[]
Sammlung
Critiſcher, Poetiſcher,
und andrer geiſtvollen
Schriften,
Zur Verbeſſerung
des Urtheils und des Wizes
in den Wercken
der Wolredenheit und der Poeſie.

Zweytes Stuͤck.

[figure]

Zuͤrich,:
Bey Conrad Orell und Comp.1741.

[][[1]]

Nothwendiges
Ergaͤntzungs-Stuͤcke
Zu der
Schutz-Vorrede
Hrn. Dr. Tr[⁎]ll[⁎]rs
Vor ſeinem neuen Aeſopiſchen
Fabelwercke/
Durch einen gluͤcklichen Zufall mitten
aus dem Verderben errettet,
Und den
Verehrern der Tr[⁎]ll[⁎]riſchen Muſe
Mitgetheilet von einem
ihrer
Schweitzeriſchen Zunftgenoſſen.

‘‒ ‒ ‒ ‒ Ridiculum acri
Fortius ac melius magnas plerumque ſecat res.
HORAT.



1740.

[2]
Stuͤcke der Schutzvorrede

Hiſtoriſche Nachricht.


NJemahls hat ein ſo treffliches Fragmen-
tum
von einem noch neuen Buche ein
ſeltſameres Schickſal erlitten, als
das gegenwaͤrtige Stuͤcke der Vorrede zu den
Fabeln Hrn. D. Tr-ll-rs, welches ich das
Gluͤck habe zum Ruhme dieſes vornehmen
Dichters an das Licht zu ſtellen, und damit
ein Werck zu ergaͤntzen, welchem die groͤſten
Kenner mit ungedultiger Hoffnung ſchon ent-
gegengeſehen hatten, da es noch in dem frucht-
baren Gehirne ſeines Verfaſſers als in ſeiner
Gebaͤhrmutter verſchloſſen gelegen war; ein
Werck, das minder aus einem natuͤrlichen
Triebe
gefloſſen, als durch ſo viele liebreiche
Erinnerungen und maͤchtige Befehle
groſſer
Goͤnner und Freunde dem Verfaſſer gleich-
ſam durch einen Nothzwang abgedrungen
worden, und welches ohne den gluͤcklichſten
Zufall und meine beſondere Neigung der ge-
lehrten deutſchen Welt zu dienen, auf immer
unvollkommen geblieben waͤre. Jch verſehe
mich, daß ich meinen Leſern, bevorab denen,
die ſich um Hrn. D. Tr-ll-rs Ruhm und
Schriften eben ſo ſehr bekuͤmmern, als ich,
einen Gefallen erweiſen werde, wenn ich ih-
nen
[3]fuͤr die Tr-ll-riſchen Fabeln.
nen erzehle, wie mir dieſes Fragmentum in
die Haͤnde gefallen ſey. Die Freude theilet
ſich gerne mit, und ſie duͤncket ſich nicht groß
genug, wenn ſie keine Zeugen hat. Jch er-
hielt ungefehr vor einem Monath ein Paͤck-
gen von Canaſter und andren kleinen Wah-
ren, die ich durch einen Kaufmann von der
Leipziger Michelismeſſe hatte beſtellen laſſen.
Dieſelben waren mit allerley gedruͤckten Bo-
gen umwunden, und darunter war ein ein-
ziger halb uͤberſchriebener, welcher dieſen un-
erkannten Schatz in ſich enthielt. Die fran-
zoͤſiſchen und deutſchen Verſe, die mir gleich
beym erſten Anblick in die Augen fielen, rei-
zeten mich, daß ich den Anfang dieſer Schrift
mit einem fluͤchtigen Auge durchlief. Die er-
baͤrmliche Klagen und hertzbrechende Seuf-
zer brachten mich auf die Vermuthung, der
Verfaſſer derſelbigen werde gewiß die Eyer
verſchuͤttet haben, und die Schuld auf den
harten gepflaſterten Boden legen wollen.
Als ich aber aus dem Verfolge deutlich er-
kannte, daß es eine Schutzſchrift fuͤr den
Hrn. D. Tr-ll-r und ſeine Fabeln waͤre,
ſtuhnd ich gantz betreten, ob ich die Ver-
meſſenheit desjenigen, der dieſe Schutzſchrift
veranlaſſet hat, mehr verabſcheuen, oder
den uͤberzeugenden Nachdruck dieſer critiſchen
Rechtfertigung mehr bewundern ſollte; doch
nach einer kleinen Ueberlegung wollte mich be-
A 2dun-
[4]Stuͤcke der Schutzvorrede
duncken, daß ich dieſe ſo geiſtreich ſiegende
Schrift (die man den Triumphbogen des
Tr-ll-riſchen Ruhms nennen koͤnnte) der
Verwegenheit des Schweitzeriſchen Kunſt-
richters eben ſo wohl zu dancken haͤtte, als
ſich Joſeph ehmals vor ſeine Erhoͤhung in
Egypten ſeinen treuloſen Bruͤdern verbunden
geſehen. Das Verbrechen des Schweitzers,
der ſich an dem Ruhm unſers deutſchen Eſo-
pus ſo vermeſſen vergriffen hatte, kam mir
nun gantz ertraͤglich vor, wann ich mir vor-
ſtellete, daß die Welt ohne daſſelbe, dieſes
vortreffliche Muſter einer critiſchen Verthei-
digung vermiſſen wuͤrde, und daß der Ruhm
des deutſchen Fabeldichters bey weitem nicht
mit einem ſo hellen Glantz hervorſtechen wuͤr-
de, wenn er nicht durch den Schatten, wel-
chen die neue critiſche Dichtkunſt darauf ge-
worfen, waͤre erhoͤhet worden. Jch konnte
mir zwar anfaͤnglich gantz nicht einbilden,
daß dieſes ein Original-Manuſcript waͤre.
Das Gluͤck ſchien mir zu groß, und nicht vor
mich aufbehalten, daß ich durch Erhaltung
deſſelben zu dem Ruhme dieſes unverbeſſerli-
chen
Dichters und ſeiner Wercke nur das we-
nigſte beytragen ſollte. Sollte es wohl moͤg-
lich ſeyn, gedachte ich bey mir ſelbſt, daß
ein ſo herrlicher critiſcher Verſuch, den nie-
mand ohne Bewegung leſen kan, der ſchar-
fen Nachfrage der Deutſchen ſollte entgan-
gen,
[5]fuͤr die Tr-ll-riſchen Fabeln.
gen, und bis an den Fuß der Schweitzeri-
ſchen mit ewigem Schnee bedeckten Alpge-
buͤrge verſchlagen worden ſeyn? Oder wer
koͤnnte glauben, daß in dem geſchickten Leip-
zig ein ſo koſtbarer Schatz auf eine ſo ſchnoͤde
Weiſe ſollte entweihet, und zur Ueberklei-
dung etlicher Rollen Tabacks gemißbraucht
worden ſeyn, eh und bevor er noch unter der
Preſſe etliche tauſendmahl multiplicirt wor-
den? Der Beſchluß dieſes Fragmenti ſchien
mich auf die Vorrede der neuen Auflage der
Tr-ll-riſchen Fabeln zu verweiſen. Jch ſtuhnd
in der ſichern und gaͤntzlichen Beredung, daß
ich daſelbſt mein Manuſcript nett und rein
abgedruͤckt finden wuͤrde; alleine da ich die-
ſelbe mit zitternder Begierde durchblaͤtterte,
fand ich nichts darinnen, das dem Jnnhalt
meines Manuſcriptes aͤhnlich war, ausge-
nommen einige dunckle Spuren, die mich
errathen lieſſen, daß etliche ſchlechte toben-
de Neider und ſchaͤumende Verlaͤumder
ſich
gegen den unverbeſſerlichen deutſchen Poeten
aufzulehnen, ſich muͤßten vermeſſen haben; er
thut derſelben hin und wieder mit vieler
Sanftmuth und Beſcheidenheit Meldung,
unter den Titeln unreiffer Kluͤglinge, neu
entſtandener tiefſinniger Fabelrichter, fre-
cher und boßhafter Splitterrichter.
Alleine
auf wen dieſe Geheimnißreiche und verbluͤmte
Titulatur nach der Abſicht des Verfaſſers
A 3paſ-
[6]Stuͤcke der Schutzvorrede
paſſete, ſtuhnd nicht dabey, und niemand haͤtte
ſolches ohne eine vertraͤuliche Offenbarung er-
rathen koͤnnen. Es heißt auch hier, quod
omnibus dicitur, nulli dicitur.
Als ich an mei-
nem wenigen Orte dieſe Vorrede das erſte
mahl geleſen, hielt ich dieſe reſpective to-
bende Neider
und ſchaͤumende Verlaͤumder
fuͤr pureEntia Rationis, die der Verfaſſer
durch eine prophetiſche Begeiſterung ſich als
gegenwaͤrtig vorgeſtellet haͤtte, weil er wohl
vorſehen koͤnnen, daß das beſondere Gluͤck,
welches ihm den Ruhm eines unverbeſſerli-
chen Poeten erworben hatte, ihm nothwen-
dig Neid erwecken muͤßte. Allein ſeit dem
mir das beſagte Fragmentum zu Geſichte ge-
kommen, ſehe ich mich genoͤthiget, dieſe er-
ſten Gedancken zu wiederruffen, maſſen daſ-
ſelbe den Schluͤſſel in ſich enthaͤlt, vermittelſt
deſſen wir dieſe tobenden Neider und ſchaͤu-
menden Verlaͤumder
mit ihren Nahmen ent-
decken koͤnnen, die ſonſt auf immer verbor-
gen, und alſo auch ungeſtraft, geblieben waͤ-
ren. Jn der Ungewißheit, was ich aus mei-
nem Manuſcript machen ſollte, fiel mir in
den Sinn daß mir vielleicht der Hr. von Boͤh-
lau,
der geheimſte Schuͤler des groſſen Tr-l-
l-rs, auf die rechte Spur helfen koͤnnte: Jch
zog daher ſeine poetiſchen Jugend-Fruͤchte
zu Rath, die erſt dieſes Jahr ans Licht ge-
treten, und die Hr. D. Tr-ll-r mit einer
Vor-
[7]fuͤr die Tr-ll-riſchen Fabeln.
Vorrede verſehen, worinnen er die empfan-
gene Hoͤflichkeiten mit einem poetiſchen Rauch-
opfer freygebig erwiedert hat; aber auch all-
da konnte ich in meinem Zweifelmuth wenig
Troſt finden, und als ich auf die Zeitrech-
nung Acht ſchlug, befand es ſich, daß dieſe
poetiſche Jugend-Fruͤchte ſchon im Fruͤh-
ling, hiemit zu einer Zeit an das Licht getre-
ten waren, ehe noch dieſe beyden hoͤflichen
Dichter an dem ſuͤſſen Genuß eines ſanfte ki-
zelnden Lobeswechſels geſtoͤret worden; denn
das Toben des Schweitzeriſchen Neiders und
ſchaͤumenden Verlaͤumders war zu derſelbi-
gen Zeit noch viel zu ſchwach und leiſe, als
daß es bis nach Leipzig und Hamburg haͤtte
durchdringen moͤgen.


Je weniger ich nun fuͤr meine erſte Mei-
nung, daß dieſes Manuſcript ſchon gedruͤckt
ſeyn muͤßte, einigen Grund fand, deſto
mehr wuchs die Vermuthung bey mir, daß
es vielleicht noch gantz friſch und ungedruͤckt
waͤre: Als ich daſſelbe hierauf mit mehrerm
Bedacht, als das erſte mahl, uͤberlas, ver-
wandelte meine Muthmaſſung ſich in eine un-
gezweifelte Verſicherung, ich befand, daß
dieſes geſchriebene Stuͤcke unfehlbar zu der
Vorrede des neuen Tr-ll-riſchen Fabel-Buchs
muͤßte gewiedmet geweſen, und davon un-
barmhertziger oder zufaͤlliger Weiſe abgeriſ-
ſen worden ſeyn; allermaſſen es keine andre
A 4Ab-
[8]Stuͤcke der Schutzvorrede
Abſicht hat, als das Geſpoͤtte des Schwei-
zeriſchen Verfaſſers der neuen Critiſchen
Dichtkunſt uͤber Hrn. D. Tr-ll-rs Unterſu-
chung von der Natur der Fabel, und uͤber
ein Duzt Beyſpiele, die ſich in dem An-
hange ſeiner Gedichte befinden, und die in
dieſer neuen Sammlung unveraͤndert beybe-
halten worden, mit Glimpf und Ernſt abzu-
fertigen. Alſo blieb mir allein uͤbrig, zu
entdecken, auf welcher Stelle dieſe Schutz-
ſchrift mit dem gantzen Coͤrper der Vorrede
erſtlich in einem Zuſam̃enhang geſtanden haͤt-
te, hernach davon abgeloͤßt worden waͤre. Jch
muß auch geſtehen, daß die Wunde, wel-
che man durch die Abloͤſung dieſer Riebe ge-
ſchlagen hatte, ſo ſchoͤn und kunſtmaͤſſig zu-
geheilet worden, daß ich dieſen Mangel ei-
nes ſo ſchoͤnen Glieds ohne die Huͤlffe meines
Manuſcripts niemahls haͤtte vermuthen koͤn-
nen; denn die Vorreden ſind gemeiniglich,
wie die vielgebeinten Jnſecten, denen man es
nicht ſo bald anſiehet, wenn ſie ſchon etwann
einen Schenckel verlieren. Aber da mir nun
das von dem Coͤrper der Vorrede abgeſon-
derte Glied wircklich vor Augen lag, ſo war
es mir ein gar leichtes die Stelle zu finden,
von welcher es abgeloͤſet worden. Jch ſahe
nemlich, daß dieſe Vorrede mit den Thomi-
ſten und Occamiſten ploͤtzlich endet, nachdem
zuvor die Nutzbarkeit der Fabeln mit des groſ-
ſen
[9]fuͤr die Tr-ll-riſchen Fabeln.
ſen Luthers Zeugniſſe und Exempel hinlaͤng-
lich erwieſen worden; und daraus konnte
ich mit ſattſamem Grund abnehmen, dem
ſonſt beredten Vorredner muͤßte durch einen
gewiſſen Zufall das Wort in dem Munde er-
ſtecket worden ſeyn, daß er nicht weiter fort-
kommen koͤnnen, daher ihm der ſcharfſinnige
Balthaſar Schupp das Wort abnehmen, und
die Vorrede beſchlieſſen muͤſſen; ohne wel-
ches ſie noch bis auf dieſen Tag zwar aufhoͤ-
ren, aber ohne Ende ſeyn wuͤrde. Und wie
trefflich ſchicket ſich nicht auf den Uſum Inſti-
tutorium
der Uſus elencticus? Jch rathe alſo
allen denen, die ſich Hrn. D. Tr-ll-rs neue
Eſopiſchen Fabeln angeſchaffet haben, daß
ein jeder in ſeinem Exemplare die Worte
dieſe Vorrede beſchlieſſen„ durchſtreiche,
und an dem Ende derſelben Cetera deſunt hin-
zuſetze; mithin ſich mit dem gegenwaͤrtigen
Anſchluſſe ſo lange behelffe, bis die neue Auf-
lage
von dieſen Tr-ll-riſchen Fabeln heraus-
kommen wird, in welcher alle unvermeidli-
chen Fehler ſollen angezeiget nnd gruͤndlich
verbeſſert werden,
ungeachtet es eine ſchwe-
re Arbeit iſt, unvermeidliche Fehler zu ver-
beſſern. Sie koͤnnen auch zuverlaͤſſig verſi-
chert ſeyn, daß ſie nicht Jahre und Tage
auf dieſe neue verbeſſerte Auflage werden war-
ten muͤſſen, denn der Vorredner ſagt aus-
druͤcklich, man wird dieſelbe, trotz allen fre-
A 5chen
[10]Stuͤcke der Schutzvorrede
chen Widerſpruͤchen boßhafter Splitterrich-
ter, eheſtens zu hoffen haben, wenn an-
ders die geneigten Verſicherungen gelehr-
ter Kenner und Goͤnner nicht truͤgen, die
ſchon ſchriftlich eingelauffen.
Wer kan
aber beſſer wiſſen, was Hr. D. Tr-ll-r im
Sinn hat, als ſein Vorredner? Und wie
ſollten die eingelaufenen ſchriftlichen Verſi-
cherungen gelehrter Kenner und Goͤnner truͤ-
gen koͤnnen? Es wird ja der Hr. Doctor
nicht glauben, daß ſie ihn durch ihre Com-
plimente und Lobſpruͤche vexieren duͤrfen.
Dieſemnach iſt mit Grund zu vermuthen, daß
kuͤnftigen Fruͤhling dieſe neue von unvermeid-
lichen Fehlern gereinigte Auflage durch ge-
neigten Vorſchub dieſer gelehrten Kenner und
Goͤnner gewiß zum Vorſchein kommen wer-
de: Und darum muß ich alle diejenigen, wel-
che die Eſopiſchen Fabeln von dieſer Auflage
noch nicht gekauft haben, treulich warnen,
daß ſie ſich damit nicht uͤbereilen, ſondern
ſchauen, wie ſie ſich noch dieſen Winter uͤber
gedulden, und womit ſie ſich ſonſt die Zeit
verkuͤrtzen koͤnnen.


Bey dieſem allem kam es mich uͤberaus
ſchwer an, mich in dieſen unvermutheten
Gluͤckesfall zu ſchicken, und ich konnte mich
nicht eher zufrieden geben, bis ich denſelben,
und die Art, wie es damit zugegangen, ge-
nauer uͤberleget und ausgekundſchaftet hatte.
Jch
[11]fuͤr die Tr-ll-riſchen Fabeln.
Jch quaͤlete mich eine geraume Zeit mit hun-
dert Muthmaſſungen und Wahrſcheinlichkei-
ten, wie es moͤchte gekommen ſeyn, daß
dieſes wichtige Stuͤcke der Vorrede alleine
ungedruͤckt geblieben, da es doch des Drucks
eher als alles uͤbrige wuͤrdig geſchienen. Jch
konnte von mir nicht erhalten zu glauben,
daß der Hr. D. Tr-ll-r ſeiner und ſeines er-
worbenen Ruhms ſo weit haͤtte vergeſſen,
und geſtatten koͤnnen, daß ſeine Neider und
Verlaͤumder ungeſtraft uͤber ihn triumphier-
ten; dieſe Vertheidigungsſchrift ſelbſt laͤßt
niemand zweifeln, daß es nicht ein rechter
Ernſt bey ihm geweſen, mit ſeinen Feinden
eine Lanze zu brechen; und geſezt, daß ſein
groſſes und dabey ſanftmuͤthiges Hertz dieſes
alles haͤtte verdauen koͤnnen, ſo iſt dieſe
Schutzſchrift an ihr ſelbſt und nach ihrem in-
nern Werth betrachtet, ſo wohl gerathen,
daß ich nicht begreiffen kan, wie der Hr.
Doctor, ohne die groͤſte Ungerechtigkeit zu
begehen, in die Unterdruͤckung dieſes vor-
nehmen Stuͤcks ſeiner Vorrede jemahls haͤtte
einwilligen koͤnnen. Jch an meinem Ort
halte es vor ein rechtes Meiſterſtuͤcke in der
pathetiſchen Schreibart, und ich getraue mir
ohne Schmeicheley zu ſagen, daß Hr. Tr-ll-r
noch nichts mit ſolchem lebhaften und unge-
kuͤnſtelten Feuer geſchrieben habe, und ich
zweifle ob Deutſchland etwas in dieſer Art
Schrif-
[12]Stuͤcke der Schutzvorrede
Schriften aufzuweiſen habe, das mit dieſem
in einige Vergleichung komme. Faſt aus
gleichmaͤſſigen Ueberlegungen konnte ich nicht
glauben, daß ſeine Freunde, diejenige nem-
lich, die ſeinen Ruhm vor allen Anfaͤllen zu
bewahren ſich von Hertzen angelegen ſeyn laſ-
ſen, ſich ſollten vermeſſen haben, dieſes nam-
hafte Stuͤcke ſeiner critiſchen Einſicht ohne
ſein Vorwiſſen zu unterſchlagen; ſie konnten
ja wohl gedencken, daß dieſes ihr Beginnen
nicht verborgen bleiben koͤnnte, und daß ſie
ſich dadurch nothwendig eines geheimen Ver-
ſtaͤndniſſes mit ſeinen geſchwornen Feinden
verdaͤchtig machen wuͤrden. Zuweilen woll-
te mir ſehr glaublich ſcheinen, daß dieſe Ver-
ſtuͤmmlung der Tr-ll-riſchen Vorrede und
Beraubung eines ihrer anſehnlichſten Glie-
der fuͤr eine Wuͤrckung des boshaften Neids
ſeiner Feinde zu halten ſey; alleine dieſe
Wahrſcheinlichkeit verſchwand ſo gleich, wenn
ich betrachtete, daß Hr. Tr-ll-r die Sorge
und Verpflegung ſeines Fabelwercks ſeinen
geheimſten Freunden anvertrauet, daß es
alſo ſeinen Feinden unmoͤglich gefallen waͤre,
demſelben beyzukommen, und ihren Muth-
willen daran zu veruͤden. Als ich dieſe Un-
ſchluͤſſigkeit meiner Gedancken einem meiner
vertrauteſten Freunde eroͤffnete, wollte mich
derſelbe uͤberreden, dieſe Verſtuͤmmlung waͤ-
re die Folge einer mit guter Vorbetrachtung
nud
[13]fuͤr die Tr-ll-riſchen Fabeln.
und auf hohen Rath der obrigkeitlich verord-
neten Buͤcher-Aerzte vorgenommenen Ope-
ration, die an dieſem Gliede eine haͤftige
Entzuͤndung wahrgenommen, zu welcher der
kalte Brand geſchlagen, daher ſie keinen beſ-
ſern Rath gewußt haͤtten, als daß man die-
ſes angeſteckte Glied der Vorrede abſtieſſe,
nach einer bekannten Regel, Enſe recidendum
eſt, ne pars ſincera trahatur.
Alleine mein
Freund wollte nicht hartnaͤckigt auf ſeiner
Muthmaſſung beharren, als ich ihm uͤber-
zeugende Proben von der Gelindigkeit und
Gefaͤlligkeit der Herren Cenſoren in L....
vor Augen legete. Alſo mußten wir endlich
dieſe Verſtuͤmmlung einem ſeltſamen Spiel
des Gluͤckes zuſchreiben, wir befanden ein-
muͤthig, daß dieſer halbe Bogen in der Druͤ-
kerey durch Verwahrloſung des Setzers
muͤſte verlohren, und aus Unachtſamkeit zu
dem Kraͤmer getragen worden ſeyn; und da
ſich niemand getraut haͤtte, dieſen Verluſt zu
erſetzen, waͤre man genoͤthiget geweſen, die
Vorrede ex abrupto zu ſchlieſſen, dabey aber
dieſen Mangel ſo gut als moͤglich zu verber-
gen, und inzwiſchen bedacht zu ſeyn, wie
man dieſe Verwahrloſung beſchoͤnigen, und
gegen Hrn. D. Tr-ll-r entſchuldigen wollte.


Bey allem aber kam uns am allermerck-
wuͤrdigſten vor, daß dieſes verlohrne Frag-
mentum
viel eher in die Schweitz als anderſt-
wohin
[14]Stuͤcke der Schutzvorrede
wohin verſchlagen werden, und juſt demjeni-
gen in die Haͤnde fallen muͤſſen der den wah-
ren Werth deſſelben zu entdecken und es von
ſeinem ſo nahen Untergange zu retten wuß-
te, der aus beſonderer Hochachtung fuͤr Hrn.
Tr-ll-r ſich auch dazu verbunden erkennete.
Man ſetze nur, daß es dem Verfaſſer der
Critiſchen Dichtkunſt oder einem ſeiner Freun-
de in ihre unbarmhertzigen Haͤnde gerathen
waͤre, wie grauſam und unverantwortlich
wuͤrden ſie ſelbiges nicht gemißhandelt und ſo
zugerichtet haben, daß ſolches aus ihren
Haͤnden zu retten weder Rath noch Hoff-
nung uͤbrig geblieben waͤre? Man hat ſchon
laͤngſt angemercket, daß die Gerechtigkeit
unter andern Regeln, die ſie in Beſtimmung
ihrer Straffen insgemeine beobachtet, auch
dieſer folget, daß ſie den Menſchen damit
ſtraffet, womit er geſuͤndiget hat. Jch kan
mit Grund dazuſetzen, daß eben dieſelbe Bil-
ligkeit erfordere, daß einer an dem Orte
buͤſſe, wo er geſuͤndiget hat. Wenn die-
ſes Fragmentum in Deutſchland ans Licht
waͤre geſtellt worden, ſo haͤtte es bey weitem
nicht die Dienſte leiſten und den Nutzen ſchaf-
fen koͤnnen, den es jezo unfehlbar ſchaffen
wird. Ein volles Jahr ſtreicht insgemeine
vorbey, ehe dergleichen Schriften wegen der
Abgelegenheit in die Schweitz kommen, und
unter uns bekannt werden; nun wuͤrden die-
ſe
[15]fuͤr die Tr-ll-riſchen Fabeln.
ſe tobende Neider und ſchaͤumende Ver-
laͤumder auf Hrn. Tr-ll-rs Unkoſten ſich in-
zwiſchen recht luſtig gemachet, und uͤber ſein
vorgegebenes Stillſchweigen ungeſtuͤm getri-
umphiert haben. Hingegen wird jezo ihrem
Muthwillen der Riegel beyzeiten vorgeſcho-
ben, und ſie werden durch die Bekanntma-
chung dieſer Schutzſchrift ſo ſehr in die En-
ge getrieben werden, daß guter Rath bey
ihnen theuer ſeyn wird; jedermann wird die
Gerechtigkeit dieſer wohlverdienten Zuͤchti-
gung erkennen, und ihnen von Hertzen goͤn-
nen, und ſich erfreuen, daß ſie endlich ih-
ren Meiſter gefunden haben, der ihnen das
Handwerck niedergeleget, und ſo viele unter
dieſem ſtrengen Joche ſeufzende Seelen von
dieſer Critiſchen Tyrannie auf einmahl erle-
diget hat. Neben dieſem verſehe ich mich
auch, daß dieſe Herausgabe die critiſche
Gerechtigkeit der Schweitzeriſchen Nation
von vielem Argwohn und von einem uͤblen
Ruff befreyen werde. Die Deutſchen wer-
den daraus erkennen, daß die wenigſten
Schweitzer ſo leckern ſind, und einen eben
ſo eckeln Geſchmack haben, als die zween
Zuͤrchiſchen Critiſchen Helden, die alles nach
ihrem Kopfe meiſtern wollen, und die eben
deßwegen bey ihren Landsleuten uͤberhaupt
nicht hoͤher geachtet werden, als in Ober-
und Niederſachſen. Jch werde nun auch
deſto
[16]Stuͤcke der Schutzvorrede
deſto eher Glauben finden, wenn ich bey
meiner Eidsgenoͤſſiſchen Treue verſichere, daß
die Verdienſte des Hrn. D. Tr-ll-rs um
die deutſche Poeſie, ſo wohl als die Schoͤn-
heit ſeiner Gedichte, unter uns eben ſo viel
Verehrer haben, als wahre Kenner ſind;
und man wird ins kuͤnftige den regierenden
Geſchmack der Schweitzeriſchen Nation nicht
mehr, wie bisher, liebloſer Weiſe nach dem
eckeln und verzaͤrtelten Geſchmacke des Zuͤr-
chiſchen Verfaſſers der Critiſchen Dichtkunſt
beurtheilen.


Was indeſſen den Werth meines Manu-
ſcriptes, und hiemit auch den Danck fuͤr
meine Herausgabe, um ein nahmhaftes ver-
mehren muß, iſt die Ueberzeugung, die ich
bey mir ſelbſt habe, daß dieſes das Auto-
graphum
und das einzige Exemplar ſey, wel-
ches jemahls in der Welt geweſen, und
daß folglich die Erhaltung oder das Ver-
derben deſſelben lediglich in meiner Gewalt
und Willkuͤr geſtanden: Jch bin davon
ſo feſt uͤberzeuget, als gewiß ich bin, daß
derjenige nicht geſcheid handeln wuͤrde, der
ein Manuſcript, welches jezt unter die Preſ-
ſe geleget werden ſoll, durch ſchriftliche Co-
pien bekannt zu machen ſuchen, das iſt, der
Sonnen eine Fackel anzuͤnden wollte. Und
dasjenige vorausgeſetzet, was ich bisdahin
von dem ſeltſamen Geſchicke dieſes Manu-
ſcrip-
[17]fuͤr die Tr-ll-riſchen Fabeln.
ſcriptes, nicht etwann nur erdichtet, ſon-
dern mit Grund erzehlet habe, ſo kan ich
eben ſo wenig begreiffen, daß Hr. D. Tr-l-
l-r von dieſer Vorrede mehrere Abſchriften
ſollte haben verfertigen laſſen, als ich be-
greiffen kan, daß mein Exemplar mehr als
eins ſey.


Sollte es dennoch ſolche unglaubige Spoͤt-
ter geben, die mich in den Verdacht faſſen,
und die Leute bereden wollten, als ob ich
dieſes Manuſcript nicht auf beſagte wunder-
bare Weiſe bekommen, ſondern aus Muth-
willen erdichtet und Hrn. D. Tr-ll-r unter-
geſchoben haͤtte, ſo wuͤrden ſie dadurch entwe-
der ihre dumme Einfalt, oder ihre Boßheit
augenſcheinlich verrathen: Jhre Einfalt, in-
dem ſie ſich vermaͤſſen, mir etwas zuzuſchrei-
ben, welches ich, ſo wenig als ſie ſelbſt, auf
eine ſolche Art und mit ſo vieler Geſchicklich-
keit auszufuͤhren im Stande ſeyn wuͤrde;
Jhre Boßheit, indem ſie Hrn. D. Tr-ll-r
aus Mißgunſt eben ſo vermeſſen dasjenige
abſpraͤchen, was nach aller Kenner Urtheil
niemand als Hr. D. Tr-ll-r zu verfertigen
geſchickt geweſen. Diejenigen, die deſſelben
moraliſche Ernſthaftigkeit, ſeine pathetiſche
Schreibart, und ſeine feine Art hoͤflich und
galant zu ſpotten, kennen, ſind gegen der-
gleichen verfuͤhreriſchen Argwohn genugſam
bewafnet; Jn Anſehung ſolcher aber, die
Bwegen
[18]Stuͤcke der Schutzvorrede
wegen ihrer Leichtglaubigkeit in Gefahr ſte-
hen moͤchten, von dergleichen Spoͤttern ver-
fuͤhrt zu werden, mache ich mich hiemit oͤffent-
lich anheiſchig, ihnen mit ehrlichen Zeugen
zu beſcheinigen, daß ich dieſes Manuſcript
von ungefehr und auf die Weiſe, wie ich er-
zehlet habe, durch die Hand meines Kauf-
manns von Leipzig empfangen habe; und
ich zweifle keinesweges, wenn Hr. Tr-ll-r
ſeine Freunde, denen er ſein Manuſcript an-
vertrauet, und dieſe den Schriftſetzer, dem
ſie es werden uͤberantwortet haben, darum
mit Ernſt befragen werden, daß nicht ihre
Ausſage mit meiner Erzehlung uͤbereinſtimmen
und ſie bekraͤftigen werde. Wenigſtens bin ich
von Hrn. Tr-ll-rs moraliſcher Neigung zur
Billigkeit verſichert, daß er mir ſelbſt, wenn
es vonnoͤthen ſeyn wuͤrde, mit einem oͤffent-
lichen und unwiderſprechlichen Zeugniſſe zu
Steuer der Wahrheit nicht entſtehen, ſon-
dern dieſe Arbeit fuͤr die ſeinige erklaͤren,
und(*) alſo den Verdacht von mir ableh-
nen wuͤrde, als ob ich ſo ſchlimm waͤre, ſol-
che Kinder, die ihrem natuͤrlichen Vater boß-
hafter Weiſe entfuͤhrt worden, in meinen
Schutz zu nehmen und fuͤr die meinigen zu er-
ziehen.


Da ich nun dieſe Vorrede und Schutz-
ſchrift des Tr-ll-riſchen Fabelbuchs dem Hrn.
Doc-
[19]fuͤr die Tr-ll-riſchen Fabeln.
Doctor ſelbſt, als dem wahren Verfaſſer zu-
ſchreibe, muß ich die Leſer erinnern, daß ſie
ſich nicht etwann dadurch irre machen laſſen,
wenn ſie gewahr werden, daß derſelbe nicht
nur in der gedruͤckten Vorrede, ſondern auch
in dem gegenwaͤrtigen Anhange nicht in ſei-
nem eigenen Nahmen, ſondern in der dritten
Perſon als von einem andern redet; denn
dieſes geſchiehet nur aus einer poetiſchen De-
muth und Beſcheidenheit, damit es nicht das
Anſehen habe, als ob er ſich ſelbſten lobe,
von dieſer Eitelkeit iſt ſeine großmuͤthige See-
le himmelweit entfernet, allermaſſen wir uͤber-
zeugende Proben davon haben, zum Exempel
da ſeine Lobredner ſich ſelbſt oͤffentlich(*) be-
klagen muͤſſen, er ſey auf ſie recht boͤſe wor-
den, und habe es ihnen nicht verzeihen wol-
len, daß ſie die Wahrheit ſo deutlich von ihm
geſagt haben. Viele Vorredner unſrer Zei-
ten loben die Wercke ihrer Helden mit einer
Niedertraͤchtigkeit und Unverſchaͤmtheit, wel-
che man kaum einem Verleger zu gute halten
kan. Ein gewiſſer geiſtreicher Mann hat das
laͤcherliche Thun dieſer Leute in einem ſinnrei-
chen Bild ſehr artig vorgeſtellet; er hat ge-
ſagt:

„Dergleichen Vorſprecher und ihre
„Verfaſſer ſcheinen mir eben ſo laͤcherlich
„als jener welſche Marcktſchreyer, der mit
„einem tiefſinnigen Ernſt auf einem alten
B 2„Roſſe
[20]Stuͤcke der Schutzvorrede
„Roſſe einherzutraben pflegte, und einen
„Knaben voran lauffen ließ, der dem ſich
„verſammelnden Poͤbel mit heller Stim-
„me verkuͤndigen muſte, daß ſein Herr und
„Meiſter, das Wunder ſeiner Zeit, der
„Phoͤnix der Aerzte, die Sonne der Wiſ-
„ſenſchaften, ein unſterblicher Erhalter des
„menſchlichen Geſchlechtes, der Bezwinger
„aller Kranckheiten u. ſ. w. ſey. Zu wel-
„chem allem der Zahnarzt uur ſeinen Bart
„ſtreichelte, und zu Zeiten zu den Umſte-
„henden nur dieſes ſagte: Der Knabe
„ſpricht nichts als die wahrheit: Jch ruͤh-
„me mich nicht; aber er kennet mich.„


Alleine unſer Hr. D. Tr-ll-r iſt eines weit
edelmuͤthigern Sinns, er hat deswegen dem
J. C. B. der die beyden Theile ſeiner Ge-
dichte mit Vorreden verſehen, ausdruͤcklich
unterſagt,
daß er den Werth ſeiner Ge-
dichte nicht anpreiſen ſollte: Aber eben die-
ſer Vorredner giebt nicht undeutlich zu ver-
ſtehen, was fuͤr ein hartes Gebot dieſes ſey,
und wie ſchwer es ihm falle, den Werth und
die Verdienſte eines Mannes oder einer
Schrift, die jedermann ſo ausnehmend vor-
kommen, als gleichguͤltig zu behandeln.
Man muß es darum vor die Wuͤrckung ei-
ner raren Beſcheidenheit halten, daß Hr.
Tr-ll-r bey der Ausgabe ſeiner Fabeln das
Amt eines Vorredners keinem Fremden an-
ver-
[21]fuͤr die Tr-ll-riſchen Fabeln.
vertrauet, ſondern ſolches ſich ſelbſt vorbe-
halten, und durchaus ſo beſcheiden von ſich
ſelbſt geredet hat, daß man beynahe mei-
nen wuͤrde, er kennete ſich ſelbſten nicht,
und der Verfaſſer des Fabelwercks gienge
Hrn. Tr-ll-r von Haut und Haar nichts
an. Jch habe mir auch ſagen laſſen, er
habe ſich uͤber das, wiewohl hoͤchſtverdiente
Lob, welches ihm der Hr. von Boͤhlau in ſei-
nen Jugend-Fruͤchten Bl. 429. und 430.
beygeleget hat, weit haͤftiger entruͤſtet, als
uͤber die Verlaͤumdungen des Verfaſſers
der Schweitzeriſch-Critiſchen Dichtkunſt.
Alleine ich finde dieſes Lob ſo gerecht, daß
ich mich nicht entbrechen kan, ſolches hier
anzufuͤgen und zu wiederholen. Es heißt
Bl. 430.


Das that der groſſe Geiſt, der mehr als tauſend nuͤtzet,

Mein Tr-ll-r, deſſen Kiel die Ehre Deutſchlands ſtuͤtzet,

Dem einſt noch Gronov, Clerc, Graͤv u. Salmaſius,

Ja Grot’ und Scaliger den Vortritt goͤnnen muß.


Der Franckreichs Munterkeit, der Britten Witz ver-

lacht,

Weil ſeiner Muſe Gluth ſich ihrer Meiſter macht.

Die Gerechtigkeit dieſer Lobeserhebung iſt ja
in dem allgemeinen Ausſpruche Salomons
gegruͤndet, der in ſeinem Prediger Cap. IX.
v. 4. 5. 6. ſagt:

„Ein lebendiger H ‒ ‒ iſt
„beſſer als ein todter Loͤwe; denn die Le-
B 3„ben-
[22]Stuͤcke der Schutzvorrede
„bendigen wiſſen, daß ſie ſterben werden,
die Todten aber wiſſen nichts, ſie verdie-
„nen auch nichts mehr.
Denn ihr Ge-
„daͤchtniß iſt vergeſſen, daß man ſie nicht
„mehr liebet, noch haſſet, noch neidet,

„und ſie haben keinen Theil mehr auf der
„Welt in allem, das unter der Sonnen
„geſchieht.„

Nun ſind aber Gronov, Clerc,
Graͤv, Salmaſius, Groot und Scaliger
todt; ſollte denn nicht dem Hrn. Tr-ll-r
ein billiger Vorzug uͤber dieſe alle gebuͤhren?
Und die zwo leztern Zeilen ſind ſo unbe-
ſtimmt, daß ich gar nicht ſehen kan, was
die Neider des ſich ausbreitenden Tr-ll-ri-
ſchen Ruhms daran auszuſetzen haben. Man
wird bey den Franzoſen und Britten noch
allezeit ſolche Scribenten antreffen, die an
Munterkeit und Witz zu uͤbertreffen, eben
keine groſſe Kunſt erfodert wird; und ich
bin ſicher, wenn der Hr. von Boͤhlau ſich
erklaͤren muͤßte, was er vor Franzoſen und
Britten gemeint habe, uͤber die er ſeinem
Meiſter einen ſolchen Vorzug giebt, es wuͤr-
de jedermann den groſſen Unterſchied zwi-
ſchen dieſen und jenen erkennen und die
Vergleichung gutheiſſen muͤſſen. Aber ſo
billig und beſcheiden auch dieſes Lob immer
ſeyn mag, ſo muß dennoch Hr. Tr-ll-r ſel-
biges nicht gerne, noch mit gleichguͤltigem
Gemuͤthe aufgenommen haben, alleine aus
der
[23]fuͤr die Tr-ll-riſchen Fabeln.
der vorſichtigen Beyſorge, es moͤgte ſelbi-
ges etwann von neidigen Spoͤttern wider
die Abſicht des Lobredners verdrehet und
gemißdeutet werden. Sehet da ein ſeltenes
Muſter einer recht edelmuͤthigen Beſchei-
denheit bey einem Verdienſt-vollen Dich-
ter, und zugleich die wahre Urſache, wa-
rum er in der Vorrede zu ſeinem neueſten
Fabelwerck das Wort ſelbſt fuͤhret, doch ſo,
daß es ſcheinet, als ob er von einem an-
dern rede.


Wollte aber jemand nur dieſes behaup-
ten wollen, Hr. Tr-ll-r habe dieſe Vorre-
de nicht ſelbſt geſchrieben, ſondern nur et-
wa in die Feder dictirt, oder nachdem ſie
von einem ſeiner Schuͤler verfertiget wor-
den, uͤberſehen, veraͤndert und verbeſſert,
ſo will ich mit einem ſolchen keinen Zanck
anfangen, maſſen auch in dieſem Sinne
von Hrn. Tr-ll-r eben ſo wohl kan geſagt
werden, daß er der Verfaſſer dieſer Schutz-
Schrift ſey, als dorten von Herodes ge-
ſagt wird, er habe alle Kindlein zu Betle-
hem getoͤdet.


Alleine ich will das gereizte Verlangen
meiner Leſer nicht laͤnger an dem Genuſſe
meines Manuſcripts hindern, zumahl da ich
deſſen Werth bisdahin nicht geſchickter an-
geprieſen habe, als dorten die Lobredner
Salomons bey der Koͤnigin von Saba die
B 4Weiß-
[24]Stuͤcke der Schutzvorrede
Weißheit deſſelben nach ihrer Wuͤrdigkeit
beſchrieben haben. Jch bin auch verſichert,
daß die eigene Erfahrung meine Leſer eben
ſo wohl, als jene Koͤnigin, von des Lob-
redners Ungeſchicklichkeit uͤberzeugen, und
meinem Lobe erſt das rechte Gewicht geben
werde. Mithin da dieſes Manuſcript uns
den ſchoͤnſten Anlaß giebt, manche critiſche
Wahrheit in ein helles Licht zu ſetzen, ſo
wird man mir erlauben, ſelbiges mit An-
merckungen zu verſehen, inmaſſen es dieſe
Ehre beſſer verdienet, als manches altes
lateiniſche oder griechiſche Manuſcript, wel-
che oft ſo unverſtaͤndlich an ſich ſelbſt ſind,
oder von den Commentatoren gemachet wer-
den, daß man ſelbſt nicht weiß, woran man
ſich halten ſoll. Mein Manuſcript bedarf kei-
ner dergleichen Erklaͤrungen, und ſie wuͤrden
eben ſo wenig nuͤtze ſeyn, als wenn man der
Sonne an dem hellen Mittag eine Fackel an-
zuͤnden wuͤrde. Die Abſicht meiner Anmer-
kungen gehet alleine dahin, einige moraliſche
und critiſche Grundſaͤtze, die nur beylaͤuftig
angefuͤhret werden, und auf welche der Ver-
faſſer ſeine Urtheile gruͤndet, um der Ein-
faͤltigen willen weiter auszufuͤhren, und die
Kunſt, die in dieſer gantzen Schutzſchrift ver-
borgen lieget, einigermaſſen aufzudecken.

Fra-
[25]fuͤr die Tr-ll-riſchen Fabeln.

FRAGMENTUM
der Vorrede zu den
Tr[‒]ll[‒]riſchen Fabeln,
Oder
Schutz-Schrift

gegen den Verfaſſer der
Critiſchen Dichtkunſt.



MEin Gott! was erhebet nicht der ehr-
liche
1
B 5rufung.
[26]Stuͤcke der Schutzvorrede
liche Mann vor ein greuliches Lermen[:]
Mit
2
3
4
175.
[27]fuͤr die Tr-ll-riſchen Fabeln.
Mit was vor Heftigkeit und Bitterkeit ſtoͤſ-
ſet er ſeine Urtheile nicht aus? Warum denn
dieſes alles? nemlich um Sylben, Gedan-
ken,
5
6
7
dan-
[28]Stuͤcke der Schutzvorrede
ken, Worte, und Reime, um Fabeln und
Maͤhr-
8
9
pflan-
[29]fuͤr die Tr-ll-riſchen Fabeln.
Maͤhrchen, die zum Zeitvertreib fuͤr die
Ju-
10
[30]Stuͤcke der Schutzvorrede
Jugend aufgeſetzet, und als ein unvollkom-
mener Verſuch
angegeben worden. Wich-
tige
11
12
liefern,
[31]fuͤr die Tr-ll-riſchen Fabeln.
tige Urſache, ſich ſo laͤcherlich zu entruͤſten,
und
13
14
[32]Stuͤcke der Schutzvorrede
und ehrliche Leute ſo unbaͤndig anzugreiffen,
als ob es einen ſonderbaren Glaubens-Ar-
tickel oder bedencklichen Friedens-Schluß
anbetraͤfe. Richer mag ihm antworten:


Du ſolide Cenſeur diſtinguons le Pédant!

Cet Animal chagrin, plein d’un orgueil extréme,

N’aprouve rien, que ce, qu’il fait lui-même.

Sur tout il imprime ſa dent.

Man weiß wohl die Freyheit, die Gelehrte
dieß-
15
16
unſer
[33]fuͤr die Tr-ll-riſchen Fabeln.
dießfalls uͤber einander haben; es ſtehet je-
dem frey, Schriften zu beurtheilen; es iſt
auch nuͤtzlich und loͤblich: Alleine es muß
mit Beſcheidenheit und Gelindigkeit, und
nicht in einer Sprache geſchehen, die man
eher in denen Muͤhlen, Scheuren und Schen-
ken, als unter gelehrten und wohlgeſitteten
Leuten, zu hoͤren gewohnt iſt.


Sind Wort und Sylben denn von ſolcher Wichtigkeit,

Daß man ſo ungeſtuͤm, wie Haͤrings-Weiber, ſchreyt?

Dieß
17
18
C
[34]Stuͤcke der Schutzvorrede
Dieß bringt der Wiſſenſchaft gewiß den groͤſten Schaden,

Den ihre Meiſter ſelbſt durch Grobheit auf ſich laden,

Dadurch wird ſie hernach vernuͤnftigen verhaßt,

Und ein Gelehrter iſt ſo viel als ein Fantaſt.

Man leſe hiervon weiter unſers Verfaſſers
Gedichte auf den ſeel. Hrn. Fabricius, von der
unanſtaͤndigen Schmaͤhſucht der Gelehrten,
nebſt denen Anmerckungen, und beſſere ſich.
Man weiß nicht, ob man den boͤsartigen
Schriftrichter mehr belachen, oder beklagen
ſoll, welcher andern Leuten die Fehler in
Schriften zeigen will, und doch ſelbſt einer
viel wichtigern Verbeſſerung
ſeiner rauhen
und ſtoͤrriſchen Sitten u. unhoͤflichen Schreib-
art noͤthig hat, wie der Leſer mit Erſtaunen
wahr-
19
20
nen
[35]fuͤr die Tr-ll-riſchen Fabeln.
wahrnehmen wird. Alleine laßt uns nun ei-
nige der wichtigſten Einwuͤrffe
beſehen, die
er
21
22
C 2lein
[36]Stuͤcke der Schutzvorrede
er wider die Trilleriſchen Fabeln gemacht,
um
23
der-
[37]fuͤr die Tr-ll-riſchen Fabeln.
um von dem Werth dieſer Critiſchen Dicht-
kunſt hieraus zu urtheilen;
denn alles zu
beant-
24
25
C 3das
[38]Stuͤcke der Schutzvorrede
beantworten verlohnet ſich nicht der Muͤhe,
und das weitlaͤuftige Gewaͤſche von lauter
Kleinigkeiten verdienet keine Widerlegung.
Er fraget alſo unter andern: Ob die Eſpen,
Tannen, Buch und Linden in einer Ca-
ravane hinter dem Eichbaume hergezogen
waͤren?
Welche tiefſinnige Frage, die kein
Oedi-
26
27
„ſen
[39]fuͤr die Tr-ll-riſchen Fabeln.
Oedipus aufloͤſen kan! Welcher ſchertzhafter
Einfall, der einem Thraͤnen auspreſſen moͤg-
te! Welche Critiſche Dichtkunſt, die den
Ariſtoteles und Horaz weit uͤbertrift! Er
fraget ferner, ob die Baͤume etwas vom
Koͤnig Salomo wiſſen koͤnnen?
Dieſes
iſt
28
C 4Und
[40]Stuͤcke der Schutzvorrede
iſt gleichwohl ſehr wahrſcheinlich erdichtet,
denn wenn die Baͤume nach der Fabel den-
ken und reden koͤnnen; ſo muͤſſen ſie auch den
Koͤnig Salomo wohl kennen, als welcher
ſich um das Reich der Pflantzen ſo verdient
gemacht, daß er ſie von der Ceder auf dem
Libanon an, biß auf den Yſop, der aus der
Wand
29
[41]fuͤr die Tr-ll-riſchen Fabeln.
Wand waͤchſt, oder biß zu der Mauer-Rau-
te, das iſt vom groͤſten biß zum kleinſten Ge-
waͤchſe, ausfuͤhrlich beſchrieben, wie die
Schrift
meldet, welche doch wenigſtens un-
ſer Criticus gelten laſſen wird.
Er fraget
weiter, ob die Maͤuſe des Sonntags um die
Stadt ſpazieren giengen,
wie die Buͤrger
zu
30
31
C 5Bos-
[42]Stuͤcke der Schutzvorrede
zu Hamburg? Jngleichen, ob der Stadr-
maͤuſe ihre Loͤcher ſchoͤner und aufgepuz-
ter waͤren;
als der Feldmaͤuſe ihre? Sinn-
reiche Einfaͤlle, die man ſich kaum artiger
traͤumen laſſen ſollte! Wer vermag hierauf
zu antworten? Und endlich fraget er (denn
man wird dieſer Poſſen geſchwind muͤde,) ob
die
32
33
[43]fuͤr die Tr-ll-riſchen Fabeln.
die Maͤuſe, ohne Verletzung des Gewiſſens
und der Religion, einander Gevattern heiſſen
koͤnnen.?
Dieſes leztere bejahen alle neuen
Fabuliſten, als La Fontaine, Richer, und
La Motte, als der es ſo gar gebietet; daher
iſt nichts gewoͤhnlicher bey ihnen, als Com-
pére Renard, Compére Corbeau, Commére
Haze, Lionne,
und dergleichen, und bey dem
ehrlichen Froſchmaͤuſeler kommt der Gevatter
Fuchs, Heins, und ſo weiter, zum oͤftern
fuͤr, welche Stellen der muͤſſige Criticus ſelbſt
nachſehen kan. Nur unſer Verfaſſer ſoll die
Freyheit nicht haben, die Maͤuſe einander
Gevatter heiſſen zu laſſen. Warum? Der
ſtrenge Gebieter will es nun ſo haben. Dieſes
iſt
34
[44]Stuͤcke der Schutzvorrede
iſt ſchon genug; man wird ihm alſo kuͤnftig auch
hierinne blind gehorſamen. Was wuͤrde er
aber nicht erſt alsdann fuͤr ein Laͤrmen ange-
fangen haben, wenn der Verfaſſer gar Apo-
ſtel und Propheten von denen Thieren ge-
braucht haͤtte, als welches bey dem La Motte
und Richer vorkoͤmmt; keinesweges aber
zu billigen iſt, wenn es anders dem Criticus
alſo und nicht anders gefaͤllig iſt.


Sehr laͤcherlich iſt es indeſſen, daß dieſer
Mann jezt ein ſo zaͤrtliches Gewiſſen hat, daß
er denen armen Maͤuſen ihre Gevatterſchaft
nicht goͤnnen will; der doch kurtz zuvor das
vornehmſte Geboth der chriſtlichen Liebe
und Beſcheidenheit ſo groͤblich und ſo oft
uͤbertreten.
Heißt dieſes nicht recht Muͤken
ſeigen, und Camele verſchlucken? Sind die-
ſes nun die geſunden, nuͤtzlichen, und einem
ver-
35
[45]fuͤr die Tr-ll-riſchen Fabeln.
vernuͤnftigen Manne wohlanſtaͤndigen Urthei-
le, das ſcharfe Saltz, und der gute und aus-
erleſene Geſchmack; ſo hat man billig hohe
Urſache, Gott hertzlich zu dancken,
daß
er einen mit einer ſolchen unmaͤſſigen Scharf-
ſinnigkeit nicht geſtrafet, und mit einem ſo
durchdringenden feinen Geſchmacke gnaͤdig
verſchonet habe. Erfodert denn dieſes ſo
groſſe Kunſt und Gelehrſamkeit, Geſpoͤtte
mit Gegengeſpoͤtte abzuweiſen, und Thor-
heiten
mit Poſſen zu bezahlen? Eine Hand
voll muthwilliger Einfaͤlle, und die ſchaͤdliche
und elende Geſchicklichkeit, alles laͤcherlich
zu machen,
iſt der gantze Grund, worauf
dieſe
36
37
38
hat
[46]Stuͤcke der Schutzvorrede
dieſe ſonderbare theatraliſche Kunſt beruhet,
und welche viele andere vielleicht eben ſo gut,
wo nicht noch beſſer und hoͤflicher koͤnnen,
als der allzu ſcharfſinnige Gegner.

„Wie
„leicht koͤnnte man antworten, die wohl
„ausgedachte Caravane der Eſpen, Tan-
„nen, Buch und Linden haͤtten zuſammen
„im Thale ein groſſes Ballet getantzet, wo-
„zu der Herr Br-t-ng-r (denn ſo heißt die-
„ſer fuͤrchterliche critiſche Goliath, der dem
„poetiſchen Zwerge hohn ſpricht) den Tri-
„angel oder die Leyer zierlich geſpielet, oder
„beſſer einen groben Baß aufgeſtrichen haͤt-
„te. Oder, er moͤgte den Unterſchied der
„Maͤuſeloͤcher ſelbſt unterſuchen, damit er
„alſo gewiß wiſſen koͤnnte, ob die Stadt-
„maͤuſe beſſre Schlupfwinckel haͤtten, als
„die Land- und Feld-Maͤuſe, auf daß ſol-
„cher
0
40
[47]fuͤr die Tr-ll-riſchen Fabeln.
„cher Geſtalt dieſe hochwichtige Sache in
„ein groͤſſeres Licht geſetzet und der Verfaſſer
„der Fabel deſto nachdruͤcklicher von ſeiner
„poetiſchen Todſuͤnde uͤberfuͤhret wuͤrde.„


Alleine man will nicht gleiches mit gleichem
vergelten, noch mit dem Gegner wieder in
die erſte Kindheit und den muthwilligen Schul-
Stand zuruͤcke fallen, wo man dergleichen
ſonderbare Anmerckungen zu machen pfleget;
daher ſoll dieſes alles ſo gut, als nicht geſagt
oder geſchrieben ſeyn, und man bittet im
Ernſt um Verzeihung.


Jedoch es iſt nun einmahl Zeit, im Ernſt
mit unſrem groſſen Ariſtarch zu reden. Man
will ihm nemlich aus ſchuldiger Ehrerbietung
voͤllig recht geben, um ihn nicht weiter zu er-
zoͤrnen; denn er gehoͤret unter die ſeltſamen
Leute, die ſtets recht haben wollen. Wohl-
an dann, er ſoll und muß es auch haben.
Wer will ſich gern mit einem Manne einlaſ-
ſen,
der einen eigenſinnigen Widerſpruch zur
Richt-
41
42
per
[48]Stuͤcke der Schutzvorrede
Richtſchnur ſeiner Urtheile macht, der die
Tugenden eines Scribenten verſchweiget,
und die geringſten Fehler hingegen auf das
aͤrgſte durchziehet, und laͤcherlich zu machen
ſuchet; der den wahren Unterſchied unter den
weſentlichen Stuͤcken einer Fabel, und un-
ter den ſchertzhaften Nebenumſtaͤnden und
Auszierungen derſelben nicht wi[ſſ]en will, da-
mit er nur deſto freyer ſpotten koͤnne, und
der endlich mehr Tadelſucht als Aufrichtig-
keit und Beſcheidenheit beſitzet. Man geſte-
het
43
[49]fuͤr die Tr-ll-riſchen Fabeln.
het ihm alſo gerne zu, daß die Tr-ll-riſchen
Gedichte wenig; ſeine Fabeln aber gar
nichts taugen.
Man beklagt dahero billig
mehr als ein hundert arme Leſer,
welche nun
ſeit
44
45
Dkom-
[50]Stuͤcke der Schutzvorrede
ſeit zwanzig Jahren die Trilleriſchen Schrif-
ten vor nuͤtzlich und erbaulich gehalten; nun
aber zu ihrem Gluͤck, durch die durchdrin-
gende Einſicht des unbetruͤglichen Richters,
auf einmahl erleuchtet und auf den rechten
Weg gefuͤhret worden; daß ſie nun ohne
Zweifel ihre Zeit und Koſten billig bereuen,
und die poetiſchen Betrachtungen in Winckel
werfen und zu Maculatur brauchen werden.
Welcher Schimpf fuͤr den Verfaſſer, welcher
Schaden fuͤr den Verleger! Welch groſſes
Ungluͤck kan eine ſcharfe Critick nicht ſtiften!


Man

[51]fuͤr die Tr-ll-riſchen Fabeln.

Man bekennet ferner aufrichtig, daß der
Criticus einen vollkommenen Sieg uͤber die
Dornen, Maͤhrchen, Maͤuſe, und Maͤuſe-
loͤcher ruͤhmlichſt erhalten, und wuͤnſchet von
Hertzen, daß er dieſer groſſen Ehre lange
Zeit ruhig genieſſen moͤge.


Man dancket weiter demuͤthig und ſchul-
dig,
daß er dem Verfaſſer die beſondere Eh-
re
47
48
D 2noch
[52]Stuͤcke der Schutzvorrede
re anthun, und ihn ſo großmuͤthig ſchimpfen
wollen. Denn dieſes wollen die Leute wuͤrck-
lich haben, daß man ihnen noch dazu groſſen
Danck abſtatten ſoll, daß ſie einen gewuͤrdiget,
muthwillig durchzuhecheln. Welches laͤcher-
liche Begehren! Welches unverſchaͤmte An-
ſinnen! Doch es ſey alſo! Man dancket
billig, daß es der beſcheidene Herr Urtheils-
faſſer nicht noch aͤrger und anzuͤglicher ge-
macht habe, und bittet ferner um ein gnaͤ-
diges Verſchohnen.


Man giebt ihm auch endlich gerne die
Erlaubniß, etliche Quartanten oder Folian-
ten, wie es beliebig iſt, gegen die Tr-ll--
riſchen Schriften zu ſchreiben, und ſie da-
durch gantz und gar von der Erden zu ver-
tilgen.
0
[53]fuͤr die Tr-ll-riſchen Fabeln.
tilgen. Er kan auch insbeſondere gegen die-
ſe elenden Fabeln
ein eigen Buch heraus-
geben; doch bittet man ihn gehorſamſt, bey
der XVII. XXVII. und XXXIIſten Fabel ein
wenig ſtille zu ſtehen, und deren Jnhalt zu
ſeiner Erbauung und Beſſerung anzuwen-
den. Wahrheit wird indeſſen doch Wahr-
heit bleiben, und rechte unpartheyiſche Ken-
ner (worunter der Criticus und ſeine Helden
gar nicht gehoͤren) werden nie aufhoͤren, de-
nen Tr-ll-riſchen Gedichten den rechten Werth
zu beſtimmen. Denn es iſt ſehr gut und
troͤſtlich, daß dieſer ehrliche Mann nur ei-
ne, und zwar noch ſehr ſchwache und mat-
te Stimme in dem groſſen
Rath der Ge-
lehrten habe, welche der Sache keinen groſ-
ſen
50
D 3
[54]Stuͤcke der Schutzvorrede
ſen Ausſchlag geben wird, weil ſich gar we-
nige darnach richten werden. Daher wird
man nun alle ſolche knarrenden Critiquen vor
ungedruͤckt und ungeſchrieben halten, und
vielmehr in dieſem Stuͤcke dem hochberuͤhm-
ten Mosheim nachzuahmen trachten, welcher
die zwey groſſen Buͤcher, die der bekannte
Peterſen gegen ihn wegen der Wiederbrin-
gung geſchrieben, vor ungeſchrieben achtete.
Denn unnuͤtze Streitſchriften und unnoͤthige
Federkriege ſind kein Werck vor einen Mann,
der ſeine ohne dem enge Zeit nuͤtzlicher und
Gott wohlgefaͤlliger anzuwenden gedencket.


Nec bella geri placuit, nullos habitura triumphos.

Der aͤrgerliche Geiſt, den viel Gelehrte treiben,

Wird von ihm lebenslang mit Ernſt vermieden bleiben;

Wie mancher heiſt ein Fuͤrſt in Kunſt und Wiſſenſchaft,

Und ſchreibt und zanckt ſich doch mit andern poͤbelhaft.

Wer bey den Kuͤnſten nicht die Hoͤfligkeit ſtudiret,

Scheint ihm wie eine Sau, mit guͤldnem Band gezieret.

Doch wir halten uns mit ſolchen Kleinigkei-
ten allzu lange auf; und wollen dieſe Vor-
rede nicht zum Kampfplatz unnuͤtzer Grillen-
faͤngereyen und Sylbenkriege machen, in-
ſonderheit wegen der hohen Nahmen, wel-
chen dieſes Buch zugeſchrieben worden.

Phaͤdrus mag indeſſen von dieſem Ausbunde
eines recht hoͤflichen Gelehrten in des Ver-
faſſers Nahmen
Abſchied nehmen, und ihm
vor
[55]fuͤr die Tr-ll-riſchen Fabeln.
vor ſeine liebreiche und beſcheidene Unterwei-
ſung den gebuͤhrenden Danck abſtatten.


Tu, qui, Naſute, ſcripta deſtringis mea,

Et hoc jocorum legere faſtidis genus,

Quid ergo poſſum facere tibi, Cenſor Cato,

Si nec Fabellæ te juvant, nec Fabulæ!

Noli moleſtus eſſe omnino litteris,

Majorem exhibeant ne tibi moleſtiam.

Hoc illis dictum eſt, ſi qui Stulti nauſeant,

Et, ut putentur ſapere, Coelum vituperant.

Et ut putentur ſapere, Coelum vituperant.)
Und ich ſchlieſſe meine Anmerckungen im Nahmen des
Verfaſſers mit den Worten Horatii:


Prætulerim Scriptor delirus inersque videri,

Dum mea delectent mala me, vel denique fallant:

Quam ſapere \& ringi. ‒ ‒ ‒ ‒

[56]Mehrere authentiſche Urkunden

Nuͤtzlicher Anhang
von einigen authentiſchen Urkunden,
welche dienen,
den Ruhm der Tr[*]ll[*]riſchen Fabeln
zu befeſtigen;
und die neue Critiſche Dichtkunſt ſchwartz
und haͤßlich zu machen.



I.
Hamburgiſ. Berichte von Gelehrten Sachen.
Auf das Jahr 1740. den 16. Herbſtm.
No. LXXIV. Bl. 641. u. f.


PHÆDRUS I. 30.
‒ ‒ Facilis vindicta eſt mihi,
Sed inquinari nolo ignavo ſanguine.


Hamburg.


JN Herolds Verlag iſt heraus, D. Dan.
Wilh. Trillers neue Eſopiſche Fabeln in
Ver-
51
men
[57]zum Lob der Tr-ll-riſchen Fabeln ꝛc.
Verſen, worinn in gebundener Rede aller-
hand erbauliche Sittenlehren und Lebensre-
geln vorgetragen werden. Der beruͤhmte
Hr. Triller gehoͤret unter die geringe Zahl
der-
52
D 5
[58]Mehrere authentiſche Urkunden
derjenigen Maͤnner, die den Werth der Sit-
tenlehre und der Dichtkunſt richtig zu be-
ſtimmen
wiſſen. Durch ſeine moraliſchen Ge-
dichte, wovon die Welt bereits zween Thei-
le lieſet, hat er ſeit einigen Jahren gezeiget,
wie redlich er es mit den Menſchen meine,
und wie geſchickt er ſey, die Schoͤnheiten der
Tugenden und die Haͤßlichkeit der Laſter in
ihrer wahren Geſtalt abzuſchildern. Gegen-
waͤrtig hat der Hr. Verfaſſer einen Verſuch
gemacht, uns die Wahrheiten der Sitten-
lehre mit ſchertzvermiſchtem Ernſt unter dem
Flor
53
[59]zum Lob der Tr-ll-riſchen Fabeln ꝛc.
Flor der Fabeln zu verhuͤllen. Er kennet
den Menſchen:
Er weiß, daß man ſich un-
terſchiedlicher Mittel bedienen muͤſſe, wenn
man ihm ſeine Bloͤſſe zeigen, und die Wege
des Guten lehren will; denn er hoͤret unger-
ne, daß er gefehlet habe, und noch weniger
kan er ſich ſo weit herunterlaſſen, ſolches zu
bekennen. Ein geſchickter Schriftſteller,
handelt daher nach Art eines vernuͤnftigen
Artzneyverſtaͤndigen, der ſeine heilſamen, aber
bittern Huͤlfsmittel ſeinen eigenſinnigen Kran-
ken unter mancherley Geſtalten beybringet.
Es iſt bisher faſt durchgehends ein Fehler in
der Sittenlehre geweſen, daß man ihre Saͤ-
ze und Wahrheiten in einer trockenen und
magern Schreibart vorgetragen; daher ha-
ben nur einige wenige, die ſich zum Nachſin-
nen gewoͤhnet, ſich daraus erbauen, andere
aber hingegen ſolches unterlaſſen muͤſſen.
Die Fabel iſt von je her geſchickt geweſen,
dieſem Mangel abzuhelffen; nur ſchade, daß
wir
54
[60]Mehrere authentiſche Urkunden
wir Deutſche uns derſelben ſo ſpaͤt bedienen,
da wir doch faſt in allen Nationen geſchickte
Vorgaͤnger gehabt haben. Wir wuͤſten in
in unſrer Sprache nichts beſonders namhaft
zu machen, als was uns erſt kuͤrtzlich ein auf-
geweckter Stoppe und ſcharfſinniger von
Hagedorn in dieſer Art geliefert. Der Hr.
Triller hat daher ſich ſeine Landsleute noch
mehr verbindlich gemacht, da er ſich dieſen
geſchickten Koͤpfen zugeſellet hat. Seine
Fabeln ſind ſo beſchaffen, daß ſie alle Auf-
merckſamkeit eines vernuͤnftigen Leſers mit
Recht verdienen.
Ein jedes Alter und Ge-
ſchlecht, uud ein jeder Stand kan hier ſeine
Lehre leſen. Wir ſind voͤllig uͤberzeuget, daß
viele
55
[61]zum Lob der Tr-ll-riſchen Fabeln ꝛc.
viele nach Durchblaͤtterung dieſes Buchs zu
einer gewiſſen Selbſterkenntniß gelangen wer-
den, die ſie noͤthiget, ſelbiges mit einem ange-
nommenen Laͤcheln von ſich zu legen. Denen
aber der Poet antworten mag: Quid rides?
mutato nomine de te Fabula narratur.
Der
heranwachſenden Jugend koͤnnen wir dieſes
Buch nicht genug anpreiſen, und unſer muͤſ-
ſiges Frauenzimmer duͤrfte auch noch vieles
in ſelbigem bemercken, worauf bisher wenige
geachtet haben. Es waͤre zu wuͤnſchen,
daß geſchickte Schullehrer ſelbiges in den
erſten Claſſen einfuͤhren moͤgten. Es ge-
hoͤret in unſern Tagen mit zum Verfall der
Schulen, daß man die Jugend mit Lateini-
ſchen Fabeln quaͤlet, da ſie doch noch lan-
ge nicht geſchickt iſt, das Nuͤtzende und
Ergetzende derſelben einzuſehen.


Die Schreibart des Hrn. Trillers iſt nach
dem Begriff eines jeden Leſers; und ſie ge-
hoͤret eigentlich zur mittlern. Sie iſt zwar
nicht erhaben, doch auch nicht kriechend, ſon-
dern
56
[62]Mehrere authentiſche Urkunden
dern zierlich, deutlich, und rein. Es waͤre
auch unbillig, wenn man einen Æſopum in
cothurnis
begehren wollte. Jn der Vorrede
wird auch gemeldet, warum dieſe Schreibart
beliebet worden. Hieran haͤtte ſich, unſers
Erachtens, der Hr. Breitinger begnuͤgen
ſollen;
ſo waͤre vieles aus dem ſiebenden Ab-
ſchnitt Bl. 164 ſeiner Critiſchen Dichtkunſt,
da er von der Eſopiſchen Fabel handelt, viel-
leicht weggeblieben. Wir behalten uns vor,
das Schaͤtzbare dieſes Buchs zur andern Zeit
nahmhaft zu machen. Hier erwehnen wir
nur beylaͤuftig, daß Bitterkeit, Schmaͤh-
ſucht, und Unhoͤflichkeit eine jede Wahrheit

und
57
[63]zum Lob der Tr-ll-riſchen Fabeln ꝛc.
und Beurtheilung vielmehr ſchwaͤchen und
verſtellen, als annehmlich machen. Soll
denn hierinn der gute Geſchmack beſtehen,
wovon man auf allen Blaͤttern ſo viel Ruͤh-
mens macht? wir glauben es nicht: Es iſt
wahr, es ſcheinet, als ob die Kunſtrichter
einer gewiſſen Nation bey ihren Urtheilen
allemahl eine grobe Sprache fuͤhren wollen.

Wir ſind es ſeit einigen Jahren alſo gewohnt.
Wir geſtehen aufrichtig, daß ſie uns durch
ihre critiſche Schriften viel falſches in der
Beredtſamkeit und Dichtkunſt
entdecket ha-
ben, welches von vielen ſo heilig iſt verehret
worden. Es ſind aber auch zum oͤftern un-
noͤthige Klaubereyen mit untermengt. Den
Vortrag aber, deſſen ſie ſich bedienet, ha-
ben geſittete Leute jederzeit verabſcheuet. Sie
werden aber auch glauben, daß ſie nicht die
einzigen Befoͤrderet des guten Geſchmacks
ſind.
Hinter dem Gebirge wohnen auch
Leute.
58
[46[64]]Mehrere authentiſche Urkunden
Leute. Es iſt eben nicht allemahl noͤthig
ein Schweitzer zu ſeyn,
wenn man vernuͤnf-
tig dencken will. Alles was der geſchickte
Hr. Verfaſſer der Critiſchen Dichtkunſt wi-
der den Hrn. Doct. Triller anbringet, haͤtte
er in einer andern Sprache ſagen koͤnnen;

und wir ſind uͤberzeuget, daß der Hr. Tril-
ler, als ein beſcheidener Gelehrter, ihm gar
gerne die Freyheit und das Recht, welches
Gelehrte diesfalls uͤber einander haben, zu-
geſtanden haͤtte. Er weiß mehr als zu wohl,
wie noͤthig und nuͤtzlich eine vernuͤnftige und
beſcheidene Critick ſey. Allein wo geht es
wohl wunderlicher her, als im Reiche der
Dichter? Um Sylben, Gedancken, Woͤr-
ter, Reime, und Maͤhrchen muͤſſen Beſchei-
denheit, Gelindigkeit, und Menſchenliebe
gaͤntzlich hintan geſetzet werden? Wo blei-
bet hier der Ausſpruch ihres goͤttlichen Ho-
ratz, von welchem ſie ja ſonſt keines Fingers
breit abweichen wollen: Ubi plura nitent,
paucis
59
[65]zum Lob der Tr-ll-riſchen Fabeln ꝛc.
paucis non offendar maculis. Was fuͤr Vor-
theile haben ſich die Wiſſenſchaften von einem
ſolchen Betragen zu verſprechen? Ein Poet
mag es melden:


Sind Wort und Sylben denn von ſolcher Wichtigkeit,

Daß man ſo ungeſtuͤm, wie Haͤringsweiber, ſchreyt?

Dieß bringt der Wiſſenſchaft gewiß den groͤſten Schaden,

Den ihre Meiſter ſelbſt aus Grobheit auf ſich laden;

Dadurch wird ſie hernach vernuͤnftigen verhaßt,

Und ein Gelehrter gilt ſo viel als ein Fantaſt.


EHrn.
[66]Mehrere authentiſche Urkunden

II.
Herrn G-ttſch-ds Critiſche Beytraͤge.
Stuͤck XXIV. Art. IV. Bl. 666.


„Zum Schluſſe macht ſich der Herr Ver-
„faſſer die troſtreiche Hoffnung, daß die
„neue Critiſche Dichtkunſt, (die naͤmlich in
Zuͤrch neulich herausgekommen,) nicht
„we-
61
[67]zum Lob der Tr-ll-riſchen Fabeln ꝛc.
„wenig zu dem Ende, das iſt, den Mil-
„ton in Anſehen zu bringen, beytragen wer-
„de.
62
E 2
[68]Mehrere authentiſche Urkunden
„de. Kuͤnftige Dinge ſind ungewiß, und
„wir wollen ihm alſo nicht vor der Zeit alle
„Hoffnung abſprechen. Alleine nach vielen
„Wahrſcheinlichkeiten, die wir hier beſſer,
„als in der Schweitz haben koͤnnen,
zu ur-
„theilen, ſollte man eher das Gegentheil
„glauben; indem auch dieſe neue Dichtkunſt
„viel-
63
64
[69]zum Lob der Tr-ll-riſchen Fabeln ꝛc.
vielleicht noch ein Buch bedoͤrfen wird,
„welches ſie anpreiſe und beliebt mache,„




III.


Jn Herren G-ttſch-ds Critiſchen Bey-
traͤgen, Stuͤck XXIV. Bl. 679. und 680.
ſtehet von der neuen Critiſchen Dichtkunſt
folgendes Urtheil:

„Jn dieſem Buche ſind
„einige Materien, die zur Dichtkunſt uͤber-
„haupt
66
67
E 3
[70]Mehrere authentiſche Urkunden
haupt gehoͤren, ſehr weitlaͤuftig, andre
aber
68
[71]zum Lob der Tr-ll-riſchen Fabeln ꝛc.
aber gar nicht beruͤhret: Dagegen ſind
einige Capitel eingeſchaltet, die man hier
„gar nicht ſuchen wuͤrde; darinn ein par
„unſrer beruͤhmteſten Poeten angegriffen

wer-
69
70
71
E 4
[72]Mehrere authentiſche Urkunden ꝛc.
werden. Vielleicht geben wir mit der Zeit
„noch ausfuͤhrliche Nachricht davon.„





Poſt Scriptum.


Sollte dieſe Schutzſchrift das Gluͤck haben, den
deutſchen Leſern nicht zu mißfallen, woruͤber ich meinen
geheimen und vertrauten Correſpondenten N. N. um
ſchleunige Nachricht hiemit will gebeten haben, ſo wuͤr-
de mir dieſes Muth machen, auch die uͤbrigen angefoch-
tenen Poeten Deutſchlands in meinen Critiſchen Schutz
zu nehmen, und gegen meinen Landsmann zu verthei-
digen.

Pinge duos angues:
Pueri! Sacer eſt locus, extra mejite!
PERSIUS.

Ableh-
[73]

Ablehnung des Verdachts,
daß die Schweitzeriſche Nation ſich habe
uͤberreden laſſen, an Miltons Verl. Par.
einen Geſchmack zu finden.



DEr Hr. G-ttſch-d, der groͤſte iztlebende
Kunſtrichter u. Poet Deutſchlandes nach
Hrn. Tr-ll r, hat im 4ten Art. des 24ſten St. ſei-
ner Crit. Beyt. den Abſchlag der D. an Mil-
tons Verl. Par. eine Luſt zu finden, ſo buͤndig
gerechtfertiget, daß ihm alle diejenigen Beyfall
gegeben haben, die bey ihm in die Schule ge-
gangen ſind. Er gruͤndet ſich auf die unſtreitige
Freyheit dieſer Nation, welche ihren Character,
ihre Erziehung, ihre Luſtbarkeiten, fuͤr ſich ſelber
hat, u. nicht gezwungen werden kan, ſolche mit
andern zu vertauſchen; am allerwenigſten ihren
Geſchmack zu aͤndern, nach dem ſie ſich dabey je-
derzeit wohl befunden, u. bey allen an dern Voͤl-
kern in Ruhm u. Anſehn gebracht hat. Es iſt ei-
ne Luſt zu ſehen, wie dapfer er den eigenmaͤchti-
gen Zuͤrchiſchen Kunſtrichter zuruͤckeweiſet,
der die Deutſ. zwingen will, ein auslaͤndiſches
Buch zu bewundern;
welche doch den Opitz
ſelbſt nicht anderſt als freywillig hochgeſchaͤtzet
haben, bis ein beſonderes Schickſal ihn durch
ſeine Gewalt verdrungen. Ein Deutſcher kan
nicht anders, als eine hohe Meinung von ſeiner
Nation u. ſich ſelbſt empfangen, wenn er ſiehet,
wie B-dm-r mit Addiſon u. der gantzen Engl.
E 5Na-
[74]Ablehnung des Verdachts/
Nation in eine Linie geſetzet wird, nur zu dem
Ende, damit er mit ihnen von dieſer Hoͤhe da-
niedergeſtuͤrtzet u. zum Gelaͤchter gemacht wer-
de. Kein beſſeres Schickſal verdienete mein
Landsmann, nachdem er ſich vermeſſen, die
D. in ihrer alten Gleichguͤltigkeit im Anſehen
Miltons zu ſtoͤren, u. ſich fuͤr ihn, wie Addiſon
bey den Engl., muͤde zu ſchreiben u. zu verbuͤr-
gen, damit man dieſen Poeten einiger Auf-
merckſamkeit wuͤrdigte.
Dieſer Addiſon war
ein leichtfertiger Kopf, wie jener beym Eras-
mus, der ſ. Gefaͤhrten, ſo mit ihm uͤber Land
ritten, beredet, ſie ſaͤhen ein Luftzeichen am
Himmel.
Er uͤberredete die Engellaͤnder, daß
ſie dergleichen Dinge in Milton ſaͤhen. Laͤcher-
lich genug! Hr. G-ttſch-d hat dieſe Thorheit
derſelben in der charactermaͤſſigen Rede, die er
ihnen in den Mund leget, in ihrem Urſprung
vorgeſtellet. Wie, laͤßt er ſie ſagen, ſollen Grie-
chenland u. Rom alleine groſſe Poeten haben?
Wir ſind eben ſo ehrlich als ſie. Milton ſey al-
ſo ein Poet! Wir wollen den Homer u. Virgil
zuſammenſchmeltzen, u. einen Milton daraus
machen. Wer will uns das wehren? Wir En-
gel. werden es doch beſſer wiſſen, als die Aus-
laͤnder.
‒ ‒ Er laͤßt ſie hier vollkommen reden,
wie ſie ſeinen Abſichten gemaͤß reden mußten.
Er kennet ſie beſſer als ſie ſelber. Nur reden ſie
zu geiſtreich, ſo daß man ſchier daͤchte, er haͤtte
ihnen etwas von ſeinem eigenen Witz gelichen.
Allein was die D. anbelangt, ſo geht es nicht ſo
leicht an, ſie aus ihrer Kaltſinnigkeit zu ſetzen:
ſie
[75]daß die Schw. das v. P. bewundern.
ſie ſind gegen die Blendungen beſſer verwahrt,
und auf ihren freyen Willen eiferſuͤchtiger; ſie
laſſen ſich durch die Natur der Dinge, und ihre
Eindruͤcke ſelbſt nicht zwingen. Sie machen die
Eindruͤcke lieber, als daß ſie ſolche von den Sa-
chen empfangen. Allein ſo gruͤndlich die Ver-
theidigung des willkuͤhrlichen Geſchmacks der
freyen D. gerathen iſt, ſo uͤbereilt muß ich es
heiſſen, daß Hr. G. die ſchweiz. Nation in Ver-
dacht faſſet, daß ſie ſich eben ſo leichtſinnig habe
hintergehen laſſen, als die Engl. den M. hochzu-
ſchaͤtzen. Er ſagt: Was die Ueberſetzung Addi-
ſons anbetrift, ſo kan ſie vielleicht in der Schw.
ſo gute Wuͤrckungen haben, als die Ueberſe-
zung M. gehabt hat.
Jch muß ihm mit aller
der Hoͤflichkeit, die ein Schweitz. haben kan, ſa-
gen, daß er dieſe Nation nicht recht kennet,
wenn er ihr dergleichen elenden Geſchmack zu-
trauet. Wir ſind auf unſre geiſtliche Freyheiten,
unter welche ich die Freyheit des Geſchmacks
zuerſt zehle, eben ſo eiferſuͤchtig, als auf die leib-
lichen; wir haben eben ſo wol als die Sachſen
Scythiſches Blut in den Adern, u. bleiben ſo
ſteif auf dem hergebrachten Geſchmack unſrer
Vorfahren, als ſie, wofern es uns nicht von uns
ſelbſt, ohne jemands arbeitſame Bemuͤhung,
anderſt in den Sinn koͤmmt; die Dinge moͤgen
denn ihrer Natur nach einen Eindruck auf das
Gemuͤthe fodern, welchen ſie wollen, ein Schw.
wird ſich demſelben ſo handfeſt als ein D. zu wi-
derſetzen wiſſen, \& ſibi res non ſe rebus ſubmittere.
Um deſſentwillen hat es uns ſehr geaͤrgert, als
der
[76]Ablehnung des Verdachts/
der Ueberſetzer M. nicht gewartet, ob wir die
Schoͤnheiten in dem V. P. freywillig empfin-
den wollten, ſondern ſich vermeſſen, uns in einer
langen Legende zu uͤberfuͤhren, daß wir es aus
Nothwendigkeit thun muͤßten, weil M. ſolche
Springfedern u. Triebraͤder in ſein Gedichte
gebracht, welche der Natur des menſchl. Her-
zens gemaͤß ihre gewiſſen Wuͤrckungen thaͤten.
Auf dieſe Weiſe koͤm̃t man mit uns nicht aus;
wir wiſſen uns, weñ es uns gefaͤllt, in unſrer al-
ten Gleichguͤltigkeit
zu erhalten. Jch kan zwar
nicht leugnen, daß nicht ein halb duzt ungera-
thene Landskinder in Zuͤrch u. Bern zur Secte
Addiſons uͤbergegangen;
allein mit dem groſ-
ſen Haufen hat es keine Gefahr; insbeſondere
kan mir Hr. G. glauben, daß die Einwohner
der Alpen, je tieffer ſie in den Spaͤlten der Ber-
ge wohnen, deſtoweniger von M. Lobrednern
eingenom̃en ſind; man koͤñte alſo noch richtig
zu 50000. Eidsgenoſſen zehlen, ohne Weiber
u. Kinder, welche nur nicht gehoͤret haben, daß
ein Milt. oder Addiſon geweſen. Jch muß auch
ihm zum Troſt erwaͤhnen, ob Hr. Haller gleich
dieſe Alpenbewohner, ihre Berge, Kraͤuter u.
Blumen auf das genaueſte kennet, daß die Ge-
dichte dieſes halben Milt. bey ihnen hingegen ſo
unbekañt ſind, als Arminius u. Baniſe, ſo daß
man nicht fuͤrchten darf, daß der Miltoniſche
Schwulſt, ſeine ungeheure Einbildungen u.
hochtrabenden Ausdruͤckungen
mit ihrem
glaͤnzenden Nichts den unſchuldigen Geſchmak
dieſer Leute ſo bald verderben werden. So fern
iſt
[77]daß die Schw. das v. P. bewundern.
iſt es, daß die Schw. alle Addiſons Geſchmack
haben. Der Eifer fuͤr die Ehre meiner Lands-
leute hat mich nicht ruhen laſſen, bis ich Hrn. G.
davon Nachricht gegeben, u. ihn gebeten haͤtte,
daß er guͤtiger von uns dencken, u. das Verbre-
chen, deſſen ſich etliche wenige unter uns ſchul-
dig machen, nicht der gantzen Nation in die
Rechnung ſetzen moͤgte. Jch zweifle nicht,
daß er ihr nicht Recht wiederfahren laſſen wer-
de, indeſſen hat ſein uͤbereilter Verdacht mich
u. andre von meinen Landsleuten, die von der
glaubigen Secte ſind, ſo ſehr in die Naſe gebiſ-
ſen, daß wir die Freude nur halbig empfunden
haben, ſo ſeine meiſterhafte Umtreibung unſers
eigenſinnigen Landsmanns uns ſonſt verurſa-
chet haͤtte. Wir haben doch nicht ohne Luſt be-
obachtet, wie ſinnreich er die Gewohnheit der
Alten ihre Schriften auf oͤffentlichen Plaͤtzen
vor gantzen Verſam̃lungen von Leuten allerley
Stands zu leſen, u. die Eindruͤcke derſelben in
der Zuhoͤrenden Gebehrden zu beobachten, auf
das Leſen in den Trivialſchulen verdrehet. Und
wie geſchickt hat er B-d-m-rn auf einmahl alle
Deut. Poeten uͤber die Haube gerichtet, weil
er geſagt, daß in Deutſchl. gemeine Poeten waͤ-
ren, die man fleiſſig laͤſe, u. die ihren Leſern ein
ungereimtes u. wunderliches Ergetzen gewaͤh-
reten. Hr. G. hat dieſes ſehr gluͤcklich auf alle
D. Poet. gute u. boͤſe, erſtrecket, u. der Amtsei-
fer ſteht ihm trefflich wohl an, mit welchem er
ihn deßwegen zum Laͤſterer wider unſer Vater-
land
erklaͤret. Und wie fein hat er den freyen
Geiſt
[78]Ablehnung des Verdachts/
Geiſt, den der Ueberſetzer dem knechtiſchen ent-
gegenſetzet, der von fleiſchl. Affecten u. irdiſchen
Geſchaͤften regieret wird, von dem fluͤchtigen
Mercurialiſchen verſtanden! Wie ſchlau hat
er vorgegeben, daß Milt. Staͤrcke in Fehlern
wider die Gram̃atick, in Verkehrungen aller
gewoͤhnlichen Wortfuͤgungen, u. in tauſend
andern ſonſt unerlaubten u. von keinem an-
dern Poeten begangnen Schnitzern beſtehe;

wie ſcharfſiñig hat er auf dieſen Grund Hans
Sachſen zum geſchmeidigſten deutſch. Poeten
gemacht! Wie kuͤnſtlich hat er das Lob wieder
zuruͤckgenom̃en, das er im 19ten St. der Crit.
Beytr. Art. 18. B-dm-rs Ueberſetzung erthei-
let:

„Gewiß alle Kenner Miltons ſind erſtau-
„net, als ſie dieſe Dollmetſchung deſſelben gele-
„ſen haben. Denn wer haͤtte ſichs eingebildet,
„daß dieſes mit Gedancken ſo beſchwerte Ge-
„dichte, deſſen Ausdruck ſo koͤrnigt, ſinnreich u.
„tief iſt, ſich ſo nachdruͤckl. u. vollſtaͤndig deutſch
„wuͤrde geben laſſen! U. doch hat es der Hr. B.
„gethan.„

Alſo redete die Hoͤflichkeit; aber
nach dem B[‒]dm[‒]r dieſelbe verwuͤrcket hat, fuͤhrt
Hr. G. billig eine gantz andre Sprache, u. wa-
rum ſollte er nicht berechtiget ſeyn, was er einſt
ohne Verdienen gelobet hatte, ein andermahl
ohne Verdienen zu tadeln? Warum ſollten ſei-
ne Liebeswuͤrckungen laͤnger dauren als ſeine
Liebe? Jch verwundere mich gar nicht, daß ihm
der deutſche Ausdruck in dem V. Par. ſeltſam
u. widerlich
duͤnkt, er koͤm̃t uns in der Schweiz,
ſo hart gleich unſre Ohren ſind, eben ſo vor, B.
ſollte
[79]daß die Schw. das v. P. bewundern.
ſollte ihn verſchoͤnert haben, welches gar leicht
geweſen waͤre, wenn er den Teufeln nur ſolche
Redensarten zugeeignet haͤtte, wie in unſern
galanten, verliebten u. vermiſchten Gedichten
gefunden werden. Nicht nur die Ausdruͤckun-
gen, ſondern auch die Gedancken des Poet. ſind
ſchrecklich u. wild, wie die boͤſen Engel, denen
ſie in den Mund geleget werden, die Catonen,
Portii, Arſenen, in unſern guten Trauerſpielen
haben ſchon mehr Lieblichkeit u. Zierlichkeit in
ihren Spruͤchen u. Meinungen. Wie ungeſchikt
har ferner Hr. G. ſeinen Gegner ſagen laſſen,
unſre Kunſtr. haben Milt. Gedicht aus einem
Abſcheue vor der Materie verworffen, u. die-
ſes Vorurtheil koͤñe mit gleichem Grunde von
der Jlias, der Odyſſea, u. Eneis gefaſſet wer-
den!
Wie liſtig verweiſet er endlich den ſchweiz.
Kunſtricht., daß ſie Brockes u. Koͤnig fuͤr die
groͤſten iztlebenden Poeten erklaͤret haben,
oh-
ne Zweifel, weil ſie dieſelben am fleiſſigſten an-
gezogen, u. am liebſten getadelt haben! Grad
als ob ſie in den G-ttſch-diſchen Schriften nicht
eben ſo wol Exempel von herrlichen Fehlern, die
einen eignen Abſch. verdienten, angetroffen haͤt-
ten. Auf dieſe Weiſe bemeiſtert ſich ein guter
Redner ſeiner Materie u. ſeines Gegners, keh-
ret die Worte u. Gedancken deſſelben nach ſei-
nen Abſichten, u. leihet der Widerparte ſeine
eignen Meinungen, wodurch er ſie am allerge-
wiſſeſten ſchwarz, ungereimt u. laͤcherlich machẽ
kan. Wollte jemand Scrupel machen, daß die-
ſe Rednerkuͤnſte ſich mit der Billigkeit nicht wol
ver-
[80]Ablehnung des Verdachts/ daß die ꝛc.
vertragen, der muß wiſſen, daß wider einen
Mañ, gegen den uns die Hoͤflichkeit, das Band
aller Pflichten u. Tugenden, nicht mehr bindet,
alles erlaubet iſt. B. mag es ſich ſelber danken,
daß er von dieſem Muſter der Hoͤflichkeit, der
ſich ſonſt nicht uͤberwinden kan, jemand zu ta-
deln, der es nicht mit ſeinem Tode verſchuldet
hat, nicht gelinder tractirt wordẽ; warum hat
er lieber ſcharf beurtheilet u. getadelt, als mit
Stillſchweigen uͤbergangen werden wollen;
u.
warum hat er ſich die Freyheit genom̃en, alles
nach ſeiner Einſicht u. Meinung,
nicht nach H.
G-ttſch-ds oder Tr-ll-rs, zu beurtheilen. Da-
rum wird er mir u. andern von ſeinen Landsleu-
ten, ob wir gleich ſeine Eidsgenoſſen ſind, nicht
veruͤbeln koͤnnen, wenn wir uns mit dem ſieghaften Hrn.
G-ttſch-d wider ihn verbinden, u. alſo zu erkennen geben,
daß wir, ob wir gleich Nachkommen der Alpiniſchen Ri-
ſen
ſind, die den Oeſtreichiſchen Jupiter bekrieget ha-
ben,
wie Hr. G-ttſch-d ſich in geſchmeidigem deutſch aus-
druͤket, deñoch Deutſche ſeyn wollen, wo nur die Deutſchen
uns, die wir ſo grundboͤſe Hæreticos in der Critick unter
uns erzogen haben, mit denſelbigen, Unſchuldige mit den
Schuldigen, nicht vermiſchen. Wir hoffen aber, daß ſie
ſich an unſrer Erklaͤrung begnuͤgen, und bey ihnen, wie
wir bey uns, fortfahren werden, den alten Geſchmack, wie
die alte Religion, zu verfechten, damit alle Einwohner
Deutſchlands in allen Provinzen, als Kinder eines
Scythiſchen Gebluͤtes, ohne ein gefaͤhrliches Schiſma,
in vollkommener Einigkeit des Geſchmacks, beſtaͤndig
mit dem Hertzen verſtehen und mit dem Verſtande
glauben.


[[81]]

Nachrichten
von dem
Urſprung und Wachsthum
der
Lritik
bey den
Deutſchen.


[[82]][83]

Nachrichten von dem Urſprung und
Wachsthum der Critik bey den
Deutſchen.


OPizens poetiſche Schriften, welche die er-
ſten ſind, die wir ohne Schamroͤthe an-
ziehen doͤrffen, geben uns durch die Ein-
druͤcke, ſo ſie in dem Gemuͤthe verurſachen, ge-
nug zu erkennen, daß dieſem geſchickten Mann
keines von denen Kunſt-Stuͤcken verborgen gewe-
ſen, wodurch das Hertz geruͤhrt, und die Wahr-
heiten auf eine angenehme Weiſe in den Verſtand
gebracht werden. Es waͤre einem Wunderwer-
ke gleich, wenn er Schriften, die ſo tuͤchtig ſind,
uns zu gefallen, und dieſes mit ſo vieler Gewiß-
heit und Gleichheit thun, ohne eine genaue Er-
kaͤnntniß der Mittel, wodurch ſolches zuwegege-
bracht wird, verfertiget haͤtte. Unterdeſſen hat er
die Grundregeln, nach welchen er gearbeitet hat,
die Anmerkungen von dem Verhaͤltniß des menſch-
lichen Gemuͤthes mit den Dingen, und die Mit-
tel, wodurch daſſelbe einer gewiſſen Abſicht ge-
maͤß in Bewegung geſezet wird, lieber im Wer-
ke ſelbſt und in der Ausfuͤhrung anwenden, als in
einem Kunſtbuche zuſammenſchreiben wollen. Er
hat uns einzig und allein ein Lehrbuch von wenig
Bogen hinterlaſſen, worinnen er etliche wenig
allgemeine Anmerkungen von der Erfindung, von
den Gattungen der Gedichte, von der Zubereitung
und Zierde der Worte ꝛc. zuſammengetragen hat,
ohne ſich in die beſondern Grundſaͤtze und Theile
der Dichtung oder der Rede tiefer einzulaſſen. Er
[Crit. Sam̃l. II. St.] F 2ſagt
[84]Nachrichten von dem Urſprunge
ſagt in der Vorrede zu dieſem Werckgen gleich
beym Eingange;

„Er vermeine keinesweges daß
„man jemanden durch gewiſſe Regeln und Geſe-
„ze zu einem Poeten machen koͤnne, maſſen die
„Poetercy auch eher getrieben worden, als man
„je von derſelben Art, Amt, und Zugehoͤr ge-
„ſchrieben, ſo daß die Gelehrten, was ſie in den
„Poeten, welcher Schriften aus einem goͤttli-
„chen Antriebe und von Natur herkommen, auf-
„gemerket, nachmals durch richtige Verfaſſun-
„gen zuſammengeſchloſſen, und aus vielen Tu-
„genden eine Kunſt gemachet haben.„

Wir
thaͤten ihm unrecht, wenn wir aus dieſen Wor-
ten eine Geringachtung der Regeln ſchlieſſen woll-
ten. Er hat damit allein den Nuzen derſelben be-
ſtimmen wollen. Denn es iſt gewiß, daß dieſe
ohne das Naturell, ohne einen Affectreichen,
ſchnellentbrandten Geiſt, ohne einen reichen Vor-
rath an Bildern nicht zureichen, einen Poeten zu
machen. Wie ſollte aus einem ungehirnten, in der
Erkaͤnntniß der Natur, des Menſchen, der Welt
Sitten und Haͤndel, unerfahrnen Mann ein
Poet herauszubringen ſeyn? Die Regeln ſind
nur eine Hand, welche den Weg zeiget, den
man gehen ſoll, eine Fakel, welche um uns her
helle machet, aber gleichwie die Erkaͤnntniß des
Weges einen Lahmen, und eine aufgeſteckte Fa-
kel den Blinden nichts nuͤzet, alſo geben die Re-
geln einem plumpen und ſchweren Geiſt wenig
Troſt. Aber ohne die Wegweiſende Hand und
ohne das Licht ſteht auch ein guter und ſcharffſe-
hender Laͤufer in Gefahr irre zu gehen.


Die
[85]der Critick bey den Deutſchen.

Die muntern Koͤpfe, die zu einer Zeit mit
Opizen lebeten, empfanden zwar die Gewalt der
Regeln, die er in ſeinen Schriften angewandt
hatte, nicht nur ſo gut, als der gemeine Mann,
ſondern nach dem groͤſſern Maaſſe ihrer Geſchick-
lichkeit in weit hoͤhern Graden. Doch beſann ſich
keiner von ihnen, dieſelben darinnen aufzuſuchen,
und die Uebereinſtimmung der Eindruͤcke mit der
menſchlichen Natur, auf welcher ſie beruheten, in
ſorgfaͤltigen und wohluͤberlegten Unterſuchungen
der Opiziſchen Exempel zu entdecken. Sie gien-
gen nicht weiter, als daß ſie ſeinen neuen Vers
nach ſeinem aͤuſſerlichen Ausſehen betrachteten,
und einige Regeln auf das Muſter derſelben feſt-
ſezeten. Wenn ſie die innerliche Kunſt ſeiner Ge-
dichte im Tiefen und Abſonderlichen eingeſehen,
und aus ſeinen, oder ihren eigenen, Erfahrun-
gen und weitern Nachſinnen eine gruͤndliche Theo-
rie bekommen haben, ſo haben ſie dieſe nicht in
critiſchen Schriften oder Kunſtbuͤchern ſondern
ebenfalls in der Ausuͤbung gebraucht.


Wir ſehen in der That, daß ſie ihren Opiz
fleiſſig geſtudiert haben; der Schwung, den ſie
ihren Gedichten gegeben, insbeſondere mittelſt
dergleichen Zuſaͤze, womit Opiz das Ende ſeiner
Redeſaͤze ſo gerne mit unerwartetem Nachdruck
verſtaͤrkete, eine Menge Redensarten, Bilder,
Lebensregeln, Gleichniſſe, Alluſionen, ſo ſie von
ihm angenommen haben, zeigen genugſam, daß
ſie ihm mit ſorgfaͤltigen Schritten nachgegangen
ſind. Andreas Tſcherning hat zum Ex. ein Gluͤck-
F 3wuͤnſch-
[86]Nachrichten von dem Urſprunge
wuͤnſchungsgedichte an David Rheniſchen mit fol-
genden Zeilen angefangen:


Wir muͤſſen freylich nur, wir armes Volck, bekennen,

Daß Erde, Feuer, Luft, und Waſſer, ſchrecklich brennen,

Aus Eifer gegen uns: Des hohen Himmels Haus,

Das ſchuͤttet ſeinen Zorn mit Blitz und Donner aus,

Von allen Ecken her, nachdem ſo ſchwere Plagen,

Jn dieſer See der Welt mit Macht zuſammenſchlagen

Auf unſren Suͤndenhals; doch gleichwohl iſt ein Gott,

Der ſeiner Gnaden Licht laͤßt ſcheinen in der Noth,

Wann Caurus um den Maſt mit harten Stuͤrmen ſauſet,

Wann die erzoͤrnte Flut um alle Seiten brauſet,

Und will mit uns Grundab: Dem nichts ſich bergen kan;

Der, ob er ſchon betruͤbt, nimmt dennoch wieder an,

Nur daß man eifrig blaͤßt die ſtarken Bußvoſaunen

Aus Feindſchaft unſrer Schuld, und auch die Bethcarthaunen,

Die Himmelsbrecher, pflanzt vor Gottes ſchoͤne Stadt,

Uns zeucht nicht eher ab, bis man das Jawort hat.

Das guͤldne Sonnenrad hat fuͤnfmahl ſeinen Wagen

Durch alle Zeichen ſchon am Himmel durchgetragen,

Seit mich das Vaterland hat heiſſen fremde ſeyn. ꝛc.

Wer erinnert ſich nicht faſt alle dieſe Bilder und
Ausdruͤcke im Opitz geleſen zu haben? Jn dem
Gedichte an den Freyherren von Burghaus heiſſet
es:


Wir koͤnnen freylich nicht vorbey, mein Vaterland,

Und muͤſſen nur geſtehn, der Himmel ſey entbrandt

Aus Eifer gegen uns, nachdem ſo ſchwere Plagen

Von allen Ecken her bey dir zuſammenſchlagen.

‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒

‒ ‒ ‒ Doch gleichwohl iſt ein Gott,

Der ſeiner Gnaden Licht auch mitten in der Noth

Des truͤben Wetters zeigt.

‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒

Wo Caurus um den Korb des hohen Maſtes pfeift,

Wo die ergrimmte See mit ganzen Wellen ſtreift,

Und
[87]der Critick bey den Deutſchen.
Und jagt das Schiff grundab. Doch der wird Hand anlegen,

Der lieb hat, wenn er zoͤrnt.

Jn der Ode auf das Leichbegaͤngniß der Herzo-
gin zu Muͤnſterberg:


Der des Gebethes Stuͤcke

Pflanzt fuͤr die Himmelsſtadt,

Und weichet nicht zuruͤcke,

Bis er das Jawort hat.

Und in der Daphne ſagt der Chor der Hirten zu
Apollo:


Du groſſer Gott, der du den Feuerwagen

Rings um den ſchoͤnen Himmel fuͤhrſt.

Allein gleichwie es eben keine groſſe Kunſt braucht,
dergleichen Formen der Rede nachzumachen, ſo
waͤchßt Tſcherningen, Dachen, Flemmingen und
andern von ihrer Zeit ein ſchlechter Ruhm da-
her zu. Opitz wußte Kunſtſtuͤcke, die eine tiefere
und verborgenere Erkaͤnntniß des Menſchen und
der Dinge zu erkennen geben; dieſe koͤnnen wir
in ſeinen Nachfolgern, die mit ihm lebeten, kei-
nesweges in dem Grade wahrnehmen, wie ſie
bey ihm vorhanden waren. Sie moͤgen aber ei-
ne groſſe oder kleine Theorie davon gehabt haben,
ſo haben ſie von ſolcher keine Lehrbuͤcher noch criti-
ſche Abhandlungen verfaſſet. Was wir critiſches
von ihnen haben, ſind kurze Urtheile, fluͤchtige
Lobſpruͤche, Meinungen, die nicht bewieſen, oder
auf gruͤndliche Unterſuchungen gebauet, noch zum
wenigſten mit Exempeln erklaͤret werden, ſondern
ſchlechthin auf dem Glauben beruhen, den wir
F 4von
[88]Nachrichten von dem Urſprunge
von dem Verſtande, der Geſchicklichkeit, und
der Aufrichtigkeit deſſen haben, der ſolche Urthei-
le gefaͤllet hat.


Von dieſer Art iſt der Ausſpruch, den Riſt
von Opitz gefaͤllet hat:

„Es hat uns zwar der ed-
„le und hochberuͤhmte Poet Martin Opitz in ſei-
„nen theils luſtigen theils nuͤtzlichen Schriſten
„und Gedichten genugſam Anleitung gegeben,
„wie wir unſrer faſt verderbten und durch ſo viel
„fremdes in dieſelbe gleichſam vermummten deut-
„ſchen Sprache wieder auf die Beine helffen,
„ihr die unbekannten Larven wieder abziehen,
„und derſelben Glantz, Zier, und Reinlichkeit
„in Aufnehmen bringen koͤnnen.„

Und an ei-
nem andern Orte:

„Wir Deutſchen, ob wir
„ſchon in den Lateiniſchen und Griechiſchen Spra-
„chen ſo vortreffliche Poeten gehabt, und noch
„zur Zeit haben, daß wir auch keinen fremden
„Nationen in denſelben etwas bevorgeben; ſo
„iſt doch faſt niemand gefunden, der ſich um unſ-
„re ſo ſchoͤne und wortreiche Mutterſprache haͤt-
„te bekuͤmmern, oder dieſelbe durch die goͤttliche
„Poeſie haͤtte beruͤhmt machen wollen, bis end-
„lich vor wenig Jahren der hochgelahrte Opitius
„hervorgekommen, der den Weg zur ſelbigen ge-
„bahnet, das Eis gebrochen, und uns Deut-
„ſchen die rechte Art gezeiget, wie auch wir in
„unſrer Sprache Petrarchas, Arioſtos, und
„Ronſardos haben koͤnnen.„

Buchner hat von
der Opiziſchen Muſe noch in hoͤherm Thone be-
zeuget: Non poteſt aſcendere altius Muſa
patria, \& neceſſe eſt, ut quieſcat eo faſtigio

quo
[89]der Critick bey den Deutſchen.
quo tu collocaſti: Interim te ſequemur lon-
ge, \& tua veſtigia adorabimus: Sic tamen
non obſcuri prorſus morituri.
Jn dieſem pa-
negyriſchen Thone hat damahls jedermann von
Opizen geurtheilet; ohne daß nur ein einiger die
innerliche Art ſeiner Gedichte mit characteriſtiſchen
Zuͤgen beſtimmet haͤtte.


Hofmannswaldau hat zuerſt einen Character
von ſeiner Poeſie zu entwerffen vorgenommen, den
er uͤber dieſes durch eine Vergleichung derſelben
mit andern Poeten in ein verſchiedneres Licht ge-
ſtellet hat.

„Folgende Jahre, ſagt er, iſt die
„deutſche Poeſie nicht viel beſſer worden, bis un-
„gefehr vor fuͤnfzig Jahren Opitz als ein unge-
„meiner gelehrter und aufgeweckter Kopf die
„rechte Reinlichkeit der Woͤrter und eigentliche
„Kraft der Beywoͤrter genauer beobachtet, und
„das Maaß der Sylben, richtige Reimendung,
„gute Verknuͤpfung, und ſinnreiche Spruͤche,
„ſeinen Gedichten einverleibet. Wie er denn in
„allen Stuͤcken der Poeſie beſonders in Ueberſe-
„zungen vortrefflich gluͤckſelig geweſen. ‒ ‒ Wel-
„chem bald drey ſeiner Landsleute, als Tſcher-
„ning, ſo ſich ſehr an ſeine Art gehalten, dann
„Coler und Czepko ruͤhmlich gefolget, nach wel-
„chen auch Dach, ein Preuſſe, dem die Lieder
„nicht uͤbel gerathen, und Flemming, ein Meiß-
„ner, ſo vor andern ein Sonnet gar wohl ge-
„ſchrieben, wie auch Riſt, ein Holſteiner, ſo
„viel geiſtliche Geſaͤnge herausgegeben, dann
„Tiz und Muͤhlpfort, als Poeten bekannt wor-
„den. Dabey ich dann auch des weitbekannten
F 5„Hars-
[90]Nachrichten von dem Urſprunge
„Harsdoͤrfers unvergeſſen, der zwey beruͤhmten
„ſinnreichen Maͤnner, Gryphii und des von Lo-
„henſtein ſchuldigſt gedenke, ſo, wie in allen Sa-
„chen, ſo ſie angegriffen, alſo auch in ihren
„Trauerſpielen, nach Art Sophocles und Se-
„necaͤ gefertiget, was ein hurtiger und gelehrter
„Geiſt kan, zur Gnuͤge erwieſen.„

Er meint
ferner, daß durch gedachter Maͤnner Fleiß und
Nachſinnen die deutſche Poeſie ſo reine worden,
daß ſie der auslaͤndiſchen nichts mehr nachgebe.
Doch geſtehet er, daß die Welſchen, wegen ih-
rer insgemein angebohrnen Verſtandes und Scharf-
ſinnigkeit, an guter Erfindung den Deutſchen
manchesmahl zuvorgehen. Von ſeinen eigenen
Gedichten, insbeſondere von ſeinen Heldenbriefen,
urtheilet er:

„Die Art zu ſchreiben darinnen iſt
„gelaͤuftig, leicht, und mehr lieblich als praͤchtig,
„dazu denn Ovidius mein Anfuͤhrer geweſen.
„Viel von heidniſchen Goͤttern und uͤberſteigen-
„den gezwungenen Redensarten, wie auch ande-
„re gemeine Schulpoſſen, werden hier wenig zu
„finden ſeyn, und machen die den Enthalt der
„Sachen eigentlich bedeutende Woͤrter, etliche
„kraͤftige Beywoͤrter, und andre mit Verſtand
„angewandte Kleinigkeiten die ganze Verfaſſung
„meines Schreibens.„


Welcher dieſem fluͤchtigen Urtheil Glauben zuſtel-
len ſoll, muß das Anſehen Hoffmannswaldaus
ſo viel bey ſich gelten laſſen, daß er ihm auf ſein
bloſſes Wort glaͤubt. Eine obgleich nur kurze Ein-
ſicht in die Schriften Opitzens und ſeiner Schuͤler,
eine Vergleichung derſelben mit Gryphii, und
Lo-
[91]der Critick bey den Deutſchen.
Lohenſteins Gedichten, eine nur fluͤchtige Betrach-
tung der eigenen Hoffmannswaldauiſchen Gedich-
te, vornehmlich ſeiner Heldenbriefe, wuͤrde zu
bald verrathen, wie uͤbel ausgemeſſen, wie unbe-
gruͤndet, wie ungereimt dieſes lobreiche Urtheil iſt,
und wie wenig es mit ſich ſelber beſtehen koͤnne.
Denn Hoffmannswaldau iſt zuerſt von Opitzens
Muſter abgewichen, welche bey dem Mangel
gruͤndlicher Lehrbuͤcher bisdahin vor Vorſchriften
gedienet hatten; er hat eine Schreibart eingefuͤhrt,
welche von dem, was er ſelbſt von ihr ruͤhmet,
das Wiederſpiel in ſich hat, und eben ſo wenig
Natur in den Sachen als in dem Ausdrucke zei-
get; aber nichtsdeſtoweniger von ſeinen Landsleu-
ten vor ein gleich ſo treffliches oder noch treffliche-
res Modell poetiſcher Wercke, als Opitz waͤre,
angenommen worden. Es iſt am Tage, was
vor einen Haufen Uebels dieſer Jrrthum in der
Poeſie nach ſich gezogen, welches ſich deſtoweniger
zu verwundern iſt, weil ihm durch keine critiſche
Unterſuchung, ſo ſich auf die Natur der Sachen
bezogen haͤtte, Einhalt gethan ward. Die unge-
meſſenen Lobſpruͤche, die ehdeſſen zu Gunſt der opi-
ziſchen Poeſie gefaͤllet worden, wurden izo mit
eben derſelben Dreiſtigkeit, aber mit mehr Unge-
ſchicklichkeit und Parteiligkeit dem Hoffmanns-
waldau und ſeinem uͤberſteigenden Nachfolger dem
von Lohenſtein, verſchwendet.


Dieſer hat ſein Urtheil von dem erſtern mit fol-
genden Worten abgefaſſet:

„Dem Herren von
„Hoffmannswaldau hat es die deutſche Sprache
„zu dancken, daß ihr Spanien mit ſeiner nach-
„denck-
[92]Nachrichten von dem Urſprunge
„dencklichen, Welſchland mit ſeiner ſcharfſinni-
„gen, Franckreich mit ſeiner lieblichen Feder
„nicht mehr uͤberlegen iſt. Denn Opitz that es
„den Alten und Auslaͤndern nach, unſer Herr
„von Hoffmannswaldau aber zuvor.„

Und in
dem Gedichte an den von Logau hat er dieſes Lob
noch weiter getrieben:


‒ ‒ ‒ Denn Opitz iſt zwar werth,

Den erſten Lorbeerkrantz in Deutſchland zu erlangen,

Er hat mit ſolchem Ruhm das Hauptwerck angefangen,

Daß keiner nach der Zeit ihm iſt geflogen fuͤr,

Als Hofmannswaldaus Geiſt, der Oder hoͤchſte Zier;

Der deutſche Pindarus, dem keiner nach wird kommen.

Wir muͤſſen uns uͤber dieſes ausſchweifende Lob
nicht verwundern, weil Lohenſtein wahrhaftig ſich
ſelbſt in Hoffmannswaldau geprieſen hat. Jhm
hat hernach gantz Deutſchland dieſes Urtheil nach-
geſagt, und nicht leiden wollen, daß jemand ſol-
ches groſſe Lob mit Hoffmannswaldau theilete,
als nur eben der von Lohenſtein ſelbſt. Alſo ward
Opitz von ihnen hinuntergeſezet.


Neukirch, der fuͤr den Erben der Lohenſteini-
ſchen Feder geprieſen worden, hat ſein Urtheil da-
von mit dieſen Worten gegeben:

„Wir wenden
„uns zu dem vortrefflichen Herrn von Lohenſtein,
„deſſen Nahme bereits ſo weit erſchollen, daß er
„unſre Ausblaſung nicht mehr vonnoͤthen hat.
„Alle ſeine Gedancken ſind ſcharfſinnig, ſeine Aus-
„bildungen zierlich, und wenn ich die Wahrheit ſa-
„gen ſoll, ſo findet man in dieſem einzigen faſt alles
„beyſammen, was ſich in denen andern nur ein-
„zeln zeiget. Denn er hat nicht allein von Opi-
„zen
[93]der Critick bey den Deutſchen.
„zen die heroiſche, von Gryphio die bewegliche,
„und von Hoffmannswaldau die liebliche Art an
„ſich genommen; ſondern auch viel neues hinzu-
„gethan, und abſonderlich in Sententien, Gleich-
„niſſen, und hohen Erfindungen ſich hoͤchſtgluͤck-
„lich erwieſen. Seine Tragoͤdien ſind von den
„beſten, ſeine geiſtlichen Gedancken voller Kraft,
„und ſeine Begraͤbnißgedichte unvergleichlich. Jn
„ſeinem Arminius aber hat er ſich als einen rech-
„ten Poeten erwieſen, und ſo viel artige, kurze,
„und Geiſtvolle Dinge erſonnen, daß wir uns
„nicht ſchaͤmen duͤrffen, dieſelbigen allen heuti-
„gen Franzoſen entgegen zu ſetzen.„

Er bringet
nach dieſem etliche Exempel, um denjenigen, wel-
che die Deutſchen ſo hoher Gedancken unfaͤhig ach-
ten, die Augen, wie er ſagt, zu oͤffnen. Das
erſte iſt ein Sonnet, worinnen Olympia, eine
Perſon aus dem Arminius, welche zu Bewah-
rung ihrer Keuſchheit den Koͤnig Artabazes und
ſich ſelbſt erſtochen hatte, der roͤmiſchen Lucretia
vorgezogen wird. Der Schluß davon lautet:


‒ ‒ ‒ Lucrezen ſey nur recht,

Olympien zuviel durch ihren Stich geſchehen.

Und dieſer wird aus dem Foͤrderſatze gezogen.


Lucretia ließ zu vorher die ſchnoͤden Luͤſte,

Olympia hat nichts von geiler Brunſt geſchmeckt.

Hier ſetzet Lohenſtein voraus, daß Lucretia dem
Tarquin ohne Zwang zu Willen geweſen, welches
der Geſchichte zuwiderlaͤuft. Sie iſt eben da-
rum
[94]Nachrichten von dem Urſprunge
rum von ihren Landsleuten ſo hoch erhoben worden,
weil ſie eine Schandthat, zu der ſie gezwungen wor-
den, nicht hat uͤberleben wollen. Das Lob, das
Olympien den Vorzug vor einer ſolchen giebt, wel-
che die ſchnoͤden Luͤſte zugelaſſen hat, will alſo
nicht viel ſagen. Der Poet meint es damit zu
erheben, daß er von Olympia ſagt:


Die ihren Heldenarm zu ſtrenger Rach ausſtreckt,

Eh als zum erſten mahl ſie Artabazes kuͤßte.

Sie ſtrafft demnach nur den Vorſatz, nicht die
That, und dieſen an ihr ſelbſt, an der unſchuldi-
gen; eine Ungerechtigkeit, die wahrhaftig ſtraf-
wuͤrdiger iſt, als Artabazens bloſſer Vorſatz!


Wenn wir mithin der Lucretia That beym Licht
beſehen, ſo war ſie ſelbſt hoͤchſt ſtrafwuͤrdig; ſie
hat gewaltſame Hand an ſich ſelbſt geleget, ihre
Rache an Tarquin zu befoͤrdern, ſie hat vorher
ihre Anverwandten zur Empoͤrung wieder ihren
rechtmaͤſſigen Koͤnig angeſtraͤnget, und hierdurch
das gantze roͤmiſche Volck in einen unſichern Stand
und eine langwierige Unruhe geſetzet. Die-
ſes machet ſie noch mehr ſchuldig als den Tarquin
ſelbſt, deſſen Uebelthat nur ein Weib getroffen
hat. Und dieſes faͤllt auch Olympien zur Laſt,
welche eine gleiche That begangen, ohne daß ſie
dergleichen Bewegurſache dazu gehabt hatte, wie
Lucretia.


Neu-
[95]der Critick bey den Deutſchen.

Neukirch giebt unter den Exempeln, womit er
die Faͤhigkeit der Deutſchen zu hohen Gedancken
beweiſen will, auch den bekannten Strophen ei-
nen Platz, worinnen die Annehmlichkeit der Liebe
uͤber die Suͤſſigkeit des Zuckers, des Honigs,
und alles deſſen erhoben wird, was in der Natur
und neben der Natur ſuͤß iſt, das iſt, er verglei-
chet die Luſtbarkeiten des Geſchmackes mit den
Luſtbarkeiten der Einbildungskraft, wozu kein groſ-
ſes Beſtreben des Geiſtes erfodert wird. Wenn
man nichts trefflichers hat, den Frantzoſen entge-
genzuſetzen, ſo wird man kluͤger handeln, daß
man ſich mit ihnen in keinen Eiferſtreit einlaſſe.


Er hat uns zugleich ſeine Urtheile von allen an-
dern beruͤhmten Poeten Deutſchlands eroͤffnet,
und dieſes mit mehr Umſtaͤnden, als noch keiner
vor ihm gethan hatte. Er haͤlt Opitzen vor einen
Mann, welcher ſo viel Verſtand, als Feuer,
viel Sprachen zu ſeinen Dienſten, und von allen
Wiſſenſchaften eine gruͤndliche und ungemeine
Kaͤnntniß gehabt.

„Jch will, faͤhrt er fort,
„eben mit Buchner nicht ſagen, daß er die Poe-
„ſie ſo hoch erhoben, daß ihm alle die andern
„nur folgen muͤſſen: Es iſt aber unſtreitig, daß
„er darinnen mehr gethan, als man meinet,
„und daß viel Versmacher in Deutſchland le-
„ben, welche die Kraͤfte dieſes Poeten noch nicht
„erkennet.„

Er verweiſet es denjenigen, welche
meinen, daß ſie lauter Wunderdinge im Boileau
finden, und dennoch nicht wiſſen, was in unſrem
aller-
[96]Nachrichten von dem Urſprunge
allererſten Poeten, dem Opitzen, ſtecket.

„Wenn
„wir uns alle bemuͤheten, ſagt er ferner, den
„Weg zu gehen, den er gegangen, das iſt,
„durch Leſung der Griechen und Roͤmer klug zu
„werden, ihre Gedancken mit Anmuth anzubrin-
„gen, und endlich eigne aus unſrem Gehirne aus-
„zubruͤten, ſo wuͤrden wir den Franzoſen bald
„naͤher kommen, und uͤber die Ungleichheit ihrer
„und unſrer Schriften nicht mehr klagen duͤrffen:
„Maſſen ſie doch alles, was ſie ſagen, den Al-
„ten entweder nachgeafft oder abgeſtohlen.„


Er meint, Tſcherning ſey Opitzen nicht beyge-
kommen, Dach ſey unvergleichlich in geiſtlichen
Liedern, und ungemein gluͤcklich in Ueberſetzung
der Pſalmen, Flemming behalte noch wohl den
Ruhm, daß er unter ſeinen Landsleuten am be-
ſten geſungen, wenn er ihn aber bey die drey be-
ruͤhmten Maͤnner Gryphius, Hoffmannswaldau
und Lohenſtein ſtelle, ſo duͤrfte er faſt von ihm
und ſeines gleichen das Urtheil faͤllen, ſie waͤren
zwar groſſe Helden, aber ſie kaͤmen nicht an die
Zahl der drey. Denn dieſe haben nicht allein dem
Opitz weit gluͤcklicher als Flemming gefolget, ſon-
dern ihn in gewiſſen Stuͤcken auch uͤbertroffen. Und
zwar, was Gryphius belange, ſo ſey unſtretig,
daß ſeine Gelehrſamkeit unmaͤßlich, ſein Verſtand
unvergleichlich, und ſowohl in Erfindung als Aus-
bildung der Dinge ſehr hurtig und ſchnell geweſen.


„Seine Tragoͤdien, ſagt er, ſind voller Kraft,
„alle Beywoͤrter wohl ausgeſonnen, und wenn
„ich die Wahrheit ſagen ſoll, ſo maͤnnlich, nach-
„druͤcklich, und donnernd, daß es ihm keiner
„von
[97]der Critick bey den Deutſchen.
„von allen ſeinen Nachfolgern hierinnen gleich
„gethan. Jn Bewegung und Vorſtellung der
„Affecten hat er ebenfalls etwas ſonderliches.
„Was man aber am meiſten an dieſem Mann
„bewundern muß, iſt, daß er in luſtigen Sa-
„chen eben ſo gluͤcklich geweſen iſt, als in trauri-
„gen.„


Von Hoffmannswaldau merket er an, er ha-
be gantz einen andern Weg, als Opitz und Gry-
phius erwehlet, indem er ſich ſehr an die Jtaliaͤ-
ner gehalten, und die liebliche Schreibart, wel-
che in Schleſien herrſchete, am erſten eingefuͤhrt.
Er geſtehet zwar, daß ſein Stylus zu Tragoͤdien
oder heroiſchen Gedichten ſich nicht wohl ſchicken
wuͤrde; allein er habe ſich auch an dergleichen
Dinge niemahls gemacht, ſondern ſeine meiſte
Kunſt in galanten und verliebten Materien ange-
wandt, worinnen er ſich auch ſo ſinnreich erwie-
ſen, daß man ihn billig fuͤr den deutſchen Ovi-
dius preiſen mag; ſeine Liebesbriefe ſeyn auſſer et-
lichen harten Metaphoren, ſo er von den Wel-
ſchen behalten, nicht zu verbeſſern; aus ſeinen
Begraͤbnißgedichten koͤnne man ſehen, daß es ihm
an ernſthaften und moraliſchen Gedancken auch
nicht gemangelt: Seine Liebesbriefe aber haben
ihm nicht allein uͤber alle Deutſchen ſondern auch
uͤber die meiſten auslaͤndiſchen Poeten den Sitz
erworben, und er kan ſchwerlich glauben, daß
ihm denſelbigen auch in kuͤnftigen Zeiten jemand be-
ſtreiten werde.


Von Morhof urtheilet er, daß er zwar ſo lieb-
lich nicht geſchrieben, als gelehrt, er habe aber
[Crit. Sam̃l. II. St.] Gſehr
[98]Nachrichten von dem Urſprunge
ſehr wohl verſtanden, was zu einem Gedichte er-
fodert wird. Beſſer ſey in beyden ſehr gluͤcklich,
und habe nicht allein einen ſcharfen Geſchmack von
guten Gedancken, ſondern ſchreibe auch ſolche
Verſe, welche ein jegliches Ohr vergnuͤgen koͤn-
nen. Wiewohl man nun meinen ſollte, daß zu
der Vollkommenheit der deutſchen Poeſie wenig
mehr uͤbrig waͤre, habe es dem Hrn. Opitz noch
an Zierlichkeit, dem Hrn. von Hoffmannswal-
dau an Ernſthaftigkeit, dem Hrn. von Lohenſtein
an Zeit, andern an was anderm gemangelt. Er
ſchlaͤgt zuletzt etliche Mittel vor, wie der Poeſie
bald aufzuhelffen waͤre. Wir koͤnnen daraus et-
was mehrers von ſeinen Einſichten in das Weſen
der Poeſie erlernen.

„Wer in der Poeſie groß
„zu werden gedencket, ſagt er, muß nicht allein
„an natuͤrlichen Gaben uͤberaus reich, ſondern
„auch in Erfindungen tiefſinnig, in der Arbeit
„gedultig, nnd in der Schreibart gantz feſt und
„poliert ſeyn. ‒ ‒ Er muß viel Sprachen
„verſtehen, in allen Wiſſenſchaften wohlgegruͤn-
„det, in der Welt erfahren, durch eigne Zufaͤlle
„gewitziget, ſeiner Affe[c]ten Meiſter, und in Ur-
„theilung andrer Leute Gebrechen vernuͤnftig ſeyn.
„Alsdann iſt es Zeit, daß er allgemach anfange,
„ein Poete zu werden, welches aber ohne Leſung
„und Unterſcheidung poetiſcher Buͤcher nicht wohl
„geſchehen kan. ‒ ‒ Die einheimiſchen Poe-
„ten lieſet man vornehmlich wegen des Styli.
„Weilen aber dieſer nach Erfoderung der Mate-
„rien mancherley iſt, ſo muß man auch hier ei-
„nen Unterſcheid machen, und von Opitz und
„Flem-
[99]der Critick bey den Deutſchen.
„Flemming die heroiſche, von Gryphius die be-
„wegliche und durchdringende, von Hoffmanns-
„waldau die liebliche, galante, und verliebte,
„von Lohenſtein die ſcharfſinnige, ſpruchreiche
„und gelehrte, und alſo von einem jeden eine be-
„ſondere Schreibart lernen, und durch deren
„kuͤnſtliche Vermiſchung diejenige zuwegebringen,
„welche die Lateiner den Stilum Sublimem nen-
„nen.„

Endlich ſchließt er, daß unter tauſen-
den kaum einer ſo gluͤckſelig ſey, daß er ſich zur
Poeſie rechtſchaffen ſchickete; und ſo er es ja end-
lich ſey, ſo gebreche es ihm doch entweder an Ge-
dult, oder Zeit, oder am Gluͤcke in ſeiner Befoͤ-
derung, und alſo am vornehmſten, welches zu ei-
nem Dichter erfodert wird, nemlich an einem froͤ-
lichen Gemuͤthe. Dannenhero thun nach ſeinem
Erachten diejenigen am beſten, welche die Mittel-
ſtraſſe halten, ſich bloß auf galante Gedichte le-
gen, und um die Geheimniſſe der hohen Poeſie
unbekuͤmmert laſſen. Ein Schluß, welcher der Mei-
nung der Alten ſchnurſtracks zuwieder iſt:


‒ ‒ ‒ ‒ Mediocribus eſſe poetis

Non DI, non homines, non conceſſere columnæ.

Dieſe Urtheile ſind zur ſelben Zeit durchgehends
vor feine Critick angeſehen worden, ungeachtet ſie
allein auf den willkuͤrlichen Geſchmack des Kunſt-
richters gebauet ſind. Ja ungeachtet man von
der Kraft, ſo den Trauerſpielen Lohenſteins, und
Gryphius, und den Heldenbriefen Hoffmannswal-
daus zugeſchrieben wird, in Durchleſung derſelben
nichts empfindet, hat man dieſe Ausſpruͤche doch
G 2mit
[100]Nachrichten von dem Urſprunge
mit Verleugnung der eigenen Empfindung ohne
Foderung eines gruͤndlichen Beweiſes, ohne Un-
terſuchung, mit Glauben und Liebe angenommen.
Was man darinnen nirgend hinzubringen gewußt
hat, was dunckel, zweydeutig und verworren
geſchienen, hat man lieber ſeiner eigenen Unge-
ſchicklichkeit, als des dreiſten Kunſtrichters ver-
worrenen Kopf zugeſchrieben. Jndeſſen iſt Neu-
kirch ſelbſt einer der erſten geweſen, der in die Lo-
henſteiniſche Schreibart einen Zweifel geſetzet,
und ſein Urtheil auf gewiſſe Weiſe zuruͤckegenom-
men hat. Er that dieſes eine ſehr kurtze Zeit her-
nach; wie wir aus folgenden bekannten Zeilen ſe-
hen, die aus einem Vermaͤhlungsgedichtee von
1700 genommen ſind:


Mein Reim klingt vielen ſchon ſehr matt und ohne Kraft:

Warum? Jch traͤnck ihn nicht mit Muſcateller-Saft;

Jch ſpeiſ’ ihn auch nicht mehr mit theuren Ambrakuchen,

Denn er iſt alt genug, die Nahrung ſelbſt zu ſuchen.

Zibeth und Bieſam hat ihm manchen Dienſt gethan:

Nun will ich einmahl ſehn, was er alleine kan.

Alleine? Fraget ihr: Ja, wie gedacht, alleine.

Denn, was ich ehmahls ſchrieb, war weder mein noch ſeine.

Hier hatte Seneca, dort Plato was geſagt;

Da hatt’ ich einen Spruch dem Plautus abgejagt;

Und etwann anderswo den Tacitus beſtohlen.

Auf dieſen ſchwachen Grund, ich ſag es unverholen,

Baut’ ich von Verſen oft damahls ein gantzes Haus,

Und ziert’ es noch dazu mit Sinnebildern aus.

Wie oftmahls muß ich nicht der abgeſchmackten Sachen,

Wann ich zuruͤcke ſeh, noch bey mir ſelber lachen.

Gleichwohl gefielen ſie, und nahmen durch den Schein,

Wie ſchlecht er immer war, viel hundert Leſer ein.

Ha! ſchrie man hier und da; fuͤr dem muß Opitz weichen.

Ja, dacht ich, wenn ich ihn nur erſtlich koͤnnt erreichen!

Den Willen haͤtt ich wohl. So wie ich es gedacht,

So
[101]der Critik bey den Deutſchen.
So iſt es auch geſchehn. Jch habe manche Nacht

Und manchen Tag geſchwizt; allein ich muß geſtehen,

Daß ich ihm noch umſonſt verſuche nachzugehen.

Jn den folgenden Zeilen ſaget er uns auch, wem
er dieſe Veraͤnderung ſeines Geſchmackes zu dan-
ken habe:


O grauſamer Horaz, was hat dich doch bewegt,

Daß du uns ſo viel Laſt im Dichten aufgelegt?

So bald ich nur dein Buch mit Luſt und Ernſt geleſen,

So iſt mir auch nicht mehr im Schreiben wohl geweſen. ꝛc.

Jn der Satyre auf unverſtaͤndige Poeten hat er
von ſeinem erſten Suͤndenſtande und hernach ge-
folgten Bekehrung mit demſelben bußfertigen Her-
zen geredet:


Ein halb mit Pikelſchertz vermengtes Operettchen,

Ein ſtinkender Roman von raſenden Chryſettchen,

Ein geiles Myrthenlied, und ein nach dem Adon

Des uͤppigen Marin erbauter Venusthron,

Der der Geliebten Schoos bis auf den Grund entdecket,

Und Buͤſch und Bruͤnnen draus, und Vogelneſter hecket

‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒

Ein rohes Trauerſpiel, in dem die Regeln fehlen,

Und ſo viel Schnizer faſt, als Sylben ſind, zu zehlen;

Ein Brief, den Adam ſchon der Eva zugeſandt,

Da beyde dazumahl doch keine Schrift gekandt;

Ein kreiſſendes Sonnet, das mit dem Tode ringet,

Und der Gedanken Rad, ſo wie die Reimen zwinget,

Und ein nach Poͤbelart geprieſner Buhlerblick

Jſt oft bey dieſer Zeit das groͤſte Meiſterſtuͤck.

So lang ich meinen Vers nach gleicher Art gewogen,

Dem Bilde der Natur die Schminke vorgezogen,

Der Reime duͤrren Leib mit Purpur ausgeſchmuͤckt,

Und abgeborgte Kraft den Woͤrtern angeflickt;

So war ich auch ein Mann von hohen Dichtergaben;

Allein ſobald ich nur der Spure nachgegraben,

G 3Auf
[102]Nachrichten von dem Urſprunge
Auf der man zur Vernunft beſchaͤmt zurucke kehrt,

Und endlich nach und nach nur den Parnaß erreicht,

So iſt es aus mit mir.

Jn eben derſelben Satyre ſchmaͤlet er auf die
ſchwaͤrmende Vernunft


Der von der Hungerſucht bethoͤrten Dichterzunft,

Die ſich durch falſche Kunſt auf den Parnaß geſchlichen,

Von der geſezten Bahn der Alten abgewichen,

‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒

Der Griechen Zaͤrtlichkeit das Todesurtheil faͤllet,

Des Maro klugen Wiz in Kinderclaſſen weiſt,

Horazens Dichterbuch verrauchte Grillen heißt. ꝛc.

Nichtsdeſtoweniger, wenn wir ſeine letztern Wer-
ke nach dieſen griechiſchen und lateiniſchen Muſtern
beurtheilen, muͤſſen wir ſchlieſſen, daß er die
Kunſt derſelben nicht in ihrer vollen Kraft eingeſe-
hen habe, oder daß der Wille bey ihm beſſer ge-
weſen ſey, als das Vermoͤgen, maſſen wir da-
rinnen zwar nicht mehr dergleichen falſche Pracht,
aber hingegen ſehr viel gemeines, plattes, nie-
dertraͤchtiges, und verworrenes Zeug ſo wohl in
den Gedanken, und Bildern, als dem Ausdruck
wahrnehmen, das einen unbefeſtigten Geſchmack
anzeiget. Jch finde zum Exempel in eben dieſer
Satyre auf die unverſtaͤndigen Poeten folgende
theils poͤbelhafte theils ungeſchickte Redensarten:
Jn Schulſtaub ſpringen; mit Ebraͤerwitz geſpickt:
einen ins Re Mi Fa Sol La der Huͤbneriſten ja-
gen; notenmaͤſſig ſeyn; ein Jammerlied im Tan-
ze drechſeln; das Dichterſaltz juͤckt in den Adern;
zum Floͤtenritter ſchlagen; den Trieb der Redlich-
keit
[103]der Critik bey den Deutſchen.
keit mit Silberzaͤumen lenken; nach Narrenwaſ-
ſer lechzen; durch ein Haberrohr zum Federſtur-
me blaſen; einem Muͤhe und Schweiß in den
Jammerbuſen ſchieben; auf den Weg der Hun-
gerwieſen fuͤhren. Multi dum vitant vitia in
contraria currunt.


Zu derſelben Zeit, da Neukirchen zu Berlin
dieſes ungewiſſe Licht in der Critik aufgegangen
war, hatte die Stadt Hamburg einen Kunſt-
verſtaͤndigen, bey welchem ein hellerer Tag in die-
ſer Wiſſenſchaft ſchon angebrochen war. Wer-
nike tappete daſelbſt nicht im Dunckeln, er ver-
ließ ſich nicht auf die betruͤgliche Empfindung in
Schriften, wo nicht das Hertz und die Affecte al-
lein, ſondern eben ſo oft der Witz und der Ver-
ſtand herrſchen ſollen. Er urtheilte auf feſtgeſetzte
und beſtaͤndige Grundſaͤze; welches vor ihm noch
keiner gethan hatte. Er betrachtete die Gedichte
der Deutſchen ohne Vorurtheile, und ſah auf die
Wahrheit der Sache, nicht auf das Anſehen,
oder den Beyfall andrer. Aufrichtigkeit und
Freyheit, mit Beſcheidenheit ohne Schmeicheley,
fuͤhrten ihm die Feder. Jn ſeinem Verſuche von
Ueberſchriften ſind die geſchickteſten Exempel von
ſcharfſinnigen Gedancken in groſſer Verſchiedenheit
enthalten, und in den Anmerckungen, die er hin-
zugeſetzet hat, findet man gantz natuͤrliche Grund-
ſaͤtze von dem Witze und der Scharfſinnigkeit,
die derſelbe manchmahl in Beurtheilung der abſon-
derlichſten Einfaͤlle mit gehoͤriger Einſicht und Be-
ſtimmung anwendet. Wir werden oͤfters von
ihm berichtet, was ſeine erſten Einfaͤlle uͤber eine
G 4Sache
[104]Nachrichten von dem Urſprunge
Sache geweſen; indem er dieſelben izo ſelbſt ver-
wirfft, zeiget er uns zugleich an, warum er ſie
ausgeloͤſchet habe; und wie er bey einer Veraͤnde-
rung nicht nur geſucht, den erſten Fehler zu he-
ben, ſondern an ſtatt des ungeſchickten Gedankens
einen trefflichen zu erſinnen. Unter einer groſſen
Anzahl Ueberſchriften gehen nun eine ziemliche
Menge auf die deutſchen Poeten, den Witz der
Deutſchen, die Vorruͤckungen des Vater Bu-
hurs, und dergleichen Dinge. Der Autor iſt
dann befliſſen, die Urtheile, ſo er in den ſticheln-
den Ueberſchriften gefaͤllt hat, in den Anmerckun-
gen zu erklaͤren und zu bekraͤftigen. Wir wollen
ihn ſeine Begriffe von der Poeſie, der Critik,
und ihrem Gebrauche ſelber entdecken laſſen.


„Etliche Ueberſchriften, ſagt er, ſind wider un-
„ſere deutſchen Poeten, oder daß man ſeine Mei-
„nung deutlicher ausdruͤcke, mehr wider die ein-
„gefuͤhrte Schreibart, als die Poeten ſelbſt ge-
„richtet. Man haͤlt davor, und man hoffet,
„es werde dem Verfaſſer von keinem vernuͤnfti-
„gen Menſchen uͤbel gedeutet werden, daß er ſei-
„ne Meinung ſo frey herausſaget; man haͤlt da-
„vor, daß wir bisher in unfern Verſen mit eiteln
„und falſchen Woͤrtern zuviel geſpielet, und ſehr
„wenig auf das bedacht geweſen, was die Wel-
„ſchen Concetti, die Franzoſen Penſées, die
„Engellaͤnder Thoughts, und wir fuͤglich Ein-
„faͤlle nennen koͤnnen; da doch dieſelbe die Seele
„eines Gedichtes ſind. Ja daß auch eben die,
„welche ſinnreich zu ſeyn gewußt, dennoch nicht
„eine nachdruͤckliche und maͤnnliche Art zu ſchrei-
„ben
[105]der Critik bey den Deutſchen.
„ben gehabt haben. ‒ ‒ Wohlflieſſende Ver-
„ſe zu ſchreiben iſt die geringſte obgleich noͤthige
„Tugend eines Poeten, und verdienet niemand
„dieſen Nahmen, der nicht zugleich die Eigen-
„ſchaft der Sprache, in der er ſchreibt, und der-
„ſelben Staͤrcke zierlich auszudruͤcken, und da-
„bey mit groſſer Sinnlichkeit zu ſchreiben weiß.
„Die hoͤchſte Vollkommenheit der Poeſie aber be-
„ſteht darinnen, daß man erſtlich die Anſtaͤnd-
„lichkeit in allen Dingen genau beobachte, und
„hernach durch edle und großmuͤthige Meinungen
„die Seele ſeines Leſers entzuͤcke. ‒ ‒ Bey
„uns haben Opitz und Gryph, und derſelben zwey
„beruͤhmte Nachfolger, Hofmannswaldau und
„Lohenſtein den groͤſten Preiß bisher verdienet.
„Dieſe zwey letztern inſonderheit werden anizt
„am meiſten geleſen. Sinnreich und lieblich iſt
„der erſte; ſinnreich und durchdringend der an-
„dere. Jenen iſt jedermann geneigt; dieſen iſt
„jedermann gezwungen zu ruͤhmen. Man findet
„in der That in den Trauerſpielen des leztern
„unterſchiedliche vortreffliche Oerter, und unter
„denen einige, welche es in Ausdruͤckung einer
„Sache den beſten alten Poeten gleich thun.
„Wenn man aber die Wahrheit geſtehen darf,
„ſo hat er ſich auch hierinnen unterweilen durch
„ſeine Hitze ſo weit verfuͤhren laſſen, daß er ſchoͤ-
„ne Sachen zur Unzeit angebracht; und praͤchti-
„ge Worte ſeinem Verſtande zum Nachtheil,
„und gleichſam in einer poetiſchen Raſerey geſchrie-
„ben hat. Unzeitiger Witz iſt Unverſtand, und
„die Einfalt hingegen in vielen Gelegenheiten
G 5„ver-
[106]Nachrichten von dem Urſprunge
„verwunderungswuͤrdig. ‒ ‒ Man iſt gaͤntz-
„lich der Meinung, daß was die franzoͤſiſche
„Schreibart zu der heutigen Vollkommenheit ge-
„bracht hat, meiſtentheils daher ruͤhre, daß ſo-
„bald nicht ein gutes Buch ans Licht koͤmmt,
„daß nicht demſelben eine ſogenannte Critique
„gleich auf den Fuß nachfolgen ſollte, worinnen
„man die von dem Verfaſſer begangenen Fehler
„ſittſamlich und mit aller Hoͤflichkeit und Ehrer-
„biethung anmercket. Sintemahl dadurch ohne
„alle Aergerniß dem Leſer der Verſtand geoͤff-
„net, und der Verfaſſer in gebuͤhrenden Schran-
„ken gehalten wird.„

Ueber das Epigramma
auf die ſchleſiſche Poeten fuͤgt er ſeine Anmerckung
mit folgenden Worten bey:

„Der groſſe Ruhm
„den man allhier den ſchleſiſchen Poeten zuleget,
„ſtimmet mit einigen vorhergehenden Ueberſchrif-
„ten und denen Anmerckungen nicht allerdings
„uͤberein; und dieſer Unterſcheid im urtheilen
„ruͤhret von dem groſſen Unterſcheid des Verfaſ-
„ſers Jahre her. Man hatte, als man dieſe Ue-
„berſchrift ſchrieb, nicht allein keine engliſche
„und franzoͤſiſche Poeten, ſondern ſo gar auch
„die beſten lateiniſchen nicht anders als der Spra-
„che halber geleſen, wannenhero es kein Wunder
„iſt, daß man ſich damahls in ſeinem Urtheil
„in etwas verſtiegen. Die Sache kurtz zu ma-
„chen, ſo iſt man annoch der Meinung, daß
„die ſchleſiſche nicht allein unſre beſte Poeten,
„ſondern auch mit den beſten Auslaͤndiſchen moͤg-
„ten zu vergleichen ſeyn, wenn die zwey beruͤhm-
„ten Maͤnner Lohenſtein und Hoffmannswaldau
„es
[107]der Critik bey den Deutſchen.
„es bey der reinen und natuͤrlichen Schreibart
„des Opizs und Gryphs haͤtten bewenden laſſen,
„und nichts anders als ihre eigene Scharfſinnig-
„keit derſelben zugefuͤget haͤtten. Es ſcheint aber
„daß ſie beyderſeits unter allen fremden Poeten
„ſich die Welſchen zum Muſter geſezet.„


Er zeiget hernach aus des Hoffmannswaldaus
eignen Geſtaͤndniß, daß dieſer ſich die Welſchen,
und zwar die ſchlimmen unter denſelben zum Bey-
ſpiel geſetzet, welches er ferner mit etlichen Exem-
peln aus deſſelben Heldenbriefen beſteiffet, uͤber die
er folgende drey Dinge mit Bedacht und ohne
Vorurtheil zu erwegen bittet, eh man ihn einer
Unbeſcheidenheit beſchuldige, die unbequemen Re-
densarten, die harten Metaphoren, und den fal-
ſchen Witz. Von allen drey Arten fuͤhret er Exempel
mit ſeinen Anmerckungen an, und dieſe werden in
der That ſo beſcheiden und ehrerbiethig eingefuͤhrt,
daß man in Zweifel geraͤth, ob er mehr Fehler
eingeſehen oder mehr verſchwiegen habe.


Jn der Ueberſchrift, wo er ſo ſchertzreich ſagt,
daß ſeine Muſe, wenn ſie zornig iſt, keine Bie-
ſamkuchen bake, erklaͤrt er ſich von dem damahligen
Zuſtand der Poeſie bey den Deutſchen ſehr verſtaͤndig.


„Dieſe Zukerbekerey, ſagt er, laͤßt man gar ger-
„ne den heutigen Schleſiſchen Poeten, als wel-
„che dergleichen lekerhafte Sachen in ihren Ver-
„ſen ſo haͤuffig zu Kauffe haben, daß ſie ſo gar
„auch nicht der Mandeln und des Marzipans
„vergeſſen, und man ſich folgends einbilden ſoll-
„te, daß ſie alle ihre Leſer vor Kinder hielten.
„Jch weiß zwar wohl, was Deutſchland Schle-
„ſien
[108]Nachrichten von dem Urſprunge
„ſien wegen der Dichtkunſt ſchuldig iſt; derſelben
„Urſprung, Fortgang, ſo gar, alle Poeten,
„die ſich bishero unter uns einen Nahmen ge-
„machet haben. Es fehlet aber ſo weit, daß ſie
„unſre Poeſie annoch in den Stand ſollten geſe-
„zet haben, worinnen wir, ich will nicht ſagen
„der Griechen und Lateiner, ſondern nur der heu-
„tigen Franzoſen und Engellaͤnder ihre finden,
„daß ſie vielmehr uns zu vielen Fehlern verfuͤhrt,
„und dieſelben durch ihre wohlflieſſende und zahl-
„reiche Verſe ſo gar unter uns gangbar gemacht
„haben, daß man ſich ſogleich einen gantzen
„Schwarm deutſcher Dichterlinge auf den Hals
„ladet, ſo bald man Liebe genug zu ſeinem Va-
„terlande traͤgt, dieſelben als Fehler anzumer-
„ken. Die Rede nach der unterſchiedenen Art
„der Gedichte unterſchiedlich einzurichten; in ei-
„nem Schaͤfergedichte ſittſam zu ſinken, ohne zu
„fallen, in einer Ode hergegen zwar hoch aber
„nicht aus dem Geſichte zu ſteigen, und in die-
„ſer unterweilen eine kuͤnſtliche Unordnung ſehen
„zu laſſen; in den Schauſpielen die Einigkeit der
„Zeit, des Orts, und der Sache gantz genau
„zu beobachten, und zwar in den Luſtſpielen die
„Sitten zu verbeſſern, und in den Trauerſpielen
„die Hoͤrer zum Schrecken und zum Mitleiden
„zu bewegen; in allen aber insgemein voller ſinn-
„reichen Gedancken und Einfaͤlle, und großmuͤ-
„thigen und ſchoͤnen Meinungen zu ſeyn, ſo daß
„dieſelben nach Leſung des Gedichtes in dem Ge-
„daͤchtniß ſtecken bleiben; dieſes alles iſt das,
„worauf die wenigſte unſrer Poeten bishero ge-
„dacht,
[109]der Critik bey den Deutſchen.
„dacht, oder was die wenigſte ihrer Leſer in ih-
„nen geſucht haben. Ein wenig Zeit hoffe ich,
„wird dieſe Anmerckung in ihr rechtes Licht ſezen,
„und ihr den Neid und Haß benehmen, den ſie
„ſich hierdurch bey unbedachtſamen und parthei-
„ſchen Leſern anizo ohne Zweifel erwecken wird.„


Wernike war der einzige zu ſeiner Zeit, der die
Poeſie in dieſem wahren Lichte erkannte; ich fin-
de insbeſondere nicht, daß jemand vor ihm dasje-
nige angeprieſen habe, was er gar geſchickt die
Meinungen, und die Franzoſen les Sentimens,
heiſſen. Er iſt daneben der erſte, der die Ein-
fuͤhrung der gleichgeltenden Woͤrter beſtraffet hat,
Bl. 93. der erſte, der die poetiſche Zahl darinnen
groſſentheils gefunden, daß die Wendung und
der Fall der Verſe unterſchiedlich ſey, und daß
die Verſe zwar flieſſen, aber einer dem andern
nicht allzeit gleich flieſſen muͤſſe, Bl. 99. der erſte,
der die Schreibart, die von den Franzoſen Bur-
lesque
genannt wird, welche er Knittelgedichte
heißt, in der rechten Materie angewendet, und
das unterſcheidende Zeichen, (wie er Bl. 209.
das Wort Character giebt,) dieſer Art Gedichte
ſowohl in den Reimen Bl. 331. als in den Gedan-
ken genau beſtimmt hat, der erſte der von den Ei-
genſchaften des guten Witzes mit Begruͤndniß ge-
ſchrieben hat. ꝛc.


Das Bekenntniß, das dieſer ſatyriſche Kunſt-
richter hier und dar ſeiner eigenen Fehler halber
thut, iſt eben ſo liebenswuͤrdig, als die Verbeſ-
ſerung derſelben, die er zugleich hinzufuͤget, lehr-
reich iſt. Er hatte von einem Kind und einem
Grei-
[110]Nachrichten von dem Urſprunge
Greiſen den Gegenſatz gemacht: Die Kindheit neh-
me bey dem erſten durch die Jahre ab, bey dem
andern zu; ſtraft ſich aber wegen dieſes Einfalles
ſelber mit dieſen Worten:

„Zu der Zeit da ich
„dieſe Ueberſchrift aufſetzte, dacht ich Wunder,
„was ich vor einen herrlichen Fund gethan, an-
„izo aber erkenne ich nur gar zu wohl den alber-
„nen Witz derſelben. Jch war damahls in ei-
„nen Emanuel Theſaurus, Juglaris, und Ma-
„ſenius verliebt, anizo kan ich kaum einen Se-
„neca und Plinius mit Vergnuͤgen leſen.„

Jn
einer andern Ueberſchrift hatte er die Mutter zu
Rom, die ihren todtgeglaubten Sohn geſund und
munter heimkommen ſehen, zweymahl ſterbend,
und den Sohn als den Nachlaß beyder Leichen
eingefuͤhrt; eine jede Reihe, ein jedes Wort, zeig-
ten durch eine gezwungene Sinnlichkeit, wie er
ſelber bekennt, nur gar zuviel die Jahre an, da-
rinnen ſie geſchrieben waren. Nun haͤtte er dieſe
von ihm ſelbſt verworffene Ueberſchrift wohl unter-
druͤcken koͤnnen, allein er wollte ſie lieber mitthei-
len, den Leſer damit zu ſeiner Unterrichtung zu be-
luſtigen, und demſelben zugleich anzuzeigen, wie
wenig man den Leuten gefalle, wenn man denſel-
ben gar zu viel zu gefallen ſucht. Sehet auch
Bl. 128. und 203. Man erkennet wohl, daß er
zuerſt nachgedacht, eh er die Feder ergriffen, und
daß er Zeit uud Muͤhe an die Ausfuͤhrung ſeiner
Gedancken gewendet hat. Eben dieſes hat er ſei-
nen Landesleuten empfohlen, von denen er ſagt,
ſie haben Witz genug, aber ſie laſſen ſich nicht
Zeit genug, etwas dauerhaftes zu ſchreiben; ſie
laſſen
[111]der Critik bey den Deutſchen.
laſſen es nicht allein bey dem erſten Einfall, ſon-
dern auch bey der erſten Redensart bewenden,
und wie ſie allein zu ſchreiben ſcheinen, damit es
der Sezer in der Druͤckerey leſen koͤnne, alſo ver-
aͤndern ſie in ihren Schriften auch nichts, als
was dieſer darinnen verſehen hat. Weiſe und
Franciſci, vieler anderer zu geſchweigen, haͤtten
ſich mit Recht einen Nahmen in Deutſchland ge-
machet, wenn ſie weniger geſchrieben haͤtten: Sie
ſeyn zwey Fluͤſſe, welche wegen ihres ſchnellen
und ungewiſſen Laufs ſo viel Schlamm und Unflat
mit ſich fuͤhren, daß man den guͤldnen Sand der-
ſelben nicht erkennen koͤnne.


Mit allen dieſen critiſchen Einſichten und Tu-
genden hat Wernike nicht vermeiden koͤnnen, daß
ſeine Strafurtheile nicht ſolche Leute in den Har-
niſch gejaget, welche in der Poeſie von nichts als
einem Lohenſtein und Hoffmannswaldau wiſſen,
und weil ſie in denſelben ohne Unterſcheid alles mit
Verwunderung leſen, diejenigen mit Zorn und ei-
nem poetiſchen Amtseifer anſehen, welche ſich un-
terſtehen, etwas in denſelben zu tadeln. Es hat
darwieder nicht geholffen, daß er den Verehrern
Hoffmannswaldaus und Lohenſteins das Exempel
Homers und Virgils vorgehalten, welche we-
gen vieler Dinge von vielen groſſen und beruͤhm-
ten Leuten, und zwar insgemein ohne ihre Schuld,
getadelt worden. Die Hoͤflichkeit und geziemen-
de Ehrerweiſung, die er mitten in ſeinen Beſtra-
fungen gebraucht, haben ihn vor Haſſe nicht bewah-
ren moͤgen. Das Lob, das er beſagten deutſchen
Poeten beygeleget, hat ihm keine Vergebung des
Tadels
[112]Nachrichten von dem Urſprunge
Tadels derſelben erlanget, ungeacht es ihm gewiß
Muͤhe gemacht haͤtte, das Lob mit eben ſo guͤlti-
gen Anmerckungen zu erweiſen, als die ſind, wo-
mit er die getadelten Stellen verworffen hat. Laſ-
ſet uns ihn wieder ſelber vernehmen.

„Es ha-
„ben dieſe zwey beruͤhmte Maͤnner zwar das ih-
„rige mit groſſem Lob, aber doch noch lange nicht
„ſo viel gethan, daß ihre Nachfolger, ſo wie
„Alexander uͤber ſeines Vaters Siege, Urſache
„zu ſeufzen haben ſollten, daß ihnen nichts mehr
„zu thun uͤberlaſſen worden ſey. Des von Hoff-
„mannswaldaus Gedichte werden wegen ſeiner
„Heldenbriefe mehr als des von Lohenſteins gele-
„ſen. Weswegen ich zum Verſuche den erſten
„derſelben durchgegangen, und einige Anmer-
„kungen daruͤber gemachet habe. Wer derglei-
„chen uͤber des von Lohenſteins Schriften ma-
„chen wollte, der wuͤrde Zeug genug zu ſeiner
„Arbeit finden. Es iſt derſelbe, man geſtehet
„es gerne, ein groͤſſerer Poete als der erſtere.
„Der vom Horatius erfoderte, und von hohen
„Sachen klingende Mund laͤßt ſich mit Vergnuͤ-
„gung in hundert Oertern ſeiner Schriften hoͤren.
„Allein dieſes iſt auch unſtreitig, daß wie man
„an ihm vielmehr zu ruͤhmen, alſo auch vielmehr
„zu tadeln findet, als in dem erſtern.„

Er zieht
hierauf einen ungeſchickten Vers aus Lohenſtein
an, den er beurtheilet, und dann fortfaͤhrt:

„Waͤ-
„ren aller unſerer Poeten Gedichte dieſem Verſe,
„oder alle Verſe des Herrn von Lohenſteins die-
„ſem gleich, ſo koͤnnte man es dem ehrwuͤrdi-
„gen Vater Buhurs nicht verdencken, daß er
„uns
[113]der Critik bey den Deutſchen.
„uns nicht mehr Witz als den Moſcoviten zuer-
„kannt hat. Unterdeſſen ſo gehet man ſo weit
„nicht, um dem von Lohenſtein zu nahe zu tre-
„ten. Man vergißt gern ſeine Fehler, wegen
„ſeiner anderwaͤrtigen herrlichen Tugenden. Man
„hat es nur mit denen zu thun, die deſſen Tugenden
„nicht erkennen, und ſich allein an deſſen Fehler
„halten, dieſelben zu ihrer Richtſchnur im Schrei-
„ben ſezen, und wenn ſich jemand findet, der
„aus keinem Neide des Poeten, ſondern bloß
„allein zu Befoͤderung der deutſchen Poeſie dieſel-
„ben anmerket; ſich gleich thoͤrigter Weiſe ein-
„bilden, man haͤtte einem Koͤnig nach ſeiner Krone
„gegriffen. Glaubet man in der That, daß die
„Poeſie mit der Zauberkunſt eine gleiche Grund-
„feſte habe? Und bildet man ſich ein, daß man
„den Unverſtand, ſo wie das Fieber mit nichtsbe-
„deutenden Worten und Zeichen vertreiben koͤn-
„ne?„

Dergleichen Leute gab es wuͤrcklich.


Poſtel, deſſen Singſpiele damahls in dem
Hamburgiſchen Opernhauſe erſchalleten, konnte
Hoffmannswaldaus und Lohenſteins Schreibart
nicht verurtheilet ſehen, ohne zu begreiffen, daß
ihm ein gleiches Urtheil wie denſelben geſprochen
waͤre. Seine Gelahrtheit war ſo groß, als Lo-
henſteins, ſein Witz nicht geringer, aber wegen
Mangel an Urtheilskraft eben ſo ausſchweifend.
Wenn Wernike von einer Muſe redete,


Die in ein Spinngeweb das Bild der Dichtkunſt praͤgt,

Die Marmor und Albaſt aus Bruſt und Haͤnden haut,

Die Edelſtein und Stern aus ihrer Feder ſprizt,

Die in dem Aug Achat, in Thraͤnen Perlen findt,

Und aus den Diſteln Zeug der Luſt zum Schlafrock ſpinnt,

[Crit. Sam̃l. II. St.] Hſo
[114]Nachrichten von dem Urſprunge

ſo paßte dieſes ſo wohl auf Poſtel, als auf Hoff-
mannswaldau, und wenn Poſtel es nicht ſelbſt
wahrnahm, ſo ſagten es ihm andere. Seine Ue-
berſetzung eines der anmuthigſten Stuͤke aus der
Jlias war ſchon im Druke und mit einem groſſen
Krame von Gelehrſamkeit, wie er auch mit ſeinen
Singſpielen pflegete, begleitet worden, in wel-
chem man mehr Gedaͤchtniß und Fleiß im Zuſam-
mentragen, als Verſtand im Anbringen fand.
Er hatte auch ſchon 1698. angefangen, die erſten
Buͤcher von ſeinem Wittekind zu ſchreiben; dieſes
Gedichte hatte alle die Fehler, die Hr. Wernike
angegriffen. Die Singſpiele hatten einen groſſen
Zulauf bekommen, welchen ihr Urheber nicht er-
mangelte ihrem eigenen Werthe zuzuſchreiben, das
aber, wenn wir Werniken glauben, mehr den
Saͤngern und Saͤngerinnen zu danken war; man
gieng in die Oper, wie viel Leute die Kirche beſu-
chen, nicht um der Predigt, ſondern um des Ge-
ſanges Willen. Poſtel muͤßte ſehr gelernig gewe-
ſen ſeyn, und ſich ſelber gewußt haben zu verleug-
nen, wenn er Hoffmannswaldaus, Lohenſteins
und ſeine eigene Vernichtung ohne Empfindung
geſehen haͤtte. Es fehlte ihm nicht an Verehrern,
die in ſeinem Geſchmacke waren, die von ſeinen
Gedichten urtheilten, wie Hr. Weichmann noch
vor wenig Jahren (1724.) von ſeinem Wittekind
mit dieſen Worten gethan hat:

„Er hat den
„Geſchmack der Alten und Neuern zu verbinden ge-
„wußt: Jch erſtaune uͤber die vielfaͤltige und
„wohl darinn angebrachte Wiſſenſchaft. Die Leb-
„haſtigkeit und das Feuer, womit die verſchie-
„denen
[115]der Critik bey den Deutſchen.
„denen Affecten ausgedruͤckt ſind, ruͤhret mich
„oͤfters auf das empfindlichſte. Der Reichthum
„und die Staͤrcke in der Sprache bewundere ich.
„Die haͤufig einflieſſenden erbaulichen Sittenleh-
„ren dienen mir zu ſo viel Wegweiſern durch die
„Welt. Kurtz ich bin verſichert, daß wenn
„dieß Werck voͤllig waͤre ausgearbeitet worden,
„Deutſchland weit groͤſſern Ruhm davon gehabt
„haͤtte, als Jtalien von ſeinem Taſſo und Ma-
„rino zugleich.„

Die bey Poſteln im Schwang
gehende, nichtsbedeutende Worte, dieſe inornata \&
dominantia nomina tantum,
bekleideten, wie
Wernike Bl. 184. ſagt, ſo artig ihren Platz, und
waren von ſo geſchickten Leuten eingefuͤhrt worden,
daß ſie faſt durchgehends angenommen worden.
Nam decipit Exemplar vitiis imitabile. Po-
ſtel dachte darum bald mit Werniken fertig zu
werden, und mit einmahl Lohenſtein und ſich ſel-
ber zu ſchuͤtzen: Er ſchrieb ein kurzes Sonnet, in
welchem er Lohenſtein einem Leuen, Werniken aber
einem Haſen vergleicht, der auf dem todten Leuen
herumſpringet. Dieſer antwortete ihm mit dem
comiſchen Heldengedichte Hans Sachs, worin-
nen er Poſteln von Hans Sachſen zu ſeinem Reichs-
nachfolger einſegnen laͤßt. Poſtel ſchaͤmte ſich und
ſchwieg ſtille. Oder wie einige Berichte lauten uͤber-
gab er die Feder Menantes d. i. Georg Siegmund
Hunolden, der damahls als ein irrender, verlieb-
ter armer Ritter zu Hamburg war, wo er ſich
anfangs bey einem Advocaten mit ſchreiben ge-
nehrt, nachgehends aber ſelber Rechtsſachen zu
verwalten uͤbernommen, daneben auch anfieng
H 2mit
[116]Nachrichten von dem Urſprunge
mit Romanen ſchreiben ſich etwas zu verdienen,
auch einige Opern verfertigete. Dieſer ließ erſtlich
etliche ſatyriſche Briefe, und hernach ein rechtes
Poſſenſpiel voller Frazen und Anzuͤglichkeiten wie-
der Wernike druken, unter dem Titel: Der
thoͤrigte Pritſchmeiſter, oder, ſchwermende Poet ꝛc.
von Menantes. Coͤlln, bey Peter Martau dem
juͤngern 1704. Die Perſonen dieſes Poſſenſpieles
ſind, ein gelehrter Mann, der von ſeinen Renten
lebet, ein Schulmeiſter, ein Ertzpritſchmeiſter,
ein luſtiger Bedienter, ein Pegnitzſchaͤfer, Hans
Sachſens Geiſt, Mirandola, in die ſich der Ertz-
pritſchmeiſter verliebt, Amarillis des gelehrten
Manns Tochter, die er gleichfalls liebt, eine
Schuſtersmagd, eine Milchdirn, eine Troͤdel-
frau. Der Schertz, und das Gelaͤchter, das ſie
fuͤhren, und das Werniken gelten ſoll, iſt dem
Stande dieſer Perſonen aus dem niedrigſten Poͤ-
bel gemaͤß. Es beſteht meiſtens aus ungereimten
Anwendungen der Wernikiſchen Sinngedichte,
welche ſie ſich durch ihre Verdrehungen zugleich
eigen und laͤcherlich machen. Es ſind immunda,
ignominioſaque dicta,
die niemand anderm
als dem gemeinen Poͤbel zur Ergetzung dienen koͤn-
nen. Der Nahme Wernike, wird in Wecknarr
und Narrweck verwandelt, und dem Ertzpritſch-
meiſter der erſte, der andere der luſtigen Perſon
beygeleget. Das Laͤcherliche, worauf Wernike
mit einem ſchertzreichen Einfall geſtichelt, wird
ihm ſelber aufgebuͤrdet, und alſo der Stachel ſtatt
des Schuldigen auf ihn geworffen. Dieſe Poſ-
ſen ſind mit Anmerckungen begleitet, worinnen
Menan-
[117]der Critick bey den Deutſchen.
Menantes theils anzeiget, auf was vor Sinnge-
dichte Wernikens er gezielet habe, theils von ſol-
chen nach ſeiner Weiſe urtheilet, und insbeſonde-
re einige von demſelben angegriffene Stellen zu
entſchuldigen ſuchet. Er zeiget aber in dieſer Ar-
beit eben ſo wenig Aufrichtigkeit als Einſicht.
Was ſich noch am beſten hoͤren laͤßt, beſteht in
Vertheidigung derjenigen Fehler, ſo in Hoffmanns-
waldaus Sprache ausgeſezet worden; und in Ge-
genbeſchuldigungen eben dieſes Punctens halber.
Wernikens Sprache war in der That nicht die
reineſte noch die beſtflieſſende; indem er befliſſen
war, die Sachen mit Geiſt und gepreßten Nach-
druck auszudruͤken, verſaͤumte er manchmahl das
aͤuſſerliche in den Worten und dem Verſe. Jch
will ein Paar von den ernſtlichſten Wiederlegun-
gen der Urtheile des Hr. Wernike zum Muſter
vor Augen legen. Dieſer tadelte vor harte Me-
taphern folgende:


Jch weiß daß meine Glut ſich denckt zu hoch zu heben,

Und daß mein Kieſelſtein zu Diamanten will.

„Das iſt zu ſagen; der Schreiber will der Prin-
„zeſſin zu Leibe; was aber des Geheimſchreibers
„Kieſelſtein ſey, iſt nicht wohl zu begreiffen, und
„macht folgends wunderliche Gedancken. Drauf
„ſagt er von der Liebe:


Sie bindet Gold an Stahl, und Garn zu weiſſer Seide

Macht daß ein Neſſelſtrauch die edle Roſe ſucht,

Zu Perlen legt ſie Gras, zu Kolen legt ſie Kreide.

„Die Metapher von dem Neſſelſtrauche und der
H 3Roſe
[118]Nachrichten von dem Urſprunge
„Roſe iſt zierlich genug, und druͤckt des Poeten
„Meinung gnugſam aus; die uͤbrigen aber ſchei-
„nen nicht allein nur lauter Flickwoͤrter zu ſeyn,
„die Verſe damit zu fuͤllen, ſondern zeigen auch
„gar nicht an, was ſie hier ſonſt bedeuten ſollten.
„Denn daß die Liebe Gold mit Stahl, das iſt,
„Reichthum mit Dapferkeit verbinde, iſt gar nichts
„ungemeines. Aus Garn kan man faſt ſo zarte
„und koſtbare Tuͤcher, als aus Seide machen:
„Und ich finde keinen andern Unterſcheid zwiſchen
„den Kolen und den Kreiden, als daß die eine
„weiß, die andere ſchwartz, und im uͤbrigen bey-
„de ungefehr einerley Werthes ſind. Jch ge-
„ſchweige der Perlen und des Graſes, welche
„mit einander gar keine Vergleichung haben.
„Denn ich ſchreibe es dem Drucker zu, welcher
„vielleicht Gras vor Glas mag geſetzet haben.„


Hierauf ſagt Menantes zur Vertheidigung der
zwey erſtern Verſe:

„Die wunderlichſten Ge-
„danken machen des Hrn. Autors unzeitige Gril-
„len; denn wenn gleich ſonſten des Geheimſchrei-
„bers Kieſelſtein zu der Princeſſin ihrem Dia-
„mant gekommen waͤre, ſie wuͤrden einander kei-
„nen Schaden gethan haben. Aber vernuͤnftiger
„zu reden; die Glut ſteiget zu hoch, und ein Kie-
„ſelſtein will zu Diamanten, oder was ſchlechtes
„zu was koſtbares, ſind Metaphoren, die abge-
„ſchmackte Meiſterſaͤnger nicht verſtehen, aber
„bey verſtaͤndigen laͤngſt mit Approbation gele-
„ſen worden.


Zur Rettung der drey letztern Verſe ſagt er:


„Daß er dieſe Metaphoren nicht verſteht, iſt
„daraus
[119]der Critik bey den Deutſchen.
„daraus zu erſehen, indem er meinet, Gold und
„Stahl bedeute hier Reichthum und Tapferkeit.
„Allein Eginhard will ſich gantz nicht gegen die
„Prinzeſſin ruͤhmen, daß er mehr Dinte als Blut
„vor ſie vergoſſen; ſondern erniedriget ſich nur
„auf eine anſtaͤndige Art gegen eine ſo hochge-
„ſchaͤtzte Perſon, indem er ſie dem Golde ſich
„aber geringen Stahl vergleichet. ꝛc.


Wernike hatte folgende drey Verſe aus Lo-
henſteins Jbrahim angezogen:


Und meiner Adern Brunn, fuͤr dem Criſtall nicht rein,

Und Schwanen flekigt ſind, ſoll ein Gefaͤſſe ſeyn,

Darinn der geile Hengſt den Schaum der Unzucht ſpruͤze?

Und daruͤber folgendergeſtalt geurtheilet:


„Wer
„findet dieſe Verſe nicht ſchoͤn? Aber was kan
„wohl ungereimter als eben dieſelben ſeyn, wenn
„man betrachtet, daß er ſolche Worte, welche
„allein von einer wohlberittenen und abgenutzten
„Thais mit Fuge geſprochen werden koͤnnen, der
„Ambre, des Mufti Tochter, einem unerfahr-
„nen Kinde von zwoͤlf Jahren in den Mund ge-
„leget? Viel ehe koͤnnte man die angenehmen
„Sitten eines zu Hofe aufgebrachten Juͤnglings
„in einem wilden Tartar; und einen ſchlauen
„und durchtriebenen Machiavelli in einem Dre-
„ſcher in der Scheune vorſtellen.„


Auf dieſe
Beſchuldigung antwortet Menantes:


„Die gan-
„ze Cenſur beſtehet darinnen, daß die Worte
„zwar ſchoͤn, aber viel zu frey und ungereimt waͤ-
„ren, indem Lohenſtein ſie der Ambre, als ei-
„nem jungen Frauenzimmer in den Mund geleget
H 4„haͤtte:
[120]Nachrichten von dem Urſprunge
„haͤtte. Nun frage ich, ob das vernuͤnftig cen-
„ſieren heißt; einen Mann nach ſeinem Tode
„wegen eines freyen Verſes durch die Hechel zu
„ziehen? Dem Leſer geſchiehet vielleicht durch
„dieſen einzigen Vers ein unvergleichlicher Nu-
„zen in der Poeſie? Oder der Hr. von Lohen-
„ſtein wird deßwegen ſeine Gedanken im Grabe
„verbeſſern lernen? Oder des ſeligen Mannes
„hoͤchſtſchaͤtzbare Meriten und andre Vortrefflich-
„keiten in der Poeſie verdienen nicht, daß man
„ihm das geringſte nachſiehet?


Jch finde nicht, daß Wernike dieſe abentheur-
liche Frazen einer Antwort gewuͤrdiget habe, auf
die ſatyriſche Briefe Menantes hat er wohl in et-
lichen Ueberſchriften geſtichelt. Was er von der-
gleichen Schnapphanen fuͤr Gedanken gehabt habe,
giebt er in dem Epigrammatiſchen Geſpraͤche zwiſchen
Maͤvius und Bavius d. i. Menantes und Po-
ſteln Bl. 311. zu verſtehen. Bavius ſagt daſelbſt
zu Maͤvius:


‘Wer lachenswerth mich ſchaͤtzt, der denckt nicht einſt an dich.’

Jch weiß nicht, ob die Deutſchen ſich durch der-
gleichen Widerlegungen und Vorſtellungen ha-
ben abſchreken laſſen, Wernikens Cenſuren Ge-
hoͤr zu geben, das iſt gewiſſer, daß die Vorur-
theile zu Gunſt der Hoffmannswaldauiſchen Schreib-
art, ungeachtet der eben ſo gruͤndlichen als ſcharf-
ſinnigen Critiken des Hr. Wernike, hernach wie
zuvor in ihrer vollen Kraft geherrſchet. Jch darf
dem Argwohn nicht Platz geben, daß die Sinn-
gedichte dieſes muntern Kopfs den Deutſchen zu
voll
[121]der Critik bey den Deutſchen.
voll Geiſtes geweſen, dadurch ihnen die Leſung
derſelben zu muͤhſam und unangenehm gefallen ſey.
Dieſes wuͤrde einem franzoͤſiſchen Vater Buhurs
beſſer anſtehen zu behaupten. Wernike ſagt zwar
in der Vorrede zu denſelben, daß ſie an einem groſ-
ſen Koͤniglichen Hofe von hohen Perſonen mit
Vergnuͤgen geleſen worden, und der beruͤhm-
te Clericus hatte eine Ueberſchrift deſſelben auf
den Koͤnig Wilhelm von Groß-Britannien, die
er in der Ueberſetzung geſehen, nicht allein in ſei-
nem hiſtoriſchen und politiſchen Mercur vom Mo-
nat October 1699. angezogen, ſondern auch hier-
von Gelegenheit genommen, den Pater Buhurs
durch die Hechel zu ziehen. Si le Pere Bouhours,
ſagt er, voyoit cette Epigramme, il ne met-
troit point en queſtion, je m’aſſeure, ſi un
Allemand peut être bel Eſprit, il avoueroit
que l’eſprit eſt de tout pais.
Jndeſſen weiß
mich nicht zu erinnern, daß ihrer von einigem ge-
ſchickten Scribenten nur ſchlechthin oͤffentlich waͤre
gedacht worden, Hrn. Koͤnig ausgenommen, der
in ſeiner Unterſuchung vom Geſchmacke, mehr
als zwanzig Jahre nach ihrer Herausgebung, ihn
als einen Mann von ausbuͤndigem Geſchmacke ge-
lobet, und fuͤr den erſten angeprieſen, der das
Hertz gehabt ſich der Lohenſteiniſchen Schreibart
in oͤffentlichem Drucke zu wiederſetzen. Die
Exemplare von ſeinem Werke haben ſich auch ſo
gaͤntzlich verlohren, daß ich ungeachtet aller Muͤ-
he, die ich mit Nachfragen gehabt, nur neulich
dasjenige, deſſen ich mich izo bediene, durch ei-
nen Zufall entdecket habe. Nichtsdeſtoweniger
H 5war
[122]Nachrichten von dem Urſprunge
war des Verfaſſers Perſon in ſeinem Leben be-
kannt genug, und konnte er ſich, wie Horatius,
ruͤhmen, daß er mit groſſen Standsperſonen Um-
gang gehabt habe. Von ſeiner Herkunft zwar
iſt mir nichts mehrers bewußt, als daß er von
vaͤterlicher Seite ein Sachſe, von der muͤtterli-
chen ein Engellaͤnder, und von Geburt ein Preuſ-
ſe war. Man hatte ſeine Jugend dem beruͤhm-
ten Morhofen zur Aufſicht und Unterweiſung an-
vertrauet. Hernach bracht er drey Jahre an einem
vornehmen Hofe zu, wo eine hohe Frauensperſon
ſeinen muntern Kopf fleiſſig uͤbete, indem ſie ihm bald
dieſe, bald jene geiſtliche oder weltliche Begeben-
heit vorlegete, daß er ſein Urtheil davon in einigen
kurtzen Zeilen abfaſſete. Nach dieſem trat er ei-
ne Reiſe nach Franckreich und den damit benach-
barten Laͤndern und Koͤnigreichen an, bis er nach
Verflieſſung etlicher Jahre Anlaß hatte, ſich an
dem Engliſchen Hofe aufzuhalten, wo ihm aber
das Gluͤck, das er ſchon bey der Hand erwiſchet zu
haben vermeint, fehlgeſchlagen. Seine Hoffnung
desfalls war auf viele geleiſtete Dienſte gegruͤndet,
und der Compaß ward ihm ohne ſeine Schuld
durch einen unverſehenen Zufall verruͤcket. Den-
noch hat Hunold hernach eben hiervon Anlaß ge-
nommen, die anzuͤglichſten Gloſſen uͤber Werni-
kens Betragen in Engelland zu machen, ſo daß
er ihn treuloſer Handlungen und ſich ſelbſt damit
zugezogener Straffe verdaͤchtig gemachet. Das
in Londen mißlungne Gluͤck machte, daß Wer-
nike wieder an den Ort zuruckkehrete, woſelbſt er
ſeine erſten Jahre mit vieler Zufriedenheit zuge-
bracht
[123]der Critik bey den Deutſchen.
bracht hatte. Damahls ſuchte er ſeine bey Hrn.
Rath Pf.... in Verwahrung gelaſſenen Schrif-
ten wieder hervor, und ſchickte erſtlich nur einige
wenigere Ueberſchriften zum Verſuche in die Welt
hinaus; hernachmahls aber uͤberſah er alle insge-
ſammt, ſonderte viele aus, verbeſſerte viele, und
ſezete noch viele neue hinzu. Nachdem er einige
Zeit ohne Dienſt in ſtiller Ruhe zugebracht, ward
er von ihrer Koͤnigl. Daͤniſchen Majeſtaͤt zu ihrem
Staatsrath ernannt, und darauf nach Paris ge-
ſandt, wo er auch in der Qualitet eins Daͤhniſchen
Reſidenten ungefehr vor 20. Jahren geſtorben.


Nach dieſem Anfall, den Wernike mit mehr
Recht und Geſchicklichkeit als Gluͤck auf den
falſchen Geſchmack gethan, fuͤhrten Hoffmanns-
waldau und Lohenſtein ihre poetiſche Herrſchaft
unangefochten fort. Maͤnnling und Schroͤter
poſaunten den letztern mit aufgeblafenen Backen
aus. Selbſt Thomaſe und Gundling erhuben ſei-
ne Schriften ungemein. An dem Berliniſchen
Hofe ſchrieben zwar Canitz und Beſſer, am Braun-
ſchweig-Luͤneburgiſchen Breſſand, in einer na-
tuͤrlichern Schreibart geſchicktere Sachen, wie
hernach Koͤnig an dem Saͤchſiſchen, und Heraͤus
an dem Wieneriſchen. Jch gedencke Weiſen und
Huͤbners mit Vorſatz nicht, welche das Natuͤrli-
che von der Schreibart in der Leichtigkeit eines
magern von Kraft der Gedancken und Eindruck
der Vorſtellungen laͤhren Gedichtes geſucht, und
die Lohenſteiniſche Art zu ſchreiben vielmehr aus
einer einfaͤltigen Empfindung, als aus einer wohl-
befeſtigten Einſicht verworffen haben. Mithin
haben
[124]Nachrichten von dem Urſprunge
haben ſich auch Caniz und Heraͤus ſelbſt von dem
groſſen Strohme fortreiſſen laſſen, und Hoffmanns-
waldau und Lohenſteinen Weyhrauch geſtreuet.
Der erſtere hat in der Satyre, wo er die unna-
tuͤrliche Schreibart mit ſo geiſtreichen und arti-
gen Schertzen zum Gelaͤchter machet, etliche Ver-
ſe einflieſſen laſſen, die Hoffmannswaldau und
Lohenſteinen nebſt Opitzen alleine vor Poeten gelten
laſſen:


Wo ſieht man Hoffmanns Brunn, und Lohnſteins Stroͤhme
(flieſſen?


Jn dieſer Metapher hat er zugleich die Kennzei-
chen ihrer Schreibart ausdruͤcken wollen. Er hat-
te in der vorhergehenden Zeile geſagt:


‘Durch Opitzs ſtillen Bach gehn wir mit trocknen Fuͤſſen.’

Und auf dieſe beyden Zeilen folget:


Und nehm ich Beſſern aus, wem iſt wohl mehr vergoͤnnt,
Daß er den wahren Quell der Hippocrene kennt?


Der andere, Heraͤus, hat ſein Urtheil von die-
ſen und andern beruͤhmten Poeten Deutſchlands
mit dieſen Worten eroͤffnet:


„Wem duͤrffen
„nachgehen in gravitetiſcher Sprache der Tra-
„goͤdien ein Lohenſtein, ein Gryphius? Jn ver-
„liebten Schertzen, und durchgehends (wo die-
„ſer angenehme Poet mehr auf ſeinen Lands-
„mann den Opitz, als auf die welſchen Allego-
„rien und Metaphoren gedacht,) ein Hoffmanns-
„waldau? Jn Satyren und Oden ein Canitz,
„der Herr Kanzeleyrath Amthor, der Herr
„Rath
[125]der Critik bey den Deutſchen.
„Rath Menken? Jn Staatsgedichten und hiſto-
„riſchen Erzehlungen ein Beſſer, und andere ſich
„gleichſam in die Wette hervorthuende, als der
„Herr Pietſch, Herr Neukirch, Hr. Koͤnig,
„Hr. Richey, Hr. Stief? Des Hrn. Brokes
„genaue und kuͤnſtliche Ueberſetzung einer bisher
„welſchen Schreibart kan gleichfalls ein Beweis-
„thum ſeyn, wie faͤhig die deutſche Sprache
„ſey, allerley Arten nachzureden.„


Es iſt
ſchwer ſich vorzuſtellen, wie der Verſtand eines
Kunſtrichters ſolche Schreibarten, und Dichtar-
ten, die manchmahl ſo verſchieden ſind, als wie-
derwaͤrtige Dinge, z. Ex. Canizens, Beſſers,
Koͤnigs, einestheils, und Hoffmannswaldaus,
Lohenſteins, Amthors, anderntheils, in einem
Satze habe anpreiſen, und hier und da Geſchmack
finden koͤnnen.


Wir koͤnnen dergleichen wiederſinnige Urtheile
nicht anderſt aufnehmen, als daß ſie von einer
uͤberſpannten Hoͤflichkeit, in Hoffnung auf eine
gleiche Lobeserwiederung, oder aus Furcht vor
Unglimpf, Haß, und Laͤſterungen, die man
ſich mit Aufrichtigkeit und großmuͤthiger Freyheit
zuziehen moͤgte, entſprungen ſeyn.


Der blinde Geſchmack, dem die rechtſchaffene
Critik keinen Wiederſtand that, fieng izo an,
ſich nicht nur uͤber Opitzen, ſondern auch uͤber
Opitzens Muſter, die alten Griechen und Roͤmer
mit hochgetragenen Haupte zu erheben. Dieſes
hat Amthor ungeſtraft mit folgenden Worten ge-
than.


„Wie hoch ich ſonſt auch ſelbſt die noch
„vorhandene Ueberbleibſel der alten Poeten ſchaͤ-
„ze,
[126]Nachrichten von dem Urſprunge
„ze, ſo laſſe ich doch dahin geſtellet ſeyn, ob nicht
„die Ehrerbiethung gegen das Alterthum hierin
„manchmahl zu weit gehe, wenn man deſſelben
„Poeſien zum Theil vor ſo unvergleichlich haͤlt,
„daß ſie alle heutige weit uͤbertreffen ſollen. Wahr
„iſt es, daß die lateiniſchen Redensarten guten-
„theils kuͤrtzer als die Deutſchen ſind, und man-
„ches mahl vor andern Sprachen viel mit weni-
„gem ſagen koͤnnen; doch iſt dieſes eben nicht ſo
„allgemein, daß nicht auch im Deutſchen ſehr
„viel ſich ja ſo kurtz, und nachdruͤcklich ſollte ge-
„ben laſſen. ‒ ‒ Die vormahlige heidniſche
„Mythologie gab den Poeten gleichfalls einen
„groſſen Vorrath von Nahmen und Goͤttern,
„die nicht nur ſich uͤberall, wie die Scharwen-
„zel gebrauchen lieſſen, ſondern auch Gelegen-
„heit zu hunderterley Erfindungen gaben, de-
„ren man heutiges Tags muͤſſig gehen muß. Und
„iſt in dieſem Anſehen freylich wahr, daß ein
„ſolches Heldengedichte, wie Virgilius von ſei-
„nem Eneas aufgeſetzet, nicht wohl mehr ge-
„ſchrieben werden koͤnne. Ob es aber deßwegen
„nicht in ſeiner heutigen, obſchon von jener unter-
„ſchiedenen Art, eben ſo gut zu machen ſtuͤhnde,
„iſt eine andre Frage, die meines Beduͤnckens
„nicht ſo ſchlechterdings muß verneinet werden.
„Dann daß man meinet, es koͤnne kein Helden-
„gedichte vollkommen ſeyn, wo es nicht mit uͤber-
„natuͤrlichen Wunderfaͤllen den Leſer hier und da
„erſtaunen machet, iſt ein handgreiflich falſches
„Vorurtheil, nach welchem die Leute vor die-
„ſem dasjenige am liebſten hatten, was in ih-
„nen
[127]der Critik bey den Deutſchen.
„nen die meiſte Verwunderung erweckte, wann
„auch die Fabeleyen noch ſo plump, und darinn,
„ſo zu reden, Stein und Baͤume aus der Erden
„gelogen waren. Selbſt nach eingefuͤhrtem
„Chriſtenthum, da man ſich ſolcher grober heid-
„niſcher Poſſen haͤtte entſchlagen, und mit de-
„nen ſogenannten Fictionen wenigſtens behutſa-
„mer umgehen ſollen, klebte den Poeten dieſer
„alte Jrrthum noch immer an, und wird man
„ſchwerlich einen Jtalieniſchen, Spaniſchen,
„Franzoͤſiſchen, oder deutſchen Roman, in ge-
„bundener, oder ungebundener Rede, von ſel-
„bigen, ja wohl von noch viel juͤngern Zeiten
„finden, der nicht durch und durch mit Beſchwee-
„rungen, Verwuͤnſchungen, Rieſen, und an-
„derm ſolchem Zeuge angefuͤllet iſt, das alle Ver-
„nunft und Wahrſcheinlichkeit uͤberſteigt. Nach-
„dem aber nunmehr die vorige Leichtglaͤubigkeit
„der Leute ſich um ein groſſes vermindert hat,
„und die alten Hexen und Hexenmeiſter bey
„uns nicht mehr ſo ſtarck in der Mode ſind, ſo
„muß auch dieſer Handgriff der Dichtkunſt bey
„vernuͤnftigen Gemuͤthern nothwendig ſeinen
„Preis verliehren, und folglich getrachtet wer-
„den, daß man dagegen die Stelle mit andern
„anmuthigen Dingen erſetze: Wie meines Er-
„achtens, wenn man ja ein groſſes Heldenge-
„dichte ſchreiben wollte, durch Erwehlung, und
„fernere kuͤnſtliche Ausſchmuͤckung einer zwar
„ſonderbaren, jedoch wahrſcheinlichen Begeben-
„heit, und ſonſt in andern Verſen uͤberhaupt
„durch ſchoͤne Beywoͤrter, Gleichniſſe, Meta-
„phoren,
[128]Nachrichten von dem Urſprunge
„phoren, und dergleichen, gar fuͤglich geſchehen
„kan. Dann wann man die Blendungen bey-
„ſeite ſetzen will, ſo gehet das heidniſche Fabel-
„werck, nebſt allen gar zu weit hergeholten Fic-
„tionen, doch hauptſaͤchlich nur auf Beluſti-
„gung, wo nicht gar auf eine annehmliche Ver-
„derbung der Einbildungskraft, die ſo zu reden
„von Natur Luſt zum gaukeln hat, und weil ſie
„der gemeinen Jdeen leichtlich muͤde wird, ger-
„ne mit beſtaͤndiger Abwechſelung ſolcher gantz
„auſſerordentlicher Gemuͤthsbilder ſpielen mag.
„Was hingegen durch ſcharfſinnige Gedancken
„und wohl angebrachte Realien zur Zierde der
„Poeſie beygetragen wird, ger eichet mehr zur
„Beluſtigung oder Ausarbeitung des Verſtands:
„Und da wenigſtens nach dieſem letztern Stuͤck
„die heutige Dichtkunſt ja ſo reich, wo nicht
„noch vollkommener iſt, als die alte jemahls ge-
„weſen, ſo folget hieraus von ſelbſten, daß ſie
„wohl ſo edel und maͤnnlich als jene ſey, obgleich
„in der Erfindung und gewiſſen heidniſchen Re-
„densarten ein und andrer vermeinter Vortheil
„verlohren gegangen. Bevorab da der eigent-
„lich ſogenannte Verſtand niemahls leicht zu viel
„geſchaͤrfet, die Phantaſie aber gar bald durch
„unzeitige Uebung kann verwirret werden,
„und eben daher vielleicht das ehmalige Vorur-
„theil bey viel Leuten mag entſtanden ſeyn, daß
„groſſe Poeten ſelten mit gantz unverruͤckten Spar-
„ren gefunden wuͤrden.„


Wir erkennen hieraus genug, daß Amthor
von der Kraft des Wunderbaren, die Einbildungs-
kraft
[129]der Critik bey den Deutſchen.
kraft zu ruͤhren, und dem geſchickten Gebrauche
deſſelben nur eine kahle und fluͤchtige Theorie ge-
habt hat. Er ſieht in den Wercken der alten
Poeten nichts als Mythologiſche Dinge, die izo
nicht mehr geglaubt werden; der hypothetiſche
Grund ihrer Erdichtungen, der Zuſammenhang
ihrer Erfindungen, die Verknuͤpfung ihrer Abſich-
ten, die Affecte, ſo ſie dadurch ſo geſchickt zu er-
hoͤhen, und zu verringern gewußt, der Eindruck,
und die Empfindungen, ſo ſie an jedem Orte ih-
rer Abſicht und der Sache gemaͤß in dem gehoͤri-
gen Grade mit einer beſtaͤndigen Anmuth erwecken,
die Sitten der Menſchen, der Nationen, die
Arten der Laͤnder, der gantzen Natur Lauf und
Weſen, das Schoͤne, das Groſſe, das Wil-
de in derſelben, wovon ſie ſo vortreffliche Ge-
maͤhlde machen, der moraliſche Unterricht, der
mit allen dieſen Sachen vergeſellſchaftet iſt, die
geſchickte und mahleriſche Ausdruͤckung, und der-
gleichen Dinge ſind vor den Augen und dem Ver-
ſtande dieſes uͤberſichtigen Kunſtrichters gaͤntzlich
verborgen geblieben. Nach dieſem koͤmmt uns
nicht fremd vor, daß er die Verdienſte der da-
mahlslebenden deutſchen Poeten eben ſo wenig zu
ſchaͤtzen gewußt hat. Er meinete, die viere, nem-
lich Beſſer, Canitz, Neukirch, und Wenzel,
koͤnnten mit allen uͤbrigen um den Vorzug ſtreiten,
und er gab unter dieſen vieren dem letztern den
Vorzug.


„Jnſonderheit hat Wenzel, ſagt er,
„mir zum Muſter gedienet, dem ich in meiner
„Maaſſe, ſo gut ich gekonnt, zu folgen getrach-
„tet, weil die liebliche Fluͤſſigkeit des Hoffmanns-
[Crit. Sam̃l. II. St.] J„wal-
[130]Nachrichten von dem Urſprunge
„waldaus, und das heroiſche Weſen von Lo-
„henſtein ſchwerlich bey irgend einem andern unſ-
„rer iztlebenden deutſchen Poeten in einem hoͤhern
„Grade als hier verknuͤpft duͤrfte gefunden wer-
„den.„


Nun hat dieſes Urtheil, das Wenzeln
ſo hoch erhebet, zwar keinen Beyfall gefunden,
aber die Verkleinerung der alten Poeten hat den-
noch dieſelben bey vielen jungen Leuten noch in groͤſ-
ſere Verachtung gebracht, man hat ſie im Stau-
be ligen laſſen, und die Hochachtung, die ihnen
gebuͤhrte, ihren unverſtaͤndigen Veraͤchtern zuge-
wandt. Amthor ſelbſt iſt in ein groſſes Anſehen
gekommen, und zwar bey ſolchen Maͤnnern, die
ſich zu unſern Zeiten fuͤr die Verfechter des durch
die Critik gereinigten Geſchmackes ausgegeben
haben.


Jndem nun die geſchickten Maͤnner, welche
die Hochachtung gegen die Alten nicht abgeleget
hatten, und deren Gedichte zeigeten, daß ſie mit
ihnen vertraulich genug bekannt waren, als Men-
ken zu Leipzig, Koͤnig zu Dresden, Pietſch zu
Koͤnigsberg, Guͤnther und andre an andern Or-
ten ſich keine beſondere Muͤhe gaben, dem herr-
ſchenden Uebel der ſchreibſuͤchtigen Zeiten mit Nach-
druck zu wiederſtehen; erwekete ein guͤnſtiger Stern
an einem Orte, wo es niemand vermuthet hatte,
dem falſchen Geſchmacke etliche maͤchtige Wieder-
ſacher, welche ihn in ſeinen innerſten Bruſtweh-
ren anfallen durfften. Sie machten zwar den An-
fang dazu ohne einen abſonderlichen Vorſatz und
gleichſam nur beylaͤuftig und im Vorbeygehen:
Aber die Umſtaͤnde fuͤhren ſie nach und nach auf
ſolche
[131]der Critik bey den Deutſchen.
ſolche Unterſuchungen, welche nicht nur der ſchlim-
men Schreibart den Untergang droheten, ſondern
zugleich bequem waren, die rechtſchaffene Poeſie
in ihrem natuͤrlichen Licht und Leben herzuſtellen.
Sie nahmen hierzu die aͤchte und reine Critik, die
in Deutſchland noch gantz unbekannt war, zu
Huͤlffe.


Nemlich in den Jahren 1721. 1722. lieſſen eini-
ge Schweizer von Zuͤrich in einer moraliſchen Wo-
chenſchrift, die ſie unter verdeckten Nahmen nach
der Art des Engliſchen Zuſchauers verfertigten,
verſchiedene kleine Abhandlungen von critiſchen
Materien mit unterlaufen; worinnen ſie ſich zur
Behauptung ihrer Urtheile in die Unterſuchung
einiger Grundſaͤtze der Schreibart und der Wohl-
redenheit einlieſſen. Solche giengen uͤber die
Kunſt zu leſen, uͤber die Beywoͤrter, die gleich-
guͤltigen Woͤrter, die verſchiedenen Arten der
Wortſpiele, die Phantaſieſpiele, die Anbauung
der Einbildungskraft in Anſehen der Poeten, uͤber
das Phoͤbus, die Fabeln, und dergleichen. Die-
ſe Unterſuchungen wurden durch Exempel, ſowohl
aus verſtorbenen als damahlslebenden Poeten,
mit einer Freyheit erlaͤutert, welche ſich vor keiner
Gefahr oder Nachrede fuͤrchtete. Opitz ward
bey allen Anlaͤſſen hervorgezogen; eine Ehre, de-
ren er nur allzulange beraubet geweſen war! Den
Sachſen, und andern, die izo gewohnt waren,
nur Lohenſteins, Hunolds, Amthors, und
Neumeiſters Lob zu hoͤren, kam dieſes ſo fremde
vor, daß ſie dieſe critiſchen Blaͤtter, die in der
Provinzial-Mundart von Zuͤrich, und fuͤr die
J 2Zuͤri-
[132]Nachrichten von dem Urſprunge
Zuͤricher geſchrieben waren, nicht ohne Vergnuͤ-
gen laſen, ungeachtet ihr zartes Gehoͤr dadurch
ſehr ſtarck beleidiget ward. Man hat in den ge-
lehrten Zeitungen von Leipzig N. XVII. mit dieſen
Worten davon geurtheilet:


„Die Schreibart
„ſcheint je laͤnger je ſinnreicher zu werden; ſie
„fahren noch fort, ſowohl die Fehler im gemei-
„nen Leben, als auch die Schwachheiten der
„Buͤcherſchreiber, als des Lohenſteiniſchen Armi-
„nius, des deutſchen Hercules, ſonderlich der
„Poeten, Hunolds, Neukirchs, Lohenſteins, ꝛc. her-
„unter zu machen, aber zugleich von allerhand Ma-
„terien verſchiedene ſinnreiche und vernuͤnftige Ur-
„theile zu geben. Die Verfaſſer ziehen Opitz,
„Canitz, und Beſſer, allen deutſchen Poeten
„vor.„


Vor allen andern hat ihnen Herr Gott-
ſched in einer gleichmaͤſſigen moraliſchen Schrift,
die Tadlerinnen betitelt, ſeinen Beyfall durch
Ausſchreibung vieler Stellen aus ihnen und ruh-
mesvolle Beynahmen oͤffentlich bezeuget. Jm
XIV. St. des zweyten Th. ſagt er von ihnen:


„Vor wenig Jahren haben ſich in der Schweitz
„etliche muntere Koͤpfe gefunden, die einen gu-
„ten Anfang zu dergleichen oͤffentlichen Beurthei-
„lungen gemachet haben. Sie haben die gebun-
„dene Beredtſamkeit vorgenommeu, und in man-
„chem groſſen Poeten und Redner Schnizer ge-
„wieſen, die vorhin niemand bemercket hatte.
„Sie haben dieſes auf eine ſo ſinnreiche Art ge-
„than, daß ſich kein Vernuͤnftiger des Lachens
„enthalten kan, wenn er es lieſet. Und es iſt
„nicht zu ſagen, was ſie bereits an verſchiedenen
„Orten
[133]der Critik bey den Deutſchen.
„Orten vor gutes geſtiftet. Ein einziges hat
„dieſen geſchickten Maͤnnern noch gefehlet, nem-
„lich das Vermoͤgen ſich in einer reinen hochdeut-
„ſchen Schreibart auszudruͤken. Jhr Vater-
„land hat ſie gehindert, daß ſie in Worten und
„Redensarten die Richtigkeit nicht beobachten
„koͤnnen, die ſie in ihren Gedancken und Ver-
„nunftsſchluͤſſen erwieſen. Dieſes ſollte aber
„bey einem oͤffentlichen Beurtheiler der Scriben-
„ten von Rechtswegen ſeyn. ‒ ‒ Es waͤre
„alſo nichts mehr zu wuͤnſchen, als daß ſie ihre
„Schrift noch einmahl uͤberſehen, und mit Bey-
„huͤlffe eines rechten Kenners der Zierlichkeit unſ-
„rer Mutterſprache alle diejenigen Stellen, die
„mehr nach der Schweitz, als nach Deutſch-
„land ſchmecken, ausbeſſern moͤgten. Daß es
„ihnen leicht ſey, ihre eigene Fehler zu erkennen,
„haben ſie ſchon ſelbſt gewieſen.„


Jm Eingan-
ge deſſelben vierzehnten Stuͤckes hatte Herr Gott-
ſched ausdruͤcklich bekannt, daß die Deutſchen
noch wenige Criticos oder Beurtheiler von derglei-
chen Sachen gehabt haben, und es dieſem Man-
gel zugeſchrieben, daß dieſelbigen es in den
freyen Kuͤnſten, die mit zur Gelehrſamkeit gerech-
net werden, noch nicht ſoweit gebracht haben,
als die alten Griechen und Roͤmer, und als die
heutigen Franzoſen.


„So lange unter den Ge-
„lehrten niemand iſt, ſind ſeine Worte, der
„das albere Weſen der meiſten Buͤcherſchreiber
„oͤffentlich entdecket, ihre Fehler durchziehet,
„und den uͤbeln Geſchmack des ſtudierten Poͤbels
„verlacht; ſo lange ſind alle Tintenkleker groſſe
J 3„Scri-
[134]Nachrichten von dem Urſprunge
„Scribenten. ‒ ‒ Sobald ſich aber ſtrenge
„Beurtheiler unter den Gelehrten hervorthun,
„die das Gute gut, das Gruͤndliche gruͤndlich,
„das Schlechte ſchlecht, das Matte matt, nen-
„nen; ſobald kommt viele Buͤcherſchreiber Furcht
„und Zittern an.„


Jn beſagter Schrift der
Tadlerinnen wird das Lob, das die Zuͤricher
Opitzen beygeleget, zuerſt mit einem gewiſſen
Fleiſſe wiederholet. Jn dem XXXVIII. St.
wird geklaget, daß dieſer groſſe Dichter weniger
geleſen werde, als er wohl verdienete.


„Auch
„ſo gar diejenigen, die Poeten heiſſen wollen,
„heißt es daſelbſt, haben oftmahls ſeine Schrif-
„ten nie geſehen: Da ſie doch eine rechte Quelle
„des guten Geſchmackes in ſich faſſen. Und nim-
„mermehr wuͤrde Deutſchland ſo viel Jtalieni-
„ſche, und Spaniſche, ich meine ſchwulſtige,
„ausſchweifende, und zuweilen gar raſende Ge-
„dichte geſehen haben: Wenn man Opitzen fleiſ-
„ſiger, als einige andre inn- und auslaͤndiſche
„Poeten geleſen haͤtte.„


Jn Hr. Junkers Unterſuchung der Hankiſchen
Gedichte kan man ohne Muͤhe wahrnehmen, wie
viel er auf den Urtheilen der Zuͤrichiſchen Kunſt-
richter gehalten hat, indem er zu glauben ſcheint,
daß ſeine Saͤtze durch ihre angefuͤhrten Zeugniſſe
ein mehrers Anſehn erhielten. Man ſieht auch,
daß er ihre Abhandlungen fleiſſig geleſen, und ge-
ſchickt angewendet. Er nahm ihre Partie oͤffent-
lich gegen Hr. Hanken; dieſer war nicht damit
zufrieden, daß ſie Opizen, Canizen und Beſ-
ſern dem Hrn. Neukirchen vorgezogen hatten.


„Jſt
[135]der Critik bey den Deutſchen.

„Jſt es ſchon ſo weit gekommen, lauten ſeine
„Worte, daß man dem gelehrten Hr. von Lohen-
„ſtein und dem beruͤhmten Hr. Neukirch, unge-
„achtet der erſte bey Kennern wahrer Gelehr-
„ſamkeit einen allgemeinen Beyfall und unſterb-
„lichen Ruhm erworben, der andere aber unter
„allen jemahls geweſenen, und noch lebenden Poe-
„ten keinen ſeines gleichen gefunden, in oͤffentli-
„chen Schriften viele Fehler beyzumeſſen, und
„ihnen andre Leute, welche vielleicht noch nicht
„unter die Deos medioxumos gehoͤren, vor-
„zuziehen weiß, ſo ſtelle ich mir das Progno-
„ſticon,
daß man mit mir nicht ſaͤuberlicher
„verfahren, ſondern meine wenige Gedancken
„mit eben ſo zornigen Augen anſehen werde.„


Worauf Hr. Junker dieſes geantwortet:


„Es
„ſollte uns ein Vergnuͤgen ſeyn, wenn der Herr
„Hanke dieſe Tadler mit kraͤftigen Gruͤnden wie-
„derlegete. So aber bleibt der Beyfall Leuten
von gutem Geſchmack noch unbenommen.„


Hr.
Junker hat in der Unterſuchung der Hankiſchen
Gedichte den Zuͤrichern auch in ihrer Freyheit im
Beurtheilen gefolget, welches ihm ziemlich uͤbel
bekommen, indem Herr Hanke ihm deßwegen
ſchlimme Haͤndel gemachet hat. Jndeſſen haben
wir an dieſer Schrift einen Beweisthum, wie
bald der gute Geſchmack die Oberhand erhalten
wuͤrde, wenn die Critik nicht durch Macht und
Anſehn an ihrem freyen Gerichte gehindert wuͤrde.


Hr. Johann Georg Hamann hat um dieſelbe
Zeit ein Lexicon von poetiſchen Redensarten, Bey-
woͤrtern, und Beſchreibungen herausgegeben,
J 4mit
[136]Nachrichten von dem Urſprunge
mit einer Anweiſung zur Dichtkunſt, in welcher
er ſich oͤfters auf die Lehrſaͤtze der critiſchen Schwei-
zer bezieht; mithin aber in einigen Stuͤcken von
ihnen abweichet, wo ſie die beſten Gruͤnde gege-
ben: Zum Exempel, da ſie diejenigen getadelt
haben, welche die Beywoͤrter allein aus dem Ge-
daͤchtniſſe und nicht von der Beſchaffenheit der
Sache, und der beſondern Abſicht einer Beſchrei-
bung hernehmen. Herr Hamann hat dieſes Ur-
theil fuͤr ſein Lexicon, das eben nur fuͤr die Erleich-
terung der Gedaͤchtnißarbeit gewiedmet war, ſo
ſchaͤdlich gehalten, daß er ſich verpflichtet geſehen,
demſelben zu wiederſprechen. Er ſagt:


„Wie
„ich aber die Hochachtung hiermit oͤffentlich be-
„kenne, die ich gegen dieſen groſſen Kenner des
„guten Geſchmackes habe, ſo wird mir doch
„mit deſſen Verguͤnſtigung erlaubet ſeyn, mein
„Unternehmen nach meinem Vermoͤgen zu recht-
„fertigen.„


Hierauf ſagt er ferner, ſeine Ab-
ſicht gehe nur auf die Jugend, die noch die Spra-
che nicht verſtehe, nicht Bilder genug beſitze, ſol-
che nicht auszubilden wiſſe. Man muͤſſe ihr ei-
ne Menge Beywoͤrter, als Prædicata von einer
Sache, vor Augen legen, und ſie ſich dann mit
einiger Wahl derſelben uͤben laſſen. Allein wa-
rum bringet er ihr nicht lieber die Sachen ſelber
vor Augen, und weiſet ihr nicht darinnen das ver-
ſchiedene Licht, die Seiten und Umſtaͤnde derſel-
ben; und zeiget ihr die Nahmen eines jeden Stuͤ-
kes derſelben an? Nach dieſem wuͤrde ſie gewiß
ſtaͤrcker davon geruͤhrt werden, die Bilder, ſo ſie
davon faſſete, wuͤrden lebhafter ſeyn, und ſie
wuͤrde
[137]der Critik bey den Deutſchen.
wuͤrde in ihrer Wahl ihre Zuflucht nicht zu den
Woͤrterbuͤchern nehmen duͤrffen. Eben ſo wenig
iſt Hr. Hamann mit den Zuͤrchiſchen Kunſtrich-
tern wegen ihrer Verwerffung der Reimen zufrie-
den. Er erklaͤrt ſich hieruͤber mit dieſen Worten:


„Diejenige ſcharfſinnige Geſellſchaft in der
„Schweitz, welche verſchiedene Theile allerhand
„geiſtreicher Diſcurſe druͤcken laſſen, hat einen
beo Eſprit unter ſich, der ſich die Muͤhe gege-
„ben, den Geſchmack unſers Vaterlands in der
„Dichtkunſt zu verbeſſern, und dabey die gemei-
„nen Fehler unſrer Poeten auszuhoͤnen. Er hat
„an den bisher ſo hochgeſchaͤtzten Schriften des
„Hoffmannswaldau, Neukirchs, und Lohen-
„ſteins, ꝛc. ſehr vieles auszuſetzen gefunden,
„und wie er hin und wieder die Gedancken unſ-
„rer Dichter mit ſeinen Satyren laͤcherlich ge-
„machet, ſo hat er auch endlich den aͤuſſerlichen
„Zierrath ihrer Verſe, nemlich die Reimen,
„ziemlich hart angegriffen.„


Er erzehlet hier-
auf des Schweitzers Gruͤnde, meinet aber, daß
ſie von Hrn. Weichmann ſehr wohl beantwortet
worden; und weil er uͤber dieſes nicht wahrge-
nommen, daß jemand den Vorſchlaͤgen des Kunſt-
lehrers gefolget, haͤlt er dafuͤr, daß das Capitel
von den Reimen von ihm nicht habe duͤrffen uͤber-
gangen werden. Aus welchem Schluſſe ſcheinet,
daß er mehr bekuͤmmert geweſen, ſein Capitel von
den Reimen, als die Reimen ſelber zu retten.


Hr. Weichmann hatte ſich am meiſten daran
geaͤrgert, daß der Zuͤrchiſche Zuſchauer die Rei-
men unrecht und eine Narrheit genannt haͤtte.
J 5Er
[138]Nachrichten von dem Urſprunge
Er hingegen hielt ſie vor ein bloſſes Mittelding,
und meinte, es waͤre ein wenig zu hitzig, ſo vie-
le groſſe Poeten einer Narrheit in Mitteldingen
zu beſchuldigen, daran ſie von undencklichen Jah-
ren ein allgemeines Belieben gehabt. Wenn
man erſtlich einraͤumete, daß die Reimen nur ein
kleines und kindiſches Ergetzen verurſacheten, wel-
ches durch den Zwang, worinn ſie den Poeten
ſetzen, allzu theuer gekauft wuͤrde, und andern
Quellen eines hoͤhern Ergetzens, ſo von dem Ver-
ſtande und der Phantaſie entſpringet, im Wege
ſtuͤhnde, wuͤrde man ſie nothwendig unter die
Thorheiten zehlen muͤſſen, ſie waͤren dann auch
kein Mittelding mehr. Hierauf koͤmmt es haupt-
ſaͤchlich an. Herr Weichmann hat bey dieſem
Anlaſſe geſagt:


„Wer an buͤndigen Einfaͤllen
„einen Ueberfluß hat, und dazu ſich auf ſeine
„Sprache recht verſtehet, der iſt niemahls mehr
„durch den Reim, als durch die Scanſion, ja
„durch das eine ſo wenig, als durch das andre,
„gezwungen, das geringſte unvernuͤnftige nie-
„derzuſchreiben. Wird ſein Gedancke auf eine Art
„durch den Reim zuruͤckgehalten, ſo faͤllt es ihm
„nicht ſchwer, denſelben in verſchiedene andre
„Formen zu gieſſen, wovon zum wenigſten eine
„ſich endlich ſchicket.„


Dieſer Satz iſt noch
weit verderblicher, als die Lehre von den Reimen,
die man damit vertheidigen will; denn er ſetzet
voraus, daß an einem Orte, bey einer, obgleich
gantz beſondern, Abſicht, viele gleichguͤltige Ein-
faͤlle ſeyn, ferner daß ein Gedancke in verſchiede-
ne Formen der Rede gegoſſen werden koͤnne, und
doch unveraͤndert der vorige bleibe.


Man
[139]der Critik bey den Deutſchen.

Man ſchrieb den Zuͤrichiſchen Sitten- und Kunſt-
lehrern, der Hr. von Beſſer wuͤrde ſich die Muͤ-
he geben, durch wichtigere Einwendungen die Rei-
men wider ſie zu vertheidigen. Allein er ließ es
bleiben, wiewohl er deßwegen ſo ſehr aufgebracht
war, daß dieſes eine Urſache mit geweſen, wa-
rum er ſogleich dem Hamburgiſchen Patrioten ſei-
nen Beyfall gegoͤnnet; zumahl da er anfangs von
der damahls faſt uͤberall angenommenen irrigen
Meinung nicht abzubringen war, als ob ein ge-
wiſſer Baron Knigge der Verfaſſer des Patrioten
waͤre; wie er ſich dann hernach, da er die Ge-
wißheit davon erfahren, nicht wenig geſchaͤmt.
Was zwar die Stelle des Hrn. von Beſſer zu
des Patrioten Lob anlangt, welche man in einem
Papiere deſſelben eingetragen findet, ſo hatte der-
ſelbe ſolche nur an den Verleger geſchrieben, von
welchem der Herr Weichmann ſie bekommen, und
ſeinen Papieren eindruͤcken laſſen, welches den
Hrn. von Beſſer nicht wenig verdroſſen.


Sonſt hat Hr. Weichmann auch die Urtheile
der Zuͤrichiſchen Kunſtrichter von den deutſchen Poe-
ten nicht nach ſeinem Geſchmacke gefunden: Er
hat ſich zwar nicht bemuͤhet, Gruͤnde gegen Gruͤn-
de zu ſetzen, ſondern ſich mit Nebenſachen beholf-
fen, welche ich hier ausſchreiben muß, damit
wir daraus die Manier ſeiner critiſchen Schreib-
art bemercken.


„Der Feind von gereimten Ver-
„ſen, ſagt er, hat zugleich an verſchiedenen Or-
„ten faſt uͤber jedweden unſerer deutſchen Poeten
„insbeſondere geurtheilet. Nun ſtehet es ihm
„zwar ſo wenig zu verdencken, daß er vielmehr
„den
[140]Nachrichten von dem Urſprunge
„den verbindlichſten Danck verdienet, wenn er
„zugleich an ſeinem Orte die gar zu harten und
„ſchwuͤlſtigen Metaphoren, die laͤppiſchen Wort-
„ſpiele, und andere mehrentheils freywillige
„Schwachheiten des Verſtandes, den Leuten
„verhaßt zu machen ſuchet; doch ſcheinet es faſt,
„als ob er hierbey dem Verdacht einiger Par-
„theiligkeit nicht gaͤntzlich ausweichen werde.
„Opitz, von Caniz, und von Beſſer ſind die-
„jenigen, welche er nicht allein allen uͤbrigen
„Poeten weit vorzieht, ſondern auch von ihnen
„bey jeder Gelegenheit eitel nur erleſene Stellen
„anfuͤhret, von den andern aber insgeſammt
„nichts anders zuſammentraͤgt, als was er ih-
„nen nachtheilig zu ſeyn geglaubet; ja wohl gar
„ihre beygebrachten Oerter gantz unrichtig, ver-
„ſtuͤmmelt, und verfaͤlſcht darſtellet. So wird
„unter andern folgendes von dem ſeligen Cantz-
„leyrath Amthor eingefuͤhrt, da alle beſonders
„gedruckten Worte im Original gantz anders ſte-
„hen:
„Monarch daß in verwehnten Zuͤgen

„Mein eitler Kiel von neuem ſich vergißt,

„Und deiner Saamen Preis nach ſeinem Schatten mißt,

„Den luͤſtern Trieb der Schnſucht zu vergnuͤgen;

„Jſt deiner ſelbſtbeliebten Huld

„Und eigner Gnade mehr, als meiner Frechheit Schuld.

„Hieß dein Befehl mich ſelbſt doch naͤher ruͤcken,

„Und an der Strahlen Gold erquicken;

„Was Wunder, daß ſich dann der kalte Neſſelſtaub,

„An dem bisher der ferne Fuß geklebet,

„Hiervon erhitzt ein friſches Lorbeerlaub

„Durch einen kuͤhnen Schluß verwandelt und erhebet;

„Daß meiner Muſen boͤſe Kraft ꝛc.

„Es
[141]der Critik bey den Deutſchen.
„Es koͤnnen dieſes nicht wohl eitel Druckfeh-
„ler ſeyn, voraus weil das Wort Schluß gleich
„darauf in der Beurtheilung ausdruͤcklich wieder-
„hohlet worden. Daß aber ſolche Verfaͤlſchung
„mit Vorſatz geſchehen, kann ich ebenfalls nicht
„wohl glauben, weil es der Haupt-Abſicht ei-
„ner ſo ruͤhmlich-geſchaͤftigen Verſammlung nur
„gaͤntzlich zuwieder ſeyn wuͤrde, wann man je-
„mand heimtuͤkiſcher Weiſe, und dazu nach ſei-
„nem Tode, recht mit Fleiß laͤcherlich zu ma-
„chen ſuchte. Meine Schuldigkeit erfodert in-
„deß zur Ehre des ſeligen Mannes ſolches anzu-
„zeigen, und den Leſer zum unverfaͤlſchten Ab-
„druck davon (p. 41. im erſten Theile dieſer
„Sammlung) zu verweiſen. Wir finden zwar
„noch mehr Exempel einer gleichmaͤſſigen Unrich-
„tigkeit; ich bin aber izund des Vorhabens nicht,
„mich weitlaͤuftig dabey aufzuhalten.
„Er ſcheinet ſonſt auf Herrn Neukirch am
„meiſten unwillig zu ſeyn, und laͤſſet nicht gern
„einige Gelegenheit vorbey, ihn hoͤniſch anzuza-
„pfen: Oder aus ſeinen Wercken etwas anzu-
„ziehen, das er eines billigen Tadels werth ſchaͤ-
„zet. Nun habe ich zwar gegen ſeine beſondere
„Hochachtung fuͤr unſern Opitz, von Canitz,
„und von Beſſer nicht das geringſte einzuwen-
„den; vielmehr glaube ich, das Verdienſt und
„der Ruhm dieſer Maͤnner ſey weit groͤſſer, als
„daß ſie einiger Erhoͤhung durch die zuſammen-
„geſuchten Fehler anderer Poeten beduͤrffen; doch
„wird auch ein jeder mit mir geſtehen, daß Hr.
„Neukirch verſchiedene unverbeſſerliche Meiſter-
„ſtuͤcke
[142]Nachrichten von dem Urſprunge
„ſtuͤcke verfertiget hat, darunter ich inſonderheit
„ſein Schreiben der Aurora an den gottſeligen
„Koͤnig von Preuſſen, ſeine Gedancken auf deſ-
„ſen Kroͤnung, uͤber die befreyten Nachtigallen,
„ingleichen uͤber den Tod des groſſen Kuͤnſtlers,
„Faltz, nebſt andern mitrechne. Man wuͤrde
„ſich alſo dem Argwohn der Parteiligkeit weni-
„ger bloß geſtellet haben, wenn man gleichfalls ſo
„wohl von ihm und andern, als von ruͤhmlichſt-
„erwehnten Maͤnnern etwas gutes zu ſagen, oder
„anzufuͤhren beliebt, und nicht vielmehr bey je-
„der Gelegenheit ſie bloſſerdings zu tadeln geſucht
„haͤtte.„

Eine Widerlegung, die nur ſuchet, die Ge-
genpartey anzuſchwaͤrtzen, verraͤth einen Mangel
an gruͤndlichen Antworten. Der Zuͤrichiſche Kunſt-
richter hatte nicht von dem gantzen Vermoͤgen der
Geſchicklichkeit dieſer Poeten, ſondern nur von ei-
nigen Stellen derſelben geurtheilet und dem Leſer
uͤberlaſſen nachzuſehen, ob er viel oder wenig der-
gleichen Zeug bey ihnen finde. Hrn. Weichmanns
Schutzſchrift haͤtte darum mehr Glauben verdie-
net, wenn er aus den getadelten Poeten eben der-
gleichen geſchickte Stellen, und zwar in gleich
groſſer Anzahl, als von dem Kunſtrichter aus den
gelobten angefuͤhrt worden; oder wenn er aus den
gelobten eben ſo ſchwuͤlſtige Metaphoren und laͤp-
piſche Wortſpiele, als von jenem aus den geta-
delten beygebracht worden, zuſammengetragen
haͤtte. Er beruffet ſich auch in der That auf et-
liche geſchickte Stuͤcke des Neukirchen, die aber
ſelbſt nicht alle von einerley Geſchicklichkeit ſind.
Das
[143]der Critik bey den Deutſchen.
Das Gedicht deſſelben uͤber die Nachtigallen iſt
ſehr unbequem, die Unrichtigkeiten der Neukirchi-
ſchen Muſe zu verbergen. Was die Entdeckung
der Druckfehler in einer getadelten Stelle Amthors
anlangt, ſo ſieht man nicht, was ſolche zu ihrer
Rettung beytragen koͤnne, weil die Critick nicht
auf Gedancken gefallen war, die aus der Ver-
faͤlſchung entſtanden waͤren, ſondern auf ſolche,
die in der wahren eigenen Lesart ihren Grund ha-
ben: Welches uns zugleich Anzeige giebt, daß
man die Fehler des Buchſetzers ohne genugſamen
Grund dem Kunſtrichter zur Laſt legen wuͤrde.
Endlich ſagen, daß die laͤppiſchen Wortſpiele,
und die ſchwuͤlſtigen Metaphoren freywillige
Schwachheiten des Verſtandes der getadelten
Poeten geweſen waͤren, iſt viel aͤrgers von ihnen
geſagt, als der Zuͤricher geſagt hatte, der ſie bloß
dem Mangel an Einſicht zugeſchrieben. Denn
die Fehler, die aus Unwiſſenheit entſpringen, laſ-
ſen ſich mit der redlichen Entſchuldigung verglimp-
fen, daß man es lieber beſſer gemachet haͤtte. Da-
rum beklaget Herr Koͤnig in der Unterſuchung von
dem guten Geſchmacke Bl. 239. mit dem beſten
Recht, daß der groͤſte Hauffen bey uns dem Joche
des uͤbeln Geſchmackes noch immer freywillig un-
terworffen bleibe, und, durch deſſen falſches An-
ſehen geblendet, dieſen Goͤtzen, als den vermein-
ten Vater der hoͤchſten Zierlichkeit zu verehren
halsſtarrig fortfahre.


Als die ſchweitzeriſche Critici aus dieſen Wider-
legungen ſelbſt abgenommen, daß ihre Beurthei-
lungen der Poeten mehr Aufſehens gemachet haͤt-
ten,
[144]Nachrichten von dem Urſprunge
ten, als ſie in einer Schrift, ſo ſie nur fuͤr ihre
Landsleute geſchrieben, und die eigentlich mora-
liſch war, vorgehabt hatten, kam ſie die Luſt an,
die Critick der deutſchen Poeſie mit einigem
Ernſt und Fleiſſe vorzunehmen. Der Leipziger-
Diogenes, der Hamburgiſche Patriot, und die
Haͤlliſchen Tadlerinnen ſtaͤrcketen ſie in dieſem Vor-
haben durch die Bloͤſſe, welche ſie ihnen in dem
Geſchmacke, und der Critick der Deutſchen zu
erkennen gegeben hatten, zumahl da die beyden
letztern Schriften mit einem ſo ſtarcken und allge-
meinen Beyfall aufgenommen worden. Dazu
halffen ferner ein Paar Correſpondenzen mit Leip-
zig, wozu die Zuͤrichiſchen Critiken Anlaß gege-
ben hatten; welche daſelbſt mehr als an keinem
andern Orte gutgeheiſſen worden. Ein ſehr ge-
ſchickter Mann von D., welchem ſie in ihren cri-
tiſchen Angelegenheiten zugeſchrieben hatten, gab
ihnen ſeine Gedancken daruͤber mit dieſen Worten
zu vernehmen:


„Wenn ſie auch einige Begier-
„de mich zu kennen bezeugen, ſo kan verſichern,
„daß nicht weniger neugierig nach dero ſchriftlichen
„Bekanntſchaft geweſen, ſobald einige einzelne
„Blaͤtter derſelben, und darunter etliche critiſche
„Stuͤcke zu ſehen bekommen. Jch war gleich
„damahlen auf der Meſſe in Leipzig, und brach-
„te ſolche in einer gelehrten Geſellſchaft zum Vor-
„ſchein, welche aus den aufgeweckteſten Koͤpfen
„daſelbſt beſteht, und ſich alle Wochen einmahl
„zu verſammeln, und von gelehrten Neuigkeiten
„zu unterreden pfleget. Alle ſtimmten einmuͤthig
„damit uͤberein, daß dero Bemuͤhung nicht frucht-
„los
[145]der Critik bey den Deutſchen.
„los abgehen, ſondern dem verdorbenen Geſchmack
„in der deutſchen Poeſie ruͤhmlichen Einhalt thun
„wuͤrde. Sobald ich wieder nach D. kam, be-
„ſprach ich mich daruͤber mit dem Hrn. von ‒ ‒,
„welcher von gleicher Meinung war. Der Vor-
„zug, welchen ſie hin und wieder dreyen von un-
„ſern beſten Poeten, nemlich Opitzen, Cani-
„zen, und Beſſern gegeben, iſt ſo gerecht, und
„die Beurtheilung der lohenſteiniſchen und wal-
„dauiſchen gezwungenen Schreibart, und ihrer
„Nachfolger, ſo billig, daß nicht nur ich, wie
„alle rechtſchaffene Kenner, hierinn vorlaͤngſt
„mit ihnen einig, ſondern dereinſt gantz Deutſch-
„land ihnen wird nachruͤhmen muͤſſen, daß ſie
„einer von den erſten geweſen, welcher das
„Hertz gehabt, ſich offentlich wider den bisher
„eingeriſſenen verdorbenen Geſchmack zu erklaͤ-
„ren, und die Falſchheit derjenigen aufgeblaſe-
„nen Dichtart zu zeigen, welche von den unver-
„ſtaͤndigen insgemein die hohe genannt worden.
„Jnzwiſchen duͤrffen ſie ſich nicht wundern, wenn
„etliche mittelmaͤſſige Geiſter dieſe Wahrheit noch
„nicht erkennen wollen. Es iſt viel leichter aus-
„ſchweifend, unnatuͤrlich, ſchwuͤlſtig, und mit
„einem Worte ſchulfuͤchſiſch; als maͤnnlich, na-
„tuͤrlich, ſittſam, und nach dem Geſchmacke
„des Hofes, und der Weltklugen zu ſchreiben.„


Erſtlich ſchrieben die Zuͤrichiſchen Kunſtrichter
den geſtaͤupten Leipziger-Diogenes wider die mo-
raliſche Wochenſchrift eines Unbekannten, die
1722. in Leipzig herausgekommen, und nach kur-
zem wieder verſchwunden; ein elendes Ding, das
[Crit. Sam̃l. II. St.] KLeute
[146]Nachrichten von dem Urſprunge
Leute von Qualitaͤt nicht angeſehen, und nur Stu-
denten-Jungen und Lakeyen geleſen haben, ſo daß
ihm mit dieſer Critick nur gar zu viel Ehre wie-
derfahren. Dieſe critiſche Schrift iſt hernach in
dem XIV. St. der Beytraͤge zur critiſchen Hiſtorie
N. III. ohne der Verfaſſer Dazuthun wieder auf-
geleget worden. Hernach lieſſen ſie die critiſchen
Anmerckungen uͤber den Hamburgiſchen Patrioten
und die Tadlerinnen folgen. Jn dieſen Schrif-
ten wird ein fruchtbarer Saame zur Entdeckung
vieler abſonderlichen Theile die Beredtſamkeit, die
von dem Witze entſpringen, ausgeſtreuet. Die
Blaͤtter beſagter Wochenſchriften werden von ih-
nen nicht anderſt angegriffen, als daß ſie die Ap-
plication ihrer zuerſt wohl unterſuchten und feſt-
geſetzten Grundſaͤtze auf dieſelben machen. Da-
rum hat der Hr. Goͤtten in dem Leben des Hrn.
Richey nur fuͤr die lange Weile geſchrieben, der
Herr Bodmer, den er fuͤr den Verfaſſer ausgiebt,
habe der Welt damit zeigen wollen, was die ver-
blendeten Augen nicht ſehen wollen, daß ſeine
Diſcurſe beſſer waͤren, als der Patriot und die
Tadlerinnen, wenn dieſe letztern die getadelten
Dinge vermieden haͤtten, wuͤrden ſie vielleicht
eben ſo unbeliebt geblieben ſeyn, als die trockene
Schreibart des ſchweitzeriſchen Tadlers. Wer
will, mag dieſes auf das Wort und das Anſehen
des Herrn Goͤtten glauben, ſowohl als was er
von dem Werthe und den Vorrechten des Patrio-
ten ſagt:


„Der beſte Verthaͤdiger deſſelben war
„die innerliche Guͤte und vortreffliche Einrichtung.
„Das Angenehme war mit dem Nuͤtzlichen,
„das
[147]der Critik bey den Deutſchen.
„das Deutliche mit dem Gruͤndlichen verbunden.
„Jn Deutſchland war er der Anfang ſolcher
„woͤchentlichen Blaͤtter, dergleichen man in Eng-
„land bereits vorher an dem Spectator und Guar-
„dian gehabt.„


Das Lob, das er dem Patrio-
ten mittheilt, iſt an ſich ſo unglaͤublich fuͤr gewiſſe
Leute, daß er es nicht noͤthig gehabt hatte, durch
den offenbahren Parachroniſmus verdaͤchtig zu
machen, daß der Patriot in Deutſchland die er-
ſte Schrift nach dem Muſter des Zuſehers geweſen.


Die Schweitzer hatten ihre Anmerckungen uͤber
den Patrioten unter dem Titel der Anklage des
verderbten Geſchmackes einem Verleger in Leipzig
uͤberlaſſen, wo aber der Druck derſelben nicht er-
laubet ward.


Dieſe Schrift war nach ſichern Nachrichten
einem gewiſſen vornehmen Profeſſor zur gewoͤhn-
lichen Cenſur uͤbergeben worden, die Erlaubniß
zum Drucke zu erhalten; die er doch, eben wie
vorher ſchon ein anderer Cenſor abgeſchlagen; theils
weil er einige Perſonalien darinnen befuͤrchtet, und
die Wahrheit zu bekennen, das gantze Ding nicht
verſtuhnd, theils weil der Verleger den Verfaſ-
ſer nicht nennen wollen. Es waͤhrete eine lange
Zeit, und koſtete die Verfaſſer viele Muͤhe dieſe
Schrift wieder zur Stelle zu bringen. Alſo ward
ſie erſt im Jahr 1727. von ihnen ſelbſt in Zuͤrich
zum Drucke befoͤdert. Einige Stellen, die ih-
ren Leipzigiſchen Freunden zu hart oder nicht gruͤnd-
lich genug geſchienen hatten, wurden gemiltert,
oder ſonſt veraͤndert. Unterdeſſen hatten ſie ihr
critiſches Unterfangen weiter fortgeſetzet, und eine
K 2dogmati-
[148]Nachrichten von dem Urſprunge
dogmatiſche Arbeit vorgenommen, in welcher die
Beredtſamkeit auf feſtgeſetzte philoſophiſche Grund-
ſaͤtze gebauet werden ſollte. Sie machten den An-
fang dazu 1727. mit einer Abhandlung von dem
Einfluſſe und dem Gebrauche der Einbildungskraft
zur Verbeſſerung des Geſchmackes, vor welcher
ſie ihr Vornehmen in einem Schreiben an Herrn
Chriſtian Wolf mit folgenden Worten eroͤffnen:


„Die Bemuͤhungen der vornehmſten critiſchen
„Verfaſſer iſt bisdahin meiſt oder bloß dahin ge-
„gangen, wie ſie dem ſchlimmen Geſchmacke
„Einhalt thun, und ungereimte Schriften zum
„Gelaͤchter machen moͤgten: Sie haben daruͤber
„verſaͤumt, den guten Geſchmack zu lehren, und
„anzupflantzen. Der Vorſchlag des Englaͤndi-
„ſchen Zuſchauers iſt noch unausgefuͤhrt geblie-
„ben, daß ein rechtſchaffener Criticus ein gan-
„zes Werck, das in dem guten Geſchmacke ge-
„ſchrieben iſt, vor die Hand nehmen, und die
„Quellen und Urſachen, aus welchen die unter-
„ſchiedliche Schoͤnheit deſſelben und das daher
„entſpringende Ergetzen herfließt, genau und aus-
„fuͤhrlich anzeigen moͤgte. Was unſre Deut-
„ſchen insbeſondere anlangt, ſo ſind ihnen faſt
„alle Arten critiſcher Aufſaͤtze uͤber Wercke der
„Beredtſamkeit noch etwas unbekanntes, und
„diejenige, welche von der Wohlredenheit uͤber-
„haupt geſchrieben haben, halten ſich einzig bey
„der aͤuſſerlichen Form der Rede auf; und brin-
„gen es nicht weiter, als daß ſie mit laͤhrem
„Kopfe lange ſchwazen lehren. Die Figuren der
„Rede ſind ihre Rhetorick und die Lexica der
„Bey-
[149]der Critik bey den Deutſchen.
„Beywoͤrter dienen ihnen fuͤr die Kunſt Beſchrei-
„bungen zu machen. Erſt juͤngſt haben ſich ei-
„nige unterſtanden abſonderliche Stellen zu beur-
„theilen: Aber es fehlet ihnen an der critiſchen
„Waage; ſie urtheilen nicht auf einen gewiſſen
„Grund; ſondern auf gerathewohl.„


Jn die-
ſem Thone fahren ſie noch etliche Seiten fort;
darnach geben ſie uns einige Nachrichten von der
Gemuͤthesart, womit ſie ihr Vorhaben unterneh-
men, und fallen dann auf die naͤhere Beſtimmung
und Eintheilung ihres Werckes:


„Dieſe Ge-
„muͤthesart habe ich zu meinem lange uͤberlegten
„und ſpaͤth beſchloſſenen Vornehmen gebracht,
„alle Theile der Beredtſamkeit in mathematiſcher
„Gewißheit auszufuͤhren, und den wahren Quel-
„len ſowohl des Ergetzens, das uns gute Schrif-
„ten mittheilen, als der Kaltſinnigkeit, in welcher
„uns ſchlimme Wercke ſtehen laſſen, nachzuſpuͤ-
„ren. Was ich dießmahl an das Licht ſtelle,
„iſt allein der erſte Theil von dem gantzen Wer-
„ke, welchem noch vier andre Theile folgen ſol-
„len. Dieſe Eintheilung gruͤndet ſich auf die
„verſchiedene Kraͤfte der Seele, von welchen die
„unterſchiedene Stuͤcke der Wohlredenheit und
„Poeſie hervorgebracht werden. Der gegen-
„waͤrtige Theil handelt von dem Einfluß, welchen
„die Einbildungskraft auf die Beredtſamkeit hat,
„und begreiffet alſo alle Gattungen Beſchreibungen
„deren Dinge, ſo die Natur oder die Kunſt her-
„vorbringt; auch ſelbſt die Beſchreibungen des
„menſchlichen Gemuͤthes, welche mit einem eigenen
„Nahmen Character der Sitten genannt werden,
K 3„und
[150]Nachrichten von dem Urſprunge
„und wieder von verſchiedener Art ſind, gehoͤren
„hieher, nachdem an derſelben Verfertigung die
„Einbildungskraft den meiſten Antheil hat. Der
„zweyte Theil wird die wichtige Frage von dem, was
„in den Reden und Schriften geiſtreich oder ſcharf-
„ſinnig iſt, eroͤrtern; auch uͤber dieſen Punct leh-
„ren, was der Witz als eine beſondere Kraft der
„Seele fuͤr Einfluß auf die Beredſamkeit habe.
„Jn dem dritten werde ich unterſuchen, worinnen
„der gute Geſchmack in Anſehen aller Gattungen
„der Dichtung beſtehe, und wie die Kraft zu dich-
„ten, welche die Seele empfangen hat, gebraucht
„werden muͤſſe. Der vierte Theil iſt nur ein be-
„ſonderer Abſchnitt von der Dichtung, und han-
„delt von den verſchiedenen Gattungen der Poeterey,
„als dem Epiſchen Gedichte, allen dramatiſchen
„Stuͤcken, der Satyre, der Ecloge, der Ode.
„Des fuͤnften Theiles Jnhalt iſt von dem hoͤchſten
„Grade der Vollkommenheit, zu welchem die See-
„le in dem Punct der Wohlredenheit hinauf ſteigen
„kan, nemlich dem Erhabenen in den Schriften:
„Hier unterſuche ich von Capitel zu Capitel den
„Tractat des Longinus, ſo der einzige iſt, der
„uͤber dieſe Materie geſchrieben hat. Jch getraue
„mir die Schwaͤche ſeines Buches mit erforderlicher
„Gruͤndlichkeit und Deutlichkeit entdecket zu haben.
„Dagegen ich dann gantz neue Begriffe von dem
„Erhabenen durch guͤltige Schluͤſſe herhole und
„feſtſetze.„


Der erſte Theil von dieſem weitlaͤuftigen Pla-
ne hat um ſo viel mehr Aufſehens gemacht, als
eine ungewoͤhnliche Freyheit in demſelben herrſche-
te,
[151]der Critik bey den Deutſchen.
te, mit welcher Lob und Tadel ohne Anſehen der
Perſonen, ſie mogten noch im Leben, oder ſchon
geſtorben ſeyn, nach Verdienen ausgetheilet ward.
Jn den gelehrten Zeitungen von Leipzig hat man
davon dieſes Urtheil gefaͤllet: Die Beurtheilun-
gen der Autoren, ſagt man, ſind bisweilen etwas
herbe abgefaſſet; ihre Critik aber gruͤndet ſich
auf gute Regeln. Daſelbſt wurden die Verfaſſer
auch das erſte mahl mit Nahmen genannt:


„Die
„Autoren ſollen, wie man ſagt, Hr. Profeſſor
„Bodmer und Herr Breitinger, von dem wir
„die neue Auflage der LXX. Dollmetſcher zu hof-
„fen haben, ſeyn.„


Man hat ſie in der That
errathen. Dieſe beyde ſind es, die mit gemein-
ſchaftlichen Anſchlaͤgen erſtlich die moraliſche Wo-
chenſchrift nach der Art des Englichen Zuſchauers,
hernach die andern oben erzaͤhlten critiſchen Schrif-
ten verfaſſet haben, und wir verſtehen eben die-
ſelben, wenn wir die ſchweitzeriſchen Kunſtrichter
anfuͤhren. Die Scribenten, die in ihrem langen
Beſitze eines niemahls unterſuchten Ruhmes ge-
ſtoͤret worden, mußten nothwendig ein Mißfallen
an dieſen Critiken haben, und warum ſollten ſie
den gefaßten Unwillen nicht oͤffentlich zu erkennen
gegeben haben? Jn dem Biedermanne, einem
moraliſchen Wochenblate von Leipzig, ſtellte der
verkappte Philologus, deſſen eigenes Geſtaͤndniß
ſeiner Schwaͤche in critiſchen Dingen man mit ſei-
nen vermeſſenen Urtheilen zuſammen gehalten hat-
te (*), die Zuͤrchiſchen Kunſtrichter unter einer
K 4Ge-
[152]Nachrichten von dem Urſprunge
Geſtalt vor, welche ſie mehr als alle ihre Vor-
gaͤnger in Deutſchland vermieden hatten.


„Sie
„ſind, ſagt er, durch das hin und wieder erlang-
„te Lob einiger Tiefſinnigkeit und Gruͤndlichkeit
„im Beurtheilen der Schriften ſo ſtoltz geworden,
„daß
(*)
[153]der Critik bey den Deutſchen.
„daß ſie ſich nunmehr zu allgemeinen Richtern
„aufwerffen, und die groſſe Menge unſrer Dich-
„ter und andrer Buͤcherſchreiber in ein Bocks-
„horn jagen wollen. Mich duͤnckt nicht anders
„als ſaͤhe ich den erboßten Critikverfaſſer, (ſo
„nennt er ſelbſt ſeine Handwercksgenoſſen) mit
„einem graͤmiſchen Geſichte und der Ruthe in
„der Hand, von ſeinen beſchneyten Alpen herun-
„tergeſtiegen kommen, und mit einem fuͤrchterli-
„chen Thone in eiuer lieblichen ſchweitzeriſchen
„Mundart alle unſre Scribenten in die critiſche
„Acht und Oberacht erklaͤren. Er poltert und
„ſtoͤret in unſren Buͤchern herum, und befiehlt
„uns bald dieſes bald jenes vor poſſierlich, phan-
„taſtiſch, ungereimt, dumm, kalt, ſchwuͤlſtig
„und laͤcherlich zu erkennen, unter der angehaͤng-
„ten unbarmhertzigen Bedrohung, daß er uns
„den guten Geſchmack abſprechen wolle, da-
„fern wir das Hertze haben ſollten, uns wieder
„ſein Urtheil nur im geringſten aufzulehnen.„


Hr. Philologus will doch hierdurch nicht alles das-
jenige verwerffen, was die Schweitzer vorgetra-
gen haben. Er haͤlt das meiſte davon vor gar
wohl geſchrieben, aber doch nicht vor ſo neu und
unerhoͤrt, daß die Deutſchen eben eines ſchweitze-
riſchen Lehrmeiſters noͤthig gehabt haͤtten, um ih-
nen daſſelbe ſagen zu laſſen.


„Die allermeiſten
„Stellen, ſagt er, ſo ſie getadelt und verworf-
„fen, ſind bey uns niemahls in Hochachtung ge-
„weſen, vielweniger bewundert worden. Vie-
„les haben wir laͤngſt ohne ihren Befehl ausge-
„lachet, und etliche Poeten, uͤber welche ſie
K 5„ſich
[154]Nachrichten von dem Urſprunge
„ſich in ihren Critiken ſo lange aufhalten, ſind
„noch gar nicht bey uns gewuͤrdiget worden, daß
„man ſie durchgeleſen haͤtte.„


Er gedencket bey
dieſem Anlaſſe des groſſen Wittekinds, von dem
er meldet, daß er ſeinem Verleger zu Maculatur
worden, wodurch ſeine Landesleute eine beſſere
und nachdrucklichere Probe ihres feinen Geſchmackes
gegeben, als wenn ſie viele Buͤcher dagegen ge-
ſchrieben haͤtten. Er meint man habe in der Zu-
ſchrift gern etlichen Widerſachern eines verſetzen
wollen, welches eine rechte ſchweitzeriſche Gat-
tung von Artigkeit ſey, ſo die ungeſchliffenen Ober-
und Nieder-Sachſen moͤgen nachahmen lernen;
er fraget ſehr geſchickt, ob eben die Schweitzer die-
jenigen ſeyn, welche den Deutſchen zuerſt entde-
ken muͤſſen, daß eine wahre Beredtſamkeit ſich
auf eine gute Philoſophie gruͤnden muͤſſe, und ſon-
derlich eine geſunde Vernunftlehre vorausſetze; ja
daß ein Redner und Poete aus der Pſychologie
und Moral die Kraͤfte des Verſtandes und Wil-
lens wohl inne haben muͤſſe, ehe er im Stande
iſt, was tuͤchtiges zu ſchreiben.


Dieſer Philologus hatte die Anmerckungen wi-
der den Patrioten zu Leipzig in Manuſcripto gele-
ſen, und war ſo guͤtig daß er ihn in ſeinen Schutz
nahm, eh er noch gedruckt war, er that dieſes mit
der theuren Verſicherung, daß des vortrefflichen
Patrioten Papiere, ſo dieſe ſcharfen Zuchtmei-
ſter ſo veraͤchtlich tractiert haͤtten, ihnen und
allen Schweitzern zu Trotze in- und auſſer
Deutſchland Beyfall finden wuͤrden.
Solcher
ſeltſame Trotz einer einzeln Perſon, die ſich vor
den
[155]der Critik bey den Deutſchen.
den Mund und Redner einer gantzen Nation auf-
geworffen, bewog die Zuͤricher vornehmlich, daß
ſie die Anklage des verdorbenen Geſchmackes, ſo
ſie ſchon unter die Bancke werffen wollten, wie-
der hervornahmen, und an das oͤffentliche Licht
ſtelleten.


Man daͤchte, daß die Wahrheiten, welche
der Hr. Philologus in den Criticken der Schwei-
zer erkannt hatte, ihn nicht ſo ſehr verdroſſen,
weil es Wahrheiten waren, als weil ſie ihm von
Schweitzern vorgehalten worden. Weiter ſchei-
net es uͤberhaupt, daß er und andre ihnen ihre Ur-
theile und die Beweiſe derſelben eingeraͤumet haͤt-
ten, wofern ſie nur von ihnen mit mehr Hoͤflich-
keit Artigkeit und Gelindigkeit waͤren vorgetragen
worden. Man fand ſie zu hart, zu ſcharf, zu
herbe, und, mit einem Worte, zu grob. Eben
dieſes hatte man ehmahls an den verſtaͤndigen Ur-
theilen des Hrn. Wernike ausgeſetzet.


Jch wuͤnſchte, daß dieſe Richter ihre Begriffe
hieruͤber etwas klaͤrer aus einander geſetzet haͤtten.
Diejenigen Kunſtrichter ſind unhoͤflich zu heiſſen,
welche die kleinſten Fehler, die ſonſt geſchickten
ſittſamen und in Anſehen ſtehenden Maͤnnern un-
ter einer Menge Schoͤnheiten entfallen ſind, aus
haͤmiſchem Gemuͤthe aufmutzen, welche hingegen
eben derſelben treffliche Schriften mit einem Zwan-
ge loben, den ſie nicht verbergen koͤnnen, oder
ihnen gar einige Klecke anzuwerffen ſuchen; welche
im loben und tadeln weder Ziel noch Maaß halten,
und beyde mahl zu raſen ſcheinen. Jch begehre
die Schweitzer nicht zu entſchuldigen, wenn ſie
auf
[156]Nachrichten von dem Urſprunge
auf dieſe Weiſe ſcharf, herbe und beiſſend geſchrie-
ben haben. Aber wenn die Grobheit, deren
man ſie beſchuldiget, darinn beſtehen ſollte, daß
ſie die Schoͤnheiten und Fehler in ihren wahren
Graden beſtimmt, und bey den verdienten Nah-
men genennet, daß ſie die Verſehen beruͤhmter Leu-
te nicht zu Tugenden, noch ihre Schoͤnheiten zu
Vortrefflichkeiten gemacht, oder, daß ſie manch-
mahl die Groͤſſe eines Fehlers empfindlich zu ma-
chen, und die beleidigte Vernunft zu raͤchen, ſich
des Geſpoͤttes und der Satyre bedienet haben,
vornehmlich wenn ſie mit einem hochmuͤthigen,
verſtockten und hartnaͤkigten Gegner zu thun ge-
habt; in dieſen Faͤllen kan ich ſie nicht ſchuldig
finden. Wenn man die Hoͤflichkeit ſo hoch trei-
ben wollte, ſo wuͤrde ſie zur Schmeicheley, Zag-
heit, und Scheinfroͤmmigkeit werden, die Critik
wuͤrde dadurch ihre Nerven verliehren, und die
albernen Scribenten wuͤrden der verdienten Straf-
fe, womit ſie andern zum Exempel dienen ſollen,
entriſſen werden. Jch finde in der That in den
ſchweitzeriſchen Critiken nichts weiter, als eine
einfaͤltige und aufrichtige Freyheit, welche nur
der Wahrheit gut iſt, und darum Lob und Tadel
bey einem Autor nach der Beſchaffenheit der Sa-
che austheilet; worinnen ſeit vielen Jahren her
der Character der ſchweitzeriſchen Nation beſtan-
den; gens rudis, ſcapham ſcapham, ficum
ficum, vocitare ſolita.
Die ſchweitzeriſchen
Kunſtrichter ſahen wohl, daß man ihre hertzhafte
und bisweilen mit ſatyriſchem Schertz begleitete
Aufrichtigkeit mit dem Nahmen der Unhoͤflichkeit
ſchwartz
[157]der Critik bey den Deutſchen.
ſchwartz zu machen ſuchete, ſie lieſſen darum in
dem Schreiben an den Hrn. Koͤnig vor der Ankla-
ge des verderbten Geſchmackes
etwas weniges
zum Schutze derſelben einflieſſen.


„Jch habe,
„heißt es daſelbſt, die verzaͤrtelte Hoͤflichkeit mit
„der Wahrheit nicht vergleichen koͤnnen; ſie iſt
„von der Aufrichtigkeit allzuweit entfernt, denn
„ſie verſtellet, verkehret, und verkleiſtert die
„Wahrheit, ſo oft es wehe thut, ſie zu hoͤren.„


Nach etlichen Zeilen erklaͤret man ſich noch deutli-
cher:


„Jndem ich hier der auſrichtigen Grobheit
„zu Gunſt der Wahrheit das Wort rede, muͤß-
„te man ſehr geneigt ſeyn, mir unrecht zu thun,
„wenn man das ungerechte Geſpoͤtte hieraus
„rechtfertigen wollte, welches die Sachen gaͤntz-
„lich aus Augen ſetzet, und uns an deren ſtatt
„einen ungeſchickten Ausdruck unterſchiebt, der
„ſeinen Grund nicht in der Sache, ſondern in
„der ausſchweiffenden Phantaſie, oder dem bloͤ-
„den Verſtande des Verfaſſers hat.„


Die
verzaͤrtelte Hoͤflichkeit iſt von der wahren Hoͤflicheit
weit unterſchieden, und die aufrichtige Grobheit
iſt eben ſo weit von der wahren Unhoͤflichkeit
entfernt. Es giebt in der That in den Schriften
alberner Scribenten manchmahl ſo dumme, und
ungehirnte Dinge, daß ob man gleich nichts wei-
ters thut, als ſie in ihrer Natur auf eine leb-
hafte Weiſe vorſtellig machet, man in der Ver-
faſſer Augen ſcharf, herbe, und beiſſend wird.


Derjenige, der den letzten Artikel der XCI. N.
in den gelehrten Zeitungen von Leipzig 1728. ver-
fertiget hat, hat nicht abſehen koͤnnen, wie ſich
in
[158]Nachrichten von dem Urſprunge
in beſagtem Schreiben an Hrn. Koͤnig die
Schutzſchrift vor die Grobheit zu dem Hrn.
geheimen Secretar ſchicken ſollte, der als einer
der hoͤflichſten Maͤnner ſowohl aus ſeinen
Schriften, als aus ſeinem Umgange bekannt
iſt.
Und ich kan nicht abſehen, warum er nicht
wahrgenommen habe, daß es eine Schutzſchrift
nicht vor die Grobheit, ſondern vor die aufrichti-
ge Freyheit iſt, welcher die Schmeicheley, die
Furchtſamkeit, und die Heucheley bisweilen unter
dem geborgten Scheine der Hoͤflichkeit zu nicht ge-
ringem Hinderniß der Wahrheit im Lichte ſtehen.
Nun ſind ohne Zweifel dieſe unpartheilige Aufrich-
tigkeit, und die wahre Hoͤflichkeit unter einander
nicht ſo ſtreitige Dinge, daß ſie ſich nicht in einer
Perſon beyſammen finden koͤnnen. Der Hr. Gab-
riel Wilhelm Goͤtten hat in ſeinem Leben des
Hrn. Michael Richey aus dieſem Schreiben an
den Hrn. Koͤnig auch eine Schutzſchrift vor die
Grobheit gemacht. Hr. Bodmer, ſagt er, ſchrieb
ſeinen Antipatrioten ſo, daß er ſelbſt vor noͤthig
fand, demſelben eine Schutzſchrift vor die Grob-
heit voran zu ſetzen. Die bekannte Aufrichtigkeit
dieſes Mannes laͤßt uns aber nicht zweifeln, daß
ihm nicht die Feder hier von jemand andern, der
nicht ſo aufrichtig geweſen, geleitet worden ſey.


Mit dieſer aufrichtigen Freyheit der Zuͤrichi-
ſchen Kunſtrichter waren ſelbſt diejenigen nicht all-
zu wohl zufrieden, welche ſonſt davor wollten an-
geſehen ſeyn, daß ſie mit ihnen einerley Geſchmack
haͤtten. Dieſelbe dauchte ſie ein wenig zu weit
getrieben, weil das ſchlechte und mittelmaͤſſige in
den
[159]der Critik bey den Deutſchen.
den Schriften der Freunde und Correſpondenten
ſelbſt vor ihr nicht ſicher blieb. Manchem ſchien
ſchon die bloſſe Freundſchaft mit ihnen voller Ge-
faͤhrlichkeit. Einige, ſo die Partie derſelben zu
oͤffentlich genommen hatten, klagten ihnen, daß
B... und W.... ihnen aus dieſer Urſache gantz
aufſaͤzig geworden. Die Schweizer hatten mit
Hrn. Koͤnig und noch ein paar geſchickter Corre-
ſpondenten in Sachſen viel von einem Anſchlage
geredet, ſich mit einander zu vereinigen, und wi-
der die ſchwuͤlſtige Schreibart und die falſchen Ge-
danken offentlich, jedoch anfangs unter verdeckten
Nahmen zu ſchreiben. Jn dieſem Vorſatz hatte
ſie die neue Auflage des brockſiſchen Kindermords
beſtaͤrckt, darinnen etliche niederſaͤchſiſche Poeten
ſich ſo viel Weihrauch geſtreuet, daß alle recht-
ſchaffene Leute dergleichen hochmuͤthiges Bezeigen
mit Zorn angeſehen. Man war auch ſchon begrif-
fen Abrede zu nehmen, wie der hamburgiſche
Patriot nach Verdienſt koͤnnte geſtriegelt werden.
Von dieſem Vorhaben findet man in dem Schrei-
ben, das vor die Anmerckungen uͤber den Patrio-
ten gedruckt worden, einige Anregung, man ſagt
uns dabey, daß dieſe Schrift ihren Urſprung von
demſelben haͤtte. Hr. Koͤnig, an den das Schrei-
ben geſtellet iſt, muß gefuͤrchtet haben, daß dieſe
Anzeige ihn bey den Urhebern des Patrioten in
Verdacht bringen moͤgte, als ob er wuͤrcklich
und in Perſon die Feder wider ſie geſpizet haͤtte;
nun wollte ers mit ihnen nicht verderben: Daher
fand er noͤthig in dem oben angezogenen XCI. N.
der gelehrten Zeitungen von Leipzig mit der hoͤch-
ſten
[160]Nachrichten von dem Urſprunge
ſten Sorgfalt zu proteſtieren, daß es ihm nie-
mahls in den Sinn gekommen, mit den Schwei-
zern gemeinſchaftlich wider den Patrioten zu ſchrei-
ben. Dieſes wahrſcheinlich zu machen, hat er da-
ſelbſt melden laſſen:


„Es iſt allhier in Leipzig
„kundbar genug, daß Hr. Bodmer dieſe Schrift
„nicht nur ohne Vorwiſſen Hrn. Koͤnigs verferti-
„get, ſondern auch ſolche ſchon vor zwey Jahren
„heimlich an einen hieſigen Verleger geſchickt,
„und demſelben ausdruͤcklich verbothen, Hrn. Koͤ-
„nigen das geringſte davon zu ſagen; ungeach-
„tet Hr. Bodmer damahls in vertraulichem Brief-
„wechſel mit ihm geſtanden.„


Allein in dem be-
ſagten Schreiben wird nur geſagt, daß der An-
ſchlag mit Hrn. Koͤnig gemachet, aber nicht, daß
er ausgefuͤhret worden; vielweniger findet man
da, daß Hr. Koͤnig die Anklage des verdorbenen
Geſchmackes, oder ſonſt eine Schrift mit den Zuͤ-
richern verfertiget haͤtte. Wohl hat der Autor deſ-
ſelben Schreibens ausdruͤcklich und ohne Zwey-
deutigkeit geſagt, daß er mit Hrn. Koͤnig zur
Verbeſſerung des Geſchmackes einen gemeinſchaft-
lichen Anſchlag gemacht habe; dabey hat er ferner zu
verſtehen gegeben, daß Hr. Koͤnig in ſeinen Brie-
fen von der Schrift des Patrioten auf eine gewiſ-
ſe Weiſe geurtheilet haͤtte. Daß nun dieſes der
Wahrheit gantz gemaͤß ſey, kan man aus Hrn.
Koͤnigs eigenhaͤndigen Schreiben innen werden,
welche Bodmer, der die Correſpondentz mit dem-
ſelben gefuͤhrt, unverſehrt behalten hat. Man
kan daraus zugleich ſehen, was vor Urſachen ei-
gentlich die Vertraulichkeit zwiſchen dieſen beyden
unter-
[161]der Critik bey den Deutſchen.
unterbrochen. Niemand wird leicht vermuthen,
daß hierzu nicht ein geringes beygetragen, weil
die Schweitzer eine gewiſſe Redensart des Hr.
Brockes geſchuͤtzet haben, welche Hr. Koͤnig ver-
worffen hat.


Was in der That die Freunde der Zuͤrchiſchen
Kunſtrichter am meiſten verwirrete, war, daß
ſie ohne Bedencken diejenigen ſelbſt lobeten und
vertheidigten, von welchen man ſie berichtete, daß
ſie ihre Feinde waͤren, und die Bolzen ſchnitzen
haͤlffen, welche ihre Handlanger auf ſie verſchieſ-
ſen mußten; daß ſie die Anſtiſter waͤren, wenn
dieſe ſich in ihren Vorreden unnuͤtze macheten.


„Jch kan nicht abſehen, ſchrieb ihnen hieruͤber
„einer von ihren Correſpondenten, was ſie be-
„wegen kan, B... ſo hoch zu erheben, da er,
„wie ſie aus beyligendem Briefe ſehen werden,
„ihr abgeſagter Feind iſt, und es ſehr zu ihrem
„eigenen Nachtheil mißbrauchen wuͤrde, wenn
„er ſich von ihnen auf die Art gelobet faͤnde.
„‒ ‒ Wollen ſie dieſe Leute noch in ihrem un-
„ertraͤglichen Hochmuth ſtaͤrcken, und ihnen die
„Waffen ſelbſt in die Haͤnde geben, womit ſie
„wider den guten Geſchmack fechten ſollen?„


Es kam ihnen unbegreifflich vor, daß einer das
Schoͤne und Gute an ſeinem Feinde mit Eifer und
Begierde anpreiſen ſollte. Aber es ſchien ihnen
unertraͤglich, daß man den Freunden ihre Fehler
nicht uͤberſehen konnte; und dadurch verderbten
die Schweitzer es mit ihren Saͤchſiſchen Correſpone
denten noch viel mehr, als durch das Lob, das
ſie ihren Wiederſachern ertheilten. Sie ſchrieben
[Crit. Sam̃l. II. St.] Lihnen
[162]Nachrichten von dem Urſprunge
ihnen darum gantz ſchlimme Neigungen und Ab-
ſichten zu; daß ſie nur aus boͤſem Hertzen tadel-
ten; daß ſie nur aus Liebe zum Widerſprechen lo-
beten, was ein andrer getadelt, tadelten, was
ein andrer gelobet haͤtte; man eignete ihnen darum
die ſeltſame Kunſt zu, daß ſie alles critiſiren koͤnn-
ten; daß ſie das ernſtlichſte laͤcherlich, das ſchoͤn-
ſte haͤßlich, wie hingegen das poſſierliche ernſt-
haſt, das verwerffliche angenehm vorſtellen koͤnn-
ten. Doch getrauete ſich niemand, oder niemand
wollte die Muͤhe nehmen, die ſophiſtiſchen Griffe
dieſer verderblichen Kunſt in ihren Schriften zu
entdecken, und die Wahrheit, deren beſtaͤndiger
Character ſich durch die angeworffenen Kleke nicht
tilgen laͤßt, in ihrem reinen Lichte herzuſtellen.


Jn der Zeit, daß man die Fortſetzung der ver-
nuͤnftigen Gedancken und Urtheile von der Beredt-
ſamkeit erwartete, da ihrem Plane gemaͤß die
wichtige Frage, was in den Schriften geiſtreich
oder ſcharfſinnig ſey, eroͤrtert, und gezeiget wer-
den ſollte, was der Witz fuͤr Einfluß auf die Be-
redtſamkeit haͤtte, gab Herr Prof. Gottſched zu
Leipzig den Verſuch einer critiſchen Dichtkunſt fuͤr
die Deutſchen heraus, worinnen er ſich vorgenom-
men, etwas tiefer zu gehen, als die bloſſe Mecha-
nick des Verſes, und der Versarten zu unterſu-
chen. Jn der Vorrede, wo er uns ſeine poeti-
ſche und critiſche Lebens-Geſchichte erzehlt, ſagt
er, daß der Hr. Prof. Pietſch ſchon vor dem Jahr
1724. einmahl gedacht, daß er nicht ungeneigt
waͤre, eine Anweiſung zur Poeſie zu ſchreiben,
nicht zwar auf den Schlag, als die gewohnlichen
Anlei-
[163]der Critik bey den Deutſchen.
Anleitungen waͤren, daran man keinen Mangel
haͤtte, ſondern ſo daß darinnen der innere Charac-
ter und das Weſen eines jeden Gedichtes gewie-
ſen wuͤrde. Damahls, ſagt er, geſchah es daß
ich mir den rechten Begriff von einer critiſchen
Dichtkunſt machete, deren Nutzbarkeit ich gar
wohl einſah, aber mirs noch nicht traͤumen ließ,
daß ich mich dereinſt an dergleichen Arbeit wagen
ſollte. Er fiel erſt auf dieſes Vorhaben,


„als
„ihn die critiſchen Diſcurſe der Schweitzer in ih-
„rer moraliſchen Wochenſchrift durch ſo viele Be-
„urtheilungen der deutſchen Poeten begierig ge-
„machet, alles aus dem Grunde zu unterſuchen,
„und wo moͤglich zu einer voͤlligen Gewißheit zu
„kommen, was richtig oder unrichtig gedacht,
„ſchoͤn oder haͤßlich geſchrieben ſey.„


Am aller-
meiſten ſtaͤrckte ihm den Muth zu dieſem Unterneh-
men die zahlreiche Bibliotheck von critiſchen Schrif-
ten der Auslaͤnder, die in Leipzig zu ſeinem Dien-
ſte ſtuhnd, und welche er in beſagter Vorrede
nahmhaft machet. Wie ſchwach damahls noch
der Geſchmack an critiſchen Sachen bey den Deut-
ſchen geweſen, nehmen wir dabey ab, daß Hr.
Gottſched noͤthig gefunden, in derſelben die Ue-
berſchrift ſeiner Dichtkunſt, die er critiſch geheiſ-
ſen, zu vertheidigen. Man hat wider dieſes
Werck eingewendet, daß es ausgeſchrieben waͤre,
dawider der Verfaſſer ſich bey der zweyten Aufla-
ge dergeſtalt vertheidiget:


„Diejenigen groſſen
„Leute, die alles, was ſie ſchreiben, aus ihrem
„eigenen fruchtbaren Geiſte hernehmen, und kei-
„nem Lehrmeiſter etwas zu verdancken haben,
L 2„moͤ-
[164]Nachrichten von dem Urſprunge
„moͤgen auf ihre Schriften ſtoltz werden. Sie
„haben ein Recht dazu, welches ich ihnen nicht
„ſtreitig machen kann. Sie ſind ſo gluͤcklich
„dasjenige in ſich ſelbſt zu finden, was Leute von
„meiner Gattung, nach Art aͤmſiger Bienen,
„erſt auf fremden Fluren mit vieler Muͤhe zuſam-
„menſuchen muͤſſen! Jhr unerſchoͤpflicher Witz
„vertritt bey ihnen die Stelle groſſer Buͤcherſaͤle,
„und einer langweiligen Beleſenheit. Daher
„koͤnnen ſie ungeſcheut diejenigen Opfer ſich ſelbſt
„anzuͤnden, die wir andern unſern Vorgaͤngern
„und Lehrern zu bringen pflegen. Was iſt billi-
„ger, als daß ein jeder diejenige Quelle kroͤnet,
„daraus er geſchoͤpfet hat! Und ich bin alſo ver-
„ſichert, daß niemand von dieſen groſſen Gei-
„ſtern mir das Bekaͤnntniß mißgoͤnnen wird,
„daß ich alles, was in meiner critiſchen Dicht-
„kunſt gutes enthalten ſeyn wuͤrde, nicht mir
„ſelbſt, ſondern den groͤſten Critickverſtaͤndigen
„alter und neuer Zeiten zu verdancken haͤtte.„


Allein hat ihm nicht eine unzeitige Beſcheidenheit
dieſen ironiſchen Schertz wider die Erfinder neuer
Wahrheiten, oder wenigſtens neuer Formen,
ſchon bekannte Wahrheiten vorzutragen, in den
Sinn gegeben, und ihn geheiſſen, auf dieſe Wei-
ſe die ruͤhmliche Eigenſchaft eines Urhebers von
ſich abzulehnen? Jemand hat vermeinet, daß er
die Sachen, ſo er aus andern genommen, ſich
durch eine gewiſſe Umgieſſung ſo gar zu eigen zu
machen gewußt habe, daß ſie ſelbſt ſchwerlich ver-
mercken koͤnnten, was davon erſtlich ihnen zuge-
hoͤrt haͤtte. Hr. Voltaire, Hr. Muratori, und
andere
[165]der Critik bey den Deutſchen.
andere, die noch bey Leben ſind, moͤgen ſelber ſa-
gen, ob ſie die Gedancken, fuͤr die Hr. Gottſched
ihnen ſo feierlich danckſaget, darinnen erkennen.
Jch bin verſichert, daß ſie durch das gantze Werck
ſich ſelber nirgend, Hrn. Gottſched auf allen Blaͤtern
antreffen werden. Die Hauptmaterien, welche
auf den Titeln der Capitel angekuͤndiget werden,
ſind gantz bequem, die Aufmerckſamkeit des Leſers
zu erwecken, aber werden mit ſo groſſer Spar-
ſamkeit der Gedancken und Schluͤſſe ausgefuͤhret,
daß man nach vollendetem Leſen faſt nichts gruͤnd-
lichers weis, als was einem der bloſſe Titel zu
verſtehen gegeben hatte. Er bekuͤmmert ſich nicht
ſonderlich, die Natur derer Sachen, von denen
er zu reden verſpricht, auszuforſchen und klar zu
machen, ſondern laͤßt uns oͤfters im Dunckeln
ſitzen, wenn wir eben verhoffen die weſentlichſten
Lehren zu empfangen. Wir haben es vor einen
Vortheil zu halten, wenn er uns nicht verwirret,
an ſtatt daß er uns erleuchten ſollte. Giebt er
uns ein geringes Licht von etwas, ſo hat er es bey
irgend einem andern entlehnet, ſo daß man ſein
Werck in dieſem Anſehn vor etwas bloß hiſtori-
ſches halten muß. Was er eigenes hat, ſind
ſolche Fragen, die ſchwerlich jemand andrer vor
noͤthig achten wuͤrde abzuhandeln. Er aber iſt
daruͤber ſehr ausfuͤhrlich. Jn dem Vortrage herr-
ſchet ein hinlaͤſſiges Weſen ohne Annehmlichkeit, und
eine trockene Kaltſinnigkeit ohne Geſchicklichkeit.
Das eigenſte in dieſer Dichtkunſt fuͤr die Deut-
ſchen iſt, daß der Autor, der ſeine Lehrſaͤtze in der
Vorrede mit ſo beſcheidener Erniedrigung ſeiner
L 3ſelbſt
[166]Nachrichten von dem Urſprunge
ſelbſt Fremden zugeleget und gedancket hat, hin-
gegen die Exempel zu denſelben niemanden als ſich
ſelber hat wollen ſchuldig werden. Er hat dieſe
groͤſtentheils aus ſeinen eigenen Schriften genom-
men, welches vor ihm keiner von den Alten oder
den Neuern Criticis gethan hat. Er iſt alſo der ein-
zige iztlebende Poet, den er angezogen, und dem
zu gefallen er die Regel gebrochen hat, ſo er ſich
ſelber vorgeſchrieben, daß er keinen lebenden Dich-
ter weder tadeln noch loben wollte. Weil er ſahe,
daß er die Tadelhaften nicht nach ihrem Verdie-
nen beſtraffen koͤnnte, ohne daß er ſich ihren Haß
zuzoͤge, ja weil ſie auch die bloſſe Erwaͤhnung der
Geſchickten bey ihrer eigenen Ausſchlieſſung vor
eine heimliche Verurtheilung haͤtten aufnehmen
moͤgen, ſo hat er vor gut befunden, ſowohl das
Lob der letztern als die Straffe der erſtern in der
Feder zu behalten.


Nachdem Hr. Gottſched dieſen Grund zu einer
Critik fuͤr die Deutſchen geleget hatte, ruhete er
in ſeinem critiſchen Laufe nicht, ſondern fieng 1732.
an, die Beytraͤge zur critiſchen Hiſtorie der deut-
ſchen Sprache, Poeſie und Beredtſamkeit, her-
auszugeben, womit er ſich vorgenommen, zwar
hauptſaͤchlich das Aufnehmen der deutſchen Spra-
che, und den Fleiß ſeiner Landsleute dieſelbe zu beſ-
ſern, zu unterſuchen, jedoch damit Abhandlungen
von allerley in die deutſche Literatur, Critik, Dicht-
kunſt und Beredtſamkeit laufenden Materien zu
untermiſchen. Hiſtoriſche und Grammatiſche Arti-
kel machen darinnen weit die groͤſte Zahl aus. Jene
beſtehen aus truckenen Nachrichten von alten
und
[167]der Critik bey den Deutſchen.
und neuen Schriften, ſo zur Beredtſamkeit und
Sprachlehre gehoͤren, aus langen Auszuͤgen der-
ſelben, ſo bisweilen mit einigen fluͤchtigen Beur-
theilungen begleitet werden. Dieſe ſehen meiſtens
nur auf die aͤuſſerliche Form der Woͤrter, auf die
Rechtſchreibung, auf die Abfaͤlle der Nennwoͤr-
ter und der Vornennwoͤrter, auf die Fließarten
der Zeitwoͤrter und dergleichen. Die Natur und
Eigenſchaft der deutſchen Sprache in zuſammen-
hangenden Redensarten, ihre Kraft in der Be-
deutung, ihre Biegſamkeit, und Geſchicklichkeit
zu allen Schreibarten, ihr Reichthum in Anſe-
hen der abſonderlichſten Beſtimmungen, werden
vielmehr vorausgeſetzet, als erwieſen. Die criti-
ſchen Unterſuchungen ſind in ſehr geringer Anzahl.
Von dieſen gehoͤren einige Fremden, die mehrern
Herrn Gottſcheden, welcher in dem ein und zwanzig-
ſten Stuͤcke ſeinen Anſpruch auf das gantze Werck
oͤffentlich behauptet, gleichwohl aber bekannt hat,
daß ihm viele Artickel von geſchickten Freunden ein-
geſandt worden. Zuvor hatte jedermann die deut-
ſche Geſellſchaft von Leipzig fuͤr die Urheber dieſer
Monatſchrift gehalten. Von den critiſchen Arti-
keln hab ich uͤberhaupt urtheilen gehoͤret, daß man
den Verfaſſer der critiſchen Dichtkunſt darinnen
alſobald erkenne, daß die Urtheile nicht auf ſol-
che Wahrheiten gegruͤndet werden, die nur Hin-
terſaͤtze von unleugbaren Foͤrderſaͤtzen ſind, und
ſich bequem unter einen ſolchen bringen laſſen. Ei-
nige von den allgemeinſten Grundſaͤtzen werden
mit groſſem Duͤnckel eingefuͤhrt, aber in ihrer
Anwendung, wo es um die Beurtheilungen der
L 4Mittel
[168]Nachrichten von dem Urſprunge
Mittel und Umſtaͤnde zu thun iſt, und unterſucht
werden ſoll, wie man in der Wahl dieſer Dinge
die beſondere Abſicht in einem Theile getroffen ha-
be, will es nicht fort. Alſo wird die Grundregel,
ahmet der Natur nach, in allen abſonderlichen
Faͤllen darein geworffen; man macht ſich groß,
daß man alle vorkommenden Fragen damit unfehl-
bar eroͤrtern wolle, und betrachtet nicht, daß die-
ſe Regel nur anzeiget, woher man den Unterricht
nehmen ſoll. Einige Ausdruͤckungen in den Urthei-
len ſind auf Schrauben geſetzet, oder ſtoſſen ſich
unter einander dergeſtalt, daß man nicht errathen
kan, was der Kunſtrichter damit haben wolle,
ob es gleich hier und da ſcheint, daß er einen
Strahl der Wahrheit erblicket habe. Abentheur-
liche Ausdruͤcke, welche die Sache verſtellen, ha-
ben oſt die Stelle des feinen Schertzes, der aus
der Eigenſchaft des Gegenſtands herflieſſet, ver-
treten muͤſſen. Die Herren Damm, Hirſch, Bock,
Venski, Hr. Prof. D. und C. G. G. und vor
allen andern der geſchickte Autor der Probe des
uͤberſetzten Virgils koͤnnten uns davon aus der Er-
fahrung erzehlen. Jch will mithin nicht dieſem
Urtheile zum Vortheil verſchweigen, daß andre
viel guͤnſtiger von dieſer Monatſchrift geſprochen
haben. Die Verfaſſer der Beytraͤge berichten
uns davon hin und wieder ſelbſt. Zum Exempel:


„Da wir den fuͤnften Band dieſer Beytraͤge hie-
„mit anfangen, ſo koͤnnen wir nicht umhin, dir
„fuͤr den bisherigen Beyfall, den du unſern Be-
„muͤhungen gegeben, den gebuͤhrenden Danck
„abzuſtatten ꝛc. Haben dir alſo bisher die Bey-
„traͤge
[169]der Critik bey den Deutſchen.
„traͤge gefallen, ſo werden ſie dir weiter gefal-
„len.„


Von dieſer Art Zeugniſſe koͤnnte man
eine ziemliche Zahl zuſammenleſen, welche alle von
demjenigen ſorgfaͤltig aufgehoben worden, dem
am meiſten daran gelegen war, daß man ſie wuͤßte.


Jndeſſen haben die richterlichen Spruͤche in die-
ſem Wercke etliche Jahre nach einander das
Schickſal der poetiſchen Schriften bey den Deut-
ſchen regiert. Scribenten, die ihnen an Einſich-
ten nichts nachgeben, erfuhren das eiſerne Scep-
ter dieſer Kunſtrichter. Herr Heineken empfieng
wegen ſeiner Unterſuchung vom Erhabenen, die
er zu ſeinem uͤberſetzten Longinus gedruͤckt, folgen-
des Urtheil:


„Seine angehaͤngte Abhandlung
„iſt zwar mehr ein Zeugniß ſeines guten Willens
„und ſeines Eifers fuͤr die Verbeſſerung des Ge-
„ſchmackes, als ein Zeugniß von der Geſchick-
„lichkeit und Einſicht, welche bey Unterſuchung
„und Einrichtung etwas ſchwerer Begriffe noͤthig
„iſt.„


Es thoͤnet auch ſehr vornehm, wenn
der Journaliſte ſagt:


„Ob ich gleich bekennen
„muß, daß ich nicht in allen Stuͤcken mit dem
„Longin zufrieden bin, ſo muß ich doch auch ſa-
„gen, daß indeſſen ſeine Schrift alle Hochach-
„tung bey mir erwecket.„


Von dieſer Schrift
hat Hr. Prof. Gottſched in der zweiten Auflage
ſeiner Dichtkunſt weiter geurtheilet, daß Herr
Heineken die Urſachen und Regeln ſeiner Urtheile
nicht angeben koͤnnen. Er hatte eben dieſes von
dem Pater Buhurs geſagt, und darauf hinzugeſe-
zet:


„Und ſo gehet es auch denen, die uns im
„Deutſchen haben lehren wollen, was Longin
L 5durch
[170]Nachrichten von dem Urſprunge
„durch das Erhabene verſtehet; als die auſſer
„vielen Schmeicheleyen gegen einige noch lebende
„Dichter, und manchen vergaͤllten Cenſuren,
„wider andere, denen ihre Schutzgoͤtter nicht
„wohl wollen, nicht viel deutliches zuwegege-
„bracht haben.„


Daß dieſer Verweis Hrn.
Heineken gelte, hat mich das Regiſter gelehret,
wo es heißt: Heineken weis nichts deutliches
vom Erhabenen Bl.
338. Durch die noch leben-
den Dichter meint er ſich ſelbſt, und durch die
Schutzgoͤtter, ſo dieſen nicht wohl wollen, den
Herrn geheimen Rath Koͤnig. Er hat dieſen von
ſeiner gutthaͤtigen Regel keinen Jtztlebenden zu ta-
deln in ſoweit ausgenommen, daß er ihn tadelt,
wenn er ihn gleich nicht mit Nahmen nennet. Z.
E. im 18ten §. der critiſchen Dichtkunſt ſagt er, er
wolle aus vielen hunderten niedertraͤchtigen Scher-
zen, oder vielmehr Frazen unſrer Dichter nur ein
Paar eines ſolchen Meiſters zur Probe geben;
und bringt hernach ſolche aus Hrn. Koͤnigs Schimpf-
gedichten. Und im 10ten §. redet er von gewiſſen
Kluͤglingen, die in ſeiner Eintheilung der Schreib-
art einen Miſchmaſch finden wollen; und die ſich
einbilden, was nicht nach ihrem unreifen Sinne
ſey, oder vielmehr was denjenigen, deren Sprach-
rohr ſie abgeben, nicht gefalle, das ſey nicht rich-
tig. Da ſind wieder Hr. Heineke und Hr. Koͤnig
gemeinet. Auch in den critiſchen Beytraͤgen giebt
er zu verſtehen, daß er in ſeiner Einbildung Hrn.
Koͤnig an poetiſchen Verdienſten weit uͤbertreffe.
Wenn man ihm dieſes glaubet, ſo kan er es fuͤr
ein Gluͤck halten, welches aber dem Wechſel ſehr
unterworffen ſcheinet.


Die
[171]der Critik bey den Deutſchen.

Die Zuͤrichiſchen Kunſtrichter koͤnnen ſich ruͤh-
men daß ſie von den Verfaſſern dieſer Leipzigiſchen
Beytraͤge eine lange Zeit hochgehalten worden.
Dieſe gedencken ihrer ſelten, daß ſie dieſelben nicht
ſich ſelbſt an die Seite ſetzen. Jm achten Artikel
des fuͤnfzehnten St. heißt es ausdruͤcklich:


„Was
„uns Zuͤrich ſeit wenigen Jahren fuͤr Proben ei-
„ner geſunden Critik geliefert, das muß noth-
„wendig, auch ohne mein Erinnern, aus den
„Diſcurſen der Mahler bekannt ſeyn, als wel-
„che nicht nur Richter der Sitten, ſondern auch
„der freyen Kuͤnſte bey uns abgegeben, und ge-
„wiß nicht wenig gutes geſtiftet haben. Ja wir
„wuͤrden gar behaupten, daß man den Urſprung
„der izigen critiſchen Zeiten von dieſem Buche her-
„leiten muͤſſe, wenn ihm Hr. Werenfels nicht
„den Rang abgewonnen haͤtte.„


Nemlich mit
ſeinem lateiniſchen Werckgen von den Meteoren
einer Rede; welches in der That denjenigen, die
ſich der deutſchen Wohlredenheit vor den Zuͤrichi-
ſchen Kunſtrichtern angenommen haben, vor-
treffliche Dienſte haͤtte thun koͤnnen, wenn es ih-
nen bekannt geweſen waͤre, oder wenn ſie den Lehr-
ſaͤtzen darinnen weiter nachgeſpuͤret und gefolget
haͤtten.


Obiges Lob hat man den Zuͤrichiſchen Kunſt-
richtern in den critiſchen Beytraͤgen bey Anlaſſe
des Briefwechſels von der Natur des poetiſchen
Geſchmackes gegeben, welches Werckgen von ih-
nen in dem Jahre 1736. an das Licht geſtellet wor-
den. Es beſtehet aus etlichen Briefen, die zwi-
ſchen ihnen und einem Jtalieniſchen Grafen, der
nicht
[172]Nachrichten von dem Urſprunge
nicht genannt wird, im Jahre 1729. waren ge-
wechſelt worden. Dieſe ſuchen darinnen zu be-
haupten, daß der metaphoriſche Geſchmack, wordurch
ſie die Fertigkeit das Schoͤne in den Schriften
ſchnell und ſicher wahrzunehmen verſtehen, nicht
willkuͤrlich ſey, nicht auf einer ſinnlichen Empfin-
dung beruhe, ſondern ſich auf die Uebung gruͤn-
den, und die Unterſuchung aushalten muͤſſe. Der
Jtaliener macht zuerſt nicht viel mehrers daraus
als eine mechaniſche Kraft und gleichſam einen ſechs-
ten Sinn, der von dem Angenehmen in der Poe-
ſie ſo guͤltig urtheilete, als der eigentlich genannte
Sinn des Geſchmackes von den Eigenſchaften der
Speiſen. Der Urheber des beſagten VIII. Art.
in den critiſchen Beytraͤgen erzehlt den Jnhalt und
die Abſicht der gantzen Schrift kuͤrtzlich, und,
wie ſein eigenes Bekenntniß lautet, ſo, daß er
ſich hierbey nicht der Gedancken und Worte des
Verfaſſers ſondern ſeiner eigenen Art zu den-
ken und zu ſchreiben bedienet hat.
Hernach ſagt
er zum Lob derſelben; das Werckgen trage in
wenigen Bogen die nuͤtzlichſten und angenehmſten
Sachen in groſſer Menge vor; der Streit ſey
von den geſchickteſten Gegnern von der Welt ge-
fuͤhrt, und mit ſo vieler Scharfſinnigkeit als Hoͤf-
lichkeit von beyden Theilen fortgeſetzet worden; er
ſagt noch andre Sachen, dieſe Schrift zu loben,
welche er mit dieſer Anmerckung beſchließt:


„Wer
„das dritte Capitel in der critiſchen Dichtkunſt
„geleſen hat, der wird finden, daß dieſer Brief-
„wechſel nur eine weitlaͤuftige Ausfuͤhrung deſſen
„enthaͤlt, was der Urheber von jener gelehrt und
„be-
[173]der Critik bey den Deutſchen.
„behauptet hat.„


Der Briefwechſel iſt im
Jahr 1729. gefuͤhrt worden, und die critiſche Dicht-
kunſt fuͤr die Deutſchen iſt erſt in dem darauf fol-
genden Jahre an das Licht getreten. Demnach
muͤſſen die Verfaſſer der Briefe das dritte Capi-
tel der gottſchediſchen Dichtkunſt prophetiſcher Wei-
ſe vorhergeleſen haben, wenn es wahr iſt, daß
ſie es weitlaͤuftiger ausgefuͤhret haben. Dieſes
braucht einen handfeſten Glauben, welchen noch
dazu die Vergleichung beyder Schriften gaͤntzlich
zu nichten machet. Jn den Briefen des Euriſus
iſt es heller Tag, alles wird endlich klar und deut-
lich beſtimmt: Jn Hrn. Gottſcheds dritten Capitel
regiert lauter Verwirrung und Dunkelheit. Er
ſagt, der gute Geſchmack ſey der von der Schoͤn-
heit eines Dinges nach der bloſſen Empfindung
urtheilende Verſtand, in Sachen, davon man
kein deutliches und gruͤndliches Erkenntniß hat;
der uͤble Geſchmack hingegen ſey ebenfalls der
Verſtand, der nach der bloſſen Empfindung von
undeutlich erkannten Sachen urtheilet; aber ſich
in ſolchen ſeinen Urtheilen betruͤget. Er verſteht
durch die bloſſe Empfindung, auf welche das Ur-
theil ſich gruͤndet, die innerliche Empfindung ei-
ner ſchoͤnen Sache, die entweder wuͤrcklich auſſer
uns vorhanden iſt, oder von unſrer eigenen
Phantaſie hervorgebracht worden. Allein dieſer letzte-
re Verſtand, der von undeutlich erkannten Sachen
urtheilt und ſich betruͤgt, wird mit beſſerm Recht
Unverſtand genannt. Der erſtere, der von de-
nen Sachen urtheilet, von welchen er kein gruͤndli-
ches und deutliches Erkenntniß hat, iſt nicht viel
beſſer,
[174]Nachrichten von dem Urſprunge
beſſer, ob er es gleich trifft. Aber wie kan er rich-
tig davon urtheilen? Es iſt nur ein blindes Unge-
fehr, wenn er es mit ſeinem Urtheile trifft; zu-
mahl da die Empfindung bey beyden Arten Ge-
ſchmackes gleich iſt. Er verdient denn keinen groͤſ-
ſern Ruhm, als daß er ſich aus Jrrthum ſelbſt
im rechten Wege befindet; wovon er aber ſelbſt
keine Gewißheit hat. Und was vor einen Nu-
zen hat er davon? Was vor einen Vortheil hat
der Poet davon, der dieſen guten Geſchmack Hrn.
Gottſcheds beſitzet? Warum ſoll man nach einem
Geſchmacke ſtreben, von dem man es nicht weis,
wenn man ihn gleich erhalten hat, und wenn
man ihn nicht hat, ſich ſolches mit eben ſo gutem
Recht ſchmeicheln kan, als wenn man ihn hat?
Aber mit welcher Kuͤhnheit darf man uns in der
Anmerckung ſagen, der groſſe Leibnitz ſey voll-
kommen Hrn. Gottſcheds Meinung;
welches
noch vornehmer thoͤnet, als wenn es hieſſe, Hr.
Gottſched waͤre des groſſen Leibnitzens Meinung.
Dieſer hat geſagt: Le goût diſtingué de l’En-
tendement, conſiſte dans les perceptions
confuſes, dont on ne ſçauroit aſſez rendre
raiſon. C’eſt quelque choſe d’approchant
de l’Inſtinct. Le goût eſt formé par le na-
turel \& par l’uſage: Et pour l’avoir bon, il
faut l’exercer à goûter les bonnes choſes,
que la raiſon \& l’experience ont déja autori-
ſées.
Jſt dieſes nicht grad das Gegentheil deſſen,
was Hr. Gottſched davon lehret? Man gebe nur
Achtung auf die Worte, diſtingué de l’Entendement;
dont on ne ſçauroit aſſez rendre raiſon; quel-

que
[175]der Critik bey den Deutſchen.
que choſe d’approchant; il faut l’exercer à goû-
ter les bonnes choſes que la raiſon \& l’expe-
rience
ont déja autoriſées.
Es verdruͤßt mich wei-
ter in dieſem Capitel der Gottſchediſchen Dichtkunſt
zu gruͤbeln, wo die Worte von dem Zufall ſchei-
nen entſtanden zu ſeyn, daher ein Satz den andern
ſchlaͤgt.


Schon ſeit etlichen Jahren hatte ſich in Nieder-
ſachſen ein geſchickter Kopf hervorgethan, der das
allgemeine Recht der Menſchen zu critiſiren, nicht
nur durch unumſtoͤßliche Beweiſe oͤffentlich behaup-
tete, ſondern auch durch die unerſchrockenſten und
munterſten Proben in der ſatyriſchen Schreibart
ausuͤbete. Dadurch ward bey denjenigen, wel-
che den verderbten Geſchmack in ſeiner voͤlligen Un-
geſtalt einſahen, die Hoffnung auf ein neues auf-
gewecket, daß derſelbe durch die durchbrechende
Macht der Critik baͤldeſt wuͤrde vertrieben wer-
den. Denjenigen iſt nicht zu helffen, welche des
Hrn. von Liſcow ſatyriſche Schriften geleſen, und
doch nicht erkannt haben, daß er die Critik, wel-
che die beſtgegruͤndeten Urtheile in der feinſten Jro-
nie und andern Huͤlfsmitteln der Satyre einzuklei-
den weiß, vollkommen in ſeiner Gewalt hat.
Seine Critiken gehen nicht auf die Poeſie und
Wohlredenheit allein, ſondern insgemeine auf alle
freyen Kuͤnſte und Wiſſenſchaften, welche von
ungehirnten Koͤpfen entheiliget werden. Er ſtellet
ſich zwar an, als ob er es nur mit den elenden
und dunckelſten Scribenten aufgenommen haͤtte,
und man daͤchte, daß er vor eine groͤſſere Ehre
hielt, daß dieſe durch ſeine Feder aus dem Staube
erho-
[176]Nachrichten von dem Urſprunge
erhoben und erſt beruͤhmt gemachet wuͤrden, als
wenn er ſeinen Ruhm der Erlegung groſſer Hel-
den, die ſich mit Schreiben ſchon einen Nahmen
gemachet hatten, waͤre ſchuldig worden: Jndeſſen
ſind in ſeinen Sievern, Backmeiſtern, Philippi,
Rodigaſten, Manzeln, Hilligern, Fuͤrſten von
Auslegern der Heiligen Schrift, Predigern,
Naturkuͤndigern, Lehrern des natuͤrlichen Rechten,
der Wohlredenheit und der Poeſie, verſtecket.
Die Streiche, die auf dieſe gefuͤhrt ſcheinen, tref-
fen Maͤnner, die bey dem Anſehen, das ſie ſich
durch andere Geſchicklichkeiten, nicht des Verſtan-
des und des Geiſtes, erworben, ſich laͤngſt vor
dem Geſpoͤtte der Satyre frey und ſicher geglaubt
hatten. Wenn zum Exempel in der Antwort auf
die Antrittsrede des Hrn. Prof. Philippi in der
Geſellſchaft der kleinen Geiſter geſagt wird:


„Jch
„bin verſichert, groſſer Philippi, du wolleſt ſo
„viel ſagen, daß unſre Feinde thoͤrigt handeln,
„wenn ſie, obgleich die deutſche Sprache ihre ei-
„genen Regeln hat, doch verlangen, man ſolle
„ſich nach den Regeln der lateiniſchen und griechi-
„ſchen Redekunſt eines Cicero und Demoſthenes
„richten. Auf ſolche Art wuͤrde unſer drittes Ge-
„ſetze, nach deinem Sinn, folgender Geſtalt
„lauten muͤſſen: Binde dich nicht an die Regeln
„der lateiniſchen und griechiſchen Redekunſt eines
„Cicero und Demoſthenes, denn die deutſche
„Sprache hat ihre eignen Regeln. Dieſes waͤ-
„re ein Geſetze vor uns, und der Schluß, auf
„welchen ſich daſſelbe gruͤndet, wuͤrde uns als
„kleinen Geiſtern wohl anſtehen, weil in ſelbi-
„gem
[177]der Critik bey den Deutſchen.
„gem die Sprach- und Rede-Kunſt ſo artig mit
„einander vermenget ſind, und nicht undeutlich
„zu verſtehen gegeben wird, daß es eine lateini-
„ſche, eine griechiſche, und eine deutſche Beredt-
„ſamkeit gebe, die weſentlich von einander un-
„terſchieden: Welches gewiß unſern Feinden
„eben ſo wunderlich vorkommen wuͤrde, als wenn
„man ihnen von einem lateiniſchen, griechiſchen,
„und deutſchen Ein mahl eins vorſagen wollte.„


Wer hat nicht eben dergleichen Saͤtze in einer
oder etlichen Vorreden, Anweiſungen, und Lehr-
ſchriften unſerer hochgeſchaͤtzteſten Jztlebenden ge-
leſen? Etliche von denſelben, denen ein wenig
mehr Verſtand uͤbrig geblieben, als ihren Bruͤ-
dern in Midas, haben ſich ſelber in der Perſon
des Herren Philippi wohl erkannt, und darum
nicht ſo hertzlich daruͤber gelachet, als ſie ſich ange-
ſtellet. Man hat auch wahrgenommen, daß eine
gewiſſe Art Scribenten insgemeine weniger Ge-
ſchmack an den Schriften des Hrn. Liſcows ge-
funden hat, als Leute, die ſich niemahls ins
Schreiben gemenget haben. Es iſt ſonſt nicht zu
zweifeln, daß nicht die Gemuͤther der Deutſchen
uͤberhaupt durch dieſe ſatyriſchen Verfaſſer zu Cri-
tiken ſowohl gewoͤhnet und zubereitet worden, daß
man deßwegen denen neuen Schriften, ſo gleich
hernach zum Aufnehmen des Geſchmackes in der
Wohlredenheit und der Poeſie an den Tag gege-
ben worden, einen deſto leichtern Eingang mit
aller Wahrſcheinlichkeit verſprechen darf.


Es hatte geſchienen, daß die Zuͤrichiſchen Kunſt-
richter, wie Hr. Arnold ſchon 1732. in der Vorre-
[Crit. Sam̃l. II. St.] Mde
[178]Nachrichten von dem Urſprunge
de zu ſeinem Verſuche einer poetiſchen Anleitung
gefuͤrchtet, ermuͤdet waͤren, uns ihre Einſich-
ten in die Natur der Beredtſamkeit und Dicht-
kunſt mitzutheilen;
die Fortſetzung der critiſchen
Gedancken von der Beredtſamkeit war izo in das
dreyzehnte Jahr ausgeblieben. Man redete gantz
zweifelmuͤthig davon.


„Vielleicht, hieß es in
„dem Vten Art. des XVII. St. der critiſchen Bey-
„traͤge, wird uns die Geſchicklichkeit des Hrn.
„Bodmers dasjenige erſetzen, was dieſer Ab-
„handlung Hrn. Heineken vom Erhabenen man-
„gelt: wenn er ſeine Beurtheilung des Longins
„der gelehrten Welt nur nicht laͤnger mißgoͤnnen
„will, die auf eine erwuͤnſchte Erfuͤllung ſeines
„Verſprechens laͤngſt gehoffet hat.„


Auch Hr.
Heineken hatte ihn deßwegen etliche mahl ange-
ſtochen. Jn der Vorrede zu der Ueberſetzung des
verlohrnen Paradieſes war zwar aufs neue Hoff-
nung dazu gegeben worden, indeſſen wollte nichts
zum Vorſcheine kommen. Jch zweifele nicht daß
die Ungeduld dieſes Verſprechen erfuͤllt zu ſehen,
den Hrn. Arnold, den Hrn. Bock, den Hr. Hei-
neken, bewogen habe, dem Mangel, der ihnen
durch die Gottſchediſche Dichtkunſt nicht genug
erſetzet geſchienen, durch ihre Unterſuchungen nach
ihrem Vermoͤgen abzuhelfen, welches ſie mit un-
gleichem Fortgang geſucht haben. Einesmahls
wurden die ſchweitzeriſchen Kunſtlehrer wieder wa-
che, und uͤberraſcheten die halbverſtorbene Hoff-
nung ihrer Goͤnner mit einer Menge critiſcher Lehr-
ſchriften, welche ſie ohne Unterbrechen auf einan-
der folgen lieſſen. Die Abhandlung von den
Gleich-
[179]der Critik bey den Deutſchen.
Gleichniſſen, die neue critiſche Dichtkunſt in
zweyen Theilen, die Abhandlung von dem Wun-
derbaren,
in einer Vertheidigung Miltons Pa-
radieſes, der Unterricht von poetiſchen Gemaͤhl-
den,
kamen alle in 1740. zum Vorſcheine. Die
beyden erſtern ſind von Johann Jacob Breitin-
gern, die beyden letztern von Johann Jacob Bod-
mern. Da ſie zuvor gewoͤhnlich an einem Wer-
ke gemeinſchaftlich mit einander gearbeitet, hatten
ſie die Arbeit izo unter ſich vertheilet; zuvor hatten
ſie ohne Nahmen geſchrieben, izo ſetzete jeder ſei-
nen Nahmen vor die ihm gehoͤrige Schrift. Die-
ſe beyden Zuͤricher ſind die einzigen Schweitzer,
die bis zu dieſer Stunde uͤber critiſche Dinge in
deutſcher Sprache geſchrieben haben. Der Grund-
riß, den ſie ehmahls zu dieſer Arbeit geleget hat-
ten, ward in dieſer Ausfuͤhrung von ihnen gaͤntz-
lich verworffen und mit einem andern vertauſchet.


Die Preſſe ruhet noch izo nicht von ihren criti-
ſchen Arbeiten, womit ſie dieſelbe beſchaͤftiget hal-
ten. Bodmer hat die neue Ueberſetzung, ſo er
von Miltons verlohrnen Paradieſe verfertiget, mit
durchgaͤngigen Anmerckungen, worinnen des Poe-
ten Erfindungen, Vorſtellungen, und poetiſche
Farben ſorgfaͤltig erklaͤret werden, wuͤrcklich in
die Druckerey gegeben. Man ſagt auch, daß
eben derſelbe und ſein Freund an der Monatſchrift,
die unter dem Titel der critiſch-poetiſchen Samm-
lung in Zuͤrich neulich angefangen worden, den
meiſten Antheil haben. Wenn uns die Zeit ge-
nauer und umſtaͤndlicher von dem Fortgange be-
lehret haben wird, welchen alle dieſe eifrigen Be-
M 2muͤhun-
[180]Nachrichten von dem Urſprunge ꝛc.
muͤhungen zum Aufnehmen der Wohlredenheit und
der Poeſie mit vieler Zuverlaͤſſigkeit verſprechen,
werde ich den Faden dieſer kurtzen Geſchichte der
Critik, den ich hier abſchneide, wieder ſuchen und
weiter fortſetzen. Die haͤftige Beſtrebung, wo-
mit ſich einige bekannte Kunſtrichter und Poeten
in Sachſen ihren unſchuldigen Bemuͤhungen wie-
derſetzet haben, und welche man nicht geneigt ſchei-
net, mit Stillſchweigen zu erdulden, laͤßt mich
hoffen, daß meiner Feder ein guter Vorrath
von denckwuͤrdigen Begegniſſen aus dem critiſchen
Reiche nicht entſtehen werde.



Ode
[181]
Ode uͤber die Unſterblichkeit der Seele.
BEherrſcherin von meiner Huͤtte!(a)

Dein Coͤrper eilt zur langen Ruh, (b)

Es nah’t ſich ihm mit ſchnellem Schritte (c)

Die Herrſchaft der Verweſung zu.

M 3Kaum
[182]Drollingers Ode
Kaum ſtoͤßt annoch des Hertzens Hoͤle

Das halb verrauchte Lebens-Oele (d)

Mit ſchwachen Schlaͤgen langſam aus,

Die Muſklen ſind entſpannt und ſchwinden,

Der


[183]uͤber die Unſterblichkeit.
Der Sinnen ſchwaͤchliches Empfinden

Verkuͤndigt ſchon der Fauͤlniß Graus.

Wohlan! Der Coͤrper mag verſtaͤuben,

Sein bloͤder Zeug kan nicht beſteh’n,

Doch du, O Seele, wirſt du bleiben?

Wie, oder muſt du mit vergeh’n?

Jſt dann dein Stoff auch ein Gedraͤnge

Von Theilen ohngezaͤhlter Menge,

Woraus der Coͤrper zugericht?

Ein Bau von ſo viel tauſend Stuͤcken,

Auf welche Zeit und Zufall druͤcken,

Bis ihre Fuͤgung wieder bricht?

Doch nein! Du oͤffneſt deine Schaͤtze

Und legeſt uns ein etwas dar,

Das keines Coͤrpers Grundgeſetze (e)

Das keine Miſchung je gebahr.

M 4Was
(*)
[184]Drollingers Ode
Was iſt ein Leib? Des Geiſtes Huͤlle,

Sein Klumpe liget todt und ſtille,

So oft ihm ein Beweger fehlt.

Nicht ſo der Geiſt, der lebt und dencket,

Mit ſchneller Macht die Sinnen lencket,

Erwiegt, beſchleußt, verwirfft und wehlt.

So lerne dann, daß Tod und Sterben

Allein in grobe Coͤrper dringt,

Und der Verſtoͤrung Grundverderben

Ein geiſtlichs Weſen nie bezwingt.

Der Miſchung Bau wird leicht zerſtuͤcket,

Dich aber hat ein Seyn begluͤcket,

Das weder Stuͤck noch Theile kennt,

Vergeblich ſucht der Raub der Zeiten

Dein einfach Weſen zu beſtreiten,

Was nicht gefuͤgt, wird nicht getrennt.

Jſts
(*)

[185]uͤber die Unſterblichkeit.
Jſts glaublich daß dich Gott zernichte?

Er machte dich zu groß und ſchoͤn.

Schau welch ein Glantz! Schau welche Fruͤchte

Aus edler Seelen Trieb entſteh’n!

Mich deucht, in jeder Seele funckelt,

Wenn ſie kein grober Dunſt verdunckelt,

Ein Schimmer von der Gottheit Licht,

So zeugt er auch von ihrem Waͤhren,

Wer kan ein ſolches Seyn zerſtoͤhren?

Was Goͤttlich iſt, das ſtirbt doch nicht.(f)

Schau wie bey Sturm und Kriegs-Gefahren

Ein Mann oft einen Hauffen ſchreckt,

Und fuͤr dem Raub der wilden Schaaren

Den unbewehrten Saͤugling deckt!

Wie dort ein Held von Gott beſeelet

Oie Wohlluſt fleucht, die Sorgen wehlet,

Vor andrer Gluͤcke ſich verbannt; (g)

Er wacht, damit wir ſicher ſchlaffen,

Erhaͤlt ſein Volck durch Witz und Waffen,

Und ſtirbt mit Luſt fuͤr Kirch und Land.

Und ihr der Weisheit erſten Soͤhne,

M 5Geweih-
(*)
[186]Drollingers Ode
Geweyhte Dichter! Heilger Chor!

O welche Kraft! O welche Thoͤne

Durchdringen ploͤtzlich Hertz und Ohr!

Es wuͤrcket euer maͤchtger Wille (h)

Der tiefſten Sinnen Sturm und Stille,

Er ſtellt den Regungen Gebot.

Jch hoͤr, ich hoͤre Davids Lieder,

Der Himmel ſteigt zu uns hernieder,

Und unſer Geiſt hinauf zu Gott.

Wer zehlt das Heer der lichten Sternen,

Wer mißt der Sonnen ſchnellen Lauf?

Wer dringt in ungemeſſne Fernen

Und deckt der Himmel Ordnung auf?

Jſts nicht des Geiſtes Wunderſtaͤrcke?

Hier ſetzt er Schrecknißvolle Wercke,

Gebaͤude, die den Wolcken drohn.

Bald ſtuͤrtzt er wieder Thurm und Mauren,

Die Laſt, die ewig ſchien zu dauren,

Sein donnernd Ertz zermalmt ſie ſchon.

Doch hoͤr ich nicht ein Lied erklingen,

Das unſern Geiſt zu praͤchtig ſchmuͤckt,

Und eines Weſens Kraft beſingen

Aus dem ſo mancher Mangel blickt?

Wo bleiben ſeiner Staͤrcke Proben,

Wann
[187]uͤber die Unſterblichkeit.
Wann der Begierde wildes Toben

Dem ſchwachen Herrſcher ſelbſt gebeut?

Jſt dieſes der geprieſne Schimmer,

Den Wahn und Zweifel je und immer

Mit dickem Nebel uͤberſtreut?

Wohlan! Es mengt in unſre Schaͤtze(i)

Sich auch der Schwachheit Zuſatz ein;

Doch dies beſtaͤrcket ſelbſt die Saͤtze

Von unſers Geiſtes ſtaͤtem Seyn.

Wo
[188]Drollingers Ode
Wo bliebe ſonſt des Schoͤpfers Liebe,

Der uns durch ſo viel ſtarcke Triebe

Zur Forſchung ſeiner Wunder treibt,

Wofern wir, ehe wir erbleichen,

Den Zweck, aus Schwachheit, nicht erreichen,

Und nach dem Tode nichts mehr bleibt?

Es bringt doch unſrer Gaben Menge

Uns oft im Leben nur Verdruß.

Wie mancher kuͤrtzt nicht deſſen Laͤnge

Durch vieles Wiſſens Ueberfluß?

Gebricht mirs hier an Ruh und Gluͤcke,

Obgleich kein Fernglaß meine Blicke

Des Mondes Flecken je gelehrt,

Ob Huͤygens Fleiß in jenen Fernen (k)

Mit keinen neuen Folgeſternen

Die Herrſchaft der Planeten mehrt?

So mercket dann daß dieſes Leben

Auf eine lange Zukunft zielt.

Hier iſt uns nur ein Raum gegeben,

Drauf unſers Geiſtes Kindheit ſpielt.

Dann oͤffnet ſich nach kurtzen Zeiten

Der Schauplatz groſſer Ewigkeiten,

Da geht ſein Lauf unendlich fort.

So hat die Allmacht es beſchloſſen.

Hier treibt der Geiſt die erſten Sproſſen,

Was
[189]uͤber die Unſterblichkeit.
Was hier gekeimt, das reifft ſich dort.

Drum zeigt er jetzt ſchon ein Gefuͤhle

Von Trieben, die nichts Endlichs ſtillt,

Er ſetzt ſich immer neue Ziele,

Und ſucht umſonſt, was ihn erfuͤllt,

Er wuͤnſcht, geneußt und wuͤnſcht aufs neue,

Durchgeht der Guͤter lange Reyhe

Und kan bey keinem ſtille ruhn.

Gab Gott, der nichts vergeblich fuͤget,

Uns einen Trieb, den nichts vergnuͤget?

Die Ewigkeit die muß es thun.

O was entdeckt ſich meinem Blicke,

Was wird mir fuͤr ein Schauſpiel kund?

Welch unerforſchliches Geſchicke

Beherrſcht der Erden weites Rund!

Hier ſeh ich unter Ach und Flehen

Den Heiligen in Qual vergehen,

Den Dampf und Flamme langſam ſchmaucht;

Wenn ſatt von Jahren, Luſt und Fuͤlle,

Sein Wuͤrger dort in ſanfter Stille

Den Laſtervollen Geiſt verhaucht.

Wie! Theilt uns denn mit blinder Wage

Ein Schickſal zu, was uns befaͤllt?

Regiert ein Zufall unſre Tage,

Und miſcht verwirrt den Lauf der Welt? (l)

Doch nein! Des Zweifels Nebel brechen,

Kein ungerechtes Urtheilſprechen

Entehrt der Allmacht Richterthron.

Du ſterblichs Volck! Die Wahrheit lehret,

Dein Weſen wird nicht gantz verſtoͤret,

Es bleibt noch was zu Straff und Lohn.

Es iſt, es iſt noch ein Gerichte,

Die
[190]Drollingers Ode
Die Zukunft koͤmmt mit Lohn und Schwerdt, (m)

Und reicht mit billigem Gewichte

Den Thaten den verdienten Werth.

Mein Fuͤrwitz ſoll ſich nicht vergehen,

Den tieffen Abgrund einzuſehen,

Der hier der Allmacht Rath verhuͤllt.

Doch dieſen Satz kan nichts zertreiben;

Gott iſt gerecht, die Seelen bleiben,

Was hier gebricht, wird dort erfuͤllt.

Der Wahrheit Macht iſt durchgedrungen

Es ſchallt ihr uͤberzeugend Wort

Durch ungezaͤhlter Voͤlcker Zungen,

Jn Oſt und Weſt, in Suͤd und Nord.

Geſetzt, daß noch ein Hauff bethoͤret;

Was uns ein Plato Goͤttlich lehret,

Braucht keines Hurons Beyfall nicht.

Soll dies der Lehre Kraft vermindern,

Wenn dort, vermengt mit ſeinen Rindern,

Ein viehiſch Volck ihr wiederſpricht?

Getroſt! Es macht ſich ihre Staͤrcke (n)

Durch groͤſter Geiſter Zeugniß kund.

Der Helden goͤttlich ſchoͤne Wercke

Entſpringen nur aus ihrem Grund,

Sie hoͤren ein geheimes Sprechen:

Jhr Seelen! Eure Coͤrper brechen,

Doch
[191]uͤber die Unſterblichkeit.
Doch euch zernichtet keine Zeit.

O folget einem edlen Ziele!

Veruͤbter Tugend Luſtgefuͤhle

Begleitet euch in Ewigkeit.

O Geiſt, der Geiſter erſte Quelle!

O Weſen unumſchraͤnckter Macht!

Schick einen Strahl von deiner Helle

Jn finſtrer Geiſter truͤbe Nacht;

Erleucht ein Volck, von dir gebauet,

Dem noch vor ſeiner Groͤſſe grauet, (o)

Das der Zernichtung Scheuſal ehrt,

Und gieb daß nach vollbrachten Stunden

Mein froher Geiſt, der Laſt entbunden,

Zu deiner Gottheit wiederkehrt.
[[192]]
Notes
(*)
Siehe die Vorrede zum II. Theil ſeiner Gedichte.
(*)
Siehe die Vorrede zum I. Theil ſeiner Gedichte.
1
Anmerckungen.
Mein Gott!
) Sehet da, in was vor einer chriſt-
lichen Verfaſſung das ſanftmuͤthige Hertz des Verfaſ-
ſers geſtanden hat, als er ſich an dieſe Vertheidigung
gemachet. Ein anderer haͤtte aus einem andern Thone
angefangen, als etwann:
Arma Virumque cano! ‒ ‒ ‒ ‒’

Oder:
Muſa mihi cauſſas memora, quo numine læſo,

Quidve dolens Regina Deûm, tot volvere caſus

Inſignem pietate virum, tot adire labores

Impulerit. Tantæne animis coeleſtibus iræ!

Aber unſer ſanftmuͤthige Verfaſſer nimmt ſeine Zuflucht,
als ein chriſtlicher Poet, zu der Invocatione, oder An-
2
rufung. Er druͤckt dadurch ſeine Empfindlichkeit und
innigſte Wehmuth, nicht uͤber die ihm angethane Un-
bill; ſondern uͤber die ſchwere Verſuͤndigung des Ver-
faſſers der neuen Critiſchen Dichtkunſt, ſehr lebhaft
aus. Man kan im uͤbrigen von dieſer poetiſchen An-
rufung Hrn. G-ttſch-ds Critiſche Dichtkunſt nachſe-
hen.
3
Dieſer ehrliche Mann) Er meinet den Schweitze-
riſchen Verfaſſer der neuen Critiſchen Dichtkunſt: Er
nennet ihn einen ehrlichen Mann, nicht per antiphra-
ſin,
wie etwann die Spoͤtter meinen moͤgten; ſon-
dern damit er zeige, daß ihn die empfangene Unbill
nicht hindere, auch von ſeinen Feinden gutes zu reden,
nach dem bekannten Axiomate, \& in hoſte laudanda
Virtus.
Und wenn wir dem Seneca glauben wollen,
ſo iſt der Ruhm eines ehrlichen Manns allem andern
Ruhm, auch dem Ruhm eines groſſen Dichters, ei-
nes ſcharfſinnigen Kunſtrichters ꝛc. weit weit vorzuzie-
hen: Magno impendio temporis, magna alienarum
aurium moleſtia laudatio hæc conſtat, ô Hominem Li-
teratum! Simus hoc titulo ruſticiore contenti, ô VI-
RUM BONUM.
Und in dieſen Gedancken ſtehet
auch unſer Verfaſſer, daher er ſich dieſen Titel alſofort
ſelbſt beyleget, wenn er ſagt: Wichtige Urſachen ...
ehrliche Leute ſo unbaͤndig anzugreiffen!
Wo dieſes
Beywort ja unmoͤglich antiphraſtice kan verſtanden wer-
den.
4
Was erhebet er nicht vor ein greuliches Lermen[:])
Da er nemlich in dem ſiebenden Abſchnitte ſeiner Criti-
ſchen Dichtkunſt, wo er von der Eſopiſchen Fabel aus-
fuͤhrlich handelt, ſich daran nicht begnuͤget, die Tr-ll-ri-
ſche Unterſuchung von der Natur der Fabel, Bl. 173.
5
175. 177. 188. u. f. 195. hoͤhniſch durchzuziehen, ſon-
dern noch uͤberdas von Bl. 214. bis 262. alleine bemuͤ-
het iſt, die in dem Anhange der Tr-ll-riſchen Gedichte
befindlichen Fabeln durch die Muſterung gehen zu laſ-
ſen. Was bedurfte es ſolcher Weitlaͤuftigkeit, wenn
er nichts mehrers ſagen wollte, als daß ihm dieſe Fa-
beln mißfallen?
6
Mit was vor Heftigkeit und Bitterkeit ꝛc.) Wa-
rum muß er die Tr-ll-riſche Unterſuchung unbegruͤndt
und ungluͤcklich nennen? Warum die Fehler, die ſich
etwann ereignen, juſt vor eine Wuͤrckung einer ſchlech-
ten Ueberlegung
angeben? Warum auf den Wider-
ſpruch, den er zu entdecken meinet, als etwas recht kin-
diſches
ſchmaͤhen? Und wann wuͤrde ich fertig werden,
wenn ich alle die Critiſchen Hiebe und Streiche, womit
er lincks und rechts unbarmhertziger Weiſe und ohne
Mitleiden um ſich ſchmeißt, nahmhaft machen wollte?
Jch bitte meine Leſer, die Muͤhe ſelbſt zu nehmen, und
den ſiebenden Abſchnitt der Critiſchen Dichtkunſt mit
Nachdencken zu leſen, ſo werden ſie dem Hrn. Doctor
das Zeugniß geben muͤſſen, daß er noch gnaͤdig mit
ſeinem Feinde verfaͤhrt, wenn er ihn bloß einer Hef-
tigkeit und Bitterkeit in ſeinen Urtheilen beſchuldiget.
Wenn er demſelben nicht verſchonet haͤtte, ſo waͤre es
ihm ohne Zweifel ein leichtes geweſen, ſeine Urtheile
vor falſch und unbegruͤndet auszuſchreyen.
7
Um Sylben, Gedancken, Worte und Reime)
Jch bin lange im Zweifel geſtanden, ob ſich nicht das
Wort Gedancken hier wider die Abſicht des Verfaſſers
eingeſchlichen habe: Denn, gedachte ich, falſche Ge-
8
dancken ſind endlich noch wohl einer Beurtheilung
werth; und der Eifer eines guten Kunſtrichters gegen
ſolche moͤgte endlich noch wohl zu rechtfertigen ſeyn.
Alleine da mir die Hamburgiſchen Berichte von ge-
lehrten Sachen
No. LXXIV. ungefehr in die Haͤnde
fielen, allwo die neue Auflage der Tr-ll-riſchen Fabeln
ſehr fleiſſig angeprieſen, dem Schweitzeriſchen Kunſt-
richter ſeine tollkuͤhne Vermeſſenheit derbe verwieſen,
und die Vertheidigung dieſes unverbeſſerlichen deutſchen
Dichters mit ſeinen eigenen Kern-Worten beſchloſſen
wird, fand ich zu allem Gluͤcke eben dieſe Ausdruͤckung;
es heißt gegen dem Ende: um Sylben, Gedancken,
Woͤrter und Reime muͤſſen Beſcheidenheit, Gelin-
digkeit und Menſchenliebe gaͤntzlich hintan geſezt
werden?
Dieſe Stellen ſind einander ſo aͤhnlich, daß
keine ohne die andere kan veraͤndert werden, und es
ſchwer zu errathen iſt, welche von der andern abgeſe-
hen worden: Auch kan Hr. Z* am beſten wiſſen, was
Hrn. D. Tr-ll-rs Gedancken uͤber critiſche Materien
ſeyn. Jch verwerfe daher meine erſte Muthmaſſung
ſelbſt, und erklaͤre den Sinn des Verfaſſers ſo, daß er
nicht mehrers ſagen wolle, als, man muͤſſe den irrenden
Scribenten, wenn ſie auch gleich in den Gedancken
noch ſo uͤbel verſtoſſen, mit Sanftmuth und Hoͤflichkeit
zurecht helfen.
9
Um Fabeln und Maͤhrchen) Maͤhrchen ſind wun-
derbare und abentheurliche Erzehlungen, die nicht die
geringſte Wahrſcheinlichkeit haben; hiemit wunderbare
Luͤgen, dergleichen unverſtaͤndige Ammen den kleinen
Kindern zu erzehlen, und ihnen damit die Zeit zu kuͤr-
zen pflegen. Dieſe Maͤhrchen haben eben eine ſo lehr-
reiche Abſicht, als die guten Fabeln; doch kan dieſes
ihren Gebrauch nicht rechtfertigen: Man muß die
Wahrheit und das Nuͤtzliche nicht durch Luͤgen fort-
10
pflantzen, und die unerfahrne Leichtglaͤubigkeit der Kin-
der nicht mißbrauchen, noch weniger ihren Geſchmack
durch abgeſchmackte und unmoͤgliche Erzehlungen zu
einer Zeit verderben, da ſie noch nicht im Stande
ſind, zwiſchen link und recht ſelbſt zu unterſcheiden.
Aus dieſem laͤßt ſich die Frage leicht entſcheiden, wel-
che Hr. Z* in der oberwehnten LXXIV. No. der
Hamburgiſchen Berichte bey Anlaß der Tr-ll-riſchen
Fabeln auf die Bahn bringet, nemlich, Was vor
deutſche oder lateiniſche Fabeln der Schul-Jugend
zu belieben, und in denen unterſten Claſſen einzu-
fuͤhren rathſam ſeyn moͤgte?
Jch antworte, nur
keine Maͤhrchen nicht, ſondern alleine ſolche Fabeln,
die ihre Glaubwuͤrdigkeit bey allem Scheine des Wun-
derbaren genugſam rechtfertigen koͤnnen. Man wuͤrde
ſich aber uͤbel betriegen, wenn man aus dieſer Stelle
ſchlieſſen wollte, als ob Hr. D. Tr-ll-r ſeine Fabeln
ſelbſt in keinem hoͤhern Werth hielte, als die Maͤhr-
chen unperſtaͤndiger Ammen; Das ſey fern. Er be-
dient ſich hier ſehr geſchickt einer Figur, welche die
Schulgelehrten Meioſin oder Tapeinoſin heiſſen, wel-
che etwas von ſeinem Werth kuͤnſtlich herunterſetzet und
veraͤchtlich macht, damit etwas anders dadurch augen-
ſcheinlich erhoben werde. Weil nun Hr. Tr-ll-r ſeines
Gegners Heftigkeit und Bitterkeit in ſeinen Urtheilen
recht laͤcherlich machen wollte, ſo mußte er ſeine eige-
ne Arbeit, mit deren Beurtheilung ſich dieſer Criticus
was groſſes duͤncket, um ein namhaftes ſelbſt verklei-
nern: Angeſehen es ja recht laͤcherlich laſſen wuͤrde,
wenn ein groſſer Kunſtrichter mit eben dem Anſehen
und der Ernſthaftigkeit, mit welcher er etwann die
Wercke eines Homers und Virgils zu beurtheilen pfle-
get, die kindiſchen Maͤhrchen einer Amme unterſuchen,
oder die Kinder in ihren naͤrriſchen Spielen hofmeiſtern
wollte.
11
Die zum Zeitvertreib fuͤr die Jugend aufgeſetzet)
Es faͤhrt der Vorredner in der angefangenen Figur
fort; und man muß dieſes nicht im Ernſt aufnehmen.
Hr. D. Tr-ll-r weiß viel zu wohl, was fuͤr Behutſam-
keit in dem Umgange mit der Jugend erfodert wird,
und daß es nicht gleichguͤltig iſt, woran man ihren
Geſchmack gewoͤhne: Nach dem bekannten
Quo ſemel eſt imbuta recens ſervabit odorem

Teſta diu. ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒
12
Als ein unvollkommener Verſuch angegeben wor-
den
) Sein eigenes Bekenntniß in ſeiner Unterſu-
chung von der Natur der Fabel
Bl. 559. iſt hieruͤber
gar deutlich:

„Dieſe Fabeln werden hiermit dem ge-
„neigten Leſer, als ein Anhang, dargereicht, zwar
„nicht in der Meinung, daß ſie etwas vollkomme-
„nes ſeyn ſollten.„
Und etwas ferner: „Jch muß
„ſelbſt bekennen, dnß einige ſchon laͤngſt vrrfertigte
„die ſtrengſten Pruͤffungen nicht aushalten duͤrften.„


Wiewohl er anbey verſichert, daß er ſich aͤuſſerſt habe
angelegen ſeyn laſſen, mit Wiſſen und Willen nicht
wider die ſchweren Regeln der Fabel zu verſtoſſen. So
groß aber die Beſcheidenheit Hrn. D. Tr-ll-rs iſt,
kan ich gleichwohl das unhoͤfliche Zeugniß des Vor-
redners zu dem zweyten Theile der Tr-ll-riſchen Ge-
dichte darum nicht gutheiſſen, z. Ex. wenn er unter
anderm von eben dieſer Haupt-Tugend unſers groſſen
Dichters meldet,

„Er ſuche ſeinen unverdienterlang-
„ten Ruhm
mehr mit Beſcheidenheit zu verbergen,
„als mit frechem Hochmuth auszubreiten.„

Heißt
dieſes nicht ſeinen Helden dem Geſpoͤtte der Feinde
preiß geben, und ihnen die Waffen ſelbſt in die Haͤnde
13
liefern, womit ſie ihm beykommen koͤnnen, wenn man
oͤffentlich von einem bezeuget, daß er den Ruhm,
welchen er erlanget hat, nicht verdiene? Der Hr.
D. Tr-ll-r kan ſein eigenes Heu Stroh nennen; aber
das iſt darum einem andern nicht erlaubt, und Com-
plimente muß man nicht grad vor Ernſt aufnehmen.
Nicht beſſer iſt, was bald hernach folget:

„Vicle
„ſeiner Gedichte hat er in ſeiner noch bluͤhenden und
„feurigen Jugend verfertiget, daher die Worte oft
„beſſer ſind, als die Gedancken.„

Und an einem
andern Orte:

„Er glaͤubt, die gelehrte Welt koͤnne
„ſeiner poetiſchen Gedancken, die, aus Mangel der
„Zeit, nie ſattſam ausgearbeitet werden koͤnnen,
„mit leichter Muͤhe entrathen.„

Was koͤnnte wohl
der aͤrgſte Feind ſchlimmers von einem Gedichte ſagen,
als daß es nicht ausgearbeitet, und daß die ſchoͤnen
und praͤchtigen Worte wohl das beſte daran ſeyn?
Wenn Hr. Doctor ſelbſt ſich alſo erklaͤren wuͤrde, ſo
wuͤrde es jedermann vor eine Ausdruͤckung ſeiner an-
gebohrnen Beſcheidenheit aufnehmen: Aber da es von
einem andern geſagt wird, von dem man vorausſetzet,
daß er auſſer Stand ſey, ſeinen Helden zu beſchimpfen,
ſo duͤrften dergleichen loſe Reden im Ernſt aufgenom-
men werden.
14
Wichtige Urſache, ſich ſo laͤcherlich zu entruͤſten)
Man bemercke hier die pathetiſche Figur des Ausrufs,
welche dem ſtoͤrriſchen Kunſtrichter nothwendig eine Roͤ-
the ins Angeſicht jagen, und ihn mit Scham bedecken
wird. Sollte es nicht laͤcherlich ſeyn, daß ein ernſthaf-
ter Criticus ſich uͤber unſchuldige und dabey noch lehr-
reiche Maͤhrchen einer Kinderwaͤrterin, uͤber junger Leu-
te Schertz und Kurtzweil, uͤber Sylben und Reimen,
und andere ſolche Kleinigkeiten ſo heftig entruͤſtet, als
ob es um die Beſtrafung eines Hochverraths zu thun
waͤre?
15
Ehrliche Leute) Ehrliche Leute angreiffen, iſt
eine zweydeutige Redensart; denn entweder heißt die-
ſes jemand durch Verleumdung an ſeinem ehrlichen
Nahmen kraͤncken, oder, einen ehrlichen, unverleum-
deten Mann wegen einiger Maͤngel und Gebrechen,
die den ehrlichen Nahmen nicht beruͤhren, tadeln und
beſtrafen. Und in dieſem leztern Sinn wird dieſer Aus-
druck oͤfters per fallaciam compoſitionis, wie die Schul-
gelehrten ſich in ihrer geweyheten Sprache ausdruͤcken,
gemißbraucht; grad als ob einer kein ehrlicher Mann
ſeyn koͤnnte, wenn er nicht ein untadelhafter Poet,
oder unverbeſſerlicher Fabeldichter waͤre. Man kan
daruͤber mit Erbauung nachleſen, was in der Samm-
lung ſatyriſcher und ernſthafter Schriften,
in der
Vertheidigung Briontes des juͤngern, abſonderlich
Bl. 254. und 255. uͤber dieſe Materie vorkoͤmmt.
16
Man weiß wohl die Freyheit, die ꝛc.) Und wa-
rum ſollten es die Herren Hamburger nicht wiſſen, da
Briontes der juͤngere ſolches erſt neulich mitten unter
ihnen ſo handgreiflich erwieſen hat, daß ich glaube, es
ſey wohl mehr als einer, der es heimlich befeufze, daß
dieſe Wahrheit Wahrheit iſt. Siehe die Vertheid.
Briont. des juͤngern Bl. 256. 259. 260. u. f. Aber
17
unſer groſſer Dichter hat keine Urſache, dieſe Wahrheit
zu fuͤrchten. Siehe daſelbſt Bl. 262. 264. Er hat
mehr, als ein Kleid,

„er kan wohl leiden, wenn
„man ihm, ſo zu ſagen, ſein poetiſches Kleid aus-
„ziehet, ja es wuͤrde ihm ein leichtes ſeyn, ſolches
„ſelbſt abzulegen, indem er noch andere Kleider im
„Vorrath hat, welche er geziemend anlegen, und ſich
„damit unter Leuten zur Noth noch ſehen laſſen kan.„


Wie ſein Vorredner zu dem zweyten Theil ſeiner Ge-
dichte mit eben dieſen Worten gar ſinnreich und gruͤnd-
lich von ihm bezeuget.
18
Es muß mit Beſcheidenheit und Gelindigkeit ꝛc.)
Man kan dieſes in der oben gedachten Vertheidigungs-
Schrift Bl. 270. u. f. desgleichen Bl. 281. u. f. gar
gruͤndlich ausge[f]uͤhret leſen.
Sind Wort u. Sylben denn von ſolcher Wichtigkeit)
Dieſe Verſe haben die Kraft eines poetiſchen Exorciſmi,
der alle critiſchen Spottgeiſter in die Flucht treiben kan:
Und ſie gehoͤren als ein wichtiger Zuſatz in Hieronymi
Mengi Flagellum Dæmonum.
19
Der ſelbſt einer viel wichtigern Verbeſſerung noͤthig)
Ein bekanntes Schul-Dictum lautet: Turpe eſt Do-
ctori, quem culpa redarguit ipſum.
Wer andre mit
Recht tadeln will, der muß ſelbſt ohne Fehler und Ge-
brechen ſeyn: Da nun keiner vollkommen und Engel-
rein iſt, ſo waͤre es ja weit beſſer, und fuͤr die gemei-
ne Ruhe weit vortraͤglicher, daß man das Tadeln und
Richten, als ein friedenſtoͤrendes Handwerck, gaͤntzlich
einſtellete, und einander haͤlfe, die gemeine Unvoll-
kommenheit mit dem Mantel der Liebe zudecken. Sol-
cher laͤßt ſich ſchon aus einander ziehen, daß er weit
genug wird, die Bloͤſſe ſo vieler Leute zu bedecken.
20
Mit Erſtaunen) Der Verfaſſer kennet das Hertz
der Menſchen, insbeſondere ſeiner deutſchen Leſer, ſo
wohl, daß er mit Gewißheit voraus ſagen kan, was
dieſe oder jene Vorſtellung vor einen Eindruck auf das-
ſelbe machen werde. Hier verkuͤndiget er ein Erſtau-
21
nen, nemlich ein ſolches, das mit Furcht und Abſcheu
verknuͤpfet iſt:
Improviſum aſpris veluti qui ſentibus Anguem

Preſſit humi nitens, trepidusque repente refugit

Attollentem iras, \& cœrula colla tumentem.
22
Einige der wichtigſten Einwuͤrffe) Das Ge-
wicht der Einwuͤrffe wird gemeiniglich von dem, der
ſie machet, und von dem, der ſie beantworten ſoll,
in einer gantz nngleichen Waage abgewogen. Sie
werden hier die wichtigſten Einwuͤrffe genennet, nicht
als ob ſie an ſich ſelbſt einiges Gewicht haben; ſondern
in Vergleichung mit den uͤbrigen Einwuͤrffen, die wahr-
haftig leichter ſind, als die Spreu. Jch will meinen
Leſern zu gefallen eine kurtze Liſte von dieſen Einwuͤrffen
herſetzen, damit ſie ſelbſt ein Urtheil davon faͤllen koͤnnen.
Der Verfaſſer der Critiſchen Dichtkunſt wirft demnach
folgende Fragen auf, die ſich auf Hrn. Tr-ll-rs Unter-
ſuchung von den Fabeln, und auf die Fabeln ſelbſt
beziehen, die in dem Anhange ſeiner Gedichte ſtehen.
Ob Eſopus ſeinen Fabeln die Lehren ſelbſt angehaͤnget?
Bl. 173. Ob Phaͤder zu tadeln ſey, daß er die Leh-
re der Fabeln mehrmahlen vorne zu Anfang der
Erzehlung geſetzet hat? Bl. 175. Ob La Motte we-
gen der weitlaͤuftigen Vorreden, die er vor ſeinen Fa-
beln geſetzet, zu entſchuldigen? Bl. 177. Ob die
menſchlichen Fabeln wegen Mangel des Wunderbaren
allemahl verwerflich ſeyn? Bl. 188. u. f. Ob La
Motte geirret, da er die Fabel ein kleines Epiſches
Gedichte genennet? Bl. 195. Ob die Fabel von dem
kleinen Knaben, der das Meer in ein kleines Gruͤb-
23
lein ausſchoͤpfen wollen, von Hrn. Tr-ll-r erfunden
worden, und ob dieſe Erfindung gutzuheiſſen ſey?
Bl. 215. Ob die Veraͤnderung des Oceans in den
Rheinſtrom, und des Gruͤbleins in zween Toͤpfe, in
dieſer Fabel, gantz gleichguͤltig ſey? Bl. 216. Ob
die gelehrte Abſicht, die Hr. Tr-ll-r dem Knaben bey
dieſem Unternehmen zuſchreibet, wahrſcheinlich ſey?
Bl. 218. Ob die Fabel von dem Kinde und dem Fro-
ſche nicht wegen Mangel des Wunderbaren verwerflich
ſey? und ob die Lehre, welche Hr. Tr-ll-r daraus
herleitet, nicht gezwungen ſey? Bl. 219. u. f. Ob
die Fabel, der Hund auf einem ſammtenen Kuͤſſen
und der Hausherr, nicht ohne Noth unter die wunder-
baren Fabeln gezehlet worden? Bl. 223. Ob die Fa-
bel, der gereiſte Mann ein wunderlicher Koch, etwas
mehrers ſey als ein bloſſes Gleichniß? Bl. 225. Ob die
Fabel, die Raben-Bleiche betittelt, neu und noth-
wendig ſey? Bl. 227. Ob Hr. Tr-ll-r in ſeiner Un-
terſuchung von Fabeln Bl. 568. Urſache gehabt, die
Eſopiſche Fabel von dem Fuchſe in des Bildhauers
Werckſtatt, als unwahrſcheinlich zu verwerffen? Bl.
238. Ob er des Hrn. La Motte Critick uͤber dieſe Fa-
bel recht verſtanden habe? Bl. 240. Ob er Recht ge-
habt, die Fabel von dem Loͤwen, der ſich in eine Schaͤ-
ferin verliebt, als unvernuͤnftig und widernatuͤrlich zu
verwerffen? und ob ſeine vorgeſchlagene Verbeſſerung
derſelben gutzuheiſſen ſey? Bl. 242. u. f. Ob nicht
die meiſten Tr-ll-riſchen Fabeln in ihrer Erfindung all-
zu menſchlich ſeyn, ſo daß ſie nichts wunderbares ha-
ben, als den Nahmen der Thiere? Bl. 246. u. f. ꝛc.
Jch fuͤrchte gar nicht, daß dieſe ausfuͤhrliche Nahm-
haftmachung ſo vieler Fragen und Einwuͤrffe die Auf-
richtigkeit meines Verfaſſers verdaͤchtig machen werde;
24
derſelbe iſt nicht von der Art derjenigen, die, wenn
ſie etwan mit einem ſtrengen Gegner zu thun haben,
aus einer gantzen Schrift nur dasjenige herausklauben,
was am ſchwaͤchſten ſcheinet, und noch wohl zu ver-
antworten iſt, inzwiſchen aber die ſtaͤrckſten Einwuͤrffe
liſtiger Weiſe verhoͤlen. Man darf nur dieſe Fragen
durchleſen, ſo wird man mit Haͤnden greiffen muͤſſen,
daß es lauter Kleinigkeiten ſind, die keine Widerle-
gung verdienen.
Was liegt endlich dem Staate, oder
der Kirchen, oder dem Hausweſen daran, ob die Leh-
re vorne oder hinten an der Fabel ſtehe, wenn nur
eine darinnen iſt? Ob ſie Wahrſcheinlichkeit genug ha-
be, wenn ſie nur lehrreich und ergetzlich iſt? Jſt das
Vorhaben, den Rheinſtrom in zween Toͤpfe auszuſchoͤ-
pfen, nicht eben ſo thoͤricht und unmoͤglich, als das
Weltmeer in ein Gruͤblein zu leiten? ꝛc. ꝛc.
25
Um von dem Werth dieſer Critiſchen Dichtkunſt
hieraus zu urtheilen
) Ex ungue Leonem! Es iſt
zwar nicht zu leugnen, was Plinius ſagt: Nullus li-
ber tam malus eſt, in quo non aliquid inſit boni.
Doch
hindert dieſes uicht, daß man nicht ein Buch dem
andern vorziehen duͤrfe. Wir haben ja Hrn. G-ttſch-ds
Critiſche Dichtkunſt, und ſo haͤtten wir dieſer neuen
Critiſchen Dichtkunſt wohl entbehren koͤnnen; um ſo
viel mehr, da jener ſo beſcheiden und hoͤflich iſt, daß
er, die Lebenden nicht zu erzoͤrnen, ſich nicht ſcheuet,
die Manes der abgelebten Dichter in ihrer Ruhe zu ſtoͤ-
ren; ungeachtet es in dem gemeinen Spruͤchwort heißt:
De Mortuis nonniſi bene. Da hingegen der neuere
Verfaſſer ſo unbeſcheiden iſt, daß er auch der noch le-
benden nicht verſchonet, und ihnen ihre Fehler unter
26
das Angeſicht vorruͤcket. Horatz iſt ein aberglaubiger
Spoͤtter, wenn er von einem gewiſſen Poeten ſagt:
Nec ſatis apparet, cur verſus factitet: utrum

Minxerit in patrios cineres, an triſte bidental

Moverit inceſtus: Certe furit. ‒ ‒ ‒
27
Er fraget alſo unter andern, ob die Eſpen, Tan-
nen ꝛc.)
Die verwegene Critick des Schweitzeriſchen
Verfaſſers uͤber die Bibliſche Fabel des Joas lautet
unter anderm Bl. 259. 260. alſo:

„Wenn wir die
„ausfuͤhrliche Abhandlung dieſer Fabel vor uns neh-
„men, ſo werden wir finden, daß Hr. Triller aller
„ſeiner Kunſt aufgeboten hat, recht laͤcherlich zu wer-
„den. Dieſe Kunſt beſtehet darinnen, daß er die
„Regel von dem Wahrſcheinlichen, in ſo ferne die-
„ſelbe in der Natur und Beſchaffenheit der Dinge ge-
„gruͤndet iſt, gaͤntzlich aus den Augen geſetzet hat.
„Die Baͤume haben ihre gantze Natur abgelegt, und
„koͤnnen alle menſchlichen Verrichtungen ſo gut nach-
„ahmen, als die Menſchen. Sie verſammeln ſich
„zuſammen in einen geheimen Rath, Bl. 605. ſie
„halten Beylager und legen ſich zuſammen ins Bette,
„Bl. 606. ſie ſchweeren bey ihrer Seelen; die Ge-
„ſchichte vom Koͤnig Salomo iſt ihnen im Grund
„bekannt;
ſie beſitzen groß Geld und Gut, und wiſ-

28

„ſen ſolches eben ſo geſchickt zu gebrauchen, einander
„zu beſtechen, als die Menſchen, Bl. 607. und 608.
„Sie ſchaͤtzen den Adel nach der Zahl der Ahnen; ſie
„beobachten in dem geheimen Cabinete unter ſich ei-
„nen Rang; ſie beſchencken einander mit guͤldenen
„Ketten; ſie halten einander Hochzeit-Maͤhler und
„Gaſtereyen; alſo werden ſie auch mit einander ſpei-
„ſen, Bl. 609. u. 610. Sie koͤnnen ſich auf ihre
„Fuͤſſe erheben, und nach Belieben langſam einher
„ſpatzieren, oder geſchwinde lauffen, und man trift
„oͤfters gantze Caravanen auf der Straſſe an,
von
„Eſpen, Tannen, Buch und Linden, Bl. 610.
„Wie abentheurlich!„

Dieſes weitlaͤuftige Gewaͤ-
ſche verdienet zwar keine Widerlegung, und es verloh-
net ſich nicht der Muͤhe, alles zu beantworten. Jch
will nur ein par kleine Anmerckungen beyfuͤgen. Die
erſte ſiehet auf die Erkenntniß, welche die Dichtung leb-
loſen Geſchoͤpfen in der Fabel beyleget. Sind ſie ei-
niger Erkenntniß faͤhig, ſo muͤſſen ſie eine Seele ha-
ben, und warum ſollten ſie dann nicht bey ihrer See-
len etwas betheuren koͤnnen?
So ſprach er, jeder fiel ihm bey,

Aus unverſchaͤmter Schmeicheley,

Selbſt Salomo, bey meiner Seelen!

Koͤnnt weiſer nicht und beſſer waͤhlen.

Dieſes iſt die Sprache des Herren von Dornbuſch.
29
Und warum ſollten die Baͤume und Pflantzen den Koͤ-
nig Salomo nicht kennen, der ſich um ihr Reich ſo
wohl verdient gemachet hat? Jch bin ſicher, wenn
einmahl das Fieber, der Mond, die Luft, das Fir-
mament ꝛc in Fabeln eingefuͤhrt werden ſollten, daß
ſie mit gleichem Grunde der Wahrſcheinlichkeit Hrn. D.
Tr-ll-rs Lob ausbreiten wuͤrden, als der Dornbuſch
hier das Lob des Koͤnigs Salomons auspoſaunet. Die
zweyte Anmerckung, welche dienet, einen groſſen Theil
der uͤbrigen Schweitzeriſchen Beſchuldigungen abzuleh-
nen, beziehet ſich auf den Grund der Dichtung in des
Koͤnigs Joas Fabel. Die Dichtung, daß der Dorn-
ſtrauch dem Cederbaum den Antrag habe machen laſ-
ſen: Gieb deine Tochter meinem Sohne zum Weibe;
iſt nicht von Hrn. D. Tr-ll-r, ſondern von dem Koͤnig
Joas. Der Begriff aber von einer Heyrath oder Ver-
maͤhlung ſchlieſſet ja das Beylager, eine Morgengabe,
das Hochzeitmahl, und alle uͤbrigen Umſtaͤnde noth-
wendig mit ein. Alſo fallen alle dieſe Beſchuldigun-
gen nicht auf Hrn. D. Tr-ll-r, ſondern auf den Koͤnig
Joas zuruͤcke; der mag es nun ſelbſt verantworten.
Hr. D. Tr-ll-r hat ja nichts mehrers gethan, als daß
er die Begriffe dieſes Koͤnigs in Jſrael aus einander
gewickelt hat. Und ich glaube, wenn Joas dieſe Fa-
bel leſen koͤnnte, er wuͤrde ſich uͤber die geſchickte Aus-
fuͤhrung ſeiner ehmahligen Gedancken recht verwun-
dern.
30
Er wird wenigſtens die Schrift gelten laſſen)
Es iſt in Wahrheit ziemlich verdaͤchtig, wenn einer ſich
nicht ſcheuet, eine Fabel, die in der Schrift ſtehet,
der Unwahrſcheinlichkeit zu bezuͤchtigen, und noch dazu
laͤugnen darf, daß die Ceder und der Dornſtrauch in
der Fabel den Koͤnig Salomo nicht kennen.
31
Er frager weiter, ob die Maͤuſe ꝛc.) Jch darf
ſtatt einer Antwort nur die wohlausgebildeten Verſe
des Hrn. Tr-ll-rs herſetzen:
Sonntags, da die Predigt aus, die ja wohl ſo gut

geweſen,

Als wir ſie gemeiniglich in den Haus-Poſtillen leſen,

Ließ die Stadtmaus ſich gefallen, fuͤr das Thor hin-

auszugehn,

Allda friſche Luft zu ſchoͤpfen, u. die Felder zu beſehn:

Eben dieſes harte ſich auch die Feldmaus vorgenom̃en,

Als ſie nun von ungefehr auf dem Weg zuſam̃enkom̃en,

Und ſich unvermutherſahen, war es bey den angenehm,

Deñ ſie waren alte Freunde u. Gevattern auſſer dem.

Wer kan dieſe Beſchreibung leſen, ohne daß er die
ſorgfaͤltige und recht mahleriſche Kunſt in Beſchreibung
auch der kleinſten Umſtaͤnde mit einem verwunderſamen
Ergetzen gewahr werde, es ſey dann einer, der aus
32
Bosheit die Augen dafuͤr zuſchlieſſet? Muß ſich nicht
Horatz mit ſeinem magern
Ruſticus urbanum murem mus paupere fertur
Accepiſſe cavo \&c.

vor dem Reichthum dieſer praͤchtigen Mahlerey vor
Scham verkriechen? Man kan aus dieſer Probe ab-
nehmen, was die chriſtliche Religion auch einem Fa-
beldichter vor Vortheile zur Auszierung ſeiner Fabeln
an die Hand gebe, und wie die Poeſie bald ein ander
Anſehen bekommen wuͤrde, wenn ſich alle Poeten der-
ſelben ſo geſchickt zu bedienen wuͤßten, als Hr. D.
Tr-ll-r.
33
Ob der Stadt-Maͤuſe ihre Loͤcher ꝛc.) Hr. D.
Tr-ll-r hat in ſeiner Fabel das Decorum gar richtig be-
obachtet, indem er nicht vergeſſen die Stadtmaus ſtan-
desmaſſig einzuquartieren; er legt ihr daher folgende
Worte in den Mund:
Und ſie wuͤnſchte, daß ſie ſich nie in dieſes Loch begeben,
Das ſo ſchmuzig, eng u. dunkel, abgelegen, fuͤrchterlich,
Weil in dieſer wilden Gegend niemand leicht fuͤr uͤber
geht.

Und doch will man ihm dieſes zur Suͤnde rechnen,
und gedenckt nicht, daß dieſes eine Maus von vor-
nehmem Stande und gutem Geſchmack ſey.
34
Ob die Maͤuſe einander Gevattern heiſſen koͤnnen?)
Dieſen Einwurff hat Hr. Doctor alleine einer Antwort
wuͤrdig geachtet, weil er das Gewiſſen antaſtet, und
die Vertheidigung derſelben iſt ſo buͤndig gerathen, daß
ich nichts beyſetzen koͤnnte, ohne ihren Nachdruck zu
ſchwaͤchen. Exemplis vivimus, non præceptis. Und
wenn ich La Fontaine, La Motte, Richer, zu Vorgaͤn-
gern habe, malo cum his errare, quam ſolus recte
ſapere.
Es waͤre auch eine laͤhre Spitzfuͤndigkeit,
wenn man ſagen wollte, bey den angezognen Fabuli-
ſten werde dieſe Benennung den Thieren in den Mund
geleget, hier aber ſage der Poet ſelbſt von der Feld-
und der Stadt-Maus:
Deñ ſie waren alte Freunde u. Gevattern auſſer dem.
Wenn das, was geſagt wird, wahr iſt, ſo liegt ja
nichts daran, wer es ſage.
35
Der das vornehmſte Gebot der Chriſtl. Liebe ꝛc.)
Ein guter Criticus gleichet einem klugen Arzt, der ſich
nach dem Geſchmack ſeines Patienten richtet, und die
bittern Pillen uͤberguͤldet und uͤberzuckert, damit ſie
deſto angenehmer ſeyn. Man muß aber dieſe Ver-
gleichung nicht ſo weit treiben, als die Spoͤtter thun,
wenn ſie fragen, ob denn derjenige Arzt wider die
chriſtliche Liebe handle, der bey einem unheilbaren
Schaden corroſiva appliciert, oder ein angeſtecktes
Glied abſtoͤßt, oder dem Patienten durch ſeine Cur
ſonſt Schmertzen verurſachet. Wovon der Ertzvater
der Spoͤtter, Briontes der juͤngere Bl. 283. u. f. nach-
zuſehen iſt. Denn omne ſimile claudicat.
36
Hohe Urſache Gott hertzlich zu dancken) Ein
geſchickter Verfaſſer, der eine ſolche Danckſagungs-
Formel aufſetzen und bekannt machen wollte, wuͤrde
den mit ſich ſelbſt zufriedenen kleinen Geiſtern einen un-
gemeinen groſſen Gefallen erweiſen. Felices pauperes
ſua ſi bona norint!
37
Thorhciten mit Poſſen zu bezahlen) Dieſes Wort
Thorheiten beziehet ſich hier nicht auf Hrn. Tr-ll-rs
Fabeln, ſondern auf des Schweitzers Critick, die ein
laͤhres Geſpoͤtte iſt, und alſo ohne Muͤhe mit Geſpoͤtte
abgewieſen wird.
38
Die elende Geſchicklichkeit, alles laͤcherlich zu ma-
chen)
Wenn es anderſt wahr iſt, daß es eine ſolche
Kunſt giebt, die alles ohne Unterſchied laͤcherlich ma-
chen kan, ſo muß es in Wahrheit eine elende und ſchaͤd-
liche Kunſt ſeyn, weil ſie ſo wohl das gute als das
ſchlimme laͤcherlich und veraͤchtlich vorſtellen kan. So
0.
hat ein Scarron Virgils Eneis durch ſeine poſſierliche
Nachahmung recht laͤcherlich gemachet. Darum will
ich jedermann erinnert haben, daß man alle Criticken,
wenn ſie nicht ernſthaft ſind, vor verdaͤchtig halte,
weil das, was auf eine poſſierliche Art vorgeſtellet wird,
darum nicht allemahl verwerfflich iſt.
40
Eben ſo gut, wo nicht noch beſſer ꝛc.) So ſchaͤd-
lich und elend dieſe Kunſt zu ſpotten iſt, ſo hat doch
unſer Vorredner in einem kleinen Verſuche zeigen wol-
len, daß er dieſe Kunſt ſo gut verſtehe, als irgend
ein anderer, und jedermann wird ihm Beyfall geben,
daß er den Schweitzeriſchen Kunſtrichter in dem feinen
Hechel-Schertz weit uͤbertreffe.
41
Jedoch es iſt nun einmahl Zeit, im Ernſt ꝛc.)
Hier faͤngt der Urheber der Vorrede an, in der Jronie
zu reden.
42
Wer will ſich gerne mit einem Manne einlaſſen ꝛc.)
Jn dieſem Abſatz macht unſer Vorredner den Character
des Schweitzeriſchen Kunſtlehrers nach dem Leben:
Aber ich muß dabey nothwendig erinnern, daß er hier
die Jronie nicht fortſetzet; ſondern daß dieſer Charac-
ter im Ernſt aufzunehmen ſey: Denn wenn man es
43
per Ironiam verſtehen wollte, ſo wuͤrde es das feinſte
Lob eines Critici in ſich begreiffen, welches man mit
der veraͤchtlichen Art, womit er ſonſt den Schweitze-
riſchen Critickſchreiber tractiert, nicht reimen koͤnnte.
Jch fuͤrchte dennoch, wenn man den Abſchnitt von der
Eſopiſchen Fabel in der Critiſchen Dichtkunſt durchleſen
wuͤrde, daß die Spoͤtter duͤrften behaupten wollen,
dieſes ſey eine bloſſe Jronie. Jch will alſo meinen Le-
ſern gerathen haben, daß ſie ſich durch die Critiſche
Dichtkunſt nicht irre machen laſſen, und lieber dieſelbe
ungeleſen liegen laſſen, damit Hrn. G-ttſch-ds Weiſ-
ſagung erfuͤllet werde, da er in ſeinen Beytraͤgen Bl.
666. vorher verkuͤndiget, es werde dieſe Critiſche
Dichtkunſt
(nicht ſeine eigene, ſondern des kuͤhnen
Schweitzers) noch eines Buches beduͤrfen, welches
ſie anpreiſe und beliebt mache.
Jch bin auch beglaubt,
daß man den Werth von Hrn. G-ttſch-ds Dichtkunſt
erſt recht erkennen werde, wenn man die neue Schwei-
zeriſche Dichtkunſt wird geleſen haben, nach dem be-
kannten Axiomate Logico: Oppoſita juxta ſe poſita
magis eluceſcunt.
44
Daß die Gedichte wenig, die Fabeln aber gar
nichts taugen)
Die Jronie, deren ſich unſer Vor-
redner bedienet, iſt ſo fein, daß man oͤfters nicht zu
ſagen weiß, ob es eine iſt oder nicht. Jedermann
wird hier nichts deſtoweniger mercken, daß dieſes
poetiſche Glaubensbekenntniß als eine Jronie auf-
zunehmen ſey. Und doch darf ich verſichern, daß es
Hrn. D. Tr-ll-r nicht ſauer ankommen wuͤrde, ein ſol-
ches Bekenntniß auch ohne Jronie abzulegen. Denn
ſo meldet J. C. B. in der Vorrede zu dem zweyten
Theil ſeiner Gedichte mit ausdruͤcklichen Worten:

„Er
„hat den ſchwuͤlſtigen Titel eines Poeten nie begehrt,
„und wird es ihm daher gleich viel ſeyn, ob man ihn
„unter die groſſen, mittelmaͤſſigen, oder gar kleinen
„Dichter rechne, oder aber gaͤntzlich von der Zahl
„der Poeten ausſchlieſſen wolle. ‒ ‒ ‒
„‒ ‒ ‒ Er wird demjenigen nicht unhoͤfli-
„cher begegnen, der ihn fuͤr keinen Poeten haͤlt, als
„dieſem, der ihn dafuͤr achtet: Weil in dem einen
„die Schande klein, und in dem andern die Ehre nicht
„allzugroß: Er glaͤubt nicht, daß Versmachen eine
Hexerey oder ein ſolches wichtiges Geheimniß ſey,
„welches nur groſſen und ſtarcken Geiſtern mitgethei-
„wuͤrde, und wovon alle uͤbrigen ausgeſchloſſen waͤ-
„ren.„

45
Mehr als ein hundert arme Leſer) Wer ſein Leb-
tag jemahls mit Manuſcripten umgegangen iſt, der
weiß, daß ſich die Fehler nirgend haͤufiger in einen
Text einſchleichen koͤnnen, als wo die Zahlwoͤrter vor-
46
kommen. Mir koͤmmt auch hier die Lesart des Textes
verdaͤchtig vor. Sollten die Tr-ll-riſchen Gedichte in
zwantzig Jahren nicht mehr als hundert oder zweyhun-
dert Leſer gefunden haben? Wenn ich nicht uͤberzeu-
get waͤre, daß mein Manuſcript das Original und
Autographum waͤre, ſo wuͤrde ich ſagen und behaup-
ten, daß in dem Original nicht hundert, ſondern mit
Ziefern 10000. geſtanden haͤtten: Da aber von dem
Copiſten aus Unachtſamkeit zwey Zero auſſengelaſſen
worden, weil ſie vor ſich ſelbſt nichts bedeuten. Ge-
ſezt nun, daß in zwantzig Jahren 10000. Leſer dieſe
Gedichte vor unverbeſſerlich gehalten, ſo verhaͤlt ſich
das Urtheil des Schweitzeriſchen Kunſtrichters wie 1.
gegen 10000. Dieſe 10000. werden noch nicht alle
todt ſeyn, und viele werden ihre billige Hochachtung
fuͤr Hrn. D. Tr-ll-r, wie Hannibals Vater den Haß
gegen die Roͤmer durch Geluͤbde, auf ihre Erben fort-
gepflantzet haben. Und ſo getraue ich mir, wenn ich
alle Verehrer und Leſer derjenigen Poeten, die der kuͤh-
ne Schweitzer angegriffen hat, aufmahnen wuͤrde, bis
auf
47
auf kuͤnftigen Fruͤhling gegen dieſen Schweitzer ein flie-
gendes Corpo von 40000. bis 50000. Mann auf die
Beine zu ſtellen. Unſre heutigen Verfaſſer ſind nicht
mehr des Sinns, wie ehedem Horatz:
‒ ‒ Neque te, ut miretur turba, labores,

Contentus paucis Lectoribus. An tua demens

Vilibus in ludis dictari carmina malis?
(audax

Non ego. Nam ſatis eſt equitem mihi plaudere: ut

Contemtis aliis exploſa Arbuſcula dixit.

Lib. I. Sat. X.

Und etwas weiterhin:
Plotius \& Varius, Mecoenas, Virgiliusque

Valgius, \& probet hæc Octavius optimus, atque

Fuſcus: \& hæc utinam Viſcorum laudet uterque,

Ambitione relegata te dicere poſſum

Pollio, te Meſſala, tuo cum fratre: Simulque

Vos Bibuli \& Servi: Simul his te candide Furni,

Complures alios’, doctos ego quos \& amicos

Prudens prætereo, quibus hæc, ſint qualiacunque,

Arridere velim, doliturus, ſi placeant ſpe

Deterius noſtra. ‒ ‒ ‒ ‒ ‒
48
Man dancket weiter demuͤthig ꝛc.) Es iſt was
ſeltenes, daß ein Krancker, ſo lange er die Purganz
0.
noch im Leibe hat, dem Doctor fuͤr die Artzney dan-
ken ſollte; es giebt gemeiniglich viel ungedultige Worte.
Und die Moraliſchen Patienten machen es gerne, wie
der in ſeiner Einbildung gluͤckſelige Aberwitzige, von
welchem Horatz erzehlet:
Hic ubi cognatorum opibus curisque refectus,

Expulit elleboro morbum, bilemque meraco,

Et redit ad ſeſe: Pol me occidiſtis amici,

Non ſervaſtis, ait, cui ſic extorta voluptas,

Et demtus per vim mentis gratiſſimus error.

(Lib. II. Epiſt. II.)

Eine gleiche Sprache fuͤhret hier unſer Hr. Doctor,
wenn man die Jronie ſeiner Worte aufloͤſet: Denn nie-
mand wird dieſe Danckſagung vor Ernſt aufnehmen.
50
Gegen dieſe elenden Fabeln) Woraus klar zu ſe-
hen iſt, daß dieſes Manuſcript zu der Vorrede der
neuen Auflage der Tr-ll-riſchen Fabeln gewiedmet ge-
weſen iſt.
Nur eine, und zwar noch ſehr ſchwache und mar-
re Stimme)
Jn dem groſſen Rath der gelehrten klei-
nen Geiſter Sententiæ numerantur, non ponderantur:
Und die unendliche Anzahl der kleinen Geiſter laͤßt uns
nicht fuͤrchten, daß dieſer mit ſeinem Gewaͤſche jemahls
aufkommen werde. Es werden allezeit 10. gegen 1.
ſeyn, die den Werth der Tr-ll-riſchen Fabeln erkennen
werden; und dieſes ſind alleine die wahren Kenner:
Denn wie ſollten diejenige unter die Zahl der Kenner
gehoͤren, die nicht einmahl ſo viel Faͤhigkeit haben,
daß ſie die Schoͤnheit der Tr-ll-riſchen Fabeln einſehen
koͤnnen?
51
Anmerckungen.
Facilis vindicta eſt mihi) Dieſe Worte des Phaͤd-
rus hat der Verfaſſer dieſer gelehrten Berichte Hr.
Z* nicht in ſeinem eigenen Nahmen, ſondern im Nah-
52
men und auf hohen Befehl des deutſchen Eſopus, Hrn.
Doctor Tr-ll-rs, vorne an dieſer Nachricht geſetzet, die-
ſer wollte dadurch vor den Augen der gantzen Welt ei-
ne feyrliche Erklaͤrung thun, daß er den Schweitzeri-
ſchen Gegner viel zu veraͤchtlich hielte, als daß er in
eigener Perſon mit ihm anbinden ſollte. Es muͤſſen
andre Helden ſeyn, an denen er in einem Duell Ehre
einzulegen ſuchet. Zudem hat er auch nicht noͤthig ſei-
ne eigene Perſon zu wagen, er hat ja ein par Duzt
Zeitungsſchreiber und Vorredner im Sold und zu Dien-
ſten, die er nach Belieben fuͤr den Riß ſtellen kan,
und es iſt Ehre genug fuͤr den Schweitzeriſchen Par-
theygaͤnger, wenn dergleichen Buſchkloͤpfer ſich mit ihm
rauffen. Wenn Hr. Tr-ll-r nicht ein Doctor der Artz-
ney-Kunſt waͤre, ſo haͤtte er ohne Zweifel dieſen Ver-
ſen des Phaͤders das nachdruͤckliche Diſtichon jenes
alten Kirchenlehrers: Hoc ſcio pro certo, quod ſi cum
ſtercore certo \&c.
an die Seite geſetzet. Wenn denn
ſchon die folgende Nachricht, inſonderheit was partem
elencticam
angehet, in Anſehung der Schreibart, des
Ausdrucks, der Anzuͤge u. ſ. f. der Tr-ll-riſchen Vor-
rede eben ſo aͤhnlich iſt, als ein Ey dem andern, ſo
muß man darum den Verfaſſer dieſer gelehrten Nach-
richt Hrn. Z* nicht als einen Plagiarium oder gelehrten
Beutelſchneider verdaͤchtig halten, weil er ſich dieſer
anſehnlichen Waffenruͤſtung nicht ohne Vorwiſſen und
Bewilligung des Hrn. Doctor Tr-ll-rs bemaͤchtiget
hat.
53
Den Werth der Dichtkunſt richtig zu beſtimmen)
Wenn ich a priori zeigen muͤſte, wie begruͤndt dieſes
Lob ſey, ſo wuͤrde ich allzu weitlaͤuftig und verdießlich
fallen. Wir duͤrfen nur ſein poetiſches Glaubensbe-
kaͤnntniß in der Vorrede zu dem zweyten Theil ſeiner
Gedichte aufſchlagen, ſo werden wir finden, wie ge-
nau er den Werth der Dichtkunſt zu beſtimmen gewußt
hat:

„Er glaubet, daß der geringſte Kuͤnſtler und
„Handwercksmann, der ſeine Handthierung wohl ver-
„ſtehet und fleiſſig treibet, dem gemeinen Weſen mehr
„nuͤtzliche Dienſte leiſte, als der beſte Poet, und ſie-
„het daher die Poeſie als Blumen an, welche ſchoͤn
„ausſehen und annehmlich riechen, aber doch in der
„Artzneykunſt keinen Nutzen ſchaffen. ‒ ‒ ‒ Er
„iſt nicht von denen, welche glauben, daß das Vers-
„machen eine Hexerey, oder ein ſolches wichtiges
„Geheimniß ſey, welches nur groſſen und ſtarcken
„Geiſtern mitgetheilet wuͤrde, und wovon alle uͤbrigen
„ausgeſchloſſen waͤren.„

Wer hat jemals den Werth
der Dichtkunſt richtiger und genauer beſtimmet?
54
Er kenner den Menſchen) Nicht nur als ein Ana-
tomicus, ſondern auch als ein guter Moraliſt: Eine
Probe davon iſt folgende Entdeckung: Der Menſch
hoͤret ungerne, daß er gefehlet habe, und noch we-
niger kan er ſich ſo weit herunterlaſſen, ſolches zu
bekennen.
Wer muß nun nicht wider Willen geſtehen,
daß Hr. Tr-ll-r unter die Zahl und in die Claſſe dieſer
Menſchen gehoͤre, und alſo, weil er geartet wie der
groͤſte Hauffen, bey ſich abnehmen koͤnne, wie der
Menſch beſchaffen iſt?
55
Da er ſich dieſen geſchickten Koͤpfen zugeſellet hat)
Aus der Vorrede der neuen Auflage des Tr-ll-riſchen
Fabelwercks zeiget ſich, daß ſich dieſe beyden Fabeldich-
ter ihm zugeſellet haben: Denn er verſichert, daß ſei-
ne Fabeln faſt alle mit einander ſchon entworffen gewe-
ſen, ehe noch dieſe beyden Fabelbuͤcher ans Licht ge-
treten waren, und beruffet ſich deßfalls fein keck auf
die Zeugniſſe ſeiner Freunde: Wie meine Freunde
wiſſen.
Doch was er alſobald beyfuͤget, zeiget uns,
daß er es ſich vor keine Schande halte, wenn man von
ihm ſagt, daß er ſich ihnen zugeſellet habe:

„Denn,
„wie gluͤcklich auch etwann jene neue Fabeldichter ge-
„weſen ſeyn moͤgen, wiewohl deren Arbeit in denen
„Gelehrten Zeitungen auf gantz unterſchiedliche Art
„beurtheilet worden,
ſo moͤchten doch vielleicht auch
„hierinne noch manche Stuͤcke vorkommen, welche
„zugleich erbauen und beluſtigen koͤnnten.„

56
Daß ſie alle Aufmerckſamkeit eines vernuͤnftigen
Leſers mit Recht verdienen)
Wer hiemit dieſes Fa-
belbuch ſeiner Aufmerckſamkeit nicht wuͤrdiget, der kan
ſich verſehen, daß er in die Claſſe unvernuͤnftiger Leſer
werde eingeſchrieben werden. Zwar iſt das Wort Auf-
merckſamkeit
vox media, hier aber wird es unſtreitig
fuͤr Hochachtung genommen: Sonſt muͤßte man auch
den Schweitzeriſchen Criticus unter die guten Leſer
zehlen.
57
Hieran haͤtte ſich, unſers Erachtens, der Hr.
Breitinger begnuͤgen ſollen.)
Hier verraͤth ſich der
Hr. Zeitungsſchreiber, daß er weder den anzuͤglichen
Abſchnitt in der Critiſchen Dichtkunſt geleſen, noch den
Statum controverſiæ verſtehe: Maſſen der Schweitzer
nicht die Tr-ll-riſche Schreibart, ſondern den Mangel
der Wahrſcheinlichkeit in der Dichtung der Fabeln an-
gegriffen hat: Auch hatte er die Vorrede und die Ver-
theidigung der Schreibart in derſelben nicht leſen koͤn-
nen, ehe ſie auf der Welt war. Man wuͤrde es ihm
noch wohl zu gute halten, wenn ſeine beiſſende Cri-
tick ſich nur uͤber der Schreibart aufhalten wuͤrde.
Daß Bitterkeit, Schmaͤhſucht und Unhoͤflichkeit
eine jede Wahrheit ꝛc.)
Jch wuͤrde bald ſagen, Non
his auxiliis, nec defenſoribus iſtis T.... eget.

Grad als ob man zugeben muͤſte, daß die Urtheile und
Criticken des Schweitzeriſchen Cenſors an und fur ſich
ſelbſt gegruͤndet und die Wahrheit ſeyn!
58
Als ob die Kunſtrichter einer gewiſſen Nation ꝛc.)
Parcite paucorum diffundere crimen in omnes! Sonſt
moͤgte man euch die Hoͤflichkeit eines Neum.. Edz..
und ſo vieler anderer auch in die Rechnung bringen.
Jch hoffe aber mein Beyſpiel werde dieſe Nation gegen
den Vorwurff der Liebloſigkeit und Unhoͤflichkeit genug-
ſam ſchuͤtzen.
Viel Falſches in der Beredtſamkeit) Wer hat
dem Hrn. Z* befohlen, dieſes zu bekennen? Da die
Deutſchen ihre Verbeſſerung lieber den Franzoſen als
den Schweitzern zu dancken geneigt ſind?
59
Es iſt eben nicht allemahl noͤthig ein Schweitzer
zu ſeyn ꝛc.)
Man hat ja bisher geglaubt, daß ein
Schweitzer ſeyn, und vernuͤnftig gedencken, aſyſtata
ſeyn. Und die Deutſchen haben noch nicht Urſache zu
fuͤrchten, daß ſie den Ruhm wohlgedenckender und
geiſtreicher Koͤpfe verliehren: Trotz dem Verfaſſer der
Lettres Germaniques, und andern Spoͤtter ſeiner Art.
Haͤrte er in einer andern Sprache ꝛc.) Vielleicht
meint er die lateiniſche: Denn ſo haͤtten ſeine Critick
nicht alle Deutſche leſen koͤnnen.
60
Ein Poet mag es melden) Und der iſt mit Nah-
men Hr. D. Dan. Tr-ll-r ſelbſt, der dieſe Verſe aus
einer nicht nur poetiſchen, ſondern gar prophetiſchen
Begeiſterung, welches er aber ſelber nicht gewuſt hatte,
ſchon vor einiger Zeit geſchrieben hat.
61
Anmerckungen.
Jn Zuͤrch neulich herausgekommen)
Dieſe Pa-
rentheſis
war uͤberaus nothwendig den Leſer zu erin-
nern, daß Herr G-ttſch-d auch einen Verſuch einer
Critiſchen Dichtkunſt fuͤr die Deutſchen
an das Licht
geſtellt habe, wovon ſchon im Jahr 1737. die zweyte
Auflage herausgekommen. Wie begierig dieſes Werck
ſey geleſen worden, was vor einen geſegneten Einfluß
daſſelbige auf die falſchen Begriffe der Deutſchen von
dem wahren Weſen der Poeſie, und auf die Schriften
der Poeten gehabt, und was vor ein Anſehen ihm ſel-
biges erworben habe, das kan man aus der Vorrede
zu der neuen Auflage von ihm ſelbſt mit mehrerm ver-
nehmen, wo er ſich auch auf ſchriftliche Urkunden und
Verſicherungen von bekannten Perſonen beruffet, an
denen die herrliche Wuͤrckung einer poetiſchen Wieder-
geburt ſich augenſcheinlich geaͤuſſert hat. Man hat ſich
alſo wohl vorzuſehen, daß man den Verſuch einer
Critiſchen Dichtkunſt fuͤr die Deutſchen,
der in Leip-
zig im Jahre 1737. herausgekommen, und Hrn. G-tt-
ſch-d zum Verfaſſer hat, nicht mit der Critiſchen
Dichtkunſt,
die in Zuͤrch neulich herausgekommen,
vermiſche. Denn ſo weit Leipzig von Zuͤrch entfernet
iſt, eben ſo weit ſind dieſe beyde Wercke in Anſehung
ihres
62
ihres Werths von einander unterſchieden. Jch will
nur beylaͤuftig zwey einzige Merckmahle andeuten, wel-
che dienen koͤnnen, dieſen Unterſchied einigermaſſen zu
erkennen zu geben. Das erſte iſt, daß das eine Werck
in Leipzig, das andere aber im Schweitzerland verfer-
tiget und gedruͤckt worden; Kan man nun in Abſicht
auf das leztere nicht mit Recht fragen: Sollte auch et-
was gutes aus N-z-r-th kommen? Das andere Merck-
mahl iſt, daß dieſes eine Critiſche Dichtkunſt uͤberhaupt,
jenes aber eine Critiſche Dichtkunſt fuͤr die Deutſchen
iſt. Es kan zwar das eine Werck ſo wenig als das an-
dere von jemand geleſen werden, der die deutſche Spra-
che nicht verſteht, und in dieſem weitlaͤuftigen Sinn
ſind beyde Wercke nur fuͤr die Deutſchen geſchrieben:
Aber das Leipzigiſche Werck iſt auf den deutſchen Ho-
rizont ſo geſchickt eingerichtet, daß wenn es gleich in
eine andere Sprache uͤberſezt wuͤrde, dennoch niemand
als ein gebohrner Deutſcher ſolches verſtehen, oder
ſich zu Nutze machen koͤnnte: Es leitet das innere
Weſen der Poeſie und der Dichtung nicht aus der all-
gemeinen Natur der Menſchen uͤberhaupt, ſondern
aus der Natur der deutſchen Nation ins beſondre her:
Und der Verfaſſer hat aus dieſem Grunde gar genau
und mit einer mehr als mathematiſchen Gewißheit be-
ſtimmen koͤnnen, daß es lediglich unmoͤglich ſey, und
daß es mit der Natur der deutſchen Nation ſtreite, daß
ein redlicher Deutſcher jemahls einen Geſchmack an
Miltons Verlohrnem Paradieſe finden ſollte. Wem
alſo noch einige Tropfen deutſches Bluts in den Adern
rinnen, der wird den Lohenſteiniſchen Geſchmack, der
in dem Miltoniſchen Gedichte herrſchet, verabſcheuen,
und
63
und Addiſon, als einen Verfuͤhrer der gantzen Engli-
ſchen Nation, und als einen Verfechter des verderb-
ten Geſchmacks verachten. Man wird hieraus nun
genugſam abnehmen koͤnnen, daß die Critiſche Dicht-
kuͤnſt, auf welche der Schweitzeriſche Verfechter des
Miltoniſchen Anſehens alle ſeine Hoffnung ſetzet, nicht
die Leipzigiſche ſeyn koͤnne, die Hrn. G-ttſch-d zum
Verfaſſer hat.
64
Kuͤnftige Dinge ſind ungewiß)Etiam ſententias
loquitur ‒ ‒ ‒ ‒ Terent.

Die wir hier beſſer, als in der Schweitz haben
koͤnnen)
Freylich kan man in Deutſchland die Wahr-
ſcheinlichkeiten beſſer haben, als in der Schweitz, wie
es einem gedruͤckten Wercke ergehen werde; allermaſ-
ſen ſie dieſe Wahrſcheinlichkeiten und das Schickſal ei-
nes Buchs ſelbſt machen koͤnnen. Wie leicht wird es
ihnen fallen, durch ihr Anſehen, welches ſie bey ih-
ren Schuͤlern haben, durch die Gefaͤlligkeit ihrer Vor-
redner, Journaliſten, Zeitungsſchreiber, die ſie uͤber-
all zu ihren Dienſten haben, durch ihre gelehrten Buͤnd-
niſſe ꝛc. ein Buch, das dem Ruhm einiger von den
beruͤhmteſten deutſchen Poeten ſo ſehr im Lichte ſtehet,
in den Ruff zu bringen, daß es weder gekauft, noch
gele en zu werden verdiene.
65
Vielleicht noch ein Buch bedoͤrfen wird) Eben
wie Milton des Addiſons Vertheidigung beduͤrftig ge-
weſen. Hr. G-tt[ſ]ch-d, und alle Deutſchen, die ei-
nen eben ſo feinen Geſchmack haben als er, glauben
nicht ſo leicht, daß man guten Wein finde, wo kein
Krantz ausgehaͤnget wird.
66
Ueberhaupt gehoͤren) Er verſtehet diejenigen Ma-
terien, die aus der Natur des Menſchen uͤberhaupt
hergeleitet werden, als da ſind, von der Nachah-
mung der Natur, von der Wahl der Materie, von
dem Neuen, von dem Wunderbaren und von dem
Wahrſcheinlichen, von der Eſopiſchen Fabel, von
den Charactern, Reden und Gemuͤthesgedancken,
oder Spruͤchen ꝛc.
67
Sehr weitlaͤuſtig) Hr. G-ttſch-d hat ja in ſei-
nem Verſuch einer Critiſchen Dichtkunſt fuͤr die Deut-
ſchen
ein vollkommenes Muſter gegeben, wie man die
Haupt-Materien, die zur Dichtkunſt gehoͤren, nicht
eben noͤthig habe aus allgemeinen Grundſaͤtzen herzu-
leiten
68
leiten und ſo weitlaͤuftig auszufuͤhren, ſondern wie die-
ſe Materien geſchickt auf das Abſonderliche gezogen,
und nach dem verjuͤngten Maßſtabe ins Kleine gebracht
werden koͤnnen. So hat er z. Ex. in dem 4ten Haupt-
ſtuͤcke, wo er von den drey Gattungen der poetiſchen
Nachahmung handelt, die gantze weitlaͤuftige Materie
von der Poetiſchen Schilderey, wovon Hr. Bodmer
von Zuͤrch erſt neulich ein groſſes Werck mehr als 40.
Bogen ſtarck herausgegeben, in zwo Octav-Seiten
Bl. 136. u. 137. gantz vollſtaͤndig abgehandelt. So
hat er auch die Materie von den Charactern Bl. 138.
bis 141. in 3. §. §. gar kuͤnſtlich ausgefuͤhret. Die
Erklaͤrung von der Natur der Fabel hat ihm recht ſau-
re Muͤh gekoſtet, und doch als er ſie zu Stand gebracht
hatte, blieb ihm noch die Frage uͤbrig zu eroͤrtern:
Ob die poetiſchen Fabeln nothwendig moraliſche Ab-
ſichten haben muͤſſen[:]
Bl. 151. Jn dem folgenden
fuͤnften Hauptſtuͤcke bekuͤmmert er ſich nicht lange, die
Natur des Wunderbaren zu erklaͤren, ſondern er thei-
let das Wunderbare in ſeine Claſſen ein, und iſt ins-
beſondere der Abſchnitt von der poetiſchen Anruffung
der Goͤtter ſehr ausfuͤhrlich gerathen, von Bl. 162.
bis 170. Jn dem ſechsten Hauptſtuͤcke, wo er von
der Wahrſcheinlichkeit in der Poeſie handelt, giebt er
ſich nicht lange Muͤhe, die Natur derſelben auszu-
kundſchaften und ihre Grade zu beſtimmen; ſondern
er laͤßt die alten und neuen Epiſchen Dichter von Ho-
mer an bis auf Voltaire durch die Muſterung gehen,
und verweiſet ihnen alle die Unwahrſcheinlichkeiten, die
ihnen jemahls moͤgen zur Laſt geleget worden ſeyn,
denn er glaͤubt, daß diejenigen keine Narren geweſen,
von denen er ſeine Beſchuldigungen geborget hat. Es
verdiente auch dieſe Dichtkunſt in Abſicht auf den Ver-
faſſer
69
faſſer viel ehender Hiſtoriſch als Critiſch genennet zu
werden, es ſey denn, daß man das vortreffliche Cri-
tiſche Stuͤcke, Bl. 181. wo er Sal. Francken Abendſe-
gen auf eine ſcharfſinnige Weiſe beurtheilet, in eine be-
ſondere Betrachtung ziehen wollte. Jm uͤbrigen iſt alles
auf den deutſchen Horizont gerichtet, und es werden
darinn ſolche Fragen eroͤrtert, die niemand als einem
Deutſchen in den Sinn kommen koͤnnten.
70
Andre aber gar nicht beruͤhret) Naͤmlich die ſo
nothwendigen Capitel und Abſchnitte, die in Herrn
G-ttſch-ds Dichtkunſt gleich zu Anfang ſtehen, vom
Urſprunge und Wachsthum der Poeſie uͤberhaupt;
von dem Chara[c]ter eines Poeten; vom guten Ge-
ſchmacke.
Sind einige Capitel eingeſchaltet)
Dergleichen ſind:
Vergleichung der Mahlerkunſt und der Dichtkunſt;
Erklaͤrung der Poetiſchen Mahlerey;
von der Ver-
wandlung des Wircklichen ins Moͤgliche;
von der
Kunſt gemeinen Dingen das Anſehen der Neuheit
beyzulegen;
von etlichen abſonderlichen Mitteln, die
ſchlechte Materie aufzuſtuͤtzen;
von der Wahl der
Umſtaͤnde und ihrer Verbindung ꝛc.
Ein par unſrer beruͤhmteſten Poeten)
Naͤmlich in
dem ſiebenden Abſchnitte Herr D. Tr-ll-r wegen ſei-
ner Fabeln, und im zehnten Abſchn. wo die Frage er-
oͤrtert wird: Ob die Schrift Auguſt im Lager ein
Gedicht ſey;
Hr. Koͤnig.
71
Angegriffen werden) Verſtehe, durch eine allzu
freye critiſche Unterſuchung und Pruͤffung ihrer Fabeln
und
72
und Gedichte: Equidem vita \& fama pari paſſu ambu-
lant,
ſagt der Lateiner; doch iſts noch beſſer, als
mortuo inſultare leoni.
73
Vielleicht geben wir ꝛc.) Hr. G-ttſch-d wird ſich
um den deutſchen Pindus recht verdient machen, wenn
er fein bald in ſeinen Beytraͤgen, (auf welchem Kampf-
platz er ſchon manchen Ritter, und erſt neulich einen
Damm, einen Hirſch, einen C. G. G. erleget hat,)
dieſem Critiſchen Tell nach dem Kopf greiffet, und
dieſe neue Critiſche Dichtkunſt als ein hoͤchſtſchaͤdliches
und gefaͤhrliches Buch, mit ſeiner recht hoͤflichen und
dabey immer fieghaften Schreibart fein ſchwartz und
verhaßt machet.
(*)
Er hatte in dem 34ſten St. der Tadlerinnen ge-
ſagt:
(*)
ſagt: „Jch geſtehe es, daß ich in gewiſſen Faͤllen gar
„wohl ſagen kan, welcher Gedancke ſinnreich ſey oder nicht,
„allein wenn ich eine Beſchreibung geben ſoll, ſo will es
„nicht fort.„ Wie koͤmmt es denn, ſagten die Zuͤri-
cher, daß er mit ſo viel Eigenduͤnckel einem Autor
die Wiſſenſchaft von dem, was ſcharfſinnig iſt, abſpricht,
und ſie einem andern zugeſteht, eine Stelle als laͤcherlich
verurtheilt, und eine andre gleich ſo unbegruͤndet canoniſirt.
Es iſt fuͤrwahr, faͤhren ſie fort, eine Thorheit zu hoffen,
daß dergleichen Critici den Geſchmack verbeſſern werden,
daß dieſe Anfuͤhrer die wahre und philoſophiſche Wohlreden-
heit wieder herſtellen werden. Die Antwort, die Herr
Philologus auf dieſe Beſchuldigung im LVIſten St. des
Biedermannes gegeben, iſt recht fremd und ſonderbar.
„Was kan ich davor, ſagt er, daß ich in meinem Va-
„terlande kein ſo großſprecheriſches Pralen gelernet, als
„der Criticus in dem ſeinigen? Jch ſage aus Be-
„ſcheidenheit lieber zu wenig von mir, als daß ich mit
„ihm groſſe Rodomontaden machen duͤrfte.„ Die
Beſcheidenheit iſt wahrhaftig recht exemplariſch, da man
ſich ſelber der Unwiſſenheit in einer Sache ſchuldig erkennt,
von welcher man im Begriffe ſtehet Lehren und Regeln zu
geben! „Jch habe mich, ſagt er ferner, zu Verbeſſe-
„rung des Geſchmackes in meinem damahligen Schrei-
„ben nicht anheiſchig gemachet, und in dieſem Abſehen
„waͤre es freylich eine Thorheit etwas von mir zu hof-
„fen, was ich doch nicht verſprochen habe.„ Dieſer
Verfaſſer ſchreibt denmach nicht, damit er uns etwas leh-
re, er ſchreibt um des Schreibens ſelber willen, nicht zu
Verbeſſerung unſrer Begriffe; oder wenn er dieſes thut,
ſo will er es uns vorher ausdruͤcklich ankuͤndigen. Man muß
ihn darum auch nicht in der Hoffnung leſen, etwas bey
ihm zu lernen, man muß ſich nichts weiter vornehmen als,
zu leſen.
(a)
Anmerckungen.
Jn dieſem gantzen Gedichte iſt die Abſicht des
Philoſophiſchen Poeten, Hrn. Hofrath Drollingers, das
Geſchicke der Seele und des Coͤrpers nach ihrer Tren-
nung, das aus der ungleichen Natur dieſer beyden Theile
herfließt, aus poetiſchen d. i. wahrſcheinlichen Gruͤnden
zu beſtimmen, und auf eine poetiſche d. i. gantz lebhafte
und ſinnliche Weiſe auszufuͤhren. Nach dieſer Abſicht
muͤſſen wir nun die Kunſt des Poeten pruͤffen. Derſelben
gemaͤß iſt die erſte Zeile ſehr geſchickt ausgebildet, da ſie
euch in einem kuͤnſtlich gewehleten Bilde nicht nur die
Verbindung dieſer zwey Weſen, ſondern auch die Urſache
und den Grund ihrer Verbindung, und, welches das
vornehmſte iſt, die groſſe Verſchiedenheit ihrer Natur
vorſtellet, wenn ſie den Coͤrper als etwas mechani-
ſches unter dem Bilde einer Huͤtte, die Seele aber als
eine mit Verſtande und Klugheit begabte Beherrſcherin
zu betrachten vorleget. Denn wie es keine natuͤrliche Fol-
ge iſt, wenn eine Machine durch Abnutzung und Verſchleiſ-
ſung, oder durch einen gewaltſamen Zufall zuſammen-
faͤllt, daß derjenige Verſtand, der ſie in ihren mechani-
ſchen Wirckungen nach gewiſſen Abſichten dirigirt hat-
mit in das Verderben hingeriſſen werde, ſo iſt es nich,
weniger ungereimt, die Seele in die Zerſtoͤhrung des Coͤrt
pers mit einzuflechten. Alſo iſt dieſe periphraſtiſche Anre-
de und Beſchreibung der Seele nicht gleichguͤltig; ſon-
dern ſie hat ihre Nothwendigkeit in der Abſicht des Poe-
ten, und man kan mit Grunde ſagen, das gantze Ge-
dichte ſey eine bloſſe Entwickelung derjenigen Saamen-
Koͤrner, die in dieſen fruchtbaren Jdeen eingeſchloſſen
ſind.
(b)
Anmerckungen.
Nachdem ich in der vorhergehenden Anmerckung
die Nothwendigkeit und den Grund der Umſchreibung der
Seele in der erſten Zeile aufgedecket habe, ſo habe ich da-
mit auch denjenigen genug gethan, die ſich bereden wol-
len, der Poet, wenn er in der zweyten Zeile auſſer der
Figur von dem Coͤrper der Seele redet, verfuͤhre den Le-
ſer auf den Wahn, als wenn die Huͤtte, die ſie beherr-
ſchet, und der Coͤrper, zwey gantz verſchiedene Dinge waͤ-
ren. Denn wenn man die erſte Zeile als eine nothwendi-
ge poetiſche Umſchreibung der Seele, die ihre Abſicht auf
das gantze Gedicht hat, aufnimmt, ſo kan dieſer Betrug
nicht mehr Platz haben.
(c)
Der Poet haͤtte nach der gemeinen und gewohnten
Art zu reden ſagen koͤnnen:
Er nahet ſich mit ſchnellem Schritte,

Der Herrſchaft der Verweſung zu.

Aber er wollte ſich hier ſeines poetiſchen Vorrechts, das
ungemeine dem gemeinen vorzuziehen, nicht begeben, noch
dieſe Gelegenheit, durch eine kleine Veraͤnderung die Auf-
merckſamkeit des Leſers zu ſchaͤrffen, vorbeygehen. Auſ-
ſerdem hat dieſe Veraͤnderung auch mehr Licht und Nach-
druck, als die gemeine Redensart: Es nahet ſich alles
der Verweſung;
oder: Es gehet alles mit ſtarcken
Schritten nach der Verweſung;
maſſen ſie uns die Ver-
weſung
als eine Perſon vorſtellet, ihr eine Herrſchaft zu-
leget, und eine Begierde und Bemuͤhung die Graͤntzen
derſelben immer weiter auszubreiten.
(d)
Die Metapher, welche das Blut als ein Lebens-
Oele
vorſtellet, koͤnnte nicht bequemer ſeyn: Und wir er-
kennen in dieſer und andern dergleichen Beſchreibungen
den Pinſel eines geſchickten Mahlers, deſſen Kunſt in der
(e)
Die Conſtructio activa hat hier etwas zweydeu-
tiges, oder wenigſtens nicht Deutlichkeit gnug. Man
koͤnnte Grundgeſetze und Miſchung im Klagefalle nehmen,
aber das waͤre wieder die Abſicht des Poeten. Die Mei-
nung, die alsdann herauskaͤme, iſt zwar ſo offenbar
unbequem, daß nur ein kleines Nachſinnen vonnoͤthen
iſt, ſie zu verwerffen, und die wahre Meinung zu ent-
decken. Dennoch hat Quintilianus den Scribenten be-
fohlen, dergleichen Arten von Zweydeutigkeit eben ſo ſorg-
faͤltig zu vermeiden als gewiſſe andre, welche der verſtaͤn-
digſte Kopf nicht aufloͤſen kan. Vitanda imprimis ambi-
guitas,
ſagt er, non hæc ſolum, quæ incertum intellec-
tum facit, ut, Chremetem audivi percuſſiſſe Demeam,
ſed illa quoque, quæ etiamſi turbare non poteſt ſenſum,

in
(*)
Anmerckungen.
Wahl der kleinſten und abſonderlichſten Umſtaͤnde, die
zur Ausbildung des Gemaͤhldes vortrefflich dienen, und
meiſtens in der bequemen Anwendung der Beywoͤrter, beſteht.
(*)
Anmerckungen.
in idem tamen verborum vitium incidit, ut ſi quis dicat,
viſum à ſe hominem librum ſcribentem. Nam etiamſi
librum ab homine ſcribi pateat, male tamen compoſue-
rat, feceratque ambiguum, quantum in ipſo fuit.
Vor-
treffliche Scribenten laſſen manchmahl dergleichen Unrich-
tigkeiten mit Vorſatz ſtehen. Sie werffen damit dem Nei-
de ein Bein vor, daran er nagen moͤge, damit ſie inzwi-
ſchen ungeſtoͤret bleiben.
(f)
Was ich oben in der erſten Anmerckung von den
wahrſcheinlichen poetiſchen Gruͤnden beylaͤuftig geſagt ha-
be, davon giebt uns dieſe Strophe ein gar deutliches
Exempel. Sonderlich iſt in den zwo letztern Zeilen die
Wahrſcheinlichkeit in das helleſte Licht geſetzet. Denn wenn
die Seele von einer goͤttlichen Natur iſt, die Gottheit aber
in ihrer Natur unzerſtoͤhrlich und nothwendig iſt, ſo hat
der poetiſche Schluß:
Wer kan ein ſolches Seyn zerſtoͤhren?
ſeine voͤllige Richtigkeit. Jn den folgenden Strophen
fuͤhret der Poet den Unterſatz ſeines poetiſchen Schluſſes
weitlaͤuftiger aus, und zeiget aus den wunderbaren
Wir-
(g)
Dieſe Redensart iſt ſichtbarlich von beſonderm
Nachdruck. Sie ſtellet uns einen tugendhaften Menſchen
in ſolchen Umſtaͤnden vor, daß er entweder ſich ſelber des
Umganges mit ſeinen Freunden und Anverwandten, des
Genuſſes ſeiner Guͤter und Haͤuſer, berauben, oder an-
dere von ſeinen Mitbuͤrgern im Elende und in der Noth
ſehen muß; da er die Großmuth hat, das erſtere zu erweh-
len, und dieſen zum beſten aus freyem Willen in das
Elend zu gehen. Opitz hat daſſelbe Wort mit gleichem
Nachdruck von den Tyrannen gebraucht:
Die erſtlich gute Leut, hernach ſich ſelbſt verbannen.
(*)
Anmerckungen.
Wirckungen der Seele, und den Kraͤften, von welchen ſie
herruͤhren, daß die Seele etwas von dem goͤttlichen We-
ſen in ſich habe; Divinæ particula auræ. Welches ihm
Anlaß giebet, ſich in die herrlichſten Beſchreibungen aus-
zubreiten.
(h)
Anmerckungen.
Sturm und Stille in den innerſten Sinnen wuͤr-
ken; und den Regungen Geboth ſtellen, hat den Schein
von einem Wunderwercke; da izo dieſes dem Willen zu-
geſchrieben wird, den man in eine Perſon verwandelt,
empfaͤngt die Rede daher etwas ungemeines an Leben,
und Nachdruck. Ein ſchlechter Poet haͤtte ſich begnuͤget
zu ſagen: Jhr koͤnnet die Gemuͤther nach Belieben in Be-
wegung bringen, und wieder beſaͤnftigen, ihr koͤnnet die
Affecte, nachdem ihr ſie durch eure Kunſt aufgebracht ha-
bet, eben ſo leicht wieder ſtillen. Das waͤre auch nicht
uͤbel geweſen; aber wie matt, wie unbelebt iſt es gegen
dem obigen, wie proſaiſch!
(i)
Anmerckungen.
Jn dem dritten Cap. der franzoͤſiſchen Briefe ſur
la Religion eſſentielle à l’homme
wird ein Menſch einge-
fuͤhret, welchen ſeine Empfindungen und Begriffe nach
und nach ſo weit fuͤhren, daß er endlich bis in eine andre
Welt hindurchdringet. Seine Vernunftſchluͤſſe kommen
mit unſers Poeten Gedancken in dieſer und den 3. folgen-
den Strophen ſehr genau uͤberein, und koͤnnen fuͤr eine
weitere Ausfuͤhrung derſelben genommen werden. Une
autre experience,
heißt es von dieſem Menſchen, le con-
duit plus loin. C’eſt la pente invincible, qu’il a pour le
bonheur. Ce ſentiment, qui marque une eſpece de di-
ſette, lui fait faire une attention; c’eſt qu’il y a une ſorte
de diſtance entre ce but auquel il aſpire, \& l’état où il
eſt actuellement: Il comprend que le déſir inſeparable de
ſon être, ne peut être desavoué de celui qui en eſt l’au-
teur: Il en conclut, que le Bonheur eſt la ſin de ſa deſti-
née. Cette concluſion le conduit à une autre. Il remar-
que que ni lui ni les autres hommes, qui tous ont le mê-
me deſir, ne parviennent point à leur but; que du moins
il n’y parviennent pas dans le rôle ſi court qu’ils jouent
ſur cette terre; que s’il étoit poſſible, qu’ils n’y parvinſ-,
ſent jamais, le grand ouvrier auroit manqué ſon but.
‒ ‒ Il en conclut que le rôle qu’ils jouent en ce monde,
n’eſt que le commencement de leur exiſtence, ou de leur
durée; qu’il doit y avoir au delà une maniere d’exiſter
que nous ignorons; ‒ ‒ que ce but doit avoir ſon ac-
compliſſement ailleurs.
(k)
Anmerckungen.
Dieſe praͤchtige Redensart iſt auf einen Wahn
der Sinnen gegruͤndet, welchen es vorkoͤmmt, der Um-
kreis der Planeten ſey kleiner geweſen, eh ſie die Traban-
ten darinnen wahrgenommen haben. Nachdem denn
Huͤigens ihnen etliche neue von dieſer Art gezeiget, hat es
ihnen geſchienen, ihr Umkreis ſey groͤſſer geworden. Jzo
wird dieſe Vergroͤſſerung demſelben zugeſchrieben, der ſie
in unſern Sinnen verurſachet hat. Man ſagt auf denſelben
Grund, Columbus habe eine neue Welt zu der alten hin-
zugefuͤget.
(l)
Anmerckungen.
Sehet hier die Perſon des Zufalls, die Milton
neben Orchus, Ades, dem Tumult, und der Unordnung
als Aufwaͤrter und Bediente des Chaos und der alten
Nacht aufgefuͤhrt hat.
(m)
Anmerckungen.
Was iſt der Zukunft natuͤrlicher als das Kom-
men? Und mit welchem Leben wird ſie zu einer thaͤtigen
Perſon erhoben, und ihr die Rolle der Gerechtigkeit auf-
gegeben, welche nicht ploͤtzlich ſchlaͤgt, ſondern mit der
Zeit koͤmmt!
(n)
Die Betrachtungen des Hr. Probſt Reinbecken
uͤber die Unſterblichkeit der Seele, geben uns einen ſolchen
groſſen Geiſt zu erkennen, der dieſe Lehre in ein gantz
neues Licht geſetzet, dadurch ſie eine ungemeine Klarheit
empfangen hat.
(o)
Anmerckungen.
Jn folgenden Zeilen aus einem ungedruckten Ge-
dichte werden dieſe Gedancken gleichſam erweitert:
Zernichtung unſers Seyns, Gedancke voll Entſetzen,

Der nur ein feiges Hertz bequem iſt zu ergetzen,

Das gern das Hoffnungsrecht zur Ewigkeit vermißt,

Weil’s zum Unſterblichſeyn zu bloͤd und furchtſam iſt!

Das ſich zuwieder wuͤnſcht und hoffet im Verſchwinden

Ein finſtres, nichtigs, Gluͤck und Beſſerſeyn zu finden;

Das den Gedancken liebt, daß ſeine Seel im Ruß

Sich unter todten Schutt dereinſt verlieren muß.

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CC-BY-4.0
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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2025). Bodmer, Johann Jakob. Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bhs8.0