BeiL. Brunet.
1834.
[[III]]
BeiL. Brunet.
1834.
[[IV]][[V]]
Inhalt zumV.Bande.
- Erſter BriefSeite 1
- Zweiter Brief8
- Dritter Brief20
- Vierter Brief30
- Fünfter Brief36
- Sechster Brief44
- Siebenter Brief57
- Achter Brief65
- Neunter Brief72
- Zehnter Brief83
- Eilfter Brief104
- Zwölfter Brief131
- Dreizehnter Brief148
- Vierzehnter Brief152
- Fünfzehnter Brief— 164
- Sechszehnter Brief— 175
- Siebenzehnter Brief— 197
- Achtzehnter Brief— 201
- Neunzehnter Brief— 217
- Zwanzigſter Brief— 224
Erſter Brief.
Dieſen Brief, vom Samſtag datirt, fange ich
heute Sonntag erſt an. Ich habe mich einer Treu¬
loſigkeit gegen Sie ſchuldig gemacht; nicht wegen
Mademoiſelle **** — denn dieſe beſuchte ich erſt
um zwei Uhr, ich hätte alſo den ganzen Vormittag
Zeit gehabt Ihnen zu ſchreiben — ſondern wegen
eines Buches, das mich ſo angezogen. Ich empfehle
Ihnen scènes de la vie privée par Mr. Balzac.
Ich glaube es ſind vier Bände. Ein moraliſcher
Erzähler von ſeltener Vortrefflichkeit und der die
V. 1[2] Tugend ſo liebenswürdig darzuſtellen weiß, daß man
ſie, zu ſeinem eignen größten Erſtaunen, noch vierzig
Jahre nach der Kindheit lieb gewinnt. Sie hatten
alſo einen ganzen Tag lang keine andere Nebenbuh¬
lerin als die Tugend ſelbſt.
Sie wundern ſich gewiß, daß ich noch kein
Wort Politik geſprochen in dieſen ſechs Briefen; ich
wundere mich ſelbſt darüber und ich weiß nicht wie
es kömmt .... O! es iſt ſo langweilig, ſo lang¬
weilig! ich knurre wie ein alter Hund der unter dem
Ofen liegt und kann es vor lauter Bosheit nicht zum
Bellen bringen. Bosheit gegen wen? Nicht gegen
den bürgerfreundlichen Großherzog von Baden, der
die Profeſſoren Rotteck und Welcker abgeſetzt: ſon¬
dern gegen die Letzteren, die aus Schaafs-Gutmü¬
thigkeit, ein aktives Verbum haben zum paſſiven
werden laſſen. Nicht gegen den Miniſter Winter in
Carlsruh, der ſich für einen freiſinnigen Mann aus¬
gegeben und den ich immer für einen Paſcha von
drei Fuchsſchweifen gehalten; ſondern gegen die Nar¬
ren, die ihm das geglaubt. Nicht gegen die Scham¬
loſigkeit der baieriſchen Regierung, die Landeskinder
nach Griechenland ſchickt, um deutſches zahmes Kuh¬
pockengift in das edle griechiſche Blut zu bringen,
damit ein Heldenvolk bewahrt werde vor dem Fieber
1*[4] und den Blatternarben der Freiheit und ein hübſches,
weibliches, polizeiglattes Geſicht behalte; ſondern ge¬
gen die Baiern, die ruhig und breit daſtehen, wie die
Bocksbierfäßer, und ohne ſich zu rühren, ſich anzapfen
laſſen von dem unerſättlichen Gewalts-Durſte ihres
Königs. Nicht gegen die heſſiſche Maitreſſen-Re¬
gierung, welche alle freiſinnigen Deputirten mit Fä¬
cherſchlägen aus der Kammer jagt; ſondern gegen
dieſe ſelbſt, die ſich wie Spatzen durch ein Huſch!
Huſch! vertreiben laſſen. Die in Caſſel begreife ich
nicht. Die Cholera iſt dort und wie ich geleſen ha¬
ben ſie große Furcht davor. Wenn man aber die
Cholera fürchtet, wie kann man zugleich Gefängniß
und Geldſtrafen fürchten? Aber der Deutſche hat
ein großes Herz! Als einſt Napoleon einen Offi¬
zier ausſchmähete, antwortete dieſer: Ihr Zorn iſt
nicht gefährlicher als eine Kanonenkugel — und dar¬
auf ſchwieg der Kaiſer und lächelte. Es war freilich
Napoleon; wäre es ein deutſcher Wachtparadenfürſt
geweſen, er hätte den Offizier kaſſirt und ihn auf
die Feſtung geſchickt. Es iſt doch etwas ſehr ge¬
heimnißvolles in der Furcht; den Heldenmuth begreift
man viel leichter. Hunderte von freiſinnigen Bürgern
in Frankfurt laſſen ſich dort von der Polizei ſchul¬
bübiſch examiniren und abſtrafen und denken gar nicht
daran, daß wenn ſie hunderte wie ihrer ſind, ſich
[5] Alle in einer Reihe ſtellten, Alle für Einen für Je¬
den ſprächen und handelten, man ihnen ja gar nicht
beikommen könnte; da Frankfurt nicht genug Gefäng¬
niſſe hat ſie einzuſperren.
So knurre ich; ich wollte aber ich wäre im
Ernſte ein Hund. Wann ein Hund von ſeinem
Herrn geprügelt wird, ſo iſt es doch ein höheres
Weſen, das ihn beherrſcht; der Menſch iſt der Gott
des Hundes, es iſt ſeine Religion ihm treu und ge¬
horſam zu ſein. Läßt ſich aber je ein Hund von
einem andern Hunde beißen ohne ſich zu wehren?
Oder hat man gar je geſehen, daß tauſend Hunde
einem Einzigen gehorchen? Der Menſch aber läßt
ſich von einem andern Menſchen prügeln; ja tauſend
Menſchen erdulden es von einem Einzigen und we¬
deln dabei mit den Schwänzen! Und Jarke in
Berlin, iſt an die Stelle von Genz nach Wien ge¬
kommen. Erinnern Sie mich an dieſen Jarke, wenn
ich ihn vergeſſen ſollte. Ich habe etwas über ihn zu
ſagen. Zwar hat mich Heine gebeten, ich möchte ihm
den Jarke überlaſſen; aber ich denke es iſt genug an
ihm für uns Beide.
Die andere europäiſche Tyrannei gefällt mir
weit beſſer als die Deutſche. Ich weiß nicht — es
iſt etwas Genialiſches, Großes darin. Es iſt we¬
nigſtens eine hohe Mauer, die jeder ſieht, der jeder
[6] ausweichen kann, und es müßte einer ſehr zerſtreut
ſein, mit dem Kopfe dagegen zu rennen. Unſere
aber — das iſt ein Scheitholz mitten auf dem Wege,
in der Nacht und keine Laterne dabei; man fällt dar¬
über und bricht das Bein. So fiel neulich der [Ge¬
burtstag] des Kaiſers von Rußland ein, oder ſolch'
ein anderer heilloſer Tag und da befahl die Polizei
in Warſchau: es müßte Jeder illuminiren und für
jedes Fenſter das dunkel bliebe, müßte man dreißig
Gulden Strafe bezahlen. Das iſt deutlich! Eine
Dame in Neapel ſchrieb an ihren Sohn nach Mar¬
ſeille, ſein alter Vater ſäße ſchon einige Monate im
Kerker, weil er, der Sohn, liberale Artikel in eine
Marſeiller Zeitung ſchriebe! So weit bringt es
der Bundestag in ſeinem Leben nicht. Doch
wer weiß!
Schreiben Sie mir ja recht oft und viel und
freundlich, daß mir gar nichts von meinem Herzen
übrig bleibe; denn ich wüßte nicht, wie ich dieſen
Winter auch nur den kleinſten Reſt verwenden ſollte.
Die Malibran iſt nicht hier und ſie kömmt auch nicht.
Ich wollte ich wäre zwanzig Jahre jünger, daß ich
darüber weinen dürfte. Während der Schneetage
von Paris log ſie mir den Sommer vor; wenn ſie
ſang, ſah ich blitzen, hörte ich donnern und wo in
meiner Bruſt noch ein altes Körnchen Pulver lag, da
[7] kam ihr Feuer hin und verzehrte es! Ihr ar¬
mer Freund! Jetzt bleibt meine einzige Luſt,
die Seifenblaſen der Bundesknaben ſteigen ſehen
und nach den Schuldoktrinairs mit Schneeballen
werfen.
Zweiter Brief.
....... Fragen Sie doch allerlei und ver¬
ſchiedenartige Leute — es müſſen aber natürlich
Solche ſein, welchen hierin ein Urtheil zuzutrauen:
ob ſie mich für fähig halten eine Geſchichte der fran¬
zöſiſchen Revolution zu ſchreiben? Ich ſelbſt habe
es oft überlegt, konnte es aber noch zu keiner ent¬
ſchiedenen Meinung bringen. Ich weiß nur, daß ich
Luſt dazu habe; welches aber gar nicht beweißt, daß
ich auch das Talent dazu habe. Zu den Speiſen
die man am wenigſten vertragen kann, hat man oft
den größten Appetit. Ich möchte eher urtheilen, daß
ich die Fähigkeit nicht habe, als daß ja. Zu einer
Geſchichtsſchreibung gehört ein künſtleriſches Talent
und die Leute ſagen, daß mir das durchaus fehle.
[9] In einer Geſchichte müſſen die Dinge dargeſtellt werden
wie ſie ſind, wie ſie ſich im natürlichen Tageslichte
zeigen; nicht aber, wie ſie ſich durch das Prisma
des Geiſtes betrachtet, als Farben erſcheinen, noch
weniger wie ſie in der Camera obscura des Herzens
ſich abſchatten. Glauben Sie nicht auch, daß ich zu¬
viel denke und empfinde! Die gefährlichſte Klippe
in einer Geſchichte der franzöſiſchen Revolution iſt:
daß dieſe noch nicht geendigt iſt, ihr Ziel noch nicht
erreicht hat; daß man alſo, je noch der Geſinnung
ohne Furcht und Hoffnung von der Sache gar nicht
ſprechen kann; und Furcht und Hoffnung drücken ſich
oft als Haß und Liebe aus, und das darf nicht ſeyn.
Ein Geſchichtsſchreiber muß ſeyn wie Gott; er muß
Alles, Alle lieben, ſogar den Teufel. Ja, er darf
gar nicht wiſſen, daß es einen Teufel giebt. Alſo
fragen Sie Den und Jenen, und theilen Sie mir
genau mit, was Jeder von ihnen ſagt. Es iſt ein
Werk langer und ſchwerer Arbeit und ich möchte es,
ohne Hoffnung, daß es gelinge, nicht unternehmen.
Ich bin jetzt ſchon gerührt, wenn ich daran denke,
wie ehrwürdig ich mich ausnehmen werde, wenn ich
als großer Gelehrter und Narr unter tauſend Bü¬
chern ſitze, und ſie Eines nach dem Andern durchleſe
und ausziehe, und wie mir dabei heiß wird und ich
ſeufze: ach! wie glücklich war ich in frühern Zeiten,
da ich noch leicht wie ein Schneidergeſell, dem man
[10] in der Herberge das Felleiſen geſtohlen, durch Feld
und Wald zog, und überall ohne Geographie und
Führer den Weg und jeden Abend ein Wirthshaus
fand. Aber es iſt Zeit, daß ich das Schwärmen
einſtelle und mich in eine Arche zurückziehe; denn ich
ſehe die Sündfluth kommen. Vierzig Monate wird
ſie dauern, und dann, wenn die Gewäſſer abgelaufen
ſind und der Regenbogen am Himmel ſteht, werde
ich mit einer verſöhnlichen Geſchichte der franzöſiſchen
Revolution hervortreten, voller Liebe und Feuchtig¬
keit — und da alsdann alle Rezenſenten erſoffen ſeyn
werden, das einzige Rezenſentenpaar ausgenommen,
daß ich aus Liebe zur Naturgeſchichte in meine Arche
gerettet, ſo wird auch mein Werk allgemeinen
Beifall finden, wenn es ihn verdient. Auch denke
ich daran, wie ich meine baldigen grauen Haare ver¬
berge, ſey es unter einem Lorbeerkranze, ſei es un¬
ter einen Schellenkappe — gleichviel. Nun gefragt.
Von den bedeutenden Männern, welche in der
franzöſiſchen Revolution eine wichtige Rolle geſpielt,
lebt noch Mancher, wie Lafayette, Talleyrand, die
Lameths. Aus dieſen lebendigen Quellen ſchöpfen
zu können iſt ein großer Vortheil. Aber man muß
die noch kurze Zeit benutzen ehe ſie der Tod entführt,
oder ſie altersſchwach werden. So lebt Sieyes noch,
aber wie ich höre in großer Geiſtesſchwäche. Auch
von den Volksmaſſen, welche die Revolution unter
[11] freiem Himmel getrieben, leben in Paris noch ganze
Schaaren. Man ſollte es nicht denken — kürzlich
hat die Regierung Allen, welche an der Beſtürmung
der Baſtille Theil genommen, eine Penſion bewilligt
und es fanden ſich noch fünf bis ſechshundert von
jenen Sappeurs der Monarchie, die noch am Leben
ſind und deren Namen der Moniteur mittheilte.
Auch dieſe zu berathen iſt nützlich, um von den ent¬
ſcheidenden Gaſſengeſchichten, und den ſeitdem ſo ſehr
umgeſtaltenen Schauplätzen der franzöſichen Revolution
eine lebhafte Anſchauung zu gewinnen.
Ein herrliches deutſches Buch habe ich hier ge¬
leſen; ſchicken Sie gleich hin es holen zu laſſen.
Briefe eines Narren an eine Närrin. Auch
in Hamburg bei Campe erſchienen, der ſeine Freude
daran hat, die Briefe aller Narren an alle Närrin¬
nen drucken zu laſſen. Es iſt ſo ſchnell abwechſelnd
erhaben und tief, daß Sie vielleicht müde werden es
zu leſen, ich bin es ſelbſt geworden und bin doch ein
beſſerer Kopfhänger als Sie. Aber es iſt der An¬
ſtrengung werth. Der Narr iſt ein ſchöner und edler
Geiſt und ſo unbekümmert um die ſchöne Form, wel¬
cher oft die beſten Schriftſteller ihr Beſtes aufopfern,
daß dieſe, wie jede Kokette, weil verſchmäht, ſich ihm
ſo eifriger zudringt. Der Verfaſſer ſchreibt ſchön
ohne es zu wollen. Er iſt ein Republikaner wie alle
Narren; denn wenn die Republikaner klug wären,
dann bliebe ihnen nicht lange mehr etwas zu wünſchen
übrig und ſie gewönnen Zeit ſich zu verlieben und
Novellen zu ſchreiben. Nichts kommt ihm lächerlicher
vor als das monarchiſche Weſen, nichts ſündlicher gegen
Gott und die Natur. Er theilt meinen Abſcheu gegen
die vergötterten großen Männer der Geſchichte und
meint, die ſchöne Zeit werde kommen, wo es wie
keine Hofräthe, ſo auch keine Helden mehr geben
[13] wird. Die Klügſten unter den Gegnern des Libera¬
lismus haben dieſen immer vorgeworfen, es ſei ihm
gar nicht um dieſe oder jene Regierungsform zu
thun, ſondern er wolle gar keine Regierung. Ich
trage dieſe Sünde ſchon zwanzig Jahre in meinem
Herzen und ſie hat mich noch in keinem Schlafe,
in keiner gefährlichen Krankheit beunruhigt. Die
Tyrannei der Willkühr war mir nie ſo verhaßt, wie
die der Geſetze. Der Staat, die Regierung, das
Geſetz, ſie müſſen alle ſuchen ſich überflüſſig zu ma¬
chen, und ein tugendhafter Juſtizrath ſeufzt gewiß,
ſo oft er ſein Quartal einkaſſirt und ruft: O Gott!
wie lange wird dieſer elende Zuſtand der Dinge noch
dauern? Und bei dieſer Betrachtung hat der Ver¬
faſſer eine ſchöne Stelle, die ich wörtlich ausſchreiben
will. „Freilich iſt das Firmament ein Staat, und
„Gott ein Monarch, der ſich die Geſetze und die
„Bahnen unterordnet; aber die Sterne des Himmels
„werden einſt auf die Erde fallen, und Gott wird
„ſein ſtrahlendes Scepter und die Sonnenkrone von
„ſich werfen, und den Menſchen weinend in die Arme
„fallen, und die zitternden Seelen um Vergebung
„bitten, daß er ſie ſo lange in ſeinen allmächtigen
„Banden gefangen gehalten.“ Küſſen Sie den Un¬
bekannten in der Seele, der über die Wehen, die
Geburten und Misgeburten dieſer Zeit ſo ſchöne
Dinge geſagt. Auch eine betrübte räthſelhafte Er¬
[14] ſcheinung unſerer Tage, erklärt der Verfaſſer gut.
Woher kömmt es, das ſo Viele in Deutſchland, die
früher freiſinnig geweſen, es ſpäter nicht geblieben?
Spötter werden ſagen: ſie haben ſich der Regierung
verkauft; ich aber möchte nie ſo ſchlecht von den
Menſchen denken. Ich war immer überzeugt, daß ein
Wechſel der Hoffnung, gewöhnlich dem Lohne voraus¬
ginge, mit dem Regierungen, zur Aufmunterung der
Tugend, dieſen Wechſel bezahlten. „Sie könnten
„den Nachwuchs eines neuen Geſchlechtes nicht er¬
„tragen; ſie wollten nicht, daß man munterer, drei¬
„ſter dem gemeinſchaftlichen Feinde die Spitze bieten
„könne. Es iſt in Frankreich ebenſo gegangen. Die
„in der alten franzöſiſchen Kammer einſt die äußerſte
„Linke bildeten, die ausgezeichnetſten Glieder der ehe¬
„maligen Oppoſition ſind nur darum in die rechte
„Mitte des Centrums hinaufgerückt, weil ſie nicht
„ertragen mochten, daß eine Weisheit, die ihnen ge¬
„borgt war, ſich in jugendlichern Gemüthern lebendi¬
„ger bethätigte. So ſind in Deutſchland die ehema¬
„ligen Heerführer des Liberalismus die loyalſten Or¬
„gane der Regierung geworden. Früher ſprachen ſie
„allein über gewiſſe Wahrheiten, jetzt thun es ihnen
„hundert Andere nach.“
An dem Buche habe ich nichts zu tadeln, als
ſeinen Titel. Man ſoll ſich nicht toll, oder betrunken
ſtellen wenn man die Wahrheit ſagt. Auch nicht ein¬
[15] mal im Scherze ſoll man eine ſolche Maske vor¬
halten, denn es gibt unwiſſende Menſchen genug,
welche die Vermummung als einen Beweis anſehen,
daß man nicht jeden Tag das Recht habe die Wahr¬
heit zu ſagen, ſondern nur während der Faſtnachts¬
zeit und in der Hanswurſtjacke. Ueberhaupt ſollten
wir jetzt keinen Spaß machen, damit die großen Her¬
ren erkennen, daß uns gar nicht darum zu thun ſei,
witzig zu ſeyn, ſondern ſie ſelbſt zu witzigen.
Ich muß noch einmal auf die Briefe eines
Narren zurückkommen; das Wichtigſte hätte ich faſt
vergeſſen. Stellen Sie ſich vor es wird in dem
Buche erzählt: der goldene Hahn auf der frankfurter
Brücke ſei abgenommen worden, und unſere Regie¬
rung habe es auf Befehl der Götter des taxiſchen
Olymps thun müſſen, weil der Hahn ein Symbol
der Freiheit ſei, der, ob er zwar nicht krähen könnte,
ſintemal er von Meſſing iſt, doch als Kräh-Inſtru¬
ment in dem Munde eines ſachſenhäuſer Revolutio¬
nairs Staats- und diner-gefährlich werden könnte.
Es wäre merkwürdig! aber ich glaube es nicht.
Vielleicht war es ein Scherz von dem Verfaſſer, oder
er hat es ſich aufbinden laſſen. Aber was iſt in
Frankfurt unmöglich? Ich bitte, laſſen Sie doch ****
auf die Sachſenhäuſer Brücke gehen und nach dem
uralten Hahne ſehen. Iſt er noch da, dann werde
ich den närriſchen Briefſteller öffentlich als einen Ver¬
läumder erklären.
Heute marſchieren die Franzoſen in Belgien ein,
angeblich nur um Antwerpen zu erobern, vielleicht
aber auch um den König Leopold gegen ſein eigenes
Land zu ſchützen, das ſeiner in den nächſten Tagen
überdrüßig werden dürfte. Den Franzoſen gegenüber
ziehen ſich die Preußen zuſammen, darauf zu wachen,
daß das Volk in ſeiner Luſt nicht übermüthig werde,
und ſich nicht mehr Freiheit nähme, als man ihm
zugemeſſen. Was iſt dieſes Frankreich geſunken!
Wenn noch ein Stäubchen von Napoleons Aſche übrig
iſt, es müßte ſich jetzt entzünden. Gleich ſchwach und
verächtlich wie heute, war Frankreich unter den Di¬
rektoren; aber die Ohnmacht damals war zu entſchul¬
digen, ſie war Erſchöpfung nach einem ungeheuern
Tagewerke. Die jetzige Regierung aber iſt ſchwach
und ſchlaff von vielem Schlafen. Und der Ernſt ge¬
gen Holland ſoll nur Komödie ſeyn, geſpielt der dok¬
trinären Regierung Gelegenheit zu geben mit Kraft
zu paradiren, daß ſie ſich befeſtige; denn von den
Doktrinärs erwartet die heilige Allianz den Ruin
Frankreichs. Es iſt die wohlfeilſte Art Krieg zu füh¬
ren. Schon um acht Uhr dieſen Morgen erhielt ich
ein Billet von einem, guten Freunde von Rentier,
der mich auf heute zu Tiſche bittet, um ihm den
V. 2[18] Triumph des Juſte-Milieus feyern zu helfen. Ich
werde eſſen und lachen. Ich fange an einzuſehen,
daß die Menſchheit kein Genie hat für die Wiſſen¬
ſchaft. Seit einigen tauſend Jahren geht ſie in die
Schule und ſie hat noch nichts gelernt. Gott hätte
ſie nicht ſollen zum Studieren beſtimmen, ſondern ein
ehrliches Handwerk lernen laſſen.
Die arme Berry! Ihr verzeihe ich Alles, denn
ſie iſt Mutter, und ſie glaubt an ihrem Rechte. Das
iſt ihr von der früheſten Kindheit an gelehrt worden
wie der Katechismus. Die heilloſen Königs-Pfaffen
aber, die Bürgerblut für Waſſer anſehen, womit ſie
ihren verkümmerten Thron-Sprößling begießen —
Dieſe möchte ich Alle in dem Stübchen hinter dem
Kamine einſperren, in welchem die Berry ſich ver¬
ſteckt hatte, und dann wollte ich das Feuer recht
ſchüren. Was aber die neue Geſchichte ſchöne Ro¬
mane ſchreibt! wer es ihr nachthun könnte! Es that
mir noch niemals ſo leid als jetzt, daß ich keine Ge¬
ſchicklichkeit zu ſo etwas habe. Das Ereigniß mit
der Berry, welch ein herrlicher Stoff zu einem Ro¬
mane. Ihr Verräther der getaufte Jude, welch ein
ſchönes Nacht- und Rabenſtück! Man begreift nicht
warum dieſer Judas katholiſch geworden iſt. Als
hätte er als Jude nicht auch ein Schurke werden
können. Ich glaube es iſt kein gewöhnlicher Böſe¬
wicht; ſein Gewiſſen hat ein halbe Million gekoſtet,
[19] und er iſt blaß geworden, als er den Verrath voll¬
endete.
Ein Münchner Bierbrauer und der Dr. Lindner,
werden mit dem Könige Otto nach Griechenland zie¬
hen, um dort baieriſch Bier und ruſſiſche Treue ein¬
zuführen. Griechenland ſoll ein Theil des deutſchen
Bundes werden, und die griechiſchen Zeitungen müſ¬
ſen Alle in deutſcher Sprache geſchrieben werden, da¬
mit ſie der Hofrath Rouſſeau verſtehe, der zum Cen¬
ſor in Nauplia ernannt worden iſt. Carove tritt zur
griechiſchen Religion über und wird Conſiſtorial-Rath
in Athen. Der Profeſſor Bömel wird Cenſor aller
griechiſchen Claſſiker, die ohne Cenſur nicht neu ge¬
druckt werden dürfen. Dieſe Neuigkeiten ſtanden
geſtern Abend im Meſſager.
Adieu für heute.
2 *
Dritter Brief.
Schon geſtern wollte ich zu ſchreiben anfangen;
aber da lag mir der Schrecken von Vorgeſtern zehn
Pfund ſchwer in den Fingern, und ich konnte nicht.
Sie wiſſen jetzt, daß man unſern guten König hat
umbringen wollen, und daß die beſte aller Republi¬
ken in großer Gefahr war. Nie hat ſich die Vor¬
ſehung ſo glänzend gezeigt als dieſes Mal. Sie hat
nicht allein verhindert, daß der König getroffen werde,
welches ihr als Leibwache der Fürſten Pflicht war;
ſondern ſie hat auch verhindert, daß keiner von den
Hunderten von Nicht-Königen, die den König eng
umſchloſſen und um die ſie ſich nicht zu bekümmern
[21] hat, verletzt werde. Sie hat noch mehr gethan. Sie
hat, was ihr ein Leichtes geweſen wäre, den Mör¬
der (oder den Elenden, wie die Miniſter in allen
Blättern ſagen) nicht den Händen der Gerechtigkeit
überliefert, ſondern ihn entwiſchen laſſen, damit er ohne
Buße ſterbe und jenſeits in ewiger Verdammniß leide.
Der Mörder gab ſich alle mögliche Mühe entdeckt zu
werden, aber es half ihm nicht. Statt einen andern
Tag zu wählen, wo dem Könige, da er weniger be¬
wacht iſt, ſo leicht beizukommen wäre, wählte er ge¬
rade einen Tag, wo viele tauſend Soldaten alle
Straßen beſetzt hielten, wo unzählige Polizei-Agen¬
ten unter dem Volke gemiſcht waren, und der König
ſelbſt von einem dichten undurchdringlichen Gefolge
umpanzert war. Statt ſich auf die freie Straße
hinzuſtellen, wo nach der That Hoffnung zur Flucht
blieb, ſtellte ſich der Mörder auf die Brücke, wo auf
zwei Seiten nicht auszuweichen war, und die zwei
engen Zugänge augenblicklich geſperrt werden konnten,
wie es auch wirklich geſchehen. Die Kugel war nir¬
gends zu finden, und der König war naiv genug
Abends bei Hofe zu erklären, er habe die Kugel nicht
ziſchen hören. Sehen Sie, das nennt man regie¬
ren, und wenn Sie das jetzt nicht begreifen, bleiben
Sie dumm ihr Leben lang. Bei dieſer Gelegenheit
aber konnte ich mich ſchämen, daß ich, ein Liberaler,
erſt mit anderthalb Jahren begreife, was die Abſo¬
[22] lutiſten ſchon längſt verſtanden und erklärt haben:
daß nämlich nichts lächerlicher ſei als eine conſtitu¬
tionelle Monarchie. Wenn in Petersburg, Wien
und Berlin ſolche Polizei-Komödien aufgeführt wer¬
den, dort, wo nur Kinder und unerfahrne Menſchen
auf der Galerie ſitzen, die alles für Ernſt nehmen,
und gleich Kotzebue's Landedelmann in der Reſidenz,
im Stande ſind einen Schauſpieler durchzuprügeln,
der als Graf Leiceſter die ſchöne Maria Stuart ver¬
rathen — dort hat doch der Spaß einen Zweck, und
findet ſich ja einmal ein naſeweiſer Theater-Kritiker,
der das Spiel beurtheilt, dreht man ihm den Hals
um. Hier aber, wo Oeffentlichkeit, wo Preßfreiheit
herrſcht, wo tauſend Menſchen es laut ausſprechen,
es ſei ein Polizeiſchuß geweſen — wozu? Darum
iſt eine conſtitutionelle Monarchie ein lächerliches
Ding, darum bin ich Republikaner geworden, und
verzeihe es den andern, wenn ſie Abſolutiſten ſind.
Einer von uns wird den Sieg davon tragen; das Juſte-
Milieu aber, dieſe Misgeburt mit zwei Rücken, be¬
ſtimmt auf beiden Seiten Prügel zu bekommen —
wird ſie bekommen und wird, nachdem ihm aller
Saft ausgedrückt worden, wie eine Citronenſchale,
auf die Gaſſe geworfen werden.
Aber in dieſen Augenblicke erhalte ich Ihren
Brief und ich will mich eilen ihn zu beantworten,
[23] ehe das Gemetzel in Antwerpen angeht, das vielleicht
die Sperrung des Poſtenlaufs nach Deutſchland zur
Folge haben kann. Die Holländer in der Citadelle
haben zwei hundert Mörſer, die Franzoſen in der
Stadt vierhundert. Dieſe ſechshundert Mörſer kön¬
nen in Zeit von einer Stunde zwölftauſend Men¬
ſchen zerſtoßen. Dann gäbe es zwar zwölftauſend
Narren weniger in der Stadt; aber ſie dauern mich
doch die armen zerquetſchten Menſchen! Es bleiben
ſo viele Narren noch übrig, daß man den kleinen
Abgang nicht ſpüren wird. Sich todt ſchießen zu
laſſen um einen Taufnamen, daß ein König Wilhelm
oder Leopold heiße! Die Erde iſt das Tollhaus der
Welt und alle Narren des Firmaments ſind da ver¬
ſammelt.
Es darf Sie nicht wundern, daß die vier
Bände Tugend von Balzac mir keine Langeweile ge¬
macht. Denn erſtens iſt es weibliche Tugend, die
mich nicht hindert, ich meine nicht mehr. Dann
ſind es gerade nicht immer tugendhafte Perſonen
die auftreten, ſondern im Gegentheile. Nachdem
man aber mit den andern den Blumenweg der Un¬
tugend gewandert, ſtellt der Verfaſſer tugendhafte
Betrachtungen an, die man ſich gefallen läßt, weil
ſie nichts koſten, denn man hat den Profit voraus.
Aber ich kann Ihnen den Balzac nicht genug loben.
[24] Noch ein anderes Werk liegt auf meinem Tiſche von
dem nämlichen Schriftſteller; ich habe es aber noch
nicht geleſen: Physilogie du mariage ou
méditations de philosophie éclectique
sur le bonheur et le malheur conjugal.
Publiée par un jeune célibataire. Zwei
Theile. Es wird aber noch lange dauern, bis ich
mit Ihnen von dem Buche ſprechen kann; denn ich
will es nicht blos leſen, ſondern ſtudiren. Und
[warum]ſtudiren? Darüber hängt noch der
Schleier des Geheimniſſes; aber man wird erſtaunen
zur gehörigen Zeit. Wichtige Dinge ſind im Werke.
Schicken Sie mir doch künftig zur Erleichterung
des Briefporto's ein Verzeichniß derjenigen Perſonen
in Frankfurt, die noch nicht arretirt ſind. Sie trei¬
ben es dort in's Große und es fehlt ihnen wenig
mehr zu einer Macht des erſtens Ranges. Wenn
ſie in Frankfurt einen Jarke gebrauchen, ſollten ſie
ſich an mich wenden; ich habe hier einen guten
Freund, der gar zu gern ein Spitzbube werden
möchte; er hat aber bis jetzt noch keine Gelegenheit
dazu gefunden. Er beſucht mich um keinen Preis
und weicht mir aus ſoviel er kann, aus Furcht für
einen ehrlichen Mann gehalten zu werden und dadurch
ſeinem Fortkommen zu ſchaden. Nach dem Eſchen¬
heimer Thurm wäſſert mir der Mund, ich möchte gar
[25] zu gern darin ſitzen. Welch' ein romantiſches Ge¬
fängniß! Auf der einen Seite die Ausſicht nach der
Promenade, auf der andern in die Zimmer des Herrn
von Nagler. Sein erſter Legationsſekretair ſtünde
den ganzen Tag am Fenſter, meine Seufzer zu de¬
chifriren. Welch' einen ſchönen Roman könnte unſer
Frankfurter Walter Scott daraus machen! Iſt es
wahr, daß der Senat den Mehlberg will befeſtigen
laſſen, angeblich gegen die Franzoſen, eigentlich aber
um die rebelliſchen Frankfurter im Zaume zu halten,
und daß man alle Staatsverbrecher nach der Brücken¬
inſel deportiren will? Geſtern in der Kammer hat
man davon geſprochen.
Hören Sie. Ein Deutſcher hier, der ſich für
die Auswanderung nach Amerika intereſſirt und dafür
ſchreibt, forderte mich neulich auf, auch dahin zu zie¬
hen. Ich antwortete ihm: das thäte ich wohl gern,
wenn ich nicht fürchtete, daß, ſobald unſerer Vierzig¬
tauſend am Ohio wären, und nun der neue Staat
organiſirt werden ſollte, von dieſen vierzigtauſend gu¬
ten deutſchen Senaten, neun und dreißig tauſend neun
hundert neun und neunzig, den Beſchluß faſſen möchten,
ſich aus Deutſchland ein geliebtes Fürſtenkind zum
Oberhaupte kommen zu laſſen. Es war ein Scherz
des Augenblicks; aber nachdem er verſchallt, fiel mir
bei wie viel Ernſt in der Sache ſey. O! wäre ich
[26] nur ſicher in meiner Vermuthung — auf der Stelle
ging ich nach Amerika, blos um unſterblich zu wer¬
den; denn es wäre ein gewürzhafter Spaß, der mich
einbalſamirte, meine Gebeine ein Jahrtauſend gegen
Verweſung ſchützte — es wäre ein unſterblicher
Spaß.
Die Rede, mit welcher der König die Kammer
eröffnet, iſt wieder die alte Vorrede der Tyrannei.
Die Regierung erklärt ſich für ſchwach und verlangt
Kraftbrühen. Man weiß aus welchen Beſtandtheilen
dieſe zuſammengeſetzt werden: förmliches Recht zu je¬
dem beliebigen Unrechte, Unterbrechung der Conſtitu¬
tion und Belagerungszuſtand, ſo oft man Furcht hat,
beſonders Beſchränkung der Preßfreiheit, um der hei¬
ligen Allianz eine Bürgſchaft für Frankreichs Ohn¬
macht zu geben. Vielleicht fällt aber noch heute eine
Bombe aus Antwerpen in den Topf. Die Kammer
hat geſtern ihre Majorität ausgeſprochen. Sie hat
ſich nicht für die linke Seite erklärt, aber auch nicht
für die Doktrinairs. Düpin iſt zum Präſident er¬
nannt worden, er wird alſo Miniſter werden. Sein
Blatt iſt der Conſtitutionell, daraus können Sie alſo
ſein Syſtem kennen lernen. Es iſt aber beſſer, Sie
leſen den Balzac. Ich bin ſo kleinlaut und genüg¬
ſam geworden, daß ich mit Düpin zufrieden genug
bin. Da mir eigentlich nur an Deutſchland liegt,
ſo hoffe ich, daß Düpin Caſimir Perriers Krämer-
Politik gegen das Ausland nicht fortſetzen wird.
Daß ſich Dr. Bunſen ſteif gemacht, das hat
mich ſehr amuſirt. Wenn ſich alle ſteiften, ginge
[28] alles beſſer. Aber wenn man einen Deutſchen in's
Gefängniß führt iſt er im Stande und zieht Schuhe
an, um recht flink zu gehorchen.
Adieu. Ich gehe auf die Börſe um Neuigkei¬
ten zu erfahren. Das thue ich jetzt oft. Man hat
geſtern einen jungen Mann arretirt, der den Schuß
nach dem König gethan haben ſoll. Er hat dadurch
ſich verdächtig gemacht, daß er ſeine großen Backen¬
bärte abſchneiden ließ. Was man vorſichtig ſein
muß! Gerade heute wollte mir der Barbier auch
meine Backenbärte ſtutzen; aber aus Furcht die Po¬
lizei könnte denken, ich wollte mich unkenntlich machen,
ließ ich es nicht geſchehen. Ich warte damit bis der
Mörder eingeſtanden, dann bin ich ſicher.
— Ich danke es den unbekannten Freunden
ſehr, daß ſie mir die Polizeihunde angeben, die nach
Paris geſchickt werden. Zwar bringt mir ſelbſt die
Warnung keinen Nutzen, da ich nichts zu vertrauen
habe und auch keinem trauen würde als dem Teufel
ſelbſt, der eigentlich ein ehrlicher Mann, weil er ſich
für nichts anders ausgiebt als was er iſt. Aber es
giebt Andere hier, die etwas zu verſchweigen haben
und welche von der ſchwarzen Magie der heiligen
Allianz nicht viel wiſſen. Dieſe werde ich warnen.
Uebrigens ſo oft ein Liberaler als ein Judas aus¬
gegeben wird, muß man das ohne Unterſuchung nicht
annehmen. Es iſt eine von den Künſten der Polizei,
[29] um unter den Patrioten Mistrauen zu erregen und
Verbindungen zu verhindern. Ich werde ſehen. Es
iſt etwas in den Augen eines Menſchen was der
geübteſte Schurke nicht in ſeiner Gewalt hat. Dieſes
Etwas verräth ihn. Adieu!
Vierter Brief.
Abends. Heute Mittag ging das Ungeheuer
von Briefträger an meinem Hauſe vorbei und brachte
mir nichts. Darüber war ich ſehr verdrießlich, ging
früher als gewöhnlich aus und beſuchte die ****.
Aber es gelang mir nicht, Sie dort zu vergeſſen.
Auch war es thöricht, daß ich es verſucht. Iſt ein
Frauenzimmer langweilig, kommen Sie mir zurück;
[31] iſt ſie liebenswürdig, noch mehr, es iſt keine Rettung
als ich bleibe bei Ihnen. Gegen ſieben kam ich
nach Hauſe. Da lag der Brief auf meinem
Pulte ...
Den Gedanken des ****, ſtatt einer förmlichen
franzöſiſchen Revolutionsgeſchichte, franzöſiſche Revo¬
lutions-Charaktere zu beſchreiben, hatte ich früher
ſelbſt ſchon gehabt. Er hat aber auch darin Recht,
daß dieſes eben ſo viel Arbeit als eine vollkommene
Geſchichte nöthig machen würde. Robespierre war
die höchſte Spitze der Revolution und da hinauf zu
kommen, müßte ich auch den ganzen Weg zurücklegen;
nur brauchte ich freilich mich nirgends ſo lange auf¬
zuhalten, als wenn ich die ganze Geſchichte beſchriebe.
Aber **** hat Unrecht, wenn er meint ich wäre zu
viel Patriot, nicht unbefangen genug. Ich bin es
nur zu ſehr, zu ſehr Fataliſt. Ich würde den Adel
entſchuldigen, wie es noch keiner gethan; aber frei¬
lich auch Robespierre. Ich übernähme es, alle rein
zu waſchen von ihren Sünden, die Ariſtokraten von
ihren Roſtflecken, die Demokraten von ihren Blut¬
flecken — nur nicht die welche Geld genommen
wie Mirabeau. Dieſen Schmutz nimmt keine
Liebe weg.
[32]
Alſo mit dem Brückenhahn war es gelogen?
Da ſehen Sie, da ſehen Sie, ſo ſind die Liberalen!
Mit Feuer und Schwert ſollte man das Geſindel
ausrotten. Nichts als Lug und Trug und Brand
und Mord und Plünderung! So iſt es auch viel¬
leicht nicht wahr, was in einigen franzöſiſchen Zei¬
tungen ſteht: Daß die Sachſenhäuſer die Staats¬
gefangenen zu befreien geſucht, und daß darüber ein
Aufruhr ſtatt gefunden: warum ſchreiben Sie mir
denn gar nichts davon? Sie glauben es nicht, welche
lächerliche Lügen über Deutſchland täglich in den hie¬
ſigen Blättern ſtehen. So las ich heute in der Tri¬
büne: der bekannte Vidocq ſei als Profeſſor der
Spitzbüberei nach Heidelberg berufen worden, mit
drei tauſend Gulden Gehalt und dem Titel als ge¬
heimer Hofrath. Soviel iſt gewiß, daß Vidocq von
der Pariſer Polizei ſeinen ehrenvollen Abſchied be¬
kommen, und daß er weggereiſt, man weiß nicht wo¬
hin? Nur geſchwind von etwas anderem, ſonſt
komme ich in die Fronterie hinein — und in die
Effroniterie.
Von Diderots Briefen an ſeine Freundin
(Mademoiſelle Volland hieß ſie) habe ich Ihnen
im vorletzen Winter geſchrieben. In dieſen Tagen
las ich die Fortſetzung. Da wir — Diderot und ich
[33] — ſeitdem zwei Jahre älter geworden, bewunderte
ich noch mehr die Jugendlichkeit dieſes Mannes.
So viel Punkte, ſo viel Küſſe ſind in ſeinen Briefen.
Und die unnachahmliche Kunſt, daß man durch die
zehen Jahre, die der Briefwechſel dauert, nie merkt,
wie alt ſie denn eigentlich iſt. Anfänglich war ich
ein dummer tugendhafter Deutſcher und urtheilte:
weil er mit ihr von gewiſſen Dinge auf eine gewiſſe
Art ſpricht, muß ſie wohl ihre Jugendzeit hinter ſich
haben. Als ich aber den dritten Band las, ſah' ich
ein wie ich mich geirrt. Da ſpricht Diderot einmal
von und mit ſeiner eigenen Tochter, die ſechszehen
Jahre alt iſt. Nein, das Blut kann einem dabei
gefrieren! Ueber Dinge in welchen ein Frauenzim¬
mer nicht eher Schülerin werden darf, als bis ſie
Meiſterin geworden, und worin ſie nur die Erfah¬
rung belehren ſoll, wird Diderots Tochter von ihrem
Vater wiſſenſchaftlich unterrichtet. Und er erzählt
ſeiner Freundin umſtändlich und mit väterlichem Ent¬
zücken, wie verſtändig ſich ſeine Tochter dabei benom¬
men. Gut — ſagt ſie zuletzt — wir wollen keine
Vorurtheile haben; aber der Anſtand, die Ueberein¬
kunft, der Schein iſt zu achten. Dann ſpricht ſie
von Geiſt und Materie wie Holbach und die Andern.
Der Satan von ſechszehen Jahren erkennt keine
V. 3[34] Seele an. Sie trägt an dem Tage eine Art Haube,
die man damals Caleche nannte. Sie lächelt, ſagt
ihrem Vater, wie auf der Straße ſie alle jungen
Leute ſchön fänden, und wie ihr das Freude mache.
„Ich will lieber Vielen ein wenig gefallen, als Ei¬
„nem viel.“ Der Vater weint vor Freude. Gott!
wann ich eine ſolche Tochter hätte — es käme auf
die Jahreszeit an — Sommers würde ich ſie in das
Waſſer, Winters in den Kamin werfen. Doch ge¬
nug moraliſirt. „Ich bin des trocknen Tones
ſatt, muß wieder einmal den Teufel zeigen.“
Hören Sie. —
Damals kam ein König von Dänemark, blut¬
jung, erſt neunzehen Jahre alt nach Paris. Les
deux rois se sont vus. Ils se sont dit tout
plein des choses douces: — vous êtes monté
bien jeune sur le Trône! — Sire, vos sujets
ont encore été plus heureux que les miens. —
Je n'ai point encore en l'honneur de voir votre
famille. — Cela ne se peut pas: vous ne nous
restez pas assez de [temps], ma famille est si
nombreuse; ce sont mes sujets. — Et puis tous
les Crocodiles qui étaient là présent se sont
mis à pleurer. — Ueber den Brutus! der König
von Dänemark beſuchte Diderot in ſeiner Wohnung
[35] im vierten Stocke und blieb zwei Stunden bei ihm.
An dem nämlichen Tage traf er ihn Abends bei Hol¬
bach. Dieſer wußte nicht, daß Diderot den König
ſchon geſehen, und hatte ſeine heimliche Freude
daran, daß Diderot glaube er ſpräche mit einem ge¬
wöhnlichen Menſchen. Und Diderot lachte heimlich
über Holbachs Täuſchung. Und wie liebenswürdig
dieſer König ſei (er war den größten Theil ſeines
Lebens und ſtarb 1808 wahnſinnig). Und was er
ſchönes während ſeines Aufenthalts in Paris ge¬
ſprochen — über alle dieſe Erbärmlichkeiten zu
ſprechen, wird der Philoſoph Diderot nicht müde.
So ſind die Liberalen!
Etwas was ich nicht früher bemerkt, iſt mir
beim Leſen von Diderots Briefen plötzlich klar ge¬
worden. Es iſt zum Erſtaunen! Voltaire ſtarb eilf
Jahre, Diderot fünf vor dem Ausbruche der franzöſi¬
ſchen Revolution. Andere berühmte Staatsphilo¬
ſophen des achtzehenten Jahrhunderts haben noch
länger herabgelebt. Und keiner dieſer Schriftſteller
(wenigſtens ſo viel ich mich erinnere) hatte auch nur
eine Ahndung von dem Herannahen einer ſocialen
Umwälzung Frankreichs. Ja man kann nicht einmal
ſagen, daß ſie einen deutlichen ſyſtematiſchen Wunſch
darnach ausgeſprochen. Sie tadelten zwar viel und
3 *[36] ſtark die beſtehende Ordnung der Dinge; aber ihr
Eifer war doch mehr gegen die Staatsverwaltung
als gegen die Verfaſſung gerichtet. Rouſſeau's Sy¬
ſtem machte auf praktiſche Wirkung keinen Anſpruch
Voltaire ſchrieb nie auch nur ein einziges Wort ge¬
gen den Adel. Nur von Chamfort iſt mir bekannt,
daß er aufrühreriſche Wünſche und Hoffnungen aus¬
geſprochen; aber das geſchah ſehr ſpät, nur in ver¬
trauter mündlicher Unterhaltung, und ſeine Gleichge¬
ſinnten ſelbſt haben ihn wie einen tollen Menſchen
angehört. Der Haß und der Kampf aller jener [re¬
volutionären][Schriftſteller] waren nur gegen die Geiſt¬
lichkeit gerichtet. Es ſcheint alſo daß die geiſtliche
Macht, wenn auch nicht die ſtärkſte, doch die vorderſte
und höchſte Mauer bildete, welche als Befeſtigung
die Tyrannei umzog, und daß man erſt, nachdem
dieſe Mauer durchbrochen war, dahinter Adel und
Fürſtenthum als Graben und Wall, gewahrte, aus¬
füllte und ſtürmte. Waren ſelbſt damals die Philo¬
ſophen ſo blind, darf man ſich über die Verblendung
des Adels und der Fürſten gewiß nicht wundern.
Wie wurden die franzöſiſchen Schriftſteller des acht¬
zehnten Jahrhunderts von allen Großen geliebkoſt!
Freilich ſtellten ſie ſie nicht höher als gute Schau¬
ſpieler und ſchöne Opertänzerinnen; aber ſie wären
gewiß nicht ſo freundlich gegen ſie geweſen, hätten
[37] ſie deren Gefährlichkeit eingeſehen. — Quand la
raison vient aux hommes? — wollte Diderots
Freundin wiſſen. Le lendemain des femmes,
et ils attendent toujours ce Lendemain — ant¬
wortete er.
Fünfter Brief.
Iſt es wahr, was heute die hieſigen Blätter
erzählen, daß die Polizei in Frankfurt ſo unver¬
ſchämt geweſen, dort den Frauenverein vor ihr bru¬
tales Gericht zu laden, weil er für die vertriebenen
und eingekerkerten Patrioten, Geldbeiträge geſammelt
und daß der Frauenverein ſich die große Freiheit ge¬
nommen, die Polizei auszulachen und nicht zu er¬
ſcheinen? Es wäre gar zu ſchön, und daß die
Männer erſt von ihren Frauen lernen müſſen, wie
man den Muth habe ſich dem Uebermuthe entgegen
zu ſetzen. Ich ſage nicht die Deutſchen wären feige,
[39] denn ich bin ein warmer Anhänger von Lichtenbergs
menſchendfreundlicher Moral. Lichtenberg aber be¬
hauptet, es ſei boshaft und lächerlich, eine Tugend
die irgend ein Menſch nur im kleinen Grade beſitzt,
Laſter zu nennen. Statt zu ſagen ein Menſch habe
einen kleinen Grad von Thätigkeit, einen kleinen
Grad von Verſtand, ſage man er ſei faul, dumm.
Ich thue das nicht. Ich lobe die Deutſchen daß ſie
einen kleinen Grad von Muth haben. Nur das
tadle ich, daß ſie nicht alle ihren Pfennigsmuth in eine
gemeinſchaftliche Kaſſe werfen, wodurch ſich die Na¬
tion zu ihrem eignen Erſtaunen eine Million von
Heldenthum ſammeln könnte. Es iſt unglaublich
was man durch eine beharrliche und allgemeine Aſſo¬
ciation, ſelbſt der kleinſten Kräfte für eine große
Macht bilden kann. Kürzlich wurden den engliſchen
Miniſtern, welche für die Reformbill geſtimmt, von
einem Theile der Stadt London große goldene
Becher als Zeichen des Dankes überreicht. Jeder
der Beitragenden hatte nur einen Pfennig gege¬
ben. Aber es waren dreimalhundert tauſend Pfennige.
Wenn unter den dreißig Millionen Deutſchen, nur
ſechs Millionen, jeder nur eine Minute lang Muth
hätte — und ſo lange hat ihn ſelbſt ein Haſe, der
von Hunden verfolgt, ſich zuweilen auf die Hinter¬
füße ſetzt — ſo hätten die ſechs Millionen Helden
[40] zuſammengerechnet Muth auf zwölf Jahre, und
reichte der auch nicht hin den Senator Miltenberg
und den Herrn von Guerike einzuſchüchtern, ſo würde
doch der Bundestag dieſer impoſanten Macht nicht
widerſtehen können. Aſſociation — das iſt das
ganze Geheimniß. Die tapfern Würtemberger Li¬
beralen haben alle eine Minute Muth, ſie verſtehen
aber nicht Stunden und Tage daraus zu machen,
wodurch ſie den falſchen aber traurigen Schein ge¬
winnen als wären ſie feige. Neulich hat der König
von Würtemberg einigen hochgeachteten Deputirten
in Stuttgard auf ihr Allerunterthänigſtes Anſuchen,
die allergnädigſte Erlaubniß ertheilt, ſich jede
Woche einmal, an einem beſtimmten Tage,
in einem Hauſe außerhalb der Stadt zu ver¬
ſammeln, um die Paragraphe der Verfaſſung juri¬
ſtiſch zu erläutern — juriſtiſch nur, bei Leibe
nicht politiſch — ſetzte das menſchenfreundliche könig¬
liche Reſcript, mit aufgehobnem Finger lächlend dro¬
hend, hinzu. So verfährt eine gute Polizei auch
mit dem Schießpulver und allen ſtinkenden Gewer¬
ben. Zur Stadt hinaus! Nun, ich nehme die
allergnädigſte königliche Erlaubniß nicht übel, im
Gegentheile, ich finde ſie ſehr erhaben. Aber, daß
die Deputirten um ſolche Bewillung allerunterthä¬
nigſt nachgeſucht, das empört mich. Ich mag mich
[41] gegen den guten Staberl, der mir ſo viele frohe
Stunden gemacht nicht undankbar bezeigen; ſonſt
würde ich das deutſche Volk mit ihm vergleichen.
Ich ſah einmal Staberl als Ehemann. An einem
rauhen Wintermorgen ſaß ſeine Frau vor dem Ofen
und trank Chocolade. Da kam Staberl mit einem
großen Korbe, der mit Gemüſen, Eiern, Hühnern
angefüllt war, vom Markte zurück. Die Frau lobte
oder ſchmähte den Gimpel, je nachdem ſie mit ſeinen
Einkäufen zufrieden oder unzufrieden war. „Wo
„ſind denn die Krebſe?“ fragte die Frau. „Ach —
„erwiederte Staberl — ſie ſind aus dem Korbe ge¬
„ſprungen, ich ihnen nach; da ſie aber rückwärts
„gingen, konnte ich ſie nicht einholen.“ Darauf gibt
ihm die Frau eine Ohrfeige. Aber Staberl ärgert
ſich nicht, ſondern bittet ſeine Frau unterthänigſt
freundlich um einen Kreutzer, ſich damit einen Bretzel
zu kaufen .... Iſt das deutſche Volk nicht ein
ächter Staberl. Seine Regierung, wie jede, iſt
ſeine Frau, beſtimmt ſeine Wirthſchaft und Haushal¬
tung zu führen. Statt deſſen aber geht das Volk,
der Mann, auf den Markt, während die Frau Re¬
gierung ſich gütlich thut, und das Gimpelvolk bettelt
bei ſeiner Regierung um einen Kreutzer, und iſt
glücklich wenn es ihn erhält! ... Und die Krebſe?
[Nun], das ſind die conſtitutionellen Fürſten, und die
[42] Staberl von Liberalen, entſchuldigen ſich, daß ſie ſie
nicht hätten einholen können weil ſie rückwärts ge¬
laufen. Ohrfeigen den Gimpeln!
— Victor Hugo hat vor einigen Tagen ein
neues Drama Le roi s'amuse auf das Theatre
Français gebracht. Hinein zu kommen war mir
nicht möglich an dieſem Tage; denn alle brauchbare
Plätze waren lange vorher beſtellt. Das Stück
wurde faſt ausgepfiffen und nur mit der größten
Anſtrengung vermochten die Freunde des Dichters
es von gänzlichem Sturze zu retten. Ich habe ge¬
ſtern einen flüchtigen Blick in die Zeitungskritiken
geworfen. Alle Blätter und von den verſchiedenſten
Farben verdammen das Drama. Doch ich traue
nicht recht. Sie ſagen Hugo habe Scherz und
Ernſt, Poſſen und erhabene Reden unter einander
gemiſcht. Nicht Ariſtoteles, nicht Racines Lehren
habe er gekränkt — über ſolche Pedanterie ſei man
längſt hinaus. Nein, die Natur ſelbſt habe er be¬
leidigt. Es muß etwas Ungeheures ſeyn, was
Hugo begangen; er muß eine entſetzliche Schuld auf
ſich geladen haben — ſeit Müllner iſt Hugo ein
Name ſchlimmer Vorbedeutung. Wir werden ſehen;
in einigen Tagen wird das Stück gedruckt erſcheinen.
Dazu kömmt noch, daß — auf allerhöchſte Ver¬
[43] anlaſſung, wie wir in Deutſchland ſagen würden,
die fernere Aufführung des Drama's von dem Mi¬
niſter verboten worden iſt. Um Ariſtoteles und die
Natur bekümmert ſich kein Miniſter, das Verbot
muß alſo einen andern Grund haben. Adieu.
Sechſter Brief.
.... Dabei fiel mir ein, wie nöthig und
nützlich es wäre, einmal mit Ernſt und Würde, doch
in einer faßlichen, Kindern und Weibern, und kindiſch
weibiſchen Männern verſtändlichen Sprache, die
Gräuel und Verrücktheiten der monarchiſchen Regie¬
rungen zu beſprechen. Es iſt unglaublich mit wel¬
cher Unverſchämtheit die Fürſten und deren Götzen¬
diener die Fieberphantaſien und Krämpfe der franzö¬
ſiſchen Revolution zu vorbedachten Verbrechen ſtem¬
peln, und dieſe Verbrechen als Nothwendigkeit, als
angebohrne Natur jeder Republik darſtellen! Es iſt
unglaublich, mit welcher blöden Geiſtesträgheit ſo
[45] viele Menſchen dieſe dummen Lügen annehmen;
denn ſie brauchten nur die Hand nach ihrem Bücher¬
ſchranke auszuſtrecken, ſie brauchten nur eine Stunde
lang die Weltgeſchichte zu durchblättern, um mit
Schaamröthe zu erfahren, wie grob man ſie getäuſcht.
Drei Jahre haben die Gräuel der franzöſiſchen Re¬
volution gedauert, dieſe rechnet man; aber daß die
ſchweizeriſche Republik jetzt ſchon fünf hundert Jahre
ſchuldlos lebt, daß die amerikaniſche Republik keinen
Tropfen Bürgerblut gekoſtet, daß Rom ein halbes
Jahrtauſend, daß Athen, Sparta, die italieniſchen
Republiken des Mittelalters, die vielen freien Städte
Deutſchlands ein vielhundertjähriges Leben glücklich
und ruhmvoll vollendet, das rechnet man nicht!
Seitdem der letzte Römer fiel, von Auguſtus bis
Don Miguel, durch neunzehen Jahrhunderte, haben
tauſend Königsgeſchlechter die Welt gemartert, durch¬
mordet, vergiftet — das rechnet man nicht! und die
Gewaltthätigkeiten der franzöſiſchen Revolution haben
nur das ſinnliche Glück derer zerſtört, welche jene
betroffen; aber die Gewaltthätigkeiten der Monar¬
chien haben die Sittlichkeit der Bürger verdorben,
haben Treue, Recht, Wahrheit, Glaube und Liebe
rund umher [ausgerottet] und haben uns nicht bloß
unglücklich gemacht, ſondern uns auch ſo umgeſchaf¬
fen daß wir unſer Unglück verdienten. Am Grabe
der Schlachtopfer der Revolution darf man doch wei¬
[46] nen; die Schlachtopfer der Fürſten verdienen keine
Thränen. Darum habe ich mir vorgenommen: es
ſoll mein [nächſtes] Werk ſein, die Unſchuld der Re¬
publiken zu vertheidigen und die Verbrechen der Mo¬
narchieen anzuklagen. Zwanzig Jahrhunderte werde
ich als Zeugen um mich herumſtellen, vier Welttheile
werde ich als Beweisſtätte auf den Tiſch legen, funf¬
zig Millionen Leichen denke ich, werden den Thatbe¬
ſtand des Verbrechens hinlänglich feſtſtellen, und dann
wollen wir doch ſehen, was die Advokaten der Für¬
ſten, die wortreichen Jarkes darauf zu antworten
finden.
Dieſer Jarke iſt ein merkwürdiger Menſch.
Man hat ihn von Berlin nach Wien berufen, wo er
die halbe Beſoldung von Genz bekömmt. Aber er
verdiente nicht deren hunderſten Theil, oder er ver¬
diente eine hundertmal größere — es kömmt nur
darauf an, was man dem Genz bezahlen wollte, das
Gute oder Schlechte an ihm. Dieſen katholiſch und
toll gewordenen Jarke liebe ich ungemein, denn er
dient mir, wie gewiß auch vielen andern zum nützli¬
chen Spiele und zum angenehmen Zeitvertreibe. Er
giebt ſeit einem Jahre ein politiſches Wochenblatt
heraus. Das iſt eine unterhaltende Camera obſcura;
darin gehen alle Neigungen und Abneigungen, Wün¬
ſche und Verwünſchungen, Hoffnungen und Befürch¬
tungen, Freuden und Leiden, Aengſte und Tollkühn¬
[47] heiten und alle Zwecke und Mittelchen der Monar¬
chiſten und Ariſtokraten mit ihren Schatten hinter
einander vorüber. Der gefällige Jarke! Er ver¬
räth alles, er warnt Alle. Die verborgenſten Ge¬
heimniſſe der großen Welt, ſchreibt er auf die Wand
meines kleinen Zimmers. Ich erfahre von ihm, und
erzähle jetzt Ihnen, was ſie mit uns vorhaben. Sie
wollen nicht allein die Früchte und Blüthen und
Blätter und Zweige und Stämme der Revolution
zerſtören, ſondern auch ihre Wurzeln, ihre tiefſten
ausgebreiteſten feſteſten Wurzeln und bliebe die halbe
Erde daran hängen. Der Hofgärtner Jarke geht
mit Meſſer und Schaufel und Beil umher, von
einem Felde, von einem Lande iſt das andere, von
einem Volke zum Andern. Nachdem er alle Revo¬
lutionswurzeln ausgerottet und verbrannt, nachdem er
die Gegenwart zerſtört hat, geht er zur Vergangen¬
heit zurück. Nachdem er der Revolution den Kopf
abgeſchlagen und die unglückliche Delinquentin ausge¬
litten hat, verbietet er ihrer längſtverſtorbenen, längſt¬
verweſten Großmutter das Heirathen; er macht die
Vergangenheit zur Tochter der Gegenwart. Iſt das
nicht toll? Dieſen Sommer eiferte er gegen das
Feſt von Hambach. Das unſchuldige Feſt! Der
gute Hammel! Der Wolf von Bundestag der oben
am Fluſſe ſoff, warf dem Schaafe von deutſchem
Volke, das weiter unten trank vor: es trübe ihm
[48] das Waſſer, und er müſſe es auffreſſen. Herr Jarke
iſt Zunge des Wolfes. Dann rottet er die Revo¬
lution in Baden, Rheinbaiern, Heſſen, Sachſen aus;
dann die engliſche Reformbill; dann die polniſche,
die belgiſche, die franzöſiſche Juli-Revolution. Dann
vertheidigt er die göttlichen Rechte des Don Miguel.
So geht er immer weiter zurück. Vor vier Wochen
zerſtörte er Lafayette, nicht den Lafayette der Juli-
Revolution, ſondern den Lafayette vor fünfzig Jah¬
ren, der für die amerikaniſche und die erſte franzöſi¬
ſche Revolution gekämpft. Jarke auf den Stiefeln
Lafayette's herumkriechen! Es war mir, als ſähe
ich einen Hund an dem Fuße der größten Pyramide
ſcharren, mit dem Gedanken ſie umzuwerfen! Im¬
mer zurück! Vor vierzehn Tagen ſetzte er ſeine
Schaufel an die hundert und fünfzigjährige engliſche
Revolution, die von 1688. Bald kömmt die Reihe
an den älteren Brutus, der die Tarquinier verjagt,
und ſo wird Herr Jarke endlich zum lieben Gott
ſelbſt kommen, der die Unvorſichtigkeit begangen,
Adam und Eva zu erſchaffen, ehe er noch für einen
König geſorgt hatte, wodurch ſich die Menſchheit in
den Kopf geſetzt, ſie können auch ohne Fürſten be¬
ſtehen. Herr Jarke ſolle aber nicht vergeſſen, daß
ſobald er mit Gott fertig geworden, man ihn in
Wien nicht mehr braucht. Und dann Adieu Hof¬
raht, Adieu Beſoldung. Er wird wohl den Verſtand
[49] haben, dieſe eine Wurzel des Hambacher Feſtes ſte¬
hen zu laſſen.
Das iſt der nämliche Jarke, von dem ich in
einem früheren Briefe Ihnen etwas mitzutheilen ver¬
ſprochen, was er über mich geäußert. Nicht über
mich allein, es betraf auch wohl andere; aber an
mich gedachte er gewiß am meiſten dabei. Im letz¬
ten Sommer ſchrieb er im politiſchen Wochenblatte
einen Aufſatz: Deutſchland und die Revolution.
Darin kommt folgende Stelle vor. Ob die artige
Bosheit oder die großartige Dummheit mehr zu be¬
wundern ſey, iſt ſchwer zu entſcheiden.
„Uebrigens iſt es vollkommen richtig, daß jene
„Grundſätze, wie wir ſie oben geſchildert, niemals
„ſchaffend ins wirkliche Leben treten, daß Deutſch¬
„land niemals in eine [Republik] nach dem Zuſchnitte
„der heutigen Volksverführer umgewandelt, daß jene
„Freiheit und Gleichheit ſelbſt durch die Gewalt des
„Schreckens niemals durchgeſetzt werden könne; ja
„es iſt zweifelhaft, ob die frechſten Führer
„der ſchlechten Richtung nicht ſelbſt blos ein
„grauſenhaftes Spiel mit Deutſchlands
„höchſten Gütern ſpielen, ob ſie nicht ſelbſt
„am beſten wiſſen, daß dieſer Weg ohne
„Rettung zum Verderben führt und blos
„deshalb mit kluger Berechnung das Werk
„der Verführung treiben, um in einem
V. 4[50] „großen welthiſtoriſchen Akte Rache zu neh¬
„men für den Druck und die Schmach, den
„das Volk, dem ſie ihren Urſprung nach an¬
„gehören, Jahrhunderte lang von dem unſ¬
„rigen erduldet.“
O Herr Jarke, das iſt zu arg! Und als Sie
dieſes ſchrieben, waren Sie noch nicht öſterreichiſcher
Rath, ſondern nichts weiter als das preußiſche Ge¬
gentheil — wie werden Sie nicht erſt raſen, wenn
Sie in der wiener Staatskanzlei ſitzen? Daß Sie
uns die Ruchloſigkeit vorwerfen, wir wollen das deut¬
ſche Volk unglücklich machen, weil es uns ſelbſt un¬
glücklich gemacht — das verzeihen wir dem Crimi¬
naliſten und ſeiner ſchönen Imputations-Theorie.
Daß Sie uns die Klugheit zutrauen, unter dem
Scheine der Liebe unſere Feinde zu verderben — da¬
für müſſen wir uns bei dem Jeſuiten bedanken, der
uns dadurch zu loben glaubte. Aber daß Sie uns
für ſo dumm halten, wir würden eine Taube in der
Hand für eine Lerche auf dem Dache fliegen laſſen
— dafür müſſen Sie uns Rede ſtehen, Herr Jarke.
Wie! Wenn wir das deutſche Volk haßten, würden
wir mit aller unſerer Kraft dafür ſtreiten, es von
der ſchmachvollſten Erniedrigung in der es verſunken,
es von der bleiernen Tyrannei die auf ihm laſtet,
es von dem Uebermuthe ſeiner Ariſtokraten, dem
Hochmuthe ſeiner Fürſten, von dem Spotte aller
[51] Hofnarren, den Verläumdungen aller gedungenen
Schriftſteller befreien zu helfen, um es den kleinen,
bald vorübergehenden und ſo ehrenvollen Gefahren
der Freiheit Preis zu geben? Haßten wir die Deut¬
ſchen, dann ſchrieben wir wie Sie, Herr Jarke.
Aber bezahlen ließen wir uns nicht dafür; denn auch
noch die ſündevolle Rache hat etwas das entheiligt
werden kann.
Meiner Wohnung gegenüber iſt eine gute und
große Leihbibliothek, und weil ich es ſo bequem habe,
leſe ich viel und verſchlinge alles durcheinander wie
ein heißhungriger Gymnaſiaſt. Zu zwei Taſſen Thee
verzehrte ich geſtern den erſten Band eines neuen
Romans: Indiana, par G. Sand. Er iſt aber
nicht von dem dummen Sand der nur den Kotzebue
umgebracht; der Verfaſſer iſt weder ein Deutſcher
noch ein Franzoſe, ſondern eine Franzöſin, die die¬
ſen Namen angenommen. Ich habe mich nach der
Verfaſſerin erkundigt und erfuhr, ſie ſei eine junge
ſchöne, geiſtreiche und liebenswürdige verheirathete
Dame, die aber von ihrem Manne ſich getrennt habe,
um ungeſtört mit ihrem Liebhaber Apollo zu leben.
Nun äußerte ich irgendwo, ich möchte die Verfaſſerin
des Romans kennen lernen. Darauf bemerkte mir
eine Dame: das würde für mich ſchwer zu erreichen
ſein. Denn um von jenem Frauenzimmer empfan¬
gen zu werden, müſſe man jung, ſchön und liebens¬
würdig ſein. „Mais comme vous n'êtes qu'aima¬
[53] ble“ ..... Es iſt doch ein jämmerlicher Cours,
mit dem Leben 66 Prozent unter Pari zu ſtehen!
Es wäre tauſendmal klüger gar Bankerott zu
machen, und ſich eine Kugel durch den Kopf zu
jagen.
In Frankfurt haben ſie ja den Wilhelm Tell
verboten! Sie verbieten auch noch die Baſeler Leb¬
kuchen wegen der Unruhen im Lande. Es iſt merk¬
würdig was die deutſchen Regierungen für ein Ta¬
lent beſitzen, in die ſchrecklichſten Geſchichten Lächer¬
liches zu bringen. Wenn ich höre was ſie thun und
ſprechen, weine ich mit dem rechten Auge und lache
mit dem linken. Der König von Baiern läßt ſich
von allen Städten, Dörfern und Flecken ſeines Rei¬
ches Deputationen ſchicken, die ihm, ſeinem Sohn,
den Baiern, am meiſten aber Griechenland ſelbſt
Glück wünſchen, daß ein baieriſches Kind den griechi¬
ſchen Thron beſteigt. Was mich am meiſten kränkt,
iſt, daß auch die Bürger von Feuchtwangen ſtolz auf
Griechenland ſind; daß ich aber als Kind eine Zeit
lang unter ihnen gelebt — darauf ſind ſie nicht ſtolz
die dummen Philiſter. O welche Zeiten! Jetzt muß
man die bürgerlichen Reden und die königlichen Ant¬
worten hören. Hellas, Dinkelsbühl und deutſche
Gauen! Denn um keinen Preis der Welt würde
König Otto Griechenland anders nennen als Hellas,
und die deutſchen Schmachfelder anders als deutſche
Gauen. Und wie König Otto den Bürgermeiſter
von Nürnberg ſagte: er möge nicht daran vergeſſen,
[55] daß einſt Nürnberg für die deutſchen Gauen war,
was Hellas für die Welt geweſen, und weil einſt
Hellas die Welt mit Künſten und Wiſſenſchaften ver¬
ſorgt, müſſe auch Nürnberg die deutſchen Gauen mit
Künſten und Wiſſenſchaften verſorgen und Hellas und
Nürnberg die wären wie zwei Brüder!
— Mit den Briefen eines Narren haben Sie
Recht was die Form betrifft. Sie iſt affectirt und
man merkt gleich, daß die Briefe nicht wirklich ge¬
ſchrieben. Uebrigens ſind ſie gut und ſchön und
man muß ſolche Geſinnungen aufmuntern. Die Xe¬
nien und das Göthe-Büchlein und die Didaskalia
ſchicken Sie mir doch, wenn ſich eine Gelegenheit
findet.
— Das neue Drama von Viktor Hugo, deſſen
fernere Aufführung unterſagt worden iſt, wurde aus
keinem politiſchen Grunde verboten, ſondern wegen
ſeiner Unmoralität. Alle Miniſter, welche die Cho¬
lera nicht gehabt haben, werden jetzt moraliſch. Das
iſt eine merkwürdige Influenz! In einem der Zei¬
tungsartikel, die aus dem berliner Kabinette einge¬
ſchickt worden, beklagte man ſich neulich über Talley¬
rand, daß er die Preußen bei der londoner Conferenz
betrogen habe und er wäre ſo zu ſagen, ein Spitz¬
bube. Talleyrand ein Spitzbube! Was die Un¬
ſchuld leiden muß! Und die ehrlichen Preußen jam¬
mern, daß ſie der Spitzbube überliſtet habe. Die
[56] verächtliche Schwäche der franzöſiſchen Regierung hat
es dahin kommen laſſen, daß die noch verächtlichere
Preußiſche wieder eine Rolle ſpielt. Schon iſt ſie
ganz von Sinnen aus Hochmuth, ſie ſteht wieder im
Mai 1806 und hat nur noch ein halbes Jahr bis
zu Oktober. Damals wurde an Preußen der Ver¬
rath Deutſchlands, diesmal wird der Verrath Polens
beſtraft.
Siebenter Brief.
O theure Freundin! was iſt der Menſch? ich
weiß es nicht. Wenn Sie es wiſſen, ſagen Sie es
mir. Vielleicht ein Hund der ſeinen Herrn verloren.
Das Leben iſt ein Abc Buch. Ein Bischen Gold¬
ſchaum auf dem Einbande iſt all unſer Glück, un¬
ſere Weisheit nichts als ba, be, bi, und ſo bald
wir buchſtabiren gelernt, müſſen wir ſterben und die
Unwiſſenheit fängt von Neuem an. Wer ahndet
meinen Schmerz? Wer ſieht den Wurm der an
meinem Herzen nagt? O! man kann eſſen und
lachen und Zahnſchmerzen haben und doch unglücklich
ſeyn! Wenn ich auf die Straße hinunterſehe, und
[58] ſehe die Tauſende von Menſchen vorüber gehen,
und keiner weicht meinem Fenſter aus, und keiner
fürchtet zerſchmettert zu werden — — — ſollte nicht
jeder Menſch, wie ein Dachdecker, ein Warnungs¬
zeichen vor ſeine Wohnung hängen? Iſt man denn
nur eine einzige Stunde ſeines Glückes ſicher? Iſt
einer ſicher, daß er ſich nicht in der nächſten Stunde
zum Fenſter hinausſtürzt, und dabei einen Vorüber¬
gehenden todt ſchlägt? Aber Morgen, Uebermorgen
entſcheidet ſich mein Schickſal und ich bin jetz ruhi¬
ger. Hören Sie meine jammervolle Geſchichte. —
— — — —
— Ich habe Sonntag im Theater Français
Hamlet geſehen — einen Hamlet. So etwas kann
mich recht traurig machen. Was iſt Schönheit, was
Hoheit, ja was jede Tugend? Sie ſind nicht mehr
als was ſie erſcheinen, nichts Anders als wofür ſie
jedes hält. Wenn aber dieſer Jeder ein Volk iſt,
ein ganzes Land, ein Jahrhundert? Dann iſt der
Schein alles und die Wirklichkeit nichts für Alle.
Können nicht große Menſchen, ja Völker und Jahr¬
hunderte gelebt haben, die wir gar nicht erkannt,
oder falſch, oder nicht genug? Vielleicht wird der
wahre Chriſt erſt einem kommenden Geſchlechte ge¬
bohren. Das iſt die Traurigkeit. Was iſt Shake¬
ſpare den Deutſchen und was den Franzoſen? Dü¬
cis hat dieſen Hamlet vor ſiebenzig Jahren zurecht
[59] gemacht. Aber Dücis iſt kein einzelner Menſch, er
iſt ein Volk, er iſt Frankreich und das Frankreich
des achtzehenten Jahrhunderts, wo die Philoſophie
der Kunſt und jede Wiſſenſchaft in der ſchönſten
Blüthe ſtand. Es reicht nicht aus zu ſagen, Dücis
habe den Shakespeare franzöſirt — nein. Er hat
brittiſche Formen, welche mit franzöſiſchen Sitten im
Widerſpruche ſtanden, geändert; ſonſt aber hat er
den Shakespeare ganz wiedergegeben, wie er ihn
gefunden. Aber ſeine Augen? Hat er denn nicht
mehr geleſen? Nein was ſind Augen? die Diener
des Geiſtes; ſie ſehen nicht mehr und nicht anders,
als was ihnen ihr Herr zu ſehen befiehlt.
Dücis Hamlet ſieht auch den Geiſt ſeines Va¬
ters; aber nur er allein, der Zuſchauer nicht. Daß
man mit rothen Backen und einem guten Magen
Geiſter ſehen könne, davon hat ein Franzoſe keine
Vorſtellung. Alſo iſt Hamlet verrückt und weil der
Wahnſinn eine körperliche Krankheit immer zur Ur¬
ſache oder Folge hat, iſt Hamlet auch krank. Das
iſt nun ſchauderhaft zu ſehen. Hamlet trägt einen
ſchwarzen Ueberrock, iſt leichenblaß, hat ein wahres
Cholerageſicht, ſchreit wie beſeſſen und fällt alle fünf
Minuten in Ohnmacht. Wie nur der Lehnſtuhl nicht
brach unter den vielen Ohnmachten, denn Hamlet fiel
immer mit ſeinem ganzen Gewichte hinein? Sein
Freund und Vertrauter ſucht ihm ſeine Einbildung
[60] auszureden. Er erklärt ihm ſehr vernünftig und
pſychologiſch, woher es komme, daß er glaube den
Geiſt ſeines Vaters zu ſehen. Kürzlich wäre ein
König von England geſtorben und, dem Gerüchte
nach, am Gifte das ihm ſeine Gemahlin gereicht.
Ihn, Hamlet, habe dieſe Erzählung ſehr erſchüttert,
er denke von Morgens bis Abends daran, und wo¬
mit ſich der Menſch bei Tage beſchäftige, das komme
ihm im Traume vor. Der Schauſpieler Ligier,
Talma's Nachfolger — im Amte, aber nicht im
Gehalte — hat den Hamlet auf franzöſiſche Art gut
genug geſpielt. Aber mir ward ganz übel dabei;
es war eine Lazareth- und Tollhausſcene die zwei
Stunden gedauert. Als ich nach dem Schauſpiel
im Foyer Voltaires Büſte betrachtete, da ward mir
Dücis Hamlet erſt recht klar. Ein Geſicht wie
Scheidewaſſer, der wahre Anti-Hamlet. Man ſollte
einen Tempel für unglücklich Liebende bauen, und
Voltaires Bild als den Gott hineinſtellen. Auch ein
Werther käme geheilt heraus. Darum liebe ich ihn
ſo ſehr, weil ich ihn haſſen müßte wenn ich ihn nicht
liebte, und er hat mir doch ſo wohl gethan. An
einigen der wenigen unglücklichen Tage meines Lebens
warf er einen Strahl ſeines Geiſtes in mein dunkles
Herz, ich fand den Weg wieder und war gerettet.
Unglück iſt Dunkelheit; Wem man die Geſtalt ſeiner
Schmerzen zeigt dem zeigt man deren Grenzen.
[61] Daher begreife ich auch wie es ſo Viele giebt, die
Voltaire tödtlich haſſen. Wie den Schmerz zerſtört
er auch die Freude; denn Glück iſt auch Dunkelheit.
— Die Börſe iſt heute ſelig wie eine Braut.
Die Renten ſind um einen Franken geſtiegen, weil
der König der Deputation der Kammer geſagt hat,
der Friede gedeihe herrlich und unſre Kinder wür¬
den bald von Antwerpen zurückkommen. Unſere Kin¬
der! wie man nur ſo etwas ſagen und anhören
kann ohne zu lachen, begreife ich nicht. Was die
Regierung Furcht hat vor ihrem eignen Muthe, was
ſie zittert ſie möchte Ruhm erwerben, das glaubt
keiner. Gott weiß auf welche Jüſte milieu-Art ſie
Antwerpen belagern mögen! wahrſcheinlich ſind die
Bomben mit welchen ſie ſchießen nur halb gefüllt.
Aber wie undankbar zeigt ſich die Regierung und die
Börſe gegen mich! ſie denken gar nicht daran, daß
wenn ſie den Frieden behalten, ſie es mir zu ver¬
danken haben — ganz im Ernſte, mir. Wir, wir,
Hambacher verhindern den Krieg. Die heilige
Allianz fürchtet uns, ſie zittert vor uns. Zwar ſind
viele Hambacher eingeſteckt, aber viele ſind noch frei.
So lange ich frei umhergehe, wird es Preußen ge¬
wiß nicht wagen, Frankreich den Krieg zu erklären.
Eigentlich ſollten die Renten ſteigen, ſo oft ich auf
der Börſe erſcheine. Aber die franzöſiſche Regierung
[62] verſteht nichts von der deutſchen Politik, ſie iſt noch
zu vernünftig dazu; es kann noch kommen. Nun
gute Nacht. Viktor Hugo's Drama le roi s'amuse
habe ich heute bekommen. Vor dem Schlafengehen
leſe ich noch eine Stunde darin.
Was ich dieſe ganze Zeit über, unter Freunden,
im Scherze vorher geſagt: die Polizei würde endlich
für den fünften Akt der Königsmord-Komödie Einen
herbeiſchaffen der freiwillig bekennt: er habe den
Piſtolenſchuß gethan, das iſt jetzt wirklich eingetrof¬
fen. Ein junger Mann aus Verſailles iſt geſtern
zum Polizei-Präfecten gekommen und hat erklärt, er
ſei der Mörder, und Alle die als verdächtig einge¬
kerkerten wären unſchuldig. In einem zweiten Ver¬
hör nahm er ſein Bekenntniß zurück und erklärte wei¬
nend, er ſei unglücklich, des Lebens überdrüßig und
habe dieſe ſchöne Gelegenheit, guillotinirt zu werden,
benutzen wollen. So wird die Geſchichte geſtern
Abend in den miniſteriellen Blättern erzählt. Nun
bin ich begierig, ob der König von Baiern, um eine
Macht des erſten Ranges zu werden, nicht auch eine
ſolche Mord-Komödie aufführen, und bei irgend einer
feierlichen Gelegenheit auf ſich ſchießen laſſen wird.
Es geht fürchterlich in dieſem Lande her! dem Kö¬
nige iſt Hellas in den Kopf geſtiegen, und er ſieht
alle Liberalen für antike Statuen, und die Gefäng¬
niſſe ſeines Landes für Muſeen an, in welchen er
ſie aufſtellt. Ja es iſt wirklich wahr: dieſem Geiſt-
und Körperſchwachen Könige iſt Hellas in den Kopf
[64] geſtiegen. Um den Preis dieſer Krone hat er die
Ehre, das Glück, die Freiheit ſeines Volkes und
ſeine eigne Unabhängigkeit verkauft. Um dieſem
ſchnöden Tagelohn (denn nach Tagen, nicht nach
Jahren wird man die Regierung Ottos zählen) iſt
er ein Helfers-Helfer der heiligen Allianz, ein Knu¬
tenmeiſter Rußlands, ein Polizei-Scherge Oeſterreichs
geworden.
Achter Brief.
In der heutigen Zeitung ſteht, in Heidelberg
wäre ein Aufruhr geweſen mit Blut und Fenſter¬
ſcheiben; aber die deutſchen Blätter dürften nicht da¬
von ſprechen. Was iſt Wahres an der Sache?
Alle hieſigen Blätter ſprechen von der Verſtei¬
gerung der Frankfurter Mittwochsgeſellſchaft, von
den fünfzehen Gulden, von den ledernen Hoſen und
dem Senate. Es iſt Schade, daß die Zeitungen,
wegen Antwerpen und den Kammerſitzungen ſo wenig
Platz haben, ſonſt wären die Hoſen länger geworden.
Es iſt ein herrlicher Spaß, aber der Ernſt in der
Sache iſt noch ſchöner. Nur iſt es betrübt, daß
V. 5[66] man über den Spaß den Ernſt vergeſſen wird. Ich
habe es immer geſagt: wenn zweihundert Bürger
zuſammenhalten in gerechten Dingen, ſind ſie unbe¬
ſiegbar. Aber zuſammenhalten auf die rechte Art.
Nicht wie ein langer Faden — er ſey noch ſo lang,
das macht ihn nicht ſtärker, ein Kind zerreißt ihn
— ſondern wie ein Knäul. Und nicht zuſammenge¬
halten in ſeltenen und großen Dingen — zu ſeltenen
und großen Dingen finden ſich ſeltene und große
Menſchen, die das allein vollbringen — ſondern in
kleinen Dingen, die alltäglich wiederkehren. Um zu
lernen wie man die Freiheit erwerbe und behaupte,
beobachte man, wie die Tyrannei ihre Macht erlangt
und erhält. Wodurch? Man glaubt gewöhnlich
durch die bewaffnete Macht, durch phyſiſche Gewalt;
es iſt aber Täuſchung. Wo noch ſo despotiſch, wird
durch eine ſittliche Gewalt regiert. Wodurch wird
eine bewaffnete Macht zuſammengebracht, zuſammen¬
gehalten? Durch [moraliſche] Einflüſſe, Furcht, Eigen¬
nutz, Ehre, Gemeingeiſt. Alle dieſe Hülfsmittel der
Tyrannei ſtehen der Freiheit auch zu Gebote. Und
wie ſelten wird die bewaffnete Macht gebraucht, und
wo es geſchieht, da iſt es ſchon ein Kampf auf Le¬
ben und Tod zwiſchen der Tyrannei und der Freiheit.
Eine Patrouille, womit man eine große Verſammlung
Bürger aus einander treibt, iſt keine phyſiſche, ſon¬
dern eine moraliſche Gewalt, denn ſie iſt nur ein
[67] Symbol der Macht. Die Polizei, in ihr iſt die
Macht der Tyrannei. Sie iſt die Krämerei des
Despotismus, die ihn ſtündlich aber den ganzen Tag
und alle Tage Lothweiſe ausgiebt und die Freiheit
Pfennigweiſe [einnimmt]. Dieſer Krämerei des Des¬
potismus muß man eine Krämerei der Freiheit ent¬
gegen ſetzen. Man kann in Frankfurt alle Tage
Hambacher Feſte feiern, ohne daß es die Polizei ver¬
hindern oder beſtrafen kann. Wie dort zwanzig Tau¬
ſende auf einem Berge ſich verſammeln, mögen ſich
hier fünfhundert freiſinnige Bürger täglich in den
verſchiedenen Gaſthöfen zerſtreuen. Statt wie dort
lange Reden, mögen hier kurze Sätze für die Frei¬
heit geſprochen werden. Sie ſollen nur unbekümmert
ſeyn, das Wort im Schwanen findet ſich mit dem
Worte im engliſchen Hofe zuſammen — es giebt
einen Gott der das redigirt. Man muß die Polizei
müde machen, man muß blinde Kuh mit ihr ſpielen;
es iſt nichts leichteres als das. Beſonders bei der
Frankfurter; der fehlt zur blinden Kuh nichts als
ein Schnupftuch. Freilich pflügt ſie jetzt mit dem
Kalbe des Herrn von Münch-Bellingshauſen, und
kann manches Räthſel errathen, ſo verſtockt ſie ſonſt
auch iſt. Aber wenn auch!
Nicht zu vergeſſen Le roi s'amuse ...
Les rois s'amusent — aber Geduld! ... Sehen
Sie, es giebt Schriftſteller, die man liebt, deren
6*[68] Werke nämlich; liebt mit freier Liebe, nicht blos
weil ſie Achtung verdienen. Mir iſt Victor Hugo
ein ſolcher. Seine Vorzüge ſehe ich mit großen
Augen, ſeine Fehler wie zwiſchen Schlafen und Wa¬
chen an. Ich entſchuldige ſie und wenn ich das
Buch zu Ende geleſen, habe ich ſie vergeſſen. Aber
dieſes Mal kann ich nicht. Ich habe das vor
fünfzehen Jahren kommen ſehen, ich habe ſeitdem oft
davon geſprochen. Es herrſcht jetzt ein Terrorismus,
ein Sanscülotismus, ein Jacobinismus (drei Worte
wie Kampher, die Cenſurmotten abzuhalten) in der
franzöſiſchen Litteratur. Es iſt der Uebergang vom
Despotismus zur conſtitutionellen Freiheit. Sie haben
noch nicht gelernt Freiheit mit Ordnung paaren.
Jede Regel iſt ihnen Tyrannei, jeder Anſtand Ari¬
ſtokratismus, Tugend, Schönheit und Würde — in
der Kunſt — ſind ihnen Vorrechte. Sie nivelliren
alles, ſie dutzen alles. Sie ſagen: Bürger Gott,
Bürger Teufel, Bürger Pfarrer, Bürger Henker.
Sie dulden keine Kleidung an nichts, und hätte ſie
die Natur ſelbſt angemeſſen. So führt Despotie
auch in der Kunſt zur Anarchie. Die alte franzöſi¬
ſche Kunſt ging im Reifrocke; das war lächerlich, ab¬
geſchmackt, ungeſund, naturwidrig. Aber zwiſchen
Reifrock und Haut liegt noch manches Kleidungs¬
ſtück, man ſoll die Kunſt nicht bis auf das Hemd
ausziehen. Sie wollen es nackt — gut es ſei; man
[69] kan ſich daran gewöhnen. Aber geſchunden! Die
neuen franzöſiſchen Dramatiker ſchinden alles: Die
Liebe, den Haß, das Verbrechen, das Unglück,
Schmerz und Luſt. Das iſt abſcheulich! Die Na¬
tur ſelbſt gibt jedem Dinge eine Haut, jedem Dinge
wenigſtens eine Farbe zur Hülle. Das farbenloſe
Licht, das iſt der Tod, die Fäulniß, das iſt gräßlich.
Ich habe aufhören müſſen. Seit einigen Tagen
werde ich von grauſamen Zahnſchmerzen geplagt.
Am Tage ſind ſie leidlicher; da bin ich aber müde
von der ſchlafloſen Nacht. Es iſt ein Fluß und ich
werde ſehen wie ich hinüber komme. Der unſchul¬
dige Hugo kann wohl darunter leiden; ein Rezenſent
iſt ein Wolf, einer der Zahnſchmerzen hat, gar ein
toller Wolf. Ich habe oben die äußerſte Grenze des
Verderbens bezeichnet, der man freilich noch viel nä¬
her kommen kann als Victor Hugo. Er hat eine
Grazie die ihn am Aermel zupft, ſo oft er es gar
zu toll macht.
Die Handlung ſpielt in der Zeit und am Hofe
Franz des Erſten. Das iſt der franzöſiſche König
der in ſeinem vier und fünfzigſten Jahre an einer
unglücklichen Liebe ſtarb. Damals war eine un¬
glückliche Liebe noch nicht heilbar. König Franz liebt
ſein ganzes Leben und das ganze Drama durch.
Das Koſen, das Küſſen, das Umarmen nimmt kein
Ende. Und alles in Gegenwart der Hofleute und
der Tauſende von Zuſehern unter welchen Leute ſind
wie ich. Es iſt abſcheulich. Racines Fürſten und
Helden ſchmachten und weinen wenn ſie lieben; ihre
Krone ſchmilzt ihnen auf dem Kopfe und tröpfelt in
[71] goldenen Thränen herab. Das iſt Unnatur; denn
ein König iſt früher König als Menſch. Victor
Hugo's Franz der Erſte überläßt das Weinen ſeinen
Geliebten, er ſchmachtet nicht, ſondern er lacht, er
liebt wie ein König — le roi s'amuse. Das iſt
Natur, aber es iſt die häßliche Natur und was hä߬
lich, iſt unſittlich. Bis jetzt die komiſche Unmorali¬
tät; jetzt kömmt die tragiſche, die tragiſche Häßlich¬
keit .... Jetzt kömmt aber auch der Zahnarzt
nach dem ich geſchickt habe. Fortſetzung im nächſten
Briefe.
Neunter Brief.
Le roi s'amuse; Fortſetzung. Vielleicht
mache ich den Beſchluß erſt in einem dritten Briefe.
Sie hätten es dann immer noch beſſer, als die Le¬
ſer des Abendblattes und Morgenblattes, die mit
himmliſch deutſcher Geduld vier Monate lang an
einer Novelle buchſtabiren und längere Zeit brauchen
die Geſchichte zu leſen, als die Geſchichte ſelbſt
brauchte um zu geſchehen. Ich bin heute noch etwas
ſatyriſch, ich habe noch Zahnſchmerzen. Triboulet
iſt der Hofnarr des Königs. Er iſt klug und bos¬
haft wie alle Hofnarren, und hat einen Buckel.
Viktor Hugo ſagt (in der Vorrede) er ſei auch
[73] kränklich; woher er das weiß, weiß ich nicht. Er
ſagt ferner: Triboulet haſſe den König, weil er Kö¬
nig ſei; die Hofleute, weil ſie Vornehme wären;
alle Menſchen weil ſie keine Buckel hätten. Ich
habe aber von dem Allem nichts gemerkt und ich
halte es für Verläumdung. Es iſt überhaupt merk¬
würdig, wie wenig der Dichter ſein eignes Werk ver¬
ſtand, oder vielmehr wie er es zu verkennen ſich an¬
ſtellt, um ſich gegen die Beſchuldigung der Unſittlich¬
keit zu vertheidigen. So oft Triboulet aufſpürt,
daß einer der Hofleute eine ſchöne Frau, Tochter
oder Schweſter hat, verräth er es dem Könige. Der
Kuppelei bedurfte es übrigens nicht viel; denn König
Franz, wie die Könige aller Zeiten und die Vorneh¬
men der damaligen, machte wenig Umſtände. Franz
geht verkleidet auf nächtliche Abentheuer aus, beſucht
die Weinſchenken und garſtigen Häuſer und taumelt
ſingend und betrunken in ſein Louvre zurück. Aber
der Dichter ließ dem Könige von ſeiner ganzen fürſt¬
lichen Natur nichts als die Schonungsloſigkeit, und
man begreift nicht, warum er ſeinen liederlichen jun¬
gen Menſchen gerade unter den Königen wählte. Wie
ganz anders hat Shakespeare es verſtanden, als er
einen liebenswürdigen Kronprinzen, den kurzen Car¬
neval vor der langen und traurigen königlichen Fa¬
ſtenzeit luſtig und toll durchleben ließ. Bei Heinrich
[74] iſt die Gemeinheit eine Maske, bei Franz iſt die
Krone eine.
Die Hofleute haſſen dieſen Triboulet, weil er
ſie Alle ungeſtraft necken und ihnen boshafte Streiche
ſpielen darf. Da machen ſie die Entdeckung, daß
ſich der Narr oft des Nachts verkleidet in ein ab¬
gelegenes Haus ſchleiche. Es kann nichts anders
ſein, meinen ſie, Triboulet hat eine Geliebte, und ſie
nehmen ſich vor, daß luſtige Geheimniß aufzudecken.
Beim Lever des Königs war von nichts Anderm die
Rede: Triboulet hat ein Schätzchen. Der König und
der ganze Hof wollen ſich todt darüber lachen.
Eines Abends im Dunkeln, macht Triboulet
ſeinen gewohnten geheimnißvollen Gang und ſchleicht
ſich mit ängſtlicher Vorſicht in ein Haus, zu dem er
den Schlüſſel hat. Wir wollen uns mit hineinſchlei¬
chen; es muß ſchön ſein zu ſehen, wie der bucklichte
und tückiſche alte Narr liebt. Schön war es auch,
nur ganz Anders als die ſchurkiſchen Hofleute es ſich
vorgeſtellt. (Die Erde liege ſchwer auf ihnen, weil
ſie meinen Triboulet, den ich liebe ſo unglücklich ge¬
macht.) Nachdem Triboulet die Thüre hinter ſich
verſchloſſen, ſetzt er ſich im Hofe, der das Haus um¬
giebt, auf eine Bank nieder und weint. Doch weint
er nicht vor Schmerz, er weint vor Luſt; das Wei¬
[75] nen iſt ſein Feierabend und er weint alle Thränen,
die er zurückhalten muß ſo lange die Sonne ſcheint.
Er klagt im Selbſtgeſpräche: jeder Menſch, der Sol¬
dat, der Bettler, der Galeerenſclave, der Schuldige
auf der Folter des Gewiſſens, der Verbrecher im
Kerker, dieſe Unglücklichen Alle hätten das Recht,
nicht zu lachen wenn ſie nicht wollten, das Recht zu
weinen ſo oft ſie wollten, nur er hätte dieſe Rechte
nicht. Er tritt in das Haus, ein junges holdes
Mädchen kömmt ihm entgegen und wirft ſich in ſeine
Arme. Unter Weinen und Lachen drückt er ſie an
ſeine Bruſt. Es iſt ſeine Tochter. Jeder weiß wie
ein Vater ſein Kind liebt; wenn es aber in der gan¬
zen großen Welt das einzige Geſchöpf iſt das ihn,
das er liebt; wenn er ſonſt überall nur Haß, Spott
und Verachtung findet und austheilt — wie dann
ein Vater ſeine Tochter liebe, das kann nur ein
Dichter errathen. Dieſe Scene, gleich noch einigen
andern des Dramas iſt herrlich, und man muß ſie
vergeſſen, um den Muth zu behalten, das Ganze zu
verdammen. Triboulet ließ ſeine Tochter in ſtiller
Verborgenheit aufblühen, um ſie vor der böſen Luft
in Paris zu ſchützen. Sie kennt die Welt nicht,
kennt die Stellung nicht die ihr Vater darin hat,
weiß nicht einmal ſeinen Namen. Sie ahndet nur
er müſſe unglücklich ſein. Sie ſpricht:
[76]Que vous devez [souffrir]! vous voir pleurer ainsi.
Non, je ne le veux pas, non cela me déchire.
worauf der Vater antwortet:
Et que dirois-tu, si tu me voyois rire?
Darauf verläßt er das Haus, nachdem er ſeine Toch¬
ter gewarnt ſich nie in das Freie zu wagen. Auf
der Straße hört er Geflüſter mehrerer Menſchen, er
horcht, er kennt die Stimmen bekannter Hofleute, er¬
ſchrickt, tritt endlich zu einem von ihnen und fragt,
was ſie vorhätten? Dieſer nimmt Triboulet bei
Seite und vertraut ihm lachend an, ſie wären gekom¬
men die Frau eines Hofmannes die der König liebt,
und deren Haus auf dem Platze ſtand, zu entführen
und in's Schloß zu bringen. Triboulet fällt gleich
in ſeine alte Bosheit zurück und erbietet ſich ſchaden¬
froh bei der Entführung behülflich zu ſein. Alle
waren vermummt, man legt Triboulet auch eine Maske
auf und iſt dabei ſo geſchickt ihm zugleich mit einem
Tuche Auge und Ohren zu verbinden, Es iſt dun¬
kele Nacht und Triboulet merkt nicht, daß er nichts
ſieht. Man giebt ihm die Leiter zu halten, auf der
man in das Haus ſteigen wollte. Die Leiter wird
an die Mauer gelegt, hinter welcher Triboulets Toch¬
ter wohnt, und dieſe geraubt. Triboulet wird end¬
lich ungeduldig, reißt ſich Maske und Binde vom
[77] Geſicht weg, findet die Leiter an ſeinem eignen Hauſe
gelehnt und zu ſeinen Füßen liegt der Schleier ſeiner
Tochter. Die Räuber waren ſchon weg; ſie brach¬
ten die arme Taube in ihres Königs Küche, aus
der ſie der unglückliche Vater gerupft wieder be¬
kam. —
Triboulet iſt ſeiner Sache noch nicht ganz ge¬
wiß, er vermuthet nur erſt, wohin man ſeine Toch¬
ter geführt. Am andern Morgen erſcheint er im
Louvre, zeigt ſich wie immer, aber er lauert. Das
Flüſtern und Lachen der Höflinge wird ihm immer
deutlicher, und bald weiß er, daß ſeine Tochter beim
Könige iſt. Er weint und fleht und droht, man
ſolle ihm ſein Kind zurückgeben. Es muß in den
Thränen, den Bitten und dem Zorne eines Vaters
etwas ſein, was ſelbſt den Spott und Uebermuth der
Höflinge entwaffnet. Alle ſchweigen und ſind beſtürzt.
Triboulets Muth ſteigt, und er kehrt mit ſeinen
Blicken die ganze Rotte zum Saale hinaus. So
drückt ſich der Dichter aus. Bald ſtürzt Triboulets
Tochter aus des Königs Zimmer und ſinkt unter
Todesbläſſe erröthend, in die Arme ihres Vaters.
Sie will ihm Alles erzählen, er erläßt ihr den
Schmerz, er weiß ſchon Alles. Er führt ſeine Toch¬
ter fort, kehrt zum Hofe zurück und macht den luſti¬
[78] gen Rath wie vor. Er ſinnt im Stillen auf
Rache.
Triboulet hatte früher ſchon einen Banditen
kennen gelernt, der um einen beſtimmten Preis jeden
Luſttragenden von ſeinen Feinden befreit. An dieſen
wendet er ſich. Der Bandit hat zwei Manieren zu
morden: entweder im Freien der Straße oder in
ſeinem Hauſe, wie man es wünſcht. Für das Haus
hat er eine junge ſchöne Schweſter, eine liebliche Zi¬
geunerin, welche die Schlachtopfer anlockt und ſie
unter Lächeln und Koſen dem Meſſer ihres Bruders
ausliefert. Triboulet erfährt, daß der König verklei¬
det und ungekannt die ſchöne Zigeunerin beſuche. Er
kauft ſeinen Tod, bezahlt die eine Hälfte des Prei¬
ſes voraus, und wird auf Mitternacht beſtellt, wo
ihm die Leiche des Königs in einem Sacke geſteckt
ausgeliefert werden ſolle, daß er ſie dann ſelbſt in
die nahe Seine werfe. Gegen Abend führt Tribou¬
let ſeine Tochter (ſie heißt Blanche) auf den Platz
wo das Haus des Banditen ſteht. Er ſagt ihr,
doch nicht ganz deutlich, die Stunde der Rache an
ihrem Verführer nahe heran. Blanche liebt den Kö¬
nig, der ſchon früher als unbekannter Jüngling in
der Kirche ihr Herz gewonnen. Sie bittet ihren
Vater um Schonung, ſchildert die Liebe des Königs
[79] zu ihr, wie heiß ſie ſey, und wie oft er das in ſchö¬
nen blühenden Worten zu erkennen gegeben. Tri¬
boulet, ſeine Tochter zu enttäuſchen, führt ſie an
das Haus des Banditen, durch deſſen zerriſſene
Mauern und unverwahrte Fenſter man von Auſſen
Alles hören und ſehen kann, was ſich innen begiebt.
Da ſieht die unglückliche Blanche den König Franz
mit der leichtfertigen Zigeunerin koſen, hört, wie er
dem Mädchen die nehmlichen ſüßen und ſchönen
Worte ſchenkt, die er ihr ſelbſt gegeben. Das be¬
trübt ſie, ſie jammert und willigt ſchweigend in die
Rache ihres Vaters. Triboulet heißt ſie nach Hauſe
eilen, ſich in Männerkleider werfen, ſich zu Pferde
ſetzen, und in das Land flüchten, wo er ſie an einem
beſtimmten Orte einholen wolle. Vater und Tochter
gehen fort.
König Franz ſitzt im Hauſe und ſcherzt und
tändelt mit der Zigeunerin. Müde und trunken ver¬
langt er ein Bett ſich auszuruhen. Man führt ihn
in eine Dachkammer wo er einſchläft. Unten trifft
der Bandit die Vorbereitungen zum Morde. Die
Zigeunerin, gewöhnlich kalte Mitſchuldige ihres Bru¬
ders, bittet dieſesmal um Schonung, denn der junge
Offizier, von ſo ſeltenem edlem Anſtande, hatte Ein¬
druck auf ſie gemacht. Der Bandit weißt ſie kalt
[80] zurück, ſagt, er ſei ein ehrlicher Mann, habe ſeinen
Lohn erhalten und müſſe den verſprochenen Dienſt lei¬
ſten. Doch ließ er ſich ſo weit bewegen, daß er
verſprach, den Offizier zu ſchonen, wenn unterdeſſen
ein Anderer käme, den er ſtatt jenes ermorden und
im Sacke geſteckt ausliefern könnte. Der Brodherr
werde es ja nicht merken, da es Nacht ſei und der
Sack in den Fluß geworfen werde. Wo ſei aber
Hoffnung, daß noch um Mitternacht ſich jemand hie¬
her verirre?
Unterdeſſen hatte Triboulets Tochter über die
dunkeln drohenden Worte ihres Vaters nachgedacht.
Da wird ihr erſt klar, der König ſolle in dieſer Nacht
[e]rmordet werden. Schon zur Flucht gerüſtet und
als Offizier gekleidet, jagt ſie die Angſt vor das
Haus des Banditen zurück. Sie will beobachten, was
ſich da begebe. Sie horcht, vernimmt das Geſpräch
zwiſchen dem Banditen und der Zigeunerin, und ent¬
ſchließt ſich für den König zu ſterben. Sie klopft
an die Thüre, ſie wird geöffnet, und ſobald ſie ein¬
tritt fällt ſie unter dem Meſſer des Banditen.
König Franz taumelt ſingend zu ſeinem Louvre
hin.
Unterdeſſen kömmt Triboulet, zahlt dem Ban¬
diten die andere Hälfte des bedungenen Lohnes aus
[81] empfängt den Sack mit der Leiche. Der Monolog
der jetzt folgt iſt herrlich. Es iſt grauſe dunkle Nacht,
ein Gewitter tobt am Himmel. Der Sturm heult
durch die Luft. Der Sack liegt auf der Erde, Tri¬
boulet, Racheglut und Freude im Herzen, ſetzt ſei¬
nen Fuß auf den Sack, verſchränkt ſtolz die Arme
und triumphirt in die Nacht hinaus: wie er endlich,
er der ſchwache, verachtete, verſpottete Triboulet,
ſeinen Feind unter ſich gebracht. Und welch' einen
Feind! einen König. Und welch' einen König! einen
König der Könige, den Herrlichſten unter Allen. Und
wie jetzt die Welt aus allen ihren Fugen geriſſen
werde, und morgen werde die zitternde Erde fragen:
wer denn das gethan? und da werde er rufen, das
habe Triboulet gethan; ein kleiner ſchlechter Zapfen
im Gebäude der Welt habe ſich losgemacht von der
Harmonie, und der Bau ſtürze krachend zuſammen.
So zecht Triboulet fort und immer trunkener
durch ſeinen Sieg, will er noch das Geſicht ſeines
verhaßten Feindes ſehen, ehe er ihn in den Wellen
begräbt. Aber es iſt finſtere Nacht; er wartet auf
einen Blitz, der ihm leuchten ſoll. Er öffnet den
Sack, der Blitz kömmt, der ihn zerſchmettern ſoll,
er erkennt ſeine Tochter. Im Anfange hofft er, es
ſei ein Gaukelſpiel der Hölle, aber ein zweiter Blitz
V. 6[82] raubt ihm dieſe Hoffnung. Er zieht ſeine Tochter
zur Hälfte aus dem Sacke, mit den Füßen bleibt
ſie darin. Sie iſt entkleidet, nur ein blutiges Hemd
bedeckt ſie. Sie röchelt noch, ſpricht noch einige
Worte und verſcheidet. Der Vater ſinkt zu Bo¬
den, der Vorhang fällt. Beſchluß morgen.
Zehnter Brief.
Le roi s'amuse; Beſchluß. Dieſes Schick¬
ſal im Sacke; dieſe ſchauderhaften Fußtritte des Va¬
ters auf das Herz ſeiner geliebten Tochter; dieſe
Tochter im blutigen Hemde todt, nein ſchlimmer als
todt, im Röcheln des Todes; und dieſes Alles, bald
vom falben Scheine der Blitze beleuchtet, bald von
finſterer Nacht umhüllt, daß ſich zum Schrecken der
Wirklichkeit auch noch die Angſt des Traumes geſelle
— hat das nicht in ſeiner gräßlichen Verzerrung auch
einen Zug von Lächerlichkeit? Wenigſtens als ich
dieſe Scene las, ſo ſehr ſie mich auch erſchütterte,
fiel mir ein: der Narr Triboulet, wie hat er ſich
6 *[84] prellen laſſen; man ſoll doch nie eine Katz im Sacke
kaufen! Ich weiß nicht woran es liegt. Shakes¬
peare hat ähnliche, er hat noch viel ſchrecklichere
Schrecken; aber bei ihm iſt der Schmerz geſund, das
Ungeheure hat ſeine Art Wohlgeſtalt; denn ſelbſt die
Krankheit hat eine Geſundheit die ihr eigen iſt, ſelbſt
das Verbrechen hat ſeine moraliſche Regel. Bei
[Viktor] Hugo aber iſt das Mißgeſtaltete misgeſtaltet.
Ich weiß nicht; es iſt darüber nachzudenken. Das
iſt die tragiſche Häßlichkeit von der ich ſprach, die
tragiſche Unſittlichkeit. Die Komiſche war in den
Libeleien des Königs, die im Sonnenlichte und beim
noch hellern Scheine der Kerzen auf das Unverſchäm¬
teſte dargeſtellt werden. Viktor Hugo hätte aus dem
Allem einen Roman machen ſollen. Erzählen kann
man Alles, auch das Häßlichſte; die Vergangenheit,
die Entfernung mildert das Misfällige und ein Buch
kann man ja zu jederzeit wegwerfen. Erzählen kann
man das Unglaublichſte; wer es nicht glauben will,
braucht es ja nicht zu glauben, er denkt: es iſt ein
Dichter, und er hat gelogen. Aber dieſes in ein
Drama bringen, dieſes Alles unter unſern Augen ge¬
ſchehen laſſen, daß wir Ohr und Blick davon abwen¬
den, daß wir nicht daran zweifeln können — nein,
das dürfen wir nicht dulden.
Aber die Miniſter! was geht die Miniſter
Louis Philipps die Aeſthetik, die Dramarturgie, die
[85] Moral an? Warum haben ſie die Ausführung des
Stückes verboten? Bin ich nicht da? Hören wir
jetzt was Viktor Hugo darüber ſagt. Am Morgen
nach der erſten Aufführung erhielt der Dichter ein
Billet vom Theater-Direktor; er habe ſo eben vom
Miniſter den Befehl erhalten, das Stück nicht ferner
geben zu laſſen. „L'auteur, ne pouvant croire à
„tant d'insolence et de folie, courrût au théa¬
„tre“ ... Insolence — folie — von einem Mi¬
niſter! das wäre nach dem baieriſchen Strafrechte ein
Verbrechen, das von einem Majeſtätsverbrechen nur
durch eine Brandmauer geſchieden iſt, der Hausnach¬
bar eines Königsmordes. Viktor Hugo eilt in das
Theater; es iſt wirklich ſo; er lieſt den Befehl des
Miniſters. Das Drama wäre unmoraliſch befunden
worden. „Cette pièce a revolté la pudeur des
„gensd'armes, la brigade Leotaut y étoit et l'a
„trouvé obscêne; le bureau des moeurs s'est
„voilé la face; monsieur Vidocq a rougi.“
Aber war es von Seiten des Miniſters mit der
Einwendung der Unmoralität ernſt gemeint? Hugo
ſagt: das ſei nur ein Vorwand geweſen, der eigent¬
liche Grund aber des Verbotes ſei ein Vers im
dritten Akte „où la sagacité maladroite de quel¬
„sion familiers du palais a découvert une allu¬
„sion à laquelle ni le public ni l'auteur n'avait
„songé jusque là, mais qui une fois denoncée
[86] „de cette façon, devient la pluscruelle et la
„plus sanglante des injures.“ Er wolle für jetzt
den Vers nicht bezeichnen, treibe ihn aber die Noth
der Vertheidigung dazu, werde er ſich deutlicher er¬
klären.
Ich ſuchte mit dem größten Eifer, den im drit¬
ten Akte enthaltenen für den König beleidigenden Vers
auf und glaubte ihn im Folgenden gefunden zu haben.
Un roi qui fait pleurer une femme! O mon [dieu]
Lacheté!
Ich dachte, das könnte auf die Gefangenſchaft
der Herzogin von Berry bezogen werden, und das
denkend kam mir die Aengſtlichkeit der Miniſter um
ſo toller vor. Wer bekümmert ſich um die Berry?
Wer denkt an ſie? Und die wenigen Legitimiſten die
im Theater français ſitzen, würden in Gegenwart
des demokratiſchen Parterres [und] der Philippiſten-
Logen, nie wagen eine ſolche Anſpielung laut werden
zu laſſen. Aber ich bin fehl gegangen. Ich hörte
ſpäter erzählen, es ſei eine andere Stelle im dritten
Akte, die den Miniſter ſtutzig gemacht. In der
Scene nemlich wo Triboulet im Vorzimmer des Kö¬
nigs um ſeine geraubte Tochter jammert, und die
Hofleute ihn verlachen, wendet er ſich an dieſe der
Reihe nach und ſagt ihnen mit Grimm und Hohn:
was wollt ihr? Du da haſt eine Frau, du eine
[87] Tochter, du eine Schweſter, du Page dort eine Mut¬
ter — Frau, Tochter, Schweſter, Mutter, der Kö¬
nig hat ſie Alle. Und die Großen, welchen er das
vorwirft, ſind die vornehmſten hiſtoriſchen Familien
des Landes, Triboulet nennt ſie Alle bei Namen,
und unter dieſen Baſtard-Ahnen wird auch die
Familie genannt, von welcher die Bourbons herſtam¬
men. Ich habe das Buch ſchon weggegeben und ich
kann die betreffende Stelle nicht ſelbſt beurtheilen.
Der Dichter in ſeinem Zorne gegen die Mini¬
ſter triumphirt, daß ſo viele Kunſtfeinde er auch habe,
dieſe doch, nachdem er eine ſo ſchnöde Behandlung er¬
fahren, Alle gleich auf ſeine Seite getreten wären.
„En France, quiconque est persécuté n'a plus
„d'ennemis que le persécuteur.“ Alles wie bei
uns! Viktor Hugo hat das Theater français beim
Handels-Gerichte verklagt, es zur ferneren Aufführung
des Dramas zu zwingen, oder zu einer Entſchädi¬
gung von vierhundert Franken für jeden Theater-
Abend zu verurtheilen. Odillon Barrot wird für den
Kläger das Wort führen. Was wird er gewinnen?
nichts; auch weiß er das und es iſt ihm nur um den
Scandal zu thun; Aber was gewinnen die Mini¬
ſter dabei? Der Dichter ſagt es offen heraus: er
habe ſich bis jetzt nur mit den ſtillen friedlichen Mu¬
ſen beſchäftigt; er habe ſich von der Politik immer
entfernt gehalten; von nun aber, weil gereitzt, werde
[88] er gegen die Regierung feindlich auftreten. Iſt nun
Viktor Hugo ein ehrlicher Mann, wie er wirklich
einer iſt, werden durch ihn die Feinde der Regierung
um einen der Gefährlichſten, der Talentvollſten ver¬
mehrt. Wäre er kein ehrlicher Mann, dann würde
ſeine Feindſchaft der Nation hundert tauſend Franken
koſten, welche die Miniſter aus ihrem Beutel zögen,
einen neuen Feind auf die alte Art zu verſöhnen.
Was gewinnen alſo die Miniſter? Ich glaube aber
ſie ſind nicht ſo dumm wie ſie ausſehen. Sie ge¬
winnen was der Dichter auch gewinnt: den Scan¬
dal des Prozeſſes. Das beſchäftigt Paris drei Tage,
und für die folgende Tage wird der liebe Gott auch
ſorgen. Sie ſind immer noch klüger als [unſere] deut¬
ſchen Miniſter; ſie laſſen zuweilen Rauch aus dem
Schornſteine, daß der Keſſel nicht platze.
Sehen Sie aber was ein deutſcher Gelehrter
iſt. Vorgeſtern morgen beim Frühſtücke, hatte ich
den Kopf dicht voll, von Politik und Zahnſchmerzen,
von den ariſtoteliſchen Einheiten, der Abweſenheit der
Madame Malibran und der Anweſenheit der ****,
von dem König Otto, von baieriſcher Treue, Ant¬
werpen, dem alten Thurme am Metzgerthore und der
Unmoralität des Herrn d'Argout. Da kam ich in
der Vorrede Viktor Hugos an die Stelle: „Il fut
„même enjoint au théâtre de rayer de son af¬
„fiche les quatre mots rédoutables:le roi
[89]s'amuse.“ Gleich alle Gedanken hinaus, den Kopf
auf beide Arme geſtützt und eine halbe Stunde dar¬
über nachgedacht. Ces quatremotsle roi s'a¬
muse. Wie? le roi s'amuse ſind das vier
Worte, ſind es nicht blos drei? kann man s mit
einem Apoſtroph ein Wort nennen? iſt s'a .. - ein
Wort? Freilich kann man auch nicht behaupten, le
roi s'amuse wären nur drei Worte. Aber wo
iſt die Warheit? wo iſt das Recht? .. Darüber
ward mir mein Thee kalt und Conrad nahm mir
unbemerkt die Zeitung von dem Tiſche, ehe ich ſie
ausgeleſen. So iſt der deutſche Gelehrte? dem Vik¬
tor Hugo auf das Wort zu glauben, der die Sache
mit den vier Worten doch beſſer verſtehen muß als
ich, das kam mir nicht in den Sinn; auch hätte mein
proteſtantiſch deutſches Gewiſſen dieſes nie zugegeben.
Aber zum Schluße: der Handelsminiſter hatte
Recht, das Stück iſt unmoraliſch. Wie kam es mit
Viktor Hugo dahin? Ich habe es ſchon geſagt; es
iſt der Jakobinismus der romantiſchen Literatur.
Viktor Hugo iſt einer den Edelſten unter den Skla¬
ven, die ihrem Herrn Boileau entlaufen; aber er
iſt doch ein Sklave. Im Uebermuthe ſeiner jungen
Freiheit, weiß er dieſe nicht weiſe und männlich zu
gebrauchen, und ſündigt links, weil ſein alter Tyrann
rechts geſündigt hat.
[90]
Das Gericht iſt aus, ich habe Recht ge¬
ſprochen; jetzt Perrücke herunter. Ich habe das
Drama vom Anfange bis zum Ende mit dem
größten Vergnügen geleſen, und Alles hat mir ge¬
fallen.
Heute gehe ich zum erſtenmale wieder aus, nach¬
dem ich, wegen meiner Zahnſchmerzen, drei Tage
das Zimmer nicht verlaſſen. Ich habe dabei gewon¬
nen, daß ich drei Tage lang den ſtinkenden Nebel
auf der Straße nicht zu trinken, und ſo lange die
ſtinkenden deutſchen Zeitungen nicht zu leſen brauchte.
Der Geſchmack der Letzten, die ich vor einigen Ta¬
gen las, liegt mir heute noch auf der Zunge. Nein
es iſt nicht zu ertragen. Die Deutſchen müſſen Ner¬
ven haben wie von Eiſendrath, eine Haut von Sohl¬
leder und ein gepöckeltes Herz. Dieſe Unverſchämt¬
heit der Fürſtenknechte, dieſes freche Ausſtreichen eines
ganzen Jahrhunderts, dieſer weintolle Uebermuth,
dieſes Einwerfen aller Fenſterſcheiben, weil das Licht
dadurch fällt, als wenn ſie mit dem Glaſe auch die
Sonne zerſtörten — es überſteigt meine Erwartung.
Aber das ſteigert auch meine Hoffnung. Man muß
mit den dummen Ariſtokraten Mitleiden haben, man
muß ihnen nicht eher ſagen, daß das Caſſations-Ge¬
richt dort oben ihre Appellation verworfen hat, bis
an dem Tage wo ſie hingerichtet werden. Das deut¬
[92] ſche Volk wird einſt gerächt werden, ſeine Freiheit
wird gewonnen werden; aber ſeine Ehre nie. Denn
nicht von ihnen ſelbſt, von andern Völkern wird die
Hülfe kommen. Ich ſehe es ſchon im Geiſte: wenn
einſt die finſtern Gewitterwolken ſich werden über den
deutſchen Palläſten zuſammenziehen, wenn der Don¬
ner zu grollen anfängt, wird das geſchmeidige deut¬
ſche Volk wie ein Eiſendrath hinauf kriechen zu allen
Dächern ſeiner Tyrannen, um die geliebten Herrſcher
vor dem Blitze zu bewahren, und ihn auf ſich ſelbſt
herabzuziehen. Wem daran gelegen iſt verhöhnt und
betrogen zu werden, der braucht nur großmüthig ge¬
gen ſeine Feinde zu ſeyn, zumal gegen die Fürſten,
welche die Feinde aller Menſchen ſind. Wenn in
Frankreich ein Don Miguel und ein Robespierre zu¬
gleich regierten; wenn an jeder Straßenecke rechts
ein Galgen, links eine Guillotine ſtünde — die Fran¬
zoſen ertrügen vielleicht lange das Morden von ihren
Tyrannen geduldig; aber ihren Spott, ihre Verach¬
tung, ihr unverſchämtes Hofmeiſtern, ihre Ohrfeigen
und ihre Ruthe, das was der Deutſche das ganze Jahr
erduldet — ſie ertrügen es keine Stunde lang. Die
Franzoſen waren Jahrhunderte lang Sklaven unter
ihren Königen; aber ſie durften doch ſingen in ihren
Ketten, ſie durften ihre Kerkermeiſter verſpotten.
Zur Schreckenszeit wurden edle und ſchuldloſe Men¬
ſchen auf das Blutgerüſt gebracht, aber nie fand
[93] Robespierre ein Gericht, das ſo feige und unmenſch¬
lich geweſen, einen Ariſtokraten zu verurtheilen, daß
er vor dem Oelbilde der Freiheit knieend Abbitte thue.
Unter der Despotie der Könige wie unter der der
Republikaner erkannte man etwas im Menſchen an,
das, weil von Gott geſandt, heilig und unverletzlich
iſt, und nie zur Verantwortung gezogen werden
darf. Aber dieſes Göttliche, Heilige und Unverletz¬
liche im Menſchen: ſeine Ehre, ſeinen Glauben, ſeine
Tugend, das wird in Deutſchland am meiſt, zuerſt
beſtraft, am Boshafteſten gezüchtigt. Ein Dr. Schulz
in München, wurde wegen ſeines politiſchen Glau¬
bens auf unbeſtimmten Zeit zum Zuchthauſe
verurtheilt, und zu der ſchlimmern Züchtigung, vor
dem Bilde des Königs knieend Abbitte zu thun.
Sie werfen die Freiheit in den Koth, daß ſie aus¬
ſehe wie die Knechtſchaft, damit man keinen Mann
von Ehre ferner von einem Hofmanne unterſcheiden
könne und gemeinſchaftlicher Schmuz, Volk und Land
und Regierung bedecke.
Würde in Paris die Todesſtrafe darauf geſetzt,
wenn einer es wagte im Theater einen Laut des
Misfallens zu äußern, und es verſuchte einmal ein
ſchamlos ſchmeichelnder und bettelnder Hofdichter, die
Leidenſchaften, Thorheiten und Verbrechen ſeiner Für¬
ſten, durch Poeſie, Muſik, Tanz und Malerei auf
der Bühne zu verherrlichen und ſo ein ganzes Volk
[94] zu Mitſchuldigen ſeiner niederträchtigen Geſinnungen
zu machen — und ſtünde die Todesſtrafe auf ein
Lächeln — es fänden ſich hier Hunderte von Zu¬
ſchauern die lachen, ziſchen und pfeifen, und ihr Le¬
ben an ihre Ehre ſetzen würden. Man jauchzte kei¬
nem ſchamloſen, tollen Schauſpiele zu, wie das was
neulich ein Herr von Poißl in München zur Feier
der Thronbeſteigung des Königs Otto dichtete, und
auf der Bühne vorſtellen ließ. Vergangenheit
und Zukunft hieß das Schauſpiel, welches alle
das dicke Bocksbier, das ſeit dem vorigen Sommer
in den baieriſchen Adern ſtockte, in die freudigſte
Wallung brachte. Hellas, Bavaria, Glaube, Liebe
und Hoffnung treten auf. So oft ein deutſcher
Hofdichter etwas politiſches ſingt, umgiebt er ſich mit
Glaube, Liebe und Hofnung. Es ſind ſeine Grazien
und ſeine Parzen zugleich. Mit ihnen verſüßt er
die Tyrannei, mit ihnen ſpinnt er die Freiheit zu
Tode. Uebrigens iſt es eine nützliche Bedeckung;
denn ohne Glaube, Liebe und Hoffnung ertrüge man
keinen Tag ein deutſcher Unterthan zu ſeyn. Jetzt
werden die alten olympiſchen Spiele dargeſtellt, in
dem Augenblicke wo die Vertheilung der Preiſe ſtatt
findet. Hundert Dichter athmen ſchwer, die welche
den Gott in ſich fühlen, jauchzen dem Siegeskranze
entgegen. Mich dauern die armen Teufel! Bava¬
[95] ria kömmt und deklamirt Gedichte des Königs von
Baiern und Sappho-Bavaria erhielt den Kranz.
Das zweite Bild ſtellt die Gegend von Athen
vor. „Mit erſt düſterem Himmel, verbrannten Oli¬
„ven-Wäldern und verdorrten Fluren. Nach und
„nach kleidete ſich der Himmel in Baierns Na¬
„tionalfarbe. Die Olivenwälder begannen zu grü¬
„nen. Die Fluren bedeckten ſich mit Blumen und
„Blüthen, aus Ruinen entſtanden Paläſte. Und in
„dieſem Augenblicke erſchien von der Liebe getragen
„und den Glauben und die Hoffnung zur Seite, das
„als Seegensgeſtirn über Hellas aufgehende Bildniß
„des Königs Otto, vor dem ſich Griechenlands Volk
„in freudiger Huldigung neigte.“ Bavaria-Sappho
iſt verrückt, ſie iſt verliebt, weiß nicht mehr was ſie
ſpricht und ich ſehe ſie ſchon vom Leucadiſche Felſen
hinab in die Iſar ſpringen. Aber Herr von Poißl
hat nicht die geringſte Lebensart, daß er den König
Otto, der ein Mann iſt, von der Liebe, die ein
Frauenzimmer iſt, tragen ließ. Ich begreife nicht wie
das zarte Weſen dieſe Laſt von München bis zum
Himmel, einen ſo weiten Weg hat aushalten können;
König Otto muß ſehr leicht ſein! Warum hat er
den König nicht dem Glauben auf die breiten Schul¬
tern geſetzt? Der hat ſchon in ſeiner Dummheit
viel ſchwerere Laſten getragen. Dann wäre die
Liebe an der Seite der Hoffnung, hinter dem Glau¬
[96] ben und dem König Otto leicht hergeflogen, und dann
wäre doch Symmetrie dabei geweſen und das Ganze
wäre ein Meiſterſtück geworden. O, Herr von Poißl!
ich weiß nicht ob Sie Verſtand haben, aber Ge¬
ſchmack haben Sie nicht den Geringſten. Wie freue
ich mich, daß die verbrannten Olivenfelder wieder
grün werden; jetzt können doch die armen Griechen
wieder Salat eſſen. Aber die baieriſche Natio¬
nalfarbe in welche ſich der Himmel kleidete, als
er Audienz beim König Otto hatte — iſt das nicht
himmliſch? ja, ja ſo iſt es. Den Himmel ſelbſt möch¬
ten Sie gern zu Lakaien machen, und ſein heiliges
Blau ſoll die Livree-Farbe eines deutſchen Fürſten
ſeyn! Verdammniß! es kömmt mir manchmal vor,
als wäre die Erde ein großer Pfeifenkopf, aus dem
Gott raucht und Deutſchland wäre der Waſſerſack
der Pfeife, beſtimmt um dieſe rein zu erhalten, allen
Schmutz, alle ſtinkende Säfte aufzunehmen. Die
Zeit wird kommen, daß jeder europäiſche Fürſt mit
einem Stücke ſeines Landes in den deutſchen Bund
treten wird, um ſich mit einem ſolchen heilſamen
Waſſerſacke zu verſehen. Hanover iſt der Waſſer¬
ſack Englands, Luxenburg der Waſſerſack der Nieder¬
lande, Holſtein der Waſſerſack Dänemarks, Neufcha¬
tel der Waſſerſack der Schweiz. Wie heute die eng¬
liſchen Blätter erzählen, ſoll ein anderer Sohn des
Königs von Baiern Donna Maria heirathen. So
[97] verſpricht Portugal der Waſſerſack der Spaniſchen
Halbinſel zu werden, und Griechenland iſt voraus
zum Waſſerſack des Orients beſtimmt, wenn dieſer
wie ſie fürchten der Civiliſation und Freiheit ent¬
gegen reiſt.
Der ſchönſte Spaß in dieſer baieriſch-grichiſchen
Comödie iſt: daß König Otto, oder vielmehr ſein
Vater in deſſen Namen, die griechiſche Conſtitution
nicht hat beſchwören wollen; daß Miaulis, der Chef
der griechiſchen Deputation, erklärt hat, nur unter
der Bedingung eines ſolchen Eides ſei er beauftragt
dem Prinzen die Krone anzubieten, daß er alſo, da
man ſich weigere ihn zu leiſten, den Otto nicht als
König anerkennen dürfe. Die Deputation kehrt allein
nach Griechenland zurück, und König Otto zieht an
der Spitze ſeiner Baiern hin und nimmt von ſeinem
Lande mit Gewalt Beſitz. Ich fürchte ſehr, daß
wenn der griechiſche Himmel das wahre Verhältniß
der Sache erfährt, er ſein Baieriſch-blau wieder
ausziehen und ſeinen grauen Schlafrock anziehen
wird.
Ich ſage Ihnen, ich ſage Ihnen, es iſt mit
dem lieben Gott nichts mehr anzufangen. Da ſitzt
der alte Herr den ganzen Tag auf ſeinem Lehnſtuhle,
lieſt die Erdzeitungen und brummt über ſeine entar¬
V. 7[98] teten Kinder. Es iſt ihm kein Lächeln abzugewinnen.
Da er noch ein Jüngling war, da er als Jupiter,
noch mit dem Honige ſeiner Kindheit auf den Lippen,
durch alle Welten ſchwärmte, welche himmliſche
Pagenſtreiche machte er, wie liebenswürdig war er
damals! wie er ſeinem Vater dem Freſſer Kronos
ein Brechmittel eingab; wie er ſich als Gans, als
Ochs, als Menſch, als Regen verkleidet, zu den
Schönen ſchlich, wie er neun ganze halbe Tage ſich
mit der gelehrten Mnemoſyne einſchloß, und mit ihr
alle die Millionen Bücher ſchrieb, die ſeitdem in die
verſchiedenen Sprachen der Menſchen überſetzt er¬
ſchienen ſind — es iſt Alles vorbei, es iſt nichts
mehr mit ihm anzufangen! Ach! wenn ich Gott
wäre, welche Späße wollte ich mir machen mit Ba¬
varia-Hellas! Ich ließ in einer Nacht alle die herr¬
lichen Griechen aller Zeiten und aller Städte aus
dem Grabe hervorſteigen, und alle Tempel auch und
die alten Götter rief ich herbei. Und an einem
ſchönen Frühlingstage, da der Spatziergang am Ilyſ¬
ſus gedrängt von Menſchen war, kömmt ein Sclave
athemlos herbeigeſtürzt und ſchreit: König Otto iſt
angekommen! Alles geräth in Bewegung. Die
Kinder ſpringen von der Erde auf und vergeſſen ihre
Knöchel mitzunehmen. Die ſchöne Lais macht die
Roſen in ihren Haaren zurecht, Diogenes putzt das
Licht in ſeiner Laterne, Epaminondas ballt die Fauſt,
[99] Plato bekömmt Angſt und verſteckt ſeine Republik,
Perikles reicht ſeiner Freundin Aspaſia den Arm,
Ariſtoteles zieht ſeine Schreibtafel heraus Alles zu
notiren, die Blumenmädchen ſuchen Eine der Ande¬
ren vorzukommen und jetzt alle eilig zum pyräiſchen
Thor hinaus. Nur Sophokles geht ſeinen ernſt lang¬
ſamen Schritt; er dichtet ſeine Antigone. Als die
Athenienſer am Hafen ankamen, war König Otto mit
ſeinen blauen Baiern ſchon gelandet. Das Erſte
was er that war, daß er dem Perikles den großen
Hubertus-Orden umhing. Ariſtoteles erhielt das Di¬
plom als geheimer Hofrath, und die Berufung als
Profeſſor der Natur-Geſchichte nach München an
Okens Stelle. Phidias bekam den ehrenvollen Auf¬
trag die Büſte des Herrn Jarke für das Regens¬
burger Walhalla zu verfertigen. Herr Ober-Bau¬
rath von Klenz zeigte dem Kalikrates die Riſſe ſeiner
ſchönſten Gebäude in München und dieſer fragte:
hat Euer Baſileus ſo viele Pferde? Alcibiades be¬
kam den Kammerherrn-Schlüſſel und ein baierſcher
Obriſt fragte Epaminondas wie viel Fourage-Gelder
ein helleniſcher Obriſt bekäme? Profeſſor Thierſch
unterhielt ſich mit Plato und wurde von den Blumen¬
mädchen wegen ſeiner ſchlechten Ausſprache verſpottet.
Herr von Poißl wollte Sophokles gerade ſein Feſt¬
ſpiel Vergangenheit und Zukunft überreichen,
7 *[100] als Trommelwirbel Stille gebot. König Otto tritt
majeſtätiſch hervor und hält folgende Rede.
„Hellenen! Schaut über euch. Der Himmel
„trägt die baierſche National-Farbe, denn Griechen¬
„land gehörte in den älteſten Zeiten zu Baiern. Die
„Pelasker wohnten im Odenwalde und Imachus war
„aus Landshut gebürtig. Ich bin gekommen euch
„glücklich zu machen. Eure Demagogen, Unruheſtif¬
„ter und Zeitungsſchreiber haben euer ſchönes Land
„in's Verderben geſtürzt. Die heilloſe Preßfrechheit
„hat Alles in Verwirrung gebracht. Seht wie die
„Oehlbäume ausſehen. Ich wäre ſchon längſt zu
„euch herüber gekommen, ich konnte aber nicht viel
„früher, denn ich bin noch nicht lange auf der Welt.
„Jetzt ſeid ihr ein Glied des deutſchen Bundes.
„Meine Miniſter werden euch die neueſten Bundes¬
„beſchlüſſe mittheilen. Ich werde die Rechte meiner
„Krone zu wahren wiſſen, und euch nach und nach
„glücklich machen. Für meine Civilliſte gebt ihr mir
„jährlich ſechs Millionen Piaſter, und ich erlaube
„euch meine Schulden zu bezahlen.“ Die Griechen,
als ſie dieſe Rede hörten, erſtarrten Alle zu Bildſäulen.
Diogenes hielt dem König Otto ſeine Laterne in's
Geſicht, die ſchöne Lais kicherte, und Ariſtoteles war
in Verzweiflung, daß ſein Griffel brach, und er
die merkwürdigen Naturbeobachtungen die er machte,
[101] nicht mehr notiren konnte. Hippokrates ſah die
Sache gleich vom rechten Standpunkte an, ſchickte
eilig einen Diener in die Stadt zurück, und ließ
ſechs Karren voll Nieswurz holen. Die Baiern ſetz¬
ten ſich in Marſch. Vor dem Thore wurden ſie
von hundert Apothekern aufgehalten, die jedem Baier
ein Pulver überreichten. Ein Major ſchrie: Ver¬
rätherei! Gift! und ließ unter das griechiſche Ge¬
ſindel ſchießen. Dann zog König Otto über Leichen
in die Stadt. Gleich den andern Tag wurde eine
Central-Unterſuchungs-Kommiſſion gebildet, Hippo¬
krates wurde wegen ſeines dummen Spaßes als
Medicinalrath nach Augsburg verſetzt; die geiſtreiche
Aſpaſia, die griechiſche Frau von Stael, nach Egyp¬
ten verbannt und Diogenes wurde auf unbeſtimmte
Zeit zum Zuchthauſe verurtheilt und mußte vor dem
Bilde des Königs Otto knieend Abbitte thun. Die
Schuldigſten waren ſchon vor der Unterſuchung er¬
ſchoſſen wurden.
Jetzt ging das Regieren an. Eine Zeit lang
ertrugen es die Griechen. Aber eines Morgens
braußte das Volk wie ein wogendes Gewäſſer durch
die Stadt. Herr Oberbaurath von Klenz hatte in
der Nacht anfangen laſſen, durch mehrere hundert
baierſche Maurer, den Tempel der Minerva abtra¬
gen zu laſſen. Das Bild der Göttin von Phidias
[102] und andere Kunſtwerke die der Tempel enthielt, lagen
ſchon auf der Straße von Stroh umwickelt um ein¬
gepackt zu werden. Man fragte Herrn von Klenz
was dieſe Tollheit bedeuten ſolle? Er erwiederte:
ſeine Majeſtät der König haben zu beſchließen geruht,
den Tempel der Minerva, das Parthenon, das Pom¬
pejon, die Phöcide, noch zwanzig andere Tempel und
mehrere hundert Statuen, allerhöchſt ihrem königlichen
Vater nach Baiern zu ſchicken, zufolge eines mit
allerhöchſt Demſelben abgeſchloſſenen geheimen Ver¬
trags, und Hellas, übervölkert mit Tempeln, Sta¬
tuen und Gemälden, ſolle nach Baiern Kunſtkolonien
ſchicken, und dafür von dort Naturkolonien erhalten
unter Anführung des Herrn von Halberg, des baieri¬
ſchen Cecrops, und das Alles gereiche zur Wolfahrt
beider Länder, und ſey überhaupt ſehr charmant.
Aber die Athenienſer fanden dieſes gar nicht char¬
mant, ſondern ergriffen einige der ſchönſten antiken
Steine mit Bas-Reliefs verziert und warfen ſie dem
armen Herrn von Klenz an den Kopf, bis er todt
blieb. Dann ſtürzten ſie die Akropolis hinauf, er¬
griffen den König Otto, der gerade mit ſeinem Früh¬
ſtücke beſchäftigt war, und dabei Saphirs deutſchen
Horizont las, bei dem Arme, ſetzte ihn in eine
Sänfte, und ließen ihn an den Hafen tragen, und
übergaben ihn dort dem Admiral Nicias, daß er ihn
zu Schiffe nach Corcyra bringe. Die baieriſchen
[103] Soldaten blieben zurück und nahmen Dienſte im
Seythiſchen Corps. Ihr baieriſch Bier braute ihnen
ein von München gekommener Bierbrauer, und ihre
baieriſche Treue hatten ſie vergeſſen. So endigte
das baieriſch-ruſſiſch-engliſch-franzöſiſche-helleniſche
Reich.
Eilfter Brief.
Die Berry iſt krank; aber wie man ſagt, wäre
es nicht ihr hoffnungsloſer Zuſtand der ſie niederge¬
worfen, ſondern gerade das Gegentheil. Wahrſchein¬
lich iſt das Verläumdung. Wenn man in Frankfurt
etwas davon weiß, warum die Herzogin gefangen
ſitzt und warum Carl X. nicht mehr in Paris lebt,
ſchreiben Sie mir es doch, ich will es in die Zeitung
ſetzen laſſen. Hier kann man ſich die Sache gar
nicht erklären. Dieſe Abneigung der Völker gegen
gewiſſe Namen und dieſe Vorliebe für andere iſt ganz
unbegreiflich. Wenn nicht die Cholera daran Schuld
[105] iſt, muß die Welt ſchwanger ſeyn; ſie hat wunder¬
bare Gelüſte. Sehen Sie, man hat es mir zum
Vorwurfe gemacht, daß ich geſagt: ein Volk dürfe
ſeinen Fürſten verjagen, wenn ihm ſeine Naſe nicht
gefiele. Nun, vielleicht war das zuviel behauptet.
Aber man muß mir doch zugeben, das eine Naſe
eine ſehr wichtige Sache iſt. Eine Naſe iſt ein be¬
deutender Theil des menſchlichen Körpers; eine Naſe
kann einen Menſchen entſtellen und zieren; man kann
ſeiner Naſe willen einen Menſchen lieben oder haſſen;
kurz eine Naſe iſt eine Naſe; aber ein Name? Gu¬
ter Gott! Was liegt an einem Namen? Die
Braunſchweiger wollten keinen Carl und gaben ſich
einen Wilhelm; die Belgier wollten keinen Wilhelm
und gaben ſich einen Leopold; die Franzoſen wollten
auch keinen Carl und gaben ſich einen Philipp. Der
Name Carl ſcheint beſonders unbeliebt zu ſein. In
Spanien handelt ſich's auch um Carl oder nicht Carl;
in Portugal iſt der Streit zwiſchen Peter und Mi¬
chel. Meine Naſe iſt mir tauſendmal lieber. Nun
haben ſie zwar vor zwei Jahren behauptet, man habe
den König Carl vom Throne geſtürzt weil er die
Charte verletzt habe. Hat das der jetzige König nicht
auch gethan? Alſo weil er Philipp heißt und nicht
Carl, wäre ihm alles erlaubt? Ja er hat tauſend¬
mal ſchlimmer gehandelt als Carl X. Dieſer that
[106] es in der Leidenſchaft, er konnte ſich wenigſtens da¬
mit entſchuldigen, er konnte alles auf ſeine Miniſter
wälzen, die Kränkung wieder gut machen, er wollte
das wirklich thun. Aber Louis Philipp begnügt ſich
nicht blos mit dem Rechte der Leidenſchaft, er will
auch die Leidenſchaft zu einem Rechte erheben, er ver¬
langt das Recht, zu jeder Zeit, ſo oft es ihm be¬
liebt, ungerecht ſein zu dürfen. Und er begnügt ſich
nicht das Verbrechen allein zu begehen, er ſucht auch
die ganze Nation, in deren Stellvertretern zu ſeinen
Mitſchuldigern zu machen. Nun giebt es zwar hier
Leute genug, die nicht ſchlecht ſind, ſondern nur dumm,
welche behaupten, der jetzige Fall wäre doch ganz ein
Anderer. Carl X. habe die Conſtitution aus eigner
Machtvollkommenheit verletzt. Louis Philipp thue es
in Gemeinſchaft mit den Kammern. Bei jenem ſei
die Aufhebung der Charte Willkühr geweſen, dieſer
wolle ſie geſetzlich machen. Aber was ändert das die
Sache? O ja, es ändert die Sache, es macht ſie
weit weit ſchlimmer. Iſt ein Verbrechen weniger ein
Verbrechen weil es zweihundert Menſchen theilen?
Iſt die Tyrannei der Geſetze weniger Tyrannei als
die der Willkühr. Und wenn alle die dreißig Millio¬
nen Franzoſen in der Kammer ſäßen, und ſie alle
ſtimmten Mann für Mann für ein Geſetz, daß der
Regierung verſtatte die perſönliche Freiheit, die Frei¬
[107] heit der Preſſe aufzuheben, das heilige Aſyl des Hau¬
ſes zu verletzen — ſie hätten das Recht nicht dazu.
Keine Nation hat das Recht der Täuſchung, der
Furcht, dem Schrecken, der Selbſtſucht, der Ermü¬
dung des Tages, die beſſere Einſicht, die Wahrheit,
die Beſonnenheit, die Liebe und Kraft der folgenden
Tage, die unveräußerlichen Rechte eines kommenden
Geſchlechts aufzuopfern. Hier iſt der Jammer, hier
iſt die Troſtloſigkeit, das iſt's was die wahre Frei¬
heit Europens noch um ein Jahrhundert hinausſchickt.
Erſt fehlt die Kraft, dann fehlt der Muth, dann fehlt die
Einſicht. Wenn einmal die Völker Europens ſich der
Tyrannei ihrer Fürſten werden entledigt haben, wer¬
den ſie in die Tyrannei ihrer Geſetzgeber fallen, und
ſind ſie dieſe los geworden, gerathen ſie in die Ty¬
rannei der Geſetze. — Dieſe Tyrannei der Geſetze
iſt aber gerade die feſte Burg, welche von der Frei¬
heit ſeit fünfzig Jahren belagert wird. Was ſie
ſeitdem erobert, das ſind blos einige Außenwerke,
wobei noch nichts weiter gewonnen, als daß die Hoff¬
nung der Einnahme der Feſtung etwas näher gerückt
iſt. Es muß Menſchenrechte geben, die von keiner
Staatsgewalt, und hätte jedes Bettlerkind im Lande
Theil an deren Ausübung, zu keiner Zeit, in keinem
Verhältniſſe, um keines Vortheils, um keiner Beſei¬
tigung einer Gefahr willen, vernichtet, geſchmälert
[108] oder eingeſtellt werden dürfen. Auf der See, wenn
Gefahr des Schiffbruchs eintritt, wirft man die
Waaren über Bord, die Menſchen zu retten; man
wirft aber nie die Menſchen über Bord die Waaren
zu retten. In politiſchen Stürmen aber, opfert man
das was der Menſchen iſt, dem auf was er hat,
man wirft den Menſch über Bord, den Bürger zu
erhalten — das iſt Wahnſinn. Und wenn es auch
alle Staatsbürger zufrieden wären, wenn ſie alle
ſo verdorben wären, das was ſie haben, dem
vorzuziehen was ſie ſind — es bliebe doch Wahn¬
ſinn.
Mit beſſerer Einſicht als Europa ließen die
Amerikaner als ſie ihre Freiheit gründeten, der Ver¬
faſſungsurkunde eine Erklärung der Menſchenrechte,
nämlich derjenigen Rechte vorangehen, die weder der
Heiligung der Geſetze bedürfen um Gültigkeit zu
haben, noch je durch ein Geſetz eingeſchränkt oder
aufgehoben werden dürfen. Die franzöſiſche Natio¬
nalverſammlung hat es auch damit verſucht. Aber
jetzt denkt keiner mehr daran, und wenn man mit
einem Staatsgelehrten von Menſchenrechten ſpricht,
lacht er Einen aus, und wenn man in Paris zwiſchen
zwei und vier Uhr Nachmittags das Wort Menſchen¬
rechte ausſpricht, werden vor Schrecken alle Wangen
[109] bleich und die Renten fallen. Menſchenrechte — das
iſt die Guillotine!
— Geſtern Abend ſah ich zum erſtenmale De¬
moiſelle Georges ſpielen; nicht zum erſtenmale die¬
ſen Winter, ſondern zum erſtenmale im neunzehnten
Jahrhunderte. Dieſes Schickſal habe ich ſchon oft
in meinem Leben gehabt: daß ich den Sonnenauf¬
gang und den Mittag verſchlafen, und erſt beim
Sonnenuntergange munter geworden bin. Demoi¬
ſelle Mars habe ich voriges Jahr zum erſtenmale
geſehen, Talma kurz vor ſeinem Tode, mich ſelbſt
lernte ich erſt nach dem dreißigſten Jahre kennen und
ohne Sie hätte ich wahrſcheinlich erſt zehen Jahre
ſpäter meine angenehme Bekanntſchaft gemacht. Als
ich vor zwei Jahre nach Paris kam, war die Frei¬
heit ſchon im Untergehen, und ich mußte ſogar auf
einen hohen Berg der Begeiſterung ſteigen, um noch
ihre letzten Strahlen zu erwiſchen; denn im Thale
war es ſchon dunkel. So immer zu ſpät. Ein po¬
litiſcher Ketzer bin ich geworden, ſeitdem man nicht
mehr verbrennt und viertheilt, ſondern blos mit dem
Zuchthauſe auf unbeſtimmte Zeit und mit einer Ab¬
bitte vor dem Conterfei eines Königs beſtraft. Die¬
ſes Abbitten vor dem Bilde des Königs von Baiern
will mir gar nicht aus dem Kopf. Es iſt zu fürch¬
[110] terlich, es iſt zu lächerlich! Das iſt ja ein chriſt¬
lich-türkiſcher Despotismus, ein Despotismus in ſei¬
denen Strümpfen und den Turban auf dem Kopfe.
Nun möchte ich doch wiſſen, wie ſie Einen, den ſie
zum Zuchthauſe verurtheilt, zwingen können Abbitte
vor dem Bilde des Königs von Baiern zu thun,
wenn dieſer nicht will. Ich thäte es nicht; ich
ſpräche wie der Geiger Müller in Cabale und Liebe:
da ich doch in's Zuchthaus muß, will ich Euch ſagen,
daß Ihr Schurken ſeid. Der Präſident antwortet,
glaube ich, darauf: Vergeß er nicht, daß es auch
Staupbeſen und Pranger giebt! O! es kömmt auch
noch zu Staupbeſen und Pranger; es kömmt auch
noch dazu, daß Einer baarfuß und eine brennende
Kerze in der Hand es vor der Kirchthüre büßen muß,
wenn er geſagt, der Leib und das Blut des Herrn
ſei nicht in dem Fürſten. Die wahnſinnige Tyran¬
nei hat keine Grenzen, es kömmt nur darauf an,
welche Grenze die wahnſinnige Geduld des deutſchen
Volkes hat ... Aber wo bin ich? Ich bin weit
von Demoiſelle Georges abgekommen. Zurück.
Sie ſieht bei ihren Jahren noch gut genug aus,
oder mein Glas müßte trübe geweſen ſein. Auch iſt
in den Rollen die ihr anzugehören ſcheinen, ein Alter
das an Ehrwürdigkeit grenzt gar nicht ſtörend. Sie
[111] hat eine ſchöne, volltönende Stimme, ihre Geberden
ſind anſtändig und ihr Mienenſpiel iſt ſehr reich;
freilich glaubte ich bemerkt zu haben daß ſie beim
Miſchen ihrer Züge die Volte ſchlägt, und jede Farbe
der Leidenſchaft, die ſie will, oben auf bringt. Das
iſt nun nicht die rechte Art. — Die Leidenſchaft auch
in ihrer entſchiedenſten Richtung, hat keine beſtimmte
Farbenleiter und ſie iſt ſehr zufällig gemiſcht. Ich
kann aber die Georges durchaus noch nicht beurthei¬
len, ich muß ſie öfter ſehen. Auch iſt das Stück,
in welchem ſie auftrat, halb unbedeutend, halb dumm,
das heißt: ſeit einigen Wochen daß es gegeben wird,
iſt das Haus gedrückt voll, jeder will es ſehen.
Perinet Le clerc, ou Paris en1443, drame
historique. Was die Leute ſchönes daran finden,
begreife ich nicht. Außer den Decorationen und den
weiblichen Kleidungen der damaligen Zeit gefiel mir
doch gar nichts. Dieſen Winter iſt das Mittelalter
Mode, oder vielmehr das dramatiſche Vieh wurde
durch Noth die Alpe hinaufgetrieben dort zu weiden,
weil ſie in den letzten zwei Jahren die untere Re¬
gion, das Kaiſerreich, die Republik und das Zeitalter
Ludwigs XV. ganz abgegraſt haben. Jedes Theater
bringt der Reihe nach ein pariſer Mittelalter zur
Vorſtellung. Geſtern kam die komiſche Oper, auch
ein ſolches Mittelalterſtück zum erſtenmal Le Pré
[112] aux clercs, Muſik von Herold. Die heutigen
Zeitungen rühmen dieſe neue Oper ſehr. Ich laſſe
mir das alles ſehr gern gefallen, denn ich profitire
davon. Seit zwei Jahren leiten die Boulevards-
Theater meine hiſtoriſche Studien. So oft ich ein
hiſtoriſches Schauſpiel geſehen, ließ ich mir den fol¬
genden Tag alle die Geſchichtsbücher, Memoiren und
Chroniken holen, die von der Zeit und der Ge¬
ſchichte handeln, die auf der Bühne vorgeſtellt wer¬
den, und ich las ſie. Jungen Leuten möchte ich dieſe
Art Geſchichte zu ſtudiren freilich nicht empfehlen;
aber für Kinder und bequeme Leute iſt das die rechte
Art und ob ich zwar ſchlecht beſtehen würde wenn
mich Schloſſer examinirte, ſo bin ich doch im Am¬
bigü Comique der gründlichſte Hiſtoriker.
Das Stück von welchem die Rede iſt ſpielt zur
Zeit Carls VI. und die Georges ſpielte die Iſabeau
von Baiern. Darüber brauchte ich aber nichts nach¬
zuleſen, denn die Geſchichte war mir aus Schillers
Jungfrau von Orleans ſchon längſt bekannt. Leider!
Der Menſch weiß immer zu viel; denn daher kam
es, daß mir das Drama lächerlich vorkam. Dieſe
Iſabeau iſt verliebt, aber nicht wie ein weiblicher
Satan, nicht wie eine alte Frau, nicht wie eine Ehr¬
geizige, nicht wie eine Königin, nicht wie eine Ra¬
[113] benmutter, nicht wie eine ausſchweifende Frau; ſon¬
dern wie ein junges unſchuldiges Bürgermädchen. Und
als ihr [politiſcher] Feind, der Connetable von Armag¬
nac, ihren jungen Geliebten foltern und dann in einen
Sack ſtecken und Nachts in die Seine werfen ließ,
weinte ſie als ginge ſie das was an und als gäbe
es keine Männer mehr in der Welt. Aber die Ge¬
orges wußte ſich mit guter Manier aus der Dummheit
des Dichters heraus zu ziehen. Alſo der Sack mit dem
Schatze wird in's Waſſer geworfen, aber wieder her¬
ausgefiſcht. Der Sack wird geöffnet und der ſter¬
bende junge Menſch im Hemde halb herausgezogen.
Das iſt ſeit einigen Tagen das zweitemal, daß ich
einen ſterbenden Menſchen im Hemde aus einem Sacke
habe kommen ſehen. Das iſt die hiſtoriſche Treue!
Aber die Henkersknechte kehren zurück, werfen den
Sack mit Inhalt zum zweitenmal in's Waſſer und
drohen mit einer Geiſterſtimme in die Nacht hinaus:
laissez passer la justice du Roi! Das war die
damalige Formel. Es iſt recht ſchauerlich.
Um das Alter der Georges genau zu erfahren,
ließ ich mir den Band der Biographie des contem¬
porains holen, worin ihr Artikel ſteht. Da las ich
etwas was mich ſtutzig machte. Sie wird dort nicht
allein getadelt, ſondern auch mit einer gewiſſen Bit¬
terkeit getadelt, die ich mir nicht erklären konnte.
V. 8[114] Darauf las ich den Artikel im Converſations-Lexikon,
der ſie betrifft, und der mich etwas auf die Spur
brachte. Der deutſche Berichterſtatter bemerkt, die
Georges habe ſich eine romantiſche Darſtellungs¬
art angeeignet. Das mag es ſeyn. Die Verfaſſer
der Biographie des contemporains, waren Ar¬
nault, Jouy, Jay, und andere ſolche gedörrte Claſ¬
ſiker, welche der Georges ihr friſches romantiſches
Weſen nicht verzeihen konnten. Daß ihr dieſes ei¬
gen ſei, nehme ich übrigens bis jetzt nur auf Glau¬
ben an. Nicht ſo ihr Alter. Sie war geſtern
Abend 47 Jahre, 7 Monate und 13 Tage alt.
Wie viel Stunden weiß ich nicht, da die Stunde
nicht angegeben in der ſie auf die Welt gekommen.
Aber mein Gott, was iſt die Georges hinabgerückt.
Früher im Theater Français, bis voriges Jahr im
Odeon, ſpielt ſie jetzt im Porte-St.-Martin, in
einem Boulevardtheater. O hätte ich ſie in meiner
Kammer! Ich würde mit ihr verfahren wie einſt ein
Buchhändler mit Rouſſeau und Voltaire zu verfahren
wünſchte. Ich gäbe ihr gut zu eſſen und zu trinken,
aber ſie müßte mir arbeiten. Sie müßte mir dikti¬
ren, von Paris, von Erfurt, von Wien, von Peters¬
burg, vom Kaiſer Napoleon, vom Kaiſer Alexander
und von hundert andern Dingen und Menſchen.
[115] Doch es iſt merkwürdig! Wenigſtens nach mehreren
Erfahrungen die ich gemacht, haben die ſchönen Schau¬
ſpielerinnen gar keine Beobachtungsgabe und Menſchen¬
kenntniß, und ſie verſtehen gewöhnlich ihr eignes, oft
ſo intereſſantes Leben, nicht kunſtreich aufzufaſſen.
Haben Sie als Sie in Paris waren, die Georges
nicht ſpielen ſehen?
Außer dem erwähnten Drama gab man den
Abend noch ein Melodrama l'Auberge des
Adrets; eine ganz gemeine ſentimentale Mörder-
und Räubergeſchichte. Aber ein Schauſpieler Na¬
mens Frederic führte eine komiſche Rolle vortreff¬
lich durch. Ich habe lange nicht ſo ſehr gelacht.
Das Merkwürdige bei der Sache iſt, daß das Ko¬
miſche gar nicht in der Rolle liegt, ſondern in dem
ſelbſterfundenen Spiele des Schauſpielers und das
zu ſeinem Charakter und den Reden die er führt gar
nicht paßt. Es iſt ein zerlumpter, niederträchtiger,
boshafter, ganz gemeiner Dieb, Räuber und Mörder.
Er bringt einen Mann im Stücke ſelbſt um, ihm
ſein Geld zu nehmen. Und Frederic machte einen
gutmüthigen Schelm daraus der höchſt ergötzlich iſt.
Zuletzt freilich werden die Poſſen, doch wahrſcheinlich
dem Pöbel und der Kaſſe zu gefallen, etwas gar zu
weit getrieben. Stellen Sie ſich vor: Am Ende
8*[116] werden beide Räuber von Gensd'armen gepackt, ſie
entſpringen aus dem Zimmer, die Gensd'armen ihnen
[nach]. Der Vorhang fällt. Das Stück iſt aus.
Auf einmal gewahre ich, daß die Leute nach der
Gallerie hinaufſehen und lachen. Ich hebe den Kopf
in die Höhe und ſehe in einer Loge des zweiten
Ranges die beiden Räuber mit den ſie verfolgenden
Gensd'armen ſich herumbalgen. Endlich wird ein
Gensd'arme (ein ausgeſtopfter) von einem der Räu¬
ber hinab in's Orcheſter geſtürzt. Und auf dieſem
Theater ſpielt die Georges, einſt die Königin ſo
vieler Königinnen!
Als ich geſtern Abend nach Hauſe kam fand ich
eine ſchwarze Viſitenkarte vor, mit dem Namen weiß
darauf. Es war ein Schauer wie ſie da lag auf
dem ſchwarzen Marmortiſche im röthlichen Scheine
der Lampe; es war wie der Beſuch eines Geiſtes.
Es war der Name eines Polen. Ich habe ſolche
ſchwarze Karte hier nie geſehen. Sollten ſie viel¬
leicht die Polen als ein Zeichen der Trauer ange¬
nommen haben? Ich werde es erfahren. Da haben
Sie ſie, ich ſchicke ſie Ihnen, bewahren Sie ſie gut.
Und haben Sie je eine Thräne für einen König ver¬
goſſen, und ſollte das Glück es wollen, daß Sie noch
ferner eine weinten; dann ſehen Sie dieſe Karte an,
daß Ihr Herz zur Wüſte werde und der Sand alle
Brunnen der Empfindung verſchütte. Denn wahrlich
es iſt edler die ganze Menſchheit haſſen, als nur eine
einzige Thräne für einen König weinen.
Ein ſterbendes Volk zu ſehen, das iſt zu ſchreck¬
lich; Gott hat dem Menſchen keine Nerven gegeben
ſolches Mitleid zu ertragen. Jahre, ein Jahrhundert
lang in den Zuckungen des Todes liegen und doch
nicht ſterben! Glied nach Glied unter dem Beile
des Henkers verlieren und all das Blut, alle die
Nerven der verſtorbenen Glieder erben, und dem ar¬
[118] men und elenden Rumpfe den Schmerz des ganzen
aufbürden — o Gott! das iſt zu viel! Denn einem
Volke, wenn es leidet, werden nicht wie einem kran¬
ken Menſchen Geiſt und Sinne geſchwächt, es ver¬
liert das Gedächtniß nicht, ſei es noch ſo bejahrt,
wird es im Unglücke wieder zum Jüngling, zum
Kinde, und die Jugend mit all ihrer Kraft und Hoff¬
nung, die Kindheit mit ihrer Luſt und allen ihren
Spielen kehren ihm zurück. Als Gott die Tyrannen
erſchuf, dieſe Folterknechte der Welt, hätte er wenig¬
ſtens die Völker ſollen ſterblich machen.
Man hat jetzt den Deutſchen eiſerne Reife um
die Bruſt geſchmiedet, Sie dürfen nicht mehr ſeufzen
um die Polen; aber die Franzoſen brauchen noch
nicht zu ſchweigen. Es kommt dahin auch noch, aber
bis dahin kömmt auch die Hülfe. Haben Sie in den
franzöſiſchen Blättern von dem neuen Jammer gele¬
ſen, den man auf die Polen gehäuft? Aus jeder
polniſchen Provinz werden fünftauſend Edelleute ein¬
gefangen und nach dem Caucaſus getrieben, um dort
unter die Coſaken eingeſteckt zu werden. Sie dürfen
auf ihre Verbannung nicht vorbereitet werden, ſie
müſſen unvermuthet Nachts aus ihrem Bette geſchleppt
werden. So befiehlt es ausdrücklich der kaiſerliche
Befehl. Und dem Belieben des [Gouverneurs] bleibt
es frei geſtellt, welche ſie zur Verbannung wählen
wollen; nur iſt ihnen auf das ſtrengſte unterſagt die
[119] Begnadigung mit dem Caucaſus, auf die ſchuldigſten
der Polen fallen zu laſſen; dieſe kommen nach Si¬
birien oder werden hingerichtet oder werden im Ge¬
fängniſſe erdroſſelt und vergiftet. Was ich geſtern
geleſen das iſt noch ungeheurer. Fünfzig Polen wur¬
den in Kronſtadt, im Hafen, wie im Angeſichte ganz
Europas, auf Tod und Leben gegeiſelt, weil ſie ihr
Vaterland nicht abſchwören, weil ſie dem Nicolaus
nicht Treue ſchwören wollten. Und während ſie die
Reihen der Soldaten durchſchlichen, durch Bajonette
auf der Bruſt, am ſchnellen Gehen gehindert, ging
ein Geiſtlicher zuſprechend neben den Verurtheilten,
und ermahnte ſie zu ſchwören. Ein Geiſtlicher, das
Cruzifix in der Hand, ermahnte im Namen des Er¬
löſers zum Meineide! Aber wo gab es je einen
Kaiſer oder König, der nicht einen Pfaffen gefunden
hätte, der noch ſchlechter war als er? Dreitauſend
andere Polen, ſtanden in einen Haufen zuſammen¬
getrieben, auf dem Richtplatze, den Jammer ihrer
Brüder mit anzuſehen, und hinter ihnen ſechstauſend
Ruſſen, Kanonen vor ſich, den Haufen Polen nieder¬
zuſchmettern, wenn einer von ihnen murren ſollte.
Die anweſenden ruſſiſchen Offiziere lachten — o
nein, ich erzähle das nicht ihnen zum Vorwurfe, ſon¬
dern daß man dieſe Schlachtopfer der Tyrannei auch
beweine. Sie mußten lachen; nicht zu lachen wäre
ihnen als Kaiſermord angerechnet worden. Und das
[120] duldet der Himmel? Das heißt nicht die Menſch¬
heit, daß heißt Gott ſelbſt in den Koth treten. Aber
nicht an Nicolaus allein denke ich; ſo ſchuldig er iſt,
er hat es nicht verdient unſern ganzen Fluch zu tra¬
gen. Er iſt nur der gefällige Wirth, er gab ſeinen
königlichen Brüdern ein königliches Schauſpiel. Denn
es iſt kein Fürſt in Europa, der nicht aus ſeiner
Lage dieſes blutige Schauſpiel mit Wolluſt anſähe,
und nicht dabei auf ſein eignes Volk hinabſchielte und
ihm den ſtummen Wunſch zugrinſte: nun wohl be¬
komme euch dieſe Lehre!
Der Haß und der Ekel ſteigen mir manchmal bis
an den Hals hinauf und da werde ich meiner Wün¬
ſche und ſelbſt meiner Verwünſchungen überdrüßig.
Es ſind jetzt fünfzig Jahre daß die europäiſche
Menſchheit aus ihrem Fieberſchlummer erwachte, und
als ſie aufſtehen wollte, ſich an Händen und Füßen
gekettet fand. Feſſeln trug ſie immer, aber ſie hatte
es nicht gefühlt in ihrer Krankheit. Seitdem kämpf¬
ten die Völker mit ihren Unterdrückern. Und rechnet
man jetzt zuſammen all das edle Blut das vergoſſen
worden, all den ſchönen Heldenmuth, all den Geiſt,
alle die Menſchenkraft die verbraucht worden, alle
die Schätze, die Reichthümer, drei kommenden Ge¬
ſchlechtern abgeborgt, die verſchlungen worden — und
wofür? für das Recht frei zu ſein, für das Glück,
auf den Punkt zu kommen wo man aufhört Schulden
[121] zu haben und wo erſt die Armuth beginnt. Und be¬
denkt man wie dieſes Blut, dieſer Heldenmuth, dieſer
Geiſt, dieſe Kraft, dieſe Reichthümer, wären ſie nicht
verbraucht worden zur Vertheidigung des Daſeyns,
zur Veredlung, zur Verſchönerung, auf die Freuden
des Daſeyns hätten verwendet werden [können] —
möchte man da nicht verzweifeln? Alles hinzugeben
für die Freiheit, alles aufzuopfern — nicht für das
Glück, ſondern für das Recht glücklich ſein zu dür¬
fen, für die Möglichkeit glücklich ſein zu können!
Denn mit der Freiheit iſt nichts gewonnen als
das nackte Leben, dem Schiffbruche abgekämpft.
Und gewönnen nur die Feinde der Menſchlich¬
keit etwas durch ihren Sieg, ja theilten ſie
nur ſelbſt die Hoffnung des Sieges, es wäre noch
ein Troſt dabei. Aber nein, der Sieg iſt unmöglich.
Eine neue Macht die Widerſtand findet, kann im
Kampfe den Sieg finden, und im Siege ihre Befeſti¬
gung; aber eine alte befeſtigte Macht war ſchon be¬
ſiegt an dem Tage, wo der Kampf gegen ſie begann.
Wäre es nicht toll, wenn Männer die Zahnſchmerzen
haben, ſich einredeten ſie zahnten? Aber ſo toll ſind
unſere Tyrannen nicht. Dort die Pfaffen — ſie
wiſſen recht gut, daß der Zauber ihrer Gaukelkünſte
nicht mehr wirkt. Dort die Edelleute — ſie wiſſen
recht gut, daß die Zeit ihrer Anmaßung vorüber iſt.
Dort die Fürſten — ſie wiſſen recht gut, daß ihre
[122] Herrſchaft zu Ende geht. Ja alle dieſe unſere
Feinde wiſſen das beſſer als wir ſelbſt; denn ihren
Untergang ſehen ſie durch das Glas ihrer Furcht
weit näher, als wir es ſehen durch das Glas unſe¬
rer Hoffnung. Aber weil ſie es wiſſen, darum wü¬
then ſie; ſie wollen ſich nicht retten, ſie wollen ſich
rächen. Es giebt in Europa keinen Fürſten mehr,
der ſo verblendet wäre, daß er noch hoffte, es werde
einer ſeiner Enkel den Thron beſteigen. Aber weil
ohne Hoffnung, iſt er auch ohne Erbarmen und nimmt
ſich die Tyranney ſeines Enkels voraus, ſie zu der
ſeinigen geſellend.
— Heute kaufte ich einen ſchönen Geldbeu¬
tel für Sie, von der Farbe des griechiſchen Him¬
mels und der Königlich baieriſchen Nation: nämlich
hellblau, mit einem goldenen Saume und mit weißer
Seide gefüttert. So wonniglich weich anzufühlen,
daß es einer zarten Seele ſchwer fiele, hartes uner¬
bittliches Geld hineinzulegen. Aber Sie werden ihn
zu Almoſen beſtimmen. Hören Sie wie Sie dazu
gekommen. Noch fünf Minuten vorher dachte ich
nicht daran ihn zu kaufen, ob ich zwar an Sie dachte,
denn ich ſchrieb Ihnen gerade. Ich las die allge¬
meine Zeitung und darin von den hannöveriſchen
Ständen und von der Oeffentlichkeit die man ihnen
bewilligt, von der Größe eines Nadelſtichs; und wie
[123] man doch noch Angſt gehabt, es möchten Spitzbuben
von außen durch dieſen Nadelſtich in die Kammer
ſteigen, und wie man darum den Nadelſtich mit einem
eiſernen Gitter verwahrte und von außen Läden an¬
brachte, und innen eine Gardine davor hing. Dar¬
über mußte ich ſo lachen, daß ich das Pult erſchüt¬
terte; von der Erſchütterung floß mein Stacheldinten¬
faß über, das eben gefüllt worden war und zu hoch.
Jetzt kam ein Dintenbach von der Höhe herab, und
ſtrömte über die allgemeine [Zeitung] gerade durch das
hanöveriſche. Schnell rettete ich meinen Brief, faßte
die allgemeine Zeitung am trocknen Zipfel und warf
ſie ins Feuer. Dann holte ich Waſſer und wuſch
das Pult ab. Während dem Trocknen machte ich
einige Gänge durch das Zimmer, und kam bei dieſer
Gelegenheit an das Fenſter, und ſah die Straße
hinab. Da gewahrte ich, daß in das große Haus
mir gegenüber viele Menſchen gingen und daß viele
glänzenden Equipagen davorſtanden. Dann ſah ich
wieder viele Menſchen und Wagen herauskommen
und ſo ging das abwechſelnd immer fort. Ich ward
neugierig, ſchickte hinunter, und ließ Erkundigungen
einziehen; erhielt aber keine Aufklärung. Da zog ich
mich ſchnell an und ging ſelbſt hinüber. Ich fragte
den Portier des Hotels: où est ..... weiter
wußte ich nicht was ich fragen ſollte. Er antwor¬
[124] tete mir: im Hofe, links, im zweiten Stocke über
den Entre-Sol. Da ſtieg ich hinauf und kam durch
eine Reihe Zimmer, voll der ſchönſten Frauen und
Waaren; es war ein Bazar und Serail zugleich.
Man ſah alle möglichen Handarbeiten in Nähereien,
Strickereien, Stickereien, Malereien und wie ſie
ſonſt heißen. Auch männliche Handarbeiten, Bücher
waren zum Verkaufe ausgeſtellt. An jedem Tiſche
oder Laden ſtand eine Dame die verkaufte; an jedem
Artikel war der Preis geſchrieben. Eine Bekannte
die ich dort fand erklärte mir: das wäre der Bazar
eines Frauenvereins, der jeden Winter zum Beſten
der Armen dieſe Waare verfertigte und verkaufte.
Stifterin dieſes Vereins iſt eine Madame Lutteroth,
Schwiegertochter des reichen Kaufmanns, der früher
in Frankfurt wohnte. Die wohlthätige Neigung die¬
ſer Dame wurde durch die Religionsſekte zu welcher
ſich ihr Mann bekennt (ich glaube zu den Mennoni¬
ten) noch verſtärkt und angetrieben. Auch iſt es ihre
Wohnung in welcher die Waaren ausgeſtellt ſind.
Es war recht artig zu ſehen wie die Damen alle
ihre Sachen prieſen und anboten, mit einem Eifer,
einer Zuthulichkeit, als verkauften ſie zu ihrem eig¬
nen Gewinnſte. Auf dieſe Art ſind Sie zu dem
blauen Geldbeutel gekommen. Jetzt aber bleiben
Sie nicht länger eine verſtockte Ariſtokratin, und
[125] lernen Sie endlich begreifen, wozu die Oeffent¬
lichkeit gut iſt. Ich bringe ihn mit wenn die
Lerchen und die Veilchen kommen und unter
Otto's Strahlen die verdorrten Oelbäume wieder
blühen.
Bei den hieſigen Civilgerichten kam neulich ein
Prozeß zwiſchen dem Kaiſer Don Pedro und einem
Pariſer Bürger vor. Als der Huiſſier die Tages¬
ordnung ausrief: Dumoulin contre Don Pedro!
ſchrie einer der Zuhörer à Oporto, und Gelächter
im ganzen Saale. Nemlich dieſer Dümoulin ver¬
langt von dem Kaiſer einige und dreißigtauſend Fran¬
ken, für die Mühen, Reiſen und Koſten die es ihm
verurſacht, als er ihm ſeine jetzige Frau die Beauhar¬
nois verſchaffen half. Don Pedro will nicht bezah¬
len. Den Kuppel-Pelz nach den Flitterwochen ein¬
fordern — eine ſolche Dummheit hätte ich keinem
Pariſer zugetraut, die eigentlichen Prozeß-Verhand¬
lungen haben noch nicht angefangen; die Sache muß
hübſch werden. Dem guten Don Pedro geht es ſehr
ſchlecht in Oporto, er rückt nicht vor und iſt wie feſt
genagelt. Das iſt der böſe Zauber des Juſte-Milieu,
den ſein Freund und Beſchützer Louis Philipp über
ihn ausgeſprochen. Dieſer hat ihm geſagt: laſſen
Sie ſich mich zur Warnung dienen; beſſer keine
Krone als eine aus den Händen des Volkes; lieber
gar nicht regieren, als mit einer Conſtitution; bleiben
Sie nur ruhig ſtehen, gehen Sie weder rechts noch
links, halten Sie ſich gerade und die Krone wird Ih¬
[127] nen ſchon einmal auf den Kopf fallen. Das hat ſich
Don Pedro gemerkt und er war ſo ehrlich den con¬
ſtitutionellen Portugieſen nicht einmal etwas zu ver¬
ſprechen, außer, daß er ſie wahrſcheinlich nicht werde
hängen laſſen, wenn er wieder zur Regierung käme.
Dieſen aber genügt die Galgenfreiheit nicht, und ſie
leiſten ihm darum in ſeinem Kampfe keinen Beiſtand.
Louis Philipp wird ihm auch geſagt haben, er ſolle
die heilige Allianz nicht ärgern, und ſich darum nicht
anſtellen als wäre ihm an dem Glücke ſeines Volkes
gelegen, ſondern aufrichtig geſtehen, es liege ihm blos
an ſeiner Herrſchaft, und dann würde ſie nichts ge¬
gen ihn haben. So iſt er auf ſeine Lohnſoldaten be¬
ſchränkt, und wie will er mit dieſen gegen ein von
Glaubenswuth fanatiſirtes Volk, gegen ſeinen von
den mächtigſten Fürſten der Welt gut berathenen,
gut unterſtüzten Nebenbuhler kämpfen?
Die Komödie die jetzt in Spanien geſpielt wird
iſt auch merkwürdig. Ich nenne es Komödie, weil
ich mich heute nicht ärgern will, denn es iſt Mitt¬
woch, ich erwarte Ihren Brief und nichts ſoll meine
Freude ſtören. Aber an jeden der fünf andern Tage
der Woche hätte ich der Sache einen andern Namen
gegeben. Es empört mich viel ſtärker wenn Fürſten
ihre Unterthanen wie Kinder behandeln, und ſie mit
Mährchen amuſiren und ſie mit groben Lügen täu¬
ſchen, als wenn ſie ſie wie Männer und Sklaven züch¬
[128] tigen. Die ſpaniſche Königin hat ein Töchterchen,
dem ſie eine Krone verſchaffen möchte. Aber ihrem
Wunſche ſteht eine mächtige Parthei entgegen, und
um dieſe Parthei zu bekämpfen, wirft ſie ſich in die
Arme der Liberalen, und verſpricht ihnen Freiheit,
daß es eine Luſt iſt. Hat ſie einmal ihren Zweck
erreicht, oder ein anderes Mittel gefunden, ihren
Zweck zu erreichen, wird ſie die conſtitutionellen
Spanier, die ſo thöricht waren ihr zu trauen und in
ihre Falle zu gehen, eben ſo behandeln wie es Fer¬
dinand gethan. Aber trotz der Maske, trotz der fei¬
nen Liſt, in welcher alle Fürſten ſo geübt ſind, bricht
in den Reden und Handlungen der Königin Katharine,
die angeborne Natur oft komiſch genug vor. Ein
Fürſt der von Freiheit ſpricht, macht dann ein Ge¬
ſicht wie Robespierre — von dem einſt Mirabeau
ſagte: er ſieht aus wie eine Katze die Eſſig
getrunken hat. Neulich machte die Königin eine
Proklamation an die Spanier bekannt, voll Honig¬
worte, voll Freiheit, voll Glück, voll Ruhm, voll
Verſöhnlichkeit, kurz, voll Glaube, Liebe und Hoff¬
nung — wie der Hofrath Roußeau in der Poſtzei¬
tung am erſten Januar, wahrſcheinlich ſingen wird.
Plötzlich wendete ſie ſich an die verſtockten Gegner ihrer
himmliſchen Abſichten, krazt ſie und ſpricht wie folgt:
„Wer meinen mütterlichen Ermahnungen nicht
„Gehör giebt, auf den wird das Beil niederfallen,
[129] „das ſchon über ſeinem Kopfe hängt.“ Schöne, gute,
liebe Mama! Die in Frankreich ſich aufhaltenden
Spanier, die nach erhaltener Bewillung jetzt zurück¬
kehren, müſſen an der Grenze, angeblich wegen der
Cholera, dreißig Tage Quarantaine halten. Nun
kann das Lazareth nur ſechzig Perſonen faſſen, und
man hat berechnet, daß es drei Jahre dauern werde,
bis alle Spanier in ihr Vaterland kommen. Drei
Jahre! Das iſt ein Glück für wenigſtens zwei Dritt-
Theile dieſer Unglücklichen, die noch nach zwei
Jahren Zeit haben umzukehren, und ſich ſo vom
Henkertode zu retten. Euer Journal de Francfort
neulich, eiferte mit edlem Unmuthe gegen die Refor¬
men, welche die Königin von Spanien und der tür¬
kiſche Kaiſer in ihren Staaten vornehmen wollten,
obzwar ihre Völker ſolchen Reformen entgegen ſind.
Welche ſchöne Theilnahme, welche Zärtlichkeit für das
Glück und die Wünſche der Völker! Was hat denn
die hohe Bundesverſammlung auf einmal ſo weich
gemacht? Iſt etwa Rothſchild's Koch krank gewor¬
den? Wie konnte aber ..... daß ich ein Narr
wäre — da iſt Ihr Brief.
— Fragen Sie mich doch einmal was die Dok¬
trinairs eigentlich bedeuten. Ich weiß es ſelbſt
nicht recht, möchte mich darnach erkundigen und Ihnen
davon ſchreiben.
V. 9[130]
— Der **** iſt nicht ohne Geiſt und Witz,
aber er ſchreibt etwas rauh. Er iſt ein arger Hypo¬
chondriſt und ſeine Satyre hat etwas Menſchenfeind¬
liches, das ſie ſauer macht.
— Ja wohl, ich habe es damals ſchon von
mehreren Vornehmen gehört, daß ihnen meine Poſt¬
ſchnecke ſehr gefallen. Die erſchien ihnen als eine
Oaſe in meinen wüſten Schriften. Es war, weil
ich mich darin über einen Demagogen und ſeinen
langen Bart und über die Turnkunſt luſtig gemacht.
Welche Menſchen!
Zwoͤlfter Brief.
Geſtern kam Victor Hugo's Klage gegen den
Miniſter bei dem Gerichte vor. Das Handelsgericht
dem dieſe Sache zufiel, hat im Börſengebäude ſeinen
Sitz, und da es gerade die Stunde war in der ich dort
täglich vorbeigehe, bekam ich Luſt die Verhandlungen
mit anzuhören. Als ich die Treppe hinaufging —
mir pochte, wie immer, das Herz vor Zorn und
Scham. Es iſt eines der herrlichſten Gebäude der
Welt; das Alterthum kannte kaum ein ſchöneres;
unter dieſem Säulendache ſollte Phidias Jupiter thro¬
nen und ſtrahlen und ſeine Menſchenkinder mit hohem
Stolz erfüllen auf ſolch einen Vater! Aber drinnen
9 *[132] ſitzt Merkur in einem gepolſterten Lehnſtuhle, mit
gekrümmtem Rücken, den Geldbeutel in der Hand
und klingelt. Merkur der alte Wucherer, der
Phönizier, der Jude, der Mäkler, der Betrüger, der
mit falſchen Renten würfelt. Merkur der Schelm,
der Meineidige, der Gott der Kaufleute und der
Diebe, der am Tage ſeiner Geburt ſich aus der
Wiege ſchlich, hinauskroch auf das Landgut ſeines
Stiefbruders Apollo, ihm die ſchönſten Ochſen ſtahl
und dann, entdeckt, bei dem Haupte ſeines Vaters
ſchwur, er wiſſe von gar nichts. Merkur Feind des
Schönen, der Liebesläugner, der ſchon als Kind den
holden Amor durchgeprügelt und ſeiner Mutter die ihn
auf den Schoos genommen, ihren Gürtel ſtahl ....
Alſo da ich die Treppe hinaufging, kam eine junge,
ſchöne, blaſſe Frau, an dem Arme eines Herrn, die
Treppe herunter, und ich hörte, wie ſie einem ihr
begegnenden Bekannten ſagte: on étouffe! Ich
kehrte wieder um. Mein Leben daran zu ſetzen, um
einen halben Tag früher zu erfahren, ob Victor Hu¬
go's König ſich ferner amüſiren werde, oder nicht,
ſchien mir Verſchwendung. Abends bei Tiſche ſprach
ich einen der dabei war und es ausgehalten. Es
war ein junger Menſch von achtzehn Jahren mit
überflüſſigem rothem Blute, dem etwas zu erſticken
eher geſund als ſchädlich war. Es ſoll fürchterlich
geweſen ſein. Ueber dem Lärm, dem Gedränge,
[133] dem Angſtgeſchrei hinaus, Fenſter auf, wir er¬
ſticken, konnte man kein Wort von den Verhandlun¬
gen hören. Einer hat ſeine Hand verloren, die ihm
zwiſchen Thüre und Angel [zerquetſcht] wurde. Der
Angſtruf: Fenſter auf, wir erſticken, wurde
immer ſtärker und allgemeiner. Der Präſident er¬
klärte, er könne die Fenſter nicht öffnen laſſen; man
höre ſchon jetzt wenig, bei offnen Fenſtern würde man
gar nichts hören. Da rief Einer: Herr Präſident,
ich rufe Sie zum Zeugen auf, daß ich er¬
ſticke! Endlich wurden die Fenſter geöffnet, man
trieb den überflüſſigen Theil des Publikums zum
Saale hinaus, und die Verhandlungen wurden ruhi¬
ger fortgeſetzt. Aus dem, was ich davon in der
Gazette des Tribunaux geleſen, will ich Ihnen
einiges mittheilen. Dieſes Blatt wird von Advoka¬
ten des Juſte-Milieu redigirt. Nun kann man ihnen
zwar nicht vorwerfen, daß ſie die gerichtlichen Ver¬
handlungen mit Partheilichkeit darſtellten; keineswegs.
Ihre Nemeſis legt in beiden Wagſchalen gleiches Ge¬
wicht. Sie hält aber die Wage nicht mit der Hand,
ſondern ſie hängt ihr von der Naſenſpitze herab, als
der rechten Mitte zwiſchen rechter und linker Hand,
welches zur Folge hat, daß ſo oft Nemeſis die Naſe
rümpft, die Wage etwas ſchwankt. Doch werde ich
das ſchon in Abzug bringen.
[134]
Es war ein Rechtsſtreit zwiſchen der romanti¬
ſchen und der klaſſiſchen Schule, es war wörtlich
nichts anders als das, wie wir ſpäter aus Victor
Hugo's Rede ſehen werden — und dieſen Streit
ſollte ein Handelsgericht entſcheiden! Iſt das nicht
merkwürdig? Die Anhänger der romantiſchen Schule
hatten ſich in großer Menge frühzeitig im Saale ein¬
gefunden und ſollen ſich ſehr unanſtändig und unge¬
bührlich betragen haben. Als ihr König und Feld¬
herr Victor Hugo eintrat, wurde er von ſeinem
treuen Heere mit rauſchendem Beifallklatſchen empfan¬
gen; aber es ſchien, daß ihn dieſe kleine Huldigung
mehr in Verlegenheit geſetzt als geſchmeichelt habe.
Odillon-Barrot, der Advokat des Klägers, nahm das
Wort. „Die Berühmtheit meines Clienten überhebt
„mich der Pflicht Sie mit ihm bekannt zu machen.
„Seine Sendung, die ihm von ſeinem Talente, ſei¬
„nem Genie angewieſen, war, unſere Literatur zur
„Wahrheit zurückzuführen; nicht zu jener Wahrheit
„die nur ein Werk zur Uebereinkunft iſt, zu einer
„gemachten Wahrheit; ſondern zu der Wahrheit, die
„aus der Tiefe unſerer Natur, unſerer Sitten und
„Gewohnheiten geſchöpft wird. Dieſe Sendung, er
„hat ſie mit Muth übernommen, mit Ausdauer und
„Talent durchgeführt.“ Nun bitte ich Sie, was das
für Menſchen ſind! Da iſt Viktor Hugo, der Fürſt
der Romantiker, der ſein Land und Volk vertheidigt;
[135] da iſt Odillon-Barrot, der erſte Advokat Frankreichs,
der ihm beiſteht, und beide wiſſen nicht einmal, worin
das Weſen der Romantik, worin ihr gutes Recht
beſteht. Es beſteht nicht in der Wahrheit, wie ſie
ſagen, ſondern in der Freiheit. Freiheit und
Wahrheit ſind aber zwei ganz verſchiedene Dinge ...
Dieſe goldenen Worte, die ich da ausſprach werden
dem Herrn v. *** ſehr gut gefallen, und er wird ſie
rühmen wie meine Poſtſchnecke, und meinen Freun¬
den ſagen, da hätte ich wieder einmal ſehr ſchön ge¬
ſchrieben und Sie ſollten mich aufmuntern auf dieſem
guten Wege zu bleiben. —
Odillon-Barrot forderte für ſeinen Clienten, daß
die Comödie-Françaiſe entweder Le roi s'amuse
aufführe, oder dem Dichter eine Entſchädigung von
25,000 Franken zahle. Dann geht er zur Rechts¬
frage über. Wir wollen uns aber damit nicht auf¬
halten, uns kümmert blos der kleine, liebe, gute
Skandal. Nachdem er gezeigt, daß kein Geſetz vor¬
handen wäre, das einem Miniſter das Recht gäbe,
die Aufführung eines Stückes zu verhindern, ſetzt er
hinzu: und gebe es auch ein ſolches Recht, ſo gehört
es nicht zu den Amtsbefugniſſen des Miniſters der
öffentlichen Arbeiten, und Herr von Argout indem er
es in Anwendung brachte, hat ſich alſo eine Gewalt
angemaßt die ihm nicht gebührt. — „Aber in der
„That, der Herr Miniſter des Handels greift ſehr
[136] „um ſich; er hat ſich die Verwaltung der National¬
„garde genommen; die Präfekturen ſind ihm unter¬
„geordnet, und jetzt maßt er ſich noch die Direktion
„der Theater an, die durch ein Geſetz der hohen
„Staatspolizei vorbehalten wurde. Wenn das ſo iſt,
„was wird denn dem armen Miniſter des Innern
„noch übrig bleiben.“ Großer Beifall und allge¬
meines Gelächter. Es iſt nämlich zu wiſſen, daß
unſer guter Monarch Louis Philipp, von den repu¬
blikaniſchen Inſtitutionen, die ihm umgaben, ſich ſo
geängſtigt fühlte, daß er beſchloß ſich gleich Napoleon
einen Polizei-Miniſter zu geben, der auf dieſe repu¬
blikaniſche Inſtitutionen Acht haben ſollte. Aber es
war noch um einige Monate zu frühe. Die Berry
war noch nicht gefangen, Antwerpen noch nicht ein¬
genommen und die Adreſſe der Kammer noch nicht
erlangt. Darum begnügte er ſich einſtweilen, Thiers
in's Geheim zum Polizei-Miniſter zu ernennen, und
ihm öffentlich den Titel eines Miniſters des Innern
beizulegen. Alle Geſchäfte aber, die ſonſt dem Mi¬
niſter des Innern oblagen, wurden ihm entzogen und
dem Miniſter des Handels zuertheilt, und Thiers
behielt nur die Polizei und einige Aemter die mit
ihr verwandt ſind.
Jetzt nahm Victor Hugo das Wort und ſprach
wie ein Poet und zwar wie ein romantiſcher Poet.
Ein Dutzend ſolcher Reden vor einem deutſchen Han¬
[137] delsgerichte gehalten, würden es verlernen machen,
welch ein Unterſchied zwiſchen einer Schuldverſchrei¬
bung und einem Wechſel ſei. Es war ein Corpus
Juris oder eine Frankfurter Stadtreformation in
Almanachsformat gedruckt und in Seide eingebunden.
Er ſagte, er hielt es für ſeine Pflicht, die kecke und
ſtrafbare Handlung, welche in ſeiner Perſon die Rechte
aller gekränkt, ohne ſtreng und feierlichen Widerſpruch
nicht vorübergehen zu laſſen. Dieſe Sache ſei keine
gewöhnliche, nicht eine bloße Handelsangelegenheit,
eine perſönliche. „Nein, meine Herren, es iſt mehr
„als das, es iſt der Prozeß eines Bürgers gegen
„die Regierung.“ .... „Ich hoffe, Sie werden was
„ich Ihnen zu ſagen habe mit Theilnahme anhören,
„Sie werden durch Ihren Richterſpruch die Regierung
„belehren, daß ſie auf böſem Wege iſt, und daß ſie
„Unrecht hat, die Kunſt und die Wiſſenſchaft mit
„ſolcher Ungeſchliffenheit zu behandeln; Sie werden
„mir mein Recht und mein Eigenthum wieder geben;
„Sie werden die Polizei und die [Cenſur], die nächt¬
„licher Weiſe zu mir gekommen ſind und, nach Er¬
„brechung der Charte, mir meine Freiheit und mein
„Geld geſtohlen, auf der Stirne brandmarken.“ Eine
Polizei und eine Cenſur brandmarken — es iſt
doch gar zu ſchauderhaft! — „Die Bewegungs¬
„gründe welche die Geſellen der Polizei einige Tage
„lang gemurmelt haben um das Verbot dieſes Stückes
[138] „zu erklären, ſind dreierlei Art: es iſt der moraliſche
„Grund, der politiſche Grund und, es muß geſagt
„werden, ſo lächerlich es auch iſt, der literäriſche
„Grund. Virgil erzählt, daß zu den Blitzen, welche
„Vulkan für Jupiter verfertigt, drei verſchiedene
„Stoffe genommen wurden. Der kleine miniſterielle
„Blitz, welcher mein Drama getroffen, und den die
„Cenſur für die Polizei geſchmiedet hatte, iſt aus
,drei ſchlechten Gründen zuſammengedreht, gemengt
„und gemiſcht.“ Der Dichter unterſucht nun dieſe
drei Gründe. Ueber den Vorwurf der Unmoralität
bemerkt er: „Alle vorgefaßte Meinungen, welche gegen
„die Moralität meines Werkes zu verbreiten der Po¬
„lizei auf einen Augenblick gelungen war, ſind in
„dieſer Stunde wo ich da ſpreche verſchwunden.
„Drei tauſend Exemplare des Buches in der Stadt
„verbreitet, als ſo viele Advokaten, haben meinen
„Prozeß geführt und gewonnen.“ Betreffend den
politiſchen Grund des Verbots beruft ſich Victor
Hugo auf die Vorrede ſeines Dramas, und führt
die dort befindliche Stelle an, die ich Ihnen früher
mitgetheilt. Nach dieſer Anführung bemerkt er:
„Dieſe Schonung zu welcher ich mich verbindlich ge¬
„macht, ich werde ſie halten. Die hohen Perſonen,
„welchen daran liegt, daß dieſer Streit würdig und
„anſtändig bleibe, haben nichts von mir zu fürchten;
[139] „ich bin ohne Groll und ohne Haß. Nur daß die
„Polizei einem meiner Verſe einen Sinn gegeben,
„den er nicht hatte, das, erkläre ich, iſt unverſchämt
„und gleich unverſchämt gegen den König wie gegen
„den Dichter. Die Polizei wiſſe es ein für alle
„Male, daß ich keine Stücke mit Anſpielungen mache.
„Sie laſſe ſich das geſagt ſein.“
„Nach dem moraliſchen und dem politiſchen
„Grunde kömmt der literäriſche. Daß eine Regie¬
„rung aus literäriſchen Bewegungsgründen ein Stück
„verbietet, das iſt ſeltſam, aber es iſt wirklich ſo.
„Erinnern Sie ſich, wenn es ſich ja der Mühe lohnte,
„ſich einer ſolchen Sache zu erinnern, daß im Jahr
„1829, als die erſten ſogenannten romantiſchen
„Werke auf dem Theater erſchienen, zur Zeit wo die
„franzöſiſche Comödie Marion de Lorme annahm,
„eine von ſieben Perſonen unterzeichnete Bittſchrift
„dem Könige Karl X. überreicht wurde, worin man
„verlangte daß das Theater Français ohne weiteres,
„und von wegen des Königs, allen Werken die man
„die neue Schule nannte verſchloſſen werden möge.
„Karl X. lachte und antwortete mit Geiſt, daß in
„literariſchen Angelegenheiten, er, wie wir alle, nur
„ſeinen Platz im Parterre habe. Die Bitt¬
„ſchrift ſtarb an ihrer Lächerlichkeit. Nun wohl,
[140] „meine Herren, heute ſind mehrere von den Unter¬
„zeichnern jener Bittſchrift, Deputirte, einflußreiche
„Deputirte der Majorität, die Theil an der Macht
„haben und über das Budget ſtimmen. Um was ſie
„1829 ängſtlich baten, das haben ſie, mächtig wie
„ſie ſind, 1832 thun können. Das öffentliche Ge¬
„rücht erzählt wirklich, daß ſie es waren die den
„Tag nach der erſten Aufführung, in der Deputirten¬
„kammer den Miniſter angegangen und von ihm er¬
„langt haben, daß, unter allen möglichen und mora¬
„liſchen und politiſchen Vorwänden Le roi s’ amuse
„unterdrückt werden ſolle. Der Miniſter, ein ſchlich¬
„ter, unſchuldiger, gutmüthiger Menſch, ging in die
„Falle .... Es iſt merkwürdig! Die Regierung
„leihet 1832 der Akademie ihre bewaffnete Macht!
„Ariſtoteles ein Staats-Grundgeſetz geworden! De¬
„putirte welche Karl X. abgeſetzt haben, arbeiten in
„einem Winkel an der Reſtauration Boileaus! Wie
„armſelig!“
Jetzt erinnert ſich Victor Hugo, daß er der
Regierung gedroht ihr Feind zu werden, und fängt
gleich an zu zeigen, daß es ihm mit der Drohung
Ernſt geweſen. „Doch verhehle ich mir es nicht,
„daß die Zeit in der wir ſind, nicht mehr jenen letz¬
„ten Jahren der Reſtauration gleicht, wo der Wider¬
[141] „ſtand gegen die Anmaßungen der Regierung ſo ge¬
„prieſen, ſo aufgemuntert, ſo volksthümlich war.
„Die Ideen von Ruhe und Macht, genießen in die¬
„ſem Augenblick größere Gunſt als die von Fort¬
„ſchreiten und Freiheit. Es iſt das eine natürliche
„Rückwirkung der Revolution von 1830, wo wir alle
„unſere Freiheiten im Sturmſchritte zum zweitenmal
„genommen haben. Aber dieſe Rückwirkung wird
„nicht lange dauern. Unſere Miniſter werden ſich
„eines Tags über das unverſöhnliche Gedächtniß er¬
„ſtaunen, mit welchen ſelbſt diejenigen Menſchen, die
„jetzt ihre Majorität bilden, ihnen alle die Ungerech¬
„tigkeiten zurückrufen werden, die man heute ſo ſchnell
„zu vergeſſen ſich den Anſchein giebt ... Ich muß
„es hier ſagen, ich habe ſtarke Gründe zu glauben,
„daß die Regierung dieſen Schlaf des öffentlichen
„Geiſtes benutzen wird, um die Cenſur in aller Form
„einzuführen, und daß meine Sache nur ein Vorſpiel,
„eine Vorbereitung, eine Bahn zur allgemeinen Achts¬
„erklärung aller Theater-Freiheiten iſt. Indem ſie
„kein Repreſſiv-Geſetz gab, indem ſie gefliſſentlich
„ſeit zwei Jahren die Ausſchweifungen der Bühne
„alle Dämme überſchreiten ließ, glaubte die Regie¬
„rung in der Meinung aller geſitteten Menſchen,
„welche jene Ausſchweifungen empören mußten, ein
„günſtiges Vorurtheil für die dramatiſche Cenſur ge¬
[142] „ſchaffen zu haben. Meine Meinung iſt, daß ſie
„ſich betrügt, und daß in Frankreich die Cenſur nur
„eine verhaßte Geſetzwidrigkeit bleiben wird.“
„Und bemerken Sie, daß in dieſer Reihe will¬
„kührlicher Handlungen, die ſeit einiger Zeit auf ein¬
„ander folgen, die Regierung aller Größe, aller Offen¬
„heit, alles Muthes ermangelt. Dieſes ſchöne, ob¬
„zwar noch unvollendete Gebäude, welches die Juli-
„Revolution entworfen hat die Regierung untergräbt
„es langſam, unter der Erde leiſe, auf krummen
„Schleichwegen. Sie faßt uns verrätheriſch von hin¬
„ten, in einem Augenblicke wo wir uns deſſen nicht
„verſehen. Sie wagt mein Stück vor der Auffüh¬
rung nicht zu cenſiren, ſie legt den andern Tag die
„Hand darauf. Sie macht uns unſere weſentlichen
„Freiheiten ſtreitig; ſie chikanirt uns in unſern beſt¬
„erworbenen Gerechtſamen; ſie ſetzt das Gerüſte
„ihre Willkühr auf einen Haufen alter, wurmſtichiger,
„abgekommener Geſetze; ſie ſtellt ſich, uns unſere
„Freiheiten zu rauben, in einem Hinterhalte, in dem
„Speſſart kaiſerlicher Dekrete, durch welchen die
„Freiheit nie kömmt ohne ausgeplündert zu werden.“
(Victor Hugo ſagte, Foret de Bondi; aber ich
habe Speſſart daraus gemacht, denn ich binn ein
guter Patriot. Ich ſchreibe vaterländiſche Briefe wie
[143] Herr von Gagern in der allgemeinen Zeitung, und
bei mir hat alles eine deutſche Tendenz.)
„Ich ſage unſere Regierung nimmt uns Stück¬
„weiſe alle die Rechte und Freiheiten, die wir in
„den vierzig Jahren unſerer Revolution erworben
„haben. Ich ſage, es kömmt der Rechtlichkeit der
„Gerichtshöfe zu, ſie auf dieſem Wege, der ſo ver¬
„derblich für ſie ſelbſt als für uns iſt, einzuhalten ....
„Bonaparte, als er Conſul und Kaiſer wurde, wollte
„auch den Despotismus; aber er machte es anders.
„Gerade zu und mit einem Schritte trat er hinein.
„Er gebrauchte keine jener erbärmlichen, kleinlichen
„Pfiffe, mit welcher man uns heute, eine nach der
„andern, alle unſere Freiheiten aus der Taſche ſpielt
„die alten wie die neuen, die von 1830, wie die
„von 1789. Napoleon war kein Duckmäuſer und
„kein Heuchler. Napoleon ſtahl uns nicht im Schlafe
„unſere Rechte eines nach dem [andern], wie man es
„jetzt thut. Napoleon nahm alles auf einmal, mit
„einem einzigen Griffe, und mit einer einzigen Hand.
„Der Löwe hat nicht die Art des Fuchſes.“
„Damals, meine Herren, war es groß! Reich,
„Regierung, Verwaltung — Ganz gewiß war es
„eine Zeit unerträglicher Tyrannei; aber erinnern
[144] „wir uns, daß wir unſere Freiheit in Ruhm reichlich
„bezahlt erhielten. Das Frankreich von damals,
„hatte wie Rom unter Cäſar, eine zugleich unterwür¬
„fige und ſtolze Stellung. Es war nicht das Frank¬
„reich wie wir es wollen, das freie ſich ſelbſt be¬
„herrſchende Frankreich; es war Frankreich. Sklave
„eines Mannes und Gebieter der Welt.“
„Damals, das iſt wahr, nahm man uns die
„Freiheit; aber man gab uns ein erhabenes Schau¬
„ſpiel dafür. Man ſagte: an dieſem Tage, zu die¬
„ſer Stunde, werden wir in dieſe Hauptſtadt hinein¬
„gehen, und am beſtimmten Tage zur beſtimmten
„Stunde, zog man dort ein. Man entthronte eine
„Königsfamilie mit einem Dekrete des Moniteurs.
„Man ließ ſich alle Arten Könige, in ſeinem Vor¬
„zimmer herumtreiben. Hatte man den Einfall eine
„Säule aufzurichten, ließ man vom Kaiſer von Oeſt¬
„reich das Metall dazu liefern. Man regelte, ich
„geſtehe es, etwas eigenmächtig die Verhältniſſe der
„franzöſiſchen Schauſpieler; aber die Verordnung
„war von Moskow datirt. Man nahm uns alle un¬
„ſere Freiheiten, ſage ich; man hatte ein Cenſur-
„Büreau, man zerſtampfte unſere Bücher, man ſtrich
„unſere Stücke von dem Anſchlagezettel; aber auf
„alle unſere Klagen konnte man uns mit einem ein¬
[145] „zigen Worte prächtige Antworten geben, man konnte
„uns antworten: Marengo! Jena! Auſterlitz!“
„Damals, ich wiederhole es, war es groß; heute
„iſt es klein. Wie damals gehen wir der Willkühr
„entgegen, aber wir ſind keine Koloſſen mehr. Un¬
„ſere Regierung iſt keine ſolche, die uns über den
„Verluſt unſerer Freiheit zu tröſten verſteht. Be¬
„trifft es die Kunſt — wir entſtellen die Tuilerien;
„betrifft es den Ruhm — wir laſſen Polen unter¬
„gehen. Doch hindert das unſere kleinen Staats¬
„männer nicht, die Freiheit zu behandeln, als wenn
„ſie wie Despoten gewachſen wären; Frankreich un¬
„ter ihre Füße zu ſtellen, als hätten ſie Schultern
„die Welt zu tragen. Wenn das noch wenige Zeit
„ſo fortgeht, wenn die vorgeſchlagenen Geſetze ange¬
„nommen werden, wird der Raub aller unſerer Frei¬
„heiten vollendet werden. Heute läßt man mir von
„einem Cenſor die Freiheit des Dichters nehmen,
„morgen wird man mir durch Gensdarmen die Frei¬
„heit des Bürgers nehmen laſſen. Heute verbannt
„man mich vom Theater, morgen wird man mich
„aus dem Lande verbannen. Heute knebelt man
„mich, morgen wird man mich deportiren; heute der
„Belagerungs-Zuſtand in der Literatur, morgen in
„der Stadt. Von Freiheit, Garantien, Chárte,
V. 10[146] „öffentlichem Rechte, kein Wort mehr; nichts da.
„Wenn nicht die Regierung, von ihrem eignen In¬
„tereſſe beſſer berathen, auf dieſem Abhange einhält,
„während es noch Zeit iſt, werden wir ſehr bald
„allen Despotismus von 1807 haben, und ohne den
„Ruhm. Wir werden das Kaiſerreich haben ohne
„Kaiſer.“
„Noch zwei Worte, meine Herren, und möchten
„ſie Ihnen, wenn ſie berathſchlagen, gegenwärtig
„ſeyn. In dieſem Jahrhunderte gab es nur einen
„großen Menſchen, Napoleon, und eine große Sache,
„die Freiheit. Wir haben den großen Menſchen
„nicht mehr, ſuchen wir wenigſtens die große Sache
„zu behalten.“
Sprach's! wie Voß im Homer zu ſagen pflegt.
Das Urtheil wird erſt in vierzehen Tagen geſprochen...
Da fällt mir ein, das ich etwas vergeſſen, das ſchön
iſt. Das Geſetz aus welchem der Miniſter ſein
Recht ein Stück zu verbieten herleitet, ſtammt aus
der Schreckenszeit der Republik und wurde im Jahr
1793 gegeben. Darin heißt es wörtlich: Die Thea¬
ter ſollten wöchentlich dreimal, Brutus, Wilhelm
Tell, Timoleon und [überhaupt] nur republika¬
niſche Stücke aufführen, aber jedes Drama von
[147] der Bühne entfernt halten, das geeignet iſt den öffent¬
lichen Geiſt zu verderben, und den ſchmählichen
Aberglauben des Königthums wieder auf¬
zuwecken. Wozu ſich doch der Teufel nicht alle
brauchen läßt — ſogar zum Engel! Merkwürdig!
10 *
Dreizehnter Brief.
— — — Heute Nachmittag verkündete der
Donner der Kanonen die Uebergabe von Antwerpen
Ich ſage: der Donner, weil das ſo üblich iſt; ge¬
hört habe ich nichts davon. Auf der Straße wurde
der Sieg für zwei Sous ausgerufen; aber ich kaufte
ihn nicht, ſondern ging nach Hauſe um mit Ihnen
zu überlegen, ob die Einnahme von Antwerpen zwei
Sous werth ſei. Wer weiß! Was mag der König
Philipp froh ſeyn, daß der Theater-Vorhang endlich
gefallen iſt, was mag er Furcht vor ſeinem eignen
Muthe gehabt haben! Welche artigen höflichen
Briefe mag er heute an alle Tyrannen Europens
geſchrieben und ſie um Verzeihung gebeten haben für
die ſehr große Freiheit die er ſich genommen, eine
Citadelle zu erobern! Das war wieder ein ächt
monarchiſcher Krieg, eine Schachparthie, wo ſich
[149] Bauern für den König ſchlugen. Zu vertheidigen
war Antwerpen gar nicht, nicht mit aller Tapferkeit;
der König von Holland wollte ſeine Ehre retten
Die Ehre eines Königs erhält ſich nur, im Blute —
das iſt bekannt. Es iſt mir als wenn ich dabei wäre:
der Marſchall Gerard wird den General Chaſſé zu
Tiſche bitten und da werden ſie ſich wechſelſeitig die
artigſten, ſchönſten Dinge von der Welt ſagen; dem
Einen für ſeine heldenmüthige Vertheidigung, dem
Andern für ſeinen heldenmüthigen Angriff. Es wird
viel gelacht und Champagner getrunken und vor der
Thüre ſpielt die Regimentsmuſik. Unterdeſſen jam¬
mern die holländiſchen und franzöſiſchen Verwundeten
in den Spitälern, unterdeſſen jammern ihre Mütter,
Weiber und Bräute. Der Herzog von Orleans zieht
triumphirend in Paris ein, Marſchall Gerard wird
belohnt, und die Gebliebenen bekommen den Orden
des heiligen Grabes. Warum? Leſen Sie in den
Spaziergängen eines Wiener Poeten, das
herrliche Gedicht. Warum? „Von dem poßierlich
„kleinen Männlein, das ſich auf der Sprache
„garbenreichem, unermeßnem Erntefeld ein
„einziges goldnes Körnlein liebend auser¬
„wählt; das Männerwort: Warum?“ Ich bin
ſelbſt ſolch ein poßierlich kleines Männlein: wenn
man mir den Kopf herunterſchlüge, er murmelte im¬
mer fort: warum? — Doch wer weiß! die heilige
[150] Allianz hat den franzöſiſchen Löwen wieder einmal
brüllen hören, und iſt er auch noch in ihrem Käfig,
ſo erinnert ſie das doch, daß es ein Löwe ſei und
keine Katze. Vielleicht erſchrickt ſie darüber, vielleicht
bekömmt ſie größere Furcht vor Frankreich als vor
Hambach und fängt Krieg an und dann iſt uns ge¬
holfen. Ich bin ſo hoffnungslos, daß alles mir Hoff¬
nung giebt. Ich habe manchmal Mitleid mit mir
ſelber und komme mir vor wie jener ſchwediſche Sol¬
dat, der das Rauchen ſo leidenſchaftlich liebte, daß,
als ihm einſt im Kriege der Taback mangelte, er an
einem angezündeten Strohhalm dampfte. Ein Bis¬
chen Strohrauch wird mir zur Wolke, jede Wolke zum
Himmel, und von jedem Himmel hole ich die Frei¬
heit herab. Und welche Freiheit! Es iſt ſo wenig
was ich fordere. Ich verlange nichts als Hoſen,
für mich und meine deutſchen Kameraden, und daß
uns nicht jedes alte Weib von Regierung ſoll immer¬
fort dutzen dürfen. Mein einziger Ehrgeitz iſt Deutſch¬
lands Oedip zu werden, der es von der Augsburger
Sphinx befreit, die mich noch zu Tode ärgert. Sie
iſt ſchuld an meinen Zahnſchmerzen. Täglich bringt
der Berliner Correſpondent eine diplomatiſche Nuß
zum aufknacken; ich nehme ſie in den Mund, beiße
zu mit allen Kräften der Zähne — und die Nuß iſt
hohl, zerbricht wie Eierſchaalen, meine Zähne knir¬
ſchen unvermuthet auf einander und meine erſchrocke¬
[151] nen Nerven zittern von den Zehen bis zu den Haa¬
ren. Und das muß man ſich gefallen laſſen, muß
ſchweigend zuſehen, wie dieſer Berliner Affe die
Zunge gegen die franzöſiſche Regierung und das deut¬
ſche Volk herausſtreckt, und darf ihm nicht auf das
Maul ſchlagen!
Vierzehnter Brief.
Louis Philipp, der gute Friedensrichter, hat
ſeine Gerichtsdiener, nachdem ſie jetzt den König von
Holland ausgepfändet, gleich wieder aus Belgien zu¬
rückgerufen. Ich fange an zu glauben, der Mann
iſt ein Philiſter. Es wäre merkwürdig! Iſt er
kein Böſewicht, oder iſt er nicht wahnſinnig, iſt er
ein Philiſter. Seine königlichen Vorfahren, durch
viele Jahrhunderte, waren der Reihe nach, einige
groß, die meiſten klein; manchmal gut, öfter ſchlecht;
viele leer, die meiſten unmäßig. Aber ſo glatt ge¬
ſtrichen, wie ein Scheffel Hafer, gleich dieſem Louis
Philipp, war noch kein franzöſiſcher König. Die
Andern hatten ihre Leidenſchaften, ſie hatten ihre
Krankheiten; aber dieſe Leidenſchaft der Ruhe, dieſes
Ordnungsfieber hatte keiner von ihnen. O Gott!
mußte ich das noch erleben, daß die Könige Hofräthe
[153] werden! Und ſeine Dintenlecker, ſeine beſoldeten Red¬
ner und Zeitungsſchreiber, was ſie ihm Hymnen ſin¬
gen! So wurde nicht Achilles und Hektor, nicht
Alexander, nicht Cäſar, nicht Napoleon beſungen.
Sie ſagen: vor Antwerpen ſei ein Krieg geführt
worden, wie noch keiner. Die Franzoſen hätten
nicht für die Freiheit gekämpft, wie unter der Repu¬
blik, nicht für den Ruhm, wie unter Napoleon, ſon¬
dern für die Geſetze hätten ſie gekämpft, es ſei ein
legaler Heroismus geweſen. Für die Geſetze
wären Frankreichs Heldenſöhne drei Wochen lang zwei
Fuß tief im Waſſer geſtanden, und hätten ſich be¬
regnen und niederſchmettern laſſen, und hätten dabei
ihren fröhlichen Muth behalten; nicht aber die Mar¬
ſellaiſe geſungen, wie die revolutionairen Blätter ge¬
logen, ſondern die guten Kinder hätten gerufen: vive
le roi, vive le roi! ... Und darum jene drei
heißen Juli-Tage, und darum kam uns die Sonne
um drei Erdfernen näher, um zwei armſelige Könige,
einen Regenten und einen Herzog auszubrüten! Ei¬
nen Braunſchweiger Herzog, der kürzlich auf jeden
falſchen Zahn ſeiner Unterthanen ſeine Abgabe von
zwei Thaler gelegt hat, vierundſechszig Thaler für
einen ganz falſchen Mund! (Wenn dieſer gute Her¬
zog viele Beamten und Höflinge hat, muß er ein
reicher Fürſt werden.) Und darum dieſes [dreitägige]
Feſt, welches die Götter ſelbſt mit ihrer Gegenwart
[154] beehrten, um den Namenswechſel einiger Tyrannen
zu feiern! Und darum verſchleuderte Jupiter in drei
Tagen alle ſeine Blitze um ein frommer Juriſt zu
werden, und Götter und Menſchen ferner durch Con¬
ferenzen und Protokolle zu beherrſchen! Was iſt da
zu machen? Ich will mir einen Haarbeutel anhän¬
gen und mich von dem Fürſten von Sigmaringen zum
Legationsrath ernennen laſſen.
Ein deutſcher Eſel in London hat in einem
engliſchen Journale von meinen Briefen geſprochen;
ein deutſcher Eſel in Leipzig hat das im literariſchen
Converſationsblatt überſetzt und ein deutſcher Eſel in
Paris hat mir den Artikel zu leſen gegeben und dar¬
auf geſchworen, ein Engländer habe das gemacht.
Ein Engländer ſoll geſagt haben: „Wir lieben eine
vernünftige Preßfreiheit!“ Ein Engländer ſoll durch
vier Seiten von Jude geſprochen und geſagt haben:
ich ſei „eingeſtandenermaßen“ ein Jude! Einge¬
ſtandenermaßen — wie gefällt Ihnen das? Ein
Engländer habe geſagt: das Ganze habe eine Sa¬
tyre ſein ſollen auf das Reden und Treiben der Li¬
beralen! Ein Engländer: ich ſei ein kalter Menſch,
ohne allen Enthuſiasmus, und man höre es mir an,
daß mir alles gleich wäre, ſo oder ſo! Dieſes Lum¬
pengeſindel iſt nur zu Löſchpapier zu gebrauchen; aber
ſie drucken ihr beſtes darauf und nennen es gutes
weißes Druckpapier. Sie verſtehen das nicht,
[155] Sie haben nicht den Witz davon; aber wüßten Sie
was das heißt gutes weißes Druckpapier, das
gäbe Ihnen ein lebhafteres Bild von unſerm öffent¬
lichen Leben. O das Vieh — eingeſtandener¬
maßen!
Vorigen Sommer unternahmen einige Deutſche
in London, ein freiſinniges Blatt in deutſcher Sprache.
Als dort der Oeſterreichiſche und der Preußiſche Ge¬
ſandte das erfuhren, ließen ſie von einem ihrer ver¬
trauten Geſellen ein ähnliches Blatt ankündigen, das
ſie verſchenkten oder wohlfeil weggaben, um das an¬
dere zu unterdrücken. Ihre Abſicht gelang ihnen auch.
Wenn man Patriotismus, Muth und Beharrlichkeit
genug hätte, mich hier in Paris bei ſolch einem
wohlthätigen Unternehmen zu unterſtützen, nicht dem
ganzen diplomatiſchen Korps den Nunzius an der
Spitze ſollte es gelingen, mich niederzudrücken, zu
ſchrecken oder zu beſtechen. Aber .... aber ...
gutes weißes Druckpapier!
Ein neues Journal auf das kommende Jahr,
das heißt auf Morgen angekündigt. L'Europe
littéraire, [Journal] de la Littérature na¬
tionale et étrangère. Das einzige Intereſſante
bei der Sache iſt, daß Heine die Redaction der
deutſchen Litteratur übernommen, alles Uebrige, fürchte
ich, iſt Wind und wird zu Waſſer werden wie jeder
Wind. Die Natur mag es mir verzeihen wenn ich
ihr Unrecht thue, ich weiß wahrhaftig nicht gewiß,
ob jeder Wind zu Waſſer wird; aber es ſteht ein¬
mal da. Die Ankündigung des Journals liegt vor
mir: Prospectus confidentiel [imprimé] pour MM.
les fondateurs et les redacteurs de l'Europe lit¬
téraire. Ich habe keine Geheimniſſe vor Ihnen, und
Sie ſollen alles erfahren.
Pour nous faire l'écho fidèle des littératu¬
res et des Arts de tous les peuples, et arriver
ainsi à cette universalité qui sera le but constant
de nos efforts, nous avons dû nouerd'immen¬
sesrelations, non seulement avec les acadé¬
mies et les corps savants de nos provinces et
des diverses capitales de l'Europe, qui représen¬
tent les centres d' antant de cercles partiels, mais
encore nous mettre en rapport direct avéc tous
[157]les comités littéraires et artistesdu monde ci¬
vilisé. Nous devons dire qu'en France, comme
à l'étranger,tous les noms célèbresdans
la littérature, la philosophie et les diverses bran¬
ches de l'art, ont accueilli notre projet avecle
même enthousiasme, et qu'ils ont promis
de contribuer de leurs travaux et de leurs noms
au succès de cette grande et utile entreprise.‟
Das iſt alles Wind! Was wenigſtens die berühm¬
ten deutſchen Litteratoren betrifft, ſo iſt nicht möglich,
daß ſie verſprochen haben, an dem neuen Journale
mitzuarbeiten, oder der Hofrath Rouſſeau in Frank¬
furt müßte ein Lügner ſeyn, was auch nicht möglich
iſt. Dieſer hat ja kürzlich erſt bekannt gemacht „daß
die vorzüglichſten Schriftſteller Deutſchlands“ ſich ver¬
pflichtet hätten in ſein Frankfurter Converſa¬
tions-Blatt zu ſchreiben; und um ein Journal das
der Hofrath Rouſſeau redigirt intereſſant zu machen,
das allein könnte ſchon alle Kraft und Zeit einiger
Dutzend Voltaires beſchäftigen. Was bliebe ihnen
für Paris übrig? Alſo gelogen. Weil ich gerade
von ihm ſpreche — neulich erzählte mir jemand: in
einem neuen Bande liri-liri-lirili-lyriſcher Gedichte
von Rouſſeau ſtehe auch eine Ode an den berühmten
Pfeilſchifter, worin dieſem geſungen wird, er habe
wie ein mächtiger Sturmwind, alle Demagogen, gleich
welken Blättern vor ſich hergetrieben. Wenn Sie
[158] mich lieb haben, wenn Sie mich erquicken wollen,
ſchicken Sie mir das Gedicht.
Jetzt das Waſſer. „La politique sera
complètement exclue de l'Europe litté¬
raire. Notre feuille, ainsi concentrée dans le
domaine de l'art, restera toujours placée en de¬
hors des passions du moment: elle formera,
pour ainsi dire, un territoire neutre, oû pour¬
roit demeurer et vivre en paix tous les partis
et toutes les opinions. Le premier avantage,
qui résultera pour notre recueil de cette exclu¬
sion totale de la politique, c'est qu'il pourra
franchir toutes les frontières, et trouver auprès
de tous les gouvernemens la protection et l'ap¬
pui nécessaires au succès universel qu'il l'am¬
bition d'obtenir. Déjà des hauts patronages
sont assurés à l'Europe littéraire. Nous avons
l'espoir de [rencontrer] partout cette même bien¬
veillance qui ne manqua jamais aux publica¬
tions dont l'art et le progrès furent le but uni¬
que et special“ .... Ich muß in der Mitte
aufhören um zu horchen; es iſt zehen Minuten vor
Mitternacht.
Hoch! Hoch! Hoch!
Ich kehre zum franzöſiſch-europäiſch-litterariſchen
Winde zurück. Der Herausgeber des neuen Jour¬
nals ſchrieb früher den Figaro mit viel Geiſt und
Witz. Unter der Regierung Caſimir Periers zog er
ſich mit ſeinem Witze, ſeinem Gelde und ſeiner Tu¬
gend zurück, und hing, wie man zu ſagen pflegt,
die Politik an den Nagel, das haben ſchon viele ge¬
than; es iſt eine gefahrloſe Inokulation des Gal¬
gens. Seitdem lebt er von ſeinen Renten. Die
Moral eines Schriftſtellers hat in Frankreich große
Fortſchritte gemacht. Der ärgſte Schelm wenn er
ſein Gewerbe verſteht, kann mit dem Code moral
in der Hand ſich vor die himmliſchen Aſſiſen ſtellen,
und Gott und ſeine Engel keck herausfordern, ihm
den Paragraphen zu nennen, den er übertreten.
Ein deutſcher Journaliſt verkauft ſein Gewiſſen, ein
franzöſiſcher verkauft ſeine Aktien. So kömmt das
Journal in andere Hände und man braucht die eig¬
nen nicht zu beſchmutzen. Ein deutſcher Journaliſt
ſtellt ſich an den Pranger, ein franzöſiſcher begnügt
ſich ihn zu verdienen. Der Unternehmer der Eu¬
rope litéraire, der die Gefahren der Tugend
einmal kennen gelernt, meidet ſie ängſtlich und, um
nicht zum zweitenmale in Verſuchung zu kommen,
[160] ſeine Aktien zu verkaufen, nahm er ſich lieber vor,
das neue Journal von aller Politik rein zu halten.
Daher hat er auch hauts patronages gefunden, näm¬
lich eine große Menge Ariſtokraten und Juſte-Milia¬
ner, die das Unternehmen mit Geld unterſtützen.
Sie ſind hier wie bei uns, es iſt gar kein Unterſchied.
Sie glauben auch, es ſei möglich dem Geiſte der
Zeit eine andere Richtung zu geben, und wenn man
die Aeſthetik gut bezahlt, werde die ungereimte Po¬
litik zu Grunde gehen. Sie ſehen nicht ein, daß es
ihnen an Verſtand mangelt, ſie glauben nur es
mangle ihnen an Geld. Sie begreifen nicht, daß es
ihnen an Kopf fehlt, ſie meinen es fehlen ihnen nur
die Köpfe Anderer — zum Abſchlagen. Käme ich
morgen zu dem erſten Miniſter jedes Staates auf
dem europäiſchen Feſtlande und brächte ihm tauſend
Million Dukaten und einen ausführbaren Plan, hun¬
dert Tauſend unruhige Köpfe nach beliebiger Auswahl
herunter zu ſchlagen — er beſtellte mich auf über¬
morgen wieder, und verſpräche mir bis dahin die gute
alte Zeit wieder herzuſtellen. Ich glaube ihr Irren
kömmt daher, daß ſie die Geſchichte nicht kennen oder
nicht verſtanden haben, die Welt wurde immer von
einer Idee beherrſcht, und Völker wie ihre Regie¬
rungen mußten ſich ihr unterwerfen. Zwiſchen einer
und der andern Idee, kam aber immer ein Jahr¬
hundert des Stillſtandes; da ſchlief die Menſchheit.
[161] Dieſe Zeit des Schlafes benutzten die Machthaber um
die Völker zu unterjochen. Dieſe erwachten und
da gab es Revolutionen — da war erſt das Chri¬
ſtenthum, dann die Völkerwanderung, dann kamen die
Kreuzzüge, darauf die Rückkehr der Künſte und Wiſſen¬
ſchaften nach Europa, dann folgte die Reformation,
endlich die Idee der Freiheit. Zwiſchen dem Frieden
der die Religionsſtreitigkeiten endigte und der franzö¬
ſiſchen Revolution war ein Jahrhundert des Schlafes,
und während dieſer Zeit bildete ſich das miniſterielle
Regieren aus, das früher gar nicht ſtatt fand.
Die Menſchheit erwachte endlich und ihr neues Tage¬
werk war die Idee der Freiheit, für die Machthaber
die gefährlichſte unter allen; denn die Freiheit iſt
eigentlich keine Idee, ſondern nur die Möglichkeit,
jede beliebige Idee zu faſſen, zu verfolgen und feſt¬
zuhalten. Man kann eine Idee durch eine andere
verdrängen, nur die der Freiheit nicht. Wenn die
Fürſten ihren Völkern ſagen: wir geben euch Friede,
Ordnung, Religion, Kunſt, Wiſſenſchaft, Handel,
Gewerbe, Reichthum für die Freiheit — antworteten
die Völker: Freiheit iſt das alle zugleich; wozu ſie
wechſeln laſſen, wozu uns mit der Scheidemünze un¬
ſeres Glücks beſchleppen? Es iſt alſo da gar nichts
zu machen und die Europe littéraire wird die
Welt nicht ändern. Uebrigens erſcheint ſie viermal
wöchentlich in groß Folio „sur papier grand-raisin
V. 11[162]vélin, satiné.“ Das würde man bei uns ein
Prachtwerk nennen, ein deutſches Nationalwerk. Da¬
von würden nur 36 Exemplare abgezogen für unſere
36 Fürſten, die andern aber bekämen das Journal
auf gutem weißem Druckpapier.
Heute Vormittag habe ich im magnetiſchen
Schlafe die Poſtzeitung von dieſem Morgen geleſen.
Auf der erſten Seite ſteht ein Neujahrsgedicht, von
Glaube, Liebe und Hoffnung. Glaube iſt
Friedrich Wilhelm, Liebe iſt Franz und Hoff¬
nung iſt Nicolas. Habe ich recht geleſen? Spä¬
ter ward es mir etwas dunkel und ich konnte nicht
unterſcheiden ob „Jakob hatte ſieben Söhne“
darin ſteht.
Sie ſind klug. Sie geben mir auf Neujahr
ein Trinkgeld und ziehen mir es dann an meinem
Lohne wieder ab. Warum habe ich heute keinen Brief
von Ihnen? Iſt das Recht? Iſt das ſchön?
11*
Fuͤnfzehnter Brief.
Ihr Päckchen wurde mir geſtern gebracht: Die
Didaskalia, die Xenien, der Taback, das Büchlein
von Goethe und der falſche Liberalismus. Den letz¬
tern habe ich jetzt zweimal. Es entgeht keiner [ſei¬
nem] Schickſale: ich und der Krug, wir waren be¬
ſtimmt: er, von mir geleſen zu werden, ich, ihn zu
leſen. Erſt vor wenigen Tagen kaufte ich ihn für
dreißig Sous, weil man mir geſagt, daß ich darin
ſtünde. Ich las die Stelle, die mich betrifft, welche
mich meine Neugierde leicht finden ließ, und dann
wollte ich die Schrift von vorn leſen. Aber bei'm
Aufſchneiden der Blätter fand ich: „Die Servilen
wollen ſehr viel, aber die Liberalen wollen lieber
alles“ — und das ſei das witzigſte was je aus
[165] einem deutſchen Munde gekommen und könne ſich mit
dem beſten franzöſiſchen Calembourg meſſen. Dann
kam unter meinem Meſſer hervor: „ebendeshalb“.
Da verlor ich die Geduld. Was ſoll ich mit ſo
einer alten Köchin machen? Was kann ich mit ei¬
nem Hofrathe anfangen, der Ebendeshalb ſchreibt?
Eben deshalb warf ich das Buch in meinen Papier¬
korb. Da Sie mir es aber auch geſchickt, erkenne
ich darin den Finger Gottes. Ich werde es leſen
und Ihnen dann meine Meinung darüber ſagen.
Dieſer Krug iſt Profeſſor in Leipzig und hat nach
der polniſchen Revolution, weil er gegen die Polen
geſchrieben — ich weiß nicht, ob Prügel bekommen,
oder Prügel verdient, oder Prügel gefürchtet. Aber
eins von dieſen drei Dingen hat ſich ereignet. Er iſt
einer der breiteſten Köpfe Deutſchlands. Die ſchöne
Welt hält ihn für einen großen Philoſophen, weil er
ſo langweilig iſt, und die Philoſophen halten ihn für
einen ſchönen Geiſt, weil er ſo ſeicht iſt. Ich aber
halte ihn weder für das eine, noch für das andere,
ſondern für einen Lump. Er ſchreibt über alles was
geſchieht ganz jämmerlich, und wenn ich die Geſchichte
wäre, wollte ich lieber gar keine Geſchäfte machen,
als ſolch einen Buchhalter haben. Er iſt ein litera¬
riſcher armer Teufel, der ſich jeden Tag vor der
Thüre des Welttheaters hinſtellt und ſo oft ein
[166] Stück aus iſt, die Hand aufhält und bettelt. Kurz,
er iſt ein Ebendeshalb und ein Hofrath.
Wozu Sie mir die fünf Blätter Disdaskalia
geſchickt, begreife ich auch nicht recht. Ich glaube
Sie wollen mich ärgern. Da iſt zuerſt: Lionell
und Arabella, (Fortſetzung) „Arabelle ſchauderte
„bei dieſen Worten in ſich zuſammen und drängte
„ſich näher an den Mann ihrer Liebe, als ſuche ſie
„Schutz bei ihm vor unſichtbarer Gefahr. Er ſchloß
„ſie feſt an ſich, legte ihr niedergeſunkenes Haupt
„an ſeine Bruſt und ſprach feierlich: Weib meines
„Herzens!“ Weib meines Herzens! — um auch
feierlich zu ſprechen — was kommen Sie mir mit
ſolchen Sachen? ... Ferner: Predigt über ei¬
nen Roſenſtock. (Schluß) „Wie viele Küße würde
„man z. B. um ſo [manche] meiner ſchönen Zuhörer¬
„innen finden?“ Davon verſtehe ich nicht einmal
die Grammatik ... Weiter: Sitzung des Aſſi¬
ſenhofs in Mainz. (Schluß). „Am 29. März
„ſteckt er ein Meſſer in ſeine Hoſentaſche“ ...
Unterhaltungen auf dem Marktſchiffe zwi¬
ſchen Frankfurt und Mainz. (Fortſetzung.)
„Hinter mir ſaß ein Mägdlein“ .... Dresden
den 25. Novbr. „Die erfreuliche Nachricht von
„der Vermählung unſeres Mitregenten mit einer
„Prinzeſſin aus dem Hauſe Wittelsbach iſt nun hier
„für niemanden ein Geheimniß mehr. Es iſt zu
[167] „hoffen, daß dieſe neue Verbindung zwiſchen zwei
„bereits verſchwägerten Familien auch ſegensreich für
„die beiden Länder wirken werde.“ Ich gratulire
und hoffe auch. —
Bitte ſehr um Verzeihung. Da finde ich end¬
lich den Artikel, den Sie mit einem Kreuzchen bezeich¬
net, den „Aufruf an die Germanier“ des Herrn
von Hallberg. Sie hätten aber ein großes Kreuz
davor ſetzen ſollen. Danke für den guten Willen;
doch ich habe den Artikel ſchon vor drei Wochen ge¬
leſen, ihn gerupft und gebraten wie eine Gans und
ihn ganz allein verzehrt, ohne Sie zu Gaſte zu bit¬
ten. Es thut mir leid, aber es iſt nichts mehr da¬
von übrig als ein Stückchen Erinnerung. Dieſer
Freiherr von Hallberg auf der Birkeneck bei Freiſing,
auch unter dem Namen „Eremit von Gauding“
bekannt, mag ein ehrlicher Mann ſeyn, der es gut
meint; aber irgend ein Hof-Federfuchſer, der vielleicht
an dem Tage gerade bei ihm ſchmarozt, hat ihm
wohl den Aufruf in die Feder diktirt. Griechenland
ſolle das Baieriſche Algier werden! Dahin kann es
freilich noch kommen. Die Geſchichte der Deut¬
ſchen „blieb leer ſeit ſiebzehen Jahren, bis ein gro¬
„ßer, hochherziger König das alte unterdrückte
„Volk der Griechen in Schutz nahm, und ihm ſei¬
„nen Sohn als König gab.“ Schön geſagt! (Ich
bin ſchläfrig. 11 Uhr) die Deutſchen ſollen nicht nach
[168] Amerika gehen, dort Knechte zu werden; ſondern
nach Griechenland, um dort unter Baieriſch-Ruſſiſcher
Regentſchaft freie Männer zu ſeyn. Da wären die
beſten Früchte, Wein, ſchöne Mädchen, „Da könnt
Ihr Euren Muth zeigen.“ Gute Nacht.
Ich habe die Xenien geleſen und habe mich ſehr
daran ergötzt. Die Hauptſache iſt jetzt, die ſchläfri¬
gen Deutſchen wach zu erhalten, ſei es durch Kaffe
oder Schnupftaback, ſei es durch ſingen oder ſchreien
— gleichviel; nur daß ſie nicht einſchlafen. Schla¬
fend durch die Pontiniſchen Sümpfe zu reiſen, ſoll
lebensgefährlich ſein. Viele Xenien haben mir unge¬
mein gut gefallen, beſonders die über mich — ver¬
ſteht ſich. Grob ſind ſie freilich alle, grobianißimo.
Aber was liegt daran, wie eine Katze die Mäuſe
abthut, wenn wir ſie dadurch los werden? Auch
hat ja der Dichter ſehr gut erklärt warum die Gra¬
zien ausgeblieben. Aber ſeine hebräiſchen Späße ſind
entſetzlich einfältig. Das war wohl die Vermögens¬
ſteuer des Frankfurter Bürgers, und der Mann hat
ſich aus Eitelkeit für dümmer angegeben als er iſt.
Er mag ſich hüten, daß Heine nicht über ihn kömmt,
er mag ſeine Nachtmütze nur recht tief über die Au¬
gen herunterziehen. Erinnern Sie ſich:
[170]
Gefährlicher Bund?
Freiheit,
Thron.
Nun, warum nicht? Wenn ein Jude ſtark
genug iſt, die wankenden Fürſten auf ihren wanken¬
den Thronen zu halten, warum ſollten drei Juden
nicht Macht genug haben ſie herunter zu ſtürzen?
Auch Chriſtus war ein Jude, und er hat die Göt¬
ter aus dem Olymp geſtürzt, und das war doch eine
ganz andere Fürſtenſchaft als die der heiligen Allianz
und des hohen deutſchen Bundes! Wo iſt jetzt Ju¬
piter mit ſeinen Blitzen? Vor unſerm Spotte ſchützt
ihn nur unſer Vergeſſen — und das hat ein Jude
gethan! — Ich glaube, der Schmul bin ich, und
der Heyum wird wohl Heine ſeyn; aber wo bleibt
der Itzig? Itzig! Itzig! Itzig! Itzig! ...
Es giebt aber doch nichts dümmeres als ſo ein deut¬
ſcher Philiſter, beſonders wenn er ein Gelehrter iſt.
Sie kennen mich, ich kenne die Andern — nicht Ei¬
ner unter uns dachte je an den Juden; nie, ſo oft
wir die Dummköpfe und Philiſter züchtigten kam es
[171] uns in den Sinn, daß es die nehmliche Peitſche ſei,
mit der ſie ſelbſt uns einſt geſchlagen! Und jetzt
kommen ſie und erinnern daran, und bringen uns
täglich die ſchönſten Schadenfreuden in das Haus!
So dumm zu ſeyn — ich verliere mich darin.
Am Neujahrstage — o! Man könnte den
Verſtand darüber verlieren. Die Juli-Revolution,
ein Zorn-Vulkan von dem Himmel ſelbſt geladen, da¬
mit die Könige zu ſchrecken und zu ſtrafen, iſt ein
waſſerſpeiender Berg geworden, den Völkern zum
Verdruße und den Fürſten zum Geſpötte! Ich
fürchte, daß ich aus Verzweiflung noch ein Dichter
werde und mich blamire. Am Neujahrstage, dieſem
monarchiſchen Erndtefeſte überall wo Land und Gut
des Volks, das Landgut des Fürſten bilden, haben
Philipps Knechte, die ſchweren Garben Frankreichs,
ſein Glück und ſeinen Ruhm, ſeine Tugend und
ſeine Ehre, ſeine Roſen und ſeine Lorbeeren — ha¬
ben das duftende Heu der dürren Rednerblumen ihm
auf Wagen jauchzend in den Hof gefahren. Feld
und Wieſe, alles dem König; wer nicht ſein Kind
iſt, iſt ſein Knecht. Man ſchämt ſich ein Menſch
zu ſein. Wer weiß, ob nicht das Pferd in edlem
Zorne ſeinem Reuter flucht; nur verſtehen wir ſein
Wiehern nicht. Aber das gezäumte Menſchenvolk
küßt die Sporen ſeines Reiters. Sie haben den
König Vater des Vaterlands genannt: dies
Findelkind vom Greve-Platze! Das franzöſiſche
[173] Heer in Belgien wurde glücklich geprieſen, von zwei
königlichen Prinzen Beiſpiele der Tapferkeit zur Nach¬
ahmung zu erhalten. Die grauen Helden von Ma¬
rengo wurden in die Kriegsſchule zweier Milchſuppen-
Geſichter gegeben! Sie haben den König geſagt:
er hätte die Cholera beſiegt, vor ſeiner Barmherzig¬
keit hätte ſich die unbarmherzige Vorſehung geflüchtet
— Sie haben ihn vergöttert, daß er im Juni ſeine
Feinde niedergeſchlagen, und mehr als jede andere
Schmeichelei, hat König Louis Philipp dieſe mit Wol¬
luſt eingeſchlürft. Er hat geprahlt und geſpottet:
Die Republik wäre erbleicht vor ſeinem
Sterne. Es war ein Bürgerkrieg, Bürgerblut war
gefloſſen; ein König ſollte das vergeſſen, oder kann
er es nicht vor Schmerz, einen Trauerflor über ſeine
Erinnerung hängen. Aber dieſer König rühmt ſich
ſeines Sieges und jubelt darüber wie ein Schneider
der einmal Muth gehabt aus Furcht. Der Schmerz
und die Verachtung der edelſten Franzoſen kümmert
ihn nicht, ihm lächelt der Beifall ſeiner Brüder in
Wien, Berlin und Petersburg. Und in der Mitte,
nicht, wie ſeine Schmeichler ſagten, an der Spitze
von vierzig tauſend Soldaten, iſt er gegen drei hun¬
dert Republikaner gezogen, die ſich wie Helden ver¬
theidigt.
Frankreich hat das Scharlachfieber; Blutigel
rund am Halſe, Purpur über den ganzen Leib und
[174] zum Königsmantel muß es ſich die Haut abziehen.
Der alte Rieſe mit einer Kinderkrankheit! Scham¬
rother Purpur! Herr Hofrath Frankreich! Herr,
deine Hand liegt ſchwer auf deinem Knechte; aber
ich will es für meine Sünden in Demuth tragen.
Sechszehnter Brief.
Ueber Frankfurt habe ich merkwürdige Dinge
erfahren, theils aus guten gedruckten Quellen, theils
aus den mündlichen Berichten eines ſehr glaubwür¬
digen Reiſenden. Von meiner theuren Geſandtſchaft
dort erfahre ich nie das Geringſte; wenn dieſe dinirt
hat, denkt ſie, ſie habe auch genug repräſentirt und
eine geheime Schublade iſt ihr heilig. Das ſoll aber
anders werden. Erſtens, habe ich aus dem Theater¬
Repertoire für den Monat December, das in der
Didaskalia ſteht, erſehen, wie in Zeit von wenigen
Tagen, vier verſchiedene Stücke von Shakespeare auf¬
geführt worden ſind; und nicht etwa der alte Hamlet
[176] mit ſeinem ewigen Sein und Nichtſein, ſondern die
zwei Heinriche, Richard, Lear. Das iſt ja zum
erſtaunen, das hat ſich ja ſehr zum Guten geändert.
Waren ſie denn nie bei einer ſolchen Aufführung?
wie wird geſpielt? wie der junge Heinrich, wie Fal¬
ſtaff? In der That, ich freue mich darüber um Frank¬
furts Willen. Ich bin der Meinung, daß man durch
das Schauſpiel auf den öffentlichen Geiſt einwirken
könnne ſo abgeſtumpft man auch gegen ſolche Reiz¬
mittel ſein mag. Ein guter Bürger der aus einem
Stücke von Shakespeare kömmt, kann noch den nehm¬
lichen Abend ſeinen beſten Freund todtſtechen, aber
ihn todt langweilen, das kann er nicht.
Ferner wurde mir erzählt, man habe mehrere aus¬
gezeichnete Juden zu Mitgliedern des Muſeums auf¬
genommen und allen ohne Unterſchied erlaubt, Aecker
zu kaufen und Landwirthſchaft zu treiben. Sehen
Sie, mein eignes Feld, das ich ſeit fünfzehen Jah¬
ren im Schweiße meines Angeſichts bebaue, fängt an
grün zu werden. Man muß nur die Geduld nicht
verlieren; die geiſtige Erdkugel dreht ſich alle Jahr¬
hundert nur einmal um die Sonne. Aber Geduld!
Ich habe ſchon oft daran gedacht, ob nicht möglich
wäre, wie Geldanleihen, Geduldanleihen zu machen,
und ſo wie die Fürſten durch Rothſchild ſich die Ab¬
gaben der Urenkel ihrer Unterthanen ein Jahrhun¬
dert voraus bezahlen laſſen, uns auch die Geduld
[177] die unſern Urenkeln zufallen wird voraus zu nehmen.
Das letzere wäre unſchädlicher als das erſtere iſt;
denn unſere Urenkel werden keine Geduld brauchen.
Im Gegentheile, alsdann werden die ſie brauchen,
gegen die wir ſie jetzt brauchen. Uebrigens bleibt es
immer ſchön was die Direktoren des Muſeums und
der Geſetzgebende Körper gethan haben. Zugleich
hoffe ich aber daß ſie bei ihren Reformen mit weiſer
Vorſicht zu Werke gehen werden. Sie haben wegen
der Juden ſchöne Beſchlüſſe gefaßt; das möge aber
hinreichen für gegenwärtiges Jahrhundert, die Aus¬
führung bleibe dem kommenden vorbehalten. Sie
mögen beherzigen was der Kaiſer von Oeſterreich
kürzlich in der Rede geſagt, mit welcher er den Un¬
gariſchen Landtag eröffnete. Er ſagte nehmlich:
„Schwierig ſind die Geſchäfte zu deren Verhandlun¬
„gen wir euch diesmal berufen haben; ſie übertreffen
„weit alle die Gegenſtände, worüber während der
„vierzigjährigen Dauer meiner Regierung auf Reichs¬
„tagen zu berathen war ... Unſere Väter haben
„durch das, was ſie im 91 ſten Jahre des vo¬
„rigen Jahrhunderts beſchloſſen ihre Sorg¬
„falt bereits auf dieſen Gegenſtand gewendet, die
„Art und Weiſe der Ausführung aber, welche
„reichlichen Stoff ſich um das Vaterland verdient zu
„machen darbietet, uns ganz überlaſſen.“ Und
jetzt fordert der Kaiſer ſeine getreuen Stände auf,
V. 12[178] bei dieſen Verhandlungen langſam und vorſichtig
zu Werke zu gehen, und den gefährlichen Reizen
der Neuerungen zu widerſtehen. Wenn nun der
Kaiſer von Oeſterreich ſogar einen reichlichen
Stoff ſich um das Vaterland verdient zu
machen, vierzig Jahre geſchont hat, wie viel nöthi¬
ger iſt es, daß die Regierung des kleinen Frankfurts
einen ſo ärmlichen Stoff als die [Verbeſſerung] des
Zuſtandes der Juden iſt, nicht zu früh angreife, ſon¬
dern durch Aufhäufung der Zinſen das Kapital wach¬
ſen laſſe, damit der Stoff ſich um das Vaterland
verdient zu machen nach verzig Jahren auch reich
werde.
Ihnen aber gebe ich jetzt drei Aufträge und
einen zwar freundſchaftlichen aber ernſt gemeinten
Rath. Erſtens, gehen Sie in das Theater und ſehen
Sie wie Richard hinkt. Zweitens gehen Sie in das
Muſeum und geben Acht, ob nicht die g moll-Sym¬
phonie von Mozart, aus Verdruß das ſie Juden
mit anhören, in das Dur überſpringt. Drittens,
laſſen Sie auf dem Römer Erkundigungen einziehen
ob man die Aecker der Juden in dem Grund Lager¬
buche unter der Rubrik Aecker jüdiſcher Nation
einſchreibe. Mein Rath iſt: berichten Sie mir
künftig beſſer, ſonſt werden Sie zurückberufen; dann
giebt es Kriegsfurcht, die Papiere fallen und die
[179] Handels-Kammerdiener erheben ein Jammergeſchrei
daß alle Milch davon gerinnt.
Haben Sie „die Thronrede“ des Gro߬
herzogs von Darmſtadt geleſen? Schlafen Sie
recht wohl.
12*[180]
Von Chateaubriand iſt eine neue Schrift erſchie¬
nen: Mémoire sur la captivité de la de Madame
la Duchesse de Berry. Sie ſollen ſich aus
Freundſchaft für mich etwas darüber freuen; denn
dieſer gute Mann nimmt mir jeden Winter die
Hälfte meines Zornes ab. So oft er erſcheint, gehe
ich in mein Zelt und laſſe ihn kämpfen. Freilich
muß ich dieſe Hülfe mit melancholiſchen Gedanken
bezahlen. Wenn ich ſehe, wie ein ſo geiſtreicher und
edler Menſch von der Legitimität faſelt, greife ich
nach meinem Kopfe und rufe betrübt aus: Auch
Chateaubriand hat den Verſtand verloren und war
doch mehr als du! Die Legitimität, dieſe Hoff¬
nungsloſigkeit des Unglücks, dieſe Erblichkeit der tief¬
ſten menſchlichen Erniedrigung — das vertheidigen,
das preiſen! O Wahnſinn!
Als Chateaubriand von der Gefangenſchaft der
Herzogin erfuhr, eilte er aus der Schweiz nach Pa¬
ris, und bot ſich ihr in einem Schreiben zu ihrem
Sachwalter an. Aber die Miniſter erlaubten weder
ihm noch ſeinen Briefen den Einlaß in Blaye.
Schon dreimal ſeit der Revolution hat Chateaubriand
von der Welt Abſchied genommen und ſich in die Ein¬
ſamkeit begeben, und dreimal ſchon kehrte er zurück.
[181] Er ſagt: „Ich habe Hunger und Durſt nach Ruhe;
„es kann mir keiner läſtiger ſein als ich es mir ſelbſt
„bin; aber ich ſuche mich mit meiner eignen Achtung
„von der Welt zurückzuziehen: man ſehe ſich vor
„welche Geſellſchaft man in der Einſamkeit wähle.“
Nun, warum hat er nicht gleich das erſtemal als er
Paris verließ ſeine Selbſtachtung mitgenommen?
Wie vergißt man dreimal ſein Paket zu machen?
Ja, die Berry iſt unterdeſſen gefangen worden!
Nun was geht ihn die Herzogin an? Man höre,
„meine Denkſchrift über das Leben und den
„Tod des Herzogs von Berry, in die Haare
„der Wittwe gewickelt, die jetzt im Kerker ſchmachtet,
„liegt bei dem Herzen, das Louvel dem Herzen Hein¬
„richs IV. noch ähnlicher machte. Ich habe dieſe
„ausgezeichnete Ehre (insigne honneur) nicht
„vergeſſen, die im gegenwärtigen Augenblicke die Be¬
„zahlung fordert; ich fühle lebhaft meine Schuld.“
Das iſt artig. Ich ließe es mir ſelbſt gut gefallen,
wenn eine ſchöne Witte ihr langes ſeidnes Haar um
meine Schriften flechtete; aber ſie hineinlegen in die
Todesurne, zu dem Herzen ihres Mannes — nichts
da! Man kann nicht wiſſen, ob ſie nicht eine Wittwe
von Epheſus iſt, die nach vier Wochen die Haare
wieder herausnimmt, ſie ihrem neuen Liebhaber zu
ſchenken, und dann meine Schriften allein verfaulen
läßt bei dem Herzen des geliebten Todten. Nichts
[182] da, und habe ich nicht recht, daß ich nach meinem
Kopfe fühle? Notre-Dame de Blaye, nennt
Chateaubriand die Herzogin und erzählt von den
Wallfahrten, die fromme Gläubige in großen Schaa¬
ren dahin machten. Er ſagt: „man wirft mir vor,
„daß ich eine Familie dem Vaterlande vorziehe.
„Nein; ich ziehe die Treue des Eides, dem Mein¬
„eide, die moraliſche Welt der materiellen Geſellſchaft
„vor. Das iſts.“ Freilich iſt es das, nach der
Lehre der Monarchiſten. Der Räuber nachdem er
ſein Handgeld empfangen und dem Hauptmanne
Treue geſchworen, darf plündern und morden; denn
Treue iſt heiliger denn das körperliche Wohlbehagen
der Wanderer!
Chateaubriand meint: nur die Legitimität gäbe
einer Regierung und der bürgerlichen Ordnung Dauer¬
haftigkeit. Aber wäre dies auch, wie es nicht iſt,
was würde das beweiſen? Nicht die Dauerhaftig¬
keit, der Vollgenuß iſt die Beſtimmung jedes Daſeins.
Es kömmt nicht darauf an lange, ſondern viel zu
leben. Nichts iſt dauerhafter als ein Stein, aber die
Pflanze, das Thier vergehen ſchnell. Wenn die Oe¬
ſterreichiſche Monarchie noch zehen Tauſend Jahre
lebte und der Nordamerikaniſche Freiſtaat endigte
morgen, in ſeinem fünfzigſten Jahre, wäre darum
Oeſterreich ein beſſerer, ein glücklicherer Staat als
Nordamerika geweſen? Napoleon ſagte auf St. He¬
[183] lena: „Daß meine Dynaſtie nicht älter war, das hat
„mich zu Grunde gerichtet. Noch vom Fuße der
„Pyrenäen hätte ich mich wieder emporgehoben, wäre
„ich mein Enkel geweſen.“ Und daraus will Chateau¬
briand die Herrlichkeit der Legitimität beweiſen! Gu¬
ter Gott! Das beweißt ja eben ihr Fluchwürdiges,
ihre Verderblichkeit. Das große Glück, wenn Na¬
poleon noch zwanzig Jahre länger die Völker Euro¬
pens auf dem Altare ſeines Ehrgeizes hätte ſchlach¬
ten dürfen! Das ſchöne Loos der Franzoſen, wenn
Napoleon, als legitimer Fürſt mit ſeinen gekrönten
Vettern befreundet, der Freiheit und Gleichheit, die
er im Kriege als Waffen gegen ſie gebrauchte dann
gar nicht mehr bedürftig, Frankreich völlig zur Ga¬
leere hätte machen können!
Was iſt es aber, was einer legitimen Monar¬
chie größere Dauerhaftigkeit gewährt, als einer uſur¬
pirten oder einer Republik? Etwa weil erſtere in
den Herzen der Völker Wurzeln ſchlägt? O nein.
Es iſt nichts, als daß alle Fürſten die Sache eines
legitimen Monarchen als eine Familienangelegenheit,
als ihre eigne betrachten, und ihm darum in Gefah¬
ren Beiſtand leiſten. Es iſt nichts, als weil die le¬
gitimen Fürſten alle Uſurpatoren und Republiken als
Broddiebe haſſen und ſie offen oder heimlich, mit
Gewalt oder mit Liſt zu Grunde zu richten ſuchen.
Redet von der Macht der legitimen Fürſten, redet
[184] aber nicht von ihrem Rechte. Sagt, daß die Völker
einen ligitimen Fürſten fürchten, ſagt aber nicht, daß
ſie ihn lieben. Die Franzoſen haben dreimal die
Bourbons verjagt, ſo legitim ſie waren, und haben
für den Uſurpator Napoleon mehr gethan als je für
einen ihrer Könige; denn ſie liebten ihn. Die
Schweizeriſche Republik lebt ſchon ein halbes Jahr¬
tauſend im Glücke und Frieden, weil ſie ihre Berge
gegen die Fürſten ſchützte oder dieſe über die Thei¬
lung des Raubes nicht einig werden konnten. Nord¬
amerika genießt ſeit ſechszig Jahren Freiheit und
Ordnung, weil es die Könige nicht erreichen können.
Don Pedro iſt ein legitimer Fürſt, warum gelingt
es ihm nicht? Weil er ſeinem Volke die Freiheit zu
geben gedenkt und ihn darum ſeine gekrönten Brüder
als ein unwürdiges Glied aus der Familie geſtoßen,
und ihm ſchaden ſoviel ſie können. Don Miguel iſt
ein Uſurpator, warum erhält er ſich? Weil er die
Tyrannei meiſterhaft handhabt, und die entzückten
Fürſten ihm darum heimlich Beiſtand leiſten. Das
iſt der Segen der Legitimität, daß iſt die Ruhe und
Ordnung in Monarchien: man findet ſich mit den
Räubern ab, und gegen den Beutel laſſen ſie uns
das Leben. Und will einer ſein Leben und ſeinen
Beutel behalten, ſchlägt man ihn todt und dann heißt
es: Seht! das ſind die blutigen Folgen der Revolu¬
tionen. Vor einigen Jahren machte Vidocq der
[185] Regierung den Vorſchlag: er wolle jede geſtohlene
Sache gegen dreißig Prozente ihres Werthes zurück¬
ſchaffen. Nun, wer ſich mit zwei Dritt-Theile ſei¬
nes Glückes begnügen will, wer nicht den Verſtand
und den Muth hat, Diebe und Räuber von ſeinem
Eigenthume abzuhalten, der hat Recht die Monar¬
chien zu lieben.
Chateaubriand, als Sachwalter der Berry, ſpricht
von ihrem Rechte nach Frankreich zu kommen um die
Krone ihres Sohnes zu fordern. Sie iſt Mutter;
er berufe ſich auf das Herz jeder Mutter. Das iſt
ſtark! Ich ſehe [ganz] deutlich, was alles in einem
mütterlichen Herzen liegt, aber eine Krone ſehe ich
nicht darin. Eine Mutter mag für ihr Kind ein
Schaukelpferd, eine Puppe kaufen; aber dreißig Mil¬
lionen Franzoſen zum Spielwaaren Lager! Aber ein
Land wie Frankreich zur Schachtel! O Herr Vi¬
comte! Es iſt Ihr Ernſt nicht. Nein, was wir
armen Menſchen jetzt geplagt ſind, die Steine könn¬
ten ſich darüber erbarmen! Früher hatte man es
doch nur mit erwachſenen, mit regierenden Fürſten
zu thun, jetzt quälen uns die fürſtlichen Kinder, ſchon
während dem Leben ihrer Eltern! Da iſt der Her¬
zog von Bordeaux, da iſt die Donna Maria, da iſt
die Tochter der Königin von Spanien, die erſt ei¬
nige Monate alt iſt. Als gebe es kein anderes Mit¬
[186] tel die Schmerzen eines zahnenden Kindes zu ſtillen,
als ihm einen Scepter in den Mund zu ſtecken!
Was Chateaubriand noch ferner von den Rech¬
ten der Berry ſagt, das kümmert mich nicht; nicht
darum habe ich ſeine Schrift geleſen, nicht darum
ſchreibe ich Ihnen davon. Ich will mich nur an das
halten, was er gegen unſern gemeinſchaftlichen Feind
hervorgebracht, daran will ich mich erquicken. Sie
erkennen an Chateaubriand und mir, das wirklich ein
Bündniß zwiſchen den Carliſten und Republikanern
beſteht. Es iſt die Sympathie des Haſſes gegen die
beſtehende Ordnung der Dinge. Ob aber die Repu¬
blikaner und die Carliſten ſich auf der Gaſſe und in
geheimen Clubbs zu Thaten vereinigt, bezweifle ich.
Es wäre dumm von den Republikanern und toll
von den Carliſten. Erſtere könnten leicht überliſtet
werden, denn die Carliſten haben das Geld, alſo
auch den Verſtand; dieſe aber, würden, ſobald die
jetzige Regierung geſtürzt wäre, ehe ihnen Hülfe von
außen käme, und würden ihnen die Armeen auf
[Dampfwagen] zugeführt, alle todt geſchlagen werden,
ſo daß keiner von ihnen übrig bliebe, ſich des Sie¬
ges der Legitimität zu erfreuen.
Sehen wir jetzt wie der neue Jeremias ſieden¬
des Oel auf die Köpfe der Sünder herabgießt.
„Wenn in dieſer Wüſte ohne Spur von Geiſt und
„Herz ſich am Horizont ein großes einſames Denk¬
[187] „mal zeigt, wenden ſich plötzlich alle Blicke dahin.
„Die Frau Herzogin von Berry erſcheint um ſo er¬
„habener, als alles rund um ſie her flach iſt. Ja,
„ſie hätte zu fürchten verkannt zu werden, denn ſie
„iſt dieſſeits oder jenſeits eines Jahrhunderts das
„ihres Gleichen hervorzubringen vermochte. Um zu
„bewundern muß man faſſen; der Muth bleibt der
„Furcht ſtets ein Geheimniß; die Mittelmäßigkeit
„knurrt den Genius an. Die Gefangene von Blaye
„iſt nicht von ihrer Zeit, ihr Ruhm iſt ein Anachro¬
„nismus.“ Larifari! Doch ſind es reſpektabele gol¬
dene Lügen und ich ziehe meinen Hut vor ihnen ab.
Es ſind noch keine vierzehen Tage, daß Chateaubri¬
ands Schrift erſchienen und ſchon ſind dreißig Tau¬
ſend Exemplare davon gekauft, die dem edlen [Ver¬
faſſer] fünfzig Tauſend Franken eingebracht haben.
Die Legitimiſten nehmlich haben auf dieſe delikate
Weiſe ſeine Treue belohnen wollen. Jetzt kann doch
Chateaubriand mit ſeiner eigenen Achtung nach Genf
zurückkehren und in ſeiner Einſamkeit die ſehr ange¬
nehme Geſellſchaft von hundert Bankzetteln genießen.
Fünfzig Tauſend Franken für ſieben Bogen, die Ar¬
beit einiger Tage! So viel hat mir mein dicker Li¬
beralismus in meinem ganzen Leben nicht eingebracht.
Der Mund wäſſert einem darnach ein Royaliſt zu
werden. Zum Glücke bezahlen ſie einem in Deutſch¬
land ſchlecht. Um fünfzig tauſend Franken zu ver¬
[188] dienen, müßte ich die Schweiz, ganz Nordamerika,
Columbien, Buenos-Ayres, Mexiko todtſchlagen und
fünf oder ſechs Preßfreiheiten, eben ſo viele Conſtitu¬
tionen, die Reformbill, den Dr. Wirth, den ganzen
Hambacher Berg, Rotteck, Welcker, und zum Deſert
mich ſelbſt verſchlingen. Das wäre ein ſaurer Ver¬
dienſt.
Ich will Ihnen wieder einen Beweis geben,
daß die Tugend beloht wird, was Sie mir ſo oft
nicht glauben wollten. Verfloſſenen Samſtag wollte
ich auf den Opernball gehen. Einige Tage vorher,
hörte ich, daß auf dem Theater (im le mari et l'a¬
mant) eine Couſine in der Provinz, ihren Vetter der
zum erſtenmale nach Paris reiſte, die Lehre gab:
surtout Charles, n'allez pas au bal de l'opéra;
on s'y perd. Trotz dieſer Warnung aber gedachte
ich doch hinzugehen, ſo mächtig wirkt das Laſter auf
junges Blut. Auf dem Wege aber fing mir an das
Gewiſſen zu zittern, oder was es ſonſt war; es
war ſehr kalt. An der Ecke des Boulevard ſtand
ich am Scheidewege des Herkules. Da ging ich nach
Hauſe zurück und ſchlief, wie man nach einer edlen Hand¬
lung zu ſchlafen pflegt. Am andern Morgen erfuhr
ich, daß auf dem Balle ein gräulicher Lärm geweſen.
Die neue moraliſche Polizei des Jüſte-Milieu, wollte,
ich weiß nicht welchen Bachantiſchen Tanz, verbieten.
Darüber gab es Streit, die Gendsarmerie drang ein,
mishandelte viele, und nahm mehrere gefangen. Das
Luſtigſte bei der Sache aber war, daß die Polizei
diesmal die Witterung verloren, und gerade die edelſte
Jugend des Jüſte-Milieu, königliche Beamte, Ban¬
[190] quierſöhne und andere ſolche Heilige angetaſtet hatte.
Sie mußten den andern Tag ſehr um Verzeihung
bitten. Wäre ich nun dabei geweſen, ich hätte ſehr
leicht in die Bachanalien, die Schläge und das Ge¬
fängniß mit hinein gezogen werden können. Meine
Tugend bewahrte mich davor.
Ich kehre zu Chateaubriand zurück. Ich ge¬
ſtehe es Ihnen aufrichtig, die fünfzigtauſend Franken
wollen mir gar nicht aus dem Kopfe. Was meinen
Sie, würde es wohl meiner Seligkeit viel ſchaden,
wenn ich einmal ſieben Bogen gegen meine Geſin¬
nung ſchriebe? Ach! wär' ich doch ein Katholik und
könnte an die Wirkſamkeit der Abſolution glauben!
Chateaubriand fährt fort: man entgegnet mir: Die
Herzogin von Berry ſei in keiner ſo großen Gefahr,
man werde ſie zur gelegenen Zeit wieder frei geben.
„Aber die Miniſter des Königs ſind nicht unabſetz¬
„bar. Ihr ſeid gutmüthige Seelen, ich will es
„glauben; allein kennt Ihr Eure Nachfolger! Fand
„nicht Eliſabeth, daß Maria Stuart, nach neunzehen
„Jahren Gefangenſchaft, in der Verborgenheit ihres
„Kerkers, nach außen Unruhen [erregt] und Einver¬
„ſtändniße mit dem Auslande und den Feinden des
„Staates hatte? Dann hat man bei Volks-Unruhen,
„nie in den Gefängniſſen gemordet? Endlich, wenn
„ich Kerkermeiſter wäre, würde ein Gedanken mich
„ſchaudern machen. Ich würde bei mir ſagen: es
[191] „wäre möglich, daß Gott in ſeiner Barmherzigkeit
„Die welche auf Erden nur Trübſale gefunden, zu
„den Freuden des Himmels abriefe; ich würde mir
„ſagen: man hat das Loos der Waiſe im Tempel
„noch nicht vergeſſen. Wenn ein ſo großes perſön¬
„liches Intereſſe an dem Leben einer Fürſtin hängt (!),
„wenn aus einer Gefangenſchaft, die einen undank¬
„baren Ehrgeitz (!!) laut anklagt, eine Schaam und
„ein tiefer Groll, ſo natürlich fließen müſſen: Da
„kann aus dem Zuſammenfluß von Umſtänden die Ver¬
„läumdung ſchrecklich hervorgehen. Die Verläumdung
„aber kann in der Geſchichte, den Charakter der
„Wahrheit (!!!) annehmen. Seht euch vor ....
„Die Wohltaten der Willkühr, die man der Herzogin
„angedeihen läßt rühren mich wenig; ich könnte fürch¬
„ten, daß dieſe Wohlthaten zu einer Quelle neuen
„Jammers würden. Schwer würde mir fallen in
„Erinnerung zu bringen, was ich neulich von gewiſſen
„Geſpenſtern (!!!!) ſagte, die in einem gewiſſen
„Schloße (!!!!!) haußen. Ich hoffe, um der Ruhe
„der Nächte der Macht ſelbſt willen die ich be¬
„kämpfe (!!!!!!) — ich hoffe nie gezwungen zu
„ſein, jenen nächtlichen Erſcheinungen, die einer halb¬
„verbrannten Frau, ihr nacktes Kind in den Armen
„und Ketten nach ſich ſchleppend (!!!!!!!) zuzuge¬
„ſellen; eine Deputation von Schatten, die käme ei¬
[192] „nem Schatten-Könige (!!!!!!!!) ihr Kompliment
„zu machen.“ — —
††† Gelobt ſei Gott und ſeine guten Gei¬
ſter; ich bin glücklich durch den Hexen-Wald. Ich
habe, gleich einem guten Zeitungsſchreiber fromme
Ausrufungszeichen geſchlagen und, wie ſie bemerkt
haben werden, in ſteigender Angſt und arithmethiſcher
Progreſſion. Früher habe ich mich oft über ſolche
abergläubiſche Furcht luſtig gemacht; aber Noth kennt
kein Gebot, ich konnte mir nicht anders helfen. Ich
bin ein Patriot; ich zitterte in deutſcher Sprache zu
denken, was Chateaubriand wagte in franzöſiſcher
drucken zu laſſen. Mündlich das Weitere. Ver¬
brennen Sie dieſen Brief oder noch ſicherer: legen
Sie ihn in einen Band von Carove's Werken.
„Pas mal pour un Allemand.“ Wie
gefällt Ihnen das? Wüthend war ich darüber.
Wartet nur! Wenn wir einmal das Elſas wieder
haben, Lothringen, Burgund und Euren König zum
Grafen von Paris gemacht — da werden wir Euch
zeigen, daß wir witziger ſind als Ihr. Da hatte
einmal ein Deutſcher in Paris bei Tiſche etwas ge¬
ſagt, was ſeiner Meinung nach ſicher nicht witzig
ſein ſollte, und da rief ein Franzoſe, der dabei ge¬
weſen und dieſes erzählt, gnädigſt aus: Pas mal
pour un Allemand! Brazier heißt die Canaille.
Ich las ſo eben im livre des cent-et-un, im Arti¬
[193] kel La chanson et les sociétés chantantes.
Da iſt von den Vaudevillediners die Rede, welche
man in Deutſchland frömmer und romantiſcher Lieder¬
tafeln nennt. Zu einem ſolchen Sing-Eſſen war
einmal „le fameux Docteur Gall“ eingeladen.
„Le jour où nous reçumes la visite de ce der¬
„nier, on Iui servit un plat de friture composé
„seulementde têtes de gibiers, de pois¬
„sons et de volailles. On lui demanda s'il
„voulait tâter les crânes de ces messieurs ou de
„ces dames? Le savant se dérida, et répondit
„en riant: qu'il fallait qu'il tâtât les corps au¬
„paravant, vu qu'à table son systême ne s'iso¬
„lait point. Pas mal pour un Allemand.“
Aber nur Geduld bis zum Frühlinge!
...... Es iſt recht unartig von Ihnen
daß Sie mir ſo lange nicht geſchrieben. Ich habe
Ihnen ſchon oft geſagt, daß Sie mir außerordentlich
ſchreiben mögen, ſo oft Sie wollen; aber die gewöhn¬
lichen Brieftage müſſen Sie darum nicht verſäumen.
Ich bin gewöhnt daran und wenn ich an ſolchen Ta¬
gen nichts erhalte verdaue ich ſchlecht. Seit vorigen
Freitag habe ich keinen Brief bekommen und es ſcheint
mir ein Jahr zu ſeyn. Sie hätten ſich doch vor¬
ſtellen können, daß ich vor Begierde brenne etwas
näheres von meinem Buche zu erfahren. Die Eigen¬
liebe hat ewige Flitterwochen und ich liebe meine
verblühten Schriften wie in den Tagen ihrer Jugend.
Ich gehe voller Angſt umher, gleich einem Ehemanne,
deſſen Frau zum Erſtenmale in Kindesnöthen liegt.
Wird es ein Sohn? Wird es eine Tochter? „Es
„iſt weder ein Sohn, noch eine Tochter geworden,
„ſondern eine Misgeburt.“ Dieſe kleine ſchöne Sa¬
tyre ſchenke ich dem erſten Rezenſenten meiner Briefe
aus Freundſchaft und Hochachtung. Er kann damit
machen was er will. Der Leithammel meiner Re¬
zenſenten hat ſich auch ſchon hören laſſen. In der
Leipziger Zeitung iſt in einem Berichte aus Wien
von den Pariſer Briefen die Rede; „deren dritten
[195] Band Börne eben jetzt druckt.“ Zum Unglücke
kann man ſich gar nicht auf den Styl dieſer guten
Leute verlaſſen. Was heißt das: Eben jetzt druckt?
Auf jeden Fall ſoll das bedeuten: drucken läßt;
aber ſind ſie ſchon gedruckt? oder werden ſie erſt
gedruckt? Und wenn das letztere — woher will
denn ein Wiener wiſſen was darin ſteht? Werden
die Briefe etwa in Wien gedruckt? Das wäre ein
Meiſterſtreich von dem Verleger. Als der ſchlaue
Caſanova aus dem Gefängniſſe der Staats-Inquiſi¬
tion von Venedig entſprang, flüchtete er ſich in das
Haus des Sbirrenhauptmanns; dort hielt er ſich am
ſicherſten. In dem Berichte heißt es: ich hätte mich
gerühmt, daß meine Schreibereien am meiſten von
den Wienern geleſen würden; das möchte aber wohl
eine Aufſchneiderei ſein. Der Himmel wolle
meine Demuth vor größeren Gefahren befahren!
Jetzt bitte ich Sie aber auch, fleißiger als es
vorigen Winter geſchehen, auf die erſcheinenden Rezen¬
ſionen Acht zu haben, ſie für mich zu ſammeln und
mir mit Gelegenheit zu ſchicken. Nicht die Hälfte
von dem was über mich geſchrieben worden, habe ich
damals zu leſen bekommen. Einige der intereſſante¬
ſten Rezenſionen kamen mir erſt nach meiner Rück¬
kehr in Deutſchland unter die Augen: wie die von
Görres und Carové und eine in der Abendzeitung,
worin es heißt: „Börne ſteht jetzt [auf] dem Punkte,
13*[196] „wo der Menſch in den Tiger übergeht.“
Es wäre zwar damals noch Zeit geweſen darüber zu
ſchreiben und es in meine Briefe einzuſchieben; aber
es wäre ein Anachronismus meiner Gefühle geworden
und ich lüge nicht gern. Alſo thun Sie was ich
verlange und vergeſſen Sie nicht, daß ich auf dem
Punkte ſtehe, wo der Menſch in den Tiger übergeht
und daß es gefährlich iſt mich zu reizen.
Siebzehnter Brief.
..... Ich wollte ich wäre be[i] Ihnen, ich
habe etwas Wichtiges mit Ihnen zu überlegen, et¬
was Gelehrtes, einen Punkt aus dem Staats- und
Hausrechte. Ich kann aber ohne Sie nicht fertig
werden. Hören Sie was es betrifft. Im Jahre
1817 machte die franzöſiſche Regierung den Entwurf
zu einem Wahlgeſetze für die Deputirtenkammer.
Solche Wahlordnungen wurden natürlich im Inter¬
eſſe der Macht eingerichtet. Da nun die Freiheit,
[198] ſtatt, der Geſundtheit gleich, etwas angebohrnes,
Unbemerktes, Ungefühltes zu ſein, ſtets etwas Er¬
worbenes, Beſtrittenes, kurz, ein ewiger Kampf iſt,
und man dieſes wie jedes Kampfes in den reifern
Jahren, theils müder, theils unkräftiger wird — ſieht
die Regierung überall darauf, daß die Bürger erſt
im höhern Alter zu Volksvertretern gewählt werden
können. In jenem franzöſiſchen Wahlgeſetze war alſo
beſtimmt, daß ein unverheiratheter Menſch erſt mit
dem vierzigſten Jahre, ein verheiratheter mit dem
fünf und dreißigſten, und ein Wittwer ſchon mit dem
dreißigſten wählbar ſein. Daß ein Ehemann früher
erſchöpft wird als ein lediger Menſch, begreift ſich
leicht: Der Kampf für ſeine perſönliche Freiheit läßt
ihm wenige Tapferkeit zum Kriege für die öffentliche
übrig. Warum aber ein Wittwer ſchon im dreißig¬
ſten Jahre matt iſt, und fünf Jahre früher als ein
Verheiratheter, verſtehe ich nicht, und darüber möchte
ich Ihre Weisheit vernehmen. Wenn ich ein Wahl¬
geſetz zu machen hätte — ich verfaßte es im Inter¬
eſſe der Freiheit würde ich feſtſetzen: daß ein
lediger Menſch nicht mehr nach dem dreißigſten, und
ein Verheiratheter nicht mehr nach dem fünf und
zwanzigſten Jahre Deputirter werden könnte. Doch
was die Wittwer beträfe, ließe ich ſie lebenslänglich
wählbar ſein; denn ich würde annehmen: ein Witt¬
[199] wer müſſe das Herrliche und Köſtliche der Freiheit
ſo lebhaft fühlen, daß er noch im ſiebenzigſten Jahre
ein Spartakus werden könnte. Was denken Sie
davon.
.... Spricht man denn in [Frankfurt] auch
von einem Congreſſe, der nächſten Frühling dort ge¬
halten werden ſoll, und wozu beide Kaiſer kommen?
Es wäre ſchön. Das würde ja der deutſchen Re¬
volution eine Eiſenbahn eröffnen.
Achtzehnter Brief.
Ich komme auf Chateaubriand zurück, den edlen
Narren, der mir aber lieber als die ſieben Weiſen
jeder Schule; auch der Liberalen, das dürfen Sie mir
glauben. Die Treue iſt ſeine geliebte und verehrte
Dulcinea. Nicht den Bourbons, nicht der Legitimi¬
tät, ſich iſt er treu. Wäre das nur Jeder in ſei¬
nem Glauben, in ſeiner Geſinnung, wie weit beſſer
wäre dann Alles! Wollte nur Jeder was er will,
ganz und immer, wie viel milder wäre der Wider¬
ſpruch, wie viel menſchlicher der Streit! Denn wahr¬
lich, nicht das eigenſinnige Feſthalten auf jeder Mei¬
nung, wie die guten Leute glauben, ſondern das furcht¬
[202] ſame oder heuchleriſche Nachgeben macht die Partheien
ſo unverſöhnlich. Gäbe es keine Royaliſten die Liebe
zur Freiheit heuchelten, freilich, zur wahren, wie
ſie ſagen — gäbe es keine Freiſinnigen die Anhäng¬
lichkeit für den Fürſten heuchelten — beide aus Liſt,
Trug oder Schwäche — man könnte ſich beſſer ver¬
ſtändigen, denn man verſtünde ſich beſſer.
Es iſt gut daß Sie wiſſen, was Chateaubriand
von der gegenwärtige Lage Frankreichs, von ſeinen
äußern Verhältniſſen, was er von der Erbärmlichkeit
der Regierung, und der Ermüdung der Nation ſpricht,
auf welche die Tyrannei die Hoffnung ihres Gelin¬
gens gründet. Chateaubriand iſt kein Zimmerſpeku¬
lant, wie ich, der die Welt durch das Fenſter an¬
ſieht, er hat nichts zu errathen und zu vermuthen,
er braucht keinen Argwohn und keine Hoffnung; er
iſt ein vornehmer Mann, ſteht an der Spitze einer
reichen und mächtigen Parthei, die Alles weiß, Alles
erfährt, und Vieles ſelbſt thut oder ſtört. Er iſt
ſelbſt ein Staatsmann, der die Mittel und Wege,
die Stärke und Schwäche aller Regierungen kennt.
Ihn konnte nicht, wie mich, die Liebe zur Freiheit
verblenden; denn er iſt ein guter Royaliſt der rein¬
ſten Art, ein Legitimiſt. Es könnte ſich freilich fin¬
den, daß das was er Louis Philipp vorwirft, nur
das Verderbniß jedes Fürſten ſei; aber dann, deſto
[203] ſchlimmer für Chateaubriand und deſto beſſer für uns.
Darum noch einiges aus ſeiner Schrift.
„Die Revolution der Juli-Tage, aus dem Volke
„hervorgegangen, hat, abtrünnig von ihrem Urſprunge
„ſich von dem Ruhme geſchieden und um die Schande
„gebuhlt, als gäbe das Eine ihr den Tod, als wäre
„die Andere ihre Lebensquelle. Das Jüſte-Milieu
„hat ſich einer ausſchweifenden Macht ergeben, an
„welche die Regierung Carls X. nie gedacht, und die
„man nie von ihr geduldet hätte. Verächter der
„Geſetze, zum Spotte der Charte vor 1830, hat er
„den Belagerungs-Zuſtand eingeführt; zehen wichtige
„Artikel des neuen Vertrags ſind von ihm gebrochen
„worden. Er trieb ſeinen Spott mit der perſön¬
„lichen Freiheit; er hat die Gefängniſſe angefüllt, die
„Hausſuchungen, die Militär-Kommiſſionen, die Pre߬
„proceſſe vermehrt und einen Schriftſteller wegen ei¬
„nes Wortſpiels zum Tode verurtheilt ... Der
„Fetfa, welchen die Miniſter der Pairskammer vor¬
„gelegt haben, verwandelt dem Geiſte nach, die con¬
„ſtitutionelle Monarchie in einen orientaliſchen Des¬
„potismus. Es iſt Conſtantinopel mit den Enuquen
„der Doktrine als Janitſcharen; nur tragen ſie, wie
„Mahmud, Chalwaris auf engliſche Art, als Zei¬
„chen der Fortſchritte der Civiliſation. Aber wenn
„die Franzoſen nicht bis zur letzten Staffel der Völ¬
[204] „kerleiter herabgekommen ſind, wenn man noch ohne
„zu erröthen oder zu lachen von Freiheit reden darf;
„werde ich mit meinen Betrachtungen fortfahren.“
„Es iſt augenſcheinlich, daß das Prinzip der
„Juli-Revolution, und das Prinzip der continental¬
„Monarchien ſich feindlich entgegen ſtehen, daß dieſe
„beiden unvereinbaren Prinzipien nicht lange neben
„einander fort dauern können; daß das Eine noth¬
„wendig das Andere zerſtören muß. Wenn die über¬
„raſchten Fürſten im erſten Augenblick das König¬
„thum der Barrikaden anerkannt haben, werden ſie
„früher oder ſpäter, ohnfehlbar davon zurückkommen;
„denn keinem von ihnen wird ſonderlich viel daran
„liegen, von einem Pflaſterſteine umgeworfen oder
„von einem Vetter verdrängt zu werden. Ja, jemehr
„ſich in Frankreich ein Anſchein von Ordnung und
„Wohlſtand zeigte, jemehr würden ſich die abſoluten
„Regierungen entſetzen, denn die Verſuchung für ihre
„Völker wäre dann um ſo größer. Wie wäre auch
„möglich eine freie Tribüne, freie Journale, die
„Gleichheit der Stände, die Theilung aller Aemter
„und jedes Glückes zu haben, ohne daß die Revolu¬
„tion, minder bedächtig als ihre ſchwachen Führer,
„über den Rhein ginge? .. Daß Souveraine, von
„einem dreißigjährigen Kriege ermüdet, ſchlafen wol¬
„len; daß Geſandte lieber in Paris bedeutende Per¬
[205] „ſonagen ſind, als bei ſich zu Hauſe hinten an ge¬
„ſetzt und vergeſſen; daß ſie darum in Angelegen¬
„heiten von welchen ſie ſich ſelbſt Rechenſchaft geben
„oder nicht, ſie ihrem Hofe die Wahrheit verbergen
„ — das begreift ſich. Laſſet aber einen gewiſſen
„Tag kommen um einen gewiſſen Menſchen ge¬
„hen und ihr werdet es erfahren.“ Die letzte
Aeußerung bezieht ſich auf den ruſſiſchen Ge¬
ſandten, den Grafen Pozzo di Borgo, von welchem
geſagt wird, er liebe ſo ſehr den Aufenthalt in Pa¬
ris, daß er darum ſeit der Revolution ſich die größte
Mühe gäbe, ſeinen Kaiſer in friedlicher Stimmung
gegen Frankreich zu erhalten. Dieſes erregte in
der letzten Zeit endlich den Argwohn des ruſſiſchen
Hofes und Pozzo di Borgo wurde nach Petersburg
berufen um Rechenſchaft abzulegen. Aber durch Auf¬
opferung einer bedeutenden Geldſumme an eine ein¬
flußreiche Perſon, ſoll ihm gelungen ſein ſeine Un¬
ſchuld darzuthun, und er durfte nach Paris zurückkehren.
„Die geſellige Ordnung lößt ſich auf; die Anar¬
„chie die in die Köpfe eingedrungen, bedroht die ma¬
„terielle Geſellſchaft. Man verſteht ſich über nichts
„mehr, die Verwirrung der Ideen iſt unglaublich.
„Wenn der Nachbar nicht ſeinen Nachbaren erwürgt,
„ſo unterbleibt es, nicht weil ihn die Staatsgewalt
„hindert, ſondern weil die Fortſchritte der ſittlichen
[206] „Bildung ihm den Gedanken der Gewaltthätigkeit ge¬
„nommen haben. Keine Parthei, kein Menſch glaubt
„innerlich an den Beſtand der gegenwärtigen Ord¬
„nung der Dinge — für eine Regierung die aller¬
„gefährlichſte Stimmung. Die Quaſi-Legitimität,
„ſich für ſtark, entſchloſſen, unerſchrocken ausgebend;
„Willkühr für Kraft, den unverſchämteſten Geſetzes¬
„bruch für Geſetzlichkeit haltend, gibt über die Prin¬
„zipien nach und verträgt ſich mit Allem was ihr
„Furcht macht. Sie erhält ſich nur, durch das vor¬
„gehaltene Schreckbild einer noch ſchlimmern Zukunft
„als ſie ſelbſt iſt; ſie ſtellt ſich als eine traurige
„Nothwendigkeit dar und ſagt: (ſonderbarer Anſpruch
„auf das öffentliche Vertrauen!) ich bin immer
„noch beſſer, als das was kommen wird.
„Das iſt ſo ausgemacht nicht.“
„Vierzigjährige Stürme haben die ſtärkſten
„Seelen niedergeworfen; die Gefühlloſigkeit iſt groß,
„der Egoismus faſt allgemein; man duckt ſich um un¬
„bemerkt zu bleiben und ſich in Frieden durchzubrin¬
„gen. Wie nach einer Schlacht die Leichen die Luft
„verderben, ſo bleiben nach jeder Revolution ange¬
„freſſene Menſchen übrig, die Alles mit ihrem Eiter
„beſchmutzen.“
„Die Freiheit iſt nirgends mehr als in den
„Herzen einiger Wenigen, die würdig ſind ihr eine
[207] „Zuflucht zu eröffnen. Ein Gegenſtand der Spötter
„aller jener Elenden, die einſt ihr Feldgeſchrei dar¬
„aus gemacht, wird dieſe verkaufte, geſchändete, an
„allen Straßenecken ausgebotene und verſchacherte
„Freiheit; dieſe Freiheit, welche die Poſſenreißer des
„Jüſte-Milieu ſich mit Fußſtößen einander zuwerfen;
„dieſe gebrandmarkte und mit der Haſpel der Aus¬
„nahmsgeſetze erwürgte Freiheit, wieder durch ihre
„Vernichtung die Revolution von 1830, in eine
„große Schmach und eine hündiſche Schurkerei ver¬
„wandelt.“
„Die Gleichheit, dieſe Leidenſchaft der Franzo¬
„ſen, ſcheint allen Bedürfniſſen genug zu thun.
„Der Bürger der glaubt einen König gewählt zu
„haben, der an dem Tiſche dieſes Königs zu Mittag
„ißt, und mit ſeinen Töchtern tanzt, weiß ſich in
„ſeiner Pfauen-Eitelkeit, mit Freiheit und Ruhm
„wohlfeil abzufinden. Wenn man ihn feſthält und
„ihm Handſchellen anlegt, denkt er, er habe ſie ſich
„ſelbſt angeſchnallt; denn er iſt die Quelle der Macht,
„er klirrt aus Prahlerei mit ſeinen eignen Ketten,
„als Zeichen ſeiner ſtarken Unabhängigkeit. In ſei¬
„nen Augen iſt die Monarchie eine Haushaltung und
„das Diadem das Band einer Nachtmütze“
„Die Frau Herzogin von Berry ſah einen
„Theil dieſer Dinge vom fremden Strande aus ...
[208] „Man ſagte der edlen Tochter Heinrichs IV., daß
„es in Frankreich eine Parthei gäbe, die mit Hunde¬
„Geduld Alles ertrage (!); Freiheit heuchelnd, ſcham¬
„los ihre Reden durch ihre Handlungen Lügen ſtra¬
„fend (!!); die Verachtung der Nation und die Fu߬
tritte des Auslandes (!!!) unterwürfig hinnähme;
„ſich gegen künftige Mißfälle in ihrer Filzigkeit (!!!!)
„Rettung ſichere und in der Hoffnung zu leben krieche,
„krieche, krieche, weil es ſchwer iſt zu zertreten was
„ſich ſo platt macht unter den Füßen (!!!!!). Die
„wohlwollende Prinzeſſin ...“ — Doch genug von
„der Prinzeſſin; gute Nacht [Prinzeſſin]!
Jetzt nur noch was Chateaubriand über den
belgiſchen Krieg geſagt. Mir ſeinem Sancho Panſa,
ziemt es, wie jedem treuen Diener, die edlen Reden
ſeines Herrn zu verkündigen. „Aus dem was heute
„unſere mit der Klugheit der Quaſi-Legitimität um¬
„windelten Soldaten gethan, kann man ſich überzeu¬
„gen was die ächten Juli-Männer hätten thun kön¬
„nen. Man hat vor Antwerpen das Heldengeſchlecht
„von Marengo, Friedland, Navarin und Algier er¬
„kannt; nur ſah man mit Schmerz, daß das Jüſte-
„Milieu ſo viel Tapferkeit verſchwendete, ſo viele
„Menſchen aufopferte, um das Feuer der Linken zum
„Schweigen zu bringen, um ſich eine Kammermajo¬
„rität zu ſchaffen, und, mit einer dummen Naivität
„eine Feſtung zum Vortheil unſerer Nachbarn zu er¬
„obern. Wir, uns eilend über die Grenzen zurück
„zu gehen, und nachdem jeder unſerer Soldaten auf
„den Apell des engliſchen Controleurs geantwortet
„haben wird, wir werden die Koſten eines glänzen¬
„den Kriegszugs übernehmen, der aber nichts endet,
„weder für Frankreich, noch für Holland, noch für
„Belgien — ein mörderiſches Tournier, deſſen mit¬
„telbare Folge, früher oder ſpäter ein Krieg, deſſen
„unmittelbare Folge ſein wird, die Schelde dem Han¬
V. 14[210] „del Großbrittanniens zu eröffnen. Dieſes, das in
„dem blutigen Spiele keinen Schiffsjungen gewagt,
„hat nur einige Guineen auf hohe Zinſen angelegt.
„Fünf bis ſechs tauſend von dem Geſchütze oder der
„Krankheit hingerafften Soldaten, mehrere tapfere und
„geſchickte Offiziere getödtet oder verwundet, einige
„und vierzig Millionen aus der Taſche der Steuer¬
„pflichtigen genommen, bilden die Mitgift, welche wir
„das Glück und die Ehre haben werden, die Ehe¬
„liebſten des engliſchen Präfekten von Belgien anzu¬
„bieten.“
Ein preußiſcher Naturforſcher wollte eine wiſſen¬
ſchaftliche Reiſe nach Nordamerika machen und bat
ſeinen König um Unterſtützung. Dieſer antwortete:
Amerika ſey ſchon genug ausgeforſcht, aber in Si¬
birien wären noch die ſchönſten Entdeckungen zu ma¬
chen. Als ſich nun ein anderer Naturforſcher fand
der ſich bereitwillig zu Sibirien erklärte, bekam er
achthundert Thaler Reiſegeld. Iſt das nicht artig?
ja, dieſes Amerika thut ihnen wehe wie ein hohler
Zahn und ſtört ſie im Schlafe. Wenn es nur zu
plombiren wäre! Eine Republik ohne Guillotine —
und ſie ſagen uns doch ſeit vierzig Jahren: Repu¬
blik und Guillotine, das wäre Alle eins! Freiheit
ohne Blut — und ſie lehren doch der Hofraths-Ju¬
gend in allen Schulen: die Freiheit ſey eine Art
Fiſch der nur im rothen Meere lebe! Aber ſie hof¬
fen ſehr auf eine beſſere Zukunft, auf Blut und
Königthum auch in der neuen Welt. Sie haben es
längſt vorher geſagt, das Band welches die verſchie¬
denen Länder Amerikas aneinander knüpfe würde bald
zerriſſen und dann würden die vereinigten Staaten
aus der gottloſen Liſte der Republiken geſtrichen und
in die heilige Civilliſte geſetzt werden. Und in dieſen
Tagen hat ſich wirklich ereignet, daß eine Provinz
14 *[212] der vereinigten Staaten, aus Unzufriedenheit mit ei¬
nem Douanengeſetze, das ihrem Handel ſchadet, ſich
von der Union gewaltſam loszutrennen droht. Schon
fangen die Ariſtokraten zu jubeln an. „Das Werk
Waſhingtons und Frankreichs ſtürzt zu¬
ſammen;“ ſchon halten die Europäiſchen Fürſten im
Stillen eine Familien-Muſterung und vertheilen Ame¬
rika zwiſchen ihre Ottos, Carls, Wilhelms und Fried¬
richs; ſchon erkundigt ſich Herr von Gagern ver¬
traulich bei Herrn Rothſchild, welcher Fürſt am mei¬
ſten Credit habe, und arbeitet an einer ſchönen Rede
für die heſſendarmſtädtiſche Kammer, worin er von
der Brüderſchaft des Miſſiſippi und des Rheins ſpricht.
Unvergleichlich iſt die dumme Naivität mit welcher die
Royaliſten die Naturnothwendigkeit der monarchiſchen
Regierungen darthun und ihre feſte Hoffnung aus¬
drücken, daß Gott in ſeiner Barmherzigkeit auch bald
den amerikaniſchen Völkern Könige verleihen werde.
Sie ſagen: ein Staat in ſeiner Kindheit und in
ſeinem Greiſenalter könne der Monarchie nicht ent¬
behren. O! zugegeben mit tauſend Freuden. Aber
was folgt daraus? daß eine Monarchie nichts als
eine Laufbank oder eine Krücke iſt, und daß wenn
man der Laufbank nicht mehr und der Krücke noch
nicht bedarf, man keine Könige braucht. Ich gebe
ihnen mehr zu als ſie verlangen, und bekenne daß
die Staaten nicht blos in ihren Kinderjahren und im
[213] hohen Alter, ſondern auch zu jeder Zeit ihres Lebens
einer fürſtlichen Regierung bedürfen — ſobald ſie
krank werden. Dann iſt die Monarchie das Heil¬
mittel und der Fürſt der Arzt. Aber ſobald die Ge¬
ſundheit zurückkehrt, wirft man das Arznei-Glas zum
Fenſter hinaus und verabſchiedet die Aerzte. In die¬
ſem Zuſtande der Wiedergeneſung iſt jetzt der größte
Theil der europäiſchen Welt. Wozu alſo noch län¬
ger Doktor und Apotheker? wozu ſo vieles Geld
für Arznei-Mittel ausgeben, das wir für unſere Nah¬
rung nützlicher und angenehmer verwenden könnten?
Aber da giebt es Völker die von Geſundheit ſtrotzen
und in der Einbildung krank ſind, nur da ſehen wir
die ganze lächerliche und traurige Geſchichte von Mo¬
lieres malade imaginaire. Leſen Sie gleich vorn
die Apotheker-Rechnungen: es iſt eine Satyre auf die
monarchiſchen Budgets. Da ſind die Volks-Doktoren
Dnifarius Vater und Sohn; da iſt der Volks-Apo¬
theker Pargo, die den unglücklichen Argan anführen
und abführen, daß es ein Erbarmen iſt. Wohlmei¬
nende Freunde belehren ihn, daß er geſund ſey, und
er möge doch Doktor und Apotheker zur Thüre hin¬
aus werfen; aber da tritt jedesmal madame Belise,
der nach dem Gelde des armen Tropfes gelüſtet, zur
rechten Zeit hinzu und ſpricht zärtlich mon petit fils,
mon ami, mon pauvre mouton! und erſtickt ihn
unter Federbetten. Endlich aber, ich hoffe es, wird
[214] wie Argan auch das Volk klug werden, ſich ſelbſt
zum Doktor kreiren und das erhabene und geheim¬
nißvolle clysterium donare, postea segnare, en¬
suita purgare — was man regieren nennt —
ſelbſt lernen und ausüben.
Haben Sie aber, wenn Sie Thee getrunken, je
daran gedacht, daß er der Thee iſt dem wir die Ame¬
rikaniſche Freiheit zu verdanken und alle die herrlichen
Folgen, die ſie für Europa gehabt? Ein Zoll den
das engliſche Parlament auf den Thee gelegt, veran¬
laßte den Abfall der amerikaniſchen Colonien. Ich
rede da freilich im Geiſte der Monarchiſten, die jede
Revolution einem unglücklichen Zufalle zuſchreiben;
wäre es nicht der Thee geweſen, wäre eine andere
Veranlaſſung dazu gekommen; nicht die Freiheit, die
Tyrannei bedarf einer Erklärung. Doch iſt es im¬
mer ſchön, daß es der Thee war, und daß er ſo
wieder gut machte was er verdarb. Nehmlich der
Thee, der Kaffe und andere indiſchen Gewürze, haben
erſtaunlich viel dazu beigetragen, die Despotie in
Europa zu begründen — einerſeits, indem ſie die
Völker durch den Genuß körperlich, durch Gewöhnung
an Ueppigkeit geiſtig entnervt haben, und andererſeits,
indem das Emporblühen des Handels die Fürſten be¬
reichert hat, ſo daß ſie ſich ſtehende Heere bilden
konnten, mit welchen ſie die Freiheit niederſchlugen.
Trinken Sie die nächſte Taſſe Thee auf die Geſund¬
[215] heit Carolinens, nehmlich jener amerikaniſchen
Provinz, die durch ihren Widerſpruch das Land zu
entzweien droht; trinken Sie auf das Wohl der Frei¬
heit überhaupt; es geht dem armen Mädchen gar
zu ſchlecht.
Weil wir gerade vom Thee ſprechen, muß ich
Sie doch über etwas fragen, das mich ſeit einigen
Tagen ſehr beunruhigt. Ich kaufte mir Thee, grü¬
nen und ſchwarzen, von beiden gleich viel an Gewicht.
Ich habe für jede Sorte eine beſondere Büchſe. Als
ich nun zu Hauſe die Büchſe füllte, machte der
ſchwarze Thee die Büchſe ganz voll, der grüne aber
nur zur Hälfte. Es iſt nun die Frage: bin ich
betrogen oder nimmt der grüne Thee weniger Raum
ein, als der ſchwarze? Es wäre merkwürdig wenn
ein Betrug ſtattgefunden, es war doch ein maison
de confiance in dem ich den Thee kaufte. Ein
maison de confiance nennt man hier einen Kauf¬
laden, worin man geprellt wird wie in jedem; aber
man darf kein Wort dagegen ſagen. Beklagt man
ſich im mindeſten, antworten ſie ſtolz c'est une
maison de conficiance.
Da iſt Ihr Brief, ich kann aber heute nicht
mehr auf Alles antworten, ich bin geſtört worden,
es iſt zu ſpät. Ein Spanier hat mich beſucht, einſt
beim Corps des Marquis Romana. Ich erzähle Ih¬
nen noch von ihm.
— Eine gemiſchte Schulkommiſſion,
heißt eine Schulkommiſſion, die aus Dummheit und
Pedanterie gemiſcht iſt. Adieu.
Neunzehnter Brief.
Ich glaube es war mein vorletzter Brief, deſſen
Kürze ich durch ſtörende Beſuche erklärte. Kein
wahres Wort daran. Es war wieder ein ſchönes
Buch, in dem ich herumkroch wie eine Fliege in der
Zuckerdoſe, und ich konnte nicht heraus. Wenn Sie
mir auf das Heiligſte verſprechen wollen, es gar
nicht in die Hand zu nehmen an den Tagen an wel¬
chen Sie mir zu ſchreiben haben, will ich es Ihnen
verrathen. Es heißt: Mémoires d'un cadet
de famille, aus dem Engliſchen überſetzt, bis jetzt
zwei Bände. Der Name des Verfaſſers ſteht auf
dem Titel, aber ich habe ihn vergeſſen und das
[218] Buch ſchon weggegeben. Er nennt ſich Freund
des Lord Byron. Der Held dieſer Denkwürdig¬
keiten war ein Seeräuber und hat dem Lord Byron
den Stoff zu ſeinem Corſar und den Giour ge¬
geben. Freilich können dieſe Denkwürdigkeiten für
eine Frau nicht ſo anziehend ſein als für einen
Mann .... Für einen Mann? O! Es iſt mein
Spott. Ich meine: für Männer wie wir ſind; ich
meine: für einen Mann wie ich bin, der glaubt et¬
was zu ſein, weil er ſich ſchämt nichts zu ſein. Ich
ſchwöre es Ihnen, als ich in dem Buche las, hob
ich meinen Arm hoch empor und redete ihn an:
Schlingel, alter Schlingel! ſage mir doch, was haſt
du denn gethan in deinem halben Jahrhunderte? Ich
ſaß am Kamine und ſtarrte in die lodernde Glut.
Brennen — leben! Von dieſem Holze bleibt ein
wenig Aſche übrig, das Andere Alles geht als Rauch
in die Luft. Aber dieſer Rauch ſammelt ſich zu
Wolken, dieſe Wolken ſtürzen als Regen herab der
die Erde befruchtet, und ſo ernährt der Tod das
Leben. Auch von den Menſchen bleibt nur ein we¬
nig Aſche übrig, auch ſein ganzes Daſein geht in
Rauch auf; aber dieſer Rauch wird nicht zur Wolke,
er kehrt nicht zurück, er befruchtet nichts. Wo kom¬
men nun die zahlloſen, [unbenutzten], ungenoſſenen
Kräfte aller der Millionen Menſchen hin, die nichts
waren, die nichts werden durften? Die Erziehung
[219] ſchlägt ſie todt. Gut, ich weiß das; aber was wird
aus ihnen nach dem Tode? Wehe, die Erziehung!
Sobald ein Menſch geboren wird — gleich umſtellen
und umlauern ihn die Mutter, die Amme, der Va¬
ter, die Wärterin; ſpäter kömmt der Lehrer, ſpäter
der Polizeimann dazu. Die Mutter bringt ein
Stückchen Zucker, die Amme ein Mährchen, die Wär¬
terin eine Ruthe, der Vater den Vorwurf, der Leh¬
rer den Stock, der Staat ſeine Ketten, ſein Henker¬
beil. Und zeigt ſich eine Kraft, rührt ſich, ſtammelt
nur eine Kraft — gleich wird ſie fortgeſchmeichelt,
fortgepredigt oder fortgezüchtigt. So werden wir
wohlerzogene Menſchen, ſo bekommen wir ſchöne Ta¬
lente. Wiſſen Sie was ein großes Talent heißt?
Ein Talent iſt eine große fette Gansleber. Es iſt
eine Krankheit; der Leber wird das ganze arme Thier
aufgeopfert. Wir werden in einen engen Stall ge¬
ſperrt, dürfen uns nicht bewegen, daß wir fett wer¬
den; werden geſtopft mit moraliſchem Welſchkorn
und gelehrten Nudeln, und dann ſchnaufen wir und
erſticken faſt vor Moral, Gelehrſamkeit und Polizei¬
furcht, und dann kömmt eine alte Köchin von Re¬
gierung, betaſtet uns, lobt uns, ſchlachtet uns, rupft
uns und benutzt unſere ſchönen Talente. Was nur
an uns ſtirbt möchte ich wiſſen; ich möchte wiſſen,
was nur der Tod an uns zu holen findet! Aber der
Tod iſt ein armer Hund; nichts als Knochen ſein
[220] ganzes Leben lang, ſelten daß ihm ein voller Menſch
herabfällt.
Dieſer Corſar — man kann es aus den Epo¬
chen ſeines Lebens berechnen, er war ein Knabe als
die Seeſchlacht von Trafalgar vorfiel — iſt jetzt erſt
vierzig Jahre alt und lebt wahrſcheinlich ſchon längſt
wieder in ſeinem Vaterlande und baut ſein Feld.
Ein Jahrtauſend am Leben hat er ſchon zurückgelegt
und die dreißig Jahre die er noch leben mag, ſind
ihm ein Deſert, eine Sieſte. Thaten, von welchen,
eine einzige nur, das ganze arme Leben eines Men¬
ſchen bereichern könnte, hat er vergeſſen, und jetzt in
ſeiner Einſamkeit, da er ſeine Denkwürdigkeiten ſchrieb,
war es oft eine ſeltene Waffe, die er erbeutet und
noch beſitzt, oder ein anderes Zeichen, was ihn an
eine blutige Schlacht, an eine furchtbare Gefahr er¬
innert. Der indiſche Ocean, mit ſeinen liebeswar¬
men, ſeligen Inſeln, war ſein Spielplatz. Dort iſt
die kriegeriſche Sonne, deren Pfeile Niobes Töchter
getödtet; dort iſt das ächte Urbild der Sonne, die
wir nur aus Kupferſtichen kennen. Da wachſen An¬
nanas wie bei uns die Rüben. Der Tiger beheult
die Nacht, wie bei uns die Nachtigall ſie beſingt.
Der Pfeil eines Wilden iſt Morgengruß, der ver¬
giftete Dolch eines Malaien iſt Abendgruß.
Er hatte eine Liebe, ein arabiſches Mädchen,
Zela, die Tochter eines Scheiks. Einmal in der
[221] Nacht überfiel er einen malaiiſchen Ort und metzelte
die Einwohner nieder, ſie für verübte Gewaltthätig¬
keiten zu züchtigen. Die Gefangenen der Malaien
befreite er. Unter dieſen war ein Araber, zum Tode
verwundet, der ehe er verſchied, die Hand ſeiner
vierzehenjährigen Tochter in die ihres Erretters legte.
Der Corſar trug ſie auf ſeinen Schultern in ſein
Schiff. Sie ward ſein Weib, die Mutter ſeiner
Kinder, ſie begleitete ihn auf allen ſeinen Seezügen,
theilte alle ſeine Gefahren, ward ſein Schutzgeiſt.
Könnte ich Ihnen die arabiſche Zela ſchildern! Sie
iſt der holde Genius des Kaffes, der heiße
dunkle Blick des Morgenlandes, ein Brennſpiegel der
Seeligkeit. Zela iſt für den Geiſt des Corſaren, was
der Kaffe für ſein Fleiſch. Denn ich muß Ihnen
ſagen, er trinkt Kaffe, wie ich auch, nur unter an¬
dern Umſtänden, und das hat mich am meiſten ge¬
ärgert und darüber bin ich roth geworden. Ich
trinke Kaffe — nicht einmal des Morgens, da kann
ich ihn nicht vertragen; ſondern Mittags nach dem
Eſſen, nachdem ich etwas geſchlummert, um neue
Kraft zu neuer Schwäche zu ſammeln; ehe ich mich
wieder an den Schreibtiſch ſetze und federfuchſe und
ſchimpfe wie ein altes Weib gegen Buben, die mit
Steinen nach mir werfen. Er — wenn ihn eine
tolle Meereswoge in die See ſchleudert und die Wel¬
len mit ihm ſpielen und ihn ſich einander zurollen;
[222] ſein Muth und ſeine Stärke helfen ihm wieder em¬
por, er wird halbtodt an Bord gebracht — er trinkt
Kaffe und alles iſt wieder gut. Wenn er aus ſechs
Wunden blutend ohnmächtig niederſinkt; der dumme
Schiffs-Chirurg kömmt mit Kübeln von Arzneitränken,
mit ſeinen Meſſern ihm Arme und Beine abzuſchnei¬
den — der Held ſchlägt die Augen auf, fordert eine
Taſſe Kaffe, trinkt ſie und iſt geheilt. Wenn —
doch genug. O Schlingel! — ich. O Schlingels!
— Ihr.
..... Auf das was **** ſagt, laſſen Sie
Acht geben. Er ſteht zwar ganz unten in der vor¬
nehmen Welt, aber unter der ariſtokratiſchen Sipp¬
ſchaft herrſcht eine merkwürdige Sympathie, und
wenn man aufmerkſam iſt, kann man oft unten hö¬
ren was oben geſprochen wird und ſo erfahren was
ſie vorhaben. Es kann recht leicht ſein, daß ſie die߬
mal meine Briefe nicht verbieten, planmäßig nicht;
denn aus der Polizeilumperei kommen ſie nie heraus.
Sie halten immer für leicht und möglich die öffent¬
liche Meinung zu unterdrücken oder zu beherrſchen,
und wenn es ihnen mislingt, denken ſie, ſie hätten
nur das rechte Mittel nicht gewählt. Das Verbot
der Briefe hat nichts geholfen, jetzt denken ſie die
Duldung werde wirkſamer ſein, aber ihre Verachtung
wird mir ſo wenig ſchaden, als ihr Haß.
Ich habe den Artikel in der Nürnberger Zeitung
geleſen. Er iſt gut gemeint; aber ich finde mich
noch ſchwerer in dieſe Menſchen, als ſie ſich in mich
finden. Da heißt es wieder: es ſei doch jammer¬
ſchade, daß ein ſo geiſtreicher Mann, wie ich ſei,
und der ſo unendlich viel Gutes wirken könnte, ſo
unmäßig wäre! Guter Gott! Auf wen ſoll ich
denn wirken? Auf die Regierungen etwa? Auf
[224] den Fürſten von Wallerſtein, den Herrn von Blit¬
tersdorf, den Herrn von Nagler? Oder wohl gar
auf die regierenden Fürſten, auf den Großherzog von
Baden etwa, den ein Fluß über welchen eine be¬
queme Brücke führt von der Weltſchule trennt und
der nichts gelernt. Auf einen Fürſten der ſein Wort
gebrochen, und für die Klagen und Schmähungen
ſeines Volkes reichlichen Erſatz in einem preußiſchen
Generals-Titel findet und in einem artigen Briefe,
den ihm ſein König geſchrieben? Ich ſoll Gehör bei
Menſchen ſuchen, die vierzig Jahre lang den Don¬
ner des Himmels überhört? Und das noch mit freund¬
lichen Worten, mit Höflichkeit und Beſcheidenheit!
Meine Hofmeiſter ſehen eine deutſche Regierung für
eine alte gute Großmutter an. Sie meinen:
die Großmutter hat ihre Launen, denn ſie iſt alt und
kränklich; aber ſie iſt doch unſere Großmutter, wir
müſſen Nachſicht mit ihr haben. Nein, nein, nein,
zum Teufel! nein. Nicht Großmütter, Furien ſind
unſere Regierungen. Iſt es großmütterlich was
Baiern thut, das jeden Mann von Gefühl auf die
Folter einer peinlichen Unterſuchung ſpannt, bis er
bekenne, wer ſeine Mitfühlenden geweſen? Iſt es
großmütterlich, wenn die Naſſauer Regierung einen
Greis von ſiebenzig Jahren in einer Winternacht aus
ſeiner einſamen Landwohnung reißt und ihn auf drei
Jahre zu Dieben und Räubern ins Zuchthaus ſperrt,
[225] weil er in einer ausländiſchen Zeitung freimüthig über
die Finanzen des Landes geſprochen? Iſt es gro߬
mütterlich, wenn die preußiſche Regierung, wie ſie
ſelbſt bekannt macht, Spione in Paris hält, die ihr
jedes Wort der Klagen eines ihrer Unterthanen be¬
richten? Mit des Teufels Großmutter will ich höf¬
lich ſein, aber mit keiner Rabenmutter von deutſcher
Regierung.
Ich habe mir das oben beſprochene Buch
aus der Leihbibliothek noch einmal holen laſſen. Der
Verfaſſer heißt Trelawney und nennt ſich „Com¬
pagnon et ami de Lord Byron.“
Ich habe nicht Zeit mehr das Blatt herunterzu¬
ſchreiben; ich bin wieder durch Beſuche geſtört wor¬
den. Adieu.
V. 15
Zwanzigſter Brief.
Meine deutſche Eſelshaut iſt ſchon wieder voll
und ich muß ſie aufräumen, um für die neue Woche
Platz zu bekommen. Deutſche Eſelshaut nenne
ich die Pergamentblätter in meiner Schreibtafel, die
dazu beſtimmt ſind, beim Zeitungsleſen die deutſchen
Angelegenheiten zu merken. Wollte ich ſie, wie ich
es mit dem übrigen Europa mache, auf Papier zeich¬
nen, müßte ich mir jeden Monat ein neues Taſchen¬
buch kaufen. Sie ſollten nur einmal das kleine gelbe
Ding ſehen, man glaubt es nicht wie viel Aerger
hineingeht. Wenn ich das nachher in Briefen aus¬
breite, iſt es nichts mehr; es iſt dann Schaam,
Zorn, Wuth, Schrecken in vieler Dinte aufgelößt.
Aber auf dem Pergamente iſt es die reine natürliche
Leidenſchaft, wie ſie aus dem Herzen kömmt. Oft
nur ein Wort, ein Zeichen, ein Schrei; aber beredt¬
[227] ſamer als die ſchönſte lange Rede. Wenn Worte,
wenn ein Ach, ein O, ein Weh zünden könnten,
ſchleuderte ich einmal mein Taſchenbuch in das ver¬
fluchte taxiſche Haus, daß das ganze Sünden-Regi¬
ſter mit allen Sünden-Regiſtratoren in Rauch und
Feuer aufginge. Dort iſt die Büchſe der Pandora,
nur ohne die Hoffnung. Doch nein, nicht ohne Hoff¬
nung! die Hoffnung iſt da, aber nicht in der Büchſe;
ich hoffe mehr als je. Es kann nicht lange mehr
ſo bleiben, ſie machen es zu arg. Ein Volk erträgt
lange den Haß, den Zorn, den Druck, wohl auch
den Spott ſeiner Tyrannen: aber die Verachtung —
nein. Was! die Milch, das ſanfte, harmloſe Ding,
wird ſauer und gerinnt, ſteift ſich und widerſteht,
wenn man ſie etwas tückiſch anhaucht wenn ſie einer
ſchlägt — und das ſtolze Blut, der edle Sohn des
Körpers und der Seele, ſollte ſich nicht rühren, wenn
freche Edelbuben in ihm herum plätſchern? Es
kann nicht ſein, das iſt nicht möglich, das ertragen
ſie nicht lange mehr — es iſt Eiſen im Blute.
Die Volkskammer in Weimar hatte die Oeffent¬
lichkeit ihrer Sitzungen beſchloſſen; denn was wäre
ſelbſt die Wahrheit im Verborgenen? Nur eine ge¬
fährliche Waffe mehr in den Händen der Lüge. Aber
die Edelleute in der andern Kammer haben die Oef¬
fentlichkeit verworfen, denn ſie meinten in ihrer Weis¬
heit, damit hätten noch alle Revolutionen und Repu¬
15 *[228] bliken angefangen und alle Monarchien geendet —
worin ſie auch ganz Recht haben. Der Hauptmann
der Edelleute, der Landesfürſt, hat den Antrag der
Kammer auch verworfen, mit all dem lächerlichen
Hochmuthe, deſſen ein kleiner deutſcher Fürſt nur fä¬
hig iſt, mit dem ganzen Trotze, den der Schwager
eines Koſaken-Kaiſers ſich glaubt erlauben zu dürfen.
Man muß die Epiſtel leſen, die der Großherzog ſei¬
nen getreuen Ständen vor die Füße geworfen hat!
Er ſagt ihnen: ſie möchten ihm ja mit ſolchem Zeuge
nicht mehr kommen, und das Volk ſolle ja nie in
Menge etwas fordern, mit zahlreichen Bittſchriften
nahen; denn wenn er noch ſo geeignet wäre
etwas zu bewilligen, und wenn es das Bil¬
ligſte wäre — nie würde er thun was viele,
was Alle von ihm verlangten! Die Epiſtel
ſchließt mit den Worten: „Wir beſtätigen übrigens
„ſämmtlichen Abgeordneten und durch ſolche ſämmt¬
„lichen geliebten Unterthanen noch wörtlich die Fort¬
„dauer unſerer feſtbegründeten Huld und Gnade.“
Bedenke dich glückliches Volk! Sehen Sie, ſo ſpricht
Göthes würdiger Zögling. Aber ich hoffe die Zeit
wird bald kommen, daß wir dieſen deutſchen Fürſtchen
unſere Huld und Gnade bezeigen und bei Gott!
ich hoffe, das nicht blos wörtlich.
In Hannover iſt ganz das nämliche geſchehen;
auch dort hat die Adelskammer den Antrag der Volks¬
[229] Deputirten auf Oeffentlichkeit verworfen. Die ar¬
men Hanoveraner ſind am ſchlimmſten daran, unter
allen deutſchen Völkerſchaften. Sie müſſen ihrem
Könige vergüten was er an zwölf Millionen freier
brittiſcher Bürger verliert; auf jeden Hanoveraner
kömmt die Tyrannei von dreizehen Seelen. So iſt
der deutſche Adel! Nach der Juli-Revolution mußte
er gezwungen ein ganzes Jahr faſten, und jetzt holt
er heißhungrig die 365 verſäumten Mahlzeiten nach.
Wohl bekomme es ihnen! Nur daß ſie ſich hüten,
ſich nicht den Magen zu verderben, daß ſie ſich
wohl hüten; denn wahrlich, laſſen ſie es zum
Brechen kommen, möchte es ihnen ſchlimm ergehen.
So iſt der Adel aller Länder und Zeiten, ſo wird
er bleiben, ſo lange man ihn duldet. Er iſt immer
ſo geweſen, er iſt im Livius was in der Mannhei¬
mer Zeitung. Sie erkennen keinen Gott der Men¬
ſchen, ſie erkennen nur einen Gott der Edelleute; ſie
erkennen keinen Volks-Fürſten, ſie erkennen im Für¬
ſten nur ihren Hauptmann; ſie erkennen kein Vater¬
land, der Hof iſt ihr Wald, das Land eine Stätte
ihrer Räuberei, das Volk ihre [Beute]. Im Jahr
1816 hielt der Vicomte von Caſtelbajac, ein reſtau¬
rirter Emigrant, in der franzöſiſchen Deputirtenkam¬
mer eine feurige Rede über die Wiederherſtellung der
Religion, durch Vermehrung der Macht und des
Reichthums der Geiſtlichkeit. Da, im heiligen Eifer,
[230] entwiſchte ihm der Ausdruck: „das Wohl des
Vaterlandes“ ... Vaterland! Er erſchrack
ſeines unwillkührlichen Verbrechens und ſich entſchul¬
digend ſagte er der Kammer: „Du reste, en em¬
„ployant le motpatrie, je n'entends point le
„mot dont on a tant abusé, qui a servi de pré¬
„texte à tous les interêts, à toutes les passions,
„et d'excuse à tous les crimes; j'entends
„par patrie,non le sol où je suis atta¬
„ché sous les honteuses lois de l'usur¬
„pation,mais le pays de mes pères avec
„le gouvernement légitime.‟
— Die Freiburger Bürger hatten den Herrn
von Rotteck zu ihrem Bürgermeiſter gewählt, aber
die Badiſche Regierung hat dieſe Wahl verworfen.
Nun darüber läßt ſich nichts ſagen, das iſt etwas
Bundestägliches. Die Miniſter hatten ihre ganze
Macht gebraucht, all ihren Einfluß geübt, alle ihre
Ränke ſpielen laſſen, dieſe Wahl zu verhindern; ſie
hatten dem Herrn von Rotteck ihren eignen Candi¬
daten entgegengeſetzt, und er bekam achthundert Stim¬
men, und der Regierungs-Candidat nur zweihundert.
Sehen ſie, was die höchſt- und allerhöchſt weiſen
Bundestagsbeſchlüſſe für ganz unterthänigſte Folgen
haben. Freiburg, in dem größten Theile ſeiner Be¬
völkerung, war gar nicht liberal. Viele waren aus
alten Zeiten noch öſtreichiſch geſtimmt, die meiſten
[231] waren Gegner von Rotteck und Welcker, denn die
guten Bürger hatten ſich von ihren Regierungs-
Pfaffen weiß machen laſſen, Welcker und Rotteck
wären Schuld an der Sündfluth. Als ich verfloſſe¬
nen Sommer dort war, wohnte ich einem Abendeſſen
von dreißig bis vierzig Perſonen bei. Darunter wa¬
ren etwa zehen Bürger, alle übrigen waren aus dem
gelehrten Stande. Man verſicherte mich, ich ſähe
da alles beiſammen was in Freiburg an Liberalismus
aufzutreiben geweſen. Und wie hat ſich das jetzt
geändert! Das haben die Bundestags-Geſandten
bewirkt, das ſind die wahren Revolutionärs, die gu¬
ten ächten Hambacher. Der Großherzog von Baden
hätte tauſendmal eher den Herrn von Blittersdorf
penſioniren ſollen als Rotteck und Welcker. Aber
ſie ſind mit Blindheit geſchlagen, mit einer Blind¬
heit gegen welche die Aegyptiſche Finſterniß blendendes
Tageslicht iſt. Ich bitte Sie, thun Sie mir doch
den Gefallen und fragen Sie mich in Ihrem näch¬
ſten Briefe: ob ich denn gar nichts über die Bun¬
destagsbeſchlüſſe ſchreiben werde? Ich möchte Sie
gern auslachen, das wird mich erheitern. Den vie¬
len Narren, die ſeit vorigem Sommer dieſe Frage
an mich gethan, wollte ich aus Höflichkeit nicht in
das Geſicht lachen: aber mit Ihnen als meiner lie¬
ben Freundin brauche ich keine Umſtände zu machen.
Ich ſoll von den Bundestags-Beſchlüſſen ſprechen!
[232] Als hätte ich mich darüber gewundert, als wäre ich
einer jener Thoren die das überraſcht. Ich hatte die
Bundestags-Beſchlüſſe ſchon ein Jahr früher geleſen,
ehe ſie gedruckt, ja ehe ſie geſchrieben waren. Habe
ich denn in den Pariſer Briefen von vorigem Win¬
ter nicht davon geſprochen? Doch vielleicht das nicht
einmal; es ſchien mir ſo etwas natürliches, ſo et¬
was zu ſeyn, was ſich ganz von ſelbſt verſteht.
- Rechtsinhaber*in
- Kolimo+
- Zitationsvorschlag für dieses Objekt
- TextGrid Repository (2025). Collection 1. Briefe aus Paris. Briefe aus Paris. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bhtf.0