Briefe aus Paris
Börne's Schriften 1r bis 8r Band
ſind bis zum Schluß der Leipziger Oſtermeſſe 1832 noch
zum zweiten Subſcriptionspreiſe zu 6 Thlr. zu bekommen.
Dann tritt der Ladenpreis dafür mit 8 Thlr. ein.
[[III]]
Bei Hoffmann und Campe.
1832.
[[IV]][[V]]
BeiHoffmann und Campe.
1832.
[[VI]][[VII]]
Inhalt.
- Erſter BriefSeite 1
- Zweiter Brief— 4
- Dritter Brief— 8
- Vierter Brief— 14
- Fünfter Brief— 29
- Sechster Brief— 35
- Siebenter Brief— 46
- Achter Brief— 53
- Neunter Brief— 60
- Zehnter Brief— 65
- Eilfter Brief— 73
- Zwölfter Brief— 81
- Dreizehnter Brief— 90
- Vierzehnter Brief— 98
- Funfzehnter Brief— 110
- Sechszehnter Brief— 116
- Siebzehnter Brief— 124
- Achtzehnter Brief— 129
- [VIII] Neunzehnter BriefSeite 137
- Zwanzigſter Brief— 147
- Ein und zwanzigſter Brief— 155
- Zwei und zwanzigſter Brief— 163
- Drei und zwanzigſter Brief— 168
- Vier und zwanzigſter Brief— 172
- Fünf und zwanzigſter Brief— 183
- Sechs und zwanzigſter Brief— 197
- Sieben und zwanzigſter Brief— 210
- Acht und zwanzigſter Brief— 223
Erſter Brief.
Ich fange an den guten Reiſegeiſt zu ſpüren, und
einige von der Legion Teufel, die ich im Leibe habe,
ſind ſchon ausgezogen.
Aber je näher ich der franzöſiſchen Grenze
komme, je toller werde ich. Weiß ich doch jetzt
ſchon, was ich thun werde auf der Kehler Brücke,
ſobald ich der letzten badiſchen Schildwache den
Rücken zukehre. Doch darf ich das keinem Frauen¬
zimmer verrathen.
Geſtern Abend war ich bei S. Die hatten
einmal eine Freude mich zu ſehen! Sie wußten gar
nicht, was ſie mir alles Liebes erzeugen ſollten, ſie
hätten mir gern die ganze Univerſität gebraten vor¬
geſetzt. Mir Aermſten mit meinem romantiſchen
Magen! Nicht der Vogel Rock verdaute das. Die
W. hat einen prächtigen Jungen. Ich ſah eine
I. 1[2] ſchönere Zeit in roſenrother Knoſpe. Wenn die ein¬
mal aufbricht! Wie gern hätte ich ihn der Mutter
geſtohlen, und ihn mit mir über den Rhein geführt,
ihn dort zu erziehen mit Schlägen und Küſſen, mit
Hunger und Roſinen, daß er lerne frei ſein und
dann zurückkehre, frei zu machen.
In Heidelberg ſah ich die erſten Franzoſen mit
dreifarbigen Bändern. Anfänglich ſah ich es für
Orden an, und mein Ordens-Gelübde legte mir
die Pflicht auf, mich bei ſolchem Anblicke inbrünſtig
zu ärgern. Aber ein Knabe, der auch ſein Band
trug, brachte mich auf die rechte Spur.
Ich mußte lachen als ich nach Darmſtadt kam
und mich erinnerte, daß da vor wenigen Tagen eine
fürchterliche Revolution geweſen ſeyn ſoll, wie man
in Frankfurt erzählte. Es iſt eine Stille auf den
Straßen, gleich der bei uns in der Nacht, und die
wenigen Menſchen, die vorübergehen, treten nicht
lauter auf als die Schnecken. Erzählte man ſich
ſogar bei uns, das Schloß brenne, und einer meiner
Freunde ſtieg den hohen Pfarr-Thurm hinauf, den
Brand zu ſehen! Es war Alles gelogen. Die Bür¬
ger ſind unzufrieden, aber nicht mit der Regierung,
ſondern mit den Liberalen in der Kammer, die dem
Großherzoge ſeine Schulden nicht bezahlen wollen.
Das iſt deutſches Volks-Murren, das laß ich
mir gefallen; darin iſt Roſſiniſche Melodie.
[3]
Wenn Sie mir es nicht glauben werden, daß
ich geſtern drei Stunden im Theater geſeſſen, und
mit himmliſcher Geduld Minna von Barnhelm bis
zu Ende geſehen — bin ich gar nicht böſe darüber.
Aber das Unwahrſcheinlichſte iſt manchmal wahr.
Auf der Reiſe kann ich alles vertragen.
Die Theaterwache in Darmſtadt war gewiß
funfzig Mann ſtark. Ich glaube auf je zwei Zu¬
ſchauer war ein Soldat gerechnet. Noch viel zu
wenig in ſolcher tollen Zeit. Und dieſen Morgen
um ſechs Uhr zogen einige Schwadronen Reiter an
meinem Fenſter vorüber und trompeteten mich, und
alle Kinder, und alle Greiſe, und alle Kranken, und
alle ſüßträumenden Mädchen aus dem Schlafe. Das
geſchieht wohl jeden Tag. Dieſe kleinen deutſchen
Fürſten in ihren Nußſchal-Reſidenzen ſind gerüſtet
und geſtachelt wie die wilden Kaſtanien. Wie froh
bin ich, daß ich aus dem Lande gehe.
Adieu, Adieu. Und ſchreiben Sie mir es nur
auf der Stelle, ſo oft bei uns eine ſchöne Dumm¬
heit vorfällt.
1 *
Zweiter Brief.
Die erſte franzöſiſche Kokarde ſah ich an dem
Hute eines Bauers, der von Strasburg kommend
in Kehl an mir vorüberging. Mich entzückte der
Anblick. Es erſchien mir wie ein kleiner Regenbogen
nach der Sündfluth unſerer Tage, als das Friedens¬
zeichen des verſöhnten Gottes. Ach! und als mir
die dreifarbige Fahne entgegenfunkelte — ganz un¬
beſchreiblich hat mich das aufgeregt. Das Herz
pochte mir bis zum Uebelbefinden und nur Thränen
konnten meine gepreßte Bruſt erleichtern. Es war
ein unentſchiedenes Gemiſch von Liebe und Haß, von
Freude und Trauer, von Hoffnung und Furcht.
Der Muth konnte die Wehmuth, die Wehmuth in
meiner Bruſt den Muth nicht beſiegen. Es war ein
Streit ohne Ende und ohne Friede. Die Fahne
ſtand mitten auf der Brücke, mit der Stange in
[5] Frankreichs Erde wurzelnd, aber ein Theil des Tu¬
ches flatterte in deutſcher Luft. Fragen Sie doch
den erſten beſten Legations-Sekretär, ob das nicht
gegen das Völkerrecht ſei? Es war nur der rothe
Farbenſtreif der Fahne, der in unſer Mutterland
hineinflatterte. Das wird auch die einzige Farbe
ſeyn, die uns zu Theil wird werden von Frankreichs
Freiheit. Roth, Blut, Blut — ach! und nicht
Blut auf dem Schlachtfelde.
Gott! könnte ich doch auch einmal unter dieſer
Fahne ſtreiten, nur einen einzigen Tag mit rother
Dinte ſchreiben, wie gern wollte ich meine geſam¬
melten Schriften verbrennen, und ſelbſt den unſchul¬
digen achten Theil von ihnen, der noch im Mutter¬
ſchooſe meiner Phantaſie ruht! Schmach, Schmach
über unſer Andenken! Einſt werden die ſiegesfrohen,
ſiegesübermüthigen Enkel ſpottend einen Gansflügel
auf unſeren Grabeshügel ſtecken, während glücklichere
Todte unter dem Schatten der Lorbeeren ruhen. Ich
begreife, wie man gegenwärtige Uebel geduldig er¬
trägt — es gibt kein gegenwärtiges Uebel, es wird
nach jeder Minute zur Vergangenheit — aber wie
erträgt man zukünftige Leiden? das faſſe ich nicht.
Dieſen Mittag war ein junger Menſch bei
Tiſche, der in Paris mit gefochten. Es war mir
gerade als brennten ihm die Haare, und unwillkühr¬
lich rückte ich von ihm weg, ob zwar ich deutſches
[6] naſſes Holz ihn eher ausgelöſcht hätte, als er mich
angezündet. Wir waren unſerer neun, worunter drei
alte Weiber, mich mitgerechnet, und ich habe in einer
einzigen Stunde mehr ſprechen hören, als im eng¬
liſchen Hofe während der zwei Monate, daß ich
dort zu Tiſche ging.
Ich wollte hier einen Platz im Coupe nehmen,
aber ſchon auf acht Tage voraus war das Cabriolet
in Beſchlag genommen, und ſo lange habe ich keine
Geduld zu warten. Mich in den innern Wagen zu
ſetzen, dazu kann ich mich nicht entſchließen. Uebri¬
gens ſind auch hier die Plätze ſchon auf mehrere
Tage beſetzt. Dieſe Frequenz kommt von den un¬
zähligen Soliciteurs, die täglich nach Paris eilen,
den jungen Freiheitsbaum zu ſchütteln.
Um zehen Uhr reiſe ich weiter. Ich habe mir
einen Miethwagen bis Chalons genommen. Das iſt
zwei Dritt-Theile des Weges. Mit dem nehmlichen
Kutſcher und dem nehmlichen Wagen, iſt vor kurzem
Potter nach Paris gefahren. Ich wohnte hier in
dem nehmlichen Zimmer, das er bewohnte. Was
das Zimmer betrifft, iſt mir nicht bange; eine
Nacht, das kann mir nicht ſchaden. Aber acht Tage
in Potters Wagen? Ich werde ihn durchräuchern
laſſen.
[7]
Eben zog die National-Garde vorüber. Ich
erſtaunte über ihr geſundes und friſches Ausſehen,
da ſie doch einige Jahre ſcheintodt im Grabe gele¬
gen. Aber die Freiheit lebt auch im Grabe fort und
wächſt, bis ſie den Sarg ſprengt. Das ſollten ſich
die Todtengräber merken.
Dritter Brief.
Guten Morgen oder guten Abend? Ich weiß
nicht um welche Tageszeit Sie meine Briefe erhal¬
ten. Hier übernachte ich, morgen Mittag komme
ich nach Nancy. Ich befinde mich ſehr wohl und
reiſe bequem. Es iſt freilich eine Schneckenfahrt,
doch hat das auch ſeine Vortheile. Während die
Räder ſich langſam drehen, hat man Zeit manches
zu bemerken, und die Phyſiognomie des Landes zu
beobachten. Aber nein, ſo ein leeres Geſicht iſt mir
noch gar nicht vorgekommen. Lebloſeres, langweili¬
geres, verdrüßlicheres gibt es gar nicht als dieſer
ganze Weg von der deutſchen Grenze bis nach Paris.
Es iſt jetzt das dritte Mal, daß ich ihn zurücklege.
Mir kommt er vor wie ein langer ſtiller Gang,
nur gebaut, in das wohnliche Paris zu führen, und
die mir begegnenden Menſchen erſcheinen mir als
[9] die Diener des Hauſes, die hin und her eilen, die
Befehle ihres Herrn zu vollziehen und ihm aufzu¬
warten. Die Bevölkerung in den Provinzen hat eine
wahre Lakaien-Art, ſie ſpricht von nichts als von
ihrem gnädigen Herrn Paris. Die Städte, die Dör¬
fer ſind Miſthaufen, beſtimmt Paris zu düngen.
Wenn auch die andern Provinzen Frankreichs denen
gleichen, die ich kenne, ſo möchte ich außerhalb Paris
kein Franzoſe ſein, weder König noch Bürger.
— Das menſchliche Leben iſt voller Rechnungs¬
fehler und ich weiß wahrhaftig nicht, wozu uns das
Einmal Eins nützt. Der Teufel iſt Controlleur und
hat ſeine Freude am Widerſpruch, um jeden Abend
den ehrlichen Buchhalter zu verwirren. Am zwölften
September des vorigen Jahres war ich, wie ich aus
meinem Tagebuche erſahe, in Soden, der letzte Gaſt
im Bade, der einzige Städter im Dorfe, ſaß gefan¬
gen auf meinem Zimmer, von dem ſchlechteſten Wet¬
ter bewacht, ward gefoltert von den boshafteſten Ner¬
ven. Es war Abends acht Uhr, ich lag auf dem
Sopha, das ungeputzte Licht brannte düſter, Wind
und Regen klopften leiſe an das Fenſter, es war
mir, als wenn die Elemente riefen: komm zurück,
wir erwarten dich! Es war mir unendlich wehe.
Ich fühlte mich wie fortgeſchleppt von den gewaltigen
[10] Armen der Natur, und kein Freund kam zu meiner
Hülfe .... Wer mir damals geſagt hätte: heute
über das Jahr biſt du um dieſe Stunde in Vitry-
ſür-Marne, froh und geſund und wirſt dort ſchlafen
und nicht unter der Erde — ich hätte ihn ausge¬
lacht inmitten meiner Schmerzen. Und wer am
nehmlichen Tage dem Könige von Frankreich geſagt
hätte: heute übers Jahr biſt du nicht König mehr,
und ſchläfſt in England? .. Es iſt doch ſchön,
kein König ſein! Daran will ich künftig denken, ſo
oft ich leide. Armer Karl! Unglücklicher Greis! die
Menſchen — nein, unbarmherzig ſind ſie nicht, aber
ſie ſind unwiſſende Thoren. Sie begreifen gar nicht,
was das heißt: König ſeyn; ſie begreifen nicht was
das heißt, auf ſchwachen menſchlichen Schultern den
Zorn und die Rache eines Gottes tragen; ſie be¬
greifen nicht, was es heißt, einem einzigen Herzen,
einer einzigen Seele die Sünden eines ganzen Volkes
aufladen! Denn warum haben die Menſchen Könige,
als weil ſie Sünder ſind? Iſt das Fürſtenthum
etwas Anderes als ein künſtliches Geſchwür, welches
die heilbedächtige Vorſehung, den Völkern zuzieht,
daß ſie nicht verderben an ihren böſen Säften, daß
ihre giftigen Leidenſchaften alle nach außen fliehen
und ſich im Geſchwür ſammeln? Und wenn es auf¬
ſpringt endlich — wer hat es ſtrotzend gemacht?
Nicht ſchonen ſoll man verbrecheriſche Könige, aber
[11] weinen ſoll man, daß man ſie nicht ſchonen dürfe.
Doch erzählen ſie das ja keinem wieder. Denn die
Thoren anderer Art möchten ſagen: da iſt nun ein
Freiheitsliebender Mann, der doch noch ſagt, es ſey
dem Könige von Frankreich Unrecht geſchehen! Was?
Recht! Unrecht! leere, tolle Worte! Verklagt den
Sturm, verklagt den Blitz, verklagt das Erdbeben,
verklagt das Fieber, verklagt die ſpitzbübiſche Nacht,
die euch um den halben Tag geprellt — und wenn
ihr den Proceß gewonnen, dann kommt ihr geſchick¬
ten Advokaten und verklagt ein Volk, es habe ſeinem
Könige Unrecht gethan!
— Ich habe ſchon viel in Frankreich geſchla¬
fen: in Strasburg, in Pfalzburg, Lüneville, Nancy,
Toul, Bar-le-Düc, und heute ſchlafe ich hier. Es
iſt eine ſchöne Erfindung, wie Sancho Panſa ſagt;
und wo man [ſchläft], man ſchläft immer zu Hauſe,
und wo man träumt, man hat überall vaterländiſche
Träume. Aber was geht das mich an? Ich bin
auch wachend nirgends fremd.
In den Niederlanden ſcheint es arg herzugehen.
Was aber die Leute dort wollen und nicht wollen,
begreife ich nicht recht. Ihr hättet mich nicht ab¬
halten ſollen über Brüſſel zu reiſen. Es iſt freilich
kein Vergnügen todtgeſchoſſen zu werden, und nicht
zu wiſſen wofür. Aber wenn man im Bette ſtirbt,
wie die Meiſten, weiß man dann beſſer, wofür es
[12] geſchieht? die Unannehmlichkeit dauert einige Minu¬
ten; das Vergnügen aber, nicht todtgeſchoſſen wor¬
den, der Gefahr entgangen zu ſeyn, reicht für das
ganze Leben hin. Man muß rechnen, zählen, wie¬
gen. Auf mehr oder weniger, ſchwerer oder leichter
kommt alles an. Die Qualitäten ſind nicht ſehr
verſchieden.
Ach! ich ſpüre es ſchon, es ergeht mir dieſes¬
mal in Frankreich, wie die beiden vorigenmale. Die
feuchte Philoſophie ſchlägt an mir heraus, wie, wenn
warme Witterung eintritt, die Stein-Wände naß
werden. Es iſt mir recht, dieſe Haut-Krankheit der
Seele iſt meiner betrübten Konſtitution ſehr heilſam.
— So eben las ich in einem Pariſer Blatte,
die aus einer engliſchen Zeitung entlehnte Nachricht:
in Hamburg wären Unruhen geweſen, man hätte die
Juden aus den Kaffeehäuſern verjagt. Und in Han¬
nover hätten ſie geſchrieen; à bas la noblesse!
Ich kann mir gar nicht denken, wie das im Deut¬
ſchen gelautet haben mag; denn unſere guten Leute
können keinen andern Zorn-Ruf als das lateiniſche
Pereat! was nun den Adel betrifft, ſo habe ich, bei
aller Menſchenfreundlichkeit, nichts dagegen. Mit
guten Fallſchirmen verſehen, wird er herunter kom¬
men ohne ſich ſehr wehe zu thun. Aber die Juden!
die Franzoſen hatten ihre Julitage, wollen die Deut¬
ſchen ihren Auguſt-, ihre Hunds-Tage haben? Fängt
[13] man ſo die Freiheit an? O, wie dumm! O, wie
lächerlich! O, wie unäſtethiſch! Von der Nieder¬
trächtigkeit will ich gar nicht ſprechen; die verſteht
ſich von ſelbſt. Iſt es aber wahr?
— Die Kellnerin kam herauf und ſagte mir:
ſie hätte meinem Bedienten ein ganz gutes Zimmer
angewieſen, er verlange aber ein Appartement. Ich
ließ ihn rufen, und fragte, was das ſeyn ſollte?
Da fand ſich denn, daß er die beſcheidenſte Forde¬
rung gemacht, und eine unſchuldige Neugierde zu be¬
friedigen geſucht, der kein Menſch, von welchem
Stande er auch ſey, lange widerſtehen kann. Als
feiner Nordländer war er gewohnt, das unartige
Ding Appartement zu nennen.
Vierter Brief.
Der Ort liegt 28 Stunden von Paris entfernt,
hat 2300 Einwohner und 2 Seelen, die meinige
mitgerechnet. Denn das weiß ich nun aus achttägiger
Erfahrung, daß alle Franzoſen eine gemeinſchaftliche
Seele haben, und die in der Provinz gar nur eine
Mondſeele, ein Licht aus zweiter Hand; Paris iſt
die Sonne.
Napoleon, Rothſchild, ſchlimme Nachrichten
und andere berühmten Couriere haben den Weg von
Frankfurt bis Paris ſchon in 48 Stunden zurück¬
gelegt. Aber wer vor mir könnte ſich rühmen, dieſen
Weg in dreizehn Tagen gemacht zu haben, wenn
es vielleicht eintrifft, daß ich morgen nach Paris
komme, was noch gar nicht entſchieden iſt? Bin ich
ein Narr? Ach wie gern wollte ich Einer ſein,
fände ſich wenigſtens ein Echo, das es mir bejahte.
[15] Aber nicht einmal eine menſchliche Seele, die mich
auslacht! Allein zu ſein mit ſeiner Weisheit, das
iſt man gewöhnt, das hat man ertragen gelernt;
aber allein mit ſeiner Thorheit, das iſt unerhörter
Jammer, dem unterliegt der Stärkſte! O, theures
Vaterland, wie einfältig verkannte ich deinen Werth!
Dort fand ich in jedem Nachtquartier eine kleine
Reſidenz, oder den Sitz einer hohen Regierung, oder
eine Garniſon, oder eine Univerſität, und in jedem
Gaſthofe eine Weinſtube mit ſcharf geprägten Gäſten,
die mir gefielen oder nicht gefielen, die meinem
Herzen oder meinem Geiſte Stoff gaben, der aus¬
reichte bis zum Einſchlafen. Aber hier in dieſem
vermaledeiten Rath-loſen Lande! Seit acht Tagen
ſaß ich jeden Abend allein auf meinem Zimmer und
verſchmachtete. Glauben Sie mir, man ſtirbt nicht
vor Langerweile; das iſt nur eine dichteriſche Redens¬
art. Aber wie gern hätte ich für jeden Lieutenant
einen Schoppen Wein bezahlt, für jeden Hofrath
eine Flaſche, für jeden Profeſſor zwei Flaſchen, für
einen Studenten drei; und hätte ich gar einen ſchönen
Geiſt, einen Theaterkritiker an mein Herz drücken
können, nicht der ganze Keller wäre mir zu koſt¬
ſpielig geweſen. Hofräthe, Hofräthe! wenn ich je
wieder euerer ſpotte, dann ſchlagt mir auf den Mund
und erinnert mich an Dormans.
Dormans — wie das lieblich lautet! Wie
[16] Wiegen Eyapopeya. Und doch ſteckt der Teufel in
jedem Buchſtaben. Aber leſen Sie nur erſt das
Stück dormantiſche Poeſie, das Gebet an die Ge¬
duld, das ich dieſen Vormittag in der Verzweiflung
meiner Ungeduld niedergeſchrieben, und dann ſollen
Sie meine Leiden erfahren.
Geduld, ſanfte Tochter des grauſamſten Va¬
ters; Schmerzerzeugte, Milchherzige, weichliſpelude
Göttin; Beherrſcherin der Deutſchen und der Schild¬
kröten; Pflegerin meines armen kranken Vaterlands,
die du es warteſt und lehreſt warten.
Die du höreſt mit hundert Ohren, und ſieheſt
mit hundert Augen, und bluteſt an hundert Wunden
und nicht klageſt.
Die du Felſen kochſt und Waſſer in Steine
verwandelſt.
Schmachbelaſtete, Segenſpendende Geduld; hol¬
des Mondlächelndes Angeſicht; heiligſte Mutter aller
Heiligen, erhöre mich!
Sieh! mich plagt die böſe Ungeduld, deine
Nebenbuhlerin; befreie mich von ihr, zeige, daß du
mächtiger biſt als ſie. Sieh! mir zucken die Lippen;
ich zapple mit den Füßen, wie ein Windelkind, das
gewaſchen wird; ich renne toll wie ein Sekunden¬
zeiger um die ſchleichende Stunde; ich peitſche und
[17] ſporne vergebens die ſtättige Zeit: die hartmäulige
Mähre geht zurück und ſpottet meiner. Ich ver¬
zweifele, ich verzweifele, o rette mich!
Löſche mein brennendes Auge mit dem Waſſer¬
ſtrahle deines Blickes; berühre mit kühlen Fingern
meine heiße Bruſt. Hänge Blei an meine Hoffnun¬
gen, tauche meine Wünſche in den tiefſten Sumpf,
daß ſie aufziſchen und dann ewig ſchweigen. Deutſche
mich, gute Göttin, von der Ferſe bis zur Spitze
meiner Haare und laſſe mich dann friedlich ruhen in
einem Naturalien-Cabinet unter den ſeltenſten Ver¬
ſteinerungen.
Ich will dir von jetzt an auch treuer dienen
und gehorſamer ſein in Allem. Ich will dir tägliche
Opfer bringen, welchen du am freundlichſten lächelſt.
Die Didaskalia will ich leſen und das Dresdner
Abendblatt und alle Theaterkritiken, und den Hegel,
bis ich ihn verſtehe. Ich will bei jedem Regenwetter
ohne Schirm vor dem Palaſte der deutſchen Bundes-
Verſammlung ſtehen und da warten bis ſie heraus¬
kommen und die Preßfreiheit verkündigen. Ich will
in den Ländern das Treiben des Adels beobachten und
nicht des Teufels werden, und nicht eher komme
Wein über meine Lippen, bis dich die guten Deut¬
ſchen aus dem Tempel jagen und dein Reich endiget.
l. 2[18]
Vorgeſtern gegen Mittag kam ich nach Chalons.
Ich wollte meinen Strasburger Wagen, den ich einſt¬
weilen nur bis dahin gedingt hatte, nun weiter bis
Paris miethen. Aber der Kutſcher hatte keine Luſt
dazu, die Wege wären zu ſchlecht, oder was ihn
ſonſt abhielt. Ich ſchickte nach einem andern Mieth¬
kutſcher. Jetzt denken Sie ſich die gräuliche Sta¬
tiſtik: In Chalons, einer Stadt von 12,000 Ein¬
wohnern, gibt es nur eine einzige Miethkutſche, und
für dieſe wurde für die Reiſe nach Paris, das nur
zwanzig Meilen entfernt iſt, 200 Franken gefordert!
Da dieſes viel mehr als die Reiſe mit Poſtpferden
beträgt, entſchloß ich mich zu Letzterem. Da hatte
ich mich wieder verrechnet. In Deutſchland findet
der Reiſende auf jeder Poſt Kutſchen, die ihn von
Station zu Station führen. Hier aber hat die Poſt
zu dieſem Gebrauche nur zweiräderige bedeckte Wa¬
gen, die nicht in Federn hängen, uns leicht die Seele
aus dem Körper ſchleudern, und nicht einmal Platz
haben, einen Koffer aufzupacken. So blieb mir nichts
anderes übrig, als mit der Diligence zu reiſen, die
eine halbe Stunde vor meiner Ankunft in Chalons
abgegangen war, und die erſt den andern Mittag
wiederkehrte. Vier und zwanzig Stunden ſollte ich
warten! Ich war an dieſem Tage ganz gewiß der
verdrießlichſte Menſch in ganz Europa, und war
ſchwach genug zu überlegen, was beſſer ſey, Pre߬
[19] freiheit ohne [Retourwagen], wie in Frankreich, oder
Retourwagen ohne Preßfreiheit wie in Deutſchland.
Ich machte einige Gänge durch die Stadt, aber
in den Straßen war es ſo öde und ſtille, die Men¬
ſchen erſchienen mir ſo langweilig und gelangweilt,
und ſelbſt im Kaffehauſe, ſonſt dem Pochwerke jeder
franzöſiſchen Stadt, hatte Alles ſo ein ſchläfriges
Anſehen, daß ich bald wieder nach Hauſe eilte.
Dort zog ich Pantoffeln und Schlafrock an, um we¬
nigſtens mit Bequemlichkeit zu verzweifeln. Da er¬
innerte mich ein zufälliger Blick in den Kalender,
daß es wieder Zeit ſei, den guten Blutigeln, die
zur Erhaltung meiner Liebenswürdigkeit ſo vieles
beitragen, ihr kleines monatliches Feſt zu geben. Es
war mir eine willkommene Zerſtreuung, und ich
ſchickte nach einem Chirurgen. Statt deſſen kam
aber eine Frau von ſechzig Jahren, die ſich mir
als Hebamme vorſtellte, und mich artig verſicherte,
der von mir verlangte Dienſt ſei eigentlich ihr Ge¬
ſchäft. Ich muß geſtehen, daß die Franzöſin die
Operation mit einer Leichtigkeit, Sicherheit, Schnel¬
ligkeit und ich möchte ſagen mit einer Grazie aus¬
führte, die ich bei dem geſchickteſten deutſchen Chi¬
rurgus nie gefunden hatte. Sie zeigte ſo viel An¬
ſtand in ihrem Betragen, war ſo abgemeſſen in allen
ihren Bewegungen, ſprach ſo fein, ſo bedächtig und
umſichtig, daß ich mich nicht enthalten konnte, ſie
2*[20] mit der Ober-Hofmeiſterin einer gewiſſen deutſchen
Prinzeſſin zu vergleichen, die ich vor vielen Jahren
zu hören und zu beobachten Gelegenheit hatte. Vor
meinem Bette ſitzend unterhielt ſie mich auf das an¬
genehmſte und lehrreichſte. Von der letzten Revo¬
lution ſprach ſie kein Wort, und dieſes überzeugte
mich, daß es keine Prahlerei von ihr war, wenn ſie
mich verſicherte, daß ſie nur die vornehmſten Kran¬
kenhäuſer beſuche. Sie erzählte mir viel von Unter-
Präfekten, von einem gewiſſen Colonel, von der Frau
des Gerichts-Präſidenten, und daß ſie weit und breit
als Hebamme gebraucht werde. Erſt kürzlich wäre
ſie zu einer Entbindung nach St. Denis geholt wor¬
den. Sie war die treueſte und verſchwiegenſte Heb¬
amme, verrieth nichts, hatte aber eine ſo geſchickte
Darſtellung, daß auch die ſchläfrigſte Phantaſie Alles
errathen mußte: zuweilen unterbrach ſie ihren Be¬
richt von den auswärtigen Angelegenheiten, warf
einen Blick auf mich und rief mit Künſtler-Begeiſte¬
rung aus: ils travaillant joliment, ils travaillant
joliment! So ging mir eine Stunde angenehm
vorüber, aber drei und zwanzig Leidens-Stunden
bis zur Ankunft der Diligence blieben noch übrig
und als die Hebamme fort war, jammerte ich armer
Kindbetter, daß es zum Erbarmen war.
Ich nahm Reinhards Reiſebuch zur Hand, und
da las ich zu meinem Schrecken, daß Chalons einen
[21] Spaziergang habe, Jard genannt, und das wäre
die ſchönſte Promenade Frankreichs. Ferner: in der
Nähe von Chalons wäre das Schlachtfeld, wo einſt
Attila von den Römern und Franken beſiegt worden.
Das hätte ich nun alles ſehen mögen, war aber
jetzt ſo ſchwach, daß ich nicht ausgehen konnte. Es
war mir lieblich zu Muthe! Aber Alles geht vor¬
über; es kam der folgende Tag, und mit ihm die
Diligence, auf der ich Platz nahm. Man fährt von
Chalons in 24 Stunden nach Paris, aber ich fühlte
mich unbehaglich, ſcheute die Nachtfahrt und faßte
den raſenden Entſchluß mich nur bis Dormans, wo
man Abends ankömmt, einſchreiben zu laſſen und da
zu übernachten. So that ich es auch.
Meine Gefährten im Coupe waren eine junge
ſchöne Modehändlerin aus der Provinz, die ihre pe¬
riodiſche Kunſtreiſe nach Paris machte, und ein ſchon
ältlicher Herr, der, nach ſeiner dunklen Kleidung und
der Aengſtlichkeit zu beurtheilen, in welche ihn die
kleinſte ſchiefe Neigung des Wagens verſetzte, wohl
ein proteſtantiſcher Pfarrer oder Schulmann war.
Dieſe beiden Perſonen von ſo ungleichem Alter und
Gewerbe unterhielten ſich, ohne die kleinſten Pauſen,
auf das lebhafteſte mit einander; aber ich achtete
nicht darauf, und hörte das alles nur wie im Schlafe.
In früheren Jahren war mir jede Reiſe ein Mas¬
kenballfeſt der Seele; alle meine Fähigkeiten walzten
[22] und jubelten auf das ausgelaſſenſte, und es herrſcht
in meinem Kopfe ein Gedränge von Scherz und
Ernſt, von dummen und klugen Dingen, daß die
Welt um mir her ſchwindelte. Was hörte, bemerkte,
beobachtete, ſprach ich da nicht alles! Es waren
Wolkenbrüche von Einfällen, und ich hätte hundert
Jahrgänge des Morgenblatts damit ausfüllen kön¬
nen, und hätte die Zenſur nichts geſtrichen, tauſend
Jahrgänge. Wie hat ſich das aber geändert! ..
Ich ſitze ohne Theilnahme im Wagen, ſtumm wie
ein Staatsgefangener in Oeſtreich und taub wie das
Gewiſſen eines Königs. In der Jugend bemerkt
man mehr die Verſchiedenheiten der Menſchen und
Länder, und das eine Licht gibt tauſend Farben, im
Alter, mehr die Aehnlichkeiten, alles iſt grau, und
man ſchläft leicht dabei ein. Ich kann jetzt einen
ganzen Tag reiſen ohne an etwas zu denken. Fand
ich doch auf dem langen Weg von Strasburg hier¬
her nichts weiter in mein Tagebuch zu ſchreiben, als
die Bemerkung, daß ich in Lothringen mit ſechs Pfer¬
den habe pflügen ſehen und daß mein Kutſcher Stun¬
denlang mit Konrad von der Preßfreiheit und den
Ordonnanzen mit einem Eifer geſprochen als wäre
von Hafer und Stroh die Rede. Und ſelbſt dieſes
wenige ſchrieb ich nur kurz und trocken nieder, ohne
alle ſatiriſche Bemerkungen gegen die Miethkutſcher
in der großen Eſchenheimer Gaſſe, in der
[23]kleinen Eſchenheimer Gaſſe, hinter der
ſchlimmen Mauer und den übrigen Frankfurter
Gaſſen, die in der Nähe des Taxiſchen Palaſtes
liegen. Den kleinen guten Gedanken: was würde
Herr von Münch-Bellinghauſen thun, wenn ſich ein¬
mal ſein Kutſcher erkühnte, von Preßfreiheit zu ſpre¬
chen und würde ihm das nicht Anlaß geben, eine
vertrauliche Sitzung der hohen Bundes-Verſammlung
zu veranſtalten und darin auf ſchärfere Zenſur in
den Bundesſtaaten anzutragen? — dieſen habe ich
jetzt in dieſem Augenblicke erſt, und ihn ganz allein
der Verzweiflung der Langenweile zu verdanken; im
Tagebuch ſteht nichts davon Iſt das nicht ſehr
traurig?
— Man reiſt jetzt auf der Diligence unglaub¬
lich wohlfeil. Der Platz von Strasburg bis Paris,
koſtet nicht mehr als 20 Franken, im Kabriolet 26.
Dieſe Wohlfeilheit kömmt daher, weil es drei ver¬
ſchiedene Unternehmungen gibt, die ſich wechſelſeitig
zu Grunde zu richten ſuchen. Bei ſolchen niedrigen
Preiſen, haben die Aktionärs großen Verluſt, den ſie
nicht lange ertragen können. Es kömmt jetzt darauf
an, wer es am längſten aushält. Von Chalons bis
Paris gehen täglich, die Malle-Poſte ungerechnet,
ſechs Diligencen, drei von Metz, drei von Stras¬
burg kommend. Unter dieſen ſieben Looſen habe ich
ſchon drei Nieten gezogen, denn in den drei Wagen,
[24] welche dieſen Mittag durchkamen, waren keine Plätze
mehr. Heute Abend kommen die Andern und wenn
ich Glück habe wie bisher, werden ſie gleichfalls be¬
ſetzt ſeyn, und ich vielleicht acht Tage in Dormans
bleiben müſſen. Das wäre mein Tod. Und wel¬
cher Tod! Der Tod eines Bettlers. Denn man
wird hier auf eine ſo unerhörte Art geprellt, daß
ein achttägiger Aufenthalt meine Kaſſe erſchöpfen,
und mir nicht ſo viel übrig bleiben würde, meine
Begräbnißkoſten zu beſtreiten. Hören Sie weiter
wie es mir ging.
Um, wenn der Wagen ankäme, nicht aufgehal¬
ten zu ſeyn, verlangte ich dieſen Vormittag ſchon
meine Wirthshaus-Rechnung. Die Wirthin machte
die unverſchämte Forderung von etlichen und zwanzig
Franken. Ich hatte geſtern Abend nichts als Bra¬
ten und Deſſert gehabt, ein elendes Schlafzimmer,
und dieſen Morgen Kaffee. Der Bediente das nehm¬
liche und wahrſcheinlich alles noch ſchlechter. Ich
ſagte der Wirthin, ſie ſollte mir die Rechnung ſpe¬
zifiziren. Sie ſchrieb mir auf: Nachteſſen 9 Fr.,
Zimmer 8, Frühſtück 3, Zuckerwaſſer 1 Fr. und
für einige Leſe-Bücher, die ich aus der Leihbibliothek
hatte holen laſſen, 30 Sous. Ich fragte ſie kalt
und giftig, ob ſie bei dieſer Forderung beſtände, und
als ſie erwiederte: ſie könne nicht anders, nahm ich
die Rechnung und ging fort, die Wirthin zu verklagen.
[25] Ich wollte einmal ſehen, wie in einer, auf ei¬
ner Monarchie gepfropften Republik die Juſtiz be¬
ſchaffen ſei. Ich trat in den Laden eines Apothekers
um mich nach der Wohnung des Friedensrichters zu
erkundigen. Die Apotheke ſah derjenigen, welche
Shakſpeare in Romeo und Julie beſchrieben, ſehr
ähnlich, und ich glaube, ich hätte da leicht Gift haben
können. Der müßige Apotheker las die neue Charte
Constitutionelle. Statt aber auf meine Frage nach
der Wohnung des Friedensrichters zu antworten,
fragte er mich, was ich da ſuche? Ich erzählte ihm
meinen theuren Fall. Er erkundigte ſich nach dem
Wirthshauſe, [und] als ich es ihm bezeichnet, erwie¬
derte er mir, er wiſſe nicht, wo der Friedensrichter
wohne. Wahrſcheinlich war er mit der ſpitzbübi¬
ſchen Wirthin befreundet. Ich ging fort und ließ
ihm einen verächtlichen Blick zurück. So ſind die
Liberalen! Ich ließ mir von einem Andern das
Haus des Friedensrichters bezeichnen. Ich trat
hinein, ein Hund ſprang mir entgegen, der mich
bald zerriſſen hätte, und auf deſſen Gebell eilte ein
Knecht herbei, der mir ſagte, der Friedensrichter
wäre verreiſt und ich ſollte mich an den Greffier wen¬
den. Mit Mühe fand ich die Wohnung des Gref¬
fiers. Der war über Land gegangen. Ich ſuchte
den Maire auf; man ſagte mir, der wäre zum Prä¬
fekten gerufen worden, und ich ſollte zum Maire¬
[26] Adjunkten gehen. Dieſen fand ich zu Hauſe. Es
war ein kleines altes Männchen in blonder Perücke,
der einen großen Pudel auf dem Schoos hatte und
ihn ſchor. Ein junges Frauenzimmer, Tochter oder
Haushälterin, war mit Bügeln beſchäftigt. Als ich
eintrat, ließ der Maire-Adjunkt den Hund laufen,
hörte meine Klage an, und ſah mir über die Schul¬
ter in die Rechnung, die ich ihm vorlas. Das
Mädchen trat auf meine linke Seite, ſah mir gleich¬
falls über die Schulter in die Rechnung, verbrannte
mir mit dem heißen Bügeleiſen den kleinen Finger
und rief in größtem Eifer aus: Nein, das iſt uner¬
hört, aber dieſe Leute machen es immer ſo. Der
Maire-Adjunkt fiel ſeiner wahrſcheinlichen Haushäl¬
terin nicht ohne Schüchternheit in das Wort, bemerkte,
er könne ſich nicht in die Sache miſchen, das ginge
den Friedensrichter an. Uebrigens, mein Herr, ſchloß
er ſeine Rede, Sie werden ſchon öfter gereiſt ſein.
Dieſe kurze und weiſe Bemerkung brachte mich zur
Beſonnenheit, ich ſtrich meinen verbrannten Finger
an der noch ungeſchornen Seite des Pudels, welches
mir ſehr wohl that, und ging fort.
Nach Hauſe zurückgekommen, erzählte ich der
Wirthin, ich hätte ſie verklagen wollen, aber die Be¬
hörden wären alle abweſend, und ſo blieb mir nichts
übrig, als ſie noch einmal zu fragen, ob ſie ſich denn
gar nicht ſchäme, ich hätte ja ganz ſchlecht zu Nacht
[27] gegeſſen? Die Tochter der Wirthin erwiederte dar¬
auf: ich hatte ſehr gut zu Nacht gegeſſen, ich hätte
ein Suprême de Volaille. gehabt. Dieſes Suprême
de Volaille war nichts als ein Dreieck von dem
Leibe eines Huhns, in deſſen einem Winkel eine kalte
Krebsſcheere ſtak, welche irgend ein Paſſagier viel¬
leicht ſchon vor der Revolution ausgehöhlt hatte.
Ich glaube, die Suprematie dieſes Gerichts beſtand
blos in dieſer hohlen Krebsſcheere, denn das Uebrige
war etwas ganz Gewöhnliches. Ich ward heftig
und antwortete der Tochter: Que me parlez-vous
d'un Suprême de Volaille? Vous êtes un Su¬
prême de Canaille! Kaum hatte ich das Zorn¬
wort ausgeſprochen, als ich es bereute. Erſtens aus
Höflichkeit, und zweitens aus Furcht; denn der Koch
war mit ſeinem langen Meſſer hinzugetreten, und ich
dachte, er würde mich auf der Stelle ſchlachten.
Aber zu meinem Erſtaunen achteten Wirthin, Toch¬
ter und Koch gar nicht auf mein Schimpfen, ſie
verzogen keine Miene und es war, als hätten ſie es
gar nicht gehört. Ich kann mir dieſe Unempfindlich¬
keit nicht anders erklären, als daß ich zu feines
Franzöſiſch geſprochen, welches die Kleinſtädter nicht
verſtanden.
Ich bezahlte meine Rechnung, um mich aber
an den Leuten zu rächen und ſie zu ärgern, ließ ich
meine Sachen in das gerade gegenüber liegende
[28] Wirthshaus bringen. Hier aß ich zu Mittag, und
ließ mir dann ein Zimmer geben, wo ich Ihnen
ſchreibe und auf die Ankunft der Diligence warte.
Morgen oder übermorgen ſchreibe ich von
Paris. Sollten Sie aber morgen wieder einen
Brief mit dem Poſtzeichen Dormans erhalten, dann
öffnen Sie ihn nur gleich mit weinenden Augen,
denn Sie können voraus wiſſen, daß ich Ihnen mei¬
nen Tod melde.
Fuͤnfter Brief.
Seit geſtern bin ich hier und Alles iſt vergeſ¬
ſen. Ob ich geſund und froh, wie Sie es wün¬
ſchen, in Paris angekommen, oder durch mein An¬
kommen erſt geworden bin, wüßte ich kaum zu be¬
ſtimmen; doch glaube ich eher das Letztere. Ich
habe wunderliche Nerven. Wenn ſie kein Lüftchen
berührt, ſind ſie am unruhigſten und zittern wehkla¬
gende Töne gleich Elvirens Harfe in der Schuld.
Dieſe Kränkelei macht mich ſo wüthend, daß ich
meine eigenen Nerven zerreißen möchte. So oft ſie
aber ein grober Sturmwind ſchlägt, bleiben ſie phi¬
loſophiſch gelaſſen, und verlieren ſie ja die Geduld,
brummen ſie doch männlich, wie die Saiten einer
Baßgeige. Ich kann es Ihnen nicht genug ſagen,
wie mir ſo behaglich worden gleich von der erſten
Stunde an. Das moraliſche Klima von Paris that
[30] mir immer wohl, ich athme freier, und meine deutſche
Engbrüſtigkeit verließ mich ſchon in Bondy. Raſch
zog ich alle meine Bedenklichkeiten aus und ſtürzte
mich jubelnd in das friſche Wellengewühl. Ich
möchte wiſſen, ob es andern Deutſchen auch ſo be¬
gegnet wie mir, ob ihnen, wenn ſie nach Paris kom¬
men, wie Knaben zu Muthe iſt, wenn an ſchönen
Sommerabenden die Schule geendigt und ſie ſpringen
und ſpielen dürfen! Mir iſt es gerade, als müßte
ich unſerm alten Conrector einen Eſel bohren.
— Ich wohne hinter dem Palais-Royal. Die
Zimmer ſind gut, aber die enge Straße mit ihren
hohen Häuſern iſt unfreundlich. Kein Sonnenblick
den ganzen Tag. Und doch iſt es mir manchmal
noch zu hell; denn ich habe merkwürdige Gegen¬
über. Erſtens, ſehe ich in die Küche eines Reſtau¬
rateurs. Schon früh Morgens fangen die ungewa¬
ſchenen Köche zu tüchten und zu trachten an, und
wenn man ſo mit anſieht, wie die Grazie, die allen
franzöſiſchen Schüſſeln eigen iſt, zu Stande kömmt,
kann man die Eßluſt auf eine ganze Woche verlie¬
ren. Dann ſehe ich in das Zimmer einer Demoi¬
ſelle; in eine Schneiderswohnung; in einen Roulette-
Saal und in eine lange Gallerie von Cabinets ino¬
dores. Wie ſchön, freundlich und glänzend iſt Alles
nach der Gartenſeite des Palais-Royal; nach hin¬
ten aber, wie betrübt und ſchmutzig Alles! Ich
[31] werde mich eilen aus dieſen Couliſſen zu kommen
und mich nach einer andern Wohnung umſehen.
Sie können es ſich denken, daß ich nicht lange
zu Hauſe geblieben, ſondern gleich fort eilte, die
alten Spielplätze meiner Phantaſie aufzuſuchen und
die neuen Schlachtfelder, die ihr Wort gehalten.
Aber ich fand es anders als ich erwartete. Ich
dachte in Paris müſſe es ausſehen wie am Strande
des Meeres nach einem Sturm, Alles von Trüm¬
mern bedeckt ſeyn, und das Volk müſſe noch toſen
und ſchäumen. Doch war die gewohnte Ordnung
überall und von der Verheerung nichts mehr zu ſe¬
hen. Auf einigen Strecken der Boulevards fehlen die
Bäume, und in wenigen Straßen wird noch am
Pflaſter gearbeitet. Ich hätte die Stiefeln ausziehen
mögen; wahrlich, nur barfuß ſollte man dieſes heilige
Pflaſter betreten. Die vielen dreifarbigen Fahnen,
die man aufgeſteckt ſieht, erſchienen mir nicht als
Zeichen des fortdauernden Krieges, ſondern als Frie¬
denspaniere. Die Fahne in der ſtolzen Hand Lud¬
wigs XIV. auf dem Place des Victoires machte
mich laut auflachen. Wir haben die Reiterſtatüe vor
acht Jahren zuſammen aufrichten ſehen. Wer hätte
das damals gedacht? Träume von Eiſen und Mar¬
mor — und doch nur Träume! — Noch ſchwebt
jener Tag mir vor, noch höre ich den Polizei-Jubel,
höre alle die Lieder mit ihren Melodien, welche be¬
[32] zahlte Bänkelſänger auf dem Platze ſangen. Das
eine Lied fing an: vive le roi, le roi, le roi, que
chante le monde á la ronde — jetzt müßte es hei¬
ßen ſtatt quechante, quechassele monde
à la ronde. Wenn er nur nicht ſo alt wäre! das
verbittert mir ſehr meine Freude. Gott ſegne dieſes
herrliche Volk, und fülle ihm die goldnen Becher bis
zum Rande mit dem ſüßeſten Weine voll, bis es
überſtrömt, bis es hinabfließt auf das Tiſchtuch, wo
wir Fliegen herum kriechen und naſchen. Summ,
ſumm — wie dumm!
Alte deutſche Bekannte ſuchte ich gleich geſtern
auf. Ich dachte durch ſie mehr zu erfahren, als
was ich ſchon gedruckt geleſen, aber nicht Einer von
ihnen war auf dem Kampfplatze, nicht Einer hat mit¬
gefochten. Es ſind eben Landsleute! Engländer, Nieder¬
länder, Spanier, Portugieſen, Italiäner, Polen, Grie¬
chen, Amerikaner, ja Neger haben für die Freiheit
der Franzoſen, die ja die Freiheit aller Völker iſt,
gekämpft und nur die Deutſchen nicht. Und es ſind
deren viele Tauſende in Paris, theils mit tüchtigen
Fäuſten, theils mit tüchtigen Köpfen. Ich verzeihe
es den Handwerksburſchen; denn dieſe haben es nicht
ſchlimm in unſerm Vaterlande. In ihrer Jugend
dürfen ſie auf der Landſtraße betteln, und im Alter
machen ſie die Zunfttyrannen. Sie haben nichts zu
gewinnen bei Freiheit und Gleichheit. Aber die
[33] Gelehrten! Dieſe armen Teufel, die in Schaaren
nach Paris wandern, und von dort mit dem Mor¬
genblatte, mit dem Abendblatte, mit dem Geſell¬
ſchafter, mit der allgemeinen Zeitung correſpondiren;
die das ganze Jahr von dem reichen Stoffe leben,
den ihnen nur freies Volk verſchaffen kann; die
im dürren Vaterlande verhungern würden — dieſe
wenigſtens, und wäre es auch nur aus Dankbarkeit
gegen ihre Ernährer, hätten doch am Kampfe Theil
nehmen ſollen. Aber hinter einem dicken Fenſter¬
pfoſten, im Schlafrocke, die Feder in der Hand, das
Schlachtfeld begucken, die Verwundeten, die Gefalle¬
nen zählen und gleich zu Papier bringen; zu bewun¬
dern ſtatt zu bluten, und die Leiden eines Volks ſich
von einem Buchhändler bogenweiſe bezahlen zu laſ¬
ſen — nein, das iſt zu Schmachvoll, zu Schmach¬
voll!
— Die Pracht und Herrlichkeit der neuen
Gallerie d' Orleans im Palais-Royal kann ich Ihnen
nicht beſchreiben. Ich ſah ſie geſtern Abend zum
erſten Male in ſonnenheller Gasbeleuchtung, und
war überraſcht wie ſelten von etwas. Sie iſt breit
und von einem Glashimmel bedeckt. Die Glasgaſſen,
die wir in früheren Jahren geſehen, ſo ſehr ſie uns
damals gefielen, ſind düſtere Keller oder ſchlechte
Dachkammern dagegen. Es iſt ein großer Zauber¬
ſaal, ganz dieſes Volks von Zauberern würdig. Ich
l. 3[34] wollte die Franzoſen zögen alle Weiberröcke an, ich
würde ihnen dann die ſchönſten Liebeserklärungen
machen. Aber iſt es nicht thöricht, daß ich mich
ſchäme, Dieſem und Jenem die Hand zu küſſen,
wozu mich mein Herz treibt — die Hand, die un¬
ſere Ketten zerbrochen, die uns frei gemacht, die uns
Knechte zu Rittern geſchlagen?
Sechster Brief
— Ich komme aus dem Leſekabinett. Aber
nein, nein, der Kopf iſt mir ganz verwirrt von allen
den Sachen, die ich aus Deutſchland geleſen! Un¬
ruhen in Hamburg; in Braunſchweig das Schloß
angezündet und den Fürſten verjagt; Empörung in
Dresden! Seien Sie barmherzig, berichten Sie mir
Alles auf das genaueſte. Und wenn Sie nichts
Beſonderes erfahren, ſchreiben Sie mir wenigſtens
die deutſchen Zeitungen ab, die ich hier noch nicht
habe auffinden können. Den franzöſiſchen Blättern
kann ich in ſolchen Dingen nicht trauen; nicht der
zehnte Theil von dem, was ſie erzählen, mag wahr
ſeyn. Was aber deutſche Blätter über innere An¬
gelegenheiten mittheilen dürfen, das iſt immer nur
der zehnte Theil der Wahrheit. Hätte ich mich alſo
doch geirrt, wie mir ſchon manche vorgeworfen?
3*[36] Wäre Deutſchland reifer als ich gedacht? Hätte ich
dem Volke Unrecht gethan? Hätten ſie unter Schlaf¬
mützen und Schlafrock heimlich Helm und Harniſch
getragen? O, wie gern, wie gern! Scheltet mich
wie einen Schulbuben, gebet mir die Ruthe, ſtellt
mich hinter den Ofen — gern will ich die ſchlimmſte
Züchtigung ertragen, wenn ich nur Unrecht gehabt.
Wenn ſie ſich nur erſt die Augen gerieben, wenn ſie
nur erſt recht zur Beſinnung gekommen, werden ſie ſich
erſtaunt betaſten, werden im Zimmer umher blicken,
das Fenſter öffnen und nach dem Himmel ſehen,
und fragen: welcher Wochentag, welcher Monatstag
iſt denn heute, wie lange haben wir geſchlafen?
Unglückſelige! nur der Muthige wacht. Wie hat
man es nur ſo lange ertragen? Es iſt eine Frage,
die mir der Schwindel gibt. Einer erträgt es, noch
Einer, noch Einer — aber wie ertragen es Millio¬
nen? Der Spott zu ſeyn aller erwachſenen Völker!
wie der kleine dumme Hans, der noch kein Jahr
Hoſen trägt, zu zittern vor dem Stöckchen jedes
alten, ſchwachen, gräulichen Schulmeiſters! .. Aber
Wehe ihnen, daß wir erröthen! Das Erröthen der
Völker iſt nicht wie Roſenſchein eines verſchämten
Mädchens; es iſt Nordlicht voll Zorn und Ge¬
fahren.
Mitternacht iſt vorüber; aber ein Glas Ge¬
frorenes, das ich erſt vor wenigen Minuten bei
Tortoni gegeſſen, hat mich ſo aufgefriſcht, daß ich
gar keine Neigung zum Schlafe habe. Es war
himmliſch! Das Glas ganz hoch aufgefüllt, ſah wie
ein langes weißes Geſpenſt aus. Nun bitte ich Sie
— haben Sie je gehört oder geleſen, daß Jemand
ein Glas Gefrorenes mit einem Geſpenſte verglichen
hätte? Solche Einfälle kann man aber auch nur in
der Geiſterſtunde haben. Den Abend brachte ich bei
*** zu. Es ſind ſehr liebenswürdige Leute und die
es verſtehen, wenn nur immer möglich, auch ihre
Gäſte liebenswürdig zu machen. Das iſt das Sel¬
tenſte und Schwerſte. Es war da ein Gemiſch von
Deutſchen und Franzoſen, wie es mir behagt. Da
wird doch ein gehöriger Salat daraus. Die Fran¬
zoſen allein ſind Oehl, die Deutſchen allein Eſſig,
und ſind für ſich gar nicht zu gebrauchen, außer in
Krankheiten. Bei dieſer Gelegenheit will ich Ihnen
die höchſt wichtige und einflußreiche Beobachtung
mittheilen, daß man in Frankreich dreimal ſo viel
Oehl und nur ein Dritttheil ſo viel Eſſig zum Sa¬
late verwendet, wie in Deutſchland. Dieſe Ver¬
ſchiedenheit geht durch die Geſchichte, Politik, Re¬
ligion, Geſelligkeit, Kunſt, Wiſſenſchaft, den Handel
[38] und das Fabrikweſen beider Völker, welches vor mir
die berühmteſten deutſchen Hiſtoriker, die ſich doch
immerfort rühmen, aus der Quelle zu ſchöpfen,
leichtſinnig überſehen haben. Sie ſollen ſich aber
den Kopf darüber nicht zerbrechen. Es iſt gerade
nicht nöthig, daß Sie alles verſtehen was ich ſage,
ich ſelbſt verſtehe es nicht immer. Wie herrlich
wäre es, wenn beide Länder in allem ſo verſchmolzen
wären, als es beide Völker heute Abend bei ***
waren. In wenigen Jahren wird es ein Jahrtau¬
ſend, daß Frankreich und Deutſchland, die früher
nur ein Reich bildeten, getrennt wurden. Dieſer
dumme Streich wurde, gleich allen dummen Streichen
in der Politik, auf einem Congreſſe beſchloſſen, zu
Verdün im Jahr 843. Aus jener Zeit ſtammen
auch die köſtlichen eingemachten Früchte und Dra¬
gées, wegen welcher Verdün noch heute berühmt iſt.
Einer der Congreß-Geſandten hatte ſie erfunden,
und war dafür von ſeinem genädigen Herrn in den
Grafenſtand erhoben worden. Ich hoffe im Jahre
1843 endiget das tauſendjährige Reich des Anti¬
chriſts, nach deſſen Vollendung die Herrſchaft Gottes
und der Vernunft wieder eintreten wird. Wir haben
nehmlich den Plan gemacht, Frankreich und Deutſch¬
land wieder zu einem großen fränkiſchen Reiche zu
vereinigen. Zwar ſoll jedes Land ſeinen eignen
König behalten, aber beide Länder eine gemeinſchaft¬
[39] liche National-Verſammlung haben. Der franzöſiſche
König ſoll wie früher in Paris thronen, der deutſche
in unſerem Frankfurt, und die National-Verſamm¬
lung jedes Jahr abwechſelnd in Paris oder in Frank¬
furt gehalten werden. Wenn Sie Ihre Nichte O***
beſuchen, benutzen ſie doch die Gelegenheit, mit dem
Koche des Präſidenten der Bundesverſammlung von
unſerem Plane zu ſprechen. Der muß ja die Ge¬
ſinnungen und Anſichten ſeines Herrn am beſten
kennen.
— Die lieben Tuilerien habe ich heute wieder¬
geſehen. Sie hießen mich willkommen, ſie lächelten
mir zu und alles dort war wie zu meinem Empfange
glänzend und feſtlich eingerichtet. Ich fühlte mich
ein Fürſt in der Mitte des fürſtlichen Volkes, das
unter dem blauen Baldachin des Himmels von ſeiner
Krönung zurückkehrte. Es iſt etwas Königliches in
dieſen breiten, vom Goldſtaube der Sonne bedeckten
Wegen, die an Palläſten vorüber, von Pallaſt zu
Pallaſt führen. Mich erfreute die unzählbare Men¬
ſchenmenge. Da fühlte ich mich nicht mehr einſam;
ich war klug unter tauſend Klugen, ein Narr unter
tauſend Narren, der Betrogene unter tauſend Be¬
trogenen. Da ſieht man nicht blos Kinder, Mäd¬
chen, Jünglinge, Greiſe, Frauen; man ſieht die
Kindheit, die Jugend, das Alter, das weibliche Ge¬
ſchlecht. Nichts iſt allein, geſchieden. Selbſt die
[40] mannichfachen Farben der Kleider, erſcheinen, aus
der Ferne betrachtet, nicht mehr bunt; die Farben¬
geſchlechter treten zuſammen; man ſieht weiß, blau,
grün, roth, gelb, in langen breiten Streifen. Wegen
dieſer Fülle und Vollſtändigkeit liebe ich die großen
Städte ſo ſehr. Seine angeborne Neigung und Rich¬
tung kann keiner ändern, und um zufrieden zu leben,
muß darum jeder, was ihm lieb iſt, auf ſeinem
Wege ſuchen. Aber das kann man nicht überall.
Zwar findet man auch in der kleinſten Stadt jedes
Landes Menſchen von jeder Art, unter welchen man
wählen kann; aber was nützt uns das? Es ſind
doch nur Muſter, die zu keinem Kleide hinreichen.
Nur in London und Paris iſt ein Waaren-Lager
von Menſchen, wo man ſich verſehen kann, nach
Neigung und Vermögen.
Still, heiter, freundlich und beſcheiden wie ein
verliebtes glückliches Mädchen, luſtwandelte das Pa¬
riſer Volk umher. Als ich dieſes ſah, und bedachte:
noch ſind zwei Monate nicht vorüber, daß es einen
tauſendjährigen König niedergeworfen, und in ihm
Millionen ſeiner Feinde beſiegt — wollte ich meinen
Augen oder meiner Erinnerung nicht trauen. Es iſt
der Traum von einem Wunder! Schnell haben ſie
geſiegt, ſchneller haben ſie verziehen. Wie mild hat
das Volk die erlittenen Kränkungen erwiedert, wie
bald ganz vergeſſen! Nur im offenen Kampfe, auf
[41] dem Schlachtfelde hat es ſeine Gegner verwundet.
Wehrloſe Gefangene wurden nicht ermordet, Ge¬
flüchtete nicht verfolgt, Verſteckte nicht aufgeſucht,
Verdächtige nicht beunruhigt. So handelt ein Volk!
Fürſten aber ſind unverſöhnlich und unauslöſchlich iſt
der Durſt ihrer Rache. Hätte Karl geſiegt, wie er
beſiegt worden, wäre das fröhliche Paris heute eine
Stätte des Jammers und der Thränen. Jeder Tag
brächte neue Schrecken, jede Nacht neues Verderben.
Wir ſehen ja, was in Spanien, Portugal, Neapel,
Piemont und in andern Ländern geſchieht, wo die
Gewalt über die Freiheit ſiegte. Seit Jahren iſt
der Sieg entſchieden und das Werk der Rache und
der Verfolgung geht fort wie am Tage der Schlacht.
Und es war ein Sieg, den man nur dem Meineide
verdankte! Tauſende ſchmachten noch im Kerker, Tau¬
ſende leben noch in trauriger Verbannung, das Schwert
des Henkers iſt immer gezückt, und wo es ſchont, wo
es zaudert, geſchieht es nur, um länger zu drohen, um
länger zu ängſtigen. So entartet, ſo herabgewürdigt hat
ſich die Macht gezeigt, daß ſie oft mit Grauſam¬
keiten prahlte, die ſie gar nicht begangen; ſich der
Gerechtigkeit ſchämend, manche ihrer Gefangenen nur
heimlich ſchonte, und es als Verläumdung beſtrafte,
wenn man ſie mild geprieſen! Mich empört die nieder¬
trächtige Unverſchämtheit der Fürſtenſchmeichler, welche
die Völker als Tiger, die Fürſten als Lämmer dar¬
[42] ſtellen. Wenn jeder Machthaber, ſobald er zum
Beſitze der Macht gelangt, gleich ſeine Leidenſchaft
zur Regel erhebt, grauſame Strafen für jeden Wi¬
derſpruch voraus beſtimmt, und dieſe Regel, dieſe
Anwendung ſich herabrollt durch Jahrhunderte —
nennen ſie das Geſetzlichkeit. Das Volk hat
ſeine Leidenſchaft nie zum Geſetz erhoben, die Ge¬
genwart erbte nie die Miſſethaten der Vergangenheit,
ſie vermehrt der Zukunft zu überlaſſen. Wenn dumme,
feige oder beſtochene Richter aus altem Herkommen
und verblichenen Geſetzen nachweiſen können, daß
ſie in gleichen Fällen immer gleich ungerecht geweſen
— nennen ſie das Gerechtigkeit. Wenn der
ſchuldlos Verurtheilte, durch Reihen ſchön geputzter
Soldaten, durch die Mitte des angſtzitternden Volkes,
das nicht zu weinen, nicht zu athmen wagt, ohne
Laut und Störung zum Blutgerüſte geführt wird —
nennen ſie das Ordnung; und ſchnellen Tod in
langſame Qual des Kerkers verwandeln — das
nennen ſie Milde.
— Ich eilte die Terraſſe hinauf, von wo man
in die elyſäiſchen Felder herabſieht. Dort ſetzte ich
mich auf einen Traumſtuhl und meine Gedanken¬
mühle, die wegen Froſt oder Dürre ſo lange ſtill
geſtanden, fing gleich luſtig zu klappern an. Welch
ein Platz iſt das! Es iſt eine Landſtraße der Zeit,
ein Markt der Geſchichte, wo die Wege der Ver¬
[43] gangenheit, Gegenwart und Zukunft ſich durchkreuzen.
Da unten ſteht jetzt ein Marmor-Piedeſtal, auf
welches man die Bildſäule, ich glaube Ludwig des
Sechzehnten, hat ſtellen wollen. Die dreifarbige
Fahne weht darüber. Es iſt noch nicht lange, daß
Karl X. mit großer Feierlichkeit den Grundſtein dazu
gelegt. Die Könige ſollten ſich doch nicht lächerlich
machen und noch ferner den Grundſtein zu einem
Gebäude legen. Sie thäten beſſer, den letzten Ziegel
auf dem Dache anzunageln; die Vergangenheit raubt
ihnen Keiner. Wahrlich, die Zeit wird kommen,
wo die fürſtlichen Köche, wenn ſie Morgens vor
ihren Töpfen ſtehen, einander fragen werden: wem
decken wir das wohl Mittags? und in ihrer philo¬
ſophiſchen Zerſtreuung manche Schüſſel verfehlen
werden. ... Was kam mir da oben nicht alles in
den Sinn. Sogar fiel mir ein, woran ich ſeit
zwanzig Jahren nicht gedacht: daß ich vor zwanzig
Jahren in Wien geweſen. Es war ein ſchöner Tag
wie heute, nur ein ſchönerer, denn es war am erſten
Mai. Ich war im Augarten, welcher ſchöner iſt
als die Tuilerien. Die Volksmenge dort war groß
und feſtlich ausgebreitet, wie die hier. Doch heute
bin ich alt und damals war ich jung. Meine Phan¬
taſie lief umher wie ein junger Pudel, und ſie war
noch gar nicht dreſſirt; ſie hatte noch nie etwas dem
Morgenblatte oder ſonſt einem Zeitblatte apportirt.
[44] Sie diente nur ſich ſelbſt, und was ſie holte, holte
ſie nur es als Spielzeug zu gebrauchen und ließ es
wieder fallen. Und da fragte ich mich heute in den
Tuilerien: damals, im Frühlinge des Lebens und der
Natur, was dachteſt du mit deinem friſchen Geiſte,
was fühlteſt du mit deinem jungen Herzen? Ich
beſann mich ... auf nichts. Mir fiel nur ein,
daß der Erzherzog Karl, und noch andere kaiſerliche
Prinzen öffentlich im Gartenſaale gefrühſtückt, und
daß ſie unter andern Chokolade getrunken, und gleich
darauf Spargel mit Butterſauce gegeſſen, worüber
ich mich zu ſeiner Zeit ſehr gewundert. Ferner: daß
ich ſelbſt gefrühſtückt, und zwar ganz köſtliche Brat¬
würſtchen, nicht länger und dicker als ein Finger,
die ich ſeit dem in keinem Lande mehr gefunden ...
Chokolade, Spargel, Bratwürſte — das waren alle
meine Jugenderinnerungen aus Wien! Es iſt ein
Wunder! Und erſt heute in den Tuilerien lernte ich
verſtehen, daß man auch die Freiheit der Gedanken
feſſeln könne, wovon ich oft gehört; es aber nie
habe faſſen können.
Als nun die Frau kam und für ihren Stuhl
zwei Sous einforderte, ſah ich ſie verwundert an
und gab ihr zehen. Für dieſen Stuhl, dieſe Stunde,
dieſe Ausſicht, dieſe Erinnerung hätte ich ein Gold¬
ſtück bezahlt. Das macht Paris ſo herrlich, daß
zwar Vieles theuer iſt, das Schönſte und Beſte aber
[45] wenig oder gar nichts koſtet. Für zwei Sous habe
ich meinem Zorn einen Schmaus gegeben, habe hun¬
dert Könige und ein großes Reich verſpottet, und
Taſchen voll der ſchönſten Hoffnungen mit nach
Hauſe gebracht.
— Es iſt drei Uhr, und die Raſenden im
Roulette-Zimmer gegenüber ſtehen noch in dicken
Kreiſen um den Tiſch. Das Fenſter nach der Straße
iſt durch ein Drathgitter verwahrt. Die Unglücklichen
dahinter ſehen wie wilde Thiere aus. Ich hoffe es
iſt keiner darunter, der im Juli mitgefochten. Gute
Nacht.
Siebenter Brief.
Schreiben, Schriftſtellern, Gedanken bauen —
wie wäre mir das möglich hier? Der Boden wankt
unter meinen Füßen, es ſchwindelt um mich her,
mein Herz iſt ſeekrank. Manchmal kömmt es mir
ſelbſt ſpaßhaft vor, daß ich die Sorgen eines Königs
habe, und ſo angſtvoll warte auf die Entſcheidung
der Schlacht, als hätte ich dabei eine Krone zu ge¬
winnen oder zu verlieren. Ach, wäre ich doch König
nur einen kurzen Monat! Wahrlich, ich wollte keine
Sorgen haben, aber geben wollte ich ſie.
Die tägliche, ja allſtündliche Bemühung der
ſtärkſten Denkreize macht die Menſchen hier endlich
ſtumpf und gedankenlos. Wenn es nicht ſo wäre,
man ertrüge nicht Paris ſein ganzes Leben durch.
Die Erfahrung, die anfänglich bedächtig macht, macht
ſpäter leichtſinnig, und ſo erkläre und entſchuldige
[47] ich den Leichtſinn dieſes Volkes. Wir Deutſchen, die
wir am längſten unter einem ſanften Wolkenfreien
Traumhimmel leben, ſind rheumatiſch, ſobald wir
wachen; wir ſpüren jede Erfahrung und jeder Wech¬
ſel der Empfindung macht uns krank.
Dieſen Mittag ſtand ich eine halbe Stunde
lang vor dem Eingange des Muſeums, und ergötzte
mich an der unvergleichlichen Beredtſamkeit, Geiſtes¬
gegenwart und Keckheit eines Marktſchreiers, der ein
Mittel gegen Taubheit feil bot, und Mehrere aus
der umſtehenden Menge, in Zeit von wenigen Mi¬
nuten von dieſer Krankheit heilte. Als ich unter dem
herzlichſten Lachen fortging, dachte ich: mit dieſem
Spaße ernähre ich mich den ganzen Tag. Und er
dauerte keine drei Minuten lang, reichte keine dreißig
Schritte weit!
Im Hofe des Louvre's begegnete ich einem
feierlichen Trauerzuge, deſſen Spitze dort ſtill hielt,
um ſich zu ordnen. Voraus ein Trupp National¬
garden, welche dumpfe Trommeln ſchlugen, und dann
ein unabſehbares Gefolge von ſtillen, ernſten, be¬
ſcheidenen, meiſtens jungen Bürgern, die paarweiſe
gingen, und in ihren Reihen viele Fahnen und
Standarten trugen, welche mit ſchwarzen Flören
behängt, und deren Inſchriften von Immortellen oder
Lorbeeren bekränzt waren. Ich ſah, fragte und als
ich die Bedeutung erfuhr, fing mein Blut, das kurz
[48] vorher noch ſo friedlich durch die Adern floß, heftig
zu ſtürmen an, und ich verwünſchte mein Geſchick,
das mich verurtheilte jeden Schmerz verdampfen zu
laſſen wie eine heiße Suppe und ihn dann löffelweiſe
hinunter zu ſchlucken. Wie glücklich iſt der Kämpfer
in der Schlacht, der ſeinen Schmerz, ſeinen Zorn
kann ausbluten laſſen und der keine andere Schwäche
fühlt als die dem Gebrauche der Kraft nachfolgt!
Es war eine Todtesfeier für jene vier Unter-
Officiere, welche in der Verſchwörung von Berton
der Gewalt in die Hände gefallen und als wehrloſe
Gefangene ermordert wurden. Heute vor acht Jah¬
ren wurden ſie auf dem Greve-Platz niedergemetzelt,
und weil es ein Mord mit Floskeln war, nannte
man es eine Hinrichtung. Abends war Concert bei
Hofe. Es iſt zum raſend werden! Acht Jahre ſind
es erſt und ſchon hat ſich in Tugend umgewandelt,
was damals für Verbrechen galt. Wenn man, wie
es die Menſchlichkeit und das Kriegsrecht will, auch
die im Freiheitskampfe Beſiegten in Gefangenſchaft
behielte, ſtatt ſie zu tödten, dann lebten jene unglück¬
lichen Jünglinge noch. Mit welchem Siegesjubel
wäre ihr Kerker geöffnet worden, mit welchem Ent¬
zücken hätten ſie das Licht, die Luft der Freiheit
begrüßt! Könige ſind ſchnell, weil ſie wiſſen, daß
es keine Ewigkeit gibt für ſie, und Völker ſind lang¬
ſam, weil ſie wiſſen, daß ſie ewig dauern. Hier
[49] iſt der Jammer. Wie damals, als ich die fluch¬
würdige Hinrichtung mit angeſehen, ſo war auch
heute mein Zorn, weniger gegen den Uebermuth der
Gewalt, als gegen die niederträchtige Feigheit des
Volkes gerichtet. Einige Tauſend Mann waren zum
Schutze der Henkerei verſammelt. Dieſe waren ein¬
geſchloſſen, eingeengt von Hundert tauſend Bürgern,
welchen allen Haß und Wuth im Herzen kochte. Es
war kein Leben, kaum eine Wunde dabei zu wagen.
Hätten ſie ſich nur ſo viel bemüht, als ſie es jeden
Abend mit Fröhlichkeit thun, ſich in die Schauſpiel¬
häuſer zu drängen; hätten ſie nur rechts und links
mit den Ellenbogen geſtoßen: die Tyrannei wäre er¬
drückt und ihr Schlachtopfer gerettet worden. Aber
die abergläubiſche Furcht vor der Soldatenmacht!
Warum thaten ſie nicht damals ſchon, was ſie acht
Jahre ſpäter gethan? Es iſt zum Verzweifeln, daß
ein Volk ſich erſt berauſchen muß in Haß, ehe es
den Muth bekömmt, ihn zu befriedigen; daß es nicht
eher ſein Herz findet, bis es den Kopf verloren.
Mit ſolchen Gedanken ging ich neben dem
Zuge her und begleitete ihn bis auf den Greve-Platz.
Dort ſchloſſen ſie einen Kreis, und Einer ſtellte ſich
auf eine Erhöhung und ſchickte ſich zu reden an.
Ich aber ging fort. Was an dieſem Orte und über
ſolche jammervolle Geſchichten zu ſagen iſt, war mir
bekannt genug. Ich ging die neue Kettenbrücke hinan,
I. 4[50] die jetzt vom Greve-Platze hinüberführt und ſetzte
mich auf eine der Bänke dort, um auszuruhen. Ich
ſah den Strom hinab, maß die kurze Entfernung
zwiſchen dem Louvre, wo Frankreichs Könige herrſch¬
ten, und dem Revolutions-Platze, wo ſie gerichtet
wurden von ihrem Volke, und ich erſtaunte, daß die
Gerechtigkeit, wenn auch eine Schnecke, ſo lange
Zeit gebrauchte, dieſen kurzen Weg zurückzulegen.
Zwiſchen der Bartholomäus-Nacht und der Erobe¬
rung der Baſtille ſind mehr als zwei Jahrhunderte
verfloſſen. Heillos wuchert die Rache der Könige;
aber die edle Rache der Völker hat niemals Zinſen
begehret! Man kann ungeſtört träumen auf dieſer
Brücke. Sie iſt nur für Fußgänger, und ſo oft
einer darüber ging, zitterte die Brücke unter mir
und mir zitterte das Herz in der Bruſt. Hier, hier
an dieſer Stelle, wo ich ſaß, fiel in den Juli-
Tagen ein edler Jüngling für die Freiheit. Noch iſt
kein Winter über ſein Grab gegangen, noch hat kein
Sturm die Aſche ſeines Herzens abgekühlt. Die
Königlichen hatten den Greve-Platz beſetzt, und
ſchoſſen über den Fluß, die von jenſeits andrängenden
Studenten abzuhalten. Da trat ein Zögling der
polytechniſchen Schule hervor, und ſprach: „Freunde,
wir müſſen die Brücke erſtürmen. Folgt mir! Wenn
ich falle gedenket meiner. Ich heiße d'Arcole; es
iſt ein Name guter Vorbedeutung. Hinauf!“ Er
[51] ſprach's und fiel von zehn Kugeln durchbohrt. Jetzt
lieſt man in goldnen Buchſtaben auf der Pforte, die
ſich über die Mitte der Brücke wölbt: Pont d'Ar¬
cole, und auf der andern Seite: le 28 Juillet
1830. Für Oſſians Aberglauben hätte ich in dieſer
Stunde meine ganze Philoſophie hingegeben. Wie
hätte es mich getröſtet, wie hätte ich mich verſöhnt
mit dem zürnenden Himmel, hätte ich glauben können:
um ſtille Mitternacht ſchreitet der Geiſt des gefalle¬
nen Helden über die Kettenbrücke, ſetzt ſich auf die
eiſerne Bank, und ſchaut hinauf nach ſeinem goldnen
Namen, der im Glanze des Mondes blinkt. Dann
vernehmen die am Ufer wohnen ein leiſes ſeliges
Jauchzen, ſüß wie ſterbender Flötenton und ſagen:
das iſt d'Arcole's Freude.
Tugend, Entſagung, Aufopferung — ich habe
dort viel darüber nachgedacht. Soll man oder ſoll
man nicht? Der Ruhm; er iſt ein ſchöner Wahn¬
ſinn, aber doch ein Wahnſinn. Nun, wenn auch!
Was heißt Vernunft? Der Wahnſinn Aller. Was
heißt Wahnſinn? Die Vernunft des Einzelnen.
Was nennt Ihr Wahrheit? Die Täuſchung, die
Jahrhunderte alt geworden. Was Täuſchung? Die
Wahrheit, die nur eine Minute gelebt. Iſt es aber
die letzte Minute unſeres Lebens, folgt ihr keine
andere nach, die uns enttäuſcht, dann wird die
Täuſchung, der Minute zur ewigen Wahrheit. Ja,
4*[52] das iſt's. O ſchöner Tod des Helden, der für einen
Glauben ſtirbt! Alles für Nichts gewonnen. Die
Zukunft zur Gegenwart machen, die kein Gott uns
rauben kann; ſich ſicher zu ſtellen vor allen Täu¬
ſchungen; unverfälſchtes, ungewäſſertes Glück ge¬
nießen; die Freuden und Hoffnungen eines ganzen
Lebens in einen, einen Feuertropfen bringen, ihn
koſten und dann ſterben — ich habe es ausgerechnet
bis auf den kleinſten Bruch — es iſt Verſtand darin!
Ich ging auf der andern Seite zurück. Dort
fragte mich ein Bürger, der das Gedränge auf dem
Greve-Platz bemerkte: Est-ce que l'on guillotine?
Ich antwortete: au contraire, on déguillotine.
„Wird guillotinirt?“ Iſt das nicht köſtlich ge¬
fragt? Ich glaube, daß ich darüber gelacht.
Achter Brief.
Es iſt gräßlich, es iſt zu gräßlich, was in
Brüſſel geſchieht! Was Paris im Juli geſehen, war
Tändelei dagegen. Man könnte raſend werden über
die Niederträchtigkeit der Fürſten. Und der König
von Holland iſt noch einer der beſſern. Männer
erwürgen, weil ſie ſich nicht länger wie Schulbuben
wollen behandlen laſſen, über den Köpfen ihrer wehr¬
loſen Weiber und Kinder die Dächer mit vergiftetem
Feuer, mit Congreviſchen Raketen anzünden — das
iſt die väterliche Liebe der Väter des Volkes, ſo
thun ſie ſie kund! Ein Brüſſeler Zeitungsſchreiber
fragt: „Wie viele Leichen braucht denn eigentlich ein
König, damit er mit Behaglichkeit in ſeine Haupt¬
ſtadt einziehe?“ Unglückſeliger Spötter! Wie viele
Leichen braucht Ihr denn, bis es euch unbehaglich
[54] wird, und ihr die Geduld verliert mit euren Unter¬
drückern? Sie machen es noch lange nicht arg genug.
Ich habe kein Mitleid mit den Belgiern, mit keinem
Volke. Tu l'as voulu, tu l'as voulu, George
Dandin! Der Prophet Samuel hat ſie ſchon vor
drei Tauſend Jahren gewarnt. Sie haben nicht
hören wollen, ſie mögen fühlen.
Geſtern habe ich zum erſten Male unſern König
geſehen — unſern König, den wir gemacht haben.
Es wird ſich zeigen, ob wir geſchickter ſind als
Gott, der die frühern Könige gemacht hat, wie
Kunſtkenner behaupten. Er zeigte ſich auf einer
offenen Gallerie im Palais-Royal und wurde vom
Volke mit wahrer Herzlichkeit begrüßt. Sie lachten
ihn an, ließen ihn hoch leben und es ſchien mir alles
aus der innerſten Seele zu kommen. Ich ſtimmte
mit ein. Man liebt gern, wenn es einem nicht gar
zu ſauer gemacht wird.
So eben erfahre ich, in Gera wäre eine Re¬
volution ausg ebrochen. Dem D., der mir dieſe
freudige Nachricht brachte, habe ich zum Lohne ein
Beefſteak holen laſſen. Habe ich ſie endlich einmal,
die Fürſten Reuß, Greiz, Schleiz und wie ſie
ſonſt heißen! Iſt der Tag der Rache endlich erſchie¬
nen! Schon dreißig Jahre gedenke ich es ihnen.
Wie haben ſie mich in meiner Jugend gequält mit
[55] der verworrenen Geographie ihrer Länderlein, und
den Verzweigungen ihrer Familie! Das war ein
Linienwerk wie in der flachen Hand; man mußte
eine Zigeunerin ſeyn, um daraus klug zu werden.
Die Familienhäupter heißen alle Heinrich und ſich
von einander zu unterſcheiden, ſind ſie numerirt.
Der Eine heißt Heinrich XVIII., der Andere Hein¬
rich LX., der Dritte Heinrich LXIII., der Vierte
Heinrich LXX. Das Ein-Mal-Eins geht nicht
weiter, und das ſollten wir armen Kinder alle aus¬
wendig lernen für die nächſte Oſtern-Prüfung. Ich
lernte damals lieber die Geographie von Aegypten,
wo gerade Buonaparte durchzog. Wenn mein ſanfter
Lehrer, Doctor Schapper, mich in den Pyramiden
ertappte, ſagte er mit feiner Kindbetterin-Stimme:
das iſt auch nützlich; aber mit der vaterländiſchen
Geographie muß man den Grund legen. Nun
ſchwöre ich es Ihnen bei der heiligen Ignoranz,
daß wenn ich jetzt auf der Stelle nach Cairo reiſen
müßte, ich ganz genau den Weg wüßte, den ich zu
nehmen; wenn aber nach dem Lande Reuß, müßte
ich erſt hinüber und herüber im Poſtbuche nachſchla¬
gen. In welchem Theile von Deutſchland Gera
liegt, oben, unten, rechts, links — ich weiß es
wahrhaftig nicht. Aber ſo viel weiß ich, daß man
Gera mit allen ſeinen Einwohnern in die Richelieu¬
[56] Straße ſtellen könnte. Jetzt ſtellen Sie ſich vor,
daß dieſe kleine Stadt, zwei oder gar drei Fürſten
hat, die ſie gemeinſchaftlich beherrſchen. Iſt es da
ein Wunder, wenn es zur Revolution gekommen?
Es iſt ſchon mit einem Fürſten nicht auszuhalten.
Der Doctor Schapper hat aber einen guten vater¬
ländiſchen Grund in mir gelegt! Er wird ſich freuen,
wenn er es erfährt.
— Cotta will hier in Paris eine Zeitung her¬
ausgeben, wie mir eben D. erzählte, an den er
ſich vorläufig deswegen gewendet. Wenn es nur
zur Ausführung kömmt — es wäre himmliſch.
Hundert deutſche Miniſter würden darüber verrückt
werden. Was könnte dieſer Mann mit ſeinem
Reichthume, ſeiner Thätigkeit, ſeinem Geſchäftskreiſe
und ſeinen Verbindungen nicht alles wirken, wenn
er wollte! Er allein verſteht es, wie man die
furchtſamen Federn beherzt macht, und die verbor¬
genſten Schubladen der Geheimnißkrämer öffnet.
Wenn ich an die Cenſur denke, möchte ich mit dem
Kopfe an die Wand rennen. Es iſt zum Verzwei¬
feln. Die Preßfreiheit iſt noch nicht der Sieg, noch
nicht einmal d[e]r Kampf, ſie iſt erſt die Bewaffnung;
[57] wie kann man aber ſiegen ohne Kampf, wie kämpfen
ohne Waffen? Das iſt der Zirkel, der einen toll
macht. Wir müſſen uns mit nackten Fäuſten, wie
wilde Thiere mit den Zähnen, wehren. Freiwillig
gibt man uns nie die Preßfreiheit. Ich möchte
unſern Fürſten und ihren Rathgebern nicht Unrecht
thun, ich möchte nicht behaupten, daß bei allen und
überall, der böſe Wille, alle Mißbräuche, welche
durch die Preſſe offenkundig würden, fortzuſetzen,
Schuld an der hartnäckigen Verweigerung der Pre߬
freiheit ſei; das nicht. Wenn ſie regierten wie die
Engel im Himmel und auch der anſpruchsvollſte
Bürger nichts zu klagen fände: ſie würden doch
Preßfreiheit verſagen. Ich weiß nicht — ſie haben
eine Eulen-Natur, ſie können das Tageslicht nicht
ertragen; ſie ſind wie Geſpenſter, die zerfließen,
ſobald der Hahn kräht.
— Die Frankfurter Bürgerſchaft wäre ja rein
toll, wenn ſie dem Senate die Anwerbung von
Schweizertruppen bewilligte. Das gäbe nur eine
Leibwache für die [Bundesverſammlung] und die ſteckt
gewiß hinter dem Plane.
— Merkwürdig ſind die Hanauer Geſchichten!
Wer hätte das erwartet? Kann ſich die Freiheit in
der Nähe von Frankfurt bewegen? Es gibt irgendwo
einen See von ſo giftiger Ausdünſtung, daß alle
[58] Vögel, die darüber fliegen, gleich todt herabfallen.
So erzählt man, aber ich glaube es nicht.
— Es hat ſich hier ſeit einiger Zeit eine re¬
ligiöſe Geſellſchaft gebildet, welche die Lehren des
St. Simon zu verbreiten ſucht. Ich habe früher
nie etwas von dieſem Simon gehört. Es werden
Sonntags Predigten gehalten. Wie man mir er¬
zählt, ſoll gleiche Vertheilung der Güter eine der
Grundlehren ſeyn. Die Geſellſchaft zählt ſchon
viele Anhänger und der Sohn meines Banquiers
gehört zu den eifrigſten Mitgliedern. Wenn ich Geld
bei ihm hole, und ich ihm einen Wechſel anbiete,
wird er mir gewiß ſagen: das iſt ja gar nicht nö¬
thig, ſein Geld ſei auch das meinige. Ich freue
mich ſehr darauf.
Geſtern habe ich die Giraffe geſehen, die in
einem Gehege frei umhergeht. Ein erhabenes Thier,
das aber doch viel Lächerliches hat; eine tölpelhafte
Majeſtät. Man muß oft lange warten, bis es ihr
gefällig iſt, die Beine aufzuheben und ſich in Be¬
wegung zu ſetzen. Gewöhnlich ſteht ſie ſtill, an
Bäumen oder an der Mauer eines dort befindlichen
Gebäudes und benagt die oberſten Zweige oder das
Dach. Das Thier ſieht ſehr metaphyſiſch aus, lebt
mit dem größten Theile ſeines Weſens in der Luft,
und ſcheint die Erde nur zu berühren, um ſie ver¬
[59] ächtlich mit Füßen zu treten. In dem nehmlichen
Gehege befanden ſich auch noch andere Thiere, me¬
lancholiſche Büffel und ſonſtige. Zuweilen gingen
dieſe unter dem Bauche der Giraffe weg, und dann
ſah es aus wie Schiffe, die unter einem Brücken¬
bogen hinfuhren.
Neunter Brief.
Ob ich zwar vorher wußte, daß die deutſchen
Regierungen den Forderungen des Volkes nicht nach¬
geben, ſondern Maasregeln der Strenge ergreifen
würden; ob ich zwar vom Schauplatz entfernt bin,
ſo hat mir Ihr heutiger Bericht von den Truppen¬
bewegungen, von dem Mainzer [Kriegsgerichte], doch die
größte Gemüthsbewegung gemacht. Ich hielte das
nicht aus und ich bin froh, daß ich mich entfernt
habe. Gott hat die Fürſten mit Blindheit geſchlagen
und ſie werden in ihr Verderben rennen. Sie haben
die ruhigſten und gutmeinendſten Schriftſteller mit
Haß und Verachtung behandelt, ſie haben nicht ge¬
duldet, daß die Beſchwerden und Wünſche des
Volkes in friedlicher Rede verhandelt würden, und
jetzt kommen die Bauern und ſchreiben mit ihren
Heugabeln, und wir wollen ſehen, ob ſich ein Cen¬
[61] ſor findet, das wegſtreicht. Die alten Künſte,
in jedes aufrühreriſche Land fremdes Militär zu
legen, Naſſauer nach Darmſtadt, Darmſtädter nach
Naſſau, werden nicht lange ausreichen. Wenn ein¬
mal der Soldat zur Einſicht gekommen, daß er Bür¬
ger iſt eher als Soldat, und wenn er einmal den
großen Schritt gethan, blinden Gehorſam zu verwei¬
gern, dann wird er auch bald zur Einſicht kommen,
daß alle Deutſche ſeine Landsleute ſind, und wird
nicht länger um Tagelohn ein Vater- oder Bruder¬
mörder ſeyn. Alle alte Dummheiten kommen wie¬
der zum Vorſchein, nicht eine iſt ſeit fünfzehn Jah¬
ren geſtorben. So habe ich in deutſchen Blättern
geleſen, man habe entdeckt, daß eine geheime Ge¬
ſellſchaft die revolutionären Bewegungen überall
geleitet, und man ſei den Rädelsführern auf der
Spur. Die ſchlauen Füchſe!
— Geſtern Abend war ich bei Lafayette, der
jeden Dienſtag eine Soiree gibt. Wie es da zuging,
davon kann ich Ihnen ſchwer eine Vorſtellung geben,
man muß das ſelbſt geſehen haben. In drei Salons
waren wohl drei Hundert Menſchen verſammelt, ſo
gedrängt, daß man ſich nicht rühren konnte, aber im
wörtlichſten Sinne nicht rühren. Lafayette, der 73
Jahre alt iſt, ſieht noch ziemlich rüſtig aus. Er hat
eine ſehr gute Phyſiognomie, iſt immer freundlich
und drückt jedem die Hand. Wie es aber der alte
[62] Mann den ganzen Abend in dem Gedränge und in
der Hitze aushält, iſt mir unbegreiflich. Dazu muß
man ein Franzoſe ſeyn. Als man ihm die Nachrich¬
ten aus ... mittheilte, ſchien er ſehr vergnügt und
lachte. Ich habe den Abend viele Leute geſprochen,
die ich natürlich nicht alle kenne. Auch viele Deut¬
ſche waren da, junge Leute, die ſehr revolutionirten.
Die ganze Geſellſchaft würde im Oeſterreichiſchen
gehenkt werden, wenn man ſie hätte. Es geht da
ſehr ungenirt her, ja ungenirter als im Kaffeehauſe.
Und dabei hat man die Erfriſchungen umſonſt. Ich
ging ſchon um zehn Uhr weg. Da waren noch die
Treppen bedeckt von Leuten, die kamen. Wie die
aber Platz finden mochten, weiß ich nicht. Es
waren auch zwei Sophas mit Frauenzimmern da,
meiſtens Nordamerikanerinnen. Talleyrand war
neulich, ehe er nach London abreiſte, in Lafayette's
Salon; es hat aber kein Menſch mit ihm geſprochen.
Ich ſprach unter andern zwei Advokaten, welche die
Vertheidigung der angeklagten Miniſter übernommen.
Sie ſagten, die Sache ſtände ſchlimm mit ihren
Klienten und ſie ſtänden in Lebensgefahr. Sie wä¬
ren aber auch ſo dumm, daß ſie nicht einmal ſo viel
Verſtand gehabt hätten, zu entwiſchen, was die Re¬
gierung ſehr gern geſehen hätte. Jetzt ſei es zur
Flucht zu ſpät. Der Kommandant in Vincennes,
wo die Miniſter eingeſperrt ſind, ſei ſtreng und laſſe
[63] nicht mit ſich reden. Man erzählte auch von einem
Bauern-Aufſtand in Hanau. Wiſſen Sie etwas
davon.
— Ihre Briefe machen mir eigentlich nur
Freude ehe ich ſie aufmache, und in der Erwartung,
daß ſie recht groß ſind. Aber einmal geöffnet iſt
auch alles vorüber. In einer Minute habe ich ſie
geleſen, es iſt das kürzeſte Vergnügen von der Welt.
Ich werde durch Ihre langen Buchſtaben und geſtreck¬
ten Zeilen ſehr übervortheilt. Ihre ganzen Briefe
brächte ich in zwanzig Zeilen. Was können Sie aber
dafür? Ihre Freundſchaft reicht nicht weiter.
— Was mag jetzt nicht in Deutſchland alles
vorgehen, was man gar nicht erfährt, weil es nicht
gedruckt werden darf! Ich habe den Abend oft das
ganze Zimmer voll deutſcher Jünglinge, die alle re¬
volutioniren möchten. Es iſt aber mit den jungen
Leuten gar nichts anzufangen. Sie wiſſen weder
was ſie wollen, noch was ſie können. Geſtern traf
ich bei Lafayette einen blonden Jüngling mit einem
Schnurrbarte und einer ſehr kecken und geiſtreichen Phy¬
ſionomie. Dieſer war von*** wo er wohnt, als dort
die Unruhen ausgebrochen, hierhergekommen, hatte La¬
fayette, Benjamin Conſtant, Quiroga und andere
Revolutionshäupter beſucht und um Rath gefragt, ge¬
rade als hätten dieſe Männer ein Revolutionspulver,
das man den Deutſchen eingeben könnte.
[64]
— Was ſagen Sie dazu, daß die Todesſtrafe
abgeſchafft werden ſoll, vor jetzt wenigſtens bei poli¬
tiſchen Vergehen? Iſt das nicht ſchön? Und das
geſchieht nur in der Abſicht, die angeklagten Mi¬
niſter zu retten. Und nicht etwa die Regierung
allein will das, ſondern der beſſere Theil des Volkes
ſelbſt. Dieſe Woche kam eine Bittſchrift von hun¬
dert bleſſirten Bürgern, die alle die Abſchaffung der
Todesſtrafe fordern, an die Kammer. Mich rührte
das ſehr, daß Menſchen, welche von den Miniſtern
unglücklich gemacht worden, um das Leben ihrer
Feinde bitten. Wenn man bei unſerer lieben Deut¬
ſchen Bundesverſammlung um die Abſchaffung der
Todesſtrafe in politiſchen Vergehen einkäme, würde
man freundlichen Beſcheid bekommen! Und doch,
wenn ſie klug wären, ſollten ſie ſchon aus Egoismus
die alten blutigen Geſetze mildern. Heute noch haben
ſie die Macht, wer weiß wie es morgen ausſieht.
Zehnter Brief.
Seit geſtern bin ich in meiner neuen Wohnung.
Ich wollte ſie ſchon Freitag beziehen, aber meine
Wirthin, eine junge hübſche Frau, machte eine ganz
allerliebſte fromme Miene, ſagte: c'est vendredi und
bat mich meinen Einzug zu verſchieben. Ich bot
ihr an, alles Unglück, was daraus entſtehen könnte,
auf mich allein zu nehmen, doch ſie gab nicht nach.
Man ſagte mir, dieſer Aberglaube ſei hier in allen
Ständen ſehr verbreitet. Es giebt zum Transporte
der Möbel beim Ein- und Ausziehen eine eigene
Anſtalt, ein beſonderes Fuhrweſen. Bei den häufi¬
gen Wohnungsveränderungen, die hier ſtatt finden,
ſind jene Wagen nicht täglich zu haben, man muß oft
Wochen lang vorher ſeine Beſtellung machen. An den
Freitagen aber ſind ſie unbeſchäftigt, weil da Nie¬
mand ſein Haus wechſeln will. Sollte man das
von Pariſern erwarten?
I. 5[66]
Geſtern am achtzehnten Oktober, am Jahres¬
tage der Leipziger Schlacht und der Befreiung
Deutſchlands, fing es mich zu frieren an, und da
ließ ich zum erſtenmale Feuer machen. Jetzt brennt
es ſo ſchön hell im Kamine, daß mir die Augen
übergehen. Der Preis des Holzes iſt ungeheuer.
Man kann berechnen, wie viel einem jedes Scheit
koſtet; die Aſche iſt wie geſchmolzenes Silber. Da¬
bei gedachte ich wieder mit Rührung meines, nicht
theuern, ſondern im Gegentheile wohlfeilen Vater¬
landes. Als meine Wirthin mich ſeufzen hörte und
ſah, wie ich aus Oekonomie die Hände über den
Kopf zuſammenſchlug, tröſtete ſie mich mit den Wor¬
ten: mais c'est tout ce qu'il y a de plus beau
en bois! Dieſe kleine Frau gibt einem die ſchön¬
ſten Redensarten, aber ſie ſind koſtſpielig. Den
Miethpreis der Zimmer, den ich zu hoch fand, her¬
abzuſtimmen, gelang aller meiner Beredſamkeit nicht.
Sie widerlegte mich mit der unwiderleglichen Bemer¬
kung: Der engliſche Ort ſei doch ganz aller¬
liebſt — mais vous avez un lieu anglais qui est
charmant. Die reichen Engländer ſetzen viel Ge¬
wicht darauf, und der arme Deutſche muß das mit
bezahlen.
Ich habe mit einigen deutſchen Zeitungs-Redak¬
teuren Verbindungen angeknüpft, um eine Correſpon¬
denz zu übernehmen, die mir das allerſchönſte Holz
[67] und den anmuthigſten aller engliſchen Orte bezahlen
helfe; es iſt aber nichts zu Stande gekommen. Die
Einen und die Andern wollten nicht Geld genug
hergeben, oder können auch nicht mehr bei den arm¬
ſeligen Verhältniſſen, in welchen ſich die meiſten deut¬
ſchen Blätter befinden. Die Hamburger Zeitung,
welche, da ſie einen bedeutenden Abſatz hat, mir
meine Forderungen vielleicht bewilligt hätte, machte
mir die Bedingung, ich müßte mich auf Thatſa¬
chen beſchränken und dürfe nicht reſonniren. Da
ich aber nicht nach Frankreich gereiſt bin, um ein
Stockfiſch zu werden, ſondern gerade wegen des Ge¬
gentheils, brach ich die Unterhandlung ab.
— — Eine ganze Stunde habe ich das Schrei¬
ben unterbrochen und darüber von dem langen Briefe,
den ich im Kopfe hatte, den größten Theil ver¬
geſſen. Mich beſchäftigte eine Kritik meiner geſam¬
melten Schriften, welche in den neueſten Blättern
der Berliner Jahrbücher ſteht, und die mir ein
Freund zugeſchickt. Es darf Sie nicht wundern, daß
ich mich dadurch zerſtreuen ließ; mit einer Recenſion
könnte man einen Schriftſteller ſelbſt vom Sterben
abhalten. Ich bin mit meinem Kritiker ſehr zufrie¬
den, und alles was er ſagt, hat mir Freude ge¬
macht. Er lobt mich von Herzen und tadelt mich
mit Verſtand. So oft von meinen [politiſchen] Anſich¬
ten und Geſinnungen die Rede iſt, ſtellt er ſich frei¬
5 *[68] lich an als verſtände er mich nicht und widerſpricht
mir; doch wird es keinem Leſer entgehen, wie das
gemeint iſt. Im Grunde denkt Herr Neumann (ſo
heißt der Berliner Recenſent) ganz wie ich; aber
ein königlich Preußiſcher Gelehrter muß ſprechen wie
der Herr von Schuckmann. Das iſt das Preußen¬
thum, das iſt die proteſtantirte Oeſterreichiſche
Politik. Das iſt, was ich in meiner Brochüre über
die Berliner Zeitung alles vorhergeſagt.
— Vor einigen Tagen war ich zum erſten
Male im Theater, und zwar in meinen geliebten
Variétés. Ich wurde den Abend um einige
Pfunde leichter, was bei einem deutſchen Bleimänn¬
chen, wie ich eins bin, ſchon einen großen Unterſchied
macht. Es wird einem dabei ganz tänzerlich zu
Muthe, die Füße erheben ſich von ſelbſt und man
könnte ſich nicht enthalten, ſelbſt Hegel zu einem
Walzer aufzufordern, wenn er grade in der Nähe
ſtände. Ich habe meine Freude daran, wie ſich das
leichtſinnige Volk alles ſo leicht macht. Sie ſchrei¬
ben ſchneller ein Stück, als man Zeit braucht, es
aufführen zu ſehen. Kaum waren acht Tage nach
der Revolution verfloſſen, als ſchon zwanzig Komö¬
dien fertig waren, die alle auf das Ereigniß Bezug
hatten. Gewöhnlich iſt kein geſunder Menſchenver¬
ſtand darin, aber wozu auch? Iſt nicht jedes Volk
ein ewiges Kind und brauchen daher Volks-Schau¬
[69] ſpiele Verſtand zu haben? Alle dieſe Gelegenheits¬
ſtücke ſind nun jetzt wieder von der Bühne verſchwun¬
den, — „die Todten reiten ſchnell“ — und ich eilte
mich daher, eins der wenigen übrig gebliebenen noch
auf ſeiner Flucht zu erhaſchen. Ich ſah Mr. de la
Jobardière. Das iſt einer von den altadeligen
geräucherten Namen, die ſchon Jahrhunderte im
Schornſtein hängen, und jetzt von der jungen Welt
herabgeholt und gegeſſen werden. Der alte Edel¬
mann iſt ein guter Royaliſt, lang und hager und ſehr
gepudert. Seine Frau iſt eine gute Royaliſtin,
dick und rund und geſchminkt. Der junge Hausarzt
— verſteht ſich ein Bürgerlicher — iſt in die Toch¬
ter verliebt. Jetzt kommt der Vorabend der Revolu¬
tion Der Arzt, ein Patriot, giebt den Eltern ſei¬
ner Geliebten, theils um ihnen die Unruhe zu erſpa¬
ren, theils um ihnen eine Ueberraſchung zu bereiten,
Opium ein, ſo daß ſie während der drei Revolu¬
tionstage ſchlafen und erſt am dreißigſten Juli auf¬
wachen, da Karl X. ſchon auf dem Wege nach Ram¬
bouillet war. Der Royaliſt, im Schlafrocke, nimmt,
wie gewöhnlich beim Frühſtücke, ſeine Zeitungen vor.
Da findet er ein Blatt la Révolution, ein anderes
le Patriote genannt, Blätter die während ſeinem
Schlafe erſt entſtanden waren. Er reibt ſich die
Augen und klingelt ſeinem Bedienten. Dieſer tritt
wie ein Bandit mit Säbel und Piſtolen bewaffnet
[70] herein und trägt einen Gensd'arme-Hut auf dem
Kopfe. Der Royaliſt fragt, ob er verrückt gewor¬
den, und als er von ihm die Erzählung der vorge¬
fallenen Ereigniſſe vernimmt, fängt er an an ſeinem
eigenen Kopf zu zweifeln und ſchickt nach dem Arzte.
Bald erſcheint dieſer in der Uniform eines National¬
garden-Officiers und beſtätigt alles. Der Royaliſt
wankt, aber ſeine feſtere Frau will noch nichts glau¬
ben, ſagt: Der König verjagt — das könne nur
ein Mißverſtändniß ſeyn, und ſie wolle in die Faux¬
bourg St. Germain gehen und Erkundigungen ein¬
ziehen. Sie geht fort, kehrt nach einer Weile zu¬
rück und zwar mit einer dreifarbigen Kokarde, groß
wie ein Wagenrad auf der Bruſt, und ſagt, leider
ſei alles wahr. Das royaliſtiſche Ehepaar tröſtet
ſich aber ſehr bald, und iſt der ſehr vernünftigen
Meinung, ein König ſei wie der andere, der Her¬
zog von Orleans ſei König und darum das Unglück
nicht ſo groß. Le Roi est mort, vive le Roi!
ſchreien ſie und der Arzt bekommt die Tochter. Iſt
das nicht eine prächtige Erfindung?
Der dreißigſte Juli war auch der Himmel¬
fahrts-Tag Napoleons. Seitdem wird er als Gott
angebetet. Ich ſah la redingote grise. Es
iſt die bekannte Geſchichte von der ſogenannten kai¬
ſerlichen Großmuth gegen die Prinzeſſin Hatzfeld in
Berlin. Der Theater-Lieferant hatte den Verſtand,
[71] Napoleon nichts ſprechen zu laſſen. Er erſcheint als
Graumännchen auf einige Minuten, und verſchwin¬
det dann wieder. Es iſt recht ſchauerlich.
Die unheilige Dreieinigkeit vollſtändig zu ma¬
chen, erſchien nach der Volks-Souveränetät und
Buonaparte, am nehmlichen Abende der leibhaftige
Teufel ſelbſt auf der Bühne, unter Voltaire's Ge¬
ſtalt. Das Vaudeville heißt Voltaire chez les
Capucins. Das Stück ſpielt in einem Capuzi¬
ner-Kloſter, worin Voltaire als ungekannter Gaſt
eingekehrt war. Es ſind heuchleriſche Pfaffen, die
dort ihr Weſen treiben. Voltaire entdeckt ihre
Schelmereien, ihre geheimen Liebſchaften, ihre Ränke
und Miſſethaten; er ſchürt das Feuer, und ſchwelgt
ganz ſelig in Schadenfreude und Bosheit. Es war
eine Luſt, wie gut ihn der Schauſpieler dargeſtellt —
aber gottlos, ſehr gottlos.
— Sie fragen mich, was ich erwarte, was ich
denke? Ich erwarte, daß die Welt untergehen wird,
und daß wir den Verſtand darüber verlieren wer¬
den. Ich zweifle nicht daran, daß bis zum nächſten
Frühlinge ganz Europa in Flammen ſtehen wird, und
daß nicht blos die Staaten über den Haufen fallen
werden, ſondern auch der Wohlſtand unzähliger Fa¬
milien zu Grunde gehen wird. Zu ihren Luſtbar¬
keiten laden die Fürſten nur Edelleute ein; aber
[72] wenn das Unglück über ſie kömmt, bitten ſie auch
ihre Bürger zu Gaſte. Dafür ſorgen ſie voraus,
zu dieſem edlen Zwecke machen ſie Staats¬
ſchulden. Wir können ſtolz darauf ſeyn; es iſt
eine große Ehre in ſo vornehmer Geſellſchaft zu
jammern.
Eilfter Brief.
Ich Unglücklichſter muß meine Wohnung von
neuem wechſeln. Der Kamin raucht, und der Fu߬
boden, obzwar parquetirt, iſt von einer beleidigenden
Kälte. Nicht ohne Grobheit machte ich meiner ſchö¬
nen Wirthin Vorwürfe, daß ſie mir die geheimen
Fehler der Zimmer verſchwiegen. Sie ſtellte ſich
ganz überraſcht und erwiederte: das wäre ihr un¬
begreiflich; ein junger Spanier habe doch zwei Win¬
ter bei ihr gewohnt und ſich nie über das Geringſte
beſchwert. Das will ich wohl glauben! Ich ließ
mich durch die ſchönſten franzöſiſchen Verſprechungen
von Teppichen und Kamin-Verbeſſerungen nicht täu¬
ſchen, kündigte ſogleich auf und ging fort, mich nach
einer andern Wohnung umzuſehen. Als ich unten
von der Straße nach meinem geöffneten Fenſter hin¬
aufſah, bemerkte ich, daß mein Wohnzimmer über
[74] dem Thorweg liegt, und die Kälte des Fußbodens
gar nicht zu heilen iſt. Das war mir entgangen,
ſowohl beim Miethen als während der vierzehn
Tage, daß ich im Hauſe wohne. Und doch bin ich
Doktor der Philoſophie! Wie dumm mögen erſt ge¬
wöhnliche Menſchen ſeyn, die von Fichte und Schel¬
ling nie ein Wort geleſen! Ich ſchämte mich im
Stillen und nahm mir feſt vor, mich nie mehr mit
Staatsreformen zu beſchäftigen.
— Eine Flinte möchte ich haben und ſchießen.
Mit guten Worten, das ſehe ich täglich mehr ein,
richtet man nichts aus. Ich wünſche, daß es Krieg
gäbe, und der kränkelnde Zuſtand der Welt in eine
kräftige Krankheit übergehe, die Tod oder Leben ent¬
ſcheidet. Wenn es Friede bleibt, wird die Zucht¬
meiſterei in Deutſchland immer unerträglicher werden,
und glauben Sie ja keinem Menſchen das Gegen¬
theil; ich werde Recht behalten. Dem deutſchen
Bürgerſtande wird Angſt gemacht vor dem Pöbel
und er bewaffnet ſich, ſtellt ſich in ſeiner viehiſchen
Dummheit unter das Commando der Militärmacht
und vermehrt dadurch nur die Gewalt der Regie¬
rungen. Hier und in den Niederlanden wird der
Pöbel auch aufgehetzt. Die National-Garde hält
ihn im Zaum, läßt ſich aber nicht zum Beſten ha¬
ben, ſondern vertheidigt und beſchützt nur ſeine eignen
Rechte und ſeinen eignen Vortheil. Heute las ich
[75] in einer hieſigen Zeitung, daß ein Koch in Dresden
zu ſechszehnjähriger Zuchthausſtrafe verurtheilt wor¬
den, weil man bei einem Volksauflaufe ein Meſſer
bei ihm gefunden. Als wenn es nicht ganz was
natürliches und gewöhnliches wäre, daß ein Koch ein
Meſſer bei ſich führe! Auch hat man einen Grafen
Schulenburg, der das Volk aufgewiegelt haben ſoll,
arretirt, und nach Berlin geführt. Es verſteht ſich,
daß die deutſchen Zeitungen nicht Graf Schulenburg
ſchreiben durften, ſondern nur Graf S. Nur in
den franzöſiſchen Blättern war der Name ausge¬
ſchrieben. Ich zweifle zwar nicht daran, daß es in
Deutſchland Menſchen gibt, die aus Patriotismus
oder Muthwillen das Volk aufwiegeln; aber gewiß
haben ſie die verſchiedenen Inſurrektionen nicht herbei
geführt, ſondern höchſtens benutzt. Die Regierungen
aber, in ihrer alten bekannten Verſtocktheit, werden
glauben oder ſich anſtellen zu glauben, einzelne Auf¬
wiegler wären an allen Unruhen Schuld, und wenn
ſie nun dieſe in ihre Gewalt bekommen, werden ſie
denken, alles ſei geendigt, auf die Klagen des Volkes
ferner keine Rückſicht nehmen, und in die alte Lage
zurück fallen. Nur Krieg kann helfen.
Vor einigen Tagen ſtand in einem hieſigen
Blatte ein ſehr merkwürdiger Brief aus Deutſchland,
der über die dortigen Unruhen ein großes und neues
Licht verbreitet. Es wird darin erzählt, wie Met¬
[76] ternich dieſe Unruhen angefacht habe und wozu er ſie
habe benutzen wollen. Er gedachte nehmlich, die
bairiſchen Truppen und die der andern ſüddeutſchen
Staaten, unter dem Vorwande, ſie zur Dämpfung
der ausgebrochenen Inſurrektionen zu verwenden, in
die Ferne zu locken und dadurch jene Länder wehrlos
zu machen. Der König von Baiern habe aber den
Plan durchſchaut und ihn vereitelt. Der Bericht iſt
ſehr intereſſant und iſt, wie mich Einer verſicherte,
von Herrn von Hormayr in München eingeſandt.
Dieſer war früher in Wien angeſtellt und iſt ein
großer Feind von Metternich. Es iſt ſehr traurig,
daß in deutſchen Blättern der genannte Artikel nicht
erſcheinen darf, und er daher gar nicht bekannt wer¬
den wird. Ich hörte auch: die Liberalen in Baiern
ſuchten den König zu revolutioniren, daß er ſich an
die Spitze der Bewegung ſtelle und ſich zum Herrn
von Deutſchland mache. Die Sache iſt gar nicht
unmöglich. Ueberhaupt ſollen geheime Geſellſchaften,
beſonders der alte Tugendbund, gegenwärtig wieder
ſehr thätig ſein. Mit geheimen Geſellſchaften möchte
ich nichts zu ſchaffen haben, am wenigſten mit dem
Tugendbunde, der es auf eine heilloſe Prellerei an¬
gelegt hat. Er wird von Ariſtokraten geleitet und
hat ariſtokratiſche Zwecke, die man vor den dummen
ehrlichen Bürgersleuten, die daran Theil nehmen,
freilich geheim hält. Das heißt, mit der heiligen
[77] Schrift zu reden, den Teufel durch Beelzebub aus¬
treiben.
Der heutige Conſtitutionnel meldet, ein Corps
deutſcher Bundestruppen von einem Naſſauer Ge¬
nerale commandirt, würde zuſammengezogen, und
das Hauptquartier ſolle nach Frankfurt kommen.
Haben Sie davon gehört? Das arme Frankfurt
ſieht doch einer traurigen Zukunft entgegen Seit
funfzehn Jahren iſt dort das Hauptquartier der
Dummheit, und wenn dieſe einmal ihre Früchte trägt,
wird es Frankfurt am erſten ſchmecken. Ich fange
an einzuſehen, daß ich die deutſchen Verhältniſſe
falſch beurtheilt. Ich habe den entgegengeſetzten
Fehler der Miniſter, ich bekümmere mich zu viel um
Sachen und zu wenig um Perſonen. Mehrere unter¬
richtete Deutſche, die ich hier kennen gelernt, haben
mir die Ueberzeugung beigebracht, daß in Deutſch¬
land alles zu einer Revolution reif ſei. Wann und
auf welche Art es losbrechen werde, könne man nicht
wiſſen; aber es werde losbrechen, und das bald.
— Victor Hugo's Hernani habe ich mit
großem Vergnügen geleſen. Es iſt wahr, daß ich
Werke ſolcher Art bei einem franzöſiſchen Dichter
nach ganz andern Grundſätzen beurtheile, als ich es
bei einem deutſchen Dichter thue. Das Ding an
ſich kümmert mich da gar nicht; ſondern ich betrachte
es blos in ſeiner Verbindung, das heißt bei roman¬
[78] tiſchen poetiſchen Werken, in ſeinem Gegenſatze mit
der franzöſiſchen Nationalität. Alſo je toller je
beſſer; denn die romantiſche Poeſie iſt den Franzoſen
nicht wegen ihres ſchaffenden, ſondern wegen ihres
zerſtörenden Prinzips heilſam. Es iſt eine Freude
zu ſehen, wie die emſigen Romantiker alles anzünden
und niederreißen, und große Karren voll Regeln und
klaſſiſchem Schutte vom Brandplatze wegführen. Die
Stockfiſche von Liberalen, deren Vortheil es wäre,
die Zerſtörung zu befördern, widerſetzen ſich ihr,
und dieſes Betragen iſt ein Räthſel, das ich mir
ſeit zehen Jahren vergebens zu löſen ſuche. Die
armen Romantiker werden von ihren Gegnern ver¬
ſpottet und verfolgt, daß es zum Erbarmen iſt, und
man kann ihre herzbrechenden Klagen nicht ohne
Thränen leſen. Aber warum klagen ſie? Warum
gehen ſie nicht ihren Weg fort, unbekümmert, ob
man ſie lobe oder tadle? Ja, das iſt's eben. Sie
ſind noch nicht romantiſch genug; die Romantik iſt
nur erſt in ihrem Kopfe, noch nicht in ihrem Her¬
zen; ſie glauben ein Kunſtwerk müſſe einen unbe¬
ſtrittenen Werth haben, wie eine Münze, und darum
ſeufzen ſie nach allgemeinem Beifall. Victor Hugo
wiederholt in der Vorrede zu ſeinem Drama folgende
Stelle aus einem Artikel, den er vor kurzem, als
ein romantiſcher Dichter in der Blüthe ſeiner Jahre
ſtarb, in einem öffentlichen Blatte geſchrieben hatte.
[79] Dieſes Händeringen, dieſes Wehklagen, dieſer Le¬
bensüberdruß — es iſt gar zu wunderlich!
„Dans ce moment de mêlée et de tour¬
mente littéraire, qui faut-il plaindre, ceux qui
meurent ou ceux qui combattent? Sans doute,
c'est pitié de voir un poète de vingt ans qui
s'en va, une lyre qui se brise, un avenir qui
s'évanouit; mais n'est-ce pas quelque chose
aussi que le repos? N'est-il pas permis à ceux
autour desquels s'amassent incessamment calom¬
nies, injures, haines, jalousies, sourdes menées,
basses trahisons; hommes loyaux auxquels on
fait une guerre déloyale; hommes dévoués qui
ne voudraient enfin que doter le pays d'une
liberté de plus, celle de l'art, celle de l'intel¬
ligence; hommes laborieux qui poursuivent
paisiblement leur oeuvre de conscience, en proie
d'un côté à de viles machinatures de censure
et de police, en [butte] de l'autre, trop souvent,
à l'ingratitude des esprits mêmes pour lesquels
ils travaillent; ne leur est-il pas permis de
retourner quelquefois la tête avec envie vers
ceux qui sont tombés derrière eux, et qui dor¬
ment dans le tombeau? — —
Qu'importe toutefois? Jeunes gens ayons
bon courage! Si rude qu'on nous veuille faire
le présent, l'avenir sera beau. Le romantisme,
[80] tant de fois mal défini, n'est, à tout prendre,
et c'est là sa définition réelle, que le libéra¬
lisme en littérature.“
Was doch das Glück übermüthig macht! Dieſe
jungen Leute jammern und verwünſchen ſich das
Leben, weil einige poetiſche Abſolutiſten nicht haben
wollen, daß ſie romantiſch ſind: Abſolutiſten, die doch
keine andern Waffen haben als die Feder und den
Spott, welchem man gleiche Waffen entgegenſetzen
kann — und wir unglückſeligen Deutſchen, Alt und
Jung, ſobald wir nur einen Augenblick aufhören
romantiſch zu ſeyn und uns um die Wirklichkeit be¬
kümmern wollen, werden geſcholten wie Schulbuben,
geprügelt wie Hunde und müſſen ſchweigen und
dürfen uns nicht rühren!
— Der Bundestag, wie ich höre, will in
Deutſchland die Preßfreiheit beſchränken. Wie ſie
das aber anfangen wollen, möchte ich wiſſen. Wo
nichts iſt, hat der Kaiſer ſein Recht verloren.
Zwoͤlfter Brief.
Ich habe bis jetzt noch ſehr wenige Bekannt¬
ſchaften gemacht, und wahrſcheinlich werde ich es
darin nicht weiter bringen, als das vorige Mal
auch. Man mag ſich anſtellen wie man will, man
fällt immer in ſein Temperament zurück. Zu Menſchen¬
kennerei hatte ich immer die größte Unluſt; meine
ſinnliche und mehr noch meine philoſophiſche Träg¬
heit hält mich davon zurück. Was die einzelnen
Menſchen der nehmlichen Gattung von einander unter¬
ſcheidet, iſt ſo fein, daß mich die Beobachtung an¬
ſtrengt; es iſt mir als ſollte ich einen kleinen Druck
leſen. Und wird man bezahlt für ſeine Mühe?
Selten. Darum halte ich mich lieber an Menſchen¬
maſſen und an Bücher Da kann ich fortgehen, die
kann ich weglegen, wenn ſie mir nicht gefallen oder
wenn ich müde bin. In Geſellſchaften muß ich
I. 6[82] hören, was ich nicht Luſt habe zu hören, muß ſpre¬
chen, wenn ich nicht Luſt habe zu ſprechen, und
muß ſchweigen, wenn ich reden möchte. Sie iſt eine
wahre Krämerei, die ſogenannte geſellſchaftliche Un¬
terhaltung. Was man in Centnern eingekauft, ſetzt
man lothweiſe ab. Wie ſelten trifft man einen
Menſchen, mit dem man en gros ſprechen kann!
Wem, wie mir, ſeine Meinungen zugleich Geſin¬
nungen ſind, wem der Kopf nur die Pairskammer
iſt, das Herz aber die volksthümlichere Deputirten¬
kammer, der kann ſich nicht in Geſellſchaften behag¬
lich fühlen, wo der ariſtokratiſche Geiſt allein Geſetze
gibt. Drei, höchſtens fünf Freunde, oder dann
Markt oder ein Buch — ſo liebe ich es. Das iſt
die Philoſophie meiner Trägheit. Dazu kömmt noch,
daß ich, wie gewöhnlich auf meinen Reiſen, ohne
alle Empfehlungsbriefe hierher gekommen. Zwar
braucht man ſie in Paris weniger als an andern
Orten, hier wird man leicht von einem Bekannten
zu einem Unbekannten geführt und ſo geht es ſchnell
fort; aber ſich vorſtellen zu laſſen, mit anhören zu
müſſen, wer und was man iſt, ſich unverdient,
und was noch ſchlimmer, ſich verdient loben zu
hören — das thut einem doch gar zu kurios!
— Was ſagen Sie zu Antwerpen? Iſt es
nicht ein Jammer, daß einem das Herz blutet? Iſt
je ſo eine Schändlichkeit begangen worden? ....
[83] Das iſt nicht der und der Fürſt, der es gethan,
das iſt nicht der König der Niederlande, der nicht
der ſchlimmſte Fürſt iſt; das iſt die Fürſtennatur,
die ſich hier gezeigt, die wahnſinnige Ruchloſigkeit,
die meint, ihrem perſönlichen Vortheile dürfe man
das Wohl eines ganzen Volkes aufopfern. Es iſt
nicht mehr zu ertragen und ich fange an und werde
ein Republikaner, wovon ich bis jetzt ſo weit ent¬
fernt war. Sie ſollten heute nur (im Meſſager)
de Potter's Glaubensbekenntniß leſen und wie er
ſagt, der beſte Fürſt tauge nichts, und er wäre für
eine Republik. Nie hat Einer ſo klar und wahr
geſprochen.
— Was ſagt man denn in Frankfurt von der
Peſt (Cholera morbus), die jetzt in Moskau
herrſcht? Die Krankheit hat ſich von Aſien dort hin
gezogen. Es iſt eine Geſchichte gar nicht zum La¬
chen. In der geſtrigen Zeitung ſteht, der engliſche
Geſandte in Petersburg habe ſeiner Regierung be¬
richtet, dieſe fürchterliche Krankheit werde ſich wahr¬
ſcheinlich auch über Deutſchland und weiter verbrei¬
ten. Das iſt wieder Gottes nackte Hand! Die
Fürſten werden gehindert ſeyn, große Heere zuſam¬
menzuziehen und thun ſie es doch .... Es ahndet
mir — nein ich weiß es, die Peſt wird vermögen,
was nichts bis jetzt vermochte: ſie wird das trägſte
und furchtſamſte Volk der Erde antreiben und er¬
6*[84] muthigen. Peſt und Freiheit! Nie hat eine häßlichere
Mutter eine ſchönere Tochter gehabt. Was kann
der kommende Frühling nicht noch für Jammer über
die Welt bringen! Thränen werden nicht ausreichen,
man wird vor lauter Noth lachen müſſen. Und das
Alles um des monarchiſchen Prinzips, und das alles
um eines Dutzends armſeliger Menſchen willen! Es
iſt gar zu komiſch.
— Die Revüe, welche verfloſſenen Sonntag
auf dem Marsfelde über die Nationalgarde gehalten
wurde, gewährte einen unbeſchreiblich ſchönen Anblick.
Hundert tauſend Mann Soldaten, und wenigſtens
eben ſo viel Zuſchauer, alle auf einem Platze, den
man auf den angrenzenden Höhen ſo bequem über¬
ſieht. Was mich beſonders freute, war, daß hinter
manchem Bataillon, auch ein kleiner Trupp unifor¬
mirter Kinder zum Spaſe mit zog. Die Officiere
hatten, wie ich bemerkte, oft ihre Noth zu kom¬
mandiren, die Buben kamen ihnen immer zwiſchen
die Beine. Dann zogen auch die Bleſſirten vom
Juli an dem König vorüber, und darunter auch zwei
Weiber mit Flinten, die damals mitgefochten. Der
König wurde mit großem Jubel empfangen. Der
Kronprinz (Herzog von Orleans) dient als gemeiner
Kanonier bei der Nationalgarde und ſtand den ganzen
Tag bei ſeiner Kanone und legte die Hände an wie
die Uebrigen. Den fremden Geſandten, die alle bei
[85] der Revüe waren, mußte die ganze königliche Pöbel¬
wirthſchaft doch wunderlich vorkommen. An den
deutſchen Höfen wird jeder Prinz, ſobald er auf die
Welt kömmt, gleich in ein Regiment eingeſchrieben,
um von unten auf zu dienen, und ſo während er
in's Bett piſſt, avancirt er immerfort, iſt im ſieben¬
ten Jahre Lieutenant, im zehnten Obriſt, und im
achtzehnten General. Die Revüe dauerte von Mor¬
gens bis Abends; ich hatte natürlich nicht ſo lange
Geduld. Wie es nur die Leute aushalten, ſo lange
auf den Beinen zu ſeyn. Um acht Uhr Morgens
zogen ſie aus, und es war acht Uhr Abends als die
letzten Legionen noch über die Boulevards zogen.
Viele Nationalgarden, um ſich nicht zu ermüden, ſind
zur Revüe hingefahren, und die vielen Cabriolets
und Omnibus, aus welchen auf beiden Seiten Flin¬
ten hervorſahen, gewährten einen ſeltſamen Anblick.
Heute iſt das Miniſterium geändert, wie Sie
aus den Zeitungen erfahren werden. Thiers, der
Verfaſſer einer Geſchichte der franzöſiſchen Revolu¬
tion, wird Unter-Staats-Sekretair der Finanzen,
alſo ohngefähr ſo viel als Miniſter. Ich kannte ihn
früher. Er iſt kaum dreißig Jahre alt, kam zur
Zeit als wir in Paris waren mit ſeinem Landsmann
Mignet hierher, ganz fremd und unbeholfen. Ein
Deutſcher meiner Bekannten nahm ſich der jungen
Leute an und wies ſie zurecht, und jetzt iſt der Eine
[86] Staatsrath, der Andere Miniſter! Was man hier
ſein Glück macht! Möchte man nicht vor Aerger ein
geheimer Hofrath werden! Es iſt gerade ſo als wäre
der Heine Miniſter geworden oder der Menzel oder
ich. Und was ſind wir?
Mittwoch Abend war ich bei Gerard, dem be¬
rühmten Maler, deſſen Salon ſchon ſeit dreißig
Jahren beſtehet und wo ſich die ausgezeichnetſten
Perſonen verſammeln. Es iſt eine eigentliche Nacht¬
geſellſchaft; denn ſie fängt erſt um zehn Uhr an,
und man darf noch nach Mitternacht dahin kommen.
Gerard iſt ein ſehr artiger und feiner Mann; aber er
hat viel Ariſtokratiſches. (Ich mußte darüber lachen,
daß ich unwillkührlich aber ſchrieb.) Er ſieht mir
nicht aus, als hätte er je das Mindeſte von unſerm
deutſchen Kunſt-Katzenjammer gefühlt. Ich möchte
ihm einmal die Phantaſieen eines Kunſtlie¬
benden Kloſterbruders oder ſo ein anderes
ſchluchzendes Buch zum Leſen geben — was er
wohl dazu ſagte! Ich fand dort die Dichterin Del¬
phine Gay; den dramatiſchen Dichter Ancelot; Hum¬
boldt; Mayer-Beer; den Bildhauer David, der im
vorigen Sommer in Weimar war, um Goethes Büſte
aufzunehmen; unſern Landsmann, den jungen Hiller,
[87] der hier als Komponiſt und Klavierſpieler in großer
Achtung ſteht; Vitet, den Schriftſteller, der unter
dem Namen Stendthal ſchreibt und noch viele andere
Gelehrte und Künſtler. Ein armer deutſcher Ge¬
lehrter wird gelb vor Aerger und Neid, wenn er
ſiehet, wie es den franzöſiſchen Schriftſtellern ſo gut
gehet. Außer dem vielen Gelde, das ſie durch ihre
Werke verdienen, werden ſie noch obendrein von der
Regierung angeſtellt. Stendthal iſt eben im Begriff
nach Trieſt abzureiſen, wo er eine Stelle als Con¬
ſul erhalten. Vitet ſchreibt ſogenannte hiſtoriſche
Romane, die ſehr ſchön ſind: Henri III, les bar¬
ricades, les états de Blois. Der hat jetzt eine
Anſtellung bekommen, um die ich ihn beneide. Er
iſt conservateur des monuments d'antiquité de
la France. Dieſe Stelle beſtand früher gar nicht
und der Miniſter Guizot, der Vitet protegirte, hat
ſie erſt für ihn geſchaffen. Sein Geſchäft beſtehet
darin, daß er jährlich ein paar Mal durch Frank¬
reich reiſt und die allen Bauwerke aus der römiſchen
Zeit und aus dem Mittelalter, Tempel, Waſſerlei¬
tungen, Amphitheater, Kirchen beſichtiget und darauf
ſiehet, daß ſie nicht verfallen. Dafür hat er einen
jährlichen Gehalt von funfzehn tauſend Franken und
die Reiſekoſten werden beſonders bezahlt. Gäbe es
eine angenehmere Stelle als dieſe für einen Menſchen
wie ich bin, der faul iſt und gern reiſt? Möchte
[88] man ſich nicht den Kopf an die Wand ſtoßen, daß
man ein Deutſcher iſt, der aus ſeiner Armuth und
Niedrigkeit gar nicht heraus kommen kann? In
Deutſchland geſchieht wohl manches für Kunſt und
Wiſſenſchaft, aber für Künſtler und Schriftſteller gar
nichts. Hier vertheilt die Regierung jährliche Preiſe
für die beſten Werke der Malerei, der Bildhauer¬
kunſt, Lithographie, Muſik und ſo für Alle. Der
erſte Preis beſteht darin, daß der Gewinnende auf
fünf Jahre lang, jährlich 3000 Franken erhält,
und dafür muß er dieſe Zeit in Rom zu ſeiner
Ausbildung zubringen. Einem Deutſchen würde dieſes
Müſſen in Rom leben komiſch klingen, denn er iſt
lieber in Rom als in Berlin, Carlsruhe. Aber
Franzoſen erſcheint dieſes oft als Zwang, denn ſie
verlaſſen Paris nicht gern. So hat die vorige Woche
ein junger Menſch, Namens Berlioz, den erſten
Preis der muſikaliſchen Compoſition erhalten. Ich
kenne ihn, er gefällt mir, er ſiehet aus wie ein
Genie. Geſchiehet je ſo etwas bei uns? Denken
Sie an Beethoven. O! ich habe eine Wuth!
Schicken Sie mir doch einmal eine Schachtel voll
deutſcher Erde, daß ich ſie hinunterſchlucke. Das iſt
ohne dies gut gegen Magenſäure, und ſo kann ich
das verfluchte Land doch wenigſtens ſymboliſch ver¬
nichten und verſchlingen. Neukamp, ein deutſcher
Componiſt (ich glaube er macht Kirchenmuſik) lebt in
[89] Talleyrands Hauſe; aber nicht als Muſiker, ſondern
als Attaché! Er begleitet Talleyrand überall hin und
iſt ihm auch jetzt nach England gefolgt. Es mag
recht angenehm ſeyn, in Talleyrands Nähe zu woh¬
nen. Bei uns gelangt man gar nicht zu ſo etwas.
Gerard ſagte mir, daß er die Deutſchen ſehr liebe,
und hielt ihnen eine große Lobrede. Es war Mitter¬
nacht als man erſt den Thee auftrug. Welche Le¬
bensart! Ich muß Ihnen doch die ſtatiſtiſche Merk¬
würdigkeit mittheilen, daß man hier zum Thee keine
Serviette auflegt, ſondern die Taſſen und was dazu
gehört auf den nackten Tiſch ſtellt. Gefällt Ihnen
das? Aber dem Liberalismus iſt nichts heilig.
Dreizehnter Brief.
Spontini iſt gegenwärtig mit ſeiner Frau hier.
Sie waren vorgeſtern bei ***. Er kehrt wieder
nach Berlin zurück. Ehe er von Be lin abreiſte,
erließ er an die Kapelle eine Art Tagesbefehl, worin
er ſeine Zufriedenheit mit ihr zu erkennen gibt, und
die Kapelle antwortete darauf. Beide Briefe ſind
gedruckt und Spontini vertheilt ſie hier. Als ich ſie
bei *** las, hätte ich vor Wuth bald eine Taſſe
zerbrochen. Von Seite Spontini's die größte fran¬
zöſiſche Unverſchämtheit; er ſpricht mit der Kapelle
wie ein Fürſt mit ſeinen Unterthanen. Und von
Seite der Kapelle die größte deutſche Niederträchtig¬
keit und Kriecherei. Es gibt nichts Bezeichnenderes
als das. Spontini erzählte: in Berlin wird gegn¬
wärtig Roſſini's Willhelm Tell aufgeführt, aber mit
ganz verändertem Texte wegen des revolutionären
[91] Geiſtes darin, und Schillers Wilhelm Tell dürfe
gar nicht mehr gegeben werden. So weit ſchon iſt
es jetzt in Preußen gekommen, die zweimal in
Paris waren!
— Die Theater werden jetzt frei gegeben, daß
heißt: es darf jeder, der Luſt hat, ein Theater errichten
und [man] braucht kein Privilegium mehr dazu, keine
allergnädigſte, keine hohe, keine hochobrigkeitliche Er¬
laubniß mehr. Seit der Revolution hat auch die
Theater-Cenſur aufgehört und es herrſcht vollkom¬
mene Lachfreiheit. Das alte Zeug wandert aus,
und Deutſchland iſt das große Coblenz, wo alle
emigrirten Mißbräuche zuſammentreffen. In Zeit
von zehn Jahren werden die Freunde der politiſchen
Alterthümer aus allen Ländern der Erde nach Deutſch¬
land reiſen, um da ihre Kunſtliebhaberei zu befrie¬
digen. Ich ſehe ſie ſchon mit ihren Antiquités
de l'Allemagne in der Hand, Brille auf der
Naſe und Notizbuch in der Taſche, durch unſere
Städte wandern, und unſere Gerichtsordnung, unſere
Stockſchläge, unſere Cenſur, unſere Mauthen, un¬
ſern Adelſtolz, unſere Bürgerdemuth, unſere aller¬
höchſten und allerniedrigſten Perſonen, unſere Zünfte,
unſern Judenzwang, unſere Bauernnoth, begucken,
betaſten, ausmeſſen, beſchwatzen, uns armen Teufeln
[92] ein Trinkgeld in die Hand ſtecken, und dann fortgehen
und von unſerm Elende Beſchreibungen mit Kupfer¬
ſtichen herausgeben. Unglückliches Volk! .. wird
ein Beduine mit ſtolzem Mitleide ausrufen.
— Es gehet jetzt in der Kammer ganz erbärm¬
lich her. Man hört da von den ehemaligen Libe¬
ralen Reden gegen die Preßfreiheit halten, wie ſie
der Metternich nicht beſſer wünſchen kann. Es iſt
ein Ekel, und ich mag gar nicht davon ſprechen.
Benjamin Conſtant, Lafayette und noch einige Weni¬
gen ſind die Einzigen, die der alten Freiheit treu
geblieben. Das Miniſterium und die Kammer ha¬
ben Furcht und handeln darnach und haben freilich
die Maſſe der Nation auf ihrer Seite, nehmlich
den Teig, aber ohne die Hefen, nehmlich die
Induſtriellen, das heißt auf Deutſch: die miſe¬
rablen Kaufleute und Krämer, die nichts haben als
Furcht und Geld. Da nun die letzte Revolution
ihren Zweck nicht erreicht hat (denn die jetzigen
Machthaber wollen darin nur eine Veränderung der
Dynaſtie ſehen) und man den Franzoſen nicht frei¬
willig gibt, um das ſie gekämpft haben, wird eine
neue Revolution nöthig werden; und die bleibt ge¬
wiß nicht aus.
Neulich bin ich bei Feruſac eingeführt worden,
der jede Woche Reunion hat. Er gibt ein Jour¬
nal heraus, das in Deutſchland bekannt iſt. Er iſt
jetzt Deputirter geworden. Man findet in ſeinem
Salon alle fremden und einheimiſchen Blätter und
Journale, alle intereſſanten Bücher und Kupferwerke
und Gelehrte von allen Formaten. Man vertreibt
ſich die Zeit mit Leſen und Kupferſtiche betrachten.
Er fragte mich, was mein literariſches Fach wäre?
Antworten konnte ich darauf nicht, weil ich es ſelbſt
nicht wußte. Wenn Sie etwas Näheres davon
wiſſen, theilen Sie mir es mit. — Ich habe in
dieſen Tagen geleſen: Contes d’Espagne et d’Italie
parAlfred de Musset. Ein junger Dichter.
Es iſt merkwürdig, was der Aehnlichkeit mit Heine
hat. Sollte man das von einem Franzoſen für
möglich halten? — Die Memoiren von St. Simon
machen mir erſtaunlich viel Freude. Vom Hofe Lud¬
wigs XIV. bekommt man die klarſte Vorſtellung.
Es iſt mir, als hätte ich dort gelebt. Aber auch
nur vom Hofe. Vom Volke, von der Welt iſt gar
keine Rede. Welche Zeit war das! Ich glaube,
das Buch hat zwölf Bände.
— Manchmal, wenn ich um Mitternacht noch
noch auf der Straße bin, traue ich meinen Sinnen
[94] nicht, und ich frage mich, ob es ein Traum iſt?
Ich hätte nicht gedacht, daß ich noch je eine ſolche
Lebensart vertragen könnte. Aber nicht allein, daß
mir das nichts ſchadet, ich fühle mich noch wohler
dabei. Ich war ſeit Jahre nicht ſo heiter, ſo ner¬
venfroh, als ſeit ich hier bin. Die Einſamkeit ſcheint
nichts für mich zu taugen, Zerſtreuung mir zuträg¬
lich zu ſeyn. Die langen Krankheiten der letzten
Jahre haben mich noch mehr entmuthigt als ge¬
ſchwächt, und hier erſt bekam ich wieder Herz zu
leben. Die geiſtige Atmoſphäre, die freie Luft,
in der man hier auch im Zimmer lebt, die Lebhaf¬
tigkeit der Unterhaltung und der ewig wechſelnde
Stoff wirken vortheilhaft auf mich. Ich eſſe zwei¬
mal ſo viel wie in Deutſchland und kann es ver¬
tragen. Es kömmt aber daher, daß ich mich beim
Tiſche unterhalte, ſelbſt wenn ich allein beim Reſtau¬
rateur eſſe; die ewig wechſelnden Umgebungen, die
Kaumanieren aller europäiſchen Mäuler, das würzt
die Speiſen und macht ſie verdaulicher. Und die
Ferien, die ſchönen Ferien! Das Ausruhen von der
Logik — das iſt's vor allem, was meine Nerven
liebkoſt. Aber dem Sauerkraute bleibe ich treu, das
eine Band zerreiße ich nie, nie.
Mit Belgien, denke ich, wird ſich alles fried¬
lich beilegen. Die großen Mächte haben ſeine Un¬
abhängigkeit bereits anerkannt, und dem Gedanken
entſagt, ihm dem Prinzen von Oranien aufzudrin¬
gen. Nur das Eine wird verlangt, daß es ſich
zu keiner Republik mache. Die meiſten, wenigſtens
die einflußreichſten Belgier, ſollen freilich für die
republikaniſche Regierungsform geſtimmt ſeyn; ſie
werden aber nachgeben müſſen. Ich wollte, ſie
gäben nicht nach. Zwar halte ich eine Republik
weder Belgien, noch einem andern Lande unſers
entnervten Welttheils zuträglich; doch wäre das an
deutſcher Grenze von großem Vortheile; es würde
unſeren Abſolutismus etwas geſchmeidiger machen.
Die Furcht iſt die beſte Gouvernante der Fürſten,
die einzige, der ſie gehorchen. Die Furcht muß
Deutſchlands Grenze bilden, oder alle Hoffnung iſt
aufzugeben. Auf Talleyrand in London ſetze ich
großes Zutrauen, und ich laſſe mich hierin von den
Pariſer Manieriſten nicht irre machen. Er ſetzt
beſtimmt alles durch; denn er iſt der einzige Staats¬
mann, der keine Leidenſchaften und kein Syſtem hat
und darum die Verhältniſſe klar erkennt, wie ſie ſind.
Er wußte die Fehler der Andern immer ſehr gut zu
benutzen, und an Fehlern wird es auch diesmal nicht
[96] fehlen. Ich muß lachen, ſo oft ich den Jammer in
den liberalen Zeitungen leſe, Talleyrand werde als
ein Mitarbeiter an dem Wiener Frieden die Beſchlüſſe
und Verträge der heiligen Allianz vertheidigen. Das
iſt der rechte Mann, dem etwas heilig iſt!
Ich will es wohl gern glauben, wie es auch
hier von Vielen behauptet wird, daß die Kataſtrophe
von Antwerpen von den Inſurgenten übermüthig her¬
beigezogen worden; daß Chaſſé zu Bombardiren
gezwungen worden iſt; aber was ändert das? Man
muß ſich nur immer fragen: wem gehört Belgien,
oder jedes andere Land? Gehört es dem Volke,
oder gehört es dem Fürſten? Die Belgier mögen
vielleicht Unrecht haben mit ihrem Könige — ich habe
ſelbſt nie deutlich eingeſehen, worüber ſie zu klagen
hatten — aber es iſt jeder Herr in ſeinem Hauſe,
und ein König, den man nicht leiden kann, und wäre
es auch blos wegen der Form ſeiner Naſe, den wirft
man mit Grund zur Thüre hinaus. Ich finde das
ganz einfach. Der franzöſiſche Geſandte in Holland,
der nach dem Bombardement dem Könige Vorſtellungen
machte, wegen des Schadens, den die franzöſiſchen
und andern Kaufleute in Antwerpen erlitten, erhielt
vom Könige zur Antwort: Mr. l'Ambassadeur, je
ne sacrifierai jamais les droits de ma couronne
aux intérêts particuliers. Das ſoll erhaben ſeyn!
Ich finde es ſehr lächerlich. Man macht noch viel
[97] zu viel Umſtände mit den Königen, man heuchelt zu
viel. Man ſollte ihnen allen einen Termin von vier
Wochen ſetzen, binnen welchen ſie eine beſſere Re¬
gierung einzuführen hätten, oder — fort mit ihnen.
— Das Buch der Lady Morgan habe ich noch
nicht geleſen; ich will es mir aber heute noch holen
laſſen. Die Straße Rivoli verdient ganz die Be¬
geiſterung, mit der ſie von ihr ſpricht. Es iſt eine
Straße einzig in der Welt, die ſchönſte Symphonie
von Kunſt, Natur, Geiſt und Leben. Es iſt ein
Anblick, das kurzſichtigſte Auge, die engſte Bruſt zu
erweitern. Ich wollte, unſere Philiſter wohnten
alle Jahre vier Wochen lang in der Straße, ſtatt
nach Wiesbaden zu gehen: das würde nicht allein ſie,
ſondern auch uns heilen, die wir krank von ihnen
werden. Mich ärgert es, ſo oft ich hierher komme,
daß ich nicht reich genug bin, mich da einzumiethen.
Den ganzen Tag ſtände ich am Fenſter und blätterte
in dem großen Buche mit den ſchönen Zeichnungen.
Ich hätte gar nicht nöthig, aus dem Hauſe zu ge¬
hen, die Welt käme zu mir in das Zimmer. Aber
Geld, Geld! nervus rerum gerendarum — das
heißt auf Deutſch: ich habe ſchwache Nerven. —
Schicken Sie mir durch Gelegenheit meine Andacht¬
ſtunden.
I. 7
Vierzehnter Brief.
Geſtern bin ich in mein neues Logis gezogen.
Ich wohne — o der Schande! — wie eine Opern¬
tänzerin, die einen reichen Liebhaber hat. Alle Mö¬
bel von Mahagoni, Marmor und Bronze; prächtige
Pendule; fünf großen Vaſen, voll der ſchönſten Blu¬
men; ſtolze allerhöchſte Flambeaus, die ſich der bür¬
gerlichen Talglichter ſchämen, die ich ihnen aufgeſteckt;
Stühle und Sopha, mit braunem gelbgeblümten
Sammt überzogen; die zärtlichſten Bergeres, in die
man eine halbe Minute einſinkt, ehe man den Grund
erreicht; ſcharlachrothe Fußdecken und die Wände mit
Spiegeln bedeckt. Es iſt alles ſo voll von Möbeln,
daß ich kaum Platz zu wohnen habe. Unter den
vielen Koſtbarkeiten wage ich mich nicht zu bewegen,
wage ich nicht, was ſonſt meine Luſt iſt, gedankenlos
oder gedankenvoll im Zimmer auf- und abzugehen;
[99] denn da ſteht überall umher ſo viel herabzuwerfen,
ſo viel Zerbrechliches, daß die kleinſte Zerſtreuung
mich zu Grunde richten könnte. Einige Schlingels
von Deutſchen, welche mich beſuchen, machen mir die
größten Sorgen. Sie rauchen Cigarren und die
heiße Aſche, welche herabfällt, brennt Löcher in die
Fußdecke. Dann ſchaukeln ſie ſich mit vaterländi¬
ſcher Ungezogenheit und ausländiſcher Lebhaftigkeit
auf den Stühlen und halten mich in beſtändiger Angſt,
daß ſie einmal das Gleichgewicht verlieren und auf
eine theure Vaſe oder einen, ſelbſt vereinigtem Pa¬
triotismus unbezahlbaren Spiegel fallen möchten.
Mein Schlafzimmer — das iſt über alle Beſchrei¬
bung. Die darin befindlichen Möbels und Toilet¬
ten-Geräthſchaften ſind nach den ſchönſten herkulani¬
ſchen Muſtern, theils im hetruriſchen, theils im grie¬
chiſchen Style geformt. Ich waſche mich aus einem
Delphiſchen Weihkeſſel und knüpfe mein Halstuch
vor einem Altare der Venus. Mein Bett iſt das
Lager der Aurora. Morgenrothe Wolken, von wei¬
ßen und grünen Sonnenſtreifen durchzogen, ſchmücken
ſeinen Himmel. Die Wand, an welcher es ſteht,
iſt ein großer Spiegel; darin muß ich mich be¬
ſchauen — da iſt keine Rettung. Das Kopfkiſſen
iſt mit Spitzen garnirt, die mir wie Spinnen im
Geſicht herumkrabbeln und mich ſchon einige Male
auf eine ſchauerliche Weiſe aus dem Schlafe geweckt
7*[100] haben. Kurz, es giebt nichts ſchöneres, anmuthige¬
res, adligeres, als meine neue Wohnung; ſie iſt ein
koſtbares Etui, das nur viel zu zierlich iſt für den
unzierlichen Schmuck, den es einſchließt.
— Sie werden geleſen haben, daß die franzö¬
ſiſche Regierung die Juden auf gleichen Fuß mit den
chriſtlichen Staatsbürgern ſetzen und die Beſoldung
ihres Kultus übernehmen will. Es iſt doch wieder
ein Schritt vorwärts. Wie lange wird es noch
dauern, bis man bei uns an ſo etwas nur denkt
— von der Ausführung gar nicht zu ſprechen. Die
gefoppten Theologen des adligen Tugendbundes haben
in ihrer Weisheit und Menſchenliebe die Lehre zu
verbreiten geſucht: die bürgerliche Geſellſchaft ſei eine
Taufanſtalt und es könne daher ein Jude kein Staats¬
bürger ſeyn. Dieſe frommen Herren haben ſchwere
Köpfe und noch ſchwerere Füße. Erſt dauert es
Jahrhunderte, bis ſie fortſchreiten wollen, und dann
andere Jahrhunderte, bis ſie fortſchreiten können.
Es iſt zum Erbarmen!
Aber die franzöſiſche Regierung, wie jede an¬
dere, ſieht ihre Entwickelung zur Freiheit als eine
auferlegte Buße an, und gleich jenen Wallfahrern
nach Rom, macht ſie einen Schritt zurück, ſo oft ſie
zwei Schritte vorwärts gethan. Den Juden hat ſie
etwas gegeben und dafür hat ſie der Preßfreiheit
viel genommen. Die Cautionen für die Journale, eine
[101] Tyrannei der vorigen Regierung, ſollen beibehalten
werden. Es iſt dieſes ſo ſehr gegen den Geiſt der
Freiheit, daß man die letzte Revolution als ganz
fruchtlos anſehen kann. Wie merkwürdig! Dieſe
Juli-Regierung, die kaum aus dem Ei gekrochen
und noch ganz dotrig iſt, kräht ſchon wie ein alter
Hahn, und thut ſtolz und feſt wie ein unbeſtrittener
Hof-König! Die Majorität der Kammer unterſtützt
ſie nicht bloß in ihren unbedachten Schritten ſondern
ſie verleitet ſie noch dazu. Das ſind die Gutsbeſitzer,
die reichen Bankiers, die Krämer, die ſich mit einem
vornehmen Worte die Induſtriellen nennen. Dieſe
Menſchen, die funfzehn Jahre lang gegen alle Ari¬
ſtokratie gekämpft — kaum haben ſie geſiegt, noch
haben ſie ihren Schweiß nicht abgetrocknet und ſchon
wollen ſie für ſich ſelbſt eine neue Ariſtrokratie bil¬
den: eine Geld-Ariſtrokatie, einen Glücks-Ritter¬
ſtand. Wehe den verblendeten Thoren, wenn ihr
Beſtreben gelingt, wehe ihnen, wenn der Himmel
nicht gnädig iſt und ſie aufhält, ehe ſie ihr Ziel er¬
reichen. Die Ariſtrokatie des Adels und der Geiſt¬
lichkeit war doch nur ein Princip, ein Glaube; man
konnte ſie bekämpfen und beſiegen, ohne den Edel¬
leuten und den Geiſtlichen in ihrer ſinnlichen Lebens¬
ſphäre wehe zu thun. War dieſes in der franzöſi¬
ſchen Revolution doch geſchehen, ſo war dieſes nur
Mittel, nicht Zweck, war eine zwar ſchwer zu ver¬
[102] meidende, doch keineswegs nothwendige Folge des
Kampfes. Werden aber Vorrechte an den Beſitz
gebunden, wird das franzöſiſche Volk, deſſen höchſte
Leidenſchaft die Gleichheit iſt, früher oder ſpäter das
zu erſchüttern ſuchen, worauf die neue Ariſtokratie
gegründet worden — den Beſitz und dieſes wird
zur Gütervertheilung, zur Plünderung und zu Gräu¬
eln führen, gegen welche die der frühern Revolution
nur Scherz und Spiel werden geweſen ſeyn. Was
mich aber an dieſen Journal-Kautionen am meiſten
betrübt, ſind die üblen Folgen, welche ſie, wie ich
ſicher erwarte, für Deutſchland haben werden. Unſere
Regierungen werden gewiß, wenn ſie den Forderun¬
gen der Preßfreiheit nicht länger ausweichen können,
jene franzöſiſche Erfindung der Kautionen benutzen, und
dann iſt Preßfreiheit nur ein trügeriſches Wort. Wir
haben keine reichen Schriftſteller, wie es deren ſo
viele in Frankreich gibt; ſie ſind alle arm oder dem
Staate dienſtbar. Keiner wird daher im Stande
ſeyn, die Kaution aus ſeinem eigenen Vermögen zu
leiſten, und man wird, um ein Journal zu gründen,
ſich in den Sold eines Buchhändlers geben müſſen,
der nur auf ſeinen merkantiliſchen Vortheil ſieht und
daher leicht durch Hoffnung des Gewinns beſtochen,
oder durch Furcht vor Verluſt eingeſchüchtert wer¬
den kann.
[103]
— Das Gebet um Preßſklaverei in der Mün¬
chener Flora hat mich erquickt wie Bairiſch Bier.
Ich danke Ihnen dafür. Geräth dieſe holde Flora ein¬
mal in meine Gewalt, o, wie will ich ſie zerblättern
und zerknittern! Sie können mir keine größere Freude
machen, als wenn Sie mir deutſche Dummheiten
mittheilen. Geſtern las ich wieder etwas ſehr ſchö¬
nes von dem Berliner Correſpondenten in der allge¬
meinen Zeitung, meinem Schätzchen. Er ſagt unter
andern: der Volksauflauf neulich in Berlin hätte gar
nichts zu bedeuten gehabt, das wären blos „Neugie¬
rigkeits-Aufläufe“ geweſen. So wird doch immer
auf das Beſte dafür geſorgt, daß ich in Frankreich
mein Deutſch nicht verlerne!
Ein Wiener Gelehrter hat mir in dieſen Tagen
geſchrieben und ich will Ihnen Einiges aus ſeinem
Briefe mittheilen. Eine Art Kerkerluft weht durch
alle ſeine Worte, eine gewiſſe Trauer iſt über ſeine
Reden verbreitet und ſo wahr und liebevoll iſt alles,
was er ſpricht, daß es mir in das Herz gedrungen.
Wie ſehr ſind die armen Wiener Gelehrten zu be¬
mitleiden! Sie leben im ſchnödeſten Geiſtesdrucke,
und darum und weil ſie ſich gar nicht ausſprechen
dürfen, müſſen ſie die freiſinnigen Ideen in Philo¬
[104] ſophie und Politik weit lebhafter fühlen und müſſen
viel ſchmerzlicher von ihnen gequält werden, als wir
Andern, die wenigſtens klagen dürfen. Nachdem
Herr *** von dem Eindrucke geſprochen, den meine
Schriften auf ihn und einen andern gleichgeſinnten
Freund gemacht, und mir ſeine Uebereinſtimmung mit
meinen Anſichten lebhaft zu erkennen gegeben, fährt
er fort: „Es thut Noth in ſo zerſpaltener, einheits¬
„liebloſer Zeit, daß ihre Beſſeren und Edleren ſich
„finden, erkennen, lieben und vereinigen für ihr glei¬
„ches Ziel — das allein Rechte — die Freude des
„Menſchen und das Wohl der Einzelnen wie des
„ganzen Geſchlechts, das ja nur die Summe aller
„Einzelnen iſt. Darum iſt eben ſo ſchön und tief
„der Satz, den Sie im ſiebenten Bande Ihrer
„Schriften ausſprechen und gegen den nicht nur die
„Theologen, ſondern alle, die ſelbſtſüchtig und Feinde
„der Freiheit ſind, aufſtehen — der Satz: die
„Menſchheit iſt um der Menſchen willen
„da.“
„Es iſt wohl an der Zeit, daß der eingeriſſene
„Ideen-Götzendienſt einmal aufhöre und daß der le¬
„bendige Menſch nicht mehr einem luftigen Ideal
„geopfert und mit ihm nicht mehr Experimente an¬
„geſtellt werden. Ihr ausgeſprochener Satz, folge¬
„recht durchgeführt, wirft alle Syſteme über den
„Haufen und ſtatt des todten Begriffs Menſchheit
[105] „ſteht der lebendige Menſch ſchaffend im Mit¬
„telpunkt der Welt.“
„Dieſen Satz kann aber eben nur wahrnehmen
„und ausſprechen der Menſch, der in ſich Kern,
„Werth und Würde trägt; wer ſelbſt nichts iſt, muß
„ſich natürlich entweder unter den Schutz, ich weiß nicht
„welcher Idee, als einer eingebildeten Macht begeben,
„oder er muß geradezu, wenn er ſcheinbar etwas
„ſtärker iſt, das Thierrecht des Stärkeren, d. h. die
„Selbſtſucht ſchlechtweg für ſich anſprechen.“
„Wir ſehen auch die Zeit nach dieſer Spal¬
„tung in zwei Theile getheilt. Der eine, die Ge¬
„lehrten, brütet über Ideen und ſucht im Trüben zu
„fiſchen; der andere, die Materiellen, als die Stär¬
„kern, ſpricht geradezu durch Wort und That die
„Selbſtſucht aus und tritt den Begriff wie den le¬
„bendigen Menſchen in allen Verhältniſſen mit Füßen,
„wogegen die andern blos die Hände ringen [und] die
„Vorſehung zum Zeugen der Frevel ausrufen. —
„Was uns am meiſten Noth thut, iſt — Vereini¬
„gung. ...“
Ich erſtaune gar nicht, einen Wiener ſo ſpre¬
chen zu hören; denn eigentlich iſt Oeſterreich die hohe
Schule des Liberalismus. Wohin uns Andere oft
nur philoſophiſche Spekulation führt, dahin bringt
jene die Noth, und Noth iſt eine beſſere Lehrerin
als Philoſophie. Hören Sie ferner, was er von
[106] Goethe ſagt, wobei ich nur nicht begreife, was ihn
auf den Gedanken gebracht haben mag, daß ich
hierin anderer Meinung ſei, als er ſelbſt. Ich er¬
innere mich zwar nicht, je meine Abneigung gegen
Goethe deutlich ausgeſprochen zu haben; aber ſie iſt
ſo alt und ſo ſtark, daß ſie in meinen Schriften doch
wohl einmal hervorgeſchienen haben muß.
„Was mich aber wundert, iſt dies, daß Sie
„den wilden Goethe öfters anführen. Dieſer
„Menſch iſt ein Muſter von Schlechtigkeit; man
„kann in der Weltgeſchichte lange ſuchen, bis man
„einen ſeines Gleichen findet. Thöricht iſt es, daß
„man immer ſagt: Schiller und Goethe, wie Voltaire
„und Rouſſeau. Um ſo viel Rouſſeau mehr iſt als
„Schiller, um ſo viel iſt Goethe ſchlechter als Vol¬
„taire. Goethe war immer nur ein Despotendiener;
„ſeine Satyre trifft weislich nur die Kleinen; den
„Großen macht er den Hof. Dieſer Goethe iſt ein
„Krebsſchaden am deutſchen Körper, und das Aergſte
„iſt noch, daß Alles die Krankheit für die üppigſte
„Geſundheit hält und den Mephiſtopheles auf den
„Altar ſetzt und Dichterfürſten nennt. Ja Fürſten¬
„d. i., Despotendichter ſollte er eigentlich heißen.“
Wie wahr, wie wahr das Alles, und wie heil¬
ſam wäre es, ſolche Geſinnung — nicht zu verbrei¬
ten, ſie iſt verbreitet genug — ſondern den Muth
zu verbreiten, ſie auszuſprechen. Goethe iſt der
[107] König ſeines Volkes; ihn geſtürzt, und wie leicht
dann mit dem Volke fertig zu werden! Dieſer Mann
eines Jahrhunderts hat eine ungeheuer hindernde
Kraft; er iſt ein grauer Staar im deutſchen Auge,
wenig, nichts, ein bischen Horn — aber beſeitigt
das und eine ganze Welt wird offenbar. Seit ich
fühle, habe ich Goethe gehaßt, ſeit ich denke, weiß
ich warum. Wir haben oft davon geſprochen und
Sie begreifen meine Freude, in einer Geiſtes-Wüſte,
wie Oeſterreich iſt, einem menſchlichen Weſen begeg¬
net zu ſein, das fühlt und denkt wie ich.
— Saphir wurde von allerhöchſten Händen aus
Baiern gejagt, weil er gegen einen Komödianten ge¬
ſchrieben! C'est perruque — würde ein Pariſer
ſagen; aber ich kann nicht lachen darüber. Was
helfen Barrikaden gegen ſolche Charlesdischen, ge¬
gen ſolche Ordonnänzchen? Das kriecht einem
zwiſchen die Beine durch, das macht ſich, wie Waſ¬
ſer, durch die kleinſte Lücke Bahn. Es iſt zum Ver¬
zweifeln, daß deutſche Tyrannei zugleich ſo viel Lä¬
cherliches hat: das lähmt den Widerſtand. Warum
aber unſere Fürſten ſich ſo große Mühe geben, die
franzöſiſche Revolution, die viel Metaphyſiſches hat,
den Bürgern und Landleuten durch Zeichnungen, Mo¬
delle und Experimente faßlich zu machen — das be¬
greife ich freilich nicht. Es muß wohl Schickung
ſeyn.
[108]
— Wenn ſich unſere Kaufleute, die viel dabei
verlieren, über Belgien ärgern, ſo laſſe ich das hin¬
gehen. Aber die Andern ſie betrachten das Alle
aus einem falſchen Geſichtspunkte. Es iſt wahr,
es fanden viel Pfaffen-Intriguen Statt; aber was
thut das? Die Belgier haben ihren König nicht
länger behalten wollen, ſie haben ihn fortgejagt und
ſeine Leute geprügelt — iſt das nicht ſchön und ein
gutes Beiſpiel nachzuahmen? Ein König für Saphir,
das iſt billig. Herr Wellington iſt auch abgeſetzt.
Wahrhaftig, mich dauern die armen Diplomaten;
es kömmt dieſen Schwachköpfen gar zu viel auf ein¬
mal über den Hals; wie eine Sündfluth gießen die
Verlegenheiten auf ſie herab. Die Aenderung des
engliſchen Miniſteriums iſt für uns auch gut. Leſen
Sie im heutigen Conſtitutionnel, wie der Belgiſche
Geſandte in London, Herr v. Weyer, nach ſeiner
Rückkehr öffentlich im Congreſſe von ſeiner Sendung
Rechenſchaft abgelegt, und wie er vor allem Volke [er¬
zählte], was Wellington, Aberdeen, der Prinz von
Oranien und Andere mit ihm verhandelt. Das hat
mich ſehr amüſirt. Diplomatiſche Geheimniſſe öffent¬
lich in einer Ständeverſammlung auszuplaudern und
das während die Verhandlungen noch im Gange ſind,
das iſt unerhört, das iſt himmelſchreiend — werden
ſie in Berlin, Wien und Frankfurt ſagen.
[109]
— Der neue Miniſter des Innern, Montali¬
vet, iſt erſt achtundzwanzig Jahre alt. Er war nie
Referendär, nie Hofrath, nie Regierungsrath, nie
Geheimer-Regierungsrath, nie Kammerdirector, nie
Präſident — plötzlich iſt er Miniſter geworden. Es
gibt keinen Gott mehr.
Funfzehnter Brief.
Es raucht heute wieder in meinem Zimmer,
und ich ſchreibe Ihnen unter Thränen und Seufzern.
Aber das iſt nun einmal nicht zu ändern in Paris,
es gehet in vielen Häuſern nicht anders. Man hat
hier eine eigene Art Aerzte für kranke Kamine,
Rauchkünſtler(fumistes) genannt. Es ſind aber
eben Aerzte. Man weiß oft nicht, ob die Krankheit
ſie, oder ob ſie die Krankheit herbeigeführt. Geſtern
hat ein ſolcher Künſtler an meinem Kamine gearbei¬
tet, und als man ihn heute wieder holte, weil es
noch ſtärker rauchte als vorher, ſagte er, es läge
am Wetter und er wolle kommen, ſobald es nicht
mehr rauche und dann helfen.
— Jetzt um dieſe Weihnachts-Zeit, was wird
hier in den Läden nicht alles ausgeſtellt, das Größte
und das Kleinſte, für Könige und für Bettler. Es
[111] iſt gefährlich über die Straße zu gehen, es iſt als
wenn Räuber, die Piſtole auf der Bruſt, uns unſer
Geld abforderten.
— Ich leſe mit großem Vergnügen Diderots
nachgelaſſene Briefe an eine Freundin, die erſt im
Anfange dieſes Jahres erſchienen ſind. Wenn ich
Ihnen ſolche große Briefe ſchriebe, dann wären Sie
mit mir zufrieden. Briefe, zwölf, gedruckte Seiten
lang, und über alles. Als er ſeine Freundin, ſeine
Sophia kennen lernte, war er ſchon 46 Jahre alt!
Aber es iſt nicht Freundſchaft, es iſt die heißeſte
jugendlichſte Liebe, wenigſtens in den Reden; denn
es kann leicht ſeyn, daß ſie ſich beide nur etwas
weiß gemacht. Die Briefe ſind an eine Mademoiſelle
Volland gerichtet, ein Mädchen, das bei der Mutter
lebte. Wie alt ſie iſt, erfährt man nicht. Aber die
Liebe und die Correſpondenz dauern länger als zwan¬
zig Jahre. Und Diderot war verheirathet! Ich habe
keine Vorſtellung davon, wie ein Mann von 46 Jah¬
ren und der noch überdies an der Ehe leidet, welche
doch immer eine Art Gicht iſt, ſich noch verlieben
kann. Das kann aber auch nur ein Franzoſe. Der
Deutſche hat gewiß mehr wahres Gefühl, mehr
innere Wärme; aber die theilt ſich nicht mit. Wir
haben kalte Hände und ſind kalt bei der Berührung.
Die Briefe ſind charmant, nur muß man beim Leſen
die unverdaulichen Liebeserklärungen wie die Kirſch¬
[112] kerne ausſpeien. Schreibt doch einmal der alte
Junge: „que vos regards étaient tendres hier!
Combien ils le sont depuis quelque temps! Ah!
Sophie, vous ne m'aimiez pas assez si vous
m'aimez aujourd'hui davantage.“ O! das iſt
noch kühl gegen das Uebrige, er ſchreibt oft mit ko¬
chender Dinte.
— Haben Sie in der geſtrigen franzöſiſchen
Zeitung die Rede geleſen, welche Auguſt Perrier für
die Juden gehalten? darin bekommen auch die Frank¬
furter Kaufleute einen tüchtigen Hieb, indem geſagt
wird, wie ſie aus Handelsneid in den freien Städten
die Juden verfolgen.
— Schreiben Sie mir doch genau und um¬
ſtändlich, ob man bei uns an den Krieg glaubt.
Nach den geſtrigen Nachrichten hätten Frankreich und
England vor einigen Tagen eine Offenſiv- und De¬
fenſiv-Allianz geſchloſſen. Es wäre ſchön, wenn
das wahr wäre; dann wäre es doch endlich einmal
dahin gekommen, wohin es früher oder ſpäter kommen
muß, zum ſtrengen Gegenſatze der feindlichen Ele¬
mente: die Freiheit hier, die Despotie dort — und
jetzt ſchlagt Euch, ich ſehe zu. Ich weiß wahrhaftig
noch nicht, was ich thue, wenn es Krieg gibt, ob
ich unter die Kavallerie, oder die Infanterie gehe,
oder unter dem Federvolk diene; denn thun muß ich
etwas. Sie werden auf jeden Fall mein Knappe,
[113] tragen mir Pflaſterſteine zu oder verſorgen mich mit
feinen Federlappen.
— Dieſe Woche habe ich mich einen Abend ſehr
amüſirt. Ich war zu einem jungen Dichter, Na¬
mens ***, eingeladen, um eine Ueberſetzung des
Makbeths vorleſen zu hören. In Deutſchland hätte
mich ſchon der Gedanke einen ganzen Abend auf dem
Stuhle feſt zu ſitzen, um eine Vorleſung zu hören,
zur Verzweiflung gebracht, und die Wirklichkeit hätte
mich getödtet. Aber hier wußte ich vorher, daß die
theatraliſche Beleuchtung, die alle geſellſchaftlichen
Verhältniſſe glänzend macht, mich unterhalten würde.
Und ſo kam es auch. Da waren genau gezählt
32 Schriftſteller verſammelt, meiſtens jüngere, alle
Romantiker. Da war nichts zum Lachen, die Maſſe
war zu groß, zu Ehrfurcht gebietend, es war wie
eine Kirche, wie eine Gemeinde. Ich habe mit
Vielen geſprochen, mit Victor Hugo und Andern ...
Sie ſprachen mir von Goethe und Schiller und von
Schiller und Goethe ohne Ende. Sie meinten wohl,
ich hätte Vergnügen daran. Einer fragte mich nach
Klopſtock, Kleiſt, Ramler, die ich alle nicht kenne.
Jetzt ſetzte ſich die romantiſche Gemeinde an den
Wänden herum, und Herr *** ſtellte ſich vor das
Kamin, Rücken gegen Feuer gelehnt [und] fing zu
leſen an. Mir war doch ein bischen Angſt vor der
Zukunft und was ich in den nächſten drei Stunden
I. 8[114] würde mit anhören müſſen. Aber es ging alles gut.
Die Ueberſetzung war ganz vortrefflich, ich hätte es
nicht für möglich gehalten. Es war freilich immer
nur durchgeſchlagener Shakeſpeare, es blieb aber
noch genug zu leiſten übrig. Auch las er meiſterhaft
vor und — applaudirt und bravo! wie auf dem
Theater. Und da kam ein Zufall dazu, der die
Sache noch theatraliſcher machte. In der Scene,
wo ſich Makbeth an den Tiſch ſetzen will, und vor
dem Geiſte des ermordeten Königs, der ſeinen Stuhl
eingenommen, zurückſchaudert, fing der Kamin zu
rauchen an, und bildete eine Wolke, die recht gut
einen Geiſt vorſtellen konnte. Mir, der am Kamine
neben dem ſtehenden Dichter ſaß, gingen die Augen
über, aber der begeiſterte Vorleſer merkte nichts eher,
als bis ſein grauer Staar reif geworden war und
er gar nichts mehr ſehen konnte. Da mußte er ſich
unterbrechen, und die Thüre öffnen laſſen. Spaßhaft
war es mir, recht deutlich zu merken, daß alle die
Herren da, welche den Shakeſpeare nicht ſo aus¬
wendig wiſſen, als wir Deutſchen, überraſcht von
den Schönheiten des Drama's in begeiſterndes Lob
ausbrachen, aber dieſes Lob gar nicht dem Shakeſpeare,
ſondern dem Ueberſetzer zuwandten. Dreißig Schrift¬
ſteller in einem Zimmer, das findet man in Deutſch¬
land ſelten.
Mit den Lithographien von den franzöſiſchen
[115] Revolutionsſcenen, zu welchen ich gern den erklä¬
renden Text geliefert, iſt es anders, als ich mir
gedacht. Es kömmt kein Text dazu; ſondern die
Zeichnungen werden zu den ſchon vorhandenen Frei¬
heitsliedern, der Marſeillaiſe, der Pariſienne
und andern gemacht. Wenn nur die Zeichnungen
nicht von altdeutſcher, ſüßlicher, wehmüthiger, ro¬
mantiſcher Art werden, wie ich es von dem Zeichner,
deſſen frühere Arbeiten ich geſehen, faſt erwarte.
Die praktiſchſte Sache von der Welt, die letzte Re¬
volution, würde dann in lauter romantiſchen Rauch
aufgehen, und die Deutſchen, die ſich ja daran be¬
geiſterten, würden lernen, wie ſie einſt in jener
Welt, im Himmel, den Satan mit ſeinem Volk
niederpflaſtern und verjagen, aber nicht wie in dieſer
die Miniſter und Polizei. Das Freiheitsgedicht von
Simrock, das Sie mir geſchickt, iſt auch in dieſem
unſeligen romantiſchen Geiſte. Gar nichts Muth¬
entflammendes darin, nur Muthtödtendes. Ich mag
mit dieſem Heiligen nichts mehr zu thun haben. Es
iſt aber eine ſchöne Erfindung mit den Pflaſterſteinen;
dem Gegengift der Pulvererfindung!
8*
Sechszehnter Brief.
— Es iſt entſetzlich mit Goethe's Sohn! Ich
hätte weinen mögen. Wie hart mußte ein Schickſal
ſeyn, das dieſen harten Mann mürbe machte. Nach
dem letzten Berichte war er hoffnungslos und jetzt
iſt er wahrſcheinlich todt. Es iſt mir, als würde
mit Goethe die alte deutſche Zeit begraben, ich
meine an dem Tage müſſe die Freiheit geboren wer¬
den. — — Heute ſtehen wieder ſchöne Lügen im
Conſtitutionnel. In Berlin und in den Rheinpro¬
vinzen hätten aufrühreriſche Bewegungen Statt ge¬
funden, und die preußiſchen Truppen kehrten von
den Grenzen zurück. Und in Metz hätten zwei
Deutſche 2000 franzöſiſche Cocarden gekauft, und
das alles, wird verſichert, käme aus achtungswerther
Quelle. Aber in der Schweiz gehet es ernſthaft her.
Das wäre ein großer Schritt für Deutſchland, wenn
[117] ſich die Schweizer frei machten von ihren Ariſtokra¬
ten, die ſchlimmer ſind als die Könige und gefähr¬
licher. Dann hätte das ſüdliche Deutſchland einen
Stützpunkt, und es könnte handeln. Auch wäre
gewonnen, daß man in der Schweiz dann freie
Zeitungen ſchreiben und von dort nach Deutſchland
verbreiten könnte: Aber was hilft mich alle Freiheit,
wenn ich keinen Tabak habe? Ich bin überzeugt,
daß wenn mir noch ſechs Monate der Tabak fehlte,
ich ein vollkommener Ariſtokrat würde. Ich fühle
leider ſchon wie ich täglich ſauberer und höflicher
werde.
— Der Artikel im Conſtitutionnel le faux¬
bourg St. Germain iſt freilich nicht verſöhnlicher
Art; aber das will und ſoll er auch nicht ſeyn.
Die Regierung und ihre Anhänger werden durch die
halsſtarrigen edlen Vorſtädter in wirkliche Verlegen¬
heit geſetzt und ſie ſind ärgerlich darüber, weil ſie
es nicht ändern können. Die Ultras haben ſich faſt
alle aus Paris zurückgezogen, und wohnen dieſen
Winter auf ihren Gütern. Dadurch (und das iſt
ihre edle Abſicht) leiden die Gewerbsleute ganz un¬
gemein. Man hat berechnet, daß durch die Abwe¬
ſenheit der Ultras und eines Theiles von der ge¬
wöhnlichen Anzahl der Fremden, der durch die Re¬
volution verſcheucht worden iſt, Paris in dieſem
Jahre fünf und ſiebenzig Millionen verliert, und
[118] daß, wenn nicht glücklicher Weiſe der reiche B. an¬
gekommen wäre, der Verluſt auf hundert Millionen
ſteigen würde. Der Conſtitutionnel ärgert ſich dar¬
über und das macht ihn bitter. Es amüſirt mich
ſehr, daß mich der Conſtitutionnel, ſonſt mein lu¬
ſtiger Rath, ſeit der Revolution ſo ſehr ennuyirt.
So auch die andern Kameraden. Sie ſind erſchöpft,
ihre Zeit iſt aus, und ihr fortgeſetztes Liberal-Thun
ſtehet ihnen ſo lächerlich, wie alten Weibern das
Kokettiren an. Man muß ſich an die jungen Zei¬
tungen halten; le temps, national, la révolution.
Selbſt der Figaro iſt nicht mehr ſo witzig als ehe¬
mals: Es geſchehen nicht Dummheiten genug mehr.
Warum gehet er nicht nach Deutſchland? — —
H. hat mir geſagt, ſeine Mutter hätte ihm geſchrie¬
ben, die St ... hätte ihr geſagt, Sie hätten ihr
geſagt, ich hätte Ihnen geſchrieben, ich ginge in
Paris noch Nachts zwei Uhr auf der Straße herum.
Iſt das wahr? das iſt ja ein ſchöner Klatſch-Knäul.
— Sie haben Angſt vor den zwölf Löwen und
Tigern? das wundert mich gar nicht, Sie haben
ſchon vor weniger Angſt gehabt. Hören Sie, was
neulich dem Dr. *** begegnete. Er wird Abends zu
einer Kranken gerufen. Die Frau lag im Bette,
und der Schirm vor dem Lichte machte das Zimmer
unhell. Während nun *** ſeine Kranke ausfragte,
fühlte er auf ſeiner herunterhängenden Hand den
[119] heißen Kuß einer breiten ſtechenden Zunge. Er blickt
hin und gewahrte einen lieblichen großen Tiger.
Behutſam ziehet er die Hand zurück. Dann erhebt
ſich der freundliche Tiger ſtellt ſich auf die Hinter¬
füße und legt ſeine Vorderfüße auf *** Schultern.
„Fürchten Sie ſich nicht — ſagte die kranke Frau
— der Tiger iſt zahm.“ Die Kranke war die Frau
eines gewiſſen Martin, der hier eine Menagerie
zeigt, und durch die Kühnheit, mit welcher er mit
ſeinen Beſtien ſpielt, vieles Aufſehen macht. Ich
glaube, er war früher auch in Frankfurt. Der zahme
Tiger, den er in ſeinem Wohnzimmer frei herum¬
laufen läßt, gehörte früher dem Marine-Miniſter.
Ich, an Dr. *** Stelle hätte große Angſt gehabt.
Er erzählte Folgendes: der verſtorbene B. in Rom
glaubte die Gabe zu beſitzen, jedes Menſchen künf¬
tiges Schickſal aus deſſen Geſichtszügen zu erkennen.
Dabei wurde er wie von einer dämoniſchen Gewalt
wider ſeinen Willen angetrieben, allen ſeinen Be¬
kannten ihr Schickſal vorher zu ſagen. Dr. *** bat
ihn oft, ihn mit ſolchen Sachen zu verſchonen, er
wolle ſein Schickſal nicht wiſſen. B. aber konnte
ſich nicht bezwingen, und ſagte ihm endlich: er
ſolle ſich vor wilden Thieren hüten. Ich
habe Martins Menagerie noch nicht geſehen, habe
mir aber vorgenommen, nur in Dr. *** Geſellſchaft
dahin zu gehen, damit wenn einer von uns ge¬
[120] freſſen werden ſoll, er es werde, wie es prophezeit
worden.
— Sonntag habe ich einem Conzerte im Con¬
ſervatoire beigewohnt. Ein junger Componiſt, Na¬
mens Berlioz, von dem ich Ihnen ſchon geſchrieben,
ließ von ſeinen Compoſitionen aufführen; das iſt ein
Romantiker. Ein ganzer Beethoven ſteckt in dieſem
Franzoſen. Aber toll zum Anbinden. Mir hat alles
ſehr gefallen. Eine merkwürdige Symphonie, eine
dramatiſche in fünf Acten, natürlich blos Inſtrumen¬
tal-Muſik; aber daß man ſie verſtehe, ließ er wie
zu einer Oper einen die Handlung erklärenden Text
drucken. Es iſt die ausſchweifendſte Ironie, wie ſie
noch kein Dichter in Worten ausgedrückt, und alles
gottlos. Der Componiſt erzählt darin ſeine eigene
Jugendgeſchichte. Er vergiftet ſich mit Opium und
da träumt ihm, er hätte die Geliebte [ermordet],
und würde zum Tode verurtheilt. Er wohnt ſeiner
eigenen Hinrichtung bei. Da hört man einen unver¬
gleichlichen Marſch, wie ich noch nie einen gehört.
Im letzten Theile ſtellt er den Blocksberg vor, ganz
wie im Fauſt, und es iſt alles mit Händen zu
greifen. Seine Geliebte, die ſich ſeiner unwürdig
zeigte, erſcheinet auch in der Walpurgisnacht; aber
nicht wie Gretchen in Fauſt, ſondern frech, Hexen¬
mäßig ..... In der Kunſt und Literatur wie
in der Politik, gehet die Frechheit der Freiheit vor¬
[121] aus. Das muß man zu würdigen wiſſen, um die
jetzigen franzöſiſchen Romantiker nicht ungerecht zu
verurtheilen. Sie ſind oft rein toll, und ſchreiben
Sachen, wie man ſie im romantiſchen Deutſchland
niemals lieſ't. Das wird ſich geben. Sie werden
wieder zurückpurzeln, es iſt noch kein Franzoſe in
die Sonne gefallen. Neulich bei der Makbeth-Vor¬
leſung fragte ich nach einem bekannten romantiſchen
Dichter und man ſagte mir, er wäre gegenwärtig
in Spanien. Das Nehmliche hörte ich von einigen
Andern. Es ſcheint, dies junge Volk gehet nach
Spanien, romantiſche Luft einzuathmen. Ich mußte
darüber lachen.
— Geſtern war ich bei Franconi. Da wurde
ein neues Spectakel-Stück gegeben: L'empereur;
alle ſeine Schlachten und Lebensbegebenheiten bis zu
ſeinem Tode. Als ich dieſen Morgen aufwachte, war
ich verwundert, daß ich keine zwölf Kugeln im Leibe
hatte, und überhaupt noch lebte. Aus ſo vielen
blutigen Schlachten iſt noch Keiner unverwundet ge¬
kommen. Denn es war kein Spiel, es war die
Wirklichkeit. Ich ſaß hart an der Bühne in einer
Loge, und da ich jetzt ſo ſehr kriegeriſch geſtimmt
bin, war ich ganz ſelig über das Kanonen- und
Gewehrfeuer Man kann wirklich die Täuſchung
nicht weiter treiben. Welche Scenerie! welche De¬
corationen! mehr Soldaten als das ganze Frank¬
[122] furter Militär beträgt; aber nicht übertrieben. Ich
will Ihnen die wichtigſten Begebenheiten nennen, die
man vorgeſtellt (nicht alle): wie Napoleon aus dem
Hafen von Toulon nach Aegypten abſegelt. In
meiner Loge waren junge Leute, die Toulon kannten,
die waren außer ſich über die Aehnlichkeit. Die
ganze Flotte, einige hundert Segel, ſiehet man vor¬
beifahren — die Schlacht bei den Pyramiden — die
Höllenmaſchine — die Krönung Napoleons — Scene
aus Madrid — der Brand von Moskau — der
Uebergang über die Berezina; das war am grau¬
lichſten und zum Weinen. Die Armee im jammer¬
vollſten Zuſtande ziehet über die Brücke. Nach und
nach ſtopft ſie ſich. Gegenüber der Feind. Endlich
ſtockt alles. Da gehen die Uebrigen, Reiter, Fu߬
volk, Weiber über die gefrorene Berezina. Das
Eis bricht, die Weiber kreiſchen, die Brücke ſtürzt
zuſammen, alles verſinkt unters Eis. — Abſchied in
Fontainebleau — Napoleon am Bord des Northum¬
berland — Napoleons Tod auf Helena. Er ſtirbt
im Bette. — Außer den Chören, dem Volke, waren
103 Hauptrollen, alle berühmte Leute aus jener Zeit
und alle naturtreu dargeſtellt. Napoleon wie er lebte.
Alle ſeine Manieren, alle ſeine Tics waren nach¬
geahmt. Und jetzt denken Sie ſich dazu den Lärm
der Zuſchauer. Franconi's Theater iſt das größte
in Paris und der meiſte Pöbel iſt dort. Sieben
[123] Franken hat mich mein Platz gekoſtet. Erſt ging ich
hinein zu drei Franken, weil keine Loge mehr zu
haben war. Die Gallerie war aber ſchon ganz voll
und ich ging wieder fort. Vor dem Hauſe ſchrie ich
laut: qui est-ce qui achète un billet de balcon?
Ich ward von einem ganzen Trupp Billethändler
umringt. Da kam einer und bot mir einen Logen-
Platz an, für mein Balkon-Billet und ich mußte
noch 4 Fr. darauf legen. Ich ging wieder zurück,
zankte mich zur Uebung im Franzöſiſchen mit einem
Dutzend Menſchen, die mir keinen Platz machen
wollten, ſetzte es mit Unverſchämtheit durch und ſaß
und ſah ſehr gut. Aber wie höflich ſind jetzt die
Gensdarmen! früher wäre ich wegen meines Lärmens
gewiß arretirt worden. Dies machen die Pflaſterſteine.
Siebzehnter Brief.
Bis von uns Einer auf den Brief des Andern
antwortet, verſtreichen gewöhnlich neun Tage, ſo
daß wir oft Beide nicht mehr wiſſen, worauf ſich
die Antwort bezieht. Das iſt verdrießlich, aber nicht
zu ändern, wenn man weit von einander entfernt
lebt. Diderot in ſeinen Briefen ärgert ſich auch oft
darüber und ſagt: es iſt mir wie jenem Reiſenden,
der zu ſeinem Geſellſchafter im Wagen ſagte: das
iſt eine ſehr ſchöne Wieſe. Eine Stunde darauf
antwortete dieſer: ja, ſie iſt ſehr ſchön.
Wiſſen Sie ſchon, daß Benjamin Conſtant ge¬
ſtorben iſt? Morgen wird er begraben. Kränklich
war er ſchon ſeit mehreren Jahren. Der Kampf
für die Freiheit hielt ihn aufrecht, dem Siege unter¬
lag er. Der Gram getäuſchter Hoffnung hat ſein
Leben verkürzt; die Revolution hat ihm nicht Wort
[125] gehalten; die neue Regierung vernachläſſigte den,
der ſo viel gethan, die alte zu ſtürzen. Benjamin
Conſtant hatte unter allen Liberalen die reinſte Ge¬
ſinnung, und er war der gediegenſte Redner. Es
gab Andere, die glänzender ſprachen, aber es war
doch nur Alles vergoldetes Kupfer. Er hatte Recht,
durch und durch. Er hatte einen deutſchen Kopf und
ein franzöſiſches Herz.
Geſtern ſind die Miniſter nach dem Luxembourg
gebracht worden. Sie ſollen ſehr niedergeſchlagen
ausſehen und Polignac ſehr mager geworden ſeyn.
Mittwoch geht der Prozeß an und bis Weihnachten
wird er geendigt ſeyn. Ich durfte nicht daran den¬
ken, mir ein Billet für die Pairs-Kammer zu ver¬
ſchaffen, es war nicht durchzuſetzen. Der Plätze ſind
zu wenige. Vierzig Journaliſten, die Diplomaten
und andere ſolche Privilegirten müſſen untergebracht
werden. Wie wäre wohl einem deutſchen Miniſter
zu Muthe, wenn er in einem Saale mit vierzig
Zeitungsſchreibern ſitzen müßte. Er wäre lieber unter
Menſchenfreſſern. Es dürfen keine Frauenzimmer in
die Pairs-Kammer, man fürchtet, ſie möchten den
Mund nicht halten können. Große Ehre für das
Geſchlecht! — Von Polen wußte ich ſchon ſeit ge¬
ſtern. Das gehet gut. Es iſt mir aber doch nicht
ganz recht; es wäre beſſer, die Polen hätten noch
gewartet mit ihrer Empörung. Ich wünſche Krieg
[126] und ich fürchte durch die polniſche Revolution wird
der Krieg mit Frankreich verhindert. Jetzt iſt nicht
allein Rußland beſchäftigt und abgehalten, an Frank¬
reich zu denken, ſondern auch Oeſterreich und Preußen,
die auch Theile von Polen beſitzen und fürchten
müſſen, daß ſie ſich ebenfalls inſurgiren. Uebrigens
iſt mir bange, die Polen möchten ihre Sache nicht
ſo leicht durchſetzen als die Belgier. Die Ruſſen
ſind zu mächtig. Es wird dort ein erſchreckliches
Gemetzel geben. Sie werden aber ſehen, daß nach
und nach alle Staaten ſich frei machen werden, nur
Deutſchland wird in ſeinem miſerablen Zuſtande
bleiben. So lange der Bundestag beſtehet, iſt keine
Hoffnung zum Beſſern. Die kleinen Staaten gingen
vielleicht vorwärts; aber Oeſterreich und Preußen
dulden es nicht. Hat ſich bei uns denn eine Stimme
aus den höhern Klaſſen für die Freiheit erhoben?
Man überläßt alles dem Pöbel. Ob ſie in Braun¬
ſchweig einen Wilhelm oder einen Carl zum Fürſten
haben, das iſt alles eins.
Von der Schweiz ſchrieb ich Ihnen ſchon.
Wenn dort die Cenſur aufgehoben wird, kann die
Cenſur in Deutſchland nicht viel mehr ſchaden. Dann
könnte man wohl eine vernünftige Zeitung ſchreiben.
Ich denke viel daran. Neulich im Palaisroyal reichte
ein Arbeitsmann dem Könige die Hand, der ſie ihm
freundſchaftlich drückte. Der entzückte Maurer ſagte:
[127]quel brave homme! je jure de ne jamais la
laver! Wenn mir einmal ein König die Hand drückte,
im Feuer wollte ich ſie reinigen, das kann gefährlich
werden, wenn der Druck in das Blut übergeht.
Neulich war eine Auction von den Meublen,
Kleidungsſtücken und andern Hinterlaſſenſchaften der
Herzogin von Berry. Das hätte ich nicht verſäumen
ſollen. Die treuen Royaliſten waren alle da, und
kauften Reliquien zu ungeheuren Preiſen. Für ein
Paar Handſchuhe, welche die Berry getragen, wur¬
den ſechzig Franken bezahlt. Gleich intereſſant waren
auch die Verſteigerungen der Sachen des Königs:
der Krönungswagen unter andern; 7000 Flaſchen
Wein des königlichen Privat-Kellers, Weine enthal¬
tend, welche ſeit funfzig Jahren von allen Fürſten
der Welt, an Ludwig XVI., Napoleon, Ludwig XVIII.,
Charles X. geſchenkt worden. Die Geſchichte dieſer
Weine ſoll merkwürdig geweſen ſeyn. Alle ſolche
humoriſtiſche Stoffe für eine geſchickte Feder, werden
aber von den hieſigen Blättern ſelten und ungeſchickt
benutzt. Es fehlt dieſen Herren an deutſcher Philo¬
ſophie und Tiefe der Empfindung. Es iſt wahr,
der Figaro zum Beiſpiel hat angenehmen Witz und
iſt ſchön façonnirt: lieſt man ihn aber einige Zeit,
ſo ſiehet man, daß alles nur plattirt iſt; man
braucht nur zu reiben und das Gold gehet ab.
Nichts gediegen, nichts durchgehend. Eins der beſten
[128] Journale iſt die Revue de Paris. — Von Lafayette
ſtand vor einigen Tagen in der Zeitung: er wäre
krank; ſeitdem iſt aber keine Rede mehr davon.
Wenn der jetzt während des Prozeſſes der Miniſter
krank würde, oder er ſtürbe, ich glaube die Regie¬
rung wäre im Stande und hielte das geheim. Er
iſt der Einzige, der im Falle eines Aufruhrs das
Volk im Zaum halten könnte. Ich glaube, daß er
ruhig bleiben wird, aber die Regierung hat große
Furcht, und trifft alle möglichen Vorſichtsmaßregeln.
Ganze Regimenter National-Gardiſten thun den
Dienſt, kein National-Gardiſt, auch wenn er nicht
die Wache hat, darf ſeine Uniform während des
Prozeſſes ablegen: man wird alſo in den nächſten
vierzehn Tagen nichts als Soldaten ſehen, und Pa¬
ris wird einem Lager gleichen. Sie glauben nicht,
wie komiſch das ausſiehet, wenn in den Läden die
Krämer in Uniform Zucker wiegen, Stiefel anmeſſen.
Ich habe oft darüber lachen müſſen — Ich bin be¬
gierig — welche neue Revolutionen zwiſchen dieſem
und meinem nächſten Briefe vorfallen werden. —
Auf dem Baſtillen-Platz wird ein neues Theater ge¬
bauet. Adieu bis zur nächſten Revolution.
Achtzehnter Brief.
Die Polen! .. Das Theater Français hier
könnte Gott verklagen, daß er auf ſeinem Weltthea¬
ter Stücke aufführen läßt, wozu es allein privilegirt
iſt — hohe Tragödien. Ich begreife nicht, warum
die Leute noch ins Theater gehen. Mir iſt die Zei¬
tung wie Shakeſpeare, wie Corneille. Das Schick¬
ſal ſpricht in Verſen und thut pathetiſch wie ein
Schauſpieler. Die Nacht der Rache in Warſchau
muß fürchterlich geweſen ſeyn! Und doch, als die
Geſchichten in Brüſſel und Antwerpen vorfielen,
glaubten wir, alle Schrecken wären erſchöpft. Ja
der Tag des Herrn iſt gekommen und er hält ein
fürchterliches Gericht. In den hieſigen Blättern ſtand,
es wäre ausgebrochen in der Militärſchule, als man
zwei jungen Leuten die Knute geben wollte. Hier
I. 9[130] war es auch ſo; auch hier haben die Zöglinge der
polytechniſchen Schule alles angefangen und das
Meiſte geendigt. Das gefällt mir, daß jetzt die Ju¬
gend dem Alter die Ruthe gibt. Wie wird es aber
den arm Polen ergehen? Werden ſie es durch¬
fechten? Ich zweifle; aber gleichviel. Verloren
wird ihr Blut nicht ſeyn. Und unſere armen Teu¬
fel von Deutſchen! Sie ſind die Lampenputzer im
Welttheater, ſie ſind weder Schauſpieler noch zu
Zuſchauer, ſie putzen die Lichter und ſtinken ſehr
nach Oel.
Wie können Sie mir nur jetzt mit den Juden
kommen und verlangen, daß ich für ſie ſchreibe? Sie
ſollen Lärm machen, ſie ſollen ſchreien. Mit guten
Worten richtet man nichts aus, aber mit Drohungen
viel. Die Regierungen ſind jetzt ſo ſchreckhaft, daß
man alles von ihnen erlangen kann, wenn man nur
ſelbſt nicht zaghaft iſt.
In Warſchau haben die Weiber und Kinder
auch mitgefochten. Conſtantin ſoll am Kopfe ver¬
wundet ſeyn; aber das ſind alle Fürſten. — Die
Preußiſche Staatszeitung leſe ich, wie auch die mei¬
ſten deutſchen Blätter. Geſtern habe ich ſogar das
Frankfurter Journal und die Didaskalia aufgefunden.
Ich habe ſie mit Küſſen bedeckt. — Die Cholera
Morbus iſt eine prächtige Erfindung. Das iſt etwas,
[131] was auch die Deutſchen in Bewegung ſetzen könnte.
Möchte es nur bei uns friedlich abgehen; denn eine
Revolution der Deutſchen wäre ſelbſt mir ein
Schrecken. Dieſe Menſchen wiſſen noch gar nicht,
was ſie wollen, und das iſt das Gefährlichſte. Sie
wären im Stande und metzelten ſich um einen Punkt
über das I. Vielleicht gehet es beſſer, als ich er¬
warte; vielleicht wenn der Sturm heftiger wird,
werfen ſie freiwillig von ihren ſchweren Dummheiten
über Bord. An unſern Fürſten liegt es nicht allein;
die Ariſtokratie, die Beamten.
Geſtern las ich in einer deutſchen Zeitung: in
Selters hätte das Landvolk auch eine kleine Revo¬
lution haben wollen und Unruhen angeſtiftet, und
man hätte ſogleich Truppen hingeſchickt. Ich erwarte
nun, daß der Bundestag den Selterswaſſerbrunnen,
die wahrſcheinliche Quelle der Naſſauer Revolution,
verſchütten laſſen wird. Das käme mir gar nicht
lächerlicher vor, als die bisherige Hülfe, die man
gegen Revolutionen angewendet. Soldaten, Gewalt,
Aderlaſſen, das ſind ihre einzigen Heilmittel. Es
einmal auf eine andere Art zu verſuchen, fällt ihn
nicht bei. Im Badiſchen ſcheint man nachgeben zu
wollen. Die Revolution in der angrenzenden
Schweiz hat wohl die Regierung ängſtlich gemacht.
Die Stände kommen nächſtens in Karlsruhe zuſam¬
9*[132] men und da hat man ſich geeilt, ein liberales Mini¬
ſterium zu bilden. Herr v. Berſtett, Miniſter der
auswärtigen Angelegenheiten und Metternichs guter
Freund, iſt abgeſetzt, und noch ein anderer Miniſter.
Ich möchte jetzt in Karlsruhe ſeyn. Ich weiß gar
nicht, wohin ich mich wenden ſoll; gewiß gibt es
keinen Miniſter in Europa, der ſo beſchäftigt iſt,
wie ich, und gar kein Weg, etwas zu thun. Gäbe
es nur ein Mittel für den Geiſt, wie das Aderlaſſen
eines iſt für den Leib, ich würde es gern gebrauchen.
Ich bin ſo vollſeelig, daß mir das Herz pocht.
Doch iſt das ein angenehmes Gefühl. Und warum
ich ſo froh bewegt bin? Von meiner Geſinnung
brauche ich Ihnen nicht zu ſprechen, die kennen Sie.
Daß ich mich freue über den Sieg der guten Sache,
mich freue, daß der Menſch ſeinen Prozeß gewonnen
gegen die Hölle, das wiſſen Sie. Aber das iſt es
nicht allein, es iſt auch die Schadenfreude zu ſehen,
wie das armſelige Dutzend Menſchen in Europa,
das klüger zu ſeyn glaubt, als die ganze Welt,
mächtiger als Gott, gefährlicher als der Teufel —
wie es zu Schanden wird, und von uns, die ſie
wie Hunde behandelt, in die Waden gebiſſen und
aus Haus und Hof gejagt werden. Das elende Volk!
Geſtern las ich die neueſte Didascalia, und als
ich darin immer noch die „Scenen aus den
[133] Kreuzzügen“ fand, mußte ich laut auflachen, und
ein grämlicher Engländer ſah mich mit Erſtaunen
an, als wolle er mich fragen, wie kann man lachen?
Hätte ich ihm mein Vergnügen ſo recht klar machen
können, es hätte ihm gewiß ſeinen Spleen vertrieben. —
Der Senator *** hatte doch ſo unrecht nicht, als
er vorigen Sommer ſagte, er wolle lieber Schwein¬
hirt ſeyn, als franzöſiſcher Miniſter. Heute hat
er gewiß Recht. Heute beginnt der Prozeß der
Miniſter. Welch ein Gefühl muß das für einen
alten Edelmann wie Polignac ſeyn, vor allen Diplo¬
maten Europens, mit denen er früher unter einer
Decke geſpielt, vor vierzig Lumpenkerls von Zeitungs¬
ſchreibern auf dem armen Sünderſtuhl zu ſitzen und
Rede und Antwort zu geben. Die ſpätere Strafe
iſt nichts gegen dieſes Verhör. Man hat bei der
Unterſuchung den Polignac am ſchuldigſten gefunden.
Die Andern waren verführt. Am 25. Dezember
wird das Urtheil geſprochen werden. Eine ſchöne
Weihnachtsbeſcherung! Viele glauben, Polignac allein
werde zum Tode verurtheilt, aber der Gnade des
Königs empfohlen werden. Wie wird man ſich
heute Abend um den Meſſager reißen, der um
acht Uhr erſcheint und die heutige Sitzung enthalten
wird!
Vergangenen Sonntag war Benjamin Conſtants
[134] Leichenbegängniß, deſſen ausführliche Beſchreibung
Sie wohl im Conſtitutionnel geleſen haben werden.
Ich ſetzte mich auf den Boulevards in eine Kutſche
und ſah alles bequem mit an. Länger als zwei
Stunden dauerte der Zug. Was mir an Franzoſen
auffiel und gefiel, war, daß in der ganzen Feier¬
lichkeit durchaus nichts Theatraliſches war, ſon¬
dern alles ſah ernſt, geſetzt und kleinbürgerlich
aus. Die Maſſe gab den Pomp. So wurde noch
kein König begraben. Ich ſprach einen Mann, der
vor vierzig Jahren Mirabeau's Leichenbegängniß mit
angeſehen; der ſagte, ſo feierlich ſei jenes nicht ge¬
weſen. Conſtant hat vom König Philipp bei ſeiner
Thronbeſteigung 150,000 Fr. zum Geſchenke erhal¬
ten, und ſeine Wittwe wird eine Penſion bekommen.
Madame Conſtant hat drei Männer gehabt. Den
erſten verlor ſie durch Tod, von dem zweiten ließ
ſie ſich ſcheiden, der dritte war Conſtant. Der zweite
lebte in Paris und war Mitglied der Deputirten-
Kammer. Nun geſchah es einmal, daß er zugleich
mit ſeinem ehelichen Nachfolger, Benjamin Conſtant,
in der Kammer das Wort forderte, beide zugleich
auf die Tribune ſprangen, und ehe es zu verhindern
war, Naſe gegen Naſe da ſtanden, worüber das
ganze Haus in lautes Lachen ausbrach. Der Gram,
von der Akademie Français nicht als Mitglied auf¬
[135] genommen worden zu ſeyn, und daß die Regierung
ihn nicht nach Verdienſt behandelte, ſoll ſein Ende
beſchleunigt haben. Die letzten Worte vor ſeinem
Tode verriethen ſeine Gemüthsſtimmung. Er ſagte:
après une popularité de douze ans justement
acquise — oui justement acquise — und mit
dem Worte acquise hauchte er ſeine Seele aus. —
Die Geſchichte mit Polen macht die Leute hier wie
betrunken. Es war immer eine große Freundſchaft
zwiſchen beiden Nationen. Ein Pole in Uniform
mit einem langen Säbel hat eine Rede bei Benjamin
Conſtants Grabe gehalten. Ich bin ſehr begierig
auf die nächſte Revolution. Wo wird es zuerſt los¬
brechen?
Es wird Sie nicht überraſchen, daß ich Ihnen
Victor Hugo's Gedichte ſchicke, welche Sie ge¬
wünſcht haben. Sie haben zwar nur von einem
Bande Gedichte geſprochen, und ich ſchicke Ihnen
drei Bände, aber dafür kann ich nichts. Es iſt
nicht meine Schuld, daß Hugo drei Bände Gedichte
geſchrieben. Wer kann einem Dichter Einhalt thun?
Lieber in ein Mühlenrad greifen. Das koſtbarſte
aller Weihnachtsgeſchenke, ſo koſtbar, daß es kein
König bezahlen kann; koſtbarer als alles, was alle
Frauen der Welt erhalten, ſeitdem Chriſtus geboren,
wird dieſe Weihnachten eine Pariſerin bekommen:
[136] Frau v. Polignac — das Leben ihres Mannes.
Gerade am 25. Abends, wenn die Lichter angezün¬
det werden zum Beſcheren, wird das Urtheil geſpro¬
chen werden, und Polignac, hofft man, würde das
Leben behalten. Behüte einen Gott vor ſolchen an¬
genehmen Ueberraſchungen.
Neunzehnter Brief.
....... An der preußiſchen Conſtitution
will ich wohl glauben, ſie wiſſen dort vor Angſt
nicht mehr, was ſie thun. Es wird ein Spaß ſein,
ihre Geſichter zu ſehen, wenn ſie in den ſauren
Apfel beiſſen. Aber was wird das auch für eine
allerliebſte Conſtitution werden! Frankreich hat großes
Glück. Wer wird jetzt wagen, es anzugreifen?
Vielleicht in der Verzweiflung thun ſie es doch. Ich
möchte jetzt einmal in Frankfurt bei *** ſeyn, wo
ich dieſes alles ſchon vor zehn Jahren vorausgeſagt
habe, und wo man mich ausgelacht. Und doch iſt
das alles noch nichts gegen das, was kommen wird.
Näher darf ich mich darüber nicht erklären; aber
Sie werden ſich wundern. Ein Sperling wird zwei
Tiger verzehren, und gebratene Fiſche werden ver¬
ſchiedene Arien ſingen. Und ein Dintenfaß wird
[138] austreten, und wird eine ganze Stadt überſchwem¬
men. Und .... aber, um des Himmels willen,
nicht geplaudert!
Ich mache Sie aufmerkſam, im Conſtitutionnel
den Geſetzvorſchlag über die Civilliſte zu leſen; be¬
ſonders die Einleitung, wo von der göttlichen Be¬
deutung eines Königs ſo ſüß-romantiſch geſprochen
wird, daß man meinen ſollte, es wäre in Deutſch¬
land geſchrieben. Ich habe mich erſchrecklich darüber
geärgert. Man will achtzehn Millionen für den
König. Das iſt zwar nur die Hälfte von dem, was
der vorige König bekommen, aber es iſt immer noch
die Hälfte zu viel. Es iſt eine Krankheit König
ſeyn, und man muß darum die Könige Diät halten
laſſen. Zehen Millionen ſind genug. Auch hat das
allgemeines Mißfallen erregt, es heißt heute, das
Geſetz ſoll zurückgenommen werden, und man wolle
der Kammer frei ſtellen, wie viel ſie dem Könige
geben wollen. — Ich tröſte mich wegen des Tabaks.
Die ganze Welt dampft jetzt, das erſetzt mir die
Pfeife. — Ich leſe täglich das deutſche Journal und
die Didascalia, was mir großen Spaß macht. Wie
wenig gehet in Frankfurt vor. Dies merkt man
erſt hier recht, wenn man die dortige Zeitung lieſt.
— Ich habe mich der Neugierde wegen in eine Art
Caſino aufnehmen laſſen. Ich gehe heute Abend
zum erſten Male hin. Es iſt koſtſpielig, man zahlt
[139] monatlich dreißig Franken; aber die Einrichtung ſoll
auch prächtig ſeyn. Ich will Ihnen, der Curioſität
wegen einige Stellen aus den Statuten abſchreiben:
Ancien cercle de la rue de Grammont
Art.III. „Les salons du cercle seront
ouverts tous les jours, celui de lecture à neuf
heures, les autres à midi; et fermés, les sa¬
lons de lecture áminuit, les [autres] àdeux
heures après minuit. — Un diner sera
servi tous les jours à l'heure fixe. — II sera
servi tous les jours, et sans frais, des raf¬
fraîchissemens convenables, et un thé dans la
soirée. —Art.XIII. II pourra être fait des
abonnemens mensuels, en faveurs des Fran¬
çais et des Etrangers, habitant momentanement
Paris — le prix de l'abonnement est de 30
francs par mois. —Art.XX. La société
n'ayant d'autre but que de former une union
d'hommes de bonne compagnie, ayant la fa¬
culté de lire les journaux, [brochures] et livres
nouveaux, de diner ensemble, et de jouer les
seuls jeux de commerce, Messieurs les socié¬
taires et abonnéss'interdisent toute dis¬
[140] cussionpolitique, et il est du devoir ri¬
goureux de messieurs les commissaires, de
maintenir cette règle, et de la rapeller s'il ar¬
rivoit qu'un sociétaire l'oubliât.“ Iſt das nicht
auffallend, daß man nicht von Politik ſprechen darf?
Das iſt ja gerade wie bei uns.
Geſtern war wieder ein unglückſchwangerer Tag
für Paris, Frankreich, die Welt, und heute, morgen
kann das Gewitter losbrechen. Die Regierung hat
ſchon ſeit acht Tagen eine Verſchwörung entdeckt und
viele Menſchen ſind arretirt worden. Man fordert
das Leben der Miniſter, deren Prozeß ſich wahr¬
ſcheinlich morgen entſcheidet. Geſtern verſammelten
ſich einige tauſend Menſchen vor der Pairs-Kammer
mit drohenden Aeußerungen, und heute fürchtet man
größern Aufruhr. Ich bin doch ein rechter Unglücks¬
vogel! Ich mußte mir geſtern einen Zahn heraus¬
nehmen laſſen, und kann noch heute wegen meines
dicken Geſichts nicht ausgehen. Ganz Paris kann
heute in Flammen ſtehen, und ich werde nichts er¬
fahren, bis heute Abend die Zeitung kommt. Sie
freuen ſich vielleicht darüber und wünſchen mir meine
Zahnſchmerzen von ganzem Herzen. Ich ärgere mich
und dazu habe ich noch 20 Fr. für das Zahnheraus¬
ziehen bezahlen müſſen. Was man hier geprellt wird!
Wie die Blutſauger hängen ſich die Pariſer an den
Fremden und ziehen ihm das Geld aus. Ich hoffe,
daß die Regierung Kraft genug haben wird, die Un¬
ruhen zu dämpfen, es bleibt aber immer eine be¬
denkliche Sache. Man kann auf die National-Garde
[142] nicht feſt zählen; ein großer Theil derſelben iſt Rache¬
durſtig gegen die Miniſter, und würde einem Volks¬
aufſtande keinen ernſtlichen Widerſtand leiſten. Dazu
geſellen ſich noch 1) überſpannte Köpfe, die eine
Republik haben wollen. 2) Mäßigere, die mit dem
Gange der Regierung nicht zufrieden ſind, und eine
liberalere Kammer und ein liberaleres Miniſterium
wünſchen. 3) Die Anhänger Karls X. 4) Endlich
die Emigrirten aus allen Ländern, Italiener, Spa¬
nier, Polen, Belgier, die Frankreich in einen Krieg
verwickeln wollen, damit es in ihrem eignen Lande
auch endlich einmal zur Entſcheidung komme. Dieſe
Letztern ſollen beſonders großen Theil an der Auf¬
hetzung haben. Heute wird die Pairs-Kammer von
drei und dreißig tauſend Mann National-Garden
und Linien-Truppen beſchützt ſeyn. Wenn es nur
zu keiner neuen Revolution kömmt, mir thäte das
bitter leid; denn es könnte alles wieder darüber zu
Grunde gehen. Sie werden die Vertheidigungs-Rede
der Miniſter wohl im Conſtitutionnel leſen. Am
beſten nach meiner Anſicht hat Peyronnet geſprochen,
der doch gewiß der Schuldigſte iſt. Aber er iſt ein
Mann von feſtem Willen, und darum hat er auch
am meiſten gerührt; er hat geweint und weinen ge¬
macht. Polignac zeigt ſich als ein ſolcher Schwach¬
kopf und ſeelenloſer Höfling, daß man ihn bemitleiden
muß. Er verdient es gar nicht geköpft zu werden.
[143] Der Advokat und Vertheidiger des Guernon Ran¬
ville, Namens Cremieux, der geſtern geſprochen, iſt
aus Gemüthsbewegung in Ohnmacht gefallen und
mußte weggebracht werden. In welcher ſchrecklichen
Lage ſind doch die vier unglücklichen Miniſter! Und
ihre armen Weiber und Kinder! Gewöhnliche Ver¬
brecher dürfen doch hoffen, die Richter würden ihnen
das Leben ſchenken; aber die Miniſter müſſen vor
ihrer Freiſprechung zittern, weil ſie dann ſchrecklicher
als durch das Schwert des Henkers, durch die Hände
des Volks ihr Leben verlören. Am meiſten dauert
mich der Guernon Ranville. Dieſer iſt der Schuld¬
loſeſte von Allen, er hat an den Ordonnanzen den
wenigſten Theil genommen, er war nur ſchwach und
ließ ſich verführen. Und dieſer iſt krank und hat eine
Krankheit, die ich kenne, die ich vor zwei Jahren
in Wiesbaden hatte, kann ohne Schmerzen kein Glied
bewegen, und ſo, bleich, leidend, faſt ohne Kraft
der Aufmerkſamkeit, muß er täglich ſieben Stunden
lang in der Pairs-Kammer ſchmachten, und zuhören,
wie man ſich um ſein Leben zankt! Dagegen war
doch mein Rheumatismus, von Ihnen gepflegt, ge¬
wiß eine Seligkeit. Und doch ſtähle ich mich wieder
und mache mir meine Weichherzigkeit zum Vorwurfe,
wenn ich mich frage; aber jene Könige und ihre
Henkersknechte, wenn wir aus dem Volke ihnen in
die Hände fallen, haben ſie Mitleiden mit uns?
[144] Dieſe Miniſter, die dem Volke zur Rede ſtehen,
werden doch wenigſtens öffentlich gerichtet. Sie ſehen
ſich von ihren Freunden umringt, ſie lernen ihre
Feinde, ihre Ankläger kennen, ſie dürfen ſich ver¬
theidigen und das Geſetz verurtheilt ſie, nicht die
Rache. Und wenn ſie auch als Opfer der Volks¬
wuth fallen, weiß man doch, daß ſie unſchuldig ge¬
mordet. Wer aber in Mailand, Wien, Madrid,
Neapel, Petersburg wegen eines politiſchen Vergehens
gerichtet wird, der gehet aus der Dämmerung des
Kerkers in die Nacht des Grabes über, und ob
ſchuldig oder unſchuldig, das weiß nur Gott.
Mein Barbier (mein Miniſter der auswär¬
tigen Angelegenheiten) erzählt mir eben, es ſähe
ſchlecht aus in der Stadt. Das Militär und die
National-Garden ziehen durch die Straßen. Das
Volk ſchreit vive la ligne! à bas la garde Na¬
tionale! à bas Lafayette! (da ſieht man doch ganz
deutlich, wie dieſe Bewegung von den Carliſten an¬
gelegt) la mort des Ministres! vielleicht iſt es
doch gut für mich, daß ich heute nicht [ausgehen]
kann, und wenn Sie mir verſprechen, mir die zwan¬
zig Franken zu erſtatten, die mir meine Zahn¬
ſchmerzen koſten, will ich mit allem zufrieden ſeyn
und Gott preiſen. — Mein heutiger Brief wird
auch nicht viel größer werden, als er jetzt ſchon iſt,
ich habe keine Geduld zum Schreiben. Ich bin
neugierig, was in der Stadt vorgehet, und ärgerlich,
daß ich nicht ausgehen kann. — Wie konnten Sie
nur glauben, daß mich Polen nicht intereſſirt! Das
iſt ja der Hauptakt der ganzen Tragödie. Ich meine
doch, ich hätte Ihnen darüber geſchrieben, und ge¬
I. 10[146] nug vorgejubelt. Aber ſeit acht Tagen hörte ich von
keiner neuen Revolution; das iſt ſehr langweilig.
Ich bin wie die Branntweintrinker; nüchtern bin ich
matt. Die Revolution, die heute Paris bedroht,
ſchmekt mir nicht. Das iſt Gift und verderblich.
Doch ich hoffe, es geht alles gut vorüber.
Zwanzigſter Brief.
Das war wieder eine merkwürdige Pariſer
Woche! Aber Sie in Frankfurt, wenn Sie nur die
Zeitungen geleſen, wiſſen nicht weniger davon, als
ich hier; denn ich habe gar nichts ſelbſt geſehen.
Seit dem vorigen Samſtag habe ich wegen meines
dicken Geſichts das Zimmer nicht verlaſſen, und erſt
geſtern Abend war ich zum Erſtenmal wieder aus.
Iſt das nicht ein einziger Ort, in dem man mitten
in einem Volksaufruhr, umringt von einem Lager
von mehr als vierzig tauſend Soldaten, ſo ſtill und
ſo einſam leben kann, wie auf dem Lande? Jetzt
iſt alles vorüber. Wollen Sie genau wiſſen, was
eigentlich der Kampf dieſer Tage für eine Bedeutung
gehabt, und genauer als es irgend ein europäiſches
Cabinet von ſeinem Geſandten erfahren wird? Es
war ein Kampf zwiſchen der alten claſſiſchen und
10*[148] der neuen romantiſchen Parthei in der Politik, und
letztere, die ſchwächſte, weil ſie die jüngſte und un¬
erfahrenſte iſt, unterlag. Die romantiſche Parthei
will individuelle Freiheit, die claſſiſche nur nationelle
haben. Wenn Sie von Carliſten leſen, glauben Sie
kein Wort davon. Natürlich haben dieſe den Zwie¬
ſpalt benutzt, aber angeſtiftet haben ſie ihn ſicher
nicht. Aber wie ſchade, daß ich dieſe ſchöne Oper
nicht mit angeſehen. Vierzigtauſend Mann Natio¬
nal-Garden, wie Rieſenbeſen die Straßen ſäubernd,
und ſo unverletzend wie dieſe; denn es iſt kein Trop¬
fen Blut vergoſſen worden. Dann Nachts bei
Wachtfeuer auf der Straße bivouacquirend; die to¬
bende Menge, der König ſelbſt patrouillirend, die
vereinigten Studenten, über fünftauſend, umher¬
ziehend und Ruhe und Ordnung ſchreiend —
welche Scenen! Das Einzige an der Sache iſt
romantiſch ſchön, daß die Miniſter nicht am Leben
beſtraft worden. Das wird freilich die Despoten in
Liſſabon, Mailand und Petersburg nicht abhalten,
ihre wehrloſen Gefangenen zu morden; aber das
wird doch der Welt zeigen, daß Völker edler ſind
als Fürſten. Geſtern Abend dachte ich noch nicht
daran, auszugehen, ich wollte es erſt heute; da ſah
ich zufällig durch die Spalte des Fenſterladens, und
bemerkte etwas ungewöhnlich Helles. Ich öffnete
[den] Laden und ſah zu meiner Ueberraſchung, daß
[149] das gegenüber ſtehende Haus illuminirt war. Da
zog ich mich ſchnell an, ließ einen Wagen kommen,
und fuhr eine Stunde lang in der Stadt herum.
Viele Häuſer waren illuminirt, theils aus Freude
daß die Ruhe wieder hergeſtellt, theils zur Ehre des
Königs, der noch ſpät von einer Revüe der National¬
garde zurückkehrend, zu Pferde die Straßen durchzog.
Er hatte von geſtern Mittag bis geſtern Abend neun
Uhr alle Quartiere der Stadt beſucht und in jedem
Quartier die National-Garden gemuſtert. Ueber den
König iſt nur eine Stimme. Alle Partheien (na¬
türlich nur die Carliſten nicht) lieben ihn. Auch iſt
er ganz wie die Franzoſen einen König lieben und
brauchen. Er iſt ein Bürger-König. Zwar iſt er
das aufrichtig, und ſo viel aus Temperament und
Geſinnung als aus Politik; aber dabei iſt er es
auch zugleich theatraliſch. Er ſpricht gut, leicht, von
Herzen, aber doch mit Pathos und Geberden, wie
man es hier gern hat. Es iſt ſo leicht ein guter
König ſeyn, und es koſtet die Fürſten viel größere
Anſtrengung, ſich verhaßt zu machen bei ihren
Untherthanen, als es ſie koſten würde, ihre Liebe zu
erwerben! ... Der einzige ſchöne Charakter der
neueſten Zeit iſt und bleibt doch Lafayette. Er iſt
die altgewordene Schwärmerei, wie ſie nie,
nicht einmal gemalt worden iſt. Er iſt bald 80
Jahre alt, hat alle Täuſchungen, alle Verräthereien,
[150] Heuchelei, Gewaltthätigkeit jeder Art erfahren —
und noch glaubt er an Tugend, Wahrheit, Freiheit
und Recht! Solche Menſchen beweiſen beſſer, daß
es einen Gott gibt, als das alte und neue Teſtament
und der Koran zuſammen. Noch heute, zwar von
vielen geliebt, von allen geachtet, aber auch von
allen verkannt, wird er nur von ſeinen Feinden nicht
betrogen, die ihren Haß offen ausſprechen; aber von
ſeinen Freunden gebraucht, misbraucht, getäuſcht und
oft verſpottet. Er iſt wie ein Gottesbild im Tem¬
pel, in deſſen Namen heuchleriſche Prieſter fordern,
wonach ihnen ſelbſt gelüſtet, und die heimlich das
gläubige Volk und ſeinen Gott auslachen. Er aber
gehet ſeinen Weg unveränderlich wie die Sonne, und
unbekümmert, ob die Guten ſein Licht zu guten
Handlungen oder die Böſen zu ſchlechten gebrauchen.
Wie lange wird es noch dauern, bis Frankreich
Lafayette's würdig iſt! Aber es wird einmal kom¬
men. Er erſcheint mir wie die Mauer einer neu¬
zugründenden Stadt, die man rund umhergezogen, und
inwendig iſt noch alles öde und kein Haus iſt gebauet.
Als ich geſtern über die Rue de la paix
ging, begegnete ich einem Trupp National-Garden,
Trommel voraus, die auf einer Bahre die Lorbeer¬
bekränzte Büſte des Königs trugen, ich weiß nicht
wohin, wahrſcheinlich in eine Wachtſtube. Luſtig
Volk die Franzoſen; den ganzen Tag Komödie. —
Jetzt macht die Schuljugend der Regierung wieder
viel zu ſchaffen, und ich habe meine herzliche Schaden¬
freude daran. Die Schulen haben in dem Aufſtande
dieſer Tage zur Herſtellung der Ruhe ſehr viel bei¬
getragen. Nun hat vorgeſtern die Kammer den
Schulen feierlichſten Dank votirt. Dieſe aber haben
geſtern Abend in einer Zeitung Proclamationen
drucken laſſen, worin ſie höniſch der Kammer ſagen:
Euren Dank begehren wir nicht, gebt uns die Frei¬
heit, die ihr uns verſprochen, „la liberté qu'on
nous marchande maintenant et que nous avons
payé comptant au mois de Juillet.“ O wie
Recht haben ſie! Ihr in Deutſchland braucht gar
nicht ſo ſtolz zu ſeyn, wir haben hier ſo dumme
Leute als dort auch. Hier ſagen ſie auch, die
Franzoſen ſind noch nicht reif zu mehr Freiheit als
ſie jetzt beſitzen, das müſſe der Zukunft überlaſſen
bleiben. Und ſo bleiben ſie nun ſtehen; bis die
[152] Zukunft im Galopp herkömmt und ſie umwirft, ſtatt
wenn ſie der Zukunft entgegen gegangen wären,
alles friedlich wäre geordnet worden. Ganz gewiß,
Frankreich wird früher oder ſpäter noch eine Revo¬
lution erleiden. Es iſt der Fluch der Menſchen,
daß ſie nie freiwillig vernünftig werden, man muß
ſie mit der Peitſche dazu treiben. Es iſt zum Ver¬
zweifeln, daß Lafayette, der Einzige, der es auf¬
richtig mit der Freiheit meint, einen ſo ſchwa¬
chen Charakter hat. Er, wenn er wollte, könnte
alles durchſetzen. Er brauchte nur zu drohen, er
würde das Commando der National-Garde aufgeben,
und ſich zurückziehen, wenn man den Franzoſen nicht
gäbe, was man ihnen verſprochen, und der König,
die Miniſter und die Kammer müßten nachgeben.
Der König von Bayern glaubt wahrſcheinlich,
weil er ſo viel gereimt hat in ſeinem Leben, dürfte
er ſich auch Ungereimtes erlauben. Der Lieſching,
den ich viel kenne, iſt der fünfte Schriftſteller, der
ſeit kurzem auf ſo ſchnöde Weiſe von München ver¬
jagt worden. „Vor der Hand als unpaſſend
ausgewieſen,“ iſt ſehr ſchön geſagt. Der deut¬
ſchen Despotie werden vor Alterſchwäche die Glieder
ſteif. Dieſes Betragen der bayeriſchen Regierung
iſt ſo ganz über die Maaßen dumm, ſo ganz un¬
gewöhnlich verkehrt, daß ich denken möchte, es ſteckt
unter der Dummheit eine Art Superklugheit; daß
[153] ſie nehmlich unter dem Scheine des Einverſtändniſſes
mit der jetzt völlig toll gewordenen Bundesverſamm¬
lung ihre eigenen Pläne verfolgt. Anders kann ich
mir es nicht erklären. Aber vielleicht irre ich mich
auch; es giebt nichts Genialiſcheres als der Blödſinn
einer deutſchen Regierung, er iſt gar nicht zu be¬
rechnen.
Was mir an der polniſchen Revolution am
beſten gefällt, iſt, daß man in Warſchau den Chef
der geheimen Polizei gehenkt hat, und daß man die
Liſte aller Polizei-Spione drucken läßt. Das wird,
hoffe ich, den Spionen anderer Länder zur War¬
nung dienen. Dieſe geheime Polizei gibt einer des¬
potiſchen Regierung weit mehr Sicherheit, als es
ihre Soldaten thun, und ohne ſie wäre die Freiheit
ſchon in manchem andern Lande feſtgeſtellt. Die ge¬
heime Polizei hat in Warſchau täglich 6000 Gulden
gekoſtet. Dieſe Notizen und andere Papiere, die ſich
auf die Polizei beziehen, hat man in Conſtantins
Schloſſe gefunden. Dreißig junge Leute von der
Cadettenſchule drangen in das Schloß. Die Hälfte
davon iſt geblieben. Drei Generale wurden im
Vorzimmer Conſtantins getödtet. Dieſer rettete ſich
mit Mühe. Die Verſchwornen begegneten Conſtan¬
tins Frau, vor der ſie ſich ſehr artig verneigten und
ſagten, mit ihr hätten ſie nichts zu ſchaffen, ſie ſuch¬
ten nur ihren Mann. Ich fürchte aber, den armen
[154] Polen wird es ſchlecht gehen. Der Kaiſer Nicolaus
ziehet ihnen mit Macht entgegen, und ich weiß nicht,
wie ſie widerſtehen können. Doch verlaſſe ich mich
auf Gott. — — — Gemüthsbewegung! nein.
Das iſt nicht wie früher, wo wir in einer ſchweren
Kutſche ſaßen, und mit der guten Sache langſam
fortrollten, geſtoßen wurden, langſam den Berg hin¬
aufſchleichen mußten, auch manchmal umgeworfen
wurden — jetzt trägt uns ein großes Schiff ſchla¬
fend über das Meer, und der Wind treibt ſchnell.
Kein Staub, kein Rütteln, keine Müdigkeit. Stürme
können kommen, Klippen; aber das macht mich erſt
recht munter. Die kleinen Zänkereien, das weibiſche
Keifen des Schickſals, nur das konnte mir Gemüths¬
bewegung geben. Die Tyrannei kann uns noch ein¬
mal beſiegen; aber dann wird es doch im offnen
Kampfe geſchehen, nachdem wir uns gewehrt haben.
Uns wie Hunde prügeln und an die Kette legen,
damit iſt es aus. Nur nicht wehrlos fallen. Ich
bin ſehr ruhig, und ſchwimme vergnügt wie ein un¬
geſalzener Häring im Weltmeer herum.
Ein und zwanzigſter Brief.
Ich ſcherze und bin doch ganz von Herzen be¬
trübt, und aus Verzweiflung ließ ich mir eine Taſſe
Chocolade holen. Ich will denken, die Chocolade
habe mir dickes Blut gemacht, ſonſt nichts. Aber
meine Träume von Frankreichs Freiheit ſind auch
dahin. In der Politik iſt weder Sommer noch
Winter, es iſt der erbärmlichſte Revolutions-Frühling,
der mir je vorgekommen. Nicht warm genug des
Feuers zu entbehren, und nicht kalt genug zum
Einheitzen, fröſtelt man ohne Rettung. Bei uns zu
Hauſe weiß man doch woran man iſt; es iſt Win¬
ter und man trägt Flanell. Es iſt doch ein ſchönes
Land, wo, wie ich geſtern in deutſchen Zeitungen
geleſen, man ſich auf der Straße und in den Caſi¬
nos bang und freudig einander fragt, wird der
Herzog von Coburg wieder heirathen oder nicht?
[156] und man ſchweigt und lächelt — und wo der Staats¬
rath Niebuhr in Bonn, da er gedruckt geleſen, er
habe früher in Rom mit de Potter Umgang gehabt,
mit Händen und Füßen gegen dieſe Läſterung zappelt,
wie ein Kind gegen das kalte Waſchen, und be¬
hauptet auf Ehre, er habe dieſen Unheilſtifter
nie mit den Fingern berührt! Aber hier? die Wie¬
ſen waren ſchon grün und jetzt ſchneit es wieder
darauf. Die Kammer, dieſe alte Kokette, die ſich
ſchminkt, Mäulchen macht und auf die Jugend lä¬
ſtert — ich könnte ſie auspeitſchen ſehen. Als ſie
noch ſelbſt jung war, war ſie ſo ſchlimm als Eine.
Man hat Lafayette als Commandant der National¬
garde abgeſetzt, und der Kriegsminiſter hat der gan¬
zen polytechniſchen Schule Arreſt gegeben! Dieſe
jungen Helden waren es, welche den Kampf im Juli
gelenkt, und ohne ſie wären alle Deputirten und alle
dieſe Miniſter vielleicht eine Speiſe der Raben ge¬
worden. Lafayette war es, der die Revolution rein
erhalten und vor Anarchie bewahrt, und ihm hat
Orleans ſeine Krone und die Fürſten Europas zu
verdanken, daß Frankreich keine Republik geworden.
Er hat dem Volke geſagt, es wäre möglich, daß ein
König die Freiheit liebe, und man hat es ihm ge¬
glaubt. Behüte mich Gott, daß ich je Theil an der
Staatsgewalt bekomme! Ich ſehe es hier an den
Beſten, daß, ſobald man zur Macht kömmt, man
[157] erſt das Herz, dann den Kopf verliert, und daß
man vom Verſtande nur ſo viel übrig behält, als
man braucht, das Herz nicht wieder aufkommen zu
laſſen. Es iſt hier keine Zweideutigkeit, kein Un¬
verſtand, keine Deutelei — man hat wörtlich nicht
Wort gehalten, man hat dem Volke nicht gegeben,
was man ihm verſprochen. Die Machthaber reden
hier ganz ſo wie bei uns: von wenigen Unruhſtiftern,
die das Volk verführten, von jugendlicher Schwär¬
merei, von Republikanern. Aber kein Menſch will
Republik, man verlangt nur die republikaniſchen In¬
ſtitutionen, die man in den Tagen der Noth ver¬
ſprochen. Für die Machthaber hier (wie bei uns)
fängt da, wo ihr eigner Vortheil aufhört, die Schwär¬
merei an. Eben erzählte mir Jemand, man ſpräche
heute davon, Lafitte und Dupont würden aus dem
Miniſterium treten, und der Präfect von Paris ab¬
geſetzt werden. Ich zweifle nun zwar gar nicht,
daß die Regierung mächtig genug iſt, es durchzu¬
ſetzen, und jeden gefährlichen Ausbruch zu verhüten.
Aber was wird dabei gewonnen? die Ruhe, die
ſich auf eine allgemeine Zufriedenheit aller Bürger¬
klaſſen gründet, die einzig wünſchenswerthe und
dauerhafte, wird ſie auf dieſe Weiſe nicht gründen.
Die Unzufriedenheit wird ſich aufhäufen, die Mis¬
vergnügten werden ſich vermehren, bis ſie ſtärker
werden als die Regierung, und dann gehet der
[158] Kampf von neuem an. Wenn ich einmal Miniſter
werde, halten Sie mir meine demokratiſchen Briefe
vor die Augen. Ich weiß ſchon jetzt, was ich Ih¬
nen antworten werde — nichts werde ich antworten.
Ich werde lächeln und Sie auf meinen nächſten Ball
einladen, und dann werden Sie auch lächeln. Wir
Miniſter und Ihr Menſchen, wir ſind nun einmal
nichts anders. Jetzt will ich mich ankleiden und die
Zeitungen leſen, neuen Aerger zu ſammeln. Im
Rocken iſt mehr Nahrungsſtoff als in Kartoffeln, im
Weizen mehr als im Rocken, aber am meiſten iſt
im Aerger. Schnee und Weh iſt hier das Neueſte.
Habt Ihr auch Schnee? nach Weh brauche ich wohl
nicht zu fragen.
Ich glaube nicht, daß ich Talent zu poetiſchen
Naturbeſchreibungen habe; ich grüble zu viel und
ſammle mehr Wurzeln als Blüthen. Aber mit der
Reiſe, nach wiederhergeſtellter Ruhe, damit haben
Sie recht. Ich möchte wohl gern einmal Seelen¬
frieden genießen. Bis künftiges Jahr ſind die
Oeſterreicher aus Italien verjagt, und dann könnte
man hinreiſen. Zwar wird es alsdann in Italien
noch nicht ruhig ſeyn, aber nur die ſchreckliche Ruhe
unter Oeſterreich könnte mich aus dem Lande ent¬
fernt halten, nicht die Unruhe der Freiheit, noch die
der erzürnten Natur. Was der **** prophezeihet,
iſt auch mir offenbart worden. Man wird es in
Frankfurt früher als in Paris erfahren. Fürchter¬
lich! Es ſtehet mir klar vor Augen, wie die
Schnitter der Zeit mit ihren kleinen Meſſern die
großen Senſen wetzen. — Hieſige Blätter ſagen
beſtimmt, im nächſten Monate würde in Preußen
eine Conſtitution promulgirt werden, und ein Brief
aus Berlin, den ich geſtern geleſen, behauptet das
Nehmliche. Aber eine Conſtitution, die man im
Dunkeln macht, kann nur ein Werk der Finſterniß
werden. Die Freiheit, die man von Herren geſchenckt
[160] bekömmt, war nie etwas werth; man muß ſie ſteh¬
len oder rauben.
Es iſt doch gar zu traurig mit Briefen, die
ſo weit aus eiander ſtehen, wie die Unſrigen; man
wünſcht einem viel Vergnügen zum bevorſtehenden
Schmauſe, und wenn man den guten Wunſch lieſt,
hat man ſchon den Katzenjammer. Sie wiſſen in
Ihrem Briefe noch den Ausgang des Prozeſſes nicht,
und was iſt ſeitdem nicht Alles vorgegangen! Paris
hat jetzt wirklich den Katzenjammer vom Schmauſe
im Juli, und bei mir thut der Ekel vom Zuſchauen
dieſelbe Wirkung, wie bei den Andern das Trinken.
Die Regierung iſt jetzt ganz in den Händen von
Mechanikern, die den Staat als eine Uhr betrachten,
wozu ſie den Schlüſſel haben, und die gar nichts
wiſſen von einem Leben, das ſich ſelbſt aufzieht.
Das Herz ſoll ſchlagen zur beſtimmten Minute,
und das nennen ſie Ordnung! Es iſt alles wie bei
uns, nur daß bei uns Werk und Zifferblatt bedeckt
ſind, hier aber ſich in einem gläſernen Gehäuſe be¬
finden, das alle Bewegungen ſehen läßt; der Gang
iſt der nehmliche.
Mit dem hieſigen Caſino bin ich ſehr getäuſcht
worden. Das ſind meiſtens alte, reiche und vor¬
nehme Leute, die mit einander flüſtern und ſehr ari¬
ſtokratiſch ausſehen. Der Fluch geſchloſſener Geſell¬
ſchaften iſt ſehr deutlich ausgedrückt in dieſen ver¬
[161] ſchloſſenen Geſichtern. Man meinet es wären Di¬
plomatiker. Ich werde nicht wieder hingehen, und
für die funfzehn Franken, die ich bezahlen mußte
(für 14 Tage) habe ich doch ein neues Beiſpiel zu
meiner alten Theorie gefunden: Langeweile iſt die
Tochter des Zwanges, und Freiheit iſt die Mutter
geſelliger Freuden. Wie kann es anders ſeyn? In
dieſem Caſino darf nicht von Politik geſprochen wer¬
den. Und dürfte man nicht vom Monde ſprechen,
doch ſonſt von allem, das hätte die nehmlichen Fol¬
gen. Jeder Zwang iſt Gift für die Seele.
Wir haben jetzt prächtiges Wetter! Auf die
Kälte eines Tages folgte gleich Thauwetter. Dreck
bis an die Knie (es iſt ein gutes ehrliches deutſches
Wort), die Gaſſen ein Eismeer. Es iſt doch ſon¬
derbar, daß ſich die Franzoſen aus dem Drecke nichts
machen! Sie gehen luſtig durch, als gingen ſie
über eine Blumenwieſe. Aber ein paar Grade
Kälte bringt ſie zur Verzweiflung. Sie ſperren ſich
dann gleich ein. Was bin ich ſo vergnügt, daß ich
acht Paar gute waſſerdichte Stiefeln mit hieher ge¬
bracht. Es macht mir die größte Freude, ihre deut¬
ſche Treue auf die Probe zu ſtellen und damit durch
den Schlamm zu waden. Pariſer Sohlen ſind nicht
dicker als zwei über einander gelegte Oblaten, man
könnte den Puls hindurch fühlen.
Ich hoffe doch mit Vielen hier, die Polen wer¬
I. 11[162] den es durchſetzen. Man gewinnt immer, wenn
man keine andere Wahl hat als zwiſchen Sieg oder
Tod. Vom Kaiſer Nikolaus iſt keine Gnade zu
hoffen, die Polen müſſen ihn begnadigen. Wie es
im [Preußiſch-Polen] ausſieht, weiß ich nicht, die heu¬
tigen Zeitungen ſprechen auch von einer Revolution,
die ſich dort begeben haben ſoll. Von Oeſterreichiſch-
Polen darf man, wie ich glaube, etwas erwarten
Das kluge Oeſterreich kann ſich da vielleicht eine
dumme Falle gelegt haben. Die italieniſchen Regi¬
menter, welchen ſie nicht trauten, haben ſie ſchon vor
mehreren Jahren aus ihrem Vaterlande gezogen und
ſie nach Gallizien verſetzt, und jetzt, wenn ſich die
Polen inſurgiren, ſind dieſe Regimenter wahrſchein¬
lich geneigt, mit ihnen gemeinſchaftliche Sache zu
machen. Sei einer klug heute; betrüge einer den
lieben Gott!
Nun Glück zum neuen Jahre! und möge es
uns und unſern Freunden im neuen Jahre beſſer
gehen, als Kaiſern und Königen. Das ſind beſchei¬
dene Wünſche, die wohl der Himmel erhören wird.
Ich werde dem Conrad ſagen: wenn ein Kaiſer
kommt, ſehen Sie ihm auf die Hände und laſſen
ihn nicht allein im Zimmer. Im nächſten Jahre
wird das Dutzend Eier theurer ſeyn als ein Dutzend
Fürſten.
Zwei und zwanzigſter Brief.
Die polniſchen Juden zeigen ſich brav, ſie wol¬
len ſich ein Vaterland erkämpfen. Waffen in der
Hand, das ſind beſſere Gründe, Freiheit zu gewin¬
nen, als Prozeßſchriften beim deutſchen Bundestage
eingereicht. Schon im Jahre 1794 haben ſich die
polniſchen Juden gut gehalten; ſie bildeten damals
ein eigenes Regiment, das, als der wilde Suwarow
nach Warſchau kam, ganz ausgerottet worden. Wie
wird es dieſesmal werden? — Heute, dieſe
Nacht wird etwas Großes, etwas Entſetzliches ge¬
ſchehen. Es wird ein Sturm ſeyn, der die Menſch¬
heit dahin ſchleudern wird, wohin ſie der Compaß,
ſelbſt bei der günſtigen Fahrt dieſer Zeit, erſt ſpät
geführt hätte. Wenn das Schickſal die Stunde
nicht verſchläft, wird es eine entſcheidende Nacht
werden.
11 *[164]
Geſtern Abend war ich in einer Geſellſchaft,
die man in Paris nicht ſuchen würde — in einer
philoſophiſchen: „Conversations phiosophi¬
ques“ ſtehet über den gedruckten Einlaßkarten.
Junge Leute, Schriftſteller und andere, aber ſehr
elegante Herren, mit den feinſten Röcken und Cra¬
vatten, verſammeln ſich an beſtimmten Tagen in ei¬
nem ſehr eleganten Lokale, und philoſophiren bei
Limonade, Orgeade und Himbeerſaft. Mir war das
amuſanter als die Varietés. Immer zwei ſtehen
beiſammen, um ſie bildet ſich eine Zuhörer-Gruppe,
und wird dann geſtritten über Gott, Unſterblichkeit,
äußere Sinne, innere Sinne, Natur, Attraction, daß
es eine Luſt iſt. Hegel würde vergehen vor Lachen.
Keiner weiß, was er will. Es gibt nichts komiſcheres.
Und doch begreife ich nicht recht, warum dieſe gu¬
ten Leuten darin ſo zurück ſind. Zwar waren die
Franzoſen nie tiefſinnige Philoſophen auf deutſche
Art; doch hatten ſie im vorigen Jahrhunderte in
einer gewiſſen praktiſchen Philoſophie viel Gewandt¬
heit erlangt, und die Schriften und die Geſellſchaf¬
ter der damaligen Zeit waren ganz parfümirt davon.
Es ſcheint aber, in der Revolution haben ſie das
alles wieder vergeſſen, und die jungen Leute fangen
jetzt von vorn an. Einer fragte mich, ob ich mich
auch mit Philoſophie beſchäftigt? Ich ſagte: O
gewiß, uns Deutſchen iſt die Philoſophie Kinderbrei.
[165] Ein Anderer fing mit mir an von Kant zu ſpre¬
chen, und als er glaubte ich hätte den Namen nicht
verſtanden, dachte er wohl, er hätte ihn falſch aus¬
geſprochen und wiederholte Känt. Ein dritter ſagte
mir, Anatomie wäre die Hauptſache in der Philo¬
ſophie. Ich antwortete: Ganz gewiß. Wären Sie
keine Frauenzimmer, ich könnte Ihnen noch die ſchön¬
ſten Dummheiten erzählen; aber Sie verſtehen das
nicht. Und mit welcher Leidenſchaftlichkeit wurde
geſtritten! Ich dachte ſie würden ſich einander in die
Haare fallen. Aber die Franzoſen haben eine be¬
wunderungswürdige Gewandtheit, einen Streit bis
an die Grenze der Beleidigung zu führen, ohne dieſe
zu überſchreiten, und mit den Händen ſich einander
unter die Naſe zu geſticuliren, ohne ſich Ohrfeigen
zu geben. Ich ſaß auf einem Sopha von blauer
Seide, unter den Füßen eine Decke von Pelz, trank
ein Glas Orgeade nach dem andern und beneidete
das glückſelige Volk, das gar nichts weiß, von dem,
was es nicht weiß, entgegengeſetzt uns armen Deut¬
ſchen, die wir am beſten kennen was wir nicht
kennen. „Eh bien je vais vous exposer ma
doctrine“ ſagte einmal ein junger blaſſer Menſch
mit einem Schnurrbarte zu einem Andern ohne Schnurr¬
bart ... und da ſagte er ihm etwas, was in je¬
dem deutſchen ABC-Buche ſtehet.
„Proſt neu Jahr!“ Aber es iſt eine dumme
Geſchichte, ich bin ſchon gewohnt daran, es iſt ſchon
Mittag. Dieſes Jahr iſt mit Zähnen auf die Welt
gekommen, und will ſich nicht wickeln laſſen. Es
wird mit Blut getauft werden. Könnte ich nicht
einen Kalender ſchreiben? Ich ſpräche wie ein
Prophet: Ein großer Fürſt wird ſterben in dieſem
Jahre. Aber das iſt falſch prophezeihet; es lebt
gegenwärtig kein großer Fürſt. Aber der Frühling
wird naß werden (nicht von Waſſer) der Sommer
heiß (nicht blos von der Sonne) und der Herbſt
gut (nicht blos an Wein). — Unſer König hier ſoll
und will in die Tuilerien ziehen, weil das Palais-
Royal wirklich zu klein iſt, und auch ſonſt zur könig¬
lichen Wohnung nicht ſchicklich. Aber die Königin
ſträubt ſich mit aller Macht gegen die Tuilerien.
Sie ſagt, das wäre une maison de malheur.
Die Frau hat Recht und ich hätte auch aberglaubi¬
ſche Furcht davor. — Beim Conſeil in Genf wurde
von einem Deputirten der Antrag gemacht, den Ju¬
den die bürgerliche Freiheit zurückzugeben, die ſie
bis zum Jahre 1816, wo die franzöſiſche Herrſchaft
aufhörte, genoſſen haben. Der Antrag wurde von
Vielen unterſtützt. Die Zeit wird auch bald für
[167] Deutſchland kommen, wo die bürgerlichen Verfaſſun¬
gen Verbeſſerungen erfahren werden, und das nicht
blos durch Revolution, ſondern auch auf friedlichem
Wege, weil die Regierungen nicht länger werden
ausweichen können. Dann wird auch wieder von
Juden die Rede ſeyn, und unſere Juden thun ſo
Vieles, ſich bei den Freunden der Freiheit unbeliebt
zu machen. Ich begreife das nicht recht. Dieſe
Menſchen ſind doch ſonſt ſo klug auf ihren Vortheil
und wiſſen immer den Mantel nach dem Winde zu
hängen. Was wollen ſie denn jetzt noch von den
Fürſten und Miniſtern haben? Es iſt nichts mehr
an ihnen zu verdienen. Sie ſollten ſich jetzt dem
Volke zuwenden, ihre Geldkaſten verſchließen, und
den großen Herren den Rücken zukehren.
Drei und zwanzigſter Brief.
Saphir iſt hier, und ſein Anfang iſt nicht ſchlecht.
Schon haben einige Blätter von ihm geſprochen,
als von Einem, den der Zorn ſeines Königs verfolgte.
Da wird nun natürlich auch gelogen, ſo viel nöthig
iſt, um einen guten Witz zu machen. Im Figaro
ſtand ungefähr Folgendes: Der König von Baiern,
ſelbſt Poet, habe aus poetiſcher Eiferſucht den Saphir
verjagt. ... Der Vorwand ſeiner Verbannung
wäre geweſen, weil er gegen das Theater geſchrie¬
ben, der eigentliche Grund aber, weil Saphir dem
König ein hübſches Mädchen abwendig gemacht. Sie
hätten ſich entzweit pour une bavaroise (das
bekannte Kaffehaus-Getränk). Der König von
Baiern wird genannt: „sa majesté brutale.“
Als ich das las, habe ich treuer deutſcher Unterthan
aller Fürſten ohne Unterſchied mich gekreuzigt. Aber
[169] der König von Baiern beträgt ſich doch gar zu
wunderlich. Das iſt ein Gelehrter, der bringt ſeine
Verirrungen in ein Syſtem und da iſt keine Hülfe
mehr. ... Es iſt gar keine Möglichkeit, die deut¬
ſchen Regierungen zu parodiren. Erinnern Sie ſich,
daß ich Ihnen vor einiger Zeit, als ich mich dar¬
über geärgert, daß man hier für die Zeitungen die
Cautionen beibehalten, geſchrieben: es wäre recht
ſpaßhaft, wenn ſie in Deutſchland das mit den Cau¬
tionen nachahmten. Cenſur und Caution! Das
ſollte ein Witz von mir ſeyn, im Ernſte hielt ich
das für nicht möglich. Aber es iſt eingetroffen.
In einem hieſigen Blatte las ich heute aus Baiern,
daß man von einem gewiſſen Coromans, der eine
Zeitung herausgeben will, Caution verlangt habe.
Das iſt gerade, als wolle man von einem, den man
in den Kerker wirft und an Händen und Füßen
kettet, noch eine Caution fordern, daß er nicht fort¬
läuft.
Ich habe in der Berliner Zeitung die Prokla¬
mation des ruſſiſchen Kaiſers an die Polen geleſen.
Sie iſt im alten Style datirt und im alten Style
geſchrieben. Der ſpreizt ſich! der will den Helden
machen und den europäiſchen Fürſten zeigen, wie
man mit Revolutionen fertig wird. Schlimm für
die Polen, wenn es ihm gelingt, aber dann noch
ſchlimmer für die andern Fürſten. Sie werden es
[170] ihm nachmachen wollen, ſie werden die Zügel los¬
laſſen, durch welche ſie bis jetzt mit ſo großer An¬
ſtrengung ihre eigne Leidenſchaft gebändigt, ſie wird
durchlaufen und ſie abwerfen. — In München und
Göttingen waren auch wieder Unruhen. Deutſch¬
land zahnt. Das arme Kind! Nichts iſt komiſcher
als die Art, wie die deutſchen Regierungen von ſol¬
chen Unruhen Bericht erſtatten. Sie ſtellen ſich an,
als wäre ihnen an ſolchen unbedeutenden Vorfällen
nicht viel gelegen, und ſind doch voll tödtlicher Angſt.
Sie machen Geſichter wie Menſchen, die Leibſchmer¬
zen haben und ſich luſtig ſtellen wollen. — — Die
alte Genlis iſt geſtorben. Sie ſtarb den ſchönen
Tod auf dem Schlachtfelde — die Feder in der Hand.
Sie hat viel gelebt und viel erlebt. Wenn die an
das Himmelsthor kommt, welch merkwürdigen Paß
kann ſie vorzeigen, von allen Regierungen viſirt,
von allen Zeiten geſtempelt! Sie kann ſich nicht
beklagen, ſie hat ein empfängliches Herz gehabt und
hat tauſend Jahre gelebt.
Was glauben Sie wohl, das mich hier täglich
am meiſten daran erinnert, daß jetzt Frankreich mehr
Freiheit hat als ſonſt? Der Telegraph. Unter
der vorigen Regierung war ich zwei Jahre in Pa¬
ris und ich kann mich keinen Tag erinnern, wo ich
den Telegraphen aus dem Tuilerien-Garten nicht in
Bewegung geſehen. Aber ſeit einem Vierteljahre,
[171] das ich jetzt hier bin, habe ich, ſo oft ich auch in
den Tuilerien war, den Telegraphen noch nicht ein¬
mal arbeiten geſehen. In Friedenszeiten hat der
Telegraph nur geſetzwidrige Befehle zu überbringen.
Die Herrſchaft der Geſetze bedarf keiner ſolchen Eile
und duldet keine ſolche Kürze. Wie ſchön und früh¬
lingswarm war es geſtern in den Tuilerien! Dort
habe ich Paris am liebſten. Die Wege ſind ſo
breit, und breite Wege ſind zu eng für Philiſter;
da fürchte ich keinem zu begegnen, ſchlenkere ſorglos
umher und ſehe Jedem ins Geſicht. Es iſt nicht
möglich, in den Tuilerien kleinſtädtiſch zu bleiben.
— Geſtern bemerkte ich wieder eine artige Pariſer
Charlatanerie. Auf der Straße ſah ich eine Art
Deligence, angefüllt mit Knaben, und auf allen Sei¬
ten des Wagens ſtand mit großen Buchſtaben ge¬
ſchrieben: Inſtitut von Herrn N. zu Paſſy, Straße,
Nr., und ſo wurden die fröhlichen Kinder als le¬
bendige Muſterkarten eines Inſtituts in Paris her¬
umgefahren, andere Kinder und ihre Eltern anzulocken.
Hier verſtehet man die Geſchäfte.
Vier und zwanzigſter Brief.
Suchen Sie ſich Diderots Briefe zu verſchaffen.
Ich bin jetzt mit dem zweiten Theile fertig. Daß
ſo breite Briefe zugleich ſo tief ſeyn könnten — ich
hätte es nie gedacht. Sie nehmen kein Ende, und
doch hört das Vergnügen, ſie zu leſen, nur mit
jeder letzten Zeile auf. Alles iſt darin, das
Schlechte und Gute, Schöne und Häßliche, Gift
und Balſam, Geſtank und Wohlgeruch, Ekel und
Erquickung des achtzehnten Jahrhunderts. Denn
man muß jene Zeit als die Apotheke betrachten und
die franzöſiſchen Schriftſteller als die Apotheker,
welche unſer Jahrhundert geheilt haben. Sollten
Sie wohl glauben, daß ich Menſch, ein Vierziger,
[173] der alle ſieben Farben durchgelebt hat, mehr als
zwanzig Male dabei roth geworden bin? und ich
war doch allein — aber allein mit Gott und der
Natur. Ein Frauenzimmer darf das ohne Furcht
leſen; kann ſie das verſtehen, kann ſie nicht mehr
erröthen. Welche Unſittlichkeit. Es iſt wahr, die
franzöſiſche Sprache iſt eine Art Flor, der den
häßlichen Anblick bläſſer und milder macht; aber der
Deutſche, der ſich beim Leſen überſetzt, ziehet den
Flor weg, und ſchaudert zurück. Jene Menſchen
hätten doch wenigſtens aus Dankbarkeit die Zucht
mehr ſchonen ſollen, da ſie ihnen das Vergnügen
verſchafft, ſie zu verſpotten und mit Füßen zu tre¬
ten. Und wo ſie Recht haben, das iſt am Schreck¬
lichſten! Den ſchönen Aberglauben der Unſchuld,
der eine irdiſche Freude zur himmliſchen macht, zer¬
ſtören ſie, und von der ganzen Ewigkeit bleibt nichts
übrig, als eine Minute. Und ſo verfuhren ſie mit
der Tugend und mit der Religion. Waren jene
Schriftſteller des achtzehnten Jahrhunderts darum
ſittenlos, entartet, ſchlecht, gottlos? Gewiß nicht.
Sie führten Krieg. Die Heuchelei hatte ſich mit
der Sittſamkeit umhüllt; ſie mußten dieſe zerreißen,
um jene in ihrer häßlichen Nacktheit zu zeigen.
Die Prieſterſchaft hatte ſich hinter der Religion
verſchanzt; ſie mußten über die Religion wegſchrei¬
[174] ten, um zu den Pfaffen zu gelangen. Der Des¬
potismus führte das Schwert der Geſetze; ſie mu߬
ten ihn entwaffnen, um ihn zu beſiegen. Daher
jene Zeit der Sittenloſigkeit, des Unglaubens, der
Anarchie. Sie iſt vorüber, Frankreich geſunder als
je geweſen, und Doktor und Apotheker ſind ver¬
ſchmäht, vergeſſen.
Heute iſt es ſehr kalt, ganz Winter. Wie
geht es Euch? Aber was liegt daran! Gegen
Froſt hat man Kamine und warme Kleider; wenn
nur das Herz nicht friert. Die deutſchen Froſt¬
künſtler (ſo überſetze ich ſehr ſauber das [franzöſiſche]
Glacier) mögen nur diesmal ihren Eiskeller recht
reichlich verſehen, hoch hinauf bis an das Gewölbe;
denn es wird ein heißer Sommer werden. Und
wer weiß, ob es im nächſten Jahre wieder friert.
Ich denke, die Bären ſollen es in unſerm Lande
nicht lange mehr aushalten können. — Haben Sie
Victor Hugo's Gedichte ſchon geleſen? Ich em¬
pfehle Ihnen auch ſeine Romane: Le dernier
tour d'un condamné; Bug-Jargal; Han d'ls¬
lande. Alles herrlich, voll Sommergluth; aber man
ſehnt ſich manchmal nach Schatten und Kühle und
die fehlen. Kaum gehet die Geſchichte auf, ſo ſtehet
ſie ſchon im vollen Mittagsglanze da, gehet im vol¬
len Mittagsglanze unter; die Augen thun Einem weh
und man verſchmachtet vor Hitze. Hugo iſt erſt
einige und zwanzig Jahre alt, aber das Alter kann
ihn nicht ändern; denn die romantiſche Poeſie, (wie
man das hier nennt) iſt erſt in ihrer Jugend, und
das ganze Geſchlecht wird darüber hingehen, bis ſie
[176] beſonnener wird und ſich mäßigen lernt, und lernt
Gründe annehmen Ich habe den Hugo etwas we¬
niges geſprochen, bin aber gar nicht begierig ihn
näher zu kennen; denn es iſt nicht nöthig und nicht
möglich. Dem geiſtreichſten franzöſiſchen Schrift¬
ſteller liegt die ganze Seele vorne im Munde; ſie
hat kein geheimes Kabinet, keine Hinterthüre, wozu
man blos nach genauerer Bekanntſchaft dringt. Hugo
iſt mündlich nicht anders wie die Andern. Das iſt
nicht wie bei uns. Ein deutſcher Dichter iſt ein
frommer treuer Knecht der Poeſie, und er trägt ihre
Farbe. Aber ein franzöſiſcher Dichter iſt Herr der
Poeſie, ſie trägt ſeine Livree und gehet hinter ihm,
wo er öffentlich erſcheint.
Sie fragen, ob Frankreich den Polen beiſtehen
wird? wahrſcheinlich geſchiehet es. Frankreich wäre
ja ganz von Sinnen, wenn es dieſe Gelegenheit
Rußland zu ſchwächen, die nicht zum zweitenmale
wiederkehrte, ungebraucht vorüber gehen ließe.
Würden die Polen beſiegt, dann kehrte ſich Rußland
gegen Frankreich. England hat gleiches Intereſſe
und ich hoffe, ſie vereinigen ſich, den Polen zu hel¬
fen. Sie können zwar Rußland nicht zu Lande,
aber doch zur See angreifen, und können es beſchäf¬
tigen, indem ſie durch Geld und Intriguen Unruhen
auch in den andern ruſſiſchen Provinzen anzetteln.
Es iſt zwar gegründet, daß die polniſche Revolution
[177] von dem Adel ausgegangen, ich glaube aber darum
nicht, daß das Volk gleichgültig dabei geblieben.
Die Armee, die den größten Enthuſiasmus zeigt, be¬
ſtehet ja aus Bauern, übrigens ſind die Bürger in
den Städten keine Leibeigne, und auf dieſe kömmt
alles an. Denn die Polen können ſich in keine Ge¬
fechte auf dem offnen Lande einlaſſen, ſie müſſen ſich
in den Städten verſchanzen und wehren; thun ſie
das nur ſtandhaft, ſind die Ruſſen, wenn auch noch
ſo mächtig, verloren. Ich hoffe das Beſte, denn ich
zähle auf die Weisheit Gottes und auf die Dumm¬
heit ſeiner ſogenannten Stellvertreter. Hier gehet
es ſchlecht, man hat die Suppe kalt werden laſſen,
und dabei rufen die Väter des Volks demſelben, wie
einem Kinde, noch ganz ironiſch zu: verbrenne dich
nicht! das gute Volk hat ſich mit Blut und Schweiß
die Freiheit erworben, und die ſpitzbübiſche Kammer,
die in Pantoffeln in ihrem Comptoir ſaß, ſagte ihm:
Ihr wißt mit dem Gelde doch nicht umzugehen, wir
wollen es Euch verwalten. Und ich ſehe nicht, wie
die Sache beſſer werden kann, außer durch eine Art
neuer Revolution. Nach dem bis jetzt beſtehenden
Wahlgeſetz wählen nur die Reichen, alſo die ariſto¬
kratiſch Geſinnten, und nur die Reichſten können
Deputirten werden. Lößt das Miniſterium, welches
liberaler iſt als die Kammer, dieſe auf, ſo werden
die nehmlichen Deputirten wieder gewählt. Um die¬
I. 12[178] ſes zu verhindern, müßte das Wahlgeſetz geändert,
demokratiſcher gemacht werden. Allein die Kammer
votirt die Geſetze, und wird natürlich kein Wahlge¬
ſetz genehmigen, das ihnen die Macht aus den
Händen zieht. Das Miniſterium hat wirklich vor
einigen Tagen ein demokratiſches Wahlgeſetz der
Kammer vorgelegt, und dieſe wird es, wie man gar
nicht zweifelt, verwerfen. Wo alſo der Ausweg?
der König müßte durch Ordonnanz ein Wahl¬
geſetz promulgiren. Das wäre aber Gewalt und
die Franzoſen ſind zu gewitzigt, ihrem Fürſten eine
ſolche zu erlauben, und wäre es auch für die
Freiheit.
Man ſagt heute mit ziemlicher Beſtimmtheit,
der zweite Sohn des Königs von Baiern ſey zum
Könige von Belgien erwählt worden. Iſt dieſes
wahr, kann das nur eine Folge von Frankreichs
Verwendung ſeyn, welches die belgiſchen Angelegen¬
heiten nach Belieben leitet, und das würde dann
beweiſen, daß Baiern mit Frankreich einen geheimen
Vertrag abgeſchloſſen, und daß es im Falle eines
Kriegs gegen den deutſchen Bund auftreten würde.
Und dann Baden und Würtemberg auch. Es wäre
recht komiſch! Was würden Stein, Görres, Arndt
und der alte Vater Rhein dazu ſagen! Und
zum Lohne für die Dienſte, die jene Fürſten Frank¬
reich leiſten, wird dieſes ihnen beiſtehen, ihre Unter¬
[179] thanen in Gehorſam zu unterhalten. Wir bezahlen
immer die Zeche. Der Tugendbund hat viel
ausgerichtet! Jeder Menſch hat das Recht, ein
Dummkopf zu ſeyn, dagegen läßt ſich nichts ſagen;
aber man muß ſelbſt ein Recht mit Beſcheidenheit
benützen. Die Deutſchen mißbrauchen es. Die
Mittel, welche die Franzoſen gebraucht, die Freiheit
zu erwerben, werden von den deutſchen Regierungen
benutzt werden, um die Despotie zu verſtärken.
Ich muß nur lachen über die Unwiſſenheit der
hieſigen Zeitungsſchreiber. Sie erzählen es im
Triumph: in Deutſchland, in Oeſterreich ſogar,
würden Nationalgarden eingeführt, und ſie meinen,
das wäre ein Fortſchritt der Freiheit; die Eſel be¬
greifen nicht, daß das ein neues Werkzeug der Ge¬
walt iſt, das alte abgenutzte damit zu erſetzen. Die
Deutſchen! — nicht einzuſehen, daß die Uniform
eine Art Gefängniß iſt, die Disciplin eine Kette an
Händen und Füßen — nicht einzuſehen, daß wenn
man Schildwache ſtehet, man am meiſten ſelbſt be¬
wacht wird den ſogenannten Pöbel im Zaum
halten, das heißt die armen Leute, das heißt die
Einzigen, welchen das verfluchte Geld nicht die
ganze Seele, allen Glauben abgehandelt; die Ein¬
zigen, denen der Müßiggang nicht alle Nerven aus¬
geſogen, und die einen Geiſt haben die Freiheit zu
wünſchen, und einen Leib für ſie zu kämpfen — ſich
12*[180] wie ein todter Ofenſchirm vor der Gluth des Volks
zu ſtellen, damit die Großen hinter uns nicht ſchwitzen
und gemächlich ihr Eis verzehren — und ſich noch
weiß machen zu laſſen, das geſchähe für die Freiheit
— ſich ſo foppen zu laſſen, ein ſolcher Tölpel zu
ſeyn — es iſt unglaublich!
[181]
Kann man es beſſer haben als ich? die Tage
wachſen ſchnell und mit ihnen meine Hoffnungen.
Das Wetter iſt ſehr gelinde; ſchon ſind die Wander¬
vögel dem Norden zugezogen: bald endet der Winter,
bald thauet der deutſche Bund auf, bald blühn
alle Veilchen; über meinem Kopfe Saphirs
Fußtritte, und eine deutſche Küche. Ja, ich habe eine
deutſche Köchin entdeckt, eine vortreffliche Augsburgerin,
die eine Table d'Hôte hält, wo man lauter vater¬
ländiſche Gerichte und Gäſte findet. Rindfleiſch mit
rothen Rüben und Kräuterſauce, Kartoffeln, Sauer¬
kraut mit Schweinefleiſch, Reisauflauf und Kommis
in Menge. Man wird doch ſatt und es koſtet nicht
viel. Was aber mein Glück ſtört, iſt, wie man hier
mit Beſtimmtheit behauptet, daß Metternich das
Ruder verliert. Darüber bin ich ſehr verdrießlich,
es iſt ein Unglück. Metternich war eine reine
Farbe, die der feindlichen entgegengeſetzt, es bald zu
irgend einer Entſcheidung gebracht hätte; wenn aber
nach ihm die graue Neutralität regiert, wird keiner
wiſſen, wo ſeine Fahne iſt, alle werden durch ein¬
ander laufen und keiner das Ziel finden. Metternich
war ſtarr, eigenſinnig und der Sturm hätte ihn
bald gebrochen; ſein Nachfolger wird auch nicht wei¬
[182] chen, nur vielleicht ſich etwas biegen, und alles wird
krumm bleiben. Es iſt ſehr ſchlimm. Gott erhalte
nur meinen Metternich.
Der Enthuſiasmus der Polen ſoll ganz unbe¬
ſchreiblich ſeyn. In der heutigen Zeitung ſteht, die
Vorſteherin eines Mädchen-Inſtituts in Warſchau
habe mit ihren Zöglingen von Morgen bis Abend
an den Feſtungswerken gearbeitet. In dem Schrei¬
ben eines Polen, worin die ſchändlichen Tyranneien
der ruſſiſch-polniſchen Regierung erzählt werden, heißt
es unter Andern: man habe eigens einen Commiſſair
nach Wien geſchickt, um das Syſtem der öſterreichi¬
ſchen Regierung, wie man das Volk dumm erhalte
(Stock-deutſch, heißt es wörtlich,) in allen ſeinen
Theilen zu ſtudiren, um es dumm in Polen einzu¬
führen.
Fuͤnf und zwanzigſter Brief.
Geſtern Abend habe ich mich im Odeon recht
ſatt gehört und geſehen; das ganze Geſicht iſt mir
noch roth und dick davon. Von halb ſieben bis halb
zwölf Uhr bei Tiſche, und zwanzig Schüſſeln!
Dreißig Jahre dauert die Geſchichte, Napoleons
Anfang und Ende iſt darin; aber die größte aller
ſeiner Thaten iſt gewiß die: daß er mich ſechs
Stunden weniger zehn Minuten auf einer Stelle
feſtgehalten, ſo daß ich nicht einmal in den Zwiſchen-
Akten hinausging. In einem deutſchen Theater habe
ich nie drei Stunden aushalten können. Den Hun¬
ger zu ſtillen war es zu viel und den Appetit über
[184] den Hunger zu reizen fehlte es an Würze. Ja das
iſt ein großer Unterſchied! — ——
Eine ſtarke halbe Stunde mußte ich das Schrei¬
ben unterbrechen und meine Wuth war grenzenlos.
Da ich Napoleon geſtern Abend hatte ſterben ſehen,
und ich vergeſſen hatte, in welchem Jahre er ge¬
ſtorben, wollte ich das im Converſations-Lexikon
nachſuchen. Ich ſchlug den Artikel Napoleon auf,
da hieß es: ſuche Bonaparte. Ich ſuche Bona¬
parte auf, da hieß es: ſuche Buonaparte. Ich
ſuche Buonaparte auf und ſehe nach dem Ende ſeines
Lebens, da hieß es: ſuche Helena. Ich ſuche He¬
lena auf, da hieß es: ſuche St. Helena. Ich
ſuche Saint-Helena und St. Helena und kann bei¬
des nicht finden. Endlich entdeckte ich Sanct He¬
lena. Da war aber von Napoleon gar keine Rede,
ſondern es hieß: ſuche Longwood. Ich ſuche
Longwood, finde aber nichts über Napoleons Tod,
und da entdecke ich endlich, daß mein Converſations-
Lexikon nur bis 1819 gehet. Da lebte Napoleon
noch. Das ſind die Leiden des menſchlichen Lebens!
wozu noch gehört: des Morgens harte Butter auf
weiches Brod ſchmieren, mein täglicher Schmerz. Mein
Zorn war aber ſchrecklich und erhaben. Ohne dies
bin ich ſeit einem Jahre voll Gift und Haß gegen
[185] das Converſations-Lexikon; denn der Verleger Brock¬
haus hat in der neueſten Auflage aus Krämerei alles
was das Buch an Geſchichten und Meinungen Frei¬
ſinniges enthielt, auslöſchen oder bedecken laſſen;
wahrſcheinlich, damit es, ſo geſäubert, im Oeſter¬
reichiſchen erlaubt werde. Iſt es nicht entſetzlich,
daß es in Deutſchland Gelehrte gibt, die Geiſt,
Herz und Ehre bogenweiſe einem Buchhändler ver¬
kaufen; daß das nützlichſte und ausgebreiteſte Buch
in Deutſchland, welches ſo vieles Gutes geſtiftet hat
und noch ferner hätte bewirken können, die Farbe
der Lüge angenommen und daß es [von] der ſchnöden
Gewinnſucht eines Krämers abhängen ſoll, was er
das Volk lehren oder ihm verſchweigen will? .....
Jetzt zurück zum Odeon.
Napoleon tritt zum erſtenmal 1793 auf, da er
in Toulon als Artillerie-Lieutenant diente. Da iſt
er noch ganz mager und trägt einen Zopf, das Haar
ungepudert. In der vorausgehenden Ouvertüre
wurde der Marſeiller Marſch und Ça-ira geſpielt,
Melodieen, die mir ſeit meinen früheſten Kinderjahren
im Herzen ſchlummerten. Es ſind vielleicht vierzig
Jahre, daß ich ſie nicht gehört, und ich weinte
Thränen des Entzückens. Frei ſeyn, es iſt nichts.
Aber es werden, die Geneſung, da iſt das Glück.
[186] In Toulon waren auch Kommiſſaire des National-
Convents, die damals bei allen Kriegen den Gene¬
ralen als Aufpaſſer zur Seite ſtanden. Merkwür¬
dig dieſe Mord-Phyſionomien, und wie die Kerls
gekleidet waren; ſie ſahen ganz aus wie Räuber¬
hauptleute. Dieſer erſte Akt war mir der ſchönſte:
was nachher folgte, war für Ohr, Auge und Geiſt,
aber nichts mehr für das Herz. Der Kaiſer, der
Ruhm, goldgeſtickte Kleider, Bücklinge bis auf die
Erde, und die uns wohlbekannten Märſche der kai¬
ſerlichen Garde, und der lange Hanswurſt von
Tambour-Major, den wir ſo oft geſehen. Aber ge¬
wiß, das iſt die beſte Art, Geſchichte zu lernen, und
vergangene Zeiten und Menſchen und entfernte Län¬
der uns ſo friſch und nahe vor die Augen zu brin¬
gen als hätten wir ſie gekannt, darin gelebt. Keine
Erzählung, kein Gemälde, ſelbſt kein Drama in ſei¬
ner eigenthümlichen Beſtimmung erſetzt das. Es iſt
alles vereinigt. Jedes Schlachtfeld, jeder Pallaſt,
jede Stadt; Lager Soldaten, Waffen und Kleidung,
alles wie es wirklich geweſen. Napoleon wie er
ausſah, wie er gekleidet war, wie er ſtand, ſaß,
ſprach, in den Tuilerien, und in ſeinem Zelte, vor,
in, nach der Schlacht; welche Geſichter er machte,
wie er ſchnupfte wie er bei guter Laune ſeinen Leu¬
ten das Ohr kneipte, ſeine Marſchälle, Ruſtan, Alles.
[187] Mein Widerwille gegen Napoleon fing (auf dem
Theater — denn im Leben erſt zehen Jahre ſpäter)
1804 an. Da erſcheint er als Kaiſer in St. Cloud.
Da kommen goldene Dintenfäſſer, ſchwervergoldete
Lakaien. Er trug damals einen rothen Rock. Noch
einmal liebte ich ihn; es war 1812. Er kommt in
Moskau an, tritt in ein Zimmer im Kremlin. Ich
wußte vorher, es war die Grenze ſeines Glückes.
Einige Stunden ſpäter brach der Brand los. Fürch¬
terlich auch im Spiele. Er iſt allein im Zimmer,
die Fenſter werden roth vom Feuer und immer
röther. Die Flamme kommt immer näher. Einer
nach dem Andern ſtürzt herein, ihn zur Flucht zu
bewegen. Er will nichts hören von Rettung, wirft
ſich verzweiflungsvoll in einen Seſſel, und dumpf¬
brütend ſenkt er den Kopf auf den Tiſch wie zum
Schlafen. Die Fenſter werden geöffnet und man
ſieht Moskau brennen. Das übertrifft an natur¬
wahrem Schrecken Alles, was ich bis jetzt geſehen.
Beim Rückzuge ſtellt die Scene eine große leere
Bauernhütte vor. Einzelne Soldaten, Marketender¬
innen, halberfroren, ſchleichen wie Geſpenſter herein.
Sie nähern ſich der Flamme und fallen todt hin.
Dann kommt Napoleon. Jetzt beginnt der Kanonen¬
donner der Schlacht, die Hütte ſtürzt zuſammen, wer
noch Kraft hat, flüchtet, und jetzt ſehen wir das
[188] Schlachtfeld an der Berezina. Es ſchneit, die Fran¬
zoſen ziehen über die Brücke, neben ihr, über den
gefrornen Strom, er bricht unter ihnen und verſchlingt
ſie. Die Dekorationen übertreffen aber auch Alles,
was ſich die Phantaſie erfinden kann. Eine der ſchön¬
ſten Scenen iſt Napoleons Abfahrt von Elba, um
nach Frankreich zurückzukehren. Er mit ſeinen Sol¬
daten ſteht auf dem Verdecke eines Kriegsſchiffes,
und die Fahrt des Schiffes wird im höchſten Grade
täuſchend dadurch nachgeahmt, daß die Seegegend
ſich immer ändert, von Fels zu Fels fortſchreitend
bis in die offne See, ſo daß man glaubt, das feſte
Schiff bewege ſich. Es iſt ein Kind darüber zu wer¬
den vor Freude. Dann die Scene in den Tuilerien
am Abend, da man Napoleon erwartet. Ludwig XVIII.,
dick, alt und lahm, watſchelt durch ein Vorzimmer,
ſich zu flüchten, hinter ihm die Hofleute. Die gute
Art der Franzoſen und ihr Zartgefühl verläugnete
ſich bei dieſer gefährlichen Probe nicht. Im Odeon
ſind die jungen Leute, die Schüler der polytechniſchen
Schule, Meiſter, da herrſcht der Liberalismus un¬
beſchränkt. Aber die Scene mit Ludwig XVIII. war
unanſtändig, der Spott grauſam, und im ganzen
Hauſe wurde gepfiffen und geziſcht, und nicht Einer
hat applaudirt, und das Klatſchen hörte doch ſonſt
den ganzen Abend nicht auf. Deß freuete ich mich,
[189] und die komiſchen Scenen jenes Abends in den Tui¬
lerien! Wie die heißeſten Bourboniſten, als Napo¬
leon kam, ſchnell die weiße Kokarde abnahmen und
ſie in die linke Weſtentaſche ſteckten und aus der
rechten eine dreifarbige zogen, die ſie für jedes Er¬
eigniß bereit hielten. Und wie ein Ultra-Dicker eine
dreifarbige Fahne herbeibrachte, und die legitimſten
Kehlen Vive l'Empereur! ſchrien. Es war ſchön
und lehrreich.
Jetzt die Hauptſache. Eine Deputation der
Pairskammer erſcheint vor dem wiederaufgegangenen
Napoleon. Der ſchnauzt ſie grimmig an, denn ſie
waren es, die ihn verrathen. Wo ſind die Depu¬
tirten? ſchreit er mit einer Löwenſtimme. „La
chambre des Députés s'est rendu indigne de la
France“ ... Götter! und wenn in dieſem Augen¬
blicke tauſend Jupiter gedonnert hätten, es wäre nicht
gehört worden, vor dem Beifallklatſchen des ganzen
Hauſes. Es war ein Sturm, es war als ſtürzte
das Dach ein. Man hatte die Saite berührt, die
jetzt durch das Herz jedes freiheitsliebenden Franzo¬
ſen zieht: der Haß und die Verachtung gegen die
jetzige Deputirtenkammer. In den erſten Reihen
des Parterres ſaßen die Schüler der polytechniſchen
Schule. Wenn dieſen nicht die Hände bluteten,
müſſen ſie lederne Hände haben. Aber — ich habe
[190] genau Acht gegeben — nicht blos dieſe, nicht blos
die Studenten waren es, die ſo offen und laut bei
dieſem Anlaſſe ihre Herzensneigung kund gethan;
ſondern auch alte, bedächtige Männer, Alle klatſchten,
und ich war vielleicht der Einzige, der es nicht ge¬
than. Ich ſah frohlockend umher, denn das iſt ....
Mitten im Satze, der die vorige Seite endigt,
wurde ich geſtern unterbrochen und heute habe ich ver¬
geſſen, was ich ſagen wollte. Als ich ſah, wie die
edle Geſinnung der Jugend ſich hier ſo frei und laut
äußern durfte, und Keiner wagte, ſich ihr zu wider¬
ſetzen, fragte ich mich: träume ich denn, iſt es Wahr¬
heit? Liegt Frankreich in dem nehmlichen Europa,
in dem auch Deutſchland liegt? Ein Fluß, über den
jeder Haſe ſchwimmt, kann er die Freiheit von der
Tyrannei abhalten, oder Sklaven, herüber zu kom¬
men? Unſere deutſchen Polizei-Aerzte würden gewal¬
tig zornig werden, wenn ſie den Lärm gehört: ſie
würden ſagen, die Regierung ſollte nicht dulden, daß
man im Theater ſo die Leidenſchaften aufrege. Aber
ſie irren ſich; das beſänftigt gerade gereizte Leiden¬
ſchaft. Ich habe das an mir ſelbſt erfahren. Noch
Morgens, da ich mein Journal las und mich wie
gewöhnlich über die ſeelenloſe Deputirten-Kammer
ärgerte, welche der franzöſiſchen Jugend gern alles
Blut auspumpen möchte, hatte ich den ſehnlichſten
Wunſch, den hochmüthigen Deutſchen Pedanten Ro¬
[192] yer Collard und den Goldfuchs Dupin dafür durch¬
zuprügeln; als ich ſie aber am Abend durchklatſchen
ſah, war ich ganz zufrieden, und ich hätte ihnen
nichts zu Leide gethan, wenn ich ihnen gleich darauf
in einem Salon begegnet wäre. Ich wünſchte mir
auch unſern Senator aus Soden herbei, der lieber
Schweinhirt ſeyn möchte, als franzöſiſcher Miniſter.
So einem deutſchen Polizei-König muß in London
und Paris zu Muthe ſeyn, wie einem Nordländer
in Neapel. Die Freiheit hat wohl ihre rauhen Tage;
da ſie aber ſelten ſind, iſt nicht geſorgt für Kamin
und Pelz. Und jetzt ſpricht der Ruſſe, wäre ich
nur zu Hauſe, da iſt es wärmer und beſſer und
der Tölpel macht ſich luſtig über die ſchöne Natur
im Süden! ...
Nach dem Akte, der Napoleons Rückkehr von
Elba ſpielt, fällt ein Vorhang, auf welchem die
Stadt Paris in der Vogelperſpective gemalt iſt, und
hoch in der Luft ſchwebt ein Adler, im Schnabel
einen Lorberzweig, in der Klaue die dreifarbige
Fahne tragend, und Ruhm und Freiheit nach Frank¬
reich zurückbringend; das iſt von unglaublich ſchöner
Wirkung. ... Manchmal waren die Zuſchauer auch
wie die Kinder. Als auf Helena Hudſon Lowe auf¬
trat, wurde er ausgeziſcht mit einer Bosheit, mit
[193] einer Erbitterung, als wäre er der wahre Lowe und
nicht ein armer unſchuldiger Schauſpieler im rothen
Rocke. Man ſieht Napoleon ſterben; Krämpfe,
Phantaſien, Röcheln, alles nach der mediciniſchen
Natur. Dieſe widerliche und lächerliche Spital-
Scene wird auf allen Theatern dargeſtellt. Es gibt
nichts Sinnloſeres ... Nachdem der Kaiſer in ſei¬
ner letzten Minute gethan, was ſeine Brüder, die
andern Kaiſer und Könige, ſchon gleich bei ihrem
Regierungsantritte thun — nehmlich den Geiſt auf¬
geben, fällt ein Vorhang von ſchwarzem Flor, wel¬
ches artig und ſchauerlich war ... Das ganze Or¬
cheſter erſchien in der National-Garde-Uniform, auch
befanden ſich viele Officiere darunter. Der Kapell¬
meiſter, der wohl Hauptmann oder Major ſeyn
mochte, trug ſchwere ſilberne Epaulettes. Das ſah
wunderlich aus an ſeinem Platze und in ſeiner Be¬
ſchäftigung.
Endlich war das Stück aus und ich ſatt. Es
war ohne dies die zweite Mahlzeit, die am nehm¬
lichen Tage mein Herz genommen. Ich ſah vorher
eine Reihe panorama-artiger Gemälde, die Schlacht¬
tage im Juli vorſtellend. Die Gefechte auf den
Boulevards, auf dem Greve-Platze, die Barricaden,
das Pflaſter-Geſchoß, die ſchwarzen Fahnen und die
I. 13[194] dreifarbigen, die königlichen Soldaten, die abge¬
hauenen Bäume, die Leichen auf der Straße, die
Verwundeten und neben ihnen die gutmüthigen
Franzöſinnen, die ſie laben und verbinden. Man
bekommt von Allem eine klare Anſchauung, es iſt,
als wäre man dabei geweſen, und es iſt zum Todt¬
weinen! Denn ich habe die Kämpfenden gemuſtert,
ich habe die Leichen betrachtet und gezählt und die
Verwundeten — es waren viele junge Leute; die meiſten
Alten aber gehörten zum ſogenannten, ſo geſcholte¬
nen Pöbel, der jung bleibt bis zum Grabe. Einen
bejahrten Mann in einem guten Rocke, ich ſah kei¬
nen, weder unter den Streitenden, noch unter den
Gefallenen. Die Männer in guten Röcken ſitzen in
der Pairs- und Deputirten-Kammer und halten ſich
die Naſe zu vor den ſtinkenden Pöbel-Leichen und
ſagen: wir haben Frankreich gerettet, es gehört uns
wie eine gefundene Sache, wie eine Entdeckung, und
ſie ließen ſich ein Patent darüber geben. Und die
reichen Leute, die verfluchten Banquiers kamen und
ſagten: halb part! und haltet uns nur den Pöbel
im Zaum, damit die Renten ſteigen. An dieſe muß
die Rache auch noch kommen. In Baſel ſind ſie
jetzt eingeſperrt die hochmüthigen Ellenritter. Sie
wollen allein regieren, das Landvolk ſoll gehorchen.
Aber das Landvolk kennt ſeine Rechte und will ſie
[195] geltend machen und belagert die Stadt. Das iſt
wie im Frankfurt, wo das Landvolk auch unmündig
iſt, und weder an der Regierung, noch an der Ge¬
ſetzgebung Theil hat.
Wie gefällt Ihnen der Moskowiter? Sei¬
nem Geſandten nach Warſchau gab er ein Zet¬
telchen an die Polen mit, worauf er eigen¬
händig in franzöſiſcher Sprache und mit Blei¬
ſtift geſchrieben: „Au peuple polonais; soumis¬
sion ou la mort! Nicolas.“ O, was iſt Gott
für ein Phlegmatikus! Aber ich bin ſelbſt nicht
beſſer. Dieſen Morgen las ich etwas von der
neuen heſſiſchen Conſtitution. Und ſehen Sie es
dem Briefe an? Iſt er zerknittert? naß von Thrä¬
nen der Wuth? habe ich Komma, Punktum ver¬
geſſen? O blödes Vieh! nicht einem Ochſen würde
man ſo etwas weiß machen! Ein Ochs iſt dumm,
aber er iſt eigenſinnig und hat Hörner. Schafe ſind
wir, arme, geſchorne, zerfetzte Schafe.... Daß
die Deutſchen ihren Fürſten und Sängerinnen die
Pferde ausſpannen, fällt mir nicht auf. Sind ſie
beſſer als Pferde? Sie werden ſehen, die guten
Heſſen ziehen auch noch die Gräfin Reichenbach von
Frankfurt bis nach Caſſel. Eine ſolche Conſtitution,
wie man den Heſſen gegeben, hätten ſich die Pferde
13*[196] nicht gefallen laſſen. Mit den guten Deutſchen
wird noch ſchlimmer verfahren als mit dem Heiland.
Dieſer mußte zwar auch das Kreuz ſelbſt tragen,
woran man ihn gepeinigt: aber es ſelbſt auch zim¬
mern, wenigſtens das mußte er nicht. Ich kann in
Paris Franzöſiſch lernen; aber, guter Gott! wie
lerne ich Deutſch vergeſſen? Der Menſch hat über¬
haupt viel Deutſches an ſich. Heute las ich: in
England hat die franzöſiſche Regierung 500,000
Flinten beſtellt, die ruſſiſche 600,000, die preußiſche
900,000. Werden damit anderthalb Millionen Mör¬
der bewaffnet, die, drei bis vier Fürſten einen Spaß
zu machen, ſich wechſelſeitig die Eingeweide aus dem
Leibe reißen. Dieſe Flinten koſten 38 Millionen
Franken, und die närriſchen Völker dürfen nicht eher
ſterben, als bis ſie ihre eignen Leichenkoſten voraus¬
bezahlt! Ich möchte dieſen Sommer in einem ſtillen
Thale wohnen, aber ſo ſtill, ſo heimlich, ſo abge¬
legen, daß kein Menſch, keine Zeitung hinkommt,
und im October wieder hinaustreten in die Welt
und ſehen, wie es ausſieht. Vielleicht würde ich da
nicht mehr erkennen, ob ich im Monde oder auf der
Erde bin.
Es hat ſich eine Zahl Damen vereinigt, wor¬
unter auch die Königin, und haben Handarbeiten ver¬
fertigt, die zum Beſten der Armen ausgeſpielt wer¬
[197] den. Ich habe auch einen Zettel, und wenn Sie
glücklich ſind, bekommen Sie vielleicht eine Arbeit
von der Königin Hand. Der Poſtwagen, der dieſe
allerhöchſte Arbeit nach Frankfurt brächte, würde
ſicher von Kehl nach Frankfurt vom Volke gezogen
werden, erführe es davon. Verharre voll Gift und
Galle Ihr ganz Ergebenſter.
Sechs und zwanzigſter Brief.
Lachen Sie mich aus! Ich bin gar nicht libe¬
ral mehr, ſondern ſeit geſtern Abend ein vollſtändi¬
ger Narr und lachender Gutheißer. Was gehet mich
die Noth der Menſchen an, wenn ich froh bin?
Was ihre Dummheit, wenn ich ſelbſt klug bin und
das Leben genieße! Mögen ſie weinen, wenn es
ſingt um mich herum. Ich habe bei den Italienern
Roſſini's Barbier gehört, und darin Lablache als
Figaro, die Malibran als Roſine. Und ſchlimmer
als gehört auch geſehen. Ich war entzückt und bin
es noch, daß ich mich todt ſchämen ſollte. Stunde
auf Stunde, dieſe ſo bittern Pillen unſerer Zeit
ſchluckte ich fröhlich hinunter, ſo vergoldet waren ſie
mir. Ich dachte nicht mehr an die heſſiſche Con¬
ſtitution und ließe jede fünf gerade ſeyn, würde die
Lüge immer ſo geſungen. Welch ein Geſang! Welch
[199] ein Spiel! Figaro in den beſten Jahren — die
Weiber zum Beſten zu haben, und dick. Ich weiß
nicht, ob Lablache ſo iſt von Natur oder ob er ſich
durch Kunſt ſo gemacht. Aber gewiß, mit dieſer
Geſtalt muß ſich ein Figaro ausſtatten. Ja nicht
flink, ja nicht jung, ſich ja nicht zu ſchön gemacht,
wie es alle die Andern waren, die ich noch geſehen.
Wie iſt es möglich fröhlich zu ſeyn, ſo lange man
den Weibern gefährlich iſt? Wer Ruhe ſtören kann,
dem kann man ſie auch ſtören. Das Fett der gu¬
ten Laune umgab dieſen Figaro von allen Seiten,
beſchützte ihn, und ließ keine feindliche Minute durch.
Sie hätten den Spitzbuben ſehen ſollen mit ſeinen
Augen! Er hätte bis auf die Augen das ganze Ge¬
ſicht verhüllen, er hätte kein Glied zu bewegen brau¬
chen, und man hätte ihn doch verſtanden. Wenn er
Roſinen, den Grafen, den Alten anſah, wußte man
vorher, was dieſe ſagen würden: man erkannte es
aus Figaro's Geſicht, der ſie durchſchaute und uns
ſein Errathen errathen ließ. Welch unvergleichliche
Mimik! Seine Worte waren eigentlich nur die Vo¬
kale, zu welchen ſeine Bewegungen die Conſonanten
fügten. Und der Geſang! Schnell, leicht und
glänzend wie Seifenblaſen, ſtiegen ihm die Töne
aus der Bruſt. Und Roſine! — ich bin verliebt,
verliebt, verliebt: Schön iſt ſie gar nicht, bis auf
die Augen. Aber dieſe wonneſüße Schelmerei, dieſes
[200] zaubervolle Lächeln, das man trinkt und trinkt und
nie berauſcht wird; und ſo ohne alle Tücke, man
ſiehet es, ſie will ihren alten Vormund einen Tag
betrügen, nur um ihn nicht Jahre lang betrügen zu
müſſen; ſo ohne alles Streben zu gefallen! Kein
Hauch von Koketterie an der Malibran. Wäre es
aber doch, käme ihr Zauberlächeln nicht aus der
Seele, — dann ſeid ihr Weiber fürchterliche Ge¬
ſchöpfe. Ihr Geſang! Er kam aus dem Herzen
des Herzens. Ich mußte mich daran [erinnern], ge¬
recht zu ſeyn, um mich zu erinnern, daß die Sontag
eben ſo ſchön geſungen. Ich will Kenner fragen, die
Beide gehört. Aber das will ich verbürgen: die
Sontag ſingt ſchön, weil ſie gefallen will, und die
Malibran gefällt, weil ſie ſchön ſingt. ... Ich
werde ſparen, und reicht das nicht hin, werde ich
ſtehlen, und reicht das nicht hin, werde ich rauben,
und reicht das nicht hin, werde ich in die Didaskalia
ſchreiben; aber ich verſäume die Malibran nicht mehr,
ſo lange ich hier bin. Zwölf Franken koſtet mich
mein Platz, den vornächſten zu ihr, den man haben
kann. Ehe ich die Malibran gehört, ahndete ich
gar nicht, daß ein muſikaliſcher Vortrag auch genia¬
liſch ſeyn könne; ich dachte der Geſang ſtände im
Dienſte der Compoſition, und wie der Herr ſo der
Diener. Aber nein. Aus der Spielerei Roſſiniſcher
Muſik machte die Malibran etwas ſehr Ernſtes, ſehr
[201] Würdiges. Dem ſchönen Körper gibt ſie auch eine
ſchöne Seele. Von ihr habe ich begreifen lernen,
wie es möglich war, daß einſt der Schauſpieler Gar¬
rick das ABC ſo deklamirte, daß alle Zuhörer wei¬
nen mußten ..... Lablache mußte ich bewundern
wegen ſeiner Mäßigung in ſeiner Kraft. Wie kann
man nur eine Stimme, die ſo große Gewalt hat, ſo
meiſtern, wie man will? Es ſtürmt aus ſeiner
Bruſt, und er ſagt jeder Tonwelle: ſo hoch und
nicht höher. Gleiche Mäßigung in ſeinem Spiele,
und wie ſchwer das in dieſer leichtſinnigen Rolle!
Es iſt wie ein Eiertanz. Er bewegt ſich im klein¬
ſten Raume, kühn zwiſchen zarten, leicht verletz¬
lichen Verhältniſſen, berührt ſie alle und verletzt
Keines.
— Unter allen Späßen dieſer ſpaßhaften Zeit
gefällt mir keiner beſſer, als der, den die National¬
verſammlung in Brüſſel mit der europäiſchen Diplo¬
matik treibt. Alles, was die Herren Diplomatiker
über die belgiſche Angelegenheit in ihrem Schlafzim¬
mer oder in ihren Rathsſtuben geſprochen, verſprochen,
gelogen, geheuchelt, geleugnet oder eingeſtanden, ver¬
ſagt oder bewilligt, wird von jenen dummen Bür¬
gersleuten öffentlich vor allem Volke mitgetheilt.
Vergebens ſchreien die diplomatiſchen Köche: wartet
ins Teufels Namen, bis das Eſſen gar iſt! Die
Belgier erwiedern: wir wollen nicht warten bis die
[202] Suppe verbrannt, das Eſſen iſt uns gar genug und
wir haben Hunger. Die Diplomatiker ſind in Ver¬
zweiflung darüber. Stellen Sie ſich vor, in welche
Wuth Janchen von Amſterdam käme, wenn auf
der Frankfurter Meſſe, in jedem Bier- und Wein¬
hauſe Einer hinter ihm ſtände und den anſtaunenden
Zuſchauern erklärte, wie man ein zerſchnittenes Band
wieder ganz mache, eine Karte verändere, eine kleine
Muskatnuß in einen großen Federball verwandele,
und wie das Alles ſo natürlich zuginge! Er würde
jammern, daß man ihn um Brod und Anſehen bringe.
So iſt es hier. Es iſt zum Todtlachen, ſie wiſſen
ſich vor Angſt nicht mehr zu helfen. Ich erinnere
mich, in welchen Zorn es die Diplomatiker verſetzt,
als vor ſieben Jahren, während der ſpaniſchen Re¬
volution, der damalige Miniſter der auswärtigen
Angelegenheiten in Spanien, über einen diplomatiſchen
Gegenſtand einen aufrichtigen und verſtänd¬
lichen Brief drucken ließ. Sie hatten ſchon, wenn
auch mit ſaurem Geſichte, die ganze Revolution ver¬
ſchluckt; aber dieſen Brief — das konnten ſie nicht
hinunter bringen. Göttliche Leute ſind die Belgier!
O dahin muß es kommen: die Kellerlöcher der Di¬
plomatik müſſen geöffnet werden, und dann erſt wird
es friſch und hell im ganzen Hauſe ſeyn. Die Ga¬
zette hier, die über jene Unverſchämtheit des belgi¬
ſchen Congreſſes auf ihre Art ſpricht und läſtert,
[203] endigt mit den Worten: „tout cela prouve com¬
bien une nation est petite quand elle n'a pas
de Roi!“ Ich bin wahrhaft erſchrocken, wie ich
das geleſen habe. Wie iſt es möglich, dachte ich,
daß zwei Menſchen, von welchen nicht wenigſtens
Einer im Tollhaus ſitzt, ſo verſchiedene Meinungen
haben können? Wer von uns iſt verrückt, die Ga¬
zette mit den Ihrigen, oder ich mit den Meinigen?
Haben Sie es geleſen, daß die Stunde in
Caſſel gleich damit angefangen, den Churfürſten um
ſeine allergnädigſte Erlaubniß zu bitten, daß ihm ſein
getreues Volk eine Statue errichten dürfe? Haben
Sie es denn wirklich auch geleſen, und hat mir das
nicht ein neckiſcher Geiſt auf einem Zeitungsblatte
vorgegaukelt? Nein, daß ſich die Freiheit in Deutſch¬
land ſo ſchnell entwickeln würde, das hätte ich nie
gedacht! Ich hatte den guten Leuten doch Unrecht
gethan. Wenn das ſo raſch fortgehet, werden wir
in drei Wochen den vereinigten Staaten nichts mehr
zu beneiden haben. In Hannover haben ſie ſich auch
erhoben. Das wird dem armen Lande wieder ſechs
Schimmel, einen ſchönen Wagen und eine Statue
koſten. Hätten ſie nicht gleich damit anfangen können,
dem Herzog von Cambridge die Pferde auszuſpan¬
nen und als Vice-Schimmel ſeinen Wagen zu ziehen?
Was brauchen ſie erſt vorher eine Revolution zu
machen? Iſt aber ein treuer Gimpel der Deutſche!
Man kann ohne Sorge den Käfig offen laſſen, der
Vogel fliegt nicht fort. ... Haben Sie auch ge¬
[205] leſen, daß der König von Baiern ſeinen Soldaten,
welche in ſeine Bürger eingehauen, einen dreitägigen
Sold geſchenkt? Ich verſtehe nicht mehr. Sie ſchü¬
ren das Feuer und ihr eigenes Haus brennt; ſie
gießen Oel in die Wunde und es iſt ihr eigener
Schmerz! Ich verliere mich darin.
— Was ich von der hannövriſchen Revolution
erwarte, habe ich Ihnen ſchon oben geſchrieben.
Wenn freilich das engliſche Miniſterium ſelbſt die
Sache angeſtiftet hat, ſo ändert das die Verhältniſſe
— aber auch nur etwas, aber nicht viel. Doch
kann ich mich hierin irren. Von dem hannövriſchen
Volke ſelbſt, wenn es ſich allein, ohne geheime An¬
regung von London erhoben, erwarte ich nicht viel.
Hat doch die neue Regierung in Göttingen in ihrer
Proclamation auf die Freiheit von Heſſen angeſpielt!
Dieſe Conſtitution ſchwebt ihren Wünſchen als Ideal
vor, und ſie iſt doch die unverſchämteſte Betrügerin,
die man ſich nur erſinnen kann. Es wäre ein Mei¬
ſterſtreich von Politik, wenn das engliſche Miniſterium
dem Königreiche Hannover eine wahre vollkommene
Freiheit gäbe. Es würde dadurch dieſen kleinen
Staat zum mächtigſten in ganz Deutſchland erheben.
Dann könnte England, Preußen und Oeſterreich
trotzen, wenn dieſe ihm einmal den Krieg erklärten
— ein Fall, der leicht und bald eintreten kann. Iſt
dieſes ſo, dann müßte das engliſche Miniſterium na¬
türlich im Geheimen agiren, und das hannövriſche
Volk gegen den Adel in Bewegung ſetzen, der, eigen¬
ſinnig und hochmüthig, wie er dort iſt, die Emanci¬
[207] pation des Bürgerſtandes nie bewilligt hätte. Im
heutigen Temps ſteht eine ausführliche und richtige
Erzählung von den Göttinger Vorfällen. Sie müſſen
ſich das Blatt zu verſchaffen ſuchen, denn in deut¬
ſchen Zeitungen werden die Vorfälle natürlich ent¬
ſtellt werden. Ein Göttinger Bürger, der die
Schlachtſteuer zu bezahlen verweigert, ſoll die erſte
Anregung zum Aufſtande gegeben haben. Dieſe
Schlachtſteuer wird im Temps zu meiner großen
Beluſtigung Schlacrstener genannt.
— Die Nachricht, die Sie mir geſtern gege¬
ben, daß das engliſche Miniſterium ſelbſt die Revo¬
lution in Hannover angeſtiftet, habe ich auf der
Stelle nebſt einigen Bemerkungen in die Zeitungen
ſetzen laſſen, und ſie ſteht geſtern im Meſſager.
Wahr oder nicht, man muß die Spitzbuben hinter
einander hetzen. Es iſt aber doch ſchön, daß man
hier alles gleich in die Zeitung bringen kann, und
die Redacteurs küſſen einem für jede Nachricht die
Hände, und für jede Lüge die Füße. Was mich ge¬
gen die deutſche Cenſur am meiſten aufbringt, iſt nicht,
daß ſie das Bekanntwerden der Wahrheit verhindert
— dieſe macht ſich früher oder ſpäter doch Luft —
ſondern daß ſie die Lüge unterdrückt, die nur einen
armen kurzen Tag zu leben hat, und einmal todt,
vergeſſen iſt. Am intereſſanteſten, und merken Sie
ſich das, ſind die hieſigen Blätter immer am Mon¬
tage; denn da Sonntag keine Kammerſitzung iſt,
bleibt den Tag darauf den Zeitungen kein anderes
Mittel, ihre Seiten zu füllen, als ſo viel Lügen als
möglich herbei zu ſchaffen. Wie angenehm beſchäf¬
tigt das die Einbildungskraft. Und was liegt daran!
Was heißt Lüge? Kann Einer in unſern Tagen
etwas erſinnen, was nicht den Tag darauf wahr
[209] werden kann! Es gibt in der Politik nur eine mög¬
liche Lüge: Der deutſche Bund hat die Pre߬
freiheit beſchloſſen.
— Alſo *** hat ſich geſcheut nach Peſth zu
gehen, und ſchon in Ungarn fürchtet man die Cho¬
lera morbus? In Gallizien, drei Tagereiſen von
Wien, und in [Ruſſiſch-Polen] iſt ſie nach beſtimmten
Nachrichten auch ſchon ausgebrochen. Mir macht
das ſehr bange. Nicht wegen der ſinnlichen Schrek¬
ken, welche die Peſt begleiten — das iſt ein Schrek¬
ken, der ſich ſelbſt verzehrt, das iſt zu furchtbar,
um ſich lange davor zu fürchten — aber die ver¬
derblichen Folgen! Die Lähmung des Geiſtes, welche
im Volke nach jeder Peſt zurück bleibt! Das kann
alten Froſt zurück führen, und die Freiheit, die noch
auf dem Felde ſteht, zu Grunde richten. In ſolchen
Zeiten der Bedrängniß braucht man Gott und ruft
ihn an, und da kommen gleich die Fürſten und mel¬
den ſich als deſſen Stellvertreter. Was kein Kaiſer
von Rußland, kein Teufel verhindern könnte, das
kann die Peſt verhindern. Dann kommen die Pfaf¬
fen und verkündigen Gottes Strafgericht. Dann
laſſen die Regierungen fort und fort im ganzen Lande
räuchern, um Nebel zu machen überall. Strenge
Geſetze ſind dann nöthig und heilſam. Die Peſt
geht vorüber, die Strenge bleibt. Bis das er¬
ſchrockene Volk wieder zur Beſinnung kommt, ſind
I. 14[210] die alten Feſſeln neu genietet, die Krankenſtube bleibt
nach der Geneſung das Gefängniß, und zwanzig
Jahre Freiheit gehen darüber verloren. Heſſiſche
Conſtitution, Schimmel, Koſacken, Bundes-Verſamm¬
lung, Cenſur, was Gott will, nur keine Cholera
morbus.
— Es iſt köſtlich mit der Hanauer Zeitung:
Gnädigſte Freiheit, ſtatt gnädigſte Erlaub¬
niß! Ich wollte, der allergnädigſte Teufel holte ſie
aufs allergeſchwindeſte Alle mit einander. Il faut
tous lier, juges et plaideurs.
Sieben und zwanzigſter Brief.
Geſtern las ich zu meinem Erſtaunen in der
Allgemeinen Zeitung: der geniale Schriftſteller Heine,
von dem es früher hieß, er würde eine Profeſſur
der Geſchichte auf einer preußiſchen Univerſität erhal¬
ten, bleibt in Hamburg, wo man ihm das erſte er¬
ledigte Syndikat zugedacht. Heine Syndikus? Was
ſagen Sie dazu? Heine Profeſſor? Aber es iſt
gar nicht unmöglich. In dieſer gefährlichen Zeit
durfte man wohl daran denken, die Genies in ein
Amt oder in eine Profeſſur zu ſperren. Aber ein
Narr, wer ſich fangen läßt.
Ich habe Grimms Correspondance littéraire
zu leſen angefangen, die durch vierzig Jahre gehet.
Ich bin noch nicht weit hinein, hoffe aber es ganz
durchzuleſen. Das Buch hat zwölf Bände, und iſt
14*[212] noch nicht fertig. Man lernt viel daraus, und wird
an Vieles erinnert. Paris war damals die Küche,
worin die Revolution gekocht wurde. Da ſiehet man
noch die urſprünglichen Beſtandtheile der Mahlzeit,
das rohe Fleiſch, gerupfte Vögel, Salz, Gewürz
und die Schweinerei der Köche. Aus dem ſaubern
Miſchmaſch ſpäter iſt nicht mehr klug zu werden.
Grimm zeigt Verſtand genug, aber gar keinen Geiſt,
und nicht ſo viel Wärme, daß man eine feuchte
Adreſſe daran trocknen könnte. Dieſer Menſch war
mir immer unleidlich; er hat eine geräucherte Seele.
Welch ein guter Gimpel mußte Rouſſeau ſeyn, daß
er, ob zwar älter als Grimm, dieſen Menſchen nicht
durchſchauete, und eine Zeitlang mit ihm in Ver¬
traulichkeit lebte! Nie ſtanden zwei Seelen ſo weit
aus einander, und die Natur ſcheint Rouſſeau und
Grimm gleichzeitig geſchaffen zu haben, um darzu¬
thun, welche verſchiedenartige Talente ſie hat. Merk¬
würdig bleibt es immer, daß ſo ein deutſcher blöder
Pfarrersſohn, der im gepuderten Leipzig ſtudirt hatte,
ſich unter den kühnen und glänzenden Geiſtern des
damaligen Paris bemerkt machen, ja ſich auszeichnen
konnte! Das kam aber daher: der deutſche Junge
war Hofmeiſter in adeligen Häuſern, wo man das
Einmaleins, das unſerm Glücke oft im Wege ſtehet,
leicht verlernet. Es macht dem deutſchen Adel Ehre,
daß Grimm unter den franzöſiſchen Spitzbuben ſo
[213] ſchnell bis zu einem der Hauptmänner hinaufſtieg.
Er begriff leicht, daß alles darauf ankomme, die
Weiber zu gewinnen, und es gelang ihm mit einem
Streiche. Er ſtellte ſich in eine ſchöne Schauſpie¬
lerin verliebt, die ihn abwies. Grimm legt ſich ins
Bett und bekommt eine Art Starrkrampf. Er be¬
wegt ſich nicht, ſpricht nicht, ißt und trinkt nichts,
außer wenige eingemachte Kirſchen, die er aber mit
nicht ganz unſichtbarem Vergnügen herunter ſchluckt.
Seine beſorgten Freunde, worunter auch Rouſſeau,
umgeben ſein Bett. Einer derſelben beobachtete
ängſtlich die Miene des Arztes, wie man es in ſol¬
chen Fällen gewöhnlich thut. Der Arzt ſagt, es
hätte nichts zu bedeuten, und man ſah in lächeln, als
er wegging. Eines Morgens ſtand Grimm auf,
kleidete ſich an, und war geſund. Jetzt war ſein
Glück gemacht. Er wurde als das Muſter treuer
Liebe geprieſen. Seine Correſpondenz machte ihn
reich, er ſtand mit einem Dutzend nordiſcher Fürſten
und Fürſtinnen in Briefwechſel, die ſich die Früchte
des franzöſiſchen Geiſtes, wie Apfelſinen, kommen und
ſchmecken ließen. Er bekam einen großen Gehalt
dafür. Uebrigens machte er auch noch für Privat¬
leute Abſchriften von den literariſchen Berichten, für
ein Abonnement von 300 Fr. monatlich. Zweimal
monatlich, den 1. und den 15., ſchrieb er ſolche
Briefe, die gewöhnlich keinen Druckbogen groß ſind.
[214] Viel Geld für wenig Arbeit. Ich wollte, es fände
ſich auch ein dummer Prinz oder eine kluge Prin¬
zeſſin, die mich auf ſolche Weiſe beſchäftigte und be¬
zahlte. Ich beneide den Grimm um dieſe Stellung.
Was haben wir armen Teufel heute von allem un¬
ſern Schriftſtellern? Den beſten Theil verſchlingen
die Grundſteuern und Zehenten der Cenſur vorweg,
und für das Uebrige wenig Geld und ſpäten Beifall,
der uns kalt und abgeſtanden zukommt. Grimm
war auch eine Zeitlang Frankfurter Geſandte mit
24,000 Franken Gehalt.
Die kindiſche Regierung hier hat wieder ein
großes Stück Freiheit abgebiſſen; denn ſie kommt
mir vor, wie ein Kind, das einen Apfel in der
Hand trägt, den es ſich vorgenommen, auf ſpäter zu
verwahren. Erſt leckt es daran, ſeine Enthaltſamkeit
zu prüfen; dann ſchält es ihn etwas dick mit den
Zähnen; dann beißt es tiefer hinein, dann ißt es
ein herzhaftes Stück herunter und endlich bleibt vom
ganzen Apfel nichts mehr übrig. Nach der Revolu¬
tion hat ſich das Volk auch die Theater-Freiheit ge¬
nommen. Die Regierung ſah dieſes als eine Sache
an, die ſich von ſelbſt verſtände. Nun iſt es ſeitdem
geſchehen, daß die Theater-Directionen die Freiheit, ſo
viel Geld als möglich zu verdienen, als die beſte
angeſehen haben. Um die Leute anzulocken, ſpielen
ſie die Geſchichten gleichzeitiger Perſonen. Napoleon,
[215] Joſephine, Robespierre, Lavalette, der Herzog von
Orleans, Benjamin Conſtant, ſie mußten alle auf
die Bretter. Das war nun freilich oft unanſtändig.
Allein, wenn das Geſetz ſogar Unanſtändigkeiten ver¬
bietet und beſtraft, was bleibt dann der Sittlichkeit
und der Moral übrig? Uebrigens hatte Jeder, der
ſich ſelbſt durch jene Theater-Injurien, oder einen
Angehörigen ſeiner Familie, oder das Andenken eines
Verſtorbenen verletzt fühlte, Mittel genug, bei den
Gerichten Hülfe zu ſuchen und die Regierung brauchte
ſich nicht hinein zu miſchen. Auch wären nach einem
Vierteljahre dieſe albernen Wachsfiguren-Komödien
wieder außer Mode gekommen. Aber die Regierung
benutzte das, um eine Gewalt mehr zu erwerben.
Jetzt haben die Miniſter ein Geſetz vorgelegt, dieſe
Freiheit zu beſchränken. Zwar haben ſie nicht ge¬
wagt die Theater-Cenſur wieder einzuführen, doch
ſind ſie dem heißen Brei ſo nahe als möglich ge¬
kommen. Wer ein neues Stück ſpielen läßt, muß
es vierzehn Tage vor der Aufführung dem Miniſter
oder dem Präfekten vorlegen. Verboten kann zwar
die Aufführung auf keine Weiſe werden; wird es
aber aufgeführt und es kommen Beleidigungen darin
vor (und jetzt wird die endloſe Reihe der Vergehun¬
gen aufgezählt: gegen den König, gegen die Kammer,
gegen fremde Fürſten, gegen Privatperſonen), dann
treten die Strafen ein. Bis zu fünf Jahre Ge¬
[216] fängniß, bis zu 10,000 Franken Geldſtrafe. Kurz,
es iſt die Leute zu Grunde zu richten. Nachgeahmt
oder auch nur kenntlich bezeichnet, darf Niemand
mehr werden auf dem Theater. Es iſt zum Ver¬
zweifeln. Und jetzt gibt es dumme gute Leute ge¬
nug, hier wie bei uns, die gar nicht begreifen, was
denn an einem ſo löblichen Geſetze zu tadeln ſei.
Dieſe Menſchen ſehen nicht ein, daß ſolche hemmen¬
den Geſetze den Faſchinen gleichen. Anfänglich fließt
das Waſſer frei durch, aber nach und nach führen
Zeit und Arbeit ſo viel Sand und Erde herbei, daß
endlich ein feſter Damm daraus wird. Und jetzt
wird noch die Kammer kommen, die ſich darüber är¬
gert, daß ſie alle Tage im Odeon ausgeklatſcht wird,
und wird das Geſetz noch ſtrenger machen. So
wird eine Freiheit nach der andern zurückgedrängt,
und ich glaube, daß bei unſern Machthabern viel
Eitelkeit, ja mehr als böſer Wille dabei im Spiele
iſt. Die Regierung, von bürgerlicher [Abſtammung]
heraufgekommen, wie ſie iſt, will zeigen, daß ſie ſo
gut zu regieren verſtehet, als die älteſte Regierung,
und daß ſie das Volk im Zaum zu halten weiß.
Die fremden Geſandten mögen wohl in freundſchaft¬
licher Unterhaltung die Miniſter necken, ſie ſtänden
unter der Zucht des Volks. Dieſen wird dadurch
der Ehrgeiz aufgeregt, ſie ſtellen ſich auf die Fu߬
ſpitze, und zeigen ihre Größe. Die fremden Höfe
[217] laſſen gewiß nicht ab, die franzöſiſche Regierung auf¬
zumuntern, ſtrenge Ordnung im Lande zu erhalten.
Nicht etwa als nennten ſie das ſtrenge Ordnung,
womit hier die Regierung ſich bis jetzt begnügte,
und über die hinaus ſie wahrſcheinlich auch nicht ge¬
hen will — in den Augen jener Höfe iſt das im¬
mer noch die greulichſte Anarchie; — ſondern weil
ſie hofft, das franzöſiſche Volk werde ſich das ewige
Hofmeiſtern nicht gefallen laſſen, und es würde end¬
lich die Geduld verlieren und wieder losbrechen.
Geſtern war ich im italieniſchen Theater und
habe die Malibran wieder geſehen. Aber entzückt
wie das vorige Mal im Barbier war ich nicht, was
aber gar nicht unſere Schuld iſt, denn wir hatten
gewiß beide den beſten Willen. Cenerentola von
Roſſini wurde [gegeben]. Muſik bis auf einige
Stücke, beſonders ein herrliches Sextett, ſehr matt
und leer; das Gedicht langweilig, ſchwerfällig. Keine
Spur von der Grazie und der Laune, die im Aſchen¬
brödel von Nicolo und Etienne herrſchen. Die Ma¬
libran ſang und ſpielte zwar gut, aber es war keine
Roſine. Lablache ſpielte den Hofmann, welcher beide
Schweſtern den Prinzen vorſtellt. Es iſt merkwür¬
dig was dieſer Mann ſpielt, merkwürdiger was er
nicht ſpielt. Eine ſolche Entſagung iſt mir noch
bei keinem Schauſpieler vorgekommen. Seinen Ge¬
ſang bewundere ich immer mehr und mehr. Alle
andere Sänger, die ich noch gehört, ſelbſt die gött¬
liche Malibran — es bleibt doch immer ein Inſtru¬
ment, das ſie ſpielen. Sie und die Töne ſind ge¬
trennt, ſie bringen ſie hervor. Lablache aber iſt eins
mit ſeinem Geſange, er iſt wie eine Singuhr, die
einmal aufgezogen, von ſelbſt fortſingt. Den Abend
hörte ich auch zum Erſtenmale zwei andere vortreffliche
[219] Sänger, Donzelli und Zuchelli. Ich ſage zum
Erſtenmal, ob zwar der eine im Barbier den Gra¬
fen, der Andere den Bartholo machte. Aber ich
hörte ſie damals nicht über die Malibran. Zuchelli,
der hochmüthige Vater der eitlen Töchter, hat ein
komiſches Duett mit Lablache, das Einen, der unter
dem chirurgiſchen Meſſer ſchmachtet, zum Lachen
bringen müßte. Welch ein Leben, welch ein hohes
Mienenſpiel, was wird da nicht alles eingeſetzt!
Ich hätte nicht geglaubt, daß das Menſchengeſicht ſo
reich an Zügen wäre. So ein italieniſcher Bouffon
iſt doch ganz anders, wie ein deutſcher oder franzöſi¬
ſcher. Letztere, ſelbſt in ihrer ausgelaſſenſten Laune,
auch wenn ſie ſich der Fröhlichkeit noch ſo keck und
unbedacht hingeben, verrathen doch eine verſteckte
Aengſtlichkeit. Es iſt als hätten ſie ein böſes Ge¬
wiſſen, als fühlten ſie, daß ſie etwas Unrechtes, et¬
was Unſchickliches begingen, indem ſie ſo fröhlich
ſind. Der Italiener aber hat den ächten katholiſchen
Glauben, er ſündigt getroſt fort und verläßt ſich
auf die Abſolution. Ich habe *** gefragt, wie ſich
die Sontag zur Malibran verhalte? Er ſagte mir:
Man dürfe die Sontag gar nicht nach dem beurthei¬
len, was ſie war, ehe ſie nach Frankreich gekom¬
men; ſie habe ſich in Paris ungemein entwickelt und
ausgebildet. Es iſt ſchade, daß ſie nicht alle ihre
deutſchen Bewunderer mit ſich hieher geführt, damit
[220] ſie auch etwas lernen. Die Sontag war mir ganz
zuwider, wegen der mir verhaßten Anbetung, die ſie
in Deutſchland gefunden hat. Dort haben ſie eine
hohe Obrigkeit aus ihr gemacht, und man weiß doch,
was das heißt — eine hohe Obrigkeit iſt dem
Deutſchen eine höchſte Gottheit. Hier iſt das ganz
anders. Sie haben es früher ſelbſt geſehen, welcher
Aufregung die Franzoſen im Theater fähig ſind.
Es iſt nicht blos wie bei den Deutſchen ein Toben
mit dem Körper, ein Klatſchen, ein Schreien, es iſt
ein inneres Kochen, ein Seelenſturm, der nicht mehr
zurückgehalten werden kann, und endlich losbricht.
Aber wenn der Vorhang fällt, iſt alles aus. Man
verehrt keine Sängerin wie eine Königin, man betet
ſie nicht wie eine Heilige an. In keiner Geſellſchaft
hier werden Sie je vom Theater ſprechen hören, in
Berlin nie ein Wort von etwas Anderm. — Die
italieniſche Oper hier mögen viele Kenner, wenigſtens
viele geübte Dilettanten beſuchen. Man merkt die¬
ſes bei der Aufführung bald an der Sicherheit und
Beſtimmtheit des Urtheils. Manchmal brach ein
Beifallsgemurmel aus, manchmal that ſich ein ta¬
delndes Stillſchweigen kund, ohne daß ich entdeckte,
was die Veranlaſſung zu dieſem und jenem war.
Und dieſe entſcheidenden Kenner ſchienen mir ſehr
ſtreng zu ſeyn. Im Orcheſter (was man hier ſo
nennt, die erſten Reihen der Parterre-Sitze) bemerkte
[221] ich einige muſikaliſche Grauköpfe, die gewohnt da
ſaßen, als wären ſie in ihrem Schlafzimmer. Sie
horchten ernſt und ſtreng auf, als wären ſie Ge¬
ſchworne bei den Aſſiſen. Sie kamen mir wie In¬
validen vor, die noch den muſikaliſchen Krieg zwi¬
ſchen den Italienern und Franzoſen mitgemacht. Jene
ganze Zeit, Rouſſeau ſchwebte mir vor, ich ſah nach
der Ecke der Königin! und in dem Sturme jener
Zeit, der in meiner Erinnerung lebte, ging mir eine
ganze Arie zu Grunde.
Mit Niebuhr mag es ſich wirklich ſo verhalten,
wie die preußiſche Staats-Zeitung erzählt. Das
hat aber die preußiſche Staats-Zeitung weislich ver¬
ſchwiegen, daß Niebuhrs Gram daher floß, weil er
die Gefahren vorausſah, welchem der preußiſche
Staat entgegen eile. Die Wahnſinnigen in Deutſch¬
land — ſie eilen dem Abgrunde entgegen. Schon
vor einigen Monaten erzählte mir ein Bekannter hier,
der entweder ſelbſt mit Niebuhr, oder doch mit deſ¬
ſen vertrauten Freunden in Verbindung ſtehet: dieſer
gelehrte Mann wäre ſeit der franzöſiſchen Revolu¬
tion in brütenden Gram verſunken und ganz aus
dem Häuschen. Aber eine Seele, die in einem
Häuschen wohnte, die konnte nicht ſehr groß ſeyn.
Heute Abend auf den Ball. Ich erwarte den Fri¬
ſeur. Ich laſſe mich à la Franz Moor friſiren.
Der Ball wird ſo glänzend wie der im vorigen
[222] Jahre. Ich werde Ihnen alles genau beſchreiben. —
In Heſſen gehet es gut. Vorwärts, Kinder! die
Göttinger Bibliothek verbrennen! Es iſt ein erha¬
bener Gedanke! Das hat Gott herabgerufen! Eine
halbe Million Bücher weniger, das kann die Deut¬
ſchen weiſer machen! Es lebe die Freiheit!
Acht und zwanzigſter Brief.
Sie warten gewiß ſchon dieſe vier Tage lang
auf eine herrliche Beſchreibung des Opernballes; aber
kehren Sie nur gleich um. Ich weiß von dem
Balle nicht mehr, als jeder Fürſt von ſeinem Lande;
denn ich habe ihn nur von oben herab geſehen. Nun,
ich bin da geweſen, und — bin noch da. Das
iſt das Wunder! Der Ball ſcheint nur eingerichtet
worden zu ſeyn, um zu zeigen, wie wenig Raum
und Luft ein Menſch braucht um zu leben. Das
nennen ſie ein Vergnügen! Wenn ich einmal einen
Criminal-Codex mache, würde ich die ſchweren Ver¬
brecher verurtheilen, dreißig Nächte hinter einander
auf ſolchen Bällen zuzubringen. Nach den beſten
[224] mediciniſchen und chirurgiſchen Handbüchern hätten
von den Anweſenden 7000 Menſchen 2000 erſticken,
2000 erdrückt werden und die drei übrigen Tauſend
mehr oder weniger krank werden müſſen. Doch von
dem allen iſt nichts geſchehen, und die 7000 leben
ſämmtlich noch. Von den Weibern begreife ich
das; die erhält auf jedem Balle die Religion, der
Märtyrerglaube, der den Körper ganz unempfindlich
macht und wie vernichtet. Aber wie hielten es die
Männer aus? Es hatte keiner mehr Platz und Luft
als in einem Sarge. Die Franzoſen müſſen mit
Springfedern [gefüttert] ſeyn. Aber es iſt wahr, der
Anblick war herrlich, bezaubernd, es war ein Mähr¬
chen aus Tauſend und eine Nacht. Dieſer ſonnen¬
helle Lichterglanz, dieſes ſtrahlende Farbengemiſch
von Gold, Silber und Seide, von Weibern, Kry¬
ſtall und Blumen, und das Alles mit ſo viel Sinn
und Kunſt angeordnet, daß es das Auge erquickte
und nicht blendete, und die Muſik dazwiſchen, wie
hinein geſtickt in den großen Teppich, eins damit —
es war zu ſchön. Das Parterre verlängert durch
die Bühne, hatte Reihen von Bänken, auf welchen
die Damen ſaßen, oder hinter Baluſtraden an den
Wänden herum. Zwiſchen ſchmalen Gaſſen bewegten
ſich die dunkeln Männer, oder (ſollte ich ſagen) zog
der Mann; denn ſie waren alle wie zuſammen¬
[225] gewachſen. Und jetzt vom Boden an aufwärts,
ſaßen die Frauenzimmer in ungeheuren Kreiſen im¬
mer höher übereinander, in den Logenreihen, bis hin¬
auf zur Decke, wo ſonſt nur das letzte Volk ſitzt.
Die einzelnen Bewegungen waren unerkennbar, der
Menſch verlor ſich in eine Sache, das Leben ward
zum Gemälde. Aus der Mittelreihe der Logen ſah
ich hinab, hinauf, umher, aber der Anblick von unten
vom Hintergrunde des Theaters zumal, muß noch
viel ſchöner geweſen ſeyn. Ich konnte nicht hinein
dringen, und mich, wie die Andern hinein drängen
zu laſſen, das wagte ich nicht. Der große Foyer
der Oper war gleich herrlich wie das Theater ſelbſt
beleuchtet und ausgeſchmückt. Da wurde auch ge¬
tanzt. Da ſammelte ſich alles, was Theater und
Logen nicht faſſen konnten, und was überſtrömte.
Corridor und Treppen, ſonſt [nur] beſtimmt durch zu
gehen, hinauf und hinab zu ſteigen, dienten zum blei¬
benden Aufenthalte und waren ſo gedrängt voll Men¬
ſchen wie der Saal ſelbſt.
Unten beim Eingange wurde man von einem
Muſikchore empfangen; die Treppen waren mit gro¬
ßen Spiegeln und Blumen geſchmückt, der Boden mit
Teppichen belegt. Durch zwei Reihen National-Gar¬
diſten ſtieg man hinauf. An mehreren Orten waren
Büffets eingerichtet. Erfriſchungen aller Art im reich¬
I. 15[226] ſten Ueberfluſſe. Das koſtete nichts, das war mit
dem Billet zugleich bezahlt. Königliche Diener ſer¬
virten auf dem Silbergeſchirre des Königs. Am Büf¬
fet unterhielt ich mich ſehr. Da ſtand ich oft und
lange; nicht um zu genießen, ſondern in den reinſten
Abſichten, nehmlich um reine Luft einzuathmen. Von
den Büffets führten offenſtehende Thüren zu zwei
Balkons nach der Straße, die nur mit Zelttuch be¬
deckt waren, und zur Küche dienten. Da und nur
da allein im ganzen Hauſe, konnte man frei athmen.
Das Schauſpiel bei den Büffets war auch ohne dies
ergötzlich. Es iſt doch etwas Erhabenes, eine ſo
große Menſchenmenge eſſen und trinken zu ſehen!
Hohe Berge von Kuchen, Torten, Confitüren, Früch¬
ten; Ströme von Limonade, Himbeerſaft, Orgeade;
ganze Schollen von Eis — das war in einer Mi¬
nute wie verſchwunden, man wußte nicht wo es hin¬
gekommen, es war wie eine Taſchenſpielerei. Augen¬
blicklich wurde alles wieder erſetzt, erneuert und
augenblicklich war alles wieder verſchwunden, und ſo
immer fort, und alles in den kleinen Mund hinein!
Ich ſah, wie ein Offizier der Nationalgarde ſeinen
kriegeriſchen Muth zeigte, indem er ſeinen Säbel zog,
und damit eine ungeheure Torte zuſammen hieb. Er
hörte nicht eher auf mit hauen und verſchlingen, bis
er das Gebiet ſeines Körpers erweitert hatte. Das
[227] nennt aber ein Franzoſe nicht erobern, ſondern ſeine
natürliche Grenze wieder bekommen. Und ſo werden
ſie nächſtens das ſüße Belgien anſchneiden, und den
Rhein austrinken wie ein Glas Limonade. Sehr
bald! nous n'aimons pas la guerre, mais nous
ne la craignons pas — Das heißt: wir lieben
den Krieg, aber bis jetzt haben wir ihn gefürchtet,
weil wir noch nicht gerüſtet waren.
Die Ordnung auf dem Balle war muſterhaft,
es war ein Meiſterſtück von Polizei. Es waren ſo¬
gar zwei allerliebſte kleine Feldſpitäler eingerichtet,
beſtimmt zur Aufnahme und Pflege verwundeter
Weiber. Es war zu artig! Dunkelgrün drapirte
Zimmerchen, Dämmerlicht, Servietten, friſches Waſ¬
ſer, alle möglichen Salze und riechenden Sachen,
Scheeren zum Aufſchneiden der Corſetts, Eſſig, Ci¬
tronen, kurz alles, [was] man braucht, um Weiber
wieder zur Beſinnung zu bringen. In jedem Spi¬
tälchen eine geübte Krankenwärterin, erfahren in al¬
len Geheimniſſen weiblicher Ohnmacht; draußen ein
Thürſteher zur Wache. Ich, der das Schlachtfeld
geſehen, dachte, es müßten Schaaren von gefallenen
Weibern herbei getragen werden; es kam aber bis
Mitternacht nicht Eine. Ich hätte freilich wiſſen ſollen,
daß Frauen öfter in Kirchen als auf Bällen in Ohn¬
macht fallen. .... Der König mit der ganzen kö¬
15 *[228] niglichen Familie waren auch anweſend. Ich ſah ſie
zum Erſtenmale ganz in der Nähe. Die jungen
Prinzen ſehr charmant. Wären ſie nur legitim ge¬
weſen, ich hätte ſie küſſen mögen. Sie wurden mit
lauter und herzlicher Liebe empfangen. Ich war auf
dem Vorplatze und hörte auch den Jubel von innen
heraus. Es ſoll ein ganz herrlicher Anblick geweſen
ſein, wie beim Eintritte des Königs alle die vielen
Tauſend Menſchen ſich von ihren Sitzen erhoben und
ihn begrüßten. Dieſes Eine nicht geſehen zu haben,
that mir am meiſten leid. Um Mitternacht lag ich
ſchon im Bette, ganz herzlich froh, daß mein Ver¬
gnügen ein Ende hatte, und die armen Menſchen be¬
jammernd, die noch auf dem Balle waren. Die
Hitze war zum Erſticken. Lieber in einer arabiſchen
Sandwüſte weilen, wo man doch wenigſtens nicht den
verdorbenen Athem anderer Menſchenn einzuhauchen
braucht. Ich habe ſo viele franzöſiſche Luft einge¬
ſogen, daß ich begierig bin, was es für Folgen haben,
und welche Veränderung es in meiner deutſchen Na¬
tur hervorbringen wird. Ich wollte, ein Aroſtat
hinge mir ein Schiffchen an die Beine und verſuchte
mich. Um halb acht Uhr Morgens fuhren die letzten
Wagen fort. Ich habe kleine Berechnungen angeſtellt,
wie viel ein ſolcher Ball koſtet, und wie viel Geld er in
Umlauf bringt. In Paris gehet alles gleich in's Große
[229] und die kleinſte Ausgabe eines Einzelnen, wird für
die Menge ein hohes Budget. 7000 Billets wurden
verkauft zu 20 Fr. Außerdem gab die königliche
Familie 8000 Fr. für ihren Eintritt, und mehrere
Privatleute haben ihre Billets mit 1000 Fr. bezahlt.
7000 Paar Handſchuhe zu 50 Sous im Durchſchnitt,
machen 17,500 Fr., 2500 Weiber (ſo viele waren
auf dem Balle) zu friſiren, der Kopf im Durchſchnitt
zu 4 Fr. 10,000 Fr., 2500 Paar Schuhe zu 4 Fr.
macht 10,000 Fr., Miethkutſchen hin und her we¬
nigſtens 16,000 Fr., das bisherige allein macht
ſchon über 200,000 Fr., und jetzt dazu gerechnet,
was Damen und Herren an andern Putzſachen und
Kleidern verwendet haben! Auf dem Balle habe ich
auch zum Erſtenmale alle Figuren des Frankfurter
Mode-Journals (nur mit ſchönern Geſichtern) lebend
geſehen. Ach, was für ſchöne Kleider! Ich wollte,
ich wäre eine Putzmacherin, um Ihnen das alles be¬
ſchreiben zu können. Beſonders habe ich ein Kleid
bemerkt, gemacht ich weiß nicht wie, von einer Farbe
die ich vergeſſen und darüber einen Kopfputz den ich
nicht verſtanden — Sie werden mich ſchon verſtehen
— aber das war einzig! Doch habe ich auch Putz¬
werke geſehen, ſinn- und geſchmacklos und ſo klein¬
ſtädtiſch, als kämen ſie aus Friedberg. Das mögen
wohl Bürgersweiber und Bürgerstöchter aus dem
[230] Marais und der Rüe St. Denis geweſen ſeyn, die
reich ſind aber nicht an Geſchmack. Auch erinnere
ich mich, nie auf deutſchen Bällen ſo viele alte hä߬
liche, ja mißgeſtaltete Weiber geſehen zu haben, die
ſich ſo unverſchämt jung und ſchön gekleidet hätten,
als ich hier ſah.
- Rechtsinhaber*in
- Kolimo+
- Zitationsvorschlag für dieses Objekt
- TextGrid Repository (2025). Collection 1. Briefe aus Paris. Briefe aus Paris. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bhts.0