[][][][][][][[1]]
Die
Erbſchleicher
.

Ein
Luſtſpiel
in fuͤnf Akten


Captes aſtutus vbique
Teſtamenta ſenum; neu, ſi vafer vnus et alter
Inſidiatorem praeroſo fugerit hamo,
Aut ſpem deponas, aut artem illuſus omittas.
(Horat.)

Leipzig,:
im Verlage der Dykiſchen Buchhandlung.
1789.

[[2]]

Perſonen.


  • Gerhard, ein reicher Privatmann.

    • Sternberg, Advokat, Vetter

    • Wittwe Ungewitter, Muhme

    • Weinhold, Vetter

    • Juſtine, Haushaͤlterinn

    • Benedikt, Bedienter
    • des Herrn
      Gerhard.


  • Madam Anker, Lieutenantswittwe.

  • Thereſe, ihre Tochter.

  • Bieder, Landgeiſtlicher.

  • Piſtorius, Apotheker.

  • Die Handlung geht in einer anſehnlichen
    Landſtadt vor.

[[3]]

Etwas uͤber das Aeußerliche
der Perſonen.


Gerhard.

Ein einfarbiger Schlafrock mit dem Guͤrtel, ei-
ne weiße Federmuͤtze, mit einer bunten Schleife;
ein weißes Halstuch mit langen Zipfeln; breite,
ſteife Manſchetten; ein buntſeidenes Schnupftuch
am Guͤrtel hangend; ſchwarze Podagriſtenſtiefeln,
ein buntſeidener Handſchuh an der rechten Hand;
eine Handkruͤcke; eigenſinnige Reinlichkeit im
ganzen Anzuge; hypochondriſches Ausſehen; grau-
ſchattirtes Haar und Augenbraunen; kraͤnkli-
cher Ton und langſame Sprache, die ſich jedoch
im Affekt verhaͤltnißmaͤßig abaͤndert; ceremonioͤ-
ſes Weſen; wenig Geſticulation; viel Mienenſpiel.


Sternberg.

Ein Frack mit bunter Weſte und
ſchwarzen oder farbigen Beinkleidern, einfach aber
modiſch; ſchlichte Friſur; Hut und Stock; leb-
hafter Ton; kurze Ausſprache; geſetztes Weſen.


Wittwe Ungewitter.

Schwarze Trauerklei-
dung, nach modiſchem Schnitte; ein Kopfzeug
A 2
[4]Ueber die Perſonen.
mit einer großen ſchwarzen Kappe, die das Ge-
ſicht halb bedeckt; Halstuch, Faͤcher, Schuhe,
Handſchuh, alles ſchwarz; Ueberbleibſel von
Schoͤnheit; ſchmachtender Ton; affektirte Spra-
che; zierliches Weſen; in den Scenen mit Wein-
hold und im fuͤnften Akte, lebhaftes, etwas ver-
trauliches Weſen, ſchneidender Ton, geſchwinde
Sprache.


Weinhold.

Dunkler Oberrock, zugeknoͤpft;
ungepuderte Peruͤcke, die ein hereingekaͤmmtes,
natuͤrlich lockiges Haar nachahmt; runder Hut
mit buntem Bande; Knotenſtock; ſchwarzer Bart
und Augenbraunen. Dumpfer, ſchleichender Ton;
feyerliche Sprache; [geheimnißvolles] Weſen; in den
Scenen mit Wittwe Ungewitter und im fuͤnften
Akt munteres, etwas plumpes Weſen, ſoldatiſcher
Ton, nachlaͤßige Sprache; in der letzten Scene,
Uniform, nett und knapp; jugendlichere Zuͤge; friſirt.


Juſtine.

Einfache, weiße Hauskleidung mit
Schuͤrze und Halstuch. Nichts von Seide oder
Flor; niedrige Dormeuſe, oder hereingekaͤmmtes
Haar, mit einem Bande gebunden; Strumpf-
[5]Ueber die Perſonen.
handſchuhe; ſchalkhafter Ton; ſchnelle Sprache;
geſchaͤftiges Weſen; in den Scenen mit Stern-
berg und in der zweyten Haͤlfte des fuͤnſten Akts,
ſanfter Ton, natuͤrliche Sprache, edles Weſen.


Benedikt.

Abgetragene buͤrgerliche Kleidung,
mit ſchwarzer Weſte; weißgepuderte, ſteife Fri-
ſur; buntes Halstuch; pedantiſch in Ton, Spra-
che und Weſen; als Notarius, ein gruͤner Rock
mit goldener Treſſe, lang, weit und zugeknoͤpft,
daß er ſeine vorige Kleidung verbirgt; ausge-
ſtopfter Bauch; weißes Halstuch; altvaͤteriſche
Haarbeutelperuͤcke; ein Pflaſter im Geſichte; ver-
ſtellte Stimme und Ausſprache, das ihn unkennt-
lich macht; Hut, Stock und kleiner Degen; al-
lenfalls auch hinkend.


Mad. Anker.

Altmodiſcher Stoff nach mo-
diſchem Schnitt; galantes aber geſchmackloſes
Kopfzeug und Halstuch; große Bandſchleife vor
der Bruſt; großer Faͤcher; goldne Uhr mit alt-
modiſcher Kette; bunte Handſchuhe; ſtarke Zuͤge;
maͤnnlicher Ton; ſchwer accentuirte Sprache;
feyerliches Weſen.


A 3
[6]Ueber die Perſonen.
Thereſe.

Einfarbiger Leibrock ohne Schlep-
pe; ſchwarze Schuͤrze; ſchwarzes Halstuch, ſchwar-
zer Hut ohne Blumen und Federn; graue Hand-
ſchuh; kleiner Faͤcher; in den Scenen mit der
Mutter leiſer Ton, ſchuͤchternes, tanzſchulmaͤßi-
ges Weſen; mit Gerhard, ohne die Mutter, kin-
diſcher Ton, geſchwinde Sprache, taͤndelndes We-
ſen; mit Sternberg und im vierten und fuͤnften
Akte munterer Ton, geſchmeidige Sprache, anſtaͤn-
dig lebhaftes Weſen.


Bieder.

Grauer Frack; ſchwarze Unterkleider;
eigenes Haar, rundfriſirt; Hut und Stock; einfa-
ches Weſen; ſanfter Ton; ausdrucksvolle Sprache,
ohne Kanzelmanier.


Piſtorius.

Buntſcheckige buͤrgerliche Kleidung;
kleine Schnallen; kleiner Degen; kleiner Hut;
bunte Handſchuhe; Haarbeutelperuͤcke; ſchwarzſei-
denes Halstuch; kupferig und wohlbeleibt; ſchreyen-
der Ton; polternde, gemeine Sprache; unruhiges
zudringliches Weſen.


[[7]]

Erſter Akt.


Gerhards Wohnzimmer, mit einer Mittelthuͤr und
zwey Seitenthuͤren. Die Mittelthuͤr fuͤhrt ins
Haus; die vordere Thuͤr rechter Hand, in ein Kabi-
net, die hintere in Gerhards Schreibſtube. Altmo-
diſche Moͤbeln. Vorne ein Krankenſtuhl mit Pol-
ſtern und Kißen, vor demſelben ein kleiner Tiſch mit
Arzneyglaͤſern, Toͤpfen, Loͤffeln, einem ſilbernen Be-
cher, einer Klingel und einer Pergamentrolle. An
der Wand ein Thermometer. Noch ein Tiſch,
worauf einige Buͤcher und ein Strickzeug
liegen.

Erſter Auftritt.


Benedikt.(allein.)

(Steht, und gafft den Thermometer an.)

Wenn ein Kraut fuͤr den Tod gewachſen
waͤre, unſer Herr haͤtts lange. Worauf er nicht
verfaͤllt, das ſetzen ihm die ſogenannten guten
Freunde in den Kopf. — Hm! wer dich erfun-
den hat, mag wohl recht gelacht haben. Aber
A 4
[8]Die Erbſchleicher.
wer dich unſerm Herrn geſchenkt — die ſuper-
kluge Frau Lieutenantinn da gegen uͤber — die
hat die Hoͤlle an mir verdient. Sonſt brummte
er doch nur, wenn er fror. Jetzt friert er, wenn
das Ding faͤllt. Und ſteigts ſo breit, als eine
Nadelſpitze uͤber den rothen Strich da oben — ſo
will er den Schlag kriegen. Es thaͤte Noth,
man kaͤme nicht mehr vom Ofenloche weg. Alle Tage
neue Plage! und doch Jahr aus Jahr ein —
der alte Lohn!


Zweiter Auftritt.


Juſtine. Benedikt.

Juſtine
(ſieht linker Hand zur hintern Seitenthür
herein)

Iſt Er hier, Benedikt?


Benedikt.

Guten Morgen, Mamſell Ju-
ſtinchen!


Juſtine
(wie vorhin.)

Er ſoll gleich in die
Apotheke gehn. Einen ſchoͤnen guten Morgen an
den Herrn Gevatter Piſtorius, und der Herr
baͤte um die bewußten Tropfen.


Benedikt
(faßt ſie bey der Hand.)

Ih, kom-
men Sie doch ein bischen naͤher.


[9]Die Erbſchleicher.
Juſtine.

Ich habe keine Zeit.


Benedikt
(zieht ſie herein.)

Stehlen Sie ſie,
wie ich.


Juſtine.

Man ſiehts an dem Tiſche, daß
Er lieber faullenzt, als aufraͤumt. Iſt das Ord-
nung?

(Geht vor, wiſcht ab, räumt auf, vertheilt die
Sachen auf die Tiſche, u. ſ. w.)

Benedikt
(vertraulich.)

Mamſellchen!


Juſtine
(in voriger Beſchäſtigung.)

Halt Er ſich
nicht auf!


Benedikt.

Kann ich etwann zwey Wuͤrfe mit
Einem Stein thun?


Juſtine.

Das heißt — ſeinen ſchwachen Ma-
gen in der Apotheke ſtaͤrken?


Benedikt.

Nein, das heißt — einen Te-
ſtamentsſchmidt beſtellen.


Juſtine.

O, die Luſt laßt euch vergehen.


Benedikt.

Euch? Wer ſind die Euch?


Juſtine.

Herr Sternberg und Er.


Benedikt
(betroffen.)

Was geht mich Herr
Sternberg an?


Juſtine.

Geht, geht! Haltet eure Karten
beſſer an euch! Ihr tretet ſo leiſe auf, daß man
euch durchs ganze Haus trappen hoͤrt. Der Alte
hat euch ſo gut weg, als ich.


A 5
[10]Die Erbſchleicher.
Benedikt.

Das iſt mir zu hoch.


Juſtine.

Ihr wollt ihn erben. Aber nehmt
euch in Acht! Er fuͤhrt euch an. Und ich bin die
Erſte, die euch auslacht.


Benedikt
(ſtutzt.)

So? — Ja, Sie haben
gut lachen. Wer ſo mit dem alten Herrn ſteht,
als Sie!


Juſtine.

Das kann Jeder, der ſeine Schul-
digkeit thut.


Benedikt
(ſpöttiſch.)

Schuldigkeit? — Und
etwas druͤber!


Juſtine
(ſtolz.)

Was ſchwatzt Er?


Benedikt.

Gehts bald los mit der Ma-
dam
? Darf man gratuliren?


Juſtine
(kalt.)

Fort in die Apotheke!


Benedikt
(im Gehen, vor ſich.)

Es muß nicht
wahr ſeyn. Sonſt thaͤte ſie boͤſe.

(Bleibt ſtehen
und ſeufzt.)

Mamſellchen!


Juſtine.

Nun?


Benedikt.

Was hab’ ich Ihnen denn zu Lei-
de gethan?


Juſtine.

Warum?


Benedikt
(näher kommend.)

Anfangs waren wir
ſo gute Freunde.

(Will ſie bey der Hand nehmen.)

Juſtine
(die Hand zurück ziehend.)

Gute Freun-
de? Zuviel Ehre!


[11]Die Erbſchleicher
Benedikt.

Lieber Himmel! Ich beſcheide
mich ja gern, daß Sie vornehmer ſind, als ich.
Ihr Herr Papa war Pfarrer, meiner nur Schul-
meiſter. Aber am Ende ſtammen wir doch Alle
von Adam her, wenns

(klopft an die Taſchen)

hier
hohl klingt.


Juſtine.

Pinſel!


Benedikt.

Ich kann freylich die Worte nicht
ſo zierlich ſetzen, als Sie. Aber ein Pinſel bin
ich darum auch nicht. Ich bin ein friſcher Witt-
wer; und im Fall der Noth — ſteh’ ich meinen
Mann, wie ein Anderer.


Juſtine
(ſcherzhaft.)

Hier im Hauſe kennen
wir nur die Arzneynoth, und in der laͤßt uns Herr
Piſtorius nicht ſtecken.


Benedikt
(verdrüßlich.)

Mit Ihren Einfaͤllen
ſchneiden Sie Einem immer das Wort ab. —
Aber es muß heraus. Wenn Herr Sternberg —
weil Sie doch ſelbſt davon angefangen haben —
wenn er Univerſalerbe wird, bekomm’ ich fuͤnf
hundert Thaler, das iſt ſchon ſo gut, als richtig.
— Geringer kann er Sie fuͤrwahr nicht abfin-
den. Das addirt, und mit einem Nebenver-
dienſtchen multiplicirt — ſollte ſich davon nicht
leben laſſen? —

(Schäkernd.)

Mir waͤre nicht
[12]Die Erbſchleicher.
bange, und wenn der erſte Hausrath dop-
pelt und dreyfach kaͤme, hehehe!


Juſtine
(ernſthaft.)

Musje Benedikt! Wir
haben zum letztenmal geſpaſt.


Dritter Auftritt.


Sternberg. Vorige.

Sternberg
(kömmt durch die Mittelthür; im Ein-
treten.)

Guten Morgen, Kinder! So allein? ſo
muͤßig?


Juſtine
(verneigt ſich.)

Benedikt.

Nichts weniger als muͤßig. Wir
machen Projekte.


Juſtine.

Und vertaͤndeln die Zeit.

(Dreht ihn
herum.)

Geh Er ſeiner Wege!


Sternberg.

Was waren es denn fuͤr Pro-
jekte, Juſtinchen?


Benedikt
(wieder umkehrend.)

Wie man ſie
in unſern Jahren macht, Herr Sternberg. Erſt
zu erben, und hernach zu heirathen.


Juſtine.

Will Er ſich trollen, oder nicht!
Soll ich Ihn beym Herrn verklagen?


Benedikt.

Nu nu! Nur gnaͤdig, Mamſell
Haushofmeiſterinn!

(Thut, als ob er ginge.)

[13]Die Erbſchleicher.
Sternberg
(zu Juſtinen.)

Wie gehts dem
Herrn Vetter?


Juſtine.

Sehr wohl, Herr Sternberg.


Benedikt
(wieder kommend.)

Glauben Sie ihr
kein Wort! Sie iſt beſtochen.

(Ihm ins Ohr.)

Ge-
ſtern war der Knochenmann wieder vor der Thuͤr.


Sternberg.

Du erſchreckſt mich.


Benedikt
(ſieht ihm ins Geſicht.)

Wie ſehn Sie
denn aus, wenn Sie erſchrecken?


Juſtine
(ihn forttreibend.)

Marſch! Marſch!


Benedikt
(ſich weigernd.)

Nur noch ein Woͤrt-
chen! — Herr Sternberg, mit dem Anſtande
zwingen wirs nicht. Wir muͤſſen ein Treiben
anſtellen, oder das Wild geht uns aus dem Re-
viere. Mamſell Juſtinchen prophezeiht uns nichts
Gutes; und mir hat dieſe Nacht ſo naͤrriſch ge-
traͤumt, ſo naͤrriſch!


Juſtine.

Kein Wunder! wenn Er traͤumt,
wie Er wacht.


Sternberg.

Nun? laß doch hoͤren!


Benedikt
(zu Juſtinen.)

Darf ich?


Juſtine.

Herr Sternberg hat zu be-
fehlen.


Benedikt.

Der alte Herr lag auf der Bahre.
Und, wie die Heuſchrecken, kamen Schwadronen
[14]Die Erbſchleicher.
Vettern und Muhmen geflogen. Das war ein
Spektakel! Sie theilten nicht; ſie pluͤnderten.
Und — ſtellen Sie ſich vor! — ich war auch
dabey. Und von Rechts wegen! Ich hatte mich
an den Stammbaum mit angeklammert. Denn
Ihr ſeeliger Herr Vetter — ich meyne den aͤl-
tern Bruder des Herrn Gerhard — der ſich —
Sie habens wohl mehr gehoͤrt? — der ſich, mit
Reſpekt zu ſagen, todtpokulirt hat — meine
Mutter hatte die Ehre — ſeine Koͤchinn zu
ſeyn. Zum Ungluͤck ſtand der gute Herr mit Ei-
nem Fuß im Himmel, als ich erſt mit Einem
Auge in die Welt guckte — und da fiel ſein ſchoͤ-
nes Rittergut an unſern alten Brummbaͤr. Aber
Leute, die ſich ſein noch, wie von geſtern her, er-
innern, haben mich verſichert, meine Naſe ſaͤh
aus, als waͤre ſie ihm aus dem Geſicht geſchnit-
ten — und darauf, und auf meine durſtige Le-
ber, die ich auch mit ihm gemein haͤtte, koͤnnt’ ich
provociren, wann ich wollte. Diener, Herr Vetter!


(Läuft ab, nach der Mittelthür.)

Sternberg
(droht ihm nach.)

Schaͤker, warte!


[15]Die Erbſchleicher.

Vierter Auftritt.


Sternberg. Juſtine.

Juſtine.

Der Narr glaubt uns alle zu uͤber-
ſehen, und iſt ſeiner Sache ſo gewiß, daß er ſich
eben foͤrmlich zu meinem Freyer aufgeworfen hat.


Sternberg.

Ueber die Dummdreiſtigkeit! —
Aber du haſt doch - - -


Juſtine.

Die Sproͤde geſpielt? Ey freylich!
Aber mehr nicht, als es der Abſtand von der
Haushaͤlterinn zum Hausknecht, oder beſſer —
die Politik will. Denn das Spruͤchwort ſagt.
Wer uns nichts nuͤtzt, kann uns ſchaden.


Sternberg.

Geſchwinde, Schweſter! Wie
ſteht es drinnen?


Juſtine.

Die alte Leyer! Geſtoͤhnt, gehuſtet,
kein Auge zugethan, und mit Leuteplagen fortge-
fahren, wo er geſtern aufhoͤrte.


Sternberg.

Arme Juſtine!


Juſtine.

Aber wenn du ihn ſelbſt fragſt, hat
er wie ein Ratz geſchlafen.


Sternberg.

Iſt er zu ſprechen?

(Will ab.)

Juſtine
(ihn haltend.)

Er verbittet alle Staats-
viſiten.


[16]Die Erbſchleicher.
Sternberg.

Das Verbot kann mir nicht
gelten.


Juſtine.

Eben dir.


Sternberg.

Wie?


Juſtine.

Ja, es iſt mein Ernſt.


Sternberg
(betreten.)

Juſtine!


Juſtine.

Du verdirbſt es taͤglich mehr bey
ihm.


Sternberg.

Wodurch? Ums Himmelswil-
len, wodurch? Richt’ ich mich nicht ganz nach
ſeinem Winke? trag’ ich nicht alle ſeine Launen?
Verſaͤum’ ich eine Gelegenheit, ihm meine Erge-
benheit zu beweiſen?


Juſtine.

Man kann des Guten auch zu viel
thun. Du kennſt ihn laͤnger, als ich — und
kennſt ihn ſo wenig. Glaubſt du, ich haͤtte mich ſo
lange in ſeiner Gunſt erhalten, wenn er wuͤßte,
wie nahe ich ihn angehe, und wenn ich ihm nicht
alle Stunden zeigte, daß mir an ſeinem Dienſte
ſo wenig liegt, als an einer Stelle in ſeinem Te-
ſtamente.


Sternberg.

Du ſagſt ihm auch zuweilen
Dinge


Juſtine.

Ein Mistrauiſcher verzeiht eher
Grobheiten, als Schmeicheleyen.


Sternberg.
[17]Die Erbſchleicher.
Sternberg
(auffahrend.)

Der Henker hole
ſein Mistrauen!


Juſtine.

Hat er nicht Bosheit genug erfah-
ren? Haben nicht ſeine naͤchſten Verwandten mit
ihm am undankbarſten gehandelt? Ein Schwager,
der auf ſeinen Kredit Schulden machte; ein Vet-
ter, der ihm mit der Schatulle durchging; ein
Muͤhmchen, das ihn gar vergiften wollte; ein - - -


Sternberg
(einfallend.)

Muß er darum un-
gerecht gegen Andere ſeyn, die ihm nie Anlaß zum
Misvergnuͤgen gaben?


Juſtine.

Bedaur’ ihn, lieber Bruder! Mir
floͤßt er wahres Mitleid ein. Er hat ſechzig
Jahre lang geſammelt — und weiß nun nicht,
fuͤr wen? Er fuͤhlt eine Leere — und kann ſie
nicht ausfuͤllen. Er moͤchte anfangen zu genieſ-
ſen — und hat weder Muth noch Kraͤfte. Er
moͤchte uͤber ſein Vermoͤgen ſchalten — und zit-
tert, es in ſchlechte Haͤnde zu ſpielen. Bey die-
ſem ewigen Streite mit ſich ſelbſt, von Vorboten
des Todes heimgeſucht zu ſeyn, und beſeſſen vom
Daͤmon der Hypochondrie! Ein Kruͤpel von See-
le, und von Koͤrper ein Invalid! Giebts eine
klaͤglichere Lage?


Sternberg.

Ach, wenn ich nicht verliebt
B
[18]Die Erbſchleicher.
waͤre — moͤchte der Geizhals meinethalben ſeine
harten Thaler mit in den Sarg nehmen!


Juſtine.

Meinethalben auch — wenn du
nicht waͤrſt!


Sternberg
(lebhaft.)

Nein, ich kann es
nicht laͤnger anſehen, daß du um meinetwillen
dieneſt.


Juſtine.

Aber warte doch, bis ich mich be-
klage! Meine Schwachheit fuͤr den Alten erleich-
tert mir die Beſchwerden dieſes Verhaͤltniſſes.
Und dann, Moritz —

(ihm die Hand drückend)

auch
Schweſterliebe uͤberwindet Alles.


Sternberg
(ſie umarmend.)

Beſte Schweſter!
— O, was ſeyd Ihr fuͤr trefliche Weſen, du und
meine Thereſe! Es iſt, als ob Madam Anker gar
nicht zu eurem Geſchlechte gehoͤrte. — Woher
koͤmmt es aber, Juſtine, daß die Muͤtter im-
mer nur auf Geld ſehen?


Juſtine
(treuherzig.)

Andre Augenluſt hat ſie
verlaſſen.


Sternberg.

Ich will ihr den Rath geben,
ſich lieber ſelbſt zum Erben einſetzen zu laſſen.


Juſtine.

Wer weiß, was ſie vorhat?


Sternberg.

Spaß!


Juſtine.

Umſonſt iſt ſie nicht in die Nachbar-
[19]Die Erbſchleicher.
ſchaft gezogen. Umſonſt beſucht ſie uns nicht bey
Wind und Wetter, bey Tag und Nacht. Um-
ſonſt ſchickt ſie keine Leckerbißchen. Umſonſt hat
ſie nicht fuͤr jeden Zufall ein Hausmittelchen in
Bereitſchaft, und verſchreibt uns ſogar auf eigne
Koſten jedes Marktſchreyer-arcanum, das die
Hamburgiſchen Zeitungen, oder das Staatsri-
ſtretto auspoſaunen.


Sternberg.

O, das geſchieht aus Liebe zu
Thereſen. Das geſchieht Alles, um den Vetter
unvermerkt unſern Wuͤnſchen geneigt zu machen.


Juſtine.

Aber weiß ich nicht aus deinem
Munde, daß ſie ſich weiland, als Mamſell Han-
nemann, Sterbensmuͤhe gab, ihn zu fangen?


Sternberg.

Sie ſchritt von boͤſen zu guten
Worten, von Kareſſen zum Prozeſſe. Und doch
ging der Galan durch die Lappen.


Juſtine.

Kann den Hageſtolzen nicht die
Reue anwandeln? kann die gefrorne Liebe nicht
wieder aufthauen?


Sternberg
(lachend.)

Und der verdorrte
Stamm wieder gruͤnen und bluͤhen?


Juſtine.

Ohne Scherz, Bruder! warum werd’
ich ſeit einigen Tagen immer hinausgeſchickt, ſobald
ſie ins Zimmer tritt? Warum ſchneidet ſie mir
B 2
[20]Die Erbſchleicher.
Geſichter, wenn ich bleibe? Warum fluͤſtert
ſie ....? Still!

(Hört Gerharden huſten, und
fährt in verändertem Tone fort.)

Ja, es iſt freylich
kein Wetter zum Waſchen. Aber der Herr hats
ſo befohlen; und unſer einem darf nicht gleich
der Kopf ſchief ſtehen, wenn Wetter und Waͤſche
ſich nicht reimen.


Fuͤnfter Auftritt.


Gerhard. Vorige.

Gerhard
(aus der hintern Seitenthür kommend.)

Nu, warum laͤßt man mich denn allein?

(Wird
Sternbergen gewahr.)

Ah ſo! Die Jungfer hat an-
genehme Geſellſchaft.


Sternberg
(ſich verbeugend.)

Guten Morgen,
Herr Vetter!


Gerhard
(an die Mütze rührend.)

Gehorſamer
Diener! — Juſtine! Laß ſie mir einmal den
Herrn Skrupel rufen? Weiß Sie, wo er wohnt?


Juſtine.

Der Notar, oder der Kuͤſter?


Gerhard.

Der Notarius.


Juſtine.

In der breiten Gaſſe.


Gerhard.

Nicht doch! Im großen Eckhau-
[21]Die Erbſchleicher.
ſe am Markte. Das Haus gehoͤrt ihm. Er war
kaum eingezogen, als ich — mit der damaligen
Mamſell Hannemann — bey ihm Gevatter ſtand.


Juſtine.

Der Notarius Skrupel iſt noch
ledig.


Gerhard
(ungeduldig.)

Alles will Sie beſſer
wiſſen. Immer und ewig widerſpricht ſie.


Sternberg.

Herr Vetter, der Skrupel, den
Sie meynen, iſt ſchon zehn Jahre todt.


Gerhard
(erſtaunt.)

Nicht moͤglich? — Ja,
ich komme ſo ſelten unter Leute; ich bekuͤmmere
mich ſo wenig um Stadtneuigkeiten; ich hoͤre und
ſehe nichts.


Juſtine.

Herr Piſtorius iſt ja unſer taͤgli-
cher Poſtreiter. Aber ſo etwas vergißt ſich
leicht.


Gerhard
(empfindlich.)

Seit wann bin ich
denn vergeßlich? Ich klage jetzt weit weniger
uͤber meinen Kopf, als ſonſt.

(Zu Sternberg.)

Schon zehn Jahre todt! Ey ey! Der junge
Mann!


Sternberg.

Er war doch ſchon hoch in die
funfzig —


Gerhard
(hitzig.)

Lieber gar ſechzig! Wir ha-
ben in Einer Klaſſe geſeſſen.


B 3
[22]Die Erbſchleicher.
Sternberg
(fein.)

Das haͤtt’ ich nicht ge-
dacht.


Gerhard.

Nu, er mochte auch wohl ein Paar
Jahre aͤlter ſeyn, als ich.


Juſtine.

Alſo der lebendige Herr Skru-
pel ſoll kommen?


Sternberg.

Er iſt auch Notarius, ein Sohn
des Alten.


Gerhard.

Aber doch nicht mein Pathe?
Dergleichen Leute machen ſonſt gleich Praͤtenſio-
nen.


Sternberg.

Er heißt Kilian Ruprecht.


Gerhard.

Und mein Pathe heißt nach mir.
— Merke Sie ſichs, Juſtine! Daß ſie mir den
Rechten beſtellen!


Juſtine
(im Abgehen, leiſe zu Sternberg.)

Was
hat das zu bedeuten?

(Ab durch die Mittelthür.)

Sechster Auftritt.


Gerhard. Sternberg.

Sternberg.

Wollen Sie ſich nicht ſetzen,
Herr Vetter?

(Rückt ihm den Seſſel näher.)

Gerhard.

O, inkommodir’ Er ſich nicht!


(Setzt ſich.)

[23]Die Erbſchleicher.
Sternberg.

Ich freue mich, Sie ſo heiter
zu finden.


Gerhard.

Gehorſamer Diener! Setz Er ſich
doch auch!


Sternberg
(ſetzt ſich neben ihm.)

Ich hoffe,
Sie haben nun gewonnen.


Gerhard.

Ich hoffs auch.


Sternberg.

Aber wenn Sie ſich gleichwohl
einem geſchickten Doktor vertrauten!


Gerhard.

Hab’ ich nicht den Herrn Gevatter
Piſtorius!


Sternberg
(verächtlich.)

Ach, der Pillendre-
her!


Gerhard
(hitzig.)

Pillendreher! Pillendreher!
Das verbitt ich mir. Der Mann iſt geſchickt,
wenn er gleich nicht promovirt hat. Er kennt
meine Natur. Er iſt billig. Und eben, weil er
bey gewiſſen Leuten nicht in Gnaden ſteht,
will ich ihn behalten.


Sternberg.

Der Leibmedicus — ich traf
ihn geſtern am dritten Orte — er erſchrack, als
ich ihm ihren letzten Zufall und die Behandlungs-
art des Herrn Piſtorius erzaͤhlte. „Ihr armer
Vetter! (rief er aus,) der Mann hat ihn mit der
Hand todtgeſchlagen.“


B 4
[24]Die Erbſchleicher.
Gerhard.

Mich todt geſchlagen? Und ich
lebe noch!


Sternberg.

Ihre Natur hat Sie gerettet.
Ziehen Sie wenigſtens den Leibarzt mit zu Rathe!
Es iſt ein Mann von ausgebreiteter Erfahrung.


Gerhard.

Viel Koͤche verderben den Brey.


Sternberg.

Er hat mir von einer Kur er-
zaͤhlt, die einen Pazienten Ihres Gleichen von
Grund aus hergeſtellt hat.


Gerhard
(haſtig.)

Wie viel ſoll ſie koſten?


Sternberg.

Mit Inbegriff des Bades —
hoͤchſtens hundert Dukaten.


Gerhard.

Hundert Dukaten! — Ja, die
Herrn Leibaͤrzte haben immer nur die fuͤrſtliche
Schatzkammer im Sinne. Gehorſamer Diener,
Herr Leibmedicus! Hundert Dukaten!


Sternberg.

Aber, Herr Vetter! Was hilft
Geld, ohne Geſundheit?


Gerhard.

Das Haus iſt der Reparatur nicht
werth. Oder meynt Er, daß ich hundert Dukaten
wegzuwerfen habe? Ich muß einen Nothpfennig
zuruͤcklegen. Man weiß nicht, wie lange man
lebt; und Hunger im Alter thut wehe. — Ich
habe jetzt an andere Dinge zu denken.


[25]Die Erbſchleicher.

Siebenter Auftritt.


Juſtine. Vorige.

Juſtine.

Nach dem rechten Herrn Skrupel
iſt geſchickt, und Herr Piſtorius will die Tropfen
ſelbſt bringen.


Gerhard

Hoͤr’ Er nur, Vetter! Er iſt
mein naher Verwandter, und es iſt billig, daß
ich Ihm mein Vorhaben zuerſt eroͤffne.


Juſtine.

Eine Eroͤffnung! Dabey bin ich
wohl zu viel?

(Will ab.)

Gerhard
(mit Laune.)

Ob Sie uns zuhoͤrt,
oder — behorcht —?


Juſtine.

So hoͤr ich zu.

(Stellt ſich hinter
Sternbergs Stuhl.)

Gerhard.

Ich bin leider weit und breit mit
Leuten geſegnet, die mir die Ehre thun, mich Herr
Vetter zu tituliren — die mir jeden Bißen ins
Maul zaͤhlen — und nur darauf Staat machen,
mir, ſobald ich kalt bin, das Bett unterm Leibe
wegzuziehen.


Sternberg.

Sollt’ es ſo niedrige Seelen ge-
hen?


Gerhard.

O, ich kenne die Hunde, ich kenne
B 5
[26]Die Erbſchleicher.
ſie. Aber ich will mich an ihnen raͤchen. Ich will
ihnen einen Streich ſpielen, daß ſie vor Aerger
berſten ſollen. Ich will mir Ruhe im Leben und
im Tode ſchaffen. Mit Einem Wort, ich habe
mir einen gewiſſen Jemand ins Herz geſchloſſen,
den ich gluͤcklich machen will.


Sternberg.

Das iſt recht, Herr Vetter.


Juſtine.

Ja, das thaͤt’ ich an Ihrer Stelle
auch. So ein Jemand iſt dankbar. Das
Haͤufchen bleibt huͤbſch beyſammen. Der Name
des Erblaſſers ruht darauf in immergruͤnem See-
gen; und ein praͤchtiger Leichenſtein erzaͤhlt ſeine
exemplariſche Menſchenliebe in hochtrabenden Wor-
ten den Kindeskindern. Aber Verwandte — ich
will keiner Seele zu nahe geredet haben, Herr
Sternberg — Verwandte, je weitlaͤuftiger ſie
mit uns befreundet ſind, um ſo mehr halten ſie
unſern guten Willen fuͤr Schuldigkeit.


Gerhard.

Sehr wahr geſprochen.


Sternberg
(ſpöttiſch.)

Sehr verbunden fuͤr
die Proteſtation.


Juſtine
(mit ſtelgender Lebhaftigkeit.)

Kein groͤſ-
ſerer Spaß, als die Eroͤffnung eines Teſtaments
unter einer Legion ſolcher Anwarter. Ich bin
einmal dabey geweſen. — Da ſtanden ſie, die
[27]Die Erbſchleicher.
armen Suͤnder, ſtier und unbeweglich, und konn-
ten vor Harren der Dinge kaum Athem holen,
und ſchielten und durchbohrten einander mit den
Augen. — Nun kam der Donnerſchlag! nun
ging das Ungluͤck los! Eine allgemeine Verwan-
delung der Geſichter! Ein Gemurmel, wie bey ei-
nem Auflauf! Dem ſchwoll der Kamm; Jener
wurde zur Leiche; hier ſtampfte einer; dort biß
ſich einer in die Lippen. Andere konnten ſich des
Schluchzens nicht erwehren. Und gleich ver-
ſcheuchten Dieben, zogen ſie endlich ab, mit ſpi-
tzigem Kinn und einer Naſe — ſo lang. Um
die Komoͤdie mit anzuſehen, Herr Gerhard, kom-
men Sie aus der andern Welt zuruͤck!


Gerhard.

Bin ich doch noch nicht dort!
Ich lobe mir fruͤh geſattelt und ſpaͤt geritten.
Mein Ausſehen truͤgt. Laßt mich nur erſt den
Stock wegwerfen! Ich fuͤhr’ ihn ſo nur noch pro
forma
.


Juſtine
(ſchalkhaft.)

Ey, mit friſchgeputztem
Barte und in der Stutzperuͤcke, ſehen Sie nicht
kraͤnker aus, als ich.


Gerhard
(ſchmunzelnd.)

Im Ernſte, Juſtin-
chen?


Juſtine.

Was die Augen unter dem ſchwar-
zen Walde funkeln!


[28]Die Erbſchleicher.
Gerhard.

Schwaͤtzerinn!

(Zu Sternberg, halb-
laut.)

Es iſt bey allen Fehlern kein uͤbles Maͤd-
chen. Ich will ſie auch bedenken. Aber das
Wichtigſte zuerſt!

(Laut, mit verändertem Ton.)

Er
kennt meine Nachbarinn, die Frau Lieutenantinn
Anker, wie ich hoͤre?


Sternberg
([betreten].)

Ja, ich habe die Ehre.


Juſtine
(Sternbergen ins Ohr.)

Merkſt du
was?


Gerhard.

Er beſucht ſie dann und wann.


Sternberg.

Ja — dann und wann.


Gerhard.

Iſt eine brave Frau! nicht wahr?


Sternberg.

O, eine ſcharmante Frau.


Juſtine
(wie vorhin.)

Es iſt richtig.


Gerhard.

Und was ſagt Er denn von Ih-
rer Tochter Thereſe?


Sternberg
(ziehend.)

Sie iſt ein — ver-
nuͤnftiges — angenehmes Frauenzimmer.


Gerhard.

Nur angenehm? Allerliebſt,
daͤcht’ ich, allerliebſt! Ich habe ſie zwar nie an-
ders, als durchs Fenſter geſehen. Aber ihre
Mutter hat mir ſo viel ruͤhmliches von ihr geſagt
— und wie ſie alle Eigenſchaften einer guten
Hausfrau beſaͤße - - -


Sternberg
(lebhaft einfallend.)

O, gewiß alle
[29]Die Erbſchleicher.
Eigenſchaften, das Gluͤck eines ehrlichen Mannes
zu machen!


Gerhard
(fortfahrend.)

Und weil ſie meine
aͤlteſte und beſte Freundinn iſt, ſo hab ich mich
denn endlich nach Faſten und Gebet entſchloſſen
— mich chriſtlich mit ihr zu verloben.


Sternberg
(ſpringt vor Freude auf und faßt ihn
bey der Hand.)

Mit Madam Anker?


Gerhard.

Mit ihrer Tochter Thereſe.


Sternberg
(wendet ſich ſchnell ſeitwärts, unterm
Vorwande zu nieſen, und hält das Schnupftuch vor das
Geſicht.)

Juſtine
(indem ſie ihm den Stuhl wegrückt, leiſe
und ſchnell.)

Faſſe dich! billige! lobe! gratulire!


Gerhard.

Nu? ihr ſagt Beide kein Wort?


Sternberg
(ſich tief verbeugend, um ſeine Ver-
wirrung zu verbergen.)

Verzeihung, Herr Vetter
— ich kann keine Worte finden — Ihnen mei-
nen Antheil — meine — Freude —


Gerhard.

Gehorſamer Diener! gehorſamer
Diener!


Juſtine
(lacht laut.)

Hahaha!


Gerhard.

Was lacht Sie?


Juſtine.

Ueber den Herrn Sternberg.


Sternberg.

Ueber mich?


[30]Die Erbſchleicher.
Juſtine.

Daß Sie ſo leichtglaͤubig ſind!


Sternberg.
Gerhard.

Leichtglaͤubig?


Juſtine.

Merken Sie wirklich nicht, daß uns
der Herr beide zum Beſten hat?


Gerhard
(zu Juſtinen.)

Wie ſo?

(Sternberg
geht ihm auf die rechte Seite.)

Juſtine
(von neuem lachend.)

Herr Gerhard
wird heirathen! Herr Gerhard!


Gerhard
(zu Sternberg, lachend.)

Sie glaubts
nicht. O, das iſt poßierlich!


Sternberg
(gezwungen lachend.)

Zum Todla-
chen!


Juſtine
(Gerharden auf die Schulter klopfend.)

Gehn Sie doch! Dazu ſind Sie viel zu klug.


Sternberg
(mit ſpöttiſchem Ernſt.)

Aber iſt es
denn eine Thorheit, daß der Herr Vetter ſich eine
liebenswuͤrdige Gefaͤhrtinn zugeſellen will, die
ſeinem Hausweſen vorſtehe und ihn warte und
pflege, wie ein Puthuͤhnchen?


Gerhard
(ſchmunzelnd und ihm die Hand drückend.)

Nicht wahr, Vetterchen?


Juſtine
(nützt dieſe Augenblicke, um Sternbergen
hinter Gerhards Rücken Beyfall zuzuwinken.)

Sternberg.

Iſts eine Thorheit, daß er ſich
[31]Die Erbſchleicher.
einen Erben und Stammhalter aus ſeinem Blute
wuͤnſcht?


Gerhard.

Nicht wahr, Vetterchen?


Sternberg.

Giebts ein unſchuldigeres Ver-
gnuͤgen, als ſich von kleinen, niedlichen Puͤppchen
liebkoſen und Papa! rufen zu laſſen? Und ſind
Kinder nicht eine Gabe des Himmels? Hat
man nicht Beyſpiele —?


Gerhard
(mit ſteigender Freude.)

Nicht wahr,
Vetterchen?

(Steht auf und umarmt ihn.)

O, es
freut mich, daß er die Sache ſo vernuͤnftig
nimmt. Es ſoll ſein Schade nicht ſeyn. Ich will
Ihn darum nicht vergeſſen. — Nu, Juſtin-
chen! Sie kann nur das Bett beſorgen.


Juſtine.

Das Paradebette?


Gerhard.

Grober Spaß!


Juſtine.

Warum ſpaßen Sie mit Ihrer Haus-
haͤlterinn?


Gerhard
(ärgerlich.)

Ich ſpaße nicht. Die-
ſen Abend iſt Verloͤbniß — in acht Tagen Hoch-
zeit. Und ſo ſplendid als moͤglich! Ich will
nichts geſpart wiſſen. Was hier nicht zu haben
iſt, muß verſchrieben werden.


Juſtine.

Verſchreiben Sie das Nothwendigſte!


(Dieß und das Folgende mit der ſchalkhafteſten Laune.)

[32]Die Erbſchleicher.
Gerhard.

Das iſt?


Juſtine.

Jugend und Geſundheit.


Gerhard
(aufgebracht.)

Juſtine! ich — ich
will mehr Reſpekt haben.


Juſtine.

O, ſo viel Sie befehlen.


Gerhard.

Wenn die Frau ins Haus koͤmmt,
muß Sie ſich aͤndern, oder —


Juſtine.

Aendern Sie ſich nur!


Gerhard
(ſchreyend.)

Unverſchaͤmte!


Juſtine.

Schonen Sie Ihre Lunge!


Gerhard
(ſtotternd.)

Wenn ich — wenn ich
mich aͤrgern duͤrfte — ich wollte —


Sternberg
(ihn beſänftigend.)

Herr Vetter!


Juſtine.

O, laſſen Sie ihn! Er darf ſich
nicht aͤrgern.


Gerhard
(außer ſich vor Zorn.)

Geht mir aus
den Augen!


Juſtine
(mit tiefem Knix.)

Je eher, je lieber!


Gerhard.

Macht Euer Buͤndel!


Juſtine.

Zahlen Sie mir meinen Ruͤckſtand!


Gerhard.

Und daß nichts mit eingepackt
wird!


Juſtine.

Ich bin keine Liebhaberinn von An-
tiquitaͤten.


(Zieht ſich in die Tiefe das Theaters.)

Achter
[33]Die Erbſchleicher.

Achter Auftritt.


Benedikt. Vorige.

Benedikt.

Madam und Mamſell Anker wol-
len aufwarten —


Gerhard
(freudig und verlegen zugleich.)

Auf-
warten? — O, die groͤßte Ehre! — Lieber Him-
mel! ſo fruͤh? — Das groͤßte Vergnuͤgen! —
Ich bin noch gar nicht in der Verfaſſung —


Benedikt
(im Abgeben.)

Die Frau Lieutenan-
tinn nimmts ſo genau nicht.

(Ab.)

Gerhard
(ruft.)

Juſtine!


Juſtine
(im Hintergrunde.)

Sie iſt fort.


Gerhard
(ängſtlich.)

Meine Stutzperuͤcke!


Sternberg
(läuft ins Kabinet.)

Juſtine.

Sie macht ihr Buͤndel.


Gerhard
(ungeduldig.)

Meine Stutzperuͤcke
will ich haben —


Sternberg
(aus dem Kabinette kommend, mit der
Perücke in der Hand.)

Hier iſt ſie ſchon!


Gerhard
(erſchrocken, dreht ſich gegen die Mit-
telthür.)

Madam Anker? Ums Himmelswillen!


Sternberg.

Nein, die Peruͤcke.


Gerhard.

Ach, der gute Vetter! — Da!
C
[34]Die Erbſchleicher.
befrey’ Er mich auch von dem Dinge!

(Giebt ihm
den Stock, nimmt ihm die Perücke ab und ſetzt ſich.)

Na, Juſtine!

(Hält in der einen Hand die Mütze, in
der andern die Perücke.)

Wollen Sie wohl die
Gnade haben?


Sternberg
(ſetzt indeſſen den Stock bey Seite.)

Juſtine.

Sie haben mich ja in Gnaden
entlaſſen.


Gerhard.

Naͤrrchen! — Gieb mir die Hand!


Juſtine
(ſpöttiſch.)

O, das waͤre wider den
Reſpekt. — Mein Kammerdieneramt will ich zum
letztenmale verwalten —

(indem ſie ihm die Perilcke
aufſetzt)

Aber dann ſehen Sie ſich nach einem
andern um!


Gerhard.

Sie ſoll hier bleiben, ſag’ ich.
Ich will Sie meiner Brant vorſtellen.


Neunter Auftritt.


Madam Anker. Thereſe. Benedikt. Vorige.

Mad. Anker
(im Eintreten.)

Ihre Dienerinn,
mein Herr Gerhard!


Gerhard.

Ah, gehorſamer Diener! gehorſa-
mer Diener!


[35]Die Erbſchleicher.
Mad. Anker.

Sie haben mir erlaubt, Ih-
nen meine Tochter vorzuſtellen.


Gerhard.

Große Ehre! Viel Vergnuͤgen!


Thereſe
(kömmt näher und verneigt ſich.)

Gerhard.

Gehorſamer Diener!


(Stumme Begrüßung unter den übrigen Perſo-
nen. Madam Anker feyerlich; Sternberg kalt-
höflich; Juſtine ihrem Stande gemäß; Thereſe
ohne aufzublicken.)

Gerhard.

Stuͤhle!

(Juſtine und Benedikt ſetzen
Stühle. Benedikt geht hierauf ab.)

Gerhard
(ſeinen Seſſel anbietend.)

Meine Frau
Lieutenantinn —


Mad. Anker.

O, ich bitte ergebenſt —


(Nimmt den Stuhl daneben.)

Gerhard.

Ich ſoll Ihnen alſo ſtehend auf-
warten?


Mad. Anker.

Und ich ſoll wieder nach Hau-
ſe gehen?


Gerhard.

Wenn Sie mir ſo drohen —


(Fängt nun an mit Thereſen zu komplimentiren.)

Aber
die Mamſell Tochter —


Mad. Anker.

Führen Sie das Maͤdchen
nicht in Verſuchung! — Setze dich, Thereſe!


(Alle ſetzen ſich; Thereſe neben ihre Mutter; Stern-
C 2
[36]Die Erbſchleicher.
berg neben Thereſen; Beide kehren ſich halb den
Rücken zu, ſehen ſich aber zuweilen nach einan-
der um. Madam Anker beobachtet Beide, wor-
nach ſie ihr ſtummes Spiel einzurichten haben.)

Gerhard
(ſich ſetzend.)

Sie beſchaͤmen mich,
Frau Lieutenantinn.


Mad Anker.

Ich habe ungern vernommen,
daß Sie nicht wohl geruht haben.


Gerhard.

Wer? ich? Man kann nicht beſ-
ſer ſchlafen.

(Mit einem zornigen Blick auf Juſtinen.)

Aber es giebt Leute, die mir lieber den ewigen
Schlaf goͤnnten.


Mad. Anker.

Sie ſehen aus, wie die Mun-
terkeit, wie das Leben.


Gerhard.

So ſchoͤne Geſellſchaft koͤnnte ei-
nen Todten ermuntern.


Mad. Anker.

Mach ein Gegenkompliment,
Thereſe!


Thereſe
(verbeugt ſich.)

Verzeihung, liebe
Mama! Das Kompliment ging Sie an.


Gerhard.

O gehorſamer Diener! Beider-
ſeits.


Thereſe
(verneigt ſich und ſetzt ſich wieder.)

Mad. Anker.

Herr Gerhard, ich habe mei-
ne Tochter auf Ihre guͤtige Geſinnung vorbereitet,
und wir ſchaͤtzen uns gluͤcklich —


[37]Die Erbſchleicher.
Gerhard.

Gehorſamer Diener! Alles Gluͤck
iſt auf meiner Seite.


Mad. Anker.

Blos und allein auf der un-
ſrigen.


Gerhard.

O, gehorſamer Diener!

(Er greift
dann und wann beym Komplimentiren, aus Gewohnheit
und Verlegenheit an die Perücke, wie an ſeine Mütze,
und verſchiebt ſie. Juſtine, die hinter ihm ſteht, rückt
ſie jedesmal wieder zurechte.)

Alſo wollen Sie mich
haben, mein ſchoͤnes Braͤutchen?


Mad. Anker
(mit ſtarkem Accent.)

Thereſe!


Thereſe
(verneigt ſich tief und ſetzt ſich tief.)

Gerhard
(halb aufſtehend.)

O, gehorſamer
Diener!

(Zu Madam Anker.)

Sie ſagt weder ja
noch nein.


Mad. Anker.

Sie macht meiner Erziehung
Ehre. In ſolchen Faͤllen hat nur die Mutter zu
reden.


Gerhard.

Ich darf mir alſo ſchmeicheln, daß
die Mamſell Tochter —


Mad. Anker.

Es iſt noch ein zartes Wachs,
das jeden Druck annimmt. Sie wird ſich ganz
nach Ihrem Wohlgefallen formen.


Gerhard.

O, gehorſamer Diener!

(ſcherzhaft.)

Wer haͤtte das vor achtzehn Jahren gedacht, Frau
Mama?


C 3
[38]Die Erbſchleicher.
Mad. Anker
(gezwungen freundlich.)

Ja wohl,
Herr Sohn.


Gerhard.

Ehen werden im Himmel ge-
ſchloſſen.


Mad. Anker.

Was ſeyn ſoll, ſchickt ſich
wohl.


Gerhard.

Wie artig, daß ich noch die Rin-
gelchen von damals aufgehoben habe!


Mad Anker
(ſpöttiſch.)

Die moͤchten doch
nicht mehr Mode genug ſeyn.


Gerhard.

Sobald der Herr Notarius Skru-
pel koͤmmt, will ich ihm das Inſtrument an-
geben.


Mad. Anker.

Und in Anſehung der Form,
Herr Sohn - - -?


Gerhard
(einfallend.)

Bleibts bey Ihrem Ra-
the, Frau Mama. Sie haben Recht. Sie ſe-
hen weiter, als ich. Des Menſchen Wille iſt
veraͤnderlich. Ein Teſtament kann angefoch-
ten
werden. Aber Ehepakten ſtehen feſt.


Mad Anker.

Auch iſt ſchon das Wort Teſta-
ment
fuͤr eine Braut ſo niederſchlagend.


Gerhard.

Die Mamſell Braut wiſſen doch
ſchon die Hauptpunkte? Mein ſaͤmmtlicher Nach-
laß, ſowohl mobilia, als immobilia, mit Aus-
[39]Die Erbſchleicher.
nahme einiger geringen Legate, faͤllt Ihnen der-
einſt zum Witthum heim.


Sternberg
(der indeſſen mit dem Hute geſpielt,
und Thereſen Geſichter geſchnitten hat, leiſe zu ihr.)

Bis dahin haben Sie die lebende Mumie zum
Manne.


Gerhard.

Wenn der Eheſeegen ausbleiben
ſollte, verſteht ſich.


Sternberg
(wie vorhin)

O, die herzbrechende
Klauſel.


Thereſe
(leiſe zu Sternberg.)

Sie toͤdten mich!


Sternberg
(etwas lauter.)

Falſche! Treu-
loſe!


Mad. Anker
(die alles bemerkt, leiſe.)

Ruͤcke
naͤher, Thereſe!

(Thereſe gehorcht.)

Gerhard
(zu Madam Anker.)

Was ſagt Er?


Mad Anker.

Er iſt ſo hoͤflich, ihr zu gra-
tuliren. —

(Feyerlich.)

Ich empfehle Ihnen mei-
ne Tochter, Herr Advokat.


Sternberg
(ſpöttiſch.)

Unterthaͤniger Diener,
Frau Lieutenantinn!


Mad. Anker.

Auch Jungfer Juſtinen em-
pfehl ich ſie.


Juſtine.

Madam, mir befiehlt man nur.


Mad. Anker.

Das kleine Ding braucht, wie
C 4
[40]Die Erbſchleicher.
geſagt, noch Unterweiſung; und ich weiß, daß
niemand verſtaͤndiger, niemand der Wirthſchaft
kundiger, niemand belebter im Umgange iſt, als
Jungfer Juſtine.


Juſtine.

Zu viel Lob iſt — Spott.


Mad. Anker.

Und daß niemand den Ge-
ſchmack des Herrn Gerhard beſſer zu treffen weiß.


Juſtine
(kurz.)

Niemand weniger.


Mad. Anker

Zu viel Beſcheidenheit iſt —
Stolz. Das unlaͤugbarſte Zeugniß Ihrer Ver-
dienſte iſt - - -


Juſtine
(ſchnell einfallend.)

Mein Abſchied.


Mad Anker.

Abſchied!

(Verwundert zu Ger-
hard.)

Iſt das Scherz?


Gerhard.

Wie mans nimmt. Die Jung-
fer iſt naſeweis, ich bin hitzig. Ein Wort
gab das andere. Aber da ich ſehe, daß es ihr
leid thut, mich zu verlaſſen - - -


Juſtine
(fällt lachend ein.)

Sie zu verlaſſen?
Nein fuͤrwahr nicht!

(Geht nach und nach zum Wei-
nen über.)

Aber daß Sie ſich nicht begnuͤgen, mir
die Thuͤr’ zu weiſen — daß Sie mich fuͤr na-
ſeweis ausſchreyen, und mir dadurch den Weg zu
weitern Fortkommen verſperren — das kraͤnkt
mich —

(Schluchzend)

Das iſt unchriſtlich, Herr
Gerhard.


[41]Die Erbſchleicher.
Gerhard
(ungeduldig.)

Ich will Sie ja wie-
der behalten.


Juſtine
(trotzig.)

Erſt widerrufen Sie Ihr
naſeweis!


Gerhard
(nachgebend.)

Es fuhr mir ſo her-
aus — ja doch — ich hab’ Unrecht.


Sternberg
(mit verſtellter Hitze. Aufſtehend.)

Nein, Herr Vetter! Juſtine hat Unrecht.
Was hat ſie in Ihre Heirath zu reden?


Juſtine
(zänkiſch.)

Ich kann weder heucheln,
noch ſchmeicheln.


Gerhard.

O, zankt Euch nicht!


Sternberg
(perſiflirend.)

Sie ſind kein Her-
kules
— aber delikate Naturen dauern oft am
laͤngſten; und alle Ihre Zufaͤlle ſind im Grunde
— aber nehmen Sie mirs nicht uͤbel! — Ein-
bildung
.


Juſtine
(Sternbergs Ton nachahmend.)

Seine
Koliken zum Exempel — Einbildung! ſeine lah-
me Seite — Einbildung! ſeine Steckfluͤße —
Einbildung! ſeine - - -


Gerhard
(ſteht ärgerlich auf und hält ihr den
Mund zu.)

O, o, o!


(Madam Anker und Thereſe ſtehen auch auf.)

Sternberg
(fortfahrend.)

Sie ſind kein Ado-
C 5
[42]Die Erbſchleicher.
nis — aber ſoll ein ehrbarer, dem ſchönen Ge-
ſchlechte von jeher ergebener Junggeſelle — keine
Frau nehmen, weil er in ſechzigen ſteht?


Gerhard
(auffahrend.)

Steht! ſteht! — Auf
Johanni tret’ ich ſie erſt an.


Sternberg
(zu Juſtinen.)

Da hoͤrt Sies! Er
tritt ſie erſt an. Iſt das ein Alter in den Au-
gen eines Frauenzimmers von Erziehung? iſt das
ein Gegenſtand des Spottes?


Mad. Anker
(ihres Verdrußes nicht mehr mäch-
tig, zu Sternberg.)

Aber wie kann man daruͤber
nur ein Wort verlieren? Die Haushaͤlterin-
nen
ſind ja privilegirt, ſich uͤber die Heira-
then ihrer Herren luſtig zu machen.


Juſtine.

Madam — ich fuͤhle den Stich,
aber ich darf nicht antworten.


Gerhard
(der ſich indeſſen den Angſtſchweiß ab-
getrocknet, und an einem Balſambüchschen gerochen hat,
ſchleicht ſeitwärts und ruft.)

Juſtine!


Juſtine
(ihm nachgehend.)

Herr Gerhard!


Gerhard
(im Hintergrunde, auf einen Stuhl ge-
ſtützt.)

Sieht Sie nicht, daß mir ſchlimm wird?


Juſtine.

Einbildung!


Gerhard
(immer ängſtlicher.)

Nein, nein!
Das Stehen — der Zwang — die abwechſeln-
[43]Die Erbſchleicher.
den Gemuͤthsbewegungen.

(Hält ſich mir hypochon-
driſcher Geberde den Kopf.)

Hab’ ich meinen Kopf
noch?


Juſtine.

Feſt ſitzt er nicht mehr.


Gerhard
(ſchwerathmend.)

Was iſt denn fuͤr
eine Kellerluft im Zimmer?


Juſtine.

Schoͤpfen Sie friſche!


Gerhard.

Wie ſchickt ſich das — jetzt —
da —?


Juſtine.

Wollen Sie vor Hoͤflichkeit in Ohn-
macht fallen?


(Während dieſes Seitengeſprächs geht das ſtum-
me Spiel der Uebrigen fort. Sternberg ſagt
Thereſen dann und wann ein Wort verliebten
Verdruſſes ins Ohr. Thereſe richtet ſich nach
den Blicken ihrer Mutter, um Sternbergen ent-
weder den Rücken zuzudrehen, oder ihm mit
ſchmachtenden Blicken und flehenden Geberden
zu antworten. Madam Anker theilt ihre Auf-
merkſamkeit [unter] beiden Partheyen.)

Mad. Anker
(um ſich aus dieſer Verlegenheit zu
ziehen.)

Wir fallen Ihnen vielleicht zur Laſt, Herr
Sohn?


Gerhard
(geht wieder vor.)

Ey, bewahre
mich der Himmel, Frau Mama! —

(Stotternd.)

Ich — ich hatte nur — ich fragte Juſtinen —
[44]Die Erbſchleicher.
aber es hat noch Zeit — Die Poſt — die Poſt
geht ſpaͤt —


Mad Anker.

Briefe zu ſchreiben? — O
laſſen Sie ſich durch uns nicht abhalten!


Gerhard
(mit zunehmender Verlegenheit.)

Nu,
wenn die Frau Mama — wenn Sies erlauben
wollen —


Mad. Anker.

Wir empfehlen uns erge-
benſt —


Gerhard.

Gehorſamer Diener! — nein —
nicht doch — Vetter Sternberg — vertret Er
meine Stelle! Ich habe gleich wieder die Ehre —


Mad. Anker.

Ihre Dienerinn!


Gerhard
(im Abgehen.)

Juſtine!

(Leiſe.)

Mei-
nen Stock!


Juſtine
(bringt ihm den Stock unter der Schürze.)

Gerhard
(leiſe.)

Komme Sie mir nach! —
Aber unter einem Vorwande — mit einer Ma-
nier —

(Ab in die Schreibſtube.)

Juſtine
(ihm nachrufend.)

Befehlen Sie Licht?


(Geht ihm nach.)

[45]Die Erbſchleicher.

Zehnter Auftritt.


Sternberg. Madam Anker. Thereſe.

Sternberg
(ſingend, mit Karrikatur.)

Einem alten finſtern Wiedehopf
Stieg einſt die Lieb’ in den grauen Kopf.
Er wollt’ ein Schwaͤlbchen jung und fein,
Ein Schwaͤlbchen wollt’ er freyn.


(Mit boshafter Laune.)

Kennen Sie das Liedchen,
Madam? Es hat mehr Strophen. Die alte
Schwalbe koͤmmt auch darin vor. O, das iſt
eine boͤſe, eigennuͤtzige, raͤnkevolle Mutter, ſo ei-
ne leibhafte Komoͤdienmama — Sie wiſſen ſchon!


Mad. Anker
(ſich in die Bruſt werfend.)

Herr
Sternberg, reden Sie nicht ſo ungereimt!


Sternberg.

Ungereimt? O, fordern Sie
mich nicht auf, es in Reime zu bringen! Sie
ſehen, ich habe heute ſtarke Anlage zum Poeten.


Mad. Anker
(Thereſen bey der Hand nehmend.)

Komm, Thereſe! Wir wollen uns entfernen.


Sternberg
(tritt dazwiſchen.)

Ey! das wuͤrde
der Herr Vetter ſehr uͤbel nehmen. Ich ſoll ja
ſeine Stelle vertreten. Die Ehre moͤchte ſo bald
nicht wiederkommen. Ich muß ſie nutzen. O,
[46]Die Erbſchleicher.
ich habe Ihnen noch ſo viel Schoͤnes zu ſagen —


(faßt Madam Anker unſanft bey der Hand)

ſo viel
Schoͤnes, daß Ihnen die Ohren gellen ſollen,


Thereſe.
Mad. Anker.

Sternberg!
Was wollen Sie von mir,
mein Herr?

(Zieht zornig
ihre Hand zurück.)

Sternberg
(mit edler Heftigkeit.)

Was ich
will? Iſt das Rechtſchaffenheit? Iſt das Sitte
unter Leuten von Gefuͤhl? Hab’ ich das an Ih-
nen und Ihrer Tochter verdient?


Mad. Anker
(mit ſpöttiſcher Höflichkeit.)

Sehr
verbunden fuͤr die guͤtige Intention! Aber mir
liegt es ob, mein Kind zu verſorgen.


Sternberg
(ſpöttiſch.)

Eine ſchoͤne Ver-
ſorgung!


Mad. Anker.

Fuͤr ein armes Maͤdchen ein
Gluͤck uͤber alle Erwartung!


Sternberg
(mit ſchwärmeriſchem Ausdruck.)

Wenn
Reichthum des ſchmachtenden Maͤdchens Sehn-
ſucht ſtillte? Oder vielmehr, wenn die ferne Aus-
ſicht, reich zu werden, Erſatz fuͤr die Aufopfe-
rung ihres Lenzes waͤre, Erſatz fuͤr peinliche Skla-
verey und hingetrauerte Tage?


Mad. Anker
(kalt.)

Laſſen Sie die roman-
[47]Die Erbſchleicher.
haften Ausdruͤcke weg. Meine Tochter verſteht
ſie nicht einmal. Sie iſt kein Modedaͤmchen.


Sternberg
(mit Innigkeit.)

Aber ſie hat ein
Herz, und das gehoͤrt mir.


Mad. Anker
(mit ſcheinheiliger Heftigkeit.)

Un-
gluͤcklicher! Ich hoffte nicht, daß Sie die Un-
ſchuld hinter dem Ruͤcken der Mutter verfuͤhrten?


Sternberg
(gelaßen.)

Unter Ihren Augen
liebten wir uns.


Mad. Anker
(mit Ungeſtüm in Thereſen drin-
gend.)

Thereſe! weißt du, was Liebe iſt? recht-
fertige dich! oder ich erkenne dich nicht mehr fuͤr
mein Kind.


Thereſe
(erſchrocken.)

Ich weiß von nichts, lie-
be Mama.


Sternberg
(tritt dazwiſchen.)

Aber ich weiß,
daß Sie mir Ihre Tochter verſprochen haben.


Mad. Anker.

Verſprochen? Das reden
Sie, wie ein — Advokat. Verſprochen? Ja!
doch unter der Bedingung, daß Herr Gerhard
Sie zum Univerſalerben ernennte. Iſt das ge-
ſchehen?


Sternberg.

Es kann noch heute geſchehen.


Mad. Anker.

Ich liebe in Allem die Ge-
wißheit
. Durch Schaden wird man klug.
[48]Die Erbſchleicher.
Mein ſeeliger Lieutenant hoffte auch, einen
Vetter zu beerben. In dem Wahne heirathe-
ten wir einander, und harrten und darbten, bis
der Alte ohne Teſtament ſtarb. Die Ver-
wandten fuhren zu. Die Erbſchaft ging in hun-
dert Bischen, und von dreyßigtauſend Thalern
Hofnung — trugs ihm kaum ſo viel baar, die
Equipage zu beſtreiten, mit der er nach Amerika
ging.


Sternberg.

Aber mich naͤhrt mein Fleiß?


Mad Anker.

Wie lange? — Und wenn
der Herr Advokat die Augen zuthut, mag die
Wittwe mit fuͤnf oder ſechs Kindern - - -


Sternberg
(bitter lachend.)

O, Madam,
wenn der Himmel einfaͤllt, ſind wir Alle be-
graben.


Mad. Anker.

Ha, der Herr Advokat hat
auch Witz!


Sternberg
(geht umher und trällert)

Mad. Anker
(die es bemerkt.)

Aber deſto we-
niger Lebensart.

(Vor ſich)

Wo bleibt der Nota-
rius? — Ich will ihn ſelbſt aufſuchen — Jeder
Augenblick iſt koſtbar —

(Mit einem Seitenblick
auf Sternberg und Thereſen.)

Ob ich das Maͤdchen
bey dem Narren laſſe? —

(Laut.)

Thereſe, mein
Schwie-
[49]Die Erbſchleicher.
gerſohn ſchreibt ewig Briefe. Sag ihm, daß ich
ſeine Wuͤnſche zu befoͤrdern eile! — Daß ich
ohne Verzug wieder hier bin —

(Halb im
Gehen.)

Und dem deſperaten Koridon dort ſage,
daß du gehorchen gelernt haſt, und daß nichts
komiſcher iſt, als ein ſentimentaliſcher Advokat,
hahaha!

(Lachend ab, durch die Mittelthür.)

Eilfter Auftritt.


Sternberg. Thereſe.

Sternberg
(ihr nachrufend.)

Teufliſches La-
chen!


Thereſe
(ernſthaft.)

Sternberg! Es iſt mei-
ne Mutter, und Sie begegneten ihr un-
artig.


Sternberg.

O, reden Sie ihr nicht das
Wort! Vertheidigen Sie ſich ſelbſt! Wie war
es Ihnen moͤglich, mir dieſes Komplot bis zum
letzten Augenblicke zu verheimlichen?


Thereſe.

Man hat ſich wohl gehuͤtet, mir
ſelbſt es eher zu entdecken.


Sternberg.

Das glaub’ ein Anderer!


(Gehr zornig auf und ab.)

D
[50]Die Erbſchleicher.
Thereſe.

Ich ſag Ihnen die Wahrheit.
Glauben Sie, was Sie wollen. — Ich ſtand heute
ſo vergnuͤgt auf und ſo fruͤh, daß ich den Mond
noch am Himmel fand, als ich, nach meiner Ge-
wohnheit, ans Fenſter trat, um mich von der friſchen
Morgenluft anwehen zu laſſen. — Der Anblick war
mir neu. Ich ſtand, und gaffte, und traͤumte,
und vergaß mich — bis ich im Hauſe ſchelten
hoͤrte; ein Zeichen, daß ſich die Mama erhoben
hatte. — Sie hoͤren nicht?


Sternberg
(in Gedanken.)

O ja!


Thereſe.

Sie erſchien — zu meinem Er-
ſtaunen ſchon angekleidet — und ihr guter Mor-
gen war ſo gnaͤdig, als ob ſie ein heiliges Werk
vorhaͤtte. — Ich erzaͤhle den vier Waͤnden.


Sternberg.

Nein, nein!


Thereſe.

Nun wurde der Thee ſtumm, wie
immer, hinein geſchluͤrft, und ich ſetzte mich ſchon
zu meiner Arbeit, als mir die Mama befahl, mich
zum Ausgehn fertig zu machen.


Sternberg
(wie vo[r]hin.)

Wie?


Thereſe.

Sehn Sie wohl, daß Sie taub
ſind!


Sternberg.

Fahren Sie nur fort!


Thereſe.

Wo blieb ich ſtehen?


[51]Die Erbſchleicher.
Sternberg
(ganz zerſtreut)

Beym Monde.


Thereſe
(lächelnd.)

Da moͤgen Sie wohl her-
um ſchwaͤrmen. — Nein, ich ſtehe vor dem
Spiegel, und befeſtige eben die letzte Nadel an
meinem Hute, und werde die Mama hinter mir
gewahr.


Sternberg
(wird aufmerkſam.)

Nun?


Thereſe:

Sie nickte mir mit kleinen Augen
zu, und klopfte mich auf beide Backen.


Sternberg
(ungeduldig.)

Weiter!


Thereſe.

Ich erſchrack. Liebkoſungen gehen
allemal bey ihr vor einem ſtraͤflichen Mandat her
— „Was befehlen Sie, liebe Mama?“ fragte
ich. — „Nichts, Thereſe. Biſt du meine gute
Tochter?“ — Ich kuͤßte ihr die Haͤnde. —
„Meine gute, gehorſame Tochter?“ — Und
ſie hat fuͤr gehorchen und Gehorſam einen
unnachahmlichen Accent. — Ich ſtotterte: „Von
ganzem Herzen“ — „Weißt du auch, wohin
ich dich fuͤhren will? Zum Herrn Gerhard.“


Sternberg.

Weiter! Weiter!


Thereſe
(nähert ſich und legt ihre Hand auf ſeinen
Arm.)

O Sternberg! — Begreifen Sie, wie
mir das Herze pochte, die Wange gluͤhte? Ach,
es war die letzte gluͤckliche Minute meines Le-
D 2
[52]Die Erbſchleicher.
bens. — „Herr Gerhard, (fuhr ſie fort,) er hat
um dich angehalten, und ich habe dich ihm ver-
ſprochen.“


Sternberg
(hält ihre auf ſeinem Arm ruhende
Hand aͤngſtlich feſt.)

Thereſe! Und was antworte-
ten Sie?


Thereſe.

Nichts. Ich bedeckte mein Geſicht
mit beiden Haͤnden — meine Knie zitterten —
ich ſank auf einen Stuhl. Die Mama ging mit
ſtarken Schritten auf und ab. „Thereſe!“ don-
nerte ſie endlich. „Die Nachricht hat dich uͤber-
„raſcht. Sey kein Kind! Herr Gerhard wartet.“


Sternberg
(faßt ſie bey beiden Händen.)

Und Sie
gingen? Und Sie warfen ſich ihr nicht zu Füſſen,
um —


Thereſe
(lächelnd.)

Um die Schwere der
Hand zu fuͤhlen, die mich den Augenblick zuvor
geſtreichelt hatte?


Sternberg
(läßt die Arme ſinken, fährt zurück.)

Was ſagen Sie?


Th[e]reſe
(zuckt die Achſeln.)

Meine Mutter iſt
eine Soldatenfrau. Sie haͤlt Mannszucht. Ich
bin der Ruthe noch nicht entwachſen.


Sternberg
(nachdem er einmal auf- und abgegan-
gen, kalt.)

Alſo wollen Sie meinen Vetter heira-
then?


[53]Die Erbſchleicher.
Thereſe
(lebhaft.)

O, das iſt eine andere
Frage.


Sternberg
(ſpöttiſch.)

Wenn Sie ſich ſkla-
viſch vor Ihrer Mutter fuͤrchten.


Thereſe.

Der Sklav, der gegen ſeinen Herrn
nicht muchſt —

(ſchnell)

ſpringt wohl vom Thurm,
um ſich zu retten.


Sternberg
(freudig, mit offenen Armen.)

Sprin-
gen Sie! ich fange Sie auf.


Thereſe
(ernſthaft.)

Wie, Sternberg! —
Wollten Sie ſich mit einem entlaufenen Maͤdchen
beladen? Nein! — zucken Sie nur die Achſel
uͤber meine Vorurtheile —

(edel)

nein! ein
Geſchoͤpf, daß die erſten Pflichten der Natur ver-
raͤth, kann unmoͤglich eine gute Frau werden.


Sternberg
(ihre Hand mit Feuer küſſend)

Vor-
trefliches Maͤdchen! — Aber die Gefahr, in der
wir uns befinden - - -


Thereſe
(ſchnell.)

Iſt noch zu uͤberſehen.


Sternberg.

Der Notar iſt auf dem Wege.


Thereſe
(ſcherzhaft.)

Der Pfarrer muß auch
dabey ſeyn.


Sternberg
(empfindlich.)

Sie koͤnnen ſcher-
zen?


Thereſe.

Warum nicht? Sind Sie nicht
D 3
[54]Die Erbſchleicher.
auch froh, wenn Sie das Mittel ſehen, einen
boͤſen Prozeß zu gewinnen? — Strenge
Muͤtter machen liſtige Toͤchter. — Vielleicht
haͤtt’ ich mich beſſer zum Advokaten geſchickt, als
Sie. Ich bin getroſt — und Sie verzweifeln.
Sie wiſſen keinen Rath — und ich habe meine
Rolle ſchon im Kopf.


Sternberg.

Im Ernſte?


The[r]eſe.

Ich will meinem Braͤutigam miß-
fallen.


Sternberg
(verdrüßlich.)

Wie iſt das moͤg-
lich?


Thereſe.

Die ganze Welt hat nicht Ihre
Augen. — Aber Juſtinens Schlauheit ſchreckt
mich ab. Wird ſie uns nicht verrathen?


Sternberg
(lebhaft.)

O, fuͤr Juſtinen ſteh
ich wie fuͤr mich ſelbſt.


Thereſe
(bedenklich.)

Sie betheuern mir das
ſo lebhaft! Sie unterhalten mich ſo oft von ih-
rem Lobe?


Sternberg.

Was weiter?


Thereſe.

Ein huͤbſches Maͤdchen! Die
Gelegenheit, ſie taͤglich zu ſehen! Es beunruhigt
mich.


Sternberg.

Ich koͤnnte Ihnen dieſe Un-
ruhe durch ein einziges Wort benehmen.


[55]Die Erbſchleicher.
Thereſe.

Thun Sies!


Sternberg.

Juſtine iſt — verſprochen.


Thereſe.

Das kam ſehr langſam. Stern-
berg — faſt haͤtt’ ich Luſt, meinem Braͤutigam
zu gefallen.

(Hört kommen)

Da iſt er!


Zwoͤlfter Auftritt.


Juſtine. Nachher Gerhard. Vorige.

Juſtine
(halblaut.)

Nein, ich bins. Ich
hielt es fuͤr rathſam, ihn anzumelden.


Gerhard
(im Eintreten.)

Ach, nehmen Sies
doch ja nicht uͤbel, meine Schoͤnen —

(Setzt ſeinen
Stock verſtohlen in die Ecke.)

Thereſe.

Es iſt nur noch Eine Schoͤne da,
Papachen.


Gerhard
(näher kommend.)

Wo iſt denn die
Frau Mama geblieben?


Sternberg
(ſpricht indeſſen heimlich mit Juſtinen.)

Thereſe.

Bin ich Ihnen nicht genug, Pa-
pachen?


Gerhard.

Gehorſamer Diener!


Thereſe.

Ich wenigſtens

(mit einem Seiten[-]
blick auf Sternberg)

vermiße Niemanden.


D 4
[56]Die Erbſchleicher.
Gerhard.

Gehorſamer Diener!


Thereſe
(ihm nachſpottend.)

Und immer: ge-
horſamer Diener! Iſt das Kompliment keines
Handkußes werth?


Gerhard
(entzückt.)

O, Juſtine, hoͤre Sie
doch!


Thereſe.

Da, Papachen!

(Reicht die Rechte
Gerharden, die Linke Sternbergen verſtohlen zum Küſſen.)

Juſtine.

Ich hoͤre — und ſehe.


Thereſe
(ſtreichelt ihm das Kinn.)

Sie ſind doch
nicht boͤſe, daß ich Sie Papachen nenne?


Gerhard.

O ganz und gar nicht, mein
Schatz!


Thereſe.

Meine Mamſell hat mir geſagt,
wenn ich einen alten Mann bekaͤme, muͤßt’ ich
ihn: mon bon papa! rufen, auf deutſch: Pa-
pachen!


Juſtine.

O, Herr Gerhard, hoͤren Sie
doch!


Gerhard.

Der kleine Engel! Ich bin ganz
erſtaunt —


Thereſe.

Warum denn, Papachen?


Gerhard.

Sie ſchienen mir vorhin ſo ſtill
— ſo bloͤde — ſo - - -


Thereſe.

Simpel, wollen Sie ſagen. Ja,
[57]Die Erbſchleicher.
im Beyſeyn meiner Mama iſt mir die Zunge,
wie gelaͤhmt. Denn des Dreinredens und Zu-
rechtweiſens iſt kein Ende. Aber ſobald ſie den
Ruͤcken wendet, geht das Uhrwerk los. Nicht
wahr, Herr Sternberg?


Sternberg
(kann das Lachen nicht verbeißen.)

Thereſe.

Ich glaube, Sie lachen mich aus.
Gehn Sie! Spoͤtter brauchen wir nicht. — Apro-
pos, Papachen! Meine Mama moͤchte gerne wiſ-
ſen, mit wem Sie handeln.


Gerhard
(verwundert.)

Ich treibe weder Han-
del noch Wandel.


Thereſe.

Aber wo ſoll ſie die Brautſachen
ausnehmen?


Gerhard.

O, bey wem ſie will?


Thereſe.

Und ſo viel ich will?


Gerhard.

Warum das nicht, mein Schatz?


Thereſe
(zu Sternberg.)

Haben Sies ver-
ſtanden, Herr Sternberg? Bringen Sie ihr die
Antwort!


Sternberg.

Ich gehorche.

(Will ab.)

Thereſe
(ihm nachrufend.)

Ohne Abſchied? —
Die jungen Herren wiſſen jetzt gar nicht mehr,
was Galanterie iſt. Wenn ich in Romanen leſe,
wie ehrerbietig ſie ſonſt waren!


D 5
[58]Die Erbſchleicher.
S[t]ernberg
(ihr die Hand küſſend.)

Und wie
ſittſam weiland das Frauenzimmer! —

(Ab.)

Dreyzehnter Auftritt.


Juſtine. Gerhard. Thereſe.

Thereſe.

Sittſam? Sittſam? Das ſoll wohl
auf mich gehen? Er ſiehts gewiß nicht gern, daß
Sie mich heirathen?


Juſtine.

Das laͤßt ſich an den Fingern ab-
zaͤhlen.


Thereſe.

Was kann ich dafuͤr? — Aber beſ-
ſer Neider, als Mitleider!


Gerhard
(der ſich indeſſen auf ſeinen Seſſel ſtützt.)

Nehmen Sie doch wieder Platz, meine Schoͤne!


Thereſe.

Ich bin den ganzen Tag auf den
Beinen.


Juſtine.

Herr Gerhard auch, aber auf
ſechſen.


Thereſe
(führt ihn raſch zum Seſſel.)

O, mit
mir keine Komplimente! Comme ça, mon bon
papa!

(Nöthigt ihn, ſich zu ſetzen.)

Gerhard
(indem er zu ſitzen kömmt.)

O, gehor-
ſamer Diener!


[59]Die Erbſchleicher.
Thereſe.

Sagen Sie mir doch! — Wie
bald iſt die Hochzeit, Papachen?

(Tändelt verſchämt
mit ihrer Schürze)

Gerhard.

Schmeichelhafte Ungeduld!


Juſtine.

Treuherzige Frage!


Gerhard.

In acht Tagen, mein Schaͤtz-
chen?


Thereſe.

Warum denn nicht heute? — Die
Mama hat mir zwar verboten, das merken zu
laſſen.

(Immer ſchneller.)

Aber iſt es denn eine
Suͤnde, ſich zu freuen, daß man ſchoͤne Kleider
bekoͤmmt, und die Freyheit, zu reden und zu
thun, was man will? — Seh Sie nur Jung-
fer Juſtine! Geh’ ich nicht, wie eine alte Matro-
ne? und ſo, wie ich gehe, muß ich leben —
einfoͤrmig und traurig.


Juſtine.

Armes Kind!


Thereſe.

Von der Naͤhnadel zum Strickzeug,
vom Strickzeug in die Kuͤche! Abends mit den
Huͤhnern zu Bette! und zur Belohnung — alle
hohe Feſte einen Kaffeebeſuch bey meiner Frau
Pathe, oder ein Spaziergang in der Mittags-
hitze.


Juſtine.

Armes Kind!


Thereſe.

Das Wort divertiſſement giebt
[60]Die Erbſchleicher.
mir immer einen Stich ans Herz. Wenn ich ei-
nen Komoͤdienzettel ſehe, hab’ ich die Augen voll
Waſſer; und wenn mich des Winters das Rollen
der Kutſchen aus dem erſten Schlafe weckt, und
meine Kammer vom Wiederſchein der Fackeln in
lauter Feuer ſteht, ach da ſtell ich mir die Gluͤck-
lichen vor, die zu Muſik und Tanz fahren — und
werfe mich ſeufzend in meinem Bettchen herum,
und kann vor Sehnſucht und Grillen nicht wieder
einſchlafen!


Juſtine.

Armes Kind!


Thereſe
(mit ſteigender Lebhaftigkeit.)

Aber nun
will ich mich ſchadlos halten. Nun werd’ ich ei-
ne reiche Frau! Nun ruͤhr’ ich keine Hand mehr
an, als am Putztiſche, und ſorge fuͤr nichts, als
fuͤr Zeitvertreib.

(Aeußerſt geſchwinde)

Fruͤhſtuͤcke,
Diners, Aſſembleen, Soupees, Konzerte, Komoͤ-
dien, Baͤlle, Schlittenfahrten, Landpartien, eins
ſoll das andere jagen.


Juſtine.

Das iſt recht.


Thereſe.

Aber wir wollen uns nicht mit Ge-
faͤlligkeit aͤngſtigen, Papachen. Sind Sie krank,
ſo bleiben Sie zu Hauſe. Schlaͤfern Sie, ſo ge-
hen Sie ſchlafen.


Juſtine.

Das iſt vernuͤnftig!


[61]Die Erbſchleicher.
Thereſe.

O, wir wollen leben wie die Kin-
der! Wir wollen genießen und genießen laſſen.
Man ſoll mir nicht nachſagen, ich naͤhme Sie nur
— um Sie zu erben.


Juſtine.

O! das iſt engliſch!


Gerhard
(hat ſich indeſſen mehrmalen die Schläfe
und Stirn gerieben und geſtöhnt.)

Thereſe
(als ob ſie es eben bemerkte.)

Haben
Sie Kopfweh, Papachen?


Gerhard.

Ach nein, mein Schatz.


Thereſe
(ſich umſehend, wird die Arzneygläſer u. ſ.
w. gewahr.)

Hier ſiehts ja aus — wie eine Apo-
theke. Was macht das Zeug im Zimmer?


Juſtine.

Das iſt unſer Putzgeraͤthe.


Thereſe.

Fi donc! Ich kann keine Arzney
riechen.


Juſtine.

Und wir koͤnnen nicht ohne ſie le-
ben.


Thereſe
(ſich abermals umſehend.)

Iſt das Haus
Ihr eigen, Papachen?


Gerhard.

Ja, mein Engel. Mein ſeeliger
Urgroßvater hats gebaut. Gefaͤllts Ihnen?


Thereſe.

Etwas altvaͤteriſch, wie der Erbauer.
Aber was mir nicht gefaͤllt, laſſen Sie aͤndern.
Vor allen Dingen neue Moͤbeln!

(Geſchwinde.)

[62]Die Erbſchleicher.

Bergèren, Ottomanen, Chiſſonièren, Tru-
meaux,
Conſolen, Vaſen, Buͤſten, Basreliefs und
Eſtampen. Wir nehmen das Modejournal zu
Huͤlfe. Das iſt bald geſchehen. — Wo iſt der.
Saal, Jungfer Juſtine?


Juſtine.

Der Kornboden, wollen Sie ſagen?


Thereſe.

Kein Saal im Hauſe! Aber wo ſoll
ich denn den Hochzeitball geben?


Juſtine.
Gerhard.

Den Hoch-
zeitball?

(ſehen ſich einander
bedenklich an.)

Thereſe.

Ja, meinen Freundinnen muß ich
Wort halten. Es iſt ein gegenſeitiges Verſpre-
chen unter zwoͤlf jungen Demoiſellen, die Eine
Tanzſtunde beſuchen. Und mich trift die Ehre,
den Anfang zu machen. — Sie tanzen doch, Pa-
pachen?


Gerhard.

Behuͤte der Himmel!


Thereſe
(immer muthwilliger.)

Aber wie kann
man nicht tanzen?


Gerhard.

Ehemals war ich ein ſtarker Taͤn-
zer.


Thereſe.

Ey was? Ein Braͤutigam ſpricht
nicht von ehemals. Was er war, muß er
noch ſeyn.


Juſtine.

Die Mamſell hat Recht. Sie muͤſ-
ſen tanzen.


[63]Die Erbſchleicher.
Gerhard.

Ich hab’ in dreyßig Jahren nicht
getanzt.


Thereſe.

Durch Uebung koͤmmt die Luſt wie-
der. Probieren Sies!


Gerhard.

Ich bin ſo zum Schwindel ge-
neigt —


Thereſe.

Dickes Blut! Sie muͤſſen tanzen.


Gerhard.

Ich habe einen Krampf in der
rechten Seite —


Thereſe.

Mangel an Bewegung! Sie muͤſ-
ſen tanzen. Angefaßt, Juſtinchen! Allons!


Juſtine und Thereſe
(faſſen Gerharden an, ſchwen-
ken ſich mit ihm im Kreis herum und ſingen.)

Im
May! Im May! Da iſt die ſchoͤnſte Zeit! Drum
laßt uns alle froͤhlich ſeyn, Ihr lieben jungen
Leut!


Gerhard
(ruft dazwiſchen.)

Gnade! — Gna-
de! — Ich kann nicht mehr —

(Verliert im
Schwenken die Perücke.)

Vierzehnter Auftritt.


Sternberg. Vorige.

Sternberg
(der gelauſcht hat, läuft dazwiſchen.)

Ihr loſen Frauenzimmer, was macht ihr mit
[64]Die Erbſchleicher.
meinem Herrn Vetter?

(Befreyt ihn, führt ihn
zum Seſſel, ſetzt ihm die Perücke auf.)

Thereſe
(ſich böſe ſtellend.)

Daß Sie auch
juſt kommen muͤſſen!


Juſtine
(thut auch böſe.)

Freudenſtoͤrer!


Gerhard
([keuchend] im Seſſel.)

Ach, ich bin
todt —


Thereſe
(ſtreichelt Gerharden Geſicht und Hände.)

O, liebes Papachen, ſagen Sies nur der Mama
nicht wieder! Wollen Sie? Sie ſpricht ohnehin,
ich waͤre von der Tarantel geſtochen, weil ich
Contretaͤnze bey meiner Arbeit ſinge und zwi-
ſchen durch die große Achte um die Stuͤhle mache.


Sternberg.

Mamſell, ich melde Ihnen den
Mann aller Maͤnner an.


Thereſe
(auf Gerhard zeigend.)

Hier iſt mein
Mann!


Sternberg.

Jener iſt auch nicht zu verach-
ten. Er iſt das Orakel der Mode, der Miniſter
der Grazien, der Erbfeind manches Hausfrie-
dens - - -


Juſtine.

In ſchlichter Mutterſprache — der
Schneider.


Sternberg.

Er will Ihnen das Brautkleid
anmeßen.


Thereſe
[65]Die Erbſchleicher.
Thereſe
(hüpfend.)

Das Brautkleid! Das
Brautkleid! — Auf Wiederſehen, Papachen!
Der Schneider darf nicht warten. Putzen Sie
ſich indeſſen. Sie ſehen aus, wie Knecht [Ru-
precht]
.


Sternberg
(bietet ihr den Arm.)

Kann ich die
Ehre haben, Mamſell?


Thereſe.

Sehr doch! Der junge Menſch
bildet ſich. Bravo, Herr Vetter! Wenn Sie
ſo fortfahren, mach’ ich Sie vielleicht zu meinem
— wie heißt das Ding, das einer huͤbſchen Frau
uͤberall den Arm giebt?


Sternberg.

Cicisbeo.


Thereſe.

Richtig! Allons, Herr Cicisbeo!


(Nimmt ſeinen Arm und geht, kehrt aber wieder um.)

Eins verſprechen Sie mir noch, Papachen! —
Aber ohne Frage!

(Nimmt ſeine rechte Hand.)

Topp!
Kutſch und Pferde! — Meine Freun-
dinnen fahren aus der Haut, wenn ich meine Vi-
ſitenrunde in eigner Equipage mache.

(Eine Wei-
berſtimme nachahmend.)

Chriſtian! Was haͤlt unten
fuͤr eine Kutſche?

(Eine Mannsſtimme nachahmend.)

Madam Gerhard will aufwarten.

(Vorige Stimme.)

Madam Gerhard? In eigner Equipage?
Die Naͤrrinn! Abgeſagt!

(Ihre eigne Stimme.)

E
[66]Die Erbſchleicher.

Weiter! Fahr zu Kutſcher!

(Eilig mit Sternber-
gen ab.)

Funfzehnter Auftritt.


Juſtine. Gerhard.

Juſtine.

Herr Gerhard, ein Widerruf iſt
des andern werth. Ich bitte Ihnen meine Un-
art eben ſo herzlich ab, als ich Ihnen gluͤck-
wuͤnſche. Sie haben eine herrliche Wahl getrof-
fen.


Gerhard
(kleinlaut.)

Ich bin zufrieden.


Juſtine.

Das munterſte Maͤdchen in der
Stadt!


Gerhard.

Schlaͤfrig ſcheint ſie nicht.


Juſtine.

Die wird Ihnen Krampf und Fluß
und Melancholie weglachen.


Gerhard
(vor ſich.)

Oder wegaͤrgern.


Juſtine
(mit ſteigender Lebhaftigkeit.)

Lob und
Dank Ihrem guten Einfall! Nun leb’ ich auch
mit auf. Nun liegt meine Koch- und Backkunſt
nicht mehr brach. Nun krieg’ ich den Tag uͤber
andere Geſichter zu ſehen, als den Tropf Benedikt
und Ihren kupferigen Herrn Gevatter. Nun
[67]Die Erbſchleicher.
hoͤr’ ich beſſere Muſik des Abends, als mein
Spinnrad, Ihr Geſchnarche und das Schnurren
unſrer alten Katze. Nun heißts: Juſtine hier!
Juſtine dort! Juſtine in allen Ecken! Heyſa!


(Hüpft und will ab)

Gerhard.

Wo willſt du hin?


Juſtine.

Huͤpfen will ich von Stube zu Kam-
mer und von Treppe zu Treppe; Feuer und Bann
ankuͤndigen unſerm wurmſtichigen Hausrathe —
Verwandelung der ganzen Barake; an Ihre
Geldkaſten klopfen, und den Gefangenen zuru-
fen: Freut euch! Eure Befreyerinn iſt nahe!


Gerhard.

Schwaͤrmſt du?


Juſtine.

Ohne Schwaͤrmerey. Ich will die
Leute beſtellen, die unſer Kloſter zum Pallaſt der
Freude umſchaffen ſollen.

(Will ab.)

Gerhard.

Bleib!


Juſtine.

Meine neue Herrſchaft hats befohlen.


Gerhard.

Die alte geht vor.


Juſtine.

Haben Sies nicht gehoͤrt?


Gerhard.

Man muß nicht alles hoͤren.


Juſtine
(ſingend.)

„Nicht alles hoͤren, noch alles ſehen,
Iſt das Geheimniß gluͤcklicher Ehen.“


Behalten Sie das Reimgebetchen.


E 2
[68]Die Erbſchleicher.
Gerhard.

Maͤdchen — du biſt ausgelaſſen[.]


Juſtine.

Ihre Braut hat mich angeſteckt.


Gerhard
(ſich im Seſſel herum werfend.)

Ach,
ich wollte —


Juſtine.

Sie ſeufzen, daß Sie ſich in Staat
werfen ſollen.


Gerhard.

Gemaͤchlichkeit iſt mein Staat.


Juſtine.

Aber zum Nachteſſen werden Sie
doch —


Gerhard
(ungeduldig einfallend.)

Ich eſſe ja
nie zu Nacht.


Juſtine.

Iſt denn heute nicht Verloͤbniß?


Gerhard.

O, quaͤle Sie mich nicht! Die
Ohren thun mir ohnehin ſchon ſo wehe —


(Seinen Stock ſuchend.)

Gute Nacht!


Juſtine
(lachend.)

Am hellen Morgen?


Gerhard.

Ich hab’ Erholung noͤthig.


Juſtine.

Kaum aus dem Bette, und ſchon
wieder hinein?


Gerhard.

Unterſtehe Sie ſich nicht, mich
zu wecken, und wenn der juͤngſte Tag kaͤme!


(Ab in ſeine Schreibſtube.)

Juſtine
(ihm nachſehend.)

Geh nur, alter Son-
derling, und ſchlaf’ den Braͤutigamsrauſch aus!


(Ab ins Kabinet.)

[69]

Zweiter Akt.


Erſter Auftritt.


Juſtine, hernach Piſtorius.

Juſtine
(aus dem Kabinette kommend.)

Da kommt
Piſtorius! Der ſoll ihn uns vollends zu Verſtande
bringen helfen. Zu ſolchen Liebesdienſten ſind die
Narren am beſten zu gebrauchen, weil ſie kein
Blatt vors Maul nehmen.


Piſtorius
(durch die Mittelthür kommend.)

Gu-
ten Morgen, guten Morgen, Jungfer Juſtinchen!


Juſtine.

Ey, Herr Piſtorius, Herr Piſto-
rius! Ich habe auf Sie gewartet, wie die
Schwalben auf den Sommer.


Piſtorius.

Excuſiren Sie! Der Herr Ge-
vatter iſt immer mein erſter Gang. Aber zu-
weilen bin ich, wie behext. Ich kann nicht vom
Flecke. Eine Abhaltung uͤber die andere!


Juſtine.

Goldene Abhaltungen, Herr
Piſtorius! Durch ſolche Hexereyen werden Sie
ſteinreich.


E 3
[70]Die Erbſchleicher.
Piſtorius
(indem er Hut, Stock, und Degen und
Handſchuhe ablegt, das eine hier, das andere dorthin.)

Du liebe Zeit! Zum Schelme muͤßt’ ich werden,
wenn ich nicht nebenher die Poſt haͤtte! Kleiner
Ort! und erbaͤrmliche Polizey! In ſo einem
Neſte drey Apotheken! Ja, wie wir noch den
Hofſtaat hier hatten, da gings flott, da war noch
Nahrung unter den Leuten! Aber jetzt brauchen
ſie Jahr aus Jahr ein die Hungerkur.


Juſtine.

Von der ſind Sie kein Patron.


Piſtorius
(den Arzneyvorrath viſitirend.)

Was
macht der Herr Gevatter? nimmt er brav ein?
— Hm! Die Pulver ſollten geſtern Abend alle
werden. An den Glaͤſern iſt auch nur genippt.
— Was heißt das? Da muß ich hinterdrein fe-
gen. Friß Vogel oder ſtirb! heißts in der Mede-
zin. Sonſt mag er ſeinen Pnevmatismus be-
halten.

(Zieht ein Arzneyglas aus der Taſche.)

Hier
iſt die neue Mixtur! Etwas chymiſches!

(In eine
andere Taſche greifend.)

Da ſind auch friſche Pul-
ver! — Und hier ein Sälbchen, um ſich die Sei-
te gelinde reiben zu laſſen. Ich wuͤßte wohl ein
Paar heilskraͤftige Paͤtſchchen dazu.

(Will ihr die
Hände ſtreicheln.)

Juſtine
(ſchlägt ihn auf die Finger.)

Neh-
men Sie den ganzen Kram nur wieder mit!


[71]Die Erbſchleicher.
Piſtorius.

Wie?


Juſtine.

Wir koͤnnen keine Arzney mehr
riechen.


Piſtorius.

Das haben Sie gewiß von Herrn
Sternberg gehoͤrt? Der iſt auch ſo ein neumodiſcher
Veraͤchter der Medezin. Alles was ich verordne, ta-
delt er. Aber er wird mir ſobald nicht wiederkom-
men. Ich hab’ ihn abgetrumpft. Herr Stern-
berg, ſagt’ ich vorgeſtern zu ihm, der Schuſter
muß bey ſeinem Leiſten bleiben, und der Advokat
beym corporis Iuris hahaha!


Juſtine.

Im Ernſt, Herr Piſtorius. Wir
ſind ſo wohl auf, als Sie.


Piſtorius.

Ha! Das Wohlſeyn kenn’ ich.
Heute roth, morgen todt! Was giebts Neues in
publecis?


Juſtine.

Wenn Sie nichts haben!


Piſtorius.

Dreyßig Febrezetanten hab ich.


Juſtine.

Dreyßig Kandidaten des Kirchhofs!


Piſtorius.

Ja, es iſt epitomia malina.
Die Menſchen fallen um, wie Fliegen. Zum
Gluͤck meiſtens gemeines Volk!


Juſtine.

Zum Ungluͤck, wuͤrd’ ich ſa-
gen. Vornehme Tagediebe koͤnnen am erſten
abkommen.


E 4
[72]Die Erbſchleicher.
Piſtorius.

Endlich zeigen ſich doch auch wie-
der Blattern.


Juſtine.

O, ſchweigen Sie von Ihren Fa-
talitaͤten!


Piſtorius.

Wie ſo? Verwundungen, Quet-
ſchungen, Verrenkungen, Bruͤche, das ſind Fa-
talitaͤten. Aber Blattern ſind eine Krank-
heit. Krankheiten ſind nothwendige Uebel. Aber
die Inucolation hat ein Broddieb unſrer Kunſt
erfunden.


Juſtine.

Ich weiß eine luſtigere Neuig-
keit.


Piſtorius.

Exemplo gratias, eine Heirath?


Juſtine.

Getroffen. Ein funkelnagelneuer
Braͤutigam!


Piſtorius.

Kenn’ ich ihn?

(Faßt ſie wieder
bey der Hand.)

Juſtine
(ſchlägt ihn wieder auf die Finger.)

Spre-
chen Sie mit dem Maul. — Es iſt Ihr Her-
zensfreund.


Piſtorius
(kurz.)

Der Herr Gevatter Ger-
hard?


Juſtine
(verwundert.)

Sie errathen ihn aufs
erſtemal!


Piſtorius.

Das iſt etwas altes. Er thut
nichts ohne mein Vorwiſſen.


[73]Die Erbſchleicher.
Juſtine.

Und Sie laſſen es geſchehen?


Piſtorius.

Ich habs ihm verordnet.


Juſtine.

Verordnet?


Piſtorius.

Zu ſeiner Leibes- und Seelenru-
he. Wo ſoll denn das ſchoͤne Vermoͤgen bleiben?


Juſtine.

O, das wird ſeinen Mann ſchon
finden.


Piſtorius.

Freylich wohl. Es giebt Liebha-
ber genug, die gern bey ſeinem Leben zugriffen.
Bey den Haaren ſollte man ſie aufhaͤngen, wie
Koͤnig Abſalom, die Gaudiebe!


Juſtine.

Sie tragen eine Peruͤcke, nicht
wahr?


Piſtorius.

Wenn er heirathet, hat die Jagd
ein Ende; und der Mann koͤmmt in Ordnung,
Laͤnger taugt die wilde Wirthſchaft nicht.


Juſtine.

Die wilde Wirthſchaft?


Piſtorius.

Er muß eine Frau haben.


Juſtine.

In ſeinen Jahren!


Piſtorius.

Hab ich doch die zweyte genom-
men?


Juſtine.

Sie, und Er!


Piſtorius.

Er iſt Salve venia ein ſtarker
hypercondriacus. Die gewoͤhnliche Maledie al-
ter Junggeſellen. Als ich meine zweyte Frau
E 5
[74]Die Erbſchleicher.
nahm, dachten meine Herren Collegen, ich wuͤr-
de kein Jahr mehr laufen. Aber bis dato hab
ich in ſechs Jahren ſiebenmal taufen laſſen, und
was abermals unterweges iſt —

(Schlägt ſich auf
den Mund)

St! ich ſoll nicht aus der Kammer
plaudern.


Juſtine
(ſchalkhaft.)

Apropos! Was macht
denn Ihr ſchoͤner Proviſor?


Piſtorius
(verdrüßlich.)

Ach, der Haſenfuß!
Sie haben gewiß ſchon gehoͤrt, daß er ſich auf
Micheli ſetzen will?


Juſtine.

Ey!


Piſtorius.

Er handelt um eine Apotheke in
der Nachbarſchaft.


Juſtine.

Da verlieren Sie eine große
Stuͤtze!


Piſtorius
(treuherzig.)

Ja, verlaſſen kann
ich mich auf ihn, das iſt wahr. Um alles be-
kuͤmmert er ſich; alles greift er mit an; er giebt
ſich ſogar mit den Kindern ab[.] Und was die
Apotheke betrift — da ſucht er ſeines Gleichen.
Die Arbeit geht ihm ſo fix von der Hand, daß
er immer fertig iſt. Und manches Receptchen,
das meinen Collegen zugedacht war, fliegt mir
zu, wenn die Jungfern das nette Kerlchen in der
[75]Die Erbſchleicher.
Thuͤr ſtehen ſehen. — Was meynen Sie,
Juſtinchen? Soll ich einen Kuppelpelz ver-
dienen?


Juſtine
(verdrüßlich.)

Davon laͤßt ſich ſprechen.
Hier im Hauſe bleib’ ich keinen Tag laͤnger.


Piſtorius.

Warum?


Juſtine.

Man dient doch nicht gern zuruͤck.


Piſtorius
(zuverſichtlich.)

O, Sie ſollen in
Stand und Wuͤrden bleiben. Ich bin gut fuͤr
die junge Frau.


Juſtine
(verwundert.)

Sie?


Piſtorius.

Wie man fuͤr euch gut ſeyn
kann. — Es iſt ein ſtilles, ſittſames, eingezoge-
nes Maͤdchen.


Juſtine.

Von außen.


Piſtorius
(mit Feuer.)

Und von innen. Sie
hat ein Herz ſo weich, wie Roſenhonig. Aber
Mutterwitz, Mutterwitz dabey. Sie iſt fein,
wie Spiritus vinum. Und doch im Thun und
Weſen, wie ein Lamm! So eine Frau, das iſt
ein Julepp fuͤr einen Patienten, ein Laxetiv der
Schmerzen, ein Vometiv der Grillen, kurz, ein
wahres [univerſalum], wie die Goldtinktur.


Juſtine.

Sie reden ja von ihr, wie ein
Verliebter!


[76]Die Erbſchleicher.
Piſtorius.

Der Meiſter ſoll zwar ſein Werk
nicht loben. Aber meine Fiecke - - -


Juſtine
(mit Gelächter einfallend.)

Ihre Fiecke?
Sie galloppiren mit den Gedanken, wie mit der
Zunge. Was wollen Sie mit Ihrer Fiecke?


Piſtorius.

O thun Sie nur nicht ſo ſchlau!
— Sie haben den Braten laͤngſt gerochen —

(Sich
auf den Bauch klopfend.)

Ich werde der Schwie-
gerpapa vom Herrn Gevatter.


Juſtine
(ſpöttiſch.)

Sie? — Will er vielleicht
das Verſaͤumte wieder einbringen?


Piſtorius.

Was denn?


Juſtine.

Will er zwey Weiber auf einmal
nehmen?


Piſtorius.

Zwey Weiber?


Juſtine.

Ihre Fiecke und Mamſell Anker?


Piſtorius
(betäubt und ſtotternd.)

Mamſell A-
A-Ank-kanker?

(Vor ſich.)

Da bin ich ſchoͤn ge-
prellt!


Juſtine
(vor ſich.)

Da hat auch einer die Rech-
nung ohne den Wirth gemacht.


Piſtorius
(ſich erholend und in Hitze übergebend.)

Mamſell Anker! Die Tochter der großthueriſchen
Frau Lieutenantinn - - -?


Juſtine
(ſchnell einfallend.)

Richtig!


[77]Die Erbſchleicher.
Piſtorius.

Deren Mann in Amerika —


Juſtine.

Richtig!


Piſtorius.

Deren Bruder weiland Hofme-
dicus - - -


Juſtine.

Richtig!


Piſtorius.

Titular! Titular! Fuͤr die Hof—
hunde.


Juſtine.

Eine beißige Kundſchaft!


Piſtorius.

Der Neidhard hat mich ſein gan-
zes Leben gedruͤckt und gezwickt und gehudelt.


Juſtine.

Jetzt ruht er; ruhn Sie auch!


Piſtorius
(mit neuer Hitze.)

Ja, wenn der ruht,
hat Beelzebub den Commandoſtab niedergelegt.


Juſtine.

Aber wir heirathen ja nicht den
todten Onkel.


Piſtorius.

Der ganze Anhang iſt verdaͤchtig.
Die Mutter war ehmals die Standarte aller ga-
lanten Stadtmamſellen —


Juſtine.

Und iſt jetzt die Krone - - -


Piſtorius
(einfallend.)

Aller alten Betſchwe-
ſtern. Der Apfel faͤllt nicht weit vom Stam-
me. Und das Maͤdchen will der Herr Ge-
vatter - - -

(Sich ſelbſt mit Lebhaftigkeit unterbre-
chend.)

Ah! nun faͤllt mirs ein! — Es iſt ein
Mißverſtaͤndniß. Man hat den alten Vetter mit
[78]Die Erbſchleicher.
dem Jungen verwechſelt. Herr Sternberg ſchleppt
ſich ja ſchon Jahr und Tag mit ihr.


Juſtine.

Und Herr Gerhard hat ſich vor ei-
ner Stunde mit ihr verlobt.


Piſtorius.

Der Mann iſt toll.


Juſtine.

Ach Herr Piſtorius, kuriren Sie
ihn doch!


Piſtorius.

Laſſen Sie mich nur machen!


Juſtine.

Aber fein glimpflich und bedaͤcht-
lich!


Piſtorius.

Das verſteht ſich pro ſe.

(Eilig.)

Wo iſt er?


Juſtine.

Er ruht ein wenig.


Piſtorius.

Ich muß ihn wecken.

(Will ab.)

Juſtine
(ihn haltend.)

Er hats ausdruͤcklich
verboten.


Piſtorius
(ſchreyend.)

Sein Haus brennt!
ſein Haus brennt! und er kann ſchlafen?

(Reißt
ſich lös, läuft nach der Thür, und rennt Gerharden an,
der eben eintritt.)

[79]Die Erbſchleicher.

Zweiter Auftritt.


Gerhard. Vorige.

Gerhard
(indem er angeſtoßen wird.)

Auweh!
auweh!


Piſtorius
(ihn haltend.)

Excuſiren Sie! um
Ein Haar waͤren Sie gefallen.


Gerhard
(athemlos.)

Ey, Herr Gevatter,
Sie haben mir das Bruſtbein - - -


Piſtorius.

Ich richt’ es wieder ein.


Gerhard.

Und erſt wecken Sie mich durch
Ihr Geſchrey aus - - -


Piſtorius
(einfallend.)

Haben Sie mich ge-
hoͤrt? — Nu, ſo ſind Sie nicht taub. Aber
Sie phantaſiren? nicht wahr?


Gerhard.

Wie?


Piſtorius.

Ihre Hand!

(indem er ihm den
Puls befühlt.)

Sie wollen heirathen?


Gerhard.

Zu dienen, Herr Gevatter.


Piſtorius.

Die Mamſell Anker?


Gerhard.

Zu dienen, Herr Gevatter.


Piſtorius
(läßt die Hand fahren.)

Sie ſind in-
kurabel.


[80]Die Erbſchleicher.
Gerhard.
Juſtine.

Herr Gevatter!
Herr Piſtorius!


Gerhard.

Sie haben mir ja eine Frau an-
gerathen —


Juſtine.

Verordnet ſogar.


Piſtorius
(ſprudelnd.)

Den Teufel auch! Eine
Krankenwaͤrterinn braucht er. Und dabey
iſt meine Fiecke hergekommen. So ein Mad-
chen finden Sie weder in Europa, noch in
Deutſchland. Ich kann ſie brauchen, wie einen
gelernten Proviſor. Keinem Hofrath gaͤb’ ich
ſie. Aber Ihnen haͤtt’ ich ſie wohl gegoͤnnt.


Gerhard
(betreten.)

Herr Gevatter — Da-
von hoͤr’ ich das erſte Wort.


Piſtorius.

Legen Sie ſich nur aufs Laͤugnen!
Immer ſchoͤner! — Hab ich mich nicht zu Ihrem
Freyersmann angeboten, he?


Gerhard.

Ja, aber —


Piſtorius.

Und geſagt, daß ich Ihnen ſchon
Ihr Theil ausgeſucht haͤtte, he?


Gerhard.

Ja, aber —


Piſtorius.

Und daß mir das Maͤdchen ſo
lieb waͤre, als meine leibliche Tochter?


Gerhard.

Ja, aber —


Piſtorius.

Und haben Sie nicht eingeſchla-
gen?


Gerhard.
[81]Die Erbſchleicher.
Gerhard.

Ein unverfaͤnglicher Scherz unter
vier Augen!


Piſtorius.

Mit Heirathsſachen ſcherz’ ich
nicht.


Gerhard.

Sie haͤtten ſich deutlicher erklaͤren
ſollen.


Piſtorius
(höhniſch.)

Ihnen meine Fieke auf
dem Kredenzteller praͤſentiren?


Gerhard.

Ich habe ja nicht einmal die Eh-
re, ſie zu kennen.


Juſtine
(ſpöttiſch.)

Ich habe das Gluͤck.


Piſtorius.

Sie geht doch alle Tage hier
vorbey.


Gerhard.

Ich ſchiele nicht mehr nach den
huͤbſchen Maͤdchen.


Piſtorius.

Es iſt freylich kein Laͤrvchen, das
in die Augen faͤllt.


Juſtine.

Mir iſt ſie erſtaunend aufge-
fallen.


Piſtorius.

Aber honnett iſt ſie. Die Kin-
derſchuhe hat ſie auch ausgezogen.


Juſtine.

Sie ſcheint ſehr geſetzt.


Piſtorius.

Vor jungen Leckern waͤren Sie
bey ihr ſicher.


Juſtine.

Ja, darauf wollt’ ich ſchwoͤren.
F
[82]Die Erbſchleicher.
Schade, daß ihr die Zunge nicht ſo geloͤſt iſt, als
ihrem Herrn Papa!


Piſtorius.

Sie ſtoͤßt ein wenig an. Um ſo
weniger plaudert ſie.


Juſtine.

Wie gehts denn jetzt mit ihrem
Gehoͤre?


Piſtorius.

Alle Tage beſſer. Sie verſteht
mich ſchon auf drey Schritte.


Juſtine.

Und Sie ſprechen ſo leiſe!


Gerhard.

Ja, es thut mir leid, Herr Ge-
vatter, daß —


Piſtorius.

Mir iſts recht lieb, daß ich ſie
behalte.


Gerhard.

Wir haben einander nicht ver-
ſtanden.


Piſtorius.

An meinem Verſtande liegt
die Schuld nicht.


Gerhard.

Ich will ſehen, wie ich meinen
Fehler wieder gut mache.


Piſtorius
(mit ſteigender Hitze.)

Geben Sie ſich
keine Muͤhe! Es iſt nicht das erſtemal, daß ich
anlaufe. Undank iſt der Welt Lohn. Ich habe
mehr Schuhe um Ihrentwillen zerrißen, als ich
Kreutzer von Ihnen profetirt habe. Fuͤrs halbe
Geld hab’ ich Ihnen die Medezin gelaſſen, und
[83]Die Erbſchleicher.
keine Null pro Studeo et laborem angeſetzt.
Seit Jahr und Tag haben Sie nicht einmal ein
Lausdeum geſehen.


Gerhard.

Ich habe Sie oft genug erin-
nert.


Piſtorius
(bitter lachend.)

Ha! Der alte Nart
dacht’ immer: „Willſts ſtehen laſſen! Es bleibt
beyſammen. Deine Fieke kriegts doch einmal!“
und druͤckte ſich, und machte Complimente.


Juſtine.

Ein andermal ſeyn Sie nicht ſo
hoͤflich!


Piſtorius.

O, ſchenken will ichs ihm auch
nicht. Noch heute ſollen Sie den Extrakt haben.


Gerhard.
Juſtine.

Sehr wohl, Herr Gevatter.
Wir bezahlen immer baar.


Piſtorius.

Und damit ſind wir geſchiedene
Leute.


Gerhard.
Juſtine.

Wie?
Ey!


Piſtorius.

Von mir bekommen Sie keine
Drachme mehr.


Gerhard.
Juſtine.

Herr Gevatter!
Herr Piſtorius!


Piſtorius.

Ihre Schwelle betret’ ich nicht
wieder.


F 2
[84]Die Erbſchleicher.
Juſtine.
Gerhard.

Herr Piſtorius!
Herr Gevatter!


Piſtorius.

Keine Feder ſetz’ ich mehr fuͤr
Sie an.


Gerhard.

Das koͤnnten Sie an mir thun?


Piſtorius.

Wie man gegen mich iſt, bin ich
wieder.


Gerhard.

Alte Freunde!


Piſtorius.

Sie werden neue genug be-
kommen.


Gerhard.

Gevatterleute!


Piſtorius.

Und wenn wir reciprocis waͤren!


Juſtine.

Ihr beſter Kunde!


Piſtorius.

Meine Offizin wird ohne ihn
beſtehn.


Gerhard.

Ein Patient, der ſein Heil und
Troſt auf Sie ſetzt!


Piſtorius.

Und wenn ich Sie aus dem
Sarge holen koͤnnte!


Gerhard
(wirft ſich ärgerlich in den Seſſel.)

Juſtine.

Wo bleibt die Menſchenliebe?


Piſtorius.

Gewißen geht vor. Ich will
nicht meine Schande an ihm dokteriren. Ich
habe weder bey Hippokratus noch bey Hallern
Collegiis gehoͤrt, aber auch als ein purus, bru-
[85]Die Erbſchleicher.
tus, praxicus bin ich im Stande, ihm die Na-
tivetaͤt zu ſtellen.


Juſtine
(thut erſchrocken.)

Herr Piſtorius!


Piſtorius
(indem er ſeine Sachen zuſammen ſucht.)

Vor Liebe bekoͤmmt er die Schwindſucht —


Juſtine.

Herr Piſtorius!


Piſtorius.

Vor Unmaͤßigkeit die Waſſer-
ſucht —


Juſtine.

Herr Piſtorius!


Piſtorius.

Vor Schalleſie die ſchwarze Gelb-
ſucht —


Juſtine.

Herr Piſtorius!


Piſtorius.

Vor Reu’ und Leid den Eras-
mus
. In vier Wochen iſt er weg. Amen.


(Schnell ab.)

Juſtine
(ihm nachrufend.)

Herr Piſtorius!


Dritter Auftritt.


Gerhard. Juſtine.

Gerhard
(im Seſſel, kläglich.)

Juſtine! meine
Alterationstropfen! Ich habe mich geaͤrgert.


Juſtine
(giebt ihm Arzney ein.)

Armer Herr
Gerhard! — Verwuͤnſchter Herr Piſtorius!


F 3
[86]Die Erbſchleicher.
Gerhard
(nimmt ein.)

Es iſt ein grober Pa-
tron, der Herr Gevatter. — Zu trinken!


Juſtine
(reicht ihm einen ſilbernen Becher.)

So
grob, als er breit iſt.

(Rückt ihm den kleinen Tiſch
näher.)

Gerhard
(nachdem er getrunken.)

Aber bey dem
allen bin ich uͤbel daran.


Juſtine.

Sie ſind vielmehr ein großes Uebel
los.


Gerhard.

Ich muß mit dem Bader Ve-
kanntſchaft machen, der zwey Stunden von hier
wohnt.


Juſtine.

Sie werden doch unſre Doktorzunft
nicht ſo beſchimpfen.


Gerhard.

Der Mann ſoll erſtaunende Ku-
ren thun.


Juſtine
(ſpöttiſch)

Ja, er raͤuchert mit Kraͤu-
tern, die in der Walpurgisnacht geſammelt ſind,
beſpricht das Fieber, und vergraͤbt die Gicht.


Gerhard.

O, die Sympathie hat ihr Gu-
tes. Aber heute zu Tage ſterben die Leute lieber
methodiſch.


Juſtine.

Fort muͤſſen wir doch. — Und ich
denke in meiner Einfalt, wer einmal weg iſt,
ſehnt ſich nicht wieder zuruͤck.


[87]Die Erbſchleicher.
Gerhard.

Wir wollen von etwas andern
reden.


Juſtine
(ſetzt ſich an einen andern Tiſch, ſtrickt
und lieſt zugleich.)

Gerhard.

Mein Kapitalienbuch!


Juſtine
(indem ſie ſucht, vor ſich.)

Das iſt im-
mer ſein Troͤſter bey Todesgedanken!

(findet und
bringts ihm.)

Gerhard
(indem er die Brille aufſetzt.)

Den
wie vielſten haben wir?


Juſtine.

Den zwanzigſten.

(Setzt ſich wieder,
wie vorhin.)

Gerhard
(blättert darin, und lieſt und ſpricht vor
ſich.)

„Fuͤnftauſend Reichsthaler in Louisd’ors
beym Herrn Hofgerichtsrath Wieſer“ — Ein
ganzer Mann! grundgelehrt! leutſelig! und
religioͤs! auf den Tag traͤgt er die Intereſſen ab!
— „Zehntauſend dito beym Herrn Rittmeiſter
von Spacheim“ — Du wirſt auch bald ausgebeutelt
haben. Meinethalben! Ich bin gedeckt. — „Zwoͤlf-
hundert in Laubthalern beym Kaufmann —“
Der Mann iſt gut; aber die Frau — die Frau!
— „Fuͤnftauſend dito bey Sr. Excellenz, dem
Herrn Reichsgrafen —“ Daß’s Gott erbarm! —
Schaffen Sie Geld Ihr’ Excellenz! — Acht Gro-
F 4
[88]Die Erbſchleicher.
ſchen will ich aus Armuth ſchenken, wenn ich hier
ohne Prozeß wegkomme. — „Fuͤnſhundert“ —


(Zu Juſtinen.)

Aha! Ihr Klient! Vergeſſe Sie
mir nicht an ihn zu ſchreiben!


Juſtine
(im Leſen.)

An wen?


Gerhard.

An den Pfarrer in — Dings —
in Raſtdorf. In vierzehn Tagen iſt ſeine Ver-
ſchreibung ſaͤllig; und wenn man die Zehendmaͤn-
ner nicht bey Zeiten mahnt, ſo machen ſie Quere-
len.


Juſtine.

Verlaſſen Sie ſich auf ſein ehrli-
ches Geſicht!


Gerhard
(das Buch weglegend.)

Auf Ihre
Vorbitte hab ichs ihm geliehen. Wenn er
nicht Wort haͤlt, weiſ’ ich ihr die boͤſe Schuld an
Legats Statt an.


Juſtine.

Die Anweiſung waͤre mir das ſi-
cherſte Legat.

(Lieſt fort.)

Gerhard
(gähnend.)

Das ewige Geleſe! Kann
Sie mir nicht etwas erzaͤhlen?


Juſtine.

Neuigkeiten weiß ich nicht. Und
zu Mährchen bin ich noch nicht alt genug. Ich
will Ihnen vorleſen.


Gerhard.

Wenn nur die Buͤcher nicht den
Kopf angriffen! Und vollends Euer kauderwel-
[89]Die Erbſchleicher.
ſches neues Deutſch! Sie lieſt ſich oft heiſer, eh
ich weiß, ob es meine Mutterſprache iſt. Der
Vetter wird Ihr noch mit dem Zeug den Kopf
verruͤcken.


Juſtine.

Ach, Herr Sternberg thut mit ſei-
nen Buͤchern gar rar. Wenn Benedikt nicht
waͤre - - -


Gerhard
(eifrig einfallend.)

Benedikt? Laͤßt
ſich der Hanns Lips auch einfallen zu leſen? Hat
er nichts zu thun? Giebts kein Holz zu ſpalten?
Iſt der Garten umgegraben?


Vierter Auftritt.


Benedikt. Vorige.

Benedikt.

Der Herr Notarius Kilian Ru-
precht iſt da.


Gerhard.

Was will er?


Benedikt.

Er fragt, was er ſoll?


Gerhard
(ſich beſinnend.)

Es iſt wahr — ich
hatte — ich wollte — Aber heute iſt es mir un-
moͤglich — Ich laſſe mich entſchuldigen —


Juſtine.

Sag Er ihm nur, er waͤre der
Unrechte.

(Lieſt fort.)

F 5
[90]Die Erbſchleicher.
Benedikt.

Sehr wohl.

(Er will ab.)

Gerhard
(ruft.)

Benedikt!


Benedikt.

Herr Gerhard!


Gerhard.

Biſt du ein Freund vom Leſen.


Benedikt.

O, ja! Leſen iſt ein galanter
Zeitvertreib.


Gerhard.

Juſtine hat geſtern einen Sack
Linſen gekauft. Lies dich ſatt!


Benedikt
(betreten.)

Herr Gerhard —


Gerhard.

Auf Johanni kannſt du abziehen.
Einen Staatslakeyen brauch ich nicht.


Benedikt
(vor ſich.)

Hum! wer hat mir denn
das eingebrockt?


Fuͤnfter Auftritt.


Gerhard. Juſtine.

Gerhard.

Was hat ſie denn fuͤr eine Skar-
teke?


Juſtine
(als ob ſie vor ſich läſe.)

Warte! ich
will dir einen Text aus dem Kopfe leſen.


Gerhard.

Hoͤrt Sie nicht?


Juſtine.

Was beliebt?


Gerhard.

Ich frage nach Ihrem Buche.


[91]Die Erbſchleicher.
Juſtine.

Eine Kronik.


Gerhard.

Kroniken mag ich leiden. Sie
kann laut leſen.


Juſtine.

Vom Anfang?


Gerhard.

Lieber gegen das Ende, daß wir
bald durchkommen.


Juſtine
(thut, als ob ſie läſe.)

„Den 16ten
wurde in der St. Juͤrgen Kirche ein ſeltſames
Brautpaar kopulirt. Der Braͤutigam war acht-
zehn Jahr alt, und ſeine ſchoͤne Braut — acht-
zig.“


Gerhard.

Der Narr! ſo ein altes Muͤtter-
chen!


Juſtine.

„Den 24ſten trug ſich in einer be-
nachbarten großen Stadt folgende tragiſche Ge-
ſchichte zu - - -“


Gerhard.

Nun?

(Nimmt den Becher und will
trinken, ſetzt aber vor ſteigender Aufmerkſamkeit jedes-
mal wieder ab.)

Juſtine.

„Eine junge Frau, deren Ehgemahl
vierzig Jahr aͤlter war, als ſie, hatte einen Lieb-
haber, und weil ihnen der eiferſuͤchtige alte Mann
die Zeit zu lang machte, ſo verabredeten ſie ſich,
denſelben aus dem Wege zu raͤumen. Nachdem
ſie ihm nun einigemal Gift beygebracht hatten,
[92]Die Erbſchleicher.
das aber nicht bey ihm geblieben war, ſo faßten ſie
endlich den ſchrecklichen Anſchlag, ihm des Nachts,
als er im tiefſten Schlafe lag, mit einer Holzaxt - - -


Gerhard
(läßt vor Schrecken den Becher fal-
len.)

Juſtine
(wirft das Buch auf die Erde und thut
über Gerharden erſchrocken.)

Herr Gerhard! was
machen Sie?


Gerhard
(ſchwach.)

Mein fataler Schwin-
del! — Salz!


Juſtine
(hält ihm ein Riechgläschen unter die Naſe.)

Ich will Ihnen auch gewiß nicht wieder vorleſen.
Immer werden Sie unpaß oder — ſchlaͤfrig.


Gerhard.

Sie muß Geduld mit mir haben.
Es kann nicht ewig waͤhren.


Juſtine.

Pfuy! Wenn Ihre Braut ſolche
Reden hoͤrte — was wuͤrde ſie denken?


Gerhard.

Was ich von den ihrigen ge-
dacht habe.


Sechster Auftritt.


Sternberg. Vorige.

Sternberg.

Ihr Diener, Herr Vetter!


[93]Die Erbſchleicher.
Gerhard.

Endlich! Ich dachte, er bliebe
gar aus.


Sternberg.

Verzeihen Sie! Ich kenne Ih-
re Ordnungsliebe, und habe nur auf die Rech-
nungen gewartet, um meinen Bericht damit be-
legen zu koͤnnen.


Gerhard.

Was fuͤr Rechnungen?


Sternberg.

Von den Brautgeſchenken.


Gerhard.

Wie?


Sternberg
(zieht Papiere aus der Taſche.)

No.
1. vom Kaufmann, betraͤgt 246 Rthlr. 16 Gr.
No. 2. vom Juwelier, 197 Rthlr. No. 3. von
der Modehaͤndlerinn 182 Rthlr. 7 Gr. 3 Pf. Be-
lieben Sie!

(Reicht ihm die Papiere hin.)

Gerhard
(ihn ſtarr anſehend.)

Was ſoll ich
damit?


Juſtine.

Den Beutel ziehen.


Gerhard.

Ich habe nichts ausgenommen.


Juſtine.

Ihre Braut hat Ihnen die Muͤhe
erſpart.


Gerhard.

Sie gebe ſich auch die Muͤhe zu
zahlen.


Sternberg.

Das Spaͤßchen machen Sie mit
ihr ſelbſt aus! — Hier liegen die Contos.

(Legt
ſie auf den Tiſch.)

Ich ernpfehle mich.

(Will ab.)

[94]Die Erbſchleicher.
Gerhard.

Schon wieder fort?


Sternberg.

Es wartet ein Klient auf mich.


Gerhard
(empfindlich.)

Leerer Vorwand! Im-
mer muß ich nachſtehen.


Sternberg.

Wir haben einen Termin ab-
zuwarten.


Gerhard.

Ich will Ihm die Koſten ver-
guͤten.


Sternberg
(ceremoniös.)

O, ſobald der Herr
Vetter etwas zu befehlen haben —


Gerhard.

Gehorſamer Diener! Nur zu
bitten. — Trag Er die ſchoͤnen Nechnungen
ſtehendes Fußes wieder, wohin ſie gehoͤren, und
ſag’ Er, ich ließe mich bedanken - - -


Sternberg.

Bedanken? Bey wem? wo-
fuͤr?


Gerhard.

Fuͤr die Ehre — das Gluͤck —
das gute Zutrauen — Mit Einem Worte, kleid
Ers ſo weitſchweifig und zierlich und verbluͤmt
ein, als eine Supplik!


Sternberg.

Ich verſtehe keine Sylbe, Herr
Vetter.


Gerhard
(aufſtehend, hitzig.)

Verſteht Er kein
Deutſch? Er ſoll mir von dem Maͤdchen helfen.


Sternberg.

Von Ihrer Braut?


[95]Die Erbſchleicher.
Gerhard.

Ja! hat Er ein Bret[t] vor der
Stirne?


Sternberg
(die Achſeln zuckend.)

Herr Vetter
— ich bin Ihr bereitwilligſter Diener. Aber
mit ſo kitzlichen Auftraͤgen verſchonen Sie mich!


Gerhard
([är]gerlich.)

Das ſah ich vorher.
Wenn man Euch Advokaten nicht die Hand ver-
ſilbert
, ſo - - -

(Greift in die Taſche.)

Wie viel
verlangt Er fuͤr ſeine Muͤhe? praenumerando,
wenns nicht anders iſt.


Sternberg

Meine Muͤhe koͤmmt nicht in
Anſchlag. Aber meine Augen ſind mir un-
ſchaͤzbar. Und ob ich ſie behielte, wenn Mam-
ſell Anker - - -


Gerhard.

Ach, die laͤßt ſie ihm. Sie iſt
froh von einem alten Kerl loszukommen.


Juſtine.

Aber die Herrlichkeiten alle wieder
herauszugeben!


Sternberg.

Juſtine trift das Fleckchen.


Gerhard.

Wie viel betraͤgt das Ganze?


Sternberg.

Summa Summarum etwann
625 Thaler und etliche Groſchen.


Gerhard.

Unerhoͤrt!

(Nach einer Pauſe.)

Was
iſt zu thun? — Und ſollt’ ichs vom Juden bor-
gen! Sie mag den Plunder behalten.


[96]Die Erbſchleicher.
Sternberg
(der indeſſen mit Juſtinen heimlich ge-
ſprochen hat.)

Das geht nicht.


Gerhard
(mit Verwunderung.)

Geht nicht?


Sternberg.

Die Geſchenke fallen dem Ehe-
gerichte heim.


Gerhard
(ungeduldig.)

Wie koͤmmt denn das
Ehegericht mit ins Spiel?


Sternberg.

Wird die Schwiegermutter die
Aufſagung des Handels ſo gelaſſen hinnehmen?
Eine Prozeßkraͤmerinn, wie Madam Anker! Ich
daͤchte, Sie haͤtten es erfahren, Herr Vetter.


Gerhard
(verdrüßlich.)

Ach, die alte vergeſſe-
ne Geſchichte!


Sternberg.

Das Gedaͤchtniß der Weiber iſt
eiſern, wenn ſich Gelegenheit zur Rache zeigt.


Gerhard
(hitzig.)

Auch gut! Ich ſetze Haus
und Hof daran. —


Juſtine
(zieht Gerharden bey Seite, halblaut.)

Aber, Herr Gerhard — iſt denn kein Mittel
zur Guͤte?


Gerhard
(ſpöttiſch.)

Weiß Sie eines?


Juſtine.

Wenn Herr Sternberg in Ihre
Verbindlichkeiten traͤte?


Gerhard
(ſie mit den Augen meſſend.)

Legt Sie
mir da einen Fallſtrick?


Juſtine.
[97]Die Erbſchleicher.
Juſtine.

Was denken Sie?


Gerhard.

Ich denke, daß Sie ſelbſt ein Au-
ge auf ihn hat.


Juſtine.

Ich? nein, ſo hoch trag’ ich die
Naſe nicht.


Gerhard.

Es wird ſich zeigen.

(Sich ſchnell
zu Sternbergen wendend.)

Vetter, will Er mir ei-
nen rechten Freundſchaftsdienſt leiſten?


Sternberg
(lebhaft.)

Wenn ich kann!


Gerhard
(ihm vertraulich auf die Schulter klopfend.)

Nehm Er das Maͤdchen ſelbſt!


Sternberg.

Der Antrag iſt ſehr reizend. —
Aber wie oft hab’ ich nicht von Ihnen ſelbſt ge-
hoͤrt, daß man bey dem heutigen Luxus die Thorheit
zu heirathen nie zu ſpaͤt begehen kann!


Gerhard.

Nein, nein! Wer jung freyt, zieht
ſeine Kinder groß.


Sternberg.

Sie wiſſen nicht, was Kinder
koſten! Und Mamſell Anker und ich befinden uns
leider in gleichem Falle. Null zu Null bleibt
Null.


Gerhard
(ungeduldig.)

Will denn jetzt Alles
nur nach Geld heirathen? — Eine fette Praxis
iſt die beſte Goldgrube. Er hat Brod genug fuͤr
eine Frau.


G
[98]Die Erbſchleicher.
Sternberg.

Brod allenfalls. Aber um
ihr Flor und Band zu ſchaffen, koͤnnt’ ich mich zu
Tode praktiziren.


Gerhard.

Er muß ihr den Hoffarthsteufel
austreiben. Aber geſetzt auch, daß Er ja Zuſchuß
braucht — wofuͤr bin ich denn in der Welt,
he?


Sternberg
(mit angenommenen Stolz.)

Herr
Vetter — ich bin ein naͤrriſcher Kautz — ich
kann unmoͤglich von fremder Gnade leben.


Gerhard
(aufgebracht.)

Bin ich Ihm
fremd, he?


Sternberg.

Und wenn ich das Ungluͤck haͤt-
te, Sie zu uͤberleben, waͤr’ ich nicht ſchlim-
mer daran, als zuvor?


Gerhard
(haſtig.)

Wenn ich Ihn zum Er-
ben einſetze?


Sternberg
(mit kurzer Verbeugung, kalt.)

Das
muß ich depreziren.


Gerhard.

Depreziren? Das klingt poſſier-
lich.


Sternberg
(mit verſtelltem Eifer.)

Ich bin Ih-
nen keinen Grad naͤher, als viele Andere. Ei-
nem Advokaten liegt Alles an einem unbeſcholte-
nen Namen. Ich mag fuͤr keinen Erbſchleicher
paſſiren.


[99]Die Erbſchleicher
Gerhard
(immer hitziger.)

Un[d] ich will mir
nichts vorſchreiben laſſen. Mein Vermoͤgen iſt
mein — und Er ſolls haben!


Sternberg
(die Achſeln zuckend.)

Lieber Herr
Vetter - - -


Gerhard
(einfallend.)

Kein Wort mehr! oder
ich vermachs d[er] K[i]rche.


Juſtine
(ſpöttiſch.)

O, ſchoͤn! Um ſich nach-
ſagen zu laſſen, Sie haͤtten alte Suͤnden ab-
zubuͤßen?


Sternberg
(ernſthaft.)

Nein, lieber zum Be-
ſten des Publikums, als in die todte Hand. —
Wir haben noch Mangel an gemeinnuͤtzigen An-
ſtalten. Stiften Sie ein Findelhaus!


Gerhard
(heſtig.)

Ich, den Ausſchweifun-
gen Thuͤr und Angel oͤffnen? Ich, fremder Leute
Baſterte ernaͤhren? Nein, ich habe mir nichts
[vorzuwerfen]. Ich habe in meiner Jugend nicht
gefreybeutet und gehauſt und geſauſt, wie Andere.


Juſtine
(indem ſie ſich an ihn ſchmiegt.)

Oder
— um das beſte aller guten Werke zu thun —
ſtatten Sie arme Maͤdchen aus!


Gerhard
(ſchnell.[)]

Die moͤgen ſich das
Freyen vergehen laſſen! — Haͤtten meine
ſieben Schweſtern die Kautel befolgt, ſo
G 2
[100]Die Erbſchleicher.
wuͤrd’ ich jetzt nicht von Hungerleidern uͤber-
laufen.


Sternberg
(mit edler Hitze.)

Herr Vetter, hal-
ten Sie mich auf, um Beleidigungen zu hoͤren?


Gerhard.

Er iſt auch verdammt empfind-
lich. Das unſchuldigſte Wort zieht Er gleich auf
ſich! — Nein, das Zeugniß muß ich Ihm und
ſeiner Mutter Felicitas geben: Ihr ſeyd nie dar-
auf ausgegangen, mich zu nutzen. Sie war
uͤberhaupt von ihren Schweſtern verſchieden, wie
Tag und Nacht.

(Sich nach und nach ereifernd.)

— Aber daß ſie mich erſt ihren Eheprozeß mit
ſchweren Koſten bis zur Scheidung bringen ließ,
und dann doch wieder dem Schuft vom Manne
nachlief, der’s ihr endlich - - -


Sternberg
(bittend.)

Herr Vetter —

(Drückt
Juſtinen verſtohlen die Hand; ſie trocknet ſich die Augen.)

Gerhard
(fortfahrend.)

Endlich noch mit
Noth und Spott gelohnt hat — nein, das kann
ich ihr auch unter der Erde nicht vergeben.


Sternberg.

Sie haben mir ſo oft verſpro-
chen, dieſe Saite nicht mehr zu beruͤhren.


Gerhard
(gutmüthig.)

Ja doch, ja. — Warum
muß man Ihm aber auch ſein Gluͤck aufnoͤthigen?


Sternberg.

Wohlan, Ihr Wille iſt der
[101]Die Erbſchleicher.
meinige. Aber wird mir Madam Anker
glauben?


Gerhard.

Ich wills Ihm ſchriftlich geben.
Komm Er mit auf meine Schreibſtube!


(Will ab.)

Sternberg
(zurückweichend.)

Ach, Herr Vet-
ter —


Gerhard.

Was giebts noch?


Sternberg.

Es koͤmmt mir ſo ſauer an —
als ob ich in die Bataille gehen ſollte.


Gerhard
(im Gehen.)

Bah! nur ein kleiner
Scharmuͤtzel mit der Frau Mama. Und ein gu-
ter Advokat — fuͤr den will Er doch paſſiren?
der muß Amts halber ein Maul am Kopfe ha-
ben — wie eine Batterie.

(Beyde ab.)

Siebenter Auftritt.


Juſtine, allein.

(Tief aufathmend.)

Sind wir wirklich ſo weit?
— Aber ehe wir Schwarz auf Weiß haben, wag’
ichs nicht mich zu freuen. — Es hat mir ſo oft
getraͤumt, daß ich einen Schaz faͤnde, und wenn
ich die Hand ausſtreckte, ihn zu heben — weg
war der Schaz!


G 3
[102]Die Erbſchleicher.

Achter Auftritt.


Benedikt. Juſtine.

Benedikt.

Mamſellchen, ich hab etwas fuͤr
Sie.

(Zeigt einen Brief.)

Juſtine
(ſchnell.)

Aus Raſtdorf?


Benedikt.

Vom Herrn Ehren Bieder.


Juſtine
(reißt ihm den Brief weg)

Geb Er
her, geſchwinde!

(Erbricht ihn und läßt den Um-
ſchlag fallen.)

Benedikt
(vor ſich.)

Hu! Die Freude!

(Indem
er den Umſchlag aufhebt und beguckt.)

Mit dem Brief-
Commerſch iſts nicht richtig.


Juſtine
(bemerkt ſeine Pantomime.)

Was hat
Er mir genommen?


Benedikt.

Den leeren Umſchlag.


Juſtine
(reißt ihm auch den Umſchlag weg, und
fährt fort zu leſen.)

Benedikt.

Aber ſagen Sie mir doch, ob der
Herr glaubt, daß er einen Taglöhner an mir
hat? Ich kann alle Tage wieder Copiſt werden.
Und ohne das bewußte Plaͤnchen, muͤßte mich
der Henker plagen, wenn ich — — Sie hoͤrt
und ſieht nicht! — Ja, ja, die Schwarzroͤcke
ſchoͤpfen immer das Fett von der Suppe.


(Ab.)

[103]Die Erbſchleicher.

Neunter Auftritt.


Juſtine, allein.

(Lieſt laut.)

„Theuerſtes Juſtinchen! Ihr
letzter Brief hat mich betruͤbt. Bey aller Ihrer
Freundſchaft ſeh’ ich des Ausweichens und Aufſchie-
bens kein Ende; und meine Umſtaͤnde machen es
mir doch taͤglich mehr zur Pflicht, auf eine ent-
ſcheidende Antwort zu dringen[.] Ich brauch’ eine
Gehuͤlfinn fuͤr mein Hausweſen; meine Specu-
lationen gelingen hie und da, aber ich komme
doch zuruͤck. Eine Mutter fuͤr meine Kinder! ſo
viel Muͤhe ich mir auch mit ihnen gebe, fangen
ſie an zu verwildern. Klein, ſehr klein iſt frey-
rich das Gluͤck, das ich Ihnen anzubieten habe;
aber grenzenlos die Liebe und Dankbarkeit


Ihres
Bieder.


(Küßt den Namen.)

Gute, treue Seele! — Ich
will ihm ohne Verzug antworten. — Aber
was? — Kann ich ihm Entſcheidung geben, wo
noch nichts entſchieden iſt? — Ach, die Liebe iſt
ein Kind; ein gutes Woͤrtchen — und ſie
ſchweigt wieder; und die Zeit geht hin.


(Ab ins Kabinet.)


[104]

Dritter Akt.


Erſter Auftritt.


Benedikt. Weinhold. Hernach Juſtine.

Benedikt
(rufend.)

Mamſell Juſtinchen!
Mamſell Juſtinchen!


Juſtine
(innerhalb.)

Was giebts?


Benedikt.

Kommen Sie geſchwinde! Ein
fremder Herr —


Juſtine
(herauskommend.)

Mein Herr —


(verneigt ſich. Benedikt geht ab.)

Zweiter Auftritt.


Weinhold. Juſtine.

Weinhold.

Man hat mir geſagt, Mam-
ſell, Sie waͤren die Regentinn dieſes Hauſes.


Juſtine.

Regentinn uͤber Huͤner und Gaͤnſe
— und wen hab’ ich die Ehre zu ſehn?


[105]Die Erbſchleicher.
Weinhold.

Profeſſor Waſſermann heiß’ ich,
und komme den Herrn Gerhard zu ſprechen.


Juſtine.

Herr Gerhard iſt eben in einem
kleinen Geſchaͤfte begriffen. Wenn Sie ſich ein
wenig gedulden koͤnnen —


Weinhold.

Ich wuͤnſchte, ſein Geſchaͤfte
waͤre nicht klein.


Juſtine.

Wie ſo, Herr Profeſſor?


Weinhold.

Um ſo laͤnger koͤnnt’ ich dann
das Gluͤck genießen, mich mit ſeiner liebenswuͤr-
digen Freundinn zu unterhalten.


Juſtine.

Ungemein galant! Ohnezweifel
Profeſſor der ſchoͤnen Wiſſenſchaften?


Weinhold.

Ich bekenne mich zu keiner Wiſ-
ſenſchaft. Ich habe den Schulſtaub der Fakultaͤ-
ten von meinen Schuhen abgeſchuͤttelt, mich in
die lichten Regionen myſtiſcher Weisheit aufge-
ſchwungen, und dort die Tochter des Himmels
umarmt.


Juſtine.

Und dieſe himmliſche Liebſchaft laͤßt
Ihnen noch Augen fuͤr uns arme Erdentoͤchter?


Weinhold.

Die myſtiſche Weisheit, holdes
Maͤdchen, verfeinert die Sinne, ohne ſie zu toͤd-
ten; ſie giebt nur der Tendenz unſres Empfin-
dungsvermoͤgens eine geiſtigere Richtung, und
G 5
[106]Die Erbſchleicher.
ſtimmt die Saiten der Monade bey der leiſeſten
Beruͤhrung zu exſtatiſchem Einklange.


Juſtine.

O, Herr Profeſſor, ſteigen Sie
wieder von Ihrer Lichtſphaͤre zum niedrigen Dunſt-
kreis meiner Einfalt herunter, oder ich verſtehe
Sie kein Wort.


Weinhold.

Sie ſollen — Sie werden mich
verſtehen lernen, reizende Pſyche. Ich leſe in
Ihren Augen die praͤſtabilirte Harmonie unſrer
Geiſter, ich leſe darin Ihre Empfaͤnglichkeit fuͤr
die Myſterien, in die ich Sie einweihen will.
O, weibliche Schuͤlerinnen ſind mir immer die
willkommenſten. Erſt dieſe Nacht habe ich eine
Proſelytinn gemacht.


Juſtine
(vor ſich.)

Hat der Menſch getrun-
ken, oder —?


Weinhold.

Denken Sie ſich die Goͤttinn
der Jugend in Geſtalt einer Wittwe, die ſich die
Kriegsraͤthinn Windſtill nennt, und mit der mich
mein gutes Geſtirn auf der vorletzten Station zu-
ſammen brachte! Denken Sie ſich die brennende
Atmoſphaͤre einer beweglichen Huͤtte ſonſt Di-
ligence
genannt) in der zwey gleichgeſchaffne
Weſen den Aushauch ihrer Empfindungen wonnig-
lich einathmen! das Zauberlicht des ſympatheti-
[107]Die Erbſchleicher.
ſchen Mondes rund umher auf der ſchlummernden
Natur verbreitet! die ſanfte Nervenerſchuͤtterung
der leicht fortrollenden Räder! Unwiderſtehlich
neigten ſich unſre Liebescentra gegen einander —
Die Augen ſchwammen — die Beſinnung verlor
ſich in Allentzuͤcken — und kathegoriſch ſchwebte
der ewige Theilungstraktat unſrer Seelen auf un-
ſern Lippen —

(hat ſich ſo dicht an ſie gedrängt und
ſo nahe hingebeugt, daß er ſie eben küſſen will.)

Juſtine
(ſchreyend.)

Herr Profeſſor!

(Stößt
ihn zurück, daß er auf einen Seſſel taumelt.)

Erlau-
ben Sie, daß ich ſehe, wo Herr Gerhard bleibt.


(Schnell ab nach Gerhards Schreibſtube.)

Dritter Auftritt.


Weinhold (allein.)

(Im Seſſel.)

Ein herrliches Maͤdchen! und
eben ſo pfiffig, als huͤbſch! — Daß ich das Ding
nicht eher gewußt habe! Daß ich nicht allein auf
den Fiſchfang ausgegangen bin! — Des alten
Vetters Goldfiſche, und dieß Weißfiſchchen
beyher — das waͤr’ ein Zug! Der koͤnnt’ einem
braven Soldaten auf die Beine helfen! —

(Springt
[108]Die Erbſchleicher.
auf.)

Muß mich auch der Satan zur Muhme
Ungewitter fuͤhren! — Ey was? — Ich wend’
ihr um; ich ſchicke ſie mit guter Art wieder heim.
Und dann, Juſtinchen, wollen wir Beide ſchon

(Hört kommen)

St!


Vierter Auftritt.


Gerhard. Juſtine. Weinhold.

Gerhard
(im Eintreten.)

Sie darf uns aber
nicht allein laſſen.


Juſtine.

Bedenken Sie, daß ich eine Waͤſche
im Hauſe habe!

(Will ab.)

Gerhard
(ruſt.)

Juſtine!


Juſtine.

Herr Gerhard!


Gerhard
(leiſe.)

Benedikt ſoll bey der Hand
bleiben. Man weiß nicht, was der Menſch im
Schilde fuͤhrt.


Juſtine.

Myſtiſche Weisheit.

(Ab.)

[109]Die Erbſchleicher.

Fuͤnfter Auftritt.


Gerhard. Weinhold.

Weinhold
(der indeſſen Gerharden von weitem be-
trachtet, nähert ſich ihm.)

Ich erſtaune. Sie ſind
Herr Gerhard, Sie?


Gerhard
(zurück weichend.)

So viel ich weiß.


Weinhold.

Aber man hat Sie mir als ei-
nen Sechziger beſchrieben, und Sie haben noch
nicht vierzig uͤberſchritten.


Gerhard.

Doch.


Weinhold.

Ey, Sie haben ein gluͤckliches
Lineamentenkonzert, eine eiſerne Natur, ein uner-
ſchoͤpfliches Temperament. Sie koͤnnen Methuſa-
lems Ziel erreichen.


Gerhard
(heitert ſich auf und geht vor.)

Ach,
die Gerharde werden nicht alt[.] Mein Vater
ſtarb in ſeinen beſten Jahren. Die boͤſen zwey
ſieben!


Weinhold.

Aber er hatte eine Frau?


Gerhard.

Wenn ich ſein Sohn bin!


Weinhold.

Und Sie ſind noch ledig?


Gerhard.

Vielleicht waͤr’ ich gluͤcklicher,
wenn ich mich veraͤndert haͤtte.


[110]Die Erbſchleicher.
Weinhold.

Ihre Schweſter Meluſine hat
tauſendmal das Gegentheil bereut.


Gerhard
(auffahrend.)

Meluſine? Der ge-
ſchah Recht. Manntollheit wars von ihr, mit
einem Kerl, wie der Pflegſchreiber Weinhold - - -


Weinhold
(ihm ſanft auf die Achſel klopfend.)

Sachte, ſachte! Es war mein Herr Papa.


Gerhard
(erſtaunt.)

Was? iſt Er der Junge,
mit dem ſie vier Monate nach der Hochzeit - - -


Weinhold
(trocken einfallend.)

Ja, Herr Vet-
ter! Das fruͤhreife Genie bin ich.


Gerhard.

Aber Juſtine nannte mir ja einen
ganz andern Namen.


Weinhold.

Mein Reiſename, um die Neu-
gierigen irre zu fuͤhren.


Gerhard.

Und Profeſſor iſt Er?


Weinhold.

Mein Reiſetitel; um der Thor-
ſchreiber willen, die niemals glauben wollen, daß
man nichts iſt.


Gerhard
(den Kopf ſchüttelnd.)

Sonderbar!
Wie iſt ſein Vorname?


Weinhold.

Emmerich Sylveſter.


Gerhard.

Alt?


Weinhold.

Vier und zwanzig.


Gerhard.

Was ſagt denn mein Stammbaum?


[111]Die Erbſchleicher.
(Entfaltet eine Pergamentrolle, ſe[tz]t die Brille auf, und
ſucht mit dem Finger.)

Richtig! Da ſteht Er! Em-
merich Sylveſter, natus anno Chriſti 1764.


Weinhold.

Ihr Stammbaum ſieht ja aus,
wie ein Kirchhof. Iſt die Familie ſo zuſammen-
geſtorben?


Gerhard
(bedeutend.)

Fuͤr mich.


Weinhold.

Wie?


Gerhard.

Wen ich kenne, dem ſetz ich
ein Kreuz.


Weinhold.

So ſetzen Sie mir auch eins!


Gerhard.

Warum Ihm?


Weinhold.

Weil wir uns nun kennen.


Gerhard.

O, das iſt nicht die Meynung.


Weinhold.

Jeder Menſch hat ſeine Spra-
che, und mir fehlt die Muße, die Ihrige zu
ſtudieren.


Gerhard
(kalthöflich.)

Will Er ſchon wieder
fort?


Weinhold.

Ich bin auf der Reiſe.


Gerhard.

Ah! einen Reiſenden darf man
nicht aufhalten.


Weinhold
(vor ſich.)

Nun bin ich abgefertigt.


Gerhard
(vor ſich.)

Nun wirds aufs Viati-
kum losgehen.


[112]Die Erbſchleicher.
Weinhold
(vor ſich.)

Ich muß noch einmal
anruͤcken.


Gerhard
(vor ſich.)

Er beſinnt ſich, wie ers
vorbringen ſoll.


Weinhold
(laut.)

Ich hab einen Umweg von
zehn Meilen gemacht, um den Herrn Vetter zu
beſuchen.


Gerhard
(kurz.)

Gehorſamer Diener! Das
war der Muͤhe nicht werth.


Weinhold.

Man reiſt wohl noch weiter um
ein Kameel zu ſehen.


Gerhard.

Mir koͤnnen die Affen und Baͤren
in die Stube kommen; ich ſehe mich nicht um.


(Wendet ihm den Rücken zu.)

Weinhold
(legt ihm die Hand auf die Schulter,
mit ſchwärmeriſcher Herzlichkeit.)

Und doch fuͤhl’ ich
einen unnennbaren Hang zu Ihnen! Und doch
komm ich an Ihrem hundertſten Geburtstag
wieder!

(Wendet ſich ſchnell und geht.)

Gerhard
(vor ſich.)

Ein beſonderer Geſelle!


(Ihm nachrufend.)

Wart Er doch!


Weinhold
(an der Thür.)

An Ihrem hundert-
ſten Geburtstag ein mehreres!


Gerhard
(geht ihm nach, faßt ihn beym Knopfe.)

Ernſthaft! Ernſthaft! Wer iſt Er eigentlich ſeines
Handwerks?


Weinhold
[113]Die Erbſchleicher.
Weinhold
(trocken.)

Ich fuͤhre Baͤren und
Affen!


Gerhard.

[Nein], Er muß meinen Jahren
ein wenig Unfreundlichkeit zu Gute halten. Er
muß meine unſchuldige Neugierde befriedigen.


Weinhold.

Koͤnnen Sie ſchweigen?


Gerhard.

Wie ein Freymaͤurer, ob ich gleich
ferne von der Sekte bin.


Weinhold
(führt ihn geheimnißvoll wieder vor.)

Ich bin ein Sohn des Lichts — ich bin der Her-
metiſchen einer.


Gerhard
(verächtlich.)

Ein Goldmacher et-
wann, der andrer Leute Gold in ſeinen Beutel
hext?


Weinhold.

Gott verzeih Ihnen den Ver-
dacht!

(Mit zunehmender Begeiſterung in Miene und
Geberden, aber mit dumpfer, leiſer Stimme.)

Ich la-
borire nicht — ich wirke. Mein Ziel iſt koͤſtli-
cher, als alle Metalle und Edelſteine der Welt.
Mein Studium iſt die Vervollkommung der
menſchlichen Natur, die Wiederbringung ihrer
verlorenen Urkraft, die Ausdehnung und Befeſti-
gung ihrer Dauer.


Gerhard
(tief ſeufzend.)

Ach, du liebe Zeit!
Er wirds auch nicht weiter bringen, als Andere.


H
[114]Die Erbſchleicher.
Weinhold.

Haben Sie nie vom beruͤhmten
Saint-Germain gehoͤrt, den es, nach einer Pil-
grimſchaft von fuͤnf Jahrhunderten, geluͤſtete, ei-
nen andern Planeten zu bereiſen?


Gerhard
(ihn anſtaunend.)

Was? Ein Menſch
im neuen Teſtamente, der fuͤnf hundert Jahre
gelebt hat?


Weinhold.

Und gebluͤht, wie eine Roſe. —
Ich war ſo gluͤcklich, ihn von Angeſicht zu ſe-
hen. Er druͤckte mich an ſeinen Buſen, ſchloß
mir die Tiefen ſeiner Kenntniſſe auf — ließ mir
— dem unwuͤrdigſten ſeiner Juͤnger — mir ſein
Menſchen begluͤckendes Arcanum.


Gerhard
(äußerſt geſpannt.)

Und dieſes Ar-
canum
?


Weinhold
(legt den Finger auf den Mund.)

So
fragt man Kinder aus.


Gerhard.

O, laß Er doch ein Wort mit ſich
reden, Vetter! — Aber vor allen Dingen ſetz’
Er ſich! Ich bekomme den Krampf vor Erſtau-
nen und Ungeduld.

(Setzt ſich in ſeinen Seſſel; Wein-
hold neben ihm.)

Vielleicht koͤnnen wir einen Tauſch
treffen. Ich hab’ auch bewaͤhrte Specifica.


Weinhold
(verächtlich.)

Von Zahnaͤrzten oder
alten Bademuͤttern? —

(Lauter und ſchnell.)

Mein
[115]Die Erbſchleicher.
Arcanum iſt auf dieſem ſublunariſchen Himmels-
koͤrper das Einzige. Es reinigt die animaliſche
Maſſe von allen zur Zerſtoͤrung qualificirten Theil-
chen, elektriſirt das ſtockende Blut, diſtillirt den
verſchleimten Nervenſaft, pumpt die mephitiſche
Luft aus den Lungen, und traͤnkt die aͤlternden
Lebensgeiſter mit dem Nektar ewiger Jugend.


Gerhard
(verſteinert.)

Das iſt unbegreiflich.


Weinhold.

Die Sprache aller Profanen!
Mir Erleuchteten iſt die Untruͤglichkeit dieſes Pro-
zeſſes ſo tief eingepraͤgt, daß, wenn Sie mir ver-
ſprechen, mir in eben der Sekunde drey mal
drey und einen Drittel Tropfen von dieſer
Eſſenz

(ein kleines Arzneyglas hervorziehend)

einzu-
floͤßen, ſo erlaub ich Ihnen

(zieht unvermerkt ein
großes Meſſer aus der andern Taſche)

mir mit dieſem
Meſſer die Kehle - - -


Gerhard
(erſchrocken, hält ihm mit einer Hand
den Arm, mit der andern ſte[mm]t er ſeinen Krückenſtock
entgegen und ruft.)

Juſtine! Benedikt!


Weinhold
(gelaßen.)

Was iſt Ihnen?

(Steckt
das Meſſer wieder ein.)

H 2
[116]Die Erbſchleicher.

Sechster Auftritt.


Benedikt. Vorige.

Benedikt
(eilig.)

Herr Gerhard!


Gerhard
(ſich faſſend.)

Es iſt gut.

(Winkt ihm
zu gehen.)

Benedikt
(vor ſich.)

Der Herr hat heute ſei-
nen Raps.

(Ab.)

Siebenter Auftritt.


Gerhard. Weinhold.

Weinhold
(aufſtehend.)

Laſſen Sie ſich nicht
ſtoͤren! Ich muß fort.


Gerhard
(ihn beym Rocke haltend.)

Unmaßgeb-
lich — wie viel koſtet denn das Glaͤschen?


Weinhold.

Ich bin kein Empiricus. Ich
nehme kein Geld.


Gerhard.

Aber umſonſt kann ich doch nicht
verlangen - - -


Weinhold
(ſetzt das Gläschen auf den Tiſch.)

Es ſteht zu Dienſten. Aber Ihnen wirds nicht
helfen.


[117]Die Erbſchleicher.
Gerhard.

Wie?


Weinhold.

Kanns nicht helfen.


Gerhard.

Warum nicht?


Weinhold.

Mein Mittel ſetzt Glauben vor-
aus. Und Sie ſcheinen ein moderner Freygeiſt
zu ſeyn.


Gerhard
(aufſtehend.)

Gott bewahre! ich laſ-
ſe mir weder Teufel noch Hoͤlle nehmen.


Weinhold.

Und dann haͤng’ ich damit zu-
ſammen, wie die Kette mit der elektriſchen Ma-
ſchine. Mein Auge, mein Athem, mein Ge-
fuͤhl muß ſich dem Patienten mittheilen. Ich
muß - - -


Gerhard
(dringend einfallend.)

Ach, allerlieb-
ſter Herr Vetter! wenn Sie ſichs doch in meinem
Hauſe gefallen ließen!


Weinhold.

Ein Potentat des Orients ruft
mich von hinnen.


Gerhard.

Und ein alter Blutsfreund bittet
Sie zu bleiben.

(Mit Nachdruck.)

Ich will er-
kenntlich
ſeyn.


Weinhold.

Zeitliche Vortheile ſind in mei-
nen Augen — Seifenblaſen. Ich bliebe, wenn
ich duͤrfte.


Gerhard.

O, uͤberlegen Sie doch nur —


H 3
[118]Die Erbſchleicher.
Weinhold.

Ich thue nichts ohne den Geiſt
meines Meiſters.


Gerhard.

Wie?


Weinhold
(in Verzückung.)

Still!


Gerhard
(zitternd.)

Was?


Weinhold.

Keinen Laut!


Gerhard
(vor ſich.)

O weh!

(Will davon
ſchleichen.)

Weinhold
(ergreift ihn.)

Ich will den Geiſt
fragen


Gerhard
(ängſtlich.)

In meinem Beyſeyn?


Weinhold.

In einer Stunde bring’ ich Ih-
nen Antwort. — Ich bitt’ um Ihren Namen.


Gerhard.

Euſebius Gerhard.


Weinhold.

Zeichnen Sie mir ihn auf!


Gerhard.

Wozu?


Weinhold.

Aber auf ein jungfraͤuliches
Blatt, auf ein Blatt, das noch kein Kiel ent-
weiht hat. — An heiligen Kerzen opfr’ ichs
dem Geiſte, und ſchlucke die Aſche.


[119]Die Erbſchleicher.

Achter Auftritt.


Juſtine. Vorige.

Juſtine
(eilig eintretend.)

Beſuch uͤber Be-
ſuch! Eine - - -


Gerhard
(ihr entgegen.)

Ach, Juſtine! wel-
che Freude! Das iſt mein Herr Vetter Weinhold,
ein Mann - - -


Weinhold
(zieht ihn bey Seite.)

Silentium!


Juſtine
(vor ſich.)

Ein Herr Vetter!

(Laut.)

Herr Gerhard eine fremde, ſchwarze, ſchwarze
Madam, die ſich Niemanden entdecken will, als
Ihnen - - -


Gerhard
(einfallend.)

Eine Bettelprinzeſſinn
ohne Zweifel? Ich habe keine Zeit. Ich bin
nicht zu Hauſe.


Juſtine.

Sie laͤßt ſich nicht abweiſen.


Gerhard.

Sie mag warten.


Juſtine.

Sie ſcheint Eile zu haben.


(Ab.)

H 4
[120]Die Erbſchleicher.

Neunter Auftritt.


Gerhard. Weinhold.

Gerhard.

Kommen Sie Vetterchen! Auf
meiner Schreibſtube will ich Ihnen das Ver-
langte ausfertigen.

(Schlingt den Arm um ihn, im
Abgehen.)

O, mein lieber, beſter, Unvergleichli-
cher - - -


Weinhold
(mit Eifer, einfallend.)

Keine Kom-
plimente! Oder Sie jagen mich zum Hauſe hinaus!


(Beide ab, Gerhard voran.)

Zehnter Auftritt.


Wittwe Ungewitter, Juſtine, kommen durch
die Mittelthuͤr.

W. Ungew.
(im Eintreten.)

Juſtine heißen
Sie? Ein ſchoͤner Name. Ein Name, den der
Namenkenner, Shandy, gewiß unter die gluͤck-
lichſten gezaͤhlt haͤtte.


Juſtine.

Madam ſcheinen eben ſo beleſen zu
ſeyn, als ich unwiſſend bin.


[121]Die Erbſchleicher.
W. Ungew.

Leſen — ja — Leſen iſt mei-
ne Schoosſuͤnde. Ach, es war die einzige
Schwachheit, die mir der beſte der Gatten vor-
zuwerfen hatte. Auf nichts war er eiferſuͤchtig,
der Ewigbeweinte, auf nichts, als auf meine
Buͤcher.


Juſtine.

Ihr Schmerz und Ihre Kleidung
ſagen mir, daß Ihr Verluſt noch neu iſt.


W. Ungew.

Bald kuͤhlt der Schnee zum
achtenmal ſein Grab.


Juſtine.

Und noch im Wittwenſchleyer?


W. Ungew.

Duͤrft’ ich im Sterbekleide ge-
hen!


Juſtine.

Ein fuͤrchterlicher Wunſch! — Aber
Sie werden ſich ſchon wieder bekraͤnzen.


W. Ungew.

In Elyſium.


Juſtine.

Unverhoft koͤmmt oft.


W. Ungew.

Sie beurtheilen mich nach un-
ſerm Geſchlechte. Aber wiſſen Sie, Kind, daß
mir nichts mehr von ihm uͤbrig iſt, als die Tracht!
Ich habe mich umgeſchaffen.


Juſtine.

Doch nicht zur Maͤnnerfeindinn?


W. Ungew.

Ja — und nein!


Juſtine.

Das iſt mir zu ſpitzfindig.


W. Ungew.

Sie wuͤrden es begreifen, Kind,
H 5
[122]Die Erbſchleicher.
wenn Sie wuͤßten, welch ein Unterſchied zwiſchen
Mann und Mann iſt; wenn Sie eine der Rie-
ſenſeelen kennten, an die ſich die unſrige an-
ſchmiegt, wie der Epheu an die Ulme.


Juſtine.

Mir hat meine Großmutter die Leh-
re gegeben: ſchmiege dich weder an Rieſen, noch
an Zwerge!


W. Ungew.

O, Kind, laſſen Sie die ſinn-
lichen Nebenbegriffe weg! Ich ſpreche von Maͤn-
nern, die ganz Geiſt ſind, von Maͤnnern, wie
mir das Schickſal einen zum Begleiter - - -


Juſtine
(haſtig einfallend.)

Sind Sie vielleicht
die Frau Kriegsraͤthinn Windſtill?


W. Ungew.
(verwundert.)

Wie, Kind? Wo-
her haben Sie dieſen Namen?


Juſtine
(ſich umſehend.)

Herr Gerhard koͤmmt.


Eilfter Auftritt.


Gerhard. Vorige.

W. Ungew.
eilt ihm mit offenen Armen entge-
gen.)

Bin ich vor meinem Ende noch ſo gluͤcklich,
liebſter, theuerſter Herr Vetter —

(lehnt ſich in
der Umarmung auf ſeine Schulter.)

[123]Die Erbſchleicher.
Juſtine.
Gerhard.
(vor ſich.)

Was iſt das?
Wer ſind Sie?

(Aengſtlich)

Ei-
nen Stuhl! ſie erdruͤckt mich —


Juſtine
(führt ſie zum Stuhl.)

Arme Madam!


W. Ungew.
(in den Stuhl ſinkend.)

Ich er-
liege der Freude — ach, meine Nerven! meine
elenden Nerven!


Juſtine.

Daruͤber klagen jetzt alle ſchoͤne
Weiber.


W. Ungew.

Schmeichle mir nicht, Kind!
Sie war die Zeit, wo ich die ſchoͤne Lukre-
zia
hieß — der Herr Vetter werden ſich deſſen
noch erinnern — Sie haben mich ſo groß ge-
kannt — Ihrer Schweſter Abigail ſchoͤnes Lu-
kerchen — jetzt die troſtloſe Wittwe Ungewitter.


Gerhard.

Iſts moͤglich? Sind Sie - - -


W. Ungew.
(ſpringt haſtig auf.)

O, Himmel!
Sie ſtehen, und ich —


Gerhard
(erſchrocken.)

Behalten Sie Platz,
Frau Muhme! Ich ſitze ſchon.

(Setzt ſich in ſeinen
Seſſel.)

Juſtine
(vor ſich.)

Ein Vetter! eine Muh-
me! ſo aus den Wolken gefallen!


Gerhard.

Aber wie kommen Sie denn ſo
unvermuthet auf den Einfall —


[124]Die Erbſchleicher.
W. Ungew.

Unvermuthet? Von jeher war
es mein heißeſter Wunſch. In mehr als hundert
Briefen bat ich um Erlaubniß —

(Argwöhniſch.)

Sollten der Herr Vetter nicht Einen erhalten
haben?


Gerhard.

Kann wohl ſeyn. Ich leſe keine
Briefe mehr.


W. Ungew.

Vielleicht Augenſchwaͤche?


Gerhard.

Nein, ich brauche Gottlob! keine
Brille. Aber die Wahrheit zu ſagen, des Bit-
tens und Bettelns von meinen Verwandten war
kein Ende.


W. Ungew.

Gute Menſchen werden gemiß-
braucht. Nein, bey mir wars heilig beſchloſſen:
lieber mich und meine dreyzehn Kinder in die Ar-
me der oͤffentlichen Milde geworfen, als dem
Herrn Vetter zur Laſt gefallen. — Der Himmel
hat geholfen! ſie ſind alle verſorgt.


Gerhard
(auflebend.)

Ey, das freut mich.
Und auf was Art?


W. Ungew.

Neune nahm er wieder zu ſich.
Die drey aͤlteren haben ſich dem Wehrſtande ge-
widmet; und auch das geborne Vaterwais-
chen, mein Spaͤtling Benjamin, iſt ſchon der Hel-
den-Pflanzſchule einverleibt; aber zart gebaut,
[125]Die Erbſchleicher.
wie ſeine Mutter — verſucht ers vor der Hand
— mit der Trommel.


Juſtine.

Sie ſind eine gluͤckliche Mutter!


W. Ungew.

O, mein Kind, ich bitte um
einen Trunk Waſſer.


Juſtine.

Befehlen Sie Kaffee, Madam?


W. Ungew.

Da muͤßten Sie mich be-
graben.


Juſtine.

Schokolade? Gluͤhwein?


W. Ungew.

Nichts auf der Welt, als
Waſſer.


Gerhard.

Waſſer in nuͤchternen Ma-
gen! — Es iſt gleich Mittag. Sie werden doch
einen Loͤffel Suppe bey mir annehmen? Haus-
mannskoſt!


W. Ungew.

Wenn der Herr Vetter befeh-
len — aber ich waͤre untroͤſtlich, Ihnen eine
Ueberlaſt - - -


Gerhard.

Gehorſamer Diener!


W. Ungew.
(zu Juſtinen.)

In dem Falle,
Kind, mag mein Durſt ſich gedulden. Thun
Sie um meiner Exiſtenz willen keinen Schritt!


Juſtine.

Ich will nur die Exiſtenz der Sup-
pe beſchleunigen.


(Ab.)

[126]Die Erbſchleicher.

Zwoͤlfter Auftritt.


Gerhard. Wittwe Ungewitter.

W. Ungew.

Eine treue Haushaͤlterinn iſt
ein rarer Vogel. Die meiſten denken nur auf
ihren eignen kuͤnftigen Haushalt. Wo haben der
Herr Vetter dieſes Kleinod gefunden?


Gerhard.

Vetter Sternberg hat ſie mir
empfohlen.


W. Ungew.

Vetter Sternberg? — O, ich
kenne ihn — ob ich ihn gleich nicht kenne. Er
ſorgt fuͤr den Herrn Vetter, wie ein Sohn.


Gerhard.

Ja, dienſtfertig iſt er.


W. Ungew.

Er lebt mit Ihnen. Uns An-
dern iſt dieſes Gluͤck verſagt. Aber fern oder na-
he liebt und ehrt die ganze Familie den Herrn
Vetter, als ihr Oberhaupt und ihren Stolz.


Gerhard.

Gehorſamer Diener!


W. Ungew.

Urtheilen Sie alſo von der
toͤdtlichen Beſtuͤrzung, die unlaͤngſt gewiſſe
Briefe - - -


Gerhard
(einfallend.)

Man hat Ihnen ge-
wiß meinen letzten Zufall gemeldet?


W. Ungew.
(dringend.)

Was fuͤr einen Zufall?


[127]Die Erbſchleicher.
Gerhard
(kalt.)

Es iſt eben ſo gut, wenn
Sie’s nicht wiſſen.


W. Ungew.

Leider iſt Ihre Geſundheit fuͤr
die Familie ein Staatsgeheimniß. Der unge-
nannte Correſpondent hat es nur mit Ihrem ſitt-
lichen Verhalten zu thun.


Gerhard
(heftig)

Wie? Was? Wer hat
ſich um mein Thun und Laſſen zu bekuͤmmern?
Was hat er ausgeſprengt, der Spion, der Luͤg-
ner?


W. Ungew.

O, Herr Vetter! aͤrgern m[uͤ]ſ-
ſen Sie ſich nicht. Vor Verlaͤumdung iſt nie-
mand ſicher.


Gerhard.

Aber ſo ſagen Sie doch!


W. Ungew.

Herr Vetter, wie koͤnnen Sie
mir zumuthen —


Gerhard
(immer hitziger.)

Heraus damit! Ich
wills wiſſen.


W. Ungew.
(ſteht auf.)

Mit Erlaubniß! Ich
ſpuͤre eine Zugluft, die Ihnen —

(Viſitirt alle
Thüren, und ſetzt ſich wieder, indem ſie vor ſich ſagt.)

Jetzt ſind wir ſicher.

(Laut.)

Wohlan, Ihr Be-
fehl uͤberwiegt meinen Abſcheu.

(Rückt näher.)

Das
erſte Laſter, das man Ihnen aufbuͤrdet - - -


Gerhard.

Laſter?


[128]Die Erbſchleicher.
W. Ungew.

Nennen Sie’s Schwachheit —
boͤſe Gewohnheit! Zur Zeit des Fauſtrechts wars
eine Rittertugend — der Trunk.


Gerhard.

Der Trunk?

(Holt eine Flaſche
Tiſane.)

Da! koſten Sie, was ich trinke.


W. Ungew.
(mit Ekel.)

O, ich glaube dem
Geruche —

(Nimmt ihm die Flaſche ab und ſetzt ſie
wieder auf den Tiſch.)

Ich bin uͤberzeugt, daß Sie
eben ſo wenig ſpielen.


(Obgleich Wittwe Ungewitter, ſeit dem Viſiti-
ren der Thüren, in Ton und Miene mehr
Dreiſtigkeit und Munterkeit zeigt, ſo vergißt
ſie doch nicht, ſich fleißig umzuſehen, und rückt
Gerharden immer unvermerkt näher.)

Gerhard.

Spielen? — Und ich kenne we-
der Karten noch Wuͤrfel.


W. Ungew.

Und eher wollt’ ich mich uͤber-
reden, daß der Satan den Tempel beſucht, als
daß Sie ſich in oͤffentlichen Haͤuſern her-
um treiben.


Gerhard.

In oͤffentlichen Haͤuſern? — Und
ich ſitze innen, wie ein Kautz. Fragen Sie Ju-
ſtinen, wie ich lebe!


W. Ungew.
(heuchleriſch.)

Ach, die arme
Juſtine!


Gerhard.
[129]Die Erbſchleicher.
Gerhard.

Warum?


W. Ungew.

Auch ihr laͤßt man keinen
Schatten Ehre.


Gerhard.

Was kann man Juſtinen —


W. Ungew.

Man wirft ſie unter die nie-
drigſte Klaſſe von ihres Gleichen.


Gerhard.

Wie?


W. Ungew.
(ihm ins Ohr, aber laut genug.)

Kinder ließe ſie heimlich erziehen — von Ih-
nen.


Gerhard.

Von mir? Kinder von mir? O,
das uͤberſteigt allen Glauben.


W. Ungew.

Uns Verwandten haͤtte ſie aus
Ihrem Herzen verdraͤngt.


Gerhard.

Und ſie iſt die Fuͤrſprecherinn der
ganzen Familie!


W. Ungew.

Hundert ſtuͤnde gegen Eins zu
wetten, Sie wuͤrden jene Ausſchoͤßlinge dem ed-
len Stamme der Gerharde einimpfen - - -


Gerhard.

Einimpfen? Das verſteh ich gar
nicht.


W. Ungew.

Sie wuͤrden ſich Ihre — Ihre
Juſtine antrauen laſſen in articulo mortis.


Gerhard.

Wie war das?


W. Ungew.

Ein juriſtiſcher Ausdruck; ſoll
J
[130]Die Erbſchleicher.
glaub’ ich, ſo viel heißen, als: auf dem
Todbette. Der Briefſteller muß ein Studierter
ſeyn.


Gerhard.

O, ich errathe den Pasquillan-
ten, ich kenn’ ihn. Morgen des Tags belang’ ich
ihn Injuriarum. ’ Her mit dem Briefe!


W. Ungew.

Hoͤren Sie erſt Alles!


Gerhard.

Noch mehr?


W. Ungew.
(mit ſteigender Geſchwindigkeit.)

Bey
dieſem aͤrgerlichen Wandel, bey dieſer taͤglich zu-
nehmenden Verfinſterung Ihres Verſtandes, blei-
be der Ehre und Wohlfahrt der Familie nichts
uͤbrig — wie denn auch alles ſchon gehoͤrigen
Orts
eingeleitet ſey — als den Herrn Vetter
fuͤr einen Verſchwender, fuͤr einen Bloͤdſinnigen
zu erklaͤren - - -


Gerhard
(mit zunehmender Bangigkeit.)

Mich?


W. Ungew.

Ihnen einen geſchickten und
erfahrnen Advokaten zum Curator bonorum zu
beſtellen - - -


Gerhard.

Mir einen Curator?


W. Ungew.

Sie ſelbſt aber, zur Verhuͤ-
tung verdruͤßlicher Folgen, in ſichere Ver-
wahrung
bringen zu laſſen.


Gerhard
(außer ſich, ſpringt auf.)

Mich?
[131]Die Erbſchleicher.
mich? Ach, ich armer Mann! ich ungluͤcklicher
Mann! Wie komm’ ich der Verſchwoͤrung zuvor?
Ich will zum Praͤſidenten, ich will ihm einen
Fußfall thun, ich will - - -


W Ungew.
(ſteht auch auf.)

Ums Himmels-
willen kein Aufſehen! gehn Sie ſo behutſam, als
moͤglich, zu Werke! Wer ſolche Entwuͤrfe ſpinnen
konnte, wagt das Aeußerſte, ſie durchzuſetzen.


Gerhard.

Das iſt kein andrer Menſch, als
Sternberg!


W. Ungew.
(heuchleriſch.)

Wie? eben der
Sternberg, deſſen Dienſteifer Sie vor einem Au-
genblick ruͤhmten? — Herr Vetter! iſt es auch
nicht alte Empfindlichkeit, die Ihnen dieſen Ver-
dacht eingiebt? Ich weiß, daß ſein Vater wei-
land ſich auf die boshafteſte Art an Ihnen ver-
gangen hat. Aber der Sohn — unmoͤglich! —
Man pflegt zu ſagen: Narren und Verliebte
tuͤcken Niemanden. Und Vetter Sternberg ſoll
verliebt ſeyn.


Gerhard.

Verliebt?


W. Ungew.
(ſchnell.)

Er heirathet ja.


Gerhard
(vor ſich.)

Die Plaudertaſche Juſti-
ne!

(Laut.)

Ja, es iſt ſo etwas im Werke —
ein neuer Beweis ſeiner intereſſirten Abſichten[.]


J 2
[132]Die Erbſchleicher.
W. Ungew.

Man hat mich des Gegentheils
verſichert. Sein Maͤdchen waͤre die Tochter ei-
ner armen Lieutenantswittwe, Namens Anker?


Gerhard
(ungeduldig.)

Ach, Sie wiſſen die
Sache weder halb noch ganz — es haͤngt ſo
wunderlich zuſammen! — Ich ſelbſt — ich hat-
te mich mit der Naͤrrinn eingelaſſen — ich wuß-
te nicht von ihr loszukommen — ich trug ſie ihm
an — ich warf ein Wort von Vermaͤchtniß
hin — und ſo ließ er ſich erbitten, ſie mir ab-
zunehmen.


W. Ungew.
(mit Hohngelächter.)

Abzunehmen?
— Ließ ſich erbitten? — Hahaha! Er iſt ſchon
Jahr und Tag mit ihr verſprochen.


Gerhard
(verſteinert.)

Was?


W. Ungew.

Und mit Ihnen wollt’ er ſie
verkuppeln, um Wittwe und Erbſchaft zugleich zu
ſchmauſen.


Gerhard
(ſinkt auf den Stuhl.)

Ach, das iſt
zuviel. Das halt’ ich nicht aus.


W. Ungew.
(ihn unterſtützend.)

Herr Vetter!
Was iſt Ihnen?


Gerhard.

Laſſen Sie mich!

(Stützt ſich auf
den Tiſch, und bedeckt ſein Geſicht.)

[133]Die Erbſchleicher.

Dreyzehnter Auftritt.


Sternberg. Madam Anker. Thereſe. Vorige.

Sternberg
(im Eintreten, freudig.)

Hier bin
ich, Herr Vetter, und meine Braut, meine
Schwiegermutter, wir kommen alle, Ihnen - - -


Thereſe
(im Eintreten.)

Iſts wahr, Papachen,
daß Sie mich verſchenkt haben?


Mad Anker
(im Eintreten.)

Ey, Herr Papa,
was ſind Sie fuͤr ein Flattergeiſt!


W. Ungew.
(zieht ſich auf Gerhards rechte Hand.
Stumme Begrüßung zwiſchen ihr und den Eintretenden.)

Sternberg
(nähert ſich Gerharden und ſtutzt über
ſeine Stellung.)

Herr Vetter!


Mad. Anker und Thereſe
(gleichfalls erſtaunt.)

Was iſt das?


Sternberg.

Sind Sie unpaß, Herr Vet-
ter? oder die Ankunft und Kleidung dieſer frem-
den Dame, hat ſie irgend eine Trauerpoſt zu be-
deuten?


Gerhard
(wild auffahrend.)

Falſcher, undank-
barer, niedertraͤchtiger Boͤſewicht!


Sternberg
(erſchrocken.)

Herr Vetter!


Mad. Anker und Thereſe
(erſchrocken.)

Herr
Gerhard!


J 3
[134]Die Erbſchleicher.
Gerhard
(zur Wittwe Ungewitter.)

Sehn Sie
die Verwirrung?


W.-Ungew.
(zuckt die Achſeln, und ſcheint, ihn
beſänftigen zu wollen.)

Mad. Anker
(näher tretend.)

Herr Gerhard,
Hier ſcheint ein Mißverſtaͤndniß zu herrſchen.
Haben Sie nicht - - -


Gerhard

O ſchweigen Sie Madam! Sie
gehoͤren auch zum Komplot.


Mad. Anker.
Thereſe.
Sternberg.

Komplot?


Mad Anker.

Haben Sie nicht meine Toch-
ter Ihrem Vetter abgetreten?


Gerhard
(ſpöttiſch.)

O, ſie ſteht zu Befehl.


Mad. Anker.

Mit dem Verſprechen, ihn
zum Univerſalerben - - -


Gerhard.

Ja, ich will ihn beuniverſalerben.


Mad. Anker
(ein Papier hervorziehend.)

Wol-
len Sie Ihre Hand ablaͤugnen?


Gerhard
(immer heftiger.)

Wollen Sie auf
Lug und Trug pochen?


Mad. Anker
(mit verbißner Hitze.)

Herr Ger-
hard, es iſt unter meiner Wuͤrde, mich zu zan-
ken.

(Mit einem Seitenblick auf Wittwe Ungewitter)

[135]Die Erbſchleicher.

Noch weniger mag ich fremden Leuten ein Schau-
ſpiel geben. Wenn Sie von dieſer neuen Verab-
redung nichts wiſſen wollen, gut, ſo bleibt es bey
Ihrer vorigen Verbindlichkeit. Sie haben ſich
mit meiner Tochter verlobt, und Sie muͤſſen ſie
nehmen.


Gerhard
(bitter lachend.)

Wie ich Sie ge-
nommen habe?


Mad. Anker.

O, ruͤhren Sie Ihre Schan-
de nicht ſelbſt wieder auf!


Gerhard.

Es war der kluͤgſte Streich mei-
nes Lebens.


Mad. Anker
(mit ſteigender Heftigkeit.)

Sie
ſind ein Mann ohne Treu und Glauben!


Gerhard.

Ich vergelte nur Gleiches mit
Gleichem.


Mad. Anker.

Ein Schwaͤchling, eben ſo
ſtumpf von Verſtand, als von Sinnen.


Gerhard.

Gehorſamer Diener!


Sternberg.
Thereſe.

Erbittern Sie ihn nicht, Ma-
dam!
Laſſen Sie uns gehen, liebe
Mama!


Mad. Anker.

Man ſollte Sie gaͤngeln, wie
ein Kind.


J 4
[136]Die Erbſchleicher.
Gerhard.

Gehorſamer Diener!


Mad. Anker.

Man ſollte Ihnen einen Vor-
mund ſetzen?


Gerhard
(bitter lachend.)

Warum nicht lieber
einſperren?


Sternberg.
Thereſe.

Madam —


Liebe Mama, ich fuͤrchte fuͤr
Ihre Geſundheit - - -


Mad. Anker.

Die ſetzt man immer bey
Euch Maͤdchen zu!


Sternberg.

Laſſen Sie mich verſuchen, ihn
zu beſaͤnftigen!


Mad. Anker.

O, ſanfte Mittel gehören
nicht hieher. Gottlob! Wir haben noch Juſtitz.
— Komm, Thereſe!

(Spöttiſch.)

Weine nur!
— Und Sie, Herr Sternberg — ich ahnde
mehr, als ich ſagen mag — Betreten Sie mein
Haus nicht wieder!

(Reißt Thereſen mit ſich fort,
und geht ab.)

Thereſe
(ſchmachtend, im Abgehen.)

Sternberg!


Sternberg
(beſtürzt, will ihnen nach, kehrt wie-
der um, nähert ſich Gerharden.)

Herr Vetter! ich
gebe mich ſchuldig. Es iſt die erſte Abweichung
von meinen Grundſaͤtzen — es iſt der erſte Be-
trug, deſſen ich mich jemals — aber der Gedan-
[137]Die Erbſchleicher.
ke, Thereſen zu verlieren — Ihr ausdruͤcklicher
Befehl —

(mit Heftigkeit)

O, ſo wahr ich dieſe
Kniee umfaße — ſo wahr ich dieſe Haͤnde - - -


Gerhard
(macht ſich los, ſpringt auf und verſteckt
ſich hinter Wittwe Ungewitter.)

Muhme Ungewitter!
Der Menſch will mich umbringen.


W. Ungew.
(tritt mit ausgebreiteten Armen vor.)

Vetter Sternberg, ſchonen Sie ſeiner grauen
Haare! Eher vergreifen Sie ſich an mir!


Gerhard
(ſchleicht durch die hintere Seitenthür
ab.)

Vierzehnter Auftritt.


Wittwe Ungewitter. Sternberg.

(Sternberg geht haſtig auf und ab und mißt Witt-
we Ungewitter mit den Augen; ſie ſieht ihn
ſtarr an.)

Sternberg.

Madam Ungewitter ſind Sie?


W. Ungew.

Ja, Herr Sternberg.


Sternberg.

Doch wohl nicht die empfindſa-
me Madam Ungewitter, die ihrem Manne eilf
Monate nach ſeinem Tode ein lebendiges Monu-
ment der Treue ſetzte?


J 5
[138]Die Erbſchleicher.
W. Ungew.

Was wollen Sie damit ſagen,
mein Herr? Wiſſen Sie nicht, daß die Verzweif-
lung einer zaͤrtlichen Wittwe die Ordnung der Na-
tur umkehrt?


Sternberg.

Ich weiß, Madam, daß allzu-
zaͤrtliche Frauenzimmer in mehr Stuͤcken uͤber
Ordnung und Sitte hinaus ſind.


W. Ungew.

Sie haben eine unverſchaͤmte
Manier, Bekanntſchaft zu machen.


Sternberg.

Beſſer unverſchaͤmt, als tuͤckiſch!
Ihre Manier iſt — hinterm Ruͤcken zuſammen
zu hetzen.


W. Ungew.
(ſpöttiſch.)

Nehmen Sie Pulver
ein! Sie haben das Fieber

(Will ab.)

Sternberg
(ſie haltend, mit Heſtigkeit.)

Mit
ſchalem Witze kommen Sie nicht los. Sie ſollen
wiſſen, daß man Sie kennt, daß man Ihre Ab-
ſichten erraͤth, daß man die Waffen der Rache in
Haͤnden hat. Verlaͤumden und kabaliren Sie ſich
muͤde! — Aber noch haben Sie ihn nicht
geerbt.


(Ab, nach der Straße.)

[139]Die Erbſchleicher.

Funfzehnter Auftritt.


Wittwe Ungewitter, allein.

(Ihm ſpöttiſch nachſehend.)

Das klang, wie
Drohung. — Armer Schaͤcher! — Wer ſicher
zuſchlagen will, muß nicht lange ausholen. —
„Waffen der Rache!“ —

(Triumphirend.)

Ja,
wenn dir die Beute aus den Zaͤhnen geriſſen iſt
— dann raͤche dich! Dann prozeßir’ und
ſchikanire dich muͤde! — Vielleicht ſind
wir großmuͤthig genug, dir ein Gnadengeſchenk
auszuwerfen. —

(Hört kommen, und ſammelt ſich
wieder.)

Sechszehnter Auftritt.


Juſtine. Wittwe Ungewitter.

Juſtine
(durch die Mittelthür kommend.)

Ma-
dam, die Suppe erwartet Ihren Befehl —


W. Ungew.

Ach, Kind! Hunger und Durſt
ſind mir vergangen. Zu was fuͤr einem Auftritte
mußt’ ich kommen! Der arme Vetter Stern-
berg!


[140]Die Erbſchleicher.
Juſtine
(ſich fr[em]d ſtellend.)

Wie ſo, Madam?


W. Ungew.

Haben Sie den Larm nicht ge-
hoͤrt? — Ein Wortwechſel! ein Streit! Ohne
mich, vielleicht Mißhandlungen!


Juſtine.

Ich bekuͤmmere mich nur um meine
Kuͤche. Ueberdieß ſind meine Ohren ſchon abge-
haͤrtet. O, es geht bey uns nicht ſo ſtill zu, als
Sie denken. Krieg und Friede, Bewillkommen
und Fortjagen wechſeln oft von einer Stunde zur
andern.


W. Ungew.

Was ſagen Sie? Ach unterm
Monde geht doch nichts uͤber Einigkeit!


Siebenzehnter Auftritt.


Weinhold. Vorige.

Weinhold
(im Eintreten.)

Was ſeh’ ich, mei-
ne liebenswuͤrdige Reiſegefaͤhrtinn!


W. Ungew.
(faſt zu gleicher Zeit.)

Ih, mein
unvergleichlicher Begleiter! — Wo kommen Sie
denn hieher?


Weinhold.

Ich bin hier zu Hauſe. Aber
Sie?


W. Ungew.

Ach Sie haben mich ausge-
fragt, hochgelahrter Herr Profeſſor.


[141]Die Erbſchleicher.
Weinhold.

Oder Sie wollten mich hier
uͤberraſchen, hochzuverehrende Frau Kriegsraͤthinn?


Juſtine
(tritt zwiſchen Beide.)

Verzeihung!
Sie ſind Beide unrecht.


W. Ungew.
Weinhold.

Der Herr Profeſſor Waſſer-
mann?


Die Frau Kriegsraͤthinn Wind-
ſtill?


Juſtine
(zu Weinhold, indem ſie ſich verneigt.)

Ihre Frau Muhme Ungewitter!

(Eben ſo zur Witt-
we Ungewitter.)

Ihr Herr Vetter Weinhold.


W. Ungew.

Weinhold!


Weinhold.

Ungewitter!


W. Ungew.
(mit übertriebener Freude.)

Find’
ich in Ihnen den großen Mann, deſſen ausgebrei-
teter Ruf - - -


Weinhold
(gleichfalls mit Uebertreibung.)

Iſt
die geiſtreiche Frau, deren entzuͤckende Unterhal-
tung mich - - -


W. Ungew.

Ich bin meinem Incognito un-
endlich verbunden, daß - - -


Weinhold.

Ich verdanks meinem Genius
zwiefach, daß er - - -


(Keines von Beiden darf das Andere ausreden
laſſen.)

[142]Die Erbſchleicher.
Juſtine.

Setzen Sie die ruͤhrende Erkennung
bey der Suppe fort! kommen Sie!


W. Ungew.

Ach, Kind, ohne Finetten
ſchmeckt mir kein Biſſen.


Juſtine.

Wo iſt ſie zu finden?


W. Ungew.

Im Poſthauſe.


Juſtine.

Ihre Jungfer? oder —


W. Ungew.

Mein Loͤwenhuͤndchen. Eine
wahre Schoͤnheit des Hundegeſchlechts.


Juſtine.

Gleich ſoll ſie im Triumph gebracht
werden.

(Ab.)

Achtzehnter Auftritt.


Weinhold, Wittwe Ungewitter,

(treten einander näher und lachen leiſe.)

Weinhold.

Das geht vortreflich!


W. Ungew.

Herrlich gehts!


Weinhold.

Ich habe mit myſtiſchem Bombaſt
und tiefgelehrten Kunſtwoͤrtern um mich geworfen,
wie ein zweyter Caglioſtro.


W. Ungew.

Und ich habe die Anekdoten,
die uns Freund Piſtorius geliefert hat, mit Aus-
legungen und Zuſaͤtzen ausſtaffirt, trotz der Graͤ-
finn de la Motte.


[143]Die Erbſchleicher.
Weinhold.

Fuͤr ſo leichtglaͤubig haͤtt’ ich
den Vetter doch nicht gehalten. Er hat ſich mir
mit Haut und Haar uͤberliefert.


W. Ungew.

Hab’ ichs Ihnen nicht vorher-
geſagt? Ein Alter, der ſich vor dem Tode fuͤrchtet,
glaubt zuletzt an Hexen und Zigeuner.


Weinhold.

Der Vetter iſt unſer! Aber die
Leute, die um ihn ſind - - -


W. Ungew.

Sind nur Marionetten. Ich
kenne ſchon das ganze Theater. Mir entgeht
nichts. Ich hab’ Argus Augen.


Weinhold.

Juſtinens zwey Augen haben
mehr Feuer, als hundert.


W. Ungew.

So muͤſſen Sie ſich vor ihr
huͤten, Vetter, denn Ihr Herz iſt brennbar,
wie Stroh.


Weinhold.

Huͤten Sie ſich nur vor Vetter
Sternbergen!


W. Ungew.
(liebäugelnd.)

O, der darf Sie
nicht beunruhigen.


Weinhold.

Nach des Apothekers Beſchrei-
bung verſteht er ſich aufs Praktikenmachen.


W. Ungew.

Ich dachte, Sie ſpielten auf
ſein Aeußerliches an. — Das Praktikenma-
chen
hab’ ich ihm ſchon gelegt.


[144]Die Erbſchleicher.
Weinhold.

Muhme Ungewitter, Sie tref-
fen, wie der Blitz.


W. Ungew.
(triumphirend.)

Morgen ſtehen
wir im Teſtamente!


Weinhold.

Ich wuͤnſchte, wir ſaͤßen mit
der Erbſchaft hinter unſerm Ofen.


W. Ungew.

O, ich packe ſchon im Geiſte
die vollgeſtopften Kiſten aus. Der Alte iſt ja
ſo fertig, als ein ausgebranntes Docht.

(Bläſt.)

Buh! gehts aus.


Weinhold.

Da wollen wir reiten und jagen!


W. Ungew.

Und jauchzen und ſpringen und
hochleben!


Weinhold.

Aber vor allen Dingen kauf’ ich
mir eine Compagnie.


W. Ungew.

Und ich — jedem von meinen
Jungen eine Fahne.


Weinhold.

Muhme Lukrezia, bis dieſe Fahne
weht, giebts noch Berge zu uͤberſteigen.


W. Ungew.

Vetter Emmerich, es ſind nur
Maulwurfshuͤgel, wie in Junker Hanßens Duo-
dezpark. Ein guter Springer ſetzt druͤber weg.


Weinhold.

So viel ſag’ ich Ihnen: Gehts
ſchief, ſo krieg’ ich alle hier im Hauſe beym Kopf,
und kuͤße ſie, und bitte um Pardon.


W. Ungew.
[145]Die Erbſchleicher.
W. Ungew.

Das waͤre klein! Ich kuͤſſe
die ganze Familie, wenns gut geht.


Weinhold.

Das waͤre groß!


W. Ungew.

Seyd keine Narren, ſag’ ich.
Was wollt ihr? Hageſtolzenerbſchaft iſt
ein Freyſchießen. Der beſte Schuͤtze wird
Koͤnig.


Weinhold.

Muhme Lukrezia, Sie ſind - - -


W. Ungew.
(hält ihm den Mund zu.)

Gleich
und Gleich geſellt ſich gern. Kommen Sie nur!


(Gehen Arm in Arm ab.)


[146]

Vierter Akt.


Erſter Auftritt.


Juſtine. Sternberg.

Juſtine
(im Eintreten.)

Nur herein, Bruder!
Wir haben keinen Ueberfall zu fuͤrchten. Sie
ſitzen noch, wie angezaubert, bey Tiſche.


Sternberg.

Warum noͤthigſt du mich wie-
der in dieſes Haus? Ich habe hier nichts mehr
zu ſchaffen.


Juſtine.

Und nie warſt du in dieſem Hauſe
unentbehrlicher, als eben jetzt. Ich will dir Ge-
legenheit machen, den Vetter ohne Zeugen zu
ſprechen, und dann —


Sternberg.

Mit welcher Stirne koͤnnt’ ich
ihm nach jenem Auftritte begegnen? Er hat mich
zu ſchnoͤde behandelt.


Juſtine.

Aber es wird dir nur ein Wort
koſten, eine Verlaͤumdung niederzuſchlagen, deren
Urheber und Abſicht ſo hell am Tage liegen. Um
[147]Die Erbſchleicher.
ſich in ſein Herz einzuniſten, mußten ſie freylich
damit anfangen, dich heraus zu beißen.


Sternberg.

Laß ſie mir auch Vergehungen
angedichtet haben, von denen ich nichts weiß! Ge-
nug, daß mich mein Herz Einer Unredlichkeit ge-
gen ihn anklagt. Das Uebrige bedarf keiner Un-
terſuchung.


Juſtine.

Strenger Moraliſt!


Sternberg
(hitzig.)

O, ich will mich nicht
mehr von Weibern lenken laſſen. Sie machen
ſich gar zu gern ihre eigene Moral.


Juſtine.

Die deinige ſchmeckt auch zu ſehr
nach dem Katheder. — Zu was fuͤr einem un-
verantwortlichen Schritte haben ſie dich denn ver-
leitet, die boͤſen Weiber?


Sternberg.

Sprich ſelbſt! war ich ein Haar
beſſer, als die Korſaren, die den Vetter jetzt um-
ringt halten? Ging ich weniger auf Raub aus,
als ſie?


Juſtine.

Schaͤme dich der Vergleichung!


Sternberg.

Der ganze Unterſchied iſt der,
daß Wittwe Ungewitter und ihr Spießgeſelle ſich
plumper bey der Sache benehmen. Aber vielleicht
gelangen ſie um ſo eher zu ihrem Zwecke.


Juſtine.

Das verhuͤte der Himmel!


K 2
[148]Die Erbſchleicher.
Sternberg.

Sie hat ſonſt Gluͤck bey ihren
Streichen, die Frau Muhme. Es iſt eben das
Weib, das ihren Mann durch Untreue und Un-
frieden unter die Erde brachte, um ſein Vermoͤ-
gen mit einem Abentheurer zu verſchleudern.


Juſtine.

Denkt doch! die ſchoͤne Lukrezia!
Und der Abentheurer - - -?


Sternberg
(einfallend.)

Zog aus, als das
Geldchen alle war. Ich denke, Weinhold wirds
nicht beſſer machen.


Juſtine.

Das mag er. Aber wetten
wollt’ ich, daß der ganze Gaunerplan von ihr
allein herruͤhrt.


Sternberg
(ſpöttiſch.)

Ihr habt immer mehr
Partheylichkeit fuͤr unſer Geſchlecht.


Juſtine.

Es gehoͤrt nur unpartheyiſcher Be-
obachtungsgeiſt dazu, um ihm weniger Erfahren-
heit in Raͤnken zuzutrauen, als ihr.


Sternberg.

Studentenkniffe koͤnnen ihm
nicht fremd ſeyn. Er iſt von zwey Univerſitaͤten
relegirt worden. Was er jetzt treibt, weiß ich
nicht.


Juſtine.

Er ſchwaͤrmt, und quackſalbert.


Sternberg.

Ha? ſo eine Art Monddoktor,
Wunderthaͤter, etcetera? — Nicht uͤbel ausge-
[149]Die Erbſchleicher.
dacht! Kluͤgere Koͤpfe, als der Vetter, ſchwoͤren
auf dergleichen Fratzen, und laſſen ſich prellen!


Juſtine.

Bruder, wenn du ihm nicht den
Staar ſtechen willſt, ſo thu’ ichs. Ich ſag
ihm, was ich von dem Volke weiß.


Sternberg.

Nein, Schweſter, ich bitte dich
— ich verbiete dirs ſogar. Wenn ihm die Au-
gen nicht von ſelbſt aufgehen, iſt er nicht werth,
in beſſere Haͤnde zu fallen.


Juſtine.

Und wenn er ſtirbt, eh er zur Er-
kenntniß koͤmmt?


Sternberg.

Dann hat die Komoͤdie ein En-
de. — Aber du warteſt den Ausgang nicht ab.
Du ziehſt noch heute zu deinem Bruder.


Juſtine
(ihn bedenklich anblickend.)

Moritz! —
Biſt du’s, der mir dieſen Rath giebt? — Sieh
mir in die Augen!

(Schalkhaſt.)

Du haſt dich mit
Thereſen entzweyt.


Sternberg
(verdrüßlich.)

Nein!


Juſtine.

Aber doch gezankt?


Sternberg.

Nein!

(Kalt.)

Ich habe ſie
ſeitdem gar nicht geſprochen.


Juſtine.

Noch ſchlimmer! Wie iſt das ge-
kommen?


Sternberg
(kömmt nach und nach in Hitze.)

Das
K 3
[150]Die Erbſchleicher.
wird ſie beſſer wiſſen, als ich. Dreymal ging ich
unter ihrem Fenſter vorbey. Sie that nicht, als
ob ſie mich bemerkte. Dreymal war ich auf ih-
rer Treppe, und gab das Zeichen, worauf ſie ſonſt
ſo ſchnell und froͤhlich aus dem Zimmer ſchluͤpf-
te. Und ſie kam nicht.


Juſtine.

Weil ihre Mutter es ihr verboten
hatte.


Sternberg
(bitter.)

O, wenn ſie mich lieb-
te
— eine thoͤrichte Mutter verdient keinen
Gehorſam!


Juſtine.

Jetzt begreif’ ich deine Laune. Dem
mißvergnuͤgten Liebhaber iſt die ganze Welt gleich-
guͤltig. — Ich muß dich aufheitern. — Du
ſprachſt von Komoͤdie. Laß uns eine ſpielen!


(Legt ihren Arm auf ſeine Schulter.)

Sternberg
(unwillig.)

Ach!


Juſtine.

Runzele die Stirne, wie du willſt.
Es iſt eine herrliche Poſſe.

(Den Arm in die Seite
ſtemmend.)

Hier ſteht der Autor! — Der Titel
iſt: Wer zuletzt lacht, lacht am beſten.


Sternberg.

Hoͤr auf!


Juſtine.

Aber mit dem Rollenlernen wollen
wir uns den Kopf nicht zerbrechen. Wir extem-
poriren. — Du biſt der Notarius.


[151]Die Erbſchleicher.
Sternberg.

Schweſter, wenn du einen
Narren brauchſt, nimm Benedikten.


Juſtine.

Der Einfall iſt gut. Benedikt
ſchickt ſich beſſer zum Notarius, als du. Er hat
beym alten Skrupel geſchrieben, hat noch einige
Floskeln im Kopfe, kann vielleicht - - -


Sternberg
(ungeduldig einfallend.)

Adieu, Ju-
ſtine!

(Will ab.)

Juſtine
(ihn haltend.)

O, lieber, beſter Mo-
ritz! nur noch einen Augenblick! ich gebe dir
auch

(ihn küſſend)

eins, zwey, drey, vier Maͤul-
chen.


Zweyter Auftritt.


Thereſe. Vorige.

Thereſe
(die bey Eröffnung der Thür das Letzte geſehen
und gehört hat.)

Sechs waren’s.

(Schlägt die Thür
wieder zu, und verſchwindet.)

Juſtine.

Wer war das?

(Läuft hinaus.)

K 4
[152]Die Erbſchleicher.

Dritter Auftritt.


Sternberg allein.

(Verlegen.)

Thereſens Stimme! — ſie hat
uns behorcht — wie wird das ablaufen? —
was ſoll ich ihr ſagen?


Vierter Auftritt.


Juſtine. Thereſe. Sternberg.

Juſtine
(Thereſen herein ziehend.)

Sie muͤſſen,
Mamſell — zur Strafe muͤſſen Sie herein.


Thereſe
(ſich ſträubend)

Laſſen Sie mich los,
ich bitte!


Juſtine.

Sie kommen, wie gerufen.


Thereſe
(ſpöttiſch.)

Das ſeh’ ich.


Juſtine.

Herr Sternberg fing Grillen, daß
mir angſt und wehe bey ihm wurde. Um ihn
zu zerſtreuen, wollt’ ich Ihre Perſon vorſtellen.


Thereſe
(immer empfindlicher.)

Ich danke Ih-
nen fuͤr die gute Meynung. Sie glauben alſo,
daß ich mit Herrn Sternberg auf dem Fuße
ſtehe.


[153]Die Erbſchleicher.
Juſtine
(ſich fremd ſtellend.)

Auf welchem?


Thereſe.

Und Sie, Herr Sternberg, beſtaͤrk-
ten Jungfer Juſtinen in dieſem Glauben?


Sternberg
(betreten.)

Thereſe!


Thereſe.

Wenn Sie auch unedel genug ſind,
zwey Maͤdchen auf einmal zu betruͤgen, ſo ſollten
Sie ſich doch wenigſtens ſchaͤmen, die eine auf Ko-
ſten der andern zu beluſtigen.


Juſtine
(zu Thereſen.)

Koͤnnen Sie auf ſeine
Schweſter eiferſuͤchtig ſeyn?


Thereſe.

Seine Schweſter? wer?


Juſtine
(will ſie umarmen.)

Ich!


Thereſe
(ſich zurückziehend.)

Hm! eine abge-
droſchene Erfindung!


Sternberg.

Ich kann Ihren Unglauben nicht
tadeln. Ich habe gefehlt, daß ich Ihnen dieſen
Umſtand bis jetzt verſchwiegen habe. Aber - - -


Thereſe
(aufgebracht.)

Womit koͤnnen Sie’s
entſchuldigen?


Sternberg.

Ich wollte Ihrem Herzchen die
Buͤrde eines Geheimniſſes erſparen.


Thereſe.

Sehn Sie mich fuͤr ein Kind an?


Sternberg.

Ich fuͤrchtete - - -


Thereſe.

Nein! es iſt und bleibt unverzeih-
lich.


K 5
[154]Die Erbſchleicher.
Juſtine.

Sie haben Recht. Verzeihen Sie
ihm unter acht Tagen nicht! Seinem Maͤdchen
nicht einmal Familienſachen zu vertrauen. Und
mancher Mann macht ſeine Frau zum Reichs-
und Staatsarchive — Aber mich nehmen Sie
doch zur Schweſter an?


Thereſe.

Mein Herz ſagt: ja!


Juſtine
(ſie ſchnell umarmend.)

Und das meini-
ge flog Ihnen ſchon dieſen Morgen entgegen.


Sternberg
(will indeſſen Thereſens Hand küſſen.)

Juſtine
(ihn ſchalkhaft zurück ſtoßend.)

Will Er
gehen, mit ſeiner Advokatenpolitik!


Sternberg
(bittend.)

Schweſter!


Juſtine
(indem ſie ſeine Linke und Thereſens rechte
Hand unvermerkt einander nähert.)

Ich heiße Juſtine
und halte auf Gerechtigkeit. Und Sie ſollen ſe-
hen, daß ich Ihnen immer gegen den Menſchen
beyſtehen werde, wenn er - - -


Sternberg
(haſcht Thereſens Hand und küßt ſie.)

Juſtine
(tritt auf die Seite.)

Sie ergeben ſich?
Nun ſcheid’ ich davon.


Thereſe.

Boͤſes Maͤdchen!


Juſtine.

Ja, die Eiferſuͤchtigen ſind immer
die Schwaͤchſten.


Thereſe.

Und die Witzigen —?


[155]Die Erbſchleicher.
Juſtine
(einfallend.)

Genug geneckt! Welcher
gute Geiſt fuͤhrt Sie her, Thereſe!


Thereſe.

Ein Geiſt, der gern auf Abwege
fuͤhrt. — Ich ſah ihn herein gehen, ich ſchloß
von meiner Unruhe auf die ſeinige, und ich kom-
me - - -


Sternberg
(feurig.)

Tauſend Dank, liebſte
Thereſe!

(Indem er ſie umarmen will, hört er Ger-
hards Stimme und fährt zurück.)

Gerhard
(hinter dem Theater.)

Juſtine!


Juſtine
(halblaut.)

Geſchwinde durch dieſes
Kabinet.

(Sternberg und Thereſe eilig ins Kabinet.)

Fuͤnfter Auftritt.


Gerhard. Juſtine.

Gerhard
(aus der Mittelthür; munter und geſchäf-
tig.)

Kann Sie nicht antworten, wenn ich rufe?


Juſtine
(die Kabinetsthür zumachend.)

Ich hielt
Sie fuͤr Benedikten.


Gerhard.

Wo hat ſie die Ohren? — Sind
die Gaſtzimmer in Bereitſchaft?


Juſtine
(kurz.)

Ja, Herr Gerhard.


Gerhard.

Sie hat doch die ſchoͤnſten Vor-
rathsbetten ausgeſucht?


[156]Die Erbſchleicher.
Juſtine.

Ja, Herr Gerhard.


Gerhard.

Und die Waſchtiſche mit Silber-
geſchirr aufgeputzt?


Juſtine.

Ja, Herr Gerhard.


Gerhard.

Iſt das Gewoͤlbe auch wieder mit
dem großen Anwurfe verwahrt?


Juſtine.

Ja, Herr Gerhard.


Gerhard.

Vor allen Dingen ſchaͤrfe Sie Be-
nedikten ein, ſich kuͤnftig nicht zehenmal aus Ein-
ſchenken erinnern zu laſſen, wie dieſen Mittag,
ſondern auf den Wink aufzupaßen, und die Leut-
chen zu bedienen, wie Fuͤrſten.


Juſtine.

Sehr wohl, Herr Gerhard.


Gerhard.

Aber gehe Sie ihm auch mit gu-
tem Exempel vor! Sie muß ſich nach der kleinſten
Kleinigkeit erkundigen. Um welche Stunde ſie
das Fruͤhſtuͤck befehlen? Was fuͤr eine Sorte Ta-
bak der Herr Vetter vorzieht? Ob die Frau Muh-
me vielleicht eines Bettwaͤrmers gewohnt iſt?
Oder einer Magenſtaͤrkung zum Schlaftrunke,
wie die ſeelige Schweſter Abigail? Auch in An-
ſehung des Kuͤchenzettels — Doch daruͤber muß
ich den Herrn Vetter eigends zu Rathe ziehen.


Juſtine
(verdrüßlich.)

Haben Sie noch etwas
zu befehlen?


[157]Die Erbſchleicher
Gerhard.

Was ſitzt Ihr im Kragen?


Juſtine.

Mir? warum?


Gerhard.

Sie macht ein Geſicht, als ob Ihr
ein Schuldmann mit den Intereſſen ausbliebe.


Juſtine.

Ich bin froh, wenn mich niemand
mahnt.


Gerhard.

Geſteh Sie’s nur! Die Gaͤſte ſind
Ihr ungelegen.


Juſtine.

Hoͤchſtgleichguͤltig.


Gerhard
(aufgebracht.)

Sie iſt ein Klotz.


Juſtine.

Kann wohl ſeyn.


Gerhard.

Wenn Sie die Liebe fuͤr mich im
Herzen haͤtte, die Sie oft zur unrechten Zeit auf
der Zunge traͤgt, ſo wuͤrde Sie ſich freuen, daß
mir der Himmel ſo gute Geſellſchaft zuſchickt.


Juſtine.

Ich dachte, Sie verlangten weder
gute noch boͤſe.


Gerhard.

Alles mit Unterſchied. Ich frage
nichts nach Spuͤrhunden, die bey Leuten meines
Gleichen alle Ecken und Winkel nach einem Le-
gatchen durchſchnuppern. — Aber meine naͤchſten
Verwandten! meine Schweſterkinder! Sie weiß
nicht, was ich an den Leutchen habe.


Juſtine.

Ich werd’s erfahren.


Gerhard.

Gottlob, daß ich ihrer end.
[158]Die Erbſchleicher.
lich ein Paar antreffe, die mir Ehre ma-
chen.


Juſtine.

Die Ehre wird Ihnen theuer zu
ſtehen kommen.


Gerhard.

So ein Mann, wie der Vetter,
iſt mir noch gar nicht aufgeſtoßen.


Juſtine.

Jeder neue Vetter iſt Ihr Ab-
gott.


Gerhard.

Und die Frau Muhme — es iſt
eine allerliebſte Frau. Sanft — zum Zerſchmel-
zen! Und dabey ſo tugendreich und ehrbar, und
ſo redſelig! ſie ſpricht, wie ein Buch.


Juſtine.

Das ſind die Rechten! Ich habs
mit ſo einer Schoͤnrednerinn verſucht. Ihre
Worte tanzten immer in den Wolken; aber deſto
tiefer krochen ihre Handlungen an der Erde.


Gerhard
(ärgerlich.)

Es iſt Zeit den uͤbrig-
gebliebenen Wein aufzuheben.


Juſtine.

Da werd’ ich nicht ſchwer zu tragen
haben. Aber ich verſtehe den Wink. O, bald
will ich Ihren neuen Guͤnſtlingen voͤllig freyes
Feld laſſen. — Um indeſſen mein Gewiſſen ein
fuͤr allemal zu erleichtern —

(Tritt ihm näher,
langſam, mit übereinander geſchlagenen Armen.)

Die
Leute ſind an eben dem Tage, mit eben der Poſt,
[159]Die Erbſchleicher.
in eben der Abſicht angekommen — und wollen
einander nicht gekannt haben? —

(Klopft ihm auf
die Schultet.)

Wahren Sie Ihre Schatulle, Herr
Gerhard! Es ſind Betruͤger!

(Ab.)

Sechster Auftritt.


Gerhard
allein.

Betruͤger? — Sie haben ja Beide ihren
Taufſchein bey ſich! — [Betruͤger]. — Die
Weiber uͤbertreiben alles. — Aber ein kluger
Mann verachtet auch den Rath eines jungen Maͤd-
chens nicht. — Ich will bald dahinter kommen
— ich will ihnen Fallen, Schlingen legen, de-
ren ſie ſich nicht vermuthen ſollen —

(Horcht.)

Still! ſie ſinds! — In dem Kabinetchen hab’
ich ſchon manche Entdeckung gemacht —

(Schleicht
auf den Zähen ins Kabinet.)

Vielleicht — viel-
leicht —


Siebenter Auftritt.


Wittwe Ungewitter. Weinhold.

W. Ungew.
([in]dem ſie die Thür öffnet, halblaut.)

Sehn Sie ihn ſchleichen?


[160]Die Erbſchleicher.
Weinhold
(halblaut.)

Er will uns behorchen.


(Sie gehen vorwärts, indem ſie ſich einander
winken.)

W Ungew.
(laut.)

Die Guͤte des Herrn
Vetters druͤckt mich zu Boden. Jungfer Juſti-
ne hat mir ein Zimmer angewieſen, ſo geraͤumig,
als die Arche Noaͤh. Der Bettumhang von gel-
bem Brocat, brennend, wie Gold - - -


Weinhold
(einfallend.)

Der meinige von ge-
wirkten Tapeten, mit Figuren in halber Lebens-
groͤße! Und das Bett aufgethuͤrmt, wie ein Fu-
der Heu!


W. Ungew.

Auf dem Waſchtiſche eine ſil-
berne Gießkanne, wie die Kruͤge auf der Hochzeit
zu Kanaan! ſilberne Leuchter, wie - - -


Weinhold
(einfallend.)

Im Salomoniſchen
Tempel! und ein Becken, wie das eherne Meer!


(Beide haben Mühe das Lachen zu verbeißen.)

W. Ungew.

Warum ehrt, warum beſchaͤmt
mich der Herr Vetter ſo? In ſeinem Hauſe
haͤtt’ ich mit einem Dachſtuͤbchen vorlieb ge-
nommen.


Weinhold.

Was ſollen mir ſybaritiſche Pol-
ſter? Ein Philoſoph, wie ich, gehoͤrt auf die
Streue.


W. Ungew.
[161]Die Erbſchleicher.
W. Ungew.

Der Mann ſoll karg ſeyn?
Und ſeine Gaſtfreyheit geht bis zur Verſchwen-
dung.


Weinhold.

Mißtrauiſch? und ſein Herz ent-
faltet ſich der Freundſchaft, wie die Roſe der
Sonne.


W. Ungew.

Muͤrriſch? Und hat Einfaͤlle,
wie Doktor Luthers Tiſchreden.


Weinhold.

Eigenſinnig? Und dehnt ſich,
und bequemt ſich, wie ein Handſchuh.


W. Ungew.

Wer mit ihm nicht auskom-
men kann, den muß man aus der menſchlichen
Geſellſchaft ausſtoßen.


Weinhold.

Und wer ihm etwas in den Weg
legt, der hats mit mir zu thun.


Achter Auftritt.


Gerhard. Vorige.

Gerhard
(aus dem Kabinette kommend, freundlich.)

Schon aufgeſtanden, meine Lieben? Ihr dauert
mich. Ihr ſeyd nicht ſatt geworden.


W. Ungew.

Spotten Sie nur, Herr Vet-
ter! Ich erroͤthe vor mir ſelbſt. Mein ſeit acht
L
[162]Die Erbſchleicher.
Tagen verſchloßener Magen glich heute einem
Faß ohne Boden.


Weinhold.

Aber Sie, Herr Vetter, leben
von der Luft.


Gerhard.

Leider. Wenn ich eſſe, treibt
mirs den Leib auf, wie - - -


W. Ungew.
(jedesmal mit Nachdruck einfallend.)

Wie ein Luſtballon. So geht mirs juſt auch.


Gerhard.

Das Blut ſteigt mir zu Kopfe —


W. Ungew.

Wie eine Fontaͤne, mir auch!


Gerhard.

Es flimmert mir vor den Au-
gen - - -


W. Ungew.

Wie Raketen und Schwaͤrmer,
mir auch!


Gerhard.

Leg’ ich mich hierauf zu Bette - - -


W. Ungew.

So erdroſſelt michs.


Gerhard.

Ich ſehe nichts, als Unholde und
Teufelslarven - - -


W. Ungew.

Und die Pulſe ſchlagen mir,
wie Drathammer.


Gerhard.

Arme Frau Muhme. Sie koͤn-
nen die Familie nicht verlaͤugnen.


W. Ungew.

Ach, beſier Herr Vetter, mit
Ihnen troͤſt’ ich mich gern.


Weinhold.

Spasmatiſche Irregularitaͤten!
[163]Die Erbſchleicher.
Der Menſch muß eſſen. Dieſe Pflicht waͤchſt
mit den Jahren. Denn jemehr ſich die Federn
und Triebraͤder einer Maſchine abnutzen, um ſo
fleißiger muß man ſie ſchmieren. Aber alles
koͤmmt auf die Wahl der Nahrung an. Sie ſol-
len mir noch ein ganzer Lecker werden, Herr Vet-
ter. Sie ſollen nichts denken und traͤumen, als


(Schnell.)

Rebhuͤner, Faſanen, Truͤffeln, Lachs,
Auſtern, Hanauer Paſteten, ungariſchen Wein,
Champagner, Ananas - - -


Gerhard
(einfallend.)

Ey, Herr Vetter! Das
iſt eine Diaͤt fuͤr Koͤnige.


Weinhold.

Unſer einer lebt ſo gern, als
ein Koͤnig.


Gerhard.

Aber mein buͤrgerlicher Beutel
wuͤrde die Schwindſucht kriegen.


Weinhold.

Wollen Sie ſparen? fuͤr wen?
Fuͤr lachende Erben.


Gerhard.

Wollt ihr bey meiner Baare
lachen?


W. Ungew.

Ach, Herr Vetter, ehe es mit
Ihnen dahin koͤmmt, wo werd’ ich armes Gerip-
pe ſeyn?


Weinhold
(zu Gerharden.)

Und ich ſage,
ehe wir Beide uns zu der Reife entſchließen,
L 2
[164]Die Erbſchleicher.
kommen die Bahren vielleicht aus der Mo-
de.


Gerhard.

Ach, wenn das der Himmel
wollte! Aber auf alle Faͤlle, lieben Leutchen, muß
ich mit Euch Abrechnung halten.


W. Ungew.
Weinhold.
(verwundert.)

Abrechnung?


Gerhard.

Wie kann ich Eure Liebe, Eure
Sorgfalt wieder gut machen, als daß ich Euch
mein Bißchen Armuth - - -


Weinhold
(halb unwillig.)

Herr Vetter!


W. Ungew.

Sie kraͤnken uns unausſprech-
lich.


Gerhard.

Noch vor Abend will ich mein
Teſtament - - -


W. Ungew.

Ums Himmelswillen, werfen
Sie keinen Zankapfel unter die Familie!


Gerhard.

Ich habe keine Familie.


W. Ungew.

Ein Teſtament! Streit und
Prozeſſe ohne Ende!


Gerhard.

Ich wills ſchon verklauſuliren.


W. Ungew.

Je mehr Klauſeln, je mehr
Sporteln fuͤr die Advokaten!


Weinhold.

Ich begreife nicht, wie es noch
Narren giebt, die ein Teſtament machen; ſie
[165]Die Erbſchleicher.
ſehen ja, wie’s zugeht. Kaiſer und Koͤnige muͤſ-
ſen ſich’s gefallen laſſen, daß die Schikane mit
ihrem letzten Willen ſpielt.


Gerhard.

Da laͤßt ſich ein Riegel vorſchie-
ben. Ihr nehmt den Praß bey meinem Leben.


Weinhold.

Ich meines Orts leiſte auf dieſe
Großmuth Verzicht. Wenden Sie Alles meiner
guten Muhme zu!


W. Ungew.

Ich bin der goldnen Mittel-
maͤßigkeit gewohnt. Machen Sie nur meinen
wuͤrdigen Vetter gluͤcklich!


Gerhard.

Ihr ſeyd ja Phoͤnixe von Unei-
gennuͤtzigkeit.

(Geht auf die andere Seite, vor ſich.)

Juſtine hat Recht. Sie blaſen in Ein Horn.


Weinhold
(leiſe.)

Muhme, er merkt Unrath.


W. Ungew.
(leiſe.)

Wollen wir uns zanken?


Weinhold
(leiſe.)

Recht gern.


W. Ungew.
(leiſe.)

Aber was werfen wir
uns aus dem Stegreife vor?


Weinhold
(leiſe.)

Wahrheiten. Stoff genug!


Gerhard
(ſie von weitem beobachtend.)

Aha!
ſie ſchmieden etwas unter ſich.

(Näher tretend, laut.)

Was habt ihr denn fuͤr Geheimniſſe?


Weinhold
(ſpöttiſch.)

Die Frau Muhme hat
die liebe Gewohnheit, ins Ohr zu fluͤſtern.


L 3
[166]Die Erbſchleicher.
W Ungew.
(empfindlich.)

Gleich macht er
mirs zur Gewohnheit. So uͤbereilt ſchließen
die Herren Gelehrten.


Gerhard.

Ey, fangt einander nicht die Wor-
te auf! — Ich war in dreyßig Jahren nicht ſo
vergnuͤgt, als heute Friſch, ihr Leutchen! Wer
weiß eine Schnacke? Wer bringt ein Hiſtoͤrchen
aufs Tapet? Ich will lachen.


W. Ungew.

O, um zu lachen, beleuchten
Sie nur die Figur des Vetters Weinhold!


Weinhold.

Laſſen Sie ſich nur vom Witze
der Muhme Ungewitter kitzeln!


Gerhard.

Nicht ſo ſpitzig, ich bitt’ euch! Aus
Scherz wird oft Ernſt.


W. Ungew.

Fuͤr mich ſeyn Sie außer Sor-
gen! Ich weiß in den Schranken zu bleiben! Im
Hauſe meines Wohlthaͤters habe ich fuͤr Alles Re-
ſpekt — bis zum Schoshunde.


Weinhold.

So denk’ ich auch, Frau Muh-
me. Die kleinen Kneffer ſind immer die falſche-
ſten.


W. Ungew.

O, ich fuͤrchte mich ſonſt vor
keinem Cerberus.


Weinhold.

Puh! Das heißt man Katzen-
courage!


[167]Die Erbſchleicher.
Gerhard.

Halt! halt! Das war zu ſtark!


(Weinhold und Wittwe Ungewitter gehn heftig
auf und nieder.)

W. Ungew.
(begegnet Weinholden in der Tiefe
des Theaters, leiſe.)

Bravo!


Weinhold
(in der Tiefe des Theaters mit Wittwe
Ungewitter zuſammentreffend. Leiſe.)

Selbſt Bravo!


Gerhard
(ſich böſe ſtellend.)

Dergleichen Auf-
tritte verbitt’ ich mir.


W. Ungew.
(Gerharden auf die Seite ziehend.)

Er ſcheint noch wenig in gute Geſellſchaft gekom-
men zu ſeyn.


Weinhold
(ihn auf die andere Seite ziehend.)

Man muß ſie anlaufen laſſen, um Ruhe zu ha-
ben.


W Ungew.
(wie vorhin.)

Er meynt, der Phi-
loſophenmantel deckt Alles zu. Aber es geht ihm,
wie dem Thier in der Fabel. Unter der Loͤwen-
haut gucken die langen Ohren hervor.


Gerhard
(mit Schadenfreude.)

Ich ſehs.


Weinhold
(wie vorhin.)

Vor lauter Schoͤn-
geiſterey, ſchwatzt ſie mit unter ohne Menſchen-
verſtand Und ehe ſie eine Satyre verſchluckte,
verduͤrbe ſie’s lieber mit ihrem Buſenfreunde.


Gerhard.

Das hoͤr’ ich.


L 4
[168]Die Erbſchleicher.
(Sie drängen ſich Beide an Gerharden und ſpre-
chen ihm zu gleicher Zeit in die Ohren.)

W. Ungew.

Er ſcheint ein Pedant —


Weinhold.

Sie ſcheint eine Romanennaͤr-
rinn —


Gerhard
(zur Wittwe Ungewitter.)

Ich glaub
Ihnen.

(Zu Weinhold.)

Ich weiß Alles.

(Zu Bey-
den)

Aber ich mag das Sticheln nicht leiden.
Ihr ſeyd Verwandte, Ihr ſeyd Hausgenoſſen,
Ihr ſeyd mir Beide gleich lieb. Ich will Frie-
den unter Euch ſtiften, ja, das will ich.


W. Ungew.
(ſpöttiſch)

Hm!


Weinhold.
(verächtlich.)

O!


Gerhard.

Was brummt Ihr? — Wollt
Ihr euch die Haͤnde geben, oder nicht?


W. Ungew.

Unverſoͤhnlich bin ich eben
nicht, aber - - -


Weinhold.

Ich fange niemals an, aber - - -

(Beyde reichen ſich mit abgewand-
tem Geſichte die Hand.)

Gerhard
(gutmüthig.)

Kein Wort mehr!
Umarmt mich! — Umarmt Euch! Und wer den
Andern wieder hohnneckt - - -


W. Ungew.

Ihnen zu Liebe —


Weinhold.

Ihnen zu beweiſen —


(Sie umarmen ſich alle drey.)

[169]Die Erbſchleicher.
Gerhard
(ſcherzhaft.)

Daß es ja keine fremde
Seele erfaͤhrt! Lieber wollen wir uns ſelbſt aus-
lachen, als uns auslachen laſſen.

(Lachen alle drey.)

Neunter Auftritt.


Juſtine. Vorige.

Juſtine
(zu Wittwe Ungewitter und Weinholden.)

Der Poſtknecht bringt Ihr Gepaͤcke gefahren.
Befehlen Sie, daß ichs in Empfang nehme?


W. Ungew.

Erlauben Sie, Kind! Ich will
ſelbſt - - -


Gerhard.

O, Frau Muhme! Dafuͤr iſt
Juſtine da.


W. Ungew.

Sehr guͤtig! Aber ich geſtehe
Ihnen meinen kleinen Eigenſinn. Ich habe gern
uͤberall die Augen ſelbſt.

(Zu Weinholden leiſe.)

Ich
habe dem Kerl einen Gulden verſprochen, wenn
er keicht, als ob er den Berg Atlas ſchleppte.


Weinhold
(laut, als antwortete er ihr darauf.)

Bemuͤhen Sie ſich nicht, Frau Muhme! Meine
Sachen erfodern im Abladen eine gewiſſe Behut-
ſamkeit, die Niemand kennt, als ich.


W. Ungew.
(zu Gerhard.)

Verzeihung, Herr
L 5
[170]Die Erbſchleicher.
Vetter, daß wir Sie um ſo geringfuͤgiger Ge-
ſchaͤfte willen - - -


Gerhard
(einfallend.)

Das lob’ ich. Ordnung
erhaͤlt die Welt; und Ihr ſeyd ja hier zu Hauſe.


(Weinhold und Wittwe Ungewitter ab, Juſtine
will folgen.)

Gerhard
(ruft.)

Juſtine!


Zehnter Auftritt.


Gerhard. Juſtine.

Gerhard.

Obligirt fuͤr Ihre wohlgemeynte
Warnung! Sie iſt nicht auf die Erde gefallen.
Ich habe die Leutchen ausgeholt - - -


Juſtine
(ſchnell.)

Nun? und —?


Gerhard.

Engel ſinds freylich nicht.


Juſtine
(freudig.)

Nicht wahr, ſie ſtecken un-
ter Einer Decke?


Gerhard.

Ganz das Gegentheil. Die war-
me Reiſekameradſchaft iſt im Begriff; unter der
Ehre der Verwandtſchaft zu erkalten. Sie fan-
gen an, ſich zu neiden. Es fehlte nicht ſo viel,
ſo haͤtten ſie ſich gezankt.


Juſtine.

O, Ballens ſpielen ſie mit Haß
[171]Die Erbſchleicher.
und Liebe. Ein Taſchenſpielerkniff, um die Auf-
merkſamkeit der Zuſchauer zu taͤuſchen!


Gerhard.

Nein, nein! Ich kenne ſie jetzt
durch und durch. — Die Wahrheit zu ſagen, ſeh’
ich unter Hausgenoſſen lieber Mißverſtaͤndniß,
als zu enge Vertraulichkeit. Ein Schwert haͤlt
dann das Andere in der Scheide. Wenn Sie nicht
Sternbergs Hehlerinn geweſen waͤre, haͤtt’ ich
den Betruͤger eher entlarvt.


Juſtine
(eifrig.)

Herr Gerhard! Wenn Stern-
berg ein Betruͤger iſt, ſo - - -


Gerhard
(einfallend.)

Sie will ihn noch ver-
theidigen? Das iſt luſtig. Und er hat Alles ein-
geſtanden!


Juſtine.

Was ſagt man nicht in der Beſtuͤr-
zung? Je unſchuldiger der Angeklagte iſt, um ſo
ſchlechter weiß er ſich oft zu verantworten.


Gerhard.

O, ich will kein Halsgericht uͤber
ihn halten. Es iſt vorbey. Ich laß ihn laufen.
Aber um ihm allen Muth zu neuen Linksmache-
reyen zu benehmen — will ich den Leutchen all
mein Hab und Gut verſchreiben.


Juſtine
(erſchrocken.)

Herr Gerhard!


Gerhard.

Verſchreiben, nicht verma-
chen. Vor ſeinen Augen! unumſtoͤßlich! noch heute!


[172]Die Erbſchleicher.
Juſtine
(dringend.)

Herr Gerhard!


Gerhard
(immer lebhafter.)

Bey meiner Thuͤr
heißt es: ganz offen, oder ganz zu!


Juſtine
(faßt ihn bey der Hand.)

Ich bitte Sie
um Alles, was Ihnen lieb und theuer iſt, ich
bitte Sie mit Thraͤnen - - -


Gerhard
(betreten.)

Juſtine! — Wie kommt
Sie mir vor? Was will Sie? Was hat Sie?
— Fünfhundert Thaler hab ich Ihr zugedacht,
und die ſoll Sie behalten.


Juſtine
(mit ſteigender Innigkeit.)

Ach, Herr
Gerhard — nicht meinetwegen! Ich bin des
Mangels gewohnt, bin gewohnt zu dienen. Um
Ihres eigenen Wohls, um Ihrer Ruhe willen!
Sie werden es bereuen. Sie werden die Stun-
de - - -


Gerhard.

O, ich mag das Gepinſel nicht.


Juſtine
(ſich faſſend.)

Ich wollte ja gerne la-
chen — ich beſinne mich wohl, wie ſchadenfroh
Sie ſonſt lachten, wenn Sie von uͤbel angewand-
ten Vermaͤchtniſſen hoͤrten — aber dazu hab’ ich
Sie zu lieb — es geht mir zu nahe - - -


Gerhard
(ungeduldig.)

Durchaus nichts. Es
ſoll Sie aber nichts angehen - - -


Juſtine.

Wie oft haben Sie nicht zu mir
[173]Die Erbſchleicher.
geſagt: Juſtine, wenn du merkſt, daß ich mit
meinem Teſtamente umgehe, zupfe mich beym
Ermel! hilf mir meine Leute auslernen! hilf mir
ſie aufs Eis fuͤhren!


Gerhard.

Man kann nicht mehr thun, als
ich gethan habe.


Juſtine.

Und was haben Sie denn ge-
than?


Gerhard
(beſchämt und verlegen.)

Ich bin ſo
weit gegangen — ſie — zu behorchen.


Juſtine.

O, die Fuͤchſe koͤnnen den Jaͤger
auch wohl gewittert haben.

(Pauſe.)

Darf ich
Ihnen einen andern Vorſchlag thun? — Stellen
Sie ſich todt!


Gerhard
(als ob ers nicht begriffe.)

Was?


Juſtine.

Stellen Sie ſich todt!


Gerhard
(ſtutzt.)

Todt? — Wie? Voͤllig
todt? — So — was man todt nennt!


Juſtine.

Ja, mich daͤucht, wir werden im
Tode manches ſehen und hoͤren, was wir lebend
nicht ahndeten.


Gerhard
(ſich ſchüttelnd.)

Je ſpaͤter, je lie-
ber!


Juſtine.

Aber verſtehen Sie mich doch
recht! Es iſt ja nur vom Stellen die [Rede].


[174]Die Erbſchleicher.
Gerhard.

Mit dem Tode iſt nicht gut ſpaſ-
ſen. Er kann ſein Spiel haben.


Juſtine.

Umgekehrt! Todtgeſagt werden, be-
deutet langes Leben.


Gerhard
(zweifelhaft.)

Meynt Sie?


Juſtine.

Meine Großmutter hats an ſich
ſelbſt erfahren.


Gerhard
(geſpannt.)

Zum Exempel? Auf
was Art?


Juſtine.

Ein andermal will ichs Ihnen er-
zaͤhlen.


Gerhard
(ſich beſinnend.)

M! — M! — Sie
meynt alſo —?


Juſtine
(immer lebhafter.)

Probieren Sie’s auf
mein Wort! Gehn Sie hier ins Kabinet! Stre-
cken Sie ſich ſanft auf dem Ruhebette aus! Hal-
ten Sie den Athem an ſich! Das iſts Alles. —


(Ihm die Hände küſſend.)

Nun! bitte, bitte!


Gerhard
(halb entſchloſſen.)

Aber, Juſtine —
wenn ich nun auch — ich ſetze den Fall — was
weiter?


Juſtine.

Ich bringe unſrer Einquartirung
die frohe Nachricht, daß Sie zum Teſtamente zu-
ſchicken wollen.


Gerhard.

Und dann?


[175]Die Erbſchleicher.
Juſtine.

Dann komm’ ich unter irgend ei-
nem Vorwande wieder — und ſehe — und
finde — aber erſchrecken Sie nicht, wenn die
Waͤnde von meinem Gebruͤlle zittern!


Gerhard.

Probiren will ichs allenfalls —


Juſtine
(ihn vor Freude umarmend.)

Wollen
Sie?


Gerhard.

Um Ihres Quaͤlens los zu wer-
den.

(Sich viſitirend.)

Ich habe doch alle meine
Schluͤſſel bey mir?


Juſtine.

Bis auf den zum Silbergewoͤlbe!


(Reicht ihm einen Schlüſſel.)

Gerhard
(ſteckt ihn ein und geht nach dem Ka-
binet.)

Aber — merke Sie ſich die Abrede wohl!
— nur ein Paar Minuten!


Juſtine
(ihn führend.)

Ach, es wird Ihnen
ſo wohl gefallen - - -


Gerhard
(an der Thür.)

Nur ein Paar Mi-
nuten! — denn — denn —


Juſtine.

So wohl — als dem Kaiſer, hieß er
nicht Karl der Fuͤnfte? — der ſich gar zum
Spaß begraben ließ - - -


Gerhard
(wollte eben hinein gehen, guckt wie-
der heraus.)

Begraben? — Bey lebendigem Lei-
be? Wie war das?


[176]Die Erbſchleicher.
Juſtine
(ſchnell, im Abgehen.)

Ja, mit Sang
und Klang und Leichenpredigt, und allem
Gugkuk —

(Die letzten Worte hinter dem Thea-
ter.)

Gerhard
(vollends hinein gehend.)

Zum Spaß?
Gott ſteh mir bey! Ueber den Spaß!

(Die
letzten Worte im Kabinette.)


[177]

Fuͤnfter Akt.


Erſter Auftritt.


Juſtine
allein.
Kömmt durch die Mittelthür, und geht eilig nach
dem Kabinet.)

Alles geht nach Wunſch. — Wenn nur Be-
nedikt keinen Budel macht! —

(Bleibt an der offe-
nen Thür ſtehen, klopft in die Hände.)

Schoͤn! Tref-
lich! O, Sie ſind ein allerliebſter Mann. —
Den rechten Arm beſſer ausgeſtreckt! Die Muͤtze
tiefer ins Geſicht! — So! — Angenehme Ru-
he!

(Wirft ihm einen Kuß zu.)

Aber ums Him-
mels willen nicht gehuſtet! Erſticken Sie lieber! —


(Rückt den Seſſel in die Mitte des Theaters.)

Ich
will mir’s bequem machen — ich will recht mit
Anmuth in Ohnmacht liegen —

(Klingelt und ruft.)

Huͤlfe! Huͤlfe! Benedikt! Madam Ungewitter!
Herr Weinhold! Huͤlfe!

(Sinkt nachläßig in den
Seſſel.)

M
[178]Die Erbſchleicher.

Zweyter Auftritt


Benedikt. Juſtine.

Benedikt
(ſieht zur Thür herein.)

Soll ich
kommen?


Juſtine
(halblaut.)

Wie kann Er noch fra-
gen?


Benedikt
(mit kaltem Geſchrey.)

Heda! Wer
ruft? Hat ſich ein Ungluͤck - - -


Juſtine.

Thu’ Er doch mehr erſchrocken!


Benedikt.

Stille nur! Ich weiß ſchon, wie
mans machen muß. Es ſind ja kaum ſechs Mo-
nate, daß ich meine alte Haͤlfte transportirt
habe.


Juſtine.

Ins Kabinet! Die Thuͤr offen
gelaſſen!


Benedikt
(indem er hinein geht.)

Fuͤr Waſſer
in die Augen iſt auch geſorgt.

(Zeigt ihr eine
Zwiebel.)

[179]Die Erbſchleicher.

Dritter Auftritt.


Wittwe Ungewitter. Weinhold. Juſtine.

W. Ungew.
Weinhold.
(vor der
Thür.)

Was giebts?
Was iſt vorgefallen?

(Stürzen herein, erblicken Juſtinen, eilen,
und ſchütteln ſie, und rufen:)


Juſtine! Juſtinchen! he!


Juſtine
(mit geſchloſſenen Augen und gebrochener
Stimme.)

Todt! todt! mauſetodt!


W[.] Ungew.

Sie kann ja noch reden.


Weinhold.

Wo fehlts Ihr denn?


Juſtine
(wie vorhin.)

Herr — Ger — Ger-
hard —


W. Ungew.

Der Herr Vetter! Wie? wo?


Weinhold.

Das waͤre der Teufel!


Vierter Auftritt.


Benedikt. Vorige.

Benedikt
(das Schnupftuch vor den Augen, zit-
ternd und ſchluchzend.)

Da — da! — ſehn Sie
zu, ob Sie ihn aufſchreyen koͤnnen!


M 2
[180]Die Erbſchleicher.
W. Ungew. und Weinhold
(indem ſie ins Ka-
binet ſtürzen.)

Herr Vetter! Herr Gerhard!


Fuͤnfter Auftritt.


Benedikt. Juſtine.

Benedikt
(halblaut.)

Nu? hab ichs recht ge-
macht?


Juſtine.

Ja, zu Schelmereyen iſt Er
zu gebrauchen.


Benedikt.

Ein feines Loͤbchen!


W. Ungew.
(im Kabinet.)

Allerbeſter Herr
Vetter! Hoͤren Sie mich doch!


Weinhold
(im Kabinet.)

Er iſt und bleibt
todt.


Juſtine
(zu Benedikt, leiſe.)

Fort! fort! Sie
kommen wieder.

(Benedikt ab.)

Sechster Auftritt.


Wittwe Ungewitter. Weinhold. Juſtine.

W. Ungew.
(mit verſchobenem Kopfzeuge und
wilder Geberde.)

Es iſt aus — es iſt vorbey —
ich bin verloren!


[181]Die Erbſchleicher.
Weinhold
(ſpäter kommend und ſingend.)

Valet hat er gegeben,
Der argen boͤſen Welt.


W. Ungew.
(heftig.)

Sie koͤnnen ſpotten?


Weinhold.

Ihm iſt wohl und uns beſſer.


W. Ungew.

Sie ſprechen, wie ein Heide
— wie die Hottentotten, die den alten Leuten
die Kehle abſchneiden. Ich wollte — ich weiß
nicht was? ſchuldig ſeyn, wenn er nur noch eine
Stunde gelebt haͤtte.


Juſtine
(noch im Seſſel, mit ſchwacher Stimme.)

Soll ich nach dem Herrn Gevatter Piſtorius ſchi-
cken? Es iſt ſein Doktor.


W. Ungew.

Ach, es iſt nur ein vergebli-
cher Gang, den ſich der Menſch bezahlen laͤßt.
Der Gulden kann geſpart werden.


Weinhold.

Lieber nach dem Feldſcheer, zum
Seciren!


Juſtine
(ſpringt auf.)

Warum nicht gar?


Weinhold.

Um gewiß zu ſeyn, daß er nicht
wieder aufwacht.


Juſtine
(mit Uebertreibung.)

Nein, ich laſſe
meinen lieben armen Herrn nicht herum martern.


W. Ungew.

Ans Aufwachen iſt nicht zu
denken. Er hat keinen Funken Waͤrme mehr.


M 3
[182]Die Erbſchleicher.
Weinhold.

Ihre Prophezeihung, Muhme!


(Bläſt)

Buh! gehts aus!


Juſtine
(weinerlich.)

Die Freude uͤber Ihre
Ankunft hat ihm den Reſt gegeben. Ach, wie
er dieſen Mittag einigemale laut lachte, wie er
Sie zum Trinken noͤthigte, wie er Ihnen das
Quartier anbot, wie er endlich gar vom Teſta-
mente anfing, da uͤberliefs mich eiskalt. „Ach,“
ſagt’ ich zu Benedikten, „das ſind Zeichen vor ſei-
nem Ende!“


W. Ungew.
(zu Juſtinen.)

Wie uͤberfiels ihn
aber? Erzaͤhle Sie doch! War Sie zugegen?


Juſtine
(mit zunehmenden Schluchzen.)

Ach, ich
zittere noch, wie Eſpenlaub! Ich komme herun-
ter — ich find ihn nicht — ich rufe — ich
oͤffne das Kabinet — da liegt er! — „Schlum-
mern Sie, Herr Gerhard?“ — Keine Ant-
wort. — Ich trete naͤher — ich ſeh ihm ins
Geſicht — Ich ergreife ſeine Hand — Er
ſchlug die Augen auf — „Mu — Mu —
Muhme!“ fing er an zu ſtammeln — Er hielt
mich fuͤr Sie — Krak! brach ihm das Herz —
Kaum hatt’ ich Zeit, das Fenſter aufzureiſſen,
um die arme Seele hinaus zu laſſen.


W. Ungew.
(in Verzweiflung.)

Ohne ein Te-
ſtament zu machen!


[183]Die Erbſchleicher.
Weinhold.

So erben wir ab inteſtato.


W. Ungew.

Einen Bettel!


Weinhold.

Aber zehn Jahre fruͤher.


W. Ungew.

Wenns hoch koͤmmt, die Rei-
ſekoſten.


Weinhold.

Ein armer Teufel nimmt alles
mit an.


Juſtine
(gegen das Kabinet, indem ſie unvermerkt
die Thür zumacht.)

Ach, du guter, kreuzbraver,
goldner Herr! mußt du ſo fruͤh aus der Welt
gehen?


Weinhold.

Er hat lange genug zuſammen
geſcharrt.


W. Ungew.

Und gewuchert und gegeitzt.
Seinen Verwandten zum Trotz gelebt, und zum
Poſſen geſtorben! Aber du ſollſt deine Abſicht
nicht erreichen, heimtuͤckiſcher Alter! —

(Zu
Juſtinen.)

Jungfer Schließerinn, wo ſind die
Schluͤſſel?


Juſtine.

Zur leeren Speiſekammer? Hier!
— Die uͤbrigen fuͤhrt der Herr bey ſich.


W. Ungew.

Ungluͤcklich!

(Halblaut.)

Vet-
ter Emmerich! viſitiren Sie ihn doch!


Weinhold.

Ich will Ihnen nicht vor-
greifen.


M 4
[184]Die Erbſchleicher.
W. Ungew.
(ſpöttiſch.)

Fuͤrchten Sie ſich, ei-
nen Todten anzuruͤhren?


Weinhold.

Auf der Wahlſtatt wuͤrd’ ich mich
nicht bedenken.


W. Ungew.

Wir muͤſſen doch das Geld zum
Begraͤbniß abzaͤhlen —


Weinhold.

Meinethalben mag er unbegra-
ben liegen bleiben.

(Zieht Pfeiffe und Tabaksbeutel
aus der Taſche, ſtopft, ſchlägt Feuer auf, und fängt
an zu rauchen.)

W. Ungew.

Juſtine! Liebe, beſte Juſtine!
was fangen wir an?


Juſtine.

Wir laſſen verſiegeln.


W. Ungew.
(wirſt ſich in den Seſſel.)

Und ſe-
hen das ſchoͤne Vermoͤgen in hundert Bißen zer-
ſtuͤckeln! — Uns wars zugedacht. Unſer waͤrs
in einer Stunde geworden. —

(Aufſpringend.)

Schon die dritte Erbſchaft, die mir fehl-
ſchlaͤgt! — Ich bin auch ſo deſperat — Wenn
ich eine geladene Piſtole haͤtte, ich koͤnnte —!


(Schlägt ſich mit geballter Hand an die Stirne.)

Weinhold.

Ich will Ihnen eine holen.


Juſtine.

Ach, Madam, wenn eine ſo geiſt-
reiche Dame, wenn eine Gelehrte, wie Sie, ſol-
che Reden fuͤhrt — was bleibt mir einfaͤltigem
[185]Die Erbſchleicher.
Maͤdchen uͤbrig? — Ins Waſſer zu ſpringen.
Sechs Jahre Strapatze bey Tag und Nacht! mit
einem Spottgeld abgeſpeiſt, und immer aufs Le-
gatchen vertroͤſtet! und nun ſo kahl und bloß ab-
gezogen, als ich ins Haus gekommen bin!


(Man hört im Hauſe klopfen.)

W. Ungew.
(die im finſtern Nachdenken auf und
ab gegangen iſt.)

Was bedeutet das?


Weinhold.

Der Alte ſpuͤckt.


Juſtine.

Es will Jemand ins Haus.


W. Ungew.

Abgewieſen! geſchwinde!


(Juſtine ab.)

Siebenter Auftritt.


Wittwe Ungewitter. Weinhold.

W. Ungew.

Jetzt ſind wir allein, Vetter
Emmerich.


Weinhold
(rauchend.)

Jetzt ſtehen die Ochſen
am [Berge], Muhme Lukrezia.


W. Ungew.

O, keine Wachſtuben-Spaͤß-
chen!


Weinhold.

Ich muß ſie wieder lernen.
Machen Sie Elegien, wenn Sie wollen!


M 5
[186]Die Erbſchleicher.
W. Ungew.

Ach, lieber Schatz! Wir wer-
den magere Bißen ſchlucken.


Weinhold.

Lieber Schatz, ich kann die fet-
ten nicht vertragen.


W. Ungew.

Wir werden eine kleine Hoch-
zeit ausrichten.


Weinhold.

Gar keine.


W. Ungew.
(kläglich.)

Wie, mein Engel?


Weinhold
(ihren Ton parodirend.)

Ja, mein
Engel.


W. Ungew.
(heftig.)

Ich ſollte um Mann
und Erbſchaft zugleich kommen?


Weinhold
(lebhaft.)

Und ich, ſtatt der Erb-
ſchaft, zu einer Frau?


W. Ungew.
(bemerkt, daß er raucht.)

Aber iſt
es Ihnen moͤglich, jetzt zu rauchen?


Weinhold.

Ich verrauche die Grillen.


W. Ungew.
(reißt ihm die [Pfeiffe] weg.)

Ich
glaube, Sie haben mich zum Beſten, Herr.


Weinhold.

Richt doch! Der Zufall iſts,
der uns Beide zu narren beliebt.


[187]Die Erbſchleicher.

Achter Auftritt.


Juſtine. Vorige.

Juſtine
(im Eintreten.)

Sprechen Sie nicht ſo
laut! Der Notarius iſt im Hauſe.


W. Ungew.
Weinhold.

Der Notarius?


Juſtine.

Er koͤmmt des Teſtaments wegen.


W. Ungew.
(in Verzweiflung.)

Ach, das Te-
ſtament!


Juſtine.

Er beſteht darauf, den Herrn zu
ſprechen. Ich hab ihn ins Viſitenzimmer ge-
fuͤhrt.


W Ungew.

Sie hat ihm doch nicht die
Wahrheit geſagt?


Juſtine.

Der Herr waͤre ſehr uͤbel.


W. Ungew.

Ohne Beſinnung? ohne Spra-
che?


Juſtine.

Nein, ſo ſchlimm nicht.


W. Ungew.
(kläglich.)

Vetter Emmerich!


Weinhold
(kläglich.)

Muhme Lukrezia!


W. Ungew.

Ach!


Weinhold
(mit Karrikatur.)

Ach!


W. Ungew.

Wollen Sie mich ſterben ſehen,
mein Schatz?


[188]Die Erbſchleicher.
Weinhold.

Ich will Ihnen die Standrede
halten, mein Engel.


W. Ungew.
(heftig.)

Herr, ſchaffen Sie mir
ein Teſtament!


Weinhold.

Wenn eines wegzuſchaffen waͤre?


W. Ungew.

Wohlan! — Ich will Kopf
fuͤr euch alle haben.


Weinhold.

Weiberliſt behielt von jeher den
Preis.


W. Ungew.

Ich hab eine Eingebung - - -


Weinhold.
Juſtine.

Nun?


W. Ungew.

Kommt naͤher! — Juſtine!
Kann Sie blind, taub und ſtumm ſeyn?


Juſtine.

Blind und taub? Immerhin Aber
ſtumm? das iſt der Knoten.


W Ungew.

Hundert Louisdors ſind auch
nicht leicht zu verdienen.


Juſtine.

O, um den Preis ſind manchem
Maͤdchen alle Sinne feil.


W. Ungew.
(zu Weinhold.)

Allons, Herr
Caglioſtro! Zeigen Sie Ihre Kunſt! Koͤnnen Sie
Geiſter citiren?


Weinhold.

Dem Alten haͤtt’ ich wohl einen
blauen Dunſt vorgemacht.


[189]Die Erbſchleicher.
W. Ungew.

Ich kanns.

(Spricht mit Ju-
ſtinen heimlich.)

Weinhold.

Sie ſehen auch aus, wie die
Hexe zu Endor.


Juſtine.

Sogleich.

(Ab in Gerhards Schreib-
ſtube.)

W. Ungew.
(hüpfend und in die Hände klopfend.)

Vetter Emmerich, der Zufall ſoll doch nach
unſrer Pfeiffe tanzen!


Weinhold.

Muhme Lukrezia, mir wird
bange, Ihr tanzt ins Irrhaus.


Juſtine
(kömmt wieder und bringt Schlafrock,
Nachtmütze, Halstuch, Puderſchachtel, und einige Kißen.)

Hier iſt Alles!


Weinhold
(verwundert.)

Wer will ſich mas-
kiren?


W. Ungew.
(ihm den Schlafrock vorhaltend.)

Sie ſelbſt, Herr Vetter.


Weinhold.

Was —?


W. Ungew.

Ohne Widerrede! kriechen Sie
hinein! — Setzen Sie ſich!

(Stößt ihn auf den
Seſſel, legt ihm das Halstuch um.)

Weinhold.

Nun —?


Juſtine.

Die Muͤtze uͤber die Ohren!


(Setzt ſie ihm auf.)

[190]Die Erbſchleicher.
W. Ungew.

Hieher ein Kißen!

(Stopft ihm
eines unter den Kopf.)

Juſtine.

Und hieher eines!

(Wirſt ihm ein
Kißen ins Geſicht.)

Weinhold
(drohend.)

Maͤdchen!


W. Ungew.

Den Pferdefuß verſteckt!


(Breitet ihm ein Kißen über die Füße.)

Juſtine.

Und die rothen Backen uͤbertuͤncht!


(Pudert ihm das Geſicht ein.)

Weinhold
(ſprudelnd)

Ich erſticke —


Juſtine.

Hat nichts zu ſagen.


W. Ungew.
(ihn betrachtend.)

Unvergleich-
lich! Der Alte, wie er leibt und lebt!


Juſtine.

Zum Erſchrecken aͤhnlich!


W. Ungew.
(mit Karrikatur.)

Schatten des
Geitzdrachen Gerhard! ich beſchwoͤre dich! Steig
herauf, und umſchwebe dieſen Seſſel!


Weinhold.

Weiber, was habt ihr mit
mir vor?


W. Ungew.
(geht in die Fenſterkoulißen.)

Alle
Vorhaͤnge herunter!

(Zu Juſtinen.)

Der Notarius
ſoll kommen. Der Herr Vetter will teſtiren.


Juſtine.
(ab.)

[191]Die Erbſchleicher.

Neunter Auftritt.


Wittwe Ungewitter. Weinhold.

Weinhold.

Frau Muhme, das geht auf eine
Spitzbuͤberey los.


W. Ungew.

Nichts, als die Ergaͤnzung ei-
ner elenden Formalitaͤt. Sie ſind des alten Vet-
ters Sprachrohr. Sie hallen nach, was Sie
aus ſeinem Munde auſſingen.


Weinhold.

Aber unterſchreiben thu’ ich
nicht.


W. Ungew.

Warum nicht?


Weinhold.

Ich muͤßte mich vor meinem
Seitengewehre ſchaͤmen.


W. Ungew.

Gut! Wir fuͤhren dem Todten
die Hand.


Weinhold.

Und wenn uns die Juſtitz auf
die Finger klopft?


W. Ungew.

Morgen ſind wir ihr aus den
Augen.


Weinhold.

Sie hat lange Arme —


W. Ungew.

Wir haben noch laͤngere Beine.


Weinhold.

Ich glaube, der Schlafrock ſteckt
an — ich bekomme Herzklopfen —


[192]Die Erbſchleicher.
W. Ungew.

Deſto beſſer!


Weinhold.

Es wird mir gruͤn und gelb vor
den Augen —


W. Ungew.

Deſto natuͤrlicher!

(Nimmt ei-
nen Stuhl und ſetzt ſich Weinholden zur Rechten.)

Zehnter Auftritt.


Juſtine. Benedikt, als Notar. Vorige.

(Gerhard kann in dieſem und den folgenden Auf-
tritten von Zeit zu Zeit an der Kabinetsthüre
lauſchen; ſo oft ihn aber Juſtine gewahr wird,
winkt ſie ihm, hinter der Wittwe Ungewitter
Rücken, ſich zurück zu ziehen.)

Juſtine
(mit Schreibzeug und zwey Lichtern, geht
voran.)

Sprechen Sie ein wenig laut, Herr No-
tarius. Sein Gehoͤr hat gelitten.

(Setzt den Tiſch
und Stuhl zurechte.)

Benedikt
(näher kommend, thut erſchrocken. Zu
Juſtinen.)

Ey! wie haben ſich Herr Gerhard ver-
aͤndert!


Juſtine
(weinerlich.)

Das geht ſehr natuͤrlich
zu.

(Sie tritt neben Weinholds Seſſel, zur Linken.)

Benedikt
(mit ſtarker Stimme.)

Ganz gehor-
ſamſter Diener, mein Herr Gerhard!


Weinhold
[193]Die Erbſchleicher.
Weinhold
(Gerhards Stimme nachahmend.)

Ge-
horſamer Diener!


Benedikt.

Sie haben befohlen —


Weinhold.

Wie?


Benedikt
(noch ſtärker.)

Sie wollen Ihr Haus
beſtellen?


Weinhold
(hält ſich die Ohren.)

Sachte, ſach-
te! — Ich will nicht — ich muß — ich moͤchte
raſend werden —


Benedikt.

Laſſen Sie darum nicht gleich die
Ohren hangen! Ein Teſtament iſt nicht immer
das Zeichen zum Abmarſch. Je aͤlter der Fuchs,
je zaͤher das Leben. Ich hab der Faͤlle mehr er-
lebt.


Weinhold.

Gehorſamer Diener! Ja, wir
ſind alle wurmſtichige Nuͤſſe.


Benedikt
(zu Juſtinen.)

Der gute Herr! Er
ſchwatzt ganz uͤbern Berg.


W. Ungew.

Sprechen Sie ja nicht zu viel,
lieber Herr Vetter!


Juſtine
(leiſe.)

Stoͤhnen Sie mit unter!


Weinhold
(mit Karrikatur.)

Auweh! Auweh!


W. Ungew.

Armer Herr Vetter!

(Halblaut
zu Juſtinen, auf Benedikten zeigend.)

Das Contre-
bandegeſicht hab’ ich ſchon irgendwo geſehen.


N
[194]Die Erbſchleicher.
Juſtine.

Doch nicht am Pranger?


Benedikt
(der indeſſen ſich in Poſitur zu ſchreiben
geſetzt hat.)

Was belieben Sie fuͤr einen Eingang?


Weinhold.

Ich geh immer gerade zu.


Benedikt.

Erlauben Sie! Die Taxe iſt ver-
ſchieden, je nachdem er poetiſch, moraliſch, oder
theologiſch iſt.


W. Ungew.
(bittend.)

Herr Notarins, wenn
Sie den Eingang hinter her machten!


Benedikt.

Hinterher? Das iſt zwar gegen
den Styli curias — indeſſen — Alſo zur Sa-
che! Belieben Sie zu diktiren!


Weinhold
(diktirt.)

„Ich Unterzeichneter —


(Zur Wittwe Ungewitter.)

Wie heiß ich?


Juſtine.

Er weiß ſeinen Namen nicht mehr!


Benedikt
(bedenklich.)

Erlauben Sie! Der
Umſtand iſt - - -


W. Ungew.
(einfallend.)

Ein Familienfehler.
Er begegnet mir zuwellen auch.

(Weinholden ins
Ohr.)

Euſebius Gerhard.


Weinhold
(laut.)

Euſebius Gerhard.


Benedikt
(ſchreibend.)

„Will und verordne
alſo hiermit zuvoͤrderſt —“ Jetzt koͤmmt der
Punkt der Beerdigung.


Weinhold.

Den uͤberhuͤpfen wir.


[195]Die Erbſchleicher.
Benedikt.
W. Ungew.

Erlauben Sie, die Jura Stola-
Ja, Herr Vetter! Verlaſſen
Sie ſich auf uns! Wir wer-
den den letzten Pfennig an-
wenden, Ihnen die letzte Eh-
re - - -


Weinhold
(einfallend.)

Nichts von Ehre!
Auf gut Kaiſerlich! Einen Sack und ein Loch!


Juſtine.

Er ſtirbt, wie er gelebt hat.


Benedikt
(ſchreibend.)

„Zuvoͤrderſt, daß es
mit meiner irrdiſchen Huͤlle, ohne Ehre, und der-
geſtalt - - -


Eilfter Auftritt.


Piſtorius. Vorige.

(Dieſer Auftritt erfodert ein vorzüglich raſches
und zuſammenhängendes Spiel.)

Piſtorius
(indem er die Thür öffnet.)

Diener,
Diener, Herr Gevatter!


Juſtine.
W. Ungew.

Himmel! Herr Piſtorius!

(Laufen ihm entgegen.)

Piſtorius
(ſtutzt.)

Ih! was geht denn hier
vor?


N 2
[196]Die Erbſchleicher.
Juſtine.
W. Ungew.

Es darf kein Menſch herein.

(Treten ihm in den Weg.)

Piſtorius
(Wittwe Ungewitter erkennend.)

Ih,
meine Frau Kriegsraͤthinn - - -


W. Ungew.

Herr Gerhard iſt nicht zu ſpre-
chen.


Piſtorius.

Wo kommen Sie denn hieher?


W. Ungew.

Ein andermal will ich ant-
worten.


Piſtorius.

Aber was giebts denn eigentlich?


Juſtine
(ungeduldig.)

Sehn Sie nicht die An-
ſtalten?


Piſtorius.

Zum Teſtamente? iſt der
Herr Gevatter ſchlimmer geworden?


Juſtine.

Wer hat Schuld, als Sie und
Ihre Fieke?


Piſtorius

Ey behuͤte! — Herr Gevatter,
was muß ich hoͤren?


Weinhold
(in ſeinem eignen Ton.)

Gehn Sie
zum Teufel!


Piſtorius.

O, Ihnen ſitzt der Tod noch nicht
auf der Zunge.

(Bey jeder Rede verſucht er vorwärts
zu gehen, und wird von Wittwe Ungewitter und Juſti-
nen zurück getrieben.)

W. Ungew.
Juſtine.

Aber ſo gehn Sie doch!


[197]Die Erbſchleicher.
Piſtorius.

Ich komme nur —


Juſtine.

Der Rechnung wegen? geben Sie
her!


Piſtorius.

Excuſiren Sie! Ich komme zu
depriciren.


W. Ungew.

In agone fragt man auch nach
Komplimenten.


Piſtorius.

Jeder Menſch hat ſein tempora-
mentum
, und bey mir praenominirt die co-
leram
.


W Ungew.
Juſtine.

Die Kollerader.


Piſtorius.

Aber ein guter Chriſt, Herr Ge-
vatter - - -


W. Ungew.
Juſtine.

Laͤßt den andern in Ruhe ſter-
ben.



Piſtorius.

Gedenken Sie der geiſtlichen
Verwandtſchaft!


W Ungew.
Juſtine.

Ja doch!

(Sie treiben ihn immer
näher an die Thür.)

Piſtorius.

Stiften Sie ein Andenken in die
Piſtoriuſſiſche Apotheke!


Juſtine.

Ja doch!


Piſtorius.

Ihr Pathe ſoll auch auf den Pfar-
rer ſtudiren.


N 3
[198]Die Erbſchleicher.
W. Ungew.
Juſtine.

Ja doch, ja doch, ja doch!

(Trei-
ben ihn vollends zur Thür hinaus
und halten die Thür zu.)

Piſtorius
(ruft noch von außen.)

Gluͤckliche Nei-
ſe, Herr Gevatter!


Juſtine
(ruft durch die Thür.)

Baldige Nach-
folge, Herr Piſtorius!


W. Ungew.

Zugeriegelt, Juſtine!


Zwoͤlfter Auftritt.


Wittwe Ungewitter. Weinhold. Juſtine.
Benedikt.

W. Ungew.

Und Sie, Herr Notarius,
fahren Sie friſch fort!


Benedikt
(der indeſſen geſchrieben und ſich vor Piſtorius
ſoviel möglich verſteckt hat, lieſt:)

„Hiernaͤchſt ſetze
ich ein und ernenne zu meinen Univerſalerben —“
Iſts gefaͤllig?


Weinhold.

„Meine liebe Muhme, Lukrezia
Ungewitter - - -


W Ungew.
(laut ſchluchzend.)

Ach! ach!


Weinhold.

„Gebohrne —


W. Ungew.
(ihm ins Ohr.)

Kapphahn —


Weinhold.

„Schnapphahn - - -


[199]Die Erbſchleicher.
W. Ungew.
(laut.)

Kapphahn — Ach, Herr
Vetter

(ihm die Hand küſſend)

ich bins nicht werth
— ich werde Sie nicht lange uͤber - - -


Weinhold
(hält ihr den Mund zu.)

Stille!
„Ferner - - -


Benedikt
(der mit Schreiben inne gehalten hat.)

Erlauben Sie! Kapp? oder Schnapp?


Weinhold.

„Kapphahn! Ferner meinen
lieben Vetter Emmerich Sylveſter Weinhold, und
zwar unter der Bedingung —


Benedikt
(ſchreibend.)

„Bedingung —


Weinhold.

„Daß dieſe Beide einander ehe-
lichen, als auf welchen Fall —


Benedikt
(ſchreibend.)

„Fall —


Weinhold.

„Ich dem vorgedachten Wein-
hold noch uͤberdieß zehn tauſend Reichsthaler —


W. Ungew.
(einfallend.)

Herr Better, was
wollen Sie? —


Weinhold.

„Zehn tauſend Reichsthaler vor-
aus vermache —


W. Ungew.

Allerbeſter Herr Vetter! Der
Menſch weiß nicht mit Geld umzugehen. Er
ſpielt. Er trinkt. Sie bereiten mir eine un-
gluͤckliche Ehe.


Weinhold.

Soll ich die Ehe weglaſſen?


N 4
[200]Die Erbſchleicher.
W. Ungew.

Nein, nein! Ich unterwerfe
mich ganz Ihrem - - -


Benedikt.

„Vorausvermache.


Weinhold.

„Ferner vermach’ und legir’ ich
meiner Haushaͤlterinn und Waͤrterinn - - -


Juſtine
(einfallend.)

Juſtine Klarbach kuͤßt Ih-
nen die Haͤnde - - -


Weinhold.

„Juſtinen Klarbach. Einhun-
dert Stuͤck vollwichtige Louisd’ors —


Benedikt.

„Louisd’ors.“ Ferner?


W. Ungew.
(ungeduldig, auſſtehend.)

Soll er
ſich die Seele aus dem Leibe legiren?


Benedikt.

Nichts ad pios uſos?


W. Ungew.

Er iſt kein Pietiſt. Quaͤlen
Sie ihn nicht!

(Schlingt ihren Arm um Weinhold
und lehnt ihr Geſicht an ſein Kopfkiſſen.)

Benedikt.

Belieben Sie demnach zu vollzie-
hen!

(Steht auf und überreicht ihm Papier und Feder.)

Dreyzehnter Auftritt.


Gerhard. Vorige.

Gerhard
(erſcheint an der offnen Kabinetsthür.)

Juſtine
(wird ihn gewahr und ſchreyt.)

Ein Ge-
[201]Die Erbſchleicher.
ſpenſt!

(Sinkt auf die Knie und verbirgt ihr Geſicht
in Weinholds Schlafrock)

W. Ungew.
(fährt auf.)

Wa - - - Was?


(wird ihn gleichfalls gewahr und ſchreyt.)

Der todte
Vetter!

(Taumelt zurück und ſinkt auf den Stuhl, den
ſie verlaſſen hat.)

Benedikt
(läßt Papier und Feder fallen.)

Der
Teſtator in duplum.

(Verkriecht ſich hinter Wein-
holds Seſſel.)

Weinhold
(unerſchrocken, beugt ſich vor, hält die
Hand vor die Augen.)

Mein Conterfey — oder ich
ſelbſt?


(Dieſer ganze Theaterſtreich geht gleichſam in Ei-
nem Tempo vor ſich.)

Gerhard
(tritt näher, mit ſtarker Stimme.)

Be-
nedikt!


Juſtine
(ſich halb aufrichtend.)

Sind Sie’s leib-
haftig?


Benedikt
(der indeſſen Rock, Perücke, Bauch und
Augenpflaſter abgeworfen hat.)

Herr Gerhard!


Weinhold
(erſtaunt.)

Noch eine Verkleidung?


Gerhard
(zu Benedikt.)

Die Gerichtsdiener!


Benedikt.

Sehr wohl.

(Will ab.)

Weinhold
(ſpringt auf und zieht ihn beym Rock-
zipfel zurück.)

Sehr uͤbel! —

(Zu Gerhard.)

Will-
N 5
[202]Die Erbſchleicher.
kommen, Herr Vetter! Sind Sie auferſtanden?
Sehen Sie die Wirkung meiner Eſſenz?


Gerhard.

Unverſchaͤmter!


Weinhold.

Da ſpielen wir Komoͤdie. Seh
ich nicht natuͤrlich aus, wie Sie?


Gerhard
(zu Benedikt.)

Die Gerichtsdiener
will ich haben.


Weinhold.

Wozu das?

(Indem er ſeine Ver-
kleidung abwirft.)

Von den Herren ſteht kein Wort
im Stuͤcke. Der Knoten wird nicht zerhauen.
Er loͤſt ſich von ſelbſt. Alles kehrt in den vori-
gen Stand zuruͤck; der alte Vetter zu ſeinem
Mammon; der junge zum Regimente; die Frau
Muhme zur Spinnradsmuſe — und der Vor-
hang faͤllt.

(Will ab.)

Gerhard
(ruft.)

Haltet ihn auf, den - - -


Weinhold
(ſchnell umkehrend.)

Nicht geſchimpft!
Ich bin Fahnjunker, und darfs nicht auf mir
ſitzen laſſen. Seyn Sie billig! Laſſen
Sie mich bey Nacht und Nebel abziehen — ich
bin beſtraft genug — ich ſchaͤme mich, wie ein
begoſſener Budel —


Juſtine.

Herr Gerhard! Dieſer treuherzige
Ton — Ich wollte wetten, daß er noch ein Neu-
ling iſt.


[203]Die Erbſchleicher.
Weinhold.

Ein Neuling eben nicht.
Tolle Streiche hab’ ich genug gemacht; aber hole
mich Dieſer und Jener! Keinen ſchlechten.
Liefen alle Betruͤger bey dem Probeſtuͤckchen an,
wie ich; ihre Kuͤnſte wuͤrden bald unter die Ver-
lorenen gehoͤren.

(Ab.)

Vierzehnter Auftritt.


Gerhard. Wittwe Ungewitter. Juſtine.
Benedikt.

Juſtine
(geht zu Wittwe Ungewitter und faßt ſie
an.)

Nun, Madam Ungewitter? Iſt der Schreck
voruͤber? wollen Sie zur Ader laſſen?


W. Ungew.
(die indeſſen, wie in einer Ohnmacht
gelegen, aber durch Blicke und Mienen von Zeit zu Zeit
den folgenden Ausbruch von Leidenſchaft vorbereitet hat,
ſtößt ſie zurück und ſpringt auf.)

Elender Spott! —
Sie hat uns uͤberliſtet. Aber die Strafe wird
nicht ausbleiben. Erleben will ichs, daß auch
Ihre Schliche an den Tag kommen, daß die nie-
dertraͤchtigen Gefaͤlligkeiten, zu denen Sie ſich
jetzt herablaͤßt - - -


Gerhard
(geht wütend auf ſie los.)

Sie unter-
ſteht ſich noch zu drohen?


[204]Die Erbſchleicher.
W. Ungew.
(tritt ſtolz zurück.)

Soll ich krie-
chen? Vor dem Manne kriechen, der keine Em-
pfindung kennt, als Habſucht, und keine Selig-
keit, als Geld? der Streit an ſeinen Verwand-
ten ſucht, um ſich von Verbindlichkeiten loszuſa-
gen, und ihnen Schwachheiten ablauert, um ſie
zu verſtoßen! —

(Verzweiflung in Ton und Blick.)

Ich ſchrie um Brod fuͤr meine Kinder, und er
hoͤrte nicht! Ich kam, und heuchelte, und ver-
laͤumdete — und fand Eingang! Es war Un-
recht von mir — aber Noth kennt kein
Geſetz
, und Hartherzigkeit fodert zu Betrug auf.

(mit wilder Begeiſterung ſich ihm nähernd, indeſſen
Gerhard ſich zitternd zurück zieht, und in den Seſſel ſinkt.)

Grauſamer Mann! Vielleicht ſchlaͤgt ſie dir dieſe
Nacht noch, die Stunde des Abſchiedes. Waͤlze
dich dann auf deinen Schaͤtzen, und fleh um Gna-
de! Verpfaͤnde Hab und Gut dem Himmel, um
Aufſchub von ihm zu erhandeln! Suche Troſt auf
den eiskalten Geſichtern deiner Augendiener! und
ſieh, wie ſie dich verſchmachten laſſen, um das Loos
uͤber deinen Raub zu werfen, und ſtirb in Ver-
zweiflung!


(Ab)

[205]Die Erbſchleicher.

Funfzehnter Auftritt.


Gerhard. Juſtine. Benedikt.

(Gerhard liegt betäubt im Seſſel; Juſtine, geſtützt
auf die Lehne deſſelben, verbirgt ihr Geſicht;
Benedikt ſteht verwundert von ferne.)

Juſtine
(nach einer Pauſe, leiſe.)

Benedikt! —
Such Er meinen Bruder auf - - -


Benedikt.

Wen, Mamſellchen?


Juſtine.

Herrn Sternberg, wollt’ ich ſagen
— erzaͤhl’ Er ihm, was Er geſehen und gehoͤrt
hat — ſag Er ihm - - -


Benedikt.

Da werd’ ich heute nicht fer-
tig - - -


Juſtine
(fortfahrend.)

Daß ich ſeines Beyſtan-
des bedarf — daß ich ihn und Madam Anker
und Thereſen — daß ich ſie alle bitte, zu kom-
men — und fuͤhr’ Er ſie ins Kabinet! —


Benedikt.

Aber was krieg ich denn fuͤr mei-
ne Muͤhe?


Juſtine
(ungeduldig.)

O, geh Er!


Benedikt
(indem er die Kleidungsſtücke verdrüßlich
zuſammen rafft.)

Ein andermal ſpiel’ ich auch nicht
wieder mit.

(Ab.)

[206]Die Erbſchleicher.

Sechszehnter Auftritt.


Gerhard. Juſtine.

Gerhard
(ſich erholend, mit erſtickter Stimme.)

Mir das? Mir, der ich wiſſentlich kein Kind be-
truͤbe! — Ich, hartherzig? Haben Sie’s nicht
an mich gebracht, ſie und ihres Gleichen? —
Zu lange ſchon ließ ich mich von den Blutigeln
ausſaugen — An meinem eigenen Leibe darbt’
ichs ab, um einſt der undankbaren Brut ein
Denkmahl meines Nahmens zu laſſen — und
jetzt! — und ſo! —

(fährt auf.)

Das verdamm-
te Geld! Es iſt ein Fluch des Himmels. Es iſt
die Quelle alles Unheils, aller Laſter unter der
Sonne. —

(Knirſchend.)

Ich wills vergraben. —
Ich will mich in ein Hoſpital kaufen. Ich
will meine - - -


Juſtine
(in Thränen, ihm die Hand auf die Schul-
ter legend.)

Armer Herr Gerhard!


Gerhard
(ſie von ſich ſtoßend.)

Weg! Ich mag
Euer Mitleid nicht.


Juſtine
(ſanft.)

Ich bin Juſtine.


Gerhard.

Ihr ſeyd alle falſch. Ihr
ſteht mir alle nach dem Leben. Auf allen Ge-
[207]Die Erbſchleicher.
ſichtern leſ’ ich nichts, als den Wunſch: geh
ins Grab!


Juſtine.

Faſſen Sie ſich!


Gerhard
(außer ſich.)

Warum nahm ich nicht
ein Weib in meiner Jugend? Oder warum war
ich nicht gewiſſenlos, wie Andere? — O, daß
irgend ein Ungluͤcklicher mir das Leben zu danken
haͤtte! — Als Sohn wollt’ ich ihn umarmen,
und wenn die verworfenſte Dirne ſeine Mutter
waͤre! und wenn ich ihn von der Galeere loͤſen
muͤßte!

(Sinkt erſchöpft zurück.)

Juſtine
(mit ſteigender Wärme und Rührung.)

Lieber, beſter Herr! Laſſen Sie ſich die Schmaͤ-
hungen eines aufgebrachten Weibes nicht zu tief
verwunden! Die Verzweiflung ſprach aus ihr. —
Geben Sie mildern Eindruͤcken Raum! Oeffnen
Sie Ihr Herz dem Redlichen! Gießen Sie
Wohlthaten uͤber den aus, der ſie verdient! Ge-
nießen Sie ſo Ihrer Guͤter! Dankbarkeit iſt
noch nicht ausgeſtorben. Die Gluͤcklichen, die es
durch Sie geworden ſind, werden Ihnen die
Buͤrde des Alters tragen helfen, werden Ih-
rer wankenden Geſundheit mit unermuͤdeter
Sorgfalt pflegen, und mit treuen Haͤnden
einſt ihr muͤdes Haupt ſtuͤtzen, wann Sie
[208]Die Erbſchleicher.
im Bewußtſeyn guter Handlungen einſchlum-
mern.


Gerhard.

Ach, daß ich ſchon tief — tief
unten laͤge!


Siebenzehnter Auftritt.


Bieder. Vorige.

Bieder
(im Eintreten.)

Ergebenſter Diener,
lieber Herr Gerhard!


Juſtine
(eilt ihm entgegen.)

Herr Bieder!


Bieder.

Der Ihrige, Mamſell Juſtinchen!


Juſtine.

Seyn Sie uns tauſendmal willkom-
men!

(Reicht ihm die Hand.)

Bieder
(ihr die Hand drückend, lächelnd.)

Weil
ich Geld bringe?

(Zu Gerharden, der ihn grüßt, ohne
aufzuſtehen.)

Sie nehmens doch nicht uͤbel, daß ich
vor der Zeit komme? Es war mir juſt ſo viel
von Fruͤchten und Wolle eingegangen, und ein
guter Wirth laͤßt baar Geld nicht gern muͤßig
liegen. Auf dem Lande vollends! — Darf ichs
aufzaͤhlen?


Gerhard.

Einen Stuhl! — Nehmen Sie
Platz, Herr Pfarrer!


Bieder
[209]Die Erbſchleicher.
Bieder
(nimmt Juſtinen den Stuhl ab, ſetzt ſich
an den Tiſch und zählt Geld auf.)

Ihr Geld gedeiht.
Ich werde mehr anklopfen. Die arm [...] Land-
wirthe, denen ich damit unter die Arme gegriffen
habe, ſind nicht weniger gluͤcklich geweſen, als
ich. Das unſichtbare Gute, das unſer Einer
ſtiften kann, iſt ſo mißlich, daß ich mich gern an
das Sichtbare halte. Ich fuͤhre meine Bauern
vor allen Dingen zur Arbeit an. Dem nuͤtzli-
chen Weltbuͤrger, denk’ ich, wird der Himmel
das Buͤrgerrecht auch nicht verſagen. — Belie-
ben Sie nachzuzaͤhlen!


Gerhard.

Ich will Ihre Verſchreibung ſu-
chen.


Achtzehnter Auftritt.


Bieder. Juſtine.

Bieder
(aufſtehend.)

Herr Gerhard koͤmmt mir
ganz verſtoͤrt vor — Und Sie, Juſtinchen, ha-
ben rothe Augen!


Juſtine

Es iſt nichts — ein haͤuslicher
Verdruß.


O
[210]Die Erbſchleicher.
Bieder.

Familienſachen?


Juſtine.

Ihnen kann ichs wohl ver-
trauen - - -


Bieder.

Ich wills nicht wiſſen, durchaus
nicht. — Wir haben von Dingen zu reden, die
mich naͤher angehen. Ich komme die Antwort
auf meinen Brief zu holen.


Juſtine

Angefangen iſt ſie — aber, lieber
Bieder! Ich kann den alten Vetter nicht verlaſ-
ſen.


Bieder.

Mein ſeeliges Weib verließ Aeltern
und Großaͤltern, um mir zu folgen.


Juſtine.

Zweifeln Sie nicht an meinem
Herzen! — Aber Sie kennen ſeine Lage — thun
Sie ſelbſt den Ausſpruch!


Bieder.

Ich bin die Gegenparthey. Waͤr
ich ein Fremder, ich wuͤrde ſagen, daß Herr Ger-
hard reich genug iſt, um ſich Wartung und Pfle-
ge zu verſchaffen.


Juſtine.

Was ſind alle Dienſtleiſtungen von
Miethlingen gegen die Treue einer Verwandten,
die ihn liebt?


Bieder.

Hat er nicht Ihren Bruder?


Juſtine.

Mein armer Bruder! — Er ſteht
[211]Die Erbſchleicher.
im Begriff Alles zu verlieren! Laſſen Sie ihm
wenigſtens ſeine Schweſter!


Bieder
(bedenklich.)

Juſtinchen!


Juſtine.

Sie argwoͤhnen doch nicht —?


Bieder.

Ich argwoͤhne nichts. Ich finde
den Lauf der Dinge ganz natuͤrlich. Als wir
uns kennen lernten, waren unſere Ausſichten ein-
ander gleich. Die Ihrigen haben ſich ſeitdem
veraͤndert. Es waͤre Unbilligkeit von mir, auf
die Erfuͤllung eines Verſprechens zu dringen, das
Sie unter ſo verſchiedenen Umſtaͤnden thaten.
Und von Ihnen waͤr’ es vielleicht Thorheit, ſich
in die Einſiedeley eines Landprieſters einzuſperren,
da Sie einſt in der großen Welt glaͤnzen koͤnnen.


Juſtine
(betreten.)

Verſteh’ ich Sie recht?


Bieder.

Was Sie, edles Maͤdchen, mir ſeyn
koͤnnten — werd’ ich nie wieder finden. Sie
wuͤrden meine Huͤtte zum Paradieſe machen. Aber
— ich muß dem Himmel vertrauen, und Erge-
bung und Vergeſſenheit lernen.


Juſtine
(innig gerührt.)

Nein, Bieder, wenn
Sie ſo denken —

(Lebhaft.)

Hier bin ich, und
folge Ihnen wann und wohin Sie wollen.


(Reicht ihm die Hand.)

O 2
[212]Die Erbſchleicher.
Bieder
(ihre Hand an ſein Herz drückend.)

Vor-
trefliches Maͤdchen! Darf ichs glauben?


Juſtine.

Bitten Sie den Vetter um meine
Entlaſſung!


Neunzehnter Auftritt.


Benedikt. Vorige.

Benedikt
(im Eintreten vor ſich.)

Da iſt er
ja gar ſelbſt!

(Halblaut.)

Mamſellchen!


Juſtine
(nähert ſich ihm.)

Nun?


Benedikt.

Sie wollen alle kommen.


Juſtine.

Es iſt gut.

(Gebt wieder zu Biedern
und ſpricht heimlich mit ihm)

Benedikt.

Richtig! Der Schwarze holt ſie!


(Ab.)

Zwanzigſter Auftritt.


Gerhard. Bieder. Juſtine.

Gerhard.

Hier iſt Ihre Verſchreibung!


Bieder
(auf den Tiſch zeigend.)

Und hier meine
[213]Die Erbſchleicher.
Schuld mit dem beſten Danke. Aber Herr Ger-
hard — was werden Sie von meiner Unbeſchei-
denheit denken? — ich habe ein neues Anliegen
auf dem Herzen - - -


Gerhard.

Das Kapitaͤlchen noch laͤnger zu
behalten?


Bieder.

Wenn es weiter nichts waͤre?


Gerhard.

Brauchen Sie mehr? — Laſſen
Sie hoͤren, was fuͤr Sicherheit - - -


Bieder
(lebhaft.)

O ſicher ſoll der Schatz, den
ich von Ihnen begehre, ſicher und wohl ſoll er
bey mir aufgehoben ſeyn, ob ich Ihnen gleich
keinen Buͤrgen ſtellen kann, als mein Herz —


(Sich ſchnell zu Juſtinen wendend.)

Hier! hier! die-
ſes holde, vortrefliche Geſchoͤpf! — Wir lieben
uns, und bitten um Ihre Einwilligung.


Gerhard.

Juſtine!


Bieder.

Ich habe keine Ueberredung ge-
braucht. Ich habe meiner Freundinn nichts
vorgeſpiegelt, nichts verhehlt. Die Bedenklich-
keiten gegen dieſen Schritt, die Ihnen vielleicht
jetzt im Sinne ſchweben — ich habe ſie ihr ſelbſt
vorgeſtellt. Sie will die Gehuͤlfinn meiner Sor-
gen werden, ſie will die kleinen Freuden, die das
O 3
[214]Die Erbſchleicher.
Schickſal hie und da auf meine Laufbahn geſtreut
hat, mit mir theilen.


Gerhard
(gerührt zu Juſtinen.)

Und mich ver-
laſſen?


Juſtine.

Herr Gerhard —


Gerhard.

Genug! —

(Zu Bieder.)

Sie
rauben einem alten kranken Mann ſeine letzte
Stuͤtze — aber ich will — ich darf kein Hin-
derniß Eures Gluͤckes werden. — Fuͤr deine
Ausſtattung haſt du nicht zu ſorgen — zieh hin!


Bieder.

Tauſend Dank, guͤtiger Mann!


Juſtine.

Gott lohn’ es Ihnen, als unſerm
beſten Freunde!


Gerhard
(in Thränen.)

O, wenn ich Euer
Freund bin — wenn Ihr wuͤßtet, wie mir vor
dieſer Trennung grauet — ich habe niemanden
mehr, auf den ich mein Vertrauen ſetzen koͤnnte
— meine Kraͤfte nehmen taͤglich ab — Gott
weiß, was aus mir werden wird — Laßt mich
mit Euch ziehen! Nehmt mich auf in Eure Frey-
ſtatt!


Bieder.

Herr Gerhard, das iſt wohl nur
hypochondriſche Laune.


Gerhard.

Der heiſſeſte Wunſch meines Her-
zens!


[215]Die Erbſchleicher.
Bieder.

Kaum kann ichs glauben.


Gerhard.

Wenn ich Sie mit Thraͤnen darum
bitte?


Bieder.

Unſere Luft iſt geſund, die Gegend
reizend. Zur Fruͤhlingskur ſteht Ihnen mein
Haͤuschen zu Dienſten.


Gerhard.

Bis dahin leb ich nicht.


Bieder.

Nicht ſo kleinmuͤthig!


Gerhard.

Sie koͤnnen mir den Muth wieder
geben.


Bieder.

Sie wiſſen nicht, was Sie verlan-
gen. Unſre Stuben ſind nicht groͤßer, als Vo-
gelbauer; die Treppe — eine Huͤnerleiter; das
Dach koͤnnen Sie mit der Hand erreichen.


Gerhard.

Aber unter dieſem Dache wohnt
der Friede!


Bieder.

Und Genuͤgſamkeit, die mit weni-
gem vorlieb nimmt. Jahr aus Jahr ein, nicht
mehr als Eine Schuͤſſel.


Gerhard.

Aber mit Eintracht und Freude
gewuͤrzt! — Lieben Leutchen! Ich will euch kei-
ne Ueberlaſt machen. Ich will mir alles gefal-
len laſſen. Und mein Koſtgeld — mein Koſtgeld
iſt mein ganzes Vermoͤgen.


O 4
[216]Die Erbſchleicher.
Bieder.

Nein, Herr! Dieſer Artikel wirft
den ganzen Vertrag uͤber den Haufen.


Gerhard.

Wollen Sie mir verbieten, was
die Dankbarkeit von mir fodert? Es iſt nichts,
als eine verjaͤhrte Schuld; nichts, als ein gerin-
ger Lohn fuͤr Juſtinens unendliche Treue.


Juſtine
(gerührt.)

Herr Gerhard!


Gerhard
(legt die rechte Hand auf Juſtinens
Schulter, faßt mit der andern ihre linke Hand.)

Eine
Fremde liebte mich, da alle die Meinigen mich
verfolgten. Eine Fremde war die Einzige, die
mich nie betrog.


Juſtine
(in Thränen.)

Ach, wenn Sie wuͤß-
ten, wie ſehr mich dieſes Zeugniß demuͤthigt!


Gerhard.

Beſcheidenheit iſt die Krone weib-
licher Tugend.


Juſtine
(knieend.)

Niemand betrog Sie ſo
ſehr, als ich!

(Lehnt ihr Geſicht an ihn.)

Gerhard
(ſtutzt.)

Juſtine! — Du? — waͤr
es moͤglich? —

(Von der vorigen Empfindung über-
raſcht.)

Doch ich mags nicht wiſſen — Du haſt
dich ſelbſt bevortheilt — Steh auf! Ich verzei-
he dir — ich nehme dich zur Tochter an.


(Umarmt ſie.)

[217]Die Erbſchleicher.
Juſtine
(an ſeinem Hals.)

Großmuͤthiger —
beſter Vater! — Nein — ich verdiene dieſe
Guͤte nicht — bey Gott! nicht.


Gerhard.

O, laß mir meinen Irrthum!
Schlage meinem Herzen keine neue Wunde! —
Nimm an, was ich dir ſo gern gebe! —

(Mit
ängſtlicher Heftigkeit.)

Nimm, ehe es mich ge-
reut!


Juſtine
(mit Feuer.)

Aber mein Bruder muß
ſie mit mir theilen, dieſe Verzeihung, dieſe uͤber-
ſchwengliche Guͤte! mein Bruder muß Ihr
Sohn werden!


Gerhard
(erſtaunt.)

Dein Bruder? wer iſt
das?


Juſtine.

Wollen Sie ihn ſehen?


Gerhard.

Iſt er hier?


Juſtine
(eilt nach dem Kabinet)

Komm her-
vor, Moritz!


O 5
[218]Die Erbſchleicher.

Ein und zwanzigſter Auftritt.


Sternberg. Vorige.

Gerhard
(verſteinert.)

Sternberg!


Juſtine.

Ich bin ſeine Schweſter.


Gerhard.

Das juͤngſte Kind meiner Schwe-
ſter Felicitas? Die ungluͤckliche Frucht ihrer thoͤ-
richten Ausſoͤhnung?


Sternberg.

Und die unſchuldige Erbinn des
Haßes, den Sie ihrem Vater geſchworen hat-
ten!


Gerhard.

Taͤuſcht ihr mich auch nicht?


Juſtine.

Ausgeſchloſſen durch meine Geburt
von allen Anſpruͤchen auf Ihre Zaͤrtlichkeit, blieb
mir kein Weg, als Sie durch Liſt zu gewinnen.
Aber der Himmel, der mich hoͤrt, wiſſe nichts
von mir, wenn niedriger Eigennutz die Triebfeder
war!


Gerhard
(fällt Juſtinen um den Hals.)

Juſti-
ne! — Ha! nun erkenn’ ich ihn, den Zug am
Munde, der es mir immer unmoͤglich machte,
auf dich zu zuͤrnen. —

(Gen Himmel, indem er
[219]Die Erbſchleicher.
Juſtinen im Arm hält.)

Schweſter Felicitas? Wir
ſind verſoͤhnt! Ich ſeegne deine Aſche.


Juſtine.

Und verzeihen ihren Kindern?


Gerhard
(mit einem mißtrauiſchen Blick auf
Sternberg.)

Wenn ſonſt nichts dahinter ſteckt?


Zwey und zwanzigſter Auftritt.


Thereſe. Vorige.

Thereſe
(die an der offenen Kabinetsthüre gelauſcht
hatte, tritt ſchnell hervor.)

Leider ſteckt noch etwas
dahinter — etwas, deſſen Verantwortung ganz
allein auf mich faͤllt. Aus Liebe zu mir, wußte
Sternberg Sie dahin zu bringen, daß Sie mich
ihm abtraten. Aus Liebe zu ihm, hinterging
ich meine Mutter durch verſtellten Gehorſam,
und Sie — durch Verlaͤugnung meines Charak-
ters. Ja, Herr Gerhard, ich bin Gottlob! die
eitle Naͤrrinn nicht, die ich ſpielte.


Gerhard.

Aber ich war ein Thor, daß ich
mir einbildete, die Liebe eines jungen huͤbſchen
Maͤdchens ließe ſich erkaufen. Ich danke Ihnen,
daß Sie mir die Augen geoͤffnet haben.


[220]Die Erbſchleicher.

Drey und zwanzigſter Auftritt.


Madam Anker. Vorige.

Mad. Anker
(ſchnell aus dem Kabinette kommend.)

Sie ſind nachgiebiger, als ich.


Gerhard.

Ey, Frau Lieutenantinn! auch
Sie hier? —


Mad. Anker.

Sie hoͤren wenigſtens zu mei-
ner Rechtfertigung — daß man mich eben ſo
gut bey der Naſe - - -


Gerhard.

Ich habe verziehen. Folgen Sie
meinem Beyſpiele! Es war doch auch nicht recht,
daß Sie Ihr Kind - - -


Mad. Anker
(einfallend.)

Weils ſo abgelau-
fen iſt, muß ich wohl. — Da, Herr Stern-
berg! nehmen Sie ſie hin! Ein Muttertoͤchter-
chen bekommen Sie nicht an ihr. Aber — das
ſag’ ich Ihnen vorher — ihren Kopf laͤßt ſie
ſich nicht nehmen.


Gerhard.

Ey, wer wollte auch einer Frau
den Kopf abreißen?


[221]Die Erbſchleicher.
Juſtine.
Sternberg.
Thereſe.
Bieder.

Liebſter, beſter Vater!

(Umringen und umarmen ihn.)

Gerhard.

Nennt mich nie anders? — Ich
gluͤcklicher Mann! Grau wurd’ ich, ohne die
Vaterfreuden zu ſchmecken — und nun vier Kin-
der auf einmal! — Der Himmel ſeegn’ euch,
meine Kinder!


Lezter Auftritt.


Weinhold, in Uniform. Vorige.

Weinhold
(der an der Mittelthür gelauſcht hat,
in komiſch-feyerlichem Ton.)

Und bewahr’ euch vor
Vettern und Muhmen!


Juſtine
(ihm entgegen.)

Sieh da! — Vetter
Weinhold!


Weinhold.

In ſeiner wahren Geſtalt. Aber
ſeit wann ſind Sie meine Muhme?


Juſtine
(ſich verneigend.)

Seit dem ich Juſtine
Sternberg heiße.


Weinhold.

Am Ende iſt niemand hier im
Hauſe, der er war!


[222]Die Erbſchleicher.
Gerhard
(zu Weinhold.)

Er hat noch die Stir-
ne, ſich unter uns ſehen zu laſſen?


Weinhold
(bleibt in der Mitte des Theaters ſte-
hen.)

Ich habe nur ein Wort mit Vetter Stern-
berg zu ſprechen.


Sternberg
(zu ihm gehend.)

Mit mir?


Weinhold.

Hier iſt ein Blanket, das Herr
Gerhard heute einem Charlatan ausgeſtellt hat

(Entfaltet das Papier.)

Unterzeichnet! Beſie-
gelt! Blanket ohne Fehl und Tadel! Ein Ande-
rer haͤtte ſich daraus einen Wechſel auf ihn fabri-
zirt — Ich ſtell’ es Ihnen zu.


Sternberg
(zu Gerhard.)

Liebſter Vater, die-
ſer Zug des jungen Mannes — verzeihn Sie
auch ihm!


Weinhold
(zu Gerhard.)

Hoͤren Sie’s, Herr
Vetter? — Pardon!


Gerhard.

Dort liegen hundert Louisd’ors.
Streich Er ſie ein!


Weinhold
(mit ausſchweifender Freude.)

Ein-
ſtreichen! Wer? ich?

(Geht zum Tiſche.)

O, ihr
allerliebſten Dinger! ſeyd ihr mein?

(Indem er ſie
in ſeinen Hut einſtreicht.)

So reich bin ich in mei-
nem Leben nicht geweſen. Jetzt kann ich alle
[223]Die Erbſchleicher.
meine Schulden bezahlen. Jetzt will ich auch ge-
wiß ein braver Kerl werden. Sie ſollen von mir
hoͤren.

(Umarmt Gerharden und die Uebrigen.)

Dank
Ihnen, großmuͤthiger Vetter! und Ihnen! und
Ihnen! und Ihnen! und Ihnen!

(Zu Madam
Anker.)

Ey, Mama, Sie muͤſſen mich auch kuͤſ-
ſen. — Muhme Ungewitter aͤrgert ſich zu Tode.
Pardon erhalten! und hundert Louisd’ors! und
Alle gekuͤßt!


Juſtine.

Nein, Muhme Ungewitter ſoll ſich
nicht aͤrgern. Sie ſoll einſchen, daß ſie uns ver-
kannt hat. Sie ſoll ihre Verwuͤnſchung zuruͤck
nehmen. Kuͤndigen Sie ihr in meinem Namen
ein Jahrgeld von hundert Thalern an!


Sternberg.

Und von mir eben ſo viel, wenn
ſie ſich beſſert.


Weinhold.

Das iſt brav. Da verdienen
Sie Gottes Lohn; wo nicht an ihr, doch an ih-
ren armen Jungen. Ich wills ausrichten —
wills ihr lieber gleich auf ein Jahr vorſchießen.

(An ſeine Taſche ſchlagend.)

Hundert Louis-
d’ors! Ach! wie gluͤcklich macht eine Hand voll
Geld!


(Eilig ab.)

[224]Die Erbſchleicher.
Gerhard.

Der Thor! Ich hatte Geld in
Saͤcken, und war ungluͤcklich.


Bieder.

Das iſt eine Wahrheit, die nur
die Reichen predigen ſollten. Im Munde
eines armen Dorfpfarrers geht ſie verloren.
Geld macht nicht gluͤcklich. Aber weiſer Ge-
brauch des Geldes — aber Wohlthaͤtigkeit
macht gluͤcklich
.


Ende.


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Dieses Werk ist gemeinfrei.


Rechtsinhaber*in
Kolimo+

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2025). Collection 1. Die Erbschleicher. Die Erbschleicher. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bhs0.0