einer
ausfuͤhrlichen Erlaͤuterung
der
Pandecten
nach
Hellfeld
fuͤr meine Zuhoͤrer
verlegt bey Johann Jacob Palm
1790.
Vorrede.
Bey dem großen Vorrath von Commentaren uͤber
die Pandecten duͤrfte der gegenwaͤrtige neue Ver-
ſuch leicht uͤberfluͤßig ſcheinen, oder doch wenigſtens zu
manchen voreiligen Tadel, dem das Buch zwar ohne-
hin nie entgehen wird, Anlaß geben, wenn ich nicht
meinen Leſern vorlaͤufig uͤber die Entſtehung und Ab-
ſicht deſſelben einige Rechenſchaft ablegte.
Die Vorleſungen uͤber die Pandecten machen
ſchon ſeit geraumer Zeit einen vorzuͤglichen Theil mei-
nes Berufs aus, und mein immer ſehr zahlreiches Au-
ditorium, ſo wie der anhaltende Fleiß meiner Zuhoͤrer
giebt mir den ſehr beruhigenden Beweiß, daß die Muͤ-
he, die ich auf dieſe Vorleſungen verwende, nicht ver-
kannt werde.
Allein zu beklagen iſt es, daß man nach dem
einmal feſtgeſetzten Plan ein ſo weites und dornichtes
Feld in dem engen Zeitraum eines halben Jahres zu
durchwandern genoͤthiget iſt, und daher auch ſelbſt fuͤr
die wichtigſten Gegenſtaͤnde bey der großen Menge
derſelben viel zu wenig Zeit hat, um ſich bey denſelben,
ſo wie ſie es verdienten, nur einigermaßen verweilen
zu koͤnnen.
Da nun bey einer ſolchen Praͤciſion, deren ſich
der Lehrer bey dem Vortrag der Pandecten zu befleiſi-
gen hat, auch der aufmerkſamſte Zuhoͤrer, zumal
wenn er das erſtemal ein ſolches Collegium hoͤrt, ohn-
moͤglich ſo deutliche Begriffe von denen zum Theil
wirklich ſchweren und intricaten Rechtsmaterien be-
kommen kann, daß er ſich, ohne weitere Anleitung
durch eigenes Nachdenken, und den Gebrauch ſeines
)( 2Cor-
[] Corpus Juris fortzuhelfen im Stande waͤre; ſo bin
ich nicht ſelten in eine nicht geringe Verlegenheit ge-
rathen, wenn ich von meinen fleißigen Zuhoͤrern um
einen Commentar uͤber die Pandecten angegangen
wurde, deſſen ſie ſich bey der Wiederholung ihrer
Lection als Huͤlfsmittel bedienen koͤnnten.
Zwar fehlt es uns nicht an den treflichſten Werken
dieſer Art; denn wer kennt nicht die Schriften eines
Cujaz, Noodts, Fabers, Voets, Struvs, Lau-
terbachs, Strycks, Leyſers, und anderer großer
Rechtsgelehrten mehr, die ſich in dieſem Fache ſo vor-
theilhaft ausgezeichnet, ja unſterblich verdient ge-
macht haben? allein man wird mir, wie ich hoffe,
nicht unrecht geben, wenn ich behaupte, daß eines
Theils die Lektuͤre ſolcher Werke einen ſchon geuͤbtern
Rechtsgelehrten vorausſetze, und daher wenigſtens
dem Anfaͤnger ohne Bedenken nicht empfohlen wer-
den koͤnne, andern Theils aber auch die Anſchaffung
derſelben einem Studirenden auf Academien zu koſt-
bar falle.
Schon laͤngſt habe ich demnach den Gedanken
bey mir genaͤhrt, ſelbſt etwas uͤber die Pandecten zum
Behuf meiner Zuhoͤrer aufzuſetzen; nicht als ob ich
etwas vorzuͤglicheres zu liefern im Stande waͤre, als
jene große Maͤnner ſchon geleiſtet haben; nein, eine
ſolche Arroganz werde ich nie zu Schulden bringen;
ſondern ihre Arbeiten auch fuͤr Juͤnglinge brauchbar
zu machen, und der todten Maſſe ihrer critiſchen
Unterſuchungen und Rechtseroͤrterungen ein Leben
und Intereſſe zu geben, welches im Stande waͤre,
auch dem feurigſten Genie das an ſich ſchwere und
trockene Studium der Pandecten leicht und angenehm
zu machen.
Ein
[]
Ein Werk dieſer Art aber, ſoll es nicht das An-
ſehen eines Collectaneenbuchs, oder unrichtig zuſam-
men geſchriebener Hefte bekommen, iſt freylich nicht
die Sache eines Jahres, ſondern erfordert vieljaͤhri-
ges Nachdenken, und eine nur durch unermuͤdetes
Studium der Quellen erlangte Reife des Urtheils,
und gebildeten Geſchmack.
Vielleicht wuͤrde ich mich daher zu einem ſo
muͤhſamen Unternehmen ſobald noch nicht entſchloſ-
ſen haben, da ich die Wichtigkeit deſſelben eben ſo
lebhaft einſehe, als die Schwaͤche meiner Kraͤfte fuͤh-
le, wenn mich nicht das wiederholte dringende Ver-
langen meiner Zuhoͤrer gleichſam vor der Zeit hierzu
angeſpornet haͤtte.
Furchtſam wage ich es alſo, dieſen geringen
Verſuch meines Commentars uͤber die Pandecten,
welcher eine Erlaͤuterung der erſtern vier Titel ent-
haͤlt, einem juriſtiſchen Publikum vor Augen zu legen.
Ich habe dabey das Hellfeldiſche Lehrbuch zum
Leitfaden gewaͤhlt, weil uͤber daſſelbe ſowohl hier,
als auf den meiſten deutſchen Academien, ſo viel ich
weiß, die Pandecten vorgetragen zu werden pflegen.
Ich glaubte alſo, den Commentar hierdurch fuͤr mei-
ne Zuhoͤrer, fuͤr die ich ihn zunaͤchſt beſtimmte, de-
ſto brauchbarer zu machen.
Doch habe ich mich an dieſe Ordnung nicht
ſo ſtreng gebunden, daß ich mir nicht auch unter-
weilen, wo es noͤthig zu ſeyn ſchiene, eine Abweichung
erlaubt haͤtte. So zum Beyſpiel habe ich zwar bey
dem zweyten Titel, de origine juris, die Zahl der Pa-
ragraphen beybehalten; aber vergeblich wird man un-
ter dieſem Titel eine Rechtsgeſchichte, wie bey Hell-
feld ſuchen; nein, ich hielt eine ſolche hiſtoriſche Ent-
)( 3wick-
[] wickelung des Urſprungs und Abwechſelungen des roͤ-
miſchen Rechts darum in einen Commentar uͤber
die Pandecten fuͤr zweckwidrig, weil daruͤber auf al-
len deutſchen Academien beſondere Vorleſungen ge-
halten werden, und daher dieſer Titel bey dem Vor-
trag der Pandecten meiſt uͤberſchlagen wird. Statt
einer magern Rechtsgeſchichte, denn etwas Vollſtaͤn-
diges haͤtte doch wegen der Menge anderer hier zu be-
arbeitender Rechtsmaterien nie geliefert werden koͤn-
nen, habe ich daher nur im allgemeinen von den
Quellen der in Deutſchland uͤblichen buͤrgerlichen
Rechtsgelehrſamkeit, und deren Gebrauch gehan-
delt. Man wird hier die Regeln zur Befoͤrderung
einer gruͤndlichen Theorie vom heutigen Gebrauch
des roͤmiſchen, canoniſchen und deutſchen Rechts,
uͤberall mit treffenden Beyſpielen erlaͤutert, finden,
welche denenjenigen, fuͤr die ich ſchreibe, gewiß um de-
ſto willkommener ſeyn werden, je weniger ſich die
Kenntniß derſelben von einem gruͤndlichen Studium
der Rechtsgelahrtheit trennen, und je weniger ſich
dennoch in den Vorleſungen uͤber die Pandecten et-
was Vollſtaͤndiges daruͤber ſagen laͤſſet.
In der Ausfuͤhrung der hier abgehandelten
Rechtsmaterien habe ich Vollſtaͤndigkeit mit der
moͤglichſten Deutlichkeit zu verbinden mich beſtrebt;
zwey Eigenſchaften, die man von Buͤchern dieſer
Art ſchlechterdings erwartet.
Ueberall habe ich immer den naͤchſten Blick auf
die Geſetze ſelbſt gerichtet, ſolche, wenn ſie vorzuͤglich
merkwuͤrdig aren, in dem Text oder in den Noten
abdrucken laſſen, und auch, wo es noͤthig zu ſeyn
ſchien, mit kurzen Erlaͤuterungen begleitet, wobey
ich die Werke der eleganteſten Rechtsgelehrten, wie
die
[] die Anfuͤhrung derſelben in denen Noten beweißt,
genutzet habe.
Man wird hierbey die gute Abſicht, die ich ha-
be, hoffentlich nicht mißkennen, nehmlich die Schuͤ-
ler der roͤmiſchen Rechtsgelahrtheit an das Studium
der Geſetze ſelbſt hin zu leiten, ſie hierdurch an ei-
genes Nachdenken zu gewoͤhnen, und ihnen zugleich
bey dem Mangel eigener Subſidien die Auslegung der
Geſetze zu erleichtern. Ich habe dieſes fuͤr eine um
ſo wichtigere Pflicht gehalten, da Reformatoren in
unſern Tagen aufſtehen, welche der Rechtsbeflißenen
Jugend teutſche Compendien der Inſtitutionen des
roͤmiſchen Rechts ohne Anfuͤhrung der Geſetzſtellen
in die Haͤnde zu liefern, und ſie hierdurch von dem
Studium der Geſetze zu entfernen ſuchen, welches
doch von jeher die gruͤndlichſten Rechtsgelehrten der
Jugend nie angelegentlich genug haben empfehlen
koͤnnen. Denn daß durch jene Lehrmethode, wo dem
Lehrling der Rechtsgelehrſamkeit von den geſetzlichen
Beweisſtellen gar nichts geſagt wird, der Grund zu
einem unſeligen praeiudicio auctoritatis geleget, und
dem alten: ipſe dixit wiederum der Weg gebahnet
werde, iſt, deucht mir, ganz unlaͤugbar.
Da ich in meinen Commentar aufdie Geſetz-
ſtellen in denen Titeln der Pandecten, die ich zu er-
laͤutern habe, ganz vorzuͤgliche Ruͤckſicht nehmen wer-
de, ohne jedoch die Geſetze des neuern juſtinianeiſchen
Rechts im mindeſten dabey zu vernachlaͤßigen, ſo
glaube ich in dieſer Ruͤckſicht keinen Tadel befuͤrchten
zu duͤrfen, wenn ich meiner Arbeit den Titel eines
Commentars uͤber die Pandecten gegeben habe.
Vielleicht moͤchte es aber ungereimt, und ein
ſeltſamer Gedanke zu ſeyn ſcheinen, einen deutſchen
Commentar uͤber ein lateiniſches Recht zu ſchreiben.
)( 4Allein,
[] Allein, da ich hierin ſchon mehrere Vorgaͤnger habe,
ſo darf ich wohl ein ſolches Urtheil um ſo weniger
befuͤrchten, je nothwendiger es zu Erreichung meines
Endzwecks zu ſeyn ſcheinet, meinen Vortrag in ein
deutſches Gewand einzukleiden. Ich habe mich zu
dem Ende einer ganz natuͤrlichen und ungekuͤnſtelten
Schreibart befliſſen, ſo wie ſie ſich zu einen wiſ-
ſenſchaftlichen Vortrag ſchickt; dabey zwar alles
Blumen- und Bilderreiche, womit manche unſere
deutſchen Rechtsgelehrten ihren Vortrag nicht ohne
Nachtheil der Deutlichkeit auszuſchmuͤcken pflegen,
ſorgfaͤltig zu vermeiden, doch aber meinem Styl die-
jenige Vollkommenheiten zu geben geſucht, welche ei-
ner maͤnnlichen und ernſthaften, aber doch unterhal-
tenden, Schreibart angemeſſen ſind.
Sollte aber dieſer erſte Verſuch nicht wenig-
ſtens fuͤr diejenigen, fuͤr welche er beſtimmt iſt, et-
was zu ausf hrlich, auch vielleicht etwas zu gelehrt
gerathen ſeyn? Ich wage es nicht dieſen Vorwurf
ganz von mir abzulehnen. Allein gewiſſer maßen
brachte dieſes der Plan meiner Arbeit mit ſich. Denn
dieſer erſte Theil, welcher die erſten vier Titel der Pan-
decten, jedoch leztern noch nicht ganz vollendet, enthaͤlt,
liefert allgemeine Rechtsmaterien, die fuͤr die ganze
Rechtswiſſenſchaft anwendbar ſind. Sie ſind gleichſam
als Vorerkenntniſſe des geſammten Rechts anzuſehen.
Sodann kommen in dieſem Theil ſolche Wahrheiten
vor, die ihrer Natur nach dergleichen Vollſtaͤndig-
keit und Aufwand einiger Gelehrſamkeit erforderten,
die man mir etwa zum Vorwurf machen moͤchte.
Hierher gehoͤrt die wichtige Materie von der Verbind-
lichkeit, desgleichen von der Auslegung der Geſetze;
von dem Gebrauch der Quellen, vom Gewohnheits-
recht
[] recht und andere mehr. Ferner ſoll nach meiner
Abſicht dieſes Buch meinen Zuhoͤrern nicht blos zur
Repetition dienen, ſondern auch noch in ihrem kuͤnf-
tigen practiſchen Leben, wie ich hoffe, manche gute
Dienſte thun; ſollten ſie alſo auch, geſezten Falls,
jezt noch nicht alles genau verſtehen, ſo werden ſie
es gewiß bey weitern Fortſchritten in der Rechts-
gelehrſamkeit kuͤnftig noch verſtehen lernen. Allein
wie wenig ich mir deßfalls wirklich etwas vorwer-
fen duͤrfe, beweißt das eigne Geſtaͤndniß meiner Zu-
hoͤrer, welche mich aufrichtig verſichert haben, daß die-
ſes Buch gerade nach ihren Wunſch geſchrieben,
und ihnen alles darinne ganz verſtaͤndlich ſey.
Daß inzwiſchen in jedem der folgenden Theile mehr
Titel und Buͤcher als in dieſem erſtern, erſcheinen
werden, wird die Zukunft lehren, indem das ganze
Werk nicht uͤber ſechs Theile ſich erſtrecken ſoll.
Noch muß ich bemerken, daß ich bey einigen
in dieſem Theil vorgetragenen Lehren von der ge-
woͤhnlichen Theorie der Rechtsgelehrten abgewichen
bin. Es verſteht ſich, daß dieſes nie ohne zureichen-
den Grund geſchehen, und da ich ſchon in ſolchen Faͤl-
len andere bewaͤhrte Rechtsgelehrte zu Vorgaͤngern
habe, ſo glaube ich wenigſtens, daß meine Frey-
muͤthigke [...]t nicht unbeſcheiden genennt werden kann.
Daß ich endlich auch auf die Litteratur die ge-
buͤhrende Sorgfalt und Muͤhe verwendet habe, wird
Jeder Sachverſtaͤndiger von ſelbſt finden. Zwar
habe ich den Lipen nicht ausgeſchrieben; denn wo-
zu dieſer Unrath? allein man wird, wie ich glaube,
von den beſten und neueſten Schriften uͤber jede
Materie nicht leicht eine vermiſſen, und die ich etwa ja
)( 5im
[] im Buche ſelbſt uͤberſehen hatte, ſind noch in de-
nen beygefuͤgten Verbeſſerungen und Zuſaͤtzen ergaͤn-
zet worden.
Uebrigens kann ich nichts ſo angelegentlich
wuͤnſchen, als daß die gegenwaͤrtige Arbeit vielen
nuͤtzlich ſeyn, und die Abſicht, gruͤndliche Juriſten zu
bilden, dadurch voͤllig erreicht werden moͤchte. Sollte
bey dieſer Arbeit hie und da etwas verſehen ſeyn, wo-
ran ich gar nicht zweifle, ſo bitte ich ein gelehrtes
Publicum, mich eines beſſern zu belehren.
Praͤ-
[]
Praͤnumeranten Verzeichnis.
- Altdorf. 40 Ungenannte. Exemplar 40.
- Anſpach. Hr Reg. R. Haͤnlein, Hr. Cand. Schaͤtzler,
Hr. Proceßr. Buͤttner, Hr. Jagdſcribent Goͤringer, Hr.
Hof und Reg. Adv. Burkard, Hr. Hof und Reg. Adv.,
Roſe, Hr. Secret. Greiner. 7. - Aub. Herr von Eckard, Amtsverweſer. 1.
- Augsburg. Hr. Referendar Schmid, Hr. Biermann,
I. U. Lic. Kunſt und Handwerksreferendar, Hr. Ben-
cker, Stadtſchreiber, Hr. Edler von Chriſtmann, Raths-
Conſulent, Hr. Gullmann, Stadt-Adv. Hr. Nilſon,
Rathsprocurator, Hr. Schmidt, Advokat, Hr. Actuar
Brucker, Hr. Actuar Bellmann. 9. - Bamberg. Hr. Hofrath Pflaum, Hr Hofr. und Prof.
Goͤnners, Hr. Reg. Adv. Stoͤcker, Hr. Hof. K. R. Regiſt-
rator Grau, Hr. Cand. Iur. Hoffmann, Hr. Kammer-
herr und Hofr. von Gebſattel, Hr. Caplan Reuß, Hr.
Strambacher, Hr. Iur. Pract. Silbermann, Hr. Stud.
Rothlauf, Hr. Hofr. u. Prof. Zeller, Hr. Hofr. Lorber,
Hr. Hofrathsſecret. Pfautſch, Hr. Reichs Adv. Ott,
Hr. Juriſt Kreutzer, Hr. geiſtl. Rath Ott, Hr. Hofr.
Sehubert, Hr Hofr. Steinlein, Hr. Hofr. v. Oberkranz,
Hr. Hofr. Pfiſter, und 16 Ungenannte. 36. - Kloſter Banz. Hr Conſulent Fiſcher, Hr. P. C. D. Roppelt. 2.
- Baunach. Hr. Rath und Kaſtner Schmidt. 1.
- Bayreuth. Hr. Geh. Regiſtr. Schunther, Hr. Kam-
merherr. u. Reg. R. v. Voͤlderndorf, Hr. Proceßr. Pfeif-
fer, Hr. Geh. Regiſtr. Glaſer, Hr. Reg. Adv. Boͤrger,
Hr. Proceßr. Boͤhm, Hr. M. Ellrodt, Hr. Secret. Am-
mon, Hr. Geh. Reg. R. Wipprecht. 9. - Bruchſal. Hr. Hofkammer Reviſor Lindel, Hr. Jagd-
ſecret. Manaß, Hr. Dikaſt. Adv. Machauer, Hr. Hof-
bibl. Aſſeßor Breuflek, Hr. Prof. Julich, Hr. Prof.
Heinzmann, Hr. Hofkammer Aſſeſ. Schott, Hr. Hofkam-
merſecret. Stahl, Hr. Amtspractikant Hofmann, 2 Un-
genannte. 11. - Caſtell. Hr. Rath Conradi. 1.
- Cronach. Hr. Kaſtner Axter, Hr. Stadtconſ. Lamprecht. 2.
- Dachsbach. Hr. Cand. Goͤckel. 1.
- Praͤnumeranten Verzeichnis.
Doͤringſtadt. Hr. Amtsſchreiber Uhlmann. 1. - Duͤnkelsbuͤhl. Hr. Raths-Conſulent Wucherer. 1.
- Ebersbach, bey Neuſtadt an der Saale. 6 Ungenannte. 6.
- Ellingen. Hr. Iur. Pract. Dilg. Hr. Sec. Abel. 3.
- Erlangen. Hr. Lobſtein, Hrn. Lips aus Fr. Aurach
2 Ex. Hr. Hotz aus Schweinfurth. Hr. Baron v. Gem-
mingen aus Anſpach. Hr. Reg. Adv. Kraft, Hr.
Schwarz aus Emskirchen. Hr. Hartlaub aus Regens-
burg. Hr. Kaufmann a. Ulm. Hr. Kraft a. Erlang Hr.
Ortskaßier Rebmann. Hr. Lenz a Oldenburg. Hr. Bluͤm
le, a. Ulm. Hr. Diezel a. Anſpach. Hr. Prof. Tafinger,
Hr. Lammers a. Bayreuth. Hr. Secret. Fleiſchmann. Hr.
Boye aus Bayreuth. Hr. Schmid aus Bayreuth.
Hr. Stepf aus Schweinf. Hr. Goͤs aus Die-
tenh. Hr. Baron v. Ploto. Hr. Killinger. Hr. Hartnack.
Hr. Baron v. Kleudgen. Hr. Doͤbner aus Roͤhmhild.
Hr. Juſtizrath Hoͤflich, 3 Ex Hr. Kremling aus Bay-
reuth. Hr. Cand. Schmidt. Hr. Ortsprocurator Waͤch-
ter, 3 Ex. Hr. Cand Pfeiffer. Hr. D. Frank. Hr.
Bartelmaͤ. Hr. Fuͤßlin. Hr. Bezold aus Heilbronn.
Hr. Hofrath Geyer. Hr. Baron v. Tabago. Hr. Uebel.
Hr. Baron v. Ompteda. Hr. Baron v. Thuͤngen. Hr.
Kammerjunker v. Altenſtein. Hr. Liebeskind. Hr. Rop-
pelt aus Herzogaurach. Hr. Brand. Hr. Gromann.
Hr. v. Wunſch. Hr. Hofm. Anoſi. Hr. Th. Bruͤxner.
Hr. Feez aus Bayreuth. Hr. Bahrmann. Hr. Hab-
recht aus Regensb. Hr. Hofkammerrath v. Viſchpach.
Hr. Baron v. Roͤder. Hr. Bayer. Hr Nagler aus An-
ſpach. Hr. Foͤrtſch aus Bamberg. Hr. Rupprecht.
Hr. Cand. Seiler. Hr. Donner aus Anſpach. 63. - Eßlingen. Hr. Raths-Conſulent Neundorf. 1.
- Feuchtwangen. Hr. Cand. Loſchge. 1.
- Forchheim. 1 Ungenannter. 1.
- Fruͤhſtockheim. Hr. Kammerherr v. Crailsheim. 1.
- St. Gallen. Hr. Profeſſor Zollikofer. 1.
- Goͤttingen. Hr Apell, Hr. v. Berger. Hr. Fromm.
Hr. Klein. Hr. Leyſt. Hr. Scheel. Hr. Schneider, 2 Ex.
Hr. Tellheim. Hr: D. Schroͤder. Hr. Wedekind. 11. - Schw. Hall. Hr. Cand. Maier. Hr. Conſulent
Seyfferheld. Hr. Gottlob, Senator und Pfleger im
Jen
[]Praͤnumeranten Verzeichnis.
Jemgomer Kloſter, Hr. Bonhoͤfer. Reg. Adv. Hr.
Steuerregiſtr. Lt. Bonhoͤfer. Hr. Raths Adv. Bern-
hard. Hr. Archivſecr. Wolff in O. Sontheim. 8. - Hammelburg. Hr. Niedermaͤyer, Rath und Steu-
ereinnehmer. 1. - Heidelberg. Hr. Pfaͤhler. 4.
- Heidenheim, bey Anſpach. Hr. Lutz, Reg. Adv.
Hr. Ober- Scribent Schaudig. 2. - Helmſtaͤdt. Hr. Geh. Juſtizrath u. Prof. Oelze. 1.
- Hemhofen. Hr. Amtmann Touſſaint. 1.
- Herzogaurach. Hr. Stadtſchreiber Sponſel. 1.
- Hildburghauſen. Hr. Amtsverweſer Prautſch. 1.
- Hoͤchſtadt. Hr. Amtsverweſer Weniger. 1.
- Jena. Hr. v. Kraft, Hr. Prof. Hufeland, 3 Ex.
18 Ungenannte. 22. - Ingolſtadt. Hr. Prof. Semmer. 1.
- Mt Ippesheim. Hr. Zehnd-Inſpector Geyersbach. 1.
- Kips. Hr Conſulent Frauenholz, Hr. Amtm. Goller. 2.
- Koͤnigsbronn, im Wuͤrtenbergiſchen. Hr. Adv. D.
Kaußler. 1. - Kochendorf. Hr. Ottenwaldiſcher Orts. Secretair
Hoͤrlin. 1. - Langenzinn. Hr. Cand. Siebenkees. 1.
- Kloſter Langheim. Hr. P. Kanzleyd. Hemmerlein. 1.
- Leutershauſen. Hr. Prozeßrath u. Stadtvoigt Riedel. 1.
- Lisberg, bey Bamberg. Hr. Amtmann Sommer. 1.
- Moosburg, in d. Oberpfalz. Hr. Mitterſchr. Mayer.
Muͤhlhauſen, im Thuͤringiſchen. Hr. Kanzleydi-
rector Huͤbner. 1. - Neuhof. Hr. Proceßr. Makeldey, Hr. Cand. Fiſcher. 2.
- Neukirchen, im Bambergiſchen. Hr. Verwalter Geiger. 1.
- Neuſtadt, an der Aiſch. Hr. Landshauptmannſchafts.
Secretair Behm. 1. - Noͤrdlingen. Hr. Cand. Weng, Hr Regiſtrator
Kaiſer, Hr. Cand. Wucherer, 2 Ungenannte. 5. - Nuͤrnberg. Hr. Flechſel, Kirchner zu St. Sebald.
Hr. Beyer, Amtsſchr. Hr. Muͤhling, Officialis im
Waldamt Sebald. Hr. Dublon, Secretair. Hr. Hagen,
Iur. Pract. Hr. Regiſtr. Klug. Hr. Stettner, v. Kreßi-
ſcher
[]Praͤnumeranten Verzeichnis.
ſcher Amtsverw. Hr. Doͤhlemann, v. Geuderiſcher Amts-
verw. Hr. Muͤller, v. Welſeriſcher Amtsverw. Hr. Held,
Regiſtrator, Hr. Heuſchmann, Heſſen-Caſſelſcher Legat.
Canzl. Hr. D. Bahrmann, Hr. Dorn, Conſulent, Hr.
Carl, Procurator, Hr. Gerſtner, Gerichtsſchreiber, Hr.
Scheuerl, Aſſeſſor, Hr. Volkmar, Aſſeſſ. Hr. v. Fuͤrer,
Aſſeſſ. Hr. v. Imhof ſen. Aſſeſſ. Hr. v. Imhof jun. Aſſeſſ.
Hr. v. Ebner, Aſſeſſ. Hr. Rath Kaͤſtner, Hr. Procur. Kel-
ler, Hr. Oyer, Not. Hr. D. Link, Hr. Gillig, Gerichts-
ſchr. Hr. Hartlaub, Not. Hr. I. P. Zwanziger, Hr. von
Endtner, Hr. D. Forſter, Hr. Not. Schukart, Hr. Pom-
mer, I. P. C. Hr. Kleemann, Not. Hr. Sonntag, Not. 33. - Oberlangenſtadt. Hr. Amtsverweſer Kazenberger. 1.
- Roſtock. Herr D. Behrmann. 16.
- Roth. Hr. Rath Kraus. 2.
- Rothenburg an der Tauber. Hr. Kand. Walther, Hr.
Archivar Raab, Hr. Conſulent v. Staudt, Hr. Kand. Bezold.
Hr. Puͤrkhauer, Advocat. 5. - Schleuſingen. Hr. Kammerſecretair Muͤller. 1.
- Alten-Schoͤnbach. Hr. Amtmann Koͤppel. 1.
- Schweinfurth. Hr. Hofr. Pollich, Hr. Conſul Schneider. 2.
- Stuttgardt. Hr. Buchdrucker Joh. Phil. Erhard. 3.
- Themar. Hr. Hofadvocat u. Stadtſyndicus Sternberger. 1.
- Thurnau. Hr. Graf von Giech, Hr. Amtmann Neuhof,
Hr Kanzleyrath Ehrlicher, 5 Ungenannte. 8. - Tuͤbingen. Hr. Profeſſor Hofmann. 1.
- Uffenheim. Hr. Stadtſchreiber Koͤhler. 1.
- Ulm Hr. Kanzley Adj. Frick, Hr. Kanzley Adj. Jaͤger, Hr.
Goͤcklein, Hr. Regiſtr. Abt, Hr. Frz. Dan. v. Schad. 5. - Weingartsgreuth. Hr. Amtsverweſer Helmreich. 1.
- Weiſſenburg Hr. Stadtſchreiber Hirſchmann. 1.
- Wezlar. Hr. Koͤſter, Saynhachenburg. Commiſ. Secret. 11.
- Wilhelmsdorf. Hr. Verwalter Illing. 1.
- Windsheim. Hr. Actuarius Sauber. 1.
- Wittenberg. Hr. Kand. und Advocat Zerenner. 3.
- Wuͤrzburg. Hr. Rechtspract. Ams, Hr. Hofrath Sam-
daber, 2 Ex. Hr. Liebler, Regierungs-Fiſcal, Hr. Hofr.
Kleinſchrod, Hr. Kand. Papius, Hr. Prof. Seuffert, Hr.
Baron von Fuchs, Hr. Baron von Groß, Hr. v. Kronegg,
Hr. von Gebſattel, Domherr, Hr. Prof. Gregel, Hr. Ba-
ron von Welden, Hr. v. Gebſattel, Page, Hr. Papius,
Beneficiat, Hr. Baron von Wurmb, Hr. Kammerherr von
Speth, Hr. Kand. Probſt, Kammerherr von Hutten,
Hr. Hofrath von Groß, Hr. Hofr. von Hirſchberg, Hr.
Schmidt, Hr. Prof. Willhelm, Hr. Otto Philipp v. Groß,
Domherr, Hr. Cand. Iur. von Elz zu Ruͤbenach, Hr. Iur.
Pract. Goͤtz. 26.
(Die Fortſetzung der Praͤnumeranten folgt in den kuͤnftigen Baͤnden.)
Ausfuͤhrliche Erlaͤuterung
der
Pandecten
nach
Hellfeld
ein Commentar
zum Gebrauch fuͤr meine Zuhoͤrer.
Erſtes Buch.
Tit. I.
De iuſtitia et iure.
§. 1.
Schriften; verſchiedene Bedeutungen des Worts ius. Er-
laͤuterung der L. 1. §. 1. L. 10. L. 11. L. 12. D. h. t. L. 13.
C. de Rei Vind. L. 5. §. 1. und L. 24. D. de his quae ut
indign. L. 10. D. de cap minut. L. 27. §. 2. D. de
pactis. u. L. 41. D. de peculio.
Die erſten vier Titul der Pandecten enthalten blos
allgemeine Begriffe, und ſind gleichſam als Vor-
bereitungsgruͤnde der buͤrgerlichen Rechtsgelahrheit anzu-
ſehen. Dieſelben vorauszuſchicken, war auf jeden Fall
noͤthig, man betrachte nun die Pandecten des K. Juſti-
nians als einen Volkscodex 1), oder, welches ſie nach
der
Gluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. A
[2]1. Buch. 1. Tit.
der Abſicht des Kaiſers gleichfalls ſeyn ſolten, als ein
zum wiſſenſchaftlichen Unterricht aptirtes Rechtsſyſtem.
Der Anfang wird mit Beſtimmung der Begriffe von
Recht und Gerechtigkeit gemacht. Nam iuri ope-
ram daturum, ſagt Ulpian gleich zu Anfang dieſes
Tituls, prius noſſe oportet, unde nomeniurisdeſcen-
dat. Eſt autem aiustitia2)appellatum, nam (ut
elegan-
1)
[3]De Iuſtitia et Iure.
elegantercelsusdefinit) ivseſt ars boniet ae-
qui. Unter den mancherley Schriften uͤber dieſen,
und zugleich etliche nachfolgende Titul ſind folgende zu
empfehlen. Alb.bolognetvs de Lege, Iure
et Aequitate. Romae 1570 fol. Guil.marani
Commentarius de aequitate ſive iuſtitia,
in Oper. Tom I. Thomaepapillonii Commen-
tarii in IV. priores titulos Libri I. Dige-
ſtor in Ger.meermanniTheſauro iur. civ. et
canon. Tom. II. p. 570. Wilh. van dermuelen
Exercitationes in titulum Digeſtor. de iu-
ſtitia et iure, et Hiſtoriam Pomponii de
origine iuris. Trajecti ad Rhenum 1723. 4.
Io. Conr.ſtieglitzii Fontes iuris civ.
Rom. ſecundum ordinem Pandectarum col-
lecti. Specim. I. ad tit. Digeſtor. de iuſtitia
et iure. Lipſiae 1779. 8. Die kleinern academi-
ſchen Schriften uͤber dieſen Titul von Ge. Chriſt.ge-
bauer, Ioachim Ge.daries, Aug. Frid.
schott und Georg. Chriſtoph.neller, deſſen
verſchiedene Commentationen in ſeinen von Ge. Phil.
Chriſt.leuxner zu Trier 1787. herausgegebenen
Opuſculis T. I. P. I. befindlich ſind, werde ich bey Ge-
legenheit anfuͤhren.
A 2Was
[4]1. Buch. 1. Tit.
Was iſt nun ius? dieſes Wort hat in unſern Ge-
ſetzen mancherley Bedeutungen. Verſchiedene derſelben
hat Paulus in L. 11. D. b. t. angegeben, jedoch iſt
damit L. 1. und L. 12. eod. zu verbinden. Die vor-
nehmſten ſind folgende.
1) Bedeutet ius ſo viel als Geſetz, oder iede an-
dere verbindliche Norm, welche Geſetzeskraft hat. So
ſagt z. B. Ulpianin L. 9. D. de Legib. non
ambigitur, Senatum ius facere poſſe. Noch zu Ul-
pians Zeiten zweifelte man nicht, daß der Senat
Geſetze machen koͤnne; nur muſte er eine Veranlaſſung
dazu vom Kaiſer bekommen, welcher demſelben ſeinen
Willen entweder ſelbſt durch eine deßhalb im Senat
gehaltene Rede bekannt machte, oder durch ſeinen
Quaeſtorem Candidatum eroͤfnen ließ 3). Zu dieſer
Bedeutung gehoͤrt auch die bekannte Decemviralſanction:
Paterfamilias uti legaſſit, ita ius eſto; und in L. 50.
§. 1. D. de legat. 1. deßgleichen in L. 17. § 1.
D. de inoff. teſtam heiſt es, ius ex ſententia iudicis
fieri4). In eben dieſer Bedeutung ſagt man auch,
daß
[5]de Iuſtitia et Iure.
daß etwas ipſo iure geſchehe, wenn es eine unmittel-
bare Wuͤrkung der Geſetze iſt, ohne daß ein factum
hominis hierzu erfordert wird. Z. B. ſo acquiriten
Kinder, welche bis an den Tod ihres Vaters in deßen
Gewalt geblieben, (ſui liberi) nach dem Abſterben deſ-
ſelben die vaͤterliche Erbſchaft ipſo iure, auch ohne ihr
Wiſſen; denn die Geſetze ſelbſt erklaͤren ſie fuͤr die Er-
ben ihres Vaters, ohne daß ihre Erklaͤrung, oder ſonſt
eine Thathandlung derſelben hiezu erfordert wird 5).
2) Heißt ius auch, was denen Geſetzen gemaͤs iſt,
und die Rechte mit ſich bringen; oder was mit denen
Geſetzen uͤbereinſtimmt, und daher entweder uͤberall recht
und billig iſt, oder doch wenigſtens denen Buͤrgern ei-
nes gewißen Staats nuͤtzlich iſt. Hierher gehoͤren die
Worte Pauliin L. 11. D. h. t. Ius pluribus mo-
dis dicitur. Vno modo, cum id, quod ſemper ac-
quum ac bonum eſt,ivsdicitur: ut eſt ius natur ale.
Altero modo, quod omnibus aut pluribus in quaque
civitate utile eſt: ut eſt ius civile. In eben dieſem
Verſtande ſagt man ferner, es ſey etwas Rech-
tens: z. B. es iſt iuris, daß der Verkaͤufer dem Kaͤu-
fer die Gewaͤhr leiſte.
3) Wird ius fuͤr ein nach denen Geſetzen zuſte-
hendes Vermoͤgen etwas zu thun genommen. Hier
nennt man es eine Befugnis, ein Recht, eine Ge-
rechtigkeit, z. B. ius teſtandi, ius utendi fruendi,
A 3ius
4)
[6]1. Buch. 1. Tit.
ius poſſeſſionis, ius pignoris, ius ſervitutis. In
dieſer Bedeutung kommt das Wort ius auch in der
Definition von der Iuſtitia vor, welche Ulpian nach
L. 10. D. h. t. in einer conſtanti et perpetua vo-
luntate, ius ſuum cuique tribuendi ſetzt, d. i. in den
feſten und unveraͤnderlichen Willen, einem jeden dasje-
nige zu geben und zu laſſen, was ihm nach den Geſetzen
gehoͤrt. Inſofern nun ius ein geſetzmaͤſſiges Vermoͤgen
zu handeln anzeigt, wird demſelben das Wort iniuria
entgegengeſetzt, und darunter im weitlaͤuftigen Verſtande
eine jede unerlaubte widerrechtliche Handlung verſtan-
den. L. 5. §. 1. D. ad Leg. Aquil.
4) Nimmt man es fuͤr die moraliſche Eigenſchaft
eines Menſchen, von welcher Rechte und Verbindlichkei-
ten abhangen. Hierher gehoͤrt, wenn Marcian
in L. 12. D. h. t. ſagt: nonnunquamiusetiam pro
neceſſitudine dicimus: veluti eſt mihi ius cognationis vel
adfinitatis.van der muelen hat dieſe Stelle am
beſten erklaͤrt: Per ius hic intelligimus, ſagt er in dem
oben angefuͤhrten Commentar p. 321. illam perſona-
lem qualitatem, quam inter homines ſive ius natu-
rae ſive civile in ſtatu vel naturali vel civili viven-
tes introduxit; cuiusmodi qualitas, quia ex iure di-
manat, iuridica appellari poteſt, qua efficitur, ut
alter ad alterum certam quandam habeat relatio-
nem; adeoque qualitas illa reſpicit hominis ſtatum
cum relatione ad ſtatum alterius; quamobrem nec a
ratione alienum, ut iuris vocabulum aliquando etiam
pro neceſſitudine, ſive coniunctionis vinculo,
benevolentiae vel propinquitatis vi contracto, L. 5.
§. 1. D. quib. ex caus. in poſſ. eat, dicamus. Denn
die Verwandſchaft iſt eine moraliſche Eigenſchaft und
Verhaͤltniß gewiſſer Perſonen gegen einander, von wel-
cher
[7]de Iuſtitia et Iure
cher beſondere Rechte und Verbindlichkeiten abhangen.
Eben dieſe Bedeutung liegt zum Grunde, wenn die
Menſchen in homines ſui iuris, und homines alieni iu-
ris eingetheilt werden. Denn homines ſui iuris ſind,
wie Gebauer in Diſſ. de iuſtitia et iure §. IX. ſagt,
perſonae hac qualitate praeditae, ut in ſe vel alios
poteſtate gaudcant, eoque ipſo multa iuſte habeant
faciantque, quae negata iis, qui ſub poteſtate alte-
rius, adeoque iuris alieni ſunt. Jedoch heißt ius in
dieſer Eintheilung auch ſoviel als die Gewalt, der
jemand unterworfen iſt, princ. I. de his, qui ſui vel
alieni iuris ſunt, und L. 43. D. de obligat. et act.
Wenn Perſonen, ſo weder der Gewalt eines Vaters
noch eines Herrn unterworffen, unter keiner Auf-
ſicht ſtehen, und alſo weder einen Tutor noch Cu-
rator haben, ſo ſagen die Geſetze von ihnen, neutro
iure tenentur. Princip. I. de tutelis.
5) Auch die Eigenſchaften einer Sache nennen die
Geſetze iura, dieſe beſondere Bedeutung hat Celſus
in L. 86. D. de V. S. angemerkt, wo er ſagt: Quid
aliud ſunt iura praediorum, quam praedia qualiter
ſe habentia, ut bonitas, ſalubritas, amplitado6).
Hier iſt alſo ius eben ſo viel, als was die Geſetze ſonſt
cauſam nennen. L. 67. D. de contrab. emt. vendit.
L. 13. §. 1. de acquir. poſſ. Eine gewoͤhnlichere Be-
deutung iſt
6) diejenige, da ius einen Inbegrif mehrerer Ge-
ſetze, beſonders ſolcher, welche von einerley Art ſind,
anzeigt. z. B. Ius Romanum.
7) Wird das Wort ius auch fuͤr den Ort genom-
men, wo Recht geſprochen wird. So kommt es in den
A 4Rubri-
[8]1. Buch. 1. Tit.
Rubriken der Titul in den Pandekten de in ius vocan-
do, ferner de interrogationibus in iure faciendis vor.
Hier heißt ius ſoviel als Tribunal des Praͤtors, L. 4.
§. 1. D. de interr. in iure: und in dieſer Bedeutung
unterſchied man ius und iudicium ſorgfaͤltig von einan-
der, Cicerode Orat. Lib. I. c. 11. und Plautus
Act. IV. Sc. 2. v. 18. indem man iudicium denjenigen
Ort nannte, wo der denen Partheyen nach der Roͤmiſchen
Proceßform beſtellte Judex pedaneus ſaß, und das ſtreitige
Factum unterſuchte; denn dieſer ſaß nicht pro Tribunali,
ſondern ad Praetoris pedes in ſubſelliis. Daher wa-
ren bey den Roͤmern die Handlungen vor Gericht zwie-
fach, actus in iure, welche beym Praͤtor oder einer an-
dern Magiſtratsperſohn des Roͤm. Volks vorgenommen
wurden, z. B. ceſſio in iure; und actus in iudicio, die
beym iudex pedaneus verrichtet wurden. L. 1. §. 2.
D. de poſtul. L. 3. §. 1. D. ne quis eum, qui in ius
vocatus etc.
8) Wird unter ius zuweilen auch die Rechts- und
Proceßform oder Gerichtsordnung ſelbſt verſtanden. So
reſcribiren z B. die Kaiſer Diocletian und Maximian
einem gewiſſen Cytichio: in L. 13. C. de rei vindicat.
Ordinarii iuris eſt, ut mancipiorum orta quae-
ſtione, prius, exhibitis mancipiis, de poſſeſſione iu-
dicetur, ac tunc demum proprietatis cauſa ab eo-
dem iudice decidatur. Hier heißt ordinarium ius
ſoviel als conſueta iuris forma; alſo will das Reſcript
ſoviel ſagen: die ordentliche Rechtsform, oder die ge-
woͤhnliche Proceßordnung bringt es mit ſich, daß erſt
uͤber den Beſitz erkannt, und alsdann die cauſa pro-
prietatis entſchieden werde. In dieſer Bedeutung mach-
ten die Roͤmer in Anſehung der Art des gerichtlichen
Verfahrens einen Unterſchied, ob etwas iuris ordinarii,
oder
[9]de Iuſtitia et Iure
oder cognitionis ſey. Erſteres hieß, wenn der Praͤtor
den Partheyen einen Judex pedaneus beſtellte; und dieß
geſchahe gewoͤhnlicher weiſe: cognoſcirte hingegen der
Praͤtor ſelbſt, und entſchied den Rechtsſtreit allein, ohne
einen Judex pedaneus anzuſtellen: ſo geſchahe dieſes ex-
tra iuris ordinem, und hieß cognitio, oder cognitio
praetoria.Suetonin Claudio c. 15. Ulpian in
L. 178. §. 2. D de V. S. In der letztern Stelle
wird geſagt: Fideicommiſſa haͤtten nicht iuris ordinarii
executionem, ſondern gehoͤrten ad perſecutiones extra-
ordinarias. Den Aufſchluß giebt Ulpian an einem
andern Ort Fragm. Tit. XXV. §. 12. Fideicommiſſa
non per formulam petuntur, ut legata; ſed cogni-
tio eſt Romae quidem Conſulum, aut Praetoris, qui
fideicommiſſarius vocatur, in provinciis vero Praeſi-
dum provinciarum7)
9) Zeigt ius auch bisweilen die Sentenz oder den
Ausſpruch eines Richters an, z. B. ius reddere, ius di-
cere, einen rechtlichen Ausſpruch thun, wodurch ein Pro-
ceß entſchieden wird. Praetor quoque ius reddere di-
citur, ſagt daher Paulusin L. 11. h. t. etiam
cum inique decernit. Es wurden jedoch jene Aus-
druͤcke nur eigentlich vom Praͤtor und ſolchen Roͤm. Ma-
giſtratsperſonen gebraucht, denen vermoͤge ihres Amts
eine Gerichtsbarkeit zuſtand, denn vom Judex pedaneus
ſagte man iudicare8).
A 510) Heißt
[10]1. Buch. 1. Tit.
10) Heißt ius auch oͤfters ſoviel als die geſetzlich
beſtimmte Teſtamentsform. Bekannt ſind die Re-
densarten: teſtamentum iure factum, et non iure fa-
ctum, ein Teſtament, welches die geſetzliche Form hat,
oder nicht hat, L. 5. §. 1. und L. 24. D. de his,
quae ut indignis. In eben dieſen Geſetzſtellen kommt
auch der Ausdruck de iure diſputare vor, welcher von
demjenigen gebraucht wird, der zwar zugiebt, daß das
Teſtament den wirklich erklaͤrten Willen des Erblaſſers
enthalte, aber doch ſolches aus dem Grund anficht, weil
es mit einem Mangel in Anſehung der rechtlichen Form
behaftet ſey, und mithin den Rechten nach nicht beſte-
hen koͤnne 9). Ferner iſt
11) Ius ſoviel als der Titul, wodurch ein ding-
liches Recht erworben werden kann. L. 10. D. ſi ſervit.
vindicetur.
12) Nimmt man ius auch fuͤr Rechtsgelehrſamkeit,
in dieſer Bedeutung nimmt es Celſus beym Ulpian
in der oben angefuͤhrten L. 1. h. t. und eben ſo wird
es auch in der Rubrik dieſes erſten Tituls genommen.
13) Oft wird in unſern Geſetzen geſagt, daß et-
was geſchehe, entſtehe, oder gelte ipſo iure, und wird
demjenigen entgegengeſetzt, was iure praetorio, oder
per praetoris tuitionem geſchiehet. Siehe L. 1. §. ult.
D. de ſuperfic. L. 1. §. 5. D. quod falſo tutore. L. 1.
D. quib. mod. uſusfr. amitt. L. 9. §. 1. D. uſusfr.
quem cav. In dieſen Stellen heißt ius ſoviel als ius
civile, und die Redensart, ipſo iure fit ſoviel als hoc
totum fit opera et auctoritate iuris civilis, neque
auxilio
[11]de Iuſtitia et Iure.
auxilio Praetoris opus eſt; wie Ioſ.averanius
in Interpretat. iuris Lib. I. c. 14. n. 24. et 25. die-
ſes erklaͤrt hat. Zuletzt ſcheinen noch
14) die alten Roͤmiſchen Juriſten eine ganz eigene
Bedeutung mit dem Wort ius verbunden zu haben,
wenn ſie ſich oͤfters des Ausdrucks bedienen, daß etwas
mehr in facto als in iure beſtehe, oder ſonſt ius und
factum einander entgegenſetzen. Wir finden ſolche Re-
densarten in verſchiedenen Stellen unſerer Pandecten,
wovon ich einige als Beiſpiele anfuͤhren will. Wenn
Herennius Modeſtinusin L. 10. D. de capite mi-
nutis, welches Fragment aus dem achten Buch ſeiner
Differentiarum genommen iſt, beweiſen will, daß
das Vermaͤchtniß der Habitation zwar, wie das Ver-
maͤchtniß jaͤhrlicher oder monatlicher Einkuͤnfte, mit dem
Tode des Legatars ſich endige, aber keines derſelben
durch etwa erlittene Kapitisdeminution des Legatars ver-
lohren werde, ſondern, derſelben ohngeachtet, noch im-
mer fortdauere, ſo fuͤhrt er den Grund an: quia tale
legatum in facto potius, quam in iure, conſiſtit.
PaulusL. 27. §. 2. D. de pactis: drukt ſich faſt
auf die nehmliche Art aus: In ſtipulationibus ius con-
tinetur, in pactis factum verſatur. So ſagt ferner
UlpianL. 41. D. de peculio: Nec ſervus quicquam
debere poteſt, nec ſervo poteſt deberi. Sed cum
eo verbo abutimur, factum magis demonſtramus,
quam ad ius civile referimus obligationem. Man
findet in denen Roͤmiſchen Geſetzbuͤchern noch mehrere
Stellen, in welchen ius und factum einander entgegen.
geſetzet werden. Vergleiche L. 48. §. 1. D. de acquir.
rer. dominio, L. 38. §. 6. D. de verbor. obligat.
u. a. m. Es fraͤgt ſich alſo, in was fuͤr einer Bedeu-
tung das Wort ius in dieſen Stellen der Pandecten von
denen
[12]1. B. 1. Tit.
denen Roͤmiſchen Rechtsgelehrten genommen werde? Die
gewoͤhnliche Erklaͤrung iſt, daß ius daſelbſt ſoviel als
Civilrecht, factum aber natuͤrliches Recht, natuͤrliche
Verbindlichkeit heiſſe 9) Ich kann nicht umhin, die Worte
eines unſerer heutigen eleganten Civiliſten 10) ſelbſt hier
anzufuͤhren: „Die alten Roͤmiſchen Juriſten hatten, ſagt
derſelbe, wenn ſie von Rechten und Verbindlichkeiten re-
deten, ihre eigne Sprache, die aus der ſeientiviſchen
Behandlung derſelben entſtanden iſt. Sie beobachteten
zwo Hauptgattungen von Rechten und Verbindlichkeiten.
Einige, welche die vor ihnen liegende Geſetze dafuͤr er-
kannt, modificirt und beſtimmt hatten, und andere, de-
nen dieſelben keine beſtimmte Form gegeben, ſie uͤber-
haupt nicht in ihren Schuz genommen, und fuͤr Rechte
und Verbindlichkeiten anerkannt haben. Jene waren al-
ſo in den Geſetzen gegruͤndet, dieſe hingegen nicht. Da-
her ſagten ſie von den letztern, daß ſie mehr in facto
beſtehen, weil man dabey auf kein poſitives Geſetz, ſon-
dern hauptſaͤchlich auf das Factum, als die unmittelbare
Quelle derſelben und die beſonders dabei vorgefallene
Umſtaͤn-
[13]de Iuſtitia et Iure.
Umſtaͤnde Ruͤckſicht nehmen muſte, um ihren Umpfang
beſtimmen zu koͤnnen. Auch heiſſen ſie iura naturalia,
obligationes naturales; Rechte nehmlich, denen kein
roͤmiſches Geſetz, ſondern allein das natuͤrliche Recht
die Conſiſtenz und Form gegeben hat, und die, wenn
ſie durch die Geſetze nicht aufgehoben oder entkraͤftet
waren, auch im Roͤmiſchen Staat ihre Eigenſchaften
beybehalten haben 11). Jeder Menſch iſt derſelben faͤ-
hig, er ſey in der Sclaverey oder Freyheit: jene aber
ſetzen gewiſſe perſoͤnliche Verhaͤltniſſe bey ihren Subje-
cten voraus, und nicht alle Menſchen haben die Recepti-
vitaͤt dazu.„
Die Anwendung auf obige Geſetzſtellen iſt nun
folgende: Der Uſusfructus und Uſus, ſo heißt es wei-
ter 12), um den Modeſtin zu erklaͤren, hatten ihre
Form durch die Geſetze erhalten, waren daher Rechte
in der eigentlichen Bedeutung, und beſtanden alſo einzig
und allein in iure. Die Habitation hingegen war kein
ſolches Geſchoͤpf der Geſetze, nicht durch die Geſetze
anerkannt und in eine beſtimmte Form gebracht, ſondern
ein Reſultat von Vertraͤgen und letzten Willen. Sie
ſelbſt konnte zwar ein Gegenſtand eines Rechts ſeyn,
aber war ſelbſt kein Recht, nach dem Sinn und der
Sprache des Rechtsgelehrten. Oder ſie war vielmehr
ein natuͤrliches und nur kein geſetzliches Recht,
und beſtand alſo, wie Modeſtin ſagt, mehr in facto
als iure. Die aͤltern Geſetze hatten ſich ihrer gar nicht
angenommen. Daher entſtanden die mancherley Mei-
nungen unter den Roͤm. Rechtsgelehrten uͤber das We-
ſen derſelben, weil die Geſetze davon ganz ſtille ſchwei-
gen, und ſie aus den vorliegenden Vertraͤgen und letz-
ten
[14]1. Buch. 1. Tit.
ten Willen einzig und allein beſtimmt werden muſte 13).
Hieraus laſſe ſich nun begreifen, warum die Habitation
durch die Kapitisdeminution nicht aufgehoben worden 14).
Denn die Kapitisdeminution vertilge zwar geſetzliche
Rechte, aber da ſie auf den natuͤrlichen Zuſtand des
Buͤrgers gar keine Beziehung hatte, ſo ließ ſie die na-
tuͤrliche Rechte unangetaſtet 15).
Der
[15]de Iuſtitia et Iure.
Der andern Stelle, nehmlich des Paulus, wird
hiernaͤchſt folgender Sinn beygelegt 16): Stipulationen,
als Contracte, ſind die Quelle geſetzlicher und eigentli-
cher Rechte und Verbindlichkeiten; (in ſtipulationibus
ius continetur) ſimple Vertraͤge hingegen erzeugen blos
natuͤrliche Verbindlichkeiten, welche, wenn ſie in das
Licht der Roͤmiſchen Geſetzgebung geſtellet werden, ver-
ſchwinden. Daher koͤmmt dabey nur das Facrum oder
der Vertrag ſelbſt in Betrachtung (in pactis factum
verſatur)17). Oder, wie ſich ein neuerer Schriftſtel-
ler 18 ausdruckt: die Stipulationen ſind ſchon nach den
Civilgeſetzen guͤltig, den pactis aber ſind nur vom Praͤ-
tor, der natuͤrlichen Billigkeit wegen, einige Wirkungen
beygelegt worden. Die pacta werden als etwas blos
factiſches angeſehen, das eigentliche Recht nimmt ſie gar
nicht an.
Eben ſo erklaͤrt man die obige Stelle Ulpians19).
Der Knecht, welcher nach dem Roͤmiſchen Recht gar
keine Perſon hatte, ſondern als bloſe Sache, die zum
Vermoͤgen des Privatmannes gehoͤrte, behandelt wur-
de, war keiner Rechte und Verbindlichkeiten, das iſt,
ſolcher, die das Geſetz dafuͤr anerkannt hatte, faͤhig.
Dero-
15)
[16]1. Buch. 1. Tit.
Derowegen ſagt Ulpian:nec ſervus quidquam de-
bere poteſt, nec ſervo poteſt deberi. Als Menſch
hingegen konnte er unſtreitig Rechte und Verbindlichkei-
ten haben. Aber nach der Sprache der Juriſten waren
ſie’s nicht in der eigentlichen Bedeutung, weil das Ge-
ſetz ſie nicht dafuͤr erkannte, und der Name der Ver-
bindlichkeit hatte hier mehr ſeine Beziehung auf das
Factum der Convention, als die Eigenſchaften einer
geſetzlichen Verbindlichkeit 20).
Ich bin weit entfernt, dieſe Geſetzerklaͤrungen als
unrichtig zu verwerfen, gebe vielmehr zu, daß, wenn
man ius fuͤr ein, durch die Civilgeſetze gebildetes und
anerkanntes Recht, und factum fuͤr natuͤrliches Recht,
oder natuͤrliche Verbindlichkeit nimmt, ſich manche dieſer
Stellen vortreflich erklaͤren laſſen; ob aber dieſe Bedeu-
tung bey allen oben angefuͤhrten Geſetzſtellen deßwegen
nothwendig zum Grunde gelegt werden muͤſſe, zweifle ich
doch ſehr; ich glaube vielmehr, daß manche derſelben weit
natuͤrlicher interpretirt werden koͤnne, wenn wir die oben
nr. 1. angefuͤhrte Bedeutung des Worts ius zum Grunde
legen, und das Wort factum in ſeiner eigentlichen Be-
deutung nehmen. Bey der L. 48. §. 1. D. de acquir.
rer. dom. und L. 38. §. 6. D. de verbor. obligat. iſt
dieſes ganz offenbar. Ich glaube aber auch, daß ſich
dieſes von L. 27 §. 2. D. de pactis ebenfalls behaup-
ten laſſe. Paulus, aus deſſen dritten Buch uͤber das
Ediet dieſes Fragment genommen iſt, ſagt daſelbſt:
Wenn einer, der die Schuld erlaſſen hat, (pactus, ne
peteret,) dieſelbe ſich durch einen zweiten Vertrag wieder-
herſtellen laſſen (poſtea convenit, ut peteret), ſo wird
das erſte pactum durch das zweite aufgehoben; jedoch
nicht ipſo iure, wie eine Stipulation, wenn die Par-
theyen
[17]de Iuſtitia et Iure.
theyen wollen, (ſi hoc actum eſt) durch eine andere
aufgehoben wird; (welche nehmlich in der Abſicht, eine
Novation vorzunehmen, geſchloſſen worden) warum?
quia in ſtipulationibus, ſagt Paulus,ius contine-
tur, in pactis factum verſatur: der exceptioni pacti,
ſezt daher der Juriſt hinzu, muͤſſe in dem angezeigten
Fall durch eine Replik begegnet werden (replicatione
exceptio elidetur). Wenn wir ſo dieſe Geſezſtelle in
ihrem Zuſammenhange betrachten, ſo ergiebt ſich, wie auch
ſchon Hugo Donellus21) richtig bemerkt hat, daß
hier von den gerichtlichen Wirtungen der Stipulationen
und Vertraͤge die Rede iſt, und beſonders auf die Art
und Weiſe gezielet wird, wie ſie bey den Roͤmern vor
Gericht vorgeſchuͤzt werden muſten oder konnten, um da-
durch eine Befreyung oder Erneurung einer Verbindlich-
keit zu bewirken. Mich duͤnkt daher diejenige Erklaͤrung
weit natuͤrlicher zu ſeyn, wenn wir jene Worte, die den
Entſcheidungsgrund enthalten, ſo auslegen; weil Stipu-
lationen ipſo iure und vermoͤge Verordnung der Civil-
geſetze wirken, ohne daß hierzu ein neues factum per-
ſonae erfordert wird; pacta aber ehender nicht, als wenn
man die deshalb von Praͤtor ertheilte Exceprion oder
Replic in Gerichten vorſchuͤtzt, alſo ein factum unter-
nimmt 22). Nach der Roͤm. Proceßordnung muſte da-
her die exceptio pacti ſogleich bey der Litis-Conteſta-
tion der Klage entgegen geſetzet werden, damit ſie der
Praͤtor der formulae iudicii, die er dem iudici peda-
neo vorſchrieb, einverleiben konnte. War ich hingegen
durch
Gluͤcks Erlaͤut, d. Pand. 1. Th. B
[18]1. Buch. 1. Tit.
durch eine Stipulation von meiner Verbindlichkeit frey
geworden, ſo war es genug, wenn ich nur bey der Litis-
Conteſtation dem Klaͤger ſagte, me dare non oportere,
die weitere An- und Ausfuͤhrung meiner Einrede, daß
eine Novation vorgegangen ſey, brauchte erſt beym Ju-
dex Pedaneus zu geſchehen 23). Was endlich die Stel-
le des Herenmus Modeſtinus anbetrift, ſo duͤrfte es
wohl noch vielen Zweifeln unterworfen ſeyn, ob unter dem
facto natuͤrliches Recht zu verſtehen. Denn Modeſtin
ſagt nicht, daß die Habitation mehr in facto als in
iure beſtehe, ſondern er handelt von dem Vermaͤcht-
nis der Habitation, und ſetzt es mit dem Legato
annuo und menſtruo in ſoweit in eine Klaſſe, daß das
eine ſo wenig als das andere durch die Kapitis Demi-
nution gaͤnzlich aufgehoben werde. So wenig alſo ein
legatum in annos ſingulos vel menſes ſingulos reli-
ctum fuͤr ein natuͤrliches Recht anzuſehen, ſo gewiß iſt
es auch wohl, daß das Legat der Habitation ſeine gan-
ze Form und Kraft durch die Civilgeſetze erhalten, und
auch daraus allein zu beurtheilen ſey. Ohnſtreitig hat
unter allen Interpreten der beruͤhmte Herr geh. Juſtiz R.
Boͤhmer24) den Modeſtinus am richtigſten erklaͤrt,
wenn er ſagt: 25)ſane vix idoneus nexus rationis
cum ipſa deciſione intelligitur, niſi legatum, de quo
agit Modeſtinus, ratione acquiſitionis et conſtitutionis,
ob huius nexum cum amiſſione, in facto potius quam
in iure conſiſtere dicatur hoc ſenſu, quod non ipſo
iure,
[19]de Iuſtitia et Iure.
iure, ſed praevio eo facto, in quo legatum conſiſtit,
conſtituatur. Non enim ſemel, ſed iterum iterum-
que eodem facto continuo utrumque legatum conſti-
tuitur, perinde ut uſusfructus repetitus quotidie con-
ſtitui dicitur26). Modeſtin nimmt alſo das Wort
ius hier ebenfals in der oben angegebenen erſtern Be-
deutung, und will ſoviel ſagen: darum gehe das Legat
der Habitation durch etwa erfolgte Capitisdeminution
des Legatars nicht ſchlechterdings verlohren, weil ein
dergleichen Legat die beſondere Eigenſchaft habe, quod
eius dies poſt aditam hereditatem non ſimpliciter ce-
dat ipſo iure, ſed per factum demum habitationis, et
ex eo tempore, quo legatarius habitare incipit, id-
que ideo nec ſemel cedat, ſed ſaepius. Man ſie-
het dies aus der Vergleichung, welche Modeſtin zwi-
ſchen dieſem Legat der Habitation und einem legato an-
nuo vel menſtruo anſtellet, welches bekanntermaßen
nicht ein einziges, ſondern ein vielfaches, und zwar ein
ſo viel jaͤhriges oder ſoviel Monathliches Legat iſt, als
der Legatar erlebt. So wie nun alſo dieſes Legat, wenn
der Legatartus etwa eine Capitisdeminution erleidet, nur
fuͤr die verfloßene Zeit, da derſelbe unfaͤhig geweſen,
das Legat zu genieſſen, nicht aber fuͤr die kuͤnftige ver-
lohren gehet, vielmehr, ſobald das Hinderniß gehoben,
gleichſam von neuen wieder anfaͤngt, und ſeinen Fort-
gang hat 27), quia ſingulis annis menſibusve veluti
renaſcitur; ſo verhalte ſich’s nun eben ſo auch mit dem
Vermaͤchtniß der Habitation 28). Ich werde dieſe Er-
B 2klaͤrung
[20]1. Buch. 1. Tit.
klaͤrung am gehoͤrigen Ort Lib. VII. Tit. 4. §. 642.
mit den noͤthigen Beweißen unterſtuͤtzen 29).
§. 2.
Begrif, Eintheilung und Quellen der Verbindlichkeit. Er-
klaͤrung des pr. I. de obligat. und der L. 1. D. de
obligat. et action.
Wo ein Recht iſt, da iſt auch eine Verbind-
lichkeit vorhanden, demſelben gemaͤß zu handeln. (luri
reſpondet obligatio). Dieſes kann auf zweierley Art
verſtanden werden. Einmal, wenn man das Wort ius
fuͤr Geſetz nimmt, ſo heißt es ſoviel: wo ein Geſetz iſt,
da iſt auch eine Verbindlichkeit, ſeine Handlungen nach
der Vorſchrift deſſelben einzurichten. Zum andern,
wenn
28)
[21]de Iuſtitia et Iure.
wenn man unter ius ein nach den Geſetzen zuſtehendes
Vermoͤgen etwas zu thun verſtehet, ſo hat jener Grund-
ſatz den Verſtand: Wenn die Geſetze jemanden ein Recht
ertheilen, ſo verpflichten ſie ſeine Mitbuͤrger, die Aus-
uͤbung deſſelben geſchehen zu laſſen. Denn niemand
darf den andern in ſeinem Recht kraͤnken, oder ihn an
deſſen Ausuͤbung hindern.
Was iſt nun aber Verbindlichkeit? Der Be-
grif, den wir in dem Roͤmiſchen Geſetzbuche (pr. I. de
obligat.) davon finden, iſt folgender: obligatio eſt iu-
ris vinculum, quo neceſſitate adſtringimur, alicuius
rei ſolvendae, ſecundum noſtrae civitatis iura. Es
iſt ganz offenbar, daß Juſtinian keinen allgemeinen
Begrif gegeben, ſondern eine ſolche Verbindlichkeit de-
finirt hat, die buͤrgerlich wirkſam iſt, und aus welcher
nach Roͤmiſchen Rechten eine Klage gegen den Schuld-
ner erhoben werden konnte. Dies zeigen die Worte
ſecundum noſtrae civitatis iura unter andern ſehr deut-
lich an; es ſcheint dies auch der recht eigentliche Begrif
der Obligation im Sinn des Roͤm. Civilrechts zu ſeyn,
wenigſtens kann man ſich’s nun erklaͤren, wenn Julian
in L. 16. § 4. D. de fideiuſſor. ſagt, eine natuͤrliche
Verbindlichkeit, die keine Klage wirkt, ſey nur uneigent-
lich und per abuſionem eine obligatio zu nennen;
ja wie lebhaft ſich die Roͤmiſchen Juriſten uͤberzeugt ha-
ben muͤſſen, daß nur eine vollkommene Verbindlichkeit,
auf deren Erfuͤllung mit Beyſtand der Rechte geklagt
werden kann, den Namen einer Obligation verdiene,
laͤſſet ſich weiter daraus erkennen, wenn in L. 7. §. 4.
D. de pactis geſagt wird, ein ſogenanntes pactum nu-
dum wirke keine Verbindlichkeit, (d. i. kein Recht zu
klagen) ſondern nur eine Exception; und derjenige nur
ſey fuͤr einen Schuldner zu halten, a quo invito exigi
B 3pe-
[22]1. Buch. 1. Tit.
pecunia poteſt. L. 108. D. de V. S. Das Wort
ſolvere wird uͤbrigens in der Definition der Obligation
im weitlaͤuftigen Verſtande genommen, und begreift
dare, facere, praeſtare id, quod debeas, unter ſich,
L. 3. D. de O. et A. Siehe auch L. 176. D. de
V. S. Der Zuſatz ſecundum noſtrae civitatis iura
enthaͤlt eine Modification des rechtlichen Bandes, ſo
durch die Obligation geknuͤpft wird, und will, wie Hugo
Donellus30) dieſe Worte erklaͤrt, ſoviel ſagen: ad-
ſtringimur vero non quibuslibet modis, non ut cui-
que viſum eſt, non ut quis quid vi, aut turpiter
promiſit; ſed ut ſunt adſtringendi cauſae ſecundum
noſtrae ciuitatis iura.Iura civitatis Romanae
zeigen zwar vorzuͤglich die mancherley Gattungen des poſi-
tiven Roͤmiſchen Rechts an, und geben nicht undeutlich zu
erkennen, daß es nicht genug ſey, wenn zwar die Ver-
bindlichkeit vom Civilrecht anerkannt, vom Praͤtor aber
entkraͤftet worden; denn nur eine buͤrgerlich wuͤrkſame
Verbindlichkeit, die kein Geſetz entkraͤftet, verdient nach
jenem Roͤm. Begrif den eigentlichen Nahmen Obli-
gatio31); inzwiſchen iſt das natuͤrliche Recht (ius gen-
tium) nicht auszuſchlieſſen. Nam Populus Romanus,
ſagt Juſtiman §. 1. fin. I. de iure nat. gent. et civ.
partim ſuo proprio, partim communi omnium ho-
minum iure utitur. Nach Juſtinians Begrif waͤre
alſo Obligatio die von den buͤrgerlichen Geſetzen als
wuͤrkſam anerkannte moraliſche Nothwendigkeit, jeman-
den ein gewiſſes beſtimmtes Object zu leiſten 32); und ſoll
alſo
[23]de Iuſtitia et Iure.
alſo nicht jede allgemeine Pflicht, z. E. keinem andern
etwas von dem Seinigen zu entziehen, und uͤberhaupt
keine ſtrafbare Handlung zu begehen, darunter verſtan-
den ſeyn, ſondern ſie ſezt vielmehr jederzeit eine Per-
ſon voraus, welche einer andern zu einem beſtimmten
Thun oder Geben verbindlich gemacht worden iſt 33).
Daß alſo der legale Begrif des Roͤm. Rechts
von der Obligation wenigſtens nicht als allgemeiner Be-
grif der Verbindlichkeit gelten koͤnne, weil er den Ge-
genſtand nach ſeinem ganzen Umfang nicht in ſich faßt,
iſt gewiß. Was iſt alſo Verbindlichkeit uͤberhaupt?
Ich muß, ehe ich den richtigern Begrif davon uͤber-
haupt feſtſetze, vor allen Dingen bemerken, daß man
insgemein die Verbindlichkeit aus einem zwiefachen Ge-
ſichtspunct zu betrachten pflegt, je nachdem nehmlich
dieſelbe entweder Jemanden auferlegt wird, oder dem-
ienigen wirklich obliegt, welcher vermoͤge derſelben ver-
pflichtet wird. Jenes nennt man die active, dieſes
die paſſive Verbindlichkeit, und ſo wie man die erſtere
durch connexionem motivi cum actione definirt, ſo ver-
ſtehe[t] man im Gegentheil unter der letztern qualitatem
moralem paſſivam, qua quis praeſtare aut pati quid
tenetur. Man findet dieſe Begriffe beym Wolf,
Puffendorf und andern. Allein wenn ſich gleichwohl
die Obligation in die active und paſſive eintheilen
laͤſſet, wie in der Folge ſich ergeben wird, auch dieſe
Eintheilung in dem Syſtem des buͤrgerlichen Rechts
nicht unbekannt iſt; denn wem ſollte wohl die bekannte
B 4Ein-
32)
[24]1. Buch. 1. Tit.
Eintheilung der Correalobligation in die active und
paſſive hierbey nicht einfallen? ſo ſind doch jene ge-
meine Begriffe viel zu wenig brauchbar, da es ihnen
nicht nur an gehoͤriger Deutlichkeit, ſondern auch an
Richtigkeit ermangelt. Wenn da, wo Motiven an frem-
de Handlungen geknuͤpft werden, allemal auch eine Ver-
bindlichkeit vorhanden ſeyn ſoll, ſo wird auch der Straſ-
ſenraͤuber mir eine Verbindlichkeit auflegen koͤnnen, wenn
er mir den Tod drohet, und mich dadurch noͤthigt, ihm
das Meinige hinzugeben. Ich weiß wenigſtens nicht,
wie man dieſer Folge ausweichen will, denn ſind in
dieſem Fall nicht Motive und Handlung connex? Mo-
tive koͤnnen zwar die Erfuͤllung desienigen bewirken,
was eine ſchon vorhandene Verbindlichkeit uns auflegt;
allein der Begrif der Obligation ſelbſt laͤſſet ſich daraus
nicht formiren; denn ein anders iſt Verbindlichkeit
an ſich; ein anders aͤuſſere Erfuͤllung derſelben, wie
auch ſchon von andern laͤngſt bemerket worden 34). Der
richtige Begrif der Verbindlichkeit iſt alſo vielmehr die-
ſer. Sie iſt uͤberhaupt genommen nichts anders, als
eine durchs Geſetz jemanden auferlegte Noth-
wendigkeit, etwas zu thun oder zu unterlaf-
ſen. Wir bemerken dabey folgendes:
Erſtlich: Daß die Verbindlichkeit der Regel nach
keine abſolute, ſondern nur eine moraliſche Nothwendig-
keit mit ſich fuͤhrt, welche alſo nicht alle Freyheit zu
handeln ausſchließt, ſondern unſere freye Handlungen
nur unter der Bedingung determinirt, wenn man ein
Uebel
[25]de Iuſtitia et Iure.
Uebel vermeiden, oder ein gewiſſes Gut erlangen will.
Unter dieſen Umſtaͤnden bleibt mir alſo das Gegentheil
deſſen, was meine Verbindlichkeit erheiſcht, nach mei-
nen phyſiſchen Kraͤften noch immer moͤglich, obgleich
freylich nach der Natur deſſen, was moraliſch noth-
wendig35) genennet wird, das Gegentheil nicht ſtatt
finden kann, wenn das Verhaͤltniß meiner freyen Hand-
lung zu der Regel, wodurch dieſelbe beſtimmt wird,
erhalten werden ſoll. Indeſſen kann doch die Verbind-
lichkeit unterweilen auch eine abſolute Nothwendigkeit
mit ſich fuͤhren. Ein Beyſpiel davon geben die Zwangs-
copulationen, welche in einem ſolchen Fall gewoͤhnlich zu
ſeyn pflegen, wenn ein Beyſchlaf unter dem Verſprechen
der Ehe geſchehen iſt 36), ob ſich gleich gegen die Zweck-
maͤſigkeit derſelben noch manches nicht ohne Grund er-
innern lieſſe 37).
Zweitens: da die Verbindlichkeit eine vom Ge-
ſetz auferlegte Nothwendigkeit zu handeln iſt, ſo iſt
folglich das Geſetz der wahre Grund aller Verbindlich-
keit. Dieſes ertheilt der Verbindlichkeit ſelbſt Da-
ſeyn und Weſen, dahingegen die damit verknuͤpften Mo-
tiven, nehmlich die Vorſtellungen des Guten und Boͤ-
ſen, wodurch wir derſelben gemaͤß zu handeln beſtimmt
B 5werden,
[26]1. Buch. 1. Tit.
werden, nur in ſo weit in Betrachtung kommen, als
ſie die Erfuͤllung desjenigen bewuͤrken koͤnnen, was eine
ſchon vorhandene Verbindlichkeit uns auflegt.
Drittens: alle Verbindlichkeit ſezt ein beſtimm-
tes Subject voraus; dieſes kann zwifach ſeyn, einmal
dasjenige, welchem die Verbindlichkeit obliegt, und das
vermoͤge derſelben etwas zu leiſten ſchuldig iſt, zweitens
dasjenige, welches berechtiget iſt, die Erfuͤllung derſelben
von jenem zu fordern. Erſteres wird das Subjectum
paſſivum obligationis oder debitor in weitlaͤuftigem
Verſtande L. 108. D. de V. S. letzteres aber ſubie-
ctum activum obligationis, oder creditor im allge-
meinen Verſtande genennt L. 11. D. de V. S. Eine
Verbindlichkeit kann alſo ſowohl auf Seiten des Credi-
toris, welcher vermoͤge derſelben etwas zu fordern be-
rechtiget iſt, als auf Seiten des Debitoris, welcher
vermoͤge derſelben etwas zu leiſten ſchuldig iſt, betrach-
tet werden. Iſt nun der Creditor das Subject der
Verbindlichkeit, ſo wird ſie obligatio activa38), iſt es
aber der Debitor, eine obligatio paſſiva genennt.
Viertens: alle Verbindlichkeit entſpringt aus den
Geſetzen. Fraͤgt man nun, wie ſie daraus entſteht, ſo
laſſen ſich zwey Faͤlle gedenken, nehmlich eine Verbind-
lichkeit entſpringt entweder unmittelbar aus den Geſe-
zen, ohne daß derjenige, welchem ſie obliegt, ſich erſt
durch eine beſondere Handlung ſolche zugezogen haͤtte,
oder ſie entſtehet nicht unmittelbar aus den Geſetzen,
ſondern ſetzt eine moraliſche Handlung desjenigen, dem
ſie obliegt, zum voraus, welche den naͤchſten Grund ih-
rer Wuͤrklichkeit enthaͤlt. Eine Verbindlichkeit der er-
ſtern
[27]de Iuſtitia et Iure.
ſtern Art nennt man eine unmittelbare, dahin ge-
hoͤrt z. B. die Verbindlichkeit zur Verguͤtung des Scha-
dens, welchen ein unvernuͤnftiges Thier ungereizt auf ei-
ne bey der Art von Thieren, zu welchen das ſchaͤdliche
gehoͤrt, ſonſt nicht gewoͤhnliche Weiſe angerichtet hat
(ſi quadrupes pauperiem teciſſe dicatur): denn hier iſt
kein factum hominis, geſchweige denn eine Handlung
des Beſitzers, welchen die Verbindlichkeit zur Schadens-
erſetzung obliegt, vorhanden, die den naͤchſten Entſte-
hungsgrund der Verbindlichkeit abgeben koͤnnte; und da
nur freye Handlungen als obligatoriſche angeſehen wer-
den koͤnnen, ſo verſtehet ſich’s von ſelbſt, daß die
Handlung eines unvernuͤnftigen Thieres ohnmoͤglich da-
hin gerechnet werden kann. Dieſe Verbindlichkeit ent-
ſtehet alſo unmittelbar aus den Geſetzen. Dahin gehoͤrt
ferner die Verbindlichkeit eines Beſitzers, demjenigen eine
innehabende Sache vorzuzeigen, welchem, um ſeine ver-
meintlich daran habende Anſpruͤche geltend machen zu
koͤnnen, beſonders daran gelegen iſt, ſelbige zu ſehen
(obligatio ad exhibendum). Wenn im Gegentheil nicht
die Vorſchrift des Geſetzes unmittelbar, ſondern eine
beſondere vom Geſetz beſtimmte moraliſche Handlung
desjenigen, dem die Verbindlichkeit obliegen ſoll, den
naͤchſten Entſtehungsgrund derſelben ausmacht, ſo wird
ſie eine mittelbare Verbindlichkeit genennt 39).
Fuͤnf-
[28]1. Buch. 1. Tit.
Fuͤnftens: da eine mittelbare Verbindlichkeit
ein factum obligatorium zu ihrer Wuͤrklichkeit erfor-
dert, ſo kommt es nun auf die verſchiedenen Arten der
Handlung an, um eine richtige und vollſtaͤndige Theo-
rie von Entſtehung der Verbindlichkeit bilden zu koͤnnen.
Gewoͤhnlich pflegt man in den gemeinen Lehrbuͤchern die
facta, woraus Verbindlichkeiten entſpringen, auf zwey
Hauptclaſſen zu reduciren. Erlaubte — und uner-
laubte Handlungen. Erſtere, ſagt man, ſind die
Vertraͤge, leztere hingegen die Verbrechen. Da-
her die bekannte Regel der Doctorum, welche den
Grund aller mittelbaren Verbindlichkeit in ſich faſſen
ſoll: omnis obligatio mediata oritur vel ex pacto
vel ex delicto. Allein wie unzulaͤnglich dieſe Theorie
ſey, und wie wenig ſie dem Syſtem der Roͤm. und
heutigen Rechtsgelahrtheit angemeſſen, laͤſſet ſich leicht
erweiſen. Der Kaiſer Juſtinian beſtimmt in ſeinen
Inſtitutionen (§. ult I. de obligat.) den Entſte-
hungsgrund der mittelbaren Verbindlichkeiten dahin: ob-
ligationes aut ex contractu ſunt, aut quaſi ex con-
tractu, aut ex maleficio, aut quaſi ex maleficio.
Wo bleiben nun nach der gemeinen Theorie die hier
ausdruͤcklich genannte obligationes, quae quaſi ex con-
tractu naſcuntur, wovon ein ganzer Titul der Inſti-
tutionen handelt (Tit. 28. Lib. III.)? Dieſe entſtehen
doch
39)
[29]de Iuſtitia et Iure.
doch gewiß ſo wenig aus Vertraͤgen, als aus Verbre-
chen. Wo bleiben ferner die obligationes, quae quaſi
ex maleficio ſunt, wovon Tit. 5. Libri IV. Inſtitut.?
Jedermann ſiehet alſo wohl die Unzulaͤnglichkeit jener
Regel ein; nun will man der verlornen Sache zwar
mit einer Fiction zu helfen ſuchen, mittelſt welcher man
diejenigen facta, welche zu keiner von beyden erwaͤhnten
Quellen gehoͤren, bald der einen, bald der andern bei-
zuzaͤhlen ſich bemuͤhet. Man ſagt nehmlich, wer durch
erlaubte Handlungen, die keine Vertraͤge ſind, verbind-
lich wird, bey dem fingiren die Geſetze, daß er einen
Vertrag geſchloſſen; und wenn aus unerlaubten Hand-
lungen, ſo keine eigentliche Verbrechen ſind, eine Ver-
bindlichkeit entſtehet: ſo ruͤhrt dieſes daher, weil die
Geſetze ein eigentlich nicht vorhandenes Verbrechen als
wuͤrklich geſchehen, annehmen. Allein daß dieſe her-
beygezogene Fiction ungereimt, und eine in Geſetzen nir-
gends gegruͤndete Chimaͤre ſey, wird zu ſeiner Zeit dar-
gethan werden. Etwas verſchieden von jener iſt die
Theorie des Gajus in L. 1. D. de obligat et action.
Obligationes aut ex contractu ſunt, aut ex ma-
leficio, aut proprio quodam iure ex variis
cauſarum figuris. Hier wird, auſſer den Verbind-
lichkeiten, welche aus einem Contract oder Verbrechen
herruͤhren, als einer dritten Gattung, annoch ſolcher
gedacht, welche proprio quodam iure ex variis cauſa-
rum figuris entſtehen. Dieſe letztere Gattung ſoll alle
die Verbindlichkeiten in ſich faſſen, wozu weder Con-
tract, noch Verbrechen des Schuldners den Grund ge-
geben. So mancherley nun dieſe cauſarum figurae
ſeyn koͤnnen, die ein beſonderes Fundament von Ver-
bindlichkeiten abgeben, ſo weder zu den Coutracten,
noch Verbrechen zu rechnen iſt, ſo ſcheint dennoch Ga-
jus unter jener Gattung der Verbindlichkeiten, welche
ex
[30]1. Buch 1. Tit.
ex proprio quodam iure et variis cauſarum figuris
ihre Entſtehung herleiten, vornehmlich diejenigen verſtan-
den zu haben, die ſowohl unmittelbar aus Geſetzen, als
welche quaſi ex contractu oder quaſi ex delicto her-
ruͤhren. Schon AntonSchultingin notis ad
Gaii inſtitut. L. II. Tit. 9. Iurisprud. Antejuſt.
pag. 144. edit. Ayrer. erklaͤrte ſich dieſe Worte des
Gajus alſo: Sub illis, quae proprio quodam iure ex
variis cauſarum figuris naſcuntur, comprehendere vi-
detur, tam quae quaſi ex contractu vel quaſi ex de-
licto ſunt, quam quae ex lege, edicto, vel alio ſimili
iure naſcuntur. Und Herr Prof. Weber hat dieſe
Erklaͤrung in ſeinem klaſſiſchen Werk von der natuͤr-
lichen Verbindlichkeit 1. Abtheil. §. 22. S. 55.
aus der Verbindung der Fragmente des Gajus, worin
derſelbe von dem Entſtehungsgrund der Verbindlichkeiten
handelt, und welche in den Pandecten 40) nach eben der
Reihe und Folge geordnet ſind, wie man ſie in ſeinen
Schriften ſelbſt angetroffen, ſo einleuchtend bewieſen, daß
ich ihm hierin beyzutreten, kein Bedenken finde. Denn
wenn der Juriſt zufoͤrderſt (princ. cit. Leg.) die Haupt-
quellen der Verbindlichkeiten in allgemeinen angiebt;
nehmlich den Contract, das Verbrechen, und das-
jenige beſondere Fundament, ſo er unter dem proprio
iure
[31]de Iuſtitia et Iure.
iure variisque cauſarum figuris verſtehet; darauf aber
jede dieſer Quellen wieder beſonders durchgehet; und L. 1.
§. 1. ſq. mit dem Contract den Anfang macht, deſſen ver-
ſchiedene Eintheilungen angiebt, ohne der Verbindlich-
keiten quaſi ex contractu mit irgend einem Worte da-
bey zu erwaͤhnen, geſchweige denn ſolche als Untergat-
tungen dahin zu rechnen; wenn er darauf L. 4. von den
Verbindlichkeiten ex maleficio redet; und dann erſt,
nachdem er alles dieſes abſolviret, die beſondern Ver-
bindlichkeiten quaſi ex contractu und quaſi ex delicto
nachholet, und von erſtern L. 5. pr. et §. 1. ſqq. bis
zum 4ten, von leztern aber §§. 4 ſqq. bis zu Ende deſ-
ſelbigen L 5. 41) handelt; ſo iſt wohl nichts wahrſchein-
licher, als daß er dieſe zu der allgemeinen Rubrik ex
variis cauſarum figuris, wovon wir ſonſt keine beſon-
dere Erlaͤuterung antreffen, gerechnet habe 42).
So gewiß ich uͤberzeugt bin, daß die vorgetrage-
ne Erklaͤrung dem wahren Sinn der Roͤmiſchen Rechts-
lehrer von der Entſtehungsart der Verbindlichkeiten voll-
kommen gemaͤß ſey; ſo iſt und bleibt doch auch die Theo-
rie der Roͤmiſchen Rechtsgelehrten ſelbſt nicht nur dun-
kel,
[32]1. Buch. 1. Tit.
kel, ſondern iſt auch in manchem Betracht ſehr unzu-
laͤnglich, und uͤberhaupt unſerm heutigen Rechtsſyſtem
nicht mehr angemeſſen, indem die Roͤmiſchen Juriſten
in den oben angefuͤhrten Geſetzſtellen nach Maßgabe des
Begrifs, welchen ſie ſich von einer Verbindlichkeit mach-
ten, bey Beſtimmung der Entſtehungsart derſelben nur
lediglich die Quellen ſolcher Verbindlichkeiten angegeben,
welche wuͤrklich in den Gerichten eine Klage hervorbringen,
und daher der Vertraͤge nicht erwaͤhnen, weil aus
Vertraͤgen an ſich bey den Roͤmern keine Klage ent-
ſtand 43). Wollen wir alſo eine vollſtaͤndige Theorie
von den Entſtehungsgruͤnden der Verbindlichkeiten for-
miren, welche unſerm heut zu Tage gangbaren Rechts-
ſyſtem angemeſſen iſt, ſo muß es meiner Meinung nach
auf folgende Art geſchehen:
Verbindlichkeiten ruͤhren entweder unmittelbar aus
Geſetzen her, oder ſie gruͤnden ſich zunaͤchſt auf obliga-
toriſche Handlungen. Jene werden unmittelbare
Verbindlichkeiten (Obligationes immediatae ſeu ex legi-
bus) dieſe aber mittelbare Verbindlichkeiten genennt.
Leztere ſind nach Verſchiedenheit der Handlungen,
die den naͤchſten Grund davon ausmachen, wiederum
mancherley und folgendergeſtalt naͤher zu beſtimmen.
Sie entſtehen entweder aus erlaubten, oder aus
unerlaubten Handlungen. Iſt das erſtere, ſo beſtehen
dieſe entweder in einem acceptirten Verſprechen, oder
in andern Arten erlaubter Handlungen. In erſterm
Fall haben wir Verbindlichkeiten aus den Ver-
traͤ-
[33]de Iuſtitia et Iure.
traͤgen, die nach der Roͤm. Rechtslehre entweder Con-
tracte, oder eigentlich ſo genannte Vertraͤge
ſind, welchen Unterſchied wir zu ſeiner Zeit entwickeln
werden. Im andern Fall koͤnnen dieſe erlaubte Hand-
lungen entweder in einem blos einſeitig geſchehenen,
nicht acceptirten Verſprechen beſtehen, als welches in
einigen Faͤllen durch buͤrgerliche Geſetze vor vollkommen
verbindlich erklaͤret wird, oder in andern factis, die
an ſich erlaubt, und durch die buͤrgerlichen Geſetze der-
geſtalt beſtaͤttigt worden ſind, daß ſie in gewiſſen von
den Geſetzen ausdruͤcklich beſtimmten Faͤllen aus Gruͤn-
den der natuͤrlichen Billigkeit auch ohne allen Vertrag
oder Verſprechen, eine eben ſo vollkommene W[e]rkung
hervorbringen, als wenn deßhalb ein Contract waͤre
geſchloſſen worden. Jene ſind die Verbindlichkei-
ten aus Pollicitationen, welche entweder ex voto
oder ex pollicitatione in ſpecie ſic dicta herruͤhren koͤn-
nen. Dieſe aber werden Verbindlichkeitenquaſi
ex contractu genennt. Z. B. die Verbindlichkeit des
Erben zur Auszahlung der Vermaͤchtniſſe; dieſe ent-
ſpringt aus dem Antritt der Erbſchaft quaſi ex contra-
ctu, d. [f]. der Erbe handelt hier gerade ſo, und iſt auch
eben ſo verpflichtet, als ein Bevollmaͤchtigter, dem die
Legatarien den Auftrag ertheilet haͤtten, die Vermaͤcht-
niſſe fuͤr ſie in Empfang zu nehmen, gehoͤrig aufzube-
wahren, und zur Zeit an ſie abzuliefern 44). Wenn
im Gegentheil Verbindlichkeiten aus unerlaubten Hand-
lungen entſpringen, ſo koͤnnen dieſe wiederum verſchieden
ſeyn, je nachdem die unerlaubten Handlungen, woraus
ſie entſtehen, entweder wahre Verbrechen, die ihren
Urhebern moraliſch imputirt werden koͤnnen, oder ſolche
Hand-
Gluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. C
[34]1. Buch. 1. Tit.
Handlungen ſind, die an ſich zwar unerlaubt und ſtraͤf-
lich ſind, jedoch entweder nach den Regeln der morali-
ſchen Imputation, oder doch wenigſtens nach ſonſtigen
Vorſchriften des ſtrengen Rechts diejenige Wuͤrkung
nicht geradezu hervorbringen wuͤrden, welche vermoͤge
beſonderer Verordnungen daraus entſpringt, d. i. nach
ſonſtigen Grundſaͤzen des ſtrengen Roͤm. Rechts demje-
nigen nicht geradezu zur Laſt gereichen wuͤrden, welcher
nach beſondern geſetzlichen Vorſchriften dafuͤr haften
muß. Die Verbindlichkeiten der erſtern Art ſind die
Obligationes, quae ex delictis naſcuntur.
Die Verbindlichkeiten der letztern Art aber werden obli-
gationes quaſi ex delicto genennt. Dahin rech-
nen z. B. die Geſetze die Verbindlichkeit eines Richters
zur Schadenserſetzung, wenn er aus Verſehen und Un-
wiſſenheit einem ſtreitenden Theile zu nahe gethan. Si
iudex, ſagt GajusL. 6. D. de extraord. cognit.,
litem ſuam fecerit, non proprie ex maleficio obliga-
tus videtur, ſed quia neque ex contractu obligatus
eſt, et utique peccaſſe aliquid intelligitur, licet per
imprudentiam, ideo videtur, quaſi ex maleficio, te-
neri in factum actione. Nach den Grundſaͤtzen des
ſtrengen Civilrechts konnte eigentlich nur vorſaͤtzliche Par-
theylichkeit und grobe Unachtſamkeit einem Richter als
ein Verbrechen angerechnet werden, weil er ſein Amt
nicht mercede conductus verrichtet, ſondern, als
Rechtsgelehrter, eine artem liberalem ausuͤbt arg.
L. 1. D. ſi menſor falſum modum dixerit. Ein an-
deres Beiſpiel, wo den Roͤm. Rechten nach eine obli-
gatio quaſi ex delicto vorhanden, giebt die Verbind-
lichkeit eines Wirths, fuͤr den Schaden zu haften, der
durch unvorſichtiges Herunterſchuͤtten oder Herunterwerf-
fen ſeiner Hausleuthe auf die Straſſe angerichtet wor-
den. Der Wirth kann moraliſch betrachtet ganz un-
ſchul-
[35]de Iuſtitia et Iure.
ſchuldig ſeyn, er hat aber doch unſtreitig ehender Ge-
legenheit, den wahren Thaͤter auszufinden, und an ihm
ſeinen Regreß zu nehmen, als der Beſchaͤdigte. Grund
genug zur Rechtfertigung einer zur Befoͤrderung der oͤf-
fentlichen Sicherheit ganz unentbehrlichen Legislation.
Allein eben darum, weil der Beſchaͤdigte nicht verbunden
iſt, den Wirth oder Bewohner des Hauſes als den
Urheber der Handlung anzuklagen, heißt es in
§. 1. I. de obligat. quae quaſi ex delict. naſcuntur:
ideo non proprie ex maleficio obligatus intelligitur,
quia plerumque ob alterius culpam tenetur45).
Dies ſind die Begriffe von denen Obligationi-
bus ex delicto et quaſi ex delicto in aͤchtem Sinn
des Roͤm. Rechts genommen: welches ich darum erin-
nern muß, weil unſere heutigen Rechtslehrer andere
Begriffe damit zu verbinden pflegen. Denn heut zu
Tage nennt man eigentliche Verbrechen(vera de-
licta) ſolche, die mit Vorſaz veruͤbt worden ſind. Hin-
gegen, die aus bloſer Unachtſamkeit zu Schulden ge-
brachte Vergehungen werden von unſern heutigen Crimi-
naliſten nur quaſi delicta genannt 46).
Zum Beſchluß dieſer Theorie nur noch einige Be-
merkungen. Erſtlich: wenn in unſern Geſetzbuͤchern ſehr
oft geſagt wird, die Verbindlichkeit entſtehe ex re,
ſo gilt dieſes von allen denjenigen Faͤllen, wo die Ver-
bindlichkeit nicht von der Einwilligung des Schuldners,
C 2noch
[36]1. Buch. 1. Tit.
noch desjenigen abhaͤngt, in deſſen Gewalt oder Auf-
ſicht er ſich befindet. Dahin gehoͤrt einmahl, wenn
die Verbindlichkeit aus einem Verbrechen entſteht, pr.
I. de obligat. quae ex delicto naſc. wo geſagt wird:
omnes obligationes ex maleficio eſſe unius generis:
nam omnes ex re naſcuntur, id eſt, ex ipſo ma-
leficio, veluti ex furto etc. Zweitens, wenn die
Verbindlichkeit aus einem erlaubten Geſchaͤft entſpringt,
aus welchem derjenige, welcher ohne ſein Verſprechen
und Zuſage daraus verpflichtet wird, reicher geworden
iſt. Z. B. wenn ich eines Pupillen negotia gerirt
habe, und zwar ſo, daß ſein Nutzen dadurch wirk-
lich befoͤrdert worden iſt, ſo iſt derſelbe verbunden, mir
meine Koſten und Auslagen zu erſtatten. Die Ver-
bindlichkeit entſpringt hier ex re, d. i. ex ipſa ne-
gotii natura, ne pupillus ex alieno diteſcat, et
cum damno meo fiat locupletior. Auf die Art koͤn-
nen alſo furioſi, pupilli und andere Perſohnen, die
ſich durch ihre Einwilligung nicht ſelbſt verbinden koͤn-
nen, dennoch ex re obligiret werden, wie Paulus
ſagt L. 46. D. de obligat. et action. Furioſus et
pupillus ubi ex re actio venit, obligantur, etiam
ſine curatore vel tutoris auctoritate: veluti ſi com-
munem fundum habeo cum his, et aliquid in eum
impendero, vel damnum in eo pupillus dederit: nam
iudicio communi dividundo obligabuntur. Siehe
uͤbrigens Huberin Praelect. ad Inſtitut. Lib. III.
Tit. 20. §. 2.
Zweitens. Oft iſt es ſchwer zu beſtimmen,
zu welcher cauſarum figura, um mich dieſes Ausdruks
des Cajus zu bedienen, eine gewiſſe Verbindlichkeit ge-
hoͤre. Selbſt die Roͤm. Juriſten konnten ſich nicht
immer hieruͤber vereinigen. Ein Beiſpiel giebt Celſus
in
[37]de Iuſtitia et Iure.
in L. ult. D. de condict. cauſ. dat. cauſ. non ſec.
wo er folgenden Fall vortraͤgt: Dedi tibi pecuniam,
ut mihi Stichum dares. Utrum id contractus genus
pro portione emtionis et venditionis eſt? an nulla
hic alia obligatio eſt, quam ob rem dati re non ſe-
cuta? in quod proclivior ſum: et ideo, ſi mortuus
eſt Stichus, repetere poſſum, quod ideo tibi dedi,
ut mihi Stichum dares. Hier gedenkt Celſus einer
obligationis ob rem dati re non ſecuta ſcil. ad reſti-
tuendum. Was iſt dies vor eine Verbindlichkeit? wel-
ches iſt ihr Entſtehungsgrund? eine ſehr ſtreitige Fra-
ge; ruͤhrt ſie aus einem contractu innominato her,
wie BynckershockObſervat. iur. Rom. Lib. VI.
c. 24. und Wielingin Lection. iur. civ. Lib. II.
c. 4. behaupten? oder entſpringt ſie quaſi ex contractu,
wie Ioh. vanneck in Diff. ad h. L. ult. Lugd.
Batav. 1735. Cap. III. annimmt? in oelrichs
Theſ. nov. Diſſ. Belgicar. V. II. T. II. N. X. oder
entſteht ſie unmittelbar aus den Geſetzen? Ich werde
mich unten am gehoͤrigen Ort hieruͤber naͤher erklaͤren.
§. 3.
Eintheilung der Verbindlichkeit in vollkommene und unvoll-
kommene. Pruͤfung der Regel: „quod tibi non nocet etc.
und Erlaͤuterung der L. 2. §. 5. D. de aqua et aquae pluv.
arc. Vollkommenes und unvollkommenes Recht. Recht-
maͤſige Zwangsmittel, erſteres geltend zu machen.
Verbindlichkeiten ſind weiter, wenn man auf den
Effect derſelben ſiehet, entweder vollkommene oder
unvollkommene; je nachdem ſie entweder ſo beſchaf-
fen ſind, daß man durch rechtmaͤſige Zwangsmittel zur
Erfuͤllung derſelben genoͤthiget werden kann, oder nicht.
Jene werden auch Zwangspflichten, dieſe hingegen
C 3Lie-
[38]1. Buch. 1. Tit.
Liebespflichten genennet 47). Daß dieſe Einthei-
lung an ſich gegruͤndet ſey, wird kein Vernuͤnftiger
laͤugnen, oder man muͤſte behaupten, daß entweder al-
le Pflichten ohne Unterſchied erzwingbar, oder daß alle
ohne Unterſchied unvollkommene waͤren, welches beydes
gleich laͤcherlich ſeyn wuͤrde. Wichtiger noch iſt die
Frage, welches die Quellen ſind, woraus vollkommene
Verbindlichkeiten entſpringen? ich werde mich hiebey
blos auf das poſitive Recht einſchraͤnken, um jenem
Streit auszuweichen, welchen man hieruͤber im Natur-
recht erhoben hat. Daß man, um vollkommene Verbind-
lichkeiten von den unvollkommenen zu unterſcheiden, nicht
immer den Gegenſtand derſelben zum Augenmerk machen
duͤrfe, wird mir, wie ich hoffe, ein jeder gern zugeben.
Denn es kann ohne Zweifel durch Vertraͤge, Vermaͤcht-
niſſe und andere dergleichen Privatdispoſitionen etwas
in Zwangspflicht verwandelt werden, was an ſich nur
Liebespflicht iſt. Doch ich will noch allgemeiner davon
handeln und dieſen Gegenſtand als Wirkung der poſi-
tiven Geſetze betrachten, welche hin und wieder dasje-
nige, was an ſich nur unerzwingliche Pflicht der Men-
ſchenliebe ſeyn wuͤrde, als wirkliche Zwangspflicht be-
handelt wiſſen wollen. Unſere Geſetzbuͤcher enthalten
genug Faͤlle, welche dieſes auſſer allen Zweifel ſetzen.
Iſt nicht zum Beiſpiel die Pflicht, eines Unmuͤndigen
Vormund zu ſeyn, auſſer dem Staat Liebespflicht;
nach Roͤmiſchen Rechten aber erzwingbare Schuldig-
keit?
48)
[39]de Iuſtitia et Iure.
keit 49)? und legt nicht ferner das Roͤmiſche Recht 50)
einem Ehemann die vollkommene Verbindlichkeit auf,
ſeine verſtorbene Ehefrau, auch wenn ſie kein Heiraths-
guth eingebracht hat, auf ſeine Koſten beerdigen zu
laſſen? da doch die Pflicht der Beerdigung an ſich nur
unerzwingliche Pflicht der Menſchenliebe iſt. Es giebt
noch mehrere Faͤlle, wo Liebespflicht an ſich als klag-
bare Schuldigkeit vorgeſchrieben worden; dahin gehoͤrt
zum Beiſpiel, daß der Vater ſeiner heirathenden Toch-
ter einen ſeinem Vermoͤgen angemeſſenen Brautſchaz
mitgeben muß 51); und dergleichen mehr 52). Es ver-
ſtehet ſich jedoch von ſelbſt, daß dasjenige, was an ſich
nur Liebespflicht ſeyn wuͤrde, durch die buͤrgerliche Ge-
ſetze wirklich vorgeſchrieben ſeyn muͤſſe, wenn es als
Zwangspflicht zu behandeln ſeyn ſoll. Denn ein ande-
res iſt freylich in denen Faͤllen zu behaupten, wo auch
die Civilgeſetze eine Liebespflicht nur als ſolche empfeh-
C 4len,
[40]1. Buch. 1. Tit.
len, nicht aber befehlsweiſe vorſchreiben, wovon wir un-
ter andern in L. 1. §. 3. D. de peric. et comm. rei vend.
und L. 12. D. de adminiſtr. tutor. Beiſpiele finden.
Wenn aber dergleichen mehr anrathende und empfehlen-
de Beſtimmung in den Geſetzen nicht angetroffen wird;
ſo iſt billig anzunehmen, daß der Geſetzgeber durch ſei-
ne Vorſchriften perfecte zu verbinden die Abſicht ge-
habt habe. Da es inzwiſchen doch immer nur Ausnah-
me von der Regel bleibt, wenn eine Liebespflicht an ſich
durch geſetzliche Vorſchrift in Zwangspflicht uͤbergehet,
ſo leitet uns die Natur der Sache auf folgende zwey
Grundſaͤtze, welche der Richter billig nie auſſer Acht zu
laſſen hat. I. Was an ſich nur Liebespflicht ſeyn wuͤr-
de, gehoͤrt nur lediglich in den beſondern Faͤllen, welche
die Geſetze ausdruͤcklich genennt haben, vor das aͤuſſere
forum; in allen uͤbrigen Faͤllen darf der Richter die
Graͤnzen nicht uͤberſchreiten, welche der Roͤmiſche Rechts-
gelehrte Paulus ihm vorzeichnet 53): etſi honeſte, ex
liberalitate tamen fit, quae ſervanda arbitrio eſt.
Es muß daher II. bey Anwendung der buͤrgerlichen Ge-
ſetze, welche uns Verbindlichkeiten auflegen, die an ſich
zu denen nicht erzwinglichen gehoͤren, allemal auf die
Verhaͤltniſſe, welche die geſetzliche Sanction im Allgemei-
nen dabey vorausſetzet, insbeſondere aber auf die Art der
Wirkung, welche ſolchen Verbindlichkeiten ausdruͤcklich
beygelegt iſt, genaue Ruͤckſicht genommen, und keine
weitere Ausdehnung geſtattet werden. Dieſen Grund-
ſaͤtzen zu Folge laͤſſet ſich daher mit Grunde nicht be-
haupten, daß der Vater, um eines der obigen Beiſpiele
hier zur Erlaͤuterung wieder zu gebrauchen, auch alsdann
ſchuldig ſey, ſeiner heirathenden Tochter aus ſeinem
Vermoͤgen einen Brautſchaz mitzugeben, wenn jene zu-
laͤngliche eigne Mittel beſitzet. Eben daraus folgt auch,
daß
[41]de Iuſtitia et Iure.
daß in denen Faͤllen, wo die Geſetze wegen Verbind-
lichkeiten dieſer Art nur eine Einrede geſtattet haben,
der gerichtliche Effect ohne Ungerechtigkeit nicht weiter
erſtrecket werden duͤrfe 54). Ich werde von dieſen Faͤl-
len hernach weiter reden; jezt aber muß ich noch bemer-
ken, daß, ſo evident auch immer jene Grundſaͤtze ſind,
man dennoch auch noch heut zu Tage ſehr haͤufig da-
gegen anzuſtoſſen pflegt, und eine Menge hin und
wieder herrſchender Irrthuͤmer ergeben es nur zu
deutlich, daß man jene Grundſaͤtze gerade in den
Streitigkeiten, welche ſofort ihre Entſcheidung dar-
aus hernehmen, faſt gaͤnzlich auſſer Acht gelaſſen hat.
Zu der Menge von Unvorſichtigkeiten, welche in dieſer
Hinſicht auch noch von den neueſten und angeſehenſten
Rechtslehrern begangen werden, zaͤhle ich beſonders den
Mißbrauch, den man mit der faſt allgemein angenom-
menen Regel, quod tibi non nocet, alteri vero prod-
eſt, ad id poteris compelli, insgemein zu machen pflegt.
Ich entſinne mich noch gar wohl, dieſe vermeintliche
Rechtsregel oft in den wichtigſten Rechtsfaͤllen als Ent-
ſcheidungsgrund geleſen zu haben. Allein unterſuchen
wir den Grund derſelben genauer, ſo duͤrfte ſie in de-
nen Geſetzen wohl ſchwerlich anzutreffen ſeyn. Was ſie
wuͤrklich enthalten, und woraus endlich der erwaͤhnte
Satz gebildet worden, ſind die Worte des Roͤm. Juri-
ſten Paulusin L. 2. §. 5. D. de aqua et aquae plu-
viae arcendae. Opinor, utilem actionem vel interdi-
ctum mihi competere adverſus vicinum, ſi velim ag-
gerem reſtituere in agro eius, qui factus mihi quidem
prodeſſe poteſt, ipſi vero nihil nociturus eſt: haec ae-
C 5qui-
[42]1. B. 1. Tit.
quitas ſuggerit, etſi iure deficiamur. Allein man
unterſuche nur den Fall, worauf ſich dieſe Worte ei-
gentlich beziehen, ſo wird man leicht finden, daß jene
Regel, ſo wie ſie gewoͤhnlich lautet, in gedachter Stelle
wirklich gar nicht vorgetragen wird. Den beſondern
Fall des Geſetzes ſelbſt ergeben die Anfangsworte der
gedachten Stelle ganz genau. Aggerem, qui in fundo
vicini erat, vis aquae deiecit, per quod effectum eſt,
ut aqua pluvia mihi noceret. Hieraus ſiehet man, daß ich
darum berechtiger ſeyn ſoll, auf meines Nachbahrs Grund-
ſtuͤck einen Damm, den die Gewalt des Waſſers weg-
geriſſen hatte, wieder herzuſtellen, weil es mir zum of-
fenbahren Nachtheil gereichen wuͤrde, wenn die Herſtel-
lung unterbliebe; und dieſes ſoll mein Nachbahr um ſo
mehr zu leiden ſchuldig ſeyn, da ihm die Herſtellung
des Dammes ganz unſchaͤdlich iſt. Die Worte prodeſſe
poteſt deuten dahero in natuͤrlicher Verbindung mit den
vorhergehenden darauf, daß wirklicher Nachtheil durch
gewiſſe Unternehmungen auf fremden Grund und Boden
abgewendet werden ſoll. Nicht aber werde ich dadurch
berechtiget, bloß zu meinem Vortheil uͤber das Eigenthum
meines Nachbahrn zu diſponiren, geſetzt auch, daß er
durch meine Unternehmungen auf dem Seinigen nicht den
mindeſten Schaden litte. Und wo bleibt nun der ge-
woͤhnliche Satz, quod tibi non nocet, mihi vero
prodeſt, ad id poteris compelli? Werden hierdurch
nicht offenbahre Mißbraͤuche und Eingriffe in die Freiheit
und Rechte des Privateigenthums der Buͤrger unter dem
Deckmantel der Geſetze beſchoͤniget, welche die Geſetze
ſelbſt doch gar nicht geſtatten? Ferner harmonirt auch jene
Regel mit ihrer Quelle darum nicht, weil nach dem In-
halt der obgedachten Geſetzſtellen der Eigenthuͤmer in
dem Seinigen nur etwas zulaſſen ſoll, nach der Faſſung
der daraus gezogenen Regel aber fuͤr ſchuldig erklaͤret
wird,
[43]de Iuſtitia et Iure.
wird, dasjenige, was ihm unſchaͤdlich iſt, einem andern
zu leiſten; der ſehr unbeſtimmte Zuſatz: ad id poteris
compelli, ſchließt wenigſtens dieſe Erklaͤrung auf keine
Weiſe aus. Wollte man nun ſtatt der bisherigen Regel
eine andere eintretten laſſen, ſo wuͤrde folgende Abaͤnde-
rung: was mir noͤthig iſt, um einen Schaden von mei-
nem Eigenthum abzuwenden, dir aber unſchaͤdlich iſt,
das biſt du zu leiden ſchuldig, wenn ich auch gleich des-
halb auf deinen Grund und Boden etwas unternehmen
muͤßte; zwar dem Sinn gedachter Geſetzſtelle angemeſ-
ſener ſeyn. Allein ich zweifle dennoch ſehr, ob auch dieſe
Regel nach der Abſicht des Geſetzes als allgemeine Vor-
ſchrift gelten koͤnne. Denn auch dann laͤſſet ſich noch
nicht behaupten, daß der Eigenthuͤmer allemal ſchul-
dig ſey, etwas auf ſeinem Grund und Boden zu leiden,
wenn es ihm gleich unſchaͤdlich iſt, ſondern es beſchraͤnkt
ſich alles auf die beſondern Faͤlle, wo die Geſetze es
namentlich vorgeſchrieben, und dem Eigenthuͤmer dieſe
Verbindlichkeit auferlegt haben; denn nicht aus der Acht
zu laſſen iſt der allerdings merkwuͤrdige Umſtand, daß
mich jenes Geſetz nur berechtiget, ein ſchon dageweſenes
Werk, ſo aber durch die Gewalt des Waſſers war weggeriſ-
ſen worden, auf meines Nachbahrs Grundſtuͤcke wieder herzu-
ſtellen, wodurch ihm auf keine Weiſe geſchadet wurde 55).
Dieſes mag zur Erlaͤuterung der Eintheilung der Verbindlich-
keit in die vollkommene und unvollkommene aus denen poſiti-
ven Geſetzen genuͤgen. So wie nun die Verbindlichkeit ent-
weder eine vollkommene oder unvollkommene ſeyn kann, ſo
iſt
[44]1. Buch. 1. Tit.
iſt nun auch das Recht ſelbſt fuͤr die Befugniß genom-
men, entweder ein vollkommenes oder unvollkom-
menes; je nachdem es entweder ſo beſchaffen iſt, daß
derjenige, welcher unſerer Befugniß entgegen handelt,
auch wider ſeinen Willen zur Erfuͤllung ſeiner Obliegen-
heit gezwungen werden kann, oder nicht. Die Zwangs-
mittel, wodurch man ein vollkommenes Recht auf eine
erlaubte Art verfolgen und geltend machen kann, ſind
entweder auſſergerichtliche oder gerichtliche. Zu
denen Zwangsmitteln der erſtern Art gehoͤrt vorzuͤglich
die privat Gewalt, welche in denen Faͤllen, in wel-
chen die Geſetze ſolche zulaſſen, in ſofern ſie innerhalb
der geſetzlich vorgeſchriebenen Grenzen ausgeuͤbt wird,
als ein erlaubtes Zwangsmittel auch ſelbſt im Staat ge-
braucht werden kann 56); denn wenn gleich in der Regel die
Selbſthuͤlfe in einer ordentlich eingerichteten buͤrgerlichen
Geſellſchaft unerlaubt iſt, weil ſie den erſten Endzweck
derſelben, nehmlich der innern Sicherheit und Ordnung
zuwider laͤuft, ſo erlauben dennoch die buͤrgerlichen Ge-
ſetze ſelbſt in gewiſſen ausgenommenen Faͤllen die eigen-
thaͤtige Gewalt, und berechtigen mich ſogar meinen Geg-
ner, der mich unvermuthet auf eine unrechtmaͤßige und
gefahrvolle Art anfaͤllt, mit mein Leben, oder Geſund-
heit, oder Ehre, oder meine Guͤter zu rauben, wenn ich
die gedrohete Gefahr anders nicht als mit der Toͤdtung
des Anfallenden von mir abzuwenden im Stande bin,
zu entleiben, welches man die Nothwehr, (defenſio
neceſ-
[45]De Iuſtitia et Iure.
neceſſaria, moderamen inculpatae tutelae) nennt 57).
Gleichwie jedoch der eignen Gewalt auch ſelbſt in denen
zugelaſſenen Faͤllen der Weg der gerichtlichen Huͤlfe im-
mer vorzuziehen 58) iſt, indem auch ſelbſt die Geſetze jene
nur in der Ruͤckſicht zulaſſen, weil der Richter nicht im-
mer ſogleich bey der Hand iſt, und ohne Selbſthuͤlfe ein
unwiederbringlicher Schade geſchehen wuͤrde, ſo ſind nun
die gerichtlichen Zwangsmittel ſein Recht geltend zu ma-
chen, Klage und Einrede. Denn nicht immer haben
die buͤrgerlichen Geſetze, wenn ſie zum Beyſpiel Pflichten
der Menſchenliebe als eigentliche Schuldigkeit vorſchreiben,
ſofort klagbare Verbindlichkeiten daraus formirt, ſondern
hin und wieder wegen des an ſich unvollkommenen Rechts,
nur eine Einrede geſtattet. Wir finden dieſes beym
Brautſchatze, welchen eine Perſohn, von ihrer Mutter,
oder einem andern nahen Verwandten wuͤrklich erhalten
hat. Denn ob ſie gleich vorher nicht haͤtte darauf kla-
gen koͤnnen, ſo ſoll doch die Liebespflicht an ſich hier die
Wuͤrkung haben, daß, wenn auch das Heyrathsguth
nicht in der Abſicht, um eine unerzwingliche Tugend aus-
zuuͤben, ſondern aus irriger Meinung, daß man perfecte
dazu verbunden geweſen, entrichtet worden, dennoch das
Gegebene als Nichtſchuld keineswegs zuruͤckgefordert wer-
den duͤrfe 59). Hier liegt es in der Natur der Sache,
daß
[46]1. Buch. 1. Tit.
daß dadurch nur eine Einrede gegen den Klaͤger bewirkt
werde 60). Wer wird es aber laͤugnen, daß dieſe Ein-
rede das gerichtliche Zwangsmittel ſey, den Klaͤger von
der Klage abzuhalten?
§. 4.
Verſchiedene Bedeutung des Worts Lex. Begrif vom Ge-
ſetz; noͤthige Unterſcheidung des Dispoſitiven von dem
Enunciativen in den Worten unſerer Geſetze. Voll-
kommenes und unvollkommenes Geſetz.
Wir irren nicht, wenn wir den Grund aller Ver-
bindlichkeit auf Geſetze zuruͤckfuͤhren, und ſelbſt diejeni-
gen, welche dieſe Behauptung unrichtig finden wollen 61),
werden uns recht geben, wenn wir uns uͤber den Begrif,
den wir mit einem Geſetze verbinden, mit einander ge-
hoͤrig verſtaͤndiget haben.
Das Wort Geſetz hat freylich mehrere Bedeu-
tungen. Hier nehmen wir es in der allgemeinen Be-
deutung, wenn wir das Geſetz als die Quelle aller
Obligation anſehen, und gedenken uns darunter uͤber-
haupt eine Vorſchrift, welche unſern morali-
ſchen Handlungen, das heißt ſolchen, die ſich auf
Freyheit gruͤnden, zur Norm dient62); in welcher
Bedeutung es ſowohl natuͤrliches als poſitives
Recht in ſich ſchließt. Wir duͤrfen jedoch bey der an-
gegebe-
[47]de Iuſtitia et Iure.
gegebenen Bedeutung des Worts Geſetz in unſerer
Rechtswiſſenſchaft allein nicht ſtehen bleiben, es wird
daher noͤthig ſeyn, auch von den uͤbrigen Bedeutungen
dieſes Worts das noͤthige annoch anzufuͤhren. Wir muͤſ-
ſen aber zufoͤrderſt bemerken, daß das lateiniſche Wort
Lex nicht immer durch Geſetz uͤberſetzet werden kann.
Alſo I. was heißt Lex in unſern Geſetzen, wenn es
durch Geſetz nicht uͤberſetzer werden darf? Die Bedeu-
tung iſt verſchieden; denn 1) wird es fuͤr einen Ver-
trag oder Contract genommen; z. B. comprehen-
ſum lege venditionis L. 60. D. de contr emt. vend.
ferner lege locationis comprehenſum eſt L. 77. D.
pro ſocio. So wird ferner derjenige Vertrag, wo-
durch jemand auf den Fall, wenn er ſeine Schuldigkeit
auf die gehoͤrige Art nicht erfuͤllen wuͤrde, ſich verwill-
kuͤhret, daß er ſodann gewiſſer Anſpruͤche oder Befug-
niſſe verluſtig ſeyn, und einem andern eine gewiſſe Ver-
bindlichkeit, die ihm ſonſt obgelegen haben wuͤrde, erlaſ-
ſen haben wolle, lex commiſſoria, der commiſſori-
ſche Vertrag, genennt. Man ſetze, daß ein Kauf
ſub lege commiſſoria ſey geſchloſſen worden; haͤlt nun
der Kaͤufer nicht mit der Bezahlung inne, ſo verliehrt
er ſein Recht aus dem Kaufcontract, und der Ver-
kaͤufer iſt an den Handel nicht mehr gebunden: doch
davon unten in Tit. ff. de lege commiſſoria (Lib. XVIII.
Tit. 3) ein mehreres 2) Bedeutet Lex auch ſoviel als
eine Bedingung, unter welcher etwas geſchiehet, oder
geſchehen iſt; z. B. Qui fundumea lege emerat, ut
ſoluta pecunia traderetur ei poſſeſſio etc., L. 78. §. 2.
D. de contr. emt. vend. Ferner Ea legefundum lo-
cavi, ut etc. ſagt L. 51. D. locati. Es kann auch ſoviel
als Beſtimmung oder Modification eines Han-
dels heiſſen. Bekannt iſt der juriſtiſche Satz, pacta
dant legem contractui, L. 7. §. 5. D. de pactis, d. i.
die
[48]1. Buch. 1. Tit.
die Vertraͤge, welche ſogleich bey Schlieſſung eines Con-
tracts gemacht werden, geben dem Contracte eine gewiſſe
Beſtimmung, oder Modification. 3) Wird in unſern
Geſetzen unter Lex auch oft ein Teſtament verſtanden;
wir wollen zum Beweiß nur L. ult. D de ſuis et legiti-
mis anfuͤhren, wo papinianvs mit den Worten ſchließt:
privatorum enim cautionem legum auctoritate non cenſeri;
das heißt, wie es Galvanus63) richtig erklaͤrt hat, pri-
vat Vertraͤge haben nicht die Kraft der Teſtamente, daß
durch ſelbige jemanden eine Erbſchaft entweder hinterlaſſen,
oder entzogen werden koͤnne. Eben hieraus erklaͤrt ſich
auch der Ausdruck legare, wenn er von letztern Willensver-
ordnungen genommen wird. Z. B. Paterfamilias uti
legaſſit ſuae rei, ita ius eſto. L. 120. D de Verb.
ſignific. wo legare ſuae rei ſoviel heißt als legem di-
cere rebus ſuis oder uͤber ſein Vermoͤgen teſtiren; denn
es muſte ehemals das Teſtament per verba imperativa,
befehlsweiſe, wie ein Geſetz, abgefaßt werden 64). 4)
Hieß Lex bey denen Roͤmern zur Zeit des Freyſtaats
der Vorſchlag zu einem Geſetze. Zu den Zeiten
der Koͤnige und der freyen Republik wurden nehmlich
die Geſetze mit Beyſtimmung der Nation auf den Co-
mitien gemacht, und der Koͤnig, oder eine Roͤmiſche
Magiſtratsperſohn, die hierzu authoriſirt war, that den
Vorſchlag dazu, dieſes nennte man legem ferre ad po-
pulumeinen Vorſchlag zu einem Geſez thun,
L. 2. §. 2. D. de Or. lur. genehmigte das Volk
den Vorſchlag durch ſeine Stimmen, ſo hieß das lex
iubetur, verwarf es hingegen denſelben, ſo ſagte man
lex antiquatur, das Volk will es bey dem Alten laſ-
ſen.
[49]de Iuſtitia et Iure.
ſen 65). Endlich 5) iſt Lex ſoviel als Geſetz, und
nun fraͤgt ſich’s II. was man eigentlich unter einem
Geſetz verſtehe? Da die allgemeine Bedeutung dieſes
Worts ſchon oben da geweſen iſt, ſo wollen wir jetzo
nur noch die uͤbrigen hinzufuͤgen.
I) Geſez im eigentlichen Verſtande iſt die nach
dem Willen des Oberherrn vorgeſchriebene
Norm, nach welcher ſeine Unterthanen ihre
Handlungen einzurichten vollkommen verbun-
den ſind. In dieſem Verſtande nimmt es Hellfeld
hier, nun lieſſe ſich zwar dagegen einwenden, daß es
auch Permiſſivgeſetze gebe, denn nach dem Ausſpruch
des ModeſtinsL. 7. D. de legibus, befehlen und
verbiethen die Geſetze nicht immer, ſondern ſie erlau-
ben auch; z. B. die Geſetze erlauben dem Vater, ſei-
nen unmuͤndigen Kindern kraft ſeiner vaͤterlichen Gewalt
in ſeinem Teſtament einen Vormund zu ernennen, des-
gleichen ihnen pupillariter zu ſubſtituiren Allein der
Autor wird in der Folge §. 14. dieſem Zweifel ſelbſt
begegnen. Ein Geſetz in der angegebenen Bedeutung
giebt alſo 1) ein Oberherr; nun giebt es Oberherrn
in jeder ungleichen Geſellſchaft, dahero die Geſetze in
dieſer Hinſicht ſehr verſchieden ſeyn koͤnnen. Wir ha-
ben Geſetze, welche von dem Regenten der Kirche, wir
haben aber auch Geſetze, welche von dem Regenten des
Staats ſind vorgeſchrieben worden; erſtere werden buͤr-
gerliche Geſetze (leges civiles) leztere Kirchenge-
ſetze (leges eccleſiaſticae) genannt. Es iſt auch nicht
ungewoͤhnlich, die Civilgeſetze leges ſchlechtweg zu nen-
nen, und dieſes wuͤrde alſo eine eigene Bedeutung die-
ſes Worts ausmachen. 2) Der Oberherr giebt das
Geſez
Gluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. D
[50]1. Buch. 1. Tit.
Geſez ſeinen Unterthanen; wenn alſo ein paar Privat-
perſonen miteinander pacisciren, ſo iſt dieſer Vertrag
kein Geſez im eigentlichen Verſtande, wenn auch gleich
eine vollkommene Verbindlichkeit, den Vertrag zu hal-
ten, daraus entſtehen kann. 3) Ein Geſez enthaͤlt eine
Vorſchrift des Oberherrn, wornach deſſelben Untertha-
nen ihre Handlungen einzurichten perfecte verbunden
ſind. Man muß daher die Worte des Geſetzes, die
die Vorſchrift des Geſezgebers enthalten (verba legis
diſpoſitiva) von denen in den Geſetzen haͤufig vorkom-
menden verbis enunciativis et relativis wohl unter-
ſcheiden; eine Bemerkung, die bey Anwendung der in
Teutſchland aufgenommenen fremden, beſonders der Roͤ-
miſchen Geſetze, von groͤßter Wichtigkeit iſt. Man
pflegt zwar abuſive alle einzelne Stellen in unſerm
Roͤmiſchen Rechtskoͤrper leges zu nennen, allein, daß
unſer Corpus iuris nicht wenig in ſich faſſe, ſo den
Nahmen eines eigentlichen Geſetzes gar nicht verdienet,
iſt eine bekannte Wahrheit 65). So finden wir 1) in
demſelben eine nicht geringe Anzahl ſolcher Stellen,
oder daß ich den einmahl uͤblichen Ausdruk beybehalte,
ſolcher Legum, in welchen nur blos angerathen wird,
etwas zu thun, oder zu unterlaſſen, ohne jedoch eine
vollkommene Verbindlichkeit aufzuerlegen, dieſes in Aus-
uͤbung zu bringen, (Suaſiones legis) 66). Es rathet
z. B. die angefuͤhrte L. 1. §. 3. D. de peric. et com-
modo
[51]de Iuſtitia et Iure.
modo rei vend. daß man ſein Recht nicht auf das
ſtrengſte verfolgen ſolle, wenn es auf Unbilligkeit hin-
ausliefe; noch treffendere Beyſpiele geben L. 34. D. de
Legib. L. 24. D. de Rei Vind. §. 7. I. de Verb.
obligat. Die erſte Stelle giebt einen Rath, wie man
den Beweiß einer ſtreitigen Gewohnheit, worauf man
ſich gegruͤndet, am leichteſten fuͤhren koͤnne; man ſoll
ſich erkundigen, ob etwa ſchon ſonſt nach dieſer Gewohn-
heit gegentheiligen Widerſpruchs ohngeachter in den Ge-
richten geſprochen, und rechtskraͤftig erkannt worden ſey,
an etiam contradicto aliquando iudicio conſuetudo fir-
mata ſit67). In der andern Stelle wird gerathen,
daß man, ehe man ſeine Sache vindicire, verſuchen
ſolle, ob man nicht etwa durch ein Interdict zum Beſiz
derſelben gelangen koͤnne: quia longe commodius eſt,
ipſum poſſidere, et adverſarium ad onera petitoris
compellere, quam alio poſſidente petere. Die drit-
te Stelle endlich enthaͤlt eine Cautel fuͤr Contrahenten,
auf den Contraventionsfall eine Conventionalſtrafe feſtzu-
ſetzen, ne neceſſe ſit actori probare, quid eius in-
terſit. Ich uͤbergehe mehrere dergleichen, in denen
Roͤm. Rechtskoͤrpern vorkommende ſogenannte leges ſua-
ſorias.. Daß nun dieſe keine eigentliche und verbin-
dende Geſetze ſind, iſt aus den obigen Grundſaͤtzen evi-
dent, auch ſchon ſonſt bekannt, quod conſilium
non obliget68). Wir finden ferner 2) in denen Roͤ-
miſchen Sanctionen haͤufige Commendationes legum,
beſonders hat es Juſtinian nicht fehlen laſſen, in ſei-
D 2nen
[52]1. Buch. 1. Tit.
nen ſehr wortreichen Conſtitutionen Bewegungsgruͤnde
zu haͤufen, wodurch er ſeine Geſetze von Seiten ihres
Nutzens und Nothwendigkeit bey ſeinen Unterthanen zu
empfehlen geſucht hat. Es kommen nicht weniger 3) in
unſerm Korpus Juris auch viele dogmatiſche Saͤtze vor;
beſonders finden ſich dieſe in denen Inſtitutionen und
Pandecten des K. Juſtinians ſehr haͤufig. Man
darf ſich hieruͤber gar nicht wundern, wenn man
bedenkt, daß wir unſern Roͤmiſchen Rechtskoͤrper
aus einem zwifachen Geſichtspuncte zu betrachten haben.
Er iſt einmal ein Geſetzbuch, er enthaͤlt aber auch zwei-
tens ein Syſtem der ganzen Jurisprudenz, ſo wie ſie
zu den Zeiten des Kaiſer Juſtinians ausgebildet war;
beſtehend aus Worterklaͤrungen, Definitionen, Einthei-
lungen, allgemeinen Grundſaͤtzen, Cautelen u. ſ. w.
Kurz ein zum wiſſenſchaftlichen Unterricht nach damahli-
ger Zeit aptirtes Lehrgebaͤude der Rechtsgelahrtheit. Daß
wir nun an die im Roͤmiſchen Rechtscoͤrper ſo haͤufig
vorkommende dogmatiſche Saͤtze gar nicht gebunden ſind,
hat keinen Zweifel, wenn man erwaͤgt, daß der Wille
eines Geſetzgebers bloß den aͤuſſerlichen freyen Handlun-
gen der Menſchen eine Richtſchnur ertheilen koͤnne; un-
ſer Verſtand und Ueberzeugung hingegen ſeiner Diſpoſi-
tion nicht unterworfen ſey 69). Ich will dieſes durch
ein merkwuͤrdiges Beyſpiel zu erlaͤutern ſuchen, ſo ich aus
der Lehre vom Erwerb des Eigenthums nehme. Inſo-
fern die buͤrgerlichen Geſetze hier befehlsweiſe feſtſetzen,
daß durch einen bloſen Vertrag das Eigenthum einer
Sache nicht uͤbertragen werde, ſondern die Tradition
hierzu erforderlich ſey, in ſofern verbinden ſie uns, als
einmal recipirte Geſetze unſtreitig. Wenn uns aber die
Roͤmiſche Geſezgeber lehren wollen, daß die Traditio ein
eigentlicher modus acquirendi naturalis ſey, ſo koͤnnen
ſie
[53]de Iuſtitia et Iure.
ſie uns hierinn nicht noͤthigen, unſere Vernunft unter
den Gehorſam des Roͤm. Rechtsſyſtems gefangen zu ge-
ben; denn nach der geſunden Vernunft iſt kein Grund
abzuſehen, warum nicht die Willenserklaͤrung des bishe-
rigen Eigenthuͤmers zur Uebertragung des Eigenthums an
einen andern ſchon genuͤgen ſollte; daß hierzu noch beſon-
ders die Uebergabe noͤthig ſey, iſt eine bloſe Satzung
der Civilgeſetze, alſo ohne Zweifel, daß die Traditio an
ſich betrachtet, ein wahrer modus acquirendi civilis ſey.
Hiermit erklaͤrt ſich nun der Satz des Auctors, not. e.
lex differt a dogmate. Wir muͤſſen ferner 4) von der
geſetzlichen Diſpoſition die in einem Geſez oft vorkommende
hiſtoriſche Umſtaͤnde von der Veranlaſſung deſſelben, fer-
ner die darinn unterweilen angefuͤhrte rationem legis,
nicht weniger die in demſelben hin und wieder vorgetra-
gene Meinungen der Rechtsgelehrten, die durchs Geſetz
entſchieden worden ſind, und andere dergleichen propo-
ſitiones aſſertivas, wodurch blos angezeiget wird, daß
dieſes oder jenes ſey, welche aber keine geſetzliche Vor-
ſchrift enthalten, wohl unterſcheiden. Der Roͤmiſch Ju-
ſtinianiſche Rechtskoͤrper liefert uns unzaͤhlige Beiſpiele
davon. Es war beſonders denen Roͤm. Geſetzgebern ei-
gen, die Hiſtorie der Legislation mit der Sanction des
Geſetzes zu verbinden; Beiſpiele davon geben das Sena-
tusconſultum Iuventianum in L. 20. §. 6. D. de he-
redit. petit. Sctum Macedonianum L. 1. pr. D. de
Scto Maced. das Sctum Vellejanum in L. 2. §. 1. D.
ad Sctum Velleianum; ferner Lex Anaſtaſiana in L.
20. C. mandati. u. a. m. Daß dieſe hiſtoriſche Um-
ſtaͤnde zur Erklaͤrung der im Geſetz enthaltenen Sanction
dienen koͤnnen, iſt gewiß, doch iſt hierinn Behutſamkeit
noͤthig, damit wir nicht wider die Abſicht des Geſezgebers
das Geſetz enger einſchraͤnken, als die Worte deſſelben
bezeichnen. Denn es iſt im Roͤmiſchen Recht nichts un-
D 3gewoͤhn-
[54]1. Buch. 1. Tit.
gewoͤhnliches, daß allgemeine Verordnungen durch ein-
zelne beſondere Vorfaͤlle ſind veranlaſſet worden. So
iſt es z. B. ein offenbahrer Irrthum, wenn man die
Anordnung des Anaſtaſianiſchen Geſetzes nur auf die Abtre-
tung ungewiſſer Schuldforderungen aus dem Grunde ein-
ſchraͤnken will, weil der Imperator im Eingang des Ge-
ſetzes gleichſam hiſtoriſch anfuͤhrt, daß ungezwelfelte For-
derungen ſelten auf dieſe Art verkauft, ſondern diejeni-
gen, denen ſie zuſtuͤnden, ihr Recht lieber ſelbſt verfol-
gen wuͤrden. Denn die Sanction ſelbſt, die deutlich und
kategoriſch abgefaßt iſt, macht zwiſchen gewiſſen und un-
gewiſſen Forderungen keinen Unterſchied 70). Eben dieſe
Behutſamkeit iſt noͤthig, wenn wir ein Geſetz aus der un-
terweilen darinn von Geſetzgeber ſelbſt angefuͤhrten ratio-
ne legis interpretiren wollen. Denn die Geſetzgeber ha-
ben uns nicht immer die wahren Urſachen ihrer Legisla-
tion angegeben. Ich werde in der Folge bey der Lehre
von der Logiſchen Interpretation uͤber dieſen wichtigen
Gegenſtand mich umſtaͤndlicher erklaͤren. Hier muß ich
aber noch gedenken, daß wir dieſelbige Behutſamkeit auch
noͤthig haben, wenn in einem Geſetz die Meinungen meh-
rerer Rechtsgelehrten angefuͤhret werden, um nicht die
legale Meinung mit der doctrinellen zu verwechſeln. Es
wird dieſe Bemerkung beſonders bey den legibus Pan-
dectarum ihre Anwendung finden. Die Roͤm. Rechts-
gelehrten, aus deren Schriften die Pandecten zuſammen-
getragen worden ſind, pflegten neben ihrer eigenen Mei-
nung uͤber dieſe oder jene Rechtsfrage nicht ſelten das
Gutachten anderer Juriſten, welche etwa das Gegentheil
behaupteten, anzufuͤhren. Daß nun in ſolcher Ver-
ſchiedenheit der Ausſpruch desjenigen Rechtsgelehrten den
Vorzug
[55]de Iuſtitia et Iure.
Vorzug verdiene, deſſen Namen die Ueberſchrift des
Geſetzes bezeichnet, leidet gar keinen Zweifel; denn ſeine
Meinung iſt es, welche durch die Aufnahme in das Kor-
pus der Pandecten legale Auctoritaͤt erlangt hat; woge-
gen die Meinung des andern Juriſten, als eine bloſe
Lehrmeinung, ſich nicht behaupten kann. Bisweilen iſt
es freylich ſchwer, beide Meinungen gehoͤrig von einan-
der zu unterſcheiden; daher man ſich nicht wundern darf,
wenn hin und wieder hieraus erhebliche Irrthuͤmer ent-
ſtanden ſind. Beyſpiele davon geben L. 7. §. 10. D.
de minorib. und L. 11. §. 18. D. de Act. emti vend.
deren Inhalt ich zu ſeiner Zeit naͤher entwickeln werde 71).
II. Bedeuten Leges im Roͤm. Recht auch oft ge-
ſchriebene d. i. ausdruͤcklich bekanntgemachte Geſetze,
ſo wie im Gegentheil nicht geſchriebene Geſetze, oder
Gewohnheitsrechte mores genennet werden 72).
III. Eine der vorzuͤglichſten Bedeutungen, in wel-
cher das Wort Lex zu den Zeiten des Roͤm. Freiſtaats
genommen wurde, war die, daß man darunter ein mit
Beyſtimmung der Nation auf den Comitien
gegebenes Geſetz verſtand, beſonders wenn eine dazu
berechtigte hoͤhere Magiſtratsperſon, welche aus dem
Stand der patrizier war, z. B. ein Dictator, Conſul
oder Praͤtor, den Vorſchlag dazu gethan hatte 73).
Endlich bemerken wir noch
D 4IV.
[56]1. Buch. 1. Tit.
IV. Eine Bedeutung, in welcher das Wort Lex
bey den alten Teutſchen denen Capitularien entgegen
geſezt wurde. Lex hieß nehmlich bey den alten Teut-
ſchen ein von der Nation ſelbſt abgefaßtes, und von
dem Regenten nur allein beſtaͤttigtes Geſetz, deſſen Rechts-
kraft beſtaͤndig war. Z. B. Lex Salica, Lex Aleman-
nica. Hingegen nannte man die von dem Koͤnig mit
Zuziehung der Staͤnde auf dem Reichseonvent gemachte
Verordnungen Capitularien, und dieſe galten meiſt
nur auf ein Jahr, wenn ſie nicht entweder von einem
Teutſchen Volk als ein Theil ihrer Geſezſammlung auf-
genommen, oder nach dem Ablaufe des Jahrs waren
wiederhohlet worden 74).
Ein Geſez in der oben angefuͤhrten allgemeinen
Bedeutung kann entweder lex perfecta oder imperfecta
ſeyn, je nachdem es entweder eine vollkommene oder
unvollkommene Verbindlichkeit ausdrukt. In einer an-
dern Bedeutung unterſcheiden die Fragmenta iuris An-
tejuſtinianei75)legem perfectam, imperfectam und
minus quam perfectam von einander. Ein Geſez der
erſtern Art war ein ſolches, welches etwas verboth,
ſo daß die gegen das Verboth unternommene Handlung
fuͤr
[57]de luſtitia et Iure.
fuͤr nichtig gehalten werden ſollte. Ein Geſez der an-
dern Art wurde dasjenige genennt, welches etwas zwar
verboth, aber, wenn es einmahl geſchehen, ſolches nicht
fuͤr null erklaͤrte, auch keine Strafe darauf ſezte. Ein
ſolches Geſez war Lex Cincia, in welcher unter
andern verbothen war, uͤber eine gewiſſe Summe zu
ſchenken. Dem Donator ſtand in ſolchem Fall nur
actio reſciſſoria zu, wodurch er dasjenige wieder be-
kommen konnte, was er uͤber die geſezliche Maſe dem
andern geſchenkt hatte 76). Hatte er die Schenkung
noch nicht vollzogen, ſo konnte er ſich in Anſehung deſ-
ſen, was die geſezlich beſtimmte Summe uͤberſtieg, mit
einer Exception ſchuͤtzen 77). Ein Geſez endlich von
der dritten Art hieß dasjenige, welches eine Handlung
zwar verboth, ſolche aber, wenn ſie einmahl unternom-
men worden, nicht vernichtete, ſondern nur eine Strafe
darauf ſezte. Hierher gehoͤrte Lex Furia teſtamenta-
ria, welche verboth, niemanden mehr als 1000. Aſſes
zu vermachen, und dem Legatar, welcher mehr nahm,
mit der poena quadrupli beſtrafte.
§. 5.
Mittel, die Unterthanen zur Befolgung der Geſetze
anzutreiben.
Es iſt wohl nicht noͤthig, noch erſt zu erinnern,
daß man nicht Geſetze giebt, um Geſetze zu geben,
ſondern um das Beſte des Staats entweder durch Er-
D 5langung
[58]1. Buch. 1. Tit.
langung eines gewiſſen Gutes oder durch Abwendung ei-
nes gewiſſen Uebels zu bewirken. Wenigſtens haben alle
Geſetze dieſe Vermuthung fuͤr ſich, daß ſie in keiner
andern Abficht ſind gegeben worden 78). Das hoͤchſte
Wohl des Staats beſtehet alſo in der genaueſten Beob-
achtung der Geſetze. Sind nun gleich Unterthanen
in dieſer Ruͤckſicht ſchon an ſich verpflichtet, denen Ge-
ſetzen ihres Oberherrn Folge zu leiſten, und ihre Hand-
lungen denenſelben gemaͤß einzurichten, ſo ſtehet es doch
dem Geſezgeber zu, zweckmaͤſige Mittel zu gebrauchen,
und dadurch die Beobachtung ſeiner Geſetze deſto ge-
wiſſer und unausbleiblicher zu machen 79). Dieſe Mit-
tel werden deſto wirkſamer ſeyn, je mehr ſie der Ver-
ſuchung, die Geſeze zu uͤbertreten, in den Gemuͤthern
der Unterthanen ein Gegengewicht zu geben vermoͤgend
ſind. Gleichwie nun die Vorſtellung des Guten und
Boͤſen, welches eine Handlung zur Folge haben kann,
allerdings ein ſtarkes Motiv giebt, wodurch wir zur Be-
gehung oder Unterlaſſung einer ſolchen Handlung beſtim-
met werden, ſo pflegen nun entweder Verheiſſung
gewiſſer Belohnungen oder Androhung und
Zufuͤgung gewiſſer Uebel die beyden Mittel zu
ſeyn, wodurch Geſezgeber ihren Anordnungen Anſehen
und
[59]de Iuſtitia et Iure.
und Unverbruͤchlichkeit zu geben ſuchen 80). Daher ſagt
Ulptan in dieſer Hinſicht richtig, bonos non ſolum
metu poenarum, verum etiam praemiorum exhor-
tatione effici81). Ob nun gleich die Beyſpiele ſolcher
Geſetze nicht unbekannt ſind, in welchen die Geſetzgeber
durch verheiſſene Belohnungen ihre Unterthanen zur Be-
folgung derſelben zu ermuntern geſucht haben, man
denke z. B. an die Legem Iuliam et Papiam Poppae-
am; ſo iſt doch ſolches eines Theils nur alsdann ge-
ſchehen, wenn denen Geſetzgebern daran gelegen war,
eine an ſich unvollkommene Pflicht aus gewiſſen Staats-
abſichten bey ihren Unterthanen mehr in Ausuͤbung zu
bringen, und es ihnen nicht wohl ſchicklich zu ſeyn ſchie-
ne, die Erfuͤllung derſelben ſchlechterdings aufzuerlegen;
andern Theils aber iſt auch jenes Mittel, welches Ul-
pianin exhortatione praemiorun ſezet, darum nicht
zweckmaͤſig genug, weil es dem Staat zu koſtbar faͤllt,
und uͤber dies nach der verſchiedenen Denkungsart der
Menſchen auch nicht immer wirkſam iſt. Es bleibt da-
her die Furcht fuͤr uͤble Folgen wohl das ſicher-
ſte Mittel, Unterthanen, welche ſonſt vielleicht geneigt
ſeyn duͤrften, der Stimme der Geſetze kein Gehoͤr zu
geben, auf dieſelbe aufmerkſam zu machen.
Die Uebel, welche der Geſezgeber mit der Nichtbe-
obachtung ſeiner Geſetze verbinden kann, koͤnnen nun
mancher-
[60]1. Buch 1. Tit
mancherley ſeyn. Wir wollen nach Anleitung des Hell-
feld nur die gewoͤhnlichſten anmerken. Dahin gehoͤrt
- 1) Nichtigkeit der Handlung, die dem Geſez zu-
wider unternommen worden iſt. Zwar ſoll nach der
L. 5. Cod. de Legibus jedes verbietende Geſez ſchon
an ſich die Nichtigkeit ſolcher Handlungen, welche
dagegen unternommen werden, nach ſich ziehen, li-
cet legislator prohibuerit tantum, nec ſpecialiter
dixerit, inutile eſſe debere, quod factum eſt; allein
oft findet man doch auch die Clauſul der Nullitaͤt
dem Geſez ausdruͤcklich beygefuͤget. Ein Beyſpiel
davon giebt das durch einen Senatsſchluß bekraͤftigte
Verboth des Div. Marcus; ſich uͤber kuͤnftige Alimente
ohne obrigkeitliche Einwilligung zu vergleichen; in dieſem
heiſſet es: ne aliter alimentorum transactio rata eſſet,
quam ſi auctore Praetore facta82). So erfordern
ferner die poſitiven Geſetze die Einwilligung der Eltern
bey der Verheirathung der Kinder, welche noch nicht
ſui iuris ſind, und erklaͤren die ohne ſolchen Conſens
geſchloſſene Ehe ſchlechterdings fuͤr nichtig 83). - 2) Ein anderes Uebel, ſo die Nichtbeobachtung eines
Geſetzes zur Folge haben kann, beſtehet in dem
Verluſt ſeines habenden Rechts oder eines
andern
[61]de Iuſtitia et Iure.
andern Vortheils, welchen man ſonſt nach den
Geſetzen zu erwarten gehabt haͤtte. So erklaͤrt
z. B. Kaiſer D. Marcus84) denjenigen ſeines Rechts
verluſtig, der, ohne den Richter anzutreten, ſolches mit
eigener Gewalt durchzuſetzen, ſich unternehmen wuͤrde;
und die Geſetze machen es jeder Mutter zur Pflicht,
nach dem Tode ihres Mannes fuͤr ihre unmuͤndige
Kinder bey der Obrigkeit Vormuͤnder zu bitten, und
verknuͤpfen mit der vorſezlichen Verabſaͤumung dieſer
Pflicht den Verluſt ihres geſezmaͤſigen Erbrechts auf
das Vermoͤgen ihrer Kinder 85). - 3) Kann der Oberherr mit der Uebertretung ſeiner Geſeze
auch ſchmerzhafte Folgen verknuͤpfen. um durch Vor-
ſtellung derſelben dem Reize des Verbrechens entge-
gen zu arbeiten. Man nennet dieſe Folgen Strafen.
Das Wort Strafen iſt zwar, wie bekannt, ſehr
vieldeutig, es iſt aber hier der Ort nicht die mannig-
faltigen Bedeutungen deſſelben anzugeben, mit iſt
es hier genug, zu erinnern, daß Strafe im eigent-
lichen Verſtande ein empfindliches Uebel ſey,
welches jemanden wegen eines begangenen
Verbrechens vermoͤge geſetzlicher Diſpoſi-
tion zugefuͤget wird. Ein ſolches Geſetz, wel-
ches dem moraliſchen Uebertretter ein Strafuͤbel dro-
het, wird ein Straf- oder Poͤnalgeſetz genen-
net; und die freye Uebertretung eines Straf-
geſetzes, wodurch der gemeinen Wohlfarth
entgegen gehandelt wird, iſt ein Verbre-
chen86). Da meine Abſicht bloß iſt, das Civil-
recht
[62]1. Buch. 1. Tit.
recht zu erlaͤutern, ſo glaube ich, wird Niemand von
mir verlangen, daß ich mich hier in den Dispuͤt uͤber
den eigentlichen Zweck der Strafen einmiſchen ſolle 87).
Nur das einzige kann ich hier nicht unbemerkt laſſen, daß
man die Strafen in zwifacher Ruͤckſicht betrachten kann,
einmahl, in ſofern ſie angedrohet, ſodann, in ſofern ſie
zugefuͤget werden. Fraͤgt man nun, in welcher Ab-
ſicht der gerechte Oberherr die Strafen an-
drohe? ſo kann der Zweck kein anderer ſeyn, als die-
ſer, daß durch die in den Gemuͤthern der Unterthanen
erzeugte Furcht vor den angedroheren ſchmerzlichen Fol-
gen ſein Geſez beobachtet, und hierdurch das Gute er-
halten werde, um deſſentwillen das Geſez gegeben iſt.
Fraͤgt man aber, in welcher Abſicht der Ober-
herr die angedrohete Strafe an dem Ueber-
treter ſeiner Geſetze vollſtrecken laſſe? ſo iſt
der Zweck der Strafen nur ein einziger, nehmlich
Sicherheit der Buͤrger, oder Ruhe des Staats. Und
da dieſer Endzweck auf eine doppelte Art erreicht wer-
den kann, einmahl, wenn man die Miſſethaͤter da-
hin bringt, daß ſie in Zukunft nicht mehr Verbrechen be-
gehen koͤnnen oder begehen wollen, ſie moͤgen nun entweder
gebeſſert, oder ihnen das Vermoͤgen, Verbrechen wei-
ter zu begehen, genommen werden; zweitens, wenn
andere, durch das Beyſpiel der Zuͤchtigung abgeſchreckt,
von
86)
[63]de Iuſtitia et Iure.
von Begehung aͤhnlicher Verbrechen abgehalten werden;
ſo ergiebt ſich hieraus eine doppelte Abſicht, welche der
Geſezgeber bey Zufuͤgung der Strafen haben
kann: erſtens: um den Staat vor denen zu ſichern,
welche ſchon Verbrechen begangen haben, und zwei-
tens auch vor denen, von welchen etwas aͤhnliches
zu befuͤrchten ſtehet. Soviel hier nur im Vorbey-
gehen von dem Zwecke der Strafen.
Zulezt bemerke ich noch, daß derjenige Theil
des Geſetzes, welcher das Uebel feſtſezt, ſo den Ueber-
treter deſſelben treffen ſoll, eigentlich Sanctio genen-
net wird 88), daher Strafgeſetze bey den Alten leges
ſanctac89), auch ſacratae90) hieſſen; es iſt je-
doch ſehr gewoͤhnlich, per ſynecdochen auch die Ge-
ſetze ſelbſt Sanctiones zu nennen.
§. 6.
[64]1. Buch. 1. Tit.
§. 6.
Innerliche Handlungen der Menſchen koͤnnen kein
Gegenſtand menſchlicher Geſetze ſeyn. Bemerkung uͤber
L. 18. D. de poenis.
Da die Geſetze des Oberherrn denen Handlungen
ſeiner Unterthanen zur Richtſchnur dienen ſollen, ſo ent-
ſteher die Frage, was fuͤr Handlungen der Dispoſition
eines menſchlichen Geſezgebers unterworfen ſind? Die
Handlungen der Menſchen ſind nehmlich, wie bekannt,
ſehr mancherley; ſie koͤnnen einmahl bloß innerliche
ſeyn, die eine Wirkung unſerer Seele und des Verſtan-
des ſind, und daher in Gedanken, Begriffen, Vorſtel-
lungen und Ueberzeugung beſtehen. Sie koͤnnen aber
auch zweitens aͤuſſerliche Handlungen ſeyn, deren
Wirkungen ſich auſſer dem Menſchen zeigen. Ein menſch-
liches Geſez kann nun
1) bloß den aͤuſſerlichen Handlungen der
Menſchen eine Richtſchnur ertheilen; innerliche Hand-
lungen hingegen koͤnnen der Dispoſition eines menſchli-
chen Geſezgebers nicht unterworfen ſeyn. Sie koͤnnen
darum kein Gegenſtand der Geſetze ſeyn, weil ſie eines
Theils keinen Zwang zulaſſen, und andern Theils auch
keinen Einfluß in die Wohlfarth des Staats haben.
So wenig alſo der Regent im Staat durch ſeine geſez-
gebende Gewalt dem Verſtande und der Ueberzeugung
ſeiner Unterthanen eine ſolche Richtung zu geben ver-
mag, daß ſie etwas fuͤr wahr halten ſollen, von deſſen
Gegentheil ſie nach ihren Begriffen und Vorſtellungen
uͤberzeugt ſind, vielmehr alles, was den Verſtand und
Ueberzeugung angehet, gaͤnzlich auſſer der Sphare der
geſezgeberiſchen Dispoſition liegt; ſo wenig kann auch
ſchon der bloſe Gedanke, eine ſtrafwuͤrdige Handlung zu
begehen, zu deſſen Realiſirung aber durch auſſere Thaͤ-
tig-
[65]de Iuſtitia et Iure.
tigkeit noch gar keine Anſtalt getroffen worden iſt, in
der buͤrgerlichen Geſellſchafft als eine ſtraffaͤllige Ueber-
tretung des Geſetzes angeſehen werden 91); vielmehr wird
in ſolchem Fall die bekannte Paroͤmie eintreten: Ge-
danken ſind zollfrey92); oder wie Ulpian in L.
18. D. de poenis ſich ausdruckt: Cogitationis poenam
nemo patitur. Ich muß bey dieſer Stelle mit Cujaz93)
anmerken, daß Ulpian jene Regel zwar eigentlich nur
bey Erklaͤrung des Edicts: quod quisque iuris in alte-
rum ſtatuit, ut ipſe eodem utatur, angebracht hat,
wie man aus der Ueberſchrift der L. 18. wahrnimmt,
wenn man damit die Inſcription der L. 1. u. 3. D. Quod
quisque iuris vergleichen will; ſie darf aber deswegen doch
auf jenes Edict nicht blos allein eingeſchraͤnkt werden,
ſondern muß vielmehr jezt auch als allgemeine Regel des
Roͤm. Rechts darum gelten, weil ſie Tribonian unter
den allgemeinen Titul de poenis gebracht hat. Hier-
aus ergiebt ſich eine fuͤr die Hermenevtic ſehr wichtige
Regel, nehmlich dieſe, daß wir bey Erklaͤrung der
Fragmente der alten Roͤm. Juriſten, aus de-
ren Schriften unſere Pandecten compiltret
worden ſind, nicht immer auf die Verbin-
dung und den Zuſammenhang ſehen duͤrfen,
in welchen ſie urſpruͤnglich geſtanden haben,
ſondern ſolche vielmehr in derjenigen Ver-
bindung erklaͤren muͤßen, in welcher Tribo-
nian ſelbige denen Pandecten einverleibet
hat
Gluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. E
[66]1. Buch. 1. Tit.
hat94). Ich will hiermit keinesweges jene Cujaciani-
ſche Methode, die ſogenannten Leges Pandectarum ope
Inſcriptionum zu erklaͤren, verwerfen, nein, ich pflege
ſie ſelbſt bey jeder Gelegenheit zu empfehlen, ſondern
habe nur durch dieſes Beyſpiel beweiſen wollen, daß ſie
mit Behutſamkeit zu gebrauchen ſey.
Wenn ich vorher behauptete, daß mich der bloſe
Vorſatz, ein Verbrechen zu begehen, in ſofern nehmlich
derſelbe noch durch keine aͤußerliche Handlungen zu erken-
nen gegeben worden, in foro humano noch nicht ſtraf-
faͤllig mache, ſo muß ich, um nicht mißverſtanden zu wer-
den, nur noch einen Gedanken hinzufuͤgen. Es iſt eine
ganz andere Frage, ob nicht unterweilen die bloſe Ab-
ſicht, eine ſtrafwuͤrdige Handlung zu begehen, geſetzt auch,
daß man aus Irrthum eine wirklich erlaubte Handlung
vorgenommen, geſtrafet werden koͤnne? Man ſtelle ſich
den Fall vor, den JohannOwen95) in folgenden
Verſen ſehr naiv erzaͤhlt:
oder man ſetze, es habe ſich einer vorgenommen einen
Diebſtahl zu begehen, im Grunde aber eine Sache ent-
wendet, die ihm ſelbſt zugehoͤrte, und auf welcher kei-
nem andern ein Recht zuſtand? Kann wohl erſterer
als ein Ehebrecher, und letzterer als ein Dieb geſtrafet
werden? Rein, dies iſt ganz ohne Zweifel. Schon
Ariſtoteles96) ſahe dieſes ein, wenn er an den Ni-
comachus ſchrieb: Μοιχέυει ὀυδεὶς τὴν ἑαυτȣ͂, ὀυδὲ κλέ-
πτει
[67]de Iuſtitia et Iure.
πτει τὰ ἑαυτȣ͂, d. i. Niemand begehet mit ſeiner eigenen
Frau einen Ehebruch, es kann auch Niemand ſeine eigene
Sache ſtehlen. Und eben ſo wird ein aͤhnlicher Fall
entſchieden, in §. 8. I. de obligat. quae ex delicto na-
ſcunt. Sed et ſi credat aliquis invito domino ſe
rem commodatam ſibi contrectare, domino autem
volente id fiat, (der Eigenthuͤmer hatte z. B. bey ſich
beſchloſſen, daß er dem Commodatar die ihm geliehene
Sache ſchenken wolle) dicitur furtum non fieri. Aber
wird gleich die Handlung ſelbſt nicht als dasjenige Ver-
brechen angeſehen, welches ſich ihr Urheber zu begehen
vorgeſetzet hatte, ſo fragt ſich’s doch, ob nicht wenigſtens
die dabey gehabte boͤſe Abſicht einige Strafe verdiene?
Dieſes iſt allerdings zu behaupten. Zwar koͤnnen die
Worte des bekannten Hadrianiſchen Reſcripts beym Cal-
liſtratus in L. 14. D. ad Leg. Cornel. de Sicariis:
in maleficiis voluntas ſpectatur, non exitus hier zu
keinem Beweiß dienen; denn ſo verſchieden auch dieſe Ver-
ordnung von den Auslegern des Roͤm. Rechts erklaͤret
wird 97), ſo kann man ihr doch in der That keinen an[dern]
E 2dern
[68]1. Buch. 1. Tit.
dern Sinn beylegen, als dieſen, daß der Richter bey
ungluͤcklichen Ereigniſſen, ſo das Anſehen eines Verbre-
chens haben, um zu beurtheilen, ob eine Perſon ſchuldig
oder nicht ſey, nicht bey der That allein, und deren Fol-
gen ſtehen bleiben, ſondern beſonders auf die Abſicht deſ-
ſen, der ſie veranlaßte, Ruͤckſicht nehmen muͤſſe, um
den ohngefaͤhren nicht imputablen Zufall, desgleichen die
bloſe Fahrlaͤſſigkeit, von der Argliſt und Boßheit zu un-
terſcheiden. Hier ſetzen wir aber einen ſolchen Fall zum
Grunde, wo die vorgenommene Handlung an ſich erlaubt
und
97)
[69]de Iuſtitia et Iure.
und unſchaͤdlich war, allein durch Taͤuſchung oder Irr-
thum ihres Urhebers als Verbrechen unternommen wurde.
Folglich paßt jene Vorſchrift der L. 14. hier darum nicht,
weil ſie von wirklich ungluͤcklichen Vorfaͤllen z. B. began-
genen Todſchlaͤgen handelt. Allein dem ſey, wie ihm
wolle, ſo hat unſere obige Behauptung doch ihre voͤllige
Richtigkeit, und den Beyfall der beruͤhmteſten Rechts-
lehrer 98) fuͤr ſich. Der Grund, den Juſtinian99)
in einem aͤhnlichen Falle zur Entſcheidung anfuͤhrt, iſt
auch allerdings treffend, damit nicht die gaͤnzliche Un-
ſtraͤflichkeit den Thaͤter verleiten moͤge, dasjenige Ver-
brechen wirklich annoch zu begehen, was er bisher ohne
Erfolg der That ſich nur vorgeſetzet hatte.
§. 7 und 8.
Nur den aͤußerlichen freyen Handlungen der Menſchen koͤnnen
die Geſetze eine Richtſchnur ertheilen.
Alſo nur aͤuſerliche Handlungen der Menſchen
liegen in der Sphaͤre der Geſezgebung. Allein auch dieſe
koͤnnen wieder ſehr verſchieden ſeyn. Sie ſind entwede[r]
freye oder nicht freye Handlungen. Welc[h]
Handlungen werden denn aber freye Handlungen gen [...]-
net? Da eine freye Handlung nicht gedacht [...]
den kann, wo nicht ein Vermoͤgen willkuͤrlich zu [...]
deln da iſt, ſo muß nothwendig erſt erklaͤrt we [...][e]n,
was eine willkuͤhrliche Handlung ſey, u[n] [...] ſich
einen deutlichen Begriff von einer freyen Hand [...]ung
machen zu koͤnnen. Die Entwickelung dieſer [B]egriffe
iſt folgende. Eine Handlung iſt entweder ſo b[es]chaffen,
E 3daß
[70]1. Buch. 1. Tit.
daß wir uns ſelbſt dazu beſtimmen, oder wir werden
dazu durch eine unwiderſtehliche Kraft ohne unſern Wil-
len determinirt. Im erſten Fall ſtehet ſie in unſe-
rer Gewalt; im zweiten aber iſt’s eine Handlung,
die nicht in unſerer Gewalt ſtehet. Hand-
lungen der letztern Art werden nichtwilkuͤhrliche,
oder unfreywillige Handlungen genennet, und
dieſe koͤnnen zwiefach ſeyn, entweder ſolche, wozu wir
durch eine aͤuſſerliche unwiderſtehliche Gewalt genoͤthiget
werden, oder ſolche, wozu wir von unſerer Natur durch
ein in der Organiſation unſeres Coͤrpers gegruͤndetes
Principium beſtimmt werden, jene werden erzwunge-
ne, dieſe aber phyſiſch nothwendige Handlungen
genennet. Wenn im Gegentheil eine Handlung in un-
ſerer Gewalt ſtehet, ſo daß wir ſie nach Gefallen thun
und auch unterlaſſen koͤnnen, ſo nennet man ſie eine
willkuͤhrliche Handlung (actio arbitraria). Wer
nun eine ſolche willkuͤhrliche Handlung unternimmt, iſt
entweder im Stande, ſich die Folgen derſelben vorzu-
ſtellen, und darnach mit Ueberlegung ſeinen Willen zu
lenken, oder es iſt dem Handelnden dies nicht moͤglich.
Im erſten Fall heißt die Handlung eine freye, im
weiten eine blos willkuͤhrliche nicht freye Hand-
[l]ung. Wer ferner frey handeln d. i. die Folgen einer
u[n]ternommenen Handlung uͤberlegen konnte, war nun
au[ch] entweder wirklich nicht eher zu der Handlung ge-
ſch[rit]ten, als nach einer vorher angeſtellten reiflichen Ue-
berl[eg]ung, oder er hatte nicht uͤber die Folgen der Hand-
lung gehoͤrig nachgedacht, ſondern die Handlung unuͤber-
legt aus Uebereilung oder in der Hitze der Leidenſchaft
begangen. Ob nun gleich die Handlung auch im letzten
Fall nach immer freye Handlung bleibt, ſo iſt
doch nicht zu laͤugnen, daß ein Menſch in der Hitze
des Affects nicht mit voͤlliger Vernunft handele, und
folg-
[71]de Iuſtitia et Iure.
folglich in einem ſolchen Falle keine voͤllige Freyheit da
ſey. Denn nur da, wo mit voͤlliger Vernunft und
Ueberlegung gehandelt wird, iſt voͤllige Freyheit vorhan-
den. Daher heißt nun eine Handlung im ſtrengſten
Verſtande frey100), welche nach vorhergegangener
teiflicher Ueberlegung von jemanden iſt unternommen wor-
den, der das vollkommene Vermoͤgen hatte, nach ſei-
nem gegenwaͤrtigen Ideenzuſtande, das iſt, nach dem
Maaß ſeiner Erkaͤnntniß das beſte zu waͤhlen 1). Dieſes
vorausgeſezt, ſo entſtehet nun die Frage, ob nur freye
Handlungen allein, oder ob nicht auch unfreywillige,
nicht freye Handlungen, denen Geſetzen des Staats un-
terworfen ſeyn koͤnnen? Man moͤchte letzteres beynahe
glauben, wenn man beym Marcian in L. 2. D. de
Legib. ließt, was der Redner Demoſthen vom Ge-
ſez ſagt: Lex eſt — coërcitio eorum, quae ſponte,
vel involuntarie delinquuntur. Was Wunder nun,
wenn einige Rechtsgelehrte behauptet haben, daß ein
Raſender zwar nicht beſtraft werden koͤnne, aber doch
zur Verguͤtung des Schadens, den er angerichtet, aller-
dings verbunden ſey 2), ſie meinen, daß dem Beſchaͤ-
E 4digten
[72]1. Buch. 1. Tit.
digten deshalb die actio in factum in denen buͤrgerlichen
Geſetzen zugeſtanden werde 3). Allein, daß dieſe Mei-
nung nicht allein dem Naturrechte, ſondern auch dem
wahren Sinn der buͤrgerlichen Geſetze offenbahr entge-
gen ſey, haben Andere ſchon mit beſſern Gruͤnden ge-
zeigt 4). Denn ſchon die Geſetze der Vernunft er-
fordern zu einer jeden verbindlichen Handlung, daß ſie
ihrem Urheber zu imputiren ſey, da dies aber bey denen
wegfaͤllt, welchen es an Verſtand und Willen mangelt,
um frey handeln zu koͤnnen, ſo iſt der Schade, den ſol-
che Perſonen anrichten, offenbahr nur ein damnum ca-
ſuale, weshalb derjenige, den es trift, keine Verguͤtung
fordern kann. Und mit dieſen Grundſaͤtzen des Natur-
rechts, ſtimmen auch die buͤrgerlichen Geſetze uͤberein,
Impune puto admittendum, ſagt daher Pompon5),
quod per furorem alicuius accidit: quomodo ſi caſu
aliquo, ſine facto perſonae, id accidiſſet: und ſehr treffend
iſt der Entſcheidungsgrund des Pegaſus beym Ulpian6):
Quae enim in eo culpa eſt, quum ſuae mentis non
ſit? Aber ſolten nicht die oben angefuͤhrten Geſetze ei-
nigen Widerſpruch machen, und die Meinung jener
Rechtsgelehrten wenigſtens inſofern rechtfertigen, als nur
von einer Schadenserſetzung die Rede iſt? Ich glaube
es
[73]de Iuſtitia et Iure.
es nicht. Denn wenn Paulus da, wo die eigentliche
Klage aus dem Aquiliſchen Geſez wegfaͤllt, dem Beſchaͤ-
digten die Befugnis beilegt, in factum zu klagen: ſo
kann unmoͤglich ſeine Meinung dahin gehen, daß die
letztere Klage ohne Unterſchied, ob der Schade vorſetz-
lich, oder aus Fahrlaͤßigkeit, oder durch ein Ungefehr
angerichtet worden, immer durchgaͤngig ſtatt finde. Es
erhellet vielmehr aus andern Geſezſtellen 7), daß die
actio in factum, welche in denen Faͤllen Statt haben
ſoll, wo die Klage aus dem Aquiliſchen Geſez ceſſirt,
nur gegen den, qui obnoxius fuerit, alſo wer Schuld
hat, daß der Schade geſchehen, ſolle angeſtellet werden
koͤnnen. Wie mag man aber dieſes in dem Fall zutref-
fend glauben, wo alle Imputation gaͤnzlich wegfaͤllt,
und nichts als ein damnum caſuale vorhanden iſt, und
wo daher ſelbſt nach den Geſetzen der Vernunft, ohne
deren Beyſtand die actio in factum gaͤnzlich wegfaͤllt, kei-
ne Verbindlichkeit zur Verguͤtung des Schadens vorhan-
den iſt 8). Es kann aber auch eben ſo wenig der von
Marcian aus dem Demoſthenes entlehnte Begrif des
Geſetzes ſo verſtanden werden, als ob unfreye Hand-
lungen nach den Geſetzen beurtheilt, und als Verbrechen
beſtraft werden koͤnnten. Denn involuntarie delinquere,
heißt daſelbſt nicht, ohne Freyheit des Willens handeln, ſon-
dern ohne boͤſen Vorſatz, bloß aus Unachtſamkeit
und Unwiſſenheit ſich vergehen, wie ſchon Gerhard
Noodt9), bemerkt hat. Der Ausdruck involuntarie be-
greift auch die aus Uebereilung und in der Hitze der Lei-
denſchaft begangene ſtraffaͤllige Handlungen unter ſich.
Cadunt enim in ignorantiam atque in imprudentiam
E 5per-
[74]1. Buch. 1. Tit.
perturbationes animi, ſagt Cicero10), quae quam-
quam ſint voluntariae, (obiurgatione enim et
admonitione deiiciuntur) tamen habent tantos mo-
tus, ut ea, quae voluntaria ſunt, aut neceſſaria in-
terdum, aut certe ignorata videantur. Es ſcheinet
alſo wohl das involuntarie delinquere das nehmliche zu
ſeyn, was Papinian11) nennet delictum, quod igno-
rantia contrahitur: ignorantia aber iſt hier ſoviel
als culpa12). Das Reſultat von allem dieſen iſt nun,
daß
2) nur aͤuſſere willkuͤhrliche freye Hand-
lungen der Buͤrger des Staats der Gegenſtand
der Geſetze ſeyn koͤnnen. Wo alſo das Vermoͤgen frey
zu handeln, ganz wegfaͤllt, da kann keine Verbindlich-
keit aus den Geſetzen ſtatt finden. Hieraus folget wei-
ter, a) daß durch ein Geſez niemanden etwas auferlegt
werden kann, was phyſiſch unmoͤglich iſt (ad impoſſibi-
lia nulla datur obligatio); denn hier faͤllt alle Freyheit
weg. Eben dieſes gilt b) aus dem nehmlichen Grunde
auch von phyſiſch nothwendigen Handlungen. c) die Fol-
gen der aus Zwang und ohne Freyheit begangenen Hand-
lungen, werden in der Regel dem Handelnden nicht zu-
gerechnet. Daß aber auf Seiten desienigen allerdings
Zurechnung ſtatt finde, in deſſen fuͤrgeſetzten Willen und
Bosheit der Grund ihrer Wirklichkeit angetroffen wird,
hat keinen Zweifel. Daher ſagt ſchon Seneca13) ganz
richtig: Ad auctores redit ſceleris coacti culpa. End-
lich d) kann ein Geſez auch in Anſehung derer von keiner
Wirkung
[75]de Iuſtitia et Iure.
Wirkung ſeyn, denen der Gebrauch des Verſtandes, und
mithin die Freyheit des Willens abgehet. Es koͤnnen
daher raſende und wahnwitzige Perſonen wegen begangener
Verbrechen ſo wenig beſtraft, als eigentlich zur Scha-
denserſetzung angehalten werde 14). Obgleich die Ver-
guͤtung dieſes Schadens actione ex lege Aquilia von
denen allerdings gefordert werden kann, denen die Auf-
ſicht uͤber ſolche Perſohnen gegeben war, wenn durch
deren Nachlaͤſſigkeit und Verwahrloſung dieſer Schade
hauptſaͤchlich angerichtet worden 15).
§. 9.
Koͤnnen auch Religionshandlungen ein Gegenſtand der
geſetzgebenden Gewalt ſeyn?
Der Satz, der in dieſem §. enthalten iſt, daß
nehmlich alle aͤuſſerliche willkuͤhrliche freye Handlungen
der Menſchen, ohne Unterſchied, ſie moͤgen Religions-
handlungen oder weltliche Handlungen ſeyn, denen Ge-
ſetzen unterworfen ſind, koͤnnte uns reichen Stof zu ei-
ner Abhandlung uͤber die Grenzen der geſetzgebenden Ge-
walt in Anſehung der Religionshandlungen darbiethen,
wenn hier der Ort dazu waͤre. Ich werde daher hier
dieſen Gegenſtand nur in ſoferne beruͤhren, als etwa zur
Erlaͤuterung dieſes §. noͤthig ſeyn moͤchte. Es kommt
bey der Frage, ob und in wiefern Religions-
handlungen ein Gegenſtand der Geſetze ſind
ſowohl auf die Beſchaffenheit dergleichen Handlungen
ſelbſt, als auf die Art und Weiſe an, wie die geſe[tz]ge-
bende Gewalt in Anſehung ſolcher Handlungen ausg[e]uͤbt
wird. Man nennt bekanntermaſſen Religionsh[a]nd-
lungen
[76]1. Buch. 1. Tit.
lungen, uͤberhaupt alle Handlungen, welche Religion und
Gottesdienſt betreffen, oder, wenn wie nach chriſtlichen Re-
ligionsbegriffen davon reden, Handlungen, welche ſich auf die
chriſtliche Religion beziehen. Solche Religionshandlungen
koͤnnen nun, wenn wir auf die perſoͤnliche Verhaͤltniſſe der Got-
tesverehrer ſehen, entweder Handlungen einzelner
Menſchen, oder Kirchliche Handlungen ſeyn. Letz-
tere ſind das Reſultat einer eigentlichen Religionsuͤbung, und
ſetzen eine Religionsgeſellſchaft, das iſt, Vereinigung
mehrerer, zur Gottesverehrung, nach gemeinſchaftlich
anerkannten Grundſaͤtzen, unter Dazwiſchenkunft eines
geordneten und berufenen Geiſtlichen, voraus. Ohne ei-
ne ſolche Dazwiſchenkunft und geſellſchaftliche Vereinigung
bleiben Religionshandlungen nur Handlungen einzelner
Menſchen. Dieſe koͤnnen kein Gegenſtand der geſezge-
benden Gewalt ſeyn. Denn an ſich iſt Religion Sache
eines jeden einzelnen Menſchen. Sie iſt das Reſultat
des in dem Verhaͤltniß gegen die Gottheit denkenden und
empfindenden Menſchen, des in jedem Menſchen freyen
und ſelbſtthaͤtigen individuellen Gewiſſens. In dieſem Ver-
haͤltniß, in dieſer Sphaͤre der Religion und des Gewiſ-
ſens giebt es kein Recht, keine Gewalt, die ein Menſch
uͤber den andern auszuuͤben haͤtte 16). Von eines jeden
einzelnen Menſchen Ueberzeugung haͤngt es daher ab, ob
er dieſe oder jene Begriffe von Gott fuͤr wahr und rich-
tig halte, und nach ſeiner Ueberzeugung hat er die Be-
fugniß und Pflicht, Gott auf diejenige Art und Weiſe
zu verehren, die er nach ſeinen Begriffen von dem Hoͤchſten
Weſen, fuͤr einzig angemeſſen den Vollkommenheiten deſ-
ſelben haͤlt. Deswegen ſtehet er bloß vor ſeinem Gewiſſen
und deſſen Richter zur Verantwortung. Niemanden an-
ders
[77]de Iuſtitia et Iure.
ders braucht er Rechenſchaft davon zu geben 17). Allein
anders verhaͤlt es ſich mit denen Kirchenhand-
lungen. Dieſe ſind von doppelter Art. Einige der-
ſelben haben nur einzig und allein Gottesverehrung zum
Zweck, und bringen daher in dem Staate keine recht-
liche Wuͤrkungen hervor; andere Religionsverrichtungen
ſind hingegen von der Art, daß zwar deren Form, An-
ordnung, und Vornahme Gottesverehrung zum Zweck
hat, und alſo inſofern eigentliche Kirchenhandlungen ſind
und bleiben, daß ſie aber daneben mit ſolchen Geſchaͤften
in Verbindung ſtehen, die zugleich rechtliche Wirkungen
im Staat aͤuſſern, Vorrechte darin geben oder nehmen,
Verbindlichkeiten darinn feſtſetzen oder aufheben, und
bey denen uͤbrigens das Kirchliche mehr oder minder we-
ſentlich nach der Symbole der Gottesverehrung dieſer
oder jener Religionsgeſellſchaft ſeyn kann. Kirchenhand-
lungen der erſtern Art koͤnnen mit den Namen der geiſt-
lichen, die der letztern aber durch den Nahmen ge-
miſchter Kirchenhandlungen18) nicht unſchicklich
bezeichnet werden. Die geiſtlichen Kirchenhandlun-
gen 19) ſind wieder zwifach. Manche davon haben mit
den Lehrſaͤtzen der Religion einen weſentlichen Zuſammen-
hang, werden durch die Symbolen der Religionsgeſell-
ſchaft beſtimmt, und machen alſo noͤthige Beſtandtheile
der
[78]1. Buch. 1. Tit.
der Gottesverehrung aus; dieſe werden aͤuſſerliche
nothwendige, oder weſentliche Religionshand-
lungen genennet. Zu ſolchen kirchlichen Religionshand-
lungen gehoͤret z. B. der Gebrauch des heiligen Abend-
mahls oder bey den Katholiken der Meße, letzte Oelung-
und dergl. Auf ſolche Handlungen, weil ſie von Reli-
gionsuͤberzeugung abhangen, die ſich nicht nach Will-
kuͤhr modeln laͤßt, wo eine obrigkeitliche Vorſchrift, die
von der Ueberzeugung und Lehrbegrif der Geſellſchaft ab-
wiche, in Widerſpruch mit dem Gebot kaͤme: Gott
mehr zu gehorchen als den Menſchen, und weil
ſie keine rechtliche Wirkung im Staat hervorbringen, alſo
nicht in den Zweck der Staatsregierung einflieſſen, hat
der Staat nur ein negatives Recht, aufzuſehen und zu
verhuͤten, daß nicht die Art ihrer Vornahme und neben
einlaufende Umſtaͤnde ſie der Ruhe des gemeinen Weſens
nachtheilig machen. Es haͤngt vielmehr die Anordnung
und Form ſolcher Handlungen von der Beſtimmung des
kirchlichen Religionsbegrifs lediglich ab, welche Vertrags-
weiſe unter den Mitgliedern der Kirche geſchiehet 20), iſt
alſo nothwendig ein geſellſchaftliches Recht, bey welchem eine
geſezgebende Gewalt darum nicht ausgeuͤbt werden kann, weil
hier alles auf gemeinſchaftliche Ueberzeugung der vereinigten
Glieder ankommt. Andere geiſtliche Kirchenhandlungen
ſtehen mit den Glaubenslehren und Religionsbegriffen der
Kirche in keiner weſentlichen Verbindung, ſondern werden
von denen Gliedern derſelben zwar aͤuſſerlich aus dem
Grunde vorgenommen, weil ſie glauben dadurch den goͤtt-
lichen Vollkommenheiten am gemaͤſeſten zu handeln, ſie
koͤnnen aber auch ganz unterbleiben, oder auf eine ande-
re Art beſtimmet werden, ohne daß deßwegen ein Wi-
derſpruch mit denen in ihrem Lehrbegrif als wahr ange-
nomme-
[79]de Iuſtitia et Iure.
nommenen Glaubenslehren entſtehet. Dieſe Art kirchli-
cher Religionshandlungen wird mit dem Nahmen der
aͤuſſerlichen willkuͤhrlichen Religionshand-
lungen bezeichnet. Zu dieſen rechne ich z. B. das An-
zuͤnden der Lichter bey der Verwaltung des heiligen Abend-
mahls, und das Abſingen der Einſetzungsworte vor dem
Altar, deßgleichen die Beichte, und andere bekannte geiſt-
liche Cerimonien mehr, die zwar aus guten Abſichten von
der Kirche eingefuͤhrt worden ſind, von welchen aber doch
die heilige Schrift nichts enthaͤlt. Man nennt ſolche
willkuͤhrliche Religionshandlungen Adiaphora, und dieſe
ſind der Diſpoſition der Kirchengewalt allerdings unter-
worfen. Vermoͤge derſelben koͤnnen daher mancherley
Verfuͤgungen und Abaͤnderungen getroffen werden, je
nachdem es zur Erreichung des Zwecks der Kirche noͤ-
thig oder nuͤtzlich iſt. Der Regent im Staat hingegen
kann als Regent hierinn nichts aͤndern. Er hat zwar
die Aufſicht uͤber alle kirchliche Anſtalten, in ſofern ſie
einen Einflus haben in die Wohlfarth des Staats; al-
lein ob die Kirche ihren Endzweck erreicht, oder ver-
fehlt, gehet ihm als Regenten nichts an 21).
Es giebt nun auch gemiſchte Kirchenhand-
lungen, die zwar auch Gottesverehrung zum Zweck
haben, aber doch auch zugleich rechtliche Wirkungen im
Staat aͤuſſern, Vorrechte darinn geben oder nehmen,
und Verbindlichkeiten darinn feſtſetzen oder aufheben.
Dahin gehoͤrt die Taufe, welche in ihrem Endzweck
Gottesverehrung iſt, in ihrer Wirkung auf den Staat
aber
[80]1. Buch. 1. Tit.
aber jedem die groſe buͤrgerliche Vorrechte der Chriſten
giebt, an welchen die Unglaubigen keinen Antheil ha-
ben. Zu dieſen gehoͤrt ferner die Trauung, welche
Aufrufung des goͤttlichen Segens zu einer angehenden
Ehe, und Erklaͤrung, ſie nach den goͤttlichen Vorſchrif-
ten fuͤhren zu wollen, alſo Gottesverehrung zur Abſicht
hat, welche aber auch zugleich die groſe buͤrgerliche Wir-
kung erzeuget, daß ohne ſie jede Verbindung zum Bei-
ſchlaf, wenn ſie auch in der Abſicht, Kinder zu erzeu-
gen, und folglich aus ehelicher Zuneigung geſchaͤhe,
fuͤr eine unerlaubte Beiwohnung, wenigſtens unter Pri-
vatperſohnen in Deutſchland gehalten wird; zugleich aber
auch den Perſohnen, die durch die Trauung ſind verbunden
worden, die eheliche und elterliche Rechte beygelegt werden.
Dahin gehoͤrt ferner auch die Beerdigung der Tod[e]n.
Leichnahme aus dem Creis der Lebenden wegzuſchaffen, iſt
zwar nicht Religions- ſondern Staatszweck. Aber Leich-
name auf die Art, wie es nach chriſtlichen Sitten ge-
ſchiehet, durch Einſenkung in die Erde, zur ſinnlichen
Erinnerung an das allgemeine Geſetz des Menſchenge-
ſchlechts: du biſt Erde, und ſolſt wieder zur
Erde werden, unter Einſegnung, Begleitung, und
Ermahnung der Geiſtlichkeit, wegzubringen, iſt Handlung,
die Gottesverehrung zum Ziel hat. Zugleich aber iſt
ſie oͤffentliche Erklaͤrung, daß, wer begraben ſey, die
Rechte der Lebenden im Staat verlohren habe, und deſ-
ſelben Nachlaß denen Erben, oder in deren Ermanglung
dem Staat als herrenloſes Guth zugefallen ſey. Ferner
daß der auf jene Art beerdigte von der peinlichen Zurech-
nung begangener Verbrechen entbunden ſey, (den uͤber-
wieſenen Verbrechern geſtattet man eben deswegen jene
feierliche Beerdigung nicht;) deßgleichen daß auch uͤber
die Schuld oder Unſchuld anderer Menſchen an ſeinem
Tode richterlich erkannt ſey, (denn keinen, deſſen gewalt-
ſamer
[81]De Iuſtitia et Iure.
ſamer Tod wahrſcheinlich iſt, laͤſſet man vor Unterſuchung des
Koͤrpers zu Grabe bringen). Sie hat alſo ihren mannigfaltig
wichtigen Einfluß auf den Staat. Das Kirchliche bey die-
ſen Handlungen iſt zwar wiederum geſellſchaftliches Recht der
Religionsſocietaͤt. Aber das Politiſche davon muß, wie
alles, was auf den Staat Einfluß hat, ſeiner Leitung und
Anordnung unterworfen ſeyn; es aͤuſſern ſich dabey dem-
nach nicht blos negative, ſondern auch poſitive Einwir-
kungsrechte der Staatsgewalt. Sie kann damit die
mehrere oder mindere Wirkungen, die im Staat davon
abhangen ſollen, die Erforderniſſe, die beobachtet wer-
den muͤſſen, ehe eine ſolche Handlung, mit Wirkung
fuͤr den Staat, vorgenommen werden darf, nach Gut-
befinden beſtimmen: wenn aber nun das, was den Staat
und deſſen Intereſſe dabey betrift, in Richtigkeit gebracht
iſt, ſo bleibt die Verrichtung der kirchlichen Handlung
und deren innere Form ein durch die Symbole beſtimm-
tes Recht der Geſellſchaft, bleibt alſo Theil der Reli-
gionsuͤbung 22).
§. 10.
Mancherley Eintheilungen des Rechts. I.Natuͤrliches,
und poſitives Recht.
Wenn wir bisher vom Recht und Verbindlich-
keit redeten, ſo nahmen wir das Wort ius theils fuͤr
Geſetz, theils fuͤr Befugniß zu handeln. Wenn wir
aber jetzt von denen mancherley Eintheilungen des Rechts
mit Hellfeld handeln ſollen, ſo muͤſſen wir dabey dieje-
nige
Gluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. F
[82]1. Buch. 1. Tit.
nige Bedeutung des Worts ius zum Grunde legen; da
es einen Inbegrif von Geſetzen einerley Art anzeigt. In
dieſer Bedeutung wird nun ius
1) nach Verſchiedenheit des Erkenntnißgrundes in
ius naturale et poſitivum eingethellet. Naturrecht
nennen wir den Inbegrif aller derienigen Geſetze, welche,
wie der Apoſtel ſagt, dem Menſchen gleichſam ins Herz
geſchrieben ſind, und daher mittelſt der Vernunft aus
der Natur der Dinge und ihren Wirkungen erkannt wer-
den koͤnnen. Es wird daher auch das Recht der Ver-
nunft genennet. Hommel23) nennt es ius mundi
univerſale, und er hat nicht ganz unrecht, wenn er
ſagt: ivs natvraeeſt voluntas Dei, non litteris,
ſed ſignis, in univerſum mundum ſcriptis, manifeſtata.
Poſitives Recht wird im Gegentheil der Inbegrif
derjenigen Geſetze genennt, welche ſich blos allein auf den
erklaͤrten Willen eines Geſezgebers gruͤnden, und alſo
aus demſelben lediglich zu erkennen ſind. Z. B. daß ich
das Eigenthum einer fremden Sache binnen einer gewiſſen
geſezlich beſtimmten Zeit uſucapire, Weibsperſohnen aus
uͤbernommenen Buͤrgſchaften nicht belangt werden koͤnnen,
Eltern und leibliche Geſchwiſter des Verſtorbenen zugleich
erben, iſt poſitiven Rechtens; denn Herz und Vernunft
lehren mir davon nichts. Allein daß ich mein ernſtlich
gethanes Verſprechen halten, daß ich dem Verkaͤufer
den bedungenen Kaufſchilling bezahlen muß, lehrt ſchon
das Vernunftrecht. Ganz verſchieden war der Be-
grif der alten Roͤmiſchen Rechtsgelehrten vom Natur,
recht, welches ſie vom lure gentium und civili unter-
ſchieden, wie der folgende §. lehren wird.
§. 11.
[83]de Iuſtitia et Iure.
§. 11.
Eintheilung der Roͤmiſchen Juriſten in ius naturale,
gentium et civile.
Ulpian ſagt in L. 1. §. 3. D. b. t.Natur-
recht ſey, was die Natur allen lebendigen Geſchoͤpfen
durch die ihnen eingepflanzte thieriſche Triebe gelehrt
hat; und welches alſo Menſchen und unvernuͤnftige Thiere
mit einander gemein haben. Dahin rechnet er, daß
Menſchen heirathen, Kinder zeugen und Kinder erziehen.
Dies ſey im Raturrecht gegruͤndet, weil auch die ver-
nunftloſen Thiere ſich begatten, ihr Geſchlecht fortpflan-
zen, und ihre Junge erziehen. Videmus etenim ſagt
Ulpian, caetera quoque animalia, feras etiam, iſtius
iuris peritia cenſeri. Dieſe letztern Worte haben Ei-
nigen corrupt zu ſeyn geſchienen, welche ſtatt peritia
vielmehr perita leſen wollen; allein die Emendation iſt
unnuͤtz, peritia cenſeri iſt gerade ſo viel als perita
eſſe24), alſo iſt der Sinn der Worte dieſer: denn wir
ſehen, daß auch die unvernuͤnftige und wilde Thiere
daſſelbige Naturgeſez in ſich fuͤhlen. So umſchreibt es
auch Theophilus in ſeiner grigiſchen Paraphraſe der
Inſtitutionen 25). Videmus enim non homines modo,
ſed caetera quoque animalia his, qui legem hanc
obſervant, adſcribi. Ueber jenen Begrif des Ulpians
vom Naturrecht iſt nun viel geſtritten und viel geſchrieben
worden. Einige haben den Juriſten wegen dieſes Begrifs
getadelt; Andere hingegen denſelben zu vertheidigen ge-
ſucht. Man vergleiche, was Gregor LopezMadera26),
F 2Ferrand
[84]1. Buch. 1. Tit.
FerrandAdduenſis27), Wilhelm van der
Muelen28)GerhardNoodt29), inſonderheit M.
AurelGalvanus30), JoſephFineſtres31), Tho-
masPapillon[i]us32), UlrichHuber33), und Gott-
liebKortte34) daruͤber commentirt haben. Daß
Ulpians Begrif vom Naturrecht aus den Lehrſaͤtzen der
alten ſtoiſchen Philoſophie zu erklaͤren, wird von denen
meiſten Auslegern nicht ohne Grund behauptet, und
zwar ſcheint Ulpian die Meinung des Chryſippus an-
genommen zu haben, welche Diogenes Laertiusin
Zenone, und Cicero in ſeinen Buͤchern de Officiis
mehrmahlen anfuͤhrt 35). Chryſipp lehrte, der Menſch
habe eine zwifache Natur vom Schoͤpfer erhalten; ein-
mahl eine thieriſche, welche er mit allen andern, auch un-
vernuͤnftigen, Thieren gemein habe; ſodann eine ihm ei-
gene, menſchliche Natur. Nach ſeiner thieriſchen Na-
tur waͤren gewiſſe Triebe und Neigungen in ihm gepflanzt,
die
[85]de Iuſtitia et Iure.
die er mit allen andern Thieren gemein habe. Die Stoi-
ker nannten dieſe τὰ πρῶτα κατα φύσιν 36). Allein nach
ſeiner eigenen menſchlichen Natur waͤre er ein ver-
nuͤnftiges Weſen, welches nicht nur jene natuͤrliche
Triebe mit Vernunft zu maͤßigen, ſondern auch nach
den Kraͤften ſeines Verſtandes mit moraliſcher Freyheit
zu handeln vermoͤchte. Nach dieſer zwifachen Natur
des Menſchen nahm man nun auch ein doppeltes Na-
turrecht an, das eine war, was man ius naturaleim
eigentlichen Verſtande nennte, und in der gemei-
nen thieriſchen Natur aller lebendigen Geſchoͤpfe ſeinen
Grund haͤtte. Dieſes beſtehe in denen von der Natur,
worunter die Stoiker Gott verſtanden 37), allen leben-
digen Geſchoͤpfen eingepflanzten Trieben, welche Menſchen
und Thiere mit einander gemein haben. Z. B. ſo fuͤhlt
der Menſch einem ihn angebohrnen Trieb in ſich, ſich ſowohl
ſelbſt zu erhalten, als auch ſein Geſchlecht fortzupflan-
zen. Dieſelben Triebe habe aber auch die Natur allen
andern Thieren eingepflanzt. Principio generi animan-
tium omni eſt a natura tributum, ſagt daher Cice-
ro38), ut ſe, vitam, corpusque tueatur, declinet-
que ea, quae nocitura videantur, omniaque, quae-
cumque ad vivendum ſint neceſſaria, anquirat, et
paret, ut paſtum, ut latibula, ut alia eiusdem ge-
neris. Commune autem animantium omnium eſt
coniunctionis appetitus, procreandi cauſa, et cura
quaedam eorum quae procreata ſunt. Da nun die
Natur dem Menſchen auch ein angebohrnes Recht gege-
F 3ben
[86]1. Buch. 1. Tit.
ben, dieſen Trieben zu folgen, ein gleiches Vermoͤgen,
ſecundum naturam vivendi, aber auch denen Thieren
angebohren ſey, ſo erzeugte ſich auf ſolche Art die von
Ulpian angenommene Idee eines den Menſchen mit den
Thieren gemeinſchaftlichen Naturrechts 39). Von die-
ſem unterſchied man das denen Menſchen eigne Natur-
recht, welches man ius gentium nannte. Hierunter ver-
ſtehen die alten Roͤmiſchen Juriſten dasienige Recht,
was nur allein Menſchen, jedoch alle Menſchen, mit
einander gemein haben, und welches ihnen die allen ge-
meine Vernunft lehrt. Gentes heiſſen hier nicht Na-
tionen, Voͤlker, wie es Briſſon erklaͤrt 40), ſondern
uͤberhaupt Menſchen. Es wird dies Wort hier in
eben der Bedeutung genommen, wie bey denen Franzo-
ſen das Wort gens. Ius gentium iſt alſo nicht durch
Voͤlkerrecht, ſondern durch Menſchen-Recht zu uͤber-
ſetzen, wie aus dem Folgenden erhellen wird. Gajus
L. 9. D. b. t. ſagt: Quod naturalis ratio inter
omnes homines conſtituit, id apud omnes peraeque
cuſtoditur: vocaturque ius gentium, quaſi quo iure
omnes gentes utuntur. Hiermit ſtimmt auch Ulpian
in der oben angefuͤhrten Stelle §. 4. uͤberein, wenn er
ſagt, hoc (ſc. Ius gentium) ſolis hominibus inter ſe coin-
mune eſt; und PomponL. 2. h. t. rechnet dahin Got-
tesverehrung, Gehorſam gegen die Eltern, und Liebe
fuͤrs Vaterland. FlorentinL. 3. h. t. fuͤgt noch hin-
zu: Vertheidigung gegen ungerechten Angrif, und uͤber-
haupt alle aufs geſellige Leben ſich beziehende Menſchen-
pflichten; z. B. daß kein Menſch dem andern nach ſeinem
Leben oder Gut trachte. Weil nun dieſes ſogenannte
Ius
[87]de Iuſtitia et Iure.
Ius gentium in der menſchlichen Natur gegruͤndet iſt, und
ſolche Vorſchriften enthaͤlt, die immer gut und billig
ſind, weil ſie die Vernunft lehrt, ſo nennen die Roͤmi-
ſchen Juriſten dieſes Recht auch ius naturale41), und
naturalis aequitas42). Aus dieſer Quelle des gemei-
nen Menſchen-Rechts leitet Hermogenian43) auch
Krieg, Eintheilung der Voͤlker, Staatenerrichtung, Ab-
ſonderung des Eigenthums, Begraͤnzung der Aecker, Er-
bauung der Haͤuſer und Staͤdte, Treibung des Handels
und Gewerbes, Vertraͤge, beſonders Kauf und Pach-
tung, ſamt denen daraus entſpringenden Verbindlichkei-
ten her 44). Allein heutiges Tages nehmen wir Ius
gentium in jener Roͤmiſchen Bedeutung nicht, ſondern
verſtehen darunter das eigentliche Voͤlkerrecht, das
iſt, den Inbegrif ſolcher Rechte und Verbindlichkeiten,
welche freye Voͤlker gegen einander zu beobachten haben;
und dieſes kann auch Poſitivrecht ſeyn, inſofern es
ſich auf Vertraͤge oder Gewohnheiten gruͤndet 45). Man
behauptet insgemein, daß der Roͤmer ius Gentium nichts
anders, als das Naturrecht im heutigen Begrif genom-
men ſey. Ganz unrichtig iſt dieſe Meinung eben nicht;
allein es laſſen uns doch verſchiedene Stellen vermuthen,
daß die Roͤmer auch ein ius gentium poſitivum ange-
nommen, denn Juſtinian rechnet in §. 2. I. de
iure nat. gent. et civ. ausdruͤcklich auch dasjenige Recht
zum iure gentium, quod uſu exigente et bumanis neceſ-
ſitatibus gentes ſibi conſtituerunt; wenn es auch gleich
F 4dem
[88]1. Buch. 1. Tit.
dem natuͤrlichen Recht zu wieder ſeyn ſollte. z. B. ſo
leitet Juſtinian Kriegsgefangenſchaft und Sclaverey
aus dem iure Gentium her, und bemerkt dabey, daß
beydes dem natuͤrlichen Recht ganz entgegen ſey, weil
nach dem Naturrecht alle Menſchen freyer Geburt waͤ-
ren. Mit ihm ſtimmt auch Ulpian uͤberein, wenn er
L. 4. b. t. die Manumiſſion oder Entlaſſung der Scla-
ven aus der Gewalt und Eigenthum ihres Herrn zum
iure Gentium rechnet. Hieraus ergiebt ſich, daß die
Roͤmiſchen Juriſten eigentlich ein zwiefaches Ius gentium
angenommen. Erſtens ein natuͤrliches, wornach alle
Menſchen leben, was ſchon die geſunde Vernunft lehrt,
und dem Menſchen gleichſam ins Herz geſchrieben iſt.
Ein Recht, was nicht von Menſchen eingefuͤhrt, ſondern
von Gott ſelbſt durch unveraͤnderliche Geſetze mit der menſch-
lichen Natur weſentlich verknuͤpft worden iſt. Von dieſen
iſt die Stelle in denen Inſtitutionen des K. Juſtinians
zu verſtehen, wo es §. 11. de I. N. G. et C. heißt:
Sed naturalia quidem iura, quae apud omnes gentes
peraeque obſervantur, divina quadam providentia
conſtituta, ſemper firma atque immutabilia perma-
nent. Sodann ein poſitives, was zwar Menſchen
und Voͤlker mit einander gemein haben, aber doch nur
von Menſchen um des gemeinen Nutzens und der Noth-
wendigkeit willen iſt eingefuͤhret worden. Das erſtere
wird von Einigen Primarium, das letztere aber Se-
cundarium genennet.
Von dem iure naturali und gentium in der erklaͤr-
ten Bedeutung unterſchieden nun die Roͤmer das Ius Ci-
vile: und verſtanden darunter uͤberhaupt das poſitive
Recht eines einzelnen Staats. Nam quod quisque
populus ipſe ſibi ius conſtituit, ſagt GajusL. 9.
b. t. id ipſius proprium civitatis eſt: vocaturque
ius
[89]de Iuſtitia et Iure.
ius civile, quaſi ius proprium ipſius civitatis. In
einem noch eminentern Sinn aber benennte man das po-
ſitive Recht des Roͤmiſchen Staats mit dieſem Namen,
ſo wie auch noch heutiges Tages das Roͤmiſche Recht
κάτ ἐξοχην das buͤrgerliche oder civil Recht ge-
nennet zu werden pfleget. Die uͤbrige Bedeutungen von
ius civile uͤbergehe ich, weil man ſie in dem Hoͤpfner-
ſchen Commentar uͤber die Heinecciuſſiſchen Inſtitu-
tionen §. 31. S. 39. der zweiten Ausgabe ſchon voll-
ſtaͤndig angefuͤhrt findet. Statt deſſen aber erlaube man
mir noch eine Bemerkung hinzuzufuͤgen. Es iſt bekannt,
daß die Peregrini, worunter man bey den Koͤmern ehe-
mals alle diejenigen verſtand, die keine Roͤmiſche Buͤrger
waren, nicht nach dem Recht der roͤmiſchen Buͤrger gerich-
tet, ſondern die bey ihnen ſtatthabende Rechte und Ver-
bindlichkeiten vielmehr nach dem Iure Gentium beurtheilt
wurden: Georg Schubart denkt ſich dabey das gemeine
Natur. und Voͤlkerrecht46). Allein ſeine Erklaͤ-
rung ſtimmet mit demjenigen nicht uͤberein, was wir theils
in denen Roͤmiſchen Striptoren, theils in denen Fragmen-
ten des Antejuſtinianeiſchen Rechts vom iure peregrino-
rum aufgezeichnet finden. Dieſe belehren uns, daß man
bey den Peregrinis einen Unterſchied gemacht, ob ſie
Buͤrger einer gewißen unter Roͤmiſcher Souveraͤnitaͤt
geſtandenen Stadt waren, oder nicht: leztere nennte
man ἀπόλιδες, d. i. nullius certae civitatis cives,
dieſen verſtatteten die Roͤmer blos das, was iuris gen-
tium war, wie Marcian in L. 17. D. de poenis
anmerkt. Ihre Rechtsſachen entſchied daher der Praͤ-
tor peregrinus nach der Vernunft und dem gemeinen
Menſchenrecht, inſofern ihm nicht etwa aͤhnliche rechts-
kraͤftig abgeurtheilte Faͤlle, oder die Roͤmiſchen Geſetze
ſelbſten hierin eine Entſcheidungsnorm an die Hand ga-
F 5ben.
[90]1. Buch. 1. Tit.
ben. Solche peregrinos hingegen, die Buͤrger einer
gewißen Stadt waren, richtete der Praͤtor peregrinus
nach denen Geſetzen derjenigen Stadt, zu welcher Je-
der gehoͤrte. Man vergleiche hierbey folgende Stellen
des CiceroEpiſt. Fam. Lib. XIII. Ep. 9. und in
Verrem Lib. II. c. 22. Desgleichen Varrode Ling.
Lat. in Excerpt. Vett. Grammaticor. Beym Dio-
nyſ. Gothofred S. 1375. auch Ulpian in Fragm.
Tit. XX. §. 14. und Anton Schulting in den No-
ten uͤber den Ulpian Not. 45. 47) In beyden Faͤllen
ſagte man jedoch vom Praͤtor peregrinus, quod iure
gentium iudicaret. Hieraus klaͤrt ſich alſo noch eine
beſondere Bedeutung vom iure gentium auf, worunter
die Roͤmer auch das poſitive Recht einzelner Voͤlker
verſtanden 48).
§. 12. und 13.
Eintheilung des Rechts in Staats- und Privat-
recht.
Der Ordnung nach ſollten wir nun 2) das Recht
nach Verſchiedenheit des Gegenſtandes in das
Staats- und Privatrecht eintheilen. Es wird
jedoch zufoͤrderſt noͤthig ſeyn, einige widrige Einthei-
lungen und Begriffe aus dem Wege zu raͤumen, wo-
durch der Autor das Syſtem ganz verwirrt hat. Er
theilt nehmlich das Ius civile hier auf eine doppelte
Art
[91]de Iuſtitia et Iure.
Art ein, einmahl in ius civile univerſale und particu-
lare, und dann in publicum und privatum. Hiergegen
muß ich zuerſt erinnern, daß der Autor ſich genoͤthiget ſie-
het, die Benennung ius civile in einer Bedeutung zu
nehmen, die vom Roͤmiſchen ſowohl als heutigen Sprach-
gebrauch ganz abweicht. Unter ius civile verſtehet je-
der Juriſt das poſitive Recht eines einzelnen Staats.
Dies iſt auch der geſezliche oder Roͤmiſche Begrif, wie
beym vorhergehenden §. angefuͤhrt worden iſt. Da
dieſes Civilrecht aber ſeiner Natur nach nur jederzeit
ein particulaires Recht iſt, ſo iſt es unmoͤglich, ſelbiges
in univerſale und particulare einzutheilen. Unſer Au-
tor nimmt alſo Civilrecht in einer ganz eigenen Be-
deutung. Er verſtehet darunter dasjenige Recht, wor-
nach diejenigen leben muͤſſen, welche Buͤrger eines
Staats ſind. Dieſes Civilrecht, faͤhrt er nun fort,
kann entweder aus dem bloſen Begrif eines Staats
mit Huͤlfe der geſunden Vernunft hergeleitet und er-
kannt werden, oder es gruͤndet ſich lediglich auf den
Willen des Regenten. Erſteres nennt er das allge-
meine buͤrgerliche Recht und lezteres das beſon-
dere buͤrgerliche Recht. Allein erſteres iſt ja of-
fenbahr nur ein Zweig des Naturrechts, welcher von
den Lehrern deßelben das allgemeine Staatsrecht
genennet wird; und vornehmlich die aus dem Begrif
eines Staats herfließende Rechte und Verbindlichkei-
ten des Regenten als Regenten, und der Unterthanen
als Unterthanen enthaͤlt. Denn ein natuͤrliches buͤrger-
liches Privatrecht giebt es nicht, weil ſich, wie der ver-
dienſtvolle Herr Oberappellationsrath Hoͤpfner in ſeinem
Naturrecht §. 273. richtig bemerkt, keine ſpecielle Rech-
te und Verbindlichkeiten angeben laßen, die jeder Buͤr-
ger als Buͤrger haͤtte, und die nicht ſchon im außerge-
ſellſchaftlichen Zuſtande, oder in der Geſellſchaft uͤber-
haupt
[92]1. Buch. 1. Tit.
haupt ſtatt faͤnden. Wir theilen alſo nun vielmehr das
Recht nach ſeinem Gegenſtande in das Staats- und
Privatrecht ein. Staatsrecht nennt unſer Au-
tor einen Inbegrif von Geſetzen, wodurch die Rechte
und Verbindlichkeiten des Regenten und der Untertha-
nen gegen einander beſtimmt werden. Privatrecht
hingegen iſt ihm der Inbegrif ſolcher Geſetze, welche
die Rechte und Verbindlichkeiten der Unterthanen ge-
gen einander ſelbſt beſtimmen. Es iſt bekannt, daß
bey Beſtimmung des Begrifs des Staatsrechts die
Staatsrechtsgelehrten ſelbſt nicht einig ſind, indem ei-
nige, zu denen Hellfeld gehoͤrt, dabey auf das Sub-
ject, nehmlich auf den Regenten und die Unterthanen
im Verhaͤltniß gegen einander betrachtet, ſehen, andere
die Rechte und Verbindlichkeiten der hoͤchſten Gewalt
zum Mittelpunct ihres Begrifs machen; noch andere
auf die Staatsverfaſſung, die Verwaltung der hoͤch-
ſten Gewalt darinn, und derſelben Verhaͤltniß gegen
Auswaͤrtige geſehen haben wollen. Man findet eine
gruͤndliche Pruͤfung dieſer verſchiedenen Begriffe in des
Herrn Hofr. Schnauberts gelehrten Schrift de Ana-
logia iuris publici Imperii, in fontibus iuris publici
S. R. I. territoriorum non numeranda. Helmſt. 1785.
§. 1. Dem ſey indeſſen wie ihm wolle, ſo verdient wohl
unter dieſen ſo verſchiedenen Begriffen der von unſerm
Autor angenommene den wenigſten Beifall, indem hier-
durch offenbahr alle diejenigen Rechte und Verbindlich-
keiten, welche das Verhaͤltniß eines Staats gegen
Auswaͤrtige betreffen, ausgeſchloſſen werden, mithin die-
ſer Begrif in dieſer Ruͤckſicht ohne Zweifel zu eng iſt-
Der richtigſte und vollſtaͤndigſte Begrif vom Staats-
recht iſt unſtreitig der, wenn man ſich darunter einen
Inbegrif von Geſetzen denkt, welche die Rechte und
Verbindlichkeiten in Anſehung der Verfaſſung und Re-
gie-
[93]de Iuſtitia et Iure.
gierung eines Staats beſtimmen 49). Privatrecht
wuͤrde hingegen der Inbegrif derjenigen Geſetze ſeyn, wel-
che die Staats- und Regierungsverfaſſung nicht betref-
fen. Das Staatsrecht kann wieder in das allge-
meine oder natuͤrliche, und in das beſondere
oder poſitive eingetheilet werden, je nachdem die zu
demſelben gehoͤrige Rechte und Verbindlichkeiten entwe-
der ſchon aus dem Begriffe eines Staats herflieſſen,
und daher allen Staaten gemein ſind, oder ſich auf
beſondere Vertraͤge und poſitive Geſetze gruͤnden, und
daher nur dieſem oder jenem Staat eigen ſind. Zu
dem leztern gehoͤrt das teutſche Staatsrecht, wor-
unter man den Inbegrif derjenigen Geſetze verſtehet,
welche die Rechte und Verbindlichkeiten in Anſehung
der Verfaſſung und Regierung des teutſchen Staats be-
ſtimmen. Dieſes iſt entweder Reichsſtaatsrecht
(Ius publicum Imperii ſ. imperiale) oder Landes-
ſtaatsrecht, (Ius publicum territoriale) je nach-
dem es entweder die Staatsverfaſſung des ganzen
teutſchen Reichs uͤberhaupt, als ein Staatskoͤrper be-
trachtet, oder die Regierungsverfaſſung der beſondern
teutſchen Reichslande zum Gegenſtande hat. Erſteres
pflegt zwar das allgemeine, und lezteres das beſon-
dere teutſche Staatsrecht von denen Publiciſten
genennt zu werden, allein die Abtheilung in Reichs-
und Landesſtaatsrecht iſt der teutſchen Verfaſſung
angemeſſener 50). Dies ſind die heutigen Begriffe von
Staats-
[94]1. Buch. 1. Tit.
Staats- und Privatrecht; wir wollen nun aber
auch noch die Begriffe hinzufuͤgen, die ſich die alten
Roͤmiſchen Juriſten davon gemacht haben. Ulpian ſagt
L. 1. §. 2. b. t. Publicum ius eſt, quod ad ſtatum
rei Romanae ſpectat: Privatum, quod ad ſingulorum
utilitatem. Sunt enim quaedam publice utilia, quae-
dam privatim. Publicum ius in ſacris, in ſacerdoti-
bus, in magiſtratibus conſiſtit.Staatsrecht nann-
ten ſie alſo eigentlich dasjenige Recht, was die Verfaſ-
ſung des Roͤm. Staats (rei Romanae) betrift, und die-
jenigen Geſetze in ſich begreift, welche auf das Wohl des
ganzen Staats abzweckten. Zu dieſem rechneten ſie we-
gen der genauen Verbindung der Roͤm. Goͤtterlehre mit
dem Staatsſyſtem auch das Ius ſacrum, welches theils
feciale, theils augurale, theils pontificium war 51).
Privatrecht hingegen war ihnen alles dasjenige Recht,
welches zunaͤchſt bloß den Vortheil der einzelnen Buͤrger
zur Abſicht hatte. Auſſer jener eigentlichen Bedeutung
des Iuris publici finden wir jedoch noch manche andere
Bedeutungen dieſer Benennung in denen Roͤmiſchen Ge-
ſetzen, welche merkwuͤrdig ſind. So ſagt z. B. Papi-
nian in L. 3. D. Qui teſtamenta facere poſſ. Die
Teſtamentifactio ſey nicht privati ſondern publici iuris.
Hier wird alsdann dasjenige publici iuris genennt, was
von der ausdruͤcklichen Conceſſion der Geſetze abhaͤngt,
und
50)
[95]de Iuſtitia et Iure.
und weder eine Folge des, wenn gleich freyen Eigen-
thums iſt, noch durch die Einwilligung eines andern, in
deſſen Gewalt man iſt, erlangt werden kann, ſondern
was nur bloß ſolchen allein zuſtehet, denen die Geſetze
dieſe Macht oder dieſes Recht verliehen haben. Gerade
ſo verhaͤlt es ſich mit der Teſtamentifaction. Dieſe
ertheilen die Geſetze nur denen Patribus familias. Alſo
kann kein filius familias als ein ſolcher, ſolang er in
vaͤterlicher Gewalt iſt, ein Teſtament machen. Wenn
auch gleich der Sohn das freye Eigenthum ſeiner Ad-
ventirien haͤtte, und der Vater ſeine Einwilligung zur
Teſtamentsverfertigung gegeben. Die Teſtamentifaction
iſt alſo ein Recht, ſo nur die Geſetze ertheilen,
was aber kein Privatus dem andern zu ertheilen ver-
mag. Sodann wird ius publicum auch fuͤr ein ſolches
Recht genommen, was um des gemeinen Beſtens willen
eingefuͤhrt iſt, wenn es auch gleich nicht den ganzen
Staat, ſondern nur zunaͤchſt Privatperſohnen angehet.
So wird z. B. das Recht, die in redlicher Abſicht fuͤr
einen andern, in Hofnung der Wiedererſtattung vorge-
ſchoſſene Begraͤbnißkoſten zuruͤckzufordern, in L. 20. pr. D.
de religioſispublicum ius genennt, was zum Nachtheil
eines ſolchen Glaͤubigers durch keine vom Schuldner mit
einem Dritten etwa des Begraͤbniſſes halber geſchloßne
Vertraͤge vereitelt oder vermindert werden kann. Eben
ſo wird ferner das Recht des Muͤndels, ſich wegen erlitte-
nen Schadens, in Ermanglung anderweitiger Deckung
an dem Vormundſchaftsgericht zu regreßiren, wenn ſol-
ches bey der geſchehenen Beſtellung des Vormunds einer
ſich zu Schulden gebrachten Fahrlaͤßigkeit oder Pflicht-
vergeſſenheit uͤberwieſen werden koͤnnte, in L. 1. §. 9. D.
de magiſtrat. conven. ebenfalls ius publicum genennt,
und zugleich verordnet, daß wenn etwa das Wayſen-
Gericht einem Amtsbeiſitzer allein die Unterſuchung der Si-
cherheit
[96]1. Buch. 1. Tit.
cherheit des Vormunds aufgetragen, und dabey mit dem-
ſelben verabredet haͤtte, daß die Beſtellung des Vormunds
bloß auf ſeine Gefahr geſchehe, dieſer aber nicht pflichtmaͤſ-
ſig verfahren, ſolcher Vertrag den Pupillen nicht praͤjudi-
ciren, noch die uͤbrige Mitglieder des Vormundſchaftsge-
richts von ihrer Vertretungsverbindlichkeit befreyen ſolle,
ſondern nur ſo viel bewuͤrke, daß jener zuerſt allein fuͤrs
Ganze haften muͤſſe, und erſt nach ihm die Vertretung an
die uͤbrigen Beyſitzer komme. Hieraus erklaͤrt ſich nun,
wenn Papinian in L. 38. D. de pactis ſagt: ius pu-
blicum privatorum pactis mutari non pot-
eſt; welches den Sinn hat, was die Geſetze zum gemeinen
Beſten verordnet haben, kann durch Privatvertraͤge zum
Nachtheil Anderer nicht abgeaͤndert oder aufgehoben wer-
den. Denn durch Vertraͤge koͤnnen die Paciscenten
nur uͤber ihr eigenes Intereſſe diſponiren; allein Andern
Rechte und Vortheile zu entziehen, oder zu mindern,
welche ihnen das gemeine Recht geſtattet, ſind ſie nicht
befugt 52). Zuletzt wird Ius publicum auch alles dasjenige
genennet, was die Verwaltung eines oͤffentlichen Amts
oder Staatsbedienung angehet. So ſagt z. B. L. 14. D. ad
Sctum Trebell. Quod ad ius publicum attinet, non ſequitur
ius poteſtatis, das heiſſet, wie der Zuſammenhang mit L.
13. §. 5. D. eodem lehret, wenn ein filiusfamilias ein
oͤffentliches Amt im Staat bekleidet, ſo hat ihm der Va-
ter in Amtsſachen nichts zu befehlen. Non ſequitur,
nehmlich filiusfamilias, ius poteſtatis, nehmlich patriae,
alſo iſt der Wortverſtand, der Sohn kehrt ſich an die
Rechte
[97]de Iuſtitia et Iure.
Rechte der vaͤterlichen Gewalt nicht, unter welcher er
als filiusfam. ſtehet, wenn er als Conſul oder Praͤtor
handelt; ſo erklaͤrt dieſe Stelle JoſephFine-
ſtres53), und ich glaube richtig, denn die Emenda-
tion des Cornelius van Bynckershoͤck54) welcher
non ſequimur (i. e. non obſervamus, non attendi-
mus ad patriam poteſtatem,) leſen will, ſcheint mir
voͤllig uͤberfluͤſſig zu ſeyn. Uebrigens hat von den
mancherley Bedeutungen des Iuris publici am aus-
fuͤhrlichſten gehandelt UlrichHuber in ſeinen Di-
greſſionib. Iuſtinianeis Part. II. Lib. I. Cap. 21. §. 3.
und folg.
§. 14.
Eintheilung des Rechts in Permiſſiv- und Zwangs-
recht. Nichtigkeit der Handlungen, welche gegen verbie-
tende Geſeze unternommen worden, und ob gegen
verbietende Geſetze eine guͤltige Entſagung
ſtatt finde?
Das Recht, fuͤr einen Inbegrif von Geſetzen
genommen, kann auch
3) ſeiner Wuͤrkung nach eingetheilt werden.
Denn iſt es entweder Permiſſiv- oder Zwangs-
recht. Erſteres (ius permiſſivum) enthaͤlt Geſetze,
welche ein Recht oder Vermoͤgen etwas zu thun ver-
ſtatten. So Z. B. geben die Geſetze jedem, der ſui
iuris, und dabey Pubes iſt, das Recht, ein Teſtament
zu machen. Ferner jeder zur Erfuͤllung der Ehezwecke
tuͤchtige Menſch hat das freye Recht, eine Ehe einzugehen,
oder
Gluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. G
[98]1. Buch. 1. Tit.
oder ſich derſelben zu enthalten. Eben ſo erlauben
auch die Geſetze einem Vater, ſeine natuͤrliche Kinder
durch nachfolgende Ehe mit ihrer Mutter zu legitimi-
ren. Lezteres (Ius cogens) enthaͤlt im Gegentheil Ge-
ſetze, welche eine Handlung gebiethen oder verviethen.
Permiſſivgeſetze legen nun zwar demjenigen, dem
dadurch etwas verſtattet oder ein gewiſſes beſonderes
Recht ertheilet wird, der Regel nach keine Verbind-
lichkeit auf, ſich deſſelben zu bedienen, ſondern uͤber-
laſſen ſolches eines Willkuͤhr; ich ſage, der Regel
nach, denn es findet eine Ausnahme ſtatt, wenn das
mir verſtattete Recht mit dem Recht und der Befug-
niß eines Andern dergeſtalt in Verbindung ſtehet,
daß ſolche durch den Nichtgebrauch meines Rechts ge-
kraͤnkt werden wuͤrde. Z. B. So kann ein filiusfami-
lias ſich ohne Wiſſen und Willen ſeines Vaters der
Rechtswohlthat des Macedonianiſchen Rathsſchluſſes
rechtsguͤltig nicht begeben 55); auch kein Geiſtlicher ſeinem
befreieten Gerichtsſtande ohne Conſens des ordentlichen
geiſtlichen Richters entſagen 56). Allein jeden andern
verbinden ſie jedoch perfecte, denjenigen, welchem die
Geſetze eine Befugniß zu handeln verſtattet haben,
in dem rechtmaͤſigen Gebrauch ſeines Rechts nicht zu
ſtoͤhren noch zu verhindern. Auf ſolche Art laͤſſet ſich
dieſe Eintheilung des Rechts in ius permiſſivum und
cogens wohl vertheidigen, ob ſie ſchon einige Rechts-
gelehrten, wiewohl ohne genugſamen Grund, haben
ver-
[99]de Iuſtitia et Iure.
verwerfen wollen 57). Ja ſie iſt ſelbſt in denen Ge-
ſetzen gegruͤndet; denn ſo ſagt Modeſtinus in L. 7.
D. de Legib. ausdruͤcklich: Legis virtus haec eſt:
imperare, vetare, permittere, punire. Zwangsge-
ſetze hingegen ſchlieſſen allen Willkuͤhr zu handeln aus,
und legen allen und jeden die vollkommene Verbindlich-
keit auf, dasjenige, ſo dieſelben befohlen, zu thun,
und was ſie verbothen haben, zu unterlaſſen, wenn
man ſich nicht die auf dem entgegengeſezten Fall be-
ſtimmte Uebel zuziehen will. Daher wird das ius co-
gens wieder in ein gebietendes (ius praecepti-
vum) und verbietendes Recht, (ius prohibitivum)
eingetheilet, nachdem es entweder etwas zu thun
oder etwas zu unterlaſſen anbefiehlt. Das verbie-
tende Recht kann wieder ſehr verſchieden ſeyn. Man-
che Handlungen verbiethet ſchon das Naturrecht (ius
prohibitivum naturale); manche Handlungen hingegen
ſind natuͤrlich erlaubt und verbindlich, aber die buͤrger-
lichen Geſetze verbieten ſie (ius prohibitivum poſitivum).
Da die Gruͤnde, wodurch der buͤrgerliche Geſezgeber
bewogen wird, eine natuͤrlich erlaubte Handlung zu
verbieten, mancherley ſeyn koͤnnen, ſo laſſen ſich hier-
aus wieder verſchiedene Claſſen des verbietenden Poſi-
tivrechts formiren. Der Grund des buͤrgerlichen Ver-
bots iſt entweder aus der Handlung an ſich, ohne
Ruͤckſicht auf die Perſohn der Contrahenten, oder aus
dem perſoͤhnlichen Verhaͤltniß derſelben herzuleiten. Im
erſtern Fall entſtehet ein allgemein verbietendes
Poſitivrecht (ius prohibitivum poſitivum obiecti-
ve tale), welches diejenigen Faͤlle in ſich begreift,
G 2wo
[100]1. Buch. 1. Tit.
wo die Handlung nicht blos gewiſſen Perſohnen, ſon-
dern allgemein verbothen iſt, weil die uneingeſchraͤnkte
Freiheit, ſie zu unternehmen, mit nachtheiligen Folgen
fuͤr den Staat verknuͤpft ſeyn kann. Hierher gehoͤren
die Hazardſpiele 58), der unerlaubte Zinswucher (uſu-
raria pravitas) 59), der commiſſoriſche Vertrag bey
Verpfaͤndungen 60), der Vergleich, wodurch kuͤnftigen
Alimenten, ohne richterlichen Conſens, entſaget wird 61),
die Verabredung, daß ſtatt der auf einen Proceß vor-
geſchoſſenen Koſten und geſezmaͤſigen Zinſen davon, ein
Theil des gewonnenen Vermoͤgens gezahlt werden ſolle
(pactum de quota litis) 62), die Schenkung einer
Summe, welche ſich uͤber 500 Solidos belaͤuft, ohne
gerichtliche Inſinuation 63), u. d. m. Im leztern Fall,
wenn die buͤrgerlichen Geſetze blos gewiſſen Perſohnen,
die Befugniß, rechtliche Handlungen einzugehen, ge-
nommen haben, (ius prohibitivum poſitivum ſubie-
ctive tale) laſſen ſich wieder zwey Faͤlle annehmen.
Einige Perſohnen ſchlieſſen die verbietende Poſitivgeſetze
zu ihrem eigenen Beſten von allen oder einigen
rechtlichen Handlungen aus, weil ſie annehmen, daß ih-
nen die gehoͤrige Einſicht, Ueberlegung und Freiheit des
Willens abgehe, oder ſie doch wenigſtens der Ueberei-
lung, und ungebuͤhrlicher Verleitung vorzuͤglich ausge-
geſezt ſind, dahin gehoͤren z. B. die Buͤrgſchaften und
ſonſtigen Interceſſionen der Frauensperſohnen, deßglei-
chen
[101]de Iuſtitia et Iure.
chen die rechtlichen Geſchaͤfte der Unmuͤndigen und Min-
derjaͤhrigen, auch ſolcher Perſohnen, welche gerichtlich
fuͤr Verſchwender erklaͤrt ſind, ohne Einwilligung der
Vormuͤndere. Andere Perſohnen hingegen entfernt
das buͤrgerliche Verbot von Eingehung gewiſſer Rechts-
handlungen, weil es die gemeine Wohlfarth erfordert.
So iſt z. B. denen Richtern das Annehmen der Ge-
ſchenke unterſagt, wenn auch an ſich keine unerlaubte
Abſicht dabey obwalten ſollte 64). Ferner darf keinem
Chriſten die Schuldforderung eines Juden an einen
Chriſten abgetreten werden 65), nicht weniger iſt die
Ceſſion an einen Maͤchtigern verbothen 66). Hierher
gehoͤren auch die verbotenen Heirathen unter gewiſſen
Perſohnen, theils wegen zu naher Blutsfreundſchaft
und Schwaͤgerſchaft, theils wegen anderer Urſachen.
Die Claſſification dieſer verſchiedenen Gattungen des
verbietenden Rechts wird uns in der Folge manchen
Nutzen ſchaffen 67). Zulezt kann das Prohibitivrecht
auch in ein durchaus verbietendes (ius abſolute
prohibitivum) und ſolches, was nicht durchaus und
ſchlechterdings, ſondern nur hypothetiſch verbie-
tend iſt, (ius ſecundum quid prohibitivum) einge-
theilt werden.
Wie wenn nun aber eine Handlung gegen ein
dergleichen verbietendes Geſez unternommen worden iſt,
was hat ſie fuͤr Wirkung? iſt ſie ſchlechterdings fuͤr
G 3null
[102]1. Buch. 1. Tit.
null und nichtig zu halten? Die Note 1. enthaͤlt die
Entſcheidung dieſer Frage. Regulariter, ſagt daſelbſt
der Autor, actus contra legis probibitionem ſusceptus
eſt nullus. Ich trete dieſer Meinung ohne weiteres
Bedenken bey. Schon die geſunde Vernunft uͤberzeugt
uns von dieſer Regel, denn indem die Geſetze dieſe
oder jene Handlung verbieten, ſo wird eben dadurch
denen Unterthanen die moraliſche Befugniß dazu entzo-
gen. Wie nun von dieſer Befugniß die Guͤltigkeit und
rechtliche Wirkung der Geſchaͤfte abhaͤngt; ſo verſtehet
es ſich von ſelbſt, daß das buͤrgerliche Verboth die
Nichtigkeit ſolcher Handlungen, welche dagegen unter-
nommen werden, nach ſich ziehen muͤſſe 68). Es be-
ſtaͤttigen aber auch das nehmliche die deutlichſten Civil-
geſetze. Deutlicher und beſtimmter kann keine Vorſchrift
ſeyn, als die Verordnung der Kayſer Theod. und
Valent. im L. 5. C. de Legib.69), welche folgen-
des Inhalts iſt: Nullum pactum, nullam conven-
tionem, nullum contractum inter eos videri volu-
mus ſubſecutum, qui contrahunt lege contrahere
pro-
[103]de Iuſtitia et Iure.
prohibente. Quod ad omnes etiam legum interpre-
tationes, tam veteres, quam novellas trahi, gene-
raliter imperamus: ut legislatori, quod fieri non
vult, probibuiſſe tantum ſufficiat: caeteraque, quaſi-
expreſſa ex legis liceat voluntate colligere; hoc eſt,
ut ea, quae lege fieri prohibentur, ſi fuerint facta,
non ſolum inutilia, ſed pro infectis etiam habeantur:
licet legislator fieri prohibuerit tantum, nec ſpecia-
liter dixerit, inutile eſſe debere, quod factum eſt.
Hiermit ſtimmt endlich auch das kanoniſche Recht uͤber-
ein, denn das cap. 64. de Reg. iuris in 6to ſagt
ausdruͤcklich: quae contra ius fiunt, debent utique
pro infectis haberi. So deutlich nun dieſe Geſetze
reden, ſo ſehr muß man ſich billig wundern, wenn
dennoch die Meinungen der Rechtsgelehrten hieruͤ-
ber ſo verſchieden ſind. Einige halten dafuͤr, daß
eine verbotene Handlung nur ſodann auch zugleich
als nichtig angeſehen werden koͤnnte, wenn das Ge-
ſez dieſes ausdruͤcklich verordnet haͤtte 70). Andere
laſſen zwar unſern obigen Satz, als Regel, gelten,
aber ſie fuͤgen im Allgemeinen die Ausnahme hinzu,
daß, wenn die Geſetze etwas bey Strafe verbieten,
ohne zugleich die Handlung ſelbſt fuͤr nichtig zu erklaͤ-
ren, ſodann zwar die Strafe verwirkt ſey, das verbo-
tene Geſchaͤft ſelbſt aber ſeinen ungehinderten Fortgang
behalte 71). Allein die erſtere wie die andere Meinung
G 4iſt
[104]1. Buch. 1. Tit.
iſt unmoͤglich zu rechtfertigen, weil, was jene Meinung
anbetrift, eines Theils nicht abzuſehen, warum dasje-
nige, was doch die Natur der Sache ſchon mit ſich
bringt, noch erſt durch beſondere geſezliche Vorſchriften
angeordnet ſeyn muͤſte, andern Theils aber auch durch
die oben angefuͤhrte Geſetze die Ausdruͤckung der Nich-
tigkeits-Clauſul bey verbietenden Geſetzen ſchlechterdings
fuͤr unnoͤthig erklaͤret wird; nach der andern Meinung
aber das offenbahre Abſurdum zugelaſſen werden muͤßte,
daß die im Geſez gedrohete Strafe, welche doch nach
der Abſicht des Geſezgebers den Unterthan von Un-
ternehmung des verbotenen Handels noch mehr zuruͤck-
halten ſoll, ein Mittel werden koͤnne, ſich die zur Guͤltig-
keit des Geſchaͤfts erforderliche moraliſche Befugniß bey-
zulegen 72). Noch zweyerley iſt jedoch hierbey zu bemer-
ken.
Erſtens, daß obige Regel in einigen Faͤllen ge-
wiſſermaßen eine Ausnahme findet, wo verbotene Rechts-
geſchaͤfte nach der Verordnung der Geſetze nichts deſto-
weniger aufrecht bleiben. Forſchen wir jedoch dem
Grunde davon genau nach, ſo wird ſich bald ergeben,
daß in andern Faͤllen keinesweges das nehmliche zu be-
haupten ſey. Wir wollen nun einige dieſer Ausnahmen
ſelbſt pruͤfen. So iſt z. B. bekannt, daß, wenn eine
Wittwe vor Ablauf des Trauerjahrs ſich ohne erhaltene
Diſpenſation anderweitig verheirathet, zwar hierdurch
die geſetzliche Strafe verwirkt, jedoch die, obgleich ver-
botene
[105]de Iuſtitia et Iure
botene, Ehe ſelbſt nicht annulliret werde 73). Der
Grund hiervon iſt kein anderer, als dieſer; weil die
zweite Verheiratung an ſich und uͤberhaupt den Geſetzen
nicht zuwider iſt, ſondern das Verbot ſich nur auf ei-
ne gewiſſe Zeit beſchraͤnkt: folglich eine gaͤnzliche Auf-
hebung der Ehe theils uͤber die wahre Abſicht des Ge-
ſezgebers hinausgehen, theils mit noch ſchaͤdlichern Fol-
gen verknuͤpft ſeyn wuͤrde, als diejenigen ſind, welche
das Verboth der zu fruͤhen Heirath verhuͤten ſoll; ohne
einmal die letztere ſelbſt, nachdem die Ehe bereits vollzo-
gen worden, verhindern zu koͤnnen 74). Eben dieſer Um-
ſtand, daß die Aufhebung eines gegen das geſezliche
Verboth unternommenen Geſchaͤfts ungleich ſchaͤdlichere
Folgen veranlaſſen wuͤrde, als wenn daſſelbe aufrecht
bleibt, iſt die Urſach, warum die zwar verbotene, aber
doch diſpenſationsfaͤhigen Ehen unter Anverwandten nicht
wieder getrennt, ſondern nur diejenigen, die ſie einge-
gangen haben, von der Obrigkeit geſtraft werden 75).
Es werden alſo in beyden Faͤllen die an ſich verbotenen
Ehen eigentlich erſt durch die nachher erfolgte ſtillſchwei-
gende Diſpenſation guͤltig gemacht; Beweiß genug, wie
wenig dasjenige, was hier nach beſondern Verhaͤltniſſen
eintritt, fuͤr alle uͤbrige Faͤlle, wo die Geſetze etwas
verbieten, als Regel gelten koͤnne.
G 5Zwei-
[106]1. Buch 1. Tit.
Zweitens iſt zu bemerken, daß, wenn gegen das
Verbot eines Geſetzes gehandelt worden, deswegen nicht
immer gleich das ganze unternommene Geſchaͤft nichtig
ſen, ſondern der Regel nach nur in ſo weit ſolches dem
Geſez zuwider iſt, (quatenus in legem peccatum) es
waͤre denn, daß die vorgenommene Handlung durchaus
von den Geſetzen ſey verboten worden 76). Z. B. eine
Schenkung, die ſich uͤber 500 Solidos belaͤuft, und
nicht gerichtlich inſinuirt worden, iſt deswegen nicht ganz
unguͤltig, ſondern nur in ſo weit ſie dieſe Summe uͤber-
ſteigt, ſie gilt alſo wenigſtens doch bis auf die erlaubte
Summe 77). Desgleichen wenn ſich ein Glaͤubiger von
ſeinem Schuldner mehr Zinſen hat verſprechen laſſen, als
die Geſetze erlauben, ſo iſt deswegen nicht die ganze
Stipulation unguͤltig, ſondern nur in ſo weit ſie geſez-
liche Quantitaͤr der Zinſen uͤberſteigt 78). Auch ſogar bey
leztern Willensverordnungen findet dieſes zuweilen ſtatt.
Z. B. wenn Eltern ein Kind ohne rechtmaͤſige Urſach
enterben, ſo iſt ein ſolches pflichtwidriges Teſtament nicht
ganz unguͤltig, ſondern es ſoll nach der Nov. 115. c. 3.
nur die Erbenseinſetzung auf erhobene Querel des enterb-
ten Kindes reſcindiret werden. Der Grund iſt leicht
einzuſehen. Juſtinian will, daß Eltern ihre Kinder
zu Erben ernennen ſollen, es ſoll alſo denen Eltern nicht
er-
[107]de Iuſtitia et Iure.
erlaubt ſeyn, ihren Kindern den gebuͤhrenden Pflichtheil,
durch Schenkung, Vermaͤchtniß oder Fideicommiß zu hin-
terlaſſen, ohne ſie zu Erben einzuſetzen. Haben die El-
tern dieſe Vorſchrift nicht beobachtet, ſo haben ſie nur
in Anſehung der Erbenseinſetzung wider das Geſez
gehandelt, nicht in Anſehung deſſen, was ſie ſonſt an
Vermaͤchtniſſen, Fideicommiſſen, Vormundſchaften, u. d.
in ihren lezten Willen verordnet haben. Alſo iſt nur jene
unguͤltig, alles andere hingegen bleibt aufrecht. Ich
uͤbergehe andere Beyſpiele 79), und bemerke nur noch,
daß in den angefuͤhrten Faͤllen die bekannte Regel: utile
per inutile non vitiatur80) eintrit, welche jedoch nicht
in jedem Fall anwendbar iſt 81).
Noch eine Frage iſt zu eroͤrtern uͤbrig, nehmlich
dieſe, ob gegen verbietende Vorſchriften der Geſetze eine
Entſagung ſtatt finde? Nach der Natur verbietender
Geſetze koͤnnen wir hierauf anders nicht als mit Nein
antworten. Denn denken wir uns ein verbietendes Geſez,
ſo laͤſſet ſich damit ohne Widerſpruch nicht verbinden,
daß es den Unterthanen erlaubt ſey, demſelben nach Gut-
befin-
[108]1. Buch. 1. Tit.
befinden entgegen zu handeln. Nun wuͤrde aber die
Freyheit, dem buͤrgerlichen Verbote zu entſagen, offen-
bahr eine ſolche Befugniß involviren. Es beſtaͤttigen auch
ſelbſt die Geſetze dieſe Regel, daß gegen verbieten-
de Geſetze keine guͤltige Entſagung ſtatt finde,
eben ſo klar. So reſeribirt unter andern K. Antonin
L. 6. C. de pactis: Pacta, quae contra leges conſtitu-
tionesque vel contra bonos mores fiunt, nullam vim
habere, indubitati iuris eſt82). Weil aber dennoch in
einigen Faͤllen die Geſetze ſelbſt von dieſer Regel abwei-
chen, und eine Entſagung dagegen zulaſſen, ſo hat die-
ſes zu mancherley Diſtinctionen, und beſondern Regeln
in den Syſtemen und Commentarien der Rechtsgelehrten
Gelegenheit gegeben. Einige wollen unſere Regel zwar
in ſo weit gelten laſſen, wenn man ihr den Sinn bey-
legt, daß niemand durch ſeine Erklaͤrung be-
wuͤrken koͤnne, daß etwas erlaubt werde, was
das Geſez verbietet; allein, wenn der Sinn der
Regel dieſer ſeyn ſollte, niemand koͤnne guͤltig ſich
erklaͤren, daß er ſich ſeines Rechts in Anſe-
hung desjenigen nicht bedienen wolle, was
die Geſetze ihm zum Beſten verboten haben,
ſo gelte dieſe Regel zwar bey abſolut verbietenden Ge-
ſetzen, bey legibus ſecundum quid prohibitivis hinge-
gen finde ſie keine Anwendung 83). Allein ich zweifle,
ob dieſe Diſtinction eine in jedem Fall untruͤgliche Norm
geben werde. Es iſt doch wohl unleugbahr, daß die
Roͤmiſche Verordnung von Schenkungen unter den Leben-
den,
[109]de Iuſtitia et Iure.
den, welche die Summe von 500 Solidis uͤberſteigen,
nur ein Lex ſecundum quid prohibitiva ſey, denn
ſolche Schenkungen werden nicht ſchlechterdings verbo-
ten, ſondern ſie ſollen nur nicht ohne gerichtliche Inſi-
nuation geſchehen. Es iſt auch wohl gewiß, daß bey
dieſer Verordnung hauptſaͤchlich das Beſte des Schen-
kenden beabſichtiget worden ſey, um denſelben fuͤr uͤber-
eilte und unbedachtſame Schenkungen betraͤchtlicher Sum-
men zu verwahren 84); und dennoch kann dieſem Verbot
nicht rechtsguͤltig renunciirt werden. Andere 85) machen
einen Unterſchied, ob der Grund des verbietenden Geſetzes
vorzuͤglich in der Wohlfahrt des Staats liege, und dann
finde ſchlechterdings keine Entſagung ſtatt, dies ſey der
Sinn der L. 38. D. de pactis: ius publicum pactis pri-
vatorum mutari non poteſt; oder ob das verbietende
Geſez vorzuͤglich nur das Intereſſe gewiſſer Perſohnen
zum Grunde habe, in dieſem letztern Fall will man
zwar eine Renunciation zulaſſen, aber man fuͤgt wieder
ſo viele Einſchraͤnkungen hinzu, daß hiexdurch die auf-
geſtellte Regel beynahe ganz wieder umgeſtoſſen wird.
Man ſagt nehmlich, wenn von ſolchen verbietenden Ge-
ſetzen, welche zugleich mit die gemeine Wohlfarth zur
Abſicht haben, oder von Perſohnen, welche wegen ihres
Geſchlechts, Alters u. ſ. f. nichts zu ihrem Nachtheil
vornehmen koͤnnen, oder von ſolchen Rechten, wobey zu-
gleich das Intereſſe eines dritten obwaltet, die Rede
ſey,
[110]1. Buch. 1. Tit.
ſey, ſo gelte die Entſagung nicht. Aus allem dieſen er-
hellet alſo ſo viel, daß man den ſicherſten Weg erwaͤh-
let, wenn man die Zulaͤßigkeit der Entſagung in der Regel
verneinet, und nur in ſo fern Ausnahmen davon aner-
kennet, als die Rechte ſelbſt ſolche in einzelnen Faͤllen
beſtaͤttiget haben 86). So verbietet z. B. Juſtinian
dem Mann ſchlechterdings alle Veraͤuſſerung des Braut-
ſchatzes ſeiner Ehefrau, wenn ſolcher in liegenden Gruͤn-
den beſtehet; auch wenn die Frau darinn conſentiren
wollte 87). Haͤtte hingegen die Frau die Alienation,
welche mit ihrer Einwilligung geſchehen, nach zwey Jah-
ren genehmigt, und ſie ſich uͤbrigens an den Guͤtern
des Mannes erholen koͤnnte, ſo kann ſie die Veraͤuſſe-
rung alsdann nicht weiter impugniren 88). Unter dieſen
Umſtaͤnden erklaͤrt alſo das Geſez ſelbſt die Entſagung
des zum Beſten der Ehefrauen abzweckenden Veraͤuſſerungs-
verbots fuͤr zulaͤſſig. Eben ſo kann auch eine Ehefrau
nach Juſtinianiſchen Rechten in gewiſſen Faͤllen dem Vel-
lejaniſchen Senatusconſulto guͤltig entſagen 89), welches
man in Praxi noch weiter, wie wohl gegen die Abſicht
und den wahren Sinn der Geſezgeber, ausgedehnt hat 90).
Was uͤbrigens der Eid bey ſolcher Entſagung gegen die
Vorſchrift verbietender Geſetze wirke, wird in der Folge
beym §. 341. gezeigt werden. Nur das einzige muß ich
noch bemerken, daß auch ſchlechterdings gebietende Ge-
ſetze ihrer Natur nach eben ſo wenig, als verbietende,
durch
[111]de Iuſtitia et Iure.
durch privat Vertraͤge der Unterthanen abgeaͤndert oder
aufgehoben werden koͤnnen. Bey hypothetiſchen Geſetzen,
deren Befolgung der Geſezgeber nicht ſo durchaus und
ſchlechterdings erfordert, ſondern welche nach der Abſicht
deſſelben nur in Ermanglung beſonderer Verabredun-
gen zur Entſcheidungsnorm dienen ſollen, iſt es frey-
lich anders.
§. 15.
Eintheilung des Permißiv-Rechts in ius abſolute permiſſi-
vum und ſecundum quid tale. Was ſind res ſ.
actus merae ſacultatis?
Wenn man ſich unter dem Permißivrecht einen
Inbegrif von Geſetzen denkt, die ein Vermoͤgen, eine
gewiſſe Handlung vorzunehmen (facultatem agendi) oder
auch ſonſt eine gewiſſe Freiheit, oder Rechtswohlthat
ertheilen, ſo kann ein ſolches Recht zwifach ſeyn. Die
Geſetze haben entweder hierbey alles dem eignen Willkuͤhr
des Handelnden uͤberlaſſen, ob und was er von der ihm
verſtatteten Befugniß fuͤr einen Gebrauch machen will,
ohne ſeiner Willkuͤhr hierin Schranken zu ſetzen; oder ſie
haben zwar die Handlung ſelbſt dem Willkuͤhr des Han-
delnden uͤberlaſſen, aber doch bey der Vornahme derſel-
ben eine gewiſſe Foͤrmlichkeit vorgeſchrieben, welche, wenn
ſie nicht unguͤltig, ja wohl gar ſtraffallig ſeyn ſoll, zu
beobachten iſt. Eine Summe von Geſetzen der erſtern
Art machen das Ius abſolute permiſſivum aus, ſo wie
im Gegentheil der Inbegrif von Geſetzen der letztern Art
ius ſecundum quid permiſſivum genennet wird. So
z. B. wird das Recht, bey einer fortdaurenden Guͤter-
gemeinſchaft auf die Theilung zu dringen, fuͤr eine Sache
des freyen Willkuͤhrs geachtet. Die Geſetze ſagen: in
communione vel ſocietate nemo compellitur invitus
deti-
[112]1. Buch. 1. Tit.
detineri91). Auch das Recht in ſeinem Eigenthum zu
bauen, iſt iuris abſolute permiſſivi92). Allein zu
heirathen, ein Teſtament zu machen, iſt iuris ſecundum
quid permiſſivi. Daß nun ein ſolches ius ſecundum
quid permiſſivum wenigſtens in Anſehung der zu beob-
achtenden Foͤrmlichkeit zugleich ein ius praeceptivum ſey,
iſt unlaͤugbar. Aus dieſen Praͤmiſſen wird nun der be-
kannte Unterſchied inter res iuris ſ. actus facultatis,
und res ſ. actus merae facultatis ſich ohne Schwierig-
keit erklaͤren laſſen. Die Benennungen kommen zwar in
unſern Geſetzen nicht vor, ſondern ſind eine Erfindung
der Rechtsgelehrten, allein die Sache ſelbſt iſt doch al-
lerdings in den Geſetzen gegruͤndet 93). Res ſ. actus
facultatis ſ. iuris werden uͤberhaupt diejenigen Hand-
lungen genennet, welche die Geſetze erlauben, und die
man unterlaſſen kann, ohne den Geſetzen entgegen zu
handeln 94). Es iſt uͤbrigens gleichviel, ob man dieſe
Erlaubniß denen Geſetzen unmittelbahr zu verdanken hat,
oder ob man darum ſo zu handeln berechtiget iſt, weil
man
[113]De Iuſtitia et Iure.
man die von denen Geſetzen zugelaſſene Conceſſion des Ei-
genthuͤmers oder geſezmaͤſige Verjaͤhrung fuͤr ſich hat.
Z. B. wenn mir auf ſolche rechtmaͤſige Art auf eines
Andern Feldern die Schaafhuth zuſtehet, und ich mein
Vieh zur Weide hintreibe, ſo iſt dieſe Handlung ein
actus facultatis. Dieſe Actus facultatis ſind nun von
zweierley Art, entweder actus merae facultatis oder actus
non merae facultatis. Was ſind aber res oder actus
merae facultatis? Hieruͤber iſt viel geſchrieben und ge-
ſtritten worden 95), und jeder macht ſich beynahe ſei-
nen eigenen Begrif. Die wenigſten haben die Sache ganz
genau getroffen, auſſer dem Eſtor96); welcher mir auf
dem rechten Wege zu ſeyn ſcheinet, wenn er ſagt: res
merae facultatis ſeu meri arbitrii ſunt actus, ad quo-
rum exercitium qualecunque voluntas libera agentis
unice requiritur. Ich denke mir darunter Handlun-
gen, die man nach ſeinem Gefallen und Be-
lieben thun und unterlaſſen kann, ſolang
man will, ohne daß uns daraus ein Nach-
theil, oder einem Dritten ein Recht erwaͤchſt.
Hier entſtehet nun die Frage, welche Handlungen denn
von dieſer Art ſind, daß man ſie ohne Nachtheil thun und un-
terlaſſen kann, wie man will? Die Frage iſt um ſo wichtiger,
je bedeutender der Unterſchied inter res merae facultatis
et non merae facultatis iſt; denn erſtere ſind keiner Ver-
jaͤhrung unterworfen, d. i. man verliert ſein Recht, ſie
dennoch
Gluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. H
[114]1. Buch. 1. Tit.
dennoch wieder zu thun, nicht, wenn man ſie auch gleich noch
ſolang unterlaſſen haͤtte; letztere aber muͤſſen nach Vor-
ſchrift der Geſetze binnen gewiſſer Zeit geſchehen; ſonſt
verliehrt man ſein Recht durch den Nichtgebrauch 97).
Die Antwort auf obige Frage, und die Art, wie man
die Sache vorzuſtellen pflegt, iſt nun ſehr verſchieden,
wenn man die Schriften unſerer heutigen Rechtsgelehr-
ten hierbey vergleicht. Die Meiſten ſagen, alle Hand-
lungen der natuͤrlichen Freyheit, welche weder in den
natuͤrlichen noch buͤrgerlichen Geſetzen geboten und ver-
boten, und alſo unſerm Willkuͤhr uͤberlaſſen ſeyn, ſind
res merae facultatis; z. B. lachen, ſitzen, gehen, ſein
Brod, Bier u. d. nach Belieben bey dieſen oder jenen
zu hohlen, ſeine Wohnung zu aͤndern; auch alle Hand-
lungen, die aus dem Rechte des Eigenthums fließen,
z. B. verkaufen, verſchenken, mit ſeiner Sache eine
Veraͤnderung vornehmen, Bauen auf ſeinem eigenen
Grunde, ſein Vieh auf ſeine eigene Felder zur Weide
zu fuͤhren, rechnet man ad actus merae facultatis.
Dagegen will man alle Handlungen, die ſich auf ein
Privilegium gruͤnden, oder aus einem Vertrage herruͤhren,
von dieſer Claſſe ganz ausſchlieſſen 98). Ich muß frey
bekennen, daß mich dieſe Theorie nicht befriediget. Ich
ſtelle mir die Sache ſo vor; actus merae facultatis
koͤnnen aus einer dreyfachen Quelle herflieſſen; entweder
aus der dem Menſchen angebohrnen natuͤrlichen Frey-
heit, inſoweit ſie die Geſetze nicht eingeſchraͤnkt haben.
Dieſer Beyſatz iſt ſchlechterdings nothwendig, denn wer
weiß
[115]de Iuſtitia et Iure.
weiß z. B. nicht, wie mannigfaltig die Geſetze die Frey-
heit zu kaufen und zu verkaufen 99), welche man doch
ad res merae facultatis insgemein zu rechnen pflegt, modi-
ficirt haben? Ferner das Bauen in ſeinem eigenen Grund
und Boden haͤlt man fuͤr eine Sache des freyen Will-
kuͤhrs. Es iſt wahr, in vielen Faͤllen hat man recht.
Ein jeder Eigenthuͤmer iſt z. B. berechtiget, in ſeiner
eigenen Wand ſo viel Fenſter anzubringen, als er will,
wenn auch von undenklichen Zeiten her keine da geweſen
waͤren. Der Nachbahr kann ihm das nicht verwehren.
Dem Nachbahr iſt aber auch ſeiner Seits unbenommen,
ſolche Fenſter zu verbauen, wenn auch gleich ſolche ſeit
100 und mehr Jahren da geweſen ſeyn ſollten 100).
Allein deswegen iſt doch das Bauen auf dem Seinigen
nicht in jedem Fall Sache des freyen Willkuͤhrs. So
haben z. B. die Roͤmiſchen Geſetze das Hoͤherbauen ver-
ſchiedentlich eingeſchraͤnkt 1); auch haͤngt es nicht immer
von meinem Willen ab, ob ich mein. baufaͤlliges Ge-
baͤude will repariren laſſen, ſondern mein Nachbahr kann
cautionem damni infecti von mir fordern, wenn er
aus dem Einſturz meines Gebaͤudes Schaden befuͤrchtet 2).
H 2Zwei-
[116]1. Buch. 1. Tit.
Zweitens koͤnnen actus merae facultatis auch aus den
Geſetzen ſelbſt entſtehen, wenn dieſelben gewiſſe Rechte
ertheilen, und ſie fuͤr impraͤſcriptibel erklaͤren. Nach ka-
noniſchen Rechten gehoͤrt dahin das Recht der Kirchen-
viſitation, und die dazu noͤthige Procurationen d.
i. Verpflegung der geiſtlichen Viſitatoren, oder ſtatt de-
ren ein Aequivalent am Geld zu verlangen 3); nach dem
Weſtphaͤliſchen Frieden auch das Recht ſolcher Unter-
thanen, denen vermoͤge des Entſcheidjahrs von 1624.
keine Religionsuͤbung in einem Lande geſtattet iſt, in der
Nachbahrſchaft dem oͤſſentlichen Gottesdienſt, wo und ſo
oft ſie wollen, beyzuwohnen, auch daſelbſt die noͤthigen
Miniſterialhandlungen von Geiſtlichen ihrer Religion ver-
richten zu laſſen 4); ferner nach dem civil Recht das
Recht ein Teſtament zu machen, u. d. m. Endlich drit-
tens kann auch etwas, welches an ſich nicht res me-
rae facultatis iſt, durch Vertraͤge dazu gemacht werden.
Ein Beiſpiel giebt das aus dem Wiederkaufsvertrag ent-
ſpringende Wiedereinloͤſungsrecht; dies muß eigentlich,
wenn nicht ein gewiſſer Zeitpunkt zum Eintrit der Wie-
derkaufsverbindlichkeit verabredet worden iſt, binnen 30
Jahren ausgeuͤbt werden; waͤre aber der Wiederkauf auf
gar keine gewiſſe Zeit bedungen, ſondern dem Verkaͤu-
fer die voͤllige Freiheit nachgelaſſen worden, die unter
dem Vertragsgeſetz des Wiederkaufs verkaufte Sache zu
aller Zeit, wenn’s ihm einmahl, es ſey uͤber kurz oder
lang, gefallen moͤchte, wieder einzuloͤſen, ſo iſt alsdann
die in ſolchen ganz allgemein abgefaßten Zeitausdruͤcken
nachge-
[117]de Iuſtitia et Iure.
nachgelaſſene Wiederkaufsausuͤbungs-Befugnis nach der
Natur der Sache und der Abſicht der Paeiſcenten ohnſtreitig
eine res merae facultatis6). Solche actus oder res me-
rae facultatis, die von der Willkuͤhr deſſen, dem ſie
zuſtehen, lediglich in der Ausuͤbung abhaͤngen, ſind nun
wenigſtens ſo lange, als ihnen das Gepraͤge der Will-
kuͤhrlichkeit nicht durch zerſtoͤhrende Gegenhandlungen
deſſen, gegen den ſie zuſtehen, benommen wird, keiner
Verjaͤhrung unterworfen, wovon zu ſeiner Zeit ad §.
1766 umſtaͤndlicher zu handeln ſeyn wird.
§. 16.
Anwendung obiger Begriffe auf das Naturrecht und Einthei-
lung deſſelben in Ius naturae abſolutum und hypotheticum.
Auch das Naturrecht kann in ein Zwangs-
und Permißivrecht eingetheilt werden. Jenes be-
greift diejenigen Rechte und Pflichten in ſich, deren Er-
fuͤllung erzwungen werden kann, und kann entweder ein
gebietendes oder verbietendes ſeyn. Letzteres
hingegen enthaͤlt Rechte und Pflichten, deren Ausuͤbung
meinem Willkuͤhr uͤberlaſſen iſt; bey welchem folglich kein
H 3Zwang
[118]1. Buch. 1. Tit.
Zwang ſtatt findet. Derjenige Theil des Naturrechts,
der die Iura et officia perfecta vortraͤgt, hat wiederum
verſchiedene Eintheilungen, die ich hier nur blos erzaͤh-
len will, ohne mich dabey aufzuhalten 7). Wenn wir
uns
[119]de Iuſtitia et Iure.
uns die Rechte und vollkommenen Pflichten der Men-
ſchen, welche das Ius naturae cogens in ſich begreift,
vorſtellen, ſo folgen dieſelben entweder ſchon aus der
menſchlichen Natur an ſich, ohne Vorausſetzung gewiſ-
ſer Handlungen, oder ſie ſetzen gewiſſe Handlungen vor-
aus, welche den naͤchſten Grund jener Rechte und Ver-
bindlichkeiten enthalten. Erſtere heiſſen abſolute, ur-
ſpruͤngliche, oder angebohrne Rechte und Ver-
bindlichkeiten, und der Inbegrif derſelben macht das Ius
naturae abſolutum aus; letztere aber werden hypothe-
tiſche, und der Inbegrif derſelben Ius naturae hypo-
theticum genennt. Die Hypotheſe, wodurch Rechte und
Verbindlichkeiten der letztern Art determinirt werden, iſt
entweder eine gemeinſchaftliche Verbindung, in welche
Menſchen mit einander getreten; oder ein anderes Fac-
tum, welches die Menſchen nicht in gewiſſe Geſellſchaf-
ten verbindet, z. B. Vertrag oder Beleidigung. Jener
Theil des hypothetiſchen Naturrechts heißt das geſell-
ſchaftliche Recht (ius naturale hypotheticum ſociale).
Der letztere Theil aber iſt das auſſergeſellſchaftliche
Naturrecht. Beyde Theile des natuͤrlichen Rechts
haben wieder ihre verſchiedenen Eintheilungen, die ich
aber aus dem Hoͤpfneriſchen Naturrecht §. 35 u. 36.
bey meinen Leſern als bekannt vorausſetzen kann.
§. 17.
Guͤltigkeit des Naturrechts im buͤrgerlichen Staate.
Es iſt wohl keine Frage weniger beſtritten, als
die, ob das Naturrecht auch in der buͤrgerli-
chen Geſellſchaft gelte? Freylich wird zwar ein
Jeder, auch bey geringen Maas von Scharfſinn, leicht
begreiffen, daß ohnmoͤglich alles dasienige, was in dem
auſſergeſellſchaftlichen Zuſtande der Menſchen natuͤrlichen
H 4Rechtens
[120]1. Buch. 1. Tit.
Rechtens iſt, es auch in der buͤrgerlichen Societaͤt ſeyn
muͤſſe; allein es iſt ja auch bekannt genug, daß man
den ſogenannten natuͤrlichen oder auſſergeſellſchaftlichen
Zuſtand nicht mit dem natuͤrlichen Rechte ſelbſt vermi-
ſchen duͤrfe. Denken wir uns nun unter dem Natur-
rechte einen Inbegrif von Rechten und Verbindlichkeiten,
die jeder Menſch, wenn er nur den Gebrauch ſeiner Ver-
nunft hat, mit bloſem Verſtande als ſolche begreift,
wir moͤgen nun den Grund aller natuͤrlichen Rechte und
Verbindlichkeiten blos auf das Weſen des Menſchen zu-
ruͤckfuͤhren, oder mit andern den aus der bloſen Ver-
nunft erkannten Willen des Schoͤpfers, als das wahre
und einzige Fundament derſelben betrachten; ſo iſt un-
widerſprechlich, daß Menſchen im Staat ſo gut verbun-
den ſind, die Geſetze der Natur zu befolgen, als auſ-
ſer dem Staat. Denn der Menſch wird Buͤrger eines
Staats, ohne die Eigenſchaft des Menſchen abzulegen,
und ohne aufzuhoͤren, ein Geſchoͤpf desjenigen zu ſeyn,
der ihm ſeinen Willen ins Herz geſchrieben hat. Wie
koͤnnte alſo wohl die auf den natuͤrlichen Menſchen ge-
pfropfte Eigenſchaft des Staatsbuͤrgers eine ſolche Me-
tamorphoſe in ihm hervorbringen, daß er nun der
Vernunft und dem durch dieſelbe erkannten goͤttlichen
Willen entgegen handeln ſolle 8)? Es iſt alſo auſſer
allem Zweifel, daß eine jede natuͤrliche Verbindlichkeit,
welche dem Menſchen auſſer dem buͤrgerlichen Zuſtande
obliegen, ferner ein jedes natuͤrliches Recht, ſo demſel-
ben im auſſergeſellſchaftlichen Zuſtande zuſtehen wuͤrde,
auch an ſich und nach der Regel im buͤrgerlichen Zuſtande
vorhanden und fortdaurend ſey; nur diejenigen Faͤlle aus-
genommen, da das buͤrgerliche Verhaͤltniß des Menſchen
eine
[121]de Iuſtitia et Iure.
eine ſolche Aenderung der Umſtaͤnde hervorbringt, daß
dabey jene natuͤrliche Rechte und Verbindlichkeiten nicht
beſtehen koͤnnen 9). Ein groſſer Theil des buͤrgerlichen
Rechts iſt daher blos Wiederhohlung des natuͤrlichen
Rechts, und wuͤrde uns verbinden, wenn es auch weder
im Roͤm. Rechte noch in irgend einem andern Geſez-
buche wiederholet waͤre. Z. B. daß der Kaͤufer verbun-
den ſey, das Kaufgeld zur beſtimmten Zeit zu bezahlen,
daß der Depoſitar die ihm anvertraueten Guͤther wieder
abliefern, der Verwalter eines fremden Vermoͤgens Rech-
nung ablegen, und, wenn er nicht wirthſchaftlich ver-
fahren, den Schaden erſetzen, desgleichen daß der Schuld-
ner das empfangene Darlehn bezahlen muͤſſe, ſind dieſes
nicht lauter Verbindlichkeiten des natuͤrlichen Rechts,
wenn ſie auch im Roͤmiſchen Recht ausdruͤcklich enthal-
ten ſind? Es iſt alſo wohl richtig, was Juſtinian
ſagt §. 4. I. b. t. collectum eſt ius noſtrum ex na-
turalibus praeceptis, aut gentium, aut civilibus.
§. 18.
Kann der buͤrgerliche Geſezgeber das Naturrecht in ſei-
nem Staate abaͤndern, und in wieferne?
So unſtreitig jene Frage von der Guͤltigkeit des
Naturrechts im buͤrgerlichen Staate war, ſo ſehr hat
ſich man von jeher uͤber die Frage geſtritten: ob und in
wie fern das Naturrecht durch buͤrgerliche Ge-
ſetze eine Abaͤnderung leiden koͤnne10)? Ge-
H 5meinig-
[122]1. Buch. 1. Tit.
meiniglich wird dieſe Frage mittelſt einer Diſtinction da-
hin beantwortet, daß der buͤrgerliche Geſezgeber die
Vorſchriften des abſoluten Naturrechts in keinem Be-
trachte, wohl aber das hypothetiſche Naturrecht, in
ſeinem Staate abaͤndern koͤnne. Allein neuere Rechts-
gelehrte halten Aenderung des Naturrechts an ſich und
im eigentlichen Verſtande fuͤr ein Unding, weil die Fra-
ge, was in dieſem oder jenem Falle natuͤrlichen Rech-
tens ſey? nur allein aus Vernunftgruͤnden durch unſern
Verſtand ihre Beſtimmung erhalten; kein Regent aber,
auch der unumſchraͤnkteſte nicht, ſich uͤber res intelle-
ctus eine Entſcheidung anmaſſen koͤnne 11). Wie aber,
bringt es nicht gleichwohl die taͤgliche Erfahrung mit ſich,
daß verſchiedene nach dem Naturrecht erlaubte Handlun-
gen im Staat nicht erlaubt, verſchiedene nach dem Na-
turrecht unerlaubte Handlungen aber im Staate oͤffent-
lich als erlaubt geduldet werden? Z. B. die oͤffentlichen
Bordelle. Wird alſo nicht ſolchergeſtalt das Naturrecht
offendahr durch poſitive Geſetze abgeaͤndert? Nein, kei-
neswegs, ſagen Letztere. Denn einmahl folge nicht, daß
alles
10)
[123]de Iuſtitia et Iure.
alles dasjenige, was im natuͤrlichen Zuſtande der Menſchen
Rechtens iſt, es auch in der buͤrgerlichen Societaͤt ſeyn
muͤſſe; ſodann laſſe ſich auch unmoͤglich da eine Aenderung
des Rechts behaupten, wo wegen veraͤnderter Umſtaͤnde
die Anwendung deſſelben wegfaͤllt. Da nun die Mit-
glieder eines Staats die Direction ihrer Befugniſſe,
woruͤber ſie ſelbſt diſponiren koͤnnen, dem Regenten un-
terworfen haben; und folglich ſelbſt nach dem Naturrechte
ſchuldig ſind, ſeinen Befehlen zu gehorchen, ſo ſey erſicht-
lich, daß wenn der Regent vermoͤge dieſer ihm uͤbertrage-
nen Direction z. B. gewiſſe an ſich betrachtet nicht uner-
laubte oder unguͤltige Handlungen und Vertraͤge verbie-
tet, hieraus ſo wenig eine Aenderung des Naturrechts
herzunehmen ſeye, daß vielmehr offenbahr ein anderes
Naturgeſez zur Anwendung komme, dasjenige nehmlich,
wonach jede an ſich erlaubte und rechtsverbindliche Handlung
aufhoͤrt, erlaubt und rechtsverbindlich zu ſeyn, wenn der-
jenige, deſſen Willen wir gehorchen muͤſſen, ſie unſerer
Willkuͤhr entziehet. — Allein ſollte auf ſolche Art nicht
alles wirklich poſitive Recht am Ende fuͤr natuͤrliches Recht
erklaͤret werden koͤnnen? und wo bliebe denn nun der Un-
terſchied zwiſchen dem natuͤrlichen und poſitiven Rechte?
Es wird alſo wohl zuletzt immer darauf ankommen, was ſich
jeder von Aenderung eines Geſetzes fuͤr einen Begrif macht,
und alſo die ganze Sache auf einen Wortſtreit hinaus-
laufen. In folgenden Saͤtzen kommen jedoch die meiſten
Rechtsgelehrte uͤberein. Erſtlich daß kein Regent den
Unterthanen ſolche Rechte entziehen koͤnne, deren ſie ſich
ſelbſt weder entaͤuſſern durften noch konnten, ohne allge-
meine Geſetze der Moral zu verletzen. Z. B. das Recht der
Gewiſſensfreyheit. Denn es iſt ein jezt faſt von allen
Lehrern des allgemeinen Staatsrechts anerkannter
Grundſaz: daß die Mitglieder eines Staats
die Direction ihrer freyen Handlungen, ih-
rer
[124]1. Buch. 1. Tit.
rer Rechte und deren Ausuͤbung dem Regen-
ten nur in ſofern uͤbertragen haben, und
uͤbertragen koͤnnen, als ſie ſelbſt daruͤber zu
disponiren die Befugnis gehabt12). Hieraus
folgt weiter, daß der Regent ſeinen Unterthanen nichts
gebieten koͤnne, wodurch ſie ſolchen Verbindlichkeiten
entgegen handeln wuͤrden, welche die geſunde Vernunft
ſo weſentlich erkennt, daß keine Verbindung der Men-
ſchen unter ſich, keine willkuͤhrliche Entſagung davon
dispenſiren kann 13). Alle Vertraͤge, alle Geſetze und
Verord-
[125]de Iuſtitia et Iure.
Verordnungen dagegen waͤren ſchlechterdings unguͤl-
tig 14). Denn hier iſt offenbahr der Fall, wo jener
goͤttliche Befehl eintrit: Man muß Gott mehr ge-
horchen, als den Menſchen. In ſofern aber
zweitens die Ausuͤbung ſolcher natuͤrlicher Rechte, in-
gleichen die Art und Weiſe der Erfuͤllung ſolcher Verbind-
lichkeiten nicht alle Willkuͤhr des Menſchen ausſchließt;
in ſofern iſt auch der buͤrgerliche Geſezgeber allerdings
befugt, um die Ordnung in ſeinem Staate aufrecht
zu erhalten, den modum durch ſeine Vorſchrift zu be-
ſtimmen, auch in dieſer Ruͤckſicht manche Einſchraͤnkun-
gen zu machen. So iſt z. B. der Regent im Staate
allerdings befugt, in Anſehung der Mittel, welche der
Menſch zu ſeiner Erhaltung anwenden kann, mancherley
Einſchraͤnkungen zu machen. Er kann dieſe oder jene
Handthierungen, Kuͤnſte und Gewerbe gewiſſen Perſoh-
nen allein geſtatten, und andere davon ausſchlieſſen.
Eben ſo verhaͤlt ſich’s mit dem natuͤrlichen Triebe zur
Fortpflanzung unſers Geſchlechts. Der Regent kann
eine gewiſſe Form der Ehe vorſchreiben; er kann ferner
unter gewiſſen Perſohnen die Heirathen gar verbieten.
Drittens: alle Rechte hingegen, welche dem Menſchen
als Menſchen zwar zuſtehen, die aber das Vernunftrecht
ſeinem Willkuͤhr lediglich uͤberlaͤſſet, ſind auch der Dis-
poſition des buͤrgerlichen Regenten dergeſtalt unterwor-
fen, daß dieſer ſie gaͤnzlich aufheben, und die Unter-
thanen davon ausſchlieſſen darf. So z. B. iſt die Oc-
cupation, mithin auch die Jagd im Stande der natuͤr-
lichen Freyheit einem Jeden erlaubt; allein die Erfah-
rung
[126]1. Buch. 1. Tit.
rung lehrt, daß die Regenten ihren Unterthanen dieſe
Freyheit nicht mehr ſchlechthin geſtatten, ſondern die
Jagd und andere Arten der Occupation zu den Rega-
lien gezogen haben. Eben ſo verhaͤlt ſich die Sache
viertens in Anſehung derienigen Verbindlichkeiten, wel-
che willkuͤhrliche, an ſich erlaubte Handlungen zum
voraus ſetzen, weil der Regent ohne Zweifel befugt iſt,
ſolche Handlungen durchaus zu verbieten, oder wenig-
ſtens die gerichtliche Wirkung derſelben einzuſchraͤnken.
So z. B. wird niemand laͤugnen, daß eine Weibsper-
ſohn, wenn ſie ſich fuͤr eines Andern Schuld verbuͤrgt
hat, nach dem Naturrecht zu bezahlen ſchuldig ſey. Al-
lein die buͤrgerlichen Geſetze verbiethen die Buͤrgſchaften
der Weibsleute fuͤr andere, und erklaͤren ſie fuͤr ganz
unkraͤftig. Hingegen die natuͤrliche Verbindlichkeit eines
Filiifamilias aus einem Gelddarlehn iſt nur der gericht-
lichen Wirkung nach durch die Roͤmiſchen Geſetze einge-
ſchraͤnkt worden, ſie heben ſie aber doch nicht ganz
auf. Nach dieſen Beſtimmungen wird ſich nun die vom
Hellfeld in dieſem §. angefuͤhrte Stelle Ulpians
leicht erklaͤren laſſen, wenn er ſagt 15): cum aliquid
addimus vel detrabimus iuri communi, ius proprium,
id eſt, civile efficimus. Ius commune heißt hier ſoviel
als das natuͤrliche Recht, wie aus den vorhergehenden
Worten erhellet. Dieſes Naturrecht iſt, nach Ulpians
richtiger Meinung, der Grund und die Hauptquelle des
buͤrgerlichen Rechts. Denn lezteres entſtehet eben da-
durch, wenn dem natuͤrlichen Recht etwas hinzugefuͤgt
oder entzogen wird. Das erſtere, cum aliquid ad-
ditur, laͤßt ſich auf verſchiedene Weiſe gedenken:
- 1) wenn durch verheiſſene Belohnungen, oder angedro-
hete Strafen, mehrere Bewegungsgruͤnde zur Erfuͤl-
lung
[127]de Iuſtitia et Iure.
lung natuͤrlicher Verbindlichkeiten gegeben werden.
Z. B. ſchon das Naturrecht verbietet, Sachen, die
blos zur Aufſicht und Verwahrung eingegeben wor-
den, zu veruntreuen, allein auſſer dem Erſaz des
daraus entſtandenen Schadens weiß das Naturrecht
von keiner Strafe. Die buͤrgerlichen Geſetze hinge-
gen ſetzen die Strafe der Ehrloſigkeit, und in einem
gewiſſen Fall noch die Strafe des doppelten Erſatzes
darauf; und die peinlichen Rechte 16) wollen ſogar
ſolche Miſſethat einem Diebſtahl gleich beſtraft wiſſen.
Auch
- 2) dadurch, daß denen Rechtsgeſchaͤften eine gewiſſe Form
vorgeſchrieben wird, von deren Beobachtung die Guͤl-
tigkeit derſelben abhangen ſolle; die Veraͤuſſerungen der
Kirchenguͤter, desgleichen der liegenden Guͤter der Min-
derjaͤhrigen, auch die Schenkungen auf den Todesfall
koͤnnen hier zum Beiſpiel dienen.
Ferner
- 3) wenn Rechte und Verbindlichkeiten durch poſitive Ge-
ſetze eingefuͤhrt werden, welche das Naturrecht igno-
rirt. Man denke hierbey an Teſtamente, Uſucapion,
Pollicitation u. d. m. Endlich gehoͤrt noch dahin, - 4) wenn den ſogenannten natuͤrlich unvollkommenen Pflich-
ten durch buͤrgerliche Geſetze eine vollkommene verbind-
liche Kraft beygeleget wird. So verbinden mich zum
Beiſpiel die buͤrgerlichen Geſetze in verſchiedenen Faͤl-
len bey Strafe der Theilnehmung, die vorhabende
Verbrechen anderer zu verhindern, ſie der Obrigkeit
zu entdecken, auch unterweilen begangene Miſſethaten
oͤffentlich anzuzeigen .
Das
[128]1. B. 1. Tit.
Das letztere, nehmlich cum aliquid detrabitur iu-
ri naturali, geſchiehet vorzuͤglich auf zweyerley Art;
nehmlich
- 1) wenn natuͤrlich erlaubte Handlungen durch buͤrgerliche
Geſetze allgemein, oder nur einer gewiſſe Klaſſe von Un-
terthanen verboten werden, wie z. B. denen Geiſtli-
chen und Soldaten die Treibung eines kaufmaͤnniſchen Ge-
werbes ihres Standes und Berufs wegen unterſagt iſt 18). - 2) wenn einigen natuͤrlichen Zwangspflichten die gerichtli-
che Wirkung ganz oder zum Theil genommen wird.
Man erinnere ſich hierbey an die oben ſchon gegebne
Beiſpiele. Ich bemerke nur noch zum Beſchluß, daß
wenn Handlungen, die an ſich unerlaubt ſind, im
Staat geduldet werden, ſodann ſo wenig die Abſicht
der buͤrgerlichen Geſezgeber ſey, als es in ihrem Ver-
moͤgen ſtehe, ſolche Laſter dadurch ſelbſt erlaubt zu
machen, ſondern ſie dulden dieſelben, um aus mehrern
Uebeln das kleinſte zu erwaͤhlen. Es laͤſſet ſich alſo
wohl mit Grunde nicht behaupten, daß durch ſolche Con-
nivenz dem natuͤrlichen Rechte zu nahe geſchehe 19).
§. 19. und 20.
Ueber die Bekanntmachung der poſitiven Geſetze und
deren Wirkungen.
Von dem natuͤrlichen Recht kommt unſer Autor
nun auf das poſitive, worunter man den Inbegrif ſol-
cher
17)
[129]de Iuſtitia et Iure.
cher Geſetze verſtehet, welche in dem erklaͤrten Willen des
Geſetzgebers ihren Grund haben. Sollen nun poſitive
Geſetze verbindlich ſeyn, ſo muͤſſen ſie denenjenigen,
welche denſelben gemaͤß handeln ſollen, gehoͤrig bekannt
gemacht werden, es geſchehe nun ſolches durch Worte,
oder durch Handlungen, woraus die Unterthanen den Wil-
len des Oberherrn ſchlieſſen koͤnnen 20). Von dieſer
Willenserklaͤrung des Geſezgebers haͤngt alſo die Guͤltig-
keit poſitiver Geſetze lediglich ab, und ſo lang dieſe
nicht auf die gehoͤrige Art geſchehen, verbinden ſolche
Geſetze die Unterthanen nicht, auch diejenigen nicht, wel-
che ſchon einige Wiſſenſchaft davon gehabt haben ſol-
ten 21). Es laͤſſer ſich alſo auch keine Beſtrafung we-
gen einer Uebertretung derſelben, ohne ungerecht zu han-
deln, gedenken. Unter der Bekanntmachung ei-
nes Geſetzes (Promulgatio legis) verſtehet man aber
eigentlich dieienige Handlung, dadurch der Geſezgeber
ſeinen Unterthanen ſeinen Willen ausdruͤcklich zu erken-
nen giebt, den ſie als Geſez beobachten ſollen 22). Sie
kann entweder ſchriftlich oder muͤndlich geſchehen. Giebt
der Geſezgeber durch Handlungen ſeinen Willen zu er-
kennen, indem er eine zur Gewohnheit gewordene Hand-
lungsart ſeiner Unterthanen ſtillſchweigend billiget, ſo
wol-
Gluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. J
[130]1. Buch. 1. Tit.
wollen zwar auch einige dieſes promulgationem legis
nennen, allein es geſchiehet abuſive. Geſetze, die aus-
druͤcklich vom Geſezgeber promulgiret worden ſind, wer-
den geſchriebene Geſetze in juriſtiſchem Verſtande
genennt, und dem Gewohnheitsrechte entgegengeſezt,
wovon im 3ten Titul ein mehreres vorkommen wird.
(§. 20.) In der Lehre von der Bekanntmachung
der Geſetze kommt es nun hauptſaͤchlich auf zwey Fra-
gen an: Erſtens, wie muß die Bekanntmachung eines
Geſetzes geſchehen, wenn ſie von rechtlicher Wirkung
ſeyn ſoll? und zweitens: was hat ſie fuͤr Wirkungen?
In Betreff der erſtern Frage verſtehet ſich zwar von
ſelbſten, daß die Promulgation eines Geſetzes auf eine
ſolche Art geſchehen muͤſſe, dadurch alle diejenigen Wiſ-
ſenſchaft von dem Geſez erlangen koͤnnen, welche ſich
darnach richten ſollen; allein die Frage iſt, was dazu
gehoͤre, um ſolches zu bewerkſtelligen? Dieſe Frage iſt
beſonders in Anſehung peinlicher Geſetze von groͤ-
ſter Wichtigkeit, indem der Mangel hinreichender Wiſ-
ſenſchaft derſelben nothwendig die Wirkſamkeit der Stra-
fen hindern muß. So gewiß es nun uͤbrigens iſt, daß
zur Bekanntmachung eines Geſetzes, wenn ſie auf die
gehoͤrige Art geſchehen ſoll, dreyerley erfordert werde,
nehmlich:
- 1) daß ſie an einem oͤffentlichen und dazu ſchickli-
chen Orte geſchehe, - 2) zu einer ſchicklichen Zeit, und
- 3) in einer Sprache, die die Unterthanen verſtehen;
ſo lehrt doch die taͤgliche Erfahrung, wie wenig insge-
mein durch die gewoͤhnliche Bekanntmachung der ge-
wuͤnſchte Entzweck, beſonders in Anſehung der Straf-
geſetze
[131]de Iuſtitia et Iure
geſetze bey dem Volk erreicht werde. Es iſt wahr,
man verfaßt ſie in der Mutterſprache, ſchlaͤgt ſie an
oͤffentlichen Orten an, verkauft ſie gedruckt, ruͤckt ſie
in Zeitſchriften ein, und laͤſſet ſie auch wohl von Zeit
zu Zeit von denen Canzeln verleſen; und doch trift
noch immer ein, woruͤber ſchon Cyprian23) zu ſeinen
Zeiten klagte: Inciſae ſint licet Leges, et publico
aere praefixo iura perſcripta, inter leges tamen
ipſas delinquitur, inter iura peccatur. Die Urſa-
chen ſind leicht zu errathen. Viele unter dem Volke
koͤnnen nicht leſen; die Geſetze, wenn ſie zumahl nur
geſchrieben, nicht gedruckt ſind, bleiben ihnen daher,
aller Bekanntmachung ohngeachtet, unbekannt. Wenige
pflegen uͤberdies oͤffentlich angeſchlagene Schriften zu
leſen, und ſolche Anſchlaͤge werden uͤberhaupt bald durch
Muthwillen oder Witterung vernichtet. Die Zeitſchrif-
ten gelangen ſelten zu den niedern Volksclaſſen und
werden von vielen nur fluͤchtig durchblaͤttert oder doch
nicht ſorgfaͤltig aufbewahrt. Auch ſcheut der gemeine
Mann den Verkaufspreis gedruckter Geſetze. Die Ver-
leſung derſelben in den Kirchen hat eben ſo wenig voll-
kommen dieienige Wirkung, welche man ſich davon ver-
ſpricht. Das Volk giebt entweder wenig Achtung dar-
auf, oder verlaͤßt unterdeſſen die, vielleicht ohnehin
diesmahl nicht zahlreiche Verſammlung, denn meiſt
geſchiehet die Verleſung erſt nach der Predigt; und
insgemein lieſet der Prediger die Verordnung unver-
ſtaͤndlich und mit moͤglichſter Geſchwindigkeit vor. End-
lich ſind auch wenige mit der iuriſtiſchen Schreibart be-
kannt genug, um den Inhalt der Geſetze, beſonders
der Strafgeſetze, mit allen ihren Abtheilungen, Di-
ſtinctionen und Ausnahmen gehoͤrig zu faſſen. Zwar
ſolte ſich jeder rechtſchaffene Unterthan um die Geſetze
J 2des
[132]1. Buch. 1. Tit.
Staats von ſelbſt erkundigen, in welchem er lebt, ſol-
te ſchon aus Gruͤnden des oͤffentlichen und privat
Wohls, nicht aus Furcht vor der Strafe, die Geſetze des
Staats beobachten; allein daraus folgt nur ſo viel, daß
eben keine Ungerechtigkeit begangen wird, wenn man jemand
nach Geſetzen richtet, von denen er durch eigene Schuld
nicht gehoͤrige Wiſſenſchaft gehabt hat. Unterdeſſen
bleibt doch immer jene, wenn gleich verſchuldete, Un-
kunde der Geſetze die Haupturſache, daß oft ſo ſchwere
Verbrechen dennoch begangen werden, die doch durch
dieſe Geſetze verhuͤtet werden ſollen; und auch das ge-
rechteſte Geſez bleibt zu voͤlliger Erreichung ſeines Ent-
zwecks unwuͤrkſam. Wieviel liegt alſo nicht an einer
ſorgfaͤltigern Bekanntmachung der Geſetze? Allein wie
ſoll man genauere und allgemeinere Kenntniß derſelben,
und zwar der Strafgeſetze, von denen ich hier vorzuͤg-
lich rede, verbreiten? Hieruͤber ſind ſchon mancherley
Vorſchlaͤge gethan worden, auf welche mich aber hier
einzulaſſen, wider meinen Plan iſt. Man erlaube mir
iedoch, von den treflichen Bemerkungen, die ich uͤber
dieſen Gegenſtand in der neueſten Schrift eines beruͤhm-
ten Rechtsgelehrten 24) geleſen habe, hier Gebrauch zu
machen. Dieſer ſagt, man ſolle ſich in der Schreibart
ſolcher Strafgeſetze mehr nach der Faſſungskraft der
niedern Volksclaſſen und der Nichtiuriſten richten. Da-
zu moͤchte vorzuͤglich dienen, wenn man von jedem
Strafgeſez unter oͤffentlicher Auctoritaͤt einen zweckmaͤ-
ſigen Auszug fuͤr das Volk machte, mit Vermeidung
alles Kunſtmaͤſigen, und aller feinern Unterſcheidungen,
welche bey den Graden der Moralitaͤt, und bey der Im-
putation ſtatt finden u. ſ. w. Man verfertige zu dem
Ende
[133]de Iuſtitia et Iure.
Ende einen Volkscodex oder Strafcatechismus aus al-
len und jeden noch geltenden Strafgeſetzen, ſo kurz und
ſo wohlfeil als moͤglich; und ſuche dieſen auf jede ſchick-
liche Art unter dem Volk zu verbreiten. Das Leztere
geſchiehet: a) wenn man ſolchen bey gottesdienſtlichen
Verſammlungen, an beſtimmten Tagen, jaͤhrlich zwey -
drey - auch wohl viermal, unter Ahndung des willkuͤhr-
lichen Auſſenbleibens der Pfarrkinder, nicht nach der
Predigt, ſondern vorher, mit zweckmaͤſiger Einleitung,
und am Schluſſe der Handlung beigefuͤgter ernſtlichen
Vermahnung, laut, langſam, und vernehmlich verleſen
laͤſſet; b) wenn man ſolchen einruͤckt oder beyfuͤgt den-
jenigen [Schriften], welche in die Haͤnde aller Untertha-
nen, ohne Unterſchied des Geſchlechts, Standes oder
Alters kommen, z. B. den Kalendern; c) wenn man
denſelben in die fuͤr die Volksſchulen beſtimmte Lehrbuͤ-
cher aufnimmt, und in jenen fleißig darnach unterrich-
ten laͤſſet; d) endlich wenn man die Anſchaffung dieſes
wohlfeilen Buͤchleins, nach der neueſten Ausgabe, je-
dem Haͤusvater bey Strafe befiehlt. Eben ſo halte man
es auch mit denen von Zeit zu Zeit erſcheinenden neuen
Geſetzen, die man bey der naͤchſten Auflage in den
Volkscodex aufnehmen, und unterdeſſen in die Zeitun-
gen, woͤchentliche Anzeigen, und ſolche Schriften einruͤ-
cken muß, welche allgemein geleſen werden. Ein Haupt-
umſtand, das Andenken derſelben beym Volk bleibend
und lebhaft zu erhalten, iſt auch die oͤffentliche, mit
einiger, Aufſehen erregender, Zubereitung verknuͤpfte
Vollziehung verwirkter merkwuͤrdiger Strafen, und de-
ren oͤffentliche Bekanntmachung, wovon in der vorhin
gedachten Schrift ebenfalls ſehr practiſche Regeln an
die Hand gegeben werden.
J 3Wir
[134]1. Buch 1. Tit.
Wir kommen nun zweitens auf die Wirkungen
einer auf die gehoͤrige Art geſchehenen Promulgation;
dieſe beſtehen darinn:
- 1) Daß das Geſez in der Regel gleich von dem Au-
genblick die Unterthanen verbindet, als es ihnen be-
kannt gemacht worden iſt. Es ſind zwar verſchiedene
Rechtsgelehrten 25) der Meinung, daß ein neues
Geſez erſt nach Ablauf zweier Monathe ſeine Guͤl-
tigkeit erlange, und Stryk26) hat nicht nur be-
merkt, daß in foro dieſe Regel uͤberall beobachtet
werde, ſondern es fehlt auch nicht an Beiſpielen,
daß, beſonders in peinlichen Faͤllen, wirklich darnach
geſprochen worden iſt 27). Allein demohngeachtet iſt
doch jene Meinung voͤllig irrig, und daher mit
Grund von andern Rechtsgelehrten verworfen wor-
den 28). Denn die Nov. 66. c. 1. enthaͤlt keine all-
gemeine Regel, ſondern ſchraͤnkt ſich lediglich auf die-
jenigen Verordnungen Juſtinians ein, welche die Te-
ſtamente betreffen; und ſelbſt in Anſehung dieſer ſoll
es bey der Regel bleiben, wie die Anfangsworte des
1ſten Capitels deutlich beweiſen: Sancimus, ut ex
illo tempore conſtitutiones noſtrae de teſtamentis va-
leant,
[135]de Iuſtitia et Iure.
leant, ex quo in commune manifeſtae factae ſunt.
Juſtinian will nur, daß ſich nach zwey Monathen
niemand weiter mit der Unwiſſenheit entſchuldigen
ſolle. (Ita enim nemo plane excuſationem habe-
bit, quare legem noſtram non obſervet). Doch
leidet unſere Regel alsdann ohnſtreitig eine Ausnah-
me, wenn der Geſezgeber bey der Bekanntmachung
eines Geſetzes eine gewiſſe Zeit beſtimmt hat (va-
catio), nach deren Verlauf erſt daſſelbe verbindli-
che Kraft erlangen ſolle, wovon uns Lex Iulia et
Papia Poppaea29), desgleichen Nov. 58. Nov 116.
Cap. 32. de praebendis in 6to, andere zu geſchwei-
gen, genug Beiſpiele liefern. - 2) Eine andere Wirkung iſt, daß die Guͤltigkeit eines
gehoͤrig promulgirten Geſetzes ſo lang vermuthet wer-
de, bis das Gegentheil erwieſen 30); nach der be-
kannten Regel: quod lex ſemper loqui praeſu-
matur31). - 3) Eine dritte Wirkung iſt, daß die vorgeſchuͤzte Un-
wiſſenheit eines Geſetzes nicht vermuthet wird, wenn
deſſelben Bekanntmachung auſſer allen Zweifel iſt.
Es iſt iedoch, in ſofern etwa von particulaͤren Lan-
desgeſetzen oder Statuten die Rede ſeyn ſolte, noch
ein Unterſchied zu machen, ob eigentliche Untertha-
nen, oder ob Fremde, die ſich nur ihrer Geſchaͤfte
wegen in einem Lande oder in einer Stadt aufhal-
ten, aus Unwiſſenheit dagegen gehandelt haben Im
erſten Fall verdient die zur Entſchuldigung angezo-
J 4gene
[136]1. Buch. 1. Tit.
gene Unwiſſenheit weder Glauben noch Aufmerkſam-
keit 32). Dieſe Regel iſt hier allgemein, und ſelbſt
die Perſohnen, denen ſonſt die Geſetze in Anſehung
der Unwiſſenheit des buͤrgerlichen Rechts einige Nach-
ſicht bewilligen, z. B. Frauenzimmer, Soldaten u. d.
koͤnnen nicht davon ausgenommen werden 33). In-
zwiſchen iſt jedoch hierbey alles richterliche Ermeſſen
nicht auszuſchlieſſen, ſondern es kann unterweilen die
vorgeſchuͤzte Unwiſſenheit allerdings ſodann zu einer
Entſchuldigung gereichen, und, wenn inſonderheit
von Strafgeſetzen die Rede iſt, eine Milderung der
Strafe bewirken, wenn ſie durch wahrſcheinliche
Gruͤnde beſtaͤrkt und unterſtuͤzt werden kann. Dahin
gehoͤrt, wenn der Verbrecher zu der Zeit, da das
Geſez publicirt worden, vielleicht lange Zeit abweſend
geweſen ſeyn ſolte; oder erſt neulich das Buͤrgerrecht
an einem Orte erhalten habe; oder Beiſpiele vorhan-
den ſeyn moͤchten, daß die Strenge des Geſetzes
nicht angewendet worden; oder wenn uͤberhaupt der
Inhalt des Geſetzes von dergleichen Art von Leuten,
als der Uebertreter deſſelben iſt, nicht leicht hat ge-
faßt werden koͤnnen, z. B. wenn der Menſch von
Natur ſtupide iſt. Was nun im Gegentheil die
Fremden anbelangt, ſo vermuthet man zwar nach
der Regel, daß ſie die Geſetze des Orts, wo ſie
ſich
[137]de Iuſtitia et Iure.
ſich nur erſt ſeit kurzer Zeit aufhalten, wenn ſie
dagegen gehandelt, nicht gekannt haben. Inzwiſchen
verdient der von einem Fremden angefuͤhrte Irrthum
der Landes- und Stadtgeſetze ſodann in keinen Be-
tracht gezogen zu werden, wenn etwa der beſondere
Zuſtand des Fremden, oder auch das Gewerbe, wel-
ches er trieb, ihn ſchon an ſich verpflichteten, ſich ei-
ne Kenntnis der Landes - oder Stadtgeſetze zu er-
werben 34). Ich werde davon an einem andern Ort
umſtaͤndlicher handeln. Alles, was ich inzwiſchen
hier ſchon geſagt habe, ſezt den Fall zum voraus,
daß die geſchehene Bekanntmachung eines Geſetzes
an ſich keinem Zweifel unterworfen ſey. Wie nun
aber, wenn dieſe ſelbſt von einem Unterthan gelaͤug-
net wuͤrde, und alſo die Publication des Geſetzes
ſelbſt noch ſtreitig waͤre, ob ſie nehmlich gehoͤriger
Art geſchehen ſey oder nicht? Wem wuͤrde in ei-
nem ſolchen Fall wohl die Laſt des Beweiſes oblie-
gen? Die Frage iſt unter den Rechtsgelehrten ſtrei-
tig. Leyſer35) behauptet, daß derjenige, welcher
ein vorhandenes Geſez fuͤr ſich anfuͤhrt, deſſelben
Publication zu erweiſen nicht noͤthig habe, ſondern
dieſe vermuthet werde. Allein dieſe Meinung hat
wenig Beifall gefunden, und Leyſer ſelbſt hat ſie
in der Folge geaͤndert und mehr eingeſchraͤnkt 36).
Die meiſten Rechtsgelehrten nehmen die Regel an,
daß die Bekanntmachung eines Geſetzes von demje-
nigen, der ſich darauf gruͤndet, bewieſen werden
J 5muͤſ-
[138]1. Buch. 1. Tit.
muͤſſe, wenn ſie vom Gegner gelaͤugnet wird 37). Es
verſtehet ſich, daß hier blos von Landesgeſetzen die Rede
ſey. Denn wer ſich auf das gemeine in Teutſchland reci-
pirte Recht beruft, hat ohnehin fundatam intentio-
nem fuͤr ſich. Ob nun gleich die andere Meinung
allerdings fuͤr gegruͤndeter zu halten iſt, ſo darf
doch der Unterſchied zwiſchen alten und neuen Lan-
desgeſetzen nicht aus der Acht gelaſſen werden, in-
dem, wenn von einem alten Geſez die Rede iſt,
welches bisher von den Unterthanen immer beobach-
tet worden, die geſchehene Publication deſſelben in
einem ſolchen Fall allerdings zu vermuthen ſtehet,
mithin derjenige, welcher ſich darauf beruft, mit kei-
nem Beweiß beſchweret werden kann. Dahingegen
ſich die Sache bey neuen Geſetzen, deren Anwen-
dung ſelbſt noch ſtreitig iſt, ganz anders verhaͤlt,
bey ſolchen kann die geſchehen ſeyn ſollende Bekannt-
machung, wenn ſie von dem Gegner gelaͤugnet wird,
darum nicht vermuthet werden, weil ſie etwas fa-
ctiſches iſt, alles dasjenige aber, was facti iſt, im
Laͤugnungsfall und der Regel nach erwieſen werden
muß. Und dieſer Beweiß wird auch dann noch noͤ-
thig ſeyn, wenn gleich daſſelbe Geſez, wovon die
Frage iſt, bereits gedruckt ſeyn ſolte, indem die
Erfahrung lehrt, daß manchmahl Geſetze, wenn ſie
gleich ſchon gedruckt ſind, dennoch hernach entweder
gar nicht, oder wenigſtens etliche Jahre nachher erſt
publiciret werden 38).
End-
[139]de Iuſtitia et Iure.
- Endlich 4) gehoͤrt auch zu denen Wirkungen der Be-
kanntmachung eines Geſetzes, daß die Unwiſſenheit
der Geſetze Keinem zu ſtatten kommt, der vermoͤge
derſelben einen Vortheil haͤtte erlangen koͤnnen, wenn
er ſolchen aus rechtlicher Unwiſſenheit einmahl aus
den Haͤnden gelaſſen hat. L. 7. D. de iuris et
facti ignor. druckt dieſes ſo aus: Iuris ignorantia
non prodeſt adquirere volentibus; und L. 9. §. 5.
eodem. erlaͤutert dieſen Saz durch ſehr treffende
Beiſpiele: wann ein Erbe, welcher uͤber die im Fal-
cidiſchen Geſez vorgeſchriebene Maaſe mit Vermaͤcht-
niſſen beſchweret worden, ſolche vollſtaͤndig und ohne
Abzug ausgezahlt haͤtte, weil ihm das Geſez des
Falcidius nicht bekannt war; oder ein Erbe, der mit
einem fideicommiſſo univerſali oneriret worden, die
Erbſchaft ganz reſtituirt haͤtte, ohne die Trebelliani-
ſche Quarte inne zu behalten, weil er von dieſer
rechtlichen Wohlthat nichts wuſte; ſo kann keiner von
beyden etwas wieder zuruͤckfordern. Der Fehler liegt
hier blos in rechtlicher Unwiſſenheit, welche nach
L. 8. und 9. D. eodemin compendiis, d. i.
wenn vom Erwerb eines erlaubten Gewinnes die Re-
de iſt, auch ſogar ſolchen Perſohnen ſchaden ſoll,
denen ſonſt die Geſetze die Unwiſſenheit buͤrgerlicher
Rechte verzeihen.
§. 21.
In wieferne koͤnnen poſitive Geſetze auf vergangene
Handlungen gezogen werden?
Da ein poſitives Geſez vor der Bekanntmachung
keine verbindliche Kraft hat, ſo folgt, daß Geſetze die-
ſer Art eigentlich nur zukuͤnftigen, nicht aber vergan-
genen
[140]1. Buch. 1. Tit.
genen Handlungen zur Regel dienen 39). Es kann
daher eigentlich kein poſitives Geſez auf ſchon vergan-
gene Handlungen, die bereits vor der Bekanntma-
chung deſſelben geſchehen ſind, und ihre Vollkommenheit
erhalten haben, angewendet werden. Weil niemanden
ſein ius quaeſitum, was er rechtmaͤſiger weiſe erworben
hat, genommen werden darf. Man ſetze z. B. den
Fall, daß in einem gewiſſen Lande das neue Geſez ge-
geben wuͤrde, daß keine Verpfaͤndungen liegender Grund-
ſtuͤcke ohne gerichtliche Ingroſſation der Hypothec guͤltig
ſeyn ſolten; ein Buͤrger aber ſich kurz zuvor von ſeinem
Schuldner eine Hypothec, jedoch ohne gerichtliche Con-
firmation, habe conſtituiren laſſen. Iſt nun bey kuͤnftig
entſtandenem Concurs dieſe Hypothec nach dem neuen
Geſez zu beurtheilen, folglich der Glaͤubiger nicht an-
ders, als wenn er gar keine Hypothec haͤtte, unter die
Chirographarios zu lociren? Nein, dies waͤre offen-
bahr unbillig. Der Creditor bekommt ſeinen Plaz un-
ter denen Hypothecariis, den ihm das vormahlige
Recht anweißt. So einleuchtend nun dieſes zu ſeyn
ſcheint, ſo ſchwer iſt es oft, in Anwendung jener Re-
gel, zu beſtimmen, ob und in wiefern eine gewiſſe Hand-
lung fuͤr vergangen, oder fuͤr noch zukuͤnftig zu
halten ſey. Denn oft iſt ein rechtliches Geſchaͤft vor
der Bekanntmachung des neuen Geſetzes voͤllig abge-
ſchloſſen, und ſeinem Weſen nach vollkommen; allein es
iſt noch nicht vollzogen, ſondern die Conſummation haͤngt
noch von einer kuͤnftigen Handlung ab. Wenn nun un-
terdeſſen Lex nova darzukommt, die dergleichen Handel
verbietet, iſt das neue Geſez auf dieſen Fall anzuwen-
den?
[141]de Iuſtitia et Iure.
den? z. B. es iſt ein Kauf geſchloſſen, die Contrahen-
ten waren uͤber Waare und Kaufpreis ſchon vollkom-
men einig, allein noch vor der Uebergabe oder Bezah-
lung des Kaufgeldes verbiethet ein neues Geſez dieſe
Art des Kaufs. Iſt nun der ganze Handel fuͤr unguͤl-
tig zu halten? Ich zweifle ſehr. Man merke ſich die
Regel, welche Nicol. ChriſtophLynker40) und
Tobias JacobReinharth41) geben: Quaecunque
negotia iam ante legem novam latam quoad eſſen-
tiam ſuam fuerunt perfecta, licet conſummationem
ſuam ſuosque effectus ab actu demum poſt legem
novam futuro, eoque non extenſivo, adhuc expectent,
ea ad praeterita omnino referenda ſunt, adeoque
ex anterioribus legibus, nequaquam vero ex nova
lege lata diiudicanda, modo non integrum ſit, nego-
tium iuxta novae legis placita emendandi et perfi-
eiendi. Ich habe hier noch eins und das andere zu
mehrerer Erlaͤuterung dieſer Regel hinzuzufuͤgen. Erſt-
lich: Geſchaͤfte, welche ab actu extenſivo, d. i. von
einer ſolchen kuͤnftigen Handlung, die nicht auf einmahl,
ſondern oͤfters geſchehen muß, ihre Erfuͤllung oder Wir-
kung erhalten, koͤnnen nicht ſchlechterdings ad negotia
praeterita gerechnet werden, ſondern ſie gehoͤren in ge-
wiſſer Ruͤckſicht zu den vergangenen, in anderer Bezie-
hung aber ſind ſie zu den zukuͤnftigen zu rechnen. Z. B.
wenn ich mir in einem Fall, wo es nach dem bisherigen
Recht erlaubt geweſen, von meinem Schuldner mehr als
gewoͤhnliche Zinſen habe verſprechen laſſen, und nun ein
neues Geſez gegeben wuͤrde, daß dem Glaͤubiger in ei-
nem ſolchen Fall auch nur gewoͤhnliche Zinſen zu neh-
men
[142]1. Buch. 1. Tit.
men erlaubt ſeyn ſolte, ſo iſt dieſes Geſchaͤft zwar in
Anſehung der vor dem neuen Geſez ſchon gezahlten,
oder doch wenigſtens ſchon verfallenen Zinſen pro prae-
terito zu halten, und auf dieſe das neue Geſez nicht zu
ziehen; allein in Anſehung der kuͤnftig noch zu zahlen-
den Zinſen gehoͤrt das Geſchaͤft ad negotia futura,
denn die Zinszahlung, weil ſie mehrere Jahre hindurch
geſchiehet, iſt ein actus extenſivus, folglich werde ich
fuͤr die Zukunft nicht mehr Zinſen fordern duͤrfen, als
das neue Geſez erlaubt 42). Zweitens: Soll ein
Rechtsgeſchaͤft, deſſen Wirkung noch ab actu poſt no-
vam legem futuro, eoque non extenſivo abhaͤngt,
fuͤr ein vergangenes dergeſtalt gehalten werden, daß
das neue Geſez darauf nicht anzuwenden iſt, ſo muß es nicht
mehr moͤglich ſeyn, das in Frag ſtehende Geſchaͤft nach
der Vorſchrift des neuen Geſetzes abzuaͤndern, ohne dem
erworbenen Rechte eines andern zu nahe zu treten. Z. B.
Ein Nobilis hat mir in ſeinem Teſtament ein Guth
vermacht, nach ſeinem Tode, ehe noch der inſtituirte Er,
be die Erbſchaft angetreten, wird ein neues Geſez pu-
blicirt, daß dergleichen Guͤther, als mir eins vermacht
iſt, nicht in buͤrgerliche Haͤnde kommen ſollen. Es
fraͤgt ſich nun, ob das neue Geſez auf dieſen Fall zu
ziehen ſey? ich glaube nicht, denn durch den Tod des
Teſtirers, der noch ante legem novam erfolgt war,
hatte der lezte Wille deſſelben ſeine Vollkommenheit,
und ich ein Recht auf das legirte Guth erhalten; das
Geſchaͤft iſt alſo allerdings zu den vergangenen
Hand-
[143]de Iuſtitia et Iure.
Handlungen zu rechnen, denn nur mein Forderungs-
recht allein haͤngt noch von der Antretung des Erben
ab; und dieſes ius quaeſitum kann mir durch das neue
Geſez nicht entzogen werden. Waͤre im Gegentheil das
neue Geſez noch vor dem Tode des Teſtirers gegeben
worden, ſo wuͤrde es hier allerdings ſeine Anwendung
finden 43). Drittens: wenn ein gewiſſes Rechtsge-
ſchaͤft unter einer Bedingung iſt geſchloſſen worden, und
dieſe erſt nach Bekanntmachung des neuen Geſetzes exi-
ſtirt, ſo entſteht die Frage, ob ein ſolches negotium
pro praeterito zu halten ſey? Dem erſtern Anſchein
nach moͤchte man beynahe dieſe Frage verneinen, weil
ein Geſchaͤft, deſſen conditio noch zur Zeit pendens
iſt, pro imperfecto gehalten wird 44). Aber dennoch
iſt die bejahende Meinung richtiger, weil bekannt, daß
die Bedingung, wenn ſie erfuͤllet wird, ad initium
actus zuruͤckgezogen, und vermoͤge einer rechtlichen
Fiction es eben ſo angeſehen wird, als wenn das Ge-
ſchaͤft gleich anfangs unbedingt geſchloſſen worden waͤ-
re 45). Aus dieſem Grunde kann alſo lex nova auf
die, noch vor dem neuen Geſez abgeſchloſſene, wenn
gleich bedingte, Rechtsgeſchaͤfte, nicht angewendet wer-
den.
Die Regel, daß poſitive Geſetze nicht auf vorher-
gegangene Handlungen zu ziehen ſind, gehet uͤbrigens
auch auf Strafgeſetze. Man hat daher bey Be-
ſtimmung der Strafe eines begangenen Verbrechens
darauf zu ſehen, was zu der Zeit, da das Verbrechen
begangen wurde, fuͤr eine Strafe in den Geſetzen be-
ſtimmt geweſen, denn nur dieſe hat der Miſſethaͤter
eigent-
[144]1. Buch. 1. Tit.
eigentlich verwirkt, nicht aber diejenige, ſo erſt nachher
durch ein neueres Geſez, wenn auch noch vor geendigter
Unterſuchung, iſt eingefuͤhret worden 46). Jedoch ſind
folgende Ausnahmen von unſerer Regel zu bemerken:
- 1) wenn der Geſezgeber ausdruͤcklich erklaͤrt hat, daß ſich
das Geſez auch auf vergangene Faͤlle zuruͤckerſtrecken
ſolle. Wir finden davon verſchiedene merkwuͤrdige
Beiſpiele in dem Roͤmiſchen Geſezbuche. Hierher ge-
hoͤrt die Verordnung K. Conſtantins, worinn der
kommiſſoriſche Vertrag in Ruͤckſicht auf Pfaͤn-
der und Hypotheken in ſeinem ganzen Umfange als
unerlaubt und unverbindlich verworffen wird L. 3.
C. de pactis pignor. Auch in der Verordnung Ju-
ſtinians, welche L. 3. C. de quadrienn. prae-
ſcript. enthaͤlt, findet ſich am Ende die Clauſul:
daß dieſes Geſez bis auf den Anfang der Regierung
Juſtinians (ex eo tempore valitura, quo motu
divino imperiales ſuſcepimus infulas) zuruͤckwirken
ſolle 47). Da inzwiſchen eine Ausnahme von der
Regel immer ſtricte zu nehmen, ſo kann eine ſolche
Verordnung, die ſich zugleich auf caſus praeteri-
tos ausdruͤcklich beziehet, doch nur von ſolchen ver-
gangenen Handlungen verſtanden werden, die noch
nicht durch rechtskraͤftige Urtheile, oder Vergleich,
oder auf eine andere Art entſchieden, oder durch Zah-
lung und Uebergabe, oder ſonſt ohne Streit bereits
vollzogen, und alſo ſchon ante Legem novam voͤllig
beendiget ſind, ſondern annoch rechtshaͤngig, oder
zwar beurtheilet, aber doch per Remedia appella-
tio-
[145]de Iuſtitia et Iure.
tionis, und dergleichen ſuſpendiret, oder, wenn ſie
auch nicht in Streit gezogen worden, dennoch zur
Zeit wenigſtens noch nicht vollzogen und erfuͤllet
ſind; weil ſonſt die Proceſſe unaufhoͤrlich ſeyn wuͤr-
den 47). Zu denen Ausnahmen unſerer Regel will
man - 2) auch den Fall rechnen, wenn das neue Geſez nur
Lex declaratoria iſt, wodurch ein ſchon vorhanden
geweſenes Geſez blos erklaͤret, oder naͤher beſtimmt
wird; desgleichen - 3) wenn das neue Geſez etwas verbietet, ſo ſchon vor-
her nach denen natuͤrlichen oder buͤrgerlichen Geſetzen
nicht erlaubt geweſen. Allein ich zweifle, ob dieſe
als aͤchte Ausnahmen angeſehen werden koͤnnen, in-
dem in dem zweiten Fall ſo wenig als in dem dritten
mit Grunde zu behaupten ſtehet, daß durch das neue Ge-
ſez etwas neues verordnet worden ſey. Ich nehme den
Fall aus, wenn durch das wiederholte Verbot zu-
gleich eine neue geſchaͤrftere Strafe auf eine gewiſſe
an ſich ſchon unerlaubte Handlung waͤre geſetzet wor-
den, in welchem Fall ſich’s aber auch von ſelbſt ver-
ſtehet, daß, wenn das neue Strafgeſez auf vergan-
gene Handlungen gezogen werden ſolle, dieſes vom
Geſezgeber ausdruͤcklich muͤſſe erklaͤret worden ſeyn;
ſo wie denn uͤberhaupt eine ſolche Verordnung doch
nur von negotiis adhuc pendentibus verſtanden
werden koͤnnte 48).
§. 22.
Gluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. K
[146]1. B. 1. Tit.
§. 22.
Das poſitive Recht iſt entweder ein goͤttliches oder
menſchliches.
Das poſitive Recht wird nun in das goͤttliche
und menſchliche Poſitivrecht eingetheilt, je nachdem
ſolches entweder Geſetze, welche in dem erklaͤrten Willen
Gottes, oder ſolche, welche in dem erklaͤrten Willen
eines menſchlichen Geſezgebers ihren Grund ha-
ben, in ſich enthaͤlt. Das erſtere theilen viele Gelehr-
te wieder ein in das allgemeine (ius poſitivum di-
vinum univerſale) und das beſondere goͤttliche Po-
ſitivrecht; und nennen erſteres dasjenige, welches alle
Menſchen auf der ganzen Welt, denen ſolches bekannt
worden, nach der Abſicht Gottes verbinde; lezteres
aber dasienige, ſo von Gott nur allein denen Juden
vorgeſchrieben worden. Diejenigen, welche ein allge-
meines goͤttliches Poſitivrecht ſtatuiren, ſind je-
doch in Anſehung der hierher zu rechnenden Geſetze wie-
der ſehr verſchiedener Meinung. Einige wollen dieſel-
ben im alten Teſtament gefunden haben, und ſetzen in
die Claſſe derſelben den Geneſ. IX. v. 6. enthaltenen
goͤttlichen Ausſpruch von Ahndung des Todtſchlags, deß-
gleichen die Moſaiſchen Eheverbothe wegen Blutsver-
wandſchaft und Schwaͤgerſchaft 49). Andere ſprechen
zwar
48)
[147]de Iuſtitia et Iure.
zwar denen im alten Teſtament vorkommenden goͤttlichen
Satzungen die allgemein- und ſchlechterdings verbindende
Geſetzeskraft ab, inſofern nehmlich dieſelben blos will-
kuͤhrliche Vorſchriften ſind; ſie glauben aber, daß das
neue Teſtament dergleichen allgemein verbindliche poſitive
goͤttliche Geſetze enthalte; ſie rechnen z. B. dahin die
Vorſchriften von der Eheſcheidung, ferner von Vermei-
dung der Blutſchande u. d. 50). Die meiſten heutigen
Rechtsgelehrten verwerfen jedoch jene Eintheilung des
goͤttlichen Poſitivrechts, und nehmen blos ein ius poſi-
tivum divinum particulare an 51). Die Frage, ob
es allgemeine poſitive goͤttliche Geſetze gebe,
iſt freylich von jeher ſehr beſtritten worden, und man
kann nicht laͤugnen, daß ſie von wichtigen Folgen ſey; denn
ſtatuirt man ſolche Geſetze wirklich, ſo muß man de-
nenſelben auch eine unabaͤnderliche Verbindlichkeit beyle-
gen, und kann mithin keine Dispenſation dagegen zulaſ-
ſen. Ich meines Theils kann mich nun von der Exiſtenz
ſolcher Geſetze nicht uͤberzeugen, und ich denke, man
wird es mir fuͤr keine Arroganz auslegen, wenn ich ge-
radezu ſage, daß diejenigen, welche fuͤr das Daſeyn
derſelben ſtreiten, in einem zwifachen Irthum ſich befin-
den. Erſtlich: daß ſie manche in der heil. Schrift
K 2ent-
49)
[148]1. Buch. 1. Tit.
enthaltene Satzungen fuͤr goͤttliche Geſetze ausgeben,
die doch offenbahr keine Geſetze ſind; ſodann zwei-
tens: daß ſie bey denen wirklichen goͤttlichen Geſetzen
zwiſchen natuͤrlichen und willkuͤhrlichen Vorſchriften nicht
genugſam unterſcheiden. Wir wollen die Probe machen.
Die moſaiſche Stelle Geneſ. IX. v. 6. die nach Lu-
thers Ueberſetzung alſo lautet: wer Menſchendlut
vergeußt, des Blut ſoll auch durch Menſchen
vergoſſen werden, iſt offenbahr kein Geſez, denn im
hebraͤiſchen Text wird das futurum (דבשי) gebraucht,
es ſcheint alſo blos goͤttliche Prophezeihung zu ſeyn,
daß der Moͤrder, wenn er auch gleich der weltlichen
Obrigkeit verborgen bliebe, dennoch dem goͤttlichen Ge-
richt nicht entgehen, ſondern durch Menſchen wiederum
gewaltſamen Todes ſterben werde 52). Will man aber
dieſe Erklaͤrung nicht gelten laſſen, ſondern jenen Aus-
ſpruch ſchlechterdings fuͤr ein goͤttliches Geſez erklaͤrt
wiſſen, ſo kann doch dieſes Geſez ohnmoͤglich als ein
allgemeines unwandelbahres goͤttliches Geſez angeſehen
werden. Denn ſonſt waͤre es dem Herrn auch wegen
ſeiner Knechte gegeben. Knecht und Freyer ſind doch
wohl in Gottes Augen eins, da bey Ihm kein Unter-
ſchied der Perſohnen gilt; und da niemand dem Blute,
das in den Adern eines Sclaven herumwallet, den
Nahmen des Menſchenbluts abſprechen wird, ſo haͤtte
nothwendig das Geſez, wenn es nach der Abſicht Got-
tes allgemein waͤre, auch den Dienſtherrn treffen
muͤſſen, der ſeinen Knecht oder Magd erſchlagen.
Allein dieſe That ſoll nach 2. B. Moſe XXI. v. 20.
und 21. mit dem Tode nicht, ja auch wohl gar nicht
ein-
[149]de Iuſtitia et Iure.
einmahl beſtrafft werden, mit dem daſelbſt angehaͤngten
Entſcheidungsgrunde: denn es iſt ſein Geld. Ja
haͤtten nicht die Soͤhne Jacobs wegen des an Hemor
und ſeinen Sohn Sichem veruͤbten Mords 53) ebenfals
wieder mit der Schaͤrfe des Schwerds hingerichtet wer-
den muͤſſen, wenn jenes Geſez allgemein und unabaͤn-
derlich waͤre? Allein daß dieſes nicht geſchehen, erhellet
aus 1 B. Moſe XLIX. v. 5. und 6. 54) Soviel hier-
naͤchſt die Moſaiſchen Ehegeſetze anbetrift, ſo darf der
in denenſelben ſelbſt enthaltene wichtige Unterſchied zwi-
ſchen natuͤrlichen und willkuͤhrlichen Vorſchriften
nicht aus der Acht gelaſſen werden. Daß nun denen-
ſelben freylich in Anſehung ſolcher Satzungen, die ih-
ren Grund ſchon in den natuͤrlichen Geſetzen haben, ei-
ne allgemeine und unumſtoͤßlich verbindende Kraft beizu-
legen ſey, hat keinen Zweifel, allein von dieſen iſt
auch hier die Frage nicht. Sondern die Frage iſt, ob
auch denenjenigen Eheverboten Moſis, die blos in will-
kuͤhrlichen goͤttlichen Vorſchriften ihren Grund haben,
eine allgemeine und unabaͤnderliche Verbindlichkeit zuzu-
eignen ſey? und dieſe Frage iſt mit Nein zu beant-
worten Denn es mangelt ihnen an einer nothwendi-
gen Eigenſchaft eines allgemeinen willkuͤhrlichen Geſetzes,
indem ſie in einem Geſezbuche enthalten ſind, welches
damahls nur einem einzigen Volke, nehmlich dem Is-
raelitiſchen, bekannt gemacht war, und deſſen Sprache
die uͤbrigen Voͤlker nicht einmahl verſtunden: dahingegen
ein willkuͤhrliches Geboth Gottes, ſo alle Voͤlker der
Erde angehen ſolte, nothwendig durch goͤttliche Boten,
K 3die
[150]1. Buch. 1. Tit.
die es ſo weit, als nur immer moͤglich, bekannt mach-
ten, faſt eben ſo, wie das Evangelium durch die Apo-
ſtel, an alle Voͤlker haͤtte gebracht werden muͤſſen. Ei-
ne ſolche allgemeine Bekanntmachung dieſer Geſetze an
alle Menſchen auf der Welt hat aber bis jezt noch von
Keinem erwieſen werden koͤnnen. Doch Moſes ſelbſt
giebt uns noch einen viel entſcheidendern Beweis in die-
ſer Sache. Man leſe nur den Anfang des 18. Capi-
tels im 3. B. Moſe, in welchem der Hauptſiz der Mo-
ſaiſchen Eheverbote iſt, ſo wird man finden, daß nur
allein den Israeliten die Beobachtung dieſer goͤttlichen
Vorſchriften eingeſchaͤrft werde; und wenn es gleich
Moſes in eben dieſem Capitel v. 24 ‒ 29. den Canani-
tern zur Suͤnde anrechnet, daß ſie nicht nach ſolchen
Ehegeſetzen gelebt haben, und von denenſelben zur War-
nung der Israeliten ſagt: daß Gott ihre Miſſethaten
ahnden, und ſie ihrer Greuel wegen aus ihrem Lande
ausſtoſſen wolle, weil ſie ſolches verunreiniget haben;
ſo laͤſſet ſich jedoch hieraus, daß die Geſetze Moſis von
den verbotenen Graden als leges poſitivae divinae uni-
verſales anzuſehen, ſo wenig erweiſen, daß vielmehr
das Gegentheil daraus erhellet, indem, wenn dieſe Ge-
ſetze fuͤr allgemeine poſitive Geſetze gehalten ſeyn ſol-
ten, ſodann nicht abzuſehen waͤre, wie die Cananiter
haͤtten wegen einer Uebertretung dieſer Geſetze beſtrafet
werden koͤnnen, die doch Gott nicht ihnen zugleich, ſon-
dern blos den Israeliten durch Moſen hatte bekannt
machen laſſen. Es iſt alſo ganz offenbahr, daß unter
den Greueln, daran die Cananiter ſich und ihr Land
verunreiniget haben, nicht jede in den Moſaiſchen Ehe-
geſetzen auch nur aus blos willkuͤhrlichen Urſachen unter-
ſagte fleiſchliche Vermiſchungen, ſondern ſolche Verge-
hungen wider die Keuſchheit zu verſtehen ſind, die ſchon
von Natur ſo ſchrecklich ſind, daß die Abſcheulichkeit
einem
[151]de Iuſtitia et Iure.
einem jeden vernuͤnftigen Menſchen ſofort in die Augen
leuchtet, und zu welchen beſonders diejenigen Suͤnden
gehoͤren, deren Moſes v. 20. bis 23. des 18ten Ca-
pitels Erwaͤhnung thut, als Sodomie, Knabenſchaͤn-
dung, Ehebruch u. d. m. 55).
Was uͤbrigens das neue Teſtament betrift,
ſo trage ich kein Bedenken, denen beyzutreten, welche
die darin enthaltenen Vorſchriften fuͤr keine eigent-
liche Geſetze, ſondern nur fuͤr Lehr- und Glau-
bensſaͤtze halten 56). Man wird ſich davon ſelbſt leicht
uͤberzeugen koͤnnen, wenn man theils die Gelegenheit,
bey welcher ſie von Chriſto und ſeinen Apoſteln vorge-
tragen worden ſind, theils die Art des Vortrags,
theils uͤberhaupt die Verhaͤltniſſe und den Zuſtand der
erſten Chriſten hierbey in Erwaͤgung ziehet. Daß wir
jedoch die im neuen Teſtament enthaltene heilſame Leh-
ren bey Entſcheidung mancher wichtiger Faͤlle zum Grun-
de legen, ja die heil. Schrift in dieſer Hinſicht unter
die Quellen unſerer Rechtsgelahrheit rechnen, iſt be-
kannt 57).
K 4§. 23
[152]1. Buch. 1. Tit.
§. 23.
Heutige Guͤltigkeit des beſondern goͤttlichen, oder Mo-
ſaiſchen Poſitivrechts.
Es giebt alſo nur ein beſonderes poſitives
goͤttliches Recht, und wir verſtehen darunter vor-
zuͤglich die in den Schriften Moſis enthaltene will-
kuͤhrliche Vorſchriften, welche Gott beſonders den Is-
raeliten durch Moſen hat bekannt machen laſſen.
Man theilt dieſes ſogenannte Moſaiſche Recht58)
in das Kirchliche oder Ceremonialrecht, und in
das buͤrgerliche oder politiſche Recht ein (ius mo-
ſaicum forenſe ſ. politicum). Erſteres beſtimmt die
Art der Gottesverehrung bey den Israeliten, lezteres
aber die Rechte und Verbindlichkeiten, die ſie als Buͤr-
ger eines beſondern Staats gegen einander zu beobach-
ten hatten. Die Ceremonialgeſetze der Juden 59)
hatten hauptſaͤchlich ihre Beziehung auf den damahligen
Zuſtand des juͤdiſchen Volks. Es ſolte nehmlich die
den Israeliten darin vorgeſchriebene Art der Gottesver-
ehrung theils Vorbild auf den Meſſias, theils Mittel
ſeyn, das Volk Gottes, welches durch den langwierigen
Umgang mit den Aegyptiern zu einem ſinnlichen und
in das Auge fallenden Gottesdienſt einmahl verwoͤhnt
war, gegen heidniſchen Aberglauben und Abgoͤtterey zu
ver-
[153]De Iuſtitia et Iure.
verwahren, und ſolches hierdurch von den uͤbrigen Voͤl-
kern der damahligen Zeit ganz abzuſondern. Dieſes Ce-
remonialgeſez der Juden iſt nun, wie bekannt, im
neuen Teſtament ganz aufgehoben worden, und gehet
alſo uns Chriſten gar nichts an. Die buͤrgerlichen
oder Forensgeſetze Moſis 60) hingegen, welche eben-
fals nach denen damahligen Umſtaͤnden der Israeliten
eingerichtet waren, gelten heutiges Tages unter denen
Chriſten nur inſofern, als ſie in dieſem oder jenem chriſt-
lichen Staate ausdruͤcklich oder ſtillſchweigend recipiret
worden ſind. Woraus denn folgt, daß ein Landesherr
dieſe Moſaiſche Forensgeſetze abzuaͤndern oder wohl gar
aufzuheben allerdings befugt ſey, wenn die veraͤnderte
Umſtaͤnde ſeiner Unterthanen ſolches erheiſchen 61), oder
er ſolches in einzelnen Faͤllen fuͤr gut haͤlt. Daher es
K 5kei-
[154]1. Buch. 1. Tit.
keinem gegruͤndeten Zweifel unterworffen iſt, daß ein
Landesherr einen Moͤrder begnadigen 62), auch in denje-
nigen Ehehindernisfaͤllen des Moſaiſchen Rechts, die
nicht auf natuͤrliche, ſondern blos auf willkuͤhrliche Vor-
ſchriften ſich gruͤnden, dispenſiren koͤnne 63).
Die heutigen Juden ſehen zwar die Geſetze Mo-
ſis noch heutiges Tages als Vorſchriften Gottes von im-
merwaͤhrender Verbindlichkeit an; 64) allein in Anſehung
des heutigen Gebrauchs derſelben iſt zwiſchen Religions-
oder Ceremonialſachen und denen buͤrgerlichen Geſchaͤften
derſelben ein Unterſchied zu machen. In Anſehung der
erſtern geſtattet man ihnen noch heutiges Tages den
Gebrauch des Moſaiſchen Rechts mit Inbegrif der in
ihrem Talmud enthaltenen naͤhern Beſtimmungen und
Erklaͤrungen dieſer Geſetze; allein in buͤrgerlichen Rechts-
ſachen, z. B. Eheſachen, nur die aͤuſſere Form der
Ehe ausgenommen, welche man ihrem Ritual uͤberlaͤſ-
ſet, deßgleichen in Teſtamenten, Succeſſionsfaͤllen, Vor-
mundſchaften, Vertraͤgen u. d. ſind die Juden nach den
gemeinen Rechten und den Geſetzen des Landes, in wel-
chem ſie wohnen und den Schuz genieſſen, ſich zu rich-
ten ſchuldig, ſie moͤgen nun entweder unter ſich ſelbſt
oder mit denen Chriſten es zu thun haben 65). Avto-
nomie
[155]de Iuſtitia et Iure.
nomie findet nur inſofern bey ihnen ſtatt, als ihnen bey
der Aufnahme oder auch nachher der Gebrauch ihres
eigenen Rechts durch beſondere Privilegien iſt verſtattet
worden; welches aus ihren Schuzbriefen, denen Juden-
ordnungen und Privilegien zu beurtheilen iſt 66).
§. 24.
[156]1. Buch. 1. Tit.
§. 24.
Von der geſezgebenden Gewalt in Teutſchland.
Dem goͤttlichen wird das menſchliche Poſi-
tivrecht entgegengeſezt, welches diejenigen Geſetze in
ſich begreift, die in dem Willen menſchlicher Geſezgeber
ihren Grund haben. Dieſes iſt daher nach Verſchie-
denheit der Geſezgeber ſehr verſchieden. Wir ſchraͤnken
uns hier blos auf Teutſchland ein. Da nun das
teutſche Reich nach ſeiner beſondern Verfaſſung, theils
im Ganzen, als ein Staatscoͤrper, von einer buͤrgerli-
chen Hoheit, der alles unterthaͤnig iſt, umfangen, theils
nach ſeinen einzelnen Theilen betrachtet werden kann,
deren jeder fuͤr ſich zwar einen beſondern Staat aus-
macht, und ſeine eigne der Majeſtaͤt des Reichs unter-
geordnete Landeshoheit hat, aber doch mit dem gan-
zen Reich im genaueſten Verhaͤltnis ſtehet, ſo ſind nun
auch die einheimiſchen Geſetze Teutſchlands von zweier-
ley Art, teutſche Reichsgeſetze oder teutſche Lan-
desgeſetze. In Abſicht auf das ganze teutſche Reich
ſtehet zwar dem Kayſer die geſezgebende Gewalt zu, je-
doch kann er vor ſich aus eigner Macht keine Geſetze ge-
ben, welche durch das ganze teutſche Reich gelten ſol-
len, ſondern dazu iſt die Einwilligung der Reichsſtaͤnde
erforderlich. Die geſezgebende Gewalt des Kayſers ge-
hoͤrt alſo zu denen gemeinſchaftlichen kayſerli-
chen Rechten, bey deren Ausuͤbung gleich Anfangs,
als Teutſchland durch die Verduͤner Theilung 843.
ein eignes Reich ward, der Conſens der Reichsſtaͤnde
erfordert worden iſt 67). Daß alle Staͤnde in das zu
gebende neue Reichsgeſez einwilligen muͤſten, wolte man
zwar
[157]de Iuſtitia et Iure.
zwar in vorigen Zeiten fuͤr noͤthig halten; und noch
1495. wolten die abweſende Staͤnde an der gegenwaͤr-
tigen Staͤnde Schluͤſſe nicht gebunden ſeyn, ſondern
man muſte die abweſende erſt durch guͤtliche Tracta-
ten 68) zu bewegen ſuchen, ſolchen beyzutreten 69).
Gleichwie indeſſen ſeit 1512. 70) keinem Zweifel un-
terworfen iſt, daß in der Regel die mehrern Stimmen
auch die wenigern nach ſich ziehen, und dieſe dadurch
eben ſo wohl verbunden werden, als ob ſie mit einge-
williget haͤtten; alſo iſt in Ruͤckſicht auf die nicht er-
ſcheinende Staͤnde ſchon durch den Freyburger Reichs-
abſchied von 1498. §. 59. verordnet, und durch die
Reichsabſchiede von 1541. §. 66 und 67. und von
1542. §. 121. wiederholet worden, daß die erſcheinen-
de Staͤnde, ihrer ſeyen viel oder wenig, Gewalt haben
ſolten, uͤber alles das, weshalb der Reichstag ausge-
ſchrieben worden, zu rathſchlagen und zu beſchlieſſen,
und was alſo beſchloſſen worden, auch die Abweſenden
binden ſolle, als ob ſie gegenwaͤrtig geweſen waͤren 71).
Seit
[158]1. Buch. 1. Tit.
Seit dieſer Zeit iſt alſo die Regel feſtgeſtellet worden,
daß Reichsgeſetze vom Kayſer mit Einwilligung der
Staͤnde des Reichs oder wenigſtens des mehrern
Theils derſelben gemacht werden muͤſſen, wenn ſie
das ganze Reich verbinden ſollen. Jedoch giebt es
Ausnahmen von dieſer Regel, wo noch jezt diejenigen,
welche nicht mit eingewilliget haben, an die mehrere
Stimmen nicht gebunden ſind; dieſe Faͤlle ſind im os-
nabruͤkiſchen FriedenArt. V. §. 2. beſtimmt. Es
giebt auch Faͤlle, wo der Kayſer oder gewiſſe Staͤnde
vor ſich etwas thun koͤnnen, ſo daß gleichwohl das gan-
ze Reich ſich darnach richten muß. Hierher gehoͤrt,
a) wenn die Staͤnde dem Kayſer etwas zu freyer Dis-
poſition heimſtellen, wovon der Speyeriſche Reichsab-
ſchied von 1544. §. 82. ein Beiſpiel giebt; b) wenn
der Kayſer und geſammte Staͤnde gewiſſen Staͤnden
einen Auftrag thun, den dieſe vor ſich und geſammte
uͤbrige Staͤnde vollziehen, daher z. E. die Reichsdepu-
tationsabſchiede. In ſeiner Art kann man c) auch die
kayſerliche Wahlcapitulationen, die von den Churfuͤrſten
allein gemacht werden, hierher rechnen 72). In Anſe-
hung der einzelnen teutſchen Reichslande ſtehet einem
jeden Landesherrn das Recht zu, Geſetze zu geben, und
zwar iſt dieſes ein eigenes Recht der Landesho-
heit, zu deſſen Ausuͤbung weder eine Conceſſion noch
Beſtaͤttigung vom Kayſer verlangt wird. Ob aber un-
ſere teutſche Landesherrn nicht wenigſtens die Einwilli-
gung der Landſtaͤnde noͤthig haben, wenn ſie Geſetze ge-
ben wollen, iſt eine Frage, bey deren Beantwortung
die Meinungen der Staatsrechtsgeleheten getheilt ſind,
indem
[159]de Iuſtitia et Iure
indem Einige die Concurrenz der Landſtaͤnde bey Ausuͤ-
bung der geſezgebenden Gewalt fuͤr ſchlechterdings ge-
gruͤndet; Andere aber dieſelbe nur in denenjenigen Faͤl-
len fuͤr noͤthig halten, wo ausdruͤckliche Landesgrundge-
ſetze, oder das Herkommen, oder die Analogie der Lan-
desverfaſſung dieſe Einwilligung der Landſtaͤnde erfor-
dern. Die erſtere Meinung ſucht Reinharth73) zu
vertheidigen; die leztere aber behauptet Hellfeld, und
hierin ſtimmen die meiſten Publiciſten uͤberein; ich glau-
be, daß die leztere Meinung allerdings gegruͤndeter iſt.
Denn iſt gleich nicht zu laͤugnen, daß nach der uralten
gleich beym Aufkommen der Landeshoheit eingefuͤhrten
Verfaſſung der teutſchen Territorien die Landſtaͤnde gro-
ſen Antheil an dem Rechte, Geſetze zu geben, gehabt
haben 74); ſo iſt doch auch gewiß genug, daß die Ver-
faſſung von vielen Landen heut zu Tage unleugbar nicht
mehr diejenige ſey, welche ſie vor Alters geweſen, und
daß der Landesherr heutiges Tages vermoͤge neuerer
Landesgrundgeſetze und des heutigen Herkommens in der
Landesregierung uͤberhaupt freiere Haͤnde habe. Daher
kommt die heutige groſe Verſchiedenheit der teutſchen
Territorien in Anſehung der Landſtaͤndiſchen Gerechtſa-
me; ja es giebt Lande, in welchen ſich die Landſtaͤnde
vermoͤge der notoriſchen Landesverfaſſung nur noch einen
kleinen Reſt der ihnen ehemals zugehoͤrigen Rechte er-
halten haben. Woraus denn folgt, daß ſich bey ſtrei-
tiger Concurrenz der Landſtaͤnde in Anſehung der Geſez-
gebung keine allgemeine Vermuthung weder fuͤr den
Landesherrn, noch fuͤr die Landſtaͤnde behaupten laſſe,
ſon-
[160]1. Buch. 1. Tit.
ſondern hierinnen alles auf die Verfaſſung eines jeden
einzelnen Landes ankomme 75). Noch muͤſſen wir hier
nach Anleitung unſers Auctors die ſo ſehr beſtrittene
Frage eroͤrtern, ob die Reichsſtaͤnde wider die gemeine
Reichsgeſetze in ihren Landen neue Ordnungen und Lan-
desgeſetze einfuͤhren, und dadurch jene aufheben oder
abaͤndern koͤnnen? 76) Auch hierin ſind die Meinungen
der Publiciſten ſehr verſchieden. Wir gehen den ſicher-
ſten Weg, wenn wir einen Unterſchied machen zwiſchen
denjenigen Reichsgeſetzen, welche die Staatsverfaſſung
des teutſchen Reichs uͤberhaupt, als ein Staatskoͤrper
betrachtet, oder die Verfaſſung der einzelnen Reichslan-
de zum Gegenſtand haben, und folglich ſogenannte
Reichsgrundgeſetze ſind; und ſolchen Reichsgeſetzen,
welche blos Privatſachen Reichsſtaͤndiſcher Unterthanen
zum
[161]de Iuſtitia et Iure.
zum Gegenſtand haben, und daher Reichsprivatge-
ſetze genennt werden. Reichsgeſetze der erſtern Art
koͤnnen einzelne Reichsſtaͤnde durch ihre Landesgeſetze nicht
abaͤndern; denn einmahl iſt hier der Wille des Kay-
ſers und Reichs durchaus und ſchlechterdings gebietend;
ſodann aber bekoͤmmt auch durch dergleichen Reichs-
grundgeſetze ein Theil entweder der Kayſer oder die
Staͤnde, oder einzelne Corpora derſelben vertragsweiſe
ein ius quaeſitum, in welches durch beſondere Landes-
verordnungen nicht eingegriffen werden kann. Inſofern
jedoch eine dergleichen Reichsverordnung zum Vortheil
der Landesherrn, oder der Landſtaͤnde und Unterthanen
gemacht worden iſt, kann ſie durch beiderſeitige Einwil-
ligung abgeaͤndert werden. Zum Beiſpiel dient der
§. 180. des J. R. A. und Art. V. §. 31. des Os-
nabr. Fried. Inſtr. Soviel hiernaͤchſt die Reichspri-
vatgeſetze anbetrifft, ſo kommt es in Anſehung der-
ſelben zufoͤrderſt darauf an, ob die Clauſula ſalvato-
ria denenſelben beygefuͤgt ſey oder nicht. Iſt das er-
ſte, ſo iſt keinem Zweifel unterworffen, daß einem
Reichsſtande die Befugnis, ſolchen Reichsgeſetzen durch
Landesgeſetze zu derogiren, allerdings zuſtehe, denn dies
bringt die Natur der ſalvatoriſchen Clauſel mit ſich.
Hierdurch werden nicht allein zur Zeit des Reichsgeſe-
tzes vorhandene, ſondern auch noch nachfolgende Gewohn-
heiten und Landesverordnungen, ob ſie gleich dem Reichs-
geſetze widerſprechen, ſelbſt vom Reich genehmiget. Bei-
ſpiele liefern uns K. Carls V. Peinl. Gerichtsordnung
in der Vorrede, und der juͤngſte Reichsabſchied §. 171.
und 176. desgleichen der Reichsſchl. vom 4. Sept.
1731. art. 1. nach welchem jedem Reichsſtande nach
Gelegenheit der Zeit und Umſtaͤnde die Aenderung und
Verbeſſerung der Innungsbriefe vorbehalten worden iſt.
Wenn
Gluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. L
[162]1. Buch. 1. Tit.
Wenn aber ein Privatreichsgeſez dieſe Vorbehaltungs-
clauſul nicht enthaͤlt, ſo ſtimme ich denen bey, welche
alsdann wieder unter den Reichsgeſetzen ſelbſt einen Un-
terſchied machen, ob ſie nehmlich entweder ſolche ſind,
welche das Reich fuͤr durchaus verbindliche Verordnun-
gen vorgeſchrieben hat, dergeſtalt, daß ſie ſchlechter-
dings in allen einzelnen Reichslanden befolgt werden
ſollen; (leges Imperii abſolute praeceptivae aut prohi-
bitivae) oder ob es ſolche ſind, die zwar wohl als
allgemeine Verordnungen in Teutſchland promulgiret
ſind, deren Befolgung aber doch das Reich nicht ſo
durchaus und ſchlechterdings fordert, ſondern welche nur
in ſubſidium, wenn andere verbindliche Verordnungen
ermangeln, zur Richtſchnur dienen ſollen. (leges Imperii
bypotbeticae) Ob ein Reichsgeſez zu dieſer oder jener
Gattung gehoͤre, muß theils aus dem ausdruͤcklichen
Inhalt des Geſetzes ſelbſt, theils aus dem ſtillſchwei-
genden und vermutheten Willen des Reichs beſtimmt
werden. Der ſtillſchweigende Wille des Reichs
iſt vorhanden, wenn die Abſicht des Geſezgebers, und
das durch das Geſez zu bewirkende Wohl von Teutſch-
land nicht anders erhalten werden kann, als wenn das
Geſez durchaus und ſchlechterdings in allen einzelnen
Reichslanden befolgt wird. Dieſes zum voraus geſezt,
ſo iſt nun zu bemerken, daß kein teutſcher Landesherr
die Macht habe, gegen ſolche Reichsprivatgeſetze etwas
zu verordnen, deren allgemeine und genaue Beobachtung
das dadurch zu bewirkende Wohl Teutſchlands noth-
wendig macht. Wie wuͤrde z. E. der heilſame Zweck
des Reichsſchluſſes von 1731. wegen Abſtellung der
Handwerksmisbraͤuche erreicht werden, wenn ſolcher nur
an einigen Orten beobachtet wuͤrde, an andern nicht?
Es geſtattet auch weder die Unterwuͤrfigkeit der teutſchen
Landesherrn und ihrer Territorien gegen die Majeſtaͤt
des
[163]de Iuſtitia et Iure.
des Reichs, ſich von der Verbindlichkeit ſolcher Reichs-
geſetze loszumachen, noch kann die Abaͤnderung oder
Aufhebung derſelben durch entgegengeſezte Landesordnun-
gen mit der Einheit des teutſchen Staats beſtehen.
Ganz anders hingegen verhaͤlt ſich die Sache mit de-
nen hypothetiſchen Reichsprivatgeſetzen, denn
in Anſehung dieſer kann die Befugnis der Neichsſtaͤnde,
denenſelben durch beſondere Landesgeſetze zu derogiren,
darum nicht bezweifelt werden, weil, wenn gleich ein
teutſcher Landesherr dem Kayſer und Reich unterthaͤnig
iſt, und nur eine von daher abhaͤngige Hoheit beſitzet,
dennoch derſelbe nichts deſto weniger zugleich auch ſelbſt
Regent in ſeinem Lande iſt, und darinn die oberaufſe-
hende und geſezgebliche Gewalt zum Wohl deſſelben hat.
Hierzu kommt, daß die Lage, Beſchaffenheit und Um-
ſtaͤnde der einzelnen Reichslande ſo mannichfaltig ſind,
daß viele Reichsgeſetze nicht fuͤr jedes Land ſich ſchicken,
in Anſehung derer es demnach gegen den zuverlaͤſigen
Willen des Reichs ſeyn wuͤrde, ein Reichsgeſez zum
Nachtheil eines Landes darinn zu beobachten. Vielmehr
iſt es in ſolchen Faͤllen dem Willen des Reichs aller-
dings fuͤr gemaͤß zu halten, daß der Landesherr, der
die beſte Kenntnis von der Beſchaffenheit ſeines Landes
hat, und dem zunaͤchſt das Wohl deſſelben am Herzen
liegt, das Reichsgeſez in ſeinem Lande naͤher beſtimmen,
oder erforderlichen Falls gar abaͤndern koͤnne. Daß
gegen die gemeinen fremden Rechte der Landes-
herr in ſeinem Lande Geſetze promulgiren koͤnne, hat um
ſo weniger Zweifel, da dieſelben blos ſubſidtariſche
Rechte ſind, die ohnehin den vorhandenen teutſchen Ge-
ſetzen weichen muͤſſen 77).
L 2Da
[164]1. Buch 1. Tit.
Da uͤbrigens die geſezgebende Gewalt in den
Reichslanden ein eignes Recht der Landesherrn iſt, ſo
verſtehet es ſich von ſelbſt, daß denen Juſtizeollegien,
Regierungen und Stadtmagiſtraͤten, nehmlich in Lan-
desſtaͤdten, ſine ſpeciali Principis conceſſione keine
geſezgebende Gewalt zu geſtatten ſey 78).
§. 25.
Eintheilung der Verbindlichkeit in die natuͤrliche, buͤr-
gerliche und vermiſchte.
Nachdem wir bisher von den verſchiedenen Gat-
tungen der Geſetze, beſonders von den beyden Haupt-
arten derſelben, den natuͤrlichen und poſitiven gehandelt
haben, ſo kommen wir nun auf die daher entſtehende
Eintheilung der Verbindlichkeit. Wenn nehmlich
die Frage iſt, in welchem Geſez ſich eine Verbindlich-
keit gruͤnde; ſo laſſen ſich drey Faͤlle denken; nehmlich
die Verbindlichkeit gruͤndet ſich entweder blos in dem
Recht der geſunden Vernunft, oder ſie iſt blos im po-
ſitiven buͤrgerlichen Rechte gegruͤndet; oder ſie hat in
beyderley Rechten, in denen natuͤrlichen wie in den
buͤrgerlichen, ihren Grund Im erſtern Fall iſt eine
blos natuͤrliche Verbindlichkeit, im zweiten eine
blos buͤrgerliche, und im dritten eine vermiſchte
Verbindlichkeit vorhanden. Eine obligatio mere
naturalis iſt z. B. die Verbindlichkeit einer Weibsper-
ſohn aus uͤbernommener Buͤrgſchaft, ferner die Ver-
bindlichkeit eines filiifamilias aus einem Geldanlehn.
Eine obligatio mere civilis iſt z. B. die Verbindlich-
keit eines Depoſitars zum doppelten Erſaz, wenn er
ein Depoſitum miſerabile veruntreuet hat. Eine obli-
gatio
[165]de Iuſtitia et Iure.
gatio mixta endlich iſt z. B. die Verbindlichkeit des
Kaͤufers zur Bezahlung des bedungenen Kaufſchillings,
und des Verkaͤufers zur Uebergabe. Wir bemerken
von denen ſogenannten vermiſchten Verbindlichkeiten noch
folgende Wahrheiten:
- 1) daß eine Verbindlichkeit darum nicht aufhoͤre, eine
natuͤrliche zu ſeyn, weil ſie im Civilrecht gleichfals
vorgeſchrieben worden; - 2) daß ſie durch dieſe Wiederholung ihre innere Kraft
und Wirkung nicht verliehre; daß folglich - 3) derjenige, welcher ſich auch ſonſt mit der Unwiſſen-
heit des buͤrgerlichen Rechts entſchuldigen kann, in
Anſehung ſolcher Vorſchriften, die ſchon natuͤrlichen
Rechtens ſind, ſich darauf nicht berufen koͤnne 79);
daß endlich - 4) das ius poſitivum qua tale ſein Anſehen und Guͤl-
tigkeit verliehren koͤnne, dadurch aber alles dasjeni-
ge, was aus dem Naturrechte darinn aufgenommen
worden, nicht gleichfals unverbindlich werde 80);
Wahrheiten, die eben ſo einleuchtend als practiſch
ſind, und daher keines weitern Beweiſes beduͤrfen 81).
L 3.§. 26.
[166]1. Buch. 1. Tit.
§. 26.
Wirkungen und Verhaͤltnis der natuͤrlichen Verbindlichkeit
in foro civili. Begrif der natuͤrlichen Verbindlichkeit im
ſtrengſten Verſtande des Civilrechts. Was iſt
Billigkeit?
Man pflegt gewoͤhnlich die blos natuͤrliche Ver-
bindlichkeiten, um deren Verhaͤltniß und Wirkungen
in buͤrgerlichen Gerichten beſtimmen zu koͤnnen, auf zwey
Hauptelaſſen zu reduciren, indem man ſie in ſolche ein-
theilt, welche durch die buͤrgerlichen Geſetze gaͤnzlich auf-
gehoben und verworfen, — und ſolche, die zwar nicht
beſtaͤttiget, aber doch auch nicht ganz aufgehoben und
vernichtet ſind. Erſtere nennt man: obligationes natu-
rales plane deſtructas ſive reprobatas, leztere hinge-
gen obligationes naturales haud reprobatas. Jene,
ſagt man, haben in Gerichten ſchlechterdings gar keinen
Effect, ſo daß auch die etwa geſchehene Erfuͤllung der-
ſelben ſogar zuruͤckgefordert werden koͤnne. Leztere hin-
gegen waͤren in Anſehung der gerichtlichen Wirkung nur
eingeſchraͤnkt, und zwar dahin, daß wegen ſolcher Ver-
bindlichkeiten nur keine Klage erhoben werden koͤnne,
ſonſt aber doch alle andere Wirkungen ſtatt faͤnden.
Man koͤnne eine Einrede gegen die etwa nach dem ſtren-
gen Recht dem Glaͤubiger zuſtehende Klage daraus her-
nehmen, das Innebehaltungsrecht ausuͤben, die Kom-
penſation vorſchuͤtzen, es habe ferner in Anſehung ſol-
cher Verbindlichkeiten ein Conſtitutum, eine Novation,
ein Pfandrecht und Buͤrgſchaft ſtatt 82). Man fuͤgt
weiter hinzu, der unterſcheidende Character, woran man
erkenne, ob nicht beſtaͤttigte natuͤrliche Verbindlichkeiten
in
[167]de Iuſtitia et Iure.
in die eine oder in die andere Claſſe zu rechnen, ſey
lediglich darinn zu ſetzen, ob die Civilgeſetze geſtatten,
daß die geſchehene Zahlung wieder zuruͤckgefordert wer-
den duͤrfe, oder nicht? 83) So iſt die gewoͤhnliche
Theorie der Rechtsgelehrten von der natuͤrlichen Ver-
bindlichkeit und deren gerichtlichen Wirkung, welche nicht
nur Hellfeld in dieſem §. unabgeaͤndert vortraͤgt, ſon-
dern die wir auch eben ſo ſchon vom Accurſius an
in allen Syſtemen und Compendien des buͤrgerlichen
Rechts antreffen. Allein daß dieſe gemeine Vorſtel-
lungsart nicht nur mangelhaft, ſondern auch offenbar
unrichtig ſey, hat neuerlich einer unſerer beſten Civili-
ſten 84) uͤberzeugend dargelegt.
Mangelhaft iſt ſie, weil nach dieſer gewoͤhnlichen
Lehre durchaus nicht abzuſehen iſt, unter welche Claſſe
man die Liebespflichten bringen ſoll. Zwar will
man ſie unter diejenigen natuͤrlichen Verbindlichkeiten
mit rangiren, denen das buͤrgerliche Recht die gericht-
liche Wirkung entzogen hat 85), allein eben dadurch
erhaͤlt jene Theorie ein noch mislicheres Anſehen. Denn
iſt gleich nicht zu laͤugnen, daß die Erfuͤllung derſelben
nicht vermittelſt einer Klage gefordert werden koͤnne,
ſo liegt doch der Grund-hievon keineswegs in einer Ver-
L 4ord-
[168]1. Buch. 1. Tit.
ordnung des Civilrechts, ſondern in der Natur und
Weſen dieſer Pflichten ſelbſt. Denn da ſie an ſich
auch in auſſergeſellſchaftlichem Zuſtande mit Gewalt nicht
erzwungen werden koͤnnen: ſo laͤſſet ſich ohne Wider-
ſpruch nicht behaupten, daß die Civilgeſetze ihnen eine
Wirkung entzogen haͤtten, welche ſie doch ihrer Na-
tur nach nicht haben? Es liegt alſo ganz offenbar
vor Augen, daß ſie in den Syſtemen und Lehrbuͤchern
des buͤrgerlichen Rechts am ganz unrechten Orte ſtehen,
wenn ſie mit wirklichen Zwangspflichten, die nur durch
beſondere Vorſchrift des Civilrechts ganz oder zum
Theil unerzwingbar geworden ſind, eine Claſſe for-
miren.
Unzutreffend iſt ferner die gemeine Lehrart von
der natuͤrlichen Verbindlichkeit auch darum, weil, wenn
man die ganze Summe der blos natuͤrlichen Verbind-
lichkeiten, die nicht ausdruͤcklich in den Civilgeſetzen be-
ſtaͤttigt worden, in Abſicht der gerichtlichen Wirkung nur
auf zwey Claſſen reducirt, nehmlich, daß ſie entweder durch-
aus ohne allen Effect, oder nur nicht klagbar, uͤb-
rigens aber voͤllig wirkſam ſind, man hierdurch in die Ver-
legenheit geſetzet wird, allen natuͤrlichen Zwangspflichten,
wovon die buͤrgerlichen Geſetze ſchweigen, den effectum
agendi zu verſagen, welches aber gegen die geſunde
Vernunft, gegen den Geiſt des Roͤmiſchen und Kano-
niſchen Rechts, ja gegen den heutigen Gerichtsgebrauch
ſelbſt offenbar ſtreitet, wie zu ſeiner Zeit gezeigt werden
ſoll 86).
Irrig
[169]de Iuſtitia et Iure
Irrig aber iſt die gemeine Theorie aus mehr als
einer Urſach. Denn erſtlich iſt es ein offenbarer
Irthum, wenn die natuͤrliche Verbindlichkeit, deren ge-
richtliche Wirkung durch die Civilgeſetze nur zum Theil
eingeſchraͤnkt worden, blos dahin beſtimmt wird, daß
die Geſetze deshalb keine Klage, wohl aber die uͤbrigen
Wirkungen zulieſſen; indem uns theils die Geſetze ſelbſt
Faͤlle genug darſtellen, wo bey einer ſolchen in Anſe-
hung des gerichtlichen Effects eingeſchraͤnkten natuͤrlichen
Verbindlichkeit dennoch das Recht zu klagen nicht gaͤnz-
lich wegfaͤllt, ſondern nur limitirt iſt 87); theils aber
auch, wenn man ſich das ganze Reſultat der gerichtli-
chen Wirkungen einer vollkommenen Verbindlichkeit ge-
denkt, ſehr leicht einzuſehen iſt, daß die Einſchraͤnkung
derſelben auf weit mehr als eine Art geſchehen koͤnne,
ſo wie denn in der Folge dieſe verſchiedene Arten aus
den Geſetzen ſelbſt erwieſen werden ſollen. Zweitens
iſt es irrig, wenn man in den Faͤllen einer ſogenannten
reprobirten natuͤrlichen Verbindlichkeit die Zuruͤckforde-
rung desjenigen, was vermoͤge derſelben iſt gegeben
worden, ohne Unterſchied zulaſſen, und hierin den un-
terſcheidenden Character zwiſchen einer nicht beſtaͤttigten
L 5und
86)
[170]1. Buch. 1. Tit.
und einer reprobirten natuͤrlichen Verbindlichkeit ſetzen
will; da die Faͤlle doch bekannt genug ſind, wo ſelbſt
die buͤrgerlichen Geſetze die Zuruͤckforderung des einmahl
Gegebenen nicht verſtatten. So z. B. gehoͤrt die Ver-
bindlichkeit aus der Buͤrgſchaft einer Frauensperſohn of-
fenbar zu denen ſogenannten reprobirten natuͤrlichen
Verbindlichkeiten, und doch ſtehet einer Frauensperſohn,
welche wuſte, daß ſie nicht aus der Buͤrgſchaft gehal-
ten ſey, und dennoch bezahlete, die Zuruͤckforderung
nach den Geſetzen nicht zu 88). So leuchtet alſo das
Mangelhafte, Unbeſtimmte und Irrige des gemeinen
Lehrbegrifs allenthalben hervor.
Richtiger wird die Sache auf folgende Art vorzu-
ſtellen ſeyn. Daß natuͤrliche Verbindlichkeiten zwar auch
im buͤrgerlichen Zuſtande vorhanden und fortdaurend
ſind, doch aber durch die buͤrgerlichen Geſetze mancher-
ley Modificationen erhalten koͤnnen, iſt ſchon oben (§. 17.
u. 18.) dargethan worden. Hieraus folgt,
- Erſtlich: daß eine jede natuͤrliche Zwangspflicht auch
in den buͤrgerlichen Gerichten den voͤlligen Effect ha-
be, und in der Regel durch Klagen und Einreden
geltend gemacht werden koͤnne, ſo weit ihr dieſe Wir-
kung durch die buͤrgerlichen Geſetze nicht ausdruͤcklich
genommen iſt; - Zweitens: daß, wenn auch dergleichen Einſchraͤnkun-
gen wirklich vorhanden ſind, dieſe dennoch, als Aus-
nahmen von der Regel, auf das ſtrengſte erklaͤret
werden muͤſſen, mithin die natuͤrliche Verbindlichkeit
in Anſehung des gerichtlichen Effects doch nur ſoviel
verliehre, als das poſitive Recht derſelben nahment-
lich
[171]de Iuſtitia et Iure.
lich entzogen hat; und alſo diejenigen Wirkungen,
welche in den Geſetzen nicht ausdruͤcklich aufgehoben
ſind, allerdings auch in foro civili fortdaurend ihr
verbleiben; - Drittens: daß eine natuͤrliche Zwangspflicht der Be-
ſtaͤttigung des buͤrgerlichen Geſezgebers nicht beduͤrfe,
folglich allerdings auch alsdenn in den buͤrgerlichen
Gerichten klagbar ſey, wenn ſie auch gleich in den
Civilgeſetzen nicht wiederholt beſtaͤttiget worden; end-
lich - Viertens: was an ſich nur Liebespflicht iſt, auch in
foro civili nicht mehr Kraft habe, mithin in Ge-
richten als erzwingbare Schuldigkeit nie gefordert
werden koͤnne; es waͤre denn, daß durch Vorſchrift
des buͤrgerlichen Rechts das Gegentheil verordnet wor-
den. (§. 3. S. 38. u. folgg.)
Dieſes vorausgeſchickt, ſo reducirt ſich nun das
Verhaͤltnis der blos natuͤrlichen Verbindlichkeiten,
d. i. derjenigen, welche in den Civilgeſetzen nicht aus-
druͤcklich beſtaͤttiget worden ſind, in Abſicht der gericht-
lichen Wirkung, eigentlich auf drey Faͤlle. Sie ſind
entweder durch die buͤrgerlichen Geſetze ganz aufgeho-
ben und deſtruirt, oder der gerichtlichen Wirkung
nach nur eingeſchraͤnkt; oder ſie ſind weder repro-
birt, noch eingeſchraͤnkt worden, ſondern ſolche, deren
die poſitiven Geſetze nicht erwaͤhnen. Wir wollen von
der leztern Art natuͤrlicher Verbindlichkeiten und ihrer
gerichtlichen Wirkung zuerſt handeln. Daß dieſe ent-
weder Liebes- oder Zwangspflichten ſeyn koͤnnen,
iſt bekannt; und daß beyde auch im buͤrgerlichen Zuſtan-
de diejenige Wirkung haben, die ſie auſſer dieſem Zu-
ſtande gehabt haben wuͤrden, iſt ſchon vorhin bemerket
worden; ich ſetze nehmlich voraus, daß die buͤrgerlichen
Ge-
[172]1. Buch. 1. Tit.
Geſetze ein anders nicht verordnet haben. Soviel dem-
nach zuerſt die Liebespflichten und deren Verhaͤltniß
im buͤrgerlichen Zuſtande anbetrift, ſo koͤnnen ſelbige
nun, wie bereits oben gezeigt worden, keinesweges unter
diejenigen natuͤrlichen Verbindlichkeiten claſſificirt wer-
den, die der gerichtlichen Wirkung nach eingeſchraͤnkt
ſind, ſondern ſie gehoͤren zu der von uns angegebenen
dritten Claſſe der blos natuͤrlichen Verbindlichkeiten;
und wenn ſie gleich in Gerichten als erzwingbare Schul-
digkeit nie gefordert werden koͤnnen; ſo laſſen dennoch die
Geſetze, wenn die Erfuͤllung einer ſolchen Liebespflicht
einmahl geſchehen, keine Zuruͤckforderung zu. Der
Grund hiervon, welchen die Geſetze ſelbſt mit ausdruͤck-
lichen Worten angegeben, iſt kein anderer, als weil der-
jenige, welcher in der Abſicht, ein officium humani-
tatis auszuuͤben, etwas gegeben hat, nach rechtlicher
Vermuthung das Gegebene hat ſchenken wollen; (quia
donare voluit) 89) folglich wenn er einmahl die Abſicht
zu ſchenken gehabt, das einmahl Gegebene auch dann
nicht einmahl ſolle wieder zuruͤckfordern koͤnnen, wenn
gleich bey der geſchehenen Praͤſtation erweißlich ein Irr-
thum zum Grunde liegen ſolte 90). Was nun hingegen
die im buͤrgerlichen Rechte nicht beſtaͤttigten natuͤrlichen
Zwangspflichten anbelangt, ſo iſt zwar die gemeine
Meinung der Rechtsgelehrten, daß natuͤrliche Zwangs-
pflicht an ſich in foro civili nicht klagbar ſey, wenn ſie
nicht durch Vorſchriften der Civilgeſetze zu dieſer Wir-
kung autoriſiret worden; allein, daß die Sache ſich ge-
rade umgekehrt verhalte, und vielmehr alle natuͤrliche
Zwangs-
[173]de Iuſtitia et Iure.
Zwangspflichten auch in buͤrgerlichen Gerichten voͤllig
wirkſam ſeyn, ſofern nicht durch die Civilgeſetze nah-
mentlich eine Einſchraͤnkung geſchehen, jene gemeine Lehr-
art alſo ganz irrig, ja der geſunden Vernunft, dem
Sinn des roͤmiſchen und kanoniſchen Rechts, auch der
heutigen Gerichtspraxi offenbar zuwider ſey, iſt leicht
zu erweiſen. Denn da emmahl im buͤrgerlichen Zu-
ſtande niemand ſich eigenmaͤchtigerweiſe Recht verſchaffen
darf, ſondern die Mitglieder des gemeinen Weſens an-
gewieſen ſind, ihre Rechte durch richterliche Huͤlfe gel-
tend zu machen; ſo muͤſſen ja auch nothwendig die Ge-
richte ihrer Seits verbunden ſeyn, einem Jeden zur Er-
langung ſeines vollkommenen Rechts zu verhelffen. Da
nun dergleichen Zwangsrechte und Verbindlichkeiten an
ſich allerdings auch ohne alle Vorſchrift der poſitiven
Geſetze ſtatt finden koͤnnen; ſo iſt nicht abzuſehen, wie
der Richter eine aus dem natuͤrlichen Zwangsrechte er-
hobene Klage blos darum verwerffen koͤnne, weil
das Civilrecht derſelben nicht gedenkt 91). Mit die-
ſen allgemeinen Vernunftgruͤnden ſtimmen aber auch
zweitens die in Teutſchland geltende poſitive Rech-
te uͤberein. Zwar iſt nicht zu laͤugnen, daß in dem
roͤmiſchen Geſezbuche verſchiedene Aeuſerungen enthalten
ſind, und manche Stellen vorkommen, welche der ge-
meinen Theorie das Wort zu reden ſcheinen; allein
dieſes darf uns gar nicht wundern, wenn wir bedenken,
daß nach der Beſchaffenheit der aͤltern roͤmiſchen Rechts-
gelahrtheit und der Gerichtsverfaſſung faſt alles auf For-
meln
[174]1. Buch. 1. Tit.
meln und woͤrtliche Solemnitaͤten ankam, und daß nach
dieſer Anlage manche im natuͤrlichen Zwangsrecht beſt-
gegruͤndete Verbindlichkeit dennoch in foro Romano da-
rum kein Gehoͤr fand, weil fuͤr das Factum, woraus
dieſe Verbindlichkeit entſprungen, noch keine Klagfor-
mel erfunden war. Man erinnere ſich hierbey an den
Handel des roͤm. Ritters C. Canius mit dem Py-
thius, den uns Cicero92) ſo unterhaltend erzaͤhlt;
es war evident, daß Canius war hintergangen worden;
ſed quid faceret? ſagt Cicero, nondum enimaquil-
liusprotulerat de dolo malo formulas. Allein ſeit-
dem die roͤm. Praͤtoren in ihren Edicten das alte for-
mulariſche und ſtrenge roͤm. Recht auf billigere und dem
Naturrecht mehr angemeſſene Grundſaͤtze reducirt haben,
und die roͤm. Juriſten ihnen in ihren Commentaren uͤber
das Edict auf dieſem Wege nachgefolget ſind, ſo
herſcht eine ganz andere Sprache in den roͤm. Geſetzen.
Nun wird uͤberall der Richter mehr auf Naturrecht und
natuͤrliche Billigkeit, als auf den Buchſtaben der buͤr-
gerlichen Geſetze verwieſen. Placuit, ſo ſprechen die
Kaiſer constantinus und licinius in L. 8. Cod.
de iudiciis, in omnibus rebus praecipuam eſſe iuſti-
tiae aequitatisque, quam ſtricti iuris rationem; und
an einem andern Orte L. 7. pr. D. de in int. reſtitut.
reſcribirt Divusantoninus: Etſi nihil facile mutan-
dum eſt ex ſolemnibus: tamen, ubi aequitas evidens
poſcit, ſubveniendum eſt. Wie deutlich iſt nicht fer-
ner die Vorſchrift, welche dem Richter im L. 4. §. 1.
D. de eo quod certo loco bey Gelegenheit gegeben wird:
In Summa, aequitatem quoque ante oculos habere
debet iudex. Noch eins. War nicht gerade zu die-
ſem Endzweck die ſogenannte actio in factum ganz vor-
zuͤglich eingefuͤhrt, daß ſie das allgemeine Rechtsmittel
ſeyn
[175]de Iuſtitia et Iure.
ſeyn ſolte, natuͤrliche Verbindlichkeiten, deren das
buͤrgerliche Recht nicht gedenket,in foro civi-
li geltend zu machen 93)? Wer hieran zweifelt, leſe
nur, was Papinian ſagt in L. 1. D. de praeſcr.
verb. Nonnunquam euenit, ut ceſſantibus iudiciis
proditis et vulgaribus actionibus, cum proprium no-
men invenire non poſſumus, facile deſcendamus ad
eas, quae in factum appellantur; und Pompon er-
kennt bey dem Mangel, der in den buͤrgerlichen Geſe-
tzen ſelbſt beſtimmten Klagen die Nothwendigkeit der
actionum in factum in folgenden Worten der L. 11.
D. eodem: Quia actionum non plenus numerus eſſet,
ideo plerumque actiones in factum deſiderantur. Eben
dieſes beſtaͤrkt auch der Imperator ſelbſt §. ult. I. de
lege Aquilia. durch folgendes Beiſpiel: Cum non ſuffi-
ciat neque directa neque utilis legis Aquiliae actio,
placuit eum, qui obnoxius fuerit, in factum actio-
ne teneri. Der Grund hiervon iſt kein anderer, als
welchen Paulus an einem andern Ort L. 2. §. 5. D.
de aqua et aquae pluviae mit folgenden Worten an-
fuͤhrt: boc aequitas ſuggerit, etſi iure deficiamur94).
Wer nun bey ſo klar redenden Geſetzen noch einen Au-
genblick daran zweifeln wolte, ob eine aus der bloſen
natuͤrlichen Billigkeit erhobene Klage nach dem roͤmi-
ſchen Rechte zulaͤſſig ſey, der muͤßte mit Vorſaz der
Wahr-
[176]1. B. 1. Tit.
Wahrheit widerſprechen wollen 95). Noch viel wenigern
Zweifel aber iſt die Sache nach den kanoniſchen und
heutigen teutſchen Rechten unterworffen. Denn ſo will
das kanoniſche Recht, welches in proceßualiſchen Ma-
terien dem roͤmiſchen Rechte vorzuziehen iſt, ausdruͤck-
lich, daß nicht mit Spitzfindigkeit unterſucht werden ſol-
le, was fuͤr eine Klage angeſtellet ſey, ſondern es ſoll
nur auf die Sache ſelbſt Ruͤckſicht genommen werden,
cap. 6. X. de iudiciis96). Die Teutſchen endlich ha-
ben nie eine feſtgeſezte Anzahl der Klagen gehabt, ſagt
einer unſerer beruͤhmteſten heutigen Rechtsgelehrten 97),
ſondern die Verbindlichkeiten blos nach der natuͤrlichen
Billigkeit abgemeſſen. Nie aber iſt der roͤmiſche Pro-
ceß, am wenigſten das Formularrecht, zur Anwendung
gekommen. Die heutigen Rechtslehrer tragen daher mit
Recht kein Bedenken, da aus der natuͤrlichen Billigkeit
Klagen zu verſtatten, wo die roͤmiſchen Geſetze keine
eingefuͤhrt haben 98). Inzwiſchen duͤrfen auch hier die
Grenzen nicht uͤberſchritten werden. Soll nehmlich eine
Klage in einem Fall, wo weder aus den Worten noch
aus
[177]de Iuſtitia et Iure.
aus dem Sinn der Civilgeſetze dergleichen entſpringt
aus der bloſen natuͤrlichen Billigkeit zugelaſſen werden,
ſo wird hierbey vorausgeſezt, a)daß die Billigkeit
nicht wider ein ausdruͤckliches und noch gel.
tendes Geſez anlaufe;b)daß ſie in einem
unlaͤugbaren Grundſatze des natuͤrlichen
Rechts gegruͤndet ſey; und c)ein Zwangs-
recht zum Grunde habe.
Ich wende mich nun zu der Ausnahme von der Re-
gel, oder zu denjenigen beyden Faͤllen, worauf man ge-
woͤhnlich das Verhaͤltnis aller natuͤrlichen Verbindlich-
keiten, die in den Civilgeſetzen nicht wiederholt beſtaͤt-
tiget worden ſind, in Abſicht der gerichtlichen Wirkung
zu reduciren pflegt. Natuͤrliche Verbindlichkeiten koͤn-
nen nehmlich im Staat entweder goͤnzlich reprobirt,
und durch poſitive Geſetze ſchlechterdings aufgehoben,
oder auch nur der gerichtlichen Wirkung nach einge-
ſchraͤnkt ſeyn. Im erſtern Fall ceſſirt nicht nur alle
gerichtliche Wirkung derſelben, ſondern es hoͤrt auch
auf Seiten des Schuldners ſelbſt die natuͤrliche Zwangs-
pflicht dergeſtalt auf, daß dasjenige, was vermoͤge ei-
ner ſolchen gaͤnzlich deſtruirten Verbindlichkeit dennoch
aus Irrthum, ja unterweilen auch wiſſentlich,in.
debite gezahlet worden, wieder zuruͤckgetordert werden
kann. Ehe wir jedoch hieruͤber weiter ins Detail gehen
koͤnnen, wird es noͤthig ſeyn, diejenigen Faͤlle ausein-
ander
98)
Gluͤcks Erlaͤut, d. Pand. 1. Th. M
[178]1. Buch. 1. Tit.
ander zu ſetzen, wo die natuͤrliche Verbindlichkeit nach
der Vorſchrift des Civilrechts gaͤnzlich wegfaͤllt. Hier-
her gehoͤrt einmahl, wenn die poſitiven Geſetze ge-
wiſſe natuͤrlich erlaubte und verbindliche Handlungen aus
beſondern Urſachen durchaus verbieten, und dergeſtalt
fuͤr unguͤltig erklaͤren, daß gleich Anfangs keine Ver-
bindlichkeit daraus im Staat entſtehen kann. Die
Gruͤnde, wodurch buͤrgerliche Geſezgeber veranlaſſet wer-
den koͤnnen, natuͤrlich erlaubte Handlungen zu verbie-
ten, und die daher entſtehende mancherley Claſſen der
verbietenden Poſitivgeſetze haben wir oben ſchon eroͤr-
tert. (§. 14. S. 99.) Zweitens: wenn der bisheri-
ge gerichtliche Effect einer natuͤrlichen Verbindlichkeit
zur Strafe des Glaͤubigers wegen Uebertretung verbie-
tender oder gebietender Geſetze dergeſtalt aufgehoben
wird, daß die Geſetze dem Glaͤubiger nicht blos rich-
terliche Huͤlfe verſagen, ſondern ihre Abſicht dahin ge-
het, ihm eine ſonſt auch gegruͤndete Forderung ſelbſt
abzuſprechen, alſo nicht blos die Ausuͤbung ſeiner Be-
fugnis einzuſchraͤnken, ſondern ihn ſeines ganzen
Rechts an ſich verluſtig zu erklaͤren. Wir
finden dieſes in folgenden Faͤllen: a) wenn die Abtretung
einer Schuldforderung an einen Maͤchtigern geſchie-
het 99). b) Wenn der Glaͤubiger, um ſeine Befriedi-
gung zu erhalten, ſich der verbotenen Selbſthuͤlfe be-
dient 100). In beyden Faͤllen iſt nicht blos Verluſt
der Klage, ſondern des ganzen Rechts an ſich
zur Strafe geordnet, und daher faͤllt auch nothwendig
die natuͤrliche Zwangspflicht gaͤnzlich weg. Denn iſt
es gewiß, daß die Geſetze gewiſſe Handlungen des
Glaͤubigers mit dem ganzen Verluſte ſeines Rechts be-
ahnden koͤnnen, was nicht leicht jemand leugnen wird;
So
[179]de Iuſtitia et Iure.
So kann ja nicht fuͤglich den Schuldner eine natuͤrli-
che Verbindlichkeit treffen, wenn das buͤrgerliche Ver-
haͤltnis macht, daß auf Seiten des Glaͤubigers gar
kein Recht mehr vorhanden iſt 1). Fraͤgt man nun,
in wiefern in den Faͤllen einer reprobirten oder ganz
aufgehobenen natuͤrlichen Verbindlichkeit die repetitio
ſoluti zulaͤſſig ſey? ſo iſt nach einer richtigern Meinung
ein Unterſchied zu machen, ob wegen eines buͤrgerlichen
Verbots gleich Anfangs aus dem gegen daſſelbe unter-
nommene Geſchaͤfte keine rechtliche Verbindlichkeit ent-
M 2ſte-
[180]1. Buch. 1. Tit.
ſtehen koͤnnen, oder ob ein ſolcher Fall vorhanden, wo
die buͤrgerlichen Geſetze einer wirklich vorhandenen und
bisher voͤllig klagbaren Verbindlichkeit zur Strafe des
Glaͤubigers ihre Wirkung ganz wiederum entzogen ha-
ben. Im leztern Fall findet die Zuruͤckforderung nur
alsdenn ſtatt, wenn die Zahlung aus Irrthum ge-
ſchehen. Denn zahlet der Schuldner dennoch wiſſent-
lich und freywillig ſeinem Glaͤubiger dasjenige, was
lezterer den Rechten nach gar nicht weiter haͤtte fordern
duͤrfen, ſo wird rechtlich vermuthet, daß die Zahlung
animo donandi geſchehen ſey, in welchem Fall die
Geſetze keine Repetition der einmahl geleiſteten Zahlung
geſtatten 2). Im erſtern Fall muß man wiederum auf
den Grund des buͤrgerlichen Verbots, und das perſoͤhn-
liche Verhaͤltnis deſſen, der die Zahlung geleiſtet hat,
Achtung geben, und daraus beurtheilen, wie weit die
Zuruͤckforderung des Gegebnen freyſtehe. Hier kom-
men nun beſonders diejenigen Faͤlle in Betrachtung, die
wir ſchon oben in der Theorie vom verbietenden Rech-
te im Allgemeinen angegeben haben. (S. 99. u. folg.)
Wir diſtinguiren demnach in Grundlage derſelben nun
folgender geſtalt. Das buͤrgerliche Geſez hat entweder
diejenige Handlung allgemein verboten, zu deren Er-
fuͤllung die Zahlung geſchehen; oder nur allein gewiſ-
ſen Perſohnen zu ihren eignen Beſten die Be-
fugnis genommen, diejenige rechtliche Handlungen einzu-
gehen, die ſie gegen das Geſez dennoch unternommen
haben. Im leztern Fall iſt beſonders das perſoͤhn-
liche Verhaͤltnis deſſen in Obacht zu nehmen, der
die Zahlung geleiſtet hat. Iſt dieſer Contrahent eine ſolche
Perſohn, der uͤberhaupt die rechtlichen Erforderniſſe ſich guͤl-
tig zu verbinden, ermangeln, ſo iſt es auſſer allen Zwei-
fel,
[181]de Iuſtitia et Iure.
fel, daß, wenn ein ſolcher ſich dennoch in Rechtsge-
ſchaͤfte eingelaſſen, und ſolche erfuͤllet hat, die Zuruͤck-
forderung des Gezahlten allerdings zulaͤſſig ſey, ohne
daß es darauf ankommt, ob die Zahlung wiſſentlich,
oder aus Irthum geleiſtet worden. Z. B. Wenn Pu-
pillen, oder gerichtlich declarirte Verſchwender ohne vor-
mundſchaftliche Einwilligung contrahirt und bezahlt ha-
ben, ſo iſt die von ſolchen Perſohnen geſchehene Zah-
lung an ſich ſchon unkraͤftig, weil ſie nicht uͤber das
Ihrige eigenmaͤchtig diſponiren koͤnnen. mithin ſiehet ein
Jeder, daß in einem ſolchen Falle repetitio ſoluti um
ſo mehr ſtatthaben muͤſſe, weil bey ihnen die ſonſtigen
Folgen einer freywillig geleiſteten Erfuͤllung nicht zutref-
fen koͤnnen 3). Iſt hingegen Contrahent eine Perſohn,
die zwar nach den Geſetzen uͤberhaupt die Faͤhigkeit hat,
ſich verbindlich zu machen, auch uͤber ihr Vermoͤgen
ungehindert diſponiren kann, allein die Geſetze haben ihr
dennoch zu ihrem eigenen Beſten die Eingehung
des von ihr erfuͤllten Geſchaͤfts unterſagt, damit ſie
nicht durch ungebuͤhrliche Beredungen und uͤbereilte Zu-
ſagen um das Ihrige gebracht werden moͤchte; ihr aber
doch uͤbrigens eine rechtsverbindliche Ratihabition zuge-
laſſen, wenn dabey ſolche Umſtaͤnde eintreten, die den
ernſtlichen und freyen Willen einer ſolchen Perſohn hin-
laͤnglich zu Tage legen; wie dies der Fall bey einer
Frauensperſohn iſt, wenn ſie ſich verbuͤrgt hat; ſo kommt
M 3es
[182]1. Buch. 1. Tit.
es nun bey geſchehener Erfuͤllung eines ſolchen verbote-
nen Geſchafts darauf an, ob dieſelbe wiſſend, daß das
eingegangene Geſchaͤft z. B die uͤbernommene Buͤrg-
ſchaft, zu Recht nicht beſtaͤndig ſey, dennoch freywil-
lig Zahlung geleiſtet, oder ob ſolche aus Irthum ge-
ſchehen. So deutlich nun im leztern Fall die Repeti-
tion in denen Geſetzen geſtattet wird 4), ſo wenig iſt
ſie im erſten Fall fuͤr zulaͤſſig zu halten, weil die Geſe-
tze hier nicht ohne Grund annehmen, daß unter ſolchen
Umſtanden an e[in]em freyen und hinlaͤnglich uͤberlegten
Entſchluſſe nicht fuͤglich weiter zu zweifeln ſey 5). Iſt
nun aber der oben angefuͤhrte erſte Fall vorhanden, wo
die Handlung nicht blos gewiſſen Perſohnen, ſondern
allgemein verbothen iſt, ſo entſtehet die Frage, ob
und in wiefern hier dasjenige, was zur Erfuͤllung eines
ſolchen verbotenen Geſchafts gegeben oder bezahlet wor-
den, wiederum zuruͤckgefordert werden koͤnne 6)? Nach
der gemeinen Lehre, vermoͤge welcher die ſogenannte re-
probtrte natuͤrliche Verbindlichkeit die condictionem in-
debiti allemahl zur Begleiterin haben ſoll, pflegt man
die Regel zu formiren, daß in ſolchen Faͤllen die geſche-
hene Zahlung immer zuruͤckgefordert werden koͤnne Al-
lein daß dieſe Theorie hoͤchſt ſchwankend und unzuver-
laſſig ſey, wird die Folge lehren. Man mache vielmehr
fol-
[183]De Iuſtitia et Iure.
folgenden Unterſchied: Entweder verſiren beyde Theile,
die den verbotenen Handel mit einander geſchloſſen ha-
ben, in pari turpitudine; oder es iſt nur der Glaͤu-
biger allein derjenige, dem eigentlich die Uebertretung
der Geſetze vorzuwerffen, weil er ſich auf eine ungerech-
te Art zum Schaden des Schuldners zu bereichern
ſucht; der Schuldner hingegen der, dem die Geſetze
gegen die Gewinnſucht des erſtern ihren Schuz angedei-
hen laſſen. Iſt das Erſtere, ſo kann eigentlich keine
Zuruͤckforderung des Gegebenen in der Regel ſtatt fin-
den, wofern der Klaͤger nicht etwa ein Geſez fuͤr ſich
anzufuͤhren vermoͤchte, ſo ihn ſelbſt ausdruͤcklich dazu
autoriſirte. Denn einmahl bringt dieſes ſchon die Na-
tur der Sache ſelbſt mit ſich, daß wir gegen den, der
mit uns gemeinſchaftlich die Geſetze uͤbertreten hat, kei-
nen Regres zu unſerer Entſchaͤdigung nehmen koͤnnen.
Zweitens beſtaͤrken dieſes auch deutliche Geſetze, welche
die Regel enthalten: ubi et dantis et accipientis tur-
pitudo verſatur, ſolutum repeti non poſſe7). Es
wird nicht undienlich ſeyn, einige Faͤlle anzufuͤhren, in
welchen zu Folge unſerer Regel die Zuruͤckforderung einer
aus verbotenen Vertraͤgen geleiſteten Zahlung aus den
angefuͤhrten Gruͤnden wegfaͤllt. Dahin gehoͤrt 1) der
Fall, wenn eine Sache verkauft worden, deren Ver-
aͤuſſerung die Geſetze verbieten. Zwar hat bey dieſem
Fall der gemeine Lehrbegrif manchen Widerſpruch unter
denen Rechtsgelehrten veranlaßt, und einige wirklich zur
Behauptung des Gegentheils verleitet 8). Allein da die-
ſes ſchon von andern gruͤndlich widerlegt worden iſt,
M 4ſo
[184]1. Buch. 1. Tit.
ſo duͤrfen wir uns dabey nicht weiter aufhalten 9). Ein
gleiches iſt 2) auch von dem Falle zu behaupten, wenn
die Geſetze gewiſſe Perſohnen vom Erwerb gewiſſer Sa-
chen ausſchlieſſen, z. B. die Juden in Anſehung der un-
beweglichen Guͤter; ingleichen wenn dieſes oder jenes
Gewerbe gewiſſen Perſohnen unterſagt iſt. Wer ſich
mit ſolchen Perſohnen in Handel einlaͤßt, kann dasje-
nige, was er ihnen einmahl gegeben und bezahlt hat,
fuͤr ſeine Perſohn nicht wieder zuruͤckfordern. Ferner
3) wenn jemand zu einem verbotenen Spiele wiſſentlich
Geld dargeliehen, ſo ihm aber hernach von dem Spie-
ler freywillig wieder bezahlet worden iſt; auch hier fin-
der keine Zuruͤckforderung ſtatt. Denn es iſt unleugbar,
daß beide Theile die Geſetze uͤbertreten haben, und eine
ſpeciellere Verordnung, welche die Zuruͤckforderung des
einmahl bezahlten geſtatten ſollte, findet ſich nirgends.
Eigentlich ſollte nun auch nach dieſen Grundſaͤtzen die
Zuruͤckforderung einer bezahlten Spielſchuld dem Mit-
ſpieler ſelbſt nicht freyſtehen. Denn er hat doch gewiß
im Ganzen eben ſo unerlaubt gehandelt, als der ande-
dere, dem das Gluͤck guͤnſtiger geweſen Da aber gleich-
wohl ausdruͤckliche Geſetze dem Mitſpieler die Condiction
durchgaͤngig geſtatten 10), ſo iſt dieſes [freylich] als Aus-
nahme von der obigen Regel anzuſehen, wenn ſie gleich
mit keinem andern Grunde, als dem bekannten: ita
lex ſeripta eſt, zu unterſtuͤtzen ſeyn duͤrfte. Ich kom-
me nun noch auf den lezten Fall, wenn die Geſetze nur
eigentlich dem Glaͤubiger die Uebertretung der Geſetze
zur Laſt legen, weil er ſich auf eine unbillige Art zum
Schaden des Schuldners zu bereichern ſucht; zum Bei-
ſpiel dient der unerlaubte Wucher, der commiſſoriſche
Vertrag bey Verpfaͤndungen, das pactum de quota
litis
[185]de Iuſtitia et Iure.
litis u. a. m. In allen dieſen Faͤllen iſt es auſſer allen
Zweifel, daß die Zuruͤckforderung des ungebuͤrlichen Vor-
theils ſtatt finde, und es iſt hier voͤllig einerley, ob
die Zahlung wiſſentlich oder aus Irrthum geſchehen
ſey 11). Denn hier kann keine guͤltige Ratthabition ge-
ſchehen, weil in den angefuͤhrten Fallen die Geſetze durch-
aus nicht wollen, daß der gewinnſuͤchtige Glaͤubiger des
ungerechten Vortheils theilhaftig werde. Ueberhaupt
laͤſſet ſich hier die Regel formiren; Wenn die buͤr-
gerlichen Geſetze gewiſſe Vertraͤge und Ge-
ſchaͤfte dergeſtalt verbieten, daß keine Ra-
tihabition derſelben guͤltig ſeyn ſolle, weil
ihre Abſicht vorzuͤglich dahin gehet, daß nie-
mand durch liſtige Beredung anderer um das
Seinige gebracht werde, wenn er auch gleich
ſonſt uͤber ſein Vermoͤgen frey diſponiren
kann, mithin dem gemeinen Weſen ſelbſt dar-
an liegt, daß das Gegebene oder Bezahlte
gerade demjenigen verbleibe, der ſich deſſen
entaͤuſſern wollen, damit derſelbe nicht der-
einſt als Bettler dem Staat zur Laſt falle,
ſo findet repetitio ſoluti allemahl ſtatt,
wenn gleich der Empfaͤnger vorſchuͤtzen woll-
te, daß der andere Theil nicht durch Irr-
thum zur Zahlung veranlaßt, ſondern ſolche
wiſſentlich geleiſtet haͤtte. Wenn daher z. E.
Jemand, dem zu ſeiner kuͤnftigen Alimentation gewiſſe
Guͤter vermacht worden, ohne des Richters Zuſtimmung
einen Vergleich ſchließt, und im Gefolge deſſelben die
M 5ver-
[186]1. Buch. 1. Tit.
vermachten Stuͤcke weggiebt, ſo ſagen unſere Geſetze 12):
apparet poſſe repeti, quod datum eſt; quia transactio
Senatusconſulto infirmatur; und ſo iſt es auch in An-
ſehung desjenigen, was uͤber 500. Solidos ohne gericht-
liche Inſinuation iſt geſchenket worden 13). Genug von
den ſogenannten obligationibus naturalibus reprobatis.
Wir haben nun noch zulezt von denenjenigen natuͤrli-
chen Verbindlichkeiten zu handeln, deren gerichtliche
Wirkung durch die poſitiven Geſetze nur zum
Theil eingeſchraͤnkt, nicht aber ganz aufgehoben
worden.
Fraͤgt man nun, in wiefern dieſelben der gerichtli-
chen Wirkung nach durch die buͤrgerlichen Geſetze einge-
ſchraͤnkt ſeyen, ſo iſt die gewoͤhnliche Antwort dieſe: Es
finde wegen ſolcher Verbindlichkeiten nur keine Klage,
wohl aber die ganze Summe aller uͤbrigen gerichtlichen
Wirkung ſtatt. Allein denkt man ſich den ganzen Um-
pfang der gerichtlichen Wirkungen einer volkommenen
Verbindlichkeit, ſo wird man leicht einſehen, daß die
Einſchraͤnkung derſelben auf weit mehr, als eine Art,
geſchehen koͤnne. Jede Befugnis, wenn ſie in einem
wirklichen Zwangsrechte beſtehet, berechtiget uns a) un-
ſere Forderung vermittelſt einer Klage zu verfolgen,
und zwar dahin, daß wir b) gaͤnzlich ohne Abzug, auch
c) zur gehoͤrigen, durch Vertrag oder Geſez beſtimm-
ten Zeit befriediget werden. Der Schuldner muß auch
d) gerade dasjenige leiſten, was ihm wirklich obliegt,
nicht, wie man ſagt, aliud pro alio; der Creditor aber
iſt berechtiget, e) ſeine Schuld mit ſeiner Forderung zu
compenſiren, f) ſich an die Buͤrgen und Pfaͤnder zu
halten, und was ſonſt noch fuͤr rechtliche Wirkungen
eintreten koͤnnen. So mancherley nun alſo die Rechte
des
[187]de Iuſtitia et Iure.
des Glaͤubigers und die Wirkungen einer vollkommenen
Verbindlichkeit ſind, ſo laſſen ſich auch natuͤrlicher wei-
ſe hier eben ſo viele Einſchraͤnkungen gedenken, als es
Falle geben kann, und wirklich giebt, wo bald die ei-
ne, bald die andere Wirkung durch Vorſchrift poſiti-
ver Geſetze entweder ganz oder nur zum Theil entfernet
iſt. Gehen wir nun die buͤrgerlichen Geſetze durch, ſo
zeigt ſich auch dieſe Verſchiedenheit wirklich. Bald iſt
wegen einer natuͤrlichen Verbindlichkeit die alleinige
Klage durchaus unzulaͤſſig; So z. B. iſt es ein
Grundſaz des roͤmiſchen Rechts, daß die ſimplen Ver-
traͤge (pacta nuda) keine Klage hervorbringen; Eben ſo
wenig hat auch aus einer Geldanleihe ſolcher Perſohnen,
die noch unter der vaͤterlichen Gewalt ſtehen, eine Klage
ſtatt. Bald iſt die Klage nur in gewiſſer Hinſicht
unſtatthaft, ſo daß, z. B. nicht die ganze Schuld,
ſondern nur ein Theil davon, eingeklagt werden kann.
Hierher gehoͤren vorzuͤglich diejenige Verordnungen des
buͤrgerlichen Rechts, vermoͤge deren einem Schuldner
zur Befriedigung ſeines Glaͤubigers durch richterliche Huͤl-
fe nicht mehr genommen werden darf, als es der ſtans
desmaͤſige nothwendige Unterhalt deſſelben zulaͤſſet, wel-
ches man das beneficium competentiae nennet. Die
einzelnen Faͤlle, worin es ſtatt findet, werden in der Fol-
ge gelegentlich vorkommen. Bald muß der Glaͤubiger
aliud pro alio annehmen, welches in denen Faͤllen ge-
ſchiehet, wo dem Schuldner das beneficium dationis
in ſolutum zuſtehet, wovon beym §. 1930. Bald darf
der Glaͤubiger auf den ordentlichen Zahlungs-Termin
nicht beſtehen, ſondern er muß dem Schuldner Nach-
ſicht goͤnnen u. d. m. Daß alſo die Lehre derienigen,
welche die ganze Einſchraͤnkung des gerichtlichen Ef-
fects natuͤrlicher Verbindlichkeiten lediglich darauf re-
duciren, daß die Klage ganzlich wegfalle, alle uͤbri-
ge
[188]1. Buch. 1. Tit.
ge Wirkungen aber fortdaurend blieben, offenbar un-
zulaͤnglich ſey, faͤllt in die Augen. Schon dasje-
nige, was der roͤm. Juriſt Paulus14) ſagt: Na-
tura-
[189]de Iuſtitia et Iure
turales obligationes non eo ſolo aeſtimantur, ſi actio
aliqua earum nomine competit: verum etiam eo,
ſi ſoluta pecunia repeti non poſſit, macht jene Theo-
rie aͤuſſerſt bedenklich, wenn wir zumahl erwaͤgen, daß
ſogar gegen einen Pupillen, welcher ohne Einwilligung
des Vormunds contrahirt hat, die Klage nicht durch-
aus wegfalle, ſondern, daß er bekanntlich belangt wer-
den koͤnne, inſoferne er durch den Handel rei-
cher geworden. Naturaliter obligabitur ſe. pu-
pillus, ſo lauten die Worte des Ulpians15), in
quantum locupletior factus eſt, hinc in pupillum non
tantum tutori, verum cuivis actionem, in quantum
locupletior factus eſt, dandam eſſe, D. Pius reſcri-
pſit. Hier iſt alſo, wie ein jeder von ſelbſt ſiehet, ei-
ne natuͤrliche, in Anſehung des gerichtlichen Effects
eingeſchraͤnkte Verbindlichkeit vorhanden, wobey jedoch
das Recht zu klagen nicht gaͤnzlich wegfaͤllt, ſon-
dern nur gewiſſermaſſen limitirt iſt 16). Aus al-
lem dieſem ergiebt ſich nun ſoviel, daß wenn die roͤ-
miſchen
14)
[190]1. Buch. 1. Tit.
miſchen Geſetze von einer natuͤrlichen Verbindlichkeit re-
den, ſie nicht immer darunter eine ſolche verſtehen,
wegen welcher keine gerichtliche Klage ſtatt findet, ſon-
dern ſie verſtehen vielmehr eine ſclche Obligation, wel-
che an ſich zwar nach Vorſchrift der geſunden
Vernunft dem in der buͤrgerlichen Societaͤt
ſich befindenden Menſchen wirklich obliegt,
jedoch den voͤlligen gerichtlichen Effect, wel-
cher in der Regel mit einer Zwangspflicht
verbunden iſt, nicht hervorbringt; und dieſe
wird die natuͤrliche Verbindlichkeit im ſtrengſten
Verſtande des Civilrechts genennet 17) Noch eins
darf ich hierbey nicht unberuͤhrt laſſen, nehmlich die-
ſes, daß die buͤrgerlichen Geſetze die gerichtliche Wirkung
einer
[191]de Iuſtitia et Iure.
einer natuͤrlichen Verbindlichkeit nicht immer dergeſtalt ein-
geſchraͤnkt haben, daß der voͤllige Effect keinen Anfang
gewinnen koͤnnen, ſondern es giebt auch Faͤlle, wo durch
die Geſetze einer bisher voͤllig wirkſamen Verbindlich-
keit der weitere Effeet aus Gruͤnden verſagt worden,
welche nach natuͤrlichen Rechten an ſich den Schuldner
von ſeiner Verbindlichkeit nicht befreyen, noch die Be-
fugnis des Glaͤubigers einſchraͤnken. Dahin gehoͤrt,
wenn der Glaͤubiger die zur gerichtlichen Ver-
folgung ſeines Rechts beſtimmte Zeit ver-
ſaͤumt hat; deßgleichen wenn die Geſetze den
Glaͤubiger zur Strafe wegen Uebertretung
verbietender oder gebietender Geſetze die
Befugnis zu Klagenabſprechen, ohne jedoch das
Recht deſſelben, und die Verbindlichkeit des Schuldners
an ſich aufzuheben 18) und dergleichen Faͤlle mehr 19).
Da in allen dieſen Faͤllen die Geſetze dem Glaͤubiger
nur blos die Rechtshuͤlfe verſagen, und ihn mit
ſeiner Klage nicht weiter gehoͤrt wiſſen wollen, ſo ver-
ſteht es ſich von ſelbſt, daß die uͤbrigen Wirkungen der
natuͤrlichen Verbindlichkeit doch noch immer fortdauern,
welche ihm die Geſetze nicht wirklich abgeſprochen haben.
So wenig ſich alſo der Schuldner in dieſen Faͤllen ermaͤchti-
gen kann, das Bezahlte wieder zuruͤckzufordern, ſo muß dem
Glaͤubiger auch immer noch die Befugnis verbleiben, ſich
durch Compenſation, Retention u. ſ. w. zu dem Seini-
gen
[192]1. Buch. 1. Tit.
gen zu verhelffen 20). Soviel von denen natuͤrlichen
Verbindlichkeiten im ſtrengſten Sinn des Civilrechts,
welche in den buͤrgerlichen Gerichten nicht voͤllig wirk-
ſam ſind; nun koͤnnte zwar noch manches uͤber die Wir-
kungen des Pfandrechts, der Buͤrgſchaft, des Eides,
der Compenſation, des Conſtitutums, u. ſ. w. in An-
ſehung dieſer natuͤrlichen Verbindlichkeiten geſagt wer-
den 21), damit ich jedoch die noͤthige Grenzen nicht
uͤberſchreite, ſo behalte ich mir vor, von dieſen Gegen-
ſtaͤnden an denjenigen Orten der Pandecten zu handeln,
wo dieſe Materien ſelbſt vorkommen werden. Da in-
zwiſchen Hellfeld in dieſem §. uns noch auf den Be-
grif der Billigkeit hinleiten will, ſo wird es noͤthig
ſeyn, auch hiervon die noͤthige Erlaͤuterung zu geben,
zumahl da der Unterſchied zwiſchen Recht und Bil-
ligkeit groͤſtentheils auf undeutlichen Begriffen beru-
her 22). Hellfeld ſagt, die natuͤrliche nicht reprobirte
Verbindlichkeit komme unter dem Nahmen der Billig-
keit
[193]de Iuſtitia et Iure.
keit im roͤmiſchen Rechte vor. Ganz unrecht hat er
nicht, denn in der angefuͤhrten L 95. § 4. D de
ſolut. wird die natuͤrliche Verbindlichkeit vinculum ae-
quitatis genennt; und daß von einer nicht reprobirten
natuͤrlichen Verbindlichkeit daſelbſt die Rede ſey, erhel-
let daraus, weil in dem angefuͤhrten Geſez geſagt wird,
daß ſie durch den Vertrag, wodurch der Glaͤubiger ſeine
Forderung dem Schuldner erlaͤßt, ipſo iure, d. i. ſo-
fort, und ſelbſt dem ſtrengen Rechte nach, aufgehoben
werde. Allein das Wort aequitas iſt im roͤmiſchen
Rechte mehr bedeutender, als daß die angegebene Erklaͤ-
rung von Billigkeit alles erſchoͤpfen ſollte Billigkeit,
wenn dieſe dem ſtrengen Rechte (iuri ſummo, ſtri-
cto, rigori iuris) entgegengeſezt wird, bezeichnet erſt-
lich alles dasjenige, was mit den natuͤrlichen Rechten
uͤbereinſtimmt; was hingegen blos poſitiven oder buͤrger-
lichen Rechtens iſt, wird ius ſchlechtweg genannt. So
z. B. ſagt Ulpian23): Licet hoc iure contingat,
tamen aequitas dictat etc. und Paulus24: haec
aequitas ſuggerit, etſi iure deficiamur. Dieſe Bil-
ligkeit wird im roͤmiſchen Rechte aequitas naturalis25),
naturalis ratio26), officium pietatis27), auch pu-
dor28) genennt. Zweitens heißt Billigkeit auch,
was der Sinn eines Geſetzes mir ſich bringt, und alſo
Reſultat einer Auslegung iſt, wobey die vermuthliche
Ab-
Gluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. N
[194]1. Buch 1. Tit.
Abſicht des Geſezgebers zum Grunde gelegt, und auf die
Umſtaͤnde der Sache, und die beſondern Eigenſchaften
und Verhaͤltniſſe der Perſohnen Ruͤckſicht genommen
wird 29). Unter dem ſtrengen Recht hingegen ver-
ſtehet man alsdann dasjenige, was die allgemeine Regel
und der Buchſtabe des Geſetzes beſagt. Man nennt
jene Billigkeit aequitatem iuridicam, oder die Billig-
keit des Richters, und der Unterſchied zwiſchen die-
ſer und der Strenge des Rechts beſteher darinn,
daß leztere ſich an die allgemeine Regel haͤlt, die
Billigkeit aber zugleich auf die gute oder ſchlimme
Wirkung Ruͤckſicht nimmt, welche die Anwendung
der Regel im gegebenen Falle haben wuͤrde. Des-
wegen ſetzen diejenigen Rechtsgelehrten, welche uͤber die-
ſen Gegenſtand geſchrieben haben, die Billigkeit des
Richters vorzuͤglich in die vernuͤnftige Erwaͤgung der
zu beurtheilenden Thatſachen 30). Sie verlangen fer-
ner, daß ein billiger Richter die durch poſitive Geſetze
eingefuͤhrte Ungleichheit ſoviel als moͤglich mildern, und
uͤberall auf die menſchliche Schwachheit Ruͤckſicht neh-
men ſolle 31). Welchen Begrif aber auch die Rechts-
gelehr-
[195]de Iuſtitia et Iure.
gelehrten mit der Billigkeit in dieſer zweiten Bedeutung
verknuͤpfen moͤgen, ſo kommen ſie doch faſt alle darinn
uͤberein, daß das ſtrenge Recht in einer ſteifen An-
haͤnglichkeit an die Theorie, die Billigkeit aber in ei-
nem vernuͤnftigen Ermeſſen der Folgen beſtehe, welche
die Anwendung derſelben auf das Wohl des Staats
und die einzelnen Mitglieder deſſelben haben koͤnnte 32).
Selbſt die roͤmiſchen Geſetze 33) empfehlen dem Richter
dieſe Billigkeit nachdruͤcklich, ſie weiſen ihn an, ſolche
dem ſtrengen Rechte vorzuziehen, inſofern das Geſez
dadurch nicht abgeaͤndert, ſondern nur ſeiner Abſicht ge-
maͤß angewendet wird. Denn die Billigkeit muß keine
Abweichung von einer verbindlichen Regel
enthalten. Vielmehr wird in ausdruͤcklichen Geſetzen 34)
dem Richter befohlen, auch ein hartes Geſez, wenn
es deutlich und categoriſch iſt, zu befolgen, und die
Beobachtung der Billigkeit dem Geſezgeber anheim zu
ſtellen 35). Man merke ſich alſo folgende Regel: nur
N 2als-
31)
[196]1. Buch. 1. Tit.
alsdenn, wenn die Abſicht, welche durch das
Geſez unmittelbar erreicht werden ſolte,
durch eine woͤrtliche Erklaͤrung verfehlt wer-
den wuͤrde, iſt der Richter befugt, den Sinn
der Worte mit billiger Ruͤckſicht auf die
vorhandene Umſtaͤnde dieſer Abſicht ge-
maͤß auszudehnen oder einzuſchraͤnken. Es
wird ſich in der Folge bey der Lehre von der Inter-
pretation noch mehr Gelegenheit finden, die Gren-
zen der richterlichen Billigkeit genauer zu beſtimmen.
§. 27.
Begrif der Rechtsgelahrtheit. Was iſt Theorie
und Praxis derſelben? Begrif des wahren
Rechtsgelehrten?
Wir ſchreiten nun zur Entwickelung des Begrifs
der Rechtsgelahrtheit ſelbſt, ihrer weſentlichen Ei-
genſchaften und Theile, nachdem wir von den Rechten
und Verbindlichkeiten, womit ſich dieſelbe beſchaͤftiget,
und denen Geſetzen ſelbſt, aus welchen jene herflieſſen,
das noͤthige vorausgeſchickt haben. Rechtsgelahrtheit
(Iurisprudentia) wird in zwifacher Bedeutung genommen.
- 1) Objectiviſch genommen denkt man ſich darun-
ter den Inbegrif methodiſch bearbeiteter
Wahrheiten von den Rechten und Ver-
bind-
[197]de Iuſtitia et Iure.
bindlichkeiten. Wenn Hellfeld in der Note
k. ſagt: Obiective conſiderata iurisprudentia eſt
ſcientia legum earumque adplicationis ad factum,
ſo iſt dies eigentlich der Begrif der Rechtsgelehrſam-
keit im ſubjectiviſchen Verſtande. - 2) Subjectiviſch genommen iſt Rechtsgelahrtheit
die wiſſenſchaftliche Kenntnis der Geſetze,
verbunden mit der Fertigkeit, ſie auf vor-
kommende Faͤlle anzuwenden. Hellfelds Be-
grif: Iurisprudentia, ſubiective conſiderata, eſt
habitus leges ad facta obvia recte applicandi, iſt
nicht vollſtaͤndig, denn er hat offenbar nur das de-
finirt, was man die Praxis der Rechtswiſſen-
ſchaft nennt. Unſere Rechtsgelahrtheit gehoͤrt nun
nicht zu denen ſpeculativiſchen Wiſſenſchaften, die
man blos zum Nachforſchen und Vergnuͤgen zu er-
lernen und zu treiben pflegt, ſondern ſie muß durch-
aus mit Ausuͤbung verbunden ſeyn, wenn ſie keine
tode Wiſſenſchaft ſeyn ſoll. Denn was kann der
Welt damit gedient ſeyn, wenn einer Naͤchte durch-
wachte, um auszumachen, was in dieſem oder je-
nem Falle die Rechte mit ſich bringen, wenn dieſe
Rechte gar nicht ausgeuͤbet werden? Solchemnach
zerfaͤllt alſo die Rechtsgelehrſamkeit in zwey Haupt-
theile, nehmlich die Theorie und Praxis36).
Unter der Theorie des Rechts verſtehet man die
Faͤhigkeit, den wahren Sinn der Geſetze zu beſtim-
men; verbunden mit einer genauen Kenntnis von der
N 3Be-
[198]1. Buch. 1. Tit.
Beſchaffenheit und den Eigenſchaften derjenigen Hand-
lungen, welche zu dem Gegenſtand der Rechtsgelehr-
ſamkeit gehoͤren; nicht weniger eine vollſtaͤndige und
richtige Kenntnis der Folgen, welche die buͤrgerliche
Rechtshandlungen nach ſich ziehen. Zur aͤchten The-
orie des Rechts gehoͤrt alſo
1) die Faͤhigkeit, den wahren Sinn der
Geſetze, als welche die Normen der buͤrgerli-
chen Handlungen ſind, feſtzuſetzen. Dieſe
Faͤhigkeit muß ein jeder, der auf eine gruͤndliche
Rechtsgelehrſamkeit Anſpruch macht, in ihrem Um-
pfange beſitzen, denn ohne dieſelbe wird ohne Unter-
laß in der Anwendung gefehlet. Die Erfahrung lehrt,
daß die Geſetze gemeiniglich nur einen oder wenige
Faͤlle zur Veranlaſſung haben; und daß die Abſicht
des Geſezgebers oft viel weiter gehe, als die Worte
ausdrucken, wird niemand leugnen, der nur einige
Kenntnis von den Geſetzen hat. Hier hat nun der
Juriſt es auszumachen, ob dieſer oder jener Fall die
Abſicht des Geſezgebers erreiche oder nicht. Ferner
iſt alsdann auch dieſe Eigenſchaft einem Rechtsgelehr-
ten unentbehrlich, wenn ſich zwar der im Geſez be-
ſtimmte Fall zutraͤgt, jedoch andere Umſtaͤnde dabey
vorkommen, als wovon das Geſez redet, und weswe-
gen die Verordnung entweder weiter auszudehnen
oder einzuſchraͤnken iſt.
Zur Rechtstheorie gehoͤrt weiter 2) die genaue
Kenntnis von der Beſchaffenheit der buͤrger-
lichen Handlungen, welche den Gegenſtand
der Rechtsgelehrſamkeit ausmachen. Denn
nach der Verſchiedenheit dieſer Handlungen richten ſich
die Gerechtſame und die Verbindlichkeiten der Par-
theyen. Darf es nun keinem Rechtsgelehrten gleich-
guͤl-
[199]de Iuſtitia et Iure.
guͤltig ſeyn, die eine Verbindlichkeit oder Gerechtſame
vor die andere anzunehmen, ſo wird es wohl die un-
umgaͤngliche Nothwendigkeit erfordern, die buͤrgerli-
chen Handlungen nach ihren Eigenſchaften genau ken-
nen zu lernen, um in der Beurtheilung derſelben kei-
nen Fehler zu begehen.
Endlich gehoͤrt auch 3) zur Rechtstheorie eine ge-
naue Kenntnis der Folgen, welche mit denen
buͤrgerlichen Rechtshandlungen verknuͤpft
ſind. Die verſchiedenen Arten der Klagen, der ver-
ſchiedene Proces, die verſchiedene Gerechtſame, Ver-
bindlichkeiten und Strafen und deren gehoͤrige Anwen-
dung haͤngen alle von dieſem Theile der Rechtsgelehr-
ſamkeit ab. Es iſt alſo offenbar, daß in der An-
wendung der Rechtsgelehrſamkeit uͤberaus viel darauf
ankomme, in dieſen Puncten nicht zu fehlen. Denn
welchem Rechtsgelehrten iſt wohl unbekannt, daß eine
Art des Proceſſes weit zutraͤglicher als die andere,
und die eine Klage entweder in Anſehung des Be-
weiſſes oder in Anſehung der Hauptabſicht weit nuͤz-
licher, als die andere, ſey?
Die Praxis der Rechtsgelehrſamkeit iſt
nun dagegen eine Fertigkeit, die Geſetze auf die vor-
kommende Faͤlle anzuwenden, die buͤrgerlichen Handlun-
gen mit Klugheit einzurichten, und die entſtandenen
Rechtsſtreitigkeiten gehoͤrig zu behandeln, d. i. dieſelben
zu unterſuchen, und zu Ende zu bringen. Formelkram,
und eine hiſtoriſche Kenntnis von dem Laufe des Pro-
ceſſes machen zwar den ſogenannten Schlendrian
aus, verdienen aber nicht den Nahmen der juriſtiſchen
Praxis.
Theorie und Praxis nach den angegebenen Begrif-
fen ſind nun ſo genau mit einander vergeſellſchaftet, daß
N 4ſie
[200]1. B. 1. Tit.
ſie von einander nicht getrennt werden koͤnnen, daher es
eine ungereimte Frage iſt, ob nicht die eine vor der an-
dern einen Vorzug habe 37)? denn die wahre Praxis
laͤßt ſich ohne eine gruͤndliche Kenntnis der Theorie des
Rechts ohnmoͤglich gedenken. Die Theorie iſt alſo nur
um der Praxis willen da. Die Praxis hingegen muß
der Theorie erſt das Leben geben; die Begriffe, die
man bey der Theorie ſammlet, werden erſt durch die
Praxis in die gehoͤrige Deutlichkeit geſetzet, und be-
kommen daher ein Licht, welches ihr durch Umſchrei-
bung ohnmoͤglich gegeben werden kann. Derjenige nun,
welcher nicht nur eine gruͤndliche und wiſſenſchaftliche
Kenntnis von der Theorie ſowohl als Praxi der Rechts-
gelahrtheit beſitzet, ſondern auch dieſelbe zur Ehre des
allergerechteſten Richters der Welt, und zum Wohl
des Naͤchſten wirklich ausuͤbt, heißt ein Juriſt, ein
Rechtsgelehrter im eigentlichen Verſtande. Mit die-
ſem verwechſele man nicht 1) einen Leguleius, worun-
ter man einen ſolchen verſtehet, der keine genaue, ſon-
dern eine blos hiſtoriſche Kenntnis von den Geſetzen
hat, ſie zwar den Worten nach weiß, und uͤberall mit
ſeiner Geſezkenntnis prahlt; aber den Geiſt derſelben
nicht verſtehet, und daher eine ungeſchickte Anwendung
da-
[201]de Iuſtitia et Iure.
davon macht; auch nicht 2) einen Rabuliſten, denn
dieſen gehaͤſſigen Nahmen verdienen nur ſolche Juri-
ſten, denen es zwar nicht an Kenntnis, aber an Recht-
ſchaffenheit und Guͤte des Herzens fehlt, die Geſetze
gehoͤrig anzuwenden, und daher ſolche zum Schaden
anderer zu verdrehen ſuchen; auch nicht 3) einen Em-
piricus, denn ein ſolcher hat gar keine Rechtstheorie
geſchoͤpft, ſondern blos den Schlendrian inne, den er
aus der taͤglichen Uebung in der Gerichtsſtube erlernt
hat, und behandelt daher alle Rechtsſachen blos me-
chaniſch. Endlich unterſcheide man einen Rechtsgelehr-
ten auch 4) von einem Iurisperito, einem bloſen Rechts-
verſtaͤndigen, der zwar eine gruͤndliche Theorie des
Rechts verſtehet, allein von den erkannten rechtlichen
Wahrheiten keinen Gebrauch macht 38).
Anmerkungk. Die roͤmiſchen Juriſten definir-
ten die Jurisprudenz auf folgende Art. Iurispru-
dentia eſt divinarum atque humanarum rerum no-
titia: iuſti atque iniuſti ſcientia39). Dieſe Definition
wird auf verſchiedene Art erklaͤrt. Einige halten da-
fuͤr, Ulpian, aus deſſen lib. I. Regularum dieſe De-
finition entlehnet worden, habe hierdurch anzeigen wol-
len, daß die Jurisprudenz ein Theil der Philoſophie
ſey, welche ſich, ſo wie dieſe, mit goͤttlichen und menſch-
lichen Dingen beſchaͤftige, nur mit dem Unterſchiede,
daß ſie ſich in keine ſpeculativiſche Unterſuchungen ein-
laſſe, ſondern blos beſtimme, was recht und unrecht in
N 5An-
[202]1. Buch. 1. Tit.
Anſehung derſelben ſey 40). Daß die Alten die Phi-
loſophie in eine notitiam rerum divinarum atque
humanarum geſezt, iſt auſſer allen Zweifel 41); und
daß die alten Philoſophen ſowohl als Rechtsgelehrte
die Jurisprudenz fuͤr einen Theil der Philoſophie
gehalten, erhellet ſowohl aus dem Zeugnis des Eu-
phrates beym Plinius42), als auch aus dem,
was die roͤmiſchen Juriſten von ſich ſelbſt ſagten:
ſe veram philoſophiam, non ſimulatam aſſectari43).
Andere hingegen verſtehen unter den rebus divinis
das geiſtliche Recht, welches dreyerley war, ius fe-
ciale, pontificium und augurale; unter den rebus
humanis aber das ius civile. Sie erklaͤren alſo die
Ulpianiſche Definition ſo: die Jurisprudenz ſey eine Wiſ-
ſenſchaft goͤttlicher und menſchlicher, oder geiſtlicher und
weltlicher Rechte 44). Noch andere denken ſich unter
den
[203]de Iuſtitia et Iure.
den rebus divinis das natuͤrliche, und unter den rebus
humanis das poſitive Recht 45); die Rechtsgelahrheit
ſey alſo die Wiſſenſchaft des natuͤrlichen und poſitiven
Rechts. Die Sache iſt zu unbedeutend, um mich auf
eine Pruͤfung dieſer verſchiedenen Erklaͤrungen einzulaſſen.
§. 28.
Zwey Haupteigenſchaften des Rechtsgelehrten.
Ein Rechtsgelehrter, welcher auf die Wuͤrde die-
ſes Nahmens einen gegruͤndeten Anſpruch machen will,
muß alſo a) eine Fertigkeit haben, die Geſetze auf die
vorkommende Faͤlle anzuwenden. Ein Geſez anwen-
den heißt im gegebenen Falle beſtimmen, was nach den
beſondern Umſtaͤnden deſſelben denen Geſetzen gemaͤß iſt.
Dieſes kann von einem Richter, Rechtsconſulenten und
Rechtslehrer geſchehen. Eine ſolche Application, wenn
ſie richtig geſchehen ſoll, erfordert 1) eine vollkommene
Kenntnis ſowohl des Factums mit allen dabey vorkom-
menden Umſtaͤnden an ſich, als auch desjenigen, der
die Handlung unternommen, oder zur Wirklichkeit ge-
bracht hat. So z. B. muß der Eriminalrichter nicht
nur das Verbrechen an ſich, und deſſen Umſtaͤnde, als
Zeit und Ort, ſondern auch den Character und Lebens-
wandel, auch uͤbrige Verhaͤltniſſe des Miſſethaͤters in
Erwaͤgung ziehen, um darnach die Strafe der Abſicht
des
44)
[204]1. Buch. 1. Tit.
des Geſetzes gemaͤß einzurichten. 2) Eine genaue Kennt-
nis des Geſetzes ſelbſt, was im gegenwaͤrtigen Fall an-
gewendet werden ſoll. Der Practicus muß alſo nicht
nur wiſſen, ob und in wiefern das Geſez noch verbind-
lich iſt, ſondern auch eine genaue Kenntnis von dem
Inhalte und dem Sinne des Geſezes haben, und die-
ſe erlangt er durch die Interpretation. Der
Rechtsgelehrte muß alſo auch b) die Faͤhigkeit haben,
den wahren Sinn der Geſetze zu beſtimmen. Zuerſt
wird nun unſer Auctor von der Erklaͤrung der
Geſetze, und dann §. 40. und folgenden von der An-
wendung derſelben handeln.
§. 29.
Von Erklaͤrung der Geſetze.
Die Undeutlichkeit des Inhalts, Zweideutigkeit
der Worte, oder weil die Worte eines Geſetzes mit
der Abſicht des Geſezgebers nicht uͤbereinſtimmen, oder
ein Geſez mit andern Geſezen im Widerſpruch ſtehet;
macht oft die Auslegung der Geſetze nothwen-
dig 46). Was heißt aber ein Geſez erklaͤren?
nichts
[205]de Iuſtitia et Iure.
nichts anders, als den wahren Sinn eines Geſetzes
aus den Worten deſſelben, und der Abſicht des Geſez-
gebers entwickeln. Sinn des Geſetzes, oder, wie
es im roͤmiſchen Rechte genennet wird, ſententia le-
gis47) iſt der Wille ſelbſt, den der Geſezgeber durch
die gebrauchten Worte hat ausdruͤcken wollen. Um die-
ſen Willen des Geſezgebers richtig zu beſtimmen, un-
terſuche man zuerſt den Wortverſtand des Geſe-
tzes (ſenſum litteralem), das iſt, man exponire das
Geſez, ſetze die wahre Bedeutung der einzelnen Worte
feſt, und verbinde mit demſelben diejenigen Begriffe,
die durch die Zuſammenſetzung herauskommen. Weil
jedoch die Erfahrung lehret, daß die Worte nicht im-
mer den Willen des Geſezgebers ausdruͤcken, indem ſel-
ten ein Menſch ſeine Worte ſo genau faßt, daß er
weder mehr noch weniger ſage, als er wirklich hat ſa-
gen wollen, ſo muß nun hiernaͤchſt der Geſezausleger
die wahre Abſicht des Geſezgebers ausforſchen,
und den Grund des Geſetzes unterſuchen. Dieſer
beſtimmt den ganzen Umpfang des Willens des Geſez-
gebers, und iſt alſo mit Recht als die Seele des Ge-
ſetzes anzuſehen 48). Nur darf die naͤchſte Abſicht mit
der
46)
[206]1. Buch. 1. Tit.
der entferntern nicht verwechſelt werden. Daher erge-
ben ſich ſchon vorlaͤufig folgende Auslegungsregeln:
- 1) Der Rechtsgelehrte darf ſeine Auslegung des Geſe-
tzes nur auf Vorausſetzung derjenigen Abſicht gruͤn-
den, die der Geſezgeber unmittelbar durch die Wor-
te des Geſetzes erklaͤren wolte. - 2) Dieſe Abſicht ſelbſt muß aus dem Zuſammenhange
der Worte, oder des Geſetzes mit allen uͤbrigen, die
uͤber einerley Gegenſtand vorhanden ſind 49), oder
den hiſtoriſchen Umſtaͤnden der Geſetzesgebung, und
andern Quellen mehr beurtheilet werden, von welchen
ich in der Folge beym §. 36. umſtaͤndlicher handeln
werde.
§. 30.
Erklaͤrung ſetzt Mangel der Deutlichkeit, und Unvolſtaͤndig-
keit des Geſetzes, voraus. Auslegung der Geſetze nach
der Billigkeit; und Grenzen derſelben.
„Es iſt ein Uebel, ſagt einer unſerer teutſchen
Rechtsgelehrten 50), wenn die Geſetze einer Erklaͤrung
beduͤrfen. Die Geſetze ſollten keiner Rechtskluͤgeley aus-
geſetzet ſeyn.“ Dies kann wohl freylich nicht geleug-
werden; allein da die meiſten unſerer Geſetze fuͤr ganz
andere Zeiten, Sitten und Umſtaͤnde gegeben ſind, ſo
muͤſſen wir ſie, ſollen ſie zur Richtſchnur dienen, durch
eine vernuͤnftige Auslegung, auch noch fuͤr unſere Zei-
ten
[207]de Iuſtitia et Iure.
ten anwendbar zu machen ſuchen. Auslegung des
Geſetzes ſetzt alſo immer voraus, daß ein fehlerhaftes,
dunkeles oder unzureichendes Geſez vorhanden ſey. Ein
Geſez, das vollſtaͤndig, deutlich, und beſtimmt gefaßt
iſt, bedarf keiner Erklaͤrung; ſondern der Richter iſt
verbunden, ſolches in Anwendung zu bringen, wenn es
auch gleich hart ſcheinen ſolte. Allein ſolte der Rich-
ter nicht wenigſtens unterweilen befugt ſeyn, aus Gruͤn-
den einer vordringenden Billigkeit der Strenge des Rechts
auszuweichen, und eine mildere Meinung anzunehmen?
Verſchiedene Rechtsgelehrten wollen ihm zwar dieſe praͤ-
toriſche Macht beylegen 51), und nach Leyſers52)
Meynung ſoll es einem Richter ſogar freyſtehen, ſich
uͤber den Mangel der vorgeſchriebenen Solemnitaͤten
hinwegzuſetzen, wenn nur der Wille des Teſtators oder
der Contrahenten klar iſt; allein es laͤſſet ſich dieſe Mei-
nung nicht ſchlechterdings rechtfertigen. Denn es iſt be-
kannt, welche ſchlimme Folgen die ſogenannte Billigkeit der
Praͤtoren nach ſich zog, und wie man ihre Partheylich-
keit durch das Corneliußiſche Geſez dahin einſchraͤnken
muſte, daß ſie wenigſtens waͤhrend ihrer kurzen Amts-
fuͤhrung nach einerley Grundſaͤtzen verfahren, und ſchul-
dig ſeyn ſolten, eben denſelben Rechtsſaz, den ſie ge-
gen andere angenommen hatten, in der Folge auch ge-
gen ſich ſelbſt gelten zu laſſen. Es klagten auch die
roͤmiſchen Rechtsgelehrten ſchon uͤber die Ungerechtigkeit,
welche ſehr oft unter dem Scheine der Billigkeit aus-
geuͤbt wuͤrde; denn da ſelbſt die Meinungen von der
Billigkeit ſo ſehr verſchieden, und ihre Grundſaͤtze nicht
be-
[208]1. Buch. 1. Tit.
beſtimmt ſind 53), wie leicht kann ſich der Richter bey
deren Anwendung nicht irren? Sehr treffend ſagt da-
her bey Entſcheidung eines gewiſſen Rechtsfalles der roͤ-
miſche Juriſt Paulus54)eſſe hanc quaeſtionem de
bono, et aequo: in quo genere plerumque ſub auctori-
tate iuris ſcientiae pernicioſe erratur. Welche Unge-
wißheit des Rechts wuͤrde alſo nicht daraus entſtehen,
wenn der Richter ſich ermaͤchtigen duͤrfte, unter dem
Vorwand der Billigkeit von den Geſetzen abzuweichen?
Ja wie leicht wuͤrde Leidenſchaft des Richters, oder
Unwiſſenheit deſſelben den Mantel der Billigkeit anneh-
men, und der Ungerechtigkeit und Partheylichkeit Thuͤr
und Thor geoͤfnet werden? Mit Recht haben daher an-
dere jene Meinung verworfen, und den Richter auf ge-
horſame Befolgung der Geſetze eingeſchraͤnkt 55). Wenn
nun
[209]de Iuſtitia et Iure
nun aber doch die Geſetze ſelbſt den Richter anweiſen,
mehr nach der Billigkeit als nach dem ſtrengen Recht
zu urtheilen; ſo ſieht ein jeder wohl, daß dieſes eine
ganz andere Bedeutung haben muͤſſe, als welche jene
Vertheidiger der Billigkeit zur Unterſtuͤtzung ihrer Mey-
nung angenommen haben. Hierher gehoͤrt, was Pau-
lus56) ſagt: In omnibus quidem, maxime tamen
in iure, aequitas ſpectanda eſt; deßgleichen, wenn die
Kr. Conſtantin und Licinius reſcribiren: Placuit in
omnibus rebus praecipuam eſſe iuſtitiae aequitatis-
que, quam ſtricti iuris rationem57). Man fuͤhrt
auch noch die Worte des Marcellus58) an; Etſi ni-
hil facile mutandum eſt ex ſolemnibus, tamen, ubi
aequitas evidens poſcit, ſubveniendum. Allein alle
dieſe Stellen helffen der entgegen geſezten Meynung im
mindeſten nicht auf, denn uͤberall iſt nicht die Rede
von einer Billigkeit, wodurch lex ſcripta abgeaͤndert wer-
den ſolle. Die erſte Stelle iſt aus lib 15. Quaeſtionum
des Juriſten Paulus genommen, wo von Erklaͤrung
der Vertraͤge die Rede war 59), und will, daß man
nicht
55)
Gluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. O
[210]1. Buch. 1. Tit.
nicht bey den Worten ſtehen bleiben, ſondern auf die
Abſicht der Contrahenten ſehen ſolle 60). Die zweite
Stelle enthaͤlt ebenfals eine Erklaͤrungsregel fuͤr den
Richter, und der Sinn iſt: der Richter ſolle nicht nach
den Worten, ſondern nach der Abſicht und dem Willen
der Geſetze und Verordnungen entſcheiden. Die lezte
Stelle endlich iſt aus L. 7. pr. D. de reſtit. in integr.
zu erklaͤren, denn beyde ſind aus lib. 3. Digeſtor. mar-
celli genommen. Aus dieſer Verbindung ſieht man,
daß von dem Fall die Rede war, wo Jemand, welcher
im Gericht, ſeiner Sache wegen die Nothdurft zu beob,
achten, war aufgerufen worden, ſich nicht gemeldet,
und daher wegen Verſaͤumnis ſein Recht verlohren hat-
te. Er hatte den Aufruf nicht gehoͤrt, und nach den
Umſtaͤnden, ohne ſein Verſchulden, nicht hoͤren koͤnnen,
und ſuchte daher die Wiederherſtellung in den vorigen
Stand. Nichts iſt billiger, als daß hier der Par-
they, welche ohne ihr Verſchulden um ihr Recht gekom-
men, geholfen werde; daher auch Kr. Antonin ihr
ſolche durch ſein Reſcript angedeihen laͤſſet 61). Hier
iſt alſo eben ſo wenig, wie in den vorhergehender Ge-
ſezſtellen, zu befinden, daß ein Richter, als ſolcher,
ſich herausnehmen duͤrfe, Geſetze, die er fuͤr unbillig
haͤlt, nicht zu befolgen, vielmehr ergiebt ſich aus den
angefuͤhrten ſowohl, als andern Stellen des roͤmiſchen
Geſezbuchs, daß die dem Richter von den Geſetzen ſelbſt
empfohlene Billigkeit darinn beſtehe:
- 1) Daß er nie bey den Worten des Geſetzes ſtehen
bleibe, ſondern uͤberall auf die Abſicht ſehe, wel-
che
[211]de Iuſtitia et Iure.
che durch das Geſez unmittelbar erreicht werden
ſoll. Benignius leges interpretandae ſunt, ſagt
Celſus62), quo voluntas earum conſervetur. - 2) auf die Umſtaͤnde der Sache Ruͤckſicht nehme.
Sind dieſe beſondern Umſtaͤnde ſo beſchaffen, daß
man nicht zweifeln kann, der Geſezgeber wuͤrde fuͤr
dieſen beſondern Fall eine Ausnahme beſtimmt haben,
wenn er ihn ſo, wie er ſich zugetragen hat, voraus-
geſehen haͤtte; ſo iſt es die Pflicht eines billigen Rich-
ters auf den Grund des Geſetzes zum Vortheile deſ-
ſen Ruͤckſicht zu nehmen, der ſonſt einen unverdienten
Nachtheil erleiden wuͤrde. Nulla enim iuris ratio,
ſagt Modeſtin63), aut aequitatis benignitas pati-
tur, ut, quae ſalubriter pro utilitate hominum in-
troducuntur, ea nos duriore interpretatione con-
tra ipſorum commodum producamus ad ſeveritatem. - 3) Daß er auf die beſondern Eigenſchaften und
Verhaͤltniſſe der Perſohnen Ruͤckſicht neh-
me. Et omnino, ſo reſcribirt K. Antonin64),
ex perſonarum conditione, et rerum qualitate, di-
ligenter aeſtimandae ſunt poenae, ne quid aut du-
rius aut remiſſius conſtituatur, quam cauſa po-
ſtulabit. Allein nicht blos Criminal-Faͤlle, ſondern
auch buͤrgerliche Verbindungen ſind, vorzuͤglich aber
die haͤußliche Geſellſchaft, nach den Regeln der Bil-
ligkeit zu beurtheilen. So muͤſſen z. B. die Rechte
O 2der
[212]1. Buch. 1. Tit.
der Eheleuthe, der Aeltern gegen die Kinder, und
der Herrſchaft gegen das Geſinde immer mit Ruͤck-
ſicht auf die beſondern Eigenſchaften, Umſtaͤnde und
Beduͤrfniſſe der Perſohnen beſtimmt werden. Wenn
daher der Knecht uͤber ſeinen Herrn Klage fuͤhrte,
daß dieſer ihm allzuſchwere Arbeit auflege; ſo muͤßte
der Richter ſowohl die Beduͤrfniſſe des Herrn, als
die perſoͤhnlichen Eigenſchaften des Knechts erwaͤgen,
und hiernach ſein Urtheil ſprechen. Weiter beſtehet
auch die Erklaͤrung nach der Billigkeit darinn - 4) daß in zweifelhaften Faͤllen, wo es weder
der ausdehnenden noch der einſchraͤnkenden Erklaͤrung
an Gruͤnden fehlt, jedoch keine derſelben etwas uͤber-
wiegendes fuͤr ſich hat, der Richter mehr geneigt
ſeyn muͤſſe, die gelindere Meynung vorzuziehen,
d. i. diejenige Erklaͤrung anzunehmen, die am meiſten
mit dem Naturrechte uͤbereinkommt, oder wenigſtens
von der Strenge am meiſten entfernt iſt 65); Mithin - 5) in Civil-Faͤllen diejenige Art der Auslegung vor-
dringen laſſe, nach welcher die Handlung, uͤber deren
Guͤltigkeit geſtritten wird, eher bey Kraͤften erhalten,
als zernichtet wird 66); hingegen
6)
[213]de Iuſtitia et Iure.
- 6) in Straf- und Criminal-Faͤllen geneigter ſey, zu
abſolviren als zu verurtheilen, oder die Strafe eher
zu mildern als zu ſchaͤrfen 67).
§. 31.
Eintheilung der Geſezerklaͤrung in die legale und
doctrinelle.
Die Auslegung dunkler Geſetze geſchiehet nun ent-
weder vom Geſezgeber ſelbſt, oder iſt wenigſtens vom
Geſezgeber gebilliget, oder ſie geſchiehet blos von einem
Rechtsgelehrten mit Huͤlfe und Anwendung der Regeln
der Auslegungskunſt (Hermenevtic). In den beyden er-
ſtern Faͤllen wird die Interpretation eine legale, im
leztern Falle aber eine Doctrinalerklaͤrung genennt.
Von den erſtern wird §§ 32. und 33. von den leztern
aber §. 34. bis 38. gehandelt.
§. 32.
Von der Avthentiſchen- und Uſualinterpretation.
Die legale Geſezerklaͤrung wird nach der gewoͤhn-
lichen Lehre der Rechtsgelehrten wieder in die avthen-
tiſche und uſual Interpretation eingetheilt. Je-
ne iſt, wenn der Geſezgeber ſeinen Willen, wie das
dunkele Geſez zu verſtehen ſeyn ſoll, ſelbſt erklaͤrt; die-
ſe aber, wenn der Geſezgeber eine in Gerichten ange-
nommene Erklaͤrung eines dunkelen Geſetzes entweder
ausdruͤcklich oder ſtillſchweigend billiget. Gegen dieſe
Eintheilung wird zwar verſchiedenes nicht ohne Grund
von einigen Rechtsgelehrten eingewendet, welche ſie nicht
fuͤr aͤchte Gattungen der Interpretation anſehen wollen,
O 3weil
[214]1. Buch. 1. Tit.
weil der Geſezgeber nicht wie ein Rechtsgelehrter an die
Regeln der Auslegungskunſt gebunden ſey, ſondern den
Sinn eines dunkeln Geſetzes nach Willkuͤhr beſtimmen
koͤnne; mithin in dem Falle vielmehr ein neu Geſez gege-
ben werde, wo man dem Oberherrn eine avthentiſche
Interpretation zuſchreibt; die Uſualerklaͤrung aber viel-
mehr fuͤr eine Art des Gewohnheirsrechts anzuſehen
ſey. In beyden Faͤllen beruhe alſo die Kraft der In-
terpretation nicht ſowohl auf richtiger Beſtimmung des
Sinnes eines dunkeln Geſetzes, ſie weiche vielmehr oͤf-
ters von dem richtigen Sinne des Geſetzes ganz ab,
ſondern die avthentiſche Geſezerklaͤrung gruͤnde ſich auf
das Anſehen des Geſezgebers, von welchem ſie geſche-
hen, die Uſualinterpretation aber auf die Obſervanz und
den Gerichtsbrauch 68). Allein da beyde Arten der
Geſezerklaͤrung in den roͤmiſchen Geſetzen ſelbſt als ſol-
che anerkannt ſind 69); und uͤberdies dem Geſezgeber
die Abſicht wohl am beſten bekannt ſeyn muß, die er
unmittelbar durch die Worte des Geſetzes erklaͤren woll-
te, ſo kann jene Eintheilung allerdings beybehalten
werden 70). Wir bemerken uͤbrigens noch folgendes:
1)
[215]de Iuſtitia et Iure.
- 1) Da jedem Richter vermoͤge ſeines Amts das Recht
zuſtehet, Geſetze zu erklaͤren, ſo lange er nach rich-
tigen Regeln der Auslegung den wahren Verſtand
derſelben zu beſtimmen vermag; ſo folgt, daß zur
Nothwendigkeit einer avthentiſchen Interpretation nur
ſodann geſchritten werden duͤrfe, wenn der Sinn ei-
nes Geſetzes ſo zweifelhaft iſt, daß er ſich ſchlechter-
dings nicht nach vernuͤnftigen Regeln der Auslegung
mit Gewißheit beſtimmen laͤſſet. - 2) Unter dieſer Vorausſetzung findet auch nur bey
denen Privilegien die avthentiſche Auslegung
ſtatt 71). Denn diejenigen ſchraͤnken offenbar die
Grenzen der richterlichen Gewalt zu ſehr ein, welche
den Richter in einem jeden Falle, da uͤber den Ver-
ſtand eines Privilegiums ſich Zweifel ereignen, zum
Throne des Landesherrn verweiſen wollen 72). - 3) Ob aber ein ſolcher Fall vorhanden ſey, wo eine
interpretatio avthentica vom Geſezgeber ſelbſt zu
erwarten, kommt nicht ſowohl auf die Aeuſſerung der
einen oder der andern ſtreitenden Parthey, oder de-
ren Sachwalters, ſondern auf das arbitrium iudi-
cis ſelber an.
O 44)
[216]1. Buch. 1. Tit.
- 4) Auch die avthentiſche Erklaͤrung muß dem Sinne und
den Worten des Geſetzes gemaͤß ſeyn; denn indem
ſie davon gaͤnzlich abweicht, iſt keine Interpretation,
ſondern nun ein neues Geſez vorhanden, auf welchen
Unterſchied ſehr viel ankommt, wenn von der An-
wendung auf vorhergegangene Handlungen 73) die
Frage entſtehet. (S. 145.) Endlich - 5) Da die avthentiſche Erklaͤrung ein Theil der geſez-
gebenden Gewalt iſt, ſo ſtehet ſie nur dem Landes-
herrn ſelbſt, aber keinesweges den hoͤchſten Gerichten
in einem Lande zu 74)
Soviel hiernaͤchſt die Uſualerklaͤrung anbetrift,
ſo ſezt nun dieſe voraus,
- 1) daß das Geſez wirklich dunkel oder zweifelhaft
ſey; denn iſt das Geſez klar, und liegt ein of-
fenbarer Irthum bey dieſer Auslegung zum Grun-
de, ſo kann ſie keine legale Auctoritaͤt behau-
pten 75). - 2) Sie erfordert die Eigenſchaften eines guͤltigen
Gewohnheitsrechts.
§. 33.
Uſualerklaͤrung iſt ein Theil der gerichtlichen Obſervanz.
Wenn man unter dem Gerichtsgebrauch (obſer-
vantia iudicialis) die in den Gerichten bey der Be-
handlung und Entſcheidung ſtreitiger Rechtsfaͤlle ange-
nommene Gewohnheiten verſtehet, die man bisher und
ſchon ſeit langer Zeit auf eine gleichfoͤrmige Art beob-
achtet
[217]de Iuſtitia et Iure.
achtet hat; ſo kann wohl dieſe nicht als ein Theil der
Uſualinterpretation, ſondern leztere vielmehr als ein
Theil der erſtern angeſehen werden. Denn die gericht-
liche Obſervanz betrift entweder blos die Procesform,
d. i. die Art und Weiſe, ſein Recht vor Gericht zu
verfolgen; oder das Recht ſelbſt; und in dieſem leztern
Falle kann ſelbige entweder die Auslegung eines zwei-
felhaften Geſetzes, oder die Entſcheidung eines geſezlich
nicht entſchiedenen Rechtsfalls, die man in den Gerich-
ten angenommen und zeither befolgt hat, zum Vorwurf
haben. Solche Erfahrungen, die von klugen und auf-
geklaͤrten Richtern in der Rechtspflege geſammlet wor-
den ſind, koͤnnen unſtreitig zu Beurtheilung vorkom-
mender Rechtshaͤndel ſichere und gewiſſe Beſtimmungen
darreichen, und haben deſto groͤſern Werth, je weniger
oftmals die allgemeinen Geſetze und Verordnungen einem
Richter und Advocaten befriedigende Auskunft erthei-
len 76). Sie nehmen alsdann, durch die ſtillſchwei-
gende Genehmigung des Landesherrn und die Laͤnge der
Zeit unterſtuͤzt, das Gepraͤge eines Gewohnheitsrechts
an, und verdienen nach den ſchriftlich gegebenen Geſe-
tzen den vorzuͤglichſten Rang 77). Bloſe Urtheile und
O 5Ent-
[218]1. Buch. 1. Tit.
Entſcheidungen der Rechtsſtuͤhle, oder gemeine Meinun-
gen der Rechtsgelehrten, inſofern ſie denen unſtreitig
geltenden Geſetzen entgegen ſind, koͤnnen aber eben ſo
wenig das Anſehen einer gerichtlichen Obſervanz be-
haupten, als den Richter verbinden, dasjenige, was
vormahls in aͤhnlichen Faͤllen erkannt worden, gleichfalls
auch noch jezt zu erkennen, geſezt auch daß noch ſo
lange auf ſolche Art geſprochen worden waͤre 78). Denn
eines Theils ſind Richter eben ſo wenig, als die Rechts-
gelehrten, Geſezgeber; und andern Theils wird der Rich-
ter, wenn er gegen die Praeiudicia ſeiner Vorfahren
ſpricht, ſich immer mit der deutlichen Verordnung des
K. Juſtinians79) decken koͤnnen, welche die Richter
anweißt, nicht darnach zu ſprechen, was hin und wie-
der in aͤhnlichen Faͤllen iſt erkannt worden, ſondern
jederzeit die Geſetze ſelbſt zur Richtſchnur zu nehmen.
Hieraus wird ſich nun leicht beurtheilen laſſen, was von
der Behauptung derjenigen zu halten ſey, welche den
verliehrenden Theil von Erſtattung der Proceßkoſten be-
freyet wiſſen wollen, wenn derſelbe die gemeine Meinung
der
[219]de Iuſtitia et Iure.
der Rechtsgelehrten, oder ſogenannte praeiudicia, d. i.
Entſcheidungen und Urtheile eines oder verſchiedener
Rechtsſtuͤhle, die in einem aͤhnlichen ſtreitigen Fall er-
theilet worden ſind, fuͤr ſich haͤtte 80). Bey der groſ-
ſen Anzahl von Rechtsgelehrten, die auſſer unſern Au-
ctor (Not. o.) dieſer Lehre zugethan ſind, ſcheint es bey-
nahe eine Verwegenheit zu ſeyn, dagegen Zweifel zu er-
regen. Allein erwaͤgt man, was ſchon ein beruͤhmter
Rechtsgelehrter des vorigen Jahrhunderts 81) mit eben
ſoviel Wahrheit als Freymuͤthigkeit ſagte, daß gemeine
Meinungen der Rechtsgelehrten nicht ſelten gemeine Ir-
thuͤmer ſind, und daß ſich bey dem groſſen Vorrath iu-
riſtiſcher Schriften ſchwer beſtimmen laſſe, welche Mei-
nung fuͤr eine allgemeine zu halten ſey; daß es ferner
bey den Meinungen der Rechtsgelehrten nicht darauf an-
komme, was ſie behaupten, oder wie viele unter ihnen
einen Saz annehmen, ſondern ob und in wiefern Ge-
ſeze und Rechtsgruͤnde ihren Lehren beyſtim-
men82); ſo iſt in keinem Betrachte abzuſehen, wie
das bloſe Anſehen der Rechtsgelehrten den verlieh-
renden Theil gegen die Verguͤtung der Unkoſten ſchuͤtzen
koͤnne, da er weiß, daß der Richter nicht nach Meinun-
gen der Rechtsgelehrten, ſondern nur nach Geſetzen und
deren Analogie urtheilen duͤrfe. Bedenkt man ferner,
daß, wenn die Entſcheidung des Richters gegen die an-
gefuͤhrten praeiudicia iuris ausfaͤllt, ſodann vermoͤge
des Urtheils der verliehrende Theil als derjenige zu be-
han-
[220]1. Buch. 1. Tit.
handeln ſey, der ohne Beyſtand des Rechts, das, was
in andern Faͤllen erkannt worden, gebraucht, mithin in
iure geirret hat, daß uͤberdies dieſer Irthum ein ſol-
cher iſt, welchen der Sachfaͤllige Theil haͤtte vermeiden
koͤnnen, wenn er die Thatumſtaͤnde und Rechtsgruͤnde
der beygebrachten Entſcheidungen ſorgfaͤltiger gepruͤft,
und mit ſeiner eigenen Rechtsſache verglichen haͤtte; daß
es endlich offenbar ungerecht iſt, wenn der obſiegende
Gegner einen ſolchen nicht zu entſchuldigenden Irrthum
des andern Theils mit ſeinem Schaden durch die Ein-
buſſe der Proceßkoſten entgelten ſolle; erwaͤgt man alles
dieſes ohne Vorurtheil, ſo wird man es gewiß nicht un-
billig finden, wenn man in unſern Tagen jene alte Lehr-
meinung auszurotten angefangen hat 83).
Daß uͤbrigens die Meinungen angeſehener und be-
waͤhrter Rechtsgelehrten in ſolchen zweifelhaften Rechts-
faͤllen, die in den Geſetzen entweder gar nicht, oder
nicht deutlich entſchieden ſind, wenn ſie mit der Ana-
logie des buͤrgerlichen Rechts, oder mit den Grundſaͤ-
tzen des natuͤrlichen Rechts uͤbereinkommen, nicht zu
verachten ſind, hat keinen Zweifel 84).
Zulezt bemerkt unſer Auctor noch, daß eine Ob-
ſervanz, worin alle oder wenigſtens die meiſten Rechts-
collegia mit einander uͤbereinkommen, Praxis genennt
werde. Man verwechſele jedoch hiermit nicht diejenige
Bedeutung des Worts Praxis, von der ich oben beym
§. 27. gehandelt habe.
Uebri-
[221]de Iuſtitia et Iure.
Uebrigens ſind nun durch den Gerichtsgebrauch oder
eigentlich durch eine Uſualerklaͤrung viele neue Rechtsleh-
ren und Rechtsmittel eingefuͤhret worden, von denen
ich z. B. nur die Provocation ex lege diffamari und
ex lege ſi contendat, ferner das iuramentum per-
horreſcentiae nennen will, andere mehrere zu ge-
ſchweigen.
§. 34.
Verſchiedene Arten der Doctrinalerklaͤrung.
Die Doctrinalerklaͤrung der Geſetze iſt wie-
der zweierley. Sie iſt entweder bemuͤht, den Sinn ei-
nes Geſetzes blos aus denen Worten deſſelben, und de-
ren Bedeutung zu beſtimmen; oder ſie unterſucht den
Zweck und Abſicht des Geſezgebers, und beſtimmt den
Sinn des Geſetzes aus dem Grunde deſſelben. Jene
wird die grammatiſche, von andern auch die phi-
lologiſche; dieſe aber die logiſche oder philoſo-
phiſche Erklaͤrung genennt 85). Leztere geſchiehet,
wenn die philologiſche oder grammatiſche vollendet iſt,
und kann ohne dieſe nicht beſtehen. Es darf jedoch
auch die grammatiſche Erklaͤrung von der logiſchen nicht
getrennt werden 86). Denn eine blos grammatiſche
Auslegung, welche Worte klaubt, und nach Spizfindig-
keit haſcht, dabey aber die Abſicht des Geſezgebers ver-
fehlt, iſt Chikane 87), oder wie Cicero88) die Sache
rich-
[222]1. B. 1. Tit.
richtig ausdruckt, callida et malitioſa iuris interpreta-
tio. Dieſen beiden Arten der doctrinalen Geſetzerklaͤ-
rung fuͤgen viele 89) noch eine dritte Gattung bey, wel-
che ſie die politiſche Geſezerklaͤrung nennen. Man
verſtehet darunter diejenige Erklaͤrungsart, welche unter-
ſucht, ob und in wiefern die Geſetze, deren wir uns
bedienen, dem heutigen Zuſtande und Verfaſſung unſe-
rer Zeiten angemeſſen, und dahero anwendbar ſeyn
oder nicht. Daß dieſe Erklaͤrungsart, welche bey Ent-
wickelung des wahren Sinnes der Geſetze, auf die Sit-
ten und Verfaſſungen derjenigen Zeiten Ruͤckſicht nimmt,
fuͤr welche ſie urſpruͤnglich ſind gegeben worden, von gro-
ſer Wichtigkeit, ja unentbehrlich ſey, um ſowohl von
denen in Teutſchland geltenden fremden, als auch ein-
heimiſchen aͤltern Geſetzen z. B. der peinlichen Gerichts-
ordnung Carls V. eine richtige Anwendung zu machen,
hat keinen Zweifel. Denn ſo kommen z. B. in dem
roͤmiſchen Geſezbuche viele Verordnungen vor, die ſich
auf blos roͤmiſche in Teutſchland ganz unbekannte Sit-
ten und Verfaſſungen beziehen, desgleichen Geſetze, die
nach Heidenthum und Deſpotismus der heidniſchen Kai-
ſer ſchmecken, und auf chriſtliche Staaten durchaus kei-
ne Anwendung leiden 90). Eben ſo macht auch der ſeit
den
[223]de Iuſtitia et Iure.
den Zeiten Carls V. ſehr veraͤnderte Zuſtand der teut-
ſchen Staaten viele Verordnungen der P. Gerichtsord-
nung heutiges Tages ganz unanwendbar. Allein deswe-
gen glaube ich doch nicht, daß die ſogenante politi-
ſche Geſezauslegung eine beſondere Gattung der
Geſezerklaͤrung ausmache, ſondern ich rechne ſie mit zur
philoſophiſchen.
§. 35.
Grundſaͤtze der grammatiſchen Geſezerklaͤrung. Juriſti-
ſche Critic.
Alle vernuͤnftige Geſezerklaͤrung muß nun alſo
von grammatiſcher Entwickelung des Wort-
verſtandes ihren Anfang nehmen. Denn Worte
find Zeichen der Gedanken, und das Mittel, den Wil-
len des Geſetzes zu erkennen 91). Den Sinn der
Worte aber beſtimmt der Sprachgebrauch, welcher,
wie der Werth der Muͤnzen, bald ein allgemeiner,
bald ein beſonderer ſeyn kann. Da jedoch Abwei-
chung vom allgemeinen Sprachgebrauch im Zweifel nicht
vermuthet wird, ſo bildet ſich nun hieraus die erſte Re-
gel der grammatiſchen Geſezauslegung: Worte eines
Geſetzes muͤſſen ſo lang in dem Sinn genom-
men werden, den ſie, nach dem gewoͤhnlichen
Redegebrauch der Nation, fuͤr welche das
Geſez beſtimmt war, haben, bis andere zu-
ſammentreffende beſondere Umſtaͤnde einen
andern nothwendig machen. Iſt aber lezterer
Fall vorhanden, ſo muß alsdann der beſon-
dere
[224]1. Buch. 1. Tit.
dere Redegebrauch des Geſezgebers ausge-
mittelt, und zum Maasſtab genommen wer-
den92).
Worte koͤnnen ferner in dieſer oder jener Zuſam-
menſetzung oft einen ganz andern Sinn enthalten, als
ihnen der Redegebrauch einzeln beylegte. So wie es
nun bey Muͤnzen iſt, daß nicht blos der Werth der
einzelnen Scheidemuͤnze, ſondern zugleich auch das Ver-
haͤltnis, das zwiſchen ihnen und den groͤbern Sorten
der Gebrauch feſtſezt, den Werth der leztern beſtimmt;
ſo haͤngt nun gleichfalls der Sinn einer Rede nicht
blos von dem Sinne der einzelnen Worte, ſondern zu-
gleich von dem Werthe ab, den ihnen in ihrer Verbin-
dung der Redegebrauch beylegt. Hieraus ergiebt ſich
die zweite Regel der grammatiſchen Geſezerklaͤrung:
Worte eines Geſetzes ſind jederzeit in dem-
jenigen Sinne zu erklaͤren, den ihnen der
Sprachgebrauch in der Verbindung, welche
ſie in dem Geſez haben, beygelegt hat. Da
aber zuweilen Worte auch in ihrer Verbindung einen
verſchiedenen Sinn zulaſſen, woraus Zweydeutigkeit der
Rede entſtehet, ſo iſt nun alsdann, welches die dritte
Regel iſt, diejenige Bedeutung anzunehmen,
welche mit dem Gegenſtande, wovon das Ge-
ſez redet, d. i. mit dem Subject und deſſel-
ben Praͤdicat am beſten uͤbereinſtimmt93).
Auch
[225]de Iuſtitia et Iure.
Auch giebt uns ferner der Grundſaz des gemeinen
Menſchenverſtandes, nicht gedankenlos zu reden, eine
vierte Regel an die Hand: daß im Zweifel kein
Wort umſonſt im Geſez zu ſtehen vermuthet
werden koͤnne, ſondern in jedem ein Aus-
druck, Beſtimmung oder Aufklaͤrung des Wil-
lens des Geſezgebers, und zwar derjenige
zu ſuchen ſey, der dieſem Wort entſpricht94).
Da uͤbrigens unſere Geſezbuͤcher, beſonders das roͤmiſche
und kanoniſche, aus den Geſetzen ſehr verſchiedener Zeit.
alter und Verfaſſer ſind zuſammengetragen worden, ſo
verſtehet ſich daraus, welches die fuͤnfte Regel iſt, daß
die Worte der Geſetze jederzeit nach denjeni-
gen Redegebrauch zu erklaͤren ſind, welcher
zu der Zeit, da dieſelbe gegeben worden,
und unter der Claſſe von Leuten, die ihre
Verfaſſer waren, uͤblich geweſen iſt. Man
darf in der That nur wenig Beleſenheit in den roͤmi-
ſchen Claſſikern haben, ſo wird man bald einen groſen
Unterſchied zwiſchen der Latinitaͤt der roͤmiſchen Rechts-
gelehr-
93)
Gluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. P
[226]1. Buch. 1. Tit.
gelehrten, aus deren Schriften die Inſtitutionen und
Pandecten des K. Juſtinians compilirt worden ſind,
und derjenigen lateiniſchen Schreibart gewahr werden,
welche in den Verordnungen der chriſtlichen Kaiſer und
der roͤmiſchen Paͤbſte herrſcht. Jene iſt noch immer
aͤchte roͤmiſche Schreibart und Zuſammenſetzung 95),
wenn auch gleich der Ausdruck nicht immer ciceronia-
niſch iſt 96), allein in den Verordnungen der chriſtli-
chen Kaiſer leuchtet ſchon uͤberall das ſogenannte patri-
ſtiſche, oder Kirchenlatein hervor 97), doch immer noch
ertraͤglicher, als die in den Verordnungen der Paͤbſte
herrſchende, ſchlechte, und mit den groͤbſten Idiotismen
und Barbarismen verunſtaltete Schreibart, die man
uͤberhaupt durch Moͤnchlatein auszudrucken pflegt 98).
So
[227]de Iuſtitia et Iure.
So unangenehm auch ein ſolches Studium iſt, ſo we-
nig kann man doch ohne dieſe Kenntniſſe bey Erklaͤrung
jener Geſetze fortkommen. Selbſt der Styl der aͤltern
roͤmiſchen Rechtsgelehrten in unſern Inſtitutionen und
Pandecten iſt ſehr verſchieden, je naͤher dem Zeitalter
des Cicero, deſto zierlicher; oft aber auch ſehr kurz,
und ſchwer zu verſtehen, wie z. B. in denen Fragmen-
ten des Africanus, Paulus, Papinians und
Scaͤvola99). Nicht ſelten miſcht ſich auch die
Schreibart des Tribonians und ſeiner Gehuͤlfen ein;
hierdurch ſind manche Barbarismen in die Fragmente
der roͤmiſchen Juriſten gebracht worden, deren man ſie
unbillig beſchuldiget hat 100). Ueberhaupt iſt es bey
der grammatiſchen Erklaͤrung der Geſetze des roͤmiſchen
und kanoniſchen Rechtskoͤrpers eine Bemerkung von gro-
ſer Wichtigkeit, daß man immer die Worte des Ver-
faſſers von den Worten des Compilators unterſcheide,
und den Sinn des Auctors einer zu erklaͤrenden Geſez-
ſtelle nicht mit dem untergeſchobenen Sinne des Com-
pilators verwechſele, welcher oft von jenem ganz ver-
ſchieden iſt 1). Um nun in jedem Falle diejenigen Be-
P 2deu-
[228]1. Buch. 1. Tit.
deutungen der Worte eines Geſetzes zu finden, welche
ſie in der Verbindung, die ſie in dem Geſez haben, zu
der Zeit, da daſſelbe iſt gegeben worden, gehabt haben,
ſo dienen uns nun zwar hierbey vorzuͤglich diejenige Schrif-
ten, welche uns mit dem geſezlichen Sprachgebrauch
bekannt machen 2); jedoch duͤrfen auch andere Huͤlfs-
mittel,
1)
[229]de Iuſtitia et Iure.
mittel, als Paralelſtellen; desgleichen Ueberſetzungen,
nicht blos griechiſche, wie Theophilus von Juſtinians
Inſtitutionen, und die uͤbrigen Verfaſſer der Juſtinia-
neiſchen Geſezbuͤcher von den Pandecten und Codex ge-
liefert haben, aus welchen die Baſiliken des Kaiſers
Leo groͤſtentheils compiliret worden ſind; ſondern auch
aͤchtlateiniſche, wie die Haloandriniſche und Hom-
bergkiſche von denen griechiſchen Novellen des Kr. Ju-
ſtinians; ja auch wohlgerathene und nach richtigen
Grundſaͤtzen der grammatiſchen Interpretation geſchrie-
bene teutſche Ueberſetzungen, wie z. B. der ohnlaͤngſt
erſchienene Verſuch uͤber des zweiten Buchs vierzehnden
Titel von Vertraͤgen, nicht hintangeſetzet wer-
den 3). Auch ſind die Gloſſen ſowohl des civil - als
kanoniſchen Rechts nicht ganz zu verwerfen 4). Ein
P 3vor-
2)
[230]1. Buch. 1. Tit.
vortrefliches Huͤlfsmittel, den wahren und urſpruͤngli-
chen Verſtand eines Geſetzes zu ergruͤnden, iſt jedoch
die Vergleichung aller der aus eben demſelben Buch ei-
nes Rechtsgelehrten genommenen Stellen in denen Pan-
decten mittelſt ihrer Inſcription; desgleichen die Ver-
bindung derjenigen Conſtitutionen des Juſtinianeiſchen
Codex, welche einerley Ueberſchrift und Unterſchrift ha-
ben, auch urſpruͤnglich zuſammengehoͤrten, von den
Compilatoren aber getrennt worden ſind 5), wobey
AbrahamWielingsiurisprudentia reſtituta Amſter-
dam 1727. 8. und C. F. HommelsPalingeneſia
librorum iuris veterum, Leipzig 1767. und 1768. Tomi
III. dem Geſezausleger groſen Nutzen leiſten.
Es beſchaͤftiget ſich jedoch die grammatiſche Geſez-
erklaͤrung nicht bloß allein mit der B[e]ſtimmung des
Wortverſtandes, und Bedeutung der Worte, ſondern
ſie hat auch noch ein zwotes wichtiges Geſchaͤft, wel-
ches in Berichtigung und Verbeſſerung des Textes, wenn
derſelbe verdorben, deßgleichen in Unterſcheidung des
Aechten von dem Falſchen beſtehet, inſofern der Text
interpolirt ſeyn ſollte. Man nennt dieſen Theil der
grammatiſchen Geſezauslegung, welcher in Herſtellung
der Richtigkeit des Textes beſtehet, die juriſtiſche
Critie6). Dieſelbe kann von der grammatiſchen In-
ter-
[231]de Iuſtitia et Iure.
terpretation nicht getrennt werden, weil ohne dieſe der
wahre Wortverſtand eines Geſetzes, den man durch
die Sprachkenntnis bekommt, weder feſtgeſezt, noch
ein ſicherer Grund gelegt werden kann, den eigentlichen
Sinn des Geſetzes zu beſtimmen, ſo lang nicht gewiß
iſt, daß der Text richtig ſey. Dieſe juriſtiſche Critie
iſt nun zwar in jedem Theile der Rechtsgelahrtheit noͤ-
thig, jedoch nirgends mehr, als bey Erklaͤrung der
Geſetze des roͤmiſchen und kanoniſchen Rechtskoͤrpers.
Man darf ſich auch hieruͤber eben nicht wundern. Denn
erſtlich ſind die Compilatoren beyder Geſezbuͤcher mit den
Geſetzen, die ſie ſammleten, oft ſehr willkuͤhrlich ver-
fahren; ſtatt ſie zu excerpiren, und einen kernhaften
Auszug aus denſelben darzuſtellen, haben ſie dieſelben
zuweilen ganz verſtuͤmmelt, oft Geſetze zerſchnitten, und
die einzelnen Stuͤcke unter ganz verſchiedene Titel ge-
bracht, oft mehrere, welche ihnen gleichen Inhalts zu
ſeyn ſchienen, in eins zuſammengeſchmolzen, und dadurch
die Geſetze nicht wenig verdunkelt. Nicht ſelten haben
ſie auch weſentliche Veraͤnderungen in denen Worten
der Geſetze ſelbſt vorgenommen, manches hinzugeſezt,
manches weggelaſſen, und hierdurch den Geſetzen zuwei-
len einen ganz andern Sinn beygelegt. Man nennt
dergleichen Interpolationen und Veraͤnderungen, welche
die Compilatoren unſerer Geſezbuͤcher in den Worten
der Geſetze vorgenommen, Emblemata Triboniani, Em-
blemata Gratiani und Raymundi7). Zudem ſind zwei-
P 4tens
[232]1. B. 1. Tit.
tens unſere Geſezbuͤcher mancherley Abſchreibern und un-
wiſſenden Leuten in die Haͤnde gefallen, die dasjenige,
was ihnen dictiret wurde, oder ſie ſelbſt abſchrieben,
oft eben ſo wenig verſtanden, als abgerichtete Voͤgel
das Liedgen, was ſie uns vorſingen. Dieſe haben durch
ihre Unwiſſenheit nicht nur die Worte der Geſetze hin
und wieder verdorben, ſondern auch nicht ſelten Rand-
gloſſen mit in den Text hineingebracht, und hierdurch
die Geſetze nicht wenig verdunkelt 8). Sie haben uͤber-
dies bey denen Fragmenten ex libris ad Edictum die
Worte des Edicts von den Worten des roͤm. Rechts-
gelehrten, wodurch er daſſelbe erlaͤutern wollte; desglei-
chen bey denen Stellen ex libris Reſponſorum et Quae-
ſtionum die Worte des Anfragenden von der Antwort
oder ertheilten Belehrung des Rechtsgelehrten nicht im-
mer genau genug unterſchieden 9). Auch ſind durch un-
richtige Interpunction, Trennung zuſammengehoͤriger
oder Zuſammenfuͤgung unterſchiedener Woͤrter; nicht
weniger durch fehlerhafte Abtheilung der Paragraphen
eines Geſetzes 10) viele Stellen unſers roͤmiſchen Rechts-
koͤr-
7)
[233]de Iuſtitia et Iure.
koͤrpers verunſtaltet worden. Doch wer vermag ſie al-
le zu erzaͤhlen die vielerley Unrichtigkeiten, die durch
Unwiſſenheit und Nachlaͤſſigkeit der Abſchreiber und Buch-
drucker ſich in unſere Geſezbuͤcher eingeſchlichen haben.
Die Pflichten des critiſchen Geſezauslegers ſind
nun:
- 1) die von den Compilatoren verſtuͤmmelten Geſeztexte
aus den Quellen zu ergaͤnzen und herzuſtellen, - 2) zu unterſuchen, ob und in wiefern ein Geſez von
den Compilatoren interpolirt worden ſey. Zwar duͤr-
fen freylich die ſogenannte Emblemata Compilato-
rum nicht verworfen werden, da, wo die veraͤnderte
Staats, und Rechtsverfaſſung, dergleichen Veraͤnde-
rungen in denen Gefetzen nothwendig machte, zumahl
die Verfaſſer unſrer Geſezbuͤcher hierzu authoriſirt
waren; allein es iſt doch auch gewiß, daß zur
richtigen Beſtimmung des Wortverſtandes dem Aus-
leger zu wiſſen unumgaͤnglich noͤthig iſt, was in
dem Geſez von dem Urheber ſelbſt und was vom
Compilator iſt, wenn er nicht in unvermeidliche Wi-
derſpruͤche und unaufloͤsliche Schwierigkeiten gerathen
will . Nur muß hierin nach richtigen Erkennt-
P 5nis-
10)
[234]1. Buch. 1. Tit.
nisgruͤnden verfahren werden, damit man nicht Em-
blemata zu finden vermeinet, wo doch dergleichen
wirklich nicht vorhanden ſind 12). Hierzu wird nun
freylich eine genaue Kenntniß von der Chronologie
der roͤmiſchen Rechtsgelahrtheit, und fleißige Ver-
gleichung der Quellen, aus denen die Compilatoren
geſchoͤpft haben, vorzuͤglich der Fragmente des An-
tejuſtinianeiſchen roͤmiſchen Rechts, d. i. der Ueber-
bleibſel, die wir noch von einigen Schriften der aͤl-
tern roͤmiſchen Rechtsgelehrten, desgleichen vom
Gregorianiſchen, Hermogenianiſchen und Theodoſia-
niſchen Codex haben, erfordert, um zu beurtheilen,
ob das Recht, was uns unter der Aufſchrift eines
roͤm. Rechtsgelehrten, oder eines Kaiſers vorgetra-
gen wird, wirklich dazumahl uͤblich geweſen ſey.
Die Pflicht des Kritikers iſt weiter, - 3) mit Huͤlfe der Inſcriptionen, welche uͤber den ein-
zelnen Geſetzen der Pandecten und des Codex befind-
lich ſind, ſowohl die von den Compilatoren zerriſſe-
ne Stellen wieder zuſammen zu fuͤgen ſuchen, und
hierdurch den Zuſammenhang der Rede herzuſtellen,
als auch denen ſogenannten Legibus fugitivis ihren
rechten Plaz anzuweiſen, aus welchen die Compila-
toren ſie verdraͤngt haben 13). Nicht weniger
4) die
[235]de Iuſtitia et Iure
- 4) die durch Unwiſſenheit der Abſchreiber in den Text
eingeſchlichene Gloſſeme von den aͤchten Worten der
Geſetze gehoͤrig zu unterſcheiden; und endlich - 5) verdorbene Leſearten zu verbeſſern. Dieſes muß je-
doch immer nur die lezte Zuflucht des critiſchen Ge-
ſezauslegers ſeyn, zu welcher er nie eher ſchreiten
darf, als wenn es die hoͤchſte Noth erfordert. Ei-
ne ſolche Nothwendigkeit aber iſt nur erſt dann vor-
handen, wenn die Worte des Geſetzes, ſo wie ſie
lauten, entweder gar keinen oder einen offenbar wi-
derſprechenden Sinn haben. Man emendire aber
auch beſcheiden, das heiſt, man aͤndere in dem feh-
lerhaften Geſez ſo wenig als moͤglich; dieſes geſchie-
het, wenn man mit Beibehaltung der Worte nur
die Unterſcheidungszeichen aͤndert, oder einzelne
Worte zuſammenfuͤgt oder von einander trennt, oder
einzelne Sylben oder Buchſtaben in den Worten aͤn-
dert. Es laſſen ſich jedoch hiervon keine allgemeine
Regeln geben; wolte man ins Detail gehen, ſo wuͤr-
den die Regeln eben ſo unzaͤhlig ſeyn, als die Ur-
ſachen der fehlerhaften Leſearten ſind 14). Die
Huͤlfsmittel zur Beurtheilung der Richtigkeit des
Tex-
13)
[236]1. Buch. 1. Tit.
Textes und Verbeſſerung deſſelben ſind theils al-
te glaubwuͤrdige Handſchriften 15), theils Ausga-
ben
[237]de Iuſtitia et Iure.
ben 17) von denen juſtinianeiſchen Geſezbuͤchern, die
von bewaͤhrten Handſchriften ſind abgedrukt worden.
Vor-
15)
[238]1. Buch. 1. Tit.
Vorzuͤglich dienen hierzu auch die Ueberreſte von
den Buͤchern der Baſiliken18), denn ſie ſind aus
den griechiſchen Ueberſetzungen und Paraphraſen der
Juſtinianeiſchen Geſezbuͤcher compilirt worden, wel-
che nicht lange nach Juſtinians Zeiten von Maͤnnern
ſind gemacht worden, die zum Theil ſelbſt an den
Text der Juſtin. Geſezſammlungen gearbeitet, und
alſo auch wohl die beſten Handſchriften dabey zum
Grunde gelegt haben 19). Einen groſen Schaz der
treflich-
17)
[239]de Iuſtitia et Iure.
tre[f]lichſten Bemerkungen zur Critic, und Berichti-
gung corrupter Texte wird man endlich in de-
nen Schriften der eleganten Rechtsausleger fin-
den, welche ſie unter den Tituln Obſervationes,
Emendationes, Coniecturae, Probabilia, Lectiones,
Membranae und Reprebenſa20) herausgegeben ha-
ben 21).
§. 36.
Grundſaͤze der logiſchen Geſezerklaͤrung.
Iſt nun ſolchergeſtalt der Wortverſtand eines Ge-
ſetzes nach den Regeln der grammatiſchen Interpretation
ausgemittelt worden, ſo kommt es weiter darauf an,
ob die wahre Abſicht und Willensmeinung des Geſezge-
bers durch die Worte erſchoͤpft ſey, oder nicht. Dieſes
muß aus dem Zweck des Geſezgebers oder der Urſach
beurtheilt werden, weshalb er das Geſez gegeben hat.
Und
[240]1. Buch. 1. Tit.
Und hierin beſtehet nun die logiſche Geſezausle-
gung, welche die Abſicht und den Beweggrund des
Geſezgebers unterſucht, und hieraus beurtheilt, ob man
bey den Worten ſtehen bleiben, oder dieſelben ausdeh-
nen oder einſchraͤnken muͤſſe. Hat nun der Geſezgeber
ſelbſt den Grund hinzugefuͤgt, der ihn bewogen hat,
das Geſez zu geben, ſo hat der Ausleger ſodann keine
weitere Muͤhe, denſelben aufzuſuchen; nur muß es ge-
wiß ſeyn, daß der Geſezgeber den wahren, weſentlichen
Grund im Geſez angefuͤhrt habe. Denn nicht ſelten
finden wir, daß die Geſezgeber aus Staatspolitic ihre
wahre Abſicht verſchweigen, und ihre Geſetze mit aller-
hand Scheingruͤnden zu coloriren ſuchen 22). Iſt aber
der Grund dem Geſetze nicht beygefuͤgt, oder iſt der im
Geſez angefuͤhrte Grund ſo beſchaffen, daß man billig
daran zweifeln muß, ob es der wahre weſentliche Grund
ſey; ſo iſt es Pflicht des Geſezauslegers, denſelben aus-
zuforſchen, und hier muͤſſen ihn die Geſchichte von der
Veranlaſſung des Geſetzes, Kenntnis der damahligen
Staatsverfaſſung, Sitten und Gebraͤuche, auch herr-
ſchend geweſener Meinungen, inſonderheit aber die Phi-
loſo-
[241]de Iuſtitia et Iure.
loſophie ſelbſt zum Wegweiſer dienen 23). Schon oben
(S. 206.) habe ich vorlaͤuſig auch noch einer andern
Quelle erwaͤhnet, woraus man die Abſicht des Geſez-
gebers beurtheilen kann, von welcher ich nun jetzo noch
etwas genauer handeln will. Dieſe iſt die Ordnung
und der Zuſammenhang eines Geſetzes, oder Stelle mit
dem Vorhergehenden und Nachfolgenden des Ganzen,
wovon ſie ein Theil iſt. Zwar kann dieſes Mittel auch
bey der Auslegung einzelner Geſetze, wenn ſie zumahl
aus mehrern Puncten oder Capitteln beſtehen, aller-
dings angewendet werden; wie z. B. bey der Guͤldnen
Bulle, weſtphaͤliſchen Frieden 24) u. d. Allein haupt-
ſaͤchlich findet es doch bey ganzen Geſezbuͤchern ſtatt.
Denn es iſt ganz natuͤrlich, daß wenn eine Menge von
Geſetzen uͤber einerley Gegenſtand unter einem Titul
ſind geſtellet worden, ſolche nothwendig in einem ge-
wiſſen Zuſammenhange unter einander ſtehen muͤſſen.
Jede Auslegung einzelner Stellen, wenn ſie aͤcht ſeyn
ſoll, muß daher ſo geſchehen, daß Harmonie derſelben
mit dem Ganzen, und ſeinen einzelnen Theilen, die
darauf eine Beziehung haben, vorhanden iſt. Ich will
z. B. nur bey den Geſetzen der Pandecten ſtehen blei-
ben. So wenig auch zu laͤugnen iſt, daß in den Pan-
decten uͤberhaupt eine beſſere Ordnung moͤglich geweſen
waͤre,
Gluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. Q
[242]1. Buch. 1. Tit.
waͤre, ſo wenig darf man doch die einmahl darin zum
Grunde gelegte Ordnung bey Auslegung einzelner Stel-
len in denſelben aus den Augen laſſen. Dahero kommt
es, daß man zuweilen ein, wenn gleich in allgemeinen
Ausdruͤcken abgefaßtes Geſez, dennoch wegen der Ord-
nung des Tituls, in welchem es ſteht, blos von ge-
wiſſen beſondern Arten und Faͤllen erklaͤren muß. So
z. B. handelt das ſiebente Buch der Pandecten von
perſoͤhnlichen Dienſtbarkeiten, das folgende achte aber
von Dinglichen, und daher muß der erſte Titul des
leztern, ſeiner allgemeinen Ueberſchrift (de Servitutibus)
ungeachtet, doch nur von dinglichen Dienſtbarkeiten,
folglich auch die LL. 4. 8. 15. 16. und 18. deſſelben
hiervon erklaͤret werden, obſchon ſie von Dienſtbarkeiten
uͤberhaupt zu handeln ſcheinen 25). Nicht weniger fin-
det ſich auch, wenn gleich nicht immer, unter den ein-
zelnen Geſetzen eines Titels eine gewiſſe Doctrinalord-
nung und Verbindung 26), ſo daß oft mehrere derſel-
ben, ob ſie ſchon aus den Schriften ganz verſchiedener
Juriſten genommen ſind, nur eine Periode machen, wo-
von ſogleich die drey erſten Geſetze des erſtern Tituls
der Pandecten ein Beiſpiel liefern. Andere, die zwar
keine Periode zuſammen ausmachen, werden durch die
Verbindungswoͤrter, nam, enim, ſed, autem, vero,
etiam, idem, item igitur, itaque, et, ideo ergo,
imo und dergleichen in Verbindung gebracht 27). Noch
an-
[243]de Iuſtitia et Iure.
andere ſind zwar nicht durch Verbindungswoͤrter, aber
doch durch unverkennbaren Zuſammenhang ihres Inhalts
verbunden 28). Hieraus laͤſſet ſich auch erklaͤren, war-
um Geſetze, die aus den Schriften eines Juriſten ge-
nommen ſind, oft an ganz verſchiedenen Orten ſtehen.
Iſt alſo die Ordnung der Geſetze in den Pandecten
nicht ganz zufaͤllig, ſo folgt, daß man bey Erklaͤrung
derſelben hierauf allerdings Ruͤckſicht zu nehmen ha-
be 29). Dieſe wird uns lehren, daß manches Geſez
der Pandecten wegen des Zuſammenhangs und Gegen-
ſtands des Tituls, unter welchen daſſelbe von den Com-
pilatoren iſt gebracht worden, jezt allgemein zu verſte-
hen ſey, obſchon die darin enthaltene Regel von dem
roͤmiſchen Juriſten, aus deſſen Schriften das Fragment
genommen iſt, blos zu Entſcheidung eines beſondern
Rechtsfalls, oder zur Erlaͤuterung einer beſondern recht-
lichen Materie oder Verordnung urſpruͤnglich iſt ge-
braucht worden 30). Es iſt jedoch bey Anwendung der
Methode, die Geſetze der Pandecten aus ihrer Ord-
nung und ihrem Zuſammenhange zu erklaͤren mit gro-
ſer Behutſamkeit zu verfahren, theils weil Tribonian
nicht uͤberall auf zuſammenhaͤngende Ordnung einzelner
Geſetze dieſelbe Sorgfalt verwandt zu haben ſcheinet,
ſondern in manchen Tituln die Geſetze in keiner andern
Ordnung zuſammengeſezt hat, als in welcher ſie den
Compilatoren bey der Lectuͤre der Schriften der Rechts-
Q 2gelehr-
[244]1. Buch. 1. Tit.
gelehrten vorgekommen ſind 31); theils weil unleugbar
iſt, daß es den Compilatoren an hinlaͤnglicher Geſchick,
lichkeit und Uebung, eine zuſammenhaͤngende philoſophi-
ſche Ordnung zu beobachten, gefehlt hat. Daher denn
in ſolchen Faͤllen, wo ſchlechterdings kein Zuſammen-
hang der zu erklaͤrenden Stelle mit den vorhergehenden
und nachfolgenden Geſetzen ebendeſſelben Tituls zu be-
finden, oder das zu erklaͤrende Geſez in dieſer Verbin-
dung einen offenbaren Widerſpruch oder Ungereimtheit
zur Folge haben wuͤrde, die Cujaziſche Ausle-
gungsart, wobey man auf die Inſeription des Ge-
ſetzes, den Nahmen, Alter, Schreibart und Grundſaͤtze
des Juriſten, von dem es herruͤhrt, ſo wie auf die Zu-
ſammenſtellung deſſelben mit dem ganzen Inhalt des
Buchs, aus dem es gezogen iſt, Ruͤckſicht nimmt, im-
mer ihren vorzuͤglichen Werth behaͤlt 32).
Hat
[245]de Iuſtitia et Iure.
Hat man nun nach dieſen Regeln den wahren
Grund des Geſetzes entdeckt; ſo findet ſich oft, daß
die Abſicht und Willensmeinung des Geſezgebers weiter
gehet, und mehr in ſich faſſet, als die Worte aus-
druͤcken. Hier muß das Geſez nach der Abſicht des
Geſezgebers ausgedehnet, und auf alle diejenigen Faͤlle
angewendet werden, welche zwar in den Worten des
Geſetzes nicht ausgedruckt ſind, bey welchen aber doch
der Grund deſſelben ſtatt findet. So z. B. muß die
Verordnung der Guͤldnen Bulle 33) von der Vormund-
ſchaft unmuͤndiger Curprinzen, und der Verweſerſchaft
der Curlande waͤhrend der Minderjaͤhrigkeit nach dem
Geiſt und Abſicht derſelben allerdings auch auf den
Fall erſtreckt werden, wenn der rechtmaͤſige Beſitzer der
Curlande aus andern Urſachen als wegen Minderjaͤhrig-
keit, z. E. wegen Gemuͤthskrankheit oder Bloͤdſinn zur
Regierung unfaͤhig ſeyn ſollte. Denn der Grund aller
Vormund- und Verweſerſchaft liegt in der vorhande-
nen Unfaͤhigkeit, ſich, ſein Vermoͤgen und ſeine Lande
zu regieren. Iſt es nun nicht einerley, ob dieſe Un-
faͤhigkeit ſich in Minderjaͤhrigkeit oder Gemuͤthskrankheit
und Bloͤdſinn aͤuſſert? Ohne dieſe Ausdehnung wuͤrde
auch der Zweck des Geſetzes, denen damalen ſo haͤu-
figen Streitigkeiten wegen Fuͤhrung der Wahlſtimme
bey einem Zwiſchenreiche zu begegnen, nur halb erreicht
worden ſeyn 34). Oft gehet die Abſicht des Geſezge-
Q 3bers
32)
[246]1. Buch. 1. Tit.
bers nicht auf alles, was der Ausdruck unter ſich be-
greift. Hier iſt das Geſez einſchraͤnkend zu erklaͤren,
und blos von denjenigen Faͤllen zu verſtehen, worauf
der Wille des Geſezgebers unmittelbar abzielt. So
z. B. werden wir in dem Titel der Pandecten de inof-
ficioſo teſtamento zeigen, wie eingeſchraͤnkt das Geſez
verſtanden werden muß, welches ſagt: exheredatus ha-
betur pro mortuo35). Findet ſich’s aber, daß die
Abſicht des Geſezgebers durch die Worte genau er-
ſchoͤpft iſt, ſo muß man bey den Worten des Geſetzes
ſtehen bleiben, und man darf ſodann gerade nur das
zur Norm annehmen, was der Geſezgeber geſagt hat.
So z. B. geſtatten die Geſetze von beneficio compe-
tentiae keine Erweiterung, und das Verboth des Legis
commiſſoriae geht blos auf Verpfaͤndungen. Nach
dem Unterſchied dieſer Faͤlle heißt die logiſche Geſezaus-
legung bald eine ausdehnende, bald einſchraͤn-
kende, bald eine blos erklaͤrende oder declara-
tiviſche, wie der folgende §. unſers Auctors lehrt. Die
Regeln, worauf ſich dieſe Verſchiedenheit der logiſchen
Auslegungsart gruͤndet, ſind folgende zwey: a)Wo
der Grund des Geſetzes eintritt, da muß
auch die Vorſchrift deſſelben beobachtet wer-
den; im Gegentheil b)wo der Grund des Ge-
ſetzes nicht ſtatt findet, da faͤllt auch die
Verordnung deſſelben hinweg. Allein ſo richtig
dieſe beide Regeln an ſich ſind, ſo ſchwer iſt es, ſie
in jedem Falle richtig anzuwenden. Denn oft kommen
Faͤlle vor, wo bey einzelnen Subjecten der Grund ei-
nes
34)
[247]de Iuſtitia et Iure.
nes Geſetzes gaͤnzlich wegfaͤllt; und wo man doch ſehr
unrecht ſchlieſſen wuͤrde, wenn man darum die Verord-
nung deſſelben nicht anwendlich halten wollte 36). Z. B.
ſo verordnet der Macedonianiſche Senatsſchluß, daß
Keinem, welcher einem filiofamilias Geld dargeliehen
haͤtte, weder bey Lebzeiten, noch nach dem Tode des
Vaters eine Klage zuſtehen ſolle, es wieder zu for-
dern 37). Die Abſicht des Geſetzes iſt, damit denen
filiisfamilias die Gelegenheit zur Ausſchweifung und
verſchwenderiſchen Lebensart genommen werde, welche
fuͤr das Leben und Vermoͤgen der Vaͤter die gefaͤhrlich-
ſten Folgen hatte 38). Man ſetze nun: daß das Geld
einem wohlgeſitteten und ſparſamen Sohne, jedoch ohne
Wiſſen und Willen des Vaters, waͤre angeliehen wor-
den, der hierdurch keinesweges zur Liederlichkeit waͤre
verleitet worden, ſondern ſich vielmehr von dem erborg-
ten Gelde etwas angeſchaft. Sollte nun darum wohl
in dieſem Falle die Verordnung des Rathſchluſſes nicht
eintreten, weil der Grund des Geſetzes zu ceſſiren
ſcheint? Keinesweges 39); denn die Verordnung des
Q 4Geſe-
[248]1. Buch. 1. Tit.
ſetzes iſt ganz allgemein. Von der Anwendung ei-
nes allgemein geltenden Geſetzes aber iſt in
einzelnen Faͤllen keine Ausnahme zu machen,
wenn das Unzutreffende des geſezlichen Grun-
des nur aus individuellen und auſſerordent-
lichen Eigenſchaften eines gewiſſen Subjects
hergeleitet wird, das iſt, wenn nur gerade ein
oder anderes individuum diejenige Beſchaffenheit nicht
haben ſollte, welche ſonſt gewoͤhnlich bey Perſohnen,
Sachen und Handlungen dieſer Art einzutreten pflegt,
und eben darum einen Beweggrund des Geſetzes aus-
macht 40). Wenn daher z. B. die Geſetze den Un-
muͤndigen ein Teſtament zu machen nicht geſtatten,
weil es ihnen noch gemeiniglich an der hierzu erforder-
lichen Einſicht und Verſtande mangelt (quia nullum eo-
rum animi iudicium eſt) 41); ſo findet dennoch in con-
creto keine Ausnahme von der Regel ſtatt, wenn auch
gleich bey dieſem oder jenem Individuum der zum Te-
ſtiren erforderliche Verſtand vor den ſonſt gewoͤhnlichen
Jahren eingetreten ſeyn ſollte. Denn die Legislation
kann nur aufs Ganze, nur auf den gewoͤhnlichen Gang
der Dinge ihr Augenmerk richten 42), kann ihre Vor-
ſchriften nicht auf die Eigenheit eines jeden beſondern
Falles, ſondern nur auf ſolche Verhaͤltniſſe und Folgen
bauen, welche die Dinge gemeiniglich haben 43).
Sol-
[249]de Iuſtitia et Iure.
Solchemnach kann nun freylich unter dem allgemeinen
Gegenſtande des Geſetzes manches Individuum vorkom-
men, bey welchem die Umſtaͤnde, die der Geſezgeber
als gewoͤhnlich vorausſezt, nicht zutreffen, die Fol-
gen, welche gemeiniglich damit verknuͤpft ſind, nicht
zu befuͤrchten ſtehen; allein darum iſt doch nichts deſto
weniger nach der allgemeinen Vorſchrift dabey zu ver-
fahren, weil ſonſt der ganze Zweck der Geſezgebung
ſehr leicht vereitelt werden koͤnnte. Wenn hingegen
die Urſach, warum der Grund einer allge-
meinen Verordnung ceſſiren ſoll, nicht aus
bloſen individuellen und auſſerordentlichen
Eigenſchaften eines gewiſſen Subjects her-
genommen wird, ſondern wenn in einem gan-
zen Inbegrif mehrerer aͤhnlicher Faͤlle und
Verhaͤltniſſe ſchon durch die Natur der Sa-
che, oder die Vorſchrift beſonderer Ge-
ſetze ſolche Beſtimmungen eintreten, wornach
gerade das Gegentheil von dem zur Regel
wird, was den Beweggrund einer allgemei-
nen Verordnung ausmacht: So kann mit
Recht von dem fehlenden Grunde des Geſe-
tzes auf die Unanwendbarkeit deſſelben ge-
ſchloſſen werden44). Z. B. Wenn die Geſetze
das Geſchaͤft eines Minderjaͤhrigen, wozu deſſelben
Vormund keine Einwilligung ertheilet hat, aus dem
Grunde fuͤr nichtig erklaͤren, weil ſolche junge Leute
durch Ueberredung und Mangel an geſezter Ueberlegung
leicht um das ihrige kommen koͤnnten; ſo ſiehet ein
Jeder, daß dieſer Grund in dem Falle ceſſire, da der
Minderjaͤhrige zwar ohne Vormund, jedoch als Mei-
ſter einer gewiſſen Kunſt oder Handthierung
Q 5einen
[250]1. Buch. 1. Tit.
Vertrag geſchloſſen. Der Vertrag iſt alſo guͤltig, und
man behauptet mit Recht, daß in einem ſolchen Falle
nicht einmahl die Wiedereinſetzung in den vorigen
Stand ſtatt finde 45); allein nicht darum, weil man
vorgiebt, daß gerade dieſer minor von der ſeinem
Alter eigenen Fluͤchtigkeit eine Ausnahme mache; nein,
denn es kann bey aller Geſchicklichkeit in ſeiner Kunſt
dennoch der jugendliche Leichtſinn einen ſchaͤdlichen Ein-
fluß auf den Handel ſelbſt gehabt haben, ſondern weil
der Handel ſich auf ein buͤrgerliches Verhaͤltnis bezieht,
wobey eine ganz andere Regel eintritt, als diejenige,
worauf die ſonſtigen allgemeinen Geſetze von Geſchaͤften
ſolcher Perſohnen ſich gruͤnden. Denn darf der Min-
derjaͤhrige eine gewiſſe Kunſt oder Handthierung oͤffent-
lich treiben; ſo wuͤrde ſich die Legislation widerſprechen,
wenn ſie ihm auf der andern Seite in Anſehung eines
ſolchen Gewerbes die erforderliche Einſicht und Kennt-
nis nicht zueignen wollte 46). Ich ſetze noch folgende
Betrachtungen hinzu:
- 1) wenn die Geſetze eine Handlung z. B. ei-
nen gewiſſen Vertrag im allgemeinen ver-
bieten; ſo ſind auch nach der Abſicht der-
ſelben alle dahin gehoͤrige Unterarten ſo
lange als unerlaubt anzuſehen, bis man
deutlich zeigen kann, daß dieſe oder jene
Species von dem allgemeinen Verbote
ausgenommen ſey; oder daß der Grund
des Geſetzes in einer einzelnen Gattung
gaͤnzlich wegfalle.
2) Wenn
[251]de Iuſtitia et Iure.
- 2) Wenn die Geſetze eine Handlung, die an
ſich und nach dem Naturrecht nicht uner-
laubt iſt, verbieten, und ſolche fuͤr unguͤl-
tig erklaͤren: So geſchiehet es gemeinig-
lich darum, weil ſie leicht uͤble Folgen in
der buͤrgerlichen Geſellſchaft nach ſich zie-
hen kann; nicht aber allein nur in ſo fer-
ne wirklich uͤble Folgen daraus ſchon ent-
ſtanden ſind48). Es iſt daher vergeblich, wenn
man, um dem Geſez auszuweichen, beweiſen will,
daß der gegenwaͤrtige Vorgang nicht diejenige nach-
theilige Folgen zuwege gebracht haͤtte, die das ge-
ſezliche Verbot zu verhuͤten geſucht. Eine Schen-
kung alſo, welche ſich uͤber 500. Solidos belaͤuft,
und nicht gerichtlich inſinuiret worden iſt, wird auch
alsdenn in Anſehung deſſen, was uͤber die bemerkte
Summe iſt, nicht guͤltig ſeyn, wenn gleich der Do-
natarius beweiſen koͤnnte, daß der Schenkende ein
reicher Mann ſey, dem eine ſolche Schenkung, wel-
che auch uͤber die geſezliche Summe ſich belaͤuft,
nicht die mindeſte Unbequemlichkeit verurſachen kann.
3) Es
[252]1. Buch. 1. Tit.
- 3) Es kann zuweilen ein Fall vorkommen,
der dem im Geſez enthaltenen Falle von
der einen Seite voͤllig gleich iſt, und den-
noch kann, weil nicht gleiche Urſach der
geſezlichen Sanction bey demſelben vor-
handen iſt, das Geſez darauf nicht ausge-
dehnet werden. Ein deutliches Beyſpiel hiervon
geben die Moſaiſchen Eheverbote. Denn ſo finden
wir oft, daß Moſes von zwey dem Grade der
Verwandſchaft nach gleich nahen Ehen die eine aus-
druͤcklich verboten, die andere aber nicht genannt
hat; und dennoch kann nach der richtigen Erklaͤ-
rung der heutigen Theologen ſowohl als Rechts-
gelehrten das Verbot auf die nicht genannten Ehen
nicht extendiret werden, weil man bey einer ge-
nauern Unterſuchung gefunden, daß bey denenſelben
nicht eben die Urſachen des Verbots vorhanden
ſind, als bey den von Moſe ausdruͤcklich verbotenen
Faͤllen. So iſt z. E. die von Moſe verbotene Ehe
mit der Tante 49), der von ihm nicht genannten Ehe
mit der Niece; desgleichen die von Moſe ausdruͤck-
lich verbotene Ehe mit des Vaters Bruders Wit-
we 50), der nicht genannten Ehe mit der Mutter
Bruders Witwe dem Grade der Verwandſchaft nach
voͤllig gleich, aber dennoch nicht in dem einen Falle
dieſelbe Urſach des Verbots, wie in dem andern
Falle vorhanden, und daher darf auch nicht der
Schluß von dem genannten auf den nicht genannten
Fall gemacht werden. Da hier der Ort noch nicht
iſt, dieſe Gedanken weiter zu detailliren, ſo beziehe
ich mich einsweilen auf die gruͤndliche Ausfuͤhrung
des
[253]de Iuſtitia et Iure.
des Herrn Ritter Michaelis51), und ziehe nur
hieraus das Reſultat, daß man ſich nie durch
gewiſſe aͤuſſerliche Umſtaͤnde, die unter-
weilen eine Aehnlichkeit der Faͤlle veran-
laſſen koͤnnen, muͤſſe irre fuͤhren laſſen,
und dieſe Aehnlichkeit fuͤr die Urſach des
Geſetzes halten, ſondern ſtets a[u]f die
wahre Abſicht des Geſezgebers [...] den
Hauptgrund des Geſetzes Ruͤckſ [...]t neh-
men, und darnach die Aehnlichkei[t] [...]er Faͤl-
le beurtheilen muͤſſe52).
§. 37.
Reſultat der logiſchen Auslegung, Analogie des Rechts.
Alle logiſche Geſezauslegung beruhet alſo auf dem
Grundſatze der Uebereinſtimmung mit der Abſicht und
dem Willen des Geſezgebers, vermoͤge welchen a) bey
vorhandener Gleichheit des geſezlichen Grundes vermu-
thet werden muß, der Geſezgeber habe in dem nicht
ausdruͤcklich angezeigten Falle eben daſſelbe verordnen
wollen, was er in dem angezeigten verordnet hat; da-
hingegen er b) bey Verſchiedenheit der Gruͤnde in dem
entgegen geſezten Falle auch das Gegentheil von dem,
was er verordnet hat, wolle ſtatt finden laſſen. Wer
demnach ein Geſez logiſch erklaͤrt, argumentirt ex ra-
tione
[254]1. Buch. 1. Tit.
tione legis, und dehnet entweder nach Maßgabe derſel-
ben das Geſez auf aͤhnliche Faͤlle aus, oder ſchließt
vom Gegentheil auf die Unanwendlichkeit deſſelben.
Das Reſultat in dem einen, wie in dem andern Falle
heißt Analogie des Rechts(analogia iuris)53),
bey welcher wir uns jezt noch etwas verweilen muͤſſen.
So wichtig dieſer Gegenſtand an ſich iſt, ſo ſehr muß
man ſich billig wundern, daß die Rechtslehrer uͤber die
Beſtimmung des Begrifs der Analogie des Rechts noch
ſo getheilt ſind. Zu weit dehnen offenbar diejenigen
den Begrif der Analogie aus, welche darunter den
Schluß von einer allgemeinen Dispoſition
auf einzelne darunter gehoͤrige Faͤlle verſte-
hen wollen, indem unleugbar iſt, daß in dergleichen
Faͤllen die Entſcheidung der Sache nicht ſowohl aus
der Analogie, ſondern vielmehr aus dem Geſetze ſelbſt
hergenommen werde. Zu enge Grenzen ſetzet man hin-
gegen dem Begriffe der Analogie, wenn man ihn blos
auf Aehnlichkeit der Faͤlle einſchraͤnkt, und ſolche
in
[255]de Iuſtitia et Iure.
in eine extenſive Auslegung der Geſetze, oder
wie ſich andere ausdruͤcken, in einen Uebertrag
der Entſcheidung eines beſtimmten Falls auf
einen andern wegen Gleichheit der beſtim-
menden Umſtaͤnde ſetzet, weil man auch dann zu
der Analogie ſeine Zuflucht nehmen muß, wenn von
entgegengeſezten Faͤllen der Entſcheidungsgrund in einer
unentſchiedenen Rechtsfrage hergeleitet wird, damit
kein Widerſpruch und keine Ungereimtheit entſtehet.
Denn wer wird glauben, daß der Geſezgeber eine ſei-
ner Abſicht und Willensmeinung zuwider laufende Ent-
ſcheidung wolle ſtatt finden laſſen? Andere denken ſich
daher unter der Analogie des Rechts eine von aͤhn-
lichen oder von entgegengeſezten Faͤllen ge-
nommene Entſcheidung einer in den Geſetzen
nicht entſchiedenen Rechtsfrage. Noch ande-
re ſagen, ſie beſtehe in einer Uebereinſtimmung
mit andern bekannten Rechtswahrheiten,
welche in denen poſitiven Geſetzen gegruͤndet
ſind. Ich ſtelle mir unter der Analogie des Rechts
uͤberhaupt genommen nichts anders, als eine in dem
Geſez nicht enthaltene, aber aus der Ab-
ſicht und den Beſtimmungsgruͤnden des Geſez-
gebers gefolgerte Entſcheidung eines zwei-
felhaften Rechtsfalls vor; und theile ſie I) nach
der verſchiedenen Art und Weiſe, wie die Entſcheidung
ex ratione legis gefolgert wird, ein in diejenige, wel-
che durch ein Argument von aͤhnlichen Faͤllen, und die-
jenige, welche durch einen Schluß von entgegen ge-
ſezten Faͤllen gefunden wird. Die Analogie der erſtern
Art iſt die gewoͤhnlichſte, und wird daher die Anolo-
gie des Rechts im ſtrengen Verſtande54) ge-
nennt.
II. Dif-
[256]1. Buch. 1. Tit.
II) Differirt ſie auch nach dem Unterſchiede der
poſitiven Geſetze, aus deren Geiſte ſie gleichſam gezogen
wird; und in dieſer Ruͤckſicht laͤßt ſich eine Analogie
des roͤmiſchen, des canoniſchen Rechts, des teutſchen
Staats-Privat-Peinlichen- und des Lehnrechts
gedenken.
Uebrigens iſt bey Anwendung der Analogie groſe
Vorſichtigkeit noͤthig. Man hat nehmlich
- 1) Darauf zu ſehen, daß keine Verſchiedenheit
der Perſohnen, auf die einerley Rechte ſich
nicht anwenden laſſen, vorwalte. Nach dieſer
Regel kann daher weder von den roͤmiſchen Knech-
ten, noch von den Leibeigenen auf das heutige Mieth-
geſinde wegen der gar zu groſen Verſchiedenheit ein
richtiger Schluß gemacht werden; auch gilt kein
Schluß von den roͤmiſchen Praͤtoren und Gouver-
neurs der Provinzen auf unſere heutige Richter.
Hierin haben es viel Rechtsgelehrte nicht blos im
roͤmiſchen und teutſchen Privatrechte, ſondern auch
im Staatsrechte und andern Theilen der Rechtsge-
lahrtheit verſehen. - 2) Es darf der Grund und die Urſach des
Geſetzes, welches man analogiſch anwen-
den will, dem vorliegenden Fall nicht ent-
gegen ſeyn. Denn der Grund aller Analogie be-
ruhet auf der Uebereinſtimmung mit der Abſicht und
dem Willen des Geſezgebers. Daher gilt in Gemaͤß-
heit dieſer Regel kein Schluß von dem Reichsſtaats-
rechte auf das Territorialſtaatsrecht, weil das teutſche
Reich, als ein Staatskoͤrper betrachtet, von den
einzelnen Territorien oder kleinern Staaten deſſelben
ganz verſchieden, mithin vorauszuſetzen iſt, daß der
Geſezgeber, wenn er die Reichsverfaſſung durch Ge-
ſetze
[257]de Iuſtitia et Iure.
ſetze beſtimmte, das Reich, und nicht die Territorien,
zum Gegenſtand ſeiner Geſezgebung gewaͤhlt habe;
es kann folglich auch deſſen Abſicht, oder die Ana-
logie ſeines Geſetzes auf die Territorialverfaſſung um
ſo weniger erſtrecket werden, weil man ſonſt anneh-
men muͤſte, daß von einer Staatsverfaſſung auf al-
le, ſie moͤgen von einander ſo verſchieden ſeyn, als
ſie immerhin wollen, ſich Schluͤſſe machen lieſſen,
welches doch hoͤchſt ungereimt waͤre 55). Man wird
mir verzeihen, daß ich gerade dieſes Beiſpiel hier
gebrauche, indem auch das roͤmiſche Recht mir Bei-
ſpiele zur Erlaͤuterung der obigen Regel gegeben ha-
ben wuͤrde. Allein da ich bey Erlaͤuterung eines
Titels der Pandecten ſtehe, der allgemeine Rechts-
ſaͤtze enthaͤlt, die nicht auf das roͤmiſche Recht allein
ſich einſchraͤnken, ſondern auch auf andere Theile
des poſitiven Rechts anwendbar ſind, ſo habe ich
kein Bedenken getragen, Beiſpiele auch aus andern
Theilen der Rechtsgelahrtheit zur Erlaͤuterung anzu-
fuͤhren. Endlich - 3) nehme man jederzeit bey der Analogie der
Geſetze auf die beſondere Beſchaffenheit der-
ſelben Ruͤckſicht, ob nehmlich das Geſez,
woraus man argumentiren will, uͤberhaupt
von der Art ſey, daß Analogie dabey ſtatt
finden kann. Es giebt nehmlich Geſetze, die
ſo geeigenſchaftet ſind, daß bey denenſelben keine
Schlußfolge von der Aehnlichkeit der Faͤlle gilt. Da-
hin gehoͤren einmahl diejenigen, welche ein beſonde-
res Recht fuͤr gewiſſe Perſohnen oder Sachen enthal-
ten
Gluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1, Th. R
[258]1. Buch. 1. Tit.
ten 56); ſolche Geſetze laſſen keine Ausdehnung auf
andere Faͤlle zu, als welche in denenſelben ausge-
druckt ſind, geſezt auch daß bey andern nicht ge-
nannten Faͤllen ein gleicher Grund vorhanden ſeyn
moͤchte; hier gilt vielmehr der Schluß vom Ge-
gentheil: nehmlich daß das Geſez dasjenige nicht
wolle, was in den Worten deſſelben nicht ausge-
druckt iſt 57). Hierher gehoͤren ferner diejenigen
Geſetze in den Pandecten und Codex, welche aus
den Reſponſis lureconſultorum, desgleichen aus
den Reſcriptis und Decretis Imperatorum Roma-
norum genommen ſind. Denn da dieſe ſich auf
lauter einzelne Anfragen und vorgelegte beſondere
Rechtsfaͤlle beziehen, deren Umſtaͤnde uns meiſten-
theils unbekannt ſind, ſo kann bey dieſen weder
ein Schluß von der Aehnlichkeit der Faͤlle, noch
vom Gegentheil ſtatt finden 58). Sie ſind viel-
mehr
[259]de Iuſtitia et Iure.
mehr blos nach den Worten, und, wenn die Worte
unbeſtimmt und nicht genau gefaßt ſind, in Gemaͤß-
heit beſtimmterer Rechtsſaͤtze, deren Sinn in andern
Stellen aufgeſchloſſener vor uns liegt, zu erklaͤren;
denn die Abſicht ihrer Verfaſſer war nicht in den
Reſcripten, oder Decreten, oder in den rechrlichen
Gutachten neue Grundſaͤtze aufzuſtellen, ſondern laͤngſt
bekannte der Anfrage oder dem vorgetragenen Rechts-
falle gemaͤß anzuwenden 59). Da nun aus der
Inſcription des Geſetzes zu erkennen iſt, ob daſſelbe
aus den libris Reſponſorum ſ. Quaeſtionum des-
jenigen Rechtsgelehrten genommen ſey, der fuͤr den
R 2Auctor
58)
[260]1. Buch. 1. Tit.
Auctor des Fragments gehalten wird; desgleichen
ob Lex codicis ein Reſcript oder ein Decret ſey,
ſo erhellet hieraus, was auch von dieſer Seite die
Inſcriptionen der Geſetze in den Pandecten und Co-
dex bey Erklaͤrung derſelben fuͤr einen Nutzen haben 60).
§. 38.
Eintheilung der Rechtsgelahrheita) falſche.
Die hier von Hellfeld vorgetragene Eintheilung
der Jurisprudenz in legislatoriam, iudiciariam und con-
ſultatoriam iſt, wenn ſie gleich auch von andern ver-
theidigt wird 61), doch offenbar falſch 62), weil ſie
nicht aus dem Begriffe der Rechtsgelahrheit hergeleitet
werden kann. Denn Rechtsgelahrheit iſt eine practiſche
Wiſſenſchaft der Geſetze, und der aus denſelben ent-
ſpringenden Rechte und Verbindlichkeiten; ſie ſetzet alſo
ſchon vorhandene Geſetze voraus, alſo kann ſie nicht
mit Geſetzen ſich beſchaͤftigen, die erſt gegeben werden
ſollen; mithin kann prudentia legislatoria, quae circa
ius conſtituendum ſe exſerit, ohnmoͤglich ein Theil
der Rechtsgelahrheit ſeyn. Was anders iſt geſezge-
bende Klugheit, oder Politic der Geſezgebung,
welche in der Klugheit beſtehet, die beſten und dem
Staat angemeſſenſten Geſetze zu geben. Soviel hier-
naͤchſt die vom Auctor angegebene gerichtliche und
auſ-
[261]de Iuſtitia et Iure
auſſergerichtliche oder conſultatoriſche Rechts-
gelahrtheit anbetrift, ſo ſind dieſe blos Unterabtheilun-
gen der practiſchen Rechtsgelehrſamkeit, von
welcher ich beym folgenden §. handeln werde; allein
keine Haupttheile der Jurisprudenz.
§. 39.
b)wahre Eintheilung der Rechtsgelahrtheit
nach Verſchiedenheit 1) ihrer Quellen und 2) ih-
rer Gegenſtaͤnde.
Richtiger theilt man die Rechtswiſſenſchaft
I) nach Verſchiedenheit ihrer Quellen, d. i.
der Geſetze, woraus die Rechte und Verbindlichkeiten,
welche ſie in ſich begreift, entſtehen, in die natuͤrliche
und poſitive Rechtsgelahrtheit ein, je nachdem
die zu ihr gehoͤrige Wahrheiten von den Rechten und
Verbindlichkeiten entweder aus den natuͤrlichen oder aus
den poſitiven Geſetzen entſpringen. Die poſitive
Rechtsgelehrſamkeit iſt in Ruͤckſicht auf Teutſchland
betrachtet, nach Verſchiedenheit der in Teutſchland gel-
tenden Geſetze entweder die teutſche, einheimiſche
(germanica ſ. domeſtica) oder die fremde(peregri-
na). Jene hat zu ihren Quellen die teutſchen, dieſe
die in Teutſchland aufgenommenen fremden Rechte, und
nach dem Unterſchied derſelben laͤßt ſich die leztere wie-
der in die Roͤmiſche, Kanoniſche und Longobar-
diſche eintheilen.
II) Nach Verſchiedenheit der Gegenſtaͤnde,
worauf ſich die aus den Geſetzen entſpringende Wahrhei-
ten von den Rechten und Verbindlichkeiten beziehen,
ſind die daher entſtehende Theile der Rechtsgelehrſamkeit
entweder Haupt- oder Nebentheile; das ſind
R 3ſolche,
[262]1. B. 1. Tit.
ſolche, welche nur auf eine gewiſſe Gattung von Din-
gen oder Perſohnen ſich einſchraͤnkende Rechtswahrheiten
betreffen. Dahin gehoͤrt z. B. das Policeyrecht,
welches diejenige Rechtsgrundſaͤtze enthaͤlt, die ſich auf
die zu Erhaltung und Befoͤrderung oͤffentlicher Ordnung
und Wohlfarth unmittelbar abzweckende Anſtalten be-
ziehen; ferner das Cameralrecht, welches alle die
rechtlichen Grundſaͤtze enthaͤlt, die ſich auf Beſtimmung,
Erhebung und Verwendung der Staatseinkuͤnfte bezie-
hen; desgleichen das Landwirthſchaftsrecht, welches
ſolche rechtliche Beſtimmungen in ſich faßt, die ſich auf
die Mittel beziehen, wie die Naturproducte auf die
vortheilhafteſte Art gewonnen und benuzt werden koͤn-
nen. Ferner das Wechſelrecht, Kriegsrecht,
Handelsrecht, Buͤrgerrecht, Dorf- und Bau-
renrecht. Soviel nun die Haupttheile der poſi-
tiven Jurisprudenz anbetrift, ſo laſſen ſich dieſelben
nach ihrem Gegenſtand folgendergeſtalt beſtimmen.
Die zur Jurisprudenz gehoͤrige Rechtswahrheiten betref-
fen entweder die Rechte und Verbindlichkeiten an ſich,
oder ſie betreffen die Art und Weiſe, wie die rechtli-
chen Geſchaͤfte betrieben werden muͤſſen. Erſtere ma-
chen die theoretiſche, leztere aber die practiſche
Rechtsgelahrtheit aus. Dieſe leztere, welche von
der juriſtiſchen Praxi, von welcher wir oben (§. 27.) ge-
handelt haben, wohl unterſchieden werden muß, iſt wie-
der zwiefach, die gerichtliche und auſſergericht-
liche; je nachdem ſie entweder gerichtliche, oder auſſer-
gerichtliche Geſchaͤfte, welche ohne alle Beiwirkung des
Richters betrieben werden, zum Gegenſtand hat. Die
theoretiſche Rechtsgelehrſamkeit hat wieder ihre ver-
ſchiedene Theile. Denn die dieſelbe beſtimmende Wahr-
heiten von den Rechten und Verbindlichkeiten betreffen
entweder Verbrechen und deren Strafen, Kriminal-
rechts-
[263]de Iuſtitia et Iure
rechtsgelehrſamkeit; oder Religion und Gottesdienſt,
Kirchenrechtsgelehrſamkeit; oder die Lehne und den
daraus entſtehenden Lehnsnexus, Lehnrechtsgelehr-
ſamkeit; oder die Verwaltung und innere Regierungs-
verfaſſung eines Staats, und deſſen Verhaͤltnis gegen
Auswaͤrtige, Staatsrechtsgelehrſamkeit; oder ſie
betreffen die Staats- und Regierungsverfaſſung nicht,
ſondern ſind entweder ſolche Rechte und Verbindlich-
keiten, welche freye Voͤlker gegen einander zu beobach-
ten haben, Voͤlkerrecht; oder ſolche, welche unter
Privatperſohnen und Unterthanen ſtatt finden, Privat-
rechtsgelehrſamkeit.
§. 40. und 41.
Von Anwendung der Geſetze.
Genug von der Theorie des Rechts; wir ſchreiten
nun zu dem zweiten Haupttheil der Rechtsgelehrſam-
keit, welchen man die Praxis nennt. Dieſe beſtehet
a) in einer Fertigkeit, die Geſetze auf die vor-
kommende Faͤlle anzuwenden (S. 199.). Was
Anwendung der Geſetze ſey, und dazu erfordert
werde, wenn ſie richtig geſchehen ſoll, iſt ſchon oben
(§. 28.) geſagt worden. Hier bemerke ich nur noch
folgendes:
- 1) Wer ein Geſez richtig anwenden will, muß zunaͤchſt
auf diejenigen Eigenſchaften und Beſtimmungen Acht
haben, welche das Geſez erfordert; muß - 2) genau pruͤfen, ob bey dem gegenwaͤrtigen Rechts-
falle dieſe geſezlichen Beſtimmungen vorhanden ſind;
und daher - 3) ſich bemuͤhen, eine richtige und vollſtaͤndige Kenntniß
von der vorgegangenen Handlung und den Umſtaͤnden
R 4der-
[264]1. Buch. 1. Tit.
derſelben zu erlangen. Die Mittel, eine ſolche
Kenntniß zu erwerben, ſind,- 1) das Geſtaͤndnis desjenigen, welcher fuͤr den Ur-
heber einer Handlung gehalten, oder gegen wel-
chen ſonſt ein gewiſſer Thatumſtand behauptet
wird, wovon die Entſcheidung der Sache abhaͤngt.
Ein ſolches Geſtaͤndnis kann jedoch nur wider
den Bekenner und deſſen Erben beweiſen, einem
Dritten aber darf es nicht zum Nachtheil gerei-
chen 63). In peinlichen Faͤllen muß das Bekennt-
nis des Angeſchuldigten durch die Umſtaͤnde wahr-
ſcheinlich gemacht, mithin das Corpus delicti,
ob ein ſolches Verbrechen wirklich vorhanden ſey,
deſſen Jemand beſchuldiget wird, auſſer Zweifel
ſeyn, wenn eine Verurtheilung zur peinlichen
Strafe darauf gegruͤndet werden ſoll 64). - 2) der Beweiß, wodurch dem Richter die Erzaͤhlung
oder Behauptung von einer Sache auf rechtliche
Art glaubwuͤrdig gemacht wird. Die Lehre vom
Beweiß, ſo wie auch jene vom Geſtaͤndniſſe wird
an andern Orten unſerer Pandecten vollſtaͤndig
vorgetragen werden. - 3) Oft muͤſſen auch rechtliche Vermuthungen
die Stelle des Beweiſes, in Ermangelung deſſel-
ben, vertreten. Wenn nehmlich die Behauptung
nicht aus einem Geſtaͤndniß, oder Zeugniß glaub-
wuͤr-
[265]de Iuſtitia et Iure.
wuͤrdiger Perſohnen, oder andern dergleichen recht-
lichen Beweismitteln unmittelbar zu Tage liegt,
ſondern auf die gewoͤhnlichen Eigenſchaften und Ver-
haͤltniſſe der Dinge, und diejenigen Umſtaͤnde, die
ſolche gemeiniglich begleiten, auch daher wahrſchein-
lich ſind, gegruͤndet wird, ſo nennt man dieſes
Vermuthung. Oft nehmen die Geſetze ſelbſt ge-
wiſſe Eigenſchaften, Verhaͤltniſſe oder gewoͤhnliche
Folgen einer Sache fuͤr Wahrheit an, bis das Ge-
gentheil erwieſen worden, (praeſumtiones iuris) ja
zuweilen laſſen ſie den Beweiß des Gegentheils nicht
einmahl zu (praeſumtiones iuris et de iure). Sol-
che Rechtsvermuthungen befreyen daher den-
jenigen, welcher ſie fuͤr ſich hat, allemahl vom Be-
weiſe, und waͤlzen denſelben auf den Gegentheil,
der die rechtliche Vermuthung wider ſich hat. Blos
menſchliche Vermuthungen, ſo in den Geſetzen nicht
gegruͤndet ſind, haben hingegen dieſe Wirkung nicht,
ſondern adminiculiren nur zum Beweiß, und machen,
daß zuweilen auf den Erfuͤllungs- oder Reinigungs-
eid erkannt werden kann. Die rechtlichen Vermu-
thungen ſind nun ſehr mancherley, und laſſen ſich
auf keine allgemeine Regel zuruͤckfuͤhren. Man kann
ſie inzwiſchen fuͤglich unter zwey Hauptelaſſen brin-
gen. Einige derſelben gruͤnden ſich ſchon in der
Vernunft und allgemeinen Rechtsgrundſaͤtzen; andere
hingegen haben keinen natuͤrlichen und allgemeinen
Grund, ſondern ſind durch die buͤrgerlichen Geſetze
blos willkuͤhrlich eingefuͤhrt worden. Zu denen recht-
lichen Vermuthungen der erſtern Art gehoͤren z. E.
folgende: daß die urſpruͤngliche Beſchaffenheit einer
Sache vermuthet werde, mithin eine vorgegebene
Veraͤnderung allemahl bewieſen werden muß; — eine
Thathandlung, es ſey Vortrag, Teſtament, Ver-
R 5brechen,
[266]1. Buch. 1. Tit.
brechen, oder ſonſt etwas, nicht vermuthet wer-
de; — ein Irrthum nicht zu vermuthen ſey, u. d. m.
Zu den Rechtsvermuthungen der leztern Art aber
gehoͤrt z. B. daß, wenn bey einer verkauften Sache
ſich der Mangel in den erſtern drey Tagen aͤuſſert,
angenommen werde, der Fehler ſey ſchon zur Zeit
des Verkaufs vorhanden geweſen; — wenn Eltern
und Kinder in einerley Unfall zugleich umkommen,
rechtlich vermuthet werde, das unmuͤndige Kind ſey
eher, das muͤndige aber ſpaͤter, als die Eltern,
verſtorben; — wenn der Klaͤger eine Handſchrift
uͤber ein Darlehn in Haͤnden hat, und noch nicht
zwey Jahr ſeit der Ausſtellung verſtrichen, angenom-
men werde, die Ausſtellung ſey nur in Hofnung zu
erhaltender Zahlung geſchehen, die Zahlung aber
wirklich nicht erfolgt; nach zwey Jahren aber das
Gegentheil fuͤr eine ſo erwieſene Wahrheit gehalten
werde, daß der Ausſteller mit dem Beweiſe, er ſey
nichts ſchuldig, gar nicht weiter gehoͤret werden ſoll;
u. a. m. 64). Ganz verſchieden von dieſen Rechts-
vermuthungen ſind die geſezlichen Fictionen; denn
eine geſezliche Fiction iſt eine ſolche geſezliche
Verordnung, wodurch eine Sache fuͤr wahr ange-
nommen wird, welche offenbar nicht wahr iſt, und
blos moͤglich geweſen waͤre; bey jenen Praͤſumtionen
hingegen nehmen die Geſetze eine zwar noch unge-
wiſſe, aber doch wahrſcheinliche, Sache fuͤr gewiß an.
Die rechtliche Vermuthung iſt alſo wirkliche juriſtiſche
Wahrheit, eine geſezliche Fiction hingegen nicht,
ſondern dieſe verhaͤlt ſich zu der Wahrheit, wie ein
Gemaͤhlde zu der Sache ſelbſt, welche durch das
Ge-
[267]de Iuſtitia et Iure.
Gemaͤhlde vorgeſtellet wird. Sie entlehnt alle Zuͤge
von der Wahrheit, und verfolgt ihren Gang, wie
der Schatten den Coͤrper 65). Daher die Regel zu
erklaͤren: fictio idem operatur in caſu ficto, quod
veritas in caſu vero. Dergleichen Faͤlle, wo die
Geſetze etwas fingiren, ſind uͤbrigens ſehr viel im
roͤmiſchen Rechte anzutreffen. So z. B. gruͤndet
ſich die Lehre von der Annehmung an Kindesſtatt,
von dem Recht des Poſtliminiums, das Korneliſche
Geſez, die alte Querela inofficioſi u. ſ. w. auf
Fictionen 66). Man huͤte ſich jedoch vor dem Feh-
ler, Fictionen zu fingiren, in welchen diejenigen
verfallen, welche Fictionen annehmen, von denen
doch kein deutliches Geſez angegeben werden kann 67).
Endlich muß auch - 4) durch Gutachten der Kunſtverſtaͤndigen zu-
weilen die Wahrheit herausgebracht werden, wenn
nehmlich die Beurtheilung derſelben nach den Regeln
einer beſondern Kunſt oder Wiſſenſchaft geſchehen
muß. Dahin gehoͤrt, wenn uͤber den wahren Werth
einer Sache, oder uͤber die Grenzen zweier bey ein-
ander liegender Aecker, oder uͤber vorgegebene
Schwangerſchaft, und dergleichen Streitigkeiten ent-
ſtehen. Beſonders iſt auch in peinlichen Faͤllen das
Gut-
[268]1. Buch. 1. Tit.
Gutachten der Kunſtverſtaͤndigen von groſer Wich-
tigkeit, wenn es auf Beſichtigung und Section an-
kommt, um das corpus delicti zur Gewißheit zu
bringen. In ſolchen Faͤllen gruͤndet der Richter ſein
Erkenntniß auf das Gutachten und Zeugniß der
Kunſtverſtaͤndigen, welches ſie ſchriftlich und mit
Gruͤnden unterſtuͤzt, zu den Acten geben muͤſſen.
Da Kunſtverſtaͤndige als Zeugen anzuſehen ſind, ſo
muͤſſen ſie, wenn ſie nicht ſonſt ſchon vereidet ſind,
oder die Partheyen mit ihren unbeſchwornen Gutach-
ten zufrieden ſeyn wollen, beſonders vereidet werden,
weil ein Zeuge keinen Glauben verdient, wenn er
nicht beeidiget iſt 68).
- 1) das Geſtaͤndnis desjenigen, welcher fuͤr den Ur-
§. 42.
Cautelariſche Rechtswiſſenſchaft.
Der andere Theil der juriſtiſchen Praxis beſtehet
in der vorſichtigen, buͤndigen und kluͤglichen
Einrichtung der buͤrgerlichen Rechtshandlun-
gen, (in cavendo) und verdient eine deſto vorzuͤglichere
Achtung, je mehr dadurch denen die Eintracht der Buͤr-
ger ſo ſehr ſtoͤhrenden Proceſſen vorzubeugen ſtehet.
Hierbey aber muß man nicht allein die Form und Ein-
kleidungen rechtlicher Geſchaͤfte, ſondern auch alle Ein-
wendungen und nachtheilige Folgen kennen, um ſowohl
denen leztern vorzubeugen, als auch, wo moͤglich, de-
nen zu ſchlieſſenden Geſchaͤften ſelbſt eine vortheilhafte
Wirkung beyzulegen. Unſer roͤmiſches Geſezbuch giebt
auch hierin dem Rechtsgelehrten vortrefliche Anweiſung,
als welches einen groſen Vorrath von Rechtsmitteln,
Clau-
[269]de Iuſtitia et Iure.
Clauſeln und Klugheitsregeln enthaͤlt, die inſonderheit
von den roͤmiſchen Rechtsgelehrten ſind erfunden wor-
den, um hierdurch die Strenge des buͤrgerlichen Rechts,
welche zu manchen Chikanen und Unbilligkeiten Anlaß
gab, zu mildern, und auf die natuͤrliche Billigkeit zu-
ruͤckzufuͤhren. Dieſe Rechtsmittel und Vorſichtigkeits-
regeln, welche bey einem zu ſchlieſſenden rechtlichen Ge-
ſchaͤft zu beobachten ſind, werden im roͤmiſchen Recht
Heurematica69) von εὕρημα, inventum oder inventio,
deßgleichen Cautiones, heutiges Tages aber Cautelen
genennt; und derjenige Theil der ausuͤbenden Rechts-
wiſſenſchaft, welcher in der Fertigkeit beſtehet, buͤrger-
liche Rechtshandlungen auf eine vorſichtige, buͤndige und
vortheilhafte Art einzurichten, heißt die Cautelar-
Jurisprudenz,Iurisprudentia cavens, heurematica
oder cautelaris70). Zum Beiſpiel dienen die bey den
Teſtamenten ſo heilſame Codicillar-Clauſel, — die my-
ſtiſche Erbeinſetzung, — Sociniſche Cautel, — Mucia-
niſche Caution, — das Verbot des Teſtirers, die be-
ſonders verſiegelte Pupillar-Subſtitution bey Lebzeiten
ſeines noch unmuͤndigen Kindes nicht zu eroͤfnen 71) u.
d. m. Ferner die beym Kaufcontract ſehr vortheilhaf-
te Clauſeln des commiſſoriſchen Vertrags, der addictio-
nis in diem, des Vorkaufs, des Wiederkaufs, der
Reue, des vorbehaltenen Eigenthums oder der reſervir-
ten Hypothek, auch des conſtituti poſſeſſorii u. d. m.
Es
[270]1. Buch. 1. Tit.
Es giebt auch allgemeine Cautelen, welche bey
allen, oder wenigſtens bey den mehreſten Geſchaͤften
ſtatt finden 72); die gebraͤuchlichſten Cautelen dieſer Art
ſind a) die Begebung verſchiedener allgemei-
ner Ausfluͤchte, als: des Betrugs, der Furcht und
des Zwanges, des Irrthums, der Verjaͤhrung u. ſ. w.
b) der Gebrauch der Eidesclauſel, d. i. die
Verſtaͤrkung der Verbindlichkeit mittelſt Einſchaltung der
Formel: So wahr mir Gott helfe und ſein hei-
liges Wort. c) die Clauſelſub bypotheca bono-
rum, oder Verpfaͤndung aller meiner Haab und
Guͤter73). d) die Proteſtationen und Reſer-
vationen. Die Cautelen moͤgen jedoch ſeyn, von welcher
Art ſie wollen, ſo muͤſſen ſie geſezlich gebilligt ſeyn;
Cautelen, die auf den Betrug anderer, oder eine Hin-
tergehung der Geſetze abzielen, und wodurch verbotene
Handlungen bemaͤntelt werden ſollen, ſind unerlaubt
und unnuͤtz. So z. B. iſt die Renunciation der Ver-
letzung uͤber die Haͤlfte 74), ingleichen die, wenn gleich
auf die feyerlichſte Weiſe geſchehene, Begebung der ex-
ceptionis uſurariae pravitatis, allen Rechten nach fuͤr
ganz unkraͤftig zu halten 75), es bleibt daher der wirk-
lich getriebene verbotene Zinswucher unerlaubt und ſtraf-
bar, er mag unter den Schein eines Vergleichs, oder
daß die uͤbermaͤßigen Zinſen etwa freywillig angeboten,
oder dem Glaͤubiger als eine Proviſion, oder fuͤr ſeine
Muͤh-
[271]de Iuſtitia et Iure.
Muͤhwaltung zugeſtanden worden, oder, daß der Con-
tract allenfalls als eine Temperalantichreſis ohne Rech-
nung gelten ſolle, oder als ein Wiederkauf eingerichtet
worden, oder unter dem Vorwande, daß die Gelder ei-
nem Dritten zugehoͤren, oder als eine Conventionalpoen,
oder unter irgend einem andern Deckmantel ausgeuͤbet
worden ſeyn 76). So wie ſich nun unter den roͤmi.
ſchen Rechtsgelehrten vorzuͤglich Herennius Modeſti-
nus77) in dieſem Theil der Rechtswiſſenſchaft ausge-
zeichnet hat, ſo duͤrfen unter den neuern die Verdien-
ſte eines Stryks78) und Claproths79) in dieſem
Fache nicht ungeruͤhmt uͤbergangen werden.
§. 43.
[272]1. Buch. 1. Tit.
§. 43.
Verbindungskraft poſitiver Geſetze.
Unſer Autor fuͤhrt uns jezt noch einmahl auf die poſiti-
ven Geſetze zuruͤck, und giebt uns Stof zu einigen Betrach-
tungen uͤber die Verbindungskraft ſolcher Geſetze.
Geſetze, in ſo fern ſie in dem oben (S. 49.) angege-
benen eigentlichen Verſtande genommen werden, koͤnnen
ihrem Begriffe nach nur blos die Unterthanen ver-
binden, die der oberſten Gewalt und Majeſtaͤt desjeni-
gen Staats unterworfen ſind, in welchem ſie ſind ge-
geben worden. Da nun die Geſetze in Teutſchland ent-
weder Reichs- oder Landesgeſetze ſind, ſo hat es
nun, was die erſtern anbetrift, keinen Zweifel, daß ſie
alle diejenigen, die der Reichsmajeſtaͤt untergeordnet ſind,
ſie ſeyen, wes Standes ſie wollen, mithin nicht nur
Privatperſohnen, ſondern auch ſelbſt die teutſchen Lan-
desherrn verbinden 80). Soviel hingegen die teutſchen
Landesgeſetze anbetrift, ſo iſt der Landesherr ſelbſt
or-
[273]de Iuſtitia et Iure.
ordentlicher Weiſe an ſeine Geſetze nicht ge-
bunden. Dies hat einen dreifachen Sinn. a) Der
Landesherr iſt in der Regel nicht verbunden, bey ſeinen
eigenen Handlungen ſeine Geſetze zu beobachten. b) Kann
derſelbe auch ſeine Geſetze, inſofern ſie pure Geſetze,
keine Landesvertraͤge und Staatsgrundgeſetze ſind, wieder
aufheben und abaͤndern, und zwar mit oder ohne Ein-
willigung der Staͤnde, wie es der Landesverfaſſung ge-
maͤß iſt. c) Er kann zu Gunſten einzelner Untertha-
nen ſowohl Privilegien dagegen ertheilen, als diſpenſi-
ren 81). So richtig nun dieſes an ſich iſt, ſo fehlt
es doch nicht an Rechtsgelehrten, die das Gegentheil
hierin behaupten 82). Sie wollen ihre Meinung theils
mit dem bekannten Ausſpruch des Praͤtors: Quod
quisque iuris in alterum ſtatuerit, ut ipſe eodem iure
utatur, theils mit einigen andern Geſetzen beſtaͤrken,
in welchen einem Regenten die Beobachtung ſeiner Ge-
ſetze empfohlen wird 83). Allein dieſe Gruͤnde ſind
von keinem ſonderlichen Gewicht, denn jener Ausſpruch
des Praͤtors verbietet offenbar nur einer Obrigkeit, ihre
Gewalt zu misbrauchen, und unbillige Dinge zu ver-
ord-
80)
Gluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. S
[274]1. Buch. 1. Tit.
ordnen; und die andern Geſetze enthalten keine verbind-
liche, noch weniger eine allgemeine, Regel, und wer-
den durch mehrere andere Geſetze des roͤmiſchen Rechts-
koͤrpers uͤberwogen, in welchen mehr denn einmahl ge-
ſagt wird: quod Princeps legibus ſolutus ſit84). In
Gemaͤßheit dieſer Grundſaͤtze koͤnnen daher auch die
Sa-
[275]de Iuſtitia et Iure.
Sachen der Reichsſtaͤnde nicht nach den Landesgeſetzen
und ſtatuariſchen Rechten derjenigen Provinz, in wel-
cher ſie regieren, entſchieden werden, wenn ſie ſich nicht
freywillig durch einen Vertrag, oder ſtillſchweigend da-
zu verbindlich gemacht haben, welches leztere unter an-
dern daraus zu ſchlieſen iſt, wenn ein Landesherr will,
daß ſeine Sachen in ſeinen eigenen Gerichten entſchie-
den werden ſollen 85).
Dahingegen ſind nun alle Unterthanen eines Lan-
desherrn, ohne Unterſchied, ſie moͤgen geiſtlichen oder
weltlichen Standes ſeyn, denen Geſetzen deſſelben un-
terworffen. Denn wenn gleich die Geiſtlichen einen be-
freyeten Gerichtsſtand haben, ſo duͤrfen ſie ſich doch,
da ſie ohne Zweifel als Buͤrger im Staate anzuſehen
ſind, denen buͤrgerlichen Geſetzen deſſelben keinesweges
entziehen, inſofern ſie nicht die Geſetze ſelbſt hiervon
eximiren 86). Zwar ſuchte InnocenzIII87) die Geiſt-
lichkeit der weltlichen Obrigkeit voͤllig zu entreiſſen, und
dieſelbe unter das Joch des geiſtlichen Despotismus zu
ziehen; allein in unſern Tagen ſiehet ſelbſt der aufge-
S 2klaͤrte
[276]1. Buch. 1. Tit.
klaͤrte Katholik dieſes Unternehmen als den ſchaͤndlich-
ſten Eingrif in die geheiligten Rechte der Majeſtaͤt an,
ſo der Vernunft und heiligen Schrift entgegen ſtrei-
tet 88).
Es giebt uͤbrigens Faͤlle, daß Perſohnen, die in
dem Territorium eines Landesherrn ſich befinden, dem-
ohngeachtet nicht der Territorial-Hoheit und denen
Geſetzen dieſes, ſondern eines andern Landesherrn un-
terworfen ſind. Ein merkwuͤrdiges Beiſpiel hiervon ge-
ben uns die Geſanden fremder Staaten, als welche
an den Orten, woſelbſt ſie ſich als Geſande befin-
den, der Territorial-Hoheit nicht unterwuͤrfig ſind,
ſondern vielmehr in Abſicht ihres weſentlichen Cha-
racters, nach welchem ſie die moraliſche Perſohn ei-
nes freyen unabhaͤngigen Staats vorſtellen, und
vermoͤge der in dieſer Ruͤckſicht geſchehenen An- und
Aufnahme derſelben die voͤllige Gerichtsfreyheit in dem-
jenigen Staate haben, an welchen ſie ſind abgeſchickt
worden. Solche Geſanden bleiben daher mitten in
dem auswaͤrtigen Staate in allen ihren Handlungen
Unterthanen ihrer Principale, der abſendenden Regen-
ten, und muͤſſen deſſen Vorſchriften eben ſo puͤnctlich
erfuͤllen, als wenn ſie ſolche unmittelbar unter jener Au-
gen zu vollſtrecken haͤtten 89).
§. 44.
[277]de Iuſtitia et Iure.
§. 44.
Verſchiedene Gattungen der Unterthanen in
Abſicht auf die Verbindlichkeit der buͤr-
gerlichen Geſetze eines Staats.
Es iſt ein irriger Saz, den gleichwohl viele be-
haupten, daß jeder, der ſich in den Grenzen
eines Staats aufhalte, auch Unterthan deſ-
ſelben ſey. Ein Irrthum, den ſchon das am Ende
des vorigen Paragraphs von denen Geſanden angefuͤhrte
Beiſpiel allein ſattſam zu widerlegen im Stande waͤre,
wenn nicht derſelbe bereits von den groͤſten Rechtsge-
lehrten waͤre widerlegt worden 90). Unterthanen
werden vielmehr diejenigen genennt, welche ſich der hoͤch-
ſten Gewalt in einem Staate unterworfen haben 91).
Alſo nicht der bloſe Aufenthalt im Territorium, ſon-
dern die mit demſelben verknuͤpfte ſtillſchweigende oder
auch ausdruͤckliche Einwilligung in die Abhaͤngigkeit ge-
gen die Landeshoheit, welche in der Abſicht, um an den
buͤrgerlichen Vortheilen des Staats Antheil zu nehmen,
geſchehen, macht denjenigen, welcher ſich in einem
Staate befindet, zum Unterthan deſſelben. Hieraus
folgt, daß ſich die Oberherrſchaft des Staats uͤber die
Unterthanen deſſelben weiter nicht erſtrecke, als in ſo
weit ſich dieſe unterwuͤrfig gemacht haben, und ſich ha-
ben unterwerfen koͤnnen. Da nun die Menſchen ſich
auf dreyerley Art der hoͤchſten Gewalt im Staat un-
terwerfen koͤnnen, nehmlich entweder in Anſehung ihrer
S 3Per-
[278]1. Buch. 1. Tit.
Perſohn, oder in Anſehung ihrer Guͤter, oder in
Anſehung ihrer Handlungen, die ſie in einem frem-
den Lande unternehmen, ſo entſtehet hieraus eine drey-
fache Claſſe von Unterthanen. Erſtere ſind diejenigen,
welche ihren Wohnſiz in einem Lande haben; dieſe wer-
den Einwohner (incolae), und wenn ſie beſonders
mit liegenden Guͤtern anſaͤſſig, und von der vornehmen
Claſſe der Unterthanen ſind, Landſaſſen92) genennt.
Solche Unterthanen ſind an alle Geſetze des Landes,
in welchem ſie domicilirt ſind, gebunden, ſo lange nicht
beſonders in Anſehung des einen oder des andern eine
Ausnahme gemacht worden iſt. In foro domicilii
koͤnnen ſie daher aller Forderungen wegen verklagt wer-
den; ja nach denen Geſetzen des ſtaͤten und weſentlichen
Aufenthalts iſt der Zuſtand ihrer Perſohn, mit denen
davon abhangenden Rechten, z. B. ob jemand fuͤr muͤn-
dig oder unmuͤndig, ehelich oder unehelich, u. ſ. w. zu
halten ſey, lediglich zu beurtheilen 93). Die andere
Claſſe von Unterthanen machen diejenigen aus, welche
nur allein Guͤter in einem Lande beſitzen, ohne daſelbſt
zu wohnen. Dieſe werden forenſes,Eingeſeſſene
und Beguͤterte genennt, obwohl auch dieſe Benen-
nungen von jenen der erſtern Gattung gebraucht zu wer-
den pflegen. Solche ſind ordentlicher Weiſe dem Lan-
desherrn, in deſſen Territorium die ihnen gehoͤrigen
Guͤter liegen, fuͤr ihre Perſohn nicht unterthaͤnig; nur
in Anſehung der Guͤter kommt dieſem Landesherrn die
Lan-
[279]de Iuſtitia et Iure.
Landeshoheit, und den Beſitzern die derſelben entſpre-
chende Unterthaͤnigkeit zu 94). Daher auch die leztere
nur in ſofern denen Geſetzen des Landes unterworfen
ſind, als ſie die liegenden Guͤter betreffen, weil ſie in
ſofern auch den Schuz und Sicherheit im Staate zu
genieſſen haben. Beyde jezt gedachte Claſſen von Un-
terthanen werden beſtaͤndige genennt, von welchen al-
ſo diejenigen zu unterſcheiden ſind, welche blos fuͤr zei-
tige Unterthanen (ſubditi temporarii) gehalten
werden. Dieſe machen die dritte Claſſe von Untertha-
nen aus, und man verſtehet darunter ſolche, welche
ſich nur eine Zeitlang in einem Lande aufhalten, und
entweder daſſelbe blos durchreiſen, oder auch Geſchaͤfte
halber ſich daſelbſt befinden. Dieſe ſind nur in Anſe-
hung der Handlungen, die ſie in dem Lande vorneh-
men, denen Geſetzen deſſelben unterworfen.
Solche zeitige Unterthanen muͤſſen ſich alſo denen
Geſetzen des Orts, wo ſie ſich aufhalten, unterwerfen:
- 1) wenn ſie daſelbſt Proceſſe fuͤhren. Denn
es iſt ein unbeſtrittener Grundſaz, daß in allen Din-
gen, welche den Proceß und die Art des gerichtli-
chen Verfahrens betreffen, lediglich die Geſetze des
Forums, wo der Rechtshandel obſchwebt, zu beobach-
ten ſind . Dieſe muß der Richter bey rechtli-
S 4chen
[280]1. Buch. 1. Tit.
chen Entſcheidungen zur Richtſchnur nehmen, und
Auswaͤrtige haben ſelbſt, indem ſie vor dieſem Rich-
ter ihre Klagen anbringen, in die Proceßordnung
des Landes eingewilliget. Hierher gehoͤrt, wenn von
dem Gerichtsſtande des Beklagten, der Art des
Proceſſes, der Zeit der Verjaͤhrung einer Klage,
der Beſtellung eines Anwalds und uͤbrigen Handlun-
gen des gerichtlichen Proceſſes die Frage iſt. - 2) Muͤſſen zeitige Unterthanen, auch die Geſetze des
Landes, wo ſie ſich aufhalten, zur Richtſchnur anneh-
men, wenn ſie daſelbſt rechtliche Geſchaͤfte
vornehmen, zu deren Guͤltigkeit eine gewiſ-
ſe Form erfordert wird; z. B. wenn ſie daſelbſt
Vertraͤge ſchlieſſen, oder ein Teſtament machen. Denn
es iſt eine bekannte Regel, daß die Form und Guͤltig-
keit rechtlicher Geſchaͤfte nach den Geſetzen des Orts
zu beſtimmen ſey, wo die Handlung vorgenommen
worden 96). Hieraus folgt a) daß alle Vertraͤge,
welche da, wo ſie getroffen worden, erlaubt und
guͤltig ſind, allenthalben ihre Guͤltigkeit behaupten,
wenn ſie gleich mit den Geſetzen desjenigen Landes,
wo daraus geklagt wird, nicht uͤbereinſtimmen 97).
Je-
95)
[281]de Iuſtitia et Iure.
Jedoch hat dieſe Regel ihre Ausnahmen, wohin vor-
zuͤglich gehoͤrt: 1) Wenn ein Unterthan eines Lan-
des in der Abſicht, um den Geſetzen deſſelben auszu-
weichen (in fraudem legis domeſticae), in einem
fremden Lande eine Handlung vollziehet 98). 2)
Wenn das Verſprechen nicht erfuͤllet werden kann,
ohne daß eine Handlung vorgehe, eine Verbindung
getroffen werde, die ſchon an ſich nach den Geſe-
tzen unſers Landes durchaus nicht gedultet werden
ſoll 99). 3) Wenn durch das auswaͤrtige Geſez,
nach welchem der Handel geſchloſſen worden iſt, den
Rechten und Freyheiten unſers Landes offenbar Ein-
trag geſchiehet 100). Aus dem obigen Satze folgt
weiter, b) daß, wenn ein Teſtator nur nach denen
Feyerlichkeiten, die an dem Orte, wo er ſein Teſta-
ment gemacht hat, vorgeſchrieben ſind, ſich gerichtet
hat, ein ſolches Teſtament an allen Orten gelte, ob-
gleich an dieſen andern Solennitaͤten vorgeſchrieben
ſind 1). Dies iſt wenigſtens die gemeine Meinung
S 5der
[282]1. Buch. 1. Tit.
der Rechtsgelehrten, welche auch der Gerichtsgebrauch
beſtaͤttiget. Wenn daher z. B. ein Kaufmann der
Reichsſtadt Frankfurt in Erlang bey ſeiner Durch-
reiſe ploͤtzlich von einer gefaͤhrlichen Krankheit uͤber-
fallen wuͤrde, und hier ſein Teſtament vor fuͤnf un-
tadelhaften Zeugen, die ſolches unterſchrieben und
beſiegelt haben, gemacht haͤtte; (denn mehr erfordert
die hieſige Landesordnung nicht zur Solennitaͤt eines
auſſergerichtlichen Teſtaments) ſo iſt es auch zu
Frankfurt guͤltig, wenn gleich die Frankfurter Sta-
tuten zur Guͤltigkeit eines ſolchen Teſtaments ſieben
Zeugen erfordern. Aus dem roͤmiſchen Rechte laͤßt
ſich zwar dieſes nicht erweiſen, vielmehr moͤchte ſich
daraus, da die Teſtamente ad iura Quiritium ge-
rechnet wurden, und daher die Guͤltigkeit derſelben
nach dem Ausſpruch des Cajus2)ex regulis iu-
ris civilis lediglich beurtheilt werden mußte, leicht
das Gegentheil darthun laſſen; wie ſchon Anton
Schulting3), der uͤbrigens, was das heutige
Recht anbetrift, ganz unſerer Meinung iſt, bemerkt
hat. Man darf ſich auch daher nicht wundern,
wenn einige Rechtsgelehrten 4), die alles aus dem
roͤmiſchen Rechte entſcheiden zu koͤnnen vermeinen,
mit
1)
[283]de Iuſtitia et Iure.
mit Anfuͤhrung einiger Geſezſtellen 5) behaupten wol-
len, daß man bey der Errichtung eines Teſtaments
jederzeit die Rechte des Vaterlands oder des Domi-
ciliums anzuwenden habe. Allein, da die Teſtamente
heutiges Tages nun bey allen geſitteten Nationen
eingefuͤhrt und geſezlich beſtaͤttigt ſind, mithin iuris
gentium geworden, auch deshalb in manchen Pro-
vinzen und Staͤdten Teutſchlands eigne Geſetze und
Gewohnheiten bey Errichtung der Teſtamente vorhan-
den ſind, ſo koͤnnen die roͤmiſchen Rechte hierinn
nicht angewendet werden 6). Wir reden jedoch nur
von der Form und aͤuſſerlichen Feyerlichkei-
ten eines Teſtaments. Denn inſofern von der
Subſtanz deſſelben, und den Guͤtern ſelbſt die Rede
iſt, woruͤber teſtirt wird, muͤſſen hauptſaͤchlich die
Geſetze desjenigen Orts, da die Guͤter liegen, ange-
wendet werden. Z. B. wenn die Frage iſt, wen
der Teſtator zum Erben einzuſetzen, wem er ein Le-
gat
[284]1. Buch. 1. Tit.
gat zu hinterlaſſen, ob er uͤber dieſes oder jenes
Grundſtuͤck eine teſtamentliche Anordnung zu machen,
oder der Legatar das ihm vermachte Grundſtuͤck zu ac-
quiriren befugt ſey? u. d. m. Denn die Guͤter ſind je-
derzeit dem iuri rei ſitae unterworfen 7); und nur in
dieſer Hinſicht gebe ich denenjenigen Recht, welche
die Guͤltigkeit eines Teſtaments nach den Geſetzen
desjenigen Orts, da die Guͤter liegen, beurtheilt wiſ-
ſen wollen 8). - 3) Auch in Anſehung der Inteſtaterbfolge muß
der Fremdling ſich den Geſetzen desjenigen Orts un-
terwerfen, wo er ſuccedirt. Bey beweglichen Guͤ-
tern und unkoͤrperlichen Dingen, welche unter
jenen mit begriffen werden, muß man daher die Ge-
ſetze desjenigen Orts, da der Verſtorbene ſeine or-
dentliche Wohnung hatte, zur Norm annehmen.
Hierin ſind alle Rechtsgelehrte mit einander einver-
ſtanden 9). Hatte der Verſtorbene an mehrern Or-
ten ſein Domicilium, ſo iſt es natuͤrlich, daß man
die beweglichen Guͤter nach demjenigen Ort der
Wohnung, wo ſie angetroffen werden, beurtheile 10).
Bey Grundſtuͤcken und unbeweglichen Dingen, zu wel-
chen auch die denenſelben anklebende Gerechtigkeiten
und Pertinenz-Stuͤcke zu rechnen ſind, kommt es
zufoͤr-
[285]de Iuſtitia et Iure.
zufoͤrderſt darauf an, ob nicht in dem Lande, wo
ſie liegen, beſondere Anordnungen aufgeſtellet ſind,
nach welchen ſie nach dem Tode des Erblaſſers auf
einen andern Erben und Nachfolger, als nach den
Geſetzen des Domiciliums, fallen ſollen 11); wo die-
ſes nicht iſt, ſo gehet es auch bey unbeweglichen Guͤ-
tern nach den Geſetzen desjenigen Orts, wo der
Verſtorbene ſein Domicilium gehabt hat 12). Endlich - 4) wird auch ein zeitiger Unterthan nach den Geſetzen
desjenigen Orts, wo er ſich aufhaͤlt, behandelt, wenn
er daſelbſt ein Verbrechen veruͤbt hat. Juſtinian
ſchaͤrft dieſes ſehr expreſſiv ein, wenn er in einer ſei-
ner Novellen 13) verordnet: ut unusquisque in pro-
vincia, in qua deliquit, ibi quoque iudicium accipiat.
Dieſes hat auch keinen Zweifel, wenn dem Miſſethaͤ-
ter an dem Orte, wo er das Verbrechen begangen
hat, der Proceß gemacht wird 14), Man erfordert
jedoch nicht unbillig, daß, wenn das Verbrechen des
Fremden entweder nur wieder ein Landes- und ſtatu-
tariſches Geſez, oder zwar wieder das gemeine Recht
laufen, aber doch nach demſelben nicht diejenige harte
Strafe verdienen ſollte, als die Geſetze des Orts, wo
das Verbrechen begangen worden, darauf ſetzen; der
Delinquent an dem Orte ſchon eine Zeitlang ſich auf-
gehalten haben muͤſſe, wenn die deshalb beſtimmte
Strafe
[286]1. Buch. 1. Tit.
Strafe ſtatt finden ſolle: daher ein Ankoͤmling gegen
die Strenge der Landesgeſetze zu ſchonen ſey, wenn
er darthun koͤnnte, daß er ſich in einer unuͤberwindli-
chen oder wenigſtens in einer verzeihlichen Unwiſſenheit
befunden habe 15). Wenn hingegen der Verbrecher
an dem einen Orte die Miſſethat begangen haben,
an einem andern aber deshalb ertappt, und daſelbſt
zur Unterſuchung und Beſtrafung gezogen werden ſolte;
ſo entſtehet alsdann die Frage, nach welchen Geſetzen
das Verbrechen zu beſtrafen ſey? Hier wuͤrde es nun
erſtlich ſehr unbillig ſeyn, den Miſſethaͤter nach den
Geſetzen des Orts zu richten, wo demſelben der Pro-
ceß gemacht wird, wenn in dieſem Lande auf eben die-
ſes Verbrechen eine groͤſere Strafe geſezt ſeyn ſolte.
Denn wider dieſe Geſetze hat er doch eigentlich nicht
geſuͤndiget, weil Poͤnal - Statuten auſſerhalb Landes
keine Verbindlichkeit haben 16). Die meiſten Rechts-
gelehrten behaupten daher, daß ein auſſerhalb Landes
begangenes Verbrechen in foro deprehenſionis nach
den Geſetzen des Orts, wo das Verbrechen veruͤbt
worden iſt, und in deren Ermanglung nach den Vor-
ſchriften des gemeinen Rechts zu beſtrafen ſey 17).
Allein geſchaͤhe gleich dem Delinquenten kein Unrecht,
wenn er nach den Geſetzen des Orts, wo er die Miſ-
ſethat begangen hat, geurtheilt wuͤrde, weil er zunaͤchſt
dieſe uͤbertreten hat; ſo laͤßt ſich doch keinesweges
be-
[287]de Iuſtitia et Iure
behaupten, daß der Richter, der den Verbrecher ein-
gezogen, an jene Geſetze ſchlechterdings gebunden ſey;
weil dieſe in Anſehung des Richters, der die Inqui-
ſition formirt, fremde Rechte (iura alieni territorii)
ſind. Dahero andere Rechtsgelehrte mit mehreren
Grunde behaupten, daß die Strafe in einem ſolchen
Falle, da die Geſetze des fori delicti und deprehen-
ſionis nicht uͤbereinſtimmen, nach dem gemeinen
Rechte zu beſtimmen ſey 18). Da inzwiſchen ein
Richter jede Gelegenheit ergreifen muß, wo er die
Strenge der Strafe ohne Eintrag der Geſetze mil-
dern kann 19), ſo nimmt man billig den Fall aus,
wenn das particulaire Recht eine gelindere Strafe be-
ſtimmt haͤtte, als in dem gemeinen peinlichen Recht
verordnet ſtehet 20). Ein Richter kann daher in ei-
nem ſolchen Falle die mildere Strafe, die nach den
Geſetzen ſeines Landes eine Folge des vollzogenen
Verbrechens iſt, mit Hintanſetzung der ſtrengern
Strafe, die der Verbrecher an dem Orte, da er
ſein Verbrechen begangen hat, dulden muͤßte, ohne
Anſtand dem Miſſethaͤter zuſprechen; aber auch die
mildere Strafe, welche die beleidigte Nation fordert,
vorziehen, wenn in ſeinem Lande auf eben dieſes Ver-
brechen eine groͤſere Strafe geſezt iſt 21).
§. 45.
Gluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. T
[288]1. Buch. 1. Tit.
§. 45. und 46.
Begrif und Eintheilungen der Gerechtigkeit.
Wir ſchreiten jezt zu dem zweyten Haupttheil die-
ſes Titels, welcher von der Gerechtigkeit (luſti-
tia) handelt. Die Handhabung derſelben iſt der Zweck
unſerer Rechtsgelehrſamkeit, daher auch die Rechtsge-
lehrten Prieſter der Gerechtigkeit genennt wer-
den 22). Was iſt nun aber die Gerechtigkeit?
Ulpian ſezt ſie nach den Lehrſaͤtzen der Stoiker in eine
feſte und beſtaͤndige Bereitwilligkeit, jedem das Seinige
zu geben und zu laſſen (conſtans et perpetua voluntas
ius ſuum cuique tribuendi23). Die Stoiker betrach-
teten die Gerechtigkeit als eine Tugend, und dachten
ſich darunter eine conſtantem et perpetuam vitae ra-
tionem24). Nach dieſer ſtrengen Tugendlehre ſahen
ſie daher bey Ausuͤbung der Gerechtigkeit zugleich auf
die innern Neigungen. Die aͤuſſerliche Erfuͤllung der
Pflichten genuͤgte ihnen noch nicht; nein, nur denjeni-
gen hielten ſie fuͤr gerecht, der auch den Willen, und
zwar den feſten und unveraͤnderlichen Willen haͤtte,
gerecht zu handeln 25). Allein es mag immerhin der
ange-
[289]de Iuſtitia et Iure.
angefuͤhrte Begrif von der Gerechtigkeit ſeine Vertheidi-
ger gefunden haben 26), fuͤr den Juriſten iſt er wenigſtens
nicht brauchbar, deſſen Zweck nur Handhabung der
aͤuſſerlichen Gerechtigkeit iſt 27). Die eigentliche Ge-
rechtigkeit, die fuͤr das Forum des Rechtsgelehrten
gehoͤrt, beſtehet demnach in der Uebereinſtimmung
der aͤuſſerlichen Handlungen des Menſchen
mit den vollkommenen oder Zwangsgeſetzen.
Nach dieſem juriſtiſchen Begrif der Juſtiz wird alſo
a) ein jeder fuͤr gerecht gehalten, deſſen Handlungen
nur aͤuſſerlich denen Geſetzen gemaͤß ſind, wenn er auch
gleich nur aus Furcht vor der Strafe gerecht handelte,
ſeine innere Geſinnungen und Neigungen aber nichts we-
niger als mit den Geſetzen uͤbereinkaͤmen; denn darum
bekuͤmmert ſich der Rechtsgelehrte nicht. Cogitationis
poenam nemo patitur28). b) Gerechtigkeit hat im-
mer nur Beziehung auf vollkommene oder Zwangsgeſetze.
Wer alſo nur Liebespflichten gegen andere Menſchen
nicht erfuͤllt, uͤbrigens aber alles dasjenige puͤnctlich
beobachtet, was die buͤrgerlichen Zwangsgeſetze von ihm
fordern, von dem kann man nicht ſagen, er handle
T 2unge-
25)
[290]1. Buch 1. Tit.
ungerecht. Denn die Pflichten der Menſchenliebe liegen
auſſer den Grenzen der eigentlichen Gerechtigkeit; (iuſti-
tiae forenſis) die Hintanſetzung derſelben misbilliget zwar
die Moral, und erweckt auch wohl bey dem edler den-
kenden Theil des Publicums Verachtung, aber ziehet
doch keine eigentliche Strafe nach ſich 29). Hieraus
erhellet, daß die Eintheilung einiger Rechtsgelehrten von
der Gerechtigkeit, wenn ſie dieſelbe in expletricem, wel-
che in der Erfuͤllung der vollkommenen Pflichten, und
attributricem, welche in der Beobachtung der Liebes-
pflichten beſtehen ſoll, eintheilen 30), fuͤr den Rechtsge-
lehrten gar keinen Nutzen habe, weil wir in foro hu-
mano nur mit Zwangsrechten und vollkommenen Pflich-
ten zu thun haben 31).
Eben ſo irrig iſt auch die bekannte Eintheilung
der Juſtiz in diſtributivam und commutativam, welche
gemeiniglich mit jener verwechſelt wird. Erſtere ſoll
diejenige ſeyn, welche ein geometriſches, und leztere,
welche ein arithmetiſches Verhaͤltnis zum Maßſtab an-
nimmt 32). Die arithmetiſche Proportion, ſagt
man,
[291]de Iuſtitia et Iure.
man, finde nur beym Handel und ſolchen Contracten
ſtatt, in denen die Partheyen einander gegenſeitig er-
was zu leiſten verſprochen haben; die geometriſche
hingegen werde bey Beſchwerungen oder gemeinen Laſten
der Unterthanen, ſodann bey Belohnungen und Beſe-
tzung der Ehrenſtellen, desgleichen bey der Beſtrafung
der Verbrechen, auch bey der Berechnung im Concurſe,
wenn die Frage iſt, wie viel ein jeder Glaͤubiger an
Unkoſten, oder, wenn mehrere Glaͤubiger derſelbigen
Gattung vorhanden ſind, die kein Vorzugsrecht vor
einander haben, wegen nicht hinreichender Concursmaſſe,
an der Forderung ſich muͤſſen abgehen laſſen, und der-
gleichen, angewendet 33). Man ſagt ferner, Iuſtitia
diſtributiva nehme auf die Perſohn, Stand und Ver-
dienſt Ruͤckſicht, die commutativa aber nicht. Allein
das Irrige dieſer pur - ſcholaſtiſchen, und in unſern
Geſetzen nirgends gegruͤndeten Eintheilung zeigt ſich ſo-
gleich offenbar, wenn man erwaͤgt, daß unſere Geſetze
auch bey dem Handel und Vertraͤgen, die einzelne
Buͤrger mit einander ſchlieſſen, nicht nur einen Unter-
ſchied der Perſohnen in Anſehung ihres Alters, Ge-
ſchlechts und anderer Verhaͤltniſſe, ſtatt finden laſſen,
ſondern auch ſelbſt in Anſehung der verſprochenen Praͤ-
ſtationen uͤberall eine geometriſche Proportion beobachtet
wiſſen wollen. Wie verſchieden ſind nicht die Rechte
der Pupillen und Minderjaͤhrigen bey den Vertraͤgen
und Veraͤuſſerungen? — der Weibsperſohnen bey Buͤrg-
ſchaften? — der filiorumfamilias beym Darlehnscon-
T 3tract,
[292]1. Buch. 1. Tit.
tract, oder auch bey andern Contracten, die ſie guͤlti-
ger weiſe ſchlieſſen koͤnnen, wenn es auf die Frage an-
kommt, in wiefern ſie ſelbſt waͤhrend der vaͤterlichen
Gewalt daraus belangt werden koͤnnen? — der Geſell-
ſchaftsgenoſſen, wenn ſie der Societaͤtscaſſe ſchulden?
u. ſ. w. Daß aber auch in Anſehung der zu leiſtenden
Objecte bey den Contracten ein geometriſches Verhaͤlt-
nis zu beobachten ſey, beweißt unter andern der So-
cietaͤtscontract, bey welchem ſich, wenn die Ge-
ſellſchafter ein anders nicht feſtgeſezt haben, die
Theilnehmung ſowohl am Gewinn als Verluſt nach den
Beytraͤgen richtet 34); dieſe geometriſche Proportion fin-
det ferner auch beym Kauf35)- und Mieth- oder
Pachtcontract36), desgleichen bey Zahlungen37),
bey dem Verſprechen einer Brautgabe38), und
uͤberhaupt in allen denen Faͤllen ſtatt, wo von der Praͤ-
ſtation
[293]de Iuſtitia et Iure.
ſtation und Beſtimmung einer gewiſſen Quantitaͤt die
Frage iſt. 39). Ich uͤbergehe mehrere Argumente mit
Stillſchweigen, die man bey andern in den unten an-
gefuͤhrten Schriften finden wird 40).
Lib. I. Tit. II.
de
Origine Iuris.
Die Abſicht des Kaiſers Juſtinian bey dieſem Ti-
tel der Pandecten war, denen Rechtslehrern ei-
nen Leitfaden in die Haͤnde zu geben, nach welchen ſie
der rechtsbefliſſenen Jugend die Geſchichte des roͤmiſchen
Rechts und der Regimentsverfaſſung des roͤmiſchen
Staats, vortragen, nicht weniger eine Anleitung zur
Kenntnis der Litteratur und der roͤmiſchen Rechtsgelehr-
ten geben koͤnnten, weil ohne dieſe Kenntniſſe niemand,
der ein Rechtsgelehrter werden will, fortkommen kann.
T 4Der
[294]1. Buch. 2. Tit.
Der groͤſte Theil dieſes Titels iſt aus des pomponii
libro ſingulari Enchiridii genommen, wie die Ueber-
ſchrift der L. 2. h. t. zeiget; gehet jedoch nur bis auf
die Zeiten Hadrians. Daß die Urtheile der Rechts-
gelehrten uͤber das Fragment des Pomponius ſehr
verſchieden ſind, iſt bekannt, hier aber der Ort nicht,
uͤber den Werth oder Unwerth deſſelben zu urtheilen 1).
Da uͤberdies nach der heutigen Lehrmethode die Rechts-
geſchichte, und die uͤbrigen in dieſem Titel beruͤhrten
propaͤdevtiſchen Wiſſenſchaften der Jurisprudenz nicht mehr
bey den Pandecten, ſondern in eignen Vorleſungen ge-
lehrt zu werden pflegen, auch uͤberdies an Schriften,
wodurch die roͤmiſche Rechts- und Staatsge-
ſchichte iſt bearbeitet worden 2), kein Mangel iſt, ſo
uͤber-
[295]de Origine Iuris.
uͤbergehe ich die Contenta dieſes Titels, und will ſtatt
deſſen, nur im allgemeinen von den Quellen der in
Teutſchland uͤblichen buͤrgerlichen Rechtsge-
lahrtheit und deren Gebrauch handeln. Man
verſtehet darunter die in Teutſchland geltende Privat-
geſetze, aus welchen die zur buͤrgerlichen Rechtsgelehr-
ſamkeit gehoͤrige rechtliche Grundſaͤtze und Wahrheiten
herzuleiten ſind. Dieſe ſind nun von zweierley Art:
- I) fremde in Teutſchland recipirte Geſetze;
- II) teutſche, einheimiſche Geſetze.
1. Abſchnitt.
von
den in Teutſchland geltenden fremden Geſetzen, die wir
als Quellen der buͤrgerlichen oder Privatrechts-
gelehrſamkeit anzuſehen haben.
A.
Vom roͤmiſchen Rechte.
§. 47.
Begrif und Eintheilung des roͤmiſchen Rechts.
Auſſer dem Moſaiſchen Rechte, von deſſen
heutigen Guͤltigkeit ſchon oben (§. 23). ausfuͤhrlich iſt
T 5ge-
2)
[296]1. Buch. 2. Tit.
gehandelt worden, verdient unter denen in Teutſchland
recipirten fremden Rechten nun vorzuͤglich das roͤmiſche
unſere ganze Aufmerkſamkeit. Unter dem roͤmiſchen
Rechte verſtehet man in der weitlaͤuftigern Bedeutung
den Inbegrif aller und jeder Geſetze, welche
in dem roͤmiſchen Staate von deſſen Gruͤn-
dung an, bis auf den Untergang des griechi-
ſchen Kaiſerthums gegolten haben. In der
eigentlichen Bedeutung aber wird darunter das Juſti-
nianeiſche Recht, oder der Inbegrif der zur
Zeit des K. Juſtinian in dem roͤmiſch-grie-
chiſchen Kaiſerthum guͤltig geweſenen Rechte,
welche in dem Corpore iuris civilis enthalten
ſind, verſtanden. Nimmt man es nach dem obi-
gen generellen Begrif, ſo enthaͤlt ſolches drey verſchie-
dene Theile. A) das Antejuſtinianeiſche, B) das
Juſtinianeiſche und C) das Poſtiuſtinianeiſche
Roͤmiſche Recht.
§. 48.
Ueberbleibſel des Antejuſtinianeiſchen
Roͤm. Rechts.
Soviel zuerſt die vor Juſtinian gegoltene roͤm.
Rechte anbetrift, inſofern ſie der Kaiſer nicht in ſeine
Geſezſammlung aufgenommen 2); ſo gehoͤren dahin:
I) Die Ueberbleibſel der Koͤniglichen Ge-
ſetze. (Aut. §. 47 u. 48.) Die Roͤm. Koͤnige ſind Ur-
heber
[297]de Origine Iuris.
heber dieſer Geſetze, und durch die Stimmen des roͤmiſchen
Volks wurden ſie auf den comitiis curiatis beſtaͤttiget. C.
Papirius, dem als Pontifex Maximus die Sorge fuͤr
die Erhaltung der Geſetze von Amtswegen oblag, brach-
te ſie nach Vertreibung der Koͤnige in eine vollſtaͤndige
Sammlung, welche theils zur Ehre ihres Verfaſſers,
theils weil ſie das damals geltende ſchriftliche Civilrecht
der Roͤmer enthielt, ius civile Papirianum genennet wur-
de. Eben dieſer Mann hatte auch ſchon vorher die
Tafeln, worauf Ancus Marcius die geiſtlichen Geſetze
des Koͤnigs Numa aufzeichnen, und zur allgemeinen No-
tiz ein Foro aufſtellen laſſen, weil ſie durch die Laͤnge
der Zeit veraltert und verdorben waren, wieder herge-
ſtellet 3). Daher der gemeine Irrthum entſtanden,
als ob nur allein die geiſtlichen Geſetze des Numa von
Papirius geſammlet worden waͤren, welchen ich an ei-
nem andern Orte widerlegt habe 4). Fragmenta le-
gum regiarum et iuris papiriani findet man mit
einer Erlaͤuterung beym HoffmannTom. II. Hiſtoriae
iuris. S. 1‒64.
II) Die Fragmente der zwoͤlf Tafelge-
ſetze (Autor §. 49.) Sie wurden von zehen dazu ver-
ordneten Maͤnnern, die man aus den vornehmſten Glie-
dern des Senats erwaͤhlet hatte, hauptſaͤchlich aus grie-
chiſchen deshalb eingeholten Geſetzen verfaſſet, und im
Jahr der Erbauung Roms 306. unter dem Conſulat
des L. Valerius und M. Horatius auf 12. eher-
nen
[298]1. Buch. 2. Tit.
nen Tafeln bekannt gemacht. JacobGothofredus5)
hat dieſe Ueberbleibſel am beſten reſtituirt; und der
Etatsrath und Profeſſor bouchaud zu Paris hat ſie
am vollſtaͤndigſten erlaͤutert 6).
III) Die Ueberreſte einzelner roͤmiſcher
Geſetze. Z. B. des Legis Mamiliae finium regundo-
rum7), Legis Voconiae8), Legis Aeliae Sentiae9),
Legis Iuliae et Papiae Poppaeae10) u. d. m. welche
durch die ruͤhmlichen Bemuͤhungen verſchiedener Rechts-
gelehrten, ſo viel moͤglich geweſen, wiederhergeſtellet
worden ſind 11).
IV) Die Bruchſtuͤcke von dem Edicto Per-
petuo. (Aut. §. 65.) Salvius Julianus verfer-
tigte dieſe Sammlung auf Befehl Kr. Hadrians aus
den brauchbarſten Edicten der roͤm. Magiſtratsperſoh-
nen,
[299]de Origine Iuris.
nen, vornehmlich der Praͤtoren. Sie wurde im Jahr
der Erb. Roms 885. bekannt gemacht. Was davon
auf unſere Zeiten gekommen, hat nach Ranchinus,
Gothofredus und Noodt, am beſten Hoffmann
Tom. II. Hiſt. iuris Rom. N. IV. S. 305—360. reſti-
tuirt; der Commentar des Heinecciusin Opuſculis po-
ſtumis iſt nicht vollſtaͤndig.
V) Die Fragmente der alten roͤmiſchen
Juriſten, welche auſſer unſern Corpore iu-
ris civ. ſind aufbehalten worden. Dahin ge-
hoͤren caiiInſtitutionum libri II.ivlii pavliSen-
tentiarum Receptarum libri V. Tituli ex corporevlpia-
ni xxix. Moſaicarum et Romanarum Legum collatio.
modestiniRegularum fragmentum unicum; Fragmen-
tum veteris ICti de iuris ſpeciebus et manumiſſionibus.
Conſultatio veteris ICti de pactis; und papianireſpon-
ſorum liber. Alle dieſe Ueberbleibſel hat Anton
Schultingin Iurisprudentia veteri anteiu-
ſtinianea. Lugduni Batavor. 1717. 4. und cum
praefatione Ge. Henr. ayrerLipſiae 1737. geſamm-
let, und mit ſeinen eignen ſowohl als anderer Rechtsge-
lehrten Anmerkungen vortreflich erlaͤutert. Hierbey iſt
noch zu bemerken, daß auch Ger.meermann den
Cajus mit ſeinen critiſchen Anmerkungen, den Paulus
und Ulpianus aber mit den Noten des Peter Faber
Tom. VII. Theſauri iur. civ. et canon. Desgleichen
Herm.cannegieter die Collationem Leg. Moſaic. et
Rom. Lugd. Bat. 1765. 4. auch Io.cannegieter
den Ulpianum und die eben gedachte Collationem mit
ſeinen Commentarien Lugd. Bat. 1768. 4. endlich Io.
Chriſt.amadvtivs das ſogenannte reſponſum Papiani
aus einer Ottobonianiſchen Handſchrifft vollſtaͤndiger
Rom. 1767. Fol. ediret haben.
VI) Die
[300]1. Buch. 2. Tit.
VI) Die Ueberbleibſel von dem Gregoria-
niſchen und Hermogenianiſchen Codex. Beide
Sammlungen enthalten Verordnungen der roͤmiſchen
Kaiſer vor Conſtantin, ſind iedoch wahrſcheinlich erſt un-
ter dieſem Kaiſer, und zwar die erſtere vom Grego-
rius, welcher im Jahr Chriſti 336. Praefectus Prae-
torio geweſen, die andere aber von dem roͤmiſchen Juri-
ſten Hermogenian, vielleicht als Supplement der er-
ſtern, verfertiget worden 12). (Aut. §. 63.) Am voll-
ſtaͤndigſten hat die Fragmenta codicis Gregoriani et
HermogenianiAnton Schultingin iurisprud. vet.
anteiuſtin. S. 683 — 718. edirt, und mit ſeinen An-
merkungen erlaͤutert.
VII) Die Fragmente des Theodoſiani-
ſchen Codex. Sie enthalten blos Verordnungen
chriſtlicher Kaiſer von Conſtantin bis Theodo-
ſiusII. in ſechzehen Buͤchern. Die ganze Samm-
lung machte Theodoſius im Jahr Chriſti 438. be-
kannt. (Auct. §. 64.) Nach Sichard, Tilius und
Cujacius hat Iac.gothofredus die Fragmente
dieſes Codex am beſten und vollſtaͤndigſten ediret, und
ſie mit einem vortreflichen Commentar verſehen. Die-
ſes unſchaͤzbare Werk kam erſt nach dem Tode des
Gothofredus[durch] die Beſorgung des Anton
Marvilius zu Lyon 1665. in 6. Folianten heraus.
Die neueſte und beſte Ausgabe iſt jedoch diejenige,
welche mit Joh. DanielRitters herrlichen Zuſaͤtzen
zu Leipzig in den Jahren 1736 — 1745. erſchienen
iſt. Endlich
VIII) Die
[301]De Origine Iuris.
VIII) Die Novellen (neue Verordnungen)
der roͤmiſchen Kaiſer vor Juſtinian, die ſie
noch nach dem Theodoſianiſchen Codex in
den Jahren 439. bis 468. promulgirt haben.
Joh. DanielRitter hat ſie unter dem Titel: No-
vellae Conſtitutiones Imperatorum Iuſtiniano anterio-
rum, Theodoſii, Valentiniani, Martiani, Maioriani,
Severi, Leonis et Anthemii, dem 6ten Theil ſeiner
Ausgabe des Theodoſianiſchen Codex beygefuͤgt, und
mit einem treflichen Commentar begleitet. Die ganze
Sammlung iſt in fuͤnf Buͤcher abgetheilt. Auſſerdem
haben Anton Zirardini,Faenza 1766. 8. und
Joh. Chriſtian Amaduzzi,Rom 1767. Folio
aus einer Ottobonianiſchen Handſchrift annoch fuͤnf
Verordnungen der Kaiſer Theodoſius II. und Valenti-
nian III. mit weitlaͤuftigen und ſehr gelehrten Erklaͤ-
rungen herausgegeben, welche vorher nirgends gedruckt
waren 13).
§. 49.
Heutiger Gebrauch derſelben.
Alle dieſe bisher gedachten Reliquien des antejuſti-
nianeiſchen roͤmiſchen Rechts haben nun zwar heutiges
Tages keinen gerichtlichen Gebrauch mehr, weil nur das
juſtinianeiſche Recht in Teutſchland recipirt iſt,
und
[302]1. Buch. 2. Tit.
und uͤberdies K. Juſtinian jene aͤltere Rechtsbuͤcher
caſſirt, ja deren Gebrauch in denen Gerichten ver-
boten hat 14). Allein deßwegen duͤrfen wir ſie kei-
nesweges verachten, noch die Bemuͤhungen jener groſen
Rechtsgelehrten fuͤr vergeblich halten, die ſich um die
Wiederherſtellung derſelben verdient gemacht haben; weil
ſie zum gruͤndlichen Studium des roͤmiſchen Rechts in
mehr als einer Ruͤckſicht unentbehrlich ſind. Denn ein-
mahl lernt man aus ienen Fragmenten das alte roͤmiſche
Recht kennen, welches Juſtinian aufgehoben, und oͤf-
ters nur mit kurzen Worten erwaͤhnet hat; nun wird
man ſich keinen deutlichen und vollkommenen Begrif vom
nenern roͤmiſchen Recht machen koͤnnen, wenn man ſich
nicht erſt vorhero mit dem aͤltern Rechte gehoͤrig be-
kannt gemacht hat. Ja man wird es oft gewahr wer-
den, daß Juſtinian durch Aufhebung des vor ſeinen
Zeiten uͤblich geweſenen Rechts, ſo durch die aͤltern roͤm.
Kaiſer eingefuͤhret worden, zuweilen das weit aͤltere Recht,
welches zur Zeit der freyen Republic gegolten, wieder
hergeſtellet habe, wie ſolches aus dem Titel des Codex
de caducis tollendis und mehreren anderen Materien zu er-
ſehen iſt. Sodann laſſen ſich die aus den Schriften
der roͤmiſchen Juriſten zuſammengetragene Pandecten
des Juſtinians ohne jene aͤltere Quellen ſchlechterdings
nicht verſtehen, weil unzaͤhlige Stellen in denſelben ſich
auf iene aͤltern roͤmiſchen Geſetze beziehen, und eine Er-
laͤuterung derſelben enthalten. Ferner ſind viele Geſetze
ſowohl in denen Pandecten als im Codex verſtuͤmmelt,
aus ihrem Zuſammenhange geriſſen, und durch die Com-
pilatoren interpolirt und veraͤndert worden, welche aus
den obenerwaͤhnten Ueberbleibſeln des antejuſt. roͤmiſchen
Rechts ergaͤnzt und wiederhergeſtellet werden koͤnnen.
Denn
[303]de Origine Iuris.
Denn aus der Vergleichung derſelben kann man erſe-
hen, wie die Worte der Geſetze urſpruͤnglich gelautet,
und was darinn der Kaiſer nach dem Zuſtande ſeiner
Zeiten aͤndern oder einſchalten laſſen; dergleichen Aende-
rungen in den Worten der Geſetze, wie bekannt, Em-
blemata Triboniani genennet werden 15). Auch viele
durch fehlerhaftes Abſchreiben und Abdrucken unſerer Ju-
ſtinianeiſchen Geſetzbuͤcher entſtandene Verfaͤlſchungen der
Geſetze laſſen ſich aus ienen alten Ueberbleibſeln berichti-
gen, und d. m. Man ſiehet alſo hieraus, wie wenig
man die Kenntnis des alten roͤmiſchen Rechts und
das Studium der Quellen deſſelben entbehren kann,
wenn man das Juſtinianeiſche Recht gruͤndlich be-
arbeiten will, und wie vielen Dank man denenjenigen
unſterblichen Rechtsgelehrten ſchuldig iſt, die ſich um die
Wiederherſtellung, Sammlung und Erlaͤuterung obiger
Fragmente des Anteiuſtinianeiſchen Rechts ſo ruͤhmlich
bemuͤhet haben 16).
§. 50.
Gluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. U
[304]1. Buch. 2. Tit.
§. 50.
Von dem Juſtinianeiſchen Rechte oder Corpore iuris
civilis, deſſen Begrif und Theilen uͤberhaupt.
Den zweiten Haupttheil des roͤmiſchen Rechts macht
das Juſtmianeiſche Recht aus, welches die im Cor-
pore iuris ciuilis enthaltene, und zur Zeit des Kaiſers
Juſtinian in den roͤmiſch-griechiſchen Kaiſerthum guͤl-
tig geweſenen Rechte in ſich begreift. Zu dieſem Juſti-
nianeiſchen Rechte gehoͤren alſo theils dieienigen Samm-
lungen der roͤmiſchen Geſetze, welche auf Befehl des
Kaiſers Juſtinian vom Tribonian und ſeinen Ge-
huͤlfen ſind verfertiger worden, nehmlich die Inſtitu-
tionen, Pandecten, und der Codex; theils die
denenſelben bengefuͤgte eigene Verordnungen dieſes Kai-
ſers, als die Novellen und die ſogenannten 13 Edic-
te des K. Juſtinian. Den Inbegrif dieſer verſchie-
denen Sammlungen des Juſtinianeiſchen Rechts nennet
man corpvs ivris civilis; nelcher Nahme weder vom
Juſtinian noch von denen ſo genannten Gloſſatoren des
roͤmiſchen Rechts herruͤhrt, ſondern erſt in neuern Zeiten
entſtanden iſt, als man anfing, die Juſtinianeiſchen Ge-
ſezſammlungen zuſammenzudrucken, die man anfangs nur
einzeln und beſonders zu ediren pflegte. Dionyſius
Gothofredus, der ſich durch ſeine Ausgaben des
roͤmiſchen Rechtskoͤrpers bekannt genug gemacht hat,
ſoll den Nahmen Corpus iuris civilis zuerſt gebraucht
haben; er edirte unter dieſer Aufſchrift die Juſti-
nianeiſchen Geſetzſammlungen zu Lyon 1583. 4. 17).
Wir
16)
[305]de Origine Iuris.
Wir wollen ietzt von den einzelnen Theilen des Juſti-
nianeiſchen Rechts noch etwas ausfuͤhrlicher handeln 18).
§. 51.
Von den Inſtitutionen des K. Juſtinians.
Unter den Haupttheilen des roͤmiſchen Geſetzbuchs
nehmen nun die Inſtitutionen des K. Juſtinian den
erſten Platz ein 19). Sie ſind zwar erſt nach den
Pandecten verfertiget worden, aber ſie wurden doch
eher als die Pandecten, nehmlich am 21. November
des Jahrs 533. bekannt gemacht, ob ſie gleich erſt am
30. December zugleich mit den Pandecten die geſetzliche
Beſtaͤttigung erhalten haben. (Autor §. 70.) Die Ver-
faſſer derſelben ſind Tribonian, und die beiden Rechts-
lehrer Theophilus und Dorotheus. Dieſen be-
fahl Juſtinian, die Hauptgrundſaͤtze des aͤltern und neu-
ern Roͤm. Rechts zum Unterricht fuͤr die Anfaͤnger ins
kurze zu ziehen: ut eſſent totius legitimae ſcientiae
prima elementa. Sie ſind nach dem Muſter der In-
ſtitutionen des Cajus in vier Buͤcher und iedes Buch in
verſchiedene Titel eingetheilt. Ihre Hauptquellen ſind
U 2die
[306]1. Buch. 2. Tit.
die Inſtitutionen des Cajus, und die Pandecten des
K. Juſtinian, aus denen ſie groͤßtentheils excerpirt ſind;
jedoch finden ſich auch hin und wieder Abweichun-
gen von denen letztern, welche zuweilen mit Vorſatz
gemacht worden, zuweilen aber nur einen Irrthum
zum Grunde haben. Es kommt hierauf vieles an, weil
im erſten Fall die Inſtitutionen, als ein neueres Recht,
in letztern Fall aber die Pandecten, als das Original,
vorzuziehen ſind 20). Auſſerdem werden auch in den
Inſtitutionen Verordnungen aͤlterer roͤmiſcher Kaiſer, als
in den Codex befindlich angefuͤhrt, welche iedoch heuti-
ges Tages in demſelben nicht anzutreffen ſind, z. B.
§ 7 I. de teſtam. ordin. §. 27. I. de legatis u. a. m. 21)
Manche neue Verordnung von Juſtinian findet man auch
hier, die man in den uͤbrigen Geſetzbuͤchern dieſes Kaiſers
nirgends weiter antrifft. Z. B. §. 7 — 9. I. de fidei-
comm. hereditat. und §. 10. I. de teſtam ordin. Ue-
brigens verdient dieſes kleine Werk ſowohl wegen der
darin herrſchenden Methode und Kuͤrze, als wegen ſei-
nes guten Styls unſere ganze Bewunderung; man findet
auch darin eine vortrefliche Anleitung, die roͤmiſche Rechts-
gelahrtheit chronologiſch, d. i. nach den mancherley
Abwechſelungen zu ſtudiren, die ſich in den einzelnen
Rechtsmaterien zugetragen haben. Unter den Ausga-
ben derſelben verdienen folgende bemerkt zu werden.
I) Die Haloandriniſche. Nuͤrnberg 1529. 8.
II) Die Cujacianiſche; und zwar die zwote verbeſ-
ſerte
[307]de Origine Iuris.
ſerte, Paris 1585. Joh. Bernh. Koͤhler hat
ſie zu Goͤttingen 1773. 8. wieder auflegen laſſen. Auch
iſt ſie in den Gebaueriſchen, und Plittiſchen Ausga-
ben des Corpus iuris civ. aufs neue abgedruckt. End-
lich III) die Ausgabe des Contius, Paris 1560.
Die beſten Commentare ſind 1) Iani acosta
Commentarius curante Ioanne van dewater
nach der neueſten Ausgabe des Io Conrrücker Lugd.
Batav. 1744. 4. 2) EverardiottonisCommen-
tariuset notae criticae ad Inſtitut. libros
IV. Ultrajecti 1729. und cum praefat. Chriſtoph.
Frid.harpprecht. Francof. et Lipſiae 1743. 4.
3) Arnold.vinnii in IV. libros Inſtitution.
Commentarius academicus et forenſis cum
animadverſionibus Io. Gottl. Heineccii. Lugd. Batav.
1726, 4. Zu den ſeltnern gehoͤren balduinusPariſ.
1554. fol. hotomannusBaſil. 1560. f. und Franc.
broeus.Paris 1622. 4. Wir haben auch Ueberſe-
tzungen von den Inſtitutionen des Juſtinians beynahe
in allen europaͤiſchen Sprachen. Uns intereſſiren hier nur
folgende. I) Die griechiſche Paraphraſe desTheo-
philus, ehemaligen Rechtslehrers zu Conſtantinopel. Es iſt
ſehr wahrſcheinlich, daß dieſer Theophilus eben derſelbe
ſey, deſſen Juſtinian in den Proemium ſeiner Inſtitu-
tionen mit ſo vielen Lobſpruͤchen gedacht hat 22). Und
U 3eben
[308]1. Buch. 2. Tit.
eben ſo glaublich, daß dieſe Paraphraſe aus den Di-
craten des Theophilus uͤber die Inſtitutionen des Ju-
ſtinians erwachſen ſey 23); wenigſtens kann man ſich nun
erklaͤren, woher die mancherley Unrichtigkeiten entſtan-
den ſind, die man in dieſer Paraphraſe hin und wieder
findet. Dieſe abgerechnet, bleibt die Paraphraſe des
Theophilus immer ein ſehr gutes Huͤlfsmittel zur Er-
laͤuterung des lateiniſchen Textes 24). Die beſte Aus-
gabe iſt die, welche Wilh. Otto Reitz mit einer
neuen lateiniſchen Ueberſetzung und den Anmerkungen,
auch verſchiedenen Abhandlungen der eleganteſten Civili-
ſten und ſeinen eigenen zu Haag 1751. Tomis II. ver-
anſtaltet hat. II) Teutſche Ueberſetzungen, be-
ſonders folgende: des K. Juſtinians vier Buͤcher
der Inſtitutionen nach dem angehaͤngten
Grundtext, uͤberſetzt von zweien Freunden der
Rechtsgelehrſamkeit. (Chriſt. Fried. Helwing, und
Joh. Alb. Herm. Heldmann) Lemgow 1765. 8.
§. 52.
Von den Pandecten des K. Juſtinians.
Den zweiten Haupttheil des Roͤm. Rechtskoͤrpers
machen die Pandecten aus. Juſtinian ließ ſie von
ſechzehen der gelehrteſten Maͤnner des damahligen Zeit-
alters 25) und unter der Direction des Tribonians, ſei-
nes Hofkanzlers, aus den beſten Schriften der aͤltern
Roͤm.
[309]de Origine Iuris
Roͤm. Rechtsgelehrten zuſammentragen. Sie enthalten
demnach lauter Excerpte aus denenſelben, welche nach den
Materien unter gewiſſe Buͤcher und Titel ſind ge-
bracht worden. Dieſes Werk wurde im Monath De-
cember des Jahrs 533. bekanntgemacht, und durch
zwey Edicte an den Senat und das Volk beſtaͤttiget 26).
Der Nahme der Sammlung iſt bekanntlich Digeſta ſive
Pandectae; Benennungen, welche ſchon laͤngſt vor Ju-
ſtinians Zeiten die alten roͤmiſchen Juriſten ihren Rechts-
ſyſtemen beylegten. Digeſta werden ſie von der Ord-
nung genennt, in welche die Geſetze gebracht ſind: Pan-
dectae aber darum, weil ſie ein vollſtaͤndiger Inbegrif,
oder Sammlung alles deſſen ſeyn ſollen, was in den
Schriften der alten roͤmiſchen Juriſten brauchbares ent-
halten war, von παν (alles) und δέχομαι (enthalten, in
ſich faſſen). Ueber die Zahl der Rechtsgelehrten, aus
deren Schriften dieſes Werk compiliret worden, iſt man
zwar nicht einig; allein es iſt wohl richtig, daß ihrer
vierzig geweſen ſeyn. Ihre Nahmen, mit welchen die
Ueberſchriften der einzelnen Legum in den Pandecten
bezeichnet ſind, ſind folgende: Aelius Gallus, Caͤci-
lius Africanus, P. Alfenus Barus, P. Furius
Anthianus, Aurelius Arcadius Chariſius, T.
Cajus, Calliſtratus, P. Juventius Celſus, Q.
Cervidius Scaͤvola, Claudius Saturninus, Flo-
rentinus, J. Gallus Aquila, Claudius Hermo-
genianus, Javolenus Priscus, Salvius Julia-
nus, M. Antiſtius Labeo, Aemilius Macer, L. Vo-
luſius Maͤcianus, Ulpius Marcellus, Aemilius
Marcianus, Junius Mauricianus, Rutilius Ma-
ximus, Arrius Menander, Herennius Modeſti-
nus, Q. Mucius Scaͤvola, Neratius Priscus,
Aemilius Papinianus, Papirius Juſtus, Julius
U 4Pau-
[310]1. Buch. 2. Tit.
Paulus, S. Pomponius, Sempronius Procu-
lus, Licinius Rufinus, Maſurius Sabinus, Ta-
runtenus Paternus, Terentius Clemens, Q. Septi-
mius Florens Tertullianus, Claudius Tryphoni-
nus, Aburnus Valens, Q. Venulejus Saturni-
nus, und Domitius Ulpianus. Man findet in der
Florentiniſchen Handſchrift der Pandecten ein Verzeich-
nis dieſer Rechtsgelehrten und ihrer Schriften vorge-
ſezt, welches aber ſehr unvollſtaͤndig und uͤberdies auf
eine Art abgefaßt iſt, die es ſehr unglaublich macht,
daß es eben dasjenige ſey, was auf Befehl Juſtini-
ans 27) bey der Verfertigung der Pandecten vorgeſezt
werden muͤſſen 28). Vollſtaͤndiger ſind die Verzeich-
niſſe in des Abraham WielingsIurisprudentia reſti-
tuta. Uebrigens iſt das ganze Werk in ſieben Theile
und funfzig Buͤcher, iedes Buch in ſeine Titel, und je-
der Titel wieder in einzelne Abſchnitte, welche insge-
mein Leges, von andern aber capita oder Fragmenta
genennt zu werden pflegen, abgetheilt. Die erſten vier
Buͤcher der Pandecten, welche den erſten Theil derſel-
ben ausmachen, werden vom Juſtinian Πρῶτα, der
mittlere oder vierte Theil aber, welcher vom 20ten
bis zum 27ten Buch gehet, media totius operis, μέσον
τȣ͂ παντος, auch umbilicus Pandectarum genennt 29).
Die alten Gloſſatoren haben noch uͤberdies die Pande-
cten in drey Theile, in das digeſtum vetus, infortia-
tum und novum eingetheilt. Das digeſtum vetus ge-
het
[311]de Origine Iuris.
het bis auf den zweiten Titel des vier und zwanzigſten
Buchs de divortiis et repudiis, das infortiatum, oder
der mittlere Theil, erſtreckt ſich vom 3ten Titel des
24ten Buchs bis ans Ende des 38ten Buchs. No-
vum endlich gehet vom 1ten Titel des 39ten Buchs de
novi operis nunciatione bis ans Ende der Pandecten.
Ueber die Erklaͤrung dieſer Benennungen iſt man nicht
einig, anſtatt mich jedoch hierbey aufzuhalten, will ich
die Worte eines Johann Coraſius hierher ſetzen, wel-
cher an einem gewiſſen Ort ſeiner Epiſtolicarum Quac-
ſtionum30) ganz richtig ſagt: iſtiusmodi diſputationem
cervicoſis relinquendam, nec in talibus infrugiferis
quaeſtionibus vel tantillum operae ponendum eſſe.
Um jedoch wieder auf die ſogenannten Leges unſerer
Pandecten zu kommen, ſo finden ſich in denenſelben nicht
ſelten merkliche Widerſpruͤche, wenn auch gleich Juſti-
nian dieſen Vorwurf durchaus nicht gelten laſſen will 31).
Man vergleiche nur L. 16. §. 3. und L. 22. §. 5. D.
de lib. cauſa mit L. 17. D. eodem32). Ferner L. 15.
D. de teſtib. mit L. 20. §. 5. D. Qui teſtam. fac.
poſſ.33). Desgleichen L. 68. §. 3. D. de legat. 1.
mit L. 65. § 2. D. de legat. 2. 34) So wird man
ſich hiervon genugſam uͤberzeugen koͤnnen. Die natuͤr-
U 5liche
[312]1. Buch. 2. Tit.
liche Urſache dieſer Antinomien iſt, weil die Pandecten
aus den Schriften ſehr verſchiedener Rechtsgelehrten ſind
compiliret worden, welche in ihren Grundſaͤtzen und
Rechtsmeinungen oft ſehr von einander abgiengen; die
Verfaſſer der Pandecten aber ihre Excerpte aus zu
groſer Eilfertigkeit nicht ſorgfaͤltig genug mit einander
verglichen haben. Solche wahre Widerſpruͤche, da ei-
nerley Rechtsfall unter einerley Umſtaͤnden von gleich-
zeitigen Rechtsgelehrten auf eine ganz verſchiedene Art
iſt entſchieden worden, conciliiren zu wollen, wuͤrde ei-
ne ganz vergebliche Muͤhe ſeyn. Wie ſollen wir uns
alſo dabey verhalten? — Man befolge diejenige
Meinung, welche mit der Rechtsanalogie und
Billigkeit am meiſten uͤbereinſtimmt, und, wo
dieſes nicht auszumachen ſtehet, nehme man
ſeine Zuflucht zur hoͤchſten Entſcheidung des
Landesherrn35). Man ſey jedoch hierbey behutſam
und verwechſele nie ſcheinbare mit wahren Wider-
ſpruͤchen. Bey vorkommenden Antinomien unterſuche
man daher vor allen Dingen, ob auch die Leſeart
richtig ſey; denn zuweilen ruͤhrt ein Widerſpruch in
den Geſetzen unſerer Pandecten blos von einer fehler-
haften Leſeart her. Ein Beiſpiel giebt L. 34. §. 4. D.
de iureiur. welche zwar dem L. 8. §. 5. D. qui ſatisd.
cog. und L. 7. §. 3. D. de obſequ. parent. et patron.
praeſt. entgegen iſt, allein nur darum, weil die mei-
ſten Ausgaben der Pandecten eine falſche Leſeart ent-
halten, denn ließt man mit Haloander und den Ba-
ſiliken: hoc iusiurandum de calumniaaequepatro-
noetparentibus remittitur, ſo verſchwinder aller Wi-
derſpruch 36). Iſt aber der Text an ſich richtig, ſo
zer-
[313]de Origine Iuris.
zer gliedere man ferner die in denen ſich ent-
gegen zu ſeyn ſcheinenden Geſetzen enthal-
tene Faͤlle, und unterſuche alſo den Inhalt
dieſer Geſetze. Denn oft wird man finden, daß es
wahr ſey, was Juſtinianin Praefat. II. ſeiner Pan-
decten §. 15. ſagt, nehmlich, daß der anſcheinende
Widerſpruch verſchwinden werde, ſi quis ſubtili animo
diverſitatis rationes excutiet. Zum Beiſpiel koͤnnen
die L. 41. D. de pignerat. action. und L. 22. D. de
pignorib. et byp.37) ferner L. ult. D. de condict.
cauſ. data cauſ. non. ſec. und L. 5. §. 1. D. de prae-
ſcript. verb.38) dienen, deren Widerſpruch auf ſolche
Art gar leicht gehoben werden kann, wie ich zu ſeiner
Zeit darthun werde. Sollte ſich nun gleichwohl fin-
den, daß einerley Rechtsfall in beiden vorliegenden Ge-
ſetzen enthalten waͤre, ſo unterſuche man das Zeit-
alter der diſſentirenden Juriſten, und halte
ſich an die Regel: ius tempore poſterius potius eſt
iuri anteriori. Denn mit Recht haben Heinec-
cius39), Brenkmann40), und andere ſchon ange-
merkt, daß ſich unter Rechtsgelehrten von verſchiedenen
Zeitaltern kein wahrer Widerſpruch gedenken laſſe. Ein
treffendes Beiſpiel geben uns die L. 17. D. de duob.
reis. L. 54. §. ult. und L. 124. D. de legat. 1. wo-
ſelbſt die Meinung des Paulus in L. 17. als eines
ſpaͤtern Rechtsgelehrten der Meinung der andern beiden
aͤltern
[314]1. Buch. 2. Tit.
aͤltern Juriſten, des Neratius und Pomponius aller-
dings vorgezogen werden muß 41). Hieraus aber erhel-
let auch zugleich, wie nothwendig es ſey, die Chronolo-
gie der roͤmiſchen Rechtsgelehrten zu ſtudieren 42).
Von den Geſetzen der Pandecten muß ich hier
noch ferner anmerken, daß einige derſelben urſpruͤnglich
in griechiſcher Sprache abgefaßt geweſen, welche jedoch
in denen gemeinen Ausgaben der Pandecten ins Latei-
niſche uͤberſezt, groͤſtentheils mit Hinweglaſſung des
griechiſchen Textes, angetroffen werden. Hierher gehoͤ-
ren z. B. die aus des herennii modestinilibris
ſex Excuſationum excerpirte Stellen. Man iſt nicht
einig, wer der lateiniſche Interpres ſey; indem einige
den bulgarus, andere einen gewiſſen Piſaniſchen
Rechtsgelehrten mit Nahmen burgundio, oder, wie
ihn andere nennen, burgundius, noch andere den
gandinus oder bandinus, auch einen Piſaner, dafuͤr
halten wollen. Es mag jedoch derſelbe ſeyn, wer er
will, ſo iſt ſoviel gewiß, daß ſeine Ueberſetzung zum
Theil ſehr ſchlecht gerathen, und oft den wahren Sinn
des roͤmiſchen Juriſten nicht ausdruͤckt, wie ein neuerer
beruͤhm-
[315]De Origine Iuris.
beruͤhmter Piſaniſcher Juriſt mit vielen Beiſpielen er-
wieſen hat 43).
Endlich findet man heutiges Tages auch verſchie-
dene Geſetze in unſern Pandecten, welche in den Hand-
ſchriften der Gloſſatoren gefehlet, und erſt in neuern
Zeiten von JacobCujacius, und AntonContius
aus denen Baſiliken des Kaiſers Leo wieder hergeſtel-
let worden ſind. Hierher gehoͤren z. B. aus dem Ti-
tel de bonis damnatorum §. 5. ja ſchon einige der lez-
tern Worte von §. 4. des L. 7. ferner L. 8. bis 11.
eben dieſes Titels; desgleichen aus dem Titel de inter-
dictis et relegatis L. 10 ‒ 19. Dionyſius Gotho-
fredus hat dieſe Leges reſtitutas durch Curſiv Schrift
zu unterſcheiden geſucht, ſie haben auch keine vollſtaͤndi-
ge Inſcription, ſondern nur den Nahmen des Rechts-
gelehrten. Sie gelten aber nicht in Praxi, weil ſie
nicht gloſſirt ſind.
Ich komme nun auf die Ausgaben der Pande-
cten. Dieſe theilt man gewoͤhnlich ein in die Floren-
tiniſche, Haloandriniſche und Gemeine. Die Flo-
rentiniſche nennt man diejenige Ausgabe, welche von
der vortreflichen Handſchrift der Pandecten, die zu den
Zeiten der alten Gloſſatoren in den Haͤnden der Piſa-
ner war, jezt aber zu Florenz als eine Seltenheit
aufbewahret wird 44), abgedruckt, und durch Franz
Taurellius zu Florenz im Jahr 1553. in Folio iſt
ediret
[316]1. Buch. 2. Tit.
ediret worden. Die Haloandriniſche Ausgabe hat
ihren Nahmen von Gregorius Haloander, der die
Pandecten auf Koſten des Nuͤrnberger Stadtmagiſtrats
im Jahr 1529. zu Nuͤrnberg in Quart herausgege-
ben hat. Sie wird deßhalb auch editio Norica genennt.
Unter der vulgata endlich begreift man alle diejenigen
Ausgaben der Pandecten, welche theils von ſolchen
Handſchriften ſind abgedruckt worden, deren ſich die al-
ten Gloſſatoren bedient haben, theils eine Leſeart ent-
halten, worin die meiſten Handſchriften und Ausgaben
der Pandecten mit einander uͤbereinſtimmen 45). Daß
jedoch dieſe Eintheilung ſehr unrichtig ſey, indem es weit
mehrere, auch gemiſchte Ausgaben giebt, die aus der
Vergleichung der florentiniſchen, haloandriniſchen und
gemeinen Leſeart entſtanden ſind, wie z. B. die Ausga-
be des Ludovicimiraei Paris 1552. und 1553.,
haben auch ſchon Andere bemerkt 46). Die vorzuͤglich-
ſten Ausgaben habe ich bereits oben angefuͤhrt (S. 237.
Note 17.). Da die Gothofrediſchen Ausgaben
vom Corpore iuris civilis die gewoͤhnlichſten ſind, die
auch am oͤfterſten in- und auſſerhalb Teutſchland in al-
len Formaten, Folio, Quart und Octav ſind nachge-
druckt worden, mithin in den Haͤnden der meiſten Rechts-
gelehrten ſich befinden, ſo iſt es noͤthig, von dieſen
Ausgaben der Pandecten verſchiedenes zu bemer-
ken. Der Text iſt ziemlich fehlerhaft abgedruckt.
Hauptſaͤchlich richtete ſich zwar Gothofredus nach den
florentiniſchen Text, allein unlaͤugbar iſt es, [daß] er den-
ſelben nicht rein geliefert, ſondern bald der Vulgate,
bald der Haloandriniſchen Lection gefolgt ſey. Der un-
ver-
[317]de Origine Iuris.
verzeihlichſte Fehler des Gothofreds iſt jedoch dieſer,
daß er das, was Taurell und die folgenden Editoren
mit verſchiedenen Zeichen bemerkt haben, meiſt ohne allen
Unterſchied in Haken eingeſchloſſen hat; ſo daß man aus
ſeinen Ausgaben nicht ſehen kann, warum etwas auf
eine gewiſſe Weiſe bezeichnet worden, ſondern deswegen
immer die Taurelliſche Ausgabe zu Huͤlfe nehmen muß 47).
Man darf daher nicht glauben, daß irgend ein Wort
deswegen verdaͤchtig ſey, weil es in einer Gothofredi-
ſchen Ausgabe in Haken oder halbe Zirkel eingeſchloſſen
angetroffen wird. Die beſte und auch wohl dem Dru-
cke nach die ſchoͤnſte und praͤchtigſte Ausgabe unter den
Gothofrediſchen iſt ohnſtreitig diejenige, welche Simon
van
[318]1. Buch. 2. Tit.
van Leeuwen 1663. zu Amſterdam veranſtaltet
hat. Sie enthaͤlt den Gothofrediſchen Text, nur hin
und wieder verbeſſert, daß aber die Pandecten ganz
nach der florentiniſchen Handſchrift hier waͤren geliefert
worden, wie der Herausgeber verſprochen, iſt eine Un-
wahrheit. Mit Verwechſelung der Zeichen ſind auch
in dieſer Ausgabe eben die Fehler begangen worden,
die wir oben an Gothofred geruͤgt haben. Simon
van Leeuwen liefert auſſer den Gothofrediſchen An-
merkungen noch viele andere von Auguſtin, Go-
vean, Faconius, Bellonius, Contius, Raͤ-
vard, Robert, Alciat, Hotmann, Charon-
das, Cujaz, Leoninus, Salmaſius und Gro-
tius.
47)
[319]de Origine Iuris.
tius. Dieſen fuͤgte er auch noch ſeine eigene Bemer-
kungen hier und da bey, welche jedoch meiſt abge-
ſchmackt und, wie Hennr. Brenkmann48) richtig
von denſelben geurtheilt, einer ſo ſchoͤnen Ausgabe ganz
unwuͤrdig ſind. Uebrigens iſt dieſe Leeuwenſche Aus-
gabe zwar richtiger als die uͤbrigen Gothofrediſchen, hat
aber doch auch manche grobe Druckfehler 49).
Soviel hiernaͤchſt die Commentare uͤber die
Pandecten des Inſtinians anbetrift, ſo haben wir auſ-
ſer den Brunnemann (Commentar. ad Pandectas
Frfti 1674. Fol. und Colon. 1752. F.) welcher aber
eben nicht viel bedeutet, faſt keinen, der vollſtaͤndig iſt,
und uͤber alle 50. Buͤcher der Pandecten ſich erſtreckt;
wenn man nicht etwa den mornacius in Obſervat. ad
XXIV. libros priores, und deſſelben Synopſin ad XXVI.
libros poſteriores hierher rechnen will. Die uͤbrigen vor-
handenen Commentare gehen immer nur uͤber etliche Buͤ-
cher, wir wollen folgende als die vorzuͤglichſten anfuͤh-
ren. 1) Anton.fabriRationalia in Pande-
ctas Tomi V. Lugduni 1663. F. erſtreckt ſich nur
auf die erſtern neunzehn Buͤcher, gehet jedoch auf alle
einzelne Geſetze, und fuͤhrt bey Erklaͤrung eines jeden
rationes dubitandi et decidendi an. Ein Fehler iſt
es jedoch, daß Faber uͤberall den Text verdaͤchtig ma-
chen und uͤberall Gloßeme und Tribonianismen finden
will. 2) Ger.noodtiiCommentar. ad Dige-
ſta, gehet nicht nach der Ordnung der Geſetze, und
erſtreckt ſich nur uͤber die erſtern 27. Buͤcher der Pan-
decten.
Gluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. X
[320]1. Buch. 2. Tit.
decten. Er hat ſich vorzuͤglich bemuͤhet, die Worte
der Ediete zu reſtituiren, und erklaͤrt ſie vortreflich.
3) die erſtern vier Buͤcher erlaͤutert baroin Operib.
und uͤber die erſtern beyden hat balduinNotas ge-
ſchrieben, welche in T. I. Iurisprud. Rom. et Atticae
S. 774 ‒ 843. anzutreffen. Einzelne Titel der Pande-
cten haben mehrere erlaͤutert, welche hier anzufuͤhren,
zu weitlaͤuftig iſt. Mehrere Rechtsgelehrten haben die
Fragmente einzelner roͤm. Juriſten aus den Pandecten
geſammlet und ſelbige erlaͤutert, von denen ich folgende
bemerken muß. 1) cujacius ad Africani quaeſtio-
nes, ad Papinianum, ad Pauli Quaeſtiones, Mode-
ſtini libr. Differentiar. Iuliani Digeſta, libros 6. ex
Minicio, et 4. ad Urſeium Ferocem, Pauli, Nera-
tii, Marcelli, Ulpiani, Modeſtini, Scaevolae rèſpon-
ſa. 2) GregoriimaiansiiCommentarii ad tri-
ginta ICtorum fragmentaGenev. 1764. 4.
3) Franc.balduiniCommentar. de Iuris-
prudentia MucianaBaſiliae 1558. 8. und in
T. I. Iurisprud. Rom. et Atticae S. 434. folgg. 4)
Ant. Dadin.alteserraeRecitationes ad Try-
phoninumToloſae 1679. und 1684. 4. 5) me-
rilliusad Pauli Manual.in Operib. Derſelbe
ad Calliſtrati quaeſtion.in Theſauro Otton.
Tom. III. 6) lectiusad Macrum de publi-
cis iudiciis et Modeſtinum de poenis. Eben-
daſelbſt. Tom. I. 7) Ant.augustinusad Mode-
ſtinum de excuſationibus, mit deſſelben Emendationi-
bus Baſiliae 1544. F. und im Theſ. Otton. T. 4.
8) retesad Cervidii Scaevolae Quaeſtio-
nes in Theſ. Meermann. T. 6. 9) Ioſ.finestres
etde monsalvoin Hermogeniani ICti iuris
Epitomarum libros VI. Commentarius. To-
mi II. Cervariae Lacetanor. 1757. 4. 10) Henr.
Theod.
[321]de Origine Iuris.
Theod.pagenstecherin S. Pomponii ad Sa-
binum de re teſtamentaria et de bonor.
poſſeſſionibus libros VI. Commentarius.
Lemgoviae 1750. 4. Ebendeſſelben Ius Pegaſia-
numIbidem. 1741. 4. 11) Henr.brencmann
in Herennii Modeſtini librum ſingularem
περὶ ἑυρηματικῶνCommentariusLugduni
Batavor. 1706. 8. 12) Io. Flor.riviniExerc.
ad Modeſtini caſus enucleatosLipſiae 1727.
4. 13) Franc. Car.conradiad Panlum de iu-
re ſingulariLipſiae 1728. 4. 14) gronovius
ad Marciani libr. regular. (in fellenberg
Iurisprud. antiqua Tom. 2.) 15) vannispenad
Fragmenta, quae in Digeſtis ex Modeſti-
ni IX. libris Differentiarum ſuperſunt in
Ger.oelrichTheſ. Diſſert. Bellgicar. Vol. 1. T. 1.
N. 1. 16) Herm.oosterdyk Diſp. ad Frag-
menta, quae ex Venuleji Saturnini libris
de officio Proconſulis ſuperſunt. Traj. ad
Rhen. 1755. in oelrichTheſ. novo Diſſ. Belgicar.
Vol. I. T. II. N. VII. 17) Anſ. Frid.pistorii
Diſſ. ad Fragmenta, quae ex Alfeni Var.
libris XL. Digeſtorum ſuperſunt; praeſ. Car.
Chriſtph.Hofacker defenſa Tubingae 1775.
Wir haben auch etwas von teutſchen Ueberſetzun-
gen der Pandecten. Hierher gehoͤrt:
- I)Verſuch eines Auszugs der roͤmiſchen Ge-
ſetze in einer freyen Ueberſetzung zum Be-
huf der Abfaſſung eines Volkscodex. Bres-
lau 1783. bis 87. 8. (vom Hofr. Fenderlin in
Schweidniz) geht von erſten bis zum 50. Buch. - II)Sammlung der roͤmiſchen Geſetze auf Be-
fehl K. Juſtinians verfertiget, ins teut-
X 2ſche
[322]1. Buch 2. Tit.
ſche mit erlaͤuternden Anmerkungen uͤber-
ſezt. 1 Theil Pandecten. Frankfurt u. Leipzig 1785.
8. enthaͤlt blos den 14. Tit. des 2. Buchs de pa-
ctis. Endlich zum critiſchen Gebrauch dienen- 1) Sieg. Reich.iauchiimeditationes criti-
cae de negationibus Pandectis Flo-
rentinis partim recte vel male iam
adiectis aut detractis, partim etiam-
num adiiciendis aut tollendis aut
transferendis.Amſteldami 1728. 8. - 2) Io. Gottl.sammetreceptarum lectionum
ad lauchium liber ſingularisLipſiae
1750. - 3) Iac.labittiIndex Pandectarum Paris
1537. und cum praefat. Nic Hieron.gund-
lingiiFrifti et Lipſiae 1724. 8. - 4) Abr.wielingiiiurisprudentia reſtitu-
ta, ſiue Index chronologicus in totum
Iuris Iuſtinianei corpusAmſtelaedami.
1727. 8. enthaͤlt ein Verzeichnis von den ſaͤmmt-
lichen aus eines jeden roͤmiſchen Rechtsgelehrten
Schriften hergenommenen, in den Pandecten aber
hin und wieder zerſtreueten Stellen. - 5) HenrbrencmanniPandectae iuris civi-
lis auctoribus ſuis et libris reſtitu-
tae Amſtelaedami 1769. enthaͤlt nur die Frag-
mente des Alfenus Varus. Vollſtaͤndiger iſt - 6) C. F.hommeliiPalingeneſia librorum
iuris veterum ſ. Pandectarum loca
integra ad modum Wielingii oculis
expoſita. Lipſiae 1767. et 1768. Tomi III.
- 1) Sieg. Reich.iauchiimeditationes criti-
§. 53.
[323]de Origine Iuris
§. 53.
Vom Codex repetitae praelectionis.
Auf die Pandecten folgt der codex repetitae prae-
lectionis des K. Juſtinians. Dieſer Juſtinianeiſche Co-
dex (Aut. §. 68.) iſt nur eine neue verbeſſerte und ver-
mehrte Ausgabe eines vorhergegangenen, aber nicht auf
unſere Zeiten gekommenen, aͤltern Codex, wie auch ſchon
der Titel zu erkennen giebt. Denn die Alten, deren
Beiſpiel Juſtinian hier gefolgt iſt, pflegten die zwoten
und verbeſſerten Ausgaben ihrer Schriften libros repe-
titae praelectionis zu nennen. Dieſer neue Codex ent-
haͤlt nicht nur die Verordnungen der roͤmiſchen Kaiſer
vor Juſtinian von Hadrian an, welche aus dem Gre-
gorianiſchen, Hermogenianiſchen und Theodoſianiſchen
Codex, wie auch aus denen nachher noch promulgirten
Novellen ſind excerpiret worden, ſondern auch des Kr.
Juſtinians eigene Verordnungen, unter welchen die ſo
genannten funfzig Deciſionen dieſes Kaiſers die
merkwuͤrdigſten ſind. Man verſtehet unter den leztern
diejenigen Verordnungen des K. Juſtinians, wodurch
gewiſſe unter den alten roͤmiſchen Rechtsgelehrten ſtrei-
tig geweſene Rechtsfragen ſind entſchieden worden 50).
AbrahamWieling51) hat ſie mit Verbindung de-
rer, welche ihres verſchiedenen Inhalts wegen von den
Verfaſſern des Codex ſind getrennt und unter verſchie-
dene Titel gebracht worden, chronologiſch aufgezaͤhlt.
Es wurde dieſer neue Codex im Jahr 534. bekannt ge-
X 3macht,
[324]1. Buch. 2. Tit.
macht, iſt alſo juͤnger als die Inſtitutionen und Pan-
decten, und derogirt beyden 52). Er iſt in zwoͤlf Buͤ-
cher eingetheilt, wovon jedes wieder gewiſſe Titel hat.
Jeder Titel hat ſeine Aufſchrift, die allemahl eine ge-
wiſſe Rechtsmaterie anzeigt, unter welcher alsdenn die
zu derſelben gehoͤrigen Kaiſerlichen Verordnungen, welche
Leges Codicis genennt werden, chronologiſch geordnet
ſind. Dieſe Leges Codicis enthalten jedoch die Ver-
ordnungen der roͤm. Kaiſer nie ganz, ſondern nur Aus-
zuͤge aus denenſelben, die oft ſehr dunkel und verſtuͤm-
melt ſind, daher uns bey Erklaͤrung derſelben die Frag-
mente der oben gedachten aͤltern Codicum trefliche Dien-
ſte leiſten 53). Sie haben ferner meiſt eine Inſcri-
ption und Subſcription. Leztere zeigt das Datum oder
Ort und Zeit der Promulgation an, erſtere aber den
Nahmen des Kaiſers oder derjenigen Kaiſer, von denen
die Verordnung iſt bekannt gemacht worden, auch die-
jenige Perſohn, an welche die Conſtitution gerichtet iſt,
welche bey den Edicten und Deciſionen eine Magiſtrats-
perſohn, bey Decreten und Reſcripten aber nur eine
Privatperſohn iſt. Beyde, die In- und Subſcription
haben zur Erklaͤrung und Beſtimmung der Chronologie
groſen Nutzen 54). Von den aͤchten Legibus Codicis
muͤſſen unterſchieden werden,
I) die leges reſtitutae Codicis. Nicht wenig Con-
ſtitutionen waren nehmlich theils durch die Nachlaͤſſigkeit
und
[325]de Origine Iuris.
und Unwiſſenheit der Abſchreiber, welche kein Griechiſch
verſtanden, theils durch Verwuͤſtung der Zeit verlohren ge-
gangen, welche in neuern Zeiten verſchiedene Gelehrte, Au-
guſtinus, Cujacius, Charondas und Contius, zum
Theil aus den Baſiliken, Photii Nomocanon, und an-
deren Ueberbleibſeln des roͤmiſch-griechiſchen Rechts wie-
derhergeſtellet und dem Codex einverleibt haben. Dahin
gehoͤren z. B. L. 36. 39. und 40. de Epiſc. et Cleric.
L. 24. C. mandati. L. fin. C. de ſponſal. L. 2. C.
de privato carcere. L. 4. de in ius voc. L. penult. de
aedific. privat. Dieſe haben in den Gerichten keine
Auctoritaͤt, weil ſie nicht gloſſirt ſind 55). Man er-
kennt ſie daran, daß ſie groͤſtentheils keine Inſcription
und Subſcription haben.
II) die ſo genannten Avthenticae (Autor §. 72.)
worunter man kurze Auszuͤge aus den Novellen des K.
Juſtinians ſowohl, als auch gewiſſen Verordnungen der
Kaiſer Friedrichs des erſten und zweyten verſtehet, wo-
durch verſchiedene Geſetze des Codex ſind theils abgeaͤn-
dert theils vermehret worden, und welche dieſen Geſe-
tzen am gehoͤrigen Orte beygefuͤget worden ſind. Man
theilt ſie daher in die Juſtinianeiſchen und Frie-
dericianiſchen ein. Ihre Verfaſſer ſind die Bo-
nonienſiſchen Rechtsgelehrten, und ſo wie von denenſel-
ben die Friedericianiſchen Avthentiken auf Befehl K.
Friedrichs des zweiten dem Codex ſind inſerirt wor-
den 56), ſo hat ſchon vorher Irnerius, ein Rechts-
X 4ge-
[326]1. Buch. 2. Tit.
gelehrter des zwoͤlften Jahrhunderts, die Juſtinianeiſchen
aus der alten lateiniſchen Novellen-Sammlung (Corpo-
re Avthenticarum) excerpirt, und dem Juſtinianeiſchen
Codex in der Abſicht beygetragen, um daraus zu erſe-
hen, in wieweit das ius Codicis durch die Novellen
des K. Juſtinians ſey abgeaͤndert worden 57). Sie
ſind
[327]De Origine Iuris.
ſind mit Curſiv-Schrift gedruckt, und zeigen in der Ue-
berſchrift den Nahmen Friedrich, oder die Novelle
an, woraus ſie extrahiret worden. Ihre heutige Guͤl-
tigkeit haben ſie durch die Reception erhalten, und wer-
den in Praxi ſogar den Novellen ſelbſt vorgezogen 58).
Wir wollen nun noch zum Beſchluß von den vor-
zuͤglichſten Ausgaben und Commentarien des Codex han-
deln. Unter den Ausgaben verdient zuerſt diejenige
geruͤhmt zu werden, welche Anton Contius zu Pa-
ris 1562. in Folio veranſtaltet hat. Er hat nicht
X 5nur
57)
[328]1. Buch. 2. Tit.
nur aus 26. Handſchriften, welche er durch den Cuja-
cius und Merillius aus Franzoͤſiſchen Bibliotheken
erhalten hatte, den Text verbeſſert, ſondern denſelben
auch mit 150. griechiſchen Conſtitutionen vermehrt. Die-
ſe Ausgabe iſt hernach noch verbeſſerter in dem Con-
tiuſſiſchen Corpore iuris civ., welches zu Lyon 1581.
in 12. herauskam, aufgelegt worden. Noch beſſer und
vollſtaͤndiger iſt jedoch die Ausgabe des L. Charon-
das, Antwerpen 1575. Fol Er hat ſich nicht nur
hierbey der vortreflichen Handſchriften des Stephani
auredani bedient, ſondern den Text auch mit vielen
in der vorhergehenden Ausgabe fehlenden griechiſchen
und lateiniſchen Conſtitutionen vermehrt 59).
Die Commentarien betreffend, ſo haben wir
auſſer den Joh. Brunnemann (Commentar. ad Co-
dicem Lipſiae 1708. und am neueſten Genevae 1771.
F.) keinen, welcher uͤber alle einzelne Geſetze der zwoͤlf
Buͤcher des Codex commentiret haͤtte. Denn des Ant.
perezPraelectiones in duodecim libros
Codicis luſtinianei am neueſten Venetiis 1738.
gehoͤren nicht hierher; ich rede auch hier nicht von den
Gloſſatoren. Ueber einzelne Buͤcher haben commentirt
auſſer Sichard, Frankfurt 1686. F. und Donell,
vorzuͤglich Cujacius uͤber die erſten neun Buͤcher;
Giphanius in Expoſit. ad VIII. libror. leges
celebr. et difficiliores. Colon. 1614. morna-
ciusObſervat. ad IV. libros (in Operib.) uͤber
die drey leztern Buͤcher alciatus, vorzuͤglich aber
Franc. deamayain tres poſteriores libros
Codicis Imp. luſtiniani CommentariiLug-
duni 1639. Fol. Tomi III. Ueber Verordnungen ein-
zelner
[329]de Origine Iuris.
zelner Kaiſer im Codex haben geſchrieben Renat.bot-
tereauin Hadriano Legislatore. Pictavii
1661. (hoffmannHiſt. iuris T. II. S. 129-207.
Io. Ortwinwestenberg in Divo Marco ſ. Diſ-
ſertat. ad Conſtitutiones M. Aurelii Antonini Imp.
(in Operib. aiungioeditis Hanov. et Bremae 1758.
4. Tom. III.) Alex.chassaneusin Conſtitut.
Alexandri Severi Paris 1635. 4. Franc.bal-
duinus in Conſtantino M. Ebenderſelbe in Iu-
ſtiniano (Iurisprud. Rom. et Attica Tom. I.) Ueber
die funfzig Deciſionen des K. Juſtinians ſind zu bemer-
ken Em.merillii Expoſitio L. Deciſion. Iu-
ſtinianiPariſ. 1618. et in Operib. (Neapoli 1720.
4.) T. II. Pet. Franc.lingloisQuinquaginta
Deciſiones Imp. IuſtinianiAntwerpiae 1622.
Fol. und Io.strauch Exercitat. VI. ad L. Deci-
ſiones Iuſtiniani Imp.Gieſſae 1676. 4. Auch
gehoͤrt Fr.raguellusad Conſtitutiones et de-
ciſiones Iuſtiniani Paris 1610. 4. noch hierher.
Endlich uͤber die Avthendiken: Chriſtoph. Phil.rich-
terExpoſitio omnium Avthenticarum Co-
dici Imp. luſtiniani inſertarum. Ienae 1661. 4.
Alex. Arn.pagenstecher Irnerius iniuria va-
pulans ſ. Comment. ad Avthenticas. Groen. 1702.
4. Zum critiſchen Gebrauch des Codex dienen Petri
relandiFaſti Conſulares ad illuſtratio-
nem Codicis luſtinianei ac Theodoſiani
ſecundum rationes temporum digeſti. Tra-
jecti Batavorum 1715. 8.
§. 54.
Von den Novellen des Kr. Juſtinians.
Ich komme iezt auf die, denen bisher gedachten
Geſezſammlungen beygefuͤgte, neuere Verordnungen
des
[330]1. Buch. 2. Tit.
des Kaiſers Juſtinian, welche die Luͤcken iener Sammlun-
gen ausfuͤllen, und ihre Fehler verbeſſern ſollten. Zu
dieſen neuern Verordnungen des Krs Juſtinian gehoͤren
einmahl die ſogenannten Avthenticae ſeu Novellae Con-
ſtitutiones D. Iuſtiniani; Sodann die dreyzehen Edicta
dieſes Kaiſers. Die Novellen (Autor §. 71.) ſind
nach der Verfertigung des neuen Codex in den Jahren
535. bis 559. bekannt gemacht worden 60). Sie wa-
ren urſpruͤnglich in griechiſcher Sprache abgefaßt,
einige wenige ausgenommen 61). Die Sammlung
aber, die wir in unſern Corpus iuris eiv. von denſel-
ben
[331]de Origine Iuris.
ben haben, enthaͤlt eine und zwar in ſehr ſchlechter,
durch Barbarismen entſtellten, Latinitaͤt abgefaßte Ue-
berſetzung. Man traͤgt nicht ohne Grund Bedenken,
ſelbige dem K. Juſtinian zuzueignen, wenn gleich der-
ſelbe eine Sammlung ſeiner neuern Conſtitutionen ver-
ſprochen 62), und eine dergleichen auch wahrſcheinlich
durch den Tribonian hat verfertigen laſſen 63), die
aber nicht publici iuris geworden zu ſeyn ſcheint 64).
Wer der Verfaſſer derſelben ſey, weiß man nicht, daß
ſie indeß keinem der im zwoͤlften Jahrhundert zu Bo-
logna und Piſa beruͤhmt geweſenen Rechtsgelehrten zu-
zuſchreiben, ſondern weit aͤlter ſeyn muͤſſe, iſt gewiß,
weil ſchon der roͤmiſche Biſchof Gregor der Groſe,
der nicht lang nach Juſtinian lebte, eine Stelle aus
dieſer alten Verſion allegiret 65).
Den
[332]1. Buch. 2. Tit.
Den Nahmen Avthenticae hat die Sammlung
von den Gloſſatoren erhalten, weil man die darinn ent-
haltenen Novellen fuͤr Originale hielt, und ſie hier-
durch von Julians lateiniſchen Auszuge (Epitome No-
vellarum) zu unterſcheiden ſuchte 66). Eben dieſe Gloſ-
ſatoren haben auch zum Behuf ihrer Vorleſungen jene
alte Sammlung in neun Collationen oder Buͤcher,
und jede Collation wieder in verſchiedene Titel einge-
theilt, wovon ein jeder eine Novelle enthaͤlt 67). Nicht
nur die Titel einer jeden Collation, ſondern auch die
Novellen ſelbſt ſind numerirt, jedoch mit dem Unter-
ſchiede, daß die Zahl der Titel immer mit jeder neuen
Collation wieder von forn angehet, die Zahl der No-
vellen aber von der erſtern bis zur lezten in einer un-
unterbrochenen Reihe fortlaͤuft. Daher auch die No-
vellen, wie bekannt, nicht nach ihrer Collation und Ti-
tel, ſondern nach der Zahl allegieret werden. Jeder
Titel hat weiter ſeine Rubric, welche den Inhalt und
die Materie der darinn enthaltenen Novelle anzeigt.
Dieſe Rubriken ſind jedoch nicht aͤcht, oft ganz unrich-
tig, und mangelhaft, und haben daher bey der Erklaͤ-
rung der Novellen keine Auctoritaͤt 68). Jede Novel-
le
65)
[333]de Origine Iuris.
le hat ihre beſondere Inſtription und Subſcription, nur
einige ausgenommen, bey denen ſie fehlen. Die In-
ſcription zeigt auſſer den Nahmen des Kaiſers beſon-
ders diejenige Magiſtratsperſohn, oder denjenigen Bi-
ſchof an, an welche oder an welchen die Novelle zur
Publication geſendet worden; unterweilen auch die Un-
terthanen, an welche ſie gerichtet iſt. Die Subſcri-
ption hingegen bezeichnet den Ort und die Zeit der
Ausfertigung, und darf bey Beſtimmung des Zeital-
ters, und wenn es darauf ankommt, ob und welche
Novelle der andern derogiret, nicht aus der Acht ge-
laſſen werden 69). Die Novellen ſelbſt ſind uͤbrigens
in Praefationem, Capita und Epilogum abgetheilt.
Ihre Zahl erſtreckt ſich heutiges Tages auf 168. No-
vellen. Dieſe ſind jedoch nicht alle aͤcht Juſtinia-
neiſch 70), auch nicht alle in Teutſchland recipirt, ſon-
dern man hat in Anſehung der heutigen Guͤltigkeit der-
ſelben einen Unterſchied zu machen zwiſchen denen, wel-
che
68)
[334]1. Buch. 2. Tit.
che in den Handſchriften der alten Gloſſatoren befind-
lich waren, und mit deren Gloſſen oder Anmerkungen
verſehen ſind, und denenjenigen, welche erſt in neuern
Zeiten von Haloander, Scrimger, Cujacius
und Contius aus des Julians Epitome, den Baſili-
ken und andern alten Handſchriften ſind reſtituirt wor-
den. Erſtere werden Novellae gloſſatae, leztere
aber reſtitutae ſ. non gloſſatae genennt. Nur
jene erſteren ſind in Teutſchland recipirt 71), leztere aber
gelten nicht 72), nach der Regel: quidquid gloſſa non
agnoſcit, illud nec agnoſcit curia, von welcher ich in
der Folge reden werde. Der Gloſſirten Novellen
aber ſind nur acht und neunzig, und zwar folgende:
Nov. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 14.
15. 16. 17. 18. 19. 20. 22. 23. 32. 33. 34. 39.
44. 46. 47. 48. 49. 51. 52. 53. 54. 55. 56. 57.
58. 60. 61. 63. 66. 67. 69. 70. 71. 72. 73. 74.
76. 77. 78. 79. 80. 81. 82. 83. 84. 85. 86. 88.
89. 90. 91. 92. 93. 94. 95. 96. 97. 98. 99. 100.
105. 107. 108. 109. 110. 111. 112. 113. 114.
115. 116. 117. 118. 119. 120. 123. 124. 125.
127. 128. 131. 132. 134. 143. und 159. Alle
uͤbrige Novellen gehoͤren zu den nicht gloſſirten.
Zum
[335]de Origine Iuris.
Zum Beſchluß muͤſſen wir noch einige litteraͤri-
ſche Bemerkungen ſowohl von den verſchiedenen lateini-
ſchen Ueberſetzungen und Ausgaben des griechiſchen Tex-
tes als den Commentarien uͤber die Novellen hinzu-
fuͤgen.
I) Unter denen, welche die Novellen des K. Ju-
ſtinians ins lateiniſche uͤberſezt haben, verdient zuerſt
Julian angefuͤhrt zu werden. Er war Profeſſor der
Rechte zu Conſtantinopel, und lebte unter den Kaiſern
Juſtin II. Tiber II. und Mauricius. Dieſer verfertigte
ums Jahr 570. einen Auszug aus Juſtinians Novellen
in aͤcht lateiniſcher Sprache Er enthaͤlt 125. Novel-
len, und iſt in zwey Buͤcher eingetheilt. Nicolaus
Booͤrius machte dieſe Epitome Novellarumiuliani
zuerſt im Druck bekannt Lyon 1512. Sie iſt her-
nach oͤfters wieder aufgelegt worden, allein die beſte
Ausgabe hat Francoisdesmares zu Paris 1689.
Fol. veranſtaltet.
II) Hat GregorHaloander hierauf die No-
vellen griechiſch mit einer eleganten lateiniſchen Ver-
ſion zu Nuͤrnberg 1531. Fol. herausgegeben. Es
iſt eine gemeine Meinung vieler Rechtsgelehrten 73),
daß Haloander 165. Novellen griechiſch ediret habe,
allein man darf dieſe Ausgabe nur ſelbſt vor Augen
nehmen, ſo wird man ſich vom Gegentheil ſogleich uͤber-
zeugen koͤnnen. Haloander hat nicht mehr als 137.
Novellen geliefert, und unter dieſen ſind wieder ſechs,
die nicht einmahl die vollſtaͤndigen Verordnungen enthal-
ten,
Gluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. Y
[336]1. Buch. 2. Tit.
ten, ſondern nur Auszuͤge ſind, nehmlich die 111. 114.
138. 140. 150. und 165. Novelle. Dahingegen feh-
len die 40. 49. 70. 76. 106. 137. 140. und 149.
gaͤnzlich. Von der 6. 7. 10. 46. 54. 55. 56. 57.
62. 98. 127. und 130ten hat er nur den lateiniſchen
Text. Endlich von der 2. 5. 74. 75. 79. 83. und
84ten hat er nichts als den Titel angefuͤhrt. Haloan-
der gab ſeine Novellen nicht aus den Buͤchern der Ba-
ſiliken, wie Hombergk74) meint, ſondern aus einer
eigenthuͤmlichen Handſchrift heraus, wie er in der ſei-
ner Ausgabe vorgeſezten Epiſtola nuncupatoria ſelbſt
ſagt 75). Wie er dazu gekommen, und was das vor
ein Codex geweſen, erzaͤhlt suaresius76). Haloan-
der erhielt durch Bemuͤhung des Johann Baptiſta
Egnatius Copie eines Exemplars von den Novellen,
welches ludovicus bologninus oder Bononienſis,
aus der Marcianiſchen Bibliothek zu Venedig
hatte abſchreiben laſſen, und zu Florenz in der Lauren-
tianiſchen oͤffentlich aufbewahret wird. In vielen Stuͤ-
cken kommt zwar das Haloandriniſche Exemplar mit den
Baſiliken des K. Leo uͤberein, aber oft iſt es von den
leztern ganz verſchieden, und viele Novellen erſcheinen
weit vollſtaͤndiger in der Haloandrine, die in den Ba-
ſiliken defect ſind, wie Jacob Voorda77) durch
viele Beyſpiele auſſer Zweifel geſezt hat.
III) Eine
[337]de Origine Iuris.
III) Eine noch vollſtaͤndigere Ausgabe des griechi-
ſchen Textes lieferte HeinrichScrimger, ehemaliger
Rechtslehrer zu Genf, wo er im Jahr 1571. ſtarb.
Dieſe iſt ohnſtreitig die beſte griechiſche Ausgabe. Scrim-
ger bediente ſich dabey eines vortreflichen Codex, den der
Cardinal Beßarion mit ſich von Griechenland nach Ve-
nedig gebracht, und daſelbſt der Republik bey ſeinem Ab-
ſterben vermacht hatte. Hierdurch hat Scrimger die
beym Haloander fehlenden Novellen mit 23. derſelben
vermehrt. Der vollſtaͤndige Titel dieſer Ausgabe iſt:
Ἀυτοκρατόρων, Ιȣςινιανȣ, Ιȣςίνȣ͂, Λέοντος νεαραὶ διατά-
ξεις. Ιȣςινιανȣ͂ ἔδικτα. Impp. Iuſtiniani, Iuſtini, Leo-
nis Novellae conſtitutiones. Iuſtiniani Edicta. Ex
bibliotheca illuſtris viri HuldericiFuggeridomini in
Kirchperg et Weiſſenborn, publicae commoditati dican-
tur. Iuſtiniani quidem opus antea editum, ſed nunc
primum ex vetuſtis exemplaribus ſtudio et diligentia
Henriciscrimgeri, Scoti, reſtitutum atque emen-
datum, etviginti tribus conſtitutionibus,
quae deſiderabantur, auctum. Cui et Edicta eiusdem
Imperatoris non prius edita, tamquam corollarium
acceſſerunt. Iuſtini autem et Leonis conſtitutiones
(quae et ipſae in antiquis codicibus Novellae cognomi-
nantur) nunquam antea in lucem prolatae. Anno
MDLVIII. ExcudebatHenricus Stephanus,
Hulderici Fuggeri typographus. Fol. Der Druck-
ort iſt nicht genennt, wahrſcheinlich iſt es Genf oder
Paris78). Nach dieſer Scrimgeriſchen Ausgabe edirte
Y 2IV)
[338]1. Buch. 2. Tit.
IV) HeinrichAgylaͤus Verbeſſerungen und
Supplemente zur Haloandriniſchen, indem er nicht nur
die in der Haloandrina fehlende Novellen aus dem
Scrimger ins lateiniſche uͤberſezte; ſondern auch aus
eben demſelben die Fehler der Haloandriniſchen Ver-
ſion verbeſſerte. Dies Werk erſchien zu Coͤln 1560.
8. und hat folgenden Titel: Novellarum Iuſtiniani
Principis conſtitutionum ſupplementum, antehac non
editum, una cum Haloandri ac Scrimgeri editionum
collatione, per Henricumagylaeum. Man pflegt
zwar eben demſelben auch folgende Edition der Novel-
len zuzuſchreiben: Iuſtiniani Principis Novellae Conſti-
tutiones latine ex Gregorii Haloandri et Henrici Agy-
laei interpretatione, ad graecum Scrimgeri exemplar
nunc primum editae. Quibus ſuis locis interſeritur,
quicquid vetus verſio amplius babet, atque proximis
editionibus ex vetuſtis libris ac Iuliani Epitome ad-
ſperſum eſt. In qua editione Henrici Agylaei opera
diligentem tum variarum lectionum annotationem, tum
Haloandrinae verſionis caſtigationem invenire eſt. Item
eiusdem Iuſtiniani Edicta, Iuſtini, Tiberii, Leonis
Philoſophi Conſtitutiones, et una Zenonis, quae ad
titulum Codicis de privatis aedificiis pertinet, Henri-
co Agylaeo interprete. Poſtremo Canones SS. Apo-
ſtolorum per Clementem in unum congeſti Gregorio
Haloandro interprete. Baſileae per Io. Herwagium.
MDLXI. 8vo max. Allein es iſt noch einigem Zwei-
fel unterworfen, ob Agylaͤus der Verfaſſer dieſer Aus-
gabe ſey 79). Endlich hat
V) der ehemalige Marburgiſche Rechtslehrer Jo-
hann FriedrichHombergk zu Vach die Novellen
des
[339]de Origine Iuris.
des Juſtinians aus dem griechiſchen ins lateiniſche uͤber-
ſezt, und mit Noten erlaͤutert: dieſe iſt ohnſtreitig die
allerbeſte lateiniſche Ausgabe. Sie kam unter dem Ti-
tel: Novellae Conſtitutiones D. Iuſtiniani Sacr. Princ.
ex graeco in latinum converſae et notis illuſtratae zu
Marburg 1717. 4. heraus, und enthaͤlt zugleich Fr.
pithoei Gloſſarium obſcurorum verborum Inliani
Anteceſſ. Conſt. Desgleichen Ant.augustini quo-
rundam verborum Iuliani interpretatio, und des
cujacii und agylaei Obſervationes de dierum an-
notatione. Dieſe verſchiedenen griechiſchen und lateini-
ſchen Ausgaben der Novellen dienen uns nun vorzuͤglich
zur richtigen Beſtimmung des Sinnes derſelben, wel-
cher nicht ſelten in der verſione vulgata durch Barba-
rismen verdunkelt, ja wohl gar entſtellt und verfehlet
worden iſt. Wie, wenn nun alſo die Vulgata von
dem griechiſchen Texte abweicht, und einen unrichtigen
Sinn der Novelle darſtellt, welcher Text wird den Vor-
zug behaupten? Die gewoͤhnliche Theorie der Rechtsge-
lehrten iſt, die Vulgata gehe nicht nur den uͤbrigen
Ueberſetzungen, ſondern auch dem griechiſchen Texte vor,
weil nur erſtere in Teutſchland allein recipirt ſey, mit-
hin auch nur allein ein geſezliches Anſehen in den Ge-
richten erlangt habe. Allein es hat ſchon der vorhin
gedachte Hombergk zu Vach dieſes gemeine Vor-
urtheil aus Gruͤnden beſtritten, die gewiß bey einem
Jeden, dem Wahrheit am Herzen liegt, ihr Gewicht
haben werden 80). Warum ſollte bey unrichtiger Ue-
Y 3berſe-
[340]1. Buch. 2. Tit.
berſetzung eines ſo wichtigen Theils des Juſtinianeiſchen
Rechts, welcher das neueſte roͤmiſche Recht enthaͤlt, nicht
eben ſo wohl, wie in andern Faͤllen, wo ein offenbarer
Irrthum zum Grunde liegt, jener allgemeine Ausſpruch
des Celſus81): Quod non ratione introductum, ſed
errore primum, deinde conſuetudine obtentum eſt: in
aliis ſimilibus non obtinet, ſeine Anwendung finden?
Zum Beſchluß wollen wir nur noch kuͤrzlich die
vorzuͤglichſten Commentare uͤber die Novellen anfuͤh-
ren. Hierher gehoͤren auſſer F.balduinin Iuſti-
niano,DeſſelbenCommentarii in Novellas
I. IV. XVIII. et CXVIII. Auch Ebendeſſelbenbreves
Commentarii in praecipuas Iuſtiniani Imp.
Novellas. (Beyde ſtehen in der Iurisprud. Rom.
et Attica T. I. Fol. 1201. und 1322.) I.cujaciiEx-
poſitio NovellarumColon. 1569. und in Op.
Conr.rittershusiiIus Iuſtinianeum ſ. No-
vellarum Iuſtiniani expoſitio methodica.
Argentorati 1615. 1629. und edit. III. auct. Ibidem
1669. 4. Pet.gudeliniCommentarior. de
iure noviſſimo libri ſex. Francofurti 1668. 4.
und Lucae 1780. F. und stephaniCommen-
tar. ad Novellas.Lipſiae 1700. 4.
§. 55.
[341]de Origine Iuris.
§. 55.
Von den Edicten des K. Juſtinians.
Die dreyzehen Edicte des K. Juſtinians, wel-
che man in neuern Zeiten denen Novellen noch beygefuͤgt
hat, ſind von geringer Erheblichkeit, und haben meiſt
nur einen particulaͤren Gegenſtand. Das fuͤnfte iſt uͤber-
dies ſchon unter denen Novellen enthalten, und macht
die 111te Novelle aus. Scrimger edirte ſie zuerſt mit
Juſtinians uͤbrigen Novellen griechiſch 1558 und Agy-
laͤus uͤberſezte ſie ins lateiniſche 1560. Seit der Zeit
ſind ſelbige in die Ausgaben des Corpus Juris aufge-
nommen worden, und ſchon in der Rußardiniſchen,
Lyon 1560. Fol. anzutreffen. Sie ſind alſo nicht
gloſſirt.
§. 56.
Von der heutigen Guͤltigkeit des Juſtinianeiſchen
Rechts. Erlaͤuterung der Regel: Quidquid non
agnoſcit gloſſa etc.
Soviel nun hiernaͤchſt die heutige Guͤltigkeit
des Juſtinianeiſchen Rechts anbetrift, ſo iſt zu-
foͤrderſt ſoviel auſſer allen Zweifel, daß dieſelbe nicht
aus einer Promulgation, ſondern allein ex receptione
in Teutſchland herzuleiten ſey, ob es wohl nicht gelaͤug-
net werden kann, daß der irrige Wahn, als ob unſe-
re teutſche Kaiſer, ohne Teutſchland und Italien von
einander zu unterſcheiden, in beyderley Betrachte, die
alten roͤmiſchen Kaiſer als ihre Vorfahren am Reich
anzuſehen gehabt haͤtten, auſſer andern Urſachen (S. Aut.
§. 77.), viel zu der Aufnahme des roͤmiſchen Rechts in
Teutſchland beygetragen habe 82). Man iſt auch fer-
Y 4ner
[342]1. Buch. 2. Tit.
ner darin einverſtanden, daß dieſes Juſtinianeiſche Recht
als ein gemeines geſchriebenes Recht in Teutſch-
land gelte, deſſen Reception in einzelnen Faͤllen, wo
man ſich darauf beruft, nie erwieſen werden duͤrfe, viel-
mehr derjenige, welcher ſich darin gruͤndet, jederzeit fun-
datam intentionem, wie man zu ſagen pflegt, fuͤr ſich
habe 83). Fraͤgt man jedoch weiter, in wiefern
das Juſtinianeiſche Recht in Teutſchland ein-
gefuͤhret ſey? ſo kann, wenn gleich ohne allen Zwei-
fel iſt, daß daſſelbe in complexu ſuo recipirt ſey
(Aut. §. 78.), dennoch, ohne ſich den groͤbſten Irrthuͤ-
mern Preis zu geben, nicht behauptet werden, daß
alles, was wirklich Juſtinianeiſchen Rechtens iſt, auch
ebenfalls bey uns gelte; ſondern es iſt vielmehr der
heutige Gebrauch deſſelben behutſam und nach folgenden
Regeln zu beurtheilen 84).
Erſte Regel:Wenn uͤber den heutigen Ge-
brauch einer Stelle des Juſtinianeiſchen
Rechts die Frage entſtehet, ſo hat man
vor allen Dingen darauf zu ſehen, ob
dieſelbe gloſſirt ſey oder nicht; indem
alle diejenigen Theile und Stuͤcke des
Juſtinianeiſchen Rechtskoͤrpers in Teutſch-
land kein gerichtliches Anſehen behau-
pten,
82)
[343]de Origine Iuris.
pten, welche nicht gloſſirt ſind; nach der
Regel:quidquid non agnoſcit gloſſa, illud non
agnoſcit curia85).
Man nennt diejenigen Theile und Stuͤcke des Ju-
ſtinianeiſchen Rechts gloſſirt, welche mit den Anmer-
kungen und Erlaͤuterungen der alten Gloſſatoren ver-
ſehen ſind. Gloſſatoren aber werden diejenigen ita-
liaͤniſchen Rechtsgelehrten genennt, welche im 12. und
13. Saͤculum zu Bologna die roͤmiſchen Rechte lehr-
ten, und bey ihrem Vortrag die iuſtinianeiſchen Geſez-
ſammlungen zum Grunde legten, und dieſe mit ihren
Gloſſen oder Anmerkungen zu erlaͤutern ſuchten. Der
erſtere und beruͤhmteſte derſelben, welchen Odofre-
dus86) daher den primus illuminator ſcientiae no-
ſtrae nennt, war Irnerius, der aber eigentlich
Werner oder Warner geheiſſen, ob er gleich deswe-
gen kein Teutſcher von Geburt, wie Brenkmann
durch jenen teutſchen Nahmen verfuͤhrt, ſich eingebil-
det 87), ſondern ein Italiaͤner, von Bologna gebuͤrtig,
geweſen 88). Dieſer Irnerius fing nach denen, wie-
wohl fruchtloſen, Verſuchen eines Pepo89), und ver-
ſchiedener anderer, die auch ſchon vorher das roͤmiſche
Y 5Recht
[344]1. Buch. 2. Tit.
Recht zu lehren ſich aufgeworfen, aber wenig Beyfall
gefunden hatten, in der erſtern Helfte des zwoͤlften Jahr-
hunderts an, uͤber die Juſtinianeiſchen Geſezſammlungen
Vorleſungen zu halten, und wuſte theils durch ſeine
neue Lehrart, die mit allgemeinem Beyfall aufgenommen
wurde, theils durch die Annehmlichkeit ſeines Vor-
trags 90), der roͤmiſchen Rechtsgelehrſamkeit ſo viele Ver-
ehrer zu verſchaffen, daß ſich nun, ſeitdem Irnerius
ſolche oͤffentlich zu lehren anfing, mit einer Art von
Enthuſiasmus alles darauf legte. Was eigentlich zur
Entſtehung dieſer neuen Irnerianiſchen Schule Veran-
laſſung gegeben, und ob etwa die Graͤfin Mathildis,
wie der bekannte Abt von Urſperg 91) erzaͤhlt, die Trieb-
feder geweſen, oder ob ein grammatiſcher Streit uͤber
die Bedeutung des Wortes as, welcher nach dem Zeug-
niß des Cardinals zu Oſtia 92) durch Einſicht der Juſtinia-
neiſchen Pandecten ſoll entſchieden worden ſeyn, den Ei-
fer des Irnerius rege gemacht, iſt hier zu unterſu-
chen, meine Sache nicht. Allein die neue Lehrmetho-
de, deren ſich Irnerius bey der Erklaͤrung des juſti-
nianeiſchen Rechts bediente, und welcher das ausgebrei-
tete Anſehen des roͤmiſchen Rechts ganz vorzuͤglich zu-
zuſchreiben iſt, muͤſſen wir etwas naͤher kennen lernen.
Sie beſtand darin. Irnerius laas ſeinen Schuͤlern
den Text des juſtinianeiſchen Rechts von Geſez zu Ge-
ſez vor, und ohne ſich in eine weitſchweifige Entwicke-
lung
[345]de Origine Iuris.
lung der einzelnen Rechtslehren einzulaſſen, erklaͤrte er
blos die Worte der Geſetze, (ipſam legum litteram,
wie es die Gloſſatoren ſelbſt zu nennen pflegen) gram-
matiſch, und begleitete den Text mit kurzen Anmerkun-
gen uͤber dunkele Stellen, welche er Gloſſen nannte.
Daß Irnerius in ſeiner Lehrmethode die Griechen
nachgeahmt, und die Scholien der Baſiliken des Krs
Leo benutzet habe, wie Abraham Wieling93) be-
haupten will, kommt mir darum nicht glaublich vor,
weil das Vorgeben, als ob Irnerius die Rechte zu
Conſtantinopel erlernet habe, und worauf ſich jene Hy-
potheſe des Wielings gruͤndet, ganz unerweißlich
iſt 94). Es iſt viel wahrſcheinlicher, daß er die vor-
hin beſchriebene Art zu gloſſiren von den damahligen
Lehrern der Gottesgelahrtheit zu Bologna erlernet ha-
be, welche ſich derſelben ebenfalls bey Erklaͤrung der
heiligen Schrift bedienten, und welche Irnerius auch
bey Erklaͤrung der Geſetze ſehr zweckmaͤſig fand 95). Da
Irnerius, nach dem Zeugnis des Odofreds 96) vor-
her,
[346]1. Buch. 2. Tit.
her, ehe er ſich den Rechten widmete, die Philoſophie
und ſchoͤnen Wiſſenſchaften ſtudieret, und auch als Ma-
giſter dieſelben zu Bologna oͤffentlich gelehret hatte, ſo
iſt nicht zu zweifeln, daß dieſe, einem jeden Rechtsge-
lehrten ſo noͤthige Huͤlfswiſſenſchaften nicht nur bey Er-
klaͤrung des juſtinianeiſchen Rechts ſeine Fuͤhrerinnen ge-
weſen, ſondern auch inſonderheit das Studium der al-
ten roͤmiſchen Autoren zur Bildung des guten Geſchmacks
und der Eleganz das meiſte beygetragen, wodurch ſich
die Irnerianiſche Schule ſo ſehr vor der nachherigen
Accurſianiſchen ausgezeichnet hat; und in deſſen Ruͤck-
ſicht die Gloſſen eines Irnerius mit Recht gegen die
eines Accurſius elegant genennet zu werden verdie-
nen 97). Der groſſe Beyfall, den dieſer Rechtslehrer
durch ſeine Vorleſungen zu Bologna erwarb, verurſach-
te nun, daß nicht nur die Exemplare der juſtinianeiſchen
Rechtsbuͤcher mit einem erſtaunenden Eifer abgeſchrie-
ben, und in die Haͤnde der Rechtsbefliſſenen ſowohl als
der damahligen Gelehrten verbreitet wurden, ſondern
es wurden auch die Gloſſen des Irnerius dieſen Hand-
ſchriften
96)
[347]de Origine Iuris.
ſchriften ebenfalls mit beygefuͤgt, und zwar gleich zwi-
ſchen den Zeilen des Textes bey denenjenigen Stellen
und Worten mit eingeruͤckt, worauf ſich ſelbige bezie-
hen, und zu deren Erlaͤuterung ſie dienen, daher aus
dieſer Urſach die Irnerianiſchen Gloſſen von denen Al-
ten gloſſae interlineares genennt zu werden pflegen 98).
Dieſe Irnerianiſche Methode uͤber das juſtinianei-
ſche Recht zu gloſſiren dauerte nun unter den Schuͤlern
des Irnerius fort, unter denen vorzuͤglich Bulga-
rus und Martin Goſias wegen ihrer Streitigkei-
ten, die ſie uͤber verſchiedene Rechtsmaterien mit einan-
der gehabt, und wegen der dadurch verurſachten beyden Se-
cten der Goſianer und Bulgarianer, welche mit denen
Sabinianern und Proculianern gewiſſermaſen verglichen
zu werden pflegen, vorzuͤglich zu bemerken ſind 99).
Accur-
[348]1. Buch. 2. Tit.
Accurſius, mit welchem in der Geſchichte der
Gloſſatoren eine neue Epoche anfaͤngt, verließ zuerſt,
wo nicht ganz, doch wenigſtens in etwas die Lehrart
des Irnerius. Er wurde zu Florenz ums Jahr
1182. gebohren, und ſtarb zu Bologna im Jahr
1260. 100). Dieſer Accurſius fuͤhrte nicht nur ei-
ne weitlaͤuftigere Art zu gloſſiren ein, welche nehmlich
darin beſtand, daß er den caſum legis uͤberall formir-
te, und Fragen aufwarf, welche er ſodann nach den
Inhalt des Geſetzes zu entſcheiden ſuchte; ſondern er
ſchrieb auch ſelbſt weitlaͤuftige Commentarien uͤber das
juſtinianeiſche Recht, wobey er die Gloſſen ſeiner Vor-
gaͤnger vorzuͤglich benuzte. Dieſe accurſianiſche Gloſſe
erlangte nun ein ſolches erſtaunendes Anſehen, daß man
hieruͤber nicht nur die Irnerianiſche vergaß, ſondern auch
alle Sectirerey beylegte, und nun ſich gleichſam zur
Fahne des Accurſius bekannte 1).
Mit dieſen Gloſſen verſehen erhielten auch wir in
Teutſchland die juſtinianeiſchen Geſezſammlungen durch
die jungen Teutſchen, die aus Mangel einheimiſcher
Academien die Rechte jenſeits der Alpen ſtudieret, und
bey den Gloſſatoren gehoͤret hatten. Was Wunder
alſo,
99)
[349]de Origine Iuris.
alſo, wenn keine andere Geſetze des juſtinianeiſchen
Rechts in Teutſchland recipiret wurden, als welche in
den Exemplaren, die man zu den Zeiten der Gloſſato-
ren davon hatte, und welche mit den Anmerkungen der-
ſelben verſehen waren, anzutreffen geweſen? Und dies
iſt nun der Grund der obigen Regel: Quidquid non
agnoſcit gloſſa, illud nec agnoſcit curia. Nicht alſo
weil die Anmerkungen des Accurſius und ſeiner Vor-
gaͤnger eine geſezliche Kraft haͤtten; oder weil dieſe Gloſ-
ſatoren es beſtimmen koͤnnten, welche Geſetze in Teutſch-
land gelten ſollten, und welche nicht, — ſondern,
weil unſere Vorfahren das Roͤmiſche Recht
in der Geſtalt recipirt haben, wie ſie es aus
den Haͤnden der Gloſſatoren empfiengen; nur
darum gilt anders nichts, als was die Gloſſe aner-
kennt 2). Nicht recipirt ſind demnach alle diejenigen
Geſetze, welche erſt im ſechzehnden und ſiebenzehnden
Saͤculum durch die critiſchen Bemuͤhungen der neuern
Civiliſten vorzuͤglich aus den Baſiliken reſtituirt, und
denen juſtinianeiſchen Geſezſammlungen eingeſchaltet und
beygefuͤgt worden ſind, weil die alten Gloſſatoren dieſe
nicht kannten, mithin auch ſelbige mit deren Gloſſen
nicht verſehen ſind. Da uns nun alſo die Gloſſe
zum Wegweiſer dienen muß, wodurch wir erfahren
koͤnnen, welche Verordnungen der roͤmiſche Rechtskoͤr-
per zu der Zeit, als er in Teutſchland aufgenommen
worden, in ſich gefaſſet habe, ſo laͤſſet ſich ſchon hier-
aus abnehmen, daß das corpus iuris gloſſatum noch
immer fuͤr einen Rechtsgelehrten von groſſem Nutzen
ſey 3).
§. 57.
[350]1. Buch. 2. Tit.
§. 57.
Zweyte Regel.
Iſt es auſſer Zweifel, daß die Stelle
im Juſtinianeiſchen Rechtskoͤrper, uͤber de-
ren heutigen Gebrauch die Frage iſt, wirklich
gloſſirt ſey; ſo iſt weiter darauf zu ſehen,
ob dieſe Stelle eine wirkliche geſezliche Dis-
poſition enthalte, oder nicht? indem, wenn
das leztere iſt, ſolche uns gar nicht verbin-
den kann, ſondern es uns in einem ſolchen
Falle vielmehr freyſtehen muß, nach unſerer
Ueberzeugung davon abzugehen.
Daß in unſerm Corpus Juris nicht wenig enthal-
ten ſey, ſo den Nahmen eines eigentlichen Geſetzes gar
nicht verdienet, iſt ſchon oben (S. 50. und folgg.) be-
merkt worden. So z. B. kommen in unſerm roͤmiſchen
Rechte haͤufig Definitionen, Eintheilungen, dogmatiſche
und hiſtoriſche Saͤtze, Worterklaͤrungen und dergleichen
vor. Dieſe koͤnnen uns als Geſetze aus den ſchon oben
angefuͤhrten Gruͤnden ohnmoͤglich verbinden, wenn wir
gleich dieſelben, ſofern ſie richtig ſind, mit ihren weſent-
lichen Folgen als wahr und gegruͤndet anerkennen muͤſ-
ſen. Ob wir nun gleich, um das Geſezliche von dem
nicht Geſezlichen zu unterſcheiden, lediglich auf den In-
halt der Stelle ſelbſt unſer Augenmerk zu richten ha-
ben, ſo duͤrfen wir doch deswegen mit Thomaſius4)
die
3)
[351]de Origine Iuris.
die geſezliche Auctoritaͤt ſolcher Stellen des juſtinianei-
ſchen Rechts nicht beſtreiten, welche zwar ihrer urſpruͤng-
lichen Beſchaffenheit nach in die Zahl der Geſetze nicht
gehoͤren, wohl aber durch die Aufnahme in den Rechts-
koͤrper ein legales Anſehen bekommen haben. So z.
B. beſtehen zwar die Pandecten des K. Juſtinians
hauptſaͤchlich aus den Meinungen, Gutachten und Erklaͤ-
rungen der roͤmiſchen Rechtsgelehrten, allein wer vermag
dieſen die Eigenſchaft wahrer Geſetze abzuſtreiten, da
Juſtinian die Pandecten, darin ſie aufgenommen ſind,
als ein wirkliches Geſezbuch beſtaͤttiget hat?
§. 58.
Dritte Regel.
Bey den wirklichen Geſetzen unſers roͤmiſchen Rechts-
koͤrpers kommt es nun aber ferner darauf an, ob und
in wieferne ſie auf unſere Zeiten, Sitten und Verfaſ-
ſungen angewendet werden koͤnnen. Es iſt daher eine
dritte Regel: diejenigen Verordnungen, welche
ſich auf blos roͤmiſche in Teutſchland ganz
unbekannte Sitten und Verfaſſungen bezie-
hen, leiden eigentlich bey uns keine Anwen-
dung5).
Denn man darf nicht glauben, daß mit der Auf-
nahme des Juſtinianeiſchen Rechts auch die ganze Re-
gimentsverfaſſung und politiſche Einrichtung der Roͤmer
zu uns uͤbergegangen ſey, oder daß die Teutſchen die
Abſicht gehabt, den ganzen Inbegrif ihrer Rechtsge-
ſchaͤfte nach roͤmiſchen Grundſaͤtzen umzuformen. Die
Erfahrung lehrt das Gegentheil. Hieraus folgt alſo,
daß ſolche Verordnungen, welche auf Grundſaͤtzen beru-
hen,
Gluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. Z
[352]1. Buch. 2. Tit.
hen, die man in Teutſchland nie aufgenommen hat, oder
deren Gegenſtand heutiges Tages ceſſirt, gar keine An-
wendung finden koͤnnen. Vermoͤge unſerer Regel faͤllt
alſo die heutige Anwendung des roͤmiſchen Rechts weg,
1) wenn ſelbſt das Object des Geſetzes
heutiges Tages gar nicht mehrexiſtiret. Da-
hin gehoͤren z. B. diejenigen Verordnungen, welche die
beſondere Regimentsverfaſſung des roͤmiſchen Staats und
deſſen Verwaltung betreffen. Daher faͤllt heut zu Ta-
ge die ganze Reihe von Titeln, welche von dem Amt
der roͤmiſchen Obrigkeiten, als de officio praefecti prae-
torio, praefecti urbi, praefecti vigilum, praetorum,
proconſulis, praefecti auguſtalis, praeſidis u. ſ. w. handeln,
(Lib. I. Tit 9. 22.) ganz weg Aus der nehmlichen
Urſach finder auch die Verordnung des roͤmiſchen Rechts
von der Legitimation unehelicher Kinder per oblatio-
nem Curiae bey uns keine ſtatt. Hieraus erſiehet man
zugleich, wie noͤthig es ſey, um uͤber den Gebrauch und
Nichtgebrauch roͤmiſcher Geſetze richtig urtheilen zu koͤn-
nen, mit den Gegenſtaͤnden derſelben genau bekannt zu
ſeyn? und wie unentbehrlich eben aus dieſem Geſichts-
puncte das Studium der roͤmiſchen Alterthuͤmer ſey?
2) Kann ein roͤmiſches Geſez auch dann
nicht mehr gelten, wenn der weſentliche
Grund deſſelben, ohne welchen ſich das Ge-
ſez gar nicht denken laͤßt, bey uns ganz weg-
faͤllt. Nur unter dieſer Beſtimmung iſt die Regel
wahr: ceſſante ratione legis, ceſſat eius diſpoſitio,
die nur gar zu oft, wenn es auf den heutigen Ge-
brauch einer juſtinianeiſchen Verordnung ankommt, ge-
mißbraucht wird. Ein Geſez kann mancherley Veran-
laſſungen, kann verſchiedene Urſachen haben. Geſezt nun
auch, die Umſtaͤnde haͤtten ſich geaͤndert, es fiele dieſe
oder
[353]de Origine Iuris.
oder jene Nebenurſache bey uns weg, welche vorzuͤglich
etwa den Roͤmern ein Geſez nuͤzlich machte; ſo kann
doch deswegen die heutige Guͤltigkeit des Geſetzes ſelbſt
nicht bezweifelt werden, ſo lange der Hauptgrund des
Geſetzes auch bey uns noch ſtatt findet. Ein Beiſpiel
giebt die actio de receptis, deren heutigen Gebrauch
einige darum beſtreiten wollen 6), weil unſere Wirthe
nicht mit jenen Roͤmiſchen, als welchen die Geſetze von
Seiten ihrer Ehrlichkeit eben kein guͤnſtiges Zeugniß
beylegen 7), in eine Claſſe geſetzet werden koͤnnten. Al-
lein iſt es nicht auch noch heutiges Tages billig, daß
denen Fremden, welche ſich in keine weitlaͤuftige Pro-
ceſſe einlaſſen koͤnnen, kurz und ohne Umſchweif zu dem
Ihrigen verholfen werde? Kann der Gaſtwirth nicht
immer eher Entwendungen verhuͤten, als der Fremde?
ja wuͤrde, wenn der Fremde erſt den Urheber ſeines
Schadens ausfindig machen muͤſte, und nur gegen die-
ſen allein klagen duͤrfte, wuͤrde nicht die hieraus ent-
ſtehende Schwierigkeit zu klagen auch noch heutiges
Tages unredlichen Wirthen leicht Gelegenheit geben koͤn-
nen, den Paſſagier um das Seinige zu bringen? Alle
dieſe Gruͤnde, welche allein ſchon das Geſez hinreichend
rechtfertigen, bleiben allemahl noch fortdauernd, wenn
auch gleich die von den Betruͤgereien der roͤmiſchen Wir-
the hergenommene Urſach zu unſern Zeiten wegfallen
moͤchte. Soll alſo das roͤmiſche Geſez bey uns ſeine
Anwendung verliehren, ſo muß der weſentliche Grund
Z 2deſſel-
[354]1. Buch. 2. Tit.
deſſelben, ohne welchen ſich die Verordung ſelbſt gar
nicht denken laͤſſet, gaͤnzlich ceſſiren. Eben darum laͤſ-
ſet ſich in Teutſchland von denen Vorſchriften des roͤ-
miſchen Rechts, welche von ſimplen Vertraͤgen, und
ſtricti iuris Contracten reden, kein Gebrauch machen;
denn ſie gruͤnden ſich auf das beſondere Formularwe-
ſen der Roͤmer, welches bey allen ihren gerichtlichen
und auſſergerichtlichen Geſchaͤften zur Norm diente. Da
aber die Teutſchen das letztere nicht aufgenommen, ſo
ſind bey uns nicht nur die bloſen Vertraͤge, welche von
Perſohnen, die ſich verbindlich machen koͤnnen, uͤber
einen erlaubten Gegenſtand ſind eingegangen worden,
vollkommen verbindlich, ſondern auch alle unſere Con-
tracte bonae fidei.
Zuweilen kann jedoch der Hauptgrund eines roͤmi-
ſchen Geſetzes wegfallen, und das Geſetz bleibt doch
verbindlich; dieſes geſchiehet in den Faͤllen, wo der
Grund des Geſetzes mit der Dispoſition deſſelben nicht
ſo weſentlich verbunden iſt, daß ſich die letztere mit Auf-
hebung des erſtern nicht mehr gedenken lieſe. Daher
finden wir es ſehr oft, daß in denen roͤmiſchen Geſetzen
Conſequenzen uͤbrig geblieben, ob ſchon der Grundſatz,
woraus ſie ihren Urſprung herleiten, laͤngſt aufgehoben
worden 8). Zum Beyſpiel kann die Querela inofficioſi
teſtamenti dienen. Dieſe Klage war nach dem alten
roͤmiſchen Recht nicht wenig verhaßt, weil der Klaͤger
den Vorwand brauchte, als ob der Teſtator nicht recht
bey Verſtande geweſen; er movirte alſo gleichſam der
Aſche
[355]de Origine Iuris.
Aſche des Teſtators quaeſtionem ſtatus. Da nun nach
denen Verordnungen verſchiedener Kaiſer uͤber den Zu-
ſtand eines Verſtorbenen nach fuͤnf Jahren keine weite-
re zum Nachtheil gereichende Frage aufgeworffen wer-
den ſollte 9), ſo wurde, ohne Zweifel durch die Aucto-
ritaͤt der roͤmiſchen Rechtsgelehrten, eingefuͤhrt, daß
auch die Querela inofficioſi binnen fuͤnf Jahren ange-
ſtellt werden, nach dieſer Zeit aber nicht weiter ſtatt
finden ſollte 10). Ob nun gleich nach der Nov. 115.
c. 3. und 4. jener color inſaniae teſtatoris nicht mehr
noͤthig iſt, ſondern der Grund dieſer Querel vielmehr in
eine unbilliger Weiſe geſchehene Enterbung oder Praͤter-
ition geſezer wird; ſo dauert dennoch auch noch heuti-
ges Tages dieſe Klage laͤnger nicht als fuͤnf Jahr;
und kann daher, wegen etwa ceſſirenden Grundes dieſer
Dauer, die heutige Guͤltigkeit der dieſelbe verordnenden
roͤmiſchen Geſetze im mindeſten nicht bezweifelt werden 11).
§. 59.
Vierte Regel.
Auch dieienigen Verordnungen des roͤ-
miſchen Rechts gelten heutiges Tages nicht,
welche ſolche Gegenſtaͤnde haben, die zwar
denen Roͤmern eben ſo gut, als den Teut-
ſchen, bekannt waren, aber doch bey der Ein-
fuͤhrung des roͤmiſchen Rechts von den Teut-
Z 3ſchen
[356]1. Buch. 2. Tit.
ſchen darum, weil ſie ihren Sitten und Den-
kungsart ganz entgegen giengen, nicht reci-
pirt worden ſind.
Die Lehre von Erbvertraͤgen giebt uns hier-
von ein ſehr treffendes Beyſpiel. Nach roͤmiſchen Rech-
ten gelten ſie, einige wenige Faͤlle ausgenommen, nicht,
man beſorgte, vielleicht nicht ohne Grund, ſie moͤchten
den Wunſch nach des andern Tode rege machen, und
wohl gar zu Lebensnachſtellungen Anlaß geben 12). Al-
lein bey den Teutſchen ſind Erbvertraͤge von jeher uͤblich
geweſen, und als guͤltig und unwiderruflich angeſehen
worden. Ja ſie waren, ehe die Teutſchen durch Ein-
fuͤhrung des roͤmiſchen Rechts die Teſtamente kennen
lernten, das einzige Mittel, uͤber ſeine Erbfolge zu dis-
poniren. Dieſe Grundſaͤtze haben die Teutſchen auch
noch nach Einfuͤhrung des roͤmiſchen Rechts, alles darin
enthaltenen Verbots ohngeachtet, bis auf den heutigen
Tag aufrecht zu erhalten gewuſt. Daher die Vorſchrif-
ten des roͤmiſchen Rechts in dieſer Materie keine An-
wendung bey uns finden 13). Ob auch die roͤmiſchen
Geſetze vom Spiel hierher zu rechnen, iſt unter denen
Rechtsgelehrten annoch ſtreitig 14). Daher ich zu ſei-
ner Zeit (Tit. de aleatoribus) davon handeln werde.
§. 60.
Fuͤnfte Regel.
Auf ſolche Gegenſtaͤnde und Rechtshand-
lungen der Teutſchen, welche den Roͤmern
ganz
[357]de Origine Iuris.
ganz unbekannt waren, und blos aus teut-
ſchen Sitten und Verfaſſungen ihrem Ur-
ſprung haben, laͤſſet ſich das roͤmiſche Recht
ebenfalls nicht anwenden.
So kann daher das einer Witwe aus der Ver-
laſſenſchaft ihres Ehemanns nach teutſchen Rechten ge-
buͤhrende Witthum eben ſo wenig, als die Gemeinſchaft
der Guͤter unter teutſchen Ehegatten aus dem roͤmiſchen
Rechte beurtheilet werden.
§. 61.
Sechste Regel.
Wo nun aber alle dieſe Regeln den Ge-
brauch des roͤmiſchen Rechts nicht hindern,
da findet ſolches in allen uͤbrigen Faͤllen ſeine
Anwendung, ſofern nicht der Gebrauch deſſel-
ben durch die in Teutſchland geltende uͤbri-
ge entweder einheimiſche oder kanoniſche
Rechte eingeſchraͤnkt wird. Von dieſen Einſchraͤn-
kungen werde ich erſt weiter unten reden. Hier bemer-
ke ich nur noch, daß, da das roͤmiſche Recht in Teutſch-
land einmahl zur Kraft eines gemeinen Rechsrechts ge-
diehen, und, als ein ſolches, reichsgeſezmaͤſig bekraͤfti-
get worden 15), der Gebrauch deſſelben ſo wenig durch
ein Erkenntnis des Cammergerichts, ſo nicht pro lege
Imperii zu halten, in einzelnen Faͤllen aufgehoben, als
durch ein Zeugniß eines Cammergerichtsaſſeſſoris entkraͤf-
Z 4tet
[358]1. Buch. 2. Tit.
tet werden koͤnne. Dahero es ganz vergeblich iſt, wenn
einige neuere Rechtsgelehrten aus dieſem Grunde den
heutigen Gebrauch der L. ult. C. de praeſcript. XXX.
et XL. annor. desgleichen der L. 2. und L. ult. C. de
litigios. und anderer mehr bezweifeln wollen.
§. 62.
Poſtiuſtinianeiſches Recht. a) orientaliſches.
I) Baſiliken des Kaiſers Leo.
Wir haben nun noch von dem lezten Theil des roͤ-
miſchen Rechts, nehmlich den Poſtiuſtinianeiſchen,
zu handeln. Hierher gehoͤren einmahl die nach des Kai-
ſers Juſtinians Regierung im Orient promulgirte neue
Geſetze und Rechtsbuͤcher, von denen wir noch heutiges Ta-
ges betraͤchtliche Fragmente uͤbrig haben 16). Außer denen
wenig intereſſanten Novellen der Kaiſere JuſtinII. und
Tiberius, welche auch nach der Ueberſetzung des Agy-
laͤus den meiſten Ausgaben des Corporis iuris civ. an-
gehaͤngt ſind; und den Πρόψειρον νομικὸν, (Promptua-
rium iuris) ſo Kaiſer Baſilius Macedo, mit ſei-
nen beyden Soͤhnen den Conſtantin und Leo, im Jahr
876. bekannt gemacht hat, und aus 40. Titeln beſte-
het 17); verdienen die ſogenannten Baſiliken des Kai-
ſers Leo unſere ganze Aufmerkſamkeit. Kaiſ. Baſilius
Macedo ließ dieſes Werk durch eine Geſellſchaft von
Gelehrten, unter denen Symbatius Protosphata-
rius den erſten Platz behauptet zu haben ſcheinet, vor-
nehm-
[359]de Origine Iuris.
nehmlich aus den damahlen vorhandenen mancherley grie-
chiſchen Ueberſetzungen des juſtinianeiſchen Rechts zuſam-
mentragen 18), es kam iedoch erſt nach deſſelben Tode
unter der Regierung des K. Leo des Philoſophen
zu Stande, welcher dieſes Geſetzbuch im Jahr 887.
promulgirte, und zur Ehre ſeines Vaters des Kaiſ. Ba-
ſilius ΒΑΣΙΛΙΚΑ nannte. Das ganze Werk iſt in ſech-
zig Buͤcher, und jedes Buch in Titel abgetheilt, daher
es auch ἑξηκὸνταβιβλος oder ἑξάβιβλος geneunt wird.
Von dieſen Baſiliken haben wir iedoch heutiges Tages
nur noch acht und dreyßig vollſtaͤndige, nehmlich das 1.
3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 20. 21.
22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 38. 39. 40. 41.
42. 45. 46. 47. 48. 49. 50. 51. 52. und 60te,
von welchen das 49. 50. 51. und 52. im fuͤnften Tom
des Theſauri Meermanniani, die uͤbrigen aber in der
Fabrottiſchen Ausgabe der Baſiliken befindlich ſind. Es
iſt daher eine offenbare Unwahrheit, womit Fabrott
viele hintergangen hat, die ihm auf ſein Wort ge-
glaubt haben, wenn er 41. Buͤcher vollſtaͤndig edirt zu
haben vorgiebt 19). Denn das 2. 16. 17. 18. und
Z 530te
[360]1. Buch. 2. Tit.
30te Buch ſind defect, und ganzer 21. Buͤcher, nehm-
lich das 19. 31. 32. 33. 34. 35. 36. 37. 43. 44.
49. 50. 51. 52. 53. 54. 55. 56. 57. 58. und
59. unaͤcht, wo Fabrott nicht die Buͤcher der Baſi-
liken ſelbſt, ſondern ſtatt derſelben eine Rhapſodie aus
der Synopſi Baſilicorum, den Theodoro Hermopoli-
ta, Conſtantino Harmenopulo, denen Gloſſen der
Baſiliken und den Commentaren des Cujacius uͤber
die drey leztern Buͤcher des Codex geliefert hat 20).
Die Schreibart iſt uͤbrigens in den Baſiliken ſehr ver-
ſchieden, bald ungemein weitſchweifig, bald ſehr kurz,
je nachdem die Verfaſſer bald eine weitlaͤuftigere, bald
eine kuͤrzere Ueberſetzung von Juſtinians Geſezſammlun-
gen vor Augen gehabt haben. Denn einige z. B. Tha-
lelaeus und Stephanus hatten die Pandecten und den
Codex [...]ἐις πλάτος (paraphraſtiſch), andere, wie Doro-
theus, κατὰ πόδα (woͤrtlich) noch andere hingegen, z.
B. Anatolius und Cyrillus κατ̕ ἐπιτομὴν, (auszugs-
weiſe) uͤberſezt. Zur Erlaͤuterung des Textes haben die
griechiſchen Rechtsgelehrten Scholien und Gloſſen ge-
ſchrieben, erſtern hat Fabrott dem Texte beygefuͤgt,
leztere aber, welche Erklaͤrungen dunkler Rechtswoͤrter
enthalten, ſind zuerſt von Carl Labbaͤus, Paris
1606. 8. geſammlet, und hernach noch mit vielen Zu-
ſaͤtzen und Verbeſſerungen auch mit den gelehrten An-
merkungen des Anton Schultings von Eberh. Otto
dem dritten Tom des Theſauri iuris Rom. inſerirt wor-
den.
19)
[361]de Origine Iuris.
den. Matth. Roever21), Pet. Bondam22) und
Pet. Lucret. Struchtmeyer23) haben dieſe Gloſſas
nomicas hernach noch mehr berichtiget und erlaͤutert.
§. 63.
Heutiger Gebrauch der Baſiliken
Dieſe Baſiliken, ſo weit ſie auf unſere Zeiten ge-
kommen ſind, haben nun zwar heutiges Tages kein ge-
richtliches Anſehen, weil ſie in Teutſchland nicht reci-
pirt worden ſind; indeſſen haben doch dieſe Buͤcher ih-
ren groſen Nutzen bey der Erklaͤrung des in Teutſch-
land geltenden Juſtinianeiſchen Rechts. Denn mit Huͤl-
fe derſelben koͤnnen nicht nur manche corrupte Stellen
emendiret, und recipirte, von Andern aber in Zweifel ge-
zogene, Leſearten beſtaͤrket werden, ſondern man kann
auch aus denenſelben beurtheilen, ob etwa Gloßeme
durch die Nachlaͤſſigkeit der Abſchreiber in den Text ein-
geſchlichen ſind, und uͤbrigens manche dunkele Stellen
in unſerm Roͤmiſchen Rechtskoͤrper durch die Baſiliken
vortreflich illuſtriret werden. Cujacius, der uns zuerſt
den Weg zeigte, mit Huͤlfe jener griechiſchen Ueber-
bleibſel das juſtinianeiſche Recht zu erklaͤren, und die
uͤbrigen Rechtsausleger, die ihm auf dieſem Wege nach-
gefolget ſind, unter welchen ich vorzuͤglich einen Abra-
ham Wieling24) nenne, haben dieſen Nutzen der
Baſi-
[362]1. Buch. 2. Tit.
Baſiliken durch viele Beiſpiele auſſer allen Zweifel ge-
ſezt 25). Inzwiſchen iſt auch hier viel Behutſamkeit
noͤthig. Denn einmahl wuͤrde man ſich ſehr irren, wenn
man die Baſiliken ganz fehlerfrey halten wollte. Joh. Wilh.
Hoffmann26) entdeckte nur allein in der Lehre von
der Erbtheilung vierzehen Fehler. Sodann muͤſſen wir
immer bedenken, daß die Baſiliken erſt lange Zeit nach
Juſtinian verfertiget worden, die Verfaſſer derſelben
manches aus dem Rechte der ſpaͤtern Kaiſer eingemi-
ſchet 27), und daß ſelbſt die Verfaſſer der griechiſchen Ver-
ſionen, aus denen die Buͤcher der Baſiliken ſind compi-
liret worden, viel zu weit von denen Zeiten der alten
Rechtsgelehrten und roͤmiſchen Kaiſer, deren Geſetze ſie
interpretirten, entfernt geweſen, als daß wir es ihnen
zutrauen duͤrften, uͤberall den Sinn derſelben gehoͤrig
gefaſſet zu haben 28). Nicht jede Abweichung der
Baſili-
[363]de Origine Iuris.
Baſiliken von dem Text des Juſtinianeiſchen Rechts
darf uns demnach berechtigen, gleich eine Aenderung in
den Geſetzen unſers Rechtskoͤrpers vorzunehmen; nein,
es muß offenbar ſeyn, daß die Stelle des juſtinianei-
ſchen Rechts corrupt ſey, wenn ſie aus den Baſiliken
emendiret werden ſoll 29). Dahero ich den Ausſpruch
eines beruͤhmten hollaͤndiſchen Rechtsgelehrten 30) zu un-
terſchreiben kein Bedenken trage, welcher ſagte: ex Ba-
ſilicis quidquam temere latino textui obtrudendum haud
eſſe. Eben dieſes iſt auch bey denen uͤbrigen auf un-
ſere Zeiten gekommenen kleinern griechiſchen Rechtsbuͤ-
chern und Schriften der griechiſchen Rechtsgelehrten zu
erinnern, welche unter den Nahmen Synopſes, Epito-
mae, Ecclogae und Promtuaria bekannt, und groͤſten-
theils aus den Baſiliken excerpirt worden ſind, obwohl
auch hieraus mancher Nutzen zur Aufklaͤrung des roͤmi-
ſchen Rechts geſchoͤpft werden kann.
§. 64.
[364]1. Buch. 2. Tit.
§. 64.
Novellen des K. Leo.
Auſſer den Baſiliken hat K. Leo noch viele neue
Verordnungen gemacht, welche unter der Aufſchrift
Imp. leonisNovellae Conſtitutiones, aut correctoriae
Legum repurgationes einen nicht unbetraͤchtlichen An-
hang des Roͤmiſchen Rechtskoͤrpers ausmachen. Sie
ſind wahrſcheinlich zwiſchen den Jahren 887. und 893.
vom Kr. Leo ſelbſt aufgeſezt, jedoch nicht einzeln, ſon-
dern alle zugleich und auf einmahl in derjenigen Samm-
lung bekannt gemacht worden, welche wir von ihnen ha-
ben 31). Dieſe Sammlung beſtehet aus 113. Novel-
len, man hat jedoch in neuern Zeiten in verſchiedenen
Bibliotheken, als in der Wiener, Uffenbachiſchen, und
der des Ant. Auguſtinus noch manche nicht gedruckte
Novellen des Kr. Leo entdeckt, welche in unſerer heuti-
gen Sammlung nicht befindlich ſind 32). Heinrich
Scrimger gab die Novellen des K. Leo zuerſt in ih-
rer griechiſchen Urſprache 1558. heraus. Heinrich Agy-
laͤus uͤberſezte ſie hierauf ins lateiniſche 1560. Von
der Zeit an ſind ſie auch dem Roͤmiſchen Corpus iuris
angehaͤngt worden, und die erſte Ausgabe, in welcher
ſie nach der Verſion des Agylaͤus anzutreffen, ſcheint
diejenige zu ſeyn, welche zu Lyon 1562. in Folio,
wahr-
[365]de Origine Iuris.
wahrſcheinlich durch die Beſorgung des Hugo a Por-
ta herausgekommen iſt.
§. 65.
Heutiger Gebrauch derſelben.
Ob uͤbrigens denen Novellen des Kaiſers Leo ei-
ne geſezliche Kraft in Teutſchland beizulegen, iſt eine
Frage, woruͤber die Urtheile der heutigen Civiliſten nicht
mit einander uͤbereinſtimmen 33). Ich meines Theils
trage kein Bedenken, auf die Seite der verneinenden
Parthey zu treten. Denn pruͤft man die Gruͤnde, aus
welchen einige Rechtsgelehrten verleitet worden ſind, je-
nen Novellen ein legales Anſehen in Teutſchland zu-
zueignen, ſo wird man finden, daß ein offenbarer Trug-
ſchluß hierbey zum Grunde liegt. Weil ſie gefunden,
daß in unſern Gerichten das nehmliche, was dieſe und
jene
[366]1. Buch. 2. Tit.
jene Verordnung des Kaiſers Leo enthaͤlt, gleichfalls
beobachtet werde, ſo glauben ſie, hieraus die in Teutſch-
land geſchehene Aufnahme jener Novellen folgern zu
koͤnnen; — gerade als ob dies nicht aus andern Urſa-
chen geſchehen, und folglich aus richtigern Gruͤnden ab-
geleitet werden koͤnnte. Es laͤſſet ſich alſo daraus ſo
wenig eine allgemeine Reception aller Novellen des Krs
Leo, als eine beſondere Aufnahme einzelner Verordnun-
gen dieſer Art erweiſen. Denn wenn, um nur einige
Beiſpiele hiervon anzufuͤhren, heutiges Tages die Con-
ventionalſtrafe bey Verlobungen zugelaſſen wird, ſo iſt
der Grund davon keinesweges in der Aufnahme der
Novellae XVIII. Leonis zu ſetzen, ſondern weil die
Gruͤnde, aus welchen das Juſtinianeiſche Recht den An-
hang einer ſolchen Strafe bey Verlobungen fuͤr unguͤl-
tig erklaͤrt, in Teutſchland gaͤnzlich wegfallen, und da-
her ſelbige nach den Sitten der Teutſchen von jeher vor
verbindlich gehalten worden 34), zumahl hiermit auch
die Vorſchriften des kanoniſchen Rechts 35) uͤberein-
ſtimmen, als nach welchen eine Conventionalſtrafe nur
bey den Verlobungen der Unmuͤndigen fuͤr unverbind-
lich erklaͤret wird. Eben ſo vergeblich leitet man die
heutige Guͤltigkeit der Erbvertraͤge von der Reception
der Nov. Leonis XIX. ab; denn nicht zu gedenken,
daß daſelbſt nicht von Erbvertraͤgen uͤberhaupt, ſondern
nur
[367]de Origine Iuris.
nur von einem beſondern Vertrage die Rede iſt, wel-
chen ein Vater der Erbfolge wegen mit ſeinem verhey-
ratheten Sohne geſchloſſen hatte, und den Leo gegen
die Verordnung der Kr. Valentinian, Gallienus und
Valerian L. 15. C. de pactis fuͤr guͤltig erklaͤrt 36);
ſo ſind ja bekanntermaſſen bey den Teutſchen die Erb-
vertraͤge nicht nur ſchon laͤngſt vor Einfuͤhrung des roͤ-
miſchen Rechts uͤblich geweſen, und fuͤr verbindlich gehal-
ten worden; ſondern ſie haben auch nachher dieſe ihre
Guͤltigkeit gegen alle Gruͤnde des roͤmiſchen Rechts ſtand-
haft behauptet 37). Ich uͤbergehe mehrere Beiſpiele,
und bemerke nur noch, daß ſo wenig das Anſehen der
ſo genannten pragmatiſchen Juriſten, als die Urtheile und
Entſcheidungen einiger Gerichtshoͤfe, welche dieſe oder
jene Novelle des Krs Leo, vielleicht aus bloſem Irr-
thum, angefuͤhret, gegen die in Teutſchland angenomme-
ne Regel: quidquid non agnoſcit gloſſa, illud non
agnoſcit curia, welche dieſen Novellen alles legale An-
ſehen in den Gerichten ſchlechterdings abſpricht, etwas
gelten koͤnnen. Ja ich zweifele ſogar noch, ob dieſe
Novellen zur Erklaͤrung des wirklich geltenden Juſtinia-
neiſchen Rechts uͤberall denjenigen theoretiſchen Nutzen
haben moͤchten, welchen ihnen doch wenigſtens ſelbſt
diejenigen Rechtsgelehrten beylegen wollen, die uͤbrigens
die verbindende Kraft derſelben gaͤnzlich laͤugnen 38).
Denn
Gluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. A a
[368]1. Buch 2. Tit.
Denn wie wenig es dem K. Leo mit aller ſeiner Phi-
loſophie gegluͤckt habe, in den Geiſt derjenigen roͤmiſchen
Verordnungen einzudringen, die er in ſeinen Novellen
reformiren wollen, wie unbillig daher oft ſein Tadel?
und wie unnoͤthig und grundlos oft ſeine Abaͤnderungen
des Civilrechts ſind, kann niemanden unbekannt ſeyn,
der mit Aufmerkſamkeit dieſe Novellen geleſen hat 39).
Eben dieſes iſt auch von den uͤbrigen Verordnungen der
nachfolgenden Orientaliſchen Kaiſer zu behaupten, die
unter der Aufſchrift Imperatoriae Conſtitutio-
nes zuerſt vom Charondas aus des bonefidiiiu-
re orientali denen Novellen des Leo beygefuͤget worden
ſind 40).
§. 66.
Poſtjuſtinianeiſches Recht im Occident.
Nun zulezt noch ein Wort von denen im Occi-
dent nach Juſtinians Zeiten verfaßten Sammlungen roͤ-
miſcher Geſetze, welche vorzuͤglich denen von den Bar-
baren unterjochten occidentaliſchen Roͤmern zum Gebrauch
dienten. Eine ſolche Sammlung ſcheint diejenige zu
ſeyn, die erſt vor Kurzen Paul Canciani41) aus
einem Codex der Domkirche zu Udien unter der Auf-
ſchrift: Lex romana barbaris regnantibus
obſervata in Italia, ediret hat, und einen Aus-
zug eines Theils des juſtinianeiſchen Geſezbuchs enthaͤlt.
Beſonders aber ziehet unſere Aufmerkſamkeit eine ande-
re
[369]de Origine Iuris.
re aͤhnliche Sammlung dieſer Art auf ſich, welche
zuerſt, ich weiß nicht, wer? unter dem Titel: Cor-
pus legum per modum inſtitutionum ab in-
certo auctore in compendium redactum —
Lovanii, excudebat Barth. Gravius ann. 1551. her-
aus gab 42) und jezt unter dem Nahmen Brachy-
logus iuris civilis allgemein bekannt iſt. Der ſeel.
Reichshofr. von Senkenberg hat dieſen Brachylog
am neueſten mit den Anmerkungen Ludwig Pesnots,
Pard. Pratejus und Nicol. Reusners zu Frankfurt und
Leipzig 1743. 4. wieder abdrucken laſſen. Verfaſſer,
Zeitalter, Ort und Veranlaſſung dieſes Buchs ſind voͤl-
lig unbekannt. Senkenberg ſezte es dem Alter nach
wenigſtens in die Zeiten K. Juſtinus II. und ſchrieb ihm
dem Inhalt nach ſogar groͤſere Vollſtaͤndigkeit, als dem
juſtinianeiſchen Geſezbuche ſelbſt zu; allein die Beweiſe
fuͤr dieſe Meinung ſind nicht uͤberzeugend 43). Daß in-
zwiſchen dennoch dieſem Brachylog, ſo wie der vorhin-
gedachten Lex Romana der theoretiſche Nutzen nicht
abgeſprochen werden kann, hat keinen Zweifel, daher
ſelbige wenigſtens in dieſer Ruͤckſicht anzufuͤhren gewe-
ſen ſind.
B.
Vom Canoniſchen Rechte.
§. 67.
Begrif und heutige Guͤltigkeit deſſelben.
Unter denen in Teutſchland geltenden fremden Rech-
ten, die wir als Quellen unſerer heutigen Privatrechts-
A a 2gelahrt-
[370]1. Buch. 2. Tit.
gelahrtheit anzuſehen haben, behauptet nun auch noch
inſonderheit das Canoniſche Recht ſeinen Platz. In
der allgemeinſten Bedeutung genommen, verſtehet
man unter Canoniſches Recht den Inbegrif al-
ler der die Verfaſſung und rechtlichen Verhaͤltniſſe der
chriſtlichen Kirche beſtimmenden Anordnungen und Ge-
ſetze, welche ſeit Entſtehung derſelben bis auf den heu-
tigen Tag unter mancherley Veraͤnderungen gegolten ha-
ben 44). Im engern Verſtande aber bezeichnet es
blos den Inbegrif der in dem Corpus iuris canonici
enthaltenen Verordnungen, und in dieſer Bedeutung
nehmen wir es hier. Die vorhergegangenen Samm-
lungen des aͤltern canoniſchen Rechts 45) betrachten wir
alſo in dieſer Hinſicht nur als Huͤlfsmittel zur Geſchich-
te und Erklaͤrung des leztern. Daß nun dieſes canoni-
ſche Recht in dem engern Verſtande 46) eine allgemeine
verbindliche Kraft in Teutſchland habe 47), und eben ſo
gut, wie das Juſtinianeiſche Recht, in den teutſchen
Reichs-
[371]de Origine Iuris.
Reichsgeſetzen theils ausdruͤcklich und nahmentlich 48),
theils ſtillſchweigend unter dem allgemeinen Ausdruck der
gemeinen Rechte beſtaͤttiget worden 49), iſt eine
Wahrheit, die wohl billig zu denen voͤllig ausgemach-
ten und daher ganz unbeſtrittenen gehoͤrt; ſo wie es
denn uͤberhaupt auch eben ſo bekannt und ohne Zweifel
iſt, daß ſich das paͤbſtliche Recht noch nach der Refor-
mation ſelbſt unter den Proteſtanten im beſtaͤndigen
Werthe und Anſehen erhalten habe, ſo ſehr ſich auch
Luther bemuͤhete, daſſelbe aus den evangeliſchen Gerich-
ten gaͤnzlich zu verdrengen und auszurotten 50). Al-
lein wenn die Frage iſt, wieweit das canoniſche
Recht in den teutſchen, und beſonders evan-
geliſchen Gerichten gelte, oder nicht gelte,
ſo finden wir hierin eine groſſe Verſchiedenheit in den Mei-
nungen der Rechtsgelehrten, indem einige den Gebrauch
des canoniſchen Rechts blos auf einzelne Materien ein-
ſchraͤnken, andere hingegen denſelben durch gewiſſe Re-
geln zu beſtimmen ſuchen. Um mich jedoch hierauf nicht
einlaſſen zu duͤrfen, will ich mich der Kuͤrze wegen nur
auf die unten angefuͤhrten 51) Schriften beziehen, wor-
A a 3in
[372]1. Buch. 2. Tit.
in man die verſchiedenen Meinungen gepruͤft finden wird,
und gleich mit wenigen Worten meine Meinung ſagen,
welche in folgendem Saz enthalten iſt: das canoni-
ſche Recht hat in ſoweit noch heutiges Tages
in Teutſchland eine unſtreitige Guͤltigkeit,
als die darin enthaltenen Vorſchriften nicht
andern in Teutſchland geltenden Geſetzen,
welche dieſem Rechte vorzuziehen, zuwider
ſind, und ſelbige uͤberhaupt mit der heuti-
gen Verfaſſung Teutſchlands und dem Zu-
ſtande der teutſchen, insbeſondere aber der
proteſtantiſchen Kirche beſtehen koͤnnen. Daß
nach dieſer Regel das canoniſche Recht heutiges Tages
nicht mehr in allen Stuͤcken diejenige Guͤltigkeit behaupten
koͤnne, die daſſelbe anfangs und bey der Einfuͤhrung deſ-
ſelben in Teutſchland gehabt, iſt auſſer allen Zweifel, wenn
man bedenkt, wie ſehr ſeit der Zeit die Verhaͤltniſſe
der paͤbſtlichen zur weltlichen Macht ſich veraͤndert, und
was ſeit der Reformation der Zuſtand der teuſchen Kir-
che, als welche von dieſer Zeit an ſich in zwey Haupt-
partheyen, die catholiſche und proteſtantiſche, theilt,
fuͤr eine groſe Veraͤnderung erlitten hat. Es iſt dem-
nach ganz natuͤrlich, daß durch die Reformation ſchon
an und fuͤr ſich alle diejenigen Geſetze des canoniſchen
Rechtskoͤrpers ſoweit ihre Guͤltigkeit verlohren haben,
als dieſelbe mit dem Zuſtande der durch die Reforma-
tion entſtandenen neuen proteſtantiſchen Kirche nicht be-
ſtehen koͤnnen. Da aber dieſer Zuſtand der proteſtan-
tiſchen Kirche theils aus der Verſchiedenheit der Reli-
gion
51)
[373]de Origine Iuris.
gion ſelbſt, theils aus der Verſchiedenheit der innern
Verfaſſung dieſer Kirche von der katholiſchen Kirchen-
hierarchie entſtehet: ſo erhellet hieraus, daß alle die
im canoniſchen Rechte enthaltenen Geſetze
mit dem Zuſtande der proteſtantiſchen Kir-
che nicht beſtehen koͤnnen, welche entweder den
Grundſaͤtzen der proteſtantiſchen Religion
oder der innern Verfaſſung dieſer Kirche
entgegen ſind. Wie nothwendig iſt es demnach
nicht, daß man ſich einen richtigen Begrif von dem
heutigen Zuſtande, ſowohl der evangeliſchen als der ca-
tholiſchen Kirche mache, daß man ferner eine genaue
Kenntniß der verſchiedenen Lehrſaͤtze der catholiſchen und
proteſtantiſchen Theologie habe, und uͤberall das cano-
niſche Recht aus ſeinen rechten Gruͤnden herleite, um
heutiges Tages bey der ſo groſen Verſchiedenheit unſe-
rer Zeiten von jenen, aus welchen das canoniſche Ge-
ſezbuch herruͤhrt, keinen unrichtigen Gebrauch davon zu
machen 52)? Auch ſelbſt unter den Katholiken hat das
canoniſche Recht viel von ſeiner Guͤltigkeit verlohren,
und kann daher nicht anders als mit groſer Behutſam-
keit unter denenſelben angewendet werden, indem nicht
nur das Tridentiniſche Concilium und andere neuere bey
ihnen geltende Geſetze betraͤchtliche Abaͤnderungen deſſel-
ben enthalten, ſondern auch das ganz im Tone einer
allgemeinen und oberſten geiſtlichen Macht von den Paͤb-
ſten abgefaßte canoniſche Geſezbuch durchaus nicht mit
dem heutiges Tages herrſchenden Epiſcopalſyſtem beſte-
A a 4hen
[374]1. Buch. 2. Tit.
hen kann. Nicht zu gedenken, daß die heutige durch
den Religions- und Weſtphaͤliſchen Frieden ſtabilirte Ver-
faſſung des teutſchen Reichs, und die reichsgeſezmaͤſige
Beſtimmung der Grenzen zwiſchen der geiſtlichen und
weltlichen Gerichtsbarkeit viele Verordnungen des canoni-
ſchen Rechts ganz unanwendbar macht 53). Daß uͤbrigens
durch das canoniſche Recht in den Materien des roͤmi-
ſchen Civilrechts manche wichtige Veraͤnderung gemacht
worden, iſt zwar uͤberhaupt bekannt genug; nur duͤrfen
wir hierin nicht allzuvoreilig ſeyn, und gleich eine jede
paͤbſtliche Verordnung, welche mit den Grundſaͤtzen des
roͤmiſchen Rechts nicht uͤbereinzuſtimmen ſcheint, fuͤr ei-
ne Abaͤnderung des leztern halten, indem die Paͤbſte
zuweilen nur eine locale Gewohnheit beſtaͤttiget, oder
zum Grunde ihrer Entſcheidung genommen haben 54).
Es
[375]de Origine Iuris.
Es iſt auch unlaͤugbar, daß manche Irthuͤmer aus der
Gloſſe des roͤmiſchen Rechts in die Decretalen gefloſ-
ſen ſind 55). In wiefern nun in ſolchen Faͤllen, da
das canoniſche und roͤmiſche Geſezbuch ſich in ihren Vor-
ſchriften widerſprechen, das eine fuͤr den andern den
Vorzug behaupte, werde ich weiter unten beſtimmen,
wenn ich auf die Ordnung komme, in welcher die in
Teutſchland vorhandene mancherley Privatgeſetze bey ih-
rer Anwendung auf einander folgen.
2. Abſchnitt
von
den in Teutſchland geltenden einheimiſchen Geſetzen, wel-
che wir als Quellen der buͤrgerlichen oder Privat-
rechtsgelehrſamkeit anzuſehen haben.
§. 68.
Eintheilung der teutſchen Geſetze in alte, mittlere
und neue.
Wir ſchreiten nun zur zweiten Hauptclaſſe von
Quellen unſerer buͤrgerlichen oder Privatrechtsgelehrſam-
keit, welche die in Teutſchland geltende einheimiſche
Geſetze ausmachen. Auch hier wuͤrde es ganz wider
meine Abſicht ſeyn, wenn ich mich in eine umſtaͤndliche
hiſtoriſche Entwicklung des Urſprungs und Schickſale
dieſer Geſetze einlaſſen wollte, da ich die Kenntnis der
A a 5Rechts-
54)
[376]1. Buch. 2. Tit.
Rechtshiſtorie bey meinen Leſern billig vorausſetzen
kann 56). Es iſt mir alſo zu meinem Zweck hinreichend,
die teutſchen Geſetze nur lediglich in Ruͤckſicht ihres heutigen
Gebrauchs in die alten, mittlern und neuen ein-
zutheilen. Zu den teutſchen Geſetzen der erſtern Art
rechne ich theils die Geſetze der alten teutſchen Voͤlker,
die Saliſchen, Ripuariſchen, Alemanniſchen, Bayer-
ſchen, Frieſiſchen, Saͤchſiſchen u. ſ. w. (Autor §. 76.)
welche auſſer Herold, Lindenbrog und Georgiſch,
neuerlich PaulCanciani57) wieder herausgegeben,
theils die Capitularien der Fraͤnkiſchen Koͤnige, wovon
StephanBaluze58) unſtreitig die beſte und rich-
tigſte Ausgabe geliefert, und von welcher zu Paris
durch Peter von Chiniac eine neue vermehrte und
ver-
[377]de Origine Iuris.
verbeſſerte Auflage beſorgt wird 59). Die Geſetze des
mittlern Alters ſind vorzuͤglich in denen zu dieſen Zei-
ten erſchienenen Sammlungen, den Sachſenſpiegel, Schwa-
benſpiegel, Kaiſerrechte u. ſ. w. enthalten 60) Endlich die
ſeit der oͤffentlichen Einfuͤhrung des roͤmiſchen Rechts
bis auf unſere Zeiten erſchienene teutſche Privat-Geſe-
tze gehoͤren zur dritten Claſſe, nehmlich zu den neuen
teutſchen Privatgeſetzen. Z. B. die im Jahr
1512. publieirte NotariatsordnungMaximilians
I. K. CarlsV. Edict von der Erbfolge der Bru-
derskinderde 1529. Deſſelben Polizeyordnung
vom Jahr 1530. Deſſelben peinliche Gerichtsordnung
vom J. 1532. Ferner die unter K. RudolphII. im
Jahr 1577. neue oder reformirte Polizeyord-
nung, der ſogenannte juͤngſte Reichsabſchied vom
Jahr 1654. Desgleichen der bekannte Reichsſchluß
von Abſchaffung der Mißbraͤuche bey Handwerkern,
welcher am 16. Auguſt 1731. bekannt gemacht, und
im Jahr 1772. erneuert und mit neuen Beſtimmungen
vermehret worden u. ſ. w. 61).
§. 69.
Vom heutigen Gebrauch der alten und mittlern teutſchen
Rechte.
Ob nun wohl jene alte und mittlere teutſchen
Rechte, ſoviel deren heutigen Gebrauch anbetrift, zur
Aufklaͤrung des heutigen teutſchen Rechts in ſolchen Ge-
ſchaͤften, welche blos aus teutſchen Sitten und Verfaſ-
ſungen ihren Urſprung herleiten, und aus denenſelben
zu
[378]1. Buch. 2. Tit.
zu entſcheiden ſind, allerdings ihren groſen Nutzen ha-
ben 62), indem hier, ohne die groͤſte Verwirrung zu
veranlaſſen, die Grundſaͤtze des roͤmiſchen Rechts nicht
angewendet werden koͤnnen (§. 60.); ſo laͤſſet ſich doch
deshalb eine allgemeine und unſtreitige Guͤltigkeit derſel-
ben heutiges Tages nicht erweiſſen, da eines Theils
noch vielen Zweifeln unterworfen iſt, ob ſelbige ehedem
in Teutſchland wirklich ſo allgemein eingefuͤhrt geweſen,
als vorgegeben wird, indem es vielmehr an allgemeinen
Geſetzen im teuſchen Privatrechte, auch von aͤltern Zei-
ten her, faſt gaͤnzlich mangelt 63); andern Theils,
wenn auch ein ſolches allgemeines teutſches Recht in den
aͤltern Zeiten als erwieſen angenommen werden koͤnnte,
dennoch in den neuern Zeiten, und zwar ſchon ſeit meh-
rern Jahrhunderten her das roͤmiſche und andere gemei-
ne Rechte einen ſolchen Eingang in Teutſchland gefun-
den, daß ſie nunmehro unſtreitig zur geſezmaͤſigen Richt-
ſchnur dienen, mithin es heutiges Tages immer quae-
ſtio facti iſt, ob eine dergleichen Gewohnheit des alten
und mittlern teutſchen Rechts, als man anfuͤhrt, ſich
bis auf den heutigen Tag wirklich erhalten haben, wel-
ches daher nicht vermuthet werden kann, ſondern von
demjenigen, welcher es behauptet, bewieſen werden muß 64).
Nicht
[379]de Origine Iuris.
Nicht zu gedenken, daß uͤberhaupt die noch heutiges
Tages vorhandenen Sammlungen alter teutſcher Rechte
und Gewohnheiten meiſt Privatwerke ſind, welche auch
nie durch kaiſerliche Verordnungen eine allgemein ver-
bindende geſezliche Kraft erhalten haben; daher ihrer
auch weder in der Cammergerichts- noch Reichshofraths-
ordnung unter den heutigen Rechten, wornach geſprochen
werden ſoll, Erwaͤhnung geſchiehet. Hieraus ergibt ſich
alſo die Regel, welche heutiges Tages nicht nur von
den bewaͤhrteſten teutſchen Rechtsgelehrten 65) angenom-
men, ſondern auch ſelbſt im teutſchen Gerichtsgebrauch 66),
ja
64)
[380]1. Buch. 2. Tit.
ja ſelbſt bey den hoͤchſten Reichsgerichten 67) eingefuͤhrt
iſt, daß die urſpruͤnglich teutſchen Rechte und
Gewohnheiten des alten und mittlern Zeit-
alters nur in ſo weit heutiges Tages mit
Grunde angefuͤhret werden koͤnnen, ſo fern
erweislich iſt, daß ſolche in dem Lande oder
in der Stadt oder Familie, wovon die Re-
de iſt, bis auf den heutigen Tag durch Sta-
tuten, Vertraͤge, oder Herkommen beybe-
halten worden.
§. 70.
Von der Guͤltigkeit und Erklaͤrung der neuen teutſchen Pri-
vatgeſetze. Erlaͤuterung der Regel: Statuta interpre-
tanda ſunt ex iure communi.
Die neuern teutſchen Privatgeſetze ſind in Anſe-
hung ihrer Guͤltigkeit, zwiefach, gemeine, nehmlich
Reichsprivatgeſetze, und teutſche Particulargeſetze,
nehmlich Landes- und Stadtgeſetze. Wir bemerken hier-
von folgendes:
1) Wenn ein teutſches Reichs- oder par-
ticulares Landesgeſetz oder Statut gewiſſe
Verordnungen der gemeinen in Teutſchland
recipirten fremden Rechte ausdruͤcklich oder
ſtillſchweigend aufgehoben, ſo iſt davon wei-
ter kein Gebrauch zu machen68). Denn die
frem-
66)
[381]de Origine Iuris.
fremden Rechte ſind nur als Huͤlfsrechte in Teutſchland
angenommen (Aut. §. 79.), und muͤſſen alſo denen teut-
ſchen Geſetzen weichen, wenn ſie durch dieſelben abge-
aͤndert worden ſind. So z. B. gehen in Vormund-
ſchaftsſachen, desgleichen in der Materie von Zinſen
die Reichsgeſetze von dem roͤmiſchen Recht ganz ab.
Es kommt alſo hierin heut zu Tage auf die Vor-
ſchriften der gemeinen Reichsgeſetze hauptſaͤchlich an.
Eben ſo iſt es, wenn z. E. ein Stadtgeſez deutlich be-
ſagt, ein Erblaſſer ſey nicht gehalten, ſeinen Geſchwi-
ſtern etwas zu vermachen 69); der Richter kann hier
nicht die Ausnahme hinzu denken, wenn eine ehrloſe
Perſohn zum Erben eingeſezt, und den Geſchwiſtern vor-
gezogen worden 70).
2) Wenn hingegen eine Verordnung in
denen teutſchen Reichs- oder particularen
Landesgeſetzen aus dem fremden Rechte her-
fließt, und dieſe unvollſtaͤndig, oder dunkel
und zweifelhaft, in dem fremden Rechte aber
weit deutlicher beſtimmt iſt, ſo iſt ſie aus
dieſem allein fuͤglich zu erklaͤren, in ſo weit
nehmlich das einheimiſche Geſez mit dem
fremden Rechte einſtimmig iſt71). Denn jedes
Geſez muß aus ſeiner Quelle erklaͤret werden. Wenn
demnach z. B. ein Reichs- oder Landesgeſez von Te-
ſtamen-
[382]1. Buch. 2. Tit.
ſtamenten, oder von den Wirkungen der roͤmiſchen
vaͤterlichen Gewalt, disponirt, ſo iſt ein ſolches,
wenn es undeutlich und unvollſtaͤndig iſt, allerdings aus
dem roͤmiſchen Rechte zu erklaͤren. Eben deswegen kann
auch die Vorſchrift der Reichsgeſetze, welche die Groͤſ-
ſe rechtmaͤſiger Zinſen auf 5. pro Cent feſtſetzen, nicht
mit Ausſchlieſſung derjenigen Faͤlle verſtanden werden,
wo die fremden Rechte Ausnahmen machen, und mehr
als ſonſt gewoͤhnliche Zinſen erlauben, als z. B. wenn
der Glaͤubiger die Gefahr des Capitals traͤgt, wie bey
Aſſecuranzen, Bodmerey und Leibrenthen Contract. Denn
die Verordnung der Reichsgeſetze iſt wirklich unbeſtimmt
und zweifelhaft, weil ſie eigentlich nur von Verzugs-
zinſen redet.
3) Wenn ein einheimiſches Geſez von
ſolchen Gegenſtaͤnden redet, die ganz teut-
ſchen Urſprungs ſind, und bey deren Erklaͤ-
rung man das roͤmiſche Recht ſehr uͤbel und
unſchicklich anwenden wuͤrde, ſo muß daſſel-
be aus einheimiſchen Grundſaͤtzen, d. i. aus
aͤchten teutſchen Rechten und Gewohnheiten
ſeine Erlaͤuterung bekommen72). Dieſes folgt
ebenfalls daraus, weil Geſetze aus ihrer Quelle zu er-
klaͤren ſind. Man ſetze z. B. ein Statut oder teut-
ſes Partieulargeſez, rede von der Gemeinſchaft der Guͤ-
ter unter Ehegatten, oder von der ſtatutariſchen Por-
tion derſelben, oder von der ehelichen Errungenſchaft;
oder vom Wittum, oder der Einkindſchaft, u. d. m.
es
[383]de Origine Iuris.
waͤre aber dergleichen Statut nicht ganz deutlich, und
unvollſtaͤndig, ſo iſt daſſelbe aus dem, was gemeiniglich
bey dieſen Gegenſtaͤnden teutſchen Rechtens zu ſeyn pflegt,
zu ergaͤnzen und zu erklaͤren. Dies iſt der Sinn der
bekannten Regel: daß die teutſchen Particular-
geſetze aus dem gemeinen Rechte zu erklaͤren.
(Statuta interpretanda ſunt ex iure communi) 73).
Gemeines Recht iſt alſo nicht allein das fremde in
Teutſchland aufgenommene Recht, ſondern auch gemei-
nes teutſches Recht, was unſere Reichsgeſetze enthalten,
oder gemeine Gewohnheiten mit ſich bringen.
4) Sind teutſche Particulargeſetze aus
andern ſtatutariſchen Rechten erzeugt wor-
den, ſo muͤſſen ſie aus dieſen ihren Muͤttern
zunaͤchſt erklaͤret werden74). Denn dieſe ſind
die Quellen, woraus jene gefloſſen ſind. Man muß
daher die Erzeugung eines ſtatutariſchen Rechts aus dem
andern kennen, und dieſe lehrt uns die teutſche Rechts-
geſchichte. So z. B. iſt aus dem Soͤſter-Recht das
Luͤbiſche, Hamburgiſche, Mindenſche, Lippiſche u. a. m.
entſtanden. Uebrigens finden
5) bey Erklaͤrung teutſcher, ſowohl all-
gemeiner als particulaͤrer, Geſetze die ge-
meinen Grundſaͤtze der Auslegungskunſt ſtatt.
Daher es eine ganz irrige und laͤngſt verworfene Mei-
nung
Gluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. B b
[384]1. Buch. 2. Tit.
nung iſt, wenn man ehedem ſich uͤberredete, daß Sta-
tuten jederzeit ſtreng nach den Worten erklaͤrt werden
muͤßten 75). So z. B. gilt die in vielen Gegenden
Teutſchlands aus dem Saͤchſiſchen und Luͤbiſchen Recht
angenommene Regel: Hand muß Hand wah-
ren, nicht allein bey Verſetzungen und Verleihungen,
ſondern man wendet ſie auch bey Hinterlegung der Sa-
chen, gegebener Vollmacht, und aͤhnlichen Faͤllen an;
weil in dem einen wie in dem andern Falle der Grund
dieſer Regel eintrit, welcher in der Erhaltung des ge-
meinen Glaubens und Zutrauens im Handel und Wan-
del zu ſuchen iſt. Endlich
6) verſtehet ſichs von ſelbſt, daß wenn die beſon-
dern teutſchen Geſetze von den Reichs-Privatgeſetzen
abgehen, oder in den Stadtgeſetzen ein oder der ande-
re Artikel anders als in den Landesgeſetzen abgefaſſet iſt,
das beſondere Geſez nur allein zur Entſcheidung dienen
koͤnne. Dies will die bekannte Regel: Stadt-Recht
bricht Landrecht, Land-Recht bricht gemein
Recht76).
§. 71.
In welcher Ordnung folgen die in Teutſchland geltende man-
cherley Gattungen von Privatgeſetzen bey ihrer Anwen-
dung auf einander? Erſte Regel.
Da es nun alſo in Teutſchland ſo mancherley
Rechtsquellen giebt, aus welchen die Grundſaͤtze des
buͤrgerlichen Privatrechts herzuleiten ſind, ſo kann es
nicht anders ſeyn, als daß ſie ſich oft in ihren Vor-
ſchriften
[385]de Origine Iuris.
ſchriften widerſprechen muͤſſen. Es entſtehet alſo die
Frage, welches Recht im Colliſions-Falle den Vorzug
vor dem andern habe, und in was fuͤr einer Ordnung
die mancherley Geſetze, von welchen wir bisher gehan-
delt haben, bey ihrer Anwendung auf einander fol-
gen? 77) (Aut. §. 81.) Hier finden nun folgende Re-
geln ſtatt.
I.Die in Teutſchland geltende einhei-
miſchen Geſetze und Gewohnheiten gehen de-
nen in Teutſchland recipirten fremden Rech-
ten vor. Denn leztere ſind nur in ſubſidium an-
genommen, wenn es an erſtern mangelt 78) Ob
nun gleich die neuern teutſchen Reichs- und Landesgeſe-
tze, Statuten und Gewohnheiten ohne alle Einſchraͤn-
kung den Vorzug vor den fremden Rechten behaupten;
ſo iſt doch in Anſehung der aͤltern bereits vor Einfuͤh-
rung des roͤmiſchen Rechts in Teutſchland uͤblich gewe-
ſenen teutſchen Rechte und Gewohnheiten, und derjeni-
gen, ſo in den Rechtsſammlungen des Mittelalters,
nehmlich dem Sachſenſpiegel, Schwabenſpiegel u. ſ. w.
enthalten ſind, ein Unterſchied unter den gemeinen Pri-
vatperſohnen und unter den erlauchten Perſohnen des
teutſchen Reichs zu machen; indem ſelbige in Anſehung
der erſtern nur allein in ſofern dem fremden Rechte vor-
gehen, als ſie beybehalten worden ſind, und deren
Obſervanz von demjenigen erwieſen werden
B b 2kann,
[386]1. Buch. 2. Tit.
kann, der ſich in denſelben gruͤndet, da im Gegen-
theil das alte und mittlere teutſche Recht unter den
erlauchten Perſohnen mehr im Gebrauch geblieben iſt 79).
§. 72.
Zweyte Regel.
Inſofern nun aber unter mehrern einheimiſchen
Geſetzen ein Widerſpruch ſich findet, gehen die be-
ſondern teutſchen Privatgeſetze in der Regel
denen gemeinen Reichsgeſetzen vor, es waͤre
denn, daß die Entſcheidung der vorliegenden Sache in
einem durchaus und ſchlechterdings gebietenden oder ver-
bietenden Reichsgeſez gegruͤndet waͤre, in welchem Fal-
le ſodann ein ſolches die erſte und einzige Entſcheidungs-
quelle ſeyn wird, weil gegen ein ſolches Geſez keine wi-
drige Verordnung ſtatt findet (§. 24.). Z. B. Wenn
eine ſtreitige Handwerksſache ſchon im Reichsſchluß vom
Jahr
[387]de Origine Iuris.
Jahr 1731. wegen der Handwerksmißbraͤuche entſchie-
den iſt, ſo muß dieſes Reichsgeſez ohne Ruͤckſicht auf
beſondere Statuten und Artikel ſogleich angewendet
werden.
§. 73.
Dritte Regel. Colliſion beſonderer teutſcher Privatgeſetze
1) einerley Landes.
Wenn die beſondern teutſchen Privatgeſetze nicht
uͤbereinſtimmen, ſo iſt ein Unterſchied zu machen, ob
ſie einerley Landes oder verſchiedener Terri-
torien ſind; im erſten Fall gehet das mehr beſondere
Geſez dem weniger beſondern vor nach der Regel:
Stadtrecht bricht Landrecht80). (§. 70.)
§. 74.
Colliſion teutſcher Particulargeſetze, 2) verſchiedener
Territorien. Erſte Regel.
Sind im Gegentheil die beſondern Geſetze ver-
ſchiedener Territorien einander entgegen 81), ſo
kommt es entweder blos auf die Art des gerichtlichen
Verfahrens (Proceß), oder auf die Beſtimmung der
Rechte und Verbindlichkeiten ſelbſt an. Im erſten Fall
gehen die beſondern Geſetze des Gerichts,
wo die Klage erhoben wird, allen andern
vor. (§. 44. S. 279.) Z. B. Wechſelproceß, Coneurs-
ordnung ſind nach den Geſetzen des Landes zu beur-
B b 3theilen,
[388]1. Buch. 2. Tit.
theilen, wo ſie vorkommen. Auch die Anlegung eines
Arreſts geſchiehet nach den Geſetzen des Forums, wo
dieſelbe geſucht wird 82). Im lezten Falle hingegen
finden folgende Regeln ſtatt:
1) Wenn von dem Zuſtandeiner Perſohn,
und denen davon abhaͤngenden Rechten die
Rede iſt, ſo ſind die beſondern Geſetze des-
jenigen Landes anzuwenden, wo die Perſohn
wohnhaft iſt, wenn ſie ſich auch auſſer Lan-
des befindet83). Denn die Perſohn eines Untertha-
nen iſt keinem andern unterworfen, als demjenigen Lan-
desherrn, in deſſen Lande dieſelbe ihren Wohnſiz hat,
(§. 44.) nun iſt der Status ein Zubehoͤr der Perſohn,
welcher derſelben anklebt, und die Perſohn uͤberall be-
gleitet, wo ſie ſich nur aufhaͤlt; mithin muͤſſen auch
die Geſetze des Domiciliums, die dieſe perſoͤhnliche Ei-
genſchaft dem Unterthan beylegen, als Normen ange-
wendet werden, wenn ſich derſelbe auſſer Landes befin-
det, weil die Perſohn doch immer in der Unterthaͤnig-
keit gegen den Landesherrn bleibt, in deſſen Lande das
Domicilium derſelben iſt 84). Wolte man ein an-
ders annehmen, ſo wuͤrde hieraus noch uͤberdies die
groͤſte Unbequemlichkeit entſtehen. Denn ein Muͤndiger
zu Hauſſe wuͤrde zu gleicher Zeit auch an dem Orte,
wo er auswaͤrts etwas beſizt, unmuͤndig ſeyn; wuͤrde
alſo, ſo lang er zu Hauſſe bleibt, muͤndig ſeyn, aber
ſobald er verreiſt, in einem andern Gebiete es nicht
mehr
[389]de Origine Iuris.
mehr ſeyn. Wenn demnach die Frage iſt, ob Jemand
fuͤr muͤndig oder unmuͤndig, fuͤr majorenn oder minorenn,
fuͤr einen Verſchwender oder nicht, fuͤr einen Filius
oder filiafamilias oder fuͤr eine Perſohn, die ſui iuris
iſt, zu halten, und daher faͤhig oder unfaͤhig ſey, zu
contrahiren, und uͤber das Seinige zu disponiren; des-
gleichen, ob Jemand ehelich oder unehelich, ehrlich oder
unehrlich ſey, auch welches die Wirkungen der Ehe
ſeyn, darin Jemand lebt, ſo kommt es allemahl auf
die Geſetze des Domiciliums an. Es iſt daher keinen
Zweifel unterworffen, daß eine Perſohn, die nach den
beſondern Geſetzen des Orts, wo ſie wohnhaft iſt, fuͤr
ſui iuris zu halten, uͤber ihr Vermoͤgen ein guͤltig Te-
ſtament machen koͤnne, wenn auch gleich ein Theil deſ-
ſelben auswaͤrts und an einem ſolchen Orte liegen ſoll-
te, wo dieſelbe noch nicht dafuͤr erkannt wird.
§. 75.
Zweite Regel.
2) Wenn aber von den Handlungen ei-
ner Perſohn, deren Form, Guͤltigkeit und
Strafbarkeit die Rede iſt, ſo muͤſſen in der
Regel die Geſetze des Landes angewendet
werden, wo die Handlung vorgenommen oder
zu Stande gekommen iſt.
Denn die Geſetze eines Landes, welche von den
Handlungen der Unterthanen disponiren, koͤnnen ei-
gentlich nur in ſo fern zur Richtſchnur dienen, als dieſe
Handlungen in dem Territorium vorgenommen werden;
nicht weiter. Denn ſonſt ginge der Geſezgeber uͤber die
Grenzen ſeines Gebiets hinaus: Leges vero non va-
lent extra territorium. Daß nun der Inlaͤnder die-
ſen Geſetzen unterworffen, wenn er dergleichen Hand-
B b 4lungen,
[390]1. Buch. 2. Tit.
lungen, wovon dieſelben reden, im Lande vornimmt,
iſt ohne Zweifel. Allein eben dieſes muß auch von
dem Auslaͤnder gelten. Denn alle diejenigen, welche
in den Grenzen eines fremden Staats ſich aufhalten, ſind,
ſo lange als ihr Auffenthalt dauert, in der Regel als Un-
terthanen anzuſehen. Ich habe hiervon ſchon an einem
andern Orte (§. 44. n. 2. u. 4.) umſtaͤndlicher gehan-
delt. Man wende nicht dagegen ein, daß wenn ein
Staat die Handlung ſeines Unterthans, welche derſel-
be auſſer Landes nach den Geſetzen eines fremden Terri-
toriums in dem Diſtrict deſſelben vorgenommen, gelten
laſſen muͤſſe, ſolches gegen die obige Regel: Leges non
valent extra territorium, ſey. Denn man unterſchei-
de zwiſchen der verbindenden Kraft eines fremden Ge-
ſetzes in Anſehung einer erſt vorzunehmenden Rechts-
handlung, und der rechtlichen Wirkung eines Geſchaͤfts,
ſo in dem Gebiet eines fremden Geſezgebers geſchloſſen
worden iſt. Die erſtere iſt freylich nur auf das Ter-
ritorium des Geſezgebers eingeſchraͤnkt; denn uͤber die
Grenzen eines Landes hinaus erſtreckt ſich die Gewalt
eines Regenten nie. Allein die rechtliche Wirkung eines
ſolchen Geſchaͤfts, ſo nach den Geſetzen eines Staats
in den Grenzen deſſelben guͤltig iſt geſchloſſen worden,
muß jede andere Nation als verbindlich anerkennen,
und der Regent des Auswaͤrtigen darf ſolche, ohne ei-
ne offenbare Ungerechtigkeit zu begehen, nicht entkraͤf-
ten 85). Solchemnach ſind nun alſo Vertraͤge, Teſta-
mente, Form der Wechſel u. ſ. w. auch Verbrechen nach
den Landesherrlichen Verordnungen desjenigen Orts zu
beurtheilen, wo ſie vorgenommen ſind. Jedoch hat die-
ſe Regel ihre Ausnahmen, von denen ich gleichfalls
ſchon
[391]de Origine Iuris.
ſchon am oben angefuͤhrten Ort gehandelt habe. Hier
will ich nur noch eine Ausnahme hinzufuͤgen. Sollten
Unterthanen bey ihren Rechtshandlungen, die ſie auſſer-
halb Landes auf eine erlaubte Art unternommen, z.
B. wenn ſie in einem fremden Lande ein Teſtament ge-
macht, oder mit einander contrahirt haben, ſich, ohne
die Geſetze ihres zeitigen Aufenthalts zu beobachten,
blos nach denen Geſetzen ihres Vaterlandes gerichtet
haben, ſo ſind ſolche Handlungen nicht nach den Geſe-
tzen des Orts, wo ſie vorgenommen worden, ſondern
nach den Geſetzen des Domiciliums zu beurtheilen, in
ſofern blos von der Guͤltigkeit und rechtlichen Wirkung der-
ſelben in ihrem Vaterlande die Rede iſt 86). Denn da Un-
terthanen auch auſſer Landes, wenn ſie nur den Vor-
ſaz haben, in ihr Vaterland zuruͤckzukehren, in der Un-
terthaͤnigkeit gegen ihren Landesherrn verbleiben, mithin
die Verbindlichkeit der Geſetze ihres Vaterlandes in An-
ſehung ihrer in ſofern nicht aufgehoben wird, ſo muß
es ihnen auch noch auswaͤrts freygeſtanden haben, ſich
nach den Geſetzen ihres Vaterlandes verbindlich zu ma-
chen, oder in Gemaͤßheit derſelben ſonſt eine Handlung
vorzunehmen, die nur in ihrem Vaterlande ihre Guͤl-
tigkeit und Wirkung haben ſoll 87). Nur in ſofern
B b 5ihre
[392]1. Buch. 2. Tit.
ihre Abſicht iſt, daß auch der fremde Staat ihre in
dem Diſtrict deſſelben vorgenommene Rechtsgeſchaͤfte fuͤr
guͤltig erkenne, ſind Fremdlinge, als zeitige Untertha-
nen, die Geſetze des Orts, wo ſie ſich aufhalten, zu
beobachten verbunden, und ſolche Handlungen, die nach
dieſen Geſetzen guͤltig und erlaubt ſind, iſt ſodann auch
jede andere Nation nach dem Voͤlkerrecht als rechtmaͤ-
ſig anzuerkennen ſchuldig.
§. 76.
Dritte Regel.
Endlich 3) wenn von Rechten, ſo blos
Grundſtuͤcke betreffen, die Frage iſt, ſo ſind
die Geſetze des Landes, wo die Guͤter liegen,
hauptſaͤchlich zu Rathe zu ziehen, ohne Un-
terſchied, wo und von wem daruͤber disponi-
ret worden88). Der Grund hiervon iſt, weil die
hoͤchſte Gewalt des Regenten im Staat ſich nicht blos
uͤber die Handlungen ſeiner Unterthanen, ſondern auch
uͤber deren Guͤter erſtreckt, die in ſeinem Gebiete lie-
gen, mithin derſelbe ſeine Gewalt nicht uͤberſchreitet,
wenn er daruͤber die gehoͤrigen Anordnungen macht.
Wenn daher von der Erwerbung, Veraͤuſſerung, Ver-
pfaͤn-
87)
[393]de Origine Iuris.
pfaͤndung, Vererbung, Verjaͤhrung der Grundſtuͤcke,
ferner der Freyheit oder Belaͤſtigung derſelben, dem
Abtrieb u. ſ. w. die Rede iſt, ſo gehen die Verord-
nungen des Landes, worin die Guͤter befindlich, denen
Geſetzen des Orts, wo der Eigenthuͤmer ſeinen Wohn-
ſiz hat, vor. Dahingegen werden die Rechte
in Anſehung beweglicher Sachen nach den
Geſetzen des Domiciliums beurtheilt. Denn
die beweglichen Guͤter folgen der Perſohn nach, ſie moͤ-
gen angetroffen werden, wo ſie wollen. Daher es eine
bekannte Regel iſt: Res mobiles ex conditione perſonae
legem accipiunt, et ibi eſſe dicuntur, ubi quis domi-
cilium et rerum ſuarum ſummam collocavit89). Un-
koͤrperliche Dinge, wenn ſie gleich, an und vor ſich be-
trachtet, weder in die Claſſe der beweglichen noch unbe-
weglichen Guͤter gehoͤren, z. B. Schuldforderungen,
ſind nach der gemeinen Meinung unter den beweglichen
Sachen mit begriffen 90).
§. 77.
Colliſion des roͤmiſchen und canoniſchen Rechts.
Wenn nun weder teutſche Reichs- noch Particular-
geſetze eine Entſcheidung fuͤr den vorliegenden Fall ent-
halten,
[394]1. Buch. 2. Tit.
halten, ſo kommen die in Teutſchland recipirte fremde
Rechte in Civil-Rechtsſachen zur Anwendung. Wir
ziehen alsdann das roͤmiſche oder canoniſche Recht zu
Rathe 91). Wie? wenn nun aber die Vorſchriften bey-
der Rechte einander widerſprechen, welches von beyden
wird den Vorzug vor den andern haben? Die Rechts-
gelehrten ſind desfalls nicht einerley Meinung. Die
gewoͤhnlichſte Meinung iſt, daß im Colliſionsfalle der
Regel nach das Canoniſche Recht den Vorzug habe 92).
Andere hingegen wollen die Sache dergeſtalt beſtimmen,
daß in den weltlichen Gerichten das Juſtinianeiſche, in
den geiſtlichen aber das Canoniſche Recht vorzuziehen
ſey 93). Noch andere Rechtsgelehrten ſehen bey der
Beſtimmung des vorzuͤglichern Gebrauchs des Canoni-
ſchen Rechts auf einzelne Faͤlle. Sie behaupten, in
Kirchen-Ehe-Proceß-Gewiſſens- und Eidesſachen
habe das Canoniſche Recht den Vorzug, in allen an-
dern Sachen aber ſey das Roͤmiſche Recht jenem vor-
zuziehen. Dieſer Meinung iſt unter andern 94) unſer
Hell-
[395]de Origine Iuris.
Hellfeld §. 81. Verſchiedene angeſehene Rechtsleh-
rer 95) wollen auch den Vorzug des einen Rechts vor
dem andern nach folgenden Regeln beurtheilt wiſſen.
1) So oft in dem einem Rechte etwas deutlich beſtimmt
worden, was in dem andern zweifelhaft iſt, ſo gehe das
erſtere dem leztern vor. 2) In geiſtlichen- und Ge-
wiſſensſachen, desgleichen wenn es darauf ankomme, daß
eine Suͤnde verhuͤtet werde, wie z. B. in der Lehre von
der Verjaͤhrung, bey vorhandener, oder eintretender
mala fide; cap. fin. X. de praeſcr., ſey dem roͤmi-
ſchen in der Regel das Canoniſche Recht vorzuziehen.
3) In Sachen, die vor die geiſtliche Gerichtsbarkeit
gehoͤren, ſey das Canoniſche vorzuͤglich, in denen aber,
die vor die weltliche Gerichtsbarkeit gehoͤren, das Roͤ-
miſche Recht, anzuwenden. Endlich 4) wo aus beſon-
derer Urſach der Gerichtsgebrauch die Vorſchriften des
Canoniſchen Rechts angenommen, wie z. B. in den Ma-
terien, die den buͤrgerlichen Proceß betreffen, da muͤſſe
auch nach dieſen, und nicht nach dem Juſtinianeiſchen
Rechte geſprochen werden. Zulezt will ich noch der
Meinung eines beruͤhmten Rechtsgelehrten 96) gedenken,
welcher bey dem Mangel einer genugſamen geſezlichen
Beſtimmung in den Faͤllen, da das Juſtinianeiſche und
Canoniſche Recht ſich einander widerſprechen, am mei-
ſten auf einen genugſam bewaͤhrten Gerichtsbrauch geſe-
hen, und nach demſelben den Vorzug des einen Rechts
vor
[396]1. Buch. 2. Tit.
vor dem andern beſtimmt wiſſen will, weil, wenn gleich
das Canoniſche Recht in unſern Gerichten in ſehr vielen
Faͤllen vor dem Juſtinianeiſchen den Vorzug behaupte,
doch auch genug Beyſpiele vorhanden waͤren, da nach
dem Gerichtsbrauch das Gegentheil ſtatt finde. Ich
bin noch immer uͤberzeugt, daß unter dieſen ſo verſchie-
denen Meinungen diejenige die richtigſte ſey, nach wel-
cher dem canoniſchen Rechte in der Regel der Vorzug
vor dem Roͤmiſchen eingeraͤumet wird, ſo lange nicht nach
einem genugſam bewaͤhrten Gerichtsbrauche das Gegen-
theil ſtatt findet 97). Schon dadurch, daß der Ge-
richtsbrauch dem canoniſchen Rechte in den meiſten Faͤl-
len ohne allen Zweifel den Vorzug vor dem roͤmiſchen
giebt, rechtfertiget ſich zwar dieſe Regel vollkommen;
allein wir wollen die Gruͤnde ſelbſt anfuͤhren, auf wel-
chen dieſer Vorzug des Canoniſchen Rechts beruher.
Sie ſind folgende. Erſtens hat man ſeit den aͤlteſten
Zeiten in Teutſchland fuͤr das Canoniſche Recht ſtets
guͤnſtige Vorurtheile geheget, und ſich uͤberredet, daß es
den teutſchen Sitten und unſrer Verfaſſung nicht allein an
und fuͤr ſich mehr, als das Roͤmiſche, angemeſſen ſey 98),
ſondern auch die Grundſaͤtze deſſelben beſſer, als die des
roͤmiſchen Rechts, mit der Billigkeit uͤbereinſtimmen.
Zwei-
[397]de Origine Iuris.
Zweitens ſtellete man ſich nach der Denkungsart des
mittlern Zeitalters eine von Gott verordnete zwiefache
Gewalt, eine weltliche und eine geiſtliche vor, deren
jede einem ſichtbaren Oberhaupte, jene dem Kaiſer,
dieſe dem Pabſte, anvertrauet waͤre, unter ſich aber ein
ſolches Verhaͤltnis haͤtte, daß die geiſtliche Gewalt
noch vor der weltlichen, ſo wie die Seele vor dem Lei-
be, das Geiſtliche vor dem Zeitlichen, die Sonne vor
dem Monde den Vorzug haͤtte 99). Nach dieſer da-
mahls herrſchenden Idee verſtand ſich’s demnach von ſelbſt,
daß das von der geiſtlichen Gewalt authoriſirte Geſezbuch
nicht allein in der ganzen Chriſtenheit in geiſtlichen und
weltlichen Gerichten zur Richtſchnur dienen 100), ſon-
dern daſſelbe auch vor dem weltlichen oder Juſtinianei-
ſchen Geſezbuche die Oberhand behalten mußte, wenn
es in einzelnen Faͤllen Colliſion zwiſchen beyderley Rech-
ten gab 1). Ja es ſchien das Canoniſche Geſezbuch in
Teurſchland doppelte Achtung zu verdienen, weil man
den Kaiſer als deſſen eignes Oberhaupt, und zugleich
als
[398]1. Buch. 2. Tit.
als den Schuzherrn der Roͤmiſchen Kirche anſahe.
Was Wunder alſo, wenn Kr. FriedrichII. in einer
zu Maynz publicirten Reichs-Conſtitution 1235. die
Beobachtung des geiſtlichen Rechts in allen Roͤmiſchen
Reich an geiſtlichen Dingen (d. i. Gerichten) dergeſtalt
einſchaͤrfte, daß er ſogar denienigen, welcher darwider
waͤre, fuͤr unglaͤubig gehalten wiſſen wollte 2)? Ich uͤberge-
he andere mehrere Gruͤnde mit Stillſchweigen, und be-
ziehe mich der Kuͤrze wegen auf die oben angefuͤhrte
Abhandlung des Herrn geiſtlichen Raths enders §. XIV.
Wenn nun gleich aus dieſem allen ſoviel ſich ergiebt,
daß das vorzuͤglichere Anſehen, welches man dem Ca-
noniſchen Rechte vor dem Roͤmiſchen beylegt, urſpruͤng-
lich auf irrigen Meinungen des mittlern Alters beruhet,
die hauptſaͤchlich aus unrichtigen Vorſtellungen von dem
Verhaͤltnis der geiſtlichen und weltlichen Gewalt ent-
ſtanden ſind, ſo darf doch hierin heutiges Tages nichts
geaͤndert werden, da es bey der heutigen Guͤltigkeit der
in Teutſchland recipirten fremden Rechte eine ausge-
machte Wahrheit iſt 3), daß nicht immer mit der Ur-
ſache auch ihre Wirkung aufhoͤre, ſondern auch Irrthuͤ-
mer von der geſezgebenden Gewalt, und dem Anſehen
der Gerichtsſtuͤhle unterſtuͤzt, ihre Folgen behalten koͤnnen.
§. 78.
Ausnahmen von der Regel.
Ob nun gleich das Canoniſche Recht aus den an-
gefuͤhrten Gruͤnden noch bis auf den heutigen Tag den
Vor-
[399]de Origine Iuris.
Vorzug vor dem roͤmiſchen behauptet, ſo iſt doch die-
ſes nur von der Regel zu verſtehen, welche alsdann
ihre Ausnahme leidet, ſobald in dieſem oder jenem Pun-
cte ein unſtreitiger und bewaͤhrter Gerichtsbrauch dem
Roͤmiſchen Rechte den Vorzug giebt. Daher es ein eben
ſo groſſer Fehler iſt, wenn einige das Canoniſche Recht
durchgaͤngig und ohne alle Einſchraͤnkung dem Roͤmi-
ſchen vorziehen, als wenn andere, wie z. B. unſer
Autor, dem Roͤmiſchen Rechte den Vorzug in der
Regel geben wollen, indem diejenigen Faͤlle, da das
Roͤmiſche Recht den Vorzug vor dem Canoniſchen be-
hauptet, nur als Ausnahmen von der Regel anzuſehen
ſind. Zu dieſen Ausnahmen rechne ich zuvoͤrderſt, daß
die in dem Canoniſchen Rechte gebilligte Art, ein Te-
ſtament vor dem Pfarrer und zwey Zeugen zu verferti-
gen 4), heutiges Tages an wenigen Orten, ſelbſt in ka-
tholiſchen Laͤndern, angenommen iſt; vielmehr ſtatt der-
ſelben die im Juſtinianeiſchen Rechte vorgeſchriebene Form
beobachtet werde 5). Zu den Ausnahmen, da nicht ſo-
wohl die Grundſaͤtze des Canoniſchen als vielmehr des
Juſtinianeiſchen Rechts nach dem Gerichtsbrauch zur An-
wendung kommen, gehoͤrt ferner, daß bey Schenkungen
in zweifelhaften Faͤllen, nicht, wie das Canoniſche Recht
will 6), eine ausdehnende Erklaͤrung, ſondern vielmehr
eine einſchraͤnkende Auslegung ſtatt finde, und daher
die Abſicht zu ſchenken niemahls zu vermuthen ſey,
auch
Gluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. C c
[400]1. Buch. 2. Tit.
auch die bey der Schenkung gebrauchten Ausdruͤcke,
weiter, als der eigentliche Wortverſtand erlaubt, nicht
verſtanden werden koͤnnen 7). So wird ferner im Paͤbſt-
lichen Rechte das Zufluchtsrecht der Kirchen und Kloͤ-
ſter ohne Unterſchied auf alle und jede Verbrecher aus-
gedehnt 8), welches nach Juſtinianeiſchen Rechten, nur
zum Sicherheitsmittel gegen unrechtmaͤſige Gewalt die-
nen ſoll 9); das heutige Recht aber verwirft jenes dem
oͤffentlichen Wohl und Strafrechte des Fuͤrſten ſo nach-
theilige Aſylrecht, und nimmt die vernuͤnftigern Vor-
ſchriften des Juſtinianeiſchen Rechts an 10). Noch
mehr: Nach dem Canoniſchen Rechte hat der durch
Frauensperſohnen gefuͤhrte Beweiß uͤberall keine Kraft 11),
und dieſe ſind nur ſodann zu vernehmen, wenn ſie ent-
weder an dem Verbrechen dieſes oder jenes Geiſtlichen
Antheil genommen haben 12), oder es auch darauf an-
kommt, eine vorgebliche Irregularitaͤt dieſes oder jenes
Geiſtlichen zu beweiſen 13). Allein der Gerichtsge-
brauch
[401]de Origine Iuris.
brauch 14) ſtimmt mit dem Canoniſchen Rechte auch
hierin nicht uͤberein, ſondern laͤſſet es vielmehr bey der
Vorſchrift des Juſtinianeiſchen Rechts 15), nach wel-
cher Frauensperſohnen, ſowohl in buͤrgerlichen als pein-
lichen Sachen, guͤltige Zeugen ſind, inſofern anders
die Geſetze, entweder der beſondern Feyerlichkeit der
Handlung halben, wie bey Teſtamenten und Codicillen,
oder um einem rechtlichen Geſchaͤfte das Anſehen einer
oͤffentlichen Beglaubigung zu verſchaffen, wie bey der
Verpfaͤndung, das Zeugnis durch Mannsperſohnen nicht
genau und ausdruͤcklich erfordern, oder ſonſt eine ande-
re gegruͤndete Ausnahme bewieſen werden kann, lediglich
bewenden. Aus dem alleinigen Grunde, den man von
dem Geſchlecht hernimmt, mag daher heutiges Tages
das Zeugnis der Frauensperſohnen bey dem Mangel an-
derer Urſachen, die ein Zeugnis an und fuͤr ſich ver-
werflich machen, nicht verworfen und fuͤr unguͤltig er-
klaͤrt werden. Andere Faͤlle zu geſchweigen, wo noch
ſonſt in den heutigen Gerichten nach dem Juſtinianei-
ſchen und nicht nach dem Canoniſchen Rechte geſprochen
zu werden pflegt, welche man in der unten angefuͤhrten
Schrift 16) beyſammen finden wird.
§. 79.
Widerlegung des Autors.
Nun ſollte ich zwar auch noch die Meinungen
anderer Rechtsgelehrten uͤber den bisher eroͤrterten Ge-
C c 2gen-
[402]1. Buch. 2. Tit.
genſtand kuͤrzlich pruͤfen; allein da man aus dem, was
ich von dem Vorzuge des Canoniſchen Rechts vor dem
Roͤmiſchen, und den Ausnahmen von der Regel vorge-
tragen, leicht ſelbſt beurtheilen kann, was von den
Grundſaͤtzen anderer als richtig anzunehmen ſeyn moͤch-
te, ſo will ich, um nicht in den Fehler der Weitſchwei-
figkeit zu verfallen, nur allein gegen die Hypotheſe un-
ſers Autors noch einige Erinnerungen machen. Wenn
derſelbe (§. 81.) in der Regel dem Roͤmiſchen Rechte
den Vorzug vor dem Canoniſchen geben will, und der
Meinung iſt, daß lezteres nur in Kirchen- Ehe- Eides-
Gewiſſens- und Proceßſachen vorzuziehen ſey; ſo zweifle
ich erſtens ſehr, ob dieſe Regel uͤberall zutreffend ſeyn
moͤchte. Denn daß einmahl in Eheſachen das Cano-
niſche Recht nicht durchgaͤngig, wenigſtens in den pro-
teſtantiſchen Gerichten, den Vorzug behaupte, kann ich
durch verſchiedene Beiſpiele beweiſen. Einen Beweiß
davon giebt zuvoͤrderſt die Materie von den Eheverboten
wegen der Blutsfreundſchaft, wo die Evangeliſchen die
Paͤbſtlichen Rechte nicht annehmen, ſondern ſich nach
der Vorſchrift der Moſaiſchen und Roͤmiſchen Rechte
richten 17). Auſerdem aber kann man auch den Ver-
gleich wider die Ehe hierher rechnen, als welcher, un-
ter gewiſſen Einſchraͤnkungen, bey den Proteſtanten al-
lerdings erlaubt iſt. Das Canoniſche Recht verwirft
den-
16)
[403]de Origine Iuris.
denſelben, weil, in Gemaͤsheit des katholiſchen Lehrbe-
grifs, die Ehe fuͤr ein Sacrament geachtet wird, ſchlech-
terdings 18). Allein die Proteſtanten nehmen dieſen
Lehrſaz nicht an, folglich muͤſſen die aus demſelben ge-
zogene Folgerungen ebenfalls wegfallen, und daher bey
dem Roͤmiſchen Rechte, nach welchen uͤber eine jede
zweifelhafte Sache ein Vergleich guͤltig geſchloſſen wer-
den darf 19), inſofern keine unbeſtrittene Ausnahme zu
beweiſen ſtehet, es lediglich das Bewenden behalten 20);
nur mit der Einſchraͤnkung, daß zu einem ſolchen Ver-
gleich wider die Ehe das Vorwiſſen und die Beſtaͤtti-
gung des geiſtlichen Gerichts oder Conſiſtoriums erfor-
dert wird 21). Sodann iſt der Saz, daß das Cano-
niſche Recht in der Lehre vom Eide dem Roͤmiſchen
durchaus vorgehe, ebenfalls noch vielen Zweifeln unter-
worfen, und ſchon von Andern 22) das Gegentheil ſo
C c 3buͤndig
17)
[404]1. Buch. 2. Tit.
buͤndig dargethan worden, daß man es ſicher fuͤr erwie-
ſen annehmen darf. Ohnmoͤglich kann doch wohl das
Paͤbſtliche Recht in ſolchen Vorſchriften bey uns gelten,
welche den gereinigten Religionsbegriffen unſerer Kirche
widerſprechen. Wie koͤnnten wir alſo dieſem Rechte
gerade in der Materie einen Vorzug beylegen, wo al-
les auf ſolchen Gruͤnden beruhet, welche unſerm Reli-
gionsſyſteme gaͤnzlich zuwider ſind? Wie ſollten wir mit
Hintanſetzung der weit vernuͤnftigern Grundſaͤtze des Roͤ-
miſchen Rechts in einer ſo wichtigen Sache die Vor-
ſchriften eines Rechts befolgen, welche zu den gefaͤhr-
lichſten Eides-Mißbraͤuchen Anlaß geben, und eine un-
ſelige Quelle der ſchaͤdlichſten Folgen fuͤr das gemeine
Beſte ſind? Ich werde hiervon in der Folge bey dem
§. 341. noch umſtaͤndlicher handeln. Daß auch im
Proceß dem Canoniſchen Rechte nicht ohne alle Aus-
nahme der Vorzug vor dem Roͤmiſchen eingeraͤumt wer-
den koͤnne, beweißt das bereits in vorhergehendem §.
angefuͤhrte Beiſpiel vom Zeugenbeweiſe; bey welchem
wir heutiges Tages die Verordnungen des Juſtinianei-
ſchen Rechts befolgen. Es iſt jedoch die Regel unſers
Autors, wie hieraus genugſam erhellet, nicht nur un-
zutreffend, ſondern auch zum andern ſehr unbe-
ſtimmt und ſchwankend. Denn was ſind z. B.
Kirchenſachen? was ſind Gewiſſensſachen? wer weiß
nicht, wie ausgedehnt und uͤberſpannt hiervon die Be-
griffe des Paͤbſtlichen Rechts ſind, dem es nie am An-
ſtrich und Praͤtext gefehlt hat, auch blos weltlichen
Sachen die Geſtalt von geiſtlichen und kirchlichen zu
geben, nur um die Grenzen der paͤbſtlichen und geiſtli-
chen Gerichtsbarkeit zu erweitern 23)? Bahnt alſo nicht
die
[405]de Origine Iuris.
die Regel unſers Autors den Weg zu neuen Schwierig-
keiten oder Irrthuͤmern? Endlich iſt auch jene Regel
viel zu ſeicht, als daß ſie diejenigen Faͤlle ganz er-
ſchoͤpfen ſollte, in welchen dem Canoniſchen Rechte der
Vorzug vor dem Roͤmiſchen wirklich beygeleget wird.
Wem iſt wohl unbekannt, daß auch in der Lehre von
der Legitimation unehelicher Kinder, den Vertraͤgen,
der Emphytevſis, der Verjaͤhrung, dem Abzug der Tre-
bellianiſchen Quarte bey Fideicommiſſariſchen Erbſchaften,
der Verbindlichkeit der Erben zur Erſtattung des durch
ein Verbrechen des Verſtorbenen angerichteten Scha-
dens, und ſo mehr, das Canoniſche Recht dem Roͤmi-
ſchen unwiderſprechlich vorgezogen werde?
§. 80.
Colliſion unter mehreren Geſetzen einerley Rechtskoͤrpers.
1) des Canoniſchen. 2) des Roͤmiſchen.
Noch iſt zu eroͤrtern uͤbrig, in welchem Ver-
haͤltniſſe einzelne Stellen des Canoniſchen
oder Roͤmiſchen Geſezbuchs unter ſich ſelbſt
ſtehen? Wie, wenn alſo erſtlich die geſezlichen Vor-
ſchriften des Canoniſchen Rechtskoͤrpers unter ſich in
Colliſion gerathen, welche gehet der andern vor? Wir
muͤſſen einen Unterſchied machen, ob ſie in verſchiede-
nen Sammlungen, oder in eben derſelben Sammlung
enthalten ſind 24). Im erſtern Falle gehet in der Re-
C c 4gel
23)
[406]1. Buch. 2. Tit.
gel die neuere der aͤltern vor; daraus folgt, daß die
Ciementinen dem libro ſexto Decretalium Bonifacii
VIII. dieſer den Decretalen P. Gregors IX. und dieſe
wieder dem Decret des Gratians derogiren. Nur die
ſogenannten Extravaganten machen eine Ausnahme
von dieſer Regel; denn wenn gleich die in unſerm Ca-
noniſchen Rechtskoͤrper befindlichen beyden Sammlungen
derſelben der Zeit ihrer Compilation nach die juͤngſten
ſind, ſo kann doch die Guͤltigkeit derſelben, da ſie blo-
ſe Privatſammlungen ſind, die nicht unter paͤbſtlicher
Auctoritaͤt verfertiget worden, nicht nach dem Orte,
den ſie im Korpus Juris behaupten, ſondern nur nach
dem eigenen Zeitalter einer jeden einzelnen Verordnung
beurtheilet werden 25). Im andern Falle, wenn der
Widerſpruch unter Stellen ebenderſelben Sammlung iſt,
ſo muͤſſen dieſelben durch eine geſchickte Auslegung, wo-
bey auf die Verſchiedenheit der Zeit, des Orts, der
Perſohn und des Grundes Ruͤckſicht zu nehmen 26),
mit einander vereiniget werden 27). Wenn demnach
die eine Verordnung ganz allgemein lautet, die andere
aber
[407]de Origine Iuris.
aber ſich auf einen beſondern Ort und die daſelbſt uͤbliche
beſondere Rechte und Gewohnheiten, oder auf eine beſon-
dere Claſſe von Perſohnen ſich beziehet, und von deren
Gerechtſamen oder Verbindlichkeiten disponirt, ſo wird
man in einer ſolchen Colliſion die gemeine und beſonde-
re Verordnung nach eben dem Verhaͤltniſſe, wie Regel
und Ausnahme, beurtheilen, hingegen unter zwey ge-
meinen, oder zwey beſondern Verordnungen derjenigen
den Vorzug geben muͤſſen, welche die neuere iſt, nach
der Regel: lex poſterior derogat priori28). Sind
ſie gleichen oder ungewiſſen Alters, ſo muß der Gerichts-
gebrauch, oder, wenn auch dieſer zweifelhaft ſeyn ſollte,
die Rechtsanalogie den Vorzug der einen vor der an-
dern entſcheiden 29).
Faſt dieſelbigen Grundſaͤtze, nur mit einigem Un-
terſchiede, ſind anzuwenden, wenn unter mehreren
Geſetzen des Roͤmiſchen Rechtskoͤrpers ein
Widerſpruch vorhanden iſt? Auch hier kommt
C c 5es
[408]1. Buch. 2. Tit.
es zunaͤchſt darauf an, ob der Widerſpruch unter den
Geſetzen verſchiedener Sammlungen, oder eben derſelben
Sammlung befindlich iſt. Iſt das erſtere, ſo gehet
das neuere Recht dem aͤltern vor. Fuͤr das neuere
Recht aber wird in dem Falle, da der Widerſpruch
unter den Geſetzen verſchiedener Sammlungen des Ju-
ſtinianeiſchen Rechts obwaltet, dasjenige gehalten, wel-
ches in der juͤngern Sammlung enthalten iſt. Dieſem
zu Folge gehen alſo I) die Novellen des K. Juſtinians,
als die allerneueſten Geſetze, allen uͤbrigen Verordnun-
gen des Juſtinianeiſchen Rechts vor, welche in den vor-
hergehenden Sammlungen, als dem Codex, den Pan-
decten und Inſtitutionen des Juſtinians, enthalten ſind.
Jedoch iſt dieſes nur von den gloſſirten Novellen zu
verſtehen, indem es, was die nicht gloſſirten anbetrift,
aus dem ſchon oben (S. 334.) angefuͤhrten Grunde bey
den Verordnungen des Codex in Praxi lediglich verblei-
ben muß. Der Fall kommt z. B. bey den Zinſen, die
den Hauptſtuhl uͤberſteigen (uſurae ultra alterum tan-
tum), vor, welche der Gerichtsgebrauch nicht ſchlechter-
dings fuͤr unerlaubt erklaͤrt, wofuͤr ſie Juſtinian Nov.
121 cap. 1. angeſehen wiſſen will, ſondern es bey der
Einſchraͤnkung der L. 10. C. de uſuris bewenden laͤſ-
ſet 30). II) Aus dem obigen Grundſaz folgt weiter,
daß
29)
[409]de Origine Iuris.
daß der Codex den Inſtitutionen und Pandecten derogi-
re. Zwar moͤchten, wenn wir auf das eigene Zeitalter
der einzelnen Verordnungen des Codex ſehen duͤrften,
unter der groſen Zahl derſelben nur wenige gefunden
werden, welche der Promulgation nach juͤnger als die
Inſtitutionen und Pandecten ſind, d. i. welche erſt nach
dem Jahr 533. in welchem beyde die geſezliche Beſtaͤt-
tigung erhalten haben, waͤren gegeben worden; indem
vielmehr das Datum der meiſten Conſtitutionen des Co-
dex, welche eine Subſcription haben, zu erkennen giebt,
daß ſie ſchon vor dem bemerkten Jahr, mithin vor den
Inſtitutionen und Pandecten, ſind bekannt gemacht wor-
den. Kein Wunder iſt es alſo, wenn es Rechtsgelehr-
te giebt, welche einer andern Meinung ſind, und dem
Codex nur in ſofern den Vorzug vor den Pandecten
und Inſtitutionen laſſen wollen, als die einzelnen Ge-
ſetze deſſelben neuer ſind. Unter denen, die dieſes be-
haupten, wird nicht leicht einer gefunden werden, der
angelegentlicher die Beweiſe fuͤr dieſe Meinung zu-
ſammengeſucht haͤtte, als Galvanus31), weil es ihm
nahe ging, quod, wie er ſagt, licet iam diu in Ita-
lia et in Germania non defuerint, qui contrarium
errorem interpretum cum maxima Iurisprudentiae
utilitate profligaverint, adhuc tamen multi ita he-
betes ſunt ac ſtolidi, ut frugibus inventis glandes
quaerant, et ſuum more in veteris inſcitiae coeno
volutentur. Allein Galvan mag ſagen, was er will,
ſo wird ſeine Meinung bey den heutigen Rechtsgelehr-
ten
30)
[410]1. Buch. 2. Tit.
ten ſchwerlich einigen Beyfall finden. Denn kann es
Galvanus nicht laͤugnen, daß die geſezliche Kraft der
Pandecten erſt von der Zeit an zu rechnen ſey, da ſie
promulgiret worden ſind, wenn gleich das darinn ent-
haltene Recht ungleich aͤlter iſt, und aus ſehr mancher-
ley Zeitperioden herruͤhrt, ſo muß doch wohl ein glei-
ches von dem Codex des K. Juſtinians gelten. Da
nun derſelbe ein ganzes Jahr ſpaͤter, als die Pandecten
und Inſtitutionen, nehmlich im Jahr 534. bekannt ge-
macht worden iſt (§. 53.), mithin ganz unlaͤugbat als
ein neueres Geſezbuch anzuſehen, ſo iſt natuͤrlich, daß
derſelbe beyden, den Pandecten wie den Inſtitutionen,
derogiren muͤſſe, um ſo mehr, da Juſtinian ſelbſt in
dem Promulgations-Ediet des neuen Codex §. 4. ſagt:
purgatum iam et candidum, omnibus et circumductis
et additis et repletis, nec non transformatis, factum
eſſe Codicem32). III) Wenn die Pandecten und In-
ſtitutionen in einer Rechtsmaterie nicht mit einander
uͤbereinſtimmen, ſo gehen die Pandecten, als die Quel-
le und das Original denen Inſtitutionen vor, in ſofern
leztere dunkel ſind, oder wohl gar unrichtig aus den er-
ſtern excerpiret worden; In ſofern aber die Inſtitutio-
nen eine offenbare Abaͤnderung, oder avthendiſche In-
terpretation der Pandecten enthalten, ſind dieſelben als
ein neueres Recht, den Pandecten billig vorzuziehen.
Die Beweiſe fuͤr dieſe Saͤtze liegen in dem Obi-
gen 33) (§. 51.). Hier will ich alſo nur noch einige
Bei-
[411]de Origine Iuris.
Beiſpiele hinzufuͤgen. So z. E. wird man in dem §.
39. de rerum diviſ. wegen des Schazfindens eine ganz
abſichtliche Abaͤnderung der L. 3. §. 10. D. de iure
fiſci gewahr werden, daß daher die Stelle der Inſtitu-
tionen hierin vorzuͤglichern Inhalts ſey, hat keinen
Zweifel 34); und vergeblich iſt alle Muͤhe derjenigen ge-
weſen, die beyde Stellen mit einander zu vereinigen ge-
ſucht haben 35). L. 34. §. 2. D. de Legat. 1. aber
erhaͤlt ihre avthendiſche Erlaͤuterung aus dem §. 6. I.
de Legat. und der §. 9. I. eodem beſtimmt den rechten
Sinn der L. 82. §. 2. und 3. D. de Legat. 1. vor-
treflich 36). Im Gegentheil behauptet L. 7. §. 7. D.
de acquir. rer. dom. den Vorzug billig vor dem §. 25.
I. de rer. div. in welchem die Verfaſſer der Inſtitutio-
nen das Dreſchen des Getraides irrig zur Specification
rechnen.
Wenn nun aber der Widerſpruch unter einzelnen
Stellen in einerley Sammlung iſt; ſo kommt es
wieder darauf an, ob Geſetze im Codex, oder Novellen
mit einander ſtreiten, dann gehet es nach der Regel:
lex poſterior derogat priori; oder ob Stellen in den
Inſtitutionen oder Pandecten ſich widerſprechen, in die-
ſem
33)
[412]1. Buch. 2. Tit.
ſem leztern Falle laͤſſet ſich entweder das Zeitalter der
ſich widerſprechenden Verordnungen beſtimmen, welches
beſonders in den Inſtitutionen leicht iſt, weil faſt bey
jeder Materie die Abwechſelungen des Rechts chronolo-
giſch ſind dargeſtellet worden, oder nicht, im erſtern
Fall muß eben wieder die Regel gelten, das neuere
Recht iſt dem aͤltern vorzuziehen; iſt aber das leztere,
ſo kommt alsdenn die ſchon oben (S. 312.) gegebene
Regel zur Anwendung 37).
§. 81.
Rechtsanalogie. Naturrecht. Verhaͤltniß zwi-
ſchen Geſezbuͤchern und Gewohnheitsrechten.
Allein — wird man zulezt noch fragen, wie? wenn
uns alle dieſe Geſetze verlaſſen ſollten, von welchen wir
bisher geredet haben, was werden dann fuͤr Richtſchnu-
ren des buͤrgerlichen Privatrechts gelten? — die
Rechtsanalogie? daß dieſe als eine Quelle des buͤrgerli-
chen Privatrechts anzuſehen, will ich gar nicht laͤugnen.
Allein da der Grund aller Analogie des Rechts auf der
Uebereinſtimmung mit der Abſicht und dem Willen des
Geſezgebers beruhet, (§. 37.) ſo darf man wohl nicht
ſagen, daß uns bey Entſcheidung eines Rechtsfalles die
Geſetze verlieſen, ſo lange uns noch der Weg der Ana-
logie offen ſtehet. Wer mir nicht glauben will, traue
wenigſtens den Worten Ulpians38), der uns lehrt:
verbum
[413]de Origine Iuris.
verbum ex legibus ſic accipiendum eſſe, tam ex le-
gum ſententia, quam ex verbis. Und dieſe Rechtsa-
nalogie wird daher auch in der Ordnung denjenigen
Plaz einnehmen, wo das Recht ſtehet, von deſſen Ana-
logie die Rede iſt.
Wie ſoll alſo in Ermangelung poſitiver Privatge-
ſetze beſtimmt werden, was in einem Falle recht oder
unrecht, wozu dieſer verbunden, jener berechtiget ſey? —
Da iſt nun die lezte Zuflucht zu demjenigen Recht zu
nehmen, welches die geſunde Vernunft jeden Menſchen
lehret 39). Denn daß das Naturrecht auch in der buͤr-
gerlichen Geſellſchaft gelte, iſt eine unbeſtrittene Wahr-
heit. (§. 17.) Indes bleibt dieſes doch immer nur die
leztere Zuflucht, ſollten daher ungeſchriebene Geſetze, d.
i. rechtsbewaͤhrte und erwieſene Gewohnheiten vorhanden
ſeyn, ſo ſtehen dieſe mit geſchriebenen Geſetzen in einer-
ley Verhaͤltnis, und dienen, wenn ſie ſonſt nur nicht
den guten Sitten, der Religion und der gemeinen
Wohlfahrt entgegen, und aus ſolchen Gruͤnden etwa
verwerflich ſind, in ſofern allerdings zur Entſcheidung.
Wie aber, wenn Geſezbuͤcher und Gewohnheits-
rechte in Colliſion gerathen? Wie, wenn Gebraͤuche, die
ohne ausdruͤckliche Genehmigung der hoͤchſten Ge-
walt in Gang gekommen ſind, mit dem, was geſchrie-
bene Geſetze enthalten, im Widerſpruch ſtehen, wie wird
das Verhaͤltniß derſelben gegen einander ſeyn? Da wir
uͤber
[414]1. Buch. 2. Tit.
uͤber dieſen Gegenſtand ſchon eine vortrefliche Abhand-
lung 40) haben, ſo darf ich mich hier ganz kurz faſſen.
Es iſt nichts ungewoͤhnliches, daß eine vom geſchriebe-
nen Geſetze abweichende Gewohnheit, wenn ſie ſonſt nur
die erforderlichen Eigenſchaften eines aͤchten Gewohn-
heitsrechts an ſich traͤgt, ſelbſt uͤber die ausdruͤckliche Vor-
ſchrift der Geſetze die Oberhand gewinnet. Nur muß
ſolche entweder neuer, als das geſchriebene Geſez ſeyn,
und, daß ſie vom Landesherrn wirklich gebilliget ſey,
deutlich erwieſen werden koͤnnen; oder, wenn ſelbige et-
wa ſchon vorher in einem Lande feſten Fuß gefaſſet ha-
ben ſollte, ehe darin ein Geſezbuch eingefuͤhrt wurde, ge-
wiß ſeyn, daß ſie ſich im Gebrauch erhalten habe. Denn
da Gewohnheiten immer nur auf der Frage beruhen:
wie es bisher gehalten worden ſey? mithin eine hiſtori-
ſche Kenntnis erfordern, die ungleich groͤſere Schwierig-
keit hat, als die Kenntnis eines ſchriftlich abgefaßten
allgemeinen Rechtsſatzes; ſo wird in Widerſpruchsfaͤllen
die Vermuthung immer fuͤr die Guͤltigkeit des geſchrie-
benen Geſetzes ſtreiten, bis die entgegenſtehende Ge-
wohnheit durch den Beweiß ihrer unwandelbaren Obſer-
vanz in voͤllige Gewißheit geſetzet worden iſt. Es wer-
den dieſe Saͤtze durch den folgenden Titel ein mehreres
Licht erhalten, in welchem die Lehre vom Gewohn-
heitsrecht erklaͤret werden wird.
Lib.
[415]de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet.
Lib. I. Tit. III.
de
Legibus, Senatusconſultis et longa
conſuetudine.
Der groͤſte Theil der unter dieſer Ueberſchrift in un-
ſern Pandecten geſammleten Fragmente der roͤmi-
ſchen Rechtsgelehrten enthalten allgemeine Grundſaͤtze von
der Natur, Auslegung und Anwendung poſitiver Geſe-
tze, und in ſo weit haben wir ſchon in dem erſten Ti-
tul unſers Commentars davon Gebrauch gemacht. Al-
lein die LL. 32 — 39. handeln vom Gewohnheits-
rechte, und dieſe, verbunden mit dem Titel des Co-
dex: quae ſit longa conſuetudo, machen die Quellen der
jezt zu eroͤrternden Rechtslehre aus. Auch im Canoni-
ſchen Geſezbuche finden wir hierher gehoͤrige Stellen,
denn nicht nur die Decretalen Gregors IX. ſondern auch
der liber ſextus Bonifacii VIII. enthaͤlt einen Titel
de conſuetudine. (Lib. I. Tit. 4.) Jedoch iſt bey dem
Gebrauch dieſer Quellen eine doppelte Vorſicht noͤthig;
a) daß man dabey jederzeit auf teutſche Verfaſſung, und
deren Unterſchied von der roͤmiſchen Ruͤckſicht nimmt.
Ohne dieſe Regel zu beobachten, iſt es unmoͤglich, die-
jenigen Irrthuͤmer zu vermeiden, die wir in der Materie
vom Gewohnheitsrechte nach der gewoͤhnlichen Vorſtel-
lungsart finden. Bey den Roͤmern, wo die Gerichte
oͤffentlich vor den Augen des Volks, in deſſen Haͤnden
ſich die geſezgebende Gewalt befand, gehalten wurden,
und wo in der Folge die Kaiſere ſelbſt ſich mit Entſchei-
dung der Rechtshaͤndel beſchaͤftigten; konnte man immer
mit mehrerer Gewißheit aus der oͤfteren Wiederholung
gleich-
Gluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. D d
[416]1. Buch. 3. Tit.
gleichfoͤrmiger Handlungen, wenn kein Wiederſpruch ge-
ſchahe, den ſtillſchweigenden Willen des Geſezgebers an-
nehmen; als bey uns, wo die Landesherrn von dem
Verfahren der Gerichte eine ſolche Wiſſenſchaft nicht
haben. Es duͤrfte alſo heutiges Tages das Argument
von dem Stillſchweigen des Landesherrn auf deſſelben
Genehmigung ziemlich unſicher ſeyn, wenn nicht zu er-
weiſen ſtehet, daß die Gewohnheit, wovon die Frage
iſt, witklich zur Wiſſenſchaft des Landesherrn gekommen,
indem, wenn dieſelbe geſchriebenen Geſetzen gerade ent-
gegen gehen ſollte, der Buchſtabe des Geſetzes ſodann
immer einen uͤberwiegenden Beweiß von dem Gegentheil
abgeben wuͤrde. Bey den Roͤmern traten uͤberhaupt
noch andere Umſtaͤnde hinzu, die ſie gewiſſermaſſen in
die Nothwendigkeit ſezten, Gewohnheitsrechte gelten
zu laſſen, nehmlich der Mangel an geſchriebenen Geſe-
zen, deren Unzulaͤnglichkeit, und die Schwierigkeiten,
welche mit der Legislation auf den Comitien verbunden
waren; ſie nahmen uͤberdies Gewohnheitsrechte weit lie-
ber, als geſchriebene Geſetze, an, weil erſtere, als Fruͤch-
te der Avtonomie, der Freiheit des Volks mehr ſchmei-
chelten, als die leztern, deren drohende Worte in auf-
gehangenen ehernen Tafeln geleſen wurden. Man wird
ſich nun hieraus erklaͤren koͤnnen, warum das ius civi-
le Romanorum, quod ſine ſcripto uſus comprobavit,
wie Juſtinian 1) ſich ausdruckt, von jeher ungleich
reichhaltiger an Rechtswahrheiten, als das geſchriebene
Recht, geweſen. b) Eine zweite Vorſicht, bey heutiger
Anwendung jener fremden Rechte in der Lehre vom Ge-
wohnheitsrecht iſt, daß man in den einzelnen Geſezſtel-
len immer auf die Bedeutung des Worts conſuetudo
genau Acht gebe; denn daß die Geſezgeber dieſes Wort
nicht uͤberall im eigentlichen Sinne genommen haben,
wird
[417]de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet.
wird ſich in der Folge zeigen. Haͤtte man hierauf meh-
rere Aufmerkſamkeit verwendet, ſo wuͤrde vielleicht man-
cher Zweifel uͤber den Verſtand dieſer oder jener Geſez-
ſtelle, leichter gehoben, ja mancher Irrthum vermieden
worden ſeyn. Die Fabel von der Praͤſcription der Ge-
wohnheitsrechte giebt ein deutliches Beiſpiel davon. Uebri-
gens iſt die Lehre vom Gewohnheitsrechte deſto wichti-
ger, je groͤſern Einfluß ſie auf das Anſehen der geſchrie-
benen Geſetze hat, welches, wenn beſonders von den
fremden in Teutſchland recipirten Geſetzen die Rede iſt,
oft nur gar zu voreilig unter dem Schilde entgegenſte-
hender Rechtsgewohnheiten und Obſervanzen beſtritten zu
werden pflegt. Unter den dieſe Materie erlaͤuternden
Academiſchen Schriften will ich auſſer denen, die in
Lipenius, und Schotts Supplementen ſtehen, nur
noch folgende anfuͤhren: desenckenberg de iure ob-
ſervantiae ac conſuetudinis in cauſis publicis priva-
tisve Gieſſae 1743. Ger. von dembusch diſſ. de
conſuetudine, unde et quando vim legis obtineat
Goettingae 1752. rec. Halae 1773. und Car. Chriſtph.
hofacker D. de iure conſuetudinis ſecundum do-
ctrinam iuris naturalis et romani. Tuͤbingae 1774.
Dieſes vorausgeſchickt ſchreiten wir nunmehro zur
Abhandlung der Lehre vom Gewohnheitsrechte ſelbſt,
und erinnern nur noch, daß hier bloß vom Privat-
Gewohnheitsrechte die Rede ſey, indem die Mate-
rie vom Staatsherkommen, welches von jenem
ganz unterſchieden iſt, in das Gebiet des teutſchen
Staatsrecht gehoͤrt, mithin eigentlich auſſer unſerer
Sphaͤre liegt.
D d 2§. 83.
[418]1. Buch. 3. Tit.
§. 82.
Eintheilung des Rechts in geſchriebenes und nicht geſchrie-
benes. Erlaͤuterung der §. 3. u. folgg. I. de I. N. G.
et C. und L. 32. et 35. D. de LL.
Es iſt eine nicht nur in den Geſetzen ausdruͤcklich
enthaltene 2), ſondern auch ſehr wichtige Eintheilung
des Rechts, wenn ſolches, fuͤr Geſez genommen, in ein
geſchriebenes(ius ſcriptum, lex ſcripta), und
nicht geſchriebenes(ius non ſcriptum, lex non
ſcripta) eingetheilet wird. Dieſe muß zuerſt erklaͤret
werden, weil ſie bey dem Begriffe des Gewohnheits-
rechts, als welches, wie Juſtinian3) ſagt, ex non
ſcripto venit, zum Grunde liegt. Die Begriffe der
Rechtsgelehrten ſtimmen jedoch darinn nicht uͤberein, was
eigentlich geſchriebenes und nicht geſchriebenes
Recht zu nennen ſey. Die meiſten ſagen, das ius ſcri-
ptum ſey ein ſolches Recht, was ausdruͤcklich vom
Geſezgeber iſt bekannt gemacht worden; ius non ſcri-
ptum ſey hingegen dasienige, ſo mit ſtillſchweigender
Einwilligung des Geſezgebers durch Gewohnheit ent-
ſtanden iſt. Die Scriptur ſey alſo bey einem geſchrie-
benen Geſez nichts weſentliches 4). Eben dies ſcheint
auch die Meinung unſers A. zu ſeyn. Andere 5) ver-
werfen
[419]de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet.
werfen hingegen dieſe Begriffe ſchlechterdings, und glau-
ben, daß ſolche dem roͤmiſchen Sprachgebrauch ganz zu-
wieder waͤren; nach dieſem ſey vielmehr ius ſcriptum
dasienige Recht zu nennen, was ſchriftlich aufgezeichnet
iſt; ius non ſcriptum aber heiſſe ein ſolches, welches
blos durch das Gedaͤchtniß und den Gebrauch, ohne
ſchriftlichen Aufſatz, erhalten wird 6). Noch andere 7)
wollen auch dieſe Begriffe nicht ganz billigen, ſondern
erfordern zu einem geſchriebenen Rechte im Sinn
des roͤmiſchen Rechts, erſtens, daß es ſich auf den
ausdruͤcklich erklaͤrten Willen des Geſezgebers gruͤnde,
und zweitens, daß es ſchriftlich abgefaßt ſey. In-
ſonderheit aber ſey in den aͤlteſten Zeiten der Roͤmer
ius ſcriptum dasienige Recht genennet worden, was
feyerlichſt durch die Stimmen des Volks auf den Comi-
tien als Geſez gebilliget, und in ehernen Tafeln aufge-
zeichnet worden; in den neuern Zeiten aber habe man
mit dieſem Nahmen dasienige Recht bezeichnet, was
vom Kaiſer ſelbſt, oder wenigſtens unter Auctoritaͤt
und mit ausdruͤcklicher Genehmigung deſſelben ſchriftlich
waͤre bekannt gemacht worden. Alles dieſes beſtaͤttige
die unten angefuͤhrte Stelle des Kr. Juſtinians8),
in welcher die verſchiedenen Gattungen des geſchriebenen
Rechts der Roͤmer aufgezaͤhler werden. Scriptum ius
D d 3eſt
[420]1. Buch. 3. Tit.
eſt lex, plebiſcitum, Senatusconſultum, Principum
placita, magiſtratuum edicta, reſponſa prudentum.
Pruͤfe man dieſe Geſezarten, ſo werde man finden, daß
ſie alle die oben angefuͤhrte Kenntzeichen eines geſchrie-
benen Rechts an ſich truͤgen; denn leges wurden durch
die Stimmen des ganzen Roͤm. Volks auf den comi-
tiis centuriatis; plebiſcita aber zwar nur in den Ver-
ſammlungen der Plebejer, und ohne Zuſtimmung des
Senats, gemacht, aber ſie waren doch ſeit dem Geſez
des Hortenſius9) auch fuͤr die Patricier unlaͤugbar
verbindlich; und beide wurden in ehernen Tafeln aufge-
gezeichnet. Eben dieſes geſchahe mit den Senatuscon-
ſultis; denn ſeit den Zeiten des K. Tibers vertrat der
Senat die Stelle des Volks, und der Kaiſer, als
princeps Senatus, ſchlug den verſammleten Vaͤtern Ge-
ſetze ungefaͤhr auf die Art vor, wie in den Zeiten der
Freyheit von einer Senatoriſchen oder Plebeiiſchen Ma-
giſtratsperſohn die rogatio (Vortrag) an das Volk ge-
ſchahe. Sogar die Rede des Kaiſers an den Senat
pflegte man in Erz zu graben 10). Die conſtitutio-
nes Principum wurden zwar ohne Solennitaͤt, blos
durch den Willen des Kaiſers, aber doch ſchriftlich pu-
blicirt. Die Worte Juſtinians §. 6. Quodcumque
Imperator per epiſtolam conſtituit, vel cognoſcens de-
crevit, vel edicto praecepit, legem eſſe conſtat: haec
ſunt, quae Conſtitutiones appellantur; gaͤben ſolches
ſelbſt genugſam zu erkennen; womit auch Ulpian11)
uͤbereinſtimme. Vielleicht ſey auch manche kaiſerliche
Verordnung in Erz gegraben worden. Die Edicte
der Praͤtoren und der curuliſchen Aedilen wur-
den
[421]de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet.
den zwar ſchrifrlich bekannt gemacht, allein vor den Zei-
ten K. Hadrians rechnete man ſie doch nur zum
iure non ſcripto, weil ſie erſt durch die beſtaͤndige und
ununterbrochene Beobachtung mit ſtillſchweigender Geneh-
migung des Volks eine geſezliche Kraft erhielten; allein
ſeitdem ſie K. Hadrian in das Edictum perpetuum
zuſammenfaſſen ließ, und dieſes als Geſezbuch promul-
girte, haben ſelbige vim iuris ſcripti, ipſa Imperatoris
voluntate, erhalten 12). Auch die roͤmiſchen Rechtsge-
lehrten ertheilten ihre Gutachten ſchriftlich, ſeitdem
Auguſt ſie ſelbſt zu dieſem Geſchaͤft autoriſirt, und die
Richter aus politiſchen Staatsabſichten von dieſen Ora-
keln des Rechts abhaͤngig gemacht hatte 13); und Ju-
ſtinian legte ihnen vollends die Kraft eines geſchriebe-
nen Rechts dadurch bey, daß er aus den Reſponſis und
Commentarien der roͤmiſchen Juriſten die Pandecten com-
piliren ließ. Hieraus ergebe ſich alſo unwiederſprechlich,
daß auſſer der ausdruͤcklichen Willenserklaͤrung des Ge-
ſezgebers die Scriptur zum Begriff eines geſchriebe-
nen Rechts, wenigſtens nach der Idee der Roͤmer,
ſchlechterdings erfordert werde. Ius non ſcriptum hin-
gegen ſey im Sinn des roͤmiſchen Rechts, dasienige
Recht zu nennen, dem es entweder an der Scriptur,
oder an der ausdruͤcklichen Willenserklaͤrung des Geſez-
gebers, oder an beyden zugleich mangele. Zwar habe
Juſtinian in ſeinen Inſtitutionen 14) nur einer Gat-
tung des nicht geſchriebenen Rechts ausdruͤckliche Erwaͤh-
nung gethan, nehmlich des Gewohnheitsrechts:
sine scriptoius venit, ſagt er, quod uſus approba-
vit: nam diuturni mores, conſenſu utentium compro-
D d 4bati,
[422]1. Buch. 3. Tit.
bati, legem imitantur; allein daß er damit die uͤbrigen
nicht ausgeſchloſſen haben wolle, ſey aus dem folgenden
§ zu erſehen: Et non ineleganter in duas ſpecies
ius civile diſtributum eſſe videtur: nam origo
eius ab inſtitutis duarum civitatum, Athenarum ſc.
et Lacedaemoniorum, fluxiſſe videtur. In his enim
civitatibus ita agi ſolitum erat, ut Lacedaemonii
quidem magis ea, quae pro legibus obſervabant,
memoriae mandarent: Athenienſes vero ea, quae in
legibus ſcripta comprehendiſſent, cuſtodirent. Hier-
durch werde zu erkennen gegeben, daß ein zwar aus-
druͤcklich, aber doch nur muͤndlich vom Geſezgeber be-
kannt gemachtes Geſez ad ius non ſcriptum gehoͤre.
Man ſiehet wohl aus der ganzen Darſtellung die-
ſer verſchiedenen Begriffe, daß Juſtinian hauptſaͤchlich
an dieſer Verwirrung ſchuld ſey, indem derſelbe §. 10.
ganz offenbar nicht geſchriebenes Recht im juriſtiſchen
und grammatiſchen Sinn vermiſcht, und hierdurch auf
den Irrwahn gerieth, den Urſprung des nicht geſchrie-
benen Rechts, ſo durch Gewohnheit entſtanden, von
den Lacedaͤmoniern herzuleiten 15). Wir koͤnnen aber
hierin
[423]de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet.
hierin den Kaiſer um ſo weniger folgen, je bekannter
es iſt, daß diejenigen Geſetze, die Lycurg ſeinem Vol-
ke gab, keine Gewohnheitsrechte, ſondern nur unge-
ſchriebene Geſetze im grammatiſchen Sinn ge-
weſen, die ſeine Buͤrger auswendig lernen muſten. Ju-
ſtinion redet hier nicht als Geſezgeber, ſondern macht
den Hiſtoricus, und in ſolchen Faͤllen hat Schul-
ting16) ganz richtig geurtheilt, wenn er ſagt, in re-
bus facti, qualis haec eſt, Imperatoris non maior
eſt auctoritas, quam alicuius hiſtorici, adeoque hic
ab illo licet diſſentire. Vergleicht man dagegen die
Fragmente dieſes Titels der Pandecten, ſo wird man
daraus ſehen, daß dem iuri ſcripto allemahl dasjenige
ius, quod moribus et conſuetudine inductum eſt,
entgegen geſetzet wird. Nicht nur Julian17), ſondern
vorzuͤglich auch Hermogenian18) unterſcheidet auf
dieſe Art geſchriebenes und nicht geſchriebenes Recht;
und daß erſteres im eigentlichen Verſtande anders nichts,
als ein vom Geſezgeber ausdruͤcklich bekannt
gemachtes Recht ſey, giebt Julian durch die Wor-
te deutlich zu verſtehen: quid intereſt, ſuffragio popu-
lus voluntatem ſuam declaret, an rebus ipſis et fa-
ctis? ohne dabey des Erforderniſſes einer ſchriftlichen
Promulgation zu gedenken. Zwar wendet man da-
gegen ein, daß jene roͤmiſche Juriſten die demokratiſche
D d 5Ver-
[424]1. Buch. 3. Tit.
Verfaſſung Roms vor Augen gehabt, nach welcher die
Geſetze der Nation auf den Comitien, ohnehin ſchrift-
lich, waͤren verfaſſet worden 19). Allein dieſer Einwurf
iſt ganz ungegruͤndet, denn beyde oben gedachte Rechts-
gelehrte lebten unter den Kaiſern, und man ſiehet aus
ihrem Vortrag ganz deutlich, daß ſie von ihren Zeiten
reden. Dem roͤmiſchen Zepter waren jedoch zu den
Zeiten dieſer Rechtsgelehrten mancherley Nationen un-
terthan, die ihre eigene Rechte hatten, welche unter dem
Nahmen Lex municipalis in unſern Pandecten ange-
fuͤhret werden 20). Solche municipia konnten vermoͤ-
ge der ihnen verſtatteten Avtonomie nicht nur commu-
ni velut ſponſione ſich ſelbſt geſchriebene Geſetze ma-
chen, ſondern auch gleichſam durch einen ſtillſchweigen-
den Vertrag ein Gewohnheitsrecht einfuͤhren 21). Von
dieſen haben wahrſcheinlich beyde roͤmiſche Juriſten gere-
det 22), welches beſonders daraus erhellet, weil Ju-
lian ſagt, daß, wenn weder geſchriebenes, noch Ge-
wohnheitsrecht eine Entſcheidungsnorm gaͤbe; auch aus
der
[425]de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet.
der Aehnlichkeit der Faͤlle keine Regel abſtrahiret wer-
den koͤnne, dasjenige Recht ſodann beobachtet werden
muͤſſe, quo urbs Roma utitur23).
Aus dieſen allen erhellet nun ſoviel, daß man
bey Beſtimmung der Begriffe des geſchriebenen und
nicht geſchriebenen Rechts einen zwifachen Sinn
unterſcheiden muͤſſe, den eigentlichen oder juriſtiſchen,
und den uneigentlichen oder grammatiſchen. In
dem erſtern Verſtande heiſſet lex ſcripta ein ſolches
Geſez, was ſeine Verbindungskraft durch den ausdruͤck-
lich erklaͤrten Willen des Geſezgebers erhalten hat. Hin-
gegen ein ſolches Recht, ſo ſich urſpruͤnglich nicht auf
den ausdruͤcklich bekanntgemachten Willen des Geſezge-
bers gruͤndet, ſondern durch Gewohnheit entſtanden iſt,
wird ius non ſcriptum im juriſtiſchen Verſtande genennt 24).
Pau-
[426]1. Buch. 3. Tit.
Paulus25) nimmt noch eine dritte Gattung an, die
er mixtum ius, d. i. utroque, ſcripto et non ſcri-
pto, conſtans, nennt, und giebt zum Beiſpiel die in-
iuriarum actio, quae lege Cornelia conſtituta eſt.
Im grammatiſchen Sinn aber heiſſet ein Recht oder
Geſez alsdann geſchrieben, wenn es [ſchriftlich] ver-
faßt, und nicht geſchrieben, wenn es nicht ſchrift-
lich aufgezeichnet iſt, ſondern blos durch das Gedaͤcht-
nis erhalten wird Nach dieſem Unterſchiede kann da-
her 1) ein Recht ein geſchriebenes oder ungeſchriebenes
in beyderley Verſtande zugleich ſeyn. 2) Es kann ein
Recht, das im grammatiſchen Sinn ungeſchrieben iſt,
dennoch ein geſchriebenes Recht im juriſtiſchen Verſtan-
de, und ſo auch umgekehrt ſeyn. 3) Es kann ein
Recht, ſeinem Urſprung nach ungeſchrieben im juriſti-
ſchen Verſtande ſeyn, und in ein geſchriebenes Recht
im juriſtiſchen Sinn verwandelt werden. Das roͤmiſche
Recht giebt uns davon genug Beyſpiele, wie aus Ge-
wohnheitsrechten in der Folge Geſezbuͤcher entſtehen koͤn-
nen. War nicht das ganze ius honorarium, welches
aus den Edicten der Praͤtoren und anderer roͤmiſcher
Magiſtratsperſohnen herſtammt 26), desgleichen das ei-
gent-
24)
[427]de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet.
gentlich ſogenannte ius civile27), ſo aus den Geſezer-
klaͤrungen und Gutachten der roͤmiſchen Rechtsgelehrten
ſeinen Urſprung genommen, und durch den Gerichtsge-
brauch beſtaͤttiget worden, urſpruͤnglich bloſes Gewohn-
heitsrecht (ius non ſcriptum), und doch konnte Ju-
ſtinian zu ſeinen Zeiten beydes ganz richtig zum ius
ſcriptum zaͤhlen 28)? Auch in neuern Zeiten ſind die
Beyſpiele hiervon nicht ſelten. Nur darf in einem ſol-
chen Faͤlle, da bisherige Gewohnheitsrechte in geſchrie-
bene Geſetze verwandelt werden, ihre urſpruͤngliche Ei-
genſchaft nie vergeſſen, und daher ſolche mit andern
Geſetzen, die ganz neue Verordnungen enthalten, nie
auf einerley Fuß behandelt werden. Wenigſtens der
Rechtsgelehrte muß immer eingedenk ſeyn, daß der In-
halt ſolcher Geſetze ſchon lange vorher ſeine Rechtskraft
hatte, und daß alſo der Urſprung und der wahre Grund
eines ſolchen Rechts nicht erſt in jenen neuern Geſetzen,
ſondern ſchon in weit aͤltern Zeiten zu ſuchen iſt. Denn
ſonſt wuͤrde man in Auslegung und Anwendung ſolcher
Geſetze nur gar zu oft das wahre Ziel verfehlen 29).
Endlich 4) kann auch ein urſpruͤnglich kundgemachtes
Recht vim legis ſcriptae verliehren, und nur als Ge-
wohnheitsrecht (tanquam ius non ſcriptum) beybehal-
ten werden. Die Geſetze der roͤmiſchen Koͤnige, die
Geſetze der alten teutſchen Voͤlker, die Capitularien der
fraͤn-
[428]1. Buch. 3. Tit.
fraͤnkiſchen Koͤnige u. a. m. geben uns davon ſehr tref-
fende Beyſpiele. Daher kann man ſich’s erklaͤren, war-
um die roͤmiſchen Juriſten dasjenige Recht, welches durch
die Geſetze der roͤmiſchen Koͤnige iſt eingefuͤhret worden,
z. B. ius patriae poteſtatis, cura prodigorum, u.
d. m. den moribus zuſchreiben 30). Exactis enim re-
gibus, erzaͤhlt uns Pomponius31), Lege Tribuni-
cia, omnes leges hae (regiae) exoleverunt: iterum-
que coepit populus Romanus incerto magis iure et
conſuetudine ali, quam per latam legem.
§. 83.
Verſchiedene Gattungen des nicht geſchriebenen Rechts.
Herkommen. Gewohnheit. Obſervanz.
Das nicht geſchriebene Recht kann nun von
ſehr verſchiedener Beſchaffenheit ſeyn. Einmahl ein
ſolches, ſo zwar ehemals ausdruͤcklich bekanntgemacht,
aber nicht ſchriftlich verfaſſet worden, ſondern ſich blos
durch den Gebrauch erhalten hat, und ſo auf die Nach-
kommen fortgepflanzet worden iſt; dieſes wird ius tra-
ditum32), ein hergebrachtes Recht, Herkom-
men genennt. Von dieſer Beſchaffenheit waren vor
Zeiten die meiſten Reichstagsſchluͤſſe. Sie wurden bis
gegen
[429]de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet.
gegen Ende des funfzehenden Jahrhunderts ſelten foͤrm-
lich ausgefertiget. Man publicirte ſie zwar, aber nur
muͤndlich. Daher wurden ſie in der Eigenſchaft der
Reichsſatzungen bald unbekannt und vergeſſen, und nur
als ein Herkommen beybehalten und beobachtet. Ei-
ne Urſache, warum wir ſo wenig alte aͤchte Reichsſa-
tzungen haben 33). Ein ſolches herkoͤmmliches Recht
iſt nun zwar im grammatiſchen Sinn ein nicht geſchrie-
benes Recht, das durch den Gebrauch erhalten wird;
allein in ſofern doch die urſpruͤngliche Bekanntmachung
deſſelben erwieſen werden kann, hat es die Natur eines
geſchriebenen Rechts im eigentlichen oder juriſtiſchen
Sinn, und darf mithin nicht nach den Grundſaͤtzen ei-
nes Gewohnheitsrechts beurtheilet werden. Entſtehet
demnach uͤber die Guͤltigkeit eines ſolchen Rechts ein
Zweifel, ſo darf nur erwieſen werden, daß die ehe-
malige ausdruͤckliche Kundmachung deſſelben
geſchehen ſey; iſt dieſe auſſer Zweifel geſezt worden,
ſo muß die Vermuthung fuͤr die Guͤltigkeit eines ſol-
chen Geſetzes oder Rechts ſo lange Statt finden, bis
das Gegentheil von dem andern dargethan wird 34).
Sollte aber die Bekanntmachung eines ſolchen Rechts
ſo ganz in Vergeſſenheit gerathen ſeyn, daß von der-
ſelben keine Beweiſe dargeleget werden koͤnnten, ſo wird
es nun als ein Gewohnheitsrecht zu betrachten, und nach
den Grundſaͤtzen, die davon gelten, zu beurtheilen ſeyn.
Zweitens kann das nicht geſchriebene Recht ein ſolches ſeyn,
ſoſich urſpruͤnglich nicht auf den ausdruͤcklich bekannt gemachten
Willen
[430]1. Buch. 3. Tit.
Willen des Geſezgebers gruͤndet, und dann iſt es ent-
weder durch Gewohnheit, oder durch Obſervanz
eingefuͤhret worden. Was nun aber eine Gewohnheit
ſey, und wie ſie ſich von der Obſervanz unterſcheide,
wird der folgende §. lehren.
§. 84.
Verſchiedene Bedeutung der Worte conſuetudo, und Gewohn-
heit. Unterſchied zwiſchen Gewohnheit in eigent-
licher Bedeutung und Obſervanz.
Das lateiniſche Wort conſuetudo hat wie das
teutſche Gewohnheit mancherley Bedeutungen, und
es iſt nothwendig, dieſe kuͤrzlich anzufuͤhren, um hernach
den eigentlichen Begrif von Gewohnheit deſto richtiger
beſtimmen zu koͤnnen. Conſuetudo zeigt 1) in unſern
Geſetzen einen ſehr genauen Umgang, oder geſellſchaft-
liche Verbindung verſchiedener Perſohnen mit einander
an. In dieſer Bedeutung wird nicht nur die Ehe 35),
ſondern auch der Concubinat mit dieſem Worte bezeich-
net So z. B. ſagt Modeſtin36): Stuprum com-
mittit, qui liberam mulierem conſuetudinis cauſa,
(d. i. zur Concubine) non matrimonii, continet. 2)
Bedeutet conſuetudo auch dasjenige, was nach der Ord-
nung der Natur gewoͤhnlich zu ſeyn pflegt. In dieſem
Verſtande nimmt Paulus37) dieſes Wort, wenn er
bey Entſcheidung der Frage, ob durch Ernennung ſol-
cher poſtumorum, die der Teſtirer ſeines Alters oder
einer
[431]de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet.
einer vorhandenen Leibesſchwaͤche halben vielleicht nicht
mehr erwarten duͤrfte, ein erſteres Teſtament aufgehoben
werde? ſeine bejahende Meinung mit dem Grunde un-
terſtuͤtzt: quod natura magis in homine generandi et
conſuetudo ſpectanda eſt, quam temporale vitium, aut
valetudo, propter quam abducatur homo a generandi
facultate: das iſt, weil man mehr auf die Regel, nach
welcher ordentlicher Weiſe Menſchen die Erzeugungs Kraft
haben, als auf die Ausnahme Ruͤckſicht nehmen muß 38).
3) Heißt Conſuetudo auch oft eine Befugniß, oder ein
Recht, ſo jemand ſeit langer Zeit ausgeuͤbt hat. So koͤn-
nen nach poſitiven Geſetzen Rechte und Befugniſſe durch
die langwierige Ausuͤbung (longa conſuetudine) ſo gut
als durch ein Geſetz eingefuͤhret werden 39). Bey Dienſt-
barkeiten weißt das roͤmiſche Recht nahmentlich der Ge-
wohnheit ihren Wirkungskreis an, wie aus den un-
ten 40) angefuͤhrten Geſetzſtellen zu erſehen iſt, in wel-
chen unter longa conſuetudo nichts anders als ein langer
Gebrauch, oder eine ſeit langer Zeit fortgeſetzte Ausuͤbung,
welche die Stelle eines Rechtstitels vertreten kann, ver-
ſtanden wird; und in eben dieſem Sinn wird jener Aus-
druck auch im kanoniſchen Rechte 41) gebraucht, da wo
von einer conſuetudine praeſcripta die Rede iſt. Dies ſind
diejenigen Bedeutungen, die zwar nicht unmittelbar zur
Sache
Gluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. E e
[432]1. Buch. 3. Tit.
Sache gehoͤren, aber doch zu wiſſen noͤthig ſind 42).
Wir kommen nun unſerm Zwecke naͤher, wenn wir wei-
ter bemerken, daß 4) Gewohnheit fuͤr die oͤftere Wie-
derholung gleichfoͤrmiger Handlungen genommen werde;
in dieſer Bedeutung nehmen unſere Geſetze das Wort
conſuetudo ebenfalls, wenn ſie dieſelbe als den Entſtehungs-
grund des iuris non ſcripti anſehen 43). In eben dieſer
Bedeutung ſchreiben ſogar unſere Geſetze 44) den Thie-
ren eine Gewohnheit (conſuetudo) zu, die nicht ohne recht-
liche Wirkung iſt. Sie iſt unterweilen als ein kuͤnſtli-
cher Beweiß des Eigenthums eines Thiers gebraucht wor-
den 45). Ferner verſtehet man 5) unter Gewohn-
heit
[433]de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet.
heit auch diejenige Regel ſelbſt, welche aus der Gleich-
foͤrmigkeit freyer Handlungen entſtanden iſt. So z. B.
wollen die Geſetze 46), daß bey vorkommender Undeut-
lichkeit lezter Willensverordnungen auf die Gewohnheit
des Erblaſſers (conſuetudo patrisfamilias) d. i. auf die
ihm eigene Art ſich auszudrucken, und in dergleichen
Fall, wovon die Rede iſt, zu handeln, vor allen Dingen
Ruͤckſicht genommen werden ſolle. Auch ſchon im gemei-
nen Redegebrauch pflegt man es eine Gewohnheit zu
nennen, wenn man freye Handlungen ſchon ſeit gerau-
mer Zeit nach einer gewißen Regel thut, und die teut-
ſchen Reichsgeſetze 47) beſtaͤttigen dieſe Bedeutung, wenn
ſelbige zum oͤftern alte Gebraͤuche und gute Gewohn-
heiten beobachtet wiſſen wollen. Es iſt jedoch nicht jede
Regel, welche aus einer Reihe gleichfoͤrmiger Handlungen
entſtanden, gleich fuͤr verbindlich zu halten, ſondern es
iſt ein Unterſchied zu machen, ob dieſe Regel nur von
einem, oder mehrern einzelnen Perſohnen, oder ob ſie
von allen iſt beobachtet worden. Im erſtern Falle ver-
bindet dieſelbe weder dieienigen, die ſie freywillig beob-
achten, cum nemo eam ſibi poſſit legem dicere, a
qua ei recedere non liceat48); noch auch andere,
nam inter alios geſta, quorum ex voluntate valent,
E e 2aliis
[434]1. Buch. 3. Tit.
aliis non nocent, qui non conſenſiſſe probari poſ-
ſunt49); es waͤre denn, daß die Geſetze ſelbſt die be-
ſondere Gewohnheit eines Hausvaters in gewiſſen Faͤllen
zur Norm vorgeſchrieben haͤtten, wie z. B. bey Erklaͤ-
rung lezter Willensverordnungen. Es hat auch keinen
Zweifel, daß der Richter dasienige, was in einem ge-
wiſſen Falle gemeiniglich und von den Meiſten zu geſche-
hen pflegt, in Zweifel zum Entſcheidungsgrunde anneh-
men koͤnne, wenn nicht aus den Umſtaͤnden zu erſehen
iſt, daß den Partheyen in dem vorliegenden Falle ein
anders gefallen habe 50). Im zweiten Falle aber, wenn
alle Einwohner einer gewiſſen Region zeithero ſich nach
einer gewiſſen Regel gerichtet, und ſolche in der Meinung,
daß ſie ſo, und nicht anders, zu handeln verbunden, un-
abgeaͤndert beobachtet haben, ſo wird eine ſolche Regel
endlich durch die Laͤnge der Zeit zur verbindlichen
Gewohnheit 51), und dieſe nimmt, ſo fern ſie vom Geſetz-
geber,
[435]de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet.
geber, es ſey ſtillſchweigend oder ausdruͤcklich, gebilliget
worden, das Gepraͤge eines Geſetzes an. Daraus ent-
ſtehet nun die Idee einer Gewohnheit im ſtrengſten Ver-
ſtande, und fuͤr Geſetz genommen. Gewohnheit, in
ſo fern man darunter ein nicht geſchriebenes Geſetz ver-
ſtehet, iſt alſo endlich 6) eine verbindliche Norm,
welche aus gleichfoͤrmigen Handlungen der
Unterthanen entſtanden, und durch die Ge-
nehmigung des Landesherrn Geſetzes Kraft
erhalten hat. Von dieſer wird nun vorzuͤglich zu
handeln ſeyn. So gewoͤhnlich es nun zu ſeyn pflegt, die
Woͤrter Gewohnheit und Obſervanz in algemei-
ner Bedeutung fuͤr Eins zu nehmen, inſofern man dar-
unter uͤberhaupt eine Regel verſtehet, welche nicht aus-
druͤcklich vorgeſchrieben, ſondern durch Handlungen
eingefuͤhrt worden iſt; ſo gewiß iſt es doch, daß im ei-
gentlichen Verſtande zwiſchen beyden ein ſehr wichtiger
Unterſchied vorhanden ſey. Denn Obſervanz in der
eigentlichen und engern Bedeutung iſt eine Regel, die
in einem Collegio, oder univerſitate perſonarum durch
die ſtillſchweigende Einwilligung des Collegiums, oder
zum wenigſten derienigen Mitglieder, welche dabey in-
tereſſirt ſind, ihr Daſeyn und verbindliche Kraft erhalten
hat 52). Der Unterſchied zwiſchen Gewohnheit und
Obſervanz, inſofern beydes in ſeiner eigentlichen und
engern Bedeutung genommen wird, beſtehet nun im
Folgenden. 1) Die Gewohnheit wird durch Hand-
lungen der Unterthanen; die Obſervanz durch Hand-
lungen in einem Collegio eingefuͤhrt. Sie koͤnnen uͤbri-
E e 3gens
[436]1. Buch. 3. Tit.
gens von Mitgliedern des Collegiums ſowohl, als auch
von Fremden vorgenommen werden, indem auch dieſe
dadurch ein Recht in einer Geſellſchaft, deren Genoßen
ſie nicht ſind, erlangen koͤnnen 53). II) Die Gewohn-
heit erhaͤlt ihre verbindliche Kraft durch die Genehmi-
gung des Landesherrn; die Obſervanz aber durch die
ſtillſchweigende Einwilligung des Kollegiums, oder der-
ienigen Mitglieder deſſelben, welche bey der Sache in-
tereſſirt ſind. III) Die Gewohnheit hat demnach die
Kraft eines eigentlichen Geſetzes; die Obſervanz aber
die Kraft eines ſtillſchweigenden Vertrags (vim taciti
pacti) 54). IV) Zur Einfuͤhrung einer Gewohnheit
werden mehrere, und eine lange Zeit hindurch fortgeſezte
Handlungen erfordert, zur Obſervanz aber nicht, weil
zu einem durch Vertrag erworbenen Rechte weder meh-
rere Handlungen, noch der Ablauf einer gewiſſen Zeit
vonnoͤthen iſt 55).
§. 85.
[437]de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet.
§. 85.
Wodurch erhaͤlt eine geſetzliche Gewohnheit ihr Daſeyn
und Guͤltigkeit?
Es koͤmmt nun in der weitern Entwickelung der
Lehre vom Gewohnheitsrechte hauptſaͤchlich auf zwey Fra-
gen an. I) Wie entſtehet eine geſetzliche Gewohnheit?
und II) Wodurch erhaͤlt ſie ihre verbindliche Kraft? In
Anſehung der erſtern Frage bemerken wir hier nur im
Allgemeinen, daß zur Einfuͤhrung einer Gewohnheit ha-
bile Handlungen der Unterthanen erfordert werden. Wie
aber dieſe Handlungen geeigenſchaftet ſeyn muͤſſen, wird
uns der folgende Paragraph erſt lehren. Soviel hier-
naͤchſt die zweyte Frage anbetrift, ſo iſt nun zwar ſoviel
auſſer allen Zweifel, daß eine geſetzliche Gewohnheit ihre
verbindliche Kraft durch den Willen des Geſetzgebers be-
komme, ohne welchen ſich uͤberhaupt kein poſitives Geſetz
gedenken laͤſſet; allein eine andere Frage iſt, woraus die-
ſer Wille des Geſetzgebers zu erkennen ſey? Nach der
gewoͤhnlichen Theorie, die auch in dem Syſtem unſers
Autors herrſcht, behauptet man, daß die geſetzliche Kraft
der Gewohnheiten lediglich auf den ſtillſchweigenden Con-
ſens des Geſetzgebers beruhe, dieſer aber aus der nicht
wiederſprochenen oͤftern Wiederholung gleichfoͤrmiger
Handlungen der Unterthanen gefolgert werden muͤſſe.
Allein pruͤft man dieſe Theorie genauer, vergleicht man
ſie mit dem, was die Erfahrung und die Geſetze ſelbſt
E e 4uns
55)
[438]1. Buch. 3. Tit.
uns hiervon lehren, ſo wird man gar bald einſehen, daß
ſie aͤuſſerſt mangelhaft ſey. Wie! wenn der Geſetzgeber
durch ausdruͤckliche Verordnungen feſtgeſetzet haͤtte, daß
in gewiſſen Faͤllen vernuͤnftige Gebraͤuche und gute Ge-
wohnheiten den Geſetzen gleich beobachtet werden ſollten!
Und haben wir nicht ſowohl im roͤmiſchen Geſetzbuche,
als in den teutſchen Reichs- und Landesgeſetzen Beiſpiele
genug, die dieſes beſtaͤttigen? Wer hieran zweifelt,
leſe nur die Verordnungen des roͤm. Kaiſers Alexan-
der56), die Cammergerichtsordnung 57), die P. Ge-
richtsordnung Carls V.58), den neueſten Reichsabſchied
von 1654 59), das Inſtrumentum Pacis Osnabrugen-
ſis60) u. a. m. Ja es kann der Geſetzgeber nicht nur
mittelſt ſeiner allgemeinen durch ein Geſetz ausdruͤcklich
erklaͤrten Einwilligung die in ſeinem Lande uͤbliche red-
liche ehrbare Gewohnheiten uͤberhaupt beſtaͤttigen, ſon-
dern auch in einer Verordnung einer gewiſſen einzelnen
Gewohnheit insbeſondere die Kraft eines Geſetzes erthei-
len 61). Unſtreitig folgt hieraus, daß die allgemeine
Grundlegung einer ſtillſchweigenden Genehmigung des
Geſetz-
[439]de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet.
Geſetzgebers bey dem Gewohnheitsrechte nichts weniger
als gegruͤnder ſey, wie ſolches auch ſchon andere mit meh-
rern gezeigt haben 62). Es kann vielmehr die Einwilli-
gung des Geſetzgebers, wodurch den Gewohnheiten gleich-
ſam das Siegel des geſetzlichen Anſehens aufgedruckt
wird, eben ſowohl eine ausdruͤcklich erklaͤrte als eine
ſtillſchweigende ſeyn. Ob nun wohl in Anſehung
des Effects kein Unterſchied iſt, ob der Geſetzgeber ſeine
Genehmigung in eine entſtandene Gewohnheit ausdruͤck-
lich oder ſtillſchweigend zu erkennen giebt; ſo iſt doch der
Unterſchied in Anſehung der Form dieſer beiderlei Art
der Willenserklaͤrung deſto wichtiger. Denn ſo gewiß es
iſt, daß aus dem bloſen Stillſchweigen ſich nicht immer
gleich eine Einwilligung ſchlieſſen laͤſſer, ſofern nicht ent-
weder eine Verbindlichkeit vorhanden waͤre, zu wieder-
ſprechen, falls man mit dem, was geſchieht, nicht zu-
frieden iſt, oder das Stillſchweigen nach den Umſtaͤnden
der Sache gar keine andere vernuͤnftige Erklaͤrung litte,
als dieſe, daß es aus einer Einwilligung komme 63); ſo
unlaͤugbar iſt es auch, daß daraus allein, daß der Geſetz-
geber zu den Handlungen ſeiner Unterthanen, die ſie bis-
her nach einer gewiſſen unter ſich beobachteten Regel alle
auf einerley Art unternommen, ſtillſchweigt, noch kei-
E e 5neswe-
[440]1. Buch. 3. Tit.
nesweges der Wille deſſelben, dieſer Gewohnheit die Kraft
eines Geſetzes zu ertheilen, gefolgert werden koͤnne;
ſondern es wird vielmehr dazu erfordert, daß die Hand-
lungen und das Bezeigen des Regenten ſo beſchaffen
ſeyen, daß daraus mit Gewißheit auf ſeine Einwilligung
geſchloſſen werden koͤnne. Dieſes aber kann nur alsdann
mit Grunde geſchehen, wenn erwieſen iſt, daß der Geſetz-
geber eine gewiſſe Notiz von derienigen Gewohnheit ge-
habt, von deren verbindenden Kraft die Rede iſt, und
dennoch denen nach derſelben bisher und ſchon ſeit langer
Zeit unternommenen Handlungen ſeiner Unterthanen nie-
mahlen wiederſprochen, ſondern vielmehr dieſelben ein-
oder wohl mehrmahlen ſelbſt beſtaͤttiget habe. Denn da
ein Regent in ſeinem Staat nichts geſchehen laſſen darf,
was dem gemeinen Beſten nachtheilig iſt, mithin denen
Unterthanen ihr bisheriges Verfahren nothwendig haͤtte
unterſagen muͤſſen, wenn er nicht gewollt, daß daraus
eine Gewohnheit entſtehen ſollte, ſo kann man allerdings
in einem ſolchen Falle, wenn kein Widerſpruch erfolgt,
auf die Zufriedenheit, und den ſtillſchweigenden Willen
des Geſetzgebers ſchließen. Wenn im Gegentheil die Ge-
nehmigung vom Geſetzgeber auf die Art geſchehen, daß
derſelbe durch eine ausdruͤckliche Verordnung uͤber die in
ſeinem Lande uͤbliche Gewohnheiten zu halten befohlen
haͤtte, ſo iſt in einem ſolchen Falle nicht noͤthig, daß
der Geſetzgeber iede einzelne Gewohnheit, und die Hand-
lungen, wodurch dieſelbe eingefuͤhrt worden, muͤſſe ge-
wußt haben 64); nein, es iſt genug, daß einmahl die
generelle Beſtaͤttigung geſchehen; es waͤre denn, daß von
ſolchen Gewohnheiten die Rede ſey, welche geſchriebenen
Geſetzen gerade entgegen gehen; Gewohnheiten dieſer Art
muͤſſen durchaus in ſpecie vom Landesherrn gebilliget
ſeyn;
[441]de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet.
ſeyn; und es wird der deutlichſte Beweiß erfordert, daß
ſie zu ſeiner Wiſſenſchaft gekommen. Sonſt bleibt es
bey der Regel: hundert Jahre Unrecht iſt keine
Stunde recht. Denn ohnmoͤglich koͤnnen jene Ge-
ſetze, welche die Gewohnheiten im allgemeinen beſtaͤtti-
gen, ſo ausgelegt werden, als ob der Regent ſeinen Un-
terthanen die Befugniß ertheilet haͤtte, ſeinen einmahl
gegebenen Geſetzen, durch Einfuͤhrung anderer Gebraͤu-
che, ihre Kraft zu entziehen 65).
Da uͤbrigens die geſetzliche Kraft der Gewohnheiten
lediglich von der Einwilligung des Geſetzgebers abhaͤngt,
ſo verſteht ſich’s, daß die Guͤltigkeit derſelben nie weiter
ausgedehnet werden duͤrfe, als der Conſens des Geſetz-
gebers ſich erſtreckt. Haͤtte alſo der Landesherr ausdruͤck-
lich erklaͤrt, daß nur die alten guten Gewohnheiten allein,
oder nur dieienigen Gewohnheiten, welche er in ſein Ge-
ſetzbuch aufgenommen haͤtte, eine geſetzliche Kraft haben
ſollten, ſo ſind nur dieſe allein fuͤr guͤltig zu halten, und
kann
[442]1. Buch. 3. Tit.
kann in ſolchen Faͤllen der Conſens des Landesherrn we-
der auf kuͤnftige neue Gewohnheitsrechte, noch auf die-
ienigen alten Gewohnheiten gezogen werden, die in dem
Geſetzbuche nicht begriffen ſind, ſondern es ſind vielmehr
ſolche als aufgehoben anzuſehen 66).
§. 86.
Erforderniſſe einer guͤltigen Gewohnheit.
Wir ſchreiten nun zur ausfuͤhrlichern Eroͤrterung
der im vorigen Paragraph aufgeworfenen erſtern Frage,
und wollen ietzt zeigen, wie dieienigen Handlun-
gen beſchaffen ſeyn muͤſſen, durch welche
eine legale Gewohnheit eingefuͤhrt werden
ſoll? Die geſetzlich beſtimmten Eigenſchaften ſolcher
Handlungen ſind folgende:
I) Es werden mehrere Handlungen erfordert.
Nicht nur die Natur einer jeden Gewohnheit an ſich, als
welche nur aus wiederholten Handlungen entſtehen kann,
bringt dieſes nothwendig mit ſich, ſondern die Geſetze 67)
ſelbſt haben es auch deutlich beſtimmt. Eine einzige
Handlung iſt alſo nicht hinreichend. Denn wie koͤnnte
man
[443]de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet.
man daraus eine gewiſſe und beſtaͤndige Regel fuͤr die
Zukunft folgern? Zwar fehlt es nicht an Rechtsgelehr-
ten 68), welche dieſem ohngeachtet ſich uͤberredet haben,
daß auch durch einen einzigen Act eine Gewohnheit be-
gruͤndet werden koͤnne. Allein dieſe Meinung bedarf
keiner Widerlegung, wenn ſie auch von andern 69) nicht
ſchon ſo gruͤndlich waͤre wiederleget worden. Wie viele
Handlungen nun aber zur Einfuͤhrung einer
geſetzlichen Gewohnheit erforderlich ſind?
Daruͤber treffen wir nirgends in unſern Geſetzbuͤchern
eine entſcheidende Beſtimmung an. Was Wunder iſt
es demnach, wenn die Rechtsgelehrten desfalls in ihren
Meinungen nicht mit einander uͤbereinſtimmen? Eini-
ge 70) wollen zwey Handlungen ſchon fuͤr hinlaͤnglich
halten. Allein dieſe ſind von Voet71), Noodt72),
und am neueſten von den Verfaſſern der Meditatio-
nen uͤber verſchiedene Rechtsmaterien73)
ſehr
[444]1. Buch. 3. Tit.
ſehr gruͤndlich wiederleget worden. Nur haben letztere
ein Hauptargument uͤberſehen, worauf ſich die Verthei-
diger jener Meinung ganz vorzuͤglich ſtuͤtzen. Dieſes iſt
der Ausſpruch Ulpians74): pluralis elocutio duorum nu-
mero contenta eſt. Ob jedoch dieſes Argument mehr,
als die uͤbrigen, beweiſe, daran zweifele ich noch ſehr.
Das Geſetz redet eigentlich vom Beweiſe durch Zeugen,
und will, daß in jedem Falle, wo mehrere Zeugen erfor-
dert werden, die Zahl derſelben aber doch nirgends aus-
druͤcklich beſtimmt worden iſt, ſchon zwey genuͤgen ſollen,
weil dieſe, vorausgeſetzt, daß ſie untadelhaft ſind, in
der Regel einen vollſtaͤndigen Beweis machen. Hier iſt
alſo von keiner legalen Gewohnheit die Rede, und der
Unterſchied zwiſchen Beweis und Gewohnheit iſt,
wie mich duͤnkt, zu auffallend, als daß von der Anzahl der
zu einem vollſtaͤndigen Beweis erforderlichen Zeugen, auf
die Zahl der Handlungen, wodurch eine Gewohnheit ein-
gefuͤhrt werden ſoll, der Schluß gelten koͤnnte 75). Die
meiſten behaupten daher, daß zwey Handlungen fuͤr zu-
reichend nicht zu halten 76). Sie glauben, daß uns die
Geſetze
[445]de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet.
Geſetze 77) ſelbſt dies lehrten, wenn dieſe zur Begruͤn-
dung einer Gewohnheit erfordern, daß etwas frequenter
d. i. haͤufig geſchehen ſey, ſo ſich aber von dem, was
zweymahl geſchehen, noch nicht ſagen ließe.
Diejenigen, welche in Ermangelung beſonderer Lan-
desherrlicher Verordnungen die Sache dem Ermeſſen des
Richters uͤberlaſſen wiſſen wollen, hegen ohnſtreitig die
richtigſte Meinung 78). Es kommt alles darauf an, ob
ſo viele Handlungen wuͤrklich vorgekommen ſind, daß
aus denſelben nicht nur uͤberhaupt eine gewiſſe und be-
ſtaͤndige Regel hergeleitet, ſondern auch mit Gewißheit
auf die Einwilligung des Landesherrn geſchloſſen werden
kann. Dieſer Beweis aber liegt jederzeit demjenigen ob,
der ſich in einer ſtreitigen Gewohnheit gruͤndet. Kann
dieſer Beweis gefuͤhrt werden, ſo kommt es auf die Viel-
heit der Acte gar nicht an. Die Gewohnheiten ſind uͤber-
haupt nicht alle von einerley Art. Die eine Gewohn-
heit erfordert weniger, die andere mehrere Handlungen.
Manche Handlungen ſind ihrer Natur nach ſo beſchaffen,
daß ſie nur ſelten vorkommen koͤnnen. Solche Handlun-
gen erregen ihrer Neuheit wegen Aufmerkſamkeit, und
wenige derſelben koͤnnen daher oft eben dieſelbe Wirkung
haben, welche in andern Faͤllen nur aus der oͤftern Wie-
derholung gleichfoͤrmiger Handlungen entſtehen kann.
II) Muͤſ-
[446]1. Buch. 3. Tit.
II) Muͤſſen die Handlungen der Unterthanen gleich-
foͤrmig, das heißt, alle nach einerley Regel unternom-
men worden ſeyn. Aus ungleichen Handlungen kann
keine Gewohnheit erwachſen. Denn aus ſolchen laͤßt ſich
keine gewiſſe und beſtaͤndige Regel herleiten. Man ſetze
alſo, der Richter eines Orts habe in einem Fall, da ein
Delinquent ſelbſt nichts im Vermoͤgen gehabt, die peinlichen
Koſten von den Unterthanen beytreiben laſſen; ſie haͤtten
ſolche auch das erſte und zweytemahl getragen, das dritte-
mahl aber ganz verweigert; das viertemahl nur das Henker-
geld beygebracht, ſo kann derſelbe, wenn er in einem fuͤnften
Falle die Inquiſitionskoſten abermahl verlangt, die Gerichts-
unterthanen aber dieſelben verweigern, ſich auf keine Ge-
wohnheit berufen. Denn dazu wird erfordert, daß in der
ganzen Reihe von Handlungen, wodurch eine Gewohnheit
begruͤndet werden ſolle, auch nicht eine einzige vorkomme,
welche denen uͤbrigen entgegen iſt. Dieſes iſt es, wenn
die Rechtslehrer ſagen, die actus conſuetudinis intro-
ductivi muͤſſen uniformes et continui ſeyn. Hieraus er-
hellet zugleich, daß eine Gewohnheit, die noch in ihrer
Entſtehung iſt, durch eine einzige contraire Handlung
gleichſam in ihrer Geburt erſticket werden kann 79).
III) Duͤrfen die Handlungen nicht der geſunden
Vernunft, noch dem Wohl des Staats oder
dem Beſten der Kirche zuwider ſeyn. Sonſt iſt
die Gewohnheit unvernuͤnftig. Eine ſolche aber
kann nie eine geſetzliche Kraft erlangen, weil ſich hier
keine Einwilligung des Geſetzgebers annehmen laͤſſet 80).
So
[447]de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet.
So z. B. kann keine Gewohnheit Verbrechen zu erlaubten
Handlungen machen, wenn ſie auch noch ſo lange unge-
ſtraft geblieben waͤren 81). Denn auch hundert
Jahr Unrecht, iſt keine Stunde recht. Solche
unvernuͤnftige Gewohnheiten verwerfen die Geſetze aus-
druͤcklich, und der 218te Artikel der P. Gerichtsordnung
Carls V. enthaͤlt ein ganzes Regiſter von denſelben. Es
giebt jedoch auſſer dieſen noch genug andere unvernuͤnf-
tige Gewohnheiten, dahin gehoͤrt z. B. wenn die Scharf-
richter ſich die Guͤter der Selbſtmoͤrder, die ſie bey und
um ihnen finden, anzumaßen pflegen 82). Ferner, wenn
man diejenigen, durch welche eine Feuersbrunſt veran-
laßt worden, ehemahls in der Wuth und erſten Hitze den
Flammen aufopferte 83), u. d. m. Auch die canoniſchen
Rechte 84) eifern namentlich gegen unvernuͤnftige Gewohn-
heiten, die beſonders dem Wohl der Kirche entgegenſtrei-
ten, ſo nachdruͤcklich, daß man ſich billig wundern muß,
wie es dennoch habe Rechtsgelehrten 85) geben koͤnnen,
die
80)
Gluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. F f
[448]1. Buch. 3. Tit.
die auch unvernuͤnftige Gewohnheiten in Schutz genom-
men. Doch ihre Gruͤnde ſind ſchon von andern genug
gepruͤfet, und in ihrer Bloͤſe dargeſtellet worden 86).
Wir bemerken hier nur noch, daß, wenn gleich unver-
nuͤnftige Gewohnheiten keine geſetzliche Kraft noch Ver-
bindlichkeit haben, vielmehr jeder Obrigkeit obliegt, da-
fuͤr zu ſorgen, daß ſie, um mich der Worte K. Carls V.
zu bedienen, hinfuͤrter nit geuͤbt, gebraucht
oder gehalten werden; denenſelben dennoch darum
nicht alle rechtliche Wirkung abzuſprechen ſey, indem ſie
z. B. auf die Strafbarkeit einer Handlung wichtigen
Einfluß haben koͤnnen 87).
IV) Die Handlungen muͤſſen ferner in der Mei-
nung moraliſcher Nothwendigkeit (ex opinio-
ne obligationis) unternommen worden ſeyn 88); das
heißt,
[449]de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet.
heißt, es muͤſſen diejenigen, durch deren gleichfoͤrmige
Handlungsart eine rechtliche Gewohnheit bewirkt werden
ſoll, darum ſo, wie bisher geſchehen, gehandelt haben,
weil ſie ſich verbunden hielten, ihren Handlungen gerade
dieſe und keine andere Richtung zu geben. Denn hier
iſt von Einfuͤhrung einer ſolchen Gewohnheit die Rede,
durch welche eine verbindliche Richtſchnur fuͤr die Unter-
thanen aufgeſtellet wird. Da nun dieſe Regel aus den
Handlungen derſelben gefolgert werden muß, ſo muͤſſen
nothwendig auch dieſe an ſich verbindlich ſeyn. Mich
duͤnkt, nicht nur Ulpian89) gebe dieſes ſelbſt dadurch
zu erkennen, wenn er bey der Beweisfuͤhrung einer ſtrei-
tigen Gewohnheit vor allen Dingen nachzuforſchen rathet,
ob etwa ſchon vorhin einmahl uͤber die naͤmliche Ge-
wohnheit in den Gerichten ſey geſtritten, und ſolche
gegneriſchen Widerſpruchs ohngeachtet durch das rechts-
kraͤftig gewordene Urtheil des Richters beſtaͤttiget wor-
den; ſondern es ſcheint dieſes auch die Meinung des K.
Alexanders90) zu ſeyn, wenn er hinfuͤhro dasjenige
als eine geſetzliche Norm beobachtet wiſſen will, was
man bisher in eo controverſiarum genere, naͤmlich
von welchem daſelbſt die Rede iſt, zum Grundſatz an-
genommen; denn nur uͤber vollkommene Rechte und Ver-
bindlichkeiten entſtehen Proceſſe. Hieraus folgt, daß
durch Handlungen, die das Gepraͤge der bloſen Will-
kuͤhrlichkeit an ſich tragen, oder nur aus Freundſchaft,
F f 2oder
88)
[450]1. Buch. 3. Tit.
oder Mitleid und Menſchengefuͤhl, wenn gleich von meh-
rern, und zu wiederholtenmahlen geſchehen, keine ver-
bindliche Gewohnheit begruͤndet werden koͤnne. Man
ſetze alſo, es ſey an einem Orte einigemahl geſchehen,
daß der Guthsbeſitzer das in ſeinem Eigenthum gefun-
dene und von den Eltern ausgeſetzte Kind aus Mitleid
aufgenommen, ſolches ernaͤhrt und erzogen haͤtte, ſo
laͤſſet ſich hieraus eben ſo wenig eine verbindliche Regel,
daß jeder Eigenthuͤmer die in ſeinen Grundſtuͤcken aus-
geſetzte Findelkinder zu verpflegen ſchuldig ſey, herleiten,
als in einem andern Falle, wenn naͤmlich an einem Orte,
wo das Nachbarrecht geſetzlich nicht eingefuͤhrt iſt, zu-
weilen der Kaͤufer das erkaufte Grundſtuͤck dem Nachbar
des Verkaͤufers aus Freundſchaft fuͤr daſſelbe Geld, was
es ihm gekoſtet, wieder uͤberlaſſen haͤtte, behauptet wer-
den koͤnnte, daß dem Nachbar der Retract vermoͤge eines
Gewohnheitsrechts an dieſem Orte zuſtehe. Ob jedoch
Handlungen blos aus gutem Willen, oder in der Mei-
nung einer Verbindlichkeit geſchehen, iſt theils aus der
Beſchaffenheit der Handlungen ſelbſt, theils aus dem
Grunde, warum eine Gewohnheit eingefuͤhrt worden,
(ratio, quae conſuetudinem ſuaſit, ſagt K. Alexander91)
theils aus der Laͤnge der Zeit, theils aus dem nie erfolg-
ten, oder nicht geachteten Widerſpruche, theils aus den
darauf gegruͤndeten rechtskraͤftigen Erkenntniſſen zu be-
urtheilen, auf welches letztere uns Ulpian oben ange-
fuͤhrtermaſſen ganz vorzuͤglich verweiſet. Noch eins muß
ich hierbey anmerken. Wenn ich moraliſch noth-
wendige Handlungen zur Einfuͤhrung einer verbind-
lichen Gewohnheit erfordere, ſo folgt, daß alle unfrey-
willige, durch unerlaubten Zwang veranlaßte, oder
auf
[451]de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet.
auf offenbaren Irrthum ſich gruͤndende, Handlungen hier
auszuſchlieſſen ſind 92).
V) Muß nun noch zur Beſtaͤttigung eines Gewohn-
heitsrechts die Laͤnge der Zeit (diuturnitas tempo-
ris) hinzukommen. Die Ausdruͤcke conſuetudo invetera-
ta93), diuturna94), per annos plurimos obſervata95),
longaevus uſus96), conſuetudo antiquitus probata et tenaci-
ter ſervata97), welche wir in den roͤmiſchen Geſetzen an-
treffen, geben ſolches deutlich zu erkennen. Die Zeit ſelbſt
aber, wie lange die Regel muͤſſe beobachtet worden ſeyn,
die zum lex non ſcripta werden ſoll, haben uns die roͤ-
miſchen Geſetze nirgends genau beſtimmt. Man pflegt
daher gemeiniglich zum canoniſchen Rechte ſeine Zuflucht
zu nehmen, in der Meinung, daſelbſt deutlichere Beſtim-
mungen anzutreffen. Die Paͤbſte reden naͤmlich in eini-
gen Stellen ihres Geſetzbuchs von einer conſuetudine legi-
time praeſcripta98). Hieraus ziehet man die Folge, daß
nach canoniſchen Rechten eben ſo viel Zeit zur Einfuͤh-
F f 3rung
[452]1. Buch. 3. Tit.
rung einer rechtlichen Gewohnheit erfordert werde, als
zur Verjaͤhrung noͤthig iſt. Dies iſt auch die Meinung
unſers Herrn Autors. Allein denkt man der Sache et-
was genauer nach, ſo wird man bald einſehen, daß die
Analogie von der Verjaͤhrungszeit hier ganz unanwend-
bar ſey. Was hat doch die Verjaͤhrung, die eines Theils
als Strafe der Nachlaͤßigkeit eingefuͤhrt worden, und an-
dern Theils nur auf Sachen und Rechte einzelner Pri-
vatperſonen ſich beziehet, mit einer geſetzlichen Gewohn-
heit gemein, die als eine verbindliche Regel fuͤr viele auf-
geſtellet wird? Doch vielleicht wird man ſagen, es kom-
me hier nicht auf den Begriff, ſondern nur auf die Zeit
der Verjaͤhrung an. Gut; iſt denn aber damit der
Schwierigkeit abgeholfen? Wer weiß nicht, wie ſehr ver-
ſchieden die geſetzlich beſtimmte Zeit der Praͤſcription ſey?
Geſetzt nun alſo, die Paͤbſte haͤtten in den deshalb ange-
fuͤhrten Stellen zur Begruͤndung einer rechtlichen Ge-
wohnheit den Ablauf einer geſetzlichen Verjaͤhrungsfriſt
im Ernſt gemeinet, ſoll dieſes von einer zehen- oder zwan-
zig- oder dreyſig- oder vierzigjaͤhrigen oder einer noch
laͤngern Zeit zu verſtehen ſey? Kein Wunder, wenn wir
daher auch hierin eine ſo große Verſchiedenheit der Mei-
nungen gewahr werden 99)? Ich meines Theils bin voll-
kommen
[453]de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet.
kommen uͤberzeugt, daß im canoniſchen Rechte ſo wenig
als im roͤmiſchen eine gewiſſe Zeit zur Einfuͤhrung einer
geſetzlichen Gewohnheit beſtimmt ſey, und die Fabel von
der Praͤſcription der Gewohnheitsrechte iſt ſchon von an-
dern 100) aus ſo buͤndigen Gruͤnden verworffen worden,
daß ſie unter den neuern Rechtsgelehrten wohl nicht leicht
noch einen Vertheidiger finden moͤchte. Es iſt ganz un-
laͤugbar, daß man jene Stellen des canoniſchen Rechts
falſch verſtanden habe, in denen von einer conſuetudine
praeſcripta die Rede iſt. Man darf in der That nur
mit einiger Aufmerkſamkeit dieſe Stellen durchleſen und
ſie mit einander vergleichen, ſo wird man deutlich ſehen,
daß daſelbſt gar nicht von einer ſolchen Gewohnheit, die
durch den Willen des Landesherrn zu einem Geſetz wird,
ſondern von der Ausuͤbung und dem Gebrauch ei-
nes Rechts oder einer Befugniß, die durch ge-
ſetzmaͤſige Verjaͤhrung erworben werden kann, gehandelt
werde, und eine verjaͤhrte Gewohnheit daher in
dieſer Ruͤckſicht nichts anders als das ſeit langer Zeit aus-
geuͤbte und durch die Gewohnheit befeſtigte Recht ſelbſt
ſey 1). Aus dieſem Geſichtspunct wird ſich nun inſon-
F f 4derheit
99)
[454]1. Buch. 3. Tit.
derheit auch das Cap. ult. X. de conſuet. am leichteſten
erklaͤren laſſen. Wir wollen die Worte deſſelben ſelbſt
herſetzen. Cum tanto graviora ſint peccata, quanto
diutius infelicem animam detinent alligatam, nemo
ſanae mentis (non) intelligit, naturali iuri, cuius
transgreſſio periculum ſalutis in ducit, quacunque con-
ſuetudine, quae dicenda eſt verius in hac parte cor-
ruptela, poſſe aliquatenus derogari.Gregor der
neunte redet in dieſen Eingangsworten davon, daß auch
eine lange Gewohnheit uns zu Handlungen nicht berech-
tige, die nach natuͤrlichen und goͤttlichen Geſetzen verbo-
ten ſind, weil man bey deren Uebertretung Seel und Se-
ligkeit verlieren koͤnne. Die oͤftere Wiederholung ſolcher
Miſſethaten mache uns nur deſto ſtraffaͤlliger, je groͤßere
Neigung zu ſuͤndigen, und je groͤßere Bosheit des Ge-
muͤths hierdurch an den Tag gelegt werde. Daß der
Pabſt hauptſaͤchlich gegen diejenigen eifere, welche unter
dem Vorwande einer Gewohnheit, d. i. eines durch Ge-
wohnheit erworbenen Rechts ihre unerlaubte Handlungen
rechtfertigen wollen, ergiebt ſich aus andern Stellen noch
deutlicher. So z. B. werden in dem Concilio Turo-
nenſi verſchiedene Arten der Simonie verboten, mit dem
Beyſatz: nec ſub obtentu cuiusquam conſuetudinis reatum ſuum
quis tueatur, quia diuturnitas temporis non diminuit pecca-
ta, ſed auget2). Eben ſo heißt es in einem andern Con-
cilio Lateranenſi: horribile nimis eſt, quod in quibusdam
eccleſiis locum venalitas perhibetur habere — — putant au-
tem
1)
[455]de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet.
tem plerique, ex hoc ſibi licere, quia legem mortis de lon-
ga conſuetudine invaluiſſe arbitrantur, non attendentes,
quod tanto graviora ſunt crimina, quanto
diutius infelicem animam tenuerunt alligatam3).
Die Kirchen, von denen hier die Rede iſt, ſuchten die
Schaͤndlichkeit ihrer Handlung mit einer langen Gewohn-
heit zu beſchoͤnigen, wodurch ſie ein Recht erlangt zu ha-
ben vermeinten. Es iſt ſehr wahrſcheinlich, daß Pabſt
GregorIX. ſolche und andere aͤhnliche Faͤlle im Sinne
gehabt. Er faͤhrt nun folgendermaſſen fort: Licet etiam
longaevae conſuetudinis non ſit vilis auctoritas; non
tamen eſt usque adeo valitura, ut vel iuri debeat
praeiudicium generare, niſi fuerit rationabilis, et legi-
time ſit praeſcripta. Von was fuͤr einer Gewohnheit
kann hier wohl die Frage ſeyn? Offenbar von einer ſol-
chen, die verjaͤhrt werden kann, und durch welche
die poſitiven Geſetze eine Einſchraͤnkung auf irgend eine
Art leiden. Dieſe iſt aber keine Regel, die die Vorſchrift
der poſitiven Geſetze aufhebt, ſondern ſie beſtehet in einem
Recht, welches einem Dritten nach einer geſetzlichen An-
ordnung zuſtehet, aber vermittelſt der Verjaͤhrung auf uns
uͤbergehen kann. Von einer ſolchen Gewohnheit redet
InnocenzIII. in dem oben angefuͤhrten cap. 8. X. de
Conſuet. und auch Gregors Entſcheidung in unſern cap.
ult. beziehet ſich auf eine ſolche Gewohnheit, wodurch das
Recht eines Andern, ſo ihm nach dem gemeinen Recht
zuſtehet, aufgehoben, oder eingeſchraͤnkt, oder uͤberhaupt
nur naͤher beſtimmt wird. Durch eine ſolche Gewohn-
heit werden alſo die poſitiven Geſetze nicht aufgehoben,
ſondern ihre Wirkſamkeit wird dadurch nur in einem
individuellen Fall gehemmt. Herr Prof. Hochſtetter,
F f 5den
[456]1. Buch. 3. Tit.
den ich hier vorzuͤglich gefolgt bin, oͤffnet uns jedoch noch
einen andern Weg zur Erklaͤrung dieſes Capittels 4).
Naͤmlich da Gregor in dem erſten Theil deſſelben von
den gebietenden und verbietenden natuͤrlichen Recht
(iure naturali praeceptivo ac prohibitivo) redet,
ſo laͤßt ſich mit gutem Grund vermuthen, daß er in
dem zweyten Theil das gebietende und verbietende poſitive
Recht zum Gegenſtand genommen habe. Nach dieſem
Geſichtspunct lieſſe ſich alſo von dem Text folgende Er-
klaͤrung machen: Wenn gleich in den meiſten
Faͤllen eine Gewohnheit jemanden ein Recht
beylegt, wodurch er ſich aus dem Grunde,
daß
[457]de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet.
daß er ſolches ſchon ſeit langer Zeit aus ge-
uͤbt habe, gegen die Angriffe anderer ſicher
ſtellen kann; ſo kann man doch einer Ge-
wohnheit keine ſolche Kraft zuſchreiben, daß
ſich ein Unterthan mittelſt derſelben allein
von der allgemeinen Verbindlichkeit der po-
ſitiven Geſetze loßmachen, oder ſich ein Recht
anmaſſen duͤrfte, welches ihm die poſitiven
Geſetze abſprechen, auſſer wenn dieſes Recht
ihm aus einer beſondern Urſach der geſetz-
lichen Sanction ohngeachtet in dem Falle
zugeſtanden wird, da es auf eine rechtmaͤ-
ſige Verjaͤhrung gebaut iſt. Dieſe Gewohnheit
hebt das poſitive Geſetz nicht auf, ſondern wirkt nur ei-
ne Ausnahme von der allgemeinen Regel bey gewiſſen
Perſonen, wie die Beyſpiele lehren, die uns die cap. 13.
X. de offic. iud. ord. C. 26. X. de V. S. cap. 13. de
Elect. in 6to und C. 1. de offic. ord. in 6to hierzu
liefern.
Da alſo, wie hieraus erhellet, die Laͤnge der
Zeit, welche zur Einfuͤhrung eines Gewohnheitsrechts
erforderlich iſt, weder durch die roͤmiſchen noch canoni-
ſchen Rechte beſtimmt worden iſt, ſo verdient wohl die
Meinung derjenigen Rechtsgelehrten den meiſten Bey-
fall, welche dieſe Beſtimmung lediglich dem Guthefinden
des Richters uͤberlaſſen 5), der alsdann, ſo oft daruͤber
ein
[458]1. Buch. 3. Tit.
ein Streit entſtehet, ob eine Gewohnheit fuͤr eingefuͤhrt
gehalten werden koͤnne? darauf ſehen muß, ob ſchon eine
ſolche Zeit verfloſſen iſt, daß daraus mit Gewißheit auf
die Einwilligung des Geſetzgebers geſchloſſen werden kann;
wenn nicht etwa durch beſondere Landesgeſetze oder den
Landesgebrauch, wie z. B. in Sachſen6), eine gewiſ-
ſere Norm hierin feſtgeſetzt worden ſeyn ſollte. Daß je-
doch eine Zeit von undenklichen Jahren her zur Einfuͤh-
rung eines Gewohnheitsrechts erfordert werde, wie einige
Rechtsgelehrten 7) behaupten wollen, iſt unerweißlich 8).
Endlich
VI)
[459]de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet.
VI) muͤſſen die Handlungen, aus welchen eine lega-
le Gewohnheit entſtehen ſoll, oͤffentlich, das heißt,
auf eine ſolche Art geſchehen ſeyn, daß ſowohl die Unter-
thanen ſelbſt, unter denen ſie zur verbindlichen Norm
werden ſoll, als auch der Landesherr dieſelben haben wiſ-
ſen koͤnnen. Ob nun aber noch uͤberdem erfordert werde,
daß die Gewohnheit in den Gerichten beſtaͤttiget, und
nach derſelben rechtskraͤftig geſprochen worden ſey, iſt un-
ter den Rechtsgelehrten ſehr ſtreitig. Diejenigen, welche
ſolches behaupten 9), gruͤnden ſich auf den bekannten Aus-
ſpruch
8)
[460]1. Buch. 3. Tit.
ſpruch Ulpians10), deſſen Worte alſo lauten: Cum de
conſuetudine civitatis vel provinciae confidere quis
videtur: primum quidem illud explorandum arbitror,
an etiam contradicto aliquando iudicio11)conſuetudo
firmata
9)
[461]de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet.
firmata ſit. Allein einmal enthalten dieſe Worte offen-
bar keine geſetzliche Dispoſition, ſondern einen bloßen
Rath,
11)
[462]1. Buch. 3. Tit.
Rath, wie ich ſchon an einem andern Orte (S. 51.)
bemerkt habe. Das Wort arbitror zeigt dieſes unlaͤugbar
an. Sodann aber iſt auch hier gar nicht davon die Re-
de, was zur Einfuͤhrung eines Gewohnheitsrechts erfor-
derlich ſey, ſondern was das beſte Beweismittel ſey, wenn
uͤber eine Gewohnheit ein Streit entſtehet. In einem ſol-
chen Falle iſt freylich der Rath des roͤmiſchen Juriſten
vortreflich, daß man vor allen Dingen nachforſche, ob
nicht ſchon in vergangenen ſtreitigen Faͤllen nach dieſer
Gewohnheit, von welcher die Frage iſt, gegentheiligen
Widerſpruchs ohngeachtet, rechtskraͤftig ſey geſprochen
worden; weil dadurch der ſonſt ſchwere Beweis unge-
mein erleichtert wird, wenn man ſich auf ſolche gericht-
liche Praͤjudicien berufen kann. Ferner, wenn zur Ein-
fuͤhrung eines Gewohnheitsrecht nur gerichtliche Hand-
lungen erfordert wuͤrden, wie koͤnnte Calliſtratus12)
zwiſchen conſuetudo, und rerum perpetuo ſimiliter iudicata-
rum auctoritas unterſcheiden? Es muß ſich alſo, deucht
mich, doch wohl auch eine Gewohnheit ohne gleichfoͤr-
mige rechtskraͤftige Urtheilsſpruͤche gedenken laſſen. Und
hiervon wird man ſich noch mehr uͤberzeugen, wenn man
bedenkt, daß der Grund, auf welchem die Guͤltigkeit
einer
11)
[463]de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet.
einer Gewohnheit beruhet, nicht der Ausſpruch des Rich-
ters, ſondern der Wille des Geſetzgebers ſey; welcher
auſſergerichtliche Handlungen ſo gut, als gerichtliche ge-
nehmigen kann. Aus dieſen Gruͤnden trete ich alſo der
Meinung unſers Autors ohne weiteres Bedenken bey, wenn
er dieſen Paragraph mit den Worten ſchließt: ut vero
actus in contradicto iudicio ſint obtenti, non neceſ-
ſario requiritur. Eben dies iſt auch die Meinung der
meiſten Rechtsgelehrten 13).
§. 87.
Von dem rechtlichen Beweis eines in Zweifel gezogenen
Gewohnheitsrechts.
Wer nun eine Gewohnheit fuͤr ſich anfuͤhrt, kann
ſich, wenn ſolche von dem Gegentheil gelaͤugnet worden,
der ihm deshalb auferlegten rechtlichen Begruͤndung der-
ſelben um ſo weniger entziehen, je gewiſſer es iſt, daß
Gewohnheitsrechte auf Thatſachen beruhen, die recht-
lich nicht vermuthet werden 14). Es waͤre denn, daß
die angezogene Gewohnheit ganz notoriſch, das iſt,
in
Gluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. G g
[464]1. Buch. 3. Tit.
in dem Orte, wo davon die Frage iſt, allgemein bekannt,
oder wenigſtens vom Gegentheil ſelbſt eingeſtanden ſeyn
ſollte 15), in welchen Faͤllen Gewohnheiten keines weitern
Beweißes beduͤrfen 16), wenn auch gleich in dem erſtern
Falle der Gegner vorgeſchuͤtzet haͤtte, daß ihm ſolche un-
bekannt ſey 17). Soviel nun den Beweiß eines ſtreitigen
Gewohnheitsrechts ſelbſt anbetrift, ſo iſt zwar nicht zu
laͤugnen, daß derſelbe insgemein mit vielen Schwierig-
keiten
[465]de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet.
keiten verknuͤpft zu ſeyn pflegt, ſo daß ſchon Leyſer18)
ſagte, er wiſſe ſich weniger Faͤlle zu erinnern, daß derje-
nige, der einen ſolchen Beweiß uͤbernommen, denſelben
vollfuͤhret haͤtte; man darf ihn aber doch deshalb mit
Caſpar Klock19) nicht fuͤr unmoͤglich halten, weil es
uns an Beyſpielen eines ſolchen nach aller Strenge ge-
fuͤhrten Beweißes wirklich nicht mangelt 20). Bey dem
Beweiße einer beſtrittenen rechtlichen Gewohnheit kommt
es nun auf zweyerley an; I) auf das, was eigentlich
erwieſen werden muß. II) auf die Beweiß-
gruͤnde21). Das erſtere, oder das Beweißthema, muß
aus der Natur einer rechtlichen Gewohnheit, und deren
Erforderniſſen beſtimmt werden. Da nun die Natur ei-
ner jeden Gewohnheit in einer Gleichfoͤrmigkeit der Hand-
lungen beſtehet, ſo iſt zum Beweiße nicht genug, wenn
derſelbe nur uͤberhaupt darauf gerichtet wird, daß der-
gleichen Gewohnheit wirklich an einem Orte eingefuͤhrt
ſey, wovon die Frage iſt 22), ſondern es wird hierzu vor-
G g 2nehm-
[466]1. Buch. 3. Tit.
nehmlich erfordert, daß diejenigen Handlungen und Faͤlle
ſelbſt umſtaͤndlich angegeben werden, wodurch die ſtreitige
Gewohnheit ſoll eingefuͤhrt worden ſeyn 23). Es muß al-
ſo bewieſen werden, daß man ſchon vorhin beſtaͤndig und
unabgeaͤndert in ſolchen Faͤllen eben ſo zu Werke gegan-
gen ſey, als in dem jetzigen ſtreitigen Falle nach der be-
haupteten Gewohnheit wieder geſchehen ſoll. Wie viele
Faͤlle nun zum vollſtaͤndigen Beweiſe der ſtreitigen
Gewohnheit anzufuͤhren ſind, und ob ſchon zwey derſel-
ben fuͤr hinlaͤnglich zu achten, muß billig dem Ermeſſen
des Richters uͤberlaſſen werden 24). Rathſam aber iſt es
immer, wenn der Beweißfuͤhrer ſo viele Faͤlle beybringt,
als es ihm nur immer moͤglich geweſen, ausfindig zu ma-
chen. Unſtreitig werden auch zum Beweiß einer ſolchen
Gewohnheit, die den geſchriebenen Geſetzen entgegen iſt,
mehrere einzelne Handlungen erforderlich ſeyn, als wenn
die
22)
[467]de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet.
die Gewohnheit von der Art nicht iſt, weil ſich aus einer
oder der andern Handlung, die der Landesherr gegen das
Geſetz zugelaſſen, die Abſicht deſſelben, daß das Geſetz
in Zukunft nicht mehr gelten ſolle, noch nicht immer mit
Gewißheit folgern laͤſſet 25). Es muͤſſen nun auch fer-
ner die Handlungen, aus denen die ſtreitige Gewohnheit
dargethan werden ſoll, mit allen dabey vorgefallenen Um-
ſtaͤnden angefuͤhret werden, damit der Richter beurthei-
len koͤnne, ob dieſelbe ſowohl unter ſich conform ſind,
als auch ob inſonderheit die gegenwaͤrtige ſtreitige Hand-
lung von gleicher Art, oder doch unter jenen Handlun-
gen als Species begriffen ſey. Daß die angezogene
Handlungen der Gewohnheit durch entgegen geſetzte nicht
unterbrochen worden ſind, gehoͤrt nicht zum Beweiß-
thema; ſondern iſt die Gleichfoͤrmigkeit mehrerer Hand-
lungen erwieſen, ſo wird ſo lange vermuthet, daß dieſel-
be nie unterbrochen worden ſey, bis das Gegentheil dar-
gethan wird 26). Ob nicht aber die ſtreitige Gewohn-
heit ſpecifice und in individuo, erwieſen, das heißt, ob nicht
insbeſondere dargethan werden muͤſſe, daß eben derſelbe
Fall, woruͤber geſtritten wird, unter den naͤmlichen Um-
ſtaͤnden ſchon mehrmalen vorgekommen, und dabey jeder-
zeit die behauptete Gewohnheit zur Regel genommen wor-
den ſey? iſt eine Frage, wobey die Rechtsgelehrten nicht
einerley Meynung ſind. Die meiſten wollen dieſe Frage
bejahen 27); und dieſen ſtimmt auch unſer Autor bey.
G g 3An-
[468]1. Buch. 3. Tit.
Andere 28) hingegen laſſen eine Aehnlichkeit der Faͤlle zu.
Dieſe letzere Meynung halte ich allerdings fuͤr gegruͤnde-
ter. Denn erſtlich, warum ſollte es bey ungeſchriebenen
Geſetzen anders, als bey geſchriebenen, ſeyn? Will
der Geſetzgeber einmal, daß es bey gewiſſen Faͤllen
hinfuͤhro beſtaͤndig eben ſo gehalten werden ſolle, wie
es von Alters her bis jetzo uͤblich geweſen iſt; wa-
rum ſollte es nicht auch ſeinem Willen gemaͤß ſeyn,
bey andern aͤhnlichen Faͤllen daſſelbe Gewohnheitsrecht
Statt finden zu laſſen? Sodann aber beſtaͤrken mich hierin
auch ſelbſt die Geſetze 29). Es muß nur aber freylich ei-
ne wahre Aehnlichkeit der Faͤlle vorhanden ſeyn.
Daß dieſe bey wirklicher Anwendung oft ſchwer zu beſtim-
men ſey, geſtehe ich gern; aber eben deſto noͤthiger
iſt es, ein Principium feſtzuſetzen, woraus die Aehn-
lichkeit der Faͤlle zu beurtheilen. Eine ſolche Aehnlichkeit
iſt nun alsdann unſtreitig vorhanden, wenn der ge-
genwaͤrtige Fall, ohnerachtet er in ſpecie
noch
27)
[469]de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet.
noch nicht vorgekommen, dennoch nicht nur
uͤberhaupt unter ein gewiſſes genus von
Faͤllen zu zaͤhlen iſt, von welchen derſelbe
als eine Species anzuſehen, ſondern auch
inſonderheit bey dem jetzigen einzelnen Fal-
le eben der Grund, welcher vom ganzen Ge-
ſchlecht gilt, ſtatt findet. Iſt dieſes, ſo iſt der
gegebene Fall allerdings fuͤr gleichartig zu halten,
und es iſt genug, wenn die Gewohnheit nur von dem
genere caſuum erwieſen wird, unter welchem der ſtreiti-
ge Fall als eine Species begriffen iſt. Man ſetze zum
Beyſpiel, daß in einem gewiſſen Orte die Toͤchter aus
der Verlaſſenſchaft ihrer Muͤtter die Gerade fuͤr ſich ver-
langten, und ſich in einem Gewohnheitsrecht gruͤndeten.
Sie bewieſen hierauf, daß man ſich an dieſem Orte in
Erbfaͤllen von je her nach dem ſaͤchſiſchen Rechte gerich-
tet; ſo haben ſie auch in Anſehung der zum voraus ver-
langten Gerade das behauptete Gewohnheitsrecht erwieſen,
weil auch dieſe ſaͤchſiſchen Rechtens iſt. Ein anderer Fall.
Ein Edelmann verlangt von einem Witwer, der ſeiner
ohne Leibeserben verſtorbenen Ehefrauen lehnbahres Guth
ererbet, vermoͤge eines Gewohnheitsrechts das Erb- oder
Sterbhandlohn. Der Lehnmann glaubt hiezu nicht ver-
bunden zu ſeyn. Erſterer ſoll alſo ſeine angemaßte Be-
fugniß erweiſen. Der Edelmann beweiſet nun mit einer
Reihe von Faͤllen, daß ihm jederzeit die Witwe, welche
ihres ohne Kinder verſtorbenen Mannes Lehnguth ererbt,
die Sterbelehn als perſona in inveſtitura non com-
prehenſa habe entrichten muͤſſen. Quaeritur, hat Klaͤ-
ger hierdurch ſein Recht, auch in dem jetzigen Fall ein
Erbhandlohn zu fordern, erwieſen? ich glaube, aller-
dings! Denn iſt gleich der ſich jetzt zugetragene umgekehr-
te Fall vorher noch nicht in individuo vorgekommen, wer
G g 4wird
[470]1. Buch. 3. Tit.
wird deswegen laͤugnen, daß das von dem Lehnsherrn er-
wieſene Gewohnheitsrecht auch mit auf denſelben anzu-
wenden ſey, da bey demſelben der naͤmliche Grund, daß
auch der Witwer keine perſona in inveſtitura compre-
henſa iſt, ſtatt findet? Jedoch darf auch hier nicht aus
der Acht gelaſſen werden, was wir oben von der Rechts-
analogie uͤberhaupt bemerkt haben, (S. 256 u. folg.) und
ich widerſtreite gar nicht, daß Gewohnheiten, die exorbi-
tant ſind, und beſondere Rechte (iura ſingularia) zum
Gegenſtand haben, billig zu reſtringiren, und daher in
ſtreitigen Faͤllen nicht analogiſch, ſondern ſpecifice zu
erweiſen ſind 30).
Zum Beweiß einer ſtreitigen Gewohnheit iſt jedoch
nicht genug, mehrere gleichartige Faͤlle angegeben zu ha-
ben, ſondern es muß auch erwieſen werden, daß ſie die
zur Einfuͤhrung einer rechtlichen Gewohn-
heit erforderliche Eigenſchaften haben, in ſo-
fern ſelbige nicht etwa vermuthet werden koͤnnen. So
z. B. bedarf die Eigenſchaft der Vernunftmaͤſigkeit
keines Beweißes, ſondern dieſe wird bey einem erwieſenen
Gewohnheitsrechte in Zweifel vermuthet, bis das Gegen-
theil dargethan iſt 31). Dahingegen aber muß 1) be-
wieſen werden, daß die angefuͤhrten Handlungen, wo-
durch die Gewohnheit ſoll begruͤndet worden ſeyn, oͤffent-
lich und in der Meinung einer moraliſchen Noth-
wendigkeit ſind unternommen worden, inſofern nicht
etwa dieſe Eigenſchaften ſich ſchon aus der Natur der
ange-
[471]de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet.
angefuͤhrten Handlungen von ſelbſt ergeben ſollten. Denn
man ſetze z. B. daß es ſolche Handlungen waͤren, die in
den Gerichten vorgekommen, und woruͤber geſtritten wor-
den iſt; ſo iſt wegen jener Eigenſchaften kein beſonderer
Beweis erforderlich. Allein man nehme nun den Fall
an, daß in einem Orte, deſſen Einwohner gewiſſe Hoͤlzer
gemeinſchaftlich beſitzen, dergleichen Holzerbſchaften
ſich haͤufig in Ober- und Niederteutſchland finden, die
maͤnnlichen Erben allein mit Ausſchließung der weiblichen
in den Holzantheil des verſtorbenen Erblaſſers zu ſucce-
diren begehret, auch desfalls erwieſen haͤtten, daß dieſe
Holzgerechtigkeit in dem Orte jedesmahl bey dem Manns-
ſtamme verblieben ſey. Wuͤrden ſie wohl hierdurch ſchon
die Behauptung einer excluſiven Gewohnheit genugſam
dargethan haben? Ich glaube es nicht. Denn ſind
gleich noch ſo lange die Holztheile den Soͤhnen verblie-
ben, ſo folgt doch daraus noch nicht, daß ſie vermoͤge
rechtlicher Nothwendigkeit bey denſelben haben verbleiben
muͤſſen 32). Es muß alſo dieſer letztere Umſtand noch
beſonders dargethan werden. 2) Die zur Begruͤndung
einer rechtlichen Gewohnheit erforderliche Laͤnge der
G g 5Zeit
[472]1. Buch. 3. Tit.
Zeit iſt meiſt ſchon aus denen desfalls angefuͤhrten ein-
zelnen Handlungen abzunehmen, und bedarf daher in
ſo fern keines beſondern Beweiſes; wenn jedoch in einem
Lande zur Einfuͤhrung eines ungeſchriebenen Rechts ent-
weder durch ausdruͤckliche Landesgeſetze oder durch unbe-
ſtrittenen Gerichtsgebrauch eine gewiſſe Verjaͤhrungs-
zeit angenommen worden iſt, ſo muß beſonders gezeigt
werden, daß dieſe Zeit wirklich verfloſſen ſey 33).
Sind nun auf ſolche Art die zur Einfuͤhrung einer
ſtreitigen Gewohnheit erforderliche Handlungen und deren
weſentliche Eigenſchaften rechtlich dargethan worden, ſo
wird die Genehmigung des Landesherrn, inſofern die-
ſelbe nicht etwa durch eine allgemeine, oder ſich auf die
ſtreitige Gewohnheit beziehende beſondere Verordnung
ſchon ausdruͤcklich erklaͤrt worden ſeyn ſollte, ſo lange
vermuthet, bis das Gegentheil dargethan worden iſt 34).
Es waͤre denn, daß von einer ſolchen Gewohnheit die
Rede ſey, die den allgemeinen Landesgeſetzen gerade ent-
gegen ſtreitet, in welchem Falle ein deutlicher Beweis
erfordert wird, daß ſie zu ſeiner Wiſſenſchaft
gekommen35). Dieſe erhellet z. B. aus der aus-
druͤcklichen hoͤchſten Confirmation 36) ſolcher Handlungen,
oder auch aus andern Umſtaͤnden.
Genug
[473]de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet.
Genug von dem Beweisthema; ich will nun gleich
zu den Beweismitteln ſelbſt ſchreiten, wenn ich zufoͤrderſt
nur noch dies bemerkt habe, daß der an ſich ſchwere Be-
weis einer ſtreitigen Gewohnheit alsdann viel von ſeiner
Schwierigkeit verliehrt, wenn nicht ſowohl uͤber das Da-
ſeyn, ſondern blos uͤber den heutigen Gebrauch
und Guͤltigkeit37) einer alten Rechtsgewohnheit ge-
ſtritten wird; z. B. einer ſolchen, welche in einer Col-
lection des Mittelalters z. E. im Sachſpiegel enthalten
iſt (§. 69).
Die Beweismittel bey einem Gewohnheitsrechte
koͤnnen nun, wie in andern ſtreitigen Faͤllen,
I) Zeugen ſeyn. Wie viele aber zu einem ſol-
chen Beweiſe, von welchem hier die Rede iſt, erfordert
werden, iſt unbeſtimmt. Daher die meiſten Rechtsge-
lehrten der Meinung ſind 38), daß es auch in dieſem Falle
bey der Regel bleibe, nach welcher zu einem vollſtaͤndigen
Beweiſe nur zwey untadelhafte Zeugen erfordert wer-
den 39). Andere wollen jedoch eine groͤßere Anzahl der
Zeugen beym Beweiſe einer rechtlichen Gewohnheit fuͤr
noͤthig, oder wenigſtens fuͤr zutraͤglicher halten 40). Mei-
nes Erachtens laͤſſet ſich hiervon in abſtracto nichts be-
ſtimmen,
[474]1. Buch. 3. Tit.
ſtimmen, ſondern es kommt alles auf ihre Wiſſenſchaft
an, die ſie von den einzelnen Handlungen haben, wo-
durch die ſtreitige Gewohnheit erwieſen werden ſoll. Ha-
ben nun zwey derſelben von denen zum Beweis angefuͤhr-
ten einzelnen Faͤllen und deren Umſtaͤnden vollkommene
Wiſſenſchaft, ſind ſie uͤberdies claſſiſch, ſo iſt nicht ein-
zuſehen, warum der Beweis durch die Ausſagen zweyer
ſolcher Zeugen nicht fuͤr vollfuͤhrt geachtet werden ſollte?
Daß inzwiſchen der Beweisfuͤhrer eben deßwegen wohl
thut, wenn er mehr als zwey Zeugen ernennt, hat keinen
Zweifel. So viel nun aber die Ausſagen derſelben
anbetrift, ſo iſt es nicht hinreichend, wenn die Zeugen
uͤberhaupt deponiren, daß eine dergleichen Gewohnheit
wirklich vorhanden ſey 41), woruͤber geſtritten wird, oder daß
ſie die ihnen vorgelegten Beweisartikel ſchlechtweg bejahen;
nein; es muͤſſen ihre Ausſagen, wenn ſie beweiſen ſollen,
nicht nur auf die einzelnen Handlungen der Gewohnheit,
und uͤbrigen Eigenſchaften derſelben gerichtet ſeyn, ſon-
dern auch einen hinreichenden Grund ihrer Wiſſenſchaft
enthalten 42). In ſo fern es jedoch nur auf das Alter-
thum eines gewiſſen in Streit gezogenen Gebrauchs
allein ankommen ſollte, ſind auch Teſtes de auditu fuͤr
zulaͤſſig allerdings zu halten, zumahl wenn ſelbige ihre
Ausſagen dahin geſtellet haben, wie ſie es von ſehr alten
Leuten gehoͤret, daß etwas immer und ſeit Menſchenge-
denken nicht anders geweſen waͤre 43). Und da es uͤbri-
gens beym Beweiſe eines Gewohnheitsrechts vorzuͤglich
auf
[475]de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet.
auf einzelne Handlungen ankommt, ſo iſt eben ſo weni-
gem Zweifel unterworfen, daß auch Teſtes ſingulares,
welche von einzelnen verſchiedenen, aber doch homogenen
Handlungen, oder von verſchiedenen Umſtaͤnden einerley
Factums, die aber einander nicht entgegen ſind, zeugen,
fuͤr nicht unzulaͤſſig gehalten werden duͤrfen 44).
II) Urkunden, welche entweder dergleichen Hand-
lungen ſelbſt enthalten, wodurch die Gewohnheit erwie-
ſen werden ſoll, z. B. ſchriftliche und obrigkeitlich be-
ſtaͤttigte Aufſaͤtze uͤber Handlungen der Art, wovon die
Frage iſt, desgleichen rechtskraͤftige Urtheilsſpruͤche; oder
glaubwuͤrdige Atteſtate 45), die eine Erzaͤhlung, daß
dergleichen Handlungen vorgekommen ſind, als zur Be-
gruͤndung der behaupteten Gewohnheit erfordert werden,
enthalten, machen auch hier wichtige Beweismittel aus.
Es kann jedoch das bloſe Atteſtat des Richters von
einer hergebrachten Gewohnheit, wenn in demſelben
keine actus ſpeciales, diuturni et uniformes, uͤber-
all mit Beziehung auf die Acten, angegeben worden
ſind, die Kraft eines rechtlichen Beweiſes nicht behaup-
ten 46), und wenn gleich einige Rechtsgelehrte der Mei-
nung ſind 47), daß ein ſolches allgemeines Atteſtat, wenn
es
[476]1. Buch. 3. Tit.
es nur durch das Gerichtsſiegel, und die gewoͤhnliche Un-
terſchrift des Gerichts bekraͤftiget worden, wenigſtens ei-
nen halben Beweiß mache; ſo iſt doch dieſes von An-
dern 48) mit mehrern Grunde gelaͤugnet worden, indem
bekannten Rechtens iſt, daß uͤberhaupt kein Zeugniß, wel-
ches nicht beſtimmt, ſondern nur in allgemeinen Ausdruͤ-
chen, und in folle, abgefaßt iſt, etwas, mithin auch nicht
ſemiplene, erweiſe 49). Ob nicht
III) in Ermangelung anderer Beweißmittel auch die
Zuſchiebung des Eides zum Beweiß einer ſtreiti-
gen Gewohnheit gebraucht werden koͤnne? iſt nur in ſo
weit zu verneinen, als der Eid uͤberhaupt daruͤber defe-
rirt werden ſoll, daß eine ſolche Gewohnheit, als behaup-
tet werden will, wirklich vorhanden ſey 50), weil eines Theils
uͤberhaupt kein Eid in folle zugeſchoben werden darf, ſon-
dern das factum, woruͤber der Eid deferirt wird, jeder-
zeit nach allen denjenigen Umſtaͤnden, wovon die Wahr-
heit deſſelben abhaͤngt, beſtimmt ſeyn muß 51); andern
Theils aber die Natur eines Gewohnheitsrechts dieſe Be-
weiſ-
[477]de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet.
weißart an ſich nicht zulaͤſſet, indem eine erwieſene Ge-
wohnheit, als Geſetz, viele verbindet, niemand aber durch
ſeinen Eid den Rechten eines Dritten praͤiudiciren, oder
einem Dritten eine Verbindlichkeit aufbuͤrden kann 52).
Daß indeſſen uͤber einzelne Umſtaͤnde der zum Beweiß
angefuͤhrten Handlungen, wovon der Gegner Wiſſenſchaft
haben muß, der Eid zugeſchoben werden koͤnne, leidet
keinen Zweifel. Sollte aber nicht auch
IV) in dem Fall, da die vorgegebene rechtliche Ge-
wohnheit nur halb, oder auch uͤber die Haͤlfte, aber doch
noch nicht vollſtaͤndig, erwieſen worden, wenigſtens auf
den Erfuͤllungseid erkannt werden koͤnnen? Die
meiſten Rechtsgelehrten leugnen dieſes 53). Andere aber
wollen wenigſtens das iuramentum de credulitate zulaſ-
ſen 54). Ich glaube, wenn an der Vollſtaͤndigkeit des
Beweiſes nur noch wenig mangelt, und der Erfuͤllungs-
eid nur dazu dienen ſoll, dieſen oder jenen einzelnen Um-
ſtand,
[478]1. Buch. 3. Tit.
ſtand, der ſchon zu einen ziemlichen Grad der Probabili-
taͤt gebracht worden iſt, durch dieſen Eid voͤllig auſſer
Zweifel zu ſetzen, ſo kann allerdings darauf erkannt wer-
den 55).
Hiermit beſchließt nun unſer Autor dieſe wichtige
Materie vom Gewohnheitsrecht, wenn nun gleich in an-
dern Syſtemen und Commentarien auſſer den vorgetrage-
nen Saͤtzen auch noch von der Wirkung und Auslegung
eines Gewohnheitsrechts gehandelt zu werden pflegt, ſo
erfordern doch dieſe Puncte keine weitlaͤuftige Eroͤrterung,
ſondern laſſen ſich daraus, daß die rechtlichen Gewohnhei-
ten die Geſetze nachahmen 56) und mit ihnen gleiche Kraft
und Wirkung behaupten 57), von ſelbſt herleiten. Durch
gewohnheiten werden daher nicht nur neue Geſetze einge-
fuͤhrt 58), und den dunklen Geſetzen ein beſtimmter Sinn
gegeben 59), ſondern es koͤnnen ſogar geſchriebene Geſetze
durch neue Gewohnheitsrechte ihre Kraft verlieren 60).
Die Frage, ob Gewohnheitsrechte nur allein ſtricte zu
erklaͤren, wird zwar insgemein bejahet 61), allein andere
laſſen
[479]de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet.
laſſen mit mehrern Grunde auch eine extenſive Ausle-
gung gelten 62).
§. 88 — 92.
Von den Statuten der Gemeinheiten.
§. 88.
Begriff und verſchiedene Gattungen der Univerſitaͤten.
Vom Gewohnheitsrechte gehet unſer Autor zu der Leh-
re von den Statuten der Univerſitaͤten oder Gemein-
heiten und Collegien uͤber, weil auch dieſe in gewiſſer
Ruͤckſicht als eine Gattung von Geſetzen anzuſehen ſind.
In den Fragmenten dieſes Titels unſ[e]rer Pandecten kommt
jedoch nichts davon vor, ſondern es wird davon an einem
ganz andern Orte Lib. XLVII. Tit. 22. gehandelt. Ei-
ne Univerſitaͤt im weitlaͤuftigen Verſtande, oder ei-
ne Gemeinheit, Gemeinde, Collegium, Kor-
pus, Zunft ꝛc. iſt uͤberhaupt eine vom Regenten zu ei-
nem fortdaurenden, und zunaͤchſt mit dem gemeinen End-
zweck des Staats in Verbindung ſtehenden, Endzweck
beſtaͤttigte oder geſtiftete Geſellſchaft. Sie erfordert alſo
1) die Vereinigung mehrerer Menſchen zu einen gemein-
ſchaftlichen Endzweck; wie jede andere Geſellſchaft; un-
terſcheidet ſich jedoch darin, daß ſie 2) zu einen fortdau-
renden und beſtaͤndigen Endzweck, welcher zunaͤchſt mit
dem gemeinen Endzweck des Staats in Verbindung ſteht;
und zwar 3) mit landesherrlicher Approbation errichtet
wird. Eine dergleichen Gemeinheit wird als eine mora-
liſche Perſon angeſehen; die immer dieſelbe bleibt, wenn
auch deren Glieder ganz oder zum Theil ſich veraͤndern,
ja ſie beſtehet noch, waͤre auch die Anzahl der Glieder
bis
Gluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. H h
[480]1. Buch. 3. Tit.
bis auf eine einzige Perſon vermindert worden 63). Die
Hervorbringung einer ſolchen moraliſchen Perſon iſt nur
ein Werk des buͤrgerlichen Geſetzgebers 64). Das roͤ-
miſche Recht ſowohl als auch das reutſche legt dieſes
Recht dergeſtalt dem Regenten und hoͤchſten Geſetzgeber
im Staate bey, daß es den Unterthanen als eine uner-
laubte und ſtrafbare Handlung zugerechnet wird, wenn
ſie ſich unterfangen, eine moraliſche Perſon zu gruͤnden,
welche von dem Geſetzgeber nicht ausdruͤcklich dafuͤr iſt
erklaͤrt worden 65). Und dieſe ausdruͤckliche Erklaͤrung
des Regenten iſt eben die Beſtaͤtigung, wodurch ſich
eine Univerſitaͤt oder Gemeinheit von einer jeden andern
Geſellſchaft unterſcheidet, und wodurch ihr zugleich die
Faͤhigkeit beygelegt wird, buͤrgerliche Rechte und Ver-
bindlichkeiten im Staate zu erwerben 66).
Da eine Perſonen-Gemeinheit immer eine beſtimmte
geſellſchaftliche Verbindung mehrerer Menſchen voraus
ſetzt,
[481]de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet.
ſetzt, die vom Landesherrn zu Erreichung eines gemein-
ſchaftlichen Endzwecks iſt beſtaͤtiget, oder geſtiftet wor-
den; ſo giebt es nun ſo mancherley Gattungen ſolcher
moraliſcher Perſonen, ſo verſchieden dieſe geſellſchaftliche
Verbindungen unter den Menſchen in Abſicht ihres End-
zwecks, ihrer Mitglieder und ihrer innern Verfaſſung
ſeyn koͤnnen. Der Zweck, wozu Collegien oder Gemein-
heiten geſtiftet ſind, kann entweder ein geiſtlicher, —
Gottesverehrung, oder ein weltlicher ſeyn, der auf
die Regierung des Staats, oder auf die Erleichterung
gewiſſer Erwerbungsmittel, oder auf die Befoͤrderung
eines andern Nutzens, abzielt; im erſten Fall werden
ſie kirchliche oder religioͤſe67), z. B. Kirchen,
Stifter, Kloͤſter; im zweyten aber weltliche Gemein-
heiten oder Collegien genennt, z. B. Landesregierungen,
Staͤdte, Doͤrfer, Innungen und Zuͤnfte der Handwer-
ker ꝛc. Schulen und Academien werden jedoch bekann-
ten Rechten nach zu denen univerſitatibus eccleſiaſticis,
auch ſelbſt unter den Proteſtanten gerechnet; auf was
fuͤr Gruͤnden aber dieſe Einrichtung beruhet, dieſes aus-
einander zu ſetzen, gehoͤrt nicht hierher 68). Ferner un-
terſcheiden ſich univerſitates perſonarum auch in An-
ſehung ihrer Glieder von einander, je nachdem dieſe
entweder individual- oder moraliſche Perſonen ſind. Im
erſtern Fall werden ſie Collegien; im zweyten aber
Corpora im eigentlichen Verſtande genennt. Mehrere
H h 2Collegia
[482]1. Buch. 3. Tit.
Collegia zuſammen, welche in einer gewiſſen Verbindung
ſtehen, machen alſo ein Corpus aus. Z. B. eine Aca-
demie 69). Endlich nach dem Unterſchied ihrer innern
Verfaſſung ſind Univerſitaͤten entweder von der Art,
daß einige Mitglieder eine mit Zwangsrechten verſehene
Direction und Gerichtsbarkeit uͤber die andern haben,
oder nicht. Erſtere werden univerſitates ordinatae, auch
Staatsgeſellſchaften genennt, z. B. Staͤdre, Ca-
pittel, Academien 70).
§. 89.
Rechte einer Univerſitaͤt. Begriff und verſchiedene Gattungen
der Statuten.
Gemeinheiten, als moraliſche Perſonen betrachtet,
haben nun ihre Rechte und Verbindlichkeiten, wie andere
Menſchen; ja ſo lange in Ruͤckſicht auf die Arten der
Rechte, welche Menſchen erwerben koͤnnen, die Geſetze
keinen Unterſchied zwiſchen einer moraliſchen Perſon und
einen individuellen Menſchen machen, ſo lange iſt eine
moraliſche Perſon auch gleicher Rechte faͤhig, wenn nur
das Recht, von deſſen Erwerbungsfaͤhigkeit die Rede iſt,
nicht von der Natur iſt, daß es ſchlechterdings nur von
dem Menſchen, der es erworben, in eigner Perſon muß
ausgeuͤbt werden. Denn ſo kann z. B. eine moraliſche
Perſon
[483]de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet.
Perſon keine elterliche Gewalt erwerben, auch kein Te-
ſtament oder Codicill machen 71). Die Rechte einer
Univerſitaͤt laſſen ſich uͤbrigens ſehr gut in zwey Haupt-
claſſen eintheilen. Einige flieſſen aus der Natur und
Zweck der Geſellſchaft her, und ſtehen alſo einer je-
den Univerſitaͤt, qua tali, nach Masgabe ihres End-
zwecks ſchon von ſelbſt zu, ohne daß eine beſondere Er-
werbung vonnoͤthen iſt; dieſe werden Geſellſchafts-
rechte, von andern auch Collegialrechte genennt;
und verhalten ſich als Mittel zur Erreichung des gemein-
ſchaftlichen Endzwecks der Univerſitaͤt. Andere Rechte
haben ihren Grund in einer beſondern Conceſſion der Ge-
ſetze, oder des Regenten, oder ſie ſind durch einen be-
ſondern Rechtstitel erworben. Zu dieſen gehoͤrt, daß
Univerſitaͤten die Rechte der Pupillen und Minderjaͤhri-
gen haben, und ihnen daher, wie dieſen, bey erweißlicher
Laͤſion die Wiedereinſetzung in den vorigen Stand zu ſtat-
ten kommt 72). Auch koͤnnen, wenigſtens nach dem
neuern roͤmiſchen Recht, erlaubte Gemeinheiten zu Erben
eingeſetzet, oder ihnen ſonſt etwas vermacht werden 73).
Ja es erlauben ſogar die Geſetze, daß eine moraliſche
Perſon ſolche Rechte erwerben koͤnne, welche einem Men-
H h 3ſchen
[484]1. Buch. 3. Tit.
ſchen nur auf die Zeit ſeines Lebens zugeſtanden werden,
und nach deſſen Tode wieder zuruͤckfallen. Nur verord-
nen ſie zu gleicher Zeit, daß wenn eine moraliſche Per-
ſon dergleichen Rechte erworben haben ſollte, ſolche denn
eben ſo nach Ablauf von hundert Jahren zuruͤckfallen
ſollen, wie ſie wuͤrden mit dem Tode eines Menſchen
zuruͤckgefallen ſeyn, der ſie erworben hatte 74). Auſſer-
dem haͤngt es von dem Willkuͤhr des Geſetzgebers ab, in
wie weit er die von ihm beſtaͤtigte oder geſtiftete Gemein-
heit der Erwerbung buͤrgerlicher Rechte in ſeinem Staate
faͤhig erklaͤren, oder welchen Stand und welche Rechte
er ihr ſonſt beylegen wolle 75). So viel nun inſonder-
heit die Geſellſchaftsrechte einer Gemeinheit anbe-
trift, ſo gehoͤren dahin vorzuͤglich folgende:
- 1) Das Recht, ein eigenthuͤmliches Vermoͤgen zu er-
werben, und eine gemeinſchaftliche Caſſe zu haben 76),
woraus die zu Unterhaltung derſelben erforderlichen
Koſten beſtritten werden koͤnnen. Hier mit iſt auch das
Recht die zu Verwaltung dieſer Gemeinheitsguͤter noͤ-
thige Adminiſtratoren zu beſtellen 77), verbunden.
2) Das
[485]de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet.
- 2) Das Recht, Vorſteher und andere zur Betreibung
der geſellſchaftlichen Angelegenheiten noͤthige Bediente,
(officiales univerſitatis,) inſonderheit zur Fuͤhrung
ihrer gemeinſchaftlichen Proceſſe einen Anwalt oder
Syndicum zu beſtellen; wovon Lib. III. Tit. 4. ein
mehreres 78). - 3) Das Recht eines Gemein-Siegels ſtehet eigentlich nur
ordinirten Univerſitaͤten und Collegien zu 79). Zuͤnf-
te aber koͤnnen ein ſolches ohne abſonderliche landesherr-
liche Bewilligung nicht fuͤhren, in ſofern es nicht etwa
ſchon bey Einrichtung einer Zunft ertheilet worden
iſt 80). - 4) Das Recht, Statuten zu errichten 81).
H h 4Von
[486]1. Buch. 3. Tit.
Von dieſen wird nun noch inſonderheit zu handeln
ſeyn 82). Was ſind denn aber Statuten der Gemeinhei-
ten? Ueberhaupt verſtehet man darunter die verbindli-
chen Regeln einer Perſonen-Gemeinheit, z. B. einer
Stadt, eines Stifts u. dgl. Dieſe koͤnnen von zweyer-
ley Art ſeyn. Entweder ſolche, die unter den Gliedern
einer Gemeinheit vertragsweiſe ſind errichtet wor-
den, und alſo nur als Vertraͤge verbinden; oder ſol-
che, die als Geſetze in der Gemeinheit promulgirt wor-
den, und als Geſetze verbinden. Erſtere werden ſtatu-
ta conventionalia, iure collegiali condita; letztere aber ſta-
tuta legalia genennt. Dieſe koͤnnen entweder vom Regen-
ten ſelbſt in und fuͤr eine Gemeinheit promulgirt worden
ſeyn; denn es iſt nichts ungewoͤhnliches, ſolche particu-
laͤre Landesordnungen Statuta,Stadtgeſetze zu nen-
nen 83). Oder es kann ſeyn, daß der Regent die geſetz-
gebliche Gewalt einer Gemeinheit auf eine von ihm ab-
haͤngige Weiſe in einem gewiſſen Bezirk des Staats ver-
liehen hat. Was ſodann dieſelbe vermoͤge dieſer Gewalt
verordnet, iſt eigentliches Geſetz, und ob es gleich in der
Geſtalt, wie ein Gemeindsvertrag z. B. durch die Mehr-
heit der Stimmen zu Stande kommt, ſo gehoͤrt dies den-
noch blos zu der Art, wie die geſetzgebliche Gewalt von
der
[487]de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet.
der Gemeinheit ausgeuͤbt wird, aͤndert aber die Natur der
geſetzlichen Vorſchrift keinesweges 84).
Eine ſehr gewoͤhnliche Bedeutung iſt ferner diejeni-
ge, da man die Stadtrechte, welche mit oberherrlicher Ge-
nehmigung ſind errichtet worden, ſtatuta nennt. Dieſe
werden auch mit den Namen Willkuͤhr, Weichbild,
oder Marck-Recht beleget 85). Hier verſtehet unſer
Autor unter Statuten dasjenige Recht, ſo unter den
Mitgliedern einer gewiſſen Gemeinheit oder eines Colle-
giums vermittelſt eines Vertrags iſt feſtgeſetzt worden.
Statuten in dieſer letztern Bedeutung gelten eigentlich
und an ſich nur wie Vertraͤge, ſie erhalten jedoch eine
geſetzliche Auctoritaͤt, wenn ſie vom Landesherrn beſtaͤtti-
get worden ſind.
§. 90.
Guͤltigkeit der Statuten.
Sollen Statuten gelten, welche durch einen Geſell-
ſchaftsvertrag errichtet worden ſind, ſo wird dazu er-
fordert,
1) daß der Gegenſtand derſelben ein ſolcher ſey, wel-
cher Gemeinde- oder Geſellſchaftsſachen betrift. Sonſt
tritt die Gemeinheit aus den Schranken ihrer Geſellſchafts-
gewalt. Was nun aber Gemeinde-Sachen ſind, iſt
theils aus dem Endzweck der Gemeinheit, theils aus der
H h 5Natur
[488]1. Buch. 3. Tit.
Natur anderer von ihr erworbenen Gerechtſame zu beſtim-
men 86). Denn man ſetze, daß der Gemeinheit oder dem
Collegio die Gerichtsbarkeit, oder Episcopal-Rechte zu
ſtehen, ſo ſind auch Sachen, welche die Ausuͤbung der-
ſelben betreffen, unſtreitig fuͤr Gemeinde-Sachen zu
halten. Gleichwie nun aber alle im Staat gebilligte Ge-
ſellſchaften der Majeſtaͤt und Hoheit des Staats unterwor-
fen ſind, ſo duͤrfen demnach
2) dergleichen Geſellſchaftsvertraͤge nicht gegen aus-
druͤcklich und ſchlechterdings gebietende Geſetze des Regen-
ten ſtreiten, oder ſonſt dem gemeinen Wohl nachtheilig
ſeyn. In einem ſolchen Falle iſt die beſondere Beſtaͤtti-
gung des Landesherrn ſchlechterdings erforderlich, wenn
gleich die Gemeinheit durch ein ausdruͤckliches Privile-
gium das ius ſtatuendi erhalten haͤtte 87). Denn es laͤßt
ſich mit Vernunft nicht annehmen, daß der Landesherr
durch ein ſolches Privilegium ſich ſeiner geſetzgebenden
Macht, als des hoͤchſten Majeſtaͤtsrechts, habe entaͤuſſern,
und eine ganze Gemeinde von dem Gehorſam gegen lan-
desherrliche Befehle diſpenſiren, oder die Befolgung ſei-
ner Geſetze ihrem Willkuͤhr uͤberlaſſen wollen 88). Sind
jedoch Staatsgeſetze nicht dergeſtalt gebietend oder verbie-
tend, ſondern in dieſem Betracht blos hypothetiſch, ſo
kann
[489]de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet.
kann einer Gemeinheit das Recht, durch Vertraͤge etwas
von denenſelben abweichendes feſtzuſetzen, um ſo weniger
verſagt werden, als dieſe Befugniß ſogar einzelnen Buͤr-
gern des Staats zuſtehet. Da jedoch Vertraͤge eigent-
lich und in der Regel nur die Paciscenten verbinden, die
ſie ſchlieſſen, aber keinen Dritten, ſo folgt hieraus,
3) daß durch die Statuten, welche nichts anders
als Vertraͤge ſind, Niemand als die Mitglieder der
Gemeinheit, ſo dieſelben errichtet, oder doch in dieſelben
eingewilliget haben, verbunden werden. Sie erſtrecken
alſo ihre Verbindlichkeit nicht auf die forenſes, die keine
Gemeindegliederſind; es waͤre denn, daß durch einen Ge-
meindeſchluß ſolche Rechte und Verbindlichkeiten waͤren
feſtgeſetzt worden, welche blos Grundſtuͤcke betreffen; z. B.
wenn vermoͤge eines ſolchen Geſellſchaftsvertrags die Ko-
ſten zur Beſtreitung der Gemeindeausgaben unter dem
Namen, Anlagen, auf die Haͤuſer und Grundſtuͤcke
in der Gemeinde ausgeſchlagen worden; ſo muͤſſen ſich
ſolche Laſten auch Fremde gefallen laſſen, welche derglei-
chen Guͤter, auf denen ſie haften, acquiriren 89). Auſſer-
dem wird kein Dritter, der nicht Mitglied der Geſell-
ſchaft iſt, durch das Statutum einer Gemeinheit verbun-
den. Wir reden jedoch blos von conventionellen Statu-
ten.
[490]1. Buch. 3. Tit.
ten. Bey ſolchen Statuten, die eine geſetzliche Auctori-
taͤt erlangt haben, iſt es freylich anders. Denn durch
dieſe werden nicht blos die Mitglieder der Gemeinde ſelbſt,
ſondern auch andere, welche in dem Bezirke, worin der
Gemeinheit die geſetzgebende Gewalt zuſtehet, ſich aufhal-
ten, verbindlich gemacht. Stadtgeſetze (ſtatuta legalia)
verbinden daher nicht nur diejenigen, welche wirklich Buͤr-
ger ſind, ſondern auch die, welche in der Stadt ihren
Wohnſitz haben, und die Vorſtaͤdter 90). Da die Befug-
niß gewiſſe Statuten zu machen, eine Gemeinheit noth-
wendig auch berechtiget, daruͤber zu halten, und gewiſſe
aͤuſſere Motive zu beſtimmen, welche die Mitglieder zur
Beobachtung derſelben antreiben koͤnnen; So kann ferner
4) einer Gemeinheit das Recht, mit der Uebertre-
tung ihrer Statuten gewiſſe Strafen zu verknuͤpfen, um
ſo weniger verſagt werden, je bekannter es iſt, daß auch
Paciscenten ſich zu einer conventional Strafe verpflichten
koͤnnen, wenn wider den Vertrag, welchen ſie geſchloſſen
haben, gehandelt werden ſollte. Nur muͤſſen dieſe Con-
ventional-Strafen freylich ſo beſchaffen ſeyn, daß
ſie mit dem Endzwecke und der Beſchaffenheit der Geſell-
ſchaft uͤbereinkommen, und hierdurch kein Eingriff in die
Majeſtaͤtsrechte geſchehe. Und dieſes Recht, gewiſſe ge-
ſellſchaftliche Strafen zu beſtimmen, ziehet auch
5) die Gewalt nach ſich, ſolche denen Uebertretern
aufzulegen, und die in dem Endzweck der Geſellſchaft ein-
ſchlagende Handlungen nach der feſtgeſetzten Regel der
Statu-
[491]de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet.
Statuten zu beurtheilen. Man will dieſes Geſellſchafts-
recht mit dem Namen einer Conventional-Ge-
richtsbarkeit belegen, doch immer nur in uneigentli-
lichen Verſtande, indem, wenn Gewalt zu brauchen noͤ-
thig iſt, die Huͤlfe der Obrigkeit angerufen werden muß.
Ein anders waͤre es, wenn einer Gemeinheit die ordentli-
che Gerichtsbarkeit als ein beſonderes Recht verliehen wor-
den. Endlich iſt
6) noch dieſes zu bemerken, das Gemeindeſchluſſe,
ſie moͤgen hernach den Schein der Billigkeit vor oder wi-
der ſich haben, ſchlechthin zu befolgen, und unter dem
Vorwand einer Unbilligkeit von einzelnen Gemeindeglie-
dern nicht umgeſtoſſen werden koͤnnen, da ſie eines Theils
einer freywilligen Zuſammentretung und Uebereinſtim-
mung der Gemeindeglieder ihren Urſprung zu danken ha-
ben, andern Theils aber auch eine Gemeinde die Ver-
muthung fuͤr ſich hat, daß ſie zu Abfaſſung eines Schluſ-
ſes aus hinlaͤnglichen Gruͤnden geſchritten ſeyn werde 91).
§. 91.
Von Errichtung der Gemeindeſchluͤſſe.
Vor allen Dingen kommt es jedoch bey der Frage,
ob Statuten guͤltig und verbindlich ſind, auf die Art
ihrer Errichtung an. Iſt dieſe durch beſondere
Grundgeſetze, oder durch Obſervanz feſtgeſetzt, ſo muß es
dabey bleiben, und die in Gemaͤßheit derſelben abgefaßte
Statuta ſind ſodann allerdings fuͤr die ganze Gemeinde
verbindlich, wenn ſie auch nicht einzeln darein gewilliget
haben ſollte. So z. B. ſtehet oft dem Stadtmagiſtrat in
den Landſtaͤdten das ius ſtatuendi vermoͤge eines landes-
herr-
[492]1. Buch. 3. Tit.
herrlichen Privilegiums, oder vermoͤge eines ausdruͤckli-
chen oder ſtillſchweigenden Vertrags mit der Buͤrgerſchaft
zu 92); und es kommt alsdann weiter auf die Obſervanz
an, ob er dieſes Recht allein, oder anders nicht als mit
Zuziehung einiger Deputirten von der Buͤrgerſchaft aus-
uͤben koͤnne 93). Im Fall nun aber wegen der Art, wie
die Statuten in einer Gemeinde zu errichten, keine be-
ſondere Einrichtung vorhanden iſt, muß die Vorſchrift des
gemeinen Rechts zur Richtſchnur genommen werden. Nach
dieſer wird nun zur geſetzmaͤſigen Errichtung der Statu-
ten folgendes erfordert:
1) Es muͤſſen alle Mitglieder der Gemeinheit, oder
des Collegiums auf die darin hergebrachte Weiſe zuſam-
men berufen werden. Auch Unmuͤndige und Minderjaͤh-
rige mit ihren Vormuͤndern. Von dieſen muͤſſen
2) wenigſtens zwey Drittel erſcheinen; und endlich
muß
3) der groͤßte Theil der Anweſenden in den Gemein-
deſchluß, oder das zu errichtende Statut einwilligen 94).
Was alſo auf ſolche Art durch die Mehrheit der
Stimmen beſchloſſen worden iſt, wird als ein einſtim-
miger Gemeindeſchluß angeſehen, welchen ſich auch die-
jenigen, die den kleinſten Theil ausmachen, gefallen laſ-
ſen muͤſſen 95). Der Vorwand, daß ihre Meinung der
mora-
[493]de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet.
moraliſchen Perſon vortheilhafter ſey, als die Meinung
der entgegengeſetzten Majoritaͤt, (vota minoris partis
ſaniora eſſe) kann weder die Ausfuͤhrung des durch die
Mehrheit der Stimmen gefaßten Schlußes hindern, noch
die Minoritaͤt berechtigen, das durch die Stimmen des
groͤſſern Theils beliebte, als von ihnen nicht beliebt, nicht zu
beobachten 96). Denn nicht zu gedenken, daß es ſchwer
zu beurtheilen, noch ſchwerer aber zu beweiſen iſt, quae
vota ſaniora ſint, ſo hat doch immer im Zweifel der groͤſ-
ſere Theil die Vermuthung fuͤr ſich 97). Sollte es an
einem oder dem andern der oben angefuͤhrten Erforder-
niſſe ermangeln, ſo verbinden ſolche Statuten nur allen-
falls diejenigen, welche darein gewilliget haben, die nicht
convocirten Mitglieder aber ſind daran nicht gebunden,
geſetzt auch, daß des Oberherrn Beſtaͤttigung dazu gekom-
men waͤre 98).
§. 92.
In welchen Faͤllen die landesherrliche Beſtaͤttigung
zur Guͤltigkeit der Statuten erforderlich ſey?
Statuten, welche auf die im vorigen Paragraph
beſchriebene Art errichtet worden, und nur die Gemeinde-
glieder vertragsweiß verbinden, beduͤrfen eigentlich an und
vor
[494]1. Buch. 3. Tit.
vor ſich, ſo wenig, als Vertraͤge, der landesherrlichen
Beſtaͤttigung zu ihrer Guͤltigkeit. Nichts deſtoweniger
aber iſt dennoch jede im Statt erlaubte Geſellſchaft auch
in Anſehung ihrer Vertrags-Statuten der oberaufſehen-
den Gewalt des Landesherrn unterworfen. Vermoͤge die-
ſer Unterwuͤrfigkeit ſind daher Gemeinheiten ſchuldig, ihre
Statuten der landesherrlichen Einſicht erforderlichen Falls
vorzulegen, um zu ſehen, ob dieſelben auch etwas, ſo de-
nen Rechten des Landesherrn und dem gemeinen Weſen
nachtheilig iſt, enthalten. Ohne landesherrliche Confir-
mation gelten indes Statuten nur als Vertraͤge99).
Sollen ſie daher eine geſetzliche Auctoritaͤt bekommen, und
auch in Anſehung anderer gelten und verbinden, die ei-
gentlich keine Mitglieder der Gemeinheit ſind; ſo iſt die
oberherrliche Beſtaͤttigung ſchlechterdings erforderlich 100).
Die-
[495]de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet.
Dieſe iſt aber auch ſodann vonnoͤthen, wenn durch die-
ſelben etwas abgeaͤndert werden ſoll, was in den Ge-
ſetzen durchaus und ſchlechterdings geboten oder verboten
iſt 1); oder ein gewiſſes Reichs- oder Landesgeſetz vor-
handen iſt, vermoͤge deſſen die Statuten einer gewiſſen
Gemeinheit anders nicht guͤltig ſeyn ſollen, als wenn ſie
von der Landes- oder wenigſtens der dazu berechtigten
Ortsobrigkeit beſtaͤtiget worden ſind 2). Daß die Be-
ſtaͤtigung ausdruͤcklich geſchehe, iſt nicht im jeden Fall
erforderlich, es kann dieſelbe auch ſtillſchweigend ertheilet
werden 3); in welchem Falle, Statuten die Natur un-
geſchriebener Geſetze haben, inſofern die Erforderniſſe
rechtlicher Gewohnheiten vorhanden ſind 4).
Zuletzt fuͤgt unſer Autor noch den richtigen Satz
hinzu, daß Statuten auf gewiſſe Art auch auſſer
dem Territorium desienigen Landesherrn, von welchem
ſie genehmiget worden ſind, ihre rechtliche Wirkung aͤuſ-
ſern koͤnnen. Es laͤuft jedoch dieſes auf diejenige Grund-
ſaͤtze hinaus, die ich ſchon oben im Titel de origine iuris
§. 74.
Gluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. J i
[496]1. Buch. 3. Tit.
§. 74. und den folgenden Paragraphen von der Col-
liſion teutſcher Particulargeſetze vorgetragen
habe. Aus dieſen ergiebt ſich,
I) daß Statuten, welche blos die Perſon ihrer Buͤr-
ger und Gemeindeglieder betreffen, ihren Zuſtand, und
die davon abhaͤngende Faͤhigkeit oder Unfaͤhigkeit zu con-
trahiren, und zu diſponiren, beſtimmen, bey denenſel-
ben, auch wenn ſie ſich auſſer Landes befinden, als Nor-
men anzuwenden ſind. Denn diejenige Qualitaͤt, welche
die Geſetze des Domiciliums einer Perſon geben, iſt uͤber-
all geltend, ſo lang dieſelbe ihren Wohnſitz nicht veraͤn-
dert. Man pflegt dergleichen Statuten ſtatuta perſonalia
zu nennen. Wer alſo nach den Statuten ſeines Wohn-
orts eine Infamie contrahirt hat, oder fuͤr Muͤndig oder
Unmuͤndig zu halten, traͤgt dieſe Eigenſchaft uͤberall mit
ſich herum. Es kann auch die den Buͤrgern und Ein-
wohnern eines Orts nach ihren Statuten anklebende
Qualitaͤt in einem fremden Lande ſogar in Anſehung derer
daſelbſt gelegenen Guͤter wirken, inſofern naͤmlich der-
ſelben kein eigenes Statut daſelbſt entgegen ſtehet. Z. B.
wenn ein Sohn oder Tochter nach denen Statuten ihres
Wohnorts ſui iuris werden, ſo genießet derſelben Vater
nicht weiter die Nutzung ihres Vermoͤgens, auch nicht
einmahl in Anſehung der unter einer fremden Landesobrig-
keit gelegenen Guͤter 5).
II) Wenn Statuten aber nur lediglich die Guͤter
der Gemeindeglieder betreffen, ohne Ruͤckſicht auf die
Perſon ihrer Beſitzer, (Statuta realia) ſo haben ſolche
zwar
[497]de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet.
zwar inſofern, als ſie ihre geſetzliche Auctoritaͤt von dem-
jenigen Landesherrn erhalten haben, in deſſen Lande die
Eigenthuͤmer derſelben wohnen, in Anſehung der auſſer-
halb Landes gelegenen Guͤter ſolcher Unterthanen keine
Wirkung; der Unterthan wird daher unſtreitig ſeine
auſſer Landes gelegene Guͤter unverletzt behalten, wenn
derſelbe auch nach dem ſtatutariſchen Recht ſeines Wohn-
orts ſein Vermoͤgen, wegen begangenen Delicts, ver-
wirkt haben ſollte 6); auch wenn ſtatuta domicilii die
Clauſel enthielten: die Guͤter moͤgen liegen, wo
ſie wollen; ſo ſind ſie dennoch auſſer Landes ohne Wir-
kung, und kann hierdurch denen Statuten des Orts, wo
dieſe Guͤter liegen, nicht derogirt werden 7). Allein
wenn ſolche Real-Statuten von der Obrigkeit desjenigen
Landes ihre legale Auctoritaͤt erhalten haben, wo die
Guͤter, welche ſie betreffen, liegen, ſo muͤſſen auch Aus-
waͤrtige (forenſes), denen dieſe Guͤter zugehoͤren, ſich
nach denenſelben richten; inſofern von deren Veraͤuſſer-
lichkeit oder Unveraͤuſſerlichkeit, Freyheit oder Belaͤſti-
gung u. dgl. die Rede iſt 8). Endlich
III) wenn Statuten eines Orts denen rechtlichen
Geſchaͤften eine gewiſſe Form vorſchreiben, dergleichen
man ſtatuta mixta zu nennen pflegt, oder ſonſt eine Hand-
J i 2lung
[498]1. Buch. 3. Tit.
lung fuͤr erlaubt und guͤltig erklaͤren, ſo muͤſſen derglei-
chen Handlungen, die in Gemaͤßheit derſelben an dem
Orte vorgenommen worden ſind, auch auswaͤrts fuͤr
guͤltig und rechtsbeſtaͤndig angeſehen werden, (S. 280.
n. 2.) ſo wie es denn auch umgekehrt eben ſo richtig iſt,
daß ein Geſchaͤft, welches die Erforderniſſe nicht hat, die
es nach den Statuten des Orts, wo es vorgenommen
worden, haben muͤßte, mithin in ſeiner Entſtehung feh-
lerhaft und zu Recht nicht beſtaͤndig iſt, auch nirgend
anderswo von einigem Werthe und Guͤltigkeit ſeyn koͤn-
ne 9). Betrifft jedoch die Handlung zugleich Guͤter, die
auſſer Landes liegen, ſo muͤſſen auch die in loco rei
ſitae geltende Statuten befolget werden, wenn daſelbſt
die Handlung als guͤltig anerkannt werden ſoll; es waͤre
denn, daß dieſelben nicht ſchlechterdings gebietend waͤren,
ſondern nur hypothetiſch diſponirten 10). Daher es
z. B. keinen Zweifel hat, daß wenn Eheleute nach den
Statuten ihres Wohnorts eine allgemeine Guͤtergemein-
ſchaft, es ſey nun durch einen ausdruͤcklichen oder ſtill-
ſchweigenden Vertrag, mit einander errichtet, dieſelbe
ſich auch auf die auſſer Landes belegene Guͤter allerdings
erſtrecke 11).
§. 93.
[499]de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet.
§. 93.
Von der Veraͤnderung poſitiver Geſetze.
Poſitive Geſetze koͤnnen auf mancherley Art, und
aus verſchiedenen Urſachen ihre Kraft verliehren. Hier-
von muß nun noch kuͤrzlich gehandelt werden.
I) Kann der Geſetzgeber ſelbſt entweder ausdruͤcklich
oder ſtillſchweigend erklaͤren, daß das Geſetz nicht mehr
gelten ſolle. Denn von ſeinem Willen haͤngt die Guͤltig-
keit deſſelben ab; und wenn auch dem Geſetz die Clauſel:
daß es auf immer gelten, und nie wieder ge-
aͤndert oder gar aufgehoben werden ſolle,
waͤre angehaͤnget worden 12); ſo kann doch dadurch die
Macht des Geſetzgebers im mindeſten nicht eingeſchraͤnkt
werden, inſofern er nicht etwa vermittelſt eines Vertra-
ges ſolches verſprochen haͤtte 13). Der Geſetzgeber hebt
nun entweder das ganze Geſetz ſchlechthin auf, dies heißt
in der Sprache der Geſetze, lex abrogatur; oder er ver-
ordnet etwas anders, ſo einem vorhergehenden Geſetz ge-
rade entgegen iſt, — legi obrogatur; oder es wird ein
vorhergehendes Geſetz durch ein nachher erfolgtes neues
Geſetz nur in einem gewiſſen Puncte abgeaͤndert, —
legi derogatur ſeu exrogatur; oder es wird einem Geſetze
noch etwas neues hinzugefuͤgt, und ſolches mit einem
neuen Anhange vermehrt, — legi ſubrogatur14). Wenn
J i 3nun
[500]1. Buch. 3. Tit.
nun gleich der Regel nach das neuere Geſetz das aͤltere
aufhebt 15); ſo leidet doch dieſe Regel alsdann unſtreitig
eine Ausnahme, wenn das aͤltere Geſetz ein beſon-
deres Geſetz, Statut, oder Privilegium iſt 16); weil
im Zweifel nie zu vermuthen, daß der Geſetzgeber jene
beſondere Verordnung habe aufheben wollen, wenn er
ſolches nicht deutlich erklaͤret hat 17). Es wird alſo in
dieſem Falle die neuere gemeine, und die aͤltere be-
ſondere Verordnung nach eben dem Verhaͤltniſſe, wie
Regel und Ausnahme, zu beurtheilen ſeyn. (S. 406.
und folg.)
Auch
[501]de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet.
Auch durch den ſtillſchweigenden Willen des Geſetz-
gebers kann ein Geſetz ſeine Guͤltigkeit verliehren, indem
derſelbe eine dem Geſetz entgegenſtehende Gewohnheit auf-
kommen laͤſſet. Daß durch ein Gewohnheitsrecht ein
aͤlteres Geſetz aufgehoben werden koͤnne, hat uͤberhaupt
keinen Zweifel, denn eine legale Gewohnheit hat mit
einem geſchriebenen Geſetz gleiche Kraft und Wirkung.
(S. 478.) So gut alſo durch ein neues geſchriebenes
Geſetz ein aͤlteres aufgehoben werden kann, eben ſo gut
kann dies auch durch eine Gewohnheit geſchehen. Es
beſtaͤtigen dieſes auch deutliche Geſetzſtellen 18), und nie
wuͤrde wohl deshalb ein Zweifel entſtanden ſeyn, wenn
nicht die Mißdeutung eines gewiſſen Geſetzes im Juſti-
nianiſchen Codex eine Veranlaſſung dazu gegeben haͤtte.
Es iſt die L. 2. C. quae ſit longa conſuet. welche folgender-
geſtalt lautet:
Conſuetudinis uſusque longaevi non vilis aucto-
ritas eſt: verum non usque adeo ſui valitura momen-
to, ut aut rationem vincat, aut legem.
Ich will mich nicht auf die verſchiedenen Erklaͤrun-
gen der Rechtsgelehrten einlaſſen, ſondern meine Leſer
deshalb auf die unten angezeigten Schriften verwei-
ſen 19). So viel iſt aber gewiß, daß jenes Geſetz unſerer
J i 4obigen
[502]1. Buch. 3. Tit.
obigen Behauptung keineswegs zuwider ſey. Die L. 2.
iſt ein kaiſerliches Reſcript, alſo auf eine ergangene An-
frage, ohne Zweifel eben desjenigen Proculus, er-
laſſen worden, an welchen das Reſcript gerichtet iſt.
Man muthmaſſet, dieſer Proculus, Proconſul Afri-
cae, auch wohl vielleicht noch Heide, habe bey der Gele-
genheit, da er vom K. Conſtantin einige mandata
erhalten, worinn derſelbe maches in der alten Religion
der Roͤmer reformiret, und das Volk ſich auf altes Her-
kommen und Gebrauch berufen, deshalb Bericht an den
Kaiſer erſtattet, vielleicht in dem Tone, in welchem
Symmachus, auch zu Gunſten der heidniſchen Reli-
gion, an die Kaiſere Valentinian, Theodoſius und Ar-
cadius ſchrieb 20). Iſt dieſes richtig, ſo war hier gar
nicht die Frage, ob ein aͤlteres Geſetz durch eine neuere
rechtliche Gewohnheit aufgehoben werden koͤnne? ſondern
von dem umgekehrten Falle die Rede. Der Sinn des
Reſcripts iſt alſo vielmehr dieſer; wenn gleich ſonſt
eine alte Gewohnheit oder Gebrauch keine
geringe Auctoritaͤt hat, ſo iſt doch dieſelbe
nicht von einem ſolchen Gewicht, daß ſie ge-
gen die Vernunft, und die geſetzliche San-
ction etwas gelten koͤnne, wodurch jene Ge-
wohn-
19)
[503]de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet.
wohnheit, als vernunftwidrig, iſt aufge-
hoben worden21).
II) Koͤnnen poſitive Geſetze unterweilen ſelbſt aus
Nothwendigkeit ihre Guͤltigkeit verliehren, wenn
die Umſtaͤnde ſich gaͤnzlich geaͤndert haben, unter welchen
ein gewiſſes Geſetz gegeben worden iſt, ſo daß es nun
ſchlechterdings keine Anwendung mehr finden kann 22).
Denn ſo gewiß es iſt, daß das Syſtem eines Staats
und die Sitten eines Volks auf die Geſetzgebung ſelbſt
einen wichtigen Einfluß haben, ſo gewiß iſt es auch, daß
die Veraͤnderungen des Staatsſyſtems und der Sitten
eine Veraͤnderung der Geſetze nach ſich ziehen muͤſſen 23).
Geſetze koͤnnen daher nicht mehr gelten
1) wenn der Gegenſtand, nehmlich die Perſonen oder
Sachen, von denen dieſelben reden, jetzt nicht mehr vor-
handen ſind; oder
J i 52) die-
[504]1. Buch. 3. Tit.
2) diejenige weſentliche Eigenſchaft der Perſon oder
Sache, von welcher das Geſetz redet, veraͤndert worden
iſt, worauf die Sanction deſſelben, als ihrem Haupt-
grunde beruhete. Gleichwie denn auch
3) keinem Zweifel unterworfen, daß wenn der
Hauptzweck eines Geſetzes aufhoͤrt, nothwendig
auch deſſen Verbindlichkeit ein Ende haben muͤſſe. Auf
den Nebenzweck, ohne welchen die Guͤltigkeit des Geſetzes
doch beſtehen kann, darf alſo keine Ruͤckſicht genommen
werden. Ueberhaupt iſt zu bemerken: wenn und in-
ſoferne auch bey veraͤnderten Umſtaͤnden das
Geſetz doch noch angewendet werden kann,
ſo bleibt es inſofern guͤltig. Man vergleiche
hierbey, was oben in dem Tit. de origine iuris §. 58. von
dem heurigen Gebrauch des roͤmiſchen Rechts geſagt wor-
den iſt; die daſelbſt angefuͤhrten Beyſpiele koͤnnen auch
hier zur Erlaͤuterung dienen.
Zuletzt bemerkt unſer Autor noch, daß durch den
bloſen Nichtgebrauch (per ſolum non uſum) ein
Geſetz ſeine Kraft und Guͤltigkeit keinesweges verliehre;
welches auch ſeine Richtigkeit hat, weil das Geſetz ſeine
Kraft durch die Promulgation, nicht aber durch die Be-
obachtung (per obſervantiam) erhaͤlt 24). Waͤre je-
doch bey vorkommenden Faͤllen ein gewiſſes Geſetz ſchon
lange nicht mehr befolget worden, da doch genugſame
Gelegenheit zur Anwendung deſſelben vorhanden geweſen,
und der Geſetzgeber haͤtte dieſen Nichtgebrauch geſchehen
laſſen, ohne auf die Beobachtung des Geſetzes zu drin-
gen, ſo kann durch eine ſolche Entwoͤhnung ein Geſetz
aller-
[505]de Legibus, Senatusconſultis et longa conſuet.
allerdings aufgehoben werden. Nur muß die ſpecielle
Einwilligung des Geſetzgebers erwieſen werden koͤnnen.
Unter dieſer Vorausſetzung koͤnnen ſogar auch Straf-
geſetzeper deſuetudinem ihre Guͤltigkeit verliehren 25).
Daß der Nichtgebrauch des Geſetzes durch gerichtliche
Erkaͤnntniſſe muͤſſe beſtaͤtiget worden ſeyn, wie Leyſer26)
und mit ihm die Gebruͤdere Becmann27) dafuͤr hal-
ten wollen, iſt nicht immer erforderlich, ſo wie auch ſchon
andere gegen Leyſer gruͤndlich erinnert haben 28).
Lib. I. Tit. IV.
De
Conſtitutionibus Principum.
§. 94. und 95.
Entwickelung der roͤmiſchen und heutigen Begriffe von Conſti-
tutionen der Regenten.
Unter den ſo verſchiedenen Geſetzgattungen der Roͤ-
mer zeichnet ſich nun noch vorzuͤglich durch Reichhal-
tigkeit an Rechtsprincipien, ſo durch dieſelbe eingefuͤhrt
worden ſind, diejenige aus, welche uns unter dem Na-
men Conſtitutiones Principum die Fragmente dieſes Titels
kennen lernen 29). Die Roͤmer legten dieſen Namen
denen-
[506]1. Buch. 4. Tit.
denenjenigen Verordnungen bey, welche die roͤmiſchen
Kaiſere ſelbſt und in Kraft der ihnen durch die Legem
regiam uͤbertragenen hoͤchſten Staatsgewalt 30), mithin
ohne Zuziehung des Senats und Volks 31), an ihre
Unterthanen ergehen lieſſen, und welche alſo blos darum,
weil es der Kaiſer wollte, das Volk, als Geſetze, ver-
banden. Solche Verordnungen publicirten nun die Kai-
ſer entweder aus eigner Bewegung, oder auf das Ver-
langen ihrer Unterthanen; zur erſtern Claſſe gehoͤrten
die kaiſerlichen Edicte und Mandate; zur letztern
aber die kaiſerlichen Reſcripte und Decrete.
Edicte
[507]de Conſtitutionibus Principum.
Edicte wurden die allgemeinen kaiſerlichen Ver-
ordnungen genennt, welche entweder alle Unterthanen des
ganzen roͤmiſchen Reichs, oder einen Theil derſelben z. B.
eine ganze Provinz angiengen 32). Enthielten dieſel-
ben die Entſcheidung einer ſtreitigen Rechtsmeinung, ſo
hieſſen ſie Deciſionen, z. B. die 50 Deciſionen des
K. Juſtinians. Enthielten ſie aber ſonſt ein neues Recht,
ſo wurden ſie im eigentlichen VerſtandeEdicte
genennt.
Mandate wurden an die Gouverneurs der Pro-
vinzen und andere roͤmiſche Magiſtratsperſonen erlaſſen,
und es waren ihnen darinn die Grenzen ihrer Amtsge-
walt und Gerichtsbarkeit vorgezeichnet 33). Von dieſen
waren Epiſtalmata, oder Epitagmata verſchieden, denn
dieſe waren kaiſerliche Ordres, worinnen einem Miniſter
oder andern kaiſerlichen Bedienten die Beſorgung eines
dem Kaiſer ſelbſt betreffenden Geſchaͤfts aufgetragen
wurde 34).
Reſcripte
[508]1. Buch. 4. Tit.
Reſcripte hießen kaiſerliche Antwortsſchreiben,
welche auf eingereichte Bittſchriften, oder geſchehene An-
frage und erſtatteten Bericht ſolcher Unterthanen ergien-
gen, die ſich in einem zweydeutigen oder ſchwierigen
Rechtsfall, oder in einem andern Anliegen an den Mo-
narchen gewandt hatten 35). Selbige waren von dreyer-
ley Art. 1) Solche, welche auf die Suppliken einzelner
Privatperſonen erlaſſen wurden; dieſe hießen Reſcripte
im engern Verſtande. Schrieben die Kaiſer gleich
ſelbſt und mit eigner Hand die Reſolution unter die
Supplik, ſo wurden ſelbige Adnotationes oder Subnota-
tiones36) genennt; andere hingegen, welche nur von dem
kaiſer-
[509]de Conſtitutionibus Principum.
kaiſerlichen Cabinetsſecretair (Promagiſter, Magiſter Scri-
niorum) ausgefertiget und unterſchrieben wurden, hießen
reſcripta ſimplicia37). 2) Solche, die an Magiſtrats-
perſonen auf deren erſtattete Berichte ergiengen; dieſe
wurden Epiſtolae38) genennt. Endlich 3) ſolche Re-
ſcripte, welche auf die Vorſtellung einer ganzen Gemein-
heit, einer Provinz, oder Stadt, oder eines andern Colle-
giums in einer oͤffentlichen Angelegenheit ergiengen; dieſe
wurden Sanctiones oder Iuſſiones pragmaticae39) genennt.
Kaiſerliche Decrete40) waren Urtheile, welche die
Kaiſere in ihrem Tribunal (Auditorium Principis) 41)
nach
36)
[510]1. Buch. 4. Tit.
nach vorhergegangener genauen Unterſuchung des ſtreiti-
gen Rechtshandels 42), und desfalls gemeinſchaftlich mit
ihren Gerichtsraͤthen und Beyſitzern gepflogenen Erwaͤ-
gung ſelbſt bekannt machten 43). War der Proceß zum
End-
41)
[511]de Conſtitutionibus Principum.
Endurtheil noch nicht reif, ſondern kam es noch auf wei-
tere Eroͤrterung eines Punctes an, wovon die Entſchei-
dung der Hauptſache abhieng, oder war ſonſt nur ein
Nebenpunct des obſchwebenden Rechtsſtreits durch das
kaiſerliche Erkaͤnntniß decidiret worden, ſo hieß ſolches
Interlocutio Principis44). Durch dieſe Begriffe erhalten
nun die Worte Ulpians45) ihr Licht, wenn dieſer ſagt:
Quodcunque igitur Imperator perepistolametsubscri-
ptionemſtatuit, vel cognoſcensdecrevit, vel de plano
interlocutuseſt, veledictopraecepit: legem eſſe con-
ſtat. Hae ſunt, quas vulgoconstitutionesappella-
mus. Zuletzt muß ich noch einer Eintheilung der kaiſer-
lichen Verordnungen gedenken, deren Ulpian46) in fol-
genden Worten Erwaͤhnung thut: Plane ex his quaedam
ſuntPersonales, nec ad exemplum trahuntur. Nam
quod Princeps alicui ob merita indulſit, vel ſi quam poe-
nam irrogavit, vel ſi cui ſine exemplo ſubuenit: perſonam
non egreditur. Dieſemnach ſind alſo die Conſtitutiones
Principum entweder generales oder ſpeciales ſ. perſonales47).
Erſtere werden diejenigen genennt, welche eine gemeine
Regel fuͤr alle enthalten; letztere hingegen, welche eine
Ausnahme von der allgemeinen Vorſchrift der Geſe-
tze in Anſehung einzelner Perſonen enthalten; es ſey
nun,
Gluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. K k
[512]1. Buch. 4. Tit.
nun, daß entweder dieſe Ausnahme zu Gunſten derſel-
ben und auf eine fuͤr ſie vortheilhafte Weiſe, (conſtitutio-
nes favorabiles) oder auf eine gehaͤßige Art gemacht wor-
den, indem eine haͤrtere Strafe in einem Falle dictiret
worden, als die Geſetze ſonſt in demſelben beſtimmt ha-
ben (conſtitutiones odioſae) 48). Aus dem Zuſammenhang
der ganzen Stelle des Ulpians ſiehet man, daß er die
oben gedachten Arten der kaiſerlichen Conſtitutionen und
alſo auch die Reſcripta und Decreta Principum zu den
generellen Conſtitutionen rechne, dieſes ließ ſich jedoch vor
Juſtinians Zeiten anders nicht annehmen, als wenn die
Kaiſer ihren Decreten oder Reſcripten die clauſulam
Edicti inſerirt hatten 49), ſonſt machten ſie nur ein Recht
unter
[513]de Conſtitutionibus Principum.
unter den Partheyen, wenn ſie nicht etwa hernach durch
die beſtaͤndige Anwendung in aͤhnlichen Faͤllen die Kraft
eines allgemeinen und beſtaͤndigen Gewohnheitsrechts er-
halten hatten 50). Ich werde hiervon beym folgenden
§. 96. noch etwas umſtaͤndlicher zu handeln, Gelegenheit
haben.
Heutiges Tages giebt es nun zwar auch eben ſo
mancherley Gattungen landesherrlicher Verord-
nungen51), als es bey den Roͤmern kaiſerliche gab;
inzwiſchen werden doch oft mit den roͤmiſchen Benennun-
gen ganz andere Begriffe verbunden. Ich werde dieſes
gleich naͤher zeigen. Unter einer landesherrlichen
Verordnung verſtehet man heutiges Tages uͤberhaupt
nichts anders als die ausdruͤckliche Willenserklaͤrung eines
Landesherrn, wodurch derſelbe in Anſehung ſeiner Unter-
thanen etwas verfuͤgt, was geſchehen oder nicht geſchehen
ſoll. Eine ſolche Verordnung ſoll nun entweder nach der
erſten und fuͤrnehmſten Abſicht des Landesherrn alle Un-
terthanen deſſelben angehen, oder nicht. Im erſten Fall
wird ſie eine allgemeine, im zweyten aber eine be-
ſondere landesherrliche Verordnung genennt. Die
allgemeinen landesherrlichen Verordnungen heißen heu-
tiges Tages uͤberhaupt Edicte, in einigen Laͤndern aber
K k 2auch
49)
[514]1. Buch. 4. Tit.
auch Mandate. Reſcripte aber werden h. z. T.
nicht nur die auf Veranlaſſung, z. B. auf vorhergehen-
de Vorſtellung eines Supplicanten, oder erſtatteten Be-
richt eines Beamten, ſondern auch aus eigner Bewegniß
an gewiſſe Perſonen erlaſſene landesherrliche Verordnun-
gen genennet 52). Ja was noch mehr iſt, es werden
ſogar unter Reſcripten auch nur ſolche Schreiben ver-
ſtanden, welche nach gewiſſen Curialien von einem Ober-
Collegium an den Unterrichter in buͤrgerlichen oder pein-
lichen Juſtizſachen zu des leztern Nachachtung ergehen.
Und dieſe ſind entweder bloſe Schreiben um Bericht-
Erſtattung (reſcripta informativa) oder ſolche, welche auf
Juſtizbeſchleunigung abzielen, (promotorialia) oder ſolche,
wodurch eine Sache wegen Juſtizverzoͤgerung, oder den
Verdacht einer Partheylichkeit abgefordert wird, (avoca-
toria) u. d. m. 53). Landesherrliche Reſcripte
aber werden in Gemaͤßheit des canoniſchen Rechts in
Gnaden- (reſcripta gratiae) und Juſtizreſcripte
(reſcripta iuſtitiae) eingetheilt, je nachdem dadurch vom
Landesherrn entweder eine Gnade, z. B. eine Verſor-
gung, oder Anwartſchaft, oder eine Befreyung und Loß-
zaͤhlung, oder ſonſt dergleichen verliehen wird, oder aber
in einer ſtreitigen Rechtsſache beſtimmt wird, was
nach dem ordentlichen Rechtslauf in derſelben geſchehen
ſoll. Der Unterſchied zwiſchen beyden Arten landesherr-
licher Reſcripte iſt nach canoniſchen Rechten von großer
Wich-
[515]de Conſtitutionibus Principum.
Wichtigkeit. Denn Gnadenreſcripte erhalten ihre
Wirkung gleich von dem Tage ihrer Ausfertigung (a
tempore datae) an; Juſtizreſcripte aber erſt von
der Zeit an, da ſie dem Richter vorgezeiget worden ſind
(a tempore inſinuationis) 54). Und zwar ſollen leztere
nach der Vorſchrift des canoniſchen Rechts laͤngſtens
innerhalb eines Jahres von dem Impetranten vor-
gezeiger werden, nachdem derſelbe Gelegenheit dazu bey
dem Richter gehabt hat 55). Iſt ſolches aus Gefaͤhrde
oder nur aus Nachlaͤßigkeit unterlaſſen worden, ſo gilt
das Reſcript nichts mehr gegen ein neueres, welches der
Gegner unterdeſſen ausgewirkt hat. Es verſtehet ſich
alſo, daß wenn kein gegenſeitiges anderes Reſcript er-
folgt iſt, das erſtere auch noch nach einem Jahre ſeine
Guͤltigkeit behalten werde 56).
Die Benennung einer pragmatiſchen San-
ction kommt heutiges Tages im roͤmiſchen Sinn gar
nicht mehr vor; ſondern man verſtehet vielmehr darunter
ein ſchriftlich errichtetes Fundamentalgeſetz, welches den
oͤffentlichen Zuſtand und Verfaſſung eines Landes oder
K k 3Reichs
[516]1. Buch. 4. Tit.
Reichs betrift, und mit Einwilligung der Staͤnde deſſel-
ben dergeſtalt gegeben worden iſt, daß es eine beſtaͤndige
Guͤltigkeit haben ſolle. 57). Auch faͤllt der Unterſchied
unter Adnotationen und bloſen Reſcripten heut
zu Tage von ſelbſt weg. Dagegen aber pflegen die an
hohe Landescollegia oder andere Juſtizbeamte ergehende
Reſcripte unterweilen Fuͤrſtliche Ausſchreiben ge-
nennt zu werden.
Endlich Decrete koͤnnen zwar auch noch heutiges
Tages in der roͤmiſchen Bedeutung vorkommen, nur duͤr-
fen nicht die Urtheilsſpruͤche der hoͤchſten Juſtiz-Collegien
damit verwechſelt werden; denn zwiſchen dieſen und den
Sentenzen oder Entſcheidungen des Landesherrn iſt ein
großer Unterſchied. Was der Landesherr nach geſchehener
Unterſuchung des vorgegangenen Rechtshandels ſelbſt ent-
ſcheidet, macht nicht blos ein Recht unter den Partheyen,
ſondern wird auch fuͤr aͤhnliche Faͤlle ein Geſetz 58). Allein
dieſe geſetzgebende Gewalt ſtehet ſelbſt denen hoͤchſten Ju-
ſtizcollegien im Lande nicht zu 59). Landesherrliche De-
crete muͤſſen alſo nicht blos im Namen des Landesherrn
abgefaßt, ſondern von ihm ſelbſt ertheilet, und unter-
ſchrieben worden ſeyn 60). Indeſſen pflegen auch heutiges
Tages nicht ſelten unter Decreten landesherrliche Be-
fehle verſtanden zu werden, wodurch Jemanden ein oͤffent-
liches Amt ertheilet wird.
§. 96.
[517]de Conſtitutionibus Principum.
§. 96.
Von der Verbindungskraft landesherrlicher Edicte, Decrete
und Reſcripte.
Was haben denn nun aber Edicte, Re-
ſcripte und Decrete der Regenten fuͤr ein
Anſehen? Sind ſelbige ohne Unterſchied als allge-
meine Geſetze zu betrachten, dergeſtalt, daß auch die
landesherrlichen Decrete und Reſcripte in allen aͤhn-
lichen Faͤllen wieder angewendet werden muͤſſen? oder iſt
nicht wenigſtens in Anſehung dieſer eine Ausnahme zu
machen? Wir muͤſſen einen Unterſchied machen. Soviel
I) die landesherrlichen Edicte anbetrift, ſo ſind
dieſe ohnſtreitig fuͤr alle Unterthanen verbindlich;
in ſo fern ſie auf die gehoͤrige Art bekannt gemacht wor-
den ſind. Der Grund hiervon iſt nicht, wie der Autor
meint, weil ſie ein ganz neues Recht enthal-
ten; Nein; die Faͤlle ſind ja nicht ſelten, daß unſere
Landesherren durch ihre Edicte nur ſchon vorhandene be-
ſtaͤttigen oder erlaͤutern; ſondern der wahre Grund
der allgemeinen Verbindungskraft landesherrlicher Edicte
liegt in den Willen des Landesherrn ſelbſt. Denn
Edicte werden ja lediglich in dieſer Abſicht bekannt ge-
macht, daß ſie alle Unterthanen des Geſetzgebers verbin-
den ſollen. Auch nach roͤmiſchen Rechten hat dieß ſo
wenig Zweifel, daß ſogar Verordnungen, welche ſonſt
nur ein Recht unter den Partheyen machten, dadurch
das Anſehen allgemeiner Geſetze erhielten, wenn denen-
ſelben die clauſula Edicti inſerirt worden 61). Was
aber
K k 4II) die
[518]1. Buch. 4. Tit.
II) die Decreta Principum anbelangt, ſo haben ſol-
che bey den Roͤmern nicht immer einerley Wirkung ge-
habt. Denn vor Juſtinians Zeiten machten dieſelben in
der Regel nur ein Recht unter den ſtreitenden Partheyen,
wenn nicht die Kaiſere ausdruͤcklich erklaͤrt hatten, daß
ſolche auch in aͤhnlichen Faͤllen zur Entſcheidung dienen
ſollten. Hieraus laͤſſet ſich erklaͤren, warum die roͤmi-
ſchen Rechtsgelehrten die kaiſerlichen Decrete nur immer
illuſtrationis cauſſa und zuletzt anzufuͤhren pflegten, wenn
ſie ihren Satz oder Meinung ſchon genugſam durch an-
dere, manchmal ſehr weit und muͤhſam herbeygeholte
Gruͤnde unterſtuͤtzt zu haben glaubten 62). Ja wir fin-
den Beyſpiele in den Pandecten, daß zuweilen die roͤmi-
ſchen Rechtsgelehrten Meinungen gehegt haben, die den
ausdruͤcklichen kaiſerlichen Decreten entgegen waren, und
zwar mit den Effect, daß man ſelbſt in den Gerichten je-
ne Meinungen denen Decreten der Kaiſer vorgezogen
hat 63). Selbſt die roͤmiſchen Kaiſer vor Juſtinian woll-
ten nicht, daß ihre Decrete als allgemeine Geſetze gelten
ſollten. Hiervon uͤberzeugt uns die bekannte Verordnung
der Kaiſer Theodoſius und Valentinian64), in
welcher es heißt: Quae ex relationibus vel ſuggeſtio-
nibus
61)
[519]de Conſtitutionibus Principum.
nibus iudicantium, vel conſultatione65)in commune flo-
rentiſſimorum ſacri noſtri palatii procerum auditorium intro-
ducto negotio ſtatuimus, — nec generalia iura ſint, ſed
leges faciant his duntaxat negotiis atque perſonis, pro quibus
fuerint promulgata66). Und gerade daſſelbe muͤſſen wir
III) aus den naͤmlichen Gruͤnden auch von den kai-
ſerlichen Reſcripten vor Juſtinians Zeiten ſagen. Es
erhellet dieſes auch vorzuͤglich aus einer Verordnung der
Kaiſere Arcadius und Honorius vom Jahr Chri-
ſti 498 67), welche folgender Geſtalt lautet: Reſcripta ad
conſultationem emiſſa vel emittenda in futurum iis tantum
negotiis opitulentur, quibus effuſa docebuntur. Daher ſich
erklaͤren laͤſſet, warum die Kaiſere ſo oft eben daſſelbe re-
ſcribirt haben 68). Allein Juſtinian hat dieſes geaͤn-
K k 5dert,
[520]1. Buch. 4. Tit.
dert, und in der L. 12. Cod. de LL. et Conſtitut. beyden,
denen Decreten wie den Reſcripten, ein allgemei-
nes geſetzliches Anſehen beygelegt. Ich will nur einige
Stellen aus dieſer Verordnung Juſtinians excerpiren.
Gleich Anfangs heißt es: Si imperialis maieſtas cauſam
cognitionaliter examinaverit, et partibus cominus
conſtitutis ſententiam dixerit: omnes omnino iudi-
ces, qui ſub noſtro imperio ſunt, ſciant, hanc eſſe
legem non ſolum illi cauſae, pro qua producta eſt,
ſed et omnibus ſimilibus. Quid enim maius, quid
ſanctius Imperiali eſt maieſtate? vel quis tantae ſu-
perbiae faſtidio tumidus eſt, ut regalem ſenſum con-
temnat: cum et veteris iuris conditores conſtitutio-
nes, quae ex imperiali decreto proceſſerunt, legis
vim obtinere, aperte dilucideque definiant?69) Hier
iſt nun zwar blos die Rede von den kaiſerlichen Decre-
ten, allein daß Juſtinians Intention ſich auch auf die
Reſcripte gleichermaßen erſtrecke, ergiebt ſich aus den
nachfolgenden Worten. Definimus autem, omnem Im-
peratorum legum interpretationem, ſive in precibus,
ſive in iudiciis, ſive alio quocunque modo factam,
ratam
68)
[521]de Conſtitutionibus Principum.
ratam et indubitatam haberi. Sollen jedoch Decrete
und Reſcripte nach dieſer Verordnung des Juſtinians eine
allgemeine geſetzliche Verbindungskraft haben, ſo wird
nach den ausdruͤcklichen Worten derſelben erfordert, daß
ſelbige eine zweifelhafte und ſtreitige Rechtsfrage ent-
ſcheiden muͤſſen. Denn die eine bloſe quaeſtionem facti
entſcheiden, z. B. ob der Beweis fuͤr vollfuͤhrt zu halten,
welcher dem Klaͤger oder dem Beklagten aufgelegt wor-
den? oder ob die ergriffene Appellation fuͤr deſert zu er-
klaͤren? koͤnnen ihrer Natur nach nicht die Wirkung ei-
nes gemeinen Rechts hervorbringen 70). So weit vom
roͤmiſchen Rechte; und ich glaube, durch den eingeſchla-
genen Weg der hiſtoriſchen Darſtellung haben wir alle
die Schwierigkeiten gluͤcklich vermieden, die andere hier-
bey gefunden, welche zwiſchen die L. 2. 3. und 12. Cod.
de Legibus eine Vereinigung zu treffen gemeinet ha-
ben 71). Die Frage iſt nur noch, ob jene Vorſchrift
des juſti nianiſchen Rechts noch heutiges Tages anwend-
bar ſey? Die Rechtsgelehrten ſind deshalb nicht einer-
ley Meinung. Huber72) ſcheint es zu verneinen; al-
lein
[522]1. Buch. 4. Tit.
lein ohne einen uͤberzeugenden Grund, wie ſchon Rein-
harth, der ihn gruͤndlich widerlegt, gezeigt hat 73).
Nur aber iſt freylich auch heutiges Tages immer die con-
ditio ſine qua non, daß das landesherrliche Reſcript
oder Decret, welches dem Richter in aͤhnlichen Faͤllen
zur geſetzlichen Norm dienen ſoll, eine ſtreitige
Rechtsfrage entſchiede, oder ein dunkeles und
zweifelhaftes Geſetz erklaͤre, und dabey allen, wo
nicht Unterthanen, doch wenigſtens Richtern zur Nach-
achtung gehoͤrig bekannt gemacht worden ſey 74). Fuͤrſt-
liche Machtſpruͤche75) hingegen kann man auch heutiges
Tages ſo wenig als bloſe Gnadenreſcripte in aͤhn-
lichen Faͤllen zum Muſter nehmen. Eben dieſes findet
ſtatt, wenn der Landesherr, nicht als Geſetzgeber, ſon-
dern nur als oberſter Richter ſeines Landes in einer
an ihn gebrachten Proceßſache, nach vorhergegangener
vollſtaͤndigen Unterſuchung derſelben, ein Decret oder Re-
ſcript ertheilet hat, welches nach ſeinem Willen, und nach
der Beſchaffenheit der Sache, nur ein Recht unter den
ſtreitenden Partheyen machen ſoll 76). Solche Decrete
und
[523]de Conſtitutionibus Principum.
und Deciſiv Reſcripte werden alsdann, wie Urthei-
le, angeſehen, und koͤnnen, wie dieſe, die Rechtskraft
beſchreiten 77), dahero derjenigen Parthey, welche damit
nicht zufrieden iſt, obliegt, binnen zehen Tagen Vorſtel-
lung darwider zu thun, und dieſerhalb ihre Nothdurft
entweder bey dem Richter, an welchen das Decret oder
Reſcript ergangen iſt, anzubringen, und um Berichter-
ſtattung an den Landesherrn zu bitten, oder ſich mit ih-
rer Vorſtellung unmittelbar an den Landesherrn ſelbſt zu
wenden 78).
§. 97.
Form und Guͤltigkeit landesherrlicher Reſcripte und Rechtsmittel
gegen deren Erſchleichung.
Sollen jedoch Reſcripte guͤltig ſeyn, ſo wird hier-
zu folgendes erfordert.
I) Sie muͤſſen entweder vom Landesherrn ſelbſt un-
terſchrieben, oder wenigſtens auf deſſen Befehl von ei-
nem Miniſter, oder dem Cabinets-Secretair unterzeich-
net worden, und mit dem landesherrlichen Siegel verſe-
hen ſeyn 79).
II) Sie
[524]1. Buch. 4. Tit.
II) Sie muͤſſen das Datum in der Unterſchrift ent-
halten. Nach den Worten eines gewiſſen Geſetzes in dem
verbeſſerten Codex des Kaiſer Juſtinians, ſollen zwar nur
beneficia perſonalia, das heißt, Gnadenreſcripte, ſine die
et Conſule nich gelten 80). Allein auch bey Juſtizre-
ſcripten kommt ſehr viel auf das Datum an, um zu beur-
theilen, welches unter mehreren Reſcripten dem andern
vorgehe; andere Urſachen zu geſchweigen, weshalb die
Bemerkung der Zeit, wenn ein Reſcript erlaſſen worden,
in jedem Falle erforderlich iſt 81).
III) Duͤrfen Reſcripte auch nicht dem oͤffentlichen
Wohl des Staats, noch dem auf eine rechtmaͤſige Art
ſchon erworbenen Recht eines Andern zuwider ſeyn 82).
Der Landesherr kann daher nicht die Fortſetzung eines
Streits, der ſchon durch einen rechtsguͤltigen Transact
gehoben iſt, durch ein Reſcript erlauben 83); oder Je-
manden durch ein Reſcript ein Recht ertheilen, was ihm
ſchon durch ein rechtskraͤftiges Urtheil iſt abgeſprochen
wor-
79)
[525]de Conſtitutionibus Principum.
worden; es muͤßte den etwa die Wohlfahrt des Staats
ſolches erheiſchen. Denn wenn die Wohlfahrt des Gan-
zen mit dem Wohl eines einzelnen Buͤrgers in Colliſion
kommt, ſo kann der Landesherr ohne Zweifel einer Privat-
perſon auch ihre wohlerworbenen Rechte, jedoch nur un-
ter Vorausſetzung einer andern hinlaͤngli-
chen Entſchaͤdigung, nehmen 84). Endlich wird nun
noch
IV) zur Guͤltigkeit der Reſcripte nothwendig erfor-
dert, daß in dem Bericht, oder der Supplik, wodurch
das Reſcript iſt ausgewirkt worden, die Sache der Wahr-
heit gemaͤß dem Landesherrn muͤſſe vorgetragen worden
ſeyn. Denn in der vorausgegangenen Vorſtellung liegt
ja der Grund des ganzen Reſcripts, ſind nun alſo dem
Landesherrn die wahren Umſtaͤnde der Sache verſchwiegen,
und dagegen falſche angefuͤhret worden, ſo faͤllt der Grund
des Reſcripts weg, und folglich kann auch das Reſcript
ſelbſt nicht gelten. Es muß ſich alſo immer die Sache
berichtetermaßen verhalten. Hierin ſtimmen auch
die roͤmiſchen und canoniſchen Rechte mit einander uͤber-
ein 85), nur mit dem Unterſchiede, daß erſteres 86) die
Einruͤkung der Clauſel: ſi preces veritate nitantur, zur
Guͤltigkeit eines jeden Reſcrips verlangt, letzteres 87) aber,
wornach wir heutiges Tages gehen 88), ſolche als eine
ſtill-
[526]1. Buch. 4. Tit.
ſtillſchweigende Bedingung in einem jedem Reſcript an-
nimmt. Alle Reſcripte ſind alſo unter der Clauſel zu
verſtehen: wenn die Sache ſich wirklich ſo ver-
haͤlt, als ſie dem Landesherrn vorgeſtellet
worden iſt; ſie mag nun in dem Reſcript ausdruͤcklich
enthalten ſeyn oder nicht. Befindet ſich die Sache anders,
als dem Landesherrn von dem Impetranten vorgeſtellet wor-
den iſt, ſo wird das auf eine ſolche Art erhaltene Reſcript ein
heimlich erſchlichenes genennt. Hierwieder kann
ſich Impetrat, dem es zum Nachtheil gereicht, mit einer
Einrede ſchuͤtzen, die nach dem Unterſchiede der Faͤlle
bald exceptio ſubreptionis, bald exceptio obreptionis heißt.
Iſt nehmlich das Reſcript durch Anfuͤhrung falſcher facti-
ſcher Umſtaͤnde erſchlichen worden, ſo ſtehet demſelben
die Einrede der Subreption entgegen; iſt es aber
durch Verſchweigung wahrer, zur Sache gehoͤriger Um-
ſtaͤnde veranlaſſet worden, ſo findet dagegen die Ein-
rede der Obreption ſtatt 89). Einige nennen auch
beyde zuſammen exceptionem mendacii. Ueber die Frage,
ob zwiſchen den gedachten Exceptionen ein wahrer Un-
terſchied anzunehmen ſey, ſtimmen die Meinungen der
Rechtsgelehrten nicht mit einander uͤberein. Einige ver-
werfen allen Unterſchied, weil in den Geſetzen Sub- und
Obreption fuͤr gleichbedeutend genommen wuͤrden 90).
Andere
[527]de Conſtitutionibus Principum.
Andere hingegen wollen mehr als einen Unterſchied ge-
funden haben. Sie ſetzen ihn darinn 1) daß durch die
Subreption ein Falſum begangen werde, nicht aber durch
die Obreption 91). 2) Daß die Einrede der Subreption
nicht von dem Exciptenten bewieſen werden duͤrfe, weil
dieſer verneine, daß das, was dem Landesherrn vorge-
tragen worden, Wahrheit ſey. Bey der Obreption hin-
gegen verhalte ſich die Sache ganz anders. Dieſe muͤſſe
derjenige, der ſelbige zur Ausflucht vorſchuͤtzet, allemahl
beweiſen, weil er nicht blos etwas verneine, ſondern be-
haupte, was nicht vermuthet werden koͤnne, naͤmlich, daß
nicht alle, und zwar weſentliche, Umſtaͤnde angefuͤhret
worden waͤren 92). Allein ſoviel den erſtern Unterſchied
anbetrift, ſo iſt dieſer offenbar ungegruͤndet, weil, wie
die Criminaliſten umſtaͤndlich zeigen 93), jede Verdrehung
der Wahrheit, die auf den Schaden eines andern abzweckt,
zumal wenn ſie vorſetzlich iſt, ſie mag begehungs- oder
unter-
90)
Gluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. L l
[528]1. Buch. 4. Tit.
unterlaſſungsweiſe geſchehen, unſtreitig ein Falſum zu
nennen iſt. Der andere bemerkte Unterſchied, welcher
den Beweis der vorgeſchuͤtzten Einrede: daß das
Reſcript erſchlichen ſey, betrift, iſt auch noch groſ-
ſen Zweifeln unterworfen. Denn, wie bekannt, ſind die
Rechtsgelehrten hieruͤber noch nicht einig. Einige wol-
len den Beweis ohne Unterſchied dem Impetranten auf-
legen; weil alle Reſcripte unter der Clauſel zu verſtehen,
ſi preces veritate nitantur, der Impetrant aber, daß die
Sache ſich berichteter maßen verhalte, jederzeit gegen den
Excipienten behaupte, mithin auch den Grund des Re-
ſcripts beweiſen muͤſſe 94). Andere hingegen verlangen
den Beweis ſchlechterdings von dem Excipienten. Denn,
1) ſagen ſie, ſey es eine gemeine Regel: reus excipiendo
fit actor; er muß alſo fundamentum intentionis ſuae
beweiſen; und 2) nach der bekannten praeſumtione doli
excluſiva duͤrfe die Begehung eines falſi von dem Im-
petranten nicht vermuthet werden 95). Diejenigen haben
wohl ohne Zweifel die richtigſte Meinung, welche, ohne eine
beſtimmte Regel zu geben, nach Befinden der vorkommen-
den Umſtaͤnde bald dem Impetranten, bald dem Impetraten,
den Beweiß auferlegt, und daher die Sache lediglich dem
Er-
[529]de Conſtitutionibus Principum.
Ermeſſen eines klugen Richters uͤberlaſſen wiſſen wollen 96).
Dieſe Meinung gruͤndet ſich auf die deutliche Verordnung
des juͤngſten Reichsabſchieds §. 80. wo es heißt: Ob
aber dem Impetranten bey Deciſion der
ganzen Sache ſeine Narrata gleich Anfangs
zu verificiren, oder aber dem Impetrato
ſive reo, ſeine eingewendete Exceptiones
ſub et obreptionis zu beweiſen obliege?
Das laſſen wir alles zur Ermaͤſſigung und
Befindung des Richters, welcher nach Geſtalt
und Gelegenheit der Sachen auch deren Um-
ſtaͤnden, daraus er ſich informiren muß,
ob naͤmlich dem Klaͤger oder dem Beklagten
das onus probandi aufzubinden ſey, nach
Beſcheidenheit der Rechte zu urtheilen hat,
anheim geſtellt ſeyn. Dieſemnach wird nun der
Richter beſonders auf folgende Umſtaͤnde Ruͤckſicht zu
nehmen haben:
1) Ob das ergangene Reſcript nur auf bloſe, oder
auf beſcheinigte Vorſtellung, wie der juͤngſte R. A. 97)
erfordert, ertheilet worden ſey? indem, wenn letzteres iſt,
die Sache des Impetranten ſo lange billig fuͤr richtig und
vollſtaͤndig angenommen werden muß, als nicht das Ge-
gentheil vom Impetraten iſt erwieſen worden.
2) Ob nicht ſolche beſondere Umſtaͤnde in facto vor-
handen ſind, welche die Sache des Impetranten verdaͤch-
L l 2tig,
[530]1. Buch. 4. Tit.
tig, die Exception des Impetraten aber wahrſcheinlich
machen. In welchem Falle ſodann dem Impetranten,
weil ihm die Vermuthung entgegenſtehet, der Beweiß
von dem Grunde des von ihm erhaltenen Reſcripts auf-
zulegen ſeyn wird; wie die Herrn Reviſoren des Concepts
der Cammer-Gerichts-Ordnung ebenfalls geurtheiler ha-
ben 98). In Ermangelung ſolcher beſonderer Umſtaͤnde
und Vermuthungen aber wird
3) der Richter im Zweifel die Beſchwerde der
Beweißfuͤhrung dem Impetraten, er mag nun die Einre-
de der Sub- oder Obreption dem Reſcripte entgegenſe-
tzen, auflegen muͤſſen. Denn einmal muß nach der all-
gemeinen Regel jeder Excipient ſeine Einreden beweiſen,
inſofern ſie, wie jene, auf Thatumſtaͤnden beruhen 99).
Sodann hat Excipient insgemein die Vermuthung wider
ſich, denn daß ein Reſcript durch Sub- oder Obreption
erſchlichen ſey, wird im Zweifel nicht vermuthet 100).
Uebri-
[531]de Conſtitutionibus Principum.
Uebrigens beſtehet die Wirkung dieſer Einreden darin,
daß die Vollziehung des Reſcripts, wider welches ſelbige
vorgeſchuͤtzet worden ſind, bis zu Austrag der Sache aus-
geſetzt bleiben muß 1). Nun ſtehet es zwar dem Richter,
an welchem das Reſcript iſt erlaſſen worden, allerdings
zu, zu unterſuchen, ob die Sache dem Landesherrn der
Wahrheit gemaͤß vorgeſtellet worden ſey, oder nicht 2);
er muß ſich jedoch hierin alles eigenmaͤchtigen Erkenntniſ-
ſes enthalten, und vielmehr nach geſchehener Unterſuchung
noͤthigen Bericht davon an den Landesherrn erſtatten 3).
Der Landesherr kann nun entweder ſelbſt entſcheiden, ob
und in wiefern das Reſcript fuͤr erſchlichen zu halten, und
daher aufzuheben ſey, oder auch das Erkenntniß uͤber die
Guͤltigkeit des Reſcripts dem Richter uͤberlaſſen 4). Daß
der betruͤgeriſche Impetrant in einem ſolchen Fall auch zu
den Koſten und Schadenserſatz gehalten ſey, hat keinen
Zweifel 5).
L l 3§. 98.
[532]1. Buch. 4. Tit.
§. 98.
Von den beſondern Conſtitutionen der Regenten, und Privi-
legien. Begrif und Unterſchied zwiſchen Privilegien,
Diſpenſationen und iura ſingularia.
Die ſpeciellen Verordnungen der Regenten,
von welchen unſer Autor mit dieſem §. zu handeln an-
faͤngt, ſind nach dem oben davon angegebenen Begriff
von ſehr verſchiedener Art. Sie koͤnnen
1) ſolche ſeyn, die nach der Abſicht des Landesherrn
nur fuͤr die Partheyen, die ſich an denſelben gewendet,
und von ihm hierdurch eine Reſolution oder Entſcheidung
erhalten haben, ein Recht machen ſollen. Unter dieſer
Einſchraͤnkung gehoͤren landesherrliche Reſcripte und De-
crete unſtreitig zu den ſpeciellen Conſtitutionen, wenn
ſie gleich ſonſt nach den neuern roͤmiſchen und heutigen
Rechten in der Regel auch fuͤr aͤhnliche Faͤlle als Geſetz
gelten. (§. 96.)
2) Solche, welche nach der Abſicht des Landesherrn
nur einzelnen Unterthanen, an welche ſie deshalb ergan-
gen ſind, eine directe Verbindlichkeit auflegen. Dieſe
koͤnnen wieder von verſchiedener Art ſeyn; je nachdem
ſie entweder nur eine Commiſſion zur Ausrichtung eines
dem Fuͤrſten ſelbſt betreffenden Geſchaͤfts, oder einen
ohne vorhergegangenen Bericht an ein Collegium oder
ſonſt eine Magiſtratsperſon erlaſſenen landesherrlichen
Befehl in Sachen, welche ihre Amts- und Juſtizverwal-
tung betreffen, enthalten. Man pflegt erſtere Fuͤrſt-
liche Ordres6) (Epiſtalmata); letztere aber Man-
date
[533]de Conſtitutionibus Principum.
date im eigentlichen Verſtande oder auch Re-
ſcripte in uneigentlicher Bedeutung, zu nennen. End-
lich koͤnnen ſpecielle Conſtitutionen der Fuͤrſten
3) auch ſolche ſeyn, welche eine Ausnahme vom ge-
meinen Recht machen. Dieſe werden Privilegien in
ganz genereller oder uneigentlicher Bedeu-
tung7) genennt. Fraͤgt man jedoch, was ein Privi-
legium im eigentlichen Verſtande ſey, ſo ſind
die Begriffe der Rechtslehrer hierin nicht uͤbereinſtim-
mend. Einige ſchraͤnken den Begriff blos auf die per-
ſoͤnlichen Privilegien ein, und halten Realprivilegien
fuͤr ein nonens8). Andere ſtellen ſich blos guͤnſtige
Verordnungen darunter vor, wodurch der Regent einem
gewiſſen Individuum eine fortdauernde Wohlthat erthei-
let, von deren Genuß andere ausgeſchloſſen ſind; und
laͤugnen daher gaͤnzlich, daß es ſogenannte privilegia
odioſa gebe, die dem Privilegirten zum Nachtheil gerei-
L l 4chen
[534]1. Buch. 4. Tit.
chen koͤnnten 9). Die meiſten Rechtsgelehrten aber be-
ſtimmen den Begriff vom Privilegium auf eine ſolche
Art, daß auch privilegia realia, und odioſa als Gat-
tungen darunter begriffen werden koͤnnen, unterſcheiden
jedoch ſehr genau Privilegien im eigentlichen
Verſtande, Diſpenſationen und Iura ſingularia;
und dieſe Theorie halte ich fuͤr die richtigſte 10). Es
wird jedoch noͤthig ſeyn, zufoͤrderſt etwas uͤber den Na-
men und die Bedeutung des Worts Privilegium zu be-
merken. Den Urſprung des Worts leiten die alten
Grammatiker nicht unrichtig von privus und lex her;
privus aber hieß ſoviel als ſingulus oder privatus, wie
Nonius Marcellus11) und Aulus Gellius12)
lehren; privilegium iſt alſo nach ſeiner originellen
Bedeutung ſoviel als lex de privo i. e. de ſingulo homine
ſeu privato lata, wie Gebauer13) ſehr ausfuͤhrlich ge-
zeigt hat. Dies war nun auch diejenige Bedeutung, in
welcher das Wort privilegium in den aͤlteſten Zeiten der
Roͤmer, zur Zeit des Freyſtaats, genommen wurde.
Privi-
[535]de Conſtitutionibus Principum.
Privilegien waren alſo urſpruͤnglich blos perſoͤnlich, es
waren Geſetze, wodurch in Anſehung eines einzelnen
Buͤrgers etwas auſſerordentliches verfuͤgt wurde. In
dieſer Bedeutung waren Privilegien nach den zwoͤlf Ta-
felgeſetzen verboten 14); denn in einem Freyſtaat, wo
Gleichheit unter den Buͤrgern erhalten werden muß,
ſchien es eben ſo unſchicklich zu ſeyn, einzelne Buͤrger
durch Vorzuͤge und Freyheiten uͤber die andern zu erhe-
ben, als Angeſchuldigte ohne genugſame Ueberzeugung
L l 5und
[536]1. Buch. 4. Tit.
und auf eine auſſerordentliche Art zu ſtrafen, zumahl da
nach den Legibus ſacratis der Roͤmer uͤber Leben und
Tod eines Buͤrgers anders nicht als in den Centuriat-
comitien geurtheilet werden ſollte 15). In den folgen-
den Zeiten haben die roͤmiſchen Kaiſer nicht nur haͤufig
einzelnen Perſonen Privilegien ertheilet, ſondern auch
Sachen ihrer Unterthanen von der Vorſchrift der Geſetze
befreyet. Schon Ulpian16) gedenkt daher des Unter-
ſchieds zwiſchen Real- und perſoͤnlichen Immunitaͤten.
Ja es wurde der Begriff vom Privilegium ſo ausge-
dehnt, daß ſowohl in den Geſetzen der Pandecten als
des Codex auch die iura ſingularia unterweilen, ſo wie
noch heutiges Tages, Privilegien genennet werden 17).
Jedoch
[537]de Conſtitutionibus Principum.
Jedoch werden Diſpenſationen davon unterſchieden,
welche unſere Geſetze conſtitutiones perſonales18) nennen.
Der Unterſchied zwiſchen Privilegien im eigent-
lichen Verſtande, Diſpenſationen, und iura
ſingularia beſtehet nun darin.
Ein Privilegium un eigentlichen Verſtande,
iſt eine beſondere Verfuͤgung des Regenten, wodurch in
Anſehung eines gewiſſen Individuums eine Ausnahme vom
gemeinen Rechte degeſtalt gemacht wird, daß ſolche nicht
blos auf einen, ſondern auf alle oder mehrere zukuͤnftige
Faͤlle von gleicher Art ſich erſtrecket. Ein ſolches Pri-
vilegium kann alſo
1) nur derjenige ertheilen, welchem die hoͤchſte Ge-
walt, oder die geſetzgebende Macht in einem Staat zuſte-
het. Die Conceßion des Regenten aber kann entweder
eine ausdruͤckliche oder vermuthete ſeyn; eine ſolche Ver-
muthung ſtreitet fuͤr denjenigen, der das Recht, welches
eigentlich nur durch ein Privilegium erlangt werden konn-
te, von undenklichen Zeiten her ausgeuͤbt hat 19).
2) Ein
[538]1. Buch. 4. Tit.
2) Ein Privilegium im eigentlichen Verſtande wird
immer nur einem gewiſſen Individuum ertheilet. Die-
ſes kann nun entweder eine Perſon oder Sache ſeyn.
Auch moraliſche Perſonen ſind nicht ausgeſchloſſen, z. B.
Staͤdte, Innungen. Denn auch dieſe werden in rechtli-
chen Sinn denen einzelnen Perſonen gleich geachtet 20).
3) Durch ein Privilegium im eigentlichen Verſtan-
de wird eine Ausnahme vom gemeinen Recht fuͤr meh-
rere zukuͤnftige Faͤlle gemacht. Dieß kann auf
eine zweyfache Art geſchehen; entweder auf eine fuͤr den
Privilegirten vortheilhafte, oder eine fuͤr denſelben
nachtheilige Weiſe. Erſtere werden guͤnſtige Pri-
vilegien genennt. Dahin gehoͤren a) diejenigen, wo-
durch der Privilegirte einer ſonſt allgemeinen Erlaubniß
allein zu genieſſen befugt wird, alle andere aber von dem
Gebrauch eines ſonſt gemeinen Rechts ausgeſchloſſen wer-
den; dergleichen man Monopolien nennt; b) diejeni-
gen, wodurch der Privilegirte ein Vorrecht erwirbt, ſo
nach dem gemeinen Recht keinem Unterthan, ſondern nur
dem Landesherrn zuſtehet; c) ſolche, wodurch der Privi-
legirte von der ſonſt allgemeinen Verbindlichkeit eines
Geſetzes fuͤr das kuͤnftige befreyet wird. Unguͤnſtige
oder
19)
[539]de Conſtitutionibus Principum.
oder verhaßtePrivilegien, (privilegia odioſa) hin-
gegen gereichen dem Privilegirten zum Nachtheil, und
werden ihm zur verdienten Strafe ertheilet 21). Dahin
gehoͤrt, wenn z. B. der Landesherr die erb- und eigene
Guͤter eines Unterthanen wegen eines von demſelben be-
gangenen Verbrechens zur Strafe in Lehn verwandelt,
welches man ein Straf-Lehn (feudum poenae) zu
nennen pflegt 22); oder wenn er einen Zolldefraudanten
damit ſtraft, daß er ins kuͤnftige von jeder zu verzollen-
den Waare den doppelten Zoll geben ſolle. Nach dem
heutigen Sprachgebrauch pflegt man jedoch nur vornehm-
lich die favorabeln Privilegien unter dem eigentlichen Na-
men der Privilegien zu verſtehen, welche auch Freyhei-
ten, Gnadenbriefe, Handfeſten, genennt zu wer-
den pflegen.
Von dieſen Privilegien im eigentlichen Verſtande,
ſind nun Dispenſationen zu unterſcheiden, worunter
man uͤberhaupt perſonelle Verordnungen verſte-
het, dadurch nur blos in einem einzelnen Fall
eine Ausnahme von der Regel des gemeinen Rechts ge-
macht wird. Auch dieſe koͤnnen von zweyerley Art, ent-
weder guͤnſtige oder verhaßte ſeyn; je nachdem ſol-
che
[540]1. Buch. 4. Tit.
che zum Vortheil oder Nachtheil des Dispenſirten ge-
reichen 23). Zur letzten Gattung gehoͤrt, wenn der Lan-
desherr einem gewiſſen Delinquenten, um ein Exempel
zu ſtatuiren, eine haͤrtere Strafe dictirt, als die in den
Geſetzen beſtimmte iſt, wie z. B. Kaiſer Hadrian der
Umbriciaͤ, welcher er der an ihren Maͤgden veruͤbten Grau-
ſamkeit halber fuͤnfjaͤhrige Landesverweiſung zuerkannte 24).
Hier iſt jedoch die Strafe nur auf einen Fall einge-
ſchraͤnkt, und hat ein Ende, wenn ſie einmal vollſtreckt
iſt; allein bey verhaßten Privilegien aͤuſſert ſich
die Wirkung der Strafe in mehreren zukuͤnftigen Faͤllen,
ſo oft andere Unterthanen nach dem gemeinen Recht be-
handelt werden, und die Vertheile deſſelben genieſſen, wie
die oben angefuͤhrten Beyſpiele zu erkennen geben.
Die guͤnſtigen Dispenſationen koͤnnen von
mancherley Art ſeyn. Sie gehen entweder auf eine noch
zukuͤnftige Handlung, oder auf eine ſchon geſchehene
Handlung. Im erſtern Fall heißt eine ſolche Verord-
nung, wodurch ein Unterthan die Erlaubniß erhaͤlt, eine
in den Geſetzen ſonſt vorgeſchriebene und befohlne Hand-
lung unterlaſſen, oder eine ſonſt verbotene Handlung un-
ternehmen zu duͤrfen, eine Dispenſation im eigent-
ſten Verſtande. Z. B. die Erlaubniß, daß Einer ſich
trauen laſſen darf ohne vorhergehendes Aufgebot, oder in
der ſogenannten geſchloſſenen Zeit, z. B. unter waͤhren-
der Adventszeit, oder daß Einer ſich darf von einem in-
kompetenten Pfarrer auſſer der Parochie kopuliren laſſen,
oder daß Jemand ſonſt eine in den Geſetzen verbotene Ehe
mit
[541]de Conſtitutionibus Principum.
mit einer Perſon eingehen darf, iſt alles eigentliche Dis-
penſation 25). Hier folgt die Handlung erſt auf die ge-
ſchehene Ausnahme. Allein es kann zuweilen das Factum
vor der Ausnahme vorausgehen, und letztere nur dazu
dienen ſollen, nachtheilige Wirkungen deſſelben abzuwenden.
Dieſe bekommen ihre beſondere Benennungen — Abo-
lition und Aggratiation (reſtitutio gratiae). Je-
ne geſchiehet noch vor dem Endurtheil, und beſtehet darin,
wenn der wider eine Perſon angeſtellte peinliche Pro-
ceß nicht bis zum Endurtheil fortgeſetzt, ſondern die Un-
terſuchung aus landesherrlicher Gnade aufgehoben, und
das Andenken des Verbrechens in Anſehung der peinli-
chen Wirkungen gaͤnzlich ausgetilgt wird 26). Letztere
erfolgt erſt nach dem Endurtheil, und beſtehet in einer
aus
[542]1. Buch. 4. Tit.
aus landesherrlicher Gnade geſchehenen Erlaſſung der zu-
erkannten Strafe 27).
Von den Privilegien im eigentlichen Verſtande ſind
endlich auch die iura ſingularia zu unterſcheiden. Man
verſtehet darunter die in dem Korpus Juris enthaltene,
und entweder nur einem gewiſſen Alter, Geſchlecht, Stand
oder Klaſſe von Perſonen, oder einer Gattung von
Sachen zukommende, oder allen und jeden Unterthanen,
in ſo fern ſie ſich in einem gewiſſen Falle befinden, z. B.
in Verfall ihres Vermoͤgens gerathen, oder Buͤrgſchaft
geleiſtet, u. d. verheißene beſondere Rechte 28). Sie
ſind
[543]de Conſtitutionibus Principum.
ſind meiſt vortheilhafte Rechte, daher ſie auch gewoͤhnlich
Beneficia legis, oder Rechtswohlthaten genennt zu
werden
28)
Gluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. M mſelbſt,
[544]1. Buch. 4. Tit.
werden pflegen. Man denke hierbey an die Rechtswohl-
thaten der Minderjaͤhrigen, der Weibsperſonen in Anſe-
hung uͤbernommener Buͤrgſchaften, der Perſonen, die
waͤhrender vaͤterlichen Gewalt Gelder aufborgen. Ferner
der Soldaten, der Geiſtlichen; desgleichen der Erben,
der Buͤrgen, der Abweſenden; auch gehoͤren hierher die
mit gewiſſen, theils perſonellen, theils hypothekariſchen
Forderungen verbundene Vorzugsrechte, u. d. m. Allein
es laͤßt ſich deswegen doch auch ein ius ſingulare odioſum
gedenken. Ein Beyſpiel giebt uns die berufene Verord-
nung der Kaiſer Arcadius und Honorius, vermoͤ-
ge welcher auch die Soͤhne des Hochverraͤthers die Schuld
ihres Vaters mit buͤßen, und ſeine Schmach tragen ſol-
len
28)
[545]de Conſtitutionibus Principum.
len 29). Dieſes iſt gegen die Regel des gemeinen Rechts,
nach welcher der Sohn nicht tragen ſoll die Miſſethat
des Vaters 30); von welcher aber die gedachte Kaiſere
eine Ausnahme zu machen, darum fuͤr noͤthig haben fin-
den wollen, quia in filiis paterni h. e. hereditarii criminis
exempla metuuntur31).
§. 99.
Einige allgemeine Saͤtze von Privilegien; inſonderheit von
deren Auslegung.
Alle Privilegien, man nehme nun das Wort in ei-
gentlicher oder uneigentlicher Bedeutung, kommen darin
mit einander uͤberein:
1) daß ſie nicht zur Folge noch Beyſpiel ange-
zogen werden duͤrfen, vielmehr nur in denen Faͤllen ihre
Wirkung aͤuſſern, in welchen der Geſetzgeber eine Aus-
nahme vom Geſetz gemacht hat, nicht in andern aͤhnlichen
Faͤllen, wenn gleich eben derſelbe Grund vorhanden ſeyn
ſollte 32). Hat alſo z. B. der Landesherr dem Cajus in
einem gewiſſen Ehefalle dispenſirt, oder ihm ſonſt ein Pri-
vilegium ertheilet, ſo kann ich mich nicht darauf berufen,
wenn ich mich auch in gleichem Falle mit jenem befinden
ſollte 33).
M m 22) Pri-
[546]1. Buch. 4. Tit.
2) Privilegien laſſen daher keine ausdehnende
Erklaͤrung zu, auſſer in ſofern ſolches dem Willen des
Regenten oder Geſetzgebers gemaͤß iſt. Sie ſind alſo
ſtricte zu erklaͤren, inſofern ſie a) die natuͤrliche Freyheit
einſchraͤnken, oder ſonſt andern Mitbuͤrgern zum Nachtheil
gereichen; denn niemand darf durch Privilegien in ſeinem
wohlerworbenen Rechte gekraͤnkt werden. Doch aber muß
die Auslegung immer ſo geſchehen, daß die Gnade, wel-
che der Landesherr dem Privilegirten angedeihen laſſen
wollte, nicht vereitelt werde, ſondern letzterer derſelben
nach der Abſicht des Ertheilers ſo vollkommen, als moͤg-
lich, genieſſe, ſoweit es ſalvo iure tertii quaeſito geſche-
hen kann 34). Wie aber wenn b) das Privilegium blos
in die landesherrlichen Gerechtſame einſchluͤge, und nur
dem Regenten, der ſolches ertheilet hat, allein zum Nachtheil
gereichte, findet auch gegen den Landesherrn die
reſtrictive Auslegung ſtatt? z. B. Wenn das Privilegium
eine Befreyung von Steuren, oder Ertheilung des ſonſt
dem Landesherrn zuſtehenden Abzugsrechts, der Jagd, Ge-
richtsbarkeit, Muͤnzrechts, u. dergl. betrift. Die gemei-
ne Theorie der Rechtsgelehrten, welcher auch unſer Au-
ctor nicht undeutlich ſeinen Beyfall giebt, gehet dahin, daß
ein Privilegium gegen den Regenten ſelbſt immer ausdeh-
nend erklaͤret werden muͤſſe 35). Denn hier komme es
blos
[547]de Conſtitutionibus Principum.
blos auf die Gnade und Mildigkeit des Regenten an, wel-
che keine beſtimmte Grenzen habe. Es beſtaͤttige auch eben
dieſes der bekannte Ausſpruch Javolens36): beneficium
imperatoris, quod a divina ſcilicet eius indulgentia proficiſci-
tur, quam pleniſſime interpretari debemus. Allein dieſe
Gruͤnde ſind ſeicht, und haben mich nie fuͤr dieſe Mey-
nung eingenommen. Denn
1) iſt das von der Freygebigkeit des Regenten herge-
nommene Argument viel zu kuͤhn und kann fuͤr denjeni-
gen, der auf landesherrliche Gnade losſuͤndiger, ſehr un-
angenehme Folgen haben. Verleihet der Regent einem
Unterthan ein Regal ſchlechtweg, ohne weder die Gattung
deſſelben, noch die Art und Weiſe, daſſelbe auszuuͤben,
genau und deutlich auszudruͤcken; ſo muß im Zweifel im-
mer eher vermuthet werden, daß ſich der Regent bey der
Verleihung des Regals, ſo wenig, als nur ſeyn konnte,
habe vergeben wollen; indem ſonſt nicht allein die Sache
ſelbſt, ſondern auch der gewoͤhnliche Hofſtyl beſtimmtere
und deutlichere Ausdruͤcke erheiſcht haben wuͤrde 37). So-
dann aber will auch b) der angezogene Ausſpruch Javo-
lens gar nicht dasjenige ſagen, was man damit bewei-
ſen will; indem der wahre Sinn des Rechtsgelehrten nur
dahin gehet, daß ein Privilegium ſo erklaͤret werden muͤſ-
ſe, daß die Gnade, die der Regent dadurch hat erzeigen
wollen, nicht vereitelt werde, ſondern diejenige vollkomme-
ne Wuͤrkung habe, welche der Ertheiler dadurch intendirt
hat 38). Und uͤberhaupt iſt noch die Frage, ob jene Stel-
M m 3le
[548]1. Buch. 4. Tit.
le Javolens von eigentlichen Privilegien zu verſtehen
ſey. Denn nicht ohne Grund erklaͤrt ſie Thomaſius39)
blos von denen Rechtswohlthaten, die man iura ſingula-
ria zu nennen pflegt. Viel richtiger iſt daher die Meinung
derjenigen Rechtsgelehrten 40), welche behaupten, daß ein
Privilegium, auch ſelbſt wenn es blos die Rechte des Re-
genten angehet, und nur ihm allein zum Praͤjudiz gerei-
chet, dennoch nicht immer deshalb extenſive erklaͤret wer-
den duͤrfe, ſondern der Sinn deſſelben theils aus der
Qualitaͤt der Perſon, welcher ſolches ertheilet worden,
theils aus der Beſchaffenheit des Objects, theils aus dem
bisherigen Gebrauch und Herkommen 41), theils aber auch
hauptſaͤchlich aus dem Zweck und Abſicht des Regenten,
der das Privilegium ertheilet hat, und ſolchemnach bald
reſtrictive bald extenſive zu beſtimmen ſey. So z. B.
kann
[549]de Conſtitutionibus Principum.
kann die einem Unterthan ertheilte Steuerfreyheit im
Zweifel nur von den gewoͤhnlichen Laſten verſtanden, auf
auſſerordentliche nicht vorher geſehene Faͤlle aber, woran
der Landesherr zur Zeit des ertheilten Privilegiums nicht
gedacht hat, z. B. wenn in Kriegszeiten, oder auf andere
Art eine allgemeine dringende Landesnoth entſtehet, kei-
nesweges gezogen werden 42). Wenn ferner die Gerichts-
barkeit Jemanden innerhalb eines gewiſſen Diſtricts
ſchlechtweg verliehen worden iſt, und zweifel entſtehet, ob
nur die niedere, oder ob auch zugleich die obere verliehen
worden ſey? ſo iſt bey einem landſaͤßigen Unterthan eine
ſolche unbeſtimmte Verleihung der Gerichtsbarkeit nur
von der niedern zu erklaͤren; denn das Recht uͤber Le-
ben und Tod der Unterthanen iſt ein viel zu wichtiges
Hoheitsrecht des Landesherrn, als daß man ohne genug-
ſamen Grund vermuthen duͤrfe, daß er ſolches ſeinen Un-
terthanen werde mitgetheilt haben. Dahingegen, wenn
einem Reichsſtande die Gerichtsbarkeit binnen einem ge-
wiſſen Diſtrict vom Kaiſer unbeſtimmt ertheilet worden,
in Zweifel zu vermuthen, daß auch die Blutgerichte
mit darunter verſtanden ſeyn 43).
Daß uͤbrigens der Regent die Wohlthat, die er ei-
nem durch das Privilegium hat ertheilen wollen, weiter
erſtrecken koͤnne, als die Natur deſſelben es mit ſich bringt,
hat keinen Zweifel 44). Auſſerdem ſtehet dem Landes-
M m 4herrn
[550]1. Buch. 4. Tit.
herrn die avthendiſche Interpretation bey den Privilegien
nur alsdann zu, wenn eine ſolche Dunkelheit oder ein
ſolcher Zweifel vorhanden, ſo durch die Regeln der Aus-
legungskunſt ſchlechterdings nicht gehoben werden kann,
wie ich ſchon bey einer andern Gelegenheit bemerkt habe.
(S. 215.) 45).
3) Da Privilegien eine Ausnahme vom gemeinen
Recht machen, ſo koͤnnen ſie im Zweifel nicht vermu-
thet werden, ſondern demjenigen liegt jederzeit der Be-
weiß ob, der ſich auf ein Privilegium beruft. Denn in
der Regel pflegen Privilegien nicht ordentlich bekannt
gemacht zu werden. Die in unſern Korpus Juris ent-
haltene beſondere Rechte beduͤrfen jedoch keines Beweiſes.
Endlich
4) niemand kann in der Regel genoͤthiget werden,
ſich einer ihm durch ein Privilegium oder geſetzliche San-
ction zum beſten ertheilten Wohlthat wider ſeinen Willen
zu bedienen; denn Wohlthaten werden Keinem aufgedrun-
gen. Ein jeder Privilegiat muß alſo die Freyheit haben,
ſich ſeines Vortheils auch begeben zu koͤnnen; es waͤre
denn daß der Gebrauch des Privilegiums oder des beſon-
dern Rechts mit den erworbenen Gerechtſamen eines Drit-
ten
[551]de Conſtitutionibus Principum.
ten in unzertrennlicher Verbindung ſtuͤnde, und ſolchem
durch die Begebung der Rechtswohlthat offenbar zu na-
he geſchehen wuͤrde. So z. B. darf kein academiſcher
Gerichtsunterthan ſich mit Begebung ſeines befreyten Ge-
richtsſtandes der Jurisdiction der buͤrgerlichen Stadtobrig-
keit unterwerfen 46). Solchemnach findet alſo die Ver-
zichtleiſtung in Anſehung eines Privilegiums nur in ſo-
fern ſtatt, als der Gebrauch deſſelben von dem freyen
Willen des Entſagenden lediglich abhaͤngt 47).
§. 100.
Eintheilung der Privilegien in Real- und Perſonal-
Privilegien.
Privilegien koͤnnen nun von mancherley Art ſeyn.
Siehet man naͤmlich auf daß Subject, welchem ſie an-
hangen, ſo ſind ſelbige entweder perſoͤnliche, oder
dingliche; je nachdem ſie entweder einer Perſon,
ſie ſey eine individuelle oder moraliſche; oder aber einer
Sache eigen ſind. Beyde ſind in Anſehung der Dauer
und Wirkung ſehr verſchieden. Denn perſonal-Pri-
vilegien, die einer moraliſchen Perſon z. B. ei-
ner Stadt, Academie, Zunft, u. ſ. m. verliehen ſind 48),
dauern fort, und gehen auf alle Nachkommen uͤber, die
zu dieſer privilegirten Univerſitas gehoͤren, und als
Mitglieder derſelben anzuſehen ſind 49). Denn eine
M m 5mora-
[552]1. Buch. 4. Tit.
moraliſche Perſon ſtirbt nicht, ſondern bleibt immer die-
ſelbe, wenn auch nach und nach die einzelnen Perſonen,
die das Ganze ausmachen, durch den Tod, oder auf ſon-
ſtige Weiſe abgehen, und andere an ihre Stelle treten 50).
Solche Privilegien gehoͤren unſtreitig ad res univerſita-
tis, und das durch ſelbige erworbene Recht iſt der Sub-
ſtanz nach ein Eigenthum der moraliſchen Perſon. Dieſe
aber laͤſſet nun ihr Recht entweder durch gewiſſe dazu
beſtellte Mitglieder ſelbſt ausuͤben, z. B. die ihr verliehene
Gerichtsbarkeit; oder es darf ein jedes Mitglied der Uni-
verſitas das Privilegium gebrauchen, z. B. es iſt derſel-
ben eine Immunitaͤt von gewiſſen oͤffentlichen Laſten, oder
das Beholzigungsrecht in einem herrſchaftlichen Walde,
oder das Privilegium Jahrmarkt zu halten, ertheilet
worden. In Anſehung des Gebrauchs kommt es alſo
auf die Beſchaffenheit des durch das Privilegium ertheil-
ten Rechts an 51).
Sind aber Privilegien wirklichen Perſonen
ertheilet, ſo koͤnnen dieſe von zweyerley Art ſeyn; ent-
weder ſolche, die bey dem Privilegirten eine gewiſſe per-
ſoͤnliche Eigenſchaft vorausſetzen, oder ſie ſind der Perſon
ſelbſt, ohne Ruͤckſicht einer ſolchen Eigenſchaft, ertheilet
worden. Beyde kommen jedoch darinn uͤberein, daß
ſelbige der Regel nach auf die privilegirte Perſon einge-
ſchraͤnkt ſind, und ſich, auſſer derſelben, auf andere nicht
erſtrecken, auch nicht auf die Erben uͤbergehen, ſondern
gleichſam mit der Perſon abſterben 52). Jedoch hat
dieſe
[553]de Conſtitutionibus Principum.
dieſe Regel ihre Ausnahmen 53). Es giebt Privilegien,
die ſchon ihrer Natur nach auf die Nachkommen fort-
gehen, wenn deren auch keine beſondere Erwaͤhnung ge-
ſchehen iſt. Ein Beyſpiel davon giebt uns der ſogenannte
Brief-Adel, welcher bekannter maſſen von dem ge-
adelten Vater auf alle nach der geſchehenen Nobilitirung
deſſelben von ihm ehelich erzeugte Kinder und Nachkom-
men fortgepflanzet wird 54).
Zuweilen erſtrecken auch die Geſetze ſelbſt aus beſon-
dern Urſachen perſoͤnliche Privilegien, oder derſelben Wir-
kung Folgeweiſe, auf andere, die mit dem Privilegirten
in Verbindung ſtehen 55). So z. B. nimmt die Ehefrau
bekanntermaßen an den perſoͤnlichen Privilegien ihres Ehe-
manns Antheil, und hat ſolche in der Regel auch noch
als Wittwe zu genieſſen 56). Eben ſo kommt das pri-
vilegium aetatis auch den Eroen des Minderjaͤhrigen zu
ſtatten 57), und den privilegirten Vorzug der Hypothek,
welche eine Ehefrau ihres Heyrathsguths wegen auf dem
ſaͤmmtlichen Vermoͤgen des Mannes hat, geben die Geſe-
tze
[554]1. Buch. 4. Tit.
tze auch ihren Kindern 58). Endlich kann es auch geſche-
hen, daß Jomanden ein Privilegium fuͤr ſeine Perſon und
ſeine Erben zugleich ertheilet wird. Iſt nun in einem
ſolchen Falle genau beſtimmt, was fuͤr Erben verſtanden
werden ſollen, ſo iſt die Sache keinem Zweifel unterworf-
fen. Iſt dieſes aber nicht deutlich beſtimmt worden, ſo
koͤnnen, da die Natur der Privilegien im Zweifel keine
ausdehnende Erklaͤrung erlaubt, unter den Erben oder
Nachkommen der Regel nach nur die Verwandten in
abſteigender Linie verſtanden werden, welche den Erwer-
ber des Privilegiums zunaͤchſt beerben 59); es waͤre denn,
daß der Privilegirte keine Deſcendenz haͤtte, auch derglei-
chen nicht mehr hoͤffen duͤrfte, und ſolches dem Ertheiler
des Privilegiums wohl bekannt geweſen; im welchen Fal-
le ſodann, da nicht anzunehmen, daß der Ertheiler Wor-
re ohne Bedeutung habe brauchen wollen, vielmehr im
Zweifel kein Wort umſonſt im Privilegium zu ſtehen ver-
muthet werden kann, unter den Erben die naͤchſten In-
teſtat-Erben des Privilegirten verſtanden werden muͤſ-
ſen 60). Aus demſelben Grunde aber iſt auch zu behaup-
ten, daß, wenn das Privilegium einem fuͤr ſeine Perſon,
Erben und Nachkommen iſt ertheilet worden, daſ-
ſelbe nach der Abſicht des Ertheilers nicht blos den Ver-
wandten in dem erſten Grade der abſteigenden Linie, ſon-
dern
[555]de Conſtitutionibus Principum.
dern auch denen im entferntern Grad zu ſtatten kommen
ſolle 61). Auf alle Nachfolger kann jedoch das Pri-
vilegium nicht erſtrecket werden, denn dieſe Ausdehnung
wuͤrde einmal wider den Sprachgebrauch, welcher zwi-
ſchen Nachkommen und Nachfolgern einen Unter-
ſchied macht, und zweytens auch wider die Natur der
Privilegien ſtreiten, welche eine einſchraͤnkende Ausle-
gung verlangt. Ich muß hierbey noch einige Bemer-
kungen hinzufuͤgen; Erſtens: iſt dem Privilegirten das
Privilegium fuͤr ihn und ſeine Kinder verliehen wor-
den, ſo muß das Wort Kinder62) nach der Natur
der Privilegien in ſeiner eigentlichen Bedeutung genom-
men, und ſolches daher nur von Deſcendenten des erſtern
Grades verſtanden werden, wie ſolches nicht nur aus
dem Urſprunge des Worts Kind63), ſondern auch we-
gen des davon ganz unterſchiedenen und gleich gewoͤhn-
lichen Ausdrucks: Kindes-Kinder bereits von an-
dern ausgefuͤhrt worden 64). Mithin koͤnnen unter dem
Namen
[556]1. Buch. 4. Tit.
Namen der Kinder ordentlicherweiſe die Kindes-
Kinder nicht, und noch weniger entferntere De-
ſcendenten, verſtanden werden, ſo lange nicht die
Umſtaͤnde einen andern Willen des Ertheilers zu erken-
nen geben. Zweytens: iſt das Privilegium dem Privi-
legirten fuͤr ſeine Perſon, Kinder und Nachkommen
ertheilet worden, ſo iſt im Zweifel nie zu vermuthen, daß
ſolches nur auf diejenigen Nachkommen gehen ſolle, wel-
che von maͤnnlicher Linie herſtammen, wenn nicht entweder
die Geſetze dieſes ausdruͤcklich verordnen 65), oder ſolches
durch die in dem Privilegium gebrauchte Ausdruͤcke:
Nachkommen vom Stamm und Namen des
Erwerbers, oder Nachkommen in der Familie,
zu erkennen gegeben worden iſt. In ſolchen Faͤllen koͤn-
nen freylich dergleichen Privilegien auf die Toͤchter des
Erwerbers, welche durch Verheyrathung aus der Fami-
lie deſſelben heraus gegangen ſind, und deren Deſcendenz,
da dieſe den Namen des Erwerbers nicht fuͤhrt, keines-
weges erſtrecket werden. Ich komme nun auf die Real-
privilegien, deren Weſen darin beſtehet, daß ſie ei-
ner gewiſſen Sache verliehen ſind, und allen Beſitzern
derſelben zuſtehen 66). Solche Realprivilegien ſind von
dreyerley Art; entweder ſie ſind einem gewiſſen Grund-
ſtuͤcke ertheilet, z. B. Steuerfreyheit, Jagdgerechtigkeit,
u. dergl. oder ſie ſind mit dem Beſitz eines gewiſſen Amts
oder
[557]de Conſtitutionibus Principum.
oder Wuͤrde verknuͤpft; man denke z. B. an den mit
der erzbiſchoͤflichen Wuͤrde verknuͤpften honor pallii; oder
die Geſetze haben eine gewiſſe Klage dergeſtalt privile-
girt, daß jeder, der dieſe Klage erhebt, das damit ver-
knuͤpfte Privilegium zu genieſſen haben ſoll. Modeſtin
nennt ein Realprivilegium der letztern Art privilegium cau-
ſae67), und Paulus68) macht uns davon folgende
Beſchreibung: in omnibus cauſis id obſervatur, ut ubi
perſonae conditio locum facit beneficio, ibi deficiente
ea, beneficium quoque deficiat: ubi vero genus actionis
id deſiderat, ibi, ad quemvis perſecutio eius devenerit, non
deficiat ratio auxilii. Es iſt dieſe letztere Stelle aus pault
libro ſing. de dotis repetitione genommen, und es waͤren da-
her eigentlich aus dieſer Doctrin die Beyſpiele zur Erlaͤute-
rung dieſer Regel anzufuͤhren; wie auch Jacob Go-
thofredus69) und mit ihm Gebauer70) gethan ha-
ben. Allein es wird uns erlaubt ſeyn, auch durch ein an-
ders Beyſpiel die Sache aufzuklaͤren. Ein ſolches giebt
uns die Forderung aufgewendeter Begraͤbniskoſten, wel-
che ein beſonders Vorrecht vor andern Glaͤubigern beym
Concurs haben 71); und zwar iſt dieſes der Forderung
ſelbſt eigen, ſie mag mit der actione funeraria oder ei-
ner andern eingeklagt werden 72); der Klaͤger mag ſolche
Koſten entweder auf das Begraͤbniß des Schuldners ſelbſt,
oder einer dritten Perſon verwendet haben, welche der
Schuldner auf ſeine Koſten begraben zu laſſen verbunden
geweſen 73). Auch dem Erben und Nachfolger des Glaͤu-
bigers kommt dieſes Vorzugsrecht zu ſtatten 74).
Auſſer
[558]1. Buch. 4. Tit.
Auſſer dieſen beyden Gattungen der Privilegien, den
perſoͤnlichen und dinglichen, nehmen die Rechts-
lehrer insgemein noch eine dritte an, naͤmlich die ge-
miſchten, worunter man diejenigen verſtehet, welche
einer Perſon dergeſtalt ertheilet ſind, daß ſie zugleich auf
die Erben gehen. Jedoch wird dieſe Theorie von den
neuern Rechtsgelehrten mit Grund verworfen 75).
Nun zum Beſchluß noch einige Bemerkungen.
1) Entſtehet Zweifel, ob ein Privilegium der Perſon
oder Sache des Erwerbers ertheilet worden ſey, ſo iſt in
einem ſolchen zweifelhaften Falle das Privilegium eher
fuͤr ein perſoͤnliches, als dingliches, zu halten; weil
die Natur der Privilegien keine ausdehnende Erklaͤrung
zulaͤßt 76). Aus dem naͤmlichen Grunde aber iſt auch
weiter
2) im Zweifel anzunehmen, daß ein Privilegium,
welches der Perſon ertheiler worden, mit dem Tode der-
ſelben aufhoͤre, und nicht auf die Erben gehe. Denn der
Unterſchied, den einige Rechtsgelehrte unter Privilegien,
die vermittelſt eines Vertrags durch einen beſchwer-
lichen Titel erworben; und ſolchen, die umſonſt, und aus
bloſer Gnade ertheiler worden ſind, hierbey machen wollen,
beruhet auf irrigen Vorausſetzungen, und laͤſſet ſich mit
den Geſetzen 77) nicht vereinigen 78).
[]
Appendix A Verbeſſerungen und Zuſaͤtze.
S. 49. Z. 26. ſtatt erſtern muß leztern, und
— Z. 27. ſtatt leztern — erſtern geleſen werden.
S. 72. Not. 4. bey stryck muß heißen Tit. 1.
S. 129. Not. 22. Z. 2. muß ergaͤnzt werden von Joſeph
Herr.
S. 142. Not. 42. nach Legem muß hinzugefuͤgt werden: pro
tenore ſtipulationis uſuras exacturos.
S. 179. Z. 10. von oben leſe man unternommenen Ge-
ſchaͤfte.
S. 202. Not. 43. nach affectantes iſt hinzuzuſetzen: Herr Prof.
Puͤttmann ſucht jedoch in ſeinen Interpretat. et Ob-
ſervat. S. 77. die gemeine Leſeart zu rechtfertigen.
S. 233. Not. 11. Ueber die L. 9. §. 2. D. de ſupellect. legata
verdient Adrian. Nic.mollerin Selectis iur. civ. ca-
pitib. Traj. ad Rhen. 1763. Cap. IV. §. 5. beym oel-
rich in Theſ. Diſſertat. Belgicar. Vol. II. T. II. S. 134.
nachgeſehen zu werden, wo derſelbe, auch ohne ein
Emblema anzunehmen, dieſe Geſetzſtelle ganz natuͤrlich
erklaͤrt hat.
S. 265. in der leztern Zeile leſe man ſtatt Vortrag Vertrag.
S. 271. Not. 79. iſt noch beyzufuͤgen D.Chriſt. Gottl.
Gmelin von Aufſaͤtzen uͤber Vertraͤge uͤberhaupt,
von Schuld- und Pfandverſchreibungen und andern
damit verwandten Aufſaͤtzen insbeſondere, nebſt For-
mularien. Tuͤbingen 1790. 8.
S. 280. Not. 96. iſt noch vorzuͤglich hinzuzufuͤgen Puͤtter in
den auserleſenen Rechtsfaͤllen. 3ten Bandes 1. Theil.
Reſp. 248. §. 11. S. 80.
S. 311. verdienen jedoch die treflichen Bemerkungen des Hrn.
Hofr. Heyne in dem Programm: Notitia corporis
iuris gloſſati MSti Bibliothecae Georgiae Auguſtae.
Goettingae 1783. uͤber digeſtum vetus, infortiatum et
novum beherzigt zu werden. Man findet ſolches ſo-
wohl in deſſelbenOpuſcul. acad. Vol. II. N. 17.
als in des H. Dr. Koppe neuen Magazin fuͤr die
geſammte Rechtsgelahrtheit. 1. Jahrgang. Neuſtreliz
1789. 8. S. 164.
Gluͤcks Erlaͤut. d. Pand. 1. Th. N nS. 314
[] S. 314. Sind anzufuͤhren vergeſſen worden: Leop. Andr.gua-
dagniad Graeca Pandectarum Diſſertationes. Piſae
1786. 4. in welchen die in den Pandecten vorkom-
mende viele griechiſche Stellen und Woͤrter erlaͤutert
und berichtiget worden ſind.
S. 319. Z. 20. muß beißen Lugduni 1659. die erſte Ausgabe
erſchien in den Jahren 1604—1616. Fol.
—— Not. 49. iſt noch beyzufuͤgen H. Geh. R. koch Diſſ.
de ordine Legum in Pandectis. S. 3 — 6. wo ſehr in-
tereſſante Notizen von den verſchiedenen Ausgaben,
welche Dionyſ. Gothofredus von dem Corpore
iuris civ. beſorgt oder veranlaßt hat, mitgetheilt wer-
den. Womit zu verbinden Ren. Car. L. B. desen-
ckenberg Meditat. iurid. (Wezlar. 1789.) Mantiſſ. VI.
S. 176.
S. 378. Z. 21. ſtatt erhalten haben, leſe man erhalten habe.
S. 415. Z. 12. Decretalen iſt zu leſen Decretalenſammlung.
S. 422. Not. 15. in der vorleztern Zeile ſtatt ſie waren, muß
heißen erſtere waren.
S. 446. N. 11. Z. 17. iſt bey den Worten: welche den
uͤbrigen entgegen iſt, die Beweisſtelle aus
L. 34. D. de R. I. vergeſſen worden, wo es heißt:
neque regionis mos appareat, quia varius fuit.
[][][]
allen andern Lehr- und Unterrichtsbuͤchern, zufoͤrderſt
allge-
Worts ius von Iuſtitia getadelt, weil nach den Regeln
der Grammatiker das Wort ius vielmehr a iubendo,
und Iuſtitia von ius abzuleiten ſey. Andere hingegen
haben ihn gegen dieſen Tadel zu rechtfertigen geſucht.
Die verſchiedenen Meinungen hier anzufuͤhren, halte ich
vor unnoͤthig. Man ſehe raeuardin Variis Lib. I.
c. 2. menagiusin Amoenitat. iur. civ. c. 39.
Gregor.lopez maderain Animadverſion. iur.
civ. (Colon Agripp. 1594. 8.) cap. 1. van dermuelen
c. l. ad h. L. 1. u. Ger.noodtin Comment. ad
Digeſta h. t. Soviel ſieht man wohl, daß Ulpian
mehr philoſophiſch als grammatiſch verfahren, und den-
jenigen Urſprung des Worts ius angeben wollen, wor-
aus der Begrif der Sache ſelbſt entſtanden. Da er nun
ius als eine Wiſſenſchaft betrachtet, welche in der Er-
kenntniß deſſen, was in jeden gegebenen Fall recht und
billig iſt, beſtehet, und folglich die Handhabung der Ge-
rechtigkeit zum Endzweck hat, ſo laͤßt ſich’s in ſofern
wohl vertheidigen, wenn er ius von iuſtitia ableiten wol-
len. S. Ioſ.finestresin Hermogeniani ICti
iuris
bey jeder Materie ein richtiger Hauptbegrif angegeben
werden ſollte, hat neuerlich der Verfaſſer des Verſuchs
eines Auszugs der Roͤm. Geſetze, in den An-
merkungen zum I.--IV. Buch der Pandekten S. 97.
u. f. richtig bemerkt, und das neue Geſetzbuch fuͤr die
Preuſſiſchen Staaten giebt ein muſterhaftes Beyſpiel
davon.
1. pag. 37. (Cervariae Lacetanor. 1757.) und Ge. Steph.
wiesand Vindiciae L. 1. §. 1. D. de Iuſt. et I. Lipſ.
1764. Eine Stelle in gellius lib. XIV. c. 4. und der
Zuſammenhang jener Stelle des Ulpians macht es aber
auch nicht unwahrſcheinlich, daß Ulpian auf Deam Iu-
ſtitiam alludirt habe. S. Io. Th.segeriOpuſcula,
herausgegeben von Herrn Prof. Kluͤber, Vol. I. S. 244.
u. f.
poſt tempora lib. reip. Lib. III. c. 2. §. 57. zach.
richter in Diſſ. de Oratione Antonini de donationibus
inter Vir. et Vxor. confirmandis Lipſiae 1759. §. 10.
Pet.burmannde vectigal. Pop. Rom. cap. 6.
p. 85. ſqq. vanwachendorfde principe legibus
ſoluto cap. III. §. 2. p. 101.
ea, quae ex ipſo teſtamento orientur, neceſſe eſt, ſe-
cundum ſcripti iuris rationem expediri, ſo haben viel
unter der ſcripti iuris ratione den Buchſtaben des Teſta-
ments verſtehen wollen, als Io.cannegieterad dif-
ficiliora iuris capita c. 1. schroderusin Ob-
ſervat.
iure Heidelberg. 1678.
Miſcellaneor. libro c. 13. p. 137. ganz unrichtig iſt
dieſe Erklaͤrung zwar nicht, allein ſie erſchoͤpft den Sinn
doch nicht ganz, wie ich an einem andern Ort gezeigt ha-
be. S. Opuſcula iuridica. Faſcic. I. p. 172.
ad h. L.
risdictione ſec. doctr. Rom. (edit. ſec. Lipſiae
1733.) Cap. I. §. XI.
ubi de cauſ. Status. L. 2. §. 13. D. de O. I. L. 7. D. de
off. Proconſ. L. 3. D. de off. eius, cui mand. eſt iurisd.
bisweilen haben jedoch die Roͤm. Juriſten dieſen Unterſchied
vernachlaͤßiget, v.finestresin Hermogeniano T. I. p. 327.
de iure diſputavit haud indigno. Halle 1765.
und Herrn Prof. Woltaͤrs Obſervat. iur. civ. et
Brandenb. Faſc. I. (Halle 1777.) Obſ. 26. p. 218 ſqq.
Oper. p. 501. Gregor.maiansiusin diſputat. iuris.
Tom I. Disp. XVIII. §. 9. p. 319. Io. vannispenin Ex-
ercit. ad Fragmenta, quae in Digeſtis ex
Herennii Modeſtini IX. libris Differentiar.
ſuperſunt; in oelrichTheſ. Diſſert. Belgicar. Vol. I. T. I.
N. I. rossmann Abh. Warum die Habitation viel-
mehr in facto als iure beſtehe? in den Erlang.
gelehrt. Anzeigen auf das J. 1751. N. XXXIII.
zu Tuͤbingen, deſſen Abhandl. von der eigentlichen
Beſchaffenheit der Habitation nach dem roͤm.
Rechtsſyſtem, ſich in den gemeinnuͤtzigen juriſt. Beobach-
tungen und Rechtsfaͤllen Dritt. Band N. VII. S. 78. f.
befindet; ſiehe beſonders §. 57.
nig geweſen, laͤſſet ſich aus den §. 5. I. de uſu et habitat.
und L. 13. C. de uſufr. erkennen.
anders, dieſer gieng durch erlittene Kapitisdeminution
verlohren. pauluslib. III. Sentent. Recept. tit. 6. §. 29.
Daher war es eine Cautel der Roͤmiſchen Teſtatoren, den
Uſusfructus entweder unter der Formel: Titio uſumfru-
ctum fundi lego; et quotiensque capite minutus erit, eun-
dem uſumfructum ei do lego, welche wir beym Gajus
in L. 8. D. de annuis legat. finden; oder ſelbigen den Lega-
tarius ausdruͤcklich auf ſeine ganze Lebenszeit zu vermachen,
L. 3. pr. D. quib. mod. uſufr. oder Tag- Monath- oder
Jahrweiſe (in ſingulos dies, menſes, annosve) zu legiren.
L. 2. §. 1. D. quib. mod. uſufr. amitt. Auf ſolche Art
wurde das Legat vervielfaͤltiget; und der Legatar war nun
auf jeden Unfall gedeckt. Gieng daher auch das Legat fuͤr
ein oder mehrere Jahre wegen erlittener Kapitisdeminu-
tion des Legatars verlohren, ſo konnte er doch, ſobald
die Urſach des Verluſts gehoben, fuͤr die kuͤnftige Zeit gleich-
ſam aus einem neuen Vermaͤchtniß (ex repetitione) die
Nutznieſſung behaupten, weil auf jeden Fall einer etwa
erlittenen Kapitisdeminution, auf jedes einzelne Lebensjahr
des Legatarius, ja auf ieden Monath, oder Tag demſel-
ben gleichſam ein beſonderer und wiederholter Uſusfructus
vermacht worden, welchen derſelbe nach jeder erlittenen
Veraͤnderung immer wieder von neuen anfangen konnte. v.
L. 3. § 1. L. 5. D. quib. mod. uſusfr. amit. L. 3. §. 2.
D. Uſufr. quemadm. cav. L. 23. D. de uſu et uſufr.
praeſta-
Fragment eben ſo ausgelegt. S. ottonis Theſ. Iur. Rom.
T. 1. p. 692.
Kr. Juſtinians verfertiget, ins Teutſche mit
erlaͤuternden Anmerkungen uͤberſetzt. 1. Theil
Pandekten. Frankf. u. Leipz. 1785. S. 54. Anmerk. d.
minutione non perire; quia civilis ratio naturalia iura
corrumpere non poteſt.
lynkerin praeſcript. publicis ad textus quos-
dam iuris ſelect. (Viennae 1723. 8.) Praeſcript. XXI.
p. 166.
tentiam Modeſtiniin L. 10. D. de capite minut.
Gott. 1778. Auf eine aͤhnliche Art erklaͤrt dieſe Stelle
auch donellus in Comment de iure civili Lib. X.
cap. 21.
legatum habitationis unum videtur legatum eſſe. Allein
der Juriſt redet hier von einem ſolchen legato habitatio-
nis
ben uͤbrigens G. Chr.gebauer in Diſſ. de iuſtitia
et iure Gött. 1738. rec. 1777. §. VI. ſqq. Georg.
Chriſtoph.nellerin Principiis iuris, de iure,
quod tribuit Iuſtitia, und in der Abhandlung de
bono, aequo et iuſto in Opuſc. T. I. P. I. N. 3. et
4. desgleichen Ier. Eb.linck in Diſſ. de iure va-
riisque eius ſignificationibus. Argent. 1741.
obgleich alle nicht vollſtaͤndig, gehandelt.
B. Damnas eſto heres, Titium ſinere in illa domo habita-
re, quoad vivet. Ein ſolches Legat war freylich ſeiner
Natur nach nur ein einiges, nehmlich in Anſehung des
Erben, welchem der Teſtator die Verbindlichkeit auferlegt
hatte, den Legatarius in dem beſtimmten Hauſe wohnen
zu laſſen. Dieſe Verbindlichkeit iſt nur eine einzige, und
der Erbe hat derſelben ein Genuͤge gethan, ſo bald er
nach angetretener Erbſchaft dem Legatar die Wohnung ein-
geraͤumt hat. Nur auf Seiten des Legatars iſt das Ver-
maͤchtniß der Habitation mehrfach. S. Boͤhmer a. a. O.
§. VII.
und Ern.tentzel de definitione legali obli-
gationis Erf. 1737.
tio in unſern Geſetzen auch fuͤr Verpfaͤndung genom-
men;
Rechts (Goͤttingen 1789.) §. 31.
Chriſtph.hofacker Princip. iur. civ. Rom.
Germ. T.I. (Tübingae 1788.) §. 670.
gationis. Tübing. 1754. inter eivsdem Diſſert.
iur. naturalis. Tom. I. (Erlang. 1784 8.) Diſſ. III. §. 19.
und Adolph Dietrich Webers ſyſtematiſche Ent-
wickelung der Lehre von der natuͤrl. Verbind-
lichkeit 1. Abth. (Schwer. Wismar u. Buͤtzov.) 1784. §. 1.
raliter neceſſarium eſſe id, cuius oppoſitum ſalvo reſpe-
ctu actionum liberarum ad regulam eſt impoſſibile.
verſchiedener Rechtsmaterien 1. B. 2. St. N.
XIII.
Schwaͤngerungen, beſonders von denen dieß-
falls gebraͤuchlichen Zwangskopulationen.
Anſpach 1784. 8.
laſſe, beweißt auch Ulrich Huberin Digreſſionib.
Iuſtinian. pag. 318. ſqq.
der Verbindlichkeiten in mittelbare und unmittel-
bare ſchlechterdings verwerffen, weil, ihrer Einſicht nach,
ohne alles Factum gar keine Verbindlichkeit denkbar ſey.
Siehe Dr. Meurers juriſtiſche Abhandlungen und
Beobachtungen. 1. Sammlung 1. Aufſatz. Allein L. 52.
pr. und §. 5. D. de obl. et act. beweißt dieſe Eintheilung
deutlich. Ueberdies kommt es bey dieſer Diſtinction nicht
darauf
die Verbindlichkeit obliegt, vorhanden, oder nicht, ſondern
ob ſie ihren naͤchſten Grund (cauſam proximam) aus ge-
ſetzlicher Dispoſition, oder aus einer moraliſchen Hand-
lung desjenigen, dem ſie obliegt, ableite. Setzt man den
diſtinctiven Character der unmittelbaren und mittelbaren
Verbindlichkeit darinn, ſo iſt die Eintheilung vollkommen
gerechtfertiget. S. nettelbladt in Syſtemate
elementari iurispr. poſitivae Germanor.
commun. generalis. Halae 1781. §. 295. et 296.
ſe Fragmente ſind aus des gaiilibris Aureorum ge-
nommen, wie die Inſcription derſelben lehrt, und zwar
L. 1. ex lib. 2. Aureorum; L. 4. und 5. aber ex lib. 3.
Aureor. die Ueberſchrift des L. 4. heißt gaivslib. 3.
Rerum Quotidianarum, ſive Aureorum. Vermuthlich gab
Gajus ſeinem Buch dieſen Titul, weil gemeinnuͤtzige Sa-
chen darinn enthalten, ſo in foro taͤglich vorkommen,
und welche eben deßwegen beſonders ſchaͤtzbar waren. S.
Franc. Car.conradide Caii libris Rer. Quotid. ſive
Aurcorum in Parergis Lib. 1. n. VII. p. 113.
lib. 3. Rerum Quotid. ſeu aureorum genommen iſt, und von
dem quaſi delicto iudicis litem ſuam facientis handelt,
ſcheint mit dem §. 4. L. 5. D. de obl. et act. einerley zu
ſeyn; nicht ohne Grund haben daher prateivs in
Iurisprud. med. Lib. I. c. 19. und pancirollvs
in Theſ. variar. Lection. Lib. 1. c. 78. ſelbige inter ge-
minationes Pandectarum gezaͤhlet. Jedoch urtheilet Wiſ-
ſenbach ganz richtig, daß die leztern Worte jener L. fin.
nach quaſi ex maleficio teneri, ein Zuſatz der Compilato-
ren waͤren.
civ. Lib. XII. c. 5.
buͤrgerlich vollkommenen Verbindlichkeiten, da wo keine
unerlaubte Handlung vorlag, auf Kontracte reducirt ha-
ben? hat Prof. Weber im angef. Buch. 1. Abth.
§. 8. vortreflich gezeigt.
§. 9.
I. Abtheil. §. 10—20. welcher daſelbſt die Begriffe von de-
nen obligationibus quaſi ex delicto vortreflich erklaͤrt,
und von den Irthuͤmern der Doctorum gereiniget hat.
Koch und Puͤttmann in ihren Lehrbuͤchern der peinl.
Rechtsgelahrtheit.
quaedam voluntatis et officii magis quam neceſſitatis ſint,
ſo zielet er unſtreitig auf dieſen Unterſchied.
und Herrn Oberappellations-Raths Hoͤpfners ſind ohne
mein Anfuͤhren ſchon bekannt.
Beſchwerde, eine Pflicht, die jeder Buͤrger, dem eine
Vormundſchaft aufgetragen wird, zum Beſten des Staats
uͤbernehmen muß, wenn er nicht eine rechtmaͤſige Ent-
ſchuldigung fuͤr ſich anzufuͤhren vermag.
iniuria eius (ſc. mariti) videretur, quondam uxorem
eius inſepultam relinqui, eine nur unvollkommene Ver-
bindlichkeit dem erſten Anſehen nach anzuzeigen, allein die
vorhergehende Worte, maritum, in quantum facere po-
teſt, pro hoc conveniri poſſe, benehmen allen Zweifel.
angef. Diſſ. de obligatione imperfecta ex honeſtate iuris
eivilis auctoritate perfecta. Lipſ. 1751. Siehe auch Chriſt.
Henr.breuning Spec. de civili obligatione et
actione ex praeceptis honeſtatis. Lipſiae 1768.
Prof. Webers mehrmals geruͤhmtes Werk von der na-
tuͤrlichen Verbindlichkeit 3. Abtheil. 7. Abſchnitt
§. 99. ff.
bey Erklaͤrung gedachter L. 2. §. 5. D. de aqua et aquae
pluv. arc. von denen eleganten Bemerkungen des Herrn
Prof. Webers a. a. O. S. 105. f. Gebrauch gemacht
habe. Man vergleiche jedoch hierbey auch Em. merillii
Variant. ex Cuiacio. Lib. III. cap. 39.
den ordentlichen buͤrgerlichen Proceß. 1. Theil
1. Hauptſt. §. 2. u. ff. auch Sammlung einiger neuer
vorhin gedruckter und bisher ungedruckter
Schriften von der im Weſtphaͤliſchen Friedens-
ſchluß erlaubten Selbſthuͤlfe. Leipzig 1756. 4.
L. 1. §. 27. D. de vi. L. 1. C. unde vi. Art. 140. u. f.
C. C. C. Vid. Ioſ. Lud. Ern.puͤttmanni Diſſ. de mode-
ratione inculpatae tutelae. Lipſiae 1783.
duo genera decertandi; unum per diſceptationem, alte-
rum per vim; cumque illud ſit proprium hominis, hoc
belluarum: confugiendum eſt ad poſterius, ſi uti non
licet ſuperiore.
Lib. XII. Tit. VI. Qu. 5.
heit S. 17. Allein man vergleiche Weber von der na-
tuͤrlichen Verbindlichkeit 1. Abth. §. 2. S. 6.
iuſti iniuſtique regulam eſſe: und cicerode Nat. Deor.
Lib. II. ſagt: Lexeſt recti praeceptio pravique depulſio.
Tuͤbinger Ausgabe von 1788.
et 28.
dicis Legum als ſub. voc. Lex.
Prof. Webers Reflexionen zur Befoͤrderung
einer gruͤndlichen Theorie vom heutigen Ge-
brauch des Roͤm. Rechts. (Schwerin, Wismar und
Buͤzow. 1782. 8.) S. 31. fg.
sandin Opuſculis. (Leipzig, 1782. 8.) p. 13. ſqq.
und Iac.cuiaciusad L. 1. D. de Iuſt. et Iur.
ſoviel heiſſen ſollen als an etiam in iudicio aliquando
contradicta et firmata fit conſuetudo, zeigt der beruͤhmte
Herr Prof. Puͤttmann in ſeinen eleganten Interpretat.
et Obſervat. iuris, cap. 19.
gen und Rechtsfaͤlle von Gmelin und Elſaͤßer.
IV. Band. N. XII. §. 139.
xionen §. 8.
bor. Signif. v. lex.
manus, Senatorio magiſtratu interrogante (veluti Conſule)
conſtituebat.
bus div. de collect. Legum Germanicar.
Cap. II. §. 1. Prof. Fiſchers Entwurf einer Ge-
ſchichte des teutſchen Rechts, (Leipzig 1781. 8.)
§. 5. Von Selchow Rechtsgeſchichte §. 268. und
D. Chriſt. Gottl.bienerin Commentariis de ori-
gine et progreſſu Legum Iuriumque Ger-
man. P. I. Lib. II. Cap. I. §. 51.
ad Eundem in not. 3. et ſqq. Iurispr. vet. Antejuſt. pag.
561. ſqq. et voetad. Pand. Tit. de L. L. §. 16.
et met. except. S. brvmmerad L. Cinciam C. III. Meh.
rere Beyſpiele ſolcher Legum imperfectarum findet man
beym noodtin Commentar, ad Digeſta. Tit. de
religioſis. Tom. II. Oper. p. 268. (edit. Belgicae 1735. fol.)
tio cap. 53. Mens, et animus, et conſilium, et ſenten-
tia civitatis, poſita eſt in legibus. Ut corpora noſtra
ſine mente: ſic civitas ſine lege, ſuis partibus ut ner-
vis, ac ſanguine et membris, uti non poteſt.
geſichert wird, handelt ſehr ausfuͤhrlich und mit dem ge-
woͤhnlichen Scharfſinn Guſtav Bernh. Becmannin Diſſ.
de aequitate privilegii odioſi et poteſtate
imperantis circa illud. Goettingae 1750. §. 8.
und folg.
ihren Geſetzen auch dadurch eine groͤſere Heiligkeit zu ge-
ben, daß ſie ſolche der Eingebung einer gewiſſen Gottheit
zuſchrieben. Bekannt ſind die Taͤuſchungen eines Solons,
Zaleucus, Numa Pompilius und anderer mehr. Siehe
Io. Sal.brunquelli Proluſ. Acad. de variis vete-
rum legibus ſuis ſanctitatem auctorita-
temque conciliandi modis. Ienae 1729.
D. de rit. nupt. c. 1. 3. 4. Cauſ. XXX. Qu. 5. cap. 3. X.
Qui matrim. accuſ. poſſ. Zwar haben die heiligen Vaͤter
auf der Kirchenverſammlung zu Trident das Anathema
wider diejenigen ausgeſprochen, welche ſich etwa unter-
fangen ſollten zu behaupten, daß die Ehe wegen fehlen-
der Einwilligung der Eltern zu annulliren ſey, Seſſ. 24.
de Reformat. matrimon. cap. I. Allein es kann ſich jenes
Anathema der heiligen Synode wenigſtens auf proteſtantiſche
Lande nicht erſtrecken.
Entwurf zu einem allgemeinen Strafcodex,
aus
dem Zwecke der Strafen, hinter Valazê. S. 59.
und ff. und Herrn Prof. Puͤttmanns Progr. de poe-
nis exemplaribus. Lipſiae 1787.
zig 1786.) ſagt im 1. Buch 1. Cap. Seit. 2. Verbrechen
nenne ich eine boͤſe, d. h. den Geſetzen zuwiderlau-
fende Handlung, deren Wirkung dieſe iſt, daß ſie Un-
ordnung unter den Menſchen anrichtet.
in Verr. IV. c. 66. et pro Balbo c. 14.ernestiin
Clavi Ciceron. voc. Sanctio.
tomannusin Commentar. de verbis iuris in
voc. Sanctum. et brissonius de Verbor. iuris Si-
gnificat. in voc. Sancta.
Roͤmer inſonderheit diejenigen Strafgeſetze, welche die Clauſul
enthielten: Quei aliter faxit, cum pecunia familiaque ſa-
cer eſto. Daher ſagt festusde verbor. ſignificat.
Lib. XVII. sacratae legesſunt, quibus ſanctum eſt,
ut, qui quid adverſus eas fecerit, ſacer alicui deorum
ſit cum familia pecuniaque. Man vergleiche Frid.plat-
neride legibus ſacratis liber ſingularis.
Lipſiae 1751. 8.
Signif. Conſilium ſolum habuiſſe non nocet, niſi et fa-
ctum ſecutum fuerit.
in Spruͤchwoͤrtern. Fuͤnfte Abtheil. S. 397.
puͤttmanniInterpretat. et Obſervat. iuris. cap.
XIX. pag. 89.
Verordnung nur auf Verbrechen hoͤherer Art Beziehig
habe. Andere wenden dieſe Vorſchrift auf alle Verbreen
an. Puͤttmann in Elem. iur. crim §. 58. Quiorp
in den Grundſaͤtzendes peinl. Rechts. 1. Th. 33.
not. d. Eine ganz eigene Meinung hegt Corn van Byn-
kershoͤck Obſervat. Iur. Rom. Lib. III. c. 10. haͤlt
dafuͤr, daß der Ausdruck maleficium — hier keine agemei-
ne ſondern eine vorzuͤgliche Bedeutung habe, und nur von
ſolchen Miſſethaten, deren der Theodoſiſche und Iſtiniani-
ſche Codex unter dem Titul: de maleficis etmathe-
maticis erwaͤhnet, angenommen werden duͤrft Haupt-
ſaͤchlich will er ihn von der Giftmiſcherey und ſolchen Ar-
ten des Menſchen-Mords verſtanden wiſſen, wovon Lex
Cor-
laſſe ſich auch begreifen, wie L. 14. unter dem Titul der
Pandecten, worin von den gedachten Corneliſchen Geſetz
gehandelt wird, habe gebracht werden koͤnnen. Einige
gehen noch weiter, und wollen durch eine Verſetzung der
Worte der Sache abhelfen. Sie leſen nehmlich in male-
ficiis non voluntas ſpectatur, ſed exitus. Allein die rich-
tigſte Erklaͤrung iſt, wenn wir unter maleficium, jeden un-
gluͤcklichen Vorfall, der zu einer Kriminal-Unterſuchung
Gelegenheit geben kann, oder jedes unerwartete Factum,
ſo den Urheber zu irgend einer Verantwortung verpflich-
ten kann, verſtehen, eine Bedeutung, in welcher dieſes
Wort ſowohl bey den alten claſſiſchen Scriptoren, livivs
Lib. V. c. 3. VII. 20. als in den Fragmenten der Roͤm.
[R]echtsgelehrten vorkommt L. 1. D. de obligat- et actionib.
L. 53. pr. D. de furtis. L. 16. §. 10. D. de poenis. Es
be[st]aͤrkt dieſe Erklaͤrung inſonderheit auch das Wort volun-
tas welches hier ſo viel als Vorſatz oder Abſicht heißt.
Die Worte non exitus heiſſen ſoviel als non ſolus exi-
tus. d. i. man ſoll nicht auf den Erfolg der That allein,
ſondern beſonders auf die Abſicht ihres Urhebers ſehen.
Man vergleiche die gelehrte Abhandlung uͤber L. 14. D.
ad L. Corn. de ſicar. in dem neuen Leipziger Ma-
gazin fuͤr Rechtsgelehrte herausgegeben von
Guͤnther und Otto, auf das Jahr 1786. 1. Stuͤck.
Seite 1—17.
§. 16. und Prof. Puͤttmann in den Adverſir. iuris
univerſi cap. 16. §. 9.
legung und voͤlligen Freyheit ſind veruͤbet worden, ſo-
brauchen unſere peinl. Rechte die Ausdruͤcke: fuͤrſez[l] [...],
muthwillig, gefliſſen. S. Peinl. Gerichtsord[n] [...]ng
Carls des V. Art. 137. und 159.
lichen Freyheit. (Deſſau.) Hoͤpfners Naturecht.
§. 3. u. 4. und Hofr. Feders Unterſuchungen uͤ [...]er den
menſchlichen Willen. 2te Auflage.
Tit. 1. §. 14. schaumburgCompend. D. geſtor.
Lib. IX. Tit. 1. §. 3. schmidtInſtit. iur. iv. §. 423.
hommelRhapſod. Quaeſt. Obſ 567. w [...]n Tevenar
Verſuch uͤber die Rechtsgelahrheit S. 58.
funden zu haben vermeint, in welchen Paulus ſagt. In
damnis, quae Lege Aquilia non tenentur, in factum da-
tur actio.
§. 2. leyserMeditat. ad Pand. Spec. 532. Med. 2.
inſonderheit Weber in der ſyſtemat. Entwikelung
der Lehre von der natuͤrlichen Verbindlichkeit.
2te Abth. §. 71. S. 270.
Oper. pag. 12.
loca difficil. tit. de LL. p. 8.
Rechts. Th. I. §. 38.
Einleitung §. 2. und 3.
uͤber Kirche und Kirchengewalt in Anſehung
des kirchlichen Religionsbegrifs. Jena 1789
S. 23. u. 119.
Rath Brauer in ſeinen gelehrten Abhandlungen zu
Erlaͤuterung des Weſtphaͤl. Friedens. 3. Hand
S. 9. u. folg.
rial Verrichtungen der Geiſtlichen, denn dieſe machen nur
einen Theil derſelben aus.
u. f.
Wilh. Roberts Abhandl. uͤber das Recht evange-
liſcher Landesherrn, die Liturgie abzuaͤn-
dern. In Deſſelben Beytraͤgen zu der natuͤrl. und po-
ſitiven Rechtsgelahrtheit. Marburg 1789. 8.
maͤſigen Unterſchied zwiſchen oͤffentlicher und
privat Religionsuͤbung der Unterthanen §. 5.
in deſſelben oben angef. Abhandlungen 3. Band S. 10. u. ff.
verſale. Lipſiae 1763.
manumiſſoris iure cenſeri, d. i. manumiſſoris ius habere.
civ. Ev. ottonis pag. 507.
bros VI. Commentar. Tom. I. Lib. I. Exerc. I.
Theſaur. iur. civ. et canon. Ger.meermanni pag. 553.
natura omnia animalia docuit. Lipſiae 1727.
verſam naturam (i. e. communem) nihil contendamus,
et ea tamen conſervata propriam (i. e. humanam) ſequa-
mur. Siehe Hofackerin Princip. iur. civilis
Rom. germ. T. I. §. 5. N. a.
Atticar. Lib. XII. c. 5. bezeugt.
Lib. IV. c. 7. quam Deus, et divina ratio, toti mundo et
partibus eius inſerta?
tic. iuris Lib. I. Cap. IV. §. 132. und Car. Frid. walch
in den Anmerkungen S. 219.
heit Ioſ. finestres in Hermogeniano a. a. O.
Exercit. 3. u. folgg. verglichen zu werden.
am beſten Franz Carl Conradi in Parergis Lib. I. N. I.
§. XI. u. folgg.
de vi legum et decretorum interritorio
alieno (Lipſiae 1777) §. 3. angemerkt.
tung fuͤr Staatsrechtsgelehrſamkeit (Iurisprudentia pu-
blica) genommen werde, wird in der Folge bey Entwi-
ckelung der mancherley Theile der in Deutſchland uͤblichen
Rechtsgelahrtheit geſagt werden.
rechts der geſammten Reichslande. Jena 1787. 8. und
Joh.
Pop. Rom. ad L. 1. §. 2. D. de I. et I. Helmſt. 1764.
Franc. Car. conradi Diſp. de Fecialibus et iure
Feciali Pop. Rom Helmſt. 1734. Io. lac. mascov.
Diſſ. de Iure auſpicii apud Rom. Lipſ. 1721. und
Iac. gvtherivsde veteri iure pontificio urbis
Romae. in Theſaur. Antiquit. Rom. graevii Tom. V.
Mainz 1788. 8.
§. 6. ſey hier nicht illud, quod in ſacris, in magiſtra-
tibus, et ſacerdotibus conſiſtit; ſondern ſoviel als ius
commune, quod omnium utilitatem reſpicit, und werde
dem iuri per conventionem, teſtamentum aut privile-
gium quaeſito entgegengeſezt.
und folg.
B. 156. S. 377.
iuri publico minime derogatur. S. G. L. boehmer
in Princip. iuris canon. Lib. II. Sect. III. Tit. 6.
§. 243. not. b.
dorfde Iur. Nat. et Gent. L. I. c. 6. §. 15. Allein
man ſehe nach Frid. Lud. doering Diſſ. de quadru-
plici Legis virtute. Erford. 1776. §. 5.
tit. 17. und 1577. tit. 17.
P. O. v. J. 1577. tit. 20. §. Es ſoll auch.
Lehre von der natuͤrlichen Verbindlichkeit.
2te Abth. §. 65. 66. und 67.
Zwar meint grotiusde Iure B. et P. Lib. II. c. 5.
§. 14. n. 4. et 10. es ſey noch ein Unterſchied unter ver-
bieten, und eine Handlung nichtig machen; und erſte-
res ſchlieſſe das leztere nicht nothwendig in ſich, indem
dem Verbot auch durch eine Strafe ein Genuͤge geſchehen
koͤnne. Allein Herr Regierungsrath Eichmann hat dieſe
Meinung in ſeinen vortreflichen Erklaͤrungen des
buͤrgerlichen RechtsI. Th. S. 31. gruͤndlich wi-
derlegt.
perfectas, imperfectas et minus quam perfectas, die ich
ſchon oben S. 56. u. 57. erlaͤutert habe, uͤbergehe ich
hier um ſo mehr, da ſie durch das neuere Roͤm. Recht
gaͤnzlich aufgehoben worden iſt.
Tit. de Legibus §. 16. Io. Steph. putter in Theo-
ria generali de nullitate. Goetting. 1759. §. 17. und
20. Aug. With. meier in Comment. de nullitate
ſententiar. ſanabili et inſanabili. Goetting.
1777. §. 5.
lect. Quaeſt. Lib. 1. c. 1.
§. 74. S. 297. und folgg. mit dem ihm eignen Scharf-
ſinn hieruͤber geſagt hat. Vergleiche auch Greg. maian-
ſii Diſſ. de factis contra legem: Tom. II. Diſ-
put. Nr. XI. Eichmann a. a. O. Car. Chriſtph. hofa-
ckerPrincip. iuris civ. Rom. Germ. T. I.
Lib. I. cap. VI. Tit. III. §. 210.
Tit. 21. §. 17. und 18. Schotts Einleitung in das
Eherecht. §. 106. Hofmann Handbuch des Teut-
ſchen Eherechts. Hauptſt. 44. §. 321. püttmann
Probabil. iuris civ. lib. ſing. c. XVII. ingleichen
Adverſarior. iuris univ. Lib. I. cap. X.
Lib. III. Sect. II. Tit. 5. §. 386. not. f. hellfeld
§. 1218.
ſervat. de fructu et effectu negotii inutilis
nullius et imperfecti. Vitembergae 1750. Chriſt.
Ferd. harpprecht Diſſ. de effectibus actus nul-
liter geſti. Tüb. 1750.
modum quis uſuras ſtipulatus fuerit, ſive uſurarum uſu-
ras, quod illicite adiectum eſt, pro non adiecto ha-
beri, et licitas peti poſſe.
inter Vir. et Vx. L. 7. C. de inoff. donat.
in 6to.
c. 3. n. 11. und 12. beſtimmt den Gebrauch obiger Regel
folgendergeſtalt: Haec regula obtinet, cum lex ſiatuit
certam quantitatem, quam excedere non licet: tunc enim
vitiatur ſolus exceſſus, quia vitium eſt ſolummodo in ex-
ceſſu. Contra vero, quando lex ſtatuit aliquid de natura
actus, eique formam praeſcribit, tunc quia vitium eſt in
ipſa natura formaque actus, neceſſe eſt, ut totus actus
corruat.
L. 15. D. de condit. inſtitut.
bladt in ſ. Syſtem. Element. Iurisprud. poſi-
tivae Germ communis general. Lib. I. Sect. V.
M. II. C. II. Tit. 2. §. 458.
§. 413. und Claproth in der theoret. pract.
Rechtswiſſenſchaft von freywilligen Ge-
richtshandlungen. (Goͤttingen, 1789.) §. 196.
Meditat. ad Pand. Spec. 8. welchem H. Reg. R.
Eichmann in den Erklaͤrungen des buͤrgerlichen
Rechts Th. I. S. 35. und folg. ganz beygetreten iſt.
Lehre von der natuͤrlichen Verbindlichkeit.
2te Abth. §. 74. S. 301.
ſtorp in den Beytraͤgen 1. St. Nr. VIII.
tibus praedior. Sect. II. c. I. §. 2.
blica et itinere publ. zu berufen, jedoch iſt die Leſeart dieſer
Geſezſtelle annoch einigem Zweifel unterworfen; denn in der
Florentiniſchen Handſchrift fehlt das andere non, welches
Lael.tavrellvs in ſeiner Ausgabe zuerſt ergaͤnzet hat,
wie das bekannte Taurelliſche Zeichen der dabey befindlichen
beiden Sternchen zu erkennen giebt. Daß jedoch dieſes non
da ſtehen muͤſſe, zeigt der Context, und die Βασιλικα. T. IV.
p. 778. beſtaͤrken dieſes noch mehr. S. Siegm. Reich.iav-
chivsde Negationibus Pandect. Florentin.
Cap. I. pag. 4.
ſitiv. general. §. 73. u. 74.
not. m. angefuͤhrt, ich fuͤge nur noch hinzu Ge. Ad.struv
Diſp. de eo quod iuſtum eſt circa res merae
facultatis rec. Ienac 1737.
Cap. II. §. 21. welchen auch Iac.rave in Tr. de prae-
ſcriptione §. XIII. litt. b. folgt.
de nundinis. L. 7. Cod. de petit. hereditat. L. 3. C. de
praeſcript. XXX. vel XL. annor.
Eichmann in den Erklaͤrungen des buͤrgerl.
Rechts. I. Th. S. 39. u. folgg.
vom Kauf, Pacht, Mieth und Erbzins-Con-
tract. (Leipzig, 1789.) I. Th. 1. Haupt. 2. Cap.
auch Schroͤtersvermiſchte juriſt. Abhandlungen
2ter Band Seite 145.
§. 1. et 4. Cod. de aedific. privat.westphalde li-
bertate et ſervitut. praedior. Sect. II. c. I. §. 3.
a. a. O. §. 9. und 10.
in Princip. iur. canon. §. 255. und 259.
a. a. O. §. 264.
uͤber die Verjaͤhrung des aus dem Wieder-
kaufsvertrag entſpringenden Wiedereinloͤ-
ſungsrechts in dem neuen Leipziger Magazin fuͤr
Rechtsgelehrte herausgegeben von Guͤnther und Otto
auf das Jahr 1786. beſonders im 3ten St. S. 236.
und folg. Eben dies hat auch Herr Profeſſor Kluͤ-
ber in ſeiner kleinen juriſtiſchen Bibliothek
3. Band 12. St. N. 143. S. 415. gegen Herm. Beker
in den rechtlichen Gedanken uͤber eine Stelle in dem
Schaumburgiſchen Compendio iuris Digeſt. in Tit. de
contrah. emt. vend. §. 20. Greifswald 1787. gruͤndlich
erinnert.
juriſtiſcher, philoſ. und kritiſcher Aufſaͤtze
1. B. 3. St. N. 1. S. 148. woſelbſt die nicht gemeine,
aber ſehr wichtige Anmerkung gemacht wird, daß man
nicht meinen muͤſſe, als ob alle ſo genannte Iura per-
fecta immer wirkliche Befugniſſe ſeyen. Wir ſind ver-
bunden, um der allgemeinen Sicherheit willen, vieles
als ein Recht gelten zu laſſen, ohne darauf zu ſehen, ob
derienige, der ſolches ausuͤbt, wirklich dazu befugt ſey.
Ein wahres Recht kann nach natuͤrlichen Rechten nur das-
jenige ſeyn, was mit dem ganzen Umfang unſerer Pflich-
ten uͤbereinſtimmt. Streitet etwas nur mit irgend einer
von unſern Pflichten, z. E. mit der Menſchenliebe; ſo iſt
es kein wahres Recht mehr. Wahre Rechte nennt man
innerliche Rechte (Iura interna). Was hingegen nur
unter den Menſchen als ein Recht gelten muß, ſo daß
es nicht darauf ankommt, ob derienige, der ſolches aus-
uͤbt, ein innerliches Recht dazu habe, oder nicht, das
begreifen wir unter dem Nahmen aͤuſſerlicher Rechte
(Iura externa). So hat z. B. eine Obrigkeit, die ihre
Rechte nicht nach der Vorſchrift des Gewiſſens ausuͤbt,
zu dem, was ſie thut, blos ein aͤuſſerliches Recht. Ein
aͤuſſerliches Recht muß in der menſchlichen Geſellſchaft
als ein wahres und wirkliches Recht angenommen wer-
den. Wir ſind ſelbſt im Gewiſſen verbunden, die aͤuſſer-
lichen Rechte fuͤr guͤltig zu erkennen, niemanden im Ge-
brauch derſelben zu ſtoͤren, und einem jeden dasienige
zu leiſten, was er aus einem ſolchen Rechte von uns
fordert. Das Wohl der menſchlichen Geſellſchaft erfor-
dert dieſes nothwendig. Wir muͤſſen es einem jeden
uͤberlaſſen, ob er ſich ſeiner Rechte nach Vorſchrift des
Gewiſſens bedient, oder nicht, ſo lang er das Ius per-
fectum anderer Menſchen nicht beleidigt. Denn wer
ſollte hier entſcheiden?
mit Anmerkungen von H. G. Scheidemantel (Mietau
1771.) §. 150.
mutabilitate iuris naturae, gentium et civilis. Frf. 1669.
Io. Casp.brendel Diſſ. de immobilitate iuris naturae.
Lipſ. 1689. Henr.cocceii Diſſ. de immutabilitate iu-
ris
und 58.
N. 72. Io. Ioch.schoepfer Diſſ. de iure civ. ius na-
turae determinante circa perſona[s]. Roſtoch. 1709.
Car. God.winckler de poteſtate legum civilium in
ius naturae. Lipſ. 1713. Casp. arheden Diſſ. de im-
mutabilitate iuris naturae. Bremae 1717. God.croo-
nenberg de iuris naturae conſtantia et immutabili-
tate. Lugd. Batav. 1721. Erh.reusch Diſſ. de im-
mutabili naturae lege. Helmſt. 1739. und Joh. Lor.
Holderrieder von der Gewalt der Majeſtaͤt uͤber das
Recht der Natur, in deſſelben hiſtor. Nachrichten von
der Weiſſenfelſiſchen Aletophiliſchen Geſellſchaft. Leipzig
1750.
I. H.boehmer Diſſ. praelim. de iure circa liber-
tatem conſcientiae, Tom. II. ſeines Iuris Eccl.
Prot. §. XX. S. 18. zu excerpiren, welche ſo lautet: Recta
ratio oſtendit,nihil plusin principemesse transla-
tum, quam quod in ipſum transferripotuit, quodque
ad finem reipublicae obtinendum in eum transferride-
buit. Non autempotuitin eum transferri, ius co-
gitationesſingulorum efformandi, etdoctrinam
praeſcribendi, ſecundum quam conceptus animi ſui forma-
re, et non aliter ſentire aut credere debeant de Deo,
eius eſſentia, redemtione per Chriſtum, reſurrectione mor-
tuorum, aliisque fidei articulis. Nullo modo homo ita
mentis ſuae eſt arbiter, ut eam ſimpliciter alterius arbi-
trio ſubiicere, et quam ei Deus tribuit,facultatem
ratiocinandiabiicere queat. — Quid aliud eſt,liber-
tatem cogitandi, credendi, in veritatem inquiren-
di, et ſecundum eam ſe emendandi, ſubditis denegare,
quam eos ſocietati belluarum adiungere, qui ductu ducto-
ris ſui ducuntur, quo velit? etc. Man verbinde hiermit
die ſehr gruͤndlich geſchriebene Abhandlung des gelehrten
Herrn Prof. Dr. Gottl. Hufelands uͤber das Recht
proteſtantiſcher Fuͤrſten, unabaͤnderliche
Lehrvorſchriften feſtzuſetzen und uͤber ſolchen
zu halten. Jena 1788. 8. S. 8. und folgg.
vor Recht: Generaliter, quotiens pactum a iure commu-
ni remotum eſt, ſervari hoc non oportet, — — et
ſi ſtipulatio ſit interpoſita de his, pro quibus paciſci non
licet, ſervanda non eſt, ſed omnia reſcindenda.
Stelle van dermuelen.
den Grundſaͤtzen des peiul. Rechts. I. Th. 2.
Abſchn-
miſceant. Nov. 123. c. 6. L. 1. Cod. Negotiatores ne militent.
de obligatione ad revelandum occulta.
T. VI. Exercit. ad Pandect.puͤttmann in Diſſ. de
crimine conniventiae. funckler de crimine
omiſſionis. u. a. m.
Legibus §. 10. und Bern. Aug.gaertnerin Medi-
tat. pract. ſec. ord. Pandectar. Spec. I. (Marb.
1785. 8.) Med. 8. S. 21.
chung der Geſetze. Freiburg im Breisgau 1783. 8.
und eine andere Schrift eben dieſes Inhalts im Maga-
zin gemeinintereß. LektuͤreIII. Quart. 1785.
8. S. 415 ‒ 425.
puli circa poenas, earum vim impediente.
Lipſiae 1788.
T. I. Lib. I. Tit. 3. §. 20. I. H.boehmer in doctr.
Digeſtor. Lib. I. Tit. 3. §. 12. n. δ.
nov.
reinharthſelect. Obſervat. ad Chriſtinaeum
Vol. I. Obſ. 33. gaertnerMeditat. pract. med. 11.
westenberg in Digeſtis tit. de LL. §. 12. hofa-
cker in Princip. iuris civ. Rom. Germ. T. I.
§. 86. u. a. m.
Poppaeam Lib. I. c. 3. pag. 48.
loqui praeſumatur. Lipſ. 1747.
theils ob ſupinam, qua id ius facile cognoſcere po-
tuerunt, ignorantiam, wie de boehmerad Carpzovium
P. III. Qu. 149. Obſ. 4. S. 150. ſagt. Siehe auch ley-
ser Sp. 289. medit. 6.
die Proceskoſten, deren Verguͤtung und Com-
penſation. §. 8. und gaertner in meditat. pra-
cticis ad Pandect. meditat. 10
Rechts 1. Th. 2. Abſchn. 2. Cap. §. 48.
med. 1. 2. 3. Eichmann Erklaͤrungen des buͤrger-
lichen Rechts. 1. Th. S. 55. u. folg.
gaertnerMeditat. pract. ad Pandect. Spec. I.
med. 9.
certum eſt dare formam negotiis, non ad facta prae-
terita revocari: niſi nominatim et de praeterito tempore
et adhuc pendentibus negotiis cautum ſit.
L 7. Cod. de LL. Ien. 1681. rec. 1751. Th. 5.
Obſ. 49. n. 5.
ris: Iubemus, etiam eos, qui ante eandem ſanctionem
ampliores, quam ſtatutae ſunt, uſuras ſtipulati ſunt,
ad modum eadem ſanctione taxatum ex tempore latio.
nis eius ſuas moderari actiones: ſcilicet illius temporis,
quod ante eam defluxit Legem.
ſtitut. iur. crim. §. 39. d.
cleſ. und L. un. §. 4. C. de contractib. iudicum.
Note angefuͤhrte Geſezſtellen ausdruͤcklich. S. boehmer
in Conſultat. T. II. P. I. Reſp. 6. n. 3. und gaert-
ner in Meditat. pract. med. XII.
reinhardt Comment. de valore et vi legis in
prae-
der Verbindlichkeit der goͤttlichen Geſetze
von der Todesſtrafe des Moͤrders, und von
Ver-
Impp.caroliVII, etfrancisciI. Halae 1748. Chrſtph.
Henr. lorenz Diſſ. de obligatione legis in
praeteritum. Lipſiae 1770. und Franc. Ioſ. hart-
leben in Meditat. ad Pandectas Vol. I. P. I.
Spec. VIII. med. 4. und 5.
Germ. T. I. §. 10. — Iurisdivini positivi univer-
salisratio in eo ponenda eſt, ut omnes, quibus innotuit,
obliget, adeoqueuniversaleſit non promulgationis, ſed
obligationisratione.
angefuͤhrte Opuſculum des Io. Andr. hannesen, er-
ſchienen Goettingae 1744. 8.
Deſſau 1771. 8. Ein gruͤndliches Urtheil uͤber dieſe
Schrift findet man in Schotts Critic. IV. Bandes 36.
Stuͤck. S. 508. und folg.
Diſſ. de iure principis Evang. aggratiandi homicid.
cap. IV. §. 4. und hannesen im angefuͤhrten Opuſculo,
§. 31. u. folg.
den philoſophiſchen Gedanken uͤber das Cri-
minalrecht, herausgegeben von Dr. Roͤßig (Breslau
1784.) §. 58.
chaelis Abhandlung von den Ehegeſetzen Moſis,
welche die Heyrathen in die nahe Freundſchaft
unterſagen. 2. Hauptſt. §. 13. und folg.
dat. et Addit. ad Schilterum. Lib. I. Tit. II. §. 2.
Desgleichen horn und floercke in ihren Obſervat.
ad Schilterum a. a. O. Auch Schottin der
Einleitung in das Eherecht §. 49. S. 90. und
§. 218. Not. *
tis univerſae Iurisprud. Ecclef. poſitiv.
Germanor. (Halae 1786.) §. 16. und not. 1. S. 21.
und folg. Desgleichen Schott im angef. Eherechte
§. 48. S. 88.
Dav. MichaelisMoſaiſches Recht 2te Ausgabe
Frankf. am Mayn 1775. 6. Theile 8. und Petriregis
Moſes legislator, ſeu de moſaicarum legum
praeſtantia. Auguſt. Taurinor. 1779. 4. bemerkt zu wer-
den.
tualibus, et earum rationibus. Cantabrigiae
1727. Tom. II. fol. und Chriſtph. Frid. sartoriusde
lege ceremoniali. Tubingae 1762.
iure Romano collatae. Lipſiae 1745. 8. Henr. bodini
Diſſ. de obligatione forenſi iuris divini.
Halae 1696. rec. 1711.
tiges Tages wegen veraͤnderter Umſtaͤnde gar nicht mehr
anwendbar. Ein Beiſpiel geben die Moſaiſchen Straf-
geſetze, welche heut zu Tage ihrer allzugroſen Strenge
wegen, die freilich der Character des Volks zu erfordern
ſchien, beinahe ganz auſſer Gebrauch ſind. S. Hommel in
den philoſ. Gedanken uͤber das Criminalrecht §. 3. hell-
feld Diſſ. de legis moſaicae valore hodierno
§. XXII. Auch das Moſaiſche Geſez, welches Zinſen
verbiethet, iſt, aller Beguͤnſtigung des kanoniſchen Rechts
ohngeachtet, (c. 3. u. 4. X. de uſuris) durch die teut-
ſchen Reichsgeſetze aufgehoben worden. R. A. vom J.
1600. §. 139. und vom J. 1654. §. 174. Denn es
ſchraͤnkte ſich blos auf die damahlige Lage und Armuth
des Volks ein. Man vergleiche Io. Dav. michaelis
Commentat. de mente et ratione legis moſai-
cae uſuram prohibentis. Erfurti 1746. 4.
Deßgleichen Hommel in den philoſ. Gedanken §. 57.
den (Berlin 1778.) in der Einleitung.
von Ihro Roͤm. Kayſerl. Majeſtaͤt allergnaͤdigſt con-
firmirte und von Dero hohen Commißion publicirte
neueReglementder Judenſchaft in Hamburg von
1710. art. 23. Desgleichen die Koͤnigl. Preuß. Ver-
ord-
Civilſachen der heutigen Juden den alleinigen Gebrauch
des Moſaiſchen Rechts vertheidigen wollen. Z. B. Io.
Iod.beck in Tr. de Iuribus Iudaeor. Cap. IV. §. 4.
Io. Aug. franckenstein de iuribus ſingularibus
circa Iudaeos maxime in germania c. II. §. 4. noch meh-
rere Anhaͤnger dieſer Meinung fuͤhrt pfeffinger in
Vitriario Lib. III. Tit. 17. §. 87. Vol. III. p. 1299. ſq. an.
gradusſich nach Churbrandenburgiſchen Rechten hal-
ten ſollen vom 4. Oct. 1696. in Corp. Conſti-
tut. Marchicar. Th. I. Abth. II. N. LXIII. S. 125.
Ferner das Ausſchreiben der Koͤnigl. und Churfuͤrſtl.
Hannoͤveriſchen Regierung von 1738. in Corp. Conſti-
tut. Calemberg. T. III. Cap. IV. Sect. XIII. Nr. 171. S.
438. u. folg. In dem Darmſtaͤdtiſchen werden die juͤ-
diſchen Ehen, in Anſehung der verbotenen Grade, eben-
fals nach der Kirchenordnung der Chriſten beurtheilt. Und
daß auch in andern buͤrgerlichen Rechtsſachen die Juden
nach den gemeinen und Landesgeſetzen ſich richten muͤſſen,
haben Io. Frid. kayser in Comment. de Autono-
mia Iudaeorum Gieſſae 1739. Chriſt. Hartm. Sam.
gatzert in Tract. iuris germ. de Iudaeorum in
Haſſia praecipue Darmſtadina iuribus atque
obligationibus. Gieſſae 1771. §. VII.Eichmann in
den Erklaͤrungen des buͤrgerl. Rechts 1. Th. S.
76. u. folg. und Joh. Chriſt. Conr. Schroͤter in den
vermiſchten iuriſt. AbhandlungenI. Band S. 106.
u. folg. erwieſen.
335. 8. B. S. 444. 10. Band S. 181.
Reverſalien, oder Beybriefe, wornach die nicht perſoͤhn-
lich zugegen geweſene Staͤnde ſich des eben damahls er-
richteten Landfriedens, Cammergerichtsordnung und Hand-
habung Friedens und Rechts halber haben verbinden ſol-
len. Das Formular ſtehet in der neuen Sammlung
der Reichsabſchiede 2. Th. S. 17.
lers Reichstagstheatr. unter K. Maximilian I. vierte Vor-
ſtell. Kap. 56. §. 1.
von 1521. §. 12. Reichsabſchied von 1542. §. 25. von
1555. §. 69. von 1559. §. 44. von 1576. §. 98. von
1594. §. 121. von 1654. §. 183.
nici publici et privati. 1. Band von Reichsgeſe-
tzen und Reichsordnungen (Frankf. 1786.) 1. Cap. S. 15
u. folg.
Obſ. 13.
von Regierungs- und JuſtizſachenSect. II.
§. VIII. not. b. S. 27. u. folg.
und KirchenrechtI. Theil N. X. S. 96. u. folg.
masius noch folgende geſchrieben: silberrad ſ. reſp.
scheid in Diſſ. de poteſtate ſtatuum Imperii
leges in territorio ferendi receſſibus Im-
perii contrarias. Argentorati 1756. Schnaubert
kann ein Landesherr wider das gemeine
Recht in Deutſchland Landesgeſetze machen?
in Deſſelben Beytraͤgen I. Th. N. III. Moſer von
Reichstagsgeſchaͤften S. 273. Derſelbe von der
Landeshoheit in Regierungsſachen 4. Kap.
§. 48. 49. — von der teutſchen Juſtizverfaſ-
ſung 1. Th. S. 1160. Carl Friedr. Gerſtlacher in
Corpore iuris germanici publici et privati
I. Band 1. Cap. S. 33. u. folg. Allein des Ge. Phil.
muhl Diſſ. qua expenditur quaeſtio, an et quatenus
ſtatus Imperii legibus Imperii derogare poſſint. Gieſſae
1786. ſoll, ſo weit ſie itzo erſchienen, noch nichts zur
Sache gehoͤriges enthalten. S. H. Prof. Kluͤbers kleine
juriſt. Biblioth. II. B. 5. St. N. XIII.
cip. iur. civ. Rom. Germ. T. I. §. 129.
Sect. II. §. VIII. n. b. S. 27.
Tit. 6. §. 1.
tuͤrlichen Verbindlichkeit 1. Abth. §. 4. S. 9.
u. f. — Reflexionen zur Befoͤrderung einer
gruͤndlichen Theorie vom heutigen Gebrauch
des roͤmiſchen Rechts. §. 10. 11. und 12.
unentbehrlich einem Juriſten das Studium des natuͤrlichen
Rechts ſey, indem eine gruͤndliche Kenntnis deſſelben
ihn erſt in den Stand ſezt, die Grenzen und das Ver-
haͤltnis der natuͤrlichen Rechte und Verbindlichkeiten ge-
gen die blos buͤrgerlichen richtig zu beſtimmen.
§. 7. D. de conſtit. pec. L. 1. §. 1. D. de novat. L. 5.
u. 14. D. de pignor. §. 1. I. de fideiuſſor.
indeb.
der natuͤrlichen Verbindlichkeit, und deren
gerichtlichen Wuͤrkung 1. Abth. 1. Abſchn. §. 42.
und folg. S. 109. ff.
Io. Ortw. westenberg in Diſſertationib. de
cauſis obligationum Diſſ. I. Cap. IV. §. 9. in-
gleichen beym hahnad WeſenbecciumTit. de obli-
gationib. et action. N. V.
Commentarien der treflichſten Juriſten herrſche, will ich
nur durch ein paar Beiſpiele erweiſen. So ſchreibt Io.
God. schaumburgin Compendio iuris Dige-
ſtor. Lib. XLIV. Tit. 7. §. 3. Sigillatim vero, ut obli-
gatio
de re iudicata.
vilis illi aſſiſtat, requiritur. Quod ita neceſſarium eſt,
ut ſola naturalis obligatio, licet perfecta ſit, externe
actionem non producat. So auch Io. voetin Com-
mentar. ad Pandect. T. II. Tit. de obligat. et
action. §. 3. Obligatio naturalis tantum eſt, quae ſolo
nititur aequitatis naturalis vinculo, nullam quidem effi-
cacem iure civili producens actionem ad perſequendum
id, quod ita debitum; ſed tamen exceptionem patiens,
ac ſoluti retentionem. Et haec ita, ſi vel obligatio na-
turalis plena ſit.
mehrere Beiſpiele hiervon.
hierbey Sam. decocceii in iure controverſo
Lib. XII. Tit. 6. Qu. 5.
peti non poſſe.
Weber §. 44. auch Io. Balth. wernher in Diſſ. de
auctoritate iuris civ. circa obligationes naturales. Viteb.
1701. nettelbladt in Syſtem. elem. Iurispr. po-
ſit. Germ. comm. general. §. 281. und Eichmann in den
Erklaͤrungen des buͤrgerlichen Rechts Th. 1. S. 87. n. 4.
nibus Goettingae 1748. in Syllog. I. Opuſcul. N. VII.
Lehrbuch von gerichtl. Klagen u. Einreden
(Jena 1786.) §. 26. S. 24.„ Sonſt bedeutet actio in
factum diejenige Klage, welche weder aus den Worten
noch aus dem Sinn der Geſetze, ſondern aus der Bil-
ligkeit entſpringet.
Ort §. 46. S. 126. geſammlet.
zu werden: Provideamus attentius, ne ita ſubtiliter, ſicut
a multis fieri ſolet, cuiusmodi actio intentetur, inquiratis,
ſed ſimpliciter et purefactum ipſum,etrei verita-
temſecundum formam canonum, et ſanctorum patrum in-
ſtituta, inveſtigare curetis.
lichen buͤrgerlichen Proces (Goͤttingen 1786.)
1. Th. 1. Abſchn. 1. Hauptſt. §. 1. not. b. S. 2. u. f.
tut. tit. de Rer. diviſ. §. 40. und Heinecciusin Elem-
iur-
den L 48. D. de Rei Vind. u. L 33. D de condict in-
deb. heut zu Tage mit Recht die Klage nach der natuͤrli-
lichen Billigkeit (actionem in factum) demjemgen, wel-
cher auf fremden Grund und Boden gebauet hat. Stehe
auch Hoͤpfner im Commentar uͤber die Inſtitut.
§ 320.
gegen, wo es heißt: Si poenat cauſa eius, cui debetur,
debitor liberatus eſt; naturalis obligatio manet Denn
dieſe Stelle beziehet ſich lediglich auf ſolche Verordnungen
des Civilrechts, welche dem Glaͤubiger blos die Klage
entziehen, und inſofern den Schuldner befreyen; nicht
aber auf ſolche Geſetze, wodurch der Glaͤubiger ſeines
ganzen Rechts verluſtig erklaͤret wird. Deutlicher wird
dieſes in L. 9. §. 4. D. ad Sctum Macedon. auseinander
geſezt: Hi demum ſolutum non repetunt, qui ob poe-
nam creditorum actione liberantur, non quoniam exone-
rare eos lex voluit. Es iſt alſo in jedem einzelnen Falle
die buͤrgerliche Dispoſition ihrem ganzen Inhalte nach
genau zu pruͤfen, und hieraus zu beſtimmen, ob dem
Glaͤubiger das ganze Recht an ſich abgeſprochen, oder
ihm nur gewiſſe Rechtsmittel verſagt worden ſind, in wel-
chem leztern Fall die natuͤrliche Verbindlichkeit in ſo weit
fortdauert, als ihr die gerichtliche Wirkung nicht entzo-
gen worden iſt. Z. B. Wenn ein Vormund bey Ueber-
nehmung der Vormundſchaft ſeine Forderung an den Pu-
pillen verſchwiegen, ſo wollen ihn die Geſetze mit ſeiner
Klage nicht weiter gehoͤrt wiſſen Nov. 72. c. 4. Da ſie
ihn alſo nicht mit dem Verluſt ſeines ganzen Rechts beſtra-
fen, ſo verſtehet es ſich von ſelbſt, daß die natuͤrliche Ver-
bindlichkeit mit allen uͤbrigen nicht ausdruͤcklich genomme-
nen Wirkungen fortdauere. S. Weber im angef. Buch
3. Abth. 6. Abſchn. §. 92. S. 54. und §. 94. S. 64.
titio eſt, eius conſulto dati donatio eſt.
D. de condict. indeb. ganz deutlich. Interdum perſona lo-
cum facit repetitioni, utputa ſi pupillus ſine tutoris
auctoritate, vel furioſus, vel is, cui bonis interdictum
eſt, ſolverit. Nam in his perſonis generaliter repeti-
tioni locum eſſe non ambigitur. Man ſehe auch L. 41.
D. eodem. Desgleichen cocceii in Iure civ. con-
trov. Lib. XII. Tit. VI. Qu. 7.
Vellejanum
ad Pandect. Lib. XVI. Tit. 1. §. 12. fuͤgt auch noch
beſonders den Grund hinzu: quoniam conſulto dati inde-
biti donatio eſt, donanti autem non ſuccurritur. Allein
man ſehe, was dagegen Herr Prof. Weber im IV. Abſchn.
§. 77. not. 346. S. 335. erinnert hat.
§. 75 ‒ 77.
Conf. Gebh. Chriſt.baſtineller Diſſ. de pari turpi-
tudine. Vittemb. 1734. §. XII.
med. 1.
debite ſolutis earumque tam repetitione
quam in ſortem imputatione. (Suer. Buetz. et
Wism. 1783. 8.) §. XIV. S. 66.
nehmliche faſt mit denſelbigen Worten in L. 16. §. 4. D.
de fidejuſſor. Aus dem Zuſammenhange der leztern Stelle
ſiehet man, daß die oben angefuͤhrten Worte in Bezie-
hung auf die Buͤrgſchaft zu erklaͤren ſind. Denn im vor-
hergehenden §. 3. hatte Julian die allgemeine Regel vor-
getragen: Fideiuſſor accipi poteſt, quotiens eſt aliqua
obligatio civilis, vel naturalis. Da nun die natuͤrlichen
Verbindlichkeiten von verſchiedener Qualitaͤt und Wirkung
ſind, indem einige eine Klage hervorbringen, andere nur
eine Einrede geben; ſo konnte leicht Zweifel entſtehen,
ob auch in Anſehung natuͤrlicher Verbindlichkeiten der lez-
tern Art eine guͤltige Fidejuſſion ſtatt finde. Dieſem
Zweifel zu begegnen, ſezt Julian §. 4. des gedachten Ge-
ſetzes noch hinzu: Naturales obligationes non eo ſolo
aeſtimantur, ſi actio aliqua earum nomine competit,
verum etiam cum ſoluta pecunia repeti non poteſt; und
giebt hiermit zu erkennen, daß in der Materie von
Buͤrgſchaften beyderley Arten der natuͤrlichen Verbindlich-
keiten zu verſtehen ſind. So faͤllt nun alle Schwierigkeit
der oben angefuͤhrten Worte der L. 10. ganz weg, und es
iſt gar nicht noͤthig, zur Critic ſeine Zuflucht zu nehmen,
und mit Franc.hotomannus Lib. III. Obſervation.
cap. 2. zu leſen: actiononcompetit. Noch eins kann ich
hier nicht unbemerkt laſſen. Die Inſcription der mehrge-
dachten L. 10. D. de O. et A. lautet in den gemeinen
Ausgaben, wie in der Florentiniſchen, ſo: pauluslib.
47. ad Sabinum. Allein Paulus hat nur Libros XVI.
ad Sabinum geſchrieben. Dies erweißt der Index Pande-
ctarum florentinus. Wahrſcheinlich iſt alſo hier eine
Verwechſelung der Nahmen Ulpian und Paulus vorge-
gangen. Denn, daß erſterer Libros LI. ad Sabinum ge-
ſchrieben, iſt gewiß. Ulpian hat auch gerade im 47ſten
Buch
Diſſ. de obligatione praeſertim naturali
(in Opuſc. T. I. P. I. S. 151. und folg.) §. X. richtig
eingeſehen.
man aus der Vergleichung der aus eben dieſem Buche ge-
nommenen Stellen unſerer Pandecten beym Abr.wie-
ling in Iurisprud. reſtituta S. 314. deutlich ſie-
het, und es iſt ſehr wahrſcheinlich, daß L. 10. zwiſchen
die L. 6. und 8. D. de fidejuſſor. ſeinen ehemaligen Sitz
behauptet habe. Eben dieſer Meinung iſt auch der be-
ruͤhmte ehemalige ICtus Groninganus petrusdetoul-
lieu in denen von Joh. Wolbers herausgegebenen
Collectaneis iuris civilis Diſſ. IV. cap. 4. S.
183. u. ff.
hier dem buͤrgerlichen entgegengeſezt, und unter jenem
alles dasjenige verſtanden, was an ſich zwar wirk-
lich vorhanden iſt, jedoch vermoͤge der buͤr-
gerlichen Geſetze diejenige Guͤltigkeit und
Wirkung nicht hat, welche nach Vorſchrift
des bloſen Naturrechts ſtatt finden wuͤrde. Es
findet dieſe Bedeutung nicht blos ſtatt, wenn die roͤmi-
ſchen Geſetze von einer obligatione naturali reden, ſon-
dern auch wenn ſie von einem dominio naturali, ſo z. B.
der Frau waͤhrend der Ehe am Brautſchaz zuſtehet, ferner
von einer cognatione naturali, die aus unehelichem Bei-
ſchlaf, oder auch bey den Roͤmern aus einer Sclavenehe
entſtund, reden Uebrigens bemerke ich noch hierbey, daß
die natuͤrliche Verbindlichkeit, welche den voͤlligen gericht-
lichen Effect nicht hat, eine uneigentliche,impropria
ſeu abuſiva von den roͤm. Juriſten genennt zu werden
pflegt, L. 16. §. 4. D. de fideiuſſ. L. 41. D. de peculio,
weil nur eine buͤrgerlich vollguͤltige Verbindlichkeit im
Sinn des Civilrechts Obligatio genennt wird, wie ich
ſchon oben S. 21. bemerkt habe.
Maceaon. Ein anderes iſt es, wenn die Geſetze den
Glaͤubiger zur Strafe ſeines ganzen Rechts verluſtig
erklaͤrt haben, wovon oben bey den reprobirten natuͤrli-
chen Verbindlichkeiten gehandelt worden iſt.
6. Abſchn. 1. Kap. §. 90. ff.
ten hat Herr Prof. Weber a. a. O. 6. Abſchn. §. 92.
und ff. gruͤndlich widerlegt.
ſchnitt ſeines mehrgedachten claſſiſchen Werks.
und ihren Unterſchied vom ſtrengen Recht iſt viel geſchrie-
ben Man findet die Schriften beym lipeniusin Bi-
blioth. real. iurid. T. l. S. 36. u. folg. und in
SchottsSupplement. S. 14. vollſtaͤndig angefuͤhrt. Ich
ſetze nur noch folgende hinzu: Ge Chriſtoph.nelleri
Principia iuris de aequitate; in Opuſculis T. I.
P. I. N. II. S. 16. 27. und Ernſt Ferd. KleinsAb-
handlung uͤber die Billigkeit bey Entſchei-
dung der Rechtsfaͤlle, in Deſſelben Annalen der Ge-
ſezgebung und Rechtsgelehrſamkeit in den Preuß Staa-
ten 1. Band (Berlin u. Stettin 1788.) S. 357-390.
L. 7. §. 7. D. de acquir. rer dom. und cicero in Topi-
cis ſagt: aequitaseſt, quod naturalis ratio perſuaſit.
cap. V. §. 3. ſagt: aequitasnihil quam benigna et hu-
mana iuris ſcripti interpretatio eſt, pro diverſitate ſingu-
larium, non ex verbis, ſed e mente Legislatoris facta.
Und Modeſtin zeigt den Unterſchied inter verba legis et
mentem legislatoris durch ein ſchoͤnes Beiſpiel in L. 13.
§. 2. D. de Excuſat.
ſtaͤdt 1731.) Cap. I. §. 13. not. d. wo dieſes durch die
Worte des Alphens in L. 52. §. 2. D. ad L. Aquil. in
cauſa ius eſt poſitum, beſtaͤrkt wird.
Beſchreibung der Billigkeit gegeben wird: aequitas
eſt
ma Cap. 2. §. 6. et 7.
cipuam eſſe iuſtitiae, aequitatisque, quam ſtricti iuris
rationem.
dem perquam durum eſt; ſed ita Lex ſcripta eſt.
interpretationem nobis ſolis et oportet et licet inſpice-
re. Hier war von einer, dem Geſetze zuwiderlaufenden
Billigkeit die Rede, die der eine Theil fuͤr ſich anfuͤhrte,
da hingegen der andere Theil das offenbare Recht fuͤr
ſich
regulas, ex rationis rationciniis hauſtas, hoc vel illud in-
terpretando, ſive iuri ſupplendo ſive demendo, ad imbecil-
litatem generis humani reſpiciendo, benigne diiudicamus.
lung §. XX. bemerkt hat. Hier darf der Richter nicht
zu Gunſten des einen Theils gelind ſeyn, denn ſeine Ge-
lindigkeit gegen den einen waͤre Ungerechtigkeit gegen den
andern. Wollen die ſtreitenden Theile nicht ſelbſt Gelin-
digkeit gegen einander beweiſen, und der Richter findet
Bedenklichkeit, dem andern zu zuerkennen, was das offen-
bare Recht mit ſich bringt, ſo muß er die Entſcheidung
dem Geſezgeber anheim ſtellen.
haͤltnis der Theorie und der Ausuͤbung der
Rechtsgelehrſamkeit, vor Deſſelben Grundſaͤtzen
von Verfertigung der Relationen aus Gerichtsacten (Goͤt-
tingen 1778.
riae et praxeos iuris. Halae 1736. und Mart.
Gottl.pauli Diſſ. de theoriae et praxis iuridi-
cae diſcordia. Lipſ. 1747. In einem andern Ver-
ſtande, nehmlich wenn man ſich unter Praxis den Ge-
richtsgebrauch oder die Guͤltigkeit der Geſetze in den
Gerichten gedenket, kann ein Conflictus zwiſchen der
Theorie und Praxis des Rechts ſtatt finden. S. net-
telbladt in Syſtem. element. doctrinar. pro-
paedeuticar. iurispr. poſ. germanor. comm.
§. 41. S. 33.
a iurisperito, leguleio et rabula quam ma-
xime diverſo. Erfordiae 1769.
hinter Deſſelben Semeſtr. Io. Gottl.heineccius in
Praefat. de Iurisprudentia, divinarum huma-
narumque rerum notitia; vor ſeinem Faſcic. Scri-
ptor. iur. naut.grotius in Florum ſparſ. ad ius
Iuſtinian. p. 13.
ciis Lib. I. c. 43. Quaeſt. Tuſcul. Lib. V. c. 3. ſeneca
Ep. 89.
et quidem pulcerrimam partem, agere negotium publi-
cum, cognoſcere, iudicare, promere et exercere iuſtitiam.
vat. var. ad Pandect. Diſſ. hebd. II. §. 1. lieſet nicht
ohne Grund aſſectantes fuͤr affectantes.
Diſſ. I. in Opuſc. (Lugd. Batav. 1719.) S. 237. f. ge-
bauer Diſſ. de Iuſtitia et iure §. 11. A. F.ſchott
Spec.
und Ge. Sam.madihn in Inſtitut. iuris civ. (Ha-
lae 1764.) Praecogn. gen. Cap. II. Tit. 1. §. 57.
IureLipſiae 1775. §. 2. brissoniusAntiquitat.
Lib. IV. c. 16. hoepfnerin Commentar. §. 22.
Desgleichen muretus, marcilius und ian.acosta
ad §. 1. I. de I. et 1.
Die vorzuͤglichſten Schriften ſind Val. Guil.forſter
de interpretatione iuris (in otton. Theſau.
Iur. Rom. T. II.) Vinc.placciusde Icto perfe-
cto ſ. interpretatione Legum. Holm. et Hamb.
1693. 4. Casp.hornPraelect. publicae de in-
terpretatione iuridicaViteb. 1733. 8. Io. Laur.
holderrieder Diſſ. de principiis interpretationis
Legum adaequatis Lipſiae 1736. Car. Aug.ritter
Regulae interpretationis iuridicae praeſtan-
tioresex adaequatis principiis demonſtratae
Lipſiae 1741. Pet.amsinck Diſp. de Legumin corpore
iuris Iuſtiniani interpretatione. Trajecti 1743. Io.
Iac.
gae 1752. Conr. Henr. Andr.hepke Diſſ. de occaſio-
ne et ratione legis. Hanov. 1754.
terpretationeViennae 1745. 4. Io. Died.mell-
mann Comment. de interpretatione Legum
Rom. praeſertim Codicis repetitae praele-
ctionisKiel 1770. Io. Lud.conradiObſervatio-
nes iuris. Marb. 1782. 8. und beſonders Chriſt. Henr.
eckhardHermenevtica iuris cum notis
Car. Frid.walchii Lipſiae 1779. 8.
ctis interpretandarum ſubſidio ex earum
nexu et conſecutione petendo. lenae 1785.
und H. Prof Weſtphal in der unten Note 54. angefuͤhr-
ten Schrift §. 4. u. 5.
heit S. 537. Dritt. Abſchn.
quot. obv. Obſ. 430. p. 697.
por. praeſcript. de acceſſionibus poſſeſſionum nihil in
perpetuum, neque generaliter definire poſſumus: conſi-
ſtunt enim in ſola aequitate.
Ob in Teutſchland eine Gerichtsobrigkeit
unter dem Vorwande der Billigkeit von den
Geſetzen abweichen koͤnne? Nro 44. der woͤchent-
lichen Halliſchen Anzeigen vom Jahr 1764. Henr.
Chriſtph.bertuch Diſſ. de eo, quod circa aequi-
tatem iniquum eſt. Erf. 1736. Henr. God.bauer
Pr. de aequitatis in iure uſuLipſ. 1761. Io.
Diet.mellmann Orat. de deciſione cauſarum
ex Legibus aequi et boni. Kilonii 1778. hart-
lebenMeditat. ad Pandect. Vol. I. P. I. Spec. IV.
med. 9. u. 10. weſtphalUnterſuchung der Fra-
ge, ob ein ohne die vorgeſchriebene Form ge-
mach-
ſem Buch der Quaͤſtionen des Paulus in den Pandecten
vorkommenden Stellen beym wielingIurisprud. re-
ſtituta S. 190. und hommelPalingeneſ. iuris.
auſſerordentlichen Nothfalls wegen guͤltig ſey? im
Niederſaͤchſiſchen Archiv fuͤr Jurisprudenz u. juriſt.
Literatur herausgegeben von D. Koppe 2. Band N. 27.
S. 293 ‒ 305.
und giphanius in Commentar. ad tit. de Reg.
Iur. ad L. 90. n. 3.
Pet. paberComm. ad tit. Dig. de Reg. Iur. h. l.
es, wenn die P. G. O. Carls V. ſo oft den Richter
anweißt, nach Gelegenheit und Geſtalt der Perſohn
die Strafe zu beſtimmen. Z. B. Art. 106. 114. 119.
159. u. a. m.
Germanor. commun. general. §. 230. ſagt:
Diciturbenigna interpretatio, per quam is ſenſus
pro vero adſumitur, qui legibus naturalibus magis conve-
nit, quam alter, vel ſaltim a rigore magis alienus eſt;
eaque locum habet, ſi adeſt ambiguitas, id eſt, plures
interpretationes aeque probabiles sunt. Hinc
in L. 9. D. de Reg. Iur. dicitur: ſemper in obſcuris;
quod minimum eſt, ſequimur, et in L. 3. D. de his,
quae in teſtam. del. haec regula obvenit: in re dubia be-
nigniorem interpretationem ſequi, non minus iuſtum
eſt, quam tutius.
Man ſehe rivinusde benigna ICtorum inter-
pretatione. Vitemb. 1752.
aequatis. §. V. et VI. eckhardHermenevt. iu-
ris Lib. I. c. I. § 37. u. 38. I. D. wibeking Diſſ. de
incommodis per interpretationes uſuales
et obſervant. in iurisprud. infectis. Francof.
1748. hartlebenMeditat. ad Pandect. Spec. II.
med. 1. u. a. m.
Nov. CXIII. cap. 1. princ.
Germanor. commun. gener. Lib. I. Sect. III.
§. 227. und §. 239. hofackerPrincip. iur. civ.
Rom. germ. T. I. Lib. I. c. IV. §. 150. Hoͤpfner
im
elem. Iurispr. gen. §. 238.
et officio iudicis circa interpretationem
privilegiorum in genere. Goetting. 1758. und
Deſſelben auserleſene RechtsfaͤlleI. B. 2. Th.
Reſp. XXV. S. 293.
rungen des buͤrgerl. Rechts. I. Th. S. 106. u. folgg.
und Io. Chr. woltaerObſervat. iuris civ. et
Brandenb. Faſcic. I. Obſ. I. u. a. m.
introductum, ſed errore primum, deinde conſuetudi-
ne obtentum eſt, in aliis ſimilibus non obtinet.
Litteratur in den Preußiſchen Staaten 1. Samm-
lung S. 1. ff.
D. de LL. In ambiguitatibus, quae ex Legibus profi-
ciſcuntur, conſuetudinem, aut rerum perpetuo ſimiliter
iudicatarum auctoritatem, vim legis obtinere debere.
In den roͤmiſchen Geſetzen wird dieſer Gerichtsgebrauch
durch die Ausdruͤcke ius iudiciorum L. 3. C. de dot. pro-
miſſ. mos legum uſitatus, L. 32. C. de Transact. quoti-
dianus iudiciorum uſus, §. 6. I. de Satisdat. und ſolitus
iudiciorum ordo L. 4. C. de Sent. et interloc. omn. iu-
dic. angedeutet.
ner haben eben ſo geurtheilet reinharthſelect.
Obſervat. ad Chriſtinaeum Vol. I. Obſ. 3. pufen-
dorfProc. civ. P. III. C. 22. §. 16. Seyfarth im
teutſchen Reichsproces Cap. 23. §. 4. Quiſtorp
Grundſaͤtze des peinlichen Rechts 1. Th. 1. Abſchn.
1. Cap. §. 13. u. a. m.
vel arbiter exiſtimet, neque conſultationes, quas non
rite iudicatas eſſe putaverit, ſequendum, non enim, ſi
quid non bene dirimatur, hoc et in aliorum iudicum
vitium extendi oportet, quum non exemplis, ſed legibus
iudicandum ſit; neque etc. — ſed omnes iudices no-
ſtros veritatem, et legum et iuſtitiae ſequi veſtigia ſan-
cimus.
de errorib. Pragmaticor. in doctrina de compenſat. ex-
penſar. §. 30. lauterbach de expenſis victoriae th.
44. leyser Spec. LXXXVIII. m. 1. Hoffmann teutſche
Reichspraxis §. 797. und andere mehr.
die Proceßkoſten, deren Verguͤtung und Com-
penſation. (Schwerin, Wismar und Buͤtzow 1788.
8.) §. 10. u. 11.
pretum iuris. Altorf. 1670. und Quiſtorp a. a. O.
grammaticae fatis et uſu vario in iure Ro-
mano, vor brissoniusde Verb. Significat.
L. 6. §. 1. D. de V. S. und L. 7. §. 2. D. de iurisdict.
gen das Geſez handele und chikanire, qui, ſalvis verbis
legis, ſententiam eius circumvenit.
Chriſt. God. peller Diſſ. de interpretatione Le-
gum politica. Altorf. 1719. hartlebenMeditat.
ad Pandectas Spec. II. med. 3. u. a. m.
cipis. L. 2. C. de reb. cred. et iureiur. Man ſehe Iul.
Frid. malblancdoctr. de iureiurando Lib. III.
c. IV. §. 67. S. 249. Mehrere Beiſpiele liefert Henr.
Ern. kestnerde iurisprudentia paganizante.
Rintelii 1713.
D. de ſupell. legat. wo beſonders der ſehr richtige Gedan-
ke vorkommt: etſi prior atque potentior eſt, quam vox,
mens dicentis, tamen nemo ſine voce dixiſſe, exiſtimatar.
Erklaͤrung anderer Willensverordnungen ſtatt. L. 69. D.
de legat. 3. Non aliter a ſignificatione verborum recedi
oportet, quam cum manifeſtum eſt, aliud ſenſiſſe te-
ſtatorem.
ſermo duas ſententias exprimit, ea potiſſimum accipietur,
quae
exiſtimandus eſt dixiſſe, quod non mente agitaverit.
Zuweilen iſt es jedoch ſelbſt denen roͤmiſchen Rechtsgelehr-
ten begegnet, daß ſie anders gedacht, als ſie geredet ha-
ben, und ihre Werte mit ihrer Meinung, oder dem,
was ſie eigentlich ſagen wollten, nicht uͤbereinſtimmen.
Man ſehe H. G. vonvryhoffObſervat. iuris ci-
vil. cap. XXIV. S. 124.
ſagt: In ambigua voce legis ea potius accipienda eſt
ſignificatio, quae vitio caret; d. i. wie es Ant. faber
in Rational. in Pandect. h, l. richtig erklaͤrt,
per quam fiat, ne quid male et abſurde conſtitutum
videatur.
veter. ICtorum. Lugd. Bat. 1711. Ge. Casp.kirch-
maieriOpuſcula VI. rariſſima de Latinitate
Digeſtorum et Inſtitutionum D. Iuſtiniani
Imp. collecta et edita a Ge. Sam.madihnHalae 1772.
8.
cad. c. IV. p. 85. ſqq.
monis latini cap. VII. Die Urſachen entwickelt ſehr-
ſchoͤn Io. Aug.wolf oder Chr. Frid.pohl Disp. de
latinitate eccleſiaſtica in Codice Theodo-
ſiano Lipſiae 1774. Daß die Geiſtlichen uͤberdies
groſen Einfluß in die Geſezgebung der chriſtlichen
Kaiſer gehabt, zeigt Corn. Wilh. derhoer in Diſ-
ſertat. de effectu religionis chriſtianae in lu-
risprud. Rom. Faſcic. I. Groeningae 1776. 8. Diſ-
ſert. III.
prud. Eccleſiaſt. §. 206. S. 509. umſtaͤndlicher ge-
handelt.
Latinitate et ſtilo veterum ICtorum.
et de monsalvo in HermogenianoDiſſ. prae-
limin. §. 40.
cim. lectionum ſ. Disquiſit. de Lege Petro-
nia Cap. II. §. 15. quam a ſummo accepimuscuiacio,
in legibus explicandis ad duplicem ſaepe ſenſum attendi
debere: alterum genuinum, quem ipſe Auctor exprimere
voluit; alterum, quemiustinianus, ſeu quorum mini-
ſterio uſus eſt Imperator, verbis affixerunt. Gebrauch ha-
ben von dieſer eleganten Bemerkung gemacht Iac.go.
tho-
trift, vorzuͤglich Barn.brissoniusde verborum,
quae ad ius civile pertinent, ſignificatio-
ne, ſtudioIo. Gottl.heineccii et Iuſt. Henn.boeh-
meriHalae 1743. fol. und Io.wunderlichAddita-
mentor. volumen. Hamburg. 1778. f. Inſonderheit
aber, um den Styl der roͤmiſchen Rechtsgelehrten kennen
zu lernen, dienen die Biographien der einzelnen Rechts-
gelehrten, dergleichen Ev.otto vom Servius Sulpi-
cius, P. Alfenus Varus und Papinian; N. H.gund-
ling vom C. Trebatius Teſta; Ian.steenwinckel
vom C. Caſſius Longinus (Leiden 1778.) G. A.ieni-
chen und Hier. vanalphen vom Javolenus Priscus;
C. B.acoluthus und Chr. Gott.richter vom Nera[-]
tius Priscus; Io.wunderlich vom L. Voluſius Maͤ[-]
cianus;
de teſtament. und Iac.voordaElector. lib.
ſing. cap. XXII. Da jedoch Juſtinian alles dasje-
nige, was ſeine Compilatoren aus denen aͤltern Geſetzen
und juriſtiſchen Schriften zuſammengetragen, und in den
Worten geaͤndert haben, ſich dergeſtalt zu eigen gemacht
hat, als wenn alles von ihm ſelbſt herruͤhre, Praef.
Digeſt. Conſt. I. §. 7. ſo wird freylich in ſolchem Colli-
ſionsfall ſenſus Triboniani den Vorzug behaupten muͤſ-
ſen, ſo lang derſelbe nicht mit andern Stellen, wo
Triboniangenuinum et primigenium auctoris ſen-
ſum deutlicher vorgetragen, in Widerſpruch ſtehet. Man
ſehe Pet. detoullieuCoilectan. iuris civ. Diſſ.
IV. cap. IV. S. 163. u. folg. und I. L. E.puͤttmann
Interpret. et Obſervat. lib. ſing. cap. XIX. S. 89.
Juſtinians verfertigt. 1. Th. Pandecten
Frankf. u. Leipzig 1785. 8.
ſatoribus hinter DeſſelbenLectionib. iuris civ. Traj.
ad Rhen. 1740.
Meinard.tydemann von Ulpius Marcellus; vaneck
und Chriſt. Gottl.biener von Antiſtius Labeo; heinec-
cius vom Salvius Julianus; cuiacius von Sext.
Caͤcil. Africanus; B. H.reinold vom S. Pompon;
Chr.rau von Claudius Tryphoninus; Ebenderſelbe von
Aurel. Arcadius Chariſius; C. vanbynckershoeck vom
Styl des UlpiansObſ. VIII. 15. u. a. m. geſchrieben haben,
uͤberhaupt vergleiche man franckvitas tripartitas ICtorum
veterum Halae 1718. 4. Soviel die barbariſch lateiniſche
und griechiſche Sprache des mittlern Zeitalters anbelangt, ſo
iſt vorzuͤglich zu gebrauchen Car. dufresnedu Cange
Gloſſarium nach der Ausgabe der Benedictiner, und
carpentierSupplement. ad Cangium. S. meine
Praecogn. iur. eccl. §. 205. not. 11.
tus in Uſu indicis Pandectarum; Henr.brenc-
mann Diſſ. de Legum Inſcriptionibus; und
Bern. Henr.reinold Orat. de Inſcript. LL. Di-
geſt. et Cod. hinter Abr.wielingiurispr. reſtit.
praemiſſa, de artis criticae utilitate in iuris-
prudentia, deque boni critici officio; auch
in DeſſelbenOpuſc. minorib. varii angumenti Opuſc. III.
S. 23. folgg.
ſcendi emblemata Triboniani, in Opuſc
ſyll. I. N. IV. Io.chifletii Diſſ. apologet. de iuris
utriusque architectis, Iuſtiniano, Tribo-
niano, Gratiano et Raymundo, in ottonis
Theſ. iur. Rom. Tom. I. S. 161. u. folgg. Io. Chr.
With.
Obſervat. iuris Rom. Lib. I. c. 15. Lib. II. c. 9.
c. 20. Lib. III. c. 4. Man vergleiche auch walchadeck-
hardiHermenevt. iuris Lib. I. c. 2. S. 41. u. folg.
M. A.galvanusde Uſufructu c. XI. n. 8. und
cap. XIV. in fin. van dewaterObſervat. iur.
Rom. Lib. II. c. 17. S. 208. u. folgg.
leſen werden eius dem und in L. 6. §. 2. D. ad SCtum
Tre-
di de Penna Forti decretalium compilato-
ris commentar. Lipſiae 1754. eckhardHerme-
nevt. iur. Lib. I. c. 6. et c. 8. §. 318. ſqq.
woſelbſt die Worte: utique ſi non in uſu creditoris id
argentum voluntate debitoris fuit, unerklaͤrbar waͤren, wenn
man nicht ein Emblema Triboniani annaͤhme, denn ohne
Zweifel war von einem ſolchen Fall die Rede, wo die
Sache ſub pacto fiduciae verpfaͤndet war, und der Cre-
ditor ein interimiſtiſches Eigenthum hatte; weil aber zu
Ju-
zum Schlus des §. 1.
gleichen emblema Triboniani zu finden geglaubt; allein
ohne genugſamen Grund, wie Walchad Eckhardum
§. 240. S. 431. gezeigt hat.
Orte, und gehoͤrt vielmehr zum L. 1. D. Teſtam. quem-
adm.
wandelte tribonian die Worte ſi non fiduciae credi-
toris: in ſi non in uſu creditoris. S. Io. van dewa-
terObſervat. iur. Rom. Lib. I. cap. 10.
Ultrajecti 1707. auch Abr.wielingin Praefat.lectio-
num iuris civ. Io.merceriiConciliator, ſive
ars con ciliandorum eorum, quae in iure
contraria videntur: cum notis B. H.reinoldi.
Duisb. ad Rhen. 1712. eckhard Lib. I. c. 2.
ad Edictum provinciale genommen, und L. 1. §. 1. enthaͤlt
die abgeriſſnen Worte des L. 6. de Transact. in ihrem
voͤlligen Zuſammenhange. Von denen ſogenaunten Legibus
fugitivis handelt eckhardHermenevt. Lib. I. c. 5.
§. 169.
ſchrift der Florentiniſchen Pandecten, doch kann ſie nicht
in jedem Fall bey Beſtimmung der richtigen Leſeart zur
Norm dienen, weil es entſchieden iſt, daß ſie auch hin
und wieder Fehler hat. Es ſind daher auch andere
alte Handſchriften zu Huͤlfe zu nehmen. Von ſolchen
Handſchriften nicht allein der Pandecten, ſondern auch der
uͤbrigen Juſt. Geſezbuͤcher handelt ſehr ausfuͤhrlich der ge-
lehrte Herr Hofr. walch ad Eckhardum Lib. I.
c. 2. §. 83. S. 100. ff. und S. 123. ff. S. 135. ff. und
S. 140. Auch beſizt unſere Erlanger Univerſitaͤtsbiblio-
thek einen alten Codex vom Digeſto vetere, welcher ſehr
gute Leſearten enthaͤlt; z. B. in L. 34. §. 4. D. de iure-
iur. ließt unſer Codex: hoc iusiurandum de calumnia
aeque patrono parentibusque remittitur: wo ſelbſt Codex
Florentinus die unrichtige Leſeart neque patrono neque
parentibus hat, welche mit andern Stellen unſerer Pan-
decten als L. 8. §. 5. D. Qui ſatisdare cog. L. 7. §. 3.
de obſeq. parent. et patron. praeſt. in offenbaren Wi-
derſpruch ſtehet. Da die alten Codices meiſt ſehr unle-
ſerlich geſchrieben ſind, und beſonders viel Abkuͤrzungen
enthalten, ſo iſt zum Gebranch ſolcher alter Handſchrif-
ten dem critiſchen Rechtsausleger die Diplomatic un-
umgaͤnglich noͤthig. Die mancherley Arten der Hand-
ſchriften nach denen Zuͤgen der Buchſtaben lernt man aus
baringClavi diplomatica. Hanov. 1754. 4. auch ma-
billoniusde rediplomatica kennen. Unter den ver-
ſchiedenen Abkuͤrzungsarten iſt, was die Florentiniſche
Handſchrift der Pandecten anbetrift, beſonders diejenige
ſehr gewoͤhnlich, welche man Geminatio nennt. Sie be-
ſtehet darin, daß, wenn Buchſtaben, oder Sylben,
oder auch Worte unmittelbar auf einander folgten, wel-
che einerley lauteten, die Abſchreiber ſolche nur einmahl
hinſezten, und die uͤbrigen Buchſtaben oder Sylben weg-
war-
diejenigen aus, welche die florentiniſche Leſeart enthalten,
oder wo ſie wenigſtens zum Grunde liegt; zu dieſen ge-
hoͤren folgende: 1) Digeſtorum ſ. Pandectarum libri L.
ex florentinis Pandectis repraeſentati per Franciſcum
taurellium. Florentiae 1553. f. 2) Ius civile MSS.
librorum ope infinitis locis emendatum, et perpetuis notis
illuſtratum L.russardoauctore. Lugd. 1560. f. und
Antwerp. 1567. 8. und Ebendaſelbſt 1570. 3) Corpus
iuris civ. cum notis Ant.contii. Pariſ. 1562. Vol. IX. 8.
4) Digeſta ſ. Pandectae, curante Iac.vintimillio. Pariſ.
1548. IX. vol. 8. u. 1550. 5) Satr. Princ. Iuſtiniani iuris
enucleati ex omni vetere iure collecti Digeſtorum ſ. Pan-
dectarum libri L. opera et diligentia L.charondae.
Antw. 1575. f. (Am Rande findet man Leſearten aus ei-
nem Cod. MS. Stephaniauredani, welche vortreflich
ſind, z. B. die ganz verdorbene Stelle L. 7. §. 1. fin. D.
de captiv. et poſtlim. reverſis iſt mit Huͤlfe deſſelben voͤl-
lig reſtituirt, denn ſtatt neque viri boni nobis praeſunt.
ließt codex Auredani: neque iure omni nobis pares ſunt.
6) Corpus iuris G. Chr.gebaueri; ſo nach Deſſelben
Tode Prof. ſpangenberg Goͤttingen 1776. 4. edirt
hat; und 7) Corpus iuris civilis diligentia Io. Frid.plitt
denuo editum Hagae Comit. et Francof. ad Moen. 1789.
8. Auſſer dieſen Florentiniſchen Ausgaben verdienen noch
angefuͤhrt zu werden 8) Digeſtorum ſ. Pandectarum iuris
civ. Vol. 5. Pariſiis ex officina Robertistephani 1527. 8.
9) Di-
ſtaben, Sylben, ja zuweilen Worte doppelt geleſen wer-
den. So z. B. wird eame fuͤr eam a me in L. 11. §. 3.
D. de iureiur. ferner defendum vor defendendum in
L. 45. pr. D. de fideic. libert. Desgleichen exhibitis fuͤr
exhibitis iis in L. 3. §. 6. D. ad exhib. geleſen. S. eck-
hard Lib. I. c. 2. §. 61. u. folg.
liken edirt. Paris 1647. Tom. VII. fol. vollſtaͤndig ſind
aber nur 34. S. hoepfnerPraetermiſſa quaedam de Βασι-
λικῶν libris. Giſſae 1774. Das 49. 50. 51. u. 52. Buch ſte-
hen vollſtaͤndig in Tom. V. Theſ. Meermann. von dem Nutzen
derſelben handelt I. G.hoffmannDiſſ. ad Pan[d]ect. X. §. 2.
brauchen. Man ſehe eckhard Lib. I. c. VII. §. 304. und
walch ad Eundem S. 548.
per Gregor.haloandrum 1529. 4. (Dieſe Ausgabe iſt
jedoch mit groſer Behutſamkeit zu gebrauchen. Adha-
loandrum, ſagt Io. Conr.ruͤcker in Praefat. Obſer-
vat. et Interpret. S. 4. in conſtituenda fragmenti alicuius
lectione tuto recurrere vix unquam poſſumus: cum enim
quam plurima audocter nimis ex ingenio paſſim mutave-
rit, detraxerit, addiderit, dignoſcere iam nulla ratione
poſſumus, quae ipſi, quae vero antiquis codicibus, ſi forte
quos adhibuit, debeantur. Man ſehe auch das Urtheil
Aegid.menagiiAmoen. iur civ. c. 8.) 10) Digeſtorum
ſ. Pandectar. iuris civ. libri L. ad exemplar Florenti-
num et Haloandrinum nec non vulgatas editiones quam
diligentiſſime collati, paſſimque emendati cura Lud.mi-
raeiPariſ. 1552. u. 1553. Vol. VII. 8. mehrere noch
fuͤhrt Henr.brencmannin Hiſtor. Pandectar. Lib. III.
c. 4. an. Die beſten Ausgaben von den Inſtitutionen,
Codex und Novellen findet man beym Walchad Eck-
hardum S. 129. folgg.
cii, Fr.hotomanni, Marc.lyclamaanyholt,
Franc. deamaya, Fr.duareni, Em.merillii, Ios.
averanii, Ant.fabri, Ant.augustini, Elb.leo-
nini, Ger.noodt, Corn. vanbynckershoeck, Balth.
branchu, Iac.voordae, Herm.noordkerck, Io.
Guil.marckart, Abr.wieling, Io. van dewater,
Hub. Greg. vanvryhoff, Ge. D’arnaud, Pet.bon-
dam, Io. Conr.ruͤcker, Herm.cannegieter, B. H.
reinoldi, Chriſtfr.waechtler, Io. Lud.conradi,
Io. Gottfr.ſammet, (receptae lectiones ad Iauchium)
I. L. E.puͤttmanni, und mehrere andere.
be, laͤßt ſich zum Theil auch auf die Critic des eanoni-
ſchen Rechts anwenden. Einen Verſuch von einer critica
iuris canonici enthalten meine Praecognita iuris ec-
cleſiaſtici. Cap. III. Sect. II. S. 417 ‒ 513.
legum rationibus, quae in ipſis legibus mi-
nus accurate exhibentur. Erfordiae 1765. Bei-
ſpiele aus dem Civilrecht hat auch walchad Eckhar-
dum S. 26. aus dem canoniſchen Recht aber habe ich
dergleichen in meinen Praecognitis angefuͤhrt §. 35.
Man huͤte ſich jedoch, daß man nicht die in den Geſe-
tzen angefuͤhrte Gruͤnde ohne Grund fuͤr unzureichend
haͤlt. Hiervon hat Frid. Gottfr.hauck in Diſſ. de ra-
tionibus ICtorum veterum falſo ſuſpectis
Trajecti ad Rhen. 1734. ſehr ausfuͤhrlich gehandelt, wel-
che in Ger.oelrichsTheſ. Diſſert. Belgicar. T. I.
S. 314. ſteht.
bus earumque inveſtigandarum regulis.
Lipſiae 1771. Conr. Henr. Andr.hepke Comm. de oc-
caſione et ratione legis. Hanov. 1754. 4.
ner auf dem weſtphaͤliſchen Frieden angewen-
deten Auslegungskunde. §. 5. in Deſſelben Ab-
handlungen zur Erlaͤuterung des Weſtphaͤl. Friedens.
I. Band S. 15. u. folg.
iuris civ.Lib. I. cap. 17. gleich zu Anfangs bemerkt.
ordine Legum in Pandectis. Gieſſae 1784.
Tit. III. L. 1. 2. L. 4 ‒ 6. 10. 11. 12 ‒ 14. 20. 21. 26 ‒ 28.
29. 30. 33 ‒ 36. 39 ‒ 41. Tit. V. L. 1 ‒ 3. 4. 5. 15. 16.
Tit. VI. L. 2 ‒ 4. u. a. m.
u. d. m.
Note 49. angefuͤhrten Schrift umſtaͤndlicher gehandelt.
de poenis von dieſer Auslegungsart Gebrauch gemacht.
Buchs der Pandecten. Im Tit. 7. de adoptionibus laͤßt
ſich nur bis zum L. 21. ein Zuſammenhang bemerken, die
uͤbrigen Geſetze dieſes Tituls ſcheinen ohne alle Ordnung
unter einander zu ſtehen. Auch in Tit. 15. des 2. Buchs
der Pandecten de Transactionibus findet ſich wenig Zu-
ſammenhang. Es ſcheint, daß die Compilatoren nicht ſo-
wohl vor Zuſammenſetzung eines Titels, jedesmal einen
ordentlichen Plan entworffen, als vielmehr nur unter den
einzelnen dahin gehoͤrigen Fragmenten, einigen Zuſammen-
hang herfuͤrzubringen geſucht haben. S. Hufeland a. a.
O. §. V.
hypoth. wo es heißt: inter pignus autem et hypothecam
tantum nominis ſonus differt. Dieſes wuͤrde mit dem,
was L. 9. §. 2. D. de pignor. act. von dem Unterſchied
zwiſchen pignus und hypotheca geſagt iſt, einen offenba-
ren Widerſpruch verurſachen, wenn uns nicht die Inſcri-
ption der L. 5.marcianuslib. ſing. ad Formulam
Hy-
erſchienene Schrift: Gedanken eines teutſchen
Rechts-
in Ruͤckſicht auf die hypothecariſche Klage zu
verſtehen ſey, wie Juſtinian dieſes auch ſelbſt §. 7. I. de
actionib. beſtaͤrkt hat.
Meine Opuſcula Faſcic. III. S. 185. u. folg.
Wallis zur Interimsregierung von Hannover.
1789. 4.
iuris Lib. V. c. 10. n. 2. ſqq. bemerkt, der uͤber dieſen
Gegenſtand vorzuͤglich geleſen zu werden verdient. Ich
will nur einige wenige Worte excerpiren. Ceſſante legis
ratione, ſagt er, ceſſat ipſa lex. Locus hercle lubricus et
periculoſus. Saepenumero ceſſat ratio legis, nec eo minus
praecepto legis adſtringimur. Iura enim non insin gu-
las personas, ſedgeneraliterconſtituuntur. L. 8.
D. de Legib. ac proptereasi aliqua sit persona
in tota illa univerſitate perſonarum, quam lex compre-
hendit, cui non conveniat ratio legis, non exi-
mitur a praecepto legis.
2. Abth. 4. Abſchn. §. 64.
quae et frequenter et facile, quam quae perraro eve-
niunt.
accidere poſſunt, iura non conſtituuntur.
daß wegen des allgemeinen Verbots des commiſſoriſchen
Ver-
O. Seite 214.
gnor. die vorher nach den Geſetzen der Pandecten L. ult.
D. de contr. emt. vend. und L. 16. §. ult. D. de pignorib.
erlaubt geweſene Faͤlle nunmehro ebenfalls fuͤr unerlaubt
zu halten ſeyn. S. Prof. WebersEroͤrterung der
Frage: wieweit erſtreckt ſich eigentlich bey
Verpfaͤndungen das Verbot des ſogenannten
Legis commiſſoriae: im niederſaͤchſiſchen Ar-
chiv fuͤr Jurisprudenz und iuriſt. Litteratur von
D.koppe I. Bandes 3. Stuͤck 1788. N. XIV. S. 160.
folgg.
VI. Hauptſt.
da Interpretat. et Emendat. iuris Rom. Cap. I.
Abr.wielingLection. iuris civ. Lib. II. cap. 5.
und Io. Chriſt.woltaerObſervat. iuris civ. et
Brandenburg. Obſ. 2. uͤber die Regel: ceſſante legis
ratione, ceſſat legis diſpoſitio geſagt haben.
analogia iuris. Io. Phil.slevogt Diſſ. de ar-
gumentis legum caute formandis. Chriſt.
Henr.friesleben Pr. de ratiocinatione ex ar-
gumento legis. Io. lac.hoefler Diſſ. de iuris-
prud. analogicae fundamentis. Dan.nettel-
bladt Diſſ. de deciſione caſuum ſecundum
analogiam. Halae 1751. Die neueſten Schriften
hiervon ſind Car. Henr.geisler Proluſ. de analogia
iuris publici. Vitemb. 1784. Andr. Ioſ.schnau-
bert Progr. de analogia iuris publici Impe-
rii in fontibus iuris publici S. R. I. territo-
riorum non numeranda. Helmſt. 1785. und Wilh.
Gottl. Tafinger uͤber die Beſtimmung des Be-
grifs der Analogie des teutſchen Privatrechts.
I. Theil. Ulm 1787. 8.
ceptum eſt, non eſt producendum ad conſequentias.ra-
tio iuris heißt hier die Regel des gemeinen Rechts;
wie die folgende L. 15. lehrt. In his, quae contra ra-
tionem iuris conſtituta ſunt, non poſſumus ſequi regu-
lam iuris: und die nachfolgende L. 16. beweißt, daß hier
von einem iure ſingulari die Rede ſey: Ius ſingulare eſt,
quod contra tenorem rationis propter aliquam utilitatem
(d. i. zum Beſten gewiſſer Perſohnen oder Sachen) au-
ctoritate conſtituentium introductum eſt.
Tit. III. S. 15.
Andr.hamberger in Opuſculis S. 59. Ger.
schroderObſervat. iuris. Lib. I. cap. 5. Gerl.
scheltinga in Diſſ. de emancipationibus P. I.
Cap. IV. §. 2. in Dan.fellenbergIurisprud. Antiqua
T. II.
miano. Cap. II. und eckhardHermenevt. iuris
Lib. I. c. V. §. 201. u. 221.
lis a Iuglero editis S. 581. Io. Guil.marckart
Probabil. Receptar. Lectionum Iur. Civ.
P. II. pag. 161. beſonders Adr. Nicol.moller in Diſſ.
ſelecta quaedam Iur. Civ. capita continente
Traj. ad Rhen. 1763. Cap. IV. in Ger.oelrichThe-
ſauro No[w]o Diſſertat. Belgicar. T. II. Vol. 2. Diſſ. 3.
S. 131. und folg. auch I. L. E.puͤttmann in variis
Iur. Civ. capitibus. Lipſiae 1766. cap. II. S. 11. und
in Exercitat. ad L. XVI. C. de inoff. teſtam.
Lipſiae 1774. S. 21. Eben dieſes gilt auch von der
Erklaͤrung der Paͤbſtlichen Decretalſchreiben, wie Io. Aug.
bach in Diſſ. de his, quae imputantur in
quartam fiduciarii. §. 10. und puͤttmann in Pro-
babil. Iur. Civ. libro ſing. S. 195. ſchon erinnert
haben. Daß uͤberhaupt die argumenta a conſequentia und
a contrario in unſerm iure behutſam zu gebrauchen, und
oft ſehr [t]ruͤglich ſind, haben Ger.noodt in Iulio
Paulo cap. VII. und Pet. detoullieu in Colle-
ctan. Iur. Civ. Diſſ. XIII. §. 18. S. 358. durch viel
Beiſpiele erwieſen.
de Inſcriptionibus LL. Digeſtor. et Codicis.
§. XIII. und wielingad Eundemin Opuſculis S. 581.
Nr. IIX. Seite 125. und folg.
ſtem. element. doctrinar. propaedeuticar.
Iurisprud. poſitiv. Germanor. commun. §. 44.
confeſſ. c. 4 et 10. X. de probat.
des peinl. Rechts 2. Th. §. 681. I. G.heinec-
ciusde religione iudicantium circa reo-
rum confeſſiones in eiusOpuſcul. variis Exerc.
XVII.
vilproceß. (Magdeburg u. Leipzig 1780. 8.) I. Abſchn.
2. Cap. S. 27. und folg.
Rechtsfaͤlle. 2. Band N. XVI. §. 125.
Paris 1659. und Chriſt. gmelin oder vielmehr D. Chriſt.
Iac.zahn Diſſ. de fictionibus iuris romani.
Tubingae 1787.
ob die Legitimation auſſer der Ehe gebohr-
ner Kinder ſich in einer roͤmiſchen Erdich-
tung gruͤnde? Roſtok 1777. 4.
Rechtsgelahrtheit. §. 387. (dritte Auflag. Halle
1784.)
(Lugd. Batavor. 1706.) Cap. I.
Giſſae 1706. und Io. Gottl. heinecciiCommentatio
eiusdem argumenti in Opuſculis minorib, varii argumen-
ti Opuſc. VIII. S. 301 ‒ 388.
2. Tit. S. 17. und folg.
aller meiner Haab und Guͤter. Ienae rec. 1745.
P. I. Reſp. VII. n. 54.
dener Rechtsmaterien. 2. Stuͤck. n. IX. S. 151.
Εὕρηματικῶν, aus welchem zehen wichtige Fragmente in
den Pandecten befindlich ſind, die Heinrich Brenkmann
in Diatriba de Eurematicis. Lugduni Batavor. 1706.
mit einem vortreflichen Commentar erlaͤutert hat.
contractuum, teſtamentorum und iuramen-
torum verſchiedene Tractate geſchrieben.
P. I. Goettingae 1762. P. II. Ib. 1765. 8. Dieſer beruͤhm-
te Rechtsgelehrte gab hierauf den dritten Theil ſeiner
iurisprudentiae hevrematicae, welcher die Lehre von
Teſtamenten und andern lezten Willen ent-
haͤlt, zu Goͤttingen im Jahr 1782. in teutſcher Sprache
heraus, welches ihn veranlaßte, auch die beyden vorher-
gehenden Theile ins teutſche zu uͤberſetzen, welche unter
dem Titel: Rechtswiſſenſchaft von richtiger und
vorſichtiger Eingehung der Vertraͤge und Con-
tracte zu Goͤttingen 1786. 8. erſchienen ſind.
ſtaͤnde, mit deren Einwilligung ſie gemacht werden, als
Vertraͤge anzuſehen. S. Carl Fried. Gerſtlachers
Corpus iuris germanici publ. et privati
1. B. 1. Cap. S. 24. und 32. Auch ſogar die roͤmiſchen
und kanoniſchen Rechte gelten als beſtaͤttigte gemeine
Reichsrechte in denen Privatrechtsſachen der erlauchten
Perſohnen in Teutſchland, ſofern nicht etwa durch Fami-
lienvertraͤge oder Obſervanz ein anders iſt beſtimmt, und
in Anſehung ihrer feſtgeſetzet worden. S. leyser Spec.
XLI. med. 5. hartlebenMeditat. ad Pandect.
Vol. I. P. I. Spec. V. m. 2. puͤtterde normis deci-
dendi ſucceſſionem illuſtrium controverſam
§. 13. und folg. v. SelchovsRechtsfaͤlle 2. Band S. 70.
folgg. und Weſtphals Abhandlung von dem Ge-
brauch des juſtinianiſchen Rechts in dem teut-
ſchen
Schnaubert Anfangsgruͤnde des Staatsrechts
der geſammten Reichslande §. 259. S. 171.
hommelRhapſod. Quaeſt. Forens. Obſ. 480.
maieſtate Regnantis, legibus alligatum ſe Principem pro-
fiteri. und L. 3. C. de teſtament. Nihil tam proprium
imperii eſt, quam legibus vivere.
lahrheit der erlauchten Perſohnen des teut-
ſchen Reichs. Halle 1779. 4.
mantur. Nov. XXIII. c. 2. et Nov. CV. cap. 2. Zwar
wollen viele Rechtsgelehrte dieſe Stellen nur auf einige
Geſezarten einſchraͤnken, und vorzuͤglich von den unter dem
Kr. Auguſt gegebenen legibus caducariis verſtanden wiſ-
ſen, weil L. 31. D. de LL. laut der Inſcription aus
ulpianilib. 13. ad Legem Iuliam et Papiam genommen
iſt. So denken Iac.cuiaciuslib. XV.Obſervat.
cap. 30. Iac.lectiusin Orat. de vita et ſcri-
ptis Ulpiani Tom. I. Theſauri iuris Ottoniani p. 62.
Iac.gothofredusin Notis ad Leg. Iuliam et
Papiamcap. 30. Ant.augustinusde LL. et SCtis
cap. 18. Iac. gutheriusde officiis Domus Au-
guſtae Lib. I. c. 31. Ger.noodtin Orat. de Le-
ge regia. Io. Gottl.heinecciusin Syntagm.
Antiquitat. Rom. Lib. I. Tit. 2. n. 66. und noch
viel andere. Allein Em. merilliusObſervat. iuris
lib. VIII. c. 19. und Io. Car. vanwachendorfde
principe legibus ſoluto, Cap. I. §. 6. und folgg.
(in Triade Diſſertationum. Trajecti ad Rhen. 1730. 8.)
haben jene Meinung gruͤndlich widerlegt. Daß L. 31. D.
de LL. allgemein, und von allen buͤrgerlichen Geſetzen
zu verſtehen ſey, beweiſet unter andern ſchon die Alge-
meinheit des Titels de Legibus, SCtis etc. in welchen
dieſelbe befindlich iſt. War es nun auch allenfalls fuͤr
den Auguſtus oder ſeine Nachfolger ein Privilegium,
daß ſie von der Verbindlichkeit der ſogenannten Legum
caducariarum frey waren, ſo konnte doch gewiß Juſti-
nian, wie er ſeine Pandecten verfertigen ließ, hierauf
nicht mehr zielen, weil er in L. un. pr. Cod. de caducis
tollendis uͤberhaupt jene Geſetze aufgehoben hatte.
Deciſiones Vol. I. Obſ. 10. hofackerin Prin-
cip. iuris civ. Rom. Germ. T. l. §. 84. S. 70.
Man vergleiche uͤberdies hartlebenin Meditat ad
Pandect. Spec. VIII. m. 11. und M.lycklamaany-
holtMembranar. Lib. IV. Eclog. 19.
Sacerdotii et Imperii. Lib. II. c. VII. §. 8. Quia
clerici, non tantum qua clerici, ſed etiam qua ciues ſunt,
ſpectantur in republica, legibus Principum tenen-
tur,niſi earum gratiam aut libertate generali, toti cle-
ro indulta, aut alicui ordini ex beneficio Regum conſecuti
ſint.
eccleſiaſt. P. I. Cap. VIII. §. 119. folgg. u. §. 353. vorzuͤg-
lich aber Joſ. Val. Eybel Einleitung in das ka-
tholiſche Kirchenrecht (Frankf. n. Leipzig 1779. 8.)
2. Th. 2. Buch 2. Hauptſt. §. 112.
die Geſandſchaften und die ihnen zukommende
Rechte. (Gotha 1788.) XIII. Abſchnitt S. 312. u. folgg.
Quae ſunt in territorio, praeſumuntur eſſe de territorio.
Halae 1709. 4. und Ge. Frid.dathede falſitate
vulgati: Quidquid eſt in territorio, praeſumitur etiam
eſſe de territorio. Goettingae 1753. 4.
Rechten und Pflichten. Frankf. und Leipz. 1774. 4.
mus. Marburgi 1780. 8.
vatrecht. 1. Th. 3. Abh. §. 6 u. folgg. Io. Th.seger
Diſſ. de vi legum et decretorum in territo-
rio alieno Lipſiae 1777. §. 5. S. 17. beſonders hart-
lebenMeditat. ad Pandect. Spec. IX. med. 4.
auch zuweilen nach der Verfaſſung einzelner Laͤnder, wie
z. E. in Sachſen, der Guͤterbeſiz in einem Lande die
voͤllige Unterthaͤnigkeit bewirken, welches man den vol-
len Landſaſſiat nennt. S. Lud.menckende vi
ſuperioritatis territorialis in territoriis
clauſ. §. 8 ‒ 13.
CCCCIX. n. 10. und 16. Weber von der natuͤrl.
Ver-
segercit. Diſſ. §. V. S. 17. Io. Nic.hertius Diſſ.
de colliſione legum. Sect. IV. Chr. Gottl. ric-
cius Exerc. de contractu cambiali §. 81. u. a. m.
der Lehre von der natuͤrlichen Verbindlichkeit
2te Abth. §. 62. S. 195.
der oben angefuͤhrten Diſſ. §. 10. Car. Fr.boeschen
Diſſ. de vi legum civil. in ſubditos tempo-
rarios. praeſ. A. F.schott. Lipſiae 1772. §. XXXI.
ſqq. hartlebenMeditat. ad Pandect. Spec. IX.
med. 8.
med. 5. EichmannErklaͤrung des buͤrgerlichen
Rechts. Th. I. S. 159. voetCommentar. ad
Pandect. Tom. I. Lib. I. Tit. 4. Part. 2. §. 14.
eheliche Verbindung erlaubt war, ſich mit einander ver-
lobt haben, und die Vollziehung der Ehe an einem an-
dern Orte, wo ſie ſchlechthin verboten iſt, verlangt wird.
a. a. O. S. 196.
Quaeſtion. Lib. II. cap. 19.gailObſervat. Lib. II.
c. 123.mynsingerObſervat. Cent. IV. Obſ. 82.
Cent. V. Obſ. 20. n. 4. ſqq.huberPraelect. ad Pan-
dect. Lib. I. Tit. 3. p. 538. decramerObſervat.
iu-
Inrisprud. Antejuſt. S. 631.
Exerc. ad Pandect. de iure obſid. eap. 9. §. 4.
Vol. I. Conſ. 41.puffendorfObſervat. iuris uni-
verſi. T. I. Obſ. 28. §. 9. HoͤpfnerCommentar
uͤber die Inſtitutionen §. 450. seger in der an-
gef. Diſſertat. §. 8. hofackerPrincip. iuris
civ. Rom. Germ. T. I. §. 142.
riant.
der oben angefuͤhrten Diſſ. uͤberein, welcher §. VIII.
ſagt: Quae ex Romanis legibus repetuntur, nihil ad
rem faciunt. Nihil certius eſt, quam Quiritium iure
contrariam opinionem praevaluiſſe. Nempe teſtamen-
tum apud Romanos erat lex populi teſtatore rogante
condita. Hodierna teſtamenta aliis moribus aeſtiman-
tur, ut quae, ſi hoc verbo abuti licet, nunc fere facta
ſint iuris gentium, id eſt, apud cultiores populos tan-
tum non omnes publice introducta et approbata. Ita-
que veritatem magis ultimae voluntatis ſpectamus, quam
ſolennitatem. Hanc ſolennitatis obſervationem una ſo-
la de cauſa exigimus, ut nempe vera et ſeria teſtatoris
voluntas exinde intelligatur, non etiam, ceu olim Ro-
mani, ad antiqui moris imaginem exprimendam.
T. I. §. 143. Tob. Iac.reinharthſelect. Obſer-
vat. ad Chriſtinaei Deciſiones Vol. IV. Obſ. 13.
S. 6.
driae Tr. VI. 10. God.sammetQuaeſt. Foren-
ſes. Obſ. 1. §. 4. in Opuſe. S. 244. hartlebenMe-
ditat. ad Pandect. Spec. IX. med. 6. et 7.
Tom. I. §. 140. S. 113.
28.
serSpec. CCLXXXIX. med. 6. kressad Art.
CLXXVII. CCC. pag. 650. G. L.boehmerde abi-
geatu et furto equorum §. 103.
CXLIX. Obſ. 4. n. 67. Strubenin den rechtlichen
Bedenken Th. II. Bed. 113. und Th. IV. Bed. 28.
n. 87. ſq. Conſ. LIX. n. 83.
ken Th. IV. Bed. 135. QuiſtorpGrundſaͤtze des
peinl. RechtsI. Th. 3. Abſchn. §. 95.
mer Diſſ. de delictis extra territorium com-
miſſis. Goettingae 1748. §. 16. u. 17. und Derſelbe in
Commentat. de abigeatu Cap. III. §. 98. u. folgg.
kochInſtitut. iuris crim. Lib. I. c. VI. §. 94. zol-
ler Spec. I. Obſervat. practicar. Lipſiae 1778.
Obſ. 7.
conſultis ſacerdotibus iuſtitiae. Lipſiae 1739.
Finibus Lib. V. c. 23. uͤberein, wo er ſagt: iustitia
eſt animi affectio, ſuum cuique tribuens, et hanc ſocietatem
coniunctionis humanae mirifice et aeque tuens.
micor.aristotelesad Nicomach. v. 1.gelliusNoct.
Atticar. Lib. XVII. c. 5. in fine. Mehrere Stellen noch
hat walchadeckhardiHermenevt. iuris. L. I.
c. IV. §. 133. S. 221.
c. 1. et 2. Chriſtfr.waechtlerad Noodtium in
Opu-
ne iurisprudentiae civ. non ſeparanda. Helmſt.
1744.
tia et iure §. IV. gegen die Definition des Ulpians
eingewendet.
dasjenige, was oben (§. 6.) uͤber dieſen Gegenſtand be-
reits geſagt worden iſt.
Lib. I. cap. 7. Io. Ge.marckartReceptar. iuris
civ. lection. P. I. pag. 20. Aegid.menagiusAmoe-
nitat. iuris civ. cap. 4. u. a. m.
man habe es zu Athen fuͤr eine Schande gehalten, erran-
ti viam non monſtrare.
V. Buch 5. Cap. genommen; S. kaestnerCommen-
tat. de iuſtitia eiusque ſpeciebus, in Ari-
ſtotel. Ethic. V. Lipſiae 1737. Daß jedoch ein Miß-
verſtand der Worte jenes Philoſophen die eigentliche Quel-
le dieſer Eintheilung ſey, hat D. Io. Sam. Traug.geh-
ler in Commentat. de laeſione emtoris ultra
dimidium recte computandaLipſiae 1777. §. XIII.
gruͤndlich dargethan.
und Reichs - Proceſſes 3. Theil S. 4. §. 5. Io.
Ge.daries Diſſ. de interpretat. et extenſione
L. 2. C. de reſc. vendit. Trajecti ad Viadr. 1775. §. 24.
hofackerPrincip. iuris civ. Rom. Germ. P. I.
§. 16.
arbitrio, ut non utique ex aequis partibus ſocii ſimus,
veluti ſi alter plus operae aut pecuniae in ſocietatem
collaturus erat.
dem Maaß und der Guͤte der verkauften Waaren. L. 40.
§. 2. D. de contr. emt. vend. L. 4. §. 1. D. de act. emt.
vend.
und der geleiſteten Dienſte, oder gehabten Nutzung be-
rechnet, L. 21. L. 30. pr. et §. 1. D. locati cond. L. 15.
§. 7. D. eodem.
pomponius ait: ſi par dierum et contractuum cauſa
ſit, ex omnibus ſummis pro portione videri ſolutum.
desjenigen, welcher ihn beſtellen muß, und des Standes
der Verlobten feſtgeſezt. L. 60. u. L. 69. §. 4. D. de iure
dot.
hat dieſen Saz mit ſehr vielen Beyſpielen beſtaͤrkt.
delberg. 1671. leyserMedit. ad Pandect. Spec. I.
med. 3. Io. Ortw.westenbergDigeſt. h. t. §. 15.
ſqq.thomasius Diſp. de aequitate cerebrina
L. 2. C. de reſc. vendit. Cap. 2. §. 35. hartlebenMe-
ditat. ad Pandect. Spec. I. med. 2.EichmannEr-
klaͤrungen des buͤrgerlichen Rechts 1. Th.
S. 170. beſonders Lud.herrenschneider Diſſ. de
laeſionis enormis computatione Part. Poſter.
Argent. 1785. Cap. I.
S. meine Opuſcula faſc. II. S. 90. und folgg.
zwey Cleſſen bringen, einmahl in ſolche, die eine Erlaͤu-
terung des Pomponiuſſiſchen Fragments oder der L. 2.
D. de O. J. enthalten, unter welchen auſſer dem oben
ſchon angefuͤhrten van dermuelen, noch beſonders ru-
pertiAnimadverſiones, Corn. vanbynckers-
hoek Praetermiſſa, welche beide in uhliiOpuſculis ad
Hiſt. iuris pertinent. ſtehen, deßgleichen Antoniigarro-
nisin tit. Dig. de O. l. commentariaBremae
1631. Ger.cocceiiCommentariiGroeningae 1660.
und Sim.leewiusde origine et progreſſu iu-
risciv. Rom. Lugd. Batav. 1671. zu bemerken. Die andere
Claſſe von Schriften machen diejenigen aus, welche die Ge-
ſchichte des roͤmiſchen Rechts und roͤmiſchen Staats
vollſtaͤndiger vorgetragen haben; zu dieſen rechne ich
auſſer den bekannten claſſiſchen Werken eines Chr. God.
hoffmann, Io. Sal.brunquell und Io. Gottl.hei-
neccius, mit Ritters und Silberrads Noten, vorzuͤg-
lich Io. Aug.bachHiſtoria iurispr. romanae
Li-
ver unter dem Titel: The hiſtory of the Legal
Polity of de Roman State, and of the Riſe,
progress and extent of the Roman Laws.
London 1780. 4. und ins teutſche uͤberſezt unter der
Aufſchrift: Geſchichte des roͤmiſchen Staats und des
roͤmiſchen Rechts von L. Voͤlkel. Leipzig 1787. 8
Auch ſind die Werke eines Ferguſons und Gibbon’s
uͤber den Fortgang und Verfall der roͤm. Republic fuͤr
Rechtsgelehrten von groſem Nutzen.
Gedanken von denen verlohrnen alten roͤmi-
ſchen Geſetzen und Rechtsbuͤchern, wie auch von
den groſſen Bemuͤhungen der Gelehrten, ſol-
che wiederherzuſtellen, in Schotts iuriſt. Wochen-
blatt 3. Jahrgang 1774. N. XXVIII. S. 497 ‒ 534.
nachgeſehen zu werden.
§. 2. und §. 36. D. de O. l. und des Dionyſius von Ha-
liearnaſſus Antiquit. Rom. Lib. III. p. 178. nach der
Sylburg. Ausgabe mit einander zu vereinigen.
Opuſculor. faſc. II.
Paris 1787. gr. 4.
regundorum. Traj. ad Rhen. 1779.
narumque apud veteres hereditatibus. in
Triade abheineccioedita. Halae 1722. 4.
beruͤhmten Heineccius zu danken. Man findet es in
DeſſelbenAntiquit. Rom. Lib. I. Tit. VI. §. 12.
vollſtaͤndigſten Io. Gottl.heinecciusin Comment.
ad Legem Iuliam et Pap. Poppaeam. Amſtel.
1731. 4. reſtituirt.
conſultis liber. adiunctis Legum antiqua.
rum et SCtorum fragmentis, cum notis
fulvii vrsiniPariſiis 1584. fol.
no atque Hermogeniano Commentat hiſtori-
ca. Lipſiae 1777.
tel: Imperatorum Theodoſii iunioris et Valentiniani III.
Novellae Leges, caeteris anteiuſtinianeis, quae in Lipſienſi
anni 1745. vel in anterioribus editionibus vulgatae ſunt,
addendae. Faventiae 1766. gr. 8. Der Titul von dem Werk
des amadutius aber iſt dieſer: Leges Novellae V.
anecdotae Impp. Theodoſii iunioris et Valentiniani III.
cum caeterarum etiam Novellarum editarum titulisRo-
mae 1767. fol.
Senatum et omnes populos §. 19.
nevt. iuris Lib. I. cap. VI. §. 262. und folg. und Walch
in den Anmerkungen S. 477 ‒ 490. wo man von den
oben gedachten Fragmentis iuris anteiuſtinianei eine ſehr
vollſtaͤndige Nachricht finden wird.
Romani des Ev.ottonis, und den Novum the-
ſaurum iuris civilis et canonici des Ger.
meermanni nicht [unberuͤhrt] laſſen, in welchen beiden
Werken man alle zur Erklaͤrung des aͤlteren roͤm. Rechts dien-
liche Schriften der eleganteſten Rechtsgelehrten zuſammen-
getragen findet, welche einzeln ſehr ſelten geworden ſind.
Dieſen kann ich auch noch beyfuͤgen die Iurispruden-
tiam Romanam et Atticam deren 1. und 2. Theil
cum
Legum in Pandectis. Gieſſae 1784. §. 1. Not. b.
1739. fol: Der dritte aber cum praefat. Pet.wesse-
lingii 1741. herausgekommen iſt.
ria corporis iuris Iuſtinianei, oder hiſtoriſche
Nachricht von den Inſtitutionen, Pandecten,
Codex und Novellen. Jena 1731. 8. Ad.riccius
de librorum iuris romani quantitate et
qualitate. Regiomont. 1657. 8. u. Alb.gentilisde
libris iuris civ. Hannoviae 1605. 12.
poris iuris civ. dieſen erſtern Platz. Z. B. in der Aus-
gabe des L.charondae folgen ſie auf die Pandecten,
in andern z. E. in der Ausgabe des L.russardi, und
des petri ab area baudoza cestii, Lugduni 1593.
gr. 4. machen ſie den Schluß.
nen. §. 16.
mentar. de conſtitutionibus Imperatorum
antiquis iis ſpeciatim, quae in Inſtitutioni-
bus citantur, et in Codice repetitae praelect.
omiſſae ſunt. Lemgoviae 1735. 4.
rum iuris Inſtitutionum, earundemque au-
ctoris hiſtoria, aetate, auctoritate, fatis, do-
tibus, naevis. lib. ſing. Lipſiae 1731. 4. Lugd. Batav.
1733. 8. und in der Reitziſchen Ausgabe des Theophilus
T. II. S. 1033. Desgleichen Ioh. Gottfr.ſammetcon-
iecturae de Theophili vita et Εϱμ [...]ια In-
ſtitutionum Lipſiae, 1750. und in Opuſt. N. VIII.
S. 213. folgg.
Vorrede zu ſeiner Ausgabe der Paraphraſe §. 46. S. 27.
dargethan.
u. fo [...][a]uch walchad Eundem.
rum ad Senatum §. 9. findet man ſie angefuͤhrt.
rentinus barbariei e medio aevo ad nos
transmiſſae απορρος. Francohuſ. 1755. 4.
omnes Populos. §. 2. ſqq. und L. 2. §. 5. L. 3. §. 4. C.
de V. I. E.
autem aliquid in hoc Codice (Pandectarum) poſitum
nullum ſibi locum vindicabit etc.
Cap. V. §. 12.
Vergeblich hat ſich Io. Conr.rückerInterpretat.
Lib. II. c. 4. bemuͤhet, dieſe Stellen mit einander zu con-
ciliiren.
§. 283. und walchad Eundem.
in Opuſc. S. 254. und folgg.
oelrichsTheſ. novo Diſſertat. Belgicar. Tom. II. Vol. 2.
S. 394.
S. 401.
pag. 25. ſqq.
liator fuͤhre ich hier nur noch an Ioſ. Mar.schneidt
Diſſert. ſiſtens artem conciliandi leges in ſy-
ſtema redactam.Wirceb. 1776. Die uͤbrige hierher
gehoͤrige Schriften findet man in lipenius und Supple-
ment.schottii v. Antinomia. Ich bemerke uͤbrigens
noch dieſes, daß ſich Dionyſ Gothofredus in ſeinen
Ausgaben der Pandecten ein vorzuͤglichs Verdienſt ge-
macht, die widerſprechenden Geſetze an jedem Orte an-
zufuͤhren.
omnium quae extant Pandectarum exemplo-
rum parente diſquiſitio,ex edit.walchii Ienae
1755. 8. cap. XIX.
man eckhardin Hermenevt. iuris Lib. I. c. 2.
§. 68. undf olgenden auch walchad Eundem.
lung N. VII. S. 191. und folg. Io. Conr.rücker in
Praefat.eiusInterpretat et Obſervat. praemiſſa pag. 3.
Zeichen des Taurells und der uͤbrigen Editoren, deren
ſie ſich in ihren Ausgaben der Pandecten bedienet haben,
zu bemerken. Taurell hat deren fuͤnf. Das erſte **
bedeutet, daß die damit bezeichneten Worte nicht im Text
der Florentiniſchen Handſchrift geſtanden, ſondern demſel-
ben hernach durch einen alten Abſchreiber beygefuͤget wor-
den. Das andere ► gebraucht Taurell, wenn ihm et-
was uͤberfluͤſſig im Text zu ſeyn geſchienen; das dritte
() zeigt an, daß etwas in der Florentiniſchen Hand-
ſchrift nicht ſtehe, ſondern vom Taurell, um einen voll-
kommenen Verſtand herauszubringen, inſeriret worden;
das vierte *) deutet Worte und Stellen an, die ihm
verdaͤchtig oder von der roͤmiſchen Schreibart abzuwei-
chen gedeucht haben; das fuͤnfte endlich † druͤckt zwey
verſchiedene Leſearten aus, davon Taurell die erſtere in
den Text gebracht, die andere aber mit jenen Zeichen
am Rande angemerkt hat. In der Praͤfation ſeiner Aus-
gabe hat Taurell alle dieſe Charactere ſelbſt erklaͤrt.
Ruſſard bedient ſich noch eines andern Zeichens, ∥ ∥,
und will damit andeuten, daß dasjenige, was er mit den-
ſelben eingeſchloſſen, in der florentiniſchen Handſchrift ſo
wenig,
finden ſey. Ob ihn nun gleich Ludov.charondas und
Iul.pacius hierin blindlings gefolgt ſind, ſo haben doch
Bynkershoͤkad L. lecta c. 11. und BrenkmannHiſtor.
Pandectar. S. 92. erinnert, daß jene Angabe des Ruſ-
ſards eine aller Welt vor Augen liegende Unwahrheit ſey,
indem vieles, was Ruſſard mit ſeiner Note ∥ ∥ befan-
gen, ſowohl in der Florentina als Haloandrina befind-
lich iſt, wie einem Jeden, der dieſe Ausgaben mit ein-
ander zu vergleichen ſich die Muͤhe geben will, in die
Augen fallen wird. Dionyſius Gothofredus bedient
ſich nicht nur des Ruſſardiniſchen Zeichens, ſondern auch
noch anderer, als () [] * † ohne daß man aus ſeinen
Ausgaben ſehen kann, warum er etwas auf ſolche Art
marquiret hat, wodurch viele Verwirrung im Text iſt an-
gerichtet worden. Man ſehe vorzuͤglich die gelehrte Ab-
handlung Chriſt. Ulr. Grupens: wie die Pandecten
von den verworrenen notis characteriſticis
Editorum, und inſonderheit von dermen-
daciſſima notarussardi und Dionyſ.gothofredi
∥ ∥ zu ſaͤubern, und zum Theil zu rectifici-
ren. in DeſſelbenObſervat. Rer. et Antiquitat. Germ.
et Rom. Obſ. XV.
des Corporis iuris civ. in des H. Prof. Sieben-
kees neuen juriſt. Magazin 1. Band Anſpach 1784. N. VI.
S. 194 ‒ 201.
Juriſten verſchiedene Secten, unter denen die Sabinia-
ner und Proculianer die beruͤhmteſten waren. S. Gotfr.
mascovii Diatr. de Sectis Sabinianorum et Pro-
culianorum in iure civ.Lipſiae 1728. 8.
di ad fontes, ſi quis in lectione Codicis re-
petitae praelectionis feliciter verſari ve-
lit.in Opuſc. S. 611.
Digeſter. et Codicis eum notis Abr.wielingi
§. XIII. in Opuſc. S. 580.
ctar. §. IV. n. 7. richter Deciſion. P. I. Deciſ. 37.
n. 48. Alb.gentilis de libris iur. civ. cap. 5. Io.
Frid.klett de iuris Iuſtinianei placitis, quae vim le-
gis non habent. Erlangae 1748. §. 13. eckhard Her-
menevt. iuris. Lib. I. cap. VII. §. 282. not. *. S. 517.
dieſes in dem ſplendiden Werk de claris Archigy-
mnaſii Bononienſis Profeſſoribus a Saeculo
XI. usque ad Saec. XIV. Bononiae 1769. f. vita ir-
nerii §. VIII. und folgg. gegen Strauch und Byn-
kershoͤk aus unwiederleglichen Gruͤnden dargethan. S. Car.
Frid.zepernickBiga libellorum Avthenticas Codicis rep-
prael. earumque hiſtoriam illuſtrantium. Halae 1788. 8.
N. II. S. 114. und folgg. Daß ſchon vor Irnerius der-
gleichen Avthendiken beym Codex befindlich geweſen, und
Gregor der Groſe, welcher nicht lange nach Juſtinian
gelebt, ſolche in ſeinen Briefen angefuͤhrt, iſt unerweis-
lich, und der vorhin gedachte Maurus Sarti a. a. O.
§. XII. hat gezeigt, daß die Stelle in Gratians Decret
c. 38. C. XI. qu. 1. verfaͤlſcht ſey, und daß die aͤlteſten
Handſchriften von Gregors Briefen in der angefuͤhrten
Stelle des Codex keine Erwaͤhnung thun, ſondern ſtatt
der Worte: ſciendum eſt, quod ſuperius in eadem
conſtitutione lib. Cod. I. legitur etc. vielmehr leſen: quia
ſuperius in eadem conſtitutione LI. cap. (i. e. quinquage-
ſimo primo capitulo ſive paragrapho, wie es huguccio
Piſanus in ſeiner Summa Decretorum ad ea verba er-
klaͤrt) und wird alſo unter der von Gregor angezogenen
Conſtitution keine andere als Nov. CXXIII. und deren
51te §. nach der Abtheilung der damahligen Handſchrif-
ten verſtanden. Die alten Gloſſatoren, Azo, Odofre-
dus und Accurſius ſchreiben alle dem Irnerius die
im Codex heutiges Tages befindlichen Avthendiken zu. Lez-
terer hat ſich beſonders in ſeiner Gloſſe ad Avth. ſed no-
vo iure C. de Serv. Fugit. ſehr deutlich ausgedruͤckt, wenn
er
berlich P. II. Deciſ. 257. n. 44. silberradad Hei-
necciihiſtor. iuris civ. Lib. I. Cap. VI. §. 419. S. 610.
Io. Iac.scherz Diſſ. de Avthenticarum aucto-
ribus et auctoritateArgent. 1733. Cap. II. in C. F.
zepernick angefuͤhrter Biga libellorum S. 31. u. folgg.
und Herr Dir. Zepernick ſelbſt in der vortreflichen Ab-
handlung: Quibus ex cauſis Novellae Leonis
Sapientis in Germania receptae dici neque-
ant Coniecturae, hinter beckde Novellis Leonis
S. 541. Einer andern Meinung ſind brunquellHiſt.
iuris. P. II. Cap. X. §. 14. rittershusExpoſ. No-
vellar. p. 33. Prof. Weber Theorie vom heutigen
Gebrauch des roͤmiſchen Rechts S. 45. u. a. m.
(i. e. Novellarum) ſed ſunt verba irnerii,qui extra-
xit omnes Avthenticas ſignatas ſuper leges Codicis.Odo-
fredusad Avth. Sed novo iure Cod. ſi certum petatur
ruͤhmt an dieſen Avthendiken des Irnerius vorzuͤglich ihre
Kuͤrze und Deutlichkeit, und tadelt die Weitſchweifigkeit des
Azo und Hugolinus, welche nach dem Irnerius neue der-
gleichen Auszuͤge aus den Novellen verfertiget haben; man
ſehe den Odofredad Avth. niſi rogati C. ad SCtum Tre-
bell. Da nun die in unſerm Codex befindlichen Avthendi-
ken das Gepraͤge der Kuͤrze haben, ſo macht dieſes die
Sache noch gewiſſer, daß Irnerius deren Verfaſſer ſey.
ſagt daher mit Recht: Inter editiones Codicis, illius, quam
Charondascuravit, prima ratio eſto.
nolog. Novellar. Iuſtiniani S. 167. Iurisprud. Reſti-
tutae vom Jahr 534. an, und ſoll die Nov 2. de non
eligendo ſecundo nubentes mulieres, welche ohne Subſcri-
ption iſt, von dieſem Jahr ſeyn; allein es iſt dieſe An-
gabe auch ſehr zweifelhaft.
vellarum Conſtitut. Imp. Iuſtiniani lingua
originaria in C. F.zepernickDelectu Scriptor. No-
vellas Iuſtiniani eorumque hiſtoriam illuſtrantium (Halae
1783. 8.) S. 183. und folgg. Von einigen Novellen
ſagt es iedoch Juſtinian ſelbſt, daß er ſie in beyden Spra-
chen zugleich, in der griechiſchen ſowohl wie in der la-
teiniſchen, habe ausfertigen laſſen. Dahin gehoͤrt Novel-
le 17. und 18. Von der erſtern ſehe man nur die Praͤ-
fation, von der leztern aber dasjenige nach, was Juſti-
nian hiervon in der Nov. 66. c. 1. §. 2. meldet. S. mei-
ne Opuſcula Faſc. III. S. 85. und folgg. So ſcheint
auch Nov. 34. das lateiniſche Exemplar von der Nov. 32.
ſo Thracien angieng, zu ſeyn, jedoch ſo, daß deren Aus-
dehnung auf Illyricum nach der Nov. 33. darinn zugleich
mit wiederholt wurde. S. Weſtphal Pfandrecht S.
127. Not. 91. und im Nachtrag S. 12. Folgende No-
vellen aber ſind blos lateiniſch verfaſſet worden, Non. 9.
11. 23. 62. 143. und 150. S. Weſtphal Syſtem des
Roͤm. Rechts uͤber die Arten der Sachen S. 587.
25. Nov. 26. cap. 5. §. 1. und Nov. 24. cap. 6. §. 1. ſchlieſ-
ſen, theils wollen ſolches die griechiſchen Juriſten als
Mich.attaliataPraefat. Synopſis §. 2. harmenopu-
lusPromtuario iuris. Lib. I. Tit. I. Desgleichen theo-
phanesin Chronographia p. 120. verſichern.
Collectione Novellar. a Iuſtiniano facta;
in zepernickDelectu S. 295. Es iſt ſehr wahrſchein-
lich, daß Juſtinian den librum ſacrarum ſuarum conſti-
tutionum, deſſen er in dem Epilog der Nov. 25. gedenkt,
blos fuͤr ſich und zu ſeiner eignen Notiz durch Tribonian
habe verfertigen laſſen. Denn alle uͤbrigen Magiſtrats-
perſohnen und Richter hatten ja ſeine Novellen ſchon, und
muſten ſie auch in ihren Gerichtsbuͤchern ſorgfaͤltig aufbe-
wahren, was war alſo eine neue Bekanntmachung derſel-
ben in einer beſondern Sammlung noͤthig?
anfuͤhrt. Die Stelle ſtehet auch, obgleich etwas corrupt,
in
ſtiniani.Prooem. Cap. I. n. 19. und 20. bachHiſton
iurispr. Rom. Lib. IV. c. I. Sect. II. §. 21.
hombergk zu vachPraefat. verſioni Novel-
larum praemiſſa S. 22. I. L. E.puͤttmannAd-
ver-
keinesweges untergeſchoben ſey, wie deludewigin vi-
ta Iuſtiniani cap. VIII. §. 46. p. 259. ſich eingebildet, hat
maurus sartius in Irnerio §. XIII. aus Vaticani-
ſchen Handſchriften erwieſen.
die Nov. 1. iſt vom Jahr 539. datirt, da ſie doch im Jahr
535. promulgirt worden. Um dieſe Fehler zu verbeſſern,
ſind Ant.contiiChronologia annorum, Con-
ſulum et Indictionum Imp. Iuſtiniani:re-
landiFaſti Conſulares und Henr.agylaeusde
dierum annotatione in Novellarum Sub-
ſcriptionibus in zep[e]rnickDelectu S. 281. vor-
zuͤglich zu empfehlen.
chicis, d. i. aus den Buͤchern oder Sammlungen, welche
die Edicte der Praefectorum Praetorio enthalten.
S. hombergkVerſion, in Not. ad has No-
vellas.
zepernick Diſſ. I. de teſtamenti deſtituti viri-
busHalae 1773. §. XLIII. not. X. S. 79.
Alb.gentilisde libr. iuris civ. cap. 7. bachHiſt.
iurispr. Rom. Lib. IV. c. 1. Sect. 2. §. 23. lauter-
bach in Prolegom. Collegii Pandectar. §. 6.
u. a. m.
de Novellar. gloſſatar. et non gloſſatar. au-
ctoritate iuris. Allein der verdienſtvolle Herr Stadt-
director zepernick hat ihn in ſeinem Delectu Scri-
ptor. Novell. illuſtrant. S. 331. u. folgg. gruͤnd-
lich widerlegt.
c. 4. §. 15. gravinade Ortu et progreſſ. iur. civ.
cap. 135. ſtruvHiſtor. iur. Rom. Cap. 3. §. 9.
hoffmannHiſtor. iuris Rom. Lib. II. cap. 2. §. 14.
und brunquellHiſt. iuris P. II. cap. 12. §. 15.
Ende.
augustinusEmendat. Lib. II. cap. 9. und Paratit.
ad Nov. 2. auch Iac.gothofredusHiſtor. iur. civ.
cap. 4.
miſſa de vita, rebus geſtis, et conſtitutio-
nibus Leonis. Sect. III. §. XVIII. in Mantiſſa Commen-
tat. adbeckiumde Novellis Leonis. S. 331. folgg. wo
man eine ausfuͤhrliche Nachricht von dieſer Scrimgeriſchen
Ausgabe der Novellen finden wird.
S. 69.
herzige beſonders folgende Worte: Uſus et receptio Iuris
Iuſtinianei nos ligat, non vero minus accurata interpreta-
tio legum ab homine privato concinnata. Neque enim in
eius gratiam, vel propter auctoritatem eius Novellas rece-
pimus
autem latinae non Graecae in uſum venirent, id inde fa-
ctum, quia Graecae non extabant. His deinde in lucem
protractis, Latinae cedant neceſſe eſt, utpote quae non
aliter ſe habent, quam utἄπογραϕονſeu exemplum,
cui maior, quam archetypo, fides non debetur.
ſtinianiſch roͤmiſche Geſezbuch in Teuſchland
zur
Spec. VI. med. 1. 2.
Prof. D. Webers Reflexionen zur Befoͤrderung
einer gruͤndlichen Theorie vom heutigen Ge-
brauch des roͤmiſchen Rechts. Schwerin, Wis-
mar und Buͤtzow. 1782. 8.
ben Beytraͤgen zum teutſchen Staats- und Fuͤrſtenrechte.
II. Th. N. 23. S. 30. folgg.
nick in Coniectur. quibus ex cauſis Novellae
Leonis Sap. in Germania receptae dici ne-
queant. Cap. II. §. 22. und beſonders Cap. III. §. 24-
26. beym beck S. 533.
pernick in biga libellor. S. 101.
auctoritate ſua legere in legibus, tamen, quidquid fuerit
de ſcientia ſua, nullius nominis fuit.
eigen, daß es zum Spruͤchwort wurde: bononienſem in
morem dicere, und ein guter Ausdruck der Worte ſermo
bononicus genennet wurde. S. sartius in Irnerio
Prooem. §. XXIII. in zepernickBiga. S. 89.
teſtamentis. sartius in Irnerioprooem. §. XX.
ctionib. iuris civ. S. 300. folg.
uſo e autorita della ragione civile (Neapo-
li 1720.) Lib. II. cap. 5. S. 133. verlachte deshalb den
gravina, welcher ſich de ortu et progreſſu iuris civ.
Lib. I. c. 143. dieſe Fabel von Mornacius und Cironius
aufheften laſſen; und Maurussartiusin Irnerio §. 3.
und 4. hat dieſes Vorgeben vollends widerlegt, und aus
Nachrichten des Odofredus das Gegentheil erwieſen.
Leben des Irnerius §. V.
Dominusirnerius, dum doceret in artibus in civitate
iſta, cum fuerunt deportati libri legales, coepit per ſ[e]
ſtudere
Orten ſeiner Commentarien der Gloſſe des Irnerius, ſo
z. B. ſagt er ad L. manumiſſionis D. de Iuſt. et Iure:
Hic gloſſat dominusirneriuselegantiſſimis verbis: und
eben ſo richtig urtheilt sartius in Irnerio §. V. wenn
er ſagt: Fuerunt eius gloſſae breves et elegantes, et illae
quidem non continenti oratione ſcriptae, ſed interciſae, et
ad loca tantum obſcuriora legum et difficiliora adpi-
ctae.
bus, et ipfe fuit maximi nominis, et primus illuminator
ſcientiae noſtrae; und ad L. Sane ſi haec Cod. de ſa-
croſ. Eccl. Dominusirneriuserat magiſter in arti-
bus, — et ſtuduit per ſe, ſicut potuit, poſtea coepit docere
in iure civili; auch ad L. ult. C. de in int. reſt. minor.
nur aus verſchiedenen Stellen des Odofreds, z. E. ad L.
ius civile D. de Iuſt. et Iure, und ad L. ſi duobus vehi-
culum D. commodati vel contra, ſondern auch aus Va-
ticaniſchen Handſchriften in Appendice erwieſen. Viſun-
tur adhuc ſagt er a. a. O. in pluteis bibliothecarum, quae
antiquis libris abundant, veteres codices monu exarati,
eiusmodi gloſſematibus, brevibusque adnotaticnibus inſiru-
cti, quas vulgoglossas interlinearesappellare ſo-
lent, quia inter ipſas ſcripturae lineas in ertae ſunt, et
raro ad occupandum libri marginem excurrunt.
troverſiis iuris Iuſtinianei interpretum,
quos Gloſſatores appellamus. Ienae 1725. Wir
wuͤrden von denen Rechtsdiſputen zwiſcher Bulgarus und
Goſias, die uns, wegen mancher ſich darauf beziehenden
Avthendiken im Juſt. Codex und wegen mancher Decretalen
allerdings von Wichtigkeit ſind, mehreres wiſſen, wenn
wir das Buch haͤtten, welches unter dem Titel: Diver-
ſitate
feſſ. inaccursio T. I. P. I. S. 141. und folgg.
ſen, beweißt der Ausſpruch des Jaſons: Gloſſae auctori-
tatem omnes excellere, et illi tanquam Carotio veritatis
perpetuo adhaerendum eſſe; und Cynus pflegte zu ſagen:
volo pro me Gloſſatorem potius, quam textum.
der Bibliotheca regali Collegii Hiſpanorum zu Bologna
ſich befindet Ein Beiſpiel einer ſolchen unter jenen bei-
den Maͤnnem gefuͤhrten Streitigkeit hat Herr geh. Ju-
ſtiz R. WalchReliquiae controverſiae inter Bulgarum et
Goſiam de pr[o]elatione dotis. Ienae 1785.
XXII. hinter beck S. 526.
die-
quens an exiguus uſus practicus in foris
Germaniae. §. 10.
in Fol. in VI. Theilen veranſtaltet hat. Der ſechſte Theil
enthaͤlt den Theſaurum Accurſianum, Broſſei Remiſſio-
nes, Hennequini Notas et Benedicta ad Accurſium, und
des Stephani Daoys indicem generalem.
quaſi contractu receptionis moribus noſtris
non convenienteLipſ. 1759.
ſtatutum, materia daretur cum furibus adverſus eos,
quos recipiunt, coëundi; cum ne nunc quidem abſtineant
huiusmodi fraudibus.
der beruͤhmte Hr. Geh. Juſtitz R. Puͤtter in Diſſ. de prae-
ventione in cauſſ. appellationis (Goett. 1776.)
Cap. V. §. 64. bemerkt: perfrequenter hoc accidere, ut,
principium ac fundamentum legis licet dudum deſeruiſſemus,
ipſam tamen legem adhuc in viridi obſervantia habeamus.
quennium quaeratur.svetonivsin vita Titi c. 8. und
capitolinvsin Marco cap. 10.
Lipſiae 1774. S. 13. u. folg.
fratrib. uterin. haud concedenda. C. II. §. 8. fin.
SCT. Trebell. L. ult. C. de pactis.
ctor. ſucceſſor. Erfordiae 1768.
natuͤrlichen Verbindlichkeit. 2te Abtheil. §. 65.
Not. 224. S. 227. und folg.
unſere kaiſerliche Wahlcapitulation, alle Reichsabſchied,
Cammergerichtsordnung, — Corpus iuris civilis und ca-
nonici, — auf der Reichshofraths Tafel, damit man
ſich deren in zweifelhaften Faͤllen gebrauchen koͤnne,
ſtets vorhanden ſeyn, und von ſelbiger nicht verruͤckt
werden.
chiſchen Rechtsbuͤcher haben Enimund.bonefidivs in Iure
orientaliParis 1573. und Io.levnclavivsIure
Graeco-Romano cura Marq.freheri Francof.
1596. fol. Tom. II. geſammlet.
ten Anmerkungen des Hrn. Dir. Zepernick uͤber beckde
Novellis Leonis Halae 1779. 8. S. 18. und folg.
inbasilio imperat. S. 468. — Sed et civiles leges
videns multum habere confuſionis atque obſcuritatis, operam
dedit, ut iis convenientem faceret medicinam: itaque abro-
gare inutiles, iisque amputatis multitudinem bonarum ex-
purgare intendit. Sed mors eius hoc inſtitutum intercepit,
res a filio deinde perfecta eſt. Kaiſ. Leo ſelbſt eignet die-
ſes Werk nicht undeutlich Nov. LXXI. ſeinem Vater zu.
S. zepernickPraetermiſſa de vita, rebus ge-
ſtis, et conſtitutionibus, inprimis Novellis
Leonis Sap. Sect. III. §. XII. hinter beckde Nov.
Leonis. S. 286. u. folg.
Fol.) Aequires autem rerum iudices heic monendi ſunt,
libros
H. Tribunals-Rath HoͤpfnerPraetermiſſa quae-
dam de Βασιλικων libris Gieſſae 1774. nachgeſehen
zu werden.
integros ad nos non perveniſſe, ſed libros tantum XLI.
ſas veteres verbor. iuris, hinter dem Fragmento
veteris ICti de iuris ſpeciebus S. 41.
iuris civ. depravata cap. VI-X. in Oelrichs Theſ.
novo Diſſert. Belgicar. Vol. II. T. 2. S. 197. u. folgg.
§. 280-292. und walchad Eundem haben viel Bei-
ſpiele geſammlet.
rum ope innumera lucem et integritatem acceperunt iuris
noſtri loca. ‒‒ Vehementer autem illi falluntur, qui parum
aut nihil, quod manum medicam deſideraret, inBaſili-
cispoſtfabrottidiligentiam ſupereſſe putant. In una
de familia erciſcunda tractatione quatuordecim naevos ob-
ſervavi, quos vel librariorum, vel operarum, vel ipſorum
veterum interpretum reliquit negligentia.
Iur. Rom. Lib. VIII. c. 17. hoffmannMeletemat.
ad Pandect. Diſſ. XXXI. §. 4. und iensiusNotitia
Baſilicor. Stricturis ad Iuſtiniani Cod. et Pandect.
praefixa.
Habet quidem Graecorum auctoritas in conſtituenda lectio-
ne,
548. und folg. Von dem Gebrauch dieſer griechiſchen
Rechtsuͤberbleibſel hat auch Herr Prof. püttmann in
Diſſ. de querela inoffic. teſtam. fratribus ute-
rinis haud concedenda Cap. III. ein ſehr gruͤndli-
ches Urtheil gefaͤllt.
ction. iuris civ. S. 81.
ſed in indaganda atque exponenda ſententia, ubi minime
dubia lectio eſt, nihilo unquam plus vaiet, quam cuiuslibet
interpretis alius. Videre illi potuerunt, atque ſignificare
etiam, quemadmodum ſcriptum fuerit in codicibus procul
dubio emendatis maxime, certe antiquiſſimis; quo vero
ſenſu quodque fuerit ſcriptum non magis potuerunt
perſpicere, quam qui vixerunt poſtea. Hinc tot eorum in
reddendis Veterum ſententiis errores, ab aliis deinde anim-
adverſi ac notati.
loſophi, earumq. uſu et auctoritate lib. ſing.
cum animadverſion. D. Car. Frid. zepernick. Halae
1779. 8. Cap. I. §. 5. und zepernickPraetermiſſa
de vita, reb. geſtis, et conſtitut. in primis
Novellis Leonis Sap. Sect. III. §. 13.
nis S. 58. und 328. u. folgg.
Novellen des Kaiſers Leo ſtreiten, hat ſich Caſpar. Achat.
beck am meiſten ausgezeichnet, deſſen ſehr gelehrte Ab-
handlung de Novellis Leonis. earumque uſu
et auctoritate beſonders nach der neueſten Ausgabe,
Halle 1779. 8. die durch die vortreflichen Bemerkungen
und eigenen Abhandlungen des gelehrten Herrn Director
Zepernick einen ſo vorzuͤglichen Werth erhalten, daß ſie zu
den claſſiſchen Schriften der eleganten Rechtsgelahrtheit al-
lerdings zu zaͤhlen iſt, ſchon mehrmalen bisher angefuͤhrt
worden. Allein wie wenig uͤberzeugend die von Beck muͤh-
ſam zuſammengehaͤufte Gruͤnde ſind, haben der ſeel. Aſſeſſ.
ſeger in Diſſ. de Leonis Philoſ. conſtitutio-
num Novellarum auctoritataeLipſiae 1767. vor-
zuͤglich aber der gedachte Herr Dir. D. zepernick in
Coniccturis, quibus ex cauſis Novellae Leo-
nis Sapientis in Germania receptae dici ne-
queant, beym Beck S. 403 ‒ 552. gruͤndlichſt dar-
gethan.
den Teutſchen von ſolchen denen Eheverloͤbniſſen angehaͤng-
ten Conventionalſtrafen findet, ehe einmahl die Novellen
des Krs Leo in Teutſchland bekannt worden ſind, welche
Io. Aug. hellfeld in Diſſ. de effectu poenae
conventionalis ſponſalibus adiectaeIenae
1760. §. XXIX. und Dir. zepernick in den angefuͤhrten
Coniecturis Cap. I. §. XIV. S. 483. und folgg. ge-
ſammlet haben.
loris pactor. ſucceſſor. tam iure rom. quam
germ. Erfordiae 1768.
edit. Tubingenſ. gravinaOrigin. iuris civ. Lib. I.
cap. 136. hilliger im Donello enucleat. Lib. XXVI.
c. 2. lit. A. Chr. God. hoffmannHiſtor. Iuris. Lib.
II. c. 2. §. 17.
Anmerkungen des Herrn Dir. Zepernicks zum Beckiſchen
Tractat de Novellis Leonis S. 124. und folgg. und
DeſſelbenConiecturas Cap. I. S. 406. und folgg.
gloſſariis Vol. IV. Venedig 1789. Fol. S. 461. und
folgg.
maſt. litterar. P. II. S. 537.
nentium Specim. II. Cap. 7.
liche Verordnung canon genennt. S. gratianiDe-
cretum pr. Diſt. 3.
Praecognit. Iurispr. Eccleſ. Cap. III. Sect. II.
§. 170. und folgg.
habe ich in meinen vorhin gedachten Praecognitis
S. 31-91. gegeben.
Recht in Teutſchland aufgekommen? in Deſſel-
ben Beytraͤgen zum teutſchen Staats- und Fuͤrſtenrechte
2. Theil (Goͤttingen 1779.) N. XXV. S. 53. und Ioſ.
Ant. riegger Diſſ. de receptione corporis iu-
ris canonici in Germania in Deſſelben Opuſcu-
lis ad Hiſtor. et Iurisprud. praecipue eccleſiaſt. pertinent.
Friburgi. 1773. S. 197. u. folgg.
Neueſter Reichsabſchied §. 105.
noniſchen und paͤbſtlichen Rechts bey der Reformation
nicht moͤglich geweſen, habe ich in meinen angefuͤhrten
Praecognitis S. 332. und folgenden entwickelt.
ten Schriften vorzuͤglich des ſeel. Canzlers Juſt. Henning
Boͤhmers beyde Abhandlungen 1) de praxi iuris ca-
nonici in terris proteſtantium Halae 1712. 2)
de media via in ſtudio et applicatione iuris
canonici inter Proteſtantes tenenda, in eius
Exer-
gram meines unvergeßlichen Freundes des ſeel. Hrn. Hof-
raths Schott de auctoritate iuris canonici in-
ter evangelicos recepti eiusque uſu apte
moderando. Erlangae 1781 empfohlen haben.
canonici uſu; ſeu de ſumma circumſpectione et cau-
tione in legendo iure canonico eiusque Interpretibus
doctori Proteſtantium adhibenda. Viteb. 1706. und in
DeſſelbenPhilocalia fori, S. 173. auch meine Praecog-
nita iuris Eccleſ. S. 82. und folgenden.
daß cauſae iuramentorum vor die geiſtliche Gerichtsbar-
keit gehoͤrten, c. 34. X. de Elect. c. 8. X. de arbitris,
c. 13. X. de iudic. c. fin. de foro compet. in 6to und nur
die Paͤbſte allein glaubten als Chriſti Vicarien berechtigt
zu ſeyn, von der Verbindlichkeit der Eide loszuſprechen,
und uͤberhaupt uͤber die Guͤltigkeit oder Unguͤltigkeit der-
ſelben zu urtheilen. c. 34. X. de elect. Daß die Paͤb-
ſte dieſer Grundſaͤtze blos als Nahrungsmittel ihrer
Herrſchſucht uͤber Monarchen und Unterthanen ſich bedie-
net, ſahen Fuͤrſten und Laien ſchon in jenen finſtern Zei-
ten ein, und heutiges Tages zweifeln weder Catholiken
noch Proteſtanten mehr daran, daß der ordentliche Rich-
ter, vor welchem der Rechtsſtreit ſchwebt, er ſey geiſt-
oder weltlicher, uͤber einen Eyd erkennen, und ihn aus
rechtmaͤſiger Urſach fuͤr nichtig erklaͤren koͤnne. S. mal-
blancdoctrina de iureiurando Lib. V. cap. II.
§. 123. und Eybel Einleitung in das katholiſche
KirchenrechtIV. Th. 2. Band §. 394. not. i. S. 128.
wes-
und folgg. und walch in notis ad Eundem.
Vol. I. Bonnae 1783. 4. S. 69. und folgg. und Meine
Opuſcula. Faſcic. 1. S. 145. folgg. nachgeſehen werden
koͤnnen.
neccii hiſtor. iur. germ. Heumanns Geiſt der
Geſetze der Teutſchen, Fiſchers Litteratur, und
Geſchichte des teutſchen Rechts, desencken-
berg Viſiones de collectionibus Legum germanicarum,
und beſonders Herrn Prof. D. Chriſt. Gottl.biener
Commentarii de origine et progreſſu Le-
gum iuriumque germanicor. P. I. Lipſiae 1787. 8.
gloſſariis. Accedunt formularum faſcicu-
li et ſelectae conſtitutiones medii aevi.
Collegit, plura notis et animadverſionibus
illuſtravit, monumentis quoq. ineditis ex-
ornavitF. Paul. cancianiord. Serv. B. Mariae Virg.
S. T. D. Vol. I. Venetiis 1781. Vol. II. 1783. Vol. III.
1785. Vol. IV. 1789. Fol.
ſunt Marculfi Mon. et aliorum formulae
veteres et notae do ctiſſ. viror. Steph. baluzius
in unum collegit, notis et indice illuſtravit. Paris 1677.
Venet. 1772. 1773.
iuris germ. publici et privati.
ſammt den wichtigſten ReichsſchluͤſſenT.I-IV.
Frankf. 1747. Fol.
brauch und guten Gebrauch der alten teutſchen Rechte in
DeſſelbenNebenſtundenV. Theil S. 1-82.
germ. in cauſis privatis Frfti 1750. und Frid. Henr. my-
lii Diſſ. de genuino iuris germ. univ. hodierni civi-
lis conceptu, Lipſ. 1751. auch Deſſelben Diſſ. de iure
conſuetudinario univerſali Germaniae medii aevi. Lipſ.
1756.
behaupten, weil die Abſchaffung eingefuͤhrter Gewohnhei-
ten
mehrern Orten, Hartm. pistor P. II. Quaeſt. 25. n. 35.
Qu. 26. n. 18. Pet. heigius Quaeſt. iuris P. II. Qu. 17.
n. 43. Chr. Phil. richter Deciſ. 28. n. 15. Io. schilter
Praxi Iur. Rom. Ex. I. §. 13. Io. Nic. hertius Diſſ. de
conſult. legib. et iudic. in ſpecial. rom. germ. imp. re-
buspubl. §. XV. Sam. stryck praefat. Uſ. Mod. Pand.
§. XXVII. Nic. Chriſt. delyncker Deciſ. 1264. und Reſp.
55. n. 3. und 66. Io. werlhof Spec. I. de iure germa-
nis patrio p. 182. ſeq. Io. Melch. deludolf Obſervat.
forens P. III. Obſ. 222. p. 426. Joh. Steph. Puͤtter in
Rechtsfaͤllen I. Band S. 157. und II. Band S. 202. Io.
Heinr. Chriſt. deselchow Elem. iuris germ. privati ho-
dierni §. 36. Ge. lennep Abhandl. von der Leyhe zu
Land-Siedelrecht. S. 222. u. a. m.
365. und folg. und S. 422. u. folg. Ferd. Aug. hommel
Diſſ.
nico fonte iuris Saxonici communis Altorf. 1725. kest-
ner Problem. de defectibus iuris communis Rintel. 1736.
Problem. IV. u. a. m. Allein Struben a. a. O. §. XXVII.
und Herr Prof. D. kind in Progr. de Speculi Sa-
xonici uſu et auctoritate Lipſiae 1783. §. IV. u.
folg. haben dieſe Meinung gruͤndlich widerlegt.
T. I. Obſ. 422.
ſches Privatrecht 1. Th. 1. Abh.
trio antiquo in foris Germanorum. Lipſiae 1739. und
die in voriger Note angefuͤhrte Pragmatiker beſtaͤrken die-
fen Gerichtsgebrauch durch die von ihnen angefuͤhrten vie-
len Beiſpiele.
V. Th. 32. Abh. §. 12. und Io. Mich. Frid. lochner in
Select. iuris univerſi, oder Sammlung verſchiedener in
die Rechtsgelehrſamkeit gehoͤriger Materien und Faͤlle. II.
Stuͤck. N. I. S. 146. Allein man ſehe vorzuͤglich Ge.
Chriſt. Alb. spies Diſſ. de cauta germanicorum mixti
generis ſtatutorum interpretatione. Altorf. 1764. §. VIIII.
tutis. II. Buch. XI. Hauptſt. §. 12. S. 447. und folgg.
de interpretatione ſtatutorum. Marburgi 1739. Cap. II.
§. 8. und des um die Litteratur ſo verdienſtvollen Herrn
D.Joh. Chriſt. Koppe ſchoͤnes Program uͤber die
nothwendige Kultur und Erlernung des
teutſchen Privatrechts. Roſtok 1789. 4.
ta ex iure communi eſſe interpretanda. freisleben Diſſ.
de interpretatione ſtatutorum ex iure communi. rivi-
nus num iura ſtatutaria dubia vel obſcura ex iure Rom.
declarari vel ſuppleri debeant. hommel Rhapſod.
Obſ. 660.
folgg.
Eiſenharts Grundſaͤtze des T. Rechts in Spruͤchwoͤrtern
S. 1. Puͤtters Beytraͤge zum T. Staats- und Fuͤrſtenrechte
2. Th. N. XXII. S. 23.
ner Ordnung folgen die mancherley Entſchei-
dungsquellen bey ihrer Anwendung auf Pri-
vatſachen auf einander; in Deſſelben Beytraͤgen
zum teutſchen Staats- und Kirchenrecht. I. Th. N. IV.
S. 54 ‒ 61. und nettelbladt Syſtem. elem. iurispr.
poſ. Germ. comm. § 181.
quatenus iuri Rom. competat praerogativa prae veteri
iure germ. in decidendis controverſiis iudicial. Ro-
ſtock. 1747. 8. Ferd. Aug. hommel Diſſ. de proëdria
Legum Iuſtinian. prae iure patrio antiquo in foris ger-
manor. Lipſiae 1739. Io. Ulr. cramer Progr. de prae-
ſumtione pro iure Rom. contra mores antiquos Ger-
manor. Marb. 1737. Io. Sal. brunquell Commentat.
de praeferentia iuris germanici pugnantis cum Rom.
niſi huius receptio probetur in cauſar. illuſtrium deci-
ſionib. Francof. et Lipſ. 1743. 4. Caſp. Heinr. horn
Diſſ. de praerogativa morum Germaniae in concurſu
cum LL. receptis. Vitembergae 1702. Vorzuͤglich aber
Joh. Steph. Puͤtters Abhandl. von dem vorzuͤgli-
chen Gebrauch der einheimiſchen gemeinen
Rechte unter den teutſchen hohen Adel; in Deſ-
ſelben Beytraͤgen zum teutſchen Staats- und Fuͤrſtenrechte
2. Th. N. XXIX.
bricht Landrecht. Kilonii 1748.
de colliſione Legum. Sect. IV. in Opuſc. Vol. I. T. I.
und Ernſt. Chriſt. Weſtphal. teutſches und Reichsſtaͤndi-
ſches Privatrecht I. Th. 3. Abh. S. 32.
Princip. iur. civ. Rom. Germ. T. I. §. 144. S. 116.
leges illius civitatis, quae perſonam habet ſubiectam, ſagt
hert a. a. O. §. VIII.
ſammten Reichslande §. 116.
rio alieno. S. 6. u. folgg. vattel Ius Gentium Lib.
II. c. VII.
und folgg. behauptet eben dieſes, auch hert a. a. O.
§. X. S. 182. — Si actus a ſolo agente dependeat v. g.
teſtamentum, et hic ſit exterus; vel ſi actus inter duos
celebretur, v. g. pactum, et uterque paciſcens ſit exterus,
et unius civitatis cives, dubitandum non eſt, actum a tali-
busſecundum leges patriaefactumin patria
valere.
Falle muͤſſe der Auswaͤrtige die Geſetze ſeines Vaterlandes
alle-
C. de Teſtam. redet nicht von einem Fremdling, ſondern
von einem ſolchen, der in ſeinem Vaterlande ein Teſta-
ment gemacht hatte, ohne die vorgeſchriebenen Feyerlich-
keiten zu beobachten; wie Caſp. ziegler a. a. O. §. 16.
ſchon gegen Cujaz erinnert hat. Richtiger iſt daher Zieg-
lers Meinung §. 18. Potius igitur eſt, ut ſtatuamus, in
arbitrio eſſe advenae teſtantis, utrum ſecundum leges pa-
trias teſtamentum condere velit, an vero ſecundum ſtatu-
ta loci, in quo de praeſenti commoratur.
S. 21. Io. asande Deciſ. Friſ. Lib. IV. Tit. 8. def. 7.
hert a. a. O. §. VI. seger in Diſſ. de vi Legum in
territorio alieno. §. VIIII. und noch andere mehr, die
daſelbſt angefuͤhrt ſind.
non cireumſcribuntur, quia ſunt incorporales. Man ſehe
auch carpzov Iurispr. Forenſ. P. II. Conſt. XXIII. Defi-
nit. 10. hert a. a. O. seger a. a. O. leyser Spec.
XXVI. medit. 2. und pufendorf Obſervat. iur. univ.
T. III. Obſ. 174. §. 7. und folgg.
ad civile Romanum et canonicum commune habitu
Wirceb. 1771. in schmidtTheſaur. iuris eccleſ. Tom. I.
N. II. S. 88 ‒ 128.
civili. Henr. hildebrand de praevalentia iur. can. prae
civili in foro. Alt. 1697. Io. Ern. floercke de prae-
rogativa iuris canon. prae iure Iuſtinianeo Ienae 1722.
und Halae 1757. 4. l. H.boehmer in Iur. Eccl. Pro-
teſt. Lib. I. Tit. 2. u. a. m.
strauch de origine et auctoritate iuris canon. §. 39.
Arth. duck de auctoritate iuris civ. Lib. I. c. 7. §. 11.
in Comment. ad Decretales Diſcurſ. praelim. c. 2. §. 9.
S. 33. und Io. Frid. rhetius de auctoritate iuris ca-
non. inter A. C. conſortes.
legom. §. IX. n. 15 ‒ 18. Car. Chriſtph. hofacker Prin-
cip. iur. civ. Rom. Germ. T. I. §. 53. S. 45. und Phil.
hedderich Element. iuris canonici P. I. (Bonnae 1778.
8.) §. 113 ‒ 115. S. 127. und folgg.
verſchiedener, mehrentheils unentſchiedener
Rechtsmaterien. IV. Stuͤck. (Roſtok u. Leipzig 1780.)
N. VIII. S. 124 ‒ 147.
auſſer endres in der angefuͤhrten Diſſ. §. XIV. Eich-
mann in den Erklaͤrungen des buͤrgerlichen
Rechts 1. Th. S. 358. u. folgg. und Io. Th. Ad.kind
Diſſ. de fontibus iuris iudiciarii civ. quod per Germa-
niam obtinet. Lipſiae 1785. §. V. S. 14.
alten Geſetze und Rechtsgewohnheiten enthalte, haben
Car. Ferd.hommel Rhapſod. Obſ. 649. und 650. und
Io. Gottl.heineccius in Element. iuris Germ. Lib. I.
§. 254. not. *) mit vielen Beiſpielen erwieſen.
ſtinct. X. und aus den Decretalib.gregoriiIX. cap. 6.
de maioritate et obedient. Auch den Sachſenſpiegel 1.
Buch 1. Art. und die Gloſſe deſſelben.
Buch Cap. V. Tom. II. Corp. Iur. Germ. Senckenb. S. 15.
Und als die Paͤbſte und Kaiſer zu Concilien und zu
Hofen haben geſezt und geboten aus demDecretund
Decretalen.Wann aus den zweyen Buͤchern nimmt
man alle die Recht, der geiſtlichen und weltlichen Ge-
richten bedarf.
Decreto nach Can. 6. Diſt. X. anmerkt; Ecce quod confli-
tutiones Principum eccleſiaſticis Legibus poſtponendae ſunt.
Ubi autem evangelicis atque canonicis decretis non obvia-
rint, omni reverentia aignae habeantur.
Teutſchland uͤblichen fremden Geſezbuͤcher zwar im Grunde
auf irrigen Meinungen beruhe, aber doch noch feſt beſte-
he: in Deſſelben-Beytraͤgen zum teutſchen Staats- und
Fuͤrſtenrechte. 2. Th. N. XXVI. S. 56. und folgg.
parocho et duobus teſtibus occaſione cap. Io. X. de teſtam.
Altorf. 1734. §. VII. u. folgg. I. H.boehmer Iur. Eccl.
Prot. Tom. II. Lib. III. Tit. 26. §. 4. u. folgg. Paul. Ioſ.
ariegger Inſtitut. iurisprud. eccleſ. P. III. §. 394.
P. 2. dec. 18. n. 4. P. 4. dec. 318. n. 3. P. 8. deciſ. 194.
n. 2. leyser Spec. 433. m. 1.
vom Jahr 1591.
nitatisque eccleſ. ad crimina doloſa extenſione. Phil.
hedderich Diſſ. de vero ac genuino ſtatu hodierno
aſyli, inter Diſſertat. iur. eccleſ. Germ. Vol. I. Diſſ. XV.
S. 360-371. G. L.boehmer Princip. iur. canon. Lib.
III. Sect. V. Tit. 4. §. 611.
S. wo der Grund angefuͤhrt wird: nam varium et muta-
bile teſtimonium ſemper foemina producit.
Iure Eccleſ. Proteſt. Lib. II. Tit. 20. §. 17. cramer Tom.
III. Obſ. 894.
daß das Canoniſche Recht vor dem Juſtinia-
nei-
Evangelicos. S. 19. Moſer von der teutſchen
ReligionsverfaſſungI. Buch. 2. Cap. §. 13. wo ein
Vorſtellungsſchreiben des Corporis Evangelicorum vom J.
1665. beygebracht worden, in welchem es heißt: die Evan-
geli-
ſtantiſchen Gerichten den Vorzug habe, in ei-
nigen auffallenden Beiſpielen gezeigt, in den
BeytraͤgenIV. Stuͤck N. VIII.
Pandect. Lib. II. Tit. 15. §. 10.
4. Quiſtorp a. a. O. S. 145.
leyser Spec. XLVII. med. 5.
und folgg. ayrer de abuſu iuramentorum §. 33. und
folgg. Herr Prof. malblanc in doctrina de iureiuran-
do. Lib. V. S. 499. folgg. Chriſt. Fried. Schorchtvon
der Unguͤltigkeit des Eides bey unguͤltigen
Vertraͤgen. Jena 1786. 4. Prof. Weber ſyſtem.
Entwickelung der Lehre von der natuͤrlichen
Verbindlichkeit. 3. Abthl. 10. Abſchn. §. 123. S. 199.
in cauſis impedimentorum matrimonialium
ex capite conſanguinitatis nicht, ſondern
pflegten ſich nach der Dispoſition der Kai-
ſerlichen Rechte zu richten.
Begrifs von geiſtlichen Sachen uͤberhaupt, in
Deſſel-
telbladt Syſtem. element. iurispr. poſitivae genera-
lis. Lib. I. Sect. III. §. 180. n. 2.
chenrechte. 1. Th. N. 2. Ge. Lud.boehmeri Princip.
iuris canon. Lib. II. Sect. III. Tit. VI. §. 244.
Tit. V. §. 4. n. 52. in fine. — Extravagantes, cum nul-
lius Pontificis auctoritate compilatae ſint, debent referri
ad ſuos auctores, et tempus, quo datae ſunt.
pleraque capitula ex cauſa, ex perſona, ex loco, ex
tempore conſideranda ſunt, quorum modi, quia me-
dullitus non indagantur, in erroris Labyrinthum non-
nulli intricando impinguntur.
recenſitis iuris canonici partibus conſtitutionum antinomia
reperiatur, eaque ſit in unius Pontificis compilatione v. g.
ſi uterque contradicens canon ſit in Decretalibus, vel in
Sexto aut Clementinis, per congruam interpretationem con-
ciliatio facienda eſt.
conſtitutionem condendo poſteriorem, priorem, quam-
vis de ipſa mentionem non faciat, revocare noſcatur:
Quia tamen locorum ſpecialium et perſonarum ſingularium
conſuetudines et ſtatuta, (cum ſint facti, et in facto
conſiſtant) poteſt probabiliter ignorare: ipſis, dum ta-
men ſint rationabilia, per conſtitutionem a ſe noviter edi-
tam (niſi expreſſe caveatur in ipſa) non intelligitur in
aliquo derogare.
als can. 28. Diſt. L. und can. 11. Cauſ. XXXIII. qu. 2.
welche jedoch aus einerley Quelle gefloſſen, wird inſon-
derheit bey vorkommender Uneinigkeit in den Concilien-
ſchluͤſſen noch die Regel gegeben: ut, quotiescunque in ge-
ſtis conciliorum diſcors ſententia invenitur, illius concilii
magis teneatur ſententia, cuius aut antiquior, aut potior
extat
ter P. II. Dec. 74. apufendorf Tom. I. Obſ. 14. §. 4.
coc-
den Biſchof Maſſanus oder Maſſio, woraus die angefuͤhr-
ten beyden Stellen entlehnt ſeyn ſollen, iſt noch groſen
Zweifeln unterworfen. Man vergleiche hier das vortref-
liche Werk des Car. Sebaſt.berardi uͤber Gratiani
canones Part. III. Cap. XXVII. S. 406. (edit. Venet.
1777.)
Struben rechtliche Bedenken Th. III. Bed. 33. delud-
wig differentiae iuris Rom. et Germ. in uſuris prae-
cipue ultra alterum tantum. Halae 1740. Quiſtorp
Beytraͤge II. Stuͤck N. IX. S. 157. u. a. m.
non. Cap. V. brunquell Hiſtor. iuris. P. II. cap. 9.
§. 18. 19. 20. walch Introduct. in controverſ. iuris civ.
Proleg. Cap. I. §. 3.
ſtitutionum I. R. textus auctoritas contra erroneam quo-
rundam
Theod.marcilius, Reinh.bachovius, Ev.otto,
und a. m. S. D. Chriſt. Gottl.richter Exercit. iur.
civ. de iure theſauri a mercenario inventi. Lipſiae 1773.
Cap. I. §. 4.
nus de Uſufructu cap. XXX. van dewater Obſervat.
iur Rom. Lib. III. cap. 3. Dieſe widerlegt aber rich-
ter a. a. O.
vorzuͤglich aber hartleben in Meditat. ad Pandect. Vol.
I. P. I. Spec. VI. med. 3.
general. Lib. I. Sect. III. §. 180. n. 1. S. 104. Si contra-
rietas eſt in una eademque Legum compilatione 1) Novel-
larumetCodicis, poſterior derogat priori; 2) In-
ſtitutionumetPandectarum, is textus praefe-
rendus, qui analogiae iuris Romani magis conformis eſt,
vel uſu receptus.
finitio, ibi Iuris Naturalis diſpoſitio defectum ſupplet, ſagt
der beruͤhmte Herr geiſtliche Rath endres in ſeiner vor-
treflichen Diſſ. de neceſſario iurisprudentiae naturalis cum
eccleſiaſtica nexu, et illius in hac uſu. Wirceb. 1761.
Cap. I. §. XIX. in schmidtTheſ. Iur. Eccleſ. T. I. N. I.
S. 16.
Geſezbuͤchern und Gewohnheitsrechten, in
Deſſelben Beytraͤgen zum teutſchen Staats- und Fuͤrſten-
Rechte II. Th. N. XXI. S. 1 ‒ 22.
re. L. 32. D. de LL.
Tit. II. §. 24. ſagt: scriptumdicitur, quia plerumque
ſcribi ſolet: Scriptura enim non eſt de eſſentia legis. Man
ſehe auch huber Praelect. Inſtitut. tit. de iur. nat. gent.
et civ. §. 7.
origine et virtute iuris non ſcripti. Vitemb. 1739. §. 1.
und gebauerOrd. Inſtitut. Iuſtinian. Lib. I. Tit. II. §. 7.
und folgg.
§. 102. S. 84. — scriptum ius dicitur, quod in ſcri-
pturam comprehenſum cuſtoditur; non scriptum vero,
quod memoriae tantum mandatur, ut pro lege obſerve-
tur.
ſcripti et non ſcripti antiquitati reſtituta. Ienae 1725 in-
ter eiusDiſſertat. Ienenſ. Vitembergae aditas. S. 20.
und folgg.
nian vertheidigen, wenn er den Urſprung des nicht ge-
ſchriebenen Rechts von den Lacedaͤmoniern, des geſchrie-
benen aber von den Athenienſern ableitet; weil die Ge-
ſetze der Koͤnige vorzuͤglich aus den Verfaſſungen der La-
cedaͤmonier, die Zwoͤlftafelgeſetze aber aus den Geſetzen
der Athenienſer ihren Urſprung genommen; S. galva-
nus de Uſufructu Cap. VI. S. 45. otto praefat. The-
ſaur. T. III. und in Commentar. ad Inſtitut. h. t. §. Io.
Henr. Io.arntzenius Specim. Obſervation. eap. XII.
S. 92. Allein deswegen waren doch die Geſetze der Koͤ-
nige ſo wenig, als die Geſetze des Lycurgs Gewohnheits-
rechte; ſie waren nicht einmahl νόμοι ἄγραφαι. dionysius
lib. II. S. 94. (edit. Sylburg.)
Antejuſt. S. 2
non utimur, id cuſtodiri oportet, quod moribus et con-
ſuetudine inductum eſt.
comprobata ſunt, ac per annos plurimos obſervata,
velut tacita civium conventio, non minus, quam ea,
quae ſcripta ſunt iura, ſervantur.
municipalem, ſc. legem, wie Ev. otto in Praefat. ad
Tom. II. Theſ. Iur. Rom. S. 12. gegen Cujaz erwieſen
hat. Lex municipalis wird unterweilen auch lex civitatis
L. 1. D. de muner. et honor. ferner lex cuiusque loci,
L. 5. §. 1. D. de iure immunitat. auch lex ſchlechtweg
genennt L. 3. D. quod cuiusq. univ. nom. L. 12. D. de
appellat. L. 11. D. de Decurion. L. un. D. de via publ.
S. Ge. D’arnaudvar. Coniectur. iuris civ.
Lib. I. cap. 18.
Romanorum. Lipſ. 1738.
niani iuris epitomar. libros VI. Commentar. Tom. I.
ad L. 35. D. LL. S. 216.
bus non utimur, id cuſtodiri oportet, quod moribus
et conſuetudine inductum eſt; et ſi qua in re hoc de-
ficeret, tunc quod proximum et conſequens ei eſt: ſi
nec id quidem appareat, tunc ius, quo urbs Roma
utitur, ſervari opportet. — Senſus eſt: wie Ant. faber
Rational. in Pandect. h. l. dieſe Stelle richtig er-
klaͤrt, in iure non ſcripto interpretando idem faciendum
eſſe quod in ſcripto, ut ſi quando deficiat, ſupplendum ſit
ex eo, quod in ſimilibus cauſis et quae maiorem cum pro-
poſito caſu adfinitatem habeant, conſtitutum vel receptum
inveniatur. Quod enim legibus ſcriptis ineſſe credi opor-
tet, ut ad eas quoque perſonas, et ad eas res pertineant,
quae quandoque ſimiles erunt, L. 27. D h. tit. idem de
moribus quoque et conſuetudine dici poteſt.
lehrten, ſondern auch bey andern claſſiſchen Auctoren ge-
braͤuchlich ſind, hat Ge. D’arnaud in var. Coniectur. iur.
civ.
schultingIurispr. Antejuſt. S. 439. folg.
ſicht ſchreibt auch der Juriſt paulusSentent. Recept. V. 4.
6. 7. nahmentlich die vom Praͤtor eingefuͤhrte actionem
iniuriarum aeſtimatoriam den moribus zu.
Jedoch verſtanden die alten Philoſophen, ſo wie auch die
alten chriſtl. Kirchenſcribenten unter ius non ſcriptum auch
das Naturrecht, ſo Gott dem Menſchen gleichſam ins
Herz geſchrieben, wie der Apoſtel ſagt.
hoc ius, quod ſine ſcripto venit, compoſitum a Pru-
dentibus, propria parte aliqua non appellatur — ſed
communi nomine appellatur ius civile, und §. 12.
heißt es: eſt proprium ius civile, quod ſine ſcripto in
ſola Prudentium interpretatione conſiſtit.
Rechte. 2. Th. S. 22.
furioſ. Ev. otto in Papiniano Cap. VII. §. 1. S.
130. Io. Gottl. heineccius in Opuſcul. minorib. varii
argum. S 59.
deſſen L. Io. D. de iure codicillor. Erwaͤhnung geſchiehet,
dasjenige ius, quod ſine ſcripto traditionibus inductum
eſt veterum Iurisconſultorum, und ſonſt unter dem Nahmen
der mediae iurisprudentiae bekannt iſt. S. galvanus
de Uſufructu. Cap. VI. S. 46. u. folg.
und Ordnungen des teutſchen Reichs. 1. Band 1. Cap.
S. 16. 17.
S. 365. u. folgg.
ron. c. 35. init. wo er von Nero erzaͤhlt, eum Octaviae
(uxoris) conſuetudinem (eheliche Beywohnung) aſperna-
tum.
menten (Leipzig 1790.) §. 477. S. 355.
commun. praedior. L. 1. Cod. de Servitut.
de conſuet. in 6to.
den von uns angefuͤhrten findet man beym brissonius de
Verbor. ſigniſic. v. conſuetudo.
comprobatum, obtentum eſt.
L. 8. §. 1. D. fam. erciſc. wo geſagt wird, daß Pfauen, Tau-
ben und Bienen, ſo lange unſer Eigenthum bleiben, als ſie
das Wiederkommen nicht vergeſſen, (quam diu conſuetudinem
habeant ad nos revertendi).
iuris non ſcripti. Obſ. V. S. 18. Equus furto ſubtractus
erat, et a domino deinde deprehenſus. Hic vero, hunc equum
ſuum eſſe, iureiurando affirmare detrectabat: ſed offerebat
aliam probationem. Inter alia enim petebat, equum ad domum
adduci ſuam, et obſervari, quid contingat: Quod facile im-
petravit a iudice. Equus cum ad centum paſſus abeſſet a tu-
gurio domini, dimiſſus ab auriga, confeſtim tugurium aper-
tum curſu citato petiit. Intromiſſus ſtabula nota quaeſivit;
quae cum ab aliis equis occupata eſſent, non quievit, donec
viam ſibi faceret ad praeſepia, atque ad eundem locum, in
quo olim conſiſtere ſolitus fuerat. Ita dominus obtinuit, ut
equus redderctur.
legat. 1. L. 14. D. de ann. legat. L. 23. §. 1. D. de pecul.
legato.
abſchied von 1570. §. 76. u. N. R. A. §. 105. K. CarlsV.
Vorrede zur P. Gerichtsordn. und deren Art. 116. Inſtr.
Pac. Oſnabr. art. VIII. §. 4. Kaiſerl. Wahlcapitula-
tionart. I. §. 9. u. a. m.
crellObſ. 3. S. 15. woraus ich nur folgende Stelle anfuͤh-
ren will: Quoties nonanimo, constituendi regulam,
aliquid invaluit, quamvis a multis frequentatum ſit, vim con-
ſuetudinis et legis non habebit. Eo pertinent, quae velnon
diuſatis, velnon ab omnibus, ſed a multis duntaxat,
nequeperpetuo similiter, obſervata ſunt: ut appareat,
cuiusque arbitrio permiſſum eſſe, an ſequi velit exemplum re-
liquorum. Neque tamen, quae aplurimisfacta ſunt, pror-
ſus negligimus in iudicando.solentenim, quae plerum-
que fiunt, quamvis non expreſſa ſint, in dubiopraesu-
mi; niſi appareat, diversumplacuiſſe. Itapomponius
tradidit L. 3. D. de reb. cred.
ſchon zu ſeinen Zeiten, consuetudinisins eſſe putatur id,
quod voluntate omnium ſine lege vetuſtas comprobavit.
recht. I. Th. N. VI. §. 2. u. 3. Ge. Lud.boehmer Princip.
iuris canon. §. 235. Fiſcher Litteratur des germaniſchen
Rechts §.175. Meurers juriſt. Abhandl. 1. Samml. N. VI.
concurriren, und ein Stimmrecht auszuuͤben, durch Obſer-
vanz von Fremden erworben werden, die ſonſt keine Mit-
glieder des Capitels der verwaißten Kirche ſind, und alſo
ordentlicher weiſe in demſelben keinen Sitz und Stimme haben.
cap. 8. X. de conſuet. c. 50. X. de elect. Auch das Recht,
fuͤr eine erledigte Pfruͤnde einen Geiſtlichen zu ernennen, kann
man durch Obſervanz acquiriren. c. 24. X. eodem. S.
boehmer a. a. O. §. 236. not. d.Eibel kathol. Kirchen-
recht IV. Th. 1. Band 6. Hauptſt. §. 311. Maur.schen-
ckel in Iuris Eccleſ. ſtatui Germ. maxime et Bavariae ac-
commod. Syntagm. (Salisb. 1786. 8.) §. 467.
n. 17. S. 104.
der beruͤhmte Herr Geh. JuſtizR. Boͤhmer in ſeinem vor-
treflichen
richtig bemerkt, daß auch unicum factum haud contradictum,
opinione iuris, ſciente et non contradicente eccleſia, ſuſceptum
zur Begruͤndung einer ſolchen Obſervanz genuͤge; und man
kann dies allerdings als einen algemeinen Satz in der Lebre
von der Obſervanz gelten laſſen. S. D.Meurers juriſtiſche
Abhandlungen u. Beobacht. 1. Samml. N. VI. §. 5. u. folgg.
vat. — Praeſes provinciae probatis his, quae in oppido fre-
quenter in eodem controverſiarum genere ſervata ſunt, cauſa
cognita ſtatuet. Nam et conſuetudo praecedens, et ratio, quae
conſuetudinem ſuaſit, cuſtodienda eſt.
mann Erklaͤrungen des buͤrgerlichen Rechts I. Th. S. 393.
am Ende und folg. Eibel Einleitung in das kathol. Kirchen-
recht IV. Th. I. Band 3. Hauptſt. §. 268.
med. 2. woltaer Obſervat iuris civ. Faſcic. I. Obſ. 7. §. 1.
und deſſelben Anmerkungen uͤber Moͤller Diſtinct. iuris
feud. S. 33. crell Obſervat. de origine et virtute iuris non
ſcripti. Obſ. 2. am Ende S. 11. Weber Reflexionen zur
Befoͤrderung einer gruͤndlichen Theorie vom heut. Gebrauch
des roͤm. Rechts §. 24. Paul. Ioſ. ariegger Inſtitut. iuris-
prud. eccleſiaſt. P. II. §. 110. S. 59. beſonders von dembusch
Diſſ. Cap. III. §. XXVI—XXXII.
ſaͤtze. I. Bandes 5. Stuͤck. S. 308.
ruͤhmten riccii Spicilegio iuris Germanici S. 2. u. folg. einzu-
ruͤcken: Quum omnem legis condendae et publicandae poteſta-
tem populus in principem transtulerit, et naturali ratione eius
ſit ſolvere, qui poteſt velle, fruſtra utique in principem legis-
latoria poteſtas foret collata, ſi civibus liceret, leges quas
vellent, contrario uſu vel pluribus actibus publice ſuſceptis,
legi contrariis antiquare. Graviter proinde et recte iam olim
in diplomate ſuo de a. 1360. pronunciavit Rudolphus IV. Ar-
chidux Auſtriae:ſo ſoll noch mag dieſelbe Gewohn-
heit, wie alt ſie waͤr, die alſo wieder das ge-
meine Recht, und wieder die Wahrheit iſt,
kein ſunder Recht machen noch bringen. Rei
enim veritate inſpecta non plures actus publice ſuſcepti, ſed
mutata principis voluntas factis declarata tollit legem autea
latam.
meinen Geſetzbuchs fuͤr die Preußl. Staaten
I. Th. Einleit. §. 3. — Sogenannte Gewohnheits-
rechte, welche in dieſe Buͤcher nicht aufgenom-
men ſind, ſollen eben ſo wenig, als bloſe Mei-
nungen der Rechtslehrer, irgend eine geſetz-
liche Kraft haben.
Auch die Geſetze der Pandecten, welche von einer conſuetu-
dine inveterata, L. 32. §. 1. diuturna L. 33. longa conſuetu-
dine, et per annos plurimos obſervata L. 35. h. t. reden, ge-
ben dieſes nicht undeutlich zu verſtehen.
iur. privato lib. I. c. 7. §. 9. Bened.oberhauser Praelect.
canon. iuxta titulos Decretalium lib. I. tit. IV. de conſuetu-
dine §. 9. Eibel kathol. Kirchenrecht. IV. Th. I. Band
S. 122. u. a. m.
med. 7. S. 211. Eichmann Erklaͤrungen des buͤrgerl.
Rechts I. Th. S. 373. Not. z.
n. ult. schilter Exerc. 2. th. 17. gail lib. II. Obſ. 31.
n. 7. Eichmann a. a. O. S. 374. u. a. m.
u. folgg.
und den daher entſtandenen Irrthuͤmern haben bey andern
Gelegenheiten ſchon ein Wort zu ſeiner Zeit geredet. God.
Lud.mencken in Commentat. ad L. XVIII. C. de teſtib.
Lipſiae 1748. S. 14. und I. D.wibekind in Diſſ. de in-
commodis per interpretationes uſuales et obſervantias in iuris-
prud. invectis. §. 22. Siehe auch meineOpuſcula Faſc. I.
S. 16.
ſes gundling in Gundlingianis St. VII. Obſ. 3. §. 17. kem-
merich de probatione conſuetudinis. Sect. II. §. 4. lit. c.
vinnius Comment. ad §. 9. I. de I. N. G. et C.Struben
rechtl. Bedenken I. Th. Bed. 130. S. 309. u. a. m.
D. de LL. Ant.schulting Enarrat. part. primae Digeſtor.
h. t. §. 17. Commentat. academicar. Halae editar. Vol. IV.
S. 33. von dembusch de conſuetudine §. VII. und XXXVII.
Herr Oberappellations R. Hoͤpfner in Commentar uͤber die
Inſtitutionen §. 58. S. 59. u. a. m.
naei deciſiones Vol. IV. Obſ. 65.
bergiſchen Verſion heißt: Neque conſuetudines nominent, aut
quae-
n. V. S. 638.
10. Kap. §. 203.
nis §. 7.
iuſte excogitarunt. Quae enim male excogitata ſunt, eanec
longa consuetudineconfirmari volumus.Peinl. Ge-
richtsordnung CarlsV. Art. 218. von Mißbraͤuchen
und boͤſen unvernuͤnftigen Gewohnheiten, ſo an etlichen Orten
und Enden gehalten werden.
und 6. S. 207. Adde struv Diſſ. de conſuetudinibus ratio-
nabilibus et irrationabilibus und Io.eichel de pravis et irra-
tionabilibus conſuetudinibus.
S. 14. — temperaturpoena facti illiciti, quod quis non
dolo, ſed imitatione aliorum, ctconsuetudineadductus,
admiſiſſe videtur. Imo vero aliquando quiconsuetudine
peccandia pluribusrecepta, malo increbreſcente, licen-
tioſius deliquerit, cum non ignorantia, ſed maiori audacia
peccaſſe videatur,severius punitur; ut reliqui exemplo
ſupplicii deterreantur. Nam generaliter,poena arritra-
riatunc demum, propterconsuetudinis excusationem,
mitigatur, ſi appareat, non tamdolo, quamignorantia
peccatum eſſe. Hiermit ſtimmen auch die Geſetze uͤberein.
L. 16. §. 10. D. de poenis. L. 1. D. de abigeis. Nov. 154.
koch Inſtitut. iur. crim. Lib. 1. c. 9. §. 154. lit. g.
harth Select. Obſervat. ad Chriſtinaeum Vol. IV.
Obſ.
Conſultat. et Deciſ. T. I. Part. II. Reſp. 45. n. 417. folgg. und
T. II. Reſp. 869. n. 12. ſqq. auch deludolf Obſervat. forens.
P. II. Obſ. 169. S. 382.
boehmer in Introd. in ius Digeſtor. h. t. §. 20. n. 4. Von
einer erronea conſuetudine aber handelt L. 39. D. h. t.
tudine; allein es giebt mehrere Texte des canoniſchen Rechts,
in welchen einer conſuetudinis praeſcriptae Meldung geſchtehet,
als cap. 50. X. de elect. c. 9. de offic. ordinar. in 6to. c. 3.
de conſuet. in 6.
eine Zeit von 10 oder 20 Jahren, weil dieſe den Raum einer
langen Zeit beſchraͤnken; dies behaupten donellus in
Commentar. iur. civ. Lib. l. c. 10. berger Oeconom. iuris
Lib. I. T. I. §. 19. n. 3. schilter Ex. 2. §. 19. von dem
busch in der oben angef. Diſſ. cap. III. §. 38. Andere eine
Zeit von 30 oder 40 Jahren, wie gibert Corp. iur. canon.
S. 87. Hr. geh. Juſtizrath boehmer Princip. iur. canon.
Lib. II. Sect. III. Tit. 5. §. 232. Noch andere, und zwar aͤl-
tere
ſuetudinis ad cap. ult. X. de conſuetud. Stuttgard. 1776. und
D.Meurers juriſtiſche Abhandlungen und Beobachtungen
1. Samml. Leipzig 1780. S. 157.
noniſten. S. schrodt Inſtitut. iur. canon. §. 238. Eihel
kathol.
ſen Zeitraum ſollen die Ausdruͤcke longaevus uſus, inveterata
conſuetudo in ſich faſſen. Alle dieſe Meinungen findet man
jedoch im dritten Bande der Meditationen uͤber ver-
ſchiedene Rechtsmaterien 181. Meditat. S. 309.
u. folgg. hinlaͤnglich widerlegt.
Ioſ. ariegger Inſtitut. iurisprud. eccleſiaſt. P. II. §. 106.
Phil.hedderich Element. iuris canon. P. II. §. 21.
not. d. u. a. m.
dieſe. Licet in plerisque conſuetudo ſufficiat, ut aliquis iure
quodam, quo diu uſus eſt, tanquam ſuo utatur, et adverſus
aliorum impetitiones conſuetudine ſe defendat, non tamen eſt
usque adeo valitura, ut quis ſe ab obligatione generali iuris
poſitivi confuetudine ſola eximere, vel ius ſibi, quod negat
ipſi ius poſitivum, ſola conſuetudine aſſerere poſſit, niſi fuerit
rationabilis, i. e. niſi fuerit talis conſuetudo, ut ex
cauſa peculiari ipſi contra ius poſitivum concedi poſſet, et
legitime praeſcripta (ſi ſoilicet ſolo conſuetudinis ti-
tulo nitatur.) Haec conſuetudo non tollit aut abrogat ius
poſitivum, de quo neque loquitur Pontifex, ei tamen derogat,
ſive praeiudicium facit, i. e. exceptionem conſtituit a regula
generali in certis perſonis, quae, quia rationem habet, ad-
[m]ittitur, ſi ſit legitime conſtituta. — Paulo antegrego-
riumIX. eandem ſententiam ſecutum eſt Concilium Latera-
nenſe IV. ſubinnocentioIII. habitum, quo iuxta c. 13. X.
de offic. iud. ord. capitulis cathedralium Eccleſiarum ius in-
dulgetur, quod diuturna ipſis conſuetudo tribuerat, exercendi
iurisdictionem correctivam in ſua membra. Eo iure derogatur
iuri poſitivo, quod Epiſcopo eam iurisdictionem tribuit, et
eximuntur Canonici cathedralium Eccleſiarum ab obligatione
generali, agnoſcendi iurisdictionem Epiſcopi.
mentar. ad Dig. h. t. S. 15. Ant.schulting Enarrat. Part. I.
Digeſtor. h. t. §. 17. lauterbach Coll. Theor. Pr. Pan-
dectar. h. t. §. 35. stryck Uſ. Mod. Pand. h. t. §. 12.
cocceii Iur. Civ. Controv. h. t. Quaeſt. XI.gundling
in
Jahren 6 Wochen und 3 Tagen. S. Eichmann Erklaͤ-
rung des buͤrgerl. Rechs. 1. Th. S. 390.
Dr.Meurer in den juriſtiſchen Abhandlungen und Beobach-
tungen. 1. Samml. S. 113.
§. 5. Herr geh. Juſt. R. Walch hat ſich zwar auf keine
Pruͤfung der gegenſeitigen Argumente eingelaſſen, ſondern
ſein Hauptargument bloß darin geſetzt, daß die Civilgeſetze
zur Beſtaͤttigung eines Gewohnheitsrechts nirgens eine un-
denkliche Zeit erfordert haͤtten. Es ſind aber auch in der
That die Gruͤnde des angefuͤhrten D.Meurers von keinem
ſonderlichen Gewicht. Die in den Geſetzen dieſes Titels der
Pandecten gebrauchte Ausdruͤcke conſuetudo inveterata, diu-
turna, antiquitus probata, beweiſen ſeine Meinung noch nicht.
Es koͤnnen Gewohnheiten allerdings von der Art ſeyn, daß
ſich ihr Urſprung im hohen Alterthum verliehrt, daraus folgt
aber
Ex. 2. th. 20. lit. ξ. reinharth ad Chriſtinaeum Vol. IV.
Obſ. 65. S. 96. Eiſenhart Erzaͤhlung beſond. Rechts-
haͤndel 2. Th. N. 7. S. 193. Overbeck Meditationen uͤber
verſchied. Rechtsmaterien. 3. Band S. 311. u. a. m.
nung war auch ſonſt H. Hofr. hofacker in der oben angef.
Diſſ. de iure conſuetudinis Cap. II. §. 39 — 41. allein er hat
ſeine Meinung geaͤndert in Princip. iur. civ. Rom. Germ. T. I.
§. 124. Andere erfordern jedoch nur in dem Fall gerichtliche
Hand-
Zeit her erfordert werde, wenn eine Gewohnheit fuͤr einge-
fuͤhrt gehalten werden ſoll. Der Ausdruck vetuſtas hedeutet
freylich unterweilen in unſern Geſetzen eine undenkliche Zeit
L. 2. D. de aqua et aquae pluv. aber auch oft nur eine Zeit
von mehreren JahrenL. 10. D. ſi ſerv. vindic. wie
ſchon brissoniusde V. S. voc. vetuſtas und westphal
de libertate et ſervitut. praediorum §. 820. S. 560 angemerkt
haben; und daß letztere Bedeutung in der Lehre vom Ge-
wohnheitsrecht anzuwenden, erhellet aus L. 35. D. de
LL. nur gar zu deutlich, wo longa consuetudo eine ſolche
genennt wird, quae per annos plurimos obſervata eſt. Ueber-
haupt finden hier die von Meurer aus dem Tit. de aqua
et aquae pluv. arc. angefuͤhrten Stellen gar keine Anwendung.
Es iſt auch ungegruͤndet, daß nur durch das Alterthum
allein die zur Begruͤndung eines Gewohnheitsrechts erforder-
liche opinio neceſſitatis generirt werde, denn daß dieſe auch
noch mehrere andere Entſtehungsgruͤnde haben koͤnne, iſt ſchon
oben bemerkt worden.
gemeine Leſeart fuͤr unrichtig halten, ohngeachtet ſie die Aucto-
ritaͤt der Florentiniſchen Pandecten fuͤr ſich hat, weil ihrer
Meinung nach die Worte contradicto iudicio keinen rechten
Verſtand haͤtten. Sie wollen daher ſtatt contradicto lieber
contradicta leſen, und glauben ihre Emendation durch die
Auctoritaͤt der Griechen beym leunclavius Lib. II. Nota-
torum c. 3. unterſtuͤtzen zu koͤnnen. Man ſehe Ger.noodt
in Comm. ad Dig. h. t. S. 15. Ant.schulting in Enarrat.
Part. primae Dig. h. t. §. 19. cundling in Gundlingian.
VII. St. N. 3. §. 19. und eckhardt in Hermenevt. iur.
Lib. I. c. VII. §. 303. S. 547. Allein daß dieſe Aenderung
ganz unnoͤthig, ja hoͤchſt unſchicklich ſey, haben Io. Guil.
hoffmann in Meletemat. ad Pandect. Diſſert. 2. §. 3. und
beſonders Herr Prof. puͤttmann in Interpretat. et Obſervat.
iuris Cap. 19. hinlaͤnglich gezeigt. Die Erklaͤrung aber, die
man von dieſen Worten macht, iſt wieder ſehr verſchieden.
Caſp. Conr.staudinger in Diſſ. de conſuetudine contradicto
iudicio firmata ad L. 34. D. de LL. Goettingae 1753. §. V.
erklaͤrt die Stelle folgendergeſtalt: Contradicto aliquando iudi-
cio conſuetudo firmata, denotat conſuetudinem, quae firmata
eſt per contradictionem, a Praetore factam ei, qui contra
iſtam conſuetudinem, actionem in iudicium deducere intende-
hat. Das contradictum ziehet er alſo auf den Praͤtor, von
welchem geſagt werde: contradicit iudicium, ſi actionem, ab
actore in iure propoſitam, non admittit. Iudicium ſey alſo ſo
viel
gerade zuwider iſt. schilter Ex. ad Pand. 2. th. 21. de
berger Oecon. iuris Lib. I. Tit. I. n. 19. u. L. B. awern-
her ſel. Obſervat. for. T. II. P. IX. obſ. 193. S. 564.
als ſi actio ſtatim in limine, qua actio conſuetudini adverſa,
a Praetore contradicta eſſet. Allein ich muß geſtehen, daß
ich den Ausdruck contradicere iudicium vom Praͤtor nirgends
in unſern Geſetzen geleſen habe, die Redensart denegare
actionem, wenn der Praͤtor eine Klage nicht geſtattet, ſie fuͤr
unzuiaͤßig erklaͤrt, iſt bekannt genug L. 30. D. de ſolut. L. 26.
§. 4. D. ex quib. c. maj. L. 4. §. 1. de re iud. L. 3. pr. ſi
menſor. L. 14. pr. D. de noxal. act. u. a. m. Solchemnach
moͤchte alſo das contradictum wohl mehr auf dem Gegner ſich
beziehen, der der Gewohnheit widerſpricht, worauf der Klaͤ-
ger ſeine Klage gegruͤndet hatte. Dies beweiſen auch die An-
fangsworte cum de conſuetudine — confidere quis videtur.
Denn confidere iſt ſo viel als niti aliqua re contra obnitentem.
S. brissonde V. S. v. confidere. Beſſer erklaͤrt Herr
Prof. Puͤttmann a. a. O. S. 87 die Worte an etiam con-
tradicto aliquando iudicio u. ſ. w. per hypallagen, von welcher
Figur Iod. Ioh.struchtmeyer Animadv. Crit. Lib. II. c. 1.
mehrere Beyſpiele geſammlet hat. Ich habe der Puͤttmanni-
ſchen Erklaͤrung ſchon bey einer andern Gelegenheit (S. 51.
Not. 67.) gedenken muͤſſen. Der wahre Sinn der Worte iſt
alſo dieſer: explorandum eſt, an etiam conſuetudo, ab adver-
ſa parte licet contradicta, a Practore tamen aliquando iudicio
firmata ſit, i. e. Praetor pro ea aliquando pronunciaverit.
Noch eins kann ich hierbey nicht mit Stillſchweigen uͤbergehen.
staudinger a. a. O. §. VI und hoffmann a. a. O. wollen
uͤberdies die L. 34. nicht allgemein, wenn uͤberhaupt vom Be-
weis einer Gewohnheit die Rede iſt, ſondern nur von ſolchen
Gewohnheiten erklaͤren, quae circa praerogativas honorum, et
vacationes a muneribus in unaquaque provincia vel civitate
obtinebant. Der Beweis iſt aus der Inſcription genommen.
Libro IV. de officio Proconſulis habe Ulpian von den buͤr-
gerlichen Pflicht- und Ehrenaͤmtern, desgleichen von Erledi-
gung derſelben, und den Entſchuldigungsurſachen gegen deren
Auf-
gedachten Lib. IV. genommenen Fragmente L. 6. de legat.
L. 6. de muner. et honor. L. 4. de Veteran. u. L. 2. de iure
immunit. zu erſehen. Nur auf die hierauf ſich beziehende Ge-
wohnheiten ſey alſo die L. 34. einzuſchraͤnken, weil dieſe Stelle
auch aus eben dem Lib. IV. de officio Proconſ. entlehnet ſey.
Allein dieſen Mißbrauch der Critik hat ſchon Herr Prof.
Puͤttmann a. a. O. S. 88. ſo vollkommen geruͤgt, daß
mir hier nichts uͤbrig bleibt, als meine Leſer an die Regel
wieder zu erinnern, die ich deßfalls ſchon bey einer andern
Gelegenheit (S. 65) gegeben habe.
Obſervat. iur. univ. T. III. obſ. 847. hartleben Spec. XI.
meditat. 9. Eichmann Erklaͤrungen des buͤrgerlichen Rechts.
1. Th. S. 379 und folgg. Gebruͤder Overbeck in den Me-
ditationen uͤber verſchiedene Rechtsmaterien. III. Band 183ſte
Meditat. u. a. m. Vorzuͤglich aber verdient hier kemmerich
in Diſſ. de probatione conſuetudinis et obſervantiae Sect. II.
§. XII. Not. e. S. 75. nachgeſehen zu werden, wo er die
Meinung derjenigen gruͤndlich widerlegt hat, welche wenig-
ſtens zur Begruͤndung einer conſuetudinis correctivae, actus
in contradictorio iudicio obtentos fuͤr noͤthig halten wollen.
§. 45. S. 242. verb.Dieweil aber dennoch Leute-
raten gerichtlichFol. Act. II.eingeſtanden, daß
in die 30 Jahre her ein Halbſpaͤnnerrationeder
Kirchenpraeſtandorumſo viel, als ein Vollſpaͤn-
ner, praͤſtiret, — woraus denn eineobſervantia
conſtans,welche in dergleichen Kirchenpraeſtandis
pro normabeobachtet werden muß, von ſelbſt er-
folget, und keines fernern Beweiſes bedarf,
nachdem ſieper confeſſionem adverſariorum
gleichſampro notoriazu halten. — Daß auch ein
auſſergerichtliches, aber wiederholtes, Geſtaͤnd-
niß einer rechtlichen Gewohnheit die Kraft eines voͤlligen Be-
weiſes habe, behaupten Fratr.becmanni in Conſil. et De-
ciſion. P. I. Deciſ. XI. n. 8. S. 202 u. f.
reinharth ad Chriſtinaeum. Vol. IV. Obſ. 66. S. 97.
Orte alle wiſſen, wird in der L. 9. §. 2. D. de iur. et facti
ignor. fuͤr nie verzeihliche Sorgloſigkeit gehalten, und findet
kein rechtliches Gehoͤr. Das Beſtreiten ſolcher ganz notori-
ſcher Gewohnheiten, die der verlierende Theil fuͤglich haͤtte
wiſſen koͤnnen und muͤſſen, ziehet daher auch billig die Ver-
prtheilung in die Proceßkoſten nach ſich. S. Weber uͤber
die Proceßkoſten, deren Verguͤtung und Compenſation. §. 7.
am Ende.
gen zum T. Staats- und Fuͤrſtenrecht. Th. II. Nr. XXXIX.
S. 288. u. folgg.
zuͤglich Diet. Herm.kemmerich in Diſſ. de probatione con-
ſuetudinis et obſervantiae. Ienae 1732. Sect. II. und Bern. Aug.
gaertner Meditat. practicar. ad Pandect. Spec. I. med. XIII.
ſeyn einer behaupteten Gewohnheit uͤberhaupt geſtellet ſind,
fuͤr unzulaͤßig nicht zu achten, ſie muͤſſen nur durch nachſtehen-
de ſpeciellere, in welchen einzelne gleichartige Faͤlle angefuͤhrt
worden ſind, unterſtuͤtzt werden. Es verdient hierbey beſon-
ders
P. IV. Obſ. CX. n. 4. u. folgg. S. 240.
ben in rechtlichen Bedenken. 1. Th. Bed. 130. S. 309. Die
meiſten Rechtsgelehrten glauben indeß, daß zwey vorgefallene
Actus zum Beweiſe einer Gewohnheit zureichten. gail.
Lib. II. Obſ. 31. mynsinger Centur. VI. Obſ. 41. n. 7.
carpzoy P. II. Conſt. 3. def. 22. n. 7. perez Commentar.
in Codic. tit. quae ſit longa conſuet. n. 5. deberger Oecon.
iuris Lib. I. Tit. I. §. 19. Allein I. H.boehmer in Iur. Eccl.
Proteſt. T. I. Lib. I. Tit. 4. §. 42. will dieſes nur unter der
Enſchraͤnkung zulaſſen: ſi actus duoillustresetnotabi-
lesprobati fuerint, ita ut exinde fides iudici fieri poſſit, tale
ius non ſcriptum extare.
n. 34. u. folgg. nachgeſehen zu werden. Man vergleiche auch
hierbey das Beyſpiel eines ſolchen articulirten Beweiſes beym
Puͤtter a. a. O.
a. a. O. Sect. II. §. VI. S. 65.
n. 7. dewernher ſel. Obſervat. for. P. V. Obſ. 135. I. H.
boehmer in Iure Eccleſ. Proteſtant. T. I. Lib. I. Tit. IV.
§. 44.
in Diſſ. de iure conſuetudinario §. 35. leyser Spec. IX.
med. 8. hartleben Meditat. ad Pandect. Spec. XI. med. 12.
eandem L. ich habe die Erklaͤrung dieſes Rechtsgelehrten ſchon
oben S. 425. Not. 23. mit den eignen Worten deſſelben vor-
getragen. Dieſem iſt die L. 1. C. quae ſit longa conſ. ſo wenig
entgegen, daß ſie vielmehr in den Worten: eodem controver-
ſiarumgenere unſern Satz beſtaͤtiget; wenn man zumahl da-
mit verbindet, was in eben dieſem Geſetz zur weiteren Be-
ſtimmung jener Worte hinzugefuͤgt worden: nam etratio,
quae conſuetudinem ſuaſit, cuſtodienda eſt.
§. VIII. reinharth ad Chriſtinaeum Vol. IV. Obſ. 66.
S. 96. u. m. Sie berufen ſich auf L. 1. C. quae ſit longa
conſuet. wo die Worte ſtehen: in eodem controverſiarum ge-
nere.
Eccl. Proteſt. T. I. Lib. I. Tit. IV. §. 44. S. 236. ferner in
den gemeinnuͤtzigen juriſt. Beobachtungen und Rechtsfaͤllen von
Gmelin und Elſaͤſſer. IV. Band N. VII. S. 86. u. folgg.
beſonders ludolf Symphorem. Conſultat. et Deciſion. Vol. I.
Conſ. 44. S. 1335. deſſen Worte hier einen Platz verdienen:
Non ſufficit, ſagt dieſer gruͤndliche Rechtsgelehrte, ad pro-
bationem excluſivae conſuetudinis, ſi allegetur, in hoc vel illo
caſu hereditatis ſucceſſiſſe ſolos maſculos, cum excluſione femi-
narum, ſed oportet ſpecialiter doceri, ita propter conſuetudi-
nem, vel vi talis conſuetudinis factum eſſe, non alia de cauſa,
cum tale quid etiam contingere potuerit ex ſpeciali teſtatoris
diſpoſitione, aut, in caſu inteſtati, ex amicabili compoſitione
et pacto, unde aliqua neutiquam infertur conſuetudo. Man
ſehe auch voet Commentar. ad Pandect. h. t. §. 31. und von
Cramer in den wetzlariſchen Nebenſtunden Part. XII. S. 100.
§. XI.
S. 71. insanctioriPrincipissenatupotiſſimum, vel, hoc
deficiente, inregimineſaltemprovincialifieri debere
videtur: ſi ſcilicet, relatione ad Principem facta, actus con-
ſuetudinis inductivus confirmetur.
ter Exerc. II. §. 20. zoesius in Commentar. ad Pandect.
h. t. §. 86. u. a. m.
Tit. 15. Definit. 14. kemmerich a. a. O. §. XVII. voet
Commentar. ad Pandect. h. t. §. 34. Letzterer erfordert we-
nigſtens zehen Zeugen.
a. a. O. §. XVII. S. 83. puffendorf Obſervat. iur. univ.
T. II. Obſ. 138. §. 1.
Obſ. 37. n. 3.
ben in den rechtl. Bedenken V. Th. Bed. 90. S. 187.
her T. I. P. IV. Obſ. 110. ibique in Supplement. und T. III.
P. II. Obſ. 252. n. 116. u. folgg. Fratr.becmanni Conſil.
et Deciſion. Part. I. Reſp. VI. n. 8. S. 102. und vorzuͤglich
Eichmann in den Erklaͤrungen des buͤrgerl. Rechts. I. Th.
S. 408. u. folg.
S. 96. und hartleben Meditat. ad Pandectas. Vol. I. P. I.
Spec. XI. med. 13.
logie des teutſchen Rechts das Zeugniß des Richters unter-
ſtuͤtzt, wovon Puͤtter in den auserleſenen Rechtsfaͤllen
1. Band 2. Th. Dec. 43. ein Beyſpiel giebt.
Proceß. 2. Th. (Goͤttingen 1787.) XX. Hauptſt. 1. Tit. §. 321.
n. VIII. S. 461. malblanc doctrina de iureiurando. Lib. III.
Cap. III. §. 44. S. 136.
iusiurandum in iudicio delatum. Goett. 1772. §. XII. n. II.
S. 16.
Grund anfuͤhrt: Cum tali iureiurando actor id, quod minus
plene probatum eſt, conſcientiae propriae teſtimonio, circa
proprium, non alienum factum occupato, confirmet; hic vero
non de iurantis facto, ſed populi totius conſenſu tacito, ac
frequentibus non actoris reive, ſed aliorum actibus, dubitatio
ſit; et praeſuppoſita actuum frequentia ad conſuetudinem ne-
ceſſaria, non poſſit non eſſe pluribus notum, quod conſuetu-
dine obtentum eſt; apparet, niſi fallor, hic iurisiurandi ſup-
pletorii materiam deficere. Hiermit ſtimmen auch Struben
in den rechtl. Bedenken IV. Th. N. 163. S. 418. hertius
Vol. II. deciſ. 408. n. 2. hofacker Princip. iur. civ. Rom.
Germ. T. I. §. 125. S. 102. u. a. m. uͤberein.
Pandectas. Spec. I. S. 29.
a. a. O. §. XVII. S. 84.
tium comprobati, legem imitantur.
harth Diſſ. de iuris non ſcripti extra territorium efficientia.
Goett. 1737.
conſuet. nicht entgegen, wie ich ad §. 93. zeigen werde.
ſich alſo ein ſolches Recht, Gemeinheiten zu beſtaͤtigen, an-
maſſen, wenn es ihnen nicht ausdruͤcklich vom Landesherrn
ertheilet worden iſt. berger Oecon. iur. Lib. I. Tit. I. §. 18.
n. 2. leyser Spec. DLIX. in fin. Coroll. 2. Dem Landes-
herrn kommt dieſes Recht vermoͤge ſeiner oberaufſehenden Ge-
walt zu. S. Hofr. Schnauberts Reichsſtaͤndiſches Staats-
recht §. 238. u. 242.
auch wohl die Urſache ſeyn, warum die Lehre von Gemein-
heiten und Collegien unter diejenigen Titel der Pan-
decten gebracht worden iſt, die von Verbrechen handeln.
beſten Herr Prof. Woltaͤr in den Grundſaͤtzen der Rechts-
gelehrſamkeit (Halle 1785. 8.) zwot. Abſchn. S. 215. u. folgg.
abgehandelt.
und congregationes religioſae von einander verſchieden ſind,
iſt bekannt, denn letztere haben ein religioͤſes Ordensleben
zum Endzweck. S. G. L.boehmer Princip. iur. canon.
Lib. III. Sect. III. S. 309.
Tit. 6. §. 455. u. 456.
ſagt: corpusacollegioita diſtinguitur. quod illud ſit
coniunctio plurium diverſorum collegiorum. Jedoch werden die
Worte Collegium und corpus auch oft fuͤr Eins genommen.
L. 10. §. 1. D. de vacat. mun. L. penult. §. 12. D. de iure
immunit. L. 1. D. quod cuiusq. univ. nom.
Geh. R. nettelbladt Syſtem. elem. iurispr. poſ. Germ.
gen. Lib. II. Sect. I. Tit. I. §. 849. u. folg.
L. 3. C. de iure reipubl. cap. 1. und 3. X. de reſtitut. in in-
tegr. leyser Meditat. ad Pand. Spec. LIV. m. 3. nettel-
bladt a. a. O. §. 869.
Ehemals gieng dieſes nicht an. Warum? werde ich zu ſeiner
Zeit ſagen. S. heineccius de collegiis et corpor. opificum.
Cap. I. §. 27. u. folgg. in Opuſc. var. S. 412. u. folgg. und
Weſtphal Theorie des roͤm. Rechts von Teſtamenten.
Kap. III. §. 145. u. folgg. S. 107.
beyden Geſetzſtellen wird zum Grunde angefuͤhrt: quia is finis
vitae longaevi hominis eſt. S. westphal de libert. et ſervit,
praed. S. 659.
ſelbſt tritt eben dasjenige rechtliche Verhaͤltniß mit allen dar-
aus fließenden Folgen ein, welches zwiſchen Vormuͤndern
und Pupillen oder Minderjaͤhrigen obwaltet. Clement. 2. de
domib. religios. G. L.boehmer Princip. iur. canon, Lib. III.
Sect. V. Tit. VIII. §. 629. Woltaͤr a. a. O. §. 180.
S. 233. u. folg.
authentici. Halae 1742. gossel de ſigillis univerſitat. Lipſ. 1750.
(Stutgardt 1780. 8.) 3. Abſchn. §. 29.
dem collegii ſunt. His autem poteſtatem facit lex, pactio-
nem, quam velint, ſibi ferre: dum ne quid ex publica Lege
corrumpant. In den folgenden Worten wird dieſes Geſetz
aus den Geſetzen des Solons hergeleitet, welches aber
ganz unnoͤthig war, indem jede im Staat erlaubte Geſellſchaft
ſchon an ſich das Recht hat, die Mittel zur Erhaltung ihres
Endzwecks zu verabreden, ſich deswegen zu vergleichen, und
dieſelbe durch einen Geſellſchaftsvertrag feſtzuſetzen. S.
Zach. huber Diſſ. de Legibus Solonis, quas recitat Gaius
lib. IV. ad Leg. XII. Tabular. Cap. II. in Diſſertat. iurid. et
philolog. (Franequerae 1703. 4.) P. I. S. 281. u. folgg.
deln, verdienen vorzuͤglich empfohlen zu werden: Paulvoet
de ſtatutis eorumque concurſu. Amſtelod. 1661. 12. Io. voet
Commentar. ad Pandect. Lib. I. Tit. IV. P. II. Chriſt. Gottl.
riccius Entwurf von Stadtgeſetzen oder Statutis.. Frankf.
u. Leipz. 1740. 4. Io. Ottolutterloh Diſſ. de ſtatutis col-
legiorum opificum. Goett. 1759. und hofacker Princip. iur.
civ. Rom. Germ. T. I. Lib. I. Cap. III. Tit. 3. S. 105. u. folg.
nung Tit. I. §. 15. N. R. A. §. 105.
chenrecht. I. Th. N. V. §. 2. S. 62. u. folgg.
U. grupen Diſſert. de civitatum forma, vulgo Weichbild.
Hanover. 1758. 4. Weſtphals teutſches Privatrecht.
1. Theil. 2. Abhandl. S. 28. u. folgg.
rechte. I. Th. N. V. §. 3.
Theorie vom heutigen Gebrauch des roͤm. Rechts. §. 25.
S. 88. u. folgg.
univerſ. S. 401. der gleiche Meinung hegt; poteſtas talis con-
ceſſa ſemper intelligitursalvo iure imperantis, cui eſt
ſubordinata.
Alienatio cum fit, cum ſua cauſa dominium ad alium trans-
ferimus, quae eſſet ſutura, ſi apud nos ea res manſiſſet. causa
zeigt hier die ganze Beſchaffenheit der Sache an, und werden
darunter nicht nur die auf der Sache ruhende Beſchwe-
rungen, ſondern auch zugleich die bey der Sache zu ziehen-
den Vortheile verſtanden. S. Weſtphal Lehre des
gemeinen Rechts vom Kauf-Pacht-Mieth- und Erbzins-
kontract (Leipzig 1789) 1. Th. 1. Hauptſt. 4. Kap. §. 115.
S. 99.
urbium ſtatutaria obligent incolas municipiorum. Lipſiae 1773.
Paul. Wilh. schmidt Diſſ. de ſtatutis civitatum, quatenus
incolas ſuburbiorum obligent. Ienae 1755.
3. Band N. V. S. 57. u. folgg.
ſerdem iſt der Magiſtrat einer Landſtadt nicht befugt, der Buͤr-
gerſchaft ohne ihre Einwilligung Statuten aufzubuͤrden. Ver-
gleiche LeyſerMedit. ad Pandect. Spec. VIII. med. 7.
Riccius von Stadtgeſetzen. II. Buch. 3. Kap. §. 20. S. 354.
Obſervat. 9. In Religions- und ſolchen Sachen, welche iura
ſingulorum betreffen, uͤberwiegt jedoch die Mehrheit der Stim-
men des groͤßern Theils den kleinern nicht. Inſtrum. Pac.
Osnabr. Art. V. §. 9. et 52. Cap. 29. de R. I. in 6to. S.
westphal Tr. de iure ſingulorum. Halae 1757.
Spec. IIX. m. 1. riccius a. a. O. §. 3. S. 406.
Staͤdte. S. riccius a. a. O. 2. Buch. 6. Hauptſt. §. 2.
Und in ſo weit hat leyser ſpec. VIII. m. 2—6. recht, wenn
er denen Staͤdten dieß Befugniß, auch ohne beſondere landes-
herrliche Conceſſion und Confirmation Statuten zu machen,
geſtatten will. Denn die von ihm angefuͤhrten Gruͤnde paſſen
blos auf conventional Statuten. Mit dieſen duͤrfen aber nicht
eigentliche Stadtgeſetze verwechſelt werden; ſolche erfor-
dern allemal die landesherrliche Conceſſion oder Confirmation,
denn an ſich ſtehet den landſaͤſſigen Staͤdten keine Macht, Ge-
ſetze zu geben, zu. S. Hofr. Schnauberts Beytraͤge zum
T. Staats- und Kirchenrechte I. Th. N. V. S. 61. und folg.
hartleben Meditat. ad Pandect. Spec. X. med. 2. u. folgg.
Letzterer gehet jedoch hierin zu weit, wie Hr. Reg. Rath Eich-
mann in den Erklaͤrungen des buͤrgerl. Rechts I. Th. S. 433.
gruͤndlich gezeigt hat.
wenn Fremde durch das Statut vom Gebrauch eines gemein
zuſtaͤndigen Rechts ausgeſchloſſen werden ſollen. lyncker
Reſp. II. 24. von Cramer Nebenſtunden P. LXXIX. N. V.
tuten nicht einmahl die Kraft eines guͤltigen Vertrags. S.
reinharth ad Chriſtinaeum. Vol. II. Obſ. 8. S. 11.
der Handwerksmißbraͤuche vom Jahr 1731. §. 1. ver-
moͤge welchen Handwerksartikel ohne Confirmation ſchlechter-
dings nicht gelten ſollen.
breuning de iure ſtatutor. non confirmator.Frick Grund-
ſaͤtze des Rechts der Handwerker §. 11.
S. 179.
boehmer D. de efficacia ſtatuti perſonalis extra territorium.
Frfti 1756. Einer andern Meinung iſt voet ad Dig. Lib. I.
Tit. IV. P. 2. §. 5. und folgg.
ſtatutario. Altorf. 1698. Io. Frid. kayser Diſquiſ. de ob-
ligatione et valore ſtatuti intuitu forenſium. Gieſſae 1746. (Der
Autor hat den Titel dieſer Schrift unrichtig angegeben) und
beſonders D. Chriſt. Th. roemer Diſſ. de efficacia ſtatuto-
rum in res extra territorium ſitas, praeſ. Car. Chriſtoph. hof-
acker. Tübingae 1778.
leſene Rechtsfaͤlle. 3. Bandes 1. Theil. S. 80.
S. 115.
ſtit. ex commun. bon. univ. §. 10. hofacker Princip. iur.
civ. a. a. O. §. 143. Einer andern Meinung iſt riccius
a. a. O. II. B. 17. Kap. §. V. S. 596.
gleichen clauſulam derogatoriam. Z. B. L. 6. C. de ſec. nupt.
Hac edictali Lege in perpetuum valitura ſan-
cimus etc. Unter den teutſchen Reichsgeſetzen giebt uns die
guͤldene Bulle ein Beiſpiel.
unquam poſſit, munita. in Opuſc. Vol. I. Tom. 3. S. 1—23.
und gerstlacher Corp. iur. germ. T. I. S. 58.
rispr. Antejuſt. S. 563. L. 102. D. de V. S.
et Iure §. 6. n. 4. Leges poſterioresgeneralesnon ſemper
mutare illa, quae anteaiure specialidiſpoſita, ſed inde
exceptionem capere. Eben dieſes erlaͤutert Papinian
L. 41. D. de poenis durch ein ſehr treffendes Beyſpiel, und
gruͤndet ſich dabey auf die Regel der L. 80. D. de R. I. In
toto iure generi per ſpeciem derogatur, et illud potiſſimum
habetur, quod ad ſpeciem directum eſt; welche I. B. d’an-
toine in dem eleganten, nur wenigen bekannten, Werk:
Les Regles du Droit civil, traduites en fran-
cois avec des explications et de commentaire
ſur chaque regle, a Lion 1710. auf folgende Art ganz
richtig uͤberſetzt: c’eſt une maxime generale en Droit, que
l’eſpece deroge au genre, d’ou il arrive, que les diſpoſitions
ſpeciales font des reſtrictions et des exceptions aux generales.
Daher laͤßt ſich nun auch erklaͤren, wenn PaulusL. 26.
und TertullianL. 27. D. de LL. ſagen, es ſey nichts
neues, ut priores Leges ad poſteriores trabantur. S. Lud.
God.madihn Opuſe. I. viciſſit. ſubſtit. exemplar. eiusq. ve-
ram indol. continens. (Halae 1775. 4.) §. 15. und hartle-
ben Spec. X. medit. 10.
Ludov. vitalis variar. lection. Lib. II. c. 28. Pet.faber
Semeſtr. Lib. III. c. 22. donellus Commentar. iur. civ.
lib. I. c. 10. M.lycklama à nyholt Membranar. Lib. I.
Eclog. 11. noodt Comm. ad Digeſta h. t. T. II. Opp. p. 16.
Ioſ.averanius Interpretat. iur. Lib. II. c. 1. Ioſ.fine-
stres
Commentar. ad Pandect. h. t. welche auch heineccius in Pan-
dect. h. t. §. 105. not. annimmt; und Iac.gothofredus in
Comm. ad L. un. Cod. Theodos. de longa Confuet. noch mehr
beſtaͤtiget.
Diſſ. de conſuetudine legem haud vincente. Helmſt. 1745.
Henr. God.bauer Diſſ. de conciliatione L. 32. D. de LL.
et L. 2. C. quae ſit longa conſuet. Lipſ. 1761. und ayrer
Progr. de conſuetudine legem vincente. Goett. 1764.
not. c.
ſula rebus ſic ſtantibus, und beſonders von deren Anwendung
auf die teutſchen Reichsgeſetze; in deſſelben Beitraͤgen
zur Erlaͤuterung der teutſchen Rechte. 1. Th.
N. I.
beym gellius Noct. Atticar. Lib. XX. c. 1. — Non pro-
fecto ignoras, ſo ſagt dieſer roͤm. Juriſt, legum opportunita-
tes, et medelas pro temporum moribus et pro rerum publica-
rum generibus, ac pro utilitatum praeſentium rationibus, pro-
que vitiorum, quibus medendum eſt, fervoribus mutari atque
flecti: neque uno ſtatu conſiſtere, quin, ut facies coeli ac ma-
ris, ita rerum atque fortunae tempeſtatibus, varientur.
Fratr. becmanni in Conſil. et Deciſ. P. I. Reſp. I. S. 20.
Eichmann Erklaͤrungen des buͤrgerlichen Rechts. 2. Th.
S. 139.
ſertat. academ. n. 3. Marq.freher Orat. de conſtitutio-
num
die Guͤltigkeit der kaiſerlichen Verordnungen her. Quod prin-
eipi placuit, legis habet vigorem: utpote cumlege regia,
quae de imperio eius lata eſt, populus ei et in eum omne ſuum
imperium et poteſtatem conferat. Es iſt jedoch bekannt, daß
die Urtheile der Gelehrten uͤber die lex regia ſehr verſchieden
ſind. S. gronovius in Orat. de lege regia. Lugd. 1675. 8.
schock Tr. de quadruplici lege regia. Frſti 1668. 8. Leop.
metastasius de lege regia ſeu tabula aenea capitolina notis,
animadverſionibus, et variis quaeſtionibus illuſtrata. Romae
1757. 4. Petr. vanspaan Spec. hiſt. iurid. de SCto de im-
perio Veſpaſiani apud Gruterum. T. II. p. 242. ſpurio Lugd.
Batavor. 1768. huber Digreſſ. Iuſtin. Lib. I. c. 31. we-
stenberg in Div. Marco. Diſſ. II. c. 1. vanwachendorf Diſſ.
de principe LL. ſoluto Cap. II. Chriſt. Dan. beck Diatr. de
Lege regia Romanor. Lipſiae 1780. Eine Unterſuchung uͤber die
lex regia findet man auch in Thom. Bevers Geſchichte des
roͤm. Staats und des roͤm. Rechts. 3. Buch 6. Kap. wo zugleich
D. Voͤlkel in den Anmerkungen S. 264—272. nachzuſehen iſt.
Frfti 1672. Ulr.huber oder Andr.bruce de Conſtitutio-
nib. Principum. Franeq. 1683.
in perpetuum valiturae genennt. L. 6. C. de ſec. nupt. L. 6.
C. de div. reſcript. Zwar wollen verſchiedene Rechtsgelehrte
behaupten, als ob die Edicte ehemahls, falls ſie die Kraft
allgemeiner Geſetze haben ſollten, durch ein Senatusconſultum
haͤtten beſtaͤtiget werden muͤſſen. S. faber Semeſtr. Lib. I.
c. 25. bach hiſt. Iurispr. Rom. Lib. III. Cap. I. S. 4.
§. 6. u. a. m. Allein dieſe irrige Meinung hat Herr Dir. Ze-
pernickin Diatr. de iudicat. centumviral. §. XXII. not. i.
hinter Siccama de iudic. centumvir. S. 402. gruͤndlich wider-
legt.
Praeſid. Tit. Cod. de mandat. princip. Nov. 17. S. Car.
Em.vizzanius de mandatis Principum. Amſtelod. 1657. 4.
matis. Halae 1735. 4.
Academ. Halae edit. Vol. I. Diſſ. III. S. 163. u. folgg. und
Dav. Capel.hunthum Diſſ. de Reſcriptis Princip. Rom. Lei-
dae 1709. in oelrich Theſ. Diſſ. Belgicar. Vol. II. T. 3.
S. 307. u. folgg.
notatio manus noſtraeL. 14. C. Th. de curſu publ.
L. 52. C. Th. de Haereticis. Nov. Valentiniani III. de homi-
cidiis beym ritter T. VI. Cod. Theod. S. 107. ferner ad-
notationis noſtrae decretum. L. 1. Cod. Iuſt. de
precib. Imp. offerend. Auch kommen die Ausdruͤcke vor:
dextra triumphalisL. penult. C. Theod. de annon.
Civic. L. 13. C. Iuſt. de Murileg. dextra principalis,
L. 21. 22. u. 23. C. Th. de diverſ. offic. Beyſpiele von ſol-
chen kaiſerlichen Adnotationen finden wir in den Acten
der Chalcedoniſchen Kirchenverſammlung Act. I. col. 1038.
und 1091. nach der Venet. Concilien-Ausgabe des Labbaͤus.
Man vergleiche auch Iac.gothofredus ad LL. 27. u. 28.
C. Th. de petition. Ioach. vondale Diſſ. de Subſcriptionib.
Princip. Ienae rec. 1750. beſonders aber Ant.zirardinus
ad Impp. Theodoſii Iun. et Valentiniani III. Novellas leges.
S. 236. u. folgg. vorzuͤglich S. 241. und 487. Die Kaiſere
bedien-
Valentin. de homicidiis ausdruͤcklich Adnotationes und
Reſcripta ſimplicia unterſchieden. S. Iac.gotho-
fredusad d. L. 27. und Ian. acosta ad Decretales. S. 26.
conſ.
ſcrin. Ein Beyſpiel findet ſich L. 4. §. 5. D. de offic. pro-
conſ. S. boehmer D. de ſanction. pragmat. indole (Exer-
cit. ad Dig. T. I.)
G. et C. ſagt decretumeſt ſententia Principis inter duas
partes, de quarum ipſe cauſa cognoſcit, et iudicat, pronun-
tiata. Bisweilen wird jedoch das Wort decretumPrin-
cipis im weitlaͤuftigern Verſtande fuͤr eine jede kaiſerliche
Verordnung genommen. L. 7. pr. D. de I. et I. L 28.
§. 2. D. Ex quib. cauſ. maior. S. noodt de pact. et Trans-
act. Cap. XIX. zepernick de iudicat. Centumviral. §. XIX.
beym siccama S. 378 u. f.
ſachen vorgenommen und entſchieden wurden. L. 22. pr. D.
ad
welche in den Geſetzen derſelben ſacrum encauſtum genennet
wird. L. 6. C. Iuſt. de div. Reſpript.
Legibus: Si imperialis Maieſtas cauſam cognitionaliter exa-
minarit, et utrisque partibus cominus conſtitutis ſententiam
dixerit.
uns die Fragmente, welche aus des iulii paulilibris De-
cretorum ſeu ſententiarum in imperialibus eognitionibus prola-
tarum in unſere Pandecten gekommen, und von Abr.wie-
ling Iurisprud. Reſtitut. S. 159. u. folgg. vollſtaͤndig ange-
fuͤhrt worden ſind. Sie enthalten die Entſcheidungen und
Urtheilsſpruͤche der Kaiſer septimii severi und antonini
caracallae, in deren Tribunal Paulus ſelbſt nebſt an-
dern ſehr beruͤhmten Rechtsgelehrten der damaligen Zeit Bey-
ſitzer war. S. Ev. otto in Papiniano Cap. XII. §. 1. S. 364.
und Cap. XIV. §. 5. S. 517. Ich will nur einige von dieſen
Fragmenten ausheben, als L. 38. D. de minorib. L. 8. D.
quod cum eo, qui in aliena poteſt. L. 92. D. de hered. in-
ſtit. u. L. 240. D. de Verb. Signif. welche einen Beweis ge-
ben, wie ſehr oft der Kaiſer mit ſeinen Tribunalsraͤthen uͤber
die Entſcheidung ſtreitiger Faͤlle diſputiret, und wie freymuͤthig
der Juriſt Paulus denen Kaiſern ſelbſt ins Geſicht wi-
derſprochen habe. S. zepernick Diatr. cit. §. XVI. beym
siccama S. 365.
re iudic. L. 1. §. fin. D. ne de ſtatu defunctor. L. 40. 44. 48.
C. Th. de appellat. (Lib. XI. Tit. 30.) L. 3. 4. 5. eod. de
reparat. (XI. 31.) Von dieſem war das Conſiſtorium Prin-
cipis, der geheime Rath, oder Cabinetsrath der
Kaiſer verſchieden, in welchen blos Staatsgeſchaͤfte abgehan-
delt wurden. Man vergleiche die ſchoͤne und gelehrte Schrift
des Herrn D. Chriſt. Gottl.haubold de Conſiſtorio Princi-
pum. Lipſiae 1788. Cap. III.
Praelect. ad Inſtitut. Lib. I. Tit. 2. §. 9. hat ſich ganz unrich-
tige Begriffe von kaiſerlichen Decreten und Interlocu-
tionen gemacht, welchen Ioh. Caſp.heimburg Progr. II.
de Interlocutionibus Principum occaſ. L. I. §. 1. D. de Con-
ſtitut. Princ. Ienae 1739. gruͤndlich widerlegt.
Inſtit. graeca ad §. 6. tit. de I. N. G. et C. — Atque harum
(ſc. Conſtitutionum) quaedam ſuntpersonales, neque in
exemplum trabi poſſunt: quia non hoc princeps voluerit: nam
ſi cui Princeps ob egregia in rempublicam merita aliquid con-
ceſſerit, veluti immunitatem a tributis aut vectigalibus, ac
deinde alius quispiam non peius, aut etiam longe melius de
Republica mereatur, is ex illa Lege conſimilem ſibi immuni-
tatem vindicare non poterit: propterea, quod illa Lex intra
certam perſonam conſiſtat. Sed et ſi cui aut graviorem, quam
pro delicto, vel quam Lege cautum eſt, poenam irrogaverit,
aut poenae gratiam fecerit, id ad conſequentiam non pertinet.
Itaque nec ſi quis poſtea in idem delictum inciderit, aut ſimi-
lem gratiam conſequetur, aut gravius, quam par eſt, in eum
animadvertet. Quoniam intra perſonas eorum, quibus ſub-
ventum eſt, vel auctum ſupplicium, ea ſiſtentur. Perſonales
igitur Conſtitutiones perſonas eorum, de quibus emiſſae ſunt,
non excedunt. Quae autemgeneralesſunt, in omnes tum
perſonas, tum res, valent, atque extenduntur.
Commentar uͤber dieſe Stellen findet man in des Herrn Dir.
zeper-
Cap. VII. Sect. II. §. XI. und folgg. S. 332. Ger.noodt
in Diocletiano et Maxim. cap. 2. Ant.schulting Orat. pro
reſcript. Princ. Rom. §. 4. und vanwachendorf in Diatr.
de principe legibus ſoluto. Cap. III. §. 3.
Ienae 1754.
cama S. 384 u. folgg.
niſchen Rechte her. Siehe Tit. Decretal. de Reſcriptis (Lib. I.
T 3.) und C. 23. de praebend. in 6to.boehmer princip.
iur. canon. Lib. II. Sect. III. Tit. IV. §. 225.
und Abnahme der Rechnungen, von Reſcripten, und Be-
richten ꝛc. Goͤttingen 1783.
de Praebend. in 6 to. cap. 59. X. de Appellat. G. L.boeh-
mer Princip. iur. canon. Lib. II. Sect. III. Tit. 4. §. 227.
Paul. Ioſ. ariegger Inſtitut. iurisprud. eccleſ. P. II. §. 95.
und Eibel Einleitung in das kathol. Kirchenrecht. IV. Th.
I. B. 2. Hauptſt. §. 256.
cretal. de Reſcript. Tr. 3. Oper. Tom. I. S. 101. Eibel
a. a. O. §. 255.
verſ. iuris Lib. VIII. cap. 65. Jedoch iſt die Ausnahme, die
L. 2. macht, ſi modo tempus, in quo allegari vel audiri de-
bent, non ſit comprehenſum, nicht aus der Acht zu laſſen.
Obſ. 1. und 2.
S. 13.
ab omnibus aequaliter in poſterum obſerventur, quae vel miſ-
ſae
L. 13. §. ult. D. de Excuſat.
vergleiche hier vorzuͤglich des H. Dir. zepernick Diatr. de
iudicat. centumviral. §. XX. u. folgg.
inſerto edicti vocabulo nuncupantur; ſive eas ſpontaneus mo-
tus ingeſſerit, ſive precatio, ſive relatio, vel lis mota legis
occaſionem poſtulaverit.
domus Auguſt. Lib. I. c. 28. durch eine kaiſerliche Sentenz,
welche nach dem Gutachten der kaiſerlichen Raͤthe, und nach
vorhergegangener Unterſuchung der Sache abgefaßt worden;
allein es kann auch darunter das Gutachten der kaiſer-
lichen Raͤthe ſelbſt verſtanden werden, wornach das kai-
ſerliche Decret abgefaſſet zu werden pflegte.
interlocutionibus, quas in uno negotio iudicantes protulimus,
vel poſtea proferemus, non in commune praeiudicantibus.
Iac. gothofredus in Comment. ad eandem. T. I. S. 25.
edit. Ritteri.
int. reſtit. L. 2. C. de hered. tutor. L. 26. D. de pign. act.
Es iſt merkwuͤrdig, was Kr. alexander an einen gewiſſen
Superus L. 1. C. Iuſt. de div. reſcript. zu reſcribiren veran-
laſſet wurde, daß das Reſcript, ſo Supplikant mit ſeinem
Bruder in cauſa communi erhalten, auf ſie beyde gehe, wenn
es
den nicht zuſammen reimen. Allein man wundere ſich dar-
uͤber nicht. Es iſt nichts neues, daß Juſtinian zur Rechtfer-
tigung und Empfehlung ſeiner Rechtsaͤnderungen ſich derglei-
chen Fictionen erlaubt habe. Beyſpiele haben Ant. contius
Lection. ſubceſivar. Lib. I. c. 9. Hieron. deoroz de Apicib.
iur. civil. Lib. V. cap. VII. n. 3. 4. u. folgg. und Hr. Dir.
zepernick a. a. O. §. XXI. S. 400. nach Siccama, ge-
ſammlet.
ſolche Anfrage wuͤrde hoͤchſt laͤcherlich geweſen ſeyn, wenn
damalen die kaiſerlichen Reſcripte ſchon an ſich ein gemeines
Recht gemacht haͤtten.
Obſ. I. n. 10. 11. u. folgg.
(edit. Gundling.) Ebenderſelbein Commentar. ad §. 6.
I. de I. N. G. et Civ. ad verb. Decreta. Ulr. huberus
Praelect. ad Digeſt. h. t. §. 5. cocceji Iure Controv. h. t.
Qu. 1. Caſp. ziegler in Dicaſtice Concluſ. XXXVI. §. 19.
20. u. folgg.
dentiae, quo magis conſtat, bis diebus Principes — rebus
iudicandis ſe dedere non ſolere, vel ſi his rebus ſe miſceant,
fere id eo comparatum eſſe, ut extra ordinem ignoſcant, aut
animadvertant, quod ad legis non valere conſequentiam, ipſa
iuris eivilis regula dictat.
S. 665. am Ende, wo es heißt: Non alia videtur eſſe ratio
deciſionum Principis, quas ſi legis habere vim debent, omni-
bus, ſi non ſubditis quibuscumque, ſaltem iudicibus inferio-
ribus intimari neceſſe eſt. Immo vero intereſſt Reip. ut in
omnium ſubditorum perveniant notitiam, cum litem ſaepe in-
cepturus non ſit, cuius ipſe exitum ſibi deciſione principali
divinare queat.
nitudine poteſtatis latis.
non decernitanimo faciendae legis, ſed ita interloqui-
tur,
rei iudicatae habentibus. Lipſiae 1727. Nettelbladt prak-
tiſche Rechtsgelahrtheit. §. 575.
§. 97. b. S. 60. u. ff. Iuſt. H. boehmer in Iur. Eccl. Pro-
teſt. Lib. I. Tit. 3. §. 9.
Roͤmern war der Fall nicht ſelten, daß nur der Geheimſecre-
tair
extendatur, facile exinde patet, alios, quos negotium iſtud
non concernit, eo decreto non obligari. Ratio eſt, quia tum
nudi iudicispartes ſuſtinet, nonlegislatoris, quae duo
officia in Principe accurate diſtingui debent.
von Conſtantin dem Groſſen herruͤhrt, iſt jedoch vom
Tribonian ſehr interpolirt worden. Denn ſo wie ſie im
Theodoſianiſchen Codex Lib. I. Tit. I. L. 1. lautet, gehet ſie
auf alle, auch die allgemeinen Conſtitutionen. S. Iac. go-
thofredus Commentar. ad h. L. Tom. I. Cod. Theod. S. 6.
in Divo Marco Diſſ. II. cap. 2. §. 12.
precib. Imp. offerend.
ſchrieb. S. PuͤttmannProbabil. iur. civ. lib. ſec. cap. IV.
S. 34. u. 35.
S. 483. puͤtter Inſtitut. iur. publ. Lib. III. c. 1. §. 117.
vel util. publ. c. 2. 3. 8. 15. 17. 19. 20. 22. 26. X. de re-
ſcript.
fuͤr richtig haͤlt, und welche in dem cap. 20. X. de reſcript.
ihren Grund haben. Andere erklaͤren jedoch die Sache gerade
umgekehrt. S. Io. Volckm. bechmann Diſſ. de ſub- et ob-
reptione Cap. I. Ueberhaupt ſind die aͤltern Rechtslehrer zum
Theil ſehr unbeſtimmt hieruͤber.
p. 6. u. ff. P. friderus de Proceſſibus Lib. I. c. XV. §. 3.
Huld.
Halae 1699. Cap. IV. n. 34.
Eibel im katholiſchen Kirchenrecht IV. Th. 1. Band §. 262.
not. c. S. 98. u. f. Eichmann Erklaͤrungen des buͤrgerl.
Rechts Th. II. S. 63. u. f. und eben dieſer Meinung iſt auch
unſer Autor.
rerum criminal. P. II. Qu. 93. Obſ. 1. u. folgg. aleyser
Meditat. ad Pandect. Specim. 614. u. ff. und koch Inſtitut.
iuris crim. Lib. II. cap. 39.
Obſ. Pract. in Perez. Sie berufen ſich auf L. Io. §. 2. D.
de in ius voc. L. 8. §. 1. D. de negot. geſt. L. 1. §. 1. D.
ſi a parente quis manumiſſ. L. 49. de bon. libertor. L. 2. C.
de Legib. L. 1. C. ſi nuptiae ex reſcript.
n. 4. dieſelbe Meinung haͤlt auch boehmer a. a. O. §. 11.
uͤberhaupt fuͤr gegruͤndet, und ſucht ſelbige nur durch die oben-
angemerkte Diſtinction noch genauer zu beſtimmen.
bechmann Diſſ. cit. de Sub. et obreptione Cap. III. §. 9.
ſtryck cit. Diſſ. Cap. 3. voneyben a. a. O. ad n. 4.
ſchaumburg in Digeſtis Lib. I. Tit. IV. §. 6. Hr. GJR.
boehmer in Princip. iur. canon. Lib. II. Sect. III. Tit. IV.
§. 228. Hr. Prof. hofacker in Princip. iur. civ. T. I. §. 115.
u. m.
§. 909. und am neueſten Car. OttograebeDisquiſit. de
exceptionibus Sub et Obreptionis earumque probatione. Rin-
teln 1788. 4.
ihre Narrata zugleich etlicher maßen beſchei-
nigen.
(Goͤttingen 1782.) Th. III. Tit. 42. S. 329. Not. x.
be in der oben angefuͤhrten ſchoͤnen Schrift uͤber dieſen Ge-
g[e]nſtand §. XV. am Ende, continet opprobrationem mendacii
et falſi, a qua ſuſpicione impetrantem liberat praeſumtio viri
boni. Wie ſchwankend die Affirmation in den Rechten iſt,
und wie viel bey Direction der Beweisfuͤhrung auf Vermu-
thungen ankomme, haben unter andern am gruͤndlichſten ge-
zeigt Hr. Prof. Weſtphal von dem rechtlichen Beweiſe
einer Verneinung. Halle 1783. 4. und Hr. Hofr. Moͤckert
in Diſſ. de affirmatione in iure ad varias ſpecies applicata. Rint.
1772. und in Speciminib. de indole praeſumtionum iuris. Rint.
1782. Goetting. 1784.
imp. offerend. c. 2. X. de offic. et poteſt. iudic. deleg. c. 7. X.
de fide inſtrum. boehmer I. E. P. a. a. O. §. 7. meviu[s]
P. I. Deciſ. 143.
Mich. God. wernher in lectiſſ. Commentat. ad Pandect. h. t.
§. 4. u. 5.
L. 5. Cod. ſi contra ius vel utilit. publ. boehmer a. a. O.
§. XVII.
ſchon oben angefuͤhrte Boͤhmerſche Schrift de iure epi-
ſtalmatis von Fuͤrſtlicher Ordre.
legien, wovon lipenius in Biblioth. iur. schott in Sup-
plement. h. v. und Puͤtter Litteratur des Staatsrechts.
3. Th. §. 1093. f. nachzuſehen, will ich hier nur folgende an-
fuͤhren: Ge. Acac. enenckelBaro Hohenheimenſis, Libri III.
de Privilegiis iuris civilis. Francof. 1606. 4. I. H. boeh-
mer diſſ. de finibus privilegiorum regundis. Halae 1736. (in
Exercit. ad. Pand. T. I.) Ge. Chriſt. gebauer ſingularia de
privilegiis. Goett. 1749. (Vol. I. Exerc. academ. N. XI.)
Petr. detoullieu Diſſ. de Privilegiis, (in Collectan. iur.
civ. Diſſ. XV.) und Io. Ge. Frid. wasmuth Diſſ. de privi-
legiorum natura generatim, et in ſpecie de modis, quibus
finiuntur, vel amittuntur. Goett. 1787. Dieſen kann auch
Moſer von der Landeshoheit in Gnadenſachen, beygefuͤgt
werden.
Heidelb. 1741.
Siegels Vorſitz gehaltenen Diſſ. de genuino privilegiorum
conceptu. Lipſ. 1741. §. XV.
hartleben Meditat. ad Pandect. Spec. XII. m. 1. G. L.
boehmer Princip. iur. canon. Lib. II. Sect. III. Tit. 3. §. 218.
P. langhaider Diſſ. de multiplici privilegiorum ſignificatio-
ne, eorumque notione genuina. Cap. 1.
(ſc. privilegia) neque de univerſis civibus, ſed de ſingulis con-
cepta: quocirca privilegia potius vocari debent, quia Ve-
teres priva dixerunt, quae nos ſingula dicimus.
ganto.Cicero fuͤhrt das Geſetz mehr als einmahl an, man
vergleiche Orat. pro Domo c. 17. pro Sextio. c. 30. de Legi-
bus c. 4. u. c. 19. Jedoch ſind die Ausleger uͤber den Sinn
dieſer Sanction nicht einig. Das Wort irrogare wird
zwar eigentlich bey den roͤmiſchen Claſſikern der freyen Re-
publik in der Bedeutung genommen, daß es ſo viel heißt, als
populum lege rogare, ut aliquid iubeat, quod ad alterius in-
commodum pertinet. Z. B. multam irrogarecic. pro
Domo c. 22. ernesti Clavi Ciceron. voce irrogare. Da-
ber haben nicht wenige geglaubt, daß das Geſetz der XII. Ta-
feln blos von nachtheiligen Privilegien rede. S. Marci-
liusin Collect. et Interpret. leg. XII. Tab. p. 296. Rit-
tershusDodecadelto ſ. Comment. ad XII. Tabb. LL.
Claſſ. H. c. 2. NoodtCommentar. Digeſtor. ad Tit. de
Legibus T. II. Opp. pag. 11. u. a. m. Allein andere verſte-
hen jenes Geſetz ganz allgemein von allen Privilegien, und
dieſe Meinung kommt mit der Beſchaffenheit einer republika-
niſchen Staatsverfaſſung allerdings beſſer uͤberein; und be-
kommt durch die Stelle des Cicerode LL. Lib. III. c. 19.
ein nicht geringes Gewicht. S. Raͤvardlib. ſing. de LL.
XII. Tab. cap. 2. GothofredNot. ad Tab. IX. pag. 229.
IV. Font. iur. civ. denen auch Gebauer a. a. O. §. 6.
u. 7. beypflichtet. Dieſe erklaͤren ſich das Wort irrogare
durch inducere in rempublicam, rogando populum; wie Ge-
bauer §. 8. der angef. Diſſ. ſagt.
Geſetze miteinander. Tum leges praeclariſſimae de XII. Ta-
bulis tralatae dune, quarum alteraprivilegia tollit, al-
terade capite civis romani rogari, nisi maximo
comitiatu, vetat. An einem andern Ort ſchreibt er bey-
de den Legibus Sacratis zu pro Domo c. 17. und pro Sextio
cap. 30. Sigoniusde antiquo iure civium Rom. Lib. I.
cap. 6. haͤlt ſie fuͤr capita derjenigen legum ſacratarum, welche
im Jahre der Erb. Roms 260 auf dem von ihnen benannten
Monte ſacro wegen Einfuͤhrung der Tribunen des gemeinen
Volks gegeben worden ſind. Allein ernesti Clavi Ciceron.
in Indice Legum haͤlt ſie mit beſſerm Grunde fuͤr Fragmente
des Valeriſchen Geſetzes de provocatione. S. auch platt-
ner de legibus ſacratis Romanor. cap. V.
ſcheidet auch an einem andern Ort ſehr deutlich privilegia rea-
lia und perſonalia. L. 1. §. 41—44. D. de aqua quotid. et
aeſtiva.
militare teſtandi L. 7. C. de teſtam. milit. L. 24. D. eod.
Auch im gemeinen Sprachgebrauch iſt nichts gewoͤhnlicher, als
die
gelehrten uͤber die Frage: ob auch die unfuͤrdenkliche
Verjaͤhrung dem Landesherrn entgegen ge-
ſetzet werden koͤnne? ſehr uneinig, und es ſind nicht
wenig trefliche Rechtsgelehrten, die dieſes ſchlechterdings ver-
neinen wollen, unter welchen ich nur einen Thomaſius
in Diſſ. de praeſcriptione regalium ad iura ſubditorum non per-
tinente,Beyerin Delineat. iur. Germanici Lib. II. cap. 2.
poſit. 38. ff. und StrykUſ. Mod. Pandectar. Lib. 44. Tit. 3.
§. 4.
Geiſtlichen, der Glaͤubiger u. ſ. w. privilegia zu nennen.
beruͤhmte Rechtslehrer, z. B. LeyſerSpec. CCCCXLI.
m. 7. BoͤhmerIur. Eccleſ. Prot. Lib. II. Tit. 26. §. 45.
Freyherr von Cramerin Opuſcul. T. II. Op. 1. p. 1. u. ff.
von Coccejiin Iure Controverſ. Lib. L. Tit. 6. Qu. 2.
Hector Wilh. von Guͤnderrode in denen vom D.
Poſſelt herausgegebenen ſaͤmtlichen Werken aus dem T.
Staats, und Privatrechte, 2ten Band S. 219. u. a. m. mit
weit ſtaͤrkern Gruͤnden das Gegentheil dargethan.
ſel. Hrn. Prof. Guſtav. Bernh. becmann gehaltenen Diſſ. de
aequitate privilegii odioſi, et poteſtate imperantis circa illud,
Goͤttingen 1750. ſagt §. 2. privilegium odiosumin
genere dicimus exceptionem a lege generaliori in odium per-
ſonae ſingularis factam. In ſpecievero (§. 4.) dicitur
exceptio a lege generali facta, vi cuius alicui poena in nulla
lege antea determinata in odium ipſius actu irrogatur.
Straflehnen. Vitemb. 1754. in welcher §. V. merkwuͤrdige
Beyſpiele angefuͤhrt werden.
Beyſpiel vom K. claudius erzaͤhlt suetonius in eius vita
cap. 14.
ſtatuum evangelicorum diſpenſandi iure in cauſis et negotiis
tam ſacris quam profanis. Halae 1722. Auch verdient noch
eine andere Schrift bemerkt zu werden: Wem ſteht in
der katholiſchen Kirche das Recht zu, in geiſt-
lichen Sachen zu diſpenſiren. Ein Verſuch von
einem Deutſchen. 1787. 8. In vielen Laͤndern haben
die Landesherrn das Recht, dergleichen Diſpenſation zu er-
theilen, unter gewiſſen Einſchraͤnkungen den Conſiſtorien oder
Regierungen uͤberlaſſen. S. Schotts Einleitung in das
Eherecht. §. 161. S. 339. Hr. GJR. BoͤhmerPrincip.
iur. canon. §. 355. not. d.
peinlichen Rechts. Denn mit der Abolition im Sinne
des roͤmiſchen Eriminalrechts hatte es eine ganz andere Be-
ſchaffenheit. Es wird davon im 48. Buch Tit. XVI. gehan-
delt werden. Den Unterſchied zwiſchen der heutigen und
roͤmiſchen Abolition haben am beſten auseinander geſetzet
Quiſtorp in den Grundſaͤtzen des teutſchen peinl. Rechts.
2. Th. 12. Abſchn. 2. Kap. §. 850 u. 851. und Ioh. Theoph[.]
seger in Diſſ. de abolitione veteri et hodierna. Lipſiae 1778.
gen der Diſpenſation, in allgemeiner Bedeutung ge-
nommen, anzuſehen ſind, behauptet auch becmann oder viel-
mehr debode in der oben angefuͤhrten Diſſ. §. 3. in Nota.
S. 10.
ter aus, wenn er in L. 10. D. de Legib. ſagt: ius singu-
lare eſt, quod contra tenorem rationis, propter aliquam
utilitatem, auctoritate conſtituentium, introductum eſt. Er
verſtehet alſo unter ius singulare ein ſolches Recht, ſo
aus irgend einem Grunde des gemeinen Beſtens, der Roth-
wendigkeit, oder Billigkeit, gegen die Regel des gemeinen
und ſtrengen Rechts, es ſey auf welche Art es wolle, durch
die Auctoritaͤt der roͤmiſchen Geſetzgeber, iſt eingefuͤhret wor-
den. Der Faͤlle eines ſolchen beſondern Rechts ſind
im roͤmiſchen Recht unzaͤhlig, wie ſelbſt JulianL. 51. §.
fin. D. ad Leg. Aquil. geſtehet. Hierher gehoͤrt z. B. der
Quaſi uſusfructus fungibler Sachen, d. i. ſolcher, die durch
den Gebrauch an ihrem Werth verliehren, oder gar aufhoͤren
zu ſeyn. (Lib. VII. Digeſt. Tit. 5.) Paulus fuͤhrt noch
andere Beyſpiele zur Erlaͤuterung ſeines obigen Begriffs an.
Man ſehe L. 63. D. de uſufructu und L. 54. D. ſoluto ma-
trimonio, welche beyde, wie die oben angefuͤhrte L. 16. D.
de
ſingulari genommen ſind, wie die Ueberſchrift beweiſet. Sehr
merkwuͤrdig iſt die letzt angefuͤhrte L. 54. D. ſoluto matrim.
welche von dem beneficio competentiae handelt, und ein Bey-
ſpiel von einem iure ſingulari giebt, quod contra tenorem iuris
ſingularis introductum eſt. Nach der Regel des gemeinen Rechts
kann nehmlich jeder Glaͤubiger verlangen, daß ihm der Schuld-
ner ſeine Forderung ganz und ohne Abzug bezahle. Er kann
deshalb den Schuldner auspfaͤnden, und ihn bis auf den letz-
ten Heller exequiren laſſen. L. 84. D. de iure dot. Allein
die Billigkeit erforderte, aus mancher Ruͤckſicht, von dieſer
Strenge des Rechts abzuweichen, und die Auspfaͤndung ge-
gen einen verarmten Schuldner nicht aufs aͤuſſerſte zu treiben.
Dies iſt der Fall bey Eheleuten, wenn die Frau ihr Heyraths-
guth zuruͤckfordert; bey Eltern und Kindern; bey Schwie-
gereltern, wenn der Schwiegerſohn bey dem Leben ſeiner
Ehefrauen verſprochenes Heyrathsguth von jenen fordert;
bey Geſchwiſtern, und ſolchen Perſonen, welche miteinander
in einer Societaͤt geſtanden; auch bey einem Donator, wenn
er eine ſo unmaͤßige Summe verſchenkt hat, daß er am Bet-
telſtab gerathen wuͤrde, wenn er ſie ganz bezahlen ſollte.
Solche und noch mehrere andere Perſonen, denen die Geſetze
dieſe Wohlthat ertheilen, darf man nun nicht ganz auspfaͤn-
den, ſondern man muß ihnen ſo viel laſſen, als ſie zur Nah-
rung und Nothdurft brauchen. L. 16. 17. 20. 21. 22. 30.
D. de re iud. L. 63. D. pro ſocio. L. 173. D. de R. I. Man
nennt dieſes die Wohlthat der Competenz(benefi-
cium competentiae), und daß dieſelbe ein ſehr exorbitantes und
beſonders Recht ſey, iſt ganz unlaͤugbar. Entſteht nun aber
die Frage, wie viel ſolche Perſonen, denen die
Competenz zu laſſen, ohne Abbruch des noth-
duͤrftigen Unterhalts, thun koͤnnen, ſo gehet es
nach der Regel, die uns Ulpian in L. 16. D. de re iudi-
cata giebt, naͤmlich man ſiehet bey der Competenz nur auf den
gegenwaͤrtigen Vermoͤgenszuſtand des verarmten Schuldners
men (non deducto aere alleno). Iſt nun das Vermoͤgen des
Schuldners vollkommen hinreichend, den Glaͤubiger, der ihn
belangt hat, zu befriedigen, ſo daß nach Abzug der Schuld
noch immer ſo viel uͤbrig bleibt, als der Schuldner zur Nah-
rung und Nothdurft braucht, ſo iſt er die Forderung ganz
und ohne Abzug ſeinem Glaͤubiger zu bezahlen ſchuldig, und
er kann demſelben nicht entgegen ſetzen, daß er noch mehrere
Glaͤubiger habe, die er nun, ohne Verluſt des nothduͤrftigen
Lebensunterhalts, zu befriedigen auſſer Stand ſey. Occupan-
tis enim melior eſt cauſa, ſ [...]PaulusL. 19. pr. D. de
re iud. Von dieſer Regel der Competenz-Wohlthat iſt jedoch
durch eine Conſtitution des Kr Divus Pius, deren L. 12.
D. de donat. L. 33. D. de iure dot. u. L. 41. §. ult. D. de
re iudic. Erwaͤhnung geſchiehet, bey dem Donator eine
ſehr merkwuͤrdige Ausnahme gemacht worden, welche auch
Paulus in der oben angefuͤhrten L. 54. D. ſolut. matr. fol-
gendergeſtalt bemerkt hat: ut, ex donatione conventus, omni
aere alieno deducto, facere poſſe intelligatur. Bey dieſem
muß alſo erſt nach Abzug aller Schulden die Competenz be-
ſtimmt werden. L. 19. §. 1. L. 49. D. de re iud. Siehe
uͤbrigens Franc. Caroliconradi Diſſ. ad iulii pauli ex
libro ſingulari de iur[e] ſingulari reliqua. Lipſiae 1728.
Schrift iſt Henr. vanadrichem Diſſ. de poena perduellio-
nis, veroque ſenſu Legis Quisquis 5. Cod. ad L. Iul. Maieſtat.
Lugduni Batavor. 1784.
§. XV.
de privilegiis.
T. II. P. I. Reſp. 190. n. 5. 6. Reſp. 428. n. 9. mevius
P. IV. Deciſ. 321. n. 4. boehmer Diſſ. de finibus privile-
giorum regundis. Cap. II. §. IX.Puͤtter auserleſene Rechts-
faͤlle. 1. Bandes 2. Th. Reſp. XXXV. n. 21. 22.
ad Pandect. T. I. lib. I. Tit. 10. §. 16. stryck Diſſertat. de
privilegiorum interpretatione. cap. IV. leyser Spec. X.
med. 3.
rung des in Deutſchland uͤblichen Lehnrechts. Lib. 1. S. I.
Cap. III. §. 65. S. 110. u folgg.
in Diſſ. de finib. privilegior. reg. Cap. II. §. 9. und Fratres
becmanni in Conſil. et Deciſ. P. I. Reſp. l. S. 23. u. a. m.
denke z. B. an das, was UlpianL. 2. §. 1. D. ad SCtum
Vellejan. ſagt: hoc Senatusconſulto pleniſſime ſeminis omni-
bus ſubventum eſſe. Es fehlt auch nicht an Beyſpielen, wo
die roͤmiſchen Rechtsgelehrten dergleichen beſondere Rechte in
aͤhnlichen Faͤllen zur Anwendung gebracht haben. Man ver-
gleiche z. B. L. 20. u. 21. D. de re iudic. Mehrere Bey-
ſpiele hat Fr. Car.conradi in Diſſ. de iure ſingulari §. XII.
geſammlet.
in den rechtlichen Bedenken IV. Th. S. 15. Hr. G. J. R.
WalchControv. iur. civ. Prolegom. Cap. II. §. 3. hart-
leben meditat. ad Pand. Spec. XIV. med. 2. und D. was-
muth in Diſſ. de privilegiorum natura Cap. I. §. 14.
optima privilegiorum interpres eſt conſuetudo, was calli-
ſtratus L. 37. D. de LL. von den Geſetzen uͤberhaupt ſagt.
S. mevius P. V. Deciſ. 182. n. 7. Puͤtters Rechtsfaͤlle
a. a. O. [v]. 24. 25.
faͤllen I. Bandes 3ter Theil. Deciſ. LXXIII. n. 3. 4. u. folgg.
II. Bandes 4ter Theil. Reſp. CCXXXIX. n. 40. 41. u. folgg.
III. Bandes 3ter Theil. Reſp. CCLXXI. n. 70. de ludewic
Conſilia Halenſia T. II. Lib. II. Reſp. 90. n. 60.
Hr. G. JR. BoͤhmerPrincip. iur. feudalis. §. 67.
ob das Recht, Privilegien auszulegen, nur allein dem Re-
genten zuſtehe. Sie berufen ſich deshalb auf L. 43. pr. D.
de vulg. et pupillar. ſubſtitut. wo es heißt: Beneficia quidem
principalia ipſi principes ſolent interpretari. Allein wer ſieht
nicht, daß die Worte des Rechtsgelehrten blos enunciativ
ſind, und keinesweges eine Verordnung enthalten, daß Rich-
ter und Rechtsgelehrte ſich der Auslegung in Anſehung zwei-
felhafter Privilegien enthalten ſollen? S. wasmuth in der
angef. Diſſ. Cap. I. §. XII.
§. 222. n. 1.
de excuſat. tutor. L. 37. D. de reb. aut. iud. poſſid. L. 1.
§. 2. D. ad Municipal. L. 4. §. 3. D. de Cenſib.
D. de iudiciis.
L. 196. D. Reg. I.
hert. in Diſſ. de tranſitione privilegii perſonalis ad alios.
in eiusCommentationib. atque Opuſcul. Vol. I. T. 3. Diſſ. 2.
S. 24—40.
Erlang. 1788. §. IV.Riccius vom landſaͤſſigen Adel in
Teutſchland. II. Theil. Cap. II. §. 4.
1725. §. XXVIII—XXXVII.
C. de Profeſſ. et Medic. L. fin. C. de incol.
ſus dotem.
§. 1. S. Weſtphal Pfandrecht §. 82.
leben Spec. XIII. med. 1. Anderer Meinung ſind awern-
her Obſervat. forens. T. II. P. VIII. Obſ. 424. und depuf-
fendorf Obſervat. iur. univ. T. IV. Obſ. 25.
in ſeinen vortreflichen Erklaͤrungen des buͤrgerlichen Rechts
II. Th. S. 91. u. ff. umſtaͤndlicher hieruͤber geſagt hat.
tigern Sinn; denn unter dieſem Namen werden alle Deſcen-
denten ohne Unterſchied des Grades verſtanden. L. 220. pr.
D. de V. S. §. ult. Inſt. qui teſtam. tutores dari poſſ. Allein
dieſer Sprachgebrauch kann bey Erklaͤrung eines in der teut-
ſchen Mundart abgefaßten Privilegiums nicht untergelegt
werden.
teri Gloſſarium Germ. S. 838.
Vol. III. Obſ. 31. S. 45. u. ff. und Vol. IV. Obſ. 26. S. 26.
Chriſt. Ulr.grupen Diſcept. Forenſ. S. 458. u. 489. u. ff.
Puͤtter auserleſene Rechtsfaͤlle. 1. B. 2. Th. Reſp. LIII,
n. 44. S. 500.
und L. 1. D. de iure immunitat. vermoͤge welchen die Einem
fuͤr ſeine Perſon, Kinder und Nachkommen er-
theilte Befreyung von gemeinen Beſchwerden blos auf die-
jenigen Deſcendenten ſich erſtrecken ſoll, welche von Manns-
perſonen abſtammen.
Cenſib.
Worte des Modeſtins in L. 196. D. R. I. Privilegia ad
heredes transmittuntur, quae causae ſunt; quae personae,
(z. B.
Germ. commun. general. §. 387. Eichmann a. a. O. S. 89.
Hoͤpfner in Commentar §. 49.
gom. Cap. II. §. 4. und D. Chriſt. Gottl.einert Exerc.
iurid. privilegium in dubio magis pro perſonali quam reali re-
putandum eſſe. Lipſiae 1778.
giis. §. 17. 18. 19.
dos quem. pet.) ad heredem non tranſeunt.
- Rechtsinhaber*in
- Kolimo+
- Zitationsvorschlag für dieses Objekt
- TextGrid Repository (2025). Collection 1. Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Versuch einer ausführlichen Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld ein Commentar für meine Zuhörer. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bhtj.0