Börne's Schriften 1r bis 8r Band
ſind bis zum Schluß der Leipziger Oſtermeſſe 1832 noch
zum zweiten Subſcriptionspreiſe zu 6 Thlr. zu bekommen.
Dann tritt der Ladenpreis dafür mit 8 Thlr. ein.
[[III]]
BeiHoffmann und Campe.
1832.
[[IV]][[V]]
BeiHoffmann und Campe.
1832.
[[VI]][[VII]]
Inhalt.
- Neun und zwanzigſter BriefSeite 1
- Dreißigſter Brief– 11
- Ein und dreißigſter Brief– 22
- Zwei und dreißigſter Brief– 35
- Drei und dreißigſter Brief– 45
- Vier und dreißigſter Brief– 53
- Fünf und dreißigſter Brief– 68
- Sechs und dreißigſter Brief– 81
- Sieben und dreißigſter Brief– 91
- Acht und dreißigſter Brief– 105
- Neun und dreißigſter Brief– 113
- Vierzigſter Brief– 121
- Ein und vierzigſter Brief– 135
- Zwei und vierzigſter Brief– 147
- Drei und vierzigſter BriefSeite 159
- Vier und vierzigſter Brief– 177
- Fünf und vierzigſter Brief– 191
- Sechs und vierzigſter Brief– 202
- Sieben und vierzigſter Brief– 207
- Acht und vierzigſter Brief– 222
Neun und zwanzigſter Brief.
In dieſen Tagen wird das Schickſal Belgiens
entſchieden ſeyn. So eine lächerliche Thron-Verſtei¬
gerung iſt mir noch nicht vorgekommen. Daß es
Fürſtenſöhne giebt, die um dieſe Krone betteln!
Lieber ſtreckte ich meine Hand nach einem Sou aus.
Betteln um eine Krone! Jupiters Donner als Al¬
moſen empfangen! Eine Krone muß man rauben,
oder ſie annehmen aus Barmherzigkeit. Frankreich
wird Belgien ganz gewiß bekommen, oder doch den
größten Theil davon. Das ließ ſich vorher ſehen.
Die große Verwirrung, welche beim belgiſchen Con¬
greſſe herrſchte, hatte ſo viel Methode, daß man
wohl merkte, daß alles verabredet war. Frankreich
II. 1[2] wird nie zugeben, daß der kleine Beauharnois König
von Belgien wird, und ich gebe es noch weniger zu.
Behüte mich Gott! Mir iſt nichts verhaßter, denn
nichts iſt verderblicher, als dieſe Miſchung von
Buonapartiſchem und deutſchem Blute. Frankreich
hat das erfahren unter Napoleon, hatte aber das
Glück, früher unglücklich als ſchuldig zu werden.
Was! einen König, der ſein Volk verwundete und
vergiftete zugleich, zugleich Sklaverei und Dienſtbar¬
keit über es brächte? Dieſe beiden Uebel waren doch
bis jetzt in keinem Staate vereinigt. Die Spanier,
Italiener, Ruſſen und Andere ſind Sklaven; die
Völker deutſcher Zunge ſind Bediente. Aber Skla¬
verei macht nur unglücklich, entwürdigt nicht, doch
Dienſtbarkeit erniedrigt. Lieber einen Don Miguel
zum Herrn haben, als einen ſogenanten milden und
gerechten deutſchen Fürſten. Man ehrt doch noch die
Kraft, indem man ſie fürchtet, ihr Feſſeln anlegt;
wir zahmen Hausthiere aber dürfen frei umhergehen,
weil man recht wohl weiß, daß wir jeden Abend in
den Stall zurückkehren, und zu jeder Tageszeit kom¬
men, ſobald man uns pfeift. Laſſen Sie ſo einem
Schafe einmal in den Sinn kommen, den Löwen zu
ſpielen, und Sie werden ſehen, wie der milde und
gerechte Hirt zum Tiger wird. Die weiche Nach¬
giebigkeit macht ſelbſt eine Kanonenkugel mild; ſie
[3] dringt durch Stein und Eiſen und bleibt in einem
Miſthaufen ſtecken. Nichts erwarte ich von dieſer
Schafheerde. Was wir in den letzten Zeiten geſehen,
das war die bekannte Drehkrankheit. Woher kommt
dieſer Lakaien-Charakter der Deutſchen? — Ich weiß
es nicht; aber ſie waren immer ſo geweſen. Man
glaubt, das Volk ſtamme aus Aſien. Vielleicht wa¬
ren ſie dort eine Art Paria-Kaſte, die es endlich nicht
mehr aushalten konnte und wegzog. Aber der Hund,
der ſich von der Kette losreißt, bleibt immer Hund,
er wechſelt nur den Herrn. Die alten Deutſchen
waren zwar freier, aber nicht frei geſinnter als die
heutigen. Wer nicht viel hat, kann nicht viel be¬
ſteuert werden, und die alten Deutſchen waren rohe
Wilde; ohne leiblichen, ohne geiſtigen Beſitz. Aber
was ſie hatten, gaben ſie immer hin für ihre An¬
führer, die ſie freiwillig ſuchten. Sie lebten und
ſtarben für ſie, und zu Hauſe verwürfelten ſie ihren
eignen Leib, wenn ſie kein Geld mehr zu verlieren
hatten. Dienſtbarkeit, Trunkenheit, Spielſucht, das
ſind die Tugenden unſerer Ahnen. Ich erinnere mich
aus meinen Schuljahren eines Deklamations-Gedichts,
das fing ſo an: Die alten Deutſchen waren nicht
ſchmeidig wie der Aal — doch Löwen in Gefahren
— und Lämmer beim Pokal. — Geſchmeidig ſind
wir noch heute nicht; Löwen ſind wir noch in Ge¬
1*[4] fahren, aber nur nicht in unſeren eigenen, und Läm¬
mer ſind wir das ganze Jahr, nur nicht beim Po¬
kal. Da ſind wir grob, und wenn das ganze deut¬
ſche Volk nur einmal vier Wochen hintereinander
betrunken wäre, oder wenn es eben ſo lange nichts
zu eſſen hätte, da ließe ſich vielleicht etwas mit ihm
anfangen.
— Das muß einen ganz eignen Grund haben,
daß Sie geſtern nicht hier waren, daß Sie nicht den
Othello und die Malibran als Desdemona gehört
haben! So hart iſt doch Gott ſonſt nicht gegen
ſeine guten Kinder. Sie, die Sie das Alles mit
hundert Lippen einſaugen, mit hundert Seelen emp¬
finden! Wie wäre Ihnen geworden, da es ſchon
mich in ſolche Bewegung ſetzte! War es doch, als
wäre das eigne Herz zur Harfe geworden, auf wel¬
cher Engel ſpielten — das Ohr horchte nach Innen.
So klagen die Seligen, wenn ſie Schmerzen haben!
So ſtürmen die Götter, wenn ſie zornig ſind, gegen
Unſterbliche wie ſie. So weinen, lächeln, lieben,
bitten und trauern die Engel. Mit wahrer Seelen¬
angſt klammerte ich mich an die irdiſchen Worte feſt,
damit ich nur den Boden nicht verlor, und von den
Geiſtertönen hinaufgezogen würde. Die Malibran,
die hat Gott beurkundet mit der Unterſchrift ſeiner
Schöpfung, die kann keiner nachmachen. Es war
wie eine Blumenflur von allen milden und ſtolzen,
ſtillen und hohen, ſüßen und bittern Gefühlen des
Menſchen, mit aller Farbenpracht, allen Wohlge¬
[6] rüchen und alle Betäubungen der mannigfachen Blu¬
men. Dieſes Weinen, dieſes Weinen ohne Thränen,
habe ich nie geſehen, möchte ich nie ſehen im Leben.
Als ihre Thränen zu fließen anfingen, war mir die
Bruſt wie erleichtert. Hat die Liebe ſo viel ſüße
Schmeichelei, kann der Schmerz ſo edel ſeyn, durch¬
bohrt Verachtung ſo tief, kann der Zorn ſo erhaben,
der Schrecken ſo erſchrecklich, die Bitte ſo rührend
ſeyn? Ich wußte das Alles nicht. Fragen Sie
mich: hat ſie das geſprochen, geſungen, mit Geber¬
den ſo dargeſtellt? Ich weiß es nicht. Es war
Alles verſchmolzen. Sie ſang nicht blos mit dem
Munde, alle Glieder ihres Körpers ſangen. Die
Töne ſprühten wie Funken aus ihren Augen, aus
ihren Fingern hervor, ſie floſſen von ihren Haaren
herab. Sie ſang noch, wenn ſie ſchwieg. Ich habe
mich für unverbrennlich gehalten und habe erfahren,
daß ich es nicht bin; ich will künftig auf Feuer und
Licht mehr Acht geben.
Im dritten Akte hätte ich es nicht länger aus¬
halten können, ſtände nicht zum Glücke ein kleiner
Hanswurſt hinter meinem Herzen auf beſtändiger
Lauer, der immer mit ſeinen Späßen hervortritt, ſo¬
bald das Herz zu betrübt und ernſt wird. Als die
Scene kam, wo Othello Desdemonen den Tod
ankündigt, und dieſe, ehe ſie niederſank und ſich dem
[7] Dolche hingab, ſich in die Wolken erhob, und wie
ein Sturmwind die ganze Welt der Leidenſchaften
umbrauſte, Liebe, Haß, Zorn, Schrecken, Spott,
Trotz, Verachtung, und dann wieder zur Liebe kam,
und noch einmal Alles umkreiſte — da wurde mir
heiß am ganzen Körper. Ein vernünftiger Menſch
hätte ruhig fortgeſchwitzt und ſich nicht ſtören laſſen;
aber ein Philoſoph, wie ich, will durchaus wiſſen,
warum er denn eigentlich ſchwitzt. Und ich wußte
es nicht; denn ich hatte aus der Pſychologie vergeſſen,
welche Leidenſchaft, welche Gemüthsbewegung den
Menſchen in Schweiß bringt. Da fiel mir ein, in
Goethe's Leben geleſen zu haben, wie in der Schlacht
von Valmy, zwar in beſcheidener Entfernung vom
Schlachtfelde, doch nahe genug, daß er den Kanonen¬
donner hören konnte, dem Dichter ganz heiß gewor¬
den war, wie mir im Othello. Daraus ſchloß ich
denn, daß es die Furcht ſei, die den Menſchen
ſchwitzen mache. Darüber mußte ich lachen und das
erleichterte mir das ſchwere Herz. Und als darauf
die Malibran herausgerufen worden und erſchien,
und ich ſah, daß Alles nur Spiel geweſen, ging ich
froh nach Hauſe, und ſegnete die Künſtlerin, die
Gott ſo geſegnet. Shakeſpeare's Othello, wie ihn
der italieniſche Operntext zugerichtet, iſt dumm bis
zur Genialität. Man hat ſeine Luſt daran. Die
[8] Muſik ſcheint mir noch das Beſte, was Roſſini ge¬
macht. Uebrigens bekümmerte ich mich nicht darum,
und ich glaube die Malibran auch nicht. Was aber
die Weiber ſchwache Nerven haben, wenn ſie nicht
präparirt ſind! Dieſe Malibran, die doch den gan¬
zen Abend ſo unerſchrocken durch Waſſer und Feuer
ging und alle Elemente aushielt, ohne zu zucken —
ich ſah ſie vor Schrecken zuſammenfahren wie ein
Schäfchen, als einmal hinter den Couliſſen etwas
wie ein Leuchter von der Decke herabſtürzte! .. Es
Ihnen proſaiſch zu wiederholen: die Malibran iſt die
größte Schauſpielerin, die ich je geſehen. In der
heftigſten Bewegung zeigte ſie jene wahre antike
Ruhe, die wir an den griechiſchen Tragödien bewun¬
dern, und welche wahrſcheinlich auch die Schauſpie¬
ler der Alten hatten. Darum, des rechten Maßes
ſich bewußt, ſpielt ſie auch mit einer Kühnheit, die
eine Andere ſich nicht erlauben dürfte. Sie klam¬
merte ſich flehend an den Mantel des wüthenden
Othello oder ihres erzürnten Vaters, ſie umſchnürt
ihre Hände mit den Falten des Kleides, ſie zerrt
daran — eine Linie weiter und es wäre lächerlich,
es ſähe aus, als wolle ſie ihnen die Kleider vom
Leibe reißen; aber ſie überſchreitet dieſe Linie nicht
und ſie iſt erhaben. Und ihr Geſang! Gibt es
denn mehr als eine Art, darf man den anders ſin¬
[9] gen? Spricht man im Himmel auch verſchiedene
Dialekte? Nun, dann hat ſie hoch himmliſch ge¬
ſungen, meißniſch, und die Andern ſingen platt
himmliſch. Sie ſehen, ich kann auch ein Narr ſeyn
— zu meinem Glücke nur ein proſaiſcher, denn ich
kann keine Verſe machen Ich gehe nächſtens ein¬
mal in die große franzöſiſche Oper, und das wird
mich wieder heilen.
— Nächſtens gibt man zum Beſten der Polen
ein großes Concert. Die erſten Künſtler und Künſt¬
lerinnen nehmen daran Theil. Eine Dame von
Stande aus Brüſſel, bewunderte Harfenſpielerin in
ihrer Stadt, wird die Reiſe nach Paris machen,
ihre ſchöne Kunſt zur ſchönſten Beſtimmung zu ver¬
wenden. Dieſer edlen Frau verzeihe ich alle ihre
Ahnen. Auch werden, zu gleichem Zwecke, in allen
Theilen der Stadt Bälle gegeben werden. Eine pol¬
niſche Kommiſſion hat ſich gebildet, an deren Spitze
Lafayette ſteht. Unter den Mitgliedern ſind auch
Delavigne und Hugo. Dieſe wollen durch Gedichte
begeiſtern. Der Referendar Simrock in Berlin wird
ſich hüten, ſich das zweite Mal zu verbrennen; der
beſingt die polniſchen Farben gewiß nicht. .... Hat
man in Frankfurt auch die jüdiſch-polniſche Zeitung,
deren erſte Nummer hier angekommen iſt? Sie wird
von Rabbinern geſchrieben und es werden darin alle
[10] jüdiſchen Glaubensgenoſſen aufgefordert, mit Geld
beizuſtehn. Unſere deutſchen adligen Juden, die auf
Du und Du mit allen Miniſtern und fürſtlichen
Maitreſſen ſind und darum auf Ehre halten, werden
lachen über die Zumuthung jener polniſchen Canaillen
und ſich um die ſtinkenden Polen und ihre ſtinkende
Freiheit wenig bekümmern.
Dreißigſter Brief.
Sie fragen mich: ob denn die heſſiſche Con¬
ſtitution wirklich ſo gar arg wäre, als ich behauptet?
Was arg! Das iſt das Wort gar nicht. Es iſt
die unverſchämteſte Prellerei, die mir je vorgekommen.
Die Erzjuden hier auf den Boulevards, wenn ſie
ſie läſen, würden mit Neid ausrufen: nein, das
können wir nicht! Gewährte die Conſtitution noch
ſo wenig oder auch gar nichts von dem, was heute
die Völker von einer erwarten, dagegen ließe ſich
nichts ſagen. Die Freiheit wurde von einem Für¬
ſten nie geſchenkt noch verkauft; ein Volk, das ſie
haben will, muß ſie rauben. Dem Geduldigen gibt
man nichts, dem Drohenden wenig, dem Gewalt¬
[12] thätigen Alles. Die Heſſen haben nur etwas ge¬
droht. Aber dieſe Conſtitution iſt eine Betrügerei,
man hat das ſchlechte Zeug gelb gemacht, daß man
es für Gold halte, und ſo dumm iſt unſer Volk, daß
unter hundert Käufern nur Einer merkt, daß er be¬
trogen worden. Was iſt das für eine Conſtitution,
die den Satz enthält: Das Briefgeheimniß iſt
unverletzlich, für nöthig hält ausdrücklich zu er¬
klären, die Regierung dürfe keine ſchlechten Streiche
machen? Es heißt: Die Preſſe iſt vollkommen
frei, ausgenommen, wo ſie die deutſche Bundes-
Verſammlung beſchränkt; die deutſche Bundes-Ver¬
ſammlung aber hat ſie in allem beſchränkt. Es heißt:
Alle Religionen ſind gleich vor dem Ge¬
ſetze, und gleich darauf: die Rechte der Juden
werden unter den Schutz der Conſtitution
geſtellt. Das heißt: Einem, der in Ketten liegt,
zu ſeiner Beruhigung eine Wache zur Seite ſtellen,
damit ihm ja Niemand ſeine Ketten ſtehle! Die Ju¬
den haben es jetzt viel ſchlimmer, als vorher. Frü¬
her konnte doch der Fürſt die Rechte der Juden er¬
weitern, ſie den übrigen Staatsbürgern ganz gleich
ſtellen. Jetzt kann er aber das nicht mehr, da der
rechtloſe Zuſtand der Juden unter dem Schutze der
Conſtitution ſtehet, die von dem Fürſten nicht über¬
treten werden kann. Und ſo die Wahlen, ſo Alles.
[13] In der ganzen Conſtitution ſind die Rechte zwiſchen
Regierung und Volk ſo getheilt, wie jener Jude mit
einem dummen Bauer den Gebrauch eines gemein¬
ſchaftlich gemietheten Pferdes theilte: „Eine Stunde
reite ich und du gehſt, die andere Stunde geheſt du
und ich reite.“
— Warum wundert Sie, daß es dem *** in
Wien gefallen, und warum wundert das ihn ſelbſt?
Wien iſt ein ganz hübſcher Ort und ich möchte wohl
dort wohnen, wenn ich ein fetter Antonius wäre
und kein magerer Caſſius. Wenn er ſagt, er habe
es dort ganz anders und beſſer gefunden, als er
erwartet, ſo iſt das ſeine Schuld; er hat falſch ge¬
ſucht und falſch gefunden. Er glaubte wahrſcheinlich,
in Wien bekäme jeder die Knute, der ein Wort von
Politik ſpräche, und man fände dort keine anderen
Bücher als Koch- und Gebetbücher. Aber ſo iſt es
nicht. Campe ſchrieb mir neulich, daß meine Schrif¬
ten in Oeſterreich am meiſten Abgang hätten. Das
muß aber Keinen irre machen. *** ließ ſich täu¬
ſchen, wie ſich die Wiener ſelbſt täuſchen laſſen,
Die glauben auch, daß ſie ſich eine Freiheit nehmen,
die ihnen die Regierung eigentlich gibt, wobei aber
dieſe klug genug iſt, ſich anzuſtellen, als ließ ſie ſie
nehmen, weil ſie weiß, daß verbotene Früchte am
[14] ſüßeſten ſchmecken. Der öſterreichiſche Staat iſt eine
ſeelenloſe Dampfmaſchine, aber keine mit hohem
Drucke. Sie wiſſen dort genau zu berechnen; wie
weit man es treiben darf, ohne daß der Keſſel platze,
und laſſen darum zuweilen Rauch aus dem Schorn¬
ſteine — nach oben, in den höhern Ständen, in
der Reſidenz; nach unten nie.
— Ich habe herzlich darüber lachen müſſen,
daß die hannövriſchen Soldaten beim Einzuge in
Göttingen den Marſeiller Marſch geſpielt. Ich
glaube, die Spitzbuben haben das mit Bedacht gethan.
Sie wollten ſich wohl über die Revolutionairs luſtig
machen. Vielleicht war es auch Gutmüthigkeit. Sie
dachten, da habt ihr euern Marſeiller Marſch, ihr
wollt ja nicht mehr. Und [vielleicht] wollten ſie wirk¬
lich nicht mehr. Haben Sie aber auch die Unter¬
würfigkeits-Akte der Stadt Göttingen geleſen, den
Brief, den ſie an den General geſchrieben. Das iſt
zu ſchön. Vor lauter Demuth und Zerknirſchung
wiſſen ſie nicht genug Hochgeburt und Hochwohl¬
geburt aufzutreiben. Sie kriechen unter die Erde.
So iſt der gute Deutſche! Wenn einmal ein müder
Bürger ſeinen ſchweren Bündel Unterthänigkeit ab¬
wirft, gleich hebt ihn ſein Nachbar auf, und hockt die
Laſt zu ſeiner eigenen. Und in dieſes Land ſoll ich
[15] zurückkehren! Hätten ſie nur wenigſtens eine italieni¬
ſche Oper wie hier! Aber keine Freiheit und keine
Malibran, keinen Styx und keinen Lethe!
— Ich ſchrieb Ihnen neulich von einem Ge¬
mälde, die Schlachttage im Juli darſtellend, das ich
geſehen. Da war aber doch mehr der Stoff, der
mir Freude gemacht, die Phantaſie mußte ſich das
Uebrige erſt ſelbſt verſchaffen; denn Vieles fehlte, das
Gemälde hatte keinen großen Kunſtwerth. Jetzt iſt
aber im Diorama ein Gemälde gleicher Art aufge¬
ſtellt, das alles ſelbſt leiſtet und von der Phantaſie
nichts fordert. Die Vertheidigung und Eroberung
des Stadthauſes wird vorgeſtellt, und die Täuſchung
iſt auf das Höchſte getrieben. Es iſt ganz ein
Schlachtfeld, nur ohne Gefahr. Die Sonne liegt
heiß auf dem Pflaſter und brennt auf dem Geſichte
der Streitenden. Die Luft iſt ſo rein, daß man
durch den zarten Pulverdampf ſiehet. Menſchen
und Pferde bluten und verbluten. In der Mitte
des Platzes ſiehet man einen Zögling der polytechni¬
ſchen Schule, in der linken Hand die dreifarbige
Fahne, in der rechten den Degen haltend. Er ſte¬
het mit dem linken Fuße auf einer Kiſte, mit dem
rechten auf einem höheren Faſſe, und iſt eben im
Begriffe, ſich hinauf zu ſchwingen, um oben die
[16] Fahne hinzupflanzen. Es gibt nichts Theatraliſche¬
res als dieſe Stellung, und doch hat ſie der Maler
gewiß nur nachgeahmt, nicht erfunden. Darin haben
es die Franzoſen gut, daß ſie vermögen mit jeder
Großthat im weiten Felde zugleich das Drama zu
dichten, das jene Großthat im engen Felde darſtellt.
Sie ſind zugleich Helden und Schauſpieler. Man
ſiehet es ganz deutlich an dieſem Jünglinge mit der
Fahne, wie er ſeiner Kühnheit und ſeiner theatrali¬
ſchen Stellung zugleich froh war. Noch eine andere
ſchöne Gruppe zeichnete ſich aus. Ein Mann aus
dem Volke, Bruſt und Schultern nackt, kniet auf die
Erde, in dem rechten Arm einen verwundeten hin¬
ſinkenden Knaben haltend, die linke Fauſt gegen die
hintenſtehenden Soldaten ballend, die den Knaben
wohl eben getroffen. An der Schwelle eines Hau¬
ſes liegt die Leiche eines Frauenzimmers. Daß mit¬
ten im Kugelregen mehrere Frauenzimmer uner¬
ſchrocken weilen, um den Verwundeten beizuſtehen,
hat mich weniger gewundert, (ſie trieb das Mitleid)
als daß andere ohne Furcht zu den Fenſtern hinaus
ſehen. Im Hintergrunde, am Waſſer, ſtehen die
königlichen Soldaten. Jenſeits ſchießen die Studen¬
ten herüber. Ich habe unter den Kämpfern wieder
gute Röcke geſucht, vornehme und reiche Leute, die
mehrere hundert Franken Steuern zahlen und Wäh¬
[17] ler ſeyn können — ich habe aber Keine gefunden.
Ich will den Herren nicht Unrecht thun, vielleicht
hatten ſie an jenen Tagen, ihre guten Kleider zu
ſchonen, dieſe zu Hauſe gelaſſen und ſchlechte Röcke
für die Schlacht angezogen. Aber auch die Hemden
waren ſchwarz und grob; haben ſie die auch ge¬
wechſelt?
So eben komme ich vergnügt aus dem Leſe¬
kabinette — vergnügt, weil ich mich geärgert habe.
So oft mir dergleichen Aergerliches begegnet, halte
ich es gleich feſt, und mache mir den Aerger ein;
denn in Paris iſt er nicht alle Tage friſch zu haben;
die deutſchen Zeitungen kommen ſo unregelmäßig
hier an. Sie werden vielleicht in meinen Briefen
einen Widerſpruch mit meiner Klage finden; Sie
werden meinen, über franzöſiſches Weſen hätte ich
mich doch oft genug geärgert. Das iſt aber etwas
ganz anders. Das war nicht Aerger, das war Zorn;
Aerger aber iſt zurückgetretener Zorn. Man ärgert
ſich nicht, wenn Einem dem Gegner an Macht über¬
legen iſt — das merkt und berechnet man in der
Leidenſchaft nicht — ſondern wenn uns der Gegner,
entweder an Unverſchämtheit überlegen iſt, ſo daß er
uns unter die Beine kriecht und uns umwirft, oder an
Autorität, ſo daß er uns das Sprechen verbietet und
wir uns nicht wehren dürfen. Der Zorn aber iſt
wohlgemuth, ſtark und darf ſeine Kraft gebrauchen.
Darum gerathe ich in Zorn über das Treiben hier,
denn ich darf dagegen eifern, und hundert gleichge¬
ſinnte thun es für mich alle Tage; darum ärgere ich
[19] mich über deutſches Treiben, weil ich dulden und
ſchweigen muß. Nun, es war ein Artikel in der all¬
gemeinen Zeitung mit einem Kreiſe, der einen Mit¬
telpunkt hat, bezeichnet — ſo: ⊙. Wahrſcheinlich
hat das der Redakteur vorgeſetzt, um zu verſtehen
zu geben, ſein Correſpondent habe das Schwarze in
der Scheibe getroffen. Schon lange ſitze ich an der
Wiege des guten lieben deutſchen Kindes, und warte,
daß es einmal die Aeugelein aufſchlage. Endlich er¬
wacht es und greint ſanft wie ein Kätzchen. Jener
Correſpodent macht einen Katzenbuckel und ſagt leiſe,
leiſe: er müſſe ganz gehorſamſt bemerken, es wäre
doch endlich einmal Zeit, auch ein deutſches Wort
über Krieg und Frieden zu ſprechen, und er werde
ſich die unterthänige Freiheit nehmen, dieſes zu thun,
und auch, wenn man es ihm gnädigſt erlauben wolle,
darauf hindeuten, wie unſer Vaterland in gegenwär¬
tige Angelegenheiten verwickelt ſei, und wie es ſich
heraus wickeln könne. Ich machte große Augen und
dachte: der Kerl hat Courage! Jetzt tappt er hin
und her, herüber und hinüber, ſpricht im Allgemei¬
nen von jenem Staate, von dieſem Staate; der noch
ungeleſene Theil des Artikels wird immer kürzer,
die letzte Zeile rückt immer näher, und noch kein
Wort von Deutſchland. Endlich kommt die letzte
Zeile, und da ruft unſer Held: von Deutſch¬
2*[20]land ein andermal! und läuft was er laufen
kann. Ich ſpuckte ganz ſanft auf Deutſchland, die
allgemeine Zeitung und den heroiſchen Artikel, und
nahm den Aerger mit zu Tiſche. Aerger, in gelin¬
den Gaben genommen, das weiß ich aus Erfahrung,
befördert die Verdauung ungemein.
Ueber die Briefe eines Verſtorbenen
werde ich Ihnen meine Meinung ſagen, ſobald ich
ſie fertig geleſen. ... Ich höre, das polniſche
Manifeſt habe in Frankfurt nicht gedruckt werden
dürfen. Der Frankfurter Bürgermeiſter und Anſtett
haben Gott ein Bein geſtellt, das iſt doch recht un¬
artig.
Ein und dreißigſter Brief.
Ei! das Volk hat ja wieder einen König ge¬
macht; der Herzog von Nemours iſt in Belgien ge¬
wählt worden. Nürnberger Waare! Aber, warum
nicht, ſo lange die Völker Kinder bleiben und Kin¬
derſpiele lieben? Dieſe Frechheit des Volkes, einen
König zu machen, muß unſern Altgläubigen noch viel
entſetzlicher vorkommen, als die einen König zu zer¬
ſtören. Gottes Werke zu Grunde richten, das kann
freilich jeder: aber Gottes Werke nachſchaffen wol¬
len — das iſt verwegene Sünde. Ich bin nun
jetzt begierig, was die franzöſiſche Regierung thun
wird, oder eigentlich was ſie ſagen wird; denn was
ſie thun wird, darum war niemand je in Zweifel;
es war gleich von der erſten Stunde der belgiſchen
Revolution alles darauf angelegt, das Land mit
Frankreich zu vereinigen. Aber was ſagen? Se¬
[23] baſtiani hat erſt vor einigen Tagen in Gegenwart
ganz Europa's erklärt, ſeine Regierung würde weder
den Herzog von Nemours gewähren, noch die Ver¬
einigung Belgiens mit Frankreich annehmen! So
ſind die Diplomaten! Sie wiſſen recht gut, daß ſie
einander nicht betrügen können — es iſt Liebhaberei,
es iſt eine Kunſtliebe.
Sie ſchreiben mir, Heine habe in ſeinem vier¬
ten Bande von der franzöſiſchen Revolution geſpro¬
chen. Ich denke, er hat nur zu ſprechen verſucht,
es nicht ausgeführt. Welche Rede wäre ſtark [genug],
dieſe wildgährende Zeit zu halten? Man müßte
einen eiſernen Reif um jedes Wort legen, und dazu
gehörte ein eiſernes Herz. Heine iſt zu mild. Mir
auch ſchrieb Campe, er erwarte, ich würde im ach¬
ten Bande etwas Zeitgemäßes ſagen. Dieſer
achte Band, den ich machen ſollte, hier in Paris,
eine Viertelſtunde von den Tuilerien, eine halbe vom
Stadthauſe entfernt — es gibt nichts Komiſcheres!
Was, wo, worauf, womit ſoll ich ſchreiben? Der
Boden zittert, es zittert der Tiſch, das Pult, Hand
und Herz zittern, und die Geſchichte vom Sturme
bewegt, zittert ſelbſt. Ich kann nicht wiederkauen,
was ich mit ſo viel Luſt verzehrt; dazu bin ich nicht
Ochs genug. Prophet wollte ich ihm ſeyn, zwölf
Bände durch. Und was kann der Deutſche anderes
ſeyn als Prophet? wir ſind keine Geſchichtsſchrei¬
[24] ber, ſondern Geſchichtstreiber. Die Zeit läuft wie
ein Reh vor uns her, wir, die Hunde, hintendrein.
Sie wird noch lange laufen, ehe wir ſie einholen, es
wird noch lange dauern, bis wir Geſchichtsſchreiber
werden. Doch — ich will jetzt gehen, Beethoven
hören. Fünf, ſechs ſolcher Menſchen hat das Land,
unter denen wir Schatten gegen Hitze, Schutz gegen
Näſſe finden. Wenn die nicht wären! Das Con¬
zert beginnt um zwei Uhr. Das ſcheint mir beſſer
als Abends. Ohr und Herz ſind reiner vor dem
Eſſen. Vielleicht beſuche ich dieſe Nacht den Mas¬
kenball. Nicht den in der großen Oper, den kenne
ich von früher, das iſt zum Einſchlafen; ſondern den
im Theater an der Porte St. Martin. Da finde
ich mein gutes Volk in der Jacke, das im Juli ſo
tapfer gekämpft. Da iſt Luſt und Leben. Lange
Röcke, lange Weile — das habe ich immer beiſam¬
men gefunden.
Das Conzert Sonntag im Conſervatoire, iſt,
wie ich mir denke, ſehr ſchön geweſen. So ganz
aus Erfahrung weiß ich es nicht. Ich ſaß in der
zweiten Reihe Logen, warm wie in einem Treibhauſe,
und verſteckt hinter Frauenzimmern wie ein Gärtner
hinter Blumen. An der Seite ſperrten mir dumme
dicke Säulen, vor mir dumme große Hüte, die Aus¬
ſicht. Wir haben Revolutionen erlebt, die tauſend¬
jährige Könige umgeworfen — wird ſich denn nicht
einmal eine Revolution erheben, die dieſe fluchbela¬
ſteten Weiberhüte fortjagt? Sie werden mich fragen:
Aber was hat man in einem Conzerte zu ſehen?
Aber eben darum darf das Sehen nicht gehindert
ſeyn; denn das nicht ſehen können beſchäftigt die
Augen am meiſten. Was mich aber am verdrüßlich¬
ſten machte, war, daß ich keine Lehne für meine
Rücken hatte, ſo daß ich immerfort ſteif daſitzen
mußte, wie vor funfzig Jahren ein deutſches Mäd¬
chen unter der Zucht einer franzöſiſchen Gouvernante.
Das Biſchen, was mir von guter Laune noch übrig
blieb, ſchenkte ich einer jungen Engländerin, die ne¬
ben mir ſaß. Blaue Augen, blondes Haar, ein Ge¬
ſicht von Roſenblättern, und was ſie in meinen Au¬
gen am meiſten verſchönte, ein Hut mit einem flachen
[26] italieniſchen Dache. Sie mochte wohl eine große
Muſikfreundin ſeyn, denn ſie hatte ſich aus ihrem
eigenen Körper ein ſchönes Häuschen gebaut, um
daraus ungeſtört zuzuhören. Die Füße hatte ſie auf
die Bank vor ihr hoch aufgeſtellt, und die Knie an
ſich gezogen. Die Bruſt vorgebeugt, verbarg ſie den
rechten Ellenbogen in den Schoos und ließ den Kopf
auf den zuſammengeknickten Arm ſinken. Die ſchöne
Dame ſo gerundet, hatte keinen Anfang und kein
Ende. Sie verſtand gewiß etwas von Mathematik,
und wußte, daß die Kugelform unter allen möglichen
Geſtalten mit der flachen Welt am wenigſten in
Berührung kommt. Ihre Schweſter vor ihr hatte
den Hut abgelegt, und ſaß ganz vorn, in der Loge
allen Blicken ausgeſetzt, in purem Nachthäubchen da.
Ich machte ſo meine Betrachtungen, woher es komme,
daß nur allein die Engländer und Engländerinnen
ihre Sitten und Kleider mit in das Ausland bringen,
und ſich nicht geniren? Gewiß war im ganzen
Saale keine Dame, die in einer ſo häuslichen Stel¬
lung da ſaß, wie meine ſchöne Nachbarin, und keine,
die es gewagt, ſich in einem Nachthäubchen zu zeigen,
wie deren Schweſter. Aber trotz meiner Philoſophie
und Verdrüßlichkeit merkte ich doch zuweilen, daß
man da unten ſchöne Muſik machte. Die Sympho¬
nie eroica von Beethoven (ich fand die Muſik mehr
leidend als heroiſch) eine Arie aus dem Freiſchütz
[27] (mein deutſches Herz ging mir dabei auf, wie eine
trockene Semmel in Milch). Sextett von Beethoven.
Chor aus Webers Euryanthe. Ein Muſikſtück für
Blas-Inſtrumente. Trio aus Roſſini's Wilhelm Tell.
Clavier-Solo, geſpielt und componirt von Kalkbrenner.
Ouvertüre aus Oberon. Aber dieſe Stadt der Sün¬
den, Paris — der liebe Gott muß ſie doch lieb ha¬
ben: was er nur Schönes hat, was Gutes, alles
ſchenkt er ihr. Die ſchönſten Gemälde, die beſten
Sänger, die vortrefflichſten Componiſten. Dieſes eine
Conzert — was hörte man da nicht alles zugleich!
Das beſte Orcheſter der Welt. Die Aufführung der
Symphonie ſo vollendet, daß, wie mir H*** ſagt,
man dieſes gar nicht merke. Ich erkläre mir das in
dem Sinne: um einzuſehen, wie vollkommen etwas
ſei, muß daran noch etwas mangeln. Iſt die Voll¬
kommenheit ganz erreicht, verliert man den Stand¬
punkt der Vergleichung. In einem Conzerte hör¬
ten wir: Kalkbrenner, den erſten Clavirſpie¬
ler; Baillot, den erſten Violinſpieler; Tü¬
lon, den erſten Flötenſpieler; Voigt, den erſten
Hautboiſten; und Nourrit, den beſten franzöſiſchen
Sänger. Das ganze Orcheſter erſchien in der Na¬
tionalgarde-Uniform Baillot iſt Offizier, Nourrit
auch. Der eine geigte, der Andere ſang mit Epau¬
lettes. Ich wollte, hannövriſche Offiziere von den
[28] Siegern von Göttingen wären in meiner Loge geweſen,
und hätten nicht gewußt, das ich deutſch verſtehe.
— Alſo Israel in Frankfurt hat wieder einen
guten Tag gehabt, ihr Lebenspuls hat ſich wieder
einmal gehoben? Israel jammert mich manchmal,
ſeine Lage iſt gar zu betrübt. Kurſe oben, Kurſe
unten, wie der tolle Wind das Rad ſchwingt — es
ſind die Qualen des Ixion. Aber iſt es nicht furcht¬
bar lächerlich, daß die niedrigſte und gemeinſte aller
Leidenſchaften ſo viele Aehnlichkeit hat mit der er¬
habenſten und edelſten, die Gewinnſucht mit der
Liebe? Ja wohl, Gott hat das Volk verflucht und
darum hat er es reich gemacht. Aber von den ekel¬
haften Geſchichten mit den jüdiſchen Heirathserlaub¬
niſſen und jüdiſchen Handwerksgeſellen erzählen Sie
mir nichts mehr. Ich will nichts davon hören, ich
will nichts damit zu thun haben. Wenn ich kämpfen
ſoll, ſei es mit Löwen und Tigern, aber vor Kröten
habe ich einen Abſcheu, der mich lähmt. Es hilft
auch nichts. Man muß den Sumpf ausrotten, dann
ſtirbt das Schlammgezücht von ſelbſt weg. Unſere
Frankfurter Herren, finde ich, haben ganz recht. Sie
denken, Gott iſt doch nun einmal im höchſten Zorne,
ob wir ihn ein Bischen mehr, ein Bischen weniger
ärgern, das kann nichts verſchlimmern. Den Juden
in Frankfurt iſt jetzt am wenigſten zu helfen, wenn
ſie klagen bei den großen Herren der Bundesverſamm¬
[29] lung, oder bei den kleinen im Senate, weiß ich, was
man ihnen ſagt — es iſt als wäre ich gegenwärtig.
Oeffentlich wird man ſie barſch abweiſen, unter vier
Augen aber wird man den Diplomaten, den Pfiffigen
unter den Juden ſagen: „Lieben Leute, jetzt iſt gar
nicht die Zeit an dieſe Sache zu rühren. In Deutſch¬
land iſt ohnedies alles in Bewegung, das Volk iſt
aufgeregt, die allgemeine Stimmung gegen euch, ſo
daß, wenn wir euch jetzt Freiheiten bewilligten, die¬
ſes üble Folgen hätte, für die allgemeine Ruhe, und
für euch ſelbſt.“ Und unſer jüdiſcher Adel wird das
ſehr gut verſtehen, und beifällig mit den Augen blin¬
zeln, und beim Heruntergehen dem jüdiſchen Pöbel
vor der Thüre zurufen: Packt euch zum Teufel, ihr
ſeid dumm und unverſchämt! ... Von einem jü¬
diſchen Comité und deſſen Schreibereien erwarte ich
nichts. Es ſind eben Deutſche, wie die Andern auch.
Sie ſind in einem unſeligen Wahne befangen. Ihre
Ehrlichkeit richtet ſie zu Grunde. Sie meinen im¬
mer noch, es käme darauf an, Recht zu haben, zu
zeigen, daß man es hat. Jetzt ſprechen ſie für die
Freiheit wie ein Advokat für einen Beſitz. Als käme
es hier noch auf Gründe an, als wäre ſeit einem
halben Jahrhunderte nicht alles ausgeſchöpft worden,
was man für Freiheit, für Menſchenrechte, für Bür¬
gerrechte der Juden ſagen kann. Das alles weiß
der Tyrann ſo gut als der Sklave ſelbſt. Gewalt
[30] wie Freiheit kommt aus dem Herzen. Der Räuber,
der uns unſer Gut nimmt, täuſcht ſich nicht, er weiß,
was er thut. Nicht an den Verſtand, an das Herz
muß man ſich wenden, an das der Gegner wie an
das der Gleichgeſinnten. Die Herzen muß man rüh¬
ren, die unbeweglichen durchbohren. Das Wort muß
ein Schwert ſeyn; mit Dolchen, mit Spott, Haß,
Verachtung muß man die Tyrannei verfolgen, ihr
nicht mit ſchweren Gründen nachhinken. Das ver¬
ſtehen aber unſere deutſchen liberalen Schriftſteller
nicht, und noch heute ſo wenig, als vor dem Juli.
Ich ſehe es ja. Unter den Büchern, die Sie mir
geſchickt, iſt auch eine Broſchüre über die heſſiſchen
Juden, und eine über die deutſche Preßfreiheit. Ge¬
leſen habe ich ſie noch nicht, aber einen Blick auf die
erſte Seite geworfen. Ich hatte genug; es iſt ganz
die alte Art. Der Hanauer Jude hat das Motto
von Schiller: Der Menſch iſt frei geſchaffen,
iſt frei — und ſo weiter die Litanei. Dann fängt
er an: „Die höchſte Glücksſtufe, die nach menſch¬
lichen Begriffen einem Staate erreichbar iſt, hat Kur¬
heſſen rühmlich betreten. In allen ihren Theilen hat
man den aufgeklärten und freiſinnigen Ideen der Ge¬
genwart gehuldigt.“ Der Jude ſoll Mazze backen
aus dieſem ungeſäuerten Teige; Brod wird nie
daraus. Der chriſtliche Ritter der Preßfreiheit, Pro¬
feſſor Welker, ſchrieb Folgendes auf der Titelfahne
[31] ſeines Buches: „Die vollkommene und ganze Pre߬
freiheit nach ihrer ſittlichen, rechtlichen und politiſchen
Nothwendigkeit, nach ihrer Uebereinſtimmung mit
deutſchem Fürſtenwort und nach ihrer völligen Zeit¬
gemäßheit dargeſtellt, in ehrerbietigſter Petition an
die hohe deutſche Bundesverſammlung.“... Die
Herren von der deutſchen Bundesverſammlung werden
den ehrerbietigen Profeſſor auslachen. Wenn ich über
die Preßfreiheit ſchriebe, würde ich anfangen: „Die
Preßfreiheit, oder der Teufel holt Euch alle mit ein¬
ander, Volk, Fürſten und deutſches Land!“ Ich
meine, das müſſe einen ganz andern Effekt machen.
Je mehr Gründe, je mehr Füße; je mehr Füße, je
langſamer der Gang; das ſiehet man an den Inſekten.
Doch genug — und habe ich nicht Recht, daß ich
in die italieniſche Oper gehe?
Mein Tagebuch aus Soden habe ich, ſeit ich
es geſchrieben, nicht mehr geleſen. War es gut, ſo
iſt es noch gut; das hat keine Noth, Aelter iſt dar¬
über wohl manches in Deutſchland geworden, aber
alt nichts. Es blühen alle Veilchen, vor wie nach.
Sie können ſich wohl denken, daß ich den Un¬
fug, den die Studenten in der Sorbonne ſich gegen
den Miniſter Barthe zu Schulden kommen ließen,
nicht billigen werde. Die Studenten ſelbſt haben ſich
gegen dieſes tadelnswürdige Betragen, das nur auf
Einige unter ihnen fiel, laut geäußert. Aber ſelbſt
[32] dieſer ſträfliche Uebermuth iſt lehrreich genug, denn
er zeigt den lobenswerthen tiefen Unmuth in der Ju¬
gend. Die Studenten hier, ſind gar nicht wie unſere
deutſchen, fantaſtiſch ungezogen, dem Bürgerleben
und ſeinen Regeln fremd, alle Convenienz verſpottend;
und in wenigen Jahren, alle Kraft, alles Feuer der
Jugend vertrinkend und vertobend, um gleich nach der
Univerſität die abgelebteſten zahmſten Philiſter zu wer¬
den. Sie ſind vielmehr die ſtillſten und beſcheiden¬
ſten jungen Leuten, die ſich von der Jugend der an¬
dern Stände nur durch die Einfachheit ihres Aeuſſe¬
ren auszeichnen. Man ſollte ſie oft für deutſche
Handwerksburſche halten. Was ſie in Bewegung
ſetzt, iſt etwas ſehr Edles, mag immerhin die Be¬
wegung einmal im Gange unregelmäßig werden.
Geſtern kam in der Pairskammer das Geſetz
über die Beſoldung der jüdiſchen Geiſtlichen vor.
Es wurde zwar angenommen, fand aber doch viele
Gegner. Der Admiral Verrhuell hielt eine Rede
gegen die Juden. Das Volk Gottes hat doch Feinde
zu Waſſer und zu Lande. Der Admiral ſagte: ich
habe die Juden in allen vier Theilen der Welt ken¬
nen gelernt; ſie taugen überall nichts; überall den¬
ken ſie nur an Geldverdienen. Schändliche Verläum¬
dung! Gerade das Gegentheil. Die meiſten Ju¬
den ſtreben nach nichts, als Geld zu verlieren,
und darum kaufen ſie öſterreichiſche Staatspapiere.
Aber iſt die Begeiſterung der Polen nicht höchſt
erhaben, höchſt rührend? Gab es je etwas Großes,
das zugleich ſo ſchön war? Unter den rauhen
Blättern der Geſchichte iſt es ein Blatt auf Velin¬
papier geſchrieben. ... Die Polen haben jetzt alle
nur ein Geſchlecht, nur ein Alter. Weiber, Kinder,
Greiſe, alles rüſtet ſich; viele gaben ihr ganzes Ver¬
mögen hin, und nannten ſich nicht, und gaben keine
Spur, auf der man ihre Namen entdecken konnte.
Einen ſilbernen Löffel im Hauſe zu haben, iſt eine
Schmach, man gebraucht nur hölzerne. Die Frauen
liefern ihre Trauringe in die Münze und erhalten
II. 3[34] dafür kleine ſilberne Medaillen, mit der Schrift:
la patrie en échange. Iſt das nicht ſchön? im
Polniſchen lautet das wahrſcheinlich noch ſchöner.
Aber ach! das ernſte Schickſal liebt die Kunſt nicht.
Die Polen können untergehen trotz ihrer ſchönen Be¬
geiſterung. Aber geſchiehet es, wird ſo edles Blut
vergoſſen, dann wird es den Boden der Freiheit auf
ein Jahrhundert befeuchten und es tauſenfältige Früchte
tragen. Die Tyrannen werden nichts gewinnen, als
einen Fluch mehr. Wer jetzt einen Gott hat, der
bete, und wer beten kann, der bete nur für die Po¬
len. Die ſind oben in Norden und die Freiheit, wie
jede Bewegung, kommt leichter herab, als ſie hinauf
ſteigt.
Zwei und dreißigſter Brief.
Ich bin jetzt mit den Briefen eines Ver¬
ſtorbenen zu Ende, und ich will Ihnen mittheilen,
was ich mir darüber gemerkt. Ich könnte mir die
Mühe des Abſchreibens erſparen und Ihnen das
Blatt ſelbſt ſchicken. Aber es iſt mit Bleiſtift ge¬
ſchrieben, und ich bin klüger als der Kaiſer von Ru߬
land, Preußens Mephiſtopheles, der ſeine hohen Mei¬
nungen mit Bleiſtift niederſchreibt und dabei ruhig iſt
— ich denke: der liebe Gott kann das mit dem lei¬
ſeſten Hauche wieder auslöſchen. Ich halte mich an
Dinte, die iſt feſt. Aber wie konnten Sie nur glau¬
ben, die todten Briefe wären vom lebendigen Heine?
Kein Athemzug von ihm darin. Es iſt eine gewöhn¬
liche Reiſebeſchreibung — ich ſage aber nicht: die
3*[36] Beſchreibung einer gewöhnlichen Reiſe. Der Ver¬
faſſer hat mehr geſehen als Andere, alſo auch mehr
beobachtet. Als vornehmer Herr wurde er von den
hohen und höchſten Ständen freundlich angezogen, und
da er oft incognito reiſte, (er führte ſogar wie ein
Gauner doppelte Päſſe mit falſchen Namen) und ein
deutſcher Edelmann, wenn er ſeinen Adel ablegt, be¬
ſcheiden glaubt, es bliebe dann nichts mehr von ihm
übrig, drängte er ſich mit der Zuverſicht eines Un¬
ſichtbaren auch in die niedrigſten Stände. Dadurch
mußte das Buch gewinnen. Solche Vortheile hat
ein deutſcher bürgerlicher Reiſender nie. Der Ver¬
faſſer hat empfänglichen, aber keinen erzeugenden Sinn.
Sein Stoff ich reich, aber ſeine Bearbeitung ſehr
arm und von dichteriſcher Kunſt keine Spur. Er
ſchreibt leicht, ſehr leicht. Das iſt manchmal recht
angenehm, doch darf es nicht den ganzen Tag dauern.
In häuslichem Kreiſe, zu häuslichem Geſpräche iſt
das gut; wenn aber die Gedanken unter die Leute
gehen, müſſen ſie ſich mit Würde und Anſtand kleiden.
Wer in Deutſchland mit ſo leichtem Fuhrwerke fährt,
läßt vermuthen, daß er nicht ſchwer geladen. Ein
guter deutſcher Schriftſteller ſchreibt, daß der Styl
unter ihm bricht und daß er mitten im Wege liegen
bleibt. Der Verfaſſer gebraucht franzöſiſche Redens¬
arten, da, wo es weder nöthig noch ſchön iſt. Er
ſagt: aventure — Je dévore déjà un oeuf —
[37]adieu — Sur ce n'ayant plus rien à dire. —
Kaum ein Brief, den er nicht mit einem franzöſiſchen
Satze anfinge oder endigte; das iſt ſein Morgenge¬
bet, ſein Abendſegen, ſein Amen. Doch verzeihen
wir ihm das; das Franzöſiſche iſt ſein adeliges Wap¬
pen, womit er die Briefe verſiegelt. Auch daß die
Briefe oft zu lang, die Berichte oft zu umſtändlich
ſind, wollen wir ihm nicht zu hoch anrechnen. Wir
bürgerlichen Reiſebeſchreiber würden auch oft längere
Briefe an unſere Freundinnen ſchreiben, wenn das
Porto nicht zu hoch käme. Aber der verſtorbene
Edelmann hatte unſern Geſandten in London der
die dickſten Paquete portofrei an ſeine Julie beſorgte.
Wir bürgerlichen Reiſenden haben es ſo gut nicht,
wir bekommen in der Fremde von unſerer Ge¬
ſandtſchaft nichts zu ſehen, als beim Päſſeviſiren
den Rücken eines Sekretärs, der uns über ſeine
Schultern weg, ohne uns anzuſehen, den Paß zureicht.
Den Herrn Geſandten ſelbſt bekommen wir nie zu
ſprechen, er bekümmert ſich nicht um uns, wir mü߬
ten denn Spione ſeyn. Dieſer Stand, wie der
Spieler, adelt im Deutſchland. Gerecht zu ſeyn,
muß ich ſagen, die Briefe haben viel Gutes und
haben mir Vergnügen gemacht. Nur habe ich nicht
darin gefunden, was ich erwartet. Von einem
Manne von Stande, dem ſeine Geburt die groben
[38] Erfahrungen des Lebens erſpart, hätte ich feine er¬
wartet, feine Bemerkungen über Welt und Zeit.
Aber nichts habe ich ihm abgelernt, als eine feine
Wendung, die ich in der Folge einmal benutzen werde.
Wenn Sie einmal alt werden und klagen dann über
Welt und Zeit, und knurren, daß es nicht auszuhal¬
ten, würde ich bürgerlicher Tölpel Ihnen dann wahr¬
ſcheinlich ſagen (bis dahin, hoffe ich, duzen wir uns):
Liebe Freundin! Du ſiehſt alles mit trüben Augen
an; denn du biſt alt! Aber von unſerem verſtor¬
benen Edelmann habe ich gelernt, wie man eine
ſolche Grobheit zarter ausdrückt. Er ſchreibt ſeiner
Julie, die in ihrem Briefe knurrt: Deine älter
werdende Anſicht iſt ſchuld an Deiner Grämlich¬
keit. Das iſt alles. Von den Briefen eines Ver¬
ſtorbenen erwartet man, Dinge aus einer andern
Welt zu erfahren; zu hören, was kein Lebender zu
ſagen wagt. Nichts von dem. Daß dieſe Briefe
ſolches Aufſehen machen konnten, daß ich ſogar hier
in Paris davon ſprechen hörte, und ſie in Deutſch¬
land, wie Ihnen der Buchhändlerjunge ſagte, „ra¬
ſend abgehen“, verdanken ſie wahrſcheinlich nicht
dem Guten, ſondern dem Schlechten, das ſie ent¬
halten. Es ſind den adligen Briefen einige Satiren
eingeſchaltet, aber von der gemeinſten bürgerlichen
Art. Da iſt erſtens Eine gegen deutſche Titelſucht,
[39] gegen Rang- und Beamtenſtolz. Nun kann zwar
eine geſchickte Hand von ſolchem ausgedroſchenen
Stroh artige Sachen flechten, Hüte, Körbe und an¬
dere Spielereien; aber in der todten Briefen iſt es
rohes Lagerſtroh geblieben, es gerade in den Stall
zu werfen; und nicht aus Liebe zur Gleichheit eifert
der hohe Herr gegen den lächerlichen Dienerſtolz
der Deutſchen, ſondern aus adligem Hochmuthe. Er
will, daß nicht Amt oder Titel, ſondern Geburt al¬
lein den Rang in der bürgerlichen Geſellſchaft be¬
ſtimme. Dann kommt eine Satire gegen die Ber¬
liner Myſtiker, die wahrlich eine beſſere verdient
hätten. Da wird das ganze Alphabet durchgeklatſcht
und hundert Anekdötchen erzählt. Braucht es mehr
in dem preßzahmen Berlin, um Aufmerkſamkeit zu
erwecken? Und den Verſtorbenen trieb die Preßfrei¬
heit noch weiter — er ſagt es gerade heraus: Der
Graf Brühl in Berlin, der General-Direktor der
Schauſpiele, zu ſeiner Zeit der zweite Mann im
preußiſchen Staate — koſtümire auf dem Theater die
Tempelritter ganz falſch, wie er ſich aus dem Grab¬
ſteine eines Templers, den er in Irland geſehen,
vollkommen überzeugt habe! Der Verfaſſer ſoll ein
Fürſt ſeyn; das iſt ſchön. Da unſere bürgerlichen
Schriftſteller nun einmal keine Leute von Welt wer¬
den wollen, ſo bleibt, dieſen näher zu kommen, nichts
[40] übrig, als daß die Leute von Welt Schriftſteller
werden. Er ſoll kein Geld haben; noch ſchöner, er
ſei uns herzlich willkommen. Das iſt der wahre
Stempel des Genies. Einem guten deutſchen Schrift¬
ſteller iſt nichts nöthiger als die Noth. Der Fürſt
mag zwar keinen Ueberfluß an Mangel haben, wie
Fallſtaff ſagt, ſondern nur Mangel an Ueberfluß.
Aber nur immer herein. Iſt er kein armer Teufel,
kann er es doch noch werden. Doch müſſen wir ihm,
wie allen adligen Schriftſtellern, ſehr auf die Finger
ſehen. Nicht damit ſie nichts mitnehmen, was nicht
ihnen gehört (was wäre bei uns zu holen?) ſondern,
daß ſie nichts da laſſen, was nicht uns gehört —
keinen Hochmuth, keinen Adelſtolz. Der blickt, der
dringt aber nicht ſelten in den Briefen eines Ver¬
ſtorbenen durch. Ruft er doch einmal, als er im
Gebirge zwei Adler über ſeinem Haupte ſchweben
ſah, aus: „Willkommen meine treuen Wap¬
penvögel!“ Hinaus mit ihm! Was Wappenvö¬
gel! Will er etwas beſonderes haben? Ein deut¬
ſcher Schriftſteller hat kein anderes Wappen, als
einen leeren Beutel im blauen Felde. Wappenvögel!
Hinaus mit ihm aus dem Meß-Katolog! Der
Hochmuth ſoll Manuſcript bleiben, nicht gedruckt
werden. Wenn er oben auf dem Snovdon, dem
höchſten Berge Englands, Champagner trinkt auf die
[41] Geſundheit ſeiner Julie, und den Namen der Freundin
durch Sturm und Dunkel ruft — dann ſind wir
dem Fürſten gut. Wein, Liebe und Adler ſind auch
für uns; aber die Wappen ſind gegen uns. Seyd
vorſichtig, laßt unſern Zorn ſchlafen! Nur zu bald
erwacht er euch!
Einige von den Haupt-Brandſtiftern in Göttin¬
gen (ſpreche ich nicht, als hätte ich 10,000 Thaler
Gehalt, und wäre der wirkliche geheime Staatsrath
von Börne?) haben ſich nach Straßburg gerettet
und in dortigen Zeitungen Proclamationen bekannt
gemacht, die aber gar nicht ſchön und würdevoll ſind.
So renommiſtiſch-philiſtrös, ſo rauh und holprich!
Es dauert Einem herzlich. Sie lachen und ſpotten
wie Sklaven, die glücklich der Zuchtpeitſche entlaufen
ſind. „In Nürnberg henkt man keinen bis man ihn
hat“ — ſagen ſie unter andern. Wenn der Blitz,
der Andere traf, unſchädlich zu unſern Füßen nieder¬
ſchlug, dann mögen wir Gott danken, aber nicht den
Blitz verhöhnen. Dieſe jungen Deutſchen ſind die
Luft der Freiheit nicht gewohnt; ſie haben ſchnell
getrunken und ſie iſt ihnen in den Kopf geſtiegen.
Wie ganz anders hätten junge Franzoſen in ſolchen
Fällen geſprochen.
Der Herzog von Nemours iſt jetzt wirklich zum
König von Belgien gewählt. Jetzt kochts und wirft
[43] Blaſen wie Welt-Halbkugeln groß. Sie werden er¬
fahren, wie bald es überläuft.
Der junge ***, von dem ich Ihnen ſchon ein¬
mal geſchrieben, trat gleich, als er herkam, aus ju¬
gendlichem Muthwillen in die Nationalgarde, und
zwar unter die Cavallerie. Vor einigen Tagen, als
er den erſten Dienſt hatte, bekam er die Wache im
Palais-Royal. Gerade den Abend war Ball beim
König, und die Wache wurde, wie gewöhnlich in ſol¬
chen Fällen dazu eingeladen. *** war alſo auch
da, und tanzte, Gott weiß, mit welchen Prinzeſſin¬
nen und Herzoginnen. Was hundert Stunden Wegs
für Unterſchied machen. Denken Sie nur, wie lange
es noch dauern wird, bis in Berlin, Wien oder
München ein bürgerliches Judenbübchen in gemeiner
Reitertracht auf einem Hofballe tanzen wird! Gott
iſt wie Shakeſpeare: Spaß und Ernſt läßt er auf
einander folgen.
Die zehen Stämme in Frankfurt werden wieder
einen Bußtag gehabt haben. Seit geſtern ſind die
Renten um 4 pCt. gefallen. Man ſpricht mehr als
je vom Kriege, ſogar mit England wegen Belgien.
Narren, die je daran gezweifelt; oder Heuchler, die
daran zu zweifeln ſich angeſtellt! — Für die Polen
wollen wir beten. Sie können in Frankfurt gar
nichts, und ich hier nichts anders für ſie thun, als
[44] meine 20 Franken ſteuern, die das Conzert, das
nächſtens gegeben wird, koſtet. Außer den erſten
Künſtlern und Künſtlerinnen werden ſich auch Lieb¬
haberinnen von hohem Stande hören laſſen. Die
Pariſer wiſſen ſich aus allem Vergnügen zu bereiten,
ſelbſt aus dem Ungeheuerſten.
Drei und dreißigſter Brief.
Es giebt beſtimmt Krieg. Ich habe zwar kei¬
nen Tag daran gezweifelt, ſeit ich in Paris bin; hier
aber wollten viele nicht daran glauben. Doch jetzt
hat ſich die Meinung geändert, jedermann ſiehet den
Krieg als unvermeidlich an. Zwar hat man in Preu¬
ßen Heine's Schriften verboten; aber die beſten Poli¬
tiker [in] Frankreich und England zweifeln, daß dieſe
Maasregel hinreichen werde, die Welt in ihrem
Laufe aufzuhalten. ... Freuen wir uns; den Po¬
len iſt wieder eine Hülfe von oben gekommen. Man
hat hier ziemlich ſichere Nachrichten, daß in einigen
ruſſiſchen Provinzen ein Aufruhr ausgebrochen. Auch
in mehreren Orten Italiens iſt das Volk aufgeſtan¬
den. Die armen Deutſchen! die werden neue Ohr¬
feigen bekommen, weil das Volk in Finnland und
Bologna wieder unartig geweſen.
[46]
— Ich habe Heine's vierten Band in einem
Abende mit der freudigſten Ungeduld durchgeleſen.
Meine Augen, die Windſpiele meines Geiſtes, liefen
weit voraus und waren ſchon am Ende des Buches,
als ihr langſamer Herr erſt in der Mitte war. Das
iſt der wahre Dichter, der Günſtling der Natur, der
alles kennt, was ſeine Gebieterin dem Tage Häßli¬
ches, was ſie ihm Schönes verbirgt. Auch iſt Heine,
als Dichter, ein gründlicher Geſchichtsforſcher. Doch
verſtecken Sie meinen Brief in den dunkelſten Schrank;
denn läſe ein hiſtoriſcher Profeſſor, was ich ſo eben
geſchrieben, er ließe mich todt ſchlagen, auf ſeiner
eigenen oder einer andern Univerſität — ob zwar die
deutſchen Heeren keine Freunde vom Todtſchlagen
ſind, weder vom aktiven noch vom paſſiven, wie man
neulich in Göttingen geſehen. Diesmal hat der
Stoff Heine ernſter gemacht, als er ſonſt den Stoff,
und wenn er auch noch immer mit ſeinen Waffen
ſpielt, ſo weiß er doch auch mit Blumen zu fechten.
Das Buch hat mich gelabt wie das Murmeln einer
Quelle in der Wüſte, es hat mich entzückt wie eine
Menſchenſtimme von oben, wie ein Lichtſtrahl den le¬
bendig Begrabenen entzückt. Das Grab iſt nicht
dunkler, die Wüſte iſt nicht dürrer als Deutſchland.
Was ein ſeelenloſer Wald, was ein todter Felſen
vermag: uns das eigne Wort zurückzurufen — nicht
einmal dazu kann das blöde Volk dienen. Kann man
[47] es beſſer ſchildern als mit den Worten: Der Eng¬
länder liebt die Freiheit wie ſeine Frau; der Fran¬
zoſe wie ſeine Braut; und der Deutſche wie ſeine
alte Großmutter! Und: „wenn zwölf Deutſche bei¬
ſammen ſtehen, bilden ſie ein Dutzend, und greift ſie
einer an, rufen ſie die Polizei!“ Ich ſprach ſo al¬
lein in dieſer Zeit und Heine hat mir geantwortet.
Alles iſt ſchön, alles herrlich, das aus Italien wie
das aus England. Was er gegen den Berliner
Knechtphiloſophen (Hegel) und gegen den geſchmeidi¬
gen Kammerdiener-Hiſtoriker (Raumer) ſagt, die ein
ſeidenes Bändchen feſter an die Lüge knüpft, als das
ewige Recht an die Warheit, das allein könnte ei¬
nem Buche ſchon Werth geben. Und hat man je
etwas Treffenderes von den Monopoliſten des Chri¬
ſtenthums geſagt: wie die Erbfeinde der Wahrheit,
Chriſtus, den reinſten Freiheitshelden, herabzuwürdi¬
gen wußten, und als ſie nicht läugnen konnten, daß
er der größte Menſch ſei, aus ihm den kleinſten Gott
gemacht? — Wenn Heine ſagt: Ach! man ſollte
eigentlich gegen Niemanden in dieſer Welt ſchreiben
— ſo gefällt mir zwar dieſe ſchöne Bewegung, ich
möchte ihr aber nicht folgen. Es iſt noch Großmuth
genug, wenn man ſich begnügt gegen Menſchen zu
ſchreiben, die uns peinigen, berauben und morden.
Was mich aber eine Welt weit von Heine trennt, iſt
ſeine Vergötterung Napoleons. Zwar verzeihe ich
[48] dem Dichter die Bewunderung für Napoleon, der
ſelbſt ein Gedicht; aber nie verzeihe ich dem Philo¬
ſophen Liebe für ihn, den Wirklichen. Den lieben!
Lieber liebte ich unſere Nürnberger Wachtparaden-Für¬
ſten, öffnete ihnen mein Herz, und ließ ſie alle auf
einmal eintreten, als dieſen einen Napoleon. Die
Andern können mir doch nur die Freiheit nehmen,
dieſem aber kann ich ſie geben. Einen Helden lie¬
ben, der nichts liebt als ſich; einen herzloſen Schach¬
ſpieler, der uns wie Holz gebraucht, und uns weg¬
wirft, wenn er die Partie gewonnen. Daß doch die
wahnſinnigen Menſchen immer am meiſten liebten,
was ſie am meiſten hätten verabſcheuen ſollen! So
oft Gott die übermüthigen Menſchen recht klein ma¬
chen wollte, hat er ihnen große Menſchen geſchickt.
— — So oft ich etwas von Heine leſe, beſeelt mich
die Schadenfreude: wie wird das wieder unter die
Philiſter fahren, wie werden ſie aufſchreien, als lief
ihnen eine Maus über ihr Schlafgeſicht! Und da
muß ich mich erſt beſinnen, um mich zu ſchämen.
Die! ſie ſind im Stande und freuen ſich über das
Buch und loben es gar. Was ſind das für Men¬
ſchen, die man weder begeiſtern noch ärgern kann!
— Habt Ihr denn in Frankfurt auch ſolches
Wetter, von Zucker, Milch und Roſen, wie wir
hier ſeit einigen Tagen? Es iſt nicht möglich. Ihr
habt trübe deutſche Bundestage, manchmal einen
[49] kühlen blauen Himmel von finſtern Wolken halb weg¬
zenſirt — und das iſt alles. Aber wir Götter in
Paris — es iſt nicht zu beſchreiben. Es iſt ein
Himmel wie im Himmel. Die Luft küßt alle Men¬
ſchen, die alten Leute knöpfen ihre Röcke auf und
lächeln; die kleinen Kinder ſind ganz leicht bekleidet,
und die Stutzer und die Stutzerinnen, die der Früh¬
ling überraſcht, ſtehen ganz verlegen da, als hätte
man ſie nackt gefunden, und wiſſen in der Angſt gar
nicht, womit ſie ſich bedecken ſollen. Geſtern, im
Jardin des Plantes, wimmelte es von Menſchen,
als wären ſie wie Käfer aus der Erde hervor ge¬
krochen, von den Bäumen herab gefallen. Kein
Stuhl, keine Bank war unbeſetzt; tauſend Schulkin¬
der jubelten wie die Lerchen, der Elephant bekam ei¬
nen ganzen Bäckerladen in den Ruſſel geſteckt, und
die Löwen und die Tiger und Bären waren vor den
vielen Damen herum nicht zu ſehen. Man konnte
kaum hinein kommen vor vielen Kutſchen am Gitter.
So auch heute in den Tuilerien. Man ſucht nicht
die Sonne, man ſucht den Schatten. Es iſt ein
einziger Platz, oben auf der Terraſſe, wo man auf
den Platz Louis XVI. hinabſieht! Und da unter
einem Baume zu ſitzen, dieſe Luft zu trinken, die
wie warme Limonade ſchmeckt, und dabei in der
Zeitung zu leſen, daß die Ruſſen ihre Ketten ſchüt¬
teln, und die heißen Italiener ihre Jacken ausziehen
ll. 4[50] nicht eine Einladung bei Seiner Excellenz dem Herrn
von Münch-Bellinghauſen vertauſchte ich damit!
— Die neuſten und die wichtigſten politiſchen
Neuigkeiten erfahre ich durch Conrad, der ſie vom
Reſtaurateur, wo er mir zuweilen das Eſſen holt,
mitbringt. Dort ſcheinen lauter politiſche Köche zu
ſeyn. Seitdem Conrad das Haus beſucht, iſt er ſo
vertraut wie Metternich mit den europäiſchen Ange¬
legenheiten; ja ich glaube, er weiß viel mehr. Da
er heute eine Suppe holte, ſagte ihm ein Koch oder
Kellner: er würde bald zu ihm kommen und eine
deutſche Suppe mit ihm eſſen. Daran denkt Metter¬
nich gewiß nicht. Welch ein Unterſchied aber zwi¬
ſchen Frankfurt und Paris! Vorigen Winter ſchickte
ich den Conrad Monate lang täglich in den ruſſi¬
ſchen Hof, mein Eſſen zu holen, und nie brachte er
mir aus der Küche eine europäiſche Begebenheit mit
nach Hauſe, außer einmal die Neuigkeit, daß die
Wirthin mit Zwillingen niedergekommen. In meiner
Reſtauration hier gehen acht Kellner oder Köche frei¬
willig unter die Soldaten, wie ſie dem Conrad
erzählt.
— Die Sammlungen für die Polen ſind jetzt
in vollem Gange, Conzerte, Bälle, Theater, Eſſen
zu ihrem Beſten; es nimmt kein Ende. Eine be¬
rühmte Harfenſpielerin aus Brüſſel, eine Dilettantin,
[51] machte blos die Reiſe hierher, um im Conzert, das
morgen über acht Tage für die Polen gegeben wird,
mitzuſpielen. Der alte Lafayette leitet das alles.
Daß iſt doch gewiß der glücklichſte Menſch in der
ganzen Weltgeſchichte. Ihm ging die Sonne heiter
auf, ſie geht ihm heiter unter, und bei jedem Sturme
in der Mitte ſeines Lebens, fand er ein Obdach un¬
ter ſeinem Glauben. Für die Polen fürchte ich jetzt
nichts mehr, als ſie ſelbſt. Ich kann nicht wiſſen,
wie es im Lande ausſieht. Mächtig dort iſt nur der
Adel allein, der Bürgerſtand iſt noch ſchwach. Wenn
nun dem Adel mehr daran gelegen wäre, Polens
Unabhängigkeit als Polens Freiheit zu erlangen! Ich
las ſchon einigemal in den Blättern, man habe die
polniſche Krone dem Erzherzog Carl angeboten, und
Oeſterreich wolle ſie annehmen und hundert tauſend
Mann gegen die Ruſſen ſchicken. Es wäre entſetz¬
lich. Oeſterreich zum Vormunde einer jungen Frei¬
heit! Ich kann nicht einmal lachen darüber! Mich
beruhigt nur Metternichs Pedanterie und kindiſche
Furcht; er fürchtet ſelbſt die Maske der Freiheit auf
ſeinem eigenen Geſichte. Auch in Belgien war der
Erzherzog Carl der dritte Thron-Candidat, und hatte
nach dem Herzog von Leuchtenberg die meiſten Stim¬
men! Mit Zittern habe ich da geſehen, welch einen
mächtigen Einfluß noch Oeſterreich hat.
4*[52]
— Mit dem Bürgermeiſter Behr in Würzburg,
das iſt — wenn ich ſagte ſchändlich, das wäre zu
matt; ich ſage: es iſt deutſch! Aber ich nehme
es dem König von Baiern durchaus nicht übel. Ein
Volk, das ſo geduldig auf ſich herumtrampeln läßt,
verdient getreten und zertreten zu werden. Aide-toi;
et le ciel t'aidera.
Vier und dreißigſter Brief.
Italien! Italien! Hören Sie dort meinen
Jubel? Daß ich eine Poſaune hätte, die bis zu
Ihren Ohren reichte! Ja, der Frühling bezahlt
hundert Winter. Die Freiheit eine Nachtigall mit
Rieſentönen, ſchmettert die tiefſten Schläfer auf. In
meinem engen Herzen, ſo heiß es iſt, waren Wün¬
ſche ſo hoch gelegen, daß ewiger Schnee ſie bedeckte
und ich dachte: niemals thaut das auf. Und jetzt
ſchmelzen ſie und kommen als Hoffnungen herab.
Wie kann man heute nur an etwas anderes denken,
als für oder gegen die Freiheit zu kämpfen? Auch
ein Tyrann ſeyn iſt noch groß, wenn man die Menſch¬
heit nicht lieben kann. Aber gleichgültig ſeyn! Jetzt
wollen wir ſehen wie ſtark die Freiheit iſt, jetzt, da
ſie ſich an das mächtige Oeſterreich gewagt. Spa¬
nien, Portugal, Rußland, das iſt alles nichts; der
[54] Freiheit gefährlich iſt nur Oeſterreich allein. Die
Andern haben den Völkern nur die Freiheit geraubt;
Oeſterreich aber hat gemacht, daß ſie der Freiheit
unwürdig geworden. Wie das Herz der Welt über¬
haupt, ſo hat auch jedes Herz, auch des beſten Men¬
ſchen, einen Fleck, der iſt gut öſterreichiſch geſinnt
— er iſt das böſe Prinzip. Dieſen ſchwarzen Fleck
in der Welt wie im Menſchen, weiß Oeſterreich zu
treffen, und darum gelingt ihm ſo vieles. Jetzt wol¬
len wir ſehen, ob ihm Gott eine Arche gebauet, die
es allein rettet in dieſer allgemeinen Sündfluth. Aber
wie wird uns ſeyn, wenn Spanien und Portugal,
Italien und Polen frei ſeyn werden und wir noch
im Kerker ſchmachten? Wie wird uns ſeyn, wenn
im Lande Lojola's und des Papſtes die Preßfreiheit
grünt, dieſe Wurzel und Blüthe aller Freiheit und
dem Volke Luthers wird noch die Hand geführt, wie
dem Schulbübchen vom Schreibmeiſter? Wo ver¬
bergen wir unſre Schande? Die Vögel werden uns
auspfeifen, die Hunde werden uns anbellen, die Fi¬
ſche im Waſſer werden Stimme bekommen uns zu
verſpotten. Ach, Luther! — wie unglücklich hat der
uns gemacht! Er nahm uns das Herz und gab
uns Logik; er nahm uns den Glauben und gab uns
das Wiſſen; er lehrte uns rechnen und nahm uns
den Muth, der nicht zählet. Er hat uns die Frei¬
heit, dreihundert Jahre ehe ſie fällig war, ausbezahlt
[55] und der ſpitzbübiſche Diskonto verzehrte faſt das
ganze Capital. Und das Wenige, was er uns gab,
zahlte er wie ein ächter baarloſer deutſcher Buch¬
händler in Büchern aus, und wenn wir jetzt, wo je¬
des Volk bezahlt wird, fragen — wo iſt unſere
Freiheit? antwortet man: Ihr habt ſie ſchon lange
— da iſt die Bibel. Es iſt zu traurig! Keine
Hoffnung, daß Deutſchland frei werde, ehe man ſeine
beſten lebenden Philoſophen, Theologen und Hiſtori¬
ker aufknüpft, und die Schriften des Verſtorbenen
verbrennt. ... Als ich geſtern die italieniſchen
Nachrichten las, ward ich ſo bewegt, daß ich mich
eilte, in die Antiken-Gallerie zu kommen, wo ich noch
immer Ruhe fand. Ich flehete dort die Götter an,
Jupiter, Mars und Apollo, den alten Tiber und
ſelbſt die rothe böſe Wölfin, Roms Amme, und Ve¬
nus die Gebärerin, Roms Mutter, und Diana und
Minerva, daß ſie nach Italien eilen und ihr altes
Vaterland befreien. Aber die Götter rührten ſich
nicht. Da nahete ich mich den Grazien, hob meine
Hände empor und ſprach: Und ſind alle Götter
ſtumpf geworden, rührt ſie das Schöne, bewegt ſie
das Misgeſtaltete nicht mehr — Ihr holden Gra¬
zien müſſet Oeſterreich haſſen, denn unter allen Göt¬
tern haſſet es am meiſten euch! Schwebt nach Ita¬
lien hinunter, lächelt der Freiheit, und zaubert die
deutſchen Brummbären über die Berge hinüber! Und
[56] wahrlich ſie lächelten mir. .... Die glücklichen
Griechen! Noch im Marmorſarge ſind ihre Freuden
ſchöner, als unſere, die im Sonnenlichte athmen!
Der Himmel war ihnen näher, die Erde war ihnen
heller, ſie wußten den Staub zu vergolden! Statt
wie wir jammervollen Chriſten, Leidenſchaften als
empörte Sklaven zu züchtigen, gaben ſie ſie frei, feſ¬
ſelten ſie durch Liebe, und beherrſchten ſie ſicherer als
wir die Unſern in den ſchweren Ketten der Tugend.
Dieſer Bacchus — er iſt Meiſter des Weins, nicht
ſein Sklave, wie ein betrunkener Chriſt; es iſt Tu¬
gend ſo zu trinken. Dieſer Achill er iſt gar nicht
blutdürſtig, er iſt edel, ſanft, es ſcheint ihm ein Lie¬
beswerk ſeine Feinde zu tödten. Dieſer Herkules
er iſt kein plumper Ritter; ihm iſt der Geiſt zu
Fleiſch geworden, und ſein Arm ſchlägt mit Macht,
weil ihm das Herz mächtig ſchlägt. So zu lieben
wie dieſe Venus es iſt keine Sünde, wie die
fromme Nonne glaubt. Dieſer lächelnde Faun —
er übt keine Gewalt, er gibt nur einen Vorwand
und ſchützt die Unſchuld, indem er ſie bekämpft. ...
Wenn es nur die Grazien nicht vergeſſen haben, daß
um vier Uhr das Muſeum zugeſchloſſen wird; dann
können ſie nicht mehr hinaus. Ich aber dachte daran
und eilte fort. Auf dem Carouſſel-Platz begegnete
mir der der Zug des fetten Ochſen, der mich an
den fetten Sonntag erinnerte. Da ſetzte ich mich in
[57] einen Wagen und ließ mich von der Madeline bis
zum Baſtillen-Platz und zurück die ganze Länge der
Boulevards fahren. Himmel! welche Menſchen.
Nein, ſo viele habe ich noch nie beiſammen geſehen.
Ich dachte, die Todten wären aufgeſtanden, die Be¬
völkerung zu vermehren. Dann ging ich nach Hauſe
und rauchte eine Pfeife. Das iſt ein herrliches Mit¬
tel gegen Rom, Freiheit und Götter! Das iſt mein
öſterreichiſcher Fleck. .... Mir fiel noch ein, daß
vor mehreren Jahren mir Herr v. Handel in Frank¬
furt keinen Paß nach Italien geben wollte. Damals
dachte ich: nun ich werde warten; jetzt denke ich:
nun ich habe gewartet. Nächſten Winter, hoffe ich,
leben wir in Rom.
Was ich über die Briefe eines Verſtorbenen ge¬
ſagt, iſt alles gerecht. Ich habe nichts mit Unrecht
getadelt. Freilich hätte ich das Gute im Buche ſtär¬
ker loben können; aber wozu? Es iſt eben Krieg
und da kann man keine Rückſicht darauf nehmen, was
das für ein Mann iſt, der uns gegenüber ſtehet.
Er ſtehet uns gegenüber und iſt unſer Feind. Puff!
Daß Goethe und Varnhagen das Buch eines Vor¬
nehmen gelobt, hat ihm bei mir Nichts geholfen.
Ich kenne dieſe Herren, und weiß, wie ſie, ihr eig¬
nes Gewicht nicht zu verlieren, diplomatiſch bemüht
ſind, das literariſche Gleichgewicht in Deutſchland zu
erhalten. Darum ſtärken ſie mit ſo viel Liebe alle
ſchwachen Schriftſteller.
Die Würzburger Adreſſe iſt ſehr ſchön, ohnge¬
achtet des allergehorſamſten Puders auf dem Kopfe,
und der allerunterthänigſten ſeidnen Strümpfe an den
Füßen. Meine Pappenheimer werden munter. Der
Conſtitutionnel heute hat wieder die ſchöne Lüge: in
München ſei der Teufel los, und der König habe ſich
geflüchtet. Was hilfts? alle dieſe Bewegungen
führen zu nichts als — zurück. Einmal Muth,
hat wohl auch der feigſte Menſch! aber nur der
Held hat ihn alle Tage. Es gibt im Lateiniſchen
[59] ein Epigramm, das heißt ohngefähr: „Glaube nicht
„frei zu ſeyn, weil du dich einen Tag frei gemacht.
„Der Hund reißt ſich auch von der Kette los; aber
„ein Stück der Kette ſchleppt er am Halſe mit, und
„daran faßt ihn ſein Herr und führt ihn zurück.“ —
Der Plan mit den Univerſitäten iſt wieder ein
recht alberner Polizei-Spaß. Wenn ſie ihn nur aus¬
führen! Es iſt gar zu ſchön dumm! Dann bringen
ſie die Bürger von zwanzig Städten gegen ſich auf.
Und was mehr iſt: dann ärgern ſie die unärgerbaren
deutſchen Profeſſoren, die freilich das Pulver nicht
erfunden, die aber doch einen großen Vorrath davon
beſitzen, in das ſie einmal im Zorne ihre Pfeife kön¬
nen fallen laſſen. Wahrhaftig ſie dauern mich. Gott
gab ihnen den ſchwächſten Kopf und damit ſollen ſie
dieſe ungekochte Zeit verarbeiten! Es kommt alles
wieder ſo roh aus ihrem Kopfe, als es hinein gekom¬
men. Das iſt unſer Verdienſt, liebes Kind, das
hat unſere gute vaterſtädtiſche Luft gethan. Die al¬
ten Griechen hätten ſich wohl gehütet, ihre Amphik¬
tyonen in Abdera zu verſammeln; die neuen Deut¬
ſchen aber ſchicken die ihren nach Frankfurt; ſolche
erſchreckliche Angſt haben ſie, ſie möchten einmal et¬
was Kluges beſchließen.
Die Straßburger Studenten haben den beiden
Göttinger Doctoren, die ſich dorthin geflüchtet, ein
[60] Gaſtmahl gegeben, wobei Frankreich und Deutſch¬
land ſich Brüderſchaft zutranken. Die franzöſiſche
Freiheitsfahne wurde mit der Deutſchen verſchwiſtert,
und den andern Tag eine deutſche dreifarbige Fahne
den Göttingern durch eine Deputation feierlich über¬
reicht und geſchenkt. Dieſen Freiheitshelden muß
ja in Straßburg zu Muthe ſeyn wie den Fiſchen im
Waſſer. Hätten ſie die Hannoveraner gefangen,
wären ſie tüchtig eingeſalzen worden.
Geſtern habe ich im Theatre Français zwei
Moliereſche Stücke geſehen: l’etourdi und le ma¬
lade imaginaire. Da darf man doch mit Ehren
lachen und braucht ſich den andern Morgen nicht zu
ſchämen. Es iſt wie ein Wunder, daß ein Blitz,
der vor 170 Jahren die Wolken verlaſſen — ſo
lange iſt Moliere todt — noch heute gezündet! Wie
lange wird man über Scribe lachen? Aber ſo ſind
unſere heutigen Komödiendichter. Sie zeigen uns die
Mode-Thorheiten; doch Moliere zeigte uns die ewi¬
gen Thorheiten des Menſchen. Ich betrachtete mit
Liebe und Andacht Moliere's Büſte, die im Foyer
der Büſte Voltaire's gegenüber ſtehet. Moliere hat
einen ſanften durchwärmenden Blick, einen freundlich
lächelnden Mund, welcher ſpricht: ich kenne euch, ihr
guten thörichten Menſchen. Voltaire ziehet höhniſch
[61] die Unterlippe in die Höhe und ſeine heißen ſtechen¬
den Augen ſagen: ich kenne euch, ihr Spitzbuben!
Um Moliere's Stücke recht zu faſſen, muß man ſie
in Paris aufführen ſehen. Moliere ſpielte ſelbſt,
und was und wie er ſpielte, das hat ſich bis auf
heute ſo unverändert auf der Bühne erhalten, als das
gedruckte Wort im Buche. Seit ich hier Moliere
aufführen geſehen, bemerkte ich erſt an ſeinen Komö¬
dien die Haken, die er angebracht, das ſceniſche
Spiel daran zu hängen, und die ich vor dieſer Er¬
fahrung gar nicht bemerkt. Und wie vortrefflich wird
das hier alles dargeſtellt! Das beſte Orcheſter kann
nicht übereinſtimmender ſpielen. Es iſt etwas Rüh¬
rendes darin, dieſe alten Kleider, dieſe alten Sitten
zu ſehen, dieſe alte Späße zu hören, und das un¬
ſterbliche Gelächter der Franzoſen — ja, es iſt etwas
Ehrwürdiges darin! Im l'étourdi wird einmal ein
Nachttopf aus dem Fenſter über den unten ſtehenden
Liebhaber ausgegoſſen, und als die Zuhörer darüber
lachten, machte es auf mich eine wahrhaft tragiſche
Wirkung. Es war kein lebender Spaß, kein Spaß,
wie er heute noch geboren wird; es war das Ge¬
ſpenſt eines Spaßes, das einen erſchrecken könnte.
Der Malade imaginaire iſt gewiß ergötzlich zum
Leſen; aber man kennt ihn nicht, hat man ihn nicht
darſtellen ſehen. Dann wird das Spiel die Haupt¬
[62] Schönheit, dem die Worte nur als Verzierungen
dienen.
— Es iſt 11 Uhr Abends und ich beſinne mich,
ob ich überhaupt auf einen Maskenball und auf wel¬
chen ich dieſe Nacht gehen ſoll. Mir bleibt die
Wahl unter acht. Morgen die Entſcheidung. Gute
Nacht.
Guten Morgen! Die Tugend, meine Träg¬
heit, hat geſiegt. Ich war auf keinem Masken¬
balle. Wie ſüß habe ich geſchlafen nach dieſer
edlen Un-That!
— — Laſſen Sie mich ſchweigen von den
merkwürdigen Ereigniſſen des geſtrigen und vor¬
geſtrigen Tages. Sie werden das aus den Zeitun¬
gen erfahren. Es war ein Roman von Walter
Scott, der zurück ging und wieder lebendig wurde;
es war eine Symphonie von Beethoven, die unter
Thränen lacht; es war ein Drama von Shakeſpeare.
Solche humoriſtiſche Schickſalstage hat man noch nie
geſehen. Ich Unglückſeligſter möchte mich todt¬
ſchießen; ich ſehe nur immer den Spaß, und den
Ernſt muß ich mir erzählen laſſen. Man ſollte nicht
mehr lieben, wenn man alt geworden, nicht einmal
die Freiheit. Die Revolution läuft vor mir fort,
wie ein junges Mädchen, und lacht mich aus mit
meinen Liebeserklärungen. Während ich vorgeſtern
im Theatre Français über Mascarills Schelmereien
lachte, krönten die Carliſten in der Kirche das Bild
des Herzogs von Bordeaux, und ſtatt einer Ver¬
ſchwörung beizuwohnen, ſah ich einem verliebten
Marquis einen Nachttopf über die Friſur fließen.
[64] Während ich geſtern auf den Boulevards mich wie
ein Kind an den Mummereien ergötzte, zerſtörte das
Volk die Kirchen, warf von den Thürmen die lilien¬
geſchmückten Kreuze herab und verwüſtete den Pallaſt
des Erzbiſchofs. Das hätte ich alles mit anſehen
können, wäre ich kein ſolcher Unglücksvogel. Zu
jeder andern Zeit bin ich in dem entlegenſten Winkel
von Paris zu finden, aber ſobald etwas vorgeht, bin
ich auf der Stube. Wo ich hinkomme, iſt Frieden,
ich bin ein wahres krampfſtillendes Mittel, und die
Regierung ſollte mich anſtellen, Revolutionen zu ver¬
hüten. Wer nur von einem Thurme herab dieſe
Contraſte mit einem Blicke hätte überſehen können!
Die Seine hinab ſchwammen die Möbel und Bücher
des Erzbiſchofs, das Waſſer war weiß von Bett¬
federn. Auf der einen Seite des Stromes trug das
Volk in Prozeſſion das Bild des Erzbiſchofs und
beräucherte es aus Spott mit Kirchengefäßen, auf der
andern jubelte der Zug des Boeuf gras vorüber,
umringt von Amoretten, Göttern und Narren. Hier
hielt die Nationalgarde mit großer Mühe die Wuth
des Volks im Zaum, dort machte ſie mit noch größe¬
rer Mühe ſeinem Jubel Platz. Solche kühne Sprünge
haben Shakeſpeare, Swift, Jean Paul nie gewagt.
Aber es war wieder ein ſtrenges und gerechtes Volks¬
gericht! Mehrere meiner Bekannten, die glücklicher
als ich, im Gedränge waren, haben mir erzählt, von
[65] den Reden und Aeußerungen des Volks. Man muß
erſtaunen über dieſen geſunden Menſchenverſtand.
Wahrlich, unſere Staatsmänner, die Herren Seba¬
ſtiani, Guizot, ſogar Talleyrand, könnten bei ihm
in die Schule gehen. Und dieſes ſogenannte, ſo ge¬
ſcholtene Volk verachtet man überall; man verachtet
die Mehrzahl einer Nation, der weder der Reichthum
das Herz verdorben, noch das Wiſſen den Kopf!
Man klagt deſſen wilde Leidenſchaften an, weil es
zu edelmüthig iſt, gleich den Vornehmen, ſeinen Haß
in eine kleine Pille zu verſchließen, die man dem ſorg¬
loſen Feinde mit Lächeln beibringen kann! Man ver¬
ſpottet ſeine Dummheit, weil es nicht nimmer ſo
klug iſt, ſeinen eignen Vortheil dem Rechte vorzu¬
ziehen! Ich finde wahre menſchliche Bildung nur
im Pöbel, und den wahren Pöbel nur in den Ge¬
bildeten.
— Unter dem Namen Neorama wird hier ein
Rundgemälde von unglaublicher Wirkung gezeigt.
Das Ihnen bekannte Diorama ſtellt das Inwendige
der Kirchen vor, aber nur im Halbkreiſe, der Be¬
ſchauer ſtehet außer ihnen. Im Neorama aber wird
man mitten in die Kirche geſtellt. Es iſt wie Zau
berei. Man ſtehet auf dem Chore und ſiehet unter
ſich den Boden der Kirche, und auch die Säulen, die
Grabmäler, die Menſchen, und über ſich das Ge¬
wölbe. Ganz die Natur. So [lernt] man die Pauls¬
II. 5[66] kirche in London, und die römiſche Peterskirche ken¬
nen. Wie alltäglich werden doch die Zaubereien!
An der Peterskirche ſind die großen Thore offen, die
auf den herrlichen Petersplatz führen. Die Sonne
ſcheint, die Palläſte glänzen. Es war mir, als
müßte ich mich vom Chore herab ſtürzen, mich durch
die Betenden drängen, hinaus zu eilen auf den Platz,
und Brutus, Brutus! Freiheit, Freiheit! rufen.
— Haben die italieniſchen Nachrichten nicht auf
der Frankfurter Börſe eingeſchlagen? Sind nicht
die Metalliques davon geſchmolzen? Schreien die
Juden: O wai geſchrieen! Wanken die Mauern
Jeruſalems? Lächelt der Herr Baron bei ſeiner
Kolik? Sagen die Helden Lewis von den Italie¬
nern: was wollen dieGäſcht? Schreiben Sie
mir das Alles, das wird mich erquicken. Den Her¬
zog von Modena haben ſie gefangen auf der Flucht.
Ich hoffe, ſie knüpfen ihn auf. Ein Haus, worin
ſich 130 der angeſehenſten jungen Leute verſammelt,
hatte er mit Kanonen zuſammen ſchießen laſſen. Vier
und zwanzig Stunden lang hat er ſich vertheidigt,
mit der Verzweiflung eines Tyrannen, der keine
Gnade kennt. Zwei öſterreichiſche Tyroler-Regimen¬
ter, dem Herzog zum Beiſtande geſendet, ſollen ſich
mit dem Volke vereinigt haben. Der Narr, unter
allen Fürſten Europa's der einzige, hat es gewagt,
den König von Frankreich nicht anzuerkennen.
[67]
Vornehme Royaliſten ſind arretirt: Herr
von Vitrolles, von Berthier, der Erzbiſchof von Pa¬
ris. Die Regierung iſt in einer gefährlichen Lage.
Die Weigerung, die belgiſche Krone anzunehmen, die
geſtern feierlich ertheilt werden ſollte, hat man aus
Furcht vor der gereizten Stimmung des Volkes auf¬
geſchoben. Ich ſehe keine Hülfe. Die Kammer zeigt
ſich täglich erbärmlicher, und das beſſer geſinnte Mi¬
niſterium muß nachgeben, denn es kann die Majori¬
tät nicht entbehren. Gott ſchütze den König; Europa
iſt verloren auf zehen Jahre, wenn er zu Grunde
geht. Ich ſtrenge mich an, meine Furcht zu unter¬
drücken. Und mit zehen Ellen Hanf wäre der Welt
Friede, Glück und Ruhe zu geben! Ich will bald
die Malibran als Zerline ſehen; das wird mir et¬
was das Blut verſüßen. Darf ich?
5 *
Fuͤnf und dreißigſter Brief.
Geſtern fuhr ich in der Stadt herum, die
Schlachtfelder vom 13. und 14. Februar zu ſehen.
Das ganze Pariſer Volk war aus Unruhe oder Neu¬
gierde, die ganze Nationalgarde und Garniſon aus
Vorſicht auf den Beinen. Es war wie das Meer,
wenn es nach gelegtem Sturme ſchäumt. Aber zu
den zerſtörten Kirchen und Gebäuden konnte ich nicht
gelangen. Alle Plätze und Straßen, die dahin führ¬
ten, waren von Wachen umſtellt, die keinen durch¬
ließen. Der Carouſſel-Platz war ſo dicht bedeckt von
Bürgern und Soldaten, daß man kaum einen Pfla¬
ſterſtein ſah. Im Hofe der Tuillerien, der geſchloſ¬
ſen war, hielt der König Muſterung über die Natio¬
nalgarde und die Linie. Um den Triumphbogen hatte
man in aller Eile ein Gerüſte gebaut, und Arbeiter
waren beſchäftigt, unter Leitung der Behörde die gyp¬
[69] ſernen ſpaniſchen Siege des Herzogs von Angouleme
abzuſchlagen. Wachen verhinderten den Zutritt; denn
am Morgen waren welche vom Volke ſchon hinauf¬
geklettert, Frankreichs Ehrenfleck dort abzukratzen.
Von allen Kirchthürmen wurden die Kreuze abgenom¬
men, wegen ihrer unheiligen Allianz mit den Lilien.
Daß katholiſche Pfaffenthum hat in dieſen Tagen eine
große Niederlage erlitten; die Bourbons hatten nicht
viel mehr zu verlieren. Der König läßt die Lilien
aus ſeinem Wappen nehmen, die er früher als das
Erbe ſeiner Ahnen beizubehalten geſonnen war. Nun
iſt es zwar lächerlich und frevelhaft, daß Menſchen
in ihrer Zerſtörungswuth ihre kurzen Arme nach et¬
was ausſtrecken, was ſelbſt der allmächtige Gott
nicht erreichen kann — nach dem Geſchehenen,
Vollendeten; doch wo Tyrannen ſich nicht ſcheuen,
den Kindermord an der Zukunft noch zu allen ihren
Verbrechen zu fügen, da darf man das Volk nicht
tadeln, wenn es den Leichnam der Vergangenheit
aus dem Grabe holt und ihn beſchimpft. Der Ge¬
winn in dieſen Vorfällen iſt nicht eine neue Nieder¬
lage der Carliſten, denn es iſt Wahnſinn zu den¬
ken, daß dieſe je wieder ſich erheben könnten; ſon¬
dern, daß das Volk ſich wieder in ſeiner Kraft ge¬
zeigt, und der Regierung, welche die Ruhe übermü¬
thig zu machen drohte, einen heilſamen Schrecken
beigebracht hat. Und daß dieſes geſchehen, merkt man
[70] an dem nachgiebigen Tone in den Proklamationen
der Behörde. So lauteten ſie nicht im December;
denn ſo kräftig war auch damals das Volk nicht auf¬
getreten. Es war noch müde vom Juli, und hatte
wie halb im Schlafe revolutionirt. Bei alle dem
mag es ſeyn, daß die Regierung ſelbſt dieſe Ereig¬
niſſe herbeigeführt. Erſtens um die Schuld des Car¬
liſtenhauptes ſtrafreif werden zu laſſen, und zweitens,
um einen guten Vorwand zu haben, Belgien anzu¬
nehmen. Denn freilich kann jetzt die franzöſiſche Re¬
gierung zu verſtehen geben, ſie dürfe bei der gereiz¬
ten Stimmung des Volkes gar nicht wagen, Bel¬
gien abzuweiſen. Wir wollen abwarten, wie es geht.
Geſtern war ich in der italieniſchen Oper, weil
mir Jemand ein Billet dazu ſchenkte; denn ſonſt
wäre ich viel zu ſehr Pariſer Dandy dahin zu gehen,
wenn die Malibran nicht ſingt. Das Haus war nur
halb gefüllt, und von dieſer Hälfte ſchlichen ſich die
Meiſten lange vor dem Ende fort. Manchen jungen
Herrn ſah und hörte ich ſchlafen. Und doch war die
ganze Oper vortrefflich beſetzt. Madame Lalande
wäre eine glänzende Sängerin, würde ſie nicht von
der Malibran verdunkelt. Man gab Zelmire, eine
tragiſche Oper von Roſſini. Nach meinem Ge¬
fühle (denn Urtheil habe ich freilich keines in der
Muſik) Roſſinis beſte Oper, wenigſtens unter allen,
die mir bekannt ſind. Eine Muſik, ganz von Stahl,
wenn auch polirtem. Man wird einigemal an Gluck
erinnert. Dreißig Minuten hinter einander vernünf¬
tig zu ſeyn, das iſt dem lieben Roſſini freilich un¬
möglich. Hat er ſich eine halbe Stunde männlich be¬
tragen, wird ihm vor ſeiner eigenen Ritterlichkeit
bange, er lüftet das Viſir und zeigt das alte freund¬
liche Geſicht. Horaz ſagt: Man mag die Natur
mit Heugabeln hinausjagen, ſie kehrt immer wieder
zurück. Aber ſagen Sie mir, woher kommt es, daß
die Deutſchen nicht ſingen können? Es iſt wirklich
[72] kein Geſang zu nennen, wenn man es mit dem der
Italiener vergleicht. Liegt es in dem, was die Na¬
tur oder in dem was die Kunſt gibt? Fehlt es ih¬
nen an Stimme oder an Vortrag.
— Vorgeſtern habe ich mich im Gymnaſe
Dramatique nach den Geſetzen der Natur und
nach den Regeln der Kunſt zugleich gelangweilt —
als gewöhnlicher Zuſchauer aus Neigung, als Kri¬
tiker aus Pflicht. Man gab drei Stücke, alle drei
von Scribe. Zoé,ou l’amant prêté; lestrois
maîtressesou une cour d'Allemagne;la fa¬
mille Biquebourg,ou le mariage mal as¬
sorti. Ich hätte nie gedacht, daß der liebenswürdige
Scribe ſo ein verdrießlicher Menſch ſeyn könnte.
Die troi maîtresses lockten mich, weil ich hörte, es
käme eine deutſche Revolution darin vor. Eine deut¬
ſche Revolution! Ich dachte nichts Drolligeres
könne es geben auf der Welt. Aber die Revolution
hat mich geprellt, freilich viel erträglicher als andere
— nur um einige Franken. Die neueſte Zeit wurde
in eine alte Liebesgeſchichte geworfen, wie Salz in
die Schüſſel. Wenn aber das Eſſen nichts taugt,
macht es das Salz nicht beſſer. Eine franzöſiſche
Komödie iſt wie ein ewiger Kalender; ein kleiner
Ruck mit dem Finger, und aus Juli wird Auguſt,
und aus 1830 1831. Der Rahmen von Pappe
bleibt immer der nehmliche. Ein glückliches Volk die
[73] Franzoſen! Sie leben leichter als wir Deutſchen
ſterben. Hören Sie. Ein junger deutſcher Gro߬
herzog hat drei Maitreſſen — verſteht ſich in chro¬
nologiſcher Ordnung, eine nach der andern — eine
italieniſche Gräfin, eine italieniſche Sängerin und ein
deutſches Nähmädchen. Drei und dreißig und ein
drittel Prozent Patriotismus — das iſt viel an ei¬
nem Fürſten! Dieſe drei Damen lieben aber den
Fürſten nicht, ſondern einen ſeiner Offiziere, den
Grafen Rudolph, und da dieſer wegen dummer
Streiche arretirt werden ſoll, befreien und verbergen
ſie ihn. Der Offizier liebt aber nur das Nähmäd¬
chen, den Andern macht er blos den Hof. Als er
mit der Geliebten allein iſt, entdeckt er ihr, er, an
der Spitze der Cadetten-Schule, gehe mit einer Re¬
volution um, dem Volke „priviléges et franchises“
zu verſchaffen. Henriette ſucht ihn von dem gefähr¬
lichen Vorhaben abzubringen, und fragt ihn: was
dabei heraus komme? (Die Nähmädchen ſind pfiffig!)
Rudolph antwortet: „vois-tu Henriette, la liberté ...
„cela regarde tout le monde ..... on nous en
„avait promis, il y a quelques années, quand
„Napoléon avait envahi notre Allemagne et qu'on
„voulait nous soulever en masse contre lui.
„Mais dès qu'on eut repoussé le tyran, nos pe¬
„tits princes et nos petits grand-ducs, qui étai¬
„ent tous comme lui, à la hauteur près, ont
[74] „bien vite oublié leurs sermens .... quand
„quelques-uns de leurs sujets se plaignent de ce
„manque de mémoire, on les apelle sédi¬
„tieux ... et on les poursuit ... et on les
„condamne ... et ils ont tort, jusqu'au jour
„oú ils deviennent les plus forts ... et
„alors ... ils ont raison.“ Nach dieſer unver¬
ſchämten Proſa ſingt Graf Rudolph noch unver¬
ſchämtere Verſe:
Dies patriotiſche Lied wird nach der Melodie:
de la robe et les bottes geſungen. Endlich
bricht der Aufruhr los. Der Großherzog, ein jun¬
ger ſtarker Mann in Uniform, zittert — aber was
man zittern nennt, zum Umfallen. Er verliert den
Kopf und ſtammelt: „c'est ainsi que cela a com¬
[75] mencé chez mon cousin le duc de Brunswick.“
(Ich glaube Ihnen ſchon geſchrieben zu haben, daß
der leibhaftige Herzog von Braunſchweig gerade im
Theater war, als das Stück zum Erſtenmale aufge¬
führt wurde, und daß er, nach jener lieblichen An¬
ſpielung eilig das Haus verließ, aus Furcht, erkannt
und ausgelacht zu werden). Si ma garde refuse
de donner . . . . si elle fait cause commune avec
eux, mon dieu, mon dieu .... que devenir! une
sédition! .. une révolte!“ Der Fürſt jammert ſo
erſchrecklich, daß er einem alle Revolutionen verleiden
kann. Wozu? Man ſiehet, eine ausgeſtopfte Re¬
volution als Fürſtenſcheuche thät die nehmlichen Dienſte.
Des Fürſten erſte Maitreſſe, die Gräfin, eine feurige
entſchloſſene Italienerin, ſucht ihn zu beruhigen, ver¬
ſpricht ihm Rettung. Sie öffnet das Fenſter, und
ruft hinunter, der Fürſt bewillige dem Volke eine Con¬
ſtitution. Und ſogleich ſchreiet das Volk hinauf: es
lebe unſer Großherzog! Der dankbare Fürſt heira¬
thet ſeine Retterin; Rudolph heirathet ſein Näher¬
mädchen, und die italieniſche Sängerin geht zum
engliſchen Geſandten, der ſie auf den Abend einge¬
laden. So nimmt alles ein gutes Ende, und wahr¬
ſcheinlich wurden den andern Tag dem vielverſpre¬
chenden Fürſten die Pferde ausgeſpannt.
Das dritte Stück: la famille Biquebourg
(das zweite, Zoé, iſt keine zehen Tropfen Dinte
[76] werth) wäre ſo übel gar nicht, aber es iſt ſentimen¬
tal auf deutſche Art, und wenn man Franzoſen bür¬
gerliche Thränen vergießen ſieht, möchte man ſich ge¬
rade todt lachen; es gibt nichts komiſcheres. Und dann
die Vaudeville-Form, die leichten Liederchen zwiſchen
den ſchwerſten Empfindungen. Das iſt gerade das
Gegentheil von unſern deutſchen Opern. Wenn bei
uns die Sänger die Höhe einer Arie erreicht haben,
bleiben ſie ſtehen um auszuſchnaufen, und ſprechen
zu ihrer Erholung proſaiſches dummes Zeug. Die
Franzoſen aber in den Baudevillen, keuchen den pro¬
ſaiſchen Steg hinauf und oben machen ſie Halt und
ſingen, bis ihnen das Herz wieder ruhig geworden.
— Im Gymnaſe ſah ich auch die Leontine Fay
wieder, die uns vor ſieben Jahren in Kinderrollen
ſo vieles Vergnügen gemacht. Aus dem artigen
Kinde iſt eine große ſchöne und prächtige Dame ge¬
worden, aus dem Kolibri ein Vogel Strauß. Sie
ſpielt gut, auch verſtändig; aber etwas ſteif, etwas
ſchwer. Sie iſt zugleich Gouvernante und Zögling,
und ruft ſich immerfort zu: grade gehalten, Fräulein,
Sie ſind kein Kind mehr! Sie hat große herrliche
Augen, und weiß es, und damit bombardirt ſie das
Haus, daß man jeden Augenblick erwartet, es werde
zuſammen brechen. Dieſes Kokettiren gibt ihrem Ge¬
ſicht, ihrem Spiele eine ganz falſche Art. Um ihre
großen Augen zu zeigen, nimmt ſie oft eine nach¬
[77] denkende, tiefſinnige, träumeriſche Miene an, wo es
nicht hingehört. Es war etwas an ihr, das mich wie
ſchmerzlich bewegte. Ich habe ſie als gedankenloſes
Kind gekannt, aber ach! mit der Jugend verlor ſie
das Paradies, ſie hat vom Baume der Erkenntniß
gegeſſen und weiß Gutes vom Böſen zu unterſchei¬
den. Man ſollte nur Särge machen, drei Fuß lang,
damit die Menſchen ſterben müſſen, ehe ſie ausge¬
wachſen.
Verſäumen Sie ja nicht, von heute an die
Kammerſitzungen zu leſen: Das iſt höchſt wichtig
und wird noch wichtiger werden. Die Wolke iſt end¬
lich geplatzt und es ſtrömt herunter. Was man für
die Aſche des Herzogs von Berry gehalten, war die
Aſche, die ein Vulkan ausgeworfen. Das Miniſte¬
rium hat geſtern erklärt, mit dieſer Kammer wäre
nicht mehr zu regieren. Es herrſcht eine allgemeine
Misſtimmung unter dem Volke, unter der National¬
garde. Frankreich ſähe ſich getäuſcht und verlange
die Freiheit, um die es im Juli gekämpft. Wer
wird ſiegen, die Regierung oder die Kammer? Es
iſt eine gefährliche Kriſis. Ich ſehe nicht ein, wie
die Regierung ohne Staatsſtreich ſich und dem Lande
helfen kann, und ein Staatsſtreich, wenn auch für
die Freiheit, würde alles auf das Spiel ſetzen. Ich
habe das vorher geſehen und geſagt; leſen Sie nur
meine früheren Briefe nach. Eine Revolution auf¬
halten, ehe ſie von ſelbſt ſtille ſtehet, das heißt ihren
Weg verlängern, ihr Ziel entfernen. Man hat,
mehr aus einer lächerlichen Eitelkeit, als aus Poli¬
tik, ſich dem Auslande ſtark zeigen wollen. Man
wollte zeigen, daß man Herr des Volkes ſei, ſeine
Leidenſchaft meiſtern könne. Mir fiel dabei gleich
[79] anfänglich der alte Goethe ein. Als er die Nach¬
richt von dem Tode ſeines einzigen Sohnes erfuhr,
glaubte er ſeinen Schmerz zu mäßigen, wenn er ihn
verberge. Er bekam einen Blutſturz davon, der ihn
an den Rand des Grabes führte. Ich fürchte,
Frankreich bekommt einen Blutſturz. Das Herz wird
mir doch manchmal bange bei allen dieſen Geſchich¬
ten. Zwar weiß ich, wer beſiegt wird am Ende;
aber wird ein Sieger übrig bleiben? Der Despo¬
tismus, ſo blind er iſt, iſt doch rieſenſtark; und wenn
er ſeinen Untergang unvermeidlich ſiehet, wird er,
ſeinen Tod zu rächen, wie Simſon, die Säulen der
Welt umſtoßen, und mit ſich ſelbſt auch alle ſeine
Feinde begraben.
— In Berlin werden ſie noch ganz verrückt
vor Angſt und Verzweiflung. Neulich enthielt die
preußiſche Staats-Zeitung einen langen Artikel,
worin behauptet wird, Preußen ſei eigentlich der
wahre republikaniſche Staat; dort wäre der Thron
von republikaniſchen Inſtitutionen umgeben, und
Frankreich hätte nichts von der Art, und die Franzo¬
ſen ſollten ſich ſchämen, ſolche Knechte zu ſeyn. Ich
glaube, es war Malice von der preußiſchen Staats-
Zeitung, und ſie hatte es darauf angelegt, daß alle
Liberalen in Deutſchland und Frankreich vor Lachen
erſticken ſollen. Welche Zeiten! und ach, welche
Menſchen! Und ſie wiſſen recht gut, daß ſie Keinen
[80] täuſchen, am wenigſten die Preußen ſelbſt. Aber ſie
haben ſolche Freude an Lug und Trug, daß ſie den¬
ken: und wenn unter zehen Millionen Leſern, nur
zehen Dummköpfe uns glauben, es iſt immer ein
Gewinn.
— Ich habe neulich einen Brief geleſen, den
der Profeſſor Raumer in Berlin hierher geſchrieben,
über die deutſchen und franzöſiſchen Angelegenheiten,
natürlich in der Abſicht, daß er hier herum gezeigt
werde. Es iſt ein \frac{1}{113} offizieller Brief. Dieſer
Profeſſor der Geſchichte .... iſt eben Königlich
Preußiſcher Profeſſor. O! O! Sein Maasſtab für
dieſe große Zeit iſt nicht länger als ſein Ordens-
Bändchen. Und das alte Lied endiget mit dem ewi¬
gen Triller: Die Liebe der Preußen zu ihrem Kö¬
nige ſei in dieſen Tagen noch gewachſen. Und doch
ſagen ſie das ganze Jahr durch, dieſe Liebe
könne gar nicht mehr wachſen! Dieſer Raumer gibt
Briefe über die franzöſiſche Revolution heraus. Er
war damals hier, er hat alles ſelbſt mit angeſehen;
aber Schmeichler ſind ſo blind als die Geſchmeichel¬
ten. Der Herr von Raumer wird uns ſchöne Sa¬
chen erzählen!
Sechs und dreißigſter Brief.
Es lebe Italien! Es gehet alles prächtig her;
es kann in keiner Oper ſchöner ſein. Die Herzogin
von Parma, Marie Louiſe, die kleine Frau des gro¬
ßen Mannes, die nicht wie einſt Brutus Gattin Feuer
ſchluckte, ſondern ſich wie eine Wittwe von Epheſus
betrug, bekam, als ſie beim Frühſtück ſaß, von einer
Bürger-Deputation die höfliche Einladung, ſie möchte
ſich aus dem Lande begeben. Und als ſie ſich be¬
denken wollte, ſagte man ihr, das ſei gar nicht nö¬
thig, die Wagen ſtänden ſchon angeſpannt im Hofe.
Der Herzog von Modena hatte den Henkersknecht
von Reggio kommen laſſen, die Verſchwornen hinzu¬
richten. Man hat den Henkersknecht zuſammen ge¬
ll. 6[82] hauen und den Kerkermeiſter fortgetrieben. Was
fehlt? Ein bischen Muſik-Staub von Auber darauf
geſtreut und die Oper iſt fertig. Bologna, Ferrara,
Modena, Faenza, — ich möchte das Alles von der
Malibran ſingen hören. Die zehen Plagen Aegyp¬
tens werden über die neuen Pharaonen kommen, und
die frohnenden Völker werden ſich befreien. Ach!
ihr Weg geht auch über ein rothes Meer, über ein
Meer von Blut; aber es wird ſie hinüber tragen,
und ihre meineidigen Verfolger werden darin ihr
Grab finden.
— Ja wohl habe ich geleſen und gehört von
den frühzeitigen, unzeitigen und überzeitigen Dumm¬
heiten die in Baiern, vorgehen. Das hat mich be¬
trübt aber nicht gewundert. Der König von Baiern
hat zunächſt an ſeinem Throne eine vertraute Per¬
ſon, die verblendetſte, wo ſie ſelbſt rathet, die be¬
ſtechlichſte wo ſich Jemand findet, der ſie lenkt, um
ihren Herrn zu lenken — ſeine Phantaſie. Düm¬
mere Fürſten handeln bei weitem klüger. Nichts iſt
gefährlicher als Geiſt ohne Charakter, als das Genie,
dem es an Stoff mangelt. Hat das Feuer einmal
ſein Holz gefunden, bleibt es ruhig und man braucht
ſich ihm nur nicht zu nähern, um ſicher zu ſeyn.
Aber die Flamme ohne Nahrung ſtreicht hungrig um¬
her, leckt hier, leckt dort und entzündet vieles, ehe
[83] ſie ihre Beute feſthält und die Beute ſie. Die
Poeſie macht keinen Fürſten ſatt, und hat er ein
ſchwaches Herz, das nichts Kräftiges verdauen kann,
wird er ſelbſt ſchwach werden. Der König von
Baiern ſiehet zu weit. Solche Fürſten ſind wie die
Augen, ſie zucken mit den Wimpern, ſobald nur ein
Stäubchen von Gefahr ſich ihnen nähert, und wäh¬
rend der Sekunde, daß ſie die Augen verſchließen,
werden ſie betrogen auf ein Jahr hinaus. Doch be¬
kümmern wir uns um keine Fürſten, ſie haben nichts
zu [verantworten]. Es iſt eine Krankheit, einen König
haben, es iſt eine ſchlimmere, einer ſeyn. Wir wol¬
len ſie heilen und nicht haſſen. Ihre heilloſen Rath¬
geber, die müſſen wir bekämpfen.
— Von welch einem erhabenen Schauſpiele
kehre ich eben zurück! und welch eine Stadt iſt die¬
ſes Paris, wo Götter Markt halten und alltäglich
ihre Wunder feil bieten! Ich ſtand auf dem höch¬
ſten Gipfel des menſchlichen Geiſtes, und überſah
von dort das unermeßliche Land ſeines Wiſſens und
ſeiner Kraft. Ich kam bis an die Grenze des menſch¬
lichen Gebietes, da wo die Herrſchaft der Götter be¬
ginnet — ich habe eine Seeſchlacht geſehen. Der
Himmel war blau wie an Feiertagen, und mit der
ſchönſten Sonne geſchmückt. Das Meer ſchlummerte
und athmete ſanft und ward nur von Zeit zu Zeit
6*[84] vom Donner des Geſchützes aufgeſchreckt. Es war
ein Tag zu lieben und nicht zu morden. Es muß
weit ſeyn vom Himmel bis zur Erde; denn könnte
die Sonne die Gräuel der Menſchen ſehen, ſie flöhe
entſetzt davon und kehrte nie zurück! Eine Schlacht
auf dem Lande iſt ein Liebesſpiel gegen eine Schlacht
auf der See. Dort ſtirbt der Menſch nur einmal
und findet dann Ruhe in ſeiner mütterlichen Erde;
hier ſtirbt er alle Elemente durch und keine Blume
blühet auf ſeinem Grabe. Dort trinkt die Erde
warm das verſchüttete Blut; hier auf dem dürren
Boden der Schiffe ſtehet es hoch, dick, kalt. Die
Menſchen werden zerquetſcht, zerriſſen; nicht Kälber
die man ſchlachtet, werden ſo grauſam zugerichtet.
Das franzöſiſche Linienſchiff, der Scipion, auf dem
ich mich befand, war in einer ſchrecklichen Lage; wir
waren von Feuer und Rauch umgeben. Ein feindli¬
cher Brander hatte ſich angehängt und jede Minute
brachte uns dem Untergange näher. Wir erwarteten
in die Luft geſprengt zu werden. Die ganze Man¬
ſchaft eilte nach dem Verdecke und bemühte ſich durch
Beile das Schiff vom Brander los zu machen. Drei
Böte ſtachen in die See und ſuchten durch Seile den
Brander ab- und ins Weite zu ziehen. Auf dem
Schiffe und in den Böten ſtanden Offiziere, hoch
aufrecht, als fürchteten ſie eine Kanonenkugel zu ver¬
[85] fehlen und kommandirten ſo ruhig, wie der Kapell¬
meiſter im Orcheſter [kommandirt]. Und jetzt rund
umher, nah und fern in einem weiten Kreiſe, die
franzöſiſche, engliſche und ruſſiſche Flotte und dieſen
gegenüber die türkiſche. Aus den Mündungen der
Kanonen ſtürzten Feuerſtröme hervor. Das Schiff
des Admirals Codrington, halb in Trümmern mit
zerriſſenen Segeln, hat ſo eben ein türkiſches Linien¬
ſchiff in den Grund gebohrt Es ſinkt, es iſt ſchon
halb geſunken, die ganze Beſatzung gehet zu Grunde.
Die Türken mit ihren rothen Mützen, rothen Klei¬
dern und mit ihren blutenden Wunden gewähren ei¬
nen ſchauderhaften Anblick; man weiß nicht, was
Farbe, was Blut iſt. Viele ſtürzen ſich in das
Meer, ſich durch Schwimmen zu retten. Andere ru¬
dern Böte umher und fiſchen Todte und Verwundete
auf. Mehrere Schiffe fliegen in die Luft. Himmel
und Erde lächeln zu dieſen Schrecken, wie zu einem
unſchuldigen Kinderſpiele! Rechts ſiehet man auf
einer Anhöhe, Stadt und Citadelle von Navarin und
eine Waſſerleitung, die über den Berg hinziehet, er¬
innert an die altgriechiſche Zeit. Das war ein An¬
blik! Ich werde ihn nie vergeſſen. Man ſchwebt
zwiſchen Himmel und Erde, man wird zwiſchen Schre¬
cken und Bewunderung, zwiſchen Abſcheu und Liebe
gegen die Menſchen hin und her geworfen. Und wie
[86] die Leute ſagen, iſt dieſes alles nur gemalt; es iſt
das Panorama von der Schlacht bei Nava¬
rin. Ich mußte es wohl glauben, denn man kann
nicht von dem Schiffe herunter, um Alles mit den
Händen zu betaſten. Aber das Schiff, auf dem man
ſich befindet, das geſtehet man ein, iſt nicht gemalt,
ſondern von Holz und Eiſen. Es iſt ein Kriegsſchiff
von der natürlichen Größe, und in allen ſeinen Thei¬
len genau eingerichtet wie der Scipion, der in der
Schlacht von Navarin mitgekämpft. Man tritt in
das Gebäude des Panorama's und gelangt über einen
ſchmalen dunklen Gang an eine Treppe. Dieſe ſteigt
man hinauf und kommt in ein großes Zimmer, das
zwar mit allen Möbeln häuslicher Bequemlichkeit,
aber auch mit Beilen, Piſtolen, Flinten, Fernröhren,
Compaſſen und Schiffsgeräthſchaften aller Art ver¬
ſehen iſt, Das iſt das Zimmer der Offiziere. Die
bretterne Wand, welche dieſes Zimmer von einer
Batterie trennt, iſt, da die Schlacht begonnen, weg¬
genommen. Man ſiehet eine Reihe von Kanonen
und im [Hintergrunde] Matroſen beſchäftigt, einen ver¬
wundeten Kameraden vom Verdecke in den untern
Schiffsraum herabzulaſſen. Dann gehet man die
zweite Treppe hinauf und gelangt in die Wohnung
des Commandanten, Speiſezimmer, Gallerie, Schlaf¬
zimmer, Küche. Das bisherige müſſen Sie ſich den¬
[87] ken, als die zwei untern Stockwerke des Schiffsge¬
bäudes. Endlich führt eine dritte Treppe zum Ver¬
decke des Schiffes, und von dort oben ſiehet man das
Meer, die Schlacht, und was ich Ihnen beſchrieben.
Die Zuſchauer ſtehen auf dem Hintertheile des Schif¬
fes, der leer iſt, weil die ganze Mannſchaft wegen
des Branders ſich nach dem Vordertheile gedrängt.
Neulich hatte der König mit ſeiner Familie das Pa¬
norama von Navarin beſucht, und war von den Ad¬
miralen Codrington und Rigny, die in jener Schlacht
commandirt hatten, begleitet. Wer dabei hätte ſeyn
können, wie die Admirale dem König alles erklärten,
der hätte eine recht genaue Vorſtellung von der
Schlacht bekommen. Lebhaft iſt das Schauſpiel auch
ohne Erklärung.
— In meinem vorigen Briefe ſagte ich Ihnen
viel Gutes von Roſſini's Oper Zelmira und nannte
die Muſik eine ſtählerne. Heute leſe ich im Con¬
ſtitutionel: „la belle musique de la Zelmira, qui
gagne tant à être souvent [entendue], cette mu¬
sique sicuivrée, et faite pour les oreilles
allemandes, . . .“ Ich mußte lachen über das
ſauerſüße Lob! Schöne Muſik — das iſt der
Zucker; Deutſche Muſik das iſt der Eſſig;
und cuivrée das iſt das Gemiſch von Beiden;
[88]cuivrée heißt eigentlich [falſch] vergolden, mit Kupfer
vergolden. Bitte, meine Herren Franzoſen! den Rhein
möget Ihr uns nehmen; aber unſere Muſik werdet
ihr ſo gut ſeyn, uns zu laſſen. Die gehört nicht dem
deutſchen Bunde, die gehört uns, und wir werden ſie
zu vertheidigen wiſſen.
— Die italieniſche Revolution greift um ſich
wie ein Fettfleck und nicht mit der ganzen Erdkugel
wird Oeſterreich das reinigen können. Savoyen, Ty¬
roler rühren ſich. Was wird Immermann dazu ſa¬
gen? Das ſind ja ſeine treuen Tyroler, die wie
Hunde geheult an Oeſterreichs Grabe! ...
— — Daß Sie die Briefe eines Verſtorbenen
ſo unaufhörlich gegen mich in Schutz nehmen! Ich
habe dem Manne nicht im geringſten Unrecht gethan,
und habe ganz nach Gewiſſen geurtheilt. Was am
Buche zu loben iſt, habe ich gelobt; was am Ver¬
faſſer zu tadeln, getadelt. Sein Ariſtokratiſcher
Hochmuth war Ihnen entgangen, mir nicht, und jetzt
iſt die Zeit heiß, man muß ſie ſchmieden ehe ſie wie¬
der kalt wird. — Man ſagt: Don Miguel ſei ver¬
jagt, Donna Maria in Liſſabon als Königin aus¬
gerufen. Es iſt ein Herbſt der Tyrannei und die
dürren Blätter fallen — Ueber die Salons habe ich
Ihnen meine Meinung ſchon geſagt. Ich habe mehr
Neigung für Maſſen, für das öffentliche Leben. Ich
liebe die Kerzen nicht. Vergnügen fand ich nicht
viel in den Salons, in welchen ich noch war. Bleibt
das Belehrende. Aber jedes Wort, das in den Sa¬
lons geſprochen wird, beſonders über Politik, kommt
[90] den folgenden Tag in die öffentlichen Blätter, da die
Redacteure überall ihre Agenten haben, die ihnen al¬
les berichten. Ein Salon in Paris iſt nichts anders,
als eine Zeitung mit Himbeerſaft. Der Himbeerſaft
wäre freilich gewonnen; aber ändern Sie mich trä¬
gen Menſchen! — Die Kammer wird aufgelöſ't, das
Miniſterium wahrſcheinlich geändert im liberalen
Sinne, und dann wird alles beſſer gehen, und ſchnel¬
ler und die Revolution wird ihre Früchte tragen —
auch für uns. Körbe herbei!
Sieben und dreißigſter Brief.
Die Krönung Napoleons, von David gemalt,
durfte unter der vorigen Regierung nicht an das
Tageslicht; jetzt wird das Gemälde wieder gezeigt.
Was half Ihnen ihr blinder Groll? Nichts iſt doch
lächerlicher und grauſamer, als die ſtrenge Diät,
welche kranke Fürſten, die nichts vertragen können,
ihren Völkern auflegen, die alles vertragen! Sie
meinen, wenn man die Herzen faſten ließe, davon
würden die Köpfe und Arme ſchwach, und ſie wären
dann leichter zu regieren. Aber der Hunger des
Herzens ſättigt den Kopf und ſtärkt die Glieder.
Napoleons Bild kehrte nach fünfzehn Jahren zurück,
und die Bourbons werden ewig verbannt bleiben —
— gewiß ewig; denn am dritten Schlagfluſſe ſtirbt
der Menſch, und wenn er auch ein König iſt. Ich
ſah geſtern das Gemälde, es hat ſehr gelitten; Farbe,
[92] Zeit, Bewunderung, alles iſt verblichen. Es ließ
mich ſo kalt, als ſähe ich eine [Abbildung] von der
Arke Noäh, in die mit hängenden Ohren alles ehe¬
gepaarte Vieh zieht. Der Maler war nicht begei¬
ſtert, ſo wenig als jene Zeit, ſo wenig als Napoleon
ſelbſt, ſo wenig als das Volk, das ihn umgibt; es
iſt eine vielfarbige glänzende Leerheit. Das Gemälde
iſt von ſolcher Ausdehnung, daß es in dem kleinen
Theater, wo man es ſiehet, den Vorhang bildet.
Es enthält mehr als als ſechzig Figuren in Lebens¬
größe, alle Portraits. Der Moment iſt gewählt, wo
Napoleon der vor ihm knieenden Kaiſerin die Krone
aufſetzt. Er kniet vor nichts, nicht vor ſeinem Gotte,
nicht vor ſeinem Glücke; weder Triumph iſt in ihm,
noch Demuth. Es iſt eine Krönung, wie die eines
markloſen Erbfürſten. Nichts als Weiber, Pfaffen
und goldene Knechte. Gibt es etwas Lächerlicheres,
als daß ſich Napoleon in der Kirche Notre-Dame von
einer angſt-zitternden Geiſtlichkeit Brief und Siegel
darüber geben ließ, daß er ein Held geweſen? Gibt
es etwas Herzempörenderes, als dieſe Hochzeit, zwi¬
ſchen dem Manne des Lebens und der Leiche der
Vergangenheit? Napoleon hätte ſich zu Pferde ſol¬
len krönen laſſen, ſich die Krone hinaufreichen laſſen,
nicht herabreichen. Er ſollte den Thron zieren, der
Thron nicht ihn. Keiner von jenen Soldaten war
anweſend, die ihn ſo groß gemacht; nichts als Schlep¬
[93] penträger und Hofhanswürſte. Man hätte gerne ge¬
ſehen, daß ſeine Marſchälle ſich ſtolz auf ihre Schwer¬
ter ſtützten und mit unterdrücktem Spotte auf die ge¬
fälligen Cardinäle blickten. Aber ſie trugen Degen
wie die Kammerherren, und waren geputzt wie die
Hofnarren. Die Portraits ſind alle geiſtreich, das
iſt wahr: aber es hat Jeder ſein eigenes Geſicht,
Keiner ein Krönungsgeſicht. Jeder ſucht ſeine Ge¬
fühle zu unterdrücken, das ſiehet man deutlich. Herz
und Augen gehen weit aus einander.
Unter allen Figuren waren nur drei, die mich
anzogen. Napoleons Schweſter, damals Großher¬
zogin von Berg, ſpäter Königin von Neapel. Sie
ſiehet ihrem Bruder ganz ungemein ähnlich, nur ſind
ihre Züge edler und zeigen den ſchönen Stolz des
Sieges, den man in den Zügen des Kaiſers verge¬
bens ſucht. Dann: der Papſt. Er ſitzt ſo bedeu¬
tend abgeſpannt und duldend in ſeinem Seſſel, wie
eine gläubige und kränkliche Seele, die Gott nicht
blos anbetet in dem, was er thut, ſondern auch in
dem, was er nicht thut, geſchehen läßt. Endlich
Talleyrand. Ich habe ihn nie geſehen, nicht einmal
gemalt. Ein Geſicht von Bronze, eine Marmor¬
platte, auf der mit eiſernen Buchſtaben die Nothwen¬
digkeit geſchrieben iſt. Ich habe nie begreifen kön¬
nen, wie noch alle Menſchen aller Zeiten ſo dieſen
Mann verkannt! Daß ſie ihn geläſtert, iſt ſchön, aber
[94] ſchwach, tugendhaft, aber unverſtändig; es macht der
Menſchheit Ehre, aber nicht den Menſchen. Man
hat Talleyrand vorgeworfen, er habe nach und nach
alle Partheien, alle Regierungen verrathen. Es iſt
wahr, er ging von Ludwig XV. zur Republik, von
dieſem zum Direktorium, von dieſem zum Conſulat,
von dieſem zu Napoleon, von dieſem zu den Bour¬
bonen, von dieſen zu Orleans über, und es könnte
wohl noch kommen, ehe er ſtirbt, daß er wieder von
Louis Philipp zur Republik überginge. Aber verra¬
then hat er dieſe Alle nicht, er hat ſie nur verlaſſen,
als ſie todt waren. Er ſaß am Krankenbette jeder
Zeit, jeder Regierung, hatte immer die Finger auf
dem Pulſe, und merkte es zuerſt, wenn ihr das Herz
ausgeſchlagen. Dann eilten er vom Todten zum Er¬
ben; die Andern aber dienten noch eine kurze Zeit
der Leiche fort. Iſt das Verrath? Iſt Talleyrand
darum ſchlechter, weil er klüger iſt als Andere, weil
feſter, und ſich der Nothwendigkeit unterwirft? Die
Treue der andern währte auch nicht länger, nur ihre
Täuſchung währte länger. Auf Talleyrands Stimme
habe ich immer gehorcht, wie auf die Entſcheidung
des Schickſals. Ich erinnere mich noch, wie ich er¬
ſchrack, als nach der Rückkehr Napoleons von Elba
Talleyrand Ludwig XVIII. treu geblieben. Das ver¬
kündigte mir Napoleons Untergang. Ich freute mich,
als er ſich für Orleans erklärte; ich ſah daraus daß
[95] die Bourbons geendet. Ich möchte dieſen Mann in
meinem Zimmer haben; ich ſtellte ihn wie einen Ba¬
rometer an die Wand, und ohne eine Zeitung zu
leſen, ohne das Fenſter zu öffnen, wollte ich jeden
Tag wiſſen, welche Witterung in der Welt iſt.
Talleyrand und Lafayette ſind die zwei größten
Charaktere der franzöſiſchen Revolution, jeder an ſei¬
ner Stelle. Auch Lafayette weiß Seyn vom Schein,
Leben vom Tode zu unterſcheiden; aber jedes Grab
war ihm eine Wiege, und er verließ die Geſtorbenen
nicht. Er glaubt an eine Fortdauer nach dem Tode,
an eine Seelenwanderung der Freiheit; Talleyrand
glaubt nur, was er weiß. Wäre nur Napoleon wie
Talleyrand geweſen! Da er nur der Zeit zu dienen
brauchte, keinen Menſchen, weil er ſelbſt der Höchſte
war: hätte er mit beſſerer Einſicht ſich ſelbſt beſſer
gedient, er wäre noch auf dem Throne der Welt.
Was habe ich dem Keiſer nicht alles geſagt! Heine
hätte es hören ſollen! Ich war allein im Saale,
und ſtellte mich mit verſchränkten Armen vor ihn hin,
wie er es zu thun pflegte. Ich wollte ihn damit
verſpotten, und Narr! habe ich ihn geheißen.
Ich hätte ihn Böſewicht nennen können, aber das
hätte ihn nicht beleidigt. Nein, nie verzeihe ich dem
Manne, was er ſich ſelbſt gethan, wollte ich ihm auch
verzeihen, was er der Welt gethan. Sich mit der
Gemeinheit zu beſudeln, und ſich aus Eitelkeit mit
[96] Schmutz zu bedecken, um ſich einen Schein von [ab¬
genutztem] Alter zu geben! Er hat die Freiheit um
ihre ſchönſten Jahre gebracht, er hat ſie um ihre
Jugend betrogen, und jetzt muß ſie mit grauen
Haaren noch auf der Schulbank ſitzen, und erſt ler¬
nen, was ſie längſt könnte vergeſſen haben. Ehe ich
ging, lachte ich ihm noch einmal freundlich zu. Für
die Dummheit, die du Andere begehen machteſt, will
ich dir deine eigne verzeihen. Du warſt der ſtarke
eiſerne Reif, der die Faßdauben der Welt zuſammen
gehalten. Und die Narren-Fürſten haben dich zer¬
ſchlagen, und gleich hat der gährende Wein das Faß
aus einander geſprengt, und ſchweres Holz iſt an
hohle Schädel gefahren! Das war ſchön.
Von Napoleons Krönung weg, ging ich zu einem
andern Schauſpiel, das meinem Herzen wohler that.
Ich beſuchte den edlen Medor. Wenn man auf
dieſer Erde die Tugend mit Würden belohnte, dann
wäre Medor der Kaiſer der Hunde. Vernehmen Sie
ſeine Geſchichte. Nach der Beſtürmung des Louvres
im Juli begrub man auf dem freien Platze vor dem
Pallaſte, auf der Seite, wo die herrlichen Säulen
ſtehen, die in der Schlacht gebliebenen Bürger. Als
man die Leichen auf Karren legte, um ſie zu Grabe
zu führen, ſprang ein Hund mit herzzerreißendem
Jammer auf einen der Wagen, und von dort in die
große Gr[u]be, in die man die Todten warf. Nur
[97] mit Mühe konnte man ihn heraus holen; ihn hätte
dort der hinein geſchüttete Kalk verbrannt, noch ehe
ihn die Erde bedeckt. Das war der Hund, den das Volk
nachher Medor nannte. Während der Schlacht ſtand
er ſeinem Herrn immer zur Seite, er wurde ſelbſt
verwundet. Seit dem Tode ſeines Herrn verließ er
die Gräber nicht mehr, umjammerte Tag und Nacht
die hölzerne Wand, welche den engen Kirchhof ein¬
ſchloß, oder lief heulend am Louvre hin und her.
Keiner achtete auf Medor, denn keiner kannte ihn
und errieth ſeinen Schmerz. Sein Herr war wohl
ein Fremder, der in jenen Tagen erſt nach Paris ge¬
kommen, hatte unbemerkt für die Freiheit ſeines Va¬
terlandes gekämpft und geblutet, und war ohne Na¬
men begraben worden. Erſt nach einigen Wochen
ward man aufmerkſamer auf Medor. Er war ab¬
gemagert bis zum Gerippe und mit eiternden Wun¬
den bedeckt. Man gab ihm Nahrung, er nahm ſie
lange nicht. Endlich gelang es dem beharrlichen Mit¬
leid einer guten Bürgersfrau, Medors Gram zu lin¬
dern. Sie nahm ihn zu ſich, verband und heilte
ſeine Wunden, und ſtärkte ihn wieder. Medor iſt
ruhiger geworden, aber ſein Herz liegt im Grabe bei
ſeinem Herrn, wohin ihn ſeine Pflegerin nach ſeiner
Wiederherſtellung geführt, und das er ſeit ſieben
Monaten nicht verlaſſen. Schon mehrere Male
wurde er von habſüchtigen Menſchen an reiche Freunde
ll. 7[98] von Seltenheiten verkauft; einmal wurde er dreißig
Stunden weit von Paris weggeführt; aber er kehrte
immer wieder zurück. Man ſiehet Medor oft ein
kleines Stück Leinwand aus der Erde ſcharren, ſich
freuen wenn er es gefunden, und dann es wieder
traurig in die Erde legen und bedecken. Wahrſchein¬
lich iſt es ein Stück von dem Hemde ſeines Herrn.
Gibt man ihm ein Stück Brod, Kuchen, verſcharrt
er es in die Erde, als wollte er ſeinen Freund im
Grabe damit ſpeiſen, holt es dann wieder heraus,
und das ſiehet man ihn mehrere Male im Tage
wiederholen. In den erſten Monaten nahm die
Wache von der Nationalgarde beim Louvre jede Nacht
den Medor zu ſich [in] die Wachtſtube. Später ließ
ſie ihm auf dem Grabe ſelbſt eine Hütte hinſetzen,
und folgende Verſe darauf ſchreiben, die beſſer ge¬
meint als ausgeführt ſind:
Medor hat ſchon ſeinen Plutarch gefunden, ſeine
Rhapſoden und Maler. Als ich auf dem Platz vor
dem Louvre kam, wurde mir Medors Lebensbeſchrei¬
bung, Lieder auf ſeine Thaten und ſein Bild feil
geboten. Für zehen Sous kaufte ich Medors ganze
[99] Unſterblichkeit. Der kleine Kirchhof war mit einer
breiten Mauer von Menſchen umgeben, Alle arme
Leute aus dem Volke. Hier liegt ihr Stolz und
ihre Freude begraben. Hier iſt ihre Oper, ihr Ball,
ihr Hof und ihre Kirche. Wer nahe genug herbei
kommen konnte, Medor zu ſtreicheln, der war glück¬
lich. Auch ich drang mich endlich durch. Medor iſt
ein großer weißer Pudel, ich ließ mich herab, ihn
zu liebkoſen; aber er achtete nicht auf mich, mein
Rock war zu gut. Aber nahte ſich ihm ein Mann
in der Weſte, oder eine zerlumpte Frau und ſtrei¬
chelte ihn, das erwiederte er freundlich. Medor weiß
ſehr wohl, wo er die wahren Freunde ſeines Herrn
zu ſuchen. Ein junges Mädchen, ganz zerlumpt,
trat zu ihm. An dieſem ſprang er hinauf, zerrte es,
ließ nicht mehr von ihm. Er war ſo froh, es war
ihm ſo bequem, er brauchte um das arme Mädchen
etwas zu fragen, es nicht wie eine vornehme ge¬
putzte Dame, ſich erſt niederlaſſen, am Rande des
Rockes zu faſſen. An welchem Theile des Kleides er
zerrte, war ein Lappen der ihn in den Mund paßte.
Das Kind war ganz ſtolz auf Medors Vertraulichkeit.
Ich ſchlich mich fort, ich ſchämte mich meiner Thrä¬
nen. Wenn ich ein Gott wäre, ich wollte viele Freu¬
den unter die armen Geſchöpfe der Welt vertheilen;
aber die erſte wäre: ich weckte Medors Freund wie¬
der auf. Armer Medor! .. Könnte ich den treuen
7*[100] Medor nur einmal in die Deputirten-Kammer locken!
Hörte er dort die Verhandlungen dieſer Tage, ver¬
nähme er, ſein guter Herr hätte nie können Depu¬
tirter werden, weil er nicht 750 Franken Steuern
bezahlt, er, der doch ſein Blut dem Vaterlande ge¬
ſteuert — wie würde er bellen, wie würde er dem
jämmerlichen Düpin und den Andern allen in die
Beine fahren! —
Ich empfehle Ihnen das Buch: Théâtre de
Clara Gazul,Comédienne Espagnole, von Mé¬
rimée. Der Verfaſſer hat ſich nicht genannt. Er
nimmt den Schein an, als wären die Komödien aus
dem Spaniſchen überſetzt. Es ſind eigentlich nur
Skizzen und Scenen: aber mit großer Kunſt werden
durch wenige Striche ganze Charaktere gezeichnet, und
mit ein wenig Roth und Gelb, die glühendſten ſpa¬
niſchen Naturen treu gemalt. Man kann ſich nichts
Liebenswürdigeres denken. Der Verfaſſer hat eine
unbeſchreibliche Grazie, eine Phantaſie gleich einer
Lerche, wenn ſie in der Abenddämmerung um grüne
Kornfelder fröhliche Kreiſe zieht. Es ſind Komödien,
wild wie junge Mädchen; aber wie wohlgezogne; ſie
ſind ſittſam dabei und erröthen leicht. Der Dichter
hat, was die Deutſchen Ironie nennen, und was ich
noch bei keinem Franzoſen gefunden. Seine Ironie
iſt wie die unſere, nur geflügelter. Und was in den
Dichtungen fehlt, macht ſie ſo ſchön, als das, was
ſie beſitzen; es ſind reizende Nachläſſigkeiten.
Geſtern habe ich Comte's Kindertheater be¬
ſucht, oder wie es jetzt eigentlich heißt: Théâtre des
jeunes Acteurs. Es iſt lange nicht mehr ſo artig,
als es vor mehreren Jahren war, da wir es geſehen.
[102] Die damaligen Kinder ſind ſeitdem lange Jungen und
Mädchen geworden, meiſtens treten bejahrte Perſonen
auf, und die wenigen Kinder ſpielen zu altklug. Mich
lockte eigentlich ein Stück, von dem man ſeit einiger
Zeit viel geſprochen, ein buckliges Luſtſpiel. Es heißt:
Mayeux ou le bossu à la mode. Mayeux
iſt eine Pariſer Volks-Tradition von einem geiſtrei¬
chen Buckel, dem man alle mögliche guten Einfälle
aufgebürdet! Ich weiß nicht, ob ein ſolcher Mayeux
wirklich einmal gelebt, oder ob er blos ein Geſchöpf
der Phantaſie iſt. Aber ſeit der letzten Revolution
wurde dieſer Mayeux wieder aus der Vergeſſenheit
hervorgerufen, und man legte ihm in Liedern und
Bildern die witzigſten Worte in den Mund. Das
Vaudeville, von welchem hier die Rede, iſt mit Geiſt
und Laune geſchrieben; auch haben nicht weniger als
drei dramatiſche Dichter daran gearbeitet. Mayeux
iſt ein kleiner verwachſener Kerl, voll ſcharfer, doch
gutmüthiger Laune, der im Juli mitgefochten, und
trotz ſeiner verkrüppelten Geſtalt als Grenadier unter
der Nationalgarde dient. Es gehört nun viel Fein¬
heit und Gewandtheit dazu, dieſen Charakter und
dieſe Misgeſtalt ſo zu behandeln, daß er Lachen er¬
regt, ohne ſich lächerlich zu machen. Davor müſſe
man ſich hüten; denn das wäre auf die Revolution
und auf die Nationalgarde zurück gefallen. Den Ver¬
faſſern iſt es gelungen. Aber es wurde bei Comte
[103] gar zu ſchlecht geſpielt, und ich konnte es nicht zu
Ende ſehen. Die Misgeſtalt Mayeux's wurde ſo
karrikirt, daß ſie widerlich wurde. Auch ein Bu¬
ckel hat ſeine äſthetiſchen Regeln, die man nicht über¬
treten darf. Was mich in dieſem Theater am mei¬
ſten ergötzt, war der Jubel der hundert Kinder in
ihren weißen Häubchen, und deren Mütter, und die
tauſend Küſſe den ganzen Abend, und die unzähligen
Stangen Gerſtenzucker, die der Conditorjunge abſetzt.
Aber wie kömmt es, daß auch Kinder lachen, gleich
den Erwachſenen, ſie, denen doch noch alles ernſt und
wahr erſcheint; und die keinen Widerſpruch und kei¬
nen Zufall unterſcheiden? Ich begreife das nicht.
Es hat gewiß ſeine Erklärung; aber ich als Gelehr¬
ter darf das vergeſſen haben. Doch Sie, unwiſſende
Freundin, müſſen es wiſſen. Erklären Sie mir,
warum Kinder lachen?
— Bald wird das Eis überall brechen, nach
und nach, und es wird eine tolle Wirthſchaft geben.
Ich ſehe es für ein Glück an, daß jetzt eine ſo feind¬
liche Spannung zwiſchen der franzöſiſchen Kammer
und der Regierung eingetreten iſt, daß ein gefährli¬
ches Mißbehagen ſich im ganzen Lande zeigt; denn
Frankreich kann nur durch einen Krieg von innerem
Verderben gerettet werden. Es mögen entſcheidende
Dinge ſich bereiten.
Die engliſchen Blätter, die nicht blos vernünf¬
[104] tig über die Sache ſprechen — heute müßte einer
dumm ſeyn, der nicht vernünftig wäre — ſondern
auch kalt, weil ſie der Krieg unmittelbar nichts an¬
geht, ſagen, der Krieg wäre unvermeidlich. Die
zwei [Prinzipien], welche die Welt beherrſchen, Freiheit
und Tyrannei, ſtänden ſich feindlich einander gegen¬
über, und an eine friedliche Ausgleichung wäre nicht
zu denken; denn nie würden abſolute Fürſten ihren
Völkern gutwillig liberale Inſtitutionen geben. Und
ſo iſt es. Tauſendjährige Leidenſchaften, Vorurtheile,
von ſo alten und tiefen Wurzeln, zerſtört man nicht
ſo leicht, nicht einmal dann, wenn ſelbſt die, die ſie
haben, von ihnen befreit ſeyn möchten. Der Menſch
[i]ſt nicht frei, auch der beſte nicht. Er kann alles
lernen wollen, aber nichts vergeſſen, und ſo lange
Kopf und Herz vom Alten beſetzt ſind, findet das
Neue keinen Platz. Darum Krieg! —
Acht und dreißigſter Brief.
— Der Geiſt freier Unterſuchung und der Op¬
poſition hat ſich hier ſo mächtig entwickelt, daß er
ſogar bis in die Schulen gedrungen iſt. Im College
Henri IV (nach deutſchem Ausdrucke ein Gymnaſium)
werden von den Schülern zwei handſchriftliche Jour¬
nale redigirt, die in den Schulzimmern täglig cirku¬
liren. Das eine Journal: le lycéen genannt,
kämpft unter Racine's Fahne, alſo für die klaſſiſche
Literatur; das Andere mit dem Titel: le cauche¬
mar, ſtreitet unter der Fahne Victor Hugo's. Die
romantiſche Literatur mit dem Worte cauchemar
(das Alpdrücken) zu bezeichnen, iſt eine geiſtreiche
Naivetät, und die Feinde der Romantik hätten nichts
Beſſeres erfinden können. Dieſe Zeitungen enthal¬
ten nun zwar literäriſche Gegenſtände, aber am
Schluſſe des Blattes werden auch freimüthige Be¬
[106] merkungen über Lehrer und Profeſſoren hinzugeſetzt.
Das hat die Schulobrigkeit übel genommen und ſie
hat den rédacteur en chef du Lycéen aus
der Schule [entfernt]. Die Zöglinge klagen, das wäre
eine offenbare Verletzung der Preßfreiheit! Ich habe
über dieſen komiſchen Kinder-Liberalismus herzlich
lachen müſſen. Die kleinen Jakobiner haben es hier
noch gut. Ihre höchſte Strafe iſt, daß man ſie nach
Hauſe zu ihren Eltern ſchickt, wo ſie, ſtatt über den
Büchern zu ſitzen, den ganzen Tag frei umher lau¬
fen und ſpielen dürfen. Im Oeſterreichiſchen würde
man ſolche anarchiſche Buben, als Trommelſchläger
und Pfeifer unter die Soldaten ſtecken Wenn ſich
die Kinder hier unter einander ſtreiten und zanken,
ſchimpfen ſie ſich CharlesX. und Polignac. O!
es iſt eine böſe Welt.
— Oeſterreich! ... Es muß eine Wonne ſeyn,
dieſer fluchwürdigen Regierung auf einem Schlacht¬
felde der Freiheit gegenüber zu ſtehen! Es muß eine
tugendhafte Schadenfreude ſeyn, der dumm-verzagten
Welt zu beweiſen, das Gott mächtiger iſt als der
Teufel! Die heiße Wuth eines Tyrannen wie Don
Miguels kann meine Nerven in Aufruhr bringen;
aber nie vermochte ſie meine innere unſterbliche Seele
ſo zu empören, als es die kalte abgemeſſene Tücke
Oeſterreichs thut, das, ohne Leidenſchaft, gleich Goe¬
the's Mephiſtofeles, die Menſchen verführt oder ver¬
[107] dirbt, nur um zu zeigen, daß es keine Tugend gibt,
daß die Tugend ohnmächtig ſei dem Böſen zu wider¬
ſtehen. Geſtern ſtand eine Geſchichte im Courier
Français, die ich Ihnen mittheile, und zwar über¬
ſetzt; ich muß die Probe meiner Augen machen, ich
muß mich überzeugen, daß ich nicht falſch geleſen.
Behandlung der Staatsgefangenen
in Brünn.
Ein junger Italiener, Herr Maronelli, aus ſei¬
nem Vaterlande verbannt, und verſtümmelt durch die
Marter, die er in den öſterreichiſchen Gefängniſſen erdul¬
det, iſt ſo eben in Paris angekommen. Die Qualen,
welche er erlitten, die, welche ſeine Leidesgefährten noch
ertragen, würden, wenn dieſes noch nöthig wäre, den
Abſcheu der Italiener gegen die öſterreichiſche Re¬
gierung, und ihre Anſtrengungen ein verhaßtes Joch
abzuſchütteln, vollkomen rechtfertigen. Maronelli
ward wegen eines Briefes angeklagt, den er ſeinem
Bruder geſchrieben, einem jungen Arzte, der von
Griechenland, wo er den Hellenen den Beiſtand ſei¬
ner Kunſt angeboten, zurückgekehrt. Das geheime
Tribunal von Mailand glaubte darin unter einer ſinn¬
bildlichen Form den Ausdruck eines verſteckten Wun¬
ſches für die Freiheit zu erkennen. Der junge Pa¬
triot wird arretirt, gerichtet, und auf das Zeugniß
[108] dieſes einzigen Briefes zum Tode verurtheilt. Aber
vor dieſem Spruche, nachdem er gefällt, entſetzten ſich
die Richter ſelbſt, und verwandelten die Todesſtrafe
in zwanzigjähriges hartes Gefängniß. Herr von
Maronelli wird mit vier ſeiner Freunde nach der
Feſtung Brünn geführt, wo zwanzig andere italieniſche
Patrioten ihnen bald nachkommen. Das Gefängniß
iſt voll gepfroft, und man entſcheidet, daß der jüngſte
in den Keller geworfen werden ſoll. Hier, auf feuch¬
ter Erde, bringt Maronelli, einſam, ohne Verbindung
mit irgend einem Menſchen, ein ganzes Jahr zu. —
Er war dem Tode nahe, als ein anderer Verurtheil¬
ter, der ſein Kerkerloch mit einem Leidensgenoſſen
theilte, ſtarb. Maronelli kommt an ſeinen Platz.
Er hat endlich einen Freund zur Seite; aber ſeine
phyſiſchen Leiden haben nicht aufgehört. Eine Eis¬
kälte durchdringt ihn; eine eckelhafte Nahrung richtet
ſeine Geſundtheit vollends zu Grunde; ſeine Glieder
werden ſteif; ſein linkes Bein, durch den ſchweren
Ring, der zwanzigpfündige Ketten zuſammenhält, eng
umſchnürt, ſchwillt auf eine fürchterliche Weiſe auf;
bald zeigt ſich der Brand, man muß das Bein ab¬
ſchneiden! Aber der Gouverneur ſagt kalt, indem
er das kranke Bein, deſſen geſchwollenes Fleiſch den
eiſernen Ring ganz bedeckte, [nachläſſig] in der Hand
wiegt: man hat uns einen Gefangenen mit zwei
Beinen geſchickt, wir können ihn nicht mit einem
[109] Beine wieder abliefern. Man muß erſt nach Wien
ſchreiben, und um die Gnade der Operation bitten,
die jede Verzögerung tödtlich machen kann. In vier-
und zwanzig Stunden könnte man Antwort haben,
aber ſie läßt vierzehn Tage auf ſich warten. End¬
lich wird die Operation im Kerker, wo der Gefan¬
gene acht Jahre geſchmachtet hat, vorgenommen.
Der Gefängniß-Barbier nimmt das verfaulte Bein
über das Knie ab, und einige Zeit darauf wird Ma¬
ronelli in Freiheit geſetzt. Der junge Patriot auf
zwei Krücken gehend, kehrt nach ſeinem Vaterlande
zurück, er wird aber hinausgeſtoßen. Er wendet ſich
nach Rom, Rom verweigert ihm den Aufenthalt.
Der Großherzog von Florenz will ihn dulden, aber
der öſterreichiſche Geſandte läßt ihn fortjagen. Ma¬
ronelli findet in Frankreich eine Freiſtätte, und bald
wird er es verlaſſen, ſein verjüngtes [Vaterland] wie¬
der zu ſehen. Von den fünf und zwanzig Verur¬
theilten, die nach und nach Maronelli's Kerker theil¬
ten, ſind zwei Vicomte, Oraboni und M. A. Villa
vor Hunger geſtorben! Wir übertreiben nicht, es iſt
die Wahrheit. Eine mit Unſchlit zubereitete Suppe,
zwei kleine Stücke Brod von Fingersdicke, und ein
Lappen verdorbenes Fleiſch machen noch heute die ein¬
zige Nahrung der Gefangenen aus. Vergebens
erbaten ſie ſich als eine Gnade, daß man aus ihrer
ekelhaften Suppe wenigſtens den Talg weglaſſe; man
[110] antwortete ihnen, das ſei die Nahrung von zwei bis
dreihundert Galeeren Sclaven, und man könne für
ſie keine Ausnahme machen. Von dem Gelde, das
ihnen ihre Familien ſchickten, erhalten die Gefange¬
nen keinen Heller. Gegenwärtig befinden ſich noch
neun Italiener in Brünn, worunter der Graf Gon¬
falonieri, der an jedem Jahrestage ſeiner Verurthei¬
lung fünf und zwanzig Stockſchläge bekommt.
— Saphir fängt künftige Woche Vorleſungen
an, nach Art derjenigen, die er in München gehalten.
Ich theile Ihnen einige gute Einfälle aus ſeinem
Proſpectus mit. „Frankreich iſt mir eine Entſchädi¬
„gung ſchuldig; ich komme, ſie einzukaſſiren, nicht
„mit dem Degen, aber mit der Feder in der Hand ...
„Die drei ruhmvollen Tage Frankreichs haben viele
„ſchlafloſe Nächte in Deutſchland hervorgebracht ....
„ich wurde allergnädigſt verbannt, und es wurde mir
„huldreichſt angewieſen, binnen drei Tagen Witz und
„Land zu verlaſſen. Zum Glücke waren weder Witz
„und Land ſo groß, um dieſes in drei Tagen nicht
„mit aller Bequemlichkeit bewerkſtelligen zu können.
„Ich ſchnürte meine Satyre und ging. ... Zuerſt
„hatte ich die Idee, nach Rußland zu gehen, weil
„man noch kein Beiſpiel hat, daß je ein freimüthiger
„Schriftſteller von dort verbannt wurde, und zwar
„aus dem einfachen Grunde, weil nie einer dort
„lebte. Allein Perſonen, welche die Knute und die
„Cholera morbus aus näherem Umgange kennen,
„verſicherten mich, daß dieſe zwei ruſſiſchen Geſell¬
„ſchaftsſpiele keinen beſondern Sinn für Witz und
„Poeſie haben. Ich nahm mir alſo vor, die Pre߬
„freiheit perſönlich kennen zu lernen, und kam nach
[112] „Paris, welches die eigentliche Eſſigmutter meiner
„ſauern Tage in Deutſchland war .... Ich habe
„ein gegründetes Recht auf eine Entſchädigungsklage,
„allein alles Klagen iſt kläglich. Ich will es alſo
„lieber verſuchen, den Pariſern deutſche Vorleſungen
„zu halten.“
— Ich zittere, wie Sie, für die Polen, und
bin auf das Schlimmſte gefaßt. Aber den Ruſſen
würde dieſer Sieg verderblicher ſeyn, als es ihnen
eine Niederlage wäre. Der erhabene Nikolaus würde
dann übermüthig werden, und glauben, mit Frankreich
wäre eben ſo leicht fertig zu werden, als mit den
Polen, man brauche nur energiſch aufzutreten. Wehe
dem armen Deutſchland, wenn die Ruſſen ſiegen.
Neun und dreißigſter Brief.
Die Romane des Paul de Kock, die man Ih¬
nen empfohlen und von welchen Sie mir neulich ge¬
ſchrieben, habe ich ſeitdem kennen gelernt. Ein präch¬
tiger Mann! Trotz den vielen Sorgen und Mühen,
die mir jetzt Europa macht, habe ich in vier Tagen,
in meinen kurzen Friedens-Stunden, acht von ſeinen
funfzig Bänden geleſen. Aber das iſt genug für uns
beide. Nur in Paris kann man Kocks Romane mit
Luſt leſen, draußen verlieren ſie ihren Werth. Mir
haben ſie viele Freude gemacht. Man lernt darin
die Sitten der Pariſer Klein-Bürger kennen, mit wel¬
chen ein Fremder, ſo wenig als die eingebornen Pari¬
ſer der höhern Stände ſelbſt, im Leben in gar keine
Berührung kommt. Wenn Jouy in ſeinem Hermite
de la Chaussée-d'Antin Scenen aus der Pariſer
kleinen Welt ſchildert, ſcheint er dabei ſo weit her¬
II. 8[114] gekommen, holt er dabei ſo weit aus, als beſchreibe
er Sitten und Gebräuche der Hottentotten. Eine
ganze Reiſebeſchreibung ſchickt er voraus, erzählt wie
er in früher Jugend — Jugend hat keine Tugend —
aus Uebermuth und Zufall in das ferne wilde Land
gerathen; kurz, gibt ſich die größte Mühe zu er¬
klären und zu entſchuldigen, daß er, ein feiner Mann
der großen Welt, einige Male ein grobes Bürger¬
haus beſucht. In Paris ſind die Straßen Provin¬
zen, und man lernt viel Geographie und Statiſtik
aus Kocks Romanen. Es gehen an uns vorüber:
un riche passementier de la rue St. Martin —
un riche épicier de la rue aux ours — un table¬
tîer de la rue St. Denis — un parfumeur de
la rue St. Avoie — mit Weibern, Töchtern, Kin¬
dermädchen, Kommis. Und ihre Sonntags-Partieen
auf das Land und ihre Hochzeiten, ihre Galanterien,
ihre Intriguen. Die Liebe ſpielt natürlich eine Haupt¬
rolle wie in allen Romanen. Aber es iſt keine deut¬
ſche Liebe, keine Liebe unſeres Lafontaine's, die noch
heißer iſt als der Kochbrunnen zu Wiesbaden; ſon¬
dern es iſt eine angenehme warme Liebe, welche die
natürliche Blutwärme des Herzens nie überſteigt.
Monsieur Paul de Kock ſagt: „c'est une bien
jolie chose d'aimer et d'être aime.“ — dabei
kann man ſich nicht verbrennen. Und Philoſophie
hat er auch, Lebens-Philoſophie! Zwar gibt er uns
[115] nicht wie Goethe im Wilhelm Meiſter Lehrbriefe mit
Trüffeln; aber es iſt eine recht kräftige Philoſophie,
bürgerlich zubereitet. Man kan von ihm lernen. So
ſagt er einmal, die Ehen wären tauſendmal beſſer
und ſchöner als ſie ſind, wenn nicht Mann und Frau
einen großen Theil des Tages in ſo nachläſſiger
Kleidung vor einander erſchienen. Das Kind Amor
fürchte ſich vor baumwollenen Nachtmützen und un¬
gewaſchenen Morgenhauben; bei den Weibern nehme
mit der Liebe die Sorge für ihren Putz ab. Er
gibt uns jungen Leuten die Lehre: „Jeunes gens,
méfiez-vous de votre maîtresse, lorsque vous la
verrez venir en papilottes au rendez-vous que
vous lui auriez donné.“ Rock iſt die Wonne der
Pariſer Nähmädchen; auch iſt das Papier ganz weich
von den vielen Händen und Thränen und kein Band
in der Leihbibliothek, in dem nicht einige Blätter fehl¬
ten. Was der Mann aber auch ſchlau iſt, und wie
er ſich bei Allen beliebt zu machen weiß! Den Lie¬
benden und jungen Leuten überhaupt gibt er immer
Recht gegen die Eltern und Alten! aber mit den letz¬
tern verdirbt es darum doch nicht. Jungen Mädchen
gibt er, was ſie verlangen, und wiegt ihnen gut;
aber wenn er die Waare abliefert, wickelt er ſie in
ein Blatt Moral, das die Kinder mit nach Hauſe
nehmen und woran ſich die Mütter erquicken. In
Zeichnung komiſcher Charaktere hat Kock viele Fertig¬
8*[116] keit. Welche himmliſche Späße! und man kann ohne
Furcht zu erſticken, nach Herzensluſt dabei lachen.
Denn ſie gleichen nicht Scribe's und Jouy's Epi¬
grammen, bei welchen man nur lächeln darf, weil ſie
Einem leicht, wie Fiſchgräthen im Halſe ſtecken blei¬
ben. Kurz, mein Paul de Kock iſt ein prächtiger
Mann — aber leſen Sie ihn nicht.
Die armen Polen werden wohl jetzt geſtorben
ſeyn. Sie ſind glücklicher als ich. Dem entſetzli¬
chen Schauplatz näher, wiſſen Sie ſchon das
Schlimmſte. Seit Vorgeſtern habe ich keine Kraft,
eine Feder zu führen, ich konnte nicht leſen, nicht
denken, ich konnte nicht einmal weinen und beten;
nur fluchen konnte ich. Geſiegt haben die Polen
ſchon vier Tage lang, aber entſchieden iſt noch nichts,
und geſtern ſind gar keine Nachrichten gekommen.
Man ſprach von einem Couriere, den der ruſſiſche Ge¬
ſandte erhalten; die Ruſſen wären in Warſchau ein¬
gerückt. Aber wenn das wahr wäre, hätte man ſchon
den Jubel der beſoffenen Knechte gehört, an den Feſt¬
tagen ihrer Herren, und die deutſchen Blätter von
geſtern erzählen nichts. Nicht wie Menſchen, wie
Kriegsgötter ſelbſt haben die Polen gekämpft. Sie
jagten ſingend den Feind, wie Knaben nach Schmet¬
terlinge jagen; ſie ſtürzten ſich auf die Kanonen und
nahmen ſie, wie man Blumen bricht. Männer, Kin¬
der, Greiſe, drei Geſchlechter, drei Zeiten waren in
der Schlacht und die Ruſſen, wie feige Meuchelmör¬
der, ſchoſſen aus dem Dickicht der Wälder heraus.
Was wird es helfen? Jeder Sieg bringt die Po¬
len ihrem Untergange näher. Sie ſind zu ſchwach,
[118] zu arm an Menſchen. Der reiche Kaiſer Nikolaus
haut immer neue Soldaten heraus, wie Steine aus
Brüchen und das gehet ſo immer unerſchöpflich fort,
was ſind einem Despoten die Menſchen? Seine
Wälder ſchont er mehr. Nicht Gottes Weisheit, nur
die Dummheit des Teufels allein kann noch die Po¬
len retten Ach! gibt es denn einen Gott? Mein
Herz zweifelt noch nicht, aber der Kopf darf einem
wohl davon ſchwach werden, und wenn — was nützt dem
vergänglichen Menſchen ein ewiger Gott? Wenn
Gott ſterblich wäre wie der Menſch, dann wäre ihm
ein Tag ein Tag, ein Jahr ein Jahr, und der Tod
das Ende aller Dinge. Dann würde er rechnen mit
der Zeit und mit dem Leben, würde nicht ſo ſpäte
Gerechtigkeit üben und erſt den [entfernteſten] Enkeln
bezahlen, was ihre Ahnen zu fordern hatten. Die
Freiheit kann, ſie wird ſiegen, früher oder ſpäter;
warum ſiegt ſie nicht gleich? Sie kann ſiegen, einen
Tag nach dem Untergange der Polen; ſoll einem das
Herz nicht darüber brechen? Die Polen im Grabe,
fühlen ſie es denn, haben ſie Freude davon, wenn
ihre Kinder glücklich ſind? Die Tyrannei wird un¬
tergehen, die Kinder der Tyrannei werden gezüchtigt
werden für die Verbrechen ihre Väter; aber die Kno¬
chen der begrabenen Könige, haben ſie Schmerzen da¬
von? Gibt es einen Gott? heißt das Gerechtigkeit
üben? wir verabſcheuen die Menſchenfreſſer, dumme
[119] Wilde, die doch nur das Fleiſch ihrer Feinde verzeh¬
ren; aber wenn die ganze Gegenwart, mit Leib und
Seele, mit Freude und Glück, mit allen ihren Wün¬
ſchen und Hoffnungen, gemartert, geſchlachtet und
zerfetzt wird, um damit die Zukunft zu mäſten —
dieſe Menſchenfreſſerei ertragen wir! was iſt Hoff¬
nung, was Glaube? durch die Augen wird kein Hun¬
ger geſtillt, gemalte Früchte haben noch Keinen ſatt
gemacht ... Ich las etwas in den engliſchen Blät¬
tern — es iſt ſich todt darüber zu ſchämen wenn
man ein Deutſcher iſt; es iſt ſich die Hände im
Dunkeln vor die Augen zu halten. Der Londoner
Courier ſagte: „Wenn Polen wird beſiegt ſeyn,
„wenn, was die Schlacht verſchont, auf dem Scha¬
„fotte bluten wird, dann werden die deutſchen Zei¬
„tungen die weiſe Gerechtigkeit des ruſſiſchen Kai¬
„ſers rühmen, und wenn der Tyrann nur einem ein¬
„zigen Beſiegten das armſelige Leben ſchenkt, werden
„die deutſchen Blätter die Milde des hochherzi¬
gen Nikolaus bis in die Wolken erheben.“ Unter
allen Völkern der Erde, erwartet man ſolche feige
hündiſche Kriecherei nur von uns! Ja, es ſchwebt
ſchon vor meinen Augen, ich leſe es und höre es,
wie das viehiſche Federvieh in Berlin von jedem Miſt¬
haufen, von jedem Dache herab, den großen erhabe¬
nen Nikolaus ankräht. Wie hat dieſer Despot in
ſeinen Proklamationen geſprochen! Vielleicht glaubt
[120] es die Nachwelt, was die Despoten unſerer Tage ge¬
than; aber was ſie geredet, das kann ſie nicht glau¬
ben. Vielleicht glaubt die Nachwelt, was die alten
Völker geduldet, aber was ſie angehört und dazu ge¬
ſchwiegen, das kann ſie nicht glauben. Das Schwert
zerſtört bloß den Beſitz und mordet den Leib; aber
das Wort zerſtört das Recht und mordet die Seele.
Zu ſolchen Reden, ſolches Schweigen! Und wenn
die Polen vertilgt ſind, dann voran die deutſchen
Hunde, gegen den Sitz der Freiheit, gegen Frank¬
reich! dann ſtellt man ſie zwiſchen das Schwert der
Franzoſen und die Peitſche der Ruſſen, zwiſchen Tod
und Schande! .... Iſt es nicht ſchmachvoll für uns,
daß der Kaiſer von Rußland Herr über ſechzig Mil¬
lionen Sklaven, keinen derſelben knechtiſch genug ge¬
funden hat, die Freiheit der Polen zu ermorden, als
den Diebitſch allein, einen Deutſchen?
Ihr heutiger Brief kann mir ſpätere Nachrichten
bringen, als die hieſigen, wenn ſie ſchlimm ſind, ich
meine das Siegel müßte davon ſchwarz werden. O!
ich kann nicht mehr, ich muß weinen.
Vierzigſter Brief.
Wäre ich ein Dichter nur acht Tage lang! Ich
wollte ein Freudenlied ſingen, daß Berge und Wäl¬
der dabei tanzten, oder ein Trauerlied, daß die Sterne
darüber weinen müßten und erlöſchten in ihren eige¬
nen Thränen. Ich fühle es in mir, aber es will
ſich nicht geſtalten. Nur proſaiſch kann ich jubeln ...
heute iſt heute und morgen iſt morgen; ich will nicht
weiter denken. Alles Gute und Schöne hat ſich be¬
ſtätigt, aber das Beſte und Schönſte iſt noch nicht
entſchieden. Ein Handelshaus erhielt geſtern die
Nachricht: die Ruſſen wären gänzlich zerſtreut, und,
was Alles entſcheide, hinter ihrem Rücken wäre Li¬
thauen aufgeſtanden. Aber das heutige miniſterielle
Blatt berichtet, die Regierung habe gleich ſpätere
Nachrichten, wie jenes Handelshaus, und dieſe, ob¬
zwar gut lautend, ſprächen noch von keiner Entſchei¬
[122] dung. Wenn es wahr würde, wenn Rußland, dieſer
Rieſe von Eiſen, auf Füßen wie Thon, zur Erde
ſtürzte, umgeworfen von Kindern, die ihm zwiſchen
die Beine gekrochen — wie wollten wir lachen!
Dann wenn eine Tyrann ſich unartig beträgt, würde
man, ihn zu ſchrecken, rufen: der Pole kommt!
warte, ich hole den Polen! wie man Kindern
droht: ich hole den Schornſteinfeger. „Wie ein
Knäul Zwirn will ich die Polen zuſammenwickeln“ —
hat Nikolaus geprahlt. Nun, er hat ſie zuſammen¬
gewickelt; aber der Knäul iſt zur Bombe geworden,
die ihn zerſchmettert. Aber wie furchtſam macht
reines Glück! Selbſt die ſonſt ſo kecken pariſer
Blätter, die immer ſo leichtfertig lügen, wagen nicht,
ſich ihrer Freude über den Sieg der Polen zu über¬
laſſen; ſie fürchten Enttäuſchung. O Vater im Him¬
mel, ſchicke mir nicht ſolche Trauer! Laß mich die¬
ſen Brief freudig endigen, wie ich ihn angefangen.
Bis Mittwoch noch beſchütze die Polen! Wenn die
Polen entſcheidend ſiegen, dann wird, wie ich hoffe,
Paris illuminirt. Ich beleuchte mein ganzes Haus,
und merken Sie ſich das — zehen Lampen ſtelle ich
beſonders an ein Fenſter, die ſind für Sie und Pau¬
line. Denn Ihr Armen, dürftet am Abend der herr¬
lichen Entſcheidung doch nicht Eure Freude leuchten
laſſen; ja wenn der ruſſiſche Geſandte öffentliche
Trauer verlangte von unſerem Römer-Senate, Ihr
[123] dürftet Eure gewohnten Nachtlichter nicht anzünden,
und müßtet im Dunkeln zu Bette gehen.
So lange das Schickſal bei guter Laune bleibt
und die Tyrannen neckt, wollen wir von Poſſen ſpre¬
chen. Die Zeit des Ernſtes kommt nur zu gewiß.
Verzweifelte Spieler, verdoppeln ſie immer ihren ver¬
lornen Einſatz, und da können ſie wohl einmal Alles
wieder gewinnen, ehe ſie zu Grunde gehen. Ich habe
im italieniſchen Theater den Don Juan gehört.
Seit vierzehn Tagen ſchon hatte ich mein Billet dazu.
Dreimal wurde die Oper angekündigt und dreimal
wieder abgeſagt, weil die Malibran katarrhaliſche
Launen bekam! Endlich kam es zur Aufführung. Ich
rechnete ſo ſicher auf mein Entzücken, als man auf
das Entzücken jedes deutſchen Landes rechnen kann,
ſo oft ein Erbprinz wird geboren werden — morgen,
übermorgen, über's Jahr, im zwanzigſten Jahrhun¬
dert, im dreißigſten, im ſiebentauſendſten, im erſten
Jahrhunderte nach dem Untergange der Welt; denn
die Natur kann untergehen, aber deutſche Treue nicht.
Doch wie kam es ganz anders — nämlich mit Don
Juan. Eingeſchlafen bin ich nicht, denn es war die
intereſſanteſte Langeweile, die ich je empfunden. Uns
Deutſchen iſt der Juan wie das Vaterunſer; wir
ſind damit aufgewachſen: er war uns zugleich a b c
und hohe Schule der Muſik. Aber was haben dieſe
[124] Italiener, dieſe pariſirten Italiener daraus gemacht!
Die wiſſen noch weniger von Gott und Teufel, von
Himmel und Hölle, als wir Deutſchen von der Erde
wiſſen. Es ſchien, als wäre ihnen die Muſik zu
vornehm, ſie waren ſchüchtern, ängſtlich, es war als
ſtänden ſie auf glattem Marmorboden eines Pallaſtes,
vor einem Könige auf ſeinem Throne, Sie ſchwank¬
ten und ſtammelten. Was ſie vortrugen, war alles
ſchön, alles richtig; aber es war einſtudirt und der
Ceremonien-Meiſter hatte jede ihrer Bewegungen ge¬
ordnet. Die Bruſt war ihnen zwiſchen den beiden
Taktſtrichen eingeengt und ſie wagten nicht tiefer zu
athmen, als es die Note vorſchrieb, und die Mali¬
bran nicht beſſer als die Andern. Sie dauerte mich
und ich hätte ihr zurufen mögen: aber, liebes Kind,
wovor fürchten ſie ſich denn? Mozart iſt am Ende
doch auch nur ein Menſch wie Roſſini, welche Zer¬
line! Ich erinnere mich, wie ich als Junge die
Flöte ſpielen lernte, bei Herrn *** (der Lehrer war
ganz des Schülers würdig), und wir im Duette
Zerlinens ſüßes Wundlied blieſen. Sie können ſich
denken, daß wir das ſüße Wundlied wie ein Pflaſter¬
lied herabgeſtrichen. Aber doch klingt es mir heute
noch ſchöner aus jenen entfernten Jahren zurück, als
es mir aus der Bruſt der Malibran tönte. Es war
kein Glaube und keine Liebe darin. Gekleidet war
[125] ſie geſchmacklos bis zum Unſinn. Es war gewiß
unter den Zuſchauern keine Putzmacherin und kein
Friſeur, ſonſt hätte ich von einer Ohnmacht hören
müſſen. In den Haaren ſtaken ihr zehen bis zwölf
lange und ſteife meſſingne Stangen, die in große
dicke meſſingne Kugeln endigten, welche nicht einmal
blank geſcheuert waren. Sie ſah aus wie eine Gar¬
tenmauer, gegen das Ueberſteigen von Spitzbuben ge¬
hörrig bewahrt. Zerline fürchtet ſich vor Spitzbu¬
ben! — Don Juan war ein alter häßlicher Sünder,
der keine Katze hätte verführen können. Elvire eine
betrübte Kokette. Der Geiſt ſah aus wie ein wei¬
ßer Schornſteinfeger. Donna Anna (Madame La¬
lande) war gut; ſie hat gewiß den Don Juan in
deutſcher Schule gelernt. Am Leporello fand ich zu
loben, daß er nicht ſo den Hanswurſt macht wie bei
uns. Chöre und Orcheſter, ſonſt ſo vortrefflich, wa¬
ren von der allgemeinen Kälte und Aengſtlichkeit nicht
frei. Der himmliſche Lärm im erſten Finale, die
hölliſche Freude im zweiten — das ging alles ver¬
loren; es war ſtill zum Einſchlafen. Wenn ich mir
dieſe Leere und Stille nur erklären könnte! Chor
und Orcheſter voller beſetzt als bei uns; es ſind die
nehmlichen Noten, es iſt daſſelbe Tempo, gleiches
Forte — und doch war es ſtill! und — ſtellen Sie
ſich vor — Don Juan beim Abendeſſen hat rothen
[126] Wein aus einem breiten Glaſe getrunken! Langſa¬
men rothen Wein, wenn man den Teufel erwartet!
Jeder dumme arme Sünder, ehe er zum Galgen ge¬
führt wird, trinkt wenigſtens Rum. Ein Bekannter,
der während der Vorſtellung hinter der Scene war,
erzählte mir, die Malibran hätte nach ihrem Abtre¬
ten geweint, weil ſie nicht genug applaudirt worden,
und ſie weine immer, wenn ſie kälter als gewöhnlich
aufgenommen wird. Das iſt gewiß eine ſchöne Em¬
pfindlichkeit an einer ſo großen Künſtlerin.
Verdrießlich war ich ohnedies während der zwei¬
ten Hälfte des Don Juan, und die heilige Cäcilie
ſelbſt mit ihrer Baßgeige hätte mich nicht aufheitern
können. Nach dem erſten Akte ging ich ins Foyer.
Da fand ich eine Menge Menſchen in einem dicken
Knäuel zuſammengewickelt, und ein kurzes Männchen
in der Mitte, rund wie ein Kern, erzählte von den
polniſchen Angelegenheiten in der Abendzeitung. Und
der Knäuel war ſo dick, daß ich nicht durchdringen
konnte, und ich hörte nichts, und mußte mit der Pein
der Ungewißheit wieder herunter gehen. Mein Nach¬
bar im Orcheſter, ſtill früher, fragte mich auf Deutſch:
nicht wahr Sie ſind ein Deutſcher? — Ja. — Aus
Frankfurt? — Ja, woher wiſſen Sie das? — Ich
dachte es mir. — Kennen Sie Herrn Worms de
[127] Romilly? — Nur dem Namen nach. — Er iſt eben
vorbeigegangen, wenn er zurückkommt, will ich ihn
Ihnen zeigen. Bald kam er, und er zeigte mir
ihn. Aber ich dachte bei mir: was geht mich der
Worms de Romilly an? Darauf fragte ich den
Herrn, ob er nicht wiſſe, was im Meſſager ſtände,
es verlaute, die Polen hätten geſiegt? Er machte
ein mürriſches Geſicht und antwortete: Geſchwätz,
es iſt kein wahres Wort daran. Ach! dachte ich,
jetzt kenne ich den Herrn und ich begreife, warum
ihn der reiche Bankier Worms de Romilly intereſſirt.
Dann fragte er mich: wie ſtehen die Courſe in Frank¬
furt? Ich antwortete aus dem Stegreife — ich weiß
nicht mehr ob 70 oder 72 oder 74 oder 78. Da
ſah er mich an, zugleich wie ein Narr und wie einen
Narren, und ſagte, das iſt nicht möglich, das müſſen
die vierprozentigen ſeyn, und er zog die Berliner
Zeitung aus der Taſche um nachzuſehen. Ja frei¬
lich, erwiederte ich, es ſind die vierprozentigen, und
ich murmelte: „hole der Teufel die vierprozentigen
und die fünfprozentigen und das ganze nichtsprozentige
Papiervolk!“ Bis halb zwölf Uhr mußte ich da ſitzen,
bis ich mir im Meſſager Beruhigung holte. Ich
hätte fortgehen können, aber ich war ein Narr und
geizig und berechnete, daß mich jeder Akt des Don
Juan ſechs Franken koſtete. Der deutſche Kaufmann
[128] neben mir, ſo prozentig er auch war, liebte doch
leidenſchaftlich den Don Juan, und verehrte ihn wie
Bibel. Nach jeder Scene zankte er ſich mit einigen
Geigen im Orcheſter herum, und behauptete, es wäre
etwas ausgelaſſen worden. Das machte ihn etwas
ſteigen bei mir — um ein Drittelchen.
Das deutſche Blatt, das in Straßburg erſcheint,
hat unſere ſchuldbewußten Staatsmänner aus ihrem
Schlafe geweckt und ſie in tödtlichen Schrecken geſetzt,
als wäre ein Geſpenſt vor ihr Bett getreten und
hätte ſie mit kalter feuchter Hand berührt. Das
Blatt erſcheint als Beilage des Courier du Bas-
Rhin, unter dem Titel: das konſtitutionelle
Deutſchland. Es enthielt unter andern genaue
und getreue Berichte über die Staatsverwaltung im
Würtembergiſchen, beſonders über den himmelſchreien¬
den Wucher, den die Regierung mit dem Salze treibt.
Gleich wurde ein Herr von Schlitz von Stutgard
nach Straßburg geſchickt, um den Redakteur des
Courier du Bas-Rhin zu beſtechen, daß er nichts
mehr gegen Würtemberg aufnehme. Dieſer aber wies
den Antrag ab, erbot ſich jedoch gegründete Wieder¬
legung aufzunehmen. Doch wie leugnen, was jedes
Salzfaß im Lande bezeugt? Das Geld zu Beſtechun¬
gen nimmt man aus dem Beutel des armen Volks:
aber gute Gründe gibt und verweigert nur das Recht,
das kein würtembergiſcher Unterthan iſt. Darauf
wandte man ſich an den franzöſiſchen Geſandten in
Stuttgard und bat um Hülfe. Dieſer aber zuckte
ſeine diplomatiſchen Achſeln und ſagte, es wäre lei¬
II.9[130] der Preßfreiheit in Frankreich, und nichts dagegen zu
thun. So hat Herr von Schlitz ſeinen Witz ver¬
[l]oren, die würtemberger Bauern bezahlen die ſtra߬
burger Reiſe und bekommen das Salz nicht wohlfei¬
ler als bisher. Es iſt himmliſch, wie man dieſe
Sünder quälen kann durch ein einziges freimüthiges
Wort.
Haben Sie geleſen mit welcher ſchönen Rede
der König von Baiern ſeine lieben und getreuen
Stände begrüßt? Er hat mit ihnen geſprochen wie
ein Schulmeiſter mit ſeinen Jungen. Er ſagte, es
gäbe nichts, das himmliſcher wäre, als König von
Bayern zu ſeyn. Ach, mein Gott, ich glaube es
ihm. Wenn ich das Unglück hätte ein Fürſt zu ſeyn,
ſo würde es mich etwas tröſten, wenigſtens ein deut¬
ſcher Fürſt zu ſeyn: denn dieſer erfährt erſt in je¬
ner Welt, wie ſchwer es iſt gut zu regieren, und wie
viele Dummheiten er gemacht während ſeines Lebens.
Der König hat ein Geſetz über die Preßfreiheit an¬
gekündigt, über — das heißt gegen. Nun möchte
ich doch wahrhaftig wiſſen, was dieſer Bettlerin noch
zu nehmen wäre! Und was macht die bayeriſche
Regierung ſo keck? Woher kommts, daß ſie, und
ſie mehr als jede andere deutſche Regierung, der öf¬
fentlichen Meinung trotzt, ſie neckt, herausfordert und
quält ohne allen Gewinn für ſie? Es kommt daher,
weil ſie mit Frankreich einverſtanden iſt, weil ſie auf
[131] dieſen Schutz rechnet, wenn ihre Unterthanen ſich em¬
pören ſollten, weil ſie ihre Unabhängigkeit nach außen,
um den Preis der Schrankenloſigkeit nach innen ver¬
kauft hat. So war es unter Napoleon auch. Die¬
ſer verſtand die deutſchen Regierungen ſehr gut. Er
wußte, daß der Deutſche gern ein Knecht iſt, wenn
er nur zugleich auch einen Knecht hat. Er machte
die deutſchen Fürſten unbeſchränkt ihren Unterthanen
gegenüber und dafür wurden ſie ſeine Unterthanen.
Das iſt die ſchöne [Zukunft] des deutſchen Volks! Nur
ſeine Fürſten haben in einem Kampf mit Frankreich
zu gewinnen oder zu verlieren; es ſelbſt wird Schmach
und Sklaverei finden, beſiegt oder ſiegend — gleich¬
viel. Doch davon genug für heute. Alle meine Sack¬
tücher ſind bei der Wäſcherin und es wäre viel da¬
bei [zu] weinen.
Warum wundert Sie, daß Sie von Medor
nicht früher gehört? habe ich doch ſelbſt erſt nach
einem Aufenthalt von fünf Monaten von ihm erfahren.
In Paris iſt ein Hund nicht mehr als in Deutſch¬
land ein Unterthan, an den man erſt denkt, wenn
er Abgaben zu zahlen hat. Von Medor fing man
erſt an zu ſprechen, als Maler, Lithographen, Bio¬
graphen, Dichter, Bänkelſänger und Hundewächter
die Erfahrung gemacht, daß mit dem Thiere etwas
zu verdienen ſei. Kürzlich hörte ich erzählen, Medor
ſei gar nicht der ächte liberale Hund, ſondern ein
9*[132] falſcher; den Rechten habe ein Engländer gekauft und
fortgeführt. Es iſt aber gelogen. Ich habe es aus
Medors eignem Munde, daß er im Juli tapfer ge¬
fochten. Zweifeln Sie vielleicht, daß ich das Hunde¬
gebell verſtände? Ich meine, das lernt man bei uns
ſo leicht, wie jede andere Sprache.
Mittwoch iſt da. Es ſollte nicht ſeyn, es iſt
zu Ende mit den Polen! Wir wollen darum nicht
verzweifeln, die Freiheit verliert nichts dabei. Die
Erben haben ſich vermindert, deſto größer wird die
Erbſchaft. Schmerzlich iſt es, daß Polen ſich als
Saatkorn in die Erde legen mußte; aber der Saame
wird herrlich aufgehen. So laut ſchreit das vergoſ¬
ſene Blut, daß es der taube Himmel ſelbſt hört, und
Gott ſchicken wird, wenn auch zu ſpät zur Hülfe,
doch nicht zu ſpät zur Rache. Nichts Schlimmes
ahndend ging ich geſtern Nachmittag, das Modell von
Petersburg zu ſehen, das hier gezeigt wird. Ich be¬
wunderte die herrliche Straße, die prächtigen Palläſte
dieſer ſchönſten Stadt der Welt. Ich ſtellte mich
vor den Pallaſt des Kaiſers und dachte: da ſitzt er,
und wartet ungeduldig auf das letzte Röcheln eines
geſchlachteten Volks. Von dort hatte ich nur einige
Schritte zur Börſe. Ich trat hinein und erfuhr das
Entſetzliche. Bei allem meinem Gram erquickte mich
die Schadenfreude, die ich über die Kaufleute empfand.
Das franzöſiſche Papiervolk iſt ſo jammervoll und
jämmerlich als das deutſche. Dieſe Blut- und Schwei߬
krämer waren nach den polniſchen Nachrichten wie
zwiſchen Hund und Wolf. Sie wußten nicht, wo
[134] hinaus. Eine unterdrückte Empörung, eine beſiegte
Freiheit machte ihnen Freude; aber dann bedachten
ſie wieder, daß der Sieg der Ruſſen einen Krieg mit
Frankreich und den Renten wahrſcheinlich mache, und
da gingen ſie umher, mit einer rothen und mit einer
bleichen Wange. Es war zu ſchön.
Ein und vierzigſter Brief.
Noch immer weiß man nichts Entſcheidendes von
Polen; die neueſten Nachrichten haben den Schrecken
der früheren ſehr gemildert. Aber ich kann mich
nicht darüber freuen. Mögen die Polen ſich noch
einige Tage hinhalten zwiſchen Leben und Tod, ſter¬
ben müſſen ſie doch. Die Trauer in Paris iſt nicht
zu beſchreiben, ſo tiefe Empfindung hätte ich dem
Volke nicht zugetraut. Geſtern ſind funfzehn¬
hundert junge Leute mit Trauerfahnen durch die
Stadt gezogen. Dem ruſſiſchen Geſandten wurden
die Fenſter eingeworfen. Was kan das aber nützen?
Es ſchadet eher. Die Feigheit der Machthaber wird
ſich jetzt in angſtzitternden Entſchuldigungen erſt recht
kund geben. Kein Kind fürchtet ſo den Schornſtein¬
[136] feger als Philipp den Nikolaus fürchtet. Die Re¬
gierung wird alle Tage erbärmlicher; es macht einen
ganz irre. Man weiß nicht mehr, wächſt die Zeit
oder wird die Regierung kleiner; das Mißverhältniß
zwiſchen beiden ſteigt mit jeder Stunde. Jetzt, da
der Krieg immer wahrſcheinlicher wird, immer näher
kommt; jetzt, da die Begeiſterung des Volkes allein
Frankreich retten kann, fürchtet man dieſes Feuer
wie ein verzweifelter Hausvater, und gießt halb todt
von Schrecken alles Waſſer hinein, was nur zu ha¬
ben iſt. In ihrer Angſt ſpucken ſie in den Brand.
Man will ein friedliches, ein unglaubliches Miniſte¬
rium bilden. Wenn der Jude Rothſchild König wäre,
und ſein Miniſterium aus Wechſelmäklern bildete,
es könnte nicht niederträchtiger regiert werden. Ich
gebe dem Orleans keine zehen Sous für ſeine Krone.
Pfui! was iſt das für ein Treiben! Man will ſich
bis zum erſten Flintenſchuſſe den Schein geben, als
hätte man ernſtlich den Frieden gewollt, wäre aber
zum Kriege herausgefordert worden, und ſo verklauſe¬
lirt man ſich auf die lächerlichſte Weiſe vor Notar
und Zeugen, damit man, wenn der blutige Prozeß
beginnt, die geſtempelten Beweisſtücke vorzeigen, und
ſein Recht bei allen Inſtanzen verfolgen könne. Als
würde der Civilrichter das Schickſal der Menſchheit
entſcheiden! Und das thut der König des mächtigſten
Volks der Welt, das Geſetze geben und nicht em¬
[137] pfangen ſollte! Frankfurt iſt jetzt Paris um funf¬
zig Stunden näher. Und die deutſche Bundes-Ver¬
ſammlung hält ihre Dummheiten wenigſtens geheim.
Ich wußte immer, daß wie hier ſo in allen Ländern
Herz nur bei dem Volke zu finden; aber jetzt erfahre
ich, daß auch der Verſtand nur bei dem Volke zu
ſuchen, und daß Regierungen, wie ohne Herz auch
ohne Verſtand ſind. Manchmal dachte ich: es iſt
nur die Maske der Dummheit, es muß dahinter et¬
was ſtecken; aber jetzt ſehe ich ein, daß die Dumm¬
heit ernſtlich gemeint iſt, und daß nichts dahinter
ſteckt, als eine noch größere Dummheit.
Mit Worten kann ich Ihnen den Eindruck nicht
ſchildern, den Paganini in ſeinem erſten Conzerte ge¬
macht; ich könnte ihn nur auf ſeiner eignen Geige
nachſpielen, wenn ſie mein wäre. Es war eine gött¬
liche, es war eine diaboliſche Begeiſterung. Ich habe
ſo etwas in meinem Leben nicht geſehen noch gehört.
Dieſes Volk iſt verrückt und man wird es unter ihm.
Sie horchten auf, daß ihnen der Athem verging, und
das nothwendige Klopfen des Herzens ſtörte ſie und
machte ſie böſe. Als er auf die Bühne trat, noch
ehe er ſpielte, wurde er zum Willkommen mit einem
donnernden Jubel empfangen. Und da hätten Sie
dieſen Todfeind aller Tanzkunſt ſehen ſollen, in der
Verlegenheit ſeines Körpers. Er ſchwankte umher
wie ein Betrunkener. Er gab ſeinen eignen Beinen
[138] Fußtritte und ſtieß ſie vor ſich her. Die Arme
ſchleuderte er bald himmelwärts bald zur Erde hinab.
dann ſtreckte er ſie nach den Couliſſen zu, und flehte
Himmel, Erde und Menſchen um Hülfe an in ſeiner
großen Noth. Dann blieb er wieder ſtehen mit aus¬
gebreiteten Armen und kreuzigte ſich ſelbſt. Er
ſperrte den [Mund] weit auf, und ſchien zu fragen;
gilt das mir? Er war der prächtigſte Tölpel, den
die Natur erfinden kann, er war zum Malen. Himm¬
liſch hat er geſpielt. In Frankfurt hatte er mir bei
weitem nicht ſo gut gefallen; das machte die Umge¬
bung. [Ich] hörte mit tauſend Ohren, ich empfand
mit allen Nerven des ganzen Hauſes. In ſeinen
Variationen am Schluſſe machte Paganini Sachen,
wobei er lachen mußte. Nun möchte ich wiſſen, ob
er über das närriſche Publikum gelacht, oder ob er ſich
ſelbſt Beifall zugelacht, oder ob er ſich ausgelacht.
Das Letztere iſt wohl möglich, denn es ſchienen mir
große Kindereien zu ſeyn. Die Pariſer Zeitungs¬
ſchreiber ſind noch gar nicht zur Beſinnung gekom¬
men; dieſe Wort-Millionäre wiſſen zum Erſtenmale
nicht, was ſie ſagen ſollen. Nur einige Seufzer und
große Redensarten haben ſie einſtweilen in die Welt
geſchickt, und verſprechen umſtändliche Kritik auf ſpä¬
tere Tage. Das Erhabenſte, was über Paganini
geſagt worden, iſt: man habe zwei Stunden lang
die Polen vergeſſen. Er habe la figure la plus
[139] méphistopholique du monde, ſo daß eine Dame,
als ſie ihn erblickte, einen fürchterlichen Schrei aus¬
ſtieß. Der große Violinſpieler Baillot wurde von
Madame Malibran gefragt, was er von Paganini
denke. Er antwortete: Ah! Madame, c'est mira¬
culeux, inconcevable, ne m’en parlez pas, car
il y a de quoi rendre fou. Glückliches Volk, die
Pariſer! Alles fällt auf ſie herab, alles ſtrömt ih¬
nen zu. Glück, Jammer, Reichthum, Armuth, Ita¬
lien, Thränen, Paganini, Polen — und ſie mengen
und miſchen das unter einander, und zuletzt wird's
immer ein Punſch.
Geſtern Mittag wohnte ich einem Conzerte bei,
das in der königlichen Singſchule von Knaben und
Mädchen von 6 bis 16 Jahren aufgeführt worden.
Man gab ein Oratorium von Hendel, Samſon,
Text von Milton, und die Schlacht von Marig¬
nan, ein Kriegsgeſang. Dieſe Schlacht hat Franz l.
im Jahre 1515 über die Schweizer gewonnen, und
in dem nehmlichen Jahre hat Clement Jennequin
die Cantate componirt. Man hörte alſo eine drei¬
hundertjährige Muſik. Höchſt originell! Aber ich
Muſik-Ignorant kann Ihnen das nicht vorſtellig ma¬
chen. So viel merkte ich wohl, daß dieſe Muſik
drei Jahrhunderte von Roſſini entfernt iſt, aber lange
nicht ſo weit von Weber. Der Freiſchütz mag wohl
viel altdeutſches haben. Dieſe Singſchule hieß vor
[140] der Revolution im Juli: Institution royale
de musique réligieuse; aber ſeitdem hat
man ſie, ob zwar ihre Beſtimmung für die Bildung
zur Kirchenmuſik die nehmliche geblieben, Institution
royale de musique classique genannt. Wie
gefallen Ihnen meine Franzoſen?
Geſtern Abend war ich auf dem Maskenball
der großen Oper. Es war da ſehr voll und ſehr
langweilig, wenigſtens für mich und die Gends'armen,
die wir die einzigen tugendhaften Perſonen im gan¬
zen Hauſe waren. In allen Theatern waren Mas¬
kenbälle, und alle ſehr beſucht — zur Todesfeier
für die Polen! — Vor einigen Tagen wurde bei
den Italienern eine neue Oper, Fauſto, aufgeführt
nach Goethe's Fauſt bearbeitet. Der Componiſt iſt
eine Componiſtin, Demoiſelle Bertin, ein junges
Frauenzimmer, Tochter des Redakteurs des Journal
des Debats. Die königliche Familie kam zur erſten
Vorſtellung; denn das Journal des Debats iſt ein
miniſterielles Blatt. Die Muſik iſt einigemale nicht
langweilig, und wer noch nicht ganz todt iſt, erholt
ſich da wieder. Die ſchönſten Gedanken kommen
der Componiſtin erſt am Schluſſe der Oper, wahr¬
ſcheinlich wegen der weiblichen Poſtſcripten-Natur.
Die letzte Scene, Gretchen im Kerker, macht guten
Eindruck. Aber es wollte mir nicht aus dem Kopfe,
[141] daß ein Frauenzimmer dieſe Muſik gemacht, und wenn
im Orcheſter Hörner und Pauken mächtig erſchallten,
mußte ich jedesmal lachen. Den Text hat ſie ſich
auch ſelbſt zugerichtet. Man muß das freilich nicht
ſo genau nehmen; aber komiſch iſt es doch, wenn
Gretchen noch um 9 Uhr unſchuldige Jungfrau war,
und ſchon um 11 Uhr als Kindesmörderin im Ge¬
fängniß ſitzt; das iſt zum Leſen aber nicht zum Dar¬
ſtellen.
Ich habe mir vorgenommen, in den wenigen
Wochen, die ich noch hier bleibe, alle Theater zu
beſuchen, von welchen ich mehrere noch gar nicht
kenne, und alle Stücke zu ſehen, die dieſen Winter
neu verfertigt worden. Aber ich werde hingehen,
ſchlenkernd, und verdrießlich, wie ein Bübchen in die
Schule geht. Es iſt ſo weit und ich ſehe lieber zu
auf der Gaſſe ſpielen, wo keiner ſeine Rolle verdirbt,
und man immer bequem Platz findet. Doch es iſt
lehrreich und ich darf es nicht verſäumen. Da wird
einem alles vor die Augen und Ohren vorbeigeführt,
was den Franzoſen ſeit einem Jahre durch Kopf und
Herz gegangen — Großes und Gemeines, Edles und
Schlechtes, Hoffnungen und Täuſchungen, Wünſche
und Verwünſchungen, Spott, Tadel, Dummheiten,
alles, und die ganze Geſchichte ſeit vierzig Jahren.
Jeder Held, jedes Schlachtopfer der Revolution
[142] wurde auf die Bühne gebracht. Napoleon mit ſei¬
ner Schaar; Robespierre, die Kaiſerin Joſephine,
Eugen Beauharnois, die Brüder Foucher, der Herzog
von Reichſtadt, die unglückliche Lavalette, Marſchall
Brüne, Joachim Mürat, ſeit kurzem die Dübarry.
Ueber alle dieſe und noch viele mehr gibt es Thea¬
terſtücke. Ich entſetze mich, wenn ich bedenke, was
ich mich in Paris noch zu amüſiren habe! — Ich er¬
halte ſo eben Ihren Brief, und gleichzeitig bringt
mir ein Freund die neueſte preußiſche Staatszeitung.
Gönnen wir den Papier-Spitzbuben ihre letzte Be¬
trunkenheit, der Henker wird ſie bald holen. Aber
wegen der Polen wollen wir uns keinen täu¬
ſchenden Hoffnungen überlaſſen. Ich danke dem
St. für ſeine Nachrichten; aber daß ſich die Ruſſen
zurückziehen, beweiſ't keineswegs etwas zu ihrem
Nachtheile. Sie wollen die polniſche Armee, nehm¬
lich den armen Reſt derſelben von Warſchau abziehen,
und Warſchau wird den Barbaren doch nicht entge¬
hen. Es müßte ein Wunder geſchehen, die Polen
zu retten. Aber was liegt dem Himmel an einem
Wunder mehr? Iſt die Tapferkeit der Polen nicht
ſelbſt ein Wunder? Der Krieg iſt jetzt hier ſo gut
als entſchieden. Italien gab den Ausſchlag, der
heutige Moniteur enthält die Ordonnanz, daß 80,000
Mann ſich marſchfertig halten ſollen. Wenn Sie
[143] heute oder morgen hören, daß hier ein noch ſchläfri¬
geres Miniſterium als das bisherige gebildet worden,
ſoll Sie das nicht irre machen, es gibt doch Krieg.
Man will nur etwas Waſſer in den Wein gießen,
das er den Franzoſen nicht zu ſehr in den Kopf
ſteige.
Man fängt, wie ich merke, ſchon wieder an,
das deutſche Volk einzuheizen, damit es ſeine Für¬
ſten warm haben, wenn das franzöſiſche Schneege¬
ſtöber über ſie kommt. Die alte Komödie von 1814
und 15 neu einſtudirt. Sie ſchleppen mächtige
Klötze herbei, und häufen, Nationalgefühle,
Bundestreue, feſten Zuſammenhang, Ehre,
Widmung, Tugend, Vaterlandsliebe, Mont-
Martre-Erinnerungen, als Reiſerbündel haus¬
hoch über einander. Der breite eiſerne deutſche
Ofen wird herhalten und ſich geduldig vollſtopfen
laſſen, wie das vorige Mal, und glühen und roth
werden vor Zorn gegen die Franzoſen. Görres der
„alte und ächte Freund und [Hoheprieſter] der
Freiheit“ wie er ſich ſelbſt nennt, ſchreibt in der
allgemeinen Zeitung vaterländiſche Briefe, von
welchen mir erſt der Anfang unter die Augen gekom¬
men. Das Zeug da oben, das ich unterſtrichen, iſt
ſchon darin. Ich zweifle nicht, daß die Narren ſich
zum Zweitenmale werden zum Beſten halten laſſen.
Aber wenn es geſchiehet, dann wird kein Engel im
[145] Himmel ſo weich, nachſichtig oder mitleidig ſeyn,
über die betrogenen Thoren zu weinen. Lachen wird
der ganze Himmel, und Gott ſelbſt wird lachen und
wird in der beſten Laune franzöſiſch zu ſprechen anfangen
und ſagen: quelle grosse bête que ce peuple alle¬
mand! und wird in die Oper gehen und ſich gar nicht
darum bekümmern, wenn die undankbaren Fürſten ihre
Erretter zum Zweitenmal nach Amerika verbannen,
oder in Köpenik und Magdeburg einſperren. Aber
beim Himmel! Wenn es zum Kriege kömmt, und
Görres, Arndt und die übrigen deutſchen Kapuziner
fangen ihre alten Litaneien zu plärren an, dann will
ich doch ein Wort mitſprechen, und wir wollen ſehen,
welcher Stahl beſſere Funken giebt. Jetzt gilts! Wird
Deutſchland diesmal nicht frei, gehet ihm wieder ein
ganzes Jahrhundert verloren.
Wenn Sie leſen: Odillon-Barrot, Mauguin,
Lamarque ſind Miniſter geworden — das ſind die
Männer, welche der Revolution vom Juli treu ge¬
blieben und ſie begleiten wollen bis zum Ziele —
dann packen Sie gleich ein und reiſen nach Paris,
ehe die Grenzen geſperrt werden; denn alsdann iſt
der Krieg gewiß und nahe. Aber wahrſcheinlich wer¬
den Sie nichts davon leſen, ſondern Caſimir Perrier
II. 10[146] und andere Zitterer werden an das Steuer kom¬
men, bis der Sturm losbricht.
Adieu! und die Handelskammer ſoll Aſche auf
ihr Haupt ſtreuen, und ſoll faſten (jetzt kann ſie es
noch freiwillig) und ſoll ſich neun und dreißig Rie¬
menhiebe geben laſſen; denn Jeruſalem wird unter¬
gehen. O wai geſchrien!
Zwei und vierzigſter Brief.
— Nun, Lafitte iſt jetzt auch aus der Regie¬
rung getrieben, der erſte und letzte Mann der Revo¬
lution. Und die Narren hier reden ſich jetzt ein, Caſi¬
mir Perrier würde ihnen Roſen und Veilchen pflan¬
zen, und ſie würden ein Schäferleben führen, und
den ganzen Tag oben auf dem reinen Hügel der
Renten ſtehen, und ſingen und hinabſchauen in das
grüne Thal, wo das graſende Lämmervolk ſpringt
Teufel! In Deutſchland war ich ſchon längſt der
einzige geſcheidte Menſch; das war mir läſtig und
ich ging darum nach Frankreich. Und mit Aerger
ſehe ich jetzt ein, daß ich hier auch der einzige ge¬
ſcheidte Menſch bin. Wo flüchte ich mich hin? Wo
10 *[148] finde ich Verſtand? Und wiſſen Sie, warum ich
allein klug bin unter ſo vielen Narren? Weil ich
an Gott glaube, und an die Natur, und an die
Anatomie, und an die Phyſiologie; und die Andern
verlaſſen ſich auf Menſchen, und auf ihre Künſte,
und auf die Polizei. Ich weiß freilich nicht, wie die,
welche einen politiſchen Barometer in ihrem Kabinette
haben, ob morgen gutes oder ſchlechtes Wetter ſeyn
wird; aber ich weiß: im Winter iſt es kalt und im
Sommer iſt es warm. Meine Briefe werden für
oder gegen mich zeugen. Nicht. ...
Nach dem Nicht bekam ich Beſuch, der eine
halbe Stunde dauerte, und jetzt habe ich vergeſſen,
was ich ſagen wollte. Aber kurz, ich bin Paris
überdrüſſig. Soll ich in Dummheit leben, ſo ſei es
wenigſtens in meiner Vaterländiſchen. Da iſt doch
Genie darin; hier aber pfuſchen ſie nur, und bringen
mit dem ſchlechteſten Willen doch nichts Schlechtes
zu Stande.
— Herr * * * hat mir erzählt, unter den Frank¬
furter Juden wäre eine Inſurrektion gegen ihren Ver¬
ſtand ausgebrochen, Sie wollen Rechenſchaft über
die Finanzverwaltung haben, und ſo lange dieſe nicht
abgelegt würde, keine Gemeinde-Steuern bezahlen.
Das iſt ja ſehr luſtig! Wer ſind denn die jüdiſchen
221, und wer iſt der jüdiſche Polignac? Ich meine,
das müßte den Krieg entſcheiden. Europa wird doch
[149] endlich einſehen, daß keine Ruhe iſt, ſo lange Frank¬
reich beſteht. Wenn ſogar die Juden wanken, der
Throne feſte Säulen, worauf kann ich noch bauen?
Die vermaledeyte Preßfreiheit iſt ſchuld an allem.
— Ein Bankier ſagte mir neulich, Lafitte habe
dreißig Millionen gehabt, und jetzt ſey er zu Grunde
gerichtet. Wenn ſich der Friede erhält und die
Staats-Effekten wieder zu Werthe kommen, wird ihm
höchſtens eine Million übrig bleiben; wenn nicht,
nicht ſo viel, daß er ſeine Gläubiger befriedigen kann.
Lafitte iſt ehrenvoll gefallen, er hat ſein Vermögen
dem Staate aufgeopfert. Er hat es immer geſagt,
er ſetze allen ſeinen Reichthum daran, die Bourbons
zu ſtürzen, und er hat es gethan. Durch eine gro߬
müthige Neigung ohnedies getrieben, leiſtete Lafitte
aus Politik jedem Hülfe, der ihn um Beiſtand an¬
ſprach. Er wollte ſich dadurch Anhänger erwerben,
um ſie zu Feinden der Bourbons zu machen. Wer
in Frankreich irgend ein Gewerbe, einen Handel,
eine Fabrik unternehmen wollte, benutzte Lafitte's
Capitalien. Durch die Revolution wurden alle jene
Schuldner unfähig zu bezahlen, und ſo iſt Lafitte zu
Grunde gegangen. Rothſchild aber wird beſtehen bis
an den jüngſten Tag — der Könige. Welch ein
Ultimo! Wie wird das krachen.
— Ich habe meine theatraliſche Laufbahn an¬
getreten, nehmlich mein Laufen in die Theater. Die
[150] Beine ſind mir noch ſteif davon. Erſt wird man
müde vom Gehen, dann wird man müde vom Ste¬
hen, dann wird man müde vom Sitzen. Aber ein¬
ſchlafen thut man doch nicht. Es iſt eben die liebe
Natur, die man nimmt, wie ſie ſich gibt; von der
Kunſt aber verlangt man mit Recht, ſie ſolle ſchön
und gefällig ſeyn. Ein lebendiger Eſel iſt mir lieber
als ein todter Löwe, eine gebratene Kartoffel lieber
als eine unreife Ananas, ein munterer Taugenichts
lieber als ein ſchläfriger Hofrath — und was ich
Ihnen ſonſt noch ſagen könnte, um zu entſchuldigen,
daß mir das Pariſer Theater beſſer gefällt als das
Berliner, worüber ſich Herr von Raumer, wie ich
hoffe, ärgern wird, wenn er es erfährt. Aber gott¬
loſes Zeug; gräulich gottlos! Und wenn man ins
Theater kommt mit Jehova, Chriſtus und Mahomet,
und mit dem ganzen Olymp, und mit allen Heiligen
im Herzen, gehet man hinaus, iſt keiner mehr da,
Alle weggelacht, und ich glaube die Gottheiten und
Götter, ſie lachen im Stillen ſelbſt mit. Sie wiſſen,
wie ich über Religion geſinnt bin. Ich denke: wer
ſo unglücklich iſt an keinem Gott zu glauben, iſt nicht
ganz unglücklich, ſo lange er noch an den Teufel
glaubt, und wer an keinen Teufel glaubt, wäre noch
unglücklicher, wenn er an keine Pfaffen glaubte.
Nur glauben! Was iſt ſelbſt der glücklichſte Menſch
ohne Glauben? Eine ſchöne Blume in einem Glaſe
[151] Waſſer, ohne Wurzel und ohne Dauer. Aber was
geht mich der Unglaube der Andern an? Ich lache
und denke; ich habe meinen Gott, ſehet zu, wie ihr
ohne ihn fertig werdet, das iſt euere Sache. Ich
habe nie begreifen können, wie gläubige Menſchen ſo
unduldſam ſeyn mögen gegen ungläubige. Es iſt
auch nur Adel- und Prieſterſtolz. Die Frommen
ſehen den Himmel für einen Hof an, und blicken mit
Verachtung auf alle diejenigen herab, die nicht hof¬
fähig ſind wie ſie. Darum erquickt es mich, wenn
in den neuen franzöſiſchen Volks-Souverainen und
Zenſurfreien Theaterſtücken, die Geiſtlichkeit, die
ſchwarze Gendsarmerie und geheime Polizei der Für¬
ſten, ſo geneckt und gehudelt wird. Es iſt eine
Schadenfreude, daß man jauchzen möchte. Und was
thut man ihnen denn? Sie werden [nicht] gemartert,
nicht verbannt, nicht eingekerkert, nicht verflucht, durch
keinen Höllenſpuk geängſtigt; man nimmt ihnen keine
Zehenten ab, man macht ſie nicht dumm; man lacht
ſie nur aus. Wahrlich die Rache für tauſend Jahr
erlittener Qual iſt mild genug! Es iſt aber auch
eine Lebensfreudigkeit eine friſch quellende Natur in
den Pariſer Schauſpielern, ſo oft ſie Geiſtliche vor¬
ſtellen, daß man deutlich wahrnimmt, wie ihnen al¬
les aus der Bruſt kommt, und wie ſie gar nicht ſpie¬
len, ſondern wie das Herz mit ihnen ſelbſt ſpielt.
Die Tartüff-Natur können ſie auswendig wie das
[152] Ein-mal-Eins. Die Pfaffenheuchelei in ihren feinſten
Zügen, zeichnen ſie mit geſchloſſenen Augen. Und
doch muß ich zu ihrem Ruhme ſagen, daß ſie keine
Bosheit in die Rolle bringen. Sie betragen ſich als
großmüthige Sieger, entwaffnen den Feind, thun ihm
aber nichts weiter zu Leide.
— Im Theatre de l’Ambigüe habe ich drei
Stücke geſehen, die mich auf dieſe Gedanken gebracht.
Das erſte heißt la papesse Jeanne. Der Ti¬
tel allein macht ſchon ſatt. Jahrhunderte lang glaubte
die Welt, es wäre einmal eine Frau Papſt gewe¬
ſen, und das Geheimniß ſei erſt entdeckt worden,
als der heilige Vater in die Wochen gekommen. Das
iſt die berühmte Päpſtin Johanna. Neue Hiſtori¬
ker haben die alte Geſchichte für ein Mährchen erklärt.
Aber was ändert das? Die Hauptſache bleibt im¬
mer wahr. Man hatte eine ſolche Vorſtellung von
der Verdorbenheit der päpſtlichen Kirche, daß man
das Mögliche für wirklich hielt. Dieſe Päpſtin tritt
im Vaudeville auf. Anfänglich iſt ſie erſt Cardinal.
Eine lange prächtige Frauensperſon in Weiberkleidern,
iſt allein mit ihrem Kammermädchen, und lachen die
Beide und machen ſich luſtig über die Cardinalität
unter der Haube und unter der rothen Mütze, daß
die Wände zittern. Die Cardinalin Jeanne erzählt
ihre frühere Geſchichte. Sie war mit einen Kreuz¬
fahrer als deſſen Ehefrau in den heiligen Krieg ge¬
[153] zogen. Dort verlor ſie im Gedränge ihren Mann,
und wurde als leichte Waare von einem Paſcha, von
einem Kreuzritter dem andern zugeworfen. Sie kam
als Mann verkleidet nach Rom, trat in den geiſtli¬
chen Orden, und als ſie es durch pfäffiſche Geſchmei¬
digkeit ſo weit gebracht, daß ſie nichts mehr roth
machen konnte, als der Purpur, bekam ſie ihn. Die
Cardinälin gehts ins Seitenzimmer, ſich als Mann
umzukleiden. Unterdeſſen tritt ein alter Cardinal
herein, tändelt mit dem Kammermädchen und macht
ihm Liebeserklärungen. Jeanne erſcheint im rothen
Ornate. Wechſelſeitige Heuchelei und chriſtliche
Bruderliebe der beiden Cardinäle. Der männliche
Cardinal geht fort, und dem weiblichen wird ein
Kreuzfahrer gemeldet, der aus dem gelobten Lande
kömmt. Ein gemeiner Reiter tritt herein, ein gehar¬
niſchter Lümmel, ſieht dem Cardinal ins Geſicht, und
ſchreit: meine Frau! Meine Frau Cardinal!
Der Kerl möchte ſich todt lachen. Die erſchrockene
Johanna bittet um Gottes willen, ſie nicht zu ver¬
rathen. Er gelobt Verſchwiegenheit für vieles Geld
und vielen Wein. Er bekömmt beides, und betrinkt
ſich. In dieſem Zuſtande vergißt er ſein Wort, und
ruft in einem fort: meine Frau Cardinal!
und lacht unbändig. In dieſer Lage der Dinge kom¬
men ſämmtliche Cardinäle herein, um Johanna in das
Conclave abzuholen, wo ein neuer Papſt gewählt
[154] werden ſoll. Sie hören die wunderlichen Reden des
Soldaten, werden argwöhniſch, und dringen in ihn,
zu erklären, wer von ihnen eine Frau und ſeine Ehe¬
hälfte wäre. Der Soldat bekömmt einen verſtohle¬
nen Wink von Johanna, den er verſteht. Er ſtürtzt
mit ausgebreiteten Armen auf den älteſten und gar¬
ſtigſten Cardinal los, fällt ihm um den Hals, küßt
ihn und ſchreit: „Du biſt meine Frau! Kennſt Du
mich nicht mehr liebe Sophie?“ Die andern Car¬
dinale ſtellen ſich als glaubten ſie das, denn gerade
derjenige von ihnen, den ſich der Reiter zur Frau
gewählt, hat die meiſte Ausſicht, Papſt zu werden,
und ſie möchten ihn beſeitigen. Sie ſperren den
Verräther ein, und eilen in das Conclave, wo Jo¬
hanna zum Papſt gewählt wird. Der heilige Vater
und die Cardinäle ſingen die ſchönſten und [erbaulich¬
ſten] Lieder, der Kreuz-Soldat wird zum Haupt¬
mann der päpſtlichen Leibwache ernannt, und die Ge¬
ſchichte iſt aus. Nutzanwendung: Wer den Schaden
hat, braucht nicht für den Spott zu ſorgen.
Das zweite Stück war Joachim Mürat,
König von Neapel, eine Biographie mit Muſik und
Dekorationen. Die dramatiſche Kunſt, wenn hier je
nach ſo etwas gefragt werden darf, hatte dabei nicht
die geringſte Arbeit; man brauchte blos die Erinne¬
rung auszuſtopfen, und Mürat ſtand da, wie er
lebte. Er war ein ſchöner Mann, hatte den Anſtand
[155] eines guten Schauſpielers, liebte den Putz, und war
tapfer wie ein edler Ritter. Dabei ein vortrefflicher
Fürſt, der ſein Land gut regierte und es glücklich ge¬
macht hätte, hätten es die Pfaffen und der heilige
Januarius zugegeben. Auf der Bühne geht ſein Le¬
ben mit ſolcher Schnelligkeit an uns vorüber, daß
uns ſchwindelt. Im erſten Acte iſt er Zögling in
einer geiſtlichen Schule, in zweiten Huſar, im drit¬
ten König, im vierten wird er todt geſchoſſen. Aber
wie todt geſchoſſen! Das Kriegsgericht des dum¬
men Ferdinands von Neapel, ein Banditen-Gericht
mit Floskeln, verurtheilt Mürat. Er ſtellt ſich vor
die Soldaten, kommandirt Feuer und ſtürzt hin. Das
geſchieht wie die wahre Geſchichte im Zimmer.
Man wagte es nicht im Freien, Gott ſollte es nicht
ſehen. Es iſt entſetztlich! Die Pariſer Melodra¬
men-Dichter ſind wahre Kannibalen, Menſchenfreſſer,
ſie reißen einem das Herz aus dem Leibe. Das Ohr
kann nicht gerührt werden von ſolchem dummen Zeug;
aber die Augen müſſen doch weinen, wenn ſie offen
ſind. Luſtig iſt der erſte Act, wo Mürat im Semi¬
narium als junger Abbé auftritt. Ganz ſchwarz un¬
ter lauter ſchwarzen Kameraden, blickt Mürats roſen¬
rothes lebensvolles Geſicht, aus der dunkeln Kleidung
gar angenehm hervor, Himmel! was werden da für
Streiche geſpielt, von den alten und von den jungen
Geiſtlichen, von den heimlichen und von den öffent¬
[156] lichen Taugenichtſen! Man könnte zehn Chriſten¬
thümer damit zu Grunde richten. Wir ſahen auch
die Prozeſſion des heiligen Januaris in Neapel. Als
die Franzoſen Neapel eroberten, wurde von ihnen die
Statue des heiligen Januarius, der Schutzgott des
Volkes, in das Meer geſtürzt. Mürat ließ ſie ſpä¬
ter wieder herausfiſchen, aber die Naſe fehlte. Dar¬
über war das Volk troſtlos. Der Erzbiſchof war
einverſtanden mit König Mürat. Als nun der hei¬
lige Januarius ohne Naſe auf dem Markte aufgeſtellt
war, ſtürzten Fiſcher herbei und berichteten mit un¬
beſchreiblichem Entzücken, ſie hätten ſo eben die Naſe
auf dem Boden des Meeres wiedergefunden. Sie
wird dem heiligen Januarius anprobirt, und ſie paßt
vollkommen und bleibt ſitzen. Der Erzbiſchof ſchreit:
Mirakel! und das Volk: es lebe Joachim! Dabei
erinnerte ich mich in Flagoletta geleſen zu haben,
daß, als die Franzoſen nach Neapel kamen, das Blut
des heiligen Januarius zur gehörigen Zeit nicht flie¬
ßen wollte. Das entſetzte Volk in der Kirche drohte
aufrühreriſch zu werden. Da nahte ſich ein franzö¬
ſiſcher Offizier unter Lächeln und Bücklingen dem
fungirenden Erzbiſchofe, zeigte ihm eine kleine Piſtole
in ſeinem Rockärmel, und ſagte ihm freundlich: hei¬
liger Biſchof! haben Sie die Gefälligkeit, das Blut
fließen zu machen, ſonſt jage ich Ihnen eine Kugel
[157] durch den Kopf. Der Biſchof verſtand den Wink
und das Blut floß auf's Schönſte.
— Die dritte Komödie war: Cotillon III, ou
Louis XV chez Madame Dubarry. Es hat mich
angenehm überraſcht, in dieſem kleinen artigen Dinge
keine betrübte Kritelei der alten Zeit zu finden; man
wird das endlich ſatt. Im Gegentheil, alle Perſo¬
nen, ſelbſt Ludwig XV. und der alte Erzbiſchof von
Paris werden liebenswürdig dargeſtellt. Der Letz¬
tere erſcheint bei der Morgentoilette der Dubarry,
hilft ihr beim Ankleiden, und kniet nieder, ihr die
Schuhe anzuziehen. Er iſt ſehr galant und hofft bald
Cardinal zu werden. Den leichten Fächerſchlag mag
die katholiſche Geiſtlichkeit hinnehmen; das iſt doch
kein grauſames Spießruthenlaufen wie in der pa¬
pesse Jeanne. Ich glaube Friederich der Große
war es, welcher der Dubarry, als der dritten Mai¬
treſſe Ludwigs XV., den Namen Cotillon III. gege¬
ben. Die erſte Maitreſſe nannte er Cotillon I, die
zweite (Frau von Pompadour) Cotillon II. Der
Erzbiſchof ſagt in einem Vorzimmer der Dubarry zu
einem tugendhaften jungen Secretär: Sous la Du¬
chesse de Chateauroux, Cotillon I, je n'étais
qu'abbé; je voulus m'amuser à faire de la mo¬
rale, on m'envoya dire ma messe. Sous ma¬
[158]dame de Pompadour, Cotillon II, je fus beau¬
coup plus indulgeant, on me fit évêque; sous
madame Dubarry, Cotillon III, je suis archévêque,
et le chapeau de Cardinal n'est suspendu que
par un fil au-dessus de ma tête. Vienne un
Cotillon IV, et je suis pape.
Drei und vierzigſter Brief.
Heute ſind es ſechs Jahrhunderte, daß ich in
Paris bin. Der Kalender, der Pächter, und alle,
welche Hausmiethe zu bezahlen oder zu fordern ha¬
ben, werden zwar behaupten, es wären erſt ſechs
Monate; aber wie iſt das möglich? Hätte ein en¬
ges halbes Jahr all die großen Begebenheiten faſſen
können? Auch behaupten die Herren Schneider, die
Zeit wäre wirklich geplatzt, und ſie kommen alle
[herbei], ſie mit ihren alten geſtohlenen Lappen wieder
zu flicken. Ich wollte, ich hätte eine Krone, ich
würde mir einen ſchönen Reiſewagen dafür kaufen,
wenn ich ja in Paris einen Narren von Sattler
[160] fände, der das für baares Geld nähme. Was fange
ich mit meiner Krone an? Soll ich Ihnen eine
Kette davon machen laſſen? Aber Sie trügen ſie
nicht, denn die Blutflecken ſind nicht heraus zu
brennen.
— Geſtern kamen Nachrichten, die Oeſterreicher
wären in Bologna und Reggio eingezogen, und hät¬
ten dort die ganze Nationalgarde niedergemetzelt
das heißt: alle reichen, vornehmen und edlen Bür¬
ger. O und Ach! O und Ach! und wenn
Shakeſpeare wieder käme, er könnte nichts Beſſeres
ſagen, als O und Ach! Darum will ich es dabei
bewenden laſſen.
— — Ich ſah geſtern Ferdinand Cortez in
der großen Oper. Das war, nach allen den Mehl-
und Fleiſchſpeiſen, welche uns die königliche Akademie
der Muſik dieſen ganzen Winter aufgetiſcht, einmal
Roſtbeaf mit engliſchem Senf. Auch ſagte mir mein
franzöſiſcher Nachbar ſchon vor der Ouvertüre, die
Muſik wäre ſehr langweilig. Aber ich fand das
gar nicht. Im Gegentheile, ſie gibt uns nur zu
viel Beſchäftigung. Der Ausdruck der glühenden
Leidenſchaft iſt zu ſtark, zu anhaltend; das brennt
uns gerade über den Scheitel, und nirgends ein küh¬
[161] les Plätzchen. Das Haus war ungewöhnlich voll,
aber wie mein Nachbar war alle Welt nur gekom¬
men, das nachfolgende Ballet zu ſehen. Ich ballte
ſchon zum voraus die Fäuſte, denn ein Ballet bringt
mich immer in den heftigſten Zorn in einen wahren
Bierhaus-Zorn. Ich möchte den Tänzern und Tän¬
zerinnen Arm und Beine entzwei ſchlagen, wenn ſie
wie toll unter einander ſpringen, und man recht deut¬
lich wahrnimmt, wie keiner weiß, was er fühlt, was
er denkt, was er thut, wo er hin will; wenn ſie
ſich auf ein Bein ſtellen, das andere in die Luft
kreuzend, und ſo einen Wegweiſer bilden; wenn ſie
ſich wie gepeiſchte Kreiſel drehen, und mit ihren
Füßen lächerliche Triller ſchlagen — dann verliert
man alle Geduld. Darauf war ich vorbereitet, und
wurde angenehm überraſcht. Das Ballet war wun¬
derſchön. Es ſind Gedanken, Gefühle und Hand¬
lungen darin, wie ſie ſich für dieſe zarte Kunſt
ſchicken. Ich meine, man ſollte nichts anderes tan¬
zen, als was man auf der Flöte ſpielen darf.
Donnerwetter in den Beinen, Huſarentänze, Trom¬
petenſprünge — das iſt gar zu lächerlich. Man
gab Flore et Zéphire, balletanacréontique.
Dieſes Beiwort, und daß die Compoſition gefällig
war, ſcheint mir zu beweiſen, daß es ein altes
II. 11[162] Ballet iſt, aus der ſchönen Zeit vor der Sündfluth.
Seit der Revolution iſt in Frankreich die Tanzkunſt
ſehr in Verfall gekommen, und ich kann mir das
erklären. Früher war das geſellige Leben in Frank¬
reich ſelbſt ein beſtändiges Tanzen. Jede körperliche
Bewegung war abgemeſſen, anſtändig, würdig und
geſchmackvoll, nach dem Geſchmacke der Zeit. So
fand die Tanzkunſt, die ein ferneres Ziel hat als
die Tanznatur, ehe ſie ihre Laufbahn begann, den
halben Weg ſchon zurückgelegt. Jetzt aber iſt das
ganz anders. Da alle Stände gleich ſind, in der
öffentlichen Achtung wie vor dem Geſetze, bemüht
ſich keiner mehr durch ein feineres Aeußere zu zeigen,
daß er einem höhern Stande angehört. Man ſucht
den Weibern nicht mehr zu gefallen, und mit der
Zärtlichkeit ging bei den Männern auch alles Zarte
verloren. Es iſt unglaublich, mit welcher Unritter¬
lichkeit hier die Frauenzimmer von dem männlichen
Geſchlechte behandelt werden. Wenn nicht eine zu¬
fällige perſönliche Neigung ſtattfindet, auf das Ge¬
ſchlecht als ſolches wird gar keine Rückſicht genom¬
men. Die jungen Leute treten mit weniger Umſtän¬
den in eine Geſellſchaft als in ein Kaffeehaus ein;
kaum daß ſie ſich verneigen, viel, wenn ſie grüßen.
Haben ſie mit der Frau vom Hauſe einige unhörbare
[163] Worte gewechſelt, oder ihr eine Minute lang zuge¬
lächelt, iſt ihre Galanterie erſchöpft. Das iſt ſehr
bequem, aber das Ballet muß dabei zu Grunde ge¬
hen. Das Tanzen auf den Bällen müßten Sie
ſehen. Es iſt gar kein Tanzen, es iſt nicht einmal
rechtes Gehen. Vier Paare ſtellen ſich einander
gegenüber, reichen ſich verdrießlich, und ohne ſich da¬
bei anzuſehen, die Hände, und ſchleichen ſo matt auf
ihren Beinen herum, als wären ſie erſt einen Tag
vorher von der Cholera morbus aufgeſtanden. An
angenehme Touren, an Pas iſt nicht zu denken.
Ich kann Sie verſichern, das ich mit meinen alten
Pas vom Langerhans aus der Gellenhäuſer-Gaſſe in
Paris Aufſehen machen würde. Zu ſpät fiel mir
ein, wie dumm ich geweſen, daß ich auf dem großen
Opernball, wo ich von der Hitze und dem Gedränge
ſo vieles auszuſtehen hatte, nicht getanzt. Man
hätte mir, wie jedem Tänzer Platz gemacht, und ich
hätte mich ausruhen können, vom Gehen und vom
Nichttanzen. Auch habe ich mir feſt vorgenommen,
wenn ich hier wieder in ein ſolches Ballgedränge
komme, mich in eine Quadrille zu flüchten, und dort
das Glück der Ruhe zu genießen. Nicht zu vergeſ¬
ſen, ich habe hier noch kein Frauenzimmer einen Knix
machen ſehen. O Zeiten! O Sitten! O ihr
11*
[164] ſchönen Tage des Menuets! O Veſtris! ...
O verdammte Preßfreiheit!
Wieder auf das Ballet zu kommen. Es treten
darin alle Götter des Olymps auf. Bacchus, Flora,
Zephyr, Venus, Amor, Hymen und auch einige bür¬
gerliche Gottheiten, die Unſchuld, die Schamhaftigkeit.
Ach! ich ſchäme mich's zu ſagen, meine ganze My¬
thologie habe ich vergeſſen. Ich bin ſehr alt ge¬
worden. In meiner Jugend kannte ich alle Götter
und Göttinnen, ſo gut als ich meine Onkels und
Tanten kannte. Ich wußte deren Namen, deren
Würden und deren Aemter, deren Wohnungen, wußte
wie ſie gekleidet waren, und kannte deren ganze Le¬
bensgeſchichte. Jetzt, nichts mehr. Zephyr, weil er
Flügel auf dem Rücken trug, ſah ich für Amor an.
Zwar fiel mir etwas auf, daß er ein ſo langer
Menſch war; aber ich dachte: ich habe Amor ſeit
zwanzig Jahren nicht geſehen, und er kann wohl
unterdeſſen gewachſen ſeyn. Daß Hymen, Bacchus,
Venus mittanzen, ſah ich aus dem Programm; aber
ich konnte ſie nicht von einander unterſcheiden. Die
beiden Hauptrollen, Flora und Zephyr, waren vor¬
trefflich beſetzt, und weit davon entfernt, meinen aus¬
geſprochenen Tadel zu verdienen. Beſonders Flora
entzückte mich. Eine bezaubernde Grazie, und eine
Mäßigung in allen Bewegungen, bei ſo großer Be¬
[165] weglichkeit, die ich noch bei keiner Tänzerin gepaart
gefunden. Sie umgaukelte ſich ſelbſt, und war zu¬
gleich Blume und Schmetterling. Sie bewegte ſich
eigentlich gar nicht; ſie erhob ſich nicht, ſenkte ſich
nicht; ſie wurde hinauf und herab gezogen, Luft und
Erde ſtritten ſich um ihren Beſitz. „Wer iſt dieſe
Tänzerin?“ — fragte ich meinem Nachbar in der
Loge, einen Mann von funfzig Jahren, der ſehr vor¬
nehm ausſah. Er ſah mich mit Augen an — aber
mit Augen — und antwortete nach einigen Athem¬
zügen: mais ... c'est mademoiselle Taglioni!
Hätte ich den Mann zwanzig Jahre früher bei einer
Parade auf dem Marsfelde gefragt: wer iſt der
kleine Mann dort zu Pferde, im grauen Ueberrocke
und mit dem kleinen Hute? .. mit nicht größern
Augen hätte er mich anſehen, nicht mit größere Ver¬
wunderung hätte er mir erwiedern können: mais ...
c'est Napoléon! Ganz recht hat der Herr, wenn
er nur Geld genug hat. Kurz, das Ballet machte
mir Freude. Aber zuletzt ward mir das Ding doch
zu ſüß, und da warf ich ſpaniſchen Pfeffer hinein.
Unter dem Tändeln, Koſen und Tanzen der olympi¬
ſchen Götter dachte ich an die polniſchen Senſen¬
männer, welche die Köpfe der Ruſſen, wie Schnitter
das Getreide mähen. Gräßlich! zu gräßlich!
[166] Warum denken Sie immer an die Polen, warum
trauern Sie nur für ſie? Sind die Ruſſen nicht
beweinenswerther? Die Polen ſterben den ſchönen
Heldentodt, oder ſie leben für die Freiheit. Der
Ruſſe zwiſchen grauſame Senſe und ſchimpfliche
Knute geſtellt, [kämpft] nur für eigne Sklaverei, unter¬
liegt wie ein Schlachtvieh, oder ſiegt wie ein Metz¬
gerhund, für ſeinen Herrn. Die Menſchen zu
Völkern vereinigt, ſind dümmer, geduldiger als die
Steine. Jeder Stein rächt ſich, wenn ihn einer zu
hart berührt, und verſetzt ſeinem Beleidiger blutige
Beulen; ein Volk aber, eine Alpenkette, läßt ſchimpf¬
lich mit ſich kegeln, und hat es die Kegel erreicht
und umgeworfen, läßt es ſich geduldig in die höl¬
zerne Rinne legen, und eilt ſehr, herabzurollen zu
ſeinem Spielherrn, und läßt ſich von neuem kegeln.
Es iſt zum Raſendwerden!
Ich will nicht verſäumen, Ihnen eine Stelle
aus einem Briefe aus Warſchau mitzutheilen, den
geſtern ein hieſiges Blatt enthielt. „Der öffentliche
„Geiſt in Warſchau iſt herrlich; doch gibt es Men¬
„ſchen, die das Wohl ihres Kramladens dem des
„Vaterlandes vorziehen. Das darf Sie aber nicht
„in Verwunderung ſetzen, denn auf 140,000 Ein¬
[167] „wohner unſerer [Hauptſtadt] kommen 30,000 Juden
„und 10,000 Deutſche. Dieſe Letztern ver¬
„ſtehen gar nicht, was das heißt, Vater¬
„land, weil ſie vielleicht nirgends eines
„haben. Sie kommen zu Tauſenden nach Polen,
„zehren von deſſen Brode, und verlaſſen es, wenn
„ſie ſich bereichert haben. Aber es hat keine
„Gefahr mit ihnen; es ſind größtentheils
„Leute von ſchwachem aber ehrſamem Cha¬
„rakter, und man braucht ſie nur ſtarr an¬
„zublicken, um ihrer Treue verſichert zu
„ſeyn. ... Was die jüdiſche Bevölkerung
„betrifft, früher ſo ſchlecht, hat ſie ſeit
„dem 29. November ſehr große Fort¬
„ſchritte im Guten gemacht. Der Geiſt der
„Verbrüderung fängt an, ſie mit den wah¬
„ren Polen zu vereinigen, und ich kann
„Sie verſichern, daß, wenn die Vorſehung
„unſere Waffen ſegnet, in einem Jahre
„alle unſere Juden in Polen umgewandelt
„ſeyn werden.“ Iſt das nicht merkwürdig?
Was, die ſchlechten, verachteten und die verächtlichen
Juden, hinabgeknechtet ſeit zweitauſend Jahren,
brauchen nur ein einziges Jahr, um zum herrlichſten
Volke der Erde, um Polen zu werden; nur ein ein¬
[168] ziges Jahr, um die Freiheit zu verdienen, um zu
erkämpfen, und ſich ein Vaterland zu erwerben —
und die ſo ſtolzen, herriſchen Deutſchen, welche
prahlen, die Freiheit ſei ihre Wiege geweſen, die
auf die Juden mit ſolcher Verachtung herabblicken,
haben noch und wollen kein Vaterland, haben noch
und wollen keine Freiheit! Ich habe es ja immer
geſagt, und wie ich glaube, auch drucken laſſen:
Türken, Spanier, Juden, ſind der Freiheit viel
näher als der Deutſche. Sie ſind Sklaven, ſie
werden einmal ihre Ketten brechen, und dann ſind
ſie frei. Der Deutſche aber iſt Bedienter, er könnte
frei ſeyn, aber er will es nicht; man könnte ihm
ſagen: ſcheer dich zum Teufel und ſei ein freier
Mann! — er bliebe und würde ſagen: Brod iſt
die Hauptſache. Und will ſeine Treue ja einmal
wanken, man braucht ihn nur ſtarr anzu¬
ſehen, und er rührt ſich nicht! Ich habe mir vor
Vergnügen die Hände gerieben, als ich das im pol¬
niſchen Briefe geleſen. Dahin müßte es noch kom¬
men, dieſe erhabene Lächerlichkeit fehlte noch der
deutſchen Geſchichte, daß einmal Juden ſich an die
Spitze des deutſchen Volkes ſtellen, wenn es für
ſeine Befreiung kämpft! .. Aber kennen Sie auch
die neue Dresdner Conſtitution? Das Meißner
[169] Porzellan iſt eine Mauer dagegen. Geleſen habe
ich ſie noch nicht, man erzählte mir nur etwas da¬
von. Das Wenige machte mich ſchon luſtig, und
ich ſang den Vogelfänger, bis ich zu fluchen anfing.
Stets luſtig, heiſa hopſaſa ... hol euch der
Teufel! — —
Geſtern war nach langer Zeit der Z. einmal
wieder bei mir, blieb aber nicht lange. Ich hörte
etwas von ihm, was euch in Frankfurt gar nicht
gleichgültig ſein kann. Ich erinnere mich nicht, ob
ich es Ihnen ſchon früher mitgetheilt, daß mir wäh¬
rend meines Hierſeyns Aeußerungen von franzöſiſchen
Offizieren hinterbracht worden: daß, wenn ſie der
Krieg einmal wieder nach Frankfurt brächte, ſie ſich
für die Mishandlungen, die ſie dort bei ihrem Rück¬
zuge 1814 hätten erleiden müſſen, fürchterlich rächen
wollten. Nun erzählte mir Z., er habe einen Tag
vorher mit einem General gegeſſen, der habe das
Nehmliche geäußert und hinzugefügt, er habe dem
Kriegsminiſter Marſchal Soult ſchon den Vorſchlag
gemacht, Frankfurt hundert Millionen Contribution
bezahlen zu laſſen. Erzählen Sie das aber nicht
weiter, ehe Sie meine Stadt-Obligationen verkauft
haben. Aber wie flink die Herren Franzoſen ſind!
Mögen ſie nur kommen, wir ſind noch flinker im
Gehorchen als ſie im Befehlen. Wollte ich doch
darauf wetten, daß der Cenſor ſchon längſt die ſtille
[171] Weiſung bekommen, ja kein hartes Wörtchen gegen
die neuen Franzoſen durchgehen zu laſſen.
— Merkwürdige Dinge ſollen ja in Frankfurt
wegen der Juden vorgehen. Iſt es wahr, daß die
Wittwer und Wittwen ſollen heirathen dürfen, ſo oft
und ſobald ſie Luſt haben? Iſt es wahr, daß Ju¬
den und Chriſten ſollen Ehen unter einander ſchließen
dürfen, ohne weitere Ceremonien? Iſt es wahr,
daß der Senat dem geſetzgebenden Körper den Vor¬
ſchlag gemacht, die Juden den chriſtlichen Bürgern
ganz gleich zu ſtellen, und daß von 90 Mitgliedern
nur 60 dagegen geſtimmt? Das wäre ja für un¬
ſere Zeit eine ganz unvergleichliche Staats-Corpora¬
tion, die unter 90 Mitgliedern nur 60 Dumme
zählte. Ein ganzes Drittheil des geſetzgebenden
Körpers hat dem Geiſte der Zeit unterlegen; das iſt
ja ärger als die Cholera morbus — werden die
alten Staatsmänner jammern!
— Haben Sie etwas davon geleſen oder ge¬
hört, daß Herr von Rotteck, Badiſcher Profeſſor in
Freiburg, und Mitglied der Stände-Verſammlung
arretirt worden ſei, als in der hannövriſchen Revolu¬
tion verwickelt? Das wäre ſehr merkwürdig. Zwar
hat ſich Rotteck immer als liberaler Schriftſteller
[172] und Deputirter gezeigt; indeſſen hat er die den deut¬
ſchen Gelehrten eigene Mäßigung nie überſchritten.
Hat er ſich aber wirklich in eine Verſchwörung ein¬
gelaſſen, ſo würde das beweiſen, daß es bei uns
Leute gibt, die leiſe ſprechen, aber im ſtillen kräftig
handeln, und dann ließe ſich etwas hoffen.
Die Lage der Dinge hier iſt jetzt ſo, daß ich
jeden Tag, ja jede Stunde den Ausbruch einer Re¬
volution erwarte. Nicht vier Wochen kann das ſo
fortdauern, und der Rauch der Empörung wird hin¬
ter meinem Reiſewagen herziehen. Die Verblendung
des Miniſteriums und der Majorität der Kammer
iſt ſo unerklärlich, daß ohne ſträflichen Argwohn, bei
einigen der lenkenden Mitglieder Verrätherei anzu¬
nehmen iſt. Der Eigenſinn des Königs iſt nicht zu
erſchüttern, ſeine Schwäche nicht aufzurichten. Er
wird nicht Frankreich zu Grunde richten, denn das
hilft ſich ſelbſt heraus; aber er ſpielt um ſeine Krone,
der einzige Mann im Miniſterium, der Einſicht mit
Energie verbindet, iſt der Marſchall Soult: aber ich
für mich traue ihm nicht. Die Zeit iſt ſo, daß es
einem Kriegsmanne wohl einfallen darf, den zweiten
Napoleon zu ſpielen, und Soult mag daher die Re¬
gierung gerne auf falſchem Wege ſehen, damit Frank¬
reich in eine Lage komme, in der es eines Diktators
[173] nicht entbehren kann. Dem Willen und der Kraft
der Regierung mistrauend, bilden ſich jetzt überall
Aſſociationen der angeſehenſten Bürger, um durch
vereinte Kräfte die alte Dynaſtie und den Feind
vom Lande abzuhalten. Das kann dem Könige ge¬
fährlich werden. Wenn nicht bald ein Krieg die Krank¬
heit nach außen wirft, iſt Louis Philipp verloren.
Man fängt jetzt in den franzöſiſchen Provinzen
an, denjenigen Theil der Nationalgarde, der kleine
Flinten hat, nach Art der Polen mit Senſen zu
bewaffnen. Ich halte das für ſehr wichtig, es iſt
ein großer Fortſchritt, den die Kriegskunſt der Frei¬
heit macht. Die Senſe iſt dem Bauer eine ge¬
wohnte, dem Soldaten eine ungewohnte und darum
ſchreckbare Waffe, und nimmt dieſem den Muth,
den er jenem gibt. Die Senſe wird dem Lande
werden, was den Städten die Pflaſterſteine ſind.
Caſimir Perrier hat geſtern in der Kammer
als Miniſter debütirt. Seine Anhänger und Claqueurs
haben voraus gejubelt, er werde die Revolution mit
Haut und Haar verſchlingen. Aber ſo beſtialiſch iſt
es nicht geworden. Die Miniſter ſprachen einer nach
dem Andern vom Frieden, aber der trockne Frieden
[175] blieb ihnen im Halſe ſtecken, und wir wiſſen heute
nicht mehr, als wir vor acht Tagen wußten. Die
Renten hüpfen umher wie geſtutzte Vögel; ſie woll¬
ten fliegen, aber es ging nicht, ſie mußten auf der
Erde bleiben. Es iſt ganz ſchön, daß die Tortur
abgeſchafft worden, aber für eine Art Spitzbuben
hätte man ſie beibehalten ſollen — für die hart¬
mäuligen Diplomaten, die Wahrheit von ihnen her¬
aus zu preſſen. Aber wer weiß! ſie würden viel¬
leicht ſelbſt auf der Folter die Wahrheit nicht ſagen.
Die Lüge iſt ihre Religion; für ſie dulden und ſter¬
ben ſie. — Alſo in Frankfurt iſt man mit dem fau¬
len Treiben hier auch nicht zufrieden? Was iſt zu
thun? die vielen Menſchen, welche durch die letzte
Revolution ihren Ehrgeiz und ihre Habſucht befrie¬
digt, wollen Ruhe und Frieden haben. „Ruhe und
„Frieden! ich glaubs wohl! den wünſcht
„jeder Raubvogel, die Beute nach Bequem¬
„lichkeit zu verzehren“ — läßt Goethe ſeinem
Götz von Berlichingen ſagen.
Wir haben jetzt ſchon den ſchönſten Frühling
hier. Alles iſt grün und die Spatziergänge ſind be¬
deckt mit Menſchen. In den Tuilerien und in den
Champs Eliſees war es geſtern zum Entzücken. Es
[176] iſt hier überall ſo viel Raum, daß die Natur nir¬
gends den Menſchen verdrängt. Bäume und Spatzier¬
gänger finden alle Platz und hindern ſich nicht.
Unſere Frankfurter Promenade, ſo ſchön ſie iſt, hat
doch etwas Kleinſtädtiſches.
Vier und vierzigſter Brief.
Ich habe Lord Byrons Denkwürdigkeiten von
Thomas Moore zu leſen angefangen. Das iſt Glüh¬
wein für einen armen deutſchen Reiſenden, der auf
der Lebensnacht-Station zwiſchen Treuenbriezen und
Kroppenſtädt im ſchlechtverwahrten Poſtwagen ganz
jämmerlich friert. Er aber war ein reicher und vor¬
nehmer Herr; ihn trugen die weichſten Stahlfedern
der Phantaſie ohne Stoß über alle holperigen Wege
und er trank Johannisberger des Lebens den ganzen
II. 12[178] Tag. Es iſt krank darüber zu werden vor Neid.
Wie ein Komet, der ſich keiner bürgerlichen Ordnung
der Sterne unterwirft, zog Byron wild und frei
durch die Welt, kam ohne Willkommen, ging ohne
Abſchied, und wollte lieber einſam ſeyn als ein Knecht
der Freundſchaft. Nie berührte er die trockene Erde;
zwiſchen Sturm und Schiffbruch ſteuerte er muthig
hin und der Tod war der erſte Hafen, den er ſah. Wie
wurde er umhergeſchleudert, aber welche ſelige Inſel hat
er auch entdeckt, wohin ſtiller Wind und der bedächtige
Compaß niemals führen! Das iſt die königliche Natur.
Was macht den König? Nicht daß er Recht nimmt und
gibt — das thut jeder Unterthan auch — König iſt wer
ſeinen Launen lebt. Ich muß lachen, wenn die Leute
ſagen, Byron wäre nur einige und dreißig Jahre
alt geworden; er hat tauſend Jahre gelebt. Und
wenn ſie ihn bedauern, daß er ſo melancholiſch ge¬
weſen! Iſt es Gott nicht auch? Melancholie iſt
die Freudigkeit Gottes. Kann man froh ſeyn wenn
man liebt? Byron haßte die Menſchen, weil er die
Menſchheit, das Leben, weil er die Ewigkeit liebte.
Es giebt keine andere Wahl. Der Schmerz iſt das
Glück der Seligen. Am meiſten lebt, wer am mei¬
ſten leidet. Keiner iſt glücklich, an den Gott nicht
denkt, iſt es nicht in Liebe, ſei es in Zorn; nur
[179] an ihn denkt. Ich gäbe alle Freuden meines
ganzen Lebens, für ein Jahr von Byrons Schmer¬
zen hin.
Vielleicht fragen Sie mich verwundert, wie ich
Lump dazu komme, mich mit Byron zuſammen zu
ſtellen? Darauf muß ich Ihnen erzählen, was Sie
noch nicht wiſſen. Als Byrons Genius, auf ſeiner
Reiſe durch das Firmament auf die Erde kam, eine
Nacht dort zu verweilen, ſtieg er zuerſt bei mir ab.
Aber das Haus gefiel ihm gar nicht, er eilte ſchnell
wieder fort und kehrte in das Hotel Byron ein.
Viele Jahre hat mich das geſchmerzt, lange hat es
mich betrübt, daß ich ſo wenig geworden, gar nichts
erreicht. Aber jetzt iſt es vorüber, ich habe es ver¬
geſſen und lebe zufrieden in meiner Armuth. Mein
Unglück iſt, daß ich im Mittelſtande geboren bin, für
den ich gar nicht paſſe. Wäre mein Vater Beſitzer
von Millionen oder ein Bettler geweſen, wäre ich
der Sohn eines vornehmen Mannes oder eines Land¬
ſtreichers, hätte ich es gewiß zu etwas gebracht.
Der halbe Weg, den Andere durch ihre Geburt vor¬
aus hatten, entmuthigte mich; hätten ſie den ganzen
Weg voraus gehabt, hätte ich ſie gar nicht geſehen
12 *[180] und ſie eingeholt. So aber bin ich der Perpendickel
einer bürgerlichen Stubenuhr geworden, ſchweifte
rechts, ſchweifte links aus und mußte immer zur
Mitte zurückkehren.
Wenn alles das wahr iſt, was man hier ſeit
einigen Tagen von den Polen erzählt, ſo geht es ja
auf das allerherlichſte und Sie ſollen, da Sie als
Frauenzimmer keinen Jubelwein trinken können, zur
Siegesfeier ein Dutzend Gläſer Gefrornes eſſen. Es
wird ſchon warm werden an Ihrem Herzen. Die
Ruſſen ſollen im vollen Rückzuge ſeyn, aufgelößt wie
die kranke alte Sünde. Achtzig Kanonen mußten ſie
im Stiche laſſen. Die Erde verſchlingt ſie lebend,
die Polen fallen ihnen im Rücken und Litthauen iſt
im Aufſtande. Le fameux Diebitsch hat die
Ruthe bekommen, — le fameux Diebitsch, wie
man hier ſagt — das lautet wunderſchön! Aber
wenn!
— Ich kann es Ihnen nicht länger verſchwei¬
gen, daß die europäiſchen Angelegenheiten, die ich,
wie Sie wiſſen, ſo gut auswendig kannte als das
[182] Ein mal Eins, anfangen mir über den Kopf zu ſtei¬
gen. Anfänglich hielt ich ſie unter mir, indem ich
mich auf den höchſten Stuhl der Betrachtung ſtellte;
aber da ſind ſie mir bald nachgekommen und ich
kann jetzt nicht höher. Die deutſchen Regierungen,
ſtatt ihren Unterthanen Opium zu geben, geben ih¬
nen Kaffee, daß ſie munter bleiben, und ſtatt ihnen
das weichſte Bett zu machen, zupfen ſie ſie an der
Naſe, aus Furcht, ſie möchten einſchlafen. In
Frankreich iſt es noch toller. Ich weiß ſo wenig
mehr was hier getrieben wird, als wäre ich Ge¬
ſandter. Man wird ganz dumm davon, und wenn
das alltägliche diplomatiſche Schmauſen, das ich nicht
vertragen kann, nicht wäre, könnte ich im Taxiſchen
Pallaſt ſo ehrenvoll ſitzen als Einer. Wenn nicht
ganz was beſonders vorgeht, wenn nicht etwa die
franzöſiſchen Miniſter aus Eitelkeit, um zu zeigen,
daß, ob ſie zwar bürgerliche Emporkömmlinge ſind,
die im vorigen Jahre noch ehrliche Leute waren,
doch ſpitzbübiſcher ſeyn können als der älteſte Adel
— wenn ſie nicht ganz etwas außerordentlich Fei¬
nes ſpinnen, aus einem Lothe Wahrheit einen Lügen¬
ſchleier von drei Ellen weben — weiß ich nicht, was
ich davon denken ſoll. Das Verderben von außen
rückt ihnen immer näher, und ſie lachen dazu wie
[183] ein Aſtronom zur Erſcheinung eines Kometen. Sie
haben das alle ausgerechnet. Im Innern iſt es noch
ſchlimmer. Wo Feuer, iſt Rauch; ſie wollen aber
lieber kein Feuer als Rauch haben, und wenn es
zum Kriege kommt, wenn ſie die Subordination der
fremden Völker mit nichts beſiegen könnten, als mit
Inſubordination des franzöſiſchen Volkes; wenn ſie
die Begeiſterung der Franzoſen brauchen, werden ſie
keine Kohle mehr finden, eine Lunte anzuzünden.
Die frühern Miniſter, die durch ihre Schwäche vie¬
les verdorben, machten zugleich durch ihre Unthätig¬
keit vieles wieder gut. Sie ließen die Dinge ihren
natürlichen Lauf gehen. Seit Caſimir Perrier aber
fangen die Unglückſeligen an thätig zu werden.
Marſchall Soult, ſobald er das Kriegsminiſterium
antrat, fing an, um fünf Uhr Morgens aufzuſtehen
und zu arbeiten, und ſeine Untergebenen arbeiten zu
laſſen. Nun, für einen Kriegsminiſter, der gegen
den fremden Feind wirkt, iſt das ſchön. Aber ſeit
einigen Tagen, wie ich heute mit Entſetzen in der
Zeitung las, ſteht der Miniſter des Innern auch
ſchon um fünf Uhr auf. Welche unſeligen Folgen
wird das haben! Was in allen Staaten die Völker
noch gerettet bis jetzt, war die Faulheit ihrer Re¬
genten, die bis neun Uhr im Bette lagen. Sie re¬
[184] gierten vier Stunden weniger, und das macht viel
aus im Jahre. Wenn die Miniſter ſich angewöhnen,
mit der Sonne aufzuſtehen, dann wehe den Unter¬
thanen.
Ich war wieder einmal im Theater geweſen.
Bin ich nicht ein fleißiger Junge? Im Vaudeville
habe ich zwei Stücke geſehen Madame Dubarry und
le bal d'Ouvriers. Die iſt eine andere Dubarry,
als die, von der ich neulich berichtet und die im
Ambigü aufgeführt wird. Es iſt ein Luſtſpiel im
höheren Style, vom bekannten Ancelot, dem Akade¬
miker. Ancelot's Komödie hat ungemeinen Beyfall
gefunden, ſie wird ſeit drei Wochen täglich gegeben
und das Haus iſt jedes mal toll und voll. Die
Komödie gefiel mir auch, nur durch andere Mittel
als ſie den Franzoſen gefällt. Dieſe haben ihre
ſchlichte Freude daran, ich aber habe den Humor
davon. Dem Stücke, um gut zu ſeyn, fehlt nichts
als deutſches Klima! hier iſt es nur ein Treibhaus¬
gewächs. Es kommt erſtaunlich viel Sentimentalität
darin vor; aber wenn franzöſiſche Dichter und
Schauſpieler Sentimentales darſtellen, machen ſie ein
Geſicht dazu, als hätten ſie Leibſchmerzen, und man
möchte ihnen ſtatt Thränen Kamillenthee ſchenken.
Stellen Sie ſich vor: die Dubarry erinnerte ſich
mit Wehmuth ihrer ſchuldloſen Jugendjahre, da ſie
[186] noch nicht Maitreſſe des Königs, ſondern Putz¬
macherin war. Putzmacherin in Paris — das nennt
ſie den Stand der Unſchuld! Von dieſer Erinne¬
rung bekommt ſie in mehreren Scenen die heftigſten
Anfälle von Tugend-Krämpfen und kein Arzt in ganz
Verſailles die Mittel dagegen weiß. Dem guten
Ludwig XV. geht es noch ſchlimmer. Er bekommt
einen Tugend-Schlag, ſo daß man meint, er wäre
todt. Aber er hat eine herliche Natur und erholt
ſich wieder. Der Spaß iſt: in unſern bürgerlichen
Schauſpielen von Iffland und Kotzebue tritt ein
Dutzend edler Menſchen auf, und unter ihnen ein
einziger Schurke, höchſtens mit noch einem Schurken¬
gehülfen. Am Ende wird das Laſter beſchämt und
beſiegt und von der Tugend rein ausgeplündert. In
der Dubarry aber und in andern ähnlichen Stücken,
tritt ein Dutzend Schurken auf und unter ihnen ein
tugendhaftes Paar. Und zuletzt wird gar nicht das
Laſter beſchämt, ſondern im Gegentheil die Tugend;
ja das Laſter kommt noch zu Ehren, indem es ſich
großmüthig zeigt und der beſiegten Tugend Leben und
Freiheit ſchenkt. Und Dichter wie Zuſchauer merken
das gar nicht! In der Dubarry findet ſich eine ſaubere
Geſellſchaft zuſammen. Der König, der Herzog von Ri¬
chelieu, der Herzog von Aiguillon; der Herzog von Lav¬
rillieri, alle Taſchen voll Lettres de cachet, die er
ſeinen Freunden bei Hofe präſentirt wie Bonbons;
[187] der Kanzler Maupeou, der päpſtliche Nunzius, der
Marſchall von Mirepoix und endlich der Schwager
der Dubarry, Graf Jean, ſelbſt am Verſailler Hof
ein ausgezeichneter Taugenichts. Ich kenne aus un¬
zähligen Memoiren alle dieſe Menſchen ſo genau, als
wäre ich mit ihnen umgegangen. Und jetzt kommen
die treu nachgeahmten Kleider, Geſichter, Manieren
und Gebräuche dazu. Das macht die Vorſtellung
ſehr intereſſant. Der Kanzler Maupeou nennt die
Dubarry Couſine und zieht ihr bei der Toilette
die Pantoffeln an, der päpſtliche Nunzius reicht ihr
ſeine heilige Schulter, ſich daran aufzurichten und
der Marſchal Richelieu jammert, daß ihm ſein Alter
verbiete, an dieſem Kampfe der Galanterie Theil zu
nehmen. Aber ein Spitzbube iſt er noch voller Ju¬
gendkraft. Er hat ein junges, ſchönes und undſchul¬
diges Mädchen aufgefangen und ſie nach dem Parc
aux cerfs gebracht, mit dem Plane, durch die neue
Schönheit die Dubarry zu ſtürzen. Die junge Un¬
ſchuld iſt ganz vergnügt, denn ſie meint, ſie wäre in
einer Erziehungsanſtalt. Dort wimmelt es von jun¬
gen Mädchen, immer eine ſchöner, eine geputzter,
eine gefälliger als die andere. Als die junge Un¬
ſchuld ankommt, ſingt der Mädchenchor ein Lied nach
der Melodie des Brautlieds im Freiſchütz: „wir
flechten dir den Jungfernkranz, mit veilchenblauer
Seide.“ Iſt das nicht köſtlich? Aber man denke
[188] ja nicht, daß das eine Malice vom Dichter oder
Muſikdirektor geweſen, keineswegs. Dieſe Melodie
wurde ganz zufällig aus bloßer Naivetät gewählt,
auch war ich der einzige im ganzen Hauſe, der dar¬
über gelacht. Die Dubarry entdeckt Richelieu's In¬
trigue und eilt herbei mit ihrem Gefolge; das un¬
ſchuldige Mädchen bekommt zu ihrem Schrecken Licht
in der Sache und jammert; der Graf Jean Du¬
barry ſucht ſie in ihren guten Vorſätzen zu beſtärken,
und hält ihr im Parc aux cerfs vor allen Hofleu¬
ten folgende Tugendpredigt im feierlichen Tone:
„Ecoutez jeune fille! nous admirons vos nobles
sentimens, gardez-vous d'y renoncer! repoussez
loin de vous les séductions, n'écoutez que la
voix de la vertu! ... la vertu! ... eh c'est
une excellente chose! ... restez dans votre ob¬
scurité; vous ne savez pas quel bonheur pur
et sans mélange vous attend loin de ces cou¬
pables grandeurs empoisonnées par tant de re¬
grets où l'on cherche en vain à ressaisir ce
calme de l'ame, cette sérénité ... (il s'enroue,
et se retourne vers la comtesse d'Aiguillon et
Maupeou). Ah, ça, aidez-moi donc, vous au¬
tres vous me laissez m'enrouer! ... ne pour¬
riez-vous comme moi prêcher la vertu? Que
diable! une fois n'est pas coutume! —Mau¬
peou(à part) l'insolant! ...Jean(à Cécile)
[189] vous m'avez entendu jeune fille, et je me
flatte .........Cécilie. Oui Monsieur,
je les suivrai ces généreux conseils! ... soyez
mon guide! ... vous êtes vertueux vous:
Jean. Merci mon enfant.“ Jetzt denken Sie
ſich das vortreffliche Spiel dazu, und Sie haben eine
Vorſtellung von der komiſchen Wirkung, welche die
Tugend in Verſailles macht.
Was le bal d'ouvriers gibt, zeigt ſchon der
Name des Stückes. Sehr unterhaltend! Einer der
fröhlichen Tänzer ſagt ſtatt Cholera morbus,Ni¬
colas morbus. Das wird der Polenfreundin
gefallen.
Paganini's letztes Concert hat 22,000 Franken
eingetragen; heute ſpielt er zum vierten Male. Der
nimmt auch ſeine 100,000 Franken von hier mit.
Das iſt eine liederliche Welt. Die Taglioni iſt auf
vier Wochen nach London engagirt und bekommt da¬
für 100,000 Franken (Hundert Tauſend). Meinen
Sie, daß es für mich zu ſpät ſei, noch tanzen zu
lernen? Meine ſämmtlichen Schriften, ſo voller Tu¬
gend und Weisheit, werden mich niemals reich ma¬
chen. Ach könnte ich tanzen! Man erzählt ſich, die
Malibran, als die Rede von Paganini geweſen, habe
zwar deſſen Spiel gelobt, aber doch geäußert, er
ſänge nicht gut auf ſeinem Inſtrument. Als Pa¬
ganini dieſes Urtheil erfahren, habe er der Malibran
[190] den Vorſchlag machen laſſen, ſie wollten beide zu¬
ſammen ein Conzert geben und dann werde ſich zei¬
gen, wer beſſer ſänge, ſie oder er. Hätte Homer
dieſen edlen Streit erlebt, hätte er nicht von Achill
und Hektor, ſondern von Paganini und Malibran
geſungen. Und von ſo etwas ſpricht man — ſpreche
ich! O Sitten!
Fuͤnf und vierzigſter Brief.
Ich werde alle Tage ſchwankender. Soll ich
hier bleiben oder nach Deutſchland zurückreiſen?
Krieg oder nicht — das Wort Friede ſteht nicht
in meinem Wörterbuche — wird ſich jetzt bald ent¬
ſcheiden. Habe ich ſechs Monate lang, hungrig und
mit der größten Ungeduld das Zeug kochen ſehen und
jetzt, da alles gar geworden und der Tiſch gedeckt
wird, ſoll ich mit leerem Herzen fort? Ich glaube,
[192] das wäre dumm. Hier iſt man im Mittelpunkte,
Europa hat die Augen auf Paris gerichtet, man ſie¬
het den Begebenheiten in das Angeſicht, und kann in
deren Mienen leſen, was ſie etwa verſchweigen
möchten. In Deutſchland aber ſtehen wir in dem
Rücken der Begebenheiten und wir werden nichts
erfahren, als was ſie uns über die Schultern weg
zurufen. Und was theilen ſie uns mit? Nur un¬
verſchämte Lügen. Wenn der Krieg ausbricht, wird
man den deutſchen Zeitungen, die ohnedies nur un¬
verſtändlich geſtammelt, aus Vorſicht gar die Zunge
aus dem Halſe ſchneiden. Es kann kommen, daß
der Feind nur eine Stunde von unſeren Thoren
ſtehet und wir erfahren es nicht, bis er uns mit
Einquartirungszetteln in die Stube kommt. Die
franzöſiſchen Blätter, wenn auch der Krieg die Po¬
ſten nicht unterbricht, werden gewiß zurückgehalten
werden. Sie können ſich denken, wie mir in ſolcher
Dunkelheit zu Muthe ſeyn wird. Und was haben
wir in Deutſchland, für wen auch der Krieg günſtig
ausfalle, zu erwarten? Das ſchöne Glück, entweder
den Zwerg Diebitſch mit ſeinen Koſaken zu beher¬
bergen, oder franzöſiſche Offiziere, die, kämen ſie
auch anfänglich mit den beſten Geſinnungen für Recht
und Freiheit zu uns, durch deutſche bürgerliche Feig¬
[193] heit und Kriecherei aufgemuntert, bald in den alten
Uebermuth zurückfallen würden. Und der weibiſche
Kriegsjammer bei uns! und — Ruhe iſt die erſte
Bürgerpflicht! und die dumme und tückiſche Po¬
lizei! und die Maulkörbe, die man uns in den
Hundstagen anlegen wird! Wird man nicht jeden
Liberalen, der kein Blech am Halſe trägt, todt ſchla¬
gen? Ich erſticke, wenn ich nur daran denke.
Um gehenkt zu werden für die Freiheit, dazu bringt
man es doch nicht, dazu ſind unſere Herren zu
feig.
Können Sie ſich denn nicht entſchließen hieher
zu kommen, aber bald? Ich habe eine kleine Ver¬
ſchwörung vor, wozu ich Scheere, Zwirn und Na¬
deln brauche. Packen Sie Ihre Schachteln und kom¬
men Sie. Sie ſollen entſcheiden, wie mir die Uni¬
form ſteht, und fällt die Entſcheidung günſtig aus,
trete ich in die Nationalgarde, verſteht ſich, daß ich
aus Patriotismus deſertire, ſobald ſich unſere Lands¬
leute nahen. Ich habe neulich beim Spazierenfahren
eine Barriere entdeckt, die gar nicht bewacht wird,
und durch dieſe kann ich die preußiſche Armee unbe¬
merkt in die Stadt führen. Ich bitte Sie, bedenken
II. 13[194] Sie ſich nicht lange. Die Künſte des Friedens ge¬
hen auch hier im Kriege nicht unter, und wenn am
meiſten geweint wird, wird am meiſten gelacht, und
die Niederlage der Franzoſen wird in Paris immer
noch luſtiger ſeyn, als in Wien der Sieg der Deut¬
ſchen. — Ich fahre in meinem Theaterberichte fort.
Aber das Herz blutet mir, wenn ich daran denke,
wie ſchön ſich dieſe Berichte im Dresdner Abend¬
blatte ausnehmen würden, und daß ich für den ge¬
druckten Bogen 8 Thaler bekäme, wofür ich zweimal
Paganini hören könnte — ich brauchte nur 10 Fran¬
ken noch darauf zu legen. Und was geben Sie mir
dafür? Sie wollen nicht einmal nach Paris kommen,
was ich ſo ſehr wünſche. Und wie zärtlich dürfte
ich ſchreiben, wenn ich ſtatt Ihnen nach Dresden be¬
richtete! Wiſſen Sie, wie die Correſpondenten des
Abendblattes ihre Briefe gewöhnlich anfangen? Sie
ſchreiben: Liebe Vespertina! Holdes Ves¬
pertinchen! Aber ohne darum den Verſtand zu
verlieren. Denn ſobald ſie holdes Vesper¬
tinchen geſagt, kehren ſie gleich zu ihrer Proſa zu¬
rück und ſchreiben: „Referent will ſich beeilen....“
Das hieſige Theater zieht mich mehr an als ich
erwartete. Von Kunſtgenuß iſt gar keine Rede, es
[195] iſt die rohe Natur und man ziehet höchſtens wiſſen¬
ſchaftlichen Gewinn. Das Theater iſt eine Fremden¬
ſchule. Alte und neue Geſchichte, Oertlichkeiten,
Statiſtik, Sitten und Gebräuche von Paris, werden
da gut gelehrt. — Es iſt ein großer Vortheil, da
viele Jahren dem Fremden nicht genug ſind, Paris
in allen ſeinen Theilen aus eigener Erfahrung kennen
zu lernen. Und man kann nicht ſagen, daß durch
ſolches Walten auf der Bühne die dramatiſche Kunſt
zu Grunde gehe, ſondern umgekehrt: weil die dra¬
matiſche Kunſt untergegangen iſt, bleibt nichts anders
übrig als ſolches Walten, wenn man von dem Ca¬
pital, das in den Schauſpielhäuſern ſteckt, nicht alle
Zinſen verlieren will. Es iſt damit in Deutſchland
gar nicht beſſer als in Frankreich; nur iſt man bei
[uns] unbehüflicher, weil man nur ein Handwerk ge¬
lernt. Der Franzoſe aber weiß ſich gleich in jede
Zeit zu ſchicken. Er iſt Schauſpieler, Pfarrer,
Schulmeiſter, Soldat, was am beſten bezahlt wird.
Wird ihm ein Weg verſperrt, ſucht er ſich einen
Andern; gleich einem Regenwurm findet er immer
ſeinen Ausweg. Kein Mann von Geiſt könnte jetzt
ein Drama dichten, er müßte denn wie Goethe zu¬
gleich kein Herz haben; aber Geiſt ohne Herz, das
13 *[196] bringt das nehmliche Jahrhundert nicht zweimal her¬
vor. Hätte es in der erſten Schöpfungswoche, da
noch nichts fertig, oder nach der Sündfluth, da alles
zerſtört war, einem vernünftigen Menſchen einfallen
können, eine Naturgeſchichte zu ſchreiben? So iſt
es mit der dramatiſchen Kunſt. Man kann keinen
Menſchen malen, der nicht ſtill hält, der nicht ruhig
ſitzt. Aber trotz der verdorbenen und grundloſen
dramatiſchen Wege, könnte doch einmal ein Franzoſe
in ſeiner Dummheit leichter ein gutes Drama errei¬
chen, als ein Deutſcher in ſeiner Weisheit. Die
Leidenſchaft, Geld zu verdienen, und die Gewißheit,
es zu verdienen, wenn man eine gute Waare hat,
iſt in Paris ſo groß, daß wohl einmal ein anderer
Scribe, in verzweifelter Anſtrengung etwas ganz
neues hervorzubringen, ein Schauſpiel wie Schillers
Wallenſtein dichten könnte. Was vermag die Leiden¬
ſchaft nicht! Das Fieber gibt einem Greiſe Jugend¬
ſtärke, und einem Dummkopfe ſchöne Phantaſieen.
Auch in ſolchen Fällen, wo das hieſige Theater den
didaktiſchen Nutzen nicht gewährt, den ich angegeben,
wo es ſo wenig Früchte als Blüthe ſchenkt, wo es
langweilig iſt auf deutſche Art — auch dann noch
hat es ſein eigenes Intereſſe. Man erkennt dabei,
wie die Franzoſen gemüthlicher und univerſeller wer¬
[197] den; denn bei Völkern, wie bei einzelnen Menſchen,
entwickeln ſich mit neuen Tugenden auch neue Fehler.
So gab es noch vor vierzig Jahren in Frankfurt
gar keine blonden und langweilige Juden, ſie waren
alle ſchwarz und witzig, ſeitdem ſie aber in der
Bildung fortgeſchritten, findet man nicht weniger
Philiſter unter ihnen, als unter den älteſten Chriſten.
Ein ſolches deutſch-langweiliges Stück habe ich neu¬
lich im Théâtre des nouveautés geſehen. Es heißt:
le charpentier ou vice et pauvreté. Wir
haben ein Schauſpiel das heißt Armuth und Edel¬
ſinn, aber ein Franzoſe findet dieſe Parthie un¬
paſſend und er hat vielleicht Recht. Laſter iſt Ar¬
muth des Herzens, und wo ſich eine Armuth findet,
geſellt ſich die Andere bald dazu. Le charpentier
iſt ein höchſt merkwürdiges Stück für Paris. In
deutſchen Schauſpielen ſpielt zwar die Armuth auch
die erſte Liebhaberrolle, aber dort ſind es doch wenig¬
ſtens vornehme Leute, die heruntergekommen, oder
kommen auch arme Teufel von Geburt vor, ſo ſind
es doch vornehme Leute, die ihnen aus der Noth
helfen. Hier aber wird alles unter gemeinen Leuten
abgemacht. Alle Perſonen im Stück ſind zuſammen
keine tauſend Franken reich. Die Armuth iſt nicht
Schickſal, ſondern Stand, Gewohnheit, Beſtimmung.
[198] Es gibt nichts komiſcher. Und ſo etwas führen ſie
der prächtigen Börſe gerade gegenüber, in der Nähe
des Palais Royal und der italieniſchen Oper auf!
Der Held des Drama iſt ein Zimmermann, und
nicht einmal ein Zimmermeiſter, ſondern ein Zimmer¬
manns-Geſell. Er iſt ein träger Menſch, der ſtatt
zu arbeiten ſeine Zeit in der Schenke zubringt und
dort trinkt und ſpielt. Darüber kommt ſein Haus¬
weſen herunter, und die arme Frau muß viel aus¬
ſtehen. Weiter thut der Mann nichts Böſes, außer
daß er einmal ſeine Frau prügeln will. Nun findet
ſich ein anderer Zimmergeſelle, ein braver Menſch,
der ſchenkt dem liederlichen Kameraden, der ſein
Schwager iſt, 600 Franken, die er ſich mit ſaurer
Mühe erſpart. Davon wird der Taugenichts ſo ge¬
rührt, daß er verſpricht, von nun an ein ganz an¬
derer Menſch zu werden. Und das iſt die ganze
Geſchichte. Die Scene des erſten Akts iſt ein
Zimmerplatz, die des zweiten eine Wachtſtube, der
dritte Akt ſpielt in einer Schenke und der vierte in
einer Dachkammer. Die Franzoſen, als parve¬
nus in der Gemüthlichkeit, wollen es den alten
Herzen nachmachen und zeigen lächerlichen Ma¬
nieren.
[199]
Das zweite Stück, das ich am nemlichen
Abende geſehen, heißt Quoniam. Herr Quoniam
iſt Koch. Ohne allen Geiſt, ohne allen Witz, ohne
alles Leben. Marſchall Richelieu, in ſeiner Jugend,
verliebte ſich in die Frau eines Koches, und, um ihr
nahe zu kommen, trat er als Küchenjunge in den
Dienſt des Herrn Quoniam. Das Süjet iſt merk¬
würdig ſchläfrig behandelt, und nimmt ein tugend¬
haftes Ende.
Das dritte Stück war le marchand de
la rue St. Denis ou magasin, la mai¬
rie et la cour d'assise. Einmal unterhaltend,
immer lehrreich. Man erfährt, wie es in einer
Seidenhandlung hergeht; auf der Mairie, wo die
jungen Leuten getraut werden und vor dem Aſſiſen-
Hofe, wo ſie noch ſchlechter wegkommen. Mehrere
Schauſpieler waren vortrefflich. Von den Regeln
der Kunſt ſchienen ſie nicht viel zu wiſſen; es ſind
Naturaliſten. Aber jeder Franzoſe hat den Teufel
im Leibe, und wenn eine Teufelei darzuſtellen iſt,
mislingt ihnen das nie. Auf der Mairie hat es mir
gar zu gut gefallen. Es muß recht angenehm ſeyn,
ſich in Paris bürgerlich trauen zu laſſen. Es iſt
wie eine deutſche Doktor-Promotion. Man antwor¬
[200] tet, ohne von der Frage viel zu verſtehen, immer
mit ja. Der Maire iſt nachſichtig und alles endet
ſchnell und gut.
— Das Geſetz, das neulich vorgeſchlagen
wurde, Karl X. und ſeine Familie, unter ſtrengen
Bedingungen auf ewig aus Frankreich zu verbannen,
wurde geſtern in der Kammer verhandelt. Nun
wurde zwar das Geſetz von der Mehrzahl angenom¬
men, aber ein Drittheil der (heimlich) ſtimmenden,
nehmlich 122 erklärten ſich [dagegen]. Das iſt merk¬
würdig. Von den offenen Anhängern des vertrie¬
benen Königs ſind lange keine 122 mehr in der De¬
putirten-Kammer; denn viele derſelben waren nach
der Revolution entweder freiwillig aus der Kammer
getreten oder gezwungen, weil ſie den neuen Eid
nicht leiſten wollten. Unter jenen Gegnern des
Verbannungsdekrets müſſen alſo viele ſeyn, die mit
dem Mund ſich für die neue Regierung erklärt, im
Herzen aber der alten anhängen. Sie ſehen alſo
wie recht ich hatte, als ich Ihnen neulich ſchrieb:
es gehen hier Dinge vor, die ich mir nicht anders
erklären kann, als indem ich annehme, daß es Ver¬
räther unter den Deputirten gibt. Was der König
und ſein Miniſterium bisher Tadelnwerthes, Beleidi¬
[201] gendes für die öffentliche Meinung gethan, dazu wur¬
den ſie doch am meiſten von der Kammer verleitet,
die ſich für die Stimme des franzöſiſchen Volkes
geltend machte. Der geſtrige Vorfall wird dem Kö¬
nig wohl etwas die Augen öffnen.
Sechs und vierzigſter Brief.
Chateaubriand hat eine Brochüre für die Legi¬
timität und Heinrich V. herausgegeben. Was das
aber hier ſchnell gehet! Geſtern iſt die Schrift von
Chateaubriand erſchienen und heute iſt ſchon eine da¬
gegen angezeigt. Chateaubriands Schrift iſt zu gut,
und zu ſchön, Ihnen nur Bruckſtücke daraus mitzu¬
theilen; jedes ausgelaſſene Wort dürfte ſich über Zu¬
rückſetzung beklagen. Man muß ſie ganz leſen. Es
iſt doch ein Zauber in der Sprache des Herzens,
daß ſie durch einen einzigen Laut die unzähligen Lü¬
gen auch des mächtigſten Talents beſiegen und be¬
[203] ſchämen kann! Selbſt die Irrthümer des Herzens
— doch es gibt keine Irrthümer des Herzens. Sie
ſind es nur, wenn man ſie an dem ſpitzbübiſchen
Einmaleins des Krämervolks nachrechnet, das Tugend
kauft und verkauft; [aber] der Himmel hat eine ganz
andere Arithmetik. Chateaubriand nimmt für den
Herzog von Bordeaux das Wort und für ſein
Recht. Er vertheidigt die kranke und alterſchwache
Legitimität. Aber die Legitimität iſt ihm kein Glau¬
bensartikel, den man blind annehmen und ausgeben
muß, ſondern nur ein politiſcher Grundſatz. Damit
können wir zufrieden ſeyn. Sobald man nur eine
Lehre prüfen, dafür oder dagegen ſprechen darf, mag
jeder, ſo gut er es verſteht, ſeine Lehre geltend zu
machen ſuchen. Nun meint Chateaubriand, Frank¬
reich, nach Vertreibung Karl X. und ſeines Sohnes,
(und dieſe wünſcht er keineswegs zurück,) hätte beſ¬
ſer gethan, für ſein Wohl ſich Heinrich V. zum Kö¬
nige zu geben. Man hätte das königliche Kind für
die Freiheit erzogen; man hätte Frankreichs edle Ju¬
gend um ſeinen künftigen Herrſcher verſammelt und
dann ſtatt des feigen Lispelns jetzt ein ganz anderes
Wort mit Frankreichs Feinden ſprechen können.
Chateaubriand hat ganz Recht; nur überſieht er den
Rechnungsfehler, daß Frankreich keine vier Millionen
[204][ehrlicher] Leute hat, die ihm gleichen, ſondern höchſtens
vier, und daß während der Minderjährigkeit Hein¬
richs V. alle Leidenſchaften toll gewüthet und das
Land zerſtört hätten. Aber von den Fehlern und
Schwächen der jetzigen Regierung überſah er keinen.
Er wirft unter Donnern Feuerreden aus und wie
glühende Aſche regnet ſein Tadel auf ſie herab. Er
ſagt nichts neues; tauſend Stimmen haben das ähn¬
liche vor ihm geſagt. Aber die tauſend Stimmen
waren tauſend kleine Lichter, die nur vereint hell ge¬
macht; aber Chateaubriands einzige Fackel wirft ſo
großen Glanz als jene Alle. Er zeigt, wie die
Regierung von ihrer Feigheit gepeitſcht, in Todes¬
angſt vor drei Schreckbildern fliehet: „vor einem
„Kinde, das am Ende einer langen Reihe von Grä¬
„bern ſpielt; vor einem Jünglinge, dem ſeine Mut¬
„ter die Vergangenheit, ſein Vater die Zukunft ge¬
„ſchenkt; und ....“ — ich habe die Broſchüre nicht
mehr zur Hand, aber das dritte Geſpenſt wird wohl
der äußere Feind ſeyn. Chateaubriand zeigt an,
daß er Frankreich verlaſſen werde. Auch ſagte er:
nie würde er Heinrich V. willkommen heißen, wenn
er auf den Armen eines fremden Heeres zurückge¬
tragen würde, und ſobald ein Krieg entſtände, wür¬
den ſeine Pflichten ſich ändern, und er ſich nur er¬
[205] innern, daß er Franzoſe ſei. Ehrlicher Narr! ....
Aber er weiß, daß er ein Narr iſt. Er ſagt: Keinen
habe die Reſtauration, die ihm ſo viel zu verdanken,
mehr gehaßt als ihn, und er würde unter einer neuen
Reſtauration kein beſſeres Schickſal haben. Wer
kann ſolchen verführeriſchen Lockungen der Tugend
wiederſtehen? Auch denke ich ſeit einiger Zeit daran,
ein Schuft zu werden. Es iſt mir wahrhaftig nicht
um den baaren Vortheil zu thun, ſondern nur um
meine Gemüthsruhe. Einem Schuft geht es immer
nach Wunſche, und er lebt in Frieden mit der Welt.
Das bischen Ehrlichkeit, daß ſich ihm in heißen Ta¬
gen zuweilen auf die Naſe ſetzt, beläſtigt ihn nicht
mehr als eine Mücke. Er ſchüttelt ſich und iſt ſie
los. Ja, ich will ein Schuft werden. Was halten
Sie von meinem Plane?
Paganini's fünftes Conzert hat 24,000 Fran¬
ken eingetragen. Er hat folgenden Vertrag mit der
Theaterdirektion abgeſchloſſen. Er ſpielte Mittwoch
und Sonntag. Mittwoch bekommt er drei Viertheile
der Einnahme, und Sonntag die ganze, und gibt der
Direktion 3000 Franken ab. So läßt ſich berechnen,
daß ihm die fünf Conzerte bis jetzt 90,000 Franken
eingetragen haben. Von der Taglioni habe ich Ih¬
[206] nen, wie ich glaube, ſchon geſchrieben, daß ſie in
London für eine monatliche Miethe ihrer Beine hun¬
dert tauſend Franken bekommt. O! ich könnte die¬
ſer liederlichen Welt ohne Barmherzigkeit die Ohren
abſchneiden und die Augen ausſtechen!
Sieben und vierzigſter Brief.
Polen, Italien, Belgien, Frankreich, Deutſch¬
land, Freiheit, Gleichheit, Einheit, alle dieſe ſchönen
Seifenblaſen mit ihren Regenbogenfarben — zerplatzt
ſind ſie, der Luftteufel hat ſie geholt! Der öſter¬
reich'ſche Beobachter hat das franzöſiſche
Miniſterium gelobt. Ich ſage Ihnen, jetzt iſt
es Zeit ein rothwangiger Schuft zu werden. Oder
iſt Ihnen die Gelbſucht lieber? Stände ſie mir beſ¬
ſer? Sie ſollen für mich wählen. Aber bis Ihre
Antwort Entſcheidung bringt, bleibe ich proviſoriſch
ein Schuft und rede von nichts als von der liebli¬
[208] chen Taglioni. Ich habe ſie ſeitdem wieder tanzen
ſehen. Sie gefiel mir aber weniger als das vorige
Mal; ich habe Fehler entdeckt. Ihre ganze Seele
iſt in den Füßen, ihr Geſicht iſt todt. Ich hatte
das zwar das erſte Mal ſchon bemerkt, aber da ſie
damals die Göttin Flora ſpielte, nahm ich ihre Un¬
beweglichkeit für antike Ruhe, und ich ließ mir das
gefallen. In der zweiten Rolle aber trat ſie als
Bajadere auf, als liebende, unglückliche, leidenſchaft¬
liche Bajadere, ſie tanzte zwiſchen Luſt und Schmerz;
doch ihre Züge und ihre Augen ſchliefen den tiefſten
Schlaf. Entweder mein Opernglas war ſehr trübe,
oder die holde Taglioni iſt ſehr dumm und verſteht
ihre eigenen Füße nicht. Aber kann man zugleich
dumm ſeyn und Grazie haben? Bei der Taglioni
iſt es vielleicht möglich. Sie iſt die Schülerin ihres
Vaters, des Balletmeiſters, und es mag wohl ſeyn,
daß dieſer dem hoffnungsvollen Töchterchen, von den
früheſten Kinderjahren an die Grazie eingeprügelt
hat, doch mit dem Geiſte ließ ſich das nicht machen.
Dieſen kann der Stock wohl ausprügeln aber nie
einprügeln. Es war die Oper Le dieu et la Ba¬
jadére in der ich ſie ſah. Muſik von Auber. Leichte
Waare; Roſſini iſt Marmor dagegen. Aber ſchöne
Tanzmuſik; das Herz walzt einem in der Bruſt.
[209] Ich war anfänglich ganz verwundert, daß mir die
Oper, ob ich ſie zwar zum erſten Male hörte, ſo
ſehr bekannt vorkam. Endlich fiel mir ein, daß ich
die Muſik von vorn bis hinten dieſen Winter
oft in den Vaudevilles-Theater und auf Bällen ge¬
hört hatte, wo man ſie zu leichten Liedern und Tän¬
zen verwendet hatte. Die Poeſie iſt von Scribe.
Es iſt die ſchöne Legende: der Gott und die
Bajadere von Göthe, gehörig ſcribirt. Ich
habe nur immer meine Freude daran, wie leicht ſich
meine guten Franzoſen das Leben machen. Der
treue und geldſchwere Deutſche iſt ein Glaubensopfer,
ſelbſt der Kunſt, die doch zur Freude geſchaffen iſt.
Will er ſchwere Leiden treu malen oder ſingen,
ſchleppt er ſelbſt das Kreuz den Berg hinauf, kreu¬
zigt ſich und kopirt dann aus dem Spiegel ſeinen
eigenen Schmerz. Auber und Scribe haben eine
Oper zuſammen verfertigt. Die [Hauptrolle] iſt eine
Bajadere; eine Bajadere muß tanzen, ihrem Stande
nach, alſo muß Demoiſelle Taglioni die [Hauptrolle]
haben Aber die Taglioni kann weder ſingen noch
ſprechen, wie kann man ihr in einer Oper die Haupt¬
rolle geben? Warum nicht? Sie tanzt und
ſpricht nicht und ſingt nicht. Aber warum ſpricht
ſie nicht? Iſt ſie ſtumm wie das Mädchen von
ll. 14[210] Portici? Nein ſie iſt nicht ſtumm, aber ſie ver¬
ſteht die Sprache des Landes nicht. Aber
wenn ſie die Sprache des Landes nicht verſteht, wie
kann ſie ſich mit den Leuten unterhalten? Man
ſieht doch, daß ſie auf alle Fragen durch [Pantomi¬
men] Antwort gibt. Die Sache iſt: die Bajadere
verſteht wohl die fremde Sprache, aber bis zum
Sprechen hat ſie es darin noch nicht gebracht. Nicht
einmal Ja oder Nein kann ſie auf indiſch ſagen.
So erklärt eine Geſpielin das ſtumme Räthſel und
ſo ſind alle Schwierigkeiten auf das glücklichſte ge¬
hoben. Und glauben ſie ja nicht, das ſei leicht ge¬
weſen. Es iſt das Ei des Kolumbus und ich ver¬
ſichere Sie, Schiller und Göthe hätten dieſen Aus¬
weg nicht gefunden. Vive la France! Sterben
muß man doch einmal, und darum iſt es vernünf¬
tiger, ſingend und trinkend zum Richtplatze zu tan¬
zen, als ſich wie der betrübte Deutſche auf einer
Kuhhaut unter Pfaffengeheul dahin ſchleppen zu
laſſen.
In dieſer Oper hörte ich Madame Cinti, eine
ſehr gute Sängerin, die nach einer langen Krankheit
dieſen Winter zum erſten Male wieder auftrat. Sie
wurde mit einer Leidenſchaft, mit einer Begeiſterung
[211] empfangen, die ich ſehr lächerlich fand und die mich
ärgerte. Wie mochte man den Napoleon empfangen
haben, wenn er von ſeinen Siegen heimkehrte?
Menſchliche Hände ertragen kein ſtärkeres Klatſchen.
In ihrer Theaterſucht erſcheinen mir die Franzoſen
oft ſehr kindiſch; denn des Lebens ganzen Ernſt wen¬
den und verſchwenden ſie daran. Es iſt ein großes
Glück für ſie, ihre Seligkeit und für die ganze Welt,
daß Freiheit, Vaterlandsliebe, Heldenmuth, Todes¬
verachtung, etwas Theatraliſches haben; denn ich
glaube, nur um dieſes Etwas willen, lieben und
üben die Franzoſen jene Tugenden. Ihre Theater¬
ſucht iſt eine wahre Nervenſchwäche, ſie bekommen
Krämpfe, wenn man ſie an dieſem Punkte reizt. Ein
weggelaſſenes Lied, eine Rollenverwechſelung, eine
Aenderung der angekündigten Stücke, erregt einen
wüthenden Sturm, der gefährlich ſeyn muß, weil ſich
ſelbſt die Polizei fürchtet, ihn zu beſchwichtigen, oft
den ungerechteſten Anmaßungen nachgibt, und nie
wagt, eine Gewalt zu gebrauchen, vor der ſie ſich
doch außer dem Theater nicht ſcheut. Die Franzo¬
ſen, ſonſt im geſelligen Leben ſo höflich, zuvorkom¬
mend, nachſichtlich und verſöhnlich, ſind im Theater
grob, unverſöhnlich und bitter. Wer ſie auch nur
im mindeſten, auch ohne Vorſatz und Schuld in ihrer
14*[212] Leidenſchaft ſtört, wird ohne Schonung mit Härte
zurückgewieſen. Und alle, auch die, welche es nicht
angeht, nehmen Parthei gegen den Verfolgten. Es
geht keine Vorſtellung vorüber, in der nicht ein lau¬
tes und allgemeines Geſchrei à la porte! à la
porte! ertönte. Ich ſelbſt habe ſchon einige ſolcher
Händel gehabt, die mich ſehr amüſirten. Ich hatte
den Humor davon. Einmal ſetzte ich mich auf einen
Platz, der mir nicht gehörte, aber ohne meine Schuld,
die Logenfrau hatte mich falſch angewieſen. Als
bald darauf der rechtmäßige Beſitzer des Platzes kam,
weigerte ich mich anfänglich zu weichen, mußte aber
bald nachgeben, denn meine Geduld und meine fran¬
zöſiſchen Grobheiten waren bald erſchöpft. Alles
nahm Parthei gegen mich, und als ich fort ging,
empfing mich die ganze Reihe im Balkon, an der ich
vorüber mußte, mit boshaftem Lachen, mit Vorwür¬
fen und bittern Spöttereien — ich mußte bis zur
Thüre Spiesruthen laufen. Ein anderes Mal ver¬
ließ ich meinen Platz, der mir nicht bequem war, um
mir an der Kaſſe einen andern zu nehmen. Nun
iſt es Sitte, daß man, um ſich ſeinen Platz zu ſichern,
wenn man hinausgeht, einen Handſchuh oder ſonſt
etwas darauf legt. Das wird reſpectirt. Mein
Nachbar fragte mich, ob ich wieder käme, und in
[213] dieſem Falle ſollte ich meinen Platz bezeichnen. Ich
gab zur Antwort, ich könnte nichts Beſtimmtes dar¬
über ſagen. Nun ſo ſollte ich ihn bezeichnen. Das
wollte ich aber nicht, um nicht wegen eines Hand¬
ſchuhes zurückkommen zu müſſen. Der Herr war
ganz in Verzweiflung, daß ich keinen feſten Entſchluß
faſſen wollte, und fing förmlich zu zanken an! Ich
mußte laut auflachen, ging fort und überließ ihn ſei¬
ner Pein. Und das war nicht etwa ein junger
Menſch, oder einer aus den ungebildeten Ständen;
ſondern ein Mann von funfzig Jahren, der ſehr vor¬
nehm ausſah. Am nehmlichen Abend ließ eine Dame
aus der Loge ihren Hut ins Parterre fallen. Ihr
Herr ging hinab ihn zu holen. Die Vorſtellung
hatte noch nicht angefangen und doch wurde das als
unverzeihliche Störung gerügt, und tobendes Geſchrei
à la porte! jagte den galanten Mann zur Thüre
hinaus.
— Lord Byrons Memoiren machen mir großes
Vergnügen. Ich habe mir einiges für Sie gemerkt.
Es ſind Briefe, Tagebücher, und die Lücken in Zeit
füllt Thomas Morus [aus]. Byron war ſtolz auf
ſeinen alten Adel, und ſchon als Kind auf der Schule
wählte er ſich ſeine Spielkameraden nur unter Stan¬
[214] desgenoſſen. Sein mißgeſtalteter Fuß machte ihm
Gram ſein ganzes Leben durch. Er war noch nicht
acht Jahre alt, als er die Liebe kennen lernte. Seine
erſte Geliebte hieß Marie Duff. Das muß man
aber engliſch ausſprechen; im Deutſchen klänge der
Name gar zu proſaiſch für die Geliebte eines Dich¬
ters. Dante ſah und liebte an einem erſten Mai
ſeine Beatrice, da er noch ein Knabe war. Canova
erzählt, daß er ſich vollkommen erinnere, in ſeinem
fünften Jahre verliebt geweſen zu ſeyn. Alfieri,
ſelbſt ein Frühliebender, betrachtet dieſe frühreife
Empfänglichkeit als ein unfehlbares Zeichen einer für
die ſchönen Künſte und Wiſſenſchaften gebilde¬
ten Seele. Welchen ſchönen Enthuſiasmus haben die
Engländer für die Reliquien ihrer großen Männer.
Für einen Brief von Lord Byrons Vater, der ein
unbedeutender Menſch war, wurden fünf Guineen
vergebens geboten. Wie viel zahlte wohl ein Frank¬
furter Banquier für einen Brief von Göthes Vater?
Unter den Reliquien des Dichters, die man gefunden,
befindet ſich auch eine alte Untertaſſe von chineſiſchem
Porzelaine, wovon Byron als kleines Kind in einem
Anfalle von Zorn ein Stück abgebiſſen hatte. In
ſeinem neunzehnten Jahre hatte er ſchon über vier¬
tauſend Romane geleſen, die unzähligen andern
[215] Schriften in allen Sprachen und Wiſſenſchaften un¬
gerechnet ..... „Freundſchaft iſt die Liebe ohne
Flügel“ — ſagt Byron. ... In ſeiner Jugend
führte er eine tolle Hauswirthſchaft. Sie hätten ihn
gewiß nicht beſucht, und wären Sie ſeine Schweſter
geweſen. Er wohnte auf ſeinem väterlichen Stamm¬
gute, das ehemals ein Kloſter war, und das noch
viel von ſeiner klöſterlichen Einrichtung übrig behalten
hatte. Da lebte Byron mit ſeinen wilden Geſellen
als Mönche vermummt. Wenn man in den Hof des
Gebäudes trat, mußte man ſich ſehr hüten, nicht zu
weit rechts zu gehen, um nicht einem Bär in die
Tatzen zu fallen, der da frei in ſeiner Hütte lag.
Zu weit links durfte man auch nicht treten, denn da
war ein böſer Wolf angekettet. Hatte man Bär und
Wolf glücklich zurückgelegt, war man darum ſeines
Lebens noch immer nicht ſicher. Wenn man die
Treppe hinauf ging, mußte man die Vorſicht ge¬
brauchen, durch ſtarkes Schreien ſeine Ankunft zu
verrathen, ſonſt war man in Gefahr, todt geſchoſſen
zu werden, denn oben auf dem Vorplatze übte ſich
Byron und ſeine Geſellen im Piſtolenſchießen nach
einer alten Wand. Bis zwei Uhr Nachmittags
dauerte das Frühſtück. Wer um eilf Uhr aufſtand,
konnte nichts haben, denn alle Bedienten lagen noch
[216] im Bette. Das Mittageſſen dauerte bis zwei Uhr
Nachts. Zum Schluſſe wurde in einem Todtenſchä¬
del, der in Silber eingefaßt war, Burgunder kredenzt.
Dann gingen die betrunkenen Kameraden, in Mönchs¬
kutten gekleidet, jeder in ſeine Zelle. ... Byron
mußte wohl viel geliebt haben, denn er haßte das
Geſchlecht. Er ſagte einmal. „Ich kenne nur einen
„einzigen Menſchen, der glücklich geweſen. Das war
„Beaumarchais, der Verfaſſer des Figaro. Vor ſei¬
„nem dreißigſten Jahre hatte er ſchon zwei Weiber
„begraben und drei Prozeſſe gewonnen.“ Ein ander¬
mal ſchrieb er einem Freunde: „Ich bitte dich,
nenne mir nie eine Frau in deinem Briefe, und ent¬
halte dich jeder Anſpielung auf dieſes Geſchlecht.“
Sie ſehen, Byron war auch ein Bär — an der
Kette. ... Als er hörte, daß Napoleon die Schlacht
von Leipzig verloren, ſchrieb er Folgendes in ſein
Tagebuch: „Von Männern beſiegt zu werden, das
„iſt noch zu ertragen, aber von drei alten Dyna¬
„ſtieen, von dieſen Souverainen der legitimen Race!
„O! Barmherzigkeit, Barmherzigkeit! das muß, wie
„Cobbet ſagt, von ſeiner Verbindung mit dem öſter¬
„reichiſchen Stamme, dicker Lippen und bleiernen Ge¬
„hirnes kommen. Er hätte beſſer gethan, ſich an
„der zu halten, die Barras unterhalten. Nein,
[217] „ſo viel ich weiß, hat man nie geſehen, daß eine
„junge Frau und eine geſetzmäßige Ehe Andern Glück
„gebracht als pflegmatiſchen Menſchen, die von Fi¬
„ſchen leben und keinen Wein trinken. Hatte er nicht
„die ganze Oper, ganz Paris, ganz Frankreich? Aber
„mit einer Maitreſſe gibt es gleiche Noth, wenn
„man nemlich nur eine beſitzt. Hat man deren
„aber zwei oder mehrere, macht ſie die Herzens-Thei¬
„lung geſchmeidiger.“ In England werden die ge¬
lehrten Weiber ſcherzweiſe Blauſtrümpfe genannt,
wahrſcheinlich wegen der Vernachläßigung ihrer Toi¬
lette, die man bei ihnen vorausſetzt. Darauf an¬
ſpielend ſchrieb einmal Byron in ſein Tagebuch:
„Morgen, Einladung zu einer Indigo-Soirée bei
„der blauen Miß ***. Soll ich gehen? Ach! Ich
„habe wenig Geſchmack für die blauen Kornblu¬
„men, für die ſchönen Geiſter in Unterröcken; aber
„man muß artig ſeyn.“ Seine wahre Geſinnung
über die Weiber drückt folgende Bemerkung in ſeinem
Tagebuche treuer aus: „Schon die bloße Anweſen¬
„heit einer Frau hat für mich etwas Beruhigendes,
„übt ſelbſt, wo keine Liebe ſtatt findet, einen ſeltſa¬
„men Einfluß auf mich, den ich mir bei der geringen
„Meinung, die ich von dem Geſchlechte habe, durch¬
„aus nicht erklären kann. Aber gewiß, ich bin zu¬
[218] „friedener mit mir ſelbſt und mit aller Welt, ſobald
„eine Frau in meiner Nähe iſt.“ Dieſe Bemerkung
Byrons hat mich ſehr gefreut, denn es geht mir
hierin gerade ſo wie ihm. Ich glaube dieſes auch
erklären zu können, aber das liegt in einem Schranke
meines Kopfes eingeſchloſſen, wozu ich in dieſem
Augenblick nicht den Schlüſſel habe. Byron haßte die
Menſchen wie er die Weiber haßte — mit den Lip¬
pen. Weiche Herzen wie das ſeine, ſchützt die Na¬
tur oft durch ein Dornengeflechte von Spott und Ta¬
del, damit das Vieh nicht daran nage. Aber
wer kein Schaaf iſt, weiß das und fürchtet ſich nicht,
dem ſtechenden Menſchenfeinde nahe zu kommen. By¬
ron ſuchte eine Befriedigung der Eitelkeit darin, für
einen Mann von ſchlechten Grundſätzen und boshaf¬
tem Gemüthe zu gelten. Weil es ihm ſchwer fiel,
die angeborene Güte ſeines Herzens zu beſiegen, ſah
er es für eine Heldenthat an, wenn ihm dies ein¬
mal gelang. Menſchen, die wirklich und mit Leich¬
tigkeit ſchlecht ſind, fällt es nie ein, damit groß zu
thun. Byron ſollte einmal für Unglückliche, die, ich
weiß nicht welcher Hülfe bedürftig waren, im Par¬
lamente eine Bittſchrift vorlegen. Aber aus Geiſtes-
Trägheit unterließ er es. Bei dieſem Anlaſſe ſchrieb
er in ſein Tagebuch: „Baldevin hört nicht auf mich
[219] „zu beläſtigen; aber ach! ich kann nicht heraus,
„ich kann nicht heraus — ſchrie der Starmatz
„in einem fort. O! jetzt ſtehe ich auf gleicher Höhe
„mit dem Hunde Sterne, der lieber einen todten
„Eſel beweinte, als ſeiner lebenden Mutter beiſtand.
„Erbärmlicher Heuchler — niederträchtiger Sklave —
„Schuft! Aber ich, bin ich beſſer? Ich kann den
„Muth nicht finden zum Beſten zweier Unglücklichen
„eine Rede zu halten, und drei Worte und ein hal¬
„bes Lächeln der ***, wenn ſie da wäre und es von
„mir verlangte, hätte mich zu deren eifrigſten Ver¬
„theidiger gemacht. Fluch über Larochefaucault, der
„immer Recht hat.“ Wußten Sie das ſchon, daß
der empfindſame Sterne ein ſolcher Schuft geweſen:
Ich habe das ſchon früher geleſen — et puis fiez¬
vous à messieurs les savans! — Was ſeinen
Werth als Dichter betrifft, drückt ſich Byron dar¬
über ſowohl in ſeinem Tagebuche als in ſeinen Brie¬
fen mit großer Beſcheidenheit aus, und ich halte dieſe
Beſcheidenheit für aufrichtig. „Ich erwachte eines
Morgens und fand mich berühmt.“ Ueber
Schriftſteller-Eiferſucht ſagt er: „Iſt das Gebiet
„des Geiſtes nicht unendlich? Auf einer Rennbahn,
„die kein Ziel hat, was liegt daran, wer vorn, wer
„hinten iſt? Der Tempel des Ruhms iſt wie der
[220] „der Perſer — das Univerſum, die Gipfel der Berge
„ſind unſere Altäre! Ich würde mich mit einem
„namenloſen Berge oder dem Kaukaſus begnügen,
„und alle, welche Luſt haben, können ſich des Mont¬
„blanc oder des Chimboraſſo bemächtigen, ohne daß
„ich mich ihrer Erhöhung entgegen ſetze.“
Sie ſehen aus den Bruchſtücken von Lord By¬
rons Memoiren, die ich Ihnen geſtern mitgetheilt,
welch ein mannigfaltiges Gedankenleben ſich in ſeinem
Tagebuche und in ſeinen Briefen bewegt. Und ich
bin noch nicht in der Mitte des Buches, noch nicht
in der Mitte von Byrons Laufbahn; das Beſte und
Schönſte muß noch kommen. Sie ſehen, das man
ein bedeutender Dichter und ein bedeutender Menſch
zugleich ſeyn kann, und ich bitte Sie daran zu den¬
ken, wenn ich Ihnen nächſtens von dem Briefwech¬
ſel zwiſchen Schiller und W. von Humboldt,
den ich in dieſen Tagen geleſen, berichten werde.
Acht und vierzigſter Brief.
— — Noch einiges von Lord Byron. Charac¬
tere ſolcher Art ſind nicht blos wegen ihrer ſelbſt
wichtig, ſie ſind wichtiger durch ihre Berührung mit
der Auſſenwelt. Nur daß ſie lehrreich ſind, verſchafft
ihnen Verzeihung. Gewöhnliche friedliche Menſchen
ſind elaſtiſch, ſie geben jedem Drucke des Lebens nach,
erheben oder ſenken, erweitern oder verengen ſich,
gehen vorwärts oder zurück, wie ſie bewegt werden.
[223] Aber in dieſer ſtummen Verträglichkeit, ohne Haß und
ohne Liebe, ohne Zorn und ohne Verſöhnung, ſchläft
das Herz, ſchlafen die Sinne ein, und kein Wunſch
und kein Schmerz wird laut. Nicht der ungeſtörte,
nur der Friede nach dem Kriege iſt ſchön. Aber un¬
zufriedne, ſtörrige, hadernde Geiſter wie Byron,
kämpfen mit der Welt, geben oder empfangen Wun¬
den, Sieger drücken ſie der Welt ihr eigenes Ge¬
präge auf, beſiegt ihnen die Welt das ihrige. Krank
wie ſie ſind, machen ſie alles krank um ſich her, und
ſo offenbaren ſie die Geheimniſſe des Menſchen und
der Natur. Denn das Geheimniß jeder Kraft wird
erſt kund, wenn ſie abweicht im Maaße oder Ziele.
Wie mit der Welt ſtand Byron mit Gott feindlich.
Zum Glauben geht der Weg über den Unglauben.
Die Nicht-Gläubigen, die Gleichgültigen, die
leugnen Gott nicht, ſie denken gar nicht an ihn, und
ſterben wie die Kinder ohne Sünde und ohne Tugend.
Aber die Ungläubigen die läugnen Gott. Sie kämp¬
fen mit dem Glauben, ehe ſie ihn gewinnen; denn
hier iſt die Niederlage der Sieg. Walter Scott
hatte einſt dem Byron prophezeiht, er würde in rei¬
fern Jahren noch katholiſch werden. Das wäre auch
ganz gewiß eingetroffen, wenn Byron ein höheres
Alter erreicht hätte. Er läſtert manchmal recht luſtig:
[224] „Wie zum Teufel hat man eine Welt wie die unſrige
„machen können! In welcher Abſicht, zu welchem
„Zwecke, zum Beiſpiel, Stutzer ſchaffen, Könige,
„Magiſter, Weiber von einem gewiſſen Alter, und
„eine Menge Männer von jedem Alter, und gar
„mich! Wozu?“ Es iſt doch ſehr galant von By¬
ron, daß er nur die alten Weiber, die Männer aber
von jedem Alter für ſchlechtes Machwerk erklärt!
Dagegen ſchrieb er einmal aus Haſtings, einem Bade¬
orte, wo er mehrere Wochen verlebte, Folgendes an
Thomas Moore: „Ich begegnete einem Sohn des
„Lord Erskine, der mir ankündigte, daß er ſeit einem
„Jahre verheirathet, und der glücklichſte Menſch von
„der Welt ſei. Freund Hodgſon ſagt auch, er wäre
„der glücklichſte Sterbliche. O! welch eine ſchöne
„Sache iſt's hier zu ſeyn! und wäre es auch nur
„um die ſuperlativen Glückſeligkeiten aller dieſer
„Füchſe mit anzuhören, die, weil ſie ſich den Schwanz
„haben abſchneiden laſſen, Andere bereden möchten
„das Nehmliche zu thun, um ihnen Geſellſchaft zu
„leiſten.“ Der arme Spötter! Der dumme Fuchs!
Ganz kurze Zeit nach dieſem Briefe heirathete By¬
ron ſelbſt! Als er den ſtillen Vorſatz, ſich zu ver¬
heirathen, ſeinen vertrauten Freunden mittheilte, und
ich als Leſer das Geheimniß erfuhr, kam ich in eine
[225] wahrhaft komiſche Angſt. Es war mir, als müſſe
ich Byron beim Rocke zurück halten, und faſt hörbar
ſprach der Gedanke in mir: Um Gotteswillen By¬
ron, thue es nicht, heirathe nicht, du taugſt nichts
für die Ehe! und wenn alle Weiber Engel wären,
jede würde doch deine Hölle, und du würdeſt der
Teufel werden jeder Frau. Ach! er folgte mir nicht
und heirathete. Nach einem Jahre, da er Vater ge¬
worden war, verließ ihn die Frau, und ſie trennten
ſich auf immer. Dieſer Vorfall brachte die große
Welt von ganz England in Aufruhr Verläumdun¬
gen, Haß und Verachtung hetzten den armen Byron
faſt zu Tode. Selten fand ſich ein Freund, der es
wagte, ihn leiſe zu vertheidigen. Byron ſelbſt ver¬
theidigte ſich nicht, und ohne ſich anzuklagen, ſprach
er ſeine Frau von aller Schuld frei. Dieſe Letztere
und deren Familie ſchwiegen auch aus berechneter Bos¬
heit, und gewannen ſich durch dieſen Schein von gro߬
müthiger Nachſicht alle Stimmen. Man hat Tho¬
mas Moore vorgeworfen, er habe, ich weiß nicht
ob im Intereſſe von Byrons Familie oder der ſeiner
Frau wichtige Dokumente unterdrückt, in deren Be¬
ſitz er geweſen, und die das Geheimniß und das
Räthſel jener unglücklichen Ehe hätten aufdecken kön¬
nen. Aber, mein Gott, wo iſt daß Geheimniß, wo
II. 15[226] Räthſel! Ich begreife nicht, wie ſich Moore ſo
große Mühe geben mochte, Byron zu entſchuldigen,
was doch, nachdem er Folgendes geſagt, ſich ganz
unnöthig zeigte. Moore ſagt: „Die Wahrheit iſt,
„daß Geiſter von höherem Range ſich ſelten mit den
„ſtillen Neigungen des Familienlebens vertragen.“
„Es iſt das Unglück großer Geiſter (ſagt Pope)
„mehr bewundert als geliebt zu werden.“ „Das
„beſtändige Nachdenken über ſich ſelbſt, die Studien
„und alle Gewohnheiten des Genies, ſtreben dahin,
„den der es beſitzt oder wahrer zu reden, den der
„von ihm beſeſſen wird, von der Gemeinheit der
„Menſchen abzuſondern. Opfer ſeiner eignen Vor¬
„züge, verſteht er keinen und wird von keinem ver¬
„ſtanden. Er wirft in einem Lande, wo nur kleine
„Münze im Umlaufe iſt, Gold mit vollen Händen
„aus. Man fühlt wohl ſeine Größe; aber es ge¬
„hört eine Art Gleichheit dazu, wenn ſich wechſel¬
„ſeitige Neigung bilden ſoll. Die Natur hat es
„nun einmal ſo gewollt, daß auf dieſer Erde keines
„ihrer Werke vollkommen ſeyn ſoll. Derjenige, der
„mit den glänzenden Gaben des Genies auch jene
„Sanftmuth des Characters und jene friedlichen
„Empfindungen verbände, welche die Grundlagen des
„häuslichen Glückes machen, er wäre mehr als ein
[227] „Menſch. Man betrachte das Leben aller großen
„Männer, und man wird finden, daß der Ausnahmen,
„wenn es je welche gab, ſehr wenig waren.“ Wie
wahr iſt das Alles, und wie recht haben die Eltern
heirathbarer Töchter, wenn ſie bei der Wahl ihrer
Schwiegerſöhne, mehr auf Geld als Genie ſehen.
Mir iſt keine Frau bekannt, die ein dummer Mann
unglücklich gemacht hätte, und keine, die mit einem
genialiſchen glücklich gelebt. Moore, wie geſagt, be¬
müht ſich den Lord Byron von aller Schuld freizu¬
ſprechen. Aber unter der Beſchuldigung, die er an¬
führt, um ſie zu wiederlegen, iſt eine, die er beſſer
nicht erwähnt hätte. Denn ſie gründet ſich ſo ſehr
auf Byrons Charakter, auf ſeinen Stolz und ſeine
Reizbarkeit, daß ſelbſt ein Billiger und Fremder wie
ich, ſehr geneigt wird, ſie für mehr als Verläumdung
zu halten. Lord Byron hatte um das Frauenzim¬
mer, das er ſpäter geheirathet, ſchon früher ange¬
halten; aber das Erſtemal einen Korb bekommen.
Nun ſagt Moore: „Man behauptete und glaubte
„ſelbſt allgemein, daß der edle Lord den zweiten Hei¬
„rathsantrag an Miß Wilbank, nur in der Abſicht
„gemacht habe, um ſich für den Schimpf der früheren
„Abweiſung zu rächen; und man ging ſogar ſo weit
„zu ſagen, daß er dies der Neuvermählten, als er
15*[228] „mit ihr von der Trauung aus der Kirche kam, ſelbſt
„geſtanden habe. Dieſem Plane treu, habe er auf
„nichts geſonnen als Mittel zu finden, ſeine Gemahlin
„durch alle mögliche niederträchtigen und lächerlichen
„Bosheiten zu kränken. So erzählten es die ſehr
„glaubwürdigen Chronikmacher.“ Das wäre aber ge¬
wiß eine theure Rache geweſen, und ich möchte auf
meinen Todfeind keine ſo großen Koſten wenden.
Wenn mir es begegnete, daß mir ein Frauenzimmer,
deren Hand ich forderte, einen Korb gäbe, würde ich
all mein Leben ihr zu Füßen legen und allen Leuten
erzählen: ſeht, das iſt meine Wohlthäterin, ich habe
ihr mein ganzes Glück zu verdanken! Mit welchen
romantiſchen Gefühlen, mit welcher ätheriſchen Stim¬
mung Byron zur Ehe ſchritt, verrathen folgende
wenige Worte. Einen Tag vor ſeiner Hochzeit ſchrieb
er einem Freunde, aber mit der größten Ernſthaftig¬
keit: „Man ſagt mir, man könne ſich nicht in einem
„ſchwarzen Kleide trauen laſſen, und ich mag mich
„nicht blau anziehen; das iſt gemein, und es mi߬
„fällt mir.“ Den häßlichen Ehemann vergeſſen zu
machen, zum [Schluſſe] noch ein Wort vom ſchönen
Geiſte. Er ſchrieb in ſein Tagebuch: „Ich erinnere
mich, Blücher in einigen Londoner Geſellſchaften
geſehen zu haben, und nie ſah ich einen Mann ſei¬
[229] nes Alters, der ein ſo wenig ehrwürdiges Anſehen hatte.
Mit der Stimme und den Manieren eines Werb-
Sergeanten macht er Anſprüche auf die Ehre eines
Helden. Es iſt gerade als wenn ein Stein
angebetet ſeyn wollte, weil ein Menſch über
ihn geſtolpert iſt.“
- Holder of rights
- Kolimo+
- Citation Suggestion for this Object
- TextGrid Repository (2025). Collection 1. Briefe aus Paris. Briefe aus Paris. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bhsm.0