zu
deuten und zu ordnen unternahm. Dies konnte und mußte für die Auf-
nahme rein wiſſenſchaftlicher Arbeiten nur förderlich wirken. Fehlte es
auch den Römern nicht an Objectivität, dem andern Bedingniß wiſſen-
ſchaftlicher Thätigkeit, ſo gieng der hieraus entſpringende Vortheil durch
die Nüchternheit ihrer Anſchauung von Welt, Staat und Volk wieder
verloren. Daß bei den Griechen kein geſchloſſener Prieſterſtand vor-
handen war, welcher ſich im ausſchließlichen Beſitz alles Wiſſens und
beſonders der ſich zunächſt mit religiöſen Vorſtellungen verbindenden
Geheimniſſe der Natur zu ſein rühmen durfte, daß ſich dagegen die
Bürger geiſtig frei regen konnten, war eine weitere Urſache ihres frühen
Erhebens zu wiſſenſchaftlicher Höhe. Denn wenn auch die etruskiſche
Prieſterherrſchaft nicht direct als ſolche in die römiſche Verfaſſung über-
gieng, ſo fehlte doch der freie Bürgerſtand, welcher in Griechenland das
Aufblühen von Gewerb- und Kunſtthätigkeit, von Handel und Wiſſen-
ſchaft begünſtigte. Daß eine Lostrennung der rein wiſſenſchaftlichen
Betrachtung von praktiſchen Bedürfniſſen, welche jene zwar erſt mög-
lich gemacht, aber nicht bedingt hatten, nur dann durchzuführen war,
als ſich ein Gelehrtenſtand herausgebildet hatte, welcher die wiſſenſchaft-
liche Erkenntniß zu ſeinem eigentlichen Zwecke erhob, wurde bereits an-
gedeutet28).
War es demnach natürlich, daß das vorzugsweiſe organiſatoriſche
Talent der Römer durch griechiſche Cultur ſich befruchten laſſen mußte,
[28]Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.
um die Blüthen einer höheren, aber immerhin mehr auf das Formale
gerichteten geiſtigen Entwickelung zu entfalten (wie ja Spuren griechi-
ſchen Einfluſſes weit in das italiſche Alterthum hinaufreichen), ſo war
es ebenſo erklärliche Folge der ſich ſtetig ausbreitenden römiſchen Herr-
ſchaft, daß mit der Einwirkung ihrer centraliſirenden und gleichmachen-
den ſtaatlichen Methode auch das Geiſtesleben der im Weltreich der
Römer aufgehenden Griechen andere Richtungen einſchlug. Charakte-
riſtiſch für die alexandriniſche Zeit iſt, daß hier wie im Mittelalter
Rhetorik, Grammatik und Dialektik in Verbindung mit Muſik und
Geometrie die Lehrgegenſtände wurden, welche der Jugend den Eintritt
in die gebildete Welt verſchafften. Es iſt kein Wunder, daß unter jenen
Verhältniſſen auch die wiſſenſchaftliche Thierkunde, deren Gründung
in einer ſo überaus glänzenden Weiſe erfolgt war, ſtill ſtand. War es
ja doch nur möglich geweſen von einer ſolchen zu ſprechen, als das
ſelbſtändige Intereſſe freier nach reinem Wiſſen ſtrebender Männer die
Beſchäftigung mit nicht ſtreng zunftmäßigen Gegenſtänden geſtattet
hatte. Hierzu kommt noch die dem alexandriniſchen Zeitalter eigene
Richtung der grammatikaliſchen Behandlung der Gegenſtände, welche,
verbunden mit der Sorge für die Erhaltung älterer Schriften ſelbſt die
ſtrengere Fachlitteratur zu didaktiſchen Zwecken umzumodeln begann
und im Ganzen, wir möchten ſagen, eine Scholaſtik des Alterthums
hervorrief. Ferner laſſen ſich die fabelhaften Angaben, welche vom
ſpätern Alterthum an ſich durch das ganze Mittelalter hindurchziehen,
vielleicht nicht mit Unrecht auf die Sammlungen von Wundern, Para-
doxen und überhaupt Merkwürdigkeiten aller Art zurückführen, welche
jene Zeit hervorbrachte.
Im eigentlichen Sinne des Wortes Gründer der Zoologie iſt
Ariſtoteles, indem er zum erſtenmale alle zu ſeiner Zeit oder we-
nigſtens ihm bekannten hierher gehörigen Thatſachen ſammelte, ordnete
und zu einem Syſtem verband. Sein Einfluß auf die Weiterentwicke-
lung der Zoologie war indeß während des Alterthums nicht nachhaltig.
Hat er auch wie kaum Jemand vor und nach ihm mächtig dazu beige-
tragen, die allgemeinen Anſchauungen der gebildeten Welt umzugeſtal-
ten, ſo wäre es doch eben verkehrt, in ihm ſchon Andeutungen einer
[29]Das claſſiſche Alterthum.
Naturwiſſenſchaft im modernen Sinne zu ſuchen. Er konnte ſich als
Individuum dem Einfluſſe ſeiner Zeit nicht entziehen und wirkte nur
wie alle großen Individualitäten aus dem nationalen Zeitgeiſte heraus
auf ihn zurück. Der Werth der Ariſtoteliſchen Arbeiten ſoll am Ende
dieſes Abſchnittes bezeichnet werden. Es iſt zunächſt zu unterſuchen,
wie ſich die einzelnen Seiten des zoologiſchen Wiſſens während des Al-
terthums entwickelt und zu einander geſtellt haben.
Faſt iſt es überflüſſig darauf hinzuweiſen, wie unvollkommen die
Hülfsmittel der Beobachtung bei den Alten waren. Wenn auch in ſpä-
teren römiſchen Zeiten Piscinen, Aviarien und andere derartige Samm-
lungen lebender Thiere angelegt und unterhalten wurden, ſo werden
doch nur ſelten Vorrichtungen zur Aufbewahrung und Beobachtung be-
ſonderer Thierarten, beſonders kleinerer erwähnt. Nur die Bienen ha-
ben hier wohl eine Ausnahme gemacht. Ariſtoteles erwähnt Mehreres
über Beobachtungen an Bienen; ſo gedenkt er z. B. des Bauens in
ihnen dargebotene leere Stöcke u. a.29). Doch haben die Bienen ihrer
ökonomiſchen und techniſchen Bedeutung wegen eine eigne Stellung. Es
wurde ja auch der Honig vielfach zur Aufbewahrung von Leichen,
Früchten, Purpurſaft, Arzneimitteln u. dergl. benutzt30), um ſie vor
Fäulniß zu ſchützen. Länger erhielt ſich das ſchon früh hierzu benutzte
Wachs in dieſem Gebrauch, durch welches Mittel z. B. die im Grabe
des Numa gefundenen Bücher nach fünfhundert Jahren noch friſch er-
halten gefunden worden ſein ſollen31). Kannten aber auch ferner die
Alten im Salz eine fäulnißwidrige Subſtanz, ſo fehlten ihnen doch alle
bequemen Conſervirungsmethoden. Die Beobachtungen an ſeltneren,
nicht friſch getödteten größeren, oder kleineren weichen und zerfließlichen
Thieren, welche in dem ſüdlichen Klima ſchneller Zerſetzung unterlagen,
konnten daher nur ſehr oberflächliche oder zufällige ſein. Mit dieſer
[30]Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.
Unkenntniß von Mitteln zur zweckmäßigen Aufbewahrung von Natur-
gegenſtänden hängt auch der Mangel an Naturalienſammlungen zuſam-
men. Gewiß erregten die als Weihgeſchenke in Tempel geſtifteten
Merkwürdigkeiten die Aufmerkſamkeit und wurden wohl auch gelegent-
lich zur wiſſenſchaftlichen Betrachtung benutzt. Doch hatten derartige
Anſammlungen wunderlicher Dinge kaum eine Bedeutung als Hülfs-
mittel des Studium. Eben ſo hülflos waren die Alten kleinen und
kleinſten Gegenſtänden gegenüber. Es fehlten ihnen nicht bloß die feinen
Werkzeuge zum Feſthalten, Zergliedern u. ſ. w., ſondern beſonders
kannten ſie keine Mittel zur Vergrößerung des zu Unterſuchenden. Sie
mußten daher über die feinere Zuſammenſetzung größerer eben ſo wie
über die Form, ja Exiſtenz kleinſter Thiere im Dunkel bleiben.
Eng mit dieſem Fehlen von Beobachtungsmitteln hängt der Man-
gel einer ſtreng durchführbaren Methodik zuſammen, welcher die alten
Naturforſcher nicht über ein gewiſſes Ziel hinaus gehen ließ. Stellte
auch Ariſtoteles die Erfahrung an die Spitze der Erkenntnißquellen und
verſchob er dem entſprechend das Urtheil über eine Erſcheinung bis
dahin, wo die Erfahrungen vollſtändiger ſein würden, ſo erhob ſich
doch die in formaler Hinſicht ſo bewundernswerthe Speculation nicht
bis zur völligen Freiheit von den Feſſeln der durch die Erfahrung ver-
anlaßten Verbalbezüge. Und wo ſich die Philoſophie über die ſyſtema-
tiſirende Form erhob, wo es ſich darum handelte, zuſammengeſetzte
Erſcheinungen in ihre einzelnen Momente aufzulöſen und zu erklären,
trat jener der ganzen Weltanſchauung zu Grunde liegende Anthropo-
morphismus vor, welcher ja auch der Ausgangspunkt der Teleologie iſt.
Daß ſich den Forſchern des Alterthums die Thatſachen nicht in immer
reinerer Form und reichlicher darboten, daß die Kunſt des Experimen-
tirens bei ihnen noch nicht oder kaum exiſtirte, verhinderte die Bildung
von Ideen, welche der jedesmal in Betracht kommenden Gruppe von
Thatſachen angemeſſen waren, wie es Whewell richtig bezeichnete.
Natürlich traf dies aber alle Naturwiſſenſchaften. Aber gerade die ge-
ringere Entwickelung der verwandten Wiſſenszweige ließ auch die Zoo-
logie nicht zur Aufſtellung von allgemein bedeutungsvollen Fragen
kommen.
[31]Das claſſiſche Alterthum.
Es iſt nicht ohne Intereſſe zu ſehen, wie ſchon bei Ariſtoteles die Frage
nach dem Unterſchiede zwiſchen Thier und Pflanze berührt wird. Bei-
den gemeinſam iſt das Leben; doch iſt ſelbſt der Uebergang von den
unbelebten Körpern zu den Pflanzen nur allmählich. Im Ganzen er-
ſcheinen die Pflanzen den andern Körpern gegenüber beſeelt, den Thie-
ren gegenüber unbeſeelt zu ſein. Von allen belebten Weſen unterſcheidet
ſich aber das Thier allein durch die Empfindung; willkürliche Bewe-
gung iſt nicht nothwendig bei allen Thieren. Ueber die Natur mancher
Seegewächſe kann man zweifelhaft ſein, ob ſie pflanzlich oder thieriſch
iſt. Die hier gemeinten ſind aber nicht die ſpäter ſogenannten Zoophy-
ten (wenn ſchon der Ariſtoteliſche Zweifel der Bildung dieſer Gruppe
zu Grunde lag), ſondern Schalthiere (Pinna, Solen). Auch die Asci-
dien, ſagt Ariſtoteles, kann man mit Recht pflanzlich nennen, da ſie,
wie die Pflanzen, keine Ausſcheidung (Excremente) von ſich geben.32).
Man ſieht, wie Ariſtoteles hier in denſelben Fehler verfallen iſt, wie
faſt alle Neueren. Der ſprachlich überlieferte Ausdruck „Pflanze“ wurde
als ein ſolcher aufgefaßt, welcher eine von der Natur gegebene Claſſe
von Körpern decken müſſe. Daſſelbe trat für die Späteren mit dem
Begriff der „Art“ ein. Statt zu unterſuchen, ob etwas dem Wort ent-
ſprechendes Unveränderliches oder feſt Abgeſchloſſenes in der Natur
vorhanden ſei, und dann beim Mangel eines ſolchen die Freiheit der
Natur zu wahren und bloß künſtlich nach dem Stande der Kenntniſſe
dem Ausdrucke einen Inhalt anzuweiſen, glaubte man das Wort als
das Symbol eines in der Natur liegenden Geheimniſſes betrachten zu
müſſen, welches man doch noch entſchleiern zu können hoffte.
Weniger Schwierigkeit als die Grenzbeſtimmung des Thierreichs
gegen die Pflanzen hin machte die Abgrenzung deſſelben nach oben.
Ariſtoteles ſowohl als Plinius gehen bei ihren Schilderungen von oben
nach unten. Erſterer ſagt ausdrücklich, daß man von dem Bekannteſten
ausgehen müſſe; und der Menſch ſei das bekannteſte Thier. In allen
ſeinen Schriften, wo von anatomiſchen oder entwickelungsgeſchichtlichen
[32]Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.
Verhältniſſen die Rede iſt, beginnt er mit dem Menſchen. Aehnlich be-
ginnt Plinius das auf die Beſchreibung des Menſchen folgende Buch
mit den Worten: „Wir gehen nun zu den übrigen Thieren über“. Doch
iſt beiden und mit ihnen natürlich dem ganzen Alterthum der Menſch
der Mittelpunkt der ganzen Schöpfung, „von göttlicher Natur“ (Ariſto-
teles), „um deſſen willen die Natur alles Uebrige erzeugt zu haben
ſcheint“ (Plinius).
1. Kenntniß thieriſcher Formen.
Alle fruchtbringenden wiſſenſchaftlichen Wahrheiten ſind allgemei-
ner Art. Sie werden entweder inductiv gefunden oder divinatoriſch er-
faßt; in beiden Fällen ruhen ſie auf dem beſtätigenden Zeugniß einzel-
ner Thatſachen. Die elementarſte Art ſolcher Thatſachen bietet für die
Zoologie die Kenntniß einzelner Thierformen dar. Es wurde im An-
fang der vorliegenden Darſtellung zu zeigen verſucht, wie die Beweiſe
für die Kenntniß einzelner Thiere ſchon in der Sprache niedergelegt
ſind. In gleicher Weiſe ſind noch ſpäter und bis jetzt, ohne Rückſicht
auf wiſſenſchaftliche Geſichtspunkte zu nehmen, in beſtändiger Folge
neue Thierformen aufgeführt, entweder nur beiläufig erwähnt oder
mehr oder weniger ausführlich geſchildert worden. Es gieng ja auch im
Alterthum, wie es noch heutzutage der Fall iſt, die oberflächliche Be-
kanntſchaft mit mancherlei neuen Thieren einem bewußten fachgemäßen
Einordnen des über ſie Erfahrenen in den Kreis der bereits vorhandenen
ſyſtematiſcheren zoologiſchen Kenntniſſe voraus 33).
[33]1. Kenntniß thieriſcher Formen.
Leicht ſcheint es uns jetzt, ein Thier zu benennen. Alljährlich
füllen ſich die Liſten unſerer Klaſſen und Ordnungen immer mehr mit
den Namen neuer Thiere. Zwei Umſtände mußten aber den Alten ſchon
die wiſſenſchaftliche Bezeichnung ihnen als neu erſcheinender, ebenſo
wie der bereits länger bekannten Thiere erſchweren, in ähnlicher Weiſe
wie ſie uns die Wiedererkennung der von den Alten gemeinten Thiere
oft unmöglich machen. Es fehlte ihnen der Begriff der naturwiſſen-
ſchaftlichen Art und eine ſtreng durchführbare Nomenclatur. Was das
erſtere betrifft, ſo kommt in den alten Schriftſtellern nicht einmal ein
Wort vor, welches ausnahmslos den Begriff einer Gruppe einander
in den wichtigſten Beziehungen ähnlicher Thiere ausdrückte, gleichviel
ob dabei an beſondere Merkmale für die Zugehörigkeit zu einer ſolchen
zu denken ſei oder nicht. Man hat vielfach das ariſtoteliſche „Eidos“,
welchem, freilich ſehr verflacht, die „Species“ des Plinius entſpricht,
für den die neuere Art bezeichnenden Ausdruck oder wenigſtens für deren
Vorläufer anſehen zu dürfen geglaubt. Doch iſt dies ſicher unrichtig.
Die beiden Ausdrücke „Genos“ und „Eidos“ werden von Ariſtoteles
nur im ſtreng logiſchen Sinne einer Ueber- und Unterordnung ge-
braucht, ſo daß ein Eidos wiederum zu einem Genos wird, ſobald es
mehrere Unterabtheilungen, welche dann wieder Eidos heißen, umfaßt,
wie auch umgekehrt ein Genos zu einem Eidos herabſinkt, ſobald es
von einer höheren Abtheilung aufgenommen wird, die dann Genos ge-
nannt wird. Am deutlichſten wird dieſe Anwendungsweiſe und die Un-
möglichkeit, unter einem Eidos auch nur annähernd etwas an unſere
Art erinnerndes zu vermuthen, dadurch, daß Ariſtoteles zuweilen ein
Eidos dem andern unterordnet. Plinius ſchließt ſich ganz an Ariſtote-
les an, ohne deſſen Schärfe der Unterordnung überall durchblicken zu
laſſen 34). Auch eine Charakteriſirung dieſes Eidos, wie etwa durch
33)
V. Carus, Geſch. d. Zool. 3
[34]Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.
Fähigkeit fruchtbarer Begattung, fehlt bei den Schriftſtellern der claſ-
ſiſchen Zeit. Es werden Begattungen verwandter und nicht verwandter
Thiere angenommen und deren Erzeugniſſe beſchrieben, ohne auch nur
das geringſte Bedenken durchſchimmern zu laſſen, daß außer der zu
verſchiedenen Körpergröße noch ein anderartiges Hinderniß beſtehen
könnte35). So entſpringen z. B. die indiſchen Hunde einer Begattung
des Tigers (nach einer andern Stelle des Ariſtoteles eines hundeähn-
lichen Thieres) mit dem Hunde, der Rhinobatis einer Begattung der
Rhine mit der Batis u. ſ. f.
Eine wiſſenſchaftliche Nomenclatur kannten die Alten ebenſowenig.
Ihre Namengebung war die populäre. Dies wird bewieſen durch das
Vorhandenſein einmal mehrerer Namen in einer und derſelben Sprache
für ein Thier, dann verſchiedener Bezeichnungen für verſchiedne Alters-
zuſtände eines und deſſelben Thieres36). Die Namen werden von
keiner irgendwie ausführlichen Beſchreibung eingeführt, ſondern als
durch den Volksgebrauch bekannt vorausgeſetzt. Die zugehörigen Thiere
können daher nur nach den ſich meiſt an verſchiedenen Stellen finden-
den Angaben über einzelne Eigenſchaften derſelben wiedererkannt wer-
den. Wie ſehr dies die Beſtimmung der Thiere erſchwert, wird noch
ſpäter zu erwähnen ſein. Selbſt bei der Bezeichnung größerer ſyſte-
matiſcher Einheiten verfuhr Ariſtoteles nicht ſtreng nach Grundſätzen.
[35]Hausthiere der Griechen und Römer.
Hausthiere der Griechen und Römer.
Natürlich gieng die Thierkenntniß zunächſt von den Hausthie-
ren aus. Wenn jetzt der Verſuch gemacht werden ſoll, einen kurzen
Ueberblick über die von den claſſiſchen Schriftſtellern erwähnten For-
men der Hausthiere zu geben, ſo kann es nicht der Zweck deſſelben ſein,
in größter Vollſtändigkeit eine Geſchichte der Raſſen zuſammenzuſtellen.
Vielmehr ſoll nur im Allgemeinen auf das hinſichtlich der Formkennt-
niß Wichtigſte hingewieſen werden.
Was zunächſt das Rind betrifft, ſo werden außer dem gewöhn-
lichen Hausrind, deſſen Raſſe indeß ſchwer zu beſtimmen ſein dürfte, von
ſeinen nächſten Verwandten noch das Buckelrind, und zwar bei Ariſtote-
les als ſyriſches, bei Plinius als ſyriſches und kariſches, und der Wiſent,
bonasus und bison, erwähnt. Zu letzterem tritt bei Plinius noch der
Ur oder Auerochs. Beide haben auch den Büffel gekannt. Den Yak,
über welchen orientaliſche Angaben noch weiter zurückreichen, erwähnt
Aelian (XV, 14). Natürlich fehlt es (abgeſehen von den hier nicht in
Betracht kommenden ökonomiſchen Angaben) auch beim Rinde nicht an
Fabeln; ſo erzählt Aelian (XVI, 33), daß in Phönicien die Kühe ſo
groß ſeien, daß die Menſchen, um nur beim Melken das Euter erreichen
zu können, auf eine Bank ſteigen müſſen. Von Schafen erwähnt be-
kanntlich Herodot fettſchwänzige aus Arabien, deren Schwänze man
auf kleine nachgeſchleppte Wagen band37). Auch Ariſtoteles führt dick-
und dünnſchwänzige, kurz- und langwollige Raſſen auf. Bei Plinius
kommt der Muſimon vor (VIII, 49. 75), welchen ſpäter Iſidor von
Sevilla als Baſtard von Ziege und Widder deutet. Unter den An-
gaben über Ziegen finden ſich ſolche über langohrige in Syrien und
über Ziegen in Lycien (Ariſtoteles) oder Phrygien (Varro), welche ge-
ſchoren werden wie Schafe. Waren auch die Kamele keine Hausthiere
bei den Griechen ſelbſt, ſo geſchieht doch ihrer ausgedehnten Benutzung
im Orient häufig Erwähnung und zwar ſowohl des Kamels als des
3*
[36]Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.
Dromedars. Später wurden ſie eingeführt und in größerer Zahl
gehalten38).
Von Einhufern waren den Alten das Pferd, der Eſel, der Kulan
und Dſchiggetai bekannt. Unter den Pferden rühmt Ariſtoteles be-
ſonders die niſäiſchen ihrer Schnelligkeit wegen (Hist. anim. IX, 50.
251). Gleichen Vorzug ſchreibt Aelian den libyſchen zu, welche außer-
dem gar keine Pflege bedürften oder genöſſen (de nat. anim. III, 2).
Ob die von Archilochos angeführten „neunſtreifigen magneſiſchen“ und
prieniſchen Eſel39) beſonders ausgezeichnete Raſſen waren, iſt nicht zu
entſcheiden. Im Verhältniß zu den übrigen Säugethieren kleine Eſel
erwähnt Ariſtoteles von Epirus, wogegen Eſel ihrer Empfindlichkeit
gegen Kälte wegen weder in Skythien noch am Pontus vorkommen
ſollen. Ungemeine Schnelligkeit, aber dann plötzliches Ermüden ſchil-
dert Aelian (XIV, 10) von den mauritaniſchen Eſeln. Wildeſel (onager,
jetzt Kulan) kommen bei Xenophon, Varro, Plinius und Aelian vor.
Auf den Dſchiggetai bezieht man den Ausdruck „Hemionus“ (Halbeſel)
bei Ariſtoteles (Hist. anim. VI, 24. 163), worunter er indeß an an-
dern Stellen die Baſtarde von Pferden und Eſeln, alſo faſt ſynonym
mit „Oreus“, verſteht. Die Kreuzung des Pferdes mit dem Eſel zur
Erzeugung der in manchen Beziehungen jenen beiden an Brauchbarkeit
vorzuziehenden Maulthieren und Mauleſeln iſt jedenfalls ſehr alt, doch
nur bei den Ariern, den Semiten war ſie verboten. Anakreon ſchreibt
ihre Erfindung den Myſiern zu40). Aelian erzählt, daß in den großen
Heerden wilder Pferde und Eſel Indiens die Stuten häufig Eſelhengſte
zuließen und gutlaufende braune Maulthiere erzeugten (XVI, 9). Ari-
ſtoteles macht noch keinen Unterſchied zwiſchen Maulthier (von Eſel-
hengſt und Pferdeſtute) und Mauleſel (von Pferdehengſt und Eſelin),
ſondern bezeichnet beide mit „Oreus“ oder „Hemionus“. Er meint aber,
[37]Hausthiere der Griechen und Römer.
daß ſich die Jungen in ihrer Form nach der Mutter richten41), muß
alſo doch die Unterſchiede bemerkt haben. Später heißt Maulthier mu-
lus, Mauleſel hinnus (burdo bei Iſidor von Sevilla). Als „Ginnos“
(hinnus) bezeichnet Ariſtoteles das Product von Maulthier und Stute.
Fruchtbare Maulthiere erwähnt Plinius (VIII, 44. 69), doch ohne Zu-
verläſſigkeit.
Bekannt iſt, daß Schweine ſchon in den älteſten griechiſchen
Zeiten gehalten wurden. Beſondere Reſultate einer ſorgfältigen Zucht,
für welche Columella Anweiſung gibt, ſind nicht weiter bekannt gewor-
den. Doch erwähnt Barro Schweine in Gallien, welche ſo fett ſeien,
daß ſie ſich nicht mehr ſelbſt von der Stelle bewegen können. Einhufige
Schweine führt Ariſtoteles als in Päonien und Illyrien vorkommend
an (Hist. anim. II, 1. 17). Den Babyruſſa ſchildert Plinius.
Die Sagen vom kalydoniſchen und erymantiſchen Eber führen mit
ihren Jagdabenteuern auf das zuletzt noch zu erwähnende Hausſäuge-
thier, den Hund. Als gute Jagdhunde führt Ariſtoteles die lakoniſchen
Hunde an42), welche aus einer Kreuzung des Fuchſes mit dem Hunde
hervorgegangen ſein ſollen. Die moloſſiſchen Hunde ſind theils Jagd-,
theils gute Wächterhunde. Ob das Malteſerhündchen43) des Ariſtote-
les, welcher Name bei ſpäteren Schriftſtellern wiederkehrt (z. B. Pli-
nius, Aelian), dieſelbe oder eine ähnliche Raſſe iſt, welche Linné als
Canis familiaris melitaeus aufführt, iſt, da ſowohl Beſchreibung als
genauere Angaben über das eigentliche Vaterland fehlen, kaum zu be-
ſtimmen44). Außer der erwähnten Kreuzung von Hund und Fuchs
(und früher von Hund und Tiger oder vielleicht Schakal) gedenkt Ari-
ſtoteles noch der Kreuzungen zwiſchen Hund und Wolf, und zwar läßt
[38]Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.
er die aus beiden entſpringenden Nachkommen wieder fruchtbar ſein, da
er nur die Hemionoi als unfruchtbar ausnimmt (De gener. anim. II,
7. 118.).
Nicht ſo zahlreich waren urſprünglich bei den Alten die Vögel
im Hausweſen vertreten; doch erreichte bei den Römern die Zahl der
wenn nicht völlig gezähmten doch gehaltenen eine auch jetzt vielleicht
kaum übertroffene Höhe. Bereits erwähnt wurde, daß das Huhn erſt
ſpäter eingeführt geworden ſein kann; noch bei Ariſtophanes heißt es
der „perſiſche Vogel“, ſeinen öſtlichen Urſprung andeutend. Doch er-
wähnt bereits Ariſtoteles edler Zuchthühner mit bunten Farben, leider
ohne einzelne Angaben über Form, Größe u. ſ. f. zu machen. (Hist.
anim. VI, 1. 1). Die einzige von ihm benannte Raſſe waren die klei-
nen adriatiſchen, über deren ſonſtige Art und Abſtammung nichts be-
kannt iſt. Auch damals benutzte man ſchon den Inſtinct brütiger Hen-
nen, um ihnen untergelegte Eier anderer Vögel (bei Ariſtoteles findet
ſich eine Angabe über Pfaueneier) ausbrüten zu laſſen. Die Kampf-
ſucht der Hähne entgieng der Aufmerkſamkeit der Alten nicht. Es wird
mehrfach erzählt, daß nach den Perſerkriegen in Athen Hahnenkämpfe
als Volksbeluſtigungen aufgekommen ſeien. Außer dieſen Hahnenkäm-
pfen hatten die Römer noch Kämpfe von Wachteln und Rebhühnern
(ſ. Plinius, hist. nat. XI, 51. 112)45).
Berühmt als Hausvogel, bei den Römern heilig gehalten, war
auch die Gans, welcher bereits Ariſtoteles als gezähmten Vogels ge-
denkt. Die Wohlſchmeckerei der Römer brachte ſchon ziemlich bald das
künſtliche Fetten der Gänſe durch Nudeln auf; fette Gänſelebern beſon-
ders der rein weißen Gänſe waren bereits damals geſchätzt. Der
Gänſefeder als Schreibwerkzeug gedenkt erſt Iſidor von Sevilla; doch
wird die Benutzung der Feder zu dieſem Zwecke damals ſchon als be-
kannt erwähnt. Als wilde Gans iſt wahrſcheinlich die kleine in Heer-
den lebende Gans des Ariſtoteles, chenerotes des Plinius anzuſehen.
Der Chenalopex iſt wohl ſicher die ägyptiſche Entengans. Wenn auch
[39]Ueberſicht der den Alten bekannten Thierformen.
nicht ſtreng hierher gehörig, mag doch die Trappe hier erwähnt wer-
den, da ſie Plinius als verwandt in die Nähe der Gans bringt. Nach
Xenophon (Anabaſis 1, 5) waren Trappen in den arabiſchen baum-
loſen Ebenen zahlreich. Die ariſtoteliſchen Angaben über ſie ſind nur
dürftig. Ein anderer Hausvogel war ferner die Ente; von beſondern
Formen derſelben erwähnt Plinius nur die pontiſchen Enten, jedoch
nur, um ihr Blut als Heilmittel anzuführen. Von Tauben kommen
bei Ariſtoteles Haustauben als gezähmte Form, Holztauben, Ringel-
und Turteltauben vor. Von beſonderen Raſſen oder auffallenden
Formen iſt nichts bekannt. Wenn auch nicht als völlig gezähmte Haus-
vögel erſcheinen doch auf dem Geflügelhof der Alten noch Pfauen und
Perlhühner; endlich ſind noch die Schwäne wegen der verſchieden an
ſie ſich knüpfenden Sagen und die periodiſch verſchwindenden Störche
zu erwähnen.
Nicht unerwähnt darf bleiben, daß die Alten bereits die Jagd mit
Falken oder Sperbern und Habichten kannten. Mag das Verfahren
hierbei urſprünglich auch nur darin beſtanden haben, daß man (wie es
AriſtotelesHist. anim. IX, 36. 131.46) erzählt) die kleinen Vögel aus
Gebüſch und Rohr den anfangs vielleicht nur zufällig in der Nähe
kreiſenden Raubvögeln zutrieb, worauf ſie ſich von Angſt getrieben auf
die Erde warfen und ſo fangen oder tödten ließen, ſo deutet doch eine
Erzählung des Aelian (aus Kteſias) darauf hin, daß in Indien die Ab-
richtung kleiner Raubvögel, unter denen neben Habicht und Sperber
auch Raben und Krähen erſcheinen, zur Jagd auf Haſen, ja ſelbſt Füchſe,
planmäßig betrieben wurde.
Ueberſicht der den Alten bekannten Thierformen.
Aus den meiſten Thierclaſſen nun die den Alten bekannten Ver-
treter auch nur in annähernder Vollſtändigkeit aufzuführen, iſt für jetzt
noch nicht möglich; es wäre auch hier der Ort nicht, die Reſultate etwa
beſonders auf die Zuſammenſtellung und das Beſtimmen der von den
[40]Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.
Schriftſtellern des Alterthums erwähnten Thiere gerichteter Arbeiten in
Ausführlichkeit mitzutheilen. Die Sache hat große Schwierigkeiten.
Männer wie Johann Gottlob Schneider, Saxo, welcher als
tüchtiger Philolog eingehende naturhiſtoriſche Kenntniſſe beſaß, ſind ſel-
ten; und doch gehört eine innige, nur zum Theil durch das Zuſammen-
arbeiten zweier Individuen zu erſetzende Verbindung jener beiden Eigen-
ſchaften nothwendig dazu, die Aufgabe wenigſtens befriedigend zu löſen.
Der aus einer ſolchen Unterſuchung entſpringende Gewinn iſt in
mehrfachen Beziehungen nicht zu unterſchätzen. Es gewinnt nicht bloß
die phyſiſche Geographie dadurch, daß eine Ueberſicht des fauniſtiſchen
Verhaltens der alten bekannten Erde wenigſtens in großen Zügen für
mindeſtens zwei Jahrtauſende feſtgeſtellt werden könnte; es wäre auch
für die Geſchichte der Thiere und deren etwaige Wandlungen und Wan-
derungen von großem Werthe, alle Notizen mit den Thieren, wie und
wo ſie ſich jetzt finden, vergleichen zu können. Vor Allem aber würde
ſelbſt die Geſchichte der Zoologie bei den Alten einen großen Vortheil
aus dem Umſtande zu ziehen haben, daß es möglich wäre, das Bild
des von den ſogenannten claſſiſchen Völkern gekannten Thierreichs
etwas vollſtändiger als jetzt überſehen zu können. Freilich würden
immer viele Lücken bleiben, theils weil uns die Texte der alten Schrift-
ſteller häufig nur unvollſtändig oder in dritter Hand erhalten, manche
möglicherweiſe ſehr wichtige Schriften, wie die des Appulejus ganz
verloren ſind, theils und vornehmlich weil gar zu oft nur die Namen
ohne irgend welche leitende, oder mit gar zu allgemeinen Bemerkungen
gegeben, wie im Ovid, Athenaeus, Auſonius, im Deipnon des Philo-
xenus u. a., Thiere überhaupt nur beiläufig erwähnt werden, wie im
Caſſius Dio, Seneca u. a. Beſonders intereſſant müßte es ſein, und
zwar, wie ſich bald zeigen wird, nicht bloß für das Alterthum, ſondern
ganz vorzüglich für das frühe Mittelalter, die ausführlichen wahren
und fabelhaften Angaben, welche ſich von Ariſtoteles einerſeits, andrer-
ſeits von Kteſias an durch Plinius, Oppian und Aelian47) u. a. bis
[41]Ueberſicht der den Alten bekannten Thierformen.
auf noch ſpätere Zeiten erhalten haben, einzeln rückwärts auf ihren
Ausgang und vorwärts auf ihre Verbreitung zu verfolgen. Es würde
ſich daraus der Urſprung des ſchon in der früheſten chriſtlichen Zeit
(ſchon von Origenes) erwähnten ſogenannten „Phyſiologus“, jedenfalls
ein zu didaktiſchen Zwecken zuſammengeſtelltes Büchlein von den Thie-
ren ſicherer erklären laſſen, was um ſo wichtiger wäre, da derſelbe
ſpäter vollſtändig oder in Trümmern in den verſchiedenſten Sprachen
wiedererſcheint (ſ. unten).
Die geringe Ausdehnung des den Alten bekannten Ländergebietes
ſetzte auch der Kenntniß des Formenreichthums der Thiere eine natürliche
Grenze. Mögen auch ſchon in ſehr früher Zeit durch die kleinaſiatiſchen
Colonien und durch beſtändige Berührung mit Phönicien und Aegypten
Nachrichten über aſiatiſche und afrikaniſche Thiere in das griechiſche
Volksbewußtſein und die Sprache der Hellenen eingedrungen ſein, im-
merhin blieben die der poſitiven Grundlage eigener Betrachtung und
perſönlicher Erfahrung entbehrenden Erzählungen unſicher und der be-
ſtändigen Ausſchmückung mit fabelhaften Zuthaten ausgeſetzt. Es wur-
den auch nicht bloß eine Anzahl rein mythiſcher Weſen aus derartigen
Nachrichten zuſammengeſetzt, ſondern in einzelnen Fällen wurden irriger
Weiſe ſogar fremde Thiere als in Europa vorkommend aufgeführt48).
[42]Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.
Abgeſehen von der Erweiterung geographiſcher und zoologiſcher Kennt-
niſſe, welche der ſich langſam und allmählich ausbreitende Handel und
Verkehr mit ſich brachten, ſind vorzugsweiſe die Perſerkriege und Alex-
ander's des Großen Zug nach Indien für die ältere, die Ausbreitung
des Römerreichs für die ſpätere Zeit als die Hauptmomente zu betrach-
ten, durch welche unbekannte Stücke der Erdoberfläche der übrigen alten
Welt bekannt wurden und, wenn auch nicht im heutigen Sinne durch-
forſcht, doch aufmerkſam auf ihre Naturerzeugniſſe beobachtet werden
konnten. Die rege Verbindung, in welcher aber ſchon vor dem Aus-
bruch der zum Untergang der griechiſchen Selbſtändigkeit führenden
Kämpfe die Hellenen mit dem Orient geſtanden hatten, die häufig da-
hin unternommenen Reiſen hatten ſchon vorher manches über das auch
den Griechen als Wunderland erſcheinende „Land der Sonne“ bekannt
werden laſſen. Und nicht bloß Süd-Aſien war das Ziel der Wande-
rung geweſen; nicht weniger reizte das von Geheimniſſen erfüllte Nil-
thal, nicht minder auch das mit der Urgeſchichte griechiſchen Seins ver-
webte Geſtade des Pontos.
Was von ſolchen Nachrichten auf die Nachwelt gekommen iſt,
trägt nun allerdings den Stempel des nicht ganz Zuverläſſigen zu deut-
lich, als daß es als Quelle für naturgeſchichtliche Kenntniß angeſehen
werden könnte. Man wollte eben keine wiſſenſchaftlichen Darſtellungen
geben, ſondern flocht Schilderungen von Menſchen und Thieren der
Erzählung mehr zufällig ein. Der Werth der einzelnen hier in Betracht
kommenden Schriftſteller iſt nun zwar ein verſchiedener: Herodot wird
im Ganzen mehr Vertrauen erwecken als Kteſias und Megaſthenes.
Doch dürfen alle drei nicht unterſchätzt werden. Brauchbare zoologiſche
(und wie gleich gezeigt werden ſoll, anthropologiſche) Angaben ſind frei-
lich nicht bei ihnen zu ſuchen. Dagegen findet ſich bei ihnen manches,
was auf ihre Zeit, und zwar nicht bloß culturgeſchichtlich, Licht wirft.
Und Kteſias iſt beſonders deshalb wichtig, als, wie A. W. von
Schlegel treffend ſagt49), „ſein Buch über Indien die große Schatz-
[43]Ueberſicht der den Alten bekannten Thierformen.
kammer für alle folgenden Fabelkreiſe geworden iſt“. Charakteriſtiſch
für das naturgeſchichtliche Urtheil jener Zeiten iſt, daß Angaben, welche
Ariſtoteles mit Recht bezweifelt oder geradezu widerlegt hatte, ohne Be-
denken von Plinius, Aelian, und was für die Entwickelung der zoolo-
giſchen Vorbegriffe im Mittelalter von Einfluß iſt, von dem Ordner
des „Phyſiologus“ wieder aufgetiſcht werden, zuweilen mit Uebertra-
gung der von einem Thier erzählten Geſchichte auf ein ganz anderes.
Plinius, Aelian, Athenaeus und andere ſpätere Schriftſteller hät-
ten nun aber außer den genannten älteren litterariſchen Quellen noch
andere Mittel haben können, ihre Thierkenntniß wiſſenſchaftlich zu er-
weitern, wenn ſie dieſelben fruchtbringend benutzen zu können in der
Lage geweſen wären. Einmal iſt zu bemerken, daß mit der Ausdehnung
der römiſchen Herrſchaft die officielle Sendung oder die Reiſen gebil-
deter Römer Hand in Hand giengen und zwar in alle Theile der da-
mals bekannten Welt, welche nun faſt ganz Europa, Weſt- und Süd-
Aſien bis nach Hinter-Indien, Africa von dem Atlas bis zu den
„Quellen“ des Nils umfaßt. Hierdurch kamen doch ſicher zahlreiche und
wohl auch oft beſtätigte Nachrichten in Rom zuſammen. Dann aber
trug vor Allem der ſteigende Luxus ſowohl der Mahlzeiten als der
öffentlichen Feſte und Spiele, Thierkämpfe u. ſ. f. dazu bei, Gelegen-
heit zur ſorgfältigen und verhältnißmäßig bequemen Beobachtung leben-
der Thiere, ſowie zur Zergliederung der ja oft maſſenhaft getödteten
reichlich darzubieten. Wie wenig aber dieſe Gelegenheit benutzt worden
iſt und warum man das Material, was kaum je wieder in ſolcher Fülle
zuſammengebracht worden iſt, unbenutzt gelaſſen hat, wird ſpäter zu
erörtern ſein.
Auch Ariſtoteles wollte in ſeiner Thiergeſchichte keine vollzählige
Beſchreibung der ihm bekannten Thiere geben. Eine Angabe über die
Zahl der von ihm erwähnten Thiere hat daher nur eine relative Be-
deutung. Im Ganzen kommen etwas über fünfhundert Thiere in ſeinen
Schriften vor, von denen indeß nicht alle mit gleicher Ausführlichkeit
geſchildert, daher auch nicht alle wiederzuerkennen ſind. Der hauptſäch-
lichſte Zuwachs, welchen die Thierkenntniß von Ariſtoteles bis zum
Ausgang des Alterthums erfuhr, betrifft die Wirbelthiere. Dieſe konnten
[44]Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.
wegen ihrer durchgängig bedeutenderen Größe leichter beobachtet werden,
fielen daher auch den Cultur- wie Naturvölkern im Ganzen mehr auf.
Dann aber boten zumal hier die Möglichkeit, die Thiere lebend von
einem Ort zum andern zu bringen, ſowie ihre ausgedehntere Benutzung
als Nahrungsmittel (man denke nur an Fiſche) der nach immer neuen
Sinnesreizen lüſternen römiſchen Welt Beweggründe dar, noch nicht
Dageweſenes herbeizuſchaffen.
Wie oben bei Erwähnung der Hausthiere ſoll auch hier nur das
Wichtigſte hervorgehoben werden. Die Reihe beginnt am füglichſten
der Menſch. Während bei Ariſtoteles keiner beſondern Raſſe Erwäh-
nung geſchieht (da die Stelle im achten Buche der Thiergeſchichte, wo
von den Pygmäen geſprochen wird, ſicher unecht iſt), kommen ſchon im
Herodot Beſchreibungen verſchiedener Völker vor. Wahrheit und Dich-
tung wechſeln hier mit einander ab. Die Schilderung der einzelnen
ſkythiſchen Stämme, wie der Boryſtheniden, Kallipiden, Alapen, Olbio-
politen u. ſ. w., der aus einer Miſchung von Hellenen mit den Ama-
zonen hervorgegangenen Sauromaten, iſt ebenſo wie die der libyſchen
Adyrmachiden, Giligammen, Asbyſten u. a. nicht ſcharf genug, um in
ihnen mit Sicherheit den Ausdruck beſonderer Raſſeneigenthümlich-
keiten finden zu können. Bei Erwähnung der Neuren, einer gleich-
falls ſkythiſchen Nation, wird der Sage von der Verwandlung der Men-
ſchen in Wölfe gedacht, und dieſe Mittheilung iſt vielleicht die älteſte
Notiz über Wehrwölfe. Die Budinen werden als blond und blauäugig
hervorgehoben. Als nicht ſkythiſch werden die Androphagen, Menſchen-
freſſer bezeichnet. So weit bewegt ſich die Erzählung in den Grenzen
der Wahrſcheinlichkeit. Entweder mythiſche Entſtellungen oder lügen-
hafte Berichte liegen aber den Nachrichten zu Grunde, welche Herodot
von den Argippäern, welche von Geburt an kahlköpfig ſein ſollen, den
einäugigen Arimaspen, welche in Inner-Aſien mit den Greifen das
Gold behüten ſollen, von den Hundsköpfen und den die Augen auf der
Bruſt tragenden Ohneköpfen vorbringt. Von den letzteren bemerkt He-
rodot übrigens ſelbſt, daß ſie von den Libyern ſo geſchildert würden,
und ſetzt hinzu: „noch andere Thiere, welche nicht erlogen ſind“, ſo
daß er doch kritiſche Bedenken bei der Wiederholung jener Angaben
[45]Ueberſicht der den Alten bekannten Thierformen.
hatte50). Zu den Hundsköpfen und Kopfloſen, welche aber von Libyen,
dem einen Wunderlande, in das andere, Indien, verſetzt werden, fügt
Kteſias noch die auf Kranichen reitenden Pygmäen, „die einbeinigen
behenden Läufer, die Plattfüße, die ſich auf den Rücken legten und die
Beine emporſtreckten, um ihre großen Füße als Sonnenſchirme zu ge-
brauchen, und vieles andere, was nachher theilweiſe in den falſchen
Kalliſthenes, in die Legende vom heiligen Brandanus, in die Reiſe des
Sindbad und Maundeville, und bei uns in die Abenteuer des Herzog
Ernſt übergegangen iſt“51). Aehnliche Fabeln wiederholt auch Mega-
ſthenes.
Schwer iſt es, derartige Fabeln auf ihren Urſprung zurückzufüh-
ren, noch ſchwerer vielleicht, zu entſcheiden, ob dabei abſichtlich Unge-
heuerlichkeiten erzählt oder beſtimmte Naturerſcheinungen flüchtig oder
unrichtig beobachtet und leichtſinnig weiter erzählt worden ſind. Die
erſt genannte Aufgabe dürfte dadurch um ein Kleines ihrer Löſung ge-
nähert werden, daß ſich Momente ergeben, welche auf einen aſiatiſchen
Urſprung hinweiſen. In dem chineſiſchen Chan-haï-king, dem zwar
apokryphen, aber doch in die erſten Jahrhunderte unſerer Zeitrechnung
zurückzuverlegenden „Buche der Berge und Meere“, werden Dämonen
geſchildert und abgebildet, welche ſogar in vielen Einzelheiten an die
Fabelthiere und fabelhaften Menſchen des Kteſias erinnern52). Und
was den zweiten Umſtand betrifft, ſo hat man von verſchiedenen Seiten
her verſucht, jene Wunderformen auf beſtimmte, der Uebertreibung
oder falſchen Deutung unterlegenen Erſcheinungen zurückzuführen53).
Doch iſt nicht zu leugnen, daß bei manchen dieſer Ungeheuer eine Er-
klärung wohl unmöglich, dagegen die Annahme wohl erlaubt ſein
dürfte, die Einbildungskraft habe hier eine größere Thätigkeit entwickelt,
[46]Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.
als nach den empfangenen Sinneseindrücken der Erzähler hätte vor-
ausgeſetzt werden können.
Unter den Nachfolgern des Kteſias findet ſich kaum einer, welcher
ſich in ſeinen Schilderungen verſchiedener Menſchenſtämme ganz von
den Uebertreibungen, welche naturgemäß die oberflächlichen Beobach-
tungen zu ergänzen beſtimmt waren, hätte frei machen können. Doch
gewinnt es den Anſchein, als ob doch im Allgemeinen eine etwas nüch-
ternere Anſchauung allmählich Platz gegriffen hätte. So ſind die Ich-
thyophagen, Chelonophagen und andere Völker, welche Agatharchides
erwähnt, wohl nur deshalb nicht weiter zu beſtimmen, als bei dem
Mangel treffender Geſichtspunkte die Schilderung ſich nur auf einzelne
Aeußerlichkeiten erſtreckt. Ob dagegen die Hylophagen, welche völlig
nackt auf Bäumen wohnen, ſich auf dieſen behend bewegen und von
den ſaftigen Trieben und Blättern derſelben ernähren, Affen oder eine
wunderbare Menſchenraſſe darſtellen, iſt nicht auszumachen. Schon
Herodot verſucht, aus phyſiognomiſchen und culturhiſtoriſchen Momen-
ten die Zuſammengehörigkeit einzelner Völker zu begründen; eine na-
turgeſchichtliche Betrachtung des Menſchen war aber den Alten fremd.
Plinius wiederholt noch die Erzählungen aus Kteſias, Megaſthenes,
Artemidoros u. a. ; aber ohne Bedenken hält er die Wundermenſchen
für Naturſpiele54). Dagegen kommen bei Arrian Schilderungen der
Neger vor; auch bemerkt er, die Indier ſeien den Aethiopiern ähnlich.
Albinos in Indien erwähnt ſchon Kteſias; Neger-Albinos ſchildert
Philoſtratos in ſeiner Lebensbeſchreibung des Apollonios von Tyana;
ſein Bericht iſt aber ſicher wie das Meiſte derartiger Merkwürdigkeiten
aus älteren Quellen entnommen.
Von Affen kannten die Alten Paviane, Makaken, lang- und
kurzſchwänzige Arten, und Cerkopitheken. Daß ſie von den jetzt ſoge-
nannten Anthropomorphen keine Form geſehen, wenigſtens nicht be-
[47]Ueberſicht der den Alten bekannten Thierformen.
ſchrieben und noch weniger zergliedert haben, iſt ſicher. Galen's Affe
war nicht der Orang-Utang, wie eine Zeitlang geglaubt wurde55).
Fledermäuſe beſchreibt ſchon Ariſtoteles; einzelne Formen ſind
nicht zu unterſcheiden. Inſektenfreſſer waren bekannt; Maulwurf
(wahrſcheinlich nur die ſüdeuropäiſche Form), Igel und vielleicht Spitz-
maus. Die Nagethiere boten im Haſen, der Maus und Ratte,
dem Siebenſchläfer, Biber u. a. Vertreter dar. Die Zahl der gekann-
ten Nager nahm verhältnißmäßig am geringſten zu56). Für eine Kennt-
niß von Halbaffen im Alterthume fehlt jede Notiz. Die Carnivoren
mußten zu den römiſchen Thierkämpfen den bedeutendſten Beitrag lie-
fern. Schon früher erwähnt Megaſthenes den Tiger; den erſten in
Rom zeigte Pompejus57). Aelian erzählt, daß die Indier Löwen zur
Jagd abrichten. Dies iſt vermuthlich der Guepard. Coelius beſtellt bei
Cicero, als dieſer Proconſul in Cilicien war, Panther. Im Jahre 168
v. Chr. kämpften große afrikaniſche Katzenarten, Panther, Leoparden,
und vermuthlich auch Hyänen unter dem Conſulate von Scipio Naſica
und Lentulus. Löwen erſchienen im Kampfe zuerſt 185 v. Chr. in
Rom. Eine neue Fangart derſelben kam unter Kaiſer Claudius auf.
Der „Lynx“ der Alten iſt ſicher der Caracal; der Luchs erſchien zuerſt
unter Pompejus in Rom58). Nimmt man Katze, Viverre, Herpeſtes,
Marder, Fuchs, Wolf, Hund (wilde Hunde kamen aus Schottland),
[48]Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.
Bären und Dachſe hinzu, ſo ſind die hauptſächlichſten Gruppen der
Fleiſchfreſſer vertreten59), ebenſo wie es auch die Robben waren. Von
Elefanten wurde zunächſt der indiſche bekannt; auf ihn allein beziehen
ſich die Angaben des Ariſtoteles. Zur Römerzeit kamen durch die Kar-
thager afrikaniſche nach Italien. Die römiſchen Soldaten ſahen die
erſten Elefanten 286 v. Chr. in Lukanien (daher hoves lucani) in
Pyrrhus' Heer; 274 v. Chr. hatte Curius Dentatus Elefanten vor
ſeinen Triumphwagen geſpannt. Ihre Zähmung und Abrichtung zu
Kunſtſtücken erwähnt ſchon Plinius. Abbildungen ſind häufig, auch
vom afrikaniſchen. Ein Hippopotamus kam 58 v. Chr. nach Rom;
frühere Erwähnungen der Nilpferde ſind unſicher. Ammianus Mar-
cellinus ſagt aber bereits (4. Jahrhundert nach Chr.), daß ſie nicht
mehr unterhalb der Katarakten des Nils vorkommen; und Arrian hebt
hervor, daß ſie in Indien fehlen. Ein Rhinoceros beſchreibt Agathar-
chides (71. Cap. der Ausgabe der Geogr. min. von C. Müller), das
zweihörnige zuerſt Pauſanias. Es kommt auf Münzen des Domitian
vor; aber ſchon Ptolemaeus Philadelphus hatte den Alexandrinern ein
Nashorn gezeigt. Ueber die Einhufer iſt das früher Angeführte zu
vergleichen. Das Zebra (?hippotigris) kam unter Caracalla nach Rom.
Außer den Hausſchweinen kannte man das Wildſchwein und wie bereits
erwähnt den Babyruſſa. Des in der Bibel vorkommenden Klippdachſes
(„Saphan“, nach Luther Kaninchen) geſchieht bei den claſſiſchen Völkern
keine Erwähnung. Von Wiederkäuern waren, außer den hierher-
gehörigen Hausthieren60) und deren näheren Verwandten, Hirſch,
Reh, Dammhirſch, Elenn (Plinius, Pauſanias), Rennthier und meh-
rere Antilopenarten bekannt. Vom Schelch kommt nichts bei den Alten
vor. Die Giraffe beſchreibt Agatharchides (72. Cap.); Ptolemaeus
Philadelphus brachte ſie nach Alexandrien. In Rom erſchien ſie unter
[49]Ueberſicht der den Alten bekannten Thierformen.
Caeſar (diversum confusa genus panthera camelo, ſagt Horaz von
ihr). Alte Abbildungen derſelben finden ſich öfter, ſo z. B. auf
einem antiken Moſaik (allerdings wenigſtens wohl nachhadrianiſch) und
einem Sarkophag mit dem indiſchen Triumph des Bacchus61). Der
Kamele wurde bereits früher gedacht. Von Walthieren waren Del-
phin, Tümmler, und die Exiſtenz von Bartenwalen bekannt. Die
coloſſalen Knochen, welche M. Aemilius Scaurus 83 n. Chr. zur
Schau brachte, waren vielleicht die eines großen geſtrandeten Wales.
Walartige Thiere in Indien erwähnt Arrian; Plinius gedenkt der Pla-
taniſta als im Ganges vorkommend, mit Rüſſel und Schwanz des
Delphins.
Ungleich ſchwerer als in Bezug auf die Säugethiere iſt es, eine
kurze Ueberſicht der Formen zu geben, welche den Völkern des Alter-
thums aus den übrigen Wirbelthierklaſſen bekannt waren. Zweck dieſer
Zuſammenſtellung iſt indeß nicht eine vollſtändige Aufzählung der etwa
wiedererkennbaren Arten, ſondern ein Hinweis auf den ungefähren
Umfang der Formkenntniß der Alten. Es wird daher das Folgende
genügen. Was die Vögel betrifft, ſo führt ſchon Ariſtoteles Papa-
geyen als indiſche Vögel an; ähnlich Arrian; doch waren auch
aus Afrika ſolche bekannt. Außer dem Kuckuck, deſſen Gewohnheit
ſeine Eier in fremde Neſter zu legen der Aufmerkſamkeit der Alten
nicht entgangen war, werden noch aus der Ordnung der Kuckucks-
artigen Eisvögel62), Bienenfreſſer und der Wiedehopf mehr oder we-
niger ausführlich geſchildert. Die Ordnung der Spechte kannte man
V. Carus, Geſch. d. Zool. 4
[50]Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.
in mehreren Arten echter Spechte ſowie im Wendehals. Aus der Ord-
nung der Makrochiren laſſen ſich Ziegenmelker und Segler mit Sicher-
heit wiedererkennen; in Bezug auf letztere beſtand eine ähnliche Ver-
wechſelung mit den Schwalben, wie ſie bis auf die neueſte Zeit geherrſcht
hat. In beträchtlicher Anzahl erſcheinen die Sperlingsartigen, und
zwar ſowohl Schreier als Sänger. Sperlinge, Meiſen, Bachſtelzen,
Droſſeln, Nachtigall, Lerche, Schwalben, Pirol waren bekannte Re-
präſentanten dieſer formenreichen Gruppe. Die Rückſichtsloſigkeit rö-
miſcher Wohlſchmecker brachte ſchon in der alten Zeit, wie leider noch
heute in ganz Italien, den durch oder nach Süd-Europa ziehenden Vö-
geln reichlichen Tod. Man lieſt von Gerichten auf römiſchen Tafeln,
welche in nichts den ausgeſuchten Gaumenreizen neuerer Zeiten nach-
ſtehen. Nachtigallen wurden ihres Geſanges wegen gehalten; Droſſeln
wurden gemäſtet. Von rabenartigen Paſſerinen werden angeführt: Ei-
chelheher, Raben und Krähen. Unter den Raubvögeln unterſchied man
Geier, Adler, Falken und Eulen; die Beſtimmung einzelner Formen
iſt nicht ganz leicht; doch dürfte eine Vergleichung verſchiedener Schrift-
ſteller noch weiter führen als zu dem bis jetzt Ermittelten. Eines ge-
zähmten und vielleicht abgerichteten Adlers, der einen Knaben mit
ſeinen Fängen in die Luft erhob, gedenkt Martialis an zwei Stellen.
Der Tauben, ſowie des Haushuhns, der Wachteln und Rebhühner
wurde bereits gedacht. Faſanen waren bekannt; die Meleagris der
Alten war das Perlhuhn. Strauße ſpielten in den römiſchen Thier-
kämpfen eine große Rolle. Intereſſant iſt eine Angabe Herodian's,
nach welcher Strauße, denen Commodus im Circus die Köpfe abge-
ſchlagen hatte, noch nachher eine Strecke weit gelaufen ſeien, als ob
nichts vorgefallen ſei63). Von Wadvögeln werden außer den erwähn-
ten und dem Storch noch Reiher, Löffelreiher, Ibis, Rohrdommel,
und Kraniche angeführt. Letztere wurden nach Caſſius Dio zu Kämpfen
gegen einander abgerichtet. Schnepfen und mehrere Verwandte waren
gleichfalls bekannt. Die Ordnungen der Schwimmvögel waren
[51]Ueberſicht der den Alten bekannten Thierformen.
durch mehrere Formen vertreten. Ob der Flamingo, deſſen Zunge Pli-
nius nach dem Apicius als Leckerbiſſen rühmt, ſchon dem Ariſtoteles
bekannt war, iſt zweifelhaft. Dagegen waren außer den früher ange-
führten Schwänen, Gänſen und Enten noch der Pelikan, Scharben,
Taucher und Möven bekannt.
Am dürftigſten iſt bei den alten Schriftſtellern im Verhältniſſe zu
den übrigen Wirbelthieren die Bekanntſchaft mit Reptilien und Am-
phibien vertreten. Man kannte zwar See-, Land- und Süßwaſſer-
ſchildkröten, aber nur in einzelnen nicht ſcharf beſtimmten Formen.
Nil-Crocodile kamen ſogar nach Rom in den Circus. Daß ſie gezähmt
worden ſind, beweiſen die in verſchiedenen ägyptiſchen Städten gehal-
tenen und verehrten Crocodile; ſelbſt aus ſpäterer Zeit wird manches
erzählt, ſo daß Firmus in Alexandrien (272 n. Chr.) nach der Erzäh-
lung des Vopiscus unter einer Anzahl von Crocodilen herumgeſchwom-
men ſei, daß in Arſinoë die Prieſter die Crocodile wenigſtens fütterten
(4. Jahrhundert). Crocodilartige Thiere aus Indien erwähnt bereits
Arrian, eine Angabe, welche ſpäter erſt von den arabiſchen Geographen
wiederholt wurde. Von Schlangen ſind die gekannten europäiſchen
Arten ſchwer mit Sicherheit zu beſtimmen. Außer der ſüdeuropäiſchen
kannte man die ägyptiſche Schild-Viper und wahrſcheinlich noch ein Paar
indiſche, zum Theil giftige Schlangen64). Unter Auguſtus wurde eine
coloſſale Schlange im Circus gezeigt (? Python). Kleine Eidechſenfor-
men, Stellionen65), das Chamaeleon und einige andere ſchwer zu deu-
tende Arten repräſentiren die Saurier. Von Amphibien wurde der
jedenfalls geſehene und beobachtete Salamander mit vielen fabelhaften
Uebertreibungen geſchildert. Außer ihm kannte man kaum eine andere
geſchwänzte Form. Fröſche und Kröten waren dagegen wohlbekannt.
4*
[52]Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.
Zahlreich war die Reihe der Fiſche, welche allmählich bekannt
wurden. Es trug zur näheren Bekanntſchaft mit ihnen wohl ebenſo
die Feinſchmeckerei der Römer als ſpäter die ſeit dem Aufkommen der
chriſtlichen Faſten ihnen beſonders als Faſtenſpeiſe zugewandte Auf-
merkſamkeit nicht wenig bei. Wird aber die Zahl der angeführten Arten
immer größer, ſo wächſt mit ihr die Schwierigkeit, ſie einigermaßen
mit Sicherheit wiederzuerkennen. Nirgends ſo häufig wie hier kommen
Liſten bloßer Namen66) vor, höchſtens mit ganz allgemeinen, nichts-
ſagenden und dadurch leicht irreführenden, zur Ausſchmückung beigege-
benen Zuſätzen. Am lohnendſten würde es hier noch ſein, nach und
nach einzelne geographiſch begrenzte Gebiete ſorgfältig zu durchforſchen,
wobei die mönchiſche bis in frühe Jahrhunderte hinabreichende Ueber-
lieferung als Hülfsmittel benutzt werden muß. Ueber einzelne Namen
geben dann Gloſſen gute Auskunft oder wenigſtens ſicherere Anhalte-
punkte als Urtheile über Geſchmack, Nutzen oder Schaden67). — Hai-
fiſche ſowohl als Rochen kommen vielfach bei den Claſſikern vor und
zwar in mehreren Arten, von denen einige, durch auffallende Eigen-
thümlichkeiten charakteriſirt, ſicher wiedererkannt werden können.
[53]Ueberſicht der den Alten bekannten Thierformen.
Elektriſche Rochen kennt Ariſtoteles aus dem mittelländiſchen, Mega-
ſthenes (bei Aelian) aus dem indiſchen Meere. Von Ganoiden wa-
ren vermuthlich ein Paar Störarten bekannt. Hier gehen aber bereits
im Alterthume (wie ſpäter im Mittelalter) die Namen ſehr durcheinan-
der. Anthias und Elops bei Ariſtoteles, das dem lateiniſchen nachge-
bildete Akkipeſios des Athenaeus, esox. silurus und acipenser des
Plinius, welcher als Synonym noch elops beibringt, ſind wahrſchein-
lich Namen für verſchiedene Arten von Stören, von denen der Sterlet
am geſchätzteſten war68). Cycloſtomen ſcheinen die Alten nicht gekannt
zu haben. Dagegen ſind Knochenfiſche ſehr zahlreich vertreten bei den
Schriftſtellern des Alterthums. Erwähnt mögen nur werden: Wels
(glanis), Hecht (lucius und lupus), Karpfen, Weißfiſche, Barben,
Barſche, Aale, Muränen, Lachſe, Lachsforellen, Forellen und andere
Salmoniden aus dem Süßwaſſer, Thunfiſche, Makrelen, Serranus,
Häring, Sardelle und viele andere aus dem Meere, welche einzeln zu
bezeichnen nur mit kritiſcher Ausführlichkeit möglich, aber hier nicht am
Orte wäre. Der Neſtbau einzelner Fiſche war beobachtet worden69).
Auch war bekannt, daß einzelne Fiſche Laute von ſich geben70). Fiſch-
behälter dienten, wie heute meiſt, nur Küchenzwecken.
Unter den Mollusken waren ſicher die Cephalopoden am beſten
gekannt, von denen allein ſchon Ariſtoteles die wichtigſten Gattungen
unterſchied und deren Lebensweiſe gut kannte. Ja, nach einer Stelle
der Thiergeſchichte (IV, 1. 15) könnte man faſt meinen, er habe den echten
Nautilus geſehen. Auffallend wenig wird von den Schnecken mitgetheilt.
Obſchon einige Namen erwähnt werden und zwar zum Theil ſolche,
welche jetzt in die wiſſenſchaftliche Nomenclatur aufgenommen ſind,
läßt ſich doch nur über wenige etwas Beſtimmtes ſagen. Selbſt die ſo
[54]Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.
vielfach beſprochene Purpurſchnecke iſt nicht mit Sicherheit ermittelt;
doch neigen ſich jetzt wohl die Meiſten der Anſicht zu, daß es Murex
brandaris oder trunculus ſei; es können indeß auch Purpura-Arten
in Betracht kommen, vielleicht auch Buccinum. Von Muſcheln
kannten die Alten wohl die Miesmuſchel, den Pecten, Pinna, Solen,
die Perlmuſchel, die Auſter; letztere wurde gepflegt in Auſternbehältern.
Von Tunicaten findet ſich nur bei Ariſtoteles eine die Gruppe über-
haupt (beſonders die Ascidien) kennzeichnende Schilderung. Spätere
ſchweigen völlig über ſie.
Die Kenntniß der Arthropoden war ſchon durch die verhält-
nißmäßige Kleinheit der auf dem Lande lebenden, alſo zugänglicheren
Formen ſehr beſchränkt. Finden ſich auch Bemerkungen über Inſecten,
ſo ſind es meiſt nur mehr oder weniger allgemein gehaltene Angaben
und über auffallendere Formen. Leuchtkäfer, Holzwürmer, Scara-
bäen, Cetonien, Hirſchkäfer vertreten die Ordnung der Käfer. Unter
den Hymenopteren war die Biene ihrem Haushalte nach leidlich be-
kannt; doch wurde wie bis in neuere Zeiten herab das Geſchlecht der
verſchiedenen Individuenformen verwechſelt. Aehnlich wird das Leben
der geſelligen Wespen geſchildert. Schmetterlinge waren den Alten
wohl im Allgemeinen aufgefallen; auch findet ſich ihre Verwandlung
erwähnt; ſpecielle Formen ſind indeß nicht wiederzuerkennen. Höch-
ſtens könnte man bei Ariſtoteles auf Kenntniß der Geometra-Larven
ſchließen. Vom Seidenwurm, deſſen Geſpinſt zu Alexander des Großen
Zeiten als von einer Raupe herſtammend bekannt wurde, waren viel-
leicht ſchon früher Notizen von China aus durch Central-Aſien weſt-
wärts gedrungen. Nach den Iraniſchen Ländern wurde er noch ſpäter,
früheſtens in der letzten Zeit der Saſſaniden gebracht71). Ariſtoteles
theilt ſicher nur unvollſtändige ihm berichtete Angaben über ihn mit.
Es beſchränkt ſich überhaupt, wie es ſcheint, die Kenntniß der Alten
von dieſem Thiere faſt nur darauf, daß es ein Inſect ſei, welches den
Cocon liefere. Die Form deſſelben aber, ebenſo wie die Reihenfolge der
einzelnen Stände iſt ihnen kaum ganz klar geworden. Heuſchrecken,
[55]Ueberſicht der den Alten bekannten Thierformen.
Grillen, Wanzen, Cicaden (Anakreon!), Fliegen vertreten andere In-
ſectenordnungen. Daß Läuſe und Flöhe bekannt waren, wurde bereits
erwähnt. Zu erſteren rechnete man auch die Schmarotzer der Fiſche,
von denen aber keine einzelnen Formen unterſchieden werden. Auch das
Lackinſect war ſchon früh von Indien nach dem Weſten verbreitet wor-
den. Spinnen, Phalangien, Skorpione, auch der kleine Bücherſkorpion
finden ſich erwähnt. Tauſendfüße waren in mehreren Formen bekannt.
Weniger zahlreich ſind die angeführten Formen von Kruſtern, unter
denen Hummer, Flußkrebs, Languſten, Squillen, mehrere Krabben her-
vortreten. Von den ſelbſtverſtändlich noch nicht hierher gerechneten
Rankenfüßlern werden Meereicheln, Balanen, erwähnt. Die Ariſtote-
liſchen Lepaden ſind Napfſchnecken, Patellen.
Ganz gering iſt die Kenntniß der Alten von den Würmern ge-
weſen. Außer den Erdwürmern finden ſich nur Angaben (zweifelhaft
über Meerwürmer und) über ſchmarotzende Band- und Rundwürmer.
Die Echinodermen ſind im Thierſchatze der Alten durch Holothu-
rien, Seeigel und Seeſterne vertreten; doch war das, was man von
ihnen wußte, zu unbedeutend, als daß es hätte zur Unterſcheidung be-
ſtimmter Formen verwendet werden können. Von Actinien und Me-
duſen kann man kaum mehr ſagen, als daß einzelne Formen derſelben
Ariſtoteles aufgefallen ſind und ihn veranlaßt haben, ſie ſich einmal
anzuſehen; in Bezug auf die Meduſen iſt dies ſogar noch zweifelhaft.
Die Koralle kannte man wohl, war aber über ihre Natur nicht klar
(tempore durescit, mollis fuit herba sub undis. Ovid.). Auf die
zweifelhafte Stellung der Schwämme, von denen einzelne Formen an-
geführt werden, wird zwar hingewieſen; indeß natürlich ohne dieſer
Frage die Bedeutung beizulegen, welche ſie ſachlich und formal in
neuerer Zeit erhalten hat.
Nach dieſer flüchtigen Muſterung der Formen, aus welchen ſich
das Bild des Thierreichs bei den Alten zuſammenſtellte, bleibt nur noch
übrig, daran zu erinnern, daß trotz der Kritik, welche Ariſtoteles (frei-
lich auch nur er) falſchen oder geradezu fabelhaften Erzählungen entge-
gengehalten hatte, derartige Ausſchmückungen ſonſt vielleicht zu nüchtern
erſcheinender Berichte ſich lebendig erhielten und durch das ganze Alter-
[56]Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.
thum bis in das Mittelalter hineinreichten. Knüpft ſich die Geſchichte
einer Wiſſenſchaft, deren Objecte nicht erſt durch künſtlich angeſtellte
Verſuche und durch ſpeculative Operationen zu entdecken ſind, zu einem
guten Theil an die allmähliche Aufklärung früher herrſchender Irrthü-
mer, ſo kann eine in's Einzelne gehende Aufzählung ſolcher hier um ſo
mehr unterlaſſen werden, als die Beſprechung der mittelalterlichen
Quellen zur Geſchichte der Zoologie ebenſo wie die Geſchichte der Kennt-
niß einzelner Klaſſen mehrfach Gelegenheit bieten wird, auf die äußerſt
langſam erfolgende Beſeitigung derartiger in's Volksbewußtſein einge-
wurzelter Mythen hinzuweiſen.
2. Kenntniß des thieriſchen Baues.
Verkehrt wäre es, im Alterthum ſchon zootomiſches Material in
genügender Menge zu erwarten, um die Bildung allgemeiner morpho-
logiſcher Anſichten inductiv auf ſolchen ſich erheben zu ſehen. Um ſo
merkwürdiger iſt es, daß auch hier Ariſtoteles in wunderbar klarer
Weiſe ſchon manche Geſetze erkannte, welche als erſte Fälle einer be-
wußten Anwendung des ſpäter ſogenannten Geſetzes der Correlation
der Theile ſicher auch ſeine ſyſtematiſchen Anſichten beſtätigen halfen.
Es wurde früher darauf hingewieſen, wie zunächſt die ſich zufällig bie-
tenden Erſcheinungen bei dem Opfern und Schlachten von Thieren auf
gewiſſe allgemeine anatomiſche Anſchauungen führten. Das mediciniſche
Bedürfniß nach Kenntniß des menſchlichen Körpers ließ dann die Un-
terſuchungen planmäßig weiter führen. Endlich kamen noch allgemeine
philoſophiſche und beſonders pſychologiſche Fragen auf, deren Beant-
wortung (z. B. die Sinneswahrnehmungen) aus einer Betrachtung
der betreffenden Organe herzuleiten für möglich gehalten wurde. Die
beiden letzten Geſichtspunkte waren aber ihres ſubjectiven Hintergrun-
des wegen bedenkliche Quellen von Täuſchung. Die Uebertragung des
bei Thieren Gefundenen auf den Menſchen und die Deutung thieriſcher
Organe nach der (oft nur hypothetiſch vorausgeſetzten) Leiſtung der für
entſprechend gehaltenen menſchlichen mußte häufig zu Irrthümern füh-
ren. Die Sinnesorgane konnten ohne einen einigermaßen vorgeſchritte-
nen Entwickelungszuſtand der Phyſik keine richtigen Anhaltepunkte zur
[57]2. Kenntniß des thieriſchen Baues.
Beurtheilung des pſychiſchen Antheils an den Wahrnehmungen darbie-
ten. Endlich war man, um das grob ſinnliche zuletzt zu erwähnen,
viel zu wenig vorbereitet, die Veränderungen der Theile nach dem Tode
und die davon abhängenden Erſcheinungen (z. B. die Blutleere der
Arterien) als ſolche aufzufaſſen und demgemäß beim Aufbau anatomi-
ſcher Syſteme richtig verwenden zu können.
Hätte die vergleichende Anatomie ſich in ähnlicher Weiſe entwickeln
können, wie in neueren Zeiten die allmähliche Complication der thie-
riſchen Organismen aufgefaßt wird, hätte ſie nach den einfachſten Bei-
ſpielen eines thieriſchen Baues geſucht, um von dieſen in der Erkennt-
niß zu immer zuſammengeſetzteren Formen vorſchreiten zu können, dann
würden manche derartige Fehler zu vermeiden geweſen ſein. Es lag
aber der ganzen Ideenwelt des Alterthums, welche wie auch gar zu
häufig noch die der Neuzeit mit einem ſtarren Anthropomorphismus an
die Naturerſcheinungen herantrat, zunächſt der Drang am nächſten,
womöglich ſofort über Formen und Vorgänge der Natur Rechenſchaft
zu fordern und zu geben. Dieſe fiel denn je nach dem Wege, auf
welchem man meiſt beiläufig, ſelten direct zu einem Erklärungsverſuch
gekommen war, grob mechaniſch oder rein ſpiritualiſtiſch, immer aber
von der vorgefaßten Anſicht des allgemeinen Zuſammenhanges befangen
aus. Verſuche, eine Erklärung inductiv zu entwickeln, waren äußerſt
ſelten. Wenn auch hier wieder auf Ariſtoteles gewieſen wird, ſo ge-
ſchieht es, weil er derjenige war, welcher den dem richtigen Erfaſſen des
thieriſchen Baues entgegenſtehenden Schwierigkeiten unter allen Natur-
kundigen des Alterthums am glücklichſten zu begegnen wußte. Auch er
konnte ſich zwar von manchen Vorurtheilen ſeiner Zeit nicht völlig frei
machen; doch ſichern ihm ſeine Leiſtungen das Recht, auch als Begrün-
der der vergleichenden Anatomie gefeiert zu werden.
Es iſt allerdings von mehreren Philoſophen aus der Zeit vor Ari-
ſtoteles bekannt, daß ſie ſich auch mit Beobachtungen über den Bau,
ſelbſt über Entwickelung der Thiere beſchäftigt haben. Keiner hat aber
wie Ariſtoteles dieſe Beobachtungen von einer ſo breiten Anlage aus
und als ihr eigenes Intereſſe in ſich tragend angeſehen und dargeſtellt.
Meiſt wurden die anatomiſchen Anſichten von jenen nur als Stützen
[58]Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.
ihrer allgemeinen naturphiloſophiſchen Syſteme benutzt. Ihnen dahin-
ein zu folgen verbietet der Ort. Es gewinnt aber auch die Geſchichte
der Zootomie wenig durch Erklärung ihrer Mittheilungen aus jenen
Syſtemen. Da ſich das von dieſen Männern Erhaltene höchſtens auf
Fragmente beſchränkt, von denen Ariſtoteles ſelbſt eine ziemliche Zahl
aufbewahrt hat, ſoll hier nur in Kürze auf einige Thatſachen hingewie-
ſen werden.
Der älteſte Forſcher, von dem nicht bloß erzählt wird, daß er ſich
mit Zergliederung von Thieren beſchäftigt habe, ſondern von welchem
auch Ariſtoteles einzelne Meinungen in ſeinen zoologiſchen Schriften
anführt, iſt Alkmaeon von Kroton (um 520 v. Chr.). Das von
ihm Ueberlieferte iſt aber zu unbedeutend, als daß es möglich wäre, ein
zutreffendes Bild ſeiner Anſichten über den thieriſchen Bau und deſſen
Leiſtungen zu geben. Er ſetzt den Unterſchied der menſchlichen Seele
von dem allgemeinen Lebensprincip in die Fähigkeit, das ſinnlich
Wahrgenommene zu verſtehen (Theophr. de sensu)72). Bei Erwäh-
nung der Zeit, in welcher die Geſchlechtseigenthümlichkeiten auftreten,
führt Ariſtoteles an, daß Alkmaeon darauf hingewieſen habe, wie auch
die Pflanzen erſt blühen, wenn ſie Samen zu tragen im Begriff ſeien.
Eine Angabe Alkmaeon's, daß die Ziegen durch die Ohren athmen
(eine Meinung, welche Plinius ohne ſie zu widerlegen dem Archelaos
zuſchreibt, Hist. nat. VIII, 50. 76)73), weiſt Ariſtoteles als unrichtig
zurück (Hist. anim. I, 11. 45). In ähnlicher Weiſe glaubt aber Ari-
ſtoteles auch den Alkmaeon berichtigen zu müſſen, wenn dieſer an-
giebt74), in den Eiern entſpreche das Weiße der Milch, d. h. der den
jungen Thieren mitgegebenen Nahrung. Schon nach dieſen verſchiedenen
Seiten des thieriſchen Lebens angehörigen Beobachtungen läßt ſich an-
nehmen, daß Alkmaeon in ziemlicher Ausdehnung Erfahrungen zu ſam-
meln verſucht habe.
[59]2. Kenntniß des thieriſchen Baues.
Etwas zuſammenhängender iſt das, was ſich von Empedokles
(um 440 v. Chr. blühend) erhalten hat. Seiner philoſophiſchen Rich-
tung nach gewiſſermaßen einen Uebergang von den Pythagoräern zu
den Atomikern bildend, ſuchte er die Zuſammenſetzung der gleichartigen
Theile des Thierkörpers, wie Fleiſch, Blut, Knochen, nicht auf eines
oder auf mehrere Elemente, ſondern auf gewiſſe Miſchungsverhältniſſe
derſelben zurückzuführen, welche letztere er zuerſt in der Vierzahl und ſo
auffaßte, wie ſie dann ſeit Ariſtoteles bis in das ſpätere Mittelalter
(und volksthümlich bis in die neuere Zeit) als Elemente galten. Der
Menge der veränderlichen Thiergeſtalten gegenüber war es wichtig, daß
er zuerſt dem Stoffe eine die Urſache der Bewegung enthaltende Kraft
an die Seite ſtellte. Von einer ſtreng folgerichtigen Anwendung dieſes
Begriffes war er jedoch natürlich noch fern. Den Bau der Thiere
ſuchte er ſich zwar zum Theil mechaniſch zu erklären. So führt Ariſto-
teles tadelnd an75), Empedokles ſage, es gäbe Vieles bei den Thieren
nur darum, weil es ſich bei der Entſtehung ſo gefügt habe, das Rück-
grat der Säugethiere z. B. ſei zufällig beim Werden in einzelne Wirbel
gebrochen. Wo ihm aber die Möglichkeit einer derartigen, wenn auch
noch ſo wunderlichen Erklärung nicht nahe liegt, verliert er ſich in ge-
haltloſe Speculationen. Er ſagt, daß bei der Zeugung ſowohl vom
Männchen als vom Weibchen ein Antheil auf den Abkömmling komme;
die Entſtehung der Geſchlechter erklärt er indeß dadurch, daß das, was
in einen warmen Uterus gelange, männlich, das was in einen kälteren
Uterus komme weiblich werde. Bei den Pflanzen ſind ſeiner Anſicht
nach die Geſchlechter noch nicht getrennt. Die Unfruchtbarkeit der
Mauleſel leitet er davon ab, daß die Miſchung beider Samenflüſſigkei-
ten dick werde. Blaue Augen enthalten mehr Waſſer als Feuer, ſehen
daher am Tage nicht ſcharf76).
Anaxagoras, welcher zwar etwas älter als Empedokles doch
ſpäter gewirkt zu haben ſcheint, trennte die bewegende Urſache völlig
[60]Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.
als „Geiſt“ (νοῦς) vom Stoffe. Er nahm noch jenſeits der Elemente
gleichartige unſichtbare Theile (Homoiomeren) an, aus denen die Ele-
mente ſelbſt wieder beſtänden. Dieſe Anſicht wird dann auf den thie-
riſchen Körper übertragen. Gleichartige Theile entſtehen nicht; es tritt
z. B. Fleiſch aus der Nahrung zum Fleiſche, welches hierdurch wächſt.
Dunklen Fragen gegenüber iſt er ein Kind ſeiner Zeit. Die die Ge-
müther auch damals ſchon ſo mächtig erregende Frage nach der Ent-
ſtehung der Geſchlechter beantwortet er dahin, daß der Samen vom
Männchen komme, das Weibchen den Ort beſtimme; von der rechten
Seite kommen die Männchen, von der linken die Weibchen, und
ebenſo liegen beide Geſchlechter im Uterus. Wie wenig er wirkliches
Verſtändniß der Lebensvorgänge hatte, beweiſt die Angabe, Raben und
der Ibis begatten ſich mit den Schnäbeln, auch das Wieſel bringe
ſeine Jungen durch das Maul zur Welt77).
Gering iſt das thatſächliche Material, welches bei den bis jetzt
Genannten zu finden war; unbedeutend iſt auch die Hülfe, welche ihre
Lehre der naturwiſſenſchaftlichen Methode brachte. Auch die Atomiker
haben ſelbſt wenig zootomiſche oder phyſiologiſche Thatſachen an's Licht
gefördert; der Einfluß ihrer Anſchauungen war aber fruchtbringend.
„Wo die Verlegenheit nicht vergeſſen iſt, in welche das Denken der Er-
fahrung gegenüber durch die Annahme eines Seienden oder auch der
qualitativen Veränderung gebracht wird, da muß nothwendig der for-
male d. h. der mechaniſche Erklärungsverſuch ohne Rückſicht auf die
ſcheinbare Unterſchiedlichkeit zwiſchen Stoff und Geiſt . . . jedem an-
dern vorgezogen und conſequent zur reinen Atomiſtik ausgebildet wer-
den“. „Die Atomiſtik hat darum nicht geringe Bedeutung, weil aus ihr
in der Geſchichte der inductiven Wiſſenſchaften die Grundbegriffe zu
denjenigen Hypotheſen der Phyſiker und Chemiker entlehnt ſind, durch
welche die Verbindung der Mathematik mit der Naturforſchung mög-
lich und für die formale Erklärung der Erſcheinungen fruchtbar geworden
[61]2. Kenntniß des thieriſchen Baues.
iſt“78). Bezeichnend iſt es, daß ſchon Demokrit zwar die Organe in
Bezug auf ihre Functionen betrachtet und wie geeignet ſie für letztere
ſeien bewundert, aber doch nur materielle Erklärungsgründe zuläßt.
Es beklagt ſich daher Ariſtoteles (de generat. anim. V, 8, 101) dar-
über, daß Demokrit die Zweckurſache (das τὸ οὗ ἕνεκα) außer Acht
gelaſſen habe und Alles was die Natur gebrauche auf die Nothwendig-
keit zurückführe. Dies tritt z. B. ſpeciell bei den Entwickelungsvorgän-
gen entgegen; hier behauptet Ariſtoteles, die unteren Körpertheile ſeien
um der oberen willen (Kopf, Augen), welche anfangs ſo viel größer
ſeien, da, während Demokrit betont, daß der Stoff unbegrenzt und an-
fangslos, alſo auch grundlos ſei (Ariſtot. a. a. O. II, 6.80). Demo-
krit, welcher ſtarb, als Ariſtoteles vierzehn Jahre alt war (370 v. Chr.)
hat den Ueberlieferungen zufolge Thierzergliederungen vorgenommen
(wie ja noch Severino ihm zu Ehren ſein Buch Zootomia Democritea
nannte). Ariſtoteles citirt ihn verhältnißmäßig öfter als andere. Von
dem auf dieſe Weiſe Erhaltenen ſpricht Manches für eine klare Einſicht,
Anderes dagegen ruht auf unvollſtändiger Beobachtung und auf irrigen
Vorausſetzungen. Folgende, dem Ariſtoteles entnommene Bemerkungen
werden ihn für vorliegenden Zweck hinreichend kennzeichnen. Er glaubt,
daß bei den Blutloſen die Eingeweide (vorzüglich Leber, Milz, Niere)
nur der Kleinheit der Thiere wegen nicht wahrnehmbar ſeien, während
Ariſtoteles ausdrücklich ſagt: „von den Blutloſen hat keines ein Einge-
weide“. Bei der Entwickelung bilden ſich ihm zufolge erſt die äußeren,
dann die inneren Theile. Das Gewebe der Spinnen entſteht wie ein
Ausſcheidungsſtoff von innen heraus. Ariſtoteles glaubt hier, es löſe
ſich das Gewebe von der Haut wie eine Rinde oder wie die Stacheln
des Stachelſchweins, welches ja bekanntlich einer ziemlich verbreiteten
Mythe zufolge die Fähigkeit haben ſollte, ſeine Stacheln wie Pfeile fort-
zuſchleudern. Die Unfruchtbarkeit der Mauleſel hängt davon ab, daß
die Canäle in der Gebärmutter des Mauleſels verdorben ſeien (alſo
doch ein Verſuch zu einer Erklärung aus fehlerhafter oder mangelhafter
[62]Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.
Entwickelung). Unklar oder falſch ſind andere Angaben; ſo ſoll der Un-
terſchied der Geſchlechter ſich danach richten, bei welchem der beiden
Erzeuger der von den unterſcheidenden Geſchlechtstheilen herkommende
Same überwiege. Die Nabelſtranggefäße gehen an die Gebärmutter-
wand, damit die Theile des Jungen nach den Theilen der Mutter ge-
formt werden (hier erklärt Ariſtoteles richtig, daß ſie der Ernährung
wegen dahin gehen). Die Zähne endlich ſollen deswegen ausfallen,
weil ſie in Folge des Säugens vorzeitig entſtehen; naturgemäß wäre
es, wenn ſie erſt dann wüchſen, wenn das Thier faſt in der Blüthe ſei-
nes Lebens ſtände79).
Der Hippokratiker hier zu gedenken, könnte natürlich ſcheinen, da
ja die menſchliche Anatomie ihnen beſonders nahe lag. Der ganze Ge-
winn, welchen Zootomie und vergleichende Anatomie dieſer Schule ver-
dankt, iſt aber keineswegs nennenswerth. Es läßt ſich auch bei den
Späteren kaum ein Einfluß eines ſolchen nachweiſen. Polybus (un-
gefähr 380 v. Chr.) ſoll freilich auch die Entwickelung des Hühnchens
unterſucht haben. Die über ihn und die Reſultate ſeiner Unterſuchungen
auf die Nachwelt gekommenen Angaben ſind aber nicht bedeutend ge-
nug, um hier mehr zu thun, als an ihn zu erinnern.
Die Akademiker waren eigentlicher Naturforſchung vollſtändig
fremd. Der teleologiſche Idealismus Plato's, welcher eine Einſicht in
den Cauſalzuſammenhang der Erſcheinungen beim Fehlen des Cauſali-
tätsbegriffs nicht aufkommen ließ, konnte keine Erklärung, auch keinen
Verſuch einer ſolchen vornehmen. Wo das Bedürfniß einer Verſtän-
digung nahe trat, wie im Timaeos, ſpielen Anklänge an pythagoräiſche
Zahlen, an das ewige Fließen der Erſcheinungen im Sinne Heraklit's,
ja ſelbſt das abſolute Sein der Eleaten in die Erörterung hinein. Für
die Auffaſſung des thieriſchen Lebens war Plato's Anſicht, daß alle
Theile des Leibes von dem, aus Elementardreiecken beſtehenden Marke
ihren Urſprung nehmen, völlig unfruchtbar.
[63]2. Kenntniß des thieriſchen Baues.
Ganz anders erſcheint Ariſtoteles. Eine Schilderung ſeiner
allgemeinen philoſophiſchen Bedeutung für die Geſchichte der geiſtigen
Entwickelung der Menſchheit kann hier um ſo eher übergangen werden,
als eine ſolche, an ſich ſchon der Aufgabe vorliegenden Buches fern lie-
gend, von Andern in zum Theil trefflicher Weiſe gegeben iſt. Es war
aber nothwendig, von ſeinen Vorgängern zu erwähnen, wie ſie der Na-
tur gegenübergetreten waren. Nicht unterlaſſen darf es daher werden,
auch von dem „Maestro di color che sanno“ anzugeben, welche Grund-
anſchauungen er vom Weſen der Natur hatte und welche Methode er
anwandte, ſie zu erklären. Aus den im Vorhergehenden angeführten
einzelnen Urtheilen des Ariſtoteles geht ſchon hervor, daß er kein ſtren-
ger Atomiker war, daß er alſo nicht mehr oder noch nicht verſuchte, die
Erſcheinungen mit Nothwendigkeit auf ihre Bedingungen zurückzufüh-
ren. Glaubt man daher, daß ein Fortſchritt nur da zu ſuchen ſei, wo
ſich Andeutungen des jetzt für richtig Erkannten auffinden laſſen, dann
wäre im Ariſtoteles kein Anknüpfungspunkt für moderne Forſchung
nachzuweiſen. Nun ſind aber nicht, wie oben in kurz bezeichnender
Weiſe angeführt worden, die Grundbegriffe der heutigen Wiſſenſchaft
aus der Atomiſtik entlehnt, ſondern, hiſtoriſch betrachtet, es haben die
Thatſachen in ihrer inductiven Verwendung zur Aufſtellung allgemeiner
Geſetze auf die Atomiſtik geführt. Es kommt folglich einmal auf die
Art an, wie die Thatſachen erfaßt, und ob oder wie ſie zu Verallgemei-
nerungen benutzt wurden. Wenn man auch in Bezug auf Einzelheiten
zugeben muß, daß Ariſtoteles trotz ſeines Kämpfens gegen die plato-
niſche Ideenlehre (welche die Erzeugerin des bis in die neueſte Zeit hin-
ein auch auf naturwiſſenſchaftlichem Gebiete ſein Unweſen treibenden,
jede geſunde Naturphiloſophie untergrabenden „Dinges an ſich“ iſt)
einen gewiſſen Idealismus beibehalten hat, ſo iſt doch im Allge-
meinen mit dankbarer Anerkennung hervorzuheben, daß er von der
Ueberzeugung durchdrungen war, der Natur wohne eine vom vorſtellen-
den Subjecte völlig unabhängige Realität bei, die ſinnliche Wahrneh-
mung habe demnach eine objective Wahrheit. Er ſchaffte ſich hierdurch
den einzig richtigen Boden für eine mögliche Naturforſchung. Ferner
geht er zu allgemeinen Sätzen nur von einzelnen Thatſachen aus. Daß
[64]Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.
jene bei ihm noch häufig falſch ſind, hängt davon ab, daß er dem noch
wenig entwickelten Zuſtand der formalen Logik und Beobachtungskunſt
entſprechend noch keine angemeſſenen Begriffe von den Erſcheinungen
zu bilden im Stande war und daß er das populäre Wiſſen von einer
Sache noch nicht vom wiſſenſchaftlichen Erkennen derſelben trennte.
Ariſtoteles muß nun aber nicht bloß aus den angeführten Grün-
den (die durch ſeine Zeit bedingten Mängel in Rechnung gezogen) ohne
allen Zweifel als der größte Naturforſcher des Alterthums angeſehen
werden; er verdient, gerade in Hinblick auf die ihm zu Gebote ſtehen-
den geringen Mittel, eine gleiche Bezeichnung auch dem heutigen Em-
pirismus gegenüber, welcher ein Zerſplittern in endloſe Einzelheiten,
einen kaum zu befriedigenden Drang nach Anhäufung von immer neuen
und neuen Erfahrungen als die Aufgabe und das Zeichen eines wahr-
haft wiſſenſchaftlichen Strebens erſcheinen läßt, welchem aber leider
nur gar zu häufig der geiſtige Hintergrund fehlt, von dem aus die
Thatſachen erſt zu wiſſenſchaftlich verwerthbaren erhellt werden. Dieſer
war bei Ariſtoteles vorhanden, aber allerdings mit einem von den Ein-
flüſſen ſeiner Zeit beſtimmten Lichte. Das erſte Hinderniß einer tiefer
gehenden Erfaſſung der belebten Natur bei Ariſtoteles liegt in der
Mehrſinnigkeit des Wortes Urſache. Wenn auch der Cauſalitätsbegriff
bei ihm hervortritt, ſo führt ihn doch ſein logiſcher Formalismus zur
Annahme vier verſchiedener urſächlicher Momente; es ſind dies: der
Stoff, woraus, die Form, wonach, die Bewegung, wodurch, und der
Zweck, wozu etwas entſteht oder geſchieht. Aus dieſen vier Theilfragen
ſetzt ſich dann die Geſammtfrage der Phyſik, das Warum zuſammen80).
Selbſtverſtändlich liegt hier die Gefahr nahe, welcher auch Ariſtoteles
nicht zu entgehen wußte, da wo eine oder die andere dieſer Urſachen
nicht zu ermitteln war, wenigſtens für die letzte, den Zweck, etwas zu
erſinnen. Hierdurch verlieren manche ſeiner Erörterungen jeden Boden.
Ferner wird zwar von Hiſtorikern häufig auf eine Stelle verwieſen,
wo er (wie oben ſchon angedeutet) ausdrücklich hervorhebt, daß man
[65]2. Kenntniß des thieriſchen Baues.
der Beobachtung mehr Glauben ſchenken ſoll als der Theorie81). Hier-
aus darf man aber nicht ſchließen, daß Ariſtoteles ganz im Empiris-
mus aufgegangen wäre. Vielmehr liegt hier nur die Andeutung vor,
daß das Wiſſen durch Speculation zu erweitern, dieſe aber ſo weit als
möglich durch ſinnliche Wahrnehmung zu beſtätigen ſei82).
Noch in einer anderen Weiſe greift Ariſtoteles bei der Betrachtung
lebender Weſen über das ſinnlich Wahrnehmbare hinaus und geräth
damit in Gefahr, von der Erklärung derſelben völlig abgezogen zu wer-
den. Es iſt der hier zu erwähnende Punkt deshalb von geſchichtlichem
Intereſſe, als manche jetzt freilich wohl nur noch in formell verſchiedener
Weiſe gebrauchte Ausdrücke, wie Lebenskraft, Typus u. a., lange Zeit
ziemlich genau in einer der Ariſtoteliſchen Auffaſſung des Beſeeltſeins
entſprechenden Deutung angewendet wurden. Ariſtoteles theilt nämlich
die Naturkörper in beſeelte und unbeſeelte. Das Beſeelte iſt das Ge-
formte, Lebendige. Wäre das Beſeeltſein nur das weſentliche Merkmal
der beſeelten Körper im formal-logiſchen Sinne der Definition (alſo
ein ἴδιον Ariſtoteles'), ſo würde natürlich nichts dagegen einzuwenden
ſein. Bei näherer Beſtimmung des Begriffs Seele wird derſelbe aber
als Entelechie der lebensfähigen Materie hingeſtellt. Da nun die ver-
ſchiedenen Formen des Beſeeltſeins (Pflanze, Thier, Menſch) auf ver-
ſchiedene Vermögen zurückgeführt werden, denen ebenſoviele Entelechien
entſprechen, ſo löſt ſich der Begriff der letztern von der Betrachtung
des Stoffes leicht ab und verleitet noch mehr, als es ſchon die Begriffe
der Möglichkeit und Wirklichkeit thun, dazu, die Seele (oder Form oder
Lebenskraft) als immateriellen, außerhalb der Natur ſtehenden Grund
der Belebung zu betrachten. Es iſt indeß wohl nichts weiter nöthig,
als auf dieſen aus Ariſtoteles formalem Standpunkt zu erklärenden
Umſtand hinzuweiſen 83).
V. Carus, Geſch. d. Zool. 5
[66]Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.
Nicht mit Unrecht hat man nun aber bei Ariſtoteles nicht bloß den
wiſſenſchaftlichen Gehalt ſeiner zahlreichen die Thiere betreffenden
Schriften bewundert, ſondern beſonders auch den Reichthum der letz-
teren an Einzelangaben über ſo viele Thiere namentlich der höheren
Claſſen. Es iſt daher von je, wenigſtens von der Römerzeit an, ſowohl
von Zoologen als von Biographen des Ariſtoteles der Verſuch gemacht
worden, das außerordentlich reiche Material, über welches er geboten
zu haben ſcheint, zu erklären. Zu bedauern iſt dabei, daß von gleich-
zeitigen Schriftſtellern nichts erwähnt worden iſt, was Licht auf dieſe
Frage werfen könnte. Die beiden Angaben, welche am meiſten ver-
breitet ſind und meiſt ohne Bedenken für wahr, wenigſtens in der
Hauptſache, gehalten werden, rühren von Schriftſtellern her, von wel-
chen der eine vierhundert, der andere fünfhundert Jahre nach dem Tode
des Ariſtoteles gelebt hat. Plinius erzählt, Alexander habe einige Tau-
ſend Menſchen unter den Befehl des Ariſtoteles geſtellt, um ihm aus
ganz Aſien und Griechenland alle möglichen Mittheilungen naturge-
ſchichtlicher Art zu machen, damit ihm nichts in der ganzen Welt unbe-
kannt bleibe. Athenaeus dagegen führt an, Alexander habe dem Stagi-
riten achthundert Talente geſchenkt. Was das erſte betrifft, ſo iſt an und
für ſich die Beauftragung einer Menge Leute, welche Gelegenheit hat-
ten, Thiere zu beobachten oder zu fangen, mit der beſtimmten Aufgabe,
alles Mögliche an Ariſtoteles mitzutheilen oder zu ſchicken, immerhin
ganz wahrſcheinlich. Nur muß man dabei Aſien weglaſſen. Denn ein-
mal iſt ziemlich ſicher, daß Ariſtoteles an der Niederſchrift ſeiner Bü-
cher über Thiere bereits in Makedonien gearbeitet und daß er ſie bei
83)
[67]2. Kenntniß des thieriſchen Baues.
ſeiner Rückkehr nach Athen fortgeſetzt hat, zu einer Zeit alſo, wo Alex-
ander noch nicht über Klein-Aſien hinaus gekommen war. Und während
des ſpäteren Verlaufs des aſiatiſchen Heerzuges kühlte ſich das Ver-
hältniß zwiſchen Ariſtoteles und Alexander bekanntlich ziemlich bald ab.
Schon hiernach iſt es kaum glaublich, daß Ariſtoteles planmäßig aus
Aſien viel Neues erhalten habe. Es wird nun noch eine andere Mei-
nung angeführt, wonach Ariſtoteles anfangs den Alexander begleitet
haben und erſt 331 v. Chr. aus Aegypten „mit einem reichen Material
zu ſeiner Thiergeſchichte“ nach Athen zurückgekommen ſein ſoll84). Ab-
geſehen aber davon, daß ſich hierfür keine ſichern hiſtoriſchen Angaben
beibringen laſſen, ſprechen auch innere Gründe gegen die Wahrſchein-
lichkeit dieſes Aufenthaltes, von welchem ſofort zu reden ſein wird. In
Bezug auf die zweite jener Erzählungen wird allerdings an einer
großen, wahrhaft königlichen Liberalität ſowohl ſeitens des mit Ariſto-
teles befreundeten Philippus als Alexander's gegen Ariſtoteles nicht zu
zweifeln ſein. Aber einmal iſt jene Summe entſchieden zu hoch. Die
Angabe des allgemein für zuverläſſig gehaltenen Ariſtobulos (bei Plu-
tarch), daß nach Beendigung der Rüſtungen zum aſiatiſchen Feldzug
noch ſiebzig Talente im makedoniſchen Staatsſchatz vorhanden geweſen
ſeien, iſt ſicher nicht ganz zu vernachläſſigen. Dann aber erſcheint,
ſelbſt wenn man das überhaupt dem Ariſtoteles Gewährte um nur we-
niges verkleinert, der Theil, welcher davon auf ſeine zoologiſchen Un-
terſuchungen verwendet werden konnte, immer klein gegenüber den
Ausgaben, welche ſeine andern Studien, beſonders aber die Herbei-
ſchaffung der damals ſo koſtbaren Bücher in Anſpruch nahmen85).
Und daß er deren viele beſaß, beweiſen außer ſeiner Beleſenheit alte
Zeugniſſe.
5*
[68]Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.
Wenn nun aber auch zugegeben werden muß, daß dieſe Zurück-
führung der ihm gewährten directen oder indirecten Begünſtigungen
auf ein den damaligen Verhältniſſen entſprechendes Maß nur auf,
allerdings nicht geringer Wahrſcheinlichkeit beruht, ſo geben doch die
auf die Jetztzeit noch gekommenen Bruchſtücke ſeiner zoologiſch-ſchrift-
ſtelleriſchen Thätigkeit86) hinreichende Belege dafür, daß er kaum ein
Thier ſelbſt geſehen oder zergliedert habe, was nicht dem griechiſch-
ioniſchen Faunengebiet angehörte oder in dieſes ſchon vor ſeiner Zeit
eingeführt worden war87). Zu letzteren gehören beiſpielsweiſe unter
den Vögeln Perlhuhn, Faſan und Pfau; dagegen hat er den Strauß
kaum ſelbſt unterſucht, und ſo fort in andern Claſſen.
Fragt man nun nach den Quellen, aus denen Ariſtoteles geſchöpft
hat, ſo iſt zunächſt ſeine außerordentliche Beleſenheit, welche aus den
in dem Früheren angeführten Citaten ſchon ſichtbar wird, zu erwähnen.
Bei der Wiedergabe von Erzählungen und Meinungen Anderer ver-
fuhr er mit Kritik, was kaum einem ſeiner antiken Nachfolger nachge-
rühmt werden kann. Freilich konnte er eben nur den Maßſtab anlegen,
den ihm neben ſeinem ganzen philoſophiſchen Standpunkte ſeine Zeit
ermöglichte. Es tritt aber ſeine Skepſis um ſo anerkennenswerther
hervor, als Spätere trotz der ihnen möglichen eigenen Erfahrung die
Kritik ganz vernachläſſigten. Dieſelbe Vorſicht zeigte Ariſtoteles ferner
den vielfachen mündlichen, und wohl auch brieflichen, Mittheilungen
gegenüber, welche jedenfalls die Hauptquelle ſeiner zoologiſchen und
zootomiſchen Kenntniſſe ausmachten. Seine eigenen Unterſuchungen,
[69]2. Kenntniß des thieriſchen Baues.
deren Ausdehnung durch das eben Geſagte nicht über Gebühr verrin-
gert werden ſoll, aber auch auf keinen Fall ſo hoch angeſchlagen werden
darf, als es vielleicht nur zu allgemein geſchieht, leiden ſämmtlich an
dem Hauptfehler, daß ſie nicht einzeln planmäßig durchgeführt ſind.
Mag es ſein, daß gegen das Zergliedern von Thieren ein von ihm
allein nicht zu überwindendes Vorurtheil herrſchte, oder daß er aus
Mangel geeigneter techniſcher Methoden die durch das Klima oder ſon-
ſtige locale Verhältniſſe gegebenen Schwierigkeiten nicht zu überwinden
verſtand: er würde durch das ſyſtematiſche Zergliedern eines Säuge-
thiers, eines Fiſches u. ſ. f. in den Stand geſetzt worden ſein, manche
der auch ſeiner Anatomie noch anhängenden Grundirrthümer zu beſei-
tigen. In manchen Punkten waren da die Hippokratiker ſicher auf
einem richtigeren Wege. Trotz alledem iſt es merkwürdig, was er ge-
leiſtet hat88).
Vergleicht man freilich des Ariſtoteles' Anſichten über thieriſchen
Bau mit den Reſultaten neuerer exacter Unterſuchungen, dann ſtellen
ſie ſich zum Theil als ſo fremdartig dar, daß man faſt zu fragen ver-
ſucht werden könnte, wie von ihnen ein Uebergang zu richtigerer Ein-
ſicht überhaupt möglich war. Was er aber im Einzelnen verfehlte, er-
ſetzte er reichlich durch den Geſammtüberblick, den er für ſeine und kom-
mende Zeiten ſchuf. Wenn er Nerven und Sehnen noch nicht ſtreng
unterſcheiden konnte, den Urſprung der erſteren aus dem Gehirn89)
nicht kannte, ja die Betheiligung des letzteren an den Empfindungen
geradezu bekämpfte, wenn er ferner das Herz als Quelle der Wärme
für den ganzen Körper anſieht, Puls und Athmung von einer Auf-
dampfung der im Herzen gekochten Blutflüſſigkeit ableitet, die Sehnen
mit dem Herzen verbindet und die Bewegung der Glieder und des gan-
zen Körpers auf Adern und Sehnen zurückführt, ohne die wahre Be-
[70]Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.
deutung des Fleiſches zu kennen, dann kann man wohl nicht erwarten,
ſpeciell vergleichend angiologiſche und neurologiſche Thatſachen bei ihm
verzeichnet zu finden. Auf der andern Seite kannte er aber die Ver-
dauungsorgane ziemlich gut mit ihren Drüſen und verfolgte ſie auch bei
einigen Wirbelloſen, wenn auch nicht immer mit richtiger Deutung.
Das Verhältniß der Geſchlechtsfunctionen hat er gleichfalls in ziem-
licher Ausdehnung durch das Thierreich verfolgt: auch hier freilich
irrt er zuweilen durch teleologiſche Betrachtungen verleitet in der Be-
ſtimmung der betreffenden Organe. Seine Befruchtungstheorie iſt ſelbſt
heutzutage anſprechender, als manches unterdeß Vorgebrachte. Auch
waren ihm die Entwickelungsvorgänge ſowohl der Wirbelthiere als man-
cher niederer Formen nicht unbekannt. Manche ſeiner Angaben wurden
merkwürdigerweiſe erſt in neueſter Zeit beſtätigt.
Es iſt unmöglich, die Fülle der von Ariſtoteles hinterlaſſenen
anatomiſchen Thatſachen auch nur in einem Auszuge hier mitzutheilen.
Der Hauptwerth ſeiner Arbeiten liegt auch nicht in der bloßen Auf-
ſpeicherung unverbundener Angaben, ſondern darin, daß er dieſelben
wiſſenſchaftlich verwerthete. Wenn ihm auch die thieriſche Organiſation
allgemein als Beweis dafür galt, daß in der Natur alles ſchön und
zweckmäßig eingerichtet ſei, die Organe ſogar ihrer Bedeutung nach an
beſtimmte Stellen im Thierkörper gebracht wären, ſo hinderte ihn doch
dieſe Teleologie nicht daran, gewiſſe Geſetze aufzuſtellen, welche in ihrer
Tragweite erſt viel ſpäter erkannt und gewürdigt und vielſeitig verwen-
det wurden. Er bezeichnete nun allerdings dieſe Verallgemeinerungen
nicht mit dem ausdrücklichen Namen von Bildungsgeſetzen; doch ſpricht
ſchon die Thatſache, daß er aus der Menge von einzelnen Beobachtun-
gen das Allen Gemeinſame hervorhob, ſowie die Verwendung dieſer
allgemeinen Anſchauungen für ſein Syſtem wie für ſeine, allerdings
einſeitig teleologiſch gefärbte Phyſiologie dafür, daß ihm die Conſtanz
gewiſſer Verhältniſſe, ſowie die in ihren letzten Gründen ja auch jetzt
noch dunkle Nöthigung zu einer ſolchen nicht entgangen war. Für den
teleologiſchen Weg, auf welchem Ariſtoteles zu dieſen Bildungsgeſetzen
gelangt war, iſt es bezeichnend, daß er das, was man ſeit Cuvier
Typus oder Bildungsplan nennt, was ja auch ſtreng hiſtoriſch genom-
[71]2. Kenntniß des thieriſchen Baues.
men nur ein Durchgangsſtadium in der Aufſtellung des thieriſchen
Baues darſtellen kann, nicht an die Spitze ſeiner Betrachtungen ſtellte,
überhaupt nur beiläufig auf derartige allgemeine Bildungsverhältniſſe
zu ſprechen kommt. Dagegen führt er für die Geſetze der Correlation
der Theile wie für das der Correlation oder Compenſation des Wachs-
thums mehrfache Belege auf. Die zweiflügligen Inſecten haben den
Stachel vorn, die vierflügligen am hintern Körperende; kein ſcheiden-
flügliges hat einen Stachel. Alle lebendiggebärenden Vierfüßer haben
Haare, alle eierlegenden Vierfüßer haben Schuppen. Hauzähne und
Hörner zugleich beſitzt kein Thier. Die meiſten hörnertragenden ſind
zweihufig. Die inductive Entſtehung ſolcher allgemeinen Sätze wird
deutlich durch Bemerkungen wie z. B. die auf die letzte Angabe unmit-
telbar folgende: „Ein Einhufer mit zwei Hörnern iſt uns niemals zu
Geſicht gekommen“. Laſſen ſich dieſe Angaben, welche freilich bei Ari-
ſtoteles zunächſt Ausflüſſe einer teleologiſchen Betrachtung waren, als
Ausdrücke allgemeiner morphologiſcher Verhältniſſe hinnehmen, wie ſie
ja (erſt ſehr ſpät) eine derartige Bedeutung erlangt haben, ſo bleiben die
bei ihm vorkommenden Beiſpiele für die Oekonomie des Wachsthums
(oder das Geſetz ausgleichender Harmonie, wie es J. B. Meyer
nennt) ſtrenger mit ſeiner Anſicht von der Zweckmäßigkeit der Natur
verwebt. Immerhin aber ſprechen dieſelben für den umfaſſenden Stand-
punkt, welchen Ariſtoteles bei der Betrachtung der Thiere einnahm.
Wenn man nun aber auch ganz bei Seite laſſen wollte, daß ſich
in Ariſtoteles' Anſichten über thieriſchen Bau und thieriſches Leben be-
reits Andeutungen finden, welche auf ſpäteren Entwicklungsſtufen der
Zoologie eine weitere Begründung und Bedeutung gefunden haben, ſo
würde doch der Werth ſeiner Arbeiten ſchon aus dem Grunde ein großer
bleiben, als er überhaupt eine planmäßige, wiſſenſchaftliche Behand-
lung des Thierreichs erſt ſchuf, welche nicht bloß als Ausgangspunkt
für ſpätere, mit Entdeckung neuer oder Vervollkommnung älterer Un-
terſuchungsmittel ſicher begründete Unterſuchungen dienen konnte und
wirklich diente, ſondern welche vor Allem die Zoologie und vergleichende
Anatomie zum erſtenmal in die Reihe der inductiven Wiſſenſchaften
einordnete und damit auch die Entwickelung jener Anſchauungen ermög-
[72]Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.
lichte. Was ſeine Darſtellung der betreffenden Fächer betrifft, ſo ſind
wie bekannt nur einzelne Schriften auf die Neuzeit gekommen. Der
Verluſt der übrigen Schriften zur Thierkunde90) iſt um ſo mehr zu be-
dauern, als ſie nähere Beſchreibungen (die Zoica) und anatomiſche
Schilderungen (die Anatomae und Eclogae anatomon) der Thiere
enthalten haben und man außerdem nicht mehr im Stande iſt, ſich über
die Art, wie er ſeine Schriften an geeigneter Stelle durch Zeichnungen
zu erläutern verſuchte, ein gehöriges Bild zu machen. Doch ſteht ſo
viel feſt, daß er auch in dieſer Hinſicht den Spätern vorangieng und
ein Hülfsmittel der Verdeutlichung einführte, welches in der neueſten
Zeit häufig über alle Gebühr ausgedehnt benutzt der ohnehin ſchon
durch unzuſammenhängendes Stückwerk ſchwerfälligen Litteratur einen
weiteren Ballaſt anhängt.
Nicht ohne Abſicht iſt die Bedeutung des Ariſtoteles für die Zoo-
logie des Alterthums gerade hier hervorgehoben worden, wo es ſich um
Erwähnung deſſen handelte, was den Alten vom Bau der Thiere bekannt
war. Die Kenntniß des Baues der lebenden Weſen war und iſt der
Mittelpunkt, um welchen ſich die andern Seiten der Betrachtung theils
zu ſelbſtändigen Wiſſenszweigen entwickelt, theils in feſterem Anſchluß
ordnen. Was von der Lebensweiſe, den Sitten der Thiere erzählt und
in Schulſchriften anekdotenhaft zuſammengeſtellt wurde, fand ſeine Prü-
fung und ſcheinbare Begründung in dem als bekannt vorausgeſetzten,
häufig erdichteten anatomiſchen Verhalten der Thiere. Und wie ſehr die
Organiſation der Thiere als Grundlage des ariſtoteliſchen Thierſyſtems
anzuſehen iſt, wird bald zu erörtern ſein.
Zunächſt iſt noch ein Blick auf die weitere Entwickelung der Thier-
anatomie im Alterthum zu werfen. Gern würde man an Ariſtoteles
ſelbſt anknüpfen, um von ihm aus eine Kette von Naturforſchern we-
nigſtens bis dahin zu verfolgen, wo die Wiſſenſchaften ſämmtlich zum
Stillſtande kamen unter den mit dem Zerfall des in ſeinem Sturze
gleichzeitig die antike Culturwelt begrabenden Römerreichs und mit dem
[73]2. Kenntniß des thieriſchen Baues.
langſamen Aufkeimen der chriſtlichen Saat hereinbrechenden äußeren
und inneren Kämpfen. Doch iſt die Reihe nicht bloß vielfach unterbro-
chen, ſie ſchließt überhaupt bald ganz und gar ab. Wenn auch das
Exil, in welches ſich die Wiſſenſchaften nach den Umwälzungen auf
dem alten europäiſchen und vorderaſiatiſchen Culturheerd zurückzogen,
Alexandria, nicht unfruchtbar für das Fortbeſtehen und die weitere
Verbreitung griechiſchen Wiſſens war91), ſo war das eigentliche Fort-
leben deſſelben nur ein dürftiges. Doch iſt hervorzuheben, daß gerade
für Anatomie die alexandriniſche Schule ein Lichtpunkt wurde. Der
beſonders unter Ptolemaeus Philadelphus gepflegte Sinn für natur-
hiſtoriſche Studien, welcher freilich auch der an und für ſich ſchon regen
Sucht nach Wunderbarem neue Nahrung gab, rief auch die Leiſtungen
der bedeutendſten aller vorchriſtlichen Anatomen des Alterthums her-
vor, des Herophilus und Eraſiſtratus (letzterer ein Schüler
und nach Angaben Früherer ſogar Enkel des Ariſtoteles). Der Nach-
weis des Urſprungs der Nerven als empfindender Theile vom Gehirn,
die Erkennung der Muskeln als der eigentlichen activ bewegenden
Theile, das Auffinden von Milchgefäßen außer den bisher gekannten
Röhren, den mit Pneuma erfüllten Arterien und den blutführenden
Venen (natürlich ohne Ahnung ihres Zuſammenhangs) waren That-
ſachen, welche dem ganzen anatomiſchen Lehrgebäude neue ſicherere
Grundlagen gaben. Für vergleichende Anatomie war der Gewinn freilich
gering. Es ſoll zwar Eraſiſtratus vergleichende Unterſuchungen über
den Hirnbau angeſtellt haben, wobei er die Entdeckungen des Herophi-
lus benutzen konnte. Doch ſind die etwaigen Niederſchriften hierüber
ebenſo wie die aus denſelben vielleicht abzuleitenden Anregungen ſchon
früh verloren gegangen.
[74]Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.
Man ſpricht nun zwar von einer Schule der Eraſiſtratäer, ohne
daß es jedoch möglich wäre, andere als ärztliche Leiſtungen derſelben
anzuführen. Es war vielmehr der Einfluß der Alexandriner im Gan-
zen, welcher ſowohl nach Athen zurückwirkte als auch Wiſſenſchaftlich-
keit und Studieneifer nach einigen kleinaſiatiſchen Staaten hinüber-
führte, unter denen Bithynien und beſonders Pergamum, in Folge des
Ehrgeizes ſeiner Könige, mit Alexandria wetteifern zu wollen, hervor-
ragen. Ein Pergamener war auch Claudius Galenus (131-201
n. Chr.), der größte aber letzte Anatom des Alterthums. Schon
machte ſich aber die praktiſche Richtung der Zeit geltend, inſofern als
Galen zwar Zergliederungen empfiehlt und, da das Zergliedern menſch-
licher Leichen noch nicht geſtattet war, Thiere als Gegenſtand der Un-
terſuchung theils ſelbſt anwendet, theils anräth, indeß ohne die Aus-
beute der Thieranatomie anders zu verwerthen, als für ärztliche Zwecke.
Galen's Verdienſte um die menſchliche Anatomie (vielleicht richtiger all-
gemein geſprochen: Säugethieranatomie) ſind groß genug, daß ohne
ſeinem Namen zu nahe zu treten, hier, wo es ſich um zootomiſche Lei-
ſtungen handelt, verſichert werden kann, daß für die Entwickelung der
vergleichenden Anatomie er nur in untergeordneter Weiſe in Betracht
kommt. Speciellere Angaben, zuweilen den Ariſtoteles beſtätigend,
über Verdauungswerkzeuge, das Herz und die Reſpirationsorgane an-
derer Säugethiere als des vorzugsweiſe benutzten Affen finden ſich im
ſechſten bis achten Buche ſeiner „Anatomiſchen
Anleitungen“.
Bis hierher waren Griechen die Träger der Wiſſenſchaft. Aus
der ganzen römiſchen Geſchichte iſt kein Name anzuführen, welcher ſich
mit Rückſicht auf ein ſelbſtändiges Weiterführen der Zootomie (wie
ſchon früher der beſchreibenden Zoologie) auch nur entfernt den genann-
ten griechiſchen Philoſophen an die Seite ſtellen ließe. Nur unter den
Encyklopädiſten der Kaiſerzeit tritt ein Mann hervor, welcher mit
völliger Beherrſchung des vor ihm Geleiſteten eigne Unterſuchungen im
Intereſſe der Sache ſelbſt vorgenommen zu haben ſcheint, L. Appu-
lejus von Madaura. Es enthält wenigſtens ſeine zur Vertheidigung
gegen die Anklage der Magie verfaßte Apologie mehrere Angaben, welche
auf eine eingehende Beſchäftigung nicht bloß mit den Thieren im All-
[75]Kenntniß des thieriſchen Baues.
gemeinen, ſondern beſonders auch mit deren Anatomie hinweiſen92).
Als Anhänger Plato's hätte ihm eine warme Begeiſterung für Ariſto-
teles nicht gerade nahe liegen können. Und doch ſpricht er in Bezug
auf ſeine naturhiſtoriſchen Studien mit der größten Verehrung vom
Stagiriten. Seine naturhiſtoriſchen Schriften93) ſind leider nicht er-
halten, ſo daß die Römer in der Litteratur der wiſſenſchaftlichen Bear-
beitung des Thierreichs auch nicht mit einem Namen vertreten ſind.
Noch wäre, wenn es hier auf eine vollſtändige Ueberſicht deſſen
ankäme, was im Alterthum überhaupt über Thiere gedacht und ge-
ſchrieben worden iſt, der Schriften zu gedenken, welche das Thierleben
von der pſychologiſchen Seite zu betrachten ſich zum Vorwurf genom-
men hatten. Wenn aber hier die Sammlungen von wunderbaren Din-
gen ausgenommen werden, in denen ſich neben manchen aus Ariſtoteles
und andern Schriftſtellern entlehnten Angaben auch einzelne Züge aus
dem Thierleben geſchildert finden, welche entweder ſelbſt beobachtet oder
der Volksüberlieferung eigen geweſen zu ſein ſcheinen, ſo bleiben ſtreng
genommen nur die beiden Schriften des Plutarch übrig, welche ge-
wöhnlich als „Ueber die Klugheit der Thiere“ und „Daß die Thiere Ver-
nunft haben“ angeführt werden. Doch ſind in beiden eingehendere
wiſſenſchaftliche Betrachtungen nicht nachzuweiſen. Während in der
letztgenannten nach Analogie mit menſchlichem Thun gewiſſe geiſtige
Eigenſchaften auch den Thieren zugeſchrieben werden, wie Muth, Ueber-
legung u. ſ. f., iſt die erſtere mehr oder weniger als Anekdotenſamm-
lung anzuſehen, deren einzelne Stücke weder einer planmäßigen Beob-
[76]Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.
achtung, vielmehr vorzüglich einer großen Beleſenheit entſpringen, noch
methodiſch weiter verwendet werden.
3. Verſuche zur Syſtematik.
Es wurde ſchon früher darauf hingewieſen, wie in dem natürlichen
Hergang der volksthümlichen Namengebung allmählich Ausdrücke ent-
ſtanden, welche kleinere oder größere Gruppen von Thieren bezeichne-
ten. War nun auch die Anzahl der den Alten bekannt gewordenen
Thiere nicht ſo groß, daß ſie allein hätte dazu drängen können, auf
irgend welche künſtliche Weiſe Ordnung in die Anſchauungen zu brin-
gen, ſo trat doch einmal mit den Anregungen einer immer ſchärfer
beobachtenden und unterſcheidenden Naturbetrachtung das Bedürfniß
hervor, das mehreren Thieren Gemeinſame zur Scheidung dieſer von
andern zu benutzen. Aber ſelbſt abgeſehen von dieſer im Gegenſtand
liegenden Nöthigung zu einer Aufſtellung beſtimmter Gruppen, welche
dann wieder in der Sprache eine größere Leichtigkeit und freiere Bewe-
gung geſtatteten, lag ſchon in der formalen Richtung der Philoſophie
ein Beweggrund, die Gegenſtände, welche den realen Inhalt der ein-
zelnen Gebiete ausmachten, zu definiren und zu claſſificiren.
Es macht ſich der Unterſchied zwiſchen der Syſtematik der Alten,
auch des Ariſtoteles, und der der Jetztzeit zunächſt darin geltend, daß
die letztere nicht ſowohl ein fein logiſch gegliedertes Gebäude, ſondern
die Form iſt, in welcher die Kenntniß der Thiere, welche ſo unendlich
an Zahl zugenommen haben, am überſichtlichſten geordnet und am be-
quemſten dargeſtellt werden kann, mit andern Worten, daß das Sy-
ſtem gewiſſermaßen den Geſammtausdruck von dem darſtellt, was man
von den Thieren weiß; während die Syſtematik der Naturforſcher des
Alterthums mehr oder weniger nichts anderes iſt, als ein beſonderer
Theil einer angewandten Logik. Nur im Anſchluß hieran iſt es zu deu-
ten, wenn Ariſtoteles z. B. ſich über gewiſſe Principien der Einthei-
lung kritiſch äußert. Es ſollte damit nicht ſowohl auf die beſondern
Eigenthümlichkeiten der einzutheilenden Gegenſtände hingewieſen wer-
den (wie man es jetzt vielleicht thun würde), ſondern auf die logiſche
Berechtigung zu einer beſtimmten Eintheilungsart.
[77]3. Verſuche zur Syſtematik.
In einer zuſammenhängenden Form läßt ſich nur dasjenige Sy-
ſtem des Alterthums überſehen, welches Ariſtoteles ſeinen Darſtellun-
gen zu Grunde legte. Doch dürfte es verfehlt ſein, ihn allein als den
Schöpfer eines ſolchen überhaupt hinzuſtellen. Wenn er, wie erwähnt,
den Demokrit tadelt, daß dieſer die Blutloſen nur deshalb als ohne
Eingeweide erſcheinend bezeichnet, weil ſie zu klein wären, ſo geht doch
hieraus hervor, daß eben Demokrit bereits von „Blutloſen“ geſprochen
haben muß. Daſſelbe wird ſicher auch bei manchen andern Gruppen
der Fall geweſen ſein. Doch würde es auf der andern Seite ungerecht
ſein, wenn man glauben wollte, Ariſtoteles habe nur den einen Ge-
ſichtspunkt im Auge gehabt, ein etwa vorhandenes Syſtem zu ver-
beſſern. Von den Verſuchen Früherer, das Thierreich einzutheilen94),
iſt, höchſtens mit Ausnahme einzelner Ausdrücke, kein Zeichen auf die
Nachwelt gekommen. Was aber bei Ariſtoteles zu finden iſt, ſpricht
entſchieden dafür, daß bei ihm, welcher allein unter ſämmtlichen Na-
turforſchern des Alterthums ein Material überſah, welches in ſeiner
Ausdehnung wohl zur Ordnung auffordern konnte, neben jenem logiſch-
formalen Streben auch die Ueberzeugung entwickelt war, daß das
Thierreich beſtimmte in verſchiedenem Grade verwandte Gruppen dar-
böte, welche zwar vielleicht mit verſchiedenen andern in einzelnen Merk-
malen oberflächlich übereinſtimmten, aber doch ihrem Geſammtcharakter
nach ſcharf und deutlich gegen andere abgegrenzt waren. Dem Um-
ſtande, daß in den Stellen, wo er über die Grundſätze ſeiner Einthei-
lung ſpricht, jenes formale Element ſehr in den Vordergrund tritt, daß
ferner das bereits erwähnte Schwanken in dem Gebrauch der ſyſtema-
tiſchen Ausdrücke „Eidos“ und „Genos“ den Eindruck der Unſicherheit in
der Beurtheilung der einzelnen Abtheilungen hervorruft, während es
doch nur Folge davon iſt, daß ihm keine Terminologie für die zu coor-
dinirenden oder zu ſubordinirenden Gruppen zu Gebote ſtand, wie
[78]Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.
Familie, Ordnung, Claſſe, ja nicht einmal Art und Gattung, — die-
ſem Allen iſt es wohl zuzuſchreiben, daß die Urtheile über das Syſtem
des Ariſtoteles, ob überhaupt eins und welches er denn aufgeſtellt
habe, ſo außerordentlich auseinandergehen.
Es würde eine unnütze Wiederholung ſein, wenn die Stellen aus
den zoologiſchen Schriften des Ariſtoteles noch einmal hier neben ein-
ander abgedruckt werden ſollten, aus welchen hervorgeht, daß derſelbe
nicht bloß die Fehler einer dichotomiſchen Eintheilung und des Benutzens
einzelner Merkmale ausdrücklich als ſolche bezeichnete und vor denſelben
warnte, ſondern daß er in der That ein natürliches Syſtem zu Grunde
legte, welches in den Hauptzügen als Ausgangspunkt der jetzigen na-
türlichen Syſteme anzuſehen iſt. J. B. Meyer hat dieſen Gegenſtand
in einer ſo erſchöpfenden Art behandelt95), daß nur
auf ſeine Dar-
ſtellung verwieſen zu werden braucht. Es iſt indeß nicht ohne Intereſſe
für die ſpätern Unterſuchungen, hier in Kürze die Hauptzüge des Ari-
ſtoteliſchen Syſtems zu ſchildern.
Zunächſt iſt mit Rückſicht auf häufig dem Ariſtoteles gemachte
Vorwürfe hervorzuheben, daß er ſolche Ausdrücke wie Blutthiere und
Blutloſe, Landthiere und Waſſerthiere, Lebendiggebärende und Eier-
legende u. ſ. f. nicht als Bezeichnungen für ſeine großen
„Gattungen“,
d. i. ſeine größten ſyſtematiſchen Abtheilungen anwendet, ſondern ſie
nur als Unterſchiede auffaßt, wie ſie als weſentliche oder unweſentlichere
Merkmale zur näheren Charakteriſirung jener „Gattungen“ benutzt
werden können. Bereits Meyer hat überzeugend nachgewieſen, daß
die ſo häufig (ohne ſelbſtändige Prüfung) wiederholte Angabe, Ariſto-
teles habe das Thierreich in Blutthiere und Blutloſe eingetheilt, ent-
ſprechend der ſpätern Eintheilung in Wirbelthiere und Wirbelloſe, ent-
ſchieden unrichtig iſt. Mit demſelben Rechte könnte man behaupten,
er habe die Thiere in Flugthiere, Landthiere, Waſſerthiere u. ſ. w. ein-
getheilt. Derartige Bezeichnungen braucht er indeß nur, um die in ge-
wiſſen Eigenthümlichkeiten übereinſtimmenden Gattungen gemeinſam zu
[79]3. Verſuche zur Syſtematik.
bezeichnen. Er nennt dieſe Abtheilungen, welche ſich nach ſolchen Ge-
ſichtspunkten ergeben, nie Gattungen, höchſtens im Sinne einer rein
formalen Co- oder Subordination (wie oben erörtert wurde) und ver-
wechſelt niemals Ausdrücke, wie Fiſch und Vogel mit Waſſerthier oder
Flugthier96). Mit Recht hat bereits Cuvier hervorgehoben, daß in
der Thiergeſchichte des Ariſtoteles keine Darſtellung des Syſtems gege-
ben werden ſollte, ſondern eine Schilderung des Baues und der Ver-
richtungen der Thiere. Hier konnten alſo neben den ſyſtematiſchen Na-
men einzelner Gruppen Ausdrücke nicht entbehrt werden, welche die,
der Eintheilung ſelbſt gegenüber mehr zufällige Uebereinſtimmung meh-
rerer ſolcher Gruppen in gewiſſen Merkmalen bezeichnen ſollten.
Eines ferneren Einwandes gegen die Wiſſenſchaftlichkeit des Ari-
ſtoteliſchen Syſtems iſt noch zu gedenken, der Misdeutungen nämlich,
welchen gewiſſermaßen die ſpeciellen Anwendungen des eben geſchilderten
Verfahrens ausgeſetzt geweſen ſind. Man hört gar nicht ſelten behaup-
ten, Ariſtoteles habe die Walthiere zu den Fiſchen, die Fledermäuſe zu
den Vögeln geſtellt u. a. dergl. Es läßt ſich aber auch hier mit Sicher-
heit aus dem über dieſe Gruppen Geſagten nachweiſen, daß Ariſtoteles
nicht bloß genau gewußt hat, was die Walthiere von den Fiſchen, die
Fledermäuſe von den Vögeln trennt und was ſie mit beiden gemeinſam
haben, ſondern daß er auch über ihre ſyſtematiſche Stellung nicht im
Unklaren war. Die Fledermaus iſt ihm geradezu ein Säugethier, wel-
ches auch in ſeiner Hauptdefinition der letztern, als lebendiggebärende
Vierfüßer, ſich vollſtändig der Gruppe anſchließt. Da dieſes Merkmal
den Walthieren fehlt, werden ſie von Ariſtoteles, nicht etwa zu den
Fiſchen, ſondern als beſondere ſelbſtändige „Gattung“ neben die eigent-
lichen (vierfüßigen) Säugethiere hingeſtellt.
Nach den von Ariſtoteles hervorgehobenen Grundſätzen, beſonders
[80]Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums
dem, das Ganze gleich nach vielen Merkmalen einzutheilen (de partibus
I, 3. 643b), erhält er größere Abtheilungen, welche ganz nach Art der
neueren Syſtematik durch die Geſammtheit der Lebenserſcheinungen
charakteriſirt ſind. Daß ihm dabei noch manche Eigenthümlichkeiten
entgiengen, welche der Organiſation mehrerer ſeiner Gattungen ge-
meinſam waren, darf nicht überraſchen. Es konnte z. B. die Anſicht,
daß ſich die verſchiedenen Formen des Knochen- und Knorpelgerüſtes,
welche bei Säugethieren, Vögeln, Reptilien und Fiſchen vorkommen,
nur wie Entwickelungszuſtände eines gleichmäßig angelegten Apparates
zu einander verhalten, erſt dann ſich bilden, als einerſeits ein reicheres
Material einzelner Skeletformen in ausgiebigem Detail, andrerſeits die
Entwickelung des Knochengerüſtes bekannt geworden war. Ferner darf
man nicht erwarten, Thiergruppen in ſeinem Syſtem ſicher unterge-
bracht, ja nur einigermaßen eingehend geſchildert zu finden, deren Kör-
perform, Bau und Lebensweiſe erſt durch weiter entwickelte Unterſu-
chungsmethoden erſchloſſen werden konnte. Es werden hier beſonders
die niederen Formen der Wirbelloſen gemeint, welche nach Ariſtoteles
ſelbſt einen Uebergang von den Pflanzen zu den Thieren darſtellen,
welche er aber nicht in eine große Gattung zuſammenfaßt, ſondern als
Anhang zu ſeiner unterſten Gruppe, der der Schalthiere, betrachtete.
Die einzelnen von ihm angenommenen großen Gattungen (Claſſen)
ſind nun folgende:
a)Die lebendig gebärenden Vierfüßer, die jetzigen
Säugethiere mit Ausſchluß der Walthiere, aber mit Einſchluß der
Robben 97). Sie werden als behaart bezeichnet, haben einhufige,
[81]3. Verſuche zur Syſtematik.
zweihufige oder geſpaltene Füße, haben Zähne u. ſ. f. Es läßt ſich aber
nicht nachweiſen, daß Ariſtoteles auf eines dieſer Merkmale eine wei-
tere Eintheilung begründet hätte, trotzdem er mehrere kleine Gruppen,
aber keine von der Bedeutung jetziger Ordnungen oder Unterordnun-
gen annahm. Es mögen ihm wohl einzelne ſolcher größerer Abtheilun-
gen vorgeſchwebt haben; doch waren ſie namenlos (Hist. anim. I,
6, 35), d. h. der populäre Sprachgebrauch, dem er ſelbſt zu folgen
räth, bot ihm keine Bezeichnung dar. Nur für Pferd, Eſel, Hemionus
u. ſ. w. gibt es einen Namen, Lophuren oder Schweifſchwänze; er
konnte ſie deshalb nicht Einhufer nennen, weil er ja ſelbſt einhufige
Schweine anführt, welche nicht hierhergehören.
b)Die Vögel, mit Einſchluß des Straußen. Sie ſind Flug-
thiere, befiedert, zweifüßig und eierlegend. Von den Ordnungen unter-
ſchied Ariſtoteles nur drei ſicher: die Raubvögel, die er Gampſonycha,
die Schwimmvögel, die er Steganopoda, und die Stelzvögel, die er
Makroſkelen nennt. Er charakteriſirt ſie ſo, daß ſie gut umgrenzt ſind.
Neben ihnen erwähnt er noch mehrere kleinere Gruppen, ohne aber für
mehrere derſelben gemeinſame größere „Gattungen“ (Ordnungen) auf-zuſtellen. Auch bildet der Strauß eine Gruppe für ſich.
c) Die eierlegenden Vierfüßer, die Reptilien und Am-
phibien, mit Einſchluß der Schlangen und des Krokodils. Sie heißen
auch Pholidota, ſind ausnahmsweiſe fußlos, auch lebendiggebärend,
athmen aber durch Lungen. Ariſtoteles kannte und unterſchied auch als
ſelbſtändige Gruppen: das Krokodil, die Schildkröten, die Sauren,
Schlangen und Fröſche. Doch iſt die Charakteriſtik dieſer Abtheilungen
nicht in einer Weiſe gegeben, daß man ſagen könnte, er habe die auch
97)
V. Carus, Geſch. d. Zool. 6
[82]Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.
jetzt noch verbreitete Eintheilung aufgeſtellt. Mit Ausnahme der
Schlangen und Schildkröten bilden die andern Gruppen nur kleinere
Gattungen, denen Verwandtes zugeſtellt wird.
d) Die Walthiere. Sie werden geſchildert als durch Lungen
luftathmend, lebendig gebärend, mit Milch und Zitzen, fußlos. Er
ſtellt ſie den Fiſchen gegenüber; ſpricht er von beiden, ſo nennt er ſie
zuſammen Waſſerthiere.
e) Die Fiſche. Sie ſind eierlegend oder lebendiggebärend, ath-
men durch Kiemen, ſind fußlos, haben dagegen meiſt (paarige)
Floſſen98). Ariſtoteles theilte ſie in Knorpel- und Grätenfiſche; unter
den erſteren verſtand er die Selachier oder Plagioſtomen, rechnete in-
deß, wie noch Linné, den Froſchfiſch, Lophius, zu ihnen. Unter den
Grätenfiſchen ſchilderte er mehrere kleine Gattungen, ohne jedoch auf
beſtimmte Merkmalgruppen beſonderes Gewicht zu legen.
Die bis jetzt aufgezählten fünf Claſſen oder „Gattungen“ nennt
Ariſtoteles „blutführend“. Daß damit keine Haupteintheilung des
Thierreichs geſchaffen werden ſollte, wurde bereits erwähnt. Die fol-
genden ſeiner Gattungen ſind ihm „blutlos“.
f) Die Weichthiere, die Cephalopoden der jetzigen Syſteme.
Sie haben die Füße um den Kopf, entweder im Körper oder im Kopfe
etwas Hartes und haben einen Tintenbeutel. Nach der Form des ein-
gelagerten Skeletſtückes, der Art der Füße, dem Vorhandenſein zweier
längerer „Rüſſel“ außer den acht Füßen und floſſenförmiger Anhänge
unterſcheidet er die Gattungen der Sepien, Loliginen und Oktopoden.
g) Die vielfüßigen Weichſchalthiere, den höheren Cru-
ſtaceen entſprechend. Da es für die von ihm hierhergebrachten Formen
noch keinen gemeinſchaftlichen Namen gab, ſchuf er einen und nennt ſie
Malakoſtraka (Hist. anim. I, 6, 32). Die weiche Maſſe ihres Körpers
[83]3. Verſuche zur Syſtematik.
liegt innen, die feſte, nicht ſpröde, ſondern zerreibliche Maſſe außen
(ebend. IV, 1, 1). Unterſchieden werden Karaben, Aſtaken, Kariden
und Karkinen. Doch iſt es ſchwer zu entſcheiden, ob dieſe zwar häufig
als Gattungen bezeichneten Abtheilungen mit Gruppen zu paralleliſiren
ſind, welche jetzt noch als natürlich angeſehen werden.
h) Die vielfüßigen Kerbthiere, Entoma, die Inſecten,
Arachniden, Myriapoden und Würmer umfaſſend. Außer der Viel-
füßigkeit und der Gliederung des Körpers iſt kein Charakter durch-
gehend angewendet; und ſelbſt die genannten treten als nicht durchaus
conſtante auf, da Eingeweidewürmer mit hierher gebracht werden.
Ebenſo unſicher iſt die Beſtimmung der Unterabtheilungen. Es erſchei-
nen zwar mehrere „Gattungen“, die meiſten aber wohl ohne ſyſtema-
tiſche Bedeutung. Nur ſolche Gruppen, wie Scheidenflügler (Käfer),
Schmetterlinge, Läuſe ſind vielleicht nicht bloß nach biologiſchen Cha-
rakteren zuſammengefaßte Formen.
i) Die fußloſen Schalthiere (Oſtrakodermata), mit inne-
rem weichen Körper und harter, brüchiger äußern Schale. Im Allge-
meinen entſprechen ſie den jetzigen Cephalophoren und Acephalen. Auch
unter ihnen nimmt Ariſtoteles mehrere „Gattungen“ an. Ihre Beſtim-
mung fällt aber deshalb ſchwer, als er keine überall conſtant wieder
erſcheinenden Charaktere aufſtellt, ſondern mehr vergleichend-anatomiſch
und biologiſch bald die einen, bald die andern zu Gruppen vereint.
Am meiſten Conſtanz zeigen noch die Stromboden (Gewundenen,
Schnecken), Einſchalige (Patellen und Haliotis),99), Zweiſchalige und
6*
[84]Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.
die Echinen. Zu ihnen kommen aber noch einzelne kleinere Gattungen,
wie die Balanen und Tethyen (Ascidien).
Endlich reiht wie erwähnt Ariſtoteles den Schalthieren noch eine
Anzahl „eigenthümlicher Gattungen“ an, ohne ſie direct zu denſelben zu
rechnen. Es ſind dieſelben, aus welchen ſpäter die Abtheilung der Zoo-
phyten gebildet wurde, Thiere, auf deren zweifelhafte Stellung zwiſchen
dem Thier- und Pflanzenreich Ariſtoteles hingewieſen hatte, ohne ſich
jedoch über ihre definitive Stellung auszuſprechen. Es ſind dies vor-
züglich die Holothurien, Seeſterne, Akalephen und Schwämme (Aka-
lephen nicht im modernen Sinne).
Unverkennbar liegen in dem hier flüchtig ſkizzirten Syſteme die
Keime zur Entwickelung der natürlichen Anordnung des Thierreichs,
wie ſie nach Perioden der ſtärkſten Trübung der Anſichten erſt in neue-
rer Zeit wieder angeſtrebt wurde, als man mit neu herzuſtrömendem
Material ariſtoteliſche Methodik zu befolgen begann, als man die na-
turgemäß in den Beobachtungen bleibenden Lücken auf logiſch-inducti-
vem Wege zu füllen verſuchte, die Unterſuchung alſo da aufnahm, wo
ſie Ariſtoteles hatte abbrechen müſſen.
Wie die Beſtrebungen, genauere Kenntniß der Thierformen und
ihres Baues zu erlangen, im Alterthum mit Ariſtoteles abſchloſſen, ſo
endet auch die Geſchichte der Syſtematik im Alterthum mit ihm. Die
alexandriniſche Schule ſucht ihn zu commentiren oder zu paraphraſiren.
Was aus der Blüthezeit derſelben erhalten iſt, läßt keinen günſtigen
Schluß auf die Erfaſſung wiſſenſchaftlicher Aufgaben ziehn. Bis zum
Beginn der römiſchen Kaiſerzeit bewegt ſich die zoologiſche Litteratur,
(wenn man überhaupt von einer ſolchen ſprechen kann) nur in Aus-
zügen und Commentaren des Ariſtoteles (Antigonus Caryſtius, Ariſto-
phanes von Byzanz, Pompejus Trogus, der von Athenaens citirte Do-
rion u. a.)100). Vielfach verwebt mit den Berichten über wunderbare
Sachen bieten dieſe Schriften wenig erfreuliches dar, wenn man ſich
vergegenwärtigt, daß Ariſtoteles vorangegangen war. Aber auch in
[85]3. Verſuche zur Syſtematik.
der ſpätern Römerzeit erhob ſich die Beſchäftigung mit der Natur nur
äußerſt vereinzelt bis zum Ernſt wiſſenſchaftlicher Forſchung. Appu-
lejus iſt verloren gegangen, nur Plinius blieb erhalten.
Lieſt man den rühmenden Bericht von Fée über Plinius101)
oder Cuvier's Schilderung ſeiner Verdienſte102), ſelbſt die ihn betref-
fenden Stellen bei Spix103), ſo möchte man glauben, es hier mit einem
Manne zu thun zu haben, der mit genialem Blick das Gebiet des gan-
zen menſchlichen Wiſſens umfaſſend überall Bahn brach, überall ord-
nete und ſchuf und namentlich für die Zoologie einen nachhaltigen Ab-
ſchluß mit ſeinen Arbeiten bewirkte. Unter ſeinen Zeitgenoſſen und
näheren Angehörigen (man vergleiche den Brief ſeines Neffen, des
jüngern Plinius, über ihn an Macer) mag es allerdings Aufſehen ge-
macht haben, wie er, ein römiſcher Ritter, oft in Kriegs- und Staats-
dienſten verwendet, in ſtetem Drange öffentlicher Geſchäfte, zuletzt Flot-
tencapitain, nicht bloß die Idee faſſen, eine Encyklopädie des menſch-
lichen Wiſſens zu ſchreiben, ſondern ſie auch ausführen konnte. Wie
man aber jetzt noch ſagen kann, daß ein Verluſt ſeiner Schriften ein
unerſetzlicher Verluſt für die ganze menſchliche Geſellſchaft wäre, iſt
ſchwer zu begreifen. Es würde dem Geſchichtsfreunde Manches über
den Stand der damaligen Kenntniſſe entgehen, weil bei Beurtheilung
damaliger culturhiſtoriſcher Zuſtände erleichterndes Detail fehlt. Han-
delt es ſich aber um genaue Unterſuchung über den Stand irgend einer
beſondern Wiſſenſchaft, ſo kann man nicht einmal behaupten, daß Pli-
nius wirklich die Wiſſenſchaft ſo dargeſtellt hätte, daß man ſicher an-
nehmen könne, wie weit ihre Entwickelung zu ſeiner Zeit vorgeſchritten
ſei. Zu bewundern iſt allerdings, wie er ſeine Zeit zu benutzen verſtand,
wie er aus Allem für ſein Vorhaben Nutzen zog, wie er ſo viel leſen, ſo
viele Notizen machen konnte. In der Dedication und dem Inhaltsverzeich-
niß ſeiner Naturgeſchichte hat er genau angegeben, wie viel Autoren er
[86]Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.
ausgezogen, wie viel Thatſachen er mitgetheilt habe. Das hat er nun
wohl gethan, aber ohne jedes Urtheil. Für Zoologie iſt ſein Werk nichts
als eine kritikloſe, unzuverläſſige Compilation. Er beruft ſich häufig auf
Ariſtoteles104), verſteht ihn aber oft falſch und ſchenkt ihm nicht mehr
Glauben als andern Erzählern. Angaben über fabelhafte Thiere, welche
Ariſtoteles zurückgewieſen hatte, nimmt er ruhig ohne Zweifel zu äußern
wieder auf. Aus ſeiner Naturgeſchichte geht allerdings hervor, daß
man zu ſeiner Zeit wohl einige Thiere mehr kannte, als Ariſtoteles
(vierhundert Jahre liegen zwiſchen beiden), ſeine Beſchreibungen ſind
aber zu unvollſtändig und ungenau, als daß man ſie brauchen könnte.
Faßt man die Eigenthümlichkeiten ſeiner Naturgeſchichte ſo (wie Ajaſſon)
zuſammen, daß er häufig nicht glücklich in der Wahl ſeiner Gewährs-
männer war, daß er meiſt Sachen beſchrieb, die er nicht ſelbſt geſehen
hatte, es ihm dabei auf richtige Angaben über Namen und Größenver-
hältniſſe nicht ankam, daß er ſich häufig wiederholte und dabei wider-
ſprach, ſo wird man hieraus auf die wiſſenſchaftliche Bedeutſamkeit
ſeiner Arbeit ſchließen können.
Da man dem Plinius häufig noch ein ihm eigenthümliches Sy-
ſtem zuſchreibt, mögen hierüber noch einige Bemerkungen Platz finden.
Faſt ſcheint es, als ſei die Meinung, Plinius habe ſein eignes Syſtem
gehabt, nur eine Folge der traditionell gewordenen Anſicht, daß ſein
Auftreten eine Epoche in der Geſchichte der Thierkunde bezeichne. Ein
unbefangenes Leſen ſeiner Naturgeſchichte rechtfertigt dieſe Anſicht nicht.
Nachdem er im ſiebenten Buche den Menſchen beſprochen, ſeine Geburt,
[87]3. Verſuche zur Syſtematik.
Aehnlichkeiten, Lebensdauer, Größe, verſchiedenen Fähigkeiten durchge-
gangen und auch hier viel Fabelhaftes beigemiſcht hat, beginnt er das
achte Buch mit den Worten: „Ich will nun zu den übrigen Thieren
weitergehen. Der Elefant iſt das größte und durch ſeine Fähigkeiten dem
Menſchen am nächſten ſtehende Thier“. Nun führt zwar dies Buch die
Aufſchrift: von der Natur der Landthiere, ebenſo wie im neunten, zehn
ten und elften Buche die Waſſerthiere, Vögel und Inſecten eingeführt
werden. Es lagen aber Gedanken, die Thiere etwa nach der Art des Me-
dium in dem ſie leben einzutheilen, dem Plinius fern. Jene vier Rubri-
ken ſind ihm nur Abtheilungen, in welchen er das für ſeine Erzählungen
zuſammengebrachte Material bequem abhandeln konnte. Ein Zuſam-
mentreffen mit ariſtoteliſchen Claſſen wäre ſchon deshalb rein zufällig,
als bei Plinius der von Ariſtoteles ſo ſcharf feſtgehaltene Unterſchied
zwiſchen Claſſe und formaler Abtheilung ganz wegfällt.
Ueberhaupt iſt es unrichtig, Plinius als Zoologen aufzufaſſen.
Er war Encyklopädiſt, wie hundert Jahre ſpäter Appulejus. Nur
ſtanden letzterem mehr eigene Beobachtungen und demzufolge bei ſeinen
zoologiſchen Arbeiten mehr Kritik zu Gebote. Nach Abzug dieſes wich-
tigen Unterſchiedes gilt das über Appulejus gefällte Urtheil auch für
Plinius, wenn man ſagt:„In jedem Falle ſpricht ſich in dieſer ſchrift-
ſtelleriſchen Thätigkeit die eigenthümliche praktiſch-encyklopädiſche Rich-
tung aus. Betrachtet man aber den Sinn, in welchem dieſe Schriften
verfaßt, und die Mittel, welche dafür angewendet ſind, ſo erſcheint Ap-
pulejus als Repräſentant einer Zeit, in welcher alle Elemente der
eigentlichen nationalen Exiſtenz in der Zerſetzung begriffen waren, in
welcher man im Ueberfluß einer raffinirten Ueberbildung von allen
Seiten her das verſchiedenartigſte zuſammentrug und vermiſchte, um
die Ueberſättigung zu reizen und zu täuſchen und namentlich um der
ausgelebten heidniſchen Religion dem ſiegreichen Chriſtenthum gegen-
über neue Kraft zu geben“105). Wird ſich auch die letzte Beziehung
kaum als nothwendig ergeben, wenn die ganze Richtung der geiſtigen
[88]Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.
Bewegung im zweiten und dritten Jahrhundert nach Chriſti Geburt
im Auge behalten wird, ſo findet doch die Leichtgläubigkeit, Oberfläch-
lichkeit und Unzuverläſſigkeit des Plinius in den aufgeführten Verhält-
niſſen ihre ausreichende Erklärung.
4. Anſichten über das Verhältniß der Thiere zur Erdoberfläche.
Es bleibt noch übrig, die Meinungen der Alten von der geogra-
phiſchen Verbreitung und dem foſſilen Vorkommen der Thiere kurz zu
erwähnen. Was das erſtere betrifft, ſo finden ſich zwar im Ariſtoteles
(Hist. anim. VIII, 28) Notizen über das Vorkommen gewiſſer Thiere
in verſchiedenen Ländern. Doch wird weder auf ein allgemeines geſetz-
liches Verhalten, noch, was jenes vorausſetzen würde, auf die Urſachen
ſolchen Vorkommens hingewieſen. Es heißt zwar dort (28, 162), daß
in vielen Gegenden das Klima die Urſache ſei; doch wird dieſer Ge-
danke nicht weiter ausgeführt. Natürlich gibt auch hiervon Plinius
nur einen dürftigen Auszug mit beſonderer Berückſichtigung des Wun-
derbaren an der Sache (VIII, 58). Eine Beziehung des Vorkommens
gewiſſer Thiere an einzelnen Orten zu deren geographiſcher Lage hebt
zwar Ptolemaeus hervor. So ſollen den Parallelkreis von Agiſymba
Rhinoceros und Elefant nicht überſchreiten können106). Doch geht er
einerſeits zu weit, wenn er dieſen Specialfall als ausnahmslos bezeich-
net; andrerſeits waren die fauniſtiſchen Verhältniſſe überhaupt zu we-
nig erforſcht, um Allgemeines aufſtellen zu können. Auch die Anſicht,
daß die Thiere deſto rieſenhafter würden, je näher man dem Aequator
komme, iſt natürlich nicht haltbar. Für den Menſchen nahm man einen
Einfluß des Bodens und Klima's auf Geſittung und Intelligenz an,
während in Bezug auf das Körperliche auch hier die größere Sonnen-
nähe z. B. für die Urſache der beſondern Beſchaffenheit der kraushaa-
rigen Neger gehalten wurde. Wenn ſich daher in Beſchreibungen frem-
der Länder bei den Alten Schilderungen von Thieren finden, ſo fehlen
[89]4. Anſichten über das Verhältniß der Thiere zur Erdoberfläche.
noch die Hinweiſe auf geographiſche Verbreitung einzelner Formen wie
ganzer Gruppen. Die Aufzählung erfolgt mehr zufällig, um das Ge-
ſammtbild zu vervollſtändigen.
Die Kenntniß foſſiler Formen war im Alterthum ſchon aus der
einen Urſache, daß man nicht auf die Verſchiedenheit derſelben von
lebenden Arten aufmerkſam wurde, für eine Geſchichte der Thierwelt
völlig unfruchtbar. Denn die Geſchichte des Auftretens der organiſchen
Weſen, wie ſie Empedokles erzählt, iſt auf metaphyſiſche Voraus-
ſetzungen begründet, nicht aus directen Beobachtungen einer früher an-
dersartigen Thierwelt erſchloſſen. Die ſchon von Xenophanes ausge-
ſprochene Anſicht, daß die Erde urſprünglich von Waſſer bedeckt geweſen
ſei, blieb durch das ganze Alterthum beſtehen; ſpäter trat dann wohl
auch noch die Annahme hinzu, daß auch Land wieder unterſinken
könne107). Hieraus wurde das Vorkommen von Muſcheln, Fiſchreſten
u. ſ. w. auf Bergen erklärt, wie es ſchon Herodot aus Aegypten be-
richtet hatte, wie es dann Eratoſthenes, Ovid, Tertullian anführen
und wie es Origenes dem Xenophanes noch nacherzählt108). Wie man
ſpäter durch Verallgemeinerung der noachiſchen Fluth den Untergang
vieler Thiergeſchlechter erklären zu können meinte, ſo wurde früher die
deukalioniſche Fluth wenigſtens dafür als Urſache angeſehen, daß man
Reſte von Meerthieren auf Bergen und in Steinbrüchen finde.
Ausgang des Alterthums.
Wie die Entwickelung eines organiſchen Weſens eine nothwendige
iſt, durch die Beſchaffenheit ſeines Keimes und die Art äußerer Ein-
[90]Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.
flüſſe bedingt, ſo iſt auch die Geſchichte einer Wiſſenſchaft nicht eine auf
zufällig eintretenden Entdeckungen beruhende Reihe unverbunden auf
einander folgender Erſcheinungen. Auch die Wiſſenſchaft entwickelt ſich
unter nothwendigen äußeren und inneren Bedingungen. Vielleicht
ſchärfer als bei andern tritt dies bei den Naturwiſſenſchaften hervor,
deren Gegenſtand in einem überall ſcharf zu bezeichnenden Verhältniß
zu den ſittlichen und religiöſen Anſchauungen der Völker ſtand. Und
von dieſen hängt die Freiheit der geiſtigen Bewegung ab.
Unrecht wäre es daher, die Wiſſenſchaft des Alterthums einem
künſtlich aber haltlos aufgeführten Gebäude zu vergleichen, nach deſſen
Einſturz das Mittelalter einzelne Säulen und Bogenſtücke aus den
Trümmern hervorgeſucht hätte, um den Bau von Neuem zu verſuchen.
Es hat vielmehr die alte Welt den ſichern Grund gelegt. Vulkaniſchen
Ausbrüchen vergleichbar, in ihren Wirkungen ungeheure Erſchütterun-
gen der ja nicht bloß Wiſſenſchaft treibenden Menſchheit haben dieſen
Grund mit Schlacken und Aſche überdeckt. Das Mittelalter fängt an,
ihn zu ſäubern; die neuere Zeit baut auf ihm fort.
Zum Verſtändniß der Art und Weiſe, in welcher im Mittelalter
an das Alterthum angeknüpft wurde, iſt es wichtig, in wenig Worten
den Ausgang des Alterthums zu verfolgen. Die Auferſtehung war
keine plötzliche. Um ſo mehr empfiehlt es ſich, die Bildungsgeſchichte
jener die alte von der anbrechenden neuen Welt ſcheidenden Hülle zu
betrachten, welche in mehr als einer Beziehung ſelbſt jetzt noch nicht
völlig abzuſtreifen gelungen iſt.
Von großer Bedeutung waren ſchon die äußeren Verhältniſſe.
Im Aufblühen des römiſchen Weltreiches gelang es den Lateinern, ihr
Land, ihre Hauptſtadt nicht bloß zum Mittelpunkt des politiſch ſtraff
centraliſirten Staates zu machen, ſondern auch in geiſtiger Beziehung
zum tonangebenden Vorbilde zu erheben. Die Bildung ſelbſt war frei-
lich griechiſch; ohne Selbſtändiges zu erreichen nahm Rom mit den
Blüthen griechiſcher Wiſſenſchaftlichkeit auch griechiſche Sprache und
Art in die Kreiſe auf, in denen überhaupt nur von Pflege der Wiſſen-
ſchaft zu ſprechen war. Nun war zwar Athen trotz mancher Geſchicke
immer noch als hohe Schule der Bildung in Anſehn. Die Förderung
[91]Ausgang des Alterthums.
der Wiſſenſchaft, richtiger geſagt die Verbreitung derſelben, gieng aber
von Alexandria aus. Bald aber verlor dies in Folge ſeines politiſchen
Werthes ſeine geiſtige Bedeutung. Aegypten war der Schlüſſel zu den
öſtlichen Provinzen Roms. Die Lage Alexandria's am Ausgang des
ſtrategiſch ſchon früh für wichtig erkannten Nilthales machte es zu einem
politiſch werthvollen Punkte. Es ſtrömten auch dort die verſchiedenar-
tigſten Elemente zuſammen. Den als Träger der Cultur anerkannten
Griechen ſtanden ſchroff die Eingebornen gegenüber, die ſich in ihrem
innerſten Weſen gegen das Fremde um ſo mehr abſchließend verhalten
mußten, als ihre an Thiergottheiten ſo reiche Religion ſchon ſeit der
Zeit der Perſerkriege durch die mit dieſen ihnen nahe gerückten Licht-
religion beeinträchtigt zu werden drohte. Dazu kamen zahlreiche Juden;
endlich die Römer ſelbſt. Unter dieſen einander drängenden und trei-
benden Intereſſen und der politiſch gebotenen polizeilichen Ueber-
wachung konnte eine freie wiſſenſchaftliche Regung nicht gedeihen.
Was aber das Loos dieſes einen, durch ſeine Beziehungen zu By-
zanz culturhiſtoriſch ſo wichtigen Landes war, das trat auch an andern
Punkten auf und mußte ſchließlich auf Rom zurückwirken. Mit der
Aufnahme eines Theiles der beſiegten Völkerſchaften in das römiſche
Heer wurden zunächſt die Beſatzungen der Grenzprovinzen und bald
dieſe ſelbſt barbariſirt, ſelbſt wo vielleicht vorher durch römiſche Colo-
nien römiſche Bildung Fuß gefaßt hatte. Es dauerte aber nur eine
kurze Zeit und das Heer war zum größten Theile fremder Herkunft,
fremder Sitte, Bildung und Sprache; bei ſeinen häufigen Berührun-
gen mit der Hauptſtadt entfremdete es auch bald dieſe ſelbſt ihren alten
Ueberlieferungen. Die nächſte Folge hiervon war, daß die Kenntniß
der griechiſchen Sprache zurücktrat und die lateiniſche als äußeres eini-
gendes Band allgemeiner verbreitet wurde. Neben dieſer gewannen
aber auch die Landesſprachen an Intereſſe. Ueberall, wo es nicht auf
ein Anknüpfen an alte traditionell gewordene Bildung ankam, fiengen
Einzelne an, ſich ihrer den Römern fremden Landesſprachen zu bedie-
nen. Beſonders wichtig wegen des ſpäter auftretenden Verhältniſſes
zu den Arabern ſind hier die Syrer, von denen der Gnoſtiker Barde-
ſanes ſchon im zweiten, Ephräm im vierten Jahrhundert der chriſt-
[92]Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.
lichen Zeitrechnung in ihrer Mutterſprache zu ſchreiben begannen. Von
andern Erſcheinungen dieſer Art iſt nur die Arbeit des Gothen Ulfilas
noch erhalten.
Bieten nun dieſe natürlich hier nur in den allgemeinſten Umriſſen
angedeuteten ſtaatlichen Verſchiebungen ſchon Momente genug dar, die
durchgreifenden Umgeſtaltungen im wiſſenſchaftlichen Leben der Völker
zu erklären, ſo wird auch deutlich, daß die Veränderungen in den ſo-
cialen Verhältniſſen und vor Allem in der Cultur der Einzelnen wie
des Volkes, welche zur Zeit des ſinkenden Römerreichs eintraten, völlig
hinreichten, eine weitere Entwickelung der Wiſſenſchaft in dieſer Zeit
unmöglich zu machen. Es wurde ſchon des Unterſchiedes zwiſchen dem
griechiſchen und römiſchen Volksleben rückſichtlich der geiſtigen Stellung
gedacht. Noch ſchlimmer machte ſich derſelbe in ſeinen Folgen geltend,
als mit der geſteigerten Bedeutung des römiſchen Heeres die Legionen
den Mittelſtand aufzehrten, ſo daß neben einer überreichen und deshalb
häufig von oben her in ihrer Sicherheit gefährdeten Ariſtokratie nur
ein Proletariat beſtand, was von Almoſen unter der entſittlichenden
Form ſtaatlicher Geldvertheilung lebte. Dem Handwerk und der Arbeit
fehlte die Anerkennung der Ehrenhaftigkeit, dem Handel der ihn zu allen
Zeiten über die Natur engherziger Krämerei hebende geiſtige Sporn.
Gleich trübe Bilder bietet ein Blick auf die geiſtige Entwickelung.
Dem Griechen war die menſchliche Geſtalt die begreiflichſte. Das Weſen
einer Naturerſcheinung, die er ihrem wirklichen Gehalte nach nicht
erkannte, wurde ihm auch erſt nach und durch Verdichtung zur menſch-
lichen Geſtalt begreiflich. Daher rührte der pſychologiſche Gehalt ſeiner
anthropomorphen Naturreligion. Dem Römer waren die Gottheiten
an und für ſich mehr zufällige Perſonificationen beſtimmter, häufig
hiſtoriſcher Ereigniſſe. Als nach dem Bekanntwerden mit griechiſchen
Geiſteserzeugniſſen eine formale griechiſche Bildung Mode wurde, trat
auch in den religiöſen Vorſtellungen eine Miſchung ein, welche ſich
nach Berührung mit aſiatiſchen Cultusformen zu einem förmlichen
Religionsmoſaik ſteigerte. Während im frühen Alterthum die Bildung
weſentlich von dem mythologiſchen Ideenkreiſe geleitet und getragen
[93]Ausgang des Alterthums.
wurde, ſchwand nun die geiſtige Vertiefung unter dem Formalismus
der Bildung und den Einflüſſen eines nur den Augenblick befriedigen-
den Aberglaubens. Wenn nun auch die Myſterien neben der viel-
leicht von ihnen ausgehenden Belebung des Nationalgefühls gegenüber
dem zum Kosmopolitismus verflachenden römiſchen Staatsbürgerthum
eine Zeitlang auf Hebung eines ſittlichen Gefühls wirken konnten, ſo
verfehlten doch auch ſie ihren Einfluß, als die reine Geſtalt der menſch-
lich in ihnen erſcheinenden und wirkenden Götter verloren gieng und
Dämonen Platz machte. Jede Form von Aberglauben iſt ja mit dem
Begriff eines geordneten Verlaufes der Naturerſcheinungen unverein-
bar. Wer den ganzen Olymp als Gebilde des Aberglaubens betrachten
will, wird ihm wenigſtens die menſchliche Form laſſen, in welche ſich
das Geſtändniß der Unwiſſenheit kleidete. Aber ſchon zur alexandrini-
ſchen Zeit treten verdächtige Zeichen auf, von denen nur an die Stern-
deuterei, an die Incubation und ähnliches erinnert werden mag. Daß
ſich allen dieſen Erſcheinungen gegenüber diejenigen, welche noch auf
geiſtige Erhebung Anſpruch machen zu können glaubten, dem Volks-
glauben entfremden mußten, wird durch die Formloſigkeit deſſelben ver-
ſtändlich. Ein Cultus der Natur, welcher nun dem weder im Volks-
glauben Erhebung noch in philoſophiſcher Aufklärung Befriedigung
Findenden für beides hätte Erſatz bieten können, war nicht mehr mög-
lich: die Natur war dem Menſchen fremd und unheimlich geworden.
Für die Weiterentwickelung der Naturwiſſenſchaften war es von
tiefgreifendſter Wirkung, daß auch das ſich nun ausbreitende Chriſten-
thum dieſe Entfremdung nicht hob. Im Gegentheil, es mußte die
Menſchheit ſich geraume Zeit erſt an die neue Denkweiſe gewöhnen,
um mit ihr nach Ueberwindung des urſprünglich ſchroffen Gegenſatzes
auch eine vernünftige Naturbetrachtung vereinen zu können. Die ganze
geiſtige Kraft des Alterthums wurzelte in der religiöſen Uranſchauung
vom Weſen der Natur. „An dieſe Wurzel legte das Chriſtenthum die
Hand“. Es hob den religiöſen Glauben an die Natur, die Grundan-
ſchauung vom Weſen derſelben auf, und „verdrängte ihn durch einen
neuen Glauben, durch eine neue Anſchauungsweiſe, die den alten
[94]Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.
ſchnurgerade entgegengeſetzt waren“109). Dabei übernahm man noch
ein gut Stück Aberglauben. Zu Conſtantin's Zeit ſchlug man den Vir-
gil auf, wie ſpäter die Bibel, um aus zufällig ſich dem Auge darbie-
tenden Stellen Vorbedeutungen zu erhalten. Lactantius und Arnobius
glauben an Zauberei und Magie. Letzterer ſagt, der Unterſchied zwi-
ſchen Chriſtus und einem Zauberer beruht darauf, daß Chriſtus die
Wunder durch die Kraft ſeines Namens, letzterer mit Hülfe von Dä-
monen bewirke. Wo für griechiſches und römiſches Heidenthum, für
Mithras- und Iſisdienſt, für puniſche und perſiſche Religionsbilder
Platz war, da konnte auch das Chriſtenthum Raum finden. Die Sorge
für ein Jenſeits, auf welches ſchon ältere Philoſophen hingewieſen hat-
ten, war um ſo lebendiger geworden, als ſich das Diesſeits kaum noch
zu durchleben verlohnte. Die Verfolgungen der Chriſten in den erſten
zwei Jahrhunderten waren entweder rein politiſche Acte (wie z. B. der
oft angeführte Brief des jüngeren Plinius offenbar zeigt), oder man
griff der rohen nach Gräueln und Blut gierigen Menge gegenüber zu
denen, welche ſich zum Tode drängten. Wenn die Biſchöfe ſelbſt ſich
dagegen erklären müſſen, diejenigen als Märtyrer zu feiern, welche
ſich ohne Noth dem Tode weihn, ſo läßt ſich wohl annehmen, daß die
faſt allein von chriſtlichen Schriftſtellern ausgehenden Schilderungen
nicht die Stimmung der Majorität des Volkes darſtellen.
Es mußte aber das durch Verachtung und Verfolgung verſchärfte
Gefühl der Abneigung gegen das Alte bei den Chriſten um ſo ſicherer
zur entſchiedenen Feindſchaft ausarten, als die in dem gemeinſamen
menſchlichen Bewußtſein liegenden Anknüpfungspunkte zu einer Ver-
ſtändigung ohne die Gefahr, beiden Seiten noch tiefere Wunden beizu-
bringen, nicht benutzt werden konnten. „Jede Zeile aus der früheren
Zeit, von der Hieroglyphe bis zur griechiſchen Currentſchrift war mit
[95]Ausgang des Alterthums.
Heidenthum, Götzendienſt oder Zauberlehre getränkt“110). Gegen die
heidniſchen Schriften richtete ſich daher der fanatiſche Eifer. Es wurde
die Brücke zur alten Culturwelt abgebrochen, um mit der neuen Gottes-
anſchauung durch ſtrenge Aſkeſe und durch ein von Liebe durchdrunge-
nes Gemeinweſen die Stellung des Menſchen zur Welt neu zu begrün-
den. Die belebte Welt, welche bei den Alten von Göttern erfüllt war,
die zwar menſchlich fühlten und handelten aber doch immer als ideale
Geſtalten das Natürliche weihten, ſank zur ſündigen Creatur herab und
ließ daher auch ernſte Beſchäftigung mit ihr nicht zu. Die Werke der
Alten verbargen ſich; ein Glück für die Nachwelt, daß ſie nicht ganz
der Vernichtung anheim fielen. Die Erzählungen über die Geſchicke
der Bibliothek des Ariſtoteles und Theophraſt, die Rollen, welche ein
Neleus, Apellikon u. A. bei ihrer Erhaltung und Verbreitung ſpielten,
ſind zum Theil mythiſch. Sicher iſt, daß des Ariſtoteles Werke den
Römern bekannt waren, daß ſeine zoologiſchen Schriften, als exote-
riſche vielleicht noch leichter zugänglich, mit andern in Aegypten, in
Nord-Afrika (zur Zeit des Appulejus dort verbreitet), in Rom geleſen
wurden. Auch ſie verſchwanden, um erſt ſpät an andern Orten wieder
aufzutauchen. Mit ihrer Wiedererſcheinung hebt die Neubelebung zoo-
logiſcher Arbeiten im Mittelalter an.
[[96]]
Die Zoologie des Mittelalters.
Periode des Stillſtandes bis zum zwölften Jahrhundert.
Nach dem Sturze des Römerreichs, nach dem Untergange des
von dieſem eine Zeitlang noch gehaltenen, im Heidenthum wurzelnden
antiken Culturlebens und mit dem ſich nur unter ſchweren Kämpfen
Bahn brechenden Chriſtenthum konnte eine neue Ordnung der Dinge
ſich nur langſam und allmählich herausbilden. Es wäre unnatürlich
geweſen, wenn die Menſchheit den von den Alten geſammelten Schatz
des eigentlichen Naturwiſſens ungeſtört gepflegt und ſo verwaltet hätte,
daß eine ununterbrochene Förderung der Erkenntniß den langſamen
Neubau ſtaatlicher und ſocialer Zuſtände begleitet hätte. Der Grund
jeder wiſſenſchaftlichen Erhebung liegt in der allgemeinen Bildung; wo
derſelbe mit dieſer verloren gegangen war, konnte die Wiſſenſchaft allein
und losgelöſt keine Lebensäußerung zeigen.
Oft genug bezeichnet man die Zeit vom vierten oder fünften bis
zum dreizehnten oder vierzehnten Jahrhundert als die Periode des Ver-
falls der Wiſſenſchaft. Das einmal Errungene geht aber nicht wieder
verloren; die einmal ausgeſprochenen wiſſenſchaftlichen Wahrheiten
ziehen ſich zwar wohl zurück an Orte, wo ihnen die, andern Intereſſen
nacheilenden Völker nicht ſofort folgen können; ſie werden zeitweiſe
vergeſſen. Doch deshalb die Wiſſenſchaft verfallen nennen zu wollen
wäre unrichtig. Nur die ſie fördernden äußern Hülfsmittel unterliegen
in Zeiten nationaler Bedrängniß dem zerſetzenden Einfluſſe ſtaatlicher
Gährungen. Daß gerade bei den Naturwiſſenſchaften die Ungunſt
[97]Periode des Stillſtandes bis zum zwölften Jahrhundert.
äußerer Verhältniſſe ein Fortleben unmöglich machten, darauf wurde
zum Theil bereits hingewieſen; weiteres wird ſich ſogleich ergeben. Es
fehlte für ſie nicht bloß an Lebensbedingungen und äußeren Mitteln,
ſondern es war ja auch die ganze Stellung des Menſchen zur Natur
verrückt worden.
Die Entwickelung auch der Zoologie war zum Stillſtand gekom-
men. Mit ihren Schweſterwiſſenſchaften hatte ſie, einſt von der bele-
benden Koſt griechiſchen Geiſtes genährt, ſich nun in eine fremdartige
Puppenhülle zurückgezogen. Dieſe durchbrach ſie zwar erſt ſpät, erſt
am Schluſſe des großen nun zu ſchildernden Zeitraumes. Aber in der
dann ſchnell von drückenden Nebeldünſten ſich reinigenden Luft geiſtigen
Auflebens erhebt ſie ihre Schwingen zu einem ſo mächtigen Fluge, daß
ſie in den letztverfloſſenen fünf Jahrhunderten größere Strecken ihrer
Entwickelung zurücklegte, als in den vorausgehenden zwei Jahrtau-
ſenden.
Es wäre traurig, wenn man annehmen müßte, daß mit dem
Sinken der allgemeinen Bildung zur Zeit des Untergangs des weſt-
römiſchen Kaiſerthums und im Beginn des Mittelalters auch jedes
Gefühl für Natur, jede gemüthliche Erregung durch die belebte Pflan-
zen- und Thierwelt verloren gegangen wäre. Einzelne Erſcheinungen
— und mehrere derſelben wurden bereits erwähnt — laſſen immer
noch den nie ganz zu unterdrückenden Quell des geſunden natürlichen
Sinns durchblicken. Die geiſtige Thätigkeit erhielt aber nun in ihrem
Weſen eine andere Richtung.
Von größter Bedeutung iſt es hier, einen kurzen Blick auf die Er-
ziehungs- und Unterrichtsweiſe jener Zeiten zu werfen. Die im Haus
und in den Schulen erhaltenen Eindrücke beſtimmen ja ſelbſt bei ausge-
ſprochenen Anlagen für einzelne Wiſſenſchaften nur zu häufig die be-
ſondere Richtung des ſpätern geiſtigen Lebens, ein Umſtand, welcher
in Zeiten politiſcher und ſocialer Zerſetzungen und Neubildungen Ge-
nerationen ihr Gepräge verleiht.
Die römiſche Jugend war behufs ihrer Erziehung ſchon während
der ſpätern Kaiſerzeit aus den Händen der Mütter in die von Sklaven
übergegangen. Schon dies mußte den ſittlichen Gehalt der Erziehung
V. Carus, Geſch. d. Zool. 7
[98]Die Zoologie des Mittelalters.
mindern. Man braucht ſich nur daran zu erinnern, wie in den ſpätern
Jahrhunderten des abſterbenden Heidenthums über die Stellung der
Sklaven gedacht und geurtheilt wurde1). Aber auch ſchon früher war
durch vorwiegende Richtung der Erziehung auf Entwickelung ſogenannter
Bürgertugenden weder dafür geſorgt worden, daß der im Hinaustreten
an die Oeffentlichkeit ſtets neue Nahrung findende Egoismus durch Er-
weckung eines wahrhaft menſchlichen Bewußtſeins gezügelt werde, noch
hatte man für den völligen Mangel eines das Gemüthsleben veredeln-
den Familienlebens in der Form und dem Gehalt des Unterrichts einen
Erſatz zu finden gewußt2). Grammatik, als die elementarſte Kunde
von der äußern Form, den Geſetzen der Sprache und deren Litteratur,
war die Grundlage, mit welcher verſehen der Jüngling der Rhetoren-
ſchule zueilte, um hier durch hohlen Schwall prunkender Phraſen das
überdecken zu lernen, daß man möglichſt wenig ſagte und ſagen durfte.
Die meiſtens daneben getriebene Philoſophie ſpitzte ſich bald zu einer
Dialektik zu. Bei der Unthätigkeit, zu welcher während des ſtraff des-
potiſchen Regiments die Mehrheit der Staatsbürger in Betreff der
öffentlichen Angelegenheiten verurtheilt war, beſchränkte ſich auch das
früher allgemeinere, nun mehr zünftig werdende Studium der Rechts-
kunde immer mehr oder wurde zu einer bloßen Kenntniß der wichtigſten
Geſetze herabgedrückt. Die früher wegen ihrer Beziehung zur Aſtrono-
mie gepflegten Fächer der Geometrie und Arithmetik wurden allmählich
verlaſſen. Je mehr die Bevölkerung mit fremden Elementen durchſetzt
wurde, deſto mehr ſchwand der Sinn für litterariſche Bildung, welcher
ſelbſt durch die ſtrengere Zucht, der die kaiſerlichen Schulen, z. B. das
Athenäum in Rom, unterworfen wurden, nicht zu beleben war. So
war der Zuſtand in Italien. Aber auch die in den meiſten größeren
Städten der einzelnen Provinzen eingerichteten Schulen, an denen
[99]Periode des Stillſtandes bis zum zwölften Jahrhundert.
Grammatiker und Rhetoren aus öffentlichen Mitteln Beſoldungen er-
hielten, erlagen dem Andrange der ſich weſtwärts ausbreitenden Völ-
kerſtämme.
Selbſtverſtändlich fand unter ſolchen Verhältniſſen keine einzige
Wiſſenſchaft irgend eine Förderung durch den Schulunterricht. Ein
ferneres directes Hinderniß für die Weiterentwickelung der Naturwiſ-
ſenſchaften lag noch darin, daß auch da, wo überhaupt noch Bildung
angeſtrebt wurde, dieſelbe ſich immer ſtrenger formal an die in der
alexandriniſchen Zeit entwickelte, ſeitdem in immer einſeitigerer Geltung
ſich ausbreitende Encyklopädie der Disciplinen anſchloß. Außer den
ſieben freien Künſten ward nur Jurisprudenz und Medicin und zwar
aus nahe liegenden praktiſchen Gründen getrieben. Und wie wenig die
Medicin der erſten Jahrhunderte der chriſtlichen Zeitrechnung auf wiſ-
ſenſchaftliche Begründung Anſpruch machte und machen konnte, bewei-
ſen die Schriften eines Serenus Sammonicus, Sextus Placitus,
Marcellus Empiricus u. A. Hier werden zwar auch Thiere und die
von ihnen hergenommenen Heilmittel aufgeführt, aber in einer Weiſe,
welche nur zu deutlich zeigt, wie ſehr theils eine wunderſüchtige und
abergläubiſche Geheimmittellehre, theils eine gedankenloſe Nachbeterei
jede geſunde Betrachtung des thieriſchen Lebens und ſeiner Träger zu
überwuchern angefangen hatte. Leider blieb eine ſolche Richtung ſehr
lange vorherrſchend, auch nachdem bereits von anderer Seite her der
Reform der Heilkunde vorgearbeitet worden war.
Drohte nun Bildung und Unterricht der gänzlichen Zerſtörung
entgegenzugehen, ſo entſtand von einer andern Seite her ein in ſeinem
nächſten und unmittelbaren Einfluß zwar zweifelhafter, für die Erhal-
tung der Denkmäler früherer litterariſcher Leiſtungen aber äußerſt wich-
tiger Schutz in der Vermehrung und Ausbreitung chriſtlicher Gemein-
den. Es war freilich nicht zu erwarten, daß die erſten Lehrer der jungen
Chriſtenſchulen mehr als Feſtigung der Glaubenslehren im Auge gehabt
haben ſollten, beſonders bei dem ſo nahe liegenden mehr apologetiſchen
Charakter ihres etwa öffentlichen Auftretens. Manche Apologeten ver-
fuhren geradezu aggreſſiv und ſuchten die heidniſche Mythologie und mit
ihr das heidniſche Wiſſen als Ausflüſſe dämoniſchen Unweſens darzu-
7*
[100]Die Zoologie des Mittelalters.
ſtellen, z. B. Tatian. Hierdurch vollzog ſich in einzelnen Fällen der
Bruch mit der antiken Wiſſenſchaft vollſtändig. Doch waren es vor-
züglich zwei Punkte, welche neben ihrem tiefeingreifenden culturge-
ſchichtlichen Einfluſſe für die Stellung und Weiterentwickelung der Na-
turwiſſenſchaften von größter und leider nicht bloß im frühen Mittel-
alter verhängnißvoller Bedeutung wurden: die Entwickelung des
Mönchthums und die Erhebung der Kirche zu einer prieſterlichen und
biſchöflichen Anſtalt, welche nicht bloß die Glaubenslehren zu beſtim-
men und zu befeſtigen ſuchte, ſondern auch in Wiſſensgebieten die ihr
eigentlich fern lagen ſich eine Ausſchlag gebende Stimme zu ſichern
wußte, häufig freilich mit Mitteln, welche den Vertretern der Religion
der Liebe wenig ziemte.
Je ſchwärzer das geiſtige Unheil des Alterthums von eifernden
Vertheidigern des Chriſtenthums dargeſtellt wurde, je herrlicher die
opferfreudige Dienſtbarkeit gegen Gott und Mitmenſchen den Jüngern
des Kreuzes erſchien, deſto mehr mußte in leicht entzündbaren Ge-
müthern der Entſchluß reifen, durch völliges Hingeben an ein Leben voll
Büßungen und Gebet, durch Entſagung alles irdiſchen Genuſſes der
endlichen Seligkeit um ſo ſicherer theilhaft zu werden. Namentlich wa-
ren es die einer beſchaulichen Lebensweiſe und ſchwärmeriſchen Aſkeſe
ohnehin geneigten Morgenländer, welche in einem Abſterben der Welt
die wahre Tugendfülle bethätigen zu können meinten. Dem erſten Ein-
ſiedler Paulus und ſeinem Schüler Antonius, welcher wegen der ihm
vorgeblich erſchienenen wunderbaren Thier- und Menſchengeſtalten noch
im dreizehnten Jahrhundert vielfach erwähnt wird, folgten bald zahl-
reiche Jünger. Ihnen gab Pachomius die erſte Regel eines gemeinſa-
men Lebens; derſelbe wurde dadurch Gründer des Kloſterthums. Lagen
auch litterariſche Beſchäftigungen den einſiedleriſch oder gemeinſam
lebenden Mönchen urſprünglich fern, ſo zeichneten ſich doch unter den
vom vierten Jahrhundert an durch ganz Vorderaſien bis in das Saſſa-
nidenreich verbreiteten Mönche die ſyriſchen zu Edeſſa durch ihre Ge-
lehrſamkeit rühmlich aus. Durch die Syrer lernten überhaupt ſchon
in der vormuhammedaniſchen Zeit die Orientalen den Ariſtoteles und
andere griechiſche Schriftſteller kennen.
[101]Periode des Stillſtandes bis zum zwölften Jahrhundert.
Das Abendland kam zuerſt mit dem Mönchsleben in Berührung, als
der durch das nicäaniſche Concil nur zeitweiſe äußerlich beigelegte Streit
der Arianer mit ihren Gegnern die vorübergehende Verbannung des
Athanaſius und deſſen Aufenthalt in Gallien und Deutſchland nach ſich
gezogen hatte. Dem morgenländiſchen Fanatismus wenigſtens anfangs
fremd, ſuchten die abendländiſchen Mönchsgenoſſenſchaften die Grundſätze
des urſprünglichen Gemeindelebens mit Gütergemeinſchaft und völliger
Gleichheit aller Genoſſen als oberſtes Geſetz durchzuführen, dabei nach
außen die idealen Aufgaben der Heilsbringer zu bethätigen, wie ſie als
Seelſorge, Hülfe bei äußerer und innerer Noth und Unterricht erſchienen.
Von durchgreifendſter Bedeutung für die Ausbildung der Rolle,
welche das Mönchsthum in der Culturentwickelung des nächſten Jahr-
tauſends zu erfüllen hatte, war die Aufſtellung der erſten abendlän-
diſchen Ordensregel. Die Gründung des Kloſters auf dem Monte
Caſſino durch Benedikt von Nurſia (529) ſchuf einen für Er-
haltung der ſchlummernden Reſte antiker Wiſſenſchaft unendlich wich-
tigen Factor, welcher in ſeinem Einfluß noch beſtärkt wurde, als ſehr
bald ſchon auf Caſſiodor's Anregung die Mönche zur Pflege der Wiſ-
ſenſchaften und Vervielfältigung der Handſchriften angehalten wurden.
Da bereits Benedikt ſelbſt die Aufnahme von Kindern in die ſich früh
mehrenden Klöſter gebilligt hatte, entſtanden hierdurch die erſten Klo-
ſterſchulen, welche neben den biſchöflichen bei den größeren Kirchen be-
ſtehenden Unterrichtsanſtalten eine um ſo größere Wichtigkeit erlangten,
als gar bald die von Rom aus unterhaltenen kaiſerlichen Schulen ein-
giengen. Da die Kloſterſchulen zunächſt im Sinne einer Erziehung zum
geiſtlichen Stande thätig waren, die Kathedralſchulen dagegen auch
weltliche Wiſſenſchaften zuweilen mit großem Erfolg pflegten, entſtand
nach kurzer Zeit an vielen Kloſterſchulen der Eifer, auch in Bezug auf
die letztern es den übrigen Schulen gleich zu thun.
Mit der Verbreitung der Benediktiner wurde überhaupt der Sinn
für Bildung wenigſtens in den Klöſtern angeregt. Die erſten iriſchen
Glaubensboten in Burgund, Deutſchland und der Schweiz, Columban,
Gallus und Kilian waren zwar keine Benediktiner; doch gehörte der
große Apoſtel der Deutſchen Bonifacius dieſem Orden an. Auf ihn
[102]Die Zoologie des Mittelalters.
wird die Gründung, wie vieler andern, ſo die der Abtei Fulda zurück-
geführt, des Sitzes jenes größten deutſchen Schulmannes des neunten
Jahrhunderts, Hrabanus Maurus. Die Belebung des Unterrichts-
eifers, welcher die ſpätere Zeit der Regierung Karl des Großen aus-
zeichnete, geſchah vorzüglich mit Hülfe von Benediktinern, Alcuin und
Paulus Diaconus. Wurde auch von einzelnen Congregationen die
Pflege der Schulen, ſo theils ſchon durch die Beſchlüſſe der Aachener
Synode (817) theils von den Cluniacenſern und Ciſtercienſern, Zweigen
der Benediktiner, ihrer Regel gemäß wenig gefördert, ſo begünſtigten
doch die meiſten den Betrieb der Wiſſenſchaften und Künſte. Es
braucht hier nur an York und St. Alban, Le Bec, Fulda, Hirſchau,
Reichenau, Corvey u. a. erinnert zu werden. Erſt als im zwölften Jahr-
hundert die reichen Einkünfte der alten Abteien, die Vorrechte der
Klöſter, die Betheiligung der meiſt aus den höheren Ständen entſtam-
menden Würdenträger der Klöſter an weltlichen Händeln den alten
Grundſatz des Ordens: ex scholis omnis nostra salus, omnis gloria,
omnis felicitas, vergeſſen ließen, übernahmen die nun entſtehenden
volksthümlicheren Orden der Dominikaner und Franciskaner die Sorge
für die Bildung des Volkes.
Der Umſtand, daß der Unterricht in den Händen geiſtlicher Or-
den war, wird aber in ſeinen Wirkungen erſt dadurch erklärt, daß ein
Blick auf die Entwickelung der kirchlichen Macht das erkennen läßt,
was überhaupt gelehrt wurde und gelehrt werden durfte3). Die Zu-
[103]Periode des Stillſtandes bis zum zwölften Jahrhundert.
nahme der chriſtlichen Gemeinden unter verſchiedenen Völkern brachte
die neue Lehre der Gefahr nahe, durch Aufnahme zahlreicher mehr oder
weniger tief eingreifender Verſchiedenheiten in Glaubensſachen und im
Ritual in ebenſoviele einzelne Kirchen geſpalten zu werden. Es hatten
ja ohnedies die vom Polytheismus zum Chriſtenthum Uebergetretenen
einen ſehr natürlichen Hang, die neue Religion wenigſtens der äußern
Glaubensform nach der alten anzuſchließen. Dies konnte aber leicht
auseinander führen. Und wenn auch ſchon ſeit der Zeit der Alexandri-
ner Clemens und Origenes die gnoſtiſchen Lehren mit ihren an polythei-
ſtiſche Ideen ſtreifenden Anſichten trotz ihres befruchtenden Einfluſſes
auf die geiſtige Weiterbildung des Chriſtenthums äußerlich zurückge-
drängt worden waren, ſo blieben doch in der Trinitätslehre, dem Ma-
rien- und Heiligen-Cultus Momente übrig, welche den Tauſch des
götterbelebten Olymps gegen den von einem Gott durchwehten Himmel
nach Umſtänden mehr oder weniger erleichterten. Je weiter nun aber
der Spielraum war, welchen die von verſchiedenen Punkten ausgehen-
den Traditionen darboten, je mehr die ungleiche Befähigung der Be-
kehrten eine Theilnahme aller Gemeindemitglieder an der äußeren Ver-
waltung und dem innern Weiterbau des kirchlichen Lebens unmöglich
machte, deſto mehr Grund gewannen die Beſtrebungen, feſte Glau-
bensſätze aufzuſtellen, nach deren Anerkennung anders Denkende als
Ketzer aus der Gemeinſchaft der Gläubigen ausgeſchloſſen wurden.
Dies ſuchten zunächſt die ſchon ſeit der apoſtoliſchen Zeit her in Ge-
brauch gekommenen allgemeinen Kirchenverſammlungen zu beſtimmen.
Eine weitere Kraft erhielten aber dieſe Verſuche mit der Ausbildung
des Epiſkopats, welches unter Annahme einer directen apoſtoliſchen
Nachfolge nicht bloß die Ueberlieferungen in formeller Weiſe feſtſetzte,
ſondern beſonders durch Herauslöſen des Geiſtlichen aus der Gemeinde
die Selbſtbeſtimmung der letztern allmählich zurückdrängte und ſich nicht
bloß in Bezug auf Kirchenzucht, ſondern auch in Punkten kirchlichen
und wiſſenſchaftlichen Zweifels allmählich immer entſchiedener einen
Ausſchlag gebenden Einfluß beizulegen wußte.
Welcher Art aber dieſe Einwirkungen auf die Anſchauungen der
belebten Natur ſein mußten, davon gibt der Umſtand ein ſprechendes
[104]Die Zoologie des Mittelalters.
Zeugniß, wie allmählich die freiere und natürlichere Auffaſſung der erſten
Jahrhunderte von der Stellung des Menſchen, ſeinem freien Willen
und ſeiner Selbſtändigkeit, von der Auferſtehungslehre u. ſ. f. über-
giengen in die finſtern Anſichten von Erbſünde und Unfreiheit, von der
Auferſtehung des Fleiſches u. ſ. w. Kaum braucht hier daran erinnert
zu werden, welche Macht der Kirche aus der Lehre von den Gnaden-
mitteln zuwuchs, wie ſich ſolche im nothwendigen Anſchluß an die er-
wähnte Umſtimmung der Anſichten entwickelte. Selbſtverſtändlich hieng
auch die Anſchauung des Thierreichs weſentlich von der übrigen gei-
ſtigen Richtung der Zeit ab. Freilich finden ſich bei frühen chriſtlichen
Schriftſtellern Schilderungen genug, welche eine weiche, zuweilen bei-
nahe ſentimentale Stimmung der Natur im Allgemeinen gegenüber
bekunden4). Von einem concreten Erfaſſen einzelner Erſcheinungen,
einer beſtimmten wiſſenſchaftlichen Stellung oder einer höheren philoſo-
phiſchen Auffaſſung der Natur iſt aber kaum die Rede. Und wäre auch
bei Einzelnen etwa eine Regung erwacht, ſich einer ſolchen wenigſtens
zu nähern: die Maſſe des Volkes, ſelbſt die unterrichtete, war einer
ſolchen fremd.
Erklärlich wird dies aus einem Blick auf die litterariſchen Hülfs-
mittel des Unterrichts und den weſentlichen Inhalt derſelben. Wenn
von wirklichem Wiſſen geſprochen werden ſollte, konnte man des Cultur-
ſchatzes der Alten nicht entrathen; und doch mußte derſelbe in die neue
Form gezwängt werden. Von größter Bedeutung für die geiſtige Rich-
tung des Mittelalters iſt hier zunächſt Boëthius geweſen, welcher
an die claſſiſche Vergangenheit direct anknüpfend, nicht bloß eine Reihe
ſich lange in hohem Anſehen erhaltender Schriften verfaßte, ſondern
durch den Verſuch, die orthodoxen Glaubensſätze mit Hülfe ariſtote-
liſcher Formeln zu begründen und durch dialektiſche Erklärungen die
Anſichten früherer Philoſophen untereinander und mit dem Kirchen-
glauben zu verſöhnen, den Grund legte, auf dem ſich ſpäter die Scho-
laſtik erhob. Seine Ueberſetzungen einzelner Schriften des Ariſtoteles,
welche lange Zeit die einzige Quelle für das Studium ariſtoteliſcher
[105]Periode des Stillſtandes bis zum zwölften Jahrhundert.
Philoſophie5) waren, des Euklid, Nikomachus, Ptolemaeus u. a. über
die ſieben freien Künſte galten als Grundlagen der geiſtigen Erziehung,
wie ſeine, ſchon im frühen Mittelalter in faſt alle europäiſchen Spra-
chen überſetzte Schrift de consolatione philosophiae ein Lieblingsbuch
der Gebildeten Jahrhunderte hindurch geweſen iſt. Gleich bedeutend
in ſeinem Einfluſſe und ſeiner Verbreitung als Schulbuch war des
ſchon genannten Caſſiodorus Schrift Institutiones ad divinas
lectiones. Zunächſt einen theologiſchen Lehrplan entwerfend, weiſt er
darauf hin, daß in der heiligen Schrift viele Wahrheiten figürlich aus-
gedrückt und nur durch Grammatik, Rhetorik, Dialektik u. ſ. f. ver-
ſtändlich ſind. Er behandelt daher die Schulwiſſenſchaften, die ſieben
freien Künſte, eingehend und ſeine Darſtellung iſt „ein Geſetzbuch für
den ganzen Unterricht der mittelalterlichen Kloſterſchulen geblieben“.
Als ähnliche Fundgrube der Gelehrſamkeit galt Jahrhunderte lang die
Schrift des Marcianus Capella6) über die Vermählung der
Philologie und des Merkur, in welcher er dieſelben Wiſſenſchaften als
Dienerinnen der im Olymp eingeführten Philologie auftreten läßt. An
dieſe drei ſchloſſen ſich dann ſpeciellere Schulbücher in ähnlichem Geiſte,
wie der Donat, Priscian, ſpäter das Doctrinale puerorum des Alex-
ander de Villa Dei und andere an, welche die Disciplinen des Trivium
und Quadrivium in mehr oder weniger pedantiſcher Weiſe vortrugen.
Eine hervorragende Stellung nimmt neben den genannten noch
das Werk des Iſidor von Sevilla aus dem Anfang des ſiebenten
Jahrhunderts ein, welches nicht bloß die ſieben freien Künſte, ſondern
auch Theologie, Jurisprudenz, Medicin, Naturgeſchichte, Geographie
u. ſ. f. umfaßt, aber wie ſchon ſein Titel Origenes s. etymologiae be-
ſagt mehr nach Art eines erklärenden etymologiſchen Realwörterbuches
(vergl. z. B. das zehnte Buch). Sein Einfluß war bedeutend und
[106]Die Zoologie des Mittelalters.
noch in den naturhiſtoriſchen Compilationen des dreizehnten Jahrhun-
derts wird Iſidor neben Ariſtoteles und Plinius am häufigſten citirt.
Freilich iſt für die Geſchichte der Zoologie das Werk des Iſidorus nur
von rein äußerer Bedeutung. Es enthält eine Menge einzelner Notizen
aus alten Schriftſtellern, aber es hat ſich nicht die Aufgabe geſtellt,
die Summe des zoologiſchen Wiſſens ſeiner Zeit darzuſtellen. Es wäre
daher zunächſt verfehlt, in der Reihenfolge, welche Iſidor bei ſeiner
Darſtellung befolgt hat, etwa den Verſuch eines Syſtems erblicken zu
wollen. Und auch in Bezug auf die Thatſachen, welche er mittheilt,
war es ihm nicht darum zu thun, irgend ein naturhiſtoriſches Bild des
betreffenden Thieres zu geben; ſondern neben der Etymologie des Na-
mens, welche überall an der Spitze der einzelnen Artikel ſteht und oft
das einzig Mitgetheilte iſt, macht er bald naturhiſtoriſche, bald medici-
niſche, bald fabelhafte Angaben, nur ſelten unter Anführung von Ge-
währsmännern. Unter dieſen erſcheinen Dichter, wie Horatius, Nae-
vius, Lucanus, Lucretius, Macer, Virgilius u. a. ebenſo häufig oder
ſelbſt häufiger, als Ariſtoteles, welcher im zwölften den Thieren ge-
widmeten Buche nur einmal angeführt wird, und Plinius. Da Iſidor
nicht ſelbſt Naturforſcher war, ſondern ſein Werk zu Unterrichts-
zwecken nur aus andern Schriftſtellern zuſammentrug, kann man nicht
erwarten, bei ihm einen ſelbſtändigen Standpunkt vertreten zu ſehen.
Er war litterariſcher Sammler, wie von Plinius an bis in das drei-
zehnte Jahrhundert alle Schriftſteller über Zoologie. In einer Be-
ziehung weicht aber Iſidorus von den ihm zunächſt vorausgehenden und
folgenden Verfaſſern ähnlich allgemeiner Werke ab: es fehlt bei ihm
völlig an jener ſymboliſirenden und allegoriſirenden Auslegung, wo-
durch man ſich beſtrebte, alle Thatſachen der belebten (oft auch der un-
belebten) Natur in ein Verhältniß zum Menſchen zu bringen.
Hat ſich auch aus den früheren Jahrhunderten des Mittelalters
noch manches andere Zeugniß für den eigenthümlichen Geiſt des Unter-
richts erhalten, ſo bieten ſie doch alle dieſelben Bilder dar. Es iſt hier
nur von untergeordnetem Intereſſe, daß zeitweiſe der Unterricht in den
Klöſtern vernachläſſigt wurde, wofür die wiederholten Klagen der Päbſte
und Biſchöfe ſprechen (z. B. in den Jahren 826 und 850), daß auch
[107]Periode des Stillſtandes bis zum zwölften Jahrhundert.
zuweilen die weltlichen Claſſen der Kloſterſchulen, die in Folge der
erwähnten Aachener Synode eingeführten scholae exteriores, geſchloſ-
ſen wurden, um das asketiſche Leben der Mönche vor äußern Einflüſſen
beſſer wahren zu können (wie es z. B. ſelbſt im Monte Caſſino geſchah).
Wichtiger iſt es, daß das Verſtändniß der nur von Einzelnen einem
wirklichen Studium unterworfenen griechiſchen Sprache immer ſeltener
wurde. Byzanz ſelbſt hatte zwar ſeine eigene, immer noch inniger
mit dem griechiſchen Alterthum zuſammenhängende Tradition; auch
übte es in andern Beziehungen ziemlichen Einfluß auf das Abendland
aus. Moden und höfiſche Sitten, die Muſter und Modelle zu Luxus-
und Hausgeräthen, zu Zeugen u. ſ. f. kamen aus Byzanz. Seine
Sprache aber blieb fremd trotz der nahen Beziehungen, in welche das
deutſche Kaiſerhaus wiederholt zu Conſtantinopel getreten war. Erklär-
lich wird dies wenigſtens zum großen Theil durch das langſam er-
wachende Nationalbewußtſein, durch die Entwickelung der Städte und
des in ihnen ſich regenden Bürgerſinns, ſowie durch den mit dem Lo-
calpatriotismus auch die Mutterſprache pflegenden Ritterſtand.
In wie weit ſich die Verhältniſſe einer Aufnahme der Naturge-
ſchichte als Zweig des regelmäßigen Unterrichts günſtig oder ungünſtig
erwieſen, wird ſchon aus der Bedeutung erkennbar, welche man den
ſieben freien Künſten gab. Hier iſt das Urtheil des Hrabanus
Maurus von Intereſſe, eines Mannes, deſſen für ſeine Zeit vorur-
theilsfreie Richtung aus dem Verhalten hervorgeht, welches er gegen
die Prädeſtinationslehre Gottſchalk's ſowie gegen die Transſubſtantia-
tionslehre des Paſchaſius Radbertus einſchlug. In ſeiner Schrift de
institutione clericorum wird bei der Erwähnung der encyklopädiſchen
Wiſſenſchaften ſtets auf ihren beſondern kirchlichen oder religiöſen Ge-
brauch hingewieſen. Grammatik dient zum Verſtändniß des Lateini-
ſchen, der Kirchenſprache, zur Kenntniß der Versart der Pſalmen und
anderer poetiſcher Bücher, Arithmetik führt in die Zahlengeheimniſſe
ein, Aſtronomie lehrt die Kirchenzeitrechnung verſtehen, Muſik wird
gelehrt, um die Würde des Gottesdienſtes begreifen und würdigen zu
können. Ziel des ganzen Lernens war nur die Ehre Gottes, wie man
ſie eben damals auffaßte. Und wie zäh derartige Anſichten eingewurzelt
[108]Die Zoologie des Mittelalters.
waren, beweiſen die Thatſachen, daß noch auf den Concilen von Tours
und Paris (1163 und 1209) das ſündhafte Leſen phyſikaliſcher Schrif-
ten den Mönchen unterſagt wurde. Daß dabei der Aberglaube in allen
Geſtalten, Aſtrologie und Geheimmittel, Reliquiendienſt und Wunder-
glaube üppig gedeihen konnte, verſteht ſich von ſelbſt.
Es iſt nun nicht zu verwundern, wenn bei dieſem engen Anſchluß
alles ſogenannten Wiſſens an Gegenſtände der Kirche und des Glau-
bens auch diejenige Richtung in der Bearbeitung der Natur- oder ſpe-
ciell Thiergeſchichte die einzig geduldete war, welche ſich mit allerhand
Allegorien den Bedürfniſſen des moraliſirenden und auf das Gewiſſen
wirkenden Predigers anbequemte. Im achten und neunten Jahrhundert
wurden zwar mehrere bedeutende Schriften über Natur und Welt ver-
faßt; ſo von Beda (de natura rerum), von Hrabanus Maurus
(de universo) und Johannes Scotus Erigena (de divisione
naturae). Doch enthalten dieſe homiletiſchen oder philoſophiſchen
Schriften entweder gar nichts von Thieren oder nur dogmatiſirend ſich
an die Schöpfungsgeſchichte Anſchließendes.
Eine höchſt intereſſante Erſcheinung iſt dieſem Allen gegenüber das
Vorhandenſein einer nun etwas genauer zu betrachtenden Schrift,
welche faſt tauſend Jahre lang als elementares Lehrbuch für Zoologie
in Geltung geſtanden zu haben ſcheint, deren früheſte Geſchichte aber
immer noch in ziemliches Dunkel gehüllt iſt. Es iſt dies der ſogenannte
Phyſiologus.
Aus einer Betrachtung der Culturverhältniſſe des früheren Mit-
telalters geht hervor, daß der Unterricht in den erſten chriſtlichen Zeiten
keinen Raum zu einem näheren Bekanntwerden mit der belebten Natur
ließ und daß in Folge hiervon auch diejenigen, welche nach der über-
haupt möglichen Bildung ſtrebten, unter dem immer ſchärfer ſich äußern-
den Drucke kirchlicher Denkvorſchriften zu keiner freieren Auffaſſung
lebender Weſen gelangen konnten, als ſie der Schöpfungsmythus ergab.
Nun iſt aber in keiner Periode der Geſchichte der Menſchheit, aus
welcher man litterariſche Zeugniſſe beſitzt, ein vollſtändiger Mangel
[109]Phyſiologus.
eines Sinnes für die Natur und deren Bewegungserſcheinungen nach-
weisbar. Bei dem Widerſtand, welchen die erſten chriſtlichen Regungen
allen aus dem Heidenthum herrührenden Schriften entgegenſetzten, war
es daher für die Stellung der Naturgeſchichte, als eines Bildungsmo-
ments, zur ganzen geiſtigen Entwickelung von außerordentlicher Bedeu-
tung, daß eine Form der Darſtellung gefunden wurde, in welcher der
Naturſinn unbeſchadet der kirchlichen Autorität wachgehalten wurde.
Dieſe bot der Phyſiologus dar7). Für ſeine Bedeutung ſpricht
ſchon ſeine große Verbreitung. Er iſt nicht bloß in den alten Cultur-
ſprachen vorhanden, ſondern er erſcheint überall, wo die ſich abſondern-
den Nationalitäten in den Kreis der chriſtlichen Cultur eintreten oder
wo das Chriſtenthum mit ſeiner ſymboliſirenden Lehrhaftigkeit eindringt.
Er findet ſich mehr oder weniger vollſtändig erhalten und zwar in
ſeiner urſprünglichen Geſtalt proſaiſch oder, im Ganzen oder in Aus-
zügen, metriſch in folgenden Sprachen: griechiſch, lateiniſch, ſyriſch,
armeniſch, arabiſch, äthiopiſch, althochdeutſch, angelſächſiſch, altengliſch,
isländiſch, provençaliſch und altfranzöſiſch. Mit dem vierzehnten Jahr-
hundert verſchwindet er; denn wenn auch noch einzelne ſogenannte Phy-
ſiologen ſpäter vorkommen und wenn gewiſſe litterariſche Erſcheinungen
des dreizehnten Jahrhunderts und der dieſem zunächſt folgenden Zeit in
eine gewiſſe verwandtſchaftliche Beziehung zu ihm gebracht werden
[110]Die Zoologie des Mittelalters.
müſſen, ſo hört doch von jenem Zeitraum an die weitere Verbreitung
in ſeiner urſprünglichen Form auf, um andern Darſtellungen Platz zu
machen.
Der Titel der Schrift ſchließt ſich zunächſt an den öfter wieder-
kehrenden Gebrauch an, die Stellung oder den Beruf des bekannten
oder unbekannten Verfaſſers, gewiſſermaßen die perſonificirte Aufgabe
deſſelben als Bezeichnung des Buches zu geben. Nach der claſſiſchen
Bedeutung des Wortes würde hier alſo eine Erklärung des Weſens der
Natur überhaupt zu ſuchen geweſen ſein. Es ſtimmt nun allerdings
hiermit überein, daß ſich in den Phyſiologen des Mittelalters häufig
noch gewiſſe Steine, einzeln auch Bäume, aufgezählt finden. Doch
tritt, wie ſich bald zeigen wird, abgeſehen von einer Beſchränkung des
Inhalts auf eine Anzahl Thiere, die rein naturhiſtoriſche Seite ſehr
bald mehr oder weniger in den Hintergrund. Selbſt jene, der „Phyſio-
logie“ in den erſten Jahrhunderten der chriſtlichen Zeitrechnung geſtellte
Aufgabe ſchwand, nicht bloß die antiken Götter- und Heldengeſchichten,
ſondern ſelbſt bibliſche Wunder naturgemäß zu erklären. Noch Epi-
phanius nannte ſeine ſofort zu erwähnende, ihm aber nur mit Un-
recht zugeſchriebene Schrift in richtigerer Weiſe „ad physiologum“;
ſpätere Bearbeitungen laſſen aber das was hier ausdrücklich als Zu-
that bezeichnet wird, mit dem eigentlichen und wahrſcheinlich alten
Text ganz verſchmelzen und behalten den Titel für das nun aus zwei
beſonders zu betrachtenden Abſchnitten beſtehende Werk bei. Nun läßt
ſich zwar in Bezug auf die hiermit eintretende Erweiterung des Na-
mens Phyſiologus im Allgemeinen etwa anführen, daß man, wie auch
ſonſt in verſchiedener Weiſe geſchah, der Naturſchilderung eine entſpre-
chende Betrachtung angehängt habe, welche als zum Gegenſtand gehörig
mit zur „Phyſiologie“ zu rechnen geweſen ſei. Für die Vereinigung
der letztern und zwar einer beſonderen religiöſen Betrachtung mit einer
naturhiſtoriſchen Darſtellung zum Begriffe einer gewiſſermaßen chriſt-
lichen Phyſiologie gibt es aber directe Zeugniſſe. So ſagt Clemens
Alexandrinus ausdrücklich, daß die Phyſiologie, welche auf die Regeln
der Wahrheit ſich gründet, mit der Erzählung der urſprünglichen Er-
[111]Phyſiologus.
ſchaffung der Dinge zu beginnen, aber dann zur religiöſen Betrachtung
ſich zu erheben habe8).
Es wird nun im Phyſiologus nicht bloß dieſe Aufgabe gelöſt und
jeder Schilderung eines naturhiſtoriſchen Gegenſtandes eine erklärende
Betrachtung zugefügt, ſondern er ſchließt ſich hierin der Richtung faſt
der ganzen übrigen Litteratur jener Zeiten eng an, welche dem ur-
ſprünglichen Sinn des Wortes Phyſiologie gerade entgegen theils alles
Natürliche direct an Göttliches oder wenigſtens Bibliſches anzuknüpfen,
theils die geſchichtlichen Erzählungen der Schrift und die kirchlichen Ge-
bräuche durch Symboliſirungen und myſtiſch-allegoriſche Deutungen
einer moraliſchen Nutzanwendung immer leichter und ſicherer zugäng-
lich zu machen ſuchte. Es wird ſich zeigen, wie man hierbei urſprüng-
lich einfacher verfuhr und wie man allmählich der älteren Vorlage als
dem zu erklärenden Texte förmlicher gegenübertrat, wie es die häufig
vorkommenden Wendungen beweiſen: „der Phyſiologus ſagt“ und am
Schluſſe mancher Abſchnitte: „ganz gut hat daher der Phyſiologus
geſprochen“.
Die Darſtellung der Inhaltsüberſicht wird erleichtert werden,
wenn vorher ein Blick auf das vorhandene litterariſche Material ge-
worfen wird. Die verſchiedenen Bearbeitungen des Phyſiologus,
welche ſich erhalten und bis jetzt eine Veröffentlichung erfahren haben,
ſind die folgenden. Als älteſte Form deſſelben iſt, wie ſich zeigen wird,
die griechiſche anzuſehen. Pitra hat den erſten Abdruck eines grie-
chiſchen Phyſiologus beſorgt nach Handſchriften aus dem 13. bis 15.
Jahrhundert, welche mindeſtens zwei verſchiedene Recenſionen enthal-
ten9). Die meiſten Artikel ſind proſaiſch, einzelne aus einem metriſchen
Phyſiologus (Handſchrift des 14. Jahrhunderts) ergänzt. Spricht
auch entſchieden die Neuheit dieſer Handſchriften gegen die Benutzbar-
keit dieſer Textesformen als älterer Ausgangspunkte, ſo wird dieſer
[112]Die Zoologie des Mittelalters.
Uebelſtand doch dadurch wieder aufgewogen, daß die armeniſche Be-
arbeitung, welche gleichfalls Pitra zuerſt veröffentlicht hat10), nach
griechiſchen Handſchriften des vierten und fünften Jahrhunderts gemacht
iſt und in den weſentlichſten Punkten des Inhalts und der Form mit
dem griechiſch erhaltenen Phyſiologus übereinſtimmt. Dieſem anony-
men Phyſiologus ſchließt ſich als eine Art Auszug die eben angedeutete,
dem Epiphanius untergeſchobene Schrift an, welche nach dem Her-
ausgeber Ponce de Leon 39 Artikel enthalten haben ſoll; doch ſind
von dieſen nur zwanzig veröffentlicht11).
Wahrſcheinlich die nächſt älteſte und jedenfalls als Ausgangspunkt
der orientaliſchen Bearbeitungen die wichtigſte iſt die ſyriſche Ueber-
ſetzung. Hiervon iſt bis jetzt nur die im Anfangstheil nicht ganz voll-
ſtändige Recenſion aus einer Handſchrift des Vatican herausgegeben
worden12). Das einzige publicirte Bruchſtück eines arabiſchen
Phyſiologus13) läßt keinen Schluß auf die Ausdehnung und die genea-
logiſchen Beziehungen der Bearbeitung zu; nur eins iſt ſicher, daß der
Verfaſſer Chriſt war. Der äthiopiſche „Fiſalogus“ iſt nur in einem
[113]Phyſiologus.
Artikel gedruckt (in Ueberſetzung), welcher ſich in den übrigen Bearbei-
tungen nicht findet mit Ausnahme einer griechiſchen Handſchrift in Ox-
ford. Er ſchließt ſich dem griechiſchen Texte eng an14), ſo daß er nach
Pitra wohl direct aus demſelben überſetzt ſein kann.
Das Datum der betreffenden Handſchriften weiſt zwar dem latei-
niſchen Phyſiologus ein höheres Alter an als dem griechiſchen; doch
wird er in Bezug auf ſeine Entſtehungszeit dem ſyriſchen mindeſtens
gleich zu ſtellen ſein. Die älteſte Recenſion aus dem achten Jahrhundert
enthält die aus einem Codex des Vatican nicht vollſtändig von Angelo
Mai abgedruckte, von Pitra nach einer Pariſer Handſchrift des Glos-
sarium Ansileubi ergänzte Bearbeitung15). Dieſer ſtehen am nächſten
zwei Berner Handſchriften, welche kleine Verſchiedenheiten von ihr dar-
bieten und von Cahier herausgegeben ſind16); verwandt hiermit ſind
die gleichfalls von Cahier verglichenen Handſchriften aus dem zehnten
(Brüſſel) und dreizehnten Jahrhundert (Paris). Einen andern nach Form
und Inhalt nur in untergeordneten Punkten abweichenden lateiniſchen
Phyſiologus nach einer Handſchrift des elften Jahrhunderts des Klo-
ſters Göttweih hat G. Heider veröffentlicht17). Hier wird wie in der
eben erwähnten Pariſer Handſchrift als Verfaſſer Johannes Chryſoſto-
mus genannt. Handſchriften dieſer letztern Bearbeitung ſind nicht ſelten.
V. Carus, Geſch. d. Zool. 8
[114]Die Zoologie des Mittelalters.
Ein kurzer metriſcher Auszug, in welchem nur zwölf Thiere be-
handelt werden, iſt der lateiniſche Phyſiologus eines gewiſſen Theo-
bald. Wer dieſer Theobald geweſen ſei, iſt nicht ſicher ermittelt. Häu-
fig heißt er Biſchof und wird, wie Pitra anführt, in Handſchriften
bald als Senensis bald als Placentinus bezeichnet. Sein Phyſiologus
iſt in Handſchriften vielfach verbreitet. In Folge des Umſtandes, daß
er ſich in einer Handſchrift aus dem dreizehnten Jahrhundert unter den
Schriften des Hildebertus Cenomanenſis vorfand, ſchrieb ihn deſſen
Herausgeber Beaugendre dem letztern zu und ließ ihn, wie er fälſch-
lich glaubte zum erſtenmale, in deſſen Werken (S. 173) mit ab-
drucken18). Man findet ihn indeſſen ſchon in Handſchriften aus dem
elften Jahrhundert (Britiſh Muſeum), während Hildebert der erſten
Hälfte des zwölften Jahrhunderts angehört. Es iſt daher auch eine
hiſtoriſche Unmöglichkeit, daß Theobald Erzbiſchof von Paris geweſen
ſei, wie Heider ihn nennt, da Paris zu jener Zeit nur Bisthum war
und Erzbisthum erſt 1622 wurde. Dieſer Theobald kann auch über-
haupt kein Pariſer Biſchof geweſen ſein, da der einzige Biſchof dieſes
Namens von 1143-1159 regierte. Thierfelder's Wink verdient
daher alle Beachtung, daß der Verfaſſer des Phyſiologus wohl der-
jenige Theobald geweſen ſein könne, welcher 1022-1035 Abt in
Monte Caſſino war. Von dieſem findet ſich dort noch eine Handſchrift
aus dem elften Jahrhundert, welche außer mehreren mediciniſchen Ab-
handlungen auch eine naturwiſſenſchaftliche de quadrupedibus et al-
tilibus in Verſen enthält19). Die Beſtätigung dieſer Vermuthung
würde freilich nur durch eine Vergleichung dieſer Handſchrift zu erhal-
ten ſein. Eine ziemlich genau dem Original ſich anſchließende Ueber-
ſetzung dieſes Theobaldſchen Phyſiologus in's Altengliſche iſt nach
einem Manuſcript aus dem Anfang des dreizehnten Jahrhunderts in
[115]Phyſiologus.
neuerer Zeit wiederholt abgedruckt worden20). Es ſind in derſelben nur
zwei Thiere (Hirſch und Fuchs) umgeſtellt; auch iſt hinter der Schil-
derung des Panthers, welche im lateiniſchen Original den Schluß bil-
det, noch außer dem vorher abgehandelten Turtur eine kurze Notiz:
natura columbae et significatio angehängt. Die Ueberſetzung entſtand
nach Morris im Süden von England21). Es iſt auch eine Nachah-
mung des Theobaldſchen Phyſiologus in altfranzöſiſchen Verſen vor-
handen22).
Von Ueberſetzungen des älteren Phyſiologus in andere neuere
Sprachen dürfte die althochdeutſche die älteſte ſein. Herausgegeben
ſind: ein Bruchſtück aus dem elften Jahrhundert, der vollſtändige Phy-
ſiologus in ungebundener Rede aus dem Anfang des zwölften Jahr-
hunderts (beides Wiener Handſchriften)23) und eine Bearbeitung des
Ganzen in Verſen nach einer Klagenfurter (früher Millſtadter) Hand-
ſchrift des zwölften Jahrhunderts24).
Der faſt vollſtändig erhaltene isländiſche Phyſiologus ſchließt
ſich zwar in vielen allgemeinen Beziehungen dem lateiniſchen und alt-
hochdeutſchen an, ſteht aber in Einzelheiten ziemlich ſelbſtändig da.
8*
[116]Die Zoologie des Mittelalters.
Eine Veröffentlichung deſſelben wäre in Rückſicht auf das große Inter-
eſſe, welches dieſes Stück altnordiſcher Litteratur fachlich und formell
darbietet, äußerſt wünſchenswerth25).
Von einem angelſächſiſchen Phyſiologus ſind leider nur
Bruchſtücke erhalten, Panther und Walfiſch vollſtändig und ein Frag-
ment vom Rebhuhn. Das Vorhandene weiſt ihn in die Reihe der üb-
rigen Bearbeitungen. Er iſt metriſch, ſchließt ſich aber nicht an Theo-
bald, ſondern an den ausführlicheren anonymen Phyſiologus an26).
Der Angabe des Herausgebers zufolge gehört der provença-
liſche Phyſiologus dem dreizehnten Jahrhundert an. Er ſteht zwar
ſeinem ganzen Inhalte nach nicht völlig iſolirt, nimmt aber doch durch
ſeine etwas abweichende Form den andern Bearbeitungen gegenüber
eine beſondere Stellung ein27). Auch fehlen ihm die Moraliſationen.
Schon früher war der Phyſiologus oder Beſtiarius in verſchiedne
altfranzöſiſche Dialekte überſetzt worden. Als älteſte Bearbeitung iſt
die metriſche normanniſche des Philippe de Thaun zu nennen,
welche 1121 verfaßt wurde und zwar im Ganzen ziemlich ausgeführt
iſt, aber doch den lateiniſchen, überhaupt älteren Formen ſehr nahe
ſteht28). Ziemlich hundert Jahre ſpäter (ungefähr 1210) brachte ein
andrer Troudère normand, Guillaume, auch clerc de Normandie
genannt, den Phyſiologus nochmals in Verſe 29). Faſt gleichzeitig mit
[117]Phyſiologus.
letzterem verfaßte ein Geiſtlicher aus der Picardie, Pierre, einen pro-
ſaiſchen Phyſiologus in der Sprache des Beauvoiſis30). Es werden
auch ſpäter franzöſiſche Umbildungen des lateiniſchen proſaiſchen Phy-
ſiologus angeführt, deren Abfaſſungszeit indeſſen unbekannt iſt. Auch
iſt ohne Kenntnißnahme der betreffenden Publicationen nicht zu ermit-
teln, in welchem Verhältniß dieſelben zum Original ſtehen31). Eigen-
thümlich iſt jener beſondere Zweig der Phyſiologus-Litteratur, bei wel-
chem die Deutungen der Thiere nicht chriſtlich allegoriſch-myſtiſch, ſon-
dern im Sinne eines ziemlich derben Minnedienſtes ausfielen. Hierher
gehört die Schrift des Richard de Fournival32).
Hiermit ſchließt die Reihe der eigentlichen Phyſiologi ab. Es fin-
den ſich zwar wie ſich zeigen wird in ſpäteren allgemein culturgeſchicht-
lichen oder ſpeciell zoologiſchen Schriften oder derartigen Theilen an-
derer Werke des Mittelalters hinreichende Beweiſe für den nachhaltigen
Einfluß der in dem Phyſiologus vertretenen Richtung. Die Dar-
ſtellung erhielt aber eine andere Form.
Nach dem Titel der kleinen Schrift ſollte man nun wie erwähnt
zunächſt eine allgemeine Naturgeſchichte erwarten, da ja auch ſowohl
die täglichen Erfahrungen auf Erſcheinungen der belebten wie der un-
belebten Natur hinwieſen, als auch die religiös-allegoriſche Betrachtung
aus dieſen allen Nahrung ziehen konnte. In der That enthalten die
älteren und vollſtändigeren Bearbeitungen neben den Thiergeſchichten
29)
[118]Die Zoologie des Mittelalters.
auch Schilderungen einzelner Steine ebenſo wie ſolche einiger Pflanzen.
Wie dieſelben aber an Zahl den aufgeführten Thieren in allen bekann-
ten Phyſiologen außerordentlich nachſtehen, ſo verſchwinden ſie in ſehr
vielen ganz oder es bleiben nur ganz beſtimmte übrig. Erſt wenn ſich
in den jüngſten Bearbeitungen die Auffaſſung etwas erweitert, der Phy-
ſiologus zu allgemeinen Naturſchilderungen zu verbreitern beginnt, er-
halten Pflanzen und Steine einen größeren Platz eingeräumt. Von
Pflanzen kommen vor: der indiſche Baum Peridexion, von deſſen
ſüßen Früchten ſich die Tauben ernähren und in deſſen Schatten ſie
vor dem ihnen nachſtellenden Drachen ſicher ſind33); der Feigenbaum;
die Mandragora; endlich (in dem leydner ſyriſchen Phyſiologus) Schier-
ling und Nieswurz. Unter den aufgeführten Steinen ſind die am
häufigſten vorkommenden: die feuerbringenden oder entzündlichen;
der eine derſelben iſt männlich, der andere weiblich; berühren ſich beide,
ſo entſteht ein ſtarkes Feuer34). Außer dieſen werden noch Eigenſchaf-
ten des Diamant, Achat, der Perlen und des „indiſchen Steins“ er-
wähnt. Der Achat dient beim Perlenfang. Der „indiſche Stein“ iſt
heilkräftig gegen die Waſſerſucht, eine Fabel, welche noch im 13. Jahr-
hundert bei den Kyraniden und Thomas von Cantimpré vorkommt.
Ausführlicher, zahlreicher und beſtimmter ſind die Thierſchilderungen.
Werden aus den oben aufgezählten Ausgaben der in verſchiedenen
[119]Phyſiologus.
Sprachen verfaßten Phyſiologen die Thiere nach der Häufigkeit ihrer Er-
wähnung angeordnet, ſo ergibt ſich folgende Reihe. 1. Säugethiere:
Panther, Sirenen (und Onocentauren), Antilope, Elefant, Löwe, Fuchs,
Biber, Hirſch, Igel, Einhorn, Hyäne, eine Delphinart, Säge genannt,
Ziege (Steinbock), Walfiſch, Wildeſel, Affe und Wieſel; 2. Vögel:
Adler, Charadrius, Nyktikorax, Pelikan, Phönix, Fulica, Rebhuhn,
Wiedehopf, Krähe (oder ſpäter Turteltaube), Strauß, Taube, Ibis,
Schwalbe; 3. Reptilien und Amphibien: Schlange, Hydrus,
Salamander, Viper, Lacerta ſolaris, Aspis; 4. Arthropoden:
Ameiſe. Außer dieſen 37 Arten werden noch einige vierzig andere, die
meiſten aber nur in einzelnen Bearbeitungen, ſelten in zweien oder
mehreren erwähnt. Als in den älteſten Phyſiologen vorkommend und
wegen ihrer eigenthümlichen Geſchichte intereſſant verdienen nur noch
der Ichneumon, die Turteltaube und der Ameiſenlöwe eine Erwähnung.
Schon die eigenthümliche Auswahl, welche die eben aufgezählten
Thiere darbieten, führt zu der Annahme, daß es ſich hier um gewiſſe,
nicht willkürlich aus der ganzen Thierwelt herausgegriffene Arten han-
delt. Der erſte Schriftſteller, welcher hier wohl entſchieden das Rich-
tige traf, war Tychſen, wenn auch der Beweis für ſeine Meinung
nicht Stich hält. Er nannte in ſeiner Ausgabe des ſyriſchen Phyſiolo-
gus denſelben: „Geſchichte der in der Bibel erwähnten Thiere“ und
führt dazu den Umſtand an, daß bereits von Origenes der Phyſiologus
als „älteſter Schriftſteller über die Thiere der Bibel“ angezogen ſei35).
Origenes will aber nur die betreffende Stelle durch einen Hinweis
auf einen Naturkundigen im Allgemeinen erklären36); und es iſt wohl
kaum anzunehmen, daß zu ſeiner Zeit eine beſondere Naturgeſchichte
der Bibel entſtanden ſei. Auch Epiphanius ſagt 37)bei Erwähnung
[120]Die Zoologie des Mittelalters.
der Eigenſchaften der Schlangen: „wie die Naturkundigen ſagen (ὥς
φασιν οἱ φυσιολόγοι)“.
Für die Anſicht, daß der Phyſiologus urſprünglich nur Thiere der
Bibel enthalten habe, ſpricht zunächſt der Umſtand, daß in den ein-
facheren älteren Formen deſſelben, z. B. dem ſyriſchen, jede Moraliſa-
tion fehlt, dagegen bei der Mehrzahl der Thiere eine Bibelſtelle citirt
oder wenigſtens durch einen allgemeinen Hinweis erwähnt wird, wie:
„das Geſetz ſagt“, oder „Johannes, Salomon, David
führt an“ u. ſ. w.
Faſt möchte man an einen bibelkundigen Verfaſſer denken, wenn es in
einzelnen Fällen heißt: „der Phyſiologus ſagt vom Vogel Ibis, daß er
nach dem Geſetz ein unreiner Vogel ſei“38). Dies iſt indeß ſicher nicht
die urſprüngliche Form, in welcher der betreffende Abſchnitt auftrat,
ſondern wahrſcheinlich eine durch einen ſpätern Ueberſetzer hineinge-
brachte Redeweiſe. Einen weiteren Beweis für die bibliſche Herkunft
der Thiere im Phyſiologus ergibt die Thatſache, daß ſie faſt ſämmtlich
auf Bibelſtellen zurückgeführt werden können. Hierdurch wird vor
Allem die merkwürdige Zuſammenſtellung erklärt.
Nun enthält aber das von den Thieren Ausgeſagte nicht etwa eine
vollſtändige Naturſchilderung, ja nicht einmal das die Arten vorzüg-
lich Charakteriſirende, ſondern entweder einen durch die betreffende
Bibelſtelle direct dargebotenen Zug aus der Lebensgeſchichte des Thie-
res, welcher ſich durch naturgeſchichtliche Schriftſteller des Alterthums
beſtätigen läßt, oder irgend eine Erzählung, welche, wenn ſie nur eini-
germaßen mit dem über das Thier ſonſt Bekannten zu vereinigen iſt,
der allegoriſchen Deutung eine bequeme Handhabe darbieten konnte.
Dieſe letztere ſteht in den älteren Formen, z. B. dem griechiſchen Phy-
ſiologus, noch ſelbſtändig der naturgeſchichtlichen Notiz gegenüber,
drängte aber in den ſpätern Bearbeitungen das eigentlich „Phyſiolo-
giſche“ immer mehr in den Hintergrund. Wie ſehr dieſe Allegorien und
37)
[121]Phyſiologus.
Moraliſirungen im Charakter der erſten chriſtlichen Zeiten lagen, be-
weiſt nicht bloß die reiche ſymboliſche Litteratur, welche von der „Clavis“
des heiligen Melito vom Ende des zweiten Jahrhunderts beginnend
(von Pitra zuerſt herausgegeben) ſich immer ausgebreiteter entwickelte
und zu welcher ſelbſt Männer wie Hrabanus Maurus ſelbſtändig bei-
trugen, hauptſächlich in Hinblick auf die in ihr liegende Förderung zum
wirkſamen Predigen, ſondern vorzüglich auch der ausgedehnte Gebrauch,
welchen die bildenden Künſte von den dargebotenen Symbolen machten.
Es braucht hier beiſpielsweiſe nur an die eine Thatſache erinnert zu
werden, wie ſehr der heilige Bernhard über die übermäßigen Verwen-
dungen von Thiergeſtalten bei Verzierung der Kloſtergebäude und Kir-
chen ſich ereiferte. Die Thierſymbolik überhaupt und beſonders nach
dieſer Richtung hin zu verfolgen, iſt indeß hier nicht der Ort39).
Indem nun rückſichtlich der Darſtellungsweiſe in den Phyſiologis
auf die oben angeführte Litteratur verwieſen wird, ſoll zunächſt der
Verſuch gemacht werden, für die wichtigſten Thiere in der erwähnten
Reihenfolge die betreffenden Bibelſtellen, ſowie die Quellen für die
mitgetheilten Züge aus der Lebensgeſchichte der Thiere nachzuweiſen.
Es wird ſich dabei, wie ſchon hier bemerkt werden mag, herausſtellen,
daß ſowohl für den Phyſiologus als für die Bibelüberſetzungen noch
ältere Zeugniſſe fehlen.
Vom Panther wird erzählt, daß er bunt ſei, nach der Sätti-
gung drei Tage ſchlafe, dann mit Gebrüll erwache und einen ſo ange-
nehmen Geruch von ſich ausgehen laſſe, daß alle Thiere zu ihm kom-
men. Nur der Drache iſt ſein Feind. Ausdrücklich wird angeführt, der
Prophet ſage: „ich werde wie ein Löwe ſein dem Hauſe Juda und ein
Panther dem Hauſe Ephraim“. Dies iſt die griechiſch-alexandriniſche
Ueberſetzung der Stelle Hoſea 5, 14. Die Buntheit des Panthers
(auch Pardalis) erwähnt Ariſtoteles (de gener. anim. 5, 69), den
Geruch, der andern Thieren angenehm iſt, derſelbe (hist. anim. 9, 43)
und Spätere (ſo Aelian, hist. anim. 5, 40). Der dreitägige Schlaf
[122]Die Zoologie des Mittelalters.
ſowie die Feindſchaft mit dem Drachen ſcheinen ſelbſtändige Zuſätze
Späterer zu ſein.
Die Sirenen und Onocentauren ſind gleichfalls durch die
griechiſch-alexandriniſche Bibelüberſetzung in den Phyſiologus gekom-
men, da dieſelbe bei mehreren Stellen, z. B. Micha 1, 8, Hiob 33, 29,
Jeſaja, 13, 22 und 34, 11, wo im Original entweder Strauß oder
Walthier oder Steine erwähnt werden, die betreffenden Worte mit
Sirenen oder Onocentauren wiedergibt. Die bekannte Fabel von die-
ſen widernatürlichen Miſchweſen erwähnen viele alte Autoren, bei-
ſpielsweiſe Aelian 17, 9 und 17, 22.
Schwieriger iſt es, den Urſprung der Antilope im Phyſiologus
nachzuweiſen. Zunächſt fällt ſchon die Verſchiedenheit der Namen auf.
Bei Epiphanius heißt das Thier Urus, bei den übrigen griechiſchen
Phyſiologus-recenſionen Hydrops oder Hydrippus. Im Hexameron
des Euſtathius wird es Antholops genannt und aus dieſer letzteren
Form iſt dann die Reihe allmählich immer mehr verſtümmelter Namen
entſtanden, welche ſich in den armeniſchen, lateiniſchen, deutſchen und
franzöſiſchen Phyſiologis finden, nämlich Utolphocha und Tolopha (ar-
meniſch), Antalops, Autolops, Autula, Aptalon, Aptalops. Hierher
gehört wohl auch die Form des Namens im ſyriſchen Phyſiologus:
Rupes. Sicher iſt, daß dieſe verſchiedenen Namen das Thier bezeich-
nen ſollen, welches im hebräiſchen Original Jachmur heißt und 5. Moſe
14, 5 unter den reinen Thieren angeführt wird. Denn dieſelbe Ge-
ſchichte, daß es ein großes ochſenähnliches Thier ſei mit ſägeförmigen
Hörnern, welches am Euphrat (oder am Meere) ſeinen Durſt löſcht
und dann dort mit den Hörnern in den Zweigen eines (zuweilen be-
nannten) Gebüſches verwickelt ſich fangen laſſe, erzählen ganz ähnlich
Damiri und Kazwini von dem arabiſchen Jamur, wie Bochart her-
vorhebt40). Weder die griechiſch-alexandriniſche Ueberſetzung
noch die
Vulgata, deren beider Worte ſonſt genau im Phyſiologus beim Anfüh-
ren von Bibelſtellen wiedergegeben werden, kennen einen Antholops oder
Urus. Talmudiſten und auch Tychſen halten das Thier ebenſo ohne
[123]Phyſiologus.
Grund für den Dammhirſch, wie Berger de Xivrey für das
Elenn41). Da mehrere andere Züge im Phyſiologus auf eine Ent-
ſtehung deſſelben in Alexandrien unter der Wirkung nicht mehr (oder
noch nicht) nachzuweiſender koptiſcher Einflüſſe hinweiſen (vergl. unten
die Artikel Wildeſel und Phönix), ſo liegt der Gedanke nahe, auch hier
der Andeutung Bochart's zu folgen42) und das Wort Antholops
auf das koptiſche Pantholops zurückzuführen, was an der erwähnten
Stelle (und an andern, z. B. 1. Könige, 4, 23) für das, auch von
der ſyriſchen Peſchito beibehaltene, Jachmur gewählt ſein dürfte. Das
Naturgeſchichtliche iſt auf beſtimmte Angaben älterer Autoren nicht zu-
rückzuführen, ſondern iſt aus Einzelheiten zuſammengeſetzt, welche an
Factiſches anknüpfend in's Fabelhafte erweitert ſind.
Für den Elefanten brauchen keine bibliſchen Citate angeführt
zu werden; ſeine Erwähnung im alten und neuen Teſtamente iſt zwei-
fellos43). Das Naturgeſchichtliche, was der Phyſiologus von ihm an-
gibt, ſetzt ſich aus mehreren Angaben zuſammen. Daß er die Kniee
nicht beugen kann (daher ſtehend ſchläft) erwähnen Strabo, Diodor,
Aelian, Solinus, Agatharchides (nach Ariſtoteles, hist. anim. 2, 5
ſoll er ſich nur nicht zugleich auf beide Beine niederlaſſen können, wes-
halb er ſich auf die eine oder die andere Seite neige). Die Mandra-
gora (die Dudaim der Lea) wird allerdings bei andern Autoren nicht
ſo wie im Phyſiologus direct mit der Fortpflanzung des Elefanten in
Beziehung gebracht. Dagegen erwähnt Aelian (8, 17) ſeine Begattung
und ſeine Schamhaftigkeit. Auch der Feindſchaft zwiſchen Elefant und
Drachen gedenkt Aelian (6, 21).
Die Schilderung des Löwen, von dem gleichfalls mehrere „Na-
[124]Die Zoologie des Mittelalters.
turen“ erwähnt werden, wird meiſt mit einem Hinweis auf 1. Moſe
49, 9 eingeleitet. Die Einzelheiten aus ſeinem Leben ſind indeß wie die
aus dem Leben des Elefanten Ausſchmückungen einfacherer älterer
Angaben. So wird geſagt, daß der junge Löwe nach der Geburt drei
Tage wie todt ſei, bis am dritten Tage ſein Vater kommt, ihm in's
Geſicht bläſt und ihn dadurch belebt. Hierfür wird in der angehängten
Moraliſation noch 4. Moſe 24, 9 angeführt (ein junger Löwe, wer
wird ihn erwecken?). Thatſächlich führt aber Ariſtoteles nur an, daß
der Löwe zu den Säugethieren gehöre, welche wie der Fuchs und Bär
faſt ungegliederte Junge gebären44); hierin folgt ihm Plinius (8, 45).
Statt der Angabe des Phyſiologus, daß der Löwe während des
Schlafs mit den Augen wache45), erzählt
Aelian (5, 39), daß er während des
Schlafes ſogar den Schwanz bewege. Nur die Liſt, beim Bemerken des
Jägers die Spur zu verwiſchen, wird, freilich auch nicht ganz in der-
ſelben Weiſe, aber doch dem Sinne nach übereinſtimmend von Aelian
erzählt (hist. anim. 9, 30).
Häufig wird in der Bibel der Fuchs erwähnt. Was der Phyſio-
logus von ihm erzählt, daß er ſich wenn er hungert todt ſtellt, um Vögel
zu fangen, findet ſich im Oppian (Halieutika, 2, V. 107-119),
welcher es jedenfalls aus älteren Quellen oder Volkserzählungen auf-
nahm46).
Auf welche Stelle der Bibel ſich die Erwähnung des Bibers
[125]Phyſiologus.
im Phyſiologus gründet, iſt nicht ſicher nachzuweiſen, da in keiner der
erhaltenen Ueberſetzungen dieſer Name vorkommt. Die einzige Erklä-
rung würde, wenn ſich die Deutung auf frühere Quellen zurückführen
ließe, die Ueberſetzung des hebräiſchen Anaka mit Biber darbieten, wie
ſie, Kimchi zufolge, Rabbi Schalomon gibt47). Die Geſchichte, welche
der Phyſiologus von ihm vorbringt, daß er wenn er ſich verfolgt ſieht
ſeine Teſtikel abbeißt und den Jägern hinwirft, welche ihn dann ruhig
ziehen laſſen, wird von mehreren alten Schriftſtellern erzählt, ſo von
Plinius (8, 109), Aelian (6, 34), Solinus (13, 2), Horapollo
(2, 65).
Vom Hirſch wird in mehrfachen Abänderungen erzählt, daß er
der Schlange Feind ſei, ſie aus ihrer Höhle hervortreibe und tödte und
daß er dann zur Waſſerquelle gehe, um des Giftes ledig zu werden.
Man bezieht ſich dabei meiſt auf den Anfang des 42. Pſalms. Eine
ſolche Beziehung zwiſchen Hirſch und Schlange ſcheint im Alterthume
mehrfach angenommen worden zu ſein. Dies geht aus Stellen hervor,
wie Aelian 2, 9 und 8, 6, Lucrez 6, V. 766; Martial 12, Ep. 29.
Der Igel, zu deſſen Erwähnung wohl Jeſajas 14, 23 Veran-
laſſung gegeben hat, iſt nicht ohne Bedeutung, da die Art, wie er an-
geführt wird, auf die Heimath des Phyſiologus einiges Licht wirft.
Wenn nämlich der griechiſche Phyſiologus, ſowie Euſtathius im Hexae-
meron die Stacheln des Igels mit den Stacheln des Seeigels vergleicht,
um die Beſchreibung anſchaulicher zu machen, ſo ſetzt dies jedenfalls
beim Leſer nahe Bekanntſchaft mit Seethieren voraus. Und dieſe läßt
ſich doch nur in einem Küſtenlande erwarten. Was übrigens der Phy-
ſiologus vom Igel mittheilt, daß er auf Weinſtöcke ſteigt, die Beeren
löſt und dieſe dann auf ſeine Stacheln ſpießt, führt ſchon Aelian an
(3, 10), nur daß er ſtatt der Beeren Feigen als die Frucht bezeichnet.
Das an mehreren Stellen der Bibel erwähnte Einhorn wird
von mittelalterlichen Schriftſtellern noch bis in das 15. Jahrhundert
ſo geſchildert, wie es der Phyſiologus thut. Die Erzählung, daß das
[126]Die Zoologie des Mittelalters.
ſonſt unzähmbar wilde Thier ſich einer reinen Jungfrau in den Schooß
lege, ſanft werde und einſchlafe, wo es dann von Jägern gefangen oder
getödtet wird, findet ſich bei Euſtathius, Iſidor von Sevilla, Petrus
Demiani, u. A. Bei Autoren des Alterthums iſt ſie nicht zu finden.
Nach Bochart48) iſt die Sage nur Uebertragung einer ſich z. B. bei
Aelian (16, 20) findenden Geſchichte, daß das Einhorn während der
Brunftzeit zahm werde und ſanft mit ſeinem Weibchen lebe. Was das
Einhorn für ein Thier ſei, ob der „indiſche Eſel“ wie bei Ariſtoteles,
oder ein hirſchartiger Wiederkäuer, lag dem Phyſiologus fern. Bei
Späteren wird es zum Rhinoceros.
Auch der die Hyäne betreffende Abſchnitt weiſt auf die Ent-
ſtehungsweiſe des Phyſiologus hin. Die griechiſche Bearbeitung deſ-
ſelben führt nämlich die Stelle Jeremiah 12, 9 mit den Worten der
griechiſch-alexandriniſchen Ueberſetzung an; der lateiniſche Phyſiologus
folgte dieſer, während die Vulgata anders überſetzt hat49). Daß die
Hyäne ihr Geſchlecht abwechſelnd verändere und bald männlich bald
weiblich ſei, weiſt ſchon Ariſtoteles als unrichtig zurück (de gener.
anim. 3, 6, 68); Aelian erzählt es aber wieder (1, 25). Nach Cle-
mens Alexandrinus ſoll ſich die Unreinheit des Thieres hierauf grün-
den. Er bezieht ſich dabei, wie der ſyriſche und die lateiniſchen Phyſio-
logi auf 5. Moſe 14, 7. Das dort erwähnte Thier iſt aber nicht
Hyäne, ſondern nur von der griechiſch-alexandriniſchen Ueberſetzung
dahin gebracht.
Die in den meiſten Bearbeitungen des Phyſiologus vorkommende
Serra iſt eine Delphinart, von welcher hier etwas erzählt wird, was
in ganz übereinſtimmender Weiſe Plinius vom Delphin ſelbſt an-
führt (9, 24)50). Auf welchem Wege das Thier in den Phyſiologus
[127]Phyſiologus.
unter einem Namen gekommen ſein mag, welcher kaum mit Sicherheit
auf eine beſtimmte Art zu beziehen iſt, iſt trotz der großen Ueberein-
ſtimmung zweifelhaft. Daſſelbe Thier wird auch in den Commentaren
zu dem Sechstagewerk der Schöpfung erwähnt (z. B. Euſtathius);
auch wird hier gleichfalls angegeben, daß es mit erhobenen Schwingen
(oder Floſſen) mit voll unter Segel gehenden Schiffen gewiſſermaßen
wettſchwimme, bis es ermüdet umkehre. An die Echeneis kann wohl
ebenſo wenig gedacht werden, als an die Argonauta.
Die Schilderung des Steinbockes (caprea, dorcas oder
dor-
con gr.), welcher in der Bibel an mehreren Stellen erwähnt wird,
ſchließt ſich am meiſten an Hohes Lied 8, 14. Auf ſein ſcharfes Geſicht
weiſen ſchon ältere Etymologien ſeines griechiſchen Namens, von wel-
chem alſo auch wahrſcheinlich die Deutung ausgieng. Plinius ſagt
gar, daß er ſelbſt des Nachts ſähe (28, 11).
Die Sage von einem großen Walfiſch findet ſich mit den beiden
im Phyſiologus erwähnten Zügen bei Baſilius und
Euſtathius
gelegentlich des Schöpfungsberichtes51), die gleich zu erwähnende Ge-
ſchichte von der Inſelbildung ſchon bei Nearchus, dem Zeitgenoſſen
Alexander's des Großen52). Sie wird von allen Bearbeitungen des
Phyſiologus wiedergegeben mit Ausnahme der ſpäteren lateiniſchen und
der althochdeutſchen, vielleicht weil am Entſtehungsorte dieſer eine Be-
kanntſchaft mit dem Meere und ſeiner Bewohner kaum vorausgeſetzt
werden konnte. Der Walfiſch ſoll ſo groß werden, daß er mit dem
Rücken aus dem Waſſer emporragend von den Schiffern für eine Inſel
[128]Die Zoologie des Mittelalters.
gehalten wird. Dieſe befeſtigen ihr Schiff an ihm, zünden Feuer auf
ihm an und werden dann, wenn dem Thiere die Gluth fühlbar wird,
in die Tiefe hinabgezogen. Hungert der Walfiſch, ſo ſperrt er den
Rachen auf und durch den ſüßen Geruch, der von ſeinem Munde aus-
geht, werden Maſſen kleiner Fiſche herbeigelockt, die er verſchluckt. Die
Bibelſtelle, auf welche man ſich in Bezug auf die Erwähnung der As-
pidochelone beruft, iſt Hoſea 12, 12, wo aber wie in mehreren andern
Fällen das betreffende Wort erſt durch die griechiſch-alexandriniſche
Ueberſetzung hineingekommen iſt53). Und ſchon der Umſtand, daß die
genannten Kirchenväter des Thieres bei der Schöpfung der Waſſer-
thiere Erwähnung thun, weiſt darauf hin, daß es nur eines äußern
Anhaltes bedurfte, um eine verbreitete Sage, an welche ſich treffliche
Moraliſationen knüpfen ließen, in den Phyſiologus zu bringen. Dieſen
fand man dann wohl in der erwähnten Stelle, obſchon die Sage ſelbſt
in ihrem Urſprung nicht aufzuklären iſt. Wie ſo viele andere im Phy-
ſiologus erwähnte Sagen gieng auch dieſe zu den Arabern, wo ſie ſich
bei Damiri, Kazwini u. ſ. w. findet.
Der Wildeſel wird an mehreren Stellen der Bibel als Bild un-
gezähmter Wildheit erwähnt, ſo Hiob 24, 5; 39, 5; Jeſaias 32, 14 und
an andern Orten. Der Phyſiologus erzählt zunächſt von ihm (griechiſch,
altfranzöſiſch, äthiopiſch), daß er die neugebornen Männchen aus Eifer-
ſucht kaſtrire. Dies berichtet Plinius (8, 108) und nach ihm So-
linus (27, 27; p. 136), ferner Oppian (Cyneget. 3, 205), wäh-
rend Ariſtoteles (de mirabil. auscult. cap. 9) daſſelbe von ſyriſchen
Pferden erzählt. Ferner wird aber noch angegeben (ſämmtliche Bear-
beitungen, wo der Onager erwähnt wird), daß er am 25. März zwölf-
mal in der Nacht und zwölfmal am Tage brülle, um die Tagundnacht-
gleiche anzuzeigen. Hierbei iſt nun merkwürdig, daß in den älteren
Recenſionen (bis zum 11. Jahrhundert ungefähr), beſonders der grie-
chiſchen und den früheren lateiniſchen, der gebrauchte Monatsname
koptiſch iſt, Faminoth, während ſpäter dafür der früher nur zuweilen
[129]Phyſiologus.
als Erklärung beigefügte Name März eintritt. Die einzige Stelle der
Bibel, wo mit dem Onager eine Hinweiſung auf eine Zeit vorkommt,
iſt Jeremias 2, 24. Wo der Monatsname (an der erwähnten Stelle
heißt es nur „Monat“) und gar der koptiſche herkommt, iſt vorläufig
unerklärt54).
Der Affe wird im Phyſiologus zweimal angeführt, einmal nur
als Allegorie (der Schilderung des Onager meiſt angeſchloſſen) und
zwar die ungeſchwänzte Form des Pithekus (ſo in den meiſten älteren
Bearbeitungen und der isländiſchen); dann in den ſpäteren Recenſio-
nen, um ſeine Jungenliebe zu erwähnen, in einer Weiſe, wie es ähnlich
ſchon Plinius und Solinus (27, 57) thun.
Mit dem Wieſel iſt eine eigenthümliche Verwechſelung vorge-
gangen. Es wird 3. Moſe, 11, 29 und an andern Stellen erwähnt55).
Ariſtoteles weiſt (de gener. anim. 3, 6, 66) ausdrücklich die Annahme
zurück, daß das Wieſel ſeine Jungen durch das Maul zur Welt bringe.
Es wird aber von den griechiſchen, ſyriſchen, lateiniſchen und altfran-
zöſiſchen Phyſiologis gerade umgekehrt angegeben (wie auch von den
arabiſchen Schriftſtellern ſpäterer Zeit), daß das Wieſel ſich mit dem
Mund begatte und durch das Ohr gebäre. Eine pariſer Handſchrift
eines lateiniſchen Phyſiologus bezeichnet dies allerdings als falſch;
doch wird ſonſt kein Zweifel ausgedrückt. Da das Wieſel meiſt mit der
Schlange Aspis zuſammen genannt wird, ſo hat vielleicht die von der
Viper erzählte Geſchichte auf die Darſtellung des Vorgangs beim Wieſel
unwillkürlich Einfluß gehabt. Doch iſt auch eine alte Verwechſelung
zwiſchen dem Wieſel (γαλὴ) und einem Hai (γαλέος) möglich.
V. Carus, Geſch. d. Zool. 9
[130]Die Zoologie des Mittelalters.
Die übrigen nur ein- oder wenigemale erwähnten Säugethiere
hier durchzugehen, würde zu weit führen, obſchon ſich auch bei ihnen
manche Nachweiſe auf die verſchiedenen den Bearbeitungen des Phy-
ſiologus zu Grunde liegenden bibliſchen Texte ergeben.
Unter den Vögeln wird am häufigſten der Adler genannt. Man
hatte hier die Verjüngung im Auge, wie ſie Pſalm 103, 5 im Allge-
meinen, oder Jeſajas 40, 36 in Bezug auf das Wiederwachſen der
Federn erwähnt wird. Daneben wird auch das im Alter eintretende
hakenförmige Ueberwachſen des Oberſchnabels angeführt, deſſen bereits
Ariſtoteles (hist. anim. 9, 117), Plinius (10, 3), Antigonus Ca-
ryſtius (cap. 52) gedenken. Das dreimalige Untertauchen in eine reine
Quelle zum Zwecke der Verjüngung iſt eine chriſtlich-allegoriſche Zu-
that des Phyſiologus.
Daß der Charadrius durch den bloßen Blick heile, iſt im Alter-
thum auf eine Krankheit, die Gelbſucht, beſchränkt geweſen; es wird
bei Plinius vom Icterus, bei Aelian vom Charadrius erzählt. Die
Erweiterung der Fabel lag nahe. Der Name des Vogels rührt von der
griechiſch-alexandriniſchen Ueberſetzung her56).
Aus der gleichen Quelle iſt auch der Nyktikorax an mehrere
Stellen gekommen, ſo 3. Moſe 11, 17, 5. Moſe 14, 15 und Pſalm
102, 7. Schilderungen wie die bei Ariſtoteles (hist. anim. 9, 122)
lagen der kurzen Notiz, daß er die Nacht (und die Dunkelheit) mehr als
den Tag liebe, zu Grunde.
Die ſo vielfach verwendete Sage vom Pelikan, welcher ſeine
Jungen mit ſeinem eigenen Blute nähren ſoll, iſt wohl, wie ſchon
Ponce de Leon anführt, aus mehreren verſchiedenen Quellen zuſam-
mengetragen. Die Liebe zu ſeiner Brut wird von mehreren Schrift-
ſtellern des Alterthums erwähnt. Die Ernährung der Jungen mit
Blut findet ſich bei Horapollo vom Geier erzählt (ed. Leemans, p. 17).
Der Name des Pelikan kommt an mehreren Stellen der griechiſch-
[131]Phyſiologus.
alexandriniſchen Bibelüberſetzung vor; z. B. Pſalm 102, 7 (Luther:
Rohrdommel)57).
Daß der Phönix tauſend Jahre und länger lebe (weil er nicht
vom Baume der Erkenntniß gegeſſen habe), führen ſchon alte Commen-
tatoren zur Geneſis an (ſ. Bochart) und bringen damit die Stelle
Hiob 29, 18 in Verbindung. Die bekannte Sage von ihm findet ſich
bereits bei Herodot (2, 73), welcher indeß die Verbrennung nicht er-
wähnt. Nach ihm erzählt ſie Plinius (10, 2), welcher aber an einer
andern Stelle (29, 29) ſeiner Aſche gedenkt. Wichtig iſt für die Ent-
ſtehungsgeſchichte des Phyſiologus, daß auch hier in allen älteren
Bearbeitungen der Name des Monats, in welchem der Phönix in ſein
Neſt kommt um ſich zu verbrennen, der koptiſche iſt, und zwar wie
beim Onager Faminoth.
In Bezug auf das Rebhuhn gab Jeremias 17, 11 die Anknü-
pfung. Die Erzählung, daß das Rebhuhn fremde Eier ausbrüte und
dann von den Jungen verlaſſen wird, gründet ſich wohl auf die Beob-
achtung, daß manche Vögel fremde Eier brüten, beſonders wenn das
Neſt, wie hier, am Boden liegt. Die etwas ausgeſchmückte Verwen-
dung ſolcher Erzählungen, wie ſie Antigonus Caryſtius, Cap. 45, gibt,
iſt ziemlich deutlich.
Der Wiedehopf ſteht im Phyſiologus als erläuterndes Bei-
ſpiel des vierten Gebotes (2. Moſe 20, 12). Seine Liebe zu den Eltern
wird von Aelian (hist. anim. 10, 16) und ausführlicher Horapollo
(1, 55 ed. Leemans, p. 54) erzählt.
9*
[132]Die Zoologie des Mittelalters.
Im griechiſchen Phyſiologus wird ſowohl von der Krähe als
von der Turteltaube rühmend erwähnt, daß ſie nach dem Tode
ihres Männchens den Witwenſtand bewahre und eheliche Treue ſelbſt
nach dem Tode noch halte. Für die Krähe wird Jeremias 3, 2 ange-
führt58). Von der Turteltaube wird noch unter Bezugnahme auf Hohe-
lied 2, 12 erzählt, daß ſie die Einſamkeit liebe. Die Keuſchheit und
Treue der Tauben wird ſchon von Ariſtoteles (hist. anim.9, 53 und
56) und Aelian (hist. anim. 3, 44) erwähnt, während letzterer (3, 9)
Treue und Bewahrung des Witwenſtandes der Krähe beilegt. Im
ſyriſchen Phyſiologus (Tychſen) finden ſich beide Thiere, indeß die Tur-
teltaube nur als ein die Einſamkeit liebender Vogel. Wo in ſpäteren
Bearbeitungen der Turtur vorkommt, wird ihm unter Anführung der
Stelle aus dem Hohenlied die Treue der Witwe nachgerühmt, ohne die
aus dieſer Stelle entnommene Eigenſchaft zu erwähnen. Es iſt hier
alſo durch die Aehnlichkeit der den beiden Thieren beigelegten Eigen-
ſchaften veranlaßt eine Verwechſelung eingetreten, in Folge deren die
Krähe ſpäter ganz ausfiel. Daß dieſe Verwechſelung dadurch entſtan-
den ſei, daß man ſtatt Turteltaube „ſchwarze Taube“ ſagte, liegt zu
weit ab59).
Die Fulica der lateiniſchen und ſpäteren Phyſiologen iſt ur-
ſprünglich ein anderes Thier, als etwa die jetzige Gattung dieſes Na-
mens, nämlich das hebräiſche Chaſida. Der griechiſch-alexandriniſche
Ueberſetzer hat Erodios. Daher erzählt ſowohl der griechiſche als ſyriſche
Phyſiologus, daß der Erodius ein äußerſt kluger60) Vogel ſei, welcher
[133]Phyſiologus.
nicht umherſchweift, keine Leiche anrührt, ſondern an dem Orte ſeines
Aufenthalts ſeine Nahrung finde. Aber ſchon Auguſtinus folgte einem
Ueberſetzer, welcher entweder Chaſida oder Erodius mit Fulica wieder-
gab. In allen ſpäteren Phyſiologen wird daher das eben Mitgetheilte
von dieſem Vogel aufgeführt61).
Durch ähnliche Wandlungen hat der Strauß in den Phyſiolo-
gen eine Stelle gefunden. Auch er wird auf Chaſida zurückgeführt.
Die im griechiſchen Phyſiologus erwähnte Vergeßlichkeit in Bezug auf
ſeine Eier, welche hier mit ſeiner Gefräßigkeit allein als Eigenſchaft
aufgezählt wird, gründet ſich auf die Schilderung in Hiob 39, 13-14.
Daß er am Himmel ſeine Zeit erſieht, oder wie es die ſpätern Phyſio-
logen erweitern, auf den Aufgang der Sterne Vigiliae warten, um ſeine
Eier zu legen, bezieht ſich auf Jeremias 8, 9, wo der griechiſch-alex-
andriniſche Ueberſetzer das hebräiſche Wort geradezu aufnimmt als
Aſida, während Hieronymus hier wie an andern Stellen milvus über-
ſetzt62).
Von den oft in der Bibel erwähnten Tauben gründet ſich die
eine Angabe, daß unter den verſchiedenfarbigen Arten nur eine gold-
farbige zum Neſte eingelaſſen wird, wahrſcheinlich auf Angaben, wie
ſie bei Aelian, 4, 2, vorkommen. Das Verhalten des Habichts gegen
die Taube, welches Ariſtoteles (hist. anim. 9, 129) allgemein ſchil-
dert, iſt in einer (wie Tychſen erwähnt auch bei Hieronymus zu fin-
denden) Weiſe hier ſpeciell ausgeführt.
Unter den übrigen Vögeln, welche einzeln noch genannt werden,
[134]Die Zoologie des Mittelalters.
ſind einige für die beſondere Geſchichte der Phyſiologus-Bearbeitungen
dadurch von Intereſſe, als ſie aus früheren Verwechſelungen ſelbſtän-
dig ſich löſende Bilder darſtellen, wie z. B. Storch und Weihe, zwei
Vögel, welche in den früheren Bearbeitungen unter Fulica und Strauß
mit einbegriffen waren. Merkwürdig iſt, daß der im armeniſchen Phy-
ſiologus vorkommende Vogel Zeraham im altfranzöſiſchen des Pierre
Picard als „indiſcher Vogel“ wiedererſcheint. Daß endlich in letztge-
nannter Bearbeitung auch die Baumgans vorkommt, ſpricht für das
Volksthümliche dieſer Sage.
Unter den Reptilien werden die Schlangen am häufigſten an-
geführt. Von den vier Eigenſchaften derſelben iſt die erſte die Häutung,
welche ſich an ältere Angaben, freilich ausgeſchmückt anſchließt (z. B.
Ariſtoteles, hist. anim. 9, 113, Aelian 9, 13 u. a.). Zu zweit wird
erzählt, daß die Schlange ihr Gift ablegt, ehe ſie trinkt. Dies iſt nur
noch bei Kirchenvätern zu finden; auf welche ſonſtige Angabe ſich dies
etwa gründen könnte, iſt nicht ermittelt. Ferner ſoll die Schlange nur
den bekleideten Menſchen angreifen, den nackten dagegen fliehen, eine
Schilderung, die ſich bei Epiphanius gerade umgekehrt findet. Ob ſich
dies mit der Sage von den Pſyllen in Verbindung bringen läßt, wie
es Ponce de Leon thut, iſt zweifelhaft. Noch Damiri erzählt es. End-
lich ſoll die Schlange, wenn ſie verfolgt wird, den Kopf verbergen und
den ganzen übrigen Körper Preis geben. Hierfür führt Ponce de Leon
eine Stelle des Iſidorus an, wo er ſich auf Plinius beruft63).
Von den Schlangen im Allgemeinen wird die Viper getrennt und
von ihr erzählt, was ſich ſchon bei Herodot 3, 109 findet. Bei der Be-
gattung ſoll die weibliche Viper der männlichen, welche ihren Kopf in den
Mund der erſtern ſtreckt, letzteren (bei Herodot den Hals ed. Baehr II.
p. 214) abbeißen (vergl. das oben beim Wieſel Geſagte). Das Weibchen
ſoll indeſſen auch bald ſterben, indem die Jungen die Geburt nicht er-
warten, ſondern die Eingeweide ihrer Mutter zerfreſſen, um nach außen
[135]Phyſiologus.
zu gelangen. Daß der Kopf des Männchens in den Mund des Weib-
chens gebracht wird, ſagen auch Plinius (10, 62), Aelian (1, 24),
Galen (de theriaca cap. 9); daß das Weibchen den Kopf abbeißt führt
noch Horapollo an (2, 59. ed Leemans p. 84), von den Phyſiologen
nur der althochdeutſche; alle übrigen dagegen ſagen, daß das Weibchen
dem Männchen die Genitalorgane abbeiße. Antigonus Caryſtius er-
zählt (Cap. 25), daß die Jungen im Mutterleibe die Mutter durch
Auffreſſen der innern Theile tödten, was Ariſtoteles (hist. anim.
5, 150) als nur zuweilen vorkommend erwähnt.
Die Aufführung der Schlange Aſpis rührt von der griechiſch-
alexandriniſchen Ueberſetzung der Stelle Pſalm 58, 5, 6 her, welcher
auch die Vulgata folgt. Der altfranzöſiſche und provençaliſche Phyſio-
logus laſſen dieſe Schlange den Balſambaum bewachen. Anhalt hierzu
gab wohl eine Stelle im Pauſanias (9, 28, ed. Siebelis, IV. p. 99).
In den übrigen Phyſiologen, welche der Aspis gedenken, wird nur be-
richtet, daß ſie ihre Ohren gegen die Zaubertöne der Marſen ver-
ſchließe; das eine drückt ſie auf den Boden, das andre hält ſie mit dem
Schwanze zu. Die Erzählung findet ſich nur bei chriſtlichen Schrift-
ſtellern.
Ein eigenthümliches Geſchick hat das Ichneumon erfahren.
Von dieſem Säugethier wird im griechiſchen und ſyriſchen Phyſiologus
angegeben, daß es ſich mit Lehm überkleide, um gegen die böſe Schlange
zu kämpfen. Es iſt dies die bei Ariſtoteles geſchilderte Weiſe, die Aſpis
anzugreifen (9, 44), wiederholt im Antigonus Caryſtius, Cap. 38.
Dieſes Ichneumon wird dann als Feind des Crocodils zu einer
Schlange Enhydris oder Hydrus (im ſyriſchen noch getrennt aufge-
führt unter dem veränderten Namen Andrion), im isländiſchen Phy-
ſiologus gar zu einem Vogel, alſo mit dem „Trochilus“ verwechſelt.
Das Thier dringt dem Crocodile in den Rachen und tödtet es durch
Freſſen der Eingeweide64). Vermuthlich iſt dieſer Hydrus nur ein um-
gewandeltes Ichneumon, welches eine Zeit lang noch daneben eine ſelb-
ſtändige Stellung beibehielt.
[136]Die Zoologie des Mittelalters.
Der Salamander, über deſſen Verhalten zum Feuer und in
demſelben Ariſtoteles (hist. anim. 5, 106) und Plinius (10, 188;
29, 76), ſowie andere alte Schriftſteller ſprechen, wird von einem
chaldäiſchen Gloſſator zu 3. Moſe 11, 29 angeführt (Bochart), wäh-
rend andere die in dem nächſten Verſe vorkommende Eidechſe hierauf
beziehen. Dieſelbe Stelle wird auch zur Rechtfertigung der in mehreren
Phyſiologen vorkommenden „Sonneneidechſe“, wahrſcheinlich des Var-
ans oder Landcrocodils angezogen, von welcher eine auf ihre Häutung
ſich beziehende Erzählung gegeben wird.
Die Gliederthiere ſind allein durch die Ameiſe faſt durchgehend
vertreten, welche nur im provençaliſchen und isländiſchen Phyſiologus
fehlen. Die drei von ihnen angeführten Eigenſchaften finden ſich auch
im Plinius mehr oder weniger übereinſtimmend geſchildert. Guillaume
le Normand knüpft außerdem die Schilderung der goldgrabenden
Ameiſen an, wie ſie von Herodot, Kteſias, Megaſthenes u. a. gegeben
wird.
Der in einigen Phyſiologis vorkommende Ameiſenlöwe iſt
kaum das Inſect, vielmehr ein fabelhaftes Miſchweſen. Es gründet ſich
ſeine Erwähnung auf Hiob 4, 11, wo die griechiſch-alexandriniſche
Ueberſetzung das Wort Myrmekoleo gibt65).
Die nachſtehende Tabelle wird am beſten geeignet ſein, über die
Zahl und die Aufeinanderfolge der erwähnten Thiere in den Haupt-
gruppen der Phyſiologusrecenſionen eine Ueberſicht zu geben. Die nur
einmal vorkommenden Thiere ſind dabei nicht berückſichtigt.
[137]Phyſiologus.
Außer den Thierſchilderungen, deren litterar- und naturhiſtoriſche
Begründung im Vorſtehenden kurz zu geben verſucht wurde, enthalten
nun die ſpäteren Phyſiologi eine in den früheren Bearbeitungen feh-
lende Anwendung. So heißt es z. B. beim Onager: Der Wildeſel
hat daher die Figur des Teufels; wenn er merkt, daß Tag und Nacht
gleich werden, d. h. wenn er ſieht, daß die Völker, welche in der Dun-
kelheit wandelten, zum reinen Lichte ſich bekehren, ſo brüllt er Tag und
Nacht zu den einzelnen Stunden und ſucht ſeine verlorene Beute. Oder
beim Biber: So ſollen Alle, welche in Chriſto keuſch leben wollen,
alle Fehler ihres Herzens und Körpers herausſchneiden und dem Teufel
ins Geſicht werfen u. ſ. w. Der ſyriſche Phyſiologus und der älteſte
erhaltene lateiniſche (A. Mai und Pitra, Anſileubus) haben noch keine
derartigen Moraliſationen, ſondern nur Verweiſungen auf die Bibel.
Dieſe beiden Bearbeitungen werden daher jedenfalls zu den älteſten
Formen gehören, in welchen der Phyſiologus noch erhalten iſt. Die
andern Recenſionen, von denen mit Einrechnung der verſchiedenen be-
nutzten Handſchriften kaum zwanzig publicirt ſind, nach ihrem genealo-
giſchen Verhalten zu ordnen, iſt vorläufig faſt unausführbar, bis durch
ein reicheres Material die offenbaren Lücken der allmählichen Verbrei-
tungsgeſchichte ausgefüllt ſind. Um nur an Einzelnes hier zu erinnern,
ſo ſtimmt zwar der ſyriſche und ältere griechiſche (armeniſche, ohne die
Moraliſationen) in vielen Punkten überein; doch ſchon der ſogenannte
Epiphanius weicht weſentlich ab. Unter den lateiniſchen Bearbeitungen
ſtellen die mit des Chryſoſtomus Namen verſehenen eine eigene Familie
dar, während die von Mai und Pitra, die von Cahier herausgegebe-
nen, ſowie eine ungedruckte der Leipziger Univerſitäts-Bibliothek
(13-14. Jahrhundert) ſich wieder in Einzelheiten enger an die grie-
chiſchen anſchließen. Ziemlich autochthon ſcheint auf den erſten Blick
der isländiſche zu ſein. In mehreren Zügen ſtimmt er zwar mit allen
übrigen überein, vor Allem in der eigenthümlichen Auswahl der ge-
ſchilderten Thiere. Doch enthält er einerſeits auch Thiere, welche ſonſt
nirgends vorkommen, wie den Eber, Bremſen u. a., andrerſeits ent-
fernt ſich die Erzählung zuweilen völlig von allen übrigen; ſo z. B. die
[139]Phyſiologus.
ſchon angeführte Schilderung des Elefanten, welche bis jetzt nirgend
wo anders zu finden iſt.
Es iſt jedoch hier nicht der Ort, dieſer an und für ſich äußerſt
intereſſanten und für die Litteraturgeſchichte des früheren Mittelalters
bedeutungsvollen Aufgabe näher zu treten. Dagegen iſt es wichtig, die
Frage nach dem etwaigen Verfaſſer und der Entſtehungsgeſchichte des
Phyſiologus überhaupt zu unterſuchen.
Zunächſt iſt hervorzuheben, daß man es hier nicht mit einer
Schrift zu thun hat, welche als eine in ihrem Wortlaute im Allgemei-
nen feſtſtehende in Zeiten klöſterlichen Schreiberfleißes treu vervielfäl-
tigt worden wäre. Von den älteſten bis zu den neueſten Bearbei-
tungen finden ſich zwar immer wohl einzelne übereinſtimmende Hand-
ſchriften. Doch iſt im Ganzen genommen eine ſtete Aenderung und
Umwandlung ſowohl im Ausdruck als in der Zahl der Thiere und der
Form der angehängten Allegorien nachzuweiſen, da kaum zwei aus ver-
ſchiedenen Zeiten herrührende Handſchriften genau übereinſtimmen.
Spricht ſchon dies für die Anſicht, daß man ſelbſt im frühen Mittel-
alter nicht an einen beſtimmten Verfaſſer geglaubt hat, ſo wird dies
noch weiter dadurch beſtätigt, daß ſowohl in der pſeudoepiphaniſchen
Schrift (welche aber doch dem vierten oder fünften Jahrhundert ange-
hört) als im ſyriſchen Phyſiologus (ſpätere gar nicht zu erwähnen)
häufig der „Phyſiologus“ ſelbſt citirt wird; d. h. in den Mittheilungen
über die Thiere, welche unter den bibliſchen einer beſondern Aufmerk-
ſamkeit werth zu ſein ſchienen, trug man zunächſt das zuſammen, was
die Naturkundigen darüber geſagt hatten. An der weitern Compoſition
konnte dann Jedermann, dem es überhaupt um eine ſolche Sammlung
zu thun war, ändern und zuſetzen oder weglaſſen nach Gutdünken.
Hiermit hängt dann auch zuſammen, daß die Tradition mit oder
ohne Grund einzelne Perſönlichkeiten als Verfaſſer des Phyſiologus
bezeichnete. So finden ſich an der Spitze deſſelben außer den oftge-
nannten Epiphanius und Chryſoſtomus noch Ambroſius66), Baſilius
[140]Die Zoologie des Mittelalters.
Magnus67), Hieronymus, ſelbſt Iſidorus als Autoren angeführt,
während man noch Andre ſtillſchweigend für die Verfaſſer anſehen zu
dürfen glaubte68). Es iſt immerhin möglich, daß alle die genannten
Männer den Phyſiologus nicht bloß benutzt und erwähnt, ſondern auch
vielleicht erweitert oder ſonſt in einer ihnen eigenthümlichen Weiſe ge-
faßt haben. Verfaſſer im eigentlichen Sinne waren ſie aber nicht.
Daß die handſchriftlichen Zeugniſſe für ſolche Autorſchaft in jeder Weiſe
unzureichend ſind, braucht kaum erwähnt zu werden.
Aus gleichen Gründen kann man auch der Anſicht Cahier's
nicht beitreten, daß Tatian (zweite Hälfte des zweiten Jahrhunderts)
der Verfaſſer ſei. Es hat dies ſchon Pitra zurückgewieſen. Tatian
ſpricht zwar von einer von ihm verfaßten Schrift über die Thiere und
führt einige Beiſpiele von Inſtinkt an69). Aber abgeſehen davon, daß
er die angezogene Schrift wahrſcheinlich noch als Heide verfaßt hat und
daß ſie ſich dem ganzen Zuſammenhang der ihre Erwähnung enthal-
66)
[141]Phyſiologus.
tenden Stelle nach vielmehr auf die Natur des Menſchen, auf Pneu-
matologie und Metempſychoſe, als auf die Naturgeſchichte der Thiere
bezogen haben mag70), weiſt ſchon Pitra mit Recht darauf hin, daß
die Thierſchilderungen älter, die angefügten Erklärungen oder Mora-
liſationen jünger ſind, als Tatian, wie ja letztere ſelbſt noch im ſyri-
ſchen und im älteſten lateiniſchen Phyſiologus fehlen.
Pitra hebt als Momente, welche auf die Art und den Ort der
Entſtehung des Phyſiologus Licht werfen, hervor, daß die meiſten in
demſelben erwähnten Thiere alten Göttern heilig geweſen wären, und
daß deren ſo ſehr verſchiedenes Vaterland auf eine Stätte hinweiſen,
wo gewiſſermaßen die von dem durch Titanen zerſtörten Olymp fliehen-
den Götter Zuflucht und Schutz unter dem Abbild von Thieren gefun-
den hätten. Dies würde von Belang ſein, wenn ſich keine andere ein-
fachere Erklärung für die merkwürdige Zuſammenſetzung ergäbe. Be-
trachtet man indeß die Thiere des Phyſiologus als bibliſche, ſo fällt
jeder Grund, ſich nach andern Beweggründen für gerade dieſe aller-
dings eigenthümliche Auswahl umzuſehen, fort. Nur das eine bleibt
auf den erſten Blick wunderbar, daß die eigentliche Ekphraſis, die Na-
turſchilderung, gegenüber der Hermeneia, der moraliſchen Auslegung,
ſich kaum einmal an naturgeſchichtliche Autoritäten, wie Ariſtoteles,
Theophraſt und ähnliche anſchließt. Wie aus dem obigen Quellennach-
weiſe hervorgeht, laſſen ſich mehrere Angaben zwar im Allgemeinen
auf Ariſtoteles zurückführen. Doch ſind die wahrſcheinlich direct be-
nutzten Quellen unter jenen ſchon früher erwähnten alexandriniſchen
Sammlungen zu ſuchen, welche, zur Zeit des Ausgangs des Alter-
thums entſtanden, Zeugniß für den Mangel ſowohl kritiſchen Sinnes
als überhaupt rein naturwiſſenſchaftlichen Intereſſes ablegen. Da das
Gefühl noch nicht erwacht war, daß die bloße Mittheilung von That-
ſachen als ſolcher zur Gründung einer wiſſenſchaftlichen Lehre nicht ge-
nüge, da das Bedürfniß einer Beſtätigung der Angaben noch nicht
vorhanden war, muthete das Wunderbare und dadurch an ſich Reiz-
vollere mehr an, wie es auch nutzbringender verwendet werden konnte.
[142]Die Zoologie des Mittelalters.
Außer dieſen inneren Gründen weiſen aber, wie oben mehrfach hervor-
gehoben wurde, auch noch äußere auf eine Entſtehung der erſten als
Phyſiologus bezeichneten Sammlung in Aegypten hin. Daß gerade
Origenes der älteſte Schriftſteller iſt, welcher den Phyſiologus citirt,
kann hierbei, als möglicherweiſe nur zufällig, nicht in Anſchlag gebracht
werden. Dagegen ſind die ſprachlichen Beweiſe wohl entſcheidend.
Faſt durchgehends iſt die griechiſch-alexandriniſche Bibelüberſetzung der
commentirte Text geweſen. Und wenn auch dies bei der früh erlangten
Autorität dieſer Ueberſetzung für nicht beſonders bedeutungsvoll gehal-
ten werden ſollte, ſo gibt es doch für das Auftreten koptiſcher Wörter
keinen andern haltbaren Erklärungsgrund als den, daß koptiſche Gloſſen
oder Ueberſetzungen einzelner Abſchnitte vorgelegen haben.
Soll nun aber verſucht werden, ein Bild von der urſprünglichen
Entſtehungsweiſe des Phyſiologus zu geben, ſo würde es nach den vor-
liegenden Anhaltspunkten folgendes ſein. Lehrer orientaliſcher (alexan-
driniſcher) Chriſtengemeinden der erſten Jahrhunderte griffen in rich-
tiger Würdigung der Wirkſamkeit aus der Natur entlehnter Beiſpiele
auf die Gemüther ihrer Hörer zu dieſer und beſonders zu den Thieren,
von welchen ſchon die heidniſche Litteratur Wunderbares genug über-
liefert hatte. Die an und für ſich einer Auslegung zu unterwerfenden
Bibelſtellen boten die Thierformen, die alexandriniſchen Märchenſamm-
lungen den naturhiſtoriſchen Gehalt, die ſinnlich gefaßte chriſtliche Lehre
die Anwendung dar. Trotz aller Freiheit in der Wahl des Stoffes er-
hielt die urſprünglich wohl zufällige und keiner beſtimmten Formulirung
unterworfene Sammlung allmählich eine kanoniſch fixirte Geſtalt, an
welcher dann nur Aeußerlichkeiten, durch Ort und Zeit veranlaßt, ge-
ändert wurden. Wenn dann auch ſpäter das homiletiſche Bedürfniß
die Allegoriſation auf alles Mögliche ausdehnen ließ, wodurch Erzeug-
niſſe entſtanden wie die Melito'ſche Clavis, die distinctiones mona-
sticae et morales, kurz Predigtapparate aller Art, ſo erhielt ſich doch
abgeſondert von dieſen das auf Thiere Bezügliche ſelbſtändig als zoo-
logiſches Elementarbuch, über welches hinaus keine weiteren Kenntniſſe
wünſchenswerth erſchienen als höchſtens noch die etymologiſche Be-
[143]Phyſiologus.
gründung der Thiernamen. Aus dieſen Elementen zuſammengeſetzt er-
ſcheinen dann noch die Thierbücher ſpäterer Jahrhunderte.
Es hängt vielleicht mit dieſer Entſtehungsweiſe aus heidniſchen
Ueberlieferungen, die nur ſpäter erſt mit chriſtlichen Allegorien verbrämt
wurden, zuſammen, daß das Urtheil der Kirche dem Phyſiologus nichts
weniger als günſtig war. Spuren von Manichäismus, Priscillianis-
mus und Gnoſticismus im Phyſiologus zu finden, iſt wohl dann nur
möglich, wenn man auch die Moraliſationen einer rigoröſen Verbal-
unterſuchung unterwirft. Aber ſchon bevor dieſe den Thierſchilderungen
angehängt wurden (ſoweit es ſich wenigſtens bis jetzt überſehen läßt),
ergieng ein Verbot gegen den Phyſiologus. Im Jahre 496 erſchien ein
Concilbeſchluß des Pabſtes Gelaſiusde libris recipiendis et non
recipiendis, worin es nach Aufzählung der annehmbaren und erlaubten
Bücher weiter heißt: caetera quae ab haereticis sive schismaticis
conscripta vel praedicata sunt, nullatenus recipit catholica et apo-
stolica Romana ecclesia. Und unter dieſen proſcribirten findet ſich liber
Physiologus, qui ab haereticis conscriptus est et B. Ambrosii nomine
signatur, apocryphus71). Pitra meint, dies Decret auf den Pabſt
Damaſus zurückbeziehen zu können und ſagt, daß es von ſieben Päbſten
entweder verſchärft oder wenigſtens erneuert worden ſei. Er erwähnt
dabei ausdrücklich das ſogenannte Decret des Pabſtes Hormisda, des
ſechſten nach Damaſus. Doch iſt dies Decret wörtlich daſſelbe, wie das
Gelaſianiſche und nur durch handſchriftliche Bezeichnungen, vermuthlich
irrigerweiſe, auch dem Hormisda zugeſchrieben72). Aber die Zeiten und
[144]Die Zoologie des Mittelalters.
Anſichten ändern ſich und ſchon ein Jahrhundert ſpäter feierte der
Phyſiologus ſeinen gewiſſermaßen officiellen Einzug in die ſymboliſche
Litteratur. Gregor der Große citirt ihn wiederholt und hebt damit nicht
bloß das Verbot ſeines Vorgängers auf, ſondern führt auch die Schrift
unter die empfehlenswerthen und nutzbringenden ein.
Man könnte nun geneigt ſein, die ausführlichen Commentare zur
Schöpfungsgeſchichte als weitere Ausführungen des Phyſiologus zu
betrachten. Jedenfalls ſind auch ſie in gleichem Geiſte, wenn auch
nicht in gleicher Form geſchrieben. Sie haben aber, beſonders in An-
ſehung eines etwaigen Einfluſſes auf Förderung naturwiſſenſchaftlicher
Meinungen keinen auch nur annähernd bedeutenden Einfluß geäußert.
Citirt werden ſie freilich noch lange und die drei berühmteſten Hexae-
mera, die des Baſilius, Ambroſius und Pſeudo-Euſtathius haben auch
ſicher, ſchon ihrer Verfaſſer wegen, in hohem Anſehen geſtanden. Aber
einmal ſchon die Thatſachen, daß ſie als Werke einzelner Männer
erſchienen, daß ſie mehr nach Art der homiletiſchen Schrifterklärung
Schritt für Schritt die ganze Schöpfung erläuternd durchgiengen, und
endlich daß ſie in Folge des letzteren Umſtandes verhältnißmäßig um-
fangreich und vielſeitig wurden, alles dies hinderte ihre allgemeine
Verbreitung und ließ ſie nicht in gleichem Maße wie den Phyſiologus
volksthümlich werden. Daſſelbe gilt für Schriften, wie das ange-
führte Gedicht des Alexandriners Cyrillus, welches wohl moraliſirt
und zur Bewunderung göttlicher Weisheit und Liebe in der Schöpfung
auffordert, aber noch nicht in die Richtung einlenkt, welche, weitaus
die wirkſamſte und verbreitetſte, beinahe den Charakter der einſchlägigen
theologiſchen Litteratur für Jahrhunderte beſtimmte, die ſymboliſirende.
Es würde nicht ſchwer ſein, eine beträchtliche Liſte derartiger ſymbo-
liſcher Darſtellungen zuſammenzubringen. Tritt auch in den für die
Geſchichte der Wiſſenſchaft wichtigſten Schriften des dreizehnten Jahr-
72)
[145]Stand des Wiſſens und der Cultur am Ende des zwölften Jahrh.
hunderts eine etwas verſchiedene Richtung auf, ſo erhält ſich doch die
Symboliſirung noch lange, weit über den Zeitraum hinaus, welcher
die Blüthe des Phyſiologus umfaßt. Wie noch das tridentiner Concil
durch den römiſchen Katechismus die Bedeutſamkeit dieſer figürlichen
Verwendung anerkennen ließ, ſo finden ſich vor und nach ihm zahl-
reiche Belege für dieſe, eigentlicher Erkenntniß fremd gegenüberſtehende
Erfaſſung der Natur. Beiſpielsweiſe mag hier nur auf Alanus ab In-
ſulis73), Hildefonſus74) und Ioannes Inſtitor75) verwieſen werden.
Stand des Wiſſens und der Cultur am Ende des
zwölften Jahrhunderts.
Es wurde oben der Gründung der beiden Bettelorden gedacht,
der Dominikaner und Franziskaner. Um die hervorragende Stellung,
welche dieſelben im 13. Jahrhundert der Entwickelung der Wiſſenſchaf-
ten gegenüber einnahmen, beurtheilen zu können, iſt eine flüchtige Er-
innerung an die allgemeinen Culturverhältniſſe, unter denen ſie ent-
ſtanden, nicht unzweckmäßig. Daß ſie den Benediktinern den Beruf der
Lehrerſchaft für das Volk abnahmen, wurde nach den Zuſtänden dieſer
Genoſſenſchaft oben kurz angedeutet. Tiefer liegende Gründe laſſen in
ihnen die unabſichtlichen Verbreiter und Erhalter der Wiſſenſchaftlichkeit
erkennen, ſelbſt in Zeiten, wo die Kirche durch ihre Satzungen mehr
dahin zu wirken ſuchte, das Wiſſen vom Glauben abhängig zu machen,
als den letzteren durch Erweiterung des Wiſſens zu ſtützen.
Hatte Karl der Große durch Gründung und Förderung von Schu-
V. Carus, Geſch. d. Zool. 10
[146]Die Zoologie des Mittelalters.
len, durch Empfehlung ernſter claſſiſcher Studien, gegen welche indeß
die heimatlichen Landesſprachen nicht zurücktreten ſollten, das nach
den Stürmen der Völkerwanderung und den Kämpfen im Reich ſelbſt
geſunkene geiſtige Leben wieder zu heben verſucht, ſo war er es doch
auch, welcher den Keim zur Entwickelung jenes, Jahrhunderte lang das
ganze europäiſche Abendland geiſtig und materiell erſchütternden
Kampfes zwiſchen kirchlicher und weltlicher Macht gelegt hat. Die frei-
lich in älteren Ueberlieferungen wurzelnde Ueberzeugung, daß der
deutſche König durch Uebernahme der römiſchen Kaiſerwürde das Haupt
der chriſtlichen Welt werde, hatte zwar ſo lange nichts Beunruhigendes,
als ſeine Machtſtellung dem Pabſte und Klerus gegenüber noch Bürge
ſeiner unbedingten Selbſtändigkeit war. Aber ſchon die Erneuerung
des „heiligen römiſchen Reiches deutſcher Nation“ hundert und ſechzig
Jahre ſpäter durch Otto den Großen, die ſeiner Krönung vorausgehen-
den und unmittelbar folgenden Ereigniſſe zeigen, daß die kirchliche
Macht ſich nicht damit begnügt hatte, der geſammten Chriſtenheit allein
Glaubenslehren vorzuſchreiben, ſondern daß ſie die pſeudoiſidoriſchen
Ideen zu verwirklichen ſich anſchickte. Ein Jahrhundert ſpäter erſchien
Heinrich IV büßend und reuig zu den Füßen GregorVII; und gerade
wieder nach hundert Jahren erkannte FriedrichI, nicht in überwallen-
der Bußfertigkeit, ſondern nach ruhiger Ueberlegung auf dem Congreſſe
in Venedig die Gewalt des Pabſtes, damals AlexanderIII, an. Wie
ſchon dieſer Aufſchwung des päbſtlichen Anſehens erkennen läßt, daß
gegenüber der weltlichen Macht der Fürſten und Herren die Kirche mit
ihrem Anhang einen entſcheidenden Einfluß auf die Gemüther der großen
Maſſe zu äußern gelernt hatte, ſo begreift es ſich auch leicht, daß Un-
terricht und Bildung nur ſoweit gedeihen konnten, als der vielfach ver-
weltliche Klerus nicht durch andere Intereſſen von dem abgezogen
wurde, was über die unmittelbare ſogenannte Seelſorge hinaus in gei-
ſtiger Hinſicht für das Volk zu thun war. Die unter den Ottonen für
kurze Zeit aufflackernde Flamme eines regeren geiſtigen Lebens erſtickte
bald wieder unter den beſtändigen Kämpfen, die das ganze Abendland
durchwühlten. Und als, wie im Gefühle der Nutzloſigkeit eines gegen-
ſeitigen Aufreibens, der Gottesfriede zu Stande kam, wurde durch das
[147]Stand des Wiſſens und der Cultur am Ende des zwölften Jahrh.
eng mit ihm ſich verknüpfende Ideal eines allgemeinen Kampfes der
Chriſtenheit gegen die Ungläubigen das Intereſſe für das nächſt Lie-
gende wieder abgezogen.
Die Kreuzzüge brachten aber dem Abendlande eine Menge neuer
Anſchauungen. Schon früher hatten zwar Wanderungen und Buß-
fahrten nach dem heiligen Lande Gelegenheit gegeben, manche orienta-
liſche Sage im Abendlande nicht abſterben zu laſſen. Zuweilen wurden
durch Geſandſchaften zwiſchen morgen- und abendländiſchen Herrſchern
(z. B. Karl dem Großen und Harun al Raſchid) Geſchenke ausgetauſcht,
welche auch die naturhiſtoriſchen Bilder des Volkes mit neuen Zutha-
ten bereicherten. Die mythiſche Zurückführung weſteuropäiſcher Völker
auf einzelne Theile des griechiſchen Sagenkreiſes, die Verbreitung man-
cher alexandriniſchen Wundergeſchichte findet vielleicht durch Aehnliches
ihre Erklärung. Eine wirkungsreichere und nachhaltigere Anregung er-
hielt aber das Abendland doch erſt mit den Kreuzzügen, deren Folgen
in geiſtiger Beziehung hier noch beſonders zu ſchildern kaum nöthig iſt.
Während ſich aber durch dieſelben der Blick im Allgemeinen erweitern
lernte, erwachte auch im Schoße des Klerus, beſonders des weſtfrän-
kiſchen, der nur zeitweiſe zurückgetretene Speculationseifer von neuem.
Dem unbedingten Autoritätsglauben traten immer häufiger Verſuche
entgegen, durch eine ſelbſtändigere freiere Erfaſſung einzelner Lehren
des Myſteriums daſſelbe zugänglicher, die Heilswahrheiten, in deren
ausſchließlichem Beſitz zu ſein die römiſche Curie immer entſchiedener
behauptete, menſchlich faßbarer zu machen. Wenn nun aber derartige,
oft zu erbitterten Streiten führende Meinungsverſchiedenheiten dem
ungebildeten großen Haufen gegenüber erſt nach und nach eine Wirkung
äußerten, ſo daß die Theilnahme der weltlichen Bevölkerung erſt ſpät
zu Tage trat, ſo war es vorzüglich das äußere Leben des niedern wie
höchſten Klerus, welches zu Angriffen von allen Seiten dringend auf-
forderte. Beide Momente waren für die Vorbereitung und Entwicke-
lung der im dreizehnten Jahrhundert auftretenden litterariſchen Erſchei-
nungen von größter Bedeutung.
Mit dem erſt erwähnten Umſtande hängt die Entwickelung einer
allgemeinen philoſophiſchen Auffaſſung zuſammen, welche an die nur
10*
[148]Die Zoologie des Mittelalters.
zum Theil zugänglich gebliebenen Philoſophen des Altherthums anknü-
pfend, als eine nothwendige Folge des reichlich zuſtrömenden Stoffes
eintreten mußte. Daß hierbei die Kirche ihr Intereſſe vor allen Dingen
zu wahren ſuchte, war eine eben ſo nothwendige Lebenserſcheinung der-
ſelben. In ihren Händen, nicht in denen der Laien lag die Pflege und
die Erhaltung der Wiſſenſchaft. Die geſammte Chriſtenheit, „welche
beſtändig auseinander zu fallen drohte“, war in ihrer Vertretung und
in ihrem Schutze gegen die zerſetzenden Parteieinflüſſe auf die Hierar-
chie angewieſen. Da war denn das erſte und natürlichſte, daß einzelne
Differenzpunkte, wie die bereits erwähnten Lehren Gottſchalk's, des
Paſchaſius Ratpertus, die ſpäteren Streitigkeiten Berengar's von Tour
u. a. ausgeglichen oder unterdrückt wurden. Wichtiger war, daß die
ganze Philoſophie eine beſtimmte, der Kirche dienſtbare Form erhielt.
Nun war aber nicht bloß der geſammte, von den Kirchenvätern, Sy-
noden und Concilen beſtimmte, ſich nach und nach vermehrende und
abrundende Glaubensinhalt philoſophiſch zu begründen, ſondern es galt
vorzüglich auch, die platoniſche und ariſtoteliſche, die idealiſtiſche und
rationaliſtiſche Anſicht von der Natur der Dinge zum Ausgleich zu
bringen; — ein Ausgleich, welcher auch für die Entwickelung der wiſ-
ſenſchaftlichen Erfaſſung der Natur von maßgebender Bedeutung ſein
mußte.
Das ganze Gewicht der Philoſophie des Mittelalters, welche
als mit der Theologie zuſammenfallend angeſehen wurde, wenn ſchon
ein eigentliches Aufgehen derſelben in letzterer nur vorübergehend zu
erreichen war, galt der Löſung des durch Porphyrius und Boëthius
überlieferten Problems, ob die allgemeinen Begriffe der Arten und
Gattungen eine von den wirklichen Dingen unabhängige Realität be-
ſäßen oder ob ſie nur als ſubjective Vorſtellungen zu gelten hätten.
Dies iſt die Grundfrage der Scholaſtik. Die erſte an Plato ſich an-
ſchließende Beantwortungsart ſtellt den von Wilhelm von Champeaux
beſonders vertretenen Realismus, die letztere den Nominalismus dar,
deſſen Erneuerer, Roſcellinus, zum Widerruf ſeiner Lehre gezwungen
wurde. Im Grunde war hiernach bereits Johannes Scotus Erigena
Scholaſtiker. Ihm iſt Gott die einzig wahre Subſtanz; alle Geſchöpfe
[149]Stand des Wiſſens und der Cultur am Ende des zwölften Jahrh.
ſind intellectuelle Begriffe Gottes, welche ewiges Sein haben. Da in-
deſſen dieſe und ähnliche Anſichten für zu frei und dem orthodoxen Glau-
ben feindſelig gehalten wurden, wandte ſich der ganze Scharfſinn der
an ariſtoteliſchen Geſetzen groß gezogenen Dialektik dem Ausbau des
von Anſelm zuerſt mit Entſchiedenheit betonten Grundſatzes zu, daß die
Erkenntniß auf dem Glauben beruhe. Hiermit war theologiſch das Vor-
herrſchen der platoniſchen Auffaſſung der Welt und Schöpfung gege-
ben, wiſſenſchaftlich durch Zurückſetzung des Werthes unmittelbar ſinn-
licher Erfahrung die Ausſicht verſperrt. Die ganze Anſicht Anſelms
ſchließt ſich noch eng an die Ueberlieferung der Kirchenväter an; es hat
ſich daher noch lange nach ihm die Kirche geſträubt, dem immer drin-
gender werdenden Bedürfniſſe nach Unterſuchungen über den natür-
lichen Zuſammenhang der Dinge von einer andern Seite her entſprechen
zu laſſen, wie es erſt nach dem Bekanntwerden des Ariſtoteles im drei-
zehnten Jahrhundert möglich wurde. Wie ſehr die Erneuerung der Auf-
faſſung der Natur im Sinne einer zunächſt ſinnlich gegebenen Erfah-
rung für das Wiederaufleben der Wiſſenſchaft nothwendig war, geht
unter anderm auch aus dem negativen Reſultate anderer abweichender
Beſtrebungen hervor: es konnten weder der Rationalismus Abälard's
und Arnold's von Brescia, noch die orthodoxe Myſtik Bernhard's von
Clairvaux und der Victoriner, beſonders Hugo's76), von irgend wel-
chem Einfluß auf Anregung oder Erneuerung einer erweiterten Natur-
anſchauung ſein. Es wird ſich daher ſpäter vorzüglich darum handeln,
das Eintreten der naturhiſtoriſchen Schriften des Ariſtoteles in den
Wiſſenskreis des Mittelalters und ſeine Wirkungen zu ſchildern. Da-
bei wird ſich zeigen, wie nach verſchiedenen, zum Theil für ihre Zeit
ſehr glücklichen Verſuchen, den Realismus mit dem Nominalismus zu
vereinigen, allmählich der letztere, wenn auch nicht immer unter dieſer
[150]Die Zoologie des Mittelalters.
prägnanten Bezeichnung ſeines philoſophiſchen Gehaltes, die Erfor-
ſchung der Natur, als auf ſinnlicher Erfahrung beruhend, der welt-
lichen Wiſſenſchaft überlieferte und durch dieſes Losmachen von den
Feſſeln des Dogmenzwangs der neuen Zeit die Bahn brach.
Frägt man nun aber, von wem die Neuerungen, in früherer Zeit
wenigſtens die Anregungen zu lebhafterem geiſtigem Kampfe ausgiengen,
ſo waren es allerdings im Anfange noch Benediktiner, wenn man nur
auf Lanfranc und Anſelm, die Gründer der Scholaſtik blickt. Doch
gieng die Fortführung der Bewegung bald in andere Hände über. Die,
wie ſchon oben erwähnt, des Lehramts nicht mehr pflegenden Genoſſen
Benedikt's trieben die weniger aufregende Geſchichtſchreibung und über-
ließen den eigentlichen Tummelplatz der Geiſter anderen Orden.
Und hier tritt nun die Bedeutung der beiden Bettelorden hervor. Die
Päbſte waren doch des ewigen Schleuderns von Bannſtrahlen gegen
anders Denkende müde geworden und begrüßten in den neu entſtehen-
den, freilich im Grunde durch Oppoſition gegen päbſtliches Unweſen
veranlaßten Orden wirkſame Helfer bei der Arbeit, den Ketzereien zu
ſteuern. Schon ſeit dem elften Jahrhundert war einzeln und zuſam-
menhanglos, aber mitunter äußerſt heftig gegen das prunkhafte äußer-
liche und weltliche Leben der Geiſtlichkeit und der Päbſte ſelbſt, ſowie
gegen den ſtarren Dogmenzwang der Kirche angekämpft worden. Be-
denklich wurden die Bewegungen zu Ende des zwölften und Anfang des
dreizehnten Jahrhunderts. Es ergriff daher InnocenzIII das ſich ihm
in Franciscus und Dominicus bietende Mittel, durch Anerkennung des
Princips der Armuth und aufopfernden Entſagung nicht bloß den haupt-
ſächlichſten Klagen gegen ſeine Kleriker gerecht zu werden, ſondern durch
die ſich den bürgerlichen Verhältniſſen viel leichter und ſchneller anbe-
quemenden Bettelmönche direct in Lehre und Predigt auf das Volk
wirken zu können. Die ſchnelle Verbreitung beider Orden, die zuweilen
faſt häretiſche Stellung der Franziskaner, die Betheiligung der Domi-
nikaner an der Schürung der wahnſinnigen Ketzervertilgungen, der
greulichen Albigenſerkriege, die ihnen bald überlaſſene Inquiſition mit
allen den ſchaudervollen Ungeheuerlichkeiten, welche die Unterordnung
der weltlichen Executive unter das geiſtliche Gericht mit ſich brachte,
[151]Die Zoologie der Araber.
ſind Thatſachen, an welche hier nur erinnert zu werden braucht. Es
gehört aber eben ſo nothwendig in den ganzen Entwickelungsgang ihres
allmählichen Einfluſſes, daß ſich die beiden Orden bald den Unterricht
faſt ausſchließlich aneigneten. Wollten ſie hierbei einflußreich bleiben,
ſo mußten ſie ſich der brennenden Streitfragen der einzelnen Zeiten
bemächtigen und ſie im Sinne der ihnen gewordenen Aufgabe zu löſen
ſuchen. Das haben ſie gethan; in welcher Weiſe — das zu unterſuchen
gehört nur zum kleinſten Theile hierher. Sicher iſt aber, daß aus dem
dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert kein für die Entwickelung der
Naturwiſſenſchaften, beſonders der hier allein berückſichtigten Zoologie
bedeutungsvoller Name zu nennen iſt, welcher nicht einem Franzis-
kaner oder Dominikaner angehörte. Thomas Cantipratenſis und ſein
Ueberſetzer Jakob von Maerland und Conrad von Megenberg, Albert
der Große und Vincenz von Beauvais waren Dominikaner, Roger
Baco und Bartholomäus Anglicus waren Franziskaner. Aber ehe
ihre Behandlungsweiſe der Zoologie geſchildert werden kann, muß der
Wege gedacht werden, auf welchen das Abendland mit den Schriften
des Ariſtoteles wieder bekannt wurde.
Die Zoologie der Araber.
Culturhiſtoriſche Charakteriſtik der Araber.
Wo bis jetzt von wiſſenſchaftlicher Entwickelung zu ſprechen war,
ſtellten ſich als Träger derſelben überall Glieder der großen ariſchen
Völkerfamilie dar. Dazu trat dann als mächtigſtes Element der eigen-
thümlichen Richtung einer neuen Culturbildung das dem ſemitiſchen
Volksſtamme Paläſtina's entſpringende Chriſtenthum. Die Summe
des antiken Wiſſens, welches anfangs vom Chriſtenthum feindlich zu-
rückgewieſen doch als unentbehrlicher Grund eines Weiterbaues erkannt
wurde, gelangte, faſt ausſchließlich in ſeinem formalen Theile, zur ein-
ſeitigen Verbreitung durch den ſich aus dem übrigen Volke herauslö-
[152]Die Zoologie des Mittelalters.
ſenden geiſtlichen Stand. Noch war aber der Schatz von Thatſachen
zu heben, welcher von den Schriftſtellern des Alterthums, beſonders
Ariſtoteles, auf dem Gebiete der Naturkunde hinterlaſſen worden war.
Ein eigenthümliches Geſchick hat auch hier einen ſemitiſchen Volks-
ſtamm, die Araber, zum Vermittler gemacht, freilich nicht ohne die
bedeutende Hülfe anderer Elemente, namentlich der Syrer und Perſer.
Denn wenn auch die leidenſchaftlichen, phantaſiereichen Araber wenig
Jahrzehnte, nachdem Muhammed die verſchiedenen heidniſchen Stämme
ſeines Volkes zum Glauben an einen Gott vereinigt hatte, ſich mit
Eifer der ſprachlichen und ſachlichen Erklärung und Weiterbildung der
im Koran niedergelegten Lehren annahmen, wenn ſie auch als Ueber-
reſt ihres religiöſen Naturdienſtes die apotelesmatiſche Aſtrologie und
damit auch die Aſtronomie ſelbſt aus eigenem Antriebe zu fördern ſuch-
ten, ſo wären ſie doch wohl weder Gründer der Experimentalmedicin
und der ſich an dieſe anſchließenden Naturwiſſenſchaften, noch Bewah-
rer der ariſtoteliſchen Zoologie geworden, hätten nicht gelehrte Syrer
ihnen die Schätze der griechiſchen Litteratur zugeführt, hätten nicht die
ſchon vorher gleichfalls durch die Syrer mit den Griechen bekannt ge-
wordenen Perſer durch ihren Eintritt in den Entwickelungsgang der
arabiſchen Welt zu ſelbſtändigen Forſchungen, ſowie zur näheren Be-
kanntſchaft mit den Reſultaten antiker Geiſtesarbeit angeregt. Es ge-
hörte ja auch einer der größten Philoſophen und Paraphraſten der ari-
ſtoteliſchen Zoologie, Avicenna, einer perſiſchen Familie an, wie auch
die Mehrzahl der Ueberſetzer und Commentatoren keine Araber, ſon-
dern vorzüglich Syrer waren.
Der Charakter der geiſtigen Richtung der Araber wird zum großen
Theil ſchon durch die Art erklärt, wie Muhammed den Monotheismus
erfaßte. Der Gott Muhammeds war zunächſt nicht wie der Gott
Abrahams ein dem Volke der Araber ausſchließlich eigener und ihm
allein offenbarter, er wurde gleich von Anfang an als ein die ganze
Welt durchdringender erfaßt. Sein Anſehen, den Glauben an ihn zu
verbreiten wurde heilige Sache der Araber, denen er durch Muhammed
zuerſt wieder verkündigt war. So viel Anknüpfungspunkte aber auch
zwiſchen Muhammedanismus einerſeits und Judenthum und Chriſten-
[153]Die Zoologie der Araber.
thum andererſeits vorhanden waren und ſo viel davon beſonders in der
Ritualiſtik des religiöſen Lebens zur Erſcheinung kam, ſo lag doch darin
ein großer Unterſchied, daß im jüdiſchen und chriſtlichen Gottesbegriff
ein ziemlich weit gehender Anthropomorphismus auftrat, während der
Muhammedaner ſich und die ganze Welt in einen viel ſchrofferen Ge-
genſatz zu Gott ſtellte. Selbſtverſtändlich ſoll damit nicht geſagt ſein,
daß ſich die dichteriſche Phantaſie der Araber nicht mit Bildern erfüllt
hätte, welche Gott menſchlich faßbar darſtellten. Wichtig iſt aber dieſer
Umſtand in Bezug auf die Beurtheilung des Verhältniſſes der Natur
zu Gott.
Entſprechend der Verbreitungsweiſe des Islam durch das Schwert
konnte beſonders im Anfange ſeiner Laufbahn ein reiches Erblühn wiſ-
ſenſchaftlichen Lebens nicht erwartet werden. Die Verlegung des Cha-
lifenſitzes von Mekka nach Damaskus unter Muawia I führte zwar
dort die Araber nicht bloß mitten in eine griechiſch-chriſtliche Bevölke-
rung, ſondern ließ auch unter dem genannten wie unter ſeinem Nach-
folger Abd-el-Melik eine mediciniſche Schule entſtehen, in welcher jeden-
falls griechiſche Autoren der Bildung werden zu Grunde gelegt worden
ſein77). Eine beſondere Anregung erhielt aber das Aufblühn der Wiſ-
ſenſchaft, als unter den Abbaſiden die ſchon ſeit längerer Zeit an ſtren-
gere geiſtige Arbeit gewöhnten griechiſchen Chriſten und die der Pflege
der Gelehrſamkeit beſonders ergebenen Perſer in den Kreis der ara-
biſchen Geiſtesbildung gezogen wurden. Freilich führte das Studium
zunächſt zur Auslegung des Koran und Begründung einer aus dieſem
abzuleitenden, für die Sicherung der ſich neu ordnenden ſocialen Ver-
[154]Die Zoologie des Mittelalters.
hältniſſe nothwendigen Geſetzkunde. Es konnte aber doch die Unter-
ſuchung einmal angeregt hierbei nicht ſtehen bleiben, ſondern bediente
ſich der ſchon zugänglich gewordenen ariſtoteliſchen Methodik zur philo-
ſophiſchen Dogmatiſirung des neuen Glaubens. Damit verband ſich
das Entſtehen weiterer philoſophiſcher Syſteme, von welchen für die
Auffaſſung der belebten Natur beſonders die folgenden Bedeutung
haben.
Der ſtarre Fatalismus, welcher die Lehre des Islam in ihrer or-
thodoxen Form ſo ſcharf kennzeichnet, fand ſeine erſte philoſophiſche
Begründung durch El Aſchari im zehnten Jahrhundert. Für die
Aſchariten gipfelt ſich Alles in der abſoluten Unvereinbarkeit des Be-
griffes Gottes mit dem Begriffe der Welt. Letztere iſt nicht bloß erſt
geſchaffen, ſondern geradezu als bloße Emanation Gottes anzuſehen; ihr
hängt alſo der Schein an. Kein Ding oder kein Atom der Subſtanz
kann länger als ein Zeitatom exiſtiren, wenn es Gott nicht von Neuem
ſchafft. Ein Verhältniß von Urſache und Wirkung beſteht nicht; die
Dinge ſtehen unverbunden nur durch Gottes Willen ſo nebeneinander.
Selbſt Gott iſt nicht Urſache der Dinge; dieſelben ſind nur ſeine
Schaffungen. Einem geſetzlichen Zuſammenhange der Naturerſcheinun-
gen von dieſem Grunde aus nachzuforſchen war natürlich unmöglich.
Eine vermittelnde Stellung zwiſchen platoniſchen und ariſtoteli-
ſchen Anſichten nimmt El Farabi ein, welcher gleichfalls dem zehn-
ten Jahrhundert angehörig durch die der neuplatoniſchen Emanations-
lehre gegebene Form der Aſtrologie ihre durch das ganze Mittelalter
dauernde ſyſtematiſche Geſtalt gegeben hat78). Zwiſchen Gott als die
[155]Die Zoologie der Araber.
erſte nothwendige Urſache und die Vielheit der zuſammengeſetzten Welt
tritt der thätige Verſtand, eine Emanation Gottes. Aus dieſem fließen
die Kräfte des phyſiſchen Weltſyſtems in den einzelnen auf einander
folgenden Sphären bis zu den Bewegungen an der Oberfläche der im
Mittelpunkte des Ganzen ruhenden Erde. Der thätige Verſtand „durch-
bringt die ganze Welt und alles Niedere daher, alles Irdiſche wird
durch ihn, durch das allgemeine Geſetz der Welt zuſammengehalten“.
Bei Ibn Sina (Avicenna) löſt ſich die Materie von Gott ab
und wird als zweites Princip das Subject der zufälligen Erſcheinungen.
„Sie iſt der Grund der beſondern Dinge, welche nur ein mögliches
Daſein haben, oder der Grund der Individuation“. Dem entſprechend
unterſcheidet er auch rückwärts in der erkennenden Seele die ſinnliche
Form von der überſinnlichen, welche letztere allein den wahren Begriff
der Sache gibt. Dabei findet ſich dieſelbe Vorſtellung des thätigen
Verſtandes, welcher von den himmliſchen Sphären bis auf die Erde
wirkt, und ebenſo die allmähliche Entwickelung unſeres Verſtandes;
nur iſt bei ihm der Verſtand des Adepten „die erworbene Wiſſenſchaft,
welche wir aus unſern allgemein wiſſenſchaftlichen Grundſätzen durch
den Beweis ziehen“.
Wird ſchon durch die bei Ibn Sina auftretende Anſchauung eine
Naturforſchung denkbarer als bei den Früheren, welche nur durch eine
eigenthümliche Uebertragung metaphyſiſcher Vorſtellungen auf phyſiſche
Grundkräfte dem Zuſammenhang der Dinge näher traten, ſo erhält die
philoſophiſche Anſicht bei Ibn Roſchd (Averroës) eine Form, welche
der modernen Naturanſchauung äußerſt nahe kommt und ſowohl durch
ihre Einfachheit als durch ihre Natürlichkeit ſchon im Mittelalter Aufſehn
erregte. Selbſtverſtändlich wurde ſie als ketzeriſch verrufen und ihr ver-
dankt wohl hauptſächlich die mit ihr in enge Verbindung gebrachte Lehre
des Ariſtoteles die gegen deſſen phyſiſche Schriften erlaſſenen Verbote.
Es kann nicht im Plane der gegenwärtigen Darſtellung liegen, das
ganze philoſophiſche Syſtem dieſes ſelbſtändigſten Ariſtotelikers zu ſchil-
dern; es mag hier auf die Arbeit Renan's verwieſen werden79).
[156]Die Zoologie des Mittelalters.
Von Wichtigkeit iſt hier nur hervorzuheben, daß Ibn Roſchd ſowohl
Gott als die Materie für ewig erklärt; es wird nichts geſchaffen. Zeu-
gung und Entwickelung ſind nur Bewegungen. Der bewegende (thätige)
Verſtand bringt nur die Theile der Materie in andere Verhältniſſe,
wodurch die in ihr liegenden Formen zur Erſcheinung kommen. Wie
nun die Form das ſich in allen Dingen findende Immaterielle iſt, ſo
iſt auch die immaterielle Seele nur eine Form des belebten Körpers;
die Gedanken werden aus der Materie nach beſtimmter Ordnung ent-
wickelt. Indem die kreiſende Bewegung des Himmels die in der Ma-
terie liegenden Formen zur Erſcheinung kommen laſſen, löſt der erken-
nende Verſtand durch Einſicht in die Urſachen der letzteren die Materie
in die in ihr liegenden Formen auf. Sie wird daher nicht mehr als
Schranke der Erkenntniß zu fürchten ſein. Man ſieht, daß Ibn Roſchd
Grundſätze entwickelte, welche wohl, ſchon ihrer außerordentlichen me-
thodiſchen Bedeutung wegen, zu einer freieren Auffaſſung des Lebens
und der belebten Weſen hätten führen können, wenn die Anwendung
derſelben auf lebende Formen in größerer Ausdehnung möglich geweſen
wäre.
Das religiöſe und nationale Vorurtheil geſtattete indeſſen vor
allem keine anatomiſchen Unterſuchungen, vor denen die Araber gera-
dezu Abſcheu hatten80). Die Arbeiten, welche ſich auf Thiere bezogen,
hatten daher weniger eine Erweiterung der Kenntniſſe von den betref-
fenden Formen, als eine Zuſammenfaſſung alles deſſen zum Ziel, was
über die Geſtalt, Lebensweiſe u. ſ. f. der einzelnen Thiere bereits be-
kannt war, häufig verbunden mit einer Ueberſicht des ſich an dieſelben
knüpfenden mythiſch-poetiſchen, religiöſen und hiſtoriſchen Details und
beſonders ihrer mediciniſchen Wirkungen. Wie neben den techniſch-me-
tallurgiſchen Arbeiten vorzüglich die pharmaceutiſchen Verſuche zu den
erſten Anfängen der Chemie führten, ſo regten die Beſtrebungen, den
[157]Die Zoologie der Araber.
Heilmittelſchatz zu erweitern zu einer genaueren Kenntniß von Thieren
und Pflanzen an. Aber ebenſo wie die Chemie und Aſtronomie kaum
vom alchymiſtiſchen und aſtrologiſchen Aberglauben zu löſen war, ſo
iſt auch das, was bei den Thierſchilderungen von eigenen Zuſätzen er-
ſcheint, meiſt ſo vielfach mit abergläubiſchem Unſinn durchſetzt, daß da-
mit nichts weniger als eine Bereicherung des Wiſſens gegeben wird.
Derſelbe Aberglauben findet ſich dann noch bei den abendländiſchen
Nachfolgern der Araber wieder, unter denen ſelbſt Geiſtliche in derſel-
ben Weiſe die mediciniſche Verwendung ganzer Thiere oder einzelner
Theile, häufig in Bezug auf Störungen im Geſchlechtsleben anführen,
ſo beiſpielsweiſe Albert der Große.
Iſt nun auch der poſitive Gewinn an etwaigen neuen Thatſachen,
welchen die Zoologie aus dem Studium der arabiſchen naturgeſchicht-
lichen Litteratur ziehen kann, nicht gerade hoch anzuſchlagen, ſo iſt doch
zu bedauern, daß von den Schriften der Orientalen überhaupt bis jetzt
ſo äußerſt wenig zugänglich geworden iſt. Aus den an verſchiedenen
Orten und zu verſchiedenen Zeiten überſetzten Bruchſtücken derſelben
iſt zwar eine allgemeine Vorſtellung von der Auffaſſung des Thierreichs
bei Muhammedanern wohl zu gewinnen. Für die ſpecielle Geſchichte
der Kenntniß einzelner Formen, für den Urſprung und die Verbreitung
vieler Sagen, ſelbſt für die Erklärung mancher der Producte der ſpät-
griechiſchen Litteratur wäre aber ein weiteres Aufſchließen der betref-
fenden Schriften dringend zu wünſchen. Die Continuität in der Ent-
wickelung einzelner Vorſtellungen iſt noch immer durch eine Lücke von
mehreren Jahrhunderten unterbrochen. Die Geſchichte der Zoologie
wie die Geſchichte der Cultur überhaupt, namentlich aber die Littera-
turgeſchichte des Mittelalters, welche noch immer an pſeudepigraphi-
ſchen Ungeheuerlichkeiten reich iſt und durch das leidige Nachſchreiben
Neuerer nicht geklärt wird, würde eine weſentliche Bereicherung erfah-
ren, wenn die jetzt nur dem Titel nach angeführten Werke erſchloſſen
würden. Man kann bei der gegenwärtigen Lage der Dinge weder ein
zuſammenhängendes Bild erhalten, in wie weit die Kenntniß thieriſcher
Formen durch die in wunderbarer Weiſe weit über bis dahin unbekannte
Theile der Erde herumgekommenen Araber bereichert wurde, noch in
[158]Die Zoologie des Mittelalters.
welcher Weiſe ſie den nothwendig eintretenden Zuwachs zum Ausbau
allgemeiner Anſichten benutzten. Ja, es iſt bis jetzt nicht einmal mög-
lich, eine vollſtändige Ueberſicht über das litterariſche Material zu er-
langen, welches die abendländiſchen Schriftſteller des dreizehnten Jahr-
hunderts benutzen konnten.
Originalarbeiten der Araber.
Es wurde bereits angeführt, daß die Araber die Anregung zu wiſ-
ſenſchaftlichen Arbeiten, ſo weit ſich dieſelben nicht auf den Koran be-
ſchränkten, von außen erhielten. Schon vor dem Auftreten Muham-
meds beſtanden in Syrien und Aegypten griechiſche chriſtliche und jü-
diſche Schulen. Antiochien, Damaskus, Berytus u. a. waren oft
genannte Orte. Eine der älteſten chriſtlichen Schulen war zu Riſibis,
wo allerdings mit Ausſchluß der Profanwiſſenſchaften nur Theologie
gelehrt wurde. Von hier ſoll Ephraim der Syrer die Schule nach Edeſſa
verlegt haben, wo ſie ſich nicht mehr auf Theologie beſchränkte. Als
Zeno der Iſaurier im J. 489 dieſe Schule aufhob, giengen viele ihrer
Lehrer nach dem zwei Jahrhunderte vorher gegründeten Gondiſchapur;
und dies iſt eine der älteſten Schulen, in welcher Perſer mit Griechen
und Chriſten als Lehrer direct in Berührung kamen81). Fünfzig Jahre
ſpäter flüchteten die von Juſtinian vertriebenen Philoſophen an den
Hof des Kosru Ruſchirwan. Ueberſetzungen aus dem Syriſchen und
aus dem Griechiſchen direct wurden nun veranlaßt. Als dann in der
Mitte des ſiebenten Jahrhunderts das perſiſche Reich vor dem ſiegreich
ſich ausbreitenden Islam zerfiel, fanden die Araber ein bereits reges
geiſtiges Leben dort vor. Doch iſt nach der Natur der religiös fanatiſchen
Kämpfe nicht zu erwarten, daß ein directes Anknüpfen hier eingetreten
wäre; vielmehr gieng auch hier der ſpätern Wiederbelebung wiſſenſchaft-
[159]Die Zoologie der Araber.
licher Arbeiten wie an andern Orten eine Zerſtörung der früheren Cul-
tur und namentlich Litteratur voraus.
Iſt es nun auch nicht möglich, eine Ueberſicht der Leiſtungen der
einzelnen Verfaſſer, weder in Bezug auf das von ihnen bearbeitete
Material, noch in Bezug auf die etwa den Einzelnen eigenen Richtun-
gen zu geben, ſo mag doch, ſchon um die Aufmerkſamkeit auf die hier
noch zu leiſtende Arbeit zu lenken, eine Aufzählung der Werke folgen,
welche, wenn auch wohl vielfach als Compilationen ſich herausſtellend,
doch den Ueberſetzungen gegenüber als ſelbſtändige Arbeiten angeſehen
werden können. Die Liſte iſt chronologiſch geordnet82). Berückſichtigt
wurden nur Schriften, deren Titel auf einen mehr oder weniger ſpeciell
zoologiſchen oder allgemein naturhiſtoriſchen Inhalt ſchließen ließen
und welche in Handſchriften erreichbar ſind.
Die älteſte Schrift iſt eine von el-Razi (Rhaſes) citirte des als
Arzt bekannten Abu Zakerija Jahja Ben Maſoweih (Meſuë der
ältere), welcher im Jahre 857 ſtarb. Die Aufſchrift de animalibus
läßt nicht erkennen, ob eine Aufzählung der in der Medicin verwend-
baren Thiere oder eine naturhiſtoriſche Schilderung der Thiere über-
haupt vorliegt83).
Ziemlich gleichzeitig wurden zwei Abhandlungen verfaßt, welche
freilich nach Wüſtenfeld wohl mehr lexikaliſcher Art waren, immer
aber ſowohl für die Wiedererkennung einzelner Formen als für die Ge-
ſchichte der an ſolche ſich knüpfenden Erzählungen Intereſſe darbieten
dürften. Beide ſtellen je zwei Bücher de feris und de apibus et melle
dar. Ihre Verfaſſer ſind Abu Said Abdelmalik Ben Koris el-As-
mai (geſtorben 832) und Abu Hakim Sahl Ben Muhammed el-
Sedſchiſtani (geſtorben 864).
Der nächſte Schriftſteller iſt Abu Othman Amru el Kinani
[160]Die Zoologie des Mittelalters.
el Dſchahif (DſchahidhWüſtenfeld, AlgiahidBochart) geſtorben 868.
Hammer-Purgſtall ſagt zwar, daß die Schrift deſſelben „nicht mit Un-
recht in den meiſten Katalogen unter den philoſophiſchen Werken auf-
geführt wird. Indeſſen ſind die Thiere der Hauptgegenſtand derſelben
und es bleibt immer das Grundwerk arabiſcher Zoologie“. Der Titel
kitab el-haiwán, Buch der Thiere, und die Citate, welche Bochart
aus dem Werke gegeben hat, laſſen wohl wünſchen, von der Schrift
mehr zu kennen, als den von Hammer gegebenen Inhalt84). Daß die-
ſelbe bei den Arabern ſelbſt verbreitet geweſen ſein muß, beweiſt der
Umſtand, daß nach Oſſeibia's des Biographen der arabiſchen Aerzte
Angabe Abdallatif ein Compendium daraus zuſammengeſtellt hat, wel-
ches aber bis jetzt ebenſowenig bekannt iſt.
Der als Ueberſetzer mathematiſcher und aſtronomiſcher Werke der
Griechen gerühmte Abdul Haſſan Thabit Ben Korra (835-901)
wird von Oſſeibia als Verfaſſer der bereits oben erwähnten Schrift
de volucrum anatomia bezeichnet. Ob ſich die Schrift erhalten hat, iſt
unbekannt.
Der Zeit nach der nächſte Autor würde der berüchtigte Abu Bekr
Ahmed Ben Ali Ibn Wahſchijah ſein, welcher zu Anfang des zehnten
Jahrhunderts lebte. Die Leydener Bibliothek beſitzt eine Schrift deſſel-
ben, welche im Katalog als descriptio animalium aufgeführt wird.
Was aber ſonſt von Ibn Wahſchijah bekannt geworden iſt, verſpricht
auch für dies Product kaum mehr als ein litterarhiſtoriſches Intereſſe85).
Abu Dſchafer Ahmed Ibn Abul Aſch'ath, welcher im Jahre
970 ſtarb, hat eine in der Bodleyana in Oxford handſchriftlich vorhan-
[161]Die Zoologie der Araber.
dene Schrift: liber de animalibus verfaßt, von welcher gleichfalls Ab-
dallatif einen Auszug gemacht hat86).
Der zu Cordova lebende berühmteſte Aſtronom und Mathematiker
ſeiner Zeit, Abdul Kaſim Moslima el Madſchriti (ſtarb 1007)
hat eine Schrift hinterlaſſen generatio animalium, von welcher ſich in
Madrid eine Handſchrift findet87).
Des Avicenna wird ſeiner Paraphraſe der ariſtoteliſchen Zoo-
logie wegen hier gedacht. Seine philoſophiſche Stellung, ſowie ſeine
Berühmtheit als (galeniſcher) Arzt ſichern ihm auch unter den ſelbſtän-
digen Forſchern einen Platz, obſchon er hier beſonders als Ueberſetzer
erwähnt werden wird. Daſſelbe gilt von Averroës.
Kennt man von den bisher angeführten Werken kaum mehr als
den Titel, ſo iſt von den Schriften des Abu Muhammed Abdallatif
Ben Juſuf (1162—1231), [welcher] ſein Intereſſe für Zoologie durch
mehrere Auszüge aus anderen arabiſchen wie aus griechiſchen Schrift-
ſtellern bethätigt hat, eine Schilderung der Merkwürdigkeiten Aegyptens
durch Ueberſetzungen in das Lateiniſche, Deutſche und Franzöſiſche be-
kannt worden, welche im Jahre 1203 geſchrieben ein ganzes Kapitel den
Thieren widmet88). Da er auch die ariſtoteliſche Thiergeſchichte bearbeitet
hat, iſt nicht zu verwundern, daß er, was Allgemeines betrifft, Homöo-
merien (partes consimiles) und Anomöomerien (p. instrumentariae)
unterſcheidet. Von Angaben über einzelne Thiere mögen die folgenden
erwähnt werden. Hühner: hier ſchildert er ausführlich die künſtliche
Ausbrütung der Eier. Eſel: zuweilen ſo hoch und faſt ſo ſchnell wie
Maulthiere. Kühe: die geſchätzteſten ſind die ſogenannten khaïſijjhe,
deren Hörner bogenförmig ſind. Krokodile: die Wirbelſäule ſoll aus
einem einzigen Knochen beſtehen; auf der Bauchhaut ſollen ſie eine Art
Moſchusbeutel tragen. Skink: weicht vom Waral durch den Wohnort
V. Carus, Geſch. d. Zool. 11
[162]Die Zoologie des Mittelalters.
ab; erſterer lebt in offener Ebene und im Waſſer, der Waral auf Ber-
gen; er lebt von der Eidechſe Adhayeh, Lacerta ocellata Forsk. Dieſe
iſt der Sam-abras, dem Gecko, ähnlich, welche an einer ſpätern
Stelle als mumificirt und eingeſargt vorkommend erwähnt wird. Hip-
popotamus: die äußere Beſchreibung iſt im Allgemeinen leidlich.
Das Innere ſoll nach Nitualis dem Schweine ähnlich ſein. Dieſer
Nitualis iſt nach de Sacy der in den Geoponika erwähnte Anatolius,
der ſonſt bei den Arabern auch Antulius heißt. Die erwähnten Fiſche
ſind nicht ſämmtlich ſicher zu beſtimmen: Zitterwels und Aal (Waſſer-
drache) finden ſich darunter. Eine ovale Muſchel, welche man nach
dem Maße verkauft, nennt Abdallatif Delinas; es iſt Tellina.
Als ein Beiſpiel der allegoriſirenden Thierbeſchreibung führt
Wüſtenfeld (a. a. O. S. 152) oratio avium von Ibn el Wardi
(ſtarb 1349) an. Möglicherweiſe enthält das kosmographiſche Werk
deſſelben Verfaſſers auch zoologiſche Angaben89).
Wenigſtens dem
Titel nach verwandt mit dem erſteren ſind die Vogelgeſpräche des
Scheich Ferededdin Attar (perſiſch), welche zu Anfang des
fünfzehnten Jahrhunderts verfaßt wurden90).
„Eine Naturgeſchichte in vier Theilen: von den vierfüßigen Thie-
ren, Vögeln, Fiſchen und Inſecten“ ſchrieb der im Jahre 1361 zu
Bagdad geſtorbene Abdulfath Ali Ibn el-Doreihim unter dem Titel
utilitates animalium91).
Dem Titel nach hiermit verwandt iſt ein Werk „der Nutzen der
Thiere“, welches der im Jahre 1324 geſtorbene Seineddin Mu-
hammed Ben Huſſein el-Moſſuli el-Hanefi perſiſch verfaßt hat.
Nach dem bei Hammer-Purgſtall gegebenen Inhaltsverzeichniß
enthält es aber außer der Zoologie noch „die Botanik, die Farbenlehre,
[163]Die Zoologie der Araber.
Fleckenausbringungskunſt, Phyſiognomik und einen Theil der natür-
lichen Magie“92).
Das ſpätere Hauptwerk über Zoologie iſt das Hayat ul-Haywàn
das Leben der Thiere, von Abulbeka Muhammed Remaleddin
el-Damiri, welcher 1405 in Kahira ſtarb. Er hat hiervon ſelbſt
eine größere und eine kleinere Ausgabe beſorgt, von denen die er-
ſtere 1371 vollendet wurde. Das vielfach von Bochart benutzte
und in einzelnen Stücken von Tychſen und S. de Sacy veröffent-
lichte Werk iſt vor Kurzem vollſtändig gedruckt worden93). Einer
Ueberſetzung ſieht es noch entgegen. Einen (zoologiſchen ?) Anhang zu
des Damiri Werk hat Dſchemaleddin el-Schebebi (geſtorben
1433) gegeben94). Der von
Bochart unter dem Namen Abdar-
rachman citirte arabiſche Schriftſteller iſt Abderrachman Dſche-
laleddin el-Sojuti (geſtorben 1445), welcher einen Auszug aus
dem Hayat ul-Haywân unter dem Titel „Diwan ul-
Haywân“ verfaßt
hat. Er iſt lateiniſch gedruckt95). Nach Hammer's Angabe gibt es
auch eine perſiſche Abkürzung des Damiri.
Außer den vorſtehenden, wenn auch nicht ausſchließlich als Zoo-
logen zu bezeichnenden, aber doch dieſen Namen in einem gewiſſen Sinne
verdienenden Schriftſtellern muß zunächſt noch des als Botaniker be-
kannten Abu Muhammed Abdallah Ibn el-Beitar (ſtarb 1248)
gedacht werden. Nach den Citaten, welche Bochart aus ſeinem Cor-
pus medicamentorum gibt, enthält daſſelbe auch zahlreiche zoologiſche
Angaben, ebenſo wie Citate aus andern arabiſchen Quellen.
Von Intereſſe für die Geſchichte der arabiſchen Zoologie ſind aber
auch die Geographen wegen der in ihren Schriften enthaltenen Angaben
11 *
[164]Die Zoologie des Mittelalters.
über das Vorkommen einzelner Thiere. Doch erſchwert auch hier der
Mangel einer wiſſenſchaftlichen Namengebung das Wiedererkennen der
Thiere. Eines der älteſten bekannt gewordenen geographiſchen Werke
iſt „das Buch der Länder“ des Scheich Abu Iſhak el-Farſi el-Ißtachri,
geſchrieben um 95096). Zoologiſche Angaben finden ſich nur
wenige.
In Jemen ſind viele Affen, welche einem Anführer folgen, wie die
Bienen der Königin. Auch iſt dort ein Thier, welches den Menſchen
verwundet und ſeinen Leib mit Würmern füllt. Mordtmann glaubt
hierbei, die Filaria medinensis, den Guineawurm, vermuthen zu kön-
nen97). Bei Sirin (in Portugal) zeigt ſich zuweilen ein Seethier, aus
deſſen abgeriebenen ſehr weichen goldgelben Haaren koſtbare Zeuge ge-
webt werden. Die Nilkrokodile ſind nur unter den Vorder- und Hin-
terfüßen und bei den Achſeln zu verwunden; es gibt am Nil Stellen,
wo das Krokodil niemals Schaden thut. Auch im Fluſſe Mihram im
Gebiete von Multan (Indien) gibt es ſo große Krokodile wie im Nil.
In dem Süßwaſſerſee am untern Nilende finden ſich Fiſche von der
Geſtalt einer Schildkröte, welche Delphine heißen.“ (Delphine an derſel-
ben Oertlichkeit, bei Tennis und Damiette erwähnt auch Abdallatif).
„In Said gibt es Eſel, welche man Seklabie (Slavoniſche) nennt; man
glaubt, daß ſie von einem wilden und einem gezähmten Thiere abſtam-
men“ (S. 33). Bei Nißibin in Dſcheſira finden ſich Schlangen, welche
von allen Schlangen am ſchnellſten tödten, auch viele tödtliche Skor-
pione. „In Askar Mokrem gibt es eine Art kleiner Skorpione von der
Größe eines Laſerpitiumblattes, welche Kerure heißen und von deren
Biſſe Niemand geheilt werden kann, da derſelbe tödtlicher iſt als
einiger Schlangenarten“ (S. 59). „Man fertigt dort Kermes (in De-
bil). Ich habe gehört, daß es ein Wurm iſt, der ſich einſpinnt wie der
Seidenwurm“.
[165]Die Zoologie der Araber.
Ungefähr um dieſelbe Zeit entſtand das Werk des Abul Haſan el-
Maſudi: „die goldnen Wieſen“, welches kürzlich in franzöſiſcher
Ueberſetzung erſchienen iſt98). Es enthält ſo wenig wie das vorſtehend
erwähnte allgemeine Angaben über Vorkommen und Verbreitung orga-
niſcher Weſen und auch verhältnißmäßig wenig einzelne Angaben. Der
Zitterwels wird hier ſchon erwähnt (ebenſo ſpäter bei Edriſi und Ab-
dallatif). Eine merkwürdige Fabel von Meerthieren, welche Alexander
den Großen beim Bau der großen Nilſtadt beſtändig unterbrechen, würzt
die Beſchreibung von Unterägypten.
Die Reiſeberichte des Abu Soleiman nach Indien und
China99) enthalten einige dürftige Angaben über Thiere, unter welchen
die über das Moſchusthier herauszuheben iſt. Die Eckzähne werden
hier als aus dem Unterkiefer entſpringend beſchrieben; ſie ſollen dem
Geſichte anliegend nach oben wachſen und werden auch Hörner genannt.
Es erinnert dies an die gleiche Bezeichnung der Elefantenzähne bei
alten Schriftſtellern.
Die mit dem Titel „Ergötzlichkeiten der Reiſeluſtigen“ bezeichnete,
im Jahre 1153 verfaßte Geographie des El-Scherif Abu Ab-
dallah Muhammed ben Edris (Edriſi)100)enthält mehrere für
die allgemeine Auffaſſung der Vertheilung thieriſcher Formen auf der
Erdoberfläche nicht unintereſſante Angaben. Nach ihm iſt nur die nörd-
liche Erdhälfte bewohnbar. Im Süden vom Aequator iſt die Hitze ſo
groß, daß alles Waſſer auftrocknet. Wo aber weder Waſſer noch Küh-
lung ſich findet, können keine Pflanzen und Thiere beſtehen. Ueberein-
ſtimmend mit dieſer Auffaſſungsweiſe der klimatiſchen Wirkungen wird
auch die Körperbeſchaffenheit der Neger auf äußere directe Urſachen zu-
rückgeführt. Im Süden werden die Einwohner von der Sonne ver-
brannt; ſie ſind daher von ſchwarzer Farbe und ihr Haar iſt kraus.
[166]Die Zoologie des Mittelalters.
Bei den Schilderungen der einzelnen Länder werden häufig Thiere mit
aufgezählt, ſo z. B. eine ganze Reihe von Nilfiſchen. Doch iſt aus
derartigen Verzeichniſſen nicht eher ein hiſtoriſcher Gewinn zu ziehen,
als bis einmal die Leiſtungen der übrigen arabiſchen Autoren werden
überſichtlich zuſammengeſtellt werden können.
Von weniger Belang für zoologiſche Ausbeute ſind die beiden an-
dern beſonders gerühmten arabiſchen Geographen, welche noch erwähnt
werden mögen, Abulfeda und Ibn Batuta, wenn gleich auch ſie
zu einem Geſammtbilde der arabiſchen Leiſtungen herangezogen werden
müſſen.
Endlich iſt unter den ſelbſtändigen Arbeiten noch der Kosmogra-
phien oder Wunderſammlungen zu gedenken, welche in einem Ueber-
blicke über die ganze wunderbare Welt auch den Thieren eine zuweilen
mehr als vorübergehende Aufmerkſamkeit widmen.
Das erſte von Litterarhiſtorikern erwähnte, aber noch nicht zu-
gängliche Werk dieſer Art iſt von Muhammed ben Muhammed ben
Achmed Tuſi Solmani und wurde im Jahre 1160 unter dem von
Spätern wiederholten Titel der Wunder der Geſchöpfe (Adschaib el
Machlukat) verfaßt101). Es kann hier leider nur auf das Werk hinge-
wieſen werden.
Bekannter iſt die unter demſelben Titel erſchienene Kosmographie
des Zakarija ben Muhammed el Kazwini102). Für die Cha-
rakteriſtik dieſes Werkes iſt wichtig, daß ſein Verfaſſer, welcher im
[167]Die Zoologie der Araber.
Jahre 1283 ſtarb, noch weniger als ſein Vorgänger Achmed von Tus
der Blüthezeit der arabiſchen Wiſſenſchaften angehörte, ſondern vor-
züglich durch ſeine Compilationen aus älteren Schriftſtellern von Werth
iſt. So werden bei den Mittheilungen über Thiere von bekannten arabi-
ſchen Schriftſtellern Avicenna (meiſt in Bezug auf die mediciniſche An-
wendung der einzelnen Thiere) und der oben genannte Dſchahif citirt;
ferner noch Muhammed ben Zakarija el-Razi, Zakarija ben Jahja ben
Chakan, „der Spanier“ Abu Hamid (Verfaſſer eines Buchs der Wun-
der, kitab el-Adschaib), Ibn Elfeki (Abubekr Achmed ibn Muhammed
el Hamadani), Abderrachman ben Harun el Maghribi u. a. Oefter
erwähnt werden auch die Verfaſſer zweier, zu Kazwini's Zeit wohlbe-
kannter arabiſcher Werke, der Tuchfat el-Gharaib (Geſchenk der Wun-
derbarkeiten) und der Adschaib el-achbar (wunderbare Geſchichten).
Häufig beruft ſich Kazwini auch auf den Bericht von Kaufleuten, alſo
Reiſenden, deren Glaubwürdigkeit indeß nicht weiter unterſucht wird.
Von Griechen werden (außer dem im aſtronomiſchen Theil vorkommen-
den Ptolemaeus) nur Hippokrates und Ariſtoteles citirt, letz-
terer nur bei Erwähnung der Kämpfe zwiſchen den Pygmäen und Kra-
nichen nach einer untergeſchobenen oder wenigſtens jetzt nicht auffind-
baren Stelle (häufiger wird er im Abſchnitt über die Mineralien ange-
zogen). Endlich wird von Belinas ein Buch Chawass el-Haiwân
(die beſondern Eigenthümlichkeiten der Thiere) angeführt. Ueber dieſen
Schriftſteller wird ſpäter noch die Rede ſein müſſen.
Was nun des Kazwini zoologiſche Anſchauungen betrifft, ſo iſt
von dem beſonnenen Urtheil des Ariſtoteles, welcher doch zu ſeiner Zeit
bereits längſt bekannt und verbreitet war, allerdings nichts zu bemerken.
Vielmehr werden nicht bloß die Thierſchilderungen häufig zu wirklich
wunderbaren Geſchichten, ſondern es verräth ſich auch in den allgemei-
neren Anſichten nur allzuoft der Einfluß der dogmatiſch beſchränkten
Denkweiſe. Alle Körper, welche aus den urſprünglichen Elementen her-
vorgegangen ſind, bilden eine ununterbrochene Stufenreihe vom Unvoll-
kommnen zum Vollkommnen. Sie beginnt mit der Erde und den mit
dieſer zuſammenhängenden Mineralien und geht dann weiter zu den
Pflanzen, den Thieren, den Menſchen und ſchließt mit den Engeln.
[168]Die Zoologie des Mittelalters.
Pflanzen und Thiere unterſcheiden ſich von den Mineralien dadurch,
daß ſie des Wachstums fähig ſind. Die Thiere haben vor den Pflan-
zen die Fähigkeit zu empfinden und ſich zu bewegen voraus. Das nie-
drigſte Thier ähnelt den Pflanzen und hat nur einen Sinn (Gefühl).
Es iſt ein im Innern einer ſteinernen Röhre lebender Wurm, der ſich
an einigen Ufern findet. Die den Menſchen nächſten Thiere ſind die
Affen, ſowohl wegen der Form ihres Leibes als ihrer Seele. Aber
auch das Pferd und der Elefant nähern ſich durch ihre Seeleneigen-
ſchaften dem Menſchen. Die allgemeinen anatomiſchen und phyſiolo-
giſchen Anſichten laſſen ſich aus dem bis jetzt allein erſchienenen, nur
die Waſſergeſchöpfe eingehender behandelnden erſten Theile nur einzeln
erkennen. Doch weiſt hier Vieles auf ältere Anſchauungen hin. So ge-
ſchieht die Athmung behufs der Abkühlung der ſich im Körper ent-
wickelnden Hitze. Bei den Waſſerthieren gelangt nun die Kälte des
Waſſers direct zu ihnen; ſie brauchen daher keine Lungen, da das
Waſſer hier als Stellvertreter der Luft wirkt. Nicht zu verdunkeln
war die Verallgemeinerung, daß ein Thier deſto zahlreichere Glied-
maßen und verſchiedenartigſte Organe bedarf, je vollkommener es iſt.
Der Verſuch aber, dieſe Organiſation zu erklären, wird wieder eigen-
thümlich, wenn Kazwini ſagt, daß jedes Thier Glieder habe, die zu
ſeinem Körper ſtimmen, und Gelenke, die zu ſeinen Bewegungen paſſen,
und Häute, die zu ſeinem Schutz wohl geeignet ſind. Die foſſilen For-
men ſcheint er durchaus nur als Verſteinerungen auch jetzt noch leben-
der genommen zu haben. Er ſagt (bei der Erklärung des Wortes Gha-
rib), daß einer Behauptung zufolge Dampf aus der Erde aufſteige,
welcher alle Thiere und Pflanzen, die er treffe, in harten Stein ver-
wandelte. Die Spuren davon liegen klar in Anſina im Lande Aegyp-
ten und in Jaleh Beſchem im Lande Kazwin. Die Einzelangaben fin-
den ſich theils bei der Aufzählung der Jahreszeiten und der ſyriſchen
(Sonnen-) Monate, wo Kazwini einzelne biologiſche Mittheilungen
über Brunſt, Wachsthum, Wanderung von Thieren einflicht, theils
bei der Schilderung der einzelnen Meere und Inſeln. Außerdem iſt
aber noch ein beſonderer Abſchnitt den Waſſergeſchöpfen gewidmet. Da
findet ſich freilich auch manches Wunderbare. So erzählt Kazwini dem
[169]Die Zoologie der Araber.
Dſchahif nach, daß jeder im ſüßen Waſſer lebende Fiſch (ob Dſchahif
hier wirklich Fiſche oder nur Waſſerthiere meint, iſt zweifelhaft) eine
Zunge und ein Gehirn habe, alle Fiſche im Meere aber weder das eine
noch das andere. Doch begegnet man auch mehreren hiſtoriſch nicht
unintereſſanten Angaben. Ob die Schilderung der Affen (oder Men-
ſchenkinder, deren Charaktere denen wilder Thiere ähnlich ſind und die
auf Bäumen der Inſeln Java und Sumatra wohnen) ſich auf den
Orang-Utang beziehen, iſt nicht ganz ſicher. Dagegen erwähnt Kaz-
wini deutlich die Pteropen von Java als geflügelte Katzen. Ferner iſt
wohl die Beſchreibung eines Fiſches (aus dem rothen Meere!) in der
Geſtalt einer Kuh, welcher Junge zur Welt bringt und ſäugt, vielleicht
auf den Dugong zu beziehen. Auch Kazwini ſagt, daß das Krokodil
nur die obere Kinnlade bewege und im Rücken keine Wirbel habe. Deſ-
ſen Freundſchaft mit einem Vogel, der ihm die Zähne reinigt, erwähnt
er in einer oft wiederkehrenden Form. Manches im Phyſiologus Er-
zählte findet ſich hier wieder, zuweilen mit eigenthümlicher Uebertra-
gung der Geſchichte auf andere Thiere. Die Erzählung von der Selbſt-
caſtration wird von Kazwini nicht beim Biber, ſondern beim Waſſer-
hund vorgebracht, bei demſelben auch das im Phyſiologus vom Hydrus
Berichtete. Die Erzählung von der Serra findet ſich wie bei Plinius
auch hier vom Delphin mitgetheilt. Die täuſchende Inſelbildung wird
hier nicht dem großen Walfiſch, ſondern der Meerſchildkröte zugeſchrie-
ben, alſo mehr im Sinne der Etymologie des Wortes Aspidochelone.
Für die Geſchichte einzelner Anſichten, der Erzählungen über einzelne
Thiere iſt jedenfalls Kazwini von größtem Intereſſe. Doch lag eine
beſondere Darſtellung zoologiſcher Auffaſſungen nicht in ſeinem Plane.
Noch weniger thatſächliches Material zur Geſchichte der Thier-
kenntniß bietet die dritte noch zu erwähnende Kosmographie dar, welche
Schemseddin Abu Abdallah Muhammed el Dimeſchki
(lebte 1256-1327) unter dem Titel Nukhbet el-dahr (Auswahl des
Zeitlichen) geſchrieben hat103).
[170]Die Zoologie des Mittelalters.
Außer den in dieſer Liſte aufgeführten Verfaſſern ſelbſtändiger
Werke erſcheinen bei Bochart noch einige Araber, über welche eine
weitere Nachweiſung nicht zu erlangen war. Dahin gehören die beiden
als Aſſeidalanius und Arruvianus Bezeichneten104) und
Abulſapha105).
Ueberſetzungen der Araber.
Ungleich bedeutender als durch ihre Originalarbeiten haben die
Araber auf die Wiederbelebung der Zoologie dadurch eingewirkt, daß
ſie als Ueberſetzer die Vermittler zwiſchen Alterthum und neuerer Zeit
wurden. War auch der Theil der Cultur, welcher mit der Entwickelung
freierer ſocialer Zuſtände, geregelter Agrarverhältniſſe, kurz mit allem
dem zuſammenhieng, was mehr von dem Charakter der Oertlichkeit be-
ſtimmt wurde, vom Abendlande ſelbſtändig und allein zu erkämpfen,
ſo bot es doch eben während dieſer Kämpfe keine geeignete Stätte dar
für Bergung des Schatzes antiken Wiſſens, zu einer Zeit, wo die Wiſ-
ſenſchaft ſich bei den Arabern zur reichſten Blüthe erhob. Die logiſchen
Schriften des Ariſtoteles waren, wie früher erwähnt wurde, durch
mehrfache Bearbeitungen im Abendlande bekannt und in Wirkſamkeit
geblieben. Die zoologiſchen Schriften deſſelben lernte es aber zuerſt
wieder durch arabiſche und arabiſch-hebräiſche Ueberſetzungen kennen,
bis in der zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts der griechiſche
Text zum erſten Male direct in das Lateiniſche überſetzt wurde.
Die erſten Vermittler zwiſchen Griechenland und den Arabern
waren die Syrer, durch welche die Bekanntſchaft mit griechiſchen Au-
toren zu den arabiſchen und wohl auch jüdiſchen Schulen drang. Nach
den Angaben, welche Ebedjeſus in dem von Aſſemani publicirten Kata-
loge ſyriſcher Schriften 106) macht, ſowie nach andern Notizen ſind
[171]Die Zoologie der Araber.
ſchon im fünften Jahrhundert Hibas, Vorſtand der Kirche in Edeſſa
(435-457) Cumas, Probus und Mana gleichfalls Lehrer
in Edeſſa, als Ueberſetzer des Ariſtoteles aufgetreten107). Ob ſie
ſämmtliche, alſo auch die zoologiſchen Schriften des Ariſtoteles über-
ſetzt haben, iſt ebenſo wenig ſicher zu ermitteln, wie ob der Syrer Ura-
nius, welcher nach der Angabe des Agathias (II, 28) auf Geheiß des
Kosra Nuſhirwan (531-570) den Ariſtoteles ins Perſiſche überſetzt
hat, dieſe Schriften den Perſern zugänglich gemacht hat. Von Gelehr-
ten der Schule zu Edeſſa werden noch Sergius von Raſain, der Bi-
ſchof Jakob und Georg Biſchof der Araber im ſechſten und ſiebenten
Jahrhundert als Ueberſetzer des Ariſtoteles erwähnt. Man darf nun
aber nicht glauben, daß die Ueberſetzungen dieſer früheren ſyriſchen
Theologen und Aerzte erhalten ſind oder auch nur bis zu der Zeit er-
halten waren, wo bei den Arabern der Eifer für wiſſenſchaftliche Ar-
beiten erwachte. Wie ſchon früher angedeutet wurde, iſt bei dem erſten
Anprall der Verbreiter des Islam dieſe ältere ſyriſche Litteratur zum
größeren Theile zerſtört worden. Beſtätigt wird dieſe Vermuthung
durch die ſonſt kaum zu erklärende Angabe, daß der Khalif El-Mamun
(812-833) Ueberſetzungen aus dem Griechiſchen (zunächſt in das Sy-
riſche) veranlaßt habe. Von ihm an beginnt daher eine jüngere Ueber-
ſetzungslitteratur ſich zu entwickeln, welche für die uns zugänglich ge-
bliebenen arabiſchen Ueberlieferungen griechiſcher Werke von der größten
Bedeutung geworden iſt.
Berühmtheit als Ueberſetzer aus dieſer zweiten Reihe erlangte der
auch als Arzt unter dem Namen Joannitius bekannte Abu Said Ho-
nein ben Iſhak, deſſen ſyriſche Ueberſetzungen ariſtoteliſcher Schrif-
ten ſein Sohn Iſhak ben Honein (geſtorben 910 oder 911) ins
Arabiſche übertrug. Doch herrſcht bei dieſen beiden, ebenſo wie bei
Abulfaradſch Abdullah ben Attajjeb (ſtarb 1044), welcher
106)
[172]Die Zoologie des Mittelalters.
den Ariſtoteles aus dem Syriſchen ins Arabiſche überſetzt hat, in Be-
zug auf ihre Berückſichtigung der Zoologie derſelbe Zweifel wie bei den
früheren. Es finden ſich aber andererſeits ſchon im 9. Jahrhundert be-
ſtimmte Nachweiſungen dafür, daß die zoologiſchen Bücher gleichfalls
überſetzt wurden. Wenigſtens hat Jahia Ibn Albatrik (um
820-830) ſämmtliche neunzehn Bücher ins Syriſche überſetzt108);
und ſchon Ende des zehnten und Anfang des elften Jahrhunderts er-
ſchienen Ueberſetzungen in's Arabiſche. So hat Abu Ali Iſa ben
Zara (ſtarb 1001) die Thiergeſchichte und die Bücher über die Theile
der Thiere mit dem Commentar des Johannes Grammaticus aus dem
Syriſchen in's Arabiſche überſetzt. Auch ſoll derſelbe das Compendium
der ariſtoteliſchen Zoologie des Nikolaus (Damascenus) arabiſch her-
ausgegeben und verbeſſert haben109). Ferner wird angegeben, daß
Abu Ali Haſan ben Haithem (ſtarb 1038) und ſpäter Moham-
med ben Badſchah (bekannter durch die hebraiſirte Form ſeines
Namens als Aven Pace, ſtarb 1138) die Thiergeſchichte mit Commen-
taren erläutert haben, ſowie daß der früher erwähnte Abu Moham-
med Abdallatif die Thiergeſchichte in ein Compendium gebracht
habe. Hält man nun hierzu, daß der als Arzt und Philoſoph bekannte
Biſchof Abulfaradſch Dſchordſchis (häufiger als Gregorius
Barhebräus aufgeführt, 1226-1286) in ſeinen Erläuterungen
der ariſtoteliſchen Philoſophie auch die zoologiſchen Schriften bedacht
hat, ſo ſtellt ſich eine Bekanntſchaft des Orients mit der Zoologie des
Stagiriten dar in Ueberſetzung, Compendium und Commentaren ver-
ſchiedner Art. Und doch haben alle die bisher erwähnten Ueberſetzer
und Commentatoren bei weitem nicht denſelben Einfluß auf die Wie-
deraufnahme ariſtoteliſcher Studien, beſonders der zoologiſchen Seiten
ſolcher, im Abendlande gehabt wie die Ueberſetzungen des Ibn Sina
und Ibn Roſchd.
[173]Die Zoologie der Araber.
Abu Ali el-Hoſein ben Adallah el-Scheich el-Reis Ibn
Sina (nach der hebraiſirten Form Avicenna, 980-1037), deſſen
philoſophiſche Stellung oben charakteriſirt wurde, ſoll ſämmtliche
Schriften des Ariſtoteles in einem Werke von zwanzig Bänden com-
mentirt haben. Daſſelbe iſt jedoch nach Oſſeibia unter dem Sultan
Maſud verloren gegangen. Dagegen iſt noch ein Commentar von ihm
über des Ariſtoteles Schriften über die Thiere erhalten, welchen Mi-
chael Scotus aus dem Arabiſchen in's Lateiniſche überſetzt hat. Es iſt
derſelbe nicht in der ſtrengen Form eines den Text fortlaufend erläu-
ternden Commentars, ſondern als eine freiere Paraphraſe verfaßt wor-
den, bietet alſo dieſelbe Form dar, wie die Schriften Alberts des
Großen. Die Schrift iſt nach der ſoeben angeführten Art in neunzehn
Bücher eingetheilt, umfaßt alſo die Thiergeſchichten, über die Theile
und über die Zeugung. Davon ſind jedoch, wenigſtens in der allein
erhaltenen auszugsweiſen Ueberſetzung des Michael Scotus, ein-
zelne Bücher ſehr kurze, zuweilen nur wenige Zeilen lange unvollſtän-
dige Auszüge, wie z. B. das elfte, dem erſten der Schrift über die
Theile entſprechende. Wo übrigens von Albert dem Großen Avicenna
citirt wird, iſt es nicht bloß dieſe Paraphraſe, ſondern eben ſo oft ſein
Canon, in welchem ſowohl Heilmittel von Thieren als giftige Thiere
ihrem mediciniſchen Verhalten nach geſchildert werden. Man könnte
nach der hebraiſirten Form des Namen, unter welcher Ibn Sina
vom Mittelalter an meiſt genannt wird, vermuthen wollen, auch Mi-
chael Scotus habe nach einer hebräiſchen Ueberſetzung ſeine lateiniſche
Uebertragung angefertigt, eine Meinung, welche Camus vertheidigt;
doch hat ſchon Jourdain die Benutzung des arabiſchen Originals
wahrſcheinlich gemacht110). Jedenfalls war Ibn Sina nach hebräiſchen
Ueberſetzungen anderer Werke bereits als Avicenna bekannt, welche auf
Veranlaſſung des Erzbiſchofs Raimund von Toledo von mehreren Ju-
den, unter ihnen Johann von Sevilla (Avendeath) veranſtaltet wurden.
Abul Welid Muhammed ben Achmed Ibn Roſchd, hebraiſirt
[174]Die Zoologie des Mittelalters.
Averroes (1120-1198) iſt für die Entwickelung der mittelalter-
lichen Philoſophie zwar von ungleich größerer Bedeutung geweſen als
Avicenna; in Bezug auf ſeinen Einfluß als Verbreiter der ariſtoteli-
ſchen Zoologie ſteht er aber dieſem nach. Die von ihm betonte und für
ſein ganzes Syſtem charakteriſtiſche Trennung zwiſchen Philoſophie und
Theologie hat vielleicht hauptſächlich dazu beigetragen, den nur oder
vorwiegend in averroiſtiſchem Gewande bekannten Naturhiſtoriker Ari-
ſtoteles im zwölften und dreizehnten Jahrhundert zu verbieten111), bis
er beſonders durch die Form der Commentare des Averroes allgemeiner
verbreitet von Albert dem Großen und Thomas von Aquino zu Anſehn
und ſelbſt kirchlicher Geltung gebracht wurde. Eine eingehende Kennt-
niß der Zoologie des Ariſtoteles hat aber Averroes nicht vermittelt.
Freilich hat er über ſämmtliche zoologiſche Schriften des Stagiriten
Commentare verfaßt112), welche ſich meiſt als exegetiſche Erklärungen
dem Texte anfügten und dieſen nur ſeltener ausführlich paraphraſirten.
Doch ſind dieſelben weder im Originale je gedruckt worden, noch jetzt
ſämmtlich erhalten. Der Commentar zu der Thiergeſchichte fehlt und
nur der zu den Schriften über die Theile und über die Zeugung iſt nach
hebräiſchen Ueberſetzungen noch vorhanden, von denen bereits 1169
in Sevilla eine angefertigt wurde. Auch ſpäter noch werden hebräiſche
Ueberſetzungen gerade dieſer Commentare, d. h. über das 11. bis 19.
Buch der geſammten Zoologie des Ariſtoteles erwähnt, ſo die des Ja-
cob ben-Machir (1300) und des Abba More Jarchi (um 1306), wäh-
rend ſchon 1260 Moſes Aben Tibbon ſeinen Religionsgenoſſen eine
vollſtändige Ueberſetzung der Commentare des Averroes gegeben hatte.
Es iſt aus dem Vorhergehenden erſichtlich, daß die Araber durch
ihre eigenen Arbeiten zur Förderung der Zoologie nur äußerſt wenig
und nur in beſchränktem Sinne beitrugen, da ſich ſowohl in ihrem Na-
[175]Die Zoologie der Araber.
tionalcharakter als in ihrer in dieſem wurzelnden Religionsform Hin-
derniſſe genug für eine wirkſame Behandlung einer von ſtrenger Beo-
bachtung ausgehenden und wenig Anhaltepunkte für abergläubiſche
Phantaſtereien darbietenden Wiſſenſchaft vorfanden. Dagegen iſt die
culturhiſtoriſche Bedeutung der Araber und beſonders der Syrer, ſowie
ihr Verdienſt um die Zoologie dadurch ſicher begründet, daß ſie dieſelbe
durch Aufnahme und ſpätere Uebermittelung der Schriften des Alterthums
entwickelungsfähig hielten und ihr Wiederaufleben in einer Zeit ermög-
lichten, wo die Geiſter ſich kräftiger zu bewegen begannen, und daß ſie
beſonders durch die Philoſophie des Averroes, welche eine wiſſenſchaft-
liche Naturforſchung denkbar werden ließ, zu eingehender Beſchäftigung
mit der Natur veranlaßt wurden. Freilich äußerte ſich die letztere mehr
in dem Durchſuchen und der theilweiſen oder völligen Wiedergabe der
Meiſterwerke des Alterthums. Aber gerade dieſer Umſtand, daß jenes
durch poetiſche Erhebung und religiöſen Enthuſiasmus ſo ausgezeichnete
Zeitalter die letztern wieder erhielt, war von durchgreifender Wichtigkeit.
Das Hauptgewicht wurde bis jetzt auf die Kenntniß der ariſtote-
liſchen Schriften gelegt, wie ja zweifelsohne das Wiedererſcheinen der-
ſelben in der Bildungsgeſchichte des Mittelalters den Eintritt einer
neuen Periode bezeichnen muß. Nun wird aber einer weit verbreiteten
Meinung zufolge häufig angeführt, Ariſtoteles habe ſich im Mittelalter
auf dem Gebiete der Zoologie mit Plinius in die Herrſchaft getheilt.
Es mag gleich hier bemerkt werden, daß allerdings ſeit dem dreizehnten
Jahrhundert Plinius häufig geleſen wurde. In Süddeutſchland war er
ſchon im elften Jahrhundert113). Robert de Thorigny brachte ihn zu-
erſt 1189 nach dem Kloſter Le Bec, wo hundert Jahre früher Lanfranc
den Eifer für litterariſches Wiſſen geweckt hatte. Sein Anſehn ſtieg
auch im Allgemeinen ſo, daß im fünfzehnten Jahrhundert für ihn in
Brescia ein eigner Lehrſtuhl gegründet wurde. Um aber jene Behaup-
tung rechtfertigen zu können, müßte ſich nachweiſen laſſen, daß der Ein-
fluß des Plinius nicht bloß im Ganzen auf die naturgeſchichtlichen
[176]Die Zoologie des Mittelalters.
Ideen jener Zeiten, ſondern beſonders auf die epochemachenden Werke
des dreizehnten Jahrhunderts ein irgend wahrnehmbarer geweſen wäre.
Es werden ſpäter die Quellen der letzteren einer Erörterung zu unter-
werfen ſein. Was das erſtere betrifft, ſo iſt an Folgendes zu erinnern.
Die zoologiſche Bildung und die dieſelbe allein oder vorzugsweiſe tra-
gende ärztliche Wiſſenſchaft war in den Händen der Araber und gieng
von ihnen auf die jüdiſchen Schulen des ſüdlichen Mitteleuropa's über.
Dieſen Weg hatte auch Ariſtoteles gefunden. Sollte Plinius einen
gleichen Einfluß gehabt haben, ſo müßte auch er den Arabern bekannt
geweſen und von ihnen im Abendlande weiter verbreitet worden ſein.
Fabricius führt in ſeiner Bibliotheca latina eine arabiſche
Ueberſetzung des Plinius von Honiam, d. h. wohl von Joannitius
(Abu Said Honein ben Iſhak) an; dieſe exiſtirt aber ſicher nicht.
Dagegen kommen häufig in arabiſchen Schriftſtellern Verweiſungen
auf einen gewiſſen Belinas oder Belinus oder Bolonius, je nach der
verſchiedenen Vocaliſation, vor. Von ihm werden verſchiedene Schrif-
ten angeführt, ſo ein Buch: das Geheimniß der Natur, ein Buch der
Eigenſchaften, ein Buch der Urſachen, ein Buch von den ſieben Kör-
pern (d. i. Gold, Silber, Kupfer, Eiſen, Blei, „chineſiſches Eiſen“
und Zinn)114) und in Kazwini's Schrift noch ein Buch: die beſondern
Eigenthümlichkeiten der Thiere (Chawass el-Haiwân). Hier an Plinius
zu denken, lag aus mehreren Gründen nahe. Das Geheimniß (Sir)
der Natur konnte leicht in eine Geſchichte (Siar) der Natur übergehen.
Die Umwandlung des Namens konnte keine Schwierigkeit machen.
Aus dem Alterthum war kein andrer Schriftſteller ähnlichen Namens
und gleicher Richtung bekannt. Und daß dieſer ſogenannte Plinius eine
von dem hiſtoriſchen verſchiedene halb mythiſche Perſon geworden war,
die zu den ſieben Weiſen gerechnet wurde, der Lehrer Alexanders des
Großen geweſen ſein ſollte u. ſ. w., konnte bei Orientalen, welche
Rom nicht kannten, ſondern unter ihrem „Rum“ Conſtantinopel ver-
[177]Die Zoologie der Araber.
ſtanden, nicht weiter befremden. Man hielt denn auch wirklich dieſen
Belinus eine Zeit lang für Plinius. Doch hatte ſchon 1800 (an VII)
Sylveſtre de Sacy richtig den Namen auf Apollonius von
Tyana gedeutet115), was dadurch zur Evidenz bewieſen wird, daß
in Jakut's geographiſchem Wörterbuch116) bei dem vollſtändig vocali-
ſirten Namen Bolonias die Vermuthung ausgeſprochen wird, daß die
Stadt dieſes Namens nach dem „Sahib el-tilſamat“, dem Herrn der
Talismane, ſo genannt ſei. Dies iſt aber Apollonius.
Auf das Leben und den Charakter dieſes ſo verſchieden beurtheil-
ten Mannes, welcher, ein Zeitgenoſſe von Chriſtus117) häufig dieſem
als letzte ideale Erſcheinung des Heidenthums gegenübergeſtellt worden
iſt, hier näher einzugehn, wäre nicht am Orte. Iſt einmal nachgewie-
ſen, daß er und nicht Plinius den Arabern als naturhiſtoriſcher Schrift-
ſteller bekannt war, ſo verliert das weitere Nachſuchen in den ihm zu-
geſchriebenen Beobachtungen das Intereſſe für eine Geſchichte der Na-
turwiſſenſchaften. In ſeinem von Philoſtratus im dritten Jahrhundert
geſchilderten Leben werden auch ſeine Reiſen erzählt; und da finden
ſich denn zahlreiche Züge aus Agatharchides, Kteſias u. A., von der
Martichora, den Pygmäen und Greifen, dem Phönix, der Drachenjagd,
von einem bis auf die Bruſt ſchwarzen, von da abwärts weißen Weibe,
u. ſ. w., Geſchichten, welche mehr oder weniger übereinſtimmend in den
antiken Fabeln über Indien vorkommen, alſo hier kaum original ſind.
V. Carus, Geſch. d. Zool. 12
[178]Die Zoologie des Mittelalters.
Wenn daher auch zugegeben werden muß, daß Plinius im drei-
zehnten Jahrhundert bekannt war, was ſchon durch die häufigen Citate
bewieſen wird, ſo trat er doch erſt ſpäter in das litterariſche Leben des
Mittelalters ein. Dies beherrſchte Ariſtoteles auch auf naturwiſſen-
ſchaftlichem Gebiete, theils durch den von den Arabern überlieferten
Text ſeiner Schriften, theils durch die ſich an ihn ſchließende Auffaſ-
ſung der Methode, wie ſie beſonders von Averroes entwickelt wurde.
Das dreizehnte Jahrhundert.
Erweiterung der ſpeciellen Thierkenntniß.
Iſt es auch immerhin mißlich, in einer allmählichen Entwickelung
der Kenntniß feſte Abſchnitte unterſcheiden zu wollen, ſo bieten ſich
doch für das dreizehnte Jahrhundert einzelne epochemachende Momente
dar. Hierunter iſt das Wiedererſcheinen des Ariſtoteles das wichtigſte.
So nothwendig nämlich für die erneute Erhebung der allgemeinen Bil-
dung im Abendlande das Wiederanknüpfen an die geiſtigen Leiſtungen
der Alten war und ſo ſehr man wohl im Allgemeinen Recht hat, das
eben von dieſem Standpunkte aus ſogenannte Wiederaufleben der Wiſ-
ſenſchaften an das Auftreten der großen Humaniſten im vierzehnten
und fünfzehnten Jahrhundert zu knüpfen, da ſie im Großen und Gan-
zen jenes Anknüpfen möglich machten, ſo war aus demſelben Grunde
für die Geſchichte der Naturwiſſenſchaften das dreizehnte Jahrhundert
ungleich wichtiger. Es liegt auch hier der Schwerpunkt in dem Wie-
dererſcheinen des Ariſtoteles; er tritt zunächſt nicht in ſeiner antiken
Geſtalt auf, welche bei der Unbekanntſchaft mit der griechiſchen Sprache
nicht einmal allgemein hätte wirken können, ſondern er wirkte durch
ſeinen, ſelbſt durch die orientaliſche Verbrämung und ſcholaſtiſche Ver-
wäſſerung nicht völlig unterdrückbaren Geiſt. Ueberhaupt ſteht die
ganze Zeit, in welcher er von neuem auftrat, in einem ſo directen, von
keiner gewaltigen Erſchütterung des ganzen Erdtheils unterbrochenen
[179]Das dreizehnte Jahrhundert.
Zuſammenhange mit der modernen Welt, die ganzen Anſchauungen,
Sitten, Beziehungen dieſer wurzeln ſo ſehr in der vorhumaniſtiſchen
Zeit des Mittelalters, daß man trotz der bedeutenden Oede des vier-
zehnten und fünfzehnten Jahrhunderts doch das dreizehnte mit Fug
und Recht als Ausgangspunkt wie der naturwiſſenſchaftlichen Erhebung
im Allgemeinen, ſo beſonders auch der Zoologie anſehen darf. Ueber
den allerdings kaum hoch genug zu ſchätzenden, aber doch immer nur
formalen Werth der mit dem Aufblühn des Humanismus erwachenden
und durch ihn geförderten Bildung, welche beſonders der wiſſenſchaft-
lichen Darſtellungsweiſe wieder Geſchmack und beſſere Form einbrachte,
hat man nun aber leider verſäumt, tiefer eingehend ſich mit dem gei-
ſtigen, jetzt nur in Schriften noch erkennbaren Leben jenes merkwür-
digen Zeitalters auch auf anderm als theologiſchem Gebiete zu beſchäf-
tigen und vor Allem die litterariſchen Fäden zu verfolgen, welche jetzt
nicht bloß bei den einzelnen Schriftſtellern der betreffenden Zeit, ſon-
dern auch in den wechſelſeitigen Verkehrserſcheinungen verwandter Lit-
teraturen ſich zu faſt unlösbarem Knoten zu verſchlingen ſcheinen. Die
nachher ſpecieller zu erwähnenden wichtigen Werke erhalten allerdings
durch das Anknüpfen an Ariſtoteles ihre größte Bedeutung. Da ſie
aber in einer Zeit erſchienen, in welcher in Folge der Kreuzzüge, des
regeren Verkehrs, des allgemeinen freieren Aufſchwungs eine lebendi-
gere Theilnahme für die Natur rege wurde und in welcher daher auch
die Litteratur ſich reichlicher auf Beſprechungen natürlicher Erſcheinun-
gen einließ, ſo wäre es nicht bloß von litterariſchem Intereſſe, den
Boden auf dem ſie ſich erheben, mehr in's Einzelne kennen zu lernen,
als es für jetzt noch möglich iſt.
Wäre mit dem Bekanntwerden des Ariſtoteles gleich ſeine Me-
thode oder wenigſtens ſeine Anſchauungsart überall zu Grunde gelegt
worden, ſo würde eine Unterſuchung über das zu jener Zeit vorliegende
Material an bekannten Thierformen beſondere Bedeutung erhalten.
Es ließe ſich daraus ableiten, bis zu welchen wiſſenſchaftlichen Folge-
rungen zu ſchreiten die Zeit in der Lage war. Nun gab es allerdings
damals weder Zoologen von Fach noch ſich vorzüglich mit Thierge-
ſchichte beſchäftigende Aerzte. Doch iſt es immerhin von Wichtigkeit,
12 *
[180]Die Zoologie des Mittelalters.
einen kurzen Ueberblick über die Thiere zu erlangen, auf deren nähere
Bekanntſchaft der allgemein philoſophiſch gebildete Schriftſteller ebenſo
wie der gebildete Laie ſeine zoologiſchen Anſchauungen gründete.
Auch für das Mittelalter iſt noch das Fehlen des Begriffs einer
naturhiſtoriſchen Art bezeichnend. Das Befangenſein im logiſchen For-
malismus ließ den Beobachter, auf welchen doch die Gleichheit und we-
ſentliche Uebereinſtimmung ſo mancher Thiergeſtalten einen Eindruck
machen mußte, nicht aus dem Bereich rein formaler und verbaler Di-
ſtinctionen und Definitionen heraustreten und zu der Frage nach dem
natürlichen Grunde einer ſolchen Uebereinſtimmung kommen. Abälard
ſagt zwar ſchon: nihil omnino est praeter individuum. Was aber
darüber hinausgieng, wird nur logiſch formal entwickelt, wofür ſich
zahlreiche Belege anführen ließen118). Mit dieſem Fehlen des Artbe-
griffs hängt auch der Mangel einer wiſſenſchaftlichen Nomenclatur zu-
ſammen. Die Thiere werden noch ganz nach antiker Art mit einem der
gewöhnlichen Umgangsſprache entnommenen Namen bezeichnet. Die
Wiedererkennung der Thiere war daher nur nach dem Grade ihrer
Verbreitung und des davon abhängigen Bekanntſeins in weiteren Kreiſen
möglich, da ja mit einem wiſſenſchaftlichen Namen auch eine wiſſen-
ſchaftliche Beſchreibung oder Charakteriſirung fehlte. Folge hiervon
war das häufige Schwanken der Bezeichnungen für ein und daſſelbe
Thier nach Verſchiedenheit der Fundorte und iſt noch heute die Schwie-
rigkeit der Nachbeſtimmung.
Unter den Hausthieren nahm im Mittelalter das Pferd die her-
vorragende Stelle ein; ſeine Zucht war ſehr verbreitet 119) und galt für
[181]Das dreizehnte Jahrhundert.
wichtig. Das Pferd war klein, ebenſo wie das Rind; es war Reit-
und Zugpferd. Eſel werden im burgundiſchen Recht erwähnt; im Mon-
ſeuer Gloſſar findet ſich auch der Onager als wilder Eſel120); auch
werden Eſelsmühlen erwähnt. Auch das Rind wurde als Zugvieh be-
nutzt121); zur Zeit Chlotar's I. fuhr der König mit Ochſen zur Volks-
verſammlung. Für die Verbreitung der Rinderzucht ſpricht auch das
Auftreten von Viehſeuchen, von welchen aus den Jahren 809 und 994
Erwähnung gethan wird122). Zur Beſtimmung der vorzüglich gezüch-
teten oder gehaltenen Raſſen fehlt es an genauern Beſchreibungen und
Abbildungen. Neben dem Hausrind wird noch der Ur (Bos primige-
nius), der Wiſent (Bison europaeus)123) und der Büffel als Jagd-
thiere aufgeführt124). Die Schafzucht ſtand noch zu Karl's des Großen
Zeit der Schweinezucht nach und kam ihr erſt ſpät wenigſtens gleich125).
Auch Ziegen wurden gehalten, aber weder hier noch beim Schaf und
Schwein werden Raſſen geſchildert. Zahlreich waren dagegen die Hun-
deraſſen, obſchon auch hier beim Mangel eingehender Beſchreibungen
eine genauere Vergleichung mit den jetzt lebenden, bekanntlich zum Theil
noch immer verändernden Raſſen ſehr ſchwer ſein dürfte. Nach den
Friſiſchen, Alemanniſchen und bayriſchen Geſetzbüchern werden fol-
119)
[182]Die Zoologie des Mittelalters.
gende Raſſen zuſammengeſtellt126): Leithund, Treibhund, Spürhund,
Biberhund, Windſpiel, Habichthund (Hapihuhunt), Bären- und Büffel-
fänger, Schweinhund, Schafhund, Viehhund, Hofhund (Hovawarth)
und Barnbrake (nach Schilter ein kleiner Schoßhund). Es fällt auf, daß
keine der älteren Verordnungen der Hundswuth irgend Erwähnung
thut127). Von jagdbaren Thieren nennt das bayeriſche Geſetz (Lex
Baj. Tit. IX, VII) Bären und Büffel, Hoch- und Schwarzwild und
das Alemanniſche Geſetz (Lex Alemann. Taf. 99. IV) hat gleichfalls
bereits die Eintheilung in Schwarz- und Hochwild und thut auch der
Büffel und Biſons Erwähnung. Außer dem Edelhirſch128) kannte man
den Elch (Elenn), den Schelch (Rieſenhirſch) und das Rennthier129).
Wölfe wurden zuweilen gezähmt130). Bären gab es noch 1057 in
Schottland (auch ſpäter, in Thüringen bis in's ſiebenzehnte Jahrhundert;
im Fichtelgebirge wurde der letzte Bär 1769 erlegt 131). Eine beträcht-
[183]Das dreizehnte Jahrhundert.
liche Ausdehnung hatte der Pelzhandel; gröbere Pelze kamen aus Nor-
den; Biber, Zobel, Hermelin (welcher auch in England geſchätzt war)
aus Rußland und Vinland (Nord-Amerika)132). Zu den bekannte-
ren Thieren gehörten noch Elefant, Kamel, Leoparden, Luchſe133).
Waren die erwähnten Thiere und deren Bekanntſchaft allgemeiner
verbreitet, ſo entwickelte ſich nach Lage und Beſchäftigung der Einwoh-
ner auch eine beſondere Kenntniß einzelner Gruppen. So weiſt der im
dreizehnten Jahrhundert entſtandene nordiſche Königsſpiegel nach, daß
man in dieſer Zeit im Norden eine ſehr genaue Kenntniß der einzelnen
Walthierformen, beſaß. Das genannte Schriftſtück führt auf: Huiſa,
Vogunhvalr, Hofrungar, Svinholr, Andvahlr, Hafrnhvalr, Hahiringr,
Huitingar, Sildrecki, Buhrvalr, Sandlågia, Slottbakr, Geirhvalr,
Hafrkiki, Hrosvalr, Randkembingr, Nachvalr, Skelinngr, Hafreidr,
Reidr; außerdem werden noch erwähnt Troldhvale, Tröllhvalur, Stei-
pereidar, Fifrrecki134).
Von Vögeln fanden ſich auf den Höfen des Mittelalters nach dem
ſaliſchen Geſetze Hühner, Enten, Gänſe (wegen der Weichheit ihrer Fe-
dern gerühmt), Kraniche und Schwäne. Nach Karls des Großen Aen-
derung des erwähnten Geſetzes bleiben Schwan und Kranich weg (letz-
terer wird noch 1279 als Zugvogel erwähnt). Doch empfahl derſelbe
ſeinen Amtsleuten (in dem capitular. de vill. § 40), darauf zu ſehen,
daß allerhand ſchönes und ſeltenes Geflügel das Gehöft verziere135), als
Edelhühner, Pfauen, Faſanen, Enten, Tauben, Turteltauben und
131)
[184]Die Zoologie des Mittelalters.
Rebhühner. Später werden auch Singvögel erwähnt. Als Vögel,
welche ſprechen gelernt hatten, führt Ruodlieb an Raben, Dohlen,
Staare und Papageyen. Als zur Jagd verwendete Vögel werden im
bayriſchen Geſetze erwähnt: Kranichhabicht, Ganshabicht, Entenha-
bicht und Sperber. Die ſeit dem vierten Jahrhundert in Europa ver-
breitete Falkenbeize erhielt in dem vorliegenden Zeitraum durch Ein-
führung einiger im Oriente verbreiteter Einrichtungen beſondere Ent-
wickelung. So trat z. B. an die Stelle des ſogenannten „Aufbräuens“
(ciliatio), wobei mittelſt eines eingeſtochenen Fadens das untere Au-
genlid über das Auge hinaufgezogen wurde, damit der Falke bei der
Zähmung nichts ſehen könne, zur Zeit Friedrich's II. die Haube,
welche im Orient allgemein verbreitet war136). Wie hier eine beſondere
Sitte, ſo waren es überhaupt Vögel, welche bei der häufigeren Be-
rührung mit fremden Völkern eingeführt wurden. So erzählt beiſpiels-
weiſe eine Schilderung des Zuſtandes des Elſaſſes im Beginn des drei-
zehnten Jahrhunderts: „Man hielt nur eine Art kleiner Hühner; erſt
ſpäter wurden große Hühner mit Bart und Kämmen, ohne Schwänze
mit gelben Beinen aus entfernten Gegenden eingeführt. Es gab nur
eine Gattung von Ringel- und Holztauben; die griechiſchen Tauben,
die Federn an den Füßen haben, und mehrere andere Sorten wurden
erſt ſpäter in das Elſaß eingeführt. Faſanen brachte zuerſt ein Kleriker
aus den überſeeiſchen Ländern mit“137).
Außer den Wunderberichten über einzelne Schlangen und Lind-
würmer, welche nicht gar zu ſelten die mittelalterlichen Erzählungen
ſchmücken, aber wenig eingehende Kenntniß von der Natur jener Thiere
verrathen, ſind die Nachrichten, welche über eine Bekanntſchaft mit
Reptilien und Amphibien Licht verbreiten könnten, ſehr dürftige. Daß
Irland von Fröſchen, Kröten und Giftſchlangen frei ſei, beruht auf
alten oft wiederholten Angaben. Sonſtige Einzelheiten werden nur
ſelten berührt. Vom Jahre 1277 wird angeführt, daß ein herumſchwei-
[185]Das dreizehnte Jahrhundert.
fender Geiſtlicher in Baſel Schlangen gefangen habe, mit denen er
nach Belieben verfahren ſei und wunderbare Sachen ausgeführt habe138).
Ungleich reichhaltiger ſind die Nachrichten über Fiſche. Doch er-
ſchwert das Fehlen eingehender Beſchreibungen die nachträgliche Be-
ſtimmung oft ſehr. Die Kenntniß dieſer Thiere verbreitet ſich mit den
Mönchen, denen die Erlangung leicht zu erreichender Faſtenſpeiſen Be-
dürfniß war. Die lateiniſch ſchreibenden, keltiſch ſprechenden iriſchen
Mönche brachten viele Ausdrücke mit nach Deutſchland, welche ſich hier
einbürgerten. Der Fiſchzug Trahte oder Trachte iſt tractus, das Netz
iſt Segen, sagena. Einzelne Ortſchaften erhielten ihren Namen nach
Fiſchen; ſo z. B. Jockrim zwiſchen Germersheim und Lauterburg, an
deſſen Fuß einſt der Rhein gefloſſen iſt; es heißt auf deutſch Sal-
meneck, iach iſt iriſch Salm, rhim Rand, Eck139). Selten wurden
einzelne anatomiſche oder biologiſche Eigenthümlichkeiten beachtet, und
dann mehr als wunderbare Erſcheinungen. So wird berichtet, daß im
Bisthum Baſel im Thale der Süß in der Nähe von Granfelde ſich
Weißfiſche ohne Schwimmblaſe finden140). In ähnlicher Weiſe wird
z. B. noch erwähnt, daß im Hauſe der Deutſchherren zu Weißenburg
ein Aal auf einen Baum gekrochen ſei und in einem Neſte drei junge
Vögelein verſchluckt habe141). Eigentliche Fiſchordnungen ſind erſt
ſpäter aufgetreten; ſo iſt die älteſte des Dorfes Auenheim bei Kehl
vom Jahre 1442142). Doch haben ſchon früher einzelne geſetzliche Be-
ſtimmungen beſtanden. Es verbietet z. B. eine lex Wisigothorum,
um das Aufſteigen des Lachſes in die Flüſſe nicht zu hindern, das An-
[186]Die Zoologie des Mittelalters.
bringen querer Einzüge in die Flußmündungen143). Gewiſſe Fiſcharten
waren Regal; ſo war 1205 der Lachsfang an der Küſte pommerſches
Kammergut; ebenſo waren Störe und andere große Fiſche, die ein
Mann nicht tragen kann (ausdrücklich werden hier auch Walfiſche ge-
nannt), Regal144. Genauere Beobachtungen riefen die wirthſchaftlich
ſo wichtigen Züge der Häringe hervor. Bis zum dreizehnten Jahrhun-
dert gieng ihr Zug nach der pommerſchen Küſte, und ſie waren manch-
mal ſo gedrängt, daß man ſie mit den Händen auffangen konnte. Im
Jahre 1124 koſtete dort ein ganzer Wagen voll friſcher Häringe einen
Pfennig145). Im zehnten Jahrhundert war ihr Fang an den Küſten
von Norwegen, von England und Schottland, bei Calais und Greve-
lingen bedeutend. 1313 geriethen ſie nach ihrem Abzug von der Oſt-
ſeeküſte nach Schonen und Norwegen. Auch die Pilchards verfolgte
man aufmerkſam in Bezug auf ihre Wanderungen. 1310 wird er-
wähnt, daß ſolche bei Elham in Kent, alſo viel weiter weſtlich als ſpä-
ter gefangen worden ſeien. Der geſuchteſte Fiſch war im dreizehnten
Jahrhundert in England die Lamprete. Eine beſondere Kunſt des Fiſch-
fanges war der Fang mit der Bugloſſa, wofür aber die Erklärung
fehlt146). Einzelne Fiſche hier aufzuzählen würde nicht
am Orte ſein.
Zu den meiſten Arten, welche früher als den Alten bekannt aufgeführt
[187]Das dreizehnte Jahrhundert.
wurden, über welche aber etwas Näheres jetzt nicht bekannt war, kamen
noch viele Süßwaſſerfiſche. Doch wäre ein etwa zuſammenzuſtellendes
Verzeichniß ſchon deshalb unvollſtändig, weil nur die zufällig in Ur-
kunden, Annalen, Preisverzeichniſſen, Gedichten u. ſ. f. vorkommen-
den aufgeführt werden könnten. Hierbei wäre außerdem Süddeutſch-
land mit ungleich zahlreicheren Quellen vertreten, als andere Länder;
und dies iſt wieder von Einfluß auf die vorkommenden Bezeichnungen
der einzelnen Arten147).
Ausnehmend dürftig ſind die Notizen, welche auf eine allgemeine
Bekanntſchaft mit den Mollusken hindeuten. Schon im dreizehnten
Jahrhundert erſcheinen Auſtern auf Rechnungen für gelieferte Waaren,
im vierzehnten Jahrhundert außer denſelben auch Muſcheln148). Die
Naturgeſchichte der Weichthiere, für welche doch der Süden von Deutſch-
[188]Die Zoologie des Mittelalters.
land (von den Mittelmeerküſten ganz abgeſehen) mit manchen größeren
Arten Beobachtungsmaterial hätte darbieten können, iſt ebenſowenig
mit einer Bemerkung bedacht, als es deren Bau und Entwickelung ſind.
Unter den Inſecten ſind auch nur einzelne beobachtet worden. Im
Capitular Karls des Großen § 43 werden Scharlachwürmer erwähnt
ohne weitere Erklärung149). Im zwölften Jahrhunderte erhalten an
manchen Orten die Klöſter beſtimmte Abgaben an Scharlachwürmern.
Bereits im Jahre 550 hatten zwei Mönche die Eier des Seidenſpin-
ners von China nach Conſtantinopel gebracht, wo Juſtinian die Sei-
denzucht als Geheimniß betrieb. Später kam der Seidenbau durch die
Araber nach Spanien und 1130 durch König Roger nach Sicilien,
aber erſt im fünfzehnten Jahrhunderte nach Oberitalien und 1470,
ausgedehnter zu Anfang des ſechszehnten Jahrhunderts, nach Südfrank-
reich. (Die Wittwe des Herzogs Franz Otto von Braunſchweig-Lüne-
burg und Tochter des Churfürſten JoachimII von Brandenburg, Eli-
ſabeth Magdalena, ſoll um 1590, wahrſcheinlich behufs eines Verſuchs
zur Seidenzucht, Maulbeerbäume angepflanzt haben150). — Für die
Auffaſſung der ſyſtematiſchen Stellung der fliegenden Inſecten iſt es
nicht ohne Intereſſe, daß dieſe häufig als Vögel aufgeführt wurden151).
— Die größte Aufmerkſamkeit hatte die Biene erregt, deren Zucht ſchon
alt und ſehr verbreitet war152). Schüttelte doch ſchon in der altgerma-
niſchen Mythologie die Welteſche jeden Morgen Honigthau von ihren
Blättern, von dem ſich die Bienen nährten! Bereits im ſaliſchen Ge-
ſetz wird der Bienen gedacht. Man kannte die dreierlei Formen der
Bienen, hielt aber die Königin für das Männchen, den König oder
Weiſel, und die Arbeiter für eine eigne der Königin ähnliche Art (fucus
[189]Das dreizehnte Jahrhundert.
api similis). Man hatte verſchiedene Arten von Stöcken, ſolche von
Holz, von Rinde und von Geflecht153).
In Bezug auf foſſile Formen hatte man keine Ahnung eines rich-
tigen Verſtändniſſes. Der Bernſtein war zwar am geſchätzteſten, wenn
ſich einige Inſecten von der Natur darauf gebildet fanden154). Doch
machte man ſich über die Erklärung dieſer Erſcheinung keine Gedanken.
Auch die Funde größerer Knochen wurden nur als merkwürdige Vor-
kommniſſe chroniſtiſch verzeichnet155).
Bei der im Ganzen ſehr wenig ausgedehnten Bekanntſchaft mit
der Eigenartigkeit der Thierwelt und dem Fehlen zuverläſſiger Berichte
aus früherer Zeit war es nur natürlich, daß ſich Märchen und Fabeln
von Thieren leicht verbreiten und in die Litteratur feſt einwurzeln konn-
ten. Was von den Schriftſtellern des Alterthums bekannt war, be-
ſchränkte ſich entweder auf Dinge, welche der Naturbeobachtung fern
lagen, oder wo naturhiſtoriſche Autoren herangezogen wurden, waren
es mit allerhand Zuthaten verbrämte Auszüge oder Pſeudepigrapha.
So enthält z. B. das nach Letronne im Jahre 825 geſchriebene Werk
des iriſchen Geiſtlichen Dicuil156) vorzugsweiſe naturgeſchichtliche
Auszüge aus Solinus, welcher ſelbſt wieder Epitomator des Plinius
war. In die Reihe derartiger Schriften, durch welche mit andern nicht
hiſtoriſchen Erzählungen auch zoologiſche Fabeln verbreitet wurden, ge-
hört der Pſeudocalliſthenes, überhaupt die ganze Gruppe der die
Alexanderſage bearbeitenden Schriftſteller157). Die etwa um 200 n.
Chr. in Aegypten entſtandene Sage wurde der nicht griechiſch verſtehen-
[190]Die Zoologie des Mittelalters.
den Leſewelt durch die lateiniſche Ueberſetzung des Julius Valerius (im
vierten oder fünften Jahrhundert entſtanden) zugänglich und verbreitete
ſich beſonders in dieſer vielfach überarbeiteten Form über ganz Europa,
wie ſie denn im fünften Jahrhundert ſelbſt in das Armeniſche überſetzt
wurde. Spätere Formen, welche ſie durch Palladius, den Archipres-
byter Leo (Historia de preliis, zwiſchen 920-944) annahm, enthal-
ten einzelne ſich allmählich erweiternde Zuſätze. Ziemlich ſelbſtändig
ſteht neben der Sage der Briefwechſel zwiſchen Alexander und dem
Bragmanenkönig Dindimus da, welcher, ſeit dem 9. Jahrhundert in
Handſchriften häufig, mit den Berichten über Alexander's Aufenthalt
in Indien Quelle für manche ſpätere ethnographiſche Angabe geworden
iſt158). In der Alexanderſage kommen die Aspidochelone des Phyſiolo-
gus, der Odontotyrannus, die Oxydraken und andere auf einzelne Be-
obachtungen ſich gründende, aber durch die Phantaſie zu immer fabel-
hafteren Weſen ſich erweiternde Gebilde vor. Ein ſpäterer Abſchnitt
über die Leiſtungen der hiſtoriſchen Zoologie wird die Verſuche, dieſe
Formen zu deuten und ihren naturhiſtoriſchen Gehalt nachzuweiſen,
kurz anzuführen haben.
Mit eigenthümlicher Zähigkeit hat ſich eine von den manchen Fa-
beln Jahrhunderte lang zu erhalten vermocht, trotzdem ſich ſchon früh
einflußreiche Stimmen erhoben, welche das Unhaltbare der ganzen Er-
zählung darzuthun verſuchten, die Fabel von der Baumgans oder
überhaupt von gewiſſen, aus den Früchten an der Meeresküſte wach-
ſender Bäume ſich entwickelnden Vögeln. Bei der großen Ueberein-
ſtimmung, welche vorzüglich im zwölften und dreizehnten Jahrhundert
Schriftſteller aus oder über Großbritannien in Bezug auf das Vor-
kommen dieſer Vögel an Küſtentheilen jener Inſeln zeigten, hätte es
faſt ſcheinen können, als ob die Fabel die Erfindung einzelner engliſcher
[191]Das dreizehnte Jahrhundert.
Mönche geweſen ſei, welche den Genuß von Vögeln an Faſttagen da-
durch zu einem erlaubten zu machen geſucht hätten, daß ſie die Vögel
als vegetabiliſche Erzeugniſſe hinſtellten. Nach jenen Berichten allein
zu urtheilen wäre ungefähr das Ende des zwölften Jahrhunderts die
Zeit der Entſtehung dieſer Fabel geweſen. Dieſe Annahme läßt ſich
jedoch nicht halten; vielmehr weiſen andere Erſcheinungen auf ein höhe-
res Alter der wunderſamen Geſchichte, ebenſo wie auf einen andern
Entſtehungsort hin, wenngleich beides ſich leider nicht ſo feſt beſtimmen
läßt, daß man die allmähliche Verbreitung Schritt für Schritt verfol-
gen könnte.
In der nordeuropäiſchen Form der Fabel iſt die Bernikelgans
(Anser bernicla L.)Gegenſtand derſelben geworden159). Der älteſte
für die Exiſtenz der muſchelentſpringenden Vögel angeführte Schrift-
ſteller iſt im Norden Saxo Grammaticus; welches Land er aber
als Heimath der Baumgänſe anführe, wird nicht berichtet160). Ziem-
lich weit ſüdlich verlegt das Vorkommen derſelben Gervaſius Til-
borienſis (ſchrieb um 1210), welcher eine Küſtengegend des Erzbis-
thums Canterbury in Kent in der Nähe der Abtei Faverthſam als Fund-
ort bezeichnet161). Sylveſter Giraldus (Cambrenſis, geb. 1146,
ſtarb nach 1220) ſchildert die Vögel als in Irland vorkommend162).
An der flandriſchen Küſte ſollen ſie nach der Angabe des Jacobus de
[192]Die Zoologie des Mittelalters.
Vitriaco auf Bäumen entſtehen (ſtarb 1240)163). Hier wird überall
eine beſtimmte Oertlichkeit angegeben und einer Erwähnung dieſer Vögel
bei früheren Schriftſtellern nicht gedacht. Auch erwähnt noch ſpäter der
im Jahre 1331 geſtorbene Odoricus von Pordenone (de Porta
Naonis, auch von Udine genannt), daß ihn das in der Tartarei geſehene
ſogenannte vegetabiliſche Lamm an die Baumvögel in Schottland erin-
nert habe164). Der erſte Schriftſteller, welcher ſich für die Erzählung
auf ältere Quellen beruft, iſt der ſpäter ausführlich zu beſprechende
Thomas von Cantimpré. Er ſagt ausdrücklich, „die Barliaten
wachſen, wie Ariſtoteles ſagt, auf Bäumen; es ſind die Vögel welche
das Volk barnescas nennt“. Im Ariſtoteles findet ſich keine auf die
Fabel ſich beziehende Angabe; man könnte höchſtens die Behauptung
des Ariſtoteles hier anführen wollen, daß Inſecten in faulendem Holze
entſtänden. Daß der Gedanke an Inſecten nicht etwa weit hergeholt
iſt, beweiſt ein Citat bei Michael Mayer, welcher ſagt, Plutarch
habe in dem Tractate über die Frage, ob das Ei älter ſei als die Henne,
ſolcher Vögel Erwähnung gethan. Plutarch ſpricht aber in der einzigen
hierher zu beziehenden Stelle dieſer Schrift allein von der Entſtehung
von Inſecten aus oder in Bäumen, welche nun wohl, wie es oben für
Bienen und Ameiſen mitgetheilt wurde, als Vögel bezeichnet worden
ſein können165). Es erzählt übrigens Thomas von Cantimpré auch,
[193]Das dreizehnte Jahrhundert.
daß bereits InnocenzIII auf der Lateranſynode (alſo der vierten, 1215)
den Genuß dieſer Vögel in der Faſtenzeit verboten habe. Nach allen
dieſen Zeugniſſen ſcheint die Fabel vom dreizehnten Jahrhundert an
auf den Nordweſten Europa's localiſirt geweſen zu ſein, was auch aus
den Einwürfen hervorgeht, welche Albert der Große erhebt, der die
Vögel bei der Begattung und dem Brüten der Eier ſelbſt geſehen zu
haben berichtet, und wie auch ferner eine ſpätere Bemerkung beſtätigt,
mit welcher der Holländer Gerard de Vera die Geſchichte zurückweiſt.
Er ſagt, es ſei kein Wunder, daß bis jetzt (1597) noch Niemand die Vö-
gel Eier legen geſehen habe, da noch Niemand bis zum achtzigſten Grade
nördlich (Grönland) vorgedrungen ſei166). Dieſe Zurückweiſung ſpricht
mit den andern ſpäteren Berichten dafür, wie wenig die Widerlegungen
der Sage durch Albert den Großen und Roger Bacon ver-
breitet waren oder geglaubt wurden.
Es iſt nicht nöthig, die Verbreitung des Baumvogels durch die
Litteratur noch weiter zu verfolgen; er findet ſich bei Aeneas Sylvius,
Olaus Magnus, in dem Ortus ſanitatis, bei Mizaldus (in den Me-
morabilien, Centurie 8, Nr. 18), bei Hector Boethius, Abraham Orte-
lius u. ſ. w.167). Von Intereſſe iſt es aber, nachzuweiſen, daß die Fabel
ſchon früher beſtanden hat. Schon J. G. Schneider machte in der
Ausgabe des Werkes Friedrich's II über die Falkenjagd bei Erwähnung
der naturhiſtoriſchen Notizen in Gervaſius Tilborienſis (Bd. 2. S. 86)
auf eine Stelle des Peter Damiani aufmerkſam 168). Dieſer einfluß-
V. Carus, Geſch. d. Zool. 13
[194]Die Zoologie des Mittelalters.
reiche und durch ſeine Beziehungen zu GregorVII und deſſen Beſtre-
bungen zur Erweiterung der päbſtlichen Macht für das Mittelalter ſo
wichtige Mann (geb. 1006, geſt. 1072) hat unter ſeinen Schriften er-
baulichen Inhalts auch eine Abhandlung hinterlaſſen darüber, daß der
Schöpfer der Natur auch die Natur und ihre Wege abändern könne.
Dies belegt er unter andern damit, daß auch an einem Baume Vögel
entſtehen könnten, wie es auf der Inſel Thilon in Indien der Fall ſei.
Wegen dieſer Verlegung der Fabel nach Indien hält Schneider die
betreffende Stelle für verderbt, wofür indeß kein rechter Grund ange-
führt werden kann. Ueber verſchiedene Handſchriften und Textrecenſio-
nen des Peter Damiani iſt freilich nichts bekannt. Doch iſt dies nicht
das einzige Zeugniß, welches die Fabel nach dem Orient verweiſt. In
der Hauptſchrift der Kabbaliſtik, dem Sohar, wird II, 156 erzählt, der
Rabbi Abba habe einen Baum geſehen, aus deſſen Früchten Vögel ab-
geflogen ſeien. Der Sohar iſt in den Schulchan Aruch aufgenommen
worden und ſo findet ſich denn jene Stelle auch in dieſem halachiſchen
Hauptwerke wieder (Jore Deah, 84, 15)169). Nun wurde allerdings
der Schulchan Aruch erſt 1522 von Joſef Karo in Nikopoli verfaßt;
der Sohar wurde aber ganz in ihn einverleibt. Dieſer iſt der Sage
nach ſchon im zweiten Jahrhundert von Simeon ben Jochai verfaßt
worden, der Kritik nach war er aber erſt im elften Jahrhundert fertig.
Jellinek will Moſes ben Schem Tob de Leon als Verfaſſer anſehen
und weiſt ihn deshalb in das dreizehnte Jahrhundert. Doch hat dieſer,
welcher wahrſcheinlich den ganzen Sohar beſaß, vermuthlich nach und
nach einzelne Theile deſſelben handſchriftlich ausgegeben und dadurch
den Schein erweckt, als habe er ihn verfertigt. Für dieſe Anſicht ſpricht
beſonders die von Loria angeführte Thatſache, daß die rabbiniſchen
Gutachten der Gaonim zu Babel, welche bis zum Jahre 1000, aber
168)
[195]Das dreizehnte Jahrhundert.
nicht weiter herabreichen, den Sohar völlig unbefangen als Midraſch
ha-nielam oder Midraſch Jeruſchalmi citiren170). Wenn nun auch nicht
zu entſcheiden iſt, ob der die Erwähnung der Baumgans enthaltende
Theil zu dem ſchon vor dem babyloniſchen Talmud Fertigen gehört oder
nicht, ſo iſt doch die Wahrſcheinlichkeit ſehr groß, daß er vor dem Jahre
1000 geſchrieben war. Und dies wäre dann der älteſte Nachweis für
das Vorhandenſein einer Sage von Vögeln, welche aus den Früchten
gewiſſer Bäume entſtehen, und zwar ein Nachweis aus einem Theile
der Welt her, welcher überhaupt die Wiege ſo vieler Wundergeſchichten
geweſen iſt, dem Oriente. Iſt auch hiermit noch nicht im Sinne einer
ſtreng hiſtoriſchen Forſchung feſtgeſtellt, daß auch die Baumgans ein
Kind orientaliſcher Fantaſie ſei, ſo durfte die Hinweiſung auf die jeden-
falls völlig unbefangene jüdiſche Quelle nicht unterdrückt werden.
Derartige Erzählungen erhielten nun beſtändig neue Nahrung
durch die ſeit der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts immer häufiger
und ausgedehnter unternommenen Reiſen und den durch dieſelben
vermittelten Verkehr mit noch weniger bekannten Theilen des alten
Continentes. Hier war es nicht bloß Aſien, welches in ſeinem cen-
tralen Theile immer weiter durchwandert wurde, freilich um ſpäter
in größerem oder geringerem Grade wieder verſchloſſen zu werden, es
giengen auch zur Unterhaltung des Verkehrs mit Rom Miſſionen nach
dem chriſtlichen Abeſſinien, wodurch auch Centralafrica wenigſtens
theilweiſe mit in den Kreis des Beſprochenen eintrat. Fällt auch ein
großer Theil dieſer Unternehmungen und ihre Ausbeute erſt in das vier-
zehnte und das folgende Jahrhundert, ſo wurde doch von einzelnen der
Schriftſteller, die hier vorzugsweiſe zu erwähnen ſind, manches Frühere
davon ſchon benutzt. So kannte Roger Baco ſowohl den Joannes
de Plano Carpini, welcher ſchon 1246 Karakorum erreichte, als Ruys-
13*
[196]Die Zoologie des Mittelalters.
broeck (oder Wilhelm de Rubruquis), welcher 1253 im Auftrage Lud-
wig des Heiligen dahin gieng. Vincenz von Beauvais benutzte
Plan Carpin, den Benedictus Polonus, Nicolaus Aſcelinus u. a.171).
Waren die Genannten theils geradezu Miſſionare, theils Abgeſandte
an einzelne ſich in Centralaſien anſäſſig gemachte religiöſe Genoſſen-
ſchaften oder an aſiatiſche Fürſten, ſo knüpfte ſich doch auch bald ein
kaufmänniſches Intereſſe an derartige Reiſen. Dies war nun wohl
für die Erdkunde im Allgemeinen ein ihr Bereich erweiternder Gewinn,
inſofern als theils die Ortsbeſtimmungen, die klimatiſchen und ſonſtigen
phyſikaliſchen Verhältniſſe der erſchloſſenen Länder, die Verkehrſtraßen,
theils auch die Naturerzeugniſſe eine beſondere Aufmerkſamkeit fanden.
Die letztern waren indeſſen, beſonders was das Thierreich betrifft, in
viel zu untergeordneter Weiſe mit dem eigentlichen Zwecke dieſer Reiſen
verknüpft, als daß ſich wirkliche Bereicherungen hätten erwarten laſſen.
Dies gilt nicht etwa bloß von einer etwaigen wiſſenſchaftlichen Erfaſ-
ſung des nur Geſehenen, ſondern auch von einer allgemein populären
Kenntniß. Auch war ja weder die naturwiſſenſchaftliche Methodik ſo
weit entwickelt, daß die neuen Thatſachen entſprechend hätten ver-
werthet werden können, noch waren die nothwendigen Grundlagen zur
richtigen Beurtheilung des Geſehenen vorhanden. Es konnten in Folge
hiervon die Reiſenden auch keine Kritik an das ihnen an Ort und
Stelle über verſchiedene Naturerſcheinungen Mitgetheilte anlegen; ihr
Bericht iſt daher von mancherlei Wunderbarem, von orientaliſchen
Märchen wie von Fabeln aus antiken Quellen durchſetzt. Selbſt die
Berichte über die verſchiedenen Menſchen, welche zum Theil gut beob-
achtet wurden, blieben in Folge dieſes Hanges zum Wunderbaren nicht
frei von Mythen. Wenn auch Plan Carpin die Charaktere der mongo-
liſchen Raſſe im Ganzen ziemlich richtig angibt, ſo finden ſich doch ſelbſt
bei Marco Polo Erzählungen von geſchwänzten Menſchen, von Ohne-
köpfen, von Hundsköpfen, zu denen bei Maundeville noch die einfüßigen
Schnellläufer, die Einäugigen und die Pygmäen und ihr Kampf mit
Vögeln kommt.
[197]Das dreizehnte Jahrhundert.
Die bedeutendſte Reiſe, welche im dreizehnten Jahrhundert aus-
geführt wurde, iſt die der Gebrüder Poli, von denen der eine, Marco
Polo, ſiebenzehn Jahre lang (1275-1292) im Dienſte des mongo-
liſchen Großkhans, Kubilai, verblieb und das ganze Inneraſien vom
Oſtrande des ſchwarzen Meeres bis nach Peking und der Oſtküſte, und
vom Altai bis nach Sumatra kennen lernte. Um einen Beleg über die
Beſchaffenheit der naturgeſchichtlichen Belehrungen jener Zeit zu geben,
mag hier eine kurze Ueberſicht der wichtigſten zoologiſchen Mittheilun-
gen Marco Polo's folgen172).
Was zunächſt die Hausthiere betrifft, ſo hatte bereits Ruysbroeck
der wilden, auf den Steppen der Tartarei in großen Heerden lebenden
Pferde gedacht. Marco Polo rühmt die turkomaniſchen und perſi-
ſchen; im Usbekenlande finde ſich eine edle Raſſe, welche vom Buce-
phalus abſtammen ſoll. In der Stadt Schang-tu fand er einen großen
Marſtall mit zehntauſend milchweißen Hengſten und Stuten. Die
größten und ſchönſten Eſel waren in Perſien; ſie ſind ſchneller als
die Kamele und werden daher häufiger zum Transport benutzt.
Mauleſel wurden in Turkomanien gezüchtet. Den Buckelochſen oder
Zebu ſchildert Marco Polo als in Kamandu, einer unbekannten per-
ſiſchen Stadt geſehen. Den Grunzochſen oder Yak hatte bereits Ruys-
broek aus dem Lande Tangut erwähnt. Marco Polo ſchildert ihn bei
Erginul (Liang-tſchéu) als an Größe dem Elefanten gleich, weiß und
ſchwarz, an der Schulter mit drei Spannen langem Haar. Intereſſant
iſt es, daß er bereits einer Kreuzung des Yak mit dem gewöhnlichen
Rinde gedenkt; die hieraus entſpringenden Rinder ſollen eine edle Raſſe
darſtellen. Von Perſien werden wiederum die großſchwänzigen Schafe
geſchildert. Sie ſollen ſo groß wie die Eſel ſein mit langen, dicken, bis
zu 30 Pfund ſchweren Schwänzen. Im Lande Vokan ſollen die großen
Schafe bis zu drei bis ſechs Spannen lange Hörner tragen. Von
[198]Die Zoologie des Mittelalters.
Hunderaſſen erwähnt Marco Polo Windhunde, Dachſe und Dog-
gen173); auch erzählt er, daß im nördlichen Sibirien die Einwohner
ihre Schlitten mit Hunden beſpannen. Die Mekriten (ſibiriſche Tar-
taren) brauchen große hirſchähnliche Thiere zum Reiten, offenbar
Rennthiere. Für die geographiſche Verbreitung der Thiere iſt die
Angabe von Werth, daß Kubilai in der Nähe von Peking Jagdleopar-
den in ſeinem Jagdparke gehabt habe; dieſe, alſo Guepards und
Luchſe würden zur Jagd auf große Thiere gehalten. Der Kamelo-
pard ſoll auf Madagaskar vorkommen. Elefanten und Rhino-
ceros werden erwähnt aus dem Gebiete des (nicht namentlich bezeich-
neten) Jrawaddi und von Sumatra. Hier hält es Marco Polo für
ſeine Pflicht, eine Fabel zurückzuweiſen. Die Einhorne (Rhinoceros),
ſagt er, laſſen ſich nicht durch Jungfrauen fangen, wie man bei uns
wähnt174). Das Moſchusthier iſt in Tübet ſo verbreitet, daß der
Geruch überall bemerkbar iſt; in Erginul (Liang-tſchéu) findet ſich der
beſte Moſchus. Das Thier iſt nicht größer als eine Ziege, iſt einer
Antilope ähnlich, ohne Hörner, mit vier, zwei obern und zwei untern
Hauzähnen, welche drei Finger lang, ſchmal und weiß wie Elfenbein
ſind. Zur Zeit des Vollmonds bildet ſich in der Nabelgegend eine
Blaſe oder ein Schwär (apostema) voll geronnenen Blutes. Von
jagdbaren Thieren erſcheinen Eber, Hirſche Damhirſche, Rehe, Bären,
Zobel (Rondes), Pharaonismäuſe (Murmelthiere), ſchwarze Füchſe und
Haſen. Schon Marco Polo bringt Zeugniſſe für die weit nach Norden
reichende Verbreitung des Tigers, welcher meiſt unter dem Namen
Löwe erſcheint, der Beſchreibung nach indeß nicht zu verkennen iſt. Er
erwähnt ihn noch aus dem Gebiete des Irawaddi und von Sumatra.
In Sibirien kommen Bären mit weißem Pelze bis zu zwanzig Span-
nen Länge vor. Bei der Stadt Scaſſem (im Usbekenlande?) finden
ſich Stachelſchweine, welche, wenn ſie gejagt werden, die in ihrer
[199]Das dreizehnte Jahrhundert.
Haut befindlichen Stacheln als Pfeile ausſchießen. Während alſo Marco
Polo beim Nashorn die Fabel zurückweiſt, erzählt er ſie hier ohne wei-
tere Unterſuchung nach. In Indien kommen Fledermäuſe von der
Größe der Geier vor. An der Südſpitze von Indien leben Affen von
ſolcher Geſtalt und Größe, daß ſie den Menſchen ähnlich ſind, daneben
aber auch langſchwänzige. Eine Geſchichte, welche Thomas von Can-
timpré von den Amazonen erzählt, daß die Frauen von ihren Männern
getrennt leben und nur eine kurze Zeit des Jahres mit ihnen zuſammen
kommen, berichtet Marco Polo von den Bewohnern zweier Inſeln im
Ocean, zwiſchen Indien und Arabien; die eine ſoll von den Männern,
die andere von den Frauen bewohnt werden.
Von Vögeln werden am häufigſten die durch ganz Aſien zur
Jagd benutzten Falkenarten erwähnt. Die Tataren ſollen die beſten
Jagdfalken haben. Kubilai hatte zehntauſend Falkner; dabei wird aus-
drücklich der Pfeife und der Kappe Erwähnung gethan (richiamo und
cappelletto). Ihr Vorkommen wird conſtatirt von Perſien an, in den
Bergen von Balachſchan bis Schang-tu; in der Nähe des Oceans, an
der Oſtküſte Aſiens iſt ein Berg, auf dem viele Geier- und Wander-
falken niſten. Von Arten werden aufgeführt: Geierfalken, Wanderfal-
ken, Sperber, Lanerfalken, Habichte, Sperberfalken, Sakerfalken. Ob
auf dieſe Unterſcheidungen bis in's Einzelne Werth zu legen iſt, er-
ſcheint darum zweifelhaft, als zuweilen die Bezeichnung „Geier- (oder
Gir-) falken“ und „Wanderfalken“ ganz durcheinander für denſelben Vo-
gel gebraucht wird. Die übrigen Angaben über Vögel ſind ziemlich
dürftig. Erwähnt wird, daß während in Indien alle Thiere und Vö-
gel von den unſrigen ganz verſchieden ſeien, die Wachteln hiervon eine
Ausnahme machen, indem ſie ganz den unſrigen gleichen. In Quen-
lin-fu gab es Haushühner ohne Federn, mit ſchwarzem Haar, welches
dem Katzenfell glich. Faſanen, Birkhühner und in Perſien ungeheure
Mengen von Turteltauben zogen die Aufmerkſamkeit auf ſich. An der
Oſtküſte wurde von den Jagdfalken ein Vogel Bergelak gejagt, von der
Größe eines Rebhuhns mit Schwalbenſchwanz und den Krallen eines
Papageys. Am intereſſanteſten iſt die Angabe über den Vogel Ruth,
welcher auf Madagaskar leben und ſo groß und ſtark ſein ſoll, daß er
[200]Die Zoologie des Mittelalters.
einen Elefanten ergreifen und durch die Luft führen kann. Seine Flü-
gelweite mißt ſechszehn Schritt. Eine dem Großkhan mitgebrachte
Feder maß neunzig Spannen175). — Von andern Wirbelthieren wer-
den nur noch ungeheuer große Schlangen erwähnt, zehn Schritt
lang und zehn Spannen im Umfang. Sie ſollen vorn neben dem Kopf
zwei kurze Beine mit drei Klauen, wie die Tigerkatze haben und ſelbſt
größere Thiere, wie Löwen und Wölfe freſſen. — Unter den wirbel-
loſen Thieren waren nur die Muſcheln Gegenſtand der Aufmerkſamkeit
Marco Polo's. An der Südſpitze Indiens wurden ſchon damals Perl-
muſcheln gefiſcht. Alle Porzellanmuſcheln (Cowries), welche in andere
Länder ausgeführt und als Münze gebraucht werden, kommen von dem
Lande Lochak (auf Borneo).
Verglichen mit den Reiſen des Marco Polo ſind diejenigen, welche
ihm in gleicher Richtung folgten, für Erweiterung der zoologiſchen
Kenntniſſe von noch untergeordneter Bedeutung. Oderico de Por-
denone hat nicht bloß, wie bereits erwähnt, die Reihe der zoologiſchen
Fabeln noch mit dem vegetabiliſchen Lamm bereichert, ſondern auch ſeine
übrigen Angaben ſind ſo mit Aberglauben und alten Wundergeſchichten
durchwirkt, daß weder er noch ſein Plagiator oder Begleiter Sir
John Maundeville Anſpruch erheben können, hier noch mit Aus-
führlichkeit erwähnt zu werden176).
[201]Das dreizehnte Jahrhundert.
In Vorſtehendem wurde zu zeigen verſucht, welcher Art das Ma-
terial war, welches einer wiſſenſchaftlichen Bearbeitung etwa zu unter-
werfen geweſen wäre. Es frägt ſich aber nun zunächſt, ob und in
welcher Weiſe die Culturverhältniſſe jener Zeit überhaupt eine ſolche
Verwerthung möglich erſcheinen ließen. Es wurde früher auf die Ent-
wickelung der Philoſophie und die Stellung der Natur in ihrem Sy-
ſteme hingewieſen. Aus den Fortſchritten derſelben allein würde ſich
kaum die Wiederaufnahme zoologiſcher Beobachtungen erklären laſſen.
Es iſt daher nöthig, die andern einer ſolchen günſtigen und wichtigen
Momente kurz zu beſprechen, ehe die Hauptwerke des dreizehnten Jahr-
hunderts eingehender erörtert werden können.
Wiederauftritt des Ariſtoteles.
Vor Allem war es für die Möglichkeit einer wiſſenſchaftlichen Er-
faſſung der Natur, beſonders des belebten, mit geiſtigen Kräften und
freiem Willen begabten Thierreichs verderblich, daß die Gelehrſamkeit
früher ausſchließlich in den Händen der Geiſtlichkeit geblieben war, da-
neben aber eigentliche Forſchung noch immer fehlte. Was die Philoſo-
phie an weiterem Ausbau und Zuwachs erhielt, betraf faſt einzig und
allein die metaphyſiſche Begründung des Glaubensgehaltes, welcher
aber nicht etwa ſelbſtändig philoſophiſch aufgerichtet, ſondern fertig und
abgeſchloſſen dem Klerus überliefert wurde. Dabei war natürlich an
eine unbefangene Stellung des menſchlichen Geiſtes der Natur gegen-
über, als einem zu erklärenden Gegenſtande nicht zu denken. Es hatte
ſich ferner die Geiſtlichkeit nicht bloß, wie früher angedeutet wurde, von
der Laienwelt ſtillſchweigend abgelöſt, ſo daß ſie mit den von ihr ver-
tretenen Ideen dem übrigen Volke ſelbſt dann noch fremd gegenüber-
ſtand, als das perſönliche Verhältniß der beiden Elemente durch die
Ausbreitung der Bettelorden ein näheres geworden war, ſondern es
mußte der Kampf zwiſchen der Hierarchie und weltlichen Macht, welcher
im dreizehnten Jahrhundert (wie zum Theil ſchon im zwölften) zur
Emancipation und Oberherrſchaft des Pabſtthums führte, den Abſtand
noch fühlbarer machen.
[202]Die Zoologie des Mittelalters.
Blickt man daneben auf die äußern politiſchen Verhältniſſe Mit-
teleuropa's in der vorliegenden Periode, ſo bietet ſich in den beſtändigen
Kämpfen der Parteien kein Punkt der Ruhe dar, welcher einen Auf-
ſchwung wiſſenſchaftlichen Lebens hätte veranlaſſen können. Doch wur-
den gerade in dieſer Unruhe die Keime zur Neugeſtaltung vorzüglich der
ſo wichtigen ſocialen Verhältniſſe gelegt. Schon unter Friedrich dem
Rothbart wurden die Freiheiten der lombardiſchen Städte gegründet
und auf dem für die Stellung der kaiſerlichen Macht ſo traurigen Con-
greſſe von Venedig zum erſtenmale officiell anerkannt. Nach dem Tode
des genialſten, menſchen-, ſtaats-, und naturkundigen Kaiſers Fried-
rich's II. fühlten auch die deutſchen Städte, theils wegen der Unſicher-
heit ihrer Verkehrs- und Handelsbeziehungen, theils in Folge der wech-
ſelnden Parteiſtellung ihrer nächſten Territorialfürſten, das Bedürfniß,
eine ihrer immer wachſenden Bedeutung entſprechende äußere Stellung
zu erringen. Wie die deutſchen Fürſten und weltlichen Herren je nach
der Lage der Dinge und den aus derſelben für ihre Selbſtändigkeit her-
zuleitenden Folgen gemeinſam bald für, bald gegen den Kaiſer eintra-
ten, und eben ſo oft Bundesgenoſſen Roms wie deutſche Männer wa-
ren, ſo ſchloſſen ſich auch die Städte einzelner Gaue enger aneinander
und ſuchten ihre Intereſſen in die Wagſchale der Ereigniſſe zu legen.
Zunächſt nun erwuchs hieraus zwar ein neues Hinderniß allſei-
tigen geiſtigen Fortſchritts. Die Abſonderung der Stände hatte anfangs
die Folge, daß ſich ihre beſondern Leiſtungen nicht gegenſeitig durch-
drangen. Der von den Rittern und fahrenden Leuten gepflegten Dicht-
kunſt fehlte die „Reife des wiſſenſchaftlichen Nachdenkens“; der Wiſſen-
ſchaft dagegen, welche nur vom Klerus getrieben wurde, fehlte „Ge-
ſchmack, Phantaſie, künſtleriſche Geſtaltung und Abrundung“. Je
ſchärfer ſich aber dieſer Gegenſatz herausbildete, deſto eher wurde es
möglich, daß er überwunden wurde; und ſo kam es denn auch bald,
daß Bürgerliche und Laien in den Gelehrtenſtand eintraten. Damit
wurde der Grund gelegt, daß die Wiſſenſchaft volksthümlich177) wer-
den konnte.
[203]Das dreizehnte Jahrhundert.
Freilich dauerte es damit ſelbſt noch eine geraume Zeit. Denn die
ſcharfe Sonderung der Stände hatte zur weiteren Folge, daß auch der
nun nicht mehr ausſchließlich aus Geiſtlichen gebildete Gelehrtenſtand
ſich zünftig abzuſchließen ſuchte. Die Gründung der Univerſitäten, d. h.
urſprünglich die Privilegirung gewiſſer Lehrer- und Schülergemeinden
war der nächſte Schritt. An die Stelle des Dogmenzwangs, oder, da
derſelbe bei dem allgemeinen Einfluß des Klerus nicht ſofort zu beſei-
tigen war, neben denſelben trat nun der Schul- und Autoritätenzwang.
Es waren zwar weder die gelehrten Juriſten in Bologna, welche durch
die Authentica Friedrich's I zur Bildung einer Univerſität privilegirt
wurden, noch die ärztlichen Lehrer in Salerno Geiſtliche178); an einer
freieren Entwickelung der Wiſſenſchaft hinderte aber das ſtrenge Feſt-
halten an geſchriebenen Autoritäten, welche in den den Lehren zu
Grunde gelegten „Summen“ über die einzelnen Wiſſenszweige eine Be-
wegung nur in ſehr engen, durch das Vorwalten der Dialektik in noch
ſchärfere Grenzen eingeſchränkten Kreiſen geſtatteten.
Man könnte nun vielleicht meinen, daß das Bedürfniß nach expe-
rimenteller Grundlage wenigſtens die ſo häufig mit der Entwickelung
der Naturwiſſenſchaften in Beziehung gebrachten Aerzte veranlaßt oder
gedrängt hätte, in Bezug auf ihre Lehrweiſe einen Schritt weiter zu
gehn. Nach Allem aber, was hierüber bekannt worden iſt, verſtanden
die Aerzte der damaligen Zeit ebenſo wenig ſich der ſcholaſtiſchen Feſſeln
zu entledigen, wie die Lehrer anderer Wiſſenſchaften. Der Aufſchwung,
welchen die Phyſik in dem für ſein Zeitalter einzig daſtehenden Roger
Baco erhielt 179), entſprang andern Momenten, zum Theil wenigſtens
[204]Die Zoologie des Mittelalters.
denſelben, welche das Vorherrſchen der ſymboliſchen Zoologie, die Ver-
breitung der Alexanderſage und der Fabeln vom trojaniſchen Kriege
allmählich beſeitigten.
Hierbei iſt zunächſt des Auftretens arabiſcher Autoren im Abend-
lande zu gedenken, namentlich des Averroës. Hatte vom neunten bis
zwölften Jahrhundert Alles platoniſirt und Niemand ariſtoteliſirt, ſo
war die nüchterne, einer wiſſenſchaftlichen Forſchung zuſagendere philo-
ſophiſche Weltanſchauung des Averroes, welche ja weit über Ariſtoteles
hinausgieng, ein jedenfalls wirkſames Mittel, den Ariſtoteles ſelbſt
wieder möglich zu machen. Einzelne mehr oder minder deutliche An-
klänge an ariſtoteliſche Denkweiſe waren zwar ſchon im zwölften Jahr-
hundert, ſelbſt auf Seiten des platoniſchen Realismus erſchienen. So
ſagt z. B. Gilbertus Porretanus, daß die Individuen der
wahre Grund der ſinnlichen Welt ſeien, während die allgemeinen Be-
griffe der Gattungen und Arten in den Individuen nur Subſtanz ge-
winnen ſollen. Aehnliche Anſchauungen treten indeſſen in Folge des
Uebergewichtes, welches die ſtrengeren Lehrſätze des Realismus erhiel-
ten, zurück. Die der Naturlehre gewidmeten Arbeiten der arabiſchen
Ariſtoteliker fanden bei den moraliſirenden Scholaſtikern Widerſpruch.
Doch wurde „der Sinn für Erkenntniß der Natur angeregt und mit
phantaſtiſchen Ausſichten geſchmeichelt“. Und wenn auch jetzt noch die
neu auftauchenden Lehren und Meinungen immer nur an den Prüf-
ſtein der theologiſchen Dogmatik und Moral gehalten wurden, ſo haben
„die Gedanken der Averroiſten dazu beigetragen, die Hoffnungen auf
eine fruchtbare Naturforſchung zu beleben“.
Am meiſten trug aber hierzu bei, daß man außer den bis dahin
im Abendlande bereits verbreiteten philoſophiſchen Schriften des Ari-
ſtoteles nun auch deſſen naturhiſtoriſche Werke kennen lernte. Die
Kenntniß der griechiſchen Sprache war aber durchaus nicht ſo verbreitet,
179)
[205]Das dreizehnte Jahrhundert.
daß es nur gewiſſermaßen eines Fingerzeiges bedurft hätte, um die
Zoologie des Stagiriten wieder hervortreten zu laſſen. Auch iſt es we-
nigſtens nicht mit Sicherheit hiſtoriſch nachzuweiſen, daß nach und in
Folge der Eroberung und Plünderung Conſtantinopels durch das Kreuz-
heer im Jahre 1204 griechiſche Handſchriften der phyſiſchen Werke des
Ariſtoteles etwa irgend wie reichlich nach dem Abendlande gekommen
wären. Es wird ſich ſelbſt zeigen, daß ein abendländiſcher Geiſtlicher
in Griechenland, alſo dem Sitze der griechiſchen Bildung näher, nicht
völlig Herr ſeines Ueberſetzungsſtoffes war. Jedenfalls iſt aber dieſes
Ereigniß mit ſeinen im Verkehr bemerkbaren Folgen der erſte Anſtoß
geweſen, ſich der griechiſchen Quelle aller wiſſenſchaftlichen Bildung
wieder zu nähern. Ehe dies aber nach den erſten Lebenszeichen des er-
wachenden Humanismus durch einzelne nach Byzanz reiſende abend-
ländiſche Gelehrte und ausgedehnter durch griechiſche in Italien ein-
wandernde Lehrer in weitern Kreiſen möglich wurde, wie ſich ja die
Zahl der letztern erſt nach der Eroberung Conſtantinopels durch die
Türken vermehrte, lieferten die als Pfleger anderer Zweige der Natur-
wiſſenſchaften bereits bekannten und gerühmten Araber auch für die
Zoologie das litterariſche Material in ihren Ueberſetzungen des Ari-
ſtoteles.
Wenn auch die arabiſche Gelehrſamkeit in einzelnen ihrer Leiſtun-
gen ſchon früher den Weſteuropäern näher getreten war, ſo waren die
naturgeſchichtlichen Verdienſte derſelben ihnen doch noch fremd. Schon
ſeit einiger Zeit war das ärztliche Wiſſen, was vorzüglich in den Hän-
den der Juden war, faſt ganz aus arabiſchen Meiſterwerken geſchöpft
worden. Im zwölften Jahrhundert eröffnete dann Gerardus von
Cremona (ſtarb 1187) durch ſeine Ueberſetzungen, beſonders die des
Almageſt des Ptolemäus, einen Einblick in die naturwiſſenſchaftlichen
Schriften der Araber und durch dieſe in die der Alten. Die Zoologie
des Ariſtoteles blieb aber damals noch verſchloſſen.
Hätte FriedrichII auch kein an Beobachtungen ſo reiches Werk
geſchrieben, wie das über die Jagd mit Vögeln, ſein Verdienſt um die
Zoologie würde ſchon darum hier anerkannt werden müſſen, daß ſich
an ſeinen Namen die erſte Ueberſetzung der ariſtoteliſchen zoologiſchen
[206]Die Zoologie des Mittelalters.
Schriften knüpft. Es ſoll damit nicht geſagt ſein, daß die Ueberſetzung
der Thiergeſchichten durch Michael Scotus auf ſeine Veranlaſſung
entſtanden iſt. Dies läßt ſich nicht direct beweiſen. Gab er aber auch
nicht dazu den Anſtoß, ſo hatte er ſie doch kennen gelernt und den Ge-
nannten dann weitere Arbeiten in gleichem Sinne aufgetragen. Es iſt
ja bekannt, daß er der Univerſität Bologna die Werke des Ariſtoteles
in Ueberſetzung geſchenkt hat. Friedrich's Einſicht blieb es nicht ver-
ſchloſſen, daß ſowohl die Heilkunde als die Kenntniß der Thiere von
einem Verſtändniß des Baues der belebten Körper ausgehen muß. Er
geſtattete daher zuerſt Sectionen menſchlicher Leichname; und wie ſehr
er den zoologiſchen Betrachtungen eine zootomiſche Grundlage zu geben
ſuchte, das beweiſt ſeine Schrift von der Falkenjagd180). Daß er bei
ſolchen Beſchäftigungen und Anſichten, daneben auch der Aſtrologie zu-
gethan, bei der Geiſtlichkeit und dem durch dieſe in ſeinem Urtheile ge-
leiteten Theile des Volkes nicht in dem Rufe eines guten Chriſten ſtand
und daß ſeine Helfer und Berather wohl in der Beurtheilung noch härter
bedacht wurden, iſt erklärlich181), noch dazu da mit ihm die Reaction
gegen die päbſtliche Obergewalt lebendiger aufzuflackern beginnt, wenn
er gleich in andern Zügen von kirchlicher Ergebenheit ein Kind ſeiner
Zeit iſt. Erſt in zweiter Linie iſt ihm als Verdienſt anzurechnen, daß
er eine Anzahl ausländiſcher Thiere nach Europa kommen ließ. Be-
ſonders wird hier die Giraffe erwähnt. Es iſt aber weder bekannt, daß
er die fremden Formen zur wiſſenſchaftlichen Vergleichung benutzt hätte,
noch iſt der Eindruck, welchen jene hervorriefen, allgemeiner und nach-
haltig geweſen.
Daß Ariſtoteles zuerſt in Ueberſetzungen bekannt wurde, welche
[207]Das dreizehnte Jahrhundert.
nach arabiſchen Bearbeitungen gemacht worden waren, hat bereits
J. G. Schneider in Bezug auf die von Albert den Großen benutzte
Ueberſetzung der Thiergeſchichte bemerkt182). Seit der gründlichen Un-
terſuchung Jourdain's183) läßt ſich die Reihe der Ueberſetzungen
leichter überſehen. Für die zoologiſchen Schriften, welche hier allein zu
berückſichtigen ſind, iſt es ſicher, daß bis zum Anfang der zweiten Hälfte
des dreizehnten Jahrhunderts nur nach dem Arabiſchen gemachte latei-
niſche Uebertragungen bekannt und benutzt worden ſind184), während
ſpäter, wie man meiſt erzählt, auf Betrieb des Thomas von Aquino
das griechiſche Original direct überſetzt wurde. Aus der oben gegebenen
Ueberſicht der arabiſchen Ueberſetzungslitteratur geht nun hervor, daß
die zoologiſchen Schriften verſchiedene Male arabiſch bearbeitet worden
ſind. Von arabiſch-lateiniſchen Ueberſetzungen dieſer Bücher iſt aber
nur eine einzige bekannt, welche gewöhnlich dem Michael Scotus
beigelegt wird. Dieſelbe findet ſich nicht ſelten handſchriftlich, iſt aber
noch ungedruckt185). Daneben iſt noch die ſicher von Michael Sco-
tus herrührende Ueberſetzung einer Paraphraſe der ariſtoteliſchen Zoo-
logie von Avicenna bekannt oder wie es ſcheint einer Abkürzung einer
ſolchen, welche manche Handſchriften ausdrücklich als Abbreviationes
Avicennae bezeichnen186). Von einigen nicht zoologiſchen Schriften des
Ariſtoteles gab es nach dem Zeugniß des Thomas von Aquino meh-
rere griechiſch-lateiniſche Ueberſetzungen187); von den zoologiſchen kennt
man nur eine ſolche, gleichfalls noch ungedruckte, von welcher Schnei-
der nachgewieſen hat, daß ſie Wilhelm von Moerbeke zum Ver-
[208]Die Zoologie des Mittelalters.
faſſer hat188). Dieſe von Schneider bei ſeiner Ausgabe der Thierge-
ſchichte benutzte, ſich Wort für Wort an das griechiſche Original an-
ſchließende Ueberſetzung verdient doch wohl eine wiederholte eingehende
Beachtung. Denn wenn auch Schneider einzelne unhaltbare Schlüſſe
auf ſie gegründet hat, wie Aubert und Wimmer hervorheben, ſo
behält darum doch die Ueberſetzung immerhin einen hohen Werth; und
es verlohnte ſich wohl, ſie (vielleicht nach und nach vollſtändig) zum
Abdruck zu bringen.
Von den beiden Ueberſetzern, welche hier in Rede kommen, iſt der
eine, Michael Scotus, unſchuldigerweiſe ſehr in üblen Ruf ge-
kommen. Er wurde um das Jahr 1190 in Balwearie in der ſchotti-
ſchen Grafſchaft Fife geboren, in welcher Angabe man jetzt ziemlich ein-
ſtimmig iſt, während ihn früher einzelne in Durham (Dundmen, Zett-
ler, territorium Dunelmense,Balaeus, Dérasmes,Jour-
dain), ſelbſt in Salerno oder in Spanien geboren ſein laſſen woll-
ten. In Spanien ſtudierte er die arabiſchen Quellen des damaligen
exacten Wiſſens und überſetzte 1217 in Toledo die Schrift de sphaera
des Nureddin Alpetrongi aus dem Arabiſchen ins Lateiniſche. Um
1240 war er am Hofe Friedrich's II in Neapel und ſoll nun von die-
ſem aufgefordert worden ſein, ſämmtliche Werke des Ariſtoteles zu über-
ſetzen. Später kam er an den Hof Eduard's I nach England, wo er
ſehr bekannt und zu einer halb mythiſchen Perſönlichkeit geworden iſt.
Sein Todesjahr iſt unbekannt. Manche wollen ihn noch 1286 eine
Sendung Eduard's nach Schottland ausführen laſſen (alſo nach des
Königs AlexanderIII Tode); doch iſt dies äußerſt unwahrſcheinlich.
Wie es Allen ergieng, welche ſich in jener Zeit mit Aſtrologie, Phyſik
u. dergl. beſchäftigten, wurde auch Michael Scotus der Magie und eines
Bundes mit dem Teufel beſchuldigt. Sagenhafte Erzählungen, welche
ſich an dieſe Anklage knüpfen, erwähnt unter Andern Walter Scott189).
Außer dem angegebenen Datum der erſten kennt man die Chronologie
ſeiner Ueberſetzungen nicht genau. Wenn aber die arabiſch-lateiniſche
[209]Das dreizehnte Jahrhundert.
Ueberſetzung der Thiergeſchichte, welche Thomas und Albert kannten,
wirklich von ihm iſt, ſo muß er ſie vor 1233 gemacht haben; denn in
dieſem Jahre fieng, wie ſich zeigen wird, Thomas von Cantimpré ſein
Werk zu ſchreiben an, in welchem Ariſtoteles nach einer ſolchen Bear-
beitung citirt wird.
In einer ziemlich ähnlichen Unſicherheit findet ſich die Geſchichte
in Bezug auf die ſpecielleren Lebensverhältniſſe Wilhelm's von
Moerbeke. Sein Geburtsjahr iſt unbekannt; die älteren Angaben
über ihn und ſein Leben ſind oft in Folge einer Verwechſelung mit
Thomas von Cantimpré, welcher wie er ſelbſt den Beinamen Braban-
tinus häufig erhielt, völlig irrig. Im Jahre 1274 war er als des
Griechiſchen Kundiger zur Aſſiſtenz des Pabſtes auf dem Concil in
Lyon. Aber ſchon vorher, vermuthet Echard, wurde er in Miſſionen
des päbſtlichen Stuhles nach Griechenland geſchickt. Ob möglicherweiſe
eine aus „Theben“ datirte Handſchrift der Thiergeſchichte in griechiſch-
lateiniſcher Ueberſetzung, auf einen ſolchen früheren Aufenthalt bezogen
werden kann, iſt freilich fraglich; die Annahme iſt indeß nicht unwahr-
ſcheinlich. Nach der Subſcription dieſer Handſchrift wurde die Ueber-
ſetzung beendet X. Kalend. Januar. 1260190). Mehrere Angaben ſagen,
daß Wilhelm von Moerbeke 1273 von Thomas von Aquino den Auf-
trag erhalten habe oder gebeten worden ſei, Ueberſetzungen vorzunehmen.
Im Jahre 1277 wird er als Erzbiſchof von Korinth erwähnt (die
Quellen ſ. bei Schneider); in Korinth war er aber ſelbſt erſt 1280
und 1281, von welchen Jahren andere Ueberſetzungen von ihm aus
jener Stadt datirt ſind. Mag nun Wilhelm die Kenntniß des Griechi-
ſchen auf dem von PhilippII Auguſt in Paris gegründeten griechiſchen
Colleg oder auf andere Weiſe erlangt haben, jedenfalls war ſie keine ſo
tief gehende, daß er mit der nöthigen Freiheit ſeinen Stoff bemeiſtern
konnte. Bei der ſklaviſchen Weiſe, jedes Wort des griechiſchen Origi-
nals durch ein lateiniſches decken zu wollen, konnte er natürlich auch
V. Carus, Geſch. d. Zool. 14
[210]Die Zoologie des Mittelalters.
dem Geiſte des letzten Idioms nicht gerecht werden. Oft führt er ein-
fach das griechiſche Wort ohne weiteres mit lateiniſchen Buchſtaben an
ohne weitere Erklärung, die er wahrſcheinlich nicht überall geben
konnte. So hart und unlateiniſch daher ſeine Ueberſetzung iſt, ſo iſt
ſie doch gerade des genannten Umſtandes wegen ſehr wichtig191).
Handſchriften ſeiner, ſämmtliche zoologiſche Schriften des Ariſtoteles
umfaſſenden Ueberſetzung ſind nicht eben ſelten.
Frägt man nun nach dem, was denn eigentlich den Eintritt des
Ariſtoteles zu einem für die Geſchichte der Naturwiſſenſchaften, beſon-
ders der Zoologie, ſo wichtigen Ereigniß gemacht hat, ſo könnte man
vielleicht meinen, es würde ſchon hinreichen, einfach auf die Form und
den Inhalt der betreffenden Schriften hinzuweiſen. So wenig indeſſen
die bloße Kenntniß derſelben genügte, unter den Arabern eine wiſſen-
ſchaftliche Zoologie erblühen zu laſſen, ſo unwirkſam ſein Einfluß für
dieſe Seite des Wiſſens bei den Römern geweſen war, ſo waren ſicher-
lich auch jetzt beſondere Umſtände für ſeine Wirkſamkeit bedingend.
Nach den wiederholten Verboten, welche wie früher erwähnt den Aver-
roës und durch ihn auch Ariſtoteles getroffen hatten, muß man wohl
annehmen, daß die platoniſirende Richtung der Realiſten die Jünger
der Wiſſenſchaft nicht völlig befriedigte. Man hatte die ganze Kunſt
der Dialektik auf ariſtoteliſche Vorſchriften gegründet und ſah nun zum
erſten Male, daß eine ganze Summe werthvollſten Wiſſens von dem-
ſelben Schriftſteller dargeboten wurde, welcher die formale Seite der
Bildung ſo lange ſchon beherrſcht hatte. Als äußere Veranlaſſung zum
lebendigen Ergreifen des ſich nun erſchließenden Stoffes mag wohl
auch nicht mit Unrecht der Wetteifer einzelner Lehrer oder Lehrgemein-
[211]Das dreizehnte Jahrhundert.
den, Neues zu bieten, angeführt werden; es könnte hierfür vielleicht
die auseinanderführende Richtung mancher Schulen ſprechen. Es galt
nun zwar, die bisherigen Anſichten mit den neuen vermittelnd zu ver-
binden; es wird ſich auch zeigen, welche Uebergangsſtellung zwiſchen
Realismus und Nominalismus z. B. Albert der Große einnahm. Im
Allgemeinen aber ſprang ſofort die Bemerkung entgegen, daß man es
hier mit einer Fülle von Thatſachen zu thun hatte, welche je nach Um-
ſtänden durch neue Beobachtungen entweder beſtätigt, oder widerlegt
oder erweitert werden konnten. So kam die erſte Andeutung des ſo
überaus wichtigen Momentes der ſichern Conſtatirung einer wirklich
oder angeblich auf Beobachtung beruhenden Angabe, der Verificirung
der Thatſachen und damit die erſte leiſe Spur der Kritik in die Zoolo-
gie, welche ſich freilich noch nicht ſogleich ſoweit erheben konnte, alles
Fabelhafte zurückzuweiſen.
Die drei Hauptwerke des dreizehnten Jahrhunderts.
Drei Dominikaner ſind es, welche in der Mitte des dreizehnten
Jahrhunderts ſich zuerſt die Aufgabe ſtellten, unter Benutzung des Ari-
ſtoteles das geſammte zoologiſche Wiſſen der damaligen Zeit in einer
umfaſſenden Form zur Darſtellung zu bringen. Wenn bei der Schil-
derung dieſer drei Männer die Zeitfolge des Erſcheinens ihrer zoologi-
ſchen Schriften als beſtimmend angeſehen werden ſollte, ſo dürfte ver-
muthlich Vincenz von Beauvais zwiſchen die beiden andern zu ſtellen
ſein. Doch ſchließt ſich Albert der Große ſo eng an Thomas von Can-
timpré an, daß er nicht von dieſem zu trennen iſt.
Thomas von Cantimpré.
Als Hagiograph zwar nicht unbekannt iſt Thomas doch auch für
die Naturgeſchichte des Mittelalters von großer Bedeutung. Er ver-
dient daher zunächſt einer eingehenden Erwähnung; er tritt nicht bloß
zuerſt auf, ſondern hat den beiden andern vielfach als Quelle gedient.
Nach ſeinem Geburtsort Leeuw St. Peter bei Lüttich wird er
häufig als Brabantinus bezeichnet, meiſt jedoch mit dem Namen ſeines
Kloſters. Choulant gibt 1186 als ſein Geburtsjahr, 1263 als ſein
14*
[212]Die Zoologie des Mittelalters.
Todesjahr an192). Nach den aus Thomas' eignen Schriften gezogenen
Notizen, welche Colvenerius zur Schilderung von deſſen Leben be-
nutzte193), ſtellen ſich dieſe Daten indeß anders heraus. Hiernach hat
er als kaum fünfzehnjähriger Jüngling den Jacobus de Vitriaco pre-
digen hören, als dieſer in Lothringen war. Da ferner Thomas ſelbſt
die Schrift über die Bienen als in ſeinem neunundfünfzigſten Lebens-
jahre verfaßt anführt194), dieſe aber nach den in ihr enthaltenen und
andern Daten beinahe gewiß 1269 geſchrieben iſt, muß er 1210 gebo-
ren ſein, alſo den Jacobus im Jahre 1225 gehört haben, wo dieſer von
Ptolemais zurückgekehrt in Ognies war195). Als Jüngling trat er als
Canonicus in das Auguſtinerſtift Cantimpré bei Cambrai, verfaßte im
Jahre 1231 zu den zwei Büchern der Lebensbeſchreibung der Marie
von Ognies, welche Jacobus de Vitriaco verfaßt hatte, ein drittes und
wurde dann in den Predigerorden aufgenommen. Im Jahre 1232
ſchrieb er das Leben der acht Jahre vorher geſtorbenen h. Chriſtine.
Nachdem 1246 die h. Lutgard geſtorben war, ſetzte er auch deren Leben
auf, alſo vermuthlich 1247 oder 1248. Auf ſein Hauptwerk, das gleich
zu beſprechende de naturis rerum, hat er ſeiner eigenen Angabe gemäß
vierzehn oder fünfzehn Jahre verwandt. Dieſe Jahre fallen nun genau
zwiſchen die Abfaſſungszeiten der oben erwähnten Biographien und
würden alſo den Zeitraum 1233 bis 1247 oder 48 umfaſſen196). Wäh-
rend dieſer Zeit hat er Auszüge gemacht und Materialien für ſein Werk
geſammelt, hat Albert den Großen in Cöln gehört und ihn als Schüler
beſucht, iſt auch in Paris geweſen, was er für 1238 ſelbſt erzählt,
[213]Das dreizehnte Jahrhundert.
und hat möglicherweiſe Theile ſeines allmählich dem Abſchluſſe näher
rückenden Werkes ſeinem Lehrer Albert zugänglich gemacht. Erſt ſpäter
hat er dann als ausführlichen moraliſirenden Commentar zu dem Ka-
pitel über die Bienen aus ſeinem eigenen größeren Werke die ihn als
Moraliſten bekannt machende Schrift verfaßt: bonum universale de
apibus. Wäre nun Choulant's oder Meyer's Angabe ſeiner Geburt
im Jahre 1186 oder 1201 richtig, ſo hätte er im neunundfünfzigſten
Lebensjahre ſtehend dieſe Schrift 1245 oder 1260 abfaſſen müſſen.
Es führt aber Thomas nicht bloß Ludwig des Heiligen Kreuzzug (1248,
die Ausgaben haben 1246), ſondern auch einzelne ſpäter eingetretene
Ereigniſſe an. Colvener hält ſie für im Jahr 1263 geſchrieben und
gründet dies darauf, daß ſie dem (fünften) Dominikanergeneral Hum-
bert dedicirt iſt, welcher nach den Angaben Einiger ſchon 1263 abge-
treten ſei. Doch werden in Thomas Schrift nicht bloß Vorkommniſſe
der Jahre 1265 und 1267197) angeführt, ſondern es ſoll auch nach
Leander's Angabe Humbert bis 1273, nämlich neunzehn Jahre (und das
Antrittsjahr 1254 iſt zweifellos) General geblieben ſein, wodurch jene
Zahl noch wahrſcheinlicher würde. Das Todesjahr des Thomas iſt un-
gewiß. Nicht ſo ſein Name; daß er Thomas hieß und nicht Heinrich
oder Wilhelm, wie ihn Spätere zuweilen nennen, geht aus ſeinen
Schriften hervor. Johannes Cantipratenſis, mit dem er gleichfalls
verwechſelt wird, war ein anderes Mitglied ſeines Kloſters, welches er
ſogar in der Schrift über die Bienen ſelbſt angeführt hat198).
Die ziemlich umfängliche Schrift des Thomas von Cantimpré,
welche ihn einer eingehenden Beſprechung werth macht, führt wie er-
wähnt den Titel de naturis rerum und enthält nach einer Einleitung
urſprünglich neunzehn Bücher, welchen er aber ſpäter noch ein zwan-
zigſtes de ornatu coeli et motu siderum, vielleicht nach der 1256
[214]Die Zoologie des Mittelalters.
verfaßten Sphaera des Johannes a Sacroboſco199), angefügt hat. Er
beginnt mit der menſchlichen Anatomie, ſpricht dann im zweiten Buch
von der Seele, handelt im dritten Buche die monſtröſen Menſchen
des Orients, im vierten bis neunten die Thiere, im zehnten bis zwölf-
ten die Bäume und Kräuter ab, beſpricht dann die Quellen, die Edel-
ſteine, die ſieben Metalle, die ſieben Gegenden und humores der Luft,
ſchildert das Himmelsgewölbe und die ſieben Planeten, den Donner
und ähnliche Erſcheinungen und ſchließt mit den vier Elementen. Wie
man hiernach ſieht, enthält alſo die Schrift eine vollſtändige Ueberſicht
der belebten und unbelebten Natur, und zwar iſt dies die erſte der Art
im Mittelalter. Außer der Einleitung intereſſirt hier beſonders das
dritte bis neunte Buch200).
Iſt auch der Verfaſſer noch von den Vorurtheilen einer Zeit be-
fangen, welche ſich nicht frei an die Löſung der in der Natur ſich dar-
bietenden Räthſel wagte, iſt auch an den mancherlei Moraliſationen
und Gleichniſſen zu erkennen, daß der Verfaſſer ein Geiſtlicher war
und wohl auch beſonders für Geiſtliche ſchrieb (wenigſtens für gelehrte,
des Latein kundige Leute), ſo tritt doch in der ganzen Behandlung des
Stoffes entſchieden eine natürliche Betrachtung, eine vergleichsweiſe
[215]Das dreizehnte Jahrhundert.
naturgemäße Auffaſſung der Thiere zu Tage. Der Verfaſſer legt ſich
doch, wenn ihm in der Natur des gerade Behandelten etwas Auffälli-
ges begegnet, oft Fragen vor, welche er, ſo gut es eben geht, zu beant-
worten ſucht. Namentlich ſind aber die Einleitungen zu den den Thie-
ren gewidmeten Büchern ſo rein naturhiſtoriſch gehalten und von den
faſt nur allegoriſchen und myſtiſchen Betrachtungen der früheren Zeiten
ſo verſchieden, daß man in ihnen in der That die erſten Beiſpiele allge-
mein naturgeſchichtlicher Charakteriſirung einzelner Claſſen in neuerer
Zeit findet. Freilich iſt dabei nicht etwa an eine ſyſtematiſche Schilde-
rung zu denken. So wenig Ariſtoteles ſeine großen Gattungen definirte,
ſo wenig hält es Thomas für nothwendig, die ſchon in der Sprache
gegebenen und meiſt im Ariſtoteles wiedergefundenen allgemeinen
Gruppen zunächſt als ſyſtematiſche Abtheilungen zu bezeichnen.
Beſonders das vierte, den vierfüßigen Thieren gewidmete Buch
enthält ſowohl in der Einleitung, als in dem nach dem Alphabet der
Thiernamen geordneten Texte zahlreiche Moraliſationen, welche ſich in
den folgenden Büchern zwar auch, aber lange nicht ſo häufig finden.
Den wichtigſten Theil der Einleitungen machen vergleichend zoologiſche
Bemerkungen aus, vorzüglich nach Ariſtoteles; ſo z. B. alle Thiere
mit zwei oder vier Füßen oder ohne ſolche haben Blut, die vielfüßigen
haben kein Blut; alle Thiere mit Ohren haben dieſe beweglich, außer
dem Menſchen; alle vierfüßigen Thiere mit Hörnern haben keine oberen
Schneidezähne; alle Thiere mit Augenlidern ſchließen dieſe im Schlafe,
außer dem Löwen und dem Haſen. Dazwiſchen kommen freilich auch
an den praktiſchen Geiſtlichen erinnernde Betrachtungen vor; ſo wenn
er unterſucht, ob die monſtröſen Menſchen von Adam abſtammen, oder
warum der Menſch keine angeborenen Vertheidigungsmittel oder Waffen
beſitzt. In Bezug auf die anatomiſchen Vorbegriffe ſteht Thomas noch
auf dem Standpunkte der Alten, wie die Sehnen z. B. bei ihm noch Ner-
ven heißen. Die allgemeinen phyſiologiſchen Anſchauungen des Verfaſ-
ſers ſind im Ganzen die des Ariſtoteles. Das Falſche wird hier mit dem
Richtigen aus dieſer Quelle entnommen, wenn er z. B. vom Meer-
thier Chilon (dem Chelon des Ariſtoteles, einer Art kestreus, Mugil)
anführt, es ernähre ſich nur von ſeinem eigenen Schleim, ganz wie es
[216]Die Zoologie des Mittelalters.
Ariſtoteles (Hist. anim. VIII, 30) erzählt. Der Teleologie wird reich-
lich Rechnung getragen und in vorkommenden Fällen die Unzweck-
mäßigkeit nicht verſchwiegen, wie es z. B. als eine ſolche aufgefaßt
wird, daß der Delphin ſeinen Mund an der untern Fläche der ſchnabel-
artigen Schnauzenſpitze habe; dies ſei eine Unvorſichtigkeit der Natur,
ſagt Thomas201). Eine nicht unbedeutende Rolle bei der Schilderung
der einzelnen Thiere ſpielt auch deren mediciniſche Verwendung; doch
tritt bei Anführung des Heilgebrauchs das eigentliche naturgeſchichtliche
Intereſſe nicht ſo in den Hintergrund, daß etwa die betreffenden Ab-
ſchnitte eine Art populärer Heilmittellehre, wie manche ſpätern Werke
über Naturgeſchichte, geworden wäre.
Auf den Menſchen folgen zunächſt die vierfüßigen Thiere, dann
die Vögel; die nächſt abgehandelten Seemonſtra umfaſſen theils Wal-
thiere, theils Fiſche; das folgende Buch handelt von den Fluß- und
Meerfiſchen. Dann folgen die Schlangen und den Beſchluß machen die
Würmer, worunter Inſecten, Würmer, einige Mollusken, aber auch
Fröſche und Kröten begriffen werden. Nimmt man alſo das erſte Buch
hinzu, ſo enthält das Werk eine vollſtändige anatomiſche und zoologiſche
Encyklopädie. Mit Ausnahme des Buches von den Menſchen ſind die
einzelnen Schilderungen wie erwähnt alphabetiſch geordnet. Dabei
wurden die Thiernamen ſo aufgenommen, wie ſie ſich in den ausſchließ-
lich lateiniſchen Quellen vorfanden, welche der Verfaſſer benutzte.
Denn daß Thomas kein Griechiſch verſtand, wie Frühere, ſogar Roger
Bacon behaupten wollen, wird aus vielen Stellen ſeiner Schrift be-
wieſen. So ſagt er, um ſtatt vieler Belege nur ein paar anzuführen,
Agochiles (richtiger wohl Agothiles zu leſen, das griechiſche Aigothelas)
ſei ein arabiſches Wort und bedeute: Milch der Ziegen ſaugend;
ferner Cygnus komme von canere, ſingen, auf Griechiſch heiße er olor,
was eigentlich ganz (ὄλος!) heiße; Schwäne ſeien nämlich ſtets ganz
weiß.
Die Zahl der einzelnen von längeren oder kürzeren Beſchreibun-
gen oder Erzählungen eingeführten Thiere iſt nicht unbedeutend; doch
[217]Das dreizehnte Jahrhundert.
iſt natürlich nicht zu erwarten, daß er ſämmtliche zu ſeiner Zeit be-
kannte Formen aufzählt. Von vierfüßigen Thieren werden 110 er-
wähnt, wobei jedoch zu bemerken iſt, daß, wahrſcheinlich nach der Ver-
ſchiedenheit der benutzten Quellen, ein Thier zuweilen unter mehreren
Namen vorkommt. So iſt bonachus (bonasusAriſtoteles), duran
und hemchires daſſelbe Thier, dieſelben Geſchichten werden auch von
den zubrones angeführt (alſo Alles iſt der Wiſent oder Zubr), gali
und mustela dürften gleichfalls auf dieſelbe Form oder nahe verwandte
zurückzuführen ſein. Die Vögel werden in 114 Formen dargeſtellt;
darunter findet ſich freilich auch die Fledermaus. Auch hier iſt lucina
und philomena wohl identiſch. Die Zahl der Seeungeheuer beträgt
57; zwiſchen foca, helcus und koky beſteht kaum ein Unterſchied.
Darunter findet ſich nach Plinius die Plataniſta aus dem Ganges wie-
der. Welch merkwürdige Miſchung verſchiedener Formen hier vorliegt
beweiſt die Nebeneinanderſtellung des Polypus (Cephalopod), Chilon
(Fiſch), Robbe, Delphin, Faſtaleon (Aspidochelone?) und Meerſchild-
kröte. Unter den 85 Fiſchen, d. h. hier auch noch Waſſerthieren, fin-
den ſich Fiſche neben Cephalopoden (Loligo, Sepia), Muſcheln (Perlen),
Krebſen und Echinodermen, wenn Stella wirklich auf Seeſtern zu be-
ziehen iſt. Das Buch von den Schlangen, unter welchem Namen 44
Formen aufgeführt werden, enthält auch Eidechſen, Tauſendfüße,
Skorpione und Tarantel. Wie wenig ſich dabei Thomas vor einem
weitgehenden Anthropomorphismus gefürchtet hat, zeigt die Notiz, daß
beim Skorpion, wenn er die eine Art Stellio erblickt, vor Furcht ein
kalter Schweiß ausbricht. Unter den 50 Würmern werden Bienen,
Wespen, Ameiſen, Mücken, Käfer, Heuſchrecken, Cicaden, Wanzen,
Tauſendfüße, Spinnen, Fröſche, Kröten, Blutegel u. ſ. f. neben ein-
ander aufgezählt.
Es iſt kein Wunder, daß in den einzelnen Abſchnitten neben den
aus Ariſtoteles übernommenen Beſchreibungen zahlreiche fabelhafte
Berichte überliefert werden. Die Kritik hatte eben die Naturauffaſſung
noch nicht von dem Autoritätsglauben und dem Glauben an die Wahr-
heit alter Ueberlieferungen befreit. Es finden ſich daher zahlreiche alte
Bekannte wieder, wie Sirenen, Onocentauren, Baumgänſe, der Phö-
[218]Die Zoologie des Mittelalters.
nix, Drache, die Serra und vieles Andere, was zum Theil aus alten
Quellen her, zum Theil aus dem Phyſiologus und ähnlichen Schriften
bekannt war. Auch die Namengebung iſt durchaus die populäre, über-
lieferte, ſowohl bei den ganzen Gruppen als auch bei den einzelnen
Formen. Wie bedenklich die nicht gar ſelten gegebene Etymologie der
Thiernamen ausgefallen iſt, wurde bereits angedeutet. Der Ausdruck
Genus kommt zwar öfter vor und es gewinnt ſogar zuweilen den An-
ſchein, als läge dieſem Worte hier ſchon ein anderer Sinn unter, als
bei den Vorgängern des Thomas. Es wird daſſelbe indeß auch hier
als bloße Bezeichnung einer logiſchen Gliederung gebraucht. So heißt
es z. B. beim Falken, daß das eine Genus der Lanerfalken zwei Ge-
nera umfaſſe.
Das Werk des Thomas erhält nun dadurch noch ein beſonderes
hiſtoriſches Intereſſe, daß es ſich ſelbſt nicht als ein auf eigne Unter-
ſuchungen gegründetes, ſondern aus den verſchiedenſten Autoren zu-
ſammengeſtelltes bezeichnet. So wenig es hiernach auf den erſten Blick
als eine wiſſenſchaftliche Leiſtung anzuſehen oder überhaupt dem Ver-
faſſer als Verdienſt anzurechnen wäre, wenn derſelbe in einer Zeit ge-
lebt hätte, wo auf der einen Seite der Kreis der zu beherrſchenden That-
ſachen noch eng und ein vollſtändiges Durchdringen des Ganzen von
einem einzelnen Forſcher noch möglich war, auf der andern Seite aber
durch Ausbildung der Beobachtungsmittel, durch Entwickelung einer
naturwiſſenſchaftlichen Methode und durch den inſtinctiv gewordenen
Drang nach thatſächlicher, nicht bloß litterariſcher Begründung einer
vorgebrachten Anſicht das Hauptgewicht factiſch auf das Zeugniß der
ſinnlichen Erfahrung gelegt wird, ſo war es doch etwas anderes, wenn
ein Schriftſteller überhaupt zum erſten Male es unternahm, das ge-
ſammte thatſächliche Material in einer überſichtlichen Form zur Dar-
ſtellung zu bringen. Und dies that Thomas von Cantimpré. Die
äußere Anregung hierzu nahm er zwar aus einem Ausſpruch Augu-
ſtin's in deſſen Schrift von der chriſtlichen Lehre, wo derſelbe ſagt, daß
es äußerſt nützlich wäre, wenn jemand die Mühe auf ſich nehmen
wollte, die Natur der Dinge, vorzüglich der Thiere in einem Bande
zuſammenzufaſſen (Schlußwort des Thomas). Er hielt ſich aber, wie
[219]Das dreizehnte Jahrhundert.
bereits erwähnt wurde, ſtrenger an die eigentliche Naturbetrachtung,
als es wahrſcheinlich der dem Auguſtin vorſchwebende Zweck verlangt
hatte. Je gewiſſenhafter er nun die Sache nahm, deſto mehr mußte es
ihm darauf ankommen, keine Meinung unbegründet, keine Thatſache
unbeglaubigt wiederzugeben. Sein Werk enthält daher eine außeror-
dentliche reiche Zahl zum Theil wörtlicher Anführungen, welche um ſo
wichtiger ſind, als ſie einen Blick auf den Umfang der damals gekann-
ten oder wenigſtens verbreiteteren und leichter zugänglichen Litteratur
geſtatten und, da die Abfaſſungszeit des Werkes bis auf wenige Jahre
feſt ſteht, die Chronologie mehrerer nicht unintereſſanter litterariſcher
Erſcheinungen aufklären.
Der weitaus am häufigſten citirte und beſonders in den allgemei-
nen Einleitungen am meiſten benutzte Schriftſteller iſt Ariſtoteles;
es iſt auch kaum zu bezweifeln, daß die ſichtlich mit Vorliebe mitgetheil-
ten allgemeinen Beziehungen gewiſſer anatomiſcher Vorkommniſſe zu
andern (Verhältniſſe der Correlation) in den Augen des Verfaſſers wie
des Leſerkreiſes, an welchen er bei Abfaſſung des Werkes dachte, einen
beſondern Reiz hatten, da ſie ſowohl zu philoſophiſchen als theologiſchen
Betrachtungen Anknüpfungspunkte darboten. Erſtere flicht er nur
äußerſt ſparſam ſeiner Erzählung ein. Im Allgemeinen iſt er auch ſei-
nen Quellen gegenüber vorſichtig. So iſt es für das richtige naturge-
ſchichtliche Urtheil des Verfaſſers ſehr bezeichnend, daß er ſich aus-
drücklich dagegen verwahrt, nicht etwa falſch berichtet zu haben, wenn
man bemerken ſollte, daß gewiſſe Erſcheinungen in ſeinem Vaterlande
zu andern Zeiten oder in anderer Folge aufträten, als ſie in ſeinen,
den Südländern entſtammenden Autoren geſchildert würden; denn der
Unterſchied in der geographiſchen Lage ſei ſehr einflußreich. Den Ari-
ſtoteles kennt er nur in der arabiſch-lateiniſchen Ueberſetzung des
Michael Scotus, welchen er auch einmal als Ueberſetzer anführt. Ob
ein zweites Citat eines Michael auch auf den Michael Scotus zu be-
ziehen iſt, bleibt fraglich. Aus dieſer arabiſch lateiniſchen Quelle ſtam-
men dann nicht bloß die verſtümmelten Autornamen, die bei Ariſtoteles
vorkommen (Arothinus für Herodorus, Alkinos für Alkmaeon u. ſ. f.),
ſondern auch die gleichem Geſchick verfallenen Thiernamen, welche durch
[220]Die Zoologie des Mittelalters.
die häufigen Umſchriften nicht einmal mehr ſämmtlich mit Sicherheit
auf ihre griechiſchen oder arabiſchen Stammformen zurückgeführt wer-
den können. Arabiſchen Urſprungs ſind z.B. Ana, Duran, Lachta unter
den Säugethieren, Amraham, Ibor, Kim, Karkolaz, Komor unter den
Vögeln; doch können aus der Uebereinſtimmung der Schilderung mit
der ariſtoteliſchen mehrere dieſer ſo bezeichneten Thiere beſtimmt auf
Ariſtoteles' Angaben über ſie zurückgeführt werden. Eine griechiſche
Herkunft haben Ahane (iſt der Cervus Achaïnes), Gali (Gale), Kiches
(wird wohl urſprünglich kittes zu leſen geweſen ſein, für kitta) und
viele andere. — Aeußerſt ſelten nur wird Theophraſt, ſehr oft und
wohl reichlich ſo häufig wie Ariſtoteles wird Plinius citirt, auch ſind
Anführungen aus Solinus nicht ſelten. Marcus Barro, Mar-
tialis, Lucanus, Palladius werden dann und wann heran-
gezogen. Von geſchichtlichen Werken erſcheinen eine Geſchichte der
Perſer und eine Geſchichte der Griechen, in dem Buche über wunder-
bare Menſchen auch einzelne Züge aus der Alexanderſage. Dabei wer-
den aber z. B. die Oxydraken und Bragmanen, welche im Pſeudocal-
liſthenes als ſynonym auftreten, als zwei verſchiedene Völker aufge-
führt. Ein Geſpräch zwiſchen Alexander und dem König (didascalus
bei Thomas) der Bragmanen, Namens Dindimus (im Pſeudocalliſthe-
nes Dandamus) findet ſich in der hier erzählten Form weder im Pſeu-
docalliſthenes, noch im Julius Valerius, dagegen bei Jacobus von
Vitry und im Alexander des Pfaffen Lamprecht, welcher einen altro-
maniſchen Alexander bearbeitete. — Zahlreich ſind auch die aus Kir-
chenvätern angezogenen Stellen; ſo aus Auguſtinus, Ambro-
ſius, Baſilius, Gregorius, Beda. Außerordentlich häufig
wird Iſidor von Sevilla erwähnt, deſſen Werk für Verbalerklä-
rungen eine reiche Fundgrube bietet. Der Adelinus, welcher ziem-
lich oft vorkommt und welchen noch Jourdain als ihm unbekannt
bezeichnet, iſt Aldhelmus202). Sehr Vieles hat Thomas auch aus
der „Orientaliſchen Geſchichte“ des von ihm hochverehrten Jacobus
[221]Das dreizehnte Jahrhundert.
von Vitry, ſpäter Biſchof von Acco, entnommen203). Auch ein-
zelne Ordensgenoſſen kommen als Gewährsmänner vor, ſo Jorda-
nus und Hugo. Letzterer iſt, wie aus Vergleichung der Stellen
hervorgeht, Hugo de S. Charo (Cardinalis S. Sabinae)204). Von
mittelalterlichen naturgeſchichtlichen Büchern führt Verfaſſer den Phy-
ſiologus, ein liber physicorum, einen Lapidarius, ein anonymes
Buch, welches er als „Experimentator“ zu citiren vorſchlägt, und ein
liber rerum, gleichfalls unbekannten Verfaſſers, an. Aerztliche Auto-
ren ſind ihm Galen, Aeſculapius (in einer an Octavianus Au-
guſtus gerichteten Schrift), Platearius, Conſtantinus Afri-
canus und die Kyraniden205). Bei Anführung der letzteren iſt
es ihm übrigens begegnet, daß er im Eifer des Niederſchreibens die
erſte Perſon in einer Stelle der Kyraniden nicht durch Aenderung der
Satzconſtruction beſeitigt hat; es ſcheint daher nun, als habe Thomas
ſelbſt den mit „ich“ eingeführten Verſuch gemacht206.
Eine Frage von nicht geringer Bedeutung für die betreffenden
Autoren iſt die, ob Thomas von Cantimpré, welcher gewöhnlich
als Schüler und in Bezug auf ſeine zoologiſche Schrift als Nachfolger
Albert's des Großen bezeichnet wird, bei Abfaſſung dieſer Schrift
die betreffenden Abſchnitte aus dem großen Werke des letzteren nicht
[222]Die Zoologie des Mittelalters.
etwa gekannt und benutzt hat. Wie es nur gar zu häufig geſchieht, hat
man auch hier das Meiſte, was in jener Zeit an Aeußerungen regen
wiſſenſchaftlichen Lebens erſchien, dem Einfluſſe oder geradezu der Mit-
wirkung des bekannter gewordenen und allerdings in jeder Hinſicht un-
gleich bedeutenderen und nachhaltiger wirkſamen Albert des Großen zu-
ſchreiben zu müſſen geglaubt. So ſollte auch Thomas weſentlich aus
Albert's Schriften geſchöpft haben. Dem widerſpricht aber nicht bloß
die Abfaſſungszeit der Schriften Beider, welche die Frage jedenfalls
am ſicherſten entſcheidet, ſondern auch der Umſtand, daß Thomas bei
der gewiſſenhaften Aufzählung der Quellen den Albert gar nicht er-
wähnt. Thomas verfaßte ſeine Schrift zwiſchen 1233 und 1248.
Laſſen ſich nun für Albert's Schriften keine ſo ſichern Jahreszahlen
angeben, ſo wird es ſich doch zeigen, daß er die Zoologie kaum vor
1249 geſchrieben haben kann. Daß Thomas den Albert nicht erwähnt,
für den er doch, wie aus der Bienenſchrift hervorgeht, eine große Ver-
ehrung hegte, hat ſchon Bormans hervorgehoben; es wäre aller-
dings wunderbar, wenn er bei einem Werke, welches völlig gleiches
Material behandelte, des Lehrers nicht hätte gedenken ſollen, wenn der-
ſelbe wirklich ſchon eine Schrift deſſelben Inhalts veröffentlicht hätte.
Nun citirt Thomas allerdings beim Wolfe einen Albertus. Dies iſt
das einzige Mal, daß dieſer Name überhaupt vorkommt. In den Thier-
büchern findet ſich die angeführte Stelle nicht beim Albertus. Iſt es
Albert der Große, woran zu zweifeln kein beſonderer Grund vorliegt,
ſo muß man ſich erinnern, daß Thomas ſchon vor 1245 in Cöln Zu-
hörer des Albert geweſen iſt. Es würde ſich dies alſo vermuthlich auf
eine mündliche Mittheilung beziehen laſſen. Thomas hat ſicher die
Schriften des Albert nicht benutzt. Umgekehrt iſt es mehr als wahr-
ſcheinlich, daß Albert von Thomas' Werk einen ausgedehnten Gebrauch
gemacht hat, wie Bormans zuerſt erwähnt hat207); davon wird
ſpäter die Rede ſein.
Wie ſehr des Thomas Schrift verbreitet und geleſen war, dafür
ſprechen nicht bloß die in ziemlich beträchtlicher Zahl vorhandenen Hand-
[223]Das dreizehnte Jahrhundert.
ſchriften, ſondern auch die ſpäter zu erwähnenden Ueberſetzungen. Von
gar keinem naturgeſchichtlichen Werth iſt die Bienenſchrift, welche den
eigenen Text des Verfaſſers in moraliſtiſcher Weiſe paraphraſirt. Für
die ſpecielle, beſonders Culturgeſchichte jener Zeit iſt die Schrift von
großem Intereſſe.
Thomas von Cantimpré hat deshalb keine tiefer eingehende Wir-
kung auf die geſammte geiſtige Entwickelung ſeiner Zeit gehabt, weil
ihm die Fortbildung der philoſophiſchen Lehren in einem oder dem an-
dern Sinne ebenſo wie eine Betheiligung an den Streitigkeiten zwiſchen
den verſchiedenen Lagern fern lag. Er ſchrieb als Geiſtlicher, aber ob-
jectiver als es von irgend einem Andern vor Albert dem Großen be-
kannt iſt. Dies weiſt ihm in der Zeit der Wiederaufnahme zoologiſcher
Beſchäftigung ernſterer Art einen ehrenvollen Platz ein; und ſeine
Schrift verdiente um ſo mehr bekannt zu werden, als ſie einmal für Al-
bert eine ergiebige Quelle war und als die beiden dem vierzehnten
Jahrhundert angehörigen Bearbeitungen veröffentlicht ſind. Weit mäch-
tiger indeß griff in die culturgeſchichtliche Bewegung ſein berühmter
Nachfolger ein,
Albert der Große.
Albert von Bollſtatt wurde der verbreitetſten Angabe zu-
folge im Jahre 1193 zu Lauingen an der Donau im bayriſchen Schwa-
ben geboren. Zunächſt nicht für den geiſtlichen Stand beſtimmt ſtudirte
er in Padua die freien Künſte. Im Jahre 1223 trat er aber in den
Dominikanerorden ein und beſuchte nun, um Theologie zu ſtudiren, die
Univerſität Bologna. Daß er ſchon während ſeines Aufenthaltes in
Italien die Natur mit offenen Augen betrachtet und ſein Nachdenken
an ihr geübt hatte, beweiſen viele Stellen ſeiner Schriften, wo er ſich
auf dort Erlebtes und Geſehenes bezieht. Ungefähr gegen das Jahr
1230 wurde er als Lector nach Cöln geſchickt, blieb aber noch nicht
dauernd dort, ſondern lehrte abwechſelnd in Straßburg, Freiburg, Re-
gensburg, Hildesheim und wohl noch an andern Orten. Erſt 1243 kam
er nach Cöln zurück. Von 1245 bis 1248 war er zwar in Paris, wo
der Streit zwiſchen der Univerſität und den Dominikanern die Anwe-
[224]Die Zoologie des Mittelalters.
ſenheit tüchtiger Lehrer dem Orden ſehr wünſchenswerth machen mußte,
er blieb aber dann von 1248 bis 1260 in Cöln, freilich auch jetzt nicht
ohne öftere Unterbrechungen, da er theils als Prediger, theils als Pro-
vincial ſeines Ordens, zu welcher Stellung er 1254 gewählt wurde,
vielfach nach außen zu wandern veranlaßt wurde. Wegen des Pariſer
Univerſitätsſtreites war er 1256 in Italien. 1260 wurde er Biſchof
von Regensburg, legte jedoch bereits 1262 dieſes Amt wieder nieder,
um wieder in Cöln zu lehren und zu ſchreiben und von hier aus neue
Sendungen zu erfüllen, zu denen er berufen wurde. Ob er auf dem
Concil in Lyon im Jahre 1274 gegenwärtig war, iſt ſehr zweifelhaft.
Er ſtarb 1280.
Albert, welchem der Zuname des Großen bereitwillig zuge-
ſtanden werden kann, iſt jedenfalls die bedeutendſte litterariſche Erſchei-
nung auf dem Gebiete der Naturwiſſenſchaften im dreizehnten Jahr-
hundert. Von ſeinen rein theologiſchen und moraliſchen Schriften ab-
geſehen iſt ſchon die Thatſache, daß er es unternahm, das ganze philo-
ſophiſche Gebäude des Ariſtoteles mit ſeinen metaphyſiſchen wie phy-
ſiſchen Seiten zu bearbeiten, zu paraphraſiren und mit dem Kirchen-
glauben in eine nicht bloß formelle Uebereinſtimmung zu bringen, ein
mehr als ausreichender Beweis für das Verſtändniß, was er von ſeiner
Zeit hatte, und folglich auch für den Einfluß, welchen er auf dieſelbe
äußern mußte. Leider iſt es nicht möglich, ſeine außerordentlich zahl-
reichen Schriften, und nicht einmal die hier vorzüglich intereſſirenden
Abſchnitte, in eine nur einigermaßen haltbare chronologiſche Ordnung
zu bringen. Die Reihenfolge, in welcher die einzelnen Theile entſtanden
ſind, geht theils aus ſeinen eigenen Angaben, theils aus den Citaten
früherer Schriften in den ſpätern hervor 208). Danach ſind die Bücher
[225]Das dreizehnte Jahrhundert.
über die Thiere unter den letzten der naturwiſſenſchaftlichen anzufüh-
ren; er ſagt ſelbſt am Schluß: „ſo iſt denn das Buch von den Thieren
vollendet, und damit das ganze Werk über die Natur (opus natura-
rum)“209). Mit Ausnahme der ausführlichen Kapitel von den Falken
kann das ganze Thierbuch nicht vor 1250 entſtanden ſein. Jourdain
ſagt zwar, das Vincenz von Beauvais im Naturſpiegel, welcher
1250 vollendet wurde, den Albert häufig citire und unter Anderen auch
ſeine Schrift über die Thiere; E. Meyer erweitert dies ſogar dahin, daß
Vincenz des Albert Thiergeſchichte häufig citirt habe. Es kommt aber der
Name Albertus in den ganzen, auf Thiere bezüglichen, ſiebzehnten bis
dreiundzwanzigſten, Büchern des Vincenz nur dreimal vor, und zwar im
71. Kapitel des 17. Buchs, in dem einleitenden Kapitel über Falken210).
Der betreffende Abſchnitt bei Albert ſcheint aber die hiernach geforderte
Annahme, daß er ſchon früher geſchrieben ſei, auch dadurch zu unter-
ſtützen, daß er in ganz anderer Weiſe anhebt, als andere Theile mitten
im Text der Thierbücher. Er beginnt mit den Worten: „In der Ab-
ſicht, die Natur der Falken, welche Viele kennen zu lernen
wünſchen, genauer zu beſchreiben“ u. ſ. w.211). Dies nimmt ſich
der ſonſtigen Redeweiſe Albert's gegenüber fremdartig aus. Auch fehlt
in den Kapiteln über Falken jede Beziehung auf andere Theile der Thier-
bücher. Wann nun aber die Schrift über die Thiere, nach Ausſchluß
der Kapitel über die Falken, geſchrieben worden iſt, dürfte kaum ſicher
zu beſtimmen ſein; vielleicht zwiſchen 1250 und 1254, möglicherweiſe
aber auch ſpäter, alſo nach Uebergehung der unruhigen Jahre von
1254-1262 von letzterem Jahre an.
V. Carus, Geſch. d. Zool. 15
[226]Die Zoologie des Mittelalters.
Die ganze Schrift über die Thiere, welche in der leider ſehr incor-
rect gedruckten Ausgabe von Jammy den ſechſten Band der ſämmt-
lichen Werke Alberts bildet, iſt in ſechsundzwanzig Bücher getheilt.
Dem Schlußwort des erſten Kapitels des erſten Buches zufolge hat
Albert den neunzehn Büchern des Ariſtoteles noch ſieben weitere hinzu-
gefügt. Jene neunzehn Bücher ſind dieſelben, wie ſie ſchon früher bei
den arabiſchen Commentatoren als Inhalt der ariſtoteliſchen Zoologie
kennen gelernt wurden, nämlich neun ächte und ein unächtes Buch
Thiergeſchichten, vier Bücher über die Theile und fünf Bücher von der
Zeugung und Entwickelung. Bereits Schneider hat bemerkt, daß
Albert bei Abfaſſung ſeiner Schrift dem durch Michael Scotus über-
lieferten Text ſo getreu gefolgt iſt, daß er in ſeiner ausführlichen Wie-
dergabe kaum zehn Zeilen im Ganzen weggelaſſen hat. Die Schrift
ſtellt, wie ſchon früher erwähnt wurde, eine Paraphraſe in der Art des
Avicenna dar im Gegenſatze zu der Form eines dem Text ſelbſtändig
gegenübertretenden Commentars, wie es Averroës und nach ihm Tho-
mas von Aquino vorzog212). Von den ſieben dem Ariſtoteles noch
hinzugefügten Büchern handelt das erſte (das 20.) allgemein von der
Natur der thieriſchen Körper, das zweite (21.) von den Vollkommen-
heitsgraden, worin alſo eine Art Eintheilung gegeben wird, während
die übrigen die Thiere einzeln und zwar innerhalb der größeren Grup-
pen alphabetiſch ſchildern. So führt das dritte (22.) nach dem Men-
ſchen die vierfüßigen Thiere auf, das vierte (23.) die Vögel, das fünfte
(24.) die Waſſerthiere, das ſechſte (25 ) die Schlangen und das letzte
(26.) die „kleinen blutloſen Thiere“. Dem Alphabet der einzelnen Thiere
geht jedesmal eine allgemeine Einleitung voraus.
Gegenüber der Schrift des Thomas von Cantimpré ebenſo wie
der des Vincenz charakteriſirt ſich das Werk Alberts als ein viel durch-
gearbeiteteres, mit größerem Selbſtbewußtſein verfaßtes. Wenn auch
Vieles in ſeinem Text entlehnt iſt, ſo treten doch die Anſichten anderer
Autoren nicht wie bei Thomas einfach als Citate auf, welche hinter dem
[227]Das dreizehnte Jahrhundert.
Namen des betreffenden Schriftſtellers direct als meiſt wörtliche An-
führungen vorgebracht werden, ſondern ſie werden mehr oder weniger
in das ganze Satzgefüge des Albert ſelbſt verwoben. Eigentliche Citate
erſcheinen daher hier viel ſeltener; und damit treten denn auch die
Quellen, aus denen Albert ſchöpfte, nicht ſo offen hervor wie bei Tho-
mas Cantipratenſis und Vincentius. Im allgemeinen Theile (d. h.
den erſten einundzwanzig Büchern) kommen außer Ariſtoteles nur ſel-
ten Autornamen vor; ſo Solinus, Galen, Avicenna, Razi, Ambro-
ſius u. a.213); häufiger erſcheinen ſolche in den letzten, ſpeciellen Bü-
chern. Wie Bormans zuerſt bemerkt hat, iſt für dieſe Bücher Tho-
mas von Cantimpré eine Hauptquelle geweſen; eine Vergleichung beider
Werke beſtätigt dies durchaus. dabei iſt natürlich nicht ausgeſchloſſen,
daß Albert noch Zuſätze gemacht hat. Wie aber an andern Orten, ſo
hat er auch hier ſeine Quelle nicht genannt, ſogar von Thomas ange-
führte Quellen zu nennen unterlaſſen214). Von den Schriftſtellern,
welche Thomas in wörtlichen Anführungen citirt, kommen bei Albert
vorzüglich Plinius und Solinus vor, außerdem aber auch Adelinus
(d. i. Aldhelmus) und noch zwei, von Jourdain nicht enträthſelte:
Jorach und Semerion. Letzterer erſcheint zuerſt in der lateiniſchen
Ueberſetzung des Canon des Avicenna von Gerard von Cremona, wo
eine Ueberſchrift des Originals: Kapitel von der Muraena (Fasl fi
Semuria) aus Verſehen weggelaſſen worden iſt, wogegen dann das
Thier als „jener weiſe Semurion“ auftritt215). Jorach iſt völlig unbe-
kannt. Ob auch hier ein Pſeudepigraphon dahinterſteckt, iſt vorläufig
15*
[228]Die Zoologie des Mittelalters.
nicht entſchieden216). Hängt hiermit etwa das gleichfalls unbekannte
„Buch von ſechzig Thieren zuſammen, welches Albert beim Thier Akabo
und beim Hunde citirt217)? Es iſt nach dem Erwähnten natürlich, daß
die Thiernamen mit Ausnahme der bekannteſten in einem ebenſo ver-
ſtümmelten und kaum wiederzuerkennenden Aufzuge erſcheinen, wie es
bei Thomas der Fall iſt, und zwar erſcheinen dieſe Thiere nicht etwa
nur jetzt fremdartig und unbekannt, ſondern es iſt ganz ſicher, daß ſich
Albert ſelbſt von ihnen kein Bild gemacht, ſondern nur zuſammenge-
ſchrieben hat, was ihm vorlag, wie denn überhaupt von einer Original-
arbeit im heutigen Sinne bei ſeiner Schrift über die Thiere nicht die
Rede ſein kann. Nur der allgemeine Theil macht in den Stellen, wo
Albert neben die Anſichten des Ariſtoteles ſeine eigene hinſtellt, eine
Ausnahme hiervon, und man kann wohl in jenen Zuthaten ſelbſtändige
Leiſtungen anerkennen.
Handelt es ſich nun darum, Albert's ganze Auffaſſung und wiſ-
ſenſchaftliche Richtung, ſoweit dieſelbe die Thiere betrifft, näher zu cha-
rakteriſiren, ſo darf man nicht vergeſſen, daß er Geiſtlicher und Scho-
laſtiker war218). Als ſolcher hatte auch er zunächſt die Aufgabe, die
Summe des antiken Wiſſens, wie es ihm in zwei verſchiedenen Auf-
faſſungen überliefert worden war, in ein Syſtem zu bringen. Daſſelbe
bot zwar durch die naturgemäß faſt zu vorwaltend ausgebildete Dialektik
[229]Das dreizehnte Jahrhundert.
den Anſchein eines nur äußerlichen Formalismus dar, war aber doch
im Grunde gerade dadurch für ſeine Zeit von größter Bedeutung, daß
es den theologiſchen Bedürfniſſen völlig genügte, ohne die conſequente
philoſophiſche Durchbildung vermiſſen zu laſſen. Und in Bezug auf
letztere erſcheint Albert in einer vermittelnden Stellung zwiſchen den
beiden ſich einander ſcharf gegenüberſtehenden Parteien, was wiederum
für die naturwiſſenſchaftliche Entwickelung von entſcheidendem Einfluſſe
war. Der Nominalismus des Ariſtoteles führt ihn zwar zur Anerken-
nung der Thatſache, daß man von der Erfahrung ausgehen ſollte; aber
dieſem gegenüber gibt ihm ſeine Auffaſſung der Theologie als einer
praktiſchen Wiſſenſchaft die andere Behauptung an die Hand, daß wir
außer der äußern Erfahrung noch eine innere, des frommen Lebens in
uns, zu berückſichtigen haben. Zu letzterer werde der Menſch durch die
erſtere geführt; daher muß auch die natürliche Erfahrung, welcher die
innere Erfahrung nur als höhere Form gegenübergeſtellt werden kann,
mit letzterer und ſchließlich mit dem Glauben, welcher ja nur Vertrauen
auf eine Erfahrung iſt, übereinſtimmen. Mit dieſer Annahme einer
doppelten Erfahrung ſteht dann Albert's Stellung zu der ſcholaſtiſchen
Frage nach dem Allgemeinen in Zuſammenhang und Uebereinſtim-
mung. Dies iſt vor den Dingen im göttlichen Verſtande, in den Dingen
in der Natur, nach den Dingen im menſchlichen Verſtande. Die letz-
tere, halb realiſtiſche Annahme würde nun, in Verbindung mit der An-
erkennung eines Cauſalzuſammenhanges in den Naturerſcheinungen
jedenfalls noch viel fruchtbarer geweſen ſein, wenn dem gar nicht ſelten
ſich äußernden Beſtreben, den Entſcheid über Zweifelhaftes oder ein
Urtheil über Wunderbares aus eigener Erfahrung zu ſchöpfen, Methode
und eine ſich an dieſer ſtärkende Kritik zur Seite geſtanden hätte. Hier
war aber ſein Syſtem nicht im Einklang mit der Leiſtungsfähigkeit ſei-
ner Zeit. Daher iſt auch ſein Einfluß nicht ſo nachhaltig geweſen, wie
es ſonſt wohl hätte erwartet werden können.
Zunächſt iſt nun der theologiſirende Gang Albert's dadurch einer
fruchtbar wiſſenſchaftlichen Auffaſſung des Thierreichs nicht förderlich,
als er daſſelbe mit dem Maße des Menſchen und zwar nach deſſen ſee-
liſchen Begabungen mißt. War es hiernach nur conſequent, weiter zu
[230]Die Zoologie des Mittelalters.
ſagen, daß ſich das unvollkommene nur aus dem Vollkommenen ver-
ſtehen laſſe219), ſo lag gerade hierin das Haupthinderniß einer natür-
lichen Betrachtung, welche, die Vollkommenheit bei Seite laſſend, nach
Einfachem und Zuſammengeſetztem zu fragen hat. Albert kam aber bei
ſeinen allgemeinen vergleichend-anatomiſchen Betrachtungen gar nicht
zu dieſer Frage. Seine Anſichten gehen hier nicht über Ariſtoteles hin-
aus und wo er ſelbſtändige „Digreſſionen“ hinzufügt, ſind es Specula-
tionen ganz allgemein philoſophiſcher Art, wie z. B. die weitläufige
Unterſuchung der Frage, ob außer den vier Elementen auch noch das
fünfte Princip, für welches er das Licht anſieht, in die Zuſammen-
ſetzung der thieriſchen Körper eingehe. Einigemal kommen allerdings
Berufungen auf eigene Beobachtungen vor; dieſe ſind aber ziemlich be-
denklicher Art. So zählt er z. B. beim Hirſch in jeder Kinnlade (d. h.
oben und unten) vier Zähne und außerdem noch unten vier andere.
Die Froſchzunge ſoll am Gaumen angewachſen ſein; und weil deshalb
der Athem nicht gerade eingehen könne, treibe die Luft am Halſe die
beiden Blaſen auf. Die Fliege hat zwei Flügel, aber acht Beine. Sein
Verhalten derartigen elementaren Thatſachen gegenüber ſpricht wenig
für eine exacte Erfaſſung eines durch einfache Beobachtung zu ermit-
telnden Thatbeſtandes. Auch von Verallgemeinerungen fruchtbarer Art
iſt bei ihm außer ariſtoteliſchen Angaben nichts zu finden. Es iſt un-
begreiflich, wie Pouchet ihm eine Ahnung von der Wirbelzuſammen-
ſetzung des Schädels zuſchreiben kann220). Albert ſagt an der von
Pouchet hierfür angezogenen Stelle nur221), daß gewiſſe Theile des
Geſichts bewegt werden. Dieſe nennt er nun allerdings Glieder, aber
[231]Das dreizehnte Jahrhundert.
nur in der ariſtoteliſchen Bedeutung des Wortes gegenüber den Be-
ſtandtheilen. Von einer etwaigen Vergleichung derſelben als Glied-
maßen mit ſolchen des Rumpfes iſt auch nicht im entfernteſten die Rede.
In Bezug auf ſeine anatomiſchen Kenntniſſe iſt nun kaum noch
zu erwähnen nöthig, daß er zwar die Muskeln beſchreibt (wobei er die
Beuge- und Streckſeite der Extremitäten in der Weiſe des Mundinus als
domestica und sylvestris bezeichnet), aber die Sehnen immer noch
Nerven nennt, dieſen die eigentlich bewegende Kraft beilegt und ſie vom
Herzen entſpringen läßt. Von den eigentlichen Nerven hat er keine
Vorſtellung, ebenſowenig von ihrer Bedeutung bei der Wirkungsart der
Sinnesorgane. Eigenthümlich iſt es, daß auch Albert bei Schilderung
des Gehirns nach Ariſtoteles in den auch neuerdings wiederholten und
bereits oben (S. 69. Anm. 89) gerügten Fehler verfällt, Ariſtoteles
habe den hintern Raum des Schädels unter dem Tentorium als hohl
beſchrieben222). Die Arterien enthalten Luft; das Herz hat drei Höh-
len. Das Gehirn iſt feucht und kalt u. ſ. w.
Bei ſolchen anatomiſchen Anſchauungen iſt es nicht zu verwun-
dern, daß ſeine Phyſiologie ſich in gleicher Weiſe von den alten Grund-
fehlern befangen zeigt, trotzdem daß er manche Punkte, wie die Zeu-
gung, Entſtehung der Geſchlechter, Begattung mit einer großen Aus-
führlichkeit behandelt. Dabei macht ſich aber der ſcholaſtiſche Zug der
haarſpaltenden Worterklärung und ſpitzfindigſten Dialektik in hohem
Maße geltend. Zu Experimenten, auf welche er ſich zuweilen beruft,
ohne ſie dann mitzutheilen, kommt er nur äußerſt ſelten und dann bei
Fragen, welche gar keine grundlegende Bedeutung haben oder deren
Tragweite er nicht zu beurtheilen im Stande iſt, wie z. B. ob der Sa-
lamander im Feuer leben könne. Man weiß auch nicht, ob man bei der-
artigen Gelegenheiten an eine grobe Täuſchung, welcher er ausgeſetzt
geweſen iſt, oder an eine ſtarke Leichtgläubigkeit ſeinerſeits denken ſoll.
So ſagt er z. B. bei Schilderung des Wurmes seta (möglicherweiſe
ein Gordius), daß derſelbe vielleicht aus Pferdehaaren entſtehe; denn
er habe ſelbſt vielfach erfahren, daß dieſe Haare in ſtehendem Waſſer
[232]Die Zoologie des Mittelalters.
Leben bekommen und ſich bewegen. So will er ferner einen monſtröſen
zweibeinigen Bock geſehen haben, welcher mit ſeinen zwei allein vorhan-
denen Vorderbeinen gelaufen ſei und dabei das beinloſe Hintertheil hoch
in die Höhe gehalten habe, ſtatt es auf der Erde nachzuſchleppen. Auch
ſchildert er ohne ein Bedenken zu äußern, die Sanftmuth des ſonſt ſo
wilden Einhorns im Schoße einer Jungfrau, den Pegaſus, erwähnt
das Fortſchießen der Stacheln beim Stachelſchwein u. ſ. f. Anderes
dagegen berichtigt er oder weiſt es als unglaubwürdig zurück. Daß die
linken Beine des Dachſes kürzer ſeien als die rechten, erklärt er nach
eigener Anſchauung für falſch; ebenſo bezeichnet er die Entſtehung der
Baumgans auf Bäumen, die Befruchtung des Haſelhuhns durch den
Speichel des Männchen als irrig und weiſt es auch zurück, daß der
Biber ſich ſelbſt verſtümmele, daß der Storch den Ehebruch ſeines
Weibchens durch den Geruch erkenne. Andererſeits erzählt er aber ohne
ein Wort der Kritik oder des Wunderns zu äußern, daß eine Frau
nicht ſchwanger werde, ſo lange ſie das aus dem lebendigen Thier ge-
ſchnittene Ferſenbein eines Wieſels umhängen habe.
Die letzte Angabe führt zu der abergläubiſchen und mediciniſchen
Verwendung der Thiere, welche wenigſtens mit ein paar Worten an-
gedeutet werden muß. Beim Vogel Caladrius, wo er die aus dem Phy-
ſiologus bekannte Geſchichte erzählt und zu erklären ſucht, ohne ſie
jedoch zu kritiſiren, fügt Albert zwar hinzu, daß die Weiſſagung aus
den Vögeln nicht zur Aufgabe der vorliegenden Speculation gehöre.
Wenn er indeß damit die eine Form von Aberglauben ausſchließt, ſo
bringt er die andere, auf Talismane, Geheimmittel u. dergl. bezügliche,
deſto reichlicher an. Mittel zur Erlangung von Liebe, zur Erhaltung
von Zeugungsfähigkeit, Aphrodiſiaca jeder Art, Mittel zur Beförde-
rung oder zur Beſeitigung des Haarwuchſes, daneben auch gegen fal-
lende Sucht, Kolik u. ſ. w. ſpielen eine große Rolle223); dabei ſind aber
auch Mittel im Dunkeln zu ſehen (vergl. den Igel), Flöhe und anderes
Ungeziefer zu vertreiben u. dergl. nicht vergeſſen.
[233]Das dreizehnte Jahrhundert.
Wie erwähnt beſpricht das 21. Buch die Vollkommenheitsgrade
der Thiere. Die darin gegebene Eintheilung iſt aber durchaus nicht
als eine feſtbegründete Claſſification anzuſehen und zeigt vielmehr, daß
Albert in der Erfaſſung der thieriſchen Formen ſeinem Meiſter Ariſto-
teles nicht entfernt gleich kam. Unter den, an erſter Stelle von dem
Seelenleben hergenommenen Gründen für die Vollkommenheit des
Menſchen224) führt er auch die Form des menſchlichen Körpers an.
Hier zeigt er ſich aber in gleicher Weiſe von vorgefaßten Meinungen
eingenommen; unter willkürlicher Annahme eines verſchiedenen Wer-
thes der einzelnen Dimenſionen ſchließt er aus dem Verhalten der ver-
ſchiedenen Körperdurchmeſſer, daß der Menſch die vollkommenſte Geſtalt
habe225). Während man dann wohl hätte erwarten können, die einzel-
nen Thiergruppen nach ihren Vollkommenheitsgraden irgendwie charak-
teriſirt zu ſehen, ſchildert er die Klugheit, die natürliche ſinnliche Bega-
bung der Thiere nach den populär hergebrachten Abtheilungen der Vier-
füßer, Vögel, Waſſerthiere, Schlangen und Glieder- oder Ringelthiere.
Die letzteren ſind genau des Ariſtoteles Entoma, freilich mit einzelnen
fremdartigen Zuthaten. Sie werden bei den Einzelſchilderungen als
kleine blutloſe Thiere bezeichnet und es werden Inſecten, Spinnen,
Fröſche, Kröten, Seeſterne u. ſ. f. zu ihnen gerechnet. Unter den
Waſſerthieren laufen Fiſche, Krebſe, Weichthiere bunt durcheinander.
An unterſter Stelle erwähnt er noch eine kleine Gruppe „unvollkomm-
ner“ Thiere; es ſind dies ſeiner Angabe nach eine Anzahl „Würmer“,
wie der Regenwurm und der Schwamm. Dieſe Gruppe läßt er aber
bei der Aufzählung ſpecieller Thiere ganz weg, vermuthlich wegen zu
geringer Bekanntſchaft mit ihr. Kann man nun hiernach kaum ſagen,
[234]Die Zoologie des Mittelalters.
daß Albert ein Syſtem gehabt habe, ſo fehlt ihm auch der Ausgangs-
punkt der Syſtematik, die naturhiſtoriſche Species. Zwar behauptet
auch hier Pouchet226), daß Albert zuerſt die Species als ſolche defi-
nirt, auch gezeigt habe, wie mehrere Species ein Genus bilden. Es
läßt ſich aber aus zahlreichen Beiſpielen nachweiſen, daß auch bei Al-
bert die Begriffe Art und Gattung nur im formalen Sinne einer logi-
ſchen Ueber- und Unterordnung angewendet wurden. Solche Stellen,
wie: „der Specht iſt keine Species, ſondern ein Genus“, können aller-
dings zu einer andern Anſicht verführen. Lieſt man aber weiter, ſo
ſtößt man auf Worte, welche keinen Zweifel laſſen: „Da es indeß von
dieſem Vogel viele Gattungen gibt“. Es ſind alſo hier Gattungen an-
dern Gattungen untergeordnet. Ebenſo heißt es vom Cetus: „es iſt
dies ein Fiſch von vielen Gattungen“. „Von Reihern werden drei Gat-
tungen bei uns gefunden“. Die rein logiſch-formale Bedeutung des
genus und der species geht aber zur Evidenz aus Stellen hervor, wo er
die Art ſogar zweierlei generiſchen Formen gegenüberſtellt, einem näch-
ſten Genus und einem entfernten227). Man hat alſo auch hier in Folge
einer beſondern Vorliebe für Albert etwas in ihm geſucht, was gemäß
der Entwickelungsweiſe naturwiſſenſchaftlicher Ideen noch gar nicht bei
ihm zu finden ſein kann und deſſen Mangel ſeine Verdienſte nicht ſchmälert.
Während Albert in den bis jetzt geſchilderten Theilen ſeines großen
Thierbuchs ſich kaum vom Texte des Ariſtoteles, den er zu commenti-
ren unternommen hatte, entfernt und nur einzelne Details oder Spe-
culationen allgemeiner Art zugibt, iſt der letzte Abſchnitt, die Einzel-
ſchilderungen enthaltend, dadurch von beſonderem Intereſſe, daß man
hieraus nicht bloß den Umfang der Thierkenntniß, die ihm zu Gebote
[235]Das dreizehnte Jahrhundert.
ſtand, ſondern auch die Auffaſſung beſonderer Einzelheiten in Bezug auf
biologiſche oder anatomiſche Verhältniſſe wohl erſehen zu können meinen
kann. Doch würde man ſich getäuſcht ſehen, wenn man hier etwa prä-
ciſe Beſchreibungen erwartet hätte. Es läßt ſich kaum ein Thier an-
führen, was zuerſt durch Albert bekannt oder in die Wiſſenſchaft mit-
telſt einer genügenden Beſchreibung eingeführt worden wäre. Ein
Hauptgrund der Unzulänglichkeit dieſes Abſchnittes liegt in dem bereits
früher hervorgehobenen Mangel einer wiſſenſchaftlichen Namengebung
und Terminologie. Andererſeits macht es ſich aber gerade hier, wo mit
allgemeinen Betrachtungen der ganz concreten einzelnen Thierformen
nichts auszurichten war, recht fühlbar, wie wenig eingehend ſeine ſoge-
nannten Beobachtungen waren und wie kritiklos er alles ihm wichtig
oder intereſſant Erſcheinende aufnahm. Die Hauptquelle war ihm hier
Thomas von Cantimpré, welchen er zuweilen einfach abge-
ſchrieben, zuweilen abgekürzt und mit Bemerkungen verſehen hat.
Selbſt die Reihenfolge und die Verſtöße gegen das Alphabet, welche in
derſelben vorkommen, ſind bei beiden Schriftſtellern dieſelben. Wie bei
Thomas finden ſich auch bei Albert Synonyme an verſchiedenen Stel-
len ohne Hinweis auf bereits Mitgetheiltes; ſo erſcheint die Giraffe
unter drei Namen (oraflus, anabula, camelopardus,) der Wiſent
unter vier ſchon bei Thomas erwähnten. Albert hat nun aber zu der
von Thomas angeführten Liſte noch Zuſätze gegeben, freilich zuweilen
ohne zu fragen, ob ſeine neuen Thiere nicht ſchon unter anderm Na-
men vorhanden waren. So bringt er zu dem murilegus noch den cat-
tus, zu dem calopus den analopos. Verglichen mit der Zahl der bei
Thomas vorkommenden Thiere iſt die Zahl der bei Albert neu hinzu-
kommenden nicht groß. Mit Einſchluß der genannten Synonyme kom-
men hinzu bei den Vierfüßern: analopos, alphec, akabo, cattus und
martarus; bei den Vögeln bonasa, athilon, muscicapa, noctua; bei
den Fiſchen, unter welcher Bezeichnung er die beiden Gruppen der
Meermonſtra und Fiſche bei Thomas vereinigt, gobius, raychae, stin-
cus, sturitus, bei den Würmern die beiden Artikel limax und scorpio.
Die Zahl der Schlangen iſt dadurch viel beträchtlicher geworden, als
Albert aus Avicenna die ſämmtlichen Arten aufgenommen hat. Sie
[236]Die Zoologie des Mittelalters.
erſcheinen ſämmtlich unter den arabiſchen latiniſirten Namen, welche
Gerard von Cremona in ſeiner Ueberſetzung des Canon eingeführt
hatte und hier ſchlich ſich auch, wie erwähnt, der Autor Semerion ein.
Es iſt auch die Trennung der Schlangen in drei Ordnungen die des
Avicenna; es liegt die Gefährlichkeit ihres Biſſes zu Grunde. Umge-
kehrt fehlen aber auch einige, jedoch wenige Formen bei Albert, welche
Thomas angeführt hatte; ſo unter den Vögeln228)isopigis (seisopigis
der Kyraniden) und kiliodromos, unter den Seemonſtren cervus ma-
rinus, falatha, ipotamus und onos und unter den Fiſchen fundula
und uranoscopus. Beſonders bei den Thiernamen wäre eine Kritik
des Textes (durch eine correcte Ausgabe des Thomas Cantipratenſis)
ſehr wünſchenswerth. Die cefusa des Thomas erſcheint bei Albert als
confusa, der Fiſch kim (kym) als kyrii, pirander als pyradum und
viele andere dergleichen Verſchiedenheiten, welche ſich nur aus einer
Vergleichung der Handſchriften erklären und beſeitigen laſſen.
Außer den in den letzten ſpeciellen Büchern aufgezählten Thier-
formen laſſen aber einzelne Notizen in dem allgemeinen Theile auf eine
Bekanntſchaft Albert's mit noch anderen Abtheilungen des Thierreichs
ſchließen. So ſcheint er nach ſeiner Schilderung ſicher größere Medu-
ſen am Meeresſtrande und vielleicht auch ſchwimmend geſehen zu ha-
ben229), deren Form er wenigſtens zur Wiedererkennung ihrer allge-
meinen Geſtalt beſchreibt. Freilich fehlt hier jeder nähere Nachweis
über ihren Bau und ihre Verwandtſchaft, wie er ſich dieſe Verhältniſſe
eben dachte. Ebenſo laſſen ſich einige Angaben wohl auf Holothurien
deuten, indeß gleichfalls nur ſo weit, daß man wie bei den betreffenden
Angaben des Ariſtoteles nur ſagen kann, er habe ſie einmal geſehen.
Will man Albert den Großen nach alle dem Vorſtehenden
als Zoolog gerecht beurtheilen, ſo iſt es einmal nothwendig, in ihm
[237]Das dreizehnte Jahrhundert.
nicht etwa einen Naturforſcher im modernen Sinne des Wortes zu
ſuchen. Man würde ihn dann ſicher unterſchätzen. Wie er ja über-
haupt die ganze Richtung ſeiner Zeit nicht auf einmal durchbrechen
konnte, ſo darf man nicht außer Acht laſſen, daß er als Geiſtlicher noch
beſondere Rückſicht nehmen mußte, der von einem ziemlich ſtarken Ver-
dacht umgebenen Naturbetrachtung eine mit dem Kirchenglauben ver-
einbare Form zu geben. Er darf aber auch nicht überſchätzt werden.
Das enthuſiaſtiſche Lob, welches ihm Blainville, Pouchet,
Sighart u. A. ſpenden, hat er nicht in dem Umfange und nicht für
alles Das, was ihm gerade dieſe Männer nachrühmen, verdient. Un-
bedingt muß er als großartige Erſcheinung anerkannt werden. Sein
Hauptverdienſt liegt aber wohl weniger in den erſten ſchüchternen Ver-
ſuchen eigner Beobachtungen, ſondern vielmehr darin, daß er den Ari-
ſtoteles als Naturphiloſoph und zoologiſchen Lehrmeiſter wieder hinge-
ſtellt hat und daß er hierdurch darauf hingewieſen hat, wie man die
Natur anſehen ſoll. Daß er dann ſelbſt dieſen Lehren nicht überall ge-
folgt iſt, thut ihm im Ganzen wenig Abbruch. Man pflegt zuweilen
ſeinen Einfluß als einen nur geringen zu bezeichnen. Wenn auch die
kürzeren und ſchon deshalb einer größern Verbreitung leichter zugäng-
lichen Schriften eines Thomas von Cantimpré, wie ſpäter eines Bar-
tholomäus Anglicus directere Wirkung auf eine ziemlich lange Zeit ge-
äußert haben, ſo mußte doch die Thatſache, daß man nun durch ſeine
Arbeit in Ariſtoteles eine Autorität für das Naturwiſſen wieder beſaß,
welche die ſonſt eine ausſchließlich geiſtige Macht in Anſpruch nehmende
Kirche doch gelten zu laſſen genöthigt war, intenſiv viel bedeutender
wirken. Namentlich war nun für die Zeit, wo die Wiſſenſchaft nicht
mehr in die engen Kloſtermauern gebannt war, ſondern ſich befruchtend
über weitere Kreiſe verbreiten konnte, ein Halt und zwar der ſicherſte
Halt gegeben, an welchem ſich der zu neuem Leben erwachende For-
ſchungseifer zur wirklich wiſſenſchaftlichen Höhe erheben konnte. Trat
dies verhältnißmäßig ſpät ein, ſo lag die Schuld nicht an Albert oder
der Unwirkſamkeit ſeines Planes, ſondern an der Zeit, welche die
Menſchheit noch nicht frei ſich Beſtrebungen hingeben ließ, welche ihr
Intereſſe in ſich tragen.
[238]Die Zoologie des Mittelalters.
Vincenz von Beauvais.
Der Verfaſſer des dritten Hauptwerkes, welches im Ganzen zwar
außerordentlich umfangreich, aber doch kaum viel größer als das Ge-
ſammtwerk Albert des Großen iſt und beſonders in den den Thieren
gewidmeten Abſchnitten weſentlich von letzterem abweicht, iſt Vin-
cenz, welcher dem alten Herkommen gemäß gewöhnlich als Bello-
vacenſis bezeichnet wird. Man weiß weder wo oder wann er gebo-
ren, noch wann er geſtorben iſt. Meiſt wird das Jahr 1264 als das
ſeines Todes betrachtet. Er war Dominikaner im Ordenshauſe zu
Beauvais, aber weder Biſchof noch Prior ſeines Kloſters230). Im
Auftrage Ludwig's IX ſowie ſeiner Oberen unternahm er es, in einem
umfaſſenden Werke das Wiſſen der damaligen Zeit encyklopädiſch darzu-
ſtellen. Dies hat er inſofern in einer wahrhaft bewundernswerthen Weiſe
vollbracht, als er aus einer ſo reichen Excerptenſammlung, wie ſie viel-
leicht niemals wieder planmäßig angelegt worden iſt, welche er aber nicht
allein, ſondern mit zahlreichen Helfern veranſtaltet hat, einen Ueber-
blick von dem Stande der Kenntniſſe über alles nur irgend Wißbare zu
ſeiner Zeit geſchaffen hat. War bei Thomas von Cantimpré das erſte
Durchbrechen der ariſtoteliſchen Zoologie und deren Verwendung zur
Erklärung von Einzelheiten, bei Albert dem Großen eine planvolle ſy-
ſtematiſche Durcharbeitung der ganzen ariſtoteliſchen Naturphiloſophie
das Verdienſtliche, ſo iſt bei Vincenz der Sammlerfleiß und die Geduld
des mühſamen Ordnens zu bewundern.
Sein Naturſpiegel, welcher hier allein in Betracht kommen kann,
iſt mit Einſchluß der Einleitung in dreiunddreißig Bücher getheilt, von
denen das 17.-23. den fünften Schöpfungstag, alſo die Thiere, das
24.-29. den Menſchen und die Seele behandeln. Die Zeit der Ab-
[239]Das dreizehnte Jahrhundert.
faſſung bezeichnet er ſelbſt genau, indem er im 102. Kapitel des letzten
Buches, welches die Weltalter und geſchichtlichen Ereigniſſe enthält,
ſelbſt vom laufenden Jahr 1250 ſpricht. Daß hier kein Fehler vorliegt,
beweiſt der Zuſatz, daß es das achte (mit Buchſtaben, nicht mit Ziffern)
Jahr des Pontificats Innocenz' IV ſei. Wie dem Thomas Cantiprata-
nus, ſo iſt es auch Vincenz beim Zuſammenſchreiben ſeiner Excerpte
begegnet, daß er eine von ſeinem Gewährsmann in der erſten Perſon
erzählte Begebenheit in derſelben Perſon wiedergibt231). Die Zahl der
von ihm ausgezogenen und meiſt wörtlich angeführten Schriftſteller
übertrifft bei weitem die Zahl der bei Thomas und Albert vorkommen-
den. Fabricius hat eine Zuſammenſtellung der im Naturſpiegel
citirten Autoren gegeben, welche im Ganzen correct iſt232). Es ſind
deren gegen 350. Nicht am Orte würde es ſein, hier näher auf dieſe
Liſte einzugehn. Da jedoch einige dieſer Anführungen auf das Verhält-
niß zu andern Werken ſeiner Zeit ein nicht zu vernachläſſigendes Licht
werfen, dürften ein paar Worte wohl am Platze ſein.
Ariſtoteles wird noch nach der arabiſch-lateiniſchen Ueber-
ſetzung des Michael Scotus citirt. Nächſt ihm werden Plinius
Solinus, und als Etymolog Iſidor von Sevilla wohl am häufig-
ſten erwähnt. Sehr oft erſcheint ein Philoſophus. Wenn wohl
auch in ſehr vielen Fällen Ariſtoteles hierunter zu verſtehen iſt, ſo paſ-
ſen doch entſchieden nicht alle Citate dieſes „Philoſophen“ auf Ariſtoteles
(z. B. bei der Baumgans, wo er nach dem Philoſophus Flandern als
Fundort anführt). Aeußerſt zahlreich, oft ſich zu zweien oder dreien auf
einer Seite findend ſind die Stellen aus Thomas von Cantimpré,
deſſen Name zwar ſelbſt nicht genannt wird, deſſen Schrift de naturis
rerum aber faſt ganz ausgeſchrieben iſt. Albert der Große wird in
den den Thieren gewidmeten Büchern (17.-23.) wie erwähnt nur im
[240]Die Zoologie des Mittelalters.
17. Buche citirt, zwar allerdings als liber de animalibus, aber eben
nur bei den Falken. Im ganzen übrigen Text des 9.-23. Buches
fehlt Albert vollſtändig. Sein Tractat über die Seele wird im dritten
Buche, andere Schriften von ihm im 4.-8. Buche angezogen. Aber
in den botaniſchen und zoologiſchen Theilen fehlt ſein Name mit Aus-
nahme jenes Kapitels. Sehr häufig erſcheint unter den Gewährsmän-
nern auch ein Phyſiologus. Am nächſten liegt hier die Vermu-
thung, daß dies das früher geſchilderte Thierbuch ſei. Wenn nun auch
Einzelnes, ſo z. B. die Geſchichte vom Biber mit dem im oben erör-
terten „Phyſiologus“ Mitgetheilten übereinſtimmt, ſo weiſen doch zahl-
reiche andere Citate auf einen entſchieden vom Verfaſſer jener Schrift
verſchiedenen Schriftſteller hin233). Außerdem wird noch ein „Phyſi-
cus“ angeführt. Ob unter dieſen beiden Bezeichnungen etwa ein be-
kannterer Schriftſteller gemeint iſt, bleibt noch zu ermitteln. Auch Jo-
rath erſcheint wieder und zwar ungleich häufiger als bei Albert dem
Großen. Sieht man ſich unter der großen Zahl von Autoren um, ſo
findet man zwar manche Klaſſiker nicht, aber es ſind doch alle Katego-
rien vertreten: Naturforſcher, Dichter, Aerzte; unter den Arabern ſind
es vorzugsweiſe mediciniſche Schriftſteller, Avicenna, Raſis, Hali.
Die Reihe der chriſtlichen Schriftſteller beginnt mit den Kirchenvätern,
Auguſtinus, Baſilius, Gregorius, Ambroſius; dann folgen Gloſſato-
ren, Exegeten der Bibel und Chroniſten bis herab auf Jacob von Vitry.
Daß Vincenz die früheren Reiſen in Aſien kannte und für die betref-
fenden Theile ſeines Werkes benutzte, wurde ſchon erwähnt. Neben
den Autoren kommt endlich ſehr häufig noch ein Actor vor. Bereits
E. Meyer hat gezeigt, daß dies Vincenz ſelbſt, der Red-actor des
ganzen Materials iſt. Für eine Litterärgeſchichte des dreizehnten Jahr-
hunderts wäre jedenfalls eine kritiſche Bearbeitung des Litteraturbe-
ſtandes, wie ihn Vincenz vor ſich gehabt haben muß, von großem In-
[241]Das dreizehnte Jahrhundert.
tereſſe; das bis jetzt darüber Bekannt gewordene genügt nicht, wie
ſchon aus einzelnen der vorſtehenden Bemerkungen hervorgeht.
Von größerer Wichtigkeit iſt hier die Frage, ob Vincenz durch den
Beſitz eines ſo viel größeren litterariſchen Materials auf einen dem ent-
ſprechend höheren Standpunkt geführt worden iſt, ob er eine wirklich
wiſſenſchaftliche Verwerthung des reichen thatſächlichen Beſtandes ver-
ſucht hat. Unſtreitig ſteht er aber in dieſer Hinſicht dem Albert weit
nach. Seine allgemeinen Einleitungen, ſowie die beiden der Anatomie
und Phyſiologie gewidmeten Bücher (das 22. und 23.) enthalten zwar
neben den verſchiedenen Detailſchilderungen auch allgemeine Sätze,
vorzüglich nach Ariſtoteles und Plinius; aber von einer ähnlichen Ver-
arbeitung, wie ſie bei Albert dem Großen zu Tage tritt, iſt hier nichts
vorhanden. Völlig moſaikartig ſtehen die einzelnen Stellen der verſchie-
denen Schriftſteller neben einander, ohne jegliches Wort einer kritiſchen
eingehenden Beurtheilung. Die Bemerkungen Vincenz's ſelbſt enthal-
ten meiſtens Verweiſungen auf andere Stellen ſeines Werkes zur Ver-
vollſtändigung der allgemeinen Ueberſicht, nirgends aber eigne ſelbſtän-
dige Ausführungen; höchſtens faßt er zuweilen das Vorgetragene noch-
mals kurz zuſammen.
Die Anordnung des Stoffes iſt ziemlich der in Thomas' Schrift
eingehaltenen gleich. Nach kurzen allgemeinen Einleitungen zu jedem
Buche enthält das 17. die Vögel, das 18. die Fiſche und Seemonſtra,
das 19. die Zug- und Zuchtthiere, das 20. die wilden Thiere, das 21.
„die übrigen Thiere, nämlich Schlangen, kriechende Thiere und Wür-
mer“, und zwar ſämmtlich einzeln in alphabetiſcher Reihenfolge, wobei
auch hier der zugängliche lateiniſche Name die Einordnung in's Alpha-
bet beſtimmte. Hier und da iſt Vincenz vom Alphabet etwas abgewichen,
z. B. im 20. Buche, wo er die kleinen Thiere beſonders am Schluſſe
auf die großen folgen läßt. Auch finden ſich faſt die gleichen Wie-
derholungen bei nicht erkannten Synonymen, wie bei Thomas Canti-
pratenſis. Die Zahl der aufgeführten einzelnen Formen erſcheint des-
halb bei Vincenz größer, weil er meiſtentheils die mit verſchiedenen
Namen bezeichneten Alters- und zuweilen auch Geſchlechtsformen be-
ſonders an den betreffenden Stellen im Alphabet untergebracht hat (wie
V. Carus, Geſch. d. Zool. 16
[242]Die Zoologie des Mittelalters.
z. B. agnus, ovis, vitulus, hos, taurus). In Bezug auf das, was
man etwa ſeine Syſtematik nennen könnte, ſind ſeine Anſichten noch
weniger ſicher und conſequent als Albert's. Während letzterer ſich doch
ſicher die zugänglichen Thiere, wenn auch nicht immer mit viel Glück
und Geſchick, angeſehen hat, iſt dies bei Vincenz ſehr zu bezweifeln. Er
folgt alſo nur dem Sprachgebrauch und zwar auch deſſen Schwankun-
gen, wenn er, wie erwähnt, Schlangen, kriechende Thiere und Wür-
mer einmal nebeneinanderſtellt und dann die Reptilien, alſo wieder die
kriechenden Thiere (zum Unterſchiede von den Natatilien u. a.) in drei
Gattungen theilt: Schlangen, Eidechſen (mit Einſchluß der Fröſche)
und Würmer. Die Begriffe Gattung und Art, welche letztere er der
erſten unterordnet, haben bei ihm nur eine formale Bedeutung. Seine
phyſiologiſchen Anſchauungen entſprechen vollſtändig den zu ſeiner Zeit
allgemein verbreiteten; das Fleiſch iſt das Inſtrument des Gefühls;
die vom Herzen entſpringenden Sehnen („Nerven“) ſind die eigentlich
bewegenden Theile u. ſ. w.
Bekanntlich iſt das Speculum majus des Vincenz bereits im
fünfzehnten Jahrhundert wiederholt gedruckt worden; dann allerdings
nicht wieder ſeit 1624. Lag der Werth der ungeheuren Arbeit für die
damalige Zeit in der Vollſtändigkeit, mit welcher die Anſichten aller
möglichen Schriftſteller über Thiere und Thierleben wiedergegeben wa-
ren, und welche faſt eine Bibliothek entbehrlich machen konnte, ſo hatte
das Werk für den Fortſchritt der Wiſſenſchaft ſelbſt ſo gut wie keine
Bedeutung. Es half höchſtens dazu, der Verbreitung der ariſtoteliſchen
Richtung auch in der Zoologie Vorſchub zu leiſten, wenn ſchon ſein co-
loſſaler Umfang einer wirkſamen Vervielfältigung natürlich ein nur
ſelten zu überwindendes Hinderniß wurde. Nicht unwerth der Erwäh-
nung iſt es, daß hier wie bei Albert die ſpäteren Ausgaben die incor-
recteren ſind.
Weitere Zeichen einer litterariſchen Thätigkeit.
Sind auch die eben ausführlicher beſprochenen Werke theils ihres
Inhalts theils ihrer Form wegen als Zeichen einer wiedererwachenden
wiſſenſchaftlichen Erfaſſung der Thiere anzuſehen und dadurch für die
[243]Das dreizehnte Jahrhundert.
Geſchichte von beſonderem Werthe, ſo iſt doch mit ihnen das Geſammt-
bild der Leiſtungen noch nicht erſchöpft, welche entweder vorbereitend
oder das Begonnene weiterführend eine Erwähnung verdienen. Es
muß auch ſchon im Allgemeinen auffallen, daß der Charakter der Litte-
ratur, inſofern ſie auf die Natur Rückſicht nimmt oder ſich ganz mit
ihr beſchäftigt, ſich faſt in derſelben Weiſe ändert, wie es bei gewiſſen
Seiten der hiſtoriſchen Anſchauung der Fall geweſen iſt. Es iſt näm-
lich mit Recht darauf hingewieſen worden, daß die in den früheren
Jahrhunderten des Mittelalters in ſo vielfachen Bearbeitungen auftre-
tenden Alexander- und Troja-Sagen von jener Zeit an entweder ganz
verſchwinden oder ausdrücklich als Fictionen bezeichnet werden, wo mit
dem Bekanntwerden des Homer einerſeits und der griechiſchen Hiſtoriker
andererſeits das hiſtoriſche Element der Sagen den mythiſchen Gehalt
derſelben durch den jederzeit mächtigen Zauber der Wahrheit in den
Hintergrund drängte. In ganz gleicher Weiſe iſt auch für die zoolo-
giſche Litteratur nicht zu verkennen, daß mit dem Bekanntwerden des
Ariſtoteles ein Wendepunkt eintritt. In Folge ſeiner Anregung wurde
man nachdrücklicher auf die Naturgegenſtände ſelbſt geführt und eine
wenngleich freilich noch oberflächliche aber doch immerhin directe Beobach-
tung der Thiere ſelbſt lehrte das auch ohne mythiſchen Zuſatz wunderbar
genug erſcheinende Leben derſelben kennen. Hierdurch wurde aber die
Richtung, welche ſich nur in myſtiſchen Deutungen und ſymboliſchen
Auslegungen einzelner, zuweilen ſelbſt als nicht ſicher beobachtet aner-
kannter Züge aus dem Thierleben gefallen hatte, allmählich beſeitigt
oder wenigſtens in Bezug auf das von ihr im Auge gehabte Publikum
weſentlich beſchränkt.
War es auffallend, daß von den arabiſchen Ueberſetzungen, Com-
mentaren und Auszügen des Ariſtoteles nur einzelne in die abendlän-
diſche Litteratur drangen, ſo iſt auch die Zahl der aus dem dreizehnten
Jahrhundert bekannten abendländiſchen Commentatoren merkwürdig
klein. Denn wenn auch theils durch die nun einmal vorhandene ara-
biſch-lateiniſche Ueberſetzung, dann durch das für ſeine Zeit abſchließende
Werk Albert des Großen dem hauptſächlichſten Bedürfniſſe Genüge ge-
than zu ſein ſcheint, ſo iſt doch kaum zu erwarten, daß in einer ſonſt
16*
[244]Die Zoologie des Mittelalters.
litterariſch ſo regen Zeit andere Schriftſteller ſich nicht auch an der
Meiſterung des neu eindringenden Stoffes hätten verſuchen ſollen.
Von Commentaren erwähnt Jourdain234) nach einem Manuſcript der
Sorbonne einen ſolchen zu der Thiergeſchichte von Gerard von
Broglio. Und vielleicht mögen ſich auch noch andere handſchriftlich
hier und da finden. Von ſelbſtändigen Abhandlungen, welche ausdrück-
lich als den Thieren gewidmet bezeichnet ſind, werden noch zwei ange-
führt: eine Schrift von Bartholomäus de Bragantiis, de
animalibus ex multis collectus235), und eine andere von Engel-
bert, Abt von Admont in Steiermark, de naturis animalium236),
beide aus dem dreizehnten Jahrhundert. Welcher Art aber dieſe Schrif-
ten waren, iſt beim Mangel näherer Kenntniß derſelben nicht zu er-
rathen. Es iſt dies die Zeit, wo die zum Theil in neueren Sprachen
geſchriebenen Thierbücher und Bestiarii ſich mit den letzten Formen
des Phyſiologus berühren, welcher jetzt aus der Litteratur zu ver-
ſchwinden beginnt.
Der Sammel- und Schreibefleiß der mittelalterlichen Gelehrten
hat aber ferner der Nachwelt nicht bloß ein Bild davon hinterlaſſen,
wie man damals die Thierwelt, das Thierleben wiſſenſchaftlich oder
wenigſtens geiſtig erfaßte, ſondern in manchen Handſchriften ſind auch
figürliche Darſtellungen enthalten, welche ein noch objectiveres Zeug-
niß von der Auffaſſung der thieriſchen Formen zu geben im Stande
ſind. Nach den hierüber bekannten, in Thierbüchern verſchiedenen
Werthes gefundenen Zeichnungen entſprechen aber dieſe Abbildungen
vollſtändig den unbeſtimmten, zuweilen rein fantaſtiſchen Vorſtellungen
von den Thieren. Dies wird vor Allem ſchon durch die Thatſache be-
ſtätigt, daß auch, wie freilich noch bis in ſpätere Zeiten, alle fabelhaf-
ten Thiere mit gleicher Sorgfalt dargeſtellt wurden 237).
[245]Das dreizehnte Jahrhundert.
Das merkwürdige Jahrhundert darf nicht verlaſſen werden, ohne
zum Schluſſe noch eines Werkes zu gedenken, welches meiſt in eine ſpä-
tere Zeit verſetzt worden iſt, aber ſchon nach der ganzen Anlage und
Ausführung ſich als der Mitte oder zweiten Hälfte des 13. Jahrhun-
derts angehörig ausweiſt, die Schrift über die Eigenſchaften der Dinge
(de proprietatibus rerum) von Bartholomäus Anglicus.
Ueber den Verfaſſer derſelben iſt nicht viel bekannt; man ſchließt allge-
mein aus dem Zuſatze Anglicus, welcher dem Namen Bartholomäus
in den älteſten Handſchriften und früheſten Notizen über ſein Werk zu-
gefügt wird, daß er ein Engländer war. Falſch iſt es, ihn Glanvilla
zu nennen, wie lange Zeit ſelbſt bis in die letzten Jahre ziemlich allge-
mein geſchah238). Er war Franziskaner; aber mit Ausnahme dieſer
allgemeinen Bezeichnung ſeines Ordens, weiß man weder über ſein
Kloſter, noch überhaupt über ſein Vaterland und ſeinen Aufenthalt
etwas Beſtimmteres. Selbſt über die Zeit, in welcher er lebte, war
man lange unſicher und verſetzte ihn irrigerweiſe in das vierzehnte, ja
ſelbſt in das fünfzehnte Jahrhundert. Doch finden ſich datirte Hand-
ſchriften aus dem dreizehnten Jahrhundert. Außer den bereits angedeu-
teten inneren Gründen ſpricht auch die Beſchaffenheit ſeiner Citate für
eine frühere Zeit, wie Jourdain zuerſt hervorgehoben hat. Die in den
ſechziger Jahren dieſes dreizehnten Jahrhunderts bekannt gewordenen
griechiſch-lateiniſchen Ueberſetzungen des Ariſtoteles, welche die alten
arabiſch-lateiniſchen bald ganz vergeſſen ließen, kennt er noch nicht, wie
er überhaupt Griechiſch nicht verſtanden haben kann. Ebenſo fehlen
ihm noch die in jenen Jahren bekannt gewordenen Abhandlungen ſeiner
Zeitgenoſſen Albert, Vincenz, Thomas u. ſ. w. Mit Ausnahme dieſer
iſt der Kreis der von ihm angeführten Autoren ziemlich derſelbe, wie
bei den vorher geſchilderten Schriften. Er citirt reichlich Kirchenväter,
Auguſtinus, Ambroſius, Gregorius, Hieronymus, Baſilius, von ſpä-
teren geiſtlichen Schriftſtellern den Iſidorus, Johannes de St. Aegidio,
237)
[246]Die Zoologie des Mittelalters.
Jacobus de Vitry und Gloſſen. Von antiken Autoren führt er an Ari-
ſtoteles, Plinius, Megaſthenes, Dioſcorides, Macrobius, Lucanus,
Ennius u. ſ. f. Auch die Historia Alexandri Magni erſcheint bei den
Sirenen. Von ärztlichen Schriftſtellern werden angeführt Hippokrates,
Galen, Aesculapius, Sextius, Iſaac, Conſtantinus, Avicenna. Der
von ihm oft erwähnte Phyſiologus iſt, wenn er ſich überhaupt als
mit dem mittelalterlichen Thierbuch gleichen Namens identiſch herausſtel-
len ſollte, eine ausführlichere Recenſion deſſelben, als man bis jetzt
kennt. Auch Jorath erſcheint wieder; in der Ueberſicht der benutzten
Quellen wird er als Chaldäer bezeichnet. Die hier aus ſeinem Thier-
buch mitgetheilten Stellen ſind länger und zuſammenhängender als bei
den früheren Schriftſtellern, welche dieſe Schrift anführen. Beim Alie-
tus und Larus wird eine Schrift Aurora angeführt. Außer den hier
aufgezählten, den ſachlichen Gehalt ſeiner Schrift darbietenden Quellen
hat Bartholomäus viel Aufmerkſamkeit auf die ſprachliche Seite ſeiner
Thiernamen gewendet, natürlich aber nur ſoweit ihm hierfür zu Rathe
gezogene Autoren Anhaltepunkte gaben. Außer Iſidorus ſind Papias
und Huguitio benutzt worden.
Die allgemeine Anordnung ſeines die ganze Welt umfaſſenden,
aber im Verhältniß zu dieſem Plane ſehr compendiös gehaltenen Werkes
entſpricht ziemlich der Anordnung ähnlicher Werke aus jener Zeit. Es
beginnt mit Gott, den Engeln, der menſchlichen Seele, läßt dann den
Menſchen körperlich folgen und reiht nun hieran, als an die Krone der
Schöpfung die übrige Welt. Daß es vorzüglich auf die Verherrlichung
des Schöpfers und ſeiner Schöpfung abgeſehen iſt, beweiſt die Einfüh-
rung der Vögel und Fiſche als Zierden und Schmuck der Luft und des
Waſſers. Es intereſſirt hier nur das zwölfte Buch, welches die Vögel
enthält, das dreizehnte, welches das Waſſer und in einem Schlußkapitel
die Fiſche ſchildert, und das achtzehnte, welches ſämmtliche übrigen
Thiere umfaßt. Mit Ausnahme der Fiſche, welche mehr nach Art der
ariſtoteliſchen Bücher in einen fortlaufenden Text eingereiht beſprochen
werden, ſind auch die einzelnen Formen alphabetiſch aufgezählt. Inner-
halb der einzelnen Artikel erzählt der Verfaſſer fortlaufender und zu-
ſammenhängender als es z. B. Vincenz von Beauvais thut. Auch
[247]Ausgang des Mittelalters.
kommen Stellen vor wie: „in der Schrift des Phyſiologen erinnere ich
mich das Folgende geleſen zu haben“, was auf eine größere Verarbei-
tung des Materials hinweiſt. Das Alphabet enthält übrigens nicht
bloß Thiernamen; im 18. Buche kommen mitten zwiſchen den Thieren
die Artikel vor: cornu, femina, fetans, fetus, woraus auf ein gewiſſes
Beſtreben geſchloſſen werden kann, einzelne Begriffe ſchärfer zu defini-
ren. Hieraus aber, wie es E. Meyer thut, das Streben nach Bildung
einer naturwiſſenſchaftlichen Terminologie abzuleiten, erſcheint denn
doch wohl zu gewagt, da aus den einzelnen Schilderungen des Verfaſ-
ſers zur Genüge hervorgeht, daß er weder das Bedürfniß einer ſolchen
hatte, noch den Werth einer ſchärferen Sprache, wenn ſie ſich ihm dar-
geboten hätte, anerkannt haben würde. So wenig als bei Vincenz von
Beauvais iſt hier von Kritik etwas zu finden. Wenn er z. B. zurück-
weiſt, daß das Wieſel ſich mit dem Ohre begatte und durch den Mund
gebäre, ſo ſagt er dieſes Urtheil Andern nach, in derſelben Weiſe, wie
er Fabel- und Wundergeſchichten Andern nacherzählt. Es iſt daher
nicht möglich, ihm etwa einen beſondern Standpunkt in der geſchicht-
lichen Entwickelung anatomiſcher und phyſiologiſcher ſowie allgemein
zoologiſcher Anſichten zuzuſchreiben. Das Fleiſch dient nur dazu, den
leeren Raum um die eigentlich wirkſamen Nerven (Sehnen) auszufül-
len und die thieriſche Wärme zuſammenzuhalten. Vom Herzen geht die
Erwärmung aus, die Reſpiration dient nur dazu, das Blut und den
Spiritus abzukühlen. Dieſe und ähnliche ariſtoteliſche Anſichten bilden
ſeine phyſiologiſchen Grundbegriffe. Kann daher die Schrift auch nicht
fördernd nach irgend einer Seite gewirkt haben, ſo verdankte ſie doch
ihrem mäßigen Umfang eine ziemliche Verbreitung. Die letzte Ausgabe
erſchien 1619239).
Ausgang des Mittelalters.
Dem regen Aufſchwung eines Intereſſes an der belebten Natur
folgte eine Zeit geiſtiger Stille. Was vorhanden war, gieng zwar nicht
wieder verloren; es wurde ſogar, wie ſich gleich zeigen wird, in ver-
[248]Die Zoologie des Mittelalters.
ſchiedener Weiſe weiter verbreitet. Es fand ſich aber Niemand, welcher
Neues zu ſchaffen Luſt und Muth gehabt hätte. Nicht leicht iſt es, von
einem allgemeinen culturhiſtoriſchen Standpunkte aus die Momente zu
entwickeln, welche die in ſo ſchönen Leiſtungen bewährte, allerdings faſt
kindlich naiv zu nennende Liebe zur Natur, die theilnehmende Behand-
lung des ganzen Gebietes oder einzelner Theile deſſelben nun auf ein-
mal wieder einſchlummern ließen.
Zunächſt hatten nun wohl die Arbeiten des dreizehnten Jahrhun-
derts eine Nachwirkung. Von den vorhin geſchilderten Werken ſind
aus nahe liegenden Gründen die umfangreichen Arbeiten Albert's und
Vincenz's verhältnißmäßig am wenigſten verbreitet geweſen. Dagegen
erlebten die Schriften des Thomas von Cantimpreé und des Engländers
Bartholomäus zahlreiche Abſchriften und, was für ihr Eindringen in
weitere Kreiſe noch wirkungsvoller ſein mußte, verſchiedene Ueberſetzun-
gen in lebende Sprachen. Die Ueberſetzungen des Bartholomäus Ang-
licus fallen in eine ſpätere Zeit. Dagegen ſind im vierzehnten Jahr-
hundert zwei Bearbeitungen des Thomas Cantipratanus entſtanden,
welche für ihre Zeit ſowie für die Litteratur ihres Vaterlandes von Be-
deutung wurden: eine deutſche und eine niederländiſche. Die erſtere iſt
das Buch der Natur von Conrad von Megenberg, die zweite
das unter dem Titel: der „Naturen Bloeme“ bekannte Gedicht von Ja-
kob von Maerlant.
Conrad von Megenberg's „Buch der Natur“, welches jetzt
in einer leider nur mit Rückſicht auf die Entwickelung der Sprache ſorg-
fältig bearbeiteten Ausgabe von Pfeiffer zugänglicher geworden
iſt 240) bietet ein ungemein anziehendes Beiſpiel einer derb naiven mit-
[249]Ausgang des Mittelalters.
telalterlichen deutſchen Schriftſtellernatur dar. Der hauptſächlichſte In-
halt iſt zwar nicht Eigenthum Conrad's. Die Art und Weiſe aber, wie
er ſein Original wiedergibt, hier und da deſſen Ordnung etwa ändert
oder kleinere Zuſätze macht, charakteriſiren ihn als einen um das ſtrenge
Urtheil ſeiner Mitgeiſtlichen ſich eben nicht ſehr kümmernden, derb auf
die Fehler ſeines Standes losziehenden Mann. Er war wie Thomas
Cantipratanus ein Dominikaner; um das Jahr 1309 geboren, und zwar
im nördlichen Baiern in der Nähe des Mains (ungewiß ob in einem Orte
Namens Megenberg oder als Sohn eines Vogtes von Megenberg)
wurde er zunächſt in Erfurt erzogen, beſuchte dann die Univerſität Pa-
ris, wo er acht Jahre blieb und Magiſter der Theologie wurde, und
kehrte 1337 nach Deutſchland zurück. Wahrſcheinlich nach Wien ge-
ſandt leitete er dort die Schule bei St. Stephan bis zum Jahre 1341,
gieng 1342 nach Regensburg und ſtarb, nachdem er ſich wie es ſcheint
in die dortigen Kreiſe hatte einkämpfen müſſen, als Domherr daſelbſt
im Jahre 1374. Wurde er aber auch anfangs nur ungern in Regens-
burg aufgenommen, ſo wußte er ſich doch theils durch ſeine Rednergabe
theils durch ſeine Klugheit eine einflußreiche Stellung in jener Stadt zu
gründen, deren Rath ihn bei Gelegenheit eines zwiſchen der Abtei St.
Emeran und der Curie ausgebrochenen Streites im Jahre 1357 nach
Avignon ſandte, um dort beim Pabſte direct einen Vergleich zu erwir-
ken241). Er war ein thätiger und fruchtbarer Schriftſteller; er verfaßte
mehrere theologiſche Werke und betheiligte ſich durch verſchiedene Ver-
öffentlichungen an den kirchlich politiſchen Streitigkeiten ſeiner Zeit.
Von dieſen Sachen iſt nichts gedruckt worden außer Bruchſtücken. Die
Ueberſetzung der Schrift des Thomas von Cantimpré hat er im Jahre
1349 und 1350 gemacht, wie aus den in derſelben angeführten hiſto-
riſchen Thatſachen hervorgeht. Welche große Verbreitung dieſe erſte
240)
[250]Die Zoologie des Mittelalters.
naturgeſchichtliche Encyklopädie in deutſcher Sprache gehabt hat, bewei-
ſen die außerordentlich zahlreichen Handſchriften derſelben in ſüddeut-
ſchen Bibliotheken. Auch wurde dieſelbe noch vor 1500 allein ſechsmal
gedruckt. (ſ. Choulant a. a. D. S. 33).
Die Anordnung des Stoffes, wie ſie Thomas im Allgemeinen
ganz logiſch vorgenommen hatte, iſt bei Conrad vielleicht zum Theil in
Folge äußerer Veranlaſſung eine etwas andere geworden. Er beginnt
zwar auch mit dem Menſchen, läßt aber dann die beiden Bücher von
der Seele und den wunderbaren Menſchen weg, um erſteres ganz zu
unterdrücken, letzteres ans Ende der ganzen Schrift zu bringen, auf
Zureden guter Freunde („daz wil ich in freundſchaft auch her zuo ſetzen“)
und gewiſſermaßen als Anhang. Statt aber nun, wie es Thomas that,
die Thiere folgen zu laſſen, bringt Conrad die Planeten, Elemente u.
ſ.f. als zweites Hauptſtück herein. Das dritte umfaßt dann die Thiere.
Ferner verſetzt Conrad das dreizehnte, von den Waſſern und Brunnen
handelnde Buch, welches bei Thomas die anorganiſche Natur gewiſſer-
maßen einleitet, hinter die Edelſteine und Metalle. Iſt hiernach die Ge-
ſammtform eine verſchiedene geworden, ſo treten auch in den Einzelhei-
ten mancherlei Unterſchiede hervor. Vor Allem hat Conrad nicht Alles
überſetzt, was ſich im Original des Thomas findet. Um hier nur bei
den Thieren ſtehn zu bleiben, ſo fehlen von den vierfüßigen Thieren 41,
von den Vögeln 42, von den Meerungeheuern 33, von den Fiſchen
56, von den Schlangen 4, von den Würmern 17, alſo im Ganzen
193 von Thomas geſchilderte Arten. Das Original war dem Conrad
als von Albert dem Großen herrührend überliefert worden, was ihm
nicht glaublich ſcheint. Bei einzelnen Erzählungen tritt der Unterſchied
der verſchiedenen Jahrhunderte ziemlich auffallend hervor; natürlich iſt
das ſpätere das aufgeklärtere. Manche von Thomas ſeinen Gewährs-
männern ohne Kritik nacherzählte Eigenthümlichkeit weiſt Conrad ein-
fach als nicht zu glauben zurück. Doch iſt er immer noch ſo weit vom
Aberglauben befangen, daß er an wunderbare Heilwirkungen, Beſchwö-
rungen und Zauberei glaubt. Die Zahl der bei Conrad vorkommenden
Quellenſchriftſteller iſt ſelbſtverſtändlich ungleich geringer, als bei Tho-
mas; doch ſind es im Ganzen dieſelben, auf welche ſich auch Thomas
[251]Ausgang des Mittelalters.
beruft. Merkwürdig und für die Geſchichte der betreffenden Schrift
von Wichtigkeit iſt es, daß Conrad bei der Amphisbaena den Meiſter
Jorach citirt, während ſich wie erwähnt bei Thomas überhaupt kein
Citat dieſes unbekannten Verfaſſers findet.
In Bezug auf Einzelheiten viel freier, ſich aber enger an die von
Thomas gegebenen Thierformen anſchließend iſt die Ueberſetzung Ja-
kob van Maerlandt's. Derſelbe iſt älter als Conrad von Megen-
berg. Er wurde um die Mitte des dreizehnten Jahrhunderts in Damme
(unweit Brügge in der heutigen Provinz Weſt-Flandern) geboren und
ſtarb 1300 als Secretair dieſer Stadt. Auf dieſe wenigen dürftigen
Nachrichten beſchränkt ſich Alles, was man von dem Leben dieſes Man-
nes weiß.
Auf ſeine Bedeutung für die Entwickelung der altniederländiſchen
(richtiger vlämiſchen) Litteratur kann hier nur hingewieſen werden.
Seine Bearbeitung des Thomas von Cantimpré iſt metriſch und ge-
reimt. Leider iſt bis jetzt nur die erſte Hälfte von „Der Naturen Bloeme“
veröffentlicht worden242), welche nur die erſten der von den Thieren
handelnden Bücher umfaßt. Auch Jakob von Maerlandt hat das zweite
Buch des Thomas, welches von der Seele handelt, weggelaſſen und
das erſte, weſentlich gekürzt und vorzüglich die Lebensalter des Men-
ſchen ſchildernd, mit dem dritten des Originals vereinigt. Sein zweites
Buch von den vierfüßigen Thieren entſpricht daher dem vierten des
Originals, das dritte dem fünften, das vierte dem ſechſten. Mehr iſt
bis jetzt nicht erſchienen. Eine Vergleichung der geſchilderten Thierarten
ergibt, daß unter den vierfüßigen Thieren bei Jakob nur der Uranoſco-
pus fehlt, welcher ſich nicht einmal in allen Handſchriften des Thomas
findet (ſo fehlt er in dem Gothaer Codex). Er ſteht, wo er vorkommt
(z. B. Rhebiger'ſche Hdſchr.), zwiſchen Uria und Fuchs. Von Vögeln
[252]Die Zoologie des Mittelalters
fehlen Egithus, Othus und Ulula, von den Meerungeheuern Cetus
vel balena, Ludolacra und Testeum. Die Schreibart der Namen
iſt aber dieſelbe, wie bei Thomas Cantipratanus; ſo erſcheint die
Aspidochelone auch hier als Faſtaleon, das Nilpferd als Ipothamus u.
ſ. f. Conrad von Megenberg kannte den eigentlichen Verfaſſer der von
ihm bearbeiteten Schrift nicht und zweifelte daran, daß Albert der
Große das Werk verfaßt habe. Jakob van Maerlandt führt ausdrück-
lich und ohne zu zweifeln „van Coelne Broeder Alebrecht“ als Verfaſſer
an. Sind auch die einzelnen Artikel etwas gekürzt, ſo finden ſich doch
ſowohl die Moraliſationen als auch die gelegentlichen Verwendungen
zu mediciniſchen Zwecken wie bei Thomas den kurzen Schilderungen
angehängt, ſo daß der Bearbeiter trotz der freieren poetiſchen Form ſich
viel ſtrenger an das Original gehalten hat, als Conrad. Die Verbrei-
tung des Gedichts ſcheint aber eine viel geringere geweſen zu ſein, als
bei dem Buch der Natur. Bormans führt zwar in den Varianten ſie-
ben oder acht Handſchriften auf; doch iſt die Schrift bis zu der er-
wähnten Ausgabe noch nicht gedruckt worden, wovon wohl die örtliche
Beſchränkung des Dialektes die vorwiegende Urſache geweſen iſt.
Es würde zu weit führen und kaum weſentlich beitragen, die Cul-
turverhältniſſe des ausgehenden Mittelalters noch eingehender zu ver-
anſchaulichen, wenn hier auf ſämmtliche Erſcheinungen Rückſicht ge-
nommen werden ſollte, in welchen unter Andern auch von Thieren
gehandelt wird. Der Theſaurus Alfons'X braucht daher ebenſo wie
der ihm wohl nachgebildete Tesoro des Brunetto Latini nur erwähnt
zu werden. Beide ſchließen ſich in Bezug auf die breite Grundlage,
von welcher ſie ausgehn, an früher genannte encyklopädiſche Werke an,
haben aber im Allgemeinen eine directere Beziehung zur Entwickelung
philoſophiſcher, vorzüglich ethiſcher Grundſätze. In gleicher Weiſe iſt
auch des culturgeſchichtlich ſo wichtigen Auftretens nationaler Dichtun-
gen nur vorübergehend zu gedenken. Der bereits im Anfang des drei-
zehnten Jahrhunderts erfolgte Abſchluß des deutſchen nationalen Epos,
der Nibelungenſage, iſt in dieſer Hinſicht ſchon deshalb von geringerer
Bedeutung, da ſowohl die Sprache, als die allgemeine Form der ritter-
lichen Poeſie bereits gegeben war. Unvergleichbar mächtiger wirkte das
[253]Ausgang des Mittelalters.
Erſcheinen der Göttlichen Comoedie des Dante Alighieri, da der-
ſelbe, ganz abgeſehen vom Inhalt ſeines großen Gedichtes, nicht bloß die
Sprache ſich faſt ganz zu ſchaffen hatte, ſondern zum erſtenmale wieder
der Welt zeigte, daß die tiefſten und erhabenſten Gedanken einer Ver-
bindung mit einer wahrhaft ſchönen Form des Ausdrucks fähig ſeien.
Von größerer Bedeutung iſt ein Hinblick auf die Stellung der be-
wegenden geiſtigen Mächte zu einander, einerſeits des durch die Scho-
laſtiker wieder zu Anſehn, freilich nur in einſeitiger Auffaſſung, ge-
brachten Ariſtoteles, andrerſeits der Kirche. Die Autorität des Ariſto-
teles, d. h. nicht ſeiner eigentlichen Lehre und Methode, ſondern jener
Form ariſtoteliſcher Weisheit, wie ſie die Scholaſtik nicht zu wiſſen-
ſchaftlichen Zwecken allein allmählich herausgebildet hatte, gieng weit
über das Gebiet hinaus, auf welchem er vorzüglich Einfluß hätte äußern
ſollen. Sie ſtand der der Bibel gleich; was nicht aus Ariſtoteles zu
beweiſen war, wurde jetzt, wie ſpäter noch, verworfen; man predigte
ſelbſt hin und wieder über Ariſtoteles. Selbſtverſtändlich wurde hier-
durch die Aufmerkſamkeit von dem Inhalte ſeiner Werke abgelenkt; es
ſchloß ſich die ſpitzfindigſte Dialektik nur an die, mit Recht oder Unrecht
auf Ariſtoteles zurückgeführte Form der Speculation an. Zweck und
Ziel dieſer war aber auch jetzt noch die wiſſenſchaftliche Begründung
der Glaubensſätze. Indeſſen drängten beſonders im vierzehnten Jahr-
hundert äußere Momente ſowohl in Italien als in Deutſchland die rein
theologiſchen Fragen zurück und natürlich mit ihnen das Intereſſe an
Wiſſenſchaft überhaupt, bis letzteres zunächſt gleichfalls wieder in for-
maler Art von Italien aus angeregt wurde. Es ſoll hier nicht behauptet
werden, daß das merkwürdige Verſtummen des naturwiſſenſchaftlichen
Eifers vom Anfang des vierzehnten bis zum Ausgang des fünfzehnten
Jahrhunderts damit erklärt ſei, daß auf die politiſchen Zuſtände
Deutſchlands und Italiens in jener Zeit hingewieſen wird. Sie waren
ja von denen der beiden vorausgehenden Jahrhunderte nicht ſo verſchie-
den, daß in ihnen allein die Urſache des theilweiſen Stillſtandes auf
naturwiſſenſchaftlichem Gebiete zu erblicken wäre. Doch muß es erlaubt
ſein, bei einer ſonſt ziemlich räthſelhaften Erſcheinung alle Möglich-
keiten zu berückſichtigen. Daß der Sinn für die Pflege der Wiſſenſchaf-
[254]Die Zoologie des Mittelalters.
ten, wie man ſie nun eben auffaßte, noch immer rege war, beweiſt die
vom vierzehnten Jahrhundert an erfolgte Gründung ſo zahlreicher Uni-
verſitäten in Deutſchland, obſchon auch hier ein Nachwirken oder ſelbſt
Weiterſpinnen des alten Streites zwiſchen Realismus und Nominalis-
mus als urſächliches Moment vielleicht ins Auge gefaßt werden muß.
Das Motiv zur Gründung der Univerſität Prag (1348) ſcheint nur
in dem Wunſche Karl's IV beſtanden zu haben, die Hauptſtadt ſeines
Erblandes zu einem Mittelpunkt der Wiſſenſchaft zu erheben. Die
Gründung der Wiener Univerſität unter Herzog AlbrechtV durch Jo-
hann Buridanus, der Heidelberger unter Kurfürſt RupertI durch Mar-
ſilius von Inghen (1365 und 1386) ſcheint doch mit dem Umſtande in
Zuſammenhang zu ſtehen, daß beide genannte Gelehrte, Schüler Oc-
cam's und als ſolche Nominaliſten, dem Terrorismus des in Paris herr-
ſchenden Realismus auszuweichen vorzogen. Und wenn auch die Aus-
wanderung der deutſchen Nation aus Prag vorzüglich durch nationale
Eiferſucht veranlaßt war, ſo darf nicht vergeſſen werden, daß auch hier
die Auswanderer vorzüglich Nominaliſten, die nationalen Böhmen, an
ihrer Spitze Johann Huß, Realiſten waren. Von einem Vorherrſchen
des ariſtoteliſchen Nominalismus und einem etwaigen Einfluſſe eines
ſolchen auf naturwiſſenſchaftliche Anſichten in den deutſchen wiſſen-
ſchaftlichen Kreiſen iſt nun aber nichts zu bemerken. Die Streitpunkte
waren rein äußerlich formale oder theologiſche.
Dabei iſt nun aber nicht zu verkennen, daß im Allgemeinen etwas
mehr Präciſion in die Anſchauungen gekommen war. Wie vom vier-
zehnten Jahrhunderte an die Geſchichtſchreibung eine zwar localere,
aber ſicherere, nicht mehr nach epiſchen Idealen zugerichtete Form an-
nimmt, ſo iſt auch der Charakter der praktiſch verwendbaren Wiſſen-
ſchaften ein etwas zuverläſſigerer geworden. Aſtrologiſche und alchy-
miſtiſche Phantaſien ſpuken zwar noch immer fort; ſie bieten aber die
Handhabe zur Verwerthung des ſonſt für Zwecke des täglichen Le-
bens völlig unbrauchbaren und daher ohne jene wohl gar nicht beach-
teten Stoffes. Von beſonderem Werthe für den ſpäter eintretenden
Aufſchwung der Zoologie iſt die Bearbeitung, welche die menſchliche
Anatomie vom Anfang des vierzehnten Jahrhunderts an fand. Mon-
[255]Ausgang des Mittelalters.
dino ſelbſt (1316) folgt zwar noch faſt ganz Galen. Doch war von
dieſer Zeit an das unbedingte Zutrauen zu Autoritäten wankend gewor-
den; man fieng wenigſtens in einzelnen Zweigen ſelbſt zu beobachten
an. Daß die Zoologie hier nicht ſofort dem Zuge dieſer neuen Richtung
folgte, lag wohl hauptſächlich mit daran, daß man mit dem Bekannt-
werden der ariſtoteliſchen Zoologie Alles gefunden zu haben glaubte,
was hier zu wiſſen nöthig oder möglich war. Einzelne Beſtätigungen
ſeiner Angaben befeſtigten auch hier ſeine auf andern Gebieten nicht
angefochtene Autorität. Und wenn auch die Form, in welcher man Ari-
ſtoteles kennen gelernt hatte, vielleicht ſelbſt den unkritiſchen Blicken der
damaligen Zeit nicht ganz genügte, ſo kannte man vorläufig nichts
Beſſeres und faßte bei dem Beruhigung, was man beſaß.
Der Auffſchwung des Humanismus, das Wiederaufleben klaſſicher
Studien kam hier auch für die Zoologie zur gelegenen Zeit. Bei dem
unbedingten Vorherrſchen ſcholaſtiſcher im Dienſte hierarchiſcher An-
ſchauungen ſtehender Deutungsweiſen würde früher die Kenntniß des
reinen ariſtoteliſchen Textes kaum viel genützt haben. Die ſchon in äl-
teren Zeiten angeſtrebten Reformverſuche hatten aber jetzt, wo nicht
bloß der Sitz des Pabſtthums vorübergehend von Rom entfernt wor-
den war, ſondern das päbſtliche Schisma ein trauriges Bild von geiſt-
licher Herrſchaft gegeben hatte, mächtige Stützen gefunden in dem man-
cherlei Schriften und Vereinen, welche ſämmtlich auf eine Läuterung
der Religionsquellen ſowohl, als des Verhältniſſes zwiſchen Glauben
und Wiſſen hinarbeiteten. Der ſinkenden Autorität der Bettelmönche
trat die Erhebung der deutſchen Myſtik, der Brüder des gemeinſamen
Lebens u. a. entgegen. Sie hatten freilich mehr mit dem Seelenzuſtande
der Einzelnen zu thun; doch halfen ſie der allgemeinen Befreiung vom
hierarchiſch- kirchlichen und ſcholaſtiſchen Drucke dadurch, daß ſie der in-
dividuellen Forſchung ein Recht einräumten. Wirkſamer noch erſchei-
nen die Schriften, unter welchen beiſpielsweiſe auf die der vier berühm-
ten Theologen Frankreichs aus jener Zeit hingewieſen ſei, des Peter
d'Ailly, Johann Gerſon, Nicolas de Clémanges und Raimund von
Sabunde. Die drei erſten gehören zwar formell mehr der Kirchenge-
ſchichte jener Zeit an, dürfen aber hinſichtlich der Wirkung ihrer refor-
[256]Die Zoologie des Mittelalters.
matoriſchen Ideen auf den Umſchwung des Zeitgeiſtes nicht unterſchätzt
werden. Und der vierte, gleich geachtet als Arzt wie als Theolog, be-
tont zum erſten male wieder ſeit Albert dem Großen, daß die Erkennt-
niß mit der Natur, dieſem „unverfälſchbaren Buche Gottes“ zu begin-
nen habe.
Auch hier iſt es aber nicht zu erwarten, daß ſich die Forſchung
ſofort, mit Beiſeitelaſſung alles Deſſen, was nicht bloß dem Studium
den herkömmlichen Charakter einer gelehrten Beſchäftigung verlieh, ſon-
dern auch den hiſtoriſchen Zuſammenhang mit Früherem bedingte, allein
und ausſchließlich an die Natur direct gewendet haben ſollte. Man
knüpfte an die Alten an, aber in einer gereinigten, unverfälſchteren
Form. Das leichtlebigere, durch eine größere Zahl kleiner ſelbſtändiger
Höfe dem Erblühn wiſſenſchaftlichen Lebens günſtigere, auch niemals
ſo vollkommen von den Netzen des Scholaſticismus umſtrickt geweſene
Italien ließ zuerſt eine neue Richtung zum Durchbruch gelangen. Hier,
wo freilich antike Bildung, aber nicht die an eine ſolche ſich anlehnende
Tradition untergegangen war, hatte bereits Dante die Begeiſte-
rung für das klaſſiſche Alterthum geweckt. Nahrung fand dieſelbe
aber erſt dann, als beſonders durch Petrarca und Bocaccio die
Schätze der alten Litteratur nach und nach an's Licht gezogen wurden.
Ein glücklicher Zufall war es, daß in dieſer Zeit die Bedrängniſſe des
byzantiniſchen Kaiſerthums Veranlaſſung boten, gebildete Griechen als
Geſandte nach Italien und Avignon zu ſenden, um entweder für eine
Vereinigung der beiden Kirchen oder wenigſtens für eine Hülfeleiſtung
der Lateiner gegen die immer drohender heranrückenden Türken thätig zu
ſein. Dem unbedeutenderen Barlaam folgte der als Lehrer wirkſamere
Chryſoloras. Später erſchienen Georg von Trapezunt, Beſſarion und
der für die Geſchichte der Zoologie als erſter griechiſch und lateiniſch
gebildeter Ueberſetzer der ariſtoteliſchen Thierbücher epochemachende
Theodor Gaza, welcher 1430 nach Italien kam. Groß iſt die Zahl der
Männer, welche die in Italien erwachenden Studien nach Deutſchland
verpflanzten. Von allen dieſen mögen hier nur Conrad Celtes, Eras-
mus von Rotterdam, Johann Reuchlin, Ulrich von Hutten, und Phi-
lipp Melanchthon genannt werden. Die Geſchichte ihrer Thätigkeit
[257]Ausgang des Mittelalters.
braucht hier nicht geſchildert zu werden. Sie wurden die Lehrer Deutſch-
lands.Die ganze Bedeutung des Humanismus iſt allerdings, wenn
man nur an die Wiederherſtellung der Schriften des claſſiſchen Alter-
thums in einer reineren Form denkt, der Natur der Sache nach für die
Naturwiſſenſchaften nicht ſo groß, wie für andre Zweige des Wiſſens
doch erhielt durch ihn nicht bloß die allgemeine Bildung, welche noch
nicht von den Fachwiſſenſchaften „verſchlungen“ wurde, kräftige Nah-
rung, es wurde auch der freie ſelbſtändige Geiſt angeregt. Auch klebte
freilich der Unterrichtsweiſe, ſelbſt bis auf die neueſte Zeit, ein Reſt der
ſcholaſtiſchen Methode an, was bei dem zum Theil formalen Charakter
der Neuerung nicht zu verwundern war. Indeß fühlte man ſich der
reinen Quelle der alten Bildung gegenüber. Sprache und Form der
Darſtellung wurden beſſer und mit mehr Geſchmack gehandhabt; man
konnte wieder direct an die Lehren der Alten anknüpfen, ohne daß Deu-
teleien und Umſchreibungen den Sinn wie früher bis zur Unkenntlich-
keit entſtellten.
Mitten in dieſe Umwälzungen fielen aber noch zwei andere Er-
ſcheinungen, von welchen die eine dem geiſtigen Leben eine völlig neue
Bewegung mittheilte, während die andere den Geſichtskreis, beſonders
auch der Naturwiſſenſchaften unendlich erweiterte: die Erfindung der
Buchdruckerkunſt und die geographiſchen Entdeckungen. Durch erſtere
wurde es möglich, daß Ariſtoteles ein Gemeingut aller ſich wiſſenſchaft-
lich mit Zoologie Beſchäftigenden werden konnte. Und wenn es auch
keine Zoologen von Fach gab, ſo wirkte doch jedenfalls ſeine Verbrei-
tung durch den Druck weſentlich auf die Erhebung der Zoologie und die
Neubelebung der vergleichenden Anatomie im folgenden Jahrhundert.
Der griechiſche Text erſchien 1497; die lateiniſche Ueberſetzung Theo-
dor Gaza's wurde noch im fünfzehnten Jahrhundert allein in Venedig
fünfmal gedruckt (o. J., 1476, 92, 97, 98). Der Einfluß der geogra-
phiſchen Entdeckungen iſt mit dem der Erfindung der Buchdruckerkunſt
nicht zu vergleichen. Sicher iſt, daß neues Material an früher nicht
gekannten Thieren nur langſam und ſehr allmählich der Zoologie zu-
floß. Es iſt auch darauf aufmerkſam zu machen, daß die Fahrten der
Portugieſen und Spanier nach Amerika ſowohl als den afrikaniſchen
V. Carus, Geſch. d. Zool. 17
[258]Die Zoologie des Mittelalters.
Küſten entlang um das Cap der guten Hoffnung ganz andere Ziele im
Auge hatten, als eine Erweiterung des Naturwiſſens allein. Doch iſt
natürlich ſchon die Thatſache, daß durch dieſelben der Kreis der bekann-
ten Länder größer, die Naturbilder immer mannichfaltiger wurden, für
eine Wiſſenſchaft, welche wie die Zoologie aus möglichſt zahlreichen
Einzelbeobachtungen an über die ganze Erde verbreiteten Formen all-
gemeine Geſetze abzuleiten hat, von größter Bedeutung.
So ſchließt denn das Mittelalter auch für die Zoologie mit gün-
ſtigen Ausſichten. Vieles iſt zwar noch zu überwinden, veraltete An-
ſchauungen und Vorurtheile ſind abzuſtreifen, die Methode neu zu
ſchaffen. Aber die Wege ſind angedeutet, auf denen ein Fortſchritt
möglich wird.
[[259]]
Die Zoologie der Neueren Zeit.
Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen.
Der Eifer, durch die neu erfundene Kunſt des Druckens die früher
ſo koſtſpieligen Werke der Alten allgemeiner Verbreitung zugänglich zu
machen, hatte in verhältnißmäßig kurzer Zeit außerordentlich viele
Schriften zu Tage gefördert. Der Beſitz von Büchern blieb jetzt nicht
mehr das Vorrecht begüterter Klöſter oder einzelner Reichen. Man
lernte aber aus ihnen kennen, wie trübe die Quellen im Allgemeinen
gefloſſen waren, aus welchen man bis jetzt das Wiſſen geſchöpft hatte.
Sie zunächſt in ihrer Reinheit herzuſtellen und für die einzelnen Wiſ-
ſenſchaften das nachzuweiſen, was in Wahrheit die Alten darüber ge-
lehrt hatten, war ein naheliegendes Bedürfniß. Die allgemein philoſo-
phiſche Bildung der Zeit gieng formell noch nicht über die Scholaſtik
hinaus. Und wenn auch in Folge der Streitigkeiten auf religiöſem Ge-
biete eine freiere Bewegung möglich zu werden ſchien, ſo hielt dieſe
doch wieder das Fehlen eines feſten Zieles, der Mangel an Selbſtän-
digkeit und in Folge hiervon das Anlehnen an alte wie neue Autoritä-
ten zurück. Man hatte noch keinen rechten Begriff von dem, auf was
es bei Erforſchung der belebten Natur ankäme. Während die Heilmit-
tellehre auf die Pflanzen, und das Auffinden neuer „einfacher Mittel“
zur Kenntniß neuer Pflanzenformen führte, war das Intereſſe an den
Thieren als wunderbaren Geſchöpfen Gottes jetzt und noch lange Zeit
faſt das einzige, was die Gelehrten veranlaßte, ſich überhaupt mit ihnen
abzugeben. Doch machte ſich allerdings daneben die Heilkunde Hoff-
17*
[260]Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen.
nung, aus einer nähern Kenntniß der Naturgeſchichte der Thiere Vor-
theile für ihre eigenen Zwecke zu ziehen. Indeß wurde dies nur in
allgemein biologiſcher oder therapeutiſcher, nicht etwa in vergleichenr
phyſiologiſcher Beziehung aufgefaßt.
Jenem Bedürfniß nach ſichererer Gründung der Zoologie auf dem
neu erlangten, ſich unverfälſcht darſtellenden Wiſſenſchatze der alten
Welt verſuchte man nun Genüge zu leiſten und zwar auch hier wieder,
wie drei Jahrhunderte früher nach dem erſten Bekanntwerden mit Ari-
ſtoteles, in der Form allgemeiner, alleſs damals Wißbare über die Thiere
umfaſſender Geſammtdarſtellungen. Die in Folge der Buchdruckerei
lebhafter erwachenden Mittheilungen, der regere Verkehr und Aus-
tauſch zwiſchen verſchiedenen Ländern führten aber andererſeits zu dem
Beſtreben, die Kenntniß der thieriſchen Welt durch directe Beobachtun-
gen zu erweitern und damit der Autorität der alten Meiſter durch eigne
ſinnliche Erfahrungen eine neue Unterſtützung zu geben.
Die allſeitigere Anerkennung der individuellen Berechtigung zu
ſelbſtändigem Denken und Forſchen hatte ferner eine freiere Mittheilung
der Individuen untereinander zur Folge. Es fiengen wiſſenſchaftliche
Kreiſe ſich zu bilden an, von denen im Mittelalter kaum in einem an-
dern Sinne als in dem von Schulen die Rede ſein konnte. Kann man
auch den um Johann von Dalberg in Heidelberg und zeitweiſe in Mainz,
den um Cosmo Medici in Florenz ſich ſammelnden Kreis von Gelehr-
ten, wenn letzerer auch platoniſche Akademie genannt wurde, ebenſo
wie die von Bittorino da Feltre in Mantua geſtiftete Akademie, noch
nicht direct als die erſten gelehrten Geſellſchaften im neueren Sinne be-
trachten — es fehlte ihnen die Organiſation und die Auffſtellung eines
concreten Zweckes — , ſo waren ſie doch die Vorläufer ſolcher und wei-
ſen auf das Beſtreben hin, daß man nun mit vereinten Kräften, viel-
leicht auch nach dem Grundſatz einer wiſſenſchaftlichen Arbeitstheilung
an die Erforſchung dunkler Gebiete des menſchlichen Wiſſens gehn
wollte. Auch hier gieng Italien den andern Ländern voran. Der pla-
toniſchen Akademie folgten die Akademie der Wiſſenſchaften in Padua
(1520), die Academia secretorum naturae (1560) und die Ponta-
ni'ſche Akademie in Neapel, welche erſtere freilich nach kurzem Beſtehn
[261]Charakteriſtik des Zeitraums
vom Pabſte wieder aufgehoben wurde, und die Academia die Lyncei
in Rom (1590), welche gleichfalls das Enthüllen der Naturereigniſſe
als ihre Aufgabe betrachtete und den in der Thierſage ſo ungemein
ſcharfſichtigen Luchs zum Symbol nahm. Die Gründung der drei äl-
teſten Akademien in Mittel-Europa fand erſt in der folgenden Periode
ſtatt.
Neben dem Vortheil, welcher der Naturgeſchichte aus der Gemein-
ſamkeit der Arbeiten, vielleicht vorläufig nur der Intereſſen, erwuchs,
gewann ſie eine weitere Förderung durch die Reiſen und die im An-
ſchluß an dieſe entſtehenden Sammlungen. Es ſind hier nicht ſowohl
die Entdeckungsfahrten nach fernen Weltheilen zu verzeichnen, als aus-
drücklich in der Abſicht unternommene Fahrten, die Naturerzeugniſſe
ſei es weiterer Theile des Vaterlandes, ſei es bekannter Länder und
Meere ſorgfältiger kennen zu lernen. Die Sammlungen blieben freilich
zunächſt Curioſitätencadinete, da an ein planmäßiges Zuſammenbrin-
gen verwandter Gegenſtände nur in ganz einzelnen Fällen gedacht
wurde1). Auch
war man auf gewiſſe Gegenſtände beſchränkt, da man
die Kunſt des Conſervirens, beſondere Conſervationsmethoden und
-mittel nicht kannte. Spiritus kann erſt ſpäter auf; meiſt wurden die
Sachen trocken aufbewarhrt. Immerhin fieng man aber doch zu erken-
nen an, welchen Werth die Möglichkeit hat, verſchiedene Objecte direct
mit einander vergleichen zu können.
Was einer Sammlung nicht gut einverleibt werden konnte, was
man ſich gegenſeitig noch beſtimmter als durch eine bloße Beſchreibung
mittheilen wollte, wurden bildlich dargeſtellt. Es fanden ſich zwar ſchon
früher, ſowohl in Handſchriften des Phyſiologus als in denen der En-
chklopädiſten des dreizehneten Jahrhunderts, Thierabbildungen. Indeß
verdienen ſie kaum den Namen naturgeſchichtlicher Bilder, da ſie aller-
[262]Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen.
dings in manchen Fällen wiedererkennbar, aber überall, wo es ſich um
fremde Formen handelt, ebenſo der Phantaſie des Zeichners entſprun-
gen ſind, wie die bildlichen Darſtellungen wirklich fabelhafter Thiere.
Wie ſich die bildende Kunſt überhaupt den conventionellen Feſſeln ent-
zog und um ſo viel an Werth gewann, als ſie ſich der Natur enger an-
ſchloß, ſo werden auch die Thierabbildungen jetzt nicht bloß naturge-
treuer, ſondern auch in der ganzen Behandlung künſtleriſcher und freier.
Dazu kam die hohe Entwickelung des Holzſchnittes, welche den Abbil-
dungen eine möglichſt weite Verbreitung ſicherte. Freilich benutzten
auch damals ſchon einzelne Drucker dieſelben Holzſchnitte zur Illuſtra-
tion verſchiedener Werke. Doch konnte dies in einer Zeit, wo die Leſer
erſt allmählich lernen mußten, in Naturgegenſtänden Objecte wiſſen-
ſchaftlicher Betrachtung zu erblicken, nur von Vortheil ſein. Mit den
Abbildungen ganzer Thiere, welche faſt in allen Hauptſchriften der vor-
liegenden Periode enthalten ſind, geht die bildliche Darſtellung anato-
miſcher Verhältniſſe ziemlich Hand in Hand. Einen bedeutenden Auf-
ſchwung nahm allerdings zunächſt die künſtleriſche Abbildung menſch-
licher Anatomie; aber ſchon die erſte Schilderung von Thierſkeleten
durch Volcher Coiter beſtand weſentlich in Zeichnungen.
So groß aber auch die Bedeutung der bisher erwähnten Mo-
mente für die Entwickelung der Zoologie war, ſo hätten dieſelben allein
doch kaum irgend welche weſentlichen Fortſchritte bewirken können, wenn
nicht das geiſtige Leben jener Zeit eine von Grund aus verſchiedene
Richtung erhalten hätte. Freilich hat es, beſonders in Deutſchland,
noch ziemlich lange gedauert, bis man auch in wiſſenſchaftlichen Dingen
das unbedingte Vertrauen auf Alles, was mit der Sicherheit eins au-
toritativen Gewichtes aufzutreten mußte, ablegte und vor Allem über
Naturdinge die Natur, nicht bloß Bücher befrug; doch war die Bewe-
gung der Geiſter im ſechzehnten Jahrhundert mächtig genug, um an
der ruhigen Zuverſicht in das bisher Ueberlieferte zu rütteln und hier-
durch wieder jene Umgeſtaltung de ſcholaſtiſchen in eine den Objecten
ſich anpaſſende Philoſophie möglich zu machen deren Auftreten jenes
Zeitalter charakteriſirte.
Dem Mistrauen in wiſſenſchaftlichen Dingen gieng ein Zweifel
[263]Charakteriſtik des Zeitraums
in religiöſen voran. Hier war es weniger der Glaubensinhalt, als der
Misbrauch mit dem ſogenannten Gnadenſchatze der Kirche, welcher die
hauptſächlichſte Veranlaſſung wurde, den Sinn auf eine Klärung des
Verhältniſſes des individuellen Gemüthes zu Gott zu führen. Wie
Luther der autoritativen Gewalt der mittelalterlichen Kirche die ver-
nünftige Auslegung des göttlichen Wortes entgegenhielt und hierdurch
die Scheinautorität der päbſtlichen Herrſchaft zerſtörte, ſo traten auch
von andern Seiten her immer mehr Kämpfer für das Recht der Ver-
nunft gegen den blinden Glauben an Autoritäten auf. Das erſte Leben
eines kritiſchen Zuweifels begann ſich zu regen, zuweilen ſchon damals
in das Gewand der Sathre gekleidet. So erſcheinen, um nur Einzelnes
beiſpielsweiſe herauszugreifen, Werke wie Richard Hooker's Eccle-
siastical Polity einerſeits und Francois Rabelais' Satyren anderer-
ſeits. Gleichzeitig war aber auch das alte ptolemäiſche Weltſyſtem durch
Coernicus als irrig nachgewieſen worden. Kepler und Galilei,
welche für ihn eintraten, hatten mit der Autorität des Ariſtoteles zu käm-
pfen zu deſſen Unterſtützung noch die Bibel herangezogen wurde. Durch
Galilei wurde das Experiment und die mathematiſche Begründung
der Naturgeſetze eingeführt. Selbſtvertändig konnte die Zoologie hier-
aus direct keinen Vortheil ziehen. Doch gieng ſie in dieſer allgemeinen
Bewegung nicht leer aus. Der Skepticismus Descartes' und noch
directer die Bemühungen Francis Bacon's um die Naturphiloſo-
phie wirkten reinigend und belebend auf alle ſpätern wiſſenſchaftlichen
Arbeiten. Man hat in neuerer Zeit dem Lord Verulam entſchieden Un-
recht gethan, wenn man ihm Inconſequenzen und Widerſinnigkeiten im
Verlaufe ſeiner eigenen Darſtellung zum Vorwurf gemacht hat. So
tolles Zeug er allerdings in ſeinen Exprimenten zuweilen auftiſcht, ſo
leicht er vielleicht ſelbſt zu ſeiner Zeit Manches hätte beſſer erklären
können, ſo iſt ſein Einfluß und ſein Verdienſt doch nie in dem geſucht
worden, was er ſelbſt poſitives Neues zu Tage gefördert hat. Das
war zum größten Theil abhängig von den Hülfsmitteln, die ihm
ſeine Zeit etwa bieten konnte. Er war aber der erſte, welcher in ent-
ſchiedener Weiſe vor der Herbeiziehung von Endurſachen als Erklä-
rungsgründen warnte und für jeden einzelnen Fall zu der beobachteten
[264]Periode der encyklopädiſchen Darſellung
Wirkung die Urſache aufzuſuchen vorſchrieb. Und wenn er auch die In-
duction noch nicht ſcharf von der Abſtraction unterſchied, ſich alſo hierin
noch dem Ariſtoteles anſchloß und irrthümlich die ganze übrige Logik
gegen die Induction zurückſetzte, alle übrigen heuriſtiſchen Methoden da-
her zu ſehr vernachläſſigte, ſo gibt er doch zuerſt2) dem inductiven Ver-
fahren dadurch die wahre Bedeutung, daß er zeigt, wie der durch In-
duction gefundene Erklärungsgrund ein allgemeinerer iſt, als der Ge-
halt der einzelnen Beiſpiele. Hiermit führte alſo die Induction factiſch
zur Erweiterung des Wiſſens und zur Begründung wiſſenſchaftlicher
Wahrheiten.
Es wäre nun freilich thöricht, die directe Wirkung aller dieſer, hier
nur kurz anzudeutenden Erſcheinungen in der Litteratur, beſonders der
zoologiſchen, des vorliegenden Zeitraums nachweiſen zu wollen. Abge-
ſehen davon, daß ſie erſt gegen Ende deſſelben auftreten, iſt es immer
noch ein weiter Schritt von dem Aufſtellen eines neuen Geſichtspunktes
bis zur planvollen Durchführung deſſelben. Recht augenſcheinlich tritt
der Einfluß dieſer eigentlichſten naturwiſſenſchaftlichen Methode viel-
leicht erſt in der allerneueſten Periode der Zoologie hervor. Ganz un-
bemerkt konnte aber dieſe Bewegung auch in der damaligen Zeit an
Naturhiſtorikern nicht vorübergehn, da ihr Durchbruch durch die Zeit
ſelbſt bedingt war, jene alſo ſelbſt mitten in der Strömung ſtanden.
Der wichtigſte Erfolg für die Zoologie beſtand in der Anerkennung der
Nothwendigkeit, Beobachtungen zu machen und nur ſelbſt Geſehenes
oder ſonſt ſicher Verbürgtes aufzunehmen. Hierdurch begannen die
Darſtellungen klarer, weniger mit abergläubiſchem und fabelhaftem Bei-
werk durchſetzt, alſo zuverläſſiger zu werden. Damit hieng aber wieder
das Auftreten einer andern Betrachtungsweiſe zuſammen. Je reiner
nämlich nun die Naturgegenſtände dem Beſchauer entgegentraten, deſto
[265]Edward Wotton.
mehr gemüthliches Behagen fand man, beſonders in Deutſchland, an
ihnen. Und an die Stelle jener trüben Auffaſſung, welche in der Thier-
welt nur die fündige Creatur erblickte, trat das Bedürfniß, — eingedenk
ter Winke Albert des Großen, Raymund's von Sabunde u. A. —
in den Wunderbarkeiten der Thiere die Weisheit und Größe ihres
Schöpfers zu preiſen.
Unter den nun zunächſt zu ſchildernden allgemeinen Werken ſind
zwei Richtungen zu unterſcheiden. Zu der erſten gehört eine einzige
Schrift, welche bei engem Anſchluß an Ariſtoteles ſofort in die Man-
nichfaltigkeit der Thierwelt Ordnung zu bringen ſucht. Die andere um-
faßt Darſtellungen, welche unter Herbeiziehung eins zuweilen unge-
heuren Materials von Gelehrſamkeit und mit Berückſichtigung eigener
Beobachtungen ſich vorzüglich die Schilderung der einzelnen Formen
zur Aufgabe ſtellten und erſt in zweiter Linie an eine zweckentſprechende
Ordnung dachten, Wiſſenſchaftlich werthvoller iſt die erſte; die zweiten
wirken auf die Zeitgenoſſen durch den Reichthum des Gebotenen und
die eingehendere Schilderung ſpecieller Thierformen.
Verfaſer des erſten ſyſtematiſchen Werkes iſt Edward Botton.
Derſelbe war 1492 in Oxford geboren, wirkte als Arzt in London und
ſtarb hier 1555. Wie er in der, von 1551 datirten Vorrede ſagt, hat
er ziemlich lange an ſeiner Schrift de differentiis animalium gearbeitet
und ſich erſt auf das Zureden ſeiner Freunde entſchließen können, ſie
drucken zu laſſen. Sie erſchien in Paris 1552. Von den zehn Bü-
chern, in welche ſie getheilt iſt, umfaſſen die erſten zwei eine allgemeine
Darſtellung der Theile des Thierkörpers, ſowie eine Schilderung der
Verſchiedenheiten der Thiere unter den mannichfaltigſten Geſichtspunk-
ten. ſo nach dem Vorhandenſein oder Fehlen einzelner Theile, nach den
Handlungen, Bewegungen, den Fortplanzungsverhältniſſen, der Nah-
rung, den Sinnen, der Athmung u. ſ. f. Hierdurch werden aber noch
keine größeren Gruppen (welche er noch wie Ariſtoteles große Gattun-
gen nennt) gebildet. Dann folgt im dritten Buch eine Auseinander-
ſetzung der „Verſchiedenheiten“ der Blutthiere, welche er als
größte Gattung den Blutloſen gegenüberſtellt. Dabei beginnt er mit den
äußern Theilen, ſchildert dann die innern, die gleichartigen, dann die
[266]Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen.
Zeugungsverhältniſſe und Sitten. Eine Aufzählung der von dieſen ein-
zelnen Theilen genommenen Nahrungs- und Arzneimittel unterbricht
die anatomiſche Darſtellung, welche von zwei Kapiteln über die Aus-
ſcheidungen und die Milch beſchloſſen wird. In ſeinen allgemeinen ana-
tomiſchen Anſchauungen iſt Botton noch völlig Ariſtoteliker; ſo hat er
von dem Fleiſch die Vorſtellung, daß es nur die Knochen zu umhüllen
diene oder, wie beim Herzen, die Räume zwiſchen den Faſern einnehmen
u. ſ. w. Ariſtoteliſch iſt es aber auch, wenn er die Reihe der Blutthiere
mit dem Menſchen eröffnet (4. Buch). Die im fünften Buch abgehan-
delten lebendiggebärenden Vierfüßer theilt er nach der Beſchaffenheit
der Füße in Spaltfüßige, Zweihufer und Einhufer. Das ſechſte Buch
enthält die eierlegenden Vierfüßer und die Schlangen, unter der Be-
zeichnung der Pholibota zuſammengefaßt. Die Vögel, welche im ſie-
benten Buche abgehandelt werden, theilt er in Spaltfüße, Raubvögel,
fliegenden Waſſervögel und ſchwerfällige Waſſervögel; der letztern Gruppe
fügt er gleichſam als Anhang den Strauß an. Das achte Buch iſt den
blutführenden Waſſerthieren gewidmet, „nämlich der Gattung der Fiſche
und der Walthiere“. Unter den Fiſchen ſcheidet er die Knorpel-
und die Plattfiſche aus, die übrigen werden meiſt nach dem beſondern
Vorkommen abgehandelt. Darunter findet ſich ein Kapitel von Fiſchen,
welche wegen ihrer walartigen Größe von Einigen zu den Walthieren
gerechnet werden: ein Beweis, daß Botton ebenſo ſcharf zwiſchen bei-
den Gruppen zu unterſcheiden wußte, wie Ariſtoteles. Das neunte
Buch beginnt die Schilderung der Bluttloſen mit der der Inſecten,
unter denen (mit Einrechnung der Spinnen) keine größeren Gruppen
weiter angenommen werden. Das zehnte Buch behandelt die noch übri-
gen niedern Thiere, welche in vier Gruppen getheilt werden: Die
Weichthiere ariſtoteliſchen Sinne, nämlich Cephalopoden (und
Thethys), die Kruſtenthiere, die Schalthiere, unter denen auch
die Seeigel erſcheinen neben den Schnecken, Muſcheln und Meereicheln,
und die Zoophyten. Er rechnet hierher die Holothurien, Seeſterne,
Meduſen, Meerneſſeln (Actinien) und Schwämme. Die Charakteriſtik
dieſer von ihm eingeführten Gruppe iſt natürlich nicht ſcharf anato-
miſch ; doch vermeidet er hier, wie anderwärts ein zu weit gehende
[267]Edward Wotton.
Verallgemeinerung und hält ſich mehr an die einzelnen hierher gerech-
neten Formen. Sind auch im Allgemeinen die Beſchreibungen der ein-
zelnen Arten weder innerhalb der größeren Gruppen nach einem gewiſ-
ſen Plane durchgeführt, noch überhaupt eingehend auf Merkmale geſtützt,
ſo geht doch die ſchärfere zoologiſche Ueberſicht Wotton's daraus
her-
vor, daß er meiſt verwandte Thiere zuſammenbringt. Freilich handelt
er in einem Kapitel den Fuchs und Haſen, in einem andern den Maul-
wurf und die Fledermäuſe ab, indeß ohne ſie irgend wie als zuſammen-
gehörig zu bezeichnen. Dagegen bieten andre Kapitel die erſten Verſuche
einer natürlichen Vereinigung verwandter Formen dar.
Durch Wotton's Buch war jedenfalls die Rückkehr zur ariſtoteli-
ſchen Auffaſſung des Thierreichs und im Anſchluſſe an ſie die erſte natur-
gemäße Syſtematik gegeben3), wie letzere nach
dem damaligen Zuſtand
der Thierkenntniß möglich war. Bezeichnet nun aber ſein Auftreten die
Anknüpfung an den Zuſtand der Wiſſenſchaft, von welchem allein ein
Weiterentwickeln derſelben möglich wurde, ſo hatte es doch nicht den Er-
folg, wie andere gleichzeitige Erſcheinungen. Es iſt nie wieder gedruckt
und in keine andere Sprache überſetzt worden, trotzdem ſein Umfang es
eher erlaubt hätte, als der mancher andern Werke. Möglicherweiſe iſt
hierfür ein Grund theils in der gedrängteren präciſeren Form, theils in
dem Umſtande zu ſuchen, daß ſein Verfaſſer von der Erweiterung der
Kenntniß einzelner Thierformen, wie ſolche durch einzelne aus Amerika
bekannt werdende Arten eintrat, noch keine Ruckſicht nahm, während ſeine
[268]Periode der eneyklopädiſchen Darſtellungen.
Zeitgenoſſen nicht unterließen, ihre Leſer mit jenen bekannt zu machen,
zuweilen ſelbſt nach ſehr dürftigen Nachrichten. Dagegen iſt ihm noch
als Verdienſt anzurechnen, daß er in Bezug auf die fabelhaften Thiere
mehr Kritik zeigt als Frühere und zum Theil ſelbſt manche Spätere.
Denn wenn er auch die Mantichora, die Greifen, den Phoenix erwähnt,
ſo unterläßt er doch nicht, durch Zuſätze, wie „wenn dem Aelian zu glauben
iſt“,„man erzählt“ u. dergl. darauf hinzuweiſen, daß der
Sache
doch wohl nicht recht zu trauen iſt.
Stellt ſich das Werk Wotton's eine ſtreng eſoteriſche Arbeit
im Anſchluß an Ariſtoteles und mit Berückſichtigung der zu keiner Zeit
erwachten objectiveren Richtung dar und war es hierdurch entweder auf
die engeren Kreiſe der gelehrten Welt beſchränkt oder wenigſtens der
allgemeineren Theilnahme mehr oder weniger entrückt, ſo erwuchſen die
andern Geſammtdarſtellung recht eigentlich dem naturgeſchichtlichen
Zeitbewußtſein, wie es ſich in den unabhängigen und aufgeklärten Kö-
pfen des ſechzehnten Jahrhunderts zu entwickeln begann. Das hier kein
leichter Kampf mit alten Vorurtheilen und verbreitetem und vielfach
geglaubtem Unſinn zu beſtehen war, ergibt ein Blick auf die mehr po-
puläre litteratur und die Art, wie man in derſelben das Thierreich be-
handelte. Es war nämlich nicht bloß durch den ſich mit außerordent-
lichem Eifer verbreitenden Humanismus die Aufmerkſamkeit zunächſt
von der Natur ab und auf die bewunderten und wieder zu Vorbildern
genommenen Alten gelenkt worden, es machte ſich auch , trotz der refor-
matoriſchen Beſtrebungen auf allen Gebieten, überall ein dogmatiſiren-
der, nur zu ſehr an den kaum bekämpften Scholaſticismus anknüpfender
Geiſt geltend. Dem allgemeinen Geſchmack huldigend bemächtigte ſich
die Druckerei der Werke des dreizehnten und vierzehnten Jahrhunderts
und trug hierdurch zur Verbreitung von Ideen bei, welche die auflebende
Wiſſenſchaft eben zu bekämpfen anfieng. Das Buch der Natur von
Conrad von Megenberg wurde, wie erwähnt, vor 1500 allein ſechsmal
und noch ein paarmal im 16. Jahrhundert gedruckt (1536 und 1540).
Bartholomäus Anglicus, deſſen Compilatin jedenfalls die werthloſeſte
der im dreizehnten Jahrhundert enſtandenen iſt, erſchien vor 1500
allein vierzehn oder fünfzehnmal, im ſechzehnten Jahrhundert noch
[269]Verbreitete Anſchauungen vom Thierreich.
ſechsmal im Druck. Aber auch noch ſpäter geſchriebene ſelbſtändige
Werke athmen denſelben Geiſt wie z. B. das Buch von Aegidius
Albertinus, der Welt Tummel- und Schauplatz4), was der Ver-
faſſer „aus guten und bewährten Autoren colligiret“ zu haben behauptet,
was aber, ohne jede Kritik, auf die Leiſtungen ſeiner unmittelbaren
Vorgänger, z. B. Gesner, gar keine Rückſicht nimmt, ſondern ſich
in den Thiergeſchichten und angehängten Moraliſationen ganz an die
Schriftſteller des dreizehnten Jahrhunderts anſchließt. Aehnlich halt-
und kritiklos ſind auch die Sammlungen merkwürder Notizen von
Mizaldus, welche noch ſpäter häufig citirt werden5). Aber nicht
bloß durch derartige Sammelwerke zog ſich der überlieferte, wiſſen-
ſchaftlich unbrauchbare Stoff. Ganz gleichen Korns waren auch Ein-
zeldarſtellungen, wie z. B. das 1520 in Roſtock erſchienene Werk:
Nic. Marescalci Thurii historia aquatilium6), worüber Con-
rad Gesner in der Aufzählung der Autoren zum vierten Band ſeiner
Thiergeſchichte ein ſehr ſcharfes Urteil ausſpricht. Und wo in allge-
meinen Erziehungsbüchern auf Thiere, wenn auch nur beiläufig, die
Rede kam, war es um die Auffaſſung derſelben nicht beſſer beſtellt. Es
mag hier nur an den Lucidarius oder Elucidarius, ein Un-
terrichtsbuch in dialogiſcher Form, erinnert werden, welcher bei Schil-
derung der einzelnen Welttheile die ſämmtlichen alten Wundergeſchichten
wiederholt. Hier werden bei Aſien die wunderbaren Menſchenformen,
ganz wie bei der Herodot und Kteſias geſchildert, die Ohneköpfe, Hunds-
köpfe, die vom Geruch der Aepfel Lebenden u. ſ. w.; dann erſcheinen
die Lindwürmer, die Leucotrota, Manticora, das Einhorn, die ganzen
[270]Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen.
bekannten Geſtalten aus früherer Zeit. Und wie ſehr der Elucida-
rius dem Geiſte des Volkes als Nahrungsmittel zu dienen beſtimmt
war, beweiſt ſeine große Verbreitung durch den Druck. Er erſchien zu-
erſt 1479, dann noch mehreremale vor 1500 und ſpäter oft, anfangs
noch mit der Jahreszahl, dann mit dem Vermerk „Gedruckt in dieſem
Jahr“. Selbſt jetzt ſoll er noch in wenig veränderter Geſtalt „dem ge-
meinen Mann auf Jahrmärkten an Ecken und Brücken“ feil ſein7).
Dies bezieht ſich nur auf den aus dem älteren lateiniſchen Original
überſetzten deutſchen Elucidarius. Er wurde aber außerdem, wie einſt
der nun überwundene Phyſiologus, in faſt alle andern europäiſchen
Sprachen überſetzt: ſo ins Italieniſche, Franzöſiſche, Engliſche, Böh-
miſche, Plattdeutſche, Holländiſche, Isländiſche, Schwediſche und Dä-
niſche8).
Waren dies Hinderniſſe, welche die aufkeimende wiſſenſchaftliche
Betrachtung der Natur zu überwinden hatte, ſo liegt es auf der andern
Seite nahe, in gewiſſen Erſcheinungen jener Zeit fördernde Umſtände
für den Aufſchwung der Zoologie zu erblicken. Außer den oben erwähn-
ten, in der That günſtigen Verhältniſſen treten noch zwei andere von
zweifelhafterem Werthe entgegen. Zunächſt ſollen hier zwei Worte
über die Thiergärten und Menagerien geſagt werden, wie ſolche wohl
einzeln auch in Mitteleuropa vorkamen, aber doch ſeit dem Ausgang
des fünfzehnten Jahrhunderts beſonders „zum ſtandesgemäßen Luxus“
der italieniſchen kleinen Fürſtenhöfe gehörten. Es erſcheinen hier unter
den fremden Thieren wieder Giraffe, Rhinoceros, Elefant, Zebra,
dann Löwen, welche häufig außer von den Fürſten auch von Städten
[271]Adam Lonicer.
gehalten wurden, ebenſo Leoparden als zum Jagen benutzte Thiere u.
ſ. f.9). Wie es aber ſchon früher der Fall war, ſo hatte auch jetzt die
wiſſenſchaftliche Entwickelung wenig Nutzen hiervon. Bezeichnend dafür
ſind Thatſachen wie die folgenden. Die erſte nach der Natur gemachte
und im Sinne einer naturgeſchichtlichen Leiſtung aufzufaſſende Be-
ſchreibung eines Elefanten gab Peter Gyllius nach einem in Conſtan-
tinopel unterſuchten Thiere. Die erſte Abbildung einer Giraffe (ſpäter
durch den Holzſchnitt verbreitet) fertigte der Maler Erhard Remich,
welcher als Zeichner den Bernhard von Breydenbach auf ſeiner Reiſe
nach dem Orient begleitete. Man ſieht alſo, das in Europa bereits vor-
handene Material wurde jetzt ebenſowenig wie früher allſeitig benutzt.
Zur Charakteriſirung oder Erklärung der zum Theil praktiſchen
Richtung, welche in den meiſten der Hauptwerke des vorliegenden Zeit-
raums auftritt, iſt ferner noch zu erwähnen, daß die Erweiterung des
Arzneiſchatzes, welche allerdings vorzüglich der Entwickelung der Bota-
nik zu Gute kam, doch auch dem Thierreich eine Aufmerkſamkeit ein-
brachte, welche wenn auch zum Theil einſeitig doch wenigſtens die Be-
kanntſchaft der Aerzte mit gewiſſen Thierformen zu klären begann.
Mehr oder weniger ausführliche Erörterungen über die mediciniſche
Verwendung der geſchilderten Thiere und ihrer verſchiedenen Theile
oder Excrete ziehn ſich daher ausnahmslos durch die im Folgenden zu
ſchildernden Werke neben dem Naturgeſchichtlichen hindurch.
Von den Sammelwerken, welche mehr auf eine Zuſammenſtellung
des Wichtigen oder überhaupt Bekannten von den Thieren, als auf eine
Ordnung des immer reicher ſich anhäufenden Stoffes Bedacht nahmen,
mag zunächſt als eine der früheſten die Schrift des als Botaniker beſon-
ders bekannten Frankfurter Stadtarztes Adam Lonicer erwähnt wer-
den, welche zwar an wiſſenſchaftlichem Werthe den folgenden nachſteht,
aber für die letztangedeutete Richtung ein gutes Beiſpiel darbietet. Lonicer
war 1528 in Marburg geboren, ſtudirte dort, wurde ſehr jung Magiſter
und um das Jahr 1553 Stadtarzt in Frankfurt, verheirathete ſich mit der
[272]Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen.
Tochter des Buchhändler Chriſtian Egenolph und ſtarb 1586. Seine
Heirath wird erwähnt, weil die derſelben vorausgehende Bekanntſchaft
mit Egenolph vielleicht Veranlaſſung war, Lonicer zur Herausgabe ſei-
nes compilatoriſchen Werkes zu bewegen, da Egenolph mehrere natur-
hiſtoriſche, mit öfter benutzten Holzſchnitten verſehene Werke bereits
verlegt hatte. Lonicer's Werk erſchien 1551 unter dem Titel Naturalis
Historiae Opus novum10). Verglichen mit dem ausführlichen und um-
fangreichen botaniſchen Theil, welcher 268 Blätter erfüllt, tritt der
zoologiſche mit 41 Blättern an Umfang ſehr zurück. Er beginnt ohne
weitere zoologiſche Einleitung mit einer diätetiſch - mediciniſchen Schil-
derung der Eigenſchaften der verſchiedenen Theile und Säfte der Säu-
gethiere; es werden nach einander Fleiſch, Blut, Milch, Butter, Käſe,
Fett, Mark, Harn und Koth beſprochen. Nun wird ein Abſchnitt über
den Honig eingeſchaltet, auf welchen dann eine Aufzählung einiger zu
mediciniſchen Zwecken verwendbarer Theile des Menſchen folgt. Die
Reihe der ſich hieran ſchließenden übrigen Landthiere beginnt das Schaf,
dem zunächſt die andern Hausthiere, Rind, Büffel, Ziege, Schwein,
Pferd, Eſel, Mauleſel, Hund und Katze folgen. Wie bei den folgenden
wilden Thieren iſt auch hier die Beſchreibung ſehr kurz und durchaus
nicht auf irgend wie conſtant herausgehobene Merkmale gegründet, ſon-
[273]Adam Lonicer.
dern mehr an die allgemeine Bekanntſchaft mit den einzelnen Formen
anknüpfend; ausführlicher iſt dagegen die mediciniſche Verwendbarkeit
beſprochen. Den Säugethieren, unter welchen Löwe, Elefant und Kamel
die einzigen außereuropäiſchen ſind, werden dann Froſch, Kröte, Kro-
kodil, Skink, Schlangen verſchiedener Art, Baſilisk, Drachen, Spinne,
Seidenwurm, Ameiſe, Regenwurm, Aſſel, Schnecke und Raupe ange-
reiht. Von irgend einer wiſſenſchaftlichen Anordnung oder auch nur
einem Verſuch zu einer ſolchen iſt alſo hier ebenſowenig die Rede, wie
bei den nun folgenden fliegenden Thieren, deren Schilderung mit einer
Beſprechung der Eigenſchaften der Eier beginnt. Auch wird die Auf-
zählung mit bekannten Formen eröffnet und ſchließt mit Bienen,
Wespen und einigen Käfern. In ähnlicher Weiſe werden dann die
Waſſerthiere behandelt, wo Krebs, Tintenfiſche, Walthiere und Mu-
ſcheln zwiſchen die Fiſche eingeſchoben ſind. Den Schluß des Ganzen
macht eine Schilderung der wunderbaren Kraft der Remora, die größ-
ten Schiffe wie ein Magnet feſtzuhalten, an welcher er nicht zu zwei-
feln ſcheint. Die meiſten Thiere ſind durch Holzſchnitte dargeſtellt,
welche freilich ſehr verkleinert, im Ganzen aber doch naturgemäß ſind,
wenigſtens im Vergleich mit den früheren monſtröſen Zeichnungen.
Wenn ihm Cuvier vorwirft, Zeichnungen bei Mangel einer natürli-
chen Vorlage erfunden zu haben, ſo verdient er doch dieſen Vorwurf
nicht. Die Figur des Salamanders iſt gar nicht übel; und die Abbil-
dungen des Phoenix, der Drachen, des Baſilisken waren hergebrachte
Vorſtellungen, welche er nicht erſt, um eine Lücke zu decken, zu erfinden
brauchte. Sicher iſt aber, daß man Lonicer nicht zu den Beobachtern
rechnen kann. Seine Citate bewegen ſich in einem ſehr engen Kreiſe
einiger klaſſiſcher und ſpäterer Aerzte. Nicht unbrauchbar dürften in
einer gewiſſen Richtung die mitgetheilten Trivialnamen der Thiere ſein.
Es würde ſich kaum verlohnt haben, einen Autor wie Lonicer hier
anzuführen, welcher zur eigentlichen Förderung der wiſſenſchaftlichen
Thierkunde nichts beigetragen hat. Doch ſpricht die große und nachhal-
tige Verbreitung ſeines Werkes ſelbſt bis in verhältnißmäßig neuere
Zeiten für den eigenthümlichen Geiſt des größern Gelehrten-Publikums
vergangner Jahrhunderte, welches ſich mit derartigen Schriften befrie-
V. Carus, Geſch. d. Zool. 18
[274]Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen.
digt fühlen konnte. Kann Lonicer, wenigſtens was den zoologiſchen
Abſchnitt ſeines Werks betrifft, nur als einſeitiger Compilator betrachtet
werden, ſo ſteht ihm — und durch dieſen Namen wird der Ruhm
Deutſchlands, auch in dieſem Zeitalter der Zoologie neue Bahnen an-
gewieſen zu haben, neu gefeſtigt — Conrad Gesner gegenüber, ein
Mann, welcher im beſten Sinne des Worts deutſche Gelehrſamkeit und
ſorgfältige Beobachtungsgabe mit einander verband. In Gesner's
Werken ſind ſo viele Beobachtungen von Zeitgenoſſen und Mittheilun-
gen aus kurz zuvor erſchienenen Schriften enthalten, daß ein Blick auf
das ihm in dieſer Richtung zu Gebote ſtehende litterariſche Material
vielleicht nicht unzweckmäßig wäre. Doch waren die benutzten Schriften
vorzüglich ſolche über einzelne Abtheilungen des Thierreichs, wie die
Schriften Belon's, Rondelet's u. a. Sie werden ſpäter beſprochen wer-
den. Gesner eigen war das Talent des univerſellen Zuſammenfaſſens.
Iſt auch das Leben Gesner's öfter ausführlich beſchrieben wor-
den11), ſo gehört doch eine kurze Mittheilung der wichtigſten Züge aus
demſelben um ſo mehr hierher, als es eben für ein in mehrfacher Be-
ziehung typiſches Lebensbild eines deutſchen Gelehrten gelten kann, und
da ja ſeine Leiſtungen in jeder Weiſe grundlegend für die neuere Zoolo-
gie genannt werden müſſen. Conrad Gesner wurde am 26. März
1516 in Zürich als der Sohn eines Kürſchners Urs Gesner geboren,
welcher als Reformirter in dem Treffen bei Zug (mit Zwingly) 1531
blieb. Den erſten Unterricht erhielt Conrad Gesner von ſeiner Mutter
Bruder, dem Prediger Friccius, welcher ihn nicht bloß in die philolo-
giſchen Studien, ſondern als großer Pflanzen- und Gartenfreund auch
in die Natur einführte. Schon vor ſeinem Vater verlor er dieſen ſeinen
erſten Lehrer und fand eine Zeit lang bei J. J. Ammianus Aufnahme
als Schüler. Da er indeß nach ſeines Vaters Tode theils in Folge eig-
ner Erkrankung, theils wegen der kriegeriſchen Unruhen in der Schweiz
[275]Conrad Gesner.
keine Gelegenheit fand, ſich die Mittel zur weitern Ausbildung zu ver-
ſchaffen, zog er nach Straßburg zu Capito, dem er, ſeinen Worten ge-
mäß, „nicht ohne gute Früchte in den Wiſſenſchaften einige Monate
diente“. Hier wandte er beſonders dem Hebräiſchen ſeinen Fleiß zu,
während er daneben Unterricht im Griechiſchen ertheilte. Von ſeiner
Vaterſtadt durch ein kleines Stipendium unterſtützt gieng er nach
Frankreich, um zunächſt in Bourges, wiederum durch Unterrichtgeben
in ſeinen Mitteln ſich aufbeſſernd, Medicin zu ſtudiren. In ſeinem acht-
zehnten Lebensjahre, 1534, reiſte er nach Paris, wo er zwar in ſeinem
Fachſtudium, wie er ſelbſt ſagt, wenig Fortſchritte machte, dagegen die
ſich ihm reichlich bietende Gelegenheit benutzte, die Schätze der griechi-
ſchen und lateiniſchen Litteratur eingehender kennen zu lernen. Aber
ſelbſt die Unterſtützung eines jungen reichen Berner, Johann Steiger,
welcher ihm in mancherlei Verlegenheiten hülfreich beiſtand, konnte ihm
auf die Dauer nicht die Mittel bieten, länger in Paris einem auf's
Univerſelle und wohl etwas planlos angelegtem Studium ſich zu wid-
men. Er mußte zurück nach Straßburg, erhielt aber hier ſehr bald und
zur rechten Zeit die Aufforderung, in Zürich ein Lehramt zu überneh-
men. Dort gründete er ſich ſchon im zwanzigſten Jahre ſeines Lebens
durch Verheirathung einen eigenen Hausſtand. Durch ein neues Sti-
pendium ſeitens des Erziehungsrathes von Zürich unterſtützt, lebte er
dann etwas über ein Jahr in Baſel, um das unterbrochene Studium
der Medicin wieder aufzunehmen. Wie ſehr er daneben zu andersarti-
gen Arbeiten des Verdienſtes wegen gedrängt war, beweiſt eine im
Jahr 1537 unternommene Bearbeitung des griechiſchen Wörterbuchs
von Phavorinus. Seine Lage beſſerte ſich aber, als er im letzterwähn-
ten Jahre eine Lehrerſtelle an der von dem Berner Staate neu gegrün-
deten Lehranſtalt in Lauſanne erhielt. Hier blieb er drei Jahre und
hatte neben ſeiner Berufsthätigkeit noch Zeit zur Beſchäftigung mit der
Natur. Er verfaßte hier das Enchiridion der Pflanzengeſchichte, wel-
ches 1541 erſchien und den 1542 gedruckten Pflanzenkatalog. Seine
Vaterſtadt gewährte ihm aber nochmals Mittel zur Fortſetzung ſeiner
mediciniſchen Studien. Mit dieſen gieng er zunächſt nach Montpellier,
wo er Rondelet kennen lernte und zum Freunde gewann, und dann
18 *
[276]Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen.
wieder nach Baſel, von wo er 1541 als Doctor der Medicin nach Zü-
rich zurückkehrte. Als viel beſchäftigter und ſehr gewiſſenhafter Privat-
und Stadtarzt hat er hier nun bis an ſeinen Tod gewirkt und ſeinen
Aufenthalt nur durch gelegentliche Reiſen unterbrochen. Es galt ihm
dabei nicht bloß die Naturgeſchichte ſeines Vaterlandes ſelbſt genauer zu
unterſuchen, ſondern auch in auswärtigen Sammlungen Material und
durch Anknüpfung zahlreicher Bekanntſchaften Unterſtützung zur Aus-
führung ſeiner weittragenden Pläne zu erlangen. So war er in Augsburg,
Venedig und Wien und „ſetzte ſeine litterariſchen Bekannten in den ver-
ſchiedenen Ländern in Bewegung, um ihm mit Beſchreibungen des noch
Unbekannten und mit Abbildungen zu Hülfe zu kommen“. Von der außer-
ordentlichen litterariſchen Thätigkeit Gesner's, welche ſich nicht bloß
auf die mit Vorliebe gepflegte Naturgeſchichte, ſondern in ausgedehnter
Weiſe auch auf Ueberſetzung und Herausgabe alter Autoren erſtreckte,
— wobei er noch eine ſolch aufopfernde Gefälligkeit bewies, daß er an-
gefangene Arbeiten Andrer vollendete oder mit werthvollen Vorreden
verſah, — gibt die Ueberſicht ſeiner Publicationen, wie er ſie zum Theil
noch ſelbſt zuſammengeſtellt hat, ein merkwürdiges Zeugniß. Ebenſo
eifrig war er aber auch als Arzt; und während er bei dem erſten Auf-
treten jener ſogenannten Peſt in Zürich 1564 ſich ſeiner Vaterſtadt
durch aufopfernde Thätigkeit nützlich machte, aber ſelbſt noch verſchont
blieb, trotzdem daß er ſelbſt ſtets kränklich geweſen und wiederholt in
Baden bei Zürich Erleichterung ſeiner Leiden zu ſuchen veranlaßt war,
unterlag er bei dem wiederholten Auftreten der Krankheit im folgenden
Jahre ſeiner Pflichttreue. Er ſtarb am 13. December 1565, noch nicht
völlig fünfzig Jahre alt.
Seiner ganzen Anlage und ſeinem Studiengange nach war es zu
erwarten, daß Gesner's zoologiſche Schriften nach einem ſehr umfaſ-
ſenden Plane gearbeitet waren. Wie Albert der Große das ganze Ge-
biet des zoologiſchen Wiſſens unter Anſchluß an den damals bekannten
Ariſtoteles zu umfaſſen und wiederzugeben ſuchte, ſo gieng auch Gesner
darauf aus, das Thierreich nach allen Seiten hin zu ſchildern und es
nicht bloß als Gegenſtand der Naturbetrachtung, ſondern auch in ſeiner
Beziehung zur Medicin und Culturgeſchichte zu erfaſſen. Während ſeine
[277]Conrad Gesner.
erſten botaniſchen Schriften vorzüglich die Nomenclatur der Pflanzen
unter Zugrundelegung der den Alten bekannten Formen betrafen, gieng
er beim Thierreich von dieſer philologiſchen Seite ſofort weiter und
entwarf einen Plan, nach welchem ſein Werk Alles umfaſſen ſollte,
was man nur irgend von den Thieren wußte. Man könnte nun hier
vielleicht einwerfen, ſein Hauptverdienſt beſtände in einer bloßen „Com-
pilation“, wie man ja derartige Arbeiten häufig als mit andern nicht
ebenbürtig hinſtellt. Doch iſt das Talent zu einer ſolchen Compilation
„nicht ſo häufig, wie man meint. Soll ſie der Wiſſenſchaft dienen, ſo
muß ſie nicht allein aus vielſeitiger Lectüre hervorgehen, ſondern auf
echtem Intereſſe und eigner Kunde beruhen und durch feſte Geſichts-
punkte geregelt ſein. Ein Talent dieſer Art von der größten Befähigung
war Conrad Gesner“12). Ueber die Anſicht, welche er von dem littera-
riſchen Sammeln hatte, ſagt er ſelbſt in der Vorrede zur Naturge-
ſchichte der Säugethiere: „Es könnte Jemand ſagen, daß man die Ge-
ſchichte nur nach den beſten Büchern ſchreiben ſolle; doch habe ich Nie-
mandes Buch verachten mögen. Denn kein Buch iſt ſo ſchlecht, daß ſich
nicht mit Urtheil etwas Gutes daraus ziehn laſſe“. Als Zweck hatte er
eine möglichſte Brauchbarkeit für Andere vor Augen, die ſich allerdings
bis nahe an die Jetztzeit heran bewährt hat. „Wie ſchwer und lang-
weilig es iſt, die Werke der verſchiedenen Autoren unter ſich zu verglei-
chen, ſo daß Alles in eine einheitliche Form komme, nichts überſehen
und nichts wiederholt werde, kann nur der verſtehn, wer es verſucht
hat. Ich habe geſucht es ſo ſorgfältig zu machen, daß man auf andre
Schriftſteller über dieſelben Dinge nicht mehr zurückzugehen nöthig ha-
ben wird, ſondern überzeugt ſein kann, in einem Bande Alles darüber
Geſchriebene, gleichſam in einem Buche eine ganze Bibliothek zu be-
ſitzen“. Darin hat er wirklich das Unglaublichſte geleiſtet und die Citate
meiſt kritiſch behandelt, ſo daß auch von dieſer Seite die Nützlichkeit ſei-
ner Schriften erhöht wird. Daneben verläßt er ſich aber nicht auf die
Angaben allein, ſondern ſucht überall durch Autopſie oder neuere zu-
[278]Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen.
verläſſige Zeugniſſe eine Beſtätigung der in ſeiner Litteratur enthalte-
nen Thatſachen zu erhalten.
Gesner's Werk führt den Titel Geſchichte der Thiere und erſchien
zuerſt lateiniſch von 1551 an13). Die Eintheilung iſt derartig, daß
jede der größeren Abtheilungen des Thierreichs je einen Band füllt;
der erſte enthält die Säugethiere, der zweite die eierlegenden Vierfüßer,
der dritte die Vögel und der vierte die Fiſche und Waſſerthiere. Mehr
iſt zu ſeinen Lebzeiten nicht erſchienen. Aus ſeinen hinterlaſſenen Ma-
terialien wurden dann noch nach ſeinem Ableben ein fünftes Buch von
den Schlangen und als einziges Bruchſtück einer natürlich von ihm
gleichfalls beabſichtigten Naturgeſchichte der Inſecten die Beſchreibung
des Skorpions herausgegeben14). Wirft man einen Blick auf dieſe
Schriften, ſo ſetzt ſchon der Umfang an und für ſich in Erſtaunen, be-
ſonders wenn man ſieht, daß dieſe ganzen von ihm ſelbſt noch geſchrie-
benen gegen vierthalbtauſend Folioſeiten umfaſſenden Bände und die
vielen hundert Holzſchnitte innerhalb acht Jahren geſetzt, geſchnitten
und gedruckt wurden, während der Verfaſſer bei Herausgabe des erſten
Theils nur 35 Jahre alt war und vorher ſchon zahlreiche und darunter
einige umfangreiche und zeitraubende Arbeiten (wie z. B. die Biblio-
theca universalis und die Pandectae) herausgegeben hatte15). Ebenſo
[279]Conrad Gesner.
merkwürdig iſt aber der Inhalt. Denn wenn auch die Darſtellung
nicht ganz von einer gewiſſen Breite frei iſt, ſo iſt ſie doch im Vergleich
zu mittelalterlichen Schriften präcis zu nennen und namentlich fehlt
jene weitſchweifige, auf ſpitzfindige Verbalunterſcheidungen hinauslau-
fende Polemik, welche viele frühere Schriften für die Jetztzeit ſo unge-
nießbar macht. Freilich iſt die Gesner'ſche Geſchichte der Thiere durch-
aus von dem verſchieden, was man heutzutage von einer ſolchen erwar-
ten würde; doch fällt ein Vergleich durchaus nicht vollſtändig zum
Nachtheil Gesner's aus. Die Mängel ſeiner Schriften werden nachher
erwähnt werden. Hier muß darauf aufmerkſam gemacht werden, daß
Gesner die ſeiner Zeit gewordene Aufgabe in einer wunderbaren Weiſe
gelöſt hat. Es galt die Continuität der wiſſenſchaftlichen Entwickelung
wieder herzuſtellen und zu dieſem Zwecke Alles in einen Rahmen aufzu-
nehmen, was nur überhaupt von den Thieren bekannt war. Dem ent-
ſprechend zeigt ſchon die Anordnung des reichen Stoffes eine durchdachte
Gliederung. Dieſe Dispoſition, welche er zur Orientirung in der Ein-
leitung zum erſten Theile auseinanderſetzt, gibt am beſten eine Einſicht in
die vielſeitige Auffaſſung, welche das Thierreich bei Gesner fand. Er
bringt Alles, was er von den einzelnen Thieren mitzutheilen hat, unter
acht Abſchnitte, welche er mit den erſten acht Buchſtaben des Alphabets,
nicht mit Zahlen bezeichnet, weil beim Ausfallen eines Abſchnittes bei
einem oder dem anderen Thiere die dann eintretende Bezeichnung verſchied-
ner Kapitel mit der gleichen Ziffer oder eine Unterbrechung der Zahlen-
reihe ungeſchickter erſcheinen würde, als das Ausfallen eines Buchſta-
bens16). Dieſe Buchſtaben vertreten alſo die Stelle beſtimmter, ſtets
gleichmäßig wiederkehrender Kapitelüberſchriften. Der erſte Abſchnitt
enthält die Aufzählung der Namen der geſchilderten Thiere in den ver-
ſchiedenſten Sprachen, ſowohl alten als neueren, ſo weit ſie überhaupt
Gesner zugänglich waren, die arabiſchen nur nach den lateiniſchen
Ueberſetzungen. Hier haben ihm vorzüglich ſeine zahlreichen Corre-
ſpondenten helfen müſſen. Das zweite Kapitel iſt in ſtreng zoologiſcher
[280]Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen.
Beziehung das wichtigſte; es gibt das Vaterland und Vorkommen, die
äußere Beſchreibung und die Schilderung ſämmtlicher äußerer wie in-
nerer Theile. Im dritten Kapitel werden die allgemeinen biologiſchen
Erſcheinungen abgehandelt unter dem Titel der natürlichen Thätigkeiten
des Körpers, wozu noch die Berückſichtigung des Ortes, wo die Thiere
leben, und der davon abhängenden Bewegungsarten tritt. Auch finden
die Krankheiten der Thiere hier ihre Erwähnung. Der vierte Abſchnitt
iſt dem geiſtigen Leben der Thiere, den Affecten, Sitten und dem In-
ſtinct gewidmet. Die nächſten drei Kapitel handeln von dem Nutzen der
Thiere und zwar das fünfte von dem Nutzen im Allgemeinen, von ihrer
Jagd, ihrer Haltung, Zähmung, Pflege, Heilung, ihrer Verwerthung
u. ſ. f., das ſechſte von den Nahrungsmitteln und das ſiebente von den
Heilmitteln, welche die Thiere darbieten. Das achte Kapitel iſt vorzüg-
lich philoſophiſchen und litterarhiſtoriſchen Inhalts; es enthält, wieder
in einzelne durch Buchſtaben ausgezeichnete Unterabſchnitte vertheilt,
die weniger gebräuchlichen, poetiſchen oder erfundenen Namen mit deren
Etymologie, die den einzelnen Thieren beigelegten Eigenſchaftsworte,
die übertragenen Bedeutungen der Thiernamen, die bildlichen Darſtel-
lungen der Thiere, die nach Thieren benannten Steine, Pflanzen,
Männer, Frauen, Flüſſe, Städte u. ſ. w., endlich die culturgeſchicht-
liche Seite der Thierwelt, d. h. hier die Aufzählung der Fabeln, Wun-
der, Weiſſagungen, die heiligen Thiere, die Thierembleme und die auf
Thiere bezüglichen Sprüchwörter. Den hier nach Gesner's eigner Ue-
berſicht mitgetheilten Plan hat er nun mit Benutzung einer Litteratur
ausgeführt, welche an die Collectaneenſammlung Vincenz's von Beau-
vais erinnert. In den Einleitungen zu der Geſchichte der Säugethiere
und der Waſſerthiere hat Gesner eine Liſte von ihm benutzter Autoren
ſowie derjenigen ſeiner Zeitgenoſſen gegeben, welche ihn durch Mitthei-
lung von Beſchreibungen, Abbildungen und ſonſtigen Notizen unter-
ſtützt haben. Unter den erſten finden ſich nicht allein die meiſten damals
zugänglichen Schriftſteller des Alterthums mit Ausnahme von Kteſias,
Megaſthenes und den Hiſtorikern, ſondern auch von den ſpäteren grie-
chiſchen und lateiniſchen Autoren faſt Alle, welche nur irgend etwas auf
Thiere Bezügliches geſchrieben haben. Die Araber kennt er meiſt aus
[281]Conrad Gesner.
Citaten oder lateiniſchen Ueberſetzungen. Den Commentar des Aver-
roës zu Ariſtoteles hat er ſich nicht verſchaffen können17). Von mittel-
alterlichen Schriftſtellern ſind Albert der Große, Vincenz von Beau-
vais und das Buch über die Natur der Dinge, deren Verfaſſer Thomas
von Cantimpré ihm unbekannt war, reichlich benutzt. Er führt in ſei-
ner Liſte auch die von Albert benutzten, ihm ſelbſt unbekannten Ver-
faſſer an, wie Jorach, Semerion, die Kyraniden u. a. Auch hat er
wohl Manches davon nur handſchriftlich benutzt, da ſonſt nichts dar-
über bekannt iſt, wie die Schrift eines Deutſchen, Michael Herus über
Vierfüßer und eines andern Eberhard Tappe über Falken. Reich iſt
auch das Verzeichniß ſeiner Helfer und Freunde, deren er aus Italien,
Frankreich, England, Polen außer den Deutſchen und Schweizern
anführt.
Die Anordnung der nach den aufgezählten Kategorien beſchriebe-
nen Thiere hat Gesner alphabetiſch nach dem lateiniſchen Namen der
Thiere gemacht. Damit iſt ihm allerdings die Möglichkeit entgangen,
größere Gruppen, etwa den jetzigen Ordnungen oder Familien entſpre-
chend in ſeiner Darſtellung äußerlich ſichtbar hervortreten zu laſſen.
Er ſah ſelbſt ein, daß dieſe Reihenfolge weniger naturwiſſenſchaftlich
ſei. In der Einleitung zu der Geſchichte der Waſſerthiere erklärt er
weshalb er es gethan habe. Seine Ordnung ſei eine mehr gramma-
tiſche und dadurch das Auffinden erleichternde; die andere, von mehre-
ren Autoren befolgte, ſei philoſophiſcher. Doch, fügt er als Entſchul-
digungsgrund hinzu, „es findet ſich ſo vieles Zweifelhafte und Unſichere,
daß man nicht ſicher ſein kann, zu welcher Gattung das Mitgetheilte
gehöre; daher iſt eine Aufzählung nach dem Alphabet bequemer“. Da-
bei weiſen jedoch mehrere Momente auf eine richtige Erfaſſung der na-
türlichen Verwandtſchaft hin. Hierher iſt zunächſt zu rechnen, daß
Gesner ſehr häufig unter einem Namen nicht bloß die darunter begrif-
fene Thierform, ſondern außer den verſchiedenen Geſchlechtern und Al-
terszuſtänden (wie z. B. Bos, Taurus, Vacca, Vitulus, oder Ovis,
[282]Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen.
Aries, Vervex, Agnus) auch die mit der betreffenden Art nächſtver-
wandten Formen aufführt. So folgen auf Bos außer der alphabetiſchen
Ordnung die Schilderungen von Bison, Bonasus, Urus, auf Capra
folgen Capreolus, Dama; unter Simia werden noch Cepus, Cynoce-
phalus, Cercopithecus, Satyrus abgehandelt. Hamſter und Murmel-
thier erſcheinen, wie zwar auch ſpäter noch, unter dem Namen Maus;
doch unterſcheidet er zwiſchen Maus und Spitzmaus nach der Verſchie-
denheit des Gebiſſes, von dem er eine freilich ziemlich rohe Abbildung
gibt. Das Meerſchweinchen tritt als Cuniculus sive Porcellus Indi-
cus (mit einer recht leidlichen Abbildung) auf. Es kommen daneben
allerdings immer noch Formen vor, deren Verwandtſchaften er ver-
kennt; er beruft ſich dabei aber doch auf thatſächliche Verhältniſſe.
Den Pavian z. B. bringt er als Anhang zur Hyäne und ſagt, daß er
wegen der Structur der Hände und Füße und der Fähigkeit zu klettern
früher ihn zu den Affen ſtellen zu müſſen geglaubt habe; doch nähere
er ſich ſowohl hierin als in ſeinem Pelze den Bären. In ähnlicher
Weiſe handelt er bei den Vögeln unter Accipiter die ſämmtlichen Fal-
ken ab, unter Anas alle Enten und Taucher (Colymbus, Uria, Mer-
gus, Carbo; die Namen decken aber nicht die modernen Gattungen),
unter Aquila den Haliaetus, Melanaetus, Ossifraga, Pygargus, unter
Gallus die hühnerartigen Formen Tetrao, Urogallus, läßt aber aller-
dings Perdix und Coturnix von dieſen entfernt unter ihrem Anfangs-
buchſtaben. Sehr dürftig iſt die Zahl der von ihm beſchriebenen eierle-
genden Vierfüßer, indem hier außer Fröſchen und Schildkröten nur
wenige Eidechſen, der Skink, das Krokodil und Chamäleon erſcheinen.
In der Naturgeſchichte der Fiſche und Waſſerthiere finden ſich nun
zwar Waſſerthiere, Fiſche, Cephalopoden, Schnecken, Muſcheln, Echino-
dermen, Actinien, Meduſen und Schwämme in einem Alphabet ver-
einigt. Doch kommen auch hier zunächſt alle Muſcheln (Conchae,
Cochleae, Chamae, Mytuli) zuſammen. Von Fiſchen werden Rochen,
Haifiſche, einige Pleuronectiden unter je einem Buchſtaben vereinigt;
doch ſind Steinbutt, Zitterrochen, Hammerhai und andere auffallen-
dere Formen von jenen getrennt. Auch herrſcht hier noch keine abſolute
Sicherheit in Bezug auf einzelne Namen. Esox bezeichnet er ganz
[283]Conrad Gesner.
richtig als eine Form der Störe und führt den Namen nur beiläufig
auf. Ob aber Glanis und Silurus identiſch ſind, iſt ihm nicht ganz
überzeugend erſchienen. Zu Urtica bringt er die Rondelet'ſchen Figuren
der Actinien und Meduſen, zu Pudendum die Figur deſſelben von As-
cidien, während der Trivialname urſprünglich für Holothurien galt,
wie noch heute an den italieniſchen Küſten. Hier ſind ihm auch Wie-
derholungen untergelaufen, indem er einige Fröſche und Schlangen ſo-
wohl unter den Waſſerthieren, als in den andern ſie betreffenden Thei-
len aufführt.
Frägt man nun nach der Bedeutung des Gesner'ſchen Werkes, ſo
darf man hier nicht den Maßſtab eines modernen zoologiſchen Werkes
anlegen wollen. Jedenfalls hat es das unbeſtreitbar große Verdienſt,
zum erſten Male die zur Zeit ſeiner Abfaſſung bekannten Thierformen
von einem wirklich naturhiſtoriſchen Standpunkte aus geſchildert zu ha-
ben. Zur Sicherſtellung ſeiner Beſchreibungen fehlte ihm freilich noch
der Artbegriff und eine ſtrenge Terminologie und Nomenclatur. Die
Namen, deren er mehrere ſelbſt machen mußte, ſchließen ſich noch wie
früher der populären Namengebung an. Eine Art im ſpätern Sinne
hat Gesner ſo wenig wie Ariſtoteles und Albert der Große. Seine
Species und Genera ſind noch ebenſo formale Bezeichnungen für über-
und untergeordnete Formen, was durch viele Beiſpiele erhärtet werden
kann18). Durch das Schwanken dieſer Bezeichnungen entgieng ihm
die Ausgangsform der ſyſtematiſchen Anordnung. Da er nun aber
eben ſo wenig feſte Eintheilungsgründe entwickelte, nach welchen er
etwa das Thierreich von oben herab hätte in natürlichen Gruppen
außer den zweifelloſen, vom Sprachgebrauch gebotenen Wirbelthier-
claſſen) ſpalten können, ſo fehlt ihm die ſichere ſyſtematiſche Ueberſicht.
Doch lag zu ſeiner Zeit das Bedürfniß noch nicht ſo dringend vor wie
ein Jahrhundert ſpäter, und dieſe offenbaren Lücken in ſeiner Darſtel-
lung werden reichlich ausgeglichen dadurch, daß er zum erſtenmal plan-
[284]Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen.
mäßig beobachtete und danach ſeine Beſchreibungen abfaßte, nicht bloß
zur beiläufigen Beſtätigung überlieferter Angaben, denen zu Liebe Frühere
ſelbſt directen Beobachtungen gern Zwang angethan hätten. Gesner
war kritiſch und zweifelte, freilich noch nicht mit der Unabhängigkeit
des Urtheils, wie es ſpäter zur Verificirung der Thatſachen angewandt
wurde. Wenn er noch fabelhafte Thiere anführt und von andern Thie-
ren Wundergeſchichten berichtet, ſo verſäumt er ſelten, ſeine Meinung
über das Bedenkliche ſolcher Angaben auszuſprechen. In dieſer Hinſicht
iſt er, wie es ſcheint, nur ſeinen Freunden und Correſpondenten gegen-
über, deren briefliche Mittheilungen er anführt, nachſichtiger, da er
vermuthlich bei ihnen eine gleiche Gewiſſenhaftigkeit wie ſeine eigne vor-
ausſetzte19).
Was bei Gesner entſchieden fehlt, das iſt die breitere Auffaſſung
des Thierreichs als eines großen Ganzen. Ueber die an ſich äußerſt ver-
dienſtliche und als Grundlage zur weitern wiſſenſchaftlichen Entwicke-
lung der Anſichten über die Thiere ſogar nothwendige Aufarbeitung
des vorhandenen Materials ließ er die Zuſammenfaſſung der Thatſa-
chen unter allgemeinere Geſichtspunkte außer Auge. Sein Werk war
verbreiteter und durch Ueberſetzungen, Auszüge und Wiederabdrücke in
einem weiteren Kreiſe wirkſam als manche der ſo bedeutend weniger um-
fangreichen Einzelarbeiten, von denen er z. B. die von Belon und Ron-
delet über die Waſſerthiere faſt vollſtändig ſeinem Werke einverleibte. Von
derartigen Vorarbeiten, welche nachher noch ſpecieller werden erwähnt
werden, hat er nur das reiche Detail aufgenommen. Gesner hat auch noch
nach der Herausgabe der erſten Bände ſeiner Thiergeſchichte in gleicher
Weiſe zu ſammeln fortgefahren; denn ſowohl die während ſeines Lebens
erſchienenen als die lange nach ſeinem Tode herausgegebenen Auflagen
[285]Conrad Gesner.
enthalten zahlreiche Zuſätze im Text und in Abbildungen, ohne daß ſich
bei letzteren ein Bearbeiter oder Herausgeber der neueren Auflage
irgendwo nennte. Sein Werk ſtellt ſich auch ſeinen eignen Worten nach
mehr auf den Standpunkt eines encyklopädiſchen Nachſchlagewerkes.
Als ſolches hat es aber auch reiche Früchte getragen. Denn alle ſpäte-
ren Beſchreiber fußen auf ihm.
Mit dieſem Aufgeben eines allgemeinen Standpunktes hängt zu-
ſammen, daß Gesner auch von vergleichender Anatomie nur wenig gibt.
Es fehlen bei ihm die allgemeinen anatomiſchen Einleitungen, welche
früher zwar ſämmtlich dem Ariſtoteles nachgeſchrieben, aber doch ein-
gehend genug waren, um für wirkliche Vergleichungen den Ausgangs-
punkt zu bilden. Er hat nun zwar bei den Einzelformen auch eine
Schilderung ihrer anatomiſchen Eigenthümlichkeiten gegeben; da aber
mit einer Ueberſicht der Anatomie der ganzen Claſſe oder größern Ab-
theilung auch der Rahmen fehlte, in welche jene eingeordnet erſt ihre
wahre Bedeutung und wiſſenſchaftliche Verwerthung erhalten, ſo er-
ſcheint dieſe ganze Seite ſeiner Schilderung iſolirt und zuſammenhang-
los. — Ferner hatte er bei ſeiner Auffaſſung des Thierreichs keine
Veranlaſſung und Gelegenheit von foſſilen Formen zu ſprechen. Ueber
die Figurenſteine hat er beſonders geſchrieben. An einzelnen Stellen
(z. B. beim Hippopotamus) gedenkt er zwar der Funde foſſiler Zähne,
ohne aber ſich über die landläufige Meinung ſeiner Zeit hinaus in eine
Erörterung über ihre eigentliche Natur und Bedeutung einzulaſſen.
Daß er endlich bei ſeiner Betrachtung des Thierreichs den Menſchen
ganz weggelaſſen hat, iſt ihm nicht mehr zum Vorwurf anzurechnen
als ſeinen Vorgängern. Wenn ſich auch das Thierreich von der ihm
angewieſenen Stellung als ſündhafter Geſchöpfe zu einem die Größe
Gottes darlegenden Wunderreiche erhoben hatte, ſo nahm doch der
Menſch einen bevorzugten Platz in der Natur ein, welchen ihm ſtreitig
zu machen die mangelnde Anwendung allgemeiner anatomiſcher Anſich-
ten hinderte.
Der Einfluß Gesner's gründet ſich aber nicht allein auf die Her-
ausgabe des im Vorſtehenden geſchilderten Hauptwerkes. Zunächſt be-
ſorgte er ſelbſt noch einen Auszug des Textes aus jenem, welchem die
[286]Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen.
Sammlung der allmählich vermehrten Abbildungen beigegeben wurde.
Von dieſen „Icones Animalium“ erſchien der erſte, die lebendiggebä-
renden und eierlegenden Vierfüßer enthaltende Theil 1553, der zweite
mit den Abbildungen der Vögel 1555, der dritte mit den Fiſchen und
Waſſerthieren 156020), in welchem Jahre, alſo noch zu Gesner's Leb-
zeiten, von den beiden erſten Theilen neue Auflagen erſchienen. Auch
noch lange nach ſeinem Tode wurden die erſten beiden Theile wieder
gedruckt (Heidelberg, 1606). Häufig bezieht man ſich auf dieſe Aus-
züge, wenn man Gesner ein Syſtem zuſchreiben will. Sie geben vor-
züglich die Nomenclatur der Thiere in lateiniſcher, italieniſcher, franzö-
ſiſcher und deutſcher Sprache, und ſpäter werden noch einzelne Bemer-
kungen angefügt. Die Reihenfolge iſt allerdings nicht mehr alphabetiſch,
die Thiere ſind vielmehr „in gewiſſe Ordnungen gebracht“. Dieſe ſind
aber nichts weniger als ſyſtematiſche Verſuche, ſondern lediglich Rubri-
ken zur bequemen Unterbringung. Nur bei den Fiſchen wiederholen
ſich die ſchon oben angeführten kleinen natürlichen Gruppen. Die
Säugethiere aber z. B. zerfallen hier zunächſt in zahme und wilde, die
erſten in gehörnte heerdenbildende und hornloſe, wohin Pferde,
Schweine, Hund und Katze gehören; die wilden Säugethiere werden
dann in gehörnte (Büffel, Elefant!), ungehörnte große, mittlere und
kleine eingetheilt.
Von der Historia Animalium erſchien die letzte Auflage in den
Jahren 1617-1621. Aber ſchon vorher waren Auszüge und Ueber-
ſetzungen gedruckt worden: ſo von Rudolph Heußlin, welcher den Theil
über die Vögel, von Conrad Forer, welcher die Theile über die Vier-
füßer und Fiſche überſetzt hatte. Nach dem Tode Gesner's erſchien eine
anonyme Ueberſetzung des Schlangenbuchs (1589) und von 1669 bis
1670 wurde das ganze Gesner'ſche Werk als „Gesnerus redivivus“
deutſch von G. Horſt herausgegeben. Ein Auszug des Thierbuchs von
[287]Conrad Gesner.
Lorenz Hiel, Profeſſor in Jena, wird zwar von Gesner ſelbſt noch er-
wähnt; er ſcheint aber nie gedruckt worden zu ſein21).
Ein großes Verdienſt des Gesnerſchen Werkes beſteht auch in der
Einführung guter Abbildungen. Denn wenn auch mit den heutigen
verglichen die meiſten ſeiner Figuren wohl kaum einen Vergleich weder
in Bezug auf Naturwahrheit noch auf Ausführung aushalten dürften,
ſo ſind ſie im Verhältniß zu früheren außerordentlich gut. Ueber die
Künſtler, welche er zur Illuſtration ſeiner Schriften heranziehen konnte,
iſt wenig zu ermitteln. Die Abbildung des Rhinoceros bezeichnet er
ſelbſt als von Albrecht Dürer herrührend; die Vögel ſind, gleichfalls
nach ſeiner eigenen Angabe, von Lukas Schrön gezeichnet. Außerdem
werden noch Hans Asper und Johann Thomas, Züricher Künſtler,
als Zeichner angeführt. Mit dem Texte des Belon und Rondelet hat
er auch deren Figuren copirt, und überhaupt alles aufgenommen, was
er nur hat erreichen können. Vieles iſt ihm dabei von ſeinen Freunden
zugeſchickt worden, unter denen ziemlich oft Kentmann aus Meißen
erſcheint. Zu den Copien gehört z. B. die Abbildung der Giraffe nach
der Reiſe des Georg von Breydenbach, des Sagouin, des Faulthieres,
Gürtelthieres nach den von Cluſius in deſſen Exotica gegebenen Abbil-
dungen. Das Llama wird, hier wohl zuerſt, bildlich dargeſtellt nach
[288]Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen.
einer Gesner überſandten Zeichnung eines im Juni 1558 aus Peru
nach Antwerpen gebrachten Exemplars; es heißt Allocamelus. Einige
wunderbare Fehler ziehn ſich durch die ganze damalige Litteratur. So
erſcheint der Skorpion z. B. zum Theil mit Flügeldecken, ganz ſo bei
Gesner wie bei Matthioli in deſſen Commentar zu Dioscorides,
2. Buch. Doch kann hier nur im Allgemeinen auf die Entwickelung
der zoologiſchen Abbildungen hingewieſen werden, deren Verfolgung im
Einzelnen ſehr erwünſcht wäre22).
Leidet alſo nach Allem das Gesner'ſche Werk ſehr an den Män-
geln ſeiner Zeit, ſo iſt es doch mit vollem Recht als eines derjenigen zu
bezeichnen, von welchen die Gründung der neueren Zoologie ausgieng.
Mehrere der ihm anhängenden Mängel wären vielleicht von Gesner
ſelbſt beſeitigt worden, hätte ihm das Geſchick eine freiere, von äußern
Einflüſſen unabhängigere Stellung gegönnt. Und wenn er auch von
ſeinen unmittelbaren Nachfolgern in ſcharfer Beobachtung und wohl
tieferer Auffaſſung überholt wurde, ſo hat er ſich doch durch ſeinen un-
geheuern Fleiß, ſeine ausgedehnte Gelehrſamkeit, ſowie durch ſein glän-
zendes Sammlertalent den Anſpruch geſichert, der erſte deutſche Zoolog
genannt zu werden.
Nur wenige Jahre jünger war ein Mann, welcher mit ähnlichem
Talent und Sammlerfleiß den großen Vortheil einer unabhängigen
Stellung verband und dieſe ſowie eine weit längere Lebensdauer dazu
benutzte, dem wiſſenſchaftlichen Geiſte ſeiner Vaterſtadt und ſich ſelbſt
in einem gleich ausgedehnten und in mehreren Beziehungen noch tiefer
eingehenden Werke ein bleibendes Denkmal zu errichten. Uliſſes
Aldrovandi war am 11. September 1522 in Bologna gebo-
[289]Uliſſes Aldrovandi.
ren23). Er ſtammte aus einer Familie, welche durch mehrere ausge-
zeichnete Männer in dem heimiſchen Gemeinweſen zu großem Anſehen
gelangt war und deren einer Zweig dem Grafenſtande angehörte. Uliſſes
Aldrovandi ſelbſt glaubte ſein Geſchlecht und das der Aldobrandini für
urſprünglich identiſch halten und auf Hildebrand (GregorVII, italiani-
ſirt Aldobrandus) zurückführen zu dürfen24). Sein Vater ſtarb, als
Uliſſes ein Jahr alt war. Zunächſt zum Kaufmann beſtimmt, wurde
er anfänglich in Bologna, dann in Brescia in ein Geſchäft gethan.
In Rom, wo er eine ähnliche Stellung ſuchte, fand er nichts ihm Zu-
ſagendes. Auf dem Heimwege begriffen begegnete er in Caſtel S. Pietro
einem Sicilianiſchen Pilger, dem er ſich auf der Wanderung nach Com-
poſtella und Genua anſchloß. Nach Jeruſalem zu gehen hinderte ihn die
Abgeneigtheit ſeines Reiſegefährten. Da kehrte er nach Bologna zurück
und begann nun in ſeinem ſiebzehnten Jahre 1539 das Studium der
ſchönen Wiſſenſchaften und der Rechte. Ein Jahr in Padua benutzte er
zu philoſophiſchen und zum Theil ſchon mediciniſchen Studien. Nach-
dem er ruhig in Bologna weiter gearbeitet hatte, fiel er 1549 in den
Verdacht, ein Häretiker zu ſein, und wurde von dem Inquiſitionstri-
bunal ergriffen und als Gefangener nach Rom gebracht. Nach des
Pabſtes Paul III Tode und Julius II Thronbeſteigung wurde er frei
und benutzte den übrigen Aufenthalt in Rom zum Studium und zu
einer Schilderung der antiken Statuen, welche auch ſpäter gedruckt
wurde. Wichtig für ihn war, daß er in Rom Rondelet kennen lernte,
welcher als Arzt des Cardinal Tournon dorthin gekommen war. Von
dieſem vorzüglich auf das Studium der Natur geführt, begann er dort
zuerſt Pflanzen und Fiſche zu ſammeln. Wie eifrig und erfolgreich er
dieſer neuen Richtung ſeines Studiums oblag, beweiſt der Umſtand,
daß ihn ſchon 1553 Matthioli bei der Herausgabe ſeines Pflanzen-
V. Carus, Geſch. d. Zool. 19
[290]Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen.
werkes conſultirte. Der Richtung ſeiner Zeit folgend ſcheint auch Al-
drovandi die Kenntniß der Pflanzen und Thiere zu mediciniſchen Zwecken
geſucht zu haben. Denn er ſtudirte nun Medicin und erlangte am
23. November 1553 den Doctorgrad. Auf den Wunſch ſeiner Ver-
wandten bewarb er ſich um einen erledigten Lehrſtuhl und begann vom
folgenden Jahre außerordentlicher Weiſe ſeine Vorträge. Zunächſt las
er über Logik, nach zwei Jahren aber ſchon über die Meteore des Ari-
ſtoteles, ſpäter die „Simplicia“, alſo Arzneimittellehre. Wie er zur
Vervollſtändigung ſeiner Kenntniß und ſeiner Sammlung in jeden Fe-
rien naturhiſtoriſche Reiſen unternahm, ſo folgte er auch einer Auffor-
derung nach Trient zu gehen, wo das Concil gerade tagte. Auf der
Rückreiſe beſuchte er Faloppia in Padua, mit dem er ſeit 1554 befreundet
war. Von 1561 an war er ordentlicher Lehrer der Simplicia. Als
beſtes Mittel zum erfolgreichen Studium der einfachen Heilmittel
ſchwebte ihm der Plan zu einer Anſtalt für Beobachtung der lebenden
Pflanzen vor. Nach vielen Kämpfen glückte es ihm auch, 1568 die be-
treffenden Autoritäten in Bologna zur Gründung eines botaniſchen
Gartens zu beſtimmen, den er zuerſt in Verbindung mit Ceſare Odoni
und nach deſſen im Jahre 1571 erfolgtem Tode allein vorſtand. Nach
vierzigjähriger Lehrthätigkeit trat er am 6. December 1600 von ſeinem
Amte zurück, nachdem er im Jahre vorher, in ſeinem ſiebenundſieb-
zigſten Jahre den erſten Theil ſeines großen zoologiſchen Werkes, den
erſten der drei die Vögel behandelnden Bände herausgegeben hatte.
Seinen nicht unbedeutenden, durch den Reichthum der Sammlungen
werthvollen Nachlaß vermachte er der Stadt Bologna. Er ſtarb weder
arm, noch blind, wie man häufig geſagt hat, am 10. März 1605 im
Alter von 83 Jahren.
Wie ſchon das Leben Aldrovandi's mit dem Gesner's verglichen
ein für weit angelegte wiſſenſchaftliche Pläne viel günſtigeres war, ſo
kam erſterem der Umſtand ſehr zu ſtatten, mit größerer Leichtigkeit ſeine
Sammlungen an Zeichnungen und Thieren vervollſtändigen zu können.
Die nächſte Folge war, daß Aldrovandi nicht bloß ein reicheres Mate-
rial zur Verfügung und zur Vergleichung vor ſich hatte, ſondern hier-
durch ſich gewiſſermaßen genöthigt ſah, Ordnung hineinzubringen.
[291]Uliſſes Aldrovandi.
Während Gesner ferner ſein Werk im fünfunddreißigſten Lebensjahre
nach und neben andern mühſamen Arbeiten veröffentlichte, bereitete ſich
Aldrovandi ein langes Leben hindurch auf das ſeinige vor und gieng
erſt im hohen Alter an die Herausgabe, ſo daß der erſte Band erſchien,
als er über noch einmal ſo alt war wie jener. Auch war es für ihn ein
nicht zu unterſchätzender günſtiger Umſtand, daß er Gesner's Werk be-
reits vollendet vor ſich hatte. Es wäre daher wohl zu verwundern gewe-
ſen, wenn er nicht in mancher Beziehung gegen Gesner's Leiſtung einen
Fortſchritt hätte zeigen ſollen. Doch laſſen ſich hier nur, und auch nur in
eingeſchränkter Weiſe zwei Punkte namhaft machen: der Verſuch zur Sy-
ſtematik und die Berückſichtigung der Anatomie. Er iſt hier nicht über die
oberflächlichſten Anfänge hinausgekommen; und auf die Anatomie ſcheint
er erſt ſpät, vielleicht in Folge anderer litterariſcher Erſcheinungen auf-
merkſam geworden zu ſein. Eine Beſchreibung der anatomiſchen Verhält-
niſſe findet ſich nämlich nur in den von ihm ſelbſt noch herausgegebenen
Theilen und zwar nur bei einzelnen Thieren. Seine Notizen, aus
welchen dann die folgenden Bände zum Theil zuſammengeſtellt wurden,
ſcheinen keine Angaben darüber enthalten zu haben. Es iſt daher wohl
anzunehmen, daß er in jenen die betreffenden Zuſätze erſt ſpäter noch
hinzugefügt hat.
Von ſeinem großen Werke, welches dem Plane nach die ganze
Natur umfaſſen ſollte, hat er ſelbſt nur fünf Bände vollenden können:
die drei Bände mit der Naturgeſchichte der Vögel, den mit den In-
ſecten und den mit den „übrigen Blutloſen“, welchen letzteren ſeine
Wittwe noch mit einer Dedication verſah. Die nächſten hat ſein Schüler
und erſter Nachfolger im Amte, der Holländer Uterverius, die ſpätern
der Schotte Dempſter und Bartholomäus Ambroſinus herausgege-
ben 25). In ähnlicher Weiſe wie Gesner bringt auch Aldrovandi bei
19 *
[292]Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen.
den einzelnen Thieren, nach Umſtänden auch bei den Gruppen, nicht
bloß das rein Zoologiſche, ſondern was ſich nur für Beziehungen von
und zu den Thieren auffinden laſſen, zuſammen. Da der Druck ſeiner
Schriften mit Unterſtützung einzelner Perſonen und der Stadt Bologna
erfolgte, iſt die Ausſtattung im Ganzen eleganter und luxuriöſer als
bei Gesner. So ſind z. B. die einzelnen Abſchnitte, deren er ungleich
mehr vorbringt, ſtets durch Abſätze und Ueberſchriften ausgezeichnet.
Es werden, wo ſich Stoff dazu vorfand, nach einander abgehandelt:
die verſchiedene Bedeutung des Thiernamens (Aequivoca), die Syno-
nyme, die Form und allgemeine Beſchreibung, die Sinne, die Ge-
ſchlechter, Aufenthalts- und Fundort, Sitten, Gelehrigkeit, Stimmen,
Nahrung, Begattung, Jagd, Kämpfe, Antipathieen, Krankheiten, Ge-
ſchichte, Myſtik, Moral, Hieroglyphiſche Bedeutung, Embleme, Fabeln,
Sprichwörter, Nutzen in der Medicin, Verwendung zu Speiſen u. ſ. w.
Natürlich war es nur bei wenig Thieren möglich, dieſe Liſte vollſtän-
dig zu erfüllen.
Um Aldrovandi's Werk ſeinem Weſen und ſeiner Bedeutung nach
richtig zu beurtheilen, iſt es nöthig ſich auf die von ihm ſelbſt herausge-
gebenen Theile zu beſchränken, da einzelnen Notizen zufolge mehrere
der übrigen Bände faſt nur Aldrovandi's Namen zu tragen ſcheinen,
ohne ihm irgend wie angerechnet werden zu können26). Sieht man
25)
[293]Uliſſes Aldrovandi.
nun von den gelehrten Zuthaten ab, welche auch hier die einzelnen Ab-
ſchnitte außerordentlich anſchwellen, ſo läßt ſich zwar nicht leugnen, daß
eine große Menge naturhiſtoriſcher Notizen in Aldrovandi's Werke ent-
halten iſt; doch fehlt ihm eine entſprechend ausgedehnte ſelbſtändige Er-
fahrung. Allgemein genommen iſt Gesner kritiſcher und mehr im
Stande, an das von Andern Ueberlieferte den Maßſtab der eigenen
Beobachtung zu legen. Bei Aldrovandi wiegt die Compilation vor.
Entſchieden reicher iſt daher des Letzteren Werk nur in Bezug auf Thier-
formen, welche zu Gesner's Zeit noch nicht bekannt waren. Es ſind
dies beſonders mehrere indiſche, afrikaniſche und amerikaniſche Thiere.
Wenn aber auch Nashornvögel, Pfefferfreſſer, der indiſche Caſuar,
Paradiesvögel (die Manucodiaten) hier erſcheinen, wenn das Zebra,
die Tridacna und andere Formen abgebildet und beſchrieben werden, ſo
iſt der directe Gewinn aus der Kenntniß ſolcher neuen Arten nicht ſo
hoch anzuſchlagen, ſo lange nicht ihre Beziehungen zu bereits bekannten
eingehender unterſucht werden oder ſobald ſie nicht neuen, den bisheri-
gen Anſchauungen völlig fremden Ordnungen angehören. Beides war
hier nicht der Fall. Ihr Auftritt hat weder die etwa ſo zu nennenden
ſyſtematiſchen Auffaſſungen, noch geographiſch-zoologiſche Geſichtspunkte
beeinflußt.
Die Anordnung der zuerſt von Aldrovandi bearbeiteten Vögel ent-
hält kaum einen weſentlichen Fortſchritt gegen Wotton und Belon,
deſſen Specialwerk ſpäter erwähnt werden wird. Zum Theil wird der
Aufenthaltsort, zum Theil die Nahrung und auch die Form des Schna-
bels bei der Gruppenbildung berückſichtigt. Die Adler eröffnen die
Reihe; die Geier (aber nicht im heutigen Sinne), Habichte (unter denen
auch die Würger und der Kuckuck erſcheinen), Falken und Nachtraub-
vögel folgen (letztere mit dem Ziegenmelker; auch das Käuzchen, ulala,
ſoll nach der eigenen Beobachtung Aldrovandi's Ziegen ſaugen). Cha-
rakteriſtiſch für die oberflächliche Auffaſſung der ariſtoteliſchen Gruppen
iſt, daß Aldrovandi die Fledermaus und den Strauß in eine Abtheilung
vereinigt und als Vögel mittlerer Natur bezeichnet. Schon Wotton
hatte die Fledermaus den Säugethieren eingereiht. An dieſe Ueber-
gangsgruppe ſchließen ſich fabelhafte Vögel an, Greife, Harpyien u. ſ. f.
[294]Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen.
Die Papageyen werden dann in einem beſondern Abſchnitt geſchildert.
Ihre Verwandtſchaft mit den Spechten, deren Kletterfüße ganz richtig
dargeſtellt werden, iſt aber nicht erkannt worden. Letztere ſtehen mit
den Rabenartigen, Paradiesvögeln (Abbildungen nach fußloſen Bäl-
gen), Baumläufern und Kreuzſchnäbeln in einer Ordnung, welche
durch den Beſitz eines kräftigen und harten Schnabels ausgezeichnet
iſt. Die nächſten zwei Bücher umfaſſen die wilden und zahmen
„ſtäubenden“, d. h. ſich im Staube badenden Vögel, d. i. Hüh-
nerartige im weitern Sinne. Vögel, welche ſich ſowohl im Staube
als im Waſſer baden, ſchildert das nächſte Buch, Tauben und
Sperlinge. Dann folgen beerenfreſſende Vögel, als Droſſeln und
Staare; dann würmerfreſſende: Zaunkönig, Schwalben, Wiedehopf,
Meiſen und Schmätzer. Als Singvögel werden beſonders Nachtigal,
Finken, Lerchen und ähnliche zu einer Gruppe vereinigt. Die Palmi-
peden und die am Waſſer Wohnenden, zu denen außer den Wadvögeln
auch der Eisvogel gerechnet wird, ſchließen die Beſchreibung. Die mei-
ſten Arten ſind durch Abbildungen erläutert; doch iſt deren Vertheilung
ſehr ungleich27). Die Anatomie iſt berückſichtigt beim Chryſaetos, wo
das Skelet abgebildet, die Muskulatur geſchildert iſt, beim Huhn, wo
mehrfache, freilich ſehr grobe Zeichnungen des innern Baues gegeben
ſind. Auch vom Papagey, der Fledermaus und dem Strauß ſind die
Skelete abgebildet, von erſterem auch Muskeln beſchrieben. Hier und
da erſcheinen noch Einzelheiten; ſo der Kopf mit der Zunge und ihren
Muskeln beim Specht, Kopf, Trachea und Bruſtbein beim Schwan;
das äußere Ohr bei der Eule u. a. Vom Greif und den Harpyien wer-
den mehrere Figuren gegeben. Beim Pelikan ſagt Aldrovandi ausdrück-
lich, die eine Figur gebe er nach der Idee der Maler und der großen
Menge und ſtellt die Abbildung nach der Natur daneben.
Die Inſecten, von denen er aber die Kruſter ausſcheidet (ſie er-
ſcheinen bei den „übrigen Blutloſen“) theilt er in ſieben Gruppen. Die
Wabenbildenden beginnen: Bienen, Drohnen, Weſpen, Hummeln.
[295]Uliſſes Aldrovandi.
Dann kommen die „andern vierflügligen ohne Flügeldecken“, nämlich
die Schmetterlinge, bei denen er auch die Raupen ſchildert und abbildet.
Hierauf folgen die Zweiflügler. Zu den Scheidenflüglern rechnet er
noch außer den Käfern die Heuſchrecken. Unter letzteren erſcheinen
Mantis und amerikaniſche Mantiden, Locuſtinen und Acridier charak-
teriſtiſch abgebildet. Die mit Füßen verſehenen Ohneflügler, unter
welcher Gruppe er Ameiſen, Wanzen, Flöhe, Läuſe, Maulwurfsgrille,
Skorpion, (die eine Figur hat noch Flügelſcheiden), Spinnen und My-
riapoden zählt, bilden die Vermittelung zu den Würmern. Unter dieſer
Bezeichnung werden die im Menſchen, in Thieren, in Pflanzen, Stei-
nen und Metallen entſtehenden, dann die Bohrwürmer, Erdwürmer
und Nacktſchnecken abgehandelt. Die Waſſerformen, Nepa, Skolopen-
dra, Röhrenwürmer, Blutegel und der Fiſch Hippocampus (mit er-
kennbarer Abbildung) machen den Beſchluß.
In Bezug auf die „übrigen blutloſen Thiere“ folgt Aldrovandi
ganz der von Wotton gegebenen Anordnung, indem auch er ſie in Weich-
thiere (Cephalopoden), Kruſtenthiere, Schalthiere und Zoophyten theilt.
Unter den Schalthieren führt er die Balanen auf, während er die Lepa-
den bei der Baumgans abbildet, ohne einen genealogiſchen Zuſammen-
hang mit dieſer zu behaupten. Die Formen der Zoophyten ſind dadurch
zahlreicher geworden, daß er mehrere Abbildungen von Actinien und
Meduſen, vorzüglich nach Rondelet zuſammenſtellt. Sein Verſtändniß
dieſer Thiere erhebt ſich aber nicht über das ſeiner Vorgänger. Die üb-
rigen nicht mehr von ihm ſelbſt in den Druck gegebenen Thierklaſſen
dürften alſo wie erwähnt kein reines Bild ſeiner zoologiſchen Lei-
ſtung darbieten. Der Vollſtändigkeit wegen mag noch angeführt wer-
den: Bei den Fiſchen bringt er keine originalen Anſchauungen, ſondern
theilt ſie, wie ſeine unmittelbaren Vorgänger nach dem Aufenthalts-
ort28). Zu den Einhufern rechnet er auch den Elefanten. Das Einhorn
erſcheint hier zwar als gehörnter Eſel; der Abbildung nach iſt es aber
im eigentlichen Sinne ein Nashorn mit geſpaltenen Zehen. Die Zwei-
[296]Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen.
hufer ſollen nach der Einleitung beſonders in Land- und Waſſerformen
zerfallen, zu welch' letzterer Abtheilung er nur das Nilpferd rechnen zu
können meint. In der Darſtellung ſelbſt aber fehlt der Hippopotamus
ganz (er kommt bei den Digitigraden vor). Dagegen erſcheint nun hier
zwiſchen Elk und Kamel das Rhinoceros wieder. Bei den Zehengän-
gern ſind es auch vorzüglich [nur] äußere Geſichtspunkte, welche ſeine
Eintheilung beſtimmen. Den Löwen, Tiger und Bären vereint er mit
dem Hippopotamus zu einer Gruppe, welche als diejenige mit den
größten Formen die Reihe beginnt, wodurch er natürlich die kleinern
Katzenformen von ihren Nächſtverwandten trennt. Die andern Arten
folgen dann in entſprechender Weiſe. Bei den Schlangen und Drachen
endlich iſt Nichts neu, als eine Anzahl ſchwer wiederzubeſtimmender
Formen und die umſtändliche Geſchichte einiger ſogenannter Drachen
(häufig nur beſonders ausgezeichneter Schlangen), von denen er z. B.
einen als in der Nähe von Bologna geboren anführt.
Frägt man nun nach den Quellen, aus welchen Aldrovandi ge-
ſchöpft hat, ſo ſtellen die bei einzelnen Bänden mitgetheilten Liſten der
benutzten Autoren eine faſt vollſtändige Ueberſicht der damals überhaupt
bekannten Litteratur dar. Denn ohne dieſe Bezeichnung gar zu wört-
lich zu nehmen: es fehlt doch kaum irgend ein bedeutender und unbe-
deutender Schriftſteller vom Alterthume herab bis auf Gesner (welchen
er als Ornithologus u. ſ. f. citirt), Belon und Rondelet, welche letz-
tere auch ihm vielfach das Material dargeboten haben. Wie den Text
ſo hat er auch die Abbildungen überall her zuſammengetragen; neben
vielen Originalabbildungen finden ſich Gesner'ſche, Rondelet'ſche und
Belon'ſche Figuren, ebenſo ſolche aus Reiſebeſchreibungen, die zu ſeiner
Zeit erſchienen. Dabei iſt er aber nicht immer ſehr ſorgfältig geweſen.
So gibt er die Abbildung des oſtindiſchen Caſuars aus der „erſten
Reiſe der Holländer nach Oſt-Indien“. Als derſelben Reiſe entnommen
führt er unmittelbar darauf ein paar Kampfhähne und die Lomme von
der Loms-Bay auf der Oranieninſel (insula Aurangiae) an. Letztere
liegt aber bei Novaja Semlja und wurde von den holländiſchen Nord-
oſtfahrern unter W. Barentz berührt, während die erſterwähnte Reiſe
[297]Johannes Jonſtonus.
unter van Neck ſtattfand29). Was ſeine Originalfiguren betrifft, ſo er-
zählt er in der Vorrede zum erſten Bande der Ornithologie, daß er
über dreißig Jahre hindurch einen naturhiſtoriſchen Maler mit einem
Jahrgehalte von zweihundert Goldſtücken beſoldet und außerdem als
Zeichner den Lorenzo Bernini aus Florenz und Cornelius Swint aus
Frankfurt, als Holzſchneider Chriſtoph Coriolanus und deſſen Neffen
aus Nürnberg beſchäftigt habe. Die Holzſchnitte ſind allerdings als
Schnitte durchſchnittlich gut, doch ſcheinen ſie nicht mit der gleichen
Sorgfalt gedruckt zu ſein wie die Gesner'ſchen.
Wenn nun in vergleichender Weiſe, mit Rückſicht auf Gesner,
nach der Bedeutung und Wirkſamkeit der Aldrovandiſchen Schriften
gefragt werden ſoll, ſo läßt ſich trotz der mancherlei offenbaren Mängel
denſelben das Verdienſt nicht abſprechen, zuerſt wenigſtens den Verſuch
in größerem Maße ausgeführt zu haben, das immer mehr wachſende
Material in irgend eine Art von Ordnung zu bringen. Daß Aldro-
vandi dabei nur rein äußerliche Geſichtspunkte zu Grunde legte, daß er
den von Wotton wieder betretenen ariſtoteliſchen Weg nicht weiter zu ver-
folgen ſuchte, lag in der ungleichen Entwickelung der Kenntniß der äußeren
Form und des innern Baues. In einem gewiſſen Sinne machte ſich hier
der ſpäter oft zu beobachtende Umſtand geltend, daß die Menge neuer
Formen zunächſt nur überhaupt untergebracht ſein wollte, bis dann eine
kritiſche Durchſicht das Verwandte zuſammenbringt, nicht Zuſammen-
gehöriges ſcheidet. Wenn daher der innere Werth der beiden Compila-
toren des ſechzehnten Jahrhunderts für den Fortgang der Wiſſenſchaft
ein ungleicher war, ſo hat Aldrovandi jedenfalls als eine Art Comple-
ment zu Conrad Gesner in erfolgreicher Weiſe die Verbreitung eines
tieferen Intereſſes an Thiergeſchichte fördern helfen.
Der letzte der drei Compilatoren der anbrechenden neuen Zeit,
welcher, ein Jahrhundert nach Gesner auftretend durch ſeine Samm-
lungen noch bis in Linné's Zeit Anſehen und Verbreitung genoß, war
Johannes Jonſtonus. Sein eigentlicher Name war John John-
[298]Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen.
ſtone; er ſtammte aus einer alten ſchottiſchen Familie und war am
3. September 1603 in Samter bei Liſſa geboren. Von 1619-1622
ſtudirte er theils in Thorn, theils in S. Andrews in Schottland. Nach
Samter, wo ſeine Eltern angeſeſſen geweſen zu ſein ſcheinen, zurückge-
kehrt nahm er zunächſt eine Privatlehrerſtelle an, gieng dann, um na-
turwiſſenſchaftliche und ärztliche Studien zu treiben nach Frankfurt,
Leipzig, Wittenberg, Magdeburg, Berlin, Hamburg, 1629 nach Fran-
eker, dann nach Leyden und nochmals nach England. Im Jahre 1631
war er wieder in ſeinem Geburtsorte, trat aber ſehr bald mit zwei jun-
gen Edelleuten von Neuem eine größere Wanderung an durch England,
Frankreich, die Niederlande und Italien. Auf dieſer Reiſe wurde er 1632
in Leyden Doctor der Medicin. Seit der Rückkehr von dieſer Reiſe, etwa
1633, ſcheint er ſeine Beſitzung in Schleſien (Ziebendorf? bei Liegnitz)
nicht wieder verlaſſen zu haben. Er ſtarb dort am 8. Juni 1675. Jonſton
ſcheint vorzüglich durch die Wunderbarkeiten der Natur auf die ſorgfäl-
tigere Betrachtung derſelben hingeführt worden zu ſein. Wenigſtens
erſchien als die erſte Frucht ſeiner litterariſchen, beſonders während
ſeiner Reiſe ausgeübten Sammlerthätigkeit eine Geſchichte der Wunder-
barkeiten der Welt, die Thaumatographie30). Von den zehn Bü-
chern, in welche er dieſe Schrift theilte, ſind die letzten fünf der beleb-
ten Natur gewidmet. Hier ſchildert er das Wunderbare der Vögel,
Vierfüßer, Blutloſen, Fiſche und Menſchen. Es kommt nun zwar dabei
manches Fabelhafte vor; doch darf man nicht glauben, es ſei nur auf
eine Zuſammenſtellung von Märchen abgeſehen geweſen. Bei den in-
nerhalb der einzelnen Bücher im Allgemeinen alphabetiſch geordneten
Thieren werden vielmehr ebenſo gut eigenthümliche Structurverhältniſſe
wie biologiſche und ſonſtige Züge „nach denen bewährteſten Autoribus“,
wie man zu ſagen pflegte, aufgeführt. Kann daher auch das kleine
Schriftchen keinen Anſpruch auf irgend welche Vollſtändigkeit oder ſy-
ſtematiſche Anordnung des Mitgetheilten machen, ſo iſt es doch durch-
aus nicht ohne Intereſſe als Zeichen der Geſchmacksrichtung und des
weit verbreiteten Sinnes für Naturbetrachtung, ja ſelbſt nicht ganz
[299]Johannes Jonſtonus.
werthlos als Sammlung zahlreicher, kurz angeführter Stellen. In
Bezug auf eine Ausſprache eignen Urtheils iſt der Verfaſſer ſehr vor-
ſichtig. So erzählt er z. B. vom Elefanten nicht ſeine Beobachtungen,
trotzdem er anführt, einen ſolchen lebend in Amſterdam geſehen zu ha-
ben. Und über die Baumgans theilt er zwar einen Auszug aus der
Schrift des Michael Maier mit, überläßt indeſſen dem geneigten Leſer
ſelbſt zu entſcheiden, was wohl etwa an der ganzen Geſchichte ſein
könnte. Aehnliches findet ſich noch öfter.
Von größerer Bedeutung und auch von ausgedehnterer Verbrei-
tung war das große zoologiſche Sammelwerk, welches Jonſton um die
Mitte des ſiebzehnten Jahrhunderts erſcheinen ließ und welches ſeinen
Namen dem Gesner's und Aldrovandi's anreihte. Es umfaßt ſämmt-
liche Thiergruppen, war aber anfangs nicht als ein Ganzes aufgefaßt,
ſondern wurde nach und nach in ſeinen einzelnen Theilen als Geſchichte
der Fiſche, der blutloſen Waſſerthiere, der Vögel, der Vierfüßer, der
Inſecten und der Schlangen veröffentlicht. In ſpäteren Auflagen erſt
erhielt es den Titel eines Univerſaltheaters der Thiere. Es erſchien
lateiniſch und wurde auch nur in das Holländiſche, der Theil von den
Vögeln auch in das Franzöſiſche überſetzt31). Die Tafeln geben aber
außer den lateiniſchen Namen der Thiere noch deren deutſche Bezeich-
[300]Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen.
nung. Die Schilderung der einzelnen Arten iſt bei Jonſton viel kürzer
zuſammengedrängt, als bei ſeinen Vorgängern. Es findet ſich hier
nicht die Spaltung des Textes in zahlreiche einzelne Rubriken, ebenſo-
wenig wie der bei Gesner hervortretende Aufwand von Gelehrſamkeit.
Zwar werden reichlich Citate und Verweiſungen auf andere Autoren
beigebracht; doch iſt faſt Alles weggelaſſen, was nicht zur Naturge-
ſchichte, Benennung und mediciniſchen Verwendung gehört. Das Letz-
tere ſpielt noch immer eine große Rolle und weiſt darauf hin, daß zwar
die Thiere nicht ſtreng genommen als „Simplicia“ den pflanzlichen
Heilmitteln an die Seite geſtellt wurden, daß aber ihre Heilwirkung
doch noch immer ein Aushängeſchild war, unter welchem Schriften
über das ganze Thierreich einen größeren Leſerkreis zu finden glauben
durften. Eigene Beobachtungen ſind kaum bei Jonſton zu bemerken;
auch iſt die von ihm geübte Kritik nicht ſchärfer als bei Aldrovandi.
Der allgemeine zoologiſche Standpunkt iſt gleichfalls derſelbe. Gattung
und Art haben noch keine andere Bedeutung erhalten, ſie gelten auch
hier noch als Bezeichnungen für formale Unterordnung. Anatomiſche
Verhältniſſe werden nur ſoweit berückſichtigt, als ſie von den Gewährs-
männern dargeboten werden und ſind nicht ſelbſtändig nachunterſucht
worden. In Bezug auf die Claſſification iſt nur inſofern ein Unter-
ſchied gegen Aldrovandi eingetreten, als Jonſton bei der außerordent-
lichen Kürzung der ganzen Darſtellung einige Abtheilungen ſchärfer
hervortreten läßt, ohne ſie jedoch deutlicher zu charakteriſiren. Von
einer etwaigen Verwendung anatomiſcher Merkmale iſt nirgends etwas
Weiteres zu bemerken. Die Abbildungen ſind die Gesner'ſchen und
Aldrovandi'ſchen, zu denen noch mehrere Originale und Copien, vor-
züglich aus Reiſewerken (Marcgrav u. A.) kommen. Während aber
bis jetzt bei umfaſſenden Werken nur Holzſchnitt angewendet war, er-
ſcheint hier (wie auch bei mehreren der ſpäter zu ſchildernden Special-
werke) der Kupferſtich. Als Künſtler wird auf dem Titel wie auf vielen
Tafeln Matthias Merian (der jüngere) angegeben32). Die Figuren
[301]Johannes Jonſtonus.
ſind ſehr ſauber gezeichnet und bieten im Ganzen einen entſchiedenen
Fortſchritt dar. Doch ſind freilich noch nicht alle Thiere nach dieſen
Abbildungen ſicher wiederzuerkennen und zu beſtimmen, da eben gar
manches Einzelne für ganz unwichtig galt, was ſpäter von der größten
Bedeutung für die Unterſcheidung verwandter Formen geworden iſt.
Geht man auf Einzelnes näher ein, ſo erſcheint zuerſt die Anord-
nung der Fiſche inſofern logiſcher als bei Aldrovandi, als hier der
Aufenthaltsort conſequent nur in Bezug auf die Waſſerart zur Einthei-
lung benutzt wird. Jonſton gibt daher nur drei Claſſen: Seefiſche,
Fiſche, welche ſowohl im Meere als in Flüſſen leben, und Süßwaſſer-
fiſche. Die beiden Aldrovandi'ſchen Claſſen der um Felſen und am
Strande lebenden Fiſche werden hier nur zu Unterordnungen. Den
drei Claſſen fügt Jonſton noch eine vierte mit ausländiſchen Fiſchen zu,
welche vorzüglich die braſilianiſchen Arten aus Marcgrav's Werk ent-
hält. Er betrachtet ſie aber nicht als ſelbſtändige Claſſe, ſondern ſagt
ausdrücklich, daß ſich dieſe Fiſche wohl in die andern Claſſen hätten
einordnen laſſen, wenn ihm das Marcgrav'ſche Werk rechtzeitig bekannt
geworden wäre. Die Vertheilung der einzelnen Arten in die Claſſen,
Titel und Kapitel iſt durchaus nicht immer naturgemäß. So bringt er
unter den Seefiſchen (mit drei Titeln: pelagiſche, Felſen- und Strand-
fiſche), und zwar unter den pelagiſchen, die Haie zu den glatten, die
Rochen zu den platten und vereinigt mit letztern auch Lophius, wäh-
rend er den Sägefiſch (mit einer fabelhaften Abbildung) zu den Wal-
thieren bringt. Letztere trennt er zwar ſcharf von den Fiſchen, er ver-
einigt aber auch die Robben und das Walroß mit ihnen. Die blut-
loſen Waſſerthiere vertheilt er wie Aldrovandi in die vier Wot-
ton'ſchen Claſſen der Weichthiere (Cephalopoden), Kruſter, Schalthiere
und Zoophyten. Auf den zugehörigen Tafeln finden ſich dieſelben Fi-
guren, zum Theil verkleinert, zuſammengeſtellt, welche bei Gesner,
Aldrovandi, Rondelet vorkommen. Auch bei der Claſſification der
Vögel macht ſich etwas mehr Conſequenz bemerkbar, da Jonſton die
Ernährung, Schwimm- und Spaltfüßigkeit ſtrenger hervorhebt; freilich
ohne dadurch an der Zuſammenſtellung der Gruppen weſentlich zu än-
dern. Er beginnt mit den Fleiſchfreſſern, läßt dann die Pflanzenfreſſer,
[302]Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen.
dann die Inſectenfreſſer, welche beide er in ſingende und nicht ſingende
trennt, jedoch nach ziemlich willkürlicher Art, endlich die Schwimm-
füßler und Spaltfüßler folgen. Wie bei den Fiſchen hängt er hier noch
ein Buch an mit ausländiſchen, beſonders amerikaniſchen Vögeln, wo
die Paradiesvögel, der Caſuar (beides nach den bekannten Abbildun-
gen), der Dodo (nach van Neck's Figur) und der Colibri, Tomineius
und Pinguin nach Marcgrav geſchildert werden. Ein Anhang handelt
von den fabelhaften Vögeln, Greife, Harpyien u. ſ. w. Würger, Zie-
genmelker, Strauß, Fledermaus erſcheinen hier an denſelben Orten in
ſeiner Aufzählung wie bei Aldrovandi. Die auffallendſten Kürzungen
machen ſich, wenn man die entſprechenden Theile von Aldrovandi's
Werk mit Jonſton's vergleicht, bei den Vierfüßern geltend. Wäh-
rend dort für jede der drei auf die Beſchaffenheit der Füße gegründeten
Claſſen ein ſtarker Band vorhanden war und in einem ähnlichen auch
die eierlegenden Vierfüßer geſondert geſchildert wurden, ſind dieſe Grup-
pen hier nur in einzelnen Büchern eines mäßigen Bandes abgehandelt.
Die Einhufer beginnen, dem folgen die Zweihufer und die Spaltfüßer,
Digitata, und die Eierlegenden machen den Beſchluß. Die Anordnung
im Einzelnen erinnert ganz an Aldrovandi. Zu den Einhufern rechnet
auch Jonſton das Einhorn und den Elefanten, trotzdem er von letzterem
beſſere und in Bezug auf die Füße etwas richtiger gezeichnete Abbil-
dungen gibt. Die Zweihufer theilt auch er in Land- und Waſſerthiere,
führt aber nun wirklich den Hippopotamus als einzigen Vertreter der
letzteren hier auf. Den erſteren rechnet auch er, wie Aldrovandi, das
Schwein zu. Die Digitata trennt er in wilde, halbwilde und zahme;
zu den letzteren gehören Hund und Katze und außerdem mehrere dieſen
verwandte kleinere wilde Formen, wie die Zibethkatze u. a. Bei den
halbwilden Spaltfüßern gehen Nagethiere und Wieſel, Faul- und Gür-
telthiere, Meerſchweinchen und andere Formen, der entſprechenden
Größe nach, bunt durcheinander. Es fehlt eben noch ganz der natur-
hiſtoriſche Blick, der auch ohne Kenntniß anatomiſcher Uebereinſtim-
mung äußere Merkmale zur Erfaſſung verwandtſchaftlicher Beziehun-
gen zu benutzen ſucht. Die eierlegenden Vierfüßer zerfallen in ſolche,
welche eine häutige, und ſolche, welche eine harte äußere Bedeckung ha-
[303]Johannes Jonſtonus.
ben. Letztere Gruppe wird nur von den Schildkröten gebildet, während
zur erſtern Froſch, Eidechſe, Salamander, Chamäleon, Krokodil u. a.
gehören. Auch bei den Inſecten iſt die Eintheilung etwas conſequenter
als bei den Früheren. Sie werden zunächſt in Land- und Waſſerfor-
men getheilt, erſtere dann wieder in ſolche mit Flügeln und Füßen, mit
Füßen, aber ohne Flügel und ſolche ohne Füße und ohne Flügel. Hier-
durch erhält er vier Claſſen, von denen die erſte, Inſecten mit Füßen
und Flügeln, nach dem Fehlen oder dem Vorhandenſein von Flügel-
decken in zwei Gruppen getheilt wird. Die Gruppe ohne Flügeldecken
bilden die Bienen, Libellen, Wanzen, Schmetterlinge und Fliegen,
unter welch' letzteren auch einige Ichneumoniden erſcheinen. Die zweite
durch das Vorhandenſein von Flügeldecken charakteriſirte Gruppe ma-
chen die Heuſchrecken und Käfer aus. Zu den Landinſecten mit Füßen
aber ohne Flügel gehören nach Jonſton Ameiſe, Skorpion, Spinnen
u. a., ebenſo auch die Raupen. Von letzteren führt er mehrere Ent-
ſtehungsarten an; ſo ſollen ſie nach Ariſtoteles und der Anſicht einiger
Andern aus den grünen Blättern, z. B. des Kohls, nach Plinius aus
verdichtetem Thau entſtehen, während Andre ſie aus Schmetterlingen
hervorgehen laſſen. Er ſagt hier ausdrücklich, daß er nicht zweifle, ſie
könnten auf jede dieſer Arten ihren Urſprung nehmen33). Unter den
Waſſerinſecten finden ſich auch hier wieder Seeſterne, Meerwürmer,
Lamprete, Meernadel und Hippocampus neben Waſſerwanzen und
im Waſſer lebenden Inſectenlarven. Das Schlangenbuch endlich
wird in zwei Abſchnitte getheilt, von denen der eine die gewöhnlichen
kleinen Schlangen, der andere die Drachen umfaßt. Auch hier ſchließt
ſich Jonſton faſt ganz an Aldrovandi an, indem er nur noch vollſtän-
diger die bis zu ſeiner Zeit erſchienenen Abbildungen (u. A. wieder
mehrerer amerikaniſchen Formen) zuſammenſtellt. Er gibt dabei auch die,
nach Aldrovandi verkleinerte Figur des Skelets einer Natter, an wel-
cher aber hier ebenſo wie an ſeinem Original außer der Trennung der
beiden Unterkieferäſte gar nichts von oſteologiſchem Detail zu ſehen iſt.
[304]Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen.
Mit Jonſton's Werke ſchließt die Reihe der eigentlichen encyklo-
pädiſchen Darſtellungen ab34), welche bis zur formalen Neubegründung
der Zoologie den ausgebreitetſten Einfluß auf die wiſſenſchaftlichen An-
ſichten äußerten. Sie waren alle inſofern einſeitig, als ſie trotz aller
gelehrten Zuthaten, mehr oder weniger vorwiegend die äußere Beſchrei-
bung der einzelnen Thiere bezweckten, ohne auf deren Bau und Ent-
wickelung, ſowie auf die zeitliche Aufeinanderfolge der verſchiedenen
Formen irgendwie in bewußter Weiſe Rückſicht zu nehmen. Die Wieder-
erkennung der in ihnen geſchilderten Arten wird zwar durch die Abbil-
dungen ſowie durch ausführliche Mittheilung einzelner Züge aus ihrem
Leben in den meiſten Fällen ziemlich geſichert. Doch bieten bei man-
chen Formen der Mangel des Begriffes der Art ſowie einer wiſſen-
ſchaftlichen Definition und Namengebung gewichtige Hinderniſſe dar
für eine zweifelloſe Beziehung dieſer früheſten Berichte über auslän-
diſche Arten auf ſpäter ſyſtematiſch beſchriebene. Natürlich ſchöpften
dieſe Thierbücher hinſichtlich einzelner Claſſen ihr Material vorzüglich
aus Einzelſchilderungen derſelben. Sie konnten nun zwar dieſe, wenn
nicht ausgedehnte Specialunterſuchungen zur Beſtätigung oder Berich-
tigung zu Hülfe genommen wurden, nicht völlig erſetzen und ihrem
wiſſenſchaftlichen Werthe nach überflügeln; ſie mußten aber durch die
umfaſſende Art der Mittheilung, durch welche die Leſer ſofort dem ge-
ſammten Thierreich, zum Theil in ſeinen ſämmtlichen Beziehungen zu
andern Wiſſensgebieten, gegenübergeſtellt wurden, eine nachhaltigere
Wirkung ausüben. Spätere Monographen werden daher wohl bei Au-
toren, wie Belon, Rondelet u. A., anknüpfen müſſen. Wie ſich aber
das Intereſſe im Allgemeinen nicht auf einzelne Claſſen beſchränkte,
werthvolle Einzelarbeiten ja auch nur über Fiſche, höchſtens noch über
Inſecten erſchienen, ſo konnte dem weiteren Bedürfniß nach genauerer
Kenntniß der Thierwelt in allen ihren Geſtalten nur durch derartige
Sammelwerke begegnet werden. Sie dienten ſo lange, bis die große,
[305]Johann Sperling.
nun mit faſt jedem Jahrzehnt bedeutender zunehmende Menge neuer
Formen auch ganz neue Mittel der Orientirung erforderte.
Neben den umfangreichen und wenngleich wiederholt gedruckten
doch immer nicht in die Hände der Lernenden kommenden Encyklopädien
traten aber ſchon in der vorliegenden Zeit kürzer gehaltene Schriften
auf, welche nach Art der ſpätern Handbücher in compendiöſer Weiſe
das Wiſſenswürdigſte überſichtlich darzuſtellen ſuchten. Ob zu dieſer
Claſſe ein Werk Heinrich von Hövel's gehört35), welches „die
Natur und Eigenſchaften der Thiere“ beſchrieb, auch mit Holzſchnitten
verſehen war, läßt ſich ohne Anſicht des wie es ſcheint ſelten geworde-
nen Buches nur vermuthen. Recht eigentlich als Hülfsbuch für Stu-
dirende ſtellt ſich dagegen das Buch des Wittenberger Profeſſor Jo-
hann Sperling dar, welches ſchon nach der Form und der An-
ordnung des Stoffes als einen praktiſchen Zweck verfolgend gekenn-
zeichnet wird. Joh. Sperling war im Jahre 1603 geboren, wurde
Profeſſor der Naturwiſſenſchaft (Phyſik) in Wittenberg und ſtarb als
ſolcher 1658. Die Zoologia physica gab nach ſeinem Tode (1661)
der Profeſſor der Eloquenz Georg Kaspar Kirchmaier heraus36),
welcher ſelbſt wegen einiger zoologiſchen Arbeiten noch zu erwähnen ſein
wird. Die ganze Anlage iſt ſtreng methodiſch, wie ſie ſpäter vielfach
wiederholt und durchſchnittlich wohl bei allen ähnlichen Compendien zu
Grunde gelegt wurde. Das Proömium ſowohl als die beiden Haupt-
theile, ein allgemeiner und ein ſpecieller, geben immer zuerſt das Wiſ-
ſenswerthe in der Form von Lehrſätzen oder Präcepten, welche dann
durch einzelne mit ausführlichen Antworten verſehene Fragen näher
erörtert werden. Zuweilen werden auch noch beſondere Axiome dieſen
Auseinanderſetzungen angereiht. Die Einleitung beginnt mit einer De-
V. Carus, Geſch. d. Zool. 20
[306]Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen.
finition der „phyſiſchen Zoologie“ und deren Eintheilung. Die Zoologie
iſt danach die Wiſſenſchaft von den Thieren (bruta) ſofern ſie Natur-
körper ſind; ſie wird in einen allgemeinen und einen ſpeciellen Theil
geſchieden, wovon der erſte das Thier als ſolches (in genere) betrachtet
und deſſen Natur erörtert, während der zweite die Thierarten (species)
und deren Naturen darſtellt. Daß auch hier noch nicht von Species
und Genus als natürlicher ſyſtematiſcher Gruppen im ſpäteren Sinne
die Rede iſt, beweiſt die nähere Erklärung deſſen, was im ſpeciellen
Theile zu behandeln iſt. Hier heißt es ausdrücklich: „die Bibel bezeugt,
daß Salomon von den Säugethieren, Vögeln, Reptilien und Fiſchen
gehandelt habe. Dies ſind jene „Species“, unter welchen zahlreiche an-
dere einbegriffen werden“. Nicht ohne Intereſſe für die Beurtheilung
der damaligen ſogenannten wiſſenſchaftlichen Zoologie iſt es, daß in
einem der Axiome, welche dieſem erſten Kapitel der Einleitung ange-
hängt ſind, der Satz erwieſen wird, daß die Zoologie eine ſehr ſchwie-
rige Wiſſenſchaft ſei. Dabei wird vorzüglich auf die große Zahl der be-
ſchriebenen Thierformen, mit ihren Namen, Kräften und Thätigkeits-
äußerungen hingewieſen und namentlich angeführt, es ſeien allein vier-
zig Gattungen Käfer, fünfzig Gattungen Raupen, ſiebzig Gattungen
Fliegen und von Schmetterlingen über hundert Gattungen beobachtet
worden37). Nachdem nun feſtgeſtellt iſt, was Zoologie ſei, unterſucht
Verfaſſer im zweiten Kapitel, was das Thier ſei. Dabei wird der Be-
griff brutum dem andern, animal, als einem höheren untergeordnet
und durch den Zuſatz „unvernünftig“ näher bezeichnet. Ein Thier im
Allgemeinen, nämlich animal, iſt ein belebter empfindender Körper,
und danach iſt der Menſch ebenſogut ein animal wie der Löwe. Menſch
und unvernünftiges Thier ſind daher keine contradiſtincten Species;
wohl aber Menſch, unvernünftiges Thier (brutum) und Pflanze. Es
iſt dies vielleicht die erſte Andeutung einer Auffaſſung von der Stellung
[307]Johann Sperling.
des Menſchen, wie ſie ſpäter zur Bildung eines beſondern Naturreichs
für ihn führte. Im erſten allgemeinen Theile wird nun zuerſt von der
Thierſeele, dann vom Thierkörper gehandelt. In Bezug auf die See-
lenäußerungen wird nach ſpiritualiſtiſcher Auffaſſung die ganze Lehre
von den Sinnen, den Affecten, der Locomotion durchgegangen, ohne
jedoch, wie es ja bei letzterer z. B. nahe gelegen hätte, das Zuſtande-
kommen der einzelnen Erſcheinungen aus dem Baue der betreffenden
Organe abzuleiten. Dabei kommen zwar Aeußerungen vor, welche wei-
tern Unterſuchungen wohl hätten als Ausgangspunkte dienen können,
wie Verfaſſer z. B. ſagt, daß zwar Gott im Anfang die Seelen der
Thiere mit ihren Körpern erſchaffen habe, daß ſie aber ſpäter bei der
Fortpflanzung erſt mit entſtünden. Doch heißt es an einer andern
Stelle wieder, beim Schließen des einen Auges werde das andere
größer wegen des Eintritts größerer Mengen „Spiritus“. Daß die
Fiſche hören, daß alſo das Hören unter Waſſer möglich und wahr ſei,
wird aus der Thatſache gefolgert, daß man Fiſche durch Läuten mit
einer Glocke an einen beſtimmten Fütterungsort rufen kann. Von
Muskeln iſt hier bei der Locomotion ebenſowenig die Rede, als im
zweiten Kapitel, wo der Körper der Thiere beſprochen wird. Es werden
feſte, oder andere enthaltende, und flüſſige, oder in andern enthaltene
Theile unterſchieden und ihnen als dritte Gruppe noch Anſtoß gebende
Theile, Spiritus, an die Seite geſtellt. Letztere ſind natürliche, vitale
und animale Spiritus. Man ſieht, daß es noch vollſtändig an klaren
phyſiologiſchen Vorbegriffen fehlte, daß man vielmehr meinte, um Le-
benserſcheinungen erklären zu können, müſſe man im alten Galeniſchen
Sinne zu unbekannten räthſelhaften Einflüſſen ſeine Zuflucht nehmen.
Der zweite ſpecielle Theil des Sperling'ſchen Werkes iſt dadurch nicht
unintereſſant, als der Verfaſſer zum erſtenmale verſucht hat, die auf-
gezählten Thierarten durch kurze präciſe Definitionen, welche er auch
hier in den „Präcepten“ voranſtellt, zu charakteriſiren und dieſe dann
durch weitere Ausführungen näher zu erläutern. Es macht ſich aber
dabei ſowohl eine völlige Vernachläſſigung der wichtigern äußeren zoo-
logiſchen Merkmale als eine Unbekanntſchaft mit ſelbſt leichter zu er-
mittelnden anatomiſchen Verhältniſſen geltend, wenn er z. B. gegen
20*
[308]Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen.
den Gebrauch aller ſeiner unmittelbaren Vorgänger die Vierfüßer zwar
als „Gangthiere mit Kopf, Hals, Rücken, Bauch und vier Beinen“ de-
finirt, das Verhältniß ihrer Fortpflanzung aber ganz vernachläſſigt
und Eidechſe, Salamander, Froſch zwiſchen die andern Vierfüßer hin-
einſtellt. Und die Diagnoſen, ſelbſt wenn man die Präcepte, welche die
einzelnen Thiere charakteriſiren ſollen, ſo nennen darf, ſind ohne Rück-
ſicht auf Merkmale entworfen, welche einigermaßen ſicher und von der
Körperbeſchaffenheit, auch ohne anatomiſche Unterſuchungen zu fordern
oder vorauszuſetzen, ableitbar wären. Bei den Vierfüßern wird häufig
(bei den Vögeln ausnahmslos) die Art der Laute, welche die Thiere
äußern, bezeichnet. So heißt es beim Wolfe, er ſei ein vierfüßiges Thier,
welches heule, ſehr räuberiſch, ſehr gefräßig und den Schafen ſehr
feindſelig ſei; vom Hunde, er ſei ein vierfüßiges Thier, welches belle,
geſcheidt, wachſam ſei und ſeinem Herrn wunderbar ſchmeichle. Die
einzelnen Arten werden auch hier der Größe nach abgehandelt und kom-
men daher bei den kleineren Arten Katze, Haſe, Eichhörnchen, Wieſel
ohne Rückſicht auf etwaige Verwandtſchaft durcheinander; ja es werden
ſogar ihrer Größe entſprechend wie erwähnt Eidechſe und Froſch vor
dem Maulwurf und der Maus beſprochen. Das Gleiche gilt auch für
die Vögel im Allgemeinen38). Wie bei Früheren beginnen zwar auch
bei Sperling der Adler, Habicht, Geier, dann folgt der Strauß, Kra-
nich, Storch, Reiher; auch der Schwan und die Gans ſtehn noch neben
einander; aber auf die letztere folgt der Pfau, der Truthahn, der Hahn
und dann erſt kommt die Ente an die Reihe. Die Fiſche charakteriſirt
der Verfaſſer als ſchwimmende Thiere mit Kiemen, Floſſen, Schuppen,
Gräten und einer Blaſe im Bauche (alſo der Schwimmblaſe). Doch
iſt er hier nicht conſequent. Denn im nächſten Kapitel werden die
Waſſerthiere abgehandelt, und da heißt es: der Wal iſt der größte im
Meere lebende Fiſch, mit Lungen und lebendige Junge gebärend. Dazu
gehört der Delphin, der Walfiſch, die »phocaena orca etc.« Beim Lachs
welcher im folgenden Kapitel geſchildert wird, gedenkt er nun des oben
[309]Johann Sperling.
vorausgehenden und auch der in der allgemeinen Charakteriſtik erwähnten
Kiemen nicht noch einmal beſonders. Die Wale nehmen alſo bei ihm eine
Ausnahmeſtellung ein. Der Abſchnitt über die Fiſche iſt übrigens, wie
die folgenden, ſehr kurz. Ihm iſt ein Appendix angefügt, welcher den
Krebs ſchildert. Die Reihe der Schlangen eröffnet der Drache, wel-
cher als die größte Schlange bezeichnet wird. Daß er Flügel habe,
verneint Sperling, fügt indeſſen hinzu, daß er nicht leugnen wolle, der
Satan könne unter der Geſtalt eines geflügelten Drachen den Uebel-
thätern erſchienen ſein. Von eigentlichen Schlangen werden dann nur
Aspis, Vipera und Natrix angeführt. Den Beſchluß des Ganzen ma-
chen die Inſecten, welche er ganz richtig als durch die Körpereinſchnitte
charakteriſirt hinſtellt. Aufgezählt werden Biene, Ameiſe, Spinne,
Fliege, Schmetterling, Heuſchrecke, Wurm, Wanze und Laus. Das,
was Sperling in dieſer, nach ſeinen Vorleſungen entworfenen Schrift
bietet, iſt nun allerdings dürftig; doch mag es wohl für das angeſehen
werden können, was man bei der erſten Einführung in die Kenntniß
vom Thierreich für das Nothwendigſte oder Wiſſenswertheſte hielt. Von
Intereſſe iſt es zu ſehen, daß zu Sperling's Zeit die Idee von der Zer-
ſtörung gewiſſer Thierarten durch die Sindfluth ſich zu verbreiten be-
gann. Er theilt beim Einhorn mit, daß es Leute gebe, welche glaubten,
es ſei das Einhorn in der Sindfluth untergegangen und es fände ſich
jetzt nur noch das Horn. Doch fügt er abwendend und belehrend hinzu,
die Sorgfalt des Schöpfers ſei ſo groß, daß keine Art untergehe.
Es fehlt leider an Nachrichten, wie die vorſtehend beſprochene
Schrift im Allgemeinen aufgenommen worden iſt. Aus anderweitigen
Thatſachen geht aber hervor, daß in Folge der beſtändigen Religions-
wirren und namentlich während der nach dem dreißigjährigen Kriege
über ganz Mitteleuropa hereinbrechenden geiſtigen Abſpannung eine
Beſchäftigung mit der Natur vielfach als eine Erholung und Erquickung
angeſehen und benutzt wurde. Durch die ſich langſam vergrößernde
Zahl der bekannten und bald auch häufig genannten Thierformen ge-
wann auch allmählich eine eingehendere Behandlung die Oberhand ge-
genüber der oberflächlichen Schilderung einzelner Züge aus der Thier-
geſchichte, wie ſie theils, oft genug wohl mehr der Unterhaltung und
[310]Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen.
Vollſtändigkeit wegen in Reiſeberichten, theils beiläufig neben andern
Sachen in mediciniſchen Schriften mitgetheilt wurden. Es fand in-
deſſen, wie ſchon früher angedeutet, im vorliegenden Zeitraume eine
Richtung der Zoologie eine beſondere Entwicklung, welche urſprünglich
freilich ohne große Anſprüche auf ſelbſtändige Förderung der Thier-
kenntniß doch am Schluſſe der Periode zu einem der gelehrteſten Werke
führte, welche die hiſtoriſche Zoologie überhaupt aufzuweiſen hat. Es
iſt dies die bibliſche Zoologie. Es wurden dabei entweder die
Thiere den Laien direct vorgehalten und an ihrem Beiſpiel die Lehre
erläutert, daß ſich der chriſtliche Leſer auch an der unvernünftigen
Creatur ein Beiſpiel und eine Warnung nehmen könne, oder ſie wurden
dem praktiſchen Geiſtlichen geſchildert, daß er die zahlreichen fruchtbaren
Symboliſirungen beſſer anknüpfen lernen und mit mehr Nachdruck auf
die wunderbare Weisheit im Bau und Leben der Thiere hinweiſen könne.
Allmählich knüpfte ſich aber das beſondere wiſſenſchaftliche Intereſſe
an derartige Beſprechungen, daß man zu unterſuchen begann, welches
denn eigentlich und wirklich die in der Bibel erwähnten, meiſt nur
durch Ueberſetzungen aus dritter Hand dem Namen nach bekannten
Thiere ſeien. Es berührten ſich dabei hiſtoriſche und philologiſche Un-
terſuchungen mit zoologiſchen in einer gegenſeitigen Durchdringung,
wie ſie in gleicher Weiſe kaum je wieder aufgenommen worden ſind.
„Endlich iſts auch ein grober Unverſtand und Misbrauch, das
Viehe ſey nur um des Bauchs willen erſchaffen. So doch Gott auch
vieler anderer Urſachen wegen die Thiere uns zu praeceptores und
Lehrmeiſtern hingeſtellt hat“. So ſchreibt der Pfarrherr in der H.
Reichsſtadt Schweinfurt Hermann Heinrich Frey im Jahre
1595 und fügt hinzu: „Wider dieſe und vergleichen Irrthumen und
Misbräuche iſt dieſes Bibliſche Thierbuch gerichtet. Sonderlich
aber wird darin angezeigt, wie ſie uns zu mancherlei Tugenden an-
mahnen und von den Laſtern abſchrecken.“ 39). Der ſo in der Vorrede
[311]Hermann Heinrich Frey.
ausgeſprochenen Abſicht iſt der Verfaſſer auch treu geblieben; denn von
naturgeſchichtlichen Bemerkungen kommt nur das zum Verſtändniß ein-
zelner Bibelſtellen allernothwendigſte vor. Wird ein Thier nur ein-
oder zweimal in der Bibel erwähnt, ſo begnügt ſich Frey auch wohl
damit, auf die Stelle hinzuweiſen und namentlich bei ſtreitiger Ausle-
gung des Mangels der Uebereinſtimmung in der Erklärung zu geden-
ken. Man darf daher bei Frey keine ſtrenge Eintheilung und keine con-
ſequent durchgeführte, auf zoologiſche Merkmale gegründete Reihenfolge
erwarten, wenn gleich er wohl auf der andern Seite in der Unordnung
zu weit geht. Er beginnt mit den reinen Thieren, welche vom jüdiſchen
Volke gegeſſen und geopfert werden durften, nämlich Schaf, Rind und
Ziege; dann folgen im zweiten Theile diejenigen reinen Thiere, welche
nur gegeſſen werden durften. Hier folgt Frey nicht mehr der jüdiſchen
Ordnung, ſondern beſpricht unter Andern auch den Hafen, welcher
„wohl wiederkäuet, aber die Klauen nicht ſpaltet“, daher unrein war.
„Von dieſem Verbot ſind wir Chriſten durch Chriſtum erledigt“. Der
dritte Theil handelt von den heimiſchen (d. i. zahmen) unreinen Thie-
ren, »jumenta genannt, die man zur Arbeit gewöhnt und braucht“, alſo
Pferd, Eſel, Maulthier, Kamel, Dromedar (Läufer), Elefant, Hund
und Katze. Im vierten Theile werden die wilden, ſchädlichen und reiſ-
ſenden Thiere beſprochen, Löwe, Panther, Einhorn, Bär, Wolf u. ſ. w.
Findet ſich nun auch in dieſen erſten vier Theilen gerade keine ſtreng
ſyſtematiſche Ordnung, ſo ſtört doch bei den einmal angeführten Ge-
ſichtspunkten kein gar zu buntes Durcheinandergehen. Im fünften
Theile hat ſich aber der Verfaſſer offenbar entweder nicht zu helfen ge-
wußt oder er hat die Thiere genommen, wie ſie ſich ihm zufällig boten.
Denn hier, wo es ſich um die „gifftigen, kriechenden Thiere, Würmer
und Ungeziefer“ handelt, folgen ſich Drache, Schlange, Baſilisk, Skor-
pion, Blindſchleiche, Eidechſe, Molch, Igel, Wieſel (letztere fünf ſogar
in einem Kapitel), Maus, Froſch und Kröte, Maulwurf, Schnecke,
Raupe u. ſ. w. In der Vorrede verſichert zwar Frey, ihm ſei „wohl
39)
[312]Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen.
bewußt, wie die Physici die Thiere nach ihren Unterſchieden zuſammen-
ordnen“; „weil dies aber ein bibliſch Thierbuch ſei, wolle er ſeinem
Gutachten nach dieſe Form und Weiſe gebrauchen“. Gegen die Tren-
nung der reinen und unreinen Thiere wäre allerdings, da es ſich hier
im Grunde um die Bisulca und Wiederkäuer gegenüber den andern
Säugethieren handelt, nichts einzuwenden. Aber die Unordnung unter
den giftigen und kriechenden Thieren und Ungeziefer wird der Pfarr-
herr ſchwerlich vertheidigen können. Es iſt auch nicht einzuſehen, wa-
rum eine rein willkürliche Reihenfolge dem chriſtlichen Leſer beſſer an-
muthen ſollte, als eine nach den Erfahrungen der Wiſſenſchaft aufge-
ſtellte. Die Anerkennung, auch von geiſtlicher Seite her auf die Natur
hingewieſen zu haben, ſoll aber dem Frey deshalb nicht verkümmert
werden. Es iſt ſein Buch auch dadurch wohl nicht ohne Einfluß auf
die Verbreitung des Geſchmackes an einer Beſchäftigung mit den Thie-
ren geblieben, als er die geſchilderten Arten einzeln in Holzſchnitten
hat darſtellen laſſen, welche der Zeichnung nach an die Amman'ſchen
Figuren erinnern.
War das Frey'ſche Buch für den Erbauung ſuchenden chriſtlichen
Leſer geſchrieben worden, ſo war ein zweites, viel weiter verbreitet gewe-
ſenes für den angehenden Prediger beſtimmt. Es iſt dies das Werk von
Wolfgang Franz, welcher als Doctor und Profeſſor der Theologie
in Wittenberg ſeine „Geſchichte der Thiere“ geradezu als für „Studirende
der Theologie und Diener des Worts“ beſtimmt bezeichnet hat40).
Wenn es alſo auch ſtreng genommen nicht zu den Werken gehört, von
denen aus eine ſelbſtändige Förderung in der wiſſenſchaftlichen Be-
handlung der Thiergeſchichte zu erwarten war, ſo verdient es doch ſchon
des Umſtandes wegen, daß es, wie in der Anmerkung angeführt, ſehr
[313]Wolfgang Franz.
oft gedruckt worden iſt, alſo in einem gewiſſen Sinne die zu ſeiner Zeit
herrſchende Auffaſſung repräſentirt, eine kurze Erwähnung. Man ſieht
hieraus, daß die Beſchäftigung mit den Thieren als eine den Menſchen
ſehr nahe liegende angeſehen worden ſein muß, ſonſt hätten die Beiſpiele
aus dem Thierleben und die Hinweiſe auf Vorgänge bei Thieren in
Predigten kaum eine Wirkung auf die Zuhörer verſprechen können.
Wie ſchon im Phyſiologus an die Natur der Thiere angeknüpft wurde,
um einzelne Lehren der chriſtlichen Moral zu verdeutlichen, ſo wird hier
den Geiſtlichen eine förmliche Anleitung gegeben, wie ſie in „bildlicher
Weiſe“ die einzelnen Züge aus dem Leben der Thiere benutzen können.
Dabei wird auch noch der praktiſche und wohlmeinende Rath gegeben,
nicht die ganze Predigt mit ſolchen Gleichniſſen zu durchſetzen, ſondern
ſolche ſtets nur mit Urtheil, Auswahl und von Zeit zu Zeit anzuwenden.
Man ſoll auch zuweilen den Namen und ſonſtige Eigenſchaften des Thie-
res verſchweigen, um durch bloße Andeutungen noch wirkſamer zu ſein.
Von einem zoologiſchen Standpunkte aus iſt es von Intereſſe, das mit-
getheilte Thierſyſtem anzuſehen. Die Thiere werden in vollkommene
und unvollkommene getheilt. Letztere ſind die Zoophyten, nämlich
Schwämme, Seeneſſeln u. ſ. f.; die vollkommenen ſind entweder ver-
nünftig, Menſch, oder unvernünftig. Die unvernünftigen Thiere ha-
ben den Körper getheilt, d. h. der Erklärung nach, ihr Kopf bildet mit
dem Körper kein Continuum, ſondern berührt ihn nur, Inſecten, oder
ſie haben einen ungetheilten Körper. Und dieſe letzteren ſind entweder
Amphibien, oder andersartig (aut amphibium, aut aliud), d. h. auf
ein einziges Medium angewieſen, alſo Vierfüßer, Vogel, Fiſch, Kriech-
thiere. Von dieſer Eintheilung geht aber Franz in der Ausführung ab,
indem er die Zoophyten mit den übrigen Waſſerthieren im dritten Ab-
ſchnitt unter der Aufſchrift Fiſche vereinigt. Innerhalb der einzelnen
Theile geht der Verfaſſer die Thiere nach ihrer Größe durch und beginnt
mit dem größten. Es wird genügen, wenn noch erwähnt wird, daß
ebenſowohl der Phönix als der Drache unter den geſchilderten Thieren
erſcheint. Vom Drachen wird ganz ruhig erzählt: er hat drei Reihen
Zähne in jeder Kinnlade. Einige Drachen ſind ungeflügelt, andere haben
Flügel, aber nicht mit Federn, ſondern nur mit floſſenartigen Haut-
[314]Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen.
falten. Dann weiter: „Soviel nun von den natürlichen Drachen.
Der Hauptdrache iſt der Teufel“ u. ſ. f.
Von ungleich größerer wiſſenſchaftlicher Tragweite als die in Vor-
ſtehendem geſchilderten Werke, deren Einfluß auf gemüthvolle Menſchen
gar nicht in Abrede geſtellt werden ſoll, waren doch die Bemühungen,
ſich über das klar zu werden, was für Thierarten denn eigentlich die
bibliſchen, (beſonders die altteſtamentlichen) Schriftſteller unter den
verſchiedenen in der Bibel vorkommenden Namen gemeint haben. Eine
lebendige Tradition gab es nicht, welche die Bedeutung ſolcher Worte,
wie Leviathan, Behemoth u. dergl. verſtändlich erhalten hätte, und die
Ueberſetzungen ſowohl der ſiebzig Dolmetſcher als Luthers giengen doch,
wie ſchon früher beim Phyſiologus erwähnt werden mußte, häufig ſehr
auseinander. Die eine Ueberſetzung ſprach von Schildkröten, wo die
andere nur Erdhaufen oder Altäre ſehen zu können glaubte, die eine
nahm ein Thier für die Hyäne, was die andere für einen ſprenklichten
Vogel hielt u. ſ. w. Ungemein natürlich war es da wohl, daß man
das Bedürfniß zu fühlen anfieng, einmal gründlich zu unterſuchen,
was der Sinn der hebräiſchen Worte ſei. Ziemlich reich iſt hier die
Litteratur über Einzelheiten. So haben in der vorliegenden Periode
z. B. über das Einhorn, meiſt unter Anſchluß an 5. Moſe, 33, 17,
wo das Horn des Einhorns ſchon von Tertullian als der Stamm des
Kreuzes Chriſti aufgefaßt wurde, ſowohl Zoologen als Philologen ge-
ſchrieben, der ältere Kaspar Bartholin, deſſen Sohn Thomas
Bartholin, der Leipziger Profeſſor Johann Chriſtian Stol-
bergk, der 1666 geſtorbene Gröninger Profeſſor Anton Deu-
ſing, endlich der oben ſchon genannte G. R. Kirchmaier. Es
würde zu weit führen, hier dieſe Schriften im Einzelnen zu verfolgen,
zumal eine ähnliche Reichhaltigkeit in Bezug auf Schriften über den
Drachen, Baſilisken u. a. zu verzeichnen wäre. So fleißig ſich aber
auch Einzelne mit dieſer Aufgabe beſchäftigt haben, wie z. B. Kirch-
maier, deſſen hierauf bezügliche Diſſertationen geſammelt an das
Sperling'ſche Handbuch angehängt wurden, wie Johannes Buſtaman-
tinus, welcher ein umfangreiches Buch nur über die Reptilien der hei-
ligen Schrift verfaßt hat, ſo wurden dieſe Bemühungen doch ſämmt-
[315]Samuel Bochart.
lich weit überragt von dem Werke Bochart's; das Hierozoikon
dieſes Mannes iſt noch jetzt nicht bloß in zoologiſch-hiſtoriſcher, ſon-
dern auch in litterariſcher Beziehung eine unerſchöpfliche Fundgrube41).
Samuel Bochart war 1599 in Rouen geboren, ſtudirte in Paris,
wurde Prediger in Caen in der Normandie, machte 1652 eine Reiſe
nach Schweden, kehrte nach Caen zurück und ſtarb dort 1667. Den
Reſultaten ſeiner Pariſer Studien in den claſſiſchen und orientaliſchen
Sprachen verdankt man nicht bloß die gründlichſte Unterſuchung der
hier einſchlägigen Fragen, ſondern auch den Abdruck einer großen An-
zahl bis jetzt nicht wieder veröffentlichter Stellen aus ſyriſchen und
arabiſchen Naturhiſtorikern, wie Aidemir Dſchildeki, Dſchahif, el
Sojuti u. ſ. f. Das Werk iſt nach den damals allgemein angenomme-
nen großen Thiergruppen eingetheilt und handelt im erſten Bande von
den lebendig gebärenden und den eierlegenden Vierfüßern, im zweiten
von den Schlangen, Inſecten, Waſſerthieren und fabelhaften Thieren,
welche in der Bibel erwähnt werden. Das erſte Buch enthält allge-
meine Einleitungen zu den einzelnen Thierclaſſen, welche unter An-
ſchluß an den hebräiſchen Text die verſchiedenen Körpertheile, die Le-
bensweiſe und ſonſtige Allgemeinheiten der betreffenden Gruppe ſchil-
dern. Die Säugethiere werden dann in zahme und wilde getrennt, ſo
daß z. B. der Onager von ſeinem nächſten Verwandten, dem zahmen
Eſel, weit entfernt wird. Es lagen aber Bochart andere Geſichtspunkte
vor, als die, die einzelnen Formen ſyſtematiſch zu gruppiren. Die ſehr
eingehenden und gründlichen Erläuterungen bei dieſen gehen nun nicht
bloß auf die Etymologie des Namens und die ſich daraus ergebenden
Bedeutungen deſſelben, ſowie auf deſſen Anwendbarkeit auf gewiſſe
Thierarten, nicht bloß auf die ganze Naturgeſchichte des betreffenden
Thieres, wie ſie ſich aus bibliſchen Stellen wie aus Aeußerungen an-
derer, claſſiſcher, orientaliſcher wie mehr moderner Autoren ergibt, ſon-
dern ſie ſind auch für allgemeine Culturgeſchichte älterer Zeiten äußerſt
[316]Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen.
belehrend. Das erſt erwähnte Moment gibt zunächſt den Deutungen,
wie ſie Bochart aufſtellt, eine Sicherheit, welche nur unter gleichem
Aufwande von vielſeitiger Gelehrſamkeit zu erſchüttern iſt. Wo noch
Zweifel übrig bleiben, ſind dieſelben in der Unſicherheit der ſprachlichen
Erklärung oder in der Unvollſtändigkeit des bibliſchen Berichtes begrün-
det. Verfaſſer hat ſich aber nicht darauf beſchränkt, nur das zu unter-
ſuchen, was genauer zu verfolgen durch den Wortlaut des bibliſchen
Textes geboten war. Zahlreiche, zuweilen höchſt ausführliche Excurſe
geben auch ein Bild von dem Culturzuſtand anderer antiker Völker,
ſoweit derſelbe auf die Stellung dieſer zu den Thieren Bezug hat, ſei es
in diätetiſcher oder moraliſcher oder poetiſcher Beziehung. Wenn nun
auch immerhin zugegeben werden mag, daß derartige Studien, von
einem einſeitigen fachgemäßen Standpunkte aus beurtheilt, für den
Fortſchritt der Zoologie im engern Sinne von keiner tief eingreifenden
Bedeutung geweſen ſind, ſo dürfte doch kein Zoolog, dem es um all-
ſeitige Förderung der Kenntniß von den Thieren zu thun iſt, ſich ſol-
chen Arbeiten gegenüber gleichgültig verhalten. Solch ungeheure Zeit-
räume, wie ſie die Wiſſenſchaft jetzt für das allmähliche Entſtehen der
Arten vorausſetzt oder verlangt, ſind allerdings unmöglich litterariſch
zu durchmeſſen. Aber Myriaden von Jahren ſetzen ſich aus Jahrtau-
ſenden zuſammen. Es iſt daher für die Geſchichte der Thiere jedenfalls
nicht ohne Werth, zuverläſſige Unterſuchungen darüber zu beſitzen, wie
unbefangene Menſchen die Form und Lebensart wenn auch im Ganzen
nur weniger Thierarten vor ungefähr drei Jahrtauſenden auffaßten
und in ihre theils hiſtoriſchen Erzählungen, theils poetiſchen Schilde-
rungen verwoben.
Mit Bochart ſchließt für den vorliegenden Zeitraum wie für lange
Zeit nachher, die Reihe der Unterſuchungen in Betreff einer litterari-
ſchen Geſchichte der Thiere ab. Es mag aber hier noch ein Werk er-
wähnt werden, welches zwar, zeitlich genommen, auf der Grenze der
Periode der Encyklopädien ſteht, auch in ſeiner Tendenz ſich nicht ſtreng
an die zuletzt geſchilderten Erſcheinungen anſchließt, aber doch noch am
meiſten mit ihnen verwandt iſt. Der Gründer des ſpäter ſo berühmt
gewordenen Muſeums des Collegio romano in Rom, der Würzburger
[317]Athanaſius Kircher.
Jeſuit Athanaſius Kircher hat in einem ausführlichen Buche die
Thiere beſprochen, welche in die Arche Noah's aufgenommen und da-
durch von der Zerſtörung durch die Sindfluth bewahrt wurden42).
Das Buch iſt gewiß für bibliſche Archäologie von Intereſſe; es enthält
einen Verſuch, nach den im bibliſchen Text vorhandenen Angaben die
Arche nachzuconſtruiren. Für die Geſchichte der Zoologie iſt es von
ſehr geringer Bedeutung. Der im Uebrigen ohne Zweifel geiſtvolle
Mann (es braucht hier nur an ſeine phyſikaliſchen Inſtrumente erinnert
zu werden) ſcheint ſich um die Thiere nicht gerade eingehend gekümmert
zu haben. Er gibt in ſeiner „Arche Noä“ eine ſorgfältige Aufzählung
der von Noah darin aufgenommenen Thierarten, fügt Abbildungen der-
ſelben in Holzſchnitt hinzu und ſtellt auch die Verhältniſſe dar, in wel-
chen ſie paarweiſe untergebracht wurden. Unter dieſen Thieren finden
ſich auch Sirenen und Greiſe; aber auch einige amerikaniſche Thiere.
Man muß wohl bekennen, daß nach dem Bochart'ſchen durchweg kriti-
ſchen und peinlich gewiſſenhaften Werke die Zuſammenſtellung Kircher's
einen keineswegs günſtigen Eindruck macht. Er hat zwar mit dieſem
Buche nicht als Zoolog auftreten wollen, durfte aber doch das nicht
vernachläſſigen, was bis zu ſeiner Zeit über Thiere bekannt geworden
war. Um den bibliſchen Bericht einer allgemeinen Fluth wirklich auf-
recht zu erhalten und ſcheinbar wiſſenſchaftlich zu vertreten, dazu ge-
nügte das Herbeiziehen einiger weniger außereuropäiſcher Formen nicht.
Das Bild von der Verbreitung zoologiſcher Anſchauungen würde
aber nur ein unvollkommenes ſein, wenn allein auf die Schriften Rück-
ſicht genommen werden ſollte, welche ausgeſprochenermaßen von Thieren
handeln wollten. So wenig hier eine vollſtändige Ueberſicht der betref-
fenden Fachlitteratur gegeben werden kann, ſo darf doch ein Hinweis
darauf nicht fehlen, daß man in der beſprochenen Zeit in Schriften,
welche ſich entweder überhaupt mit der Natur befaßten, oder auf Vor-
gänge in der Natur Bezug nahmen, auch eingehend der Thiere gedachte.
Von der Berückſichtigung anatomiſcher Verhältniſſe wird nachher be-
ſonders zu ſprechen ſein. Hier mag nur daran erinnert werden, daß
[318]Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen.
man bei allgemeinen Darſtellungen der Naturwiſſenſchaften auch die
Thiere nicht vergaß. Ein damals oft genanntes Buch ſolcher Art war
z. B. Daniel Sennert's Grundriß der Naturwiſſenſchaft43). Es
umfaßt daſſelbe die geſammte Natur in ſyſtematiſcher Ueberſicht und
gibt auch (von S. 559 an) einen Abſchnitt über die Verſchiedenheiten
der Thiere. In ſehr verſtändiger Weiſe wird hier, allgemein im An-
ſchluß an Ariſtoteles, wenn auch nicht direct nach demſelben, das Wich-
tigſte von dem Unterſchiede der thieriſchen Form und des thieriſchen
Baues mitgetheilt. Ziemlich ausführlich, aber in ganz anderer Weiſe
ſich dem Gegenſtande nähernd, bringt auch Julius Cäſar Sca-
liger viel Zoologiſches in ſeiner Schrift gegen Hieronymus Carda-
nus44). Die Kapitel 182-244 ſind vollſtändig den Thieren und ein-
zelnen von Cardanus angeregten Fragen über dieſelben gewidmet. Doch
kommen noch an andern Stellen Auseinanderſetzungen über Einzelnes
vor; ſo in der 33. Exercitatio über Giftſchlangen, in der 344. über
den Wolf, wo Scaliger nach eigner Erfahrung die Fabel zurückweiſt,
daß der Blick des Wolfes den Erblickten ſtumm mache; ſo die 354., wo
die Angabe widerlegt wird, daß die Katze ihre Pupille willkürlich erwei-
tern und verengern könne, und zwar weil hier keine Muskeln vorhan-
den wären. Dieſe wenigen Beiſpiele mögen genügen, um zu zeigen, daß
eine beträchtliche Menge zoologiſcher Vorſtellungen in das allgemein
wiſſenſchaftliche Bewußtſein eingetreten war. Vorzüglich Scaligers
Buch iſt hier nicht bedeutungslos.
Es wurde oben der Thierabbildungen aus den früheren Jahren
der hier geſchilderten Periode gedacht. Ein paar Worte mögen noch in
Bezug auf die Weiterentwickelung der zoologiſchen Abbildung in der
erſten Hälfte des ſiebzehnten Jahrhunderts eingefügt werden. Wenn
auch zur Illuſtration umfangreicherer Darſtellungen noch immer der
Holzſchnitt benutzt wurde, ſo tritt doch jetzt auch der Kupferſtich in aus-
[319]Zoologiſche Abbildungen.
gedehnter Weiſe als Vervielfältigungsmittel auf. Dabei iſt hervorzu-
heben, daß ſich in dieſer Zeit auch bekanntere Meiſter mit der bildlichen
Darſtellung von Thieren abgaben. Man wird allerdings vielleicht nur
irrigerweiſe zu dieſer Annahme geführt in Folge des Umſtandes, daß
man die Verfertiger der früheren Zeichnungen nur zum Theil gekannt
hat und daß von den älteren Malern nur Thierbilder auf die Neuzeit
gekommen ſind. Immerhin iſt aber die Betheiligung beſonders der rea-
liſtiſchen Holländer ein hervorragendes Moment für die Geſchichte der
naturhiſtoriſchen Abbildung. Einer der früheſten Meiſter, von welchem
Stiche von Thieren bekannt ſind, iſt der ältere Abraham de Bruyn
(geboren 1540 in Antwerpen). Man kennt von ihm eine Folge von
zwölf Blättern (10 Bl. Vierfüßer mit lateiniſchen Diſtichen und 2 Bl.
Inſecten). In gleicher Weiſe zeichnete und ſtach Thiere auch deſſen
Sohn Nicolas de Bruyn (geboren um 1570 in Antwerpen). Im
Kunſtverlage des auch als Kupferſtecher bekannten Claes Janſzen
Visſcher erſchienen von R. de Bruyn drei Folgen, 12 Blätter
Säugethiere (1621; doch tragen einige Blätter die Jahrzahl 1594),
dreizehn Blätter Vögel und dreizehn Blätter Fiſche. Adrian Bloe-
mart (geboren um 1564, geſtorben um 1650) zeichnete zehn Blätter
Säugethiere und vier Blätter Vögel, welche Bl. Bolsverd geſtochen
hat45). Unter dem Namen Adrian Collaert's (auch Collard ge-
ſchrieben) kennt man zwanzig Blätter Vierfüßer, dreißig Blätter Vögel
und 25 Blätter Fiſche. Ungewiß iſt es, ob dieſe Stiche von einem äl-
teren, um 1567 geſtorbenen, oder von einem jüngeren Meiſter deſſel-
ben Namens (welcher 1597 als Genoſſe der Malergilde des S. Lucas
in Amſterdam erwähnt wird) herrühren46). Auch der Gründer der
ebengenannten Gilde, Jakob Cuyp (Cupius) wird als Thierzeichner
genannt; dreizehn Blätter Vierfüßer ſind nach ſeinen Zeichnungen von
R. Perſyn geſtochen und 1641 von dem genannten Cl. J. Visſcher
verlegt worden. Von dem um 1600 blühenden Albert Flamen hat
[320]Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen.
man 36 Blätter Seefiſche (in drei Theilen mit lateiniſchem und fran-
zöſiſchem Titel zu 12 Blatt), 24 Blätter Flußfiſche und noch ſieben
Blätter mit mehreren Fiſchen; außerdem 12 Blatt Vögel47). Der im
Anfange des ſiebzehnten Jahrhunderts in Paris lebende Kupferſtecher
Peter Firens hat gleichfalls Thierbilder geliefert; ob nur Fiſche oder
auch andere Thiere iſt nach den zu ermittelnden Angaben nicht ſicher48).
Endlich iſt noch des Italieners Antonio Tempeſta (in Florenz
1555 geboren und 1630 geſtorben) zu gedenken. Nach ſeinem Tode
erſchien in Rom eine Sammlung von 204 Thierblättern von ihm49).
Die dem ſpäter zu erwähnenden Werke über Vögeljagd von Olina bei-
gegebenen Abbildungen ſind von ihm radirt. Er hat zahlreiche Jagden,
Thierkämpfe, Pferde und Vögel gezeichnet und geſtochen (mehrere ſei-
ner Vogelabbildungen ſind von Villamena und von Maggi geſtochen.
Man ſollte nun wohl die hier genannten Darſtellungen charakte-
riſiren, mit einander vergleichen und den Fortſchritt im Ganzen und
Einzelnen nachzuweiſen ſuchen. Doch muß von einer ſolchen Ueberſicht,
welche ebenſo die Kunſtgeſchichte als die Geſchichte der Zoologie intereſ-
ſiren würde, abgeſehen werden, da ſie nur unter Vorlage der betreffenden,
zum Theil ſeltnen und ſchwer zu beſchaffenden Blätter auszuführen iſt.
Sämmtliche hier aufgezählte Abbildungen (es dürften deren wohl
noch mehr exiſtiren) ſtellen Wirbelthiere dar (zwei Blätter Inſecten
ausgenommen). Bei dieſen wurde das Auge des Künſtlers durch die
größere Vertrautheit mit den wiederzugebenden Formen ſicherer geleitet
[321]Erweiterung der ſpeciellen Thierkenntniß.
und auch für die Verſchiedenheiten fremder Thiere geſchärft. Die älte-
ren Abbildungen wirbelloſer Thiere, von welchen mehrere nachher zu
erwähnen ſind, laſſen wohl im Allgemeinen die Form wiedererkennen,
ſind aber doch noch weit von einer bei aller Treue der Darſtellung
einer ſpeciellen Art immer möglichen Freiheit der Auffaſſung und Wie-
dergabe entfernt. Einen rühmlichen Fortſchritt zeigen in dieſer Bezieh-
ung die gleichfalls in Kupferſtich ausgeführten Abbildungen wirbelloſer
Thiere, welche Fabius Columna ſeiner Schilderung von Waſſer-
thieren beigegeben hat. Es ſind nicht unintereſſante kräftige Radirun-
gen eines leider nicht genannten Künſtlers. Von Inſectendarſtellungen
ſind außer denen des ſchon oben erwähnten Hoefnagel beſonders die
Wenzel Hollar's rühmend hervorzuheben. Was endlich die bild-
lichen Darſtellungen ausländiſcher Thiere und anatomiſcher Einzelhei-
ten betrifft, ſo wird in den entſprechenden Abſchnitten davon die Rede
ſein.
Erweiterung der ſpeciellen Thierkenntniß.
Wo es in irgend einem Erfahrungsgebiete an leitenden Grund-
ſätzen und allgemeinen Anſichten fehlt, haben Einzelbeobachtungen einen
relativ ſehr unbedeutenden Werth. Der Einfluß, welchen im ſechzehn-
ten und ſiebzehnten Jahrhundert neue in eben entdeckten fernen Län-
dern gefundene Thierarten auf die zoologiſchen Anſchauungen der Zeit
im Großen und Ganzen äußerten, war daher nur ein geringer. Man
hatte weder in einem Syſteme, noch in einer allgemeinen morphologi-
ſchen Ueberſicht ein Gerüſt, in welches man das Neue hätte einordnen,
oder eine Theorie, aus welcher man das Unbekannte hätte erklären oder
verſtändlich machen können. Ja, man wußte aus den beiden Gründen
nicht, was an neuen Formen das eigentlich Merkwürdigſte und Be-
achtenswerthe war. Die großartigen Sammelwerke des vorliegenden
Zeitraums ſind zwar durch die hier zuerſt auftretende Erwähnung in-
diſcher, afrikaniſcher und amerikaniſcher Thiere ausgezeichnet. Der
Fortſchritt, welchen die Zoologie im nächſtfolgenden Zeitraum macht
und welchen ſie zum großen Theile der in dieſem wiedererwachenden
V. Carus, Geſch. d. Zool. 21
[322]Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen.
Anatomie der Thiere verdankt, hängt aber nicht mit dem Eintreten
jener neuen Formen in die Reihe der nun beſprochenen Thierarten zu-
ſammen, ſondern beruht auf einer eingehenderen Unterſuchung alter be-
kannter Thiere. Es wurde oben erwähnt, daß die Entdeckungsreiſen
vorwiegend aus einem andern Beweggrunde unternommen wurden,
als um die Naturkenntniß zu bereichern. Durch die Schilderungen der
meiſten dieſer Reiſen geht auch in den naturhiſtoriſchen Kapiteln ein
anderer Zug, als das Intereſſe, wichtige zoologiſche Aufſchlüſſe zu ge-
ben. War die Reiſeluſt vorzüglich durch die Ausſicht auf Entdeckung
von Goldländern angeregt und wach gehalten worden, ſo ließ die Hoff-
nung, durch neue Pflanzen- und Thierformen den Heilmittelſchatz zu
bereichern, die der belebten Natur gewidmete Aufmerkſamkeit nicht er-
müden. Wenn daher auf den Titeln meiſt von einer „Naturgeſchichte“
die Rede iſt, ſo bezieht ſich dieſer Ausdruck doch faſt ausſchließlich auf
eine mediciniſche Geſchichte der betreffenden Länder. Zuweilen ſagte
man dies geradezu heraus. So druckte Cluſius in den Exotica eine
Schrift von Nicolas Monardes ab über die aus der neuen Welt herge-
brachten einfachen Heilmittel; und Wilhelm Piſo ſpricht ſich in der
Einleitung zu dem den Thieren gewidmeten Buche ſeines Werkes über
Braſilien dahin aus, daß er (ſich offenbar auf die Hippokratiſchen An-
ſichten von Waſſer, Luft und Ortslage beziehend) „Fiſche, Vögel und
Thiere beſchreiben wolle, welche zum Nutzen des Menſchen verwendet
werden, und zwar nicht ſowohl zum Vergnügen oder zur Bewunderung
des Leſers, als vielmehr zum Vortheil der Kranken und Aerzte“. Es
iſt Sache der ſpeciellen Thiergeſchichte, bei jeder Art die Geſchichte ihrer
Entdeckung und ihres allmählich genaueren Bekanntwerdens zu ver-
zeichnen, ebenſo wie die Erweiterung der fauniſtiſchen Kenntniß von
einzelnen Ländern der Beſchreibung dieſer angehört. Es kann aber
auch hier nicht umgangen werden, wenigſtens auf Einzelnes hinzu-
weiſen.
Von den Bereicherungen, welche die ſpecielle Thierkenntniß erfuhr,
waren die merkwürdigſten jedenfalls die bis dahin nicht einmal durch
Fabeln in poetiſcher Form bekannt gewordenen Thiere der neuen Welt.
Hier waren es aber nicht die Entdecker und Eroberer, welche Naturpro-
[323]Erweiterung der ſpeciellen Thierkenntniß.
ducte mitbrachten, ſondern Aerzte und Miſſionare, was natürlich den
Charakter der Sammlungen beſtimmte. Columbus ſelbſt hatte einige
Thierfelle nach Europa gebracht und erhielt von der Königin Iſabella
den Auftrag, beſonders Vögel zu ſammeln. Den ſpätern Sammlern
war es günſtig, daß es zur Zeit der Eroberung Mexiko's in keinem
Theile von Europa Menagerien und botaniſche (mediciniſche) Gärten
gab, die man mit denen von Huaxtepec, Chapoltepec u. a. O. hätte
vergleichen können. Wie nun die Reiſen znnächſt der Entdeckung eines
weſtlichen Weges nach Indien galten, ſo wird auch in den Schilderungen
häufig das neue „weſtliche“ Indien mit dem alten, nun Oſt-Indien
genannten zuſammengebracht. Man findet daher Thiere aus beiden
Hemiſphären ſehr oft kurz nach einander aufgezählt, bis erſt ſpäter aus-
führlichere Werke ſich ſtrenger an die Vorkommniſſe der einzelnen Län-
der halten. Eines der früheſten auch mit Abbildungen verſehene Sam-
melwerk über fremdländiſche Naturproducte iſt das bereits erwähnte
des Carl Cluſius aus Arras (geb. 1526, geſtorben 1609), Exoti-
corum libri X. Der vielſeitig unterrichtete und ſein durchgebildete
Verfaſſer, deſſen Leiſtungen als Naturhiſtoriker indeſſen mehr der Bo-
tanik zu Gute kamen, hat hier zum Theil nach eignen Sammlungen (ſo
in den erſten ſechs Büchern des Werkes), zum Theil in Auszügen oder
in Ueberſetzungen nach andern Autoren, und zwar öſtliche wie weſtliche
Thiere beſchrieben und abgebildet. Die Beſchreibungen erheben ſich
allerdings nicht über den in jener Zeit überhaupt herrſchenden Ton;
nicht unintereſſant ſind dagegen die Abbildungen, welche er ſowohl den
eignen Abſchnitten, wie z. B. auch der Schrift des oben genannten
Nicolas Monardes beifügt. Letztere war ſchon vorher von Cluſius in
lateiniſcher Ueberſetzung beſonders herausgegeben worden, wurde aber
in die Exotica abgekürzt wieder mit aufgenommen. Es erſcheinen unter
Andern bei Cluſius in Abbildungen: von Säugethieren Pteropus,
Dasypus, Bradypus (kaum wieder zu erkennen), Manatus, von Vö-
geln der Kolibri (Tominejus), Caſuar, der Dodo, Mormon und
Apte-
nodytes, von Fiſchen Pristis, Chimaera, Diodon u. a., endlich auch
Limulus. In Bezug auf Claſſification folgt Cluſius den herrſchenden
Anſichten, ohne irgendwo eine Aenderung zu wagen. Ausſchließlich
21 *
[324]Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen.
amerikaniſche Thiere ſchildert Gonzalo Fernandez d'Oviedo y
Valdy (1478 in Madrid geboren)50). Unter den mancherlei neuen
Arten erſcheint hier die Didelphys, welche zuerſt von Peter Martyr
d'Angheria (geſt. 1525) in ſeiner Geſchichte der Entdeckung Ame-
rika's (Ramusio a. a. O. Tom. 3. p. 15) erwähnt worden war,
unter
dem Namen chiurcha mit einer zwar etwas vernünftigeren, aber im-
mer noch nicht treuen Abbildung, während Nieremberg noch die
rein fabelhafte Figur wiederholt, welche bei Gesner ſogar als Titel-
vignette erſchienen war.
Der Zeit nach folgte auf Oviedo der Jeſuit Joſé d'Acoſta. Er
war 1539 geboren, gieng 1571 als Miſſionar nach Peru und kam
1588 nach Salamanca zurück, wo er 1600 ſtarb. In ſeiner oft gedruckten
„natürlichen und moraliſchen Geſchichte der Indier“51) handelte er auch
über Pflanzen und Thiere. Das am meiſten Intereſſe Darbietende
aus ſeinen Beſchreibungen iſt die ſich ſpäter bei Hernandez wiederfin-
dende Erwähnung der großen in Süd-Amerika gefundenen foſſilen
Knochen, welche er für Reſte von Rieſen hielt. Er unterſucht aber
auch die Frage, wie die Thiere nach Amerika gekommen ſeien, da ſie
doch in der Arche eingeſchloſſen waren (latein. Ausg. S. 54, ſpaniſche,
Madrid 1792, S. 64; 1. Buch, 21. Kap.), ferner wie es möglich
ſei, daß Amerika Thiere habe, welche von den altweltlichen verſchieden
ſeien (Madrider Ausg. S. 272, 4. Buch, 36. Kap.). Ungleich rei-
cher und wichtiger waren die Sammlungen, welche Francesco Her-
nandez im Auftrage Philipp's II, deſſen Leibarzt er war, in Mexiko
veranſtaltet hatte. Er ſammelte dort von 1593 bis 1600. Sein Werk,
zu deſſen Illuſtration er angeblich zwölfhundert Abbildungen von Pflan-
[325]Erweiterung der ſpeciellen Thierkenntniß.
zen, Thieren und andern Naturgegenſtänden hatte anfertigen laſſen,
erſchien aber nicht in ſeiner urſprünglichen Faſſung, auch erſt ſpäter
und zwar zuerſt wie das des Oviedo unvollſtändig52). Von dem gan-
zen ausführlichen Werke machte dann ein neapolitaniſcher Arzt, Nardo
Antonio Recchi einen Auszug; und dieſer wurde ſpäter, nachdem dieſe
Schrift in den Beſitz des Fürſten Ceſi übergegangen war, von dem
1630 geſtorbenen Conſtanzer Arzt und Jeſuiten Terrentius, welcher
ſich durch ſeine Bemühungen um die Kalenderverbeſſerung verdient ge-
macht hat, redigirt und von Commentaren des Johann Faber aus
Bamberg und Fabius Columna begleitet herausgegeben53). Die in
Holzſchnitt beigefügten Abbildungen zeichnen ſich nicht gerade durch
Treue oder Sorgfalt der Zeichnungen aus, ſind auch jedenfalls nicht alle
nach amerikaniſchen Thieren gemacht; doch iſt bei den mancherlei
Schickſalen, welche das Buch erlitten hat, nicht mit Sicherheit zu be-
ſtimmen, wie viel davon auf Hernandez' Rechnung zu ſtellen iſt. Den
Commentaren (der Betreffende zur Thiergeſchichte iſt von Faber) iſt am
Schluſſe des Ganzen noch ein in ſechs Abſchnitte getheiltes Buch ange-
hängt, in welchem (die fünf erſten Abſchnitte) die kurzen Beſchreibungen
der Thiere ohne Abbildungen unter Hernandez' Namen gegeben werden.
Es enthält dieſer Anhang viel mehr Thiere, als der Recchi'ſche Auszug
und die Faber'ſche Auseinanderſetzung zuſammen, nämlich 40 Vier-
füßer, 229 Vögel, 58 Reptilien (unter dieſem Namen), 30 Inſecten
(und Würmer) und 56 Waſſerthiere, darunter den Manati. Die Be-
ſtimmung, welche für die Vierfüßer des Hernandez überhaupt Lichten-
[326]Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen.
ſtein unternommen hat54) iſt hier am ſchwierigſten, da nur die mexi-
kaniſchen Namen und ſehr ungenügende Beſchreibungen gegeben ſind.
Trotzdem die Schrift ſtreng auf Mexiko beſchränkt ſein ſoll, kommt
doch auch hier wieder eine Schilderung und Abbildung des Paradies-
vogels vor. Und vorzüglich der Commentar von Joh. Faber enthält
ſehr viel Angaben über nicht amerikaniſche Thiere. Derſelbe iſt ſehr
ausführlich und umſtändlich und theilt beſonders viel anatomiſches De-
tail mit, dabei freilich manches Seltſame. So ſoll beim mexikaniſchen
Eber die Lage der Baucheingeweide umgekehrt und der Nabel am Rücken
gelegen ſein. Auch litterariſch nicht unintereſſante Notizen kommen da-
rin vor. So druckt er den Brief eines Darmſtädter Arztes Franz
Niedermayer ab über die Lebensweiſe und die Anatomie des Cha-
mäleon; ſo erwähnt er eine Unterſuchung über die Anatomie der Schild-
kröten von Ceſarinus; ferner theilt er ſchon mit, daß Francesco
Stelluti die äußern Theile der Biene mit dem „Mikroskop“ unter-
ſucht, gezeichnet und in Kupfer ſtechen gelaſſen habe. Dabei bildete er
aber auch eine zweiköpfige Amphisbaena und einen Drachen ab u. ſ. f.
In das ſechzehnte Jahrhundert gehören noch die Reiſen des
André
Thevet und Jean de Léry, deren Ausbeute indeſſen bei der
gerin-
gen zoologiſchen Kenntniß der Reiſenden für die Zoologie kaum der
Rede werth iſt55).
Weitaus die für Naturgeſchichte wichtigſte Reiſe nach Süd-Ame-
rika, welche in den erſten zwei Jahrhunderten nach ſeiner Entdeckung
unternommen wurde, war die, welche die holländiſche weſtindiſche Com-
pagnie unter dem Befehl des Prinzen Johann Moritz von Naſſau-
Siegen ausrüſtete. Derſelbe hatte unter andern Begleitern zwei Ge-
lehrte mitgenommen, welche, beide Aerzte, die Naturproducte des nörd-
lichen Braſilien ſammelten, zeichneten und beſchrieben. Im Jahre
1637 gieng die Expedition ab, welche Marcgrav und Piſo nach der
[327]Erweiterung der ſpeciellen Thierkenntniß.
neuen Welt führte. Schon vorher hatte zwar einer der Directoren der
genannten Compagnie, Jan de Laet, nach brieflichen Mitthei-
lungen und ſonſtigen Nachrichten, welche ihm aus den überſeeiſchen
der Compagnie gehörenden Ländern reichlich zugiengen, eine Beſchrei-
bung des neuen Welttheils zuſammengeſtellt, in welcher auch Thiere
(zum Theil mit Abbildungen, welche er ſelbſt ſpäter bei der Heraus-
gabe des Werkes von Marcgrav und Piſo benutzte), geſchildert wur-
den56). Doch verſchwinden dieſe Beiträge völlig
gegen den Reichthum
und die Wiſſenſchaftlichkeit, welche die Reiſe der letztgenannten darbo-
ten. Wilhelm Piſo war Holländer und prakticirte als Arzt in Ley-
den. Ueber ſeine Lebensverhältniſſe iſt weiteres nicht bekannt; auch
widmete er während des Aufenthaltes in Braſilien ſeine Thätigkeit
mehr dem mineralogiſchen und mediciniſche Theile der geſammten Auf-
gabe. Sein Begleiter und Mitarbeiter war Georg Marcgrav aus
Liebſtadt bei Meißen, geboren 1610. Er war jedenfalls der durch ſei-
nen Studiengang als Mathematiker und Mediciner für das Reiſeunter-
nehmen beſſer Vorbereitete. Er kannte nicht bloß die zoologiſchen Lei-
ſtungen ſeiner Vorgänger und reihte die neubeobachteten Thiere den
Formen an, welche Rondelet, Belon, Gesner u. a. beſchrieben hatten,
ſondern war auch in Mathematik und Aſtronomie ſo unterrichtet, daß
er in Braſilien außer ſeinen zoologiſchen und ſprachlichen Unterſuchun-
gen noch aſtronomiſche Arbeiten praktiſcher wie theoretiſcher Art aus-
führen konnte. Die Manuſcripte mit denſelben ſollten zwar ſpäter zur
Veröffentlichung vorbereitet werden, ſind aber leider nie gedruckt wor-
den. Im Jahre 1644 gieng Marcgrav nach S. Paolo de Loanda an
der Weſtküſte von Afrika, um dort ſeine mannichfachen Beobachtungen
fortzuſetzen; aber kaum angekommen ſtarb er am Fieber. Nach der
Rückkehr Piſo's wurden Marcgrav's Niederſchriften dem vorhin er-
wähnten Jan de Laet übergeben und dieſer beſorgte dann die erſte
Ausgabe, ſowohl von den von Piſo bearbeiteten Abſchnitten als auch
von Marcgrav's auf die Naturgeſchichte bezüglichen Theilen. Dieſelbe
[328]Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen.
erſchien 1648. Sie enthält vier Bücher über die mediciniſchen Ver-
hältniſſe Braſiliens von Wilhelm Piſo und acht Bücher über die Na-
turgeſchichte Braſiliens von Georg Marcgrav. Hiervon enthält das
vierte die Fiſche, d. h. Waſſerthiere, wo neben den Fiſchen auch die
Kruſtenthiere und in einem Kapitel die Entenmuſchel neben dem See-
ſtern erſcheint, das fünfte die Vögel, das ſechſte die Vierfüßer und
Schlangen und das ſiebente die Inſecten im weitern Sinne, nämlich
Inſecten, Spinnen und Tauſendfüßer. Zehn Jahre ſpäter gab aber
Piſo ſelbſt nach einer andern Anordnung und vorzüglich mit Rückſicht
auf die mediciniſche Ausbeute der Reiſe und den naturhiſtoriſchen Theil
ſehr kürzend die Reſultate der gemeinſchaftlichen Reiſe noch einmal her-
aus, hieng aber auch noch denſelben die Beſchreibung von Java von
Jacob Bontius an57) Es erſchienen alſo auch hier beide Indien
auf dem Titel, während Piſo nur als Herausgeber auftritt. Unzwei-
deutig geht wenigſtens hieraus hervor, daß die zoologiſche Ausbeute
faſt gänzlich (mit Ausnahme einiger Bemerkungen über giftige Thiere)
von Marcgrav herrührt. Der nutzbringende Einfluß derſelben, ja die
wiſſenſchaftliche Verwerthbarkeit iſt aber durch ungünſtige Verhältniſſe
ſehr aufgehalten worden. Es waren nämlich theils von Marcgrav ſelbſt,
theils von einem zwar allgemein erwähnten, dem Namen nach aber
nicht genannten Maler vorzügliche bildliche Darſtellungen der betref-
fenden Thiere und Pflanzen angefertigt worden, erſtere in Waſſerfar-
ben, letztere mit hoher Vollkommenheit der künſtleriſchen Behandlung
in Oel auf Papier. Nachdem dieſe beiden Sammlungen zu der Her-
ausgabe des Reiſewerkes von Jan de Laet benutzt worden waren, hatte
ſie Johann Moritz von Naſſau - Siegen gekauft und ſpäter dem großen
Kurfürſten von Brandenburg geſchenkt. Nun hatte aber de Laet ſchon
manche bereits in Holzſchnitt vorhandene Abbildungen aus ſeinem eig-
nen Werke ſtatt der Marcgrav'ſchen benutzt; auch erſtreckten ſich ſeine
[329]Erweiterung der ſpeciellen Thierkenntniß.
zoologiſchen Kenntniſſe wohl nicht ſo weit, daß er zu Marcgrav's Be-
ſchreibungen überall die zweifellos richtigen Figuren hätte bezeichnen
können. Hierdurch und vielleicht auch durch unachtſame Umſtellungen
während des Druckes kamen viele Unrichtigkeiten in die erſte Ausgabe,
welche auch Piſo trotz der bedeutenden Kürzungen des Marcgrav'ſchen
Theiles nicht völlig beſeitigt hat. Dankbar iſt es daher zu rühmen, daß
früher ſchon zum Theile von J. G. Schneider Saxo, ſpäter in ſehr
eingehender Weiſe von H. Lichtenſtein unter Zugrundelegung der in
Berlin aufbewahrten und von Menzel in Ordnung gebrachten Origi-
nalabbildungen der Verſuch gemacht wurde, die Marcgrav'ſchen Anga-
ben und Beſchreibungen zu deuten und auf beſtimmte, ſeitdem benannte
Arten zurückzuführen58). War
ſchon vorher die Reiſe des ſächſiſchen
Gelehrten als die zoologiſch wichtigſte anzuſehen geweſen, ſo erhielt ſie
durch dieſe Commentare eine noch ſicherere Stellung in der Geſchichte
der zoologiſchen Entdeckungen. Marcgrav's Beobachtungen weiſen zum
erſten Mal mit Evidenz nach, — und dies war eine für die damalige
Zeit und die in ihr verbreiteten Anſchauungen ſehr Bedeutungsvolle
Thatſache —, daß die ſüdamerikaniſchen Thiere von den altcontinenta-
len gänzlich verſchieden, wenn auch mit ihnen verwandt ſind. Freilich
waren derartige Nachweiſe in einer Zeit, in welcher man von einer Ge-
ſetzmäßigkeit der geographiſchen Verbreitung noch keine Ahnung hatte,
für die Klärung der zoogeographiſchen Anſichten noch ohne Einfluß.
Sie erſchütterten aber doch den Glauben an einen gemeinſamen Aus-
gangspunkt des Thierreichs im Sinne der herrſchenden Schöpfungs-
theorie. Und einen mächtigen Einfluß gewannen die erwähnten Schrif-
ten durch den Reichthum an theils ausführlicher als früher, theils über-
haupt zum erſtenmal beſchriebenen Thierarten. Von erſteren ſei hier
nur an die Didelphis, den Kolibri, das Lama, Meerſchweinchen, von
[330]Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen.
letzteren an Tapir, Seriema, Parra, Palamedea u. a. erinnert. Noch
weitere Einzelheiten über dieſe mitzutheilen, verbietet ſich von einem
allgemeinen hiſtoriſchen Standpunkte aus. Bei der Abweſenheit neuer
leitender Geſichtspunkte beſchränkt ſich das ganze oder hauptſächlichſte
Intereſſe auf die einzelnen Formen. Wenn man daher auch an dieſer
Stelle bereitwillig anerkennen muß, daß Marcgrav einen Schatz von
Beobachtungen geſammelt hat, welcher freilich verhältnißmäßig ſpät
erſt wiſſenſchaftlich gehoben werden konnte, ſo würde es doch ein Ueber-
ſchreiten der hier einzuhaltenden Grenzen ſein, ſollte mehr als ein Hin-
weis auf dieſe Thatſache gegeben werden.
So zahlreich und nach anderen Richtungen hin erfolgreich auch die
in den hier beſprochenen Zeitraum fallenden Reiſen in Länder der alten
Welt waren, ſo ſind doch nur wenige davon von irgend welchem Ein-
fluſſe auf die Entwickelung der Thierkenntniß geweſen. Beginnt man
hier mit den entfernteſten Erdtheilen, ſo iſt zwar hervorzuheben, daß
die Reiſen der Holländer nach Oſt-Indien viel zur Aufklärung der geo-
graphiſchen Verhältniſſe der ſüdaſiatiſchen Inſelgruppen beigetragen
haben, allein nur wenig zur Förderung von deren Naturgeſchichte. Das
einzige hier erwähnenswerthe Werk iſt die bereits erwähnte Naturge-
ſchichte von Jakob Bontius. Von ſeinem Leben weiß man nur,
daß er in Leyden geboren war, als Arzt in Amſterdam lebte, 1627
nach Batavia gieng und dort 1631 ſtarb. In ſeinem von Piſo heraus-
gegebenen Werke handelt er die allgemeinen diätetiſchen Regeln für das
Leben in Indien ab unter beſtändigem Hinweis auf das dortige Klima,
Nahrung, Waſſer u. ſ. f., dann die Heilmethoden der in Indien herr-
ſchenden Krankheiten. Daran ſchließen ſich mehrere Sectionsberichte
von Verſtorbenen, ſowie Anmerkungen zu einigen Stellen der Beſchrei-
bung der Droguen Indiens von Garcias ab Horto. Zuletzt folgen
dann Schilderungen von Thieren und Pflanzen. Unter den Thieren
erſcheinen neben andern bereits bekannten, und zwar mit Abbildungen,
das javaniſche Rhinoceros, der Tiger, des Stachelſchwein (aber mit
der aus Marcgrav wiederholten Figur das ſüdamerikaniſchen Cercola-
bes), Draco, Manis, Babyruſſa, die Salanganen mit ihren Neſtern,
der Dodo. Daß die Amphisbaena zwei Köpfe habe belegt Bontius ſo-
[331]Erweiterung der ſpeciellen Thierkenntniß.
gar mit einer Abbildung! Vom Orang-Utang ſcheint er in Borneo
gehört zu haben. Die auch ſpäter noch copirte Figur iſt aber die einer
behaarten Frau. Seine Beobachtungen ſind überhaupt nicht genau,
ſeine Schilderungen ſind ſehr wenig präcis. Immerhin iſt Bontius die
Kenntniß mancher öſtlichen Form zu danken.
Von andern aſiatiſchen Reiſen iſt im Vorübergehen nur an
Georg Breydenbach's Wanderung nach Paläſtina zu erinnern,
welche, wie bereits erwähnt, die erſte Abbildung der Giraffe enthält.
Auf derſelben Holzſchnitt-Tafel ſind noch ſieben andere Thiere dar-
geſtellt, von denen nur der ein Kamel führende aufrecht gehende Affe
ein hiſtoriſches Intereſſe inſofern beanſprucht, als er noch ſpäter bei
den Anthropomorphen citirt wurde, während er nichts anderes als ein
langſchwänziger Makake iſt.
Die Naturprodukte Afrika's wurden in der vorliegenden Zeit be-
ſonders von zwei Reiſenden beachtet. Geographiſch der wichtigere war
der Araber El Haſſan Ibn Muhammed el Waſan, welcher
bekannter iſt unter dem nach ſeinem Uebertritt zum Chriſtenthum an-
genommenen Namen Johannes Leo mit dem Zuſatze Africanus.
Er war mauriſcher Herkunft, in Elvira in Granada geboren, gieng
nach der Eroberung Granada's 1491 nach Fez, machte von dort weite
Reiſen durch Afrika und Weſt-Aſien und wurde 1517 von chriſtlichen
Seeräubern gefangen und dem Pabſte Leo geſchenkt. Auf deſſen Zu-
reden wurde er Chriſt, kehrte aber zum Muhammedanismus zurück,
nachdem er 1526 nach Tunis zurückgegangen war. Er ſtarb nach
1532. Seine Reiſe ſchrieb er zuerſt arabiſch, überſetzte ſie aber ſpäter
ſelbſt in's Italieniſche. Nachher wurde ſie vielfach in andere Sprachen
überſetzt. Von ſeiner in neun Bücher getheilten Beſchreibung Afri-
ka's59) enthält das neunte Buch die Schilderung der Naturgegen-
ſtände. Er führt ſiebzehn Säugethiere auf; dann folgt eine neue
Ueberſchrift „Fiſche“, unter welcher aber dann alle übrigen Thiere der
Reihe nach aufgezählt werden: Walfiſch, Nilpferd, Seekuh, Schild-
[332]Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen.
kröte, Krokodil, dann einige Reptilien, der Strauß, Adler, überhaupt
fünf Vögel und zuletzt die Heuſchrecke. Er ſagt gegen den Schluß aus-
drücklich, daß er Thiere ſchildere, welche in Europa nicht exiſtiren.
Die Beſchreibungen ſind kurz, wiſſenſchaftlich kaum brauchbar, aber
geographiſch doch wichtig.
Bedeutungsvoller war die Ausbeute, welche der Arzt der venetia-
niſchen Colonie in Aegypten, Prosper Alpinus, während ſeines
dortigen Aufenthaltes gemacht hatte. Er war 1553 in Maneſtica im
venetianiſchen Gebiet geboren, wurde 1578 in Padua Doctor der Me-
dicin und gieng mit dem venetianiſchen Konſul Georg Ems nach
Aegypten. Seine Auseinanderſetzungen über die ägyptiſchen Schlan-
gen, Affen, den Hippopotamus, wie ſeine ganze zoologiſche Ueberſicht
würde jedenfalls von großem Einfluſſe in ſeiner Zeit geweſen ſein,
wenn das ausführlichere, die Zoologie Aegyptens mit berückſichtigende
Werk nicht erſt lange, über ein Jahrhundert nach ſeinem Tode ver-
öffentlicht worden wäre. Er war 1617 als Profeſſor der Botanik in
Padua geſtorben und ſeine Naturgeſchichte Aegyptens erſchien lateiniſch
1735 in Leyden. Es muß daher des Mannes und ſeiner Leiſtungen
zwar hier gedacht werden; auf die Förderung der Zoologie im vorlie-
genden Zeitraum hatte er aber keine Wirkung.
Es wird ſpäter der wichtigen monographiſchen Arbeiten Pierre
Belon's gedacht werden. Die reichen Erfahrungen, welche dieſelben
charakteriſiren, ſammelte er auf mehreren Reiſen, wovon die eine ſich
dem durchreiſten Ländergebiete nach hier anſchließt. Vom Jahre 1547
an durchzog er Italien, Griechenland, die Türkei, berührte mehrere
griechiſche Inſeln, wie Kreta, Lemnos, gieng dann nach Paläſtina,
Aegypten, die Sinai-Halbinſel und kehrte 1550 über Klein-Aſien und
Griechenland nach Rom zurück. Der Schilderung dieſer Reiſe60) ſind
reichlich naturhiſtoriſche Notizen eingefügt, oft mit Abbildungen der
[333]Erweiterung der ſpeciellen Thierkenntniß.
betreffenden Gegenſtände. Da nur Reiſeſchilderungen hier vorliegen
und kein ſyſtematiſch geordnetes Werk, ſo darf man natürlich keine
präciſe Auseinanderſetzungen etwaiger Schwierigkeiten oder Anordnung
des naturhiſtoriſchen Stoffes nach andern als durch die Reiſe ſelbſt ge-
gebenen topographiſchen Geſichtspunkten erwarten. Es iſt vielmehr in
dieſen Notizen nur ein Theil des Materials zu erblicken, welches Belon
ſpäter weiter verarbeitete. Es werden daher auch häufig nur locale
Namensverzeichniſſe der gefundenen Thiere mitgetheilt, welche wegen
der einander gegenübergeſtellten franzöſiſchen und griechiſchen Bezeich-
nungen für die Wiedererkennung mancher bei den Alten erwähnten
Thierarten nicht ohne Intereſſe ſind. Doch iſt eine ſolche nicht immer,
nicht einmal mit Zuhülfenahme einer Figur möglich, wie z. B. gleich
beim erſten Fiſch, welcher erwähnt wird (1. Buch, 8. Kap.), dem Sca-
rus. Das neunte Kapitel enthält zahlreiche Namen griechiſcher Vögel
mit einer Abbildung des Merops für welchen Belon den franzöſiſchen
Namen guespier vorſchlägt. Noch weitere Vögelnamen enthält das
zehnte und elfte Kapitel. Im 12. Kapitel wird das Phalangion, eine
große Spinne von der Inſel Kreta beſchrieben. Das 13. Kapitel ſchil-
dert den Steinbock von Kreta, von welchem eine Abbildung gegeben
wird, ebenſo wie von dem im 14. Kapitel beſchriebenen kretiſchen
Schafe Strepſiceros. Die Beſchreibung der Coccus- (Chermes-) Arten
im 17. Kapitel gibt wenig mehr als die Namen. Auf Lemnos ange-
kommen ſammelte Belon auch dort die Fiſche, theilt ihre Namen mit
(31. Kap.), unterſucht die Schlangen, von denen er die Cenchris ab-
bildet, und die Pferdefuß-Auſter von der Küſte dieſer Inſel (Kap. 32).
Auf das griechiſche Feſtland zurückgekehrt unterſuchte er die Flüſſe und
fand in den Gewäſſern des Berges Athos einen Flußkrebs, welcher
ihm als verſchieden von dem weſteuropäiſchen auffiel (Kap. 47). Wei-
terhin verzeichnete er die Fiſche von Saloniki (mit Abbildung der Lan-
guſte, Kap. 49) und theilt dem Namen nach die Säugethiere der grie-
chiſchen Berge mit, wobei er die Gemſe und den Tragelaphus abbildet
(Kap. 54). Dann folgt eine Schilderung der Fiſchereien in der Pro-
pontis mit Aufzählung der Fiſchnamen (73. bis 75. Kap.). Im 76.
Kap. gibt der Verfaſſer eine intereſſante Schilderung der Menagerie in
[334]Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen.
Konſtantinopel. Neben dem Hippodrom, ſagt er, ſteht eine alte Kirche;
in dieſer waren an jeden Pfeiler Löwen gebunden, welche ziemlich zahm
waren und zuweilen durch die Straßen umhergeführt wurden. Ferner
fanden ſich dort Wölfe, Bären, Luchſe, Stachelſchweine, Wildeſel,
Giraffen u. a. Von letzterer gibt er eine Abbildung. Auch das zweite
Buch, welches die ägyptiſche Reiſe umfaßt, enthält mehrere zoologiſche
Angaben; ſo das 14. Kap. über den Pelikan und die Schlange Jacu-
lus, das 20. über die Zibethkatze, welche nach der Anſicht Belon's die
Hyäne der Alten iſt, das 22. Kapitel über die Pharaonisratte, Ich-
neumon und die gleichnamige Wespengattung, welche einen ameiſen-
artigen Körper hat und die Spinne Phalangion durch ihre Stiche
tödtet. Die Angaben über das Chamäleon, von welchem im 60. Kapitel
eine Abbildung gegeben wird, finden ſich an mehreren Orten zerſtreut.
Die erſte Schilderung enthält das 25. Kapitel, im 34. beſpricht er
deſſen Ernährungsweiſe und ſagt, es würde irrthümlich behauptet, daß
es nur von der Luft lebe. Das 32. Kapitel iſt den Thieren gewidmet,
welche im oder am Nil leben; es enthält eine Abbildung des Krokodils.
Im 49. Kapitel wird der Giraffe gedacht, von welcher gleichfalls eine
bildliche Darſtellung gegeben wird. Den Büffel ſchildert das 50. Ka-
pitel, Hirſche und Gazellen das 51., Affen das 52. Kapitel. Einige
Schlangen werden dann im 54. aufgeführt. Im 70. werden einbal-
ſamirte Körper geflügelter, mit zwei Füßen verſehener Schlangen er-
wähnt und abgebildet. Des Laufkrebſes (Cancer cursor L.) gedenkt
das 77. Kapitel. In Phrygien auf dem Wege nach Iconium traf Belon
Ziegen mit ſchönem wolligem Haar, welches aber von den Einwohnern
nicht geſchoren, ſondern ausgeriſſen werde (112. Kap.). In Bezug
auf dies Thier verweiſt er auf Angaben Aelians. Die letzten in dem
Reiſewerke vorkommenden Thierſchilderungen (im 3. Buche, 51. Kap.)
betreffen einige Schlangen von den aſiatiſchen Ufern des ſchwarzen
Meeres. Außer dieſen Angaben über Thiere, welche der Bedeutung des
Verfaſſers wegen einzeln angeführt wurden, enthält die Reiſe noch viele
Notizen über Botanik und Ethnographie, welche jedoch ebenſowenig
wie die zoologiſchen Mittheilungen irgendwie verarbeitet ſind. Es bil-
den dieſelben nur eine an den Faden der Reiſebeſchreibung angereihte
[335]Erweiterung der ſpeciellen Thierkenntniß.
Menge von Beobachtungen, welche der Verfaſſer in ſeinen andern
Werken verwerthet hat.
Wurden durch die vorſtehend geſchilderten Reiſen Welttheile auf-
geſchloſſen, welche entweder in Folge ihrer in dieſer Zeit ſtattgehabten
Entdeckung neu in die Vorſtellung vom Bau der Erde eingetreten wa-
ren oder durch ihre Beziehung zu ſolchen neuentdeckten ein beſonderes
Intereſſe erlangt hatten, waren andererſeits die durchſuchten Länder
Stellen der Erdoberfläche, welche als Sitze der älteſten menſchlichen
Bildung und Geſittung eine klaſſiſche Bedeutung beſaßen, ſo ruhte der
Forſchungstrieb doch hierbei nicht, ſondern erſtreckte ſich auch noch,
freilich nicht aus rein wiſſenſchaftlichen Beweggründen, auf einzelne
bis dahin nur unvollſtändig gekannte Stellen der alten Welt. Die
geographiſch wichtigſten Unternehmungen galten der Aufhellung des
äußerſten Norden Europa's. Doch iſt der Gewinn für Zoologie, welcher
aus dieſen vorzüglich von Engländern, ſpäter auch von Holländern
ausgeführten Reiſen floß, ſehr unbedeutend, wenn überhaupt einer Er-
wähnung werth. Eingehendere Notizen über naturgeſchichtliche Gegen-
ſtände enthält dagegen das den ſkandinaviſchen Norden betreffende
Werk des Schweden Olaf Stor, oder wie er in der latiniſirten Form
ſeines Namens bekannter heißt, Olaus Magnus. Derſelbe war
1490 geboren, wurde Geiſtlicher und als Archidiacon der Kirche von
Strengnäs zugetheilt. Die Einführung der Reformation in Schweden
durch Guſtav Waſa veranlaßte aber ſowohl ſeinen Bruder Johan,
welcher Erzbiſchoff von Upſala war, als ihn ſelbſt, Schweden zu ver-
laſſen und nach Rom zu gehen. Dort wurde er, nachdem das Erzbis-
thum von Upſala durch den im Jahre 1544 erfolgten Tod ſeines Bru-
ders erledigt war, zu deſſen Nachfolger ernannt. Er betrat jedoch
Schweden nicht wieder; er ſtarb in Rom im Jahre 1558. Fern von
ſeinem Vaterland hat er auch deſſen Schilderung verfaßt61). Von den
naturhiſtoriſchen Bemerkungen, welche dieſes in mehrfacher Beziehung
wichtige Werk enthält, ſind die merkwürdigſten die Geſchichten dreier
Thiere, welche ſich theils in ihrer fabelhaften Form bis jetzt, wenigſtens
[336]Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen.
im Volksmunde, erhalten, theils durch einige neuerlich bekannt gewor-
dene Thatſachen Beſtätigung gefunden haben. Die erſte betrifft den
fälſchlich ſogenannten Vielfraß. Ueber dieſes Thier haben Olaus Mag-
nus und Matthias Michovius62) wohl zuerſt die abenteuerlichen
Geſchichten in Umlauf geſetzt, welche ſich lange Zeit hindurch in Folge
einer volksetymologiſchen Auslegung ſeines von Deutſchen unverſtan-
denen Namens lebendig erhalten haben. Das zweite Thier, welches
Olaus Magnus wohl auch zuerſt in die Fabelkreiſe der modernen
Völker eingeführt haben dürfte, iſt die große Seeſchlange, welche er
als bis anderthalb Meilen lang werdend ſchildert. Nicht ſo mythiſch,
wie die beiden erſten, und nicht ſo vollſtändig der thatſächlichen Belege
entbehrend iſt die Geſchichte von den Kraken, welche bekanntlich im
Stande ſein ſollen, mit ihren ungeheuren Armen ganze Boote zu um-
faſſen und in die Tiefe hinabzuziehen. In einer gewiſſen Weiſe klingt
hier bei Olaus Magnus eine Erinnerung an die Aspidochelone durch.
Er erzählt, die Kraken würden zuweilen ſo groß, daß die Schiffer ſie
für eine Inſel hielten, Anker auf ſie würfen und auf ihnen zu landen
verſuchten. Zieht man aber dieſen Zuſatz als vielleicht nur eine Art
von poetiſcher Ausſchmückung der Erzählung ab, ſo bleibt doch in der-
ſelben ein Hinweis auf rieſenhafte Tintenfiſche übrig, wie ſolche nach
einzelnen neuerdings ſowohl in Muſeen als in Meeren gemachten Fun-
den, wie nach directen Beobachtungen allerdings doch vorkommen.
Den hauptſächlichſten Anſtoß zu den oben erwähnten Entdeckungs-
fahrten nach dem Nordoſten Europa's, mit der Aufgabe eine öſtliche
Durchfahrt nach China und Südoſt-Aſien zu finden, hatte eine Schil-
derung des ruſſiſchen Reiches gegeben, welches damals zu den faſt gar
nicht gekannten Ländergebieten gehörte. Wie es auch noch in neuerer
Zeit Deutſche waren, welche dieſes Reich durchforſchten, ſo gab auch
ein Deutſcher den erſten Aufſchluß über daſſelbe. Der Freiherr Si-
gismund von Herberſtein (geboren 1486, geſt. 1556) war vom
Kaiſer MaximilianI an den Hof des Czaren BaſilIV geſandt worden
und hatte dann nach einem zweimaligen Aufenthalt in Rußland (1517
[337]Erweiterung der ſpeciellen Thierkenntniß.
und 1526 bis 27) eine Schilderung des Landes, ſeiner Geſchichte, Be-
völkerung und Natur gegeben63). So wichtig nun aber ſeine Beſchrei-
bung für die Geographie Nordoſt-Europa's und des nördlichen Weſt-
Aſiens auch iſt, ſo enthält Herberſtein's Buch doch nur wenig Zoolo-
giſches von Belang. Das Wichtigſte iſt die Schilderung zweier wilder
Ochſenarten, des Wiſent und des Auerochſen, welche zwar dem Namen
nach ſchon in den mittelalterlichen Thierbüchern vorkommen, aber hier
zum erſten Male wieder genauer unterſchieden und erkennbar beſchrie-
ben werden, nachdem wenigſtens der Wiſent bereits von Ariſtoteles
erwähnt worden war. Die andere von Herberſtein angeführte Rinderart
hält man wohl mit Recht für den eigentlichen Auer oder Urſtier (Bos
primigenius), eine der Stammarten der heutigen Rinderraſſen, auf
welche direct ſich bekanntlich noch jetzt einige Heerden zurückführen
laſſen.
Aus den vorſtehend angeführten Notizen ergibt ſich die Beſtäti-
gung des früher Geſagten, daß der Zuwachs an wiſſenſchaftlichem Ma-
terial, trotz der großartigen alle bisherigen Anſchauungen von der
Ausdehnung der Continente und Meere völlig umſtoßenden Entdeckun-
gen, in der Zoologie ſich nur ſehr langſam und allmählich bemerkbar
machte. Es iſt daher auch kaum erlaubt, von dieſen Berichten über die
Thierwelt fremder Länder als von den erſten fauniſtiſchen Verſuchen
zu ſprechen. Zuweilen wurde ja auch geradezu ausgeſprochen, daß die
neu geſehenen Thierformen nicht weſentlich von den bekannten altwelt-
lichen verſchieden ſeien. Ferner gieng aus der Art der Darſtellung,
welche die Reiſewerke für die Behandlung der naturgeſchichtlichen Mit-
theilungen wählten, hervor, daß der ärztliche Standpunkt wenn nicht
der ausſchließlich für berechtigt gehaltene, doch der vorwiegend geltend
gemachte war. Derſelbe charakteriſirt auch die Schilderungen der
Thierwelt einzelner Gegenden Europa's, wie ſie jetzt theils allein, theils
in Verbindung mit den andern Zweigen der Naturgeſchichte aufzutre-
ten beginnen. Eine der früheſten in dieſer Hinſicht zu erwähnenden
V. Carus, Geſch. d. Zool. 22
[338]Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen.
Schriften iſt der Schleſiſche Thiergarten von Kaspar Schwenck-
feld, praktiſchem Arzte zu Hirſchberg64). Der Verfaſſer (geb. 1563,
geſt. 1609) bezieht ſich in der Vorrede ſeines lateiniſch geſchriebenen
Werkes ausdrücklich auf die Vortheile, welche die Mediciner aus der
genauen Kenntniß der in ihrem Vaterlande vorkommenden Thiere für
die Ausübung ihrer Kunſt ziehen können. Er verſpricht demzufolge alle
ſchleſiſchen Thiere, der Luft, des Waſſers und wo ſie ſich überhaupt
nur finden, zu ſchildern, bleibt aber dann, nach heutiger Anſchauung,
dieſem Grundſatze inſofern nicht treu, als er auch alle fremden Thiere,
welche in Schleſien nur vorübergehend gezeigt wurden oder als aus-
ländiſche bekannt waren, mit anführt. Ja, er erwähnt ſogar Gegen-
ſtände ſeines Muſeums, wie ein exenterirtes, getrocknetes Krokodil. Es
finden ſich daher neben den einheimiſchen Thieren, welche in großer
Reichhaltigkeit erſcheinen und verhältnißmäßig nicht ungeſchickt charak-
teriſirt werden, auch Elefanten, Löwen, Affen, Meerſchweinchen u. a.
m. Schwenckfeld's allgemeiner zoologiſcher Standpunkt iſt in Anbe-
tracht der bis zu ſeiner Zeit erſchienenen Leiſtungen kein tief eingehen-
der. In großer Ausführlichkeit gibt er zwar in der allgemeinen Einlei-
tung, ſowie in den den einzelnen Gruppen vorausgeſchickten Bemer-
kungen eine Ueberſicht der einzelnen Theile, der gleichartigen und
ungleichartigen, wobei ſich ariſtoteliſche Verallgemeinerungen eingeſtreut
finden. Aber die ſyſtematiſche Anordnung entſpricht den hierdurch ge-
weckten Erwartungen nicht und iſt nur dem vorliegenden Bedürfniſſe
einer einigermaßen geordneten Aufzählung angepaßt; die vorausgeſchickte
tabellariſche Ueberſicht iſt hinter den zu ſeiner Zeit bereits angeſtrebten
oder durchgeführten Neuerungen zurückgeblieben. Es verlohnt ſich in-
deß nicht, hier näher darauf einzugehen; auch wäre es ungerecht, einen
Maßſtab an ein ſonſt verdienſtliches und beſonders durch die angehäng-
ten deutſchen Bezeichnungen nicht unintereſſantes Werk zu legen, wel-
cher den Geſichtspunkten des Verfaſſers nicht angemeſſen wäre.
[339]Arbeiten über einzelne Claſſen und Formen.
Arbeiten über einzelne Claſſen und Formen.
Naturgemäß mußte die Erweiterung der Formenkenntniß zu einer
gründlicheren Einſicht in das ſchon früher Gekannte drängen. Nahm
das Gebiet extenſiv an Umfang zu, ſo konnten die neuen Erwerbungen
nur dadurch zu einem ſicheren Beſitzthum der Wiſſenſchaft werden, daß
ſich gleichzeitig die Forſchung vertiefte oder in entſprechendem Grade
auch an Intenſität gewann. Dies geſchah vornehmlich nach zwei
Richtungen hin. Die wichtigſte derſelben tritt mit der allgemeinen Er-
hebung der anatomiſchen Grundanſichten in faſt gleichzeitiger Folge auf
und charakteriſirt ſchon mehrere der erſten zootomiſchen Leiſtungen als
vergleichend anatomiſche. Die andere, zur erſten in dem Verhältniſſe
eines nothwendigen Complements ſtehend, ſucht dasjenige feſter zu
ſtellen, was bei dem Zuſtrömen zahlreicher neuer Geſtalten von großer
praktiſcher Bedeutung iſt, und was man wohl, den Ausdruck freilich
etwas zu eng faſſend, die zoologiſche Charakteriſtik der Formen nennt.
Die Abhängigkeit dieſer letzteren von einem Verſtändniß des inneren
Baues der Thiere konnte nun aber in den Jahren, welche hier der Be-
trachtung unterliegen, um ſo weniger eingeſehen werden, als man die
äußere Erſcheinung der Thiere und ihre Anatomie gewiſſermaßen von
zwei verſchiedenen Geſichtspunkten aus beurtheilte. Während man bei
letzterer den Maßſtab des menſchlichen Leibes an den Thierkörper legte,
erblickte man in den äußeren Geſtaltungsverhältniſſen der Thiere eben-
ſoviele Offenbarungen wunderbarer Allmacht und ſchöpferiſcher Weis-
heit. Es war ebenſowenig von einer Erfaſſung morphologiſcher Geſetz-
mäßigkeit wie von einer Ahnung des nothwendigen Zuſammenhangs
auch der ſcheinbar äußerlichſten Structurverhältniſſe mit dem ganzen
Bau der Thiere die Rede.
Nach dieſen Bemerkungen ſchon, und beſonders wenn man ſich
noch der ganzen Haltung der oben geſchilderten allgemeinen Darſtel-
lungen erinnert, wird auch in den Einzelarbeiten noch nicht dieſelbe
ausſchließlich wiſſenſchaftliche Weiſe der Behandlung der beſprochenen
Thiere erwartet werden können, welche die beſſeren Specialleiſtungen
ſpäterer Zeit kennzeichnet. Auf der andern Seite aber iſt das Erſchei-
22*
[340]Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen.
nen derartiger Monographien, wie man die nun zu erwähnenden Schrif-
ten immerhin ſchon nennen kann, ein Beweis für die geiſtige Samm-
lung, welche die Aufmerkſamkeit von der Menge des Neuen und viel-
fach Zerſtreuenden auf Einzelnes und Näherliegendes richten hieß. Bei
einer Ueberſicht derſelben kann es nicht vermieden werden, die in ihnen
etwa vorkommenden vergleichend-anatomiſchen Bemerkungen ſchon jetzt
zu erwähnen, während die Entwickelung der vergleichenden Anatomie
ſpäter beſonders betrachtet werden wird.
Folgt man nun, um dieſe Einzelarbeiten zu ordnen, dem zoolo-
giſchen Syſteme und beginnt dabei auch hier mit den Säugethieren, ſo
iſt zunächſt der älteſten zweifelloſen Schilderung des Chimpanſe zu ge-
denken, welche in den „Mediciniſchen Beobachtungen“ des Holländers
Nikolaus Tulp enthalten iſt65). Tulp war praktiſcher Arzt, ſpäter
Bürgermeiſter von Amſterdam (geb. 1593, geſt. 1674) und iſt außer
der einzigen von ihm herausgegebenen, eben erwähnten Schrift beſon-
ders durch das Rembrandt'ſche Bild bekannt, auf welchem er im Kreiſe
einiger Schüler vor einer Leiche ſtehend die Anatomie der Armmuskeln
erklärt, trotzdem er weder Anatom noch Profeſſor war. Zu ſeiner Zeit
kannte man bereits das Vorhandenſein eines anthropomorphen Affen,
des Orang-Utang, und in Folge des Mangels einer genauen Schil-
derung dieſes in Europa noch nicht geſehenen Thiers hielt Tulpiusdas
lebend aus Angola nach Holland gebrachte Exemplar eines jungen
Chimpanſe für gleichartig mit jenem und nannte es Indiſchen Satyr,
welcher „von den Indern Orang Utang, von den Afrikanern Quoias
Morrou genannt werde“66). Die etwas knapp gehaltene Beſchreibung
und die charakteriſtiſche in Kupferſtich beigegebene Abbildung laſſen
keine Misdeutung zu. Und wenn auch in beiden keine von den Einzel-
heiten hervorgehoben wird, welche ſpäter zur Unterſcheidung der men-
ſchenähnlichen Affen dienen, ſo iſt doch eine Verwechſelung mit einer
[341]Arbeiten über einzelne Claſſen und Formen.
andern Art unmöglich. — Rein philoſophiſch-hiſtoriſch iſt die Unter-
ſuchung von Jakob Thomaſius über das Sehvermögen des Maul-
wurfs67). Er führt alle möglichen Gründe für und wider die
An-
nahme an, daß der Maulwurf ſehe, ſich auf ſämmtliche Autoritäten
von Ariſtoteles an berufend, aber ohne ein einziges Mal einen Maul-
wurf ſelbſt auf die Beſchaffenheit ſeiner Augen zu unterſuchen. —
Unter den Nagethieren fand zunächſt der Haſe ſeinen Beſchreiber. Der
Altdorfer Profeſſor Wolfgang Waldung ſtellte in ausführlicher
Weiſe Alles zuſammen, was naturhiſtoriſch und mediciniſch Wichtiges
vom Haſen bekannt war68). Dabei beginnt er nach
hergebrachter Art
mit dem Namen und in Folge hiervon mit den Thieren, welche über-
haupt je den Namen Haſe getragen haben; er führt alſo auch den
Meerhaſen (Aplysia und Thetys) mit auf. In Betreff des eigentlichen
Haſen beſpricht er das Wiederkäuen deſſelben und meint dabei, er habe
nicht wie andere Wiederkäuer vier Magen, weil er zu klein ſei; da-
gegen habe er einen großen Blinddarm. Ob die Erzählung vom Wie-
derkäuen der Haſen eine thatſächliche Begründung habe, unterſucht er
nicht weiter69). In ähnlicher Weiſe dem Volksglauben ſich anſchließend
ſchildert Olaus Worm den Lemming70). Er gibt außer der Be-
ſchreibung noch eine Abbildung ſowohl vom Thiere als vom Skelet mit
Detail der Zähne, welche ganz leidlich iſt. Trotzdem leugnet er aber
durchaus nicht, daß das Thier in den Wolken aus fauligen, mit dem
[342]Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen.
Samen der Ratte imprägnirten Stoffen entſtehe und auf die Erde in
Maſſen herabfallen könne, ebenſogut wie Fröſche und Kröten. Auch
theilt er, allerdings mit der ausdrücklichen Bemerkung, daß er damit
die Beſchreibung nur vollſtändig machen wolle, die Formel des Exor-
cismus gegen dieſe Landplage mit. — Unter den Fleiſchfreſſern fand
zwar ſowohl Hund als Wolf ihren Monographen. Aber keines von
beiden wurde eigentlich naturhiſtoriſch geſchildert71). Martin
Böhme erzählt, welche herrliche Thiere die Hunde ſind, beſpricht ihre
Unarten und den Biß des tollen Hundes; Joh.Rud.Salzmann
ergeht ſich über alle möglichen Eigenſchaften, Sympathien und Antipa-
thien des Wolfes. Aber weder bei dem einen noch bei dem andern fin-
det ſich eine eingehende oder auch nur flüchtige Erwähnung ihrer na-
turgeſchichtlichen Stellung, Beziehung zu andern Formen oder der-
gleichen. Wichtig für die Geſchichte der Hunderaſſen iſt ein Brief,
welchen der Engländer John Kay (Johannes Cajus) auf Veranlaſ-
ſung Gesner's an dieſen gerichtet hat und in welchem er die Charakte-
riſtik der in England vorkommenden Hunderaſſen ſchildert. Er zählt
darin die verſchiedenen Jagdhunde unter Erwähnung der lateiniſchen
und engliſchen Namen, die Haushunde und Spielarten auf. Gesner
und Aldrovandi haben das Wichtigſte hiervon aufgenommen. Der Brief
iſt aber auch mehrmals beſonders gedruckt worden72). — Eine kurze
Beſchreibung des Vielfraßes nach einem trockenen Balge gab Apollo-
nio Menabeni73); er fügt ſeiner Schilderung eine Wiederholung der
oben erwähnten, von Olaus Magnus in Umlauf geſetzten Fabeln hinzu.
Nicht zu verwundern iſt es, daß ein durch ſeine ganze Erſcheinung
ſo auffallendes und von allen einheimiſchen Formen ſo abweichendes
[343]Arbeiten über einzelne Claſſen und Formen.
Thier wie der Elefant in der vorliegenden Zeit, wo man ſich Ein-
zelheiten zuzuwenden begann, die Aufmerkſamkeit ganz beſonders in
Anſpruch nahm, noch dazu da ſich dies ungeheure Thier durchaus nicht
als abſolut unzähmbar und wild, ſondern im Einklang mit alten Ueber-
lieferungen ſogar als gelehrig und abrichtbar erwies. Auch war man
in Bezug auf eine nähere Kenntniß deſſelben nicht bloß auf Reiſende
und die Berichte der Orientalen angewieſen, ſondern konnte ſich aus
eigner Anſchauung von der Natur und Beſchaffenheit dieſes Wunder-
thieres überzeugen. Schon ſeit dem ſechzehnten Jahrhundert wurden
zuweilen abgerichtete Elefanten in Europa, auch auf deutſchen Meſſen
herumgezeigt, ſo beſonders in den Jahren 1562, 1628 und 1629;
auch 1675 wurde ein Exemplar nach London gebracht. Den Elefan-
ten, welcher in der Johannismeſſe 1562 in Breslau gezeigt wurde,
ſchildert Juſtus Lipſius74), den zweiten Kaspar Horn75).
Es wurde bereits erwähnt, daß die erſte Schilderung eines Elefanten
nach der Natur von Peter Gyllius herrührt; ſeine, urſprünglich
in die Ueberſetzung des Aelian aufgenommene (1562 und 1565 ge-
druckte) Schrift erſchien ſpäter beſonders (Hamburg 1614) und wurde
von Lipſius und Horn vielfach citirt. Gyllius war bei der Section
eines vierjährigen Elefanten gegenwärtig geweſen und gab danach meh-
rere Einzelheiten über den innern Bau. Die Stoßzähne hielt er aber
doch lieber für Hörner, da ſie nicht aus den Oberkiefern, ſondern mehr
aus der Stirn entſprängen. Hierin folgt ihm auch Horn, welcher
indeß auf die Bezeichnung keinen großen Werth legt. Juſtus Lipſius
führt vorzüglich aus dem Seelenleben des Elefanten die charakteri-
ſtiſchen Momente auf, natürlich nach Art der Zeit unter Aufwendung
eines ziemlich reichen gelehrten Apparats. Eine Beſchreibung der Le-
[344]Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen.
bensverhältniſſe, Dienſtbarkeit und der ſonſtigen Eigenthümlichkeiten
gibt nach eignen Beobachtungen an Ort und Stelle auch Criſtobal
Acoſta76).
Eine Monographie der ganzen Ordnung der Wiederkäuer ver-
ſpricht der Titel einer Schrift eines gewiſſen Johannes Aemy-
lianus aus Ferrara77). Doch entſpricht der Inhalt derſelben durch-
aus nicht dieſen Erwartungen. Die Abhandlung iſt in acht Abſchnitte
getheilt, wovon der erſte eine weitſchichtige etymologiſche Erörterung
über das Wort Ruminatio und eine Definition deſſelben enthält; der
zweite ſtellt die litterariſchen Belege für die Thatſache zuſammen,
daß die Wiederkäuer das Futter noch einmal aus dem Magen in den
Mund bringen. Hier werden auch die Abtheilungen des zuſammen-
geſetzten Magens geſchildert und benannt, aber ohne über das, was
ſchon von Ariſtoteles gegeben war, hinauszugehen. Der Abſchnitt iſt
angefüllt mit einer Menge von Citaten, welche häufig in einer äußerſt
ſchwerfälligen Weiſe vorgebracht werden. Eine Anführung einer Stelle
aus Dante wird beiſpielsweiſe dadurch eingeleitet, daß umſtändlich
auseinandergeſetzt wird, warum Dante ſein Gedicht „Comödie“ genannt
habe. Der dritte Abſchnitt, über die Hörner, unterſucht die Frage,
aus welchen Theilen des Körpers die Hörner ſich bilden, erwähnt dabei
die Thatſache (!), daß andere hornige Theile, wie Nägel und Haare
noch nach dem Tode fortwachſen und beſpricht zuletzt die Verſchieden-
heiten der Hörner. Der vierte Abſchnitt handelt von den einhörnigen
Wiederkäuern, wobei jedoch nur vom Oryx, im Uebrigen dagegen von
allen möglichen einhörnigen Thierformen die Rede iſt. Im folgenden
Abſchnitt wird zwar des Unterſchiedes zwiſchen hohlen und ſoliden
Hörnern gedacht, aber ohne weitere Schlüſſe oder Verwerthungen dar-
auf zu gründen. Es werden dabei auch die nach Willkür beweglichen
Hörner des Thieres „Eale“ erwähnt. Das ſechſte Syntagma führt
das Wachsthum der Hörner auf die eingeborne Wärme zurück. Die
[345]Arbeiten über einzelne Claſſen und Formen.
weiblichen Hirſche, von welcher Thierform überhaupt am meiſten die
Rede iſt, ſind von kälterer Natur als die männlichen, daher haben ſie
keine Hörner. Wird ein Hirſch caſtrirt, ſo verliert ſich die Wärme und
das Geweih wächſt nicht. Die hornloſen Wiederkäuer werden im ſie-
benten Abſchnitt beſprochen, alſo beſonders das Kamel. Doch finden
ſich außer allgemeinen Bemerkungen über daſſelbe, wobei alle alten
Fabeln und die mediciniſche Verwendbarkeit beſprochen werden, auch
Betrachtungen über den Milchreichthum der Wiederkäuer, über den
Umſtand, daß dieſelben im Winter ſtärker wiederkäuen, endlich auch
über den wiederkäuenden Fiſch Scarus. Das letzte Kapitel weiſt nach,
daß dem Rinde das Wiederkäuen mehr als den übrigen Wiederkäuern
zuſage. Nach dieſen kurzen Andeutungen ſtellt ſich die Schrift als ohne
jeglichen Einfluß auf den Fortſchritt der zoologiſchen Kenntniß dar und
iſt faſt nichts, als eine ſich an einen Naturgegenſtand anlehnende Ent-
faltung litterariſcher Gelehrſamkeit.
Unter den einzelnen Wiederkäuern wurde der Hirſch einigemal be-
ſonders behandelt. Die früher mitgetheilten ſich auf ihn beziehenden
Ueberlieferungen, ſein Verhältniß zu den Schlangen und Aehnliches,
trugen dazu bei, den Glauben an ſeine Heilkräftigkeit lebendig zu er-
halten. Und ſo war auch die erſte ausführliche Schrift über ihn vor-
züglich darauf gerichtet, den mediciniſchen Gebrauch der einzelnen
Theile des Hirſches darzuſtellen. Der Stadtarzt zu Amberg, Joh.
Georg Agricola war ihr Verfaſſer. Ein kurzer einleitender Abſchnitt
handelt zwar von der Natur und den Eigenſchaften des Thiers, aber
ohne damit die Naturgeſchichte deſſelben nur irgend eingehend zu erläu-
tern. Dagegen iſt der Haupttheil des Buchs der Verwendbarkeit des
Hirſches in der ärztlichen Praxis gewidmet. In einer zweiten Bear-
beitung ſcheint dem naturhiſtoriſchen Theile mehr Beachtung zugewendet
worden zu ſein78). Aus gleicher Zeit ſind noch ein paar kleinere
[346]Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen.
Schriften über den Hirſch zu erwähnen von Florian Mejer,
Werner Rolfink und andre, welche indeß gleichfalls die Kennt-
niß der Naturgeſchichte des Thieres nicht förderten. Das früher (noch
von C. Gesner und Aldrovandi zum Theil) mit dem Elenn verwech-
ſelte Rennthier wird jetzt, zwar auch nicht ganz naturgetreu aber ſicher
erkennbar, von Olaus Magnus (welcher ihm drei Hörner zuſchreibt),
Apollonius Menabeni u. A. beſchrieben, in der Regel mit dem Elenn
zuſammen. Sowohl hier als bei den Schilderungen des letztgenannten
hirſchartigen Thieres treten wieder mediciniſche Geſichtspunkte in den
Vordergrund. Der alten Fabel zufolge ſoll das Elenn an Epilepſie lei-
den, wie außer dem Menſchen nur noch die Wachtel. Berührt es mit
ſeiner hintern Klaue das Ohr, ſo höre der Anfall auf. Die Klaue hat
daher Heilkräfte. Dies iſt das Thema, was in den Schriften über das
Elenn aus jener Zeit häufig wiederholt wird, während die Natur-
geſchichte des Thieres nur eine oberflächliche und mehr beiläufige Er-
wähnung findet79). — Von den verſchiedenen Formen der Pferde-
gattung fand zunächſt das Pferd ſelbſt in mehreren praktiſchen ökono-
miſchen und Veterinär-Schriften Berückſichtigung, ebenſo in manchen
Jagdbüchern. Gleichfalls mit den Krankheiten des Pferdes zuſammen
ſchilderte Carlo Ruini deſſen Anatomie80). Das Zebra wurde von
den Reiſenden Pigafetta und Thevenot beſchrieben. Zu Einzelarbeiten
über die verſchiedenen Arten fehlte es aber außer beim Pferde noch an
Material; daher auch die Unklarheit in Bezug auf das Verhältniß der
einzelnen Arten zu einander: man hielt manche nur für verſchiedene
Geſchlechter einer Art. — Vom Hippopotamus gab Fabius
Columna nach einem in Salz conſervirten Exemplar, welches Fede-
[347]Arbeiten über einzelne Claſſen und Formen.
rigo Zerenghi aus Damiette nach Rom gebracht hatte, eine ausführliche
von Maßangaben begleitete Beſchreibung und eine im Ganzen leidliche
Abbildung, freilich ohne auf die ſyſtematiſche Stellung oder die Ver-
wandtſchaft des Nilpferdes zu anderen Formen irgend einzugehen81). —
Was die walartigen Säugethiere betrifft, ſo lieferte Belon eine treue
Schilderung und Abbildung des Delphins (ſ. unten). Die genaue
Kenntniß des Narwals erhielt dadurch ein beſonderes Intereſſe, daß an
deſſen für ein Horn angeſehenen Stoßzahn ſich noch immer die Fabel
von der Heilkraft des Einhorns geknüpft hatte. Hier ſprach ſchon
Olaus Worm aus, daß der fragliche Theil kein Horn, ſondern ein
Zahn ſei, trotzdem man überall ſelbſt Stücke davon als wunderthätige
Gebilde vom Einhorn in Anſehn halte82). Nicolas Tulp gibt nun
zwar eine Abbildung des ganzen Thieres ſowie des Schädels, hält
aber demungeachtet den Zahn wieder für ein Horn83).
Unter den Arbeiten über die Vögel iſt zunächſt der Bemühungen
einiger Männer zu gedenken, welche die Namen der einzelnen Arten
in den verſchiedenen Sprachen feſtzuſtellen ſuchten. Es handelt
ſich dabei nicht um etymologiſche Geſichtspunkte, ſondern theils
um zoogeographiſche Aufklärungen, wenn man die beſcheidenen Liſten
ſo auffaſſen darf, theils um Erläuterung der klaſſiſchen Schrift-
ſteller. Beides iſt gleich verdienſtlich und vielleicht bei kritiſcher Bear-
beitung der antiken Namengebung nicht genug beachtet worden. Der
letztern Richtung gehören zwei Schriften an, von denen die eine ge-
radezu den bei Plinius und Ariſtoteles erwähnten Vögelarten gewid-
met iſt. Ihr Verfaſſer iſt William Turner, welcher oben als
[348]Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen.
Correſpondent Conrad Gesner's erwähnt wurde84). In gleichem
Sinne iſt der Dialog über die Vögel von Gybert Longolius ab-
gefaßt, welchen nach dem Tode des Verfaſſers derſelbe Will. Turner
herausgegeben hat. Turner ſpricht ſich in der dem Werke vorgeſtellten
Einleitung ſehr paſſend darüber aus, wie unrecht es ſei, wenn Gram-
matiker und Lehrer beim Erklären guter Autoren nicht wüßten, was
die bei dieſen vorkommenden Thier- und Pflanzennamen bedeuteten.
Dieſem wolle Longolius abhelfen. Im Ganzen iſt aber der Dialog
mager, Naturgeſchichtliches findet ſich faſt gar nicht darin85). Zu den
Aufzählungen der erſt genannten Art gehören die Beiträge, welche wie-
derum Turner über die engliſchen Vögel gegeben und unter Andern
Gesner mitgetheilt hat. — Entſprechen die hier genannten Arbeiten
mehr oder weniger der philologiſirenden Richtung der Zeit, ſo erſchien
kurz nach ihnen ein Werk von der größten Wichtigkeit für die Geſchichte
der Vögelkunde, welches, gleichzeitig mit der erſten Auflage von Ges-
ner's Ornithologie veröffentlicht, die erſte Monographie über die ganze
Claſſe darſtellt, die Naturgeſchichte der Vögel von Pierre Belon86).
Belon, deſſen Beobachtungen auf Reiſen in Süd-Europa ſchon oben
erwähnt ſind, wurde um 1518 in Souletière im Maine geboren (er
nennt ſich daher Belon du Mans). Von ſeinem Bildungsgang kennt
man nur wenig; man weiß bloß, daß ſich der Cardinal von Tournon,
welcher auch als Gönner Rondelets genannt werden wird, und der
Cardinal von Chatillon ſeiner auf liberale Weiſe annahmen und ihn
beſonders in die Lage brachten, Reiſen unternehmen zu können. Vor
den oben geſchilderten Wanderungen war Belon bereits in Deutſchland
(um 1540) und hat auch den Valerius Cordus in Wittenberg gehört.
Ob dieſer aber Einfluß auf Belon's weitere Studien gehabt hat, iſt
[349]Arbeiten über einzelne Claſſen und Formen.
kaum ſicher zu ermitteln. Später war er noch in England und in
Spanien. Von Karl IX erhielt er eine Wohnung im Boulogner Ge-
hölz, wo er an einer Ueberſetzung des Theophraſt und Dioſkorides zu
arbeiten begann. Er wurde indeß 1564 im genannten Walde bei Paris
ermordet. Seine ſchriftſtelleriſche Thätigkeit war von kurzer Dauer;
ſie währte von 1551 bis 1557. Doch gehören ſeine Schriften zu den
wichtigſten des vorliegenden Zeitraums. Das Werk über die Vögel iſt
in ſieben Bücher eingetheilt, von denen das erſte eine allgemeine Ein-
leitung enthält, die übrigen die ſechs Ordnungen ſchildern, in welche
Belon die Vögel eintheilt. In dem erſten Buche nehmen weitläufige
Erörterungen über die Fortpflanzungsgeſchichte nicht bloß der Vögel,
ſondern aller möglichen lebenden Weſen einen verhältnißmäßig großen
Raum ein, obſchon über Eibildung und Entwicklung nichts vorgebracht
wird, was auf die allgemeinen Anſichten über dieſe Vorgänge etwa
von Einfluß hätte ſein können. In einem nicht gar langen Kapitel
dieſes einleitenden Buches beſpricht Belon auch die innern Theile der
Vögel. Er erwähnt ſpäter einmal, daß er zweihundert verſchiedene
Arten anatomiſch unterſucht habe und ſchon dieſes ausdauernden Eifers
wegen verdient er Anerkennung. Freilich verkannte er noch Manches.
Er ſagt zwar, daß die Anatomie der Vögel der der andern Landthiere
ungefähr entſpreche (quasi correspondante); doch ſpricht er z. B. den
Vögeln außer der Harnblaſe auch die Nieren ab; ſtatt ihrer ſollen ſie
ſeiner Angabe nach nur fleiſchige den Nieren ähnliche Theile beſitzen.
Die eben erwähnte Uebereinſtimmung im Bau, welche Belon bei der
Vergleichung der Vögel mit andern Landthieren auffiel, weiſt er in
einer ſehr intereſſanten Weiſe auch im Skelet nach. Neben einander
bildet er das Skelet des Menſchen und das eines Vogels ab
mit gleich-
artiger Bezeichnung der einander entſprechenden Theile; um die Ver-
gleichung zu erleichtern ſtellt er den Vogel mit derſelben Stellung der
Glieder wie den Menſchen dar. Daß er dabei unter Anderem das
Schlüſſelbein der Vögel (den Gabelknochen) für einen den Vögeln eigen-
thümlichen Knochen nahm und das Coracoid mit dem Schlüſſelbeine
des Menſchen verglich, iſt ihm nicht als beſonders großer Fehler anzu-
rechnen. Spricht doch ſchon der Verſuch, die einzelnen Knochen zweier
[350]Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen.
in ihrem ganzen Bewegungsmechanismus ſo verſchieden angelegter
Formen, wie es Menſch und Vogel ſind, auf einander zurückzuführen,
für ein ernſtes Bemühn, die thieriſchen Geſtalten ſich eingehender ver-
ſtändlich zu machen, und, was noch bedeutungsvoller iſt, für eine Ah-
nung der hier vorliegende wiſſenſchaftlichen Aufgabe. Um für die
Eintheilung der Vögel und die Beſprechung der einzelnen Formen An-
haltepunkte zu erhalten, geht Belon noch die Verhältniſſe durch, welche
Unterſcheidungsmerkmale darbieten. Am wichtigſten ſind ihm dabei
Schnabel und Füße. Doch zählt er auch die Verſchiedenheiten in den
Sitten, der Bewegungsweiſe und der Stimme auf und beſpricht in
gleicher Weiſe die Begattungs- und Niſtzeit. Abſchnitte über die Be-
nutzung der Vögel als Speiſe, die Wirkung derſelben auf den Men-
ſchen, endlich eine Erwähnung der Weiſſagungen, die ſich auf Vögel-
flug und Vögeleingeweide gründen, durften der Richtung der Zeit nach
nicht fehlen. Ein Kapitel über den Werth der Vogelkenntniß, ſowie
über die Krankheiten und eigne Heilung derſelben und ein gleiches über
einige unbekannte Vögel ſchließen die Einleitung. Unter den letzteren
erſcheinen nicht etwa Vögel, welche zu Belon's Zeit etwa nur unvoll-
ſtändig bekannt wären, ſondern Vogelnamen aus alten Schriftſtellern,
welche nicht mit Sicherheit auf beſtimmte Arten bezogen werden kön-
nen. Neue Verſuche der Deutung finden ſich dabei nicht. Ohne wei-
tere Bemerkungen beginnt Belon nun ſofort die Schilderung ſeiner er-
ſten Ordnung, wobei er nur in der Dedication des mit beſonderem
Titel verſehenen zweiten Buches an den König erwähnt, daß, er Greife,
Harpyien, Chimären u. ſ. f. als fabelhaft weggelaſſen habe. Die ſechs
Ordnungen Belon's ſtimmen übrigens nicht recht mit den über die
Verſchiedenheiten angeführten Bemerkungen; doch verſuche er das
Aehnliche zuſammenzubringen. Den Anfang machen die Raubvögel;
dann folgen die Waſſervögel, die Strandvögel, dann die Erdniſter
(Strauß, Trappe, Hühner, Faſanen), dann,„größere, überall niſtende,
von allerlei Fleiſch lebende Vögel“ (Raben, Elſtern, Spechte, Tauben,
Papageyen, Droſſeln), endlich die kleineren Vögel (oysillons) in Hecken
und Büſchen. Dieſe theilt er, wiederum in der Dedication, in ſolche,
welche von Sämereien leben, in ſolche, welche Würmer und andere
[351]Arbeiten über einzelne Claſſen und Formen.
kleine Thiere freſſen, und ſolche, welche beiderlei Nahrung nehmen.
Trotz der nicht zu rechtfertigenden Vereinigung von Tauben, Spechten,
Papageyen und andern zu einer Gruppe und anderem Aehnlichen iſt
doch in Belon's Syſtem ein Streben, Natürliches zu verbinden, nicht
zu verkennen. Nur iſt er ſelbſt ſeinen Grundſätzen nicht ganz treu ge-
blieben. So vereinigt er die Würger und den Kukuk mit den Raub-
vögel. Den Nachtraubvögeln hängt er die Fledermaus an, indeß
nicht, weil er ſie etwa für einen Vogel gehalten hätte, ſondern der
Vollſtändigkeit wegen, weil man lange über ihre Natur im Zweifel ge-
weſen ſei. Ferner ſchildert er z. B. bei Merops die Kletterfüße, wie
er dieſelben auch bei den Spechten, dem Papagey richtig abbildet, läßt
aber den Vogel doch bei den Strandvögeln. Auch hat er die Schwimm-
haut nicht überall darauf angeſehen, ob die vierte Zehe mit darin be-
griffen iſt (z. B. beim Pelikan). Doch iſt er im Ganzen ſehr kritiſch,
wenn man an die Zeit ſeiner Arbeit denkt. Fabeln weiſt er, wie im
Allgemeinen, ſo auch im Einzelnen zurück. Von der Bernikelgans er-
wähnt er, ſie ſolle aus faulenden Schiffsmaſten entſtehen, man habe
ſie aber beim Eierlegen beobachtet. Auf den Phönix bezieht er die fuß-
loſen Bälge, welche zu ſeiner Zeit häufiger aus dem Oriente nach Eu-
ropa kamen, die Paradiesvögel, deren Benennung Apus er zurückweiſt,
weil dieſer Name bereits vergeben ſei für einen andern Vogel (den
Segler). Gerade dieſe Notiz führt auf eins der größten Verdienſte
Belon's Er iſt vor Allem wichtig durch die Aufmerkſamkeit,
welche er dem Unterſchiede zwiſchen den einzelnen Arten geſchenkt
hat. Zwar hat er noch nicht den Begriff einer naturhiſtoriſchen Art
im jetzigen Sinne; aber das was jetzt ſo genannt wird, ſucht er in ar-
tenreichen Gruppen oder in ſolchen, wo mehrere ähnliche Formen der
Beobachtung vorlagen, ſorgfältig auseinanderzuhalten. Dabei fühlt er
auch das Bedürfniß einer zweifelloſen Namengebung, nimmt aber ſeine
Namen meiſt aus dem von den Alten oder von dem Volke dargebotenen
Namenverzeichniſſe. Nur ſelten bildet er neue Namen (Oedicnemus,
Lusciniola u. a.) Von amerikaniſchen Vögeln ſind nur wenige Belon
bekannt worden, ſo ein Caſſicus, eine Droſſel (merle de Bresil) u.
a.
m. Wie Turner hält auch Belon den Truthan mit dem Perlhuhn,
[352]Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen.
der Meleagris der Alten, für identiſch und daher aſiatiſchen Urſprungs.
Die auch bei C. Gesner auftretende Bezeichnung „indiſcher Hahn“
beruht auf der bekannten Verwechſelung Weſt-Indiens mit dem alten
Indien. Bei allen durch die Zeit bedingten Mängeln bildet doch Be-
lon's Werk die Grundlage für die ſpätern. In einer damals öfter wie-
derkehrenden Weiſe wurden auch die Abbildungen Belon's (außer den
Vögeln auch einige Säugethiere, Völkerſchaften u. ſ. w.) zuſammen
wieder abgedruckt und mit kurzen Verſen begleitet. Außer den Figuren
bietet die Sammlung nichts Werthvolles87).
Von Localverzeichniſſen ſei hier der Liſte der an und auf der Elbe
lebenden Vögel gedacht, welche Joh. Kentmann, ein auch mit
Gesner in Correſpondenz ſtehender ſächſiſcher Arzt dem Meißner Rector
Geo. Fabricius mitgetheilt hat88). Sie
enthält funfzig deutſche
Vogelnamen mit den lateiniſchen Bezeichnungen zum Theil nach Ges-
ner, zum Theil nach Theodor Gaza, ohne Beſchreibung.
Nicht ſo eingehend wie bei den Säugethieren wurde einzelnen
Formen der Vögel Aufmerkſamkeit geſchenkt. Sei es, daß die in ihrem
ganzen Bau wenig Beugungen darbietende Claſſe kaum Anhaltepunkte
zeigte, die Vergleichung der verſchiedenen Geſtalten zu nutzbaren Ver-
allgemeinerungen zu führen, oder war es der Umſtand, daß die Vögel
nur in wenig Arten mit dem Menſchen in eine innige, gewiſſermaßen
häusliche Beziehung traten: ſicher iſt, daß die Kenntniß der Einzelfor-
men ungleich weniger Fortſchritte machte, als die der Säugethiere.
Das Jagen mit Falken wurde zwar noch immer geübt, fieng aber doch
wenigſtens in Europa ſchon ſehr abzunehmen an. Die Litteratur über
die Falknerei weiſt allerdings auch aus dem vorliegenden Zeitraum
noch einige Werke auf, aber keins, welches ſich in Bezug auf ſeinen
naturhiſtoriſchen wie anatomiſchen Gehalt mit dem des Kaiſers Fried-
[353]Arbeiten über einzelne Claſſen und Formen.
rich II meſſen könnte. Aus den andern Ordnungen der Vögel fanden
vorzüglich einige Beſonderheiten Beachtung, theis von Alters her
überlieferte Eigenthümlichkeiten, theils auf unvollſtändiger Beobach-
tung und irriger Annahme beruhende Merkwürdigkeiten des Vogel-
lebens. So wurden die brieftragenden Vögel einer beſondern Betrach-
tung von Joh. Wolfg. Majer unterworfen89); er führt hier
Tauben,
Krähen, Kraniche u. a. auf, aber mehr in litterarhiſtoriſcher Aus-
führlichkeit mit allerhand Citaten, als in naturgeſchichtlichem Sinne.
Eine andere oft beſprochene Frage betraf die Winterquartiere der Zug-
vögel, beſonders Störche und Schwalben. Von letzteren wurde, wie
noch bis in eine ziemlich neue Zeit herein, angenommen, ſie überwinter-
ten in Höhlen, Spalten, in ihren Neſtern, ja ſelbſt im Waſſer, wobei
mit Aufwand von viel Gelehrſamkeit der Nachweis verſucht wurde, daß
das Athmen in dem erſtarrten Zuſtande, in den ſich die Thiere dabei
befänden, gar nicht nöthig ſei, ähnlich wie es auch vom Storch als
möglich angeführt wurde90). Wie es ſich hier um Erörterungen von
Erſcheinungen handelte, welche mit den gewöhnlichen Erfahrungen über
den Ablauf des Lebensprozeſſes angeblich in Widerſpruch ſtanden, ſo
wurden auch unter den übrigen Vögeln ſolche beſonders behandelt,
welche entweder durch ihre Geſchichte oder durch ihre ganze Erſcheinung
mehr eine Art populärer Neugierde reizten, als wirklich wiſſenſchaft-
liches Intereſſe hervorriefen, ſo z. B. der Papagey, deſſen Gelehrigkeit
und Sprache von jeher bewundert worden war, und die Paradiesvögel,
von denen erſt eingehende Unterſuchungen zeigen mußten, daß ſie wirk-
lich mit Füßen verſehen ſeien, während bekanntlich der Volksglaube ſie
als nur auf dem Fluge lebend, höchſtens zuweilen mit den gekrümmten
Schwanzfedern angehängt ruhend, jedenfalls aber als völlig fußlos an-
ſah91). Und die Behandlung des
Rebhuhns, wie ſie beiſpielsweiſe
V. Carus, Geſch. d. Zool. 23
[354]Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen.
noch angeführt werden mag, zeigt, wie man ſich hier mehr mit den be-
kannten, bei den Alten und im Phyſiologus vorkommenden Erzählun-
gen beſchäftigte, als daß man eine eigentlich naturhiſtoriſche Schilde-
rung zu geben verſucht hätte92). Endlich wurden auch fabelhafte Vögel
und Fabeln von Vögeln in den Kreis der litterariſchen Beſprechung
gezogen. Daß die Geſchichte von der Baumgans noch nicht ganz aus
dem Volksglauben verſchwunden war, beweiſen die ſchon oben (S.192)
angeführten Schriften. Ebenſo wurde die Geſchichte von den Greifen,
dem Phoenix eingehend erörtert; und auch einzelne wunderbare hier
und da in den Wolken oder auf der Erde geſehene oder ſelbſt erlegte
Wundervögel fanden ihre Beſchreiber93).
Unter den Reptilien waren vorzugsweiſe die Schlangen Ge-
genſtand der Beachtung und Furcht geweſen. Die Giftſchlangen ge-
hörig unterſcheiden und beim Miſchen des Theriaks nach alter Vor-
ſchrift benutzen zu können, war beſondere Aufgabe der Aerzte. Einen
eigenthümlichen Eindruck macht es, daß die naturhiſtoriſch nicht bedeu-
tende Schrift über Schlangen, beſonders giftige, welche der bekannte
Arzt Nicolaus Leonicenus im hohen Alter verfaßte, der berüch-
tigten Lucrezia Borgia dedicirt iſt94) Sie ſchließt ſich
ziemlich treu an
Nikander, Galen und Avicenna an, deren Schriften citirend und ge-
geneinanderſtellend. Etwas näher auf die Natur des behandelten
[355]Arbeiten über einzelne Claſſen und Formen.
Gegenſtandes geht die Schrift des Arztes Baldus Angelus Ab-
batius über die Viper ein95) in welcher eine freilich etwas roh ge-
haltene Zeichnung der Lage der Eingeweide von der männlichen und
weiblichen Viper gegeben wird. Es laufen aber noch viele Irrthümer
unter. So ſoll z. B. von der Gallenblaſe eine Vene direct nach dem
Giftzahn gehn; denn das Gift wird natürlich mit der Galle in enge
Beziehung gebracht. Auch der ſpäter mit Anerkennung zu erwähnende
Marc Aurelio Severino förderte die Kenntniß der Schlangen
nicht beſonders96) In dem umfänglichen Buche über die Viper iſt
weitaus der mediciniſche Geſichtspunkt vorherrſchend. Der erſte Theil,
über die Natur der Viper, geht nur in ſehr beſchränkter Weiſe auf
Form, Bau und Leben der Viper ein, enthält vielmehr lang ausge-
ſponnene Betrachtungen, dicht mit allerhand Citaten und anderen lit-
terariſchen Belegen durchſetzt, über die ideelle Bedeutung, die Heilkraft
der Viper und Aehnliches. Es wird dabei wenigſtens auf die Lage
der Giftdrüſe und deren Verbindung mit den Zähnen hingewieſen.
Der zweite und dritte Theil, über das Gift der Viper und die Heilung
des Vipernbiſſes, wie überhaupt über die mediciniſche Natur der Viper,
ſind von noch untergeordneterer Bedeutung, namentlich der letzte, wel-
chen der Verfaſſer ſelbſt ausdrücklich als aus andern Autoren zuſam-
mengeſtellt bezeichnet.
Wie bei den Vögeln, ſucht man auch bei den Fiſchen zunächſt theils
bei dem anzuknüpfen, was die Alten ermittelt hatten, theils bei der im
Volke verbreiteten Kenntniß der verſchiedenen Formen. So wurde das
neunte Buch des Plinius ſowohl einzeln herausgegeben, als auch mit
beſondern Bemerkungen verſehen, welche ſich vorzüglich die Beſtim-
mung der erwähnten Fiſche zur Aufgabe geſtellt zu haben ſcheinen97).
Andererſeits wurden auch hier die lateiniſchen Namen mit den neuern,
23*
[356]Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen.
franzöſiſchen, zuſammengeſtellt98). Die ſyſtematiſche Auffaſſung
wurde noch vielfach dadurch getrübt, daß man unter den „Fiſchen“ nicht
bloß nach Ariſtoteles' Vorgang die mit dieſem Namen zu bezeichnenden
Wirbelthiere, ſondern im Sinne des Plinius ſämmtliche Waſſerthiere
verſtand. Es iſt oben erwähnt worden, daß Wotton in dieſer Hinſicht
zuerſt wieder an Ariſtoteles anknüpfte und dem ſprachlich allgemein ge-
gebenen Namen einen beſtimmten ſyſtematiſchen Inhalt gab. Unter
den wichtigen Monographien der vorliegenden Zeit herrſcht noch all-
gemein der Gebrauch vor, Fiſch und Waſſerthier für gleichbedeutend zu
nehmen. Denn Belon führt unter ſeinen Fiſchen ſowohl Wale als
Robben als andre, auch niedere Thiere an, welche im Waſſer leben,
bezeichnet überhaupt die ganze Gruppe in der lateiniſchen Ausgabe als
Waſſerthiere, in der franzöſiſchen als Fiſche. Rondelet zählt die
Tintenfiſche, Schalthiere, Krebſe u. ſ. w., ruhig mit als Fiſche auf;
und Salviani betitelt zwar ſein Werk „über Waſſerthiere“, führt
aber z. B. die Sepie mit den Worten ein: „unſer neun und funfzigſter
Fiſch iſt die Sepia“ und anderes Aehnliche. Die Werke dieſer drei
Verfaſſer erſchienen faſt gleichzeitig, nur Belon's wenig früher als die
der andern. Die erſte Schrift war eine kurze Schilderung einiger merk-
würdiger Fiſche, welche Belon noch durch Holzſchnitte veranſchau-
lichte. Das Ganze mit der „wahren Beſchreibung des Delphin“ um-
faßt nur 55 Seiten99. Es iſt gewiſſermaßen ein Vorläufer ſeines
größeren Werkes und hat einen beſonderen Werth nur durch die hier
zuerſt gegebenen, ſpäter aber wiederholten Abbildungen einiger For-
men, wie Stör, Thunfiſch, welche ſich vor früheren Figuren durch
größere Treue auszeichnen. Sein ichthyographiſches Hauptwerk, wel-
ches 1553 lateiniſch, zwei Jahre darauf in einer franzöſiſchen, im
Ganzen mehr auf eine populäre Verbreitung berechneten Bearbeitung
erſchien 100), iſt zwar nicht ſo umfänglich, wie ſein Werk über die Vö-
[357]Arbeiten über einzelne Claſſen und Formen.
gel, es zeichnet ſich aber doch wie jenes durch die eingehende Berück-
ſichtigung einzelner Formen aus, wogegen allerdings ein allgemeines
zuſammenfaſſen der anatomiſchen Verhältniſſe ganz in Wegfall kommt.
Die Anordnung iſt daher keine auf natürliche Merkmale gegründete,
ſondern von der Größe, Form und dem Aufenthaltsorte hergenommen.
Der Ausdruck Cetaceen iſt bei Belon gleichbedeutend mit große Fiſche.
Er ſagt: die großen Fiſche ſollen in der Reihe beſchrieben werden, daß
mit den knöchernen lebendig gebärenden Cetaceen der Anfang gemacht
wird, alſo mit denjenigen Cetaceen, welche ſtatt der Gräten Knochen
haben. Von Fiſchen erſcheinen daher zuerſt die Selachier, Knochen
(darunter auch der Lophius) und Störe, zu welchen letztern er, hier
offenbar durch die Größe verleitet, in Folge der ſchon oben gerügten
Verwechſelung auch den Wels.bringt. Er nennt ihn auch Haufen und
läßt die Haufenblaſe vom Wels herkommen. Dann folgen die mit
Gräten verſehenen eierlegenden „Cetaceen“, Thunfiſch, Schwertfiſch
u. a. Die glatten Schollen Butten, Solen läßt er zuſammen und
auf ſie die hohen Fiſche, dann die ſchlangenartigen Meerfiſche folgen.
Die kleineren Meerfiſche theilt er in pelagiſche, litorale und felſenlie-
bende. Den Beſchluß bilden die Fluß- und Teichfiſche. Zwei wirk-
liche Fiſche, den Hippocampus und die Meernadel führt er im zweiten
Buche von den blutloſen Waſſerthieren unter den Auswürfen (Dejec-
tamenten) des Meeres auf. Weitaus die meiſten der angeführten Fiſche
bildet Belon ab. Wenn auch ſeine Holzſchnitte im Allgemeinen in Be-
zug auf den Habitus ſorgfältig gezeichnet und wiedererkennbar ſind, ſo
entſprechen dieſelben doch noch nicht den Anforderungen der Syſtema-
tik, da eine ſolche mit der in ihrem Gefolge auftretenden Berückſichti-
gung äußerer Structurverſchiedenheiten, wie bei den Schuppen, Sta-
cheln u. ſ. f. noch nicht vorhanden war. Beide Ausgaben weichen nur
100)
[358]Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen.
unbedeutend in den Figuren von einander ab; die lateiniſche enthält
109 ganze Fiſche, außerdem die Säge von Pristis, ein Haifiſchei, das
Hautſkelet des Kofferfiſches und den Kopf eines weiblichen Salmen,
die franzöſiſche die genannten vier Einzelheiten und 113 Fiſche, nämlich
noch die »Canicula maris«, »Canna«, Sargus
cephalus und Gobius
fluviatilis. Außerdem iſt die Abbildung des Gobius marinus
niger in
beiden Ausgaben verſchieden und die Figuren des Glaucus und
Chro-
mis (nach der Angabe auf S. 328 der franzöſiſchen Ausgabe die des
Coracinus und Chromis) ſind vertauſcht. Die Beſchreibungen
heben
meiſt mit der Benennung des Fiſches im Griechiſchen, Lateiniſchen,
Italieniſchen und Franzöſiſchen an101), und geben die Größe, Form,
Farbe und etwaige Eigenthümlichkeiten, wie die Beſchaffenheit des
Fleiſches. Bei einer nicht unbedeutenden Zahl werden auch die Form
und Lage der Eingeweide, ſo die Lappentheilung der Leber, die Zahl
der Pförtneranhänge und ähnliches geſchildert. Eine Berückſichtigung
der Kiemendeckel findet ſich nur zuweilen; ebenſo iſt die Anzahl der
Floſſenſtrahlen zwar bei vielen Fiſchen angeführt, aber nicht conſequent,
weder bei allen fiſchen einer Ordnung, noch bei nahe verwandten Ar-
ten. Wichtig ſind die Belon'ſchen Beſchreibungen auch noch dadurch
geworden, daß er mehrere ſeltene, erſt viel ſpäter wieder gefundene und
beſchriebene Fiſche abbildet, wie z. B. die Falx, den pesce
falce der
Venetianer, den Trachypterus102) worauf bereits Cuvier aufmerkſam
gemacht hat.
In ſo vortheilhafter Weiſe das Werk des römiſchen Ichthyologen
Hippolyto Salviani gegen das Belon'ſche in Bezug auf Umfang
und Ausſtattung abſticht, ſo enthält es doch nicht bloß eine Anzahl
Fiſche weniger, ſondern ſteht ihm auch in dem was Anordnung und
[359]Arbeiten über einzelne Claſſen und Formen.
Begründung der gewählten Reihenfolge betrifft, entſchieden nach103).
Salviani war 1514 in Citta di Caſtello im Herzogthum Spoleto gebo-
ren und wurde Profeſſor der Medicin in Rom und Leibarzt der Päbſte
Julius III, Marcel II und Paul IV; er ſtarb 1572. Sein Werk er-
ſchien, wie aus der Verſchiedenheit der auf dem Titel und am Schluſſe
angegebenen Jahrzahlen hervorgeht, in einzelnen Abtheilungen, ſo daß
er bei den letzten noch Rondelet's inzwiſchen erſchienenes Buch vor
Augen hatte und ſich gegen den von Rondelet erhobenen Vorwurf des
Plagiats von Figuren kräftig vertheidigen konnte. Belon's ein Jahr
früher erſchienenes Werk ſcheint er nicht gekannt zu haben, er erwähnt
es nirgends. Eröffnet wird das Werk durch Tabellen, worin nach dem
Alphabet der lateiniſchen Namen geordnet, die griechiſchen und vulgä-
ren Bezeichnungen und die Ausſagen des Ariſtoteles, Oppian, Pli-
nius, Athenaeus, Aelian und einiger anderer älterer und neuerer Au-
toren über die einzelnen Formen überſichtlich zuſammengeſtellt werden.
In dieſen Tabellen werden übrigens nicht bloß Fiſche, ſondern Waſſer-
thiere überhaupt aufgezählt, ſo das Nilpferd, Robben, Schnecken,
Holothurien, ſelbſt der Baſilisk. Auf dieſe, die erſten 56 Blätter ein-
nehmende Arbeit folgt nun der von Tafeln begleitete Text. Er ſchildert
im Ganzen 92 Arten Fiſche, welche auf 76 Tafeln dargeſtellt ſind.
Die Figurenzahl läuft zwar bis 99; doch iſt Centrina zweimal, von
oben und unten, auch außer dem ganzen Xiphias noch deſſen Kopf be-
ſonders abgebildet, und dann enthalten noch vier Tafeln ebenſo viel Fi-
guren von Cephalopoden. Die Nummer 54 (Abbildung des Rhinoba-
tus) fehlt. Die meiſten der ſehr ausgeführten großen Zeichnungen hat
Bernardus Aretinus, welcher zwei Jahre bei Salviani lebte, angefer-
tig; ſie ſind durch den Kupferſtich ſehr ſchön wiedergegeben und zeich-
nen ſich durch eine außerordentliche Sauberkeit und natürliche Haltung
aus, leiden aber wie bei Belon unter der Vernachläſſigung der für die
Charakteriſtik der Arten wichtigen Einzelheiten. Manche Abbildungen
ſind dem Salviani von Andern überlaſſen worden; ſo führt er den
Andreas Maſius aus Brüſſel bei der Aalruppe, den Lucas Ghinus
[360]Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen.
(Gründer der botaniſchen Gärten in Florenz und Piſa) beim Mond-
fiſch, den Daniel Barbarus beim Ammodytes an. Die Beſchreibungen
geben nach einem ziemlich gleichmäßig bei allen einzelnen Formen
wiederkehrenden Schema zunächſt die Namen mit dem Verſuch, die im
Ariſtoteles und Plinius vorkommenden Bezeichnungen auf beſtimmte
Fiſche zu beziehen. Dann folgt die Beſchreibung der Art ſelbſt. Dabei
findet ſich oft, wie bei Belon, die Schilderung einzelner Eingeweide,
wie ſich Salviani in der Vertheidigung gegen Rondelet rühmt, ſchon
Jahre lang Zergliederungen von Fiſchen ausgeübt zu haben. Die Be-
ſchreibungen ſind aber durchaus nicht genügend, mit Sicherheit die
Arten überall wiederzuerkennen, da es eben noch an der Technik der
Syſtematiſation fehlt. Meiſt ſchließen ſich dann Notizen über den
Fundort an. Bemerkungen über die Natur, Zeit und Verhältniſſe des
Laichens, Lebensweiſe und Aehnliches machen den Beſchluß des eigent-
lich naturgeſchichtlichen Theils der Schilderung, dem aber faſt überall
noch Rubriken über die Aufbewahrungs- und Zubereitungsweiſe des
Fiſches, über ſeinen Werth als Gericht bei Tafel, ſowie über ſeine Be-
deutung als Nahrungs- und Heilmittel angehängt ſind. Die meiſten
von Salviani erwähnten Arten aus dem von ihm durchſuchten fauni-
ſtiſchen Gebiete ſind zwar von alten Schriftſtellern erwähnt worden,
doch beziehen ſich einige ſeiner Schilderungen auf Formen, welche er
als den Alten unbekannt nur mit der Vulgärbezeichnung einführt.
Hierdurch hat er die Zahl der beſchriebenen Fiſche um ein paar For-
men vermehrt. Doch iſt die Beſtimmung derſelben aus den mehrfach
angeführten Gründen nicht immer leicht und wird nur durch die ziem-
lich enge Begrenzung des Gebietes unterſtützt, dem er ſeine Fiſche ent-
nahm. Es ſind faſt alles mittelmeeriſche oder adriatiſche Arten. Sal-
viani ſchickt der Aufzählung der einzelnen Arten weder eine allgemeine
Einleitung noch irgend ein Wort zur Begründung der von ihm ge-
wählten Reihenfolge voraus. Nur wo er auf den Hammerhai die
übrigen Haifiſche folgen läßt, gibt er einen kurzen einleitenden Abſchnitt
über die Knorpelfiſche, von denen er aber die Zygaena ausſchließt.
Dann ſchaltet er ein paar allgemeine Worte über die platten Knorpel-
fiſche ein, beginnt aber deren Reihe, wie alle ſeine Zeitgenoſſen, mit
[361]Arbeiten über einzelne Claſſen und Formen.
dem Froſchfiſch, Lophius. Die Cephalopoden führt er nun wohl mit
einer Schilderung der Weichthiere ein, geht dann aber ohne ein Wort
des Uebergangs oder der Verbindung auf Chrysophrys über. Er bringt
indeß im Allgemeinen meiſt verwandte Formen zuſammen. Den An-
fang machen die ſchlangenähnlichen Aale, zwiſchen denen freilich auch
die Pricke erſcheint. Die karpfen- und lachsartigen Formen ſtehen auch
beiſammen; doch fehlt wie im Allgemeinen jede Motivirung der An-
ordnung, ſo hier der Verbindung. Das weſentlichſte Verdienſt Sal-
viani's beruht in der techniſch ſchönen Ausführung der allerdings na-
turgeſchichtlich nicht völlig brauchbaren Abbildungen und in der ſich an
die Natur ſelbſt anlehnenden Beſchreibung einer Anzahl bis dahin un-
beſchriebener Formen.
Der bedeutendſte der drei Ichthyologen des ſechszehnten Jahrhun-
derts iſt ſowohl der Zahl der von ihm geſehenen und beſchriebenen
Fiſche nach, als wegen der Sorgfalt des Beſchreibens und des bewuß-
ten Eingehens auf Unterſcheidungsmerkmale Guillaume Rondelet.
Im Jahre 1507 in Montpellier geboren, ſollte er wegen fortdauernder
Kränklichkeit während ſeiner Kindheit dem geiſtlichen Stande zugeführt
werden. Das Kloſter, in welches er zu dieſem Zwecke gebracht worden
war, verließ er indeß ſchon in ſeinem achtzehnten Jahre wieder. Seine
körperliche Entwickelung hatte ſich unterdeß günſtiger geſtaltet und da-
mit war auch ein Trieb nach tieferem Wiſſen in ihm erwacht. Er begab
ſich mit Unterſtützung ſeines älteren Bruders nach Paris, um dort
Medicin zu ſtudiren, lernte dort Winther (Guintherus) von Andernach
kennen, bei welchem er eifrig Anatomie trieb, und kam 1529 nach
Montpellier zurück. Seine mislichen Vermögensumſtände, trotz denen
er ähnlich wie Gesner ſchon früh, 1538, geheirathet hatte, beſtimmten
ihn, in einem kleinen Orte als praktiſcher Arzt thätig zu ſein und, da
dies, ſelbſt in Verbindung mit Elementarunterricht den er ertheilte,
mit nur geringem Erfolg verbunden war, vier Jahre zu ſeinem wohl-
habenden und kinderloſen Schwager nach Florenz zu ziehen. 1542
nach Montpellier zurückgekehrt fand er im Cardinal von Tournon einen
Gönner und Förderer, er wurde von ihm als Arzt angenommen, auf
deſſen Betrieb 1545 Profeſſor der Medicin in Montpellier und von
[362]Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen.
ihm auf größeren Reiſen nach Holland und Italien mitgenommen, wie
der Cardinal ihm auch noch ſpäter eine beſondere Penſion ausſetzte.
Einen einjährigen Aufenthalt in Rom benutzte er beſonders zum Stu-
dium der Fiſche, ebenſo ein kürzeres Verweilen in Venedig, Parma,
Piacenza, Padua und Bologna, welche Städte er auf ſeiner Rückreiſe
berührte. Von 1551 an verließ er Montpellier nur auf kurze Zeit; er
betheiligte ſich bei der Gründung eines anatomiſchen Theaters, wurde
ſpäter Kanzler der Univerſität und ſtarb 1556 an der Ruhr. Mit den
meiſten der hervorragenden Naturforſcher ſeiner Zeit bekannt, begeg-
nete er ſich mit ihnen in dem Streben, an die Stelle der bloß littera-
riſchen ſprachlichen Unterſuchung oder zunächſt neben dieſelbe Beobach-
tungen der Natur ſelbſt zu ſetzen, wurde aber wie die andern durch den
Mangel der nothwendigen Vorbegriffe und in Folge hiervon der tech-
niſchen Hülfsmittel gehindert, umgeſtaltend in dem von ihm bearbei-
teten Felde wirken zu können. Seine mediciniſchen Schriften kommen
hier nicht in Betracht. Von großer Wichtigkeit iſt dagegen ſein Fiſch-
buch. Daſſelbe erſchien in zwei Theilen 1554 und 1555, alſo gleich-
zeitig mit Salviani's erſten Theilen und mit Belon's franzöſiſcher
Bearbeitung, ſowie vier Jahre vor Gesner's Fiſchbuch, in welches das
Meiſte von Rondelet's Beobachtungen aufgenommen wurde104). Die
allgemeinen Anſchauungen Rondelet's erheben ſich nicht über die ſeiner
Zeitgenoſſen. Wie erwähnt gilt ihm Fiſch und Waſſerthier für völlig
gleichbedeutend. Auch ihm fehlt ſowohl die Reihe der ſyſtematiſchen
Glieder zur Eintheilung einer Thierclaſſe von oben herab, als der Be-
griff der Art. Genus und Species ſind ihm überhaupt nur Bezeich-
nungen für zuſammengehörende Formen auf gleichviel welcher ſyſte-
matiſchen Stufe; es können daher beide einander nach Umſtänden über-
oder untergeordnet ſein. Er braucht auch beide Ausdrücke abwechſelnd
zur Bezeichnung deſſelben Verhältniſſes 105). Die in der allgemeinen
[363]Arbeiten über einzelne Claſſen und Formen.
Einleitung ſeines Werkes vorkommenden anatomiſchen Bemerkungen
zeigen allerdings, daß er auch Fiſche aufmerkſam zergliedert hat; doch
iſt er noch nicht im Stande, ſich durch die Uebereinſtimmung im Bau
ſo vieler Fiſche von dem Aberglauben in Bezug auf einzelne frei zu
machen. So verſucht er z. B. für die merkwürdige Fähigkeit der Re-
mora, große Schiffe feſt zu halten, ſelbſt eine mechaniſche Erklärung zu
geben. Mehrere der von ihm mit dem Ariſtoteliſchen Namen Aphya
aufgeführten kleinen Fiſchchen ſollen wirklich aus Schlamm, Sand,
Schaum entſtehen. Da er auch die Walthiere, die Cetaceen im heutigen
Sinne (denn auch bei ihm iſt piscis cetaceus ſynonym mit großer
Fiſch) mit aufführt, ſo enthalten die anatomiſchen Abſchnitte auch viele
Einzelheiten über dieſe Waſſerſäugethiere. Bei Hervorhebung der Ver-
ſchiedenheiten dieſer von den Fiſchen erſcheint manche ganz gute Be-
merkung. So ſchildert er beim Zwerchfell der Wale die Lage und Be-
feſtigung des Fiſchherzens und hebt die Abweſenheit eines Zwerchfells
bei den Fiſchen hervor. Auch das Herz der Fiſche beſchreibt er richtig
als aus drei Theilen beſtehend, freilich ohne die Klappen zu erwähnen.
Auf die Kiemen geht er überall in den Beſchreibungen ein. Dabei
kommt es aber vor, daß er bei der Meernadel (Syngnathus) ſagt, die
Kiemen ſeien denen des Hippocampus ſehr ähnlich, was eine ganz rich-
tige Bemerkung wäre, beide ſind Lophobranchier. Beim Hippocampus
aber meint er, daß gar keine Kiemen vorhanden ſeien. Die lungen-
athmenden Fiſche haben Ohren; womit aber die andern hören, iſt un-
bekannt. Die hier mitgetheilten anatomiſchen Angaben ſind nun aber
nicht zu einer ſyſtematiſchen Schilderung des Fiſchbaues vereint und
etwa nach den Organgruppen geordnet, ſondern treten nur gewiſſer-
maßen in zweiter Linie auf bei der Ueberſicht über die Verſchiedenheiten
der Fiſche. Wie wenig ſich Rondelet bei ſeiner, vorwaltend doch ordnen-
den Arbeit der eigentlichen Aufgabe bewußt wurde, erſcheint vielleicht
nirgends ſo deutlich als gerade hier, wo er alle möglichen Seiten der
Fiſche, ihr Leben, ihren Bau, Aufenthalt u. ſ. f. durchmuſtert, ohne
105)
[364]Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen.
dadurch auf die größeren Unterabtheilungen, wie Ordnung, Familie u.
dergl., geführt zu werden. Die von ihm für ſolche angeführten Be-
zeichnungen, wie Knorpelfiſche u. ſ. w. waren bereits überliefert.
Rondelet hat Nichts gethan, ſie zu beſtätigen oder ihre Reihe zu erwei-
tern. Auch ſein Hauptverdienſt beruht auf der Einzeldarſtellung. In
den erſten vier Büchern ſeines Werkes geht er die Verſchiedenheiten der
Fiſche durch, und zwar zuerſt nach der Lebensweiſe, dem Aufenthalts-
ort und der Nahrung; dann nach der Conſiſtenz (Knorpel, Schalen),
Form, Größe, der Lage, Zahl, Entwickelung der einzelnen Theile, dem
Geſchmack, Geruch, der Farbe und den beſondern Kräften. Nun fol-
gen die Verſchiedenheiten nach den einzelnen Theilen des Körpers,
Kopf, Auge, Ohr, Mund, Zähne u. ſ. w. Mit der Erwähnung der
verſchiedenen Arten der Zeugung, Bewegung, Athmung, der Sinnes-
thätigkeit, der Sitten ſchließt der allgemeine Theil. Der Schilderung
der einzelnen Formen ſchickt Rondelet die Frage voraus, welche Reihen-
folge bei der Beſchreibung eingehalten werden ſolle. Statt irgend eines
Planes, wie er ſich etwa die Claſſe geordnet denkt, erklärt er es für
das Beſte, mit dem Bekannteſten und zu jeder Jahreszeit zu habenden
anzufangen, dann das nächſt Aehnliche daran zu knüpfen. So fängt
er denn mit dem Goldbraſſen, der Dorade an, verwahrt ſich aber dabei
gegen den Verdacht, als habe er die Abſicht, etwa dem Alphabete zu
folgen und mit der Aurata des Anfangsbuchſtabens wegen zu begin-
nen. In den beiden Theilen ſeines Werkes ſind 264 Fiſche, 205 See-
und 59 Süßwaſſerfiſche beſchrieben, von denen 239 (191 See- und 48
Süßwaſſerfiſche) abgebildet ſind. Die Figuren ſind in Holzſchnitt wie-
dergegeben, durchſchnittlich roher geſchnitten als bei Belon, im Ganzen
aber etwas treuer in Bezug auf Einzelnes, wie Kiemendeckelrand u.
dergl. Doch hieße es Rondelet's Verdienſte entſchieden überſchätzen,
wenn man vom Erſcheinen ſeiner Abbildungen etwa die Wiedererkenn-
barkeit der Arten datiren wollte; es ſtehen dieſelben im Ganzen auf
genau derſelben Stufe mit Belon's und ſind etwas beſſer, wenn auch
ungleich weniger ſchön als Salviani's. Er wußte ebenſowenig als
dieſe beiden, auf was es zur feineren Unterſcheidung nahe verwandter
Formen etwa ankommen möchte, und vernachläſſigte daher wie jene
[365]Arbeiten über einzelne Claſſen und Formen.
die bei der Beurtheilung der Arten ſo ſchmerzlich vermißten Details.
An die Aurata reiht er zunächſt andere mit Schuppen verſehene, an
den Ufern ſich aufhaltende Seefiſche, Pagrus, Cantharus u. a. Von
dieſen geht er auf die in dem reinſten Seewaſſer in der Nähe von Fel-
ſen und Riffen lebenden Schuppenfiſche über, welche ſchon Galen als
saxatiles bezeichnet und ihres beſonders geſunden Fleiſches wegen ge-
rühmt hatte. Hierher gehören die Scarus, Sparus (»Turdus und
Merula«), Phycis, Scorpaena. Hierauf folgen die Aphyen, die klein-
ſten Fiſchchen, welche zum Theil nur Jugendzuſtände anderer ſein mö-
gen, zum Theil aber aus Schlamm, Sand u. dergl. ohne Eier und
Samen entſtehen. Den nächſten Abſchnitt leitet er mit den Worten
ein: „wir kommen nun allmählich von den kleineren zu den größeren
Fiſchen“ und bringt hier eine Reihe von Fiſchen, welche er zum Theil
nur nach der Form vereinigt. So führt er z. B. unter der Bezeich-
nung Meernadel (Acus) die Belone und den Syngnathus auf. In
dieſer Reihe erſcheinen auch die Scomberoiden, die Makerele, Pelamys,
und der Schwertfiſch. Auch bei den folgenden Abtheilungen hat ihn
die Körperform geleitet: zunächſt folgen nämlich: „faſt runde, nicht
zuſammengedrückte ſchuppige Fiſche“, Mugil, Cephalus, Cestreus (im
Rondeletſchen Sinne) und die Gadus-arten (Aselli), dann die runde-
ren röthlichen Fiſche mit dickem Kopfe: Hirundo, Cuculus, Lyra (das
ſind Dactylopterus, Trigla, Peristedion) zwiſchen Mullus und am
Schluſſe Uranoscopus. Von den platten Fiſchen, zu denen er dann
übergeht, ſchildert er zunächſt die nicht knorpligen, die Pleuronectiden
und den Zeus faber, dann die knorpligen, die Rochen, dabei Lophius,
welchen er als Mittelform den Uebergang zu den langen bilden läßt.
An die platten ſchließt er zunächſt die langen Knorpelfiſche, die Haie,
an dieſe die langen, aalartigen Knochenfiſche, zwiſchen denen freilich
auch bei Rondelet die Lamprete und an deren Schluß der Stör erſcheint.
Unter der Bezeichnung fremdartiger und ſeltener Fiſche vereinigt er
Diodon, Orthagoriscus, Echeneis und andere. Die Cetaceen und
Monſtren, in welcher Abtheilung er auch die Seeſchildkröten aufführt,
ſchließen die Reihe der blutführenden Seefiſche im erſten Theile; im
zweiten erſcheint zunächſt der Hippocampus unter den Würmern.
[366]Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen.
Lagunenfiſche (aus Teichen mit Meerwaſſer) ſind die zuletzt geſchilder-
ten Seefiſche. Die Süßwaſſerfiſche trennt er in Teich- und Flußfiſche
und trennt damit ſowohl die karpfenartigen als die lachsartigen. Den
Karpfen ſchildert er aus dem Teiche, Weißfiſch und Barbe aus dem
Fluſſe, Äſche und Forelle aus Teichen und Seen, den Lachs aus den
Flüſſen. Unter den Flußfiſchen finden ſich denn auch die andern Stör-
arten wieder (der Attilus und Galeus Rhodius), wogegen er ſowohl
die Hauſenblaſe dem Wels zulegt, als den Namen Silurus. Die Na-
men Esox, Glanis und Silurus ſind aber noch immer nicht mit
Sicherheit gedeutet. — Wie Rondelet mehr Fiſche beſchrieben hat als
Belon und Salviani zuſammen, ſo zeichnen ſich auch die Beſchreibun-
gen ſelbſt vor denen jener beiden aus. Es iſt zwar auch noch bei ihm
ein guter Theil des Textes, wo überhaupt dazu Veranlaſſung war, der
Erörterung der älteren Namen gewidmet. Die eigentliche Beſchrei-
bung iſt aber im Allgemeinen präciſer, wenn auch natürlich nach heu-
tigen Anforderungen vieles von dem fehlt, was man als naturhiſto-
riſche Beſchreibung aufzufaſſen hat. — Wie Belon's wurden auch
Rondelet's Figuren beſonders wieder abgedruckt und von Franç.
Bouſſuet mit meiſt kurzen vierzeiligen, im Ganzen recht ungeſalze-
nen Verſen verſehen. Bei den eigentlichen Fiſchen nimmt Bouſſuet
gern auf den Geſchmack und die Natur des Fleiſches Rückſicht106).
Bezeichnend für den Antheil, welchen man auch in nicht ärztli-
chen Kreiſen an der Erklärung der bei den Alten vorkommenden Fiſch-
namen und ihrer Beziehung auf täglich zur Beobachtung kommende
Fiſche nahm, iſt das Schriftchen des bekannten Paolo Giovio über
römiſche Fiſche107). Doch iſt dies nicht etwa eine Fiſchfauna der rö-
miſchen Gewäſſer; es handelt nur von den in Rom auf den Markt
kommenden Fiſchen in litterarhiſtoriſchem Sinne. Eine fauniſtiſche
[367]Arbeiten über einzelne Claſſen und Formen.
Aufzählung der Fiſche eines beſtimmten Gebiets iſt dagegen die Schrift
des Hamburger Arztes Stephan von Schönfeld108). Da der
Verfaſſer ein Gebiet auf ſeine Fauna zu durchmuſtern Gelegenheit
hatte, aus welchem verhältnißmäßig wenig Fiſche den oben genannten
drei Ichthyologen zu Geſicht kamen, ſo konnte er die Zahl der bekann-
ten Fiſche um einige durch gute in Kupferſtich ausgeführte Abbildungen
dargeſtellte erhöhen. Eine kurze Namenliſte der Elbfiſche gibt nach
Mittheilungen der Fiſcher Kern, Vater und Sohn, der obengenannte
Georg Fabricius109). Die Fiſche werden dabei eingetheilt in
ſolche, welche nur als Gäſte aus dem Meere in die Elbe gelangen, in
ſolche, welche aus Bächen und Flüſſen hineinkommen und in eigentlich
der Elbe angehörige. Es ſind im Ganzen 38 Fiſche. Der Lachs heißt
Esox, der Wels Amia oder, nach Gesner, Silurus mit dem Zuſatz
„nicht richtig“, der Hecht iſt Lucius. — Mit dem ganzen Aufwand der
Schulweisheit wurden jetzt auch einzelne Fragen aus der Biologie der
Fiſche erörtert, wie z. B. am Ende des jetzigen Zeitraums die von
dem Vorhandenſein auf der Erde lebender und fliegender Fiſche,
wobei zu rühmen iſt, daß jetzt ſchon der Ausdruck Fiſch ein ſyſtematiſch
beſtimmterer zu werden beginnt; Voigt definirt nämlich den Fiſch
als ein ſchwimmendes, mit Kiemen, Floſſen, Gräten und einer Blaſe
verſehenes Thier110).
Wurden im Vorſtehenden die die vorliegende Periode vorzugsweiſe
auszeichnenden Leiſtungen zur Förderung der Fiſchkenntniß zu ſchildern
verſucht, ſo iſt doch daran zu erinnern, daß das allgemein ſich geltend
machende Beſtreben, die einzelnen Thierformen ſchärfer zu kennzeich-
nen und bei der Zunahme der allmählich kennen gelernten Formen das
Einzelne ſicherer zu unterſcheiden, einzelne Schilderungen von Fiſchen
hervorrief, ſelbſt da, wo ſie nur neben Andern beobachtet wurden, daß
[368]Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen.
man überhaupt der Claſſe eine ebenſo eingehende Aufmerkſamkeit zuzu-
wenden begann, wie den höheren Wirbelthieren. So finden ſich nicht
bloß bei Reiſenden, ſondern auch bei Aerzten der Aufzählung des Arz-
neiſchatzes auch Beſchreibungen einzelner Fiſche angehängt (beiſpiels-
weiſe bei Fabius Columna in der Ekphraſis), durch welche Erſcheinun-
gen ſämmtlich der Boden zur Errichtung eines wirklichen Fiſchſyſtems
geebnet wurde.
Von den wirbelloſen Thieren ſind zwar die Mollusken bei faſt
allen Arbeiten über die Waſſerthiere vollſtändig oder theilweiſe berück-
ſichtigt worden. Doch ſchritt ihre Kenntniß nur wenig fort. Man be-
ſtätigte im Allgemeinen die Angabe des Ariſtoteles, deſſen Autorität
hier noch ſtrenger aufrecht erhalten wurde, als bei den höheren Thie-
ren. Durchgehend wurde ſeine Eintheilung in Weich- und Schalthiere
beibehalten, freilich nicht immer in der von ihm gegebenen Begrenzung
beider Gruppen. So führt Rondelet die „Seehaſen“ und die Actinien,
Belon die Actinien unter den „weichen Fiſchen“ neben den Cephalopo-
den auf. Beide haben Tintenfiſche zergliedert; aber ohne über das,
was Ariſtoteles bereits wußte, hinausgegangen zu ſein. Belon bringt
ſogar die Argonauta, welche Rondelet ganz richtig bei den Octopoden
ſtehen läßt, zu den Schalthieren. Von den übrigen Mollusken führt
Rondelet noch unter der Bezeichnung „Seehaſen“ neben den Aplyſien,
von denen er zwei Formen darſtellt, die Thetys auf. Von den Cepha-
lophoren und Acephalen, den Schnecken und Muſchelthieren, ſind es
vorzüglich die Schalen, welche Aufmerkſamkeit erregen. Eine ziemliche
Anzahl bildet Columna ab. Nur ſelten wurden die Thiere ſelbſt ge-
ſchildert. Beſondere Beachtung wurde, und zwar gleichfalls aus einem
vorzugsweiſe geſchichtlichen Geſichtspunkte der Purpurſchnecke gewid-
met. Fabius Columna hält das Buccinum des Mittelmeeres für
das den Purpur der Alten liefernde Thier, gedenkt aber daneben auch
der Janthina, von denen beiden er ganz leidliche Abbildungen und ein-
gehende, freilich ſich nicht auf die innern Theile erſtreckende Beſchrei-
bungen liefert 111). Einfache Ascidien erſcheinen überall in Abbildun-
[369]Arbeiten über einzelne Claſſen und Formen.
gen, durch die beiden Ausgangsöffnungen hinreichend gekennzeichnet,
im Uebrigen ſehr oberflächlich geſchildert. Zuſammengeſetzte Ascidien
(Botryllus) bildet Belon ab, aber ohne ihre Natur zu ahnen.
Es wurde oben erwähnt, daß Gesner die Inſecten zu bearbeiten
begonnen hatte, daß er aber nicht ſelbſt zur Ordnung und Veröffent-
lichung ſeiner Materialien kam. Was er handſchriftlich über dieſe
Claſſe hinterlaſſen hatte, kam durch Joach. Camerarius an Thomas
Penn in London, welcher unter Zugrundelegung des Gesnerſchen Ma-
nuſcriptes noch das Werk Edw. Wotton's in Bezug auf die Inſecten
zu Auszügen benutzte und überhaupt fünfzehn Jahre lang die Samm-
lung über die Inſectengeſchichte zu vervollſtändigen ſuchte. Auch er
ſtarb vor der Ueberarbeitung und letzten Ordnung der Handſchrift.
Dieſe Arbeit übernahm nun Thomas Mouffet112), ein Londoner
Arzt, welcher nach langer Mühe und Beſeitigung vieler Skrupel über
die Schwierigkeit und Zweckmäßigkeit eines Werkes über Inſecten
(— nach dem Urtheile ſeiner Freunde eines Werkes ohne Würde, An-
ſtand und Nutzen —113) endlich zum Abſchluß gelangte. Indeß wurde
der Druck nochmals verzögert, da Mouffet 1599 ſtarb und Theodor
von Mayerne, in deſſen Beſitz die Handſchrift kam, lange keinen Drucker
finden konnte. Das Werk erſchien endlich 1634, alſo nach Aldrovandi
und vor Jonſton. Iſt ſchon das oben erwähnte Bedenken gegen eine
eingehende Beſchäftigung mit ſo winzigen Thieren charakteriſtiſch für
die Stellung, welche er ſeinem Gegenſtande gegenüber einnahm, ſo
ſpricht auch der Text des Werkes ſelbſt dafür, daß man zu ſeiner Zeit
zwar im Allgemeinen wohl auch im Kleinſten die Wunder der Natur
mit mehr als bloßer Neugierde zu betrachten begann, daß man aber
111)
V. Carus, Geſch. d. Zool. 24
[370]Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen.
noch weit davon entfernt war, die Beziehungen der Inſecten ſowohl zu
andern Thierclaſſen als ſelbſt zu andern Abtheilungen der Arthropo-
dengruppe wiſſenſchaftlich ſich klar zu machen. Man ſtand hierin, wie
auch in gar manchen Einzelheiten, ſelbſt dem Ariſtoteles nach.
Mouffet legt ſeiner Eintheilung der Inſecten die Gegenwart und
das Fehlen der Flügel zu Grunde. Innerhalb der beiden hierdurch er-
langten Gruppen der Geflügelten und Flügelloſen folgen ſich die einzel-
nen Formen zwar zum Theil nach natürlicher Verwandtſchaft, d. h.
ungefähr ſo, wie Gesner die rinderartigen, ziegenartigen Säugethiere
zuſammenſtellt, meiſt aber in einer mehr oder weniger zufälligen Reihe.
Den Anfang machen die Bienen aus dem Grunde, weil nur ſie dem
Menſchen Nahrung geben, während die andern höchſtens zu Heil-
zwecken verwendet werden. Den Bienen ſind angeſchloſſen die Wes-
pen und Hummeln. Dann folgen die „Fliegen“, unter welcher Bezeich-
nung er aber ſowohl zweiflüglige als vierflüglige Inſecten, unter
letzteren die Ichneumoniden und Libelluliden verſteht, ſo daß die dann
behandelten nächſten Verwandten der Fliegen, die Mücken, von jenen
getrennt werden. Bei den nun geſchilderten Schmetterlingen wird zwar
häufig die Puppe, aber nur in ſeltenen Fällen auch die Raupe erwähnt.
Wie wenig damals die ganze Bildungsgeſchichte eines Thieres als zu
ſeiner Charakteriſirung nothwendig angeſehen wurde, beweiſt der Um-
ſtand, daß die Raupen, weit getrennt von den Schmetterlingen, die
Reihe der flügelloſen Inſecten eröffnen trotz der von Mouffet erkannten
genetiſchen Beziehung zwiſchen Raupe und Schmetterling (er ſpricht
wenigſtens vom Schmetterling und „ſeiner Raupe“). Auf die Schmet-
terlinge folgen dann in ziemlich bunter Reihe Käfer, Cicaden, Heu-
ſchrecken u. ſ. f. Mitten darunter erwähnt er ein Inſect Pyrigonum,
welches, wie er glaubt, im Feuer leben kann; er ſtellt eine lange Erör-
terung darüber an, ob die Thiere aus feurigen Dämpfen entſtehen
können, unterſucht aber nicht, was denn das nun eigentlich für ein
Thier ſei, ſchließt dagegen mit der Betrachtung, daß man hier Gottes
Allmacht bewundern müſſe, welcher das größte aller Elemente einem
ſo kleinen Thiere unterworfen habe. Auch die geflügelten Skorpione
erſcheinen hier mit denſelben aus andern Werken bekannten Abbildun-
[371]Arbeiten über einzelne Claſſen und Formen.
gen, trotzdem er ganz richtig mit der Bemerkung beginnt, daß Ariſto-
teles die Skorpione für flügellos erklärt habe. Die Reihe der Flügel-
loſen bietet ein faſt noch bunteres Bild dar, indem er hier, zwar im
Allgemeinen wieder auf den Beſitz der Füße und das Medium Rückſicht
nehmend, aber doch ohne Beachtung der wahren Verwandtſchaft,
Raupen, Engerlinge, Maden, Niſſe zwiſchen Staphylinen, welche er
ganz kenntlich abbildet, Skolopendren, Notonecten u. A. ſtellt. Mitten
zwiſchen den genannten Formen werden einige Spinnen, ſpäterhin der
Regenwurm und einige Eingeweidewürmer (Spul- und Bandwürmer)
geſchildert, und den Beſchluß machen im Waſſer lebende Formen, als
letzte darunter der Blutegel und einige Meerwürmer. In demſelben
Maße, wie die Anordnung des ganzen Formenkreiſes, deſſen Grenzen
ſchon Ariſtoteles viel ſchärfer beſtimmte, einer jeden eingehenden Be-
gründung entbehrt, ſind auch die Anſichten über den Bau, was ſich
davon etwa findet, und über die Entſtehung noch eben ſo haltlos und
nur von allgemeinen Betrachtungen ausgehend, ohne daß irgendwie
der Verſuch gemacht würde, durch Beobachtungen oder Verſuche die
Thatſachen zunächſt feſtzuſtellen114). Freilich macht ſich hier noch der
Mangel einer planmäßigen Benutzung von Vergrößerungsmitteln ſehr
fühlbar, in Folge deren Einführung die nächſte Periode ihre glänzen-
den Fortſchritte in der Inſectengeſchichte ermöglichte. Doch hätten ſchon
einfache, wenn nur ſorgfältig angeſtellte Beobachtungen die Haltloſig-
keit der Annahme widerlegen müſſen, daß z. B. die Bienen aus fau-
lenden Thierkörpern und zwar die Könige (denn Mouffet hält wieder
die Weiſel für die Männchen) aus dem Gehirn, als dem edelſten Theile
entſtänden. Eine ganz ähnliche Entſtehungsweiſe, direct aus fremd-
artigen Stoffen, nahm Mouffet auch in vielen Fällen für die Raupen
und natürlich auch für die Eingeweidewürmer an.
Der holländiſche Maler Jan Goedart blieb zwar in ſeinen
Abbildungen über die Verwandlungsgeſchichte der Inſecten (1662 und
67) der allſeitigen Unterſuchung dieſer Claſſe ebenſofern wie einem
24*
[372]Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen.
Verſuch, die Anordnung derſelben fortzubilden. Doch iſt ſein Werk
deshalb von keiner ganz untergeordneten Bedeutung für den Fortſchritt
der Entomologie geweſen, weil er in ſtrenger Folge die verſchiedenen
Stände der Inſecten als wirkliche Entwickelungszuſtände einer und der-
ſelben Art darſtellte. Von einer wiſſenſchaftlichen Auffaſſung des In-
ſectenkörpers und -lebens hat er Nichts, was über die Verwandlung
hinausgienge, wenn er auch über Einzelnes richtige Bemerkungen
macht, wie z. B. über den Antheil der Flügel bei der Erzeugung des
Geräuſches der Heuſchrecken u. A. Dagegen machte ſich in einzelnen
andern Arbeiten aus der Mitte des ſiebzehnten Jahrhunderts ein Ein-
fluß der von Harvey umgeſtalteten anatomiſchen Anſchauungen geltend.
So ſagt z. B. Jakob Wolff aus Naumburg115), daß zwar die In-
ſecten kein rothes Blut hätten; wenn man aber den weißlichen oder
ſonſt gefärbten Saft dem Blute analog nennen wolle, ſo ſei er damit
einverſtanden. Er nennt das Blut das Vehikel des Lebens. Doch gibt
er an, daß die Inſecten nicht athmen; denn nur Thiere mit Lungen
könnten dies thun. Er rechnet übrigens noch, wie Mouffet, die Wür-
mer, Teredo u. a. als fußloſe Formen zu den Inſecten. — Einzelne
andere Arthropoden, wie z. B. die Tarantel, wurden in mediciniſcher
und litterarhiſtoriſcher Beziehung beſprochen, aber ohne die Thiere
ſelbſt einer Unterſuchung zu unterwerfen.
Von den tiefer ſtehenden Abtheilungen der wirbelloſen Thiere
wurden vorzüglich die Eingeweidewürmer beachtet und ſelbſtändig be-
handelt. Freilich waltet bei den Schilderungen auch dieſer Thiere der
ärztliche Geſichtspunkt vor. Doch drängte ſich natürlich die Frage an
den Arzt, wo dieſe Thiere herkommen. Die von Alters her überkom-
mene Anſicht, daß ſie aus dem dicken rohen, zu Fäulniß neigenden
Schleim der erſten Wege entſtehen, wird als zweifellos angenom-
men116). Dieſe Ueberzeugung bleibt auch dann noch beſtehen, wenn
unter der ſich geltend machenden Wahrheit des Harvey'ſchen Satzes
[373]Arbeiten über einzelne Claſſen und Formen.
auch den Helminthen eigene Keime zugeſprochen werden. Dieſe ſollen
in das Blut gelangen und dann an einzelnen Stellen, wo ſie paſſende
Bedingungen finden, die dort gelegenen Stoffe zur Entwickelung von
Würmern anregen. Deshalb heißen ſie seminia und nicht germina117).
Vou einzelnen Formen unterſchied man die „breiten“ und „runden“
Würmer. Wie wenig man aber überhaupt für eine nähere Kenntniß
derſelben vorbereitet war, beweiſt einmal Adrian Spigel, welcher
die Frage ernſthaft ventilirte, ob der Bandwurm wirklich ein Thier
ſei118), und beweiſt auch G. H. Welſch, welcher die Comedonen für
Thiere hält. Bei einer beſtimmten Behandlungsart derſelben ſollen ſie
ihre Köpfe aus den Stellen der Haut hervorſtrecken, wo ſie ſich finden,
um dann auf einmal geköpft zu werden. Auch in Bezug auf den Gui-
neawurm hält es Welſch für nöthig, alle Möglichkeiten weitſchweifig
durchzugehen, was das Gebilde etwa ſein könnte, und gelangt dann zu
dem Schluſſe, daß es ein Thier ſei, ohne es freilich je ſelbſt geſehen
und unterſucht zu haben. Ebenſowenig der Natur entſprechend iſt die
Abbildung des „Kopfes“ des Bandwurms, welche der oben genannte
Nic. Tulpius gibt119), wenngleich ſchon in der Anerkennung, daß in
den bis zu ſeiner Zeit veröffentlichten Schilderungen des Thieres daſ-
ſelbe nicht vollſtändig vorgelegen habe, eine Wendung zur beſſern Ein-
ſicht in die Natur deſſelben ausgedrückt iſt.
Die vorſtehenden Bemerkungen zeigen, daß ſich zwar die Zahl der
bekannten und wenigſtens zum Theil ſorgfältiger beobachteten Thier-
arten langſam und ſtetig vermehrte, daß aber die Anſichten weder über
die allgemeine Syſtematik, noch über das Verhältniß der einzelnen
Glieder größerer Gruppen zu einander ſich in einer irgendwie beſtimm-
[374]Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen.
ten Richtung entwickelt hatten. Auch das Vorkommen verſchiedener
Thierformen in verſchiedenen Continenten war zwar im Allgemeinen
anerkannt worden120); doch hatten die Angaben über das Auftreten
einzelner Arten an beſtimmten Orten weder zu einzelnen Geſammtbildern
über die den verſchiedenen Ländern eigene Thierwelt, noch zu jener
Ueberſichtlichkeit geführt, welche einen Blick auf die Geſetzmäßigkeit der
geographiſchen Verbreitung überhaupt hätte geſtatten können. Es bleibt
nun noch übrig, über die Beachtung, welche man in den hier beſproche-
nen Zeiten den foſſilen Formen ſchenkte, einige Worte zu ſagen. So lange
man dabei noch nicht in der Lage war, die verſteinert gefundenen Thier-
reſte in eine ſyſtematiſche Beziehung zu jetzt lebenden Thieren zu bringen,
ſo lange war es noch verhältnißmäßig gleichgültig, wie man ſich dieſelben
entſtanden dachte. Schon Leonardo da Vinci hatte am Anfang des
ſechzehnten Jahrhunderts die bei Landdurchſtichen in Nord-Italien zu
Tage gekommenen verſteinerten Muſchelſchalen für wirklich von Thie-
ren herrührende Reſte erklärt; aber noch C. Gesner ſpricht von
der Möglichkeit, daß die geformten Steine, welche thieriſchen Bildun-
gen ähnlich ſeien, zwar wohl verſteinerte Thiere, aber doch auch von
der Natur ſelbſtändig in dieſer ihrer Form gebildet ſein könnten121).
So ſpricht er von den foſſilen Fiſchzähnen, den Glossopetrae, als
Haifiſchzähnen ähnlichen Körpern, ſagt aber, daß ſie in ihrer Form
auch an die Zunge mancher Vögel erinnerten; er ſchildert dabei eben
nur die Aehnlichkeit dieſer Foſſilien mit gewiſſen bekannten Gebilden,
ohne über die Natur derſelben eine beſtimmte Anſicht auszudrücken.
Entſchieden für die Natur der im Kalke und andern Geſteinen gefunde-
nen Muſcheln als „verſteinerter“ Reſte von Thieren ſpricht ſich Ber-
nard Paliſſy aus. Er verſucht ſogar ſich von der Art und Weiſe,
wie das Verſteinerungsmaterial in löslicher Form die zu verſteinern-
den Gegenſtände durchziehen müſſe, ein Bild zu machen, was natür-
[375]Arbeiten über einzelne Claſſen und Formen.
lich dem Zuſtande der Chemie zu ſeiner Zeit entſprechend und daher für
jetzt nicht richtig, aber doch im Allgemeinen ganz zutreffend iſt122).
Eine Beziehung dieſer foſſilen zu den jetzt lebenden Thierformen lag
ihm aber noch ferner, als Gesner. Später auftretende Arbeiten
gehen nun, mögen ſie das Vorkommen dieſer foſſilen Formen von einer
allgemeinen Sindfluth oder von ſonſt welchen Urſachen abhängig ma-
chen, doch wenigſtens von der Ueberzeugung aus, daß es ſich bei den-
ſelben wirklich um thieriſche Reſte handele. Die Deutung einzelner
Funde, z. B. foſſiler Knochen war freilich in Folge des Mangels an
Vergleichungsmaterial meiſt eine falſche. So hielt Felix Plater123)
große in der Nähe von Luzern gefundene Knochen (eines Elephas?)
für die Knochen eines Rieſen, beſtochen von der Aehnlichkeit der kleinen
(Fußwurzel-) Knochen mit den entſprechenden menſchlichen Knochen.
Einzelne Foſſilien bildet auch Fabius Columna ab; auch fieng
Ferrante Imperato ſchon an, ſolche zu ſammeln; er ſagt aus-
drücklich, daß die verſteinerten Muſcheln von Muſchelthieren herrühren
und durch Uebertragung oder durch Veränderungen im Verhältniſſe
vom Land zum Waſſer aufs Trockne und ſelbſt auf Berge gekommen
ſeien124). Hielt man nun aber auch die foſſilen Formen für Reſte ge-
ſtorbener Thiere, ſo glaubte man doch noch nicht, dieſe als ganz aus-
geſtorben betrachten zu dürfen. Es ſei hier an Joh. Sperling's oben
erwähnte Aeußerung erinnert (S. 309). Dadurch beſchränkte ſich vor-
läufig das Intereſſe, was dieſe Funde darboten, auf die Oertlichkeit
ihres Vorkommens.
[376]Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen.
Zootomiſche und vergleichend-anatomiſche Leiſtungen.
Zum erſten Male ſeit den Zeiten des Alterthums führte jetzt eine
weitere Auffaſſung der Thiere auch zur Betrachtung ihres Baues und
zwar unabhängig von der Beſchreibung ihrer äußern Erſcheinung.
Wie ſich aber auch die beſchreibende Zoologie kaum aus dem Verhält-
niſſe der Abhängigkeit von der Medicin ſowohl als von einer theolo-
giſch-moraliſirenden Naturbetrachtung ganz hatte frei machen können,
ſo ſtand auch die Thieranatomie noch nicht als eine ſelbſtändige Wiſſen-
ſchaft da, welche ſich ſelbſt Zweck geweſen wäre, ſondern entſprang dem
mediciniſchen und phyſiologiſchen Bedürfniß. Damit trat auch ſie in
ein Abhängigkeitsverhältniß, von welchem ſie ſich bis auf den heutigen
Tag noch nicht völlig frei gemacht hat.
Es iſt wohl nicht ganz zu leugnen, daß einzelne Forſcher auch un-
abhängig von ſolchen Einflüſſen der Anatomie der Thiere ihre Auf-
merkſamkeit zuwandten, daß ſelbſt in einzelnen Fällen wirkliche Ver-
gleichungen angeſtellt wurden, welche ja dem Kreiſe jener andersar-
tigen Beſtrebungen ihrer Natur nach fremd ſind. Den hauptſäch-
lichſten Anſtoß zum Eingehen auf zootomiſche Einzelheiten erhielten
aber nicht ſowohl die Zoologen, als die faſt ausnahmsweiſe dem ärzt-
lichen Stande angehörigen Anatomen durch den Aufſchwung, welchen
die Anatomie nahm. Hier waren es nun wieder Streitigkeiten über
die Gültigkeit oder Anfechtbarkeit der claſſiſchen Autoritäten, welche
auf die Thiere führten. Man ſah ſich genöthigt, zur Herbeiſchaffung
von Zeugniſſen ſich nicht auf den Menſchen zu beſchränken. Wie in
andern Wiſſensgebieten für und wider Ariſtoteles geſtritten wurde, ſo
galt es hier, Galen zu vertheidigen oder durch unangreifbare Belege
aus der Natur ſelbſt zu widerlegen. Die nächſte Veranlaſſung zum
Ausbruche des Streites gab der größte Anatom jener Zeit, der Neu-
begründer ſeiner Wiſſenſchaft, Veſal. Sein Lehrer, Günther von
Andernach (ſtarb 87 Jahre alt 1574 in Paris) hatte ſich zuerſt von
der ſonſt kaum angetaſteten Herrſchaft des Mondino befreit und war
auf das zurückgegangen, was man die Hauptquelle nannte, — nicht
auf die Natur, ſondern auf Galen. Sein großer Schüler, Andreas
[377]Zootomiſche und vergleichend-anatomiſche Leiſtungen.
Veſalius (eigentlich Witting aus Weſel, geb. 1514, geſt. 1564)
nahm die reformatoriſche Bewegung auf, gieng aber noch den entſchei-
dendſten Schritt weiter, — von Galen zur Natur. Freilich konnte es
da nicht ausbleiben, daß Galen's Autorität, wo es ſich entſchieden um
anatomiſche Verhältniſſe beim Menſchen handelte, arg erſchüttert
wurde. In ſeinem, zuerſt 1543 erſchienenen Hauptwerke „Ueber den
Bau des menſchlichen Körpers“ mußte ſich Veſal den Boden Schritt
für Schritt durch Naturſchilderungen erkämpfen. Dieſe verſtießen
aber gegen die Angaben Galen's, weil derſelbe einen andern Gegen-
ſtand vor ſich gehabt hatte. Schon Veſal ſelbſt wies beſtändig auf
dieſen letzteren hin und flocht zahlreiche Bemerkungen über das Ver-
halten einzelner anatomiſcher Verhältniſſe bei Thieren ſeiner Dar-
ſtellung ein. Noch hervortretender wird dies bei den Vertheidigern
Galen's, ſo z. B. bei Bartolomeo Euſtachio (geſt. 1574), wel-
cher die offenbaren Abweichungen der Galenſchen Beſchreibungen von
dem beim Menſchen Gefundenen aus der Breite der Veränderlichkeit
des menſchlichen Baues zu erklären verſuchte, daneben aber immer auf
die entſprechenden Verhältniſſe (beſonders des Skeletes) des Affen hin-
wies. Andererſeits mußte natürlich auch eine Gewißheit über das beim
Menſchen wirklich Vorhandene für den Chirurgen ganz beſonders
wichtig ſein. Der Reformator der Chirurgie, Ambroiſe Paré
(1517-1590) folgte daher nicht bloß Veſal, deſſen Abbildungen er
benutzte, ſondern vergleicht auch ſelbſtändig mit ausdrücklichem Hin-
weis auf die ſich entſprechenden Theile die Skelete eines Säugethieres
und eines Vogels mit dem des Menſchen. In ähnlicher Weiſe ſchildert
auch der jüngere Riolan (1577-1657) in ſeiner Oſteographie des
Menſchen das Skelet des Affen. Es galt eben hier, zur Beurtheilung
der Abweichungen von Galen das Vergleichsobjekt ſelbſt vorzuführen.
Einen reichhaltigeren Beitrag nicht bloß zur Kenntniß der Skelet-
formen, ſondern zur Zootomie überhaupt hatte aber ſchon vor Paré
und Riolan der als Stadtphyſikus in Nürnberg 1600 geſtorbene
Volcher Coiter gegeben125). Er war 1535 in Groningen geboren,
[378]Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen.
hatte in Italien den Unterricht Faloppia's, Euſtachio's und Ulyſſes
Aldrovandi's, in Montpellier den Rondelet's genoſſen und war dann
als franzöſiſcher Feldarzt, zuletzt als Nürnberger Stadtarzt thätig ge-
weſen. Wohl vorzüglich durch Euſtachio, welcher in einer weitergehen-
den Berückſichtigung zootomiſchen Materials ſeiner Darſtellung eine
ſicherer Unterlage zu geben ſuchte, zu ähnlichen Vergleichungen, und
durch Aldrovandi, ſeiner Mittheilung zufolge, zur Unterſuchung der
Entwickelung des Hühnchens angeregt, unterſuchte Coiter nicht nur
dieſe, ſowie die Knochen des menſchlichen Foetus und Kindes, um ſie
mit dem Skelete des Erwachſenen zu vergleichen, ſondern zog auch in
Bezug auf die Weichtheile die andern Wirbelthierclaſſen (mit Ausnahme
der Fiſche) in den Kreis der Betrachtungen126). Was zunächſt die von
Coiter gegebenen oſteologiſchen Darſtellungen betrifft, ſo geht er bei
Vergleichung des Affenſkelets mit dem menſchlichen noch nicht überall
auf ſolche Punkte ein, welche jetzt als maßgebende bei einer Verglei-
chung gelten; er hebt aber doch manches Wichtige hervor. Für die
ganze Betrachtungsweiſe damaliger Zeit iſt es charakteriſtiſch, daß
Coiter zwar bei Schilderung des fötalen Schädels die weit offenen
Nähte und das ſpätere Vergrößern und Verwachſen der einzelnen
Schädelknochen beſchreibt, aber doch bei dem Affenſchädel einen ziem-
lichen Nachdruck auf die Verſchiedenheit der Nähte legt. Er beſchrieb;
aber er verglich nicht ſowohl um das Gemeinſame, als um die Ver-
ſchiedenheiten hervorzuheben. So ſind auch ſeine Darſtellungen ver-
ſchiedener Skelete 127) Geſammtbilder; nur von der Schildkröte bildet
[379]Zootomiſche und vergleichend-anatomiſche Leiſtungen.
er Schädel und Bruſtſchild beſonders ab, ebenſo wie er vom Specht
und Wendehals nur Abbildungen des Schädels gibt. Trotzdem daß
Coiter zuerſt wieder die Entwickelung des Hühnchens verfolgte, ſo wäre
doch der Gedanke, auch der Vergleichung überhaupt eine entwickelungs-
geſchichtliche Grundlage zu geben, bei ihm ein Anachronismus geweſen.
Er ſieht zwar am dritten Tage der Bebrütung das Herz pulſiren,
ſchildert den Sinus terminalis und verfolgt die Formenveränderungen
des Fötus von Tag zu Tag. Aber bei der noch mangelnden Einſicht
in die allgemeinen anatomiſchen Verhältniſſe der Wirbelthiere konnte
natürlich von einem richtigen Erfaſſen der allmählichen Formenent-
wickelung des Vogelkörpers nicht die Rede ſein. Wie endlich Coiter bei
den Skeleten nur die Formen einfach nebeneinanderſtellt, ohne den
Verſuch zu machen, die einzelnen Theile weiter aufeinander zurückzu-
führen, als ſich aus der allgemeinen Architektonik des Körperbaues
und der ſich hieran anſchließenden Terminologie ergibt, ſo ſind auch
ſeine Bemerkungen über einzelne anatomiſche Verhältniſſe der Säuge-
thiere, Vögel und Reptilien nur zootomiſche Notizen ohne irgend welche
Vergleichung, dagegen mit einzelnen Angaben über den Gebrauch ver-
ſchiedener Theile durchſetzt. Aber auch hierbei gelangt er noch nicht zu
einer Verfolgung derſelben Function durch eine größere Reihe thieri-
ſcher Formen. Außer den Thieren, deren Skelete er ſchildert, hat er
noch Schwein, Schaf, mehrere Vögel, die Viper u. a. zergliedert.
Hatte auch Coiter in Bezug auf die Vergleichung des Knochengerüſtes
der Vögel mit dem des Menſchen einen, und zwar des Vergleichungs-
ziels ſich noch bewußteren Vorgänger in Belon (ſ. oben S. 348), ſo
treten doch mit ihm die Schilderungen aus der Thieranatomie zuerſt
ſelbſtändig auf, allerdings noch in einer Form, welche ſich nur als
eine Erweiterung des Streites für und wider Galen darſtellt.
Noch umfaſſender in der Richtung ſeiner Unterſuchungen war
Coiter's Zeitgenoſſe Hieronymus Fabricius aus Aquapendente
127)
[380]Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen.
(geb. 1537 in genanntem Orte, 1565 Faloppia's Nachfolger als Pro-
feſſor der Anatomie in Padua, wo er 1619 ſtarb). Wollte man der
landläufigen Vermengung zootomiſchen und vergleichend-anatomiſchen
Studiums nachgeben, ſo würde Fabrizio ohne Weiteres neben Coiter
zu den Gründern der vergleichenden Anatomie zu rechnen ſein. Doch
iſt dies nur in einem beſchränkten Sinne zu thun. Es tritt bei ihm die
Frage nach der formellen Anlage des Thierkörpers und der Anlage ſei-
ner Theile ſehr zurück gegen die Unterſuchung über das Zuſtandekom-
men der einzelnen Lebenserſcheinungen. Er verwendet alſo zootomi-
ſche Kenntniſſe in dem Nutzen einer andern Wiſſenſchaft, der Phyſio-
logie. Da ſich aber eine Wiſſenſchaft der vergleichenden Anatomie
nicht ohne ein gewiſſes Bekanntſein mit den Verſchiedenheiten und
Uebereinſtimmungen des thieriſchen Baues als Bedürfniß fühlbar
machen, da ſich alſo natürlich auch eine anatomiſche Betrachtung der
Thierkörper nicht ohne ein beſtimmtes Maß bereits vorhandener zooto-
miſcher Kenntniſſe und mindeſtens Einzelangaben zu einer ſelbſtändigen
morphologiſchen Lehre erheben konnte, ſo iſt die Bedeutung der beiden
hiergenannten Männer auch für die vergleichende Anatomie nicht zu un-
terſchätzen. Es iſt hier eben hervorzuheben, daß das Herbeiſchaffen und
Sammeln einzelner zootomiſcher Thatſachen in einer Zeit, in welcher die
Naturbetrachtung überhaupt ſich noch nicht ohne Anlehnen an irgend
einen außer ihr liegenden praktiſchen Zweck wiſſenſchaftlich ſelbſtändig
machen konnte, für die ſpätere Gründung einer beſondern von jenen
Thatſachen ausgehenden Lehre von der größten Bedeutung war. Und
von dieſem Geſichtspunkte aus hat man neben Coiter auch Fabrizio als
einen der Männer zu bezeichnen, von welchen das Wiederaufleben der
vergleichenden Anatomie beginnt. Bei Coiter erſchienen die zootomiſchen
Notizen gewiſſermaßen als beiläufig geſammelt, als mehr oder weniger
unwichtige Reſultate der vergleichenden Unterſuchungen, durch welche
er die anatomiſchen Verhältniſſe des menſchlichen Körpers klarer her-
vortreten zu laſſen bemüht war. Fabrizio beginnt einen neuen Weg
einzuſchlagen. Er verſucht, eine beſtimmte Function (z. B. die Orts-
bewegung, Stimme, das Sehen) durch eine Reihe thieriſcher Formen
zu verfolgen, aber nicht ſowohl um in erſter Linie die anatomiſchen
[381]Zootomiſche und vergleichend-anatomiſche Leiſtungen.
Grundlagen für deren Zuſtandekommen morphologiſch auf einander
zurückzuführen, als vielmehr um ganz allgemein das Gemeinſame der
Erſcheinung auf eine gewiſſe Uebereinſtimmung in dem Bau der be-
treffenden Organe zu beziehen. Das aus ſolchen Betrachtungen ſich
ergebende Reſultat konnte natürlich nur der Phyſiologie zu Gute kom-
men und würde ſelbſt dann dieſe einſeitige Richtung nicht verloren
haben, wenn dem Fabrizio noch beſſere Hülfsmittel der Unterſuchung
zu Gebote geſtanden hätten, als das bloße anatomiſche Meſſer. In
der Führung deſſelben war er aber ſicherlich geſchickt und noch erinnert
der ſeinen Namen tragende Cloakenanhang bei Vögeln an eine der
früheſten zootomiſchen Unterſuchungen der neueren Zeit. Mit Coiter
hat Fabrizio noch ferner das gemein, daß auch er die Entwickelung des
Hühnchens verfolgte und die Veränderung der Körperform des ſich bil-
denden Vogels von Tag zu Tag ſchilderte und abbildete. Aber auch
ihm fehlte der allgemeine Blick auf den Wirbelthierbau, welcher ſpäte-
ren Unterſuchungen gleicher Art eine ſo bedeutende Tragweite verlieh.
Die Stellung, welche Fabrizio zu der von ſeinem Schüler Harvey
zur Vollendung geführten Lehre vom Blutkreislauf einnahm, kann
nicht hier geſchildert werden. Als Hemmniß einer fruchtbareren An-
ſchauung muß aber hervorgehoben werden, daß er wie die meiſten ſei-
ner Zeitgenoſſen noch vielfach von den irrigen Anſchauungen früherer
Zeiten befangen war, was z. B. von der Verbreitung der Luft und
Lebensgeiſter zum Gehirn und zum Herzen, von dem Ausgangspunkte
der thieriſchen Entwickelung und in einem kaum anders zu deutenden
Sinne von dem „Nutzen“ des Muskelfleiſches gilt128).
Eine ganz ähnliche Stellung in Bezug auf das Anlehnen an an-
dere Wiſſenſchaften nimmt auch der Zeitgenoſſe Harvey's Marco
Aurelio Severino ein (geboren 1580 in Tarſia in Calabrien,
Profeſſor der Anatomie und, wie es auch Fabrizio war, der Chirurgie
in Neapel, dort geſtorben 1656). Doch iſt ihm als beſonderes Ver-
dienſt anzurechnen, daß er zum erſtenmale in einer ausdrücklich der
[382]Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen.
Zootomie gewidmeten Schrift dieſelbe zwar noch nicht aus ihrem Ab-
hängigkeitsverhältniß zu andern Wiſſenſchaften herauszulöſen ver-
mochte, ſie aber doch durch eine ſelbſtändige Behandlung mindeſtens
als bedeutungsvolle Hülfswiſſenſchaft in den Kreis der naturwiſſen-
ſchaftlichen Lehren einzuführen ſuchte. Seine Schrift129) iſt freilich
nur wenig geeignet, etwa die Aerzte oder ſonſt Belehrung Suchende
mit der Fülle der ſchon zu ſeiner Zeit ermittelten Thatſachen bekannt
zu machen. Sie enthält nur äußerſt wenig Schilderungen anatomiſcher
Verhältniſſe von Thieren und dieſe dann mehr in der Form geſam-
melter Notizen als planmäßiger Beſchreibungen. Von keinem einzigen
Thiere gibt er eine zuſammenhängende Anatomie, ſelbſt wenn man von
Vergleichungen, auf welche er doch nicht ſelten hinweiſt, abſehen will.
Hier und da Gefundenes, durch ſeine Eigenthümlichkeit die Aufmerk-
ſamkeit beſonders Feſſelndes wird mitgetheilt. Weitaus den größten
Raum nehmen aber Betrachtungen über den Nutzen der Zootomie und
ihre Beziehungen zur menſchlichen Anatomie und Phyſiologie, be-
ziehentlich Heilkunde ein. Doch war es eine der Zoologie reichliche
Früchte bringende That, daß er ein eignes Werk über Aufgabe, Zweck
und Methode der Zootomie verfaßte, ſo einſeitig auch alle dieſe drei
Geſichtspunkte erfaßt wurden. Für Severino iſt Hauptzweck der Zoo-
tomie die Förderung der menſchlichen Geſundheit durch tiefere Erkennt-
niß des menſchlichen Körperbaues und des aus dieſem zu erklärenden
Lebens. Bei der Zergliederung des menſchlichen Lebens kann er aber
nicht ſtehen bleiben, weil bei den Thieren, welche jederzeit leichter zu-
gänglich ſind, Vieles klarer und deutlicher iſt. Seiner Ueberzeugung
nach ſind die Thiere nach dem Vorbilde des Menſchen geſchaffen, die
Aehnlichkeit zwiſchen dem Bau des Menſchen und dem der Thiere iſt
nicht unbedeutend130). Hierauf bezieht ſich das, was er etwa von einem
gemeinſamen Bauplan geſagt oder gedacht haben ſoll. Weiter: man
ſoll das Studium der Anatomie überhaupt (und in dieſer Hinſicht hat
[383]Zootomiſche und vergleichend-anatomiſche Leiſtungen.
er einen höhern Standpunkt, als Viele vor und nach ihm) mit der Zer-
gliederung der Säugethiere beginnen, dann zum Menſchen und dann
zu andern Thieren übergehen, wie ſie ſich gerade darbieten. An die
Zergliederung der kleinſten Thiere, von denen er nur Mücken, Flöhe
und andere „aus faulenden Stoffen entſtehende“ als auszuſchließen be-
zeichnet, ſolle nur ein durchaus Geübter gehen (p. 82). Finden ſich
auch hin und wieder allgemeine Geſichtspunkte angedeutet, ſo beziehen
ſich dieſe auf die phyſiologiſche Betrachtung; von einer Zuſammen-
ſtellung morphologiſcher Thatſachen, ja ſelbſt einfacher Fälle von Cor-
relation, wie ſie von Ariſtoteles ſo zahlreich berückſichtigt und aufge-
führt werden, findet ſich nichts, da trotz des beſtändigen Erwähnens
anatomiſcher Einrichtungen der Nachdruck immer auf den Gebrauch
der betreffenden Theile gelegt wird. Es iſt daher auch bezeichnend, daß
zwar Ariſtoteles mehreremale citirt wird, aber doch in einem viel be-
ſchränkteren Umfange und in ganz anderer Abſicht als von Fabrizio.
Noch bewußter als bei Severino tritt die Rückſichtnahme auf ana-
tomiſche Verhältniſſe der Thiere bei Thomas Willis hervor131).
Abgeſehen von einzelnen ſelbſtändigen zootomiſchen Unterſuchungen
verſucht er aufs Neue, die Thiere auf Grund ihres anatomiſchen Baues
einzutheilen. Er hebt zunächſt die Reſpirationsorgane als zu dieſem
Zwecke paſſend hervor, folgt aber bei Mittheilung der anatomiſchen
Einzelheiten der älteren Eintheilung in Blutloſe und Blutführende
als der „bekannteren“132). Beſondern Werth haben ſeine Unterſuchun-
gen über das Gehirn der Wirbelthiere, welche in Bezug auf die gröbe-
ren Verhältniſſe ziemlich genau und nicht ohne vergleichende Erläute-
[384]Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen.
rungen ſind133). Doch verfällt Willis hier in denſelben Fehler, wie
zahlreiche Spätere, die vom Menſchen und den höheren Wirbelthieren
her bekannten Formenverhältniſſe bei niedern Thieren wiederfinden zu
wollen. Durch ähnliche, aber durchaus nicht Willis allein Schuld zu
gebende Misgriffe iſt der Grund der oft widerſinnigen Namengebung
gelegt worden, wie ſie bis weit in die neuere Zeit herein in der Zoo-
tomie herrſchte.
Nun iſt aber trotz aller Einſeitigkeit, mit welcher hier zootomiſche
Arbeiten ausgeführt wurden, nicht zu überſehen, daß dieſelben auch
einen ganz directen Einfluß auf die Entwickelung der Anatomie gewon-
nen hatten. Wurden doch z. B. vom letztgenannten Willis Beweiſe für
den Kreislauf des Blutes beſonders aus der Thieranatomie beigebracht.
Ein Fortſchritt in der Erkenntniß des Baues der Thiere konnte aber ohne
Sichtung der allgemeinen anatomiſchen Anſchauungen nicht eintreten.
Und ſo war die eben gerügte Einſeitigkeit in gewiſſem Sinne auch wieder
von großem Vortheil für die Anatomie der Thiere. Es ſei hier nur an
die Wirkung Harvey's von dieſem Geſichtspunkte aus erinnert. Er
ſicherte durch ſeine Lehre vom Kreislauf nicht bloß zuerſt die Deutung
der einzelnen Abtheilungen des Gefäßſyſtems, ſondern legte auch durch
ſeine Unterſuchungen über Entwickelungsgeſchichte und den im Anſchluß
an dieſe gethanen berühmten Ausſpruch »omne vivum ex ovo« den
Grund, auf dem ſich ſpäter allein die genetiſche Methode erheben
konnte.
Nach alle dem muß allerdings zugegeben werden, daß von einer
Gründung der Morphologie als Wiſſenſchaft der thieriſchen Form in
dieſem Zeitraum noch nicht die Rede ſein konnte, mag man nun dabei
nur an die äußere Geſtaltung des Thierkörpers oder auch an ſeine Zu-
ſammenſetzung aus beſtimmten, in den einzelnen Claſſen in geſetz-
mäßiger Verbindung und Lage auftretenden Theilen denken. Es fehlte
hierzu nicht bloß die Einſicht, ſei es auch nur in einen einzigen der
Hauptbaupläne, welche im Thierreich verwirklicht ſind, ſondern auch
die formelle Verbindung der verſchiedenen thieriſchen Formen zu einem
[385]Zootomiſche und vergleichend-anatomiſche Leiſtungen.
wohlgegliederten Syſteme. Noch ſtanden die einzelnen Geſtalten un-
verbunden da; man erblickte überall nur Mannichfaltigkeit und Ver-
ſchiedenheit. Und wenn auch die Anerkennung der Uebereinſtimmung,
wie die ſprachlich dargebotenen Bezeichnungen Vogel, Fiſch u. ſ. w.
eine ſolche enthielten, auch wiſſenſchaftlich nicht verſchwiegen wurde, ſo
griff man, wo man ſich über die in jenen Ausdrücken gezogenen Gren-
zen hinauswagte, zu künſtlichen Vereinigungen, welche mehr das
Streben äußere Ordnung herzuſtellen als das Bedürfniß eine er-
kannte Einheit zu bezeichnen bekundete. Während man aber mit den
Hauptumriſſen des ſyſtematiſchen Gebäudes noch nicht im Reinen war,
hatte man auch keine klare Vorſtellung von der Beſchaffenheit der ein-
zelnen Bauſteine. Die thieriſchen Individuen vereinigte man zwar zu
Gruppen; aber ſtatt hier den nothwendigen Schritt zu thun, ſich eine
wie immer auch zu definirende niederſte ſyſtematiſche Einheit künſtlich
zu ſchaffen, folgte man dem Sprachgebrauch der Philoſophie und ließ
noch ganz wie früher je nach dem formalen Inhalte des Begriffes bald
Species bald Genera einander über- oder untergeordnet ſein. Wo da-
her die Namengebung nicht einen feſten Anhalt an der populären
Kenntniß einer Form fand, ſchwankte das Urtheil und es wurde mit
der Wiedererkennung auch das Verſtändniß der Form erſchwert.
Mitten in dem Drängen nach tieferer Einſicht in das thieriſche
Leben, welches, wenn auch häufig kaum ausgeſprochen, die ſpäteren
der oben angeführten Schriften auszeichnet, eine beſtimmte Grenze
zwiſchen Altem und Neuem ziehen zu wollen wäre ein Widerſpruch
gegen die Entwickelung der Wiſſenſchaft. Aeußerlich bezeichnen aber
mehrere Erſcheinungen einen gewiſſermaßen energiſchen Anlauf, mit
der Erkenntniß der Natur, auch der thieriſchen, zu einem Abſchluſſe zu
gelangen. Dieſe mögen als Vorbereitungen zur nächſten Periode
angeſehen werden.
V. Carus, Geſch. d. Zool. 25
[386]
Periode der Syſtematik.
Mit einem Gefühle der Befriedigung ſieht man die naturgeſchicht-
lichen Beſtrebungen des ſiebzehnten Jahrhunderts allmählich in Bah-
nen lenken, welche ſowohl durch Vertiefung der Unterſuchung als auch
durch Feſtſtellung ihrer mehr formellen Hülfsmittel eine wirklich wiſ-
ſenſchaftliche Begründung in Ausſicht ſtellen. Der Eintritt neuer
Geſichtspunkte, das klare Erkennen neu gewordener Ziele, vor Allem
aber die Verbreitung des allmählich bereits Errungenen geſchah indeſſen
langſam, freilich vielleicht nicht ſo langſam, wie es ſich unter den trau-
rigen Verhältniſſen jenes Jahrhunderts hätte erwarten laſſen. Er-
ſcheinen frühere Jahrhunderte neuerem Auge ſchon als trübe und durch
die Rohheit und Unſicherheit des öffentlichen Lebens als für Entwicke-
lung geiſtiger Blüthe wenig verſprechend, ſo iſt die Verwüſtung und
Zerrüttung, welche Deutſchland in der erſten Hälfte des ſiebzehnten
Jahrhunderts zu erleiden hatte, grauenvoller als irgend ein früheres
Nationalunglück geweſen war. Gegenüber den Wirkungen des dreißig-
jährigen Kriegs in Deutſchland ſind die Folgen der in dem gleichen
Jahrhundert ſtattgefundenen politiſchen Erſchütterungen in England,
ſelbſt die Kriege Frankreichs nur leicht vorübergehende Störungen ge-
weſen, während Deutſchland materiell ſich erſt vor kaum einem Jahr-
hundert einigermaßen erholt hat. Aber vielleicht gerade deshalb, weil
es ſich um jede Ausſicht auf äußere Erfolge gebracht ſah, arbeitete es
um ſo eifriger an ſeiner geiſtigen Erhebung, welche in der durch den
weſtphäliſchen Frieden neu begründeten Regelung der innern ſtaatlichen
Verhältniſſe nur ein förderndes Moment finden konnte. Bezeichnend
[387]Ausgang des ſiebzehnten Jahrhunderts.
für deutſches Weſen iſt es nun wohl, daß kaum drei Jahre nach dem
Abſchluß des weſtphäliſchen Friedens bei einzelnen Männern der Ge-
danke an Gründung einer naturwiſſenſchaftlichen Akademie rege und
bald auch ausgeführt wurde. Es verlohnt ſich auch hier, einen Blick
auf die etwaige Förderung zu werfen, welche dieſem Unternehmen aus
der allgemeinen Theilnahme, namentlich aus dem Intereſſe an der
Thierwelt erwachſen konnte. Die Zukunft der Wiſſenſchaft lag aller-
dings in den Händen der Gelehrten, beſonders der Aerzte, welche allein
den Beruf hatten, ſich wiſſenſchaftlich um die Natur zu bekümmern.
Zu allen Zeiten aber hat die ſtreng fachgemäße Forſchung der belebten
Natur eine Anregung von außen, theils in Folge beſonders einſchnei-
dender praktiſcher Fragen oder zufälliger Funde, theils als Wirkung
bedenklicher allgemein verbreiteter Irrthümer nicht entbehrt, aus einer
ſolchen vielmehr häufig genug wichtige Vortheile gezogen.
Sieht man ſich, um auch hier zu einem Einblick in die allgemein
geläufige Auffaſſung und in die Stellung der Bevölkerung der Thier-
welt gegenüber zu gelangen, in der nicht ärztlichen und nicht natur-
wiſſenſchaftlichen Litteratur um, ſo erhält man zum Theil merkwürdige
Belege für die große, mehr als naive Leichtgläubigkeit, beſonders aber
wiederholt Zeugniſſe für das zähe Leben ſo mancher älteren Sage.
Das Zutrauen, was man jedem Berichte wunderbarer Begebenheiten
entgegentrug, wurzelte allerdings vorzugsweiſe darin, daß die Beob-
achtungskunſt nur ſehr mangelhaft entwickelt war. Man war einerſeits
vielen Naturerſcheinungen gegenüber noch nicht vorbereitet, was man
eigentlich zu ſehen und zu erfaſſen haben werde, um es dann als eine
weiter verwerthbare Thatſache benutzen zu können; andererſeits be-
gnügte man ſich bei der Unkenntniß ja beim Fehlen jeder Ahnung eines
geſetzmäßigen Verlaufes vieler Vorgänge mit äußerſt unvollſtändigen
Beobachtungen oder man ließ ſich gar abſichtlich, einer Anſicht zu
Liebe, oder unabſichtlich täuſchen, ohne das durch irgend eine Mitthei-
lung etwa überlieferte Wunder genauer zu prüfen. Da man nun aber
doch die Welt nicht einem planloſen Zufall preisgegeben annehmen
konnte, ſo war es nicht allein die unzureichende Beobachtung, es war
auch bei dem Mangel an nüchternem Urtheil über Naturerſcheinungen,
25*
[388]Periode der Syſtematik.
vor Allem das Streben, ohne die nöthige inductive Grundlage ſofort
einzelne Fälle unter allgemeine Geſichtspunkte als Regeln oder Geſetze
zuſammenzufaſſen, was zur Zeit des Erwachens wiſſenſchaftlicher Re-
gungen der baren Leichtgläubigkeit ſo großen Vorſchub leiſtete. Eigen-
thümlich muß es wohl berühren, wenn Leeuwenhoek in der Form des
Samenkörperchens die Geſtalt des künftigen Thierkörpers, in demſel-
ben daher den eigentlichen der Entwickelung zu Grunde liegenden Keim
erblickt, ohne daß er ſich über die Verbreitung der Samenelemente in
andern Thierclaſſen und über das dort herrſchende Verhältniß zwiſchen
der Form dieſes Elementes und der Geſtalt des entwickelten Thieres
durch ausgedehntere Unterſuchungen eine einigermaßen ſtichhaltige
Controle verſchafft hätte. Hier liegt aber außer der vorzeitigen Verall-
gemeinerung das Spiel einer durch den merkwürdigen Fund etwas er-
hitzten Fantaſie vor, könnte man zur Entſchuldigung ſagen. Soll aber
nicht alles Vertrauen in die Naturgeſchichte der betreffenden Zeit auf-
hören, wenn man Mittheilungenv on Beobachtungen lieſt, wie z. B. die
folgende, welche ohne Aeußerung einer Kritik einfach mit glaubwürdiger
Miene erzählt werden? Peter Rommel ſchildert in einer 1680 in
Ulm erſchienenen Diſſertation1) Haſenembryonen, welche frei und nir-
gends angewachſen in der Bauchhöhle liegend gefunden worden ſeien.
Er hatte ſie von einem Jäger mitgetheilt erhalten. Daß er dabei der
Angabe des Laien Glauben ſchenkte, würde keiner Erwähnung werth
ſein; Aehnliches fällt gelegentlich ſelbſt heutigen Tages noch vor. Aber
im Verlaufe ſeiner Erörterung erzählt er alles Ernſtes, daß in Frei-
burg eine Frau durch Erbrechen eine Katze von ſich gegeben habe,
welche „ſie im Magen empfangen habe“, und führt ferner an, Dr.
Matthaei in Freiberg habe ſelbſt eine lebendige Gans gehabt, welche
aus dem Uterus einer Frau hervorgegangen ſei. Dies iſt ein Beiſpiel
unter mehreren. Die Hexenproceſſe fieng man mit Erfolg zu bekämpfen
an; Hexereien in der Natur glaubte man. Aber nicht bloß derartige
ungereimte Wunder giengen um; im Volke lebte noch immer eine durch
[389]Allgemeine Anſchauungen.
den Zug gemüthlicher Vertrautheit häufig rührende Bekanntſchaft mit
der Thiere heimlichſtem Leben. Als der Simpliciſſimus den Be-
weis geben ſoll, daß er kein Narr, ſondern geſcheidter ſei, als mancher
der ihn hänſelt, läßt ihn Grimmelshauſen ſich ſeiner Kenntniß vom
Leben der Thiere rühmen2). „Sagt mir doch, wer die wilden Bloch-
Dauben, Hähne, Ambſeln und Rebhühner gelernet hat, wie ſie ſich
mit Lorbeerblättern purgiren ſollen und die Dauben, Turteldäublein
und Hühner mit Sanct Peter's Kraut? Wer lehrt Hund und Katzen,
daß ſie das bethaute Gras freſſen ſollen, wenn ſie ihren vollen Bauch
reinigen wollen? Wer die Schild-Krott, wie ſie die Biß mit Schirling
heyle, und den Hirſch, wenn er geſchoſſen, wie er ſeine Zuflucht zu
dem Dictamno oder wilden Poley nehmen ſolle? Wer hat das Wiſelin
unterrichtet, daß es Rauten gebrauchen ſolle, wenn es mit der Fleder-
mauß oder irgend einer Schlange kämpffen will? Wer gibt den wilden
Schweinen den Epheu und den Beeren den Alraun zu erkennen und
ſagt ihnen, daß es gut ſeye zu ihrer Artzney? Wer hat dem Adler ge-
rathen, daß er den Adlerſtein ſuchen und gebrauchen ſoll, wann er ſeine
Eyer ſchwerlich legen kann? Und welcher gibt es der Schwalbe zu ver-
ſtehen, daß ſie ihrer Jungen blöde Augen mit dem Chelidonio artzneyen
ſolle? Wer hat die Schlang inſtruirt, daß ſie ſol Fenchel eſſen, wann
ſie ihre Haut abſtreiffen und ihren dunklen Augen helffen will? Wer
lehrt den Storck ſich zu clyſtiren, den Pelican, ſich Aber zu laſſen und
dem Beeren, wie er ihm von den Bienen ſolle ſchrepffen laſſen?“ Hier
klingt ja Alterthum und Mittelalter noch hell und vernehmlich durch.
Er nennt auch Schnecken und Fröſche „Inſecten“3) und erzählt ferner4),
daß die Katze „mit Schmerzen empfahe, aber mit Wolluſt gebäre,“ was
er als Beleg für die Richtigkeit der über die Weiber der Sylphen im
Mummelſee verbreiteten Erzählungen beibringt. Den hauptſächlichſten
Unterſchied zwiſchen Menſchen und Thieren bildet die Sprache, wie der
[390]Periode der Syſtematik.
Simpliciſſimus treffend bemerkt5). Manche Thiere übertreffen ihn an
Größe, Stärke, am Geſicht, „die Löwen mit ihrer hertzhafftigen Groß-
müthigkeit“, u. ſ. f. „Aber der Menſch geht ihnen allen vor mit der
Sprach“. Bei dieſer erzeigt ſich Vernunft und Verſtand, was bei
Thieren, auch wenn ſie reden lernen, mangelt. Dieſe Anführungen
weiſen in einer kaum miszuverſtehenden Weiſe darauf hin, wie trotz
des geſellſchaftlichen Elends in Deutſchland die fort erhaltene Kenntniß
vom Leben der Natur zu den werthvolleren geiſtigen Beſitzthümern ge-
rechnet wurde, wie tief ſich manche Beziehungen zwiſchen Thier- und
Pflanzenwelt, manche vorbildliche Aehnlichkeit mit menſchlichem Thun
und Leiden in das Volksbewußtſein eingeprägt haben mußte.
Glücklicherweiſe wird dieſe Liebe zur Natur nicht niedergehalten,
durch die deiſtiſche Färbung der verbreitetſten Form der Weltanſchau-
ung ſogar gefördert. Sie führt zu allgemeiner Betheiligung am Sam-
meln, Beſchreiben, Beobachten. Und ſchon am Ausgange des ſieb-
zehnten Jahrhunderts hat dies ſo viel Früchte getragen, daß man nun
von ſelbſt darauf geführt wurde, ſich nach einem beſtimmten, die Ein-
zelheiten zuſammenfaſſenden Bande umzuſehen. Für die Wiſſenſchaft
der belebten Natur konnte hierfür allerdings noch kein durchgreifender
Gedanke aufgeſtellt werden. Denn wenn ſchon ſeit Descartes auch in
dieſen Fächern Kritik möglich geweſen wäre, ſo ließen doch Spinoza
und ſelbſt Leibnitz zu viel Raum für ſupra-naturaliſtiſche Auffaſſun-
gen, als daß ſolche nicht auch mit Freuden eingeführt worden wären.
Newton's Läuterung der phyſikaliſchen Lehre von metaphyſiſchen
Erklärungen mußte für die Zoologie noch unfruchtbar bleiben und ſelbſt
ſeine methodologiſchen Vorſchriften ließen wenigſtens fürs erſte noch die
rechte Anwendbarkeit auf die Lehre vom Leben und ſeinen Trägern
vermiſſen. Trotzdem aber ſuchte die ſich hier weſentlich als beſchrei-
bende Wiſſenſchaft herausbildende Zoologie eine Einheit und zwar fand
ſie dieſelbe in der Neugeſtaltung ihrer formalen Seite. So lange es
noch nicht möglich war, die in der belebten Natur vorkommenden Be-
wegungen — nicht bloß die plötzlichen und ſchnellen, wie Ortsbewe-
[391]Bedürfniſſe der Wiſſenſchaft.
gung und Blutumlauf, ſondern auch die langſam verlaufenden, wie
Entwickelung und Formbildung — als ſolche für Aufgaben wiſſen-
ſchaftlicher Erklärung anzuſehen, mußte nothwendigerweiſe zunächſt die
Einheit in der Mannichfaltigkeit der Geſtaltungsverhältniſſe, die Ueber-
einſtimmung mehrerer nur in Einzelheiten verſchiedenen Formen nach-
zuweiſen verſucht werden, wenn überhaupt die Menge iſolirt daſtehender
Thatſachen zu einer wiſſenſchaftlichen Einigung gebracht werden ſollte.
Von dieſem Geſichtspunkte aus iſt nun das Aufſtellen von Syſtemen,
und zwar von formell begründeten, nicht bloß der Schilderung ſtill-
ſchweigend zu Grunde gelegten, der größte und bedeutungsvollſte
Schritt geweſen, welchen die Zoologie damals überhaupt thun konnte.
Zur Ermöglichung deſſelben bedurfte es aber noch mehrerer Momente.
Sie werden im Verlauf der vorliegenden Periode von einzelnen Män-
nern nach und nach erfunden. Die Definition des Begriffs der natur-
hiſtoriſchen Art durch Ray, die Terminologie und die binäre Nomen-
clatur Linné's ſind die wichtigſten dieſer Erfindungen. Erſt mit
ihnen wurde es möglich, die weiteren Entdeckungen der Wiſſenſchaft
nutzbar zu erhalten. Man ſagt jetzt häufig, in dem Syſteme lege man
die Summe der Kenntniß der thieriſchen Formen nach dem jeweiligen
Stande der Wiſſenſchaft methodiſch dar. Dies gilt wohl für jetzt, wo
man überhaupt ſchon Syſteme hat. Ray und Linné, ſowie ihre Zeit-
und Arbeitsgenoſſen hatten aber das thatſächliche Material gewiſſer-
maßen erſt plaſtiſch zu machen, ſo daß es von ihnen und Späteren in
Formen gebracht werden konnte. Selbſt das ariſtoteliſche Syſtem
konnte erſt dann wieder verſtändlich werden, nachdem Gruppen, den
ſeinigen formell analog, definirt worden waren und einen Inhalt von
ſicher wiedererkennbaren Thierformen erlangt hatten.
Von wie großer Bedeutung aber die Gründung des Syſtemes
für die Zoologie auch war, ſo verdankt dieſelbe doch noch andern jetzt
eintretenden Umſtänden eine Förderung, welche ſie durch die Beſchaf-
fenheit der nun ſich erſchließenden Fülle neuer Thatſachen allmählich
der Möglichkeit entgegenführte, das zwar geordnete, aber doch gerade
in Folge eines ſtarr formalen Schematismus ohne innern Zuſammen-
hang erſcheinende Material an der Hand allgemeiner Ideen wirklich
[392]Periode der Syſtematik.
wiſſenſchaftlich zu beleben. Die auffallende Aehnlichkeit vieler thieri-
ſchen Formen mit einander hatte ja zwar ſchon längſt zu der Anerken-
nung einzelner Grundformen geführt; man ſprach von Vögeln, Fiſchen
u. ſ. f. So ſehr man aber auch geneigt war, die völlige Gleichheit der
Lebenserſcheinungen eines der höheren Thiere und etwa der eines In-
ſectes oder Weichthieres anzuerkennen, ſo fehlte doch eine einigermaßen
genügende, wenn auch nur äußere Erklärung hierfür ſo lange, als
man die Gleichheit des feineren Baues ſo verſchiedener Formen, die
Gleichheit der eigentlich wirkſamen Theile, wie ſie nach Abſehen von
der äußeren Geſtaltung ſich offenbarte, nicht nachweiſen, ſelbſt kaum
ahnen konnte. Jeder Schritt, welcher die Kenntniß dieſem Ziele näher
führte, mußte auf die Anſchauung vom Thierleben und vom Bau der
Thierkörper von Einfluß ſein. Freilich haben die angedeuteten Reſul-
tate dieſer tiefer eingehenden Beobachtung erſt in viel neuerer Zeit ihre
abſchließende Form erhalten. Die erſten Verſuche in dieſer Richtung
ſind aber ſchon von großer Bedeutung geweſen, auch an ſich und nicht
bloß als Entwickelungsſtufen der ſpäteren Erkenntniß.
Dem Erfaſſen kleinerer Thierformen, ſowie dem tieferen Eindrin-
gen in das innere Gefüge des Thierkörpers war bisher in der Unzu-
länglichkeit des menſchlichen Auges eine natürliche Grenze geſetzt.
Wurde dieſe durchbrochen, wurde dem Auge eine neue Sehkraft ver-
liehen, ſo war dadurch nicht bloß für die Beobachtung ein neues
Hülfsmittel geſchaffen; es erſchloß ſich vielmehr dem geiſtigen Auge
geradezu eine neue Welt; es belebte ſich jeder Waſſertropfen, jedes
Staubkörnchen, das ſcheinbar Gleichartige im körperlichen Gefüge er-
wies ſich wiederum als höchſt zuſammengeſetzt. Alles, womit man
als mit einfachen Thatſachen rechnen zu können gemeint hatte, ſtellte
ſich als Folge zuſammengeſetzter Bildungsvorgänge heraus. Der
Reichthum organiſcher Geſtaltungen wuchs in einem unvorhergeſehenen
Maße; aber auch die Aufgaben der wiſſenſchaftlichen Erklärungen ver-
tieften ſich. Natürlich traten alle dieſe Betrachtungen nicht ſofort in
das Bewußtſein derer ein, welche zuerſt das Mikroſkop benutzten.
Allmählich erſt und unter Abhängigkeit von der techniſchen Ausbildung
dieſes wichtigen Werkzeuges der neueren Zeit entwickelte ſich jene
[393)[392]]Einführung des Mikroſkops.
fruchtbare Reihe bahnbrechender Geſichtspunkte. Sie haben aber
ſämmtlich ihren Urſprung in der Zeit, wo das Auge zum erſtenmale
„bewaffnet“ der Natur genähert wurde, wie die Sprache ſinnig die
Entſchiedenheit andeutet, mit welcher die menſchliche Forſchung den
Kampf um die Geheimniſſe der Natur aufnimmt.
Der Zeit nach gehört die Erfindung des Mikroſkops ſtreng ge-
nommen noch in die vorige Periode. Wirklich fruchtbar wird es erſt
in dieſer. Nicht Cornelius Drebbel von Alkmaar, wie man
lange Zeit annahm, ſondern die Brillenſchleifer Hans und Zacha-
rias Janſſen (Vater und Sohn) in Middelburg waren es, welche
zum erſtenmale, zwiſchen 1590 und 1600 etwa, Linſen zur Herſtellung
eines zuſammengeſetzten Mikroſkops mit einander verbanden6). Ein-
fache Vergrößerungsmittel, als geſchnittene Steine oder geſchliffene
Gläſer müſſen zwar einzelnen Thatſachen nach zu ſchließen auch den
Alten ſchon bekannt geweſen ſein. Es läßt ſich aber nicht nachweiſen,
daß derartige Hülfsmittel genauerer Unterſuchung vor dem ſechzehnten
Jahrhundert auf Naturgegenſtände angewendet worden wären. In der
genannten Zeit ſcheinen einfache Mikroſkope oder Lupen zwar ſchon
benutzt worden zu ſein; aber ſowohl ihre Form, die urſprünglich feſte
Verbindung eines Objectes mit dem Vergrößerungsglaſe (Vitra pu-
licaria), als beſonders die Einrichtung der Mikroſkope für Beob-
achtung undurchſichtiger Gegenſtände mit auffallendem Lichte ließen
nicht ſogleich den unendlichen Vortheil erkennen, welchen der freie Ge-
brauch derſelben ergeben mußte. Es iſt hier nicht der Ort, die allmäh-
lichen Wandlungen und Vervollkommnungen des Mikroskops zu ſchil-
dern. Von Bedeutung iſt ſeine Anwendung. Nicht zu verwundern iſt
es, daß nicht bloß die ſtrenge, ſich ihrer Aufgabe bewußte Forſchung
das neue vielverheißende Werkzeug in ihre Dienſte nahm, ſondern daß
ſich die dilettirende Liebhaberei deſſelben zur Förderung der Gemüths-
[394]Periode der Syſtematik.
und Augenergötzung bemächtigte: zwei Richtungen, welche freilich
ſelbſt in der neueſten bilderreichen Zeit beim häufigen Mangel von
Gedanken, welche die Beobachtungen leiten ſollten, nicht immer aus-
einander gehalten werden können.
Nachdem bereits im ſechzehnten Jahrhundert einzelne kleinere
Thiere im Ganzen vergrößert dargeſtellt worden waren, ohne daß man
gleichzeitig auf ihren feineren Bau weiter eingieng, benutzte zuerſt
Francesco Stelluti das Mikroſkop planmäßig zur Unterſuchung
und Darſtellung von Theilen der Biene in vergrößertem Maßſtabe7).
Seiner Arbeit iſt das Verdienſt nicht abzuſprechen, daß ſie die erſte
war, welche ſich ausdrücklich als eine, mittelſt des Mikroſkops erlangte
Reſultate mittheilende ankündigte. Stelluti iſt nun zwar als Arzt noch
weiter bekannt; ſeine Schrift über die Bienen hatte aber, wie es
ſcheint, nur wenig Erfolg. Von einer Bedeutung, welche die aller
Vorgänger weit hinter ſich ließ, ſind vorzüglich zwei Männer, von
denen man allerdings ſagen kann, daß ſie das Mikroſkop erſt den Na-
turwiſſenſchaften gegeben haben, Malpighi und Leeuwenhoek.
Sie waren es ja auch, welche das Vorurtheil zuerſt durchbrachen, das
ſich, wie oben erwähnt, noch Mouffet hemmend in den Weg ſtellte,
daß nämlich das Intereſſe, welches ſich an Naturgegenſtände knüpfte,
gewiſſermaßen im directen Verhältniſſe zu ihrer Größe ſtehe, daß dem-
zufolge kleine Körper keiner Unterſuchung werth ſeien. Neben den bei-
den genannten hat die Geſchichte der Naturwiſſenſchaften in Bezug auf
Einführung des Mikroſkops beſonders noch Nehemiah Grew und
Robert Hooke rühmlich zu erwähnen; die Hauptleiſtungen dieſer
liegen aber nicht auf dem Gebiete der Zoologie, obſchon der erſtere
auch hier noch anzuführen ſein wird. Marcello Malpighi wurde
1628 in Crevalcuore bei Bologna geboren, ſtudirte unter anderem
auch in Piſa, wo er Schüler und Freund des zwanzig Jahre älteren
[395]Marcello Malpighi.
Alfonſo Borelli wurde, gieng dann eine Zeit lang als Profeſſor
nach Meſſina, wurde 1666 Profeſſor der Medicin in Bologna, ſiedelte
als Leibarzt des Pabſtes InnocenzXII im Jahre 1691 nach Rom
über und ſtarb dort 1694 in ſeinem ſiebenundſechzigſten Lebensjahre.
Malpighi iſt beſonders dadurch auf den Fortſchritt der Zoologie in
weiterem Umfange von großem Einfluſſe geworden, daß er ſeine wich-
tigen Unterſuchungen über anatomiſche Verhältniſſe bei verſchiedenen
Thieren nicht mehr in derſelben Weiſe wie Frühere von Phyſiologie
und Medicin abhängig erſcheinen ließ, ſondern in dem formellen Auf-
bau des Thierkörpers einen Gegenſtand erblickte, welcher einer ſelb-
ſtändigen wiſſenſchaftlichen Bearbeitung bedürftig und werth war. Er-
ſcheint dieſes Loslöſen von fremdartigen Geſichtspunkten bei ihm auch
noch nicht in der Sicherheit und Freiheit, daß man bei ihm ſchon ein
Erfaſſen rein morphologiſcher Aufgaben annehmen kann, ſo hat er
doch durch ſeine Art der Behandlung weſentlich dazu beigetragen, die
einſchlägigen Arbeiten von der unwürdigen Beaufſichtigung und Beein-
fluſſung ſeitens praktiſcher Berufsrichtungen und andersartiger Wiſ-
ſenſchaften frei zu machen. In ſeiner Anatomie der Pflanzen ſind
ferner die erſten Grundzüge gegeben zu jener, durch alle ſpäteren Unter-
ſuchungen immer weiter befeſtigten und ſicherer beſtätigten Lehre von
der Zuſammenſetzung der organiſchen Körper aus Zellen, welche der
ganzen Auffaſſung der belebten Welt, unter gleichzeitiger Erweiterung
des Einblickes in die Entwickelungserſcheinungen, einen formell feſt-
ſtehenden Ausgangspunkt und in ihren Folgerungen der genetiſchen
Betrachtungsweiſe einen ſicheren Boden und den theoretiſchen Ab-
ſchluß gab. Malpighi gieng direct ohne Nebenziele auf Erkenntniß des
Baues des Thierkörpers aus; er benutzte dazu zunächſt alle in ſeiner
Zeit gebräuchlichen Unterſuchungsmittel. Für die Behandlung mit dem
Meſſer ſuchte man die Theile durch Maceration in verſchiedenen Flüſ-
ſigkeiten und durch Kochen zugänglicher zu machen. Und wenn hier-
durch der Zuſammenhang zwiſchen den einzelnen Theilen zu ſehr gelöſt
wurde, während man ja gerade für die Verbindung derſelben unter
einander neuer Elemente bedurfte, welche die Subſtanzlücken zu erfüllen
beſtimmt waren, ſo trat ergänzend die Erfüllung der feinſten Gefäße
[396]Periode der Syſtematik.
mit gerinnenden Maſſen hier zum erſten Male als wichtiges Unterſu-
chungsmittel auf. Malpighi beſaß zwar die Kunſtfertigkeit der von
Swammerdam erfundenen Injection nicht in demſelben Grade hoher
techniſcher Vollkommenheit, wie ſie Ruyſch ſich angeeignet hatte. Es
verdient aber überhaupt die Einführung derſelben in die Reihe der ge-
bräuchlichen Mittel hervorgehoben zu werden. Zu allen dieſen kam
nun noch der Gebrauch des Mikroſkops. Aber abgeſehen von den
äußeren Beobachtungsmitteln findet ſich bei Malpighi auch ein bedeu-
tender methodiſcher Fortſchritt darin, daß er es geradezu ausſpricht,
die vollkommneren Thiere bedürften zur Erklärung ihres anatomiſchen
Verhaltens des „Analogismus der einfacheren“. An die Stelle des
trockenen Hervorhebens der Verſchiedenheiten bricht alſo hier zum er-
ſtenmale der Gedanke durch, daß dem reich gegliederten Bau höherer
Thiere ein einfacherer gegenüberſtehe, welcher durch eine allmähliche
Complication in jenen hinüberführe. Dieſer Gedanke war es, welcher
Malpighi ſelbſt bei den Inſecten nicht ſtehen bleiben ließ, ſondern ihn
veranlaßte, ſich nach noch einfacheren oder den einfachſten Lebensfor-
men umzuſehen. Zu dieſem Behufe unterſuchte er die Pflanzen ana-
tomiſch mittelſt des Mikroſkops; und wenn ihm auch Robert Hooke
in dem Auffinden des zelligen Baues derſelben vorangegangen war, ſo
erkannte er doch die Bedeutung dieſer Zuſammenſetzungsweiſe zuerſt
und ſchilderte die Betheiligung der von ihm Schläuche (utriculi) ge-
nannten Zellen am Aufbau des Pflanzenkörpers. Nicht zu verſchwei-
gen iſt es freilich, daß Malpighi trotz ſeines weiten Geſichtskreiſes in
einen vielleicht gerade durch dieſe Weite zu erklärenden Fehler gerieth,
welcher ihn vom Erkennen mancher Wahrheit abhielt; er verallgemei-
nerte zu ſchnell und zu viel. Wahrſcheinlich in Folge unvollkommener
Injectionen und nicht völlig klarer mikroſkopiſcher Bilder glaubte er
im Thierkörper faſt überall kleine abſondernde Drüſen wahrzunehmen;
und durch Analogie verleitet erblickte er auch in den Staubgefäßen der
Pflanzen nicht die Träger des Befruchtungsſtoffes, ſondern auch nur
abſondernde Elemente. Dieſer bei den verſchiedenſten Gelegenheiten
ſich geltend machende Fehler hinderte ihn möglicherweiſe am Entdecken
der thieriſchen Zelle, der er doch bei der Unterſuchung von Embryonen
[397]Marcello Malpighi.
und von Gehirn und Rückenmark nahe genug war; auch hier ſah er in
der Rindenſubſtanz nur Drüſengewebe, eine Auffaſſung, welcher
Ruyſch die andere extreme gegenüberſtellte, daß die Rindenſubſtanz
nur aus Gefäßſchlingen beſtehe.
Von ſeiner Anatomie der Pflanzen abgeſehen beziehen ſich die Ar-
beiten8)Malpighi's weniger auf allgemeine Structurverhältniſſe als
auf den Bau beſonderer Organe und einzelner Thiere. In der Arbeit
über die Structur der Eingeweide führt er ſeine Drüſenlehre conſequent
in Bezug auf die Leber und die Milz durch, wobei er entſchieden die
Abſonderung der Galle, nicht wie noch manche ſeiner Zeitgenoſſen in
die Gallenblaſe, ſondern in die Leber ſelbſt verlegt. Die Abhandlungen
über die Zunge und das Taſtorgan ſind deshalb von größerer Bedeu-
tung, als ſie die Malpighi's Namen noch tragende ſogenannte Schleim-
ſchicht, das Malpighiſche Netz, unter der Oberhaut kennen lehrten und
zeigten, wie der Bau der äußeren Haut und der der Schleimhäute nahezu
gleich ſind. Müſſen die hier erwähnten Schriften, denen noch ein paar
ähnliche über die Netze und das Gehirn anzureihen ſind, als ſolche be-
zeichnet werden, welche trotz mancher Fehler wegen des in ihnen ſich
äußernden allgemeinen Blickes eine nachhaltige Wirkung gehabt haben,
ſo fand doch ſeine Arbeit über den Seidenſchmetterling ſchon ſehr bald
eine weitere Verbreitung. Dieſelbe ſtellt die erſte vollſtändige Anato-
mie eines Arthropoden dar. Denn die in demſelben Jahre, 1669, er-
ſchienene Geſchichte der Inſecten von Swammerdam enthält noch
kaum etwas Anatomiſches, vielmehr nur eine eingehende Schilderung der
Verwandlungen. Auch die nur drei Jahre ſpäter erſchienene Anatomie
des Krebſes von Willis (in ſeiner Schrift über die Seele der Thiere,
[398]Periode der Syſtematik.
1672) beſpricht nicht alle anatomiſchen Syſteme, ſondern vorzüglich
nur das Gefäß- und Nervenſyſtem. Malpighi weiſt hier die Reſpira-
tion der Inſecten mittelſt der in den Stigmen mündenden Tracheen
nach, beſchreibt das Rückengefäß, das Nervenſyſtem, die Spinndrüſen
der Raupen, ſchildert das Auftreten der Generationsorgane nach der
Verwandlung, ſowie die Veränderungen der Verdauungsorgane und
des Nervenſyſtems während derſelben. Dabei beſchränkt er ſich nicht
auf dieſe Inſectenſpecies, welche er in allen Entwickelungsſtänden un-
terſucht, ſondern zieht bei den wichtigeren Organen die entſprechenden
Theile anderer Inſecten in den Kreis ſeiner vergleichenden Betrach-
tung. Man kann nun zwar einwenden, daß dieſe Unterſuchungen nicht
mikroſkopiſche im engen, beſonders durch die Aufgaben der heutigen
Forſchung beſtimmten Sinne zu nennen ſind. Für den Ausgang des
ſiebzehnten Jahrhunderts waren ſie als ſolche anzuſehen, da hier die
Grenzen zwiſchen makro- und mikroſkopiſcher Forſchung weiter gefaßt
wurden; es konnte ja auch z. B. die Vertheilung der Tracheen, die
Anordnung der Hautmuskelfaſern u. a. nicht ohne Benutzung minde-
ſtens einfacher Mikroſkope oder von Lupen ermittelt werden. Endlich
iſt noch anzuführen, daß Malpighi außer der Verwandlungsgeſchichte
der Inſecten auch die Entwickelung des Hühnchens zum erſtenmale mit
Vergrößerungsmitteln unterſuchte. Vergleicht man ſeine Abbildungen
von dem Zuſtande des bebrüteten Eies in den erſten Tagen mit den
entſprechenden von Coiter und Fabrizio, ſo iſt der Fortſchritt äußerſt
auffallend. Die Erhebung der Rückenwülſte, das Auftreten der Ur-
wirbelabtheilungen, der Abſchnitte des Gehirns erſcheinen hier zum er-
ſtenmale deutlich erkennbar. Wie groß aber auch der Abſtand zwiſchen
Malpighi und ſeinen Vorgängern ſein mag, welchen vorzüglich die An-
wendung der Lupe bewirkte, ſo fehlte doch auch ihm noch der Einblick in
die typiſche Anlage eines Wirbelthierkörpers, um die genaue Verfol-
gung der allmählichen Formveränderung des Hühnchens wirklich ver-
werthbar zu machen; vor Allem fehlte auch die Kenntniß der Vorgänge
während der erſten vierundzwanzig Stunden. — Man möchte verſucht
ſein, nach Allem was er geleiſtet hat und wie er ſeiner Aufgabe gegen-
über trat, Malpighi als den erſten Vertreter der neueren Wiſſenſchaft
[399]Anton von Leeuwenhoek.
zu betrachten, wenn er nicht trotz ſeiner Verallgemeinerungen bloß einen
im Ganzen nicht ſehr umfangreichen Formenkreis durchforſcht hätte.
Die Art indeſſen, wie er das gethan hat, läßt ihn immer als einen
der ausgezeichnetſten Beobachter des ſiebzehnten Jahrhunderts erkennen.
Benutzte Malpighi das Mikroſkop planmäßig und den Bedürf-
niſſen einer Unterſuchungsreihe entſprechend, ſo war das Inſtrument
in den Händen des andern berühmten Mikroſkopikers des ſiebzehnten
Jahrhunderts mehr oder weniger das Mittel, die Neugierde, welche die
Wunder einer bis dahin unſichtbaren Welt in empfänglichen Geiſtern
erregte, zu befriedigen. Und doch ſind die Entdeckungen, welche die
Frucht eines emſigen, durch fünfzig Jahre fortgeſetzten Gebrauchs des
Mikroſkops waren, extenſiv ſowie ihrer Tragweite nach die wichtig-
ſten und einflußreichſten. Anton von Leeuwenhoek war 1632
in Delft geboren, genoß keine gelehrte Erziehung, da er zum Kauf-
mannsſtande beſtimmt war (er ſoll nicht einmal Latein verſtanden ha-
ben), wandte ſich aber aus Liebhaberei dem Verfertigen vorzüglicher
Linſen zu, mittelſt deren er unabläſſig immer neue und neue Gegen-
ſtände durchſuchte, ohne bei dieſen Unterſuchungen von irgend einem
durchgehenden wiſſenſchaftlichen Plane geleitet zu werden. Die könig-
liche Geſellſchaft zu London, welcher er ſeine Beobachtungen überſandte,
machte ihn zum Mitgliede. Er ſtarb 90 Jahre alt, 1723, in ſeiner
Geburtsſtadt. Iſt hiernach Leeuwenhoek gewiſſermaßen als der erſte
Repräſentant jener Dilettanten zu betrachten, welche durch das Mi-
kroſkop einem inneren gemüthlichen Drange Genüge zu leiſten ſuchten,
ſo iſt doch die Kenntniß nicht bloß zahlreicher ſeiner Formenverhältniſſe
des Thierkörpers, ſondern auch der Aufſchluß einer ganzen Welt mi-
kroſkopiſcher Lebensformen ſein Verdienſt. Was die erſteren betrifft,
ſo iſt kaum ein anatomiſches Syſtem zu nennen, an welchem Leeuwen-
hoek nicht wichtige neue Sachen gefunden hätte. Er entdeckte die Blut-
körperchen und ſah zum erſtenmale die Blutbewegung in den Gefäßen
an dem Schwanze der Froſchlarven (Malpighi ſoll bereits vorher in
der Froſchlunge die Blutbewegung geſehen haben; doch läßt ſich dies
nicht ſicher nachweiſen). Er ſah die Querſtreifen der Muskelfaſern
und ſchilderte dieſe als Bündel von Fäſerchen. Er ſah die Zahnröhr-
[400]Periode der Syſtematik.
chen, die Schuppen der Oberhaut, die Linſenfaſern, die dreitheilige
Spaltbarkeit der Linſe u. a. m. Eine der wichtigſten Entdeckungen,
welche allerdings nicht von Leeuwenhoek herrührt, ſondern von einem
Leydener Studenten, Ludwig von Hammen oder Ham aus Stettin im
Jahre 1677 gemacht wurde, iſt die des Vorkommens ſcheinbar ſelb-
ſtändig lebender Gebilde im männlichen Samen verſchiedener Thiere,
der ſogenannten Samenthierchen. Die Evolutionstheorie, welche noch
die Anſichten über die Zeugung beherrſchte, bemächtigte ſich ſehr bald
dieſes Fundes und es wurde ſogar, beſonders nach der Leeuwenhoek-
ſchen Darſtellung der Samenkörper, wie erwähnt die eigentliche Grund-
lage der Zeugung und Entwickelung in dieſelben geſetzt, ſo daß die weib-
lichen Genitalorgane nur zu Brutbehältern wurden, Von niederen
Thieren hat Leeuwenhoek die zugänglichen, ſich ihm reichlich dar-
bietenden, wiederholt durchmuſtert, wie Floh, Mücke, Käfer verſchie-
dener Art, Miesmuſchel u. ſ. w. und überall theils einzelne Theile,
ſo z. B. die facettirten Augen der Inſecten, theils die Zeugung und
Entwickelung ſorgfältig betrachtet. Er war der erſte, welcher die ge-
ſchlechtsloſe Fortpflanzung der Blattläuſe und die Knospung der Süß-
waſſerhydren beobachtete. Er ſah Räderthiere und hat ſie wiederer-
kennbar beſchrieben. Vor Allem war er der Entdecker der Infuſions-
thiere, von denen er eine ziemliche Zahl ſchilderte. Rührt auch der
Name, den dieſe Thiere jetzt gemeiniglich führen, nicht direct von
Leeuwenhoek ſelbſt her, ſo bezeichnet er ſie doch oft als in Aufgüſſen
entſtehende, ſo daß die Bildung des Namens nur auf einer Verwen-
dung Leeuwenhoek'ſcher Ausdrücke beruht. Er ſpricht zwar von den
Gliedmaßen, Füßen der Infuſorien, ſchildert ihre Begattung u. ſ. f.;
indeſſen waren ſeine Mikroſkope doch noch nicht genügend, um eine
förmliche Organiſation derſelben beſchreiben zu können. In der Be-
ſtimmung der Körpergeſtalt wurden aber beinahe bis zu O. F. Müller
kaum weſentliche Fortſchritte gemacht, wenn gleich durch Ledermüller,
Schaeffer, Röſel von Deutſchen, durch Joblot, Baker, Hill und an-
dere Ausländer noch weitere Formen beſchrieben wurden.
Wenn auch nicht als Mikroſkopiker im engeren Sinne, ſo doch
als Erforſcher der kleineren Thierformen, als Mikrotom von der größten
[401]Jan Swammerdam.
Bedeutung für das Fortſchreiten der Zoologie war Jan Swammer-
dam. Seine Unterſuchungen ſind nicht, wie es mehr oder weniger bei
Leeuwenhoek der Fall war, planlos je nach dem zufällig ſich bietenden
Materiale, ſondern unter vollkommenſter Beherrſchung der anatomi-
ſchen Kenntniſſe mit dem Beſtreben, die Lebens- und Bildungseigen-
thümlichkeiten der niederen Thiere, beſonders der Inſecten, aufzuklären,
angeſtellt worden. Es machten ſich aber bei ihm nicht bloß die Wir-
kungen der Neugeſtaltung der Anatomie im wiſſenſchaftlichen Gehalte
ſeiner Arbeiten geltend, ſondern es erſcheint auch bei ihm in Folge ſei-
nes unbefriedigten äußeren Lebens und der ſich daraus entwickelnden
pietiſtiſch-ſchärmeriſchen Gemüthsſtimmung jene Auffaſſung der Natur-
wiſſenſchaften in hervorragender Weiſe, welche den Nachweis Gottes
und ſeiner Herrlichkeit in den Wundern der Natur als höchſte Aufgabe
anſah. Swammerdam wurde als Sohn eines in Swammerdam
bei Amſterdam lebenden, aber ſpäter nach Amſterdam übergeſiedelten
und nach ſeinem Geburtsorte genannten Apothekers im Jahre 1637
geboren, ſtudirte von 1661 an in Leyden unter Jan von Hoorne und
Franz de la Boë (Sylvius) Medicin, lernte dort den Dänen Nicolaus
Steno und Regner de Graaf kennen und gieng dann mit Steno auf
ein paar Jahre nach Frankreich, wo er zuletzt die ſich ihm oft bewäh-
rende Freundſchaft Melchiſ. Thevenots, eines einflußreichen Diploma-
ten und Bruders des bekannten Reiſenden, gewann. Nach Leyden zu-
rückgekehrt wurde er durch Vertheidigung einer Arbeit über das Ath-
men 1667 Doctor der Medicin, prakticirte aber nicht als Arzt, ſondern
widmete ſich ganz der Anatomie und Beobachtung niederer Thiere.
Unzufriedenheit ſeines Vaters mit ſeiner alle praktiſchen Rückſichten
verdrängenden Vorliebe für das Naturſtudium, das Gefühl des Un-
befriedigtſeins, da er in völliger Abhängigkeit von ſeinem Vater trotz
ſeines vorgeſchrittenen Alters keine ſichere Lebensſtellung hatte, und
wohl auch Zerrüttung ſeiner Geſundheit ließen ihn in dem die Schriften
der bekannten chiliaſtiſchen Schwärmerin Antoinette Bourignon durch-
ziehenden Geiſte den Anker erblicken, an welchen er ſich in ſeiner Noth
halten könne. Er trat 1673 mit ihr in Briefwechſel, gieng ſogar 1675
zu ihr nach Schleswig und als ſie dort ausgewieſen wurde, mit ihr
V. Carus, Geſch. d. Zool. 26
[402]Periode der Syſtematik.
nach Kopenhagen. Nach Amſterdam zurückgekehrt wies er alle ſich
ihm bietenden Anträge zum Verkauf ſeiner Sammlung ſowie zur An-
nahme vortheilhafter Stellungen zurück, kam dadurch und weil er ſeiner
Kränklichkeit wegen kaum mehr arbeiten konnte, in ſeinen Verhältniſſen
immer mehr zurück, wurde elend und krank und ſtarb 16809). Seine
Verdienſte ſind nicht gering. Schon in Bezug auf anatomiſche Unter-
ſuchungsmethoden wird ſeiner ſtets dankbar gedacht werden. Ihm wird
nämlich, wie erwähnt, die Erfindung zugeſchrieben, die Blutgefäße
durch Ausſpritzung mit Wachs haltbar und der Unterſuchung zugäng-
licher zu machen, ein Verfahren, welches bekanntlich Ruyſch vielfach
benutzt und weiter entwickelt hat10). Von ſeinen Leiſtungen ſind die
Unterſuchungen über die Verwandlungsgeſchichte der Inſecten, ſowie
über deren Anatomie die umfangreichſten und wichtigſten. Die erſteren,
welche er wie oben erwähnt vor Malpighi's Arbeit über den Seiden-
wurm 1669 holländiſch herausgab, gehen zum erſtenmale auf die Ver-
ſchiedenheit der Entwickelung bei Inſecten ein, indem ſie ſchon die voll-
ſtändige Verwandlung von der bloßen Entwickelung durch Häutung
unterſcheiden, und haben die Grundlage gegeben für die erſte natur-
gemäße Claſſification der Inſecten; die letzteren, in ſeiner Bibel der
Natur zuſammengefaßt, ſind die bedeutendſte Erſcheinung auf dieſem
Felde der Zootomie bis in neuere Zeiten herab geblieben. Beiſpiels-
weiſe ſei hier nur hervorgehoben: er unterſcheidet die drei Individuen-
formen der Bienen, ſchildert den Eierſtock der Königin, die Genital-
organe der Drohnen, den Stachel, die Mundtheile der Bienen, den
Bau der Mücke, der Ephemere u. ſ. f. Ebenſo bewundernswürdig
und muſtergültig für lange Zeit ſind ſeine anatomiſchen Unterſuchungen
einiger Mollusken, wie der Weinbergs-, Gartenſchnecke und der Sepie.
Und daß er auch bei den Beobachtungen an Wirbelthieren Hand und
[403]Francesco Redi.
Auge richtig zu benutzen verſtand, beweiſen ſeine Mittheilungen über
den Bau und die Entwickelungsgeſchichte der Fröſche, ſowie über deren
Urogenitalorgane; den Zuſammenhang der letzteren in ihren ausfüh-
renden Theilen, welchen Swammerdam bereits erkannt hatte, haben
erſt Arbeiten der neueſten Zeit wieder beſtätigt. — Hatten Malpighi
und Leeuwenhoek vorzüglich dazu beigetragen, den Gedanken an eine
gleichartige Zuſammenſetzung der verſchiedenſt geſtalteten Thierkörper
allmählich vorzubereiten, ſo war es beſonders Swammerdam, welcher
die Gleichartigkeit der Zeugungsweiſe bei Thieren aller Claſſen zur
Geltung zu bringen ſuchte. Vorzüglich trugen ſeine Nachweiſe über die
nur befruchtende Rolle des Samens dazu bei, die Anſichten über die
Bedeutung der beiderſeitigen Zeugungsprodukte zu klären.
Es harrte aber nicht bloß der Streit über das Weſen der Zeu-
gung und Befruchtung der endgültigen Entſcheidung, welche erſt mit
Spallanzani's Fundamentalverſuchen gegeben wurde, es waren auch
noch, trotz der weiter ausgedehnten Unterſuchungen über die Geſchlechts-
verhältniſſe der Thiere, manche Fälle von merkwürdigem Erſcheinen
einzelner Thierformen übrig, welche man nur als durch Urzeugung er-
klärbar anſehen zu können meinte11). Die Annahme eines Entſtehens
von Thieren, ſelbſt ziemlich zuſammengeſetzt organiſirten, aus faulenden
Stoffen, Schleim u. ſ. w. war damals der Deckmantel für die Un-
kenntniß in Bezug auf Anatomie und Entwickelungsgeſchichte der be-
treffenden Formen. Ein Angriff gegen dieſe Lehre, ja ſelbſt nur we-
nige thatſächliche Belege für das Unhaltbare derſelben, waren daher
für die Fortſchritte der Naturgeſchichte der Thiere von großer Bedeu-
tung. Aber nicht bloß wegen der Beſeitigung eines entſchiedenen Irr-
thums, auch wegen des damit gegebenen Beweiſes von der Gefahr eines
ohne Gewähr übernommenen Autoritätsglaubens waren die Unterſu-
chungen Francesco Redi's aus Arezzo äußerſt bedeutungsvoll.
Beſonders waren es die „Verſuche betreffs der Erzeugung der
Inſec-
26*
[404]Periode der Syſtematik.
ten“, in welchen Redi für viele Fälle den Nachweis gibt, daß die Thiere
nicht aus den Stoffen ſelbſt, an welchen ſie erſcheinen, ſondern aus
dorthin gelegten Eiern weiblicher, mütterlicher Individuen hervorgien-
gen. Er weiſt direct nach, daß, wenn man die Fliegen von faulendem
Fleiſche abhält, ſich keine Maden in demſelben entwickeln. Aehnliche
Beweiſe bringt er auch für einzelne Formen von in andern Thieren
lebenden Würmern bei, obſchon er hier über zu wenig Thatſächliches
gebieten konnte, um mit gleicher Ueberzeugungskraft die überall gleich-
artige Zeugungsweiſe behaupten und vertheidigen zu können. Nach
Redi's Arbeiten flüchtete ſich die Lehre von der Urzeugung in immer
unbekanntere Gebiete des Thierreichs, bis ſie, von der Forſchung über-
all ſiegreich widerlegt, jeden Boden verlor und ernſtlich erſt dann wie-
der erörtert zu werden begann, als es galt, die Anſichten über eine
mögliche Erklärung der Mannichfaltigkeit der thieriſchen Formen theo-
retiſch abzurunden. Auch mit andern anatomiſchen Arbeiten hat ſich
Redi Verdienſte erworben; ſo mit ſeinen Unterſuchungen über die
Viper, den Zitterrochen, die Luftſäcke der Vögel u. ſ. w. Ueberall
zeigt ſich bei ihm ein unbefangener freier Blick, welcher, ohne Rückſicht
auf etwa entgegenſtehende, ſich an Ueberlieferungen oder Gewährs-
männer anlehnende Vorurtheile zu nehmen, der Beobachtung und dem
Verſuche die Entſcheidung zweifelhafter Fälle überläßt.
Ebenſowenig wie eine Geſchichte der Zoologie die Entdeckung jeder
einzelnen neuen Thierart verzeichnen kann, iſt eine ſolche auch nicht der
Ort, jeden anatomiſchen Fund bei Thieren nach der Zeit ſeines Auf-
tauchens zu verzeichnen. Wohl aber muß hier darauf hingewieſen wer-
den, wie unter Benutzung der neueren Methoden und Mittel der Un-
terſuchung, ſowie in Folge einer ſelbſtändigeren Stellung nach und
nach, wenn auch langſam, alte Irrthümer ſchwanden und neue geläu-
terte Anſchauungen immer mehr Boden gewannen. Für die vorlie-
gende Zeit war beſonders die durch Harvey's Entdeckung umgeſtaltete
Gefäßlehre epochemachend, an welche ſich die Fortſchritte in der Kennt-
niß der Lymphgefäße ergänzend anſchloſſen. Wegen letzterer ſei hier
nur an den Dänen Thomas Bartholin erinnert. Nicht minder
wichtig iſt aber auch der Nachweis, welcher vorzüglich dem bereits oben
[405]Steno, Borelli, Grew.
als Swammerdam's Freund genannten Nicolaus Steno zu dan-
ken iſt, daß die Muskeln nicht, wie es bis in die zweite Hälfte des
ſiebzehnten Jahrhunderts häufig genug noch durchklingt, bloßes Füll-
material oder Hülfsorgane des Getaſtes ſind, ſondern die eigentlichen
activen Bewegungsorgane. Steno wies nach, daß ſich die Muskeln
bei ihrer Zuſammenziehung ſelbſt verkürzten. Borelli führte dieſe
Fundamentalerſcheinung auf die Elaſticität der Muskeln zurück, welche
unter dem Einfluß der Nerven in Thätigkeit trete. Hierdurch ſowie
durch die übrigen in ſeiner Schrift über die Bewegungen der Thiere
enthaltenen Beobachtungen und Ableitungen legte er den Grund zu der
Mechanik des Thierkörpers. Die Kenntniß der Verdauungsorgane
erhielt durch den oben erwähnten Nehemia Grew eine Bereiche-
rung in ſeiner „Vergleichenden Anatomie der Magen und Därme“,
welche er ſeiner Schilderung des Muſeums der Königlichen Geſellſchaft
in London anhängte. Nimmt man die oben beſprochenen Arbeiten auf
dem Gebiete der Zeugungs- und Entwickelungsgeſchichte noch hinzu, ſo
ergibt ſich, daß das ganze anatomiſche Lehrgebäude ein weſentlich an-
deres Anſehen erhalten hatte. Freilich war von eigentlicher Verglei-
chung nur vereinzelt ein Zug zu finden; und wenn man auch ſeit Willis
von „vergleichender Anatomie“ ſprach, auch bereits anfieng,
zooto-
miſche Schilderungen ſyſtematiſch den Beſchreibungen des menſchlichen
Baues anzufügen, wie es z. B. Samuel Collins in ſeinem Sy-
ſtem der Anatomie that, ſo war man doch von der Erkennung der ver-
ſchiedenen, im Thierreiche vorliegenden anatomiſchen Grundpläne noch
weit entfernt, da man ſelbſt im glücklichen Falle eines möglichſt weiten
Geſichtskreiſes alles Thieriſche mit menſchlichem Maße maß. Davon,
bei Thierzergliederungen nur die Verſchiedenheiten zu ſehen, war man
allerdings etwas zurückgekommen; ſtatt aber Einheit des Planes nach-
zuweiſen, bezog man die Aehnlichkeit des anatomiſchen Baues auf eine
Uebereinſtimmung der phyſiologiſchen Leiſtung.
Welche Bedeutung indeſſen der Anatomie der Thiere in der Zeit
beigelegt wurde, in welcher die erſten ſyſtematiſchen Verſuche die ver-
ſchiedenen thieriſchen Formen zu ordnen beſtrebt waren, beweiſen neben
den zahlreichen Einzelarbeiten die beiden, ziemlich bald nach einander
[406]Periode der Syſtematik.
veröffentlichten Sammelwerke über Zootomie. Die Vergleichung beider
mit einander zeigt auch, wie ſtetig das Intereſſe an derartigen Arbeiten
zunahm, da in dem ſpäteren eine viel bedeutendere Zahl jener Arbeiten
aufgenommen werden konnte. Das erſte iſt die »Anatomia anima-
lium« von Geraard Blaes (Gerardus Blasius), einem Profeſſor
der Medicin in Amſterdam, welcher ſich viel mit der anatomiſchen Un-
terſuchung ſowohl des Menſchen als der Thiere beſchäftigte und ſchon
vor dem hier beſprochenen Sammelwerke Miscellaneen zur Anatomie
des Menſchen und der Thiere herausgegeben hatte12). Sind auch von
ſeinen eigenen zootomiſchen Arbeiten nur einzelne Angaben über den
Tiger, die Zibethkatze, Fledermaus, den Froſch, Reiher in ſeinem
Buche enthalten, ohne daß er die Anatomie eines dieſer Thiere voll-
ſtändig gibt, ſo iſt die Sammlung, welche die Arbeiten von Malpighi,
Willis, Bartholin, Drelincourt und mehreren anderen Aelteren und
Neueren unter Wiederholung der betreffenden Abbildungen wiederbringt,
nicht ohne großen Nutzen für ihre Zeit geweſen. Und wie dies ſelbſt
noch bis in den Anfang des jetzigen Jahrhunderts anerkannt wurde, ſo
iſt bei der ungleich ſchwierigeren Verbreitung der Litteratur, auch der
periodiſchen, aus welcher Blaes manches übernommen hat, in ſeiner Zeit
das Verdienſt damals noch höher anzuſchlagen geweſen. Häufig verweiſt
er auch nur auf die betreffenden Stellen, wo über gewiſſe Thiere Aus-
führliches zu finden iſt. Er kennzeichnet ſein Werk dadurch ſelbſt als
Repertorium und iſt ihm deshalb aus dem Umſtande, daß er die vor-
handenen Lücken nicht durch größere eigene Arbeiten vollſtändig aus-
zufüllen verſucht hat, kein Vorwurf zu machen.
Noch reichhaltiger, aber in Bezug auf den Plan des Unterneh-
mens mit dem des Blaſius gleichartig iſt die Sammlung des Gießener
Profeſſors der Phyſik und ſpäter auch der Medicin Michael Bern-
hard Valentini, welche unter dem Titel Amphitheatrum zooto-
[407]Blaes, Valentini.
micum zuerſt in Frankfurt a. M. 1720 erſchien und 1742 wiederholt
gedruckt (oder mit neuem Titel verſehen?) wurde. Sie bietet eine reiche
Sammlung der zootomiſchen Litteratur der damaligen Zeit dar. Dieſes
Amphitheater enthält nicht bloß (in lateiniſcher Ueberſetzung, wie das
ganze Werk lateiniſch bearbeitet iſt) die Sammlung der von den Pa-
riſer Zergliederern (ſ. unten) gegebenen Zootomien, ſondern auch die
auf Thieranatomie bezüglichen Aufſätze der königlichen Geſellſchaft in
London, der deutſchen Akademie, der Kopenhagner Abhandlungen, ſo-
wie eine Anzahl einzelner Diſſertationen. Als Sammlung der mono-
graphiſchen Arbeiten der damaligen Zeit iſt das Amphitheater ſelbſt
heute noch nützlich. Allerdings ſind, wie es in der Natur der Sache
liegt, größere Monographien nicht darin zu finden; ſo fehlt beiſpiels-
weiſe Caldeſi's Anatomie der Schildkröten, Tyſon's Anatomie
des Schimpanſe und ähnliches; dagegen iſt die Zergliederung des ame-
rikaniſchen Opoſſum von Tyſon mit Abbildung des Skelets, der Beu-
telknochen, der männlichen Genitalorgane im Valentini aufgenommen.
Auch weiſt die mitgetheilte Anatomie einer Meduſe von Anton von
Heide, welche die erſte iſt, die ein einigermaßen befriedigendes
Bild vom Bau dieſes Thieres gibt, darauf hin, daß man auch den nie-
deren Thieren eingehende Aufmerkſamkeit zu widmen begonnen hatte.
Deſſelben Heide Anatomie der Muſchel, Unterſuchungen über engliſche
und holſteiner Auſtern, über Sepien, die Argonauta und andere wir-
belloſe Thiere (beſonders viel Inſecten) machen die in Valentini's Am-
phitheater gegebene Ueberſicht über den Stand der Zootomie im An-
fang des vorigen Jahrhunderts zu einer verhältnißmäßig recht voll-
ſtändigen.
Schon aus den kurzen in vorſtehenden Angaben enthaltenen
Quellenverweiſungen geht hervor, daß die Gelehrten der damaligen
Zeit nicht mehr überall auf die ſich bloß zufällig bietende Möglichkeit
eines gegenſeitigen Verkehrs angewieſen waren, daß ſie vielmehr ſchon
einzelne Vereinigungspunkte theils für perſönliche Berührung, theils
zur Sammlung der litterariſchen Arbeiten hatten, welche ihnen ſowohl
Gelegenheit zur zweckmäßigen Ordnung und Veröffentlichung ihrer
Arbeiten, als beſonders auch Anregung zu ſolchen und Nachricht von
[408]Periode der Syſtematik.
dem wiſſenſchaftlichen Leben und Treiben überhaupt gaben. Es wurde
bereits früher an die Gründung der wiſſenſchaftlichen Akademien erin-
nert13). Reichen einige auch weiter zurück, ſo bilden doch die den Na-
turwiſſenſchaften ſpecieller gewidmeten Geſellſchaften jedenfalls für die
Geſchichte des vorliegenden Zeitraumes ein nicht unwichtiges Moment.
Man hat den Unterſchied zwiſchen ihnen und den Univerſitäten beſon-
ders darin ſuchen zu können gemeint, daß man die directe Förderung
der Wiſſenſchaft durch Arbeiten der Mitglieder für die Aufgabe der er-
ſteren, den Unterricht, die Mittheilung der gewonnenen Kenntniſſe an
die Jugend für das Weſen der letzteren erklärte. Dieſe Beſtimmung
der Verſchiedenheit legt aber moderne Verhältniſſe alten Einrichtungen
unter. Der Fortſchritt der Wiſſenſchaften vollzog ſich in den Zeiten,
von denen hier die Rede iſt, noch ausſchließlicher als es heute der Fall
iſt, an den Univerſitäten und der Gründung jener gelehrten Geſell-
ſchaften lag vielmehr ein praktiſches Bedürfniß zu Grunde. Dies war
wohl nicht bei allen das gleiche; in einzelnen Fällen mag vielleicht der
Wunſch, dem Gelehrtenſtande eine noch ſchärfer als ſonſt hervortretende
beſondere Stellung zu geben, mitgewirkt haben. Hauptſächlich waren
es aber die erwähnten Motive, welche zu Vereinigungen führten: Er-
leichterung des Verkehrs und der Veröffentlichungsweiſe einerſeits und
auf der andern Seite eine durch Kenntnißnahme des in bekannten Krei-
ſen Getriebenen ermöglichte Theilung der Arbeit. Zu den früher er-
wähnten italieniſchen Geſellſchaften, von denen auch die Academia dei
Lyncei bald nach dem Tode ihres Gründers des Fürſten Ceſi wieder
eingieng, kam noch die vorzüglich für Experimentalunterſuchungen be-
ſtimmte Academia del Cimento, welche jedoch nach kurzem Beſtehen
das Schickſal der erſteren theilte; ſie war 1651 von Borelli, Redi u. A.
gegründet worden, hörte aber ſchon 1667 wieder zu arbeiten auf. In
dieſe Zeit fällt nun aber auch die Gründung der drei großen, noch jetzt
beſtehenden Akademien, welche trotz aller Wandlungen und Umgeſtal-
tungen, welche ſowohl die Wiſſenſchaft als die Heimathsländer der
Akademien ſelbſt erfahren haben, ihre Thätigkeit höchſtens vorüber-
[409]Akademien.
gehend unterbrochen haben. Es ſind dies die deutſche, engliſche und
franzöſiſche Akademie, welche man alle drei als den Naturwiſſenſchaf-
ten gewidmet bezeichnen kann.
Den Gedanken zur Gründung der erſtgenannten faßte ſchon
im Jahre 1651 der Stadtarzt der freien Reichsſtadt Schweinfurt,
Johann Lorenz Bauſch, welcher am 1. Januar 1652 mit
den Aerzten Fehr, Metzger und Wohlfarth die erſte Sitzung
hielt, darin ſofort die Statuten vorlegte und damit die Grün-
dung der Academia Naturae Curiosorum vollzog. So
unſcheinbar und auf die Anſtrengungen einzelner Perſönlichkeiten
ſich ſtützend das erſte Auftreten dieſer Akademie war, ſo gewann ſie
doch bald ein ziemliches Anſehen. Der erſte Schritt hierzu geſchah
durch die Beſtätigung der Statuten und die Privilegirung der Akademie
durch Kaiſer Leopold im Jahre 1677 und 1687, eine Auszeichnung,
deren Erlangung ſchon längere Zeit vorher eines der thätigſten Mit-
glieder, Philipp Jakob Sachs von Lewenhaimb in Breslau,
als für den Aufſchwung der neuen Stiftung äußerſt wünſchenswerth
bezeichnet hatte. Nachdem dann Kaiſer KarlVII dieſe Privilegien be-
ſtätigt hatte, führte die Akademie bis in die neueſte Zeit den Namen
der kaiſerlichen Leopoldiniſch-Caroliniſchen Akademie der Naturforſcher,
ohne jedoch anfangs durch irgend welche materielle Unterſtützung dem
Kaiſer oder Reich verbunden zu ſein. Der hauptſächlichſte Vortheil,
welchen dieſe Auszeichnung mit ſich brachte, lag in der damit den Na-
turwiſſenſchaften ausgeſprochenen Anerkennung. Dieſelben erſchienen
zwar noch als Hülfswiſſenſchaften der Medicin, alſo ähnlich, wie ſie
meiſt noch an Univerſitäten angeſehen werden; ihre Aufgaben ſtellten
ſie ſich indeß ſelbſtändig und nur mit der in ihrer ganzen Entwickelung
bedingten Anlehnung an die Heilkunde. Jene kaiſerliche Anerkennung
erhielt auch äußere Formen; doch theilten der Präſident und der Di-
rector Ephemeridum (wie der mit der Herausgabe der akademiſchen
Schriften betraute Beamte genannt wurde) die ihnen verliehene Würde
eines Pfalzgrafen mit faſt ſämmtlichen Univerſitäten, manchen ſtädti-
ſchen Obrigkeiten, einzelnen hervorragenden Perſönlichkeiten, wie kai-
ſerlichen Leibärzten, berühmten Juriſten u. ſ. w.; die damit verbunde-
[410]Periode der Syſtematik.
nen Rechte, das ſogenannte kleine Comitiv, eine Anzahl gewiſſer
kaiſerlicher Reſervatrechte, mußten natürlich mit der allmählichen Ent-
wickelung der deutſchen Rechtsverhältniſſe und beſonders mit der Selb-
ſtändigwerdung der Einzelſtaaten ihre urſprünglich ſchon nicht große
Bedeutung immer mehr verlieren, bis ſie mit der Auflöſung des deut-
ſchen Reichs auch ihre formelle Begründung verloren und auch wohl
aufgegeben worden wären, wenn nicht Unkenntniß der hiſtoriſchen Mo-
mente, vielleicht auch Eitelkeit den beſtehenden Namen des Pfalzgrafen
beizubehalten verſucht hätte. Die Ausübung des Comitiv's hat übri-
gens ſchon in älteren Zeiten der Akademie hin und wieder ziemliche
Ungelegenheiten bereitet, wie z. B. den Streit der Bortenwürker in
Nürnberg mit Wurffbain, welcher als Director Ephemeridum ein un-
ehelich geborenes Mädchen bei ihrer Verheirathung mit einem Mit-
gliede jener Innung legitimirt hatte. Der in jener Zeit herrſchende
Ungeſchmack, natürliche Verhältniſſe nicht bei ihrem einfachen, natür-
lichen Namen zu nennen, ſondern unter allerlei abgeſchmackte poetiſche
und durch die breit ausgetretene Durchführung ins Lächerliche füh-
rende Verhüllung zu ſtecken, ließ die Mitglieder der Akademie jenem bei
verſchiedenen deutſchen Geſellſchaften (z. B. der fruchtbringenden, dem
Schwanenorden u. ſ. w.) und bei vielen italieniſchen Akademien be-
ſtehenden Gebrauche folgen, die Akademie ſymboliſch zu bezeichnen und
den Mitgliedern darauf bezügliche Namen zu geben14). Die zu ſu-
chende Aufklärung wurde daher mit dem goldenen Vließ, die Akademie
mit der Argo verglichen; die Mitglieder erhielten die Namen der Ar-
gonauten. Da indeß die Zahl dieſer nicht groß, die der Mitglieder
aber unbeſchränkt war, ſo griff man zu den Namen anderer edler
Griechen, bis denn endlich der akademiſche Beiname nur ungefähr die
Richtung des wiſſenſchaftlichen Strebens des zu Benennenden andeu-
[411]Akademien.
ten ſollte. Es wäre ungerecht, wollte man das ideale Streben der
Gründer der Akademie der Naturforſcher leugnen; kein anderes hiſto-
riſches Ereigniß weiſt vielleicht ſo direct auf die angeborene Liebe der
Deutſchen zu allem Edlen und Hohen hin, als daß unmittelbar nach
dem Austoben des großen Krieges, unter Verhältniſſen, welche ſo trau-
rig noch nicht dageweſen waren und nicht wiedergekehrt ſind, die Pflege
der Naturkenntniß als eine der zu leiſtenden idealen Aufgaben hin-
geſtellt wurde. Die Ausführung der Idee blieb allerdings hinter den
Vorſätzen und Erwartungen zurück. Dies war Folge eines Umſtan-
des, welchen die Gründer zu beſeitigen nicht vermochten, deſſen Bedeu-
tung ſie auch wohl nicht erkannten. Es fehlten ihr die regelmäßigen
Zuſammenkünfte und die in ſolchen ſich entwickelnden Beſprechungen
und Bekämpfungen verſchiedener Anſichten; ſie war von Anfang an
nur eine publicirende Genoſſenſchaft, bei welcher die Kritik des zu Ver-
öffentlichenden mehr der Verantwortlichkeit des Einzelnen überlaſſen
blieb, als daß das Aufeinanderplatzen der Geiſter in lebendiger Rede
das edle Metall von den Schlacken gereinigt hätte. Laplace hat
Recht, wenn er ſagt: „der weſentliche Vortheil der Akademien iſt der
philoſophiſche Geiſt, der ſich in ihnen entwickelt und von hier aus über
eine ganze Nation und alle Gegenſtände ausbreitet. Der vereinzelte
Gelehrte kann ſich ohne Furcht dem Dogmatiſiren hingeben; er hört
nur von weitem Widerſprüche. Aber in einer gelehrten Geſellſchaft
führt der Anprall dogmatiſcher Anſichten ſehr bald zu ihrer Zerſtö-
rung; und der Wunſch, ſich gegenſeitig zu überzeugen, führt nothwen-
digerweiſe die Uebereinkunft unter den Mitgliedern hervor, nichts An-
deres als die Reſultate der Beobachtung und der Rechnung anzuneh-
men“15). Dies wäre der deutſchen Akademie auch bei ihrer mehr oder
weniger deutlich ausgeſprochenen Beſchränkung auf die beſchreibenden
Naturwiſſenſchaften nur heilſam geweſen. Das einzige Lebenszeichen
der Akademie waren daher von jeher ihre Veröffentlichungen. Ehe die-
ſelben eine regelmäßige Form und eine Collectivbezeichnung erhielten,
erſchien eine Anzahl einzelner Schriften, mit deren Herausgabe ſelbſt
[412]Periode der Syſtematik.
nach Beginn der Ephemeriden noch eine Zeit lang von einzelnen Män-
nern fortgefahren wurde. War auch die Akademie ſchon 1652 in aller
Form gebildet, ſo dauerte es doch beinahe zehn Jahre, ehe die Wiſſen-
ſchaft ſich einer ihrer Leiſtungen erfreuen konnte. Die Reihe der
Vorläufer eröffnete der genannte Sachs in ſeiner curiöſen Beſchrei-
bung des Weinſtocks (Ampelographia curiosa, 1661). Ihr folgten
bis 1670, von wo an das Sammelwerk anfänglich unter dem Titel der
Miscellaneen, dann der Ephemeriden, zu erſcheinen begann, noch neun
Abhandlungen, von denen drei ſich auf zoologiſche Gegenſtände be-
ziehen: die Gammarologie deſſelben Sachs, 1665, die Schilderung
des foſſilen Einhorns von Bauſch, 1666, und die Elaphographie von
Graba, 1667. Neben den Ephemeriden erſchienen dann noch ſieben-
undzwanzig Schriften von Akademikern einzeln, von denen zwölf der
Erörterung zoologiſcher Fragen gewidmet ſind16). Von den Epheme-
riden erſchienen von 1670 bis 1722 drei Decurien und fünf Centurien,
zuſammen 29 Bände. Auf die letzteren folgen von 1727-1754 die
Acta physico-medica in zehn Bänden, an welche ſich dann von 1756
an die noch jetzt erſcheinenden Nova Acta anſchließen. Was den wiſ-
ſenſchaftlichen Gehalt der in den Ephemeriden enthaltenen und der be-
ſonders herausgegebenen Arbeiten betrifft, ſo iſt allerdings davon
nichts zu bemerken, daß ſich der Einfluß der neueren Richtung, wie eine
ſolche theils durch Einführung des Mikroſkops und anderer Beobach-
tungsmittel, theils durch das Aufkommen einer geſunden Skepſis vor-
bereitet wurde, ſchnell geltend gemacht hätte. Es leiden zwar die mei-
ſten Arbeiten aus der damaligen Zeit an den gleichen Fehlern; doch
hängt den deutſchen Abhandlungen wohl mehr als den andern die ur-
theilsloſe gleichmäßige Ausführlichkeit ſowohl in Betreff der wichtigeren
als der unwichtigeren Punkte an, was aber wiederum vorzüglich
[413]Akademien.
dadurch zu erklären iſt, daß die ganzen Verhandlungen, wenn es wirk-
lich zu ſolchen im Sinne eines Austauſches von Meinungen kam,
ſchriftlich gepflogen wurden. Dabei lag nun die nur ſelten vermiedene
Gefahr, in Büchergelehrſamkeit das hauptſächlichſte Rüſtzeug zu er-
blicken, gar zu nahe.
Die nächſt alte, vielleicht ſogar noch etwas ältere Akademie iſt die
Royal Society in London. Die Incorporationsurkunde wurde ihr
allerdings erſt am 15. Juli 1662 ausgeſtellt. Doch waren ſchon ſeit
1645 einzelne Männer regelmäßig zu Unterredungen über naturwiſſen-
ſchaftliche Gegenſtände zuſammengekommen, bei deren Aufzählung frei-
lich anfangs die Naturgeſchichte vermißt wird, obſchon darauf bezüg-
liche Fragen ſchon in den erſten Verhandlungen vorkamen. Die erſte
Anregung zu dieſen Zuſammenkünften hatte ein Deutſcher gegeben,
Theodor Haak aus der Pfalz; von Engländern werden genannt,
Wilkins, Goddard, Ent, Gliſſon, Foſter u. a. Um 1648 und 1649
gieng ein Theil dieſer Männer nach Oxford, wo ſie ihre Verſammlun-
gen fortſetzten und einige ſpäter auch der Royal Society zutretende
Männer, wie Willis und Boyle heranzogen. Auch die in London Zu-
rückgebliebenen ſetzten ihre Unterhaltungen fort und verſammelten ſich,
wie es ſcheint, unter dem Namen des unſichtbaren Collegiums in
Greſham College. Von 1653 an wurden nun ſowohl im Parlamente
als in Privatbriefen unabhängig auftauchende Pläne zur Errichtung
einer Anſtalt für Förderung der Naturwiſſenſchaften vorgeſchlagen,
allerdings zum Theil mit in der Abſicht, dem Unterrichte der Jugend
aus den höheren Ständen aufzuhelfen; unter den politiſchen Stürmen
kam aber keiner derſelben zur Ausführung. Als König KarlII nach
London zurückgekehrt war und mit ihm unter Anderen Robert Mo-
ray, faßte dieſer mit Lord Broumker und Dr. Ward den Ent-
ſchluß, aus der philoſophiſchen Geſellſchaft (der Unſichtbaren), in wel-
cher beſonders Robert Boyle thätig war, eine größere formell geſicher-
tere Vereinigung zu bilden. Die erſte Verſammlung, in welcher die
Abſicht ſich zu conſtituiren ausgeſprochen wurde, fand am 28. Novem-
ber 1660 ſtatt, an welchem Tage Chriſtopher Wren in Greſham
College eine aſtronomiſche Vorleſung hielt; und ungefähr anderthalb
[414]Periode der Syſtematik.
Jahr ſpäter war ſie wie erwähnt als Königliche Geſellſchaft zur Förde-
rung des natürlichen Wiſſens vom König anerkannt17). Der Ausdruck
natural knowledge war vorzüglich im Gegenſatz zum Glauben an
übernatürliche Einwirkungen gewählt, wie ſich aus den Verhandlungen
der erſten Zeit ergibt. Die Veröffentlichungen der Geſellſchaft ge-
ſchahen von Anfang an unter dem Titel Philosophical Transactions;
ſie wurden anfangs nummerweiſe (die erſte Nummer erſchien am 6.
März 1664) und zwar vom Secretair auf ſeine Gefahr, aber mit Un-
terſtützung der Geſellſchaft herausgegeben, welche Stelle zuerſt ein
Deutſcher, H. Oldenburg begleitete. In den Jahren 1681 und 1682
wurde die Herausgabe der Transactions, welche noch keine Abhand-
lungen im ſpäteren Sinne, ſondern Berichte und Auszüge brachten, in
Folge der ungünſtigen Zeitverhältniſſe unterbrochen; an ihrer Stelle
erſchien die Philosophical Collection, welche Rob. Hooke, der Mi-
krograph, herausgab. Erſt vom 47. Bande an (1753), übernahm die
Geſellſchaft die Herausgabe der Transactions ſelbſt und hat mit dem
jährlichen Erſcheinen derſelben ununterbrochen bis heute fortgefahren.
Es iſt nun zwar in den Nachrichten über das erſte Auftreten der Royal
Society nichts enthalten, was auf eine Verſchiedenheit der allgemeinen
wiſſenſchaftlichen Anſichten von denen anderer Länder hinwieſe; doch
macht ſich der Vortheil des mündlichen Gedankenaustauſches und des
perſönlichen Verkehres beſonders hinſichtlich des Unterſchiedes der „na-
türlichen“ und geheimen Kräfte ſehr fühlbar geltend. Von allen Seiten
wurden Fragen eingebracht, welche den Aberglauben damaliger Zeit
kennzeichnen, über Wünſchelruthen, ſympathetiſche Curen, Wirkung
des Pulvers von Vipern und von Vipernherzen, vergiftete Dolche
u. ſ. w. Die Behandlung ſolcher Aufgaben ſeitens der Geſellſchaft
trug weſentlich zum Siege des geſunden Menſchenverſtandes bei; es
wird kurzweg unter Aſſiſtenz der Mitglieder experimentirt und durch
das directe Sinneszeugniß das Unhaltbare der Märchen aufgedeckt.
Von zoologiſchen Gegenſtänden enthalten die früheren Jahre der Royal
[415]Akademien.
Society verhältnißmäßig wenig. Bemerkenswerth iſt der Bericht
Moray's über Entenmuſcheln, worin er zwar angibt, in den Mu-
ſcheln ſelbſt völlig fertig gebildete kleine Vögel geſehen zu haben, indeß
zuſetzt, daß weder er ſelbſt noch Jemand ſeiner Bekanntſchaft jemals
dieſe Vögel lebendig geſehen habe. Goddard zergliederte ein Chamä-
leon (Bericht darüber 1683); Boyle ſtellte Verſuche über Reſpira-
tion an (1670) u. ſ. f. Die Geſellſchaft beſchränkte ſich aber nicht
bloß auf das, was man in London und England etwa erfahren könne
(trotzdem ſie Aufgaben ſtellte auch über vaterländiſche Naturgeſchichte,
z. B. über die Vipern), ſondern gab Reiſenden und auswärtigen Ver-
tretern Englands Inſtructionen, was Alles zu beobachten und zu ſam-
meln ſei. Außerdem hatte die Geſellſchaft ausdrücklich die Erlaubniß
des Königs erhalten, mit allen auswärtigen Gelehrten und andern
Perſonen, durch welche die Zwecke der Geſellſchaft etwa gefördert wer-
den könnten, in Correſpondenz zu treten. Die umfangreiche Benutzung
dieſer Erlaubniß brachte zwar Oldenburg einmal in den Verdacht,
ſtaatsgefährliche Dinge zu treiben; er wurde ſogar verhaftet und in
den Tower gebracht, indeß nach wenig Tagen wieder entlaſſen. Doch
hatte dieſer ſchriftliche Verkehr die Folge, daß die Royal Society ſehr
bald allgemein bekannt und ihrer löblichen Beſtrebungen wegen aner-
kannt, geprieſen und auch wiederum unterſtützt wurde. Leeuwen-
hoek ſchickte ihr ſeine ſämmtlichen Beobachtungen in Briefform und
ſelbſt ſeine Mikroſkope. Es wurden ihr Schriften gewidmet und zum
Drucke eingeſandt; und es iſt nicht eines der geringſten Verdienſte der
Geſellſchaft, daß ſie z. B. die ihr überſchickte Abhandlung Malpighi's
über den Seidenſchmetterling drucken und mit Kupfern ausſtatten ließ.
Die letzte der drei großen Akademien, deren Gründung um die
Mitte des ſiebzehnten Jahrhunderts erfolgte, war die franzöſiſche Aca-
démie des Sciences in Paris. Auch für ſie laſſen ſich vorbereitende
Schritte weiter zurück verfolgen. Nachdem im Jahre 1633 durch Ri-
chelieu die Académie française zur Pflege der franzöſiſchen Sprache
und Litteratur, 1648 die Akademie der Malerei und Sculptur (ſpäter
„der ſchönen Künſte“) geſtiftet worden waren, hatte man auch in Paris
die Vortheile perſönlicher Vereinigungen erkannt und es fiengen auch
[416]Periode der Syſtematik.
für Naturwiſſenſchaften ſich intereſſirende Männer an, in regelmäßigen
Zuſammenkünften ſich über ihre Beſtrebungen, Anſichten und Arbeiten
Mittheilungen zu machen. In dieſen fanden auch Fremde, welche vor-
übergehend in Paris ſich aufhielten, Eintritt, ebenſo wie deren Arbei-
ten dieſen Verſammlungen vorgelegt und „zur Prüfung mitgetheilt“
wurden, ſo von Steno, Boccone u. a. Von großer Bedeutung war
es für die Weiterentwickelung dieſer Anfänge, daß auf Colbert's Vor-
ſchlag der König LudwigXIV den urſprünglich völlig privaten Ver-
einigungen durch Conſtituirung derſelben zu einer wirklichen Geſellſchaft
nicht bloß innern Halt gab, ſondern dieſer als Académie des Sciences
ſofort eine derartige Anerkennung verlieh, daß ſie den beiden andern eben
geſchilderten Akademien gegenüber einen entſchiedenen Vortheil voraus
hatte. Auch die Arbeiten der Mitglieder dieſer Akademie wurden zuerſt
wie bei der Leopoldino-Carolina nicht zu akademiſchen Schriften geſam-
melt, ſondern von den Mitgliedern einzeln herausgegeben; oder es wurde
auf dem Titel ausdrücklich erwähnt, daß die veröffentlichten Beobach-
tungen den Verſammlungen in Paris zur Prüfung vorgelegen hätten,
wie es z. B. Boccone bei Herausgabe ſeiner naturwiſſenſchaftlichen
Unterſuchungen und Beobachtungen (Paris, 1671, Amſterdam 1674)
that. Nachdem die Akademie im Jahre 1699 eine neue Organiſation
erhalten hatte, nach welcher ihre Mitglieder je nach den von ihnen ver-
tretenen Wiſſenſchaften in einzelne Claſſen oder Sectionen getheilt
wurden, begann ſie regelmäßig jährliche Bände ihrer Memoiren her-
auszugeben. Die Reihe dieſer erfuhr erſt 1790 eine Unterbrechung.
Die fünf Akademien (zu den drei genannten waren noch die der In-
ſchriften für Geſchichte und Archäologie und die der Moralwiſſen-
ſchaften und Politik gekommen) wurden dann zu einem geſammten
franzöſiſchen „Inſtitut“ vereinigt, welches denn noch beſteht und deren
einzelne Glieder, darunter die Académie des Sciences, wieder mit
wenig Unterbrechungen ſowohl Arbeiten ihrer Mitglieder, als die ihr
übergebenen oder von ihr mit Preiſen gekrönten zwar nicht jährlich
aber doch fortlaufend in bekannter Weiſe veröffentlicht haben. Für die
Zoologie und Zootomie war die franzöſiſche Akademie ein ſehr wichtiges
Inſtitut, wie in der That für die meiſten Naturwiſſenſchaften, da man
[417]Akademie in Paris.
den einzelnen dabei betheiligten Gelehrten nicht mehr überließ, die zur
Beobachtung und Unterſuchung nothwendigen Materialien und Hülfs-
mittel ausſchließlich ſich allein zu beſchaffen, ſondern ihnen von Seiten
der Regierung durch Gründung entſprechender Anſtalten helfend ent-
gegen kam. Eine derartige Unterſtützung war in einer Zeit, wo Alles
in dieſen Beziehungen noch zu ſchaffen war, wo der Verkehr und die
Verhältniſſe des Austauſches zwiſchen einzelnen Völkern wie zwiſchen
den Welttheilen, an und für ſich ſchon ſchwer, auch noch durch man-
cherlei monopoliſirende Beſtimmungen beſchränkt wurden, von um ſo
größerem Einfluß, als dadurch nicht bloß die Sache der Wiſſenſchaft
ſelbſt innerlich gekräftigt, ſondern der ganzen Arbeitsrichtung ſofort
eine derartig glänzende Anerkennung gegeben wurde, daß der Vorwurf
des Abſtruſen und Zweckloſen, welcher ſolchen Arbeiten unter der
großen Menge noch immer anhieng, ſehr bald verſtummen mußte.
Auch bei Colbert's Bemühungen lagen wohl anfangs noch Gedanken
an eine wirkſame Förderung der Heilkunde zu Grunde; doch erhielten
die Elemente, welche vereinigt, und die Ausländer, welche auf Colbert's
Betrieb nach Paris gezogen wurden, wie Caſſini, Roemer, Homberg
u. A., ſofort mit der Unabhängigkeit ihrer Thätigkeit von zufälligen
äußeren Anſtößen auch eine größere Selbſtändigkeit in der Erfaſſung
ihrer Aufgaben. Die Mitglieder der franzöſiſchen Akademie, welche
hier beſonders in Betracht kommen, ſind Claude Perrault, Du-
verney und Mery. Die von dieſen dreien angeſtellten Unterſuchun-
gen, welche ſehr bald zu erwähnen ſein werden, gehören zu den wich-
tigſten Arbeiten, welche die junge Akademie auf dem Gebiete der be-
ſchreibenden Naturwiſſenſchaften aufzuweiſen hat; für die erſten Jahre
ihres Beſtehens ſind es geradezu die einzigen dieſer Richtung angehö-
rigen Leiſtungen geweſen.
Das Beiſpiel von Paris wirkte auch auf die andern Städte
Frankreichs. Mit mehr oder weniger weit geſteckten Zielen wurden
ſchon im erſten Jahrhundert nach Gründung der Pariſer Akademie an
verſchiedenen Orten ähnliche Einrichtungen geſchaffen, welche freilich,
jetzt nur zum Theil noch beſtehend, ſchon dadurch ſich in auffallendem
Nachtheile gegen die der Hauptſtadt befanden, daß ihnen jener glän-
V. Carus, Geſch. d. Zool. 27
[418]Periode der Syſtematik.
zende Hintergrund der directen königlichen Begünſtigung fehlte, ein
Umſtand, welcher erſt ſpäter durch Anerkennung einer Anzahl dieſer
Geſellſchaften als königlicher Akademien theilweiſe gebeſſert wurde.
Doch ſind die Leiſtungen einzelner dieſer Provinzialakademien ſowie
kleinerer Geſellſchaften entſchieden äußerſt anerkennenswerth. Die
älteſte derſelben iſt die Akademie in Aix in der Provence geweſen; ſie
wurde 1688 gegründet, zerfiel jedoch bald wieder und erſt neuerdings
erhielt die dort beſtehende Geſellſchaft wieder die Attribute einer Aka-
demie. Dann folgten die Akademien von Amiens, Caen, Montpellier,
Bordeaux, Lyon, Arzières, Marſeille, Toulouſe, Rouen, Dijon u. ſ.
w., welche jetzt nur zum Theil noch fortleben.
Die politiſchen Verhältniſſe Deutſchlands geſtatteten nicht, in
der Errichtung größerer ſtaatlicher Anſtalten der angeführten Art den
Nachbarländern ſofort zu folgen. Mit der immer allgemeineren An-
erkennung des Werthes der Pariſer Akademie wuchs aber auch das
Verlangen, Aehnliches zu leiſten, und ſo entſtand zunächſt auf Leibnitz's
Rath und nach deſſen Plan im Jahre 1700 in Berlin die Societät der
Wiſſenſchaften, über deren Thätigkeit die von 1710-1744 erſchienenen
acht Bände Berliner Miscellaneen Bericht erſtatten. Nach der erſten
Organiſation dieſer Geſellſchaft wurden die Mitglieder in vier Claſſen
getheilt: für Phyſik und Medicin, für Mathematik, für deutſche
Sprache und Geſchichtsforſchung und für morgenländiſche Wiſſenſchaft
und Sprachkunde. Ihr erſter Präſident war Leibnitz. Nach Jahren
eines etwas kümmerlichen Daſeins erweiterte Friedrich der Große dieſe
königl. Societät unter dem Namen der Königl. Akademie der Wiſſen-
ſchaften. Maupertuis wurde Präſident und ihre Schriften ſind von
1746-1804 franzöſiſch, von da an deutſch erſchienen. Nach der erſten
Organiſation lag die Naturgeſchichte der Akademie ferner, als es wegen
der übrigen öffentlichen Anſtalten in Paris z. B. der Fall war; bezeich-
nend iſt es auch, daß der Danziger J. Th. Klein, Linné's Widerſacher,
nicht Mitglied war, obſchon er durch die Aufnahme in die Akademien
von London, Petersburg und Bologna eine über Danzig hinausrei-
chende Anerkennung gefunden hatte.
In Rußland hatte ſchon Peter der Große, welcher durch Ankauf
[419]Ausländiſche Akademien.
mehrerer größerer anatomiſcher und naturhiſtoriſcher holländiſcher
Sammlungen der Pflege der Naturwiſſenſchaften in ſeinem Reiche
Material zuzuführen beſtrebt geweſen war, auch den Plan zur Grün-
dung einer Akademie der Wiſſenſchaften in Petersburg gefaßt; aber
erſt ſeine Wittwe, Katharina I führte denſelben 1725 aus. Im Jahre
1739 wurde in Stockholm die Akademie von Alſtrömer, Cederhjelm,
Linnäus u. A. zuerſt als Privatverein geſtiftet, bald aber als könig-
liche Akademie beſtätigt. Durch das Loos wurde Linné zu ihrem erſten
Präſidenten beſtimmt. Schon vorher hatte Sebaſtian Tham eine
Summe Geldes ausgeſetzt, welche unter Aufſicht der Ritterſchaft dazu
verwendet werden ſollte, öffentliche Vorleſungen über Mathematik und
Naturkunde halten zu laſſen. Und noch früher war bereits in Upſala
eine litterariſch-wiſſenſchaftliche Geſellſchaft entſtanden, welche 1720
Abhandlungen herauszugeben begann und an deren Arbeiten Linné ſich
wiederholt als Secretair betheiligte. In Kopenhagen war durch den
Brand der Univerſität und ſämmtlicher auf Naturwiſſenſchaften ſich
beziehenden Sammlungen der Ruin der erſteren, das völlige Sinken
der letzteren eingetreten. Die Univerſität wurde 1732 neu fundirt.
Zehn Jahre darauf traten Hans Gram (ein ſich für Antiquitäten inte-
reſſirender Juriſt), Pontoppidan, J. S. Wahl u. a. zuſammen, um
die Wiſſenſchaften mit vereinten Mitteln und Kräften zu fördern und
am 11. Januar 1743 wurde von ChriſtianVI die königliche Geſell-
ſchaft confirmirt. In Italien war zu den von früher her beſtehenden
Akademien noch das Inſtitut von Bologna getreten. Urſprünglich
mehr nach dem Plane einer Univerſität als Lehranſtalt eingerichtet und
von Manfredi 1690 gegründet, erhielt daſſelbe durch den Grafen Mar-
ſigli eine weitere Verfaſſung; von 1731 an gab ſie ihre Commentarien
heraus.
Da es ſich hier nur darum handelt in kurzen Zügen darauf hin-
zuweiſen, wie der Grundſatz der durch die älteren Akademien in wirk-
ſamer Weiſe auf die Wiſſenſchaften angewandten Arbeitstheilung an-
regend auf weitere Kreiſe wirkte, wie ferner der wohlthätige Einfluß
der Selbſtkritik fühlbar wurde, welche bei näherer perſönlicher Berüh-
rung der fachverwandten Forſcher nicht gut ausbleiben konnte, ſo kann
27*
[420]Periode der Syſtematik.
hier nicht auf die Geſchichte der verſchiedenen gelehrten Geſellſchaften
ausführlicher eingegangen werden. Erwähnt zu werden verdient aber
auch an dieſer Stelle, daß die übrigen deutſchen Staaten den Vorbil-
dern nicht nachſtehen wollten, welche ihnen im Auslande wie im In-
lande gegeben waren. So entſtand 1750 die Geſellſchaft der Wiſſen-
ſchaften in Göttingen, 1756 die Akademie nützlicher Kenntniſſe in
Erfurt, als letzte Erinnerung an die einſt dort beſtandene Univer-
ſität, 1763 die Akademie in München u. ſ. f. Von 1766 fieng die
Pfälzer, von Karl Theodor gegründete Akademie in Manheim an,
Schriften herauszugeben. War bei allen dieſen Anſtalten der Wunſch
der Fürſten von maßgebendem Einfluß geweſen, ſei es ihrem Hofe
einen größeren Glanz durch Heranziehung bedeutender Gelehrter zu ver-
leihen, ſei es im wohlverſtandenen Intereſſe des Volkes, deſſen geiſtige
Erhebung durch Pflege der Wiſſenſchaften zu fördern, ſo erwachte doch
auch in andern Kreiſen das Beſtreben, in freien, nur aus und in ſich
ſelbſt Leben und Gedeihen ſchöpfenden Vereinigungen am Fortſchritt
der Wiſſenſchaft zu arbeiten. In die hier beſprochene Zeit fällt beſon-
ders die Gründung einer ſolchen, welche als erſte naturforſchende Ge-
ſellſchaft von großer Bedeutung geweſen iſt, welche lange Zeit hindurch
mehr als irgend eine andere geleiſtet und die ſich trotz aller über ihre
Heimath hingegangenen Stürme bis in die neueſte Zeit in vollem Leben
erhalten hat, die im Jahre 1747 geſtiftete naturforſchende Geſellſchaft
in Danzig. Wie Linné in Stockholm, ſo war hier ſein, häufig in
anderem Sinne deutſcher Linné genannter Widerſacher J. Th. Klein
einer der Gründer und einer der thätigſten Mitarbeiter an den Schrif-
ten der Geſellſchaft, welche 1747 als „Verſuche und Abhandlungen“ zu
erſcheinen begannen.
Durch die Arbeiten der in Vorſtehendem kurz angeführten Ver-
einigungen von Forſchern wurde die Wiſſenſchaft nicht bloß direct ge-
fördert, ſondern auch durch das die Einzelleben der jeweiligen Mitglie-
der überdauernde Beſtehen jener Verbindungen vor einem Rückfall in
den früheren lethargiſchen Zuſtand geſichert. Wenn auch in Folge
äußerer Ereigniſſe einzelne Geſellſchaften vielleicht vorübergehend ruh-
ten, der allgemein dem Forſchen gegebene Impuls ließ ſie nur ſelten
[421]Localſchilderungen.
ganz entſchlummern, wie es denn allerdings nur wenige gegeben hat,
welche ganz zu beſtehen aufgehört haben. Die nächſte Aeußerung des
wohlthätigen Einfluſſes des ſich auch in der Gründung der gelehrten
Geſellſchaften ausſprechenden Intereſſes an Naturgegenſtänden, wel-
cher in einer entſchieden ernſten Richtung von der zweiten Hälfte des
ſiebzehnten Jahrhunderts an beinahe überall durchbricht, iſt die ſorg-
fältige Schilderung der Naturverhältniſſe der Heimathländer der be-
treffenden Gelehrten. Hier gieng beſonders England mit ausführlichen
Beſchreibungen voran. Den Anfang machte Gerard Boate mit
ſeiner Naturgeſchichte Irlands (1652). Wenig nur auf die belebte
Natur gieng Joſua Childrey, Kaplan des Herzogs von Somerſet,
in ſeiner Britannia baconica ein (1662), einem Buche, welches wegen
einer der früheſten Schilderungen des Zodiakallichtes wichtig iſt. Da-
gegen enthält die „Tafel der Naturgegenſtände Britanniens“ von
Dr.Chriſtopher Merret „die auf dieſer Inſel gefundenen Pflan-
zen, Thiere und Mineralien“ (1667; 3. Auflage 1704). Der in der
Geſchichte der Theorie der Quellen zu nennende Robert Plot ſchil-
dert die Naturgeſchichte Oxfordſhire's (1677) und Staffordſhire's (1686),
Charles Leigh die von Lancaſhire, Cheſhire und dem Peak in Der-
byſhire (1700) und Robert Sibbald, einer der früheſten Schrift-
ſteller über Walthiere, gibt in ſeiner Scotia illustrata (1684) außer
geſchichtlichen und archäologiſchen Beſchreibungen auch eine eingehende
floriſtiſche und fauniſtiſche Schilderung Schottlands18). In dieſer
Zeit entſtand die erſte Naturgeſchichte der Schweiz von Joh. Jak.
Wagner (1680)19), welche auch für längere Zeit die einzige blieb, da
Scheuchzer nur die Geologie, Mineralogie und die Foſſilien berückſich-
[422]Periode der Syſtematik.
tigte. In Bezug auf Deutſchland enthalten nur die Reiſen J. Ray's
aus jener Zeit (1673) naturhiſtoriſche Bemerkungen; Behrens'
Hercynia curiosa ſchildert beſonders nur die Höhlen und andere der-
artige Merkwürdigkeiten des Harzes. Einige Mittheilungen über die
Thierwelt Polens und Lithauens enthält die Naturgeſchichte Polens
von Rzacynski (1721 und öfter).
Muſeen und Thiergärten.
Nun waren aber auch durch Reiſen in fernen und außereuropäi-
ſchen Ländern immer mehr Naturgegenſtände bekannt worden. Aus
der Zeit bis zu Ray's Tode ſei hier hingewieſen auf Friedr. Mar-
tens, „ſpitzbergiſche oder grönländiſche Reiſebeſchreibung“ (1675); auf
die Reiſen nach den Antillen von Rochefort (1658), nach der Küſte
von Guinea von Will. Bosman (1704), nach Weſt-Indien von
Hans Sloane (1707) u. a. , welche ebenſo wie die der Natur-
geſchichte direct gewidmeten Unterſuchungen von Paolo Boccone in
Sicilien (1674), von Scheuchzer in der Schweiz (1708) u. ſ. f. auch
gelegentliche Bemerkungen über die Thierwelt der durchreiſten Länder
enthalten. Sollte in den gelehrten Geſellſchaften über derartige neue
und intereſſante Producte ein Urtheil abgegeben werden, ſo konnte dies
nicht geſchehen, ohne daß man Gelegenheit zur Vergleichung und über-
haupt zur Orientirung in verwandten Formen hatte. Es war daher
eine weitere Folge dieſer Aſſociationen, daß Material herbeigeſchafft
wurde, und zwar, was beſonders die Naturgeſchichte betrifft, als Be-
obachtungsmaterial und Hülfsmittel der Unterſuchung. Die ſchon be-
ſtehenden Sammlungen wurden daher erweitert, neue angelegt. Einen
großen Fortſchritt in dieſer Beziehung bewirkte die Einführung des
Spiritus als Aufbewahrungsmittel in der erſten Hälfte des achtzehnten
Jahrhunderts, da man bis dahin immer noch die alten Methoden des
Trocknens, Aufblaſens u. dergl. ausſchließlich hatte anwenden müſſen.
Bemerkt wurde, daß Peter der Große außer der Gründung der Akade-
mie auch die Anlegung von Sammlungen in Petersburg bedachte.
Die Geſellſchaften in London und Paris hatten von Anfang an auf
[423]Muſeen und Thiergärten.
Einrichtungen größerer Sammlungen ihre Thätigkeit gelenkt, außer
welchen ſowohl in Frankreich als in England einzelne Privatſammlun-
gen (es ſei nur an Olaus Wormius und Hans Sloane erin-
nert) durch Reichhaltigkeit ſich auszeichneten. In Deutſchland blieben
die Sammlungen länger als auswärts Kurioſitätenkammern, wie ſelbſt
eine der älteſten officiell gepflegten, die in Wien, bis zu Franz I ent-
ſchieden nichts andres war. Die vielleicht bis 1622 (in welchem Jahre
Ferdinand II die Wiener Univerſität den Jeſuiten übertrug) zurückrei-
chende Gründung des Jeſuiten-Muſeums iſt das erſte Beiſpiel für die
Anlegung einer Sammlung zu Unterrichtszwecken in Deutſchland, denen
die Sammlung auch ſpäter inſofern erhalten wurde, als ſie ſowohl mit
ihren phyſikaliſchen und aſtronomiſchen Inſtrumenten, als in ihrem
Beſtande an zoologiſchen Gegenſtänden nach Aufhebung des Jeſuiten-
ordens 1773 an die Wiener Univerſität kam. In ähnlicher Weiſe
hatte derſelbe Orden die Sammlung am Collegium Romanum in Rom
ſtetig vermehrt, welches Filippo Bonanni ausführlich beſchrieb
(1705). Gleich wichtig wie die Muſeen, von welchen hier nur bei-
ſpielsweiſe auf die hervorragendſten der damaligen Zeit hingewieſen
wird, war die Pflege und Erweiterung der Thiergärten und Menage-
rien. Konnten dieſelben natürlich nicht die zuweilen ſehr unvollſtändig
ausgefallenen Schilderungen fremder Thiere ſofort durch Vorführen
dieſer in lebendem Zuſtande vervollſtändigen, ſo waren ſie doch als
Mittel, die Kenntniſſe vom Bau vorzüglich der höheren Thiere zu er-
weitern, ſehr erwünſcht. Leider iſt es nicht möglich, auch nur in an-
nähernder Vollſtändigkeit die Geſchichte z. B. der bereits früher er-
wähnten Menagerien und das Geſchick, beziehentlich die Verwerthung
der darin vorhandenen Thiere zu geben. Es ſei alſo hier nur zweier
der berühmteſten gedacht. Eine der älteſten iſt auch hier die Menagerie
des kaiſerlichen Hofes in Wien, von welcher Fitzinger eine ein-
gehende Geſchichte gegeben hat20) Es iſt aber aus der früheren Zeit
[424]Periode der Syſtematik.
ihres Beſtehens nichts bekannt, was auf eine einigermaßen würdige
Verwerthung des reichen Materials ſchließen ließe. Ebenſowenig weiß
man von den Thieren in der Menagerie Karl's II von England. An-
ders war es in Paris, wo LudwigXIV nicht bloß eine Menagerie an-
legte, ſondern auch ſowohl die lebenden Thiere als beſonders die doch
unvermeidlichen Verluſte durch Tod wiſſenſchaftlichen Unterſuchungen
beſtimmte, und zwar in Verbindung mit den entſprechenden Samm-
lungen. Hier war es, wo die drei oben genannten Anatomen wirkten.
Der Jüngſte von ihnen war Guichard Joſeph Duverney (1648
-1730); von ihm rühren ſehr viele jener Zergliederungen her, welche
in den „Abhandlungen zur Naturgeſchichte der Thiere“ (zuerſt Paris,
1676 in Folio, dann vollſtändig in drei Quartbänden Paris 1732
-34; auch überſetzt) enthalten ſind, obſchon manche von ihnen wohl
unter Perrault's Namen erſchienen, welcher zum Theil die Tafeln
zeichnete. Duverney hat man vorzüglich eine genauere Kenntniß vom
Bau der Fiſchkiemen zu verdanken. Der nächſt Aeltere war Jean
Mery (1645-1722), welcher außer einer Anzahl von Thierzerglie-
derungen in der genannten Sammlung durch eine Theorie des Fötal-
kreislaufes bekannt worden iſt. Zur Aufklärung deſſelben war er be-
ſonders auf Unterſuchung der Circulationsverhältniſſe der Reptilien
geführt worden. Der älteſte und einflußreichſte dieſer drei Männer
war Claude Perrault (1613-1688), welcher ebenſowohl als
Phyſiker und Zootom, wie als Architekt und Erbauer der Colonnaden
des Louvre bekannt iſt. Allerdings blieben ſchon die beiden zuerſt Ge-
nannten nicht überall bei den einfachen Reſultaten ihrer Zergliederun-
gen ſtehen, ſondern ſuchten dieſelben für gewiſſe ſie gerade intereſſirende
allgemeine Fragen zu verwerthen; am vollſtändigſten nutzte ſie aber
Perrault aus, indem er auf Grund ſeiner Einzelerfahrungen ein förm-
liches Syſtem der Zootomie aufſtellte, welches zwar inſofern verglei-
chend zu nennen iſt, als er die analogen Organe zuſammenfaſſend er-
örtert, aber doch den morphologiſchen Verhältniſſen ebenſowenig Rech-
nung trug, wie alle in jener Zeit kund gewordenen Verallgemeinerun-
gen. Die phyſiologiſche oder vielleicht richtiger bezeichnet teleologiſche
Richtung Perraults geht ſchon aus dem Titel hervor, welchen er der
[425]Anzeichen des Fortſchritts.
Zuſammenſtellung ſeiner Schilderungen gibt21). Er erblickte in ihnen
Bauſteine zu einer Mechanik der Thiere, freilich noch nicht in dem
Sinne wie dies heute aufgefaßt werden würde, legte aber doch das
Hauptgewicht auf die Leiſtung oder den Nutzen eines Organes, nach
welcher er auch die Eintheilung und Unterordnung der verſchieden zu be-
ſprechenden Erſcheinungen vornahm. Hiernach ſteht Perrault mitten
in ſeiner Zeit; doch gewinnt die vergleichende Anatomie, wie ſchon be-
merkt wurde, auch durch ſolche Arbeiten, da ja jede Vermehrung der
zootomiſchen Thatſachen nothwendig zu dem Verſuche führen mußte,
ſie nach Grundſätzen und Anſchauungen zu ordnen, die in ihnen und
durch ſie ſelbſt gegeben werden.
Anzeichen des Fortſchritts.
Nimmt man die Umgeſtaltungen zuſammen, welche die Unterſu-
chungen über den feineren Bau der Thierkörper, über Zeugung und
Entwickelung, die Ausbreitung der Formkenntniß, ferner die Beſeitigung
ſo vieler irriger Vorſtellungen durch directe Beobachtungen oder durch
Verſuche in der Auffaſſung der Thierwelt herbeigeführt hatten, ſo wird
ſofort klar, daß die Art und Weiſe, wie dieſelbe in den nur wenig älte-
ren litterariſchen Erſcheinungen abgehandelt worden war, ebenſowenig
noch genügen konnte, als die darin befolgte Methode den Anforderun-
gen der allmählich erwachenden Kritik zu entſprechen im Stande war.
Wenn es ſich bloß etwa um ein Verzeichniß von Thierformen gehan-
delt hätte, ſo wäre irgend ein äußeres Hülfsmittel, die Unterſcheidung
und Wiedererkennung früher beſchriebener Formen zu erleichtern, hin-
reichend geweſen. Aber das Thier lebte; und in ſeinem Baue erkannte
man eine ſo wunderbare Mannichfaltigkeit bei einem ſcheinbar doch ſo
gleichartigen Lebensverlaufe, daß man Plan, Ziel, Ordnung und
[426]Periode der Syſtematik.
Zweckmäßigkeit nicht verkennen zu können meinte. Es kam darauf an,
dies wiſſenſchaftlich zu erfaſſen, das heißt in Bezug auf Form und Le-
ben der Thiere allgemeine Wahrheiten zu finden, welche durch das
reiche Detail der Einzelerfahrungen Inhalt erhielten. Nun waren
abergläubiſche und teleologiſche Erklärungen von Alters her überkom-
men. Bacon, Descartes, Spinoza, Leibnitz hatten zwar, wie bereits
erwähnt, die Methodik zu reformiren begonnen. Es war für die Wiſ-
ſenſchaft von der belebten Natur das Hereinziehen einer letzten ſupra-
naturaliſtiſchen Urſache, was Descartes in ein Syſtem gebracht hatte,
dem hinderlich, was jene am nothwendigſten bedurfte: eine unbefangene
Aufnahme der Erfahrungen ohne Vorurtheil und ohne ſchon vorweg
beſtimmte Deutungen. Als äußerſt wohlthätiger Gährungsſtoff wirk-
ten daher die Verſuche von Gaſſendi, Hobbes und Locke, das
Hauptgewicht auf die ſinnliche Erfahrung zu legen, nicht bloß als Aus-
gangspunkt allen weiteren Nachdenkens, ſondern geradezu als einzige
Quelle des Verſtandesinhaltes. Es ſoll nicht etwa der Verſuch gemacht
werden, die zunächſt hier zu ſchildernden Fortſchritte der Zoologie, die
oben kurz angedeutet wurden, in einen directen urſächlichen Zuſammen-
hang mit den Schriften zu bringen, in welchen die Genannten ihre
philoſophiſchen Anſichten formulirten. Es liegt vielmehr, — und dies
iſt für die geſchichtliche Entwickelung der Wiſſenſchaft das bezeichnende
Moment, — beiden Reihen von Erſcheinungen daſſelbe Streben zu
Grunde, ſich einerſeits der Herrſchaft des Autoritätsglaubens, anderer-
ſeits den vorzeitigen und daher häufig unfruchtbaren metaphyſiſchen
Verallgemeinerungen zu entledigen. Wie bei den angeführten Leiſtun-
gen der makro- und mikroſkopiſchen Erforſchung des thieriſchen Baues
gieng man bei der Betrachtung der Thierwelt überhaupt allmählich
nüchterner zu Werke und wurde hiermit zunächſt darauf geführt, die
Zuſammenhangloſigkeit der bisher gewonnenen zoologiſchen Thatſachen
zu empfinden und an deren Beſeitigung zu arbeiten.
Ehe der Thätigkeit der großen Reformatoren der Zoologie ein-
gehender gedacht wird, muß noch ein Werk erwähnt werden, welches
ſich zwar noch in manchen Beziehungen den früher aufgeführten Nach-
folgern der encyklopädiſchen Richtung anſchließt, welches aber in anderer
[427]Anzeichen des Fortſchritts.
Weiſe auf ein Verſtändniß der inzwiſchen rege gewordenen Bedürfniſſe
hinweiſt. Es iſt dies das Onomaſtikon zoikon von Walter Char-
leton (geb. 1619, königlicher Leibarzt, ſtarb 1707 auf Jerſey22).
Als eines der erſten Mitglieder der Royal Society in London war er
zwar ſehr thätig, galt aber im Ganzen nicht für ſehr zuverläſſig. Er
war Zeitgenoſſe von Willis, Mayow, Wharton, Highmore und ein eif-
riger Vertheidiger der Harvey'ſchen Lehre; beſonders ſcheint er von der
Philoſophie Gaſſendi's angezogen worden zu ſein, welcher gegen
Descartes den für die Naturforſchung wichtigen Satz geltend machte,
daß die allgemeinen Begriffe nur durch die Abſtraction aus den Einzel-
erfahrungen gewonnen werden. So geht denn auch Charleton in ſeinem
Onomaſtikon von dem Gedanken aus, daß man ſich vor jeder weiteren
Speculation über Thiere vor allen Dingen klar zu machen habe, was
ein Thier ſei und welche beſtimmte Formen man unter den verſchiede-
nen Thiernamen zu verſtehen habe. Das Werk enthält daher allerdings
keinen directen Fortſchritt der Syſtematik, iſt aber wegen der termino-
logiſchen Präciſion nicht unwichtig geweſen. Daß das Beſtreben, Klar-
heit in die Beſchreibungen und Benennungen zu bringen, das Hauptziel
Charletons war, geht auch aus dem hiſtoriſch werthvollen Anhange
hervor, welcher die namentliche Bezeichnung der Farben enthält; es iſt
der erſte Verſuch einer zum Zwecke der Naturbeſchreibung erfolgenden
Beſtimmung gegebener Worte, welche dadurch die Bedeutung von
Kunſtausdrücken erhalten. Auch iſt die Liſte der Bezeichnungsweiſen
von Thierlauten eine der erſten in neuerer Zeit zuſammengeſtellten. In
einem gewiſſen Sinne kann man wohl Charleton's Buch als ein auf
die großen Zoologen vorbereitendes bezeichnen.
[428]Periode der Syſtematik.
John Ray.
Den erſten Schritt zum Neubau der Zoologie als Wiſſenſchaft in
der Form, in welcher ſie bald zweihundert Jahre beſtanden hat, that
der Engländer John Ray23). Als Sohn eines Hufſchmiedes in
Black Notley in Eſſex am 29. Nov. 1628 geboren, erhielt er, da ſeine
Eltern wohl im Stande waren, ihm eine liberale Erziehung angedeihen
zu laſſen, den erſten Unterricht in der lateiniſchen Schule zu Brain-
tree, einem Städtchen nahe ſeinem Geburtsort. Im Sommer 1644
kam er auf die Univerſität Cambridge und trat im Anfange des Jahres
1646 in das dortige Trinity-College ein. In daſſelbe wurde nach we-
nig Jahren der nur etwas jüngere Francis Willughby auf-
genommen, welcher ſich bald innig an Ray anſchloß. Für das Stu-
dium der Theologie beſtimmt, machte Ray die vorbereitenden Fächer
ſich zu eigen; er wurde wegen ſeiner Kenntniß des Griechiſchen ge-
rühmt und iſt noch jetzt durch das im Vergleich mit den Schriften vieler
ſeiner Zeitgenoſſen gute und elegante Latein ausgezeichnet. Mehrere
ſeiner geiſtlichen Reden, welche er dem Herkommen gemäß ſchon vor
ſeiner Ordination als Vorleſer und Diakon des College hielt, wurden
ſpäter als beſondere Abhandlungen gedruckt und erfreuten ſich unge-
theilten Beifalls. Die Ordination ſelbſt erfolgte am 23. December
1660. Als aber in Folge des Bürgerkriegs wider die Stuarts 1662
die ſogenannte Uniformitätsacte vom Parlamente beſchloſſen wurde,
glaubte Ray den geforderten Eid (gegen den puritaniſchen Covenant)
nicht mit ſeinem Gewiſſen vereinigen zu können; in Folge ſeiner Wei-
gerung verlor er daher als Nonconformiſt, ebenſo wie noch dreizehn
andere Univerſitätsangehörige, ſeine Stellung im College. Jetzt nahm
ſich ſein wohlhabender Freund Willughby in einer ſo liberalen Weiſe
ſeiner an, daß er vor Sorgen geſchützt wurde. Schon ſeit längerer
[429]John Ray.
Zeit hatte Ray die gerade von den Univerſitäten nicht ſehr begünſtig-
ten Naturwiſſenſchaften, vorzüglich die beſchreibenden, zu pflegen an-
gefangen. Im Jahre 1660 hatte er einen Katalog der um Cambridge
wachſenden Pflanzen herausgegeben und im Anſchluß an dieſes mit
großer Anerkennung aufgenommene Localverzeichniß den Plan zu einer
Liſte ſämmtlicher in Großbritannien wachſenden Pflanzen gefaßt. Zur
Ausführung deſſelben machte er wiederholte Excurſionen, meiſt mit
Willughby, ſelbſt bis nach Schottland und richtete dabei ſeine Aufmerk-
ſamkeit nicht bloß auf Pflanzen, ſondern auch auf Thiere, Land und
Leute, ſowie deren Sprache. Vielfache Freunde und Correſpondenten
unterſtützten ihn dabei. Es genügte ihm jedoch ſehr bald die Einſicht in
die Naturverhältniſſe Englands allein nicht mehr. Mit Willughby
und zwei ſeiner Schüler gieng er 1663 nach den Niederlanden, Deutſch-
land, der Schweiz, Italien bis nach Sicilien und Malta und kehrte
durch Frankreich über Montpellier (von wo aus Willughby noch eine
Reiſe durch Spanien unternahm) und Paris nach England zurück.
Die auf dieſer Reiſe geſammelten Beobachtungen (welche ſchon oben
erwähnt wurden) erſchienen 1673. Am 7. November 1667 wurde er
Mitglied der Royal Society, zu deren Transactions er zahlreiche Bei-
träge lieferte. Seine eingehende Beſchäftigung mit Eigenthümlichkeiten
der engliſchen Sprache, als deren Reſultat er eine Sammlung von
Sprüchwörtern und ungewöhnlicher localer engliſcher Ausdrücke ver-
öffentlichte, war die Veranlaſſung, daß John Wilkins, der gelehrte
Biſchof von Cheſter, ihn bei der Ausarbeitung ſeines Werkes über die
Univerſalſprache zur Hülfe heranzog. Es war hiervon nur die Ankün-
digung und der ausführliche Plan als Eſſay 1668 erſchienen; das
eigentliche große Werk, für welches Ray die „realen Charaktere“ der
Pflanzen und Thiere behandelt hatte, überſetzte er auch auf des Bi-
ſchofs dringendes Anliegen in's Lateiniſche. Das Manuſcript liegt
aber noch jetzt ungedruckt im Archiv der Royal Society. Von 1669
an hatte Ray ſchon zeitweiſe bei Willughby auf deſſen Landſitze
Middleton-Hall gelebt. Dort zog er ganz hin, als er nach dem Tode
ſeines Freundes 1672 nach deſſen teſtamentariſch ausgeſprochenem
Wunſche die Erziehung von deſſen zwei kleinen Söhnen und die Ord-
[430]Periode der Syſtematik.
nung und Herausgabe von ſeinen hinterlaſſenen Arbeiten übernahm.
Francis Willughby, in deſſen Perſon ſich zwei Linien einer alten
begüterten Familie wiederum vereinigten, war 1635 geboren. Sein
Fleiß und Eifer, ſowie ſein vortrefflicher, lauterer und edler Charakter
führten ihn bald nachdem er die Univerſität und auf dieſer daſſelbe
College bezogen hatte, enger mit Ray zuſammen. In Folge der von
Ray bei ſeinen botaniſchen Studien gewonnenen Erfahrungen und des
für dergleichen Arbeiten erweckten Intereſſes Willughby's faßten denn
beide den Plan, in ausführlichen Darſtellungen eine vollſtändige Ge-
ſchichte und Beſchreibung der Pflanzen und Thiere zu geben. Wegen ſei-
ner früheren längeren Beſchäftigung mit den Pflanzen übernahm Ray
dieſe, Willughby die Thiere. Ihre beſtändig gemeinſame Arbeit läßt aber
Ray's Antheil auch an Willughby's Aufgaben nicht unbedeutend er-
ſcheinen, obſchon Ray um den wiſſenſchaftlichen Ruf ſeines Freundes
auf das gewiſſenhafteſte beſorgt, ihm das alleinige Verdienſt zuſchreibt.
Auch weiſen mehrere Mittheilungen an die Royal Society darauf hin,
daß ſich Ray ſchon früh eben ſo eingehend wie mit Pflanzen auch mit
Thieren verſchiedener Claſſen beſchäftigte. Willughby ſetzte Ray bei
ſeinem Tode eine Leibrente aus (von 60 Pfund; der Sohn erhöhte
dies in manchen Jahren auf 72 Pfund), welche ihm ſorgenfrei zu leben
geſtattete. Am 5. Juni 1673 heirathete Ray, ein Schritt, welcher ihn
in ſeinen ſpeciellen Arbeiten inſofern fördern half, als ſeine Frau einen
Theil des Unterrichts an ſeine Pfleglinge übernahm. Willughby's
Ornithologie gab Ray 1675 lateiniſch, 1678 in etwas erweiterter eng-
liſcher Ueberſetzung, aber mit denſelben Kupfern heraus, die nur etwas
bläſſer gedruckt ſind. Ihre Koſten trug Willughby's Wittwe. Ray's
unterdeß fortgeführte Unterſuchungen über die Pflanzen fanden in der
1682 erſchienenen Methodus plantarum nova einen weiteren öffent-
lichen Ausdruck; das wichtigſte, auch hier anzuführende Werk iſt aber
die größere Historia plantarum in drei Foliobänden, von denen der
erſte 1686 herauskam. In demſelben Jahre war auch der Druck von
Willughby's Geſchichte der Fiſche vollendet, welche Ray auf Koſten der
königlichen Geſellſchaft herausgab. Die Kupfertafeln hatten einzelne
Mitglieder derſelben, beſonders ihr Präſident Pepys zu tragen über-
[431]John Ray.
nommen. Einer dieſer Männer, Dr. Tancred Robinſon, beſtimmte
Ray dazu, auch die andern von ihm noch nicht behandelten Claſſen des
Thierreichs zu bearbeiten. So entſtand die 1693 erſchienene Synopſis
der Vierfüßer und Schlangen. Die gleichfalls von ihm einer neuen
Ueberarbeitung unterworfenen Vögel und Fiſche erſchienen erſt 1713
nach Rays Tode und ſind von ſeinem Biographen W. Derham her-
ausgegeben, da das Manuſcript von dem Buchhändler aus Nachläſ-
ſigkeit zurückgelegt worden war. Nachdem ſich Ray neuen Auflagen
einiger ſeiner botaniſchen Werke unterzogen hatte, kehrte er nochmals
zum Thierreich zurück, um mit Bearbeitung der Inſecten, zu welcher
bereits Willughby Materialien zu ſammeln begonnen hatte, die ſyſtema-
tiſche Darſtellung der Thierwelt zu vervollſtändigen. Ehe er aber dieſes
Werk, welches ſpäter gleichfalls Derham auf Koſten der Royal Society
herausgab, vollendet hatte, ſtarb er am 17. Januar in ſeinem Ge-
burtshauſe. Dorthin hatte er ſich nach dem Tode ſeiner Mutter 1678
zurückbegeben, da inzwiſchen auch mit dem Tode von Willughby's
Mutter und der Wiederverheirathung von deſſen Wittwe ſeine Stellung
als Erzieher in Middleton-Hall ihr Ende gefunden hatte.
Es iſt ſelten ein Naturforſcher früherer Zeiten in der gleich glück-
lichen Lage wie Ray geweſen, ein längeres Leben hindurch ohne ab-
ziehende Nebenverpflichtungen ſich ganz ſeinen Neigungen und Aufga-
ben hingeben zu können. Dieſe Muße hat auch Ray mit ſeltenem
Fleiße und, wie hinzugefügt werden muß, mit ſeltenem Erfolge aus-
genutzt. Wenn er auch hinter Linné in der Großartigkeit der Ausfüh-
rung ſeines Planes zurückblieb, ſo hat er doch entſchieden jenem erſt
den Weg gebahnt und es überhaupt möglich gemacht, daß Linné ſeine
Leiſtung erfüllte. Es wurde bereits hervorgehoben, daß die Fortſchritte
der Zoologie im vorliegenden Zeitraume vorzüglich die formale Aus-
bildung derſelben betrafen. In den meiſten Punkten hat hier Ray
Bahn gebrochen. Vor allem ſind es die drei ebenſo für die wiſſen-
ſchaftliche Begründung wie für die Continuität der einmal erworbenen
Kenntniſſe nothwendigen Momente, welche Ray's Arbeiten zu bahn-
brechenden machen: die Einführung des naturhiſtoriſchen Begriffs der
Art, die vorwaltende Berückſichtigung der Anatomie der Thiere als
[432]Periode der Syſtematik.
Grundlage der Claſſification und die Einführung von ſchärferen Defi-
nitionen nicht bloß für die Arten ſelbſt, ſondern auch für größere Grup-
pen und auch für Terminologie. In Bezug auf die letztere war
wie bemerkt faſt gleichzeitig W. Charleton thätig. Was bei dieſem
Folge eingehenden Nachdenkens iſt, erſcheint bei Ray beinahe als in-
ſtinctiver Drang. Es fällt bei ihm überhaupt die größere Präciſion der
Sprache, die unzweideutige Verwendung der bei den einzelnen Be-
ſchreibungen benutzten Ausdrücke auf. Ganz beſonders aber iſt Ray
durch die zuerſt bei ihm auftretende Definition der Species in dem
neuern ſyſtematiſchen Sinne für die Entwickelung der beſchreibenden
Naturwiſſenſchaften von der größten Bedeutung. Von verſchiedenen
Schriftſtellern iſt dieſes Verdienſt, wie man es trotz mancher Nach-
theile doch nennen muß, ſchon viel früheren Zoologen, z. B. Albert
dem Großen zugeſchrieben worden. Es läßt ſich indeſſen unſchwer
nachweiſen, daß der Ausdruck Species bis zu Ray's Zeit ausſchließlich
nur im logiſch formalen Sinne gebraucht wurde und daß er daher je
nach der Reihenfolge der geſchilderten und zu ordnenden Gegenſtände
ebenſo gut eine niedere wie eine höhere natürliche Gruppe umfaßte.
Den früher mitgetheilten Stellen aus Albert dem Großen, Gesner,
Sperling ließen ſich hier ganz ähnliche aus Schriftſtellern des ſiebzehn-
ten Jahrhunderts anſchließen. Zugegeben muß freilich werden, daß es
wie oben angedeutet im Intereſſe der ſtrengen Forſchung gelegen hätte,
die Wiſſenſchaft von einer künſtlich erzeugten Einheit, wie der Begriff
der Art es iſt, frei zu halten, da ſich an dieſelbe eine Reihe theils un-
erwieſener oder nicht erweisbarer, theils rein metaphyſiſcher (oder viel-
leicht richtiger ſupranaturaliſtiſcher) Behauptungen anſchloſſen. Man
kann es wohl ein über das Ziel hinaus-Schießen nennen, wenn der
methodiſch geforderten Einheit, von welcher aus das Syſtem aufzu-
bauen iſt, eine Unbeugſamkeit beigelegt wurde, welche immer ſtarrer
dogmatiſch auszubilden Spätere ſich nicht enthalten konnten und welche
zu bekämpfen außergewöhnliche Anſtrengungen nöthig waren, zum
Theil ſogar jetzt noch gemacht werden müſſen. Jedenfalls waren die
älteren Zoologen mit Ariſtoteles ungleich unbefangener, wenn ſie die
ſich ihnen darbietenden thieriſchen Formen lediglich logiſch formal nach
[433]John Ray.
ihren Eigenſchaften in Gruppen ordneten, dieſe wieder einander über-
oder unterordneten, ohne ſich durch vorgefaßte Anſichten über die Na-
tur einzelner derſelben von vorn herein in Bezug auf deren Stellung
beſtimmen zu laſſen. Und doch hat kaum eine andere Hypotheſe ſo viel
wie dieſe dazu beigetragen, die Kenntniß der einzelnen Formen zu för-
dern, die über ſolche gemachten Mittheilungen zu ſichern und die ein-
mal beſchriebenen wiedererkennbar zu machen. So lange der Kreis der
bekannten Formen noch klein war, ſo lange man noch mit allgemein
bekannten oder, was die ausländiſchen betrifft, mit ſolchen Formen zu
thun hatte, welche hinſichtlich ihrer Benennung keine beſonderen
Schwierigkeiten darboten, reichte die frühere Bezeichnungs- und An-
ſchauungsweiſe hin. Man ſehe ſich aber nur in irgend einem Werke
der damaligen Zeit um, welches von fremden Thieren, ja von den in
ihrer Formenmannichfaltigkeit zeitiger bekannten einheimiſchen Inſecten
handelt, und man wird ſofort erkennen, daß hier die Einführung eines
neuen methodiſchen Hülfsmittels dringend Noth that. Freilich fehlte,
wenn man auch die Art erhielt, dann noch immer das nothwendige
Complement einer conſequenten Namengebung; hierzu bedurfte es aber
nach Ray's Vorgang nur noch eines kleinen Schrittes. Betrachtet
man das Auftreten dieſer beiden wichtigſten Erſcheinungen im Gebiete
der beſchreibenden Naturwiſſenſchaften näher, ſo ſtellt ſich ein Ent-
wickelungsgang dar, wie er kaum natürlicher gedacht werden kann.
Ray verſuchte zum erſtenmale, ſämmtliche bekannte Formen in kriti-
ſcher und ſyſtematiſch geordneter Ueberſicht darzuſtellen; er bezeichnet
ſelbſt z. B. die von ihm redigirte und mit wichtigen Zuſätzen berei-
cherte Ornithologie Willughby's als weſentlich von den „Pandekten“
Gesner's und Aldrovandi's verſchieden. Da konnte es nicht ausblei-
ben, daß ihm das Fehlen eines eigentlichen Ausgangspunktes ſtörend
entgegentrat. Sich wohl kaum der Tragweite des von ihm angewen-
deten Mittels bewußt werdend, ſchuf er ſich einen ſolchen; dabei wurde
er weniger von einem allgemeinen Geſichtspunkte aus als vielmehr
durch das praktiſche Bedürfniß verſtändlicher Definitionen darauf ge-
führt, vor Allem auch die kleinſten Gruppen ſcharf zu begrenzen. Cha-
rakteriſtiſch iſt es, daß er nicht bloß zu den Definitionen der einzelnen
V. Carus, Geſch. d. Zool. 28
[434]Periode der Syſtematik.
Formen, ſondern beſonders auch zur Beſtimmung deſſen, was er als eine
ſolche „einzelne Form“ anzuſehen habe, durch die Bemühungen gelangte,
unter den mannichfachen Verſchiedenheiten, welche dieſe Formen getrennt
halten, diejenigen herauszufinden, welche dieſe Trennung am ſchärfſten
und unwandelbarſten bezeichnen. Der techniſche Name für ſolche ſyſte-
matiſch zu bezeichnende einzelne Formen bot ſich von ſelbſt dar in dem
Worte, welches ſeit Ariſtoteles für alle kleineren Gruppen angewendet
worden war, in dem Worte „Species“. Erſt mit Ray erhält daher
dieſer Ausdruck wie der der ſpecifiſchen Merkmale den heutigen Sinn.
In der dieſen Punkt betreffenden Hauptſtelle ſpricht nun Ray
allerdings zunächſt von den Pflanzen; es iſt aber bezeichnend, daß er
nicht umhin kann, zur ſchärferen Bezeichnung des ihm bei Pflanzen
nothwendig Erſcheinenden auf die gleichen Verhältniſſe bei Thieren hin-
zuweiſen, für dieſe alſo die gleiche Beſtimmung einzuführen. In dem
zwanzigſten Kapitel des erſten Buches ſeiner Geſchichte der Pflanzen
ſagt Ray: „Wie bei den Thieren die Verſchiedenheit der Geſchlechter
nicht hinreicht, den Unterſchied der Species zu begründen, weil einmal
beide Geſchlechter aus dem Samen einer und derſelben Species, nicht
ſelten von denſelben Eltern entſtehen (obſchon ſie in vielen und auffal-
lenden Accidenzien von einander abweichen) und es andererſeits nicht
nöthig iſt, für die ſpecifiſche Identität des Stieres und der Kuh, des
Mannes und der Frau ein anderes Argument beizubringen, als daß
dieſelben von denſelben Eltern, ja häufig ſogar von derſelben Mutter
abſtammen, ſo gibt es auch bei den Pflanzen kein anderes ſichereres
Zeichen der ſpecifiſchen Uebereinſtimmung (non aliud certius indi-
cium convenientiae specificae est) als den Urſprung aus dem Sa-
men der ſpecifiſch oder individuell identiſchen Pflanze. Welche Formen
nämlich der Species nach verſchieden ſind, behalten dieſe ihre ſpecifiſche
Natur (speciem suam) beſtändig und es entſteht die eine nicht aus
dem Samen einer andern und umgekehrt“24). Es iſt dieſe Stelle in
mehr als einer Hinſicht äußerſt intereſſant. Zunächſt ſpricht ſie Ray's
Anſicht über das Kriterium für das aus, was man als Art anzuſehen
[435]John Ray.
habe. Mit der Erfindung dieſes „Zeichens“, mit der Beſtimmung dieſes
doch vor Allem rein äußerlichen Hülfsmittels iſt aber der Keim zur
Entwickelung der Artlehre gegeben, wie ſie ſich ſpäter dogmatiſch feſt-
geſetzt hat. Bei Ray verliert die Beſtimmung der Art noch nicht den
Charakter des Künſtlichen; er ſieht ſich einer Menge von Formen, ein-
ander ähnlichen und von einander verſchiedenen, gegenüber und beob-
achtet gleichzeitig die Thatſache, daß aus den Samen einer Pflanze ſich
neue Pflanzen entwickeln, die der Mutter gleich oder ähnlich ſind.
Dieſen Umſtand führt er nun als charakteriſtiſches „Merkmal“ zur
Begründung der Zuſammengehörigkeit oder Verſchiedenheit ein. Es
enthält indeſſen ſchon dieſe erſte Begriffsbeſtimmung den Hinweis auf
die Unveränderlichkeit der Arten (speciem suam perpetuo servant),
welche freilich von Ray nicht ſo feſt angenommen wurde, wie von
Späteren. Einmal weiſt er ſchon auf die bedeutenden Verſchiedenhei-
ten hin, welche zwiſchen den beiden Geſchlechtern auftreten können. In
unbefangener Würdigung des Thatſächlichen geſteht er doch damit der
Art eine gewiſſe Breite der Veränderlichkeit zu. Er muß aber ſelbſt
noch weiter gehen. Das ganze einundzwanzigſte Kapitel deſſelben Bu-
ches iſt der Umwandlung der Arten bei Pflanzen gewidmet. „Nun iſt
aber dieſes Zeichen der ſpecifiſchen Uebereinſtimmung obſchon ziemlich
conſtant doch nicht beſtändig und untrüglich. Denn daß einige Samen
degeneriren und wenn auch ſelten Pflanzen erzeugen, welche von der
Species der mütterlichen Form verſchieden ſind, daß es alſo bei Pflan-
zen eine Umwandlung der Species gibt, beweiſen die Verſuche“25).
Die Experimente, auf welche ſich Ray hier beruft, halten allerdings
vor eingehender Kritik nicht Stich. Es mußte aber zur Ehre deſſen,
welcher den Artbegriff in ſeiner ſpäteren Schuldefinition in die Natur-
geſchichte eingeführt hat, hervorgehoben werden, daß er weit davon ent-
fernt war, denſelben durch irgend welche außerhalb der Beobachtungs-
28*
[436]Periode der Syſtematik.
möglichkeit liegende Zuthaten foſſiliſiren zu laſſen. Nicht ſo ſcharf wie
die Species faßt Ray die Genera. Hier folgt er noch ganz dem alten
Gebrauche, die größeren Gruppen überhaupt als Gattungen zu be-
zeichnen, er nennt daher ebenſogut die Eierlegenden und Lebendiggebä-
renden „Gattungen“, wie die Hundeartigen, Hirſchartigen oder Haſenar-
tigen. Die letztere Verwendungsweiſe kommt allerdings den Linné'ſchen
großen Gattungen nahe; aber abgeſehen davon, daß bei Ray dieſe Ge-
nera mehr den ſpäter eingeführten Ordnungen entſprechen, fehlt bei
ihm doch die durchgeführte formelle Gliederung des Syſtems.
Es war nach dem Ausgang des Mittelalters ein Zeichen wieder
erwachender Wiſſenſchaftlichkeit, daß von Wotton direct an Ariſtoteles
angeknüpft wurde. Die gleiche Erſcheinung tritt bei Ray noch einmal
auf. Mit den Vortheilen, welche der Aufſchwung der Zootomie, die
Harvey'ſche Entdeckung des Kreislaufes und die Aufklärungen betreffs
der Zeugungsvorgänge der Thierkunde geboten hatten, tritt er bewußt
an die anatomiſche Charakteriſirung der Thiergruppen heran und findet
denn hier an mehr als einem Orte die Angaben des Ariſtoteles beſtä-
tigt. Beide hielten nur einen andern Gang der Darſtellung ein. Ari-
ſtoteles legte bei ſeinen Schilderungen ſtillſchweigend größere Gruppen
zu Grunde, welche ſogar je nach dem gerade in den Vordergrund tre-
tenden biologiſchen oder anatomiſchen Geſichtspunkte verſchieden definirt
wurden; man kann daher nur unter Berückſichtigung ſeiner ſämmt-
lichen Mittheilungen zur Einſicht in das ſich ihm ergebende Thierſyſtem
gelangen. Ray dagegen gieng den entgegengeſetzten Weg; er legte zu-
nächſt mit möglichſt ſicherer Begründung des Syſtem dar und knüpfte
die viel ſpärlicheren Einzelangaben an die Aufzählung der Arten. Um
ſo vortheilhafter ſpringt aber ſeine Entwickelung des Syſtems in die
Augen, wenn ſchon er ihm nicht einmal ſelbſt überall folgt. Daß daſ-
ſelbe vorzugsweiſe die Wirbelthiere und ihre Claſſification betrifft und
von den wirbelloſen Thieren nur die Inſecten von ihm behandelt wur-
den, lag zum Theil in der Zeit, welche eingehendere Unterſuchungen in
die niederen Claſſen noch nicht hinreichend vorbereitet hatte, zum Theil
an der Arbeitstheilung, welche Ray in ſeinem Freundeskreiſe ein-
geführt und nach welcher er eigentlich ſogar nur Pflanzen, dann nach
[437]John Ray.
Willughby's Tode die höheren Claſſen und die Inſecten zu bearbeiten
übernommen hatte, während die Weichthiere und Würmer Martin
Liſter zugetheilt worden waren. Ueber deſſen Arbeiten wird ſpäter
noch kurz zu ſprechen ſein. In der 1693 erſchienenen Synopſis der
Säugethiere und Reptilien gibt Ray eine allgemeine Einleitung über
die Eintheilung des Thierreichs und einige allgemeine, die damalige Zeit
lebhaft bewegende Fragen. Iſt dieſelbe ſchon dadurch zur Kenntniß
von Ray's Stellung den letzteren gegenüber von Werth, da er ſich hier
offen und entſchieden als ein Bekämpfer der Urzeugung bekennt und in
Bezug auf den Streit zwiſchen den Spermatiſten und Ovuliſten den
Ausgangspunkt der Entwickelung in das weiblicherſeits gegebene Ei
verlegt (freilich unter ausdrücklicher Anerkennung mancher zweifelhafter
Punkte), ſo thut ſie in ihrem claſſificatoriſchen Theile nach den un-
fruchtbaren ſyſtematiſchen Verſuchen ſeiner Vorgänger durch die klare,
präciſe, anatomiſch ſichere Darlegung des Syſtems der Wirbelthiere
wohl, welches vollſtändig das ſpäter von Linné ausgeführte iſt. Ob-
ſchon er zugibt, daß Peyer (in ſeiner Merykologie) Recht habe, wenn
er allen Thieren eine blutartige durch den Körper bewegte Flüſſigkeit
zuſchreibt, und auch ſelbſt noch hinzufügt, daß eines der ſogenannten
blutloſen Thiere ſogar, wie die höheren, rothes Blut habe, nämlich der
Regenwurm, ſo folgt er doch der Ariſtoteliſchen Theilung des ganzen
Thierreichs in Blutführende und Blutloſe, weil ſie die bequemſte und
bekannteſte ſei. Er war überhaupt, wie ſich zeigen wird, kein Freund
von durchgreifenden Neuerungen. Bei der Eintheilung der Blutloſen
gibt er nur das Ariſtoteliſche Schema unter Anführung der griechiſchen
Stellen; er theilt ſie in größere und kleinere, erſtere wieder in die
Weichthiere (Cephalopoda), Cruſtaceen und Teſtaceen; letztere um-
faſſen nur die Inſecten. Nun hat er zwar, wie aus ſeiner Correſpon-
denz hervorgeht, vielfach Mollusken geſammelt; die Aehnlichkeit zwi-
ſchen dem Thiere einer Gehäus- mit einer Nacktſchnecke iſt ihm gleich-
falls nicht entgangen. Er geht aber in ſeinen ſynoptiſchen Darſtellungen
nicht auf dieſe Claſſen ſpecieller ein.
Bei der Bedeutung, welche die Ray'ſche Syſtematik für alle ſpäte-
ren Anordnungsweiſen beſitzt, erſcheint es geboten, dieſelbe ziemlich ein-
[438]Periode der Syſtematik.
gehend hier zu beſprechen. Die Wirbelthiere können eingetheilt werden,
ſagt Ray, in ſolche die mit Lungen und in ſolche welche mit Kiemen
athmen. Von den erſteren haben die einen ein mit zwei Ventrikeln
verſehenes Herz, die andern ein Herz mit nur einem Ventrikel. Von
den Lungenathmenden, welche zwei Herzventrikel beſitzen, iſt ein Theil
lebendig gebärend, nämlich die auf dem Lande oder amphibiſch lebenden
Behaarten und die nur im Waſſer lebenden Walthiere, der andere
Theil iſt eierlegend, die Vögel. Mit einem Ventrikel am Herzen ver-
ſehen und lungenathmend ſind die Fröſche, Eidechſen und Schlangen.
Zu den mit Kiemen athmenden gehören ſämmtliche echte, d. h. blutfüh-
rende Fiſche mit Ausſchluß der Cetaceen. So richtig und mit der ſeit
Linné allgemein verbreitet geweſenen Eintheilung übereinſtimmend dieſe
Charakteriſirung der Wirbelthierclaſſen iſt, ſo macht ſich doch ſchon bei
der erſten Mittheilung derſelben Ray's Furcht geltend, nicht etwa als
voreiliger Neuerer zu erſcheinen. Er weiſt ausdrücklich darauf hin,
daß man zuweilen unter „Fiſch“ ſämmtliche Waſſerthiere verſtanden
habe. Statt nun aber der von ihm zum erſtenmale ſeit Ariſtoteles
wieder ſcharf hervorgehobenen wahren Natur der Walthiere auch in
Bezug auf ihre Einreihung im Syſteme gerecht zu werden, erweitert
Ray lieber dem Sprachgebrauche folgend bei Aufſtellung der Synopſis
der Fiſche ſeine urſprünglich entſchieden richtigere Definition derſelben
dahin, daß ſie auch die Walthiere mit umfaſſen kann, während er doch
auf der andern Seite den Ausdruck Vierfüßer fallen laſſen möchte, um
den Manati zu den übrigen amphibiſchen Säugethieren bringen zu
können. Bei der weiteren Eintheilung der Säugethiere nimmt er zu-
nächſt die Beſchaffenheit der Fußbekleidung als Theilungsgrund an und
ſcheidet die Hufthiere von den Krallen- oder Nagelthieren. Zu den
erſteren gehören die Einhufer, Zweihufer (Wiederkäuer und Nicht-
Wiederkäuer, nämlich die Gattung der Schweineartigen) und Vierhufer
(Rhinoceros und Hippopotamus). Letzteren beiden hängt er noch als
anomale Hufthiere den Tapir, das Capybara, deſſen Gebiß er ganz
richtig als mit dem der Haſenartigen ſehr ähnlich ſchildert, und das
Moſchusthier an. Auch bei letzterem ahnt er die Verwandtſchaft und
erkennt die Uebereinſtimmung mit den Wiederkäuern im Fehlen der
[439]John Ray.
oberen Schneidezähne; aber die hervorragenden Eckzähne hindern die
Vereinigung mit ihnen. Die Reihe der Unguiculaten eröffnet das
Kamel mit geſpaltenen Füßen. Die mit vielſpaltigen Füßen haben ent-
weder unbeweglich verbundene Finger, — hierher gehört nur der Ele-
fant — , oder frei getrennte. Von dieſen ſind die einen mit platten
Nägeln verſehen, die Affen (anthropomorphe, den Menſchen ſelbſt be-
rückſichtigt er nicht und ſchließt ihn aus dem Syſteme aus), die andern
mit ſeitlich zuſammengedrückten Krallen. Die letzteren haben entweder
mehrere Schneidezähne in beiden Kinnladen oder nur zwei; dies ſind
die Haſenartigen (genus Leporinum, Ordnung der Nagethiere). Unter
den erſteren ſind größere Arten und zwar entweder mit kurzem, run-
dem Kopf, Katzen (freilich auch den Bär umfaſſend) oder mit vorra-
gender Schnauze, Hunde (d. h. Hund, Wolf, Fuchs, Rüſſelbär,
Dachs, Otter, Robbe, Manati), und kleinere mit langem ſchlanken
Körper und niedrigen Beinen, Gattung der Wieſel (mit den Viverren
und dem Ichneumon). Den ſpaltfüßigen Krallenthieren läßt Ray noch
eine Gruppe „anomaler“ Formen folgen, von denen ein Theil in Be-
zug auf die Deutung ihres Gebiſſes bis auf die neueſte Zeit Schwie-
rigkeiten gemacht hat, nämlich die Inſectivoren, welche er mit den
Gürtelthieren, den Zahnloſen und den Flugthieren, allerdings nicht
unter dieſem Namen, aber doch in ihren Hauptformen, Igel, Maul-
wurf, Spitzmaus, zuſammen abhandelt. Leidet dieſes Syſtem der
Säugethiere auch noch an mannichfachen Mängeln, ſo iſt es doch un-
zweifelhaft gegen frühere als ein großer Fortſchritt zu bezeichnen und
der Ausgangspunkt, an welchem alle Späteren angeknüpft haben.
In Bezug auf die Vögel ſcheint es auf den erſten Blick ſchwer zu
ſein, Willughby's Leiſtungen von denen Ray's getrennt zu halten.
Vorzüglich ſchreiben engliſche Biographen Willughby's Alles, was
unter ſeinem Namen über Vögel herausgegeben worden iſt, ihm ſelbſt
zu. Nun iſt allerdings der Herausgeber ſelbſt, Ray, ſo voll des Lobes
und der Anerkennung von dem, was ſein Freund gethan hat, daß es
wohl zu entſchuldigen iſt, wenn man ihn nur als Ordner der hinter-
laſſenen Papiere Willughby's anzuſehen verſucht wird. Doch darf
wohl die ganze Form der Bearbeitung des Stoffes, wie beſonders auch
[440]Periode der Syſtematik.
die ſyſtematiſche Anordnung der Vögel kaum Willughby zugeſchrieben
werden. Erſtens enthält die nach Ray's Tode aus ſeiner eigenen
Handſchrift herausgegebene Synopſis der Vögel faſt vollſtändig genau
daſſelbe Syſtem, in der That weicht es nur in Kleinigkeiten von dem
in Willughby's Ornithologie mitgetheilten ab, ſtimmt dagegen häufig
ſogar im Wortlaute überein; und es wäre doch ſicher zu erwarten ge-
weſen, daß Ray bei ſeiner rückſichtsvollen Dankbarkeit gegen ſeinen
Freund und Wohlthäter es erwähnt, ſogar rühmend hervorgehoben
haben würde, wenn er nur ihm und nicht ſeinem eigenen Syſteme ge-
folgt wäre. Zweitens ſagt aber auch Ray auf dem Titel der Willugh-
by'ſchen Ornithologie ausdrücklich: totum opus recognovit, digessit,
supplevit. Ganz gewiß hat er alſo hier wie bei dem Werke über die
Fiſche, wo er es auf dem Titel angegeben hat, die allgemeinen Einlei-
tungen zugegeben, welche auch in beiden Werken ſowohl der ganzen
Dispoſition nach als in den Kapiteln über die in England beobachteten
Vögel, beziehentlich Fiſche, vollkommen übereinſtimmen. Und hierin
iſt die Begründung des Syſtems enthalten. Ray beſtätigt dies übri-
gens zum Theil ſelbſt, indem er in der Vorrede zur Ornithologie ſagt,
daß Willughby bei ſeinem Tode ſehr viele „Geſchichten und Beſchrei-
bungen von Vögeln, Vierfüßern, Fiſchen, Inſecten hinterlaſſen habe“,
zwar methodiſch redigirt, aber „die wenigſten vollkommen und vollſtän-
dig“. Außerdem bemerkt Ray, daß er öfters Willughby's Worte bei-
behalten habe, namentlich da, wo er gefürchtet habe ihn falſch zu ver-
ſtehen. Bedenkt man nun endlich noch, daß Willughby nach Ray's
Zeugniß kurz vor ſeinem Tode auf eine ausdrückliche Frage wegen einer
etwaigen Herausgabe ſeiner Naturgeſchichten geantwortet habe, „daß er
dies nicht wünſche, oder etwas dem Aehnliches“, ſo geht doch aus
Allem offenbar hervor, daß Willughby weder ein völlig ſyſtematiſches
Werk noch ein ausgearbeitetes Syſtem der Vögel hinterlaſſen hat, wie
ſolches jetzt unter ſeinem Namen vorliegt, ſondern zahlreiche Einzel-
beobachtungen, durch deren Sammlung er ſich immerhin ein nicht ge-
ringes Verdienſt erworben hat. Man kann daher auch das Syſtem der
Vögel zweifellos als das Ray's anſehen. Er theilt die Vögel zunächſt
in Land- und Waſſervögel. Erſtere zerfallen in Vögel mit hakenför-
[441]John Ray.
migen Schnabel und Krallen und ſolche mit geradem und kleinerem
Schnabel. Zu den Gampfonychen gehören die Raubvögel und Pa-
pageyen; die Raubvögel trennen ſich in größere: Adler und Geier,
und kleinere; von dieſen ſind die einen edler, und zwar die langflügli-
gen Falken und die kurzflügligen Habichte, und die andern ignavi und
wild, von den Vogeljägern vernachläſſigt, wiederum größere, Buſſarde
und Weihen, und kleinere, europäiſche, Würger, und exotiſche, Para-
diesvögel. In der Synopſis macht er ſchon die Bemerkung, daß die
Würger doch mehr gerade Krallen und Schnäbel haben. Von den Vö-
geln mit geradem Schnabel ſondert er zunächſt die großen eigenthüm-
lichen Formen ab, den Strauß, Caſuar und Dodo. Die übrigen
trennt er allgemein in ſolche von mittlerer Größe und in kleinere. Zu
den erſten gehören die großſchnäbligen Raben und Spechte (genus
corvinum, genus Picorum), welche letztere er durch die Bildung ihrer
Kletterfüße ganz treffend charakteriſirt, und die kleinſchnäbligen Hühner
mit weißem, und Tauben und Droſſeln mit ſchwarzem Fleiſch. Die
kleinſten, von ihm Vögelein, aviculae, Genannten haben entweder
einen dünnen (Lerche u. ſ. w.) oder einen dicken Schnabel (Kernbeißer
u. ſ. f.). Von den Waſſervögeln lebt die eine Abtheilung nur am
Waſſer, ſucht ſich wohl in demſelben die Nahrung, ſchwimmt aber
nicht auf ihm. Hierher bringt er zuerſt in eine eigne Gattung die
großen eigenartigen Kraniche (mit dem Seriema) und ſtellt ihnen die
kleineren Formen gegenüber, welche entweder Fiſche freſſen (Reiher,
Störche u. ſ. w.) oder im Schlamme ihre Nahrung ſuchen, oder In-
ſecten freſſen; zu letzteren gehören die übrigen Wadvögel Späterer,
nämlich Schnepfen, Strandläufer, Kiebitz, Regenpfeifer u. ſ. w. Die
Schwimmvögel theilt Ray in Spaltfüßige, welche nur einen häutigen
Saum an den Zehen haben, wie Waſſerhühner, und Schwimmfüßige.
Auch hier ſondert er anomale Formen in einer eigenen Gruppe aus,
den Flamingo, Avoſett u. a.; ſie haben ſämmtlich lange Beine. Die
übrigen, mit kurzen Beinen Verſehenen ſind entweder dreizehig (Pen-
guine, Alken u. ſ. f.) oder vierzehig, und von letzteren wiederum ha-
ben einige die vierte Zehe frei oder mit den drei vorderen Zehen durch
Schwimmhaut verbunden; die vierzehigen mit freier Hinterzehe zerfallen
[442]Periode der Syſtematik.
wieder in ſchmalſchnäblige und breitſchnäblige (Enten, Gänſe). Man
ſieht alſo auch im Syſtem der Vögel bei Ray alle Elemente der ſpäte-
ren Claſſification.
Am wenigſten eingehend ſind die Reptilien behandelt. Auffallend
iſt hier, verglichen mit dem bei Säugethieren eingehaltenen Verfahren,
die Inconſequenz betreffs der Schlangen. Während er die Walthiere
trotz ſeiner richtigeren Einſicht wegen des Mangels des Haarkleides
und der Form der Vordergliedmaßen von den Säugethieren wegnimmt,
bemerkt er hier, daß die Schlangen von den Eidechſen nur in dem
Mangel der Extremitäten abweichen und läßt ſie ihnen unmittelbar
folgen, vermuthlich da er ſich hier durch keine Trivialbezeichnung und
durch keine geläufige populäre Anſchauung gebunden ſah. Die drei
Gruppen der Fröſche (zu welchen er auch die Schildkröten bringt), der
Eidechſen und Schlangen charakteriſirt er nicht als ſolche, ſondern
ſchildert nur die einzelnen Formen.
Was nun endlich die Fiſche betrifft, ſo findet ſich zuerſt bei Ray
eine ſcharfe Definition dieſes ſo oft gemisbrauchten und in ſeiner Be-
deutung ungebührlich weit ausgedehnten Wortes. Bei der Special-
ſchilderung erweitert er zwar dieſelbe nach dem oben angegebenen Ge-
ſichtspunkte dahin, daß er die Wale mit abhandeln kann; aber auch in
dieſer Faſſung iſt ſeine Charakteriſirung natürlich und, auf Wirbel-
thiere beſchränkt, zutreffend. Während urſprünglich die Fiſche mit
Kiemen athmende und mit einem Herzventrikel verſehene, mit Schup-
pen oder glatter Haut bedeckte Blutthiere ſind, wird ihm ſpäter ein
Fiſch zu „einem blutführenden Waſſerthiere ohne Füße, welches mit
Floſſen ſchwimmt, entweder mit Schuppen oder nackter, glatter, haar-
loſer Haut bedeckt iſt, beſtändig im Waſſer lebt und niemals freiwillig
auf das Trockene geht“. Die paarigen Floſſen der echten Fiſche ver-
gleicht ſchon Ray mit den Gliedmaßen der Säugethiere, wenngleich
ohne Rückſicht auf anatomiſche Gründe. Die Eintheilung der Fiſche
nach den Fundorten, wie ſie Rondelet noch befolgte, verwirft Ray mit
Recht, weil ſie theils verwandte Formen trennt, theils manche Formen
ſowohl im ſüßen als im ſalzigen Waſſer vorkommen und endlich weil
die Beſtimmung der vorzugsweiſe beſuchten Standorte im Meere
[443]John Ray.
(saxatiles u. ſ. w.) ſehr ſchwer oder unausführbar iſt. Nach Aus-
ſchluß der mit Lungen athmenden Walthiere, welche hier zum erſten-
male in ſolche mit Barten und ſolche mit Zähnen, beide dann nach
der Form, Beſchaffenheit und Stellung der Zähne, beziehentlich der
Floſſen weiter eingetheilt werden26), hatte Ray die echten kiemenath-
menden Fiſche zuerſt (in Willughby) in Lebendiggebärende und in Eier-
legende geſchieden. Er weiſt aber in der Synopſis ſelbſt darauf hin,
daß manche Knochenfiſche (ſeine Eierlegenden) lebendige Junge gebären,
während andererſeits auch manche knorplige Fiſche (Störe, Froſch-
fiſche, zu denen er Lophius, Antennarius, Malthe, natürlich nicht
unter dieſen Namen rechnet) Eier legen. Es iſt alſo weder der Aus-
druck „Vivipara“ noch der andere „Knorpelfiſche“ im ſtrengen Sinne
paſſend. Die erſte mit dem mehr arbiträr gehaltenen Namen der
Knorpelfiſche bezeichnete Gruppe charakteriſirt Ray daher durch die Er-
zeugung großer nach Art der Vogeleier zuſammengeſetzter Eier, welche
ſich innerhalb des Körpers entwickeln; die hierher gehörigen Fiſche ſind
meiſt „knorplig und gebären lebendige Junge“. Sie ſind lang, Hai-
fiſche, oder breit und platt, Rochen; als anomale Gruppe läßt er die
erwähnten Formen (Lophius ꝛc.) unmittelbar auf ſie folgen und zwar
unter der falſchen Bezeichnung (denn den Stör läßt er hier weg) der
eierlegenden Knorpelfiſche. Die andere Gruppe, welche weitaus die
meiſten Fiſche enthält, wird von ſolchen Arten gebildet, welche kleine
Eier erzeugen und dieſe als ſolche ablegen, auch meiſt knöchern oder
grätig ſind. Der Form nach ſind ſie entweder platt und ſchwimmen
auf der Seite (die ſpäter ſogenannten Pleuronectiden) oder hoch und
ſchwimmen ſenkrecht. Hiervon iſt die erſte „Gattung“ ohne paarige
Floſſen oder nur ohne Bauchfloſſen und entweder lang mit glatter
ſchlüpfriger Haut (Aale, auch die Lamprete) oder kürzer mit rauher
Haut (hierher Lophobranchier und Sclerodermen, natürlich aber nur
[444]Periode der Syſtematik.
unter ihren alten Namen Orbes u. ſ. w.). Die Fiſche mit zwei Floſ-
ſenpaaren trennt er nun in Weich- und Stachelfloſſer, je nachdem ſie
in der Rückenfloſſe weiche biegſame oder harte ſtachlige Strahlen haben.
In den beiden Bearbeitungen ordnet er ſie nur wenig verſchieden an.
Die Weichfloſſer haben entweder drei Rückenfloſſen (Asellus, d. h. die
Gadiden) oder zwei ſolche mit darauf folgenden kleineren (Fett-)floſſen
(ſind dies mehrere: genus Thynninum, Scomberiden, iſt es nur eine,
genus Truttaceum, Salmoniden), oder nur zwei Rückenfloſſen ohne
weitere Ordnung Formen wie »Lota, Clarius, Silurus, Remora« u. A.
umfaſſend, von denen nur die mit verwachſenen Bauchfloſſen verſehe-
nen Cyclopterus und Verwandte abgeſondert werden) oder endlich nur
eine Rückenfloſſe. Dieſe läuft entweder den ganzen Rücken entlang
(Coryphaena u. a.) oder iſt kurz und ſteht dann wieder entweder in
der Mitte des Rückens nahe dem Schwerpunkte des Körpers, wobei die
Fiſche theils bezahnt (Häringsartige u. a.) theils unbezahnt ſind (Weich-
mäuler: Cypriniden) oder nahe dem hinteren Körperende (Belone,
Esox, Fistularia, Sturio u. a. unter den Rondeletſchen oder anderen
älteren Namen). Die Stachelfloſſer haben entweder zwei Rückenfloſſen
(Sphyraena, Mugil, das genus Cuculinum, welches Cirrenanhänge
an den großen Bruſtfloſſen hat und Laute von ſich gibt, Mullus,
Trigla, Trachinus u. ſ. f., und noch eine Anzahl anderer Formen,
wie Lucioperca, Perca u. a.) oder nur eine Rückenfloſſe, wo zuweilen
nicht bloß der erſte Strahl, ſondern ſämmtliche Strahlen ſtachlig ſind
(Sparus, Scarus, Dentex, Sargus, Salpa u. ſ. w.). Es braucht
kaum darauf aufmerkſam gemacht zu werden, daß auch hier die weſent-
lichen Elemente der Claſſification Linné's und Späterer gegeben ſind.
Die letzte Thierclaſſe, von welcher Ray eine zuſammenhängende
Darſtellung gegeben hat, ſind die Inſecten im älteren Sinne als die mit
Körpereinſchnitten verſehenen Thiere. Wie erwähnt erſchien die Ge-
ſchichte der Inſecten erſt nach Ray's Tode (London, 1710). Hat er
auch hier verhältnißmäßig weniger Einzelarbeiten, vielmehr die Mate-
rialien Willughby's und Früherer zu Grunde gelegt, ſo iſt dies Werk
doch gleichfalls von hoher Bedeutung, da Ray hier zum erſtenmale die
Verwandlungs- und überhaupt die Entwickelungsweiſe der betreffenden
[445]John Ray.
Thiere bei deren Claſſification benutzte. Sieht man von den Unklar-
heiten ab, welche durch den beſchränkten Stand der Kenntniſſe von
Würmern und Kruſtenthieren bedingt wurden, ſo meint man kaum ein
Syſtem aus dem Ende des ſiebzehnten oder Anfang des achtzehnten
Jahrhunderts vor ſich zu haben, ſelbſtverſtändlich nur, was die allge-
meine Auffaſſung und Charakteriſirung der Hauptgruppen betrifft.
Ray theilt die Gliederthiere, wie man wohl richtiger das alte Wort
Inſecten hier überſetzt, in ſolche, welche ſich ohne Metamorphoſe und
ſolche, welche ſich mit Metamorphoſe entwickeln. Ausdrücklich erkennt
er dann an, daß er bei der Darſtellung der Ametamorphota vorzüglich
Willughby, bei der Metamorphota Swammerdam gefolgt iſt.
Fällt alſo auch hier das Hauptverdienſt wohl auf Swammerdam zurück,
ſo erſcheint doch Ray's Antheil an dem Fortſchritt der Entomologie ſehr
bedeutend, da er zum erſtenmale in bewußter und durch ſeinen Ge-
ſammtüberblick über das ganze Thierreich um ſo gewichtigeren Weiſe
das Moment der Entwicklung der ſyſtematiſchen Anordnung eines
großen Formenkreiſes aufgeprägt hat. Seiner Claſſification folgend
ſind die Ametamorphoten entweder fußlos oder mit Füßen verſehen.
Von den fußloſen leben die einen auf dem Lande oder in den Eingewei-
den anderer Thiere (Regenwurm, Nematoden und Bandwürmer), die
anderen im Waſſer. Bezeichnend für Ray's Auffaſſung iſt es, daß er
hier den Blutegeln die bei Schafen u. ſ. f. ſich findenden Egelwürmer
anreiht, ſeinem erſten Eintheilungsgrund, zu Gunſten der ſich offen-
barenden Verwandtſchaft beider Formen, untreu werdend. Die mit
Füßen verſehenen Verwandlungsloſen werden nach der Zahl der Füße
eingetheilt; und es iſt das erſtemal, daß der Ausdruck Vierzehnfüßer
erſcheint, welcher in neuerer Zeit für dieſelben Formen verwandt
wurde. Den Anfang machen die ametaboliſchen Inſecten, Läuſe,
Zuckergaſt u. ſ. f. Dieſen Hexapoden folgen die achtbeinigen Skor-
pione, Opilionen und Spinnen, dieſen die erwähnten Vierzehnfüßer,
welchen er bei der ſpeciellen Aufzählung noch Vierundzwanzig- und
Dreißigfüßer anreiht; den Beſchluß machen die hier richtiger Polypo-
den genannten Tauſendfüßer, Julus, Scolopendra. Bei den mit Me-
tamorphoſe ſich entwickelnden Inſecten erſcheint hier nach Swammer-
[446]Periode der Syſtematik.
dam zum erſtenmale die Hinweiſung auf jenen durch das Eintreten
eines ruhenden Puppenzuſtandes bedingten Unterſchied, welcher ſpäter
zu der logiſchen Ungeheuerlichkeit einer „halben“ Verwandlung geführt
hat. Zu der erſten Gruppe der ſich verwandelnden Formen, welche
durch das Fehlen jener ruhenden Puppe ausgezeichnet iſt, werden die
Libellen, Wanzen, Grillen, Heuſchrecken und Ohrwürmer gebracht.
Die Formen, welche vor der Verwandlung ruhen, zerfallen nach der
Beſchaffenheit der Vorderflügel in Scheidenflüglige, die Käfer, und
Scheidenloſe, Anelytra, von welchen die einen beſtäubte Flügel beſitzen
(Farinacea, Schmetterlinge), während die andern häutige Flügel haben
und zwar entweder zwei, Fliegen u. ſ. f., oder vier, Bienen und Ver-
wandte. Es iſt nicht zu läugnen, daß auch hier die Entdeckungen in
der Lebens- und Bildungsgeſchichte ſowie im Bau der Inſecten, welche
die letzten fünfzig Jahre des ſiebzehnten Jahrhunderts auszeichneten,
in einer ſo vollendeten Weiſe zum Ausdruck und zur praktiſchen Ver-
wendung kamen (wenn letzterer Ausdruck geſtattet iſt), daß es nur wei-
terer, aber vergleichsweiſe untergeordneter Detailarbeiten bedurfte, um
das Syſtem noch mehr zu klären und in Bezug auf einzelne Formen zu
verbeſſern.
Ray hat nicht ſelbſt die übrigen niederen Claſſen des Thierreichs
bearbeitet. Wenn man ihm daher auch nicht das Verdienſt zuſchreiben
kann, umgeſtaltend auf die Anſchauungen eingewirkt zu haben, welche
unter ſeinen Zeitgenoſſen von manchen ſchwerer zu beobachtenden und
deshalb vielfach irrig aufgefaßten Formen und Lebensvorgängen die
herrſchenden waren, ſo iſt er doch der erſte neuere Zoolog, welcher
zuſammenfaſſend die Organiſationsverhältniſſe größerer Gruppen über-
blickte und den erſten Schritt zur Bildung eines Syſtems that, welches
durch die Art ſeiner Gründung bis auf die neuere Zeit herab geltend
blieb. Zu Ray's Zeit war der Unterſchied zwiſchen künſtlichen und na-
türlichen Syſtemen noch nicht in derſelben Weiſe entwickelt, wie er
ſpäter hervortrat. Man gieng vielmehr von dem allgemeinen Geſichts-
punkte aus, welchen Caeſalpin in Bezug auf die Botanik hervorgeho-
ben hatte, daß „alle Wiſſenſchaft in der Zuſammenſtellung der ähn-
lichen und der Trennung der unähnlichen Dinge beſtehe“. Dürfte man
[447]John Ray. — Martin Liſter.
angeſichts des Umſtandes, daß bei Ray der Unterſchied zwiſchen natür-
lichem und künſtlichem Syſtem noch nicht bewußt auftritt, doch den
Gedanken an einen ſolchen vorausſetzen, ſo könnte man ſagen, daß
Ray beides zu vereinigen geſucht habe, wenn er z. B. die Walthiere
zwar ganz richtig nach ihrer ganzen Organiſation zu den Säugethieren
zählt, ſie aber der äußeren Geſtalt, dem Aufenthalte, der Form, ihrer
Bewegungswerkzeuge nach den Fiſchen anreiht, eine Anordnung,
welcher Linné ſelbſt noch lange Zeit folgte. Jedenfalls war bei Ray
die natürliche Gruppirung, wie ſie in ſeinen „Gattungen“ ſich zeigt, die
in den Vordergrund tretende Aufgabe, welcher er auch wegen der ver-
hältnißmäßig noch leichter zu überſehenden Zahl der claſſificirten For-
men noch ziemlich genügen konnte. Kein geringes Verdienſt Ray's iſt
es, daß er definitiv mit der Tradition betreffs der fabelhaften Thiere
brach.
Gewiſſermaßen als Supplemente zu den Schriften Ray's ſind die
Arbeiten Martin Liſter's anzuſehen. Dieſer Mann, welcher als
Anfertiger der erſten geologiſchen Karte zu rühmen iſt, ſtand mit dem
ihm ziemlich gleichaltrigen Ray (er lebte von 1638 bis 1712) in regem
freundſchaftlichen Verkehr, ſo daß jener die von dieſem vorzugsweiſe
behandelten Claſſen als wohl verſorgt betrachten konnte. Bei der Ein-
theilung der Spinnen iſt von Liſter zum erſtenmale die Zahl der Augen
in Betracht gezogen worden; zu den achtäugigen rechnet er die meiſten
Webſpinnen, welche er dann weiter nach der Art des Gewebes ein-
theilt, zu den zweiäugigen die Opilionen, ein Fehler, in dem ihm zum
Theil Linné noch folgte. Liſter gibt auch einige ganz leidliche Darſtel-
lungen einzelner Theile von Spinnen, obſchon er einen richtigen Ein-
blick in die mit der eigenthümlichen Organiſation in Zuſammenhang
ſtehende Lebensweiſe noch nicht vollſtändig erreichte.
Allgemeiner war die Theilnahme an den durch ihre Hartgebilde
mehr zum Sammeln anregenden Mollusken, oder richtiger Schalthie-
ren. Auch hier iſt Liſter an erſter Stelle zu nennen, welcher durch
zahlreiche Zergliederungen in die Natur der ſchon ſeit alten Zeiten für
ſo beſonders intereſſant gehaltenen Thiere tiefer einzudringen ſuchte.
Wie aus dem früher Mitgetheilten hervorgeht, war bisher nur einzelnes
[448]Periode der Syſtematik.
Anatomiſche von den Mollusken bekannt geworden. Obgleich indeſſen
Liſter theils auf die Zahl der Schließmuskeln bei Zweiſchaligen und
auf andere wichtige Verhältniſſe Rückſicht nahm, theils auch ſowohl
Lepaden als Balanen unterſucht und ihre Gliederfüße ſogar abgebil-
det hat, benutzte er doch dieſe Funde nicht, um aus ihnen Schlüſſe
auf die etwaige Verwandtſchaft beſtimmter Formen unter einander zu
ziehen, ſondern ordnete die Schalthiere in Land-, Süßwaſſer- und
Meeresformen. Die Nacktſchnecken ſtellt er zu den Landſchnecken, aber
Balanus neben Patella als einſchalige Muſchel; und die Cephalopoden
ſind bei ihm noch wie bei Ariſtoteles eine ſelbſtändig neben den Schal-
thieren ſtehende Claſſe „Weichthiere“, innerhalb deren er die beſchalten
Formen neben die nackten ſtellt, wie Helix neben Limax. Hinter
Liſter ſteht noch in der Auffaſſung und Vertheilung der Formen Fi-
lippo Bonanni zurück, obſchon er wie jener eine große Zahl ein-
zelner Formen beſchrieben und im Ganzen recht gut abgebildet hat.
Seine Claſſen ſind nur auf die Schalen gegründet; es ſind genau die-
ſelben, welche Liſter für die Meeresconchylien aufgeſtellt hatte, deſſen
Syſtem er faſt genau folgt. Die Schalthiere zerfallen daher bei ihm
in die drei Gruppen der einſchaligen nicht gethürmten, der einſchaligen
gethürmten und der zweiſchaligen. Zu den erſten werden die verſchie-
denen Formen der Seeigel gerechnet, zu den letzteren die Lepaden. Es
braucht kaum erwähnt zu werden, welche unnatürliche Trennung ein
nicht einmal ſcharf durchzuführender Eintheilungsgrund herbeiführen
mußte, da Cypräen, Planorben u. a. ebenſowenig gethürmt ſind, wie
Nautilus, Argonauta, Haliotis. Faſt derſelben Eintheilung folgt auch
Sibbald bei Aufzählung der Schalthiere Schottlands in dem oben
erwähnten Werke. Der 1693 geſtorbene Kieler Profeſſor Johann
Daniel Major hatte ſchon vor Liſter ein Syſtem der Schalthiere
aufgeſtellt in ſeiner Ausgabe der Abhandlung über den Purpur von
Fab. Columna (1675). Er theilt die beſchalten Mollusken unter Aus-
ſchluß der Echinen in ein- und mehrſchalige; nicht unintereſſant iſt ſein
Syſtem deshalb, weil er zuerſt auf die Windungsart etwas Rückſicht
nimmt.
Die hier kurz verzeichneten Arbeiten thun dar, daß zur Zeit von
[449]Die Zeit von Ray bis Klein.
Ray's Tode, theils in Folge ſeiner Anregung theils unabhängig von
ihm, faſt alle Thierclaſſen, deren Kenntniß ſo weit gefördert worden
war, daß ſich eine Ordnung der Thatſachen als wünſchenswerth her-
ausſtellte, Bearbeiter gefunden hatten. Sie konnten nicht einmal
ſämmtlich aufgeführt werden, da es ſich hier nicht um ein Litteratur-
verzeichniß handelt. Noch wurden dieſe größeren Gruppen nicht mit
dem Namen von „Claſſen“ aufgeführt, eine Bezeichnung, welche zwar
hier und da auftrat, aber noch keine ſcharfe Beſtimmung in dem ſyſte-
matiſchen Bau erhalten hatte. Nicht unerwähnt mag gelaſſen werden,
daß vom Ende des ſiebzehnten Jahrhunderts an auch der Ausdruck
Naturreich, die Eintheilung der geſammten Natur in die drei
»Regna« aufkam und zwar wie es ſcheint zuerſt durch Emanuel
König, welcher in ſeinem 1682 erſchienenen Regnum animale noch
einmal nach alter Weiſe alles Wißbare und Nichtwißbare von den
Thieren zuſammentrug und ſo die Reihe der letzten Ausläufer der En-
cyklopädiker ſchließt.
Die Zeit von Ray bis Klein.
Nach Ray's Tode trat die Zeit einer vergleichsweiſen Ruhe ein,
wenn man die wichtigen Schritte in's Auge faßt, welche die Zoologie
durch ſeine hervorragenden Nachfolger that. Man darf dies aber eben
ſowenig für einen Stillſtand wie für eine Folge der verhältnißmäßig
ſchnelleren Entwickelung der Botanik halten. Auch in der Zoologie
wurde den einzelnen Richtungen entſprechend rüſtig gearbeitet; es ſind
aber in ihr ſowohl die Schwierigkeit für die Beſchaffung hinreichenden
Materials als auch die ganz ungleich größere Complexität der einzel-
nen Theile und ihrer Leiſtungen wie ihrer Anordnung zum Thierkörper
Elemente, welche nothwendig eine langſamere Entwickelung bedingten.
Es wurde oben gezeigt, wie ſpät erſt alte Anſchauungen über die Be-
deutung ganzer anatomiſcher Syſteme, z. B. des Muskelſyſtems durch
naturgemäße erſetzt wurden. Noch in der Mitte des ſiebzehnten Jahr-
hunderts mußte Schneider mit allen nur möglichen Beweismitteln die
Annahme einer Abſonderung des Schleims vom Gehirn aus wider-
V. Carus, Geſch. d. Zool. 29
[450]Periode der Syſtematik.
legen. Die Auseinanderſetzungen Pacchioni's über einen vermeintlichen
Bewegungsmechanismus in der harten Hirnhaut wurzelte zum großen
Theil in der alten Lehre von der Bewegung der Lebensgeiſter durch das
Gehirn. An Stelle dieſer hatte ſchon Gliſſon eine der „Faſer“ innewoh-
nende beſondere Eigenthümlichkeit geſetzt und war zum erſtenmale mit
der „Irritabilität“ hervorgetreten, welche allmählich unter den Händen
Fr. Hoffmann's, Gorter's und ſpäter Haller's zur Grundlage eines phy-
ſiologiſchen, durch den in ihm herrſchenden Dynamismus die weiteren
Fortſchritte nicht ſehr unterſtützenden Syſtems wurde. Die Anatomie
des Menſchen erfuhr in Deutſchland nur wenig Förderung, da gerade
in der hier vorliegenden Zeit die Zergliederung von Leichen nur ſelten
und ſchwierig zu erreichen war. Doch war das Compendium des als
Chirurgen ſo bekannten Lorenz Heiſter (erſchien zuerſt 1717) mit dem
Handbuche Winslow's, welcher unter günſtigeren Verhältniſſen Anato-
mie in Paris lehrte, ein halbes Jahrhundert lang in Anſehen. Blühen-
der war der Zuſtand der Anatomie in Italien, wo Valſalva, Santo-
rini und Morgagni arbeiteten, und in Holland, beſonders Leyden, wo
Bernhard Siegfried Albinus nicht bloß die Zergliederungen immer
regelmäßiger und zahlreicher vornahm, ſondern auch die anatomiſchen
Abbildungen zu künſtleriſchen Aufgaben erhob. In Bezug auf Ent-
wickelungsgeſchichte hatte der ältere (Walther) Needham in ſeiner
Schrift de formato foetu ſchon auf die Punkte hingewieſen, welche bei
einer Vergleichung des Vogeleies mit dem Ei der Säugethiere in Be-
rückſichtigung zu nehmen ſind. — Iſt auch das erſte Drittel des acht-
zehnten Jahrhunderts durch keine umgeſtaltende Entdeckung auf dem
Gebiete der Anatomie ausgezeichnet, ſo wurden doch durch zahlreiche
Arbeiten vor Allem die Entdeckungen Harvey's immer ſicherer beſtä-
tigt und verwerthet und an der Hand poſitiver Thatſachen ein Vorur-
theil nach dem andern abgeſtreift.
Auch die Anatomie der Thiere, welche hundert und fünfzig Jahre
früher auf Anregung der menſchlichen Anatomie neue Leiſtungen hatte
entſtehen ſehen, blieb nicht bei dem bisher Errungenen ſtehen. Den
Schritten Perrault's folgte Michael Sarraſin, welcher in Nord-
Amerika verſchiedene Säugethiere zergliederte, Biber, Vielfraß, Original
[451]Die Zeit von Ray bis Klein.
u. a. und die Berichte darüber der Pariſer Akademie überſandte. Ed-
ward Tyſon gab (1699) die erſte Anatomie eines menſchenähnlichen
Affen, des Chimpanſe, mit guten Abbildungen für die Londoner Ge-
ſellſchaft der Wiſſenſchaften heraus, ebenſo die Anatomie eines Beutel-
thieres und eines Delphins. James Douglas und der bekannte
Chirurg Garengeot verglichen faſt gleichzeitig die Muskulatur des
Hundes mit der des Menſchen (1707). Patrick Blair ſchilderte das
Knochengerüſt des Elefanten (1710); ſein Landsmann Cheſelden
ſtellte mehrere Säugethierſkelete dar (1733). Auch der ältere Juſ-
ſieu beſchrieb Knochen, ſo z. B. den Hippopotamusſchädel. Schon
vorher hatten unter Einfluß der neuen Richtung Charras die Unter-
ſuchungen über die Viper (1668), Lorenzini die über Torpedo
(1678) veröffentlicht. Oliger Jacobaeus verfolgte die Entwicke-
lung des Froſches aus dem Ei durch den Larvenzuſtand bis zur ent-
wickelten Form und erläuterte den Bau der Salamander und des klei-
nen Draco (1686).Vallisnieri gab eine ausführliche Anatomie
des Chamaeleon (1715) und zahlreiche Beobachtungen über die Ent-
wickelung von Inſecten. Für die Geſchichte der Phyſiologie iſt er (ge-
ſtorben 1730) durch die hauptſächlich durch ihn erfolgte Gründung der
Einſchachtelungstheorie betreffs der Beantwortung der Frage nach dem
Weſen der Zeugung von Bedeutung geworden. Auch hat er zum all-
gemeineren Bekanntwerden mancher merkwürdigen Form, wie z. B.
der Pipa aus Surinam beigetragen27). Einer beſondern Erwähnung
iſt auch die Arbeit Dufay's über die Salamander werth, worin er
deren Verwandlungsgeſchichte darſtellte. Endlich erſchien 1744 das
erſte neuere Handbuch der vergleichenden Anatomie von Alexander
Monro (dem Vater, 1697 bis 1767), welches zwar ſelbſtverſtänd-
lich durchaus nicht vollſtändig iſt, aber doch zeigt, wie das Bedürfniß
nach allgemeinen litterariſchen Hülfsmitteln ſich geltend zu machen be-
gann. Auch iſt noch zu bemerken, daß das Seelenleben der Thiere eine
29*
[452]Periode der Syſtematik.
eingehende, allerdings zunächſt vorwaltend caſuiſtiſche Behandlung er-
fuhr durch H. Rovarius28).
In einer viel nachhaltigeren Weiſe als früher machten jetzt auch
die neuen Formen aus fremden Ländern ihren Einfluß auf die betref-
fenden Claſſen geltend. Wenn ſchon die Arbeiten der Piſo, Markgrav,
Bontius u. A. immer ihre Bedeutung behielten, ſo erfuhren ſie doch
durch neuere Reiſen theils mannichfache Beſtätigungen, vor Allem
aber beträchtliche Erweiterungen. Zudem bildeten ſich in Folge beque-
merer Conſervationsmethoden allmählich größere Sammlungen exoti-
ſcher Naturerzeugniſſe, von denen nur an die berühmten Muſeen von
Rumph und Seba erinnert werden mag, welche durch ihren Reich-
thum vorzüglich an ſüdaſiatiſchen Gegenſtänden geradezu Quellen für
die naturgeſchichtliche Kenntniß Oſtindiens wurden. Bedeutend war
auch die Sammlung des Londoner Droguenhändlers James Peti-
ver, welcher durch die veröffentlichten „Abbildungen von Waſſerthie-
ren von Amboina“ (1713) bekannt worden iſt. Der vorliegenden Zeit
gehört auch Engelbert Kämpfer an, welcher zum erſtenmale die
Naturgeſchichte Japans den Europäern erſchloß, wenn ſchon ſich die
Reſultate ſeiner Reiſe vorzüglich für Botanik werthvoll zeigen. In
dieſe Zeit fällt ferner die Herausgabe der Naturgeſchichte Aegyptens
von Prosper Alpin (1735), deren bereits oben Erwähnung geſchah.
Dieſem ſchließen ſich die Reiſen nach dem Orient und Nordafrika von
Tournefort (1717) und Shaw (1738) und nach dem Vorgebirge
der guten Hoffnung von Kolbe (1719) an. Neue Thierarten aus
Amerika lehrten John Brickel, Pierre Barreère und vorzüglich
Mark Catesby kennen, ebenſo die Reiſen Labat's nach Weſt-Indien und Feuillée's nach Süd-Amerika, beſonders auch Hans
Sloane's Reiſe nach Madeira, Jamaica u. ſ. f. Die Figuren Ca-
tesby's ſind nicht bloß ſorgfältig und durchaus wiedererkennbar, ſon-
dern auch von einem, gegen früher ſehr vortheilhaft ſich auszeichnenden
Colorit. Ein intereſſantes und noch wenig durchforſchtes fauniſtiſches
[453]Die Zeit von Ray bis Klein.
Gebiet machte der Graf Luigi Ferdinando de Marſigli (1658-1730),
welcher von der öſterreichiſchen Regierung mit Befeſtigungsarbeiten in
Ungarn beauftragt war, zum Gegenſtande ſeiner Unterſuchungen,
nämlich die Donau mit ihren Nebenflüſſen bis zur Mündung ins
ſchwarze Meer. Als er nach der Uebergabe der Feſtung Breiſach aus
dem Militärdienſt entlaſſen worden war, gieng er nach Marſeille,
ſammelte von dort aus die Materialien zu ſeinem Werke über die Na-
turgeſchichte des Meeres, reformierte dann, nach Bologna gekommen,
die dortige Akademie (1712) und gieng nun an die Bearbeitung ſeines
Werkes über die Donau. Im vierten und fünften Bande der 1726
erſchienenen Schilderung des Stromes ſind die Fiſche und die Vögel ent-
halten, welche in und an der Donau vorkommen. Das bei Aufzählung
der Vögel befolgte Syſtem iſt völlig das Willughby-Ray'ſche; die
Fiſche theilt er jedoch ſelbſtändig nach dem Vorkommen in Flußfiſche,
in ſolche, welche aus dem Meere in die Flüſſe kommen (hierher nur die
Störarten: Huso mit mehreren Formen, Antaceus, Sturio mit meh-
reren Formen), in Sumpffiſche, in Fiſche, welche ſowohl in Sümpfen
als in Flüſſen leben, und endlich in Felſenfiſche (Saxatiles), welche
ſteinige Gebirgsflüſſe lieben. Innerhalb dieſer Gruppen theilt Mar-
ſigli dann weiter meiſt nach der Beſchaffenheit der Haut, nur bei der
vierten Gruppe, welche die meiſten Karpfenartigen (andere kommen in
der dritten vor) und den Hecht enthält, nach dem Vorhandenſein oder
Fehlen von Stacheln in den Floſſen. Die Störe charakteriſirt er rich-
tig als Knorpelfiſche den andern Gräten- oder Knochenfiſchen gegen-
über. Die in Kupfer geſtochenen Abbildungen ſind ſehr ſchön, die ab-
gebildeten Arten ſofort wieder erkennbar. Marſigli's Schilderungen
ſind mit J. L. Cyſat's Beſchreibungen der ſchweizeriſchen Fiſche (in
ſeiner Beſchreibung des Lucerner Sees, 1661) die wichtigſten Beiträge
zur Kenntniß der mitteleuropäiſchen Fiſchwelt aus jenen Zeiten. Von
wirbelloſen Thieren hat Marſigli nur ein paar Krebſe und einige we-
nige Schalthiere abgebildet.
Ein Ueberblick über die Arbeiten, welche einzelnen Claſſen gewid-
met ſind, ergibt, daß man jetzt nachzuholen begann, was man bisher
zu thun ſich nur in einzelnen Fällen entſchloſſen hatte, ſich mehrſeitig
[454]Periode der Syſtematik.
eingehend mit den wirbelloſen Thieren zu beſchäftigen. Swammerdam
und Malpighi hatten gezeigt, wie viel Arbeit noch der Forſcher war-
tete; ſchon Liſter und Vallisnieri hatten den von jenen angedeuteten
Pfad rühmlichſt betreten. Von Leiſtungen über höhere Thiere kann außer
den eben erwähnten anatomiſchen Arbeiten und den Reiſen nur noch
auf das mehr compilatoriſche, aber doch verdienſtliche ikonographiſche
Werk von Eleazar Albin über die Vögel (1731-38), welches ſich
in Bezug auf Syſtematik ganz an Willughby-Ray anlehnt, aber vor
früheren Werken durch die Colorirung der Abbildungen einen ziem-
lichen Vorzug voraus hat, ſowie auf das gleichfalls durch Abbildungen
erläuterte Werk des Grafen Zinanni über die Eier und Neſter der
Vögel hingewieſen werden, welches eine Eintheilung der Vögel nach den
Eindrücken enthält, die ſie in unſeren Sinnen erregen (Venedig 1737).
In Bezug auf die Fiſche hat der Leipziger Joh. Ernſt Hebenſtreit
in einem beim Antritte der Profeſſur der Phyſiologie geſchriebenen Pro-
gramme (1733) „die äußeren Organe“ geſchildert und darin in einer
recht verſtändigen Weiſe auf die Gruppen aufmerkſam gemacht, welche
ſich bei Berückſichtigung jener als Eintheilungsgründe ergeben. Dage-
gen gehören dem kurzen hier beſprochenen Zeitraume mehrere der wich-
tigſten Werke über einzelne Claſſen wirbelloſer Thiere an. Es muß hier
bemerkt werden, daß hier wie bei den zwei vorausgehenden Perioden
eine ſcharfe Begrenzung derſelben durch eine beſtimmte Jahrzahl nicht
thunlich iſt; 1740 mag als ungefähres Ende angenommen werden.
Eines der intereſſanteſten Werke iſt wegen der allgemeinen Einleitung
ſowie wegen des Beweggrundes zu ſeiner Abfaſſung die „neue und
leichte Methode die Meeresſchalthiere in ihre Claſſen, Genera und
Species zu vertheilen“ von Karl Nik. Lang, einem Arzte und
Rathsherrn von Luzern. Lang hatte ſchon vorher die Geſchichte der
„Figurenſteine“ der Schweiz d. h. der Verſteinerungen geſchrieben,
von welcher bald noch zu ſprechen ſein wird, und arbeitete ſeine Schal-
thiermethode, wie er ſowohl auf dem Titel als in der Einleitung
(S. II) erklärt, beſonders in der Abſicht aus, die Unterſcheidung und
Beſtimmung der verſteinerten Meeresſchalthiere zu erleichtern. Es
wird alſo hier bewußt ausgeſprochen, daß bei der Betrachtung von Ver-
[455]Die Zeit von Ray bis Klein.
ſteinerungen dieſelbe naturgeſchichtliche Methode anzuwenden iſt, wie
bei lebenden Naturgegenſtänden. Die Einleitung ſchildert die all-
gemeine Natur der Schalthiere, ihre Fortpflanzung durch Eier, für
deren Annahme beſonders der Nachweis der Schneckeneier durch den
Abbate Antonio Felice Marſilli (1683) einen neuen feſten Halt
gegeben hatte, und ihr Wachsthum. Bezeichnend iſt es für die Erfaſ-
ſung der Aufgabe in jener Zeit, daß der Verfaſſer die Art der Be-
nutzung ſeiner Methode, d. h. die Kunſt eine noch unbekannte Form
von Schalthieren zu „beſtimmen“, kurz auseinanderſetzt. Es erhält
dieſer Umſtand eine beſondere Bedeutung, wenn man erwägt, daß es
dem Verfaſſer dabei um Anhaltepunkte zur Beſtimmung der foſſilen
Formen zu thun war. Zu dieſem Zwecke definirt er nun, was man
unter Claſſe, Gattung und Species zu verſtehen habe. Bei der Spe-
cies fehlt der von Ray eingeführte Hinweis auf die gleichartige Fort-
pflanzung und wird nur auf die Verſchiedenheit in gewiſſen Accidentien
Werth gelegt, welche als ſolche auch den Species anderer Claſſen eigen
ſein können, welche aber beim Vorhandenſein der charakteriſtiſchen
Gattungsmerkmale die zu einem ſolchen Genus gehörenden Arten aus-
einander halten. Während unter der Gattung eine Anzahl von Arten
verſtanden wird, welche in einem charakteriſtiſchen Merkmal (nota)
übereinſtimmen, nennt Lang eine Anzahl in ähnlicher Weiſe überein-
ſtimmender Gattungen eine Claſſe, vereinigt mehrere Claſſen zu einer
Ordnung oder einem Theile und nennt die geſammten Schalthiere eine
Familie. Man ſieht, die damals freilich noch nicht überall gleich be-
nutzten Ausdrücke Familie, Ordnung, Claſſe werden hier gerade in
umgekehrter Reihenfolge verwandt. Obgleich Lang bei der Aufzählung
der Arten ausdrücklich von den Farbenunterſchieden abſehen zu müſſen
erklärt, weil dadurch die Zahl der Arten zu groß und der Umfang der
Arbeit zu bedeutend anwachſen würde, ſo gibt er doch ein alphabe-
tiſches Verzeichniß der Farben, damit dem Bedürfniß nach einer über-
einſtimmenden wiſſenſchaftlichen Terminologie Ausdruck gebend, aber
ohne Definition der Namen, welche Charleton hinzugefügt hatte. Sein
Syſtem iſt faſt daſſelbe wie das Liſter's; doch nimmt er mit Major
eingehender auf die Windungsart Rückſicht. Dabei legt er indeſſen auf
[456]Periode der Syſtematik.
das Erheben der Windungsſpirale zu viel Gewicht und ſtellt z. B. die
Porzellanſchnecke mit der Napfſchnecke in dieſelbe Gruppe, während er
Stromben, Murex u. a. zur zweiten Gruppe rechnet. Das Liſter'ſche
Syſtem wurde auch häufig bei Ordnung größerer Molluskenſammlungen
zu Grunde gelegt, ſo z. B. von dem Breslauer Arzt J. Ch. Kund-
mann. Ziemlich ſelbſtändig verſuchte der vorhin erwähnte Joh.
Ernſt Hebenſtreit die Schalthiere methodiſch zu ordnen. Zunächſt
theilte er dieſelben in einſchalige und in zweiſchalige, bei letzteren dann
die Verbindungsweiſe der beiden Muſchelhälften als weiteren Einthei-
lungsgrund benutzend. Von den einſchaligen Gehäuſen ſcheidet er zu-
nächſt die mit unregelmäßiger Schalenbildung aus, wie die Lepaden,
Balanen und Wurmröhren. Die regelmäßigen theilt er dann ein in
ſolche mit Spiralwindung und in ſolche ohne Windung; dabei bleibt er
aber nicht conſequent oder unterſucht vielmehr nicht genau genug; denn
zu den windungsloſen rechnet er neben Dentalium und den Napf-
ſchnecken auch die Porzellanſchnecken und Bulla. Immerhin iſt aber bei
einem nur auf die Schalen gegründeten Syſtem Manches von Heben-
ſtreit hervorgehoben worden, was ſpäter wieder einzeln benutzt wurde.
Einen weitern Fortſchritt bezeichnet die Anordnung, welche der Danziger
Arzt, Joh. Phil. Breyn den Schalthieren gab. Es war dieſer
Mann der jüngſte Sohn des als Botaniker bekannten Jakob Breyn
(1637-1685), welcher zwar urſprünglich nicht dem Gelehrtenſtande
angehörig doch einen ſolchen Ruf erlangte, daß ihm die botaniſche Pro-
feſſur in Leyden angetragen wurde. Der vorzüglich als Zoolog und
Paläontolog bekannte jüngere Breyn wurde 1680 in Danzig geboren,
war mit Klein einer der Stifter der dortigen naturforſchenden Geſell-
ſchaft, im Uebrigen als Arzt in ſeiner Vaterſtadt thätig und ſtarb
1764, auch von auswärts ſehr anerkannt (er war z. B. Mitglied der
Royal Society). Das von ihm entworfene Schalthierſyſtem hat er
ſeiner Abhandlung über die von ihm neu aufgeſtellte Claſſe der Poly-
thalamien vorausgeſchickt (1732), mit richtiger Erkenntniß darauf hin-
weiſend, daß jene foſſilen Schalthiere (Ammoniten, Lituiten, Orthocera-
titen) nur in ſyſtematiſcher Verbindung mit lebenden Formen richtig
beurtheilt werden können. Es iſt dies der erſte Verſuch, foſſile For-
[457]Die Zeit von Ray bis Klein.
men geradezu in das zoologiſche Syſtem mit einzureihen. Einen Fehler
hat indeſſen Breyn mit allen ſeinen Vorgängern und ſelbſt mit einem
großen Theile ſeiner Nachfolger gemein, daß er nämlich nur die Scha-
len berückſichtigt, daher auch Meereicheln, Entenmuſcheln und Seeigel
mit aufzählt. Auch Breyn ſchickt einige terminologiſche Bemerkungen
voraus: unter röhriger Schale verſteht er eine ſolche, welche mehr oder
weniger röhrenförmig ausgezogen iſt, unter gefäß- oder becherförmiger
(testa vasculosa) eine Schale, welche nur eine einfache, verſchieden
tiefe Aushöhlung darbietet (wie die Napfſchnecken). Einkammerig ſind
nach ihm die Schalen, deren Hohlraum ganz und ungetheilt, daher
auch vollſtändig vom Thiere ausgefüllt iſt, mehrkammerig (polythalam)
diejenigen, welche durch Querſcheidewände in mehrere hintereinander-
liegende und durch eine Röhre mit einander in Verbindung ſtehende
Abtheilungen getrennt ſind, von denen das Thier nur die vorderſte be-
wohnt. Im Gegenſatz zu dieſem Unterſchiede trennt er noch einfache
von zuſammengeſetzten Schalen, je nachdem ſie aus einem oder mehre-
ren Stücken beſtehen (Balanen, Entenmuſcheln). Nach dieſen Vor-
bemerkungen, welche nicht in dieſer Ausführlichkeit mitgetheilt worden
wären, wenn ſich nicht durch die Präciſion in der Definition der in
dem Syſteme verwendeten Ausdrücke eine große Sicherheit in der Be-
urtheilung der Formen ausſpräche, welche bisher nur ſelten vorkam,
daher beſonders anerkennend hervorgehoben werden mußte, zerfallen nun
bei Breyn die Schalthiere in acht „Claſſen“: Röhren (Dentalium,
Belemniten); Cochlidien, d.h. röhrige einkammerige, coniſche, ſpiral-
gewundene Schalen (Argonauta und ſämmtliche Schneckenſchalen mit
Haiiotis, Buccinum und den Porcellanſchnecken); Polythalamien, d.h.
röhrige, vielkammerige, coniſche, gerade oder ſpiralgewundene mit einem
die Kammern verbindenden Sipho verſehene Schalen (die oben er-
wähnten drei foſſilen Formen); Napfſchnecken nach obiger Beſtimmung
(leider benutzt hier Breyn den Ausdruck Lepas für Patella); Conchen,
die zweiſchaligen Muſcheln, deren jede einzelne napf- oder becherförmig
und einfach iſt; Conchoiden, d. h. zweiſchalige aber mit noch mehr klei-
nen Schalenſtückchen verſehene Muſcheln (Pholaden und Entenmu-
ſcheln); Balanen (Meereicheln), d. h. zuſammengeſetzte, mehrtheilige
[458]Periode der Syſtematik.
Schalen; und endlich die Seeigel, Echinen, zuſammengeſetzte bis auf
zwei größere Oeffnungen ringsum geſchloſſene, mit beweglichen Sta-
cheln verſehene Schalen. Es iſt jedenfalls dies Syſtem ein ſolches,
wie es ohne Kenntniß und Berückſichtigung des Thieres und ſeines
Baues, ſowie nur mit künſtlicher Benutzung der Schalen kaum voll-
ſtändiger und abgerundeter aufgeſtellt werden konnte. Es mag hier
noch angeführt werden, daß Giovanni Bianchi (Janus Plancus)
verſuchte, Schalen lebender Thiere zu finden, welche den Ammonshör-
nern in ihrer Bildung entſprächen. Er ſchilderte einige analoge, aber
mikroſkopiſche Schalen in ſeiner 1739 erſchienenen Schrift „über weniger
bekannte Muſcheln“. Hiermit wurden die Rhizopodenformen entdeckt,
welche man, ſeitdem Soldani ohne das Thier zu kennen den Breyn-
ſchen Namen auf ſie übertragen hat, bis heute Polythalamien nennt.
Auch für die Geſchichte der Inſecten war das erſte Drittel des
achtzehnten Jahrhunderts reich an bedeutenden Leiſtungen. Zunächſt
muß hier das beſonders als ikonographiſche Darſtellung zu rühmende
Werk der bereits genannten Marie Sibylle Merian erwähnt
werden. Tochter eines tüchtigen Zeichners und Kupferſtechers wurde
auch ſie Künſtlerin. Sie war 1647 in Baſel geboren, heirathete 1665
den Maler J. Andr. Graff in Nürnberg, trennte ſich aber nach zwan-
zigjähriger Ehe von ihm (ihr erſtes Werk erſchien noch unter dem Na-
men M. S. Gräffin), gieng dann, von dem Anblick der Sammlung
des Bürgermeiſters Witſen in Amſterdam29) begeiſtert auf fünf Jahre
1696-1701 nach Surinam, um dort die Inſectenwelt zu ſtudiren
und ſtarb 1717. Die Unterſuchungen der Merian (welchen Namen ſie
nach ihrer Scheidung wieder führte) über die einheimiſchen Inſecten,
beſonders Schmetterlinge und Fliegen (Der Raupen wunderbare Ver-
wandlung und ſonderbare Blumennahrung, 1679 und 80) zeichnen
ſich durch ungemeine Sauberkeit und Feinheit der Zeichnung aus. Als
Reſultat ihres ſüdamerikaniſchen Aufenthaltes erſchien das Prachtwerk
[459]Die Zeit von Ray bis Klein.
über die dortigen Schmetterlinge, in welchem indeſſen auch andere In-
ſecten (z. B. der Laternenträger) ebenſo wie Thiere aus andern Claſ-
ſen, Kröten, Eidechſen, Schlangen u. ſ. f. beſchrieben und abgebildet
wurden. Als Sammlungen von Darſtellungen aus der Lebensgeſchichte
der Inſecten ſind ferner hervorzuheben die Abbildungen des bereits er-
wähnten Eleazar Albin über engliſche Inſecten, das kleinere Werk
des Holländers Stephan Blankaart über die Verwandlungen
einer Anzahl von Inſecten aus verſchiedenen Ordnungen und beſonders
die „Beſchreibung von allerley Inſecten in Teutſchland“ von dem
Rector des Gymnaſiums zum grauen Kloſter in Berlin, Joh. Leon-hard Friſch (1666-1743). Der in weiteren Kreiſen beſonders als
deutſcher und franzöſiſcher Lexikograph bekannte Mann war in Sulz-
bach geboren, war eine Zeit lang in Neuſohl in Ungarn Lehrer, machte
dann mehrere Jahre hindurch Reiſen durch die Schweiz, Italien,
Frankreich und Holland, und wurde am genannten Gymnaſium Leh-
rer, endlich deſſen Rector, wie er auch Mitglied und zuletzt Director
der hiſtoriſchen Abtheilung der Berliner Akademie wurde. Wie er mehr
als Dilettant ſeinem Gegenſtande gegenübertrat, ſo kam es ihm we-
niger auf ſyſtematiſche Folgerichtigkeit als auf zuverläſſige Beobach-
tungen an; wo er ſich geirrt hatte, wie ihm dies Breyn in Bezug auf
die Schildlaus vorwirft, da erkennt er es unumwunden im Intereſſe
der Wahrheit an; er hat durch eine große Zahl eingehender
Schilderungen nicht wenig zur Kenntniß der Lebens- und Verwand-
lungsgeſchichte der Inſecten beigetragen. Sein genanntes Werk, wel-
ches in dreizehn Theilen von 1720-1738 in Berlin erſchien, hat ſogar
zum Theil eine zweite Auflage erfahren, was entſchieden für die Ver-
breitung des Intereſſes an derartigen Arbeiten ſpricht. Weitaus der
bedeutendſte unter den Entomologen jener Zeit war aber Reaumur.
Réné Ant. Ferchauld, Seigneur de Reaumur, des Alpes et de la Ber-
mondière, war 1683 in La Rochelle geboren, kam 1703 nach Paris,
wo er ſchon mit fünfundzwanzig Jahren in die Akademie der Wiſſen-
ſchaften aufgenommen wurde, und ſtarb 1757. Er gründete ein na-
turgeſchichtliches Muſeum, was inſofern von Bedeutung wurde, als
der Pflanzengarten damals kaum mehr als die Anfänge einer zoolo-
[460]Periode der Syſtematik.
giſchen Sammlung hatte und die ſeinige nach ſeinem Tode an dies In-
ſtitut kam. Obſchon er eigentlich Mathematiker und Phyſiker war, be-
ſchäftigte er ſich doch faſt mit allen Zweigen der Naturwiſſenſchaften,
beſonders mit zoologiſchen Unterſuchungen. Sind auch einzelne Arbei-
ten von ihm über Brütverſuche mit Vogeleiern, über den Zitterrochen
u. a. vorhanden, ſo iſt doch das bedeutendſte, was er in dieſer Wiſſen-
ſchaft geleiſtet hat, die große Reihe von Beobachtungen über die Le-
bensgeſchichte der Inſecten. Sie erſchienen als „Abhandlungen zur
Naturgeſchichte der Inſecten“ in ſechs Bänden von 1734-1742.
Seine Arbeiten, welche nicht ſtreng nach einer ſyſtematiſchen Ordnung,
im Allgemeinen aber wohl nach gewiſſen natürlichen Gruppen zuſam-
mengeſtellt ſind, zeichnen ſich durch eine ſo geduldige Ausdauer und
ſcharfſinnige Beobachtung aus, daß ſie geradezu als Muſter für ähn-
liche Unterſuchungen anzuſehen ſind. Aus dem umfangreichen Werke
einen Auszug zu geben, wäre nur in einer ganz ſpeciellen Darſtellung
der Geſchichte der Entomologie möglich. Seine Unterſuchungen be-
ziehen ſich nicht bloß auf die eigentliche Verwandlungsgeſchichte und die
Lebensart der einzelnen Stände, ſondern auf die ganze Lebensweiſe.
Es finden ſich daher überall werthvolle Mittheilungen z. B. über das
geſellige Leben der ſocialen Arten, über die Pflanzen auf denen die In-
ſecten leben, über ihre Feinde u. dergl. mehr. Ein einziges Beiſpiel
wird genügen, um den außerordentlichen Fortſchritt erkennen zu laſſen,
welcher ſeit dem letzten Viertel des ſiebzehnten Jahrhunderts eingetre-
ten war. Zu jener Zeit hatte Andreas Picus, Pfarrer zu Byhol-
ſtein in Württemberg „Ein Büchlein oder Tractätlein Von den Bienen“
herausgegeben (Erfurt 1677), worin er unter Andern ſagt, daß es
Männlein und Weiblein unter den Bienen nicht gebe; doch werden ſie
in drei Haufen getheilt: Könige, welche in den großen Löchlein geboren
werden, Immen, welche Wachs eintragen, woraus ſie Wefel und Ho-
nig machen, und Thränen (fuci), welche „von ihnen ſelbſt“ und nicht,
wie etliche meinen, von den Immen erzeugt werden und ihre fremde
Brut in die Löchlein legen. Reaumur bediente ſich zur Beobachtung
zuerſt gläſerner Wände bei ſeinen Stöcken, durch welche er die Bienen
arbeiten ſah. Er conſtatirte dabei, daß die früher meiſt König genannte
[461]Die Zeit von Ray bis Klein.
Biene das einzige Weibchen im Stocke ſei, wobei die Arbeiterbienen
nur unfruchtbar bleibende Weibchen, die ſogenannten Fuci die Männ-
chen ſeien. Um eine Arbeiterbiene zur Königin zu erziehen bedarf ſie
während ihres Larvenlebens, welches ſie in einer größeren Zelle durch-
läuft, einer reichlicheren und ganz beſonders vorbereiteten Nahrung.
Es hatte freilich ſchon Swammerdam die wahre Natur der drei Bie-
nenformen durch die Zergliederung nachgewieſen; ſeine Beobachtungen
über den Haushalt der Bienen wurden aber durch Reaumur bedeutend
erweitert.
Von den Würmern wurden einzelne Formen, wie aus dem Mit-
getheilten hervorgeht, zu den Schalthieren gerechnet; die in Röhren
eingeſchloſſen lebenden Serpulen wurden als Pinſelchen beſchrieben
und abgebildet. Andere Meerwürmer finden ſich wenigſtens bei den
Verſuchen, die Thiere nach ihrer Aehnlichkeit und Verwandtſchaft zu
ordnen, nicht erwähnt; und eine Vergleichung der Egelwürmer mit
den Blutegeln, wie ſie Ray eingeführt hatte, blieb völlig vereinzelt.
Was dagegen die Eingeweidewürmer betrifft, ſo wurde das Intereſſe
an ihnen ſchon durch die praktiſch mediciniſche Bedeutung ihrer Wir-
kungen auf den menſchlichen Körper beſtändig rege gehalten. Außer-
dem boten ſie ein Feld dar, auf welchem man hoffen konnte, den Kampf
für und wider die Urzeugung endlich zur Entſcheidung gebracht zu ſehen.
Die allgemeine, beſonders unter den Aerzten verbreitete Annahme in
der zweiten Hälfte des ſiebzehnten Jahrhunderts gieng dahin, daß die
Eingeweidewürmer aus dem Schleim in den erſten Wegen ihren Ur-
ſprung nehmen. Aus der großen Zahl der über dieſe Thiere erſchiene-
nen Diſſertationen, über welche natürlich auch die bedeutenderen Leh-
rer, wie Fr. Hoffmann, Michael Alberti u. A. ihre Anſicht äußern
mußten, braucht beiſpielsweiſe nur auf eine hingewieſen zu werden.
Es ſetzt der Profeſſor in Jena, Joh. Theod. Schenk auseinander,
wie die causa efficiens der Würmer nicht bloß die äußere Wärme ſein
könne; es ſei dazu noch eine der Entwickelung und der Befruchtung
durch eine dem Samen wenigſtens analoge Subſtanz fähige Materie
nöthig; die materielle Urſache (man ſieht, es ſpielen noch immer die
ſcholaſtiſchen Diſtinctionen fort) ſei der Schleim, welchen die Milch-
[462]Periode der Syſtematik.
gefäße nicht gehörig aufſaugen könnten, worauf ſich dann ſeine plaſtiſche
Kraft regt (Diſſ. über die Würmer der Eingeweide, Jena, 1670).
Und ſelbſt Redi, welcher doch im Uebrigen die Annahme einer Urzeu-
gung bekämpfte, kam in Bezug auf die Eingeweidewürmer zu der, frei-
lich ſpäter wieder von ihm ſelbſt aufgegebenen Annahme, daß die Wür-
mer in den Därmen ſich von der ſenſitiven Seele ihres Wirthes ihr
Leben liehen. Man fand ſich offenbar in einer nicht geringen Verlegen-
heit. Der Bibel gemäß fand ja nach dem Sechstagewerk keine neue
Erſchaffung ſtatt; folglich mußte Adam ſchon ſeine Würmer haben.
Vor dem Sündenfalle iſt aber eine ſolche Plage undenkbar; man nahm
alſo an, die Würmer benahmen ſich damals wegen der leichteren und
nicht beſchwerenden Nahrung ruhig und verurſachten keine krankhaften
Erſcheinungen. Auf die Frau können die Würmer durch die Rippe,
aus welcher ſie erſchaffen wurde und in deren Nähe ja der Bruſt-
lymphgang ſich findet, leicht vom Manne aus übertragen worden ſein.
Es waren alſo die Würmer wie alle übrigen Thierarten von Anfang
vorhanden; ihre Keime wurden dann auf räthſelhafte, wenigſtens
kaum direct nachweisbare Weiſe übertragen. So ſetzt Vallisnieri
die Sache auseinander. Nicolas Andry läßt die Keime überall, in
der Luft und dem Waſſer, zerſtreut ſein (1700). Daniel Clericus,
der Anſicht Vallisnieri's nicht ganz abgeneigt, iſt vorſichtig und erklärt,
nicht von dem Geſtändniß bedrückt zu werden, daß man hier eigentlich
noch nichts wiſſe. In Bezug auf die Kenntniß der einzelnen Formen
war man auch nur langſam vorgeſchritten. Edward Tyſon, wel-
cher den Bandwurmkopf mit dem Hakenkranz ſchildert und abbildet,
äußert bereits die Vermuthung, daß die Hydatiden eine Species von
Würmern oder unvollkommenen Thieren ſeien und bildet eine aus-
geſtülpte Cyſte mit dem Thiere ab. Die gegenſeitigen Beziehungen der
einzelnen Formen waren aber, trotzdem daß Vallisnieri die Genera-
tionsorgane der größeren Rundwürmer beſchrieben hatte, nicht klar
geworden. Bei Clericus30) werden unterſchieden Taenia und Bo-
[463]Die Zeit von Ray bis Klein.
thriocephalus, der Spulwurm, die Ascariden, der Guineawurm; die-
ſem iſt die Chica, der Pulex penetrans, als ähnliche Symptome her-
vorrufend, aber ohne nähere Schilderung des Thieres angehängt.
Außerdem kamen noch Syronen, Zahnwürmer u. a., ausdrücklich als
fabelhaft bezeichnete Formen zur Beſprechung.
Wie bei den Mollusken der Wunſch, die foſſilen Formen ſicherer
beſtimmen zu können, zu einer Umgeſtaltung der bisherigen Anordnung
führte, ſo war das Bekanntwerden einer größeren Zahl foſſiler See-
igel auch die nächſte Veranlaſſung, daß die lebenden Formen dieſer
Gruppe gleichfalls einer beſtimmten Claſſification unterworfen wurden,
und zwar, wie hier wiederum hervorzuheben iſt, in Bereinigung mit
den foſſilen. Für die letzteren Arten hatten ſowohl Morton in ſei-
ner Naturgeſchichte von Northamptonſhire als Woodward in ſei-
nem Cataloge engliſcher Foſſilen einen Vertheilungsplan angegeben.
Lebende und foſſile berückſichtigte dann der oben genannte Breyn,
welcher bei der ihm übertragenen Ordnung der Echinen des Klein'ſchen
Muſeums Formen beiderlei Art vor ſich hatte. Von einer Auffaſſung
dieſer Thiere als ſtrahlig gebauter war noch nicht die Rede; daß der
ganze Körper einen weſentlich verſchiedenen Habitus von allen übrigen
Schalthieren darbot, fiel nicht auf. Doch hatte Reaumur die zwiſchen
den Stacheln vorhandenen Füßchen, welche er ſehr treffend mit den
rückziehbaren Fühlhörnern der Schnecken vergleicht, beſchrieben und ſie
als Bewegungs- oder vielmehr Haftorgane erkannt. Dadurch war die
Anſicht Gandolphe's, daß die Seeigel ſich ihrer Stacheln als Bewe-
gungswerkzeuge bedienen, widerlegt. Wie die beiden genannten Eng-
länder charakteriſirt auch Breyn (1732) die Gattungen der Seeigel
hauptſächlich nach der Lage der beiden den Mund und After darſtellen-
den Oeffnungen (Weichtheile werden nicht beſchrieben), in zweiter
Linie nach der Form, dem Gewölbtſein oder der Plattheit der Schale,
der Beſchaffenheit ihres Randes u. ſ. f. — Wie die Seeigel ſo wer-
den jetzt auch die Seeſterne zum erſtenmal aufmerkſamer beobachtet und
als ſelbſtändige Gruppe monographiſch bearbeitet. Nach den früheren,
bei mehreren der Encyklopädiker einzeln vorkommenden Schilderungen
hatte zuerſt Edward Lhwyd (Luidius, welchem zu Ehren noch heut-
[464]Periode der Syſtematik.
zutage eine Seeſterngattung Luidia heißt) in ſeinem Lithophylacium
(1699) die Aufmerkſamkeit wieder auf die Seeſterne gelenkt, auch einen
1703 in Oxford gehaltenen Vortrag an Breyn geſchickt. Ebenſo
hatte Barrelier bei der Schilderung der ſüdweſteuropäiſchen Pflanzen
unter Anderem auch Seeſterne beſchrieben. Reaumur war durch Be-
obachtung der Ortsbewegung bei den Seeſternen gleichfalls auf den
Nachweis der Füßchen gekommen, welches ſowohl Lhwyd als Kade
beſtätigten, letzterer unter Hinweis auf den Zuſammenhang der Bläs-
chen (Ampullen) mit den Füßchen. Kade überließ dem Leipziger Apo-
theker Linck eine anatomiſche Beſchreibung eines Holſteiniſchen See-
ſterns (wahrſcheinlich Asteracanthion rubens, doch hat er die After-
öffnung überſehen). Joh. Heinrich Linck (1674-1734) gab nun
nach Unterſuchungen ſeiner eigenen wie mehrerer fremder Sammlun-
gen ein durch vorzügliche Abbildungen illuſtrirtes Werk heraus (1733),
von welchem an die moderne Kenntniß der Claſſe datirt. Als Anhang
druckte er ſowohl den eben erwähnten Vortrag Lhwyd's, welchen ihm
Breyn zu dieſem Zwecke überlaſſen hatte, als auch Ueberſetzungen
zweier Reaumur'ſcher Abhandlungen aus den Memoiren der Pariſer
Akademie (1710 und 1712), als endlich die Anatomie des Seeſterns
von Kade ab. Schon Linck theilte die Seeſterne in zwei den heutigen
Aſterien und Ophiuren entſprechende Gruppen. Erſtere nennt er „auf-
geritzte Meerſterne“ wegen der Ambulacralfurche an der unteren
Fläche der Strahlen, letztere „rundſtrahlige“, d. h. der Bauchfurche
entbehrende; der Ausdruck Ophiurus für die letzteren rührt von Bar-
relier her. Die weitere Eintheilung Linck's iſt nicht glücklich, da er bei
den Afterien die Zahl der Strahlen zu Grunde legt und zwar eine
Claſſe annimmt für Seeſterne mit weniger als fünf Strahlen, eine für
die fünfſtrahligen und eine für Afterien mit mehr als fünf Strahlen.
Die Ophiuren zerfallen in wurmförmige (mit runden ungetheilten Ar-
men, Ophiuren), in haarförmige (von deren Strahlen ſeitliche kurze
Haaranhänge abgehen, Comatula und Pentacrinus, nur die beiden
lebenden Crinoiden) und „Sterngewächſe“ mit verzweigten Armen
(Euryalen).
»Sic et corallium, quo primum contigit auras Tempore
[465]Die Zeit von Ray bis Klein.
durescit, mollis fuit herba sub undis« hatte Ovid von den Korallen-
ſtöcken geſagt31). Dieſe Anſicht, daß die Korallen im Waſſer weich
ſeien und nur an der Luft erhärten, wurde erſt gegen Ende des ſieb-
zehnten Jahrhunderts allmählich beſeitigt. Da indeß dieſe Gebilde
meiſt nur in trockenem Zuſtande in Sammlungen betrachtet wurden,
hatte ſich bei einigen Naturforſchern, wie Boccone, die Anſicht heraus-
gebildet, es ſeien die Korallenſtöcke Concretionen anorganiſcher Be-
ſchaffenheit. Aber auch für die Erkenntniß dieſer niedern, einen ſelbſtän-
digen Formenkreis darſtellenden Thiere brach mit dem Erwachen neuer
Beobachtungsluſt eine neue Zeit an. Der oben genannte Graf Mar-
ſigli hatte bei den Unterſuchungen zu ſeiner phyſikaliſchen Geſchichte des
Meeres auch den Korallen eingehende Aufmerkſamkeit gewidmet. In
dieſem Werke beſchreibt er die Edelkoralle und bildet dieſelbe ganz leid-
lich ab und zwar nicht bloß den kalkigen Stock, ſondern auch den orga-
niſchen Ueberzug und ſogar die in voller Ausdehnung der Tentakeln
entwickelten Polypen. Aber als wäre für die Einbildung der Menſchen
der Schritt vom völlig Unbelebten zum Thiere auf einmal zu groß, ent-
ſchied er ſich, trotz der chemiſchen Unterſuchung und den Fäulnißerſchei-
nungen mit ihrem an faulende Fiſche erinnernden Geruche, für die
pflanzliche Natur der Korallen, erklärte die Einzelthiere für Blüthen,
den Nahrungsſaft, welchen er verſchieben und auspreſſen konnte, für
Milchſaft und weiſt auf die gleiche Natur einer Anzahl verwandter
Formen hin. Sein Werk erſchien italieniſch 1711, franzöſiſch 1725;
doch hatte er ſchon vorher ſeine Entdeckung der Pariſer Akademie mit-
getheilt (veröffentlicht im Journal des Savans, 1707). Durch Mar-
ſigli's Arbeit war denn ein wichtiges Moment für die Weiterentwicke-
lung der Anſichten über dieſe Thiere gegeben. Die Geſchichte dieſer
Entwickelung ſelbſt iſt indeſſen ein ſprechender Beweis für das zähe
Feſthalten, auch bei ſonſt tüchtigen Beobachtern, an überlieferten und
durch etwelche Autoritäten unterſtützten Meinungen. Kurz vor Marſigli
hatte Georg Everh. Rumph in ſeiner Amboinſchen Raritätenkam-
mer von den Polypen als „Thieren, welche Pflanzen nachbilden“, aber
V. Carus, Geſch. d. Zool. 30
[466]Periode der Syſtematik.
nur in beiläufiger Art geſprochen, ohne jedoch damit irgend eine über-
zeugende Wirkung auf ſeine Zeitgenoſſen zu äußern. Shaw hatte
gleichfalls Polypen beobachtet und ſich bei Schilderung derſelben in
ſeiner Reiſe (1738) im Allgemeinen der Anſicht Marſigli's angeſchloſ-
ſen. Daſſelbe that auch Reaumur, welcher bei der Beſchreibung
der Korallen als „ſteinerner Pflanzen“ die Anſicht Marſigli's zu ſtützen
und eine neue ihm mitgetheilte Erklärung der Natur dieſer Weſen zu
widerlegen ſuchte. Jean Antoine Peyſonnel hatte nämlich,
zuerſt 1723 an der Küſte der Provence, dann in den folgenden Jah-
ren an der Nordküſte von Afrika, Polypenſtöcke lebend unterſucht und,
zwar anfangs Marſigli's Deutung folgend, doch bald die Ueberzeugung
gewonnen, daß die Lebenserſcheinungen der vermeintlichen Blüthen
ganz andere ſeien, als ſonſt bei Pflanzen vorkommen. Er erklärte
ſich daher für die thieriſche Natur derſelben, fand aber bei Reaumur,
welchem er ſeine betreffende Abhandlung überſandte, ſo wenig Gefallen
an dieſer Neuerung, daß dieſer zwar der Akademie (in dem erwähnten
Aufſatz) die neue Anſicht vortrug, aber ohne den Urheber derſelben mit
Namen zu nennen. Eine merkwürdige Erweiterung der Kenntniß
dieſer Thiere brachten die Beobachtungen und Verſuche Trembley's,
welche ſpäter zu erwähnen ſein werden.
Das halbe Jahrhundert, welches hier beſprochen wird, hat aber
auch noch auf einem andern Gebiete umgeſtaltend auf die Anſchauungen
gewirkt. Wenn ſchon in früheren Zeiten einzelne Stimmen ſich erho-
ben hatten, daß die auf Bergen vorkommenden, in Steinen eingeſchloſ-
ſenen Muſcheln, Knochen u. ſ. w. auf thieriſchen Urſprung hinwieſen,
dieſe Körper daher wirkliche Reſte von Thieren wären, ſo war doch
dieſe Erklärung nicht bloß bei Zoologen auf unfruchtbaren Boden ge-
fallen, ſondern konnte überhaupt keiner allgemeinen Annahme entgegen-
ſehen, ſo lange über die Geſchichte der Veränderungen, welche mit der
Erdrinde vorgegangen waren, keine nur einigermaßen abgerundete
Theorie aufgeſtellt war. So lange nämlich das Vorkommen von Waſ-
ſerthieren hoch über dem Spiegel der nächſten größeren Gewäſſer nicht
den Zoologen in irgend einer Form annehmbar vorgeſtellt war, konnte
man bei dem Mangel allgemeiner morphologiſcher Anſchauungen und
[467]Die Zeit von Ray bis Klein.
ſpecieller anatomiſcher Kenntniſſe nicht auf eine ſofortige Zuſtimmung
zu der Anſicht derer rechnen, welche in jenen „Figurenſteinen“ etwas
Anderes als bloße Naturſpiele oder beſondere Wachsthumserſcheinun-
gen der Mineralien erblickten. Nun ſoll nicht geſagt werden, daß man
durch Descartes' Theorie oder durch Leibnitz's Protogaea ſofort einem
beſtimmten geologiſchen Syſteme zu folgen veranlaßt worden wäre.
Man war aber durch dieſe Ideen dazu angeregt worden, ſich die Mög-
lichkeit des Vorkommens von Waſſerthieren (denn dieſe boten ſcheinbar
der Erklärung die größte Schwierigkeit) auf Bergen in Folge irgend
welcher die Erdoberfläche umändernder Ereigniſſe eingehender vorzu-
ſtellen. Als ein ſolches Ereigniß bot ſich von ſelbſt die Sindfluth dar.
Schon früher war dieſelbe beiläufig in gleicher Abſicht herangezogen wor-
den; die Beziehung der Verſteinerungen auf Reſte von Thieren, welche
aus einer großen Fluth zurückgeblieben ſeien, erhielt aber nur dann
die Bedeutung einer wiſſenſchaftlichen Erklärung, wenn man über die
Natur der foſſilen Formen ſelbſt klar war. Es handelt ſich alſo zunächſt
um das Auftreten der Ueberzeugung, daß die Verſteinerungen wirklich
das ſind, was ihr Name ausdrückt, und nicht bloße Naturſpiele32).
In Bezug hierauf machten ſich anfangs zwei verſchiedene Anſichten
geltend. Daß unter anderem Aehnlichen z. B. die foſſilen Fiſchzähne
wirkliche, von Fiſchen herrührende Zähne ſeien, hat wohl mit Entſchie-
denheit zuerſt Agoſtino Scilla (1670) nachzuweiſen verſucht33).
Er läßt es aber unausgeſprochen, wie er ſich die Entſtehung der Trä-
ger dieſer Zähne (um bei dem gewählten Fall zu bleiben) in den Ge-
30*
[468]Periode der Syſtematik.
ſteinen, einem für Fiſche ſo wunderbar abnormen Orte, denkt. Lifter
hatte noch die foſſilen Muſcheln für Mineralien gehalten. Der oben
genannte Edward Lhwyd ſtellte dagegen in dem erwähnten Werke
(1699) eine Theorie auf, welche an die unerſchöpfliche Zeugungskraft
der Erde appellirend, gewiſſermaßen beiden Seiten gerecht zu werden
ſuchte. Er meinte, daß von den lebenden Weſen oder ihren ſelbſt ſchon
faulenden Reſten kleine Samentheilchen mit den aufſteigenden Waſſer-
dämpfen in die Luft geführt würden und dann in die Poren der Felſen
und Berge eindrängen; im Innern derſelben würden ſie dann unter
Benutzung der dort vorhandenen Subſtanz ausgebrütet. Es ſtellten
daher die Verſteinerungen keine eigentlichen Thiere, aber doch auch
keine bloßen Naturſpiele dar, ſondern gewiſſermaßen Zeugungsproducte
der Erde ſelbſt in Folge der Anregung thieriſchen Samens. So merk-
würdig geſucht und gegen jede geſunde Anſicht vom Weſen des orga-
niſchen Zeugungsprozeſſes ankämpfend dieſe Theorie auch erſcheinen
mag, ſo fand ſie doch Anhänger. Wunderbar genug war es derſelbe
Karl Nikolas Lang, welcher als ihr Vertheidiger auftrat, von
dem oben zu rühmen war, daß er bei ſeinem Molluskenſyſtem in be-
wußter Weiſe die foſſilen Formen berückſichtigt habe. In ſeiner, 1709
in Luzern erſchienenen Schrift „über den Urſprung der Figurenſteine“
erörtert er ſowohl die Anſicht der „Diluvianer“ als auch die erwähnte
Lhwyd'ſche, ohne deſſen Namen anzuführen. Schon in der Vorrede
ſpricht er aus, mehr die letzte empfehlen zu können; und nachdem er
dann alle möglichen Einwände zurückgewieſen zu haben glaubt, —
unter Andern auch den von Woodward34) hervorgehobenen Um-
ſtand, daß man an den foſſilen Muſcheln noch die Structur der Schale
mit dem Mikroſkope unterſcheiden könne, — ſchließt er mit den Wor-
ten: „es iſt alſo offenbar, daß die Erzeugung der Figurenſteine in der
[469]Die Zeit von Ray bis Klein.
Erde nicht nur nicht unmöglich, ſondern ſehr wahrſcheinlich iſt; denn
durch dieſe Hypotheſe laſſen ſich nicht bloß alle Erſcheinungen der Fi-
gurenſteine leicht und deutlich erklären, ſondern auch alle Einwendun-
gen der Diluvianer leicht widerlegen“. Unter dieſen Diluvianern regte
es ſich aber, und beſonders waren es zwei Männer, welche ſich ziem-
lich ſtark gegen die Keimchentheorie ausſprachen. Der eine derſelben
war Dr.Johann Jacob Scheuchzer, Archiater und Chorherr in
Zürich (1672-1733). In ſeinen „Klagen und Rechtfertigungen der
Fiſche“ beklagt er ſich im Namen der Fiſche darüber, daß man ſie „vor
mineraliſche Stein- und Mergel- Geburth anſehn wollte“, und ſpricht
ihnen ihr Recht zu, für die Urerzeuger der jetzt lebenden Fiſche gehal-
ten zu werden. In der kurzen Vorrede zu den in demſelben Jahre
(1708) erſchienenen „Bildniſſen verſchiedener Fiſchen, und dero Thei-
len, welche in der Sündfluth zu Grund gegangen“ erklärt er, früher
gleichfalls „dergleichen Figuren als Spiele der Natur“ betrachtet zu
haben. Es ſeien ihm aber nach Sammlung einer großen Menge der-
gleichen Steine die Augen aufgegangen. Nun bildet er Fiſchabdrücke
aus dem lithographiſchen Sandſtein von Oeningen und dem Glarner
Schiefer ab, zwei ſpäter berühmt gewordenen Fundorten. Der andere
„Diluvianer“ und Gegner Lhwyd's iſt der Göttinger Profeſſor David
Sigismund Auguſt Büttner (1660-1728), welcher ſeine
„Rudera diluvii testes i. e. Zeichen und Zeugen der Sündfluth“
(1710) der Widerlegung der erwähnten Hypotheſe und der Begründung
der Anſicht von der Sindfluth als Urſache der Verſteinerungen wid-
met. Büttner ruft aus: „Was meinet der Wahrheits-gierige Leſer, ob
man ſich bei dieſem Vortrage mehr über das Vermögen der Phantasie
oder Unvermögen des Judicii verwundern ſoll?“ Seine Beweisfüh-
rung gegen Lhwyd kräftigt er noch durch Mittheilung eines Schreibens
des bekannten Georg Ernſt Stahl, welcher in einer ganz netten
Art und Weiſe die phyſiologiſchen Ungeheuerlichkeiten kritiſirt, welche
die Hypotheſe Lhwyd's enthält. Die Betrachtung der Figurenſteine
als Naturſpiele ſchwand nun ganz; der Altorfer Profeſſor Joh. Jak.
Baier ſetzt ausdrücklich die durch Umwandlung von Thieren und
Pflanzen entſtandenen Foſſilen den ſogenannten Naturſpielen gegen-
[470]Periode der Syſtematik.
über, mit der ausdrücklichen Bemerkung, daß „Naturſpiel“ nur eine
Bezeichnung unſerer Unkenntniß von der eigentlichen Urſache ſei (Ory-
ctographia Norica. 1708). Ebenſo iſt der Lübecker Paſtor Jak. von
Melle ein Diluvianer bei Beſchreibung mehrerer Lübecker Foſſilien;
und ſo ſind es bald alle, welche von Verſteinerungen ſprechen. Unter
der Annahme, daß die moſaiſche Sindfluth den Untergang früherer
Geſchlechter verurſacht habe, war es zunächſt natürlich, daß man in
den verſteinerten Formen dieſelben Arten zu erblicken glaubte, wie die
jetzt lebenden. So hat z. B. Ant. de Juſſieu foſſile Reſte einer
Hippopotamus-Art auf die jetzt exiſtirende bezogen. Aber wenn die
erſte Schöpfung untergegangen war, ſo war zu erwarten, daß auch
der Menſch dieſem Geſchick nicht entgehen konnte. Rieſige Knochen
bezog man daher aller Orten auf Menſchen, deren Leiber nach man-
cherlei Angaben in der Bibel von ganz andern Dimenſionen geweſen
ſein ſollten als die der ſpäter die Erde bevölkernden. Kein Bericht iſt
ſo berühmt geworden, als die Schrift Scheuchzer's über den Men-
ſchen als Zeugen der Sindfluth (Homo diluvii testis, 1726), worin
er die Knochen eines foſſilen Salamanders, den erſt Cuvier als ſolchen
erkannte, für die Gebeine eines ſündhaften Menſchenkindes erklärte.
Trotz derartiger Misgriffe war die Kenntniß der foſſilen Formen nun
als Zweig des Naturwiſſens ſichergeſtellt, und wenn auch bei
Scheuchzer, dem Vater der Verſteinerungskunde, ebenſowenig wie
bei ſeinen zeitgenöſſiſchen Mitarbeitern ein Gedanke an eine hiſtoriſche
Auffaſſung der Foſſilen durchbrach, ſo iſt ihnen doch das erſtmalige
Sammeln von Thatſachen auf einem Gebiete zu danken, von welchem
in ſpäteren Zeiten ein ſo wunderbares Licht auch auf andere Lehren
vom Leben der Thiere und Pflanzen ausgieng.
So hat ſich denn in die verhältnißmäßig kurze Zeit eine reiche
Fülle von Arbeiten zuſammengedrängt, welche zum Theil bahnbrechend,
zum Theil auf gegebenem Grunde weiterbauend faſt allen Theilen der
Zoologie ein neues wiſſenſchaftlich geſichertes Anſehn gaben. Beſon-
ders waren für die formelle Ausbildung des zoologiſchen Syſtems die
wichtigſten Elemente gegeben. Ray hatte den Begriff der Art zu fixi-
ren verſucht und dadurch den einheitlichen Ausgangspunkt aller Claſſi-
[471]Die Zeit von Ray bis Klein.
fication gewonnen. In allen Claſſen waren neue ſyſtematiſche An-
ſchauungen aufgetaucht. Man hatte ferner die Nothwendigkeit gefühlt,
den in den Beſchreibungen von Thieren zur Anwendung kommenden
Worten die ſcharfe Begriffsbeſtimmung wirklicher Kunſtausdrücke bei-
zulegen, und dadurch angefangen eine nicht miszuverſtehende Termino-
logie zu ſchaffen. Endlich war auch die verſteinerte Thierwelt der
Betrachtung nicht bloß näher gerückt, ſondern in den Kreis der wiſſen-
ſchaftlichen Beurtheilung gezogen worden. Nur diejenige Betrach-
tungsweiſe der Thierkörper, welche am Schluſſe der ganzen hier be-
ſprochenen Periode der Zoologie einen weiteren Aufſchwung ermög-
lichte, die morphologiſche, fehlt noch beinahe vollſtändig. Man hat
zwar eine „vergleichende“ Anatomie, aber man vergleicht nur höhere
Thiere mit dem Menſchen; und wenn einzelne niedere Thiere wirklich
vergleichend betrachtet werden, ſo geſchieht es nur, um ihnen in ge-
zwungener Weiſe eine Organiſation beizulegen, welche ihnen morpho-
logiſch fremd iſt. Wie erwähnt ſuchte man mehr nach Verſchiedenhei-
ten als nach Uebereinſtimmungen; und wenn auch hierdurch der Kreis
der ſpeciellen Kenntniſſe bedeutend erweitert wurde, ſo verlor man doch
faſt mit jeder neuen Erfahrung den Zuſammenhang mit den alten
immer mehr. Aber ſelbſt für dieſe Richtung und ihr ſpäteres Auftre-
ten mußte die Ausbildung eines wie auch immer begründeten ſyſtema-
tiſchen Gerüſtes von höchſter Bedeutung ſein, da ſie durch ein ſolches
beſtändig neue Aufgaben an ſich herantreten ſah, ſei es zur Beſtäti-
gung angeblicher Verwandtſchaften, ſei es zum Nachweis fundamen-
taler Verſchiedenheiten. Daß auch in den letzten Epochen der vorlie-
genden Periode die Entwickelung jeden morphologiſchen Fortſchritts ſo
langſam verlief, lag zum großen Theile daran, daß die Entwickelungs-
geſchichte, welche man mit Ausnahme der nachembryonalen Verwand-
lungen der Inſecten faſt nur bei den höheren Wirbelthieren verfolgte,
durch Ausbildung der Evolutionstheorie der Phyſiologie zugefallen
war, eine Verbindung, welche zwar für die letztere Wiſſenſchaft da-
durch von Bedeutung wurde, daß dieſelbe das Zuſtandekommen gewiſſer
Lebensvorgänge immer deutlicher als von beſtimmten körperlichen An-
ordnungen abhängig erkennen mußte, — in welcher Beziehung zooto-
[472]Periode der Syſtematik.
miſche Erfahrungen ebenſo wie embryologiſche gleich bedeutungsvoll
waren, — welche aber der Zoologie eine der wichtigſten, ja gerade die
fruchtbarſte Quelle allgemeiner Wahrheiten wenn nicht ganz entzog
doch ferner rückte.
Bei einem ſo vielſeitigen Eifer, von allen Seiten her neue Mate-
rialien herbeizuſchaffen, alte Zweifel zu löſen, neue Wunderbarkeiten
der Natur zu enthüllen und überall ſelbſtändig ordnend vorzugehen,
that es Noth, der drohenden Zerſplitterung mit kräftiger Hand vorzu-
beugen, mit kühnem Griffe die verſchiedenen Leiſtungen zu einem großen
Bau zu vereinigen, den Einzelbeſtrebungen durch eine beſtimmte Form
einen vorläufigen Abſchluß, dadurch aber gleichzeitig auch einen neuen
Ausgangspunkt zu ſchaffen. Dies verſuchten, allerdings mit ſehr ver-
ſchiedenem Glück, zwei Männer, von welchen der eine durch geiſtvolle
Benutzung des Vorhandenen das wiſſenſchaftliche Bedürfniß nach for-
meller Sammlung für immer befriedigte und dadurch zum Schöpfer
der heutigen Zoologie wurde. Dieſe Männer ſind Klein und Linné.
Jakob Theodor Klein.
Es wurde ſchon bei verſchiedenen Gelegenheiten Klein's gedacht.
Sein Antheil an der Bearbeitung mehrerer der niedern Claſſen, wel-
chen oben zu erwähnen nahe gelegen hätte, mag beſſer in Verbindung
mit ſeinen übrigen Leiſtungen beſprochen werden, um das Bild ſeiner
Wirkſamkeit vollſtändiger und überſichtlicher zu machen. Dieſelbe
würde zweifelsohne einen nachhaltigeren Einfluß ausgeübt haben, wenn
der zweiundzwanzig Jahre jüngere Linné nicht wenig Jahre nach
Klein's erſten zoologiſchen Veröffentlichungen mit ungleich entſchiede-
nerer Umſicht und ſichererem Erfaſſen der zu überwältigenden wiſſen-
ſchaftlichen Aufgaben ſich das Feld erobert hätte. Hier muß man aber
bedenken (wenn es auch nicht von allgemein geſchichtlicher, ſondern nur
perſönlicher Bedeutung iſt): Linné war von Jugend auf Naturforſcher
und veröffentlichte in dem Lebensalter die erſte Ausgabe ſeines Natur-
ſyſtems, in welchem Klein erſt eine bleibende Stellung in Danzig erhielt.
Jakob Theodor Klein war der Sohn eines angeſehenen juriſtiſchen
[473]Jakob Theodor Klein.
Beamten in Königsberg in Pr. und daſelbſt am 15. Auguſt 1685 ge-
boren. Als ſechzehnjähriger Jüngling bezog er die dortige Univerſität
als Student der Rechte. 1706 trat er eine größere Reiſe durch Deutſch-
land nach England, Holland und Tyrol an und kehrte nach fünfjähriger
Abweſenheit 1711 nach Königsberg zurück. Hat er auch wohl auf
dieſer Reiſe die Bekanntſchaften angeknüpft, welche ihm ſpäter bei ſei-
nen naturgeſchichtlichen Arbeiten als bewährte Correſpondenten ſehr zu
Statten kamen, ſo war er doch vorzüglich Juriſt, wie aus dem Umſtande
hervorgeht, daß der Pfalzgraf und nachmalige Kurfürſt von der Pfalz
Karl Philipp ihn zu ſeinem Rathe ernannte. Da unterdeß Klein's
Vater geſtorben war, beſchloß er auszuwandern und kam im April
1712 zum erſtenmale nach Danzig, gieng im Frühjahr des nächſten
Jahres nach Schweden und ſiedelte im Auguſt deſſelben Jahres, 1713,
ganz nach Danzig über. Schon im December dieſes Jahres wurde er
zum Secretair der damaligen Freiſtadt erwählt. Bei der Beziehung
Danzigs zu Polen unterhielt die Stadt einen Reſidenten am polniſchen
Hofe; ſo wurde denn Klein 1714 als „reſidirender Secretair bey Hofe“
nach Dresden und von da nach Polen, im März 1716 nach Königs-
berg zur Begrüßung des Czaren Peter d. Gr. geſandt und kam erſt im
December des Jahres dauernd nach Danzig zurück. Seit dieſer Zeit
begann er nun, ruhig im Beſitze des Vertrauens ſeiner Mitbürger
und auf weitere Beförderungen im Staatsdienſte verzichtend, neben
ſeiner amtlichen Thätigkeit als Stadtſecretair die Naturgeſchichte zu
pflegen. Im Jahre 1718 legte er ſich einen botaniſchen Garten an
und begann auch, aus andern Gebieten der Natur zu ſammeln. Er
hatte dabei einen günſtigen Erfolg; denn in den dreißiger Jahren konnte
er z. B. eine zahlreiche Bernſteinſammlung dem königlichen Kabinet in
Dresden überlaſſen. Daß „ſein ganzes Naturalienkabinet nebſt den vielen
Zeichnungen von vierfüßigen Thieren, Fiſchen und Vögeln 1740 nach
Bayreuth“ kam35), wurde oben bereits erwähnt. Bei der von ihm mit-
geſtifteten naturforſchenden Geſellſchaft, zu deren Schriften er mehreres
[474]Periode der Syſtematik.
beitrug, war er die erſten drei Jahre lang Secretair, ſpäter vieljähriger
Director. Er machte ihr nicht bloß zahlreiche naturgeſchichtliche Mit-
theilungen, ſondern nahm auch 1749 „die Arbeiten eines ordentlichen
Operators über ſich“ und erzählte der Geſellſchaft „nach Anleitung der
Wolfiſchen Phyſik die Dinge, ſo in der Erde befindlich ſind“. Klein
ſtarb am 27. Februar 1759. Trotz der vielen Fehler, welche Klein's
Syſtem hat und der großen Oberflächlichkeit, mit welcher es aufgeſtellt
wurde, iſt es doch eine äußerſt charakteriſtiſche Erſcheinung ſowohl für
die Zeit, in welcher es entſtand, als auch für die Anſprüche, welche
man von ſehr vielen Seiten aus an ein ſolches ſtellte. Man kann wohl
ſagen, es trägt den Stempel der Liebhaberarbeit an der Stirn; denn
wenn auch viele der bedeutendſten Leiſtungen, deren oben gedacht
wurde, aus Liebhaberei zur Natur hervorgiengen, ſo beſteht doch zwi-
ſchen jenen und den Verſuchen Klein's der große Unterſchied, daß jene
vom Einzelnen ausgehend daran Genüge fanden und ſich von ihnen
aus inductiv zu allgemeinen Anſichten zu erheben verſuchten, während
Klein gewiſſermaßen von oben herabſehend und arbeitend einen ſchola-
ſtiſchen Formalismus zur Anwendung bringt und daher auch nur das
alleräußerlichſte Verlangen an das Syſtem ſtellt, ihm auf eine leichte und
ſichere Art die Mittel zu bieten, „fremde oder noch nie geſehene Thiere
nach auffallenden Charakteren erkennen und benennen zu können“36).
An der hier angezogenen Stelle weiſt Klein die in Linné's Charakteriſtik
der Amphibien enthaltenen Worte, daß dieſelben keine Backzähne haben,
mit der Bemerkung zurück, daß man, um dies zu entſcheiden, die Fin-
ger oder das anatomiſche Meſſer anwenden müſſe; dies gehöre aber
eigentlich gar nicht zur zoologiſchen Methode. Wolle man wiſſen, ob
ein Thier Zähne habe, dann müſſe man ja vielleicht gewaltſam den
Mund öffnen! Eine Erklärung der einzelnen Formen, ein Verſuch,
ſich das Zuſtandekommen oder die Entſtehung beſonders abweichend er-
ſcheinender Thiergruppen zu denken, findet ſich bei Klein nicht. Ari-
ſtoteles hatte die Verwandtſchaft der Schlangen mit den Eidechſen ganz
[475]Jakob Theodor Klein.
richtig erfaßt und als bibliche Erläuterung dieſer Beziehung darauf
hingewieſen, daß man ſich nur eine Eidechſe ohne Füße und mit einem
etwas verlängerten Körper zu denken brauche, um eine Schlange zu
erhalten, während umgekehrt eine Verkürzung des Körpers und der
Beſitz von Beinen ſofort aus der Schlange eine Eidechſe machen würde.
Hierzu bemerkt nun Klein: „ſo erdichtet der Philoſoph Ungeheuer.
Man gebe einer Eidechſe Haare, dann wäre ſie ein Wieſel!“37). Zu
einer ſo einſeitigen Auffaſſung wurde Klein bei dem Mangel an hin-
reichender Specialkenntniß vermuthlich durch die Wolf'ſche Methode
geführt, welche mit ihrem erklärenden und eintheilenden logiſchen Dog-
matismus den Naturkörpern gegenüber vollſtändig auskommen zu
können meinte. Verſchärft wurde ſein Beharren bei der einmal ge-
wonnenen Anſicht möglicherweiſe durch die bittere Oppoſition, in
welche er gegen Linné trat, welche dieſer aber ganz unbeantwortet ließ.
Nicht im Stande, den Gründen ſeines Gegners und dem Beſtreben
nach Bildung möglichſt natürlicher Gruppen zu folgen, ſpann er ſich
immer feſter in ſein künſtliches Netz ein, ohne ſich die Möglichkeit vor-
zuſtellen, daß ein Thierſyſtem doch noch eine andere Bedeutung haben
könne und einer anderen Begründung bedürfe, als eine rein formale.
Mit Ausnahme der Inſecten hat Klein von allen Claſſen des Thier-
reichs ausführliche Bearbeitungen gegeben. — Es dürfte ſich empfehlen,
ſeine Schriften chronologiſch unter Anführung der Ausgaben des Lin-
né'ſchen Naturſyſtems aufzuzählen (ſ. Anm.38).
Die durchaus künſtliche, jede Anerkennung einer natürlichen Ver-
wandtſchaft entbehrende Natur des Klein'ſchen Syſtems tritt am auf-
fallendſten bei ſeiner Eintheilung des geſammten Thierreichs entgegen.
Dem oben erwähnten Grundſatze treu, kein anatomiſches Meſſer zum
Nachweis der richtigen ſyſtematiſchen Stellung irgend eines Thieres
benutzen zu wollen, benutzt Klein einen durchaus äußerlichen Charakter
als Haupteintheilungsgrund, welcher ſich ſchon bei der beiläufigſten
Anwendung eines anatomiſchen Geſichtspunktes als ein nicht ganz un-
bedenklicher herausgeſtellt haben würde, nämlich das Vorhandenſein
[476]Periode der Syſtematik.
oder Fehlen von Füßen. Danach theilt er das ganze Thierreich in
füßige oder mit Füßen verſehene und fußloße Thiere. Man könnte
meinen, er habe den phyſiologiſchen Geſichtspunkt vor Augen gehabt,
wenn er die Vögel als Zweifüßer aufführt; aber die Fledermäuſe ſtehen
unter den Vierfüßern, trotzdem ihre Vordergliedmaßen ebenſowenig
zur Ortsbewegung auf der Erde taugen wie die Flügel. Auch conſtante
Bezeichnungen für die höheren Gruppen über den Gattungen fehlen
[477]Jakob Theodor Klein.
bei Klein; und in den ſpäteren den einzelnen Claſſen gewidmeten Wer-
ken nennt er die Abtheilungen anders als in der erſten Hauptüberſicht
ſeiner Anordnung. In dieſer nun, welche der „Natürlichen Eintheilung
der Echinodermen“ (Echinen) vom Jahre 1734 angehängt iſt, folgen
auf die Gattungen Claſſen, außer da wo die Claſſen zu groß würden;
in dieſen Fällen werden ſie noch in Artikel als Unterabtheilungen ge-
ſpalten. Mehrere Claſſen bilden eine Section; die Sectionen vereini-
gen ſich endlich zu Kapiteln oder Hauptabſchnitten. Klein iſt bei Ent-
werfung ſeines Syſtems auch auf möglichſte Vollſtändigkeit bedacht ge-
weſen; denn er führt auch bloß mögliche Combinationen an, ſelbſtver-
ſtändlich nicht alle, und ſagt dazu: „wenn ſolche Thiere vorkommen“.
Das erſte Kapitel der mit Füßen verſehenen Thiere, welche er einfach
unter „I“ ohne Gruppennamen einführt, bilden die Vierfüßer; dieſelben
zerfallen in zwei Sectionen. Die zur erſten gehörigen Vierfüßer haben
die Füße unter ſich gleich, die der zweiten haben unter ſich ungleiche
Füße. Die mit gleichen Füßen verſehenen Vierfüßer bilden fünf Claſ-
ſen, von denen indeſſen die vierte nur für etwa noch vorkommende
Fälle eingerichtet iſt (nämlich für Schwimmfüßer mit einander gleichen
Füßen). Die übrigen vier Claſſen ſind die der Ganzfüßer (d. h. Ein-
hufer), Spaltfüßer, Zehenfüßer und Schildtragende (Schildkröten).
Es tritt hier alſo plötzlich ein anderes Merkmal als Theilungsgrund
auf. Die Zehenfüßer (Digitaten) haben entweder äußere Ohren (hierher
die betreffenden Formen der Säugethiere) oder ſie ſind ohne ſolche (Ei-
dechſen, Krokodile, Salamander, Chamaeleon). Noch bunter iſt die
zweite Section der Vierfüßer, die mit ungleichen Füßen. Hier ſtehen
Bären und Affen neben einander als Thiere, deren Vorderbeine den
Händen, deren Hinterbeine den Füßen des Menſchen etwas ähnlich
ſind. Der Menſch ſelbſt fehlt aber ganz in Klein's Syſtem. Dann
folgen in der zweiten Claſſe die Maulwürfe für ſich, mit vordern hand-
ähnlichen Füßen, während die hinteren denen der Nagethiere ähnlich ſind.
In der nächſten Claſſe ſollen die Vorderzehen geſpalten, die Hinter-
zehen verbunden ſein; hier werden zwei Gattungen, eine für behaarte
Formen (Robbe, Biber) und eine für nackte (Fröſche und Kröten) neben-
einander geſtellt. Die vierte Claſſe iſt wieder für den möglichen Fall
[478]Periode der Syſtematik.
eingerichtet, daß Thiere vorkommen, deren Vorderzehen verbunden,
deren Hinterzehen geſpalten ſind. Das zweite Kapitel der Füßigen
umfaßt die Zweifüßer, und zwar außer den befiederten Vögeln, —
welche hier offenbar auch nur der ſyſtematiſchen Vollſtändigkeit wegen
in ſolche mit freien Zehen, und zwar mit zwei, drei, vier, fünf und
ſechs (!) Zehen, in ſolche mit verbundenen und ſolche mit anomalen
Füßen getheilt werden, — noch die „glatten“ Seelöwen und Verwandte
und die behaarten: Meerkalb, Manati u. ſ. w. Das dritte Kapitel,
der Vielfüßigen, endlich enthält in der erſten Section die Gepanzerten,
nämlich Krebſe und Scorpione, in der zweiten die Inſecten, bei deren
Eintheilung auch nur auf Vorhandenſein und Zahl der Flügel und
Füße geachtet wird. In gleich fremdartiger Reihe und Verbindung
treten die Gruppen der Fußloſen entgegen. Klein theilt dieſelben in
vier Kapitel: Kriechthiere, Floſſenthiere, Strahlthiere und anomale
Formen. Zu den erſten, von ihm Reptilien genannten, gehören als
erſte Claſſe die nackten Würmer und nackten Schnecken; zur zweiten
die „häutigen“ oder mit Exuvien verſehenen, dies ſind die Schlangen;
zur dritten die Schalthiere. Das zweite Kapitel umfaßt die Fiſche,
welche er in mit Lungen und mit Kiemen athmende eintheilt. Im dritten
Kapitel, deſſen Bildung nicht durch Erfaſſung eines ſtrahligen Ge-
ſammtbaues, ſondern durch äußere Aehnlichkeit mit ſtrahliger Anord-
nung veranlaßt wurde (denn die Echinen ſtehen bei den Schalthieren)
finden ſich Seeſterne neben den Tintenfiſchen, natürlich den nackten
(denn Argonauta gehört zu den Schalthieren). Das vierte Kapitel
endlich umfaßt Formen, denen der Charakter des Thieres „kaum und
nicht einmal kaum“ beigelegt werden kann, nämlich Holothurien, See-
federn, Meerneſſeln und Aehnliches. Es würde müßig ſein, die Un-
haltbarkeit einer derartigen Eintheilung hier erſt noch mit wiſſenſchaft-
lichen Gründen darlegen zu wollen. Mit dem weiter verbreiteten
Intereſſe an den thieriſchen Formen war auch das Bedürfniß erwacht,
ſich ſchnell unter ihnen orientiren zu können. Jede Anordnung, welche
dieſer Forderung einigermaßen zu entſprechen ſchien, wurde dankbar
begrüßt. So fand auch Klein's Syſtem Anhänger und Vertheidiger,
ſogar Linné gegenüber, deſſen Syſtem ſchon in ſeiner erſten Form,
[479]Jakob Theodor Klein.
welche ſich äußerlich mehr an Ray anlehnt, einen entſchieden wiſſen-
ſchaftlicheren Eindruck macht. Der eine Ueberſetzer von Klein's Claſ-
ſification und kurzer Geſchichte der vierfüßigen Thiere, Friedr. Dan.
Behn (damals in Jena, ſtarb als Rector des Gymnaſiums in Lübeck
1804), ſagt ausdrücklich: „Unſer verdienſtvoller Herr Klein konnte
unmöglich mit der linnäiſchen Methode zufrieden ſein“. Ray's Me-
thode nennt Behn zwar die natürlichſte von der Welt, meint aber, daß
das Hauptverdienſt Klein's doch darin beſtehe, daß er diejenigen Merk-
male weiter benutzt habe, welche ſo wenig verſteckt waren, daß ſie einem
jeden ſogleich einleuchteten. Wie er dies verſteht, lehrt z. B. Folgen-
des. „Die Natur pflegt allemal von den einfachſten Dingen den An-
fang zu machen. Was war alſo natürlicher, als daß unſer Naturfor-
ſcher die einhufigten Thiere zur erſten, die zweihufigten zur zwoten, ...
und die fünfhufigten zur fünften Familie rechnete“. Aus einer derarti-
gen Beurtheilung geht hervor, daß man eben vor Allem eine leichte
und bequeme Art haben wollte, Thiere beſtimmen und nennen zu kön-
nen. Der Wittenberger Profeſſor der Mathematik und Phyſik, Joh.
Daniel Titius (1729-1796) erhebt gleichfalls gegen Linné's Be-
rückſichtigung der Herzſtructur Bedenken; auch tadelt er, wie ſo man-
ches an deſſen Syſtem, ſo beſonders die Verwendung mehrfacher Ein-
theilungsgründe39), wogegen er Klein, welchen er als den bedeutendſten
[480]Periode der Syſtematik.
Naturhiſtoriker des Jahrhunderts rühmt, trotzdem er in manchen
Punkten von ihm abweicht, für einen beſſeren Syſtematiker hält.
Auf Klein war übrigens das Linné'ſche Syſtem und die Verän-
derungen, welche Linné ſelbſt an demſelben vorgenommen hatte, nicht
ohne Einfluß geblieben, wenn er ſich gleich nur mit Widerſtreben dazu
entſchloß, einer Verwandtſchaft zu Liebe das künſtliche Gefüge ſeines
Syſtems einigermaßen zu lockern. In der 1751 erſchienenen, lateiniſch
geſchriebenen Eintheilung und kurzen Geſchichte der Vierfüßer, deren
eine Ueberſetzung eben erwähnt wurde und welche eine Beſchreibung aller
ihm bekannten oder von Autoren hinreichend kenntlich geſchilderten Arten
enthält, theilt er die Vierfüßer, hierbei faſt ganz Ray folgend, in
Hufthiere und Zehenthiere. Bei den Erſteren, ſeiner erſten „Ord-
nung“, beſtimmt die Zahl der Hufe die Bildung der Familie. Es gibt
ein-, zwei-, drei-, vier- und fünfhufige (die drei letzteren ſind Nas-
horn, Nilpferd und Elefant). Daß dabei das Schwein als Zweihufer
neben den Wiederkäuern40) erſcheint, iſt zufällig und kann natürlich
nicht Klein als eine beſondere Einſicht in die eigentlichen natürlichen
Verwandtſchaftsverhältniſſe des Schweines angerechnet werden. Die
Zehenthiere ſcheiden ſich in die zweite Ordnung, die Behaarten, wobei
er jedoch die Einſchränkung hinzufügt, daß ſie auch eine lederartige oder
ſchildförmige Bedeckung haben können, und in die dritte Ordnung der
nicht Behaarten. Erſtere ſind ſtets lebendiggebärend, letztere ſind nie
behaart, haben aber entweder eine nackte oder beſchuppte Haut und ſind
entweder eierlegend oder lebendiggebärend. Die Gruppe wird alſo
lediglich durch ein negatives Merkmal gekennzeichnet. Die erſte Gruppe
bilden natürlich die Säugethiere, welche gleichfalls nach der Zahl der
Zehen (wobei die vorderen Füße vorzüglich berückſichtigt werden) in
zweizehige (Kamel!, wie bei Ray, und Silen, d. h. ein Faulthier),
dreizehige, (Ai und Ameiſenfreſſer), vierzehige (Gürtelthiere, Meer-
ſchweinchen und ein nordamerikaniſches Stachelſchwein), fünfzehige
(Nager, Carnivoren und Affen) und endlich in ſolche getheilt werden,
[481]Jakob Theodor Klein.
deren Füße eine anomale Bildung zeigen, zuweilen gänſefußartig, d. h.
Schwimmfüße ſind: Otter, Biber, Walroß, Robbe, Manati. Die
dritte „Ordnung“ zerfällt in Teſtudinaten (Schildkröten), Kataphrakten
(Krokodile) und Nackte, zu welchen er Eidechſen, Salamander und
Fröſche rechnet. Die Schlangen bleiben, ſchon aus Oppoſition gegen
Linné weg; ſie gehören zu den Kriechthieren; auch fehlt bei dieſer neuen
Bearbeitung der Menſch, wie bei der erſten. Bei der Schilderung der
einzelnen Arten führt er wo es geht die kurze Linné'ſche Charakteriſtik
an. Indeſſen liegt darin kaum ein Zeichen der Anerkennung. Denn
gerade über die von Klein hier vereinigten Claſſen der Vierfüßer und
Amphibien Linné's hat er, wie oben ſchon bemerkt, Zweifel veröffent-
licht, welche er auf eine zuweilen geradezu lächerliche Weiſe zu begrün-
den ſucht. So beruft er ſich z. B. auf das Beiſpiel Adam's, welcher
die ihm von Gott vorgeführten Thiere auch unterſchieden und benannt
habe, ohne ihnen die Eingeweide oder die Zähne zur Unterſuchung
durchzuwühlen. Verſtändiger ſind die Einwendungen gegen die Anord-
nung oder vielmehr gegen den Mangel jeglicher Ordnung bei Buffon.
Die „Ordnung“ Vögel, in welcher er in der erſten Skizze ſeines
Syſtems der Vollſtändigkeit wegen ſogar ſechszehige Formen als mög-
lich hinſtellt, hat in ihrer Anordnung bei der ſpäteren Bearbeitung
entſchieden gewonnen. Klein nimmt hier acht Familien an: Zwei-
zehige (Strauß); Dreizehige (Caſuar, Trappe, Auſterfreſſer); Vier-
zehige, mit zwei vordern und zwei hintern Zehen, alſo mit Kletterfuß
(dieſer und die Thätigkeit des Schwanzes und Schnabels beim Klettern
wird zwar erwähnt; welche Zehe ſich aber nach hinten wendet, wird
nicht angegeben); es gehören hierher Papageyen, Spechte, Eisvogel,
Kuckuck, Nashornvogel; ferner Vierzehige mit drei vordern freien und
einer hintern Zehe. Dies iſt die zahlreichſte und edelſte Familie; die
Gattungen werden (wie überhaupt) nach dem Schnabel, die Tribus,
d. h. ungefähr Untergattungen, da ſie Unterabtheilungen ſeiner meiſt
großen Genera ſind, nach Eigenthümlichkeiten entweder des Kopfes
oder anderer Theile charakteriſirt. Die fünfte Familie hat Schwimm-
füße mit einer hintern freien Zehe, die ſechſte vier durch eine Schwimm-
haut untereinander verbundene Zehen, die ſiebente dreizehige Schwimm-
V. Carus, Geſch. d. Zool. 31
[482]Periode der Syſtematik.
füße ohne Hinterzehe und endlich die achte freie Zehen mit gelapptem
Hautſaume. Ohne hier weiter in ermüdende Einzelheiten einzugehen,
muß doch anerkannt werden, daß Klein hier Verwandtes zuſammen-
gehalten hat, ſo viele Formen ihm eben bekannt waren; dabei iſt noch
zu bemerken, daß er einzelne Gruppen geradezu unter einer weiteren
Bezeichnung, wie Hochbeinige, Plattſchnäbler (Gänſe, Enten), Regel-
ſchnäbler u. ſ. f. vereinigt. Noch etwas ausgeſprochner tritt dies in
den Geſchlechtstafeln der Vögel auf, welche zwar erſt nach Klein's
Tode von Titius herausgegeben wurden, aber doch noch von Klein
ſelbſt geſchrieben, auch von ihm noch mit einer Vorrede verſehen ſind.
Die ganz hübſchen Tafeln ſtellen die vorzüglich bei der Eintheilung be-
nutzten beiden Theile, Kopf und Füße dar. In Bezug auf die Natur-
geſchichte der Vögel hat Klein beſonders die Frage nach dem Ueberwin-
tern der Zugvögel zu beantworten geſucht. Während er in Bezug auf
Lerchen z. B. glaubt, daß ſie ſich in Erdhöhlen, an Baumwurzeln und
dergl. aufhalten, deren Eingänge ſie mit Sand, Erde zuſtopfen und
welche ſie nur gelegentlich einmal verlaſſen, um Nahrung zu ſuchen,
iſt er der Ueberzeugung, daß die Schwalben unter Waſſer überwintern
(ſ. auch oben S. 353). Er druckt ſogar eine Anzahl amtlicher Zeug-
niſſe ab, welche beſtätigen, daß todte Schwalben unter dem Eiſe gefun-
den worden ſeien, zuweilen allerdings mit dem Zuſatze, daß ſie im war-
men Zimmer wieder aufgelebt ſeien. Und was die Störche betrifft, ſo
glaubt er ſich den Beweiſen nicht verſchließen zu können, welche ihnen
die gleiche Art zu überwintern zuſchreiben. Aeltere Angaben über das
Wegziehen der Vögel, ſowie neuere Angaben darüber, von Catesby,
Zorn u. A. hält er für nicht bewieſen und verwirft ſie.
Die ſelbſtändige Bearbeitung der „Herpetologie“ (1755) läßt die
Schlangen und Würmer als „ſchleichende“ Thiere beiſammen; es fehlen
aber unter den letzteren die früher dazu gezogenen Nacktſchnecken, für
welche nun Klein, da dieſelben im Schalthierſyſtem natürlich auch nicht
vorkommen, gar keinen Platz mehr hat. Die Schlangen, welche unter
dem allgemeinen Namen Anguis zuſammengefaßt werden, theilt er
nach der Form des Kopfes und Schwanzes in ſolche mit abgeſetz-
tem (discretem) Kopfe und zugeſpitztem oder verdünnt auslaufendem
[483]Jakob Theodor Klein.
Schwanze und ſolche mit nicht abgeſetztem Kopfe und abgeſtutztem
Schwanze. Inconſequenter Weiſe nimmt er nun aber bei der weiteren
Charakteriſirung der kleineren Gruppen die Bezahnung zu Hülfe und
rechtfertigt dies in einer wahrhaft kindiſchen Weiſe damit, daß er ſagt,
das Hineingreifen in die Mäuler der Vierfüßer ſei doch gar zu gefähr-
lich, ja meiſt tollkühn; die Schlangen aber zeigten meiſt ihre Zähne
und ihre Zunge von ſelbſt. Er ſtellt daher in der erſten Claſſe drei
Gattungen auf: deutlich bezahnte: Vipera, undeutlich bezahnte:
Coluber, und zahnloſe, Anodon. Zur zweiten Claſſe gehören ſeine
Gattungen Scytale und Amphisbaena. Trotzdem er im Ganzen 280
Arten aus den verſchiedenſten Schriftſtellern zuſammengetragen an-
führt, ſind doch nur wenig ſicher beſtimmt und erkennbar. Die Wür-
mer zerfallen in die drei „Claſſen“: Lumbricus, Taenia und Hirudo.
Gegen Linné hält er an der Verſchiedenheit des Regenwurmes vom
paraſitiſch lebenden Spulwurm feſt. Den Bandwurm erklärt er mit
Bonnet für ein einfaches Thier. Die Natur der Eingeweidewürmer
hat Klein vielfach beſchäftigt, vorzüglich ihr Herkommen, was damals
überhaupt vielfach erörtert wurde. In einem Aufſatze darüber41) ver-
theidigt er die Anſicht, daß ſie wie andere Paraſiten den betreffenden
Wohnthieren eigenthümlich ſind, alſo auch die des Menſchen dieſem.
Nach der Erzählung, daß die Spanier unter den Tropen ihre Läufe
verlieren und ſie erſt auf der Rückreiſe wieder bekommen, fügt Klein
ſeine Folgerung hinzu, daß „auch nach dieſer Hiſtorie der Urſtoff der
Läufe im menſchlichen Körper ſtecke und dieſer alſo keines andern Thie-
res Läufe zur Lehn trage“. Daſſelbe gilt ihm nun aber auch für die
Würmer. Bonnet vermuthete zwar ſchon42) den Urſprung der Kür-
biswürmer aus dem Trinkwaſſer und ſchlägt ſogar vor, man ſolle
Hunden Waſſer zum Trinken geben, in dem die Eingeweide der Schleihe
eine Zeit lang gelegen haben. Ebenſo hatte bereits Leeuwenhoek
geäußert, daß dergleichen Würmer von außen in den Menſchen kom-
31*
[484]Periode der Syſtematik.
men können. Nach Klein hat aber dieſe Anſicht doch zu viel Schwie-
rigkeit. Er ſchließt ſich daher der oben erwähnten Anſicht Ballisnieri's
an, daß die Würmer ſchon im erſten Menſchen vorhanden geweſen
wären, indeſſen nicht bei ſeiner Schöpfung, ſondern erſt nach dem
Sündenfalle. Wie ſie aber bei dieſer Gelegenheit in den Körper gekom-
men ſind, läßt er ununterſucht.
Klein's Anordnung der Fiſche iſt von allen ſeinen ſyſtematiſchen
Verſuchen der ſcheinbar ausgearbeitetſte und feſtbegründetſte; eine
nähere Prüfung zeigt aber das Gegentheil. Jeder der fünf „Sendun-
gen (Missus) zur Beförderung der Naturgeſchichte der Fiſche“, in wel-
chen er die Claſſe abhandelt, iſt eine Abhandlung über einen Punkt
aus der Anatomie oder Phyſiologie der Fiſche einleitend vorausgeſchickt
oder als Anhang zugefügt. So enthält die erſte Sendung eine Einlei-
tung über das Hören der Fiſche und anhangsweiſe anatomiſche Be-
merkungen über den Tümmler (von de la Motte mit Zuſätzen von
Klein) und über einen Rochenkopf; die zweite Sendung bringt Bemer-
kungen über Walfiſch- und Elefantenzähne, ſowie über ſogenannte Ge-
hörſteine des Manati und des Hundshaies, welche erſtere er richtig für
das Felſenbein erklärt. Die dritte und vierte Sendung beſpricht die
männlichen und weiblichen Genitalorgane der Rochen und Haie, die
fünfte endlich einen in eine Schiffswand eingeſtoßenen Narwalzahn. In
Bezug auf das Hören der Fiſche hat Klein noch ſpäter einen ausführ-
lichen Beweis zu geben verſucht, daß dieſe Thiere weder taub noch
ſtumm ſind, und dabei beſonders auf die Gehörſteine aufmerkſam ge-
macht43). Daß indeſſen die Fiſche hören und daß die Steine im Kopfe
mit dieſer Fähigkeit in Verbindung ſtehen, begründet Klein nicht etwa
durch beſondere phyſiologiſche Thatſachen, ſondern vor Allem damit,
daß er meint, nach Analogie mit den Walfiſchen würden wohl auch die
übrigen Fiſche Laute äußern und hören. „Nun hat die Weisheit des
Schöpfers die Fiſche in Geſchlechter und Gattungen eingetheilt und hat
unter ihnen allen eine Aehnlichkeit und Gleichförmigkeit angeordnet.
Da nun die einen (Wale) ein Gelaut haben, ſo muß es wohl wahr
[485]Jakob Theodor Klein.
ſein, daß den Andern etwas Analoges eigen ſei“. Die Angabe des Ari-
ſtoteles, daß beim glatten Hai die Embryonen durch eine Placenta nach
Art der Säugethiere mit der Mutter verbunden ſeien, erklärt Klein
ausdrücklich für falſch. Seine Eintheilung der Fiſche ſchließt ſich zum
Theil an Ray, zum Theil an die inzwiſchen von Linné herausgegebene
Arbeit Artedi's an, läßt aber wiederum mehreres von Jenen fort
und bringt dafür rein künſtliche Merkmale hinein, welche nicht gerade
einen Fortſchritt der Ichthyologie gegen jene Beiden bekunden. Zu-
nächſt rechnet Klein die Cetaceen als lungenathmende zu den Fiſchen
und theilt ſie in Walfiſche (Kopf macht ein Drittel des Körpers aus,
ſind entweder zahnlos oder bezahnt), den Narwal und die Delphine
(bezahnt, Kopf in einen Schnabel vorſpringend, dreifloſſig). Die üb-
rigen Fiſche ſind nun die eigentlichen, mit Kiemen athmenden. Ihre
Kiemen liegen entweder verborgen hinter dem Kopf oder offen am
Kopfe. Die mit verborgenen Kiemen verſehenen Fiſche haben dieſelben
entweder an den Seiten und ſind dann theils mit Floſſen verſehen
(fünf Kiemenſpalten: Haie, eine Spalte: Froſchfiſch, Meeraal), theils
ohne Floſſen (eine Kiemenſpalte: Aal, fünf Spalten: Lamprete), oder
an der untern Seite des „Thorax“ (Rochen). Noch künſtlicher iſt die
Anordnung der Fiſche mit offenen Kiemen, welche in zwei Reihen,
jede mit ſechs Fascikeln getheilt werden. Eine ſcharfe Charakteriſtik der
Reihen führt er aber nirgends an und verfällt hier ſelbſt in den von
ihm an Linné gerügten Fehler, daß er keinen conſequent benutzten Ein-
theilungsgrund aufſtelle. Die Fiſche der erſten Reihe ſollen durch be-
ſonders auffallende äußere Theile und durch den aalförmigen Körper
ausgezeichnet ſein. Da fängt denn die Reihe mit dem Wels an als
einem durch ſeinen Kopf und Bauch merkwürdigen Fiſch; folgen die
beſonders mit ſchnabelförmig vorſpringendem Kopfe und verſchiedenem
Munde verſehenen Formen, als Stör, Schwertfiſch, Seewolf (Anar-
richas) u. ſ. w., dann die platten, welche entweder rechts oder links
oder auf beiden Seiten die Augen haben. Das vierte Fascikel bilden
die mit einem Collet verſehenen Fiſche, die Panzerwelſe, Seeſchwalben,
Kuckucke (Mullus, Trigla u. ſ. f.), das fünfte die mit dem Bauch oder
mit dem Kopfe ſich feſtſaugenden (Cyclopterus, Echeneis), das ſechſte
[486]Periode der Syſtematik.
die aalförmigen (hierher, da die eigentlichen Aale nach Klein verborgene
Kiemen haben: Ophidion, Ammodytes, Cobitis, welche er mit beſon-
dern Namen, Enchelyopus u. ſ. f. anführt). Die ganze andere Hälfte
der Fiſche mit offenen Kiemen wird charakteriſirt als: beſchuppte
Fiſche, mit langem oder breitem aber ſtets dickem Körper, die Seiten
mehr oder weniger gekielt u. ſ. w. Man ſieht, er hat hier kein ſcharfes
alle Formen gleichmäßig treffendes Kennzeichen finden können. Die
einzelnen Fascikel, wiederum ſechs, werden nach der Zahl der Rücken-
floſſen gekennzeichnet und benannt: mit einer, zwei und drei ſolchen;
jeder dieſer Abtheilung läßt er aber noch eine andere folgen, bei welcher
die Natur der betreffenden Ausſchlag gebenden Floſſe zweifelhaft oder
von der gewöhnlichen Art verſchieden iſt, daher Pſeudomonoptern,
Pſeudodiptern, Pſeudotriptern. — Obſchon nicht geleugnet werden
kann, daß Klein ſich gerade bei den Fiſchen als ein kenntnißreicher und
umſichtiger Mann zeigt, ſo iſt doch kaum ein anderes ſeiner Syſteme,
in deren Aufbau ſich ſeine ganze Thätigkeit gipfelt, ſo bezeichnend für
die merkwürdige Befangenheit des Urhebers. Trotz aller Vertrautheit
mit einzelnen Formen iſt Klein nie mit der ganzen Claſſe vertraut
worden.
Bei dem Schalthierſyſtem, welches Klein aufſtellt44), kommen
gleichfalls früher benutzte Geſichtspunkte und Merkmale vor; doch geht
er auch hier nicht auf eine Begründung der Zuſammengehörigkeit ge-
wiſſer Formen in anderer Weiſe ein als durch Schilderung der äußeren
Formverhältniſſe. Dafür, daß die Schalen hinreichend ſichere Merk-
male darbieten, findet er in der Annahme noch eine weitere Begrün-
dung, daß die junge Schnecke mit eben ſo viel Schalenwindungen aus
dem Ei komme, als ſie ſpäter zeigt. Da nun aber die Schalen allein
wenig ſicheren Halt geben, ſo ſind gleich ſeine erſten großen Unter-
[487]Jakob Theodor Klein.
abtheilungen ſehr unbeſtimmter Art. Er unterſcheidet zunächſt
Schneckenſchalen (Cochlides) von Muſcheln (Conchae), unter erſterer
Bezeichnung die canalförmigen, ſich beſtändig erweiternden und dabei
ſpiral gewundenen Schalen, unter letzteren die napf- oder becherför-
migen verſtehend. Dieſer von Breyn entlehnten Definition entſpre-
chend bringt er die Napfſchnecken (Patella, Calyptra, Mitra) zu den
Muſcheln, alſo ohne Rückſicht auf das Thier einſchalige Muſcheln den
zweiſchaligen hinzufügend. Die Schnecken theilt er in einfache, bei
welchen die Schale nur eine Windung (d. h. eine einfache, wenn auch
mit mehreren Umgängen verſehene Spirale) bildet und in zuſammen-
geſetzte, bei welchen die Schale gleichſam aus zweien beſteht; er hat
hier vorzüglich die Bildung der Schalenöffnung vor Augen. Denn
während er die einfachen wieder in ebene (Argonauta, Planorbis),
convexe (Nerita), gewölbte, elliptiſche (Haliotis), coniſche (Bulla,
Trochus), Schnecken (Turbo sp., Helix), Buccinum-artige (Bucci-
num sp.) und Turbo-artige (Turbo sp.) theilt, charakteriſirt er die
zuſammengeſetzten in fünf Claſſen nach der Form der Mündung, nach
der Beſchaffenheit der Mündung u. dergl. als ſolche mit Schnabel, in
langgewundene, ovale (Bulla, Cypraea), geflügelte und fügt als letzte
Claſſe den Murex brandaris hinzu, bei welchem die eckige Schale ge-
wiſſermaßen eine doppelte Pyramide bildet. Die zweiſchaligen Muſcheln
ſind entweder gleichſchalig, — und haben dann ringsum ſchließende
oder klaffende Schalenränder, — oder ungleichſchalig (Terebratula,
Chama sp., Arca sp., Anomia). Vielſchalige Muſcheln ſind bei ihm
die Entenmuſcheln, „deren Fabel bekannt iſt.“ Als beſondere Claſſe
neben dieſen führt er noch „Muſchelneſter“ an mit Balanus, Pollicipes,
u. dergl. Endlich machen auch die Echinen und „Meerröhren“ einen Theil
ſeines Schalthierſyſtems aus, welche er aber ſelbſtändig behandelt hat.
Abgeſehen von dem Umſtande, daß er die Thiere durchaus gar nicht
berückſichtigt hat, alſo in der That nur ein Schalenſyſtem aufſtellt,
macht hier auch die Sucht, überall neue Namen einzuführen, ja ſogar
ſchon vorhandene, z. B. Rumph'ſche Namen, auf andere Gegenſtände
zu übertragen, ſein Syſtem in hohem Grade ungenießbar.
Sehr bruchſtückartig iſt das, was Klein über die Cruſtaceen mit-
[488]Periode der Syſtematik.
getheilt hat. Seinen „Zweifeln über die Claſſen der Vierfüßler und Am-
phibien“ hat er ein Präludium über die Kruſtenthiere angehängt, beſon-
ders über die der Oſtſee. Auch bei dieſen Formen macht ſich die rein
äußerliche Betrachtung der Thiere geltend, wenn Klein z. B. die-
jenigen Arten, deren Gliederung in Folge der Bildung eines ſogenann-
ten Cephalothorax nur am Schwanze und den Beinen ſich frei erhält,
von den Inſekten trennt, deren Körper durch Einſchnitte charakteriſirt
iſt. Klein ſcheidet die Malakoſtraken factiſch nach dem eben hervor-
gehobenen Umſtande in zwei „höchſte Gattungen“; bei der erſten iſt nur
der Schwanz gegliedert, bei der zweiten iſt entweder der ganze Körper
oder nur die Bruſt und die Füße gegliedert. Letztere Alternative hat er
offenbar noch hinzugefügt, um dieſer, von ihm Inſekten genannten
Gruppe, auch den Einſiedlerkrebs zutheilen zu können. Außer dieſen
gehören der Skorpion, Squilla, welche er Entomon Mantis nennt,
Lygia und ähnliche Formen hierher. Zur erſten Gruppe rechnet er die
kurzſchwänzigen Krabben (Cancri), die langſchwänzigen Zehnfüßer
(Flußkrebs, Gammari genannt) und Crangon, welchen er Squilla
nennt.
Die „natürliche Anordnung der Echinodermen“ enthält in dem
Abſchnitt über die Stacheln der Seeigel auch einige Worte über den
innern Bau dieſer Thiere, wie er auch die Laterne des Ariſtoteles und
die einzelnen Theile derſelben ganz leidlich abbildet. Jedoch hat Klein
hier nur wenig ſelbſt unterſucht, um etwa frühere Angaben zu be-
ſtätigen. So ſagt er z. B. bei Erwähnung der kalkigen Scheidewände
im Innern mancher platten Seeigel, wo er den Schilderungen Reau-
mur's folgt, daß er nicht Luft gehabt habe, Exemplare ſeiner Samm-
lung zu zerſtören. Er trägt daher in kurzem Umriſſe zuſammen, was
Ariſtoteles, Rumph und Vallisnieri geſagt haben. Auch bei dieſer
Klaſſe kam es ihm nur auf die Schale an, wie er dies zur Begründung
des von ihm eingeführten Namens Echinodermen ausdrücklich her-
vorhebt (S. 11). Die eigenthümliche typiſche Geſtalt, das Vorherr-
ſchen der Fünfzahl in der Claſſe ſcheinen ihn nicht als beſonders merk-
würdige Umſtände berührt zu haben; denn bei der Schilderung eines
ſechsſtrahligen Seeigels äußert er nicht ein Wort der Verwunderung
[489]Jakob Theodor Klein.
über dieſe Abweichung45). In der Eintheilung der Claſſe ſchließt er ſich
ganz an Breyn und deſſen Vorgänger an und theilt mit dieſem nach
Morton und Woodward die Seeigel nach der Lage der Mund- und
Afteröffnung ein. Charakteriſtiſch iſt es aber, daß er beide Oeffnun-
gen behufs Benutzung derſelben als claſſificatoriſcher Merkmale zu ver-
binden ſich offenbar ſcheut und dafür lieber zwei Syſteme aufſtellt,
eins mit Zugrundelegung der Lage des Mundes, ein zweites nach der
Lage der Afteröffnung. Das letztere Merkmal ſcheint ihm das zuver-
läſſigere zu ſein; die einzelnen Arten führt er daher unter dieſer Ein-
theilung auf. Es fehlt natürlich auch hier nicht an neuen Namen.
Der Schilderung ſind Abbildungen beigegeben, welche für ihre Zeit
ganz vorzüglich gezeichnet und geſtochen ſind. Sie wurden von den
Freunden und Gönnern Klein's zu dieſem Werk geſtiftet und haben
noch lange Zeit mit Recht als eine Hauptquelle für die Kenntniß der
Seeigel gegolten. — Gleichfalls ohne Rückſicht auf etwaige Bezeich-
nungen zu den Weichtheilen ſchildert Klein die „Meerröhren“. Unter
dieſem Namen begreift er wie Breyn ſowohl Belemniten, als Wurm-
röhren u. dergl. Die Charakteriſtik der einzelnen Formen iſt hier am
oberflächlichſten und am wenigſten gelungen; und auch in der ſpäter
erſchienenen Ausgabe des Scheuchzer'ſchen Nomenclator der Figuren-
ſteine, welche Klein beſorgt und mit Zuſätzen verſehen hat, iſt kein
weſentlicher Fortſchritt zu erkennen. — Was endlich die Polypen be-
trifft, ſo drückt Klein in einem Aufſatze, betitelt: „Zufällige Gedanken
über ein obhandenes Syſtem der bisherigen ſteinartigen Seegewächſe“
ſeine Anſichten aus. Er glaubt den Angaben und Deutungen Peyſon-
nel's und Juſſieu's nicht folgen zu dürfen und ſchließt ſich der älteren
Anſicht Marſilli's an, hält daher die Korallen für Pflanzen, die Thiere
für deren Blüthen.
Es iſt im Vorſtehenden eine ziemlich vollſtändige Ueberſicht der
[490]Periode der Syſtematik.
zoologiſchen Leiſtungen Klein's gegeben worden. Wenn dieſelben im
Einzelnen meiſt ungünſtig beurtheilt werden mußten, ſelbſt mit Rück-
ſicht auf die Zeit, in welcher Klein arbeitete, ſo geſchah dies, um dieſen
Leiſtungen als ſolchen ihr hiſtoriſches Recht angedeihen zu laſſen. Zu
einem etwas andern Urtheile dürfte man aber doch gelangen, wenn man
die Geſammtthätigkeit dieſes Mannes überblickt, welchen ſo ausführlich
in ſeinem Wirken verfolgt zu haben gewiß, wie aus den kritiſchen Be-
merkungen hervorgeht, kein nationales Vorurtheil Veranlaſſung ge-
geben hat. Klein war keinesfalls ein großes naturhiſtoriſches Genie,
und iſt es nur Localſtolz, wenn ſein Biograph Sendel Linné den Klein
der nordiſchen Reiche nennt. Doch iſt er ſowohl für das, was bei der
Form, in welcher er die Zoologie vorfand, weſentliches Bedürfniß für
ſie war und für die Art, wie dieſem aus der Zeit heraus zu genügen
verſucht wurde, als auch für den Einfluß beſtimmter philoſophiſcher
Richtungen eine ſo charakteriſtiſche Erſcheinung in der Geſchichte der
Zoologie, daß er ſelbſt dann noch eingehend zu beſprechen geweſen ſein
würde, wenn ſeine Schriften noch weniger Erfolg gehabt hätten, als es
in der That der Fall war. Von den vielen Forſchern und Compilatoren,
welche theils Klein's Syſtem, theils das Linné's auszubauen oder zu
verbeſſern ſuchten, hat keiner in ſo conſequenter Weiſe das ganze Thier-
reich durchmuſtert; keiner hat in gleich conſequenter Weiſe den Verſuch
gemacht, eine Anordnung ſämmtlicher Formen von einem rein künſt-
lichen, man darf kaum ſagen logiſchen, Geſichtspunkte aus zu begründen;
freilich bedachte Klein dabei nicht, daß es ſich hier nicht um Anordnung
von Begriffen, ſondern um die Beſtimmung der Zuſammengehörigkeit
lebender, wachſender, ſich entwickelnder thieriſcher, den verſchieden-
artigſten Lebensbedingungen ausgeſetzter Weſen handelte. Und wenn
es hiernach faſt ſcheinen könnte, als ſolle hierdurch auf Klein wie auf
ein abſchreckendes Beiſpiel hingewieſen werden, ſo muß doch darauf
aufmerkſam gemacht werden, daß die Wiſſenſchaft wohl nicht ſo leicht
und glücklich über die mit geſchichtlicher Nothwendigkeit doch zu durch-
laufende Periode gekommen wäre, wenn nicht Klein, gegen ſeinen
Willen, in faſt allen Klaſſen das Unhaltbare von Syſtemen nachgewie-
ſen hätte, welche ohne Berückſichtigung der Geſammtnatur der Thiere
[491]Jakob Theodor Klein.
aufgeſtellt werden. Es iſt aber nicht zu vergeſſen, daß die Zoologie ſich
in einer ziemlich kurzen Zeit ihrer eigentlichen wiſſenſchaftlichen Auf-
gabe bewußt zu werden anfieng, daß die einzelnen[ ]Richtungen zwar an-
fänglich in der Ausführung von verſchiedenen Männern vertreten
wurden, daß ſie aber doch ſämmtlich in der Aufſtellung eines Syſtems
gipfelten, welches zwar zunächſt die Beſtimmung hatte oder wenigſtens
zu haben ſchien, die in großer Anzahl bekannt werdenden neuen For-
men der alten und neuen Welt leicht und überſichtlich zu ordnen,
welchem aber doch ſchon in ſeiner erſten Form die Aufgabe zufiel, da-
neben auch die zur Zeit erlangten Kenntniſſe von den Thieren und
nicht bloß die einzelnen Formen ſyſtematiſch geordnet darzulegen. Wie
Klein in Bezug auf die wiſſenſchaftliche Begründung des Syſtems keine
andere Kritik als die einer ſchulgerechten Diſtinction anerkannte, gegen
deren Regeln er aber ſelbſt öfter verſtieß, ſo entgieng ihm damit auch die
Nothwendigkeit einer formellen, oder wenn man will techniſchen Be-
gründung. Ray hatte zwar hierzu den Anſtoß durch Feſtſtellung des
Artbegriffs gegeben; Klein kennt dieſen nicht. Denn wenn ihm auch
Species die kleinſte ſyſtematiſche Gruppe iſt, ſo wird ſie doch nirgends
von ihm hinreichend charakteriſirt, um auch als ſyſtematiſche Einheit
gelten zu können; und der Ausdruck Genus gilt auch ihm nur als Be-
zeichnung für ein logiſches Verhältniß der Ueber- und Unterordnung.
Schon bei Klein findet ſich übrigens „Geſchlecht“ und „Gattung“ als
deutſche Bezeichnungen für Genus und Species, was bekanntlich theil-
weiſe noch bis auf den heutigen Tag in halbpopulären Schriften zu
Verwirrungen führt. Klein's Standpunkt in Bezug auf Syſtematik
wird vielleicht am beſten durch die vorn angeführte Stelle gekenn-
zeichnet, wonach er die Thiere als vom Schöpfer ſelbſt in „Geſchlechter
und Gattungen“ eingetheilt anſieht, welche aufzufinden und zu charak-
teriſiren dann Aufgabe des Zoologen ſei. Was endlich eine Berück-
ſichtigung der Thiere, als belebter Naturgegenſtände betrifft, ſo lag
Klein eine Unterſuchung des anatomiſchen Gefüges als der Grund-
lage der Lebenserſcheinungen durchſchnittlich eben ſo fern wie der
Gedanke, in dem Bau der Thiere den ſicherſten Hinweis auf ihre
ſyſtematiſche Anordnung zu erblicken. Neben Klein arbeitete nun
[492]Periode der Syſtematik.
aber ein Mann, welchen gerade die hier erwähnten Momente be-
ſtimmten, den Aufbau des Syſtems von den Thieren ſelbſt aus
und nicht bloß einſeitig nach ihrer äußern Erſcheinung zu verſuchen,
welcher die Nothwendigkeit fühlte, dieſen Verſuchen eine ſicherere
formelle Begründung zu geben als bisher und welcher unter kritiſcher
Benutzung aller inzwiſchen gemachten Erfahrungen trotz mancher durch
die Zeit bedingten Misgriffe, die Zoologie von Neuem wiſſenſchaftlich
gründete. Denn mit ihm hörte ſie auf, eine bloße Sammlung natur-
hiſtoriſcher Schilderungen zu ſein; er vereinigte zum erſtenmale die ſo-
wohl aus der Kenntniß des ganzen Thierreichs als aus der der einzel-
nen Formen und Gruppen reſultirenden allgemeinen Wahrheiten zu
einer ſyſtematiſchen Geſammtform; er vollendete das Gebäude, zu
welchem Ray neuerdings den Grund zu legen begonnen hatte und deſſen
eine Außenwand Klein einſeitig aufzuführen verſucht hatte.
Carl von Linné.
Eine ziemlich weit verzweigte Familie ſchwediſcher Bauern hatte
bereits im ſiebzehnten Jahrhundert mehrere Söhne in den Gelehrten-
ſtand eintreten laſſen. Dabei nahmen dieſe einen Familiennamen an
und wählten ihn nach einer in ihrer Geburtsgegend zwiſchen Jomsboda
und Linnhult ſtehenden Linde. So nannte ſich der eine Zweig Tiliander,
der andere Lindelius. Der 1674 geborene Nils Ingemarsſon wurde
1705 Prediger in Råshult, 1707 Prediger in Stenbrohult in Små-
land und nahm beim Eintritt in die Univerſität, der Ueberlieferung
nach von derſelben Linde, den Namen Linnaeus an. In Råshult
wurde am 2./13. Mai 1707 ſein Sohn Carl Linnaeus geboren,
deſſen Namen ſich bei der vom 4. April 1757 datirten im November
1761 erfolgten und durch Reichstagsbeſchluß von Ende 1762 beſtätig-
ten Erhebung in den Adelsſtand in Carl von Linné umänderte46).
Bei dem Sohne eines für Gartenbau und Pflanzenkunde begeiſterten
Mannes erwachte die Liebe zur Natur und zur eingehenden Beſchäf-
tigung mit ihr ſchon in den frühen Knabenjahren und führte ihn zur
[493]Carl von Linné.
Bekanntſchaft mit den meiſten Naturerzeugniſſen, vorzüglich zunächſt
der Pflanzen, ſeines Wohnorts. Zum Studium der Theologie be-
ſtimmt, ſollte er auf der Schule zu Wexiö (1717-1724), dann auf
dem dortigen Gymnaſium (bis 1727) für die Univerſität vorbereitet
werden. Nach kurzem Aufenthalt auf dem Gymnaſium liefen aber von
ſeinen Lehrern ſo ungünſtige Berichte über ſeine Fortſchritte ein, daß
der Vater wohl ſeinen Vorſatz, ihn zur Sicherung ſeines ſpäteren
Broderwerbs Schuhmacher werden zu laſſen, ausgeführt haben würde,
wenn nicht ein Arzt in Wexiö, Johann Rothmann, ſich warm für den
jungen Botaniker verwandt und den Vater ſchließlich beſtimmt hätte,
den Sohn Medicin ſtudiren zu laſſen. Linné bezog nun die Univerſität
Lund, wo ſich Kilian Stobaeus, der Profeſſor der Botanik, wohl-
wollend ſeiner annahm und ihm durch Förderung ſeiner Neigung und
Unterſtützung mit reichen litterariſchen Hülfsmitteln Gelegenheit gab,
einen ſichern Grund für ſein an Formenkenntniß ſchon ſehr aus-
gebreitetes Wiſſen zu legen. In die Zeit ſeines Aufenthaltes in Lund
(1728) fällt ſeine heftige Erkrankung in Folge des vermeintlichen Ein-
dringens eines fabelhaften, bis jetzt wenigſtens nicht zweifellos auf-
geklärten Wurms, der von Linné ſogenannten Furia infernalis. Auf
des genannten Rothmann Rath ging Linné im Herbſte 1728, von
ſeinen Eltern mit einer kleinen Summe ein für allemal ausgerüſtet,
nach Upſala, um dort vorzüglich Olaf Rudbeck als Lehrer be-
nutzen zu können. Aus einer drückenden Lage, in welche ihn ſeine
Mittelloſigkeit verſetzt hatte, befreite ihn das Wohlwollen des Theologen
Olaf Celſius, welcher mit den Vorarbeiten zu ſeinem Hierobotanon
beſchäftigt durch Zufall einen Einblick in des jungen Studenten bota-
niſche Kenntniſſe erhalten hatte. 1730 fieng Linné an, als Stellvertreter
für Rudbeck Vorleſungen zu halten; dadurch wurde ihm bei Be-
nutzung von Rudbeck's Bibliothek manches zoologiſche Werk und auch
Rudbeck's Zeichnungen ſchwediſcher Vögel zugänglich. Wichtig für
Linné war auch die bald nach ſeiner Ankunft in Upſala gemachte Be-
kanntſchaft eines beinahe gleichaltrigen jungen Mannes, mit welchem
er bald eng befreundet wurde und mit welchem er ſich, ähnlich wie
früher Ray mit Willughby, in Betreff ſeiner ſchon damals gefaßten
[494]Periode der Syſtematik.
Pläne zur Reformation der Naturgeſchichte in die zu bearbeitenden
einzelnen Felder theilte; es war dies Peter Arctädius, ſpäter
meiſt Artedi genannt. Im Jahre 1705 in Angermannland, wie
Linné von armen Eltern geboren, bezog er 1724 die Univerſität
Upſala, um Theologie zu ſtudiren, kam aber wie Linné bald von ihr
ab und widmete ſich der Natur. Wie Linné zunächſt den Gedanken ge-
faßt hatte, die Botanik zu reformiren (beſonders angeregt durch die
ihm 1728 bekannt gewordene Schrift Vaillant's über den Bau der
Blüthe), ſo verfiel Artedi auf einen gleichen Plan in Bezug auf die
Fiſche. Der lebendige Austauſch aller neuen Eindrücke zwiſchen den
jungen Freunden wurde indeſſen bald unterbrochen. Die früher er-
wähnte litterariſche wiſſenſchaftliche Geſellſchaft in Upſala beſchloß
nämlich, Lappland mit der Aufgabe einer ſorgfältigen Unterſuchung
der Naturmerkwürdigkeiten dieſer nördlichſten ſchwediſchen Provinz be-
reiſen zu laſſen. Die Wahl des zu Sendenden fiel auf Linné. Am
2./13. Mai 1732 trat dieſer die Reiſe an, welche er ſpäter ſelbſt für
die beſchwerlichſte, aber auch lohnendſte erklärte von allen, welche er
gemacht habe. Da er, im October 1732 nach Upſala zurückgekehrt, in
Folge der Eiferſucht und des Neides ſeitens des Adjuncten Roſen die
Erlaubniß Vorleſungen halten zu dürfen verloren (er war noch nicht
promovirt), dagegen ein kleines Stipendium erhalten hatte, benutzte er
ſeine Erſparniſſe zu einer mineralogiſchen Reiſe nach Fahlun, reiſte
von dort auf Koſten Reuterholm's mit einer Anzahl jüngerer Zuhörer
durch Dalekarlien, hielt dann in Fahlun ſelbſt Vorträge über Mineralogie
und Probirkunſt und verlobte ſich, um zu ſeiner, wie es damals gebräuchlich
war, im Auslande zu bewerkſtelligenden Promotion die nöthigen Mittel
zu erhalten, mit der Tochter des Doctor Johann Moraeus in Fahlun.
Um Neujahr 1735 trat Linné ſeine Reiſe in's Ausland an, um in
Holland, dem damals meiſt von Schweden aus zu dieſem Zwecke
beſuchten Lande, ſich die mediciniſchen Lorbeeren zu holen, während
Artedi zur Fortführung ſeiner ichthyologiſchen Unterſuchungen kurz vor-
her nach England gegangen war. Linné promovirte am 13./24. Juni
in Harderwijk durch Vertheidigung einer neuen Hypotheſe über die
intermittirenden Fieber. In Amſterdam wurde er mit Joh. Friedr.
[495]Carl von Linné.
Gronov befreundet, durch deſſen Vermittelung das von Linné anfäng-
lich in Tabellenform entworfene neue „Syſtem der Natur“ zum erſten-
male (1735) gedruckt wurde. Im ſelben Jahre bereitete er auch die
Fundamenta botanica ſo weit vor, daß ſie im folgenden Jahre, ebenſo
wie die botaniſche Bibliothek, im Drucke erſcheinen konnten. Dieſe
Fundamente ſind um ſo wichtiger, als Linné hier, zwar zunächſt für
die Botanik, aber doch auch allgemein für die wiſſenſchaftlich formale
Behandlung der Natur feſte Regeln ſowohl für das Syſtem ſelbſt, als
auch für die Nomenclatur und Terminologie aufſtellte, obſchon er in
Bezug auf Nomenclatur dieſe Regeln anfänglich ſelbſt nicht durch-
gehends befolgte. Durch Gronov wurde Linné mit Boerhave und
durch dieſen mit Burmann und Clifford bekannt. Von beiden mit
Auszeichnung und liberalſter Gaſtfreundſchaft aufgenommen, arbeitete
Linné mehrere ſeiner wichtigeren botaniſchen Werke in Holland aus,
gieng auch in Clifford's Auftrag 1736 nach England, wo er Shaw,
Hans Sloane, Dillenius u. a. perſönlich kennen lernte. Von Eng-
land zurückgekehrt, gab er 1737 die Genera plantarum heraus, denen
im folgenden Jahre als zweiter Theil der Fundamente die Classes
plantarum ſich anſchloſſen. Wie er bis jetzt in Holland vorwaltend in
Gärten mit deren Anordnung und Beſchreibung nach ſeinen neuen
ſyſtematiſchen Anſichten thätig geweſen war, ſo lag ihm nun noch eine
Aufgabe ob, deren Leiſtung für Zoologie wichtig ihn beſonders ſchmerz-
lich berühren mußte. Am 25. September 1735 war ſein Freund
Peter Artedi, welcher inzwiſchen von England herübergekommen
und dem Apotheker Alb. Seba zur Beſchreibung ſeines beſonders an
Fiſchen reichen Muſeums empfohlen worden war, auf dem abendlichen
Heimwege von Seba's Hauſe in eine Gracht gefallen und ertrunken.
Seine hinterlaſſenen Manuſcripte löſte Clifford von Artedi's Wirth
aus und ſchenkte ſie Linné. Anfang 1738 erſchien nun das für ſeine
Zeit bedeutende Werk Artedi's über die Fiſche von Linné heraus-
gegeben, welcher auch bei der Anordnung dieſer Claſſe in den erſten
Auflagen ſeines Naturſyſtems ganz ſeinem Freunde folgte. Im Mai
1738 ging Linné nach Paris, knüpfte dort mit den beiden Juſſieu,
Reaumur u. A. Bekanntſchaften an und kehrte dann, noch in Paris
[496]Periode der Syſtematik.
zum Correſpondenten der Akademie der Wiſſenſchaften aufgenommen,
nach Stockholm zurück. Hier wurde er Anfangs kalt empfangen und
mußte ſich durch ärztliche Praxis Unterhalt zu verſchaffen ſuchen, hatte
aber damit Glück, wurde bei Hofe eingeführt, wo De Geer und Graf
Teſſin ſich ſeiner beſonders annahmen und heirathete am 26. Juni
1739. Im Jahre 1741 wurde er Profeſſor der Medicin in Upſala,
welche Stelle er Ende des Jahres mit Roſen gegen die der Botanik und
Naturgeſchichte vertauſchte. Nun war endlich Linné an ſeinem Platze;
er reformirte den ganzen Garten, errichtete 1745 darin ein natur-
hiſtoriſches Muſeum, gab als Reſultat ſeiner mannigfachen Reiſen
durch die ſchwediſchen Provinzen 1746 ſeine ſchwediſche Fauna heraus,
wurde 1747 Archiater und ſandte eine Anzahl ſeiner Schüler (Tern-
ſtröm, Kalm, Haſſelquiſt, Montin, Osbeck u. a.) nach den verſchie-
denſten Ländern zur Erforſchung der Naturerzeugniſſe aus. 1750 ſam-
melte und erweiterte er in der Philosophia botanica die früher in den
Fundamenten mitgetheilten Grundſätze mit andern in der „Kritik“ und
den „Claſſen der Pflanzen“ enthaltenen Bemerkungen und ſchuf damit
ein Werk, welches die Botanik formell neu gründete. Die allgemein
für Naturbeſchreibung wichtigen Grundſätze wandte er ſpäter auf die
ganze Natur an und gab noch ſelbſt ähnliche methodologiſche Funda-
mente für die Entomologie und Ornithologie, denen ſpäter ganz im
Linné'ſchen Sinne Joh. Reinhold Forſter im Enchiridion die Funda-
mente der Ichthyologie anſchloß. Unter beſtändig ſteigender Anerken-
nung ſeiner Bedeutung, nicht mehr bloß vom Auslande, ſondern auch
von ſeinen Landsleuten, war Linné in den übrigen Jahren ſeines
Lebens in einer ſeltenen Weiſe thätig, die Kenntniß der Natur ſowohl
im Allgemeinen als vorzüglich die Kenntniß der einzelnen Formen und
ihrer Beziehung zu einander zu fördern und zu erweitern. In ganz
beſonderer Weiſe tritt ſeine Regſamkeit bei Vergleichung der verſchie-
denen Ausgaben ſeiner Pflanzenſpecies ſowie ſeines Naturſyſtems hervor,
von welchem letzteren Werke z. B. die zehnte und zwölfte Ausgabe ganz
neue Bücher geworden waren 47). Seine Thätigkeit als Lehrer war in
[497]Carl von Linné.
gleichem Grade bedeutend und muß in hohem Grade anregend geweſen
ſein. Bisher war die Naturgeſchichte nur als Anhang zur Heilmittel-
lehre, ganz wie am Ausgange des Mittelalters als Lehre von den „ein-
fachen Mitteln“ behandelt und in der alten ſteifen mehr litterar-
hiſtoriſchen Weiſe vorgetragen worden. Linné ſchöpfte aus einem
außerordentlich reichen Schatze autoptiſcher Erfahrung und führte ſeine
Schüler (zu denen auch Schreber und J. E. Fabricius gehörten) in
einer völlig neuen Weiſe in die Natur ein. Wie ſeine Vorleſungen, ſo
war auch ſein Präſidium bei Promotionen geſucht; ein reiches Zeug-
niß hierfür gibt die große Zahl von Diſſertationen, welche von ihm
verfaßt oder überarbeitet, ſpäter in den Amoenitates academicae ge-
ſammelt wurden. Im Jahre 1758 hatte er Hammarby gekauft und es
1764, nachdem er durch ſeinen Sohn Carl im Lehramte eine Ver-
tretung erhalten hatte, bezogen. Nach mehreren ſchweren Erkrankungen
traten Schlaganfälle ein, in deren Folge er am 10. Januar 1778 ſtarb.
Linné's Verdienſte um die Zoologie und Botanik iſt man heutzu-
tage geneigt, wenn nicht zu unterſchätzen, doch einer entſchieden ver-
gangenen Zeit angehörig zu betrachten, da die Fragen, welche jetzt den
Inhalt der wiſſenſchaftlichen Beſtrebungen ausmachen, nur ſelten oder
überhaupt kaum von ihm berührt werden. Seine nicht bloß geſchicht-
liche Bedeutung für die Wiſſenſchaft der belebten Natur auch in ihrer
heutigen Form iſt aber ganz außerordentlich und kaum von der irgend
eines andern Mannes übertroffen. Sollen allgemeine Wahrheiten aus
Einzelbeobachtungen abgeleitet werden, ſo müſſen letztere ſo präcis
wiedergegeben werden können, daß man unter allen Umſtänden weiß,
wovon die Rede iſt. Dies war aber bis zu Linné weder in der Zoologie
noch in der Botanik möglich. Von Thieren hatte man eine beträcht-
liche Zahl kennen gelernt; aber Niemand war im Stande, mit Sicher-
47)
V. Carus, Geſch. d. Zool. 32
[498]Periode der Syſtematik.
heit anzugeben, ob nicht etwa (die allerbekannteſten von Alters her be-
nannten und beſchriebenen Formen ausgenommen) zwei oder mehr ver-
ſchiedene Beſchreibungen ein und daſſelbe Thier beträfen. In den
philoſophiſchen Disciplinen wäre es ſchon ſeit Jahrhunderten Nieman-
dem eingefallen, auch nur von einer Wiſſenſchaft zu ſprechen, wenn
nicht die Gegenſtände, welche der Betrachtung unterlagen, in einer
ſcharf ausgebildeten, (durch eine nur gar zu große Menge von allgemein
anerkannten und in ihrer Bedeutung keinen Zweifel zulaſſenden Kunſt-
ausdrücken auf Alles vorbereiteten) Sprache hätten ſo deutlich be-
zeichnet werden können, daß jeder Fachmann beim bloßen Nennen
eines beſtimmten Namens wußte, um was es ſich handelte. Sieht
man ſich dagegen in den naturgeſchichtlichen Werken der Vorgänger
Linné's, bei Ray, Klein u. A. um, ſo tritt ſofort der Uebelſtand ſehr
fühlbar entgegen, daß man ſtatt kurzer, die einzelnen Formen präcis
als ſolcher bezeichnender Ausdrücke mehr oder weniger ausführlich ge-
haltene Definitionen findet, welche ſich beinahe in allen den Fällen als
unzureichend herausſtellen, in denen es ſich um Unterſcheidung einer
nahe verwandten Form von einer andern oder um Wiedererkennung
einer ſchon früher geſchilderten handelt. Es war nun aber nicht bloß
die Namengebung der einzelnen Arten, ſondern in einem noch auf-
fallenderen Grade auch die Bezeichnungsweiſe der einzelnen Theile
und aller als Merkmale zu benutzender Eigenthümlichkeiten der Thiere
unbeſtimmt und ſchwankend. Einzelne Verſuche, die Terminologie feſt-
zuſtellen, waren allerdings, wie betreffenden Ortes erwähnt, ſchon ge-
macht worden, aber noch nicht in einer conſequenten, die ganze Reihe der
beſchriebenen Thiere umfaſſenden Weiſe und nicht unter Berück-
ſichtigung der durch die Verſchiedenheit der Gruppen ſelbſt bedingten
Merkmalkreiſe. Dieſe Unſicherheit in der Sprache machte ſich ferner
nicht bloß bei den Beſchreibungen, ſondern auch beim Aufbau und bei
der Gliederung des Syſtems in Bezug auf die Benennung der einzel-
nen Gruppen fühlbar. Wenn nun etwa von einem modernen Stand-
punkte aus geſagt werden ſollte, daß ja für den Fortgang der Erkennt-
niß nichts darauf ankäme, wie man die einzelnen Gruppen nennt, ſo
muß doch bemerkt werden, daß man gleiche Verwandtſchaftsgrade nicht
[499]Carl von Linné.
nach Belieben mit verſchiedenen Namen belegen darf und daß es bei der
Anordnung verſchiedener Formen nach ihren gegenſeitigen Beziehungen
nicht bloß von Werth, ſondern geradezu unerläßlich iſt, für die einzelnen Ver-
hältniſſe auch gleiche, eine beſtimmte Bedeutung enthaltende Bezeich-
nungen zu haben.
Linné's Beſtreben war nun nach dieſen Richtungen hin vorzüglich
darauf gerichtet, die Kunſtſprache im weiteren Sinne feſtzuſtellen. Um
hier das wenn auch Nothwendige, doch nicht Bedeutungsvollſte zuerſt
zu nennen, ſo muß auf die in den Fundamenten enthaltenen Ueberſichten
der Theile und Merkmalsgruppen hingewieſen werden, welche er ſelbſt,
wie erwähnt, zwar nur für einzelne Theile ausgearbeitet hat, welche
er aber in ähnlicher Weiſe ſeinen Schilderungen aller übrigen Claſſen
zu Grunde gelegt hat. Für jede einzelne Claſſe entwarf er Liſten, in
welchen die äußeren und anatomiſchen Verhältniſſe nach den vorkom-
menden Verſchiedenheiten in ihrer Form, ihrem Bau, ihrer Anordnung
u. ſ. f. unter ein für allemal feſtgeſtellten Bezeichnungen aufgeführt
werden, welche alſo den jeder Claſſe eignen Merkmalskreis umfaſſen45).
Mittelſt derſelben wurde es möglich, einzelne Arten in kurzen, allgemein
verſtändlichen und nicht zu mißdeutenden Definitionen oder „Diagnoſen“
zu kennzeichnen. Dieſe Diagnoſen innerhalb einer beſtimmten kleinen
Zahl von Worten zu halten, war vielleicht ſchon zu Linné's Zeit eine
zu eng gehaltene Vorſchrift; ſie hatte aber das Gute, die Beſchreiber
neuer Arten darauf hinzuweiſen, daß nur die wichtigſten Unterſchiede
anzuführen ſeien; zu dieſem Zwecke mußten aber wiederum die Formen
ſelbſt genauer und allſeitiger beobachtet werden. Die Diagnoſen zu
erweitern, ſtellte ſich dann als nothwendig heraus, als mit dem immer
weiteren Eindringen in den Formenreichthum einzelner Gruppen die
Schwierigkeit wuchs, die Verſchiedenheit zweier oder mehrerer Formen
aus wenig Merkmalen nachzuweiſen. — Noch wichtiger war die con-
ſequent durchgeführte Gliederung des Syſtems in Claſſen, Ordnungen,
Gattungen, Arten und Varietäten. Während vor Linné, auch noch bei
32*
[500]Periode der Syſtematik.
Klein, in der Bezeichnung dieſer verſchiedenen einander untergeordneten
Gruppen die allergrößte Willkür herrſchte, tritt die erwähnte ſichere
Abgrenzung bereits in der erſten Auflage des Naturſyſtems auf. Dabei
hebt aber Linné ſelbſt hervor, daß dieſe Gruppen in gewiſſer Weiſe
künſtliche ſeien, daß dagegen die Auffindung des natürlichen Syſtems
die Hauptaufgabe bilde. Für die Botanik theilt er in der „Philoſophie“
eine verſuchsweiſe Aufzählung der natürlichen Gruppen mit, welche
zwar noch nicht die Bezeichnung Familie tragen, welche aber vollſtän-
dig den ſpäter ſo genannten Abtheilungen entſprechen. — Von der
größten Bedeutung war aber die Feſtſtellung des Begriffes der Art
als des ſyſtematiſchen Ausgangspunktes. Auch hier weiſt er ſchon in
der erſten Auflage des Naturſyſtems darauf hin, daß die Individuen-
zahl in jeder Species ſich beſtändig vergrößere, aber rückwärts ver-
folgt ſchließlich auf ein Paar oder ein Zwitterindividuum führe. Es
gibt keine neue Arten; Aehnliches gebiert nur Aehnliches. Dies ſind
die Grundſätze, welche ſpäter in der Philoſophie der Botanik nur weiter
formulirt werden: „Es gibt ſo viel Species, als urſprünglich erſchaffen
worden ſind.“ Dieſe „Formen haben nach den Geſetzen der Zeugung
mehrere, aber immer ſich ſelbſt ähnliche hervorgebracht.„ Es findet ſich
alſo hier der von Ray zuerſt hervorgehobene Geſichtspunkt in ſcharf
ausgeſprochener dogmatiſirter Form. Dabei iſt indeß zu bemerken, daß
trotz dieſer, in der Fixirtheit der Arten liegenden Beſchränkung Linné
weiter blickte und die Gattungen gleichfalls für natürliche, die Ord-
nungen und Claſſen aber für Werke der Natur und Kunſt erklärte.
Dies war allerdings zunächſt für die Pflanzen ausgeſprochen worden,
wo die Gattungen durch ein Merkmal höherer Ordnung ausgezeichnet
und anatomiſch charakteriſirt werden ſollten. Es iſt aber dieſe Erklärung
bezeichnend für Linné's ganze Auffaſſung. Nur conſequent war es,
wenn die Species als von der Natur gegeben betrachtet wurden, die
Uebereinſtimmung in einer gewiſſen Merkmalgruppe auch für den Be-
weis einer natürlichen Zuſammengehörigkeit gewiſſer Arten anzuſehen
und daher die Gattungen für vollſtändig natürliche, die Ordnungen und
Claſſen für theilweiſe natürliche, theilweiſe künſtliche Gruppen zu hal-
ten. Das Natürliche bei den letzten weiten Gruppen ſucht Linné in
[501]Carl von Linné.
der Uebereinſtimmung mehrerer verwandter Gattungen u. ſ. f. in einer
ganzen Reihe von Merkmalen, welche den Habitus bedingt. Hiernach
natürliche Gruppen zu finden, iſt, wie Linné ſelbſt erklärt, das letzte
Ziel der Botanik. „Die Natur macht keinen Sprung“. „Alle Pflanzen
bieten nach beiden Seiten hin Affinitäten dar, wie ein Territorium
auf einer Landkarte.“ Er unterſcheidet Syſtem von Methode und ſpricht
nur von der natürlichen Methode, welche er dem Syſteme, als dem
künſtlichen Baue gegenüberſtellt. Nun führt er zwar alle dieſe Regeln
und Grundſätze in der „Philoſophie der Botanik“ aus, er bringt aber
wiederholt zur Erläuterung ſeiner Anſichten Beiſpiele aus dem Thier-
reiche, ſo daß man Alles als auch für dieſes geltend anſehen muß.
Indem Linné das Syſtem für den Faden der Ariadne in der
Botanik erklärt, ohne welchen die Kräuterkunde ein Chaos ſein würde
(und er wiederholt den Ausdruck im Naturſyſtem), weiſt er darauf hin,
welchem Bedürfniß er zunächſt abzuhelfen ſuchen wollte. Er führt das
Beiſpiel an von einer unbekannten indiſchen Pflanze; hier mag ein
„Pflanzenliebhaber“ alle möglichen Beſchreibungen und Abbildungen
vergleichen, er wird den Namen derſelben nur durch Zufall finden; ein
„Syſtematiker“ wird dagegen bald entſcheiden, ob er eine neue oder eine
alte Gattung vor ſich hat. Aber gerade der Umſtand, daß Linné bei
der ſyſtematiſchen Reform der Naturgeſchichte nicht bloß an dies Be-
dürfniß des ſchnellen Bekanntwerdens mit unbeſchriebenen Formen
dachte, ſondern dabei auch die höhere Aufgabe, die weiteren Verwandt-
ſchaften durch eine natürliche Anordnung der Formen nachzuweiſen,
vor Augen hatte, machte Linné's Syſtem zu einem in kurzer Zeit ſo
allgemein anerkannten. Er ließ ſich in den meiſten Fällen nicht durch
bloß adaptive Merkmale verleiten, die natürliche Verwandtſchaft zu über-
ſehen, obſchon ein merkwürdiger Mißgriff, welchen Linné in dieſer
Beziehung bei den Fiſchen machte, ſpäter noch zu erwähnen ſein wird.
Er berückſichtigte wohl den Habitus, aber legte doch die anatomiſchen
Verhältniſſe ſeinen großen Eintheilungen zu Grunde. Von dieſem
Geſichtspunkte aus wird ſein, wenn ſchon künſtliches Thierſyſtem doch
zum großen Theile natürlich.
Es war endlich — und dies ſtellt nicht gerade das kleinſte Verdienſt
[502]Periode der Syſtematik.
Linné's um die formelle Behandlung der Naturgeſchichte dar — ein
außerordentlich glücklicher Griff, auch für die Bezeichnung der Pflanzen-
und Thierarten ſelbſt eine neue einfache Art der Namengebung einzu-
führen. Die Unbequemlichkeit, Arten, für welche kein einfacher, popu-
lärer Name exiſtirte, nur durch eine langathmige Definition Anderen
wiedererkennbar nennen zu können, wurde um ſo unerträglicher, je
mehr neue Formen in den Kreis der Beſprechungen eintraten. Gattungs-
namen hatte man oder man ſchuf ſie, ſobald man verſuchte, neue Arten
den ſchon bekannten anzuſchließen; noch fehlte es aber an einer kurzen
Bezeichnung für die Species. Da führte er die binäre Nomenclatur
ein, indem er dem Gattungsnamen einen ſogenannten Trivialnamen
für die Art zufügte. Den erſten Gebrauch von ſolchen machte er offen-
bar nur in der Abſicht, die aufgeführten Arten kurz bezeichnen zu kön-
nen, in der Diſſertation Pan suecicus 1749. In der Philoſophie der
Botanik ſagt er dann (1751): „Vielleicht könnte man Trivialnamen
einführen in der Weiſe, wie ich ſolche im Pan gebraucht habe.“ Durch-
geführt erſcheint die binäre Nomenclatur zuerſt in den Species planta-
rum 1753 und auf alle drei Reiche der Natur ausgedehnt in der zehnten,
beziehentlich (für die Mineralogie) zwölften Ausgabe des Naturſyſtems.
Es braucht kaum darauf aufmerkſam gemacht zu werden, welche Erleich-
terung dieſe Methode der Namengebung gewährt hat und noch gewährt.
Dabei hatte aber Linné noch eine weitere Benutzung dieſer Trivial-
namen im Auge, er glaubte nämlich, daß man möglicherweiſe durch die
Wahl einer beſtimmten Endung des Trivialnamens, gleich äußerlich
dem Gedächtniß zu Hülfe kommend, andeuten könne, welcher größeren
oder kleineren Gruppe die in einer ſolchen Weiſe benannte Art zugehöre.
Hierdurch entſtanden die Endungen der Artnamen in den einzelnen
Gruppen der Schmetterlinge auf — aria, — ata, — alis, — ella,
dactyla46). Es kann im Ganzen indeſſen nur gebilligt werden, daß
dieſem Vorſchlage nicht weiter Folge gegeben worden iſt, da ein derar-
tiger Zwang dem völlig arbiträren Charakter des Namens Abbruch thut.
[503]Carl von Linné.
Wie hienach Linné für den äußeren ſprachlichen Theil der Natur-
geſchichte beſtimmte Regeln aufſtellt, ſo muß auch erwähnt werden, wie
er ſelbſt in der Befolgung derſelben ein glänzendes Beiſpiel gab. Wenn
auch nicht zu leugnen iſt, daß er in Bezug auf Knappheit und Gedrängt-
heit des Ausdrucks manchmal bis an die äußerſte Grenze des noch
Verſtändlichen gieng, ſo zieht doch ſelbſt durch die ſtraffeſt gehaltenen
Schilderungen und Definitionen ein, ſo deutlich das tiefſte gemüthliche
Intereſſe wie die eingehendſte Beobachtung verrathender Zug, man
möchte beinahe verſucht ſein zu ſagen von Poeſie, daß auch von dieſer
Seite aus beſonders die Einleitungen ſeiner Schriften zu den intereſſan-
teſten und durch ihren Inhalt lohnendſten Stücken der neuern natur-
geſchichtlichen Litteratur gehören47).
Wie Linné für die Arten und Gattungen ſcharfe Definitionen for-
derte und aufſtellte, ſo begann er auch ſeine ſyſtematiſche Reform damit,
daß er die drei Naturreiche ſelbſt durch kurze Diagnoſen kennzeichnete.
In der letzten Aufgabe des Naturſyſtems erſcheint die berühmte Charak-
teriſirung deſſelben: „Die Steine wachſen, die Pflanzen wachſen und
leben, die Thiere wachſen, leben und empfinden.“ In den ſpäteren
Ausgaben ändert er nur den Charakter des Wachſens in den von der
Zuſammenſetzung hergenommenen um und nennt den Stein congesta,
Pflanzen und Thiere organisata. Dieſe Unterſcheidung geht parallel
mit der Aenderung, welche in der Charakteriſirung der Claſſen eintritt,
in die er das ganze Thierreich theilt. In allen Ausgaben ſind es aber
dieſelben ſechs Claſſen: Vierfüßer, Vögel, Amphibien, Fiſche, Inſecten
und Würmer. Anfangs (1.-9. Ausgabe des Naturſyſtems) legte
46)
[504]Periode der Syſtematik.
er mehr Gewicht auf äußere Charaktere, offenbar in Anſchluß an frühere
ſyſtematiſche Verſuche; die Vierfüßer werden als behaarte und mit vier
Füßen verſehene Thiere bezeichnet, deren Weibchen lebendige Junge gebä-
ren und ſäugen; die Vögel haben einen befiederten Körper, zwei Flügel,
zwei Füße, einen knöchernen Schnabel, die Weibchen legen Eier; die
Amphibien haben einen nackten oder ſchuppigen Körper, keine Backzähne,
aber ſtets die übrigen, keine Floſſen; die Fiſche haben einen fußloſen,
mit echten (d. h. durch Strahlen geſtützten, ſpäter „an die Stelle der
Füße tretenden“) Floſſen verſehenen, nackten oder beſchuppten Körper;
die Inſecten ſind von einer knöchernen Hülle ſtatt der Haut bedeckt,
ihr Kopf mit Antennen verſehen; die Würmer endlich werden dadurch
bezeichnet, daß ihre Muskeln mit dem einen Ende einer ſoliden Baſis
angeheftet ſind. An der Stelle dieſer, zum Theil Aelteres wiederholen-
den Charakteriſirung tritt in der zehnten Ausgabe des Naturſyſtems
eine andere, für deren Begründung der oberſte Grundſatz aufgeſtellt
wird: „die natürliche Eintheilung der Thiere wird von ihrem inneren
Baue angezeigt.“ Und hiernach erſcheinen nun dieſelben ſechs Claſſen
nach dem Herzen und dem Blute charakteriſirt: Säugethiere (nicht mehr
Vierfüßer) mit zweikammerigem und zweivorkammerigem Herzen, rothem
warmen Blute, lebendig gebärend; Vögel wie Säugethiere, nur Eier
legend; Amphibien und Fiſche mit einkammerigem und einvorkamme-
rigem Herzen, kaltem, rothem Blute, athmen entweder durch Lungen
(Amphibien), oder durch äußere Kiemen (Fiſche); Inſecten und Würmer
ſind durch einfächeriges Herz ohne Vorkammer, kalte, weiße Nährflüſſig-
keit (sanies) ausgezeichnet und haben entweder gegliederte Antennen (In-
ſecten), oder ungegliederte Tentakeln (Würmer). Dieſer in einer kurzen
Tabelle zuſammengeſtellten Charakteriſirung fügt Linné dann noch wei-
tere Merkmale bei, welche zum Theil auf einen ſehr ſcharfen Formen-
blick hinweiſen, wie die Erwähnung der Bewegung und Gliederung der
Kinnladen, zum Theil durch Benutzung äußerer Theile die Beſtimmung
zu erleichtern ſuchen. Daß aber die vier erſten Claſſen in einer viel nä-
heren gegenſeitigen Beziehung ſtehen, als viele der unter der ſechſten
Claſſe umfaßten Formen, iſt Linné entgangen.
Ungleich bedeutender als die Aenderung, welche Linné mit der
[505]Carl von Linné.
Definition ſeiner Hauptclaſſen vornahm, war in einzelnen Fällen der
Wechſel in der Umgrenzung derſelben, vor Allem in der inneren Anord-
nung. Hier iſt zum größten Theil ein bedeutender Fortſchritt durch die
verſchiedenen Ausgaben des Naturſyſtems zu verfolgen, in einigen Fäl-
len ein Rückſchritt. Für den unbefangenen, die ganze belebte Natur mit
dem Auge eines wirklichen Naturforſchers umfaſſenden Blick Linné's
ſpricht die Einordnung des Menſchen in ſein Syſtem, ein Schritt, den
weder Ray noch Klein zu thun gewagt hatten, den ihm letzterer ſowohl
als Buffon u. A. ſehr übel deuteten. Anfänglich theilte er die Säuge-
thiere in fünf Ordnungen: Anthropomorphen, wilde Thiere, Glires,
Jumenta und Pecora, welche er hauptſächlich nach dem Gebiß, in
zweiter Linie nach der Beſchaffenheit der Füße charakteriſirte. Während
die Begrenzung der Anthropomorphen bis zur ſechſten Ausgabe
dieſelbe blieb, mit den Gattungen Menſch, Affe und Faulthier, fällt
letzteres in der zehnten Ausgabe fort, wogegen der Halbaffe (Lemur)
und die Fledermaus mit in die nun Primates genannte Ordnung
gebracht werden. Die Ordnung der wilden Thiere (Ferae), welche
zuerſt Fleiſchfreſſer, Inſectenfreſſer, Beutelthiere und Fledermaus ent-
hielt, bleibt bis zur zehnten Ausgabe faſt gleich, nur werden einzelne
Gattungen beſſer begrenzt, wie Felis, Phoca, Erinaceus, Dasypus.
In letzterer Ausgabe wird die Ordnung der Ferae auf die Gattungen
Robbe, Hund, Katze, Viverre, Wieſel und Bär beſchränkt, dagegen
eine neue Ordnung Bestiae für Schwein, Gürtelthier, Igel, Maul-
wurf, Spitzmaus und Beutelthiere gebildet, welche durch die unbeſtimm-
te Zahl der Schneidezähne und die in mehr als der Einzahl vorhan-
denen Eckzähne charakteriſirt wird. Für die zahnloſen Ameiſenfreſſer,
Myrmecophaga und Manis, war in der ſechſten Ausgabe eine Ordnung
Agriae errichtet worden; in der zehnten Ausgabe bilden dieſe mit den
Elefanten, Walroß und Faulthier die auf die Primaten folgende zweite
Ordnung der Bruta, welche durch das Fehlen der Schneidezähne
oben und unten charakteriſirt ſind. Die urſprünglich dritte Ordnung
der Glires enthielt mit Ausnahme der Spitzmaus nur Nagethiere.
In der ſechſten Ausgabe des Naturſyſtems wird ihnen das Beutelthier
(es war natürlich nur die amerikaniſche Didelphys bekannt), in der
[506]Periode der Syſtematik.
zehnten das Rhinoceros zugetheilt, wogegen hier Beutelthier und Spitz-
maus zu den Beſtien gerechnet werden. Die Ordnung der Jumenta
enthielt zuerſt die Gattungen: Pferd, Nilpferd, Elefant und Schwein.
Hierzu kam in der ſechſten Ausgabe das Rhinoceros, welches in der
erſten Ausgabe noch fehlt; in der zehnten dagegen umfaßt die nun
Belluae genannte Ordnung nur Pferd und Nilpferd und wird als
durch den Beſitz mehrerer ſtumpfer Schneidezähne gekennzeichnet hin-
geſtellt. Die Pecora bleiben in ihrer Umgrenzung gleich, nur daß von
der ſechſten Ausgabe an das Moſchusthier eine ſelbſtſtändige Gattung
bildet. In der zehnten Ausgabe erſcheinen als letzte, achte Ordnung
noch die Walthiere, welche früher nach Ray's und Artedi's Vor-
gange zu den Fiſchen gebracht worden waren. Die in der zwölften, der
letzten von Linné ſelbſt beſorgten Ausgabe bewirkten Veränderungen
beſtehen darin, daß hier das Gürtelthier zu den Bruta neben die Ameiſen-
freſſer kommt, daß die Ordnung der Bestiae wegfällt und die Inſecten-
freſſer und Beutelthiere zu den Ferae, das Schwein zu den Belluae
gebracht wird, welche nun auch das Rhinoceros erhalten. Eine früher
bei den Fledermäuſen beſchriebene amerikaniſche Art wird endlich hier zu
einer beſonderen, ſpäter wieder weggefallenen Gattung, die bei den
Nagethieren erſcheint.
Die Claſſe der Vögel ſchied Linné in der erſten Ausgabe des
Naturſyſtems in ſieben Ordnungen, welche er ſämmtlich nur nach der
Form des Schnabels kennzeichnete. Hiervon bleiben die Accipitres,
Picae, Anseres, Gallinae und Passeres in ziemlich gleichbleibender Be-
grenzung bis zur zwölften Ausgabe beſtehen, während die Macrorhyn-
chae mit den Gattungen Kranich, Reiher und Storch, und die Scolo-
paces mit den übrigen Wadvögeln zu einer, in der ſechſten Ausgabe
den letztern Namen behaltenden, ſpäter Grallae genannten Ordnung
vereinigt werden. In der Stellung der einzelnen Gattungen innerhalb
der Ordnungen hat dagegen Linné mehrfache Veränderungen und zwar
meiſt Verbeſſerungen vorgenommen, der Aufſtellung neuer Gattungen
und Arten gar nicht zu gedenken. Den Beginn in der Ordnung Acci-
pitres machte anfangs die Gattung Psittacus, welche von der zehnten
Ausgabe an der Ordnung Picae zugetheilt wird. Dagegen erſcheint in
[507]Carl von Linné.
derſelben Ausgabe außer der neu eingeführten Gattung Vultur auch die
Gattung Lanius bei den Raubvögeln, deren Arten früher in der Gat-
tung Ampelis unter den ſperlingsartigen Vögeln untergebracht waren.
In der Ordnung der Picae, welche zuerſt nur durch den oben zuſam-
mengedrückten etwas convexen Schnabel definirt wurde, wird in der
zehnten Ausgabe eine Anzahl Namen nach dem Beſitze eines Kletter-
fußes abgeſondert, die übrigen in ſolche mit geſpaltener und mit ganzer
Zunge eingetheilt. Bei den mit geſpaltener Zunge verſehenen Vögeln
erſcheinen auch die Gattungen Sitta und Trochilus, welche früher den
ſperlingsartigen zugewieſen waren. Neue Gattungen ſind: Coracias,
Merops, Crotophaga, Gracula, Alcedo, Certhia. Früher erſchienen
Merops und Certhia als die beiden Arten der Gattung Ispida. Die
Schwimmvögel, Anseres, ſollten nach der früheren Diagnoſe eine ſäge-
zähnige Mundöffnung haben; ſpäter wird davon abgeſehen und der,
mit einem ſeihenden Siebe (cribrum colans) verglichene Schnabel als
glatt, mit Epidermis bedeckt und an der Spitze verdickt geſchildert. In
der ſechſten Ausgabe findet ſich auch Phoenicopterus neben Anas unter
den Schwimmvögeln, eine Stellung, welche zwar neuerdings als die
richtige erkannt, aber von Linné nur vorübergehend nach äußeren Merk-
malen dem Vogel angewieſen wurde; denn in der zehnten Ausgabe
ſteht der Flamingo bei den Reihern, zu welchen nun auch Platalea ge-
bracht wird, die bis zur ſechſten Ausgabe eine Art der Gattung Anas
bildete. Auch Procellaria, welche in der letztgenannten Ausgabe bei den
Sperlingsartigen auftritt, wird hier zu den Schwimmvögeln geſtellt.
Von neuen Gattungen der Anseres finden ſich in der zehnten Ausgabe
Diomedea, Phaëthon und Rhyncops. Die drei Gattungen der Lang-
ſchnäbler, Kranich, Reiher und Storch werden ſpäter zu einer ein-
zigen Gattung Ardea vereinigt. Von den übrigen in der erſten Ausgabe
aufgezählten Wadvögeln bleibt Haematopus, Charadrius und Tringa.
Mit letzterer wird Vanellus vereinigt; Numenius wird von der zehnten
Ausgabe an Scolopax genannt und Fulica vorübergehend in der ſechſten
Ausgabe zu den Hühnerartigen, in der zehnten aber wieder zu den Gral-
lae geſtellt. Neu tritt in der ſechſten Ausgabe Recurvirostra, in der
zehnten Mycteria, Tantalus, Rallus und Psophia auf. Endlich erſchienen
[508]Periode der Syſtematik.
in der zehnten Ausgabe bei den Wadvögeln auch Struthio und Otis,
welche beide bis zur ſechſten in die Gattungen Struthio, Casuarius und
Otis geſpalten zu den Hühnerartigen geſtellt worden waren. Von den
Gattungen, welche nach Ablöſung der genannten bei den Gallinae blie-
ben, erſcheinen ſchon in der erſten Ausgabe des Naturſyſtems Pavo,
Meleagris, Gallina (ſpäter Gallus) und Tetrao; mit letzterem Genus war
Phasianus als Art vereinigt. In der ſechſten Ausgabe kommen Crax
und Phasianus hinzu, während in der zehnten wieder Gallus als Art zu
Phasianus gezogen wird. Die Reihe der Sperlingsartigen er-
öffnet in allen Ausgaben bis zur zehnten die Gattung Columba; die
in der ſechſten Ausgabe in dieſer Ordnung auftretenden Gattungen
Trochilus, Sitta und Procellaria werden, wie erwähnt, ſpäter anders
untergebracht. Von den übrigen Gattungen bleiben Turdus, Sturnus.
Alauda, Parus, Hirundo, Loxia und Ampelis ziemlich gleich begrenzt;
Luscinia der erſten Ausgabe wird aber in der ſechſten mit Motacilla,
Ampelis und Lanius (zu den Accipitres) vereinigt, Emberiza von Frin-
gilla und in der zehnten Ausgabe Caprimulgus von Hirundo abgetrennt.
Obgleich Linné bei der Anordnung der einzelnen Gattungen beſonders die
äußeren Merkmale berückſichtigte, ſo vernachläſſigte er doch die Geſammt-
heit der Lebenserſcheinungen durchaus nicht ganz, wie z. B. die Erklä-
rung beweiſt, welche er ſchon in der zehnten Ausgabe bei der Aufzählung
der Taubenarten als Anmerkung bringt, um ihre Unterbringung bei
den Passeres zu rechtfertigen. Klein hatte ſie unmittelbar auf die hühner-
artigen Vögel, von den Paſſerinen durch jene getrennt folgen laſſen,
Moehring ſie geradezu mit den Gallinen vereinigt; hiergegen erklärt
ſich Linné. Bekanntlich haben weder er noch ſeine Gegner Recht. In
der zwölften Ausgabe bleiben die Ordnungen und auch die dieſen zuge-
theilten Gattungen dieſelben, letztere nur etwas naturgemäßer gruppirt;
auch wird eine Anzahl neuer Gattungen aufgeführt (bei den Hühner-
artigen Didus) welche hier namentlich aufzuführen zwecklos ſein
würde, da ſie zur Vervollſtändigung des Geſammtbildes kaum bei-
tragen dürften48).
Den größten Wechſel haben die Amphibien und Fiſche im Linné'ſchen
[509]Carl von Linné.
Syſteme erfahren. Auch iſt hier offenbar am wenigſten Conſequenz in
der Benutzung und Beachtung der einmal gewählten Merkmale nachzu-
weiſen. Die Amphibien bilden anfänglich nur eine Ordnung:
Schleichende, Serpentia, zu welcher er die vier Gattungen Schildkröte,
Froſch, Eidechſe und Schlange ſtellt. Später trennt er ſie in die beiden
Ordnungen Serpentia und Reptilia, von denen die erſtere die verſchie-
denen Schlangengattungen und Coecilia, die letztere die Gattungen Draco,
Lacerta, Rana und Testudo umfaßt; beide werden durch das Vorhan-
denſein oder Fehlen der Füße auseinandergehalten. In der nächſten
Ausgabe des Naturſyſtems aber, der zehnten, bringt er merkwürdiger-
weiſe unter dem Titel der Amphibia nantes (!) eine Anzahl Fiſche
zu den Amphibien, welche, früher von Artedi als Chondropterygier zu-
ſammengefaßt, von Linné deshalb für Amphibien erklärt werden, weil ihre
„Lungen zwar kammförmig wie die der Fiſche, aber ohne knöcherne
Strahlen, einem cylindriſch-röhrigen gebogenen Gange angewachſen
ſeien, welcher nur äußerlich mit dem der Fiſche übereinſtimme49).
Es iſt dies um ſo auffallender, als Linné ſonſt eine Verwechslung zweier
nur in ihren Functionen übereinſtimmender, alſo analoger, aber ana-
tomiſch verſchiedener Theile unter einer gemeinſamen Bezeichnung kaum
begegnet.
Der Widerſpruch wird nicht gehoben, wenn Linné in der zwölf-
ten Ausgabe des Syſtems das gleichzeitige Vorhandenſein von Kiemen
und Lungen in die Diagnoſe aufnimmt, ohne bei einem einzigen hierher
gezählten Fiſche, mit Ausnahme einer auf Diodon ſich beziehenden An-
gabe Gardens, eine Lunge wirklich zu ſchildern. Daß er die eigen-
thümlichen Kiemenformen der Petromyzonten für Lungen hält, iſt ihm
weniger zum Vorwurf zu rechnen, als ihre willkürliche Annahme bei
Rochen und Haien u. a. In der zehnten Ausgabe erſcheinen als ſchwim-
mende Amphibien Pricke, Roche, Hai, Chimäre, Lophius und Stör; in
der zwölften Ausgabe hat Linné auch noch die ganze Artedi'ſche Ordnung
der Branchioſtegen aufgegeben und bringt nun mit Lophius auch den
Reſt mit Cyclopterus, Balistes und Ostracion und die neuen Gattun-
gen Tetrodon, Diodon und Centriscus und ſelbſt aus den Malako-
[510]Periode der Syſtematik.
pterygiern Syngnathus und Pegasus zu den Amphibien. Die
Metamor-
phoſe einiger Amphibien erwähnt er zwar, beſchränkt ſie allerdings auf
die eierlegenden Waſſerfröſche, führt aber in der zwölften Ausgabe auch
die Verwandlung einiger Eidechſen (Salamander) an, und frägt ſehr
richtig, ob Siren lacertina die Larve einer Eidechſe ſei, wie es vielleicht
der Salamander ſei. Man ſieht hieraus, daß ihm das Vorhandenſein
von Kiemen bei jungen Salamandern, Tritonen u. ſ. f. entgieng;
auch legt er gar kein Gewicht auf dieſe Verſchiedenheit der Entwickelung.
Was die Fiſche betrifft, ſo ſchloß ſich Linné anfangs
vollſtändig
an Artedi an, deſſen Syſtem er in den erſten Ausgaben ſeines Natur-
ſyſtems bis zur ſechſten einfach hinübernahm. Wie Ray ſo ſtellte auch
Artedi die Walthiere trotz der Anerkennung ihrer nahen Verwandt-
ſchaft mit den Säugethieren als querſchwänzige, Plagiuri, zu den
Fiſchen und unterſchied ihre einzelnen Gattungen, wie es Linné bei den
Säugethieren that, nach den Zähnen. Von den andern, den echten
Fiſchen, nach der ſenkrechten Stellung der Schwanzfloſſen als ſolche
gemeinſam gekennzeichnet, ſcheidet er zunächſt als Ordnung die Chon-
dropterygier ab, deren Floſſenſtrahlen und innere Skelettheile knor-
pelig ſind, und trennt die übrigen in weitere drei Ordnungen. Die erſte
derſelben hat keine Knochenſtrahlen zur Unterſtützung der Kiemen,
Branchiostegi mit Lophius, Cyclopterus, Ostracion,
Balistes;
die beiden anderen Ordnungen beſitzen ſolche Strahlen und haben ent-
weder mit Stacheln verſehene Floſſen, Acanthopterygii, oder
unbewehrte, Malacopterygii.Artedi begründet ſeine Anordnung
durch ausführliche anatomiſche Mittheilungen, in welchen Skelet, Mus-
kelſyſtem u. ſ. f. gleichfalls behandelt werden und welche er in der Dar-
legung des Syſtems vorausſchickt. Es iſt dies jedenfalls einer der
erſten
gelungenen Verſuche, auf eingehende anatomiſche Betrachtungen einer
größeren Gruppe deren Claſſification zu begründen. Leider wich Linné
ſpäter von Artedi's Anordnung in der bereits erwähnten Weiſe ab. In
der zehnten Ausgabe ſtanden noch die Branchiostegi bei den Fiſchen;
in der zwölften findet ſich von dieſer früheren Ordnung nur noch die
Gattung Mormyrus, welche er nun den Abdominalen zutheilt. Unter
Aufgabe der von Artedi hervorgehobenen Charaktere theilt er die
[511]Carl von Linné.
übrigbleibenden Fiſche nur nach der Stellung der Bauchfloſſen ein. Und
wenn auch entſchieden ein wichtiger morphologiſcher Fortſchritt in der
hier zum erſten Male auftretenden Anerkennung der Identität zwiſchen
den Gliedmaßen anderer Wirbelthiere und den paarigen Floſſen der
Fiſche ausgedrückt iſt,50) ſo iſt doch die Eintheilung ſämmtlicher Knochen-
fiſche, — denn dieſe ſind übriggeblieben — nur nach dieſem
Merkmale
durchaus künſtlich und unnatürlich. Die Gruppen Apodes, Jugulares,
Thoracici und Abdominales, je nachdem die Bauchfloſſen entweder
fehlen, oder vor den Bruſtfloſſen oder unter ihnen oder hinter ihnen
ſtehen, ſind zwar in einzelnen Fällen als kleinere Untergruppen geblie-
ben; doch iſt der ihrer Bildung zu Grunde liegende Charakter in keiner
Weiſe als ein die ganze Claſſe durchgreifend theilender anzuſehen.
Die „Inſecten“, Linné's fünfte Claſſe, ſind
bei ihm wie bei
Ray den Entoma des Ariſtoteles gleich; denn wenn er auch nur bei-
läufig auf die Gliederung (ſogar nur des Abdomen, ſ. 10. Ausgabe,
S. 339) hinweiſt, ſo umfaßt er doch bei Aufſtellung des Syſtems
ſämmtliche Arthropodenclaſſen, freilich nicht in gleicher Ausführlichkeit.
Zu den oben erwähnten Charakteren der Inſecten tritt von der zehnten
Ausgabe an noch eine Reihe meiſt von den Hexapoden entnomme-
ner, aber auf genaue Beobachtung beruhender Merkmale, ſo z. B. die
quere Bewegung der Kinnladen u. a. Auf die Entwickelungsgeſchichte
und die Verwandlungsweiſe geht jedoch Linné erſt in zweiter Linie ein.
Er weicht alſo von Swammerdam und Ray in bedeutender Weiſe und
zwar im Sinne einer allſeitigen Berückſichtigung der Lebensvorgänge
der zu ſchildernden Thiere nicht vortheilhaft ab. Doch ſind auf der an-
deren Seite die Vortheile, welche ſeiner Eintheilungsweiſe innewohnen
und welche dieſelbe zu der bis heute am allgemeinſten befolgten und allen
übrigen Verſuchen als Anhaltepunkt dienenden gemacht haben, ſo be-
deutend, daß man das einſeitige Hervortreten nur äußerer Merkmale
wohl nirgends ſo wenig empfindet, als gerade hier. Daß natürlich bei
der Einweiſung der einzelnen Gattungen Verſtöße gegen die natürliche
[512]Periode der Syſtematik.
Verwandtſchaft der neben einandergeſtellten Formen vorkommen, läßt
ſich eben bei der Aeußerlichkeit des Eintheilungsgrundes voraus er-
warten; doch ſind dieſelben an Zahl geringer als in anderen Theilen
des mit den Wirbelloſen ſich beſchäftigenden Theiles ſeines Syſtems.
Wie bei den Fiſchen die Gliedmaßen, ſo waren ihm die Flügel das aus-
ſchlaggebende Merkmal. In der erſten Ausgabe des Naturſyſtems ſtellte
er vier Ordnungen auf: Coleoptera, Angioptera, Hemiptera und
Aptera. Von dieſen iſt die erſte nicht bloß den Käfern im heutigen
Sinne
des Namens Coleoptera entſprechend, ſondern enthält ſpäter auch
die
Orthoptera, in der ſechſten Ausgabe ſämmtlich, in der zwölften wenig-
ſtens noch die Gattung Forficula, während die übrigen Orthopterengat-
tungen Blatta, Gryllus, und hierauf Mantis, zu den Hemipteren
ge-
rechnet werden, wo ſie mit Ausnahme der Blatta unter der einzigen
Gattung Gryllus vereinigt ſchon in der erſten Ausgabe ſtanden. Die
Ordnung Angioptera, ſpäter Gymnoptera genannt,
charakteriſirt
Linné als mit Flügeln verſehene, aber der Flügeldecken entbehrende In-
ſecten und rechnet hierzu die von ihm ſpäter ſelbſt getrennten Ordnungen
der Neuroptera, Lepidoptera, Hymenoptera und Diptera. Dieſen
Ordnungen ſtellt er in den ſpäteren Ausgaben die Hemiptera voran,
welche urſprünglich als Inſecten gekennzeichnet wurden, bei welchen
Flügeldecken nur einzelnen Individuen zukämen. Er rechnete hierzu außer
den auch jetzt noch dahin gehörigen Cimex, Notonecta und
Nepa und
außer den erwähnten Gryllus die Gattungen Lampyris und
Formica.
Merkwürdig genug erſcheint ſelbſt bei Linné anfangs der Skorpion noch
als mit vier ſchlaffen Flügeln verſehen unter den Hemipteren. Von der
ſechſten Ausgabe an erhält die Ordnung ungefähr den jetzigen Umfang
mit Einſchluß von Coccus, Chermes, Aphis und Thrips. Die
Netz-
flügler, Schuppenflügler, Aderflügler und Zweiflügler faßte er ſchon
in der ſechſten Ausgabe (auch in der Fauna suecica von 1746) in der-
ſelben Charakteriſirung, wie ſie ohne Rückſicht auf Metamorphoſen zu
nehmen noch jetzt aufgefaßt werden; nur war urſprünglich die Zahl
der Gattungen gering, bei den Lepidopteren fanden ſich z. B. nur die bei-
den, die Tag- und Nachtfalter darſtellenden Papilio und
Phalaena,
zwiſchen welche beide in der zehnten Ausgabe noch Sphinx trat. Die
[513]Carl von Linné.
Schwingkölbchen der Zweiflügler, für welche er den Ausdruck Halteres
aufſtellte, erklärte er ſchon richtig für Rudimente der Hinterflügel. —
Die Flügelloſen mußten bei Nichtberückſichtigung des geſammten
Baues natürlich die verſchiedenartigſten Formen umfaſſen. Schon bei
der erſten Aufzählung legte Linné das größte Gewicht auf die Zahl der
Füße; er begann mit den ſechsfüßigen, Laus, Floh, Podura, denen er
dann die achtfüßigen Arachniden, nur unter ihren Gattungsnamen Aca-
rus, (ſpäter noch Phalangium), Aranea und Scorpio folgen ließ.
Mit dieſen vereinigte er von der zehnten Ausgabe an diejenigen mehr-
füßigen Inſecten, deren Kopf und Thorax verbunden ſind, die ſämmt-
lichen Cruſtaceen unter den Gattungen Cancer, Monoculus und
Oniscus (vierzehnfüßig). Den Beſchluß machten die mehrfüßigen In-
ſecten mit vom Kopf getrenntem Thorax, die Myriapodengruppen Sco-
lopendra und Julus.
Am bunteſten gehen im Naturſyſtem Linné's die Formen ſeiner
letzten großen Claſſe, der „Würmer“, durcheinander, welche den Ein-
druck macht, als ſei ſie zum gemeinſamen Ablagerungsort für alle nicht
genügend bekannten Thiere beſtimmt. Hier ſteht Linné auch entſchieden
hinter Ariſtoteles und ſeinem Erneuerer Wotton zurück. Freilich macht
er ſelbſt die Bemerkung, daß hier die Wiſſenſchaft noch in der Wiege
ſich befinde, von der ſäugenden Mutter entfernt. Doch hätte er durch
einfache Annahme der Ariſtoteliſchen Abtheilungen der Weichthiere,
Malakoſtraken und Oſtrakodermen Gruppen erhalten, welche natürlich
umgrenzt waren und auf welche er dann die minder bekannten niederen
Formen mit ungleich geringerer Verwirrung hätte folgen laſſen können,
als in den von ihm geſchaffenen Ordnungen. Von dieſen entſpricht nur
die Ordnung der Testacea einer älteren, den Oſtrakodermen des Ari-
ſtoteles. Innerhalb derſelben zählt Linné in der erſten Ausgabe des
Naturſyſtems acht Gattungen auf, ohne weitere neue Gattungen zu bilden,
nämlich Cochlea, welche alle mit ſpiralgewundenem Gehäuſe verſehene
Formen umfaßt, außer den beiden beſonders aufgezählten Argonauta
und Cypraea (das Thier von Argonauta erwähnt er nicht);
dann
folgen die nicht gewundenen, einſchaligen Gattungen Haliotis, Patella
und Dentalium, ſämmtliche zweiſchalige Muſcheln unter der Gattung
V. Carus, Geſch. d. Zool. 33
[514]Periode der Syſtematik.
Concha und endlich die vielſchaligen in der Gattung Lepas, welche ſo-
wohl die Entenmuſchel als den Balanus als Arten enthält. Noch in
der ſechſten Ausgabe des Syſtems wird dieſelbe Zahl von Gattungen
nur in leicht veränderter Reihenfolge aufgeführt, aber ſchon mit dem
Hinweis auf die Natur des lebendigen Bewohners der Schale. Dies
geſchieht freilich nur in der allgemeinen Weiſe: „Thier ein
Limax“ oder
„Thier eine Nereis“, genügt aber doch, um bei dem
Verfaſſer des Sy-
ſtems den Gedanken vorausſetzen zu laſſen, daß es nicht bloß auf die
Schale, ſondern auch auf den Bau und die Natur des Thieres ankomme,
um über die Stellung des Thieres entſcheiden zu können. Entgegen
ſeinem Ausſpruch, daß der Bau des Thieres ſeine Stellung beſtimme,
berückſichtigt aber Linné hier die Natur des Schalthieres nur als
bei-
läufiges Merkmal, wie aus dem Folgenden hervorgehen wird. Den
Schalthieren wird noch die früher zu den Zoophyten gebrachte Gattung
Microcosmus hinzugefügt, welche durch die aus heterogenen Subſtanzen
zuſammengeſetzte Bedeckung charakteriſirt wird. Sie erſcheint, wenn
auch nicht unter dieſem Namen, als Art bei den Ascidien wieder. In
der zehnten und zwölften Ausgabe erſcheinen dieſelben Gruppen, aber
durch gemeinſame Charaktere getrennt; zunächſt die vielſchaligen Chi-
ton, Lepas und in der zwölften Ausgabe Pholas, welche in der
zehnten
noch richtig bei den zweiſchaligen ſtand; dann folgen die zweiſchaligen
Conchae, dann die ſpiralgewundenen, endlich die einſchaligen ohne
Windung mit Patella, Dentalium, Serpula und in der zwölften Aus-
gabe Teredo, die früher bei den Intestina ſtand, und
Sabella. Wie
wenig Linné es hier auf die Natur des Thieres ankam, beweiſt, daß er
bei Chiton zufügt: „Thier ein Limax“, bei der unmittelbar daneben-
ſtehenden Gattung Lepas: „Thier ein Triton“
(unter welchem Namen
er eine bei den „Mollusca“ ſtehende Balanenform
ſchildert); ebenſo
ſtellt er Patella mit limaxartigem Thiere neben Serpula mit
„terebel-
lenartigem“ und neben Sabella mit „nereisartigem
Thiere“. Uebrigens
nennt er auch die Thiere von Dentalium und Teredo
„terebellenartig“.
— Die erſte Ordnung ſeiner Würmer ſind die bis zur ſechſten Ausgabe
Reptilia, von der zehnten an Intestina
genannten Formen, welche
durch alle Ausgaben als nackte (einfache), der Gliedmaßen entbeh-
[515]Carl von Linné.
rende Thiere bezeichnet werden. Nach Ausſcheidung der Gattung Limax,
welche ſich in der erſten Ausgabe bei den „kriechenden“ Würmern fand,
aber ſchon in der ſechſten entfernt wurde, enthält dieſe Ordnung aller-
dings nur Würmer, ſchon in der erſten Ausgabe ſogar Repräſentanten
der Hauptgruppen, nämlich Gordius, Taenia, Lumbricus (mit Asca-
ris und Lumbricus latus als Arten) und Hirudo, zu denen in der
ſechſten Ausgabe noch die Gattungen Fasciola und Ascaris treten,
während in der erſten Ausgabe in keiner anderen Ordnung, in der ſech-
ſten noch bei den Zoophyten weitere Gattungen von Würmern aufge-
führt werden. In der zehnten Ausgabe wird Taenia zu den Zoophyten
gebracht, und als Intestina erſcheinen noch Myxine und Teredo, obſchon
über letztere zur Zeit des Erſcheinens der zehnten Ausgabe des Natur-
ſyſtems (1758) nicht bloß eine reiche Litteratur beſtand, aus welcher
die völlige Verſchiedenheit des Thieres von einer Terebella wie über-
haupt von irgend einem anderen echten Wurm hervorgieng51), ſondern
welche von Adanſon geradezu für eine zur Ordnung der Zweiſchaligen
gehörende Muſchel bezeichnet worden war. Außer den beiden genann-
ten Ordnungen hat Linné in der erſten Ausgabe ſeines Naturſyſtems
für die noch übrigen niederen Thiere nur noch eine weitere Ordnung,
welche er Zoophyten nennt, welche aber nicht der Wotton'ſchen Ab-
theilung gleichen Namens entſpricht, da bei Linné die Cephalopoden
unter der Gattung Sepia darin enthalten ſind. Außer dieſer und dem
Microcosmus finden ſich noch die Gattungen Tethys, Echinus, Aste-
rias und Medusa hier vereinigt. Sie werden mit den genannten, ſpäter
anders untergebrachten Gattungen als (einfache nackte) mit Gliedmaßen
verſehene Würmer charakteriſirt und von der zehnten Ausgabe an Ver-
33*
[516]Periode der Syſtematik.
mes Mollusca genannt mit einer, ſonſt von Linné ſelbſt getadelten
Uebertragung eines bereits verwandten Namens auf eine völlig ver-
ſchiedene Gruppe. Zu den angeführten Gattungen waren ſchon 1748
theils echte Würmer, wie Nereis, Amphitrite, Aphrodita, theils
andere Formen, wie Lernaea, der genannte Triton, ſelbſt Hydra ge-
kommen, deren Zahl in der zehnten Ausgabe des Syſtems noch durch
Doris, Priapus, Scyllaea, Holothuria vergrößert wurde. Eine beſon-
dere, ihre Reihenfolge beſtimmende Anordnung erhielten dieſelben aber
erſt in der zwölften Ausgabe nach der Stellung des Mundes, dem
Vorhandenſein von Tentakeln, Füßen und dergl. Eine natürliche Ver-
einigung konnte aber auf dieſe Weiſe nicht erreicht werden: man findet
hier Actinien mit Ascidien, Holothurien mit Terebellen, Sepien gar mit
Triton, Lernaea und Scyllaea verbunden. Nur die echten Mollusken
Limax, Aplysia, Doris und Tethys, ferner die Strahlthiere Medusa,
Asteria und Echinus erſcheinen ohne fremdartige Beimengungen, aber
nicht ſämmtlich beiſammen, wie ſchon die mitgetheilten Notizen ergeben.
Von der ſechſten Ausgabe an tritt noch die Ordnung der Lithophyten
und von der zehnten außer dieſer die der Zoophyten im neuen Sinne
hinzu. Die erſteren erklärt Linné für zuſammengeſetzte Thiere, welche
ſich das ſteinige Gehäuſe ſelbſt bauen. Die Thiere hält er bei Tubipora
(fraglich) für nereisartig, bei Madrepora für meduſenartig, bei Mille-
pora für hydraartig (wieder eine merkwürdige, zufällige Uebereinſtim-
mung mit neueren Unterſuchungen) und bei Cellepora, welche ſtatt der
zu den Zoophyten gebrachten Gattung Sertularia hier erſcheint, gleich-
falls für hydraartig. Die Zoophyten ſind ihm aber doch noch Pflan-
zen; in der zehnten Ausgabe ſagt er geradezu von ihnen: „vegetirende
Pflanzen mit thieriſch belebten Blüthen“; in der zwölften giebt er zwar
die Definition: „zuſammengeſetzte Thiere mit einer nach Art der Pflan-
zen erſcheinenden Efflorescenz,“ drückt aber bei Aufzählung der Arten
ſeine Anſicht dahin aus, daß der Stamm dieſer Stöcke wahre Pflanzen
bilde, welche durch eine Metamorphoſe in Blüthen übergehn, welche
wahre Thiere darſtellen. So beginnt er daher die Diagnoſe der Gat-
tungen jedesmal mit den Worten: „Blüthen ſind Hydren“ oder dergl.,
wie bei Isis, Gorgonia, Sertularia, aber auch bei Flustra. Nur die
[517]Carl von Linné.
noch übrigen Gattungen Taenia, Volvox, Furia und Chaos, welche
mit Hydra und Pennatula als locomotive den anderen fixirten Gattungen
gegenübergeſtellt werden, erhalten ihre Diagnoſen nach der allgemeinen
Körperform; Chaos ſoll den Uebergang zu den Pflanzen vermitteln.
Linné's Syſtem mußte ausführlich mitgetheilt werden, da es zum
erſtenmal in conſequenter Durchführung das ganze Thierreich mit allen
Claſſen bis herab auf alle Arten umfaßte, welche ihm charakteriſirbar
erſchienen. Er hat dadurch eine große Zahl thieriſcher Formen erſt wie-
dererkennbar gemacht, was für die Geſchichte derſelben von der größten
Bedeutung iſt. Ferner ſind ja auch bis in die neueſten Zeiten herab alle
Verſuche, das Syſtem zu verbeſſern, wenigſtens was die formelle
Seite deſſelben betrifft, durchaus nur Aenderungen des Linné'ſchen
geweſen. Mit der Herausgabe der zwölften Ausgabe ſchloß Linné's
eigne Thätigkeit am Syſtem ab. Es verdient aber gleich hier die unter dem
Titel einer dreizehnten Ausgabe und noch unter Linné's Namen von
Joh. Friedrich Gmelin herausgegebene Bearbeitung um ſo mehr
erwähnt zu werden, als Gmelin zwar in manchen mehr oder weniger
untergeordneten Einzelnheiten Linné's Worte und Auffaſſung geändert
hat, dabei aber doch die in den zwanzig Jahren, welche zwiſchen der
Herausgabe der zwölften und dreizehnten Ausgabe liegen, erſchienenen
Bereicherungen der Zoologie ſo eingehend dem Syſtem zu Nutze gebracht
hat, daß ſeine Ausgabe immer noch linné'iſch aber doch im eigentlichen
Sinne reformirt genannt zu werden verdient. Daß übrigens alle Aen-
derungen wirkliche Verbeſſerungen ſind, ſoll ebenſowenig behauptet
werden, wie geleugnet werden kann, daß der eigenthümliche Schmelz
der Linné'ſchen Darſtellung hin und wieder verloren gegangen iſt. Es
hat ſich indeß aus dem Vorſtehenden ergeben, daß Linné ſelbſt in man-
chen Punkten mit ſeinen Aenderungen entſchieden keine Verbeſſerungen
angebracht hat.52). Geht man die einzelnen Claſſen durch, ſo finden
[518]Periode der Syſtematik.
ſich außer zahlreichen neuen Arten und einer beträchtlichen Zahl neuer
Gattungen die folgenden wichtigeren Aenderungen eingeführt. Bei den
Säugethieren hatte Linné in die Charakteriſtik der Walthiere aufgenom-
men, daß ſtatt eines Schwanzes die zuſammengelegten Füße eine quere
Floſſe bildeten; Gmelin führt nur die horizontale Schwanzfloſſe an,
ohne die unnatürliche Erklärung ihrer Bildung beizubehalten. Was ein-
zelne Formen betrifft, ſo wird das Rhinoceros zu der Ordnung der
Bruta gebracht, die Gattung Noctilio eingezogen, die betreffende Art
bei Vespertilio beſchrieben. Bei den Vögeln iſt die augenfälligſte Aen-
derung die verſchiedene Einordnung der Trappe und des Straußes,
welche von den Wadvögeln zu den Hühnerartigen gebracht werden;
außerdem werden einzelne Arten beſſer eingereiht, z. B. Vultur har-
pyia wird ein Falco — Gypaëtos u. ſ. f. Von den Amphibien wird die
Linné'ſche Ordnung der Amphibia nantia wieder ausgeſchloſſen. Die
Gattungen der übrigen bleiben dieſelben. Auf die Metamorphoſe oder
das Vorhandenſein der Kiemen wird aber noch kein Gewicht gelegt,
trotzdem daß Gmelin die Schilderung des Proteus von Laurenti be-
kannt war und Linné ſelbſt 1766 in einer Diſſertation die Siren la-
certina beſchrieben, abgebildet und eventuell die Bildung einer durch
den gleichzeitigen Beſitz von Kiemen und Lungen zu charakteriſirenden
Ordnung Meantes für derartige Formen vorgeſchlagen hatte. Gmelin
bringt ſogar unglaublicher Weiſe Siren zur Gattung Muraena als
deren Art unter die Fiſche. Die Claſſe der Fiſche iſt in der Gemlin'-
ſchen Bearbeitung wieder vollzählig, da die Branchioſtegier und Knor-
pelfiſche, zu denen Gmelin auch den Stör bringt, wieder mit den übri-
gen vereinigt ſind. In Folge hiervon wird auch Mormyrus, welcher
bei Linné zu den Abdominalen hatte auswandern müſſen, wieder zu
den Branchioſtegiern gebracht. Bei den Inſecten hat Gmelin beſonders
die Coleopteren weſentlich umgeordnet, auch die Gattungen meiſtens mit
neuen oder erweiterten Definitionen verſehen. Die Grundzüge der An-
ordnung bleiben aber dieſelben; die Orthopteren exiſtiren noch nicht als
Ordnung, ſondern werden nur in der zwölften Ausgabe bei den Käfern
(Forficula) und den Hemipteren (die übrigen) untergebracht. — Die
meiſten und eingreifendſten Umgeſtaltungen hat aus naheliegenden
[519]Carl von Linné.
Gründen die Klaſſe der Würmer unter Gmelin's Hand erfahren. Von
den Inteſtina werden in eine erſte größere Gruppe die paraſitiſch
in andern Thieren lebenden Würmer vereinigt und mit einer ziemlichen
Anzahl neuer Gattungen nach Bloch, Goeze, O. F. Müller, Zoëga
u. a. bereichert. Während Linné noch in der zwölften Ausgabe das
Vorkommen des Regenwurms in den Därmen ſchildert, alſo die Iden-
tität des Spulwurms mit jenem aufrecht hält, weiſt Gmelin auf die
leichte Unterſcheidung der beiden Formen hin. Myxine wird freilich
auch noch von Gmelin zu den Inteſtina, ſogar zu den endoparaſitiſchen
gerechnet. Die zweite Gruppe der Inteſtina umfaßt die Gattungen
Gordius, Hirudo, Lumbricus, Sipunculus, Planaria, deren Charakte-
riſirung ſich eng an die Linné'ſche anſchließt, ſelbſt bei der letzten Müller-
ſchen Gattung. Die Vermes Mollusca ſind in gleicher Anordnung
geblieben und haben nur neue Gattungen erhalten; ſo tritt hier neben
Ascidia auch Salpa auf. Bei den Aſterien werden die neuen
Arten
von O. F. Müller und Retzius, bei den Echinen die Klein'ſchen Arten
aufgenommen. Die Schalthiere bleiben in gleicher Reihenfolge und
Anordnung, die Gattungsdiagnoſen ſind nur leicht verändert. Die
Ordnung der Lithophyten wird bei Gmelin zu einer Unterordnung der
Zoophyten und wird gegenüber den andern durch den Beſitz eines kalki-
gen Stocks gekennzeichnet. Die Thiere mit weicherem Stamme werden
aber nicht mehr für thieriſch belebte Blüthen, ſondern für Thiere direct
erklärt und nur der Stamm als nach Art der Pflanzen wachſend auf-
geführt. Endlich iſt nach O. F. Müller noch eine Ordnung Infusoria
für die „kleinſten einfacheren Thiere“ gegründet, in welcher außer
Mül-
ler'ſchen Gattungen von den älteren Vorticella und Volvox aufgenommen
werden.
Aus der hier gegebenen Ueberſicht der Ordnung und Reihenfolge,
in welcher Linné ſämmtliche Thiere ſeinem Syſteme einfügte, ſowie aus
der Mittheilung ſeiner allgemeinen ſyſtematiſchen Grundſätze geht nun
auf das Unzweideutigſte hervor, daß er zwar den Bau der Thiere für
den wichtigſten Eintheilungsgrund erklärte, denſelben auch in vielen
Fällen mehr oder weniger eingehend berückſichtigte, ohne ihn jedoch für
etwas anderes als eben für ein Merkmal oder für eine Gruppe von
[520]Periode der Syſtematik.
Merkmalen zu nehmen. Die vergleichsweiſe einfachere und man möchte
ſagen durchſichtigere Organiſation der Pflanzen, für welche er einerſeits
ſein ſo conſequent durchgeführtes Sexualſyſtem aufſtellte, während er
andererſeits mit der Aufzählung einer Anzahl von Familien dem be-
ſonders von franzöſiſchen Botanikern erhobenen Anſpruch an ein natür-
liches Syſtem zu genügen ſuchte, ſcheint ihn verleitet zu haben, ſich
auch bei den Thieren durch allgemeine Erſcheinung und durch äußerlich
zugängliche Merkmale beſtimmen zu laſſen, ohne jedoch eine Correlation
der letzteren mit anderen Organiſationseigenthümlichkeiten irgendwie
hervorzuheben. Der Einordnung der Walthiere in die Claſſe der
Säugethiere als einer ſcheinbar für ſeinen anatomiſchen Blick ſprechen-
den Thatſache ſteht die andere noch ſchwerer wiegende entgegen, daß
er eine Gruppe „ſchwimmender Amphibien“ für entſchiedene Fiſche auf-
geſtellt hat, gegen welche Gruppirung ſich wohl zuerſt Pallas ausge-
ſprochen hat. Ganz ähnliche Verſtöße, ſogar im Widerſtreit mit ana-
tomiſchen Thatſachen, die ihm hätten bekannt ſein müſſen, für welche
er ſich alſo nicht bloß auf das Zeugniß eines fernen Beobachters zu
verlaſſen brauchte, kommen auch in andern Gruppen vor und ſprechen
dafür, daß Linné theils ſelbſt ſich nur auf dem Wege zu einer allge-
meinen morphologiſchen Erfaſſung des Thierreichs befand, theils durch
ſeine formale Methode der Syſtematiſirung dem Durchbruch einer
ſolchen vorgearbeitet hat. Hiermit hängt auch zuſammen, daß dem
Linné eine geſchichtliche, um nicht zu ſagen genetiſche Betrachtung des
Thierreichs fern lag. Er hatte nicht bloß in der von ihm ſo eingehend
durchmeſſenen Litteratur Schilderungen vieler Verſteinerungen gefunden,
ſondern auch ſelbſt eine Anzahl derſelben zu ſehen und zu unterſuchen
Gelegenheit gehabt. Aber trotz ſeiner ſich allmählich immer weiter
ausdehnenden Bekanntſchaft mit thieriſchen Formen und ihrer Verbrei-
tung hat er doch bis zuletzt dieſen Foſſilien gegenüber den von ihm bei
der erſten Ausgabe des Naturſyſtems eingenommenen Standpunkt bei-
behalten, erklärt ſich allerdings dafür, daß es wirkliche Verſteinerungen
und keine Naturſpiele ſind, führt ſie aber in ſeinem Mineral- und nicht
im Pflanzen- oder Thierſyſtem unter der Claſſe Fossilia nur als Ord-
nung Petrificata neben den Concreta und den Terrae auf.
[521]Carl von Linné.
Frägt man nun, was trotz ſo vieler für die jetzige Wiſſenſchaft
auffallender Widerſprüche und trotz der ſchon zu Linné's Zeit wohl zu
vermeiden geweſener Fehler ſeinem Syſteme doch einen Einfluß und
eine Verbreitung verſchafft hat, wie es bis jetzt weder vor noch nach
ihm mit irgend einem andern der Fall geweſen iſt, ſo liegt die Haupt-
urſache hiervon entſchieden in der Vollendung, welche Linné der for-
mellen Seite ſeines Syſtems gegeben hat; man kann getroſt ſagen: in
dieſer allein. Denn wenn Linné auch zuerſt manche natürliche Gruppen
aufgeſtellt und charakteriſirt hat, ſo war es doch jene formelle Seite,
welche nicht bloß die Möglichkeit und auch die Mittel darbot, jeden
Fortſchritt in der Erkenntniß der Thierwelt für die weitere allſeitige
Aufklärung der bereits bekannten Formen zu verwerthen, ſondern durch
die Strenge, mit welcher jede Form nach den verſchiedenſten Seiten
ihrer Erſcheinung, ihres Lebens, ihres Baues behufs der Einordnung
derſelben in das Syſtem geprüft werden mußte, die allmähliche Ver-
vollkommnung des Syſtems und die Umgeſtaltung deſſelben zu einem
wirklich natürlichen zu bewerkſtelligen. Doch hatte das Auftreten eines
ſo ſchön gegliederten, alle thieriſchen Formen bequem aufnehmenden
ſyſtematiſchen Kunſtwerkes für die Wiſſenſchaft außer dem entſchieden
fördernden Einfluß auch eine bedenkliche Seite. So viele Freunde die
Naturgeſchichte auch durch die abgerundete Form der Darſtellung und
Beſchreibung, welche Linné's Syſtem charakteriſirt, gewann, ſo hielten
doch viele Forſcher die ſtrenge Methode der Linné'ſchen formellen Syſte-
matik für die eigentliche Wiſſenſchaft ſelbſt. Sie haben danach zwar
eine Anzahl von Thieren dem Verzeichniſſe in vollſtändiger oder häufig
unvollſtändiger Schilderung zugefügt, aber damit auch jener Auffaſſung
Vorſchub geleiſtet, welche, leider bis in die neueſte Zeit herabreichend,
in der Beſtimmung und Beſchreibung der für unveränderlich erklärten
Species das einzige Ziel und die eigentliche Aufgabe der Zoologie er-
blicken zu müſſen meint.
Drohte hiermit die bloße Aeußerlichkeit der Thierſchilderungen die
eingehendere wiſſenſchaftliche Behandlung des Gegenſtandes zu ver-
drängen, ſo erhielt letztere eine bedeutende Kräftigung durch die Leiſtun-
gen zweier Männer, von denen zwar der eine, Buffon, nur zu häufig
[522]Periode der Syſtematik.
durch den glänzenden Stil und die blendenden Schilderungen den
Mangel an folgerichtigen Schlüſſen ſowie ſelbſt an den nöthigen that-
ſächlichen Unterlagen zu überſehen verleitete, welche beide aber, ſowohl
Buffon als der viel beſonnenere Bonnet die Nothwendigkeit erkennen
ließen, den zoologiſchen Einzelnerfahrungen durch allgemeine Ideen einen
geiſtigen Zuſammenhalt zu geben. Georges Louis Leclerc,
1707 in Montbard geboren, war der Sohn eines begüterten Parla-
mentsraths von Burgund, Benjamin Leclerc. Er nannte ſich ſpäter,
der Sitte der Zeit folgend, nach einer ſeiner Beſitzungen de Buffon,
unter welchem Namen er auch in den Grafenſtand erhoben wurde.
Anfangs mathematiſchen Studien ergeben, wurde er 1733 Mitglied
der Akademie der Wiſſenſchaften in Paris als Geometer. Nun war
der Pflanzengarten in Paris von den mit der Leitung beauftragten
erſten Leibärzten des Königs bedeutend vernachläſſigt und endlich zur
Abhülfe dieſes Uebelſtandes der als Chemiker und Phyſiker bekannte
Charles François de Ciſternay Dufay zu deſſen Vorſtand beſtellt
worden. Vor ſeinem Tode bezeichnete Dufay dem Miniſter den jungen
Buffon als ſeinen wünſchenswertheſten Nachfolger. Und mit der Er-
nennung zum Intendanten des Pflanzengartens 1739 betrachtete
Buffon die Hebung dieſer Anſtalt und die Pflege der Naturgeſchichte
als ſeine Lebensaufgabe. Da er durch ein ſchwaches Geſicht an anhal-
tendem eignen Beobachten gehindert wurde, verband er ſich nach einigen
Jahren mit dem gleichfalls (1716) in Montbard geborenen Louis
Marie Daubenton (geſt. 1799 in Paris), welcher den anatomi-
ſchen Theil der von Buffon beabſichtigten Thierſchilderungen übernahm.
Buffon war ein Feind des ſtrengen Syſtematiſirens und erblickte in
den Verſuchen Linné's, die Naturgegenſtände nach einzelnen, freilich
aus ihrer Geſammtorganiſation abgeleiteten Merkmalen in gewiſſe
größere und kleinere Gruppen zu ordnen, einen der Naturbetrachtung
auferlegten Zwang. Dieſem ſtrengen methodiſchen Gange entſchloß
er ſich deshalb eine Naturbeſchreibung gegenüberzuſtellen, welche theils
durch den Reichthum der Detailſchilderungen, theils durch einen mög-
lichſt weitumfaſſenden Geſichtspunkt ſowohl der Beſchäftigung mit der
Natur neue Reize verleihen als auch den einzelnen Thatſachen eine be-
[523]Buffon.
ſtimmtere Geltung in dem allgemeinen von der Natur zu entwerfenden
Bilde verſchaffen ſollte. Erſt nachdem er zehn Jahre am Pflanzen-
garten angeſtellt war, veröffentlichte er 1749 die erſten drei Bände
ſeiner Naturgeſchichte, welche die Hypotheſen über die Kosmogonie,
über Zeugung und Ernährung und die Schilderung des Menſchen ent-
hielten. In den zunächſt folgenden Bänden, welche die Geſchichte der
Hausthiere, Fleiſchfreſſer u. ſ. f. brachten, ſprach er ſich gegen An-
wendung irgend einer ſyſtematiſchen Methode ſo ſtark aus, daß er ſie
ſelbſt für ſchädlich erklärte. Als er aber zur Schilderung der Affen
kam und damit zum erſtenmale einer an Arten und Gattungen zahl-
reichen Gruppe gegenübertrat, konnte er eine methodiſche Auseinander-
ſetzung der einzelnen Formen und eine ſyſtematiſch präciſere Charakte-
riſirung derſelben doch nicht entbehren. Bei den erſten Bänden half
ihm Philibert Guéneau de Montbeillard (geb. 1720 in
Semur), deſſen Stil von dem Buffon's kaum zu unterſcheiden ſein ſoll,
bei den ſpäter bearbeiteten Vögeln außer jenem auch der Abbé Gabriel
Leopold Bexon (aus Remirecourt, geb. 1748). Zur Bearbeitung
der übrigen Thierclaſſen kam Buffon nicht mehr ſelbſt; ſie wurden
nach ſeinem 1788 erfolgten Tode mehr oder weniger in ſeinem Geiſte,
durchſchnittlich aber doch den ſyſtematiſchen Anforderungen mehr ent-
ſprechend, zunächſt von Lacépède zu bearbeiten begonnen, denen dann
in ſpäteren Ausgaben als Ergänzungen von Buffon's großer Natur-
geſchichte die Abtheilungen von Latreille, Boſc, Sonnini u. A. ſich
anſchloſſen. — Den größten Erfolg hat Buffon jedenfalls der ganzen
Art ſeiner Darſtellung zu verdanken. In warmen, häufig geradezu
begeiſtertem Tone ſchildert er, ohne den weiteren Leſerkreis durch ſtrenge
ſyſtematiſche Ordnung zu ermüden, das Weltall, die Entwickelung der
Erde u. ſ. f. bis herab auf die einzelnen thieriſchen Geſtalten. Und
wie er bei letzteren nicht bloß die Form als ſolche berückſichtigt, ſondern
durch eine Schilderung des Vaterlands, der Sitten und Lebensgewohn-
heiten, der Inſtincte u. ſ. w. das Intereſſe an der Oekonomie der
Natur im Ganzen rege zu halten ſuchte, ſo bemühte er ſich auch über-
haupt, die einzelnen Naturerſcheinungen als in einem engen Verbande
ſtehend, darzuſtellen. Seine Hypotheſen über die Entwickelungsſtufen
[524]Periode der Syſtematik.
der Erde anzuführen, iſt hier nicht der Ort. Naheliegender iſt ſeine
Annahme einer allgemeinen organiſchen Materie, welche in unendlich
kleine organiſche Molekule vertheilt, beſtändig nach Organiſation ſtrebt.
Stellen ſich dieſer Neigung hindernde Umſtände entgegen, ſo bilden
jene unzerſtörbaren und unveränderlichen Molekule nur ſolche mikro-
ſkopiſche Organismen, wie die von Leeuwenhoek entdeckten Samenthiere
und Infuſorien. Zur Bildung höherer Thiere treten die Molekule zu-
ſammen und ordnen ſich in den dazu beſtimmten Organen nach einer
von Buffon mit dem Namen einer innern Form (moule intérieur)
belegten Kraft zum neuen Individuum. Die Arten galten ihm früher
für unveränderlich; ſpäter nahm er jedoch die Möglichkeit einer Um-
wandlung an, wobei die Temperatur, das Klima, die Qualität der
Nahrung und die Domeſtication wirkſame Urſachen ſein ſollten. Bei
der Ernährung bilden ſich neue organiſche Molekule, welche ſpäter dann
die Entwickelung der Theile beſtimmen, in denen ſie entſtanden ſind54).
Durch derartige Anſichten wurde Buffon auch veranlaßt, das Ver-
hältniß der beiden organiſchen Naturreiche zu einander zu beſtimmen.
Von einem allgemeinen Standpunkte aus ſoll nach ihm kein weſentlicher
Unterſchied zwiſchen Thieren und Pflanzen beſtehn, d. h. in beiden ſind
die eigentlichen Träger des Lebens jene organiſchen Molekule; was aber
das Einzelne betrifft, ſo erklärt er doch ausdrücklich, daß ohne Ver-
dauungs-, Circulations- und Generationsorgane ein Thier aufhören
würde, Thier zu ſein. Buffon wurde aber ferner beſonders durch die
ihm von Daubenton gebotenen Einzelnheiten zum wirklichen Vergleichen
veranlaßt und macht zum erſtenmale von einem weiteren Geſichtspunkte
aus auf die vielen und großen Uebereinſtimmungen aufmerkſam, welche
ſämmtliche Thiere zeigen. Freilich geht er hier viel zu weit, verwechſelt
auch im Eifer der Darſtellung die Maßſtäbe der Vergleichung, indem
er einmal die Form, ein andermal die Leiſtung zu Grunde legt, weiſt
[525]Buffon.
aber doch auf die morphologiſche Aehnlichkeit z. B. ſämmtlicher Wirbel-
thiere hin, welche er, allerdings nicht unter dieſem Namen, als nach
einem Plane gebaut bezeichnet. Es erſcheint hier zum erſtenmale eine
Vergleichung des Knochengerüſtes der Gliedmaßen der Säugethiere, ſo
des Vorderfuſſes des Pferdes und des menſchlichen Armes. Wenn nun
aber Buffon weiter von einem einheitlichen Plane ſpricht, welcher ſich
durch die niederen Thierclaſſen hindurch nur allmählich in Abſtufungen
abändere, ſo iſt dies eine Auffaſſung, welche er ſelbſt nicht mehr auf
anatomiſche Belege geſtützt, ſondern nur den allgemeinen Lebenserſchei-
nungen nach geltend zu machen ſucht. So weit er daher auch über das
Ziel hinausſchießt, ſo wenig logiſch conſequent er bei Beſprechung dieſes
allgemeinen Planes verfährt, ſo gab er doch damit einen Anſtoß,
welcher ſich noch ſpäter in ſeinen Wirkungen erkennen läßt. Aner-
kennend verdient noch hervorgehoben zu werden, daß Buffon in einer
präciſen Weiſe auf die Thatſachen der geographiſchen Verbreitung der
Thiere hinweiſt. Wenn ſchon Linné die Arten der verſchiedenen Conti-
nente als verſchiedene erkannt und im Syſtem aufgeführt hatte, ſo weiſt
doch Buffon ausdrücklich auf die Verſchiedenheit der Thierwelt in den
verſchiedenen Welttheilen hin und hebt unter Anderem ſchon hervor,
daß die arktiſchen Thierformen Amerika's und Europa's dieſelben ſeien,
da die Continente dort entweder zuſammengehangen haben oder die
Wanderungen der Thiere möglich geweſen ſein dürften. Was die
von Buffon gegebenen Schilderungen einzelner thieriſcher Formen be-
trifft, ſo zeichnen ſie ſich zwar in der überwiegenden Mehrzahl durch
eine äußerſt belebte und anziehende Darſtellung aus, ſind aber meiſt
nur auf außerordentliche Beleſenheit, und zum kleinen Theile auf eigene
Erfahrung gegründet. Bei der Verbreitung, welche ſeine Schriften
fanden, iſt es daher nicht zu verwundern, daß durch dieſelben eine Menge
alter Fabeln von Neuem in einer durch ſeine Autorität gewiſſermaßen
ſanctionirten Form erſchienen. Auf der andern Seite gelangte er aber
auch durch ſorgfältige Benutzung des Materials, welches ſich ihm in
dem unter ſeiner Leitung neu bevölkernden Pflanzengarten darbot, zur
genaueren Beurtheilung mancher Formen, deren ſyſtematiſche Stellung
dadurch beinahe ohne ſeinen Willen von ihm geſichert wurde. Wie
[526]Periode der Syſtematik.
Linné begann zwar auch er die Geſchichte der belebten Natur mit der
des Menſchen, ordnet aber denſelben nicht dem Thierreich ein, ſondern
ſtellt ihn demſelben gegenüber; und wenn er auch hier keinen Verſuch
zu einer ſyſtematiſchen Anordnung der Raſſen macht, ſich vielmehr noch
nach der Weiſe der Alten in Erörterungen über die Urſachen der Farbe
und des Wollhaars des Negers und dergleichen einläßt, ſo erſcheint
doch bei ihm die Naturgeſchichte des Menſchen zum erſtenmal in einer
ſelbſtändigen und eingehenden Behandlung. Freilich verträgt dieſelbe
ebenſowenig wie andere Theile ſeiner Werke eine ſtrenge Kritik, da er
zwar mit großer Beleſenheit die Berichte der Reiſenden zuſammenge-
tragen, ſie aber zu wenig auf ihre Glaubwürdigkeit geprüft hat. —
Sind daher auch im Ganzen genommen Buffon's Verdienſte um die
eigentliche Förderung der Zoologie äußerſt gering, ſo hat er doch durch
ſeine begeiſternde Darſtellung nicht bloß die Liebe und den Eifer wie
für die Naturgeſchichte überhaupt, ſo auch für die der Thiere von Neuem
angefacht, ſondern auch durch ſeine freilich allzukühnen Hypotheſen einen
Anſtoß zur wiſſenſchaftlichen Zuſammenfaſſung des immer reichlicher
ſich anſammelnden Thatbeſtandes gegeben.
Einen nicht minder nachhaltigen Einfluß auf die Verbreitung eines
tieferen wiſſenſchaftlichen Geiſtes in der Naturgeſchichte hatten die
Schriften Charles Bonnet's. Bonnet war 1720 in Genf geboren,
widmete ſich zwar wie Buffon anfänglich gleichfalls der Rechtskunde,
hatte aber vor jenem voraus, daß er ſich ſchon als Jüngling mit natur-
wiſſenſchaftlichen Unterſuchungen, beſonders über Entwickelung und
Regeneration bei niedern Thieren, zu beſchäftigen begann. Er wurde
ſpäter Mitglied des großen Rathes ſeiner Vaterſtadt, deren Bezirk er
trotz ſeiner glücklichen äußern Verhältniſſe nicht verlaſſen hat, und
ſtarb 1793 auf ſeiner Beſitzung Genthod bei Genf. Eine ſeiner früheſten
Entdeckungen war die der ungeſchlechtlichen Fortpflanzung der Blatt-
läuſe; dieſelbe veröffentlichte er zuſammen mit zahlreichen Beobachtun-
gen über Regeneration und Vermehrung der Polypen und Würmer
(u. A. Nais) in dem Traité d'Insectologie, 1745. In den folgenden
Jahren unterſuchte er die Lebenserſcheinungen der Pflanzen, beſonders
den Nutzen der Blätter, worüber er 1754 ein Werk erſcheinen ließ.
[527]Bonnet.
Durch zu anhaltendes Beobachten mit dem Mikroſkope zog er ſich wie-
derholte Augenentzündungen zu und konnte auch ſeiner amtlichen Stel-
lung wegen weniger Zeit auf Unterſuchungen verwenden. Er verſuchte
daher nun, ſeine zahlreichen Einzelnerfahrungen allgemein theoretiſch zu
verwerthen. Vorzüglich war es hierbei die gewonnene Ueberzeugung,
daß die Natur in der Aufeinanderfolge der lebenden Weſen keinen
Sprung mache, daß ſich vielmehr alle Formen durch allmähliche Ueber-
gänge mit einander verbinden, welche ihn zur Entwickelung ſeiner An-
ſichten über die allgemeine Stufenleiter der Natur bewog. Hier geht
er überall von dem Dogma der „präordinirten“ Formen, alſo der un-
veränderlichen Arten aus, ohne irgendwie die Möglichkeit einer Aende-
rung zu erwähnen. Sind auch ſeine Bemerkungen über die Natur der
Polypen und Würmer viel beſſer begründet, als die bei früheren Zoolo-
gen, ſo fehlt doch ſeinen Verallgemeinerungen die morphologiſche Grund-
lage, welche allein ihn in den Stand geſetzt haben würde, die Zuſam-
mengehörigkeit gewiſſer Formen und die mögliche Art und Weiſe einer
Verbindung zweier Typen mit einander in ſeinem Sinne thatſächlich
nachzuweiſen. Dagegen zeichnet ſich ſeine allgemeine Auffaſſung durch
eine ziemliche Freiheit von Vorurtheilen aus. Wenn er gleich die Ent-
ſtehung und Bildung organiſcher Körper nicht mechaniſch erklären zu
können geſteht, vielmehr überall verbreitete erſchaffene Keime annimmt,
ſo glaubt er doch mit Zurückweiſung aller geheimen und unbekannten
Kräfte ſelbſt die Erklärung der pſychiſchen Erſcheinungen in die Mecha-
nik der Nervenfaſern verlegen zu ſollen. Und wenn ihm hierzu, ja
ſelbſt zu einem vorläufigen Verſuche der Art die nothwendigen anato-
miſchen und phyſiologiſchen Unterlagen fehlten, ſo iſt er doch der erſte,
welcher von Beobachtungen ausgehend auf die Gruppe von Naturvor-
gängen hinweiſt, von welcher aus eine Erklärung jener Erſcheinungen
im eigentlichen Sinne des Wortes allein zu hoffen ſein wird.
Es iſt hier auch der Ort, zweier Männer zu gedenken, welche
zwar der ſpeciellen zoologiſchen Forſchung ferner ſtanden, in ihren all-
gemeinen naturphiloſophiſchen Erörterungen aber zum erſtenmale die
Frage von der Veränderlichkeit der Arten berührten, Benoit de
Maillet und René Robinet. Dem Erſteren, welcher unter dem
[528]Periode der Syſtematik.
Namen Telliamed die ſeiner Zeit berühmten Unterhaltungen eines
indiſchen Philoſophen mit einem franzöſiſchen Miſſionnair über die Ver-
minderung des Meeres (1748 und 1756) herausgab, hängt noch immer
der wenig begründete Vorwurf des Atheismus an. Er ſuchte vielmehr
nur das Natürliche aus der Summe des von der Natur bereits Ge-
wußten zu erklären. Auch er nimmt wie Buffon uranfängliche orga-
niſche Keime an. Hat ſich ein Planet gebildet, ſo tritt zunächſt eine
Bevölkerung des Waſſers ein; dieſer folgen dann die Luftthiere, dieſen
endlich die Landthiere. Das Spätere entwickelt ſich aus dem Früheren.
Bei Erörterung der möglichen Urſachen der Umwandlung berückſichtigt
er nur theilweiſe die Lebensformen ſelbſt. Die Veränderungen, welche
zuweilen plötzlich erſcheinen, erfolgen nach ihm durch Einwirkung des
umgebenden Medium und durch Angewöhnung. Von ähnlichen Vor-
ausſetzungen wie Maillet gieng auch Robinet aus (Ueber die Natur,
1760, und Philoſophiſche Betrachtungen über die natürliche Stufen-
leiter der Weſensformen, 1768), nur zog er noch weiter gehende
Schlüſſe. Er erklärt die ganze Materie für belebt und nimmt daher
nur ein Naturreich, das thieriſche, an. Zum erſten Male ſpricht er
aber ferner aus, daß es nur Individuen gibt, welche ſämmtlich durch
unmerkbar geringe Abſtufungen mit einander verbunden ſind. Die
Annahme der Species ruht nur auf der Unfähigkeit unſerer Sinne,
dieſe minimalen Unterſchiede zu erkennen, durch welche die einzelnen
Glieder der großen Kette zuſammenhängen. Robinet erwähnt aber ſo
wenig wie Maillet den genetiſchen Zuſammenhang der Individuen und
die Erblichkeit der Form; nach ihm ſchafft die Natur Alles direct durch
Zuſammenwirken der Naturkräfte mit den präformirten Keimen.
Erweiterung der Thierkenntniß.
Die ſyſtematiſche Ordnung der thieriſchen Geſtalten, der Gebrauch
des Mikroſkops und vervollkommneter Unterſuchungsmethoden, der
weitere Geſichtspunkt bei Berückſichtigung einzelner Thatſachen, das
Auftauchen allgemein umfaſſender Hypotheſen — alles dies waren
Momente, durch deren Zuſammenwirken die Entwickelung der Zoologie
geſichert ſchien. Noch galt es aber die einzelnen Richtungen zu verbin-
[529]Erweiterung der Thierkenntniß.
den und zu verwerthen. Der Natur der Sache nach mußte bei Linné
vorzüglich die eine, mehr formelle Seite in den Vordergrund treten;
Buffon war nicht Herr des nothwendigen Materials. In der Mitte
des vorigen Jahrhunderts traten nun zahlreiche Arbeiter auf, welche
einerſeits die bereits gewonnenen Vortheile weiteren allgemeinen Unter-
ſuchungen ſowie Sammlungen zu Grunde legten, andererſeits durch
tieferes Eingehen in Einzelnheiten die Kenntniß ſpecieller Formen zu
vervollſtändigen ſuchten. Kann man auch ſelbſtverſtändlich nicht bei
allen jenen Männern ein bewußtes Erfaſſen beſtimmter Aufgaben er-
warten, ſo gewannen ihre Leiſtungen doch ſchon durch das Anlehnen
an die jetzt gegebene ſyſtematiſche Form in den meiſten Fällen einen
gewiſſen Anſpruch auf Berückſichtigung und Anerkennung. Es wurde
bis jetzt der Gründung des Syſtems und der Anregungen gedacht, welche
die Zoologie Nicht-Syſtematikern verdankt. Es muß nun zunächſt auf
die durch immer ausgebreitetere Sammlungen unterhaltene ſtete Zu-
fuhr neuen Materials hingewieſen werden, um dann der Verſuche zum
weiteren Ausbaue des Syſtems und der Fortſchritte der Thieranatomie
zu gedenken.
Im ſiebzehnten Jahrhundert wurden naturgeſchichtliche Unter-
ſuchungen auf größeren Reiſen nur beiläufig mit ausgeführt und galten
dann faſt immer nur mediciniſchen Zwecken. Vorzüglich durch Linné's
Anregung begann die Eigennatur der verſchiedenen Länder als ſolche
ein wiſſenſchaftliches Intereſſe auf ſich zu ziehn. Während in der erſten
Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts naturhiſtoriſche Reiſen nur noch
vereinzelt unternommen wurden, erhielten die wiſſenſchaftlichen Expe-
ditionen der zweiten Hälfte meiſt auch eine auf die Erforſchung der be-
lebten Natur der bereiſten Erdgegenden ausgehende Beſtimmung. Man
hatte es erlangt, die einzelnen Formen präcis beſchreiben und benennen
zu können; es mußten daher nun auch dieſe ſelbſt die Aufmerkſamkeit
um ſo mehr feſſeln, als man bei jedem Verſuche, ſie im Syſteme wieder-
zufinden, ihre Uebereinſtimmung oder Verſchiedenheit mit ſchon bekann-
ten durch beſtimmte Merkmale nachzuweiſen hatte. Linné ſelbſt hatte
ſchon eine Anzahl ſeiner Schüler mit dem ausdrücklichen Auftrage einer
naturhiſtoriſchen Unterſuchung in verſchiedene Länder geſchickt, wie
V. Carus, Geſch. d. Zool. 34
[530]Periode der Syſtematik.
Kalm, Löfling, Haſſelquiſt u. A. Der im vorigen Jahrhundert er-
wachte Eifer für die Phyſik der Erde machte aber eine ziemliche Anzahl
größerer Reiſen nothwendig, theils zur Beobachtung der Venusdurch-
gänge, theils zur Ausführung zuſammenhängender Längen- und Breite-
beſtimmungen, theils zur Löſung allgemein hydrographiſcher Fragen,
und nur bei wenigen dieſer Expeditionen fand die Zoologie gar keine
Berückſichtigung. Parallel mit dieſen großen Reiſen um die Erde gien-
gen dann noch einerſeits Expeditionen, welche einzelne Regierungen
ausſandten zur genaueren Erforſchung der Naturbeſchaffenheit der be-
herrſchten Länder, andrerſeits naturhiſtoriſche, beziehungsweiſe fauni-
ſtiſche Unterſuchungen kleinerer Gebiete der alten und neuen Welt. Trotz
dieſer Berückſichtigung der Thierformen auf größeren und kleineren
Reiſen muß doch aber auch hier wiederholt bemerkt werden, daß der
Fortſchritt der Wiſſenſchaft durchaus nicht in einem direct nachweis-
baren Zuſammenhange mit dem Bekanntwerden fremder oder merk-
würdiger Thierformen oder etwa in einem beſtimmten Verhältniſſe zu
demſelben ſteht. Funde erhalten ja erſt durch den Stand der Wiſſen-
ſchaft ihre Bedeutung, für gewiſſe Entdeckungen muß ſie daher erſt reif,
d. h. durch beſtimmte allgemeine Anſchauungen vorbereitet ſein. Bei-
ſpielsweiſe mag erwähnt werden, daß bereits W. Dampier im Jahre
1700 ein Känguruh an der auſtraliſchen Weſtküſte fand. Dieſe Ent-
deckung hat aber weder die Anſicht über die Verbreitung der Beutelthiere,
noch die über die fauniſtiſche Natur Auſtraliens, noch endlich die über
die Anatomie der Säugethiere irgendwie beeinflußt, ſo daß ſogar jene
ſo fremdartige Thierform den beiden Naturforſchern, welche Cook auf
ſeiner erſten Reiſe begleiteten, Banks und Solander, neu war.
Wenn auch durch die früheren holländiſchen Reiſen, welche freilich
um die Mitte des vorigen Jahrhunderts faſt ganz aufhörten, zahlreiche
naturhiſtoriſche Gegenſtände den Muſeen Europa's zugeführt wurden,
ſo waren denſelben doch keine Naturforſcher zu wiſſenſchaftlichen Zwecken
ausdrücklich beigeſellt, ebenſowenig wie den früheren engliſchen Expe-
ditionen unter Byron (1764-66) und Wallis (1766-68). Dagegen
begleiteten Bougainville (1766-69) die beiden Forſcher und Sammler
Sonnerat und Commerſon, von denen der erſtere ſeine Reiſe
[531]Erweiterung der Thierkenntniß.
ſelbſt geſchildert hat, ebenſo wie die eben genannten Banks und So-
lander die Gefährten James Cook's auf ſeiner erſten Reiſe (1768-71)
waren. Des letzteren zweite Reiſe machten die beiden Forſter, Jo-
hann Reinhold und Georg, mit ihm (1772-75); für die dritte hatte
ſich Cook die Begleitung von Naturforſchern ausdrücklich verbeten.
In Lapeyrouſe's Geſellſchaft giengen Lamanou und Lamartinière
in die Südſee, welche ſo wenig wie ihr Führer Europa wiederſahen.
Riche, Labillardière und Ventenat, welche der Expedition
d'Entrecaſteaux's (1791-93) zur Aufſuchung Lapeyrouſe's beigegeben
waren, widmeten dem Thierleben nur wenig mehr Aufmerkſamkeit als
die Begleiter Lapeyrouſe's55). Unter den Genannten hat Sonnerat
mehrere Thiere der ſüdaſiatiſchen Inſeln beſchrieben; beſonders war es
aber der ältere Forſter, welcher zoologiſche Ausbeute mit ſich heim-
brachte und auch ſeine Erfahrungen allgemeiner verarbeitete. Denn
ſo wenig Georg Forſter's (geb. 1754, geſt. 1794) Einfluß auf
Weckung eines wärmeren Intereſſes an dem Naturleben im Allgemeinen
ſowie ſeine Bedeutung als Schriftſteller zu unterſchätzen iſt, ſo kann
ſeiner unter den Zoologen höchſtens nur vorübergehend gedacht werden.
Seinem Vater, Johann Reinhold Forſter (geb. 1729, geſt. 1798)
ſind außer dem terminologiſchen Enchiridium ſowohl einige fauniſtiſche
Zuſammenſtellungen (Nord-Amerika, Oſtindien, China) als auch Be-
ſchreibungen mehrerer neuen Formen, ſowie allgemeine Bemerkungen
über Verbreitung und Leben der Thiere zu verdanken.
Die Kenntniß der Thierwelt Auſtraliens förderte zunächſt
Arthur Philipp, welcher als Gouverneur der in Botany Bay
gegründeten Verbrechercolonie auf ſeiner Unterſuchungsreiſe durch das
anliegende Land auch der Natur eingehende Aufmerkſamkeit widmete
(1789); außer ihm iſt dann noch John White zu nennen. Die
Thierwelt Nord-Amerika's verzeichnete, wie erwähnt, Johann Reinhold
34*
[532]Periode der Syſtematik.
Forſter, wogegen in den Schilderungen von Kalm und Hatchins nur
beiläufig des Thierlebens gedacht wird. Eine Fauna Grönlands bear-
beitete Otho Fabricius (geb. 1744, geſt. 1822), welcher die Reihe
der bedeutenderen däniſchen Zoologen eröffnet. Er war zehn Jahre
lang Vorſtand der grönländiſchen Miſſionsanſtalten und hatte reichlich
Gelegenheit zu eingehenden Beobachtungen. Thiere der weſtindiſchen
Inſeln ſchilderten Sloane (Jamaika, 1725), Patrick Browne
(Jamaika, 1756, Meduſen, Fiſche u. ſ. f.) und Griffith Hughes
(Barbados, 1750). Die Reſultate ſeiner beſonders ornithologiſchen
Sammlungen in Cayenne übergab Sonnini (1772-75) Buffon,
in deſſen Naturgeſchichte ſie einverleibt ſind. Während in Gumilla's
Naturgeſchichte des Orenocco-Gebiets (1745) nur eine allgemeine
Schilderung der Thierwelt ohne ſpecielleres Eingehn auf Unterſcheidung
der einzelnen Formen enthalten iſt (eine ziemlich mißlungene Abbildung
des Manati findet ſich darin), bietet das Reiſewerk Philippe Fer-
min's über das holländiſche Guyana eine reichere zoologiſche Ausbeute
dar. Das übrige Süd-Amerika war im vorigen Zeitraume eingehender
auf ſeine zoologiſchen Verhältniſſe unterſucht worden, aus der vorlie-
genden Periode iſt nur der Reiſe Giov. Ignaz. Molina's zu gedenken,
welcher detaillirte Schilderungen ſämmtlicher von ihm in Chile beob-
achteten Thiere, auch kurz gefaßte lateiniſche Diagnoſen derſelben mit-
theilt (zuerſt 1770). An der älteren Expedition, welche Le Condamine,
Bouguer und Godin ausführten (1735-45) nahm zwar Joſeph Juſſieu
(jüngerer Bruder von Anton und Bernard, Onkel von Laurent) Theil,
ohne jedoch die Thierwelt Süd-Amerika's zu berückſichtigen. Von
größerer Bedeutung für Zoologie waren im Allgemeinen die Reiſen auf
der öſtlichen Halbkugel. Unter den Reiſenden in Afrika war Sparr-
mann, welcher längere Zeit am Cap lebte (1772-1786), Bruce
(reiſte 1768-72) und vorzüglich für Ornithologie Levaillant
(1781-85) als ſammelnde und beſchreibende Zoologen thätig. Klein-
aſien, Syrien, Arabien durchforſchten Forskål und Niebuhr
(1761-67), von denen der letztere nach Forskål's im Jahre 1763 er-
folgten Tode deſſen zoologiſche Ausbeute veröffentlichte. Paläſtina
unterſuchte auf Linné's Anregung Haſſelquiſt. Die Naturgeſchichte
[533]Erweiterung der Thierkenntniß.
Aleppo's ſchilderte Alexander Ruſſell, deſſen Sohn Patrick
Ruſſell ſpäter die indiſchen Schlangen beſchrieb. Sehr reich an Re-
ſultaten waren die Reiſen Carl Peter Thunberg's, welcher Süd-
Afrika, Süd-Aſien und Japan beſuchte (1770-79). Oſtindien bereiſte
Pehr Osbeck (1750-52); eine indiſche Fauna ſtellten außer Forſter
noch Latham und Davis zuſammen. Weitaus die wichtigſten Reiſen
waren aber diejenigen, welche, von der ruſſiſchen Regierung ausgeſtattet,
der naturhiſtoriſchen Durchforſchung Central-Aſiens und Sibiriens
galten. Hier knüpfen ſich alle wiſſenſchaftlichen Reſultate faſt aus-
ſchließlich an deutſche Namen. War bereits die erſte Reiſe, welche in
den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts unternommen wurde,
von großem Erfolge, ſo war die zweite für die Zoologie durch die Theil-
nahme Pallas' beſonders bedeutungsvoll. An der erſten betheiligten ſich
Meſſerſchmidt, Joh. Georg Gmelin, Bering, Steller, deſſen Schil-
derung nordiſcher Seethiere die erſte und letzte authentiſche Beſchreibung
der jetzt ausgeſtorbenen oder unauffindbaren Seekuh (Borkenthier) ent-
hält. Die zweite führten außer Pallas noch Samuel Gottlob Gmelin,
Falk, Güldenſtädt und Lepechin aus (1768-74). Die Verdienſte
Pallas' ſind ſo vielſeitig, daß er einer ausführlicheren Erwähnung be-
darf. Es mag daher die Ueberſicht der fauniſtiſchen Verſuche zunächſt
zu Ende geführt werden. In der Mitte des vorigen Jahrhunderts zog
auch Island die Aufmerkſamkeit der däniſchen Geſellſchaft der Wiſſen-
ſchaften auf ſich; dieſelbe ließ die merkwürdige Inſel naturhiſtoriſch
durch Eggert Olafſon und Biarno Paulſon (Povelſen) unter-
ſuchen (1752-57). Eine gedrängte Ueberſicht der Naturgeſchichte
Islands gab noch Nikolas Mohr (1788). Nachdem Erich Pon-
toppidan bereits 1752 die Naturgeſchichte Dänemarks und Norwe-
gens mit eingehender Berückſichtigung der Thierwelt geſchildert,
P. Ascanius ſpäter (1767 u. flgde.) noch weitere Gegenſtände ab-
gebildet hatte, bearbeitete Otto Friedrich Müller56) (1776 u.
flgde.) die Fauna Dänemarks in einer muſterhaften Art, wennſchon er
[534]Periode der Syſtematik.
ſein Unternehmen nicht ganz vervollſtändigen konnte. Die Thierwelt
Großbritanniens ſchilderte (mit Ausnahme der Inſekten) Thomas
Pennant (1776, 77), welcher auch die arktiſchen Thierformen über-
ſichtlich zuſammengeſtellt hatte. Die Naturgeſchichte Cornwalls fand
einen glücklichen Beſchreiber in Borlaſe (1758). Ueber die Natur-
geſchichte Frankreichs berichtete in einem ausführlichen Werke Buc'hoz
(1776 flgde.). Sardinien ſchilderte Cetti (1774), Oberitalien Sco-
poli (1786), das adriatiſche Meer Vitaliano Donati (1750)
und Olivi (1792). Auch Deutſchland fand für mehrere ſeiner Pro-
vinzen fauniſtiſche oder allgemein naturhiſtoriſche Beſchreiber. So
ſchilderte Kramer die Thiere Nieder-Oeſterreichs (1756), einen Ver-
ſuch einer ungariſchen Fauna gab Severin (1779). Die höheren
Thiere des Mainzer Landes beſchrieb. Bernh. Seb. von Nau
(1787-88), nachdem 1749 Phil. Conrad Fabricius die Thiere
der benachbarten Wetterau überſichtlich zuſammengeſtellt hatte.
Durch vorſtehend aufgeführte Arbeiten, denen noch einzelne unter-
geordnetere zugefügt werden könnten, wurde nun zwar die Kenntniß
der thieriſchen Formen und des Vorkommens derſelben gefördert.
Die Geſetzmäßigkeit des letzteren aber wurde nirgends nachzuweiſen
verſucht. Man verſtand wohl unter der Fauna nach Linné's Vorgang
die Geſammtheit der Thierwelt eines beſtimmten Bezirks; das Ver-
hältniß derſelben zur Fauna benachbarter oder entfernterer Bezirke blieb
ununterſucht. Es ſtellt ſich daher ähnlich wie faſt alle angeführten,
z. B. die europäiſche Fauna J. A. E. Goeze's, welche Donndorf
fortführte, einfach als eine Naturgeſchichte der Thiere dar, mit ausſchließ-
licher Berückſichtigung der in Europa vorkommenden. Die allmählich
bekannt gemachten zahlreichen Einzelangaben forderten aber zu einer ver-
gleichenden Darſtellung des Vorkommens der verſchiedenen Arten auf.
Eine ſolche entwarf und zwar ſofort mit weitem wiſſenſchaftlichen Blicke
Eberh. Aug. Wilh. Zimmermann (geb. 1743, geſt. 1815), aller-
dings ſich auf den Menſchen und die übrigen Säugethiere beſchränkend
(1778). Er beſtimmte den Verbreitungsbezirk der aufgezählten Thiere
nicht blos viel eingehender, als es Buffon gethan hatte, ſondern wurde
wie jener zu allgemeinen Fragen veranlaßt, welche er unbefangener und
[535]Peter Simon Pallas.
weniger von Hypotheſen beeinflußt zu löſen verſuchte. Die Art und
Weiſe, wie ſich die größeren Continente durch Wanderungen von einzel-
nen Punkten aus bevölkert haben, das Vorkommen gleicher Thiere auf
Inſeln und den ihnen am nächſten gelegenen Continenten, die ungleiche
Temperatur großer Continentalmaſſen und an Meeren gelegener Punkte
in gleicher Breite, die mit der räumlichen Trennung der Individuen
von der Stammform allmählich eintretende Abänderung einzelner For-
men, — alles dies ſind Verhältniſſe, welche zum erſtenmale bei Zim-
mermann eingehend und im Zuſammenhange berückſichtigt und ſach-
gemäß beſprochen werden57). Damit war aber auch die Frage nach der
urſprünglichen Stammform der Hausthiere und der Möglichkeit der
Umwandlung gewiſſer Formen von einer praktiſchen Seite her angeregt.
Kann man auch nicht erwarten, daß beim erſten Auftauchen dieſer
Fragen ſchon alle jene Momente berückſichtigt wurden, welche, jetzt
für wirkungsvoll erkannt, bei einer Erklärung der zoogeographiſchen
Thatſachen in Rechnung gezogen werden, ſo bietet doch Zimmermann's
Werk die erſte beſondere wiſſenſchaftliche Behandlung dieſer Seite der
Thiergeſchichte dar, wie es auch lange Zeit die einzige blieb.
Peter Simon Pallas.
In der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts verdankte die
Zoologie ſowohl nach der zuletzt erwähnten Richtung hin, als auch in
den meiſten übrigen Zweigen die bedeutungsvollſte Anregung dem ſchon
genannten Pallas, deſſen Einwirkung auf den wiſſenſchaftlichen Fort-
ſchritt ſicher noch größer geweſen wäre, wenn er die Reſultate ſeiner
vielſeitigen Unterſuchungen ſelbſt noch weiter hätte verfolgen können
und nicht durch das maſſenhaft von ihm zuſammengebrachte Material
zur beinahe gleichzeitigen Bearbeitung mehrerer größerer Werke ver-
anlaßt worden wäre. Viele der allgemeinen Anſchauungen, welche ein-
zelne Seiten der Betrachtung der Thierwelt in ſpäteren Zeiten umge-
[536]Periode der Syſtematik.
ſtaltet haben, tauchten ſchon bei ihm auf oder ſind geradezu auf ihn
zurückzuführen. Die Gerechtigkeit erfordert es daher, ein Geſammtbild
ſeiner Thätigkeit zu geben. Peter Simon Pallas war am 22.
September 1741 in Berlin geboren. Als Sohn eines Arztes wurde
auch er zur Medicin beſtimmt. Aber ſchon als Student fieng er, zur
Naturgeſchichte hingezogen, an, über eine naturgemäßere Anordnung
mehrerer Thierclaſſen Betrachtungen anzuſtellen. Ein Aufenthalt in
Leyden, wo er unter Albinus, Gaubius und Muſſchenbroek ſtudirte,
ſowie eine von dort nach England unternommene Reiſe feſtigten den
Entſchluß in ihm, ſich ganz der Naturgeſchichte zu widmen. Mit neun-
zehn Jahren wurde er Doctor und ſchon ſeine 1760 veröffentlichte
Diſſertation zeichnet ſich durch Umſicht und Ruhe des Urtheils und
ſcharfe Beobachtung aus. Er ſchildert darin mehrere Gattungen von
Helminthen meiſt ſchärfer, als es bisher der Fall geweſen war. Die
Frage nach dem Urſprunge der Würmer innerhalb anderer Thiere ver-
weiſt er betreffs einer richtigen Beantwortung an den Verſuch und die
Beobachtung, wobei gleich hier bemerkt werden mag, daß er ſpäter58)
zu beweiſen ſucht, die Eier der Würmer kämen von außen in den Kör-
per der Wohnthiere. Eine Frucht ſeines Studiums in den holländiſchen
und engliſchen Muſeen und Meeren war die 1766 erſchienene Aufzäh-
lung der Zoophyten. Außer der richtigen Auffaſſung des Polypenſtocks
als verkalkten Geſammttheils der Einzelthiere (im Gegenſatz zu der Be-
trachtung deſſelben als einfacher Gehäusbildung) und einer ſcharfen
Charakteriſirung der Gattungen und Arten bietet dieſe Schrift in ihrer
Einleitung auch eine Bekämpfung der einreihigen als Stufenleiter er-
faßten Anordnung der Thiere dar. An die Stelle dieſer beſonders durch
Bonnet, wie erwähnt, befürworteten Idee führte Pallas zum erſtenmale
das Bild eines ſich vielfach verzweigenden Baumes ein, deſſen Aeſte
ſich nur an ihrem Urſprunge berührten, während die Spitzen ſtets aus-
einander giengen. In demſelben Jahre erſchienen ſeine zoologiſchen
Miscellaneen. Dieſelben enthalten mehrere ſpäter in den Spicilegien
wieder abgedruckten und erweiterten Schilderungen neuer Thierformen,
[537]Peter Simon Pallas.
beſonders Säugethiere, vorzüglich aber noch eine Reihe von Unter-
ſuchungen über Würmer, welche nicht mit in das letzterwähnte Werk
aufgenommen worden ſind. Er gibt hier eine für ihre Zeit ganz vor-
treffliche Anatomie der Aphrodite und Charakteriſirungen mehrerer,
gleichfalls anatomiſch unterſuchter Arten von Meerwürmern. Was
aber dieſe Arbeit beſonders zu einer ſehr wichtigen macht, iſt der Blick,
welchen Pallas auf die Linné'ſche Claſſe Würmer und die völlig natur-
widrige Vereinigung der verſchiedenartigſten Thierformen in derſelben
wirft. Er weiſt (S. 73) auf die nahe Verwandtſchaft der Nacktſchnecken
(und Tintenfiſche) mit den ſchalentragenden, der Ascidien mit den zwei-
ſchaligen Muſcheln hin. Und wenn er nun freilich der letzterwähnten
Gruppe diejenige für verwandt hält, welche die Seeigel und Seeſterne
umfaßt, wenn er die Meduſen als möglicherweiſe den Mollusken nahe-
ſtehend aufführt, ſo wird dieſer auf Mangel an eigenen Beobachtungen
beruhende Misgriff durch die auf anatomiſche Unterſuchungen ſich
ſtützende Vereinigung der verſchiedenen Meerwürmer, mögen ſie nackt
ſein oder in Röhren leben, mit den Erd- und Eingeweidewürmern ent-
ſchieden in den Hintergrund gedrängt. Bald nach dem Erſcheinen der
Miscellaneen kehrte Pallas nach Berlin zurück und begann dort die
Herausgabe der Spicilegien, deren erſtes Heft 1767 erſchien. Da er
in ſeiner Vaterſtadt keine rechte Förderung fand, folgte er einem in
dieſem Jahre an ihn ergangenen Rufe nach Petersburg, wo er ſehr
bald von der Kaiſerin Katharina zur Theilnahme an der zweiten oben
erwähnten Expedition nach dem aſiatiſchen Rußland beſtimmt wurde.
Ehe er Berlin verließ, erſchienen noch mehrere Aufſätze von ihm.
Unter dieſen iſt die Schilderung zweier „Phalänen“ merkwürdig, bei
welchen er die parthenogenetiſche Fortpflanzung beobachtet hatte; es
waren dies zwei neuerdings wieder vielgenannte Pfychiden. Als von
allgemeinem Intereſſe mag hier noch ſeiner Bemerkungen über die
Claſſe der Fiſche gedacht werden, welche 1777 erſchienen. Er tadelt
darin ſcharf Linné's Gruppe der ſchwimmenden Amphibien, weiſt die
dahin gerechneten Formen als echte Fiſche nach, hebt aber zugleich her-
vor, daß Amphibien und Fiſche nur als Unterabtheilungen, als „Ord-
nungen“, einer gemeinſamen Claſſe zu betrachten ſeien. Seine Reiſe
[538]Periode der Syſtematik.
bot ihm nun zahlreiche und ſehr verſchiedenartige Anregungen, denen
allen er möglichſt wiſſenſchaftlich gerecht zu werden ſuchte. Von 1768
an durchzog er das europäiſche Rußland, überſchritt den Ural, kam bis
zum Altai und dem Baikal-See, gieng ſüdlich durch die Völkergruppen
des mittleren Weſt-Aſiens bis zum Caspi-See und dem Kaukaſus und
kehrte 1774 nach Petersburg zurück. Während er ſeine Reiſeſchilderun-
gen alljährlich im Winter ausgearbeitet und zur Veröffentlichung nach
Petersburg geſchickt hatte, widmete er die folgenden Jahre ſeines Lebens
zunächſt der Herausgabe ſeiner wiſſenſchaftlichen Reſultate, bereiſte
1793 und 1794 auf eigene Koſten Süd-Rußland und die Krim und
zog 1795, um in einem ſüdlichen Klima Linderung ſeiner in Folge der
Reiſen auftretenden Leiden zu ſuchen, nach der Krim auf die ihm von
der Kaiſerin geſchenkten Güter. Dort wurde er aber, abgeſehen davon,
daß ihm das Klima doch nicht entſprach, in ſo läſtige Mishelligkeiten
aller Art verwickelt, daß er körperlich nicht gebeſſert nach fünfzehnjähri-
gem Aufenthalte die ganzen Verhältniſſe aufzugeben beſchloß. 1810
verkaufte er Alles und kehrte nach Berlin zurück. Nach einem Jahre
ſtarb er hier, am 8. September 1811. Außer den in dieſer kurzen
Schilderung ſeines Lebens erwähnten Arbeiten waren nun aber beſon-
ders die Früchte ſeiner Reiſe ſehr reich. Zunächſt iſt Pallas als einer
der erſten fachkundigen Schriftſteller, wenn nicht geradezu als Gründer
der wiſſenſchaftlichen Ethnographie zu nennen. Es waren zwar ſchon
früher mehrere zum Theil eingehende Schilderungen des Lebens und
der ganzen körperlichen und geiſtigen Erſcheinung einzelner Völker-
ſchaften beſonders gelegentlich der Entdeckungsreiſen erſchienen, ihnen
fehlte aber der Ueberblick über die Geſammtheit der in Frage kommen-
den Geſichtspunkte. Außer den zahlreichen Vocabularien, mit deren
Sammlung und Zuſammenſtellung Pallas beauftragt worden war, hat
derſelbe in der Schilderung der verſchiedenen mongoliſchen Stämme die
erſte naturgeſchichtliche und umfaſſende Arbeit über eine Menſchenraſſe
geliefert. Die Thierwelt Rußlands hat Pallas nicht bloß in dem um-
faſſend angelegten, aber nicht vollendeten Werke der Zoologia Rosso-
asiatica zuſammenzuſtellen begonnen (die Inſecten fieng er ſchon früher
an getrennt zu bearbeiten), ſondern die Beſchreibungen ſelbſt, gewiſſer-
[539]Fortſchritte der Syſtematik und der Kenntniß einzelner Claſſen.
maßen Daubenton's und Buffon's Arbeitsarten mit der Methodik
Linné's verbindend, auf eine eingehende Unterſuchung der Form und
des Baues der einzelnen Arten gegründet. Wie ſcharf er hier beobach-
tete, wurde theilweiſe ſchon erwähnt. Die monographiſchen Schilde-
rungen, z. B. die neuer Nagethiere, zeichnen ſich vor faſt allen Be-
ſchreibungen der damaligen Zeit durch Berückſichtigung allgemeiner
Verhältniſſe und der Bedingungen aus, unter denen die Thiere leben
müſſen. So ſind ihm vorzügliche Bemerkungen über die Verbreitung,
den Einfluß des Klimas, über das Abändern der Thiere, in welcher Ar-
beit59) er die Anſichten Buffon's über die ſogenannte Degeneration einer
Kritik unterwirft, über die Wirkung der Domeſtication auf die Frucht-
barkeit u. ſ. f. zu verdanken. Vor Allem war es auch die Entwickelungs-
geſchichte der Erdrinde, welche ſeinen Forſchungen neue Richtungen zu
danken hat. Der directe Nutzen der für die Geſchichte der Geologie
wichtigen Beobachtungen, welche der Zoologie aus denſelben entſtand,
war die Würdigung und eingehende Berückſichtigung der Foſſilien im
neuen Lichte. Freilich ſuchte Pallas das Vorkommen von Thierreſten
im Norden Sibiriens, welche an die noch lebende Thierwelt Süd-Aſiens
ſich anſchließen, auf eine jetzt nicht mehr haltbare Art zu erklären. Doch
bezeichnet ſeine Betrachtung dieſer Foſſilien in zweifacher Richtung
einen Fortſchritt der Paläontologie. Er betrachtete die foſſilen Formen
in einem hiſtoriſchen Zuſammenhange mit den jetzt lebenden Arten und
erklärte das Auftreten der Reſte nicht mehr, wie es Frühere gethan
hatten, durch Annahme allgemeiner Umwälzungen, ſondern trug den
localen Verhältniſſen der Fundorte und deren möglicher Aenderung in
ausgedehnter Weiſe Rechnung.
Fortſchritte der Syſtematik und der Kenntniß einzelner Claſſen.
Von den beiden ſich einander gegenüberſtehenden Richtungen
Linné's und Buffon's, deren Vereinigung nur Wenigen gelang, war
[540]Periode der Syſtematik.
die erſtere im vorigen Jahrhundert weitaus die verbreiteſte; ſie diente
auch noch als Ausgangspunkt für die am Ende jenes Zeitraums ein-
tretende Wendung. Obſchon ſich aber die meiſten Einzelarbeiten formell
ganz an Linné anſchloſſen, ſo geſchah doch zu einer möglichen Verbeſſe-
rung der Geſammtanordnung des Thierreichs nur wenig Durchgreifen-
des. Von den in mehrfacher Zahl erſchienenen Ueberſetzungen oder
Bearbeitung des Naturſyſtems gieng keine auf eine eigentliche Weiter-
führung des Linné'ſchen Baues ein. Es wäre aber unnatürlich geweſen,
hätte ſich bei den immer ausgebreiteter werdenden Erfahrungen die
wiſſenſchaftliche Kritik nicht an dem, durch die ſtete Benutzung recht
auffallend zum Fortentwickeln angelegten Syſteme üben wollen. Es
ſind daher auch mehrere zum Theil bedeutungsvolle Verſuche, die An-
ordnung immer natürlicher zu machen, hier anzuführen. Der erſte noch
von Linné ſelbſt mit Vortheil, wenigſtens theilweiſe, benutzte Verſuch
dieſer Art vom Jahre 1756 rührte von dem damaligen Demonſtrator
an Reaumur's Naturaliencabinet her, von Mathurin Jacques
Briſſon, geb. 1723, welcher als Profeſſor der Phyſik 1806 ſtarb.
An die Stelle der ſechs Linné'ſchen Claſſen ſtellte er deren neun, ſie im
Ganzen ähnlich begründend. Die Walthiere trennte er von den Fiſchen,
vereinigte ſie aber noch nicht ganz mit den Säugethieren, ſondern ließ
ſie als beſondere Claſſe unmittelbar auf dieſelben folgen. Den Men-
ſchen ſchließt er von den Säugethieren gänzlich aus. Vögel und Rep-
tilien bildeten die dritte und vierte Claſſe. Die Knorpelfiſche werden
als ſelbſtändige Claſſe den „eigentlichen“ Fiſchen vorausgeſchickt, ebenſo
die Cruſtaceen als mit mindeſtens acht Fußpaaren verſehene Glieder-
thiere von den Inſecten getrennt. Die letzte Claſſe bilden die Würmer
im Linné'ſchen Sinne. Man ſieht, es wird zwar ein Anlauf genommen,
die natürlichen Verwandtſchaften eingehender zu berückſichtigen; außer
den näher liegenden und, mit Bezug auf die Wale ſogar von Ray be-
reits angedeuteten Aenderungen bieten aber Briſſon's Claſſen nur
geringe Verbeſſerungen der Linné'ſchen dar; die Ungleichwerthigkeit der
letzteren beſonders wird nicht zu beſeitigen verſucht und nicht erkannt.
Einen nicht unintereſſanten Verſuch einer neuen Eintheilung des Thier-
reichs machte der Halliſche Profeſſor der Phyſik Johann Peter
[541]Fortſchritte der Syſtematik und der Kenntniß einzelner Claſſen.
Eberhard (geb. 1727 in Altona, ſtarb 1779). Nach Ausſcheidung
des Menſchen theilte er die Thiere in ſolche, welche dem Menſchen ähn-
liche Sinne haben, und in ſolche, deren Empfindungswerkzeuge den
menſchlichen unähnlich ſind. Zu den erſteren rechnet er Vierfüßer,
Vögel, Fiſche und Schlangen. Dabei ſtehen aber Schildkröten, Kroko-
dile, Eidechſen und Fröſche bei den Vierfüßern, die Walthiere als mit
Lungen verſehene Fiſche bei dieſen, deren Waſſer athmende Formen als
kiementragend ihnen gegenübergeſtellt werden. Freilich hält er die
Kiemen der Haie und Pricken für Lungen und vereinigt dieſe Gruppen
daher mit den Walthieren. Die zweite Abtheilung des Thierreichs zer-
fällt nach Eberhard gleichfalls in vier Claſſen: Inſecten, Würmer,
Schalthiere und Thierpflanzen. Es würde entſchieden dieſe Eintheilung
als ein noch größerer Fortſchritt aufzufaſſen ſein, wenn der Verfaſſer
dabei mehr den Bau der Thiere ins Auge gefaßt und nicht z. B. die
Nacktſchnecken nur wegen des Mangels der Schale von den Gehäus-
ſchnecken getrennt hätte. Der Profeſſor am adligen Cadettencorps in
Berlin Joh. Sam. Halle (1727-1810) gibt in ſeiner nur Säuge-
thiere und Vögel behandelnden Naturgeſchichte60) Auszüge aus den ge-
leſenſten Schriften ſeiner Zeit, ohne durch ſelbſtändige Zuthaten den
Verſuch zu machen, die Entwickelung der Wiſſenſchaft zu fördern.
Joh.Friedr.Blumenbach folgte in ſeinem, durch große Klarheit
und Schärfe der Darſtellung ſich auszeichnenden Handbuch der Natur-
geſchichte (1779) im Allgemeinen Linné, ſogar in einzelnen Wunderlich-
keiten, wie in der Aufnahme der Ordnung der ſchwimmenden Amphi-
bien, wogegen er die Wale bei den Säugethieren ließ. Nur die Gruppe
der Würmer ſuchte er durch Auflöſung in verſchiedene Ordnungen auf-
zuklären. Doch ſind ſeine Ordnungen Mollusken, Schalthiere, Knor-
pelwürmer, Korallen und Zoophyten weder naturgemäß noch bezeichnen
ſie gegen die Linné'ſchen einen Fortſchritt. Die Eingeweidewürmer
ſtehn mit den übrigen Würmern bei den Mollusken, die nackten Polypen
unter den Zoophyten, die Gehäuſebildenden unter den Korallen. Die
[542]Periode der Syſtematik.
Ordnung der Knorpelwürmer bilden die Echinodermen, bei denen freilich
gerade die jetzt Knorpel genannte Gewebsform nicht vorkommt. Ziem-
lich in gleicher Weiſe ſich an Linné anſchließend, mit den ſchwimmenden
Amphibien und dergl., obſchon mit Müller's Infuſorien bereichert, er-
ſcheint das Thierſyſtem bei Nathanael Gottfr. Leske (1784).
Beſonders hervorzuheben iſt, daß Aug. Joh. Georg Carl Batſch61)
zum erſtenmale die Vereinigung der vier, den jetzigen Wirbelthieren
entſprechenden Claſſen Linné's unter dem Namen „Knochenthiere“ vor-
nahm. Die Charaktere ſind treffend zuſammengeſtellt; auch iſt der
Unterſchied der Schalthiere, der jetzigen Arthropoden, von den erſteren
richtig anatomiſch entwickelt. Beide Gruppen bilden nach Batſch „voll-
kommene“ Thiere gegenüber den „unvollkommenen“, in deren Anordnung
und Auffaſſung er weniger glücklich war. Eine recht verſtändige Zu-
ſammenſtellung, welche auch den neuen Fortſchritten Rechnung trägt, iſt
das Handbuch der Thiergeſchichte von Joh. Aug. Donndorf (1793),
welcher ſich auch durch repertorienartige Zuſammenſtellung der neuen
Arten um die Verbreitung der ſpeciellen Thierkenntniß Verdienſte er-
worben hat. Sein Handbuch führt beſonders durch ſorgfältige und
zweckmäßige Berückſichtigung der zoologiſchen Kunſtſprache, welcher
auch Mor. Balth. Borkhauſen eine eigene Darſtellung gewidmet hat,
recht paſſend in die Thiergeſchichte ein, verzichtet aber auf eine ſelbſtän-
dige Förderung derſelben.
Es iſt unnöthig, die weiteren allgemeinen Darſtellungen62) hier
aufzuzählen, da ſie nur einen Beweis für die immer beträchtlichere
Ausbreitung des Intereſſes, aber nicht immer einen ſolchen für einen
ſteten Fortſchritt geben. Doch muß noch ein Mann genannt werden,
welcher zu den tüchtigſten Zoologen aus dem letzten Viertel des vorigen
Jahrhunderts gehört, Johann Hermann; er wurde 1738 zu Barr
im Elſaß geboren und ſtarb 1800 als Profeſſor der Naturgeſchichte in
Straßburg. Wie es vorzüglich ſchon Pallas gethan hatte, erklärte er
[543]Johann Hermann.
ſich in ſeiner „Verwandtſchaftstafel der Thiere“ gegen die einreihige
Anordnung des Thierreichs. Er geht die verſchiedenen Merkmalsgrup-
pen durch und weiſt nach, wie je nach, Berückſichtigung dieſes oder jenes
Merkmals ſich ſehr verſchiedene Beziehungen zwiſchen den einzelnen
Claſſen und Ordnungen ergeben. Er ſchlägt daher als graphiſche Dar-
ſtellungsform eine netzförmige Anordnung der Thiergruppen vor63).
Dabei iſt er der erſte nach Ariſtoteles, welcher die Beziehungen der ein-
zelnen Merkmale zu einander ins Auge faßt. Er ſpricht zwar noch
nicht direct das Geſetz der Correlation der Theile aus, weiſt aber da-
rauf hin, wie die Form eines Theiles des Thierkörpers die Form an-
derer Theile beſtimmt oder beeinflußt. Hätte Hermann ein größeres
Material zu Gebote geſtanden, ſo hätten ſeine äußerſt anregenden und
fördernden allgemeinen Betrachtungen jedenfalls noch fruchtbarer wer-
den können. Seine Schriften ſind im Ganzen zu wenig bekannt ge-
worden; man verdankt ihm noch einen Band zoologiſcher Beobachtun-
gen mit ſorgfältigen Schilderungen neuer oder wenig gekannter Thiere.
Auch die, ſicher unter ſeinem Einfluſſe angeſtellten, aber erſt nach ſeinem
Tode veröffentlichten Unterſuchungen ſeines früh verſtorbenen Sohnes
Joh. Friedrich über Aptern enthalten ſehr viel Gutes.
Endlich iſt noch in Bezug auf die allgemeine Auffaſſung des Thier-
reichs zu erwähnen, daß ſich als Folge der außerordentlich mannich-
faltigen Anſchauungen, welche die tiefer eingehende Beſchäftigung mit
fremden wie mit bekannten Thieren anſammeln ließ, auch das Gemüth
zu regen anfieng. Es fehlte noch jene durchſichtige Ueberſichtlichkeit der
Geſetze der thieriſchen Geſtaltung und des thieriſchen Lebens, welche
die Entwickelung der Wiſſenſchaft in dieſem Jahrhundert herbeizuführen
ſtrebt. Da ergieng man ſich einerſeits in der Bewunderung der Schön-
heit und Zweckmäßigkeit der Natur von einem allgemein äſthetiſchen
[544]Periode der Syſtematik.
Standpunkte aus, andererſeits benutzte man die Natur als Mittel zur
religiöſen Erhebung. Durch beides ſuchte das idealiſtiſche Bedürfniß
eine Befriedigung zu erhalten, welche allerdings beim Mangel genügen-
der Verbreitung einer hiſtoriſchen Anſchauung und Methode am leich-
teſten durch die Naturgeſchichte gewährt werden konnte. Förderung
hat die Wiſſenſchaft durch dieſe Arbeiten nicht gefunden; der zuweilen
zu Tage tretende rührend kindliche Sinn iſt beſonders culturgeſchichtlich
intereſſant. Es mag hier nur kurz an Folgendes erinnert werden. Der
bekannte Philoſoph Johann Georg Sulzer (1720-1779) ſchrieb
nicht bloß moraliſche Betrachtungen über die Werke der Natur (1741),
ſondern auch ein beſonderes Buch über die Schönheit der Natur (1750).
In gleicher Weiſe war Heinrich Sander (geb. 1754, Profeſſor
am Gymnaſium in Karlsruhe, ſtarb 1782) thätig, ſowohl das Schöne
in der Natur (1781) als auch die weiſe Ordnung in derſelben hervor-
zuheben (1779). Am eifrigſten war aber der Nordhäuſer Paſtor Frie-
drich Chriſtian Leſſer (1692-1754) in dem Bemühen, der
Naturbetrachtung eine religiöſe Stimmung zu verleihen. Er ſchrieb
nicht bloß eine Lithotheologie, ſondern ſuchte auch durch eine Inſecto-
theologie (1735, lateiniſche Diſſertation, 1738 deutſch) und eine Teſta-
ceotheologie (1744) „die geiſtliche Betrachtung“ der Natur anzuregen.
Für andere Thierclaſſen war endlich Johann Heinrich Zorn
(Petinotheologie, geiſtliche Betrachtung der Vögel, 1742) und Johann
Gottfr. Ohnefalſch Richter (Ichthyotheologie, 1754) dem Beiſpiel
des Nordhäuſer „Geiſtlichen“ gefolgt.
Wenn auch eine umgeſtaltende Anſchauung des Thierreichs im
Ganzen erſt ſpäter auftrat und ſich hier nur in einzelnen Andeutungen
das Bewußtſein von der Nothwendigkeit einer ſolchen ausdrückte, ſo
führten doch die Unterſuchungen über einzelne Claſſen allmählich auf
dieſelbe hin. Freilich kann man die letzteren nicht als die einzige Bedin-
gung jener anſehn; es kam eben auf eine beſondere allgemeine Auf-
faſſung an, welche nicht ohne weiteres aus Einzeldarſtellungen abgeleitet
werden konnte; doch erſchienen die Fortſchritte ſpäter großartiger in
Folge des auf einzelnen Gebieten bereits Geleiſteten. — Die Natur-
geſchichte des Menſchen hatte in Pallas den erſten wiſſenſchaftlichen
[545]Fortſchritte der Syſtematik und der Kenntniß einzelner Claſſen.
Beſchreiber gefunden. Arbeiten von Cornelis de Pauw über die
Amerikaner, Chineſen, die alten Griechen waren mehr geſchichtlicher
Art und trugen auch in Folge der nicht vorurtheilsfreien Behandlung
ihres Gegenſtandes zur Förderung der Kenntniß kaum etwas bei. Es
fällt aber in dieſelbe Zeit die Gründung der anatomiſchen Eintheilung
der verſchiedenen Menſchenformen. Im Jahre 1775 erſchien J. Fr.
Blumenbach's Schrift über die angeborne Verſchiedenheit im Men-
ſchengeſchlechte zum erſtenmale, worin er die einzelnen Formen als
Raſſen oder Varietäten einer Art aufführt und naturgeſchichtlich zu
charakteriſiren ſucht. Zu den Europäern rechnet er auch die Weſtaſiaten
bis zum Ob, dem Caspi-See und zum Ganges, die übrigen Aſiaten
mit gelbbrauner Haut bilden die zweite Varietät, die ſchwarzen woll-
haarigen Neger die dritte, die kupferrothen Amerikaner die vierte, die
letzte endlich die Polyneſier oder Auſtralier. Für die Bezeichnung führte
er ſpäter die allgemein angenommenen Ausdrücke der kaukaſiſchen, mon-
goliſchen, äthiopiſchen, amerikaniſchen und malayiſchen Raſſe ein. Die
Abgrenzung dieſer Raſſen, welche Blumenbach nur für künſtlich durch-
führbar erklärt, geſchieht auf Grund der allgemeinen äußeren Erſchei-
nung. Sie ſtellen eine Erweiterung der Linné'ſchen Eintheilung dar,
welcher ſich auch Kant im Allgemeinen anſchloß, wie auch die Einthei-
lung der Raſſen von John Hunter die Hautfarbe in den Vordergrund
ſtellt. Blumenbach folgte anfangs noch den älteren Ueberlieferungen;
er erklärte z. B., daß die Hitze der Tropenſonne die Haut des Negers
ſchwarz brenne und ſein Haar kräuſele. Er ſucht aber ſpäter nach einer
feſteren Begründung der Unterſchiede, deren Erklärung offen laſſend.
Und hier iſt er als Begründer der ethnographiſchen Schädellehre zu nennen.
— Die Verſchiedenheiten einzelner Theile des Skelets von Thieren von
den entſprechenden Stücken beim Menſchen waren ſchon früher geſchil-
dert worden, ſo die des Schlüſſelbeins von Joh. Glob. Haaſe (1766)
und des Beckens von Bernh. Glob. Schreger (1787). Gegen an-
dere Theile trat von nun an der Schädel in einer, das Intereſſe völlig
beherrſchenden Art in den Vordergrund. J. Ch. Fabricius hatte
der ziemlich verbreiteten Annahme Worte geliehen, daß zwiſchen Affen
und Negern eine nähere Beziehung beſtände und erklärte, die Neger
V. Carus, Geſch. d. Zool. 35
[546]Periode der Syſtematik.
entſtammten einer Vermiſchung der weißen Menſchen mit den Affen.
Dadurch gelangten die höheren Affen zu der Stellung von Mittelweſen
zwiſchen Menſch und Thier. Dies Vorurtheil zu bekämpfen führte
Peter Camper die Anatomie des Orang-Utang aus und wies nicht
bloß die ſelbſtändige thieriſche Stellung deſſelben nach, ſondern hob auch
weitere charakteriſtiſche Unterſchiede zwiſchen ihm und dem Menſchen
hervor. Unter dieſen erſcheint der nach ihm benannte Geſichtswinkel,
die erſte Anwendung der Meſſung auf Schädel, welche er ſpäter in
ſeiner Schrift über die Verſchiedenheit der Geſichtszüge der Menſchen
weiter verfolgte. Den Standpunkt der Naturgeſchichte des Menſchen
vom Ende des vorigen Jahrhunderts gibt überſichtlich und mit reichen
Litteraturbelegen Chriſt. Friedr. Ludwig in ſeinem Grundriſſe (1795)
wieder.
Die Syſtematik der Säugethiere, von denen nun die Walthiere
nicht wieder getrennt werden, erfuhr von mehreren Seiten eine neue
Bearbeitung, ohne jedoch von tiefer eingehender Kenntniß überall geleitet
zu werden. Die Linné'ſche Anordnung, welche an erſter Stelle die
Zähne berückſichtigt hatte, ſuchte zunächſt Briſſon zu verbeſſern; er
führte indeſſen durch ſtarres Feſthalten an Merkmalen, welche nur von
Zahl und Vorkommen der Zähne und der Form der Gliedmaßen her-
genommen waren, das Unnatürliche und Gezwungene einer künſtlichen
Gruppirung vor Augen. Vom Jahre 1775 an ließ Joh. Chriſt. Dan.
Schreber (geb. 1739, ſtarb als Profeſſor in Erlangen 1810) die
erſten Hefte ſeines großen Säugethierwerks erſcheinen, welches erſt
1824 vollendet wurde. Nach der Art Buffon's legte er das größte
Gewicht auf ſorgfältige ausführliche Beſchreibung und Abbildung der
einzelnen Formen, ohne deren geſammte Anordnung eingehend umzu-
geſtalten. Thomas Pennant wollte zwar (zuerſt 1771, dann 1781)
den ganzen, die Verwandtſchaft bekundenden Geſammtcharakter der
Arten zunächſt in Betracht ziehn; ſeine Anordnung wird aber doch auch
eine künſtliche, da er zu ſtreng die Form der Füße bei der Bildung der
Hauptgruppen, in zweiter Reihe die Zähne und andere Merkmale be-
rückſichtigt. Doch iſt Pennant zu Gunſten der natürlichen Verwandt-
ſchaft von ſeinem Schema häufig mit vollem Rechte abgewichen, ſo daß
[547]Fortſchritte der Syſtematik und der Kenntniß einzelner Claſſen.
die Reihenfolge und die Verbindung, in welcher die einzelnen Gattungen
bei ihm erſcheinen, viel natürlicher ſind, als es die Charakteriſirung
ſeiner Ordnungen iſt. Entſchieden unnatürlicher und künſtlicher iſt das
Syſtem, welches Joh. Anton Scopoli (1723-1788) aufſtellte
(1777): er hält ſich ſtreng an den Aufenthaltsort und die adaptive
Bildung der Füße und trennt demzufolge z. B. die Otter von den
Wieſeln, den Biber von den übrigen Nagern u. dergl. mehr. Ausge-
zeichnet durch die Beſchreibung der einzelnen Arten, aber jeder weitern
Eintheilung der Claſſe entſagend führt Joh. Chriſt. Polycarp Erx-
leben (geb. 1744, ſtarb 1777 als Profeſſor in Göttingen) die Gat-
tungen in einer Reihe auf, wie Scopoli mit dem Menſchen beginnend,
wobei er zwar im Allgemeinen die Zähne an erſter Stelle, aber auch,
freilich nicht immer, mit Glück den Geſammthabitus berückſichtigte.
In den Schilderungen folgte er Linné's Beiſpiel, häufig deſſen Worte
benutzend; er gibt zahlreiche Synonyme und Trivialnamen; ſein Werk
iſt daher nicht bloß für die Zeit ſeines Erſcheinens als Quelle zu be-
zeichnen (1777), es enthält aber nur wenige entſchiedene Fortſchritte.
Während der Menſch aus dem Syſteme des Briſſon und Pennant weg-
gelaſſen wurde, eröffnet derſelbe bei Blumenbach (1779) die Reihe
der Säugethiere als „Waffenloſer“ (Inermis), in jedenfalls geiſtvoller
Weiſe auf den Mangel angeborner Waffen, Kunſttriebe und Bedeckun-
gen hinweiſend. Bei den übrigen Ordnungen, deren Blumenbach im
Ganzen zwölf aufſtellte (ſpäter verminderte er ihre Zahl), hat er ſich
doch dem Einfluſſe äußerlicher Verhältniſſe und adaptiver Merkmale
nicht zu entziehen gewußt; denn er vereinigt z. B. Igel und Stachel-
ſchwein nach der Form der Hautbedeckung, Biber und Otter nach den
Schwimmfüßen, Maus, Spitzmaus und Beutelratte mit den Wieſeln
und dem Dachſe in dieſelben Ordnungen, in deren Charakteriſtik zum
erſtenmale das Auftreten mit der ganzen Sohle im Gegenſatze zu dem
Gehen auf den Zehenballen als Merkmal benutzt wird. Eine entſchieden
viel naturgemäßere Anordnung bietet der „Prodrom einer Methode der
Säugethiere“ von Gottlieb Conr. Chriſt. Storr dar (geb. 1749,
Profeſſor der Naturgeſchichte in Tübingen, ſtarb 1821). Storr theilt
in der 1780 erſchienenen Differtation die Claſſe zunächſt nach den Füßen
35*
[548]Periode der Syſtematik.
in drei Ordnungen, die erſte für die Formen mit Gehfüßen, die zweite
für die Schwimmfüſſigen, die dritte für die mit Floſſen verſehenen
Wale. Wenn auch hiernach die Robben von ihren näheren Verwandten
weiter getrennt werden, ſo ſind doch die kleineren Gruppen ſeiner erſten
Ordnung natürlich umgrenzt und innerhalb derſelben treten Adaptiv-
merkmale nicht ungebührlich in den Vordergrund. Biber und Otter
ſtehn beiſpielsweiſe an ihren richtigen Stellen, erſterer bei den Nagern,
letztere bei den Wieſeln und Viverren. Für die mit vollſtändigem Ge-
biſſe ausgerüſteten Thiere wendet er im erweiterten Sinne die Linné'ſche
Bezeichnung Primaten an, deren erſte Abtheilung als mit Händen
verſehene Formen den Menſchen, die Affen und die Beutelthiere (lange
Zeit noch Pedimanen genannt) umfaßt. Auch Storr berückſichtigt das
Verhalten des Fußes beim Auftreten und verwendet das Sohlengehen
als Merkmal. — Batſch ſagt zwar, daß er die Linné'ſchen Ordnungen
nur in etwas verändert habe, doch enthält ſeine Anordnung der Säuge-
thiere manches Neue und Gute. Er ſchiebt zwiſchen die Gattungen und
Ordnungen noch die ſyſtematiſche Abtheilung der Familien ein und unter-
ſcheidet ſolche in den einzelnen Ordnungen. Die Ordnung der reißen-
den Thiere trennt er in die Familien der katzen-, hunds-, bären- und
wieſelartigen Thiere. Für die drei Familien der Maulwurfsartigen,
in welcher er Spitzmaus, Maulwurf und Igel vereint, der Fledermäuſe
(Pteropoda, ein Name, den neuerdings in gleichem Sinne Bonaparte
angewandt hat) und der Beutelthiere (hier zum erſtenmale Marsupiales
genannt) führt er als Ordnungsnamen den Ausdruck Nagethiere, Ro-
sores, ein, während die jetzt allgemein nach Vicq d'Azyr's Vorgang
Nager genannten Säugethiere, die GliresLinné's, als Mäuſeartige in
die Familie der Ratten-, Kaninchen-, Eichhorn- und Biberartigen ge-
trennt werden. — Von einzelnen Ordnungen der Säugethiere haben
nur die Nager ſpecielle Bearbeiter gefunden. Es iſt hier der vorzüg-
lichen monographiſchen Schilderungen neuer oder wenig gekannter
Nager von Pallas (1778), welcher von den meiſten angeführten
Thieren auch Anatomien gibt, und der in einzelnen Punkten gar
nicht unverdienſtlichen Arbeit von Blaſius Merrem zu geden-
[549]Fortſchritte der Syſtematik und der Kenntniß einzelner Claſſen.
ken64). Der Profector in Göttingen Wilhelm Joſephi hat endlich
die Anatomie der Säugethiere zu ſchildern begonnen, indeß nur die Affen
behandeln können. Die Arbeit enthält wenig wirklich Vergleichendes.
Die Vögel boten den Verſuchen, ihre Anordnung allmählich
naturgemäßer zu machen, mehr Schwierigkeiten dar, als die Säuge-
thiere, da ihre im Ganzen ſo augenfälligen, aber doch nur adaptiven
Eigenthümlichkeiten eine ungleich geringere Breite der Schwankung
zeigen. Man war daher genöthigt, hier auf untergeordnetere Einzeln-
heiten einzugehn, als in andern Claſſen, ohne daß man jedoch hierdurch
auf die beſondere Art und Stellung der ganzen Gruppe aufmerkſam ge-
worden wäre. Lediglich auf ſorgfältige Beobachtung und Unterſcheidung
der äußeren Verhältniſſe, beſonders der Art der Befiederung fußend,
machte zunächſt Paul Heinr. Gerhard Möhring (geb. 1720 in
Danzig, ſtarb 1792 in Jever) eine neue Eintheilungsart der Vögel
bekannt (1752). Er lenkte, wie früher Ray, die Aufmerkſamkeit auf
den Umſtand, in welcher Ausdehnung die Beine befiedert ſind, und
legte dieſen Punkt ſowie die Beſchaffenheit der Haut an den unbefieder-
ten Stellen der Füße an erſter Stelle, dann auch die Entwickelung der
Flügel ſeiner Eintheilung zu Grunde. Mehr eklektiſch aus den vor ihm
veröffentlichten Claſſificationen einzelne Merkmalsgruppen heraushe-
bend ſtellte Briſſon ein Syſtem der Vögel auf (1760), welches ſchon
durch die große Zahl ſeiner Ordnungen (26) im Vergleiche zu der viel
geringeren Zahl bei Möhring (4) darauf hinweiſt, wie verſchieden die
Beurtheilung der einzelnen Gruppen ausfallen muß, wenn es an wirk-
lich durchgreifenden Geſichtspunkten fehlt. Unterſuchungen über die
Mechanik des Fluges führten Joh. Eſaias Silberſchlag (geb. 1721,
ſtarb als Oberconſiſtorialrath, auch Geheimer Oberbaurath in Berlin
1791) zur genauen Betrachtung der Flügel, welche ihm je nach ihrer
Länge, der Form der Schwingen und der Breite des ſogenannten Fächers
Anhaltepunkte zu einer Vertheilung der Vögel darzubieten ſchienen. Doch
[550]Periode der Syſtematik.
gab er hierüber nur eine Andeutung, ohne eine ſpecielle Ausführung zu
verſuchen. Blumenbach bemerkte (1779), daß die Eintheilung der
Vögel weniger Schwierigkeiten unterworfen ſei, als die der Säugethiere,
da man in Folge der einfacheren Bildung der Vögel von gewiſſen
Theilen, wie Schnabel und Füße, die Charaktere der Ordnungen her-
nehmen könne. Unter ſeinen neuen Ordnungen iſt die der Leicht-
ſchnäbler mit „ungeheuer großen, aber hohlen Schnäbeln“ neu (Papa-
geyen, Pfeffervögel, Nashornvögel). Gleichfalls eklektiſch das ſcheinbar
Zweckmäßigſte von ſeinen Vorgängern aufnehmend theilte John La-
tham (geb. 1740, geſt. 1837) die Vögel in neun Ordnungen (1781,
dann 1790 u. ſpäter), ſie zunächſt nach Ray's Vorgang in Land- und
Waſſervögel ſcheidend. Im Allgemeinen behielt er Linné's Ordnungen
bei, zu denen er noch die Tauben, Strauße und die mit häutig um-
ſäumten Zehen verſehenen Pinnatipeden Klein's brachte. Latham's
Hauptverdienſt liegt in der ſorgfältigen Beſchreibung der Arten. —
Gerade im Gegenſatze zu Blumenbach's angeführter Bemerkung ſagt
Batſch ſehr richtig (a. a. O.), daß, je einförmiger der Körperbau der
Vögel ſei, ſich ein natürliches Syſtem ihrer Gattungen um ſo ſchwerer
aufſtellen laſſe. Auch hier iſt die allgemeine Charakteriſtik treffend und
ſcharf; er hebt den einfachen Hinterhauptsgelenkhöcker im Gegenſatze
zu dem paarigen der Säugethiere hervor, erwähnt die Anordnung der
Federn im Quincunx u. And. Seine neuen Ordnungen entſprechen
nicht den Blumenbach'ſchen, aus welchen er die Leichtſchnäbler aufge-
nommen hat. Krähen und Sperlingsartige vereinigt er, wogegen er
die Tauben zu den Hühnern bringt. Auch faßt er die Spechtartigen
nicht richtig auf. Im Ganzen bewährt ſich aber Batſch auch hier als
geiſtvoller und denkender Beobachter. — Für die Verbreitung der
Kenntniß neuer und ſeltener Arten ſorgte George Edwards (1693
-1773), welcher ſowohl in dem den Vögeln vorzugsweiſe gewidmeten
Werke (1743-51, fortgeſetzt von Peter Brown, 1776), als auch
in ſeinen Gleanings neue oder noch nicht abgebildete Vögel ver-
öffentlichte. Was einzelne Gruppen betrifft, ſo ſetzte Merrem
a. a. O.) die Unterſchiede zwiſchen Adler und Falken ausführlich
auseinander. Derſelbe gab im Anſchluß hieran auch die erſten
[551]Fortſchritte der Syſtematik und der Kenntniß einzelner Claſſen.
detaillirten Abbildungen des Muskelſyſtems eines Vogels (weißköpfiger
Adler).
Für die naturgemäße Auffaſſung der verſchiedenen Formen der
Reptilien und Amphibien war beſonders die Entdeckung des
Olm, Proteus aguinus, von Bedeutung. Dieſelbe veranlaßte den
erſten Beſchreiber, Joſ. Nik. Laurenti, welcher ein Exemplar des
Thieres von Hohenwart aus dem Zirkniz-See erhalten hatte, den merk-
würdigen Umſtand des gleichzeitigen Vorhandenſeins von Kiemen und
Lungen zu beachten und zum erſten Male auch die Entwickelung bei der
Claſſification zu berückſichtigen. Er theilt (1768) zwar die Reptilien
in Springende, Schreitende und Kriechende; doch geht durch die erſten
beiden Ordnungen das allerdings nicht an erſter Stelle genannte Merk-
mal der Metamorphoſe ſo hindurch, daß noch die erſten, als tardigrad
bezeichneten, Formen der Schreitenden (Gradientia) durch ihre Meta-
morphoſe ausgezeichnet werden. Zu dieſen rechnet er außer dem Pro-
teus die Tritonen und Salamander, welche auch ganz richtig durch die
Form ihres Afters von den Eidechſen unterſchieden werden. Die
Blindſchleiche ſteht natürlich noch bei den Schlangen. Den in Lau-
renti's Syſtem enthaltenen Wink benutzte man nicht, trotzdem auch von
anatomiſcher Seite (ſo z. B. von Zinn in Bezug auf die Genital-
organe) die Aehnlichkeit der Fröſche und Salamander hervorgehoben
wurde. Blumenbach ſtreicht zwar die Linné'ſche Ordnung der Meantes,
weil er die Siren für eine Larvenform hielt, ſtellt aber immer noch
die Fröſche zwiſchen die Schildkröten und Eidechſen zu den mit Füßen
verſehenen Reptilien, an welche ſich dann die beiden andern Linné'ſchen
Ordnungen der Kriechenden und Schwimmenden ſchließen. Batſch
läßt zwar, wie ſpäter auch Blumenbach die letzte Ordnung weg und
trennt die Froſchartigen als ſelbſtändige Gruppe, läßt aber die ge-
ſchwänzten Tritonen und Salamander bei den Eidechſen. Auch das
Syſtem von Bern. Germ. Etienne Comte de Lacépède (1756-1825)
gründet ſich unter theilweiſem Anſchluß an Linné auf reine Aeußerlich-
keiten, ohne auf die Verſchiedenheiten des Baues und der Lebensge-
ſchichte Gewicht zu legen; doch zeichnet ſich ſein Werk (1788), welches
als Ergänzung zu Buffon's Naturgeſchichte anzuſehen iſt, durch ſorg-
[552]Periode der Syſtematik.
fältige Schilderung der einzelnen Arten aus. Auch die Arbeiten über
einzelne Gruppen förderten die naturgemäße Auffaſſung der ganzen
Claſſe verhältnißmäßig nur äußerſt wenig. Als beſonders durch die
in ihnen enthaltene Gelehrſamkeit ausgezeichnet ſind hier zunächſt die
Schriften des als Philolog wie Zoolog bekannten Johann Gottlob
Schneider zu nennen65), wenn ſchon auch ihm die Herpetologie keine
directen Fortſchritte zu danken hat. Siren und Proteus hielt er zwar
für Larven von Salamandern; er legt aber auf die Metamorphoſe kein
weiteres Gewicht und ſtellt wie ſeine unmittelbaren Vorgänger die Sa-
lamander zu den Eidechſen. Die Schildkröten fanden mehrere Beſchrei-
ber. Außer Schneider fieng Joh. Dav. Schöpf (geb. 1752, ſtarb
zu Baireuth 1800) an, in einem mit Kupfern ausgeſtatteten Werke die
Schildkröten ausführlich, ähnlich wie Schreber die Säugethiere zu
ſchildern; es ſind aber nur ſechs Hefte erſchienen. Einige Arten be-
ſchrieb (1782) Joh. Jul. Wallbaum (geb. 1724 in Wolfenbüttel,
ſtarb 1799 als Arzt in Lübeck). Von dem im Jahre 1700 in Danzig
verſtorbenen Arzte Chriſtoph Gottwald rührte eine anatomiſche
Schilderung der Chelonia caretta her, welche 1781 veröffentlicht wurde.
Ueber Schlangen ſchrieben unter Anderen Charles Owen und der oben
erwähnte Patrick Ruſſel. Die Naturgeſchichte der einheimiſchen
Fröſche ſchilderte Aug. Joh. Röſel von Roſenhof (1750, neu her-
ausgegeben von Schreber, 1800). Röſel war Kupferſtecher, in dem
nun abgebrochenen Auguſtenburg bei Arnſtadt 1705 geboren und 1759
in Nürnberg, dem Orte ſeines Wirkens geſtorben. Er iſt eine jener
gemüthlichen Naturen, welche glücklich in der Beobachtung der Werke
der umgebenden Natur mit ausdauernder Geduld dem Kleinſten und
ſcheinbar Unbedeutendſten ſich mit ganzer Liebe hingeben und, ihre
Funde beſcheiden und naiv als immer weitere Belege für die Weisheit
der Naturordnung und deren Schöpfer vorführend, durch dieſelben die
[553]Fortſchritte der Syſtematik und der Kenntniß einzelner Claſſen.
Kenntniß vom Leben der Thiere weſentlich fördern. Wie das ſpäter zu
erwähnende Werk über die Inſecten iſt auch das über die Fröſche voll
von eingehenden Beobachtungen über die Lebensweiſe dieſer Thiere und
ihrer verſchiedenen Entwickelungsſtufen, ohne jedoch über die Anatomie
und Phyſiologie dieſer Formen weſentlich Neues zu Tage zu bringen.
Für die Fiſche blieb das Artedi-Linné'ſche Syſtem bis zum
Ende des Jahrhunderts maßgebend. Das Werk Artedi's ſelbſt wurde
von Joh. Jul. Wallbaum, ſeine Synonymie der Fiſche mit reichen
litterariſchen Erweiterungen von J. G. Schneider herausgegeben.
Blumenbach behielt noch die ſchwimmenden Amphibien Linné's
(1779), wogegen Batſch (1788) ſowohl Wale ausſchloß, als auch
jene Abtheilung wieder den Fiſchen zuführte. Auch unter ſeinen ana-
tomiſchen Angaben findet ſich manches Neue; ſo hebt er z. B. den
Mangel eines Bruſtbeins bei Fiſchen hervor, welches Gouan noch an-
nimmt. Seine Eintheilung der Fiſche iſt nur als Verſuch gegeben und
mit dem ausdrücklichen Zuſatze, daß es ihm an Material fehle. Lor.
Theod. Gronov folgte bei der Beſchreibung ſeines reichen Cabinets
anfangs ganz Linné (1764), vereinigte aber ſpäter (1781) die Wale
und die ſchwimmenden Amphibien mit den Fiſchen. Ant. Gouan
(1733-1821, Montpellier) gab 1770 eine Geſchichte der Fiſche (über-
ſetzt 1781), in welcher er Wale und Knorpelfiſche ausſchloß und außer
einer detaillirten Charakteriſirung der Gattungen auch eine freilich ziem-
lich magere und häufig unzuverläſſige Anatomie mittheilt. Auffallend
macht ſich hier der rein zootomiſche Standpunkt geltend. Speciell die
Kopfknochen zu ſchildern, hält er für unnütz und faſt unmöglich; die
Naſenlöcher ſollen ſich durch den Gaumen in den Schlund öffnen u. dgl.
Eingeleitet wird das Werk durch eine „ichthyologiſche
Philoſophie“, wo-
rin er die Verſchiedenheiten der einzelnen Theile des Fiſchkörpers termi-
nologiſch feſtſtellt. Hiermit führte er einen Vorſchlag, welchen Jakob
Chriſtian Schäffer66)
1760 in einem Sendſchreiben über eine
[554]Periode der Syſtematik.
leichtere und ſicherere Methode des ichthyologiſchen Studiums gemacht
hatte, wenigſtens theilweiſe aus. Das von Schäffer, welcher auch
die Regensburger Fiſche verzeichnet hat, ſelbſt aufgeſtellte Syſtem
ſchließt ſich am meiſten dem Klein'ſchen an; es iſt indeß nur angedeutet,
nicht ſpeciell ausgeführt und umfaßt Wale und Knorpelfiſche. Schäf-
fer's Vorſchläge beziehn ſich auf Terminologie und auf Erläuterung der
Syſteme durch Abbildungen. Duhamel und Brouſſonet gaben
ſorgfältige Schilderungen und Abbildungen von Fiſchen. Vor Allen
war es Mark Eliezer Bloch (geb. 1723 in Ansbach, lebte in Berlin,
geſt. 1799 in Karlsbad), welcher durch eingehende Beſchreibungen und
Abbildungen, zum Theil mit Berückſichtigung des Baues, ſowohl der
deutſchen als ausländiſchen Fiſche (1782-1795) einen Ausgangspunkt
für die ſpäteren Studien ſchuf. Rühmlich hervorzuheben iſt auch die
„Abbildung und Beſchreibung der Fiſche“, welche Joh. Chriſtoph
Heppe von 1787 an (in fünf, Ausgaben genannten Heften) bis 1800
erſcheinen ließ. Sie zeichnen ſich durch ſorgfältige Zeichnung wie durch
gutes Colorit und handliches Format aus. In ähnlicher Weiſe wie
Bloch, indeſſen das Syſtem mehr in den Vordergrund ſtellend, wurde
ſpäter die im Anſchluß an Buffon gegebene Ichthyologie
Lacépède's
(1798-1805) für die franzöſiſchen Forſcher das maßgebende Werk.
— Neben den bis jetzt genannten, mehr oder weniger der Detailſchilde-
66)
[555]Fortſchritte der Syſtematik und der Kenntniß einzelner Claſſen.
rung und der Syſtematik gewidmeten Leiſtungen machte aber auch die
Anatomie der Fiſche Fortſchritte. Verglichen mit den anatomiſchen
Notizen, welche die mehr auf Ausbau des Syſtems gerichteten Arbeiten
enthielten, aber ebenſo auch mit Gouan's ausführlicherer Arbeit iſt die
Anatomie und Phyſiologie der Fiſche von Alexander Monro (geb.
1733, geſt. 1817, Sohn des S. 451 genannten Anatomen) als wich-
tiges, ſowohl das bis dahin Gefundene ſammelndes, als auch auf
ſelb-
ſtändigen Unterſuchungen beruhendes Werk zu nennen. Es erſchien
1785 und in deutſcher von J. G. Schneider beſorgter und mit Zu-
ſätzen von P. Camper bereicherter Ueberſetzung 1787. Es ſind hier
die älteren Arbeiten von Duvernoy, Lorenzini, Koelreuter u. A. ebenſo
wie die Unterſuchungen Neuerer, wie Hewſon, J. Hunter, in der Ueber-
ſetzung auch Vicq d'Azyr's, benutzt. Doch finden nicht alle Syſteme
gleiche Berückſichtigung; ſo ſind die Kapitel über das Nervenſyſtem,
die Generationsorgane äußerſt kurz, und das Skelet und Muskelſyſtem
ſind gar nicht erwähnt. Sehr gut für ihre Zeit iſt die angehängte Ana-
tomie eines Seeigels, wogegen die eines Tintenfiſches zurücktritt.
Die
Art der bildlichen Darſtellung der anatomiſchen Verhältniſſe offenbart
gleichfalls entſchiedene Fortſchritte. Von Bedeutung iſt endlich die Ar-
beit Filippo Cavolini's (1756, geſt. 1810) über die Erzeugung
der Fiſche (u. Krebſe), worin er die Befruchtung der Eier außerhalb des
Körpers der Mutter nachweiſt und mehrere embryologiſche Mittheilun-
gen macht.
Auch die Gruppe der Mollusken fand erſt gegen Ende des
vorigen Jahrhunderts Bearbeiter, welche die Linné'ſche Abtheilung
gleichen Namens richtiger zu erfaſſen begannen. Pallas' Andeutung
über die Verwandtſchaftsverhältniſſe mehrerer hierher gehöriger Formen,
welche oben erwähnt wurde, ebenſo O. F. Müller's darauf bezügliche
Bemerkungen verhallten ungehört und wurden erſt ſpäter gewürdigt.
Indeſſen hatte ſchon vorher Michael Adanſon (geb. 1727, geſt.
1806) einen naturgemäßern Standpunkt eingenommen als Linné, in-
ſofern er bei ſeinen Beſchreibungen (Reiſe nach dem Senegal, 1757)
nicht bloß die Schalen, ſondern beſonders auch das Thier und deſſen
ſichtbare äußeren Theile ſorgfältig berückſichtigte. Er hat allerdings
[556]Periode der Syſtematik.
hierdurch erreicht, daß er keine verſchiedenartigen Thiere zu den Schal-
thieren brachte, wie es Linné noch that, hat aber auch die nackten
Mol-
lusken ausgeſchloſſen. Er theilte die Conchylien in Schnecken und
Muſcheln, erſtere in deckelloſe (einſchalige) und gedeckelte, letztere in zwei-
und vielſchalige. Zu bedauern war, daß Adanſon in Folge ſeines ver-
ächtlichen Urtheils über Andere ſtatt der Linné'ſchen Gattungsnamen
meiſtens andere und häufig ſogar bereits von Linné benutzte Namen
auf verſchiedene Thiere übertragen hat. Auch Ant. Joſ. Dezallier
d'Argenville hat in ſeiner Conchyliologie ein beſonderes Syſtem
aufgeſtellt, welches aber weder in Bezug auf die dabei berückſichtigten
Merkmale, noch in der Stellung ſeiner einzelnen Abtheilungen zu ein-
ander eine naturgemäßere Auffaſſung verräth. Die äußere Anatomie
der Thiere berückſichtigte Et. Louis Geoffroy bei ſeiner Beſchreibung
der Mollusken der Umgegend von Paris. Jean Guill.
Bruguières
(geb. um 1750 in Montpellier), welcher zwei Jahre mit Kerguelen in
der Südſee war, 1793 mit Olivier nach der Türkei und Perſien reiſte
und 1798 auf der Rückreiſe in Ancona ſtarb67), bearbeitete für das
Dictionnaire encyclopédique die Mollusken (1789) und folgte
dabei
noch ziemlich ſtreng Linné; er ſchloß zwar die Seeigel und Seeſterne
aus, vereinigte aber unter den Mollusken die fremdartigſten Formen.
Einen Schritt weiter gieng wieder Giuſ. Saverio Poli (geb. 1746,
geſt. 1825 in Neapel), welcher in ſeinem Werke über die Schalthiere
beider Sicilien (1791-95) die Mollusken nach ihrer Bewegungsart
in armtragende, kriechende und hüpfende (den Cephalopoden, Gaſtro-
poden und Acephalen entſprechend) eintheilte. Die Tunicaten berück-
ſichtigte er nicht68). Auch ſeine Gattungsnamen ſind nicht immer den
Linné'ſchen entſprechend. Außer dieſen ſtrenger ſyſtematiſchen Arbeiten
iſt auch bei dieſer Claſſe viel Mühe auf ſorgfältige Schilderung einzelner
[557]Fortſchritte der Syſtematik und der Kenntniß einzelner Claſſen.
Arten und Sammlung betreffender Notizen verwandt worden. Am
eifrigſten war hier der Stiftsprediger in Weimar Joh. Samuel
Schröter (geb. 1735, geſt. als Superintendent in Buttſtädt 1808).
Außer verſchiedenen Schriften über die Claſſe gab er ein beſonderes
Journal für die Conchyliologie (in Verbindung mit Paläontologie)
heraus, welches, von 1774 bis 1781 erſchienen, eine Reihe von zwölf
Bänden bildet. Das wichtigſte Werk aber unter den der Beſchreibung
einzelner Arten gewidmeten war das von Martini begonnene, von
Chemnitz69)
fortgeſetzte Neue ſyſtematiſche Conchyliencabinet (11
Bände von 1769 bis 1795). Den ſehr guten Abbildungen ſtehn die
für ihre Zeit zum Theil muſterhaften Beſchreibungen zur Seite. So-
wohl für die Gmelin'ſche Ausgabe Linné's als auch ſpäter für
Lamarck
iſt dies Werk eine Hauptquelle geweſen. Zwei Nürnberger Kupfer-
ſtecher haben ſich um die Verbreitung der Conchylienkenntniß Verdienſte
erworben. Georg Wolfg. Knorr (geb. 1705, geſt. 1761) gab in
den „Vergnügen der Augen und des Gemüths“ ſowie in der
(unter
gleichem Titel erſchienenen) Sammlung von Muſcheln Abbildungen
und Beſchreibungen von Schalthiergehäuſen. Franz Mich. Regen-
fuß (geb. 1713, geſt. 1780 als königlicher Kupferſtecher in Kopen-
hagen) veröffentlichte eine Sammlung von Abbildungen, deren Beſchrei-
bung Kratzenſtein, Spengler und Ascanius beſorgten, während Chriſtian
Cramer (Prof. d. Theologie in Kiel) die litterar-hiſtoriſche, ſyſtema-
tiſche und anatomiſche Einleitung dazu ſchrieb (1758). — Gute Be-
obachtungen über mehrere Mollusken, Sepieneier, Ascidien und einige
andere wirbelloſe Thiere gab der Prager Profeſſor Joh. Bapt. Bo-
hadſch (1724-1768).
Kaum irgend eine andere Abtheilung des Thierreichs hatte ein ſo
allgemeines Intereſſe und ſo viele Bearbeiter gefunden, als die Glie-
[558]Periode der Syſtematik.
derthiere, beſonders die Inſecten. Für dieſelben entſtand auch eine
beſondere Zeitſchrift, welche, anfangs unter dem Titel Magazin, ſpäter
als Archiv, der Züricher Buchhändler Joh. Casp. Füeſſli (geb. 1741,
geſt. 1780) von 1778 an herausgab. Sie wurde von Joh. Jak. Rö-
mer (Botaniker und Schweizer Fauniſt, geb. 1763, geſt. 1819), ſo-
wie von Joh. Friedr. Wilh. Herbſt (geb. 1743, geſt. 1807 als
Prediger in Berlin) fortgeſetzt. Zu dieſer traten die nach kurzem Be-
ſtehn wieder eingegangenen Zeitſchriften von Ludw. Glieb. Scriba
und Dav. Heinr. Schneider (1790 und 1791). Wie der eben ge-
nannte Römer das Linné'ſche und das noch zu erwähnende
Fabri-
cius'ſche Syſtem durch Abbildungen erläuterte (1789), ſo fand das
erſtere noch beſondere Bearbeiter und Ausleger, und zwar in Joh.
Heinr. Sulzer (geb. 1735, geſt. 1814, Stadtarzt in Winterthur)
und Gottfr. Bened. Schmiedlein (geb. 1739, geſt. 1808, Arzt in
Leipzig). Auch gab Joh. Aug. Ephr. Goeze70)
beſondere entomolo-
giſche Nachträge zu demſelben und Carl Clerck Abbildungen ſeltener
Inſecten nach Linné's Syſtem. Eine umfaſſendere Schilderung der
Inſecten nach Linné's Syſtem begann Carl Guſt. Jablonsky
(geb.
1756, geſt. 1787); nur Käfer und Schmetterlinge ſind erſchienen,
beide von Herbſt fortgeſetzt (1785-1806). Waren es bei der größe-
ren Anzahl der Liebhaber und reinen Syſtematiker beſonders die äußeren
leicht zugänglichen Theile, welche vorzugsweiſe oder ausſchließlich zum
Zwecke der Beſchreibung oder des Ordnens von Sammlungen berück-
ſichtigt wurden, ſo wurde doch auch in ähnlichem Sinne, wie es früher
Reaumur gethan hatte, die geſammte Lebensgeſchichte der Inſecten von
mehreren Männern mit Vorliebe behandelt, von Keinem ſo eingehend
wie von dem bereits erwähnten Röſel. Seine Monatlichen Inſecten-
beluſtigungen ſind nicht bloß Zeugniſſe ſeiner Beobachtungsgabe und
ſeines Fleißes, ſondern eine reiche Fundgrube für die Lebens- und Ver-
wandlungsgeſchichte der Inſecten und niederer Thiere. In gleicher
Weiſe lieferte der Freiherr Carl De Geer (geb. 1720, geſt. 1778 in
[559]Fortſchritte der Syſtematik und der Kenntniß einzelner Claſſen.
Stockholm) eine reiche Sammlung umfaſſender Beobachtungen. Weni-
ger ausgedehnt, aber die behandelten Thiere eingehend unterſuchend ſind
die einzeln erſchienenen, aber ſpäter geſammelten Unterſuchungen des
oben genannten J. Chr. Schäffer. Sein in den 1780 erſchie-
nenen Elementen niedergelegtes Syſtem gründet ſich auf die Flügel und
die Zahl der Tarſenglieder. Röſel beabſichtigte nicht, ein neues Sy-
ſtem aufzuſtellen; in der ſeinen Beobachtungen vorausgeſchickten Ueber-
ſicht findet ſich daher nur ein Gerüſt, nach welchem er die Inſecten
behandelt und worin er beſonders den Wohnort und die Verwandlungen
berückſichtigt. Dagegen ſtellte De Geer ein neues Syſtem auf,
welches
ſich indeſſen nur durch andere Anordnung der einzelnen Gruppen und
dadurch von dem Linné's unterſcheidet, daß die Hemipteren des
letzteren
in mehrere, aber nicht naturgemäße Ordnungen aufgelöſt ſind. Auch
Ét. L. Geoffroy71)
gab in der Beſchreibung der Inſecten der Um-
gegend von Paris eine ſich zwar im Weſentlichen an Linné anſchließende
Claſſification; doch wird in ihr zum erſtenmale die Zahl der Fußglieder
als Gruppenmerkmal benutzt. Einen großen Umſchwung in der Syſte-
matik der Gliederthiere brachte Joh. Chrſtn. Fabricius hervor (geb.
1745 in Tondern, geſt. 1808 als Profeſſor in Kiel). Es war zwar ſchon
vor ihm der Bildung der Mundtheile Aufmerkſamkeit geſchenkt worden,
indeß nur nebenbei mit der allgemeinen Angabe, ob dieſelben Kau- oder
Saugwerkzeuge ſeien. Fabricius unterſuchte dieſelben genauer und legte
ſie ſeiner Eintheilung als Hauptmerkmal zu Grunde. Die ſämmtlichen
Arthropoden zerfallen danach in zwei Hauptgruppen, in ſolche mit
kauenden und ſolche mit ſaugenden Mundtheilen. Zu den erſten brachte
Fabricius alle kauenden Inſecten und als gleichwerthige Ordnungen die
Spinnen, Skorpione und Krebſe, während unter den Saugenden nur
Inſecten ſich finden. Konnte Fabricius durch Zugrundelegung eines
einzelnen, wenn auch noch ſo wichtigen Gebildes auch zu keiner natur-
gemäßen Vereinigung verwandter Gruppen gelangen, ſo gewann doch
durch ſeine ſorgfältigen Unterſuchungen einzelner Formen die Charakte-
[560]Periode der Syſtematik.
riſirung der Gattungen bedeutend. Es mag gleich hier erwähnt wer-
den, daß Joh. Karl Wilh. Illiger (geb. 1775, geſt. 1815) die
Mängel des Fabricius'ſchen Syſtems durch eine Verſchmelzung deſſel-
ben mit dem Linné'ſchen in einer im Ganzen zwar recht glücklichen
Weiſe abzuſtellen ſuchte (1798), ohne jedoch den Charakter beider nur
auf Flügel- und Mundbau ſich ſtützenden Syſteme aufzugeben. Wurde
auch in den oben genannten allgemeineren Werken die Anatomie der In-
ſecten zuweilen ausführlich berückſichtigt, ſo zeugt doch beſonders ein
Werk für die unendliche Sorgfalt, mit der man in die einzelſten Ver-
hältniſſe einzudringen ſuchte, die Anatomie des Weidenſpinners von
Pieter Lyonet (1707-1789). — Für die Theilnahme, welche
ſich aller Orten für die Inſecten zeigte, ſpricht das Erſcheinen verſchiedener
entomologiſcher Faunen, ſowie größerer Werke über einzelne Ordnungen.
Von erſteren kann hier nur hingewieſen werden auf die Schriften von
Charles de Villers und P. Joſ. Buc'hoz über franzöſiſche, von
G. Wolfg. Frz. Panzer über deutſche, von Moſes Harris über
engliſche, von Carl Pet. Thunberg über ſchwediſche, von Scopoli
über Krainer, von Koelreuter über amerikaniſche Inſecten, von
Guſt. von Paykull über ſchwediſche Käfer, welche faſt ausnahms-
los zur Sichtung der Arten und deren Verbreitung noch heute von
Werth ſind. Und was die Schriften über einzelne Ordnungen betrifft,
ſo genügt es an Casp. Stoll's Werke über Hemipteren und Ortho-
pteren (beide auch in's Deutſche überſetzt), an Esper's Schmetterlinge,
und an J. Euſ. Voet's Käfer zu erinnern, über welch' letztere Ord-
nung auch in Guill. Ant. Olivier's Entomologie ein wichtiges Spe-
cialwerk vorliegt. — Auch die noch nicht als ſelbſtändige Claſſen ge-
trennten Arachniden und Cruſtaceen fanden, erſtere in Clerck und
Herbſt, letztere in Herbſt ſpecielle Bearbeiter. Von den däniſchen
Waſſerſpinnen gab O. F. Müller eine Specialſchilderung, wie der-
ſelbe auch von niedern Cruſtaceen, denen er wegen ihrer ſchalenartigen
Bedeckungen den Namen Entomoſtraken gab, muſterhafte Beſchreibun-
gen lieferte. Briſſon hatte zwar die Cruſtaceen als beſondere Claſſe
von den Inſecten getrennt. Bei der Aufſtellung ſeiner neuen Claſſen
lag ihm indeſſen eine morphologiſche Begründung derſelben, auch der
[561]Fortſchritte der Syſtematik und der Kenntniß einzelner Claſſen.
Cruſtaceen fern. Und auch O. F. Müller betrachtete ſie nur als Ab-
theilung der Inſecten, wie er die Entomoſtraken ausdrücklich Insecta
testacea, mit Ueberſetzung ſeines neuen Namens, nennt. Ueber die
Zeugung und Entwickelung einiger Cruſtaceen ſtellte noch Cavolini
werthvolle Unterſuchungen an (1787).
Wie man im Allgemeinen unter dem Namen „Inſecten“ noch
immer eine größere Thiergruppe im Sinne Linné's verſtand, ſo waren
auch die Würmer deſſelben Zoologen zwar als ſehr verſchiedenartige
Thiere umfaſſend anerkannt, aber doch noch nicht in einzelne Claſſen
aufgelöſt worden. Pallas hatte ſeinen Vorſchlag, welcher auf eine
ſchärfere Sonderung der hier vereinigten Formen hinausgieng, nicht
ausführen können, und O. F. Müller unterſuchte wohl in muſter-
hafter Weiſe verſchiedene Abtheilungen, fand aber doch nicht den
Schlüſſel zu einer naturgemäßen Anordnung der „Würmer“. Die
Mollusken bilden bei ihm noch immer einen Theil der Würmer, ebenſo
die Polypen. Gattungen echter Würmer waren verhältnißmäßig wenig
bekannt, aber doch Repräſentanten der Hauptabtheilungen. Am meiſten
Verwunderung erregte die Theilung der Naiden. Dieſe hatte zuerſt
Abraham Trembley (geb. 1700 in Genf, geſt. daſelbſt 1784)
beobachtet und bei Gelegenheit ſeiner Polypenunterſuchungen veröffent-
licht. Nach ihm hatte dieſelbe Erſcheinung nur Bonnet und Röſel
geſehn, ſo oft auch ſonſt der Wurm unterſucht worden war. Müller
ſchilderte die Anatomie der Naide ſehr genau, allerdings nicht voll-
ſtändig, und beobachtete auf das Eingehendſte die Entwickelung
nach freiwilliger wie nach künſtlicher Theilung72). Ungleich mehr Auf-
merkſamkeit als die frei lebenden Würmer erregten die Eingeweidewür-
mer, zu deren umfaſſender Kenntniß nun der Grund gelegt wurde.
Der Streit über die Herkunft der Helminthen war faſt ganz zu Gunſten
der Anſicht entſchieden, daß ſie in den Körpern der Wohnthiere ent-
ſtünden. Den Pallas'ſchen Bedenken ſtellte man wie es ſchien ganz
triftige Gründe entgegen, vorzüglich die Unmöglichkeit für dieſe nur
auf ein paraſitiſches Leben eingerichteten Thiere, im Waſſer oder über-
V. Carus, Geſch. d. Zool. 36
[562]Periode der Syſtematik.
haupt außerhalb anderer Thiere fortzuleben, und die Unwahrſcheinlich-
keit, daß ſich die Eier derſelben, welche doch an die Temperatur der
Wohnthiere gebunden ſeien, außerhalb derſelben entwickeln könnten.
Die Frage wurde für ſo allgemein wichtig gehalten, daß die däniſche
Geſellſchaft der Wiſſenſchaften auf ihre Löſung einen Preis ausſetzte
(1780). Zwei Arbeiten wurden des Preiſes würdig befunden, die eine
von M. E. Bloch, welcher vorzüglich auf die Frage ſelbſt eingeht,
ohne dabei die Naturgeſchichte und Verſchiedenheit der einzelnen Hel-
minthenarten ausführlicher zu erörtern, die andere von J. A. E. Goeze,
welcher ſeine Preisarbeit weiter ausführte und in dem ſo entſtandenen
„Verſuch zu einer Naturgeſchichte der Eingeweidewürmer“ (1782) das
erſte wichtige monographiſche Werk über Helminthen lieferte. Auch
Goeze ſprach ſich in der angeführten Weiſe gegen die Einführung der
Würmer von außen in den thieriſchen Körper und für das Entſtehen
derſelben innerhalb des letzteren aus. In Bezug auf die einzelnen Formen
gibt er unter Anwendung einer allerdings in Folge des Standpunktes
der Zeit jetzt häufig als bedenklich erſcheinenden Kritik die Meinungen
ſeiner Vorgänger, unter denen Pallas und O. F. Müller die bedeu-
tendſten ſind. Anatomiſche Schilderungen der beobachteten Thiere
klären allmählich die Anſchauungen. Eine Eintheilung der Eingeweide-
würmer nimmt er noch nicht vor, ſtellt aber die verwandten Formen
zuſammen. Dabei iſt hervorzuheben, daß er die Blaſenwürmer zu den
Bandwürmern ſtellt und ihre Arten nur als eine beſondere Gruppe
„hydatigenae“ oder ſolche, die in Eingeweiden (nicht im Darme)
leben, von den andern ſondert. Als daher Joh. Georg Heinr. Zeder
in dem „Erſten Nachtrag“ zu Goeze's Naturgeſchichte (1800) die fünf
Ordnungen aufſtellte, welche dann Rudolph annahm und in ihrer
griechiſch-lateiniſchen Bezeichnung allgemein verbreitete, war es ein
entſchiedener Rückſchritt, daß er die Blaſenwürmer als ſelbſtändige
Ordnung von den Bandwürmern ſchied.
Die zu Linné's Würmern gehörigen Polypen waren in Betreff
ihrer wahren Natur nicht von allen Beobachtern gleichmäßig beurtheilt
worden. Der engliſche Mikroſkopiker John Hill (geb. 1716, geſt. 1775)
und anfangs noch Job Baſter waren über die thieriſche Natur der
[563]Fortſchritte der Syſtematik und der Kenntniß einzelner Claſſen.
Korallen nicht ſicher, konnten ſich wenigſtens nicht entſchließen, die
kalkigen Polypenſtöcke für Theile der an und in ihnen ſich findenden
Thiere zu halten. Wichtig wurden hier die Beobachtungen über die
Süßwaſſerpolypen, deren thieriſche Natur und merkwürdige Lebens-
erſcheinungen zuerſt Abr. Trembley mit Sicherheit kennen lehrte73).
Röſel ſowohl, als Jak. Chr. Schäffer beſtätigten Trembley's Be-
obachtungen, ohne über die allgemeine Bedeutung der wunderbaren
Thiere weiter zu kommen. Die Beziehung der Meeresformen zu dieſen
Süßwaſſerarten blieb anfangs unerörtert. Es entwickelte ſich auch die
Kenntniß der letzteren getrennt. Nächſt dem oben erwähnten Donati
war es beſonders John Ellis (1710-1776), welcher die Kenntniß
der Polypen und ihrer verſchiedenen Formen förderte. Sein Werk,
deſſen Ordnung der Schwede Dan. Solander (geb. 1736 in Norr-
land, geſt. 1782 in London, der Begleiter J. Cook's) beſorgte, erſchien
erſt 1786. Unterdeſſen hatte Joſeph Gärtner (geb. 1732, geſt.
1791, Vater des durch die Baſtardirungsverſuche bekannten Botani-
kers) und der Abbé Jacq. Franç. Dicquemare (1733-1789) u.
A. die Natur der Actinien unterſucht. Ferner waren durch die vorzüg-
lichen Unterſuchungen Fil. Cavolini's der Formenkreis und die
Kenntniß von der Anatomie der Polypen beträchtlich erweitert worden
und zwar ſowohl der Hydroiden als der echten Polypen74); freilich
hielt Cavolini auch zuſammengeſetzte Ascidien für polypenartige Thiere.
Gegenüber dieſen poſitiven Fortſchritten, welche in den genannten
Leiſtungen enthalten ſind, nehmen ſich die hier und da noch ſpät auf-
tauchenden Zweifel, wie z. B. von Phil. Ludw. Statius Müller,
über die Natur der Korallen eigenthümlich genug aus. Es ſei zwar,
ſagt er, allgemein die Meinung, die Natur mache keinen Sprung, auch
nicht vom Pflanzen- zum Thierreich; indeſſen ſei man im Dunkeln,
was die Natur beabſichtige, man laſſe alſo beſſer Betrachtungen dar-
36*
[564]Periode der Syſtematik.
über bei Seite. — Zur Ausbreitung der Formenkenntniß trug das
Kupferwerk über „Pflanzenthiere“ von Esper, deſſen Herausgabe bis
in ziemlich neue Zeit gewährt hat, nicht unweſentlich bei. — Von den
Meduſen kannte man nur wenig; man vereinigte ſie meiſt mit den
Actinien. Cavolini's Beobachtungen (an Schirm-, Rippen- und Röh-
renquallen) wurden erſt lange nach ſeinem Tode veröffentlicht.
Den Würmern war endlich die ganze Abtheilung der mikroſkopi-
ſchen Thiere zugeſellt worden. Schon Leeuwenhoek hatte ſie als in
„Infuſionen“ entſtehend bezeichnet. Den Namen
„Infuſionsthiere“
brauchte zuerſt Martin Frobenius Ledermüller (geb. 1719 in
Nürnberg, Juriſt, eine Zeit lang Aſſiſtent beim Naturaliencabinet in
Baireuth, geſt. 1769 in Nürnberg), welcher wie Viele ſeiner Zeitge-
noſſen Ergötzung ſeines Gemüths in Beſchäftigung mit der Natur
ſuchte und ſolche in Beobachtungen mit dem Mikroſkope fand. Weitere
Formen lehrten kennen der Freiherr Friedr. Wilh. von Gleichen
(nach ſeiner Frau genannt Rusworm, geb. 1717 in Baireuth, geſt.
1783 auf Greiffenſtein), ein gleichfalls eifrig mikroſkopirender Forſcher,
der Paſtor Joh. Conrad Eichhorn (geb. 1718, geſt. 1790 in Danzig)
u. A. Viele Unterſuchungen rief die Frage nach der Entſtehung der
Infuſorien hervor. Turbervill Needham hatte ein fruchtbares Prin-
cip angenommen (1750), welches in der Flüſſigkeit vorhanden ſein
müſſe, um die dann noch vielfache Umwandlungen erleidenden Infu-
ſorien entſtehen zu laſſen. Heinr. Aug. Wrisberg, der bekannte Arzt,
hatte aus zahlreichen Verſuchen geſchloſſen (1765), daß Waſſer, Luft,
Wärme und eine vegetabiliſche oder animaliſche Subſtanz nothwendig ſei
zur Erzeugung der Organismen. Dabei hatte er Gelegenheit gehabt,
zahlreiche Beobachtungen ſowohl über einzelne Formen als über deren
Lebenserſcheinungen, wie Theilung, Verſchmelzung u. ſ. f. anzuſtellen.
Spallanzani (ſ. unten) glaubte Keime oder Eier in den bei den
Aufgüſſen benutzten Subſtanzen annehmen zu müſſen, hielt auch im
Anſchluſſe an dieſe Meinung die Bildung der Infuſorien für verſchieden
je nach den zu den Aufgüſſen verwendeten Sachen. Alles dies war
aber unſicher ſo lange die Formen ſelbſt nicht gehörig charakteriſirt
waren. Einen einſtweiligen Abſchluß fanden daher die Infuſorienfor-
[565]Fortſchritte der Syſtematik und der Kenntniß einzelner Claſſen.
ſchungen erſt mit dem durch die große Zahl der zum erſten Male wieder-
erkennbar beſchriebenen Formen, ſowie durch die äußerſt ſorgfältigen
Beobachtungen über deren Leben ausgezeichneten und claſſiſchen Werke
von O. Fr. Müller, welches nach deſſen Tode auf Koſten der Wittwe
von O. Fabricius herausgegeben wurde (1788). Die hier beſchrie-
benen Arten repräſentiren die Infuſionsthiere in demſelben Umfange
wie ihn ſpäter noch Ehrenberg feſthielt, ſind alſo zum Theil Pflanzen,
zum Theil Räderthiere. Die Geſchichte der meiſten derſelben beginnt
erſt mit Müller.
Noch bleibt übrig, ein Wort über die Kenntniß der foſſilen Thier-
formen zu ſagen. Wie oben erwähnt wurde, hatte man freilich aufge-
geben, die Verſteinerungen für Naturſpiele zu halten. Dagegen glaubte
man noch nicht an eine Verſchiedenheit der foſſilen von den lebenden
Formen. Der Nachweis derſelben blieb einer ſpäteren Zeit vorbehalten,
ſo viele fremde, von den bekannten abweichende Formen auch beſchrie-
ben wurden. Einzelne Zweifel, wie z. B. Blumenbach (1779) einen
ſolchen äußerte, hatten keine Beachtung gefunden. Das Intereſſe an
den Verſteinerungen war ſehr verbreitet. Der oben genannte G. W.
Knorr lieferte eine reiche Sammlung von Abbildungen, welche der
Jenenſer Profeſſor Joh. Ernſt Immanuel Walch (1725-1778) mit
Beſchreibungen verſah. Auch Bruguières bot in ſeiner Geſammt-
darſtellung der Würmer reiches Material. Die Einzelarbeiten zu ver-
zeichnen würde hier zu weit führen; es mag nur des Altdorfer Kauf-
manns Joh. Friedr. Bauder (1711-1791), des Göttinger Profeſſor
Joh. Beckmann (1739-[{1821}[1811]]), des Erlanger Caſimir Chriſtoph
Schmidel (1718-1792), des in Florenz gebornen aber in Deutſch-
land lebenden Hiſtoriographen Cosmas Alex. Colini (geſt. 1806)
gedacht werden, welche durch Sammeln und Beſchreiben oder durch
Unterſuchung einzelner Verſteinerungen deren Kenntniß förderten. Be-
ſonders war aber hier Joh. Sam. Schröter thätig, die Bekanntſchaft
mit den Foſſilien allgemeiner zu machen. Seines Journales geſchah
bereits oben Erwähnung.
[566]Periode der Syſtematik.
Vergleichende Anatomie.
Die vorſtehende Ueberſicht zeigt, daß gegen das Ende des vorigen
Jahrhunderts faſt ſämmtliche Claſſen des Thierreichs, welche überhaupt
zugänglich waren, zwar eingehend unterſucht, mit zahlreichen neuen
Arten bereichert und in einem gewiſſen Grade wenigſtens in ſich einer
natürlichen Anordnung entgegengeführt worden waren, daß aber noch
immer der Schlüſſel zum Verſtändniß ſowohl der Verſchiedenheiten der
einzelnen Theile größerer Claſſen als auch der Uebereinſtimmung ganzer
Claſſen untereinander fehlte. Man folgte noch mehr oder weniger treu
den Anſichten Bonnet's über die einreihige Stufenleiter, wie ſie von
Pet. Bened. Chſtn. Graumann in Roſtock, dem Botaniker Heinr.
Friedr. Link u. A. noch beſprochen und commentirt wurde. Den erſten
Schritt zu einer Zuſammenfaſſung der in ihrem Baue übereinſtimmen-
den größeren Gruppen that wie erwähnt Batſch. So vielfach einzelne
anatomiſche Unterſuchungen angeſtellt wurden, es fehlte der leitende
Gedanke. Die Skeletſammlung, welche der Kupferſtecher Joh. Dan.
Meyer abgebildet (1748-56) und zu welcher Chriſtoph Jakob Trew
(Stadtarzt in Nürnberg, geb. 1695, geſt. 1769) Material geliefert
hatte, kann ebenſowenig wie andere Einzel- oder Geſammtbearbeitungen
der Anatomie wirklich vergleichend genannt werden; ſie förderte nur
Thatſachen in einer Richtung zu Tage. Die Anatomien des Elefanten,
des Renthiers, des Rhinoceros u. ſ. f. von Peter Camper75)
ſind äußerſt lehrreiche Darſtellungen vom Baue dieſer Thiere; wenn
man aber auch Camper gern mit der Wiedergeburt der vergleichenden
Anatomie in Beziehung bringen möchte, ſo geben doch dieſe Arbeiten
keinen Anlaß hierzu und ſeine Betrachtungen über die Analogie des
Baues des Menſchen mit dem der andern Wirbelthiere ſind für Künſt-
ler, nicht für Zoologen beſtimmt. Immerhin ſichern ihm die genannten
Leiſtungen, ferner die Unterſuchungen über das Gehörorgan, welche
[567]Vergleichende Anatomie.
Monro wiſſenſchaftlich viel weiter führte, als Zootom ein dankbares
Andenken. Namentlich iſt er durch Entdeckung der Pneumaticität der
Vogelknochen und des Zuſammenhangs ihrer Lufträume mit den Lungen,
eine Entdeckung, welche faſt gleichzeitig und unabhängig auch John
Hunter machte, den Zootomen bekannt worden.
Neben derartigen Specialarbeiten, welche meiſt das Intereſſe an
den zergliederten Thieren hervorrief, wurden aber noch ausgedehntere
Unterſuchungen über die Anatomie der Thiere von einer ganz andern
Seite her veranlaßt. Wie in früheren Zeiten ausgeſprochen worden
war, daß man mit der menſchlichen Anatomie zur Kenntniß des menſch-
lichen Baues nicht ausreiche, ſo forderte der Reichthum ſo mannichfal-
tiger Lebenserſcheinungen, wie ſie das Thierreich darbot, ganz von
ſelbſt zu dem Verſuche heraus, die Phyſiologie des Menſchen durch einen
Einblick in das ſeinem Weſen nach ſich ſo gleichartig darſtellende Leben
der Thiere aufzuklären. Seitdem beſonders Albrecht von Haller,
der Schöpfer der Experimentalphyſiologie, erklärt hatte, die Phyſiologie
verdanke der Thieranatomie mehr als der Anatomie des Menſchen, er-
blickte man in der Erklärung der Lebenserſcheinungen oder in der Hülfe
zu einer ſolchen die einzige Aufgabe der Anatomie überhaupt. Haller
ſelbſt hat zwar außer einzelnen kleinen Aufſätzen keine ſpeciell zootomi-
ſchen Arbeiten hinterlaſſen; doch weiſen ſeine phyſiologiſchen Schriften
auf die große Ausdehnung ſeiner Thierzergliederungen hin. Durch den
Aufſchwung, welchen die Phyſiologie ſeinem Auftreten verdankte, nah-
men aber die zootomiſchen Unterſuchungen eine Richtung an, welche ſie
mit Vernachläſſigung der ihnen zunächſt innewohnenden ſelbſtändigen
Bedeutung in völlige Abhängigkeit von der Phyſiologie brachte, ein
Verhältniß, welches noch heute der allgemeinen Verbreitung eines rich-
tigen Urtheils über das Weſen und die Bedeutung der vergleichenden
Anatomie hindernd entgegenſteht, wie es ſeiner Zeit die Entwickelung
der Zoologie dadurch aufhielt, daß es die Aufmerkſamkeit von der
nächſtliegenden Aufgabe, der Erklärung der thieriſchen Formen und
deren Verſchiedenheiten, ablenkte auf jene fernerliegende, das Zuſtande-
kommen der Lebenserſcheinungen überhaupt zu erklären.
Der Einfluß dieſer Richtung offenbart ſich deutlich in der Art und
[568]Periode der Syſtematik.
Weiſe, wie die Anatomie der Thiere von den Männern erfaßt wurde,
welche dieſelbe gegen Ende des vorigen Jahrhunderts zu fördern unter-
nahmen. Zunächſt muß hier der Leiſtungen zweier Männer gedacht
werden, welche zwar nicht direct auf den Fortſchritt der Zoologie ein-
wirkten, aber doch von äußerſter Wichtigkeit für dieſelbe wurden, indem
ſie den Grund zur jetzigen Zeugungs- und Entwickelungslehre legten.
Lazaro Spallanzani (geb. 1729 in Scandiano in Modena, geſt.
1799 in Pavia) unterwarf die Erſcheinungen der Zeugung und Repro-
duction einer genauen Prüfung. Nach früheren Unterſuchungen über
die Natur der Spermatozoen, über die merkwürdigen Erſcheinungen
der Reproduction bei wirbelloſen und Wirbelthieren gab er in ſeiner
1785 veröffentlichten Arbeit über die Zeugung den experimentellen Nach-
weis der Befruchtung durch die Samenkörper. Die Entwickelung ſelbſt
betrachtete er noch im Sinne der Evolutioniſten als weitere Entfaltung
des im Ei vorgebildet vorhandenen Embryonalkeims. — Wie durch
Spallanzani der thatſächliche Grund zu einer Theorie der Befruchtung
gelegt war, ſo erſcheint Caspar Friedrich Wolff (geb. 1735 in
Berlin, geſt. 1794 in Petersburg) als Gründer der neueren Entwicke-
lungsgeſchichte. Er wies das Haltloſe der Theorie der Evolution nach
und brachte die der Epigeneſe zur Geltung, indem er zum erſten Male
die früheſten Anlagen einzelner Organe im bebrüteten Ei auf ihre Form
und ihr Verhältniß zu der im entwickelten Thiere unterſuchte (1764).
Mit dem Nachweiſe der Epigeneſe wurde gleichzeitig der Boden geebnet
für weitere Unterſuchungen über die in den Bau des Thierkörpers ein-
tretenden Formelemente.
Entſchieden unter der Herrſchaft des allgemeinen von Haller aus-
gehenden Geiſtes ſtehend, welcher die Wiſſenſchaft der organiſchen
Natur durchdrang, wenn auch im Einzelnen ſich freier regend, erſchei-
nen die beiden noch zu erwähnenden bedeutenden Anatomen, John
Hunter und Felix Vicq d'Azyr. John Hunter, geb. 1728 in Kil-
bride in Lanarkſhire, geſt. 1793 in London) war der jüngere Bruder
des als Anatom und erſten Gründer des ſpäter durch ihn erweiterten
und planmäßig geordneten Muſeums berühmten William Hunter. Vor-
züglich die Motivirung des Plans für ſein Muſeum, wie ſie nach ſeinen
[569]Vergleichende Anatomie.
Handſchriften ſpäter gedruckt wurde, zuſammengehalten mit dem Cha-
rakter ſeiner Schriften weiſen ihm einen hervorragenden Platz unter
den vergleichenden Phyſiologen an. Wenn ſchon einzelne Arbeiten (über
Siren, die Vogelknochen, die elektriſchen Fiſche u. a.) der ſpeciell ana-
tomiſchen Aufgabe Rechnung tragen, ſo liegt der Schwerpunkt ſeiner
Thätigkeit doch in der Erörterung der thieriſchen Oekonomie. Er iſt
wohl der erfahrenſte Zootom des vorigen Jahrhunderts geweſen; auch
hat er ſich nicht auf Wirbelthiere beſchränkt, ſondern, wie der Catalog
ſeines Muſeums und die darin publicirten trefflichen Zeichnungen be-
weiſen, auch zahlreiche niedere Thiere zergliedert und meiſt richtig erfaßt.
Leider iſt aber von alle dem zu ſeinen Lebzeiten wenig allgemein bekannt
worden, wennſchon ſeine Vorleſungen ſicherlich ſehr angeregt haben.
Doch drehte ſich bei ihm Alles um die Function. Wie von Hunter die
Eintheilung der Organe nach ihrer Leiſtung herrührt (in die, welche die
Erhaltung des Individuum, die, welche die Erhaltung der Art, und die,
welche den Verkehr mit der Außenwelt vermitteln), ſo iſt auch ſein
Muſeum, für welches, als die Verkörperung ſeiner Auffaſſung der be-
lebten Natur, er faſt alle ſeine Arbeiten unternommen hat, nach dieſem
Geſichtspunkte geordnet. Die einzelnen Functionskreiſe durchgehend
zeigt er, wie die anatomiſchen Unterlagen für dieſelben bei den niederſten
Thieren äußerſt einfach ſind und allmählich mit der weiteren Speciali-
ſirung der Leiſtungen immer zuſammengeſetztere Organe und Organ-
gruppen bilden. Er ordnet alſo die zootomiſchen Thatſachen nicht nach
den Verwandtſchaftsverhältniſſen der Thiere, ſondern nach der functio-
nellen Bedeutung der Organe. — Die gleiche Richtung verfolgte Felix
Vicq d'Azyr (geb. 1748 in Valognes, geſt. 1794 in Paris); doch
tritt bei ihm eine Andeutung einer morphologiſchen Auffaſſung inſofern
auf, als er von der Idee der Einheit des Baues der Thiere ausgehend,
zunächſt die Organe verſchiedener Thiere, dann aber auch die Theile
eines Thiers mit einander vergleicht. Da er nun aber jene Einheit für
das ganze Thierreich umfaſſend hielt, aber nur bei den Wirbelthieren
wirkliche anatomiſche Uebereinſtimmung fand, deckte er den Mangel der-
ſelben bei den andern Thieren mit dem Nachweiſe der phyſiologiſchen
Uebereinſtimmung. Ausgangspunkt der Vergleichung iſt ihm der
[570]Periode der Syſtematik.
Menſch; indeſſen ſagt er ſelbſt, daß es logiſcher wäre, vom Einfachen
zum Zuſammengeſetzten vorzuſchreiten, ſtatt umgekehrt zu verfahren.
Seine ſorgfältig ausgeführten Ueberſichtstabellen enthalten ganz ähnlich
wie bei Hunter Gruppen von Thieren, welche in der Entwickelungsart
einer beſtimmten Function und der betreffenden Organe übereinſtimmen.
Und es iſt zunächſt nur der phyſiologiſche Geſichtspunkt, welcher ihn
dazu führt, die vordern und hintern Gliedmaßen mit einander zu ver-
gleichen, wobei er natürlich nicht umhin kann, von der Bedeutung der
einzelnen Theile zu ſprechen. Umgekehrt iſt es das Verfolgen des thie-
riſchen einheitlichen Planes, welches ihn auf die Entdeckung des Zwi-
ſchenkiefers beim Menſchen, der Schlüſſelbeine bei Haſen u. ſ. f. führte.
Sehr eingehend ſind ſeine Unterſuchungen über die Muskeln der Säuge-
thiere und Vögel, über das Gehirn, über die Anatomie der Fiſche.
Bei der Ausführung ſeines Planes, die ganze organiſche Natur phyſio-
logiſch-anatomiſch zu muſtern, mußte er natürlich davon abſehn, ſämmt-
liche Formen zergliedernd zu prüfen. Bei der Auswahl wie bei der
Arbeit ſelbſt wurde er zum Theil von Daubenton (deſſen Nichte er ge-
heirathet hatte), beſonders aber von Claude Ant. Gasp. Riche (geb.
1762 in Montpellier, Begleiter d'Entrecaſteaux's, geſt. 1797) unter-
ſtützt. Wie er im Beginn ſeiner Laufbahn viel von der Eiferſucht ſeiner
Collegen zu leiden gehabt hatte, ſo hat ihm auch ein neidiſches Geſchick
nicht geſtattet, ſeinen weit angelegten Plan auszuführen.
Endlich fand auch das Seelenleben der Thiere fortgeſetzter eine
aufmerkſame Berückſichtigung. Trat auch die Behandlung der ſchwie-
rigen Frage nicht häufig aus der Form der Sammlung einzelner That-
ſachen heraus, ſo veranlaßten doch die philoſophiſcherſeits aufgeſtellten
Anſichten über die Thiere beſondere Theorien, welche oft, mit den Fol-
gerungen religiöſer Ueberlieferungen nicht vereinbar, unfruchtbare
Streitigkeiten erregten. Wie aber den anatomiſchen Arbeiten noch der
richtige leitende Gedanke fehlte, ſo war beſonders auf vergleichend pſy-
chologiſchem Gebiete Methode und Kritik zu vermiſſen; und vielleicht
war es gerade das Zuſammenhangloſe der anekdotenhaft mitgetheilten
Thatſachen, welches die betreffenden Unterſuchungen in Miscredit ge-
bracht und den Fortſchritt auf dieſem Gebiete länger als es aus dem
[571]Reimarus. Zeitſchriften.
Stande der wiſſenſchaftlichen Methodik überhaupt zu erklären wäre,
aufgehalten hat. Hermann Samuel Reimarus (geb. 1694,
geſt. 1768 in Hamburg) hat in ſeiner Schrift über die Triebe der
Thiere eingehend die Seelenäußerungen der Thiere unterſucht, iſt aber
wegen ſeines theils theologiſirenden theils teleologiſchen Standpunktes
noch nicht zur richtigen Stellung der Grundfragen gelangt. Der
jenaiſche Profeſſor Juſtus Chſtn. Hennings (geb. 1751, geſt.
1813) trägt Thatſachen zuſammen zu beweiſen, daß Thiere Schlüſſe
ziehn, widerlegt aber doch die Anſicht, daß ſie Vernunft oder Verſtand
beſitzen, wie es nach ähnlichen Thatſachen I. G. Krüger in ſeiner
Experimentalſeelenlehre behauptete. Auch das reichhaltige und im
Ganzen zuverläſſige Werk von Charl. George Leroy erhebt ſich nicht
über die Fehler der übrigen.
Es iſt ſeiner Zeit der Gründung der gelehrten Geſellſchaften und
ihrer Schriften gedacht worden. Einer Erwähnung iſt das Auftreten
eines weitern Mittels der wiſſenſchaftlichen Mittheilung bedürftig,
welches nicht unweſentlich zur Verbreitung neuer Thatſachen, ſowie
zur Klärung verbreiteter Anſichten beigetragen hat und welches eine
faſt über die Grenzen des Erwünſchten gehende Ausdehnung erlangt
hat. Es ſind dies die Zeitſchriften. Man kann dieſelbe als eine
deutſche Erfindung bezeichnen. Denn wenn auch in Italien und Frank-
reich einzelne periodiſche Schriften erſchienen, welche die ſchnellere
Mittheilung neuer wiſſenſchaftlicher Ereigniſſe bezweckten, ſo giengen
dieſelben entweder von gelehrten Geſellſchaften aus oder wurden von
einzelnen Männern nach Art regelmäßiger Berichte veröffentlicht.
Gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts beſtanden dagegen in
Deutſchland gegen zwanzig den Naturwiſſenſchaften ausſchließlich oder
in Verbindung mit anderen Wiſſensgebieten gewidmete periodiſche
Publicationen, in denen die Gelehrten ihre Arbeiten zur ſchnelleren
Verbreitung veröffentlichten. Nicht mit Unrecht hält dies Cuvier
für ein Zeichen der unvertilgbaren Geduld der deutſchen Schriftſteller
und der Liebe der Mittelclaſſen für ernſtere Studien76). Sicher trug
[572]Periode der Syſtematik.
die Erleichterung der Mittheilung dazu bei, das was noch fehlte,
ſchärfer hervortreten zu laſſen. Was das Thierreich betrifft, ſo war
keine der zugänglichen Betrachtungsweiſen unberückſichtigt geblieben.
Auf einzelnen derſelben durch Einführung richtiger Geſichtspunkte und
Methoden neue Bahnen zu brechen, war der nächſtfolgenden Zeit
vorbehalten.
[573]
Periode der Morphologie.
Ueberblickt man die Leiſtungen auf dem Geſammtgebiete der Zoo-
logie bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts, ſo ſtellt ſich heraus,
daß das eigentlich wiſſenſchaftlich Sichere in demſelben unendlich gering
war. Man war aber durch zwei Momente dazu gelangt, die Gründung
einer beſondern Lehre von den Thieren von einem gefunden Boden aus
wagen zu können: das eine von dieſen, das formale, war die ſichere
Bezeichnung der Objecte durch nicht mehr einem Misdeuten ausgeſetzte
Namen und vorläufige Ordnung derſelben, das andere war die Ueber-
zeugung, daß man ſich der wahren Erkenntniß auch in der Zoologie
nur auf demſelben Wege nähern könne, wie in andern Naturwiſſen-
ſchaften. Die Form des Syſtems beherrſchte aber zunächſt noch die
Beſtrebungen, mit ihr bürgerte ſich der willkürlich eingeführte und
künſtlich beſtimmte Begriff der thieriſchen Art immer feſter ein. Da
es für die Zoologie noch an ſelbſtändigen Geſichtspunkten und Aufgaben
gebrach, wurden die ſich immer mehr häufenden Beobachtungen an ein-
zelnen Individuen nur einſeitig verwerthet und in Beziehung zu coor-
dinirten Erkenntnißkreiſen gebracht. Es traten die Lebenserſcheinungen
der Thiere in den Vordergrund, deren allmähliche Complication bis zu
dem Menſchen hin verfolgt wurde. Stillſchweigend galt dieſer als das
vorzugsweiſe, praktiſch ſowohl als theoretiſch, der Erklärung bedürftige
Object. Nun iſt aber das an Thieren zunächſt in die Augen fallende
ihre „Form“, ſowohl ihre äußere Geſtalt als auch die innere die
Ge-
ſammtform bedingende Anordnung der einzelnen Theile. Aufgabe einer
Wiſſenſchaft iſt die Erklärung der in ihren Kreis gehörigen Erſcheinun-
[574]Periode der Morphologie.
gen. Mit Bezug auf die Zoologie treten als ſolche die thieriſchen For-
menverhältniſſe um ſo mehr hervor, je weiter die Phyſiologie in dem
Nachweiſe der weſentlichen Uebereinſtimmung der Leiſtungen der Thier-
körper mit den in der nicht belebten Natur ablaufenden Proceſſen fort-
ſchreitet. Eine Erſcheinung kann aber nur erklärt werden, wenn ſie
hinſichtlich ihrer Form nach allen Einzelnheiten erkannt iſt. Newton
konnte die Bewegungserſcheinungen im Sonnenſyſtem erſt erklären,
weil und nachdem Keppler die Form der Planetenbahnen beſtimmt
hatte. Es iſt der Charakter des hier noch zu ſchildernden Zeitraums,
daß die ſichere Erkenntniß der thieriſchen Geſtaltungsgeſetze zu der
immer ſchärfer erkannten und immer glücklicher bearbeiteten Aufgabe
der Zoologie wurde. Auch hier iſt es für den nach einem Abſchluſſe
ſeiner Anſchauungen drängenden menſchlichen Geiſt bezeichnend, daß
ſchon vor der definitiven Löſung dieſer Aufgabe Verſuche gemacht wur-
den zur Erklärung der thieriſchen Geſtalten, d. h. zum Nachweiſe ihrer
nothwendigen Abhängigkeit von gewiſſen Bedingungen.
Die erſten in dieſen Zeitraum fallenden vergleichend-anatomiſchen
Arbeiten tragen noch deutlich die Zeichen der Nachwirkung früherer
Einflüſſe. Die Bonnet-Buffon'ſche Idee eines allgemeinen einheitlichen
Planes wurde zwar von einigen, beſonnen die Thatſachen berückſichti-
genden Forſchern als nur in den Functionen nachweisbar erkannt, von
Étienne Geoffroy aber, dem Goethe beiſtimmt, auch auf die Form aus-
gedehnt, hierdurch die Anerkennung der vergleichenden Methode ſtark
beeinträchtigend. Dem gegenüber wirft die Aufſtellung mehrerer Typen
für das ganze Thierreich neues Licht auf alle zootomiſchen Thatſachen.
Wurde hierdurch die Lehre von den thieriſchen Formen, welcher von
nun an auch das Syſtem zu folgen hatte, in eine Bahn gebracht, auf
welcher ſie inductoriſch immer weiter befeſtigt werden konnte, ſo fühlte
auf der andern Seite das durch Kant's großartige Leiſtungen in der
Philoſophie und die ſich an ihn reihenden häufig misverſtändlichen Er-
weiterungen hervorgerufene rege Leben der Philoſophie zu einem eigen-
thümlichen Auswuchſe der Naturbetrachtung, der ſogenannten Natur-
philoſophie Schelling's und Oken's. Wenn man ihr einen anregenden
Einfluß zugeſchrieben hat, ſo verdankt ſie denſelben nicht ihrem philoſo-
[575]Periode der Morphologie.
phiſchen Gehalt oder ihrer Form, ſondern dem Umſtande, daß ſie der
erſte Verſuch war, die empiriſch gegebenen Thatſachen philoſophiſch zu
ordnen. Derſelbe fand als ſolcher Anklang; man ergriff das erſte ſich
darbietende Band für die ſich immer mehr häufenden Thatſachen. Dies
iſt Alles; daß Oken die Inangriffnahme der Entwickelungsgeſchichte
indirect veranlaßte, hängt nur loſe mit ſeiner Philoſophie zuſammen.
Die eigenthümliche Art des Philoſophirens in dieſer Schule hat nur
geſchadet; nur der Philoſophie und der allgemeinen Auffaſſung von
Welt und Leben entſprungen, in keiner Weiſe in der Entwickelung der
Naturwiſſenſchaften begründet, hat ſie zuweilen ſelbſt bei ruhigen und
nüchternen Forſchern die Täuſchung hervorgerufen, als enthielten ober-
flächlich, aber geheimnißvoll oder unverſtändlich ausgedrückte Sätze
einen tiefen philoſophiſchen Sinn. Dieſes ſogenannte „Geiſtreiche“ hat
durch die Leerheit an wirklichen Wahrheiten leider ſchließlich zur Ver-
nachläſſigung aller philoſophiſchen Vorbildung geführt und namentlich
die metaphyſiſchen Grundlagen, auch der Zoologie, und die Nothwen-
digkeit ihrer Klärung vollſtändig verkennen laſſen. Andrerſeits zog auch
die einſeitige phyſiologiſche Auffaſſung und Unterſuchung der Thiere
ſich noch eine Zeit lang durch die dem Thierreiche gewidmete Thätigkeit.
Hier zeigten ſich indeſſen auch nutzbringende Folgen. Zunächſt iſt die
Gründung der allgemeinen Anatomie, welche in ihrer weiteren Fort-
bildung dann zur Erkenntniß der gleichartigen elementaren Bildung der
Thierkörper führte, auf eine Anregung von Seiten der Phyſiologie
(und Pathologie) zurückzuführen. Ferner hieng mit ähnlichen Geſichts-
punkten auch die teleologiſche Auffaſſung zuſammen, welche, allerdings
ihrer methodologiſchen Bedeutung nach verkannt, doch durch den Nach-
weis der Wechſelwirkung oder, allgemeiner, Wechſelbeziehung zwiſchen
den einzelnen Organen zur Auffindung auch mehrerer morphologiſchen
Wahrheiten führte. Wie ſehr man ſich aber im Ganzen von der ver-
ſchiedenen Wichtigkeit der einzelnen Functionen und Functionsgruppen
beeinfluſſen ließ, beweiſen zahlreiche Thatſachen. So gieng auch Cuvier
von ihr aus; der Anordnung des Stoffes in ſeinen Vorleſungen über
vergleichende Anatomie gründete ſich auf ſie; und bis auf die neueſte
Zeit iſt in den meiſten allgemeinen Darſtellungen der vergleichenden
[576]Periode der Morphologie.
Anatomie dieſelbe Ordnung theils aus hergebrachter Gewohnheit theils
aus Anbequemung an die Bedürfniſſe der Phyſiologie befolgt worden.
Man glaubte eben lange Zeit Vergleichungen überhaupt nur von dieſer
Betrachtungsweiſe aus unternehmen zu können.
Die deutſche Naturphiloſophie.
Wenn es Aufgabe der Philoſophie iſt, dem Urſprunge der allge-
meinen Wahrheiten nachzuforſchen und deren nothwendige Begründung
und Zuſammenhang in dem Geiſte des Menſchen aufzuſuchen, gleich-
viel ob hierbei eine Organiſation des letzteren vorausgeſetzt wird, welche
dieſe Nothwendigkeit bedingt, oder nicht, ſo iſt es offenbar, daß eine
jede Summe von einzelnen Erkenntniſſen über einen beſtimmten Kreis
von Erſcheinungen der Philoſophie nicht entbehren kann, ſobald ſie durch
Aufſuchen der in jenen liegenden allgemeinen Wahrheiten ſich zum
Range einer ſyſtematiſch ausgebildeten Wiſſenſchaft erheben will. Für
die verſchiedenen Zweige der Naturerkenntniß trat das Bedürfniß einer
philoſophiſchen Unterſuchung zu verſchiedenen Zeiten auf, da ſie nicht
alle gleichzeitig das Vorhandenſein allgemeiner nothwendiger Wahr-
heiten erkennen ließen und da insbeſondere für die Auffaſſung der be-
lebten Natur lange Zeit die Annahme directer Emanationen des
Schöpfers dem geiſtigen Bedürfniſſe genügt hatte. Je größer aber der
Umfang wurde, in welchem die phyſikaliſchen Erklärungen die Erſchei-
nungen der unbelebten Welt verſtändlich machten, deſto mehr mußte
man ſich zu dem Verſuche gedrungen fühlen, einerſeits auch das Leben
und ſeine Erſcheinungen in den Bereich der von jenen dargebotenen
Kräfte und Geſetze zu ziehn, und andrerſeits die allgemeinen Formen
der metaphyſiſchen Erkenntniß auch auf dieſes auszudehnen.
Es wäre daher wohl an und für ſich vollſtändig gerechtfertigt ge-
weſen, daß ſich F. W. J. Schelling die Aufgabe ſtellte, das ganze
Syſtem der Naturlehre von dem Geſetze der Schwere bis zu den Bil-
dungstrieben der Organismen als ein organiſches Ganze darzuſtellen.
Die Löſung dieſer Aufgabe hätte aber nur gelingen können unter der dop-
pelten, ſachlichen und formalen, Bedingung, daß man einmal von der
eigentlichen Natur ſämmtlicher Erſcheinungen und Vorgänge im Weſent-
[577]Die deutſche Naturphiloſophie.
lichen gehörig unterrichtet geweſen wäre, und daß die ſich je hieraus
ergebenden angemeſſenen Vorſtellungen in logiſcher Ordnung verwendet
und durch eine geſunde Dialektik zu einem Syſtem verbunden worden
wären. Die erſte dieſer Bedingungen war noch nicht erfüllt, wie ja
auch heute das Weſen ganzer Claſſen von Vorgängen noch in Dunkel
gehüllt iſt. Zur Zeit aber, als Schelling mit ſeiner Naturphiloſophie
hervortrat, ahnte man von vielen, jetzt wenigſtens mit Sicherheit als
geſetzmäßig erkannten Naturerſcheinungen nur einen nicht näher zu be-
ſtimmenden Zuſammenhang mit den allgemeinen Naturgeſetzen. Eine
Naturphiloſophie in dem weiten Umfange und mit dem Inhalte und der
Form, wie ſie Schelling ſich dachte, war alſo zu ſeiner Zeit verfrüht,
wie ſie auch heute noch nicht gegeben werden könnte. Eine ſolche würde
überhaupt erſt möglich ſein, wenn man Alles wüßte. Sie konnte aber
ſchon damals nicht einmal eine heuriſtiſche Bedeutung beanſpruchen, da
ſie zu viel auf einmal beweiſen wollte und die erfundenen Grundſätze
weder logiſch entwickelt waren noch der Natur des zu Erklärenden oder
Abzuleitenden entſprachen.
Es lag nun auch weder in dem Entwickelungsgange ſämmtlicher
Naturwiſſenszweige, über ihren Bereich hinaus alle Naturerſcheinun-
gen geiſtig zu umfaſſen, noch lag eine Anregung hierzu in irgend einer
außerordentlichen Leiſtung etwa eines beſondern Zweiges. Der Anſtoß
kam vielmehr lediglich von philoſophiſcher Seite her. Der alte Wider-
ſtreit zwiſchen der ſinnesanſchaulich erkannten Wirklichkeit der Gegen-
ſtände und der nur vernünftig beſtimmbaren, nur denkend erkannten
nothwendigen Wahrheit wirkte noch immer fort. Ariſtoteles hatte ſchon
gezeigt, daß man mit dem Denken des unveränderlichen Nothwendigen,
worin Plato die Wahrheit der menſchlichen Erkenntniß ſuchte, nie auf
die Wirklichkeit komme, weil nur das Allgemeine nothwendig wahr iſt,
dieſes aber als etwas Abſtractes nicht für ſich beſteht. Die inductiven
Wiſſenſchaften zeigten zwar, daß die Wahrheit in der Unterordnung des
Wirklichen unter das Nothwendige liege; es kann aber die Induction
nur auf Lehrſätze führen und keine nothwendigen Wahrheiten finden.
Nun ſchrieb freilich Locke ſämmtlichen Vorſtellungen einen empiriſchen
Urſprung zu, er vernachläſſigte aber den Nachweis des Zuſammen-
V. Carus, Geſch. d. Zool. 37
[578]Periode der Morphologie.
hangs der metaphyſiſchen Grundformen der Erkenntniß mit jenen zu
ſehr, als daß er nicht die Gegner des Empirismus hätte zur entgegen-
geſetzten Auffaſſung verleiten ſollen. Andrerſeits erregte die Verſchie-
denartigkeit der Objecte und der von ihnen gemachten Vorſtellung
Aufmerkſamkeit und forderte zur Löſung auf; man glaubte noch einen
Beweis nöthig zu haben, daß beide und wie ſie übereinſtimmen können.
Hierzu benutzte Leibnitz einmal die Annahme, daß die allgemeine Er-
kenntniß wenigſtens der Anlage nach angeboren ſei, und dann erfand er
die Hypotheſe der präſtabilirten Harmonie zwiſchen der Natur und dem
Geiſte. Durch Kant hätte wohl die Frage gelöſt ſein können, als er
auf die Verſchiedenheit des Anfangs und des Urſprungs der Erkennt-
niß hinwies, womit auch der zweideutige Ausdruck des Aprioriſchen
ſeine beſtimmte Erklärung erhielt. Doch gab er durch die Unterſchei-
dung der metaphyſiſchen Erkenntniß von einer rein philoſophiſchen oder
transcendentalen, wobei er eine pſychologiſche Abſtraction mit einer
metaphyſiſchen verwechſelte, Veranlaſſung dazu, daß das anthropolo-
giſche Princip mit dem logiſchen verwechſelt wurde, Veranlaſſung „zu
den beiden entgegengeſetzten Verirrungen in die öden Steppen der
Scholaſtik und das unheimliche Dunkel des neoplatoniſchen Myſticis-
mus“, wie letzterer zuerſt bei Fichte durchklingt. Beides erſcheint bei
Schelling. Verleitet von jener Verwechſelung Kant's und getäuſcht
durch die Amphibolie der Reflexionsbegriffe geräth er in völlig leere
Abſtractionen und baut ſein ganzes Syſtem aus inhaltsloſen logiſchen
Formeln auf, als deren letzte die totale Indifferenz der abſoluten Iden-
tität erſcheint. Hierin liegt nach Schelling die ununterſcheidbare Ver-
bindung von Subject und Object und dies nennt er die Selbſterkennt-
niß Gottes. Natur und Geiſt werden daher auch identiſch und über
Natur philoſophiren heißt ſo viel als die Natur ſchaffen. Er hat ſich
nun zwar einen oberſten Grundſatz geſchaffen; aber ſtatt ihn an der
Erfahrung zu prüfen und den einzelnen Begriffen und Ableitungen
einen Inhalt zu geben, ſucht er die wenigen Thatſachen, mit denen er
überhaupt und dann nur ſehr oberflächlich verkehrt, in ein leeres Sy-
ſtem metaphyſiſcher Speculationen zu zwängen. Daß er die Idee des
Abſoluten und die Bedeutung derſelben als Grenzbeſtimmung der
[579]Oken.
menſchlichen Erkenntniß verkannte und mit ihr wie mit einem ſcharf
beſtimmbaren Begriffe verfuhr, mag ebenſo wie die Folge ſeines ganzen
Syſtems, ſich die Anwendbarkeit, ja das Verſtändniß einer mathemati-
ſchen Naturlehre unmöglich gemacht zu haben, hier, wo es ſich zunächſt
um Unterſuchung einer möglichen Verwerthbarkeit für, oder eines Ein-
fluſſes ſeiner Philoſophie auf die Lehren von der thieriſchen Natur
handeln konnte, nur beiläufig erwähnt werden.
Ganz gleichen Korns iſt auch Oken's Naturphiloſophie; und was
dieſer Mann, welcher ungleich reichere Kenntniſſe von der belebten Na-
tur beſaß als Schelling, wirklich Anregendes geleiſtet hat, entſpringt
nicht ſeiner Philoſophie, ſondern nachweisbar anderen Quellen. Lo-
renz Oken war 1779 in Bohlsbach in der Ortenau (Baden) geboren,
habilitirte ſich in Göttingen, wurde 1807 Profeſſor in Jena, mußte
1819 wegen ſeiner Zeitſchrift Iſis ſeine Profeſſur niederlegen und lebte
dann als Privatmann daſelbſt. 1827 gieng er nach München, wo er
1828 Profeſſor der Phyſiologie wurde. Da ihm eine Verſetzung an
eine andere bayeriſche Univerſität, die ihm weil er auch dort unbequem
wurde bevorſtand, nicht zuſagte, nahm er 1833 eine Profeſſur in
Zürich an, wo er 1851 ſtarb. Reich an Detailkenntniſſen, welche er
ſich durch ausgedehnte, aber nie vorurtheilsfrei angeſtellte Unterſuchun-
gen erworben hatte, und mit einer beweglichen Phantaſie, dem Erfor-
derniß eines ſchaffenden Geiſtes, begabt, gewann er über die Natur-
erſcheinungen einen weiten Ueberblick, wurde aber hierdurch zu vor-
ſchnellen Verallgemeinerungen verleitet, bei denen er ſich weder durch
den Mangel an allgemeinen theoretiſchen Kenntniſſen zur Vorſicht, noch
durch Anwendung ſtreng logiſchen Denkens zur Klarheit der Darſtel-
lung beſtimmen ließ. Schärfe des philoſophiſchen Gedankens ſind bei
ihm ſo wenig zu finden, wie Methode, wenn man nicht die Conſequenz
in der Durchführung ſeiner phantaſtiſchen Grundanſichten dafür halten
will. Oken's Vertheidiger ſagen ihm noch immer nach, daß ſeine
„Philoſophie“ ein „wichtiges Entwickelungsmoment in der vergleichenden
Anatomie“ geweſen ſei. Dies iſt irrig, wie das Folgende zeigt.
Für den denkenden Naturforſcher wie für die menſchliche Vernunft
allgemein iſt nur das Sinnesanſchauliche wirklich, die nothwendige
37*
[580]Periode der Morphologie.
Einheit deſſelben und ſeine Verbindung mit Anderem iſt nur auf dem
Wege des Denkens durch Abſtraction zu erreichen. Hierdurch gelangt
man zunächſt zu allgemeinen objectiv in der Welt der Erſcheinungen
gültigen Geſetzen, weiter zu den metaphyſiſchen Grundſätzen. Die
Thatſache des Bewußtſeins, daß dieſe Geſetze und Grundſätze erkannt
werden, gibt zwar pſychologiſch die Möglichkeit der Erfahrung, aber
keinen Beweis für die objective Gültigkeit jener. Zum Spinozismus
zurückkehrend nahm aber letzteres Schelling an und mit ihm Oken.
Jener ſchafft die Natur, indem er über ſie philoſophirt. Oken iſt ſchein-
bar beſcheidner und bildet ſich durch weitere Abſtractionen Gott. Durch
dieſe Abſtractionen gelangt er zunächſt zu ganz allgemeinen völlig leeren
Vergleichungsformeln und ſchließlich zu dem Begriffe Nichts. Da dies
ſein höchſter Gedanke war, mußte derſelbe auch für ihn die höchſte all-
gemeine Idee, die der ewigen Wahrheit enthalten. In dieſer gleichen
ſich alle Widerſtreite aus. Die Sinnenerkenntniß weiſt aber Wider-
ſprüche nach; die Ausgleichung dieſer liegt alſo jenſeits der Möglichkeit
der Erkenntniß. Die Grenzen der letzteren werden durch die Ideen des
Abſoluten beſtimmt. Oken mußte daher, wie Schelling und Hegel, in
das Abſolute hinein. Deshalb wird ihm das Nichts das Abſolute,
das Ewige, Gott. „Es exiſtirt nichts, als das Nichts, als das Abſo-
lute“. Nun bleibt doch aber Nichts in alle Ewigkeit Nichts; um über
die Natur philoſophiren zu können, brauchte er indeſſen die Natur.
Deshalb mußte Oken aus Nichts Etwas, ja Alles machen; da ſchiebt
er die dialektiſche Wendung der „Setzung“ unter, welche an ſich gar
nichts beſagt, hier aber außer der Vorſtellung noch die Beſtimmung
eines zunächſt unbeſtimmten allgemeinen Begriffs geben ſoll, womit er
freilich immer nur Nichts behält. Doch wird bei ihm aus dem Nichts
durch Setzung die Einheit. „Durch das Selbſtponiren (des Abſoluten,
des Nichts) entſteht das Reale oder das Mannichfaltige, die Welt. Die
Weltſchöpfung iſt nichts andres als der Selbſtbewußtſeinsact, das
Selbſterſcheinen Gottes“. Durch dergleichen völlig bedeutungsloſe For-
meln und ſinnloſe, jeder vernünftigen Dialektik ſpottende Redensarten
ſoll nun der Grund geſchaffen werden, von dem aus die Natur allge-
mein erfaßt werden kann. Die Annahme der ewigen Verwandlung
[581]Oken.
Gottes in die Welt oder die Idee des für ſich beſtehenden Ganzen,
welches in ſeinen Theilen dargeſtellt iſt, ſoll das Princip ſein (wie z. B.
Blainville meint), von welchem aus die Wiſſenſchaft der Organiſation
gefühlt, definirt und formulirt werden könne. Was alſo von ſogenannter
Philoſophie bei Oken etwa zu finden wäre, geht von logiſchen Grund-
fehlern aus, enthält willkürliche phantaſtiſche Erſchleichungen und ſpricht
ſowohl dem allgemein gültigen Sprachgebrauche, wie dem geſunden
Menſchenverſtande Hohn. Es iſt daher auch unmöglich, daß dieſelbe
befruchtend oder anregend gewirkt haben könne.
Was von dieſer Philoſophie im Allgemeinen gilt, gilt auch für die
einzelnen Ausführungen. So ſind ſeine allgemeinen phyſiologiſchen,
wie vergleichend-anatomiſchen und ſyſtematiſchen Darſtellungen in ihrer
ſogenannt philoſophiſchen Begründung durch und durch verfehlt, und
wenn einige ſeiner Angaben ſich als wahr oder weiterer Entwickelung
fähig herausgeſtellt haben, ſo iſt dies ein zufälliges Zuſammentreffen
(wie ſich von den Schädelwirbeln nachweiſen läßt) oder es entſpringt
anderen Quellen, als ſeiner Philoſophie. Seine allgemeinen phyſiolo-
giſchen Grundſätze ſind die folgenden. Das Abſolute zerfällt urſprüng-
lich in drei Ideen: die erſte, die Ouſia, =0, iſt das Weſen aller Weſen;
in der zweiten erſcheint die Ouſia ſich ſelbſt, ſie zerfällt in zwei, + -,
dies iſt die innere Urthätigkeit, die Entelechie Gottes; in der dritten
Idee iſt die Ouſia entelechial, das träge Nichts bleibend und thätig zu-
gleich geſetzt; dieſe Art göttlichen Seins und Denkens iſt die Form.
Alle Kräfte ſind nun Entelechien; es gibt daher keine einfache Kraft in
der Welt, jede iſt eine Poſition von + - oder eine Polarität. Es
gibt keine andere Lebenskraft als die galvaniſche Polarität. „Das Leben
beruht in den Entelechien der drei irdiſchen Elemente (Erde, Waſſer,
Luft), welche zu den drei Grundproceſſen des Lebens werden (Erd- oder
Ernährungsproceß, Waſſer- oder Verdauungsproceß, Luft- oder Ath-
mungsproceß) und in welchen drei Proceſſen der Galvanismus beſteht.“
Jede Bewegung beruht auf dem galvaniſchen Proceß. Selbſtbewegungs-
proceß iſt mit Lebensproceß identiſch. Das Vermögen organiſcher Leiber,
Polarerregungen wahrzunehmen, iſt Reizbarkeit. Bewegen iſt der Bezug
des Centrums auf die Peripherie, Empfindung der Bezug der Peripherie
[582]Periode der Morphologie.
auf das Centrum. Es wird wohl an dieſen Beiſpielen von der Ver-
wendung leerer Vergleichungsformeln zur ſyſtematiſchen Erklärung
realer Vorgänge genügen. Was die allgemeinen anatomiſchen Grund-
ſätze betrifft, ſo ſchreibt ſich Oken bekanntlich die Vorherſage der Zell-
theorie zu. Der Organismus als Ebenbild des Planeten muß auch die
entſprechende Form haben, die Sphäre. Der Urſchleim iſt kugelförmig,
beſteht aber aus einer Unendlichkeit von Punkten. Durch Sollicitation
(?) der Luft tritt in dem organiſchen Punkte eine Oppoſition des Flüſſi-
gen und Feſten hervor, es wird ein Bläschen. Das ſchleimige Urbläschen
heißt Infuſorium. Pflanzen und Thiere ſind Metamorphoſen von In-
fuſorien. Alle Organismen beſtehn aus Infuſorien (d. h. Schleim-
punkte ohne Individualität) und löſen ſich bei der Zerſtörung in ſolche
auf. Die Grundſubſtanz des Thiers iſt Punktſubſtanz. Man könnte
glauben, da das Thier eine Blüthenblaſe (eine empfindende Geſchlechts-
blaſe) iſt, müßte auch die Blaſenform oder Zellform ihm zum Grund
liegen, allein es iſt ein andres Verhältniß als in der Pflanze. Dieſe
thieriſche Blaſe iſt eine ſchon organiſirte Blaſe, ein Organ, nicht mehr
Maſſentheil eines anatomiſchen Syſtems. Daher kann dieſe Blaſe
nicht in die Textur der thieriſchen Maſſe eingehn.“ „Die niederſten
Thiere beſtehn aus Punktmaſſe.“ Mit dieſen Sätzen hebt er denn die
geforderte Gleichheit des der Gewebeentwickelung zu Grunde liegenden
Elementartheils auf. — Oken's ſyſtematiſche Anſichten fußen gleichfalls
auf Ableitungen aus ſeinen oberſten Grundſätzen, denen er aber noch
eine Anzahl dictatoriſcher Ausſprüche zufügt, nach deren Begründung
man vergebens ſucht. Er will zwar den Verſuch machen, von den Ele-
menten und Elementarvorgängen aus die höheren Formen und Proceſſe
abzuleiten; man hat ihm daher auch eine Art Transmutationslehre zu-
geſchrieben, aber ohne daß er irgendwie es unternommen hätte, Ver-
wandlungen der Formen anders als philoſophiſch zu erklären. Dann
iſt ihm indeſſen auch das Thierreich der auseinandergelegte Menſchen-
leib, wie er bei ſeinen allgemeinen morphologiſchen Phantaſien ſich nicht
über den Typus der Wirbelthiere hinaus begibt und auch die Glieder-
thiere nach dieſem erklären will. Princip ſeiner Eintheilung1) iſt das
[583]Oken.
allmähliche Heraustreten einzelner Organe, „das Loslöſen einzelner Or-
gane aus dem vollkommnen Thierleibe“. Er erhält zunächſt Geweid-
thiere, welche in ihrer Entwickelung beim ungeſchiedenen Eingeweide
ſtehn geblieben ſind, Hautthiere, welche die Eingeweide mit Fell
umgeben haben, dieſe ſind entweder Fellthiere oder Gliederthiere, und
Fleiſchthiere oder Geſichtsthiere, die eigentlichen „thierigen“
Thiere. Jede Unterabtheilung ſoll nun Wiederholungen früherer Zu-
ſtände oder das allmähliche Aufbauen andeuten; ſo zerfallen beiſpiels-
weiſe die Geweidthiere in Zellſtoffthiere, Kugelſtoffthiere, Faſerſtoffthiere
und Punktſtoffthiere, die Geſichtsthiere in Geweidgeſichtsthiere, Fell-
geſichtsthiere, Gliedergeſichtsthiere und vollendete Geſichtsthiere. In
der letzten Bearbeitung ſeiner Naturphiloſophie2) legt Oken die anato-
miſchen vier Hauptſyſteme in einer übrigens gleichen Weiſe zu Grunde
und theilt das Thierreich in Darm-, Gefäß-, Athem- und Fleiſchthiere,
wobei er dann die letzteren nach den vier höheren Sinnesorganen
in Zungen-, Naſen-, Ohr- und Augenthiere ſcheidet. Von einem Er-
faſſen eines thieriſchen Bauplans und den verſchiedenen genetiſchen
Stufen eines ſolchen iſt trotz aller Redensarten nichts zu merken. In
der erſten Auflage der Naturgeſchichte führt er ſogar von den zunächſt
nach den Elementen eingetheilten niederſten Thieren an bei den Unter-
abtheilungen ſtarr die Zahl vier durch alle weiteren Claſſen durch und
bringt damit die künſtliche Unnatur aufs Höchſte. Daß der Embryo
höherer Thiere die Formenzuſtände niederer Claſſen durchlaufe, hatte
ſchon 1793 Kielmeyer ausgeſprochen, dies war alſo nicht Oken's
Verdienſt. Uebrigens hat die Idee nur dann wirklich Anregendes, wenn
ſie bei entwickelungsgeſchichtlichen Betrachtungen innerhalb der einzelnen
Typen beachtet wird; außerdem verleitet ſie zu vagen Spielereien mit
Analogien.
Auf eine ſolche naturphiloſophiſche Spielerei iſt auch Oken's Ent-
deckung von der Zuſammenſetzung des Schädels aus Wirbeln zurückzu-
[584]Periode der Morphologie.
führen. Bei ſeinen Unterſuchungen über das Nabelbläschen kam er auf
den Gedanken, die hintere Hälfte des Thierkörpers (es paßt nur auf
Säugethiere) als Geſchlechtsthier der vordern als Hirnthier entgegen-
zuſetzen, und bemerkt (1805), daß das Becken das Beſtreben habe, das
ganze Knochenſyſtem des Hirnthiers nachzubilden. In der Naturphilo-
ſophie wird dann dieſe Vergleichung durchgeführt. „Das Thier beſteht
aus zwei mit den Bäuchen aneinandergeſchobenen Thieren“ u. ſ. w.;
Schambein iſt Unterkiefer und Kinn, Sitzbein Oberkiefer, aber ohne
Zwiſchenkiefer. Hinter dem After als Geſchlechtsmund ſetzt ſich das
Kreuzbein in die Schwanzwirbel fort; dies ſind die Halswirbel.“ Nun
trat der Gedanke nahe, daß wie dieſer hintere Hals mit Wirbeln ende,
ſo wohl auch die vordere Wiederholung dieſes Stücks Wirbelſäule, der
Schädel, urſprünglich aus Wirbeln zuſammengeſetzt ſein werde. Gerade
die Beſchränkung ſeiner Vergleichung auf Säugethiere und ſein Ausgehn
von der relativen Lage der Urogenitalorgane bei dieſen beweiſen, daß
die Vergleichung eine in ſeine Grundſätze hineingezwungene war (wie
er auf demſelben Wege dazu kam, den Enddarm mit den beiden Blind-
därmen bei Vögeln für die Blaſe nehmen zu müſſen), daß er von einer
gleichförmigen genetiſchen Grundlage des Schädels bei allen Wirbel-
thieren zunächſt keine Ahnung hatte. Es war rein zufällig, daß er auf
etwas geführt wurde, was von anderer Methode angegriffen fruchtbar
werden konnte. Man war auch bereits von anderer Seite her darauf
gekommen; ſchon Peter Frank hatte den Gedanken der Wirbelzu-
ſammenſetzung des Schädels ausgeſprochen, und die Vergleichung der
einzelnen Theile der Individuen hatte Vicq d'Azyr eingeführt.
Nun wird gar häufig zu Oken's Vertheidigung hervorgehoben,
ſeine ſinnloſen Formeln ſeien nur „ebenbildlich“ zu nehmen, wie er ſelbſt
(in der Vorrede zur Naturphiloſophie) geſagt habe. Eine bildliche Rede-
weiſe muß doch aber in irgend welcher vernünftigen Art eine Beziehung
des zu Vergleichenden zu dem Verglichenen oder eine Aehnlichkeit des
Verhältniſſes beider zu einem dritten erkennen laſſen. Davon iſt aber
nur äußerſt ſelten eine Spur zu finden. Oken hat aber ſelbſt ausdrück-
lich den Beweis gegeben, daß er ſeine Naturphiloſophie nicht dazu be-
nutzen wolle, die Erkenntniß zu erweitern, ſondern daß er meinte, die
[585]Oken.
Erkenntniß läge ſchon fix und fertig im Geiſte und brauche nur intuitiv
angeſchaut und entwickelt zu werden. Dies zeigt ſeine Anſicht von der
„Methode“. Darunter verſteht er nicht etwa irgend eine heuriſtiſche
Form des Denkens, ſondern nur die Art der Darſtellung, welche denn
im ärgſten Sinne dogmatiſch iſt. Er erklärt: „die logiſche Methode
habe ich jederzeit verworfen. Die andere Methode iſt die naturphiloſo-
phiſche, die ich mir geſchaffen habe, um die Ebenbildlichkeit des Einzelnen
mit dem Göttlichen u. ſ. f. herauszuheben, z. B. der Organismus iſt
das Ebenbild des Planeten, er muß daher kuglig ſein“ u. ſ. f. „Dieſe
Methode iſt nicht die wahrhaft ableitende, ſondern die gewiſſermaßen
dictatoriſche, aus der die Folgen hervorſpringen, ohne daß man weiß
wie.“ Neben dieſer Methode, welche nach Oken zum Weſen der ganzen
Wiſſenſchaft gehört, benutzt er nun angeblich noch die ſachliche, welche
zum Weſen des einzelnen Gegenſtandes gehört; z. B. „naturphil.
Meth.: das Organiſche muß ein Bläschen ſein, weil es das Ebenbild
des Planeten iſt; ſachliche Meth.: das Organiſche muß ein Bläschen
werden, weil es ein galvaniſcher Proceß iſt, der nur zwiſchen den Ele-
menten ſtattfinden kann.“ Man ſieht, beide „Methoden“ kommen auf
daſſelbe hinaus. Es iſt hier ebenſowenig von einer Erkennung der logi-
ſchen Urtheilsformen und der Bedeutung des Subjects, als von einer
Prüfung der realen Gültigkeit der Vorausſetzungen in dieſen der logiſchen
Form nach [hypothetiſchen] Urtheilen die Rede.
Oken hat aber doch einen Einfluß gehabt, welcher dem Schaden,
welchen er mit ſeiner Naturphiloſophie anrichtete, anregend entgegen-
wirkte. Derſelbe beruht nur zum geringſten Theile auf ſeinen eigenen
Forſchungen; denn dieſe waren ſtets durch ſeine vorgefaßten Meinungen
getrübt. Mit ſeinen Unterſuchungen über das Nabelbläschen z. B.
beſtätigte er allerdings zum Theil Wolff'ſche Angaben und machte ſie
weiter bekannt, ſtellte ſie indeſſen in einem ſo zweifelhaften Lichte dar,
daß er die gewünſchte Aufklärung größtentheils wieder vereitelte. Daß
er trotz ſeiner embryologiſchen Unterſuchungen ſich nicht zu einer vor-
urtheilsfreien Anerkennung der Thatſachen erheben konnte, beweiſt ſeine
Kritik der Pander'ſchen Arbeit über das Hühnchen. Hier ſagt er kurz
und entſchieden: „So können die Sachen alle nicht ſein. Der Leib ent-
[586]Periode der Morphologie.
ſteht aus Blaſen und nimmermehr aus Blättern.“ Oken's Verdienſt
liegt in der Anerkennung des Satzes, daß die organiſchen Formen wer-
dende und gewordene ſind, ſowie in der Verbreitung des wiſſenſchaft-
lichen Intereſſes an der Naturgeſchichte, welches er theils durch ſeine
Naturgeſchichte, theils durch die Zeitſchrift Iſis gefördert hat. Abge-
ſehn von den aus ſeinen philoſophiſchen Irrthümern entſpringenden
Eigenthümlichkeiten iſt ſeine Naturgeſchichte ein wichtiges Mittel gewor-
den, die allgemeinen und ſpeciellen naturgeſchichtlichen Kenntniſſe in
weitere Kreiſe zu tragen und dadurch wieder neue Arbeiten und neue
Auffaſſungen anzuregen. Die Iſis deckte lange Zeit durch die freilich
oft nicht geſunde Kritik3) und durch die encyklopädiſche Richtung ein
Bedürfniß und iſt ſelbſt heute noch nicht genügend erſetzt.
Man frägt wohl, wie ſeine Philoſophie, die dem ruhigen inductiven
Entwickelungsgang der Wiſſenſchaft ſo ſchnurſtracks entgegentrat, An-
hänger und Verbreiter finden konnte. Da muß man freilich zunächſt
nachſehn, was die Umſtände waren, welche die Eigenthümlichkeit der
Fichte-Schelling'ſchen Philoſophie überhaupt möglich machten und be-
dingten. In der ganzen deutſchen Litteratur war die traurige Wirkung
des dreißigjährigen Krieges noch lange fühlbar geweſen. Es war mit
dem freudigen Nationalbewußtſein auch der liebevolle Sinn für das
heimiſche Geiſtesleben verloren gegangen. Sprache und Form der
Schöpfungen waren fremd geworden. Das Intereſſe erwärmte ſich
wohl zuweilen an einer gemüthvollen Erfaſſung der Natur. Man ließ
aber die Welt auf Herz und Gemüth wirken, ohne ihr mit dem kräftigen
Willen zu einer geiſtigen Auffaſſung und Erklärung entgegenzutreten.
Die Rückäußerung hierauf war eine verſchwimmende unklar frömmelnde
Teleologie, welche bei dem Mangel einer ſelbſtändigen nationalen Ge-
ſchmacksrichtung weder wiſſenſchaftlich förderte noch formell befriedigte.
Leibnitz's Philoſophie hatte auf die Wiſſenſchaft der belebten Natur,
welche ſich der Anwendung mathematiſcher Betrachtung entzog, um ſo
weniger Einfluß, als die ſcholaſtiſch-logiſche Form, die ihr beſonders
[587]Oken.
Wolf gab, nur Diſtinctionen und Definitionen erkennen ließ und die
Annahme Gottes als zureichenden Grundes der Welt für die Erklärung
der Lebenserſcheinungen noch weniger Anhaltepunkte bot, als bei der
Betrachtung der allgemeinen Naturgeſetze. Nun ließ wohl die Zeit der
Aufklärung und der Gewiſſensfreiheit auch den Sinn von den bloß
wägenden und meſſenden Beſchäftigungen in weitere Gebiete richten.
Fruchtbar wurde dieſe Erweiterung des Geſichtskreiſes aber erſt, als
auf die geiſtigen Producte die Einwirkung eines durch Kritik und das
Erwachen des nationalen Gefühls umgeſtalteten Geſchmacks fühlbar
und, ſelbſt mit Ueberſchreiten der Grenzen dieſes, der Empfindung und
Phantaſie neben dem prüfenden Verſtande ein Anrecht an den geiſtigen
Schöpfungen eingeräumt wurde. Hier trat Kant's läuternde und grund-
legende Schöpfung hinein. Die weitere Ausbildung ſeines Syſtems
litt aber unter dem individuellen Charakter der Zeit. In dem, nicht
unempfindlich aber ohnmächtig der ungeheuren Demüthigung des Vater-
landes zuſehenden Volke mußte der von Fichte einſeitig weitergeführte
idealiſtiſche Zug der Kant'ſchen Philoſophie begeiſternd wirken. Bei den
Forſchern aber ſchlug die nach außen gehemmte Theilnahme und geiſtige
Thätigkeit in eine philoſophiſche Phantaſterei um. Wie Schelling ſo
ſchuf ſich auch Oken nicht bloß ſeine, ſondern die ganze reale Welt von
innen heraus, die Periode der Kraftgenies auf dem Gebiete des abſtrac-
teſten Denkens wiederholend, ohne nach einem Beweiſe für die Gültig-
keit ſeiner oberſten Grundſätze weiter zu fragen. Beide fanden weder
im Volke noch innerhalb der naturwiſſenſchaftlichen Kreiſe einen regu-
lirenden Widerpart ihrer zügelloſen Phantaſie. Als aber einzelne von
den Objecten ſelbſt ausgehende Forſcher ſich ihnen anzuſchließen ver-
ſuchten, mußte unter der Wucht der Erfahrung das ganze Syſtem ver-
blaſſen; es blieb nur die Form übrig, welche je nach der betreffenden
Geiſtesrichtung jener entweder der ganzen Weltanſchauung eine theoſo-
phiſche Geſtalt oder der Darſtellung von Thatſachen ein allgemein
idealiſtiſches oder mehr oder weniger äſthetiſches Gewand verlieh. Im
Allgemeinen hatte aber ſchon die Thatſache, daß die Erſcheinungen der
lebenden Natur nur überhaupt einer philoſophiſchen Betrachtung unter-
worfen wurden, beſonders in der Zeit nationalen und poetiſchen Auf-
[588]Periode der Morphologie.
ſchwungs anregend gewirkt. Man fieng an, zu denken. Nur war es
ein Unglück, daß es gerade eine ſolche Philoſophie war. Da ſie abſolut
unfruchtbar war und höchſtens einmal durch Zufall mit einem ihrer
Bilder ein wahres Verhältniß zwiſchen zwei Erſcheinungen richtig ge-
troffen hatte, verlor ſich die geiſtige Beſchäftigung in jene geiſtreich
klingende, aber im Ganzen unverſtändliche oder trotz ihres ſcheinbaren
Tiefſinns Nichts oder wenigſtens nichts Neues und Förderndes enthal-
tende Redeweiſe, wie ſie eine bedeutende Anzahl naturgeſchichtlicher und
mediciniſcher Werke der erſten vier Jahrzehnte dieſes Jahrhunderts aus-
zeichnet. Die Cauſalität, welche ja den thieriſchen Formen und ihrer
Mannichfaltigkeit doch ebenfalls zu Grunde liegen muß, wurde nirgends,
auch nicht auf Umwegen heranzuziehn geſucht; dagegen wurde eine
höhere ideale Geſetzmäßigkeit geſucht, die „Bedeutung“ der Formen
und Theile der Thierkörper im „höheren Sinne“ unterſucht, dabei aber
nicht beſtimmt, was denn ein Geſetz, was dieſe Bedeutung oder dieſer
höhere Sinn eigentlich ſei oder zu ſagen habe. Endlich iſt es auch eine
mit dieſen Erſcheinungen in Verbindung ſtehende Folge der Oken'ſchen
Philoſophie, daß die Lehre von den thieriſchen Typen ſo vielfach falſch
verſtanden und dieſe Typen ſogar als Urſachen der Körperbildung auf-
gefaßt wurden.
Wenn man von den Anhängern der Schelling-Oken'ſchen Natur-
philoſophie Leute wie Schelver4) u. A. abzieht, welche keinen Ein-
fluß geäußert haben, ſo treten mit Rückſicht auf die hier beſprochene
Wiſſenſchaft (alſo mit Ausſchluß der Philoſophen und Mediciner u. ſ. f.)
die oben erwähnten drei Richtungen in drei Männern auf, welche, ohne
das ganze Syſtem ſtarr feſtzuhalten, die eigenthümliche Form des
Oken'ſchen Philoſophirens mit ihren Fehlern mehr oder weniger auf-
fallend darboten. Repräſentant der myſtiſchen theoſophiſchen Richtung
[589]Schubert, Burdach, Carus.
iſt Gotthilf Heinrich Schubert5), welcher nur in ſeinen Ahn-
dungen einer allgemeinen Geſchichte des Lebens und dem Handbuche
der Naturgeſchichte ſich der Thierwelt in einer theils phantaſtiſch erregten,
theils kindlich frommen Weiſe nähert, aber weder durch beſonderes
Zuſammenfaſſen bekannter noch Nachweiſen neuer Thatſachen die Wiſſen-
ſchaft gefördert hat. Von einer ungleich geſunderen Grundlage gieng
Karl Friedrich Burdach6) aus, welcher die Erfahrungswiſſen-
ſchaft der Phyſiologie nur in einem von naturphiloſophiſchem Hauche
noch durchwehten idealiſtiſchen Lichte betrachtete, aber nicht unweſent-
lich zur Förderung der Kenntniß des Thierlebens beigetragen hat. Sehr
große Verdienſte um die vergleichende Anatomie hat ſich unter den
ſtrengeren Nachfolgern der Naturphiloſophie Karl Guſtav Carus7)
erworben, ein Mann von ſeltener geiſtiger Begabung, welcher bei einer
reichen Erfahrung die idealen Geſetze der Schönheit und künſtleriſchen
Vollendung auch auf die Betrachtung der belebten Natur zu übertragen
ſuchte. Er war eine geiſtvolle Perſönlichkeit, deren frühes an mächtigen
Eindrücken reiches Leben und deren lebendiger, in eigner Ausübung ſich
bethätigender Sinn für die Kunſt ihr jene weite Weltanſchauung ver-
mittelt hatten, die mit innerer harmoniſcher Ruhe alle auftauchenden
Zweifel einer höheren Wahrheitsquelle zu löſen anheim gibt, die aber
nur zu leicht geneigt iſt, das thatſächliche Material zu unterſchätzen und
ſich mit allgemeinen Abſtractionen von meiſt äſthetiſcher Färbung zu
beruhigen.
Es iſt hier auch der Ort, an Goethe und ſeine vergleichend-
[590]Periode der Morphologie.
anatomiſchen Leiſtungen zu erinnern. Aber ſchwer iſt es, bei einem
prüfenden Blicke auf ſeine hierher bezüglichen Schriften das nüchterne
hiſtoriſche Urtheil nicht durch die begeiſterte Bewunderung des Mannes
trüben zu laſſen. Die Zeit iſt noch ſo neu, wo er durch den alle ſeine
Mittheilungen durchdringenden poetiſchen Genius ſowie durch die un-
gewohnte künſtleriſche Form jener zur Begeiſterung hinriß, daß es faſt
wie Ketzerei erſcheint, ruhig zu fragen, was er geleiſtet, auf welchem
Wege er es geſchaffen, in welcher Richtung die von ihm ausgehende
Anregung gewirkt hat und, vor Allem, wann die letztere hat eintreten
können. Und doch ſcheint es, als wenn nur die im Uebrigen ſo zweifel-
los begründete Verehrung des geiſtigen Heros durch das Verlangen,
ihn in allen ſeinen Beſchäftigungen gleich groß und fruchtbringend er-
ſcheinen zu laſſen, überhaupt die Verlegenheit herbeiführte, dieſe Frage
aufzuſtellen und den chronologiſchen Zuſammenhang zu unterſuchen.
Goethe war kein Naturphiloſoph im Sinne der hier bezeichneten Schule.
Er tritt aber der Richtung derſelben dadurch nahe, daß er zwar vom
Einzelnen ausgieng, ſich aber nicht zunächſt von dieſem zum Allgemei-
nen, ſondern gleich zum „Ganzen“ zu erheben ſuchte, d. h. methodiſch
ausgedrückt, er inducirte nicht, ſondern ließ ſich mit Ueberſpringung der
die Thatſachen verknüpfenden einzelnen Lehrſätze zu dem Verſuche führen,
die vorher intuitiv erlangten Grundſätze nachzuweiſen. Er fand aller-
dings, ziemlich gleichzeitig mit Vicq d'Azyr (welcher die Sache aber als
gewiſſermaßen ſelbſtverſtändlich einfach anführt) den Zwiſchenkiefer
beim Menſchen, aber nicht auf dem Wege einer eingehenden Verglei-
chung des Wirbelthierbaues, ſondern beim Suchen nach einem Urtypus
für ſämmtliche Thiere. Wie wenig ihm trotz ſeiner wiederholten Be-
ſchäftigung mit Anatomie ein wirklicher Einblick in den geſetzmäßigen
Bau der Thiere gelungen war, beweiſt ſeine Einleitung in die ver-
gleichende Anatomie. Er findet hier keinen andern Weg zwiſchen dem
trocknen Detail der beſchreibenden Anatomie und der ihm unbeſtimmt
vorſchwebenden Morphologie zu vermitteln, als die Idee eines Urtypus
für die Thiere anzudeuten, welchen er aber weder definiren, noch durch
allgemeinere Andeutungen einigermaßen anſchaulich machen kann.
Seiner ganzen Eigenheit nach war ihm ein ſolcher Typus Bedürfniß,
[591]Goethe.
aber nicht wiſſenſchaftliches, ſondern äſthetiſches. Die „Geſtalt“ hatte
von Anfang an ſein künſtleriſches Intereſſe erregt, und wie er für die
künſtleriſche Verkörperung gewiſſer idealer Charaktere, z. B. in Sta-
tuen, das dieſelben bezeichnende Typiſche in der Form zu ſuchen bemüht
war, wie er aus gleichem Antriebe die phyſiognomiſchen Studien La-
vater's ſo lebhaft zu fördern ſuchte, ſo ergriff ihn auch für die thieriſchen
Geſtalten der Gedanke, ein idealer Typus möge die Verſchiedenheiten
zu einem wohlthuenden künſtleriſchen Ausgleich bringen. Dieſe in ihm
und ſeiner ganzen Perſönlichkeit ſich vollziehende Verſchmelzung der
Naturauffaſſung mit dem Kunſtbedürfniß war es auch, welche trotz der
ſpäteren Veröffentlichung ſeiner Betrachtungen noch mächtig auf ſeine
Zeitgenoſſen und Jünger einwirkte. Beſonders erklärlich wird die
Wirkung, wenn man ſich den Nachhall des noch nicht durchgereiften
franzöſiſchen Senſualismus, den ernüchternden Einfluß der franzöſiſchen
Revolution, das von Frankreich aus über Deutſchland hereingebrochene
Unglück vergegenwärtigt und bedenkt, welchen Jubel es erregen mußte,
zu ſehn, wie nach Deutſchlands vorübergehender politiſcher Erhebung
jene eigenthümliche nationale, ſinnig-poetiſche, idealiſtiſch vergeiſtigte
Weltanſchauung vom größten Dichter auch auf die Betrachtung der
Natur mit Bewußtſein angewendet wurde, oder vielmehr angewendet
worden war. Denn von ſeinen Arbeiten war mit Ausnahme der
Schrift über die Metamorphoſe der Pflanzen und der nur brieflich
mitgetheilten Arbeit8) über den Zwiſchenkiefer beim Menſchen vor 1817
nichts gedruckt, ſeine Anſichten nur in Freundeskreiſen beſprochen,
weder gelehrt noch ſonſt öffentlich mitgetheilt worden; auch hat er über
Manches abſichtlich geſchwiegen. Dagegen muß man ſich erinnern,
daß vor 1817 ſowohl Geoffroy's Arbeiten über die Maki's, die Croco-
dile, den Fiſchſchädel u. A., als auch Lamarck's und Cuvier's bahn-
brechende und die ganze Wiſſenſchaft umgeſtaltende Werke bereits er-
ſchienen waren. Wie man aber Niemand eine Entdeckung zuſchreiben
kann, ehe man weiß, daß er ſie gemacht hat, ſo kann man auch Goethe
[592]Periode der Morphologie.
nicht den Anſtoß zu allgemeinen Anſchauungen und deren erſte Aus-
ſprache in einer Zeit zuſchreiben, wo er noch keine Zeile öffentlich be-
kannt gemacht hatte. Es wird hierdurch völlig irrelevant in hiſtoriſchem
Sinne, ob Goethe's Anſichten wirklich mit den unterdeß verbreiteten
übereinſtimmen. Jeder Verehrer Goethe's, ja jeder Deutſche wird ſich
aber freuen, daß ſie dies, wie es eben in der Entwickelung der ganzen
Zeit lag, in einem gewiſſen Sinne thun. Die Sache hat alſo wohl
für die Entwickelungsgeſchichte der Goethe'ſchen Individualität eine Be-
deutung, aber nicht für die der Wiſſenſchaft, welche ſich nur freudig
berührt finden konnte, den Liebling des deutſchen Volks ihrem neuen
Zuge folgen zu ſehn.
Fortbildung der vergleichenden Anatomie.
Die zootomiſchen Leiſtungen vom Ausgange der vorigen Periode
hatten unter dem Einfluſſe der Phyſiologie geſtanden. Es war natür-
lich, daß ſo lange kein anderer leitender Geſichtspunkt aufgekommen
war, dieſe Richtung noch immer mehr oder weniger die herrſchende
blieb. Je größer aber der Umfang des zu bewältigenden Materials
wurde, deſto mehr mußte neben der meiſt nur erſchloſſenen Gleichheit
oder Ungleichheit der Function die Verſchiedenheit der Bildung zum
Nachdenken veranlaſſen. Dies führte zur genauen Unterſuchung des
örtlichen Auftretens der Organe in den einzelnen Thiergruppen, der
Lage und gegenſeitigen Verbindung derſelben und ihrer allmählichen
Umwandlung, alſo zu jenen Momenten, welche einerſeits den in den
verſchiedenen Gruppen ausgeführten Bauplan, andererſeits noch allge-
meinere Bildungsgeſetze erkennen lehrten. Beide Richtungen fanden
ihre Vertreter, anfangs meiſt noch unter Voranſtellung der phyſiologi-
ſchen Bedeutung der Organe. — Einer der einflußreichſten Männer in
letzterer Richtung war Karl Heinrich Kielmeyer9). Er war
[593]Kielmeyer.
einer der erſten, welcher ſich ein reiches Material ſammelte, um „die
Zoologie auf vergleichende Anatomie und Phyſiologie zu gründen und
eine möglichſt vollſtändige Vergleichung der Thiere unter ſich nach ihrer
Zuſammenſetzung und nach der Verſchiedenheit ihrer organiſchen Sy-
ſteme und deren Functionen durchführen zu können“. Obſchon er nur
wenig veröffentlicht hat, war doch ſeine Wirkſamkeit als Lehrer in dem
angegebenen Sinne ſo glücklich, daß man ihm einen nicht unbedeutenden
Einfluß auf die Entwickelung der Wiſſenſchaft in den erſten Jahren
dieſes Jahrhunderts zuſchreiben darf. Auch Cuvier nennt ihn wieder-
holt ſeinen Lehrer10). Man hat ihn zuweilen als Vorläufer der Natur-
philoſophie angeſehn; doch wird er den Anhängern derſelben nur in der
äußeren Form ſeiner Verallgemeinerungen ähnlich, welche ſich durch
einen bedeutenderen Inhalt von denen der Naturphiloſophen weſentlich
unterſcheiden. Vor letzteren hat er eine viel klarere Logik und eine be-
ſonnenere Abſtraction voraus. Er vergleicht die Functionskreiſe in den
verſchiedenen Thiergruppen und ſtellt deren gegenſeitiges Verhältniß in
allgemeinen Sätzen dar, welche allerdings noch nicht auf den allmäh-
lichen Aufbau des Thierkörpers aus Organſyſtemen und deren immer
weitere Vermannichfachung nach gewiſſen Plänen führen, aber doch
zum erſtenmale eine Conſtanz beſtimmter Formerſcheinungen unter
gewiſſen Organiſationsverhältniſſen aufdecken. Bei ſeinen Ableitungen
kommt er auch auf den Vergleich früherer Entwickelungszuſtände höherer
Thiere mit niederen Thieren. Da ihm aber Entwickelungsgeſchichte
noch fern lag, gelingt es ihm nicht, dieſen Satz fruchtbar zu ver-
wenden11).
Etwas jünger als Kielmeyer war ein Mann, welcher ziemlich
gleichzeitig aber unabhängig von ihm in Paris begann in ausgedehnter
V. Carus, Geſch. d. Zool. 38
[594]Periode der Morphologie.
Weiſe Vergleichungen zwiſchen den Organiſationsverhältniſſen verſchie-
dener Thiere anzuſtellen, und zur Erreichung von Reſultaten bei dieſer
Arbeit mit bewußter Abſicht gewiſſe allgemeine Grundſätze anwendete;
es iſt dies Etienne Geoffroy-Saint-Hilaire, Verwandter
jener beiden Geoffroys, welche ſich im vorigen Jahrhundert, der eine
als Chemiker, der andere als Botaniker einen Namen gemacht hatten12).
Nachdem er ſich früher vorzugsweiſe mit Botanik und Mineralogie be-
ſchäftigt hatte, mußte er ſich, mit ein und zwanzig Jahren als Profeſſor
der Zoologie angeſtellt, die Elemente der Naturgeſchichte, wie er ſelbſt
geſteht, erſt bei dem Aufſtellen und Ordnen der Sammlung des Pflan-
zengartens erwerben. Wichtig wurde für ihn, daß Cuvier 1795 nach
Paris kam; mit dieſem lebte und arbeitete er anfangs friedlich zuſam-
men, bis ſich die Gegenſätze der von beiden eingeſchlagenen Richtungen
immer ſchärfer herausſtellten. Cuvier bezeichnet es als Ziel jeder guten
Methode, die Wiſſenſchaft auf ihre kürzeſten Ausdrücke zu bringen,
d. h. alſo die Thatſachen unter immer höhere Gattungsbegriffe zu ord-
nen. Geoffroy geht auf Aehnliches aus, ſtellt aber die allgemeinen
Sätze als Erklärungsgründe auf, während ſie doch nur inductiv zu be-
weiſende Lehrſätze ſind. Nun erklärt er dieſelben allerdings einmal als
aus Thatſachen abgeleitet, ſagt aber andererſeits auch, daß er ſie inſpi-
ratoriſch gefunden habe. Durch den Reiz ſolch allgemeiner, ganze
Gruppen von Thatſachen umfaſſender Sätze verleitet und jede meta-
phyſiſche Färbung eines Ausdrucks ſchon für Philoſophie haltend nennt
er ſeine Richtung eine philoſophiſche. Er hielt ſich ſelbſt und galt bei
ſeinen Schülern für den Gründer einer beſonderen „anatomiſchen Phi-
loſophie“. Nun hätten ſeine Geſetze oder Principien ganz fruchtbar
werden können, wenn er ſie unter gleichzeitiger Anwendung der noth-
wendigen coordinirten Grundſätze benutzt hätte. Im Mangel der
[595]Et. Geoffroy-Saint-Hilaire.
letzteren liegt aber der hauptſächliche Grund, weshalb ſeine Arbeiten
eine fehlerhafte Richtung einſchlugen und falſche Reſultate ergaben.
Seine Grundſätze ſind: die Theorie der Analogen, wonach ſich dieſelben
Theile, wenn auch in mannichfach verſchiedener Form und Ausbildung
bei allen Thieren finden ſollen; die Theorie der Verbindungen oder
Zuſammenhänge (connexions), wonach dieſelben Theile immer in
gleicher gegenſeitiger Lage und Verbindung auftreten, und das Geſetz
des Gleichgewichts der Organe, wonach die Maſſe des Thierkörpers
ſich gewiſſermaßen gleich bleibt, ſo daß ein Organ ſich nur vergrößern
oder verkleinern kann, wenn ein anderes ſich verkleinert oder vergrößert.
Dieſe Sätze wären nun als leitende Grundgedanken ſehr brauchbar ge-
weſen, wie ſie es auch in andern Händen geworden ſind, beſonders da
durch ſie die Vergleichung der Organe als Formbeſtandtheile des Kör-
pers unabhängig von ihrer Function angebahnt wurde. Sie durften
aber nur angewendet werden unter Berückſichtigung der Entwickelungs-
geſchichte und bei Beſchränkung der Idee der Gleichheit des Baues auf
die durch die Erfahrung gegebenen Baupläne. Was den erſten Punkt
betrifft, ſo hat Geoffroy allerdings an jungen Vögeln die Zuſammen-
ſetzung der Gehirnkapſel aus einzelnen Stücken nachgewieſen, welche
den Schädelknochen der Säugethiere entſprechen; er verfolgte aber den
Entwickelungsproceß nicht eingehend genug und nur mit vorgefaßter
Meinung, wenn er z. B. den urſprünglichen Wirbel für ein Rohr oder
für einen Ring erklärt und auf dieſe Auffaſſung geſtützt auch bei Glie-
derthieren Wirbel zu finden wähnt. Weil ihm der wichtigſte Schlüſſel
zu der Erklärung mancher Skelettheile ſomit fehlte, ſchwankte er auch
in ſeinen Deutungen. So erklärte er den Kiemendeckel früher13) für
losgelöſte, nicht mehr zur Bildung der Gehirnkapſel verwendete Schei-
telbeine, ſpäter14) dagegen für die den Gehörknöchelchen analogen
Stücke. Am auffallendſten wird der Fehler ſeiner Verallgemeinerungen,
wenn er die Idee der Einheit des Plans nicht bloß auf die anfangs von
38*
[596]Periode der Morphologie.
ihm allein berückſichtigten Wirbelthiere, ſondern auch auf die Glieder-
thiere und Mollusken ausdehnen will. In einer Abhandlung über den
Wirbel (1822) verſucht er den Inſecten- und Krebskörper als nach
einem mit dem der Wirbelthiere gleichen Plane gebaut nachzuweiſen;
und 1830 erklärt er ſeine Zuſtimmung zu dem vermeintlichen Nachweis
des Wirbelthierbaues bei den Cephalopoden, welchen Meyranx und
Laurencet in einer der Akademie eingereichten Abhandlung gegeben zu
haben glaubten. Dies rief den ſeiner Zeit berühmt gewordenen Streit
zwiſchen Geoffroy und Cuvier hervor, in welchem zwar Geoffroy von
dem Ausdruck „Einheit des Baues“ auf den ſcheinbar
weniger verfäng-
lichen der „Analogie der Zuſammenſetzung“ zurückgeht, ohne
aber damit
ſeinen Grundfehler zu beſeitigen. Hauptſächlich hieng dies damit zu-
ſammen, daß er, von der Gleichheit der Lebenserſcheinungen der Thiere
überzeugt, eine Uebereinſtimmung oder Aehnlichkeit in der Leiſtung der
Organe auch für ein Zeichen ihrer morphologiſchen Uebereinſtimmung
anzuſehn ſich häufig verleiten ließ, daß er alſo nicht Analogie von Ho-
mologie, in dem neuerdings durch R. Owen ſo glücklich fixirten Sinne,
gehörig unterſchied, ſo ſtreng er auch die Nothwendigkeit dieſer Unter-
ſcheidung hervorhob. Trotzdem gebührt aber Geoffroy das Verdienſt,
mit ſeinen Principien die Aufſtellung allgemeiner Bildungsgeſetze, ſowie
deren Anwendung z. B. auf die bis dahin wiſſenſchaftlich faſt ganz
vernachläſſigten Misbildungen verſucht zu haben, wennſchon er ſich ſo-
wohl bei deren Aufſtellung, wie bei ihrer Ausdehnung nicht ſtreng ge-
nug an die Thatſachen hielt.
Die Mittheilungen über Kielmeyer, Geoffroy, ſowie die früheren
über Hunter, Vicq d'Azyr u. A. zeigten, daß man bereits in ziemlicher
Ausdehnung begonnen hatte, die vorhandenen zootomiſchen Thatſachen
theoretiſch zu verwerthen. Da dieſe aber meiſt im Intereſſe anderer
Beſtrebungen geſammelt oder von ihnen aus beurtheilt und häufig zu
überſtürzten Verallgemeinerungen benutzt worden waren, gaben ſie auch
nur einen unvollſtändigen Ueberblick über den Bau der Thiere ſowohl
in Bezug auf die Anordnung der Theile in den einzelnen Claſſen als
auf die Entwickelungsform der Organe. Außer den erſt Genannten
trat nun gegen Ende des vorigen Jahrhunderts ein Mann auf, welcher
[597]Georges Cuvier.
bei einer äußerſt glücklichen Vorbildung, bei einer eingehenden, in Folge
des lebendigen Intereſſes ſchon in jungen Jahren immer ausgebreite-
teren Kenntniß der früheren und gleichzeitigen Leiſtungen nicht bloß die
Mängel und thatſächlichen Lücken derſelben erkannte, ſondern auch in
einem außerordentlichen Reichthum von Anfang an vorurtheilsfrei an-
geſtellter eigner Unterſuchungen den Grund fand, nicht bloß die ver-
gleichende Anatomie, ſondern auch die davon abhängenden Lehren von
der zeitlichen Aufeinanderfolge ſowie von den gegenſeitigen Verwandt-
ſchaftsverhältniſſen der Thiere umzugeſtalten oder geradezu neu aufzu-
bauen. Leopold Chriſtian Friedrich Dagobert Cuvier,
welcher ſich von der Zeit an, wo er als Schriftſteller aufzutreten be-
gann, Georges Cuvier nannte, war am 24. Auguſt 1769 in der
damals württembergiſchen Stadt Mömpelgardt geboren. Seine Vor-
fahren waren nach der Reformation proteſtantiſch geworden und in
Folge der religiöſen Verfolgungen aus ihrer Heimath, einem Städtchen
im franzöſiſchen Jura, nach Mömpelgardt geflohen. Durch Fleiß und
Ausdauer früh ausgezeichnet bewies Cuvier ſchon als Knabe ſeine Nei-
gung und ſeinen naturhiſtoriſchen Formenſinn, wie er z. B. aus einem
ihm zufällig in die Hände gekommenen Exemplar des Buffon die Figu-
ren copirte und nach den Beſchreibungen colorirte. Dem Schickſale, auf
einer Mömpelgardter Freiſtelle in Tübingen zum Pfarrer ausgebildet
zu werden, entgieng er in Folge des kleinlichen Neides eines Lehrers,
welcher ihn wider Verdienſt zurückſetzte. Statt deſſen empfahl ihn die
Prinzeß Friedrich ihrem Schwager, Herzog Carl, welcher ihm eine
Stelle in der Carlsſchule gab. Auf dieſer kam er am 4. Mai 1784 an.
Nach einem den allgemeinen Vorbereitungswiſſenſchaften gewidmeten
Jahre wählte er unter den fünf höheren Facultäten die der Cameral-
wiſſenſchaften, da er hier Gelegenheit fand, ſeine Vorliebe für Natur-
wiſſenſchaften zu pflegen. Sein Lehrer in Naturgeſchichte war der Bo-
taniker Kerner, ſeine Freunde waren in früherer Zeit Kielmeyer, in
ſpäterer Pfaff, Marſchall, Leupold. Im Jahre 1788 nahm er, um
Mittel zu erhalten, die Seinigen zu unterſtützen, eine Hauslehrerſtelle
beim Grafen d'Héricy in Fiquainville bei Caen an, welche vor ihm der
frühere Carlsſchüler, ſpätere (Dorpater) Phyſiker Parrot innegehabt
[598]Periode der Morphologie.
hatte. Hier wurde ihm Gelegenheit, den Grund zu ſeinen ſpäteren
wichtigen Arbeiten zu legen, indem einerſeits foſſile Terebrateln ihm
den Gedanken eingaben, die foſſilen Arten mit den lebenden zu ver-
gleichen, während andrerſeits das nahe Meer ihm Cephalopoden und
marine Formen von Schnecken darbot, durch deren anatomiſche Un-
terſuchung er zum erſtenmale auf den Plan geführt wurde, die Linné'-
ſchen Würmer aufzulöſen. Im Jahre 1794 veranlaßte ihn der Abbé
Teſſier, welcher ſich während der Schreckensherrſchaft nach Fécamp
ge-
flüchtet und die Stelle des Chefarztes eines Militairhospitals über-
nommen hatte, ſeinen jungen Aerzten einen Curſus über Botanik zu
geben. Dieſer fiel ſo vorzüglich aus, daß Teſſier den jungen Cuvier
ſeinen Pariſer Freunden empfahl, auch Cuvier ſelbſt aufforderte, einige
ſeiner Arbeiten an Geoffroy, Olivier (welcher ein naturgeſchichtliches
Journal gegründet hatte) u. A. zu ſenden, und ſchon damals ausſprach,
man könne keinen beſſeren Profeſſor der vergleichenden Anatomie
finden (an Stelle des alten Mertrud, deſſen Vertretung in Ausſicht
genommen war). Beſonders auf Geoffroy's Einladung entſchloß ſich
Cuvier 1794 nach Paris zu gehn, aber, weil er noch kein Vertrauen
auf eine neue Laufbahn ſetzte, noch in Begleitung ſeines jungen Zög-
lings. Aber ſchon 1795 löſte er das Verhältniß zu dieſem. Und nun,
nach Aufgabe einer vorübergehenden Anſtellung bei der Commiſſion
der Künſte, als er zum Profeſſor der Naturgeſchichte an den Central-
ſchulen ernannt worden war, öffnete ſich ihm ſein eigentliches Gebiet
dadurch, daß Mertrud ihn zu ſeinem Stellvertreter vorſchlug, als wel-
cher er am 2. Juli beſtätigt wurde. Ende deſſelben Jahres wurde er
Mitglied des Inſtituts, 1800 Profeſſor der Naturgeſchichte am Collège
de France, 1802 nach Mertrud's Tode Profeſſor der vergleichenden
Anatomie am Pflanzengarten und 1803 beſtändiger Secretair der Aka-
demie der Wiſſenſchaften, wogegen er die Thätigkeit als Commiſſar des
öffentlichen Unterrichts aufgab. Doch führte ihn im Jahre 1808 die
neue Organiſation des öffentlichen Unterrichts wieder in die Verwaltung,
nachdem er im Frühjahre deſſelben Jahres ſeinen Bericht über die Fort-
ſchritte der Wiſſenſchaften dem Kaiſer überreicht hatte. 1814 wurde
er Staatsrath, 1819 Abtheilungspräſident im Miniſterium des Innern,
[599]Georges Cuvier.
1824 Director der nicht katholiſchen Culte und 1831 Pair von Frank-
reich. Cuvier ſtarb am 13. Mai 1832.
Obſchon Cuvier ſeiner Abſtammung nach Franzoſe war, ſo fühlte
er ſich doch bis in ſein erſtes Mannesalter als Deutſcher. Im Juli
1789 ſpricht er noch aus, daß er wie Pfaff Frankreich fremd ſei; und
von Pfaff nach ſeiner Meinung über die franzöſiſche Revolution befragt,
ſagt er im December 1790: „ich, der als Fremder mit kälterem Auge
Alles betrachte“; er freut ſich, daß „ſein Herzog“ nicht
gegen die Lütticher
marſchiren zu laſſen brauche. Es ſcheint ſich ſogar bei ihm eine Art
nationalen Vorurtheils gegen die Franzoſen gebildet zu haben, wenn er
(1788) äußert, die Franzoſen fiengen an ihm zur Laſt zu werden, wenn
er höhnend ſagt (Oct. 1788): „ſo ſind die Franzoſen, eine Komödie,
ein Liedchen kann ihre tiefſten Wunden heilen“, wenn er ſie nicht für
fähig hält, zu ihrer Rettung einen bürgerlichen Krieg zu beginnen. Vor
Allem war es aber der Einfluß der deutſchen Wiſſenſchaft, welcher ihn
anfangs ſich Frankreich fremd fühlen ließ. „Wirklich haben die Wiſſen-
ſchaften äußerſt wenige würdige Prieſter in Frankreich“, ſchreibt er 1788.
Dagegen erkannte er Kielmeyer nicht nur wiederholt als ſeinen Lehrer
an, ſondern erklärt ausdrücklich, daß dieſer ihm den erſten Unterricht
im Zergliedern gegeben habe. Er ſteht (1791 und 1792) mit ihm in
Correſpondenz und erhält von ihm die Skizze ſeines Curſus, aus
welchem ihm dann Pfaff noch weitere Auszüge ſchickt. Und aus der in
ſeinen Briefen enthaltenen Kritik der Kielmeyer'ſchen Theorie geht deut-
lich hervor, daß er durch die allgemeinen Sätze derſelben beſonders be-
ſtimmt wurde, die Veränderungen und allmähliche Complication der
einzelnen Organe und Syſteme durch das Thierreich zu verfolgen.
Außer kleinen entomologiſchen Arbeiten gehn daher auch ſeine erſten
veröffentlichten Unterſuchungen auf die Klärung der Anatomie beſonders
der ſo unvollſtändig bekannten Würmer Linné's aus. 1792 erſchien
ſeine Anatomie der Napfſchnecke, 1795 ſeine beiden berühmten Aufſätze15)
über Anatomie und Verwandtſchaftsverhältniſſe der „Würmer“, in
[600]Periode der Morphologie.
deren zweitem er beſonders die Mollusken beſpricht, 1796 die Arbeit
über Ernährung und Circulation der Mollusken, 1797 Anatomie der
Lingula und der Ascidien, 1798 die der Acephalen und der Inſecten,
1800 Anatomie der Meduſe (Rhizostoma) und die erſten beiden Bände
ſeiner Vorleſungen über vergleichende Anatomie, in welcher außer den
genannten und bis dahin über Wirbelthiere veröffentlichten Arbeiten
(untrer Kehlkopf der Vögel, 1795 und 98, Gehörorgan und Naſe der
Walthiere, 1796 und 98, Gehirn der Wirbelthiere, 1799) eine bis-
lang nicht gekannte Menge der detailirteſten Unterſuchungen über Mus-
kel-, Knochen-, Nervenſyſtem und Sinnesorgane planmäßig dargeſtellt
wurden. Die 1805 erſchienenen drei Schlußbände, denen eine ziemliche
Anzahl charakteriſtiſcher und höchſt inſtructiv gehaltener Abbildungen
beigegeben ſind, vervollſtändigten dies an Vollſtändigkeit und Ueber-
ſichtlichkeit bis dahin einzig daſtehende Werk. Im Jahre 1812 erſchien
zuerſt ſeine große Arbeit über foſſile Knochen, in welcher er ſeine von
1795 an aufgenommenen Unterſuchungen über den Bau der ausgeſtor-
benen Thiere unter beſtändiger Vergleichung derſelben mit den lebenden
niederlegte.
Aber nicht allein dieſe außerordentliche Thätigkeit im Zergliedern
und überhaupt im Sammeln zootomiſcher Thatſachen war es, welche
Cuvier den Namen eines Gründers der vergleichenden Anatomie ver-
ſchafft hat. Es war vielmehr der Umſtand, daß er die Aufmerkſamkeit
von der Leiſtung des zu vergleichenden Organs abzog und auf das
Thier lenkte, in deſſen Nutzen jene Leiſtung verwendet wurde. Er geht
nicht, wie es bis jetzt geſchehen war, darauf aus, die Functionen eines
beſtimmten Organs nachzuweiſen und an der Vereinfachung oder der
größeren Zuſammenſetzung eines ſolchen das Zuſtandekommen gewiſſer
Functionen zu zeigen, ſondern ſetzt dieſe letztere gewiſſermaßen als be-
kannt oder gegeben voraus und unterſucht nun das Auftreten der ver-
ſchiedenen anatomiſchen Syſteme in ihren zuſammenhängenden und
gradweiſe erfolgenden Modificationen. So ſchildert er z. B. die Ath-
mungsorgane der Säugethiere, weiſt den Mechanismus des Aus- und
Einathmens, die Form der Luftwege u. ſ. w. nach und zeigt dann, wie
bei Inſecten das Athmen nicht an localiſirte Organe, ſondern an ein
[601]Georges Cuvier.
den ganzen Körper durchdringendes Syſtem geknüpft iſt, wie dann bei
Cruſtaceen das Blut an beſtimmten Stellen der Körperoberfläche in
Athmungsorgane eintritt, bis endlich bei den einfachſten oder den nied-
rigſten Thieren die ganze Haut athmet. Durch dieſe Art zu vergleichen,
welche man, freilich mit Unrecht, eine beſondere Methode genannt hat,
wurde Cuvier auf zwei allgemeine Sätze geführt, welche nicht bloß für
ſeine eignen Forſchungen, ſondern für den Fortgang der Wiſſenſchaft
im Allgemeinen von großem Einfluß geworden ſind. Wie es an dem
gewählten Beiſpiele klar wird, ſtehn nämlich die Modificationen eines
Organs nie vereinzelt, ſondern müſſen ſtets von beſtimmten Modifica-
tionen anderer Organe begleitet ſein. Geht die Athmung in einem be-
ſonderen Organe vor, ſo muß das Blut dieſem zugeführt werden: beim
Vorhandenſein eines localiſirten Reſpirationsorgans muß alſo auch ein
irgendwie entwickeltes Gefäßſyſtem vorhanden ſein; fehlt ein ſolches,
dann fehlen auch localiſirte Athmungsorgane, oder, wie bei den Inſec-
ten, das Blut braucht dann nicht die Luft aufzuſuchen, es muß umge-
kehrt die Luft das Blut ſuchen16). Die an den einzelnen Organen auf-
tretenden Modificationen ſtehn daher zu einander in Correlation. „Jeder
Organismus“, ſagt Cuvier, „bildet ein einiges und geſchloſſenes Ganze,
in welchem einzelne Theile nicht abändern können, ohne an allen übri-
gen Theilen Aenderungen erſcheinen zu laſſen“. Aus einem einzelnen
Theile kann man daher auf alle übrigen ſchließen. Dies iſt das Geſetz
der Correlation der Theile, welches in Cuvier's Händen beſonders bei
der Reconſtruction der in einzelnen Bruchſtücken bekannt werdenden
foſſilen Thiere ſo außerordentlich fruchtbar geworden iſt. Daſſelbe
gründet ſich auf die nothwendigen Bedingungen der Exiſtenz, ohne
deren Erfüllung das Thier nicht zu leben im Stande wäre. In Folge
der bei Anwendung dieſes Geſetzes gebrauchten Ausdrucksweiſe hat man
in der Auffaſſung deſſelben einen teleologiſchen Erklärungsverſuch er-
blickt, indeß mit Unrecht. Denn die Verbindung gewiſſer Organformen,
z. B. der Zehenkrallen mit carnivorem Gebiß vollzieht ſich mit Noth-
[602]Periode der Morphologie.
wendigkeit, wenn auch dieſe Nothwendigkeit nicht auf einen directen
mechaniſchen Cauſalzuſammenhang zurückgeführt werden kann. Die
Beobachtung der einander begleitenden Veränderungen führte Cuvier
nun auf die Erſcheinung, daß zwar alle Organe in Abhängigkeit von
einander ſtehn, in Anſehung ihrer Entwickelung, ihres Auftretens, ihrer
Form, daß aber einmal innerhalb gewiſſer Thiergruppen nicht alle Or-
gane einen gleichen Betrag von Veränderungen zeigen, und dann daß
beſtimmte Syſteme mit andern verglichen weniger in ihrer Form u. ſ. f.
ſchwanken. Da es ſich nun zeige, daß die bedeutungsvolleren Organe
in ihrer Form die conſtanteren ſeien, ſo glaubte Cuvier in der „Unter-
ordnung der Merkmale“ (der Subordination der Charaktere) den
Schlüſſel nicht bloß zum Verſtändniß gewiſſer zootomiſcher Thatſachen,
ſondern auch zur zweckmäßigſten Verwendung der vergleichend-anato-
miſchen Reſultate auf die Syſtematik zu beſitzen. Doch entgieng ihm
nicht, daß der Begriff der Unterordnung ein künſtlicher iſt und daß die
„Bedeutung“, d. h. die Wichtigkeit eines Organs erſt durch die Erfah-
rung feſtgeſtellt werden müſſe, nämlich durch Nachweis ſeiner Conſtanz.
Nichtsdeſtoweniger folgt er aber dieſem Grundſatze, geräth indeſſen
natürlich, da er damit auf eine künſtliche Anordnung der Formen nach
einem Merkmal hinauskommt, ins Schwanken. So bezeichnet er 1795
die Generationsorgane, deren Thätigkeit das Thier ſeine Exiſtenz ver-
dankt und die Circulationsorgane, auf denen die individuelle Erhaltung
des Thiers beruht, als die wichtigſten, während er 1812 dem Beiſpiele
Virey's folgend, das Nervenſyſtem für das Syſtem erklärt, zu deſſen
Unterhaltung eigentlich die andern Syſteme allein vorhanden wären.
Die weiteren Reſultate dieſer Reihe von Betrachtungen werden ſpäter
zu erörtern ſein. Es handelt ſich hier zunächſt um Cuvier's vergleichend-
anatomiſchen Standpunkt. Im Gegenſatze zu ſeinem Zeitgenoſſen
Geoffroy, wie zu den zahlreichen Nachfolgern und Anhängern Bonnet's,
welche den ganzen Formenreichthum des Thierreichs als in einer un-
unterbrochenen Kette ſich darſtellend annahmen, geht Cuvier ohne eine
vorher gebildete Theorie an das Werk. Wie die Idee der Einheit des
Typus oder der Structur, ſo verwirft er von vornherein alle vorzeiti-
gen Verallgemeinerungen als metaphyſiſche Träumereien. Er ſammelt
[603]Bichat. Blumenbach.
Thatſachen, um von dieſen aus zu allgemeinen Sätzen zu gelangen,
welche er dann immer weiter inductiv zu erweiſen ſucht. Und wenn er
damit nur bis auf einen gewiſſen Punkt gelangt und namentlich die
Stellung eines Thiers für nur von dem in ihm zur Erſcheinung ge-
langenden Bauplan abhängig anſieht, worauf bald näher einzugehen
ſein wird, ſo iſt dies nur eine Folge des Umſtandes, daß zu ſeiner Zeit
der Einblick in die Entwickelungsgeſchichte der Thiere noch nicht genü-
gend eröffnet war. Dagegen erſcheint bei Cuvier ſchon eine Rückſicht-
nahme auf die gleichartige Zuſammenſetzung gewiſſer Organe ſowie auf
die Natur des Gewebes, welches die eigenthümliche Leiſtung eines jeden
Organs bedingte. Von Cuvier, deſſen eigentliches Arbeitsfeld mit
neuen eigenartigen Aufgaben einer andern Richtung ſich weit vor ihm
eröffnete, konnten hierüber nur Andeutungen gegeben werden. Es iſt
indeſſen bezeichnend für ſeine Umſicht, daß ihm die Wichtigkeit dieſer
Betrachtungen nicht entgieng. Er ſelbſt hat dieſelben nicht weiter geführt.
Wohl fällt aber in die Zeit ſeiner erſten größeren Veröffentlichungen
die ſelbſtändige Gründung dieſer neuen Lehre durch Marie Franç.
Xavier Bichat (1771-1802). Bichat hatte die erſten Anregungen
von Pinel empfangen und ſuchte zunächſt pathologiſch-anatomiſch die
gleichen Erkrankungsformen auf die gleichartige Natur der ergriffenen
Gewebsformen zu beziehn. Mit ſeiner Abhandlung von den Membra-
nen (1800) und ſeiner allgemeinen Anatomie (1802) hat er aber den
Ausgangspunkt für jene Reihen von Unterſuchungen gegeben, welche
ſchließlich zu dem ſo wichtigen Nachweiſe der gleichartigen elementaren
Zuſammenſetzung ſämmtlicher Thiere geführt haben.
Während die vergleichende Anatomie in Cuvier ihren Wiederher-
ſteller fand, welcher die großartigen ihm durch die Sammlungen des
Pflanzengartens zu Gebote geſtellten Mittel in ausgiebigſter Weiſe
nutzte und der Wiſſenſchaft dienſtbar machte, wurde in Deutſchland eine
Anzahl Männer beſonders durch den von Cuvier gegebenen Anſtoß zu
einem regen Arbeiten auf dieſem Gebiete veranlaßt. Es hatte allerdings
Blumenbach ſchon ſeit 1777 über einzelne Gegenſtände der ver-
gleichenden Anatomie, ſeit 1785 über die ganze Disciplin regelmäßige
Vorleſungen gehalten. Doch veröffentlichte er erſt 1805 das erſte
[604]Periode der Morphologie.
deutſche Handbuch über dieſelbe (erſchien nochmals 1824 in dritter Auf-
lage). Charakteriſtiſch für die noch bei Blumenbach herrſchende Auf-
faſſung iſt das Geſtändniß, daß er aus dem ungeheuren (eben nur
zootomiſchen) Material eine Auswahl habe treffen müſſen, wobei er
ſich beſonders von der Phyſiologie und der Naturgeſchichte der Thiere
ſowie von der größern oder geringern Leichtigkeit der Herbeiſchaffung
derſelben habe beſtimmen laſſen. Die Wirbelthiere nehmen den weitaus
größten Raum ein, davon wieder die Knochenlehre am ausführlichſten
geſchildert wird. Eine weitere Anregung gab dann Ignaz Döllinger
(1770, † 1841), welcher in einem 1814 erſchienenen Programme den
Werth und die Bedeutung der vergleichenden Anatomie, freilich noch
als Hülfswiſſenſchaft der Medicin hervorhob, und bald darauf C. Fr.
Burdach, welcher 1817 gleichfalls in einer akademiſchen Gelegen-
heitsſchrift „über die Aufgabe der Morphologie“ das, was die verglei-
chende Anatomie zu leiſten habe, ſchildert, zwar zunächſt noch im
Anſchluſſe an die Bedürfniſſe des Praktikers und nicht frei von natur-
philoſophiſcher Färbung, aber doch in bewußter Ahnung die wichtigen
Aufgaben der Morphologie erfaſſend. Bezeichnend iſt es, daß gerade
dieſe beiden Männer ihrer Ueberzeugung von der Bedeutung der ver-
gleichenden Anatomie Ausdruck gaben und das Ziel derſelben andeuteten,
zu deſſen Erreichung nur wenige Jahre ſpäter beſonders von Würzburg
und Königsberg aus, wo ſie wirkten, ſo erfolgreich erſtrebt wurde.
Schon zeitig traten aber hier Einzelarbeiten auf, welche als weſentliche
Bauſteine zur Errichtung des zunächſt nur in matten Umriſſen vor-
ſchwebenden Gebäudes der Morphologie angeſehen werden müſſen. Der
Reihe nach als der erſte iſt hier Gotthelf Fiſcher (geadelt von
Waldheim, geb. 1771 in dieſer Stadt, geſt. 1853 in Moskau, wo
er ſeit 1804 dem Muſeum und der naturforſchenden Geſellſchaft vor-
ſtand) zu nennen, welcher 1795 über die Schwimmblaſe der Fiſche,
1800 über den Zwiſchenkiefer ſchrieb und 1804 eine Anatomie der
Makis gab, wogegen ſeine ſpätern Arbeiten entomologiſchen und vor-
züglich geologiſchen und paläontologiſchen Inhalts ſind. Der Zeit nach
folgte ihm Döllinger, welcher von 1805 an einige Punkte der Ana-
tomie der Fiſche aufzuklären ſuchte. Vorzüglich auf Anregung Sömmer-
[605]Carl Guſtav Carus.
ring's widmete ſich der ſpäter als Phyſiolog ſo verdient gewordene
Friedrich Tiedemann (1781-1860) früh der Zootomie, er
arbeitete ſelbſt in Paris unter Cuvier's Leitung und lieferte in ſeiner
Anatomie des Fiſchherzens (1809, worin er ſchon die Verſchiedenheit
der Klappen bei Knochen- und Knorpelfiſchen ſchilderte), in ſeiner Ana-
tomie des Drachens (1811), in ſeinen Darſtellungen vom Affengehirne
und beſonders in ſeiner anatomiſchen Monographie der Holothurie,
des Seeſterns und Seeigels werthvolle zootomiſche Beiträge, ebenſo
wie ſehr gutes Allgemeines in der Einleitung zu ſeiner von 1808 an
erſchienenen, aber nicht vollendeten Zoologie. Den Jahren nach etwas
älter, aber erſt ſpäter als Schriftſteller thätig war Ludw. Heinr.
Bojanus (geb. 1776 in Buchsweiler im Elſaß, wurde 1806 Pro-
feſſor der Veterinär-, 1814 auch der vergleichenden Anatomie in Wilna
und ſtarb 1827 in Darmſtadt, wohin er ſich 1824 bereits zurückgezogen
hatte). Wie ſich Bojanus in einzelnen kleineren Arbeiten als geiſtvoller
Forſcher und namentlich den auftauchenden morphologiſchen und embryo-
logiſchen Fragen gegenüber als ein Mann von großer Klarheit des
Urtheils gezeigt hatte, ſo hat er in ſeiner Anatomie der Schildkröte eine
muſtergültige Monographie geliefert, wie ſie bis dahin über kein anderes
Thier exiſtirte. — Große Verdienſte um die vergleichende Anatomie
hat ſich, wie bereits angedeutet, Carl Guſtav Carus erworben.
Als der erſte ſpeciell für dieſes Fach an einer deutſchen Univerſität
thätige Lehrer hat er nicht bloß durch mündliche Anregung der mit noch
ſo manchen Vorurtheilen kämpfenden Disciplin neue Freunde und An-
erkennung gewonnen, ſondern auch eine Reihe von Arbeiten geliefert,
welche ihren Gegenſtand in einer geiſtvollen Weiſe in einem neuen Lichte
erſcheinen ließen. Von dieſen ſei hier nur die vergleichende Darſtellung
des Nervenſyſtems, die Unterſuchung über den Kreislauf bei den In-
ſecten, über die Entwickelung der Muſcheln, die Anatomie der Ascidien
erwähnt. In dem größeren Werke über die Ur-Theile des Knochen-
und Schalengerüſtes hat er die Lehre von den Wirbeln wohl am con-
ſequenteſten von Allen auf ſämmtliche Hartgebilde ausgedehnt, dabei
aber nicht bloß die Grenzen des wirklich Vergleichbaren überſchritten,
ſondern auch den Begriff des Wirbels bis ins Bedeutungsloſe ausge-
[606]Periode der Morphologie.
dehnt. C. G. Carus war auch der erſte, welcher durch ein ſämmtliche
Thierklaſſen mit gleicher Ausführlichkeit berückſichtigendes Handbuch
das allgemeine Intereſſe an der Zootomie weſentlich fördern und ihre
Anerkennung in weiteren Kreiſen ſichern half. Es erſchien 1818, in
zweiter Auflage 1834, wurde nach der erſten Auflage ins Engliſche,
nach der zweiten ins Franzöſiſche überſetzt. Iſt daſſelbe auch nicht frei
von Naturphiloſophie, ſo iſt der Standpunkt doch ein entſchieden wiſſen-
ſchaftlicher. In einem 1826 erſchienenen Aufſatze bezeichnet Carus
denſelben ausdrücklich als den philoſophiſchen gegenüber der deſcriptiven
und bloß vergleichenden Anatomie; es finden ſich auch im Handbuch
zahlreiche wirklich morphologiſche Bemerkungen, welche nur wegen des
Mangels der erſt ſpäter mit Sicherheit entwickelten Anſchauung der
verſchiedenen Typen noch nicht zur ſofortigen Anerkennung und Ver-
wendung kamen. Nicht das geringſte Verdienſt des Handbuchs beſteht
in der Beigabe eines ſelbſt gezeichneten und in der erſten Auflage ſogar
ſelbſt radirten Atlas, dem erſten Beiſpiel einer für Lehr- und Unterrichts-
zwecke erfolgten Zuſammenſtellung inſtructiv gewählter bildlicher Dar-
ſtellungen. Später hat Carus in großen Erläuterungstafeln ein um-
faſſendes Kupferwerk geliefert, was freilich als nach den anatomiſchen
Syſtemen geordnet nicht dieſelbe Ueberſichtlichkeit in morphologiſchem
Sinne darbietet, wie der für ſeine Zwecke ganz vortreffliche kleine Atlas,
aber doch ein bedeutendes Mittel zur Verbreitung zootomiſcher An-
ſchauung wurde.
Sehr ausgebreitet für vergleichende Anatomie thätig und einen
großen Kreis von Schülern um ſich ſammelnd wurde Joh. Friedr.
Meckel17) der Reſtaurator der vergleichenden Anatomie in Deutſch-
[607]Joh. Friedr. Meckel.
land, inſofern er in den erſten drei Jahrzehnten dieſes Jahrhunderts
derjenige war, welcher das reichſte zootomiſche Wiſſen umfaßte und am
meiſten beitrug, die Thatſachen in eine wiſſenſchaftliche Form zu bringen.
Er hatte 1804 bis 1806 in Paris unter Cuvier's Leitung gearbeitet
und war nach 1806 in Halle Profeſſor der Anatomie geworden. Hier
wirkte er über ein Vierteljahrhundert lang als Lehrer und Forſcher.
Das von ſeinem Großvater gegründete, von ſeinem Vater gepflegte
Muſeum brachte er durch große Umſicht und bedeutende Opfer zu einem
Umfange, wie ihn keine zweite Privatſammlung in Deutſchland erreicht
hat. Einen vorzüglichen Einfluß auf die Entwickelung der Wiſſenſchaft
gewann er durch ſein Archiv. An der Stelle des 1815 zu Ende gekommenen
Archiv's von Reil und Autenrieth ließ er daſſelbe zuerſt als Deutſches
Archiv für Phyſiologie (8 Bde.), ſpäter als Archiv für Anatomie und
Phyſiologie (6 Bde.) erſcheinen. Nur in einem einzigen Bande dieſer
Reihe findet ſich kein Aufſatz von Meckel, die meiſten Bände enthalten
ſogar mehrere, ausführlichere Arbeiten oder kürzere Notizen, auch lite-
rariſche Berichtigungen. Und ſchon vorher hatte er in den von 1808 bis
1812 erſchienenen Beiträgen zur vergleichenden Anatomie, zu welchen
nur noch ſein Bruder Albert einen Beitrag gegeben hatte, eine Reihe
zum Theil ſehr wichtiger Arbeiten geliefert. Eine größere Monographie,
über das Schnabelthier gab er noch 1826 heraus. Welches Intereſſe
für vergleichende Anatomie Meckel bei ſeinen Zuhörern zu wecken ver-
ſtanden hatte, beweiſt die beträchtliche Zahl der zootomiſchen Diſſerta-
tionen, in welchen zum Theil ſeine eigenen Anſchauungen und Beob-
achtungen (z. B. bei Fouquet, Koſſe, Leue), zum Theil unter ſeiner
Leitung und Beeinfluſſung angeſtellte Unterſuchungen (z. B. von Ar-
ſaky) veröffentlicht wurden18). Den Hauptinhalt ſeiner Aufſätze allge-
meinen Inhalts, ſowie ſeine umfangreichen Einzelarbeiten vereinigte
[608]Periode der Morphologie.
aber Meckel in ſeinem unvollendet gebliebenen Syſteme der vergleichen-
den Anatomie, welches von 1821-1835 erſchien. Daſſelbe ſollte die
im Jahre 1805 geſchloſſenen Vorleſungen Cuvier's erſetzen und dabei
den inzwiſchen gemachten Fortſchritten Rechnung tragen. Beides wurde
auch erreicht, nur vollzogen ſich gerade während der Zeit ſeines Er-
ſcheinens und unmittelbar nachher ſo wichtige Aenderungen in den
allgemeinen Anſchauungen über den Bau der Thierkörper, daß man
jetzt im Ganzen nur zu wenig auf daſſelbe zurückkommt. Vorzüglich
iſt der erſte Band von großem Intereſſe, da ſich in ihm Anſichten nie-
dergelegt finden, welche wenige Jahre ſpäter eine neue ſichere Begrün-
dung erhielten. Es macht allerdings faſt den Eindruck einer natur-
philoſophiſchen Abſtraction, wenn er die Verſchiedenheiten der thieriſchen
Form in der weiteſten von ihm gegebenen Ausdehnung als unter einem
beſonderen Geſetze der Mannichfaltigkeit ſtehend bezeichnet, welchem er
ein zweites allgemeines Geſetz, das der Reduction, gegenüberſtellt.
Doch betrifft dieſe Form der Verallgemeinerung mehr die Form der
Darſtellung. Meckel geht hier auf allgemeine Bildungsverhältniſſe ein,
welche ganz füglich als allgemeine Bildungsgeſetze bezeichnet werden
können. Unter dem Geſetze der Mannichfaltigkeit ſchildert er auch die
Verſchiedenheit der von Cuvier aufgeſtellten Typen, zwar noch nicht in
der Schärfe, mit welcher dieſelben ſpäter erfaßt und immer richtiger
auseinandergehalten wurden, aber doch ſo eingehend, daß man ſogar
ſchon eine Hinweiſung auf die innerhalb der Typen auftretenden Ent-
wickelungsverſchiedenheiten erkennen kann, wie ſie ſpäter von Baer als
ſo wichtige Momente nachgewieſen wurden. Auch findet die Kiel-
meyer'ſche Idee von der Uebereinſtimmung der früheren Entwickelungs-
ſtufen höherer Thiere mit niedern Claſſen eine völlig ſachgemäße
Beſchränkung und paſſende Verwendung. Meckel berückſichtigte über-
haupt ſchon eingehend die Entwickelungsgeſchichte, ſuchte auch durch
Ueberſetzung der faſt vergeſſenen Wolff'ſchen Schrift von der Bildung
des Darmcanals die Meinungen über die Art des Entwickelungsvor-
ganges zu klären. Hierdurch wurde er auch darauf geführt, die Misbil-
dungen behufs ihrer Erklärung an die normale Entwickelungsgeſchichte
anzuknüpfen, wobei er ſich mit Geoffroy begegnete. —
[609]Rudolphi. Weber. Rathke.
Gleichzeitig mit Meckel wirkte Carl Asmund Rudolphi,
welcher, 1810 nach Berlin berufen, dort „das zootomiſche Muſeum von
Grund aus ſchuf“ und dem Studium der vergleichenden Anatomie einen
mächtigen Impuls gab. Er war 1777 in Stockholm von deutſchen
Eltern geboren, ſtudirte in Greifswald, wurde dort 1793 und 1795
auf Grund zweier Diſſertationen über Eingeweidewürmer Doctor der
Philoſophie und der Medicin und 1808 ordentlicher Profeſſor. Schon
in dieſe frühere Zeit fallen die wichtigen, ſeinen Ruhm vorzüglich be-
gründenden Arbeiten über Helminthen und die Anatomie der Pflanzen,
ſowie die anatomiſch-phyſiologiſchen Abhandlungen, in denen er mehrere
zootomiſche Thatſachen mittheilte. Später hat er ſich nur mit Anatomie
der Wirbelthiere beſchäftigt, wie auch die zahlreichen unter ſeiner Lei-
tung oder auf ſeine Veranlaſſung geſchriebenen Diſſertationen nur
Gegenſtände der Wirbelthieranatomie behandeln19). Rudolph war
auch Johannes Müller's Lehrer, welcher ausdrücklich erklärt, daß Rudolph
die Neigung zur Anatomie bei ihm für immer entſchieden habe. — Auch
Ernſt Heinrich Weber (geb. 1795), deſſen vorzüglichſte bahn-
brechende Arbeiten einem andern Gebiete angehören, hat (er war an-
fangs Carus' Nachfolger als Profeſſor der vergleichenden Anatomie)
durch mehrere ausgezeichnete Leiſtungen in den Fortſchritt der ver-
gleichenden Anatomie eingegriffen, beſonders durch vergleichende Dar-
ſtellung des Sympathicus und die Unterſuchungen über das Gehörorgan
(1817 und 1820). Vom Jahre 1820 an beginnt auch die Thätigkeit
des um die Ausbildung der Morphologie und Entwickelungsgeſchichte
hoch verdienten Martin Heinrich Rathke, welcher ſpäter noch
beſonders erwähnt werden wird. — Vergleicht man die Thätigkeit auf
dem Gebiete der Zootomie, wie ſie in den erſten drei Jahrzehnten dieſes
Jahrhunderts ſich in Deutſchland entfaltete mit dem, was in derſelben
Zeit außerhalb geſchah, ſo tritt das Ausland entſchieden zurück. In
V. Carus, Geſch. d. Zool. 39
[610]Periode der Morphologie.
Göttingen regte noch immer Blumenbach lebendig an und mehrere
noch jetzt werthvolle Arbeiten verdanken ſeinem Einfluſſe ihre Entſtehung.
In Würzburg begeiſterte Döllinger, in Jena lenkte Oken, in Tü-
bingen Autenrieth und Emmert, in Heidelberg Tiedemann,
in Marburg (früher Würzburg) Heuſinger, in Königsberg C. E.
von Baer die Aufmerkſamkeit der jüngeren Kräfte auf den reichen
Schatz, der noch zu heben war. Neben dem Reil-Autenrieth'ſchen
Archiv gründete Chriſt. Rud. Wilh. Wiedemann in Braunſchweig
in ſeinem Archiv für Zoologie und Zootomie ein weiteres Organ für
betreffende Arbeiten, denen ſich ſpäter die Zeitſchrift für Phyſiologie
von Tiedemann und den beiden Treviranus20), ſowie die Heu-
ſinger'ſche Zeitſchrift für organiſche Phyſik anſchloſſen. Aus England
ſind in dieſer Zeit als fördernde Erſcheinungen nur das nicht vollendete
Handbuch Harwood's (welches der eben genannte Wiedemann über-
ſetzte) und die Vorleſungen Everard Home's (1756-1832), der
die hinterlaſſenen Papiere ſeines Schwiegervaters John Hunter benutzte,
zu nennen, während die Zahl der einzelnen Arbeiter neben ihnen ver-
hältnißmäßig klein, viel kleiner war, als der ſyſtematiſch thätigen Zoo-
logen. Durch Handbücher der vergleichenden Anatomie förderten in
Italien das Intereſſe an derſelben Giuſ. Jacopi (1808, neu heraus-
gegeben 1822) und der ſpäter noch zu nennende Stefano delle Chiaje.
In Frankreich waren außer G. Cuvier und ſeinem Bruder Friedrich
(1773 in Mömpelgardt geboren, 1838 in Paris geſtorben) noch
George Louis Duvernoy (1777-1855, wie Cuvier aus Möm-
pelgardt, ſein Sohn fieng an, Cuvier's Vorleſungen ins Deutſche zu
überſetzen), der ältere Duméril, ſpäter noch Antoine Dugès,
Audouin, Henri Milne-Edwards, Blainville u. A. als
Zootomen thätig. Die Leiſtungen der erſtgenannten werden noch ſpäter
zu erwähnen ſein. Hier muß noch Blainville's mit einigen Worten
[611]Blainville.
gedacht werden. Marie Henri Ducrotay, welcher ſich Ducro-
tay de Blainville nannte, war der Sohn eines gewiſſen Pierre
du Crotay, welcher der Nachkomme eines ſchottiſchen Edelmanns zu
ſein behauptete. Er war 1777 in Arques in der Normandie geboren,
kam zunächſt auf eine Militairſchule, dann 1796 auf eine Zeichenſchule
nach Rouen, da er in das Geniecorps einzutreten beabſichtigte, endlich
nach Paris. Nachdem er hier nach dem Tode ſeiner Eltern ſein Ver-
mögen faſt vergeudet hatte, fieng er an ſich erſt den Künſten, dann den
Naturwiſſenſchaften zu widmen. Von Cuvier ſehr ermuntert und unter-
ſtützt wurde er 1812 Profeſſor der Zoologie und vergleichenden Ana-
tomie an der Facultät und erhielt 1830 eine der beiden Profeſſuren für
niedere Thiere (Mollusken und Polypen) am Muſeum. Sein Stolz
und ſeine Empfindlichkeit erhielten ihn in einer beſtändigen Oppoſition
gegen ſeine Collegen, beſonders gegen Cuvier, deſſen Superiorität an-
zuerkennen ihm ſchwer wurde. Nach Cuvier's Tode wurde er deſſen
Nachfolger am Muſeum, wußte aber die Sammlung nicht auf ihrer
Höhe zu erhalten, deren vorübergehender äußerer Verfall beſonders
ſeine Schuld war. In ſeinen vergleichend anatomiſchen Arbeiten, welche
hier zu erwähnen ſind, vertritt er im Allgemeinen Buffon's Idee von
einer im Thierreiche dargeſtellten Stufenreihe. Er ſucht eine ſelbſtän-
dige Stellung zwiſchen Cuvier und Geoffroy einzunehmen, was ihm
auch inſofern gelingt, als er in einer nicht ganz zu verwerfenden Weiſe
den phyſiologiſchen mit dem morphologiſchen Geſichtspunkt zu vermitteln
ſucht. Auch erkannte er die Nothwendigkeit einer Einſicht in die Ent-
wickelung der Organe, ohne dieſe jedoch allgemein zu verwerthen. Ge-
zwungen erſcheint es allerdings, wenn er die Geſammtgeſtalt des Thiers,
das was er Morphologie nennt, bei der Haut, als demjenigen Organe
abhandelt, welches die Begrenzung des Thierleibes im Raume bewirkt.
Auch zieht ſich durch ſeine ganze Darſtellung eine teleologiſche Auf-
faſſung, welche nicht wie in dem Cuvier'ſchen Correlationsgeſetz eine
gewiſſermaßen morphologiſche Verwendung findet. Es iſt aber immer-
hin zu bedauern, daß von ſeiner vergleichenden Anatomie nur der erſte,
Haut und Sinne umfaſſende Theil (1822) erſchienen iſt. Seine ſpäter
erſchienene Oſteographie enthält muſterhafte Knochen- und Skelet-
39*
[612]Periode der Morphologie.
darſtellungen, wenn gleich nicht ſo plaſtiſch ausgeführt, wie in dem
freilich bei Weitem nicht ſo umfaſſenden Werke von Pander und d'Alton.
Die Lehre von den thieriſchen Typen.
Es muß hier innegehalten werden, um die Entwickelung der auf
die weitere Ausbildung der vergleichenden Anatomie zu einer thieriſchen
Morphologie ſo weſentlich einwirkenden drei Momente zu ſchildern, die
der Lehre von den Typen, der Entwickelungsgeſchichte und der Zellen-
theorie. Wie die vergleichende Anatomie urſprünglich davon ausgieng,
den Bau des Menſchen mit den Thieren der zunächſt auf den Menſchen
folgenden Abtheilungen zu vergleichen, und dadurch gewiſſermaßen an-
deutete, was als vergleichbar anzuſehen ſei, ſo hatte doch die Linné'ſche
Anordnung des Thierreichs die Ariſtoteliſche Eintheilung ſo weit in den
Hintergrund gedrängt, daß man höchſtens (nach dem ſo verbreiteten
Misverſtändniß) die Inſecten und Würmer als weißblütige Thiere zu-
ſammenfaßte. Es wurde oben hervorgehoben, daß es zuerſt Batſch
war, welcher eine Vereinigung der vier obern Claſſen Linné's unter dem
Namen Knochenthiere vornahm. Dieſer Schritt fand aber kaum irgend
welche Beachtung. Cuvier zählt noch 1798 in ſeinem Tableau élémen-
taire die Wirbelthierclaſſen einzeln auf und trennt nur die von ihm
ausdrücklich als weißblütige eingeführten niederen Thiere in die Ab-
theilungen der Mollusken, der Inſecten und Würmer und der Zoophy-
ten, an erſter Stelle die Form und Anweſenheit des Herzens, an zweiter
die des Nervenſyſtems berückſichtigend. Eine indirecte Veranlaſſung
zu einer ſchärferen Hervorhebung des Typiſchen der verſchiedenen
Claſſen gab Lamarck 1797 dadurch, daß er die weißblutigen Thiere
als „Wirbelloſe“ den Thieren mit Wirbeln gegenüberſtellte, welche Aus-
drücke (à vertèbres und sans vertèbres) von ihm herrühren, und daß
er eine Abtheilung als Strahlthiere von den Polypen ſchied. So häufig
auch ſein Name mit der Aufſtellung und Begründung der Typen in
Verbindung gebracht wird, ſo ſind doch die beiden angeführten Momente
die einzigen, auf welche ſich dieſes Verdienſt etwa gründen ließe. In
der im Jahre 1809 erſchienenen zoologiſchen Philoſophie theilt er das
Thierreich in vierzehn Claſſen und ſechs Stufen, welche aber nicht auf
[613]Typenlehre. de Lamarck.
einer fortgeſchrittenen Erkenntniß und weiteren Auffaſſung der thieri-
ſchen Form beruhn, ſondern nur im Allgemeinen nach Theilungsgrün-
den, die dem Bau entnommen ſind, und zwar meiſt nach Cuvier's
Angaben gekennzeichnet werden. So charakteriſirt er z. B. die zweite
Stufe, welche die Strahlthiere (Echinodermen) und Würmer umfaßt
dadurch, daß ſie keinen Längsganglienſtrang und keine Blutgefäße, da-
gegen aber „einige andere innere Organe außer denen der Verdauung“
beſitzen. Er war überhaupt nur wenig Anatom, beſaß aber einen
großen Formenſinn und ſpäter bedeutende Formenkenntniſſe. Jean
Baptiſte Pierre Antoine de Monet, ſpäter Chevalierde Lamarck
genannt, war der Sohn eines Herrn Pierre de Monet, und 1744 in
einem Dorfe der Picardie geboren. Er trat 1760 in die Armee ein;
nach dem Frieden in Garniſon in Monaco gelegen erhielt er eine Hals-
verletzung, welche ſeine Rückkehr nach Paris und eine Operation nöthig
machte. Hierdurch aus ſeiner Laufbahn geriſſen mußte er ſich mit einer
ſehr kleinen Penſion kümmerlich behelfen und einen andern Beruf er-
greifen. Er ſuchte Medicin zu ſtudiren, arbeitete aber daneben in einem
Bankhauſe. Schon von Monaco her mit Vorliebe die Pflanzen be-
obachtend, überraſchte er 1778 das Publikum mit ſeiner dreibändigen
franzöſiſchen Flora. Er wurde darauf 1779 Mitglied der Akademie
und beſchäftigte ſich von da an vorwiegend mit Botanik, aber auch mit
allgemeiner Chemie und Phyſik, ohne je Experimente zu machen und
natürlich in Oppoſition gegen Lavoiſier und die ganze moderne Richtung;
ja er gab ſogar noch 1799 bis 1810 jährlich einen Almanach heraus,
deſſen meteorologiſche Prophezeiungen niemals eintrafen. Da er ſtets
hatte für die Buchhändler arbeiten müſſen und er immer in gedrückter
Lage war, ſuchte ihm Buffon's Nachfolger Labillardière eine Stelle als
Cuſtos des Herbariums zu erwirken, ſtieß aber auf heftige Oppoſition.
Endlich erhielt Lamarck 1793 bei der Reorganiſation des Muſeums am
Pflanzengarten die übrig bleibende Profeſſur für die Linné'ſchen In-
ſecten und Würmer. Von dieſen kannte er nur einige Molluskenſchalen,
über die er ſich oft mit Bruguières unterhalten und von denen er ſich
eine kleine Sammlung gebildet hatte. Mit Energie warf er ſich aber
nun auf Zoologie, in welcher er ſich durch ſein Syſtem der wirbelloſen
[614]Periode der Morphologie.
Thiere, ſowie durch die Bearbeitung der foſſilen Weichthierreſte als be-
deutender Formenkenner eine rühmliche Stellung erarbeitet hat. Er
ſtarb 1829. Dem von Lamarck gegebenen Winke, Thiere nach dem
Vorhandenſein oder Fehlen von Wirbeln zuſammenzufaſſen, folgte
G. Cuvier zunächſt dadurch, daß er die vier höhern Claſſen Linné's
als mit Wirbeln verſehen, zu der Abtheilung der Wirbelthiere vereinigte.
Er that alſo zuerſt den Schritt, den ſchon Batſch gethan hatte (in den
Vorleſungen über vergleichende Anatomie, Bd. 1. 1800. S. 65) und
zwar in der Abſicht, dadurch einen Bauplan zu bezeichnen, während es
Lamarck nur auf die Unterſcheidung angekommen war21). Es folgte
dann im Jahre 1812 der wichtige Aufſatz über eine vorzunehmende neue
Verbindung der Thierclaſſen22). Es wird hier von Cuvier wieder mit
Bewußtſein, und zwar jetzt mit Recht, ausgeſprochen, daß die Ein-
theilungsart des Thierreichs der kürzeſte Ausdruck für die Summe der
Kenntniſſe ſein müſſe, daß alſo ferner auch die Einzelnheiten der Orga-
niſation ſich in den Gruppenbezeichnungen eingeſchloſſen erkennen laſſen
müſſen. Als Grund des Hauptfehlers, welcher den frühern Eintheilun-
gen anhieng bezeichnet er nun auch völlig richtig die Ungleichwerthigkeit
der ſogenannten Claſſen und hebt darauf bezüglich hervor, daß ſeine
frühere „Claſſe“ der Mollusken beinahe der ganzen Reihe der Wirbel-
thiere entſpreche. Vorzüglich unter Berückſichtigung des Nervenſyſtems,
welches ihm wie erwähnt die Geſtalt des ganzen Thieres zu beherrſchen
ſcheint, verbindet er nun die einzelnen Claſſen zu größern natürlichen
Gruppen und findet, daß es im Thierreiche vier Hauptzweige oder
Hauptformen oder „allgemeine Pläne gebe, nach denen die zugehörigen
Thiere modellirt zu ſein ſcheinen und deren einzelne Unterabtheilungen,
[615]Typenlehre. Cuvier.
wie dieſelben auch von den Naturforſchern bezeichnet werden mögen,
nur leichte, auf die Entwickelung oder das Hinzutreten einiger Theile
gegründete Modificationen ſind, in denen aber an der Weſenheit des
Planes nichts geändert iſt.“ Auch ſagt Cuvier ausdrücklich, daß die
einzelnen Claſſen dieſer Hauptzweige neben einander ſtehn, ohne eine
Reihe zu bilden und ohne eine beſtimmte Stellung über oder unter ein-
ander zu haben. Dieſe vier Baupläne ſind nach Cuvier die Wirbelthiere,
die Mollusken, die Gliederthiere (zu denen er außer den drei Arthro-
podenclaſſen als vierte noch die von Lamarck mit dem Namen der Anne-
liden bezeichnete Gruppe der rothblütigen Würmer bringt) und die
Zoophyten oder Strahlthiere. Zu letzterem Typus rechnet er noch die
Eingeweidewürmer (den Ausdruck vermes intestiniLinné's nun in
neuer Bedeutung faſſend) und die Infuſorien. Gegenüber dieſer ſchar-
fen Bezeichnung des Weſens und der Grenzen eines ſolchen Grund-
plans bei Cuvier braucht nur darauf aufmerkſam gemacht zu werden,
daß bei Lamarck die wirbelloſen Thiere in ſieben Claſſen getheilt werden,
welche mit den vier Wirbelthierclaſſen jene elf Claſſen bilden, in welche
nach ihm das ganze Thierreich zu theilen iſt. (Système etc. 1801.
p. 35); es iſt dabei von einem Plan oder Typus nicht die Rede; auch
bilden dieſe Claſſen eine Reihe, welche im Verhältniß zur fortſchreiten-
den Vereinfachung des Baues ſteht. Hervorzuheben iſt aber, daß La-
marck zum erſtenmale den Weg einſchlägt, vom Einfachen zum Zuſam-
mengeſetzten aufzuſteigen.
Obgleich im Grunde von nur formellem Belange verdient es doch
bemerkt zu werden, daß der ſpäter ſo geläufig gewordene Ausdruck
Typus von Blainville eingeführt wurde. Derſelbe gab 1816 die
Grundzüge einer neuen Claſſification des Thierreichs, worin (außer dem
früher ſchon gebrauchten Ausdruck Strahlthiere) zum erſtenmale die
Geſammtgeſtalt der Thiere zur Charakteriſirung größerer Abtheilungen
benutzt wurde. Blainville theilt zunächſt ſämmtliche Thiere in die drei
Unterreiche: die Zygo- oder Artiomorpha, die neuerdings ſeitlich
ſymmetriſch genannten, die Actinomorpha, die Strahlthiere, und die
Amorpha oder Heteromorpha, Thiere ohne regelmäßige Form. Das
erſte Unterreich zerfällt nun in die beiden Typen der Knochenthiere und
[616]Periode der Morphologie.
Knochenloſen, das zweite in die der gegliederten und ungegliederten
Strahlthiere; zum letzten gehören nur die beiden in keinem Typus ver-
einten Claſſen der Schwämme und Infuſorien. Die ungegliederten
Strahlthiere ſind nach Blainville in ihrer Stellung zweifelhaft; deshalb
bringt er ſie nochmals als fußloſe Formen bei den Entomozoen unter.
Blainville hat bei dieſer Anordnung doch eine Art von Reihe oder ver-
ſchiedene Grade der Verwandtſchaft im Sinne gehabt; er erklärt, daß
die Amorphozoen den Strahlthieren nicht ſo nahe ſtehn, als dieſe den
ſeitlich ſymmetriſchen Thieren. — Es iſt bezeichnend für die rein be-
ſchreibende Art der Vergleichung, welche Meckel anwandte, daß er
nur die Wirbelthiere als Typus anerkannte, während er bei der weitern
Eintheilung der Wirbelloſen auf die in der Wirbelloſigkeit liegende ne-
gative Charakteriſtik ſofort die Claſſenunterſchiede folgen ließ, ſo daß
er die Typen der Weich- und Gliederthiere nicht annimmt.
Betrachtet man die Cuvier'ſchen Typen und ihre Schilderung, ſo
fällt zunächſt auf, daß in die letztere nur feſtſtehende abgeſchloſſene
Formenverhältniſſe aufgenommen ſind, ohne der Biegſamkeit dieſer
Merkmale und damit des ganzen Typus zu gedenken. Ferner wurde
bereits erwähnt, daß Cuvier ausdrücklich gegen eine reihenförmige An-
ordnung der Claſſen innerhalb der Typen proteſtirt; ja, er ſagt ſelbſt
von den Unterabtheilungen, „daß nichts vorhanden ſei, was die Stel-
lung einer derſelben an den erſten Platz (primauté), über benachbarte
Unterabtheilungen, rechtfertigen könne“. Die einzelnen Formen wie die
Gruppen bis hinauf zu den Typen ſind für ihn eben feſt gegebene Mo-
mente, deren Zuſtandekommen oder Werden ihn nicht berührte. Zur
richtigen Auffaſſung der in den Typen vereinigten Formen und ihrer
gegenſeitigen Stellung, welche Cuvier im Ganzen unbeſtimmt läßt,
fehlte alſo noch das nothwendige, ſich auf die Ausdrucksweiſe des Typus
in den einzelnen Gruppen beziehende Moment. Den Mangel deſſelben
konnte nur ein Embryolog fühlen und erkennen. Carl Ernſt von
Baer gab es 23), deſſen anderweiter Einfluß ſogleich noch eingehend zu
[617]Typenlehre. v. Baer.
erwähnen iſt. Er rügt mit Recht an der Art, wie Cuvier die Aufſtel-
lung der Typen begründet, daß er von den gegliederten Thieren und
den Mollusken (man kann hinzufügen von den Wirbelthieren) außer
dem Typus ihrer Organiſation auch einen gewiſſen Grad der Ausbil-
dung verlangt, eine Forderung, die man nur an die einzelnen Claſſen
machen ſollte.“ Sehr richtig fügt er hinzu: „die Folge davon iſt, daß
alle niedrig organiſirten Thiere der ſtrahligen Form anheim fallen, ob-
gleich viele keineswegs ſtrahlig gebaut ſind.“ von Baer ſtellt nun die
ſeitdem immer allgemeiner anerkannte und in der neuſten Zeit eine
noch größere Bedeutung erhaltende Forderung, daß man die verſchie-
denen Organiſationstypen von den verſchiedenen Stufen der Ausbil-
dung ſtets unterſcheiden müſſe. Dieſen wichtigen, die Entwickelung der
thieriſchen Morphologie weſentlich fördernden Satz gründet von Baer
auf folgende, die Bedeutung der Typen eigentlich zum erſtenmale ſcharf
präciſirende Betrachtungen. Alle Verrichtungen des vollkommnen
thieriſchen Körpers geben zuſammen das Leben. Aber die gleichförmige
Gallertſubſtanz eines niederſten Thieres lebt gleichfalls in derſelben
Fülle der Verrichtungen; dieſelben gehen an ihr ſämmtlich gleichſam
gemeinſchaftlich vor ſich. Die erhöhte Entwickelung des thieriſchen
Körpers beſteht nun in der größeren Scheidung und mehr entwickelten
Selbſtändigkeit dieſer Verrichtungen, mit welcher auch eine größere
Differenzirung des Körpers in organiſche Syſteme und dieſer Syſteme
in einzelne mehr individualiſirte Abſchnitte verbunden iſt. Die Art und
Weiſe, wie dieſe Organe des thieriſchen Körpers unter einander ver-
bunden ſind, iſt von jener Entwickelung völlig unabhängig, und dieſe
Art der Verbindung der einzelnen Theile iſt das, was wir Typus
nennen. „Jeder Typus kann in höheren und niederen Stufen ſich
offenbaren; denn Typus und Entwickelungsſtufe zugleich determiniren
erſt die einzelne Form. Das gibt alſo Entwickelungsſtufen für jeden
Typus, die hier und da allerdings ziemliche Reihen bilden, doch nicht
in ununterbrochener Folge der Entwickelung und nie durch alle Stufen
23)
[618]Periode der Morphologie.
derſelben gleichmäßig.“ Das letztere wurde aus der ſo außerordentlich
einflußreichen Arbeit wörtlich mitgetheilt um zu zeigen, wie ſelbſt die
Keime zu den begründenden Momenten der neueſten Anſchauung von
der Art der Verwandtſchaftsverhältniſſe im Thierreiche auf ſie zurück-
geführt werden können. Die in Beiſpielen wenigſtens angedeutete
Ausführung ſeiner Anſicht iſt zwar in mehrfacher Hinſicht noch immer
äußerſt werthvoll; ſie ſtand aber natürlich unter dem Einfluſſe der
damals beſchränkteren Kenntniß vom Bau und vor Allem von der
Entwickelung der niedern Thiere. von Baer nimmt vier Typen an,
ſagt aber vorſichtig, daß ſich nur vier Typen zu offenbaren ſcheinen;
den Typus der in die Länge gezogenen, gegliederten Thiere, den Typus
der Strahlenförmigen, den Typus der Mollusken, den er den maſſigen
nennt, und den Typus der Wirbelthiere. „Die letzteren vereinigen den
gegliederten und Molluskentypus in ſich, in ihren animaliſchen und
vegetativen Organen.“ Eine eigenthümliche Verleugnung ſeines eben
aufgeſtellten Princips ſcheint es zu ſein, wenn von Baer zwiſchen den
Grundtypen noch verſchiedene Formen annimmt, welche entweder mit
ihrem Typus zwiſchen zwei Haupttypen in der Mitte ſtehen oder in der
einen Hälfte des Thiers nach dem einen, in der andern Hälfte nach
einem andern Typus geformt ſind. Bildet nämlich die Art der Ver-
bindung der einzelnen Organe zuſammen mit der ganzen Körpergeſtalt
des Thieres (welches letztere von Baer in der Bezeichnung ſeiner
Typen anerkennt) das Weſen des Typus, ſo kann nicht beiſpielsweiſe
in einem Thiere die eine Hälfte mit den Organen nach Art des maſſigen
Typus zuſammengepackt erſcheinen, während die andere ſich etwa ſtrah-
lig ordnet. Man wird einwenden wollen, daß derartige Uebergänge
nur zwiſchen gewiſſen Typen auftreten können. Dann hätte aber jene An-
nahme eine principielle und wie es ſcheint den Gedanken einer Reihe ein-
ſchließende Beſchränkung erfahren müſſen. Es weiſen übrigens die von
von Baer gewählten Beiſpiele auf die Quelle hin, der dieſe Auffaſſung
von Zwiſchentypen entſprungen iſt; es iſt dies die nicht gehörig ge-
ſicherte Umgrenzung der Haupttypen theils in Folge des Mangels an
ausgiebigen anatomiſchen, theils aber und vorzüglich an embryologi-
ſchen Nachweiſen.
[619]Entwickelungsgeſchichte.
Mit dieſer bedeutungsvollſten Arbeit über allgemeine Zoologie,
welche in der erſten Hälfte dieſes Jahrhunderts erſchienen iſt, war denn
nun nicht bloß die Lehre von den Typen ſicher gegründet, ſondern vor
Allem in eine Form gebracht, welche die directe Nutzung und weitere
Ausbildung ſofort ermöglichte. Noch waren aber die wichtigſten Vor-
arbeiten für die eine Hälfte der nun beſtimmt vorgezeichneten Aufgabe,
der vergleichenden Anatomie wie aller übrigen Zweige der Zoologie,
nur kaum begonnen. Die Entwickelungsgeſchichte war faſt noch zu
gründen. Und dies iſt das Feld, auf dem von Baer's Name wie-
derum hellleuchtend entgegenſtrahlt.
Entwickelungsgeſchichte.
Die Veränderungen, welche die Thiere von ihrer Geburt an bis
zur Reiſe durchlaufen, hatten für die Lehre vom Leben beſondere Auf-
ſchlüſſe zu geben verſprochen. Von den conſtitutionellen Verſchieden-
heiten, welche die Lebensalter des Menſchen darbieten, war man aus-
gegangen und hatte zunächſt die Veränderungen einzelner Organe
während jener beobachtet. Auffallende Metamorphoſen, wie die der
Inſekten, waren aber gleichfalls unterſucht, ihr conſtantes Verhältniß
zu gewiſſen Formenkreiſen nachgewieſen worden. Ein näheres Ein-
gehen auf die urſprüngliche Anlage im Ei und ſpätere Entfaltung ein-
zelner anatomiſcher Syſteme wurde dann vorzüglich durch das Dunkel
veranlaßt, von welchem der allmähliche Aufbau des menſchlichen Kör-
pers und beſonders die Bildung des menſchlichen Eies umgeben war.
Die Unterſuchungen von Haller, Wolff an bis zu Oken, Bojanus und
Andern aus jener Zeit betrafen beſonders die Veränderungen der Kör-
perform und von Einzelnheiten die Bildungsgeſchichte des Herzens und
der großen Gefäße, des Darms und der Betheiligung der Dotterblaſe
an derſelben, ſowie die verſchiedenen Eihüllen und anderes Aehnliche.
Die Phyſiologie hatte dabei in ähnlicher Weiſe wie aus der vergleichen-
den Anatomie ſo aus der Vergleichung der verſchiedenen Entwickelungs-
zuſtände eines und deſſelben Organs im Individuum und der Ent-
wickelung verſchiedener Thiere beſondern Vortheil ziehn zu können
gehofft und fieng an, embryologiſche Arbeiten in den Kreis ihrer Thä-
[620]Periode der Morphologie.
tigkeit zu bringen. Es zeigte ſich aber bald, daß die Thatſachen der Ent-
wickelungsgeſchichte neben den Momenten, welche das Zuſtandekommen
der Lebenserſcheinungen erklärten oder zu erklären ſuchten und welche
vorzugsweiſe dynamiſcher Art waren, faſt ganz unvermittelt daſtanden,
daß aber die vergleichende Anatomie ſelbſt unerwartete Aufklärungen
aus ihnen ſchöpfen konnte. Hiernach beſtimmte ſich die Richtung,
welche bei der Bearbeitung der Entwickelungsgeſchichte eingeſchlagen
wurde, beinahe von ſelbſt in der Weiſe, daß vorwaltend anfangs empi-
riſche Verhältniſſe über das Auftreten einzelner anatomiſcher Syſteme
und Organe in beſtimmten Thiergruppen klar geſtellt wurden und daß
ſich hieran einerſeits die Unterſuchungen über die Entwickelung derſelben
Syſteme durch größere Thierreihen und endlich ſolche über den gemein-
ſamen, der ganzen Entwickelung in dieſen Reihen zu Grunde liegenden
Plan ſchloſſen. Als nothwendiges Complement fiel dann noch der
letzten Unterſuchungsreihe der Ausgangspunkt aller Entwickelung, das
Ei ſelbſt, zu, deſſen Natur, Beſchaffenheit und Zuſammenhang nach-
gewieſen werden mußte, um dann ſpäter in Verbindung mit der Zellen-
lehre den Schlußſtein in die Lehre von der einheitlichen Zuſammenſetzung
aller Thiere zu fügen.
Zunächſt waren es die Wirbelthiere, beſonders die Säugethiere,
deren Embryonen und Eihüllen man unterſuchte, um die betreffenden
noch immer in ſehr widerſprechender Weiſe geſchilderten Verhältniſſe
beim Menſchen aufzuklären, während das leichter zugängliche Hühnchen
Aufſchlüſſe über die allmählichen Formveränderungen des Körpers und
einzelner Theile zu geben hatte. Aus einer Reihe von Abbildungen,
wie ſie Everard Home in ſeinen Vorleſungen von der Entwickelung
des letztern mittheilt, war freilich nicht viel mehr zu erſehn, als daß der
junge Vogel allmählich an Größe zunimmt. Daneben erſchienen aber
wichtige Einzeldarſtellungen; ſo unterſuchte Oken das Ei der Säuge-
thiere, und obgleich er manches entſchieden falſch deutete, ſo bildete doch
ſeine Arbeit in mehr als einer Beziehung den Wendepunkt in dieſem
Gebiete und feſſelte das Intereſſe einer großen Zahl von Forſchern an
dieſe Aufgabe. Es können von dieſen nur diejenigen erwähnt werden,
welche auch allgemeinere Vergleichungen berückſichtigten. Unterſuchun-
[621]Entwickelungsgeſchichte. Pander.
gen über Eihüllen und Placenta, wie ſolche von Döllinger und Sa-
muel, von Dutrochet, Cuvier, W. Hunter, Aleſſandrini
u. A. veröffentlicht wurden, galten vorzüglich dem äußern Verhalten
der an der Bildung der Eihüllen betheiligten Membranen. An die
lange Zeit für ſtreitig gehaltene Frage von dem Vorhandenſein einer
Nabel- oder Dotterblaſe beim Menſchen, welche jedoch ſchon W. Hunter
abgebildet hatte (1802), ſchloſſen ſich die weiteren Unterſuchungen über
die Bildung des Darmes aus der Dotterblaſe, welche beſonders von
Oken aufgenommen, von Emmert (mit Burgätzky und mit Hoch-
ſtetter), von Bojanus weitergeführt und auch in der ſofort zu er-
wähnenden Arbeit vom Grafen von Tredern eingehend berückſichtigt
wurde. Einzelnheiten der individuellen Entwickelung des höhern Wir-
belthierkörpers behandelnd erſchienen die Unterſuchungen über die Ent-
wickelung des Gehirns von Tiedemann und von Meckel, des
Auges von Kiefer, der Wolff'ſchen Körper von Roſenmüller
(1802), Oken (1806, nach ihm nannte Jakobſon ſpäter die Primor-
dialnieren Oken'ſche Körper) und J. Fr. Meckel (1815, mit J. C.
Müller). Aus dem doppelten Urſprunge der Aorta ſchloß Meckel be-
reits 1811 auf das vermuthlich frühe Vorhandenſein der Kiemenbogen
auch bei den luftathmenden Wirbelthieren. Die Bildung des Geſichtes,
der Mund- und Naſenöffnungen unterſuchte in äußerſt genauer Weiſe
der genannte Graf Ludwig Sebaſtian von Tredern24) und gab von
den Entwickelungsveränderungen der betreffenden Theile vorzügliche
Abbildungen in ſeiner Promotionsſchrift.
Aber erſt mit dem Jahre 1817 beginnt die eigentliche Entwicke-
lungsgeſchichte der Wirbelthiere mit dem Erſcheinen von Chriſtian
Heinrich Pander's Unterſuchungen. Dieſelben wurden zuerſt la-
teiniſch als Doctordiſſertation, dann als ſelbſtändige deutſche, mit Ab-
[622]Periode der Morphologie.
bildungen verſehene Schrift veröffentlicht; außerdem wurden dann noch
von Pander zu einzelnen Abſchnitten in der Iſis (1818, S. 512) er-
läuternde Bemerkungen (durch Oken's Kritik veranlaßt) ſowie ſchema-
tiſche Zeichnungen gegeben. Veranlaßt wurden die Unterſuchungen
durch Döllinger, welcher gegen den unter ſeiner Leitung mit zooto-
miſchen Arbeiten beſchäftigten C. E. von Baer äußerte, es wäre
äußerſt wünſchenswerth, daß ſich ein junger Mann finde, welcher die
Entwickelung des Hühnchens von Stunde zu Stunde der Bebrütung
ſorgfältig verfolge. Von Baer fand ſeinen Landsmann Pander hierzu
bereit25). Der ältere d'Alton übernahm es, ſich in die Unterſuchung
einzuarbeiten, um die bildliche Darſtellung des Gefundenen geben zu
können. So entſtand eine Arbeit, welche zwar an einzelnes von Wolff
Geſehene anknüpfte, aber doch in der ganzen Auffaſſung ſo neu war
und ſolche Umwälzungen in den bis dahin verbreiteten Vorſtellungen
hervorrief, daß ſelbſt ein mit embryologiſchen Unterſuchungen doch ver-
trauter Mann, wie es Oken war, in der oben ſchon angeführten Be-
ſprechung der Sache nicht recht trauen wollte. Durch Pander's Unter-
ſuchungen wurde zuerſt die Bildungsweiſe des Vogelkörpers aus drei
Blättern, in welche ſich die Keimhaut ſcheidet, nachgewieſen und der
eigenthümliche Gang der Modification eines jeden derſelben wenigſtens
angedeutet. So überaus werthvoll Pander's Arbeit war als erſter
Nachweis einer von Wolff höchſtens geahnten Bildungsweiſe des Vogel-
körpers, ſo erlangte die in derſelben niedergelegte Lehre doch erſt durch
die Ausführungen und Erweiterungen, welche ihr C. E. von Baer
gab, ſo wie durch ihre theoretiſchen Verwerthungen durch denſelben ihre
eigentliche Bedeutung und ihren großen Einfluß. Carl Ernſt von
Baer, geboren am 28. Februar 1792 in Piep in Ehſtland, ſtudirte
[623]Pander. v. Baer.
von 1810 an in Dorpat, wo er Burdach's Zuhörer war, wurde 1814
daſelbſt Doctor, gieng darauf nach Wien und 1815 nach Würzburg,
um bei Döllinger vergleichende Anatomie zu treiben. An letzterem Orte
war er noch Zeuge der von Pander begonnenen Unterſuchungen über
die Entwickelung des Hühnchens. Nachdem er den Winter 1816 zu
1817 in Berlin zugebracht hatte, trat er im Sommer 1817 die Stelle
als Proſector an der unter Burdach's Leitung neu gegründeten anato-
miſchen Anſtalt in Königsberg an, wurde daſelbſt 1819 außerordent-
licher und 1822 ordentlicher Profeſſor der Naturgeſchichte, beſonders
der Zoologie26) an Stelle Schweigger's. Nach einem vorübergehenden
Aufenthalte in Petersburg im 1830 ſiedelte von Baer 1834 ganz dahin
über, wo er Mitglied der Akademie der Wiſſenſchaften geworden war.
Jetzt genießt er nach einer äußerſt erfolgreichen Thätigkeit auf dem Ge-
biete der Evolutionslehre die Ruhe des durch keine ſchweren Involu-
tionszuſtände getrübten Alters an dem Orte ſeines einſtigen wiſſen-
ſchaftlichen Ausgangs, in Dorpat. Pander hatte in Umriſſen gezeigt,
wie die Körperform des Hühnchens ſich allmählich aus der platten
Keimſcheibe entwickelt und wie die Spaltung derſelben in die drei Blät-
ter der erſte einleitende Schritt hierzu iſt. von Baer dehnte die
embryologiſchen Unterſuchungen nicht bloß auf die übrigen Wirbel-
thierclaſſen aus, ſondern wies auch ſofort, das Geſetzmäßige des Ent-
wickelungsvorgangs überhaupt betonend, auf die mehrfachen Sonderun-
gen hin, welche am Keime auftreten. Die Spaltung des Keimes in
Blätter als primäre Sonderung bezeichnend erfaßte er die genetiſche
Bedeutung des Materials nach den beiden Richtungen hin, welche in
den folgenden Jahren ſo fruchtbar an Reſultaten wurden, indem er
neben der morphologiſchen Sonderung auch auf die hiſtiologiſche Son-
derung in den Embryonalanlagen aufmerkſam machte. In Bezug auf
die erſtere iſt es von beſonderer Wichtigkeit, daß von Baer zeigte, wie
[624]Periode der Morphologie.
die Blätter des Keims ſich zur Bildung der beiden im Wirbelthierkörper
vorhandenen Röhren, dem Nerven- und Darmrohre, eigenthümlich
umgeſtalten, wie dann an dieſen Centraltheilen durch Entwickelung
einzelner Abſchnitte die Reihe jener individuellen Formen auftritt,
welche in ſpäterer Zeit beſondere Verrichtungen haben, aber doch nur
untergeordnete Glieder der Geſammtfunction des ganzen Fundamental-
oder Primitivorgans ſind. von Baer wies hierbei nach, wie an dem
ſich in Hirn und Rückenmark ſondernden Nervenrohre die Sinnesorgane
ſich als Ausſtülpungen, an dem ſich in Mundhöhle, Munddarm, Mit-
teldarm und Enddarm ſondernden Darmrohre der Athmungsapparat,
die Leber, die Allantois durch vermehrtes Wachsthum an einzelnen
Stellen deſſelben entwickeln. Vor Allem ſind die aus der Entwickelungs-
geſchichte der einzelnen Claſſen gefolgerten allgemeinen Betrachtungen
über die Morphologie der Wirbelthiere von der größten Bedeutung, da
hier zum erſtenmale der Wirbelthiertypus genetiſch erfaßt und von dieſem
Geſichtspunkte aus eingehend dargeſtellt wurde. Von dieſen außer-
ordentlich fruchtbaren Unterſuchungen ſei hier nur noch hervorgehoben,
daß von Baer bereits ganz ausdrücklich auf den Unterſchied in der
Entwickelung zwiſchen den höhern und niedern Wirbelthieren hinweiſt
und auf das Fehlen des Amnios und der Allantois ſowie auf den an
Stelle der letzteren auftretenden äußern Athmungsvorgang in den
Kiemen bei den letzteren aufmerkſam macht; er begründet alſo die Stel-
lung der beiden großen Gruppen genau in der Weiſe, wie es erſt neuer-
dings allgemein eingeführt zu werden beginnt. Wie ferner von Baer
in die Betrachtungsweiſe des Wirbelthierkörpers den Begriff des mor-
phologiſchen Elements (z. B. für die aufeinanderfolgenden Abſchnitte
des Knochen-, Muskel- und Nervenſyſtems) einführt, ſo nimmt er auch
urſprünglich gleiche hiſtiologiſche Elemente an, welche bei der, mit der
primären und morphologiſchen Sonderung parallel gehenden hiſtiolo-
giſchen Sonderung ſich in die verſchiedenen Gewebe des Thierkörpers
verwandeln. Er war dabei der modernen Auffaſſung der Elementar-
theile in ſofern näher als der Schwann'ſchen Lehre, als er ſich von
einer Zurückführung der verſchiedenen Erſcheinungsformen jener auf
eine ſchematiſirte Grundform fern hielt. Indeß fehlte ihm noch der
[625]Heinrich Rathke.
Nachweis der genetiſchen Continuität der Elementartheile, wenn ſchon
er auch in Bezug hierauf eine Reihe werthvoller Beobachtungen machte,
wovon ſehr bald die Rede ſein wird.
Der ſeit Anfang dieſes Jahrhunderts erwachte Eifer für Entwicke-
lungsgeſchichte und die ſich von dieſer aus eröffnenden Einblicke in das
Geſetzmäßige des thieriſchen Baues riefen gleichzeitig mit von Baer die
Thätigkeit eines Mannes hervor, welcher beſonders für die Morpho-
logie der Wirbelthiere, aber nicht bloß für dieſe von bahnbrechender
Bedeutung geworden iſt. Martin Heinrich Rathke war am 25.
Auguſt 1793 in Danzig geboren, ſtudirte von 1814 bis 1817 in Göt-
tingen, gieng dann nach Berlin und promovirte hier im folgenden Jahre.
Nachdem er mehrere Jahre in ſeiner Vaterſtadt prakticirt und daneben
eifrigſt in Entwickelungsgeſchichte und vergleichender Anatomie gear-
beitet hatte, folgte er 1829 einem Rufe nach Dorpat als Profeſſor der
Anatomie, kehrte jedoch ſchon 1835 nach Königsberg zurück, um an
von Baer's Stelle die Profeſſur der Zoologie und Anatomie anzutreten.
Er ſtarb hier am 15. September 1860, an dem Tage, an dem er die
ſich in Königsberg verſammelnden Naturforſcher Deutſchlands begrüßen
ſollte. Rathke's Arbeiten ſind deshalb ſo wichtig geworden, weil ſie
einmal mit vollem Verſtändniß der vorliegenden Aufgaben ausgeführt
wurden, und dann, weil ſie nicht bloß zuſammenhangloſes Material
darbieten, ſondern die Thatſachen ſofort verarbeitet ſchildern. Iſt man
auch ſpäter in Bezug auf einzelnes Thatſächliche weiter gekommen, ſo
zeichnete Rathke doch faſt überall, wo er unterſuchte, die Bahn vor.
In ſeinen zahlreichen Einzelnarbeiten gründet er die morphologiſche Un-
terſuchung der Thiere planmäßig auf deren Entwickelungsgeſchichte.
Die Embryologie und vergleichende Anatomie der Wirbelthiere ſpeciell
dankt ihm mehrere ſehr wichtige Nachweiſe, ſo die Erkenntniß der Be-
deutung der von ihm ſo genannten Wolff'ſchen Körper, das Vorhanden-
ſein von Schlundſpalten bei den Embryonen auch der höheren, luft-
athmenden Wirbelthiere, wie er auch die Entwickelungsgeſchichte und
Anatomie der Fiſche durch Unterſuchung mehrerer beſonders intereſſan-
ter Formen bereichert hat. An dieſe zum Theil ſchon während ſeines
Aufenthalts in Danzig begonnenen oder vollendeten Arbeiten reihen
V. Carus, Geſch. d. Zool. 40
[626]Periode der Morphologie.
ſich ſpätere, durch welche der Kreis der von ihm auf Entwickelung un-
terſuchten Wirbelthiere vollſtändig wird. Mit der Entwickelungsge-
ſchichte der Natter, der Schildkröten und der Krokodile ſchloß er nach
dieſer Seite das durchforſchte Gebiet ab. — In der Entwickelungsgeſchichte
der Wirbelthiere führten zunächſt die Arbeiten Joh. Müller's über
die Genitalorgane und über die Drüſen weiter, während die Entdeckung
der Kiemenbogen von Emil Huſchke und von Baer beſtätigt und
erweitert wurde. Für Wirbelloſe fehlten noch Arbeiten, welche die Be-
theiligung des Dotters und das Verhalten des Keims in ähnlicher Weiſe
aufklärten, wie Pander's Unterſuchungen Licht auf die Art der Wirbel-
thieranlage zu werfen begonnen hatte. Rathke hat nun zwar nicht ganz
ſo ausgedehnte, aber darum nicht minder wichtige Unterſuchungen auch
über die Entwickelungsgeſchichte der Wirbelloſen, beſonders der Glieder-
thiere, angeſtellt. Das ſchon früher über die Verwandlung der Schmet-
terlinge Bekannte hatte allerdings 1815 Herold27) etwas weiter ge-
führt, indem er die Umgeſtaltungen einzelner Organe während des
Larvenlebens verfolgte. Indeß hatte derſelbe durch ſeine Unterſuchun-
gen über die Entwickelung des Spinneneies (1824) trotz des großen
auf die Arbeit verwandten Aufwandes eigentlich nichts weiter ſicher
geſtellt, als daß der Embryo eine andere Lage gegen den Dotter hat,
als der Embryo der Wirbelthiere. Merkwürdige Formveränderungen
während der Entwickelung niederer Kruſter waren durch L. Jurine
(1820) bekannt geworden. Dieſen Einzelnerfahrungen gegenüber tritt
auch hier Rathke mit ſeinem Werke über die Entwickelung des Fluß-
krebſes (1829) grundlegend auf. Durch Ausdehnung der Unterſuchung
auf andere, beſonders niedere Kruſtenthiere wurde er ferner auf den
für die genetiſche Betrachtung der Gliederthiere ſo fruchtbaren Gedanken
der rückſchreitenden Metamorphoſe geführt, welcher allerdings für das
Verſtändniß der betreffenden Verhältniſſe nur ein Durchgangsmoment
iſt, aber zur Weiterführung deſſelben weſentliche Dienſte geleiſtet hat.
Die Entwickelungsgeſchichte anderer Formen von wirbelloſen
[627]Entwickelungsgeſchichte.
Thieren war gleichfalls von mehreren Forſchern unterſucht worden;
indeß dauerte es hier verhältnißmäßig länger, ehe in gleicher Weiſe wie
für die eben angeführten Claſſen das Geſetzmäßige und die zuweilen
wunderbare Complication beim Aufbau der einzelnen Typen gefunden
wurde. Nachdem bereits 1815 Sal. Friedr. Stiebel die Entwicke-
lung einzelner Gaſtropoden verfolgt hatte, aus welcher dann 1825
Rob. Edm. Grant Einzelnes (Wimpern der Embryonen) unterſuchte,
gaben C. G. Carus und von Baer die erſten Umriſſe zur Embryo-
logie der Acephalen. Im Jahre 1828 ſchilderte Henri Milne Ed-
wards zuerſt die merkwürdigen cercarienförmigen Jugendformen der
zuſammengeſetzten Ascidien28), während faſt gleichzeitig C. G. Carus
Einzelnes aus der Entwickelungsgeſchichte der einfachen Seeſcheiden
mittheilte. Schon 1819 hatte Adelbert von Chamiſſo den wun-
derbaren Wechſel der Formen in den beiden regelmäßig alternirenden
Generationen der Salpen beſchrieben, ohne damit die Aufmerkſamkeit
der Forſcher zu reizen. Selbſt von Baer geſteht ſpäter, daß ihm
Chamiſſo's Mittheilungen ganz fremdartig erſchienen ſeien. Es war
nun aber auch für die niedern Thiere wiederum C. E. von Baer,
welcher die Einzelnunterſuchungen zuſammenfaſſend zuerſt verſchiedene
Entwickelungstypen aufſtellte und damit die Beziehung der Entwicke-
lungsgeſchichte zur Morphologie von Neuem ſicher ſtellte.
Der hier beſprochenen Zeit gehören noch zwei weitere für die all-
gemeine Auffaſſung der Entwickelungserſcheinungen äußerſt wichtige
Beobachtungsreihen an. Es galt nämlich zunächſt, den Ausgangspunkt
aller Entwickelung, das Ei, näher kennen zu lernen und ſein Verhältniß
zu den Formbeſtandtheilen des entwickelten Körpers zu beſtimmen.
Man kannte das Ei der Vögel, Fröſche, Fiſche, ebenſo die Eier mehrerer
niedern Thiere, konnte ſich aber über die formale Bedeutung der in
dem Ei vorliegenden Subſtanz keine Rechenſchaft geben. Nament-
lich fehlte der Nachweis der Gleichartigkeit der erſten Bildung und ur-
ſprünglichen Form des Eies. Ueber die Entſtehung des Säugethiereies
machte man ſich oft die wunderbarſten Vorſtellungen. Den wichtigſten
40*
[628]Periode der Morphologie.
Schritt zur richtigen Beurtheilung des Materials, an welchem die Ent-
wickelung verläuft, machte C. E. von Baer durch die Entdeckung des
Eies der Säugethiere. Die von Regner de Graaf beſchriebenen und
von ihm für die wahren Eier gehaltenen Follikel des Eierſtocks hatten
verſchiedene Forſcher nach der Begattung berſten geſehn (Kuhlmann
1750, W. Cruikſhank 1797, Prevoſt und Dumas 1822, u. A.).
Auch hatten Cruikſhank und Prevoſt und Dumas wahrſcheinlicherweiſe
das wahre Ei bald nach dem Austritt aus dem Follikel, ſogar im Eier-
ſtocke ſelbſt geſehn. Doch war man im Allgemeinen immer noch der
Anſicht zugethan, daß ſich aus dem ausgetretenen Follikelinhalte erſt in
den Tuben unter Einwirkung des männlichen Samens der eigentliche
Keim bilde. Da trat von Baer 1827 mit dem Nachweiſe des Eies
innerhalb des Follikels auf und zeigte damit, daß auch bei den Säuge-
thieren das Ei vorgebildet im Eierſtocke enthalten ſei, daß alſo daſſelbe
Bildungsgeſetz durch das ganze Thierreich herrſche. Zur Förderung
der Kenntniß der Natur des Eies trug dann weſentlich bei, daß Joh.
Evang. Purkinje 1825 im Vogelei das Keimbläschen entdeckt
hatte; von Baer wies dann deſſen Exiſtenz 1827 in den Eiern des
Froſches, der Mollusken, Würmer und Gliederthiere nach, Purkinje
ſelbſt bei den Entozoen und Arachniden und endlich 1834 Coſte bei den
Säugethieren, was kurz darauf ſelbſtändig auch von Wharton Jones
gefunden wurde. von Baer ſelbſt hatte es hier nicht ſicher erkannt.
Zuletzt fand dann Rudolph Wagner 1835 den Keimfleck und
wies ſein Vorkommen in den Eiern vieler Thierclaſſen nach. Weitere
Beiträge zur genaueren Kenntniß des Säugethiereies gaben noch Va-
lentin (in Ad. Bernhardt's Diſſertation, 1835) und K. Krauſe,
welcher zuerſt die Dotterhaut beſchrieb (1837). Allmählich bereitete
ſich die Erklärung dieſer verſchiedenen Funde vor. Von beſonderer Be-
deutung war zunächſt noch eine andere Entdeckung, deren Wichtigkeit
für die ganze Theorie des Aufbaues thieriſcher Körper zwar nicht ſo-
fort erkannt wurde, deren Erkenntniß ſogar durch Schwann's Zellen-
bildungstheorie für kurze Zeit gehemmt wurde, welche aber die inzwiſchen
erlangten Aufſchlüſſe über die wahre Natur und die Zuſammenſetzung
des Eies und ſeine Beziehung zu den ſpäteren Formelementen des
[629]Zellentheorie.
Thierkörpers überraſchend vervollſtändigte, die Entdeckung des Fur-
chungsproceſſes. Die Erſcheinungen deſſelben beobachtete zuerſt
Prevoſt und Dumas 1824 am Froſchei29), an welchem dann 1834
von Baer den Vorgang eingehend unterſuchte. Rusconi fand 1836
die Furchung bei Fiſcheiern, damit zum erſtenmale auch einen partiellen
Furchungsproceß nachweiſend. Für wirbelloſe Thiere war das Vor-
kommen des gleichen Proceſſes nur andeutungsweiſe aus einigen Mit-
theilungen E. H. Weber's über den Blutegel erſchloſſen worden, bis
ihn 1837 C. Th. E. von Siebold bei zahlreichen Eingeweidewür-
mern deutlich beobachtete. Durch alle dieſe Aufklärungen waren nun
die Grundlagen gegeben zum nähern Verſtändniß des durch die Ent-
wickelung ſämmtlicher Thiere hindurchgehenden einheitlichen Verhaltens
der Elementartheile. Um dieſelben zu einer befruchtenden Theorie ver-
werthen zu können, fehlte nur noch ihre planmäßige Zuſammenſtellung.
Dieſe wurde aber erſt möglich, nachdem man über die Elementartheile
ſelbſt zu einer beſtimmten Anſicht gelangt war. Es muß daher auch
mit kurzen Worten der Entwickelung der Zellenlehre gedacht werden.
Zellentheorie.
Die Zuſammenſetzung des Thierkörpers aus einer verhältnißmäßig
geringen Zahl gleichartiger, aber in mannichfacher Verbindung und
Anordnung erſcheinender Gewebe war von Bichat geſchildert worden.
Die allmähliche weitere Verbreitung der Mikroſkope führte zu einem
immer tieferen Eindringen in die jenen Geweben zu Grunde liegenden
Bildungselemente. So lange aber in Folge der Unvollkommenheit der
optiſchen Hülfsmittel Trugbilder entſtanden und beiſpielsweiſe faſt alle
mikroſkopiſchen Formbeſtandtheile aus Reihen von Kügelchen zuſammen-
geſetzt erſchienen, ſtand natürlich die Erklärung des Geſehenen unter
dem Einfluſſe der erſt nach und nach als ſolcher erkannten derartigen
Täuſchungen. Und nachdem man ſpäter wirklich in den verſchiedenſten
Theilen Faſern, Platten, Körnchen und Zellen zu erkennen gelernt hatte,
konnte der genetiſche Zuſammenhang dieſer Formen unter einander nicht
[630]Periode der Morphologie.
eher verſtanden werden, bis die Grundform der Entwickelung jener
ganzen Reihe nachgewieſen war. von Baer hatte zwar, wie erwähnt,
hiſtiologiſche Elemente angenommen, ohne jedoch ihre Lebenserſcheinun-
gen nach Form und Leiſtung ſchärfer zu beſtimmen. Bei der Schilde-
rung des Pflanzenbaues war man dagegen ſchon ſeit langer Zeit von
Zellen zu ſprechen gewohnt; man kannte die Zuſammenſetzung der
Pflanzen aus Elementartheilen, deren eigentlich lebendige Subſtanz in
einer Membran eingeſchloſſen lag und welche allgemein Zellen genannt
wurden. Johannes Müller machte (1835) auf die Analogie der
Zellen der Chorda dorſalis mit den Pflanzenzellen aufmerkſam und
fügte den erſteren als gleichartige Gewebe noch die Zellen des Glas-
körpers, die Pigmentzellen des Auges und die Fettzellen hinzu; auch
ſah derſelbe den Kern der Knorpelzellen. G. Valentin fand den Kern
der Epidermiszellen; J. Henle verfolgte den gefäßloſen, zelligen Bau
der Epithelien, von denen bereits Purkinje einzelne Formen geſchil-
dert hatte. Werneck erkannte den Bau der Linſe aus Zellen. Nach
ſolchen einzelnen Mittheilungen, welche ſämmtlich anzuführen hier nicht
der Ort iſt, war es für die weitere Ausbildung der Lehre von den Ele-
mentartheilen der thieriſchen Körper von großer Bedeutung, daß für
die Lebenserſcheinungen der Pflanzenzellen von M. J. Schleiden
im Jahre 1838 eine Theorie aufgeſtellt wurde, welche die Zelle als
Ausgangspunkt aller, auch der ſpäter nicht zelligen Theile des Pflanzen-
körpers nachwies. Es iſt das Verdienſt Theodor Schwann's30),
nicht bloß die einzelnen Beobachtungen über thieriſche Zellen geſammelt,
ſondern auch ſelbſt die Entwickelung vieler Gewebe auf die Betheiligung
der Zellen dabei unterſucht und ſämmtliche Thatſachen zu einer Theorie
der thieriſchen Zelle verwerthet zu haben. Er ſprach 1839 aus, „ daß es
ein gemeinſames Entwickelungsprincip für die verſchiedenſten Elementar-
theile der Organismen gibt, und daß die Zellenbildung dieſes Ent-
wickelungsprincip iſt.“ So richtig im Allgemeinen dieſer Ausſpruch
war, ſo gieng Schwann doch in zwei Punkten bei ſeinen theoretiſchen
[631]Schwann. Dujardin.
Verallgemeinerungen zu weit. Während nämlich Schleiden bei den
Pflanzen die Zellenbildung als innerhalb bereits beſtehender Zellen vor
ſich gehend ſchildert, nimmt Schwann nicht bloß die Möglichkeit einer
Zellenbildung auch außerhalb anderer Zellen an, ſondern hält dieſe
Bildungsweiſe für die weitaus häufigſte. Das Grundphänomen bei
der Zellenbildung iſt nach ihm folgendes: „es iſt zuerſt eine ſtructurloſe
Subſtanz da, welche innerhalb oder zwiſchen ſchon vorhandenen Zellen
liegt. In dieſer Subſtanz bilden ſich nach beſtimmten Geſetzen Zellen, “
d. h. es entſteht zuerſt das Kernkörperchen, um welches ſich der Kern
niederſchlägt; und um dieſen endlich bildet ſich die Zelle. Der andere
Punkt betrifft die Form der Zelle, für welche Schwann das Schema
aufſtellt, daß eine jede aus Membran, Inhalt und Kern mit Kernkör-
perchen beſtehe. Was zunächſt dieſe enge Umgrenzung des Begriffs der
Zelle betrifft, ſo war bereits vor Schwann (1835) durch die von Felix
Dujardin beſchriebene „Sarcode“ von niedern Thieren eine Erſchei-
nungsform lebender Subſtanz bekannt, aber allerdings nur wenig be-
achtet worden, welche nicht mit dem Schwann'ſchen Zellenſchema in
Uebereinſtimmung zu bringen war. Weitere Unterſuchungen dieſer
Subſtanz, welche vorübergehend zu einer zu einſeitigen Hervorhebung
der Contractilität aller Zellen führte, bahnten allmählich der heutigen
Auffaſſung der Zelle als eines Protoplasmagebildes Eingang, welches,
in Bezug auf ſeine Form in weniger enge Grenzen eingeengt als ſie die
Theorie wollte, ſich mehr dem Begriffe eines hiſtiologiſchen Elementes
im Sinne C. E. von Baer's nähert, obſchon ein ſolches ſelbſtverſtänd-
lich nicht mit einer Zelle in der neuern Auffaſſung zu identificiren iſt.
Bei der Schilderung der verſchiedenen Auffaſſungen des Infuſorien-
baues wird der Verſuche gedacht werden, dieſe Formen im Anſchluß an
den in den Zellen erkannten Ausgangspunkt thieriſcher Entwickelung
für iſolirte einzelne Zellen zu erklären. Von gleich großer Tragweite
waren die Unterſuchungen über Zellenbildung und über den Zuſammen-
hang der im entwickelten Thiere auftretenden zelligen Gewebe mit den
im Ei nachweisbaren zellenähnlichen Gebilden. Von dieſem Geſichts-
punkte aus mußte natürlich der Furchungsproceß die größte Aufmerk-
ſamkeit erregen. Gleich die erſten embryologiſchen Arbeiten, welche
[632]Periode der Morphologie.
nach dem Erſcheinen von Schwann's Buche veröffentlicht wurden, die
Entwickelungsgeſchichte des Kaninchens von Theod. Ludw. Wilh.
Biſchoff und des Froſches von Karl Bogisl. Reichert hoben den
genetiſchen Zuſammenhang der in die Gewebe ſich umwandelnden Em-
bryonalzellen mit den Furchungskugeln hervor. Carl Vogt ſuchte
zwar 1842 in der Entwickelungsgeſchichte der Geburtshelferkröte nach-
zuweiſen, daß die letzteren ſich ſämmtlich auflöſen und daß aus der nun
gebildeten ſtructurloſen Subſtanz ſich nach Schwann's Geſetzen die
Zellen bilden. Doch hat Albert Kölliker 1844 bei Gelegenheit der
Unterſuchung der Gewebeentwickelung der Cephalopoden dieſe Unter-
brechung der genetiſchen Reihe durch wiederholte Beobachtung des
Uebergangs der Furchungskugeln in Gewebezellen bei Thieren verſchie-
dener Claſſen als unhaltbar zurückgewieſen und, wie Reichert, den
ununterbrochenen Zuſammenhang der zelligen Formen von der Eizelle
bis zu den entwickelten Geweben im fertigen Thiere dargethan.
Es war nun durch die mit Schwann einen vorläufigen Abſchluß
findenden hiſtiologiſchen Unterſuchungen nicht bloß einer der wichtigſten
allgemeinen Grundſätze für die Beurtheilung der urſprünglich gleich-
artigen Structur der verſchiedenſten Thiere dargelegt, es war ferner
durch dieſelben nicht bloß eine mächtige Anregung für die ſorgfältige
Verfolgung der embryologiſchen Vorgänge und der dabei auftretenden,
bereits von von Baer hervorgehobenen hiſtiologiſchen Differenzirung
gegeben, ſondern es hatte auch in der Schwann'ſchen Zellenbildungs-
theorie die Unterſuchung eine beſtimmte Richtung erhalten. Die Be-
deutung, welche die Erkenntniß des mikroſkopiſchen Baues der Organe
allmählich gewonnen hatte, äußerte noch einen weiteren für die allge-
meine Morphologie direct verwerthbaren Einfluß auf die ganze Betrach-
tungsweiſe höherer wie beſonders niederer Thiere. Carl Friedrich
Heuſinger hatte allerdings ſchon 1822 in ſeinem Syſtem der Hiſto-
logie31) die Gewebe im Bichat'ſchen Sinne nach ihrem Verhalten in
den verſchiedenen Thierclaſſen geſchildert. Ein Fortſchritt in dieſer
[633]Kölliker. Reichert.
Richtung war indeß wiederum abhängig von dem Stande der verglei-
chenden Anatomie. Die Vergleichung, welche ſich urſprünglich nur auf
Wirbelthiere beſchränkt hatte, war weiter geführt worden, und je mehr
niedere Formen man in ihren Kreis gezogen hatte, deſto mehr trat die
Thatſache hervor, daß die organologiſche Sonderung einfacher, der
ganze Bau des Thieres gleichartiger wurde. Schien hierdurch die An-
ſicht neue Unterſtützung zu finden, daß das Thierreich in ſeinen niedern
Gliedern die Embryonalformen höherer Thiere wiederhole, ſo gab vor
Allem das Mikroſkop darüber Aufſchluß, daß die Gleichartigkeit des
Baues ſich nur auf die eine Form der am Wirbelthierembryo beobachte-
ten Differenzirung bezieht, daß dagegen da, wo die Spaltung des Kör-
pers in Organe und Syſteme, gewiſſermaßen die extenſive, zurücktritt,
eine andere wichtige, ſo zu ſagen intenſive Verſchiedenartigkeit der thie-
riſchen Subſtanz nachweisbar wird. Da die Grunderſcheinungen des
Lebens überall gleich ſind, die höheren Thiere nur durch eine ſehr weit
ausgeführte Theilung der Functionen und damit in Verbindung ſtehende
mannichfach differenzirte Organiſation ausgezeichnet ſind, ſo mußte bei
den niederen Thierformen die Verſchiedenartigkeit der Textur der ein-
zelnen weniger zahlreichen Organe in einem gewiſſen Sinne das erſetzen,
was ihnen an Organentfaltung gebrach. Es wurde daher die Kenntniß
der Entwickelungsfähigkeit der einzelnen Zellen, als hiſtiologiſcher Ele-
mente, der Schlüſſel zum Verſtändniß des Baues und des Lebens der
einfachern Thiere.
Morphologie und vergleichende Anatomie.
Hatte ſich früher die Vergleichung thieriſcher Formen mit einander
auf den Nachweis der Uebereinſtimmung der organiſchen Grundlagen
für beſtimmte [Functionen] bezogen, ſo war durch die von Cuvier einge-
führten Typen und noch mehr durch den embryologiſchen Standpunkt,
welchen von Baer bei Betrachtung dieſer einzunehmen gelehrt hatte, den
vergleichenden Unterſuchungen eine neue ſelbſtändige wiſſenſchaftliche
Richtung und Aufgabe vorgezeichnet. Die Fortſchritte in der Erkennt-
niß der Entwickelung und des elementaren Baues der Thiere hatten in
Verbindung mit der eigentlichen Zergliederung das der Erklärung Be-
[634]Periode der Morphologie.
dürftige ſchärfer erkennen laſſen und damit einer weitern Auffaſſung
deſſen vorgearbeitet, was man unter thieriſcher Form zu verſtehen habe.
Je mehr ſich aber unter Einwirkung der im Vorſtehenden geſchilderten
Momente die Thatſachen vervielfältigten, deſto natürlicher war es, daß
dieſe Häufung des Materials den Fortſchritt im Allgemeinen etwas
verlangſamte. Die gleichzeitig in weitem Umfange eingeführten neuen
Unterſuchungsweiſen hatten eine ſolche Fülle bisher unbekannter Ver-
hältniſſe zu Tage gefördert, daß ſich das Intereſſe an dem Thierleben
mit der Kenntnißnahme und naturhiſtoriſchen Sammlung und Ordnung
jener befriedigte. Wie in der Entwickelungsgeſchichte der Wiſſenſchaft
im Ganzen folgte daher auch beim Anbrechen dieſer neueren Zeit dem
Aufleben, oder eigentlich der Neugründung der Zoologie eine Periode
der encyclopädiſchen Darſtellungen, welche unter Benutzung der über-
kommenen Lehrweiſen eine ſyſtematiſche Form annahmen. Neben ihnen
traten aber Leiſtungen auf, welche als ſicherer Erwerb der Erkenntniß
und als wirkliche Fortſchritte der Wiſſenſchaft den Gang bezeichnen,
welchen der ruhige Fluß der Wiſſenſchaft unbeirrt um die höher gehen-
den Wogen an ihrer Oberfläche einzuſchlagen hatte und auch einge-
ſchlagen hat. Die Bedeutung dieſer Arbeiten liegt alſo in dem Zuſam-
menfalle ihres Ziels mit dem der Wiſſenſchaft ſelbſt; ſie ſprechen für
ſich ſelbſt; aber auch jene umfaſſenderen Sammelwerke haben meiſt
einen nicht zu unterſchätzenden Werth. Denn wenn ſie auch aus gleich
zu erwähnenden Gründen weitaus mehr zootomiſches Material mit-
theilen als wirklich vergleichende Anatomie, ſo trugen ſie doch weſentlich
dazu bei, die Anerkennung der Lehre von der thieriſchen Form als ſelb-
ſtändige, von der Phyſiologie durch ihr Ziel und ihre Methode ver-
ſchiedene, unabhängige und ihr, in ihrer neuern Richtung beſonders,
nur coordinirte Wiſſenſchaft zu fördern und die wiſſenſchaftliche Auf-
faſſung der thieriſchen Form allgemeiner zu verbreiten.
Von den thieriſchen Typen war der der Wirbelthiere nicht bloß der
am früheſten erkannte und am beſten bekannte, ſondern auch der, welcher
wegen der verhältnißmäßig engen und leichter zu überſehenden Form-
grenzen am erſten zu einer allſeitig wiſſenſchaftlichen Durcharbeitung
aufforderte. Beziehungen zu andern Typen lagen anfangs gar nicht
[635]Johannes Müller.
vor. Die Entwickelungsgeſchichte von Repräſentanten einzelner Abthei-
lungen war ziemlich früh ſchon bearbeitet worden. Die Möglichkeit,
die Structurverhältniſſe der verſchiedenen Claſſen auf einander zurück-
zuführen, ſchien daher zunächſt mit geringeren Schwierigkeiten verbun-
den als bei andern Typen. Bei den wirbelloſen Thieren waren alle
dieſe Momente verſchieden, ſo daß man ſogar ſagen konnte, es könne
eine vergleichende Anatomie ſtreng genommen nur von Wirbelthieren
gegeben werden. Für die Aufklärung der Geſetzmäßigkeit des Baues
der Wirbelthiere war in erſter Reihe Heinrich Rathke thätig.
Schon die oben erwähnten embryologiſchen Arbeiten dieſes Mannes
ſind als morphologiſche Leiſtungen wichtig. Ihnen ſchloſſen ſich weitere
an, in welchen er meiſt von der Entwickelung ausgehend die verſchie-
denen Bildungszuſtände einzelner Organe oder die geſammte Organi-
ſation beſtimmter Thiere vergleichend unterſuchte und damit häufig
erklärte. So hat er die Anatomie mehrerer Fiſche (ſo z. B. die von J.
Müller wieder vorgenommenen Pricken und den Amphioxus), die
Entwickelung der Geſchlechtswerkzeuge, der Arterien und Venen, des
Bruſtbeins, des Schädels u. ſ. f. gegeben. Sämmtliche Arbeiten
Rathke's ſind wegen der Unbefangenheit der Deutung des Geſehenen
und der Fernhaltung fremdartiger Geſichtspunkte von der rein morpho-
logiſchen Betrachtung außerordentlich bedeutungsvoll. Gleichzeitig mit
Rathke wirkte ein Mann, welcher als der bedeutendſte Forſcher auf dem
Gebiete der belebten Natur mit Cuvier und C. E. von Baer auch zu
den einflußreichſten Förderern der Zoologie in dieſem Jahrhundert zu
zählen iſt, Johannes Müller. Wie er der Phyſiologie eine völlig
neue Geſtalt gab und durch eine auf wahrhafte Gelehrſamkeit geſtützte
Kritik und wichtige eigene Forſchungen mit E. H. Weber den Grund
zu ihrer jetzigen ſelbſtändigen Entwickelung legte, ſo war er auch der
erſte, welcher die Morphologie durch umfaſſende Arbeiten in die ihr
gebührende Stellung einführte. Johannes Müller war am 14. Juli
1801 in Coblenz geboren, ſtudirte von 1819 bis 1822, in welchem
Jahre er Doctor wurde, in Bonn Medicin, lebte dann anderthalb
Jahre in Berlin, wo er beſonders von Rudolph weſentlich gefördert
wurde, habilitirte ſich 1824 in Bonn für Phyſiologie und vergleichende
[636]Periode der Morphologie.
Anatomie und wurde 1826 zum außerordentlichen, 1830 zum ordent-
lichen Profeſſor daſelbſt ernannt. Nach Rudolph's Tode kam er 1833
als Profeſſor der Anatomie und Phyſiologie nach Berlin, wurde 1834
Mitglied der Preußiſchen Akademie der Wiſſenſchaften und ſtarb dort
plötzlich am 28. April 1858. Wie Du Bois-Reymond mit Recht her-
vorhebt32) vereinigten ſich mehrere Umſtände, Müller's Stellung zur
Zeit ſeiner Berufung nach Berlin dort zu einer ſehr günſtigen zu machen.
Cuvier war 1832 geſtorben, J. Fr. Meckel ihm 1833 gefolgt, noch
ehe Müller nach Berlin gegangen war. Mit des letztern Tode gieng
auch deſſen Archiv ein, kurze Zeit nachher auch die Zeitſchrift von Tie-
demann und den beiden Treviranus. Das nun von Müller über-
nommene Archiv, welches mehrere Jahre die einzige Zeitſchrift für die
in ihm vertretenen Fächer blieb, wurde daher in ſeinen Händen ein
mächtiges Mittel zur Förderung des von ihm neu geweckten wiſſen-
ſchaftlichen Geiſtes, beſonders durch die anfangs von ihm gefertigten
Jahresberichte. Daneben erhielt er die Schätze des von Rudolph ge-
pflegten anatomiſchen Muſeums zu freier Benutzung. Nur einzelne
wenige Männer aber haben die ihnen gebotenen Umſtände ſo zum
Beſten der Wiſſenſchaft zu verwerthen gewußt, wie Müller mit ſeiner
ungeheuren Arbeitskraft, ſeinem ſtaunenerregenden Fleiße und ſeinem
durchdringenden Verſtande. Anfangs noch von den verlockenden Stim-
men der Naturphiloſophie beſtrickt (wofür ſeine Abhandlung über die
Bewegungserſcheinungen der Thiere Belege gibt) befreite er ſich doch
bald von dieſer falſchen Geiſtesrichtung. Schon 1824 warnt er vor
der falſchen Naturphiloſophie in der bereits erwähnten Schrift über die
Entwickelung der Genitalorgane. Damit verwarf er aber durchaus
nicht die geiſtige Zuſammenfaſſung der Thatſachen. Hier iſt es bezeich-
nend für Müller's wiſſenſchaftlichen Standpunkt, wenn er ſagt, daß
nicht die bloße Aufſtellung einer Theorie, ſondern die Entſcheidung über
ihre Richtigkeit das Gebiet des empiriſchen Naturforſchers ſei. Dem-
gemäß nimmt er in Bezug auf den bekannten Streit zwiſchen Cuvier
und Geoffroy eine vermittelnde Stellung ein, indem er zwar keinen
[637]Johannes Müller.
Zweifel darüber hat, daß Cuvier's Methode diejenige iſt, welche der
Naturwiſſenſchaft dauernde und reelle Früchte bringt, aber doch auch
zugibt, daß Cuvier in jenem Streite mehreremale zu weit gegangen iſt.
„Es iſt wirklich nicht zu läugnen, daß die Natur bei jeder großen Ab-
theilung des Thierreichs von einem gewiſſen Plane der Schöpfung und
Zuſammenſetzung aus theils verſchiedenen theils analogen Theilen nicht
abweicht“33). Dieſen Plan ſuchte Müller zunächſt für die Wirbelthiere
darzulegen und ins Einzelne zu verfolgen in ſeiner claſſiſchen Arbeit
über die vergleichende Anatomie der Myxinoiden, deren Titel nicht ahnen
läßt, daß ſie den Codex der Morphologie der Wirbelthiere enthält. Von
wirbelloſen Typen war es ferner der der Echinodermen, welcher erſt
durch Müller's Unterſuchungen in ſeinen Einzelnheiten ſowohl, als
nach ſeiner ganzen individuellen und claſſenweiſen Entwickelung genauer
bekannt und in ſeiner Abgeſchloſſenheit feſtgeſtellt wurde. Während
Müller über dieſe beiden Thiergruppen zwei größere Reihen zuſammen-
hängender Unterſuchungen veröffentlicht hat, welche ihren Gegenſtand
ſo erſchöpfend wie jeweils möglich behandeln, iſt kaum eine Claſſe der
Wirbelthiere zu nennen, zu deren genauerer anatomiſchen Kenntniß
Müller nicht wichtige Beiträge geliefert hat. An die Myxinoidenarbeit
ſchließen ſich ſeine Unterſuchungen über die Entwickelungsart gewiſſer
Haie, denen eine ſyſtematiſche Bearbeitung der Plagioſtomen folgte,
über die Ganoiden und über den Amphioxus. Die Entdeckung der
Lymphherzen bei Amphibien und Reptilien war nicht bloß für die Kennt-
niß der Lebenserſcheinungen dieſer Thiere ſondern auch für die Vor-
ſtellung, welche ſich an die anatomiſche Bezeichnung eines Herzens zu
knüpfen habe, wichtig. Die Natur der Coecilien als Amphibien wurde
von Müller durch die Entdeckung der Kiemenöffnungen zweifellos er-
wieſen. Die Unterſuchungen über die Stimmorgane der Paſſerinen
ſowie die über die männlichen Begattungsorgane der ſtraußartigen Vö-
gel haben in gleicher Weiſe zur Aufklärung des typiſchen Verhaltens der
beſprochenen Theile bei Vögeln wie zur Verbeſſerung des Syſtems der
Vögel beigetragen. Wenn unter Müller's Arbeiten nur die Unter-
[638]Periode der Morphologie.
ſuchung über die Zeuglodonten als beſonders der Säugethierclaſſe ge-
widmet erſcheint, ſo ſind doch die Unterſuchungen über die Morphologie
der Wirbelthiere in der Myxinoiden-Anatomie auch für dieſe Claſſe von
grundlegender Wichtigkeit. Die Anatomie der Gliederthiere wurde
von Müller in mehreren Punkten gefördert (Bau der Augen, Einge-
weidenervenſyſtem, Gehörorgan bei Gryllus). Durch die ſogenannte
pelagiſche Fiſcherei, welche anfangs den pelagiſchen Larvenformen vor-
züglich galt, auf eigenthümliche Rhizopodenformen geführt, hat endlich
Müller auch der Anſchauung über dieſe Claſſe durch Begründung der
Abtheilung der Radiolarien eine neue Geſtalt gegeben. Seine Arbeiten
ſind mit dem heutigen Stand der Erkenntniß ſo eng verbunden, daß
ſie bei den betreffenden Gruppen noch zu erwähnen ſein werden. Was
ſie ſämmtlich auszeichnet und ihnen den großen maßgebenden Einfluß
verſchafft hat, iſt der Umſtand, daß Müller jederzeit mit weitem Blicke
die Beziehungen der einzelnen Thatſachen zu ganzen Gruppen ver-
wandter Erſcheinungen überſah und deshalb kaum eine einzige Beob-
achtung unvermittelt, als bloßes „Material“ hinſtellte. Seine Dar-
ſtellungsweiſe iſt daher meiſt ſehr breit, aber nicht etwa in Folge des
Fehlers eines breiten Styls, ſondern weil er überall das Neue in eine
beſtimmte Anſchauungsweiſe einfügte und durch die neu geförderten
Kenntniſſe die wirkliche Erkenntniß zu erweitern ſuchte. Wenn Müller's
Darſtellungsart häufig von Epigonen nachgeahmt wird, ſo ſinkt hier
die Breite zur Natur eines ſtörenden Fehlers herab; es entſpricht die
Form nicht mehr dem Inhalte, welcher meiſt als bloßes thatſächliches
Material erſcheint, das aber doch bei wirklicher wiſſenſchaftlicher Ver-
werthung noch einmal durchgearbeitet werden muß.
Während Johannes Müller in Deutſchland durch umfaſſende
Unterſuchungen und geiſtige Durchdringung der Thatſachen die ver-
gleichende Anatomie über die ihr bis dahin gezogenen Grenzen hinaus-
führte, trug in England Richard Owen durch eingehende Erörterun-
gen über die den anatomiſchen Aehnlichkeiten und Uebereinſtimmungen
zu Grunde liegenden Verhältniſſe, ſowie durch ſcharfe Begriffsentwicke-
lung zur wiſſenſchaftlichen Ausbildung der Morphologie weſentlich bei.
Hier finde zunächſt eine allgemeine Bemerkung Platz. Man hört wohl
[639]Richard Owen.
zuweilen die Aeußerung, daß der Ausdruck Morphologie nur ein neuer
Name für eine alte Sache ſei. Die Form aber, welche die vergleichend
anatomiſchen Darſtellungen beſonders unter J. Müller's und R.
Owen's Händen gewannen, beweiſen deutlich, daß von nun an zu den
Vergleichungen etwas Neues und Selbſtändiges hinzugetreten iſt. Denn
wenn es an und für ſich ſchon Erwähnung verdient hat, daß die früher
vorzüglich von phyſiologiſchem Standpunkte aus vorgenommenen Ver-
gleichungen nun zur Aufklärung der verglichenen Objecte ſelbſt verwer-
thet wurden, ſo fehlte doch den bisherigen vergleichenden Darſtellungen
noch die Beziehung auf Bildungsgeſetze. Die Erfaſſung ſolcher war
nun allerdings erſt mit dem Nachweiſe der thieriſchen Typen überhaupt
möglich geworden. Das Eintreten derartiger allgemeiner Ideen machte
aber wiederum gewiſſe allgemein formale Grundlegungen nothwendig.
Zu dieſen that Owen die erſten wichtigen Schritte. Richard Owen
iſt 1803 in Lancaſter geboren, wurde Arzt in London, trat aber ſchon
in den erſten Veröffentlichungen der Londoner zoologiſchen Geſellſchaft
als praktiſcher Zergliederer auf. Als ſolcher dürfte er jetzt weitaus die
größte Erfahrung beſitzen, indem ſich ſeine Unterſuchungen nicht bloß
eine Reihe von Jahren hindurch auf die im Thiergarten der genannten
Geſellſchaft geſtorbenen Thiere, natürlich nur höhere Wirbelthiere, ſon-
dern auch über zahlreiche wichtige Formen ſowohl niederer Wirbelthiere
als Wirbelloſer erſtreckten. Erſt als Conſervator, dann als Profeſſor
der vergleichenden Phyſiologie am Hunter'ſchen Muſeum des Collegiums
der Wundärzte angeſtellt (welche Stelle er ſpäter mit der eines Vor-
ſtandes der naturhiſtoriſchen Abtheilungen des Britiſh Muſeum ver-
tauſchte) machte er ſich durch die muſterhafte Anatomie des Nautilus,
durch die anatomiſche Schilderung der damals ihrem Baue nach nur
wenig gekannten Brachiopoden, u. A. ſehr verdient. Vor Allem waren
es aber ſeine ſyſtematiſchen Arbeiten über foſſile Thiere, durch welche
er nicht bloß den Werth ſtrenger Vergleichung mit Bezug auf die Wie-
dererkennung und Reconſtruction ſelbſt nur bruchſtückweiſe erhaltener
ausgeſtorbener Thiere in glänzender Weiſe darlegte, ſondern aus wel-
chen er auch umgekehrt wichtige Beiträge zur Erläuterung des geſetz-
mäßigen Baues der Thiere überhaupt ableitete. Was ihm nun beſon-
[640]Periode der Morphologie.
ders hier, neben J. Müller und Rathke einen Platz ſichert, iſt der von
ihm herrührende Verſuch, mit außerordentlichem Scharfſinn und ſtren-
ger Conſequenz die Grundformen der einzelnen anatomiſchen Syſteme
der Wirbelthiere, zunächſt ausführlich des Knochenſyſtems, nach ihren
verſchiedenen Wandlungen in abgerundeter Darſtellung zu entwickeln.
Hat auch Owen dabei die Entwickelungsgeſchichte zu wenig berückſichtigt,
iſt daher auch ein Theil ſeiner allgemeinen theoretiſchen Ableitungen,
z. B. über die Bedeutung einzelner Knochen und des ganzen Schädels,
nicht in ſeinem ganzen Umfange haltbar, ſo ſind ſeine Arbeiten ſchon
deshalb äußerſt fördernd geweſen, als man in ihnen zum erſtenmale ein
in ſeltener Reichhaltigkeit zuſammengebrachtes thatſächliches Material
conſequent nach einer beſtimmten Theorie geordnet fand. Man erhielt
damit ein außerordentlich günſtiges Mittel zur Orientirung, nach wel-
cher dann auch andre Erklärungen leicht verſtändlich wurden, ohne den
die wiſſenſchaftliche Weiterentwickelung hemmenden Einfluß falſcher
Thatſachen befürchten zu müſſen34).
Gegenüber der Durchſichtigkeit, welche durch die embryologiſchen
wie allgemein morphologiſchen Arbeiten der Typus der Wirbelthiere
erlangt hatte, blieb die Reihe der unter den Wirbelloſen realiſirten
Baupläne längere Zeit verhältnißmäßig dunkel. Nur der Typus der
Arthropoden war in Betracht gezogen worden, theils ſeiner vermeint-
lichen Beziehungen zu den Wirbelthieren wegen, theils in Folge des
ſo weit verbreiteten Intereſſes, welches vorzüglich die Inſecten mit ihrer
merkwürdigen Lebensgeſchichte von jeher erregt hatten. Während aber
in den Bemühungen Oken's, Geoffroy's, Carus' u. A., die Arthropo-
den irgendwie auf den Wirbelthierbau zurückzuführen, die Grenzen der
wirklich ſtatthaften Vergleichung überſchritten wurden, war bereits 1816
eine Theorie des Gliederthierbaues aufgeſtellt worden, welche ſämmt-
lichen ſpäteren Arbeiten über dieſe Abtheilung als Ausgangspunkt ge-
[641]Owen. Savigny.
dient hat, und zwar von Savigny. Marie Jules Céſar Lelorgne de
Savigny war 1778 in Provins geboren, gieng mit der Napoleoni-
ſchen Expedition nach Aegypten, wurde Mitglied des ägyptiſchen In-
ſtituts, arbeitete dann, nach Frankreich zurückgekehrt, im Anſchluſſe an
ſeine im Mittel- und rothen Meer gemachten Sammlungen außer eini-
gen anderen monographiſchen Darſtellungen die beiden Bände ſeiner
mit Recht berühmt gewordenen Abhandlungen über wirbelloſe Thiere
aus, erblindete aber ziemlich bald und ſtarb 1851 in Paris. Nachdem
bereits Fabricius in ſeinem entomologiſchen Syſteme die Mundtheile
eingehend berückſichtigt hatte, gab Savigny durch ſeine Darſtellung das
Mittel zum Verſtändniß des hier vorliegenden Formenreichthums. Er
deutete zwar zunächſt nur die gegliederten Anhänge des Gliederthier-
körpers und ſuchte die verſchiedenen Entwickelungsformen derſelben bei
den einzelnen Claſſen auf einander zurückzuführen. Damit begründete
er aber ſelbſtverſtändlich die Beziehung der jene Anhänge tragenden
Segmente der einen Claſſe auf die entſprechenden Abſchnitte in andern
Claſſen. Manches iſt ihm wohl im Einzelnen entgangen; doch iſt ſein
Grundſatz der Reduction durchaus beſtätigt worden. Die Stellung der
Arachniden zu den Cruſtaceen wurde ihm noch nicht völlig klar; er hebt
aber wie Latreille das Fehlen des eigentlichen Kopfes bei den erſteren hervor.
Die Morphologie der 1848 von von Siebold Arthropoden genannten
Abtheilung (ſtatt der 1825 von Latreille aufgeſtellten Bezeichnung Con-
dylop[od]en) förderten dann vorzugsweiſe deutſche Forſcher, unter denen
zunächſt Wilh. Ferd. Erichſon (geb. 1809 in Stralſund, geſt. 1848
als Profeſſor und Cuſtos am entomologiſchen Muſeum in Berlin) die
von Savigny gegebenen Deutungen zu einer abgerundeten Theorie über
das Verhalten der Gliedmaßen ausführte (1840). Eine vorzugsweiſe
auf anatomiſche Gründe geſtützte Modification dieſer „Gliedmaßentheorie“
gab Wilhelm Zenker (1854), während einerſeits Rudolph
Leuckart (1848) vom anatomiſchen Standpunkte aus die Morphologie
der Arthropoden einer neuen Betrachtung unterworfen und Ernſt
Guſtav Zaddach (geb. 1817 in Danzig, Profeſſor in Königsberg)
die Embryologie als Maßſtab der Beurtheilung, beziehentlich der theil-
weiſen Umgeſtaltung der morphologiſchen Anſichten über dieſe Gruppen
V. Carus, Geſch. d. Zool. 41
[642]Periode der Morphologie.
benutzt hatte. Gehn auch die Anſichten der Morphologen in einzelnen
Punkten auseinander, ſo iſt doch der Grund auch für die neueren For-
men der Theorie des Gliederthierbaues bei Savigny zu finden. — Die
Morphologie der Mollusken blieb lange Zeit unberückſichtigt. Man
hatte noch mit der äußern Ordnung und überſichtlichen Zuſammen-
ſtellung der verſchiedenen Gruppen zu thun, deren anatomiſches und
embryologiſches Verhalten erſt nach und nach bekannt wurde. Savigny
hatte 1816 eine Anzahl früher für Polypen gehaltene Thiere als zu-
ſammengeſetzte Ascidien erkannt und damit den Formenkreis nicht un-
weſentlich erweitert. Auch die Moosthiere waren von Henri Milne
Edwards (1836) und Arthur Farre (1839) als mit den Ascidien
verwandt nachgewieſen, während eine ausdrückliche Zurückführung beider
Formen auf einander, von einer etwas verſchiedenen Anſicht ausgehend,
von P. J. van Beneden (1845) verſucht und George James All-
man (1852) ausführlich begründet wurde. Für die Morphologie der
echten Mollusken war von größter Bedeutung die muſterhafte Ent-
wickelung der Cephalopoden von Albert Kölliker (1844), welche
den Nachweis eines einheitlichen Plans in dieſem Thypus ermöglichte.
Von den Bildungsgeſetzen deſſelben entwarf i. J. 1848 Sven Ludw.
Lovén (geb. 1809) eine beſonders auf die Entwickelungsgeſchichte ge-
gründete zuſammenhängende Darſtellung, nachdem derſelbe Forſcher
bereits 1839 einige Punkte eingehend beſprochen hatte. Ihm folgte,
einzelne anatomiſche Verhältniſſe ſchärfer hervorhebend, Rud. Leuckart
(1858). Thomas Henry Huxley35) ſuchte 1853 den den kopf-
tragenden Mollusken zu Grunde liegenden gemeinſamen Plan näher zu
entwickeln; auf dieſen auch die Cephalopoden zurückzuführen verſuchte
ich ſelbſt in demſelben Jahre. — Für die große Gruppe der ſtrahlig
gebauten Thiere ſind vorzugsweiſe entwickelungsgeſchichtliche Unter-
[643]Huxley. Sars.
ſuchungen der Ausgangspunkt für morphologiſche Betrachtungen ge-
worden. Der Typus der Echinodermen hatte in der bereits erwähnten
Unterſuchungsreihe Joh. Müller's eine neue zu weitern Forſchungen
den Grund legende Bearbeitung gefunden. Von den Zoologen, welche
Müller im Auffinden einzelner zum Entwickelungskreis jener Thiere
gehöriger Formen vorausgegangen waren, hatte Sars am meiſten zur
Vorbereitung der neuen umgeſtaltenden Anſichten über Entwickelung
beigetragen. Michael Sars, welcher am 30. Auguſt 1805 in Ber-
gen geboren war, hatte Theologie ſtudirt und war von 1830-1840
Pfarrer in Kind im Bergen'ſchen Stift, von 1840-1855 Pfarrer in
Manger bei Bergen. Im letzten Jahre erhielt er durch Beſchluß des
norwegiſchen Storthings die Ernennung zum außerordentlichen Profeſſor
der Zoologie in Chriſtiania und widmete ſich nun ausſchließlich den bis
dahin nur neben ſeinem eigentlichen Berufe betriebenen zoologiſchen
Arbeiten. Waren dieſe ſchon in Bezug auf das Leben und die Verbrei-
tung der niedern Seethiere ſtets von größtem Belange geweſen, ſo
wurden ſeine Bemühungen zuletzt noch durch das Auffinden eines in
der Tiefſee lebenden Crinoiden ausgezeichnet. Er ſtarb am 22. Okt.
1869. Sars hat durch die Entdeckung einer merkwürdigen Larvenform
eines Seeſternes ſowie der verhältnißmäßig einfachen Entwickelung
zweier anderer Aſteriden zufällig die beiden Endglieder der erſt von J.
Müller gefundenen und in ihrem Zuſammenhange dargeſtellten Formen-
reihe der Echinodermenentwickelung kennen gelehrt, ohne letzteren zu
ahnen. Weiter giengen ſeine wichtigen Unterſuchungen über die Ent-
wickelung der Meduſen und Polypen. Nachdem er ſchon i. J. 1829
eine merkwürdige von ihm Strobila genannte Polypenform, dann 1835
und 1837 den Zuſammenhang dieſer ſowohl mit einer andern, Scy-
phistoma genannten, als mit den von erſterer ſich ablöſenden Meduſen
entdeckt hatte, ſprach er 1841 direct aus, daß die Entwickelung dieſer
Thiere darin mit der von A. von Chamiſſo bei den Salpen entdeckten
übereinkomme, daß nicht die Larve ſondern deren Brut, nicht das In-
dividuum ſondern die Generation ſich metamorphoſire. Ferner hatte
S. Lovén 1836 die meduſenförmigen Knospen einer
Syncoryne be-
obachtet und ihr Freiwerden von dem Polypenkörper vermuthet. End-
41*
[644]Periode der Morphologie.
lich war ja bereits ſeit Bonnet's Unterſuchungen, welche 1815 noch von
Joh. Friedr. Kyber ausführlich beſtätigt worden waren, die unge-
ſchlechtliche Fortpflanzungsweiſe der Blattläuſe bekannt. Im Jahre
1842 veröffentlichte nun Joh. Iapetus Smith Steenſtrup (geb.
1813) in Kopenhagen eine Schrift, in welcher er die genannten Fälle
dieſer Entwickelungsweiſe mit der von ihm aufgefundenen ähnlichen
Entwickelungsweiſe der trematoden Eingeweidewürmer unter dem Na-
men des Generationswechſels36) vereinigte und damit die Thatſachen
zuerſt in die einer weitern Behandlung zugängliche Form brachte. Die
merkwürdige Erſcheinung daß in mehreren Fällen des Generations-
wechſels eine Vermehrung der Individuenzahl während der Entwickelung
eines einzelnen Eies ſtattfindet, eine Erſcheinung, welche indirect auch
Steenſtrup zur Auffaſſung des Generationswechſels als einer Form
von Brutpflege geführt hat, veranlaßte natürlich zunächſt Unterſuchun-
gen über die nähere Beſtimmung deſſen, was man als Individuum
anzuſehen habe. Nun hatte bereits 1827 Henri Milne Edwards37)
das ſehr fruchtbare Princip der Arbeitstheilung in das Gebiet der
Phyſiologie eingeführt. Im Anſchluß an dieſen Gedanken faßte 1851
R. Leuckart die ſich in Folge einer ſolchen Vertheilung der Functionen
auf die einzelnen Individuen einer Art ergebenden Verſchiedenheiten,
wie ſie in mannichfacher Weiſe bei colonienweiſe lebenden Thieren wie
bei Thierſtöcken ſich finden, unter dem Ausdrucke des Polymorphismus
der Individuen zuſammen. Es wurde hierdurch die Deutung mancher
eigenthümlichen Formen (z. B. der Röhrenquallen, deren naturgemäße
Auffaſſung viel Schwierigkeit gemacht hatte) weſentlich gefördert. Das
bei dieſer Betrachtung der Individualität in den Vordergrund tretende
biologiſche Moment ließ auch Leuckart in dem Generationswechſel nur
einen durch Arbeitstheilung auf dem Gebiete der Entwickelungsgeſchichte
[645]Steenstrup. Leuckart.V. Carus.
bedingten Polymorphismus erblicken. Huxley bezeichnete dagegen,
von ähnlichem Geſichtspunkte ausgehend, das ganze Entwickelungs-
reſultat eines einzelnen Eies mit dem Namen eines Individuum38),
wurde aber dabei genöthigt, für die während der Entwickelung mit
Metageneſe auftretenden Einzelthiere einen beſonderen Ausdruck anzu-
wenden; er wählte das Wort „Zooid“. Neben den genannten Momen-
ten lag nun aber in der Frage nach dem Individuum auch eine morpho-
logiſche Seite vor, welcher ich 1853 durch eine ſchärfere Begriffsbe-
ſtimmung gerecht zu werden verſuchte, nachdem ich vorher (1851) die
Entwickelungsweiſen durch Metamorphoſe und mit Generationswechſel
präciſer definirt hatte.
Durch die im Vorſtehenden genannten Leiſtungen war die morpho-
logiſche Betrachtungsweiſe auf die einzelnen Typen ſowie auf die
wichtigſten Formen der Entwickelungsvorgänge angewendet worden.
Die wiſſenſchaftliche Bedeutung der Morphologie und die ſich daraus
ergebenden Aufgaben verſuchte ich 1853 ſtreng methodiſch zu begrün-
den39) und das Schwanken in den Anſichten und Ausdrücken durch
logiſch präciſe Beſtimmung der dabei vorkommenden allgemeinen Be-
griffe möglichſt zu beſeitigen. Es wurde dabei in nothwendiger Con-
ſequenz auch der Verſuch gemacht, allgemeine Bildungsgeſetze der
thieriſchen Körper aufzuſtellen, wie ſich ſolche unabhängig von der ſelb-
ſtändigen Entwickelung der einzelnen Typen darbieten. Daß damit ein
wenn auch beſcheidener Gewinn für die Wiſſenſchaft erzielt wurde, be-
weiſt die allgemeine Annahme mancher dort zum erſtenmale entwickelter
allgemeiner Anſchauungen und der auf dieſe gegründeten Ausdrücke.
Neben dieſen Arbeiten, welche nicht bloß die Kenntniß der mannich-
faltigen Erſcheinungen der Thierwelt ſondern auch der Erkenntniß des
thieriſchen Baues zu fördern ſuchten, entwickelte ſich im Anſchluſſe an
die früher geſchilderten Momente ein reger Eifer, die anatomiſchen
Verhältniſſe der Thiere immer eingehender kennen zu lernen. Des
Wichtigſten der zootomiſchen Leiſtungen, welche ſich in reicher Fluth
[646]Periode der Morphologie.
durch Zeitſchriften und Monographien ergoſſen, wird bei den einzelnen
Thiergruppen gedacht werden. Hier iſt aber noch der Ort, die bereits
oben erwähnten allgemeinen Darſtellungen der Zootomie und verglei-
chenden Anatomie anzuführen, welche nicht bloß für das Intereſſe
zeugen, welches die Anatomie der Thiere gefunden hatte, ſondern ſelbſt
weſentlich dazu beigetragen haben, daſſelbe zu unterhalten und zu ver-
tiefen. An Blainville's Auffaſſungsweiſe ſich anſchließend ſtellte Henri
Hollard 1835 die zootomiſchen Thatſachen zuſammen, während 1842
Hercule Strauß-Dürkheim, welcher in ſcrupulös genauen ana-
tomiſchen Schilderungen des Maikäfers und der Katze die Anatomie von
Repräſentanten der Glieder- und Wirbelthiere gegeben hat, in ſeinem
Handbuche beſonders auch den praktiſchen Fragen bei Zergliederungen
von Thieren Rechnung trägt. In England gaben Robert Edm. Grant
(1835-41), Thom. Rymer Jones (1841, neu herausgegeben 1855)
und Rich. Owen (Wirbelloſe 1843, neue Auflage 1855, Fiſche 1846)
Geſammtdarſtellungen der Anatomie der Thiere, zum Theil (wie die
Fiſchanatomie Owen's) auf eingehenden eigenen Unterſuchungen fußend.
In Deutſchland hatte Carl Aug. Sigism. Schultze 1828 begonnen,
die vergleichende Anatomie nach einem weiten Plan zu ſchildern, hat
aber nur den allgemeinen Theil veröffentlicht. Von einem phyſiologiſchen
Standpunkte aus nach den Organen und Syſtemen ſtellte Rudolph
Wagner die vergleichende Anatomie dar (1834, 35); die dazu ver-
ſprochenen morphologiſchen Abſchnitte ſind nicht erſchienen. Dagegen
änderte er in einer zweiten Bearbeitung die Darſtellungsweiſe und
dieſer entſprechend den Titel um in eine Zootomie der einzelnen größern
Gruppen, wobei die Schilderung der Anatomie der Wirbelloſen von
Heinrich Frey und Rudolph Leuckart übernommen wurde.
Gleichfalls phyſiologiſch erfaßte der Naturphiloſoph Joh. Bernhard
Wilbrand ſeine Aufgabe. Nachdem er bereits 1809 „die geſammte
Organiſation dargeſtellt“ hatte, entwarf er 1833 und 1839 eine ver-
gleichende Phyſiologie und Anatomie für Phyſiologen und Aerzte.
Einen außerordentlich reichen Schatz eingehender einzelner Unterſuchun-
gen mit viel Kritik aber nur in zootomiſcher Aufzählung bietet das
Handbuch der Zootomie (wie es in der zweiten erſt begonnenen Bear-
[647]Siebold - Stannius. Paläontologie.
beitung richtiger heißt ſtatt der früheren Bezeichnung der vergleichenden
Anatomie) von C. Th. E. von Siebold und Hermann Stan-
nius dar (1845 und 1846). Eine umfaſſende Ueberſicht des Baues
und der Leiſtungen der Thierkörper hat neuerdings Henri Milne Ed-
wards zu bearbeiten begonnen, an welcher ſowohl die Beherrſchung
der Aufgabe, allerdings von vorwaltend phyſiologiſchem Standpunkte
aus, als auch die gründliche Gelehrſamkeit des Verfaſſers charakteriſtiſch
hervortritt. Am Schluſſe der hier zu berückſichtigenden Zeit bezeichnet
das Erſchienen von Carl Gegenbaur's Grundzügen der vergleichen-
den Anatomie das Durchbrechen der wiſſenſchaftlichen Behandlung der
Thieranatomie auch in den allgemeinen Darſtellungen. Als weſentliche
Förderungsmittel, beſonders durch Verbreitung des thatſächlich Errun-
genen ſind endlich die Jahresberichte zu bezeichnen, wie ſie nach Ber-
zelius' Beiſpiel von Joh. Müller in ſeinem Archiv begonnen wurden.
Paläontologie.
Das wiſſenſchaftliche Intereſſe an den foſſilen Funden hatte ſich
früher vorzüglich an die Frage des wirklich thieriſchen Urſprungs der-
ſelben geknüpft. Nachdem die nur hier und da noch auftauchende An-
nahme, in ihnen nur Naturſpiele erblicken zu müſſen, aus der wiſſen-
ſchaftlichen Behandlung derſelben für immer beſeitigt war, galt es nun
die Beſtimmung derſelben im ſyſtematiſchen Sinne zu unternehmen.
Vielfach glaubte man noch, die Reſte gehörten noch jetzt lebenden Arten
an und hoffte, in noch undurchforſchten Gebieten der Erde die lebenden
Träger der verſteinert gefundenen Knochen, Schalen u. ſ. f. einſt zu
entdecken. Es iſt das Verdienſt Georg Cuvier's, durch Unter-
ſuchungen, welche im Jahre 1796 begannen, die Verſchiedenheit der
foſſilen von den lebenden Arten zuerſt in weiterem Umfange und durch
eingehende anatomiſche Vergleichungen planmäßig nachgewieſen zu
haben, wenn ſchon vor ihm Einzelne, wie z. B. Camper, Blumenbach
u. A., dieſe Verſchiedenheit behauptet hatten. Während Cuvier ſich
ausſchließlich mit Wirbelthierreſten beſchäftigte, wies Lamarck die
zahlreichen im Pariſer Tertiärbecken vorkommenden Schalthiergehäuſe
als gleichfalls von den jetzt lebenden verſchieden nach. Cuvier's Ver-
[648]Periode der Morphologie.
dienſte beſchränken ſich aber nicht bloß auf dieſen Nachweis. Nachdem
Werner die verſchiedenen über einander liegenden Gebirgsarten als Ur-
gebirge, Uebergangs- und Flötzgebirge bezeichnet und mineralogiſch
charakteriſirt, damit auch eine zeitliche Aufeinanderfolge ihrer Bildung
ausgeſprochen hatte, verſuchte zuerſt William Smith (1769-1839,
der „Vater der engliſchen Geognoſie“) die verſchiedenen Formationen
durch die eingeſchloſſenen Reſte zu beſtimmen. Hier trat alſo das geo-
logiſche Intereſſe in den Vordergrund, wie denn auch ſeitdem die Ver-
ſteinerungskunde als Theil der Geologie betrachtet wurde. Cuvier lenkte
durch Aufſtellung der Theorie mehrfacher Erdumwälzungen, in denen
das thieriſche Leben zeitweiſe untergieng, um ſpäter in neuen Formen
wieder geſchaffen zu werden, die Aufmerkſamkeit auf die Form und den
Bau der untergegangenen Thiere, welche er auch mit richtiger Einſicht
dem zoologiſchen Syſtem einfügte, ohne demſelben freilich die eine der-
artige Einfügung erklärende oder geſtattende Form zu geben. Auf den
Fortgang der zoologiſchen Erkenntniß hatte nun die Paläontologie hier-
nach einen doppelten Einfluß: einmal erweiterte ſie die Kenntniß ein-
zelner Formen, von welchen viele ſogar den bislang aufgeſtellten ſyſte-
matiſchen Gruppen nicht ohne gewiſſen Zwang eingeordnet werden
konnten, welche alſo die ſyſtematiſchen Anſchauungen umzugeſtalten
begannen. Auf der andern Seite riefen beſonders die Wirbelthierreſte
die eingehndſten vergleichenden Unterſuchungen hervor, ließen auch
häufig auf entwickelungsgeſchichtliche Betrachtungen zurückkommen,
ſtellten daher die Beziehungen der gegenſeitigen Verwandtſchaft in ein
neues Licht. Da man durch Vergleichung der älteſten Formen mit
neueren und den jetzt lebenden kennen gelernt hatte, daß die jetzt im Thier-
reiche beſtehenden anatomiſchen Pläne auch beim erſten Auftreten thieri-
ſchen Lebens auf der Erde die Form der Thiere beſtimmt hatten, ſo
glaubte man in dieſem Umſtande einen Beleg für die Harmonie der
Schöpfung finden zu müſſen, welche trotz der mehrfach ſich einander
folgenden Neuſchöpfungen der Thierwelt die Vereinigung ſämmtlicher
foſſiler wie lebender Formen in ein großes Syſtem geſtattete. Es er-
hielten von dieſem Geſichtspunkte aus die vergleichend - anatomiſchen
Thatſachen ein neues Intereſſe, da man ſich je länger deſto weniger der
[649]Louis Agaſſiz.
Einſicht verſchließen konnte, daß in den zu einer größern Gruppe ge-
hörigen Thierformen doch eine gewiſſe Entwickelungsreihe von Formen,
welche mehr den Geſammtcharakter der größern Abtheilung an ſich tru-
gen, zu immer ſpecieller von einander abweichenden vorliege. Dieſe
letztere Anſchauung mußte natürlich bei den einer eingehenden Verglei-
chung am meiſten zugänglichen Wirbelthieren beſonders in den Vorder-
grund treten, wenn ſchon auch für andere Thierkreiſe ſpätere Unter-
ſuchungen eine ähnliche Auffaſſung bedingten. Nächſt den Arbeiten
Cuvier's, deren wichtiges Reſultat ſich in der Reconſtruction foſſiler
Säugethiere ausgedrückt zeigt, waren zumeiſt die Unterſuchungen von
Louis Agaſſiz40) über foſſile Fiſche von bahnbrechender Bedeutung.
In ähnlicher Weiſe hat dann Richard Owen durch Schilderung
foſſiler Wirbelthierreſte aus den Claſſen der Reptilien, Amphibien und
Vögel ſowie genaue Beſtimmung derſelben, beſonders auch durch die
eingehendſte Vergleichung des mikroſkopiſchen Baues der Zähne durch
alle Wirbelthierclaſſen für die Bedeutung ſorgfältiger vergleichender
Unterſuchungen glänzende Belege gegeben. Unter den Arbeiten über
wirbelloſe Thiere ſchloſſen ſich den Lamarck'ſchen Beſchreibungen foſſiler
Muſcheln die Schilderungen foſſiler italieniſcher Schalthierreſte von
Giov. Batt. Brocchi41), ſowie die „Mineral-Conchyliologie Groß-
Britaniens“ von James Sowerby42) würdig an. Die foſſilen
[650]Periode der Morphologie.
Cruſtaceen fanden in Alexander Brongniart und Anſ. Gaet. Des-
mareſt43) ſachverſtändige Bearbeiter, während die Inſecten von Ernſt
Friedr. Germar, Georg Karl Berendt (Bernſteinformen), F.
Unger, neuerdings beſonders von Oswald Heer unterſucht wurden.
Für die Kenntniß der foſſilen Echinodermen wurde das Werk über
Crinoiden von J. S. Miller der Ausgangspunkt für weitere Arbeiten.
Die Bekanntſchaft mit weitaus der größten Menge von Formen foſſiler
Protozoen hat Chſtn. Gfried. Ehrenberg gefördert. Eine allgemeine
Zuſammenſtellung der foſſilen Arten gaben zuerſt James Parkinſon
(1804, neue Auflage 1833), in Deutſchland der beſonders um die
Kenntniß foſſiler Pflanzen verdiente Ernſt Fr. von Schlotheim (1820);
er lebte von 1764-1832 in Gotha) und Friedr. Holl (1829), wäh-
rend Georg Aug. Goldfuß neben werthvollen einzelnen Beiträgen ein
mit Unterſtützung des eifrigen Sammlers Georg Graf zu Münſter
(1776-1844 in Bayreuth) bearbeitetes Prachtwerk über Deutſchlands
Foſſilien herausgab. Werthvoll iſt der bereits in zwei Auflagen erſchie-
nene Traité de Paléontologie von Franç. Jules Pictet (1. Aufl.
1844-46, 2. Aufl. 1853-56).
Die Fortſchritte der Geologie beſeitigten nach und nach die Theorie
der plötzlichen Erdumwälzungen; dadurch erhielten die thieriſchen Be-
völkerungen der einzelnen Schichten den ihnen von jener Theorie ge-
raubten Zuſammenhang. In welcher Weiſe nun die vorhin erwähnte
Entwickelungsreihe nach dieſer Umgeſtaltung der Anſichten vom Auf-
treten der verſchiedenen Stufen zur Erklärung der letzteren benutzt
wurde, wird ſpäter gezeigt werden. Der Schilderung der Fortſchritte
in der Kenntniß der einzelnen Claſſen muß auch die Beſprechung der
Leiſtungen vorbehalten bleiben, welche von foſſilen Formen ausgehend
auf die Beurtheilung der betreffenden Gruppen von Einfluß geweſen
ſind. Der Vortheil, welchen die Geologie aus der Benutzung gewiſſer
[651]Reiſen und Faunen.
Verſteinerungen als Leitfoſſilien gezogen hat, iſt nur ein äußerlich mit
den letzteren zuſammenhängender Umſtand und hebt die Thatſache nicht
auf, daß die Kenntniß eines Thieres, mag es auch verſteinert ſein,
Gegenſtand der Zoologie iſt. Verdankt die Wiſſenſchaft auch die Schil-
derung vieler Thier- und Pflanzenreſte den Geologen, ſo findet die
naturgemäße Anſicht doch immer weitere Verbreitung, daß die Hebung
und Nutzung der in den Geſteinen eingeſchloſſenen botaniſchen und
zoologiſchen Schätze Sache der Botaniker und Zoologen iſt; letztere
können ohne Kenntniß der foſſilen Entwickelungsſtufen nicht zum Ver-
ſtändniß des jetzt lebenden Formenreichthums gelangen.
Erweiterung der Thierkenntniß durch Reiſen und Faunen.
So lange es in der Zoologie an leitenden wiſſenſchaftlichen Ge-
ſichtspunkten fehlte, war eine Bereicherung der ſpeciellen Thierkenntniß
nur eine Zahlenzunahme der bekannten Arten, welche als ſolche ohne
Einfluß auf den Fortgang der Wiſſenſchaft war. Es hatten ſich indeß
während der letzten Jahrzehnte des vorigen Jahrhunderts mehrere
Fragen in den Vordergrund gedrängt, deren Beantwortung nur durch
eine möglichſt allſeitige Durchmuſterung der Thierwelt im Ganzen er-
reichbar zu ſein ſchien. Dahin gehörte z. B. das Auffinden von Thie-
ren, welche in der alten Welt nur foſſil vorkamen, im lebenden Zuſtande
auf andern Continenten, ferner die mögliche Ausfüllung mancher im
Syſtem auffälliger Lücken, mochte man nun eine einreihige Anordnung
des Thierreichs annehmen oder nicht; endlich eine Einſicht in die Ge-
ſetzmäßigkeit der geographiſchen Verbreitung der Thiere. Außer dieſen
allgemeinen Geſichtspunkten ließen es mancherlei ſpecielle Fragen wün-
ſchenswerth erſcheinen, Beobachtungen an Ort und Stelle anſtellen zu
können, ſo das Leben pelagiſcher Thiere, die Korallenbauten u. ähnl.
Der Stand der Zoologie veranlaßte es daher, daß ſich allmählich ein
immer geſteigertes Intereſſe an die zoologiſche Ausbeute größerer Reiſen
knüpfte, obſchon nur darauf aufmerkſam gemacht zu werden braucht,
daß ſich die Umgeſtaltung in der Geſammtauffaſſung des Thierreichs,
die Einführung der Typen durch Cuvier, ganz unabhängig von den
Reſultaten der Reiſen vollzog.
[652]Periode der Morphologie.
Natürlich kann in der folgenden Ueberſicht der Reiſen, welche zoo-
logiſche Reſultate zu Tage gefördert haben, nicht auf Specialitäten der
letzteren eingegangen werden. Die wiſſenſchaftlichen Früchte werden
bei Schilderung der Fortſchritte in der Kenntniß der einzelnen Claſſen
Erwähnung finden. Iſt auch keine der großen Expeditionen ausſchließ-
lich den beſchreibenden Naturwiſſenſchaften gewidmet geweſen, ſo wurde
doch auf den meiſten derſelben neben den Problemen der Geographie
und Phyſik der Erde, deren Löſung und Klärung ſie galten, auch dem
Thierreiche Aufmerkſamkeit geſchenkt, zuweilen durch beſonders damit
beauftragte Naturforſcher. Es ſind daher außer den aufgezählten Ex-
peditionen von den verſchiedenen Nationen noch weitere ausgeführt
worden. Nicht unzweckmäßig erſchien es indeß zu ſein, diejenigen Reiſen
hier möglichſt vollſtändig zu erwähnen, welche durch Veröffentlichung
zoologiſcher Ausbeuten auch noch ein litterargeſchichtliches Intereſſe dar-
bieten.
Am früheſten und erfolgreichſten traten größere Unternehmungen
der Franzoſen auf. Gleich die erſte Reiſe, welche hier zu verzeichnen
iſt, war in Bezug auf die Menge der beobachteten und zurückgebrachten
Thiere eine der bedeutungsvollſten. Unter Nicolas Baudin, welchem
Freycinet als Schiffslieutenant zugetheilt war, verließen 1800 die
Schiffe „Géographe, Naturaliſte und Caſuarina“ Frankreich. Leiter des
naturwiſſenſchaftlichen Theils der Expedition war Jean Bapt. Mar-
cellin Baron Bory de St. Vincent (geb. 1780, † 1846), welcher
jedoch nur einen Theil der Fahrt mit machte, ſich von den Uebrigen
trennte und ſeine Beobachtungen ſelbſtändig veröffentlichte (aus den
Jahren 1801 und 1802). Die Zoologen waren François Péron
(geb. und geſt. in Cerilly, 1775, 1810) und, urſprünglich als Zeichner
beſchäftigt, Charles Alex. Leſueur44). Die nächſte Reiſe war die
1817-1820 unter Louis Claude Deſaulſes de Freycinet mit den
Schiffen „Uranie und Phyſicienne“ ausgeführt, welcher die Zoologen
Jean René Conſtant Quoy und Jean Paul Gaimard beigegeben
[653]Reiſende; Franzoſen u. Engländer.
waren. Sehr wichtig war die Erdumſegelung der Coquille unter Louis
Iſidor Duperrey in den Jahren 1822-25. Außer werthvollen
Beobachtungen zur Phyſik der Erde brachte die Expedition durch ihre
Naturforſcher, René Primevère Leſſon (geb. 1794 in Rochefort, da-
ſelbſt geſtorben 1849)45) und Prosper Garnot (geb. 1794, geſt. 1838)
reiche zoologiſche Ausbeute heim46). Die beiden genannten Quoy und
Gaimard begleiteten auch 1826-29 Dumont d'Urville auf der
Reiſe des „Aſtrolabe“. Von 1830-1832 war der Botaniker Charles
Gaudichaud-Beaupré, welcher ſchon auf der Uranie eine Erdumſegelung
mitgemacht hatte, auf der „Herminie“ als Naturforſcher thätig47), wie
derſelbe auch die Reiſe der „Bonite“ ausführte. Letzteres Schiff machte
in den Jahren 1836-37 unter Aug. Nic. Vaillant ſeine Reiſe um
die Erde; als Zoologen befanden ſich auf demſelben F. Th. Eydoux
und Souleyet. Die zoologiſchen Reſultate der von 1836-39 wäh-
renden, von Abel Dupetit-Thouars geleiteten Reiſe bearbeiteten
ſpäter Pariſer Zoologen. Die letzte der hier zu erwähnenden franzöſi-
ſchen Reiſen war die Dumont d'Urville's nach dem Südpol mit den
Schiffen „Aſtrolabe und Zélée“, welche Hombron und Honoré Jac-
quinot (geb. 1814, Bruder des die „Zélée“ führenden Charles Hector
Jacquinot) als Naturforſcher begleiteten.
Der Zeit nach beginnt die Reihe der engliſchen Seefahrten aus
dieſem Jahrhundert, an welche ſich ein zoologiſches Intereſſe knüpft,
eine Reiſe nach dem Südpol, welche ein Walfiſchjäger James Wed-
dell 1823-1824 ausführte. Vom Jahre 1825-1828 leitete Capt.
Beechey, welcher das Schiff Bloſſom durch die Beringſtraße dem
von Oſten her vordringenden John Franklin entgegenführen ſollte, eine
[654]Periode der Morphologie.
längere Expedition, deren Reſultate auch für Zoologie erwähnenswerth
ſind. Frederic Debell Bennett (geb. 1809, geſt. 1859, Bruder von
George Bennett, geb. 1804, welcher Auſtralien als Zoolog bereiſte)
fuhr 1830-1833 mit einem Walfiſchfänger um die Erde. Von 1826
bis 1830 hatten Philipp Parker King und Robert Fitzroy (geſt. 1865)
die Schiffe „Adventure“ und „Beagle“ um die Erde geführt und manches
zoologiſch Intereſſante heimgebracht. Beſonders bedeutungsvoll wurde
aber die zweite Reiſe derſelben beiden Schiffe unter der Führung des
Capt. Rob. Fitzroy, welchen Charles Darwin als Naturforſcher
begleitete. Waren ſchon die nächſten Reſultate dieſer Reiſe von großem
Werthe, von denen beiſpielsweiſe nur die Fauna der Galapagos, die
Natur und Bildung der Koralleninſeln, die foſſile Fauna Süd-Amerika's
u. a. erwähnt werden mögen, ſo iſt dieſelbe doch beſonders noch durch
den Umſtand merkwürdig geworden, als durch die auf derſelben gewon-
nenen Erfahrungen Darwin zuerſt zur Entwickelung jener Theorie an-
geregt wurde, welche nicht bloß die Zoologie ſondern alle auf die belebte
Natur ſich beziehenden Wiſſenszweige in neue Bahnen führte. Rich.
Brinsley Hinds war als Naturforſcher der Fahrt des „Sulphur“
(1836-1842) unter Sir Edw. Belcher zugetheilt. Zur Unter-
ſuchung der magnetiſchen Kräfte in der antarctiſchen Region und wo-
möglich zur Auffindung des magnetiſchen Südpols waren die beiden
Schiffe „Erebus“ und „Terror“ unter Sir James Clark Roß ausgeſandt
worden. Mit ihm giengen R. M'Cormick und der Botaniker Joſ.
Dalton Hooker. Der als Malakolog bekannt gewordene Arthur
Adams begleitete als Naturforſcher Sir Edw. Belcher, als der-
ſelbe 1843-1846 die Küſten der indiſchen und chineſiſchen Gewäſſer
unterſuchte. Ein deutſcher Botaniker, Berth. Seemann (geſt. 1871)
gieng als Naturforſcher mit Capt. Henry Kellett, als dieſer von
1845-1850 eine Reiſe um die Erde und drei Fahrten nach dem Polar-
meere zur Aufſuchung John Franklin's ausführte. Endlich nahm Thom.
H. Huxley in den Jahren 1846-1850 wie erwähnt an der Expedi-
tion der „Rattleſnake“ unter Capt. Owen Stanley Theil.
Sehr früh ſchon begannen die Ruſſen ihre größern Reiſen durch
Mitſendung von Naturforſchern für die Wiſſenſchaft nutzbar zu machen.
[655]Reiſende; Engländer u. Ruſſen.
Die erſte hier zu verzeichnende Erdumſegelung iſt die, welche unter
Adam Joh. von Kruſenſtern in den Jahren 1803 bis 1806 auf
der „Nadjeſchda“ ausgeführt wurde und an welcher Wilhelm Gottlieb
Tileſius (geb. 1769 in Mühlhauſen in Thüringen, ſpäter von Ruß-
land geadelt als von Tilenau, in ſeiner Geburtsſtadt 1857 geſtorben)
und Georg Heinr. von Langsdorff48) als Forſcher Theil nahmen.
Zwei Erdumſegelungen führte Otto von Kotzebue aus, von 1815
bis 1818 und von 1823-1826. An der erſten Reiſe auf dem Schiffe
„Rurik“ betheiligten ſich als Naturforſcher der den Deutſchen als Dichter
ſo werth gewordene Adelbert von Chamiſſo (geb. 1781, geſt. 1838)
und Joh. Friedrich Eſchſcholz (geb. 1793 in Dorpat, daſelbſt ge-
ſtorben 1831)49). Die Reiſe iſt bedeutungsvoll geworden durch die
erſte während derſelben erfolgte Beobachtung des Generationswechſels
bei den Salpen, den Chamiſſo dann geſchildert hat. Die zweite Fahrt
auf der „Predprijatie“ (Unternehmung) machte Eſchſcholz nochmals als
Zoolog mit; auf ſeinen beiden Reiſen ſammelte er das Material zu
ſeiner ſpäter noch zu erwähnenden Arbeit über die Meduſen. Die letzte
ruſſiſche Expedition von größerem geographiſchen Umfang war die Reiſe
um die Erde, welche Friedr. Benj. von Lütke auf dem Schiffe „Sen-
jawin“ in den Jahren 1826-1829 mit den Naturforſchern Ernſt
Lenz, Alex. Poſtels und dem Botaniker und Ornithologen F. H.
von Kittlitz ausführte.
Betheiligten ſich an den ruſſiſchen Reiſen nur deutſche Natur-
forſcher, ſo wurden dagegen von Deutſchland direct aus keine größern
Expeditionen unternommen. Auf ſeine eignen Koſten führte Georg
Adolf Erman (geb. 1806 in Berlin) eine Reiſe um die Erde auf der
ruſſiſchen Fregatte „Krotkoi“ 1828-1830 aus. Bilden auch ſeine
[656]Periode der Morphologie.
phyſikaliſchen Beobachtungen weitaus die wichtigſten Reſultate ſeiner
Reiſe, ſo wurde doch auch die Thierwelt auf derſelben berückſichtigt.
In den Jahren 1830-1832 begleitete Franz Jul. Ferdin. Meyen
(geb. 1804 in Tilſit, geſt. 1840 in Berlin) den Capt. Wendt auf der
Reiſe um die Erde mit dem preußiſchen Seehandlungsſchiff „Prinzeß
Louiſe“. Die von der öſterreichiſchen Regierung ausgerüſtete Expedition
der „Novara“ unter Wüllerſtorf-Urbair, von 1857-59, an welcher
Karl Scherzer, Georg Frauenfeld (geb. in Wien 1807) und an-
dere Naturforſcher Theil nahmen, iſt mit der Veröffentlichung ihrer
Reſultate noch nicht vollſtändig zu Ende. Gleichfalls über den hier zu
beſprechenden Zeitraum hinaus reicht die Bearbeitung der wiſſenſchaft-
lichen Ausbeute, welche die ſchwediſche Fregatte „Eugenia“ unter Capt.
Virgin (1851-1853) heimgebracht hat.
Von großer Bedeutung iſt endlich in Folge der umfaſſenden Bearbei-
tungen der einzelnen Thierclaſſen die von den Vereinigten Staaten Nord-
Amerika's veranſtaltete Explorationsfahrt unter Capt. Charles Wilkes
in den Jahren 1838-1842 geworden. An der Expedition nahmen
für die hier intereſſirenden Fächer Charles Pickering, Joſ. P.
Couthony, James D.Dana, T. R. Peale und Horatio Hale
Theil. Für die wiſſenſchaftliche Bearbeitung der reichen Sammlungen
war unter den Genannten vorzüglich Dana thätig.
In der vorſtehenden Aufzählung konnte auf die einzelnen, von den
Reiſenden beſuchten Länder nicht eingegangen werden. Bei der nun
folgenden Ueberſicht der fauniſtiſchen Leiſtungen und der für die Faunen
wichtigen Reiſen können wiederum nicht alle einzelnen Reiſenden nam-
haft gemacht werden, welche überhaupt Thiere geſammelt oder beobachtet
haben; es kann nur auf das Wichtigere hingewieſen werden. Die größte
Zahl naturhiſtoriſch gebildeter Reiſenden beſuchte in der erſten Hälfte
dieſes Jahrhunderts Süd-Amerika. Sehr wichtige Erfahrungen über
allgemein fauniſtiſche Verhältniſſe eines Theils von Süd-Amerika ſam-
melte der von der ſpaniſchen Regierung zur Grenzregulirung nach Pa-
raguay geſchickte Ingenieur Don Felix deAzara (geb. 1746, geſt.
1811), welcher zwanzig Jahre lang (1781-1801) das Land eingehend
ſtudirte. Von 1799-1804 bereiſte Alex. von Humboldt mit Aimé
[657]Fauniſten. Südamerika.
Bonpland Süd-Amerika. Verdankt die Zoologie Humboldt auch
gerade keinen bedeutenden Zuwachs neuer Formen, ſo ſind doch ſeine
Schilderungen des Thierlebens muſterhaft. Beſonders gewann durch
ihn die wiſſenſchaftliche Behandlung der Thiergeographie, dadurch daß
er das Vorkommen der Arten an die geſammten Naturverhältniſſe an-
knüpfte. Die Naturgeſchichte Braſiliens fand im Prinzen Maximilian
Alexander Philipp Wied-Neuwied (geb. 1782, geſt. 1867), welcher
dies Land von 1815-1821 bereiſte, einen eifrigen und zuverläſſigen
Beobachter und Beſchreiber. Im Jahre 1817 giengen die öſterreichi-
ſchen Naturforſcher Joh. Emanuel Pohl (Botaniker, 1782-1834),
Joh. Chriſtian Mikan (1769-1844) und Joh. Natterer (1787
bis 1840) im Gefolge einer Erzherzogin nach Braſilien, vorzüglich um
zu ſammeln. Ihnen ſchloſſen ſich auf Befehl des Königs Max Joſeph I.
von Bayern Joh. Bapt. Spix und Karl Friedr. Phil. Martius50)
an, um drei Jahre lang das Land zu bereiſen. Während der letztere
beſonders durch ſeine Palmenunterſuchungen die Reiſe zu einer ſehr
bedeutungsvollen gemacht hat, hat Spix die Kenntniß der braſilianiſchen
Fauna durch Beſchreibung der neuen Formen nicht unweſentlich erwei-
tert (mit Ausnahme der Gliederthiere, welche Max Perty beſchrieb,
und der Fiſche, die L. Agaſſiz bearbeitete). Einen ſorgfältigen und
gewiſſenhaften Beobachter fand die Thierwelt Paraguay's wieder in
Joh. Rud. Rengger (geb. 1795 in Aarau, geſt. daſelbſt 1832),
welcher 1818-1826 in Süd-Amerika reiſte. Der 1857 als Profeſſor
der Paläontologie am Pflanzengarten in Paris geſtorbene Alcide Deſ-
ſalines d'Orbigny (geb. 1802) bereiſte 1826-1833 Süd-Amerika
und zwar in ausgedehnter Weiſe den ſüdlichen Theil des Continents
mit reichen Erfolgen für Zoologie und Ethnographie. Ausgezeichnet durch
die künſtleriſche Form der Darſtellung ſeiner Reiſe iſt Eduard Friedr.
Pöppig (geb. 1798 in Plauen, geſt. 1868 in Leipzig), welcher 1822-
1832 Amerika, erſt Cuba, dann Penſylvanien und von 1827 an Peru,
V. Carus, Geſch. d. Zool. 42
[658]Periode der Morphologie.
Chile und das Amazonasgebiet, meiſt auf eigene Koſten durchforſchte.
Von ſeinen reichen zoologiſchen Sammlungen hat er ſelbſt nur wenig
beſchrieben. Der Franzoſe Claude Gay (geb. 1800) unterſuchte auf
Koſten der chileniſchen Regierung von 1828-1842 Süd-Amerika, be-
ſonders Chile in naturhiſtoriſcher Beziehung. Die Ethnographie und
Fauna Peru's bearbeitete Joh. Jak. von Tſchudi (geb. 1818 in
Glarus) nach den Erfahrungen eines fünfjährigen Aufenthaltes daſelbſt
(1838-1842). Graf Francis de Caſtelnau führte von 1844-
1847 auf Anordnung der franzöſiſchen Regierung eine Forſchungsreiſe
durch Süd-Amerika aus, welche auch für Zoologie ergiebig war. Das
nördlichere Süd-Amerika, beſonders Guyana, wurde von den Brüdern
Robert und RichardSchomburgk51) in ſeinen Naturverhältniſſen
unterſucht. Endlich iſt noch neuerdings Herm. Burmeiſter als
Fauniſt Braſilien's thätig geweſen. Und wie unerſchöpflich die Reich-
thümer Süd-Amerika's ſind, beweiſen die wiſſenſchaftlich ſo bedeutenden
Schätze, welche Alfred Ruſſell Wallace, H. W. Bates und ganz
neuerlich L. Agaſſiz von ihren Reiſen zurückgebracht haben, wie auch
die 1849-1852 nach Süd-Amerika geſandte aſtronomiſche Expedition
der Vereinigten Staaten unter Capt. Gilliß nicht ohne zoologiſche Re-
ſultate geblieben iſt. — Von den weſtindiſchen Inſeln wurde Cuba na-
turhiſtoriſch durchforſcht von Ramon de la Sagra (geb. 1798, ſeit
1823 Director des botaniſchen Gartens in Havana); die Bearbeitung
des zoologiſchen Theils ſeiner Reſultate übernahmen pariſer Gelehrte.
Ebenſo hat Felipe Poey die Naturgeſchichte der Inſel geſchildert, und
außer den früher genannten Reiſenden ſammelten noch verſchiedene An-
dere dort, wie Joh. Gundlach, Aug. Sallé u. a.
Um die Kenntniß der Fauna Nord-Amerika's haben ſich zunächſt
Bewohner des Landes ſelbſt die größten Verdienſte erworben. Unter
[659]Fauniſten. Nordamerika.
den älteren Amerikanern verdienen die beiden Bartram's, John
(1701-1779) und William (1739-1823), ſowie Benj. Smith
Barton (1766-1815) Erwähnung. Die Säugethiere lehrten Rich.
Harlan und der noch zu nennende Audubon, Reptilien außer Har-
lan beſonders John Edw. Holbrook (geb. 1795), Fiſche außer letzte-
rem Jer. B. C. Smith, Humphrey David und Horatio Rob. Storer
und Edw. Hitchcock (geb. 1793) kennen. Die Vögel beſchrieben
Alex. Wilſon (geb. 1766 in Schottland, um 1794 nach Amerika
ausgewandert, geſt. 1813) und der als vorzüglich ſorgfältiger Beob-
achter und geſchickter Maler ausgezeichnete John James Audubon
(1780-1851). Zu dieſen kamen Conſt. Sam. Rafinesque-
Schmaltz, ein geborner Sicilianer (in Galata, 1783), welcher ſpäter
nach Amerika gieng, beſonders die Fiſche Ohio's unterſucht hat und
1840 in Philadelphia ſtarb. Gleichfalls für die Förderung der Fiſch-
kenntniß war Leſueur thätig. Die Wilſon'ſche Ornithologie vervoll-
ſtändigte Charl. Lucien Bonaparte (geb. 1803, Sohn Lucian's,
lebte lange in Amerika, kehrte 1830 nach Europa zurück und ſtarb 1857).
Auch Prinz Maximilian von Wied-Neuwied unterſuchte Theile
Nord-Amerika's auf ihre Thierwelt. Der Staat New-York wurde auf
Veranſtaltung ſeiner Regierung naturhiſtoriſch beſchrieben, wobei Ja-
mes Edw. de Kay (geſt. 1851) die Zoologie und James Hall (geb.
1811) die Paläontologie übernahmen. Ganz bedeutende fauniſtiſche
Ausbeute gaben die in neuerer Zeit zur Ermittelung paſſender Eiſen-
bahnlinien quer durch den Continent ausgeſandten Expeditionen. Das
größte Verdienſt bei der Anordnung und Verwerthung des Materials
hat Spencer F. Baird (geb. 1823). Die von L. Agaſſiz begonne-
nen Beiträge zur Naturgeſchichte Nord-Amerika's haben bis jetzt nur
Schildkröten und Meduſen behandelt. Die Fauna des nördlichen Theils
des Continents hat Sir John Richardſon (geb. 1787, geſt. 1865)
nach umfaſſenden Vorlagen bearbeitet, welche er ſelbſt als zweimaliger
Begleiter John Franklin's (1819-22, und 1825-27) während der
Nordpolexpeditionen geſammelt hatte. 1845 führte er ſelbſt eine Expe-
dition zur Aufſuchung Franklin's aus; auch hat er die Zoologie von
Sir. Edw. Belcher's letzter Polarfahrt herausgegeben.
42*
[660]Periode der Morphologie.
Ueber die Thierwelt Auſtraliens hatte nächſt den früher angege-
benen Funden zuerſt John White und Jam. Edw. Smith Mitthei-
lungen gemacht. Eine Fauna Auſtraliens begann ſchon 1794 George
Shaw (1751-1813) zuſammenzuſtellen. Flinders hatte zwar Robert
Brown als Botaniker in ſeiner Begleitung; doch verdankt man ihm
keine weſentliche Bereicherung der Kenntniß der auſtraliſchen Fauna.
In den Jahren 1818-1822 unterſuchte Phil. Parker King einen
Theil der Küſten und brachte zoologiſches Material nach Europa.
George Bennett bereiſte wie erwähnt Auſtralien und verſchiedene
Theile Süd-Aſiens 1832-34 als Naturhiſtoriker. Die reichſte Aus-
beute an höheren Thieren brachte aber John Gould (geb. 1804),
welcher 1838 auf mehrere Jahre nach Auſtralien gieng. Die großen
oſtindiſchen Inſeln durchforſchten früher Engländer, wie Sir Stamford
Raffles (1781-1826), Thomas Horsfield (geb. 1773 in Pen-
ſylvanien, geſt. 1859 in London), ſpäter Holländer, ſo Casp. Georg
Karl Reinwardt (1773-1854), Salomo Müller, J. J. van
Haſſelt. In einem großen Sammelwerke vereinigte dann Conr. Jac.
Temminck (1778-1858) die Schilderungen der Thierwelt der nie-
derländiſchen überſeeiſchen Beſitzungen. Die Naturgeſchichte des oſt-
indiſchen Feſtlandes, für welche ebenſo wie für die der Inſeln beſondere
Journale gegründet wurden, wurde faſt ausſchließlich von Engländern
erforſcht, am thätigſten waren hier unter einer größeren Zahl hier nicht
einzeln zu verzeichnender Männer T. C. Jerdon, Edw. Blyth,
John M'Clelland und Horsfield. Sehr erfolgreich war die Reiſe
des Freiherrn Karl Alex. Anſ. von Hügel (geb. 1796, geſt. 1870)
nach Kaſchmir und dem Lande der Sikhs. Einzelnes theilte auch Char-
les Bélanger mit, welcher 1825-1829 zu Lande nach Oſt-Indien
und dann über Java, Mauritius und das Cap nach Europa zurück-
gieng. Um die Geſchichte der foſſilen Thierwelt Oſt-Indiens hat ſich
Hugh Falconer (geb. 1808, 1830-1843 und 1848-1855 in
Indien, ſtarb 1865) die größten Verdienſte erworben. Die ausgedehn-
teſte Kenntniß der Fauna Japan's verdankt die Wiſſenſchaft Phil. Franz
von Siebold, welcher überhaupt Japan in Europa kennen gelehrt hat 52).
[661]Fauniſten. Auſtralien, Aſien, Afrika.
Die Thierwelt der Inſeln Mauritius und Madagascar machten
in zuſammenhängender Weiſe zuerſt Julien Franç. Desjardins
(1799-1840) und Victor Sganzin bekannt, nachdem ſchon früher
Bory de Saint Vincent einige Formen derſelben in ſeiner Reiſe
durch die vier afrikaniſchen Meere geſchildert hatte. — Süd-Afrika be-
reiſte von 1804-1806 Martin Karl Heinr. Lichtenſtein, welcher
1780 in Hamburg geboren in holländiſchen Dienſten als Arzt nach dem
Cap gieng, 1811 Profeſſor der Zoologie in Berlin wurde und als
ſolcher auf einer Reiſe zwiſchen Korſör und Kiel ſtarb. Die Fauna
Süd-Afrika's ſchilderte Andrew Smith. Fernere Bereicherungen der-
ſelben ſind Chrſtn. Ferd. Friedr. Krauß (geb. 1812, von 1837-
1840 am Cap) und dem Schweden J. A. Wahlberg u. A. zu ver-
danken. Während die Reiſen Friedrich Hornemann's (geb. 1766
in Hildesheim, 1800 verſchollen) und Mungo Park's (geb. 1771
in Selkirk in Schottland, 1805 geſt. auf dem Niger) kaum irgendwelche
zoologiſche Ausbeute ergaben, brachte am früheſten James Kingston
Tuckey von ſeiner 1816 unternommenen Congofahrt fauniſtiſches
Material nach Europa. Ebenſo war die Reiſe von Hugh Clapperton,
Dixon Derham und Walter Oudley im weſtlichen Centralafrika
(1822-1825) nicht ohne zoologiſche Reſultate. An der Oſtküſte waren
von 1844-48 Wilh. Karl Hartw. Peters (geb. 1815, Lichtenſtein's
Nachfolger in Berlin), kurze Zeit darauf Carlo Fornaſini als be-
obachtende und ſammelnde Naturforſcher thätig. Des letzteren Aus-
beute bearbeiteten in Bologna Giuſ. Bertoloni und Gian Giuſ.
Bianconi (geb. 1809). — Die meiſten Aufklärungen über die Thier-
welt Nordoſt-Afrika's gewährten die Reiſen deutſcher Gelehrten. Nach
den der franzöſiſchen Expedition nach Aegypten zugetheilt geweſenen
Zoologen, den oben erwähnten Et. Geoffroy und J. C. Savigny,
unterſuchten Friedr. Wilh. Hemprich (geb. 1795, ſtarb 1825 in
Aegypten) und Chſtn. Gfried. Ehrenberg (geb. 1795) die Natur-
geſchichte Aegyptens und des rothen Meeres mit reichen zoologiſchen
52)
[662]Periode der Morphologie.
Reſultaten. Von 1822 an war in verſchiedenen einzelnen Reiſen Wilh.
Pet. Eduard Rüppell (geb. 1794) mit der Durchforſchung Abyſſi-
niens und Dongola's beſchäftigt. Seine geographiſch wichtigen Reiſen
haben auch die Kenntniß der afrikaniſchen Thierwelt nicht unerheblich
erweitert. Gleichfalls ſehr erfolgreich waren die von 1835-1840 in
Nordoſt-Afrika und Syrien ausgeführten Reiſen Joſeph Ruſſegger's
(geb. 1802), welchen Theod. Kotſchy (geb. 1813, geſt. 1866) als
beſchreibender Naturforſcher begleitete. Eine franzöſiſche Expedition nach
Abyſſinien führte in den Jahren 1839-1843 Théophile Lefebvre.
Neuerdings hat auch Theodor von Heuglin (geb. 1824) verſchiedenes
Neue von ſeiner Reiſe in Nordoſt-Afrika (1852-53) heimgebracht,
wie ja auch die mannichfachen Expeditionen in das Innere von Afrika,
welche den letzten zwanzig Jahren angehören, nicht ohne einzelne inter-
eſſante zoologiſche Ausbeute geblieben ſind. — Nachdem bereits 1836-38
Moritz Wagner (geb. 1807, Bruder des Phyſiologen Rudolph W.)
die Regentſchaft Algier zu naturhiſtoriſchen Zwecken bereiſt hatte, ließ
die franzöſiſche Regierung in den Jahren 1840-1843 Algerien durch
eine beſondere Commiſſion wiſſenſchaftlich unterſuchen. — Die canari-
ſchen Inſeln, welche bereits Alex. von Humboldt vorübergehend, ſpäter
Leopold von Buch auf ihre phyſikaliſchen und geologiſchen Verhältniſſe
unterſucht hatte, fanden von 1835-44 in Philipp Barker-Webb
und Sabin Berthelot (geb. 1794 in Marſeille) naturhiſtoriſche
Beſchreiber. Die Fauna Madeira's unterſuchten R. T. Lowe, Osw.
Heer, T. Vernon Wollaſton u. A.
Für die Kenntniß der Tiefenverbreitung der Thiere wurden die
noch zu erwähnenden Unterſuchungen von Edward Forbes im Mittel-
meere ſehr wichtig. Griechenland wurde von einer unter Leitung von
Bory de St. Vincent geſtellten wiſſenſchaftlichen Commiſſion von
Frankreich aus naturhiſtoriſch erforſcht (1829-31). Das adriatiſche
Meer fand in Stefano Andr. Renier (1759-1830) einen fauniſti-
ſchen Bearbeiter. Neapel's Fauna ſchilderten Stefano delle Chiaje
und Oronzio Gabriele Coſta (ſpäter in Verbindung mit ſeinem Sohne
Achille). Eine italieniſche Fauna bearbeitete Bonaparte. Zur nähern
Erforſchung der zoologiſchen Verhältniſſe Spaniens iſt in neuerer Zeit
[663]Fauniſten. Europa.
eine Commiſſion unter Mariano della Paz Graells in Thätigkeit ge-
treten, nachdem vorher beſonders auch deutſche Entomologen und Con-
chyliologen die iberiſche Halbinſel bereiſt hatten.
Nachdem bereits von 1810 an J. A. Riſſo (1777-1845) die
Fiſche, Mollusken und Kruſter der ſüdfranzöſiſchen Küſtenſtriche bear-
beitet hatte, begann eine Geſellſchaft franzöſiſcher Zoologen 1820 die
Fauna Frankreichs ſyſtematiſch zu ſchildern. Das Unternehmen, an
dem Vieillot, Blainville, Walkenaer u. A. ſich betheiligten,
iſt indeſſen nicht zu Ende geführt worden. Neuerdings hat Paul Ger-
vais die lebenden und foſſilen Wirbelthiere Frankreichs zu ſchildern
unternommen. Gleichfalls nur die Wirbelthiere behandelte Mich. Edm.
de Selys-Longchamps in ſeiner belgiſchen Fauna, für deren ma-
rinen Theil verſchiedene werthvolle Beiträge von P. J. van Beneden,
Barth. Charl. Dumortier (geb. 1797) u. A. lieferten. Die Thierwelt
der Schweiz verzeichneten, ſich in die einzelnen Claſſen theilend, Heinr.
Rud. Schinz (geb. 1777, geſt. 1861), Osw. Heer (geb. 1809),
Joh. Charpentier (1786-1855), Joh. Jak. von Tſchudi (der
Reiſende) u. A., während ein Verwandter des Letzteren Friedr. von
Tſchudi (geb. 1820) anregende Naturſchilderungen von dem Leben
der höhern Thiere in der Schweiz entwarf. Um die Kenntniß der deut-
ſchen Fauna hat der Kupferſtecher Jak. Sturm (1771-1848) in
Nürnberg ſehr große Verdienſte, indem er mit Georg Wolfg. Franz
Panzer (1755-1829), Joh. Wolf (1765-1824), von Voith
und W. Hartmann von Hartmannsruthi und unterſtützt von ſeinen
Söhnen Joh. Heinr. Chrſtn. Friedr. und Joh. Wilh. SturmDeutſch-
land's Fauna in Abbildungen mit Beſchreibungen herauszugeben begann.
Andere Verſuche, die Thierwelt Deutſchlands darzuſtellen, erſtrecken
ſich entweder nur auf einzelne geographiſche Gruppen, wie das nicht
unverdienſtliche Werk Carl Ludw. Koch's über bayriſche Säugethiere
und Vögel, oder nur auf einzelne Claſſen.
Reicher an ſpeciellen Darſtellungen der einheimiſchen Fauna iſt
England. Dem ältern Werke von Pennant reihen ſich die durchaus
brauchbaren neueren an von John Fleming und Leon. Jenyns
(letzteres nur über Wirbelthiere). Beſonders werthvoll wurde aber die
[664]Periode der Morphologie.
Reihe fauniſtiſcher Arbeiten, welche von George Johnſtone (1797-
1855), Edw. Forbes, Thom. Bell (geb. 1792) und Will. Yar-
rell (1780-1856) in gleichförmiger Bearbeitung und Ausſtattung
veröffentlicht wurden. Es wurden aber auch einzelne Diſtricte genauer
durchforſcht; und hierbei iſt beſonders Jonathan Couch (und ſein Sohn
R. O. Couch) für die Fauna von Cornwall und Will. Thompſon
für die iriſche Fauna thätig geweſen. Die ſkandinaviſche Halbinſel
wurde fauniſtiſch von C. Quenſel und (in Bezug auf Wirbelthiere)
von Sven Nilsſon (1787-1856) beſchrieben, nachdem ſchon zu
Anfang dieſes Jahrhunderts And. Jah. Retzius (1742-1821) die
Linné'ſche Schwediſche Fauna wenigſtens hinſichtlich der Wirbelthiere
neu bearbeitet hatte. Für die Kenntniß der marinen Fauna wurden die
Arbeiten von M. Sars, J. Korén und Dan. C. Danielſsen
äußerſt wichtig. — Nach Lapland und Spitzbergen wurde 1838-40
von Frankreich eine Commiſſion geſandt, dieſelbe, welche 1835-36
ſchon Island und Grönland beſucht hatte und welcher Paul Gaimard
als Zoolog angehörte. — Was endlich die ruſſiſche Fauna betrifft, ſo
verdankt die Wiſſenſchaft auch hier A. von Humboldt, welcher 1829
das aſiatiſche Rußland mit Ehrenberg bereiſte, werthvolle fauniſtiſche
Angaben. Eine ſtattliche Reihe von Reiſenden ſammelte ferner zoolo-
giſche Thatſachen in den verſchiedenen Theilen des weiten Reiches.
Fürſt Anatol Demidoff unterſuchte Süd-Rußland, Ed. Eichwald
(geb. 1795) den Kaukaſus; die von der geographiſchen Geſellſchaft
unter Ernſt Hofmann ausgeſandte Expedition zur Unterſuchung des
Ural brachte zoologiſche Ausbeute heim. Am wichtigſten iſt indeſſen
die große Reiſe in den äußerſten Nordoſten Sibiriens, welche 1843-44
Alex. Theod. von Middendorff (geb. 1815) ausführte. Ihr
ſchließen ſich die Forſchungen Leop. von Schrenk's im Amur-Lande
(1854-56) an.
Es waren durch dieſe Unterſuchungen über die Thierwelt einzelner
Länder und Meere noch viel zahlreichere Thatſachen über das Vor-
kommen beſtimmter Arten geſammelt worden, als ſolche Zimmermann
bei ſeinem erſten Verſuche einer Zoogeographie zu Gebote geſtanden hatten
(ſ. S. 534). Doch wirkte hier, wenn der Ausdruck geſtattet iſt, das
[665]Zoogeographie.
überreiche Material in ähnlicher Weiſe erdrückend, wie oben für die
zoologiſchen Thatſachen im Allgemeinen angegeben wurde. Man ſuchte
daher überhaupt nur in die Angaben Ordnung zu bringen, dadurch daß
man ſtatiſtiſch verfahrend ſowohl die Bevölkerungsdichtigkeit beſtimmter
Länder, als auch das örtliche Vorkommen gewiſſer Arten ſowie die
Dichtigkeit ihres Vorkommens tabellariſch und kartographiſch zuſammen-
ſtellte. Nur G. R. Treviranus gieng auf einzelne der von Zimmer-
mann ſchon hervorgehobenen Punkte ein, ohne indeſſen die zoogeogra-
phiſchen Thatſachen näher einer Erklärung entgegenzuführen. Es gieng
hier eben wie es mit den meiſten der zuſammengeſetzten Naturerſchei-
nungen gegangen iſt. Man kannte ihre Form noch nicht eingehend
genug und ſuchte dieſe erſt auf allerlei Weiſe zu ermitteln und ſicher zu
ſtellen. Zu derartigen Verſuchen gehören die Darſtellungen über die
geographiſche Verbreitung der Säugethiere von Illiger (1811) und
Andr. Wagner (1844-46), der Vögel von Lovén, der Schlangen
von H. Schlegel, die Angaben über Fiſche von L. Agaſſiz u. ſ. f.
Intereſſante Reſultate der erwähnten Art ſind ferner aus der Ver-
gleichung verſchiedener Faunen gezogen worden, ſo die Eigenthümlichkeit
der auſtraliſchen Thierwelt, die merkwürdige Trennung der aſiatiſchen
und auſtraliſchen Fauna auf einer quer zwiſchen den ſüdaſiatiſchen In-
ſeln durchgehenden Linie, die Vergleichung der marinen Fauna des
Mittelmeers mit der nördlicher Meere von Sars u. ſ. w. Aber alles
Dies bietet eben nur eine immer weiter ins Einzelne gehende Bekannt-
ſchaft mit den thatſächlichen Verhältniſſen der Verbreitung dar. Und
wenn durch L. Agaſſiz der Begriff der Schöpfungsmittelpunkte auf-
geſtellt worden iſt, ſo enthält doch dieſer Ausdruck nur eine kurze Ge-
ſammtbezeichnung für die Dichtigkeit und die Grenzen des Vorkommens
einzelner Arten, ohne deren Erklärung damit auch nur einen Schritt
näher zu kommen. Nur von ſtatiſtiſchem Standpunkte aus ſind die
Arbeiten von Charles Pickering und Ludw. Schmarda als Sam-
melwerke bearbeitet. — Von großer Wichtigkeit mußte für die Er-
klärung der geographiſchen Verbreitung der Thiere eine neue Auffaſſung
der thieriſchen Verwandtſchaft und der geologiſchen Aufeinanderfolge
thieriſcher Formen werden, wie ſie durch das Auffinden foſſiler Beutel-
[666]Periode der Morphologie.
thiere in Europa, und vieles Aehnliche, vorbereitet wurde, aber erſt in
der allerneueſten Zeit Früchte zu geben verſpricht. — Meiſt hatte man
bis dahin nur Land- und Luftthiere und höchſtens noch die Fiſche unter-
ſucht, der übrigen marinen Fauna aber nur im Allgemeinen Aufmerk-
ſamkeit geſchenkt. Als eine nicht unweſentliche Erweiterung der zoogeo-
graphiſchen Thatſachen iſt daher das Aufſtellen verſchiedener Tiefenzonen
von M. Sars (1835), ſowie die Unterſuchungsreihe zu betrachten,
welche Edward Forbes (geb. 1815 auf der Inſel Man, geſt. 1854),
von 1841-43 an Bord des „Beacon“ im Aegäiſchen Meere über die
bathymetriſche Vertheilung der Organismen anſtellte und welche ſich
ſpäter bei Unterſuchung der geographiſchen Verbreitung foſſiler See-
thiere durch Nachweis der homoeozoen Gürtel fruchtbar erwieſen hat.
Nicht ohne Einfluß iſt endlich die Arbeit von Anders S. Oerſted (geb.
1815) über die Geſetze der Farbenvertheilung bei Thieren verſchiedener
Meerestiefen geblieben.
Fortbildung des Syſtems.
Die Aufſtellung der Typen durch Cuvier war eine für die ganze
Auffaſſung des Thierreichs ſo außerordentlich wichtige Thatſache, daß
auch die Syſtematik eine völlige Umgeſtaltung erfahren mußte. Trotz-
dem machte ſich dieſer Einfluß nur langſam geltend und es fehlte bis in
die neueſten Zeiten herab nicht an Syſtemen, welche entweder ohne alle
Rückſicht auf die Baupläne die Thiere nach einzelnen Merkmalen ein-
theilten oder die Typen gewiſſen höhern Eintheilungsgründen unter-
und einordneten. Cuvier ſelbſt gelangte zur Auffaſſung ſeiner vier
Typen durch rein claſſificatoriſche Betrachtungen. Die Subordination
der Charaktere, welche er überall durchzuführen ſuchte, ließ ihn zunächſt
erkennen, daß die Linné'ſchen Claſſen ungleichwerthig ſeien, daß z. B.
die Mollusken in ihren verſchiedenen Formen gleiche Modificationen
des Baues darbieten, wie die vier Wirbelthierclaſſen. Es war alſo in
erſter Linie ein methodiſches Bedürfniß, welches ihn zur Gründung
größerer gleichwerthiger Abtheilungen führte. Im Jahre 1795 ſpricht
er aus, daß die Natur nach einem gewiſſen Plane gearbeitet und
[667]Fortbildung des Syſtems.
daß ſie die einzelnen Organe anderen untergeordnet habe. Als Haupt-
geſichtspunkt für eine Eintheilung ſtellt er auf, daß wo Herz und Kie-
men exiſtiren auch die Leber vorhanden iſt; neben den Generations-
organen geben daher die Circulationsorgane die Merkmale erſter Ordnung
ab; Merkmale zweiter Ordnung bieten die Organe der Relation,
Nerven, Sinnesorgane und Bewegungsorgane. Dieſe beiden Merk-
malsgruppen verbindend löſt er die Linné'ſchen Claſſen der Würmer
und Inſecten in folgende ſechs auf: Mollusken, Cruſtaceen, Inſecten,
Würmer (d. h. Ringelwürmer), Echinodermen und Zoophyten. Im
Tableau élémentaire, 1798, vereinigte er Inſecten und Würmer zu
einer größern Abtheilung, die Würmer den Larven der Inſecten ver-
gleichend und ſie in borſtentragende und nackte eintheilend, wobei er die
paraſitiſchen noch den andern Formen anſchließt. Gleichzeitig bringt
er Echinodermen, Polypen und Infuſorien zu einer Hauptgruppe zu-
ſammen, den Zoophyten. Als oberſten Eintheilungsgrund hält er ſo-
wohl 1798 als 1800 in der Einleitung zu ſeinen Vorleſungen das
Vorhandenſein oder Fehlen eines Skelets und die Beſchaffenheit des
Bluts aufrecht, indem er geradezu ausſpricht, daß ſich das Thierreich
zunächſt in zwei große Familien ſcheide, in Thiere mit Wirbeln und
rothem Blute und in ſolche ohne Wirbel mit weißem Blute. Von 1812
an ſtellt er die vier Typen der Wirbelthiere, Mollusken, Gliederthiere
und Zoophyten oder Strahlthiere als größte Gruppen hin und bildet
damit morphologiſch, allerdings im Einzelnen Manches nicht richtig
faſſend, die Grundlage aller ſpäteren ſyſtematiſchen Verſuche dieſer
Periode.
Es wurde oben erwähnt, daß Batſch bereits die vier obern Claſſen
Linné's als Knochenthiere zuſammengefaßt habe. In gleicher Weiſe
ſtellte Daubenton in ſeinem Abriſſe des Syſtems die Wirbelthiere
als Thiere mit Knochen den Inſecten und Würmern als Thieren ohne
Knochen gegenüber (1796). Er trennt die Cetaceen von den Säuge-
thieren und die Schlangen von den eierlegenden Vierfüßern als Claſſen,
ſo daß er ſechs Wirbelthierclaſſen erhält. Und in Bezug auf die Knochen-
loſen meint er, daß man wohl wegen der ſo völlig verſchiedenen Zu-
ſammenſetzung dieſer Thiere fragen könne, ob ſie wirklich in demſelben
[668]Periode der Morphologie.
Sinne Thiere zu nennen ſeien wie die Knochenthiere. Das Syſtem,
welches André Marie Conſtant Duméril (1774-1860) in ſeiner
analytiſchen Zoologie durchführte, iſt ziemlich daſſelbe wie das was
Cuvier ſeinen Vorleſungen zu Grunde legte; nur weicht es in Betreff
der den Zoophyten zugewieſenen Formen dadurch ab, daß es die Hel-
minthen, welche Cuvier dort noch als zweifelhaft zu den übrigen Wür-
mern geſtellt hatte, den Zoophyten zutheilt. Lamarck hatte in ſeinem
erſten Curſus fünf Claſſen wirbelloſer Thiere aufgeſtellt, Mollusken,
Inſecten, Würmer, Echinodermen und Polypen; 1796 änderte er die
Claſſenbezeichnung der Echinodermen in die der Strahlthiere, um die
Meduſen damit vereinigen zu können. 1800 ſtellte er die Claſſe der
Arachniden auf, welche Cuvier ſchon 1798 unter dem Namen Aracnéi-
des als Ordnung der Inſecten aufgeführt hatte; und 1802 bildete er
aus den rothblütigen Würmern Cuvier's die Claſſe der Anneliden. In
dem 1801 erſchienenen Syſtem der wirbelloſen Thiere hat er daher
ſieben Claſſen, Mollusken, Cruſtaceen, Arachniden, Inſecten, Würmer,
Strahlthiere und Polypen (ſtrahlige, Räderthiere und amorphe), wo-
gegen in der zoologiſchen Philoſophie die Cirripeden, Anneliden und
Infuſorien ſelbſtändige Claſſen geworden ſind (1809). Dabei ordnet
er dieſelben ſo, daß Infuſorien und Polypen den erſten Organiſations-
grad darſtellen, ohne Nerven, Gefäße und andere innere Organe als
die Verdauungsorgane; die zweite Stufe bilden Strahlthiere und Wür-
mer ohne Längsnervenmark und Gefäße, aber „mit einigen andern
innern Organen außer denen der Verdauung“. Die Arachniden und
Inſecten bilden die dritte Stufe, auf welcher Nerven in einer Markkette
und luftführende Tracheen vorhanden ſind, wogegen die Circulation
null oder unvollſtändig iſt. Die vierte Stufe endlich nehmen Cruſtaceen,
Anneliden, Cirripeden und Mollusken ein; ſie ſind durch den Beſitz
von Gehirn und Längsnervenſtrang, Kiemen, Arterien und Venen aus-
gezeichnet. In der Naturgeſchichte der wirbelloſen Thiere (1815) ver-
einigt er die Infuſorien, Polypen, Strahlthiere und Würmer als
„Apathiſche Thiere“; ſie haben kein Gehirn, kein Längsmark, keine
Sinnesorgane, ihre Form iſt verſchieden, ſelten zeigt ſich Gliederung.
Die übrigen ſechs wirbelloſen Claſſen bilden ſeine „Senſiblen Thiere“;
[669]Syſteme: Lamarck. Blainville. Voigt.
ſie haben keine Wirbelſäule, ein Gehirn und meiſt ein Längsmark, einige
deutliche Sinne, die Bewegungsorgane ſind unter der Haut angebracht,
ihre Form iſt ſeitlich ſymmetriſch. Neben dieſen beiden Gruppen, die
Weiterbildung der letztern darſtellend, ſtehn die Wirbelthiere als „Intel-
ligente Thiere“ mit Wirbelſäule, Gehirn und Rückenmark, deutlichen
Sinnen, ihre Bewegungsorgane ſind an innere Skelettheile geheftet,
ihr Körper ſeitlich ſymmetriſch. In gleicher Weiſe die allgemeine Kör-
perform berückſichtigend ſtellte wie erwähnt Blainville drei Unter-
reiche auf, eins für die ſeitlich ſymmetriſchen Wirbel-, Glieder- und
Weichthiere, eins für die Strahlthiere, ein drittes für Thiere mit un-
regelmäßiger Körperform, Spongien, Infuſorien und Corallinen53).
Eine Eintheilung, welche ſich im Allgemeinen an die Aufſtellung größerer
Gruppen von möglichſt gleichem Werthe, wie ſolche Cuvier gab, an-
ſchließt, aber gerade das Hauptverdienſt des Letzteren, die Klärung der
Linné'ſchen Würmer nicht mit aufnahm, gab 1817 Friedrich Siegmund
Voigt (geb. 1784 in Gotha, ſtarb 1850 als Profeſſor in Jena, über-
ſetzte Cuvier's Thierreich). In den ſpäter noch zu erwähnenden Grund-
zügen einer Naturgeſchichte (1817) theilte er die Thiere in gallertige
oder weiche, in gegliederte oder gepanzerte und in ſkeletführende oder
Gerippthiere. Die letzten beiden Abtheilungen entſprechen den Wirbel-
und Gliederthieren Cuvier's, die Weichthiere den Linné'ſchen Würmern;
er unterſcheidet in dieſen zwar neun Claſſen (einfache Thiere, nackte
Zoophyten, Korallen, Eingeweidewürmer, Anneliden, ſtrahlige Mollus-
ken [Echinodermen], Schalmollusken und nackte Mollusken mit Sepia
und Clio u. ſ. f.), erkennt aber keine nähern Beziehungen zwiſchen
einzelnen derſelben an.
Von den Syſtemen, welche ausgeſprochenermaßen ſich auf einzelne
Organſyſteme gründen, ſei zunächſt das von Aug. Friedr. Schweig-
ger54) angeführt, worin die Athemorgane und die Athmung als Haupt-
[670]Periode der Morphologie.
eintheilungsgrund benutzt werden. In ſeinen für die Zeit des Erſchei-
nens ſehr brauchbaren, von großer Beleſenheit und richtigem Urtheile
zeugenden Buche, Naturgeſchichte der ſkeletloſen ungegliederten Thiere
(1820), gibt er ein zoologiſches Syſtem, wonach die Thiere zunächſt
in zwei große Gruppen zerfallen, ſolche ohne Gefäße oder nur mit ein-
zelnen Gefäßen oder getrennten Gefäßſyſtemen und ohne Skelet, und
ſolche mit in ſich geſchloſſenem über alle Organe vertheiltem Gefäß-
ſyſteme und doppeltem Kreislauf. Beide Gruppen theilt er in zwei
weitere, je nachdem die Thiere Waſſer oder Luft athmen. Waſſerath-
mende ſkelet- und gefäßloſe Thiere ſind Zoophyten (Infuſorien, Spon-
gien und Polypen), Eingeweidewürmer, Meduſen und Strahlthiere
(Echinodermen und Actinien), luftathmende Skeletloſe ſind Inſecten
und Arachniden. Zu den Thieren mit doppeltem Kreislauf und Waſſer-
athmung rechnet Schweigger Cruſtaceen, Annulaten, Cirripeden, Mol-
lusken und Fiſche, zu den luftathmenden Skeletthieren die drei höheren
Wirbelthierclaſſen. Das Unnatürliche der Anordnung tritt hier auf
den erſten Blick entgegen und läßt die entſchiedene Unzweckmäßigkeit
erkennen, einen Anpaſſungscharakter voranzuſtellen, wenn überhaupt
einzelne Merkmale als Haupteintheilungsgründe gewählt werden ſollen.
Weniger tritt dies bei dem Syſteme Wilbrand's auf, welches eine
einſeitige Weiterentwickelung des Linné'ſchen iſt. Er ſtellt (1814) die
Beſchaffenheit der Blutflüſſigkeit obenan und theilt die Thiere in ſolche
mit kalter Lymphe, mit kaltem rothen Blute und warmem rothen Blute.
Die Thiere mit kalter Lymphe haben entweder weiße Lymphe und kein
Herz (frei lebend: Zoophyten, in andern Thieren: Eingeweidewürmer),
oder rothe Lymphe und kein Herz (Anneliden) oder weiße Lymphe und
des Herzens erſte Spur (Inſecten und Mollusken). Die Thiere mit
Blut ſind die Wirbelthiere55). — Längeren Beſtand und mehr Freunde
fanden die Syſteme, welche von der Beſchaffenheit und Anordnung des
Nervenſyſtems ausgiengen. In demſelben Jahre als Cuvier bei Cha-
[671]Syſteme: Wilbrand. Rudolphi. Ehrenberg.
rakteriſirung ſeiner Typen darauf hinwies, daß das Nervenſyſtem den
ganzen Bau des Thieres gewiſſermaßen beſtimme, theilte Rudolph
das Thierreich nach dem Nervenſyſtem ein56). Er ſchied die Thiere
in
ſolche mit freien Nerven, Phaneroneura, und ſolche, deren Nerven-
ſyſtem ihrer homogen ſcheinenden Körpermaſſe beigemiſcht iſt. Während
die Zoophyten die letztere Abtheilung der Cryptoneura allein bilden,
zerfällt die erſte wieder in Diploneura, d. h. Thiere mit Gehirn und
Rückenmark und Ganglienſyſtem (Wirbelthiere) und in Haploneura,
d. h. Thiere mit bloßem Ganglienſyſtem. Die zu letzterer Gruppe ge-
hörenden Reihen der Myeloneura (mit Markſäule, die dem Rückenmark
analog iſt, Cruſtaceen, Inſecten, Anneliden) und der Ganglioneura
(mit einem dem Ganglienſyſtem der Wirbelthiere entſprechenden Ner-
venſyſtem, Mollusken und Strahlthiere) ſtehn parallel neben einander,
folgen ſich alſo nicht einreihig, wie in ſämmtlichen bis jetzt geſchilderten
Syſtemen die gegenſeitige Stellung der einzelnen Abtheilungen aufge-
faßt wurde. — Dieſe einreihige Anordnung findet ſich wieder in dem
Syſteme Ehrenberg's, welches wenigſtens die beiden Hauptab-
theilungen auf die Form des Nervenſyſtems gründet (1835). Der
Menſch ſteht an der Spitze des ganzen Syſtems, aber von den Thieren
als ſelbſtändige Claſſe geſchieden. Die Thiere zerfallen in
Myeloneura
und Ganglioneura. Die Myeloneura, Wirbelthiere, theilt Ehrenberg
weiter nach dem Verhältniß der Eltern zu den Jungen; Säugethiere
und Vögel vereinigt er als Nutrientia, Reptilien und Fiſche als
Orpha-
nozoa. Die Ganglioneura werden weiter getheilt in
Sphygmozoa oder
Cordata, mit Herz oder pulſirenden Gefäßen, und in Asphycta
oder
Vasculosa, Thiere mit Gefäßen ohne Puls. Zu erſteren gehören die
Articulaten mit gegliedertem Körper und Ganglienkette und die Mollus-
ken mit zerſtreuten Ganglien ohne Körpergliederung, zu letzteren die
Tubulata, ohne Gliederung, Thiere, deren Darm ein einfaches Rohr
oder ein Sack iſt (Bryozoen, ein Theil der Polypen, der Würmer und
der Echinodermen) und die Racemifera mit getheiltem, gabligem oder
äſtigem Darme (Aſterien, Meduſen, Anthozoen, Saug- und Plattwür-
[672]Periode der Morphologie.
mer und Infuſorien). — Auch Grant hat eine Eintheilung der Thiere
nach dem Nervenſyſteme aufgeſtellt (in Todd's Cyclopaedia, 1835).
Dieſelbe ſchließt ſich enger an die Cuvier'ſchen Typen an, nur werden
dieſelben durch die Form des Nervenſyſtems charakteriſirt; ähnlich ver-
fuhr auch R. Owen. Danach ſind die Strahlthiere bei GrantCyclo-
neura, die Gliederthiere Diploneura (nach dem paarigen die
Ganglien
verbindenden Nervenſtrange, alſo in einem anderen Sinne als bei
Rudolphi), bei OwenHomogangliata, die Mollusken ſind bei Grant
Cyclogangliata, bei OwenHeterogangliata, die Wirbelthiere bei
Grant
Spinicerebrata, bei OwenMyelencephala.
Auch in der Syſtematik machte ſich nun aber in den erſten Jahr-
zehnten dieſes Jahrhunderts der Einfluß der Naturphiloſophie geltend.
Ehe die moderne Richtung der Claſſification erwähnt wird, muß daher
mit ein Paar Worten der naturphiloſophiſchen Syſteme gedacht werden.
Charakteriſtiſch für alle hierher gehörigen Verſuche, das Thierreich zu
claſſificiren, iſt die Willkürlichkeit, mit welcher die thieriſchen Formen
in beſtimmte durch Abſtractionen erhaltene Rubriken eingeordnet werden,
ohne der thieriſchen Geſtalt mehr als es allgemeine Analogien geſtatten
Rechnung zu tragen. Es tritt daher einerſeits der Gedanke, den in ſeine Or-
gane auseinandergelegten Menſchenleib im Thierreiche wiederzufinden,
oder die Wiederholung nicht thieriſcher Geſtaltungsproceſſe in gewiſſen
Thiergruppen zu finden, oder ein an ähnliche fremdartige Abſtractionen ſich
anlehnender Zahlenſchematismus bei dieſen Syſtemen in den Vordergrund.
Oken ſelbſt, welcher indeß ſein Syſtem öfters umgearbeitet hat, gieng in
ſeiner Zoologie von dem Gedanken aus, daß „jedes Naturreich
einwirke
und einen Haufen Thiere nach ſich forme“. Er erhielt alſo Elementen-
thiere (Schleimthiere, Infuſorien), Irdenthiere (Steinthiere, Korallen,
welche der Eintheilung der Steine entſprechend in Erd-, Salz-, Brenz-
und Erzthiere zerfallen), Pflanzenthiere (analog in Wurzel-, Stengel-,
Laub- und Blüthenthiere ſich theilend) und Thierthiere. In letzterem
„Reiche“ werden die vier niederen auf höherer Ordnung wiederholt;
ſo
ſind Schleimthiere hier Quallen, Steinthiere höherer Ordnung die
Schalthiere, Pflanzenthiere der höhern Stufe die Kerfe, endlich die
eigentlichen Thierthiere die Wirbelthiere. Oken bringt aber noch einen
[673]Syſteme: Oken, Goldfuß, Burmeiſter.
phyſiologiſchen Geſichtspunkt herein und nennt die Wirbelthiere Fleiſch-
thiere, alle übrigen Fleiſchloſe. Nach anatomiſchen Syſtemen und
deren verſchiedenem Vorherrſchen theilt er die Wirbelthiere in Geſchlechts-
oder Weichenthiere (Fiſche), Darm- oder Bauchthiere (Reptilien),
Lungen- oder Bruſtthiere (Vögel) und Sinnen- oder Kopfthiere (Säuge-
thiere). Aehnliche Analogien und Vergleiche mit Eiern und Keimen
beſtimmen die Eintheilung der Fleiſchloſen. — Auch Georg Aug. Gold-
fuß (1782-1844) meint, das Thierreich ſei die Zerſpaltung des
Menſchen in ſeine organiſchen Syſteme. Die Claſſen ſind nach ihm
als fixirte Entwickelungsſtufen des höchſten Thieres zu betrachten.
Jede entſpricht entweder dem Geſchlechts- oder dem Verdauungs- oder
dem Reſpirations- oder dem ſenſiblen Syſteme. Dabei ſtehn immer
drei Claſſen auf gleicher Stufe relativer Ausbildung. Goldfuß führte
dabei die Vierzahl in den größern und kleinern Gruppen bis zu den
Gattungen ſo conſequent durch, daß er in der Ueberſicht für die noch
nicht gefundenen Formen Platz läßt. Für die unterſte Stufe, welche
den Ei- oder Keimzuſtand darſtellt, führte er den Namen Protozoen ein,
allerdings auf Polypen und Meduſen ausgedehnt. — Enger an Oken
ſchließt ſich das Syſtem von C. G. Carus an57). Er theilt die Thiere
in Eithiere, in welchen die Bedeutung des menſchlichen Eies prädomi-
nirt (Infuſorien, Polypen, Meduſen, Echinodermen), in Rumpfthiere,
in welchen namentlich der vegetative Factor, alſo beſonders die Gruppe
der Rumpforgane entwickelt iſt, — ſie ſind entweder Bauch- und Darm-
thiere (Mollusken, Gasterozoa) oder Bruſt- und Gliederthiere
(Articu-
lata s. Thoracozoa) —, und in Hirn- oder Kopfthiere, Wirbelthiere.
Auch bei dieſem Syſteme wird die Vierzahl durchzuführen verſucht. —
Wie oben erwähnt iſt auch das Syſtem von Burmeiſter nicht ohne
naturphiloſophiſchen Beigeſchmack (im Handbuch der Naturgeſchichte,
1837). Den Formentypus glaubt er um ſo weniger in Anſchlag brin-
gen zu dürfen, als die Entwickelung des Syſtems der Thiere von den
organiſchen Syſtemen der Thierheit ausgehen ſollte. Er erhält daher
V. Carus, Geſch. d. Zool. 43
[674]Periode der Morphologie.
drei Hauptabtheilungen: Bauchthiere, Gastrozoa (mit vorherrſchenden
vegetativen Organen) ohne ſymmetriſche Bewegungsorgane und ohne
gleichmäßig entwickelte Sinne, Gliederthiere, Arthrozoa, mit ſymme-
triſchen Bewegungsorganen und äußerlicher Gliederung, aber unvoll-
kommenen Sinnen, und Kopf- oder Rückgratsthiere, Osteozoa. In
zweiter Linie tritt dann die Blainville'ſche Auffaſſung der Formentypen
und die Vierzahl auf. In gleicher Weiſe legte auch Leop. Joſ. Fitzin-
ger (geb. 1802) ſeinem Syſteme (1843) das Vorherrſchen der Ent-
wickelung einzelner Organſyſteme zu Grunde und zwar bei den Wirbel-
loſen das der vegetativen, bei den Wirbelthieren das der animalen
Organe neben je einem vegetativen Syſteme (z. B. bei den Fiſchen
Ernährungs- und Knochenſyſtem, bei den Reptilien Zeugungs- und
Muskelſyſtem). Was die Verwendbarkeit der einzelnen Organſyſteme
in dieſer Weiſe äußerſt bedenklich erſcheinen läßt und das Zutrauen zu
dergleichen Syſtemen völlig untergräbt, iſt der Umſtand, daß eine und
dieſelbe Claſſe bei den verſchiedenen Autoren durch verſchiedene Organe
charakteriſirt wird58). — Es wurde hier auf das conſequente Feſthalten
beſtimmter Zahlenverhältniſſe hingewieſen. Als ein auf eine beſtimmte
Zahl gegründetes Syſtem iſt noch das Quinarſyſtem von Will. Sharp
Mac Leay und das die gleiche Zahl enthaltende von Joh. Jak.
Kaup
zu erwähnen. Mac Leay's Hauptſätze ſind, daß das Thierreich eine
kreisförmig in ſich zurücklaufende Reihe bildet, daß nur ſolche kreisför-
mige Reihen als natürliche Gruppen zu betrachten ſind, daß es fünf
große Hauptkreiſe von Thieren gibt, welche von fünf kleineren (oscu-
lanten) mit einander verbunden werden, und daß eine der fünf großen
Gruppen, in welche jeder der großen Kreiſe getheilt iſt, Aehnlichkeit mit
allen übrigen und einen ihr eigenen Typus darbietet. Der letzte Satz
mußte natürlich zum Herbeiziehen einer Menge von Aehnlichkeiten ver-
anlaſſen; und es wird gerade der Nachweis der Verſchiedenheit zwiſchen
[675]Syſteme: Mac Leay, Kaup.
Analogie und wirklicher Verwandtſchaft Mac Leay oft als Verdienſt an-
gerechnet. Indeß bezieht er ſich ſelbſt auf Fries, welcher in ſeiner Pilz-
lehre Analogien neben Verwandtſchaften bezeichnet hatte, und auch Linné
verglich ſchon in dieſer Weiſe, wenn er die Papageyen für den Affen
analoge Formen, die Raubvögel für den Raubthieren analog hält, ebenſo
wie F. S. Voigt die Hühner den Wiederkäuern vergleicht u. ſ. f.
Auch Oken gefiel ſich ja in derartigen Deutungen. Das Syſtem, wel-
ches in Will. Swainſon und Rich. Aylward Vigors eifrige An-
hänger, in Hugh Edw. Strickland einen treffenden Kritiker fand, iſt
formal wie real eins der allerunnatürlichſten und erſcheint bei genauerer
Prüfung nur als geiſtreiche Spielerei. Das Thierreich hat danach
keinen Anfang und kein Ende. Die Wirbelthiere führen durch die
Cephalopoden zu den Mollusken, dieſe durch die Tunikaten zu den
„Acrita“ (Polypen, Helminthen, Infuſorien), dieſe durch die
Zoanthiden
zu den Echinodermen, dieſe durch die Cirripeden zu den Gliederthieren,
dieſe endlich durch die Anneliden zu den Wirbelthieren zurück. Das
ſtrenge Durchführen der Fünfzahl hat ferner zum Aufſtellen völlig
ungleichwerthiger Gruppen und bei ihrer Verwendung bis in die kleinen
Abtheilungen zum Trennen verwandter und Vereinigen fremder Formen
geführt. Dem Ausſpruche Mac Leay's gegenüber, daß Cuvier geradezu
mit den erſten Grundſätzen des natürlichen Syſtems völlig unbekannt
geweſen ſei, erhält Kaup's Bemerkung allerdings volle Begründung,
daß das Syſtem kabbaliſtiſch ſei. Die Sätze, auf welche Kaup ſein
eigenes Syſtem gründet, ſind nicht weniger unklar, unrichtig und ge-
zwungen. „Der Thierkörper beſteht aus folgenden fünf anatomiſchen
Syſtemen: 1. Nerven, 2. Athmungsorgane, 3. Knochen, 4. Muskel-
oder Ernährungsorgane, 5. Haut oder Generationsorgane.“
„Der
Thierkörper(!) zerfällt in fünf Regionen: Kopf, Bruſt mit Hals und
Vordergliedmaßen, Rumpf mit Wirbeln, Bauch mit Schwanz und
Magen, Becken und hintere Extremitäten“; ſie entſprechen den anato-
miſchen Syſtemen in der angegebenen Reihe, ebenſo die fünf Sinne,
nämlich „Auge den Nerven, Ohr den Athmungsorganen, Naſe den
Knochen, Zunge den Muskel- oder Ernährungsorganen, die Genera-
tionsorgane (als fünfter Sinn!) dem Haut- oder
Geſchlechtsſyſteme.“
43*
[676]Periode der Morphologie.
Der in ſeine Theile auseinandergelegte Menſchenleib ſpielt hier eben
auch eine Rolle. Aber: „Eins dieſer anatomiſchen Syſteme, Einer von
dieſen Sinnen, Eine von dieſen Regionen iſt in Einer der fünf Thier-
claſſen eines jeden der drei Unterreiche zur vorherrſchenden Entwicke-
lung gekommen“. Das erſte Unterreich umfaßt, um fünf Claſſen zu
erhalten, die vier Wirbelthierclaſſen und die Mollusken.
Abgeſehn von den zuletzt erwähnten Verſuchen waren die Cuvier'-
ſchen Typen allmählich immer mehr die Ausgangspunkte der Syſtematik
geworden. In einzelnen untergeordneten Punkten zeigten ſich Ungleich-
heiten in der Auffaſſung; je nachdem einzelne Zoologen mehr über
Wirbelthiere oder über Gliederthiere, über dieſe oder über jene kleinere
oder größere Gruppe gearbeitet hatten, je ſchärfer ſich dabei denſelben
innerhalb der durchforſchten Abtheilungen mit der immer größer wer-
denden Vertrautheit der Formen die Verſchiedenartigkeit entgegengeſtellt
hatte, deſto mehr waren ſie geneigt, dieſe Kreiſe eingehend in kleinere
Gruppen zu ſpalten und dadurch die Gleichwerthigkeit ihrer ſyſtemati-
ſchen Abtheilungen zu ſtören. Belege hierfür gaben die verſchiedenen
Anordnungen der Weich- und Gliederthiere; es zeigt ſich dies auch z. B.
in der neuen Claſſification von L. Agaſſiz, welcher die Mollusken in
drei, die Gliederthiere (mit Einſchluß der Würmer) in drei, und die
Wirbelthiere in acht Claſſen theilt. Es wurde oben bereits erwähnt,
daß von Baer das wichtige Complement der Entwickelungsſtufen oder
des Ausbildungsgrades der Auffaſſung der Typen zugefügt hatte. Er
zeigte, daß den einzelnen Typen ein beſonderer Entwickelungsplan ent-
ſpreche, dem ſtrahligen Typus die ſtrahlige Entwickelung, dem maſſigen
Typus der Mollusken die gewundene Entwickelung, dem geſtreckten
Typus der Gliederthiere die ſymmetriſche Entwickelung, dem Wirbel-
thiertypus die doppelt-ſymmetriſche Entwickelung. Bei Schilderung der
letzteren hatte von Baer, wie auch ſchon angedeutet wurde, bereits auf
das Auftreten von Kiemen an den Schlundbogen bei den niedern, und
auf die Entwickelung einer Allantois bei den höheren Wirbelthieren hin-
gewieſen und danach die Eintheilung des Typus vorgenommen. Wäh-
rend aber von Baer die Entwickelungsform nur als eine weitere
Beſtätigung der Typen anſah, wurde von anderen Seiten das Ent-
[677]Syſteme: Agaſſiz, van Beneden, Vogt.
wickelungsmoment als Eintheilungsgrund benutzt, wodurch ebenſo wie
bei der Benutzung anderer einzelner Merkmale, wie z. B. einzelner
Organgruppen, als Haupteintheilungsgrund das Syſtem ein künſtliches
wurde. Kölliker wollte wohl mit der in der Cephalopodenentwicke-
lung aufgeſtellten Tabelle nur das Vorkommen gewiſſer Entwickelungs-
weiſen ſchematiſiren und nicht danach das Thierreich eintheilen59).
Aber P. J. van Beneden und Carl Vogt gründen ihre Syſteme
direct auf das Verhalten des Dotters zum Embryo und zwar erſterer
auf die relative Lage beider zu einander (Hypocotyledonen, Dotter tritt
von unten in den Körper, Wirbelthiere, Epicotyledonen, Dotter iſt
rückenſtändig, Arthropoden, und Allocotyledonen, Dotter weder rücken-
noch bauchſtändig). Vogt's Syſtem folgt bei der erſten Theilung
Kölliker's Schema und in Bezug auf die Claſſen van Beneden, weicht
aber von Beiden in Einzelnheiten ab. Er nimmt einen Gegenſatz zwi-
ſchen Embryo und Dotter (d. i. alſo eine Entwickelung mit Primitiv-
theil) bei den Wirbel-, Gliederthieren und Cephalopoden an, während ſich
bei allen übrigen Thieren der ganze Dotter in den Embryo verwandeln
ſoll. Die Unterſcheidung der drei erſten Formen nimmt er wie van
Beneden nach der Lage des Dotters vor (Wirbelthiere: bauchſtändig,
Gliederthiere: rückenſtändig, Cephalopoden: kopfſtändig); die zu der
letzten Abtheilung gehörigen Gruppen unterſcheidet er nach der Organ-
anlagerung: dieſelbe iſt nach ihm unregelmäßig bei Mollusken, ſtrahlig
bei Strahlthieren, bilateral bei Würmern. Die Protozoen (Infuſorien
und Rhizopoden) machen den Beſchluß der Reihe als Formen ohne
Eier.
Wirkliche Fortſchritte konnte die Syſtematik nur durch weitere
Ausbildung der Kenntniß von den Typen nach ihrem anatomiſchen und
embryologiſchen Verhalten machen. Nicht immer wurde hier vermieden,
[678]Periode der Morphologie.
Ausbildungsſtufen für typiſche Verſchiedenheiten zu nehmen. Beſondere
Rückſicht auf dieſen Unterſchied hat Henri Milne Edwards genom-
men, deſſen Auseinanderſetzungen in präciſer Weiſe die Tragweite der
Typenlehre und deren Anwendung auf das Syſtem darſtellen. Seine
Charakteriſirung der vier Typen enthält das, was man im Allgemeinen
von ihnen erwarten kann. Er theilt die Wirbelthiere nach der von
v. Baer hervorgehobenen Eigenthümlichkeit der Entwickelung in ſolche
mit, und in ſolche ohne Allantois, die Gliederthiere je nach dem Vor-
handenſein oder Fehlen gegliederter Anhänge in zwei Gruppen, die
Mollusken in echte Mollusken und Molluscoiden, die Zoophyten in
ſtrahlige und ſarcodeartige. Ein weiterer Fortſchritt war es, daß von
Siebold die mit den ſtrahligen Zoophyten gar keine Verwandtſchaft
darbietenden Infuſorien und Rhizopoden als Protozoen von jenen
trennte. Doch war es ein Fehler, daß er verleitet durch die höhere Ent-
wickelung der Inſtinkte bei den Inſecten die mit gegliederten Bewegungs-
organen verſehenen Gliederthiere, für welche er wie erwähnt den Namen
Arthropoden einführte, von den Würmern ſchied, ſogar die ganze Gruppe
der Mollusken zwiſchen ſie ſtellte. Endlich wieſen Frey und R. Leuckart
das Vorhandenſein zweier weſentlich verſchiedener Organiſationstufen
innerhalb der Zoophyten nach und trennten dieſelben in die beiden Grup-
pen der Coelenteraten und Echinodermen. Räumt man den letzteren
den Werth von Typen ein, ſo enthält das Syſtem, wie es ſich auf
Grund der Typenlehre bis jetzt entwickelt hat, folgende Hauptgruppen:
Protozoen, Coelenteraten, Echinodermen, Annuloſen (mit Würmern
und Arthropoden), Mollusken (mit Molluscoiden und echten Mollus-
ken) und Wirbelthiere.
Weitaus den meiſten Geſammtdarſtellungen des Thierreichs iſt in
neuerer Zeit dieſe Anordnung zu Grunde gelegt mit geringen Aende-
rungen innerhalb der kleineren Kreiſe. Einzelne abweichende Auffaſſungen
der Typen erſchienen zwar, doch kommen ſie wenn auch auf Umwegen
und mit geringen Modificationen auf die Cuvier'ſchen Typen zurück.
So ſchilderte z. B. Ed. Eichwald 1821 die Entwickelungsſtufen des
Thierreichs und ſtellte deren 16 auf, ohne den Menſchen, welcher die
17. Stufe bilden würde, indem er theilweiſe auf Ariſtoteliſche Bezeich-
[679]Syſteme: Milne Edwards, v. der Hoeven
nungen zurückgreifend die Polypen von den Strahlthieren (Meduſen
und Echinodermen), die Entozoen von den Gliederwürmern, die Mol-
lusken (Oſtrakodermen) von den Cephalopoden (Malaka), die Selachier
von den übrigen Fiſchen ſchied. Später (1829) vereinigte er dieſe
Stufen in ſechs Typen, welche von den Cuvier'ſchen nur durch den
Namen und dadurch abweichen, daß er für die Cephalopoden (Podozoen)
und Polypen (Phytozoen) beſondere von den Mollusken (ſeinen Thero-
zoen) und den Zoophyten (ſeinen Cyclozoen) getrennte Typen aufſtellt.
R. Owen gab 1843 noch die vier Typen Cuvier's; ſpäter (1855)
trennt er die Zoophyten in Unterprovinzen (Strahlthiere, Entozoen und
Infuſorien), da er wohl fühlte, daß gerade dieſe Vereinigung keinem
natürlichen Typus entſpreche. Die Cuvier'ſche Eintheilung, wenn auch
nicht die naturgemäße Erfaſſung der Baupläne liegt auch der nur in
der Charakteriſirung etwas modificirten Claſſification zu Grunde, welche
1843 Joh. Ludw. Chſtn. Gravenhorſt (1777-1857 in Breslau)
gab. Eine treffliche Ueberſicht des Thierreichs mit Berückſichtigung der
typiſchen Verhältniſſe ſowie der durch die neueren Unterſuchungen nöthi-
gen Modificationen im Einzelnen gab Jan van der Hoeven60),
welcher bei einer äußerſt reichen Erfahrung und ausgebreiteten Gelehr-
ſamkeit kritiſches Urtheil mit naturhiſtoriſchem Blicke in ſeltener Weiſe
verband. Endlich mag noch erwähnt werden, daß ſich die litterariſchen
Hülfsmittel, welche in Form von Hand- und Lehrbüchern dem Studium
der Zoologie Vorſchub zu leiſten ſuchen, meiſt an Cuvier anſchließen;
ſo Wiegmann, Bronn, Agaſſiz, Schlegel, W. Carpenter, Osk. Schmidt,
S. S. Haldeman, Sp. Baird u. ſ. f., während nur eine kleinere Zahl
andere Formen der Darſtellung wählte, wie Arn. Ad. Berthold
(1803-1861), welcher die Eintheilung in Kopf- und Körperthiere
(Corpozoa!) annimmt, und Joh. Leunis (geb. 1802), welcher in
[680]Periode der Morphologie.
ſeiner ſehr brauchbaren und mit Recht verbreiteten Synopſis die Bur-
meiſter'ſchen Gruppen der Gaſtrozoen, Arthrozoen und Vertebraten
feſthält.
Fortſchritte der Kenntniß einzelner Claſſen.
Die verſchiedenen ſyſtematiſchen Beſtrebungen der letzten Jahr-
zehnte wurden mehr in der Form einer litterariſchen Ueberſicht gegeben,
da ſie von einem Fortſchritte im richtigen Erfaſſen der einzelnen zu
claſſificirenden Gruppen ſelbſt abhängen. Es handelte ſich, ſo lange
kein anderer maßgebender Geſichtspunkt Einfluß gewonnen hatte, aus-
ſchließlich um eine immer tiefer gehende Einſicht in das Leben und vor-
züglich in den Bau der einzelnen Formenkreiſe. Die Begründung
mancher der eben verzeichneten ſyſtematiſchen Anſchauungen wird ſich
daher erſt mit einem Blicke auf die Arbeiten über die größern und klei-
neren Gruppen ergeben.
Protozoen. Die Bezeichnung wird hier im Sinne von Sie-
bold's auf die früher in weiterer Ausdehnung Infuſorien genannten
Formen angewendet, für deren Kenntniß und Syſtematik das oben er-
wähnte Werk O. F. Müller's Ausgangspunkt war. Nirgends war
die Abhängigkeit des Fortſchritts von der Vervollkommnung der Unter-
ſuchungsmittel ſo groß wie hier. Die früheſten Arbeiten über die Pro-
tozoen in der vorliegenden Periode erhalten daher nur eine Erweiterung
der Formenkenntniß und einzelne Beobachtungen über Leben und Bau,
ohne durchgreifend die Anſchauungen über die Stellung der Gruppe
zu beeinfluſſen. Der Art ſind die Mittheilungen von Frz. v. Paula
Schrank (1747-1835), Frz. v. Paula Gruithuiſen (1774-
1852), Chſtn. Ludw. Nitzſch (1782-1837), ſelbſt die von Bory
de St. Vincent. Doch wies ſchon 1812 René Joaquim Henri
Dutrochet (1776-1847) die ungleich höhere Organiſation der Rä-
derthiere nach, welche er Rotiſeren nannte und von den Infuſorien zu
trennen und in die Nähe der Ascidien zu bringen vorſchlug. Mit un-
ermüdlicher Ausdauer hat ſeit 1829 Chſtn. Gfr. Ehrenberg die
Infuſorien unterſucht und, im Beſitze einer unendlichen Fülle ſpeciellſter
Thatſachen über Form, geographiſche und geologiſche Verbreitung der
[681]Kenntniß der Protozoen.
mikroſkopiſchen Organismen, der Forſchung einen neuen Grund gelegt.
Verdankt die Wiſſenſchaft Ehrenberg den größten Theil der Formen-
kenntniß auf dem Gebiete der Infuſorien, ſo fehlte derſelbe leider darin,
daß er von einer vorgefaßten Meinung beeinflußt wie allen Thieren
ſo auch den Infuſorien eine gleich hohe Organiſation zuſchrieb. Die von
Dutrochet angeregte Trennung der Räderthiere von den Infuſorien behielt
er zwar zum Theil bei, ſchrieb aber den letztern einen ähnlich zuſammenge-
ſetzten Bau zu mit Magen, Drüſen u. ſ. f. und ſchied ſie nur nach dem
Fehlen oder Vorhandenſein eines Darmes und Afters in Anentera und
Enterodela. Außer den vorzüglich aus dem ſüßen Waſſer bekannten
Infuſorien war aber ſeit langer Zeit noch eine große Zahl anderer mikroſ-
kopiſcher Organismen beſchrieben, Glieder der von Breyn Polythalamien
genannten Thiergruppe. Man kannte zwar nur ihre Gehäuſe, ſchloß
aber nach der Form dieſer auf eine Organiſation, welche die Thiere in
die Nähe der ähnliche Schalen beſitzenden Cephalopoden bringen würde.
Schon Blainville bezweifelte dies (1825); da er aber nichts Andres an
die Stelle des geleugneten Baues ſetzen konnte, wurde er nicht beachtet.
1826 gab A. d’Orbigny dieſen Formen den Namen Foraminiferen
nach ihrer meiſt fein durchlöcherten Schale und ſtellte ſie als Ordnung
den übrigen Cephalopoden gegenüber. Nach einem außerordentlich reichen
in Europa und Amerika geſammelten Materiale gab er die erſte aus-
führliche ſyſtematiſche Schilderung der Gruppe. Erſt 1835 trat eine
Wendung zur richtigeren Erkenntniß der Protozoen ein. Hier beobach-
tete Felix Dujardin (geb. in Rennes, geſt. 1860) lebende Foramini-
feren, ſah, daß ihr Körper nur aus einer homogenen contractilen Sub-
ſtanz beſtehe, in welcher keinerlei Organe geſchieden ſind und welche er
Sarcode nannte, und gab der Abtheilung (nach Zurückziehung der auf
mehrkammerige Formen gegründeten Bezeichnung Symplectomeren)
den Namen Rhizopoden. Dujardin beſeitigte aber mit ſeiner Darſtel-
lung des Rhizopodenbaues nicht bloß die irrige Anſicht über die ver-
meintliche Cephalopodennatur dieſer Weſen, ſondern wies auch auf die
Unhaltbarkeit der Ehrenberg'ſchen Angaben über die Polygaſtrie der
Infuſorien hin. Gieng er auch anfangs zu weit, darin, daß er allen
Infuſorien einen Mund abſprach, ſo iſt doch der erſte Schritt zur Ein-
[682]Periode der Morphologie.
ſicht in das Weſen des Infuſorienbaues ihm zu danken, wie er gleich-
falls zuerſt die Bewegungsorgane der Infuſorien als Eintheilungsgrund
anwendete. Gegen die Ehrenberg'ſchen Deutungen traten in Deutſch-
land zuerſt Guſt. Wold. Focke und Meyen, in England Rymer
Jones und Edw. Forbes auf. Meyen äußerte zuerſt (1839), daß
die Infuſorien in der Hauptſache den Pflanzenzellen ähnlich erſchienen,
eine Anſicht, welche ſpäter von von Siebold zur Lehre von der Ein-
zelligkeit der Protozoen erweitert wurde. Der leitende Gedanke war
dabei, daß, wie die Entwickelung der höheren Thiere von einzelnen
Zellen ausgieng, ſo auch das Thierreich mit Formen begänne, welche
einzelne Zellen darſtellten. Die im Innern des Infuſorienkörpers auf-
tretenden Differenzirungen und die allerdings noch nicht zum völligen
Abſchluß bekannten Entwickelungserſcheinungen widerſprechen indeſſen
dieſer Anſchauung. Die eingehendſten Unterſuchungen über den Bau
und beſonders über die Entwickelung der Infuſorien verdankt die Wiſſen-
ſchaft in den letzten Jahren Friedr. Stein (geb. 1818), welcher auch
in einem noch nicht abgeſchloſſenen Werke die ganze Gruppe ſyſtematiſch
durchzuarbeiten begonnen hat. Ebenſo haben zwei ausgezeichnete Schü-
ler Joh. Müller's, Friedr. Joh. Lachmann (geb. 1832, geſt. 1861)
und I. Louis René Ant. Ed. Claparède (geb. 1832, geſt. 1871)
die Kenntniß der Infuſorien weſentlich fördern helfen. — Aber nicht
bloß die Anſichten Ehrenberg's über den Bau der Infuſorien konnten
ſich nicht halten; auch die Ausdehnung und Begrenzung der Gruppe
wurde umgeſtaltet. Die Räderthiere entfernte bereits 1832 Arend
Friedr. Aug. Wiegmann (1800-1841) von den Protozoen und
brachte ſie zu den Würmern (in ſeinem Handbuche), eine Stellung,
welche ihnen auch von Siebold, Rymer Jones und R. Leuckart gaben;
Milne Edwards machte 1836 (in der zweiten Auflage des Lamarck)
auf ihre Verwandtſchaft mit den Gliederthieren aufmerkſam, eine Be-
ziehung, welcher Burmeiſter 1837 durch ihre Einordnung in die Claſſe
der Cruſtaceen praktiſche Ausführung gab und welche 1855 noch Franz
Leydig durch eingehende Unterſuchungen beſtätigte. Nachdem ferner
1840 Thuret, 1843 F. Unger das Vorkommen beweglicher Pflanzenzellen
und freier Schwärmſporen erwieſen hatten, mußten faſt ſämmtliche
[683]Kenntniß der Protozoen.
AnenteraEhrenberg's mit Ausnahme der Amoeben aus dem Kreiſe der
Infuſorien entfernt und zu den Pflanzen gebracht werden. Die Poly-
thalamien fehlten bei Ehrenberg; er hatte ſie für den Bryozoen verwandt
erklärt, weil es keine kalkſchaligen Infuſorien gäbe, hat dagegen die von
ihm neu aufgeſtellte Familie der Polycyſtinen für Polygaſtren gehalten,
weil es keine kieſelſchaligen Polythalamien gäbe. Die Dujardin'ſchen
Angaben beſtätigten aber G. Deshayes und H. Milne Edwards
in Frankreich, H. J. Carter, Will. Crawfurd Williamſon und
Will. B. Carpenter in England; und in Deutſchland gab einmal
Max Sig. Schultze (geb. 1825) eine monographiſche Darſtellung
vom Baue der Rhizopoden, worin er Dujardin's Auffaſſung beſtätigte
und erweiterte, während Joh. Müller's letzte Arbeit nicht bloß die
Auffaſſung der Rhizopoden im Allgemeinen klärte, ſondern beſonders
die Verwandtſchaft der Polycyſtinen mit den Polythalamien nachwies
und die Gruppe der Radiolarien für ſie ſowie für die von Meyen
und neuerdings von Huxley beobachteten Meerqualſter einführte.
Die Vergleichung der foſſilen Rhizopodenſchalen, beſonders der Num-
muliten, führte zur ſorgfältigen Unterſuchung der Schalenbildung auch
bei lebenden Foraminiferen, welche vorzüglich von Carpenter gefördert
wurde. — Endlich muß noch der Spongien gedacht werden. Lange
Zeit wurden ſie noch zu den Polypen gebracht (ſo von Lamarck, ſelbſt
von Schweigger, welcher anführt, es ſeien Korallen ohne Polypen)
und nach ihrer äußern Geſtalt claſſificirt. J. Fleming gründete zuerſt
eine Trennung der einzelnen Formen auf die Natur der Hartgebilde
(Horn-, Kieſel- und Kalkſchwämme), welchem Eintheilungsprincip im
Allgemeinen Blainville, Nardo, G. Johnſton folgten. Eine nähere
Kenntniß des Schwammkörpers bahnte Grant 1826 an. Die Zu-
ſammenſetzung deſſelben aus Sarcode lehrte Dujardin kennen. Ein-
gehende Unterſuchungen verdankt man H. J. Carter, Jam. Scott
Bowerbank und über den Süßwaſſerſchwamm Nathan. Lieber-
kühn. Erſt in allerneueſter Zeit beginnt man, die Claſſe anhaltender
und eingehender zu unterſuchen. Zu erwähnen iſt noch, daß A. S.
Oerſted die Protozoen als ſelbſtändigen Kreis nicht anerkennt, ſondern
ſie entweder zu den Pflanzen oder zu den Würmern bringt, wie auch
[684]Periode der Morphologie.
neuerdings Agaſſiz in ihnen nur Entwickelungsformen höherer Thiere
erblickt, in deren betreffende Claſſe er ſie trotz der Vereinfachung ihres
Baues einordnet.
Coelenteraten. Von Baer bemerkte mit Recht, daß Cuvier
deshalb alle niedrig organiſirten Thiere zur ſtrahligen Form gebracht
habe, weil er mit dem Begriffe des Typus die Idee einer beſtimmten
Ausbildungsſtufe der Organiſation verbunden habe. Der Typus der
Zoophyten bedurfte daher einer ſtrengen Durchſicht. Nach Entfernung
der Protozoen in dem erwähnten engen Sinne blieben noch Strahlthiere
und Eingeweidewürmer hier vereinigt. Von den hier zunächſt zu be-
handelnden Thieren mit ſtrahligem Körperbau wurde anfänglich beſon-
ders dieſe charakteriſtiſche Geſtalt in den Vordergrund geſtellt. So
vereinigte Lamarck die Echinodermen mit den Meduſen unter der
näheren Bezeichnung der Radiaires und nannte die letzteren R. molasses,
eine Anordnung, welcher noch Burmeiſter (1837) folgte. Die Polypen
wurden dann den beiden genannten Gruppen als durch den Beſitz eines
Tentakelkranzes charakteriſirt gegenübergeſtellt. Unter den Polypen unter-
ſchieden zuerſt Audouin und Milne Edwards 1828 zwei Formen,
von denen die eine mit Darm, Mund und After verſehen war und für
den Tunicaten (Ascidien) verwandt erklärt wurde. Dieſelbe Anſicht
ſprach 1829 Wilh. Rapp (1794-1865) aus. Für dieſe Gruppe
ſtellte John Vaughan Thompſon 1830 den Namen Polyzoae,
Ehrenberg den der Bryozoen auf, wogegen die übrigen Polypen von
letzterem als Anthozoen bezeichnet wurden. Aber ſchon Audouin und
Milne Edwards hatten (1828) innerhalb dieſer Polypen zwei durch
ihre Organiſation von einander verſchiedene Formen erkannt, deren
eine nur eine in ihr Körperparenchym eingeſenkte verdauende Höhle
ohne ſelbſtändige Wandungen und ohne Gefäße und Reſpirationsorgane,
die andere einen ſich in die Leibeshöhle öffnenden Magenſchlauch beſitzt.
Die erſteren wurden ſchon von EhrenbergDimorphaea genannt und
von Steenſtrup nach den entwickelungsgeſchichtlichen Beobachtungen
von von Siebold und Sars als genetiſch in nahem Zuſammenhange
mit den Meduſen ſtehend nachgewieſen. Es ſind dies die Hydroiden;
die übrigen ſind die echten Polypen, für welche der Ehrenberg'ſche Name
[685]Kenntniß der Coelenteraten.
geblieben iſt. Um die Syſtematik derſelben hat ſich Ehrenberg große
Verdienſte erworben, indem er zuerſt auf die Organiſation der Thiere,
namentlich auch auf die Zahlenverhältniſſe der Tentakeln aufmerkſam
machte. Die früheren Eintheilungen von Jean Vict. Fel. Lamou-
roux (1779-1825) und von Lamarck gründeten ſich auf Anweſen-
heit oder Fehlen, Beſchaffenheit und Form von Hartgebilden ſowie auf
Mangel oder Beſitz freier Beweglichkeit (mit letzterer ſind nach ihm,
nach Abzug der hierher gezognen Rotatorien, die Pennatuliden begabt,
welche deshalb von ihm Schwimmpolypen, Polypi natantes genannt
werden). Aehnlichen Grundſätzen mit geringen Modificationen folgte
Schweigger (1819). Die Syſteme von G. Johnſton (1842),
welcher die brittiſchen, und von Jam. Dwight Dana, welcher die
Polypen der nordamerikaniſchen Erdumſegelung bearbeitete, gehn zwar
auch theilweiſe von der Form und dem Bau des Korallenſtocks aus,
berückſichtigen aber auch den Bau der Thiere. Auf letzteren, namentlich
auf die Eibildung hatte auch Rapp Gewicht gelegt. Neuerdings hat
H. Milne Edwards mit ſeinem leider früh verſtorbenen Schüler Jul.
Haime (1824-1856) die ganze Claſſe mit Einſchluß der foſſilen
Formen bearbeitet. — Ehrenberg hat in ſeinen Korallenarbeiten
auch die Natur des Korallenſtocks aufgeklärt und dadurch den Anſichten
über die Bildung der Koralleninſeln und -riffe eine ſicherere Grundlage
gegeben. Während der ältere Forſter, Flinders, Péron die Po-
lypen ihren Bau aus ſehr großen Tiefen beginnen ließen, in welcher
Annahme ihnen noch Chamiſſo folgte, der nur die richtige Beobach-
tung machte, daß die ſtärkeren Polypen an der Außenſeite der Riffe
bauen, ſprachen zuerſt Quoy und Gaimard die Meinung aus, daß
die Polypen nur in einer beſtimmten Tiefe leben können. Ehrenberg
machte auf das äußerſt langſame Wachſen der Korallen aufmerkſam
und glaubte, daß ſie nie Lager von beträchtlicher Mächtigkeit bilden
könnten. Es iſt das große Verdienſt Ch. Darwin's, die Bildung
der Riffe und Inſeln mit den geologiſchen Verhältniſſen des Grundes,
auf dem die Polypen bauen, in Verbindung gebracht zu haben. An
ſeine Unterſuchungen ſchließen ſich dann die neueren von J. D. Dana
an. — Die anatomiſche Kenntniß der Meduſen hatte Cuvier ſchon
[686]Periode der Morphologie.
1799 angebahnt. Péron und Leſueur lehrten eine große Zahl neuer
Formen kennen. Heinr. Mor. Gäde und Karl Wilh. Eyſenhardt
ſuchen einzelnes Anatomiſche aufzuklären. Eſchſcholtz ſtellte 1829
ein Syſtem auf, welches in ſeinen weſentlichen Zügen noch jetzt als
durchgreifend richtig anerkannt iſt. Seine Ordnungen ſind es, welche
von Edw. Forbes in ſeiner Schilderung der brittiſchen nacktäugigen
Meduſen ſowie von Gegenbaur in ſeinem Syſtem der Meduſen faſt
in gleicher Begrenzung nach verſchiedenen anatomiſchen und morpholo-
giſchen Geſichtspunkten charakteriſirt wurden. Die Entwickelung der
Scheibenquallen ließ einen nahen Zuſammenhang mit den hydroiden
Polypen erkennen. Die wichtigen Beobachtungen von Siebold's
und Sars' hatten gezeigt, daß die Meduſen während der Entwickelung
einen polypoiden Zuſtand durchlaufen. S. L. Lovén, P. J. van
Beneden, F. Dujardin und Arm. de Quatrefages hatten
meduſenförmige Sprößlinge hydroider Polypen nachgewieſen, Aug.
Krohn den vollſtändigen Entwickelungskreis einer ſolchen Meduſe
kennen gelehrt. Die morphologiſche und ſyſtematiſche Auffaſſung beider
Gruppen erfuhr hiernach eine völlige Umgeſtaltung. Vorzüglich waren
es die Siphonophoren (deren Kenntniß in neuerer Zeit durch Milne Ed-
wards, Kölliker, Gegenbaur, Leuckart und Vogt gefördert worden war),
welche durch den bei ihnen am entſchiedenſten entwickelten Polymorphis-
mus der Individuen zu der zuerſt von Gegenbaur beſtimmt formu-
lirten Anſchauung führten, daß die verſchiedenen ſowohl bei den Röh-
renquallen als bei den hydroiden Polypen auftretenden verſchiedenen
Gebilde eine gleiche Entwickelung zeigen, welche ſie, wenn auch auf
verſchiedenen Stufen ſtehen bleibend, als gleichwerthige Individuen er-
kennen läßt. — Die Verwandtſchaft aller hierhergehörigen Thiere hat
H. Milne Edwards wie erwähnt aus der Eigenthümlichkeit der
Hohlräume des Leibes erkannt, welche er als Gaſtrovascularapparat
bezeichnete. Auf dieſe Auffaſſung gründete ſich die Vereinigung der
Polypen und Meduſen unter dem glücklich gewählten Namen der Coel-
enteraten von Frey und Leuckart, während Huxley ſie nach den hier beſon-
ders entwickelten Neſſelorganen der Haut als Nematophoren bezeichnete
(1851). Die weiteren noch nicht zu einem abgerundeten Abſchluſſe ge-
[687]Kenntniß der Echinodermen.
langten Fortſchritte beziehn ſich vorzüglich auf den immer ſpecieller
geführten Nachweis der genetiſchen Beziehungen der verſchiedenen
Formen.
Echinodermen. Nachdem Klein für die Echiniden den Claſſen-
namen der Echinodermen aufgeſtellt, Bruguières unter derſelben Be-
zeichnung noch die Aſteriden begriffen hatte, vereinigte zuerſt Cuvier
auch die Holothurien mit jenen beiden Gruppen zu einer größern Ab-
theilung. Die Gattung Comatula wurde meiſt zu den Seeſternen ge-
bracht, von deren übrigen Formen ſie aber als weiter abweichend von
Cuvier bezeichnet wurde. F. S. Leuckart hatte ſchon 1829 die Ver-
muthung ausgeſprochen, daß ſie von einem Stiele losgelöſt zu ſein
ſchiene. Dies beſtätigte 1836 John Vaughan Thompſon, welcher
den früher von ihm beſchriebenen Pentacrinus europaeus als Jugend-
zuſtand der Comatel nachwies. Für die Encriniten, welche Cuvier
zwiſchen Aſteriden und Echiniden geſtellt hatte, ohne eine beſondere
Abtheilung für ſie zu bilden, errichtete 1821 J. S. Miller die Fa-
milie der Crinoiden, welche Gruppe Edw. Forbes zur Echinodermen-
ordnung erhob. Er theilte in ſeiner reizvollen Geſchichte der brittiſchen
Seeſterne (Echinodermen) die ganze Claſſe nach den Bewegungsorganen
in Pinnigrade (Crinoiden), Spinigrade (Ophiuren), Cirrhigrade
(Aſterien), Cirrhiſpinigrade (Echinen), Cirrhivermigrade (Holothurien)
und Vermigrade (Sipunkeln). 1820 entdeckte Thom. Say foſſile den
Encrinen und Aſterien verwandte Formen, Pentremiten, für welche
1828 J. Fleming den Familiennamen Blaſtoideen aufſtellte. Endlich
unterſchied Leop. von Buch 1845 die Gruppe der Cyſtideen von den
übrigen mit Armen verſehenen Crinoiden. Während auf dieſe Weiſe
der Kreis der Echinodermen vervollſtändigt wurde, enthielten die Holo-
thurien der früheren Syſteme noch die Sipunkeln. Auf das Zweifel-
hafte dieſer Stellung hatte ſchon 1818 Blainville aufmerkſam gemacht,
bis ſie endlich 1849 Em. Blanchard unter dem ihnen 1847 von
Quatrefages gegebenen Namen der Gephyreen zu den Würmern brachte.
Die Claſſification der Echinodermen hat nur in ſofern Schwankungen
dargeboten, als einmal die von Lamarck eingeführte engere Verbindung
der Echiniden und Aſteriden mit den Meduſen die Holothurien ſchärfer
[688]Periode der Morphologie.
von den übrigen Formen ſchied. Dieſer Eintheilung folgte noch 1837
Burmeiſter, welcher der Ordnung den Namen der Skytodermen gab.
Andrerſeits wurden die Ophiuren und Aſterien wie erwähnt von Forbes
als ſelbſtändige Ordnungen getrennt, während in den meiſten übrigen
Syſtemen beide Gruppen zu einer Ordnung vereint werden. Um die
Kenntniß der lebenden und foſſilen Echinen haben ſich L. Agaſſiz und
E. Deſor die größten Verdienſte erworben (1837 u. flgde.). Die
Aſteriden ordnete 1805 And. Joh. Retzius. Sie fanden ſpäter (1842)
unter Joh. Müller's Händen eine von ihm in Verbindung mit F.
Herm. Troſchel bearbeitete ausgezeichnete monographiſche Darſtellung.
Die Holothurien wurden in einer ſehr guten Diſſertation anatomiſch
und ſyſtematiſch von Wilh. Ferd. Jaeger (1833) behandelt, kurz
darauf (1835) von Joh. Fr. Brandt als Ordnung hingeſtellt und
naturgemäß claſſificirt. Eine erſte Anatomie mehrerer Echinodermen-
formen gab F. Tiedemann in dem ſchon oben angeführten Werke.
Delle Chiaje förderte die Anatomie der Echiniden, welche 1842
G. Valentin im Zuſammenhang bearbeitete; aus Hunter's Nachlaß
wurden Einzelnheiten zur Anatomie der Holothurien bekannt. Die
Synapta zergliederte Quatrefages. Weitaus die wichtigſten Unter-
ſuchungen über die Morphologie der Echinodermen verdankt aber die
Wiſſenſchaft Joh. Müller. Ueber die Entwickelungsgeſchichte waren
ſchon von M. Sars, Danielsſen und Koren, Dufoſſé und Aug. Krohn
wichtige Beobachtungen veröffentlicht worden. Müller lehrte durch eine
Reihe der meiſterhafteſten Unterſuchungen die typiſchen Entwickelungs-
verhältniſſe ſämmtlicher Echinodermenordnungen kennen und durch-
muſterte bei dieſer Gelegenheit die Anatomie der ganzen Gruppe in einer
ſo eingehenden Weiſe, daß eine umfaſſende und abſchließende Kenntniß
der Morphologie der Echinodermen erſt mit ſeinen Arbeiten beginnt.
Würmer. Waren bei Cuvier die Zoophyten die nicht bloß in
ihrer Organiſation als die einfachſten erkannten, ſondern auch zum
Theil noch nicht hinreichend bekannten niederen Thiere, ſo bildete be-
kanntlich bei Linné die Abtheilung der Würmer jene große Vereinigung
wirbelloſer ungegliederter Thiere, welche mehr einer künſtlichen Samm-
lung aller nicht anderweit unterzubringenden Formen als einer natür-
[689]Kenntniß der Würmer.
lichen Gruppe entſprach. Daß ſchon Pallas verſchiedene Formen hier
erkannte, und wie das Beſtreben der neueren Syſtematik darauf gerich-
tet war, beſonders in dieſer großen Claſſe aufzuräumen, wurde oben
gezeigt. Nach Entfernung der bereits beſprochenen drei Gruppen blie-
ben Thiere, welche ziemlich genau der jetzt mit dem Namen der Würmer
belegten Abtheilung entſprechen. Auch hier that Cuvier den erſten
Schritt zu einer naturgemäßen Anordnung, dem er ſelbſt jedoch nicht
treu blieb. Während nämlich Linné die hierher gehörigen Formen theils
in ſeine Ordnung der Intestina, theils aber zu den Schalthieren und
Mollusken gebracht hatte, vereinigte Cuvier 1798 (im Tableau élém.)
ſämmtliche Würmer zu einer mit den Arthropoden nahe verbundenen Claſſe
und ſtellte darin die eigentlichen Würmer den Vers intestins gegenüber.
Für die erſteren führt er das Vorhandenſein von Blutgefäßen (1803
von rothem Blute) als charakteriſtiſches Zeichen an; ſie wurden von
Lamarck, welcher in ſeinem Syſtem der wirbelloſen Thiere (1801)
Cuvier folgte, ſpäter Anneliden genannt. In den Vorleſungen über
vergleichende Anatomie ſtellt zwar Cuvier beide Gruppen noch zuſam-
men (1800), fügt aber bei den Inteſtinen hinzu, daß ſie noch nicht hin-
reichend bekannt ſeien, um über ihre Stellung bei den übrigen Würmern
oder bei den Zoophyten entſcheiden zu können. Dies entſchied Conſt.
Duméril 1806 (in der analytiſchen Zoologie) ſo, daß er die Einge-
weidewürmer zu den Zoophyten brachte, worin ihm ſowohl Cuvier als
Lamarck (deſſen apathiſche Thiere den Zoophyten völlig entſprechen)
folgten, wie ſpäter auch Goldfuß, Schweigger, Latreille, Wiegmann,
anfangs ſelbſt noch van der Hoeven. Die weitere Anordnung der Wür-
mer hieng nun zum großen Theile davon ab, wie man die Eingeweide-
würmer beurtheilte. Schon Rudolph ſagte, daß dieſe Gruppe nach
Art einer Fauna die Thiere mit beſtimmtem Wohnorte innerhalb anderer
Thiere umfaſſe; auch von Baer verneint die Selbſtändigkeit derſelben.
Blainville ſtellte den Borſtenwürmern (ſeinen Chaetopoden) die
Fußloſen gegenüber, zu welchen er die Blutegel und Eingeweidewürmer
rechnete, erkannte aber das Unnatürliche der letzten Gruppe an. Am
weiteſten mit der Einordnung der Helminthen in andre Abtheilungen
gieng F. S.Leuckart, welcher Polypen-, Akalephen-, Trematoden-,
V. Carus, Geſch. d. Zool. 44
[690]Periode der Morphologie.
Echinodermen- und Annulaten-Helminthen unterſcheidet und es auffal-
lend findet, daß es keine den Mollusken zuzurechnenden Eingeweide-
würmer gebe. Burmeiſter bildete (1837) aus den Kratzern, Band-
und Blaſenwürmern eine Ordnung Helminthen, vereinigte die Blutegel
mit den Trematoden und Planarien zu der Gruppe Trematoden, bringt
aber die Nemertinen mit den Nematoden zu den fußloſen Ringelwür-
mern. In einer eigenthümlichen Weiſe hat A. S. Oerſted (1844)
aus den fuß- und borſtenloſen Würmern vier den Unterordnungen der
Helminthen entſprechende Gruppen gemacht. Rud. Leuckart folgt
(1848) Burmeiſter, nennt deſſen Helminthen Anenteraten, deſſen Tre-
matoden (mit Einſchluß der Nemertinen) Apoden, fügt aber zwiſchen
dieſe und die Annulaten noch eine Gruppe Ciliaten für die Räderthiere,
über deren Stellung ſchon oben geſprochen wurde, und die Bryozoen.
Endlich theilte C. Vogt (1851) die Würmer in Platt-, Rund- und
Ringelwürmer, in Gruppen, welche ihrer allgemeinen Umgrenzung
nach bis heute Gültigkeit haben. — Nachdem Cuvier ſchon 1798 die
Gefäße der Blutegel beſchrieben, die Anatomie der Würmer überhaupt
weiter geführt hatte, förderten beſonders Savigny und Audouin
und M. Edwards ſowohl die Anatomie als die äußere Formenkennt-
niß der Anneliden, damit auch ihre Syſtematik. Ihnen haben ſich
ſpäter Quatrefages, Blanchard und Ad. Ed. Grube ange-
ſchloſſen, welche durch ausgedehnte Unterſuchungen die Kenntniß des
Formenkreiſes ausgebaut haben. Die Hirudineen beſonders wurden
anatomiſch von Frz. Leydig aufgeklärt, ſyſtematiſch von O. Mo-
quin-Tandon bearbeitet, nachdem vorher Spix und Quatrefages
dieſelben behandelt hatten. Die Kenntniß der ungeſchlechtlichen Ver-
mehrung der Sylliden, welche O. F. Müller ſchon geſehn hatte, haben
Quatrefages, Krohn und M. Schultze erweitert. Die Ent-
wickelungsgeſchichte der Würmer unterſuchten Sars und
Lovén,
Kölliker, J. Müller. — Cuvier hatte die Würmer nach dem
Vor-
handenſein der Borſten, 1800 nach dem der äußeren Kiemen getheilt,
Eintheilungsgründe, welche ſeitdem ſtets in Gebrauch geblieben ſind.
Dem erſteren folgte Duméril 1806 und Lamarck ſowohl im
Syſtem
(1801) als in der Philoſophie (1809). In der Naturgeſchichte der
[691]Kenntniß der Würmer.
wirbelloſen Thiere nahm Lamarck eine Abtheilung Apoden für Hirudi-
neen und Echiureen (mit den Regenwürmern) an und theilte den Reſt
der Würmer in die beiden jener Abtheilung coordinirten Gruppen der
Antennées und Sédentaires. Dieſe drei
entſprechen ziemlich den von
Cuvier 1817 im Règne animal aufgeſtellten der
Abranches, Dorsi-
branches und Tubicoles.Savigny berückſichtigte die
Borſten, An-
tennen, Augen u. ſ. f. und theilte (1820) die Anneliden in die vier
Gruppen der Nereiden, Serpuleen, Lumbricinen und Hirudineen. An
die erſte Cuvier'ſche Eintheilung ſchließt ſich die von Latreille an
(1825); die mit Kiemen verſehenen theilt er in Notobranchier, Cepha-
lobranchier und Meſobranchier, die Kiemenloſen ſind Enterobranchier.
Blainville legte bei Theilung der Borſtenwürmer die größere oder
geringere Gleichwerthigkeit der Segmente zu Grunde. Milne Edwards
nahm einen von Lamarck berührten Punkt heraus (vivant vaguement
dans les eaux etc.) und nannte (1834), im Uebrigen das Hauptge-
wicht auf die weichen Körperanhänge legend, die Nereiden Savigny's
Errantes, die Serpuleen Tubicoles, die Lumbricinen
Terricoles, die
Hirudineen Suceuses. Trotzdem daß Edwards 1838 noch eine andere
Eintheilung vorgeſchlagen hat (wie Blainville in Apoden und Chaeto-
poden, letztere in Cephalo- und Meſobranchier) iſt ſeine frühere Anord-
nung ziemlich allgemein zur Geltung gekommen, wie ſie z. B. A. S.
Oerſted, welcher nur die Hirudineen ausſchließt, annahm, nur daß
er die Errantes nun Maricolae nennt. Auf einer ſehr großen
Formen-
kenntniß ruht Grube's Syſtem (1851), in welchem er die beiden
Gruppen der Kiemenwürmer zu einer Ordnung (Appendiculata poly-
chaeta) vereint und zwiſchen dieſe und die Lumbricinen und Hirudineen
(welche er Oligochaeta und Discophora nennt) noch zwei
Ordnungen
für Tomopteris und Peripatus einſchiebt. Die in dieſen
Syſtemen
meiſt nicht berückſichtigten Strudelwürmer (von Ehrenberg 1831 in
weiterem Sinne Turbellaria genannt) hatte Cuvier neben die Hirudi-
neen geſtellt. Mit dieſen wurden ſie neuerdings von Burmeiſter
und R. Leuckart (1848) vereinigt; doch wurden die letzteren richtiger
von C. Vogt, dem auch Gegenbaur folgt, den Anneliden zugetheilt.
— Die Kenntniß der Eingeweidewürmer, ihrer Formen, ihres Baues,
44*
[692]Periode der Morphologie.
ihrer Entwickelung gefördert, den Schleier, welcher auf ſo manchen Er-
ſcheinungen im Leben derſelben lag, gelüftet zu haben, iſt weſentlich ein
Verdienſt deutſcher Forſcher. Vor Allen iſt hier C. A. Rudolphi zu
nennen, welcher nicht allein die Zahl der bekannten Helminthen gegen
ſeine Vorgänger faſt verdreifacht hat (Zeder 391, Rudolph 993 Arten),
ſondern ſowohl ſyſtematiſch als anatomiſch die Gruppen gewiſſermaßen
neu begründet hat. Ihm folgten Joh. Gfr. Bremſer (in Wien,
1767-1827), Bojanus, Friedr. Chſtn. Heinr. Creplin (in
Greifswald), Nitzſch, Eduard Mehlis (geſt. 1832 in
Clausthal),
C. E. von Baer, C. Mor. Dieſing, C. Th. E. von Siebold.
Sie lehrten nicht allein die Anatomie der Helminthen und deren Entwicke-
lungsſtufen kennen, ſondern beſeitigten auch die ſelbſt von Rudolph nicht
ganz aufgegebene Annahme einer Urzeugung bei dieſen Thieren. Sie
legten den ſichern Grund zu dem Baue, welcher jetzt von Rud. Leuckart,
Ant. Schneider u. A. weiter geführt wird. Von Ausländern ſind
rühmlich zu nennen Alex. von Nordmann (ſtarb 1866 in Helſing-
fors), Rich. Owen, D. F. Eſchricht, F. Dujardin und P.
J.
van Beneden. Abgeſehn von der etwaigen Einordnung ſämmtlicher
Helminthen in das Syſtem der Würmer hat Rudolph's Claſſification
(die ſich wie erwähnt an Zeder anſchloß) noch immer Gültigkeit. Nur
betreffs der Blaſenwürmer wurde ein weſentlicher Fortſchritt gemacht.
Goeze hatte dieſelben als in Eingeweiden (nicht im Darme) lebende
Bandwürmer dargeſtellt. Dieſer durch Rudolph's Syſtem, welches
neben den Nematoden, Acanthocephalen, Trematoden und Ceſtoden noch
eine Ordnung Blaſenwürmer aufführt, zurückgedrängte Geſichtspunkt
trat wieder in den Vordergrund. Wiegmann ſagte (1832), daß die
Blaſenwürmer als unausgebildete Formen der Grubenköpfe und Band-
würmer angeſehen werden könnten. Nun kannte ſchon Rudolph die
Wanderung und die damit erfolgende Weiterentwickelung einiger Band-
würmer aus Fiſchen in Waſſervögel. von Siebold wies (1844)
die Wanderung der Entwickelungszuſtände von Trematoden nach, welche
Bojanus und C. E. von Baer beſchrieben und Steenſtrup bereits als
zum Generationswechſel gehörige Formen bezeichnet hatte. Gleichzeitig
betonte er aber überhaupt die Nothwendigkeit des Wanderns auch an-
[693]Kenntniß der Arthropoden.
derer Helminthen, der Nematoden und beſonders der Bandwürmer und
wies direct auf die Identität des Blaſenwurms der Maus und des
Bandwurms der Katze hin. Hiermit war der Anſtoß zur experimentellen
Behandlung der Frage gegeben, welche zuerſt Friedr. Küchenmeiſter
(1851), unmittelbar darauf von Siebold ſelbſt ausführten und damit
die Frage ganz im Sinne der von Siebold'ſchen Erwartung entſchieden.
Kurz vorher hatte van Beneden eine große Reihe Bandwurmformen
unterſucht und durch ihre Entwickelung veranlaßt von Neuem darauf
Gewicht gelegt, daß ſie Thierſtöcke ſeien. Wichtige Beiträge zur Ent-
wickelung der Trematoden gaben Fil. de Filippi und J. J. Mou-
linié, während Friedr. Stein, Guido R. Wagener und R.
Leuckart
die Bandwürmer weiter im Einzelnen kennen lehrten.
Arthropoden. Nächſt den Wirbelthieren haben die Arthropoden
die zahlreichſten Freunde und Arbeiter gefunden. Seit Mitte vorigen
Jahrhunderts iſt die entomologiſche Litteratur außerordentlich ange-
wachſen, die ſpeciell über Inſecten handelnde iſt noch einmal ſo umfang-
reich als z. B. die über Vögel und als die über Mollusken. An die
Stelle der oben (S. 559) erwähnten Zeitſchriften traten andere (Illi-
ger, Germar und Zincken, Thon, Silbermann, Thomſon), von denen
einige noch beſtehn. Beſondere Geſellſchaften pflegten den Fortſchritt
auf dem Gebiete der Gliederthiere, wenn auch die hauptſächlich beliebte
Claſſe die Inſecten waren, ſo in Frankreich (1832), England (1833),
Deutſchland (Stettin, 1837), Holland (1857).
Dem Erſchließen des Arthropodentypus in der geſchilderten Weiſe,
ohne Bezug auf die Wirbelthiere, waren Verſuche vorausgegangen, die
einzelnen Formenkreiſe innerhalb des Typus ſchärfer gegen einander
abzugränzen; dies führte mit jenem allmählich zur natürlichen Anord-
nung der Gruppe. Wie bei Fabricius war noch in dem erſten Verſuch
einer Claſſification der Arthropoden, welchen Pierre André
Latreille
(geb. 1762 in Brives, geſt. 1833 in Paris) aufſtellte (1796) der
ganze Kreis als „Inſecten“ aufgefaßt und in gleichwerthige
Ordnungen
getheilt worden. Von dieſen umfaßten nur die vier letzten die übrigen
Arthropoden, die erſten zehn gehörten den Inſecten. Dabei erſchienen
die Arachniden zuerſt als „Kopfloſe“ und zum erſten Male die
„Myria-
[694]Periode der Morphologie.
poden“ (mit einigen Kruſtern). Erſt nachdem Cuvier 1800 die Cruſta-
ceen, Lamarck 1801 die Arachniden als ſelbſtändige Claſſen von den
übrigen Gruppen getrennt hatten, beſchränkte ſich der Ausdruck Inſecten
auf die ſechsfüßigen Arthropoden, welchen noch 1832 Latreille die an-
dern Claſſen als Apiropoden gegenüberſtellte. Hiermit waren die vier
Claſſen gegeben in der Form, wie ſie noch heute angenommen werden.
Nur die Stellung der Myriapoden war noch nicht beſtimmt; Latreille
ſelbſt wechſelte ihren Platz mehrmals; Will. Elford Leach (geſt. 1836)
bildete eine eigene Claſſe aus ihnen, während die meiſten ſie zu den
Inſecten, Erichſon und nach ihm von Siebold ſogar zu den
Cruſtaceen brachten. Die meiſten Syſteme waren bis dahin auf Flügel
und Mundtheile gegründet, ſelbſt das des um die Entomologie ſehr
verdienten Will. Kirby (1759-1850), deſſen in Verbindung mit
Will. Spence (1783-1860) bearbeitete Einleitung in die Entomo-
logie beſonders nutzbringend gewirkt hat. Leach berückſichtigte zwar
die Entwickelung, folgte aber bei den Ordnungen ſelbſt den Flügeln
und Kiefern. Oken legte wohl in ſeinem viertheiligen Syſteme bei den
Inſecten Gewicht auf die Verwandlung, führte aber ſpäter (1821) den
unhaltbaren Begriff der unvollkommnen oder halben Verwandlung ein.
Selbſt Burmeiſter nahm 1837 dieſen Ausdruck auf, trotzdem er vorher
(1832 im Handbuche der Entomologie) die betreffenden Formen richtig
als ametaboliſche bezeichnet hatte. Folge naturphiloſophiſchen Einfluſſes
iſt es wohl, wenn derſelbe Entomolog ſämmtliche Gliederthiere als
Waſſer-, Land- und Luftgliederthiere (d. i. Würmer, Spinnen mit
Myriapoden, Inſecten) bezeichnet, aber, weil der Uebergang von Waſ-
ſer- zu Landthieren doch zu auffallend ſei, noch eine Durchgangsgruppe
(Cruſtaceen) dazwiſchen ſchiebt. — Noch war aber bis zur Zeit der
zweiten Auflage von Cuvier's Thierreich die Begrenzung des Glieder-
thiertypus nicht ſicher ermittelt. Dies erfolgte nun. Die Cirripedien
ſtanden bei den Mollusken; und wenn auch Lamarck 1802 ſie als
ſchalentragende Kruſter aufgeführt, Latreille ſie mit den Anneliden
zu einer zwiſchen Mollusken und Arthropoden ſtehenden Gruppe ver-
einigt hatte, ſo ließ ſie doch Cuvier 1830 noch bei den Mollusken. In
demſelben Jahre aber veröffentlichte J. V. Thompſon den aus ihrer
[695]Kenntniß der Arthropoden.
Entwickelung geſchöpften Nachweis ihrer Kruſternatur, welcher dann
zunächſt durch Burmeiſter 1834, ſpäter von C. Spence Bate
(1851) beſtätigt, beſonders aber von Ch. Darwin in ſeiner Mono-
graphie der Gruppe (1851) erweitert wurde. Ferner galten die Ler-
näen für Eingeweidewürmer. Freilich hielt ſie ſchon Blainville für
gegliederte Thiere und Latreille brachte ſie wenigſtens zu den
glieder-
thierartigen Helminthen. Aber erſt durch Alex. von Nordmann's
Nachweis ihrer Entwickelung wurde ihre Stellung bei den Kruſtern
geſichert. Endlich entdeckte 1853 T. D. Schubaert die Entwickelung
der Pentaſtomen und entfernte dadurch dieſe Form aus dem Kreiſe der
Helminthen. Die Anatomie der Gliederthiere im Allgemeinen förderten
zahlreiche Arbeiter, unter denen (außer den Verfaſſern der erwähnten
Handbücher der vergleichenden Anatomie) vorzüglich zu nennen ſind
Fr. W. L. Suckow (1828 und 1829), Strauß-Dürkheim
(1829), Léon Dufour (geb. 1782), deſſen zahlreiche Unterſuchungen
ſich beſonders auf Arachniden und Inſecten beziehn, G. R. Trevi-
ranus und Joh. Friedr. Brandt, welcher in der mit Jul. Theod.
Chſtn. Ratzeburg bearbeiteten ausgezeichneten „mediciniſchen
Zoolo-
gie“, ſowie in der Arbeit über die Eingeweidenerven Wirbelloſer werth-
volle Beiträge zur Anatomie der Arthropoden gab. Außer dieſen all-
gemeinen Arbeiten ſind aber noch ſolche über einzelne Syſteme zu
erwähnen, ſo die wichtigen Unterſuchungen über die Nerven von Joh.
Müller, denen ſich die Beſchreibungen von Em. Blanchard und
der Nachweis functionell verſchiedener Nervenſtränge bei Myriapoden
von G. Newport anſchloſſen; ferner die Unterſuchungen über die
Augen von J. Müller, C. Mor. Gottſche, J. G. Friedr. Will
und Frz. Leydig, über das Ohr von von Siebold und R.
Leuckart, über den Blutlauf von C. G. Carus und
Blanchard,
über Abſonderungsorgane von Heinr. Meckel, wobei die hiſtiologiſch
intereſſante Form der einzelligen Drüſen zum erſtenmale nachgewieſen
wird, endlich über die Genitalorgane von von Siebold, F. Stein,
(Inſecten, Myriapoden), an welche ſich die Unterſuchungen über den
Mikropylapparat am Inſectenei von G. Meißner und R. Leuckart
anreihen. Zu erwähnen iſt endlich noch der Nachweis des Vorkommens
[696]Periode der Morphologie.
von Samenſchläuchen (den von Milne Edwards 1840 ſogenannten
Spermatophoren) bei niedern Kruſtern durch von Siebold. Eine
noch allgemeinere Tragweite hatten die Betrachtungen über das Haut-
ſkelet, welche, angeregt durch Eſchſcholtz und von Baer dann Audouin
und beſonders Strauß-Dürkheim anſtellten. Ergänzend trat hier
die Entdeckung des Chitin in der Arthropodenhaut durch Odier (1823)
hinzu, welche Laſſaigne (1842) und beſonders C. Schmidt (1845)
erweiterten. Durch die allmählich erlangte größere Ueberſichtlichkeit,
in welcher nun die verſchiedenen Formen der Gliederthiere ſowohl nach
ihrer allgemeinen Geſtalt als nach ihrem Bau erſchienen, konnten die
in beiden Richtungen gemachten Entdeckungen directer zum Fortſchritt
in der Erkenntniß des ganzen Typus verwerthet werden. Weſentliche
Aufgabe blieb vor Allem die gegenſeitige Stellung der größern und
kleinern Gruppen, die Verwandtſchaften der Claſſen und Ordnungen
zu erkennen. Die Löſung derſelben bahnten zunächſt anatomiſche Un-
terſuchungen einzelner Gruppen an. Für die Cruſtaceen ſind hier zu
nennen die Arbeiten von Audouin und M. Edwards, Louis Jurine
(1751-1819), Karl Aug. Ramdohr. Die Entdeckung verkümmerter
Männchen niederer Kruſter durch A. von Nordmann, beſonders die
entwickelungsgeſchichtlichen Arbeiten von Rathke, Nordmann, Baird,
Bate, Lovén, Philippi, Steenſtrup, Fr. Müller. Sie ſind der Aus-
gangspunkt neuer Anſchauungen ſogar des ganzen Typus geworden.
Die Anatomie der Myriapoden förderten beſonders L. Dufour, New-
port und J. Fr. Brandt, die der Arachniden G. R. Treviranus,
Dufour, Blanchard, J. Müller, Brandt, A. Dugès, Doyère; von
den Arbeiten über Inſectenanatomie ſind neben den allgemeinen oben
genannten noch erwähnenswerth die Unterſuchungen über Verdauungs-
organe von Carl Aug. Ramdohr (1811), ſowie der Nachweis der
Malpighiſchen Gefäße als Nieren durch Rengger (1817) und Wurzer
(1818, Brugnatelli hatte 1816 ſchon Harnſäure in den Excreten ge-
funden, ohne das Organ zu bezeichnen). Von großer Bedeutung ſind
die Unterſuchungen über den Haushalt verſchiedener, beſonders ſocial
lebender Inſecten, unter denen die claſſiſchen Beobachtungen über die
Ameiſen und Bienen von den beiden Huber (Franç. 1750-1831,
[697]Kenntniß der Arthropoden.
Jean Pierre 1777-1840) hervorzuheben ſind. An ſie ſchließen ſich
die Arbeiten über Fortpflanzungserſcheinungen. Die ſchon genannten
Beobachtungen über Blattläuſe regten weitere wichtige Unterſuchungen
an über jungfräuliche Zeugung und die ſo merkwürdigen Fortpflan-
zungsverhältniſſe bei den Bienen. In beiden Beziehungen verdankt die
Wiſſenſchaft das Meiſte den Bemühungen von Siebold's, welcher
nicht bloß das Vorkommen der Parthenogeneſis bei Arthropoden durch
ſorgfältige Beobachtung der Fälle bei Pſychiden ſicher ſtellte, ſondern
andrerſeits auch jene Theorie des Bienenſtaats mit Thatſachen begrün-
dete, welche der ſorgfältigſte neuere Beobachter deſſelben, der Pfarrer
in Karlsmark i. Schl. Joh. Dzierzon (geb. 1811), aufgeſtellt hatte.
— Hand in Hand mit dieſen Beſtrebungen, tiefer in die Erkenntniß der
Formen einzudringen, giengen die Fortſchritte der Syſtematik. Für
die Cruſtaceen waren die Arbeiten von Latreille die wichtigſten;
ſeinen Anſchauungen folgten im Allgemeinen ſowohl die früheren Dar-
ſtellungen der ganzen Claſſe von L. Aug. Guill. Bosc (1759-1828)
und G. A. Desmareſt, als die neueren, von denen das Werk von
H. Milne Edwards Grundlage ſpäterer Forſchungen wurde. Die
neueſten Claſſificationen von Dana und Alph. Milne Edwards
weichen von jener Grundlage wohl nicht zum Vortheil einer ſchärferen
Umgrenzung und Sichtung der Gruppen ab. Die Gruppen der Arach-
niden hatte gleichfalls Latreille zuerſt (1817) richtig beſtimmt; die
Theilung nach den Athmungsorganen, deren Deutung ſpäter R. Leuckart
berichtigte, iſt Grundprincip auch ſpäterer Syſteme geblieben. Von
dieſen ſchließt ſich für die Haupttheilung der Claſſe das van der Hoe-
ven's einem früher von Dugès bei den Acarinen
hervorgehobenen
Umſtande an, der deutlichen oder verwiſchten Gliederung einzelner
Körperabſchnitte. Auf den ſyſtematiſchen Werth der Augen bei Spinnen
lenkte wieder J. Blackwall, der um die Kenntniß der engliſchen
Spinnen ſo verdiente Forſcher, die Aufmerkſamkeit. In umfaſſender
Weiſe ſtellten Walckenaer und P. Gervais, ſowie C. W.
Hahn
(geſt. 1836) und C. L. Koch die ganze Claſſe dar. Von den ſo über-
aus zahlreichen Arbeiten zur Förderung der Syſtematik und Kenntniß
einzelner Gruppen und Formen der Inſecten iſt zunächſt die Einleitung
[698]Periode der Morphologie.
zur neueren Claſſification derſelben von Jam. Obad. Weſtwood (geb.
1805, Profeſſor in Oxford) zu nennen, welche das älter gewordene
Werk Kirby's und Spence's in ſyſtematiſcher Hinſicht ergänzte. Die
Claſſification ſelbſt ſicherte vorzüglich Burmeiſter durch Gründung
derſelben auf die Entwickelungsart. Neuere Fortſchritte61) betreffen
nur die relative Selbſtändigkeit oder untergeordnetere Stellung einzelner
Gruppen (z. B. der Strepſiptern und Dictyoptern) und die im Sinne
einer einreihigen Entwickelung höhere oder niedere Stellung, welche
man z. B. den Hymenoptern oder Coleoptern gibt, Fragen, welche den
bevorſtehenden genealogiſchen Aenderungen des Syſtems gegenüber an
Bedeutung verlieren werden. Die Reſultate der äußerſt zahlreichen
Sammlungen fauniſtiſcher Thatſachen ſind in Bezug auf die Geſetz-
mäßigkeit einer geographiſchen Verbreitung nur vereinzelt bearbeitet
worden, ſo für die Cruſtaceen von H. Milne Edwards und Dana,
für die Inſecten von Latreille, Bremi, H. Hagen, Th.
Lacor-
daire, F. W. Maeklin, während für die Schmetterlinge ein wich-
tiger Anfang von Adolf und Auguſt Speyer gemacht wurde.
Mollusken. Den Grund zur näheren Kenntniß und zur natur-
gemäßen Eintheilung der Mollusken legte Cuvier, welcher dieſelben
anfangs als Claſſe, ſpäter als ſelbſtändigen Typus hinſtellte. Schon
1795 theilte er ſie unter Berückſichtigung der Verhältniſſe des Mantels,
der Kiemen u. ſ. f. in Cephalopoden, Gaſtropoden und Acephalen.
Von den Gaſtropoden ſchied er ſelbſt 1804 die Pteropoden, Lamarck
1818 die Heteropoden, während 1806 Duméril die Brachiopoden,
1801 Lamarck die Tunicaten als ſelbſtändige Gruppen trennten. Die
Fortſchritte in der Kenntniß dieſer Thiere haben gezeigt, daß die Ab-
theilungen im Ganzen natürliche ſind. Die Verſuche von Denys de
Montfort (geſt. 1820), Joh. Carl Megerle von Mühlfeldt
(1765-1840) und Friedr. Chſtn. Schumacher (1757-1830),
auf bloße Eigenthümlichkeiten der Schalen ohne Berückſichtigung der
Thiere Gruppen und Gattungen zu gründen, führten zu ſynonymiſchen
[699]Kenntniß der Mollusken.
Verwirrungen, wie leider auch der um die Anatomie der Mollusken ſo
verdiente Giuſ. Saverio Poli (1746-1825) den Thieren andere
Namen als die gebräuchlichen ihrer Schalen beilegte. Meckel ver-
einigte die Gaſtropoden mit den Ptero- und Heteropoden zu den Cepha-
lophoren, worin ihm von Siebold folgte. Der Lamarck'ſchen Auf-
faſſung, nach welcher die Heteropoden als Ordnung den Gaſtropoden
untergeordnet werden, ſchloß ſich S. L. Lovén an, nur daß er von
dem
Fehlen oder Vorhandenſein einer Zunge die Haupttheilung ausgehn
ließ. Vielfache Aenderungen an ſeinem Syſtem nahm J. E. Gray
vor, ohne daſſelbe dadurch ſicherer zu begründen. Die Syſteme von
d'Orbigny und Deshayes ſchließen ſich im Allgemeinen den
obi-
gen Hauptgruppen an. Den wichtigſten Fortſchritt in der allgemeinen
Syſtematik that H. Milne Edwards 1850, indem er die Tunicaten,
Brachiopoden und Bryozoen zu einer den Mollusken coordinirten
Gruppe, den Molluscoiden, vereinigte. C. Vogt fügte zu dieſen drei
Ordnungen noch die Rippenquallen, ohne jedoch damit Anklang finden
zu können. Für Sammlung neuer Arten und daß ſolche allgemeiner zu-
gänglich wurden, ſorgten L. C. Kiener, Lovell Reeve, die genann-
ten Sowerby, Rud. Amandus Philippi (geb. 1808), Ludw.
Pfeiffer (geb. 1805) ſowie H. C. Küſter, welcher durch neue Be-
arbeitung des Martini'ſchen Conchyliencabinets (ſ. S. 557) die zer-
ſtreuten Thatſachen zu ſammeln ſuchte. — Für die Anatomie der Mol-
lusken war in erſter Reihe G. Cuvier thätig, deſſen (ſpäter
geſammelte)
Abhandlungen den Ausgangspunkt aller ſpäteren Forſchungen bilden.
Nächſt dem bereits genannten Poli war auch Delle Chiaje darauf
bedacht, in ſeiner Schilderung der ſüditalieniſchen Mollusken deren
Anatomie zu klären. Aeußerſt wichtig wurden H. Milne Edwards'
Unterſuchungen, welche die eigenthümliche Form des Gefäßſyſtems in
dieſem Typus darthaten, nachdem Cuvier ſchon 1796 die Venen-
räume bei Mollusken beſchrieben hatte. Der von Quatrefages
dieſer Schilderung, wenigſtens für eine kleine Gruppe, entgegengehaltene
ſogenannte Phlebenterismus wurde von Edwards ſelbſt und von Ey-
doux und Souleyet zurückgewieſen. Werthvolle Unterſuchungen
über anatomiſche Verhältniſſe mehrerer Molluskenordnungen machten
[700]Periode der Morphologie.
dann noch van Beneden, Leydig, Gegenbaur, Leuckart, Krohn und von
Engländern beſonders Owen, Huxley, Joſhua Alder, Albany Hancock
und Rob. Templeton. — Was die einzelnen Gruppen betrifft, ſo wur-
den die Bryozoen von Edwards, Agaſſiz, van Beneden und den meiſten
Neueren für Molluscoiden erklärt62). Ihre Kenntniß förderten ferner
Dumortier, G. Busk und beſonders Geo. Jam. Allman. Die
ihnen nahe ſtehenden Brachiopoden wurden anatomiſch erſchloſſen von
Owen, C. Vogt, Huxley und A. Hancock, während um die
Claſſification der auch foſſil ſo verbreiteten Gruppe Leop. von Buch,
d'Orbigny, beſonders Thom. Davidſon und E. Sueſs ſich ver-
dient machten. Die Tunicaten im Allgemeinen fanden in H. Milne
Edwards und Delle Chiaje eingehende Beobachter. Die Natur der
Ascidien lehrten C. G. Carus, Eyſenhardt, Agaſſiz, Ch. Girard, die
der zuſammengeſetzten nach Savigny beſonders H. M. Edwards
näher kennen. Eigenthümliche Ascidienformen unterſuchten und be-
ſchrieben Leſueur, Rathke, Quoy und Gaimard, Huxley, Krohn und
Gegenbaur, während die Kenntniß der Salpen nach Chamiſſo vorzüg-
lich durch Dan. Fr. Eſchricht, Sars, Krohn, Huxley und Heinr.
Müller (1820-1864) gefördert wurde. Bei den zweiſchaligen
Muſcheln hatte Lamarck 1807 auf die Verſchiedenheit der Muskelein-
drücke aufmerkſam gemacht und ſie danach in Mono- und Dimyarier
eingetheilt. Später nahm man noch den Manteleindruck hinzu. Wäh-
rend aber Lamarck die Brachiopoden mit unter den Acephalen begriff,
löſte dieſelben Blainville (1822) heraus, dadurch, daß er die letzte-
ren Lamellibranchier, die erſten Palliobranchier nannte. Sind dieſe
Wörter auch hybriden Urſprungs, ſo hat das erſtere doch weite Ver-
breitung gefunden. An der allmählichen Verbeſſerung des Syſtems
arbeiteten beſonders G. P. Deshayes, Edw. Forbes und Sylv.
Hanley, S. P. Woodward und die Brüder Henry und Arthur
Adams. Die Anatomie wurde namentlich durch die Arbeiten von
Giuſ. Mangili, Rob. Garner, H. Milne Edwards, H. La-
[701]Kenntniß der Mollusken.
caze-Duthiers u. A. gefördert. Die Entwickelung verfolgten nach
den früher Genannten Quatrefages und Lovén. Daneben
boten
die Muſcheln in den Perlen und dem Byſſus der Unterſuchung weitere
Objecte, welche in Bezug auf erſtere von Fil. de Filippi, H. Alex.
Pagenſtecher, Theod. von Heßling und C. Möbius aufgenommen wurde.
Neuerdings haben die Acephalen einen eigenthümlichen Zuwachs an
den Dentalien erhalten, welche noch Cuvier zu den Würmern ſtellte.
Es wurden dieſe Formen von H. Lacaze-Duthiers als Soleno-
conchen den Lamellibranchiern an die Seite geſtellt. Die Selbſtändig-
keit der Pteropoden wurde durch Unterſuchungen von van Beneden,
Eſchricht und Gegenbaur von Neuem erhärtet, durch die von
letzterem verfolgte Entwickelung gleichzeitig ihre morphologiſche Stellung
in der Molluskenreihe aufgehellt. Die Heteropoden, von denen Fors-
kål die erſten Formen geſchildert hatte, wurden anatomiſch von Delle
Chiaje, ſpäter von Souleyet (Bonite), neuerdings von Huxley,
Gegenbaur und Leuckart unterſucht, von den beiden letzteren und
Krohn auch ihre Entwickelung dargeſtellt. Cuvier, Lamarck und
Blainville, welcher ſie Nucleobranchier nennt, ſtellen ſie als Ordnung
unter die Gaſtropoden, von Siebold, Gegenbaur u. A. nehmen ſie als
eine den Gaſtropoden und Pteropoden coordinirte Gruppe. Die echten
Gaſtropoden wurden nach den früheren Verſuchen von Cuvier, Lamarck
und Deshayes, neuerlich zuerſt von Milne Edwards auf Grund
ihrer Anatomie in natürliche Gruppen getheilt, aus welcher Anordnung
ſich nach und nach die jetzige Syſtematik entwickelte. Die Orientirung
in dem ſo reichen Formenkreiſe, von welchem man lange Zeit nur die
Schalen ſammelte und claſſificirte, wurde hauptſächlich durch eingehende
anatomiſche Unterſuchungen angebahnt. Hier ſind außer den Arbeiten
von Cuvier und H. M. Edwards beſonders die Reiſen von Quoy
und Gaimard und von Eydoux und Souleyet wichtig
geworden.
Unter der großen Zahl einzelner Arbeiten waren die von van Beneden,
Moquin-Tandon, Lacaze-Duthiers, Leydig und Ed. Claparède, For-
men verſchiedener Stellung ſchildernd, von Einfluß. Nachdem Troſchel
1836 auf den ſyſtematiſchen Werth der Zungenbewaffnung aufmerkſam
gemacht hatte, unterſuchte dieſelbe zuerſt eingehend Heinr. Lebert, dann
[702]Periode der Morphologie.
beſonders Lovén und Troſchel ſelbſt, um ſie bei der Claſſification zu
verwerthen. Im Anſchluß an die gewundenen Schalen foſſiler Cepha-
lopoden wurde die geometriſche Geſtalt auch der Gaſtropodengehäuſe
der Meſſung und Berechnung unterworfen, für welche Unterſuchungen
die Arbeiten von H. Moſeley und Carl Friedr. Naumann grund-
legend ſind. Von größter Wichtigkeit für die ſyſtematiſche und morpho-
logiſche Auffaſſung der einzelnen Gruppen iſt auch hier deren Embryo-
logie geworden, vor andern ſind die Unterſuchungen von Dumortier
(1837), van Beneden (1841), Lovén (1841), C.
Vogt (1845),
A. von Nordmann (1845), Leydig (1850), Koren und Da-
nielsſen (1851), Gegenbaur (1852) und J. D. Macdonald
(1855 flgde.) zu nennen. Für die Kenntniß der Cephalopoden bezeich-
net nach den Arbeiten Cuvier's und delle Chiaje's die Anatomie des
Nautilus von Owen (1832) einen Wendepunkt. Mit ihr beginnt die
naturgemäße Eintheilung der Claſſe. Der embryologiſchen Arbeit
Kölliker's wurde bereits gedacht. Nachdem Kölliker ſpäter die Hec-
tocotylen als zu dem Zeugungsgeſchäft der Tintenfiſche in Beziehung
ſtehend, ja für die Männchen ſelbſt gehalten hatte, fand Heinr. Müller
das wahre Männchen der Argonaute, und es wurde dann von J. B.
Verany, C. Vogt und Steenſtrup das Vorkommen der
ſoge-
nannten Hectocotylie bei mehreren Cephalopoden nachgewieſen. Von
großem Werthe war die Entdeckung von Reſten von Weichtheilen foſſiler
Cephalopoden durch Owen, wodurch deren Verwandtſchaftsverhältniſſe
geklärt wurden. Das monographiſche Hauptwerk von d'Audebard
de Féruſſac und A. d'Orbigny umfaßt auch lebende und foſſile
Formen. In Bezug auf letztere war das Vorkommen der Aptychus-
Schalen ſchwierig zu erklären, bis 1829 Ed. Rüppell die jetzt ver-
breitete Deutung durch die Vermuthung begründete, es ſeien dies innere
Hartgebilde. — Die ſehr zahlreichen fauniſtiſchen Angaben über das
Vorkommen von Mollusken wurde zur Anbahnung eines Verſtändniſſes
der geographiſchen Verbreitung nur noch wenig benutzt. Zur Klärung
der letzteren ſind die Arbeiten von d'Orbigny, Edw. Forbes und Lovén
wichtig.
Wirbelthiere. Iſt bei manchen Gruppen wirbelloſer Thiere
[703]Kenntniß der Wirbelthiere.
ihre ſyſtematiſche Anordnung mehr oder weniger eine Sache der Ueber-
einkunft wegen des noch nicht feſt zu beſtimmenden Werthes mancher
Erſcheinungen, ſo iſt bei den Wirbelthieren in Folge der um ſo Viel
tiefer gehenden Kenntniß derſelben das Syſtem wohl der Ausdruck des
geſammten Wiſſens von den einzelnen Gruppen und die Aufnahme der
Fortſchritte dieſes in die Anordnung enthält die Anerkennung gewiſſer
wiſſenſchaftlicher Wahrheiten. Wollte man z. B. noch jetzt die Am-
phibien mit den Reptilien in eine Claſſe vereinigen, ſo hieße dies die
Entwickelung, den Bau und die durch beide Momente angedeuteten
Verwandtſchaften dieſer Claſſen völlig verkennen. — Daubenton
(1796) und nach ihm Lacépède löſten zwar die Walthiere von den
Säugethieren als Claſſen, vereinigten die Amphibien mit den Reptilien
und trennten die Schlangen als Claſſe von jenen „eierlegenden Vier-
füßern“, ſo daß es zunächſt als Fortſchritt aufzufaſſen war, wenn
Cuvier die Linné'ſche Eintheilung der Wirbelthiere in vier Claſſen
wieder aufnahm. Aber ſchon 1799 wandte Alex. Brongniart das
Cuvier'ſche Geſetz der Subordination der Charaktere conſequent auf die
Reptilien an und gelangte zu der Anſicht, daß die von ihm Batrachier
genannten Amphibien den andern Ordnungen zuſammen gegenüber-
geſtellt werden müßten. Aber erſt Blainville trennte beide Claſſen
als ſolche (1816), nannte mit richtigem Blicke die Reptilien Ornithoide
und ſtellte ihnen, welche er ſyſtematiſch als Schuppenträger bezeichnete,
die fiſchartigen Nackthäuter, die Amphibien gegenüber. Auch führte
Blainville die Coecilien auf anatomiſche Unterſuchungen geſtützt den
Amphibien zu. Freilich vereinigte wiederum Bl. Merrem (1820)
Amphibien und Reptilien, Batrachier und Pholidoten, als zwei „Claſſen“
(d. h. Unterclaſſen) zu der größeren Gruppe der Amphibien, hielt aber
doch den Unterſchied zwiſchen beiden und auch die Stellung der Coecilien
bei erſteren (wie auch Mich. Oppel) aufrecht. F. S. Leuckart
trennt gleichfalls beide Gruppen als Unterclaſſen unter den Namen der
Dipnoer und Monopnoer (1821). Latreille trennt (1825) beide
Claſſen, führt bei den Amphibien die hybriden Worte der Caducibran-
chier und Perennibranchier ein und bringt die Coecilien zu den Schlan-
gen. Joh. Wagler vereinigt Amphibien und Reptilien, ſchiebt aber
[704]Periode der Morphologie.
zwiſchen Säugethiere und Vögel eine Ordnung der „Greife“ ein für die
Monotremen und foſſilen Reptilien. In den Jahren 1831 und 1832
ſicherte Joh. Müller die Stellung der Coecilien durch Nachweis der
Kiemenlöcher und wies die Verſchiedenheit der beiden Claſſen durch ein-
gehende anatomiſche Unterſuchungen nach. Latreille unterſchied nun
wohl auch die Knorpelfiſche als Claſſe von den übrigen Fiſchen, ebenſo
die Monotremen von den übrigen Säugethieren. Doch fand dies keine
Nachahmung, ſo wenig die erwähnte Theilung der Wirbelthiere in acht
Claſſen von Agaſſiz Anklang finden dürfte. Wiſſenſchaftlich ſicher
begründet ſind wenigſtens bis jetzt nur die fünf Claſſen, welche C. E.
von Baer bereits bezeichnet hatte und welche H. Milne Edwards
in die erwähnten beiden Gruppen ſcheidet, die Allantoidica und Anal-
lantoidica, Gruppen, welche C. Vogt höhere und niedere Wirbelthiere
nennt. — Durch die morphologiſche Richtung, welche die anatomiſche
Behandlung der Wirbelthiere beſonders durch die Arbeiten Rathke's,
J. Müller's und R. Owen's erhalten hatte, gewann die Kennt-
niß des Baues derſelben eine in keinem andern Typus erreichte wiſſen-
ſchaftliche Form. Zahlreiche Unterſuchungen über einzelne Formen und
Theile ſchafften daneben ein freilich nicht immer ſofort zu verwerthendes
Material. Von den vielen, verſchiedene Wirbelthierclaſſen anatomiſch
erforſchenden Männern ſeien hier nur G. L. Duvernoy, Ant. Aleſ-
ſandrini, Ed. d'Alton, H. Leop. Barkow, A. F. J. C. Mayer,
G. R. Treviranus, Will. Vrolik zu den oben genannten verglei-
chenden Anatomen hinzugefügt. Sehr lebhafte Erörterungen rief die
von Oken angeregte Frage nach der Zuſammenſetzung des Schädels
aus Wirbeln hervor, an deren Klärung Bojanus, Spix, Aug.
Leop. Ulrich, Ed. Hallmann ſich verſuchten. Weſentlich wirkte
auf dieſelbe der Nachweis eines dem knöchernen Schädel in der Ent-
wickelung vorausgehenden, ſogenannten Primordialcraniums, welchen
anſchließend an Rathke's Unterſuchungen L. Jacobſon lieferte; es wurde
dadurch der ſchon von Reichert betonte genetiſche Geſichtspunkt in
den Vordergrund gerückt und auch in den neueren Verſuchen, den
Schädel zu deuten, wie den von Huxley und Kölliker, feſtgehalten.
Eingehend wurde auch das vom Schädel umſchloſſene Gehirn der Ver-
[705]Kenntniß der Wirbelthiere.
gleichung unterworfen, ſo außer von C. G. Carus, in der früher er-
wähnten Schrift, von Ét. Ren. Aug. Serres (1824), Laurencet
(1825), Franc. Leuret (1839), Nat. Guillot (1844), während
G. R. Treviranus u. A. einzelne Theile in verſchiedenen Claſſen
verglichen. Den Bau der Sinnesorgane, beſonders des Ohrs, hat
Gilb. Breſchet durch die einzelnen Abtheilungen vergleichend unter-
ſucht. Wenn auch zunächſt ſich auf einzelne Claſſen beziehend, haben
doch die angiologiſchen Unterſuchungen von Rathke, Frdr. Bauer
und Barkow eine weitere Bedeutung. Der allgemeinen Tragweite
wegen müſſen auch die embryologiſchen Arbeiten ſchon hier erwähnt
werden. P. Coſte verfolgte die Entwickelungsvorgänge in mehreren
Wirbelthierclaſſen und gibt an, auch den Furchungsproceß bei den Vö-
geln ſchon geſehn zu haben. C. E. von Baer, Fil. de Filippi und
C. Vogt förderten die Kenntniß der Embryologie der Fiſche. Die
Entwickelung der Amphibien unterſuchten C. B. Reichert, deſſen
Arbeit über die Visceralbogen die Entwickelungsgeſchichte der Wirbel-
thiere im Allgemeinen weiterführte, C. Vogt, Mauro Rusconi und
mit beſonderer Berückſichtigung der allmählichen Umwandlungen des
Knochen- und Muskelſyſtems Ant. Dugès; die der Reptilien
bear-
beiteten A. W. Volkmann und H. Rathke. Von großer Bedeutung
waren ſeit Pander's Zeit die Unterſuchungen über die Entwickelung des
Hühnchens, da ſich in ihnen der jeweilige Stand der allgemeinen An-
ſchauungen über Wirbelthierentwickelung am klarſten ſpiegelte. Hier iſt
die claſſiſche Arbeit von Rob. Remak (geſt. 1865) zu nennen. Für
die Entwickelung der Säugethiere ſind die Arbeiten von Th. Ludw.
Wilh. Biſchoff grundlegend geworden; ſie betreffen Säugethiere ver-
ſchiedener Ordnung (Kaninchen, Hund, Meerſchweinchen, Reh, Menſch)
und ſind für die Entwickelung der Körperform wie für die der Eihäute
Ausgangspunkt neuerer Arbeiten. Eine der wichtigſten Entdeckungen
in dieſem Gebiete war die Owen's von der implacentalen Entwicke-
lung der Beutelthiere. — Gegenüber der Eintheilung der Fiſche von
Cuvier in Knorpel- und Knochenfiſche, welcher von Lacépède und
Du-
méril an Blainville, Latreille, Wiegmann und die meiſten Neueren
folgten, war die Claſſification, welche L. Agaſſiz vorzüglich unter
V. Carus, Geſch. d. Zool. 45
[706]Periode der Morphologie.
Berückſichtigung der foſſilen Formen aufſtellte (1833) und an die von
ihm beſonders unterſuchten Schuppenformen anknüpfte, ein weſentlicher
Schritt zur Bildung eines natürlichen Syſtems. Die Form, welche
dieſelbe allmählich durch die Arbeiten Joh. Müller's und R. Owen's
erhalten hat und welche unter Andern auch van der Hoeven ſelbſtändig
weiterzuführen ſuchte, läßt dies Syſtem noch jetzt als das geltende er-
ſcheinen. Das Hauptwerk von Cuvier und Valenciennes
behandelt
nur einen Theil der Knochenfiſche. Mit der Myxinoiden-Anatomie
und dem von ihm modificirten Agaſſiz'ſchen Syſtem hat beſonders
J. Müller den Rahmen gegeben, in dem ſich die nun zahlreich auf-
tretenden Einzelnarbeiten bewegen. Die Anatomie der Fiſche hatten
Rathke und J. Müller gewiſſermaßen neu gegründet; unter den vielen
Arbeitern auf dieſem Felde mögen nur Joſ. Hyrtl und Herm. Stan-
nius genannt werden. Es fanden aber einzelne Syſteme ebenſo ein-
gehende Schilderungen, ſo das Skelet von G. Bakker und beſonders
Friedr. Chſtn. Roſenthal (geſt. 1829), das Nervenſyſtem von dem
oben genannten Arſaky, von Gottſche, Philipeaux und
Vul-
pian und Stannius; das Gehörorgan von E. H. Weber.
Einen
ſechſten Sinn wies Frz. Leydig in den Seitenkanälen nach. Die
elektriſchen Fiſche, welche ſchon Al. von Humboldt's Aufmerkſamkeit
erregt hatten, unterſuchten Et. Geoffroy, Matteucci, Pacini,
Theod. Bilharz und M. S. Schultze. Wie Agaſſiz durch ſein
Hauptwerk die Kenntniß der foſſilen Fiſche begründet hatte, ſo gab er
auch zuerſt Andeutungen über geographiſche Verbreitung der Fiſche,
deren Kenntniß durch zahlreiche fauniſtiſche Beiträge vorbereitet wurde.
— Die Amphibien, deren Trennung von den Reptilien ſchon erwähnt
wurde, fanden mit letzteren zuſammen eine umfaſſende ſyſtematiſche
Bearbeitung durch C. Duméril und G. Bibron (ſpäter von Aug.
Duméril, dem Sohne des erſteren). Für die Kenntniß der Anatomie
der Amphibien war der Umſtand fördernd, daß der Froſch das phyſio-
logiſche Verſuchsthier geworden war, an welchem viele, ſpäter bei andern
Thieren der Claſſe nachunterſuchte Einzelnheiten gefunden wurden (er
iſt nächſt der Biene das mit der reichſten Litteratur bedachte Thier).
Von allgemeiner Bedeutung waren vorzüglich die Unterſuchungen über
[707]Kenntniß der Wirbelthiere.
das Lymphgefäßſyſtem, welche in größerer Ausdehnung von M. Rus-
coni und Bart. Panizza angeſtellt wurden. Bei Gelegenheit des
von Al. von Humboldt nach Europa gebrachten Axolotl ſtellte Cuvier
über die „zweifelhaften Reptilien“ anatomiſche Unterſuchungen
an, welche
von F. S. Leuckart, dann von Configliachi und Rusconi
für
den Proteus, von Jeffreys Wyman für
Menobranchus, von Luigi
Calori für den Axolotl, von Rich. Harlan für Amphiuma
und
Menopoma, von van der Hoeven für Cryptobranchus
erweitert
und vervollſtändigt wurden. Einzelne anatomiſche Syſteme bearbeiteten
R. Owen, H. A. Lambotte, Ch. Morren u. A. ; das auch
ſyſtematiſch benutzte Verhalten des Gehörorgans unterſuchte J. Mül-
ler; die merkwürdige Entwickelung der Genitalorgane entdeckte Herm.
von Wittich. Daneben fanden auch einzelne Formen ihre Mono-
graphen, aus deren Zahl Adlf. Fr. Funk über den Salamander (1826)
erwähnt werden mag. Die Veränderung der Körpergeſtalt während
der Entwickelung hatte ſchon früh die Aufmerkſamkeit auf dieſe Gruppe
gelenkt; ſie wurde mit eingehender Berückſichtigung der Athmungs- und
Kreislaufsorgane von Rusconi, von Siebold, Gaſp. Joſ. Mar-
tin St. Ange u. A. verfolgt. Den auffallenden Einfluß äußerer
Bedingungen auf die Entwickelung unterſuchte J. Higginbottom.
Auch wurde das Leben der Kröten in dichtem Geſtein und künſtlichen
Einſchließungsmitteln wiederholt geprüft. Die Claſſification der Am-
phibien war von Cuvier ſchon im Ganzen richtig angegeben worden;
er theilte ſie 1800 in Fröſche, Salamander und Sirenen. Duméril
legte (1806) das Gewicht auf den Schwanz und ſchied ſie in Anuren
und Urodelen. Latreille combinirte beide Weiſen und ſtellt die nach
Duméril in Anuren und Urodelen getrennten Amphibien mit hinfälligen
Kiemen denen mit bleibenden gegenüber. Joh. Müller bildete (1832)
aus den Coecilien eine Ordnung der Gymnophionen, ſpaltete die Peren-
nibranchiaten nach dem Fehlen oder Vorhandenſein äußerer Kiemen in
Derotremen und Proteiden und erhielt damit fünf Ordnungen. Herm.
Stannius reducirte dieſe (1856) auf drei, Urodelen, Batrachier
(d. ſ. die Anuren) und Gymnophionen (Coecilien) und ſtellte damit die
Verwandtſchaftsverhältniſſe wohl am natürlichſten dar; freilich ver-
45*
[708]Periode der Morphologie.
einigte er die Amphibien als Dipnoa mit den monopnoen Reptilien.
Die Kenntniß der foſſilen Amphibien haben nächſt Cuvier vorzüglich
R. Owen und Chſtn. Erich Herm. von Meyer (geb. 1801, geſt.
1869) erweitert, den Homo diluvii testis des Scheuchzer hatte ſchon
Cuvier anatomiſch als Salamander nachgewieſen, nachdem bereits Cam-
per und Kielmeyer ſeine wahre Natur vermuthet hatten. Die meiſt mit
den Amphibien gemeinſam behandelten Reptilien wurden allgemein in
die drei zuerſt von Brongniart bezeichneten Gruppen der Schildkröten,
Eidechſen und Schlangen eingetheilt. Schon Merrem unterſchied in-
deſſen 1820 die Crocodile als Gepanzerte von den beſchuppten Formen,
von denen die Schlangen nur eine Ordnung bildeten. Auch Wagler
unterſchied die Crocodile von den Eidechſen, führte aber daneben noch
die Blindſchleiche als Repräſentant einer beſonderen Ordnung auf. Nun
hatte ſchon 1810 C. D. W. Lehmann aus dem Baue dieſes Thieres
deſſen Sauriernatur erkannt, auch hatten es Blainville und Oppel
zu den Eidechſen gebracht; doch wurde die Frage allgemein erſt durch
Joh. Müller's Ausſpruch (1832) entſchieden. Derſelbe erklärte ferner,
die Crocodile für eine ſelbſtändige Ordnung betrachten zu müſſen. Der
hierdurch eingeführten Theilung der Reptilien in vier Ordnungen hat
auch Stannius eine weitere anatomiſche Begründung gegeben. Was
die einzelnen Ordnungen betrifft, ſo haben ſich um die Kenntniß der
Schlangen C. Duméril und Herm. Schlegel63) die größten Ver-
dienſte erworben. Neben ihnen iſt aus der reichen Zahl anderer For-
ſcher Harald Othm. Lenz (1799-1870) als treuer Beobachter zu
erwähnen. Die Anatomie derſelben förderten Calori, Hyrtl, Du-
méril, C. Mayer, J. Müller, Owen. Die Saurier, deren
Anatomie werthvolle Beiträge von Rathke und Joh. Guſt. Fiſcher
(geb. 1819, Hamburg) erhielt, erfuhren in ihrer Claſſification dadurch
eine Modification, daß ihr nicht bloß die Blindſchleiche, ſondern auch
die Amphisbaenen und Verwandte zugewieſen wurden. J. Müller
hält zwar die Schlangennatur der letztern aufrecht, ebenſo van der
[709]Kenntniß der Wirbelthiere.
Hoeven; doch hat neuerdings Stannius ihre Stellung bei den
Sauriern, welche ſchon C. Duméril (in der Erpetologie), ſpäter
Gervais u. A. annahmen, durch anatomiſche Gründe geſtützt. Von
einzelnen Formen fand beſonders das Chamaeleon mit ſeiner merkwür-
digen Zunge und dem Farbenwechſel ſeiner Haut eingehende Beſchreiber,
während andrerſeits an den einheimiſchen Eidechſen die Wiedererzeugung
des Schwanzes wiederholt unterſucht wurde. Die Anatomie der Che-
lonier wurde von Owen, J. Müller, Peters, ihre
Entwickelung
von Rathke, die Kenntniß einzelner Formen von Thom. Bell,
J. E. Gray u. A. gefördert. Für die Kenntniß der foſſilen Reptilien
ſind gleichfalls in erſter Linie R. Owen und Herm. von Meyer
thätig geweſen; daneben ſind noch Goldfuß, Andr. Wagner, Will.
Buckland (1784-1856), Gid. Algernon Mantell (1790-1852)
und Will. Dan. Conybeare zu nennen. — Die Vögel haben mit
ihren bunten gefälligen Formen und ihrem die Natur ſo beſonders reiz-
voll machenden Leben eine außerordentliche Zahl von Freunden gefun-
den. Während aber ihr Haushalt und ihre Lebensweiſe auf das Ein-
gehendſte beobachtet wurde, ſetzte die ſtarre Abgeſchloſſenheit ihres Baues
der Claſſification ziemliche Schwierigkeiten entgegen. Cuvier theilte
(1798) die Claſſe in ſechs gleichwerthige Ordnungen (Raubvögel,
Paſſerinen, Klettervögel, Hühner, Wad- und Schwimmvögel) und ſchob
zwiſchen die Hühner und Wader als einer von beiden Ordnungen zuzu-
weiſende Formen die „Vögel, welche nicht fliegen können“
(Strauße und
Dronte). Dagegen verſuchte man einerſeits, beſonders die Natur-
philoſophen, die Vögel nach dem Zuſtande, in welchem ſie das Ei ver-
laſſen, in Neſthocker und Neſtflüchter (Oken, Burmeiſter), andererſeits
nach dem Flugvermögen und den damit in Verbindung ſtehenden Mo-
dificationen des Baues in zwei Gruppen zu theilen. Der letzteren von
Bl. Merrem herrührenden Eintheilung (in Ratitae und
Carinatae)
folgte der um die Anatomie der Vögel hochverdiente Chſtn. Ludw.
Nitzſch, welcher auch die Vertheilung der Federn am Vogelkörper
zuerſt planmäßig ſtudirte und für die Syſtematik verwendete (Pterylo-
graphie). Die Anordnung findet neuerdings beredte Anhänger; doch
folgt die Mehrzahl der Ornithologen dem allerdings mannichfach modi-
[710]Periode der Morphologie.
ficirten Cuvier'ſchen Syſteme. Nur ſchwankt man, welcher Ordnung
man, auch ohne an eine Entwickelungsreihe zu denken, den erſten Rang
einräumen ſoll. Cuvier ſtellte die Raubvögel obenan, Blainville
die (von den übrigen Klettervögeln getrennten) Papageyen, Goldfuß
die Singvögel (für welche Sundevall 1835 den Namen Oscines
einführte), Ranzani die Strauße (als die ſäugethierähnlichſten). Wie
hier die allgemeine Form des Syſtems discutirt wurde, ſo erfuhr auch
von einer Seite in Folge eingehendſter Specialkenntniß die Grundlage
des Syſtems, der Begriff der Art, eine Erweiterung, inſofern einer
der erfahrenſten deutſchen Vogelkenner, der Pfarrer Chſtn. Ludw.
Brehm (1787-1864) die Art ſchon als eine höhere ſyſtematiſche
Gruppe faßte und die übereinſtimmenden Individuen als Subſpecies
vereinigte. — Das lebendige Intereſſe an der Ornithologie führte zur
Gründung beſonderer ornithologiſcher Zeitſchriften, deren Leitung früher
Fr. Aug. Ludw. Thienemann (1793-1858) und der Pfarrer Ed.
Baldamus (geb. 1812, wie die Naumann's ein Anhaltiner) ſpäter
in DeutſchlandJean Louis Cabanis (geb. 1816, in Berlin), in Eng-
land Phil. Lutley Sclater(geb. 1829) beſorgen. Von ſorgfältigen
Beobachtern des Vogellebens ſind beſonders der genannte Brehm,
ſein Sohn Alfr. Edm. (geb. 1829), Joh. Matth. Bechſtein (1757
bis 1822, welcher das Latham'ſche Werk in Deutſchland eingeführt hat),
die Naumann's (Joh. Andr., 1744-1826 und deſſen Sohn Joh.
Friedr., 1780-1857) und Conſt. Gloger zu erwähnen. Die Arten-
kenntniß förderten durch große Kupferwerke Temminck (in Verbindung
mit Meiffren Laugier de Chartrouſe), welcher die illuminirten Kupfer
zu Buffon (Pariſer Ausgabe, 1778) in einer neuen Sammlung von
Tafeln, O. Des Murs, welcher wieder dieſe Sammlung fortſetzen
wollte, und in kleineren Abbildungen C. W. Hahn und H. C. Küſter.
Hieran ſchließen ſich die fauniſtiſchen Prachtwerke von Franç. Le-
vaillant, J. Gould, Audubon, J. Will. Lewin, J. Prideaux
Selby, L. P. Viellot und den Naumann's, ſowie die Mono-
graphien einzelner Familien von J. Bapt. Audebert und Viellot,
von R. P. Leſſon, J. Gould, Alfr. Malherbe, Sclater.
Das Syſtem ſtellten in vorzüglicher Wiedergabe der Gattungscharaktere
[711]Kenntniß der Wirbelthiere.
Geo. Rob. Gray (geſt. 1872, Bruder von John Edw.), ſowie in
handlicherer Form der um die Ausbreitung ornithologiſcher Kenntniſſe
wie Förderung der Syſtematik verdiente Heinr. Guſt. Ludw. Reichen-
bach (geb. 1793) dar. Um die Ausbildung des Syſtems bemühten
ſich ferner beſonders Bonaparte, H. Schlegel, J. Cabanis,
Hugh Edwin Strickland (1811-1853), J. Caſſin (geb. 1812)
und F. Spencer Baird (geb. 1823), welcher erfolgreich die zahl-
reichen Materialien für eine nordamerikaniſche Ornis bearbeitet hat.
Sehr thätig in fauniſtiſchen Ueberſichten, ornithologiſchen Jahresberich-
ten und Schilderung neuer Arten war Guſt. Hartlaub (geb. 1815).
Die Eier wurden gleichfalls bei Beurtheilung der einzelnen Formen
berückſichtigt und fanden an Thienemann, Des Murs, C. Jen-
nings und Will. C. Hewitſon ſyſtematiſche Beſchreiber. Die Ana-
tomie der Vögel bearbeitete Fr. Tiedemann in vorzüglicher Weiſe,
während Treviranus, J. Fr. Brandt (in zu wenig berückſichtig-
ten Arbeiten), Nitzſch, C. J. Sundevall, und J. Müller ein-
zelne Punkte in ausgezeichneter Behandlung erledigten. Für die
Kenntniß foſſiler Reſte iſt ſeit Cuvier's Arbeiten keine Thatſache ſo
epochemachend geweſen wie die Reconſtruction des neuſeeländiſchen
Rieſenvogels aus einem Oberſchenkelſchafte durch Owen, ein Fund,
welcher durch die ſpäter erfolgte Entdeckung noch lebender flügelloſer
Vögel auf jener Inſel ebenſo an Intereſſe gewann, wie die Entdeckung
der Aepyornis-Reſte auf Madagascar manches Licht auf orientaliſche
Mythen wirft. — Für die Auffaſſung des Säugethiertypus war die
am Ende vorigen Jahrhunderts erfolgte Entdeckung der beiden Formen
Echidna und Ornithorhynchus von der größten Bedeutung. Sie
mußte die Auffaſſung von den Grenzen der Claſſen, vom ſyſtematiſchen
Werthe der bisherigen Ordnungen, ebenſo wie von dem Werthe der
verſchiedenen Merkmalsgruppen weſentlich umgeſtalten. Es hatten zwar
Storr und Batſch die Beutelthiere zu einer Gruppe vereinigt. Das
Bekanntwerden neuer Formen hatte aber zunächſt die Zweckmäßigkeit
dieſer Anordnung zweifelhaft erſcheinen laſſen. So ſagen wohl Cu-
vier und Geoffroy in ihrer für die Geſchichte der neueren Säugethier-
ſyſtematik wichtigen Arbeit (1795), die primären und bezeichnenden
[712]Periode der Morphologie.
Merkmale erſter Ordnung böten die Circulations- und Generations-
organe dar; ſie wenden dies aber nur auf die Wirbelthiere an; denn
die „Pedimanen“ enthalten zwar vereinigt die (inſectenfreſſenden) Beutel-
thiere, die Känguruh's ſtehn aber bei den Nagern, beide alſo mitten
zwiſchen den Nagelthieren. Und doch hat ſich dieſe urſprüngliche Form
des Syſtems, trotzdem es durch die in den dreißiger Jahren gemachten
Unterſuchungen über die Anatomie und Entwickelungsgeſchichte der Mono-
tremen und Beutelthiere völlig veraltet iſt, vereinzelt bis in die neueſte
Zeit erhalten. Es werden hier zunächſt wie bei Pennant drei Gruppen
nach der Zehenbekleidung (welche „ihrer Conſtanz wegen den Zähnen
vorgehen“) gebildet: Seeſäugethiere, Hufthiere und Nagelthiere (ſo noch
Giebel 1855); die erſtern enthalten die Cetaceen und Robben (ſo auch
bei Giebel), die zweiten die Einhufer, Spalthufer und Vielhufer oder
Dickhäuter; die letzten endlich umfaſſen als einzelne Ordnungen Zahn-
loſe, Faulthiere (beide vereint Zahnloſe bei Giebel), Nager (bei Cuvier
mit den Känguruhs), reißende, wurmförmige und ſohlengehende Raub-
thiere (bei Giebel zu einer Ordnung vereint), Chiropteren, Pedimanen
(Marſupialien, bei Giebel nur anders geſtellt, zwiſchen Nagern und
Reißenden) und Quadrumanen. Die 1795 noch nicht entdeckt geweſenen
Monotremen ſtehn im ſpätern Syſteme Cuvier's (1817, wie noch bei
Giebel) bei den Edentaten. Auch das Illiger'ſche Syſtem (1811)
iſt nur eine geringe Modification jenes älteren von 1795; doch wird
der Menſch wieder als erſte Ordnung eingeführt. Die Monotremen
erſcheinen zwar als ſelbſtändige Ordnung, aber ebenſo auch die als
Springer bezeichneten Känguruhs, während die übrigen Beutelthiere
als Daumenthiere mit Affen und Halbaffen in einer Ordnung zuſam-
men ſtehn. Cuvier ſelbſt verbeſſerte ſein Syſtem nur inſofern, als er
die Robben mit den Raubthieren verband, zu welchen er aber auch die
Fledermäuſe und Beutelthiere brachte. Die erſten Schritte zur natur-
gemäßen Umgeſtaltung des Syſtems that Geoffroy, welcher 1796
die Marſupialien wieder vereinigte und 1803 die Ordnung der Mono-
tremen aufſtellte (denen er ſpäter ſogar den Rang einer beſonderen
Wirbelthierclaſſe geben wollte). Ihm folgte Blainville, welcher
1812 die Echidna und das zuerſt von Shaw, genauer 1800 von Blu-
[713]Kenntniß der Wirbelthiere.
menbach beſchriebene Schnabelthier (welches 1826 in J. Fr. Meckel
einen Monographen fand) auf die ihnen gebührende ſyſtematiſche
Stellung unterſucht hatte. In ſeinem 1816 aufgeſtellten Syſteme
ſcheidet er die Säugethiere in zwei Reihen, Monodelphen und Didelphen,
und 1839 fügte er dieſen noch für die Monotremen die Gruppe der
Ornithodelphen zu. Wiſſenſchaftlich ſicher begründet wurde die Zwei-
theilung aber erſt durch Owen, welcher dann unter Nachweis der
verſchiedenen Entwickelungsweiſe 1841 die Säugethiere in Placentale
und Implacentale theilte. Die von Et. Geoffroy, Eman. Rouſſeau,
Fréd. Cuvier, beſonders von Owen auf ihre typiſchen Verhältniſſe un-
terſuchten Zähne, das Skelet, die gleichfalls von Owen vergleichend
unterſuchte Bildung des Gehirns wie in der That das ganze ana-
tomiſche Verhalten, beſtätigten das Naturgemäße jener Spaltung. Zur
weiteren Entwickelung der natürlichen Anordnung der Säugethiere gab
wieder C. E. von Baer eine allerdings erſt viel ſpäter berückſichtigte
Anregung, indem er 1828 in den Unterſuchungen über die Gefäßver-
bindung zwiſchen Mutter und Frucht auf die Verſchiedenheit dieſer
Verbindung hinwies. Beſtätigt und erweitert wurden dieſe Betrach-
tungen 1837 durch Eſchricht, während ſie 1844 von H. Milne Ed-
wards, ſpäter von P. Gervais und C. Vogt, freilich ohne
Berückſichtigung des ſo weſentlichen Momentes der Bildung eines
mütterlichen Decidualtheiles, ſyſtematiſch verwendet wurde. Die Ver-
ſuche von George R. Waterhouſe und Owen die Säugethiere nach
der Bildung des Gehirns zu claſſificiren, ſcheiterten an denſelben Schwie-
rigkeiten, welche die Benutzung einzelner Theile zur Claſſification über-
haupt darbieten. Beſonders erwies ſich nach den Unterſuchungen von
Cam. Dareſte und Pierre Gratiolet das Vorhandenſein von Groß-
hirnwindungen als eine nicht bloß von der ſyſtematiſchen Stellung der
Thiere, ſondern auch von deren Größe, Alter u. ſ. f. abhängige Er-
ſcheinung. Während die Claſſe der Säugethiere in dem bis 1845 von
Joh. Andr. Wagner (1797-1861) fortgeſetzten Schreber'ſchen,
ſowie in dem von Et. Geoffroy und Frdr. Cuvier herausgegebenen
Werke bildliche Darſtellung fand, ſuchten Joh. Bapt. Fiſcher, Frz.
Ferd. Aug. Ritgen, Heinr. Rud. Schinz die Syſtematik weiter zu
[714]Periode der Morphologie.
führen, freilich nicht in der angegebenen Weiſe, aber nicht ohne Klärung
einzelner Punkte. Eine umfaſſende Schilderung begann Waterhouſe,
gab indeß nur die der Beutelthiere und Nager heraus. Zahlreich ſind
die ferneren Leiſtungen zur Förderung der Kenntniß einzelner Ordnun-
gen. Die Edentaten bearbeitete Wilh. Rapp anatomiſch, während
Blainville und Owen durch Unterſuchung foſſiler Formen die rich-
tige Auffaſſung der Ordnung förderte. Nachdem Cuvier, von Baer,
Mayer, Duvernoy, Rapp einzelne Punkte aus der Anatomie der Ce-
taceen erläutert hatten, gab Eſchricht eine Reihe werthvoller Unter-
ſuchungen über die Ordnung. Für die Hufthiere wurde Owen's
Ausführung der Cuvier'ſchen Idee, die Pachydermen nach der Zahl der
Zehen einzutheilen, von grundlegender Wichtigkeit. Beſonders gelang
es ihm, die ſchon 1795 von Cuvier angedeutete Beziehung der Schweine
zu den[ ]Wiederkäuern durch eingehende Vergleichung der von Cuvier und
ihm ſelbſt geſchilderten foſſilen Formen nachzuweiſen. Die Kenntniß
der Nager förderte vorzüglich J. Fr. Brandt, die der Quadrumanen
Et. (von 1796 an) und Iſid. Geoffroy Saint-Hilaire und in
Bezug auf ihre Anatomie Owen, van der Hoeven, Schroeder
van der Kolk und Will. Vrolik, welche durch verſchiedene Mono-
graphien das Verſtändniß der Anatomie der Säuger überhaupt erweitert
haben. Fauniſtiſch ſind auch hier beſonders Audubon und Gould
zu nennen, denen Andr. Smith, F. Sp. Baird, J. Fr. Brandt,
Joh. Heinr. Blaſius (1809-18) und Alex. Graf von Keyſerling
anzureihen ſind. Die geographiſche Verbreitung der Säugethiere bear-
beitete Jul. Minding und beſonders J. A. Wagner. Für die Ge-
ſchichte der Säugethiere war es endlich von größter Bedeutung, daß die
älteſten Formen der Claſſe als Beutelthiere erkannt wurden, eine That-
ſache, welche nach der Entdeckung von Will. Buckland (1784-1856)
im Jahre 1823 von Cuvier und Owen beſtätigt wurde.
Menſch. Der Hinweis auf die nächſtliegende Aufgabe der An-
thropologie, den Menſchen naturhiſtoriſch zu erfaſſen, welchen Linné
durch Einordnung deſſelben als Gattung in die Ordnung der Primaten
gegeben hatte, gieng bald verloren. Die Philoſophie bedurfte einer
ſpirituellen Seele, welche wenn nicht ganz unabhängig vom Körper doch
[715]Anthropologie.
in ſelbſtändiger Weiſe ihr Leben entfaltete. Man handelte daher von
einer ganzen Gruppe von Lebenserſcheinungen des Menſchen, ohne ſich
darüber Rechenſchaft zu geben, in wie weit dieſe Leiſtungen aus der
Form und dem Bau der organiſchen Grundlage Erklärung gewinnen
können. In weiterer Folge hiervon wurde der Menſch aus dem Sy-
ſtem der Thiere wieder ausgeſchloſſen. Es war Blumenbach's Verdienſt,
nicht bloß Linné's ſyſtematiſcher Auffaſſung wieder gefolgt zu ſein, ſon-
dern zuerſt eine wirkliche Naturgeſchichte des Menſchen vorbereitet zu
haben. Er ſtellte wie erwähnt den Menſchen wieder in die Säugethier-
reihe und zwar als Ordnung; hierin folgten ihm Cuvier, Duméril,
Illiger, Dugès; eine Unterordnung bildeten aus dem Menſchen
Bonaparte und J. B. Fiſcher, während J. E. Gray (1825 in
ſeinem erſten Syſteme) und J. Godman (1826) gewiſſermaßen die
Linnéiſchen Gattungen Homo, Simia, Lemur zu Familien erweiterten.
Iſid. Geoffroy-St. Hilaire, welcher 1837 ausdrücklich darauf
hingewieſen hat, welche Hülfe das Studium des Menſchen aus dem der
Hausthiere erhalten könne, gründet aufs Neue ein Naturreich für ihn
und macht dadurch methodiſch ihn zwar zu einem Gegenſtande der Na-
turforſchung im Allgemeinen, aber nicht mehr der Zoologie. Es ver-
dankt aber die Anthropologie wichtige Förderung der ſtreng naturhiſto-
riſchen Methode. Einmal iſt es die ſyſtematiſche Stellung des Menſchen
und die Beurtheilung des ſyſtematiſchen Werthes ſeiner einzelnen Formen,
dann die Geſchichte des Menſchen als Naturproduct, welche zu unter-
ſuchen waren. Zur Beantwortung beider Aufgaben wurde in der vor-
liegenden Periode theils der Grund gelegt, theils wichtiges Material
geſammelt. In erſter Beziehung gaben James Cowles Prichard
(1786-1848) und Jan van der Hoeven Geſammtüberſichten der
Reſultate naturwiſſenſchaftlicher Unterſuchungen über den Menſchen,
wie auch durch ihre Arbeiten der Ausdruck Naturgeſchichte des Men-
ſchen Verbreitung und Annahme fand. Ihnen folgten Joſiah C. Nott,
George R. Gliddon, Sam. Geo. Morton (1799-1851) und
Charles Pickering, während Rob. Gordon Latham, Graf A. von
Gobineau und Aug. Friedr. Pott die Verſchiedenheiten der Raſſen
ſprachlich unterſuchten. Es fand bei dieſen allgemeinen Arbeiten auch
[716]Periode der Morphologie.
die vielfach erörterte Frage nach dem einfachen oder mehrfachen Ur-
ſprunge des Menſchengeſchlechts eingehende Berückſichtigung. Vor allem
leiſtete aber die Weiterführung der Schädelmeſſungen der Naturgeſchichte
des Menſchen Vorſchub. Und hier ſind wieder C. E. von Baer und
Andr. Retzius zu nennen, welche die Form des Schädels ſchärfer
als bisher zu beſtimmen ſuchten. An ſie ſchließen ſich zahlreiche neuere
Forſcher, welche die Meſſungsmethoden mehr und mehr verbeſſern.
Wichtigkeit erhielt aber beſonders die Ausdehnung der Meſſungen auf
den ganzen übrigen Körper, wie ſie zuerſt in ausgedehnter Weiſe von
den die Novara begleitenden Forſchern Scherzer und Schwarz aus-
geführt und kürzlich veröffentlicht wurden. — Wie noch Cuvier das
foſſile Vorkommen von Affen leugnete, ſo wurde auch das Auftreten
des Menſchen auf der Erde für ſo neu gehalten, daß man alle früheren
Angaben über foſſile Reſte deſſelben von vornherein für falſch erklärte.
Nun halten dieſe allerdings einer eingehenden Prüfung nicht Stich;
dagegen haben neuere Unterſuchungen ein höheres Alter des Menſchen-
geſchlechts als bisher angenommen wurde erwieſen. Es berühren ſich
hier antiquariſche mit naturhiſtoriſchen Forſchungen. Von erſterer Seite
gebührt Boucher de Perthes das Verdienſt, zuerſt auf das Vor-
kommen von Kunſtproducten aus entſchieden vorhiſtoriſcher Zeit hinge-
wieſen zu haben. Auf die Unterſuchungen, welche im Anſchluß hieran
zur Annahme der Stein-, Bronze- und Eiſenperiode geführt haben,
kann hier nur hingedeutet werden. Weſentliche Unterſtützung fanden
dieſelben in der Entdeckung der Pfahlbauten, welche F. Keller 1853
bei Meilen im Züricher See machte, ſowie ähnliche Spuren menſchlicher
Wohnplätze, deren wiſſenſchaftliche Ausbeute beſonders Steenſtrup
verwerthete. Endlich führte das Auffinden einzelner Skeletreſte zu einer
wiederholten Prüfung der Frage von der vorgeſchichtlichen Exiſtenz des
Menſchen, welche durch zahlreiche Höhlenfunde ſowie durch Unterſuchung
jüngerer Geſteinsſchichten eine Beantwortung dahin fand, daß der
Menſch mindeſtens Zeitgenoſſe des Höhlenbären, Mammuth und woll-
haarigen Rhinoceros war.
[717]Hiſtoriſche Zoologie.
Hiſtoriſche Zoologie.
Gegenüber den Fortſchritten, welche die Kenntniß der lebenden
und ausgeſtorbenen Thiere gemacht hat, und verglichen mit der Zu-
gänglichkeit der Thierwelt, welche in ſo vielen Fällen geſtattet, etwaige
Zweifel bald zu löſen, falls ſie nach dem jeweiligen Stande der Beob-
achtungsmittel überhaupt zu löſen ſind, tritt das Intereſſe an den
Ausſprüchen über Thiere vorzüglich alter Schriftſteller wohl etwas in
den Hintergrund. Und doch iſt die Kenntniß derſelben nicht bloß von
culturhiſtoriſcher Bedeutung. Zunächſt war es allerdings wohl das
exegetiſche Bedürfniß, welches zu der Aufgabe führte, die von den Au-
toren erwähnten Thiere zu beſtimmen. Mit welchen eigenthümlichen
Schwierigkeiten dies verbunden iſt, wurde früher angedeutet. Weiter
kann aber eine Vergleichung deſſen, was man vor tauſend und zwei-
tauſend Jahren über gewiſſe Thiere geſagt hat, vorausgeſetzt daß die
Wiedererkennung derſelben ſicher iſt, mit den Thieren ſelbſt, wie ſie
jetzt erſcheinen, Licht auf die im Laufe der Zeit etwa möglichen Ver-
änderungen derſelben werfen. In den einleitenden Abſchnitten dieſes
Buches iſt reichlich Gelegenheit geboten worden, auf die mancherlei
Fragen aufmerkſam zu machen, welche ſich an die Verfolgung der von
einzelnen Thieren handelnden Notizen durch die Litteratur des Alter-
thums und Mittelalters knüpfen. Es kann daher hier nicht davon Ab-
ſtand genommen werden, kurz auf die Theilnahme hinzuweiſen, welche
derartige Unterſuchungen in der neuern Zeit ſowohl bei Zoologen als
Philologen und Hiſtorikern gefunden haben (wobei indeſſen nur auf
ſelbſtändige Specialarbeiten Bezug genommen werden kann, da eine
Durchmuſterung der ganzen exegetiſchen Litteratur zu weit abführen
würde).
Was zunächſt die Verſuche betrifft, fabelhafte Thiere zu deuten, ſo
verdienen (außer den früher angezogenen Werken) die Traditions térato-
logiques von Berger de Xivrey (1836) Erwähnung. In ihnen
wird u. A. ein Tractat de monstris et belluis behandelt, wie einen
ſolchen neuerdings Mor. Haupt herausgegeben und, freilich ohne Be-
rückſichtigung der verwandten mittelalterlichen Litteratur, kurz commen-
[718]Periode der Morphologie.
tirt hat. Die Geſchichte des Einhorns iſt 1818 von Amoreux und
neuerlich von J. Wilh. Baron von Müller eingehend behandelt wor-
den (1852). A. F. A. Meyer bezog das bibliſche Reem auf das
Einhorn. Die goldgrabenden Ameiſen ſuchten außer Pallas und dem
erwähnten Grafen Veltheim auch Ad. Keferſtein, den Odontotyrannus
Fr. Graefe, J. Fr. Brandt und J. Zacher (in der früher ange-
zogenen Schrift) zu deuten. Die Beziehung oſtaſiatiſcher Sagen auf
vorweltliche Rieſenthiere, deren Reſte hier und da gefunden werden, er-
örterte von Olfers (1839). Mehr vom culturhiſtoriſchen als vom
zoologiſchen Standpunkte aus unterſuchten Mannhardt, Groh-
mann, Rochholz u. A. die mythologiſchen Beziehungen der Thiere.
Eine Bearbeitung der bibliſchen Zoologie mit dem Fleiße und der Ge-
lehrſamkeit Bochart's und mit Berückſichtigung der neueren philologi-
ſchen und naturhiſtoriſchen Forſchungen fehlt noch. Die Säugethiere
und Vögel der Bibel ſchilderte C. Pet. Thunberg (1825 u. flgde.);
bibliſche Thiernamen erklärte Archibald Gorrie (1829); das „Kath“
bezieht Dav. Scot (1829) wie die Septuaginta (ſ. oben S. 131,
Anm. 57) auf den Pelikan. Mit der Deutung des Leviathan und Be-
hemot beſchäftigte ſich Thom. Thompſon (1835). — Eine nach dem
Thierſyſtem geordnete Sammlung von Stellen claſſiſcher Schriftſteller
über Thiere, aber ohne kritiſche Prüfung, gab H. O. Lenz. Die Thiere
des präneſtiner Moſaik (ſ. oben S. 49. Anm. 61) beſprach Marcel
de Serres (1834). Unterſuchungen über die den Alten bekannten
Affen ſtellte A. A. H. Lichtenſtein (1791), über den Purpur der
Alten C. F. Heuſinger (1824), über mehrere Inſecten Ad. Kefer-
ſtein an. Eine ſehr eingehende Arbeit über den Fiſchfang der Alten
und die Bereitung des „Tarichos“ lieferte Heinr. Carl Ernſt Köhler
(geb. 1765 in Wechſelburg, geſt. 1838 in Petersburg). Die Sache
iſt ſchon um deswillen nicht ohne Intereſſe, als nach von Humboldt's
Angabe noch in jetziger Zeit die ſüdamerikaniſchen Indianer eine ma-
nioca de pescados bereiten (Relat. histor. II. p. 563), welche voll-
ſtändig an den Tarichos erinnert; wie ja auch das Fiſchen mit „Bar-
baſco“ (Verbascum ? πλόμος, Bugloſſa, ſ. oben S. 186, Anm. 146)
von den Indianern betrieben wird. Eine Fauna des Homer und Heſiod
[719]Hiſtoriſche Zoologie.
bearbeitete Georg Phil. Friedr. Groshans (1839 und 1843), wäh-
rend W. C. Hurry einzelne von Herodot erwähnte Thiere behandelte.
Die zoologiſchen Angaben des Plinius fanden nur (bis auf Vögel) in
Bezug auf die ſkythiſchen Thiere durch Bl. Merrem eine ſachkundige
Erörterung. Dagegen wurde die Ariſtoteliſche Zoologie eingehend und
vielſeitig beſprochen. Außer den ſchon oben angezogenen Schriften von
J. B. Meyer und G. H. Lewes iſt hier zunächſt die Thatſache hervor-
zuheben, daß die zoologiſchen Schriften des Stagiriten Bearbeitungen
von fachmänniſcher Hand erfuhren. So gaben Al. von Frantzius
die Schrift über die Theile der Thiere, Aubert und Wimmer die
über Zeugung und Entwickelung (beide ſpäter auch die Thiergeſchichten,
welche ſchon von Strack überſetzt worden waren) heraus. A. F. A.
Wiegmann und Ludw. Sonnenburg klärten einzelne Stellen auf
und berichtigten frühere falſche Auslegungen. Es wurden aber auch
einzelne Thiere oder Thiergruppen behandelt. Herm. Joh. von Köhler
(geb. 1792, bis 1850 Docent in Dorpat) ſchrieb über die Cephalopo-
den des Ariſtoteles (1821), E. Eichwald über deſſen Selachier (1819).
J. Müller regte nicht bloß direct oder indirect die erwähnten neuern
Ausgaben an, ſondern ſammelte auch ſelbſt die Angaben älterer Schrift-
ſteller über die Laute bei Fiſchen und bezeichnete die Haiart, von deren
eigenthümlicher Entwickelung mit Placenta bereits Ariſtoteles treffende,
vor Müller aber nicht wieder beſtätigte Angaben gemacht hatte. End-
lich erörterte Heinr. Ludw. Jul. Billerbeck die Ariſtoteliſchen (und
Plinianiſchen) Vögel in eingehender Weiſe. Die Continuität der Be-
kanntſchaft mit den Thieren vom Alterthum an bis in die Neuzeit iſt
leider durch das Geſchick, welches die Schriften der claſſiſchen
Schriftſteller betroffen hat, vielfach unterbrochen. Da nun aber außer-
dem im frühen Mittelalter manche andere Quelle zu fließen begann,
aus welcher dann unter gleichzeitiger Wiederbenutzung jener die Ver-
faſſer der Hauptwerke dieſer Zeit mittelbar oder unmittelbar ſchöpfen
mußten, ſo iſt auch eine Unterſuchung über die Thiere der vorzüglichſten
Schriftſteller des zwölften bis vierzehnten Jahrhunderts von großer
Bedeutung. Hier iſt aber bis jetzt nur wenig geſchehen. Eingehend
hat zwar Carl Jeſſen auf Albertus Magnus und den bedenklichen
[720]Periode der Morphologie.
Zuſtand der geläufigſten Ausgaben aufmerkſam gemacht; Eduard von
Martens (geb. 1831) hat zwar über mehrere Säugethiere Albert's
Bemerkungen gegeben. Eine gründliche kritiſche Reviſion des Thier-
ſchatzes einzelner Schriftſteller, beſonders unter hiſtoriſch-linguiſtiſcher
Sichtung der Quellen derſelben, natürlich im Anſchluß an Handſchriften,
iſt indeſſen noch immer zu wünſchen.
Entwickelung der Thierwelt.
Noch eine andere Geſchichte hat man aber zu bearbeiten begonnen,
nicht die der Kenntniß von den Thieren, ſondern die der Thiere ſelbſt,
indem man ſich Rechenſchaft darüber zu geben ſuchte, wie die Mannich-
faltigkeit der Thierwelt, ſo wie ſie jetzt vorliegt, zu Stande gekommen
iſt. Es muß hier daran erinnert werden, daß trotz der Verſchiedenheiten
ſonſtiger Anſichten nicht allein ſämmtliche ſyſtematiſche Verſuche, ſon-
dern auch alle Anſchauungen vom Baue und von der in demſelben ſich
ausdrückenden Verwandtſchaft der thieriſchen Formen von dem Begriffe
der Art ausgiengen, wie er durch Ray und Linné in die beſchreibenden
Naturwiſſenſchaften eingeführt worden war. In dieſer Geſtalt war der
Begriff einer Weiterentwickelung nicht fähig, nur darin ſchwankte man,
welchem Momente man in der Definition ein größeres Gewicht beilegen
ſolle. Linné ſelbſt hob die Aehnlichkeit der Form hervor, Buffon
hatte neben dieſer, nach Ray's Andeutung noch die gleichartige Fort-
pflanzung betont; Blumenbach zieht diejenigen Individuen zu einer
Art, welche einander ähnlich oder ſo abweichend ſind, daß man die Ver-
ſchiedenheit aus einer Degeneration erklären kann. Auch Daubenton
ſieht in der Art die Summe von Individuen, welche einander mehr
gleichen als andern. Illiger beſtimmt die Art als den Inbegriff
gleiche Junge zeugender Geſchlechter. Die Summe aus allen dieſen
Definitionen zieht Cuvier, deſſen Charakteriſirung der Art ſich bis
in die neueſte Zeit bei Syſtematikern als maßgebend erhalten hat. Er
bezeichnet64) die Art als „die Vereinigung aller von einander oder glei-
chen Eltern abſtammenden ſowie derjenigen organiſchen Körper, welche
[721]Entwickelung der Thierwelt.
ſolchen ſo ähnlich wie ſich einander ſind“; und was die Beziehung foſſi-
ler zu jetzt lebenden, jenen verwandten Formen betrifft, ſo erklärt
er ausdrücklich, daß ſie nicht etwa Varietäten einer Art, ſondern ver-
ſchiedene und unabhängige, ausgeſtorbene Arten ſind. Wenn nun auch
Linné einmal daran gedacht hatte65), daß urſprünglich nur Gattungen
mit einzelnen Arten exiſtirt haben könnten und daß die größere Zahl der
Arten durch Verbaſtardirung der wenigen zuerſt vorhandenen entſtanden
ſein möchten, wenn auch Buffon zuletzt zu der Annahme gelangte,
daß zwar „die conſtitutive Form jedes Thieres, wenigſtens bei größeren
Arten ſich erhalten hat, daß aber vorzüglich niedere Formen alle die
Einwirkungen der verſchiedenen Urſachen einer Degeneration erfahren
haben“66), ſo war es doch zuerſt Lamarck, welcher direct ausſprach,
„daß die faſt allgemein angenommene Vorausſetzung, die lebenden Kör-
per bilden durch unveränderliche Merkmale beſtändig verſchiedene Arten,
welche ſo alt wie die Natur ſelbſt wären, alle Tage widerlegt werde.“
Er nimmt zwar Arten an, gibt ihnen aber nur eine begrenzte Dauer,
nämlich nur für ſo lange, als die äußeren Lebensumſtände ſich nicht
ändern67). Lamarck iſt aber nicht bloß der erſte, welcher mit dem alten
Artbegriff bricht und die Unveränderlichkeit der Arten geradezu verneint,
ſondern er ſucht auch ſofort die Umwandlung der Formen und die all-
mähliche Entwickelung des Thierreichs mit Hülfe wenn nicht bekannter
doch zugänglicher Erſcheinungen zu erklären. Unter den dabei wirkſamen
Momenten ſtellt er allerdings die Gewohnheiten und die Lebensweiſe
der Thiere in erſte Linie, ſchreibt aber auch den äußern Einflüſſen und
der Erblichkeit der Thiere die Wirkung zu, die allmählich eintretenden
Veränderungen zu fixiren. So leitet er z. B. das Angewachſenſein der
Vogellunge und ihre Verlängerung in große Luftbehälter und die
Knochen davon ab, daß die Vögel beſtändig ihre Lunge übermäßig ſtark
aufbäeſen, um den Körper ſpecifiſch leichter zu machen68). Die Degra-
V. Carus, Geſch. d. Zool. 46
[722]Periode der Morphologie.
dation, welche hierin liegen ſoll und welche einige Spätere geradezu für
das von Lamarck angenommene Princip erklären, iſt aber für ihn kein
Erklärungsgrund; er ſpricht zwar von dem allmählichen Vernichten
(anéantissement) und Verſchwinden der Wirbelſäule, des Nerven-
ſyſtems, der Sinne, der Genitalorgane, welches Alles nach und nach
in Wegfall komme. Er bezeichnet dies aber ausdrücklich nur als eine
Thatſache, die ſich bei einer Vergleichung der Thierreihe von oben nach
unten ergebe, und ſagt, daß die Natur genau umgekehrt verfahren ſei.
Seine Anſicht geht am deutlichſten aus folgenden beiden Stellen hervor:
„Alles trägt dazu bei, meine Behauptung zu beweiſen, nämlich daß es
nicht die Form weder des Körpers noch ſeiner Theile iſt, welche die
Gewohnheiten und die Lebensweiſe des Thiers beſtimmt, ſondern daß
es im Gegentheile die Gewohnheiten, die Lebensweiſe und alle die an-
dern einwirkenden Umſtände ſind, welche mit der Zeit die Form des
Körpers und ſeiner Theile gebildet haben. Mit neuen Formen wurden
dann neue Fähigkeiten erlangt und nach und nach iſt die Natur dazu
gelangt, die Thiere ſo zu bilden, wie wir ſie jetzt wirklich ſehen“69).
Weiter: „Dadurch, daß die Natur dieſen Körpern, welche ſie ſelbſt ge-
ſchaffen hat, die Fähigkeiten ſich zu nähren, zu wachſen, ſich fortzu-
pflanzen und dabei jedesmal den erlangten Fortſchritt der Organiſation
zu bewahren gegeben und damit dieſelben Fähigkeiten auf alle organiſch
wiedererzeugten Individuen überliefert hat, ſind mit der Zeit und unter
den ungeheuren Verſchiedenheiten der ſtets wechſelnden äußern Umſtände
die lebenden Körper aller Claſſen und Ordnungen nach einander druck
dieſe Mittel hervorgebracht worden“70). An den mit unbegrenzter Va-
riabilität begabten Arten, in Folge ſich ändernder Gewohnheiten und
der äußern Einflüſſe, auftretende Abänderungen werden durch die Erb-
lichkeit der Formen erhalten und dadurch die Divergenz der Formen
ſelbſt herbeigeführt. Für die einfachſten Formen nahm Lamarck eine
Urzeugung an und ließ das Thierreich von zwei Punkten, den Einge-
weidewürmern und Infuſorien aus beginnen. Lamarck dachte nun aber
[723]Entwickelung der Thierwelt.
dabei nicht bloß an die Form des Körpers, ſondern an die Entwickelung
aller Lebenserſcheinungen, auch an die der Seele. Es iſt nur ein
Zeichen ſeiner Conſequenz, wenn er bei dem Verſuche, die Verwandlung
der Arten aus Urſachen zu erklären, welche in der Natur der Körperwelt
begründet ſind, auch die letztere in ähnlicher Weiſe behandelt. Hier ſagt
er ausdrücklich: „Ich ſehe in dieſem künſtlich angenommenen Weſen,
für welches mir die Natur kein Modell darbietet, nur ein Mittel, wel-
ches man ſich ausgedacht hat, die ſonſt nicht zu hebenden Schwierig-
keiten zu löſen, ſo lange man die Geſetze der Natur nicht hinreichend
unterſucht hat“71).
Lamarck war nach den hier angezogenen Ausſprüchen der Gründer
derjenigen Theorie von dem Urſprung der Arten, welche man jetzt all-
gemein die Deſcendenztheorie nennt. Umfaßt auch ſeine Anſicht noch
nicht die wichtigen Momente, welche ihr ſpäter zur Begründung gege-
ben wurden, ſo weiſt er doch darauf hin, daß es nur Individuen gibt,
daß die Zeit grenzenlos iſt, alſo keine Schranke für etwaige langſame
Umbildungen zieht, daß der Gebrauch und Nichtgebrauch der Organe
ſie ſtärkt oder atrophiren läßt. Die Goethe'ſchen Ideen von einem
Urtypus, aus dem ſich alle Thiere entwickelt hätten, ſind zu vag, als
daß ſie für mehr als ein Zeichen des allgemeinen geiſtigen Drängens
nach einer Richtung hin genommen werden können. Oken's Bilder von
der Entwickelung aus dem Waſſer zum Lande und zur Luft hin, ſind
ohne irgend welche Anknüpfung an thatſächliche Erſcheinungen hinge-
ſtellt. Und ſelbſt wenn man beiden den Rang von Vorläufern einräu-
men wollte, ſo bliebe doch Lamarck immer das Verdienſt, der Theorie
zuerſt einen wiſſenſchaftlichen Boden bereitet zu haben. Eine beſondere
Erwähnung als Vertreter einer ganz ähnlichen Anſchauung gebührt
F. S. Voigt, welcher in ſeinen 1817 erſchienenen Grundzügen einer
Naturgeſchichte mehrfach der Wahrheit nahe kommt. Freilich nimmt er
an, daß die hauptſächlichſten Umänderungen an den früher einfachen
Thieren eingetreten ſeien, ehe das Geſchlecht ausgebildet war, und ver-
ſchließt ſich hierdurch die Möglichkeit, ſpätere Umwandlungen anzuneh-
46*
[724]Periode der Morphologie.
men. Doch verweiſt er auf der anderen Seite auf die Hausthiere und
Züchtungsreſultate. Seine Annahme geht dahin, „daß anfangs eine
einfachere allgemeine Schöpfung war, aus der ſich nachmals, durch
fernere mächtige Einwirkungen, beſondere Ausartungen bildeten, die
denn jetzt unſre gegenwärtigen Species bilden.“ Dabei verweiſt er aus-
drücklich auf die Schwierigkeit, ohne dieſe Annahme rudimentäre oder
functionsloſe Organe zu erklären; und wo er von der Raſſenbildung
ſpricht, ſagt er, „daß eine ſolche Varietätsbildung zumal für den Prak-
tiker wichtig wird, weil ſie eine Art von Erhaltung neuer Species iſt,
für den Theoretiker, indem ſie ihn nun bald auf den Grund dieſer ſpe-
cifiſchen Bildung leitet.“ Auch Voigt nimmt an, daß noch jetzt eine
Entſtehung von Thieren ſtatt hat oder ſtatt haben kann, daß dieſe Ge-
ſchöpfe zu den nächſten Gründen ihrer Entſtehung phyſiſche Bedingun-
gen, nämlich Materien und Kräfte haben, welche noch jetzt aufgefunden
werden können, und daß die Wiederholung des gleichen Entwickelungs-
verlaufes bei den gegenwärtig fortgepflanzten Weſen auf ein erſtes Mal
zurückweiſt.
Auch Etienne Geoffroy St. Hilaire72) zweifelt an der
Unveränderlichkeit der Arten und nimmt an, daß ſich dieſelben bis zur
Gattungsverſchiedenheit abändern können. Er ſprach aber ferner zuerſt
aus, daß die nächſt verwandten foſſilen Formen in ununterbrochener
Generationsfolge zu den jetzt lebenden geführt haben. Während aber
Lamarck den Angewöhnungen, der Acclimatiſation u. dergl. einen be-
trächtlichen Einfluß zuſchreibt, hält Geoffroy die Veränderungen der
umgebenden Bedingungen (des monde ambiant) für die wichtigſten
Kräfte. Damit hängt zuſammen, daß er die Art für beſtändig hält, ſo
lange die Bedingungen in den Umgebungen dieſelben bleiben. Eine
ganz ähnliche Anſicht hat Iſid. Geoffroy St. Hilaire. Auch er
nimmt nur eine begrenzte Veränderlichkeit an. Die Charaktere einer
neuen Art „ſind ſo zu ſagen die Reſultate zweier entgegengeſetzten
Kräfte“, einer conſervativen und einer modificirenden. Ueber die Art
[725]Entwickelung der Thierwelt.
und das eigenthümliche Weſen der umändernden Einflüſſe wurden in-
deſſen nur ganz vereinzelt Anſichten ausgeſprochen. Die erſte Angabe,
daß beſtimmte Varietäten für gewiſſe Lebensbedingungen die paſſenderen
ſeien und daher vor andern erhalten werden, alſo einen Hinweis auf
die von Darwin ſo genannte natürliche Zuchtwahl, machte Wells 1818
in Bezug auf die verſchiedene Widerſtandsfähigkeit einzelner Menſchen-
raſſen gegen beſtimmte Krankheiten73). Eine merkwürdige Hypotheſe
zur Erklärung der Umwandlungen ſtellte 1853 Graf Keyſerling
auf; er ſagt, „daß Moleküle von einer eigenthümlichen Conſtitution,
welche fähig ſind die Elemente der Keimung zu alteriren, ſich von Zeit
zu Zeit auf unſerem Planeten verbreitet haben“74). Es wird dabei aber
weder der Veränderlichkeit der Individuen, noch des beſtändigen Auftre-
tens von Varietäten hinreichend Rechnung getragen. — Neben ſolchen die
urſächlichen Beziehungen der Umwandlung berührenden Anſichten machte
ſich aber ein Fortſchritt überhaupt inſofern merkbar, als nun immer
zahlreichere Stimmen für die Abänderundsfähigkeit der Arten im Allge-
meinen laut wurden.
Einen Abſchluß fanden die Anſchauungen über Art, Varietät, Ent-
ſtehung und Bedeutung derſelben in der 1859 veröffentlichten Theorie
von Charles Darwin, welche nicht bloß durch eine außerordentliche,
in dieſer Fülle kaum dageweſene Anzahl von Einzelbeobachtungen
ſcheinbar iſolirt und unvermittelt daſtehende Lebenserſcheinungen in
einen geiſtigen Verband bringt, ſondern vor Allem das nicht hoch genug
anzuſchlagende Verdienſt hat, methodiſch läuternd auf den Gang der
Unterſuchungen über das Leben eingewirkt zu haben. Charles Robert
Darwin iſt 1809 in Shrewsbury geboren, Sohn von Rob. Waring
D. und Enkel von Erasmus D., dem Verfaſſer der Zoonomie. Nach-
dem er in Edinburgh und Cambridge ſtudirt hatte, begleitete er, wie
oben erwähnt, von 1831-1836 den Admiral Rob. Fitzroy auf deſſen
zweiter Reiſe (ſ. S. 654). Durch einige Thatſachen der geographiſchen
Verbreitung organiſcher Weſen in Süd-Amerika und des Verhaltens
[726]Periode der Morphologie.
der frühern Bewohner dieſes Continents zu den jetzigen angeregt fieng
er von 1837 an, alle Arten von Thatſachen zu ſammeln, welche in
irgend einer Beziehung zu der Frage nach dem Urſprunge der Arten zu
ſtehn ſchienen. Durch planmäßige methodiſche Verarbeitung derſelben
gelangte er zu der ſich ihm von 1844 an immer klarer geſtaltenden
Theorie von dem Urſprunge der Arten, welche ſowohl wegen ihrer Be-
gründung in den allgemeinſten wie ſpeciellſten biologiſchen Geſetzen, als
auch wegen ihrer engen Beziehung zu einem faſt alle Erſcheinungskreiſe
der belebten Natur umfaſſenden allgemeinen Geſetze nicht bloß auf die
beſchreibenden Naturwiſſenſchaften, ſondern auf die Geſammtanſchauung
der belebten Natur einen von Grund aus umgeſtaltenden Einfluß äußert.
Die in ihrer Verbindung das Weſen ſeiner Theorie ausmachenden, bei
der Hervorbringung der Mannichfaltigkeit der belebten Natur wirkſamen
Geſetze ſind: „Wachsthum mit Fortpflanzung, Vererbung faſt in der
Fortpflanzung mit einbegriffen, Variabilität in Folge directer und in-
directer Wirkung äußerer Lebensbedingungen und des Gebrauchs und
Nichtgebrauchs der Organe, raſche Vermehrung in einem zum Kampfe
um's Daſein und als Folge hiervon zu natürlicher Zuchtwahl führenden
Grade, welche letztere wiederum Divergenz des Charakters und Er-
löſchen minder vervollkommneter Formen bedingt.“ Da hiermit auch
bei der Entſtehung der Formenwelt das Herrſchen ſtarrer Geſetze nach-
gewieſen wird, da ferner das Princip der natürlichen Zuchtwahl oder
des Ueberlebens des Paſſendſten einfach den Satz enthält, daß nur das
leben bleibt, was leben kann, ſo iſt durch die Darwin'ſche Theorie ebenſo
jede Teleologie ausgeſchloſſen, wie auch die allſeitige Variabilität in
Verbindung mit jenem Princip nothwendig zu einer allmählich immer
größer werdenden Complication oder Vervollkommnung des Baues,
alſo zum Ausſchluß eines vorher beſtimmten Entwickelungsplanes führt.
Gleichzeitig mit Darwin entwickelte auch Alfr. Ruſſell Wallace, welcher
beim Studium der Naturgeſchichte der Malayiſchen Inſelwelt zu ähn-
lichen allgemeinen Betrachtungen veranlaßt worden war, das Princip
der natürlichen Zuchtwahl und ſeinen Einfluß auf den Urſprung der
Arten.
[727]Schlußbemerkungen.
Schlußbemerkungen.
Die Menſchheit hat ſich allmählich von einer kindlich rührenden
Anſchauung des Thierreichs, als deſſen Glied ſie ſich fühlte, zu einer
objectiveren Stellung ihm gegenüber durchgearbeitet, um in einem ver-
ſtändnißvollen Eingehen auf die ſich immer unverhüllter offenbarenden
Heimlichkeiten der Thiere und auf die oft nur geahnten Geſetzen folgen-
den Geheimniſſe des Lebens jene höhere Freude wieder zu finden, welche
das bewußte Erfaſſen allgemeiner Wahrheiten ſtets mit ſich bringt.
Noch liegt aber das zu erſtrebende Ziel weit in der Zukunft. Ob es
erreicht wird? — es iſt zu hoffen, da ja alle Naturwiſſenſchaften, ihnen
oft unbewußt, Materialien zum Aufführen des einſtigen Baues einer
Lehre vom Leben liefern. Beim Anbruch einer neuen Periode der Ge-
ſchichte der Zoologie ziemt es ſich wohl, in kurzen Zügen den jetzigen
Stand und die weiteren Aufgaben der Wiſſenſchaft zu bezeichnen. Es
hat ſich gezeigt, daß man vom Ausgange des Mittelalters an verſuchte,
die Kenntniſſe von den Thieren in einer nicht immer von der Natur der
Thiere ſelbſt beſtimmten Ordnung in Geſammtüberſichten darzuſtellen.
Die Wirkung dieſer Sammelwerke ſowie die, in Folge anderer oft frem-
der Anregungen, allmählich tiefer eindringende Kenntniß thieriſcher
Form und thieriſchen Baues führte zu dem Bedürfniſſe, ſyſtematiſche
Ordnung in die Mannichfaltigkeit der Thierwelt zu bringen. Logiſch
ganz richtig griff man hierbei zu den von den Thieren gebotenen Merk-
malen. Die Beſtrebungen, das Syſtem immer natürlicher zu machen,
ließen immer weitere Merkmalsgruppen heranziehn, bis endlich das
Thier in ſeiner äußern und innern Form, in ſeiner Entwickelung und
Verbreitung, ſeiner zeitlichen und räumlichen Geſchichte erfaßt und mit
andern verglichen wurde. Da erſchloß ſich dem Blicke Cuvier's das
Vorhandenſein einer im Verhältniß zur äußern Formenmannichfaltig-
keit nur geringen Zahl allgemeiner Baupläne. Die hier zuletzt geſchil-
derte Periode hat die Begründung dieſer Typen, ihre Begrenzung, ihre
gegenſeitigen Beziehungen ergeben. Die Auffaſſung derſelben als ge-
wiſſermaßen perſönlicher Gewalten, die Neigung in ihnen ideale Geſetze
zu erblicken, welche den Bau der Thiere regelten und leiteten, hat eher
[728]Periode der Morphologie.
den Fortſchritt zu hemmen als zu fördern gedient. Es kann nicht nach-
drücklich genug betont werden, daß die Aufſtellung der Typen zwar
einen ungeheuren Fortſchritt bezeichnet, daß die Typen aber doch nichts
anderes enthalten, als eine Umſchreibung der ſich in dem übereinſtim-
menden Bau gewiſſer Thiergruppen offenbarenden Thatſachen oder als
ein Einordnen derſelben unter gewiſſe allgemeine Collectivbezeichnungen.
Aufgabe der Wiſſenſchaft iſt es, die Thatſachen zu erklären, d. h. ihre
ſie mit Nothwendigkeit bedingenden Urſachen nachzuweiſen. Die An-
nahme der Typen thut dies nicht, wenn man ſich nicht bei jener rheto-
riſchen Form der geſetzgebenden Kraft eines Typus beruhigen will.
Um auf den ſchon früher einmal angezogenen Vergleich zurückzukommen:
die Aufſtellung der Typen entſpricht der Auffindung der Keppler'ſchen
Geſetze, d. h. mit den Typen wurde, wie bei letztern die Form der
Bahnen, ſo hier die Form der Erſcheinungen im Thierreiche beſtimmt. In
beiden Fällen liegt die Erklärung jenſeits dieſer Aufſtellung. Das Bei-
ſpiel iſt aber nicht ſtreng weiterzuführen. Man kann wohl Cuvier den
Keppler der Zoologie nennen, aber Darwin nicht in vollem Umfange
ihren Newton. Doch beginnt mit ſeiner Theorie, deren Vorläufer die
Geſchichte der Wiſſenſchaft immerhin dankbar zu ehren hat, eine neue
Periode, in welcher ſowohl durch das klare Erkennen der Aufgabe als
durch das, was Darwin ſelbſt zur näherungsweiſen Löſung derſelben
beigetragen hat, die Zoologie aus dem Kreiſe der bloß beſchreibenden
Wiſſenſchaften heraus und in den der erklärenden eintritt.
[[729]]
Appendix A Namen- und Sachregiſter.
- Abbatius, Bald. Ang. 355.
- Abdallatif 161. 172.
- Abildgaard, P. Ch 533.
- Abu Ali Haſan ben Haithem
172. - Abu Ali Iſa ben Zara 172.
- Abulfaradſch Abdullah ben
Attajjeb 171. - Abulfaradſch Dſchordſchis
172. - Abul Kaſim Moslima el Mad-
ſchriti 161. - Academia dei Lyncei 261.
408. - Academia del Cimento
408. - Academia Naturae Curio-
sorum 409. - Academia secretorum na-
turae 260. - Académie des sciences
415. - Acoſta, Joſé d' 324.
- Adams, Arth. 654. 700.
- Adams, Henry 700.
- Adanſon, Mich. 555.
- Adelardus Anglicus 180.
- Adelinus 220.
- Adler, mythol. 17. 19, im
Phyſiol. 130. - Aegidius Albertinus 269.
- Aemylianus, Joh. 344.
- Affen, den Alten bekannt 46,
im Phyſiol. 129, bei M.
Polo 199. - Agaſſiz, Louis, 649. 657.
658. 659. 665. 676.
679. 684. 688. 700.
704. 705. 706. - Agricola, Joh. Geo. 345.
- Akademie in Berlin 418,
Bologna 419, Erfurt 420,
Kopenhagen 419, Man-
heim 420, München 420,
Petersburg 419, Padua
260, platoniſche 260,
Pontaniſche in Neapel 260,
Stockholm 419. - Albert der Große 223.
- Albin, Eleaz. 454. 459.
- Alder, Joſh. 700.
- Aldhelmus 220.
- Aldrovandi, Uliſſes 288.
Werke 291. - Aleſſandrini, Ant. 621. 704.
- Alkmaeon 58.
- Allman, Geo. Jam 642.
700. - Alpinus, Prosper 332. 452.
- Alton, Ed. d' 704.
- Amarakoſha 25.
- Ameiſe im Phyſiol. 136.
- Ameiſenlöwe im Phyſiol. 136.
- Amoreux, P. J. 718.
- Amphibien, ſchwimmende,
Linné's 509. - Anaxagoras 59.
- Andry, Nic. 462.
- Anſelm von Canterbury
149. - Anthropomorphen Linné's
505. - Antilope im Phyſiol. 122.
- Apollonius von Tyana 177.
- Appulejus 74.
- Araber 151.
- Arachniden 694.
- Argenville, A. Joſ. Dezallier
d'. 556. - Ariſtoteles 28, als Anatom
63, ſein Syſtem 77, Wie-
derauftritt 201. - Art, bei Ariſtoteles 33, Ade-
lardus 180, Albert d. Gr.
234, Ray 434; Lang 455,
Linné 500, Cuvier 720.
Lamarck 721, Voigt 723,
St. Hilaire 724. - Arſaky, Apoſt. 607. 706.
- Artedi, Peter 494.
- Ascanius, P. 533.
- Ascidien bei Ariſtoteles 54,
bei Spätern 368. - Aspis im Phyſiol. 135.
- Aubert, H. 719.
- Audebert, J. B. 710.
- Audouin, Jean Vict. 610.
684. 690. 696. - Audubon, John Jam. 659
710. 714. - Auſtern im Mittelalter 187.
- Autenrieth, J. H. F. 610.
- Averroës 155. 173.
- Avicenna 155. 173.
- Azara, Felix de 656.
- Baco, Francis 263.
- Baco, Roger 203.
- Baier, J. J. 469.
- Baird, Spencer F. 659. 679.
711. 714.
[730]Namen- und Sachregiſter. - Baird, W. 696.
- Bakker, Geo. 706.
- Baldamus, Ed. 710.
- Bandwürmer 462. 483.
- Banks, Joſ. 531.
- Bär 13, im Mittelalter 182.
- Baer, Carl Ernſt von 610.
616. 622. 626. 627.
628. 630. 689. 696.
704. 705. 713. 714. 716. - Barker-Webb, Phil. 662.
- Barkow, H. Leop. 704. 705.
- Barrère, P. 452.
- Bartholin, Kasp. 314.
- Bartholin, Thom. 314. 404.
- Bartholomaeus Anglicus 245.
- Bartholomaeus de Bragantiis
244. - Barton, Benj. Smith 659.
- Bartram, John u. Will. 659.
- Baſter, Job 562.
- Bate, C. Spence 695. 696.
- Bates, H. W. 658.
- Batſch, Aug. Joh. Geo. C.
542. 548. 550. 566. - Bauder, J. Fr. 565.
- Baudin, Nic. 652.
- Bauer, Fr. 705.
- Baumgans 190. bei Gesner
284. ſ. auch Nachträge. - Bauſch, Joh. Lor. 409.
- Bechſtein, J. Matth. 710.
- Beckmann, Joh. 565.
- Beda 108.
- Beechey, Capt. 653.
- Behn, F. Dan. 479.
- Behrens, Geo. Henn. 422.
- Bélanger, Charl. 660.
- Belcher, Sir Edw. 654.
- Belkmeer, Corn. 515.
- Bell, Thom. 709.
- Belon, Pierre, Reiſen 332.
Vögel 348. Fiſche 356. - Beneden, P. J. van 642.
663. 677. 686. 692.
693. 700. 701. 702. - Benediktiner 101. 150.
- Bennett, Fr. Debell 654.
- Bennett, Geo. 660.
- Berendt, Geo. Carl 650.
- Berger de Xivrey 717.
- Bering, Veit 533.
- Beringer, J. B. A. 467.
- Bernhardt, Ad. 628.
- Berthelot, Sab. 662.
- Berthold, Arn. Ad. 679.
- Bertoloni, Giuſ 661.
- Beſſarion 256.
- Bexon, Gabr. Leop. 523.
- Bianchi, Giov. 458.
- Bianconi, Gian Giuſ. 661.
- Biber, ſprachlich 13, im Phy-
ſiol. 124. - Bibron, G. 706.
- Bichat, Marie Franç. Xav.
603. 629. - Bienen, bei den Alten 54,
im Mittelalter 188, Mouf-
fet 371, Picus 460. - Bilharz, Theod. 706.
- Billerbeck, H. L. J. 719.
- Biſchoff, Th. L. W. 632.
705. - Blackwall, J. 697.
- Blaes, Ger. 406.
- Blainville, Marie Henri Du-
crotay de 611. 615. 669.
683. 689. 691. 695.
700. 703. 708. 710.
712. 714. - Blair, Patr. 451.
- Blanchard, Em. 687. 690.
695. 696. - Blankaart, Steph. 459.
- Blaſenwürmer 462.
- Blaſius, J. Heinr. 714.
- Bloch, Mark Eliez. 554.
562. - Bloemart, Adr. 319.
- Blumenbach, J. Fr. 541.
545. 603. 712. 715.
720. - Blyth, Edw. 660.
- Boate, Ger. 421.
- Boccone, Paolo 422.
- Bochart, Sam. 315.
- Bock, mythol. 17.
- Boëthius 104.
- Bohadſch, J. Bapt. 557.
- Böhme, Mart. 342.
- Bojanus, Ldw. Heinr. 605.
621. 704. - Bonanni, Fil. 423. 448.
- Bonaparte, Charl.Lucien 659.
662. 711. 715. - Bonnet, Charl. 483. 526.
561. 566. - Bonpland, Aimé 657.
- Bontius, Jak. 328. 330.
- Borelli, Alf. 395. 405.
- Borkhauſen, Mor. Balth.
542. - Borlaſe, Will. 534.
- Bory de St. Vincent, J. B.
Marc. 652. 661. 662.
680. - Bosc, L. A. G. 697.
- Bosman, W. 422.
- Boucher de Perthes 716.
- Bouſſuet, Franç. 366.
- Bowerbank, Jam. Scott 683.
- Boyle, Rob. 415.
- Brandt, J. Fr. 688. 695.
696. 711. 714. 718. - Brehm, Alfr. Edm. 710.
- Brehm, Chſtn. Ludw. 710.
- Bremi(-Wolf), J. J. 698.
- Bremſer, J. Gfr. 692.
- Breſchet, Gilb. 705.
- Breydenbach, Georg 331.
- Breyn, Joh. Phil. 456. 463.
- Brickel, J. 452.
- Briſſon, Math. Jacq. 540.
546. 549. - Brochi, Giov. Batt. 649.
- Brongniart, Alex. 650. 703.
- Bronn, H. G. 679.
- Brouſſonet, P. M. 554.
- Brown, Pet. 550.
- Browne, Patr. 532.
- Bruce 532.
- Brugnatelli, Gaſp. 696.
- Bruguières, J. Guill. 556.
565. - Bruyn, Abr. u. Nik. de 319.
- Buch, Leop. von 687. 700.
- Buc'hoz, P. Joſ. 534. 560.
- Buckland, Will. 709. 714.
- Büffel im Mittelalter gejagt
181. - Buffon, G. L. Leclerc 522.
- Bugloſſa 186, 718.
- Burdach, Carl Fr. 589. 604.
- Burmeiſter, Herm. 658. 669.
673. 682. 690. 691.
695. 698. - Busk, George 700.
- Büttner, Dav. Sig A. 469.
- Byſſus 25.
- Cabanis, J. L. 710. 711.
- Cajus, Joh. 342.
- Caldeſi, Giov. 407.
- Calori, L. 707. 708.
- Camper, Pet. 546. 566.
[731]Namen- und Sachregiſter. - Caracal 47.
- Carpenter, Will. B. 679.
683. - Carter, H. J. 683.
- Carus, Carl Guſt. 589. 605.
627. 673. 695. 700. 705. - Carus, Jul. Vict. 642. 645.
- Caſſin, J. 711.
- Caſſiodorus 105.
- Caſtelnau, Graf Franç. de
658. - Catesby, Mark 452.
- Cavolini, Fil. 555. 561.
563. - C[e]phal[o]poden den Alten be-
kannt 53. Claſſe bei Ari-
ſtoteles 82. - Cetti, Franc. 534.
- Chamäleon bei den Alten 51.
Niedermayer, über 326. - Chamiſſo, Adelb. von 627.
655. 685. 700. - Charadrius im Phyſiol. 130.
- Charleton, Walter 427.
- Charpentier, Joh. 663.
- Charras, Moyſe 451.
- Chemnitz, Joh. Hier. 557.
- Cheſelden, Will. 451.
- delle Chiaje, Stef. 610. 662.
688. 699. 700. 701. - Childrey, Joſua 421.
- Chimpanſe, bei Tulpius 340.
Tyſon 451. - Choris, Ldw. 655.
- Chryſoloras 256.
- Claparède, J. L. R. Ant.
682. 701. - Clapperton, Hugh 661.
- Clerck, Carl 558. 560.
- Clericus, Dan. 462.
- Cluſius, Carl 323.
- Coiter, Volcher 262. 377.
- Colini, Cosmas Alex. 565.
- Collaert, Adr. 319.
- Collins, Sam. 405.
- Columna, Fab. 346. 368.
375. - Commerſon 530.
- Configliachi, P. 707.
- Conybeare, Will. Dan. 709.
- Conrad von Megenberg 248.
- Conſervationsmittel im Alter-
thum 29, ſpäter 261. 422. - Correlationsgeſetz 601.
- Coſta, Or. Gabr. 662.
- Coſte, P. 628. 705.
- Couch, Jonath. 664.
- Couthony, Joſ. P. 656.
- Cowries 200.
- Cramer, Chſtn. 557.
- Crocodile in Rom 51. bei
Abdallatif 161. - Cruikſhank, W. 628.
- Cumas 171.
- Cuvier, Fréd. 610. 713.
- Cuvier, Georges 597. 610.
614. 647. 666. 685. 689.
691. 694. 698. 699.
701. 703. 706. 709.
710. 711. 714. 715. 720. - Cuyp, Jak. 319.
- Cyſat, J. L. 453.
- Damiri 163.
- Dana, Jam. D. 656. 685.
697. 698. - Danielsſon, Dan. C. 664.
702. - Dareſte, Cam. 713.
- Darwin, Charl. Rob. 654.
685. 695. 725. - Darwin, Erasm. 725.
- Daubenton, L. M. 522.
667. 703. 720. - Davidſon, Thom. 700.
- Davis, H. 533.
- Delphin 347.
- Demidoff, Fürſt Anatol 664.
- Demokrit 61.
- Derham, Dixon 661.
- Descartes 263.
- Deshayes, G. P. 683. 699.
700. - Desjardins, Jul. Frç. 661.
- Desmareſt, Anſ. Gaet. 650.
697. - Desmarets, Nic. 535.
- Des Murs, O. 710. 711.
- Deſor, Ed. 688.
- Deuſing, Ant. 314.
- Dicquemare, Jacq. Franç.
563. - Dicuil 189.
- Didelphys bei Oviedo y Valdy
324. - Dieſing, C. Mor. 692.
- Dodo bei Cluſius 323, Boe-
tius 330, Ray 441. - Döllinger, Ign. 604. 610.
621. - Dominikaner 102. 145. 150.
- Donati, Vital. 534.
- Donndorf, J. Aug 542.
- Douglas, Jam. 451.
- Doyère, M. P. L. N. 696.
- Drebbel, Corn. 393.
- Dſchemaleddin el-Schebebi
163. - Dufay 451.
- Dufour, Léon 695. 696.
- Dugès, Ant. 610. 696. 697.
705. 715. - Duhamel du Monceau, H.
L. 554. - Dujardin, Fél. 631. 681.
683. 686. 692. - Dumas, J. Bapt. 628. 629.
- Duméril, Aug. 706.
- Duméril, A. M. Conſt. 610.
668. 689. 690. 698.
706. 707. 708. 709. 715. - Dumont d'Urville 653.
- Dumortier, Barth. Charl.
663. 700. 702. - Duperrey, L. Iſid. 653.
- Dupetit-Thouars, Abel 653.
- Dutrochet, R. Joaq. Henri
621. 680. - Duverney, Guich. Joſ. 424.
- Duvernoy, Geo. Louis 610.
704. 714. - Dzierzon, Joh. 697.
- Eale, mit bewegl. Hörnern
344. - Eber, mythol. 17, in der
Fabel 19. - Eberhard, Joh. Pet. 541.
- Echinodermen bei den Alten
55. 84, bei Wotton 266,
Linck 463, Klein 488. - Edriſi 165.
- Edwards, Geo. 550.
- Edwards, Henri Milne 610.
627. 642. 644. 647.
678. 682. 683. 684.
686. 690. 691. 696.
697. 698. 699. 700.
701. 704. 713. - Edwards, Alph. Milne 697.
- Ehrenberg, Chſtn. Gfr. 650.
661. 671. 680. 684. 685. - Eichhorn, Joh. Conr. 564.
- Eichwald, Ed. 664. 678.
719.
[732]Namen- und Sachregiſter. - Eierkunde 454. 711.
- Eingeweidewürmer 372. 461.
483. 541. 561. - Einhorn im Phyſiol. 125;
ſpäter 284. 295. 314. - El Aſchari 154.
- El Asmai 159.
- El Dimeſchki 169.
- El Dſchahiſ 160.
- El Farabi 154.
- El Hanefi 162.
- El Ißtachri 164.
- El Maſudi 165.
- El Sedſchiſtani 159.
- El Sojuti 163.
- Elch 14.
- Elefant, mythol. 17, bei den
Alten 48, im Phyſiol.
123, bei Marco Polo 198,
im 16. Jhdt. 343, Skelet
451. - Elenn bei den Alten 48, im
Mittelalter 182. - Ellis, John 563.
- Elucidarius 269.
- Empedokles 59. 89.
- Emmert, A. G. F. 610. 621.
- Engelbert von Admont 244.
- Ente 39.
- Entwickelung des Hühnchens,
Malpighi 398, Pander
621. Remak 705. - Epiphanius 112.
- Eraſiſtratus 73.
- Eratoſthenes 89.
- Erichſon, Wilh. Ferd. 641.
694. - Erman, Geo. Ad. 655.
- Erxleben, J. Ch. Polyc. 547.
- Eſchricht, D. F. 692. 700.
701. 713. 714. - Eſchſcholtz, J. Fr. 655. 686.
696. - Esper, Eug. Joh. Chſtoph.
560. 563. - Eſel 12, in Aegypten 161,
im Mittelalter 181, per-
ſiſche 197. - Euſtachio, Bart. 377.
- Eydoux, F. Th. 653. 699.
701. - Eyſenhardt, Carl Wilh. 686.
700. - Fabricius, Geo. 352. 367.
- Fabricius, J. Ch. 545. 559.
- Fabricius, Otho 532. 565.
- Fabricius, Phil. Conr. 534.
- Fabricius ab Aquapendente,
Hier. 379. - Falconer, Hugh 660.
- Falkenjagd bei den Alten 39,
in Aſien 199, ſpäter 352. - Farre, Arth. 642.
- Ferededdin Attar 162.
- Fermin, Phil. 532.
- Feruſſac, d'Audebard de 702.
- Feuillée, L. 452.
- Filippi, Fil. de 693. 701.
705. - Firens, Pet. 320.
- Fiſche, den Alten bekannte
53, bei Ariſtot. 82, im
Mittelalter 185, bei Wot-
ton 266, Aldrovandi 295,
Jonſtonus 301, Ray 442,
Klein 484, Linné 510,
Gouan 553, ſpäter 705. - Fiſcher, von Waldheim, Ghelf.
604. - Fiſcher, Joh. Bapt. 713.
715. - Fiſcher, Joh. Guſt. 708.
- Fiſchnamen, Deutung alter
52. - Fitzinger, L. J. 423. 674.
- Fitzroy, Rob. 654.
- Flamen, Alb. 319.
- Flamingo, den Alten bekannt
51. - Fledermäuſe bei Ariſtoteles
47, bei M. Polo 199, bei
Aldrovandi 293. - Fleming, John 663. 683.
687. - Flinders 685.
- Focke, Guſt. Wold. 682.
- Forbes, Edw. 662. 664.
666. 682. 686. 687.
700. - Fornaſini, Carlo 661.
- Forskål, J. G. 532.
- Forſter, Geo. 531.
- Forſter, J. Reinh. 531. 685.
- Foſſile, Kenntniß bei den Al-
ten 89, bei den Neuern
466. 647. 711. - Franciskaner 102. 145.
- Frank, Pet. 584.
- Frantzius, Alex. von 719.
- Franz, Wolfg. 312.
- Frauenfeld, Geo. 656.
- Frey, Heinr. 646. 686.
- Frey, Herm. Heinr. 310.
- Freycinet, L. Cl. Deſaulſes
de 652. - FriedrichII., Kaiſer 205.
- Friſch, J. Leonh. 459.
- Fuchs, ſprachlich 13, in der
Fabel 21. - Füeſſli, Joh. Casp. 558.
- Fulica im Phyſiol. 132.
- Funk, Adlf. Fr. 707.
- Gäde, Heinr. Mor. 686.
- Gaimard, J. Paul 652. 653.
664. 685. 700. 701. - Galenus 74.
- Gans, ſprachlich 12, mythol.
17, Hausthier 38. - Garengeot 451.
- Garner, Rob. 700.
- Garnot, Prosp. 653.
- Gärtner, Joſ. 563.
- Gattung, das Wort 4, bei
Ariſtoteles 33. - Gaſſendi, Pierre 426.
- Gay, Claude 658.
- Geer, Carl de 558.
- Geflügel auf Höfen im Mittel-
alter 183. - Gegenbaur, Carl 647. 686.
691. 700. 701. 702. - Geoffroy, Et. Louis 556.
559. - Geoffroy-Saint-Hilaire, Ét.
594. 661. 706. 711.
712. 713. 724. - Geoffroy-Saint-Hilaire,Iſid.
714. 715. 724. - Georg von Trapezunt 256.
- Gerard von Broglio 244.
- Gerardus von Cremona 205.
- Germar, Ernſt Friedr. 650.
693. - Gervais, Paul 663. 697.
709. 713. - Geſellſchaft in Danzig 420,
Göttingen 420. - Gesner, Conrad 274, Werke
287, Foſſile 374. - Giebel, C. G. A. 712.
- Giovio, Paolo 366.
- Giraffe bei den Alten 48, bei
- M. Polo 198.
[733]Namen- und Sachregiſter. - Girard, Ch. 700.
- Gleichen, Frdr. Wilh. Freih.
von 564. - Gliddon, Geo. R. 715.
- Gloger, Conſt. 710.
- Gmelin, J. Fr. 517.
- Gobineau, Graf A. von 715.
- Goddard, Jonath. 415.
- Godman, J. 715.
- Goedart, Jan 371.
- Goldfuß, Georg Aug. 650.
673. 709. 710. - Gorrie, Archib. 718.
- Goethe, Joh.Wolfg. von 589.
- Gottſche, C. Mor. 695. 706.
- Gottwald, Chſtoph. 552.
- Gouan, Ant. 553.
- Gould, John 660. 710. 714.
- Goeze, J. A. E. 534. 558.
562. - Graefe, Fr. 718.
- Graells, Mar. della Paz 663.
- Grant, R. Edm. 627. 646.
672. 683. - Gratiolet, P. 713.
- Graumann, P. Ben. Chſtn.
566. - Gravenhorſt, J. Ldw. Chſtn.
679. - Gray, Geo. Rob. 711.
- Gray, J. E. 699. 709. 715.
- Grew, Nehem. 394. 405.
- Grimm, Jak. 21.
- Grohmann 718.
- Gronov, Lor. Theod. 553.
- Groshans, G. Ph. Fr. 719.
- Grube, Ad. Ed. 690. 691.
- Gruithuiſen, Frz. von Paula
680. - Guéneau de Montbeillard,
Philib. 523. - Guepard bei den Alten 47,
im Mittelalter 198. - Guillaume de Normandie 116.
- Guillot, Nat. 705.
- Gumilla, P. Joſ. 532.
- Gundlach, Joh. 658.
- Günther von Andernach 376.
- Gyllius, Petr. 267. 343.
- Haak, Theod. 413.
- Haaſe, J. Glob. 545.
- Hagen, H. 698.
- Hahn, C. W. 697. 710.
- Hahnenkämpfe bei d. Alten 38.
- Haifiſche bei den Alten 52.
- Haime, Jul. 685.
- Haldeman, S. S. 679.
- Hale, Horatio 656.
- Hall, Jam. 659.
- Halle, Joh. Sam. 541.
- Haller, A. von 567.
- Hallmann, Ed. 704.
- Hancock, Albany, 700.
- Hanley, Sylv. 700.
- Häringe, Wanderungen 186.
- Harlan, Rich. 659. 707.
- Harris, Moſ. 560.
- Hartlaub, Guſt. 711.
- Hartmann von Hartmanns-
ruthi, W. 663. - Harvey, Will. 381. 384, ſein
Einfluß 384. - Harwood, Benj. 610.
- Haſe 341.
- Haſſelquiſt, Fr. 532.
- Haſſelt, J. J. van 660.
- Haupt, Mor. 717.
- Hausthiere der Alten 35.
- Hebenſtreit, J. Ernſt 454.
456. - Heer, Osw. 650. 662. 663.
- Heide, Ant. von 407.
- Hemprich, Fr. Wilh. 661.
- Henle, J. 630.
- Hennings, Juſt. Chſtn. 571.
- Heppe, Joh. Chſtoph. 554.
- Herberſtein, Sigism. von 336.
- Herbſt, J. Fr. Wilh. 558.
560. - Hermann, Joh. 542.
- Hernandez, Franc. 324.
- Herodot 41. 42. 89.
- Herold, J. Mor. David 626.
- Herophilus 73.
- Herr (Herus), Mich. 281. ſ.
auch Nachträge. - Heſiod, Thierfabel 21.
- Heßling, Theod. von 701.
- Heuglin, Theod. von 662.
- Heuſinger, C. F. 610. 632.
718. - Hewitſon, W. C. 711.
- Hibas 171.
- Higginbottom, J. 707.
- Hill, John 562.
- Hinds, Rich. Brinsley 654.
- Hippopotamus bei den Alten
48, bei Abdallatif 162,
im 17. Jahrh. 346. - Hirſch im Phyſiol. 125, fer-
ner 182. 345. - Hitchcock, Edw. 659.
- Hobbes, Thom. 426.
- Hoefnagel 321.
- Holbrook, J. Edw. 659.
- Holl, Friedr. 650.
- Hollar, Wenzel 321.
- Hollard, Henri 646.
- Hombron 653.
- Home, Ever. 610. 620.
- Honein ben Iſhak 171.
- Honig 12, als Conſervations-
mittel 29. - Hooke, Rob. 394. 396. 414.
- Hooker, Joſ. Dalton 654.
- Horn, Casp. 343.
- Hornemann, Friedr. 661.
- Horsfield, Thom. 660.
- Hövel, Heinr. von 305.
- Hoeven, Jan van der 679.
697. 706. 707. 709.
714. 715. - Hrabanus Maurus 107.
- Huber, Franç. 696.
- Huber, J. P. 696.
- Hügel, Carl Alex. Anſ. Frhr.
von 660. - Hughes, Griff. 532.
- Huhn 14. 38, Brütung in
Aegypten 161, im Mittel-
alter 184. - Humboldt, Alex. von 656.
664. 706. 718. - Hund 12. 37, im Mittelalter
181, Böhme 342, J. Ca-
jus 342. - Hunter, J. 567. 568. 670.
- Hunter, W. 621.
- Hurry, W. C. 719.
- Huſchke, Emil 626.
- Huxley, Thom. Henry 642.
645. 654. 683. 686.
700. 701. 704. - Hyäne im Phyſiol. 126.
- Hydrus im Phyſiol. 135.
- Hyrtl, Joſ. 706. 708.
- Jacobaeus, Oliger 451.
- Jacobſon, L. L. 621. 704.
- Jacopi, Giuſ. 610.
- Jacquinot, Honoré 653.
- Jaeger, Wilh. Ferd. 688.
- Jahja ben Albatrik 172.
- Jahja ben Maſoweih 159.
[734]Namen- und Sachregiſter. - Jakob van Maerlandt 251.
- Janſſen, Hans u. Zach. 393.
- Japan, Kämpfer 452.
- Ibn Abul Aſch'ath 160.
- Ibn el Beitar 163.
- Ibn el Doreihim 162.
- Ibn el Wardi 162.
- Ibn Roſchd 155. 173.
- Ibn Sina 155. 173.
- Ibn Wahſchijah 160.
- Ichneumon im Phyſiol. 135.
- Jennings, C. 711.
- Jenyns, Leon 663.
- Jerdon, T. C. 660.
- Jeſſen, C. 719.
- Igel bei den Alten 47, im
Phyſiol. 125. - Illiger, J. K. Wilh. 560.
665. 693. 712. 715.
720. - Imperato, Ferrante 375.
- Infuſionsthiere 400, bei Linné
519, Ledermüller 564. - Inſecten, bei Wotton, 266,
Aldrovandi 294, ſpäter
369, bei Ray 444, Me-
rian 458, Friſch 459,
Linné 511. - Johannes Scotus Erigena
108. 148. - Johnſton, George 664. 683.
685. - Jones, Th. Rymer 646. 682.
- Jones, Wharton 628.
- Jonſtonus, Joannes 297,
Werke 299. - Jorach 227. 246.
- Joſephi, Wilh. 549.
- Iſhak ben Honein 171.
- Iſidor von Sevilla 105.
- Jurine, L. 626. 696.
- Juſſieu, Ant. 451. 470.
- Juſſieu, Joſ. 532.
- Kade 464.
- Kamel, Name 14, Hausthier
35. - Kämpfer, Engelb. 452.
- Katze 13.
- Kaup, Joh. Jak. 675.
- Kay, Jam. Edw. de 659.
- Kay, John 342.
- Kazwini 166.
- Keferſtein, Ad. 718.
- Keller, Fr. 716.
- Kellett, Henry 654.
- Kentmann, Joh. 352.
- Kerbthiere, bei Ariſtot. 83,
bei Wotton 266. - Keyſerling, Alex. Graf 714.
725. - Kielmeyer, Carl Heinr. 592.
- Kiener, L. C. 699.
- Kieſer, Dietr. Geo. 621.
- King, Phil. Parker 654.
660. - Kirby, Will. 694.
- Kircher, Athan. 317.
- Kirchmaier, Geo. Kasp. 305.
314. - Kittlitz, F. H. von 655.
- Klein, Jak. Th. 472, Werke
476. - Knorr, Geo.Wolfg. 557.565.
- Koch, Carl Ludw. 663. 697.
- Köhler, H. C. E. 718.
- Köhler, H. J. 719.
- Kolbe, Pet. 452.
- Kolibri bei Cluſius 323.
- Kölliker, Alb. 632. 642
677. 690. 702. 704. - Koelreuter, J. Glieb. 560.
- König, Eman. 449.
- Korallen, Meinung der Alten
55, ſpäter 466. 489. - Korén, J 664. 702.
- Kotſchy, Theod. 662.
- Kotzebue, Otto von 655.
- Krähe im Phyſiol. 132.
- Kraken 336.
- Kramer, W. Hnr. 534.
- Kranich bei den Alten 50, im
Mittelalter 183. - Krauſe, C. 628.
- Krauß, Chſtn. Ferd. Fr. 661.
- Krohn, Aug. 686. 690.
700. 701. - Krüger, J. G 571.
- Kruſenſtern, Adam Joh. von
655. - Kruſter, bei Ariſtoteles 82,
bei Wotton 266, Klein
487. - Kteſias 42.
- Küchenmeiſter, Friedr. 693.
- Kuckuck 14. 19. 49.
- Kuh, ſprachlich 11, mythol.
17. - Kundmann, J. Ch. 456.
- Küſter, H. C. 699. 710.
- Kyber, Joh. Friedr. 644.
- Kyraniden 221.
- Labat, J. B. 452.
- Labillardière, J. J. 531.
- Lacaze-Duthiers, H. 700
- Lacépède, B. G. Et. Cte. de
551. 554. 703. - Lacordaire, Th. 698.
- Lachmann, Fr. Joh. 682.
- Lack-Inſect 25.
- Laet, Jan de 327.
- Lama 329.
- Lamanon, Rob. de Paul 531.
- Lamarck, J. B. P. A. de
Monet, 612. 647. 668.
684. 687. 689. 690.
692. 694. 698. 700.
701. 721. - Lamartinière 531.
- Lamouroux, J. Vict. Fel.
685. - Lambotte, H. A. 707.
- Lang, Karl Nik. 454. 468.
- Langsdorff, Geo Heinr. von
655. - Laplace, Cyr. P. Th. 653.
- Laſſaigne, J. L. 696.
- Latham, J. 533. 550.
- Latham, Rob. Gordon 715.
- Latreille, P. A. 691. 693.
694. 695. 697. 698.
703. 704. 707. - Laurencet 705.
- Leach, Will. Elf. 694.
- Lebert, Heinr. 701.
- Ledermüller, Mart. Frob.
564. - Leeuwenhoek, Ant. von 394.
399. - Lefebvre, Théoph. 662.
- Lehmann, C. D. W. 708.
- Leibnitz 390.
- Leigh, Charl. 421.
- Lemming 341.
- Lenz, Ernſt 655.
- Lenz, Har. Othm. 708. 718.
- Leo Africanus 331.
- Leonardo da Vinci 374.
- Leonicenus, Nic. 354.
- Leroy, Ch. Geo. 571.
- Leske, Nath. Gottfr. 542.
- Leſſer, Friedr. Chſtn. 544.
- Leſſon, R. Primevère 653.
710.
[735]Namen- und Sachregiſter. - Leſueur, Charl. Alex. 652.
659. 686. 700. - Leuckart, F. S. 687. 689.
703. 707. - Leuckart, Rud. 641. 642.
644. 646. 678. 686.
690. 691. 692. 695.
697. 700. 701. - Leunis, Joh. 679.
- Leuret, Franç. 705.
- Levaillant, Franç. 532. 710.
- Lewin, J. W. 710.
- Leydig, Frz. 682. 690. 695.
701. 702. 706. - Lhwyd, Edw. 463. 468.
- Lichtenſtein, A. A. H. 718.
- Lichtenſtein, Martin Carl
Heinr. 325. 329. 661. - Lieberkühn, Nath. 683.
- Linck, J. H. 464.
- Link, Heinr. Fr. 566.
- Linné, Carl von 492, Werke
476, Syſtem 505. - Lipſius, Juſt. 343.
- Liſter, Martin 437. 447.
468. - Lithophyten Linné's 516.
- Locke, J. 426.
- Longolius, Gybert 348.
- Lonicer, Adam 271.
- Lorenzini, 451.
- Lovén, Sv. Ludw. 642. 643.
665. 686. 690. 696.
699. 701. 702. - Lowe, R. T. 662.
- Löwe, mythol. 17, bei den
Alten 41, im Phyſiol.
123. - Ludwig, Chſtn. Friedr. 546.
- Luidius, Ed. 463.
- Lütke, Fr. Benj. von 655.
- Lyonet, P. 560.
- M'Clelland, John 660.
- Macdonald, J. D. 702.
- Mac Leay, Will. Sharp 674.
- Maeklin, F. W. 698.
- Magnus Olaus 335. 346.
- Majer, Joh. Wolfg. 353.
- Maillet, Ben. de 527.
- Major, Joh. Dan. 432.
- Malherbe, Alfr. 710.
- Malpighi, Marc. 394.
- Mana 171.
- Mangili, Giuſ. 700.
- Mannhardt 718.
- Mantell, Gid. Alg. 709.
- Manuel Phile 112. 181.
- Marcellus Empiricus 99.
- Marcgrav, Georg 327.
- Marchettis, Domen. de 402.
- Marcianus Capella 105.
- Marco Polo 197.
- Marescalcus Thurius 269.
- Marſigli, Luigi Ferd. Conte
de 453. 465. - Marſilli, Ant. Felice 455.
- Martens, Ed. von 720.
- Martens, Friedr. 422. 443.
- Martin-St.-Ange, Gaſp.
Joſ. 707. - Martini, F. H. 557.
- Martius, Carl Fr. Phil. 657.
- Matteucci, Carlo 706.
- Mauleſel und Maulthier 36,
in Turkomanien 197. - Maulwurf bei den Alten 47,
Thomaſius 341. - Maundeville, Sir John 200.
- Maus 13.
- Mayer, A. F. J. C. 704.
708. 714. - Meckel, Joh. Friedr. 606.
616. 621. 699. 713. - Meckel (von Hemsbach) Heinr.
695. - Meduſen bei Albert d. Gr.
236. - Meerſchweinchen 329.
- Megaſthenes 42.
- Megerle von Mühlfeldt, J.
C. 698. - Mehlis, Ed. 692.
- Mejer, Flor. 346.
- Meißner, Georg 695.
- Melle, Jak. von 470.
- Menabeni, Appollonio 342.
346. - Menſch, fabelhafte Formen
bei den Alten 44, im Mit-
telalter 200. - Menſchenraſſen, Blumenbach
545. - Merian, Marie Sib. 451.
458. - Merrem, Blaſ. 548. 550.
700. 708. 709. 719. - Merret, Chriſtopher 421.
- Mery, Jean 424.
- Meſuë der Aeltere 159.
- Meyen, Frz. Jul. Ferd. 656.
682. 683. - Meyer, Chſtn. Erich Herm.
von 708. 709. - Meyer, Joh. Dan. 566.
- Meyer, Jürgen Bona 78.
- Michael Scotus 173. 206.
208. - Michovius, Matthias 336.
- Middendorff, Alex. Theod.
von 664. - Mikan, Joh. Chſtn. 657.
- Mikroſkop 393.
- Miller, J. S. 650. 687.
- Minding, Jul. 704.
- Mizaldus 269.
- Möbius, Carl 701.
- Mohammed ben Badſchah
172. - Mohr, Nik. 533.
- Möhring, P. H. G. 549.
- Molina, G. Ign. 532.
- Mondino 254.
- Monro, Alex.sen. 451.
- Monro, Alex.jun. 555.
567. - Montfort, Denys de 698.
- Moquin-Tandon, O. 690.
701. - Morren, Charl. 707.
- Morton, John 463.
- Morton, Sam. Geo. 715.
- Moſchusthier 198.
- Moſeley, H. 702.
- Mouffet, Thom. 369.
- Moulinié, J. J. 693.
- Mücke 13.
- Müller, Friedr. 696.
- Müller, Heinr. 700. 702.
- Müller, Joh. 626. 630. 635.
683. 688. 690. 695.
696. 704. 706. 707.
708. 709. 711. 719. - Müller, Joh. Wilh. Baron
von 718. - Müller, Otto Fr. 533. 555.
560. 561. 565. - Müller, Phil. Ldw. Stat. 563.
- Müller, Salomo 660.
- Münſter, Geo. Graf zu 650.
- Myriapoden 694.
- Nagethiere bei den Alten 47.
- Nardo, Giov. Dom. 683.
- Natterer, Joh. 657.
[736]Namen- und Sachregiſter. - Naturreich, der Ausdruck
449. - Nau, Bernh. Seb. von 534.
- Naumann, C. Fr. 702.
- Naumann, Joh. Andr. und
Joh. Fr. 710. - Necker, Carl Joſ. 543.
- Needham, Turbervill 564.
- Needham, Walt. 450.
- Newport, G. 695. 696.
- Niebuhr, Carſt. 532.
- Niedermayer, 326.
- Nilsſon, Sv. 664.
- Nitzſch, Chſtn. Ldw. 680.
692. 711. - Nordmann, Alex. von 692.
695. 696. 702. - Nott, Joſiah C. 715.
- Nyktikorax im Phyſiol. 130.
- Ochs 11.
- Odier, A. 696.
- Odorico de Pordenone 200.
- Oken, Lor. 579, ſeine Phi-
loſophie 580, ſein Sy-
ſtem 582, als Lehrer 610,
Embryolog 620, Ento-
molog 694. - Olafſon, Egg. 533.
- Oldenburg, H. 414.
- Olfers, Ed. von 718.
- Olivi, Giuſ. 534.
- Olivier, Guill. Ant. 560.
- Onocentauren im Phyſiol.
122. - Oppel, Mich. 703. 708.
- Orang-Utang bei Bontius
331, ferner 546. - d'Orbigny, Alc. Deſſalines
657. 681. 699. 700.
702. - Origenes 89. 119.
- Oerſted, And. S. 666. 683.
690. 691. - Osbeck, P. 533.
- Otter, 14.
- Oudley, Walt. 661.
- Ovid 89.
- Oviedo y Valdy, Gonz. Fern.
d' 324. - Owen, Charl. 552.
- Owen, Rich. 638. 646. 649.
672. 679. 692. 700.
702. 704. 705. 706.
707. 708. 709. 711.
713. 714. - Pacini, Fil. 706.
- Pagenſtecher, H. Alex. 701.
- Paliſſy, Bern. 374.
- Pallas, P. Sim. 535. 548.
- Pander, Chſtn. Heinr. 621.
- Panizza, Bart. 707.
- Panther, mythol. 17, im
Phyſiol. 121. - Panzer. G. Wolfg. Frz. 560.
663. - Papageyen 25. 49. 184,
Aldrovandi 294. - Paradiesvögel bei Aldrovandi
294, ferner 353. - Paré, Ambr. 377.
- Park, Mungo 661.
- Parkinſon, Jam. 650.
- Paulſon, Biarno 533.
- Pauw, Corn. de 545.
- Paykull, Guſt. von 560.
- Peale, T. R. 656.
- Pelikan im Phyſiol. 130, bei
Aldrovandi 294, Simpli-
ciſſimus 389. - Pennant, Thom. 534. 546.
- Perlmuſchel 25. 200.
- Péron, Franç. 652. 685.
686. - Perrault, Claude 424.
- Perty, Max 657. 674.
- Peter Martyr d'Angheria 324.
- Peters, W. C. Hartw. 661.
709. - Petiver, Jam. 452.
- Peyer, Joh. Conr. 437.
- Peyſonnel, J. Ant. 466.
- Pfeiffer, Ludw. 699.
- Pferd, ſprachlich 12, mythol.
17, bei Hiob 25, Haus-
thier 36, im Mittelalter
180. 197, aſiatiſche 197,
im 16. u. 17. Jahrh. 346. - Philipeaux 706.
- Philipp, Arth. 531.
- Philippe de Thaun 116.
- Philippi, Rud. Am. 696.
699. - Phönix im Phyſiol. 131.
- Phyſiologus 108.
- Pickering, Charl. 656. 665.
715. - Pictet, Franç. Jul. 650.
- Picus, Andr. 460.
- Pierre de Picardie 117.
- Pipa 451.
- Piſo, Wilh. 327.
- Plancus, Jan. 458.
- Plater, Fel. 375.
- Plato 62.
- Plinius 85.
- Plot, Rob. 421.
- Plutarch 75.
- Poey, Felipe 658.
- Pohl, Joh. Eman. 657.
- Poli, Giuſ. Sav. 556. 699.
- Polybus 62.
- Polypen Thiere 466.
- Pontoppidan, Erich 533.
- Pöppig, Ed. Friedr. 657.
- Porzellanmuſcheln 200.
- Poſtels, Alex. 655.
- Pott, A. Fr. 715.
- Pouchet, F. A. 230.
- Präneſtiner Moſaik 49. 718.
- Prevoſt, Jean Louis 628.
629. - Prichard, Jam. Cowles 715.
- Primaten 505.
- Probus 171.
- Pſeudocalliſthenes 189.
- Ptolemaeus 88.
- Purkinje, Joh. Evang. 628.
630. - Purpur der Alten, Columna
368. Heuſinger 718. - Quatrefages, Arm. de 686.
688. 690. 699. 701. - Quenſel, C. 664.
Quoy, J. R. Conſt. 652.
653. 685. 700. 701.
Raffles, Sir Stamford 660. - Rafinesque-Schmaltz, Conſt.
Sam. 659. - Ramdohr, C. A. 696.
- Ramon de la Sagra 658.
- Ranzani, Cam. 710.
- Rapp, Wilh. 684. 714.
- Rathke, Jens 533.
- Rathke, Mart. Heinr. 609.
625. 635. 700. 704.
705. 708. 709. - Ratzeburg, Jul. Th. Chſtn.
695. - Ray, J. 422. 428.
[737]Namen- und Sachregiſter. - Reaumur, R. A. F. de 459.
463. 466. - Rebhuhn im Phyſiol. 131.
- Reeve, Lovell 699.
- Regenfuß, Frz. Mich. 557.
- Reichenbach, H. G. L. 711.
- Reichert, C. Bog. 632. 704.
705. - Reimarus, Herm. Sam. 571.
- Reinwardt, Casp. Geo. Carl
660. - Remak, Rob. 705.
- Rengger, J. Rud. 657. 696.
- Renier, Stef. Andr. 662.
- Rennthier bei den Alten 48.
- Reptilien bei Ray 442, Klein
482, Linné 508, Laurenti
551, Lacépède 551, ſpä-
ter 703. 706. - Retzius, Andr. Jahan 664.
688. 716. - Rhinoceros bei den Alten 48,
bei M. Polo 198. - Richard de Fournival 117.
- Richardſon, Sir John 659.
- Riche, Cl. Ant. Gaſp. 531.
570. - Richter, Joh. Gfr. Ohnefalſch
544. - Rind 11. 35, im Mittelalter
181. - Riolan, d. j. 377.
- Ritgen, F. S. Aug. 713.
- Robinet, René 527.
- Rochefort, N. 422.
- Rochholz 718.
- Rolfink, Wern. 346.
- Römer, Joh. Jak. 558.
- Rommel, Pet. 388.
- Rondelet, Guill. 361.
- Röſel von Roſenhof, Aug.
Joh. 552. 558. 561. 563. - Roſenmüller, J. Chſtn. 621.
- Roſenthal, Fr. Chſtn. 706.
- Roſſ, Sir. Jam. Clark 654.
- Rothkehlchen, mythol. 17.
- Rovarius, H. 452.
- Royal Society in London
413. - Rudolphi, Carl Asm. 609.
670. 689. 692. - Ruini, Carlo 346.
- Rumph, Geo. Ev. 452. 465.
- Ruodlieb 182. 184. 186.
- Rüppell, Ed. 662. 702.
- Rusconi, Mauro 629. 705.
707. - Ruſſegger, Joſ. 662.
- Ruſſell, Patr. 533.
- Ruſſell, Alex. 533.
- Ruyſch, Friedr. 396. 397.
- Rzacynski, Gabr. 422.
- Sachs von Lewenhaimb,
Phil. Jak. 409. - Salamander der Alten 51,
im Phyſiol. 136, Ver-
wandlung 451. - Salanganen bei Bontius 300.
- Sallé, Aug. 658.
- Salviani, Hippol. 358.
- Salz, Conſervationsmittel
29. - Salzmann, Joh. Rud. 342.
- Sammlungen, naturhiſtoriſche
im Alterthum 29, ſpäter
261. - Samuel, J. 621.
- Sander, Heinr. 544.
- Sarraſin, Mich. 450.
- Sars, Mich. 643. 664. 665.
666. 690. 700. - Säugethiere, bei Ariſt. 80,
bei Wotton 266, bei Al-
drovandi 295, Jonſtonus
302, Ray 438, Klein
480, Linné 505, Briſſon
546, Schreber 546, Pen-
nant 546, Scopoli 547,
Erxleben 547, Blumen-
bach 547, Storr 547,
Batſch 548. - Savigny, M. Jul. Céſ. Le-
lorgne de 641. 661 690.
691. 700. - Say, Thom. 687.
- Scaliger, Jul. Caeſar 318.
- Schaf 11. 35, im Mittelalter
181. 197. - Schäffer, Jak. Chſtn. 553.
559. 563. - Schalthiere, bei Ariſtot. 83,
bei Wotton 266, Aldro-
vandi 295, Lang 455,
Breyn 456, Plancus 458,
Klein 486. - Scharlachwürmer im Mittel-
alter 188. - Schelch 182.
- Schelling, F. W. J. 576.
- Schelver, Frz. Joſ. 588.
- Schenk, Joh. Theod. 461.
- Scherzer, Carl 656. 716.
- Scheuchzer, J. J. 422. 469.
- Schinz, Heinr. Rud. 663.
713. - Schlangen im Phyſiol. 134,
bei Aldrovandi 296, Jon-
ſtonus 303, Einzelnes 354. - Schlegel, Herm. 665. 679.
708. 711. - Schleiden, M. J. 630.
- Schlotheim, Ernſt Fr. von
650. - Schmarda, Ludw. 665.
- Schmidel, Caſ. Chſtph. 565.
- Schmidt, Carl 696.
- Schmidt, E. Osk. 679.
- Schmiedlein, Gfried. Ben.
558. - Schneider, Ant. 692.
- Schneider, Dav. Heinr. 558.
- Schneider, J. G. Saxo 40.
193. 207. 329. 552. - Schomburgk, Rob. 658.
- Schönfeld, Steph. von 367.
- Schöpf, J. Dav. 552.
- Schrank, Frz. von Paula 680.
- Schreger, Bernh. Glob. 545.
- Schrenk, Leop. von 664.
- Schröder von der Kolt, J. L.
C. 714. - Schröter, J. Sam. 557. 565.
- Schubaert, T. D. 695.
- Schubert, Ghilf. Heinr. 589.
- Schultze, C. Aug. Sig. 646.
- Schultze, Max Sigism. 683.
690. 706. - Schumacher, Fr. Chſtn. 698.
- Schwann, Theod. 630.
- Schwarz 716.
- Schweigger, Aug. Friedr.
669. 685. - Schwein 12. 37, im Mittel-
alter 181. - Schwenckfeld, Kasp. 338.
- Scilla, Agoſt. 467.
- Sclater, Phil. L. 710.
- Scopoli, J. Ant. 547. 560.
- Scot, Dav. 718.
- Scriba, Ldw. Glieb. 558.
- Seba, Alb. 452.
- Seemann, Berth. 654.
- Seeſchlange, die große 336.
- Seidenbau i. Mittelalter 188.
V. Carus, Geſch. d. Zool. 47
[738]Ramen- und Sachregiſter. - Seidenwurm bei d. Alten 54.
- Selby, John Prid. 710.
- Sellius, Gfr. 515.
- Selys-Longchamps, M. Edm.
663. - Semerion 227.
- Sennert, Dan. 318.
- Serenus Sammonicus 99.
- Seriema 330.
- Serra im Phyſiol. 126.
- Serres, Et. R. Aug. 705.
- Serres, Marcel de 718.
- Severin, Joh. 534.
- Severino, M. Aur., über
Schlangen 355, Anatomie
381. - Sextus Placitus 99.
- Sganzin, Vict. 661.
- Shaw, Geo. 660.
- Shaw, Thom. 452.
- Siebold, Rob. 421. 443.
- Siebold, C. Th. E von
(554), 629. 647. 678.
682. 686. 692. 694.
695. 696. 697. 699.
707. - Siebold, Phil. Frz. von 660.
- Silbermann, Guſt. 693.
- Silberſchlag, Joh. Eſ. 549.
- Simpliciſſimus 389.
- Sirenen im Phyſiol. 122.
- Skink 161.
- Sloane, Hans 422.423.452.
- Smith, Andr. 661. 714.
- Smith, Jam. Edw. 660.
- Smith, Jer. B. C. 659.
- Smith, Will. 648.
- Solander, Dan. 531. 563.
- Sonnenburg, Ludw. 719.
- Souleyet 653. 699. 701.
- Sowerby, Jam. 649. 699.
- Sonnerat P. 530.
- Sonnini, Ch. N. Sig., de
Manoncour 532. - Spallanzani, Laz. 564. 568.
- Sparrmann, And. 532.
- Spence, Will. 694.
- Sperling, Joh. 305.
- Speyer, Ad. u. Aug. 698.
- Spigel, Adr. 373.
- Spinoza, B. 390.
- Spiritus als Conſervations-
mittel 422. - Spitzmaus bei den Alten 47.
- Spix, Joh. Bapt. 657. 704.
- Stachelſchweine bei Marco
Polo 198. - Stahl, Geo. Ernſt 469.
- Stanley, Owen 654.
- Stannius, Herm. 647. 706.
707. 708. 709. - Steenſtrup, J. Jap. Smith
644. 684. 696. 702.
716. - Stein, Friedr. 682. 693.
695. - Steinbock im Phyſiol. 127.
- Stelluti, Franc. 326. 394.
- Steller, G. W. 533.
- Steno, Nic. 405.
- Stiebel, Sal. Friedr. 627.
- Stier 11.
- Stolbergk, Joh. Chſtn. 314.
- Stoll, Casp. 560.
- Stor, Olaus 335.
- Störe den Alten bekannt 53.
- Storer, Humphr. Dav. und
Hor. Rob. 659. - Storr, Glieb. Conr. Chſtn.
547. - Strack, Fr. 719.
- Strauß bei den Alten 51, im
Phyſiol. 133. - Strauß-Dürkheim, Herc. 646.
695. 696. - Strickland, Hugh Edwin 711.
- Streubel, Aug. Vollr. 674.
- Sturm, Jak. 663.
- Suckow, Fr. W. L. 695.
- Sueß, E. 700.
- Sulzer, Joh. Geo. 544.
- Sulzer, Joh. Heinr. 558.
- Sundevall, C. J. 711.
- Swammerdam, Jan 401.
- Tapir 330.
- Tappe, Eberh. 281.
- Tarichos, 718.
- Tatian 140.
- Taube, Hausthier bei den
Alten 39, im Phyſiol.
133. - Telliamed 528.
- Temminck, Conr. Jak. 660.
- Tempeſta, Ant. 320.
- Templeton, Rob. 700.
- Tentzel, W. Ernſt 467.
- Tertullian 89.
- Thabit ben Korra 160.
- Theobald 114.
- Theodor Gaza 256.
- Thienemann, Fr. A. L. 710.
711. - Thiere in Bezug zur Religion
17, der Bibel 24. - Thierfabel 18.
Thiergärten im 16. Jahrhdt.
270. - Thierkämpfe der Alten 47.
- Thiernamen, ſprachliche Ver-
änderungen 11. 15, Be-
deutung alter 52. - Thomas von Cantimpré 211.
- Thomaſius, Jak. 341.
- Thompſon, John Vaughan
684. 687. 694. - Thompſon, Thom. 718.
- Thompſon, Will. 664.
- Thomſon, Jam. 693.
- Thon, Th. C. G. 693.
- Thunberg, C. Pet. 533. 560.
718. - Tiedemann, Friedr. 605.
610. 621. 688. 711. - Tiger im Alterthum 47, bei
Marco Polo 198. - Tileſius, Wilh. Glieb 655.
- Titius, J. Dan. 479.
- Topſell, Edw. 304.
- Tournefort, Pitton de 452.
- Trappe 39.
- Tredern, Ldw. Seb. Graf von
621. - Trembley, Abr. 561. 563.
- Treviranus, Ldlf. Chſtn. 610.
- Terviranus, Gfr. Reinh. 610.
665. 695. 696. 704.
705. 711. - Trew, Chſtph. Jak. 566.
- Troſchel, Fr. Herm. 688.
701. 702. - Tſchudi, Friedr. von 663.
- Tſchudi, Joh. Jak. von 658.
663. - Tuckey, Jam. Kingston 661.
- Tulp, Nik. 340 (Chimpanſe),
347 (Delphin), 373 (Wür-
mer). - Turner, Will. 347.
- Turteltaube im Phyſiol. 132.
- Tyſon, Edw. 407. 451.
462. - Ulrich, Aug. Leop. 704.
[739]Namen- und Sachregiſter. - Unger, F. 650.
- Ur im Mittelalter 181.
- Vaillant, Aug. Nic. 653.
- Valenciennes, A. 706.
- Valentin, G. 628. 630. 688.
- Valentini, Mich. Bernh 406.
- Vallisnieri, Ant. 451. 462.
515. - Ventenat 531.
- Verany, J. B. 702.
- Verwandtſchaft organiſcher
Weſen 3. - Veſalius, Andr. 376.
- Vicq d'Azyr, Fel. 569. 584.
- Vielfraß 336. 342.
- Viellot, L. P. 710.
- Vierfüßer, eierlegende, Claſſe
bei Ariſtot. 81. - Villers, Charl. de 560.
- Vincent, Levin 451.
- Vincenz von Beauvais 238.
- Viper im Phyſiol. 134, ſpä-
ter 355. - Visſcher, Cl. Janſzen 319.
- Voet, J. Euſ. 560.
- Vögel, bei Ariſtot. 81, Wot-
ton 266, Aldrovandi 293,
Ray 439, Klein 481, Linné
506, Möhring 549, Briſ-
ſon 549, Blumenbach 550,
Latham 550, Batſch 550. - Vogelgeſpräche, perſiſche 162.
- Vogt, Carl 632. 677. 690.
691. 700. 702. 704.
705. 713. - Voigt, Friedr. Siegm. 669.
721. - Voigt, Gottfr. 367.
- Voith, von 663.
- Volkmann, A. W. 705.
- Vrolik, Will. 704. 714.
- Vulpian, A. 706.
- Wachs als Conſervationsmit-
tel 29. - Wachtelkämpfe bei den Alten
38. - Wagener, Guido R. 693.
- Wagler, Joh. 703. 708.
- Wagner, Joh. Andr. 665.
709. 713. 714. - Wagner, J. Jak. 421.
- Wagner, Mor. 662.
- Wagner, Rud. 628. 646.
- Wahlberg, J. A. 661.
- Walch, J. E. Im. 565.
- Walckenaer, Ch. Ath. Bar. de
697. - Waldung, Wolfg. 341.
- Walfiſch im Phyſiol. 127.
- Wallace, Alfr. Ruſſ. 658.726.
- Wallbaum, Joh. Jul. 552.
553. - Walthiere, Kenntniß der nor-
diſchen im Mittelalter 183,
bei Wotton 266, bei Ray
438, 443, bei Ariſtot. 82,
bei Linné 506. - Waſſerthiere, blutloſe, Jon-
ſton's 295. - Waterhouſe, G. R. 713. 714.
- Weber, Ernſt Heinr. 609. 629.
- Weddell, Jam. 653.
- Wells, 725.
- Welſch, G. H. 373.
- Wendt, Capt. 656.
- Werneck 630.
- Weſtwood, J. O. 698.
- White, John 531. 660.
- Wied-Neuwied, Prinz Max
657. 659. - Wiedehopf im Phyſiol. 131.
- Wiedemann, Chſt. Rud. Wilh.
610. - Wiederkäuer 344. 437.
- Wiegmann, Ar. Fr. Aug.
679. 682. 692. 719. - Wieſel im Phyſiol. 129.
- Wilbrand, J. Bernh. 646.
670. - Wildeſel im Phyſiol. 128.
- Wilhelm von Moerbeke 207
209. - Wilkes, Charl. 656.
- Will, J. G. Friedr. 695.
- Williamſon, Will. Crawf.
683. - Willis, Thom. 383. 397.
- Willughby, Francis 428.
430. - Wilſon, Alex. 659.
- Wimmer, Fr. 719.
- Wirbelthiere bei Ray 438.
- Wiſent im Mittelalter 181.
- Wittich, Herm. von 707.
- Wolf, ſprachlich 13. mythol.
17. in der Fabel 21. Salz-
mann 342. - Wolf, Joh. 663.
- Wolff, Casp. Friedr. 568.
- Wolff, Jak. 372.
- Wollaſton, T. Vern. 662.
- Woodward, John 463. 468.
- Woodward, S. P. 700.
- Worm, Olaus 341. 347.
423. - Wotton, Edw. 265.
- Wren, Chriſtoph 413.
- Wrisberg, Heinr. Aug. 564.
- Wurm 13.
- Würmer Linné's 513.
- Wurzer 696.
- Wyman, Jeffr. 707.
- Xenophanes 89.
- Yak 25. 197.
- Yarrell, Will. 664.
- Zacher, J. 718.
- Zaddach, Ernſt Guſt. 641.
- Zebra bei den Alten 48.
- Zebu im 13. Jahrhund. 197.
- Zeder, J. Geo. Heinr. 562.
- Zenker, Wilh. 641.
- Ziege 11. 35, im Mittelalter
181. - Zimmermann, Ed. Aug. W.
534. - Zincken, gen. Sommer, J. L.
Th. F. 693. - Zinanni, Giuſ. 454.
- Zoophyten bei Wotton 266,
Aldrovandi 295, Linné
515. - Zorn, Joh. Heinr 544.
[740]
Appendix B
Druck von Breitkopf und Härtel in Leipzig.
ſamer Zeugung ruhende Geſammtheit einzelner Formen bezeichnet, ſo wird von
Herodot an γένος zur Bezeichnung der Familienſippſchaft erweitert, woraus ſich
allmählich der Begriff der Verwandtſchaft im Allgemeinen entwickelte Es erhalten
daher die γένη μέγιστα, die συγγενεῖα, die μορφἠ συγγενετικἡ des Ariſtoteles
einen Sinn, welcher unſerem naturhiſtoriſchen Ausdruck „verwandt“ um ſo mehr
entſpricht, als ja auch uns die Bedeutung des Wortes „Gattung“ bei Ausſprache
und Leſung deſſelben kaum mehr gegenwärtig iſt. Vor den Griechen fand ſich nichts
dem ähnliches. Den alten Indern fehlte der Ausdruck für dieſen weiteren Grad der
Zuſammengehörigkeit. Die Sanskritworte kula und gotra laſſen keinen „gemeinſa-
men Urſprung“ durchblicken, und gâti, welches der Wurzel nach zu γένος gehört,
wird nur im philoſophiſchen Sinne gebraucht.
χεομένου αἵματος εἰς τὸν κρατῆρα μαντείαν τινὰ ἐποιοῦντο, nämlich aus
dem Blute geſchlachteter Gefangenen. Weiſſagung aus den Eingeweiden Erſchlage-
ner findet ſich noch im frühen Mittelalter.
principles which can be traced to details by logical consequence, he sets
about forming a body of science, by making a system of such reasonings«.
Whewell, History of the induct. Scienc. 3. ed. Vol. I. p. 115.
noch bis in die neuere Zeit im Anſchluß an das vom Menſchen her Bekannte. Wie
Thiernamen, welche nicht in eine Geſchichte der Zoologie, ſondern in eine Geſchichte
der Thierwelt gehört, würde auch außer den oben erwähnten Vortheilen noch an-
dere bieten, ſo das kürzere oder längere Zuſammenbleiben einzelner Völker und da-
θρωπος τῶν ζῴων γνωριμώτατον ἡμῖν ἐξ ἀνάγκης ἐστίν, ſo war die verglei-
chende Anatomie urſprünglich nichts als eine Vergleichung des Baues einzelner
Thiere mit dem des Menſchen. Die vergleichende Pſychologie ſteht noch auf dieſem
Standpunkte, wenn ſie danach fragt, ob gewiſſe Theile der menſchlichen Pſyche ſich
bei Thieren finden.
Schlegel in ſeiner Indiſchen Bibliothek, Bd. 1. 1823. S. 238, Ueber Thierna-
men. — Außer Curtius, Griechiſche Etymologie, ſind zu vergleichen: Kuhn,
Zur älteſten Geſchichte der indogermaniſchen Völker. Programm. Berlin, 1845,
abgedruckt in Weber's Indiſchen Studien, Bd. 1. S. 321. Förſtemann,
Sprachlich-naturhiſtoriſches, in: Kuhn's Zeitſchr. für vergleich. Sprachforſchung,
1. Jahrg. 1852. S. 491. 3. Jahrg. 1854. S. 43. J. Grimm, Geſchichte der
deutſchen Sprache, S. 28 u. flgde (Namen des Viehs). Pictet, Les Origines
indo-européennes ou les Aryas primitifs. Paris, 1859. I. Partie, p. 329-410.
M. Müller, Chips from a German Workshop. Vol. II. p. 42. (1. ed.). Bruno
Kneiſel, Culturzuſtand der indogermaniſchen Völker vor ihrer Trennung. Pro-
gramm. Naumburg, 1867. Bacmeiſter, Urſprung der Thiernamen, in: Aus-
land, 1866, S. 924. 997. 1867, S. 91. 472. 507. 1133. — Ueber Hausthiere ſ.
auch Link, Urwelt und Alterthum, 1. Bd. 2. Aufl. S. 369 u. flgde.
klären helfen, z. B. die längere Verbindung der ſlaviſchen mit den indiſchen oder
perſiſchen Stämmen, wie ſie bereits Kuhn angedeutet hat (Indiſche Studien von
Weber, 1. Bd. S. 324 Anm.). Eine ſolche Unterſuchung könnte indeß nur von
zwei zu dieſem Zwecke ſich verbindenden Forſchern, einem Sprachforſcher und Na-
turforſcher ausgeführt werden.
welche in das Perſiſche, Kurdiſche, Afghaniſche, Oſſetiſche u. ſ. f. übergegangen ſein
ſoll. Benfey will ὄνος, asinus auf eine ſemitiſche Stammform zurückführen, die
in der hebräiſchen Bezeichnung für Eſelin, athon, noch erkennbar ſei.
und Ente zuſammenzuhängen; νῆσσα führt aber auf νήχω. Das im Amarako-
ſcha als Ente aufgeführte kâdamba iſt wohl Ausgangsform für κόλυμβος, viel-
leicht columba, welchem möglicherweiſe das deutſche Lumme anzuſchließen iſt. Als
„Taucher“ (vom Hinabſtürzen) iſt vielleicht die den Römern erſt ſpäter bekannt ge-
wordene Taube von dieſen mit dem griechiſchen Namen, gewiſſermaßen als „Luft-
taucher“ benannt worden. Das goth. dubo, hd. Taube, ſteht noch unvermittelt da.
V. Hehn führt es (in dem unten beim Huhn anzuführenden Werke, S. 245) auf
Adj. daubs, taub, ſtumm, blind, düſterfarbig, wie πέλεια auf πελός, πελίος
u. ſ. f. zurück.
Drohne ſein; Imme iſt griech. ἔμπις, lat. apis; auch Biene ſchließt ſich vielleicht
an apis.
Artikel Katze von Hildebrand in Grimm's Wörterbuch, 5. Bd.). Das gewöhn-
lich als Katze gedeutete αἴλουρος iſt Mustela foina, der Hausmarder, wie Rolle-
ſton nachgewieſen hat (Journ. of Anat. and Physiol. Vol. II. (2. Ser.) 1867,
p. 47. 437. Die ägyptiſche Katze erhielt ſpäter den Namen von ihrem Vorgänger
in den griechiſchen Häuſern, γαλῆ.
deren Eier (Niſſe) der Name in denſelben Sprachen ſich findet.
men wird, vielleicht aber nur kleinere Vögel bezeichnet (ſo z. B. Alkman, 24.
Fragm. ὥστ᾿ ὄρνιθες ἱ [...]ρακος ὑπερπταμέυω; ähnlich bei Alkaeos, 27. Frag-
Wurzel kram, ſchreiten. Im Gothiſchen heißt das Kamel ulbandus und wird
dieſes offenbar mit Elefant identiſche Wort gewöhnlich als Beweis dafür vor-
gebracht, daß Namen großer Thiere oft ineinander überlaufen. Es ſchließt ſich gelſ.
olfend., ahd. olpenta an. Sprachlich iſt es nicht möglich, hiervon die Namen für
den Elefant, angelſächſ. ylpend, ahd. helfant, und das ſlaviſche Wort für Ka-
mel, velblud oder verbud, zu trennen. Ulfilas braucht dies Wort bei der Stelle
Marc. 10, 25, „es iſt leichter, daß ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe“. Nun gibt
es zwar eine chaldäiſche Redensart: einen Elefanten durch ein Nadelöhr bringen
(Buxtorf, Lex. Chald. Talmud. s. v. phila, citirt von Schleusner, Nov.
Lex. graeco-latin. in N. T. 4. ed. Tom I. s. v. κάμηλ᾿ος; weitere Belege ſ. in
dem unten erwähnten Aufſatz von Caſſel S. 16). Dieſe könnte Ulfilas bekannt
geweſen ſein und die Verwechſlung veranlaßt haben. Doch benutzt er das Wort
ulbandus auch Marc. 1, 6, und dies, ſowie der ſlaviſche Name für das Kamel
werden hierdurch nicht erklärt Es wurde alſo der Name wirklich übertragen, wie es
auch ſonſt noch vorkommt. So heißt der Moſchus, deſſen Namen im Skrt. durch
das Wort mushka, Hode, gegeben iſt, doch hier kasturi nach dem in Kleinaſien
bekannteren Biber; ſ. Laſſen, Indiſche Alterthumskunde 1. Bd. 2. Aufl. S. 368.
Ueber den Namen des Elefanten ſ. die vor dem Aufblühen der wiſſenſchaftlichen
Etymologie geſchriebenen Bemerkungen von A. W. von Schlegel in ſeiner In-
diſchen Bibliothek, Bd. 1. 1823. S. 241. Ueber den gothiſchen Namen des Ka-
mels ſ. auch den (freilich etymologiſch nicht ganz kritiſchen) Aufſatz von P. Caſſel,
Ulbandaos. Sonderabdruck aus den Märkiſchen Forſchungen Bd. IX. (1866).
erheben. Es iſt hier alſo ein auch ſonſt nicht ſeltener Wechſel in der Bedeutung ein-
getreten. Ueber das Huhn in der Bibel ſ. Bochart, Hierozoicum; Tom. II.
lib. I. cap. 16. — Ueber das Haushuhn ſ. auch Victor Hehn, Culturpflanzen
und Hausthiere in ihrem Uebergang aus Aſien nach Griechenland und Italien, ſo-
wie in das übrige Europa. Berlin 1870, S. 225.
3. Aufl. 2. Bd. S. 620-660. ferner: A. Baſtian, Das Thier in ſeiner mytho-
logiſchen Bedeutung. in: Baſtian u. Hartmann’s Zeitſchrift für Ethnologie.
1. Jahrg. 1. Heft. 1869. S. 45-66.
3. Bd. (Alte hoch- und niederdeutſche Volkslieder. 2. Bd. Abhandlung.) Stuttgart,
1866.
vogel: ἁλυπόρφυρος εἴαρος ὄρνις; 21. Fragm. Die Schwalbe erſcheint als Früh-
lingsbote in den χελιδονίσματα und ſelbſt in Vaſenbildern.
Carols, LIX, 19.
ſehen; nur aus den griechiſchen Lyrikern mag z. B. angeführt werden: λιγυφθόγ-
γος, ἰμερόφωνος, πολυκώτιλος, χλωραύχην u. ſ. w. Freilich werden bei Alk-
man auch die Rebhühner (κακκαβῖδες) γλυκυστόποι genannt. 60. Fragm.
Grimm's zu ſeiner Ausgabe des Reinhart Fuchs p. V.
πάντων.
und Prozeſſe mit allen Regeln der Kunſt angeſtrengt worden. Eine Zuſammenſtel-
lung ſolcher gibt Berriat de Saint Prix, Rapport et Recherches sur les
procès et jugemens relatifs aux animaux in: Mém. de la Soc. Roy. des An-
tiquaires de France. Tom. 8. Paris, 1829, p. 403-450. In England ſcheint
ſich dieſer Gebrauch noch weiter herab erhalten zu haben; ſ. Allgem. deutſche Straf-
rechtszeitung 1861. S. 32. Weitere Litteratur über dieſen culturhiſtoriſch intereſſan-
ten Gegenſtand ſ. in Geib, Lehrb. d. deutſchen Strafrechts. Bd. 2. S. 197 und
Oſenbrüggen, Studien zur deutſchen u. ſchweizer. Rechtsgeſchichte. Schaffhau-
ſen, 1868. VII. Die Perſonificirung der Thiere. S. 139.
beſonders niederdeutſchen Sprüchwörter; ſo eins der Skolien des Alkaios (16.
Fragm.): „Geradezu muß der Freund ſein und keine Schliche machen, ſagte der
Krebs und packte die Schlange mit der Scheere“. Andre Redensarten ſind gelegent-
lich verwendbare Bruchſtücke aus Fabeln geweſen; ſo τέττιγες χαμόθεν ᾄδωσιν
des Steſichoros, oder τέττιγα δ̕ εἴληφας πτεροῦ des Archilochos und das πόλλ̕
οἰδ̕ ἀλώπηξ deſſelben.
Fabel von Iſegrimms Begräbniß, nicht Reinekes (Grimm, Reinhart Fuchs, Ein-
leitung, p. CCXXI, und Lemcke's Jahrb. für romaniſche u. engl. Literatur, 9. Bd.
des H. Oeſterley enthält, findet ſich S. 139 unter Nr. XXI eine Fabel, wo ſich
der Fuchs, nicht der Wolf, in eine Schafhaut ſteckt, um Schafe und Lämmer beſſer
erwürgen zu können.
Wohlſtand haben bereits Tennemann (Geſchichte der Philoſophie, Bd. 1. S. 30),
neuerdings auch H. Th. Buckle (History of civilization in England. Vol. I.
Chapt. II. Leipzig, 1865, S. 38) aufmerkſam gemacht.
1839. P. 1. und Laſſen, Indiſche Alterthumskunde 1. Bd. 2. Aufl. S. 348,
367, 368.
jedenfalls zu einſeitig ausgebeutete Urtheil Schiller's (Ueber naive und ſentimen-
taliſche Dichtung) Werke, Ausg. in 12 Bdn. Stuttgart, 1847. 12. Bd. S. 178.
Von Neueren ſ. A. von Humboldt im Kosmos, 2. Bd. S. 6-25. Motz,
Ueber die Empfindung der Naturſchönheit bei den Alten. Leipzig, 1865. In letzter
Schrift wird die ungerechtfertigte Aeußerung Gervinus': „Das Alterthum
kannte keine Freude an der Natur“ (Geſchichte der deutſchen Dichtung. 4. Ausg.
Bd. 1. S. 132) ebenſo widerlegt, wie die von unrichtigen Vorausſetzungen aus-
gehende Abhandlung von Pazſchke, über die homeriſche Naturanſchauung,
Stettin, 1849. Gerechter iſt das Programm von E. Müller, Ueber Sophokleiſche
Naturanſchauung. Liegnitz, 1842.
ſtand erſt ſeit Pherekydes, dem erſten Proſaſchriftſteller (ungefähr 544 v. Chr.)
herauszubilden begonnen.
rung eines Hippocentaurs in Honig. Salz erwähnt er XXXI, 9 u. 10.
hundert wurden die Leichen der Könige von England in mit Wachs durchtränkte
Zeuge eingewickelt.
anim. VIII, 1. 4-8. (Aub. u. Wimm.). De gener. anim. I, 23. 103 (Aub. u.
Wimm.). De part. anim. IV, 5. 681 a, b.
niß der Thiere geben die Ausdrücke über Thierſtimmen. Siehe hierüber die Schrift
von Wackernagel, Voces animalium, deren erneute Herausgabe der Tod des
Verfaſſers wohl leider vereitelt hat. Nicht berückſichtigt hat Wackernagel eine reiche
Sammlung von Ausdrücken in: Fr. Guil. Sturzii opuscula nonnulla. Lipsiae,
1825 (8) p. 131-228. Bei Sturz fehlt: Isidorus Hispal., de sonitu avium
(auch anderer Thiere) Opera ed. Areval. Rom. 1801. Tom. IV. Etymol. p. 523.
Vincent. Bellovac., Specul. natur. lib. XXIII. cap. VI. Physiologus syrus
ed. Tychsen. p. 128.Aretin, Beiträge VII. S. 257, aus einem Freiſinger,
jetzt Münchner Codex des 11. Jahrhund. Auszüge aus griechiſchen Handſchriften
gibt: Iriarte, Regiae Biblioth. Matritensis Codices graeci. Tom. I. p.
306-314, 371 u. a. O. Ueber die Bezeichnung der Thierſtimmen in der Bibel und
und Abart. Leipzig, 1838. S. 10. J. B. Meyer, Ariſtoteles' Thierkunde. Ber-
lin, 1855. S. 348. ſ. auch Ariſtoteles, Hist. anim. I, 6. 33 (A. u. W.):
„τῶν δὲ λοιπῶν ζῴων οὐκέτι τὰ γένη μεγάλα οὐ γάρ περιέχει πολλὰ
(aus dem zweiten Targum zu Eſther 1, 2).
(ſo bei der Maulthiererzeugung, Hist. anim. VI, 23. 161); der hier zu Grunde
liegende Gedanke wird aber nicht weiter verfolgt. De gener. anim. II, 4. 53 ſagt
Ariſtoteles geradezu: μίγνυται δὲ ὧν ... τὰ μεγέ [...]η τῶν σωμάτων μὴ πολὺ
διέστηκεν. Ueber indiſche Hunde ſ. Hist. anim. VIII, 28, 167. und de gener.
anim. II, 7. 118.
und Cypselus u. ſ. w. Die verſchiedenen Alterszuſtände des Thunfiſches haben bei
Ariſtoteles und Plinius verſchiedene Namen.
trum und wenige Blätter ſpäter X, 19. 22 ſagt er nunc de secundo genere di-
camus, quod in duas dividitur species, oscines et alites, wo jedenfalls die letzt-
erwähnten Species weitere Abtheilungen bezeichnen als das erſtere Genus.
auch wird das Gleiche in der Miſchna (Sabbat. 5, 4) und bei deren Commentato-
ren zu dieſer Stelle erwähnt.
Aufſeher der kaiſerlichen Dromedare, magister pecoris camelorum (335 n. Chr.).
riker) „mit neun Wülſten“; es ſind aber jedenfalls die Streifen gemeint.
an, daß die Zucht meiſt nach dem Vater arte.
XVI, 6.
licherweiſe an Canis Zerda denken zu dürfen, welcher über Malta aus Afrika ge-
bracht worden wäre. Der Name Μελίτη kommt aber öfter vor, und es liegt daher
wohl näher, an eine griechiſche Raſſe kleiner Schoßhunde zu denken.
träge zur Geſchichte der Erfindungen 5. Bd. S. 446.
hauptet werden, ſ. auch Antigonus Carystius, Histor. mirabil. Cap. XXXIV.
Oppian's und Aelian's Verdienſte um die Naturgeſchichte in: Allerneueſte Man-
nigfaltigkeiten 2. Jahrg. 1783. S. 392.
den Flüſſen Acheloos und Neſtos in Thrakien vorgekommen ſein ſoll. Sundevall
(die Thierarten des Ariſtoteles. Stockholm, 1863. S. 47) hat gewiß Recht, wenn
er die in der Historia animalium des Ariſtoteles zweimal vorkommende Stelle,
worin dieſelbe Oertlichkeit mit Anführung derſelben Flüſſe als europäiſcher Wohn-
ort des Löwen bezeichnet wird (VI, 31. 178 u. VIII, 28. 165) als dem Herodot
entnommen annimmt. Plinius, der jene Angabe auch wiederholt, ſagt ausdrück-
lich: is tradit . . . inter Acheloum etc. Icones esse. Nun war zu Homer's Zeit
der Wolf das größte in Griechenland einheimiſche Raubthier, trotzdem daß in den
Homeriſchen Geſängen der den ioniſchen Griechen aus Vorder-Aſien (Syrien) be-
kannte Löwe als Sinnbild des Muthes und unbezähmter Kraft häufig vorkommt.
Jene Angabe des Herodot, die ſich auf eine kurz nach ſeiner Geburt (480 v. Chr.)
vorgefallne, aber erſt viel ſpäter, vielleicht in Thurii am Buſen von Tarent, nie-
dergeſchriebene Begebenheit bezieht, liegt aller Wahrſcheinlichkeit nach eine Verwech-
ſelung entweder ſeitens des Erzählers oder ſchon der dabei betheiligt geweſenen
Perſonen oder der Zwiſchenträger, durch die ſie zu Herodot's Kenntniß kam, zu
Grunde.
bliothek Bd. 1. 1823. S. 149.
III. Buch, Cap. 116. und andere Stellen.
terthumskunde 2. Bd. S. 651.
au grand Yu in: Journ. asiat. 3. Sér. T. 8. 1839. p. 337-382.
(Ashmolean Soc.) 1836.
bria sibi, nobis miracula, ingeniosa fecit natura. Selbſt Antigonus Karyſtius
hatte dem Kteſias gegenüber mehr Kritik, wenn er nach Anführung einer Erzählung
deſſelben in bezeichnender Weiſe noch hinzufügt: „διὰ δὲ τὸ αὐτὸν πολλὰ ψεύ-
δεσθαι, παρελε [...]πομεν τὴν ἐκλογήν“.
ſ. Erasm. Francisci, Oſt- und Weſtindiſcher Luſtgarten. S. 390.
Verbindung gebracht; doch können nur ganz einzelne Züge zu jenem abenteuer-
lichen Bilde verwendet worden ſein.
geſchickt haben, der bei AthenaeusXIII, Ausg. von Schweighäuſer, 5. Bd. S. 133
erwähnt wird. — In Bezug auf die in den Thierkämpfen erſchienenen Thiere ſ.
beſonders Mongez, Mém. sur les animaux promenés ou tués dans les cir-
ques. in: Mém. de l'Instit. Acad. d. Inscript. T. X. 1833. p. 360-460; und
hieran ſich anlehnend: Friedländer, Darſtellung aus der Sittengeſchichte Roms
2. Thl. (1. Ausgabe) S. 332.
Stelle aus Plinius (VIII, 19. 28) bezieht ſich gar nicht auf den lynx des Plinius,
ſondern auf ein Thier, was er chama oder chaus, die Gallier rufius nennen, un-
ſern Luchs, den er weiterhin (VIII, 22. 34) lupus cervarius nennt.
Indien Gold graben. Sie werden größer als die Füchſe geſchildert, auch wird ihrer
Felle gedacht. Schon Nearchus ſagt aber, daß ſie ſich Höhlen graben und dabei zu-
fällig Gold aufwühlen (ſ. Arrian, Hist. Ind.). Vergl. auch Graf Veltheim,
Von den goldgrabenden Ameiſen und Greifen. Helmſtädt, 1799.
l'Acad. d. Inscr. T. XXX, 1760. p. 334; auch auf einem Wandgemälde eines
Columbarium der Villa Panfili. ſ. O. Jahn, in: Abhandlg. d. K. Bayer. Akad.
Philoſ. hiſt. Kl. Bd. 8. 1858. Taf. I. Fig. 1.; ferner auf Münzen, und zwar vor-
chriſtlichen der Cyrenaika (ſ. Liebe, Gotha numm. S. 393), wo Cavedoni, der
das Thier für eine Giraffe hält, jedenfalls Recht hat gegen Liebe und Eckhel, und
auf alexandriniſchen aus Antoninus Pius' Zeit. Wegen des Sarkophags ſ. Bullet.
dell' Istit. arch. 1858. p. 40; ferner ebend. p. 125
wahrſcheinlich, daß Antigonus Caryſtius Recht hat, wenn er den κήρυλος als Männ-
chen von ἀλκύων bezeichnet. Im Ariſtoteles kommt er nur einmal vor (Hist.
anim. VIII, 3. 47).
ſagt Ariſtoteles, de partibus III, 10. 673 a.
führt werden, erwähnt Andromachus, Leibarzt des Kaiſers Nero, in ſeinem berühm-
ten Theriak: θηριακὴ δἰ ἐχίδνων.
ἐκλογαῖς τῶν Ἀνατομῶν) eine Stelle, wo letzterer erzählt, in Paphos ſei eine
Schlange mit zwei Füßen, denen des Landcrocodils (Stellio) ähnlich, geſehen wor-
den. Ob hier eine unvollſtändige Beobachtung einer Skinkoiden-Form zu Grunde
liegt?
der Moſella des Auſonius u. a.
ſoll auf Ausonius, Mosella, verwieſen werden. Dort heißt es V. 89: et nullo
spinae nociturus acumine Redo.Böcking erklärt dies als „grätenlos“, und
darauf hin ſuchen Schäfer (in der Moſelfauna) und Florencourt (Jahrbücher
d. Rheinl. V. u. VI. S. 202) den Redo unter den Knorpelfiſchen, etwa Neunauge
oder Pricke. Nun weiſt ſchon Forcellini auf eine Stelle in den Halieutica des
Ovid (?) hin, wo es V. 128 heißt: et spina nocuus non Gobius ulla. Gobius
iſt aber ein bekannter Grätenfiſch. Ferner ſagt Plinius vom Araneus, einem
nicht näher zu beſtimmenden Seethier, (nach Cuvier der Fiſch Trachinus vipera):
spinae in dorso aculeo noxius (IX, 48. 72). Es kann daher in der Stelle des
Auſonius das „spinae acumine nullo“ nur heißen: „ohne Rückenſtachel“. Es über-
ſetzt aber nun weiter eine althochdeutſche Gloſſe (11. Jahrhundert, Haupt, Zeitſchr.
f. deutſch. Alterth. Bd. 9. S. 392) redo mit munewa. Für muniwa gibt ſchon
Graff die Form munwa. Dieſer mittelrhein. Name, der auch in der Physica der
h. Hildegard vorkommt, wird von Nau (Oekon. Naturgeſch. d. Fiſche um Mainz.
1787) in der Form „Mulbe“ einem Cyprinoiden beigelegt, der in dem ganzen Fluß-
gebiet des Rheins gefunden wird, dem C. aspius. Hiernach iſt es mindeſtens nicht
unwahrſcheinlich, daß Redo dieſer Fiſch, dagegen ſicher, daß es kein Knorpelfiſch iſt.
andern Gründen vermuthet, Auſonius unter Silurus den Stör verſtanden, aber
in Folge einer Verwechſelung den Wels beſchrieben habe, ſchon durch die Worte:
„velut actaeo perducta tergora olivo“, V. 135.
ſich geben, in ſeinem Archiv, 1857. S. 249, wo die Beobachtungen der Alten kri-
tiſch zuſammengeſtellt ſind.
lib. IV, cap. 31. (p. 67. ed. Miller): Αἰγῶν δὲ κἂν ἐπιπάσῃ τις κηρωτῇ τὰς
ἀκόας φασὶ θνησκειν μετ̕ ὀλίγον ἀναπνεῖν κωλυομένας. Ὁδὸν γὰρ αὐταῖς
ταύτην εἶναι λέγουσι τοῦ δἰ ἀναπνοῆς ἑλκομένου πνεύματος.
Elemente führt Ariſtoteles in derſelben Schrift an, I, 1. 642 a.
V, 1. 3; I, 23. 100; II, 8. 127; V, 1. 14.
1, 2; III, 6, 66. Die letzte Angabe wiederholt Plinius, aber nicht vom Wieſel,
ſondern von Eidechſen und fügt auch hier hinzu: Ariſtoteles negat. Hist. nat. X,
65, 85.
1854. S. 69 u. 70.
partibus, III, 4, 665a; de gener. anim. II, 4, 64; II, 4, 67; II, 6, 86; II,
8, 126; IV, 1, 4; V, 8, 95; V, 8, 101.
τὸ οὗ ἕνεκα; auf ſie alle führt der Phyſiker das διὰ τί zurück.
lichen Sinnes an in ſeinem Buche: Ariſtoteles. (Ueberſetzung) S. 111. ſ. auch
J. B. Meyer, Ariſtoteles' Thierkunde. Berlin, 1855. S. 508.
κατὰ τὸν λόγον οὕτως ἔχειν φαίνεται, ἀλλὰ καὶ κατὰ τὴν αἴσθησιν.
προτέραν τὴν ὕλην ἀναγκαῖον εἶναι καὶ τὴν γένεσιν, τῷ λόγῳ δὲ τὴν οὐσίαν
materielle Bild verſteht, nach welchem die Materie ſich ordnet, da er unmittelbar
darauf ſagt, daß der λόγος des Hausbauers den λόγος des Hauſes enthalte. Noch
deutlicher wird dies durch ſolche Stellen, wie de partibus I, 1, 641a: ὥστε καὶ
οὕτως ἂν λεκτέον εἴη τῷ περὶ φύσεως θεωρητικῷ περὶ ψυχῆς μᾶλλον ἢ
περὶ τῆς ὕλης, ὅσῳ μᾶλλον ἡ ὕλη δἰ ἐκείνην φύσις ἐστὶν ἢ ἀνάπαλιν. Was
das δἰ ἐκείνην heißt, wird klar, wenn gleich die nächſten Worte ſagen: καὶ γὰρ
κλίνη καὶ τρίπους τὸ ξύλον ἐστίν, ὅτι δυνάμει ταῦτά ἐστιν, wo v. Frantzius
falſch überſetzt „weil es durch [Künſtlers] Kraft das iſt“, während ſchon Gaza richtig
wiedergibt: quia idem potentia illa est.
Schöll, Geſchichte der griech. Literatur, 2. Bd. S. 156; letzterer nennt im fran-
zöſiſchen Original (III, p. 258) dieſe Meinung ſogar „plus vraisemblable“, auf
welche Angaben geſtützt, hat er nicht angeführt.
des Philolaus für 100 Minen oder auch für drei Talente gekauft haben. ſ. Stahr,
Ariſtotelia. 1. Bd. S. 116, 2. Bd. S. 289.
gonus Caryſtius anführt, ſind nur wenige erhalten, und manches davon ſicher nicht
mehr in der urſprünglichen Form.
ſtoteles nichts vorkomme, was auf Selbſtbeobachtung oder gar Zergliederung des
Elefanten zu ſchließen nöthigte (Kosmos, 2. Bd. S. 428), wenngleich freilich
andrerſeits auch die Unmöglichkeit ſolcher nicht zu beweiſen iſt. Die Angaben über
das Schlafen des Elefanten, die ſchwankenden Angaben über die Zeit der Ge-
ſchlechtsreife deſſelben machen indeß Humboldt's Anſicht eher wahrſcheinlich. Für
den Strauß gilt daſſelbe; die drei Stellen, wo Ariſtoteles denſelben erwähnt (de
partibus, IV, 14. 697b, de gener. anim. III, 1. 5., hist. anim. IX, 15. 88)
laſſen nicht mit Gewißheit auf eigne Anſchauung ſchließen.
kunde.
gerathen ſind, wonach Ariſtoteles geſagt haben ſoll, der Hinterkopf ſei leer (Hist.
anim. I, 7. 39. I, 16. 66, de partibus II, 10. 656b), während er doch das kleine
Gehirn (παρεγκεφαλίς) beſchreibt, hat bereits Sonnenburg, Zoolog. krit. Be-
merkungen zu Ariſtoteles Thiergeſch. Bonn, 1857 nachgewieſen und berichtigt.
über nicht auf ſpätere Zeiten gekommene Schriften deſſelben ſ. E. Heitz, Die
verlornen Schriften des Ariſtoteles. Leipzig, 1865. S. 70 und 220 flgde.
S. 363): „Wenig von griechiſcher Litteratur wäre nach Byzanz gelangt und die mo-
derne Bildung bodenlos geworden, wenn nicht eine dichte Kette von Gelehrten recht
emſige Studien der in Alexandria gehäuften Bücherſchätze unter den Ptolemäern
und noch lange nach ihrem Ausſterben betrieb“. Iſt auch das letztere in Bezug auf
die hiſtoriſche Gründung der modernen Cultur richtig, ſo ſcheint doch der Weg über
Byzanz, wenigſtens für die Naturwiſſenſchaften, nicht bewieſen werden zu können.
er allein habe, trotzdem er ſonſt knochenlos ſei, zwölf Knochen „ad similitudinem
talorum suillorum in ventre connexa et catenata,“ was Ariſtoteles nicht gewußt
habe. Cuvier bezieht die Angabe unbedenklich auf Aplysia. (Hist. d. scienc.
natur. T. 1. p. 287).
zoologiſche Schriften verfaßt hat, geht aus ſeiner Apologie hervor. So erzählt er im
37. Kapitel, daß Sophokles der Geiſtesſchwäche angeklagt, ſeinen Richtern als ein-
zige Vertheidigung ſeinen Koloneus vorgeleſen habe, und fährt dann fort: cedo
enim experiamur, an et mihi possint in iudicio litterae meae prodesse. Lege
pauca de principio, dein quaedam de piscibus.
gemäß angeſtellt, vor ſich gehabt hat, iſt ſchwer zu entſcheiden. Er ſpricht zwar von
„οἱ διχοτομοῦντες“, „διαιρούμενοι εἰς δύο διαφοράς“, „συμβαίνει τοῖς διαι-
ρουμένοις τὸ μὲν ἄπτερον κτλ“; es kann hier aber beides gemeint ſein (de par-
tibus 1, 2 und 3, 642b und 643b).
wiederholt angeführtes Werk enthält im erſten Theile
auch eine Geſchichte der Anſichten über Ariſtoteliſche Syſtematik.
mit andern „Flugthieren“, aber nicht mit „Vögeln“. Die in letzterer Bezeichnung
liegende Verwechſelung war ſicher volksthümlich. Antigonus Caryſtius führt von
der Fledermaus an, ſie habe allein unter den Vögeln (μόνον τῶν ὀρνέων) Zähne.
So braucht ferner Plinius (IX, 28, 44) den Ausdruck piscis als gleichbedeutend mit
Waſſerthier, wogegen Ariſtoteles niemals ἰχθύς mit ἔνυδρον verwechſelt.
bringt: „die mit Haaren bedeckten Thiere, z. B. der Menſch und das Pferd, und die Wale, wie
der Delphin, die Robbe und die Phalaena“ (Hist. anim. III, 20, 99) will Meyer
ſo leſen, daß er „καὶ φώκμ“ verſetzt und hinter das vorausgehende καὶ ἵππος, zu
denen bringt, ὅσα τε τρίχας ἔχει. In zwei Leipziger Handſchriften des Wilhelm
von Moerbeke ſteht: sicut delphis et balaena et bos marinus; in einer Hand-
ſchrift des Michael Scotus dagegen findet ſich nur:..pilos habent sicut homo
et equus, et cete sicut delphinus et kolli (ſoll koki heißen) Albertus Magnus
ſagt in dem dieſer Stelle entſprechenden Abſchnitt im 3. Buch, (Opera ed. Jammy,
T. VI. p. 150b): pilos autem habet homo et equus et hujusmodi;.. adhuc
suum et delphinus et id quod vocatur chochi(oder koki, wie es in einem Ve-
netianer Druck von 1495 heißt). Dieſes Thier nun nennt er (p. 655b, koki): vi-
tulus marinus, de hoc jam superius diximus, quod vocatur latine helcus.
Das Wort helcus fehlt im Ducange. „Kuki“ kommt im Damiri und Kazwini vor
und iſt nach Freytag's Lexikon: nomen piscis unicornis et validi. Um die frag-
liche Stelle mit andern in Uebereinſtimmung zu bringen, wäre wohl das nächſtlie-
gende ſtatt φώκη zu leſen φώκαινα an welches Wort ſich vielleiht die Abſchreiber
wegen der zweimal hintereinander vorkommenden Endung —αινα geſtoßen haben.
Füßen, Flügeln u. ſ. w. aufgefaßt zu haben, er wendet den Ausdruck „Fuß“ nur
für eine Form des Bewegungsorgans an (ſ. de incessu anim. cap. V. 706a,
26-32). Er ſagt von den Fiſchen: (de partibus VI, 13. 695b): ἐπεὶ δ̕ ἔναιμα
ἐστι κατὰ τὴν οὐσίαν, διὰ μὲν τὸ νευστικὰ εἶναι πτερύγια ἔχει, διὰ δὲ τὸ
μὴ πεζεύειν οὐκ ἔχει πόδας. Zu vergleichen iſt auch Hist. anim. I, 5, 31.
liotis ſein könne, wie Meyer und Aubert es bezweifeln, iſt nicht recht einleuchtend.
Ariſtoteles ſagt an der Stelle (Hist. anim. IV, 4, 51), bei den übrigen (nämlich
den einſchaligen) treten die Excremente ſeitlich aus, durch einen Kanal, bei dem
Meerohr aber unterhalb der Schale (ὑποκάτω τοῦ ὀστράκου) aber doch immer auf
der Seite. Aubert und Wimmer wollen ſtatt ὑποκάτω leſen δἰ αὐτοῦ; dies würde
die Anſicht, daß hier Haliotis gemeint iſt nur beſtätigen; denn τετρύπεται heißt
doch nur durchbohrt, nicht mit einem Loche verſehen. Es wird alſo geſagt, mag
nun die eine oder die andere Leſung richtig ſein, beim Meerohr tritt das περίττωμα
ſeitlich aus und zwar unmittelbar an der durchbohrten Schale. Dies paßt auf keinen
Fall auf Fissurella.
nigs Juba (ſtarb 23 oder 24 n. Chr.) ſcheint nach den bei Plinius u. a. vorkom-
menden Citaten wirklich zu bedauern zu ſein.
Cuvier ſpricht ſich im Ganzen noch richtiger über Plinius aus.
Nürnberg 1811.
daß Plinius ſelten oder nie die Ariſtoteliſchen Schriften angeſehen oder benutzt
habe, ſondern daß Alles, was er den Ariſtoteles bezeugen ließ, aus Fabianus Papi-
rius und Pompejus Trogus übernommen ſei. Dieſer Angabe folgt auch Stahr
(Ariſtotelia 2. Bd. S. 98). A. von Gutſchmid weiſt aber nach, daß Plinius,
deſſen Kenntniß des Griechiſchen übrigens eine ſehr mäßige war, neben dem Trogus
auch den Ariſtoteles ſelbſt eingeſehen habe. Beſonders geht dies z. B. aus der Pa-
rallelſtelle (Hist. nát. XI, 39, 94 und Aristot., de gener. anim. IV, 5, 774a) her-
vor, wo neben dasypus, dem ariſtoteliſchen Wort für den Haſen noch lepus ge-
nannt wird. ſ. A. von Gutſchmid, Ueber die Fragmente des Trogus Pompeius.
Leipzig, 1857 (beſonderer Abdruck aus dem 2. Suppltbd. der Jahrbücher für claſ-
ſiſche Philologie).
handl. d. K. Sächſ. Geſellſch. d. Wiſſ. Philol. hiſt. Kl. 2. Bd. 1850. S. 263.
§ 9 (p. 21), cap. 12. § 2. (p. 25).
quondam solidissima tellus esse fretum.
ed. Seidel, p. 28-33; G. Bernhardy, Eratosthenica, p. 46-48. Appu-
lejus, Opera, ed. Hildebrand. T. II. p. 534 (Apologie,cap. 41). Tertul-
liani[ ]lib. de pallio, ed. Claud. Salmasius. Lugd. Bat. 1656. cap. II. p. 6:
Mutavit et totus orbis aliquando, aquis omnibus obsitus: adhuc maris con-
chae et buccinae peregrinantur in montibus. Origenes, Philosophumena.
ed. Miller. p. 19. (περὶ Ξενοφάνους)
der Bedeutung des Wortes Kosmos, welches bei den alten Schriftſtellern ſtets die
wohlgeordnete, ſchöne Welt, das Weltganze bezeichnet. Schon im neuen Teſtament
wird es zur Bezeichnung der irdiſchen Welt gegenüber der himmliſchen verwendet,
und bei den frühen chriſtlichen Schriftſtellern wird dieſer Kosmos zum Ausdruck für
die zu fliehende Sündenwelt.
S. 442.
Namen Baſaniſtes erhielt, ſpricht den gebornen Sklaven jede Fähigkeit zu höheren
menſchlichen Geſinnungen ab. Macrobius verhandelt ganz ernſtlich darüber, ob
die Sklaven überhaupt Menſchenrang hätten und ob ſich die Götter um ſie küm-
merten. Saturn. I, 11. vergl. Burckhardt, a. a. O. S. 427.
monde remain. Strasbourg, 1853. S. 64 u. a. a. O.
chem die für Geſchichte der Naturwiſſenſchaften merkwürdigen Erzeugniſſe der erſten
zehn bis zwölf chriſtlichen Jahrhunderte entſtehen konnten. Ein volles Bild des
Culturlebens der abendländiſchen Menſchheit ließ ſich nur auf weiteren Umwegen
erlangen. Für viele Partien fehlen noch Vorarbeiten. Von Werth waren hier neben
der erwähnten Schrift von C. Schmidt die Arbeiten von Ozanam, la civilisa-
tion chrétienne chez les Francs. (Oeuvres. T. IV) Paris, 1855. Léon
Maitre, Les Écoles épiscopales et monastiques de l'Occident depuis Char-
lemagne. Paris, 1866H.Heppe, Das Schulweſen des Mittelalters. Mar-
burg, 1860. Böck, Die ſieben freien Künſte im elften Jahrhundert. Donauwörth,
1847. H.Kämmel, Artikel: „Mittelalterliches Schulweſen“ in: Schmid, En-
cyklopädie des geſammten Erziehungs- und Unterrichtsweſens. 1. Bd. Gotha,
1865. S. 766-826.
benutzte wohl zuerſt Otto von Freiſing im 12. Jahrhundert. ſ. Pertz, Monumenta.
Scriptores, Vol. XX. p. 96. (Wilman's Einleitung zum Chronicon des Otto).
Wie E. Böttger bemerkt (Jahn's neue Jahrbücher für Philol. 13. Suppltbd.
1847. S. 592) und wie ſchon Caspar Barth (in den Adversar. comment.)
andeutet, kannte er wenigſtens chriſtliche Meinungen.
gus mit Berückſichtigung der wichtigſten Fragen, jedoch mit Ausſchluß der natur-
hiſtoriſchen hat Pitra gegeben in: Spicilegium Solesmense. Tom. III. p.
XLVII-LXXX. Eingehend iſt die Einleitung von C. Hippeau in ſeiner Aus-
gabe des Bestiaire divin. (ſ. u.). Eine anziehend geſchriebene Schilderung der
hiſtoriſchen Stellung des Phyſiologus, welche ſich vorzüglich an Pitra und die noch
zu erwähnende Arbeit von Cahier anlehnt, enthält der Aufſatz von Kolloff,
die ſagenhafte und ſymboliſche Thiergeſchichte des Mittelalters in F. v. Raumer's
hiſtor. Taſchenb. 4. Folge, 8. Bd. 1867. S. 171-269. Vergl. auch den kurzen
aber ſehr hübſchen Aufſatz von Thierfelder, eine Handſchrift des Physiologus
Theobaldi beſchrieben und mit einer Abhandlung über die ſogenannten Phyſiolo-
gen u. ſ. w. in: Serapeum von Naumann, 1862. Nr. 15 u. 16. S. 225-231.
241-249. Mehrere der betreffenden litterariſchen Nachweiſungen verdanke ich der
Gefälligkeit des Herrn Dr.Hügel, welcher mit einer Geſchichte des Phyſiologus be-
ſchäftigt iſt.
γία ἐκ τοῦ περὶ κοσμογονίας ἤρτηται λόγου [...] ἐνθένδε ἀναβαίνουσα ἐπὶ τὸ
θεολογικὸν εἰδος. Clémens, Opp. ed. Potter, Oxonii 1715. Stromat. lib. IV.
p. 564. vergl. Pitra, a. a. D. S. 2. Dies iſt die ſogenannte ἄνω θεωρία.
sali Ponce de Leon otium Antverpiae, 1588. 8. mit eingedruckten Kupfern, Dar-
ſtellungen der Thiere enthaltend. Hiervon ſind drei Handſchriften in Wien. — Das
Gedicht des Manuel Phile aus Epheſus († 1321) περὶ ζῴων ἰδιότητος hat
zwar einige Züge des Phyſiologus aufgenommen; doch fehlt ihm ſowohl die Mo-
raliſation als die Beſchränkung auf einen gewiſſen Kreis von Thieren.
syriace e codice bibl. Vatic. ed. O. G. Tychsen. Rostochii, 1795. 8. Eine
andere Handſchrift eines ſyriſchen Phyſiologus aus dem 12. Jahrh. in Leyden be-
ſchreibt Land (Anecdota Syriaca T. I. p. 5). Das Original wird dem Baſilius
zugeſchrieben. Ich verdanke der Güte des Prof. Land das Inhaltsverzeichniß dieſes
Phyſiologus, welches ihn als vollſtändiger hinſtellt, als den vaticaniſchen. Ueber
einzelnes Merkwürdige ſ. unten. Eine ſyriſche Historia Animalium (Handſchrift
im British Museum, add. Mss. 25878), deſſen Inhaltsverzeichniß mir gleichfalls
Prof. Land gütigſt mitgetheilt hat, ſcheint nicht in die Reihe der eigentlichen Phy-
ſiologi zu gehören.
arabiſcher Phyſiologus, deſſen Original dem „Theologen Gregorius“ zugeſchrieben
wird, befindet ſich handſchriftlich in Leyden. ſ. de Jonge, Catal. codd. orient.
bibl. Acad. Scient. Lugd. Bat. 1862. p. 186
ſchrift des äthiopiſchen Phyſiologus, welcher 48 Thiere enthält. Abgeſehen davon,
daß der „Fiſalegos“ hier zu einem Heiligen gemacht wird, iſt Form und Inhalt mit
der älteren griechiſchen Form nahe übereinſtimmend. Die Thiernamen ſchließen ſich
eng an das griechiſche Original, ſo karâdyôn, Charadrios, nîkîtîko, Ryſtiſorax,
fîneks, Phoenix aspadaklônî, Aspidochelone u. ſ. w. Ich verdanke der großen Ge-
fälligkeit des Herrn W. Wright die Kenntniß von Form und Inhalt dieſer Bearbei-
tung, welche bei einer vergleichenden Ueberſicht der Entwickelung der verſchiedenen
Recenſionen eingehend berückſichtigt zu werden verdient.
Tom. VII. Romae 1835. p.
589-596.Pitra, a. a. D. p. 418-419.
et Martin, Mélanges d'Archéologie, d'histoire et de littérature. Tom. 2.
Paris, 1851. Introduction, p. 85-100. Texte (altfranzöſiſch und lateiniſch) p.
106-232. Tom. 3.1853. p. 203-288. Tom. 4. 1856. p. 55-87. (mit Thier-
abbildungen im 2. Bde)
Archiv für Kunde öſterreich. Ge-
ſchichtsquellen. 3.Jahrg. 1850.Bd. 2. S. 541-582. Mit Facſimile der Thierbilder
hat darauf aufmerkſam gemacht, daß der bei Hildebert abgedruckte Phyſiologus
nicht von dieſem herrühre, ingleichen, daß er ſchon früher gedruckt worden ſei. Ueber
die Ausgaben des Theobald ſ. Choulant, Handbuch der Bücherkunde für die
ältere Medicin. Leipzig, 1841. S.310.
Auch Pitra verweiſt ihn in die Zeit des Conſtantinus Africanus a. a. D. p. LXXI.
2. Bd. Leipzig, 1840. S. 99-120; dann von Wright nochmals in deſſen und
Halliwell Reliquiae antiquae. Vol. I. London, 1841. p. 208-227; endlich
in Mätzner u. Goldbeck, Altengliſche Sprachproben. Bd. 1. Abth. 1. Berlin,
1867. S. 55-75; mit einer litterarhiſtoriſchen Einleitung
the dialect of Suffolk“.
le tout par figures et histoyres. Paris, s. a. 4°, von neuem gedruckt: Paris,
1529. 4. vergl. Thierfelder im Serapeum, 1862. S. 231.
Denkmale, Breslau, 1824. S. 50-56. dann von Hoffmann, Fundgruben.
1. Thl. Breslau, 1830. S. 17-22; endlich neuerdings in Müllenhoff und
Scherer, Denkmäler deutſcher Poeſie und Proſa. Nr. LXXXI. S.199-203.
Der vollſtändige Phyſiologus erſchien zum erſtenmale in Hoffmann's Fundgru-
ben, a. a. D. S. 22-37; faſt gleichzeitig in Graff's Diutis Bd. 3. 1829.
S. 22-39; dann in Waßmann's deutſchen Gedichten des zwölften Jahrhun-
derts. 2. Thl. Quedlinburg u. Leipzig, 1837. S. 311-325.
Sprachdenkmale des zwölften
Jahrhunderts. Mit 32 Bildern (den Thierzeichnungen) Wien, 1846. S. 71-106.
aus dem 13. Jahr-
hundert. Der treuen Theilnahme meines lieben Freundes des Prof. Theodor Mö-
bius in Kiel verdanke ich ein lithographirtes Facſimile dieſes merkwürdigen Stückes
mit einer Ueberſetzung, ohne welche ich den koſtbaren Schatz nicht hätte heben kön-
nen. Möchte er ſeinen Vorſatz bald ausführen, dieſen intereſſanten Beleg für die
geographiſche Verbreitung des Phyſiologus herauszugeben.
Göttingen, 1857. S. 233-238.
provençale. Elberfeld,
1868. Sp. 325-330
Wright,
Popular treatises on science written during the middle ages. London, 1841.
p. 74-131; nach einem Cottonian Manuſcript in London. Eine andere Hand-
ſchrift findet ſich in Kopenhagen. ſ. Abrahams, Descript. des Manuscr. franç.
du moyen âge de la bibl. roy. de Copenhague. Copenh. 1844. Nr. XIX. p. 44.
einer der benutzten Handſchriften wird auch hier
Johannes Chryſoſtomus als Verfaſſer des Originals genannt.
aussi des oyseaulx. Paris, s. a. 4°. wieder abgedruckt: Paris, 1830. 8°.
peau. Paris, 1860.
in: Mélanges d'Archéol. a. a. D. Hieran würde ſich der leider nicht veröffentlichte
metriſche Volucrarius des Guillaume Osmont ſchließen, welcher ſehr beliebt und
verbreitet geweſen ſein muß, da noch im 15. Jahrhundert Johann de Beauveau,
Biſchof von Angers eine proſaiſche Umarbeitung deſſelben unternahm. ſ. Roque-
fort, de l'état de la poésie franç. dans les XII. et XIII. siècles. Paris,
1815.
p. 254. 255. Hist. littér. de la France par les Bénédict. de St. Maur. T. XVI.
Paris, 1825. p. 220.
Erwähnung dieſes Baumes gründet,
iſt mir nicht gelungen zu ermitteln. Die Allegorie nimmt den Baum für Gott, den
Schatten für den heiligen Geiſt und bezieht ſich auf Luc. 1, 35. Mit der Bezeich-
nung des Baumes ſtehen vielleicht in Zuſammenhang die Worte des Clemens Alex.
(Opp. Potter, Strom. lib. VI. p. 791): ὁ περιδέξιος ἡμῖν καὶ γνοστικὸς ἐν
δικαιοσύνῃ ἀροκαλύπτετας δεδοξασμένος. Die Fabel reicht bis ins vierzehnte
Jahrhundert. Die einzige Stelle, an welche man des verwandten Sinnes wegen
denken könnte, findet ſich bei Plinius (XVI, 13, 64. Sillig), wo es heißt, daß die
Schlangen den Baum fraxinus, ſelbſt deſſen Schatten fliehen.
Original, die Thore ſeien von Ekdach אֶקְדַּח , von קַדָח, entzünden. Vermuthlich
gründet ſich das Vorhandenſein der lapides igniferi, λίθος πυροβόλος, turrobo-
len, cerobolim in den Phyſiologis auf dieſe Stelle, in einer nicht nachweisbaren
Uberſetzung. Die LXX hat λίθος κρυστάλλος; daß Kryſtall mit Karfunkel über-
ſetzt wurde (wie bei Schleusners. v. κρυσταλλον, wo er anführt: „ אֶקְדַּח ,
car-
bunculus“) iſt doch nicht entſcheidend; auch hat die Vulgala lapides sculpti.
(Opera ed. Delarue. T. II. p. 107)
heißt es: nam physiologus de catulo leonis haec scribit. Dieſe Homilie iſt
allerdings nicht mehr im griechiſchen Original, ſondern nur in der lateiniſchen
Ueberſetzung des Rufinus erhalten; doch ſteht die Aechtheit derſelben, wie mir mein
verehrter Freund Tiſchendorf mittheilt, außer Zweifel.
lib. I. Tom. III. (Opera ed. Petavius. p. 274). Auf dieſe Stelle hat ſchon Ponce
Physiologus syrus; auch beginnt ein griechiſcher (Handſchrift
des 15. Jahrh.): όν ἐστι κατὰ τὸν νόμον ἡ ῖβις· κολυμβᾶν οὐκ οἦδε
u. ſ. w.
(bei Mätzner a. a. O.) aufmerkſam gemacht.
und Koloff. Ferner MmeFélicie d'Ayssac, sur les bestiaires in: Revue
d'architecture. Tom. 7. 1847. p. 48. 66. 97. 123. 177. 321.
de monstris et belluis (Handſchrift des 10. Jahrhunderts).
im 10. Jahrhundert in der altisländiſchen Poeſie, mit dem perſiſchen Namen
Phil benannt wird, welcher wohl ſicher mit der Verbreitung der Alexanderſage nach
Norden gekommen war. Das hier über den Elefanten Geſagte iſt aber von den an-
dern Phyſiologis verſchieden und ſchließt ſich an die Elefanten im 1. Maccab.3,34;
8, 6, beſonders aber 6, 37 an.
nem narrant Ariſtoteles et Plinius.Ariſtoteles ſagt aber nur (de gener. anim.
4, 95:) τὰ μὲν ἀδιράθρωτα σχεδὸν γεννᾷ καθάπερ ἀλώπηξ ἄρκτος λέον.
Heider ſchreibt dem Ponce de Leon nach: „dies erzählen in gleicher Weiſe Ariſto-
teles und Plinius“ (a. a. O. S. 553), ohne ſich von der Unrichtigkeit dieſes Citats
überzeugt zu haben.
übrigens bei Plutarch, wie ſchon Ponce de Leon angibt.
Londoner Manuſcript eines ſyriſchen Thierbuches wird wie es ſcheint dieſelbe Ge-
ſchichte vom „Elolo“ erzählt. Letzteres iſt aber der Schakal. Es würde alſo hier eine
ähnliche Stellvertretung des Fuchſes durch den Schakal vorliegen, wie in der
Thierfabel.
Hierozoicon. I. col. 1067. ſ. auch Lewyſohn, die
Zoologie des Talmud. Frankfurt a. M. 1858. S. 98.
avis diversicolor und nach ihr Luther: ein ſprenklichter Vogel. Der Göttweiher
lateiniſche und die althochdeutſchen Phyſiologi führen Jeſaias an, die andern latei-
niſchen (älteren), der griechiſche (bei Pitra), die altfranzöſiſchen citiren richtig Jere-
mias. Heider erwähnt, daß die Stelle ſich nicht bei Jeſaias finde; ein Blick in
eine Concordanz würde ihm den Fehler gezeigt haben.
Paris, 1721. Tom. I. p. 68); Euſtathius im Commentar zum Hexaemeron
(ed. Leo Allatius. Lugduni, 1729. p. 19). Der Name ἀσπιδοχελώνη kehrt über-
all wieder, zum Theil verſtümmelt, aspidohelune, aspis, ſyriſch espes, angelſäch-
ſiſch fastitocalon, in einer Leipziger lateiniſchen Handſchrift fastilon, isländiſch
aspedo. Den im altfranzöſiſchen proſaiſchen Phyſiologus des Pierre Picard vor-
kommenden Namen Lacovie betrachtet Cahier als Umwandlung von Maclovie
und bringt ihn mit der Legende in Verbindung, nach welcher S. Malo (Maclovius)
auf dem Rücken eines ſolchen Walfiſches die Meſſe geleſen haben ſoll.
25. Fragm.
beginnt: Datur cetus in mari dictus aspis
(espes) quae ipsa illa testudo est. Für testudo ſteht im Texte
golo; und dies
iſt das hebräiſche Wort גל [...]ם, was die LXX mit χελῶναι
überſetzten.
den Worten ein: ἔστιν ἡ ἄλλη φύσις τοῦ ὀνάγρου, ὅτι ἐν τοῖς βασιλείοις εὑ-
ρίσκεται. Doch iſt weder in den Büchern der Könige, noch in denen Samuelis
noch in der Chronika eine hierauf anwendbare Stelle zu finden. Den koptiſchen Mo-
natsnamen führt übrigens auch Abdallatif (Relation de l’égypte. par S. de Sacy.
p. 140) an, der ihn durch Adar erklärt, wie der griechiſche Phyſiologus beim Phö-
nix; ebenſo überſetzen ihn mehrere der ſpäteren mit März.
ſetzer geben es aber als Wieſel.
ράδριος iſt Bochart's Conjectur zu berückſichtigen, daß der Ueberſetzer אגפה geleſen
habe. a. a. O. Tom. II. 4. col. 340.
Pſalm 102, 7 wird πελεκάν für קאת gegeben, welches neuere hebräiſche Ueber-
ſetzer oder Exegeten mit תנשמת erklären. Dies letztere Tinſemeth iſt Ardea stella-
ris, aber auch das Chamaeleon (Bochart). Es ſcheint alſo auch unter קאת ein Vo-
gel verſtanden worden zu ſein, der neben andern Eigenthümlichkeiten auch durch
die Farbe Aufmerkſamkeit erregte. Nun wird 2. Moſe 26, 14 und 29, 34 vorge-
ſchrieben, dem Tabernakel Hüllen von Widderfellen, über dieſe eine zweite zu geben,
welche die LXX δέρματα ὑακίντινα, die ſyriſche Peſchito „pelles arietum sos-
ganno“ nennen. Iſt es möglich den althochdeutſchen Ausdruck mit dieſem ſyriſchen
Worte hiſtoriſch-traditionell zu verknüpfen? Die Etymologie des Siſegoum iſt
ſehr unſicher.
ὡσεὶ κορώνη μεμονωμένη entſprechen der griechiſch-alexandriniſchen Ueberſetzung
von Jerem. 3, 2 ſo genau, daß nicht daran zu zweifeln iſt, letztere Stelle ſei ge-
meint. Sie lautet: ἐκάθισα αὐτοῖς ὡσεὶ κορώνη ἐρημουμένη (Ausgabe von
Tiſchendorf).
Möglichkeit einer hieraus entſtandenen Verwechſelung gedenkt Cahier (Mélanges
etc. T. 3. p. 264).
übrigen Phyſiologi ſpricht aber dafür, daß das ſyriſche Wort a̔rîm hier nur „ſchlau“,
„klug“ heißt.
enthaltene, der Hyäne angefügte Notiz, daß auch die Fulica ein unreiner, das Ge-
ſchlecht wechſelnder Vogel ſei, iſt in Bezug auf Urſprung und Deutung wahrſchein-
lich darauf zurückzuführen, daß die Chaſida 3. Moſe, 11, 19 unter den unreinen
Vögeln aufgezählt wird.
Das Wort Aſſida gieng in die mittelalterlichen Thierbücher über. Der althochdeut-
ſche Phyſiologus ſagt naiv: Struthio; das Thier heißt Strauß, im griechiſchen
heißt es Aſida; ganz ähnlich Thomas von Cantimpré. Papias führt es im
Vocabular an, und zwar einmal: Aſida Wido (das iſt milvus des Hieronymus),
dann Asida animal est, quod graeci struthiocamelon latini strutionem di-
cunt. Man ſieht, wie lange die verſchiedenen Auffaſſungen nachwirkten.
aber aus Servius zu Virgilius, Georgica III, 422 (timidum caput abdidit ille)
und lautet: Serpentes caput etiam si duobus evaserit digitis nihilominus
vivit. Die Stelle iſt im Plinius, ſo weit er erhalten iſt, nicht zu finden.
Mommſen) nach Plinius.
periit eo quod non haberet praedam; Luther: der Löwe iſt umgekommen.
aufmerkſam. Er findet ſich im S. Mary Magdalen College in Oxford, Nr. 27
(nicht 32, wie Pitra angibt). Der Güte meines Freundes Max Müller verdanke ich
des Florinus der Leipziger Bibliothek, den Freytag erwähnt (Analecta p. 967)
und deſſen Inhaltsverzeichniß bereits Thierfelder a. a. O. mitgetheilt hat, iſt
völlig verſchieden. Er enthält 119 Thiere in fortlaufenden Diſtichen und trägt die
Unterſchrift: Magister Florinus composuit. Explicit Physiologus. anno do-
mini 1493. Er beginnt mit Homo. Bos. Ovis. Aries. Agnus. Hedus. Hircus.
Capra u. ſ. f. Ebenſowenig gehört zu den Phyſiologen die Schrift eines Unge-
nannten aus dem 11. Jahrhundert: περὶ ζῴων τινῶν ἰδιότητος, welche
Matthaei in den Ποικιλα Ἑλληνικα. Moskau, 1811 herausgegeben hat. Es
werden 53 Thiere geſchildert; drei fernere Beſchreibungen ſind nicht erhalten. Sie
iſt der bereits erwähnten Schrift des Manuel Phile verwandt (ſ. S. 112. Anm. 12).
57. ed. Worth) καὶ περὶ μὲν τούτου ἐν τῲ περὶ ζῴων ἀκριβέστερον ἡμῖν
συντέτακται. und p. 82: τίνος δὲ χάριν οὐ τῷ δυνατωτέρῳ προσέρχῃ δεσ-
πότῃ, θεραπεύεις δὲ μᾶλλον αὐτὸν ὥσπερ ὁ μὲν κύων διὰ πόας, ὁ δὲ ἔλα-
φος δἰ ἐχίδνης, ὁ δὲ σῦς διὰ τῶν ἐν ποτάμοις καρκίνων, ὁ δὲ λέων διὰ τῶν
πιτήκων. Aehnliches kommt ſehr vielfach vor; ſo die Selbſtheilung der Hunde und
Löwen ganz wie hier bei Cyrillus Alexandrinus, περὶ ζῴων ἰδιότητος. (Gre-
gorii Nazianzeni Carmina selecta. Romae 1590. p. 95. v. 14-17.))
Wie ſchon die Ueberſchrift erkennen läßt (Excerptio de Hexaemeron Ambrosii, lib.
5. de natura bestiarum et piscium) und der Inhalt beſtätigt, gehört ſie entſchie-
den nicht in die Reihe der Phyſiologi.
(438). Zaccaria, Storia polem. delle proibizione de' libri p. 33 (38). Wei-
tere Citate gibt Jaffé, Regesta Pontific. Romanor. p. 56. no. 378.
De Trinitate: Si quis contra traditionem canonis haereticorum apocrypha,
quae ecclesia catholica omnino non recipit, super haec praeponere vel de-
fendere voluerit, anathema sit. Hierzu bemerkt P. F. Chifflet (Ausgabe von
Victoris Vitensis et Vigilii Tapsensis, provinciae Bizacenae episcoporum
opera. Divione 1664. Notae p. 149), daß der hier erwähnte Kanon wohl der des
Pabſtes Gelaſius vom Jahre 494 (6) ſei. Ein „ Jurensis codex pervetustus“
legt denſelben dem Hormisda bei. Da dieſer Codex den Kanon „tum ordinatius
tum emendatius“ enthält, druckt er ihn ab (p. 149-156). Alle übrigen Hand-
42. Epiſtel (ungefähr um 865) das Decret demſelben zu (p. 157). Nach Chiff-
let's Anſicht iſt nun das Decret von Gelaſius als concilii totius canon ausge-
gangen, von Hormisda als decretale pontificium beſtätigt worden. Vergl. auch
die Notiz von Labbé in: Mansi Collect. Concilior. VIII. p. 531.
Miscellan. ed. Mansi T. II. p. 39) werden von Cap. LIII bis LXXI zunächſt das
Solatium avium spiritualium, dann die significationes von Vögeln, Schlangen
und Säugethieren angeführt.
ſymboliſchen Beziehungen von zwanzig Vögeln auf, zu denen er auch die Fleder-
maus rechnet. ‒ Weiteres iſt bei Pitra, Spicilegium. Tom. III. zu finden.
wöhnlich dem Hugo a S. Victore zugeſchrieben wird und in deſſen Opera (1516)
Tom. II. fol. CCXLI v. ſich findet. Sie iſt indeß nach Casimir Oudin (Com-
ment. de Scriptor. eccles. Tom. II. p. 1107), dem die Herausgeber der Histoire
littér. de la France (Tom. XIII, p. 498 und Tom. XVI. p. 422) folgen, von
drei verſchiedenen Verfaſſern, Hugo de Folieto, Alanus ab Inſulis und Gulielmus
Perrotenſis.
der erſten Hälfte
des 8. Jahrhunderts gegründet. Aus ihr gieng unter andern Schülern einer her-
vor, den Häſer (Geſchichte der Medicin, 2. Aufl. 1. Bd. S. 128) irrig Jbn
Schdinatha und einen der berühmteſten arabiſchen Aerzte und Naturforſcher nennt.
Es iſt dies die Stelle aus Abulfaragii Hiſt. dynaſt. ed. Pococke, S. 200,
Ueberſetzung S. 128, wo der unter Manſur lebende Jude, Phorat Ibn Schonatha
(oder Forat Jbn Schachnaſa, wie ihn Hammer von Purgſtall, Literaturgeſch. d.
Araber I, 3. S. 270 nennt) einfach als Schüler dieſer Schule angeführt wird. vergl.
über die Stelle bei Häſer: E. Meyer, Geſch. der Botanik 3. Bd. S. 92, wo der
Irrthum bereits berichtigt wird.
ſtandes. Anfangs nur bildungsfähige Materie (intellectus possibilis) wird der
Verſtand, wenn der Gedanke mit dem Gedachten eins wird, wenn wir in dem Ge-
danken die innere Form des Gegenſtandes erfaſſen, gebildeter, geformter
Verſtand (intellectus formatus). Lernen wir dieſen Verſtand bewahren und durch das Sy-
ſtem der Gedanken, bereichert mit andern Arten des Verſtändniſſes, das
ganze Sy-
ſtem der Formen darſtellen, dann wird es erworbener Verſtand (intellectus adep-
tus). Dies iſt der Urſprung des Wortes Adept in ſeinen verſchiedenen
Bedeutungen.
vergl. Ritter, die chriſtliche Philoſophie. Bd. 1, ein Werk, welches zu obiger, wie
der vorausgehenden Schilderung vielfach benutzt wurde.
den Arabern kaum gefunden. Ihre Quellen waren Ariſtoteles und Galen. Unter
der Liſte ſelbſtändiger Werke wird zwar auch eine Anatomie der Flugthiere erwähnt
werden. In welchem Verhältniß aber die nur dem Titel nach bekannte Schrift zu
einer wirklichen Anatomie der Vögel ſteht, iſt nicht zu entſcheiden.
weitere Entwickelung der Schulen und Akademien, deren
Schilderung hier zu weit führen würde, vergl. Wüſtenfeld, die Akademien der
Araber und ihre Lehrer. Göttingen, 1837. Haneberg, Ueber das Schul- und
Lehrweſen der Muhammedaner im Mittelalter. München, 1850. E. Meyer, Ge-
ſchichte der Botanik. 3. Bd. S. 19 flgde, 102 flgde.
wurde: Wüſtenfeld, Geſchichte der arabiſchen Aerzte
und Naturforſcher. Göttingen, 1840. Einzelnes iſt nach Hammer Purgſtall,
Handſchriften. Wien, 1840 (aus dem 61-88. Bde der Wiener Jahrbücher) und
Hadſchi Khalfa ergänzt. Es lag indeß nicht in der Abſicht, Vollſtändigkeit zu
erreichen.
Auszüge hat Casiri, Bibl. Escurial. 892, 896 gegeben. ſ. Hammer-Purg-
ſtall, Handſchriften. S. 127. Nr. 151. Auch Bochart citirt es oft.
treff der von Ibn Wahſchijah angeblich überſetzten Nabatäiſchen Landwirthſchaft zu
zweifeln begonnen hatte, hat neuerdings A. v. Gutſchmid die Betrügerei
des
Mannes aufgedeckt: Die nabatäiſche Landwirthſchaft und ihre Geſchwiſter in: Zeit-
ſchrift d. deutſch. morgenländ. Geſellſch. 15. Bd. 1861. S. 1 108. Ueber das oben
angeführte Werk ſ. Wüſtenfeld, a. a. O. S. 39.
erwähnt ein zoologiſches Buch des Meſue citirt, hat ſoviel man weiß, ſelbſt kein ſol-
ches geſchrieben.
White. Oxford, 1800. deutſch von S. F. Günther Wahl. Halle 1790. franzöſiſch
von Sylv. de Sacy, Paris, 1810.
Naturgeſchichte“ und führt die daraus gedruckten Bruchſtücke an.
Purgſtall, Handſchriften S. 95. Nr. 124. „Mantik At-
tair“. Es iſt dies eins der Hauptwerke der Schufiten, neuerdings
herausgegeben
und überſetzt von Garcin de Taſſy. Text: Paris, 1857. Ueberſetzung:
1864.
Bruchſtück iſt abgedruckt in Tych-
ſen, Elementale arabic. p. 41.
Haîwân al Kubrâ lil Damiri. Bulaq, a. H. 1275 (a. Chr.
1857). 2. Bde Fol. 436 u. 480. SS. Die Auszüge ſind verzeichnet bei
Wüſten-
feld a. a. O. S. 155. Ein vollſtändiges Verzeichniß der in lexikaliſcher Art
abge-
handelten Thiere gibt Hammer-Purgſtall, a. a. O. S. 132. Nr. 153.
bus medicis animalium. ed. Abr. Ecchellensis. Paris, 1647 mit Anmerkungen
von J. Eliot, London, 1649 oder Leyden, 1699. Ich habe das Buch nicht
geſehen.
Farſi el Ißtachri. Aus
dem Arabiſchen überſetzt von A. D. Mordtmann. Hamburg 1845 (Schriften
der Akademie von Ham, 1. Bd. 2. Abth.).
aber etwas erzählt, was nicht erlaubt iſt, wieder zu erzählen; denn derjenige, der
etwas läugnet und nicht berichtet, iſt eher zu entſchuldigen als derjenige, der
etwas
als wahr erzählt was er nicht weiß.
Payet de Courtelle. Paris, 1863. T. I. II. III.
et la Chine etc. publié par Reinaud. Paris, 1845. 2 Vols. Einige zoolo-
giſche Erläuterungen ſind von Roulin beigegeben.
1836, 40. 4° (Recueil des Voyages publ. par la Soc. de Géogr. T. 5. 6).
Purgſtall, a. a. O. S. 129, finde ich keine nähere Angabe über das Werk.
hatte (a. a. O. S. 149), einzelne Auszüge auch von de Sacy in der Chresto-
mathie arabe mitgetheilt waren, iſt jetzt bereits der erſte Theil einer vollſtändigen
deutſchen Ueberſetzung erſchienen: Zakarija ben Muhammed ben Mah-
mud el-Kazwini's Kosmographie. Nach der Wüſtenfeld'ſchen Textausgabe
zum erſten Male vollſtändig überſetzt von Herm. Ethé. Die Wunder der Schö-
pfung 1. Halbband. Leipzig, 1868. 8°. Möchte das lange mit Spannung erwartete
Werk einen günſtigen Fortgang nehmen! Vielfache Citate aus Kazwini (wie aus
Damiri, Dſchahif u. a.) führt Bochart im Hierozoikon an. Wie Hammer-
Purgſtall mittheilt (a. a. O. S. 142), iſt Kazwini's Werk auch in's Perſiſche
überſetzt worden.
publié par Mehren. St. Pétersbourg,
1866. 4°.
Oder ſollte Aſſeidalani verſtellt ſein aus Sandalani, der Apotheker? vergl.
E. Meyer, Geſchichte der Botanik. Bd. 3. S. 123.
braeam transtulit Kalonymus a. Chr. 1316 (Bochart).
claſſiſch-griechiſcher nichtariſtoteliſcher Litteratur, in: Hermes von Hübner,
4. Bd. 1. Hft. 1869. S. 74. 75.
Lipsiae, 1842. p. 130.
u. Naturf. S. 18. 19. Es wurden 19 Bücher gezählt, da außer den neun Büchern
Thiergeſchichte bekanntlich noch das zehnte, ſchon von Camus als unächt erkannte
Buch dieſer Schrift, ferner die vier Bücher über die Theile und die fünf über die
Zeugung und Entwickelung der Thiere angereiht wurden.
Nouv. éd. 1843. p. 131.
Pariſer Schülern und Lehrern: legant libros Aristotelis de dialectica tam ve-
teri quam de nova in scholis ordinarie et non ad cursum; non legantur
libri Aristotelis de metaphysica et naturali philosophia nec summa de eis-
dem. vergl. Bulaeus, III, p. 82.
mit Figuren der Thiere. Frhr. von Freyberg, Aelteſte Geſchichte von Tegernſee.
München, 1822. S. 179.
führt, daß Aidemir ben Ali Dſchildeki dieſes Buch commentirt habe (14. Jahrhun-
dert). Die Astrologia apotelesmatica des Apollonius überſetzte Honein ben Iſhak
in's Arabiſche. vergl. Wenrich, a. a. O. S. 240. 239.
Wenrich, a. a. O. S. 238, während Flügel im Hadſchi Khalfa (VII. 645) für
Plinius ſich entſcheidet.
betreffenden Nachweiſungen der Güte des Herrn Prof. Fleiſcher, welcher jetzt
gleichfalls überzeugt iſt, daß BelinusApollonius iſt. Durch Vergleichung der dem
Belinus zugeſchriebenen Stellen kommt auch L. Leclerc zu derſelben Anſicht. ſ.
Journal asiatique. 6. Sér. Tom. 14. 1869. p. 111-131.
mythiſchen Ruf und wurde in das Zeitalter Conſtantin's verſetzt. Burckhardt,
die Zeit Conſtantin d. Gr. S. 467. In Bezug auf die Perſon und Geſchichte des
Apollonius kann hier nur auf die Schriften von Baur und Ed. Müller, ſowie
auf den Aufſatz von Wellauer in Jahn und Klotz, Archiv für Philol. und
Pädag. 10. Bd. (Neue Jahrbb. 10. Supplbd.) 1844. S. 418 verwieſen werden.
de eodem et diverso (verfaßt zwiſchen 1105 und 1116), daß die Philoſophen die
der ſinnlichen Betrachtung ſich darbietenden Dinge, inſofern ſie verſchiedne Namen
haben und der Zahl nach verſchieden ſind, Individuen nennen, wie Socrates,
Plato u. a. Betrachten ſie aber dieſelben Dinge nicht nach der Verſchiedenheit, ſon-
dern inſofern ſie unter demſelben Namen begriffen werden, ſo nennen
ſie dieſelben Species. ſ. Hauréau, De la philosophie scolastique. Paris,
1850. T. I. p. 253. Dieſelbe Stelle franzöſiſch bei Jourdain, Recherches etc.
2. éd. p. 267.
wird dem Onager, als τῶν μωνύχων (sic) τῶν ἄλλων μόνος, ein Aſtragalus,
eine Gallenblaſe und ein Horn zugeſchrieben. Im Ruodlieb kommen gezähmte
Wildeſel vor: mites onagri domitique. ſ. Latein. Gedichte des X. und XI. Jahr-
hunderts. von J. Grimm u. Schmeller. S. 146. B. 168.
dert wahrſcheinlich die kleine, jetzt noch exiſtirende Raſſe. Bei Verproviantirung der
Flotte ergab ein Stück nur das Gewicht von vier Centnern, auch noch weniger.
Rogers, History of Agriculture and Prices. Vol. I. p. 328.
wird. ſ. Langethal, Geſchichte der teutſchen Landwirthſchaft. Bd. 1. S. 258.
Baſtarde von Schaf und Ziegenbock heißen bei Iſidor von Sevilla tityrus.
von Sevilla: burdo ex equo et asina. ſ. auch Anton, Geſchichte der teutſchen
Landwirthſchaft. Bd. 1. S. 427.
wuth angegeben.
13. Jahrhund. Bd. 7. S. 72) „erkannte in dem Walde bei Hagenau ein Hirſch eine
Kuh, die nachmals einen Hirſch geboren haben ſoll“ (1294).
tovinen gebe es ein hirſchartiges Thier, aus deſſen rauhhaariger Haut ein Kleid ge-
fertigt werde, das nach Art einer Tunica bis aufs Knie reiche. Histor. Longobard.
I, 5; überſetzt von O. Abel, S. 13. Das Rennthier ſchildert Gaſton de Foix
noch aus den Pyrenäen über ein Jahrtauſend nach Cäſar unter dem Namen Ran-
gier oder Ranglier (nach Wildungen's Taſchenbuch für 1805 und 1806. S. 5).
Bujack, Geſchichte des preuß. Jagdweſens. Königsberg, 1839. S. 17. Zu dem
Elch gehört wohl auch das „Helim“ der Hildegard; ebenſo das Elo vel Schelo,
was Otto d. Große in einer Urkunde für den Biſchof Balderich von Utrecht erwähnt
(ſ. Bujack in den Preuß. Provinzialblättern, Bd. 17. 1837. S. 99).
daß in Zürich eine zahme Wölfin zwei rothe Wölfe, zwei weiße Jagdhunde und drei
gefleckte Hunde verſchiedener Art geworfen habe. Seit 959 iſt in England kein Wolf
mehr geſehen worden, weil der König Edgar von ſeinem Vaſallen Ludwal 3000
Wölfe gefordert habe, wodurch ſie innerhalb vier Jahren in England vertilgt wur-
den. ſ. Klein, Natürl. Ordnung der vierfüßigen Thiere. herausgeg. von Renger
S. 74.
Rogers, a. a. O. Vol. 2. S. 647. Die am letzteren Orte erwähnten Pelzarten
ſind ſchwer zu deuten, miniver iſt Hermelin, dagegen bugeye, stanling und po-
pul unbekannt.
auch zwei Affen: simia nare brevi, nate nuda murcaque cauda, voceque mil-
vina, cute crisa catta marina. a. a. O. S. 145. B. 131 u. 132.
Schwäne werden im 13. und 14. Jahrhundert in England gehalten. Rodgers,
a. a. O. Vol. 1. S. 340. Ueber Taubenhäuſer ebenda S. 326.
XI. Jahrhund. von J. Grimm u. Schmeller. S. 146. Fragm. III. B. 172.
J. G. Schneider. Tom. I. p. 97: de ciliatione seu bluitione falconum, p. 162:
de mansuefactione falconum cum capello.
von Kolmar. a. a. O. S. 110. Nr. 19.
S. 68. Auch in England pflegten die Mönche die Fiſchgewäſſer, Teiche und Behäl-
ter. Es wird auch angegeben, daß ausländiſche Fiſche nach England eingeführt
worden ſeien, ſo die Aeſche, greyling, der Karpfen und die Forelle. S. Rodgers,
a. a. O. Vol. 1. S. 607, 608, 614.
nes Todes ebenda S. 52.
lex 29.
Bezug auf das Regal der Störe ſ. auch Weinhold, altnordiſches Leben. S. 71.
S. 689.
Kunſt Fiſche
zu fangen zeigt. Er bedient ſich dabei einer Ruthe und des pulvis
buglossae. a. a.
O. S. 183. Fragm. XII. B. 11. 12. Fragm. XIII. B. 1. Was dieſe buglossa
ſei, iſt kaum zu ermitteln. In Aldrovandi, Quadruped. digit. vivip. lib. II.
p. 342 wird bei der Felis civeta eine Pflanze angeführt:
aelurogonum Magorum
i. e. Buglossa. In einem mediciniſchen Recept aus einer Handſchrift des
15. Jahr-
hunderts in Königsberg findet ſich: Lapatia acuta idem quod buglossa. ſiehe
Haupt, Zeitſchr. für deutſch. Alterthum. Neue Folge. 1. Bd. 2. Hft. S. 382.
Unter Lapatia acuta verſtand man in den Apotheken bis neuerdings
noch verſchie-
dene Chenopodium-Arten. — Darf man dabei an den πλόμος
des Ariſtoteles den-
ken (Hist. anim. VIII, 132. Aub. u. W.)? Plinius überſetzt
Verbascum, 25, 8, 54.
zu geben, will ich
zunächſt Silurus und Esox anführen. Nach Anton (a. a.
O. Bd. 1. S. 21) ſoll
Silurus der Haufen ſein (in früheren Gloſſarien escarus), esox der Lachs, letzte-
res auch im Gloſſar bei Lindenbrog, a. a. O. S. 1395. und bei
Albertus
Magnus. Es wird aber nicht bloß in ſüddeutſchen Gloſſen ipocus und esox mit
Huſe überſetzt (Graff's Diutiska, III, 154), ſondern Conrad von Megenberg
überſetzt esox haizt ain haus, und in einer Tegernſeeer Urkunde heißt es gleich-
falls membranae de esonibus quae dicuntur Husenwambe
(Freyberg, a. a.
O. S. 153). Silurus ſcheint auch bei der H. Hildegard (Physica) eine Störart zu
ſein. Der Wels erhält hier wie bei Ruodlieb ſeinen deutſchen Namen
walsa und
welza. Der Hecht iſt lucius, auch lupus aquaticus. Sprachlich intereſſant wegen
der deutſchen Fiſchnamen iſt überhaupt die citirte Stelle im Ruodlieb. Manche
ſonſt vorkommende Namen ſind aber kaum zu deuten. Die bei Rodgers,
a. a. O.
Vol. 1. S. 616 erwähnten ling, melyng, grelyng, haburdenne, cropling ſind
allerdings wohl nur Alterszuſtände oder Varietäten des Gadus
Morrhua. Was
aber Wemelinge und Munretten ſind, welche Anton, a. a. O. Bd. 2. S. 362
erwähnt und welche auch bei Seibertz, Landes- und Rechtsgeſchichte
des Her-
zogth. Weſtphalen. 1. Bd. 3. Abth. 3. Thl. S. 250 vorkommen, weiß ich nicht.
Aehnlicherweiſe ſind auch ſpäter vorkommende Trivialnamen, wie ſie z. B. bei
Hirſch, Handels- und Gewerbsgeſchichte Danzigs. 1858. S. 154, Note 418 vor-
kommen, zum Theil Altersbezeichnungen für Fiſche, welche den
Küſtenbewohnern
ohnehin bekannter waren, z. B. Halfwaſſen, Croplinge, Lothfiſche, Tydlinge, Ra-
kelfiſche, Ore. Daß die Bewohner der Küſtenländer überhaupt mit Fiſchen ver-
trauter waren, beweiſt unter Andern die in Holland im Jahre 1350 übliche Be-
zeichnung politiſcher Parteien als Huik und Kabeljau.
bau) Bd. 152. S. 45.
p. 30. Anm. 91. „Rat, Ritter! Zehen Vögel guot.“ Antwort: „der drit ein Bien“.
Ferner die Ameiſe. ſ. geiſtlicher Vogelgeſang, bei Wackernagel, ebend. S.
49.
Jahrhundert ſelten geweſen zu
ſein, denn Honig und Wachs waren theuer. ſ. Rodgers, a. a. O. Vol. 1. S. 18
und 66.
Text, Tit. XXII) und p. 448. (Dritter Text, Tit. XXI) cap. 9.
rede S. IX und S. 4.
De mensura orbis terrae .. par Dicuil, suivies du texte restitué. Paris,
1814. p. 30, 40, 47, 48, 49, 52 u. a. O., wo meiſt Julius, d. i. Solinus als
Gewährsmann für Angaben über Thiere in Deutſchland, Africa, über Elefanten
Indiens und der Inſel Taprobane u. ſ. w. angezogen wird.
ſten Aufzeichnung der Alexanderſage; von Jul. Zacher, Halle, 1867.
zurückzuführen, wonach die Hindus in Europa früh bekannt geweſen ſeien. ſiehe
Mone, Anzeiger. 2. Jahrg. 1833. S. 164. Vergl. auch die ſelbſtändige, im
Mittelalter öfter vorkommende Erzählung von den Oxydraken im Alexander des
Pfaffen Lamprecht. Ausgabe von Weismann. 1. Bd. S. 259 flgde, V. 4609
bis 4952.
mens ſ. M. Müller, Lectures on the science of language. 2. Series. Lon-
don, 1864. S. 536 flgde.
geglückt, die Stelle im Saxo aufzufinden. Münſter führt die Inſel Pomonia,
quae haud procul abest a Scotia versus aquilonem als Aufenthaltsort der
Baumgans an, alſo die Orkney-Inſeln.
Leibnitz, Scriptores rerum Brunsvicens. I. p. 1004: „ad confinium al-
baciae de Faverethsam“, ſoll wohl heißen abbatiae. Er nennt den Vogel Bar-
neta.
tibus earumque natura in: Anglica, Hibernica, Normannica, Cambrica a
veteribus scripta etc. Francofurt. 1602. p. 706. Er führt zuerſt den Genuß
dieſer Vögel in den Faſten an, tadelt denſelben und meint, man hätte da auch von
Adams Fleiſche eſſen dürfen, da auch er nicht de carne natus geweſen ſei.
Francos. Hanoviae, 1611. p. 1112.
1574. fol. 248 V. „pomi violati e tondi alla guisa di una zucca, da quali
quando sono maturi esce fuori un' uccello“. Dieſelbe Geſchichte erwähnt bei
gleicher Gelegenheit Sir John Maundeville, the voiage and travaile etc. ed.
by J. O. Halliwell. London, 1839. p. 264.
in insulis Orcadum forma anserculorum proveniente. Francofurti, 1619.
Michael Mayer war Leibarzt Rudolph's II und wurde als ſolcher Pfalzgraf.
Einen Auszug aus ſeiner Schrift gab Joh. Johnstonus, Thaumatographia
naturalis Amstelod. 1661. p. 277-292. Die Stelle im Plutarch findet ſich:
Ausgabe von Reiske. Bd. 8. S. 521. Dela Faille führt in einem Aufſatz
(Mém. prés. Acad. d. Scienc. Paris T. 9. 1780. p. 331.) Plinius und Aelian
als Gewährsmänner an; in beiden findet ſich nichts einſchlägliches.
trium navigationum admirandarum ad Septentrionem. Amstelod. 1598. fol.
15. (dritte Reiſe). Er nennt die Vögel barniclae oder Rotganſen.
und ſiebenzehnten Jahrhunderts ſ. G. Funck (resp. G. Schmidt), de avis
britannicae vulgo anseris arborei ortu et generatione. Regiomonti. 1689.
und J. E. Hering (resp. Joh. Junghans) de ortu avis britannicae. Wite-
bergae, 1665.Schneider führt in den „Litterariſchen Beiträgen zur Naturge-
ſchichte aus den Alten“ S. 36 an, Guettard ſage, daß Alexander ab Alexandro
zu dem Märchen Veranlaſſung gegeben habe, wovon die Muſchel den Namen habe.
Doch kann dieſer Schriftſteller als viel zu ſpät gar nicht in Betracht kommen.
fand die Stelle in den Opera P. Damiani ed. Constantinus Cajetanus. Bassani,
Kabbala. Leipzig, 1852. S. 48, aus dem Schulchan Aruch bei Lewyſohn, Zoo-
logie des Talmud. Frankfurt a. M. 1858. S. 362. Hier wird übrigens Jacobus
de Vitriaco (episcopus acconensis) zu einem episcopus atheniensis.
partibus hanc consecuta est dignitatem ut ex arborum ramis volucres pro-
deant“.
Sohar. Leipzig, 1851. Loria, מַֽאַמר קךְמוּת ס֞ זֹהַר (Abhandlung über das hohe
Alter des Buches Sohar) Johannisburg, 1857. Die Unterſuchung Loria's, welche
mir mein verehrter College Dr. Fürſt zugänglich gemacht hat, führt zu dem Reſul-
tate, daß der Sohar ſchon vor dem babyloniſchen Talmud (um 500), einzelnes jeden-
falls ſchon zu den Zeiten Simeon ben Jochai's (zweites Jahrhundert) entſtanden iſt.
Zum erſten Male vollſtändig nach den beſten Ausgaben deutſch mit einem Kom-
mentar von Aug. Bürck. Leipzig, 1845. 80. italieniſch in: Ramusio, Secondo
Volume delle Navigationi et Viaggi. Venetia, 1574. Fol. Ich habe beide Aus-
gaben benutzt.
27. v. Obige Ueberſetzung nach Bürck, S. 313.
Intereſſant iſt auch die verſchiedene Schilderung des Moſchusthieres bei den einzel-
nen Schriftſtellern des Mittelalters zu vergleichen.
Paris, 1853. p. 601, macht darauf aufmerkſam, daß bei dieſem Berichte Marco
Polo's wohl an den Aepyornis gedacht werden könne.
The voiage and travaile. reprinted from the edition of 1725, with an Intro-
duction by J. O. Halliwell. London, 1839. Manches iſt nicht unintereſſant;
ſo die Erwähnung der künſtlichen Bebrütung, der Brieftauben (clovers) in Sy-
rien; anderes iſt aber aus dem Alterthume herübergenommen, wie daß die
Schlangen auf Sicilien (Cilicien?) die rechtmäßigen Kinder ſchonen, die unehelichen
tödten; die großen albaneſiſchen Hunde, welche Löwen angreifen; dann die bereits
erwähnten fabelhaften Menſchen. Statt der ſchwarzen Hühner mit katzenfellartigem
Haar erſcheinen hier weiße Hühner mit Wolle ſtatt der Federn. Manches geht durch
das ganze Mittelalter, wie das nur vom Geruch gewiſſer Aepfel lebende Zwergvolk,
die goldbewachenden Ameiſen, das Fehlen der Fiſche in dem libyſchen Meer, weil
dort das Waſſer wegen der großen Sonnenwärme beſtändig im Kochen ſei u. ſ. w.
möchte.
1802. S. 7, hiſtor. Vergleichung der Sitten u. ſ. w. des Mittelalters. Bd. 2. 1793.
S. 406. und Andere vor Häſer (Geſchichte der Medicin. 2. Aufl. S. 281) her-
vorgehoben haben.
diene folgende Stelle aus der Schrift: De secretis operibus artis et naturae et
de nullitate magiae. Hamburg, 1518. p. 30: Et ideo homo potest facere
virtutem et speciem extra se quum sit nobilior aliis rebus corporalibus, et
praecipue propter dignitatem animae rationalis, et nihilominus exeunt spi-
ritus et calores ab eo sicut ab aliis animalibus. Et nos videmus, quod ali-
solo visu et lupus reddit raucum si prius videat hominem, et hyaena intra
umbram suam canem non permittit latrare, sicut Solinus de mirabilibus
mundi narrat et alii Auctores ... et equae impregnantur in aliquibus regnis
per odorem equorum ut Solinus narrat.
avibus. ed. J. G. Schneider. T. I. II. Lipsiae, 1788, 89. 4°.
Canto X: Qua entro è lo secondo Federico.Michael Scotus wird noch
tiefer in der Hölle mit den Wahrſagern, Necromanten u. ſ. w. zuſammengeſtellt:
l'Inferno, Canto XX:
Quell' altro che ne' fianchi è cosi poco,
Michele Scotto fu, che veramente
Delle magiche frode seppe il giuoco.
ductions latines d'Aristote. Nouv. édit. Paris, 1843. Die erſte, 1819, erſchie-
nene Ausgabe hat Stahr 1831 überſetzt.
Original verfaßte Ueberſetzung von Otto von Freyſing erwähnt; ſ. S. 105.
Anm. 5.
beide Ausgaben von Jourdain nicht erwähnt, welcher dagegen eine Ausgabe Vene-
dig, 1509 anführt.
p. CXXVI.
75) anführen (nach Zachariae itiner. litter. per Italiam, p. 95) und wie von
Muccioli, Catal. Codd. MSS. biblioth. Malatest. Caesen. Vol. II. p. 41
beſtätigt wird.
τικά u. ſ. w. iſt bei ihm: adhuc haec quidem cavernosa etc.; ἔτι τὰ μὲν
ἀμυντικὰ τὰ δὲ φυλακτικά heißt: adhuc haec quidem amintica haec autem
silactica. Oder weiter im 13. Kapitel des erſten Buches, wo die Ausdrücke bifies,
monofies, itron (ἦτρον), epision, cholas, diazoma, cotilidon herübergenommen
werden ohne Ueberſetzung. — Ich beſitze von einem Theile der Thiergeſchichte in
dieſer Ueberſetzung Abſchrift nach zwei auf der Univerſitätsbibliothek befindlichen
Handſchriften. Proben der Ueberſetzung hat auch Jourdain, a. a. O. S. 426
flgde, gegeben.
bildung im chriſtlichen Abendlande. Leipzig, 1856. S. 23.
temporis libri duo (olim: Bonum universale de Apibus) Opera et studio
Georg. Colvenerii. Duaci, 1597. Vita Thomae Cant. ex operibus ejus
conscripta.
jahr an; auch dieſe Angabe iſt nach den im Bonum universale enthaltenen Anga-
ben nicht haltbar.
Schrift von 1230 bis 1244 geſchrieben ſei. ſ. Horae belgicae, T. I. S. 36.
derer Chroniken über daſſelbe Ereigniß. In der Chronik des Christianus Massaeus
Cameracensis wird der Abfaſſung der Schrift über die Bienen beim Jahre 1269
gedacht.
mas de Cantimpré indiqué comme une des sources ou Albert le Grand . .
ont puisé. in: Bull. Acad. Bruxell. T. XIX. P. 1. 1852. p. 132.
Conrad von Megenberg S. XXXI) hält dies wie es ſcheint für ſicher.
büttel, La Haye, Utrecht, Lüttich und Namur. Pitra bringt hierzu noch zwölf
(Spicil. Solesm. T. III. p. LXXVI. Anm.): ſieben in Paris, eine in Compiegne
(Carolopolis), Straßburg, zwei in Turin und eine in London (Arundel). Beide
kannten alſo den Gothaer Codex nicht, welcher jedenfalls zu den beſſeren gehört.
Pfeiffer (a. a. O.) wußte nur von dem Krakauer, hat aber in Stuttgart noch
einen entdeckt, welchem das zwanzigſte Buch fehlt, ſeiner Angabe nach aus dem 15.
Jahrhundert. Das von A. Wachler (Thomas Rhediger und ſeine Bücherſamm-
lung. S. 35) unrichtig angegebene Alter des Breslauer Codex berichtigte ſchon
Hoffmann (Horae belgicae. T. I. p. 37). Er iſt um ein Jahrhundert jünger als
der Gothaer. Ich habe Abſchrift genommen von der Einleitung und dem dritten
bis neunten Buche nach dem Gothaer Codex, welcher mir, ebenſo wie der Rhedi-
gerſche, deſſen Varianten zum Theil nicht ohne Werth ſind, mit dankbar zu rühmen-
der Bereitwilligkeit zur Benutzung anvertraut wurde. Außer dem zoologiſchen In-
tereſſe iſt die Schrift auch für die Litterärgeſchichte des dreizehnten Jahrhunderts
von großem Werth.
Thomas citirten Stellen bis auf wenige und zwar meiſt wörtlich wiedergefunden.
und flgde.
tanik, 2. Bd. S. 348, verwieſen werden. Doch iſt die von Meyer aufgeſtellte Be-
hauptung, Raymundus Lullus habe das Buch überſetzt, dadurch ohne Weiteres wi-
derlegt, daß Thomas Cantipratanus es citirt, und zwar wie ich mich überzeugt habe,
wörtlich in der lateiniſchen Ueberſetzung. Raymundus Lullus wurde 1235 geboren,
während Thomas ſchon 1233 zu ſchreiben oder ſammeln anfieng. Wunderbar iſt es,
daß Meyer, welcher behauptet, die Kyraniden würden zuerſt von Simon Januen-
ſis citirt, und welcher ſich die Bücher von den Pflanzen aus dem Gothaer Codex
des Thomas abgeſchrieben hat, nicht wenigſtens in den weit umfänglicheren Thier-
büchern geblättert hat, wo die Kyraniden an dreißigmale vorkommen.
enthalten ſein. Um deſſen Kraft zu prüfen, ſagt der Verfaſſer der Kyraniden: cir-
cumcinxi lapidem mulieri hydropicae. Dieſer Satz erſcheint mit der erſten
Perſon genau ſo bei Thomas.
derfolge oder eine ſpätere Ueberarbeitung der einzelnen Schriften nichts ſchließen:
„ita quod expertus sum in villa mea super Danubium, ubi sunt plurimae
cavernae in muris et lapidibus, quod omni anno post aequinoctium autumni
congregantur ibi pisces“. (Opp. Tom. VI. p. 224). Die villa mea super Danu-
bium iſt doch nur Lauingen und nicht „das Schlößchen Donauſtauf“ bei Regens-
burg, wie Sighart meint, welcher daraus folgert, daß Albert nach ſeiner Abdi-
cation vom biſchöflichen Sitz in Regensburg Zuſätze zu der Schrift gemacht habe.
entia de corporibus animalium producta est et per ea licet imperfecta sint
auxiliante Deo perfecta est scientia naturalis“.
O. S. 114). Im Uebrigen hat er völlig Recht. E. Meyer, Geſchichte der Bota-
nik. Bd. 4. S. 34 und 103; an beiden Stellen ſpricht er davon, daß Vincenz die
Thierbücher des Albert häufig benutzt habe
cupientes etc. Tom. VI. p. 620.
Magnus. Sein Leben und ſeine Wiſſenſchaft. Regensburg, 1857. S. 351.
und flgde.
Animalibus materiem hauserit. in: Comment. Soc. Reg. Goetting. Tom. XII.
p. 94. B. geht ſpeciell auf die Phyſiognomiker Loxus und Palemon ein. Jourdain,
Recherches etc. 2. ed. p. 325. Hier wird beſonders ausführlich über die durch
arabiſche Verſtümmelung unerkennbar gewordenen griechiſchen Autoren verhandelt.
xit: parva loquax volucris etc.“; während Thomas ausdrücklich citirt: „Ex-
perimentator (ſ. o.) dicit, quendam in versu de pico marcio dixisse: parva
loquax etc“.
56. p. 220. Es wird im Original eine Stelle aus dem Aëtius, περὶ σμυραίνας
(Tetrabiblon IV, Sermo I, oder cap. XXXVIII des Sermo XIII) citirt.
weis iſt) Bartholomaeus Anglicus, der ihn citirt, chaldeus. Manche Thiernamen,
wie die Fiſche abren, fastem, der leviathan, die Bezeichnung des im Phyſiologus
Peridexion genannten Baumes als arbor zilanim ſprechen für einen Semiten. Ob
der Name einem Schriftſteller angehört oder der Titel eines Buches iſt, ſelbſt ob er
Jorach oder Jorath heißt, ſind alles noch unbeantwortete Fragen. Bei Thomas
kommt er nicht vor, wohl aber bei deſſen Ueberſetzer Conrad von Megenberg und
zwar bei der Amphisbaena, demſelben Thiere, bei welchem ihn auch noch einmal
der Ortus sanitatis citirt. Bei Vincenz erſcheint er ſehr oft. Aldrovandi führt ihn
zuletzt (beim Onager) an; Gesner erwähnt, daß Albertus ihn citire.
tum valens medicinae. — Dicitur autem in libro sexaginta animalium, quod
caro canis calida est et sicca.
Philoſophie. 1. Bd.
perfecti etc.
— Ratio autem perfectionis animalis secundum animae vires quaerenda est.
Lib. XXI. ed. Jammy, T. VI. p. 562.
le Grand etc. Paris, 1853. p. 271.
septem membra universaliter ab omnibus et a quibusdam octo: quae sunt
frons, oculi, palpebrae superiores et maxilla in communitate labiorum et
labia sine maxillis et duae inferiores narium extremitates. Movetur autem et
mandibula inferior forti motu.
welche völlig an das gleiche Zeug bei den Kyraniden erinnert, ferner equus,
capra (fel hirci depilat), leopardus und viele andere.
plinabilitas, hinweiſt (p. 566), deren Ariſtoteles nur vorübergehend gedenkt (im
9. Buch der Thiergeſchichte). Allerdings legt er der Frage noch nicht die Bedeutung
bei, welche ſie durch ihre naturgemäße Einſchränkung in neuerer Zeit erhalten hat.
si non sit vitium naturae ... cum igitur sensus organa ponantur secundum
longitudinem descendendo et motus organa secundum latitudinem, perfe-
ctionem distinctionis majorem habent organa corporis in homine, quam in
aliquo animalium aliorum. T. VI. p. 564.
Hist. des scienc. de l'organisation T. II. (Paris, 1845) p. 86. Aber der hierher
zu beziehende Satz: „l'espèce, dit Albert, est la réunion des individus qui
naissent les uns des autres, iſt ſicher nicht bei Albert in dem Sinne zu finden,
wie er ihm hier beigelegt wird.
animalibus, sed etiam secundum esse generis proximi et secundum esse
generis remoti.. genus proximum est sensibile, genus remotum est vivum.
a. a. O. p. 562.
et tot modis varius, ut nullum ei colorem deesse dicant) hat Albert unter
lupus nur die Bemerkung: dicit quidam quod Aethiopia (Thomas: oriens)
lupos habet varios crine jubato.
rimenti navigans et exiens ad insulas et arenas manibus collegi decem vel
undecim genera (animalium marinorum sanguinem non habentium).
France (par les Bénédictins de S. Maur). T. XVIII. 1835. p. 449-519 (von
Daunou). Aloys Vogel, Literär-hiſtoriſche Notizen über den mittelalterlichen
Gelehrten Vincenz von Beauvais. Programm. Freiburg i. Br. 1843. Auch iſt
auf Schloſſer, Vincenz von Beauvais, Hand- und Lehrbuch für königliche Prin-
zen. Frankfurt a. M. 1819 zu verweiſen.
ruhig das audivi, was dieſer brauchte. Das Verſehen iſt indeß hier nicht ſo auffal-
lend, vielleicht kaum als ſolches zu bezeichnen, als die Citate, ein jedes hinter dem
Namen ſeines Autors, unverbunden nebeneinander ſtehen.
fehlt die Angabe des Citats aus deſſen liber de animalibus (beim Pferd). Irrefüh-
rend iſt die Angabe bei Albertus.
pagabio, i. e. principalis seu nobilis gabio dicitur. Loligo aliquando quin-
que cubitorum capitur. Botaurus quasi bootaurus dicitur. Cor bubonis
si appositum fuerit mulieri dormienti in parte sinistra omnia quae gessit (ut
dicitur) narrabit.
Lutet. 1719. p. 258 (um 1270).
13. Jahrhunderts).
lif et Echard, a. a. O. I. p. 486 nachweiſen.
ſeien, daß ſie ſich mit heutigen vergleichen laſſen ſollen.
gab Choulant in ſeiner Abhandlung: Die Anfänge wiſſenſchaftlicher Naturge-
ſchichte und naturhiſtoriſcher Abbildung im chriſtlichen Abendlande. Dresden 1856.
Auch vermuthet er richtig, daß es das Werk Thomas geweſen ſei, was Conrad über-
ſetzt habe. Den Beweis hierfür gibt E. Meyer, Geſchichte d. Botan. Bd. 4. S.
198. Die erwähnte Ausgabe erſchien unter dem Titel: Das Buch der Natur von
Conrad von Megenberg. Die erſte Naturgeſchichte in deutſcher Sprache. Herausge-
geben von Franz Pfeiffer. Stuttgart, 1861. 80. Merkwürdig iſt es, daß
Pfeiffer beide vorſtehend erwähnte Bemerkungen über Conrad nicht kannte und erſt
tung zur Ausgabe. Derſelbe gibt auch eine Ueberſicht über Conrad's litterariſche
Thätigkeit.
daß er die Thiernamen nicht durch die wenig älteren lateiniſchen Thiergeſchichten
verfolgt hat.
Varianten van Hſſ., Aentcekeningen en Gloſſarium uitgegeben door J. H. Bor-
mans. 1. Deel. Brüſſel, 1857 (Akad d. Wiſſenſch.). Außer den im zweiten Bande
zu erwartenden Gloſſar fehlt auch noch die Einleitung. Ueber das Verhältniß des
Jakob van Maerlandt zu Thomas von Cantimpré ſ. den ſchon früher citirten Auf-
http://d-nb.info/gnd/117523216 ſatz von Bormans im: Bullet. Acad. Bruxell. T. XIX. P. I. 1852. p. 132.
beweiſt z.B. die
folgende Stelle aus einem Briefe Juſtus Jonas jun. an Herzog Albrecht von
Preußen, d. d. Wittenberg, 4. Mai 1559: er möge ihm für den Kurfürſten von
Sachſen eine ganze Glendsklaue „mit den roerknochen, oder wie ichs
nenn ſoll,
und den Haaren bis ans Knie“ ſchicken „Solche Ding in
dieſen Landen gantz
ſeltzam und frembdt“. Ich verdanke dieſe Notiz (aus dem Archiv zu
Königsberg)
der Freundlichkeit meines verehrten Collegen, Herrn Prof. G. Voigt.
Begründer der Induction iſt allerdings Kepler. Für die
morphologiſche Unterſuchung der organiſchen Natur iſt aber ſein Einfluß von ge-
ringer Bedeutung geweſen. Für dieſe fehlt noch die Möglichkeit, die Induction
mathematiſch zu begründen. Hierdurch erhält ſie daher viel ausgeprägter den
Cha-
rakter einer Heuriſtik im ſtrengſten Wortſinne, und dies hat oft Veranlaſſung
gege-
ben, ſie mit Speculation verwechſeln zu laſſen. Das Weſen des Proceſſes
iſt aber
daſſelbe wie in andern Wiſſenſchaften.
depuis leur origine etc. T. 2.
Paris, 1841. p. 62), daß die nach Aelian bearbeitete Naturgeſchichte der Thiere
von
Petrus Syllius die Grundlage für alle ſpätern Arbeiten, namentlich aber
für
Wotton abgegeben habe. Iſid. Geoffroy Saint-Hilaire zält ihn als
Zoologen neben Wotton und Salviani auf (Hist. natur. géné
des règnes or-
gan. T. 1. Paris, 1854. p. 38).Man bezog ſich da auf die Schrift:Ex Aeliani
historia latini facti, itemque ex Porphyrio, Heliodoreo, Oppiano, luculentis
accessionibus aucti libri XVI, de vi et natura animalium, Lugduni, 1533.
Von einem Einfluß dieſer Schrift auf Wotton kann aber keine Rede ſein. Er citirt
den Syllius im Ganzen achtmal und ſtets als Gewährsmann für einen
älteren
Autor, wie „sic Gyllius ex Aeliano“ oder
„Gyllius ex autore quodam incerto“.
Die auf ſeinen Reiſen geſammelten Beobachtungen hat Syllius mit Ausnahme
der
Beſchreibung des Elefanten nicht veröffentlichen können
terſüßen Wahrheit, darinn mit Einführung vieler ſchöner und fürtrefflicher Discur-
ſen nit allein die natürliche, ſondern auch die moraliſche und ſittliche Eigenſchaften
und Geheimnuſſen der fürnemſten Creaturen und Geſchöpf Gottes ſehr luſtige geiſt
und politiſcher Weiß erklärt ꝛc. München, 1612. 4°. Beiſpielsweiſe kommt hier die
Geſchichte von Meerfiſch Chelion genau ſo wie bei Thomas Cantipratanus vor.
1599, 12.
ſchichte der Erfindungen, Bd. 3. S. 431. Ich kenne das Buch nicht.
tätsbibliothek. Baſel, 1836. S. 19. vergl. ferner Hoffmann, Fundgruben.
2. Thl. S. 103. Anm. 6.
nach C. J. Brandt den Honorius Auguſtodunenſis zum Verfaſſer haben. ſ. Lu-
cidarius, en Folkebog fra Middelalderen udgivet af det nordiske Literatur-Sam-
fund ved C. J. Brandt. Kjodenhaven, 1849. S. V.Honorius lebte aber im 12.
Jahrhundert. Die Annahme iſt daher nicht haltbar, ſobald er mehr als bloßer Ord-
ner ſein ſoll. Denn Mone (Anzeiger, III. 1834. Sp. 311) hat auf ein ganz
ähnliches Geſpräch aus dem 10. Jahrhundert aufmerkſam gemacht. Bei Brandt
findet ſich auch die Angabe der Ueberſetzungslitteratur.
ſance in Italien. Baſel, 1860. S. 288.
de vera cognitione, delectu et usu omnium simplicium medicamentorum
quorum et medicis et officinis usu esse debet. Natürlich verlegte es Chſt.
Egenolph in Frankfurt. Deutſch erſchien es unter dem Titel „Kräuterbuch“, um-
faßte aber ebenſo auch Thiere. Es wurde ſpäter von P. Uffenbach herausgegeben
und erlebte noch im 18. Jahrhundert mehrere Auflagen. Wie leichtfertig man dabei
zuweilen mit den Holzſchnitten verfuhr, beweiſt z. B. der Umſtand, daß (in der
Ausgabe: Ulm, 1716) die Copie einer zuerſt von Cluſius veröffentlichten Fi-
gur eines Gürtelthieres hier (S. 606) für die einer Zibethkatze ausgegeben wird. —
Was übrigens die mediciniſche Bedeutung der Schrift Lonicer's betrifft, ſo iſt daran
zu erinnern, daß in jener Zeit außer den oben erwähnten allgemeineren Naturbü-
chern Werke über Heilmittellehre, worin ebenſogut Thiere abgehandelt wurden,
oft im Druck erſchienen. Es ſei hier nur an den Ortus sanitatis und deſſen
deutſche Bearbeitung, den Gart der Geſundheit, an den Aggregator practicus de
simplicibus und den Experimentarius medicinae erinnert, in welchem letzteren
unter Andern die Physica der h. Hildegard wieder abgedruckt iſt. In ähnlicher
Weiſe berückſichtigen auch Matthioli (Dioskorides), Bauhin u. A. die Thiere.
ſchen Werke Gesner's. Nürnberg 1751 (lateiniſch). Ferner Memoir of Gesner.
in Sir W. Jardine's Naturalist's Library (Horses by Ch. Hamilton Smith.
Edinburgh, 1841). Die Hauptdaten finden ſich im Auszug bei Cuvier, a. a. O.
S. 83 (ſehr kurz), E. Meyer, Geſch. der Botanik. Bd. 4. S. 323. u. a. O.
4. Aufl. S. 346.
philosophis, medicis, grammaticis, philologis, poetis et omnibus rerum
linguarumque variarum studiosis utilissimum simul jucundissimumque futu-
rum. Tiguri, 1551. Fol. (48 u. 1104 SS.) lib. II. de Quadrupedibus ovipa-
ris. Appendix historiae Quadrupedum viviparorum et oviparorum. ibid.
1554. (6, 140 u. 27 SS.) lib. III. de Avium natura. ib. 1555. (34. u. 779 SS.
lib. IV. de Piscium et Aquatilium animantium natura. ibid. 1558 (40 u. 1297
SS.). Nach ſeinem Tode erſchienen noch: lib. V. de Serpentium natura ex variis
schedis et collectaneis ejusdem compositus per Jac. Carronum. ibid. 1587
(6 u. 85 Blatt) und dieſem angehängt: Scorpionis Insecti historia a Casp
Wolphio ex ejusdem paralipomenis conscripta. ib. eod. (1 [...] Blatt).
ſpäter zu erwähnende Werk von Mouffet zu betrachten.
Polyhistoris Conradi Gesneri Leben und Schriften. Leipzig u. Zittau, o. J. 8°
(103 S.) findet ſich zum Theil nach Gesner's eigener Zuſammenſtellung eine Liſte
ſeiner Werke, in welcher die Historia animalium unter Nr. 37 erſcheint.
deesset nec placebat quod in una historia tertium fuisset de corporis actio-
nibus, id in alia de ingenio et moribus etc.“
accersere nolui“ etc.
sorum generum ut ex Molosso et Laconico nascuntur. — Tria dicunt esse
Cervorum genera, ſchreibt ihm Georg Fabricius; und weitere andre gleiche
Sätze.
chart (ſ. oben S. 126). In Bezug auf die Baumgans führt er einen Brief
Will. Turner's an, welcher einen Geiſtlichen gefragt hatte, ob die von Giral-
dus erzählte Geſchichte wahr ſei. Dieſer „per ipsum jurans, quod profitebatur
evangelium, respondit verissimum esse, quod de generatione hujus avis Gy-
raldus tradidit. Gegenüber einem ſolchen Zeugniß ſchweigt nun Gesner. Die
Zweiköpfigkeit der Amphisbaena erklärt er für eine Fabel. Dagegen führt er wun-
derbare Fiſche an, die er an der Mittelmeerküſte geſehen haben will.
cium mit dem Halieuticon des Ovid und der Aufzählung der Fiſche nach Plinius
erſchienen unter dem Titel: De piscibus et aquatilibus omnibus libelli III. Ti-
guri, 1556 in 8.
darüber nichts ermitteln können. Nicht ohne Intereſſe dürfte eine chronologiſche
Ueberſicht der Gesnerſchen Publicationen ſein. Die Namen der Thierclaſſen be-
zeichnen die lateiniſche Historia Animalium und deren Theile. Es erſchien: 1551
Vivipara, 1553 Icon. Quadrup., 1554 Ovipara, 1555 Aves, Icones Avium,
1556 Nomenclat. Pisc., 1557 Vögelbuch, 1558 Pisces, 1560 Icon. Quadrup.
und Avium, 2. ed., und Piscium, 1563 Thierbuch und Fiſchbuch, 1575 Fiſchbuch,
neue Aufl., 1582 Vögelbuch, neue Aufl., 1583 Thierbuch, neue Aufl., 1585 Aves,
n. ed., 1586 Ovipara n. ed., 1587 Serpentes und Scorpio, 1589 Schlangen-
buch und Skorpion, 1600 Vögelbuch, neue Aufl., 1603 Vivipara, 1604 Pisces,
1606 Icon. Quadrup. und Avium, 1613 Schlangenbuch, 1617 Ovipara und Aves,
2daed., 1620 Quadrup. und Pisces, 2da ed. 1621 Serpent., 1662 Schlangen-
buch, 1669-70 Gesnerus redivivus. Gesner's Werke koſteten während ſeines Le-
bens: die ſämmtlichen Historiae 7¼ Florene et paulo pluris (bazio forte) ſi bene
memini, die ſämmtlichen Icones einen Floren und 10 Batzen. ſ. Epistol. medici-
nal. C. Gesneri libri III. Tiguri 1577. fol. 149 v.
mögen hier nur noch die beiden Hoefnagel und beſonders J. Amman erwähnt
werden (vergl. C. Becker, Jobſt Amman, Zeichner und Formſchneider u. ſ. w.
Nebſt Zuſätzen von R. Weigel. Leipzig, 1854. 8°). Er hat nicht bloß im Jagd-
buch, Reiterkunſt, Geſtüterei zahlreiche Thierabbildungen gegeben, ſondern vorzüg-
lich eine ganze Sammlung ſolcher zu Hans Bockspergers, von G. Schaller
in Reime gebrachtem Thierbuch geliefert (1569, 1579, 1592). Sehr gute Thierbil-
der enthält auch der oben erwähnte Matthioli. welche aber nicht von Amman
ſein können, da [dieser] zur Zeit ihrer Publication (1559) zu jung war.
Giov. Fantuzzi, Notizie degli Scrittori Bolognesi. Tom. I. Bologna,
1781. p. 165. Es werden hier mehrere Fabeln über Aldrovandi's Leben beſeitigt,
welche ſich bei vielen Neueren wiederholt finden, ebenſo der Zweifel über ſein Ge-
burtsjahr und Erzählungen über ſein Lebensende.
mensVIII.
Tom. II. ibid. 1600, Tom. III. ibid. 1603 (dann: Francofurt. 1610, 1629,
1630, Bononiae 1646, 1652, 1681). Fantuzzi führt auch eine Separatausgabe
der Vögelabbildungen an. De animalibus insectis libri VII. Bonon. 1602 (dann
ibid. 1620, Francof. 1623, Bonon. 1638). De reliquis animalibus exsangui-
bus libri IV post mortem ejus editi (von ſeiner Wittwe, aber 1605 im Druck
vollendet) Bonon. 1606 (dann: Francof. 1623, Bonon. 1642 und 1654).
De
»et illud non perfunctorie te scire interest, certe mei multum refert, cum
Ulyssis Aldrovandi nomine Rhinoceros, Camelus, Camelopardalis, Sus et
Aper a me edantur, nec illius viri maximi libros, scripta ac ne parietes qui-
dem musaei unquam vidi.
Francof. 1623 und 1629, Bonon. 1623, Francof. 1640, Bonon. 1661). De
Quadrupedibus solidipedibus. Uterverius ed. Bonon. 1616 (dann: Francof.
1623, Bonon. 1639 und 1649). Quadrupedum omnium bisulcorum hist. Uter-
verius incep. Dempster ed. Bonon. [1613 nach Fantuzzi] 1621 (dann: ibid.
1642, Francof. 1647, Bonon. 1653). De Quadrupedibus digitatis viviparis
libri III. Barth. Ambrosinus ed. Bonon. 1637 (dann: ibid. 1645 und 1665).
Serpentum et Draconum hist. idem ed. Bonon. 1640. Monstrorum hist. cum
Paralipomenis Histor. Animal. idem ed. Bonon. 1642 (dann: ibid. 1646, die
Paralipomena allein ibid. 1657).
nur zwei nicht abbildet, finden ſich unter den 16 Falken nur fünf, welche von einer
Figur begleitet ſind.
vus degunt, und fluviatiles.
(Bologna, 1603)
S. 543: »ut in eadem navigatione legitur, nämlich in Hollandorum prima in
Indiam orientalem navigatione.«
1633 (die Vorrede iſt aus London vom Mai, 1630 datirt). Dann nochmals ibid.
1661.
verſchiedenen Theile iſt folgende: De
Piscibus et Cetis libri V. Francofurt. 1650. De Exanguibus aquaticis libri
IV. ibid. 1650. De Avibus libri VI. ibid. 1650. De Quadrupedibus libri.
ibid. 1652. De Insectis libri III. ibid. 1653. De Serpentibus libri II. ibid.
1653. Sämmtliche Theile erſchienen dann: Amstelodami 1657, die beiden
De
Insectis und De Serpentibus nochmals ibid. 1665. Eine Ausgabe: Heilbronn,
1755-67 begann mit den Vierfüßern und ſchloß mit den Fiſchen und blutloſen
Waſſerthieren. Ein ſämmtliche Theile umfaſſender Druck kam zu Rouen (Rotho-
magi) 1768 heraus. Alle Theile mit einem Zuſatz über die Fiſche von Amboina
erſchien als Theatrum universale omnium animalium cura Henr. Ruyschii,
Amstelod. 1718 (ohne Jonſtons Namen), ein Titel, welcher auch von der Heil-
bronner Ausgabe wiederholt wurde. Die holländiſche Ueberſetzung von M. Grau-
ſius erſchien Amſterdam 1663. Die Vögelhiſtorie wurde überſetzt als: Histoire
naturelle et raisonnée des différens oiseaux qui habitent le globe. 2 Tom.
en I Vol. (mit den 62 Tafeln des Originals) Paris, 1773. Soviel zu ermitteln
iſt,
ſind dieſelben Tafeln bei allen Ausgaben benutzt worden. Nach dem Thierreich hat
Jonſton kurz auch das Pflanzen- und Steinreich abgehandelt.
Herausgabe der Topographien bekannten Matth.
Merian (1593-1650). Er war 1621 geboren und ſtarb 1687. Er iſt der Bruder
der durch ihre naturhiſtoriſchen Abbildungen bekannten Maria Sibylle Merian.
aus Mouffet's unten zu citirendem Werke, S. 191.
The historie of fourefooted Beasts collected out of all volumes of C. Gesner
etc. London, 1607 und The historie of Serpents. ib. 1608, beide Bände 1658
nochmals gedruckt mit der engliſchen Ueberſetzung von Mouffet's Werk.
unvernünfftigen irdiſchen Gethieren, auch der Vögeln und Fiſchen Natur und Ey-
genſchafften beſchrieben ꝛc. Frankfurt a. M. 1601. 4°.
dine, ab ipso cum in vivis esset autore adornata. Accessit in fine disputa-
tionum zoologic. hexas (Kirchmaieri) de Basilisco etc. Lipsiae 1661, dann
Wittebergae, 1669. Sperling ſelbſt hatte ſchon einige zoologiſche Diſſertationen
veröffentlicht, ſo 1641: de Leone, Aquila, Delphino et Dracone. Witeberg.
Imperi-
torum habitum fuit detineri in minoribus: formas vero earumque virtutes
et operationes tenere, permagni momenti res est..... Per tot animalium
formas et species ire, laboriosissimum est. Observata sunt Scarabaeorum
genera quadraginta etc.
accipiter iſt avis pipans, vultur pul-
pans, der Strauß lugens, der Kranich gruens, der Storch glottorans, die Reiher
wieder clangens u. ſ. w.
zahme, wilde, gifftige und kriechende Thier, Vogel und Fiſch (deren in der Bibel
Meldung geſchieht) ſampt iren Eigenſchaften und anhangenden nützlichen Hiſtorien
beſchrieben ſind. u. ſ. w. Leipzig, J. Beyer, 1595 4°. Die beiden, die Vögel und
rakteriſirt aber die Richtung hinreichend.
ſpäteren Ausgaben weg), in quo plerorumque animalium praecipuae proprie-
tates in gratiam studiosorum theologiae et ministrorum verbi ad usum εἰκο-
νολογικὸν breviter accomodantur. Witeberg. 1612, edit. III. ibid. 1621;
edit. V. ib. 1642, VI. ib. 1659; auch Amstelod., 1643, 1653 und 1665; ferner
Francofurt. 1671; dann herausgegeben von Joh. Cyprianus, Dresdae 1687
(am Rande die Seitenzahlen der Frankfurter Ausgabe von 1671 gebend), Franco-
furt. et Lipsiae, 1688 und 1712. In's Engliſche überſetzt London, 1670.
Idem revisum atque correctum ab innumeris mendis quibus editio Londi-
nensis scatebat. opera Dav. Clodii. Francofurt a/M. 1675. Idem recens. 2.
F. C. Rosenmüller 3 Tomi. Lipsiae, 1793, 94, 99. 4°.
Sennert war Zeitgenoſſe Sperling's und ſtarb 1637 als Profeſſor der Medicin in
Wittenberg.
mum Cardanum. Paris, 1557. dann Francofurt., 1592.
führte Darſtellung des Elefanten von ihm.
jene mit 18 Blättern 1625, dieſe mit 20 Blättern 1634.
holländiſchen Thierzeichner nennt man auch einen Marcus Ge-
rardus aus Brügge, von dem 1583 21 Blätter Vierfüßer erſchienen.
a Petro Firens. Nach Brünnich (Progrès de l'histoire naturelle etc. en Dan-
nemarc etc. Copenhague, 1783. p. 124) findet ſich in dem
»Catalogue de Mr.
Davila« T. 3. p. 226 (wohl der von Romé de
l'Isle herausgegebene Katalog)
ein Werk bezeichnet: Piscium, quadrupedum, avium vivae icones in aes in-
cisae et editae a. P. Firens.Firens iſt auch als Pflanzenzeichner bekannt.
Auch das
Bilderwerk des Beſlerſchen Muſeums (Fasciculus rariorum und
Continuatio ra-
riorum et aspectu dignorum varii generis quae collegit et in aes incidi curavit
Basil. Besler. Nürnb. 1616 und 1622) enthält Thierabbildungen ohne
Stecherna-
men. Die Tafeln wurden zu dem Gazophylacium des Mich. Aug.
Besler benutzt.
1650.
generale historia dell' India occidentali.
(zuerſt ſpaniſch Toledo, 1525) abgedruckt in: Ramusio, a. a. O. Vol. III.
fol. 440. Die Historia general y natural de las Indias (zuerſt nur 20
Bücher)
Salamanca, 1535; vollſtändig neu herausgegeben mit moderniſirten
Abbildungen
von J. A. de Los Rios, Madrid, 1851; der Abſchnitt von den Thieren lib. XII.
p. 386 — lib. XV. p. 461.
lateiniſch mit den zwei erſten Büchern der Naturgeſchichte: Coloniae Agr. 1596 8°.
Francesco Ximenes ſcheint ſich noch in Mexiko einen Theil des
Manuſcriptes zugänglich gemacht zu haben. Er hat das urſprünglich lateiniſch
Ge-
ſchriebene ins Spaniſche überſetzt. Es erſchien dann unter dem Titel:
Quatro libros
de la naturaleza y virtutes de las plantas y animales que estan recevidos en
el uso de medicina en la nueva España etc. Mexico, 1615. 4°.
Werk erſchien zuerſt als: Rerum medicarum novae Hispaniae
thesaurus seu plantarum, animalium, mineralium Mexicanorum historia ex
Fr. Hernandez relationibus in ipsa Mexicana urbe conscriptis a. N. A. Rec-
cho collecta etc. Romae, 1628; dann unter Beigabe deſſelben (geſtochenen)
Titels mit der Jahreszahl 1649 mit dem zweiten Titel: Nova plantarum, ani-
malium et mineralium Mexicanorum historia etc. Romae, 1651. beide in Fol.
Akademie. 1827. Phyſ. Klaſſe.
S. 89. 128.
de la France antarctique. Anvers,
1558. 8°. — Jean de Léry, Voyage en Amérique avec la description des
animaux et plantes de ce pays. Rouen 1578.
occidentalis
libri XVIII. Lugd.-Bat. 1633. Fol.
Brasiliae. — De medicina Brasi-
liensi libri IV . . . et Georgi Marcgravi historiae rerum naturalium Bra-
siliae libri VIII. etc. Joa. de Laet in ordinem digessit. Lugd. Bat. 1648.
Guil. Pisonis de Indiae utriusque re naturali et medica libri quatuorde-
cim. Lugd. Bat. 1658. Fol.
Originalzeichnungen von Marc-
graf's Braſiliſcher Zoologie. in: Leipziger Magazin zur Naturkunde v. 1786. S.
270. — H. Lichtenſtein, Die Werke von Marcgrav und Piſo über die Natur-
geſchichte Braſiliens. in: Abhandlungen d. Berliner Akad. Phyſ. Kl. 1814/15.
S. 201. 1816/17. S. 155. 1820/21. S. 237. 267. 1826. S. 49. (auch in der
Iſis, 1819. S. 1327. 1820. L. A. S. 635. 1824. L. A. S. 57).
teiniſch, Zürich, 1559, Leyden, 1632 und ſonſt öfter. Deutſch von Lorsbach.
Herborn, 1805.
trouvées en Grece, Asie, Judée, Egypte, Arabie et autres pays etranges, re-
digées en trois liures. Paris, 1553. 4°. — dann: reveus de rechef et au-
gmentez de figures. Anvers, 1555. 8°.
dann Baſel, 1556 u. öfter.
Reptilium, Avium, Piscium, Insectorum natura, vis ex usus sex libris per-
stringuntur. Lignicii, 1603. 4°.
1641. 8., dann 1652 und öfter, von 1716 an mit der Lebensbeſchreibung. Die
Schilderung des Chimpanſe findet ſich im 3. Buch, 56. Kap.
früheren Reiſeberichte von Pigafetta und Purchas ſ. in Huxley Zeugniſſe für
die Stellung des Menſchen in der Natur. Ueberſetz. Braunſchweig 1863. S. 1 flgde.
Joach. Corthum).
autores et recentiores prodidere quidve utilitatis in re medica ab isto qua-
drupede percipiatur. Amberg, 1619. 4.
delt nicht bloß von Haſen etwa, ſondern umfaßtquorundam animalium quadru-
pedum et avicularum naturas. Es erſchien Baſel, 1560, und wiederholt in latei-
niſchen Diſtichen alte Märchen, ſo z. B. est male viva caro partus quem red-
didit ursa, und amphibius castor cupiens evadere damna se viduat scissis
testibus ipse suis u. ſ. w. Die Beobachtung der Haſenfötus von Rommel ſ.
unten.
nubibus decidit et sata ac gramina magno incolarum detrimento celerrime
depascitur. Hafniae, 1653. 4.
Mart. Bohemus, Chriſtlicher und nützlicher Bericht von Hunden
[geſchrieben 1591], herausgegeben von J. Kasp. Cruſius. Leipzig, 1677. J.
Rud. Salzmann, De Lupo. Argentor. 1688.
cogn. S. Jebb. ib. 1729. abgedruckt in Paullini, Cynographia curiosa No-
rimberg., 1685. p. 231. Von Jagdhunden handeln auch einige Schriften über
Falken u. Falkenjagd, ſo z. B. Guill. Tardif.
Coloniae, 1581.
1604. Cent. I. Epist. L. (Ps. I. p. 60).
großen Wunderthiere dem Elephanten, deſſen wunderbare Natur und Eygenſchaff-
ten u. ſ. w. Nürnberg, 1629. 4. Der hier abgebildete Elefant iſt wahrſcheinlich
derſelbe, den J. Jonſtonus in Amſterdam geſehen hat. — Ferner hat auch Joach.
Prätorius eine Historia Elephanti, Hamburg, 1607 herausgegeben. Ich kenne
ſie nicht.
nali. Venezia, 1585 als: Trattato dell' elefante e delle sue qualità.
vario doctrinae genere referta. Venetiis, 1584. 4.
iſt: Kurtze Beſchreibung welcher Geſtalt deß zu gewiſſen Zeiten gefangenen Hir-
ſchens fürnembſte Glieder in der Artzney zu gebrauchen. Amberg, 1603. Die zweite
mir nicht bekannte Ausgabe führt den Titel: Cervi cum integri et vivi natura et
proprietates tum excoriati etc. ibid. 1617.
cant. Colon. 1581 (italien. Rimini, 1584).Andr. Bacci, de magna bestia a
nonnullis Alce, germanice Ellend appellata. latine a Wolfg. Gabelchover,
Stuttgard. 1598 (mit deſſelben Schrift über das Einhorn). Außerdem Diſſertatio-
nen über das Elenn von J.Wigand (Königsb. 1582), Severin. Goebel (Ve-
nedig, 1595) u. a.
niſch 1598 mit Schilderung der Krankheiten des Pferdes; deutſch von Uffenbach.
Frankfurt, 1603.
animalium aliarumque naturalium rerum observationes, beſonders paginirter
Anhang der Minus cognitarum stirpium Εκφρασις. Romae, 1616.
sit Unicornu? vom Jahre 1638; abgedruckt in Thom. Bartholini de Uni-
cornu observationes novae, ed. Casp. Bartholinus. 2. ed. Amstelod. 1678.
p. 113.
des ganzen Thiers.
est, historia. Coloniae, 1544. De avibus, privately reprinted (by Dr. Thack-
eray) Cambridge, 1823. 12°.
nicis. Non minus festivus quam eruditus et omnibus studiosis ad intelli-
gendos Poetas maximo utilis. Coloniae, 1544.8.
naïfs portraicts retirez du naturel. Paris, 1555. Fol.
d'oyseaux, animaux, serpens, herbes, arbres, hommes
et femmes d'Arabie et d'Egypte, Paris, 1557. Eine ſpäter erſchienene Natur-
geſchichte der Vögel von Franc. Marcuello, Primera parte de la
historia
natural de las Aves. Zaragoza, 1617. kenne ich nicht, ebenſo die öfter
gedruckte,
auch ins Franzöſiſche überſetzte Uccelleria des Giov. Pietro
Oliva (Roma, 1622),
zu welcher Tempeſta die Abbildungen gezeichnet hat.
Fabricii, Rerum misnicarum libri VII. Lips. 1569. p.222.
Wolfg., De avibus literigerulis. Jenae, 1683 u. 1684.
Schmidichen, De hibernacu-
lis hirundinum. Lips. 1658. Praetorius, Joh., Von des Storchs
Winter-
quartier. Lips. 1656.
Grützmann,
Dan., resp. Nic. Bonenberg, Diss. in qua Aves paradisiacas et primarie
harum regem sistit. Jenae, 1667.
Rebhuhn, Perdicem themate physio-
logico degustandum proponit. Witteberg. 1671. Der Titel iſt gleich ein Zei-
chen des Ungeſchmacks der Zeit.
Abbildung eines großen wunderlichen
Vogels welcher in der Stadt Amgemita in Hispanien im verlauffnen Jahr 1628
wunderbarlicher Weiſe ſich erzeigt und bekommen worden. Fliegendes Blatt mit
Holzſchnittfigur. Die Sage von den Greifen führt Corn. Vogel,(De
Gryphibus.
Lips. 1670) auf ihren Urſprung zurück. Die Gedichte des Lactantius
und Clau-
dianus über den Phoenix mit den betreffenden Stellen aus Ovid u. A.
erklärt real
und verbal ausführlich Joh. Gryphiander (Phoenix. Jenae,
1618).
Leonicenus, De Serpentibus opus singulare ac exactissi-
mum. Bononiae, 1518. Daſſelbe in ſeiner Schrift De Plinii et aliorum
medi-
corum erroribus. Basil. 1529, der Abſchnitt De Tiro seu Vipera
mit den zwei
ähnlichen Schriften des Pandulphus Collonutius und Ambroſius Leo
Nolanus
wieder abgedruckt im: Actuarius. Venetiis, 1529.
viperae natura et de mirificis ejusdem facultatibus. Urbini, 1589.
neno, medicina demonstrationes et experimenta nova. Patavii, 1651.
castigationes et annotationes. Basil. 1537. Das betreffende Buch des Plinius er-
ſchien mit des Oppian Halieutikon in Straßburg, 1534.
sium 1533, in deſſen Bearbeitung des Aelian.
la vraie peincture du Dauphin. Paris, 1551. 4.
na-
ture et diversité des poissons avec leures pourtaicts representez
âu plus près
du naturel. Paris, 1555. beide Ausgaben quer-8°. Eine Anzahl Abbildungen
hat Belon 1550 bei Daniel Barbaro, venetianiſchen Geſandeten in London, von
dieſem copirt. Ob er einige davon und welche er in ſeiner Schrift benutzt hat,
iſt
nicht zu ermitteln.
Richtung der Zeit, daß man wohl kaum dem
P. Gyllius, welcher in Bezug auf Fiſche die Beſtimmung der Arten bei den
Alten
verſucht hatte, einen beſondern Einfluß zuſchreiben kann, wie es Johannes Müller
(Archiv
1857. S. 257) thut. In gleicher Richtung hatte ſchon vorher P. Jovius die
römi-
ſchen Fiſche und, faſt gleichzeitig mit Gyllius, Maſſaria die Plinianiſchen
behandelt.
verwandten, gleichfalls viel ſpäter erſt wiedergefun-
denen Regalecus (Gymnetrus) gibt Ferrante Imperato, Historia
naturale.
2. ediz. Venetia, 1672. p. 687.
scium effigies expressae sunt. Lugduni, 1554. Universae aquatilium Histo-
riae pars altera cum vivis ipsorum Imaginibus. ibid. 1555. Fol.
auf, die Labroidformen als Turdorum genera, dazwiſchen aber die zehnte als de-
u. ſ. f.
sam Gul. Rondeletii quam de Piscibus scripsit historiam etc. Lugduni, 1558.
id. in alteram partem etc. ibid. 1558.
Augsburg, 1528. Baſel, 1531. u. a. Italieniſch von C. Zancaruolo. Venezia, 1560.
lium marinorum, fluviatilium, lacustrium quae in Ducatibus Slesvici et Hol-
satiae et Hamburgi occurrunt triviales. Hamburg. 1624.
que volatilibus. Witteberg. 1667.
fusa, de hoc ipso animali aliisque rarioribus testaceis quibusdam. Romae,
trum, olim ab Edw. Wottonio, Conr. Gesnero, Thom. Pennio inchoatum.
London, 1634. Fol.
aliquis dignus, honestus et utilis proponi debeat, soli huic animalium im-
perfectorum neutrum inesse, sed temporis, impensarum, laborisque ingens
factum dispendium«.
Kiel, 1675. mit ausführlichen Anmerkungen und oſtrakologiſchen Tabellen.
welche Johnſtone aufgenommen hat, verwieſen werden.
Lips., 1669.
bus. Lugdun., 1549. Sulzberger, De vermibus in homine. Lips., 1628.
fangreichen Abhandlung De vena Medinensi (Augsburg 1674) aus. Er gibt darin
eine neue Textesausgabe und Ueberſetzung des betreffenden Abſchnittes des Avi-
cenna mit den ausführlichſten grammatiſchen, litterariſchen und naturphiloſophi-
ſchen Anmerkungen. In einem zweiten Theil des Tractats beſpricht er die Come-
donen als vermes capillares infantum.
Amsterdam, 1645. p. 87.
De animalium populorumque origine. 1670. in Bezug auf Afrika bereits von
Leo Africanus (f. oben) u. ſ. f.
maxime figuris et similitudinibus. Tiguri, 1565. 8°.
turelles qu' artificielles, des métaux, des sels et salins, des pierres. (Paris,
1580). Ausgabe der Oeuvres de Palissy von P. A. Cap. Paris, 1844. p. 266.
272 flge.
1672. Foſſile finden ſich auch beſchrieben und abgebildet im Museum Calceolarii
a Bern. Ceruto inceptum, ab Andr. Chiocco descriptum. Venetiis, 1622.
tabulae etc. Noriberg. 1573. Hier finden ſich die Vergleichung des Affenſkelets,
die Embryonalſkelete, die Entwickelung des Hühnchen und die zootomiſchen No-
tizen. Die Skeletabbildungen ſind den Lectiones G. Fallopii de partibus simi-
laribus humani corporis. Noriberg. 1575. angehängt.
Martes, Lepus, Psittacus, II. Vulpes, Erinaceus, Sciurus, Talpa, Musculus,
Rana, III. Capra, Vespertilio, Testudo nemoralis, Pullus gallinaceus mon-
strosus, IV. Grus, Carbo aquaticus, Sturnus, Lacerta und die Schädel von
Picus und Jynx. Die Tafeln I, II und IV ſind gleich groß und von Coiter gezeich-
net, auch mit V. C. D. bezeichnet. Die Tafel III beſteht aus drei Platten, welche
zuſammen die Größe der übrigen haben. Die eine mit Capra und Vespertilio
naceus iſt mit G. P. D. (Georg Penz?) bezeichnet. Es ſind alſo nicht ſämmtliche
Figuren von Coiter gezeichnet, wie Choulant angibt (Geſchichte der anatomi-
ſchen Abbildung. Leipzig, 1852. S. 66).
et physiologica. Cum praefatione Joh. Bohnij. Lipsiae, 1687. Fol. Dieſel-
ben herausgegeben von S. Albinus. Lugdun. 1737. Fol.
generalis totius animalium opificii libris quinque distincta. Noriberg. 1645.
4. (herausgegeben von Joh. Georg Bolckamer).
tigen Schrift De anima brutorum. Londini, 1672.Willis war 1621 in Great
Bedwin in Wiltſhire geboren, 1660-66 Profeſſor der Phyſik in Oxford und von
da an praktiſcher Arzt in London, wo er 1675 ſtarb. Gehört er auch der Zeit nach
eher dem folgenden Zeitraum an, ſo ſchließen ſich ſeine auf Zoologie bezüglichen
Arbeiten doch ſo innig den oben angeführten an, daß er von demſelben nicht ge-
trennt werden durfte.
riam humoris vitalis constitutionem . . . . Huic partitioni utpote notiori in-
sistentes etc.«
1680.
geg. von Keller. Stuttgart, litterar. Verein. 1. Bd. S. 245.
ſchiedenen anfangs gebräuchlichen Formen des einfachen und zuſammengeſetzten ſ.
P. Harting, Das Mikroskop. Theorie, Gebrauch und Geſchichte. Aus dem
Holländiſchen von F. W. Theile. Braunſchweig, 1859. S. 599 flgde. S. 657
flgde.
depromptum quo universa mellificum familia ab suis praegeneribus deri-
vata, in suas species ac differentias distributa in physicum conspectum ad-
ducitur. Franciscus Stellutus Lynceus Fabrianensis microscopio ob-
servavit. Romae, 1625.
ſchon zu ſeinen Lebzeiten geſammelt und herausgegeben als Opera omnia, Lugd.
Bat. 1687, 2 Ti, 4. Londini, 1686-88. Die einzeln oben erwähnten Arbeiten
tragen die Titel, de pulmonibus, erſchien 1661; Tetras epistolarum (de cere-
bro, de lingua, de omento, de externo tactus organo), 1665; die Abhandlung
de viscerum structura erſchien 1666; de Bombyce, Londin. 1669; de forma-
tione pulli in ovo, ebenda 1673. Das Meiſte der auf Thiere bezüglichen Angaben
iſt mit den Abbildungen abgedruckt in Ger. Blasius, Anatome animalium.
Amstelod. 1681.
Ausführliches über Swammerdam's Leben ſ. in der Biographie, welche
Boerhaave der Bibel der Natur vorangeſtellt hat.
ausgeübt habe, iſt darauf zurückzuführen, daß er durch Einſpritzen von Flüſſigkei-
ten in die Arterien und deren Uebergang in die Venen den Zuſammenhang von
Arterien und Venen nachzuweiſen ſuchte.
terte noch in der erſten Hälfte des ſiebzehnten Jahrhunderts ausführlich Fortu-
nius Licetus, De spontaneo viventium ortu. Vicentiae, 1618.40
Steno, nach dem der Gang genannt wird, gezeigt hat. ſ. Blaes's Brief an Tho-
mas Bartholin in des letzteren Centuriae epistol. III. 43. Seine Anatomia ani-
malium erſchien Amſterdam, 1681, ſeine Miscellanea anatomica hominis bruto-
rumque fabricam exhibentia, ebenda 1673. 8°.
ſich mit einer Mühle vergleicht; ihr Symbol iſt der Mühlbeutel, die Sitze ſind
Säcke, die Stufen zum Präſidentenplatz Mühlſteine u. ſ. w. Die Akademie der
Arkadier wurde erſt 1668 gegründet; ihrer Sitte, den Mitgliedern griechiſche Na-
men zu geben, konnte alſo die Leopoldiniſche Akademie nicht folgen, wie es Cu-
vier angibt. Sie vergleicht ſich ſchon 1661 mit der Argo, ihre Mitglieder mit
den Argonauten.
ſind: Schroeck, Moschologia, 1682; Wurffbain, Salamandrologia,
1683; Paullini, Cynographia, 1685, Bufo, 1686, Coenarum Helena s.
Anguilla, 1689, Talpa, 1689, Lagographia, 1691, Lycographia, 1694, de Asino,
1695; Garmann, Oologia, 1691; Fraundoerffer, de Millepedibus,
1700; Petri ab Hartenfelsz, Elephantographia, 1723 und 1733.
the Royal Society. Vol. I. London, 1848.
wähnten Reiſen J. Ray's nur die Mémoires pour l'hist. natur. de la province
de Languedoc. Paris, 1737, von dem als Aſtronom bekannten Generaladvocaten
und Secretair der Akademie zu Montpellier Franç. de Plantade anzuführen,
welches Buch ich indeß nicht kenne.
folgerte mit Unrecht aus dem Zuſatze curiosa, daß Wagner dies Buch als Mit-
glied der Leopoldina geſchrieben habe. Er wurde dies erſt 1690, nachdem von ſei-
ner Schrift bereits drei Auflagen erſchienen waren.
in: Sitzungsber. d. Wien. Akad. Math. naturw. Cl. Bd. 10. 1853. S. 300-403;
626-710; mit ſpecieller Aufzählung der vorhanden geweſenen Thiere.
choses naturelles. 4 Tom. Paris 1680-1684. Tome. III.: De la mécanique
des animaux. Der vierte Band enthält noch Abhandlungen über die äußeren
Sinne und die Bewegungen der Augen. Die übrigen Bände ſind phyſikaliſchen
Inhalts (Schwere, Schall, Muſik der Alten u. ſ. w.).
Titel: Exercitationes de differentiis et nominibus animalium. Quibus ac-
cedunt Mantissa anatomica etc. ibid. 1677. Dieſer anatomiſche Anhang über
Lophius, Rana, einen Hai iſt aus den Notizen von George Ent zuſammen-
geſtellt. Ein weiterer Anhang betrifft die Bezeichnung der Thierſtimmen und iſt
nicht, wie Haller, Biblioth. anatom. I. p. 440 meint, de voce animalium,
alſo phyſiologiſch, ſondern iſt überſchrieben: vocum naturalium ab Animalibus
editarum differentiae et nomina und iſt ſprachlich wichtig.
in Wray. In einem Briefe an Liſter geſteht er, se »eam (litteram W) olim,
antiqua et patria scriptione immutata, citra idoneam rationem adscivisse«.
ſ. The Correspondence of John Ray. Edited by Edwin Lankester. Lon-
don, Ray Society, 1848. p. 65.
quamvis constans sit specificae convenientiae signum, non tamen perpe-
tuum est et infallibile. Semina enim nonnulla degenerare et diversae a
matre speciei plantas interdum licet rarius producere adeoque dari in plan-
tis transmutationem specierum experimenta evincunt.
thiere gegeben (Spitzbergiſche Reiſe) und 1692 war die von Eſchricht als „faſt
claſſiſche Schrift“ bezeichnete Phalainologia nova von Rob. Sibbald erſchienen,
welche die erſten ſorgfältigen Schilderungen größerer Walthierarten nach geſtran-
deten Exemplaren enthielt.
kannt worden (1705); ſpäter fand ſie durch Levin Vincent eine ausführliche
Beſchreibung.
homine libri duo. Helmstad. 1728.
ganzes Naturalienkabinet kam 1740 an den Markgrafen von Brandenburg-Culm-
bach nach Bayreuth.
Nic. Andry, De la génération des vers. Paris 1700, neue Aufl. 1714. Edw.
Tyson, in: Philos. Transact. Vol. 16. Nr. 193. p.506.
ausgegraben und vom Lehrer am Gothaiſchen Gymnaſium Wilh. Ernſt Tentzel
beſchrieben. Er erklärte die Knochen für Reſte eines vormals lebenden Thieres.
Das Collegium medicum in Gotha aber, vor welches die Sache gebracht wurde,
erklärte von Amtswegen, daß es ſich hier nur um ein Naturſpiel handle. Spielt
die Natur, ſo können auch wir Figurenſteine machen, dachten die Würzburger Stu-
denten, und brachten dem Profeſſor Beringer alle Arten wunderbarer Steine
mit Geſtirnen, Kreuzen, Heiligenbildern u. ſ. f., welche der leichtgläubige Mann
in ſeiner Lithographia Wirceburgensis, 1726, abbilden ließ. Er entdeckte ſpäter
den Betrug, ſuchte das Buch zurückzuziehen und ſtarb vor Kummer.
früheren Aeußerungen über die Gloſſopetren ſ. oben S. 374.
London, 1695. Dieſe Schrift, in welcher ſich der Verf. unumwunden für die
Natur der Verſteinerungen als Reſte früher lebender Weſen ausſpricht, hat
Scheuchzer lateiniſch überſetzt (Tiguri, 1704) und auch dadurch zur Verbreitung
jener Sindfluththeorie beigetragen, welche unter den gegebenen Verhältniſſen we-
nigſtens die natürlichſte war.
1759.
biorum. p. 25. Anm. γ.
und der Aufſätze in periodiſchen Schriften):
1731. Beſchreibung der Meerröhren (mit den Belemniten u. ſ. w.)
1734. Natürliche Anordnung der Echinodermen (Seeigel.)
Linné: 1735. Naturſyſtem 1. Ausgabe.
1740. Erſte Sendung zur Naturgeſchichte der Fiſche; und Nomenclator der
Figurenſteine von Scheuchzer, beſorgt von Klein.
1740. Naturſyſtem 2. Ausg. Stockholm; Ueberſetzung der 1. Ausg.
von Lange; Halle. (von Linné als 3. Ausg. gezählt.)
1741 und 1742. Zweite und dritte Sendung zur Naturgeſchichte der Fiſche.
1743. Summe der Zweifel über Vierfüßer und Amphibien, welche in Linné's
Syſtem aufſtießen.
1744. Vierte Sendung zur Naturgeſchichte der Fiſche.
1744. Naturſyſtem. Paris (4. Ausg. nach Linné) durch Juſſieu.
1746. Mantiſſe über die Laute und das Hören der Fiſche.
1747. Naturſyſtem von Agnethler. (ident. mit der 2., nach
Linné 5. Ausg.)
1748. Naturſyſtem, 6. Originalausg. Stockholm, und Leipziger
Nachdruck derſelben. (7. Ausg.)
1749. Fünfte Sendung zur Naturgeſchichte der Fiſche.
1750. Prodromus zur Naturgeſchichte der Vögel.
1751. Anordnung und kurze Naturgeſchichte der Vierfüßer.
1753. Verſuch einer oſtrakologiſchen Methode.
1753. Naturſyſtem (8. Ausg.) Stockholm.
1754. Franzöſiſche Ueberſetzung des Echinenſyſtems (1734) und der Zweifel u. ſ. w.
(1743) von De La Chesnaye des Bois.
1755. Verſuch der Herpetologie mit fortlaufendem Commentar.
1758. Naturſyſtem, 9. Ausg. von Gronov; 1758: Stockholm,
10. Ausg. von Linné ſelbſt.
1759. Geſchlechtstafeln der Vögel.
1760. Zweifel über den Bau der Seepflanzen durch Würmer. — Zwei Ueber-
ſetzungen der Anordnung der Vierfüßer ins Deutſche von Reyger und
von F. D. Behn.
Quis, quaeso, internoscendorum animantium caussa pulcerrima haec auto-
mata destrueret et laceratis partibus internis corda scrutaretur? und p. 4.
Distributio nullo, certe multiplici nititur dividendi fundamento, quod
utrumque bonae divisionis regulis repugnat. Das von ihm ſelbſt aufgeſtellte
Syſtem iſt natürlich auch künſtlich. Er theilt die Thiere in Landthiere, Waſſer-
thiere und in beiden lebende Thiere. Die erſten bewegen ſich entweder nur mit
Füßen (Vierfüßer und Vielfüßer, Inſecten) oder mit Füßen und Flügeln (zwei-
füßig: Vögel, vierfüßig: fliegende Säugethiere, vielfüßig: fliegende Inſecten)
oder nur durch Muskeln ohne Füße, Kriechthiere: Schlangen und Würmer. Die
Waſſerthiere bewegen ſich entweder nur mit Floſſen (Lungen- und Kiemenfiſche)
oder mit Schalen, oder unbeſtimmter Art, meiſt ohne Ortsbewegung: Zoophyten.
Die in beiden Medien lebenden Thiere haben entweder Füße oder nicht. Es
bleiben hierfür (Titius nennt keine Gruppen) nur Amphibien und Waſſerſchlangen
übrig.
darin, daß nach ihm außer dem Kamel auch der Haſe wiederkäut. Er bildet ſogar
einen gehörnten Haſen ab.
befindlichen Würmer, in: Hamburg. Magazin, Bd. 18. 1747. S. 1. u. S. 29.
er gegen Coulet und Ballisnieri die Einfachheit der Bandwürmer.
1747. S. 106; die oben angeführte Stelle S. 114.
Echinodermen“ (1734) und beiläufig ſchon in der Arbeit über die Meerröhren
(S. 10) ſagt Klein, der Autor des Syſtems ſei Fiſcher aus Königsberg; es iſt
dies Chriſt. Gabr. Fiſcher, Profeſſor in Königsberg, eine Zeit lang aus dieſer
Stadt verwieſen und dann in Danzig lebend, ſtarb 1751. Derſelbe war auch bei
der Herausgabe von Linck's Werk über die Seeſterne thätig.
Exemplaren von zwei verſchiedenen Fundorten herzugekommenen Seeigel mit ſechs
Strahlen. Bei der ſonſt ſo genauen Rückſichtnahme auf Zahlenverhältniſſe iſt hier
ſchwer an eine Täuſchung zu glauben, höchſtens an eine Verwechſelung eines
Strahles mit einem beſonders ausgezeichneten Interradialfelde.
und gebraucht werden, ſo hieß Linné doch vor 1762 nicht ſo, ſondern nur Linnaeus.
Systema Naturae und der von Linné ſelbſt angenommenen Zählung derſelben
Ausgabe (1762) von Linné als 11. Ausgabe bezeichnet wird, während er den von
Lange beſorgten Abdruck (Halle, 1760) gar nicht erwähnt. Die 12. Ausgabe iſt
dann die 1766-68 in Stockholm erſchienene, die letzte, welche Linné ſelbſt beſorgt
hat. An dieſe ſchließt ſich dann die in Leipzig 1788 von Joh. Friedr. Gmelin
herausgegebene als 13. an.
Thiere eine Ueberſicht der zu Merkmalen benutzten Theile unter der Rubrik »Ter-
mini artis«, 1746.
Was ihm die scientia iſt, geht aus der Einleitung (10. Ausg.) hervor: »Scientia
naturae innititur cognitioni Naturalium methodicae et nomenclaturae syste-
zeichnung des Wohnortes des Menſchen hingewieſen, wie ſie ſich in der 12. Ausgabe
findet: habitat inter Tropicos Palmis lothophagus, hospitatur extra Tropicos no-
vercante Cerere carnivorus, ferner auf die Diagnoſe des Menſchen, die Beſchreibung
des Hundes, die Bezeichnung der Vogelſchnabelformen (Uncus trahens, Cuneus
saniens, Cribrum colans, Bacillus tentans, Harpa colligens, Forceps excipiens
u. ſ. w.
»Naturalis scientia trium
regnorum fundamentum est omnis diaetae, medicinae, oeconomiae tam
privatae quam ipsius naturae.«
Yunx umgeſtaltet.
drico tubuloso absque radio osseo, nec piscium simili nisi externa figura.«
Pedibus ante alas, sub alis, pone alis
sitis.«
meer, Natuurk. Verhandel. betreff. den hout-uitraspende Zeeworm, Am-
sterdam, 1733, und von Sellius, Hist. natur. Teredinis, Traj. ad. Rhen. 1733,
nicht unbekannt geblieben ſein. Auch hatte ſchon Vallisnieri die Muſchelrudi-
mente am vorderen Ende von Teredo geſchildert und die Aehnlichkeit des Thieres
mit der Auſter hervorgehoben. Ein Bericht aus holländiſchen Zeitungen mit Schil-
derung und Abbildung des Thieres und Auszügen aus Vallisnieri war auch ins
Deutſche überſetzt worden, 1733.
wähnt, daß das Thierreich in der zehnten Ausgabe Linné's 823, in der zwölften
1327, in der Gmelin'ſchen dreizehnten Ausgabe bei ziemlich gleichem Drucke 3909
Seiten ſtark iſt.
Punkte einen Gedanken enthält, welcher in einer ziemlich ähnlichen Form in einer
neuerlichſt zur Erklärung der Erblichkeitserſcheinungen aufgeſtellten Hypotheſe auf-
tritt. Der Gegenſtand gehört indeſſen weſentlich in das Gebiet der Phyſiologie,
weshalb hier nicht näher darauf eingegangen werden kann.
geſammelt werden können Beiſpielsweiſe ſei erwähnt, daß de Pagès in den
Voyages autour du monde et vers les deux poles (1767-76) Paris, 1782.
T. II. p. 42 angibt, daß die Penguine ſich zuweilen ihrer Flügel als Vorderbeine
bedienen und damit ſchnell laufen können.
1784 als Conferenzrath. Zur Vollendung ſeiner Fauna trugen Peter Chriſtian
Abildgaard und Jens Rathke bei.
England unter anderm als Grund der Ueberzeugung hervorgehoben, daß dieſe Inſel
früher mit dem europäiſchen Feſtlande zuſammengehangen habe. ſ. G. Cuvier,
Eloge de N. Desmarets.
Verſuch einer Naturgeſchichte der Eingeweidewürmer, 1782, S. 29, zu widerlegen.
1780. P. II. p. 69. wird zum erſtenmale ausgeſprochen, daß mehrere Hausthier-
formen den Charakter der Arten verloren haben und nur noch Mengen artloſer
Raſſen darſtellen.
genannt.
Mineralien. Jena, 1788. Batſch war 1761 in Jena geboren und ſtarb dort 1802
als Profeſſor der Botanik.
Aus Hermann's Schrift iſt zu erſehn, daß der Botaniker Necker (Karl
Joſeph, 1729-1793) eine wie es ſcheint nicht in weitere Kreiſe gedrungene Ueber-
ſicht der Verwandtſchaftsverhältniſſe der Pflanzen verfaßt hat, welche er „genealo-
giſche“ Tabelle nannte. Es wäre dies das erſte Mal, daß dieſe Auffaſſungsart der
verwandtſchaftlichen Beziehungen eine entſchiedene Ausſprache fand (Tabula affi-
nit. animal. p. 13).
Merrem wurde 1761 in Bremen geboren, war von 1781-1784 Privatdocent in
Göttingen, dann Profeſſor in Duisburg und von 1804 an in Marburg, wo er
1824 ſtarb.
Sachſen geboren (hiernach nannte er ſich Saxo). Nach ſeiner der Philologie und
(in Straßburg) der Naturgeſchichte gewidmeten Studienzeit wurde er 1776 Profeſſor
der griechiſchen Litteratur in Frankfurt a/O., 1811 Profeſſor deſſelben Fachs in
Breslau und ſtarb 1822.
Querfurt geboren und ſtarb
1790 als evangeliſcher Superintendent in Regensburg. Sein Bruder Joh.
Gott-
lieb Schäffer (geb. 1720 in Querfurt, ſtarb 1795 als Arzt in
Regensburg) hatte
zwei Söhne. Jak. Chriſtian Gottlieb (geb. 1752, geſt. 1826 als Arzt
in
Regensburgs) hatte keine
Söhne; eine ſeiner Töchter, Sophie, heirathete Adam Elias von Siebold
(geb. 1775 in Würzburg, Sohn des 1736 zu Nideggen im Jülichſchen geborenen,
1801 in den öſterreichiſchen Adelsſtand erhobenen und 1808 verſtorbenen
Profeſſors
Carl Caspar Siebold; ſtarb in Berlin 1828); deren in Würzburg geborene
Söhne ſind Eduard Carl Casp. (geb. 1801, geſt. 1861 in Göttingen) und
Carl
Theodor Ernſt, geb. 1804, Zoolog in München. Der andere Sohn Joh. Gtlieb.
Schäffer's war Joh. Ulrich Gottlieb (geb. 1753, geſt. 1829, Arzt in
Regensburg).
Auch dieſer hatte nur Töchter. Eine derſelben heirathete den praktiſchen Arzt
Dr.
Herrich in Regensburg. Ihre Söhne, beide Aerzte in Regensburg,
waren Gott-
lieb Auguſt Wilhelm (geb. 1799, geſt. 1861, der Entomolog) und
Carl Herrich
(geb. 1808, geſt. 1854). Auf den Wunſch ihrer Großväter nahmen dieſe, wie die
Männer zweier Enkelinnen Jak. Chriſtian's nach deren Tode noch den Namen
Schäffer an; daher der Name Herrich-Schäffer. — Nach dieſen auf
Mittheilun-
gen des verſtorbenen Eduard von Siebold beruhenden Angaben ſind die die
Schäffer's
betreffenden Notizen in Hagen's Bibliotheca entomologica zu
berichtigen.
gründete 1792 das erſte naturhiſtoriſche Journal in Frankreich,
welches aber beim Antritte ſeiner türkiſchen Reiſe wieder eingieng. Vom Jahre
1794
an nahmen dann die vom Abbé Rozier herausgegebenen Auszüge
aus den Schrif-
ten der Akademien (die Obsvervations physiques) den Titel
Journal an.
die
Seeſcheiden ſtänden in dem-
ſelben Verhältniß zu den Muſcheln, wie die Nacktſchnecken zu den
Schaaligen.
Ohrdruff, geſt. 1778 als Arzt in
Berlin) hat ſich um Förderung des allgemeinen Intereſſes an den
Naturwiſſen-
ſchaften auch durch Herausgabe des Berliner Magazins ſowie der
Mannichfaltigkeiten
verdient gemacht. Auch gründete er die Geſellſchaft naturforſchender Freunde in
Berlin. Joh. Hieron. Chemnitz war 1730 in Magdeburg geboren und ſtarb
1800
als Paſtor der deutſchen Garniſonsgemeinde in Kopenhagen.
Aſchersleben, geſt. 1793 als Prediger in Quedlinburg, Bru-
der des durch den Streit mit Leſſing bekannten Joh. Melchior Goeze.
war der Sohn des Chemikers Ét. François und
Neffe des Botanikers Claude Joſeph Geoffroy, geb. 1725, geſt. 1810.
J. A. E. Goeze, 1775.
postume, welche St. Delle Chiaje 1853 herausgegeben hat, eine Schlußab-
handlung, desgleichen noch andere werthvolle Beiträge.
Berühmtheit in der Anatomie gründet ſich neben einem nicht zu misdeutenden
freien Blicke mehr auf ſein großes Talent der bildlichen wie ſprachlichen Darſtellung,
als auf poſitive Förderung der Wiſſenſchaft.
1819. p. 439.
von A. Tulk.
ſchließlichen Beſitz eigenthümlicher Organe.“ So leitet er die erſte „Entwickelung
der wiſſenſchaftlichen Syſtematik der Thiere“ ein. In: Oken und Kieſer, Bei-
träge zur vergleich. Zoologie. 1. Heft, 1806. S. 103.
„dem Freunde Freund, dem Feinde Feind, und nur dem Gleichgültigen Unpartei-
lichkeit“!
und 1832 in Heidelberg geſtorben. Sein 1798 erſchienener „Verſuch einer Natur-
geſchichte der Sinneswerkzeuge der Inſecten und Würmer“ iſt eine zwar teleologiſch
gefärbte, aber doch nüchterne Zuſammenſtellung der damals bekannten Thatſachen.
Seine ſpäteren Schriften ſind bis zum Extrem naturphiloſophiſch.
Medicin, in Jena unter Schelling Philoſophie. 1803 wurde er Arzt in Altenburg,
1805 in Freiberg, 1806 in Dresden, 1809 Director des Realinſtituts in Nürnberg.
1816 wurde er Erzieher der Kinder des Erbgroßherzogs von Mecklenburg-Schwerin,
1819 Profeſſor der Naturgeſchichte in Erlangen, 1827 in München, wo er, ſeit 1853
im Ruheſtand, 1860 ſtarb.
und Phyſiologie in Dorpat, ſeit 1814 in Königsberg, ſtarb 1847.
1814 Profeſſor der Geburtshülfe an der mediciniſchen Akademie in Dresden, 1827
Leibarzt, und 1869 geſtorben.
Tiedemann, Zoologie. Bd. 1. S. 234. Anm. (1808). Letzteres Citat ruft den
Schein hervor, als ſei die Arbeit veröffentlicht.
die Schüler der Oekonomie und Forſtwiſſenſchaft Naturgeſchichte, wurde 1790 Lehrer
der Zoologie und Vorſteher des Muſeums in Stuttgart, 1796 Profeſſor der Chemie
und 1801 Profeſſor der Botanik, Pharmacie und Materia medica in Tübingen,
1816 Vorſtand der wiſſenſchaftlichen Sammlungen in Stuttgart, trat 1839 von
dieſer Stellung zurück und ſtarb 1844.
Anerkennung Kielmeyer gefunden hatte, beweiſt u. A. der Umſtand, daß A. von
Humboldt ihm ſeine Unterſuchungen aus der Zoologie widmete.
Zoologie, welche Pfaff „eine meiſterhafte Ausführung jener kürzeren Rede (Ueber
die Verhältniſſe der organiſchen Kräfte, 1793)“ nennt, drucken zu laſſen. Nach zwanzig
Bogen unterbrach er den Druck. Das Gedruckte iſt leider unauffindbar.
Etampes
geboren, wurde Schüler Hauy's und Daubenton's, ſetzte 1792 des ſchon
verurtheil-
ten Hauy Befreiung durch und wurde von dieſem Daubenton warm empfohlen,
welcher
ihm 1793 neben Lamarck die zweite Profeſſur der Zoologie am Muſeum erwirkte.
Von 1798-1802 war er mit der Napoleoniſchen Expedition in Aegypten. Er
ſtarb 1844.
Der richtigen Deu-
tung des Kiemendeckelapparats war ſchon Blainville näher. Bullet. Soc.
philom.
1817. p. 104.
an III (1795),
p. 385, der zweite in Millin, Magas. encyclop. 1795. Tom. II. p.
433.
Anm. 14 angeführten Aufſätze, p. 389: „le sang ne pouvant plus aller chercher
l'air, il a fallu que l'air vînt le chercher“.
des älteren (daher hieß er zuweilen der Jüngere), welcher 1774 in Berlin ſtarb,
Sohn des Halliſchen Profeſſors Philipp Friedrich Theodor M. Dieſer ſtarb
1803 und hinterließ zwei Söhne, Joh. Friedr. Meckel, geb. 1781, geſtorben
1833 und Albert Meckel, welcher 1829 in Bern als Anatom ſtarb. Am 11. Juli
1682 war die Familie mittelſt kaiſerlichen Diploms als Meckel von Hemsbach
geadelt worden. Dieſen Adel nahmen die drei Söhne Albert Meckel's unter ſtaat-
licher Anerkennung wieder an. Einer derſelben war der durch einige zootomiſche
Arbeiten bekannte Patholog Joh. Heinrich Meckel von Hemsbach, welcher, 1821
in Bern geboren, 1856 in Berlin ſtarb.
gut den niedern Thierclaſſen als den Wirbelthieren entnommen wurden. Es ſei
hier nur erinnert an Schalk, Ascidien, Konrad, Aſterien, Koſſe, Pteropoden,
Leue, Pleurobranchaea, Löwe, Athemorgane der Inſecten, Feider, Haliotis,
Arſaky, Fiſchgehirn (1813, neu herausgegeben 1836), Mertens, Batrachier,
Lorenz, Reptilienbecken, Fouquet, Athemorgane im Thierreich
von Reimann, Hyäne, Breyer, Pipa, Wolff, Stimmorgane der Säugethiere,
und Maſſalien, Fiſchauge, an. Von andern unter Rudolph's Leitung oder
Einfluß verfaßten Diſſertationen ſind zu erwähnen die von Jaffé,
Mohring,
Maßmann, Tuch, Pommereſche u. A.
und ſtarb daſelbſt 1837. Ein ausgezeichneter Beobachter und geiſtvoller Forſcher,
der ſowohl in ſeiner Biologie, wie in ſeinen vergleichend anatomiſchen Arbeiten
nicht bloß ausgebreitete Gelehrſamkeit, ſondern eine volle Beherrſchung der Auf-
gaben gezeigt hat.
dem 1800 gehaltenen Eröffnungsdiscurs) ſagt er: Tous les animaux connus peu-
vent donc être distingués d'une manière remarquable I. en animaux à ver-
tèbres, 2. en animaux sans vertèbres. Auch die in der Philosophie zoologique,
1809. T. I. p. 277 gegebene Eintheilung in ſechs Stufen, von denen zwei die Wir-
belthiere umfaſſen, iſt der Erfaſſung der Typen völlig fern.
posent le règne animal.“ in: Ann. du Muséum d'hist. nat. Tom. XIX. 1812.
p. 73.
handlung der Beiträge zur Kenntniß der niederen Thiere in: Nova Acta Acad.
Leop. Carol. Tom. XIII. P. II. 1827. p. 747. ſ. auch die Abhandlung: Ueber
Werke Ueber Entwickelungsgeſchichte der Thiere. Bd. 1. 1828. S. 206.
mum. Jenae, 1808. 4°. Der Verfaſſer, welcher ſich Esthonia-Rossus nennt,
über deſſen Leben und Schickſale aber weiter nichts bekannt iſt, gibt hier einen Aus-
zug aus einer größern Unterſuchungsreihe, welche er beſonders in Göttingen unter
Blumenbach angeſtellt hatte. Das ausführliche Buch, auf welches er verweiſt, iſt
nicht erſchienen.
in Jena und Würzburg, begleitete 1820 die ruſſiſche Geſandtſchaft nach Bokhara
unter Negri als „Naturkündiger“, wurde 1822 Adjunct, 1823 Mitglied der Peters-
burger Akademie für das Fach der Zoologie, erbat ſich aber ſchon 1828 ſeine Ent-
laſſung. Nachdem er von 1821 an mit dem ältern d'Alton die vergleichende Knochen-
lehre durch prachtvolle Darſtellungen bereichert hatte, wandte er ſich ſpäter der
Geologie und Paläontologie zu. Er ſtarb 1865.
Leo, Anatomie des Regenwurms, 1820, Reuter, Säugethier- und Vogelzunge,
1820, Richter, zur Anatomie des Kamels, 1824, Koch, Maulwurfsauge, 1828,
Neumann, Eileiter der Muſcheln, 1827, Berlack, Schwimmblaſe der Fiſche,
1834, Burow, Blutgefäße der Fröſche, 1834, u. A.
wurde Profector in Jena, 1822 Profeſſor in Marburg, wo er 1862 ſtarb.
am anatomiſchen Muſeum in Berlin, von 1839-1848 Profeſſor in Löwen und
ſeitdem in Lüttich.
in Bonn 1819 gebraucht.
dem Fortſchritte der Wiſſenſchaft in hohem
Grade ſchädlich; denn ſie bleiben häufig lange beſtehn. Aber falſche Anſichten
thun,
wenn ſie durch einige Beweiſe unterſtützt ſind, wenig Schaden, da Jedermann ein
heilſames Vergnügen darin findet, ihre Irrigkeit nachzuweiſen.“ Darwin, Ab-
ſtammung des Menſchen; Ueberſetz. 2. Bd. S. 339.
als Schüler Wharton Jones'), gieng 1846 als Schiffsarzt mit Macgillivray an
Bord der Rattleſnake unter Capt. Owen Stanley nach Auſtralien und Neu-Guinea.
Er kehrte 1850 zurück und wurde 1855 Profeſſor der Naturgeſchichte an der School
of Mines, 1863 Profeſſor der vergleichenden Anatomie und Phyſiologie am College
of Surgeons.
Metageneſis, ein ſeitdem ziemlich verbreiteter Ausdruck.
Henri Milne Edwards iſt 1800 in Bruges geboren, jüngerer Bruder des 1776
in Jamaika gebornen Phyſiologen Will. Frederic Edwards; er wurde 1838 Sup-
pleant, 1844 Nachfolger Et. Geoffroy St. Hilaire's am Pflanzengarten.
egg, taken together.“ Proceed. R. Institut. Vol. I. (1852) 1854. p. 488.
Medicin in Zürich, Heidelberg und München, fieng an letzterem Orte an, Fiſche zu
ſtudiren, gab 1829 die von Spix und Martius in Braſilien geſammelten Arten
heraus und gieng dann an die Bearbeitung der foſſilen Fiſche, über welche er 1833-42
das claſſiſche Werk herausgab. Er wurde 1833 Profeſſor der Naturgeſchichte in
Neuſchatel und gieng 1846 nach Nord-Amerika, wo er in Cambridge Profeſſor
wurde.
Chartum.
James de Carle S. (geb. 1787) fort. Sein zweiter Sohn George Brettingham S.
(1788-1854) war als Conchyliolog thätig und betheiligte ſich mit Vigors und
Horsfield an der Herausgabe des Zoological Journal. Gleichfalls als Conchyliolog
bekannt iſt des letztern gleichnamiger Sohn, George Brettingham Sowerbyjun.
(geb. 1812).
ralogie am Muſeum, Vater von Adolphe Theod. Brongniart, geb. 1801, der ſich
um die Kenntniß der foſſilen Pflanzen bedeutende Verdienſte erworben hat. Anſ.
Gaet. Desmareſt iſt der Sohn des oben erwähnten Nicol. Desmareſt; geb. 1784,
geſt. 1838 als Profeſſor der Zoologie an der Veterinärſchule in Alfort.
lure nach Amerika, kehrte 1837 nach Havre zurück und ſtarb 1846 in Str. Adreſſe
bei Havre.
Botanik des Aſtrolabe heraus. — In einigen Werken wird angeführt, Duperrey
habe im Jahre 1833 eine zweite Reiſe mit Leſſon gemacht. Dies iſt falſch.
„Thetys“ und „Esperance“ (1824-26), welche vorzüglich phyſikaliſche Reſultate
lieferte.
Pierre Theod. Laplace, welcher 1837-40 die „Artemiſte“ um die Erde führte.
in Kàmtſchatka die Kruſenſtern'ſche Expedition und kam 1808 über Land nach Peters-
burg zurück. Später gieng er als ruſſiſcher Conſul nach Braſilien, was er 1825-29
bereiſte. Von 1831 an lebte er in Freiburg i/Br., wo er 1852 ſtarb.
geborene Maler Ludw. Choris zugetheilt, in deſſen Voyage pittoresque autour
du monde. Paris, 1822, Aufſätze von Chamiſſo enthalten ſind.
dann Medicin, und ſtarb 1826 in München. Martius (ſpäter geadelt) war 1794
in Erlangen geboren, Sohn des Apothekers Ernſt Wilh. M., und ſtarb in Mün-
chen 1868.
machte 1834-1839 auf Koſten der Londoner geographiſchen Geſellſchaft eine Reiſe
durch Guyana, gieng auf Veranlaſſung der engliſchen Regierung 1840-1844 noch-
mals dahin, und ſtarb 1865 in Berlin, nachdem ſeine Geſundheit während ſeines
Aufenthalts als engliſcher Generalconſul in Siam untergraben worden war. Sein
Bruder Moritz Richard begleitete ihn im Auftrage des Königs von Preußen 1840
nach Guyana.
geſt. 1866, alſo Vetter von C. Th. E. von Siebold.
Briefen (1856) zu Grunde legt, wogegen das von ihm früher, in ſeiner Naturge-
ſchichte (1837) entwickelte eine naturphiloſophiſche Färbung zeigt.
Palermo von ſeinem Führer ermordet.
der Bildung des Herzens, je nach-
dem daſſelbe vier, drei, zwei oder eine Abtheilung beſitzt, welchen vier Gruppen
noch
eine zugefügt wird für die Thiere, deren Leibeshöhle gleichzeitig Magen und Herz
iſt, ſtellte J. Hunter auf.
Grundzügen der vergleichenden Anatomie, 1828.
gleichfalls rein naturphilo-
ſophiſchen Syſteme von Aug. Vollr. Streubel und Max. Perty (beide
1846).
Bei erſterem ſind die drei Gruppen, Kopf-, Glieder- und Rumpfthiere, ſogar durch
die Temperamente charakteriſirt, die Rumpfthiere ſind melancholiſch, Gliederthiere
ſanguiniſch, Kopfthiere phlegmatiſch-choleriſch.
„Der Embryo entſteht mit einem Primitivtheile (evolutio ex una
parte)
oder mit dem ganzen Leibe zugleich (evol. ex omnibus
partibus).“ In erſterem Falle
wächſt der Embryo nach zwei ſymmetriſchen Richtungen (evol. bigemina, Wirbel-
und Gliederthiere) oder nach allen Richtungen gleichmäßig (evol. radiata,
Mollus-
ken), in letzterem Falle in der Richtung der Querachſe (Strahlthiere) oder in der
Richtung der Längsachſe (Würmer). Entwick. d. Cephalopoden. S. 175.
Medicin, 1826 außerordentlicher, 1835 ordentlicher Profeſſor der Zoologie und ſtarb
als ſolcher 1868. Seine zoologiſche Philoſophie (lateiniſch geſchrieben) iſt
etwas
hinter den Erwartungen zurückgeblieben, die man von einem gerade aus ſeiner
Feder kommenden Werke ſolchen Inhalts hegte; aber ſchon die Conception
deſſelben
iſt für ihn bezeichnend.
hieße die hiſtoriſche Darſtellung mit einer Litteraturüberſicht verwechſeln,
ollte hier auf eine Aufzählung der Hauptwerke über einzelne Ordnungen und fau-
niſtiſcher Verzeichniſſe eingegangen werden.
trennt werden ſollen, dieſer Abtheilung dann vielleicht auch die Bryozoen einzu-
ordnen ſeien.
der Naturgeſchichte zu, wurde 1839 Conſervator und nach Temminck's Tode 1858
Director des Reichsmuſeums in Leyden.
Werke in 90 Bänden).
sans vert. 1801. p. 13.
p. 209, und Mém. de l'Instit. Acad. d. sc. Tom. XII. 1833. p. 63.
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- TextGrid Repository (2025). Carus, Julius Victor. Geschichte der Zoologie bis auf Joh. Müller und Charl. Darwin. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bhvz.0