[][][][][][][[1]]
GERHART HAUPTMANN.


Vor
Sonnenaufgang.


Soziales Drama.

Berlin: 1889.
C. F. Conrad's Buchhandlung.

[[2]][[3]]

Bjarne P. Holmsen,
dem conſequenteſten Realiſten,
Verfaſſer von
Papa Hamlet
zugeeignet,
in freudiger Anerkennung der durch ſein Buch
empfangenen, entſcheidenden Anregung.


Erkner, den 8. Juli 1889


Gerhart Hauptmann.

[[4]][[5]]

Handelnde Menſchen.



  • Krauſe, Bauerngutsbeſitzer.

  • Frau Krauſe, ſeine zweite Frau.

    • Helene,

    • Martha,

    • Krauſe's Töchter erſter Ehe.


  • Hoffmann, Ingenieur, verheirathet mit Martha.

  • Wilhelm Kahl, Neffe der Frau Krauſe.

  • Frau Spiller, Geſellſchafterin bei Frau Krauſe.

  • Alfred Loth.

  • Dr. Schimmelpfennig.

  • Beibſt, Arbeitsmann auf Krauſe's Gut.

    • Guſte,
    • Mägde auf Krauſe's Gut.


    • Lieſe,

    • Marie,

  • Baer, genannt Hopslabaer.

  • Eduard, Hoffmann's Diener.

  • Miele, Hausmädchen bei Frau Krauſe.

  • Die Kutſchenfrau.

  • Goliſch, genannt Goſch, Kuhjunge.

[[6]]
[[7]]

Erſter Akt.


[figure]
Das Zimmer iſt niedrig; der Fußboden mit guten Teppichen
belegt. Moderner Luxus auf bäueriſche Dürftigkeit gepfropft. An
der Wand hinter dem Eßtiſch ein Gemälde, darſtellend einen vier-
ſpännigen Frachtwagen von einem Fuhrknecht in blauer Blouſe
geleitet.

(Miele, eine robuſte Bauernmagd mit rothem, etwas ſtumpfſinnigen
Geſicht; ſie öffnet die Mittelthür und läßt Alfred Loth eintreten. Loth iſt mittelgroß,
breitſchultrig, unterſetzt, in ſeinen Bewegungen beſtimmt, doch ein wenig un-
gelenk; er hat blondes Haar, blaue Augen und ein dünnes, lichtblondes Schnurr-
[8] bärtchen, ſein ganzes Geſicht iſt knochig und hat einen gleichmäßig ernſten Aus-
druck. Er iſt ordentlich, jedoch nichts weniger als modern gekleidet. Sommer-
paletot, Umhängetäſchchen, Stock.)

Miele.

Bitte! Ich werde den Herrn Inſchinnär
glei ruffen. Wolln Sie nich Platz nehmen?!

(Die Glas-
thür zum Wintergarten wird heftig aufgeſtoßen; ein Bauernweib, im Geſicht
blauroth vor Wuth, ſtürzt herein, ſie iſt nicht viel beſſer als eine Waſchfrau
gekleidet. Nackte, rothe Arme, blauer Kattunrock und Mieder, rothes punktirtes
Bruſttuch. Alter: Anfang 40, Geſicht hart, ſinnlich, bösartig. Die ganze Ge-
ſtalt ſonſt gut conſervirt.)

Frau Krauſe
(ſchreit).

Ihr Madel!!...Richtig!..
Doas Loſter vu Froovulk!...Naus!!! mir gahn niſcht!...

(halb zu Miele, halb zu Loth:)

a koan orbeita, a hoot Oarme. Naus!
hier gibbt's niſcht!


Loth.

Aber Frau...Sie werden doch...ich...
ich heiße Loth, bin...wünſche zu...habe auch nicht
die Ab....


Miele.

A wull ock a Herr Inſchinnär ſprechen.


Frau Krauſe.

Beim Schwiegerſuhne batteln:
doas kenn' mer ſchunn. — A hoot au niſcht, a hoot's au
ock vu ins, niſcht iis ſeine!

(Die Thür rechts wird aufgemacht.
Hoffmann ſteckt den Kopf heraus.)

Hoffmann.

Schwiegermama! — Ich muß doch
bitten...

(er tritt heraus, wendet ſich an Loth)

Was ſteht zu...
Alfred!!! Kerl!!! Wahrhaftig 'n Gott Du!? Das
iſt aber 'mal...nein das is doch 'mal 'n Gedanke!


(Hoffmann iſt etwa dreiunddreißig alt, ſchlank, groß, hager. Er kleidet ſich
nach der neueſten Mode, iſt elegant friſirt, trägt koſtbare Ringe, Brillantknöpfe
im Vorhemd und Berloques an der Uhrkette. Kopfhaar und Schnurrbart ſchwarz,
der letztere ſehr üppig, äußerſt ſorgfältig gepflegt. Geſicht ſpitz, vogelartig.
Ausdruck verſchwommen, Augen ſchwarz, lebhaft zuweilen unruhig.)

Loth.

Ich bin nämlich ganz zufällig....


Hoffmann
(aufgeregt):

Etwas Lieberes...nun aber
zunächſt leg ab!

(Er verſucht ihm das Umhängetäſchchen abzunehmen.)


Etwas Lieberes und ſo Unerwartetes hätte mir jetzt

(er hat
ihm Hut und Stock abgenommen und legt Beides auf einen Stuhl neben der Thür)


hätte mir jetzt entſchieden nicht paſſiren können,

(indem er
zurückkommt:)

ent....ſchieden nicht.


Loth
(ſich ſelbſt das Täſchchen abnehmend).

Ich bin nämlich
— nur ſo per Zufall auf Dich

(er legt das Täſchchen auf den
Tiſch im Vordergrund).

Hoffmann.

Setz' Dich! Du mußt müde ſein,
ſetz' Dich — bitte. Weißt De noch? wenn Du mich
[9] beſuchteſt, da hatt'ſt Du ſo 'ne Manier, Dich lang auf
das Sopha hinfallen zu laſſen, daß die Federn krachten;
mitunter ſprangen ſie nämlich auch. Alſo Du, höre!
mach's wie damals.


(Frau Krauſe hat ein ſehr erſtauntes Geſicht gemacht und ſich dann zurück-
gezogen. Loth läßt ſich auf einen der Seſſel nieder, welche rings um den Tiſch
im Vordergrunde ſtehen.)

Hoffmann.

Trinkſt Du was? Sag'! — Bier?
Wein? Cognac? Kaffee, Thee? Es iſt Alles im Hauſe.


(Helene kommt leſend aus dem Wintergarten; ihre große, ein wenig zu
ſtarke Geſtalt, die Friſur ihres blonden, ganz ungewöhnlich reichen Haares, ihr
Geſichtsausdruck, ihre moderne Kleidung, ihre Bewegungen, ihre ganze Er-
ſcheinung überhaupt verleugnen das Bauernmädchen nicht ganz.)

Helene.

Schwager, Du könnteſt...

(ſie entdeckt Loth
und zieht ſich ſchnell zurück).

Ach! ich bitte um Verzeihung

(ab).

Hoffmann.

Bleib' doch, bleib'!


Loth.

Deine Frau?


Hoffmann.

Nein, ihre Schweſter. Hörteſt Du
nicht, wie ſie mich betitelte?


Loth.

Nein.


Hoffmann.

Hübſch! Wie? — Nu aber erklär'
Dich! Kaffee? Thee? Grog?


Loth.

Danke, danke für Alles.


Hoffmann
(präſentirt ihm Cigarren).

Aber das iſt was
für Dich — nicht?!...auch nicht?!


Loth.

Nein, danke.


Hoffmann.

Beneidenswerthe Bedürfnißloſigkeit!

(er raucht ſich ſelbſt eine Cigarre an und ſpricht dabei.)

Die A..Aſche,
wollte ſagen der...der Tabak...ä! Rauch natürlich...
der Rauch beläſtigt Dich doch wohl nicht?


Loth.

Nein.


Hoffmann.

Wenn ich das nicht noch hätte...
ach Gott ja, das bischen Leben! — nu aber thu' mir
den Gefallen, erzähle was. — Zehn Jahre — biſt
übrigens kaum ſehr verändert — zehn Jahre, 'n ekliger
Fetzen Zeit — was macht Schn...Schnurz nannten
wir ihn ja wohl? Fips, — die ganze heitere Blaſe
von damals? Haſt Du den Einen oder Anderen
im Auge behalten?


[10]
Loth.

Sach 'mal, ſollteſt Du das nicht wiſſen?


Hoffmann.

Was?


Loth.

Daß er ſich erſchoſſen hat.


Hoffmann.

Wer? — hat ſich wieder 'mal er-
ſchoſſen?


Loth.

Fips! Friedrich Hildebrandt.


Hoffmann.

I warum nich gar!


Loth.

Ja! er hat ſich erſchoſſen — im Grune-
wald, an einer ſehr ſchönen Stelle der Havelſeeufer. Ich
war dort, man hat den Blick auf Spandau.


Hoffmann.

Hm! — Hätt' ihm das nicht zugetraut,
war doch ſonſt keine Heldennatur.


Loth.

Deswegen hat er ſich eben erſchoſſen. —
Gewiſſenhaft war er, ſehr gewiſſenhaft.


Hoffmann.

Gewiſſenhaft? Woſo?


Loth.

Nun, darum eben....ſonſt hätte er ſich
wohl nicht erſchoſſen.


Hoffmann.

Verſteh' nicht recht.


Loth.

Na, die Farbe ſeiner politiſchen Anſchauungen
kennſt Du doch?


Hoffmann.

Ja, grün.


Loth.

Du kannſt ſie gern ſo nennen. Er war,
dies wirſt Du ihm wohl laſſen müſſen, ein talentvoller
Jung. — Fünf Jahre hat er als Stuccateur arbeiten
müſſen, andere fünf Jahre dann, ſo zu ſagen, auf
eigene Fauſt durchgehungert und dazu kleine Statuetten
modellirt.


Hoffmann.

Abſtoßendes Zeug. Ich will von der
Kunſt erheitert ſein....Nee! dieſe Sorte Kunſt war
durchaus nicht mein Geſchmack.


Loth.

Meiner war es auch nicht, aber er hatte
ſich nun doch einmal drauf verſteift. Voriges Frühjahr
ſchrieben ſie da ein Denkmal aus; irgend ein Duodez-
fürſtchen, glaub' ich, ſollte verewigt werden. Fips
hatte ſich betheiligt und gewonnen; kurz darauf ſchoß er
ſich todt.


Hoffmann.

Wo da die Gewiſſenhaftigkeit ſtecken
[11] ſoll, iſt mir völlig ſchleierhaft. — Für ſo was habe ich nur
eine Benennung: Spahn — auch Wurm — Spleen —
ſo was.


Loth.

Das iſt ja das allgemeine Urtheil.


Hoffmann.

Thut mir leid, kann aber nicht
umhin mich ihm anzuſchließen.
..................


Loth.

Es iſt ja für ihn auch ganz gleichgültig,
was...


Hoffmann.

Ach überhaupt laſſen wir das. Ich
bedauere ihn im Grunde ganz ebenſo ſehr wie Du,
aber — nun iſt er doch einmal todt, der gute Kerl; —
erzähle mir lieber was von Dir, was Du getrieben haſt,
wie's Dir ergangen iſt.


Loth.

Es iſt mir ſo ergangen, wie ich's erwarten
mußte. — Haſt Du gar nichts von mir gehört? — durch
die Zeitungen mein' ich.


Hoffmann
(ein wenig befangen).

Wüßte nicht.


Loth.

Nichts von der Leipziger Geſchichte?


Hoffmann.

Ach ſo, das! — Ja! — Ich
glaube....nichts Genaues.


Loth.

Alſo, die Sache war folgende:


Hoffmann
(ſeine Hand auf Loth's Arm legend).

Ehe Du an-
fängſt: willſt Du denn gar nichts zu Dir nehmen?


Loth.

Später vielleicht.


Hoffmann.

Auch nicht ein Gläschen Cognac?


Loth.

Nein. Das am allerwenigſten.


Hoffmann.

Nun, dann werde ich ein Gläschen....
Nichts beſſer für den Magen

(holt Flaſche und zwei Gläschen vom
Buffet, ſetzt Alles auf den Tiſch vor Loth).

Grand Champagne,
feinſte Nummer; ich kann ihn empfehlen. — Möchteſt
Du nicht....?


Loth.

Danke!


Hoffmann
(kippt das Gläschen in den Mund).

Oah! — na,
nu bin ich ganz Ohr.


Loth.

Kurz und gut: da bin ich eben ſehr ſtark
hineingefallen.


[12]
Hoffmann.

Mit zwei Jahren, glaub ich?!


Loth.

Ganz recht! Du ſcheinſt es ja doch alſo
zu wiſſen. Zwei Jahre Gefängniß bekam ich, und nach-
dem haben ſie mich noch von der Univerſität relegirt.
Damals war ich — einundzwanzig — nun! in dieſen
zwei Gefängnißjahren habe ich mein erſtes volkswirth-
ſchaftliches Buch geſchrieben. Daß es gerade ein Ver-
gnügen geweſen, zu brummen, müßte ich allerdings lügen.


Hoffmann.

Wie man doch einmal ſo ſein konnte!
merkwürdig! Sowas hat man ſich nun allen Ernſtes
in den Kopf geſetzt. Baare Kindereien ſind es geweſen,
kann mir nicht helfen, Du! — nach Amerika auswandern,
'n Dutzend Gelbſchnäbel wie wir! — wir und Muſter-
ſtaat gründen! Köſtliche Vorſtellung!


Loth.

Kindereien?! — tjaa! In gewiſſer Be-
ziehung ſind es auch wirklich Kindereien geweſen; wir
unterſchätzten die Schwierigkeiten eines ſolchen Unter-
nehmens.


Hoffmann.

Und daß Du nun wirklich hinaus
gingſt — nach Amerika — all—len Ernſtes mit leeren
Händen.... Denk doch mal an, was es heißt,
Grund und Boden für einen Muſterſtaat mit leeren
Händen erwerben zu wollen: das iſt ja beinah ver.....,
jedenfalls iſt es einzig naiv.


Loth.

Ach, gerade mit dem Ergebniß meiner
Amerikafahrt bin ich ganz zufrieden.


Hoffmann
(laut auflachend):

Kaltwaſſerkur, vorzügliche
Reſultate, wenn Du es ſo meinſt...


Loth.

Kann ſein, ich bin etwas abgekühlt worden;
damit iſt mir aber gar nichts Beſonderes geſchehen.
Jeder Menſch macht ſeinen Abkühlungsprozeß durch.
Ich bin jedoch weit davon entfernt, den Werth der....
nun, ſagen wir hitzigen Zeit zu verkennen, ſie war auch
gar nicht ſo furchtbar naiv, wie Du ſie hinſtellſt.


Hoffmann.

Na, ich weiß nicht?!


Loth.

Du brauchſt nur an die Durchſchnitts-
kindereien unſerer Tage denken: das Couleurweſen auf
[13] den Univerſitäten, das Saufen, das Pauken. Warum
all' der Lärm? Wie Fips zu ſagen pflegte: um Hekuba!


Um Hekuba drehte es ſich bei uns doch wohl nicht;
wir hatten die allerhöchſten menſchheitlichen Ziele im
Auge. Und abgeſehen davon, dieſe naive Zeit hat bei
mir gründlich mit Vorurtheilen aufgeräumt, ich bin mit
der Scheinreligion und Scheinmoral und mit noch
manchem anderen....


Hoffmann.

Das kann ich Dir ja auch ohne
Weiteres zugeben: Wenn ich jetzt doch immerhin ein
vorurtheilsloſer, aufgeklärter Menſch bin, dann verdanke
ich das, wie ich gar nicht leugne, den Tagen
unſeres Umgangs. — Natürlicherweiſe! — Ich bin
der Letzte, das zu leugnen. — Ich bin überhaupt in
keiner Beziehung Unmenſch. Nur muß man nicht mit
dem Kopfe durch die Wand rennen wollen. — Man
muß nicht die Uebel, an denen die gegenwärtige Gene-
ration, leider Gottes, krankt, durch noch größere ver-
drängen wollen; man muß — Alles ruhig ſeinen natür-
lichen Gang gehen laſſen. Was kommen ſoll, kommt!
Praktiſch, praktiſch muß man verfahren! Erinnere
Dich! Ich habe das früher gerade ſo betont: Und
dieſer Grundſatz hat ſich bezahlt gemacht. — Das iſt
es ja eben. Ihr Alle — Du mit eingerechnet —, Ihr
verfahrt höchſt unpraktiſch.


Loth.

Erklär' mir eben mal, wie Du das meinſt.


Hoffmann.

Einfach! Ihr nützt Eure Fähig-
keiten nicht aus. Zum Beiſpiel Du: 'n Kerl wie Du,
mit Kenntniſſen, Energie etc., was hätte Dir nicht offen
geſtanden! Statt deſſen, was machſt Du? Com
promittirſt Dich von vornherein der —art....
na, Hand aufs Herz! Haſt Du das nicht manchmal
bereut?


Loth.

Ich konnte nicht gut bereuen, weil ich ohne
Schuld verurtheilt worden bin.


Hoffmann.

Kann ich ja nicht beurtheilen,
weißt Du.


[14]
Loth.

Du wirſt das gleich können, wenn ich Dir
ſage: die Anklageſchrift führte aus, ich hätte unſeren
Verein Vancover-Island nur zum Zwecke parteilicher
Agitation ins Leben gerufen, dann ſollte ich auch Geld
zu Parteizwecken geſammelt haben. Du weißt ja nun,
daß es uns mit unſeren colonialen Beſtrebungen Ernſt
war, und was das Geldſammeln anlangt, ſo haſt Du
ja ſelbſt geſagt, daß wir Alle miteinander leere Hände
hatten. Die Anklage enthält alſo kein wahres Wort,
und als Mitglied ſollteſt Du das doch....


Hoffmann.

Na — Mitglied war ich doch wohl
eigentlich nicht ſo recht. — Uebrigens glaube ich Dir ſelbſt-
redend. — Die Richter ſind halt immer nur Menſchen,
muß man nehmen. — Jedenfalls hätteſt Du, um praktiſch
zu handeln, auch den Schein meiden müſſen. Ueber-
haupt: ich habe mich in der Folge manchmal daß ge-
wundert über Dich: Redacteur der Arbeiterkanzel, des
obſcurſten aller Käſeblättchen — Reichstagscandidat des
ſüßen Pöbels! Und was haſt Du nu davon? — ver-
ſteh' mich nicht falſch! Ich bin der Letzte, der es an
Mitleid mit dem armen Volke fehlen läßt, aber wenn
etwas geſchieht, dann mag es von Oben herab ge-
ſchehen! Es muß ſogar von Oben herab geſchehen,
das Volk weiß nun mal nicht, was ihm noth thut —
das „Von-unten-herauf“, ſiehſt Du, das eben nenne ich
das „Mit-dem-Kopf-durch-die-Wand-rennen.“


Loth.

Ich bin aus dem, was Du eben geſagt
haſt, nicht klug geworden.


Hoffmann.

Na, ich meine eben: ſieh mich an!
ich habe die Hände frei: ich könnte nu ſchon anfangen,
was für die Ideale zu thun. — Ich kann wohl ſagen,
mein praktiſches Programm iſt nahezu durchgeführt.
Aber Ihr....immer mit leeren Händen, was wollt
denn Ihr machen?


Loth.

Ja, wie man ſo hört: Du ſegelſt ſtark
auf Bleichröder zu.


Hoffmann
(geſchmeichelt).

Zu viel Ehre — vorläufig
[15] noch. Wer ſagt das? — Man arbeitet eben ſeinen
ſoliden Stiefel fort: das belohnt ſich naturgemäß —
wer ſagt das übrigens?


Loth.

Ich hörte drüben in Jauer zwei Herren
am Nebentiſch davon reden.


Hoffmann.

Ä! Du! — Ich habe Feinde! — Was
ſagten die denn übrigens?


Loth.

Nichts Beſonderes. Durch ſie erfuhr ich:
daß Du Dich zur Zeit eben hier auf das Gut Deiner
Schwiegereltern zurückgezogen haſt.


Hoffmann.

Was die Menſchen nicht alles aus-
ſchnüffeln! Lieber Freund! Du glaubſt nicht, wie ein
Mann in meiner Stellung auf Schritt und Tritt be-
obachtet wird: Das iſt auch ſo 'n Uebelſtand des
Reich.... — Die Sache iſt nämlich die: ich erwarte der
größeren Ruhe und geſünderen Luft wegen die Nieder-
kunft meiner Frau hier.


Loth.

Wie paßt denn das aber mit dem Arzt?
Ein guter Arzt iſt doch in ſolchen Fällen von aller-
größter Wichtigkeit. Und hier auf dem Dorfe....


Hoffmann.

Das iſt es eben, der Arzt hier iſt
ganz beſonders tüchtig; und, weißt Du, ſo viel habe
ich bereits weg: Gewiſſenhaftigkeit geht beim Arzt über
Genie.


Loth.

Vielleicht iſt ſie eine Begleiterſcheinung des
Genie's im Arzt.


Hoffmann.

Mein'twegen, jedenfalls hat unſer
Arzt Gewiſſen. Er iſt nämlich auch ſo'n Stück Ideo-
loge, halb und halb unſer Schlag — reuſſirt ſchauder-
haft unter Bergleuten und auch unter dem Bauernvolk.
Man vergöttert ihn geradezu. Zu Zeiten übrigens 'n
recht unverdaulicher Patron, 'n Miſchmaſch von Härte
und Sentimentalität. Aber, wie geſagt, Gewiſſenhaftig-
keit weiß ich zu ſchätzen! — Unbedingt! — Eh' ich's
vergeſſe....es iſt mir nämlich darum zu thun...
man muß immer wiſſen, weſſen man ſich zu verſehen
hat....Höre!....ſage mir doch....ich
[16] ſeh' Dir's an, die Herren am Nebentiſche haben nichts
Gutes über mich geſprochen. — Sag' mir doch, bitte!
was ſie geſprochen haben.


Loth.

Das ſollte ich wohl nicht thun, denn ich
will Dich nachher um zweihundert Mark bitten, gerade-
zu bitten, denn ich werde ſie Dir wohl kaum je wieder-
geben können.


Hoffmann
(zieht ein Checbuch aus der Bruſttaſche, füllt Chec aus,
übergiebt ihn Loth).

Bei irgend einer Reichsbankfiliale....
Es iſt mir 'n Vergnügen....


Loth.

Deine Fixigkeit übertrifft alle meine Er-
wartungen. — Na! — ich nehm' es dankbar an und
Du weißt ja, übel angewandt iſt es auch nicht.


Hoffmann
(mit Anflug von Pathos).

Ein Arbeiter iſt
ſeines Lohnes werth! — doch jetzt, Loth! ſei ſo gut,
ſag mir, was die Herren am Nebentiſch....


Loth.

Sie haben wohl Unſinn geſprochen.


Hoffmann.

Sag mir's trotzdem, bitte! — Es
iſt mir lediglich intereſſant, ledig-lich intereſſant —


Loth.

Es war davon die Rede, daß Du hier
einen Anderen aus der Poſition verdrängt hätteſt, — einen
Bauunternehmer Müller.


Hoffmann.

Na-tür-lich! dieſe Geſchichte!


Loth.

Ich glaube, der Mann ſollte mit Deiner
jetzigen Frau verlobt geweſen ſein.


Hoffmann.

War er auch. — Und was weiter?


Loth.

Ich erzähle Dir Alles, wie ich es hörte,
weil ich annehme: es kommt Dir darauf an, die Ver-
leumdung möglichſt getreu kennen zu lernen.


Hoffmann

Ganz recht! Alſo?


Loth.

So viel ich heraus hörte, ſoll dieſer Müller
den Bau einer Strecke der hieſigen Gebirgsbahn über-
nommen haben.


Hoffmann.

Ja! Mit lumpigen zehntauſend Tha-
lern Vermögen. Als er einſah, daß dieſes Geld nicht
zureichte, wollte er ſchnell eine Witzdorfer Bauerntochter
fiſchen; meine jetzige Frau ſollte diejenige ſein, welche.


[17]
Loth.

Er hätte es, ſagten ſie, mit der Tochter,
Du mit dem Alten gemacht. — Dann hat er ſich ja
wohl erſchoſſen?! — Auch ſeine Strecke hätteſt Du zu
Ende gebaut und noch ſehr viel Geld dabei verdient.


Hoffmann.

Darin iſt einiges Wahre enthalten,
doch — ich könnte Dir eine Verknüpfung der Thatſachen
geben....Wußten ſie am Ende noch mehr dergleichen
erbaulichen Dinge?


Loth.

Ganz beſonders — muß ich Dir ſagen —
regten ſie ſich über Etwas auf: ſie rechneten ſich vor,
welch ein enormes Geſchäft in Kohlen Du jetzt machteſt
und nannten Dich einen....na, ſchmeichelhaft war
es eben nicht für Dich. Kurz geſagt, ſie erzählten, Du
hätteſt die hieſigen dummen Bauern beim Champagner
überredet, einen Vertrag zu unterzeichnen, in welchem
Dir der alleinige Verſchleiß aller in ihren Gruben ge-
förderter Kohle übertragen worden iſt gegen eine Pacht-
ſumme, die fabelhaft gering ſein ſollte.


Hoffmann
(ſichtlich peinlich berührt, ſteht auf).

Ich will Dir
was ſagen, Loth.... Ach, warum auch noch darin
rühren? Ich ſchlage vor, wir denken an's Abendbrod,
mein Hunger iſt mörderiſch. — Mörderiſchen Hunger habe
ich.

(Er drückt auf den Knopf einer elektriſchen Leitung, deren Draht in
Form einer grünen Schnur auf das Sopha herunter hängt; man hört das Läuten
einer elektriſchen Klingel.)

Loth.

Nun, wenn Du mich hier behalten willſt —
dann ſei ſo gut.....ich möchte mich eben 'n bischen
ſäubern.


Hoffmann.

Gleich ſollſt Du alles Nöthige....

(Eduard tritt ein, Diener in Livree.)

Eduard! führen Sie den Herrn
in's Gaſtzimmer.


Eduard.

Sehr wohl, gnädiger Herr.


Hoffmann
(Loth die Hand drückend).

In ſpäteſtens fünf-
zehn Minuten möchte ich Dich bitten, zum Eſſen her-
unter zu kommen.


Loth.

Uebrig Zeit, alſo, Wiederſehen!


Hoffmann.

Wiederſehen!


(Eduard öffnet die Thür und läßt Loth vorangehen. Beide ab Hoffmann
2
[18] kratzt ſich den Hinterkopf, blickt nachdenklich auf den Fußboden, geht dann auf
die Thür rechts zu, deren Klinke er bereits gefaßt hat, als Helene, welche
haſtig durch die Glasthür eingetreten iſt, ihn anruft.)

Helene.

Schwager! Wer war das?


Hoffmann.

Das war einer von meinen Gym-
naſialfreunden, der älteſte ſogar, Alfred Loth.


Helene.
(ſchnell).

Iſt er ſchon wieder fort?


Hoffmann.

Nein! Er wird mit uns zu Abend
eſſen. — Womöglich....ja, womöglich auch hier
übernachten.


Helene.

Oh Jeſes! Da komme ich nicht zum
Abendeſſen.


Hoffmann.

Aber Helene!


Helene.

Was brauche ich auch unter gebildete
Menſchen zu kommen, ich will nur ruhig weiter ver-
bauern.


Hoffmann.

Ach, immer dieſe Schrullen! Du
wirſt mir ſogar den großen Dienſt erweiſen und die An-
ordnungen für den Abendtiſch treffen. Sei ſo gut! —
Wir machen's 'n bischen feierlich. Ich vermuthe nämlich,
er führt irgend was im Schilde.


Helene.

Was meinſt Du, im Schilde führen?


Hoffmann.

Maulwurfsarbeit — Wühlen, Wühlen. —
Davon verſtehſt Du nun freilich nichts. — Kann mich
übrigens täuſchen, denn ich habe bis jetzt vermieden auf
dieſen Gegenſtand zu kommen. Jedenfalls mach' Alles
recht einladend, auf dieſe Weiſe iſt den Leuten noch am
leichteſten...Champagner natürlich! Die Hummern
von Hamburg ſind angekommen?


Helene.

Ich glaube, ſie ſind heut früh angekommen.


Hoffmann.

Alſo, Hummern!

(es klopft ſehr ſtark)

herein!


Poſtpacketträger
(eine Kiſte unter'm Arm, eintretend, ſpricht
er in ſingendem Tone):

eine Kiſ-te.


Helene.

Von wo?


Packetträger.

Ber-lin.


Hoffmann.

Richtig! es werden die Kinderſachen
von Herzog ſein.

(Er beſieht das Packet und nimmt den Abſchnitt).

Ja,
ja, es ſind die Sachen von Herzog.


[19]
Helene.

Die-ſe Kiſte voll? Du übertreibſt.


Hoffmann.
(Lohnt den Packetträger ab.)

Packetträger
(ebenſo halb ſingend).

Schön'n gu'n
A-bend

(ab.)

Hoffmann.

Wieſo übertreiben?


Helene.

Nun, hiermit kann man doch wenigſtens
drei Kinder ausſtatten.


Hoffmann.

Biſt Du mit meiner Frau ſpazieren
gegangen?


Helene.

Was ſoll ich machen, wenn ſie immer
gleich müde wird?


Hoffmann.

Ach was! immer gleich müde. —
Sie macht mich unglücklich! Ein und eine halbe Stunde
...ſie ſoll doch um Gottes Willen thun was der
Arzt ſagt. Zu was hat man denn den Arzt, wenn...


Helene.

Dann greife Du ein, ſchaff' die Spillern
fort! Was ſoll ich gegen ſo 'n altes Weib machen, die
ihr immer nach dem Munde geht.


Hoffmann.

Was denn?...ich als Mann...
was ſoll ich als Mann?...und außerdem, Du kennſt
doch die Schwiegermama.


Helene
(bitter)

Allerdings.


Hoffmann.

Wo iſt ſie denn jetzt?


Helene.

Die Spillern ſtutzt ſie heraus, ſeit Herr
Loth hier iſt; ſie wird wahrſcheinlich zum Abendbrod
wieder ihr Rad ſchlagen.


Hoffmann
(ſchon wieder in eigenen Gedanken, macht einen Gang
durch's Zimmer; heftig).

Es iſt das letzte Mal, auf Ehre! daß
ich ſo etwas hier in dieſem Hauſe abwarte. — Auf Ehre!


Helene.

Ja, Du haſt es eben gut, Du kannſt
gehen, wohin Du willſt.


Hoffmann.

Bei mir zu Hauſe wäre der un-
glückliche Rückfall in dies ſchauderhafte Laſter auch ſicher
nicht
vorgekommen.


Helene.

Mich mache dafür nicht verantwortlich! Von
mir hat ſie den Branntwein nicht bekommen. Schaff'
Du nur die Spillern fort, ich ſollte bloß 'n Mann ſein.


2*
[20]
Hoffmann
(ſeufzend).

Ach, wenn es nur erſt wieder
vorüber wär'! —

(in der Thür rechts)

alſo Schwägerin, Du thuſt
mir den Gefallen: einen recht apetitlichen Abendtiſch!
Ich erledige ſchnell noch eine Kleinigkeit.


Helene
(drückt auf den Klingelknopf. Miele kommt).

Miele,
decken Sie den Tiſch! Eduard ſoll Sekt kalt ſtellen und
vier Dutzend Auſtern öffnen.


Miele
(unterdrückt, batzig).

Sie kinn'n 's 'm ſalber
ſagen, a nimmt niſcht oa vu mir, a meent immer:
a wär ok beim Inſchinnär gemit't.


Helene.

Dann ſchick' ihn wenigſtens rein.


(Miele ab. Helene tritt vor den Spiegel, ordnet dies und das an ihrer
Toilette; währenddeß tritt Eduard ein.)

Helene
(immer noch vor dem Spiegel).

Eduard, ſtellen
Sie Sekt kalt und öffnen Sie Auſtern! Herr Hoffmann
hat es befohlen.


Eduard.

Sehr wohl, Fräulein.

(Eduard ab. Gleich
darauf klopft es an die Mittelthür.)

Helene
(fährt zuſammen).

Großer Gott! —

(zaghaft:)


Herein! —

(lauter und feſter:)

herein!


Loth
(tritt ein ohne Verbeugung).

Ach, um Verzeihung!
— ich wollte nicht ſtören, — mein Name iſt Loth.


Helene
(verbeugt ſich tanzſtundenmäßig).

Stimme Hoffmann's
(durch die geſchloſſene Zimmerthür):


Kinder! keine Umſtände! — ich komme gleich heraus.
Loth! es iſt meine Schwägerin Helene Krauſe! und
Schwägerin! es iſt mein Freund Alfred Loth! Be-
trachtet Euch als vorgeſtellt.


Helene.

Nein, über Dich aber auch!


Loth.

Ich nehme es ihm nicht übel, Fräulein!
bin ſelbſt, wie man mir ſehr oft geſagt hat, in Sachen
des guten Tons ein halber Barbar. — Aber wenn ich
Sie geſtört habe, ſo...


Helene.

Bitte, — Sie haben mich gar nicht ge-
ſtört, — durchaus nicht.

(Befangenheitspauſe, hierauf:)

Es iſt....
es iſt ſchön von Ihnen, daß — Sie meinen Schwager
aufgeſucht haben. Er beklagt ſich immer von...er
[21] bedauert immer, von ſeinen Jugendfreunden ſo ganz ver-
geſſen zu ſein.


Loth.

Ja, es hat ſich zufällig ſo getroffen. — Ich
war immer in Berlin und daherum — wußte eigentlich
nicht wo Hoffmann ſteckte. Seit meiner Breslauer
Studienzeit war ich nicht mehr in Schleſien.


Helene.

Alſo nur ſo zufällig ſind Sie auf ihn
geſtoßen?


Loth.

Nur ganz zufällig — und zwar gerade an
dem Ort, wo ich meine Studien zu machen habe.


Helene.

Ach, Spaß! — Witzdorf und Studien
machen, nicht möglich! in dieſem armſeligen Neſte?!


Loth.

Armſelig nennen Sie es? — Aber es liegt
doch hier ein ganz außergewöhnlicher Reichthum.


Helene.

Ja doch! in der Hinſicht...


Loth.

Ich habe nur immer geſtaunt. Ich kann
Sie verſichern, ſolche Bauernhöfe giebt es nirgend wo
anders, da guckt ja der Ueberfluß wirklich aus Thüren
und Fenſtern.


Helene.

Da haben Sie recht: in mehr als einem
Stalle hier freſſen Kühe und Pferde aus marmornen
Krippen und neuſilbernen Raufen! das hat die Kohle
gemacht, die unter unſeren Feldern gemuthet worden
iſt, die hat die armen Bauern im Handumdrehen ſtein-
reich gemacht

(ſie weiſt auf das Bild an der Hinterwand).

Sehen Sie
da — mein Großvater war Frachtfuhrmann; das Gütchen
gehörte ihm, aber der geringe Boden ernährte ihn nicht,
da mußte er Fuhren machen. — Das dort iſt er ſelbſt
in der blauen Blouſe — man trug damals noch ſolche
blaue Blouſen. — Auch mein Vater als junger Menſch
iſt darin gegangen. — Nein! — ſo meinte ich es nicht —
mit dem „armſelig“; nur iſt es ſo öde hier. So...
gar nichts für den Geiſt giebt es. Zum Sterben lang-
weilig iſt es.


(Miele und Eduard ab- und zugehend decken den Tiſch rechts im Hintergrunde.)

Loth.

Giebt es denn nicht zuweilen Bälle oder
Kränzchen?


[22]
Helene.

Nicht 'mal das giebt es. Die Bauern
ſpielen, jagen, trinken...was ſieht man den
ganzen Tag?

(ſie iſt vor das Fenſter getreten und weiſt mit der Hand
hinaus)

hauptſächlich ſolche Geſtalten.


Loth.

Hm! Bergleute.


Helene.

Welche gehen zur Grube, welche kommen
von der Grube: das hört nicht auf. — Wenigſtens ich
ſehe immer Bergleute. Denken Sie, daß ich alleine
auf die Straße mag? höchſtens auf die Felder, durch
das Hinterthor. Es iſt ein zu rohes Pack! — und wie
ſie einen immer anglotzen, ſo ſchrecklich finſter — als ob
man geradezu was verbrochen hätte.


Im Winter, wenn wir ſo manchmal Schlitten ge-
fahren ſind und ſie kommen dann in der Dunkelei in
großen Trupps über die Berge, im Schneegeſtöber und
ſie ſollen ausweichen, da gehen ſie vor den Pferden her
und weichen nicht aus. Da nehmen die Bauern manch-
mal den Peitſchenſtiel, anders kommen ſie nicht durch.
Ach, und dann ſchimpfen ſie hinterher. Hu! ich habe
mich manchmal ſo entſetzlich geängſtigt.


Loth.

Und nun denken Sie an: Gerade um
dieſer Menſchen willen — vor denen Sie ſich ſo ſehr
fürchten, bin ich hierher gekommen.


Helene.

Neinaber...


Loth.

Ganz im Ernſt, ſie intereſſiren mich hier
mehr als Alles andere.


Helene.

Niemand ausgenommen?


Loth.

Nein.


Helene.

Auch mein Schwager nicht ausgenommen?


Loth.

Nein! — das Intereſſe für dieſe Menſchen
iſt ein ganz anderes, — höheres...verzeihen Sie,
Fräulein! Sie können das am Ende doch wohl nicht
verſtehen.


Helene.

Wieſo nicht? ich verſtehe Sie ſehr gut,
Sie...

(ſie läßt einen Brief aus der Taſche gleiten, Loth bückt ſich darnach)


ach, laſſen Sie...es iſt nicht wichtig, nur eine gleich-
gültige Penſionscorreſpondenz.


[23]
Loth.

Sie ſind in Penſion geweſen?


Helene.

Ja, in Herrnhut. Sie müſſen nicht
denken, daß ich...nein, nein, ich verſtehe Sie ſchon.


Loth.

Ich meine die Arbeiter intereſſiren mich
um ihrer ſelbſt willen.


Helene.

Ja, freilich, — es iſt ja ſehr intereſſant
...ſo ein Bergmann...wenn man's ſo nehmen will...
es giebt ja Gegenden, wo man gar keine findet, aber
wenn man ſie ſo täglich...


Loth.

Auch wenn man ſie täglich ſieht, Fräulein
...man muß ſie ſogar täglich ſehen, um das Intereſſante
an ihnen herauszufinden.


Helene.

Nun, wenn es ſo ſchwer herauszufinden
...was iſt es denn dann? das Intereſſante mein' ich.


Loth.

Es iſt zum Beiſpiel intereſſant, daß dieſe
Menſchen, wie Sie ſagen, immer ſo gehäſſig oder finſter
blicken.


Helene.

Wieſo meinen Sie, daß das beſonders
intereſſant iſt?


Loth.

Weil es nicht das Gewöhnliche iſt. Wir
Anderen pflegen doch nur zeitweilig und keineswegs
immer ſo zu blicken.


Helene.

Ja, weshalb blicken ſie denn nur immer
ſo...ſo gehäſſig, ſo mürriſch? es muß doch einen Grund
haben.


Loth.

Ganz recht! und den möchte ich gern
herausfinden.


Helene.

Ach Sie ſind! Sie lügen mir was vor.
Was hätten Sie denn davon, wenn Sie das auch wüßten?


Loth.

Man könnte vielleicht Mittel finden, den
Grund, warum dieſe Leute immer ſo freudlos und gehäſſig
ſein müſſen, wegzuräumen; — man könnte ſie vielleicht
glücklicher machen.


Helene
(ein wenig verwirrt).

Ich muß Ihnen ehrlich
ſagen, daß...aber gerade jetzt verſtehe ich Sie doch
vielleicht ein ganz klein wenig. — Es iſt mir nur...
nur ſo ganz neu, ſo — ganz — neu!


[24]
Hoffmann
(durch die Thüre rechts eintretend, er hat eine Anzahl
Briefe in der Hand).

So! da bin ich wieder. — Eduard!
daß die Briefe noch vor 8 auf der Poſt ſind

(er händigt
dem Diener die Briefe ein, der Diener ab).

So, Kinder! jetzt können wir ſpeiſen. — Unerlaubte
Hitze hier! September und ſolche Hitze!

(er hebt den Cham-
pagner aus dem Eiskübel.)

Veuve Cliquot: Eduard kennt meine
ſtille Liebe;

(zu Loth gewendet:)

habt ja furchtbar eifrig
disputirt.

(Tritt an den fertig gedeckten, mit Delicateſſen überladenen
Abendtiſch, reibt ſich die Hände.)

Na! das ſieht ja recht gut aus!

(mit einem verſchmitzten Blick zu Loth hinüber:)

meinſt Du nicht auch?
— Uebrigens, Schwägerin! wir bekommen Beſuch: Kahl-
Wilhelm. Er war auf den Hof.


Helene
(macht eine ungezogene Geberde).

Hoffmann.

Aber Beſte! Du thuſt faſt, als ob
ich ihn...was kann denn ich dafür? hab' ich ihn
etwa gerufen?

(Man hört ſchwere Schritte draußen im Hausflur.)


Ach! das Unheil ſchreitet ſchnelle.


(Kahl tritt ein ohne vorher angeklopft zu haben. Er iſt ein vierundzwanzig-
jähriger, plumper Bauernburſch, dem man es anſieht, daß er, ſo weit möglich,
gern den feinen, noch mehr aber den reichen Mann herausſtecken möchte. Seine
Geſichtszüge ſind grob, der Geſichtsausdruck vorwiegend dumm-pfiffig Er iſt
bekleidet mit einem grünen Jaquet, bunter Sammtweſte, dunklen Beinkleidern
und Glanzlack-Schaftſtiefeln. Als Kopfbedeckung dient ihm ein grüner Jägerhut
mit Spielhahnfeder. Das Jaquet hat Hirſchhornknöpfe, an der Uhrkette Hirſch-
zähne etc., ſtottert.)

Kahl.

Gun'n Abend mi'nander!

(Er erblickt Loth, wird
ſehr verlegen und macht ſtillſtehend eine ziemlich klägliche Figur.)

Hoffmann
(tritt zu ihm und reicht ihm die Hand aufmunternd).


Guten Abend, Herr Kahl!


Helene
(unfreundlich).

Guten Abend.


Kahl
(geht mit ſchweren Schritten quer durch das ganze Zimmer auf
Helene zu und giebt ihr die Hand).

'n Abend och, Lene.


Hoffmann
(zu Loth).

Ich ſtelle Dir hiermit Herrn
Kahl vor, unſeren Nachbarsſohn.


Kahl
(grinſt und dreht den Hut. Verlegenheitsſtille).

Hoffmann.

Zu Tiſch Kinder! fehlt noch Jemand?
Ach, die Schwiegermama. Miele! bitten Sie Frau
Krauſe zu Tiſch.


(Miele ab durch die Mittelthür.)

[25]
Miele
(draußen im Hausflur ſchreiend):

Frau!! — Frau!!
Aſſa kumma! Se ſill'n aſſa kumma!


(Helene und Hoffmann blicken einander an und lachen verſtändnißinnig,
dann blicken ſie vereint auf Loth.

Hoffmann
(zu Loth):

Ländlich, ſittlich!


(Frau Krauſe erſcheint, furchtbar aufgedonnert. Seide und koſtbarer Schmuck.
Haltung und Kleidung verrathen Hoffart, Dummſtolz, unſinnige Eitelkeit.

Hoffmann.

Ah! da iſt Mama! — Du geſtatteſt,
daß ich Dir meinen Freund Dr. Loth vorſtelle.


Frau Krauſe
(macht einen undefinirbaren Knix).

Ich bin
ſo frei!

(Nach einer kleinen Pauſe:)

Nein, aber auch, Herr Doctor,
nahmen Sie mir's ock bei Leibe nicht ibel! Ich muß
mich zurerſcht muß ich mich vor ihn'n vertefentiren,

(ſie
ſpricht je länger, um ſo ſchneller)

vertefentiren wegen meiner vor-
hinigten Benehmigung. Wiſſen Se, verſtihn Se, es
komm' ein der Drehe bei uns eine ſo ane grußmächtige
Menge Stremer....Se kinn's ni gleba, ma hoot
mit dan Battelvulke ſeine liebe Noth. A ſu Enner,
dar mauſt akrat wie a Ilſter; uf da Pfennig kimmt's
ins ne ernt oa, ne ock ne, ma braucht a ni dreimol
rimzudrehn, au ken'n Thoaler nich, eeb ma'n ausgibbt.
De Krauſa-Ludwig'n, die iis geizig, ſchlimmer wie a
Homſter egelganz, die ginnt ke'm Luder niſcht. Ihrer
is geſturba aus Arjer, weil a lumpigte zwetauſend ei
Braſſel verloern hoot. Ne, ne! a ſu ſein mir dorchaus
nicht. Sahn Se, doas Buffett kuſt't mich zwehundert
Thoaler, a Transpurt ni gerechent; na, d'r Beron Klinkow
koans au ne anderſch honn.


(Frau Spiller iſt kurz nach Frau Krauſe ebenfalls eingetreten, ſie iſt klein,
ſchief und mit den zurückgelegten Sachen der Frau Krauſe herausgeſtutzt. Wäh-
rend Frau Krauſe ſpricht, hält ſie mit einer Art Andacht die Augen zu ihr auf-
geſchlagen. Sie iſt etwa fünfundfünfzig Jahre alt, ihr Ausathmen geſchieht
jedesmal mit einem leiſen Stöhnen, welches auch, wenn ſie redet, regelmäßig
wie — m — hörbar wird.)

Frau Spiller
(mit unterwürfigem, wehmüthig gezierten moll-
Ton, ſehr leiſe):

Der Baron Klinkow haben genau dasſelbe
Buffet — m —.


Helene
(zu Frau Krauſe).

Mama! wollen wir uns nicht
erſt ſetzen, dann.....


[26]
Frau Krauſe
(wendet ſich blitzſchnell und trifft Helene mit einem
vernichtenden Blick; kurz und herriſch):

Schickt ſich doas?

(Frau
Krauſe, im Begriff ſich zu ſetzen, erinnert ſich, daß das Tiſchgebet noch nicht
geſprochen iſt, und faltet mechaniſch, doch ohne ihrer Bosheit im Uebrigen Herr
zu ſein, die Hände.)

Frau Spiller
(ſpricht das Tiſchgebet).


Komm', Herr Jeſu, ſei unſer Gaſt,
Segne, was Du uns beſcheeret haſt.
Amen.


(Alle ſetzen ſich mit Geräuſch. Mit dem Zulangen und Zureichen, welches
einige Zeit in Anſpruch nimmt, kommt man über die peinliche Situation hinweg.)

Hoffmann
(zu Loth).

Lieber Freund, Du bedienſt
Dich wohl?! Auſtern?


Loth.

Nun, will probiren, es ſind die erſten
Auſtern, die ich eſſe.


Frau Krauſe
(hat ſoeben eine Auſter geſchlürft. Mit vollem
Munde):

In dar Seiſong mein'n Se woll?


Loth.

Ich meine überhaupt.


(Frau Krauſe und Frau Spiller wechſeln Blicke.)

Hoffmann
(zu Kahl, der eine Citrone mit den Zähnen auspreßt):


Zwei Tage nicht geſehen, Herr Kahl! Tüchtig Mäuſe
gejagt in der Zeit?


Kahl.

N...n..ne!


Hoffmann
(zu Loth):

Herr Kahl iſt nämlich ein leiden-
ſchaftlicher Jäger.


Kahl.

D..d..die M..mm..maus, das iſt
'n in...in..infamtes Am..am..amf..ff..
fibium.


Helene
(platzt heraus):

Zu lächerlich iſt das, Alles
ſchießt er todt, Zahmes und Wildes.


Kahl.

N..nächten hab ich d..d..die alte
Szſſ..ſau vu ins t..todt g..g..geſchoſſen.


Loth.

Da iſt wohl Schießen Ihre Hauptbeſchäftigung?


Frau Krauſe.

Herr Kahl thut's ock bloßig zum
Prifatvergnigen.


Frau Spillern.

Wald, Wild, Weib pflegten
Seine Exellenz der Herr Miniſter von Schadendorf oft-
mals zu ſagen.


[27]
Kahl.

I..i..iberm..m..murne hab'n mer
T..t..tau..t..taubenſchießen.


Loth.

Was iſt denn das: Taubenſchießen?


Helene.

Ach, ich kann ſo was nicht leiden; es iſt
doch nichts als eine recht unbarmherzige Spielerei. Un-
gezogene Jungens, die mit Steinen nach Fenſterſcheiben
zielen, thun etwas Beſſeres.


Hoffmann.

Du gehſt zu weit, Helene.


Helene.

Ich weiß nicht —, meinem Gefühl nach
hat es weit mehr Sinn, Fenſter einzuſchmeißen, als
Tauben an einem Pfahl feſtzubinden und dann mit
Kugeln nach ihnen zu ſchießen.


Hoffmann.

Na, Helene, — man muß doch aber
bedenken....


Loth
(irgend etwas mit Meſſer und Gabel zerſchneidend):

Es iſt
ein ſchandbarer Unfug.


Kahl.

Um die p poar Tauba....!


Frau Spiller
(zu Loth).

Der Herr Kahl — m —,
müſſen Sie wiſſen, haben zweihundert Stück im Schlage.


Loth.

Die ganze Jagd iſt ein Unfug.


Hoffmann.

Aber ein unausrottbarer. Da wer-
den zum Beiſpiel eben jetzt wieder fünfhundert lebende
Füchſe geſucht, alle Förſter hier herum und auch ſonſt
in Deutſchland verlegen ſich auf's Fuchsgraben.


Loth.

Was macht man denn mit den vielen
Füchſen?


Hoffmann.

Sie kommen nach England, wo ſie
die Ehre haben, von Lords und Ladys gleich vom Käfig
weg zu Tode gehetzt zu werden.


Loth.

Muhamedaner oder Chriſt, Beſtie bleibt
Beſtie.


Hoffmann.

Darf ich Dir Hummer reichen, Mama?


Frau Krauſe.

Meinswejen, ei dieſer Seiſong
ſind ſe ſehr gutt!


Frau Spiller.

Gnädige Frau haben eine ſo
feine Zunge — m —!


[28]
Frau Krauſe
(zu Loth):

Hummer ha'n Sie woll auch
noch nich gegaſſen, Herr Ducter?


Loth.

Ja, Hummer habe ich ſchon hin und wieder
gegeſſen —, an der See oben, in Warnemünde, wo ich ge-
boren bin.


Frau Krauſe
(zu Kahl).

Gell, Wilhelm, ma weeß
wirklich'n Gott manchmal nich mee, was ma aſſen ſull?


Kahl.

J..j..ja, w..w..weeß...weeß
G..Gott, Muhme.


Eduard
(will Loth Champagner eingießen).

Champagner


Loth
(hält ſein Glas zu).

Nein!...danke!


Hoffmann.

— Mach' keinen Unſinn.


Helene.

Wie, Sie trinken nicht?


Loth.

Nein, Fräulein.


Hoffmann.

Na, hör mal an: das iſt aber doch...
das iſt langweilig.


Loth.

Wenn ich tränke, würde ich noch lang-
weiliger werden.


Helene.

Das iſt intereſſant, Herr Doctor.


Loth
(ohne Tact).

Daß ich langweiliger werde, wenn
ich Wein trinke?


Helene
(etwas betreten).

Nein, ach nein, daß....
daß Sie nicht trinken...., daß Sie überhaupt nicht
trinken, meine ich.


Loth.

Warum ſoll das intereſſant ſein?


Helene
(ſehr roth werdend).

Es iſt....iſt nicht das
Gewöhnliche.

(Wird noch röther und ſehr verlegen.)

Loth
(tollpatſchig).

Da haben Sie Recht, leider.


Frau Krauſe
(zu Loth).

De Flaſche kuſt uns fufza
Mark, Sie kinn' a dreiſte trink'n. Direct vu Rheims
iis a, mir ſatz'n Ihn' gewiß niſcht Schlechtes vier, mir
mieja ſalber niſcht Schlechtes.


Frau Spiller.

Ach, glauben Sie mich — m —, Herr
Doctor, wenn Seine Exellenz der Herr Miniſter von
Schadendorf — m — ſo eine Tafel geführt hätten....


Kahl.

Ohne men'n Wein kennt ich nich laben.


[29]
Helene
(zu Loth).

Sagen Sie uns doch, warum Sie
nicht trinken?


Loth.

Das kann gerne geſchehen, ich....


Hoffmann.

Ae, was! alter Freund!

(Er nimmt dem
Diener die Flaſche ab, um nun ſeinerſeits Loth zu bedrängen.)

Denk dran,
wie manche hochfidele Stunde wir früher mit einander...


Loth.

Nein, bitte bemühe Dich nicht, es...


Hoffmann.

Trink heut mal!


Loth.

Es iſt Alles vergebens.


Hoffmann.

Mir zu Liebe!


(Hoffmann will eingießen, Loth wehrt ab; es entſteht ein kleines
Handgemenge.)

Loth.

Nein!...nein, wie geſagt...nein!...
nein danke.


Hoffmann.

Aber nimm mir's nicht übel...
das iſt eine Marotte.


Kahl
(zu Fr. Spiller).

Wer nich will, dar hat ſchunn'.


Frau Spiller
(nicht ergeben).

Hoffmann.

Uebrigens, des Menſchen Wille...
und ſo weiter. So viel ſage ich nur: ohne ein Glas
Wein bei Tiſch...


Loth.

Ein Glas Bier zum Frühſtück...


Hoffmann.

Nun ja, warum nicht? ein Glas
Bier iſt was ſehr geſundes.


Loth.

Ein Cognac hie und da...


Hoffmann.

Na, wenn man das nicht 'mal haben
ſollte...zum Asceten machſt Du mich nun und nimmer,
das heißt ja dem Leben allen Reiz nehmen.


Loth.

Das kann ich nicht ſagen. Ich bin mit
den normalen Reizen, die mein Nervenſyſtem treffen,
durchaus zufrieden.


Hoffmann.

Eine Geſellſchaft, die trockenen
Gaumens beiſammen hockt, iſt und bleibt eine verzweifelt
öde und langweilige, — für die ich mich im Allgemeinen
bedanke.


Frau Krauſe.

Bei a Adlijen wird doch auch a
ſo viel getrunk'n.


[30]
Frau Spiller
(durch eine Verbeugung des Oberkörpers ergebenſt
beſtätigend).

Es iſt Schentelmen leicht viel Wein zu trinken.


Loth
(zu Hoffmann).

Mir geht es umgekehrt: mich
langweilt im Allgemeinen eine Tafel, an der viel ge-
trunken wird.


Hoffmann.

Es muß natürlich mäßig geſchehen.


Loth.

Was nennſt Du mäßig?


Hoffmann.

Nun,...daß man noch immer bei
Beſinnung bleibt.


Loth.

Aaah!...alſo Du giebſt zu: die Beſinnung
iſt im Allgemeinen durch den Alkohol-Genuß ſehr
gefährdet. — Siehſt Du! deshalb ſind mir Kneiptafeln
— langweilig.


Hoffmann.

Fürchteſt Du denn ſo leicht Deine
Beſinnung zu verlieren?


Kahl.

Iiii.....i..ich habe n.n..neulich ene
Flaſche Rrr...r..rü...rüd..desheimer, ene Flaſche
Sſſſſekt get..t..trunken. Oben drauf d..d..d..
dann nnoch eine Flaſche B..b..bordeaux, aber beſuffen
woar ich no n..nich.


Loth
(zu Hoffmann).

Ach nein, Du weißt ja wohl,
daß ich es war, der Euch nach Hauſe brachte, wenn
Ihr Euch übernommen hattet. Ich hab' immer noch
die alte Bärennatur: nein, deshalb bin ich nicht ſo
ängſtlich.


Hoffmann.

Weshalb denn ſonſt?


Helene.

Ja, warum trinken Sie denn eigentlich
nicht? bitte ſagen Sie es doch.


Loth
(zu Hoffmann).

Damit Du doch beruhigt biſt:
ich trinke heut ſchon deshalb nicht, weil ich mich ehren-
wörtlich verpflichtet habe, geiſtige Getränke zu meiden.


Hoffmann.

Mit anderen Worten, Du biſt glücklich
bis zum Mäßigkeitsvereinshelden herabgeſunken.


Loth.

Ich bin völliger Abſtinent.


Hoffmann.

Und auf wie lange, wenn man fragen
darf, machſt Du dieſe....


Loth.

Auf Lebenszeit.


[31]
Hoffmann
(wirft Gabel und Meſſer weg und fährt halb vom
Stuhle auf).

Pf! gerechter Strohſack!!

(Er ſetzt ſich wieder.)


Offen geſagt, für ſo kindiſch...verzeih' das harte Wort.


Loth.

Du kannſt es gerne ſo benennen.


Hoffmann.

Wie in aller Welt biſt Du nur
darauf gekommen.


Helene.

Für ſo etwas müſſen Sie einen ſehr
gewichtigen Grund haben — denke ich mir wenigſtens.


Loth.

Der exiſtirt allerdings. Sie, Fräulein!
— und Du, Hoffmann! weißt wahrſcheinlich nicht,
welche furchtbare Rolle der Alkohol in unſerem modernen
Leben ſpielt...Lies Bunge, wenn Du Dir einen
Begriff davon machen willſt. — Mir iſt noch gerade
in Erinnerung, was ein gewiſſer Everett über die Be-
deutung des Alkohols für die Vereinigten Staaten geſagt
hat. — Notabene es bezieht ſich auf einen Zeitraum von
zehn Jahren. Er meint alſo: der Alkohol hat direct eine
Summe von 3 Milliarden und indirect von 600 Millionen
Dollars verſchlungen. Er hat 300000 Menſchen ge-
tödtet, 100000 Kinder in die Armenhäuſer geſchickt,
weitere Tauſende in die Gefängniſſe und Arbeitshäuſer
getrieben, er hat mindeſtens 2000 Selbſtmorde ver-
urſacht. Er hat den Verluſt von wenigſtens 10 Millionen
Dollars durch Brand und gewaltſame Zerſtörung ver-
urſacht, er hat 20000 Wittwen und ſchließlich nicht
weniger als 1 Million Waiſen geſchaffen. Die Wirkung
des Alkohols, das iſt das Schlimmſte, äußert ſich ſo
zu ſagen bis in's dritte und vierte Glied. — Hätte ich
nun das ehrenwörtliche Verſprechen abgelegt, nicht zu
heirathen, dann könnte ich ſchon eher trinken, ſo aber
...meine Vorfahren ſind alle geſunde, kernige und wie
ich weiß, äußerſt mäßige Menſchen geweſen. Jede Be-
wegung die ich mache, jede Strapaze, die ich überſtehe,
jeder Athemzug gleichſam führt mir zu Gemüth, was
ich ihnen verdanke. Und dies, ſiehſt Du, iſt der Punkt:
ich bin abſolut feſt entſchloſſen die Erbſchaft,
[32]die ich gemacht habe, ganz ungeſchmälert auf
meine Nachkommen zu bringen
.


Frau Krauſe.

Du! — Schwiegerſuhn! — inſe
Bargleute ſaufen woarhaftig zu viel: Doas muuß
woar ſein.


Kahl.

Die ſaufen wie d' Schweine.


Helene.

Ach! ſo etwas vererbt ſich?


Loth.

Es giebt Familien die daran zu Grunde
gehen, Trinkerfamilien.


Kahl
(halb zu Frau Krauſe, halb zu Helene).

Euer Aaler, dar
treibt's au a wing zu tull.


Helene
(weiß wie ein Tuch im Geſicht, heftig).

Ach,
ſchwatzen Sie keinen Unſinn!!!


Frau Krauſe.

Ne, do hier Enner a ſu ein
patziges Froovulk oa; a ſu ne Prinzeſſen. Hängſt de
wieder a mol de Gnädige raus, wie? — A ſu fährt
ſe a Zukinftigen oa.

(Zu Loth, auf Kahl deutend.)

's is nämlich
d'r Zukinftige, miſſen Se nahmen, Herr Ducter, 's is
Alles eim Renen.


Helene
(aufſpringend).

Hör auf! oder...hör auf,
Mutter! oder...


Frau Krauſe.

Do hiert doch aber werklich....
na, do ſprecha Se, Herr Ducter, iis das wull Bildung,
hä? Weeß Gott, ich hal' ſe wie mei egnes Kind, aber
die treibt's reen zu tull.


Hoffmann
(beſchwichtigend).

Ach, Mama! thu' mir
doch den Gefallen....


Frau Krauſe.

Neee!! groade — iich ſah doas
nich ein — a ſu ane Goans wie die iis....do hiert
olle Gerechtigkeet uff....ſu ane Titte!


Hoffmann.

Mama, ich muß Dich aber wirklich
doch jetzt bitten, Dich....


Frau Krauſe
(immer wüthender).

Stats doaß doas
Froovulk ei der Wertſchoft woas oagreft...bewoare
ne! Doa zeucht ſe an Flunſch biis hinger beede Leffel. —
Oaber da Schillerich, oaber a Gethemoan, a ſune tumme
Scheißkarle, die de niſcht kinn'n als lieja: vu dan'n
[33] läßt ſe ſich a Kupp verdrehn. Urnar zum Kränke
krieja iis doas

(ſchweigt bebend vor Wuth).

.......
..................


Hoffmann
(begütigend).

Nun — ſie wird ja nun
wieder...es war ja vielleicht — nicht ganz Recht...
es

(giebt Helenen, die in Erregung abſeits getreten iſt, einen Wink, auf den
hin ſich das Mädchen, die Thränen gewaltſam zurückhaltend, wieder auf ſeinen
Platz begiebt.)

Hoffmann
(das nunmehr eingetretene peinliche Schweigen unter-
brechend, zu Loth):

Ja...von was ſprachen wir doch?...
Richtig! — vom biederen Alkohol.

(Er hebt ſein Glas.)

Nun,
Mama: Frieden! — Komm, ſtoßen wir an, — ſeien wir
friedlich, — machen wir dem Alkohol Ehre, indem wir fried-
lich ſind.

(Frau Krauſe, wenn auch etwas widerwillig, ſtößt doch mit ihm
an. Hoffmann, zu Helene gewendet.)

Was, Helene?! — Dein Glas
iſt leer?...Ei der Tauſend, Loth! Du haſt Schule
gemacht.


Helene.

Ach...nein...ich...


Frau Spiller.

Mein gnädiges Fräulein, ſo
etwas läßt tief....


Hoffmann.

Aber Du warſt doch ſonſt keine von
den Zimperlichen.


Helene
(batzig).

Ich hab eben heut keine Neigung
zum Trinken, einfach!


Hoffmann.

Bitte, bitte, bitte ſeeehr um Ver-
zeihung................
Ja, von was ſprachen wir doch?


Loth.

Wir ſprachen davon, daß es Trinker-
familien gäbe.


Hoffmann
(auf's Neue betreten).

Schon recht, ſchon
recht, aber...


(Man bemerkt zunehmenden Aerger in dem Benehmen der Frau Krauſe,
während Herr Kahl ſichtlich Mühe hat, das Lachen über etwas, das ihn inner-
lich furchtbar zu amüſiren ſcheint, zurückzuhalten. Helene beobachtet Kahl ihrer-
ſeits mit brennenden Augen, und bereits mehrmals hat ſie durch einen drohen-
den Blick Kahl davon zurückgehalten, etwas auszuſprechen, was ihm ſo zu ſagen
auf der Zunge liegt. Loth, ziemlich gleichmüthig, mit Schälen eines Apfels
beſchäftigt, bemerkt von alledem nichts.)

Loth.

Ihr ſcheint übrigens hier ziemlich damit
geſegnet zu ſein.


3
[34]
Hoffmann
(nahezu faſſungslos):

Wieſo?...mit...
mit was geſegnet?


Loth.

Mit Trinkern natürlicherweiſe.


Hoffmann.

Hm!...meinſt Du?.., ach...
jaja..., allerdings, die Bergleute.....


Loth.

Nicht nur die Bergleute. Zum Beiſpiel
hier in dem Wirthshaus, wo ich abſtieg, bevor ich zu
Dir kam, da ſaß ein Kerl ſo:

(er ſtützt beide Ellenbogen auf den
Tiſch, nimmt den Kopf in die Hände und ſtiert auf die Tiſchplatte).

Hoffmann.

Wirklich?

Seine Verlegenheit hat den höchſten
Grad erreicht; Frau Krauſe huſtet, Helene ſtarrt noch immer auf Kahl, welcher
jetzt am ganzen Körper vor innerlichem Lachen bebt; ſich aber doch noch ſo weit
bändigt, nicht laut herauszuplatzen.)

Loth.

Es wundert mich, daß Du dieſes — Ori-
ginal — könnte man beinahe ſagen, noch nicht kennſt. Das
Wirthshaus iſt ja gleich hier nebenan das. Mir wurde
geſagt, es ſei ein hieſiger ſteinreicher Bauer, der ſeine
Tage und Jahre buchſtäblich in dieſem ſelben Gaſt-
zimmer mit Schnapstrinken zubrächte. Das reine Thier
iſt er natürlich. Dieſe furchtbar öden, verſoffenen Augen,
mit denen er mich anſtierte.


(Kahl, der bis hierher ſich zurückgehalten hat, bricht in ein rohes, lautes,
unaufhaltſames Gelächter aus, ſo daß Loth und Hoffmann, ſtarr vor Staunen,
ihn anblicken.)

Kahl
(unter dem Lachen hervorſtammelnd):

Woahrhaftig!!!
das is ja....das is ja woahrhaftig der...der
Alte geweſen.


Helene
(iſt entſetzt und empört aufgeſprungen. Zerknüllt die
Serviette und ſchleudert ſie auf den Tiſch. Bricht aus).

Sie ſind...

(macht die Bewegung des Ausſpeiens)

pfui!!!

(Sie geht ſchnell ab.)

Kahl
(die aus dem Bewußtſein, eine große Dummheit gemacht zu
haben, entſtandene Verlegenheit gewaltſam abreißend).

Ach woas!...
Unſinn! 's iis ju zu tumm! — iich gieh menner Wege.

(Er ſetzt ſeinen Hut auf und ſagt, indem er abgeht, ohne ſich noch einmal um-
zuwenden)

'n Obend!!!


Frau Krauſe
(ruft ihm nach):

Koan Der'ſch nich ver-
denken, Willem!

(Sie legt die Serviette zuſammen und ruft dabei)


Miele!

(Miele kommt.)

Räum' ab!

(Für ſich, aber doch laut

Su
ane Gans.


[35]
Hoffmann
(etwas aufgebracht):

Ich muß aber doch ehr-
lich ſagen, Mama..!.


Frau Krauſe.

Mahr Dich aus.

(Steht auf, ſchnell ab.)

Frau Spiller.

Die gnädige Frau — m — haben
heut manches häusliche Aergerniß gehabt — m —. Ich
empfehle mich ganz ergebenſt.

(Sie ſteht auf und betet ſtill, unter
Augenaufſchlag, dann ab.)

(Miele und Eduard decken den Tiſch ab, Hoffmann iſt aufgeſtanden und
kommt mit einem Zahnſtocher im Mund nach dem Vordergrund, Loth folgt ihm.)

Hoffmann.

Ja, ſiehſt Du, ſo ſind die Weiber!


Loth.

Ich begreife gar nichts von alledem.


Hoffmann.

Iſt auch nicht der Rede werth. —
So etwas kommt wie bekannt in den allerfeinſten
Familien vor, das darf Dich nicht abhalten ein paar
Tage bei uns...


Loth.

Hätte gern Deine Frau kennen gelernt,
warum läßt ſie ſich denn nicht blicken?


Hoffmann
(die Spitze einer friſchen Cigarre abſchneidend).

Du
begreifſt, in ihrem Zuſtand...die Frauen laſſen nun
'mal nicht von der Eitelkeit. Komm! wollen uns draußen
im Garten bischen ergehen. — Eduard! den Kaffee in
die Laube.


Eduard.

Sehr wohl.


(Hoffmann und Loth ab durch den Wintergarten. Eduard ab durch die
Mittelthür, hierauf Miele, ein Brett voll Geſchirr tragend, ebenfalls ab durch
die Mittelthür. Einige Augenblicke bleibt das Zimmer leer, dann erſcheint

Helene
(erregt, mit verweinten Augen, das Taſchentuch vor den Mund
haltend. Von der Mittelthür, durch welche ſie eingetreten iſt, macht ſie haſtig
ein paar Schritte nach links und lauſcht an der Thür von Hoffmann's Zimmer).


Oh! nicht fort!

(Da ſie hier nichts vernimmt, fliegt ſie zur Thür des
Wintergartens hinüber, wo ſie ebenfalls mit geſpanntem Ausdruck einige Se-
cunden lauſcht. Bittend und mit gefalteten Händen, inbrünſtig:)

Oh! nicht
fort, geh' nicht fort!


(Der Vorhang fällt.)


[36]

Zweiter Akt.


[figure]
Morgens gegen vier Uhr.

Im Wirthshaus ſind die Fenſter erleuchtet, ein grau-fahler
Morgenſchein durch den Thorweg, der ſich ganz allmälig im Laufe
des Vorgangs zu einer dunklen Röthe entwickelt, die ſich dann,
eben ſo allmälig, in helles Tageslicht auflöſt. Unter dem Thor-
weg, auf der Erde ſitzt Beibſt (etwa 60jährig) und dengelt ſeine
Senſe. Wie der Vorhang aufgeht, ſieht man kaum mehr als
ſeine Silhouette, die gegen den grauen Morgenhimmel abſticht,
[37] vernimmt aber das eintönige, ununterbrochene, regelmäßige Auf-
ſchlagen des Dengelhammers auf den Dengelambos Dieſes Geräuſch
bleibt während einiger Minuten allein hörbar, hierauf die feierliche
Morgenſtille unterbrochen durch das Geſchrei aus dem Wirthshaus
abziehender Gäſte. Die Wirthshausthür fliegt krachend in's Schloß.
Die Lichter in den Fenſtern verlöſchen. Hundebellen fern, Hähne
krähen laut durcheinander. Auf dem Gange vom Wirthshaus her
wird eine dunkle Geſtalt bemerklich, dieſelbe bewegt ſich in Zickzack-
linien dem Hofe zu; es iſt der Bauer Krauſe, welcher wie immer
als letzter Gaſt das Wirthshaus verlaſſen hat.

Bauer Krauſe
(iſt gegen den Gartenzaun getaumelt, klammert
ſich mit den Händen daran feſt und brüllt mit einer etwas näſelnden, betrun-
kenen Stimme nach dem Wirthshaus zurück).

's Gaartla iis mei—
ne!...d'r Kratſch'm iis mei—ne...du Goſtwerth-
lops! Dohie hä!

(Er macht ſich, nachdem er noch einiges Unverſtänd-
liche gemurmelt und gemurrt hat, vom Zaune los und ſtürzt in den Hof, wo
er glücklich den Stärzen eines Pfluges zu faſſen bekommt.)

's Gittla iis
mei—ne.

(Er quaſſelt halb ſingend:)

Trink...ei...Briderla,
trink...ei...'iderla, Branntw....wwein...
'acht Kuraſche. Dohie hä

(laut brüllend:)

bien iich nee a
hibſcher Moan?....Hoa iich nee a hibſch Weibla
dohie hä?...Hoa iich nee a poar hibſche Madel?


Helene
(kommt haſtig aus dem Hauſe. Man ſieht, ſie hat an Klei-
dern nur umgenommen, ſoviel in aller Eile ihr möglich geweſen war).


Papa!...lieber Papa!! ſo komm doch ſchon.

(Sie faßt
ihn unterm Arm, verſucht ihn zu ſtützen und in's Haus zu ziehen.)

K—omm
doch...nur...ſchn—ell in's Haus, komm doch n—ur
ſchn—ell! Ach!


Bauer Krauſe
(hat ſich aufgerichtet, verſucht gerade zu ſtehen,
bringt mit einiger Mühe und unter Zuhilfenahme beider Hände einen ledernen,
ſtrotzenden Geldbeutel aus der Taſche ſeiner Hoſe. In dem ein wenig helleren
Morgenlichte erkennt man die ſehr ſchäbige Bekleidung des etwa 50 jährigen
Mannes, die um nichts beſſer iſt, als die des allergeringſten Landarbeiters.
Er iſt im bloßen Kopf, ſein graues, ſpärliches Haar ungekämmt und ſtruppig.
Das ſchmutzige Hemd ſteht bis auf den Nabel herab weit offen; an einem ein-
zigen geſtickten Hoſenträger hängt die ehemals gelbe, jetzt ſchmutzig glänzende,
an den Knöcheln zugebundene Lederhoſe; die nackten Füße ſtecken in einem
Paar geſtickter Schlafſchuhe, deren Stickerei noch ſehr neu zu ſein ſcheint. Jacke
und Weſte trägt der Bauer nicht, die Hemdärmel ſind nicht zugeknöpft. Nach-
dem er den Geldbeutel glücklich herausgebracht hat, ſetzt er ihn mit der Rechten
mehrmals auf die Handfläche der linken Hand, ſo daß das Geld darin laut
klimpert und klingt, dabei fixirt er ſeine Tochter mit laſcivem Blicke.)

Dohie
hä! 's Gald iis mei—neee! hä? Mech'ſt a poar
Thoalerla?


Helene.

Ach, gr—oßer Gott!

(Sie verſucht mehrmals
[38] vergebens, ihn mitzuziehen. Bei einem dieſer Verſuche umarmt er ſie mit der
Plumpheit eines Gorillas und macht einige unzüchtige Griffe. Helene ſtößt
unterdrückte Hilfeſchreie aus.)

Gl—eich läßt Du l—os! laß
l—os! bitte, Papa, ach!

(Sie weint, ſchreit dann, plötzlich in äußerſter
Angſt, Abſcheu und Wuth)

Thier, Schwein!!

(Sie ſtößt ihn von ſich. Der
Bauer fällt lang hin auf die Erde. Beibſt kommt von ſeinem Platz unter dem Thor-
weg herbeigehinkt. Helene und Beibſt machen ſich daran, den Bauer aufzuheben.)

Bauer Krauſe
(lallt).

Tr—ink mei Bri'erla,
tr—....

(Der Bauer wird aufgehoben und ſtürzt, Beibſt und Helene mit
ſich reißend, in das Haus. Einen Augenblick bleibt die Bühne leer. Im Hauſe
hört man Lärm, Thürenſchlagen. In einem Fenſter wird Licht, hierauf Beibſt
wieder aus dem Hauſe. Er reißt an ſeiner Lederhoſe ein Schwefelholz an, um
die kurze Pfeife, welche ihm faſt nie aus dem Munde kommt, damit in Brand
zu ſtecken. Als er damit noch beſchäftigt iſt, ſchleicht Kahl aus der Hausthüre.
Er iſt in Strümpfen, hat ſein Jaquet über dem linken Arm hängen und trägt
mit der linken Hand ſeine Schlafſchuhe. Mit der Rechten hält er ſeinen Hut,
mit dem Munde ſeinen Hemdkragen. Etwa bis in die Mitte des Hofes gelangt,
wendet er ſich und ſieht das Geſicht des Beibſt auf ſich gerichtet. Einen Augen-
blick ſcheint er unſchlüſſig, dann bringt er Hut und Hemdkragen in der Linken
unter, greift in die Hoſentaſche und geht auf Beibſt zu, dem er etwas in die
Hand drückt.)

Kahl.

Do hot 'r an Thoaler....oaber halt't
Eure Guſche!

(Er geht eiligſt über den Hof und ſteigt über den Stacheten-
zaun rechts. Ab. Beibſt hat mittels eines neuen Streichholzes ſeine Pfeife
angezündet, hinkt bis unter den Thorweg, läßt ſich nieder und nimmt ſeine
Dengelarbeit von Neuem auf. Wieder eine Zeit lang nichts als das
eintönige Aufſchlagen des Dengelhammers und das Aechzen des alten Mannes,
von kurzen Flüchen unterbrochen, wenn ihm etwas bei ſeiner Arbeit nicht nach
Wunſch geht. Es iſt um ein Beträchtliches heller geworden.

Loth
(tritt aus der Hausthür, ſteht ſtill, dehnt ſich, thut mehrere
tiefe Athemzüge).

H!..h!..Morgenluft!

(Er geht langſam nach dem
Hintergrunde zu bis unter den Thorweg. Zu Beibſt)

Guten Morgen!
Schon ſo früh wach?


Beibſt
(mißtrauiſch aufſchielend, unfreundlich).

'Murja!

(Kleine
Pauſe, hierauf Beibſt, ohne Loth's Anweſenheit weiter zu beachten, gleichſam
im Zwiegeſpräch mit ſeiner Senſe, die er mehrmals aufgebracht hin und herreißt)


Krummes Oos! na, werd's glei?! ekch! Himmel-
dunnerſchlag ja!

(Er dengelt weiter.)

Loth
(hat ſich zwiſchen die Stärzen eines Extirpators niedergelaſſen).


Es giebt wohl Heuernte heut?


Beibſt
(grob):

De Äſel gihn ei's Hä itzunder.


Loth.

Nun, Ihr dengelt doch aber die Senſe...?


Beibſt
(zur Senſe).

Ekch! tumme Dare.


(Kleine Pauſe, hierauf)

Loth.

Wollt Ihr mir nicht ſagen, wozu Ihr die
Senſe ſcharf macht, wenn doch nicht Heuernte iſt?


[39]
Beibſt.

Na, — braucht ma ernt keene Sahnſe
zum Futter macha?


Loth.

Ach ſo! Futter ſoll alſo geſchnitten werden.


Beibſt.

Woas d'n ſuſte?


Loth.

Wird das alle Morgen geſchnitten?


Beibſt.

Na! — ſool's Viech derhingern?


Loth.

Ihr müßt ſchon 'n Bischen Nachſicht mit
mir haben! ich bin eben ein Städter; da kann man
nicht Alles ſo genau wiſſen von der Landwirthſchaft.


Beibſt.

Die Staadter glee — ekch! — de Staadter,
die wiſſa doo glee oals beſſer wie de Menſche vum
Lande, hä?


Loth.

Das trifft bei mir nicht zu. — Könnt
Ihr mir nicht vielleicht erklären, was das für ein In-
ſtrument iſt? ich hab's wohl ſchon 'mal wo geſehen,
aber der Name...


Beibſt.

Doasjenigte uf dan Se ſitza?! woas ma
ſu ſoat Extrabater nennt ma doas.


Loth.

Richtig, ein Extirpator; wird der hier auch
gebraucht?


Beibſt.

Leeder Goott's, nee. — A läßt a ver-
ludern...a ganza Acker, reen verludern läßt a'n, d'r
Pauer. A Oarmes mecht a Fleckla hoa'nn — ei inſa Bärta
wächſt kee Getreide — oaber nee, lieberſcht läßt a'n ver-
ludern! — niſcht thit wachſa, ok blußig Seide und Quecka.


Loth.

Ja, die kriegt man ſchon damit heraus.
Ich weiß, bei den Ikariern hatte man auch ſolche
Extirpatoren um das urbar gemachte Land vollends zu
reinigen.


Beibſt.

Wu ſein denn die I...wie Se glei
ſoa'n: I...


Loth.

Die Ikarier?! in Amerika.


Beibſt.

Doo gibbts au ſchunn a ſune Dinger?


Loth.

Ja freilich.


Beibſt.

Woas iis denn doas fer a Vulk: die
I...I...


Loth.

Die Ikarier?! — es iſt gar kein beſonderes
[40] Volk; es ſind Leute aus allen Nationen, die ſich zu-
ſammen gethan haben; ſie beſitzen in Amerika ein hübſches
Stück Land, das ſie gemeinſam bewirthſchaften; alle
Arbeit und allen Verdienſt theilen ſie gleichmäßig. Keiner
iſt arm, es giebt keine Armen unter ihnen.


Beibſt
(deſſen Geſichtsausdruck ein wenig freundlicher geworden war,
nimmt bei den letzten Worten Loth's wieder das alte mißtrauiſch feindſelige
Gepräge an; ohne Loth weiter zu beachten, hat er ſich neuerdings wieder ganz
ſeiner Arbeit zugewendet und zwar mit den Eingangsworten).

Oaſt vu
enner Sahnſe!


Loth
(immer noch ſitzend, betrachtet den Alten zuerſt mit einem ruhigen
Lächeln und blickt dann hinaus in den erwachenden Morgen. Durch den Thor-
weg erblickt man weitgedehnte Kleefelder und Wieſenflächen, zwiſchendurch
ſchlängelt ſich ein Bach, deſſen Lauf durch Erlen und Weiden verrathen wird.
Am Horizonte ein einzelner Bergkegel. Allerorten haben die Lerchen eingeſetzt,
und ihr ununterbrochenes Getriller ſchallt bald näher, bald ferner her bis in
den Gutshof herein. Jetzt erhebt ſich Loth mit den Worten).

Man muß
ſpazieren geh'n, der Morgen iſt zu prächtig.

(Er geht durch
den Thorweg hinaus. — Man hört das Klappen von Holzpantinen. Jemand
kommt ſehr ſchnell über die Bodentreppe des Stallgebäudes herunter: es iſt Guſte.)

Guſte
(eine ziemlich dicke Magd: bloßes Mieder, nackte Arme und
Waden, die bloßen Füße in Holzpantinen. Sie trägt eine brennende Laterne).


Guda Murja, Voater Beibſt.


Beibſt
(brummt).

Guſte
(blickt, die Augen mit der Hand beſchattend, durch das Thor
Loth nach).

Woas iis denn doas fer Enner?


Beibſt
(verärgert).

Dar koan Battelleute zum Noarr'n
hoa'nn...dar leugt egelganz wie a Forr...vu dan
luuß der de Hucke vuul liega.

(Beibſt ſteht auf).

Macht enk
de Roawer zerecht Madel!


Guſte
(welche dabei war, ihre Waden am Brunnen abzuwaſchen, iſt
damit fertig und ſagt, bevor ſie im Innern des Kuhſtalls verſchwindet)


Glei, glei! Voater Beibſt.


Loth
kommt zurück, giebt Beibſt Geld).

Da iſt 'ne Kleinig-
keit. Geld kann man immer brauchen.


Beibſt
(aufthauend, wie umgewandelt, mit aufrichtiger Gutmüthigkeit):


Ju, ju! do ha'n Se au Recht...na do dank ich au
vielmools. — Se ſein wull d'r Beſuch zum Schwieger-
ſuhne?

(auf einmal ſehr geſprächig):

Wiſſa Se: wenn Se, und
Se wull'n da naus gihn auf a Barch zu, wiſſa Se, do
haal'n Se ſiich links, wiſſa Se, zängſt 'nunder links,
[41] rechts gibt's Riſſe. Mei Suhn meente, 's käm do der-
voone, meent' a, weil ſe zu ſchlecht verzimmern thäten,
meent' a, de Barchmoanne, 's ſoatzt zu wing Luhn,
meent' a, und do giht's ok a ſu: woas huſt'de, woas
koanſt'de, ei a Gruba, verſtiehn Se. — Sahn Se! —
doo! — immer links, rechts gibt's Lecher. Vurigtes
Johr erſcht iis a Putterweib wie ſe ging und ſtoand iis ſe ei's
Ardreich verſunka, iich wiß nee amool wie viel Kloaftern
tief. Kee Menſch wußte wuhie — wie geſoa't, links, immer
links, doo gihn Se ſicher.

(Ein Schuß fällt, Beibſt wie electriſirt hinkt
einige Schritt in's Freie).

Loth.

Wer ſchießt denn da ſchon ſo frühe?


Beibſt.

Na, war denn ſuſte? — d'r Junge, dar
meſchante Junge.


Loth.

Welcher Junge denn?


Beibſt.

Na, Kahl-Willem — d'r Nupperſchſuhn
...na woart' ok blußig due! ich hoa's geſahn, a ſchißt
meiner Gitte de Lärcha.


Loth.

Ihr hinkt ja.


Beibſt.

Doas 's Goot erbarm' ja.

(Droht mit der Fauſt
nach dem Felde.)

Na woart Du! woart Du!...


Loth.

Was habt Ihr denn mit dem Bein gemacht?


Beibſt.

Iich?


Loth

Ja.


Beibſt.

's iis a ſu 'nei kumma.


Loth.

Habt Ihr Schmerzen?


Beibſt
(nach dem Bein greifend).

's zerrt a ſu, 's zerrt
infamt.


Loth.

Habt Ihr keinen Arzt?


Beibſt.

Wiſſa Se, — de Ducter, doas ſein
Oaffa, enner wie d'r andere! — blußig inſe Ducter,
doas iis a ticht'er Moan.


Loth.

Hat er Ihnen was genützt?


Beibſt.

Na — verlecht a klee Wing wull au
oam Ende. A hoot mer'ſch Been geknet't: Sahn Se,
a ſu geknutſcht un gehackt un...oaber nee! derwegen
nich! — A iis...na kurz un gutt a hoot mit'n
[42] oarma Menſche a Mitleed: — A keeft'n de Med'zin
und a verlangt niſcht. A kimmt zu jeder Zeet...


Loth.

Sie müſſen ſich das doch aber irgend wo
zugezogen haben?! haben Sie immer ſo gehinkt?


Beibſt.

Nich die Oahnung!


Loth.

Dann verſtehe ich nicht recht, es muß doch
eine Urſache....


Beibſt.

Weeß iich's?

(Er droht wieder mit der Fauſt).


Woart ok Due! woart ok mit dem Geknackſe.


Kahl
(erſcheint innerhalb ſeines Gartens, er trägt in der Rechten
eine Flinte am Lauf, ſeine linke Hand iſt geſchloſſen. Ruft herüber).

Guten
Morjen ooch, Herr Ducter!


(Loth geht quer durch den Hof auf ihn zu. Inzwiſchen hat Guſte ſowie
eine andere Magd mit Namen Lieſe je eine Radwer zurecht gemacht, worauf
Harke und Dunggabel liegen. Damit fahren ſie durch den Thorweg hinaus
auf's Feld, an Beibſt vorüber, der nach einigen grimmigen Blicken und ver-
ſtohlenen Zornesgeſten zu Kahl hinüber ſeine Senſe ſchultert und ihnen nach-
humpelt. Beibſt und die Mägde ab.

Loth
(zu Kahl).

Guten Morgen!


Kahl.

Wull'n ſ' amol was Hibſches ſahn?

(Er
ſtreckt den Arm mit der geſchloſſenen Hand über den Zaun.)

Loth
nähergehend).

Was haben Sie denn da?


Kahl.

Rootha Se!

(Er öffnet gleich darauf ſeine Hand.)

Loth.

Waas?! — es iſt alſo wirklich wahr: —
Sie ſchießen Lerchen! nun für dieſen Unfug, Sie nichts-
nutziger Burſche, verdienten Sie geohrfeigt zu werden;
verſtehen Sie mich!

(Er kehrt ihm den Rücken zu und geht quer durch
den Hof zurück. Beibſt und den Mägden nach. Ab.)

Kahl
(ſtarrt Loth einige Augenblicke dumm verblüfft nach, dann ballt
er die Fauſt verſtohlen, ſagt:)

Ducterluder!

(wendet ſich und verſchwindet
rechts. — Während einiger Augenblicke bleibt der Hof leer.)

Helene, aus der Hausthür tretend, helles Sommerkleid, großer Garten-
hut. Sie blickt ſich ringsum, thut dann einige Schritte auf den Thorweg zu,
ſteht ſtill und ſpäht hinaus. Hierauf ſchlendert ſie rechts durch den Hof und
biegt in den Weg ein, welcher nach dem Wirthshaus führt. Große Packete von
allerhand Thee hängen zum Trocknen über dem Zaune: daran riecht ſie im
Vorübergehen. Sie biegt auch Zweige von den Obſtbäumen und betrachtet die
ſehr niedrig hängenden, rothwangigen Aepfel Als ſie bemerkt, daß Loth vom
Wirthshaus her ihr entgegen kommt, bemächtigt ſich ihrer eine noch ſtärkere
Unruhe, ſo daß ſie ſich ſchließlich umwendet und vor Loth her in den Hof zu-
rückgeht. Hier bemerkt ſie, daß der Taubenſchlag noch geſchloſſen iſt und begiebt
ſich dorthin durch das kleine Zaunpförtchen des Obſtgartens. Noch damit be-
ſchäftigt, die Leine, welche, vom Winde getrieben, irgendwo feſtgehakt iſt, her-
unter zu ziehen, wird ſie von Loth, der inzwiſchen herangekommen iſt, angeredet.)

Loth.

Guten Morgen, Fräulein!


[43]
Helene.

Guten Morgen! — Der Wind hat die
Schnur hinaufgejagt.


Loth.

Erlauben Sie!

(Geht ebenfalls durch das Pförtchen,
bringt die Schnur herunter und zieht den Schlag auf. Die Tauben fliegen aus.)

Helene.

Ich danke ſehr.


Loth
(iſt durch das Pförtchen wieder herausgetreten, bleibt aber außer-
halb des Zaunes und an dieſen gelehnt ſtehen. Helene innerhalb deſſelben.
Nach einer kleinen Pauſe:)

Pflegen Sie immer ſo früh auf zu
ſein, Fräulein?


Helene.

Das eben — wollte ich Sie auch fragen.


Loth.

Ich —? nein! die erſte Nacht in einem
fremden Hauſe paſſirt es mir jedoch gewöhnlich.


Helene.

Wie...kommt das?


Loth.

Ich habe darüber noch nicht nachgedacht,
es hat keinen Zweck.


Helene.

Ach, wieſo denn nicht.


Loth.

Wenigſtens keinen erſichtlichen, praktiſchen Zweck.


Helene.

Alſo wenn Sie irgend etwas thun oder
denken, muß es einem praktiſchen Zweck dienen?


Loth.

Ganz recht! Uebrigens...


Helene.

Das hätte ich von Ihnen nicht gedacht.


Loth.

Was, Fräulein?


Helene.

Genau das meinte die Stiefmutter, als
ſie mir vorgeſtern den Werther aus der Hand riß.


Loth.

Das iſt ein dummes Buch.


Helene.

Sagen Sie das nicht.


Loth.

Das ſage ich nochmal, Fräulein. Es iſt
ein Buch für Schwächlinge.


Helene.

Das — kann wohl möglich ſein.


Loth.

Wie kommen Sie gerade auf dieſes Buch?
Iſt es Ihnen denn verſtändlich?


Helene.

Ich hoffe, ich...zum Theil ganz ge-
wiß. Es beruhigt ſo, darin zu leſen.

(Nach einer Pauſe:)


Wenn's ein dummes Buch iſt, wie Sie ſagen, könnten
Sie mir etwas Beſſeres empfehlen?


Loth.

Le...leſen Sie...noa!...kennen Sie
den Kampf um Rom von Dahn?


[44]
Helene.

Nein! das Buch werde ich mir aber nun
kaufen. Dient es einem praktiſchen Zweck?


Loth.

Einem vernünftigen Zweck überhaupt. Es
malt die Menſchen nicht wie ſie ſind, ſondern wie ſie
einmal werden ſollen. Es wirkt vorbildlich.


Helene
(mit Ueberzeugung).

Das iſt ſchön.

(Kleine Pauſe,
dann.)

Vielleicht geben Sie mir Auskunft, man redet ſo
viel von Zola und Ibſen in den Zeitungen: ſind das
große Dichter?


Loth.

Es ſind gar keine Dichter, ſondern noth-
wendige Uebel, Fräulein. Ich bin ehrlich durſtig und
verlange von der Dichtkunſt einen klaren, erfriſchenden
Trunk. — Ich bin nicht krank. Was Zola und Ibſen
bieten, iſt Medicin.


Helene
(gleichſam unwillkürlich).

Ach, dann wäre es doch
vielleicht für mich etwas.


Loth
(bisher theilweiſe, jetzt ausſchließlich in den Anblick des thauigen
Obſtgartens vertieft).

Es iſt prächtig hier. Sehen Sie, wie
die Sonne über der Bergkuppe herauskommt. — Viel
Aepfel giebt es in Ihrem Garten: eine ſchöne Ernte.


Helene.

Drei Viertel davon wird auch dies Jahr
wieder geſtohlen werden. Die Armuth hier herum iſt
zu groß.


Loth.

Sie glauben gar nicht, wie ſehr ich das
Land liebe! Leider wächſt mein Weizen zum größten
Theile in der Stadt. Aber nun will ich's Mal durch-
genießen, das Landleben. Unſereiner hat ſo'n Bischen
Sonne und Friſche mehr nöthig, als ſonſt Jemand.


Helene
(ſeufzend).

Mehr nöthig, als....inwiefern?


Loth.

Weil man in einem harten Kampfe ſteht,
deſſen Ende man nicht erleben kann.


Helene.

Stehen wir Anderen nicht in einem
ſolchen Kampfe?


Loth.

Nein.


Helene.

Aber — in einem Kampfe — ſtehen
wir doch auch?!


Loth.

Natürlicherweiſe! aber der kann enden.


[45]
Helene.

Kann — da haben Sie Recht! — und
wieſo kann der nicht endigen — der, den Sie kämpfen,
Herr Loth?


Loth.

Ihr Kampf, das kann nur ein Kampf ſein
um perſönliches Wohlergehen. Der Einzelne kann dies,
ſo weit menſchenmöglich, erreichen. Mein Kampf iſt
ein Kampf um das Glück Aller; ſollte ich glücklich ſein,
ſo müßten es erſt alle anderen Menſchen um mich her-
um ſein; ich müßte um mich herum weder Krankheit
noch Armuth, weder Knechtſchaft noch Gemeinheit ſehen.
Ich könnte mich ſo zu ſagen nur als Letzter an die
Tafel ſetzen.


Helene
(mit Ueberzeugung).

Dann ſind Sie ja ein
ſehr
, ſehr guter Menſch!


Loth
(ein wenig betreten).

Verdienſt iſt weiter nicht da-
bei, Fräulein, ich bin ſo veranlagt. Ich muß übrigens
ſagen, daß mir der Kampf im Intereſſe des Fortſchritts
doch große Befriedigung gewährt. Eine Art Glück, die
ich weit höher anſchlage, als die, mit der ſich der ge-
meine Egoiſt zufrieden giebt.


Helene.

Es giebt wohl nur ſehr wenige Menſchen,
die ſo veranlagt ſind. — Es muß ein Glück ſein, mit
ſolcher Veranlagung geboren zu ſein.


Loth.

Geboren wird man wohl auch nicht damit.
Man kommt dazu durch die Verkehrtheit unſerer Ver-
hältniſſe, ſcheint mir; — nur muß man für das Verkehrte
einen Sinn haben: das iſt es! Hat man den und
leidet man ſo bewußt unter den verkehrten Verhältniſſen,
dann wird man mit Nothwendigkeit zu dem, was ich bin.


Helene.

Wenn ich Sie nur beſſer....welche
Verhältniſſe nennen Sie zum Beiſpiel verkehrt?


Loth.

Es iſt zum Beiſpiel verkehrt, wenn der
im Schweiße ſeines Angeſichts Arbeitende hungert und
der Faule im Ueberfluſſe leben darf. — Es iſt verkehrt,
den Mord im Frieden zu beſtrafen und den Mord im
Krieg zu belohnen. Es iſt verkehrt, den Henker zu ver-
achten und ſelbſt, wie es die Soldaten thun, mit einem
[46] Menſchenabſchlachtungs-Inſtrument, wie es der Degen
oder der Säbel iſt an der Seite, ſtolz herumzulaufen.
Den Henker, der das mit dem Beile thäte, würde
man zweifels ohne ſteinigen. Verkehrt iſt es dann,
die Religion Chriſti, dieſe Religion der Duldung,
Vergebung und Liebe, als Staatsreligion zu haben
und dabei ganze Völker zu vollendeten Menſchenſchläch-
tern heranzubilden. Dies ſind einige unter Millionen,
müſſen Sie bedenken. Es koſtet Mühe, ſich durch alle
dieſe Verkehrtheiten hindurchzuringen; man muß früh
anfangen.


Helene.

Wie ſind Sie denn nur ſo auf Alles
dies gekommen? Es iſt ſo einfach und doch kommt man
nicht darauf.


Loth.

Ich mag wohl durch meinen Entwickelungs-
gang darauf gekommen ſein, durch Geſpräche mit Freun-
den, durch Lecture, durch eigenes Denken. Hinter die
erſte Verkehrtheit kam ich als kleiner Junge. Ich log
mal ſehr ſtark und bekam dafür die ſchrecklichſten Prügel
von meinem Vater; kurz darauf fuhr ich mit ihm auf
der Eiſenbahn und da merkte ich, daß mein Vater auch
log und es für ganz ſelbſtverſtändlich hielt, zu lügen;
ich war damals fünf Jahre und mein Vater ſagte dem
Schaffner, ich ſei noch nicht vier, der freien Fahrt
halber, welche Kinder unter vier Jahren genießen.
Dann ſagte der Lehrer auch mal: Sei fleißig, halt Dich
brav, dann wird es Dir auch unfehlbar gut gehen im
Leben. Der Mann lehrte uns eine Verkehrtheit, da-
hinter kam ich ſehr bald Mein Vater war brav, ehr-
lich, durch und durch bieder, und ein Schuft, der noch
jetzt als reicher Mann lebt, betrog ihn um ſeine paar
Tauſend Thaler. Bei eben dieſem Schuft, der eine
große Seifenfabrik beſaß, mußte mein Vater ſogar, durch
die Noth getrieben, in Stellung treten.


Helene.

Unſereins wagt es gar nicht — wagt
es gar nicht, ſo etwas für verkehrt anzuſehen, höchſtens
ganz im Stillen empfindet man es. Man empfindet es
[47] oft ſogar, und dann — wird einem ganz verzweifelt zu
Muth.


Loth.

Ich erinnere mich einer Verkehrtheit, die
mir ganz beſonders klar als ſolche vor Augen trat.
Bis dahin glaubte ich: der Mord werde unter allen
Umſtänden als ein Verbrechen beſtraft, danach wurde
mir jedoch klar, daß nur die milderen Formen des
Mordes ungeſetzlich ſind.


Helene.

Wie wäre das wohl....


Loth.

Mein Vater war Siedemeiſter, wir wohnten
dicht an der Fabrik, unſere Fenſter gingen auf den
Fabrikhof. Da ſah ich auch noch Manches außerdem:
Es war ein Arbeiter, der fünf Jahr in der Fabrik ge-
arbeitet hatte. Er fing an ſtark zu huſten und abzu-
magern...ich weiß, wie uns mein Vater bei Tiſch
erzählte: Burmeiſter — ſo hieß der Arbeiter — be-
kommt die Lungenſchwindſucht, wenn er noch länger bei
der Seifenfabrikation bleibt. Der Doctor hat es ihm
geſagt. — Der Mann hatte acht Kinder, und ausge-
mergelt wie er war, konnte er nirgends mehr Arbeit
finden. Er mußte alſo in der Seifenfabrik bleiben,
und der Prinzipal that ſich viel darauf zu Gute, daß
er ihn beibehielt. Er kam ſich unbedingt äußerſt
human vor. — Eines Nachmittags, im Auguſt, es war
eine furchtbare Hitze, da quälte er ſich mit einer Karre
Kalk über den Fabrikhof. — Ich ſah gerade aus dem
Fenſter, da merke ich, wie er ſtill ſteht — wieder ſtill
ſteht und ſchließlich ſchlägt er lang auf die Steine. —
Ich lief hinzu — mein Vater kam, andere Arbeiter
kamen, aber er röchelte nur noch, und ſein ganzer Mund
war voll Blut. Ich half ihn ins Haus tragen. Ein
Haufe kalkiger, nach allerhand Chemikalien ſtinkender
Lumpen war er; bevor wir ihn im Hauſe hatten, war
er ſchon geſtorben.


Helene.

Ach, ſchrecklich iſt das.


Loth.

Kaum acht Tage ſpäter zogen wir ſeine
Frau aus dem Fluß, in den die verbrauchte Lauge
[48] unſerer Fabrik abfloß. — Ja, Fräulein! wenn man
dies Alles kennt, wie ich es jetzt kenne — glauben
Sie mir! — dann läßt es Einem keine Ruhe mehr.
Ein einfaches Stückchen Seife, bei dem ſich in der Welt
ſonſt Niemand etwas denkt, ja, ein Paar rein gewaſchene,
gepflegte Hände ſchon können Einen in die bitterſte
Laune verſetzen.


Helene.

Ich hab auch mal ſo was geſehen.
Hu! ſchrecklich war das, ſchrecklich!


Loth.

Was?


Helene.

Der Sohn von einem Arbeitsmann
wurde halbtodt hier hereingetragen. Es iſt nun...
drei Jahre vielleicht iſt es her.


Loth.

War er verunglückt?


Helene.

Ja, drüben im Bärenſtollen.


Loth.

Ein Bergmann alſo?


Helene.

Ja, die meiſten jungen Leute hier herum
gehen auf die Grube. — Ein zweiter Sohn deſſelben
Vaters war auch Schlepper und iſt auch verunglückt.


Loth.

Beide todt?


Helene.

Beide todt..........
..................
Einmal riß etwas an der Fahrkunſt, das andere Mal
waren es ſchlagende Wetter. — Der alte Beibſt hat
aber noch einen dritten Sohn, der fährt auch ſeit
Oſtern ein.


Loth.

Was Sie ſagen! — hat er Nichts dawider?


Helene.

Gar nichts, nein! Er iſt nur jetzt noch
weit mürriſcher als früher. Haben Sie ihn nicht ſchon
geſehen?


Loth.

Wieſo ich?


Helene.

Er ſaß ja heut früh nebenan, unter der
Durchfahrt.


Loth.

Ach! — wie?....Er arbeitet hier
im Hofe?


Helene.

Schon ſeit Jahren.


Loth.

Er hinkt?


[49]
Helene.

Ziemlich ſtark ſogar.


Loth.

Sooſoo — was iſt ihm denn da paſſirt —
mit dem Bein?


Helene.

Das iſt 'ne heikle Geſchichte. Sie
kennen doch den Herrn Kahl?....da muß ich Ihnen
aber ganz nahe kommen. Sein Vater, müſſen Sie
wiſſen, war genau ſo ein Jagdnarr wie er. Er ſchoß
hinter den Handwerksburſchen her, die auf den Hof
kamen, wenn auch nur in die Luft, um ihnen Schrecken
einzujagen. Er war auch ſehr jähzornig, wiſſen Sie,
wenn er getrunken hatte erſt recht. Nu hat wohl der
Beibſt mal gemuckſcht — er muckſcht gern, wiſſen Sie
— und da hat der Bauer die Flinte zu packen gekriegt
und ihm eine Ladung gegeben. Beibſt, wiſſen Sie,
war nämlich früher beim Nachbar Kahl für Kutſcher.


Loth.

Frevel über Frevel, wohin man hört.


Helene
(immer unſicherer und erregter).

Ich hab auch ſchon
manchmal ſo bei mir gedacht....ſie haben mir Alle
mitunter ſchon ſo furchtbar leid gethan —: der alte
Beibſt und...... Wenn die Bauern ſo roh und
dumm ſind wie der — wie der Streckmann, der —
läßt ſeine Knechte hungern und füttert die Hunde mit
Conditorzeug. Hier bin ich wie dumm, ſeit ich aus der
Penſion zurück bin............
Ich hab auch mein Päckchen! — aber ich rede ja wohl
Unſinn — es intereſſirt Sie ja gar nicht — Sie lachen
mich im Stillen blos aus.


Loth.

Aber Fräulein, wie können Sie nur....
weshalb ſollte ich Sie denn....


Helene.

Nun, etwa nicht? Sie denken doch:
die iſt auch nicht beſſer wie die Anderen hier.


Loth.

Ich denke von Niemand ſchlecht, Fräulein!


Helene.

Das machen Sie mir nicht weiß....
nein, nein!


Loth.

Aber Fräulein! wann hätte ich Ihnen Ver-
anlaſſung...


Helene
(nahe am Weinen).

Ach, reden Sie doch nicht!
4
[50] Sie verachten uns, verlaſſen Sie ſich d'rauf: — Sie
müſſen uns ja doch verachten,

(weinerlich)

den Schwager
mit, mich mit. Mich vor allen Dingen und dazu,
da — zu haben Sie wahr...wahrhaftig auch Grund.

(Sie wendet Loth ſchnell den Rücken und geht, ihrer Bewegung nicht mehr Herr,
durch den Obſtgarten nach dem Hintergrunde zu ab. Loth tritt durch das
Pförtchen und folgt ihr langſam.)

Frau Krauſe
(in überladener Morgentoilette, puterroth im Ge-
ſicht, aus der Hausthür, ſchreit).

Doas Loaſter vu Froovulk!
Marie! Ma — rie!! unter men'n Dache! weg muuß
doas Froovulk!

(Sie rennt über den Hof und verſchwindet in der Stall-
thür. Frau Spiller, mit Häkelarbeit, erſcheint in der Hausthür. Im Stalle
hört man Schimpfen und Heulen.)

Frau Krauſe
(die heulende Magd vor ſich her treibend, aus dem
Stall).

Du Huernfroovulk Du!

(die Magd heult ſtärker)

uuf der
Stelle 'naus! Sich Deine ſieba Sacha z'ſamma und
dann, 'naus!

(Helene, mit rothen Augen, kommt durch den Thorweg, be-
merkt die Scene und ſteht abwartend ſtill.)

Die Magd
(entdeckt Frau Spiller, wirft Schemel und Milchgelte
weg und geht wüthend auf ſie zu).

Doas biin iich Ihn'n ſchuldig!
doas war iich Ihn'n eitränka!!

(Sie rennt ſchluchzend davon, die
Bodentreppe hinauf. Ab.)

Helene
(zu Frau Krauſe tretend).

Was hat ſie denn ge-
macht?


Frau Krauſe
(grob).

Gieht's Diich oan, Goans?


Helene
(heftig, faſt weinend).

Ja, mich geht's an.


Frau Spiller
(ſchnell hinzutretend).

Mein gnädiges
Fräulein, ſo etwas iſt nicht für das Ohr eines jungen
Mädchens wie...


Frau Krauſe.

Worum ok ne goar, Spillern!
die iis au ne vu Marzepane: Mit'n Grußknecht zu-
ſoamma gelah'n hot ſe ei en Bette. Do wißt de's.


Helene
(in befehlendem Tone).

Die Magd wird aber
doch bleiben.


Frau Krauſe.

Weibsſtück!!


Helene.

Gut! dann will ich dem Vater erzählen,
daß Du mit Kahl Wilhelm die Nächte ebenſo verbringſt.


Frau Krauſe
(ſchlägt ihr eine Maulſchelle).

Do huſt' an'
Denkzettel!


[51]
Helene
(todtbleich, aber noch feſter).

Die Magd bleibt aber
doch, ſonſt....ſonſt bring ich's herum! Mit Kahl
Wilhelm, Du! Dein Vetter....mein Bräut'jam....
Ich bring's herum.


Frau Krauſe
(mit wankender Faſſung).

Wer koan doas
ſoa'n?


Helene.

Ich! denn ich hab ihn heut Morgen
aus Deinem Schlafzimmer.....

(Schnell ab in's Haus.)

(Frau Krauſe, taumelnd, nahe einer Ohnmacht. Frau Spiller mit Riech-
fläſchchen zu ihr.)

Frau Spiller.

Gnädige Frau, gnädige Frau!


Frau Krauſe.

Sp....illern, die Moa'd
ſſſ....ſool dooblei'n.


(Vorhang fällt ſchnell.)


[52]

Dritter Akt.


Zeit: wenige Minuten nach dem Vorfall zwiſchen Helene und
ihrer Stiefmutter im Hofe. Der Schauplatz iſt der des erſten
Vorgangs.

(Dr.Schimmelpfennig ſitzt, ein Recept ſchreibend, Schlapphut,
Zwirnhandſchuhe und Stock vor ſich auf der Tiſchplatte, an dem Tiſch links im
Vordergrunde. Er iſt von Geſtalt klein und gedrungen, hat ſchwarzes Wollhaar
und einen ziemlich ſtarken Schnurrbart. Schwarzer Rock im Schnitt der Jäger-
ſchen Normalröcke. Die Kleidung im Ganzen ſolid, aber nicht elegant. Hat
die Gewohnheit, faſt ununterbrochen ſeinen Schnurrbart zu ſtreichen oder zu
drehen, um ſo ſtärker, je erregter er innerlich wird. Sein Geſichtsausdruck,
wenn er mit Hoffmann redet, iſt gezwungen ruhig, ein Zug von Sarkasmus
liegt um ſeine Mundwinkel. Seine Bewegungen ſind lebhaft, feſt und eckig,
durchaus natürlich. Hoffmann, in ſeidenem Schlafrock und Pantoffeln, geht
umher. Der Tiſch rechts im Hintergrunde iſt zum Frühſtück hergerichtet.
Feines Porzellan. Gebäck, Rumcaraffe etc.

Hoffmann.

Herr Doctor, ſind Sie mit dem Aus-
ſehen meiner Frau zufrieden?


Dr.Schimmelpfennig.

Sie ſieht ja ganz gut
aus, warum nicht.


Hoffmann.

Denken Sie, daß Alles gut vorüber-
gehen wird?


Dr.Schimmelpfennig.

Ich hoffe.


Hoffmann
(nach einer Pauſe zögernd).

Herr Doctor, ich
habe mir vorgenommen — ſchon ſeit Wochen — Sie,
ſobald ich hierher käme, in einer ganz beſtimmten Sache
um Ihren Rath zu bitten.


Dr.Schimmelpfennig
(der bis jetzt unter dem Schreiben
geantwortet hat, legt die Feder beiſeite, ſteht auf und übergiebt Hoffmann das
geſchriebene Recept).

So!...das laſſen Sie wohl bald
machen;

(indem er Hut, Handſchuhe und Stock nimmt)

über Kopf-
ſchmerz klagt Ihre Frau, —

(in ſeinen Hut blickend, geſchäftsmäßig)


ehe ich es vergeſſe: ſuchen Sie doch Ihrer Frau be-
greiflich zu machen, daß ſie für das kommende Lebeweſen
[53] einigermaßen verantwortlich iſt, ich habe ihr bereits
ſelbſt einiges geſagt — über die Folgen des Schnürens.


Hoffmann.

Ganz gewiß, Herr Doctor...ich
will ganz gewiß mein Möglichſtes thun, ihr...


Dr.Schimmelpfennig
(ſich ein wenig linkiſch verbeugend)


Empfehle mich

(geht, bleibt wieder ſtehen),

ach ſo!...Sie
wollten ja meinen Rath hören

(er blickt Hoffmann kalt an).

Hoffmann.

Ja, wenn Sie noch einen Augenblick
Zeit hätten...

(nicht ohne Affectirtheit:)

Sie kennen das ent-
ſetzliche Ende meines erſten Jungen. Sie haben es ja
ganz aus der Nähe geſehen. Wie weit ich damals war,
wiſſen Sie ja wohl auch. — Man glaubt es nicht
dennoch: die Zeit mildert!..........Schließlich
habe ich ſogar noch Grund zur Dankbarkeit, mein
ſehnlichſter Wunſch ſoll, wie es ſcheint, erfüllt werden.
Sie werden begreifen, daß ich Alles thun muß...es hat
mich ſchlafloſe Nächte genug gekoſtet und doch weiß ich
noch nicht, noch immer nicht, wie ich es anſtellen ſoll,
um das jetzt noch ungeborene Geſchöpf vor dem furcht-
baren Schickſale ſeines Brüderchens zu bewahren. Und
das iſt es, weshalb ich Sie....


Dr.Schimmelpfennig
(trocken und geſchäftsmäßig).

Von
ſeiner Mutter trennen: Grundbedingung einer gedeih-
lichen Entwickelung.


Hoffmann.

Alſo doch?! — meinen Sie, völlig
trennen?...ſoll es auch nicht in demſelben Hauſe mit
ihr...?


Dr.Schimmelpfennig.

Nein, wenn es Ihnen
ernſt iſt um die Erhaltung Ihres Kindes, dann nicht.
Ihr Vermögen geſtattet Ihnen ja in dieſer Beziehung
die freieſte Bewegung.


Hoffmann.

Gott ſei Dank, ja! Ich habe auch
ſchon in der Nähe von Hirſchberg eine Villa mit ſehr
großem Park angekauft. Nur wollte ich auch meine Frau...


Dr.Schimmelpfennig
(dreht ſeinen Bart und ſtarrt auf
die Erde. Unter Nachdenken).

Kaufen Sie doch Ihrer Frau
irgend wo anders eine Villa...


[54]
Hoffmann
(zuckt die Achſeln).

Dr.Schimmelpfennig
(wie vorher).

Könnten Sie
nicht — Ihre Schwägerin — für die Aufgabe, dieſes
Kind zu erziehen, intereſſiren?


Hoffmann.

Wenn Sie wüßten, Herr Doctor,
was für Hinderniſſe...außerdem: ein unerfahrenes,
junges Ding...Mutter iſt doch Mutter.


Dr.Schimmelpfennig.

Sie wiſſen meine
Meinung. Empfehle mich.

Hoffmann
(mit Ueberfreundlichkeit um ihn herum complimentirend).


Empfehle mich ebenfalls! ich bin Ihnen äußerſt dankbar...


(Beide ab durch die Mittelthür.)

(Helene, das Taſchentuch vor den Mund gepreßt, ſchluchzend, außer ſich,
kommt herein und läßt ſich auf das Sopha links vorn hinfallen. Nach einigen
Augenblicken tritt Hoffmann, Zeitungsblätter in den Händen haltend, aber-
mals ein.)

Hoffmann.

Was iſt denn das —? ſag' 'mal,
Schwägerin! ſoll denn das noch lange ſo fort gehen? —
Seit ich hier bin, vergeht nicht ein Tag, an dem ich
Dich nicht weinen ſehe.


Helene.

Ach! — was weißt Du!? — wenn Du
überhaupt Sinn für ſo was hätt'ſt, dann würd'ſt Du
Dich vielmehr wundern, wenn ich 'mal nicht weinte.


Hoffmann.

— Das leuchtet mir nicht ein,
Schwägerin!


Helene.

Mir um ſo mehr!


Hoffmann

..........Es muß doch wieder
was paſſirt ſein, hör' 'mal!


Helene
(ſpringt auf, ſtampft mit dem Fuße).

Pfui! Pfui
...und ich mag's nicht mehr leiden...das hört auf!
ich laſſe mir das nicht mehr bieten! ich ſehe nicht ein
warum...ich...

(in Weinen erſtickend).

Hoffmann.

Willſt Du mir denn nicht wenigſtens
ſagen, worum ſich's handelt, damit..........


Helene
(auf's Neue heftig ausbrechend).

Alles iſt mir egal!
ſchlimmer kann's nicht mehr kommen: — einen Trunken-
bold von Vater hat man, ein Thier — vor dem
die....die eigene Tochter nicht ſicher iſt. — Eine
[55] ehebrecheriſche Stiefmutter, die mich an ihren Galan ver-
kuppeln möchte..Dieſes ganze Daſein überhaupt. —
Nein —! ich ſehe nicht ein, wer mich zwingen kann,
durchaus ſchlecht zu werden. Ich gehe fort! ich renne
fort — und wenn Ihr mich nicht loslaßt, dann....
Strick, Meſſer, Revolver!....mir egal! — ich will
nicht auch zum Branntwein greifen wie meine Schweſter.


Hoffmann
(erſchrocken, packt ſie am Arm).

Lene!!!....
ich ſag' Dir, ſtill!...davon ſtill!


Helene.

Mir egal!...mir ganz egal! — man
iſt...man muß ſich ſchämen bis in die Seele 'nein.
— Man möchte was wiſſen, was ſein, was ſein können
— und was iſt man nu?


Hoffmann
(der ihren Arm noch nicht wieder losgelaſſen, fängt
an, das Mädchen allmälig nach dem Sopha hinzudrängen. Im Tone ſeiner
Stimme liegt nun plötzlich eine weichliche, übertriebene, gleichſam vibrirende
Milde).

Lenchen —! ich weiß ja recht gut, daß Du hier
Manches auszuſtehen haſt. Sei nur ruhig....! brauchſt
es mir gar nicht zu ſagen.

(Er legt die Rechte liebkoſend auf ihre
Schulter, bringt ſein Geſicht nahe dem ihren.)

Ich kann Dich gar
nicht weinen ſehen. Wahrhaftig! — 's thut mir weh.
Sieh doch nur aber die Verhältniſſe nicht ſchwärzer, als
ſie ſind —; und dann: — haſt Du vergeſſen, — daß
wir Beide, — Du und ich — ſo zu ſagen in der gleichen
Lage ſind? — Ich bin in dieſe Bauernatmoſphäre hinein
gekommen....paſſe ich hinein? Genau ſo wenig wie
Du hoffentlich.


Helene
(immer noch weinend).

Hätte mein — gutes
— M — Muttelchen das geahnt — als ſie....
als ſie beſtimmte — daß ich in Herrnhut — erzogen
....erzogen werden ſollte. Hätte ſie — mich lieber
...mich lieber zu Hauſe gelaſſen, dann hätte ich...
hätte ich wenigſtens — nichts Anderes kennen gelernt,
wäre in dem Sumpf hier auf....aufgewachſen —
Aber ſo...


Hoffmann
(hat Helene ſanft auf das Sopha gezwungen und ſitzt
nun, eng an ſie gedrängt, neben ihr. Immer auffälliger verräth ſich in ſeinen
Tröſtungen das ſinnliche Element).

Lenchen —! ſieh mich an, laß
[56] das gut ſein, tröſte Dich mit mir. — Ich brauche Dir
von Deiner Schweſter nicht zu ſprechen.

(Heiß und mit Innig-
keit, indem er ſie enger umſchlingt:)

Ja, wäre ſie wie Du biſt!......
So aber...ſag ſelbſt: Was kann ſie mir ſein? —
Wo lebt ein Mann, Lenchen, ein gebildeter Mann,

(leiſer)

deſſen Frau von einer ſo unglückſeligen Leidenſchaft
befallen iſt? — Man darf es gar nicht laut ſagen:
eine Frau — und — Branntwein................
Nun, ſprich, bin ich glücklicher?....Denk an mein
Fritzchen! — nun?.....bin ich am Ende beſſer
dran, wie?.........

(Immer leidenſchaftlicher)

Siehſt Du:
ſo hat's das Schickſal ſchließlich noch gut gemeint. Es
hat uns zu einander gebracht. — Wir gehören für ein-
ander! Wir ſind zu Freunden voraus beſtimmt, mit
unſren gleichen Leiden. Nicht, Lenchen?

(Er umſchlingt ſie
ganz. Sie läßt es geſchehen, aber mit einem Ausdruck, der beſagt, daß ſie ſich
zum Dulden zwingt. Sie iſt ſtill geworden und ſcheint mit zitternder Spannung
etwas zu erwarten, irgend eine Gewißheit, eine Enthüllung, die unfehlbar
herankommt.

Hoffmann
(zärtlich).

Du ſollteſt meinem Vorſchlag
folgen, ſollteſt dies Haus verlaſſen, bei uns wohnen. —
Das Kindchen das kommt braucht eine Mutter. —
Komm! ſei Du ihm das

(leidenſchaftlich gerührt, ſentimental),


ſonſt hat es eben keine Mutter. Und dann: — bring'
ein wenig, nur ein ganz, ganz klein wenig Licht in mein
Leben. Thuu's! — thu—'s!

(Er will ſeinen Kopf an ihre
Bruſt lehnen. Sie ſpringt auf, empört. In ihren Mienen verräth ſich Ver-
achtung, Ueberraſchung, Ekel, Haß.)

Helene.

Schwager! Du biſt, Du biſt.....
jetzt kenn' ich Dich durch und durch. Bisher hab ich's
nur ſo dunkel gefühlt. Jetzt weiß ich's ganz gewiß.


Hoffmann
(überraſcht, faſſungslos).

Was...? Helene...
..einzig, wirklich.


Helene.

Jetzt weiß ich ganz gewiß, daß Du nicht
um ein Haar beſſer biſt....was denn! ſchlechter biſt
Du, der Schlecht'ſte von Allen hier!


Hoffmann
(ſteht auf; mit angenommener Kälte).

Dein Be-
tragen heut iſt ſehr eigenthümlich, weißt Du!


Helene
(tritt nahe zu ihm).

Du gehſt doch nur auf das
[57] eine Ziel los.

(Halblaut in ſein Ohr:)

Aber Du haſt ganz an-
dere Waffen als Vater und Stiefmutter oder der ehren-
feſte Herr Bräutigam, ganz andere. Gegen Dich gehalten
ſind ſie Lämmer, Alle mit 'nander. Jetzt, jetzt auf ein-
mal, jetzt eben iſt mir das ſonnenklar geworden.


Hoffmann
(in erheuchelter Entrüſtung).

Lene! Du biſt.....
Du biſt nicht bei Troſt, das iſt ja heller Wahn....

(Er unterbricht ſich, ſchlägt ſich vor den Kopf.)

Gott, wie wird mir
denn auf einmal, natürlich!.........
Du haſt....es iſt freilich noch ſehr früh am Tage,
aber ich wette, Du haſt....Helene, Du haſt heut
früh ſchon mit Fritz Loth geredet.


Helene.

Weshalb ſollte ich denn nicht mit ihm
geredet haben? Es iſt ein Mann, vor dem wir uns
Alle verſtecken müßten vor Scham, wenn es mit rechten
Dingen zuginge.


Hoffmann.

Alſo wirklich!....ach ſooo!....
na jaaa!....allerdings.....da darf ich mich
weiter nicht wundern. — So, ſo, ſo, hat alſo die Ge-
legenheit benützt, über ſeinen Wohlthäter 'n bischen her-
zuziehen. Man ſollte immer auf dergleichen gefaßt ſein,
freilich!


Helene.

Schwager! das iſt nun geradezu gemein.


Hoffmann.

Finde ich beinah auch!


Helene.

Kein Sterbenswort, nicht ein Sterbens-
wort hat er geſagt über Dich.


Hoffmann
(ohne darauf einzugehen).

Wenn die Sachen
ſo liegen, dann iſt es geradezu meine Pflicht, ich ſage,
meine Pflicht, als Verwandter, einem ſo unerfahrenen
Mädchen gegenüber wie Du biſt.....


Helene.

Unerfahrenes Mädchen —? wie Du mir
vorkommſt!


Hoffmann
(aufgebracht).

Auf meine Verantwortung
iſt Loth hier in's Haus gekommen. Nun mußt Du
wiſſen: — er iſt — gelinde geſprochen — ein höchſt
ge—fähr—licher Schwärmer, dieſer Herr Loth.


Helene.

Daß Du das von Herrn Loth ſagſt,
[58] hat für mich ſo etwas — Verkehrtes — etwas
lächerlich Verkehrtes.


Hoffmann.

Ein Schwärmer, der die Gabe hat,
nicht nur Weibern, ſondern auch vernünftigen Leuten
die Köpfe zu verwirren.


Helene.

Siehſt Du: wieder ſo eine Verkehrtheit!
Mir iſt es nach den wenigen Worten, die ich mit Herrn
Loth geredet habe, ſo wohlthuend klar im Kopfe....


Hoffmann
(im Tone eines Verweiſes).

Was ich Dir ſage,
iſt durchaus nichts Verkehrtes.


Helene.

Man muß für das Verkehrte einen Sinn
haben, und den haſt Du eben nicht.


Hoffmann
(wie vorher).

Davon iſt jetzt nicht die
Rede, ich erkläre Dir nochmals, daß ich Dir nichts Ver-
kehrtes ſage, ſondern etwas, was ich Dich bitten muß,
als thatſächlich wahr hinzunehmen........Ich habe
es an mir erfahren: er benebelt Einem den Kopf, und
dann ſchwärmt man von Völkerverbrüderung, von Frei-
heit und Gleichheit, ſetzt ſich über Sitte und Moral
hinweg....wir wären damals um dieſer Hirn-
geſpinſte willen — weiß der Himmel — über die Leichen
unſerer Eltern hinweggeſchritten, um zum Ziele zu ge-
langen. Und er, ſage ich Dir, würde erforderlichen
Falls noch heute daſſelbe thun.


Helene.

Wie viele Eltern mögen wohl alljährlich
über die Leichen ihrer Kinder ſchreiten, ohne daß Je-
mand.....


Hoffmann
(ihr in die Rede fallend).

Das iſt Unſinn! da
hört Alles auf!.....Ich ſage Dir, nimm Dich
vor ihm in Acht, in jeder....ich ſage ganz ausdrück-
lich in jeder Beziehung. — Von moraliſchen Skru-
peln iſt da keine Spur. —


Helene.

Ne, wie verkehrt dies nun wieder iſt.
Glaub mir, Schwager, fängt man erſt mal an, d'rauf
zu achten.....es iſt ſo ſchrecklich intereſſant.....


Hoffmann.

Sag' doch, was Du willſt, gewarnt
biſt Du nun. Ich will Dir nur noch ganz im Ver-
[59] trauen mittheilen: ein Haar, und ich wäre damals durch
ihn und mit ihm greulich in die Tinte gerathen.


Helene.

Wenn dieſer Menſch ſo gefährlich iſt,
warum freuteſt Du Dich denn geſtern ſo aufrichtig,
als.....


Hoffmann.

Gott ja, er iſt eben ein Jugend-
bekannter! Weißt Du denn, ob nicht ganz beſtimmte
Gründe vorlagen....


Helene.

Gründe? wie denn.....?


Hoffmann.

Nur ſo. — Käme er allerdings heut
und wüßte ich, was ich jetzt weiß —


Helene.

Was weißt Du denn nur? Ich ſagte
Dir doch bereits, er hat kein Sterbenswort über Dich
verlauten laſſen.


Hoffmann.

— Verlaß Dich d'rauf! Ich hätte mir's
zweimal überlegt und mich wahrſcheinlich ſehr in Acht
genommen, ihn hierzubehalten. Loth iſt und bleibt 'n
Menſch, deſſen Umgang compromittirt. Die Behörden
haben ihn im Auge.


Helene.

Ja, hat er denn ein Verbrechen be-
gangen?


Hoffmann.

Sprechen wir lieber darüber nicht.
Laß es Dir genug ſein, Schwägerin, wenn ich Dir die
Verſicherung gebe: mit Anſichten, wie er ſie hat, in der
Welt umherzulaufen, iſt heutzutage weit ſchlimmer und
vor Allem weit gefährlicher, als Stehlen.


Helene.

Ich will's mir merken. — Nun
aber — Schwager! hörſt Du? Frag mich nicht — wie
ich nach Deinen Reden über Herrn Loth noch von
Dir denke — Hörſt Du?


Hoffmann
(cyniſch kalt).

Denkſt Du denn wirklich, daß
mir ſo ganz beſonders viel daran liegt, das zu wiſſen?

(Er drückt den Klingelknopf.)

Uebrigens höre ich ihn da eben
hereinkommen.


(Loth tritt ein.)

Hoffmann.

Nun —? gut geſchlafen, alter Freund?


Loth.

Gut, aber nicht lange. Sag doch mal:
[60] ich ſah da vorhin Jemand aus dem Haus kommen,
einen Herrn.


Hoffmann.

Vermuthlich der Doctor, der ſoeben
hier war. Ich erzählte Dir ja....dieſer eigenthüm-
liche Miſchmaſch von Härte und Sentimentalität.

(Helene
verhandelt mit Eduard, der eben eingetreten iſt. Er geht ab und ſervirt kurz
darauf Thee und Kaffee.)

Loth.

Dieſer Miſchmaſch, wie Du Dich aus-
drückſt, ſah nämlich einem alten Univerſitätsfreunde von
mir furchtbar ähnlich — ich hätte ſchwören können, daß
er es ſei — einem gewiſſen Schimmelpfennig.


Hoffmann
(ſich am Frühſtückstiſch niederlaſſend).

Nu ja, ganz
recht: Schimmelpfennig!


Loth.

Ganz recht? Was?


Hoffmann.

Er heißt in der That Schimmel-
pfennig.


Loth.

Wer? der Doctor hier?


Hoffmann.

Du ſagteſt es doch eben. Ja, der
Doctor.


Loth.

Dann....das iſt aber auch wirklich
wunderlich! Unbedingt iſt er's dann.


Hoffmann.

Siehſt Du wohl, ſchöne Seelen
finden ſich zu Waſſer und zu Lande. Du nimmſt mir's
nicht übel, wenn ich anfange, wir wollten uns nämlich
gerade zum Frühſtück ſetzen. Bitte, nimm Platz! Du
haſt doch wohl nicht ſchon irgend wo gefrühſtückt?


Loth.

Nein!


Hoffmann.

Nun dann, alſo.

(Er rückt, ſelbſt ſitzend,
Loth einen Stuhl zurecht. Hierauf zu Eduard, der mit Thee und Kaffee kommt:)


Ae! wird....e...meine Frau Schwiegermama nicht
kommen?


Eduard.

Die gnädige Frau und Frau Spiller
werden auf ihrem Zimmer frühſtücken.


Hoffmann.

Das iſt aber doch noch nie....


Helene
(das Service zurechtrückend).

Laß nur! es hat
ſeinen Grund.


Hoffmann.

Ach ſo!.........
Loth! lang zu....ein Ei? Thee?


[61]
Loth.

Könnte ich vielleicht lieber ein Glas Milch
bekommen?


Hoffmann.

Mit dem größten Vergnügen.


Helene.

Eduard! Miele ſoll friſch einmelken.


Hoffmann
(ſchält ein Ei ab).

Milch — brrr! mich
ſchüttelt's.

(Salz und Pfeffer nehmend)

Sag mal, Loth, was
führt Dich eigentlich in unſre Gegend? Ich hab bisher
ganz vergeſſen, Dich danach zu fragen.


Loth
(beſtreicht eine Semmel mit Butter).

Ich möchte die
hieſigen Verhältniſſe ſtudiren.


Hoffmann
(mit einem Aufblick).

Bitte....?....was
für Verhältniſſe?


Loth.

Präciſe geſprochen: Ich will die Lage der
hieſigen Bergleute ſtudiren.


Hoffmann.

Ach, die iſt im Allgemeinen doch
eine ſehr gute.


Loth.

Glaubſt Du? — Das wäre ja übrigens
recht ſchön....Doch eh' ich's vergeſſe: Du mußt mir
dabei einen Dienſt leiſten. Du kannſt Dich um die
Volkswirthſchaft ſehr verdient machen, wenn.....


Hoffmann.

Ich? i! wieſo ich?


Loth.

Nun, Du haſt doch den Verſchleiß der
hieſigen Gruben?


Hoffmann.

Ja! und was dann?


Loth.

Dann wird es Dir auch ein Leichtes ſein,
mir die Erlaubniß zur Beſichtigung der Gruben auszu-
wirken. Das heißt: ich will mindeſtens vier Wochen
lang täglich einfahren, damit ich den Betrieb einiger-
maßen kennen lerne.


Hoffmann
(leichthin).

Was Du da unten zu ſehen
bekommſt, willſt Du dann wohl ſchildern?


Loth.

Ja. Meine Arbeit ſoll vorzugsweiſe eine
deſcriptive werden.


Hoffmann.

Das thut mir nun wirklich leid,
mit der Sache habe ich gar nichts zu thun. — Du
willſt blos über die Bergleute ſchreiben, wie?


[62]
Loth.

Aus dieſer Frage hört man, daß Du kein
Volkswirthſchaftler biſt.


Hoffmann
(in ſeinem Dünkel gekränkt).

Bitte ſehr um
Entſchuldigung! Du wirſt mir wohl zutrauen.....
warum? ich ſehe nicht ein, wieſo man dieſe Frage nicht
thun kann? — und ſchließlich: es wäre kein Wunder....
Alles kann man nicht wiſſen.


Loth.

Na, beruhige Dich nur, die Sache iſt ein-
fach die: wenn ich die Lage der hieſigen Bergarbeiter
ſtudiren will, ſo iſt es unumgänglich, auch alle die Ver-
hältniſſe, welche dieſe Lage bedingen, zu berühren.


Hoffmann.

In ſolchen Schriften wird mitunter
ſchauderhaft übertrieben.


Loth.

Von dieſem Fehler gedenke ich mich frei
zu halten.


Hoffmann.

Das wird ſehr löblich ſein.

(Er hat
bereits mehrmals und jetzt wiederum mit einem kurzen und prüfenden Blick
Helenen geſtreift, die mit naiver Andacht an Loth's Lippen hängt, und fährt
nun fort.)

Doch....es iſt urkomiſch, wie Einem ſo was
ganz urplötzlich in den Sinn kommt. Wie ſo etwas
im Gehirn nur vor ſich gehen mag?


Loth.

Was iſt Dir denn auf einmal in den
Sinn gekommen?


Hoffmann.

Es betrifft Dich. — Ich dachte an
Deine Ver.....nein, es iſt am Ende tactlos, in
Gegenwart von einer jungen Dame von Deinen Herzens-
geheimniſſen zu reden.


Helene.

Ja, dann will ich doch lieber....


Loth.

Bitte ſehr, Fräulein!.....bleiben Sie
ruhig, meinetwegen wenigſtens — ich merke längſt,
worauf er hinaus will. Iſt auch durchaus nichts Ge-
fährliches.

(Zu Hoffmann)

Meine Verlobung, nicht wahr?


Hoffmann.

Wenn Du ſelbſt darauf kommſt, ja! —
ich dachte in der That an Deine Verlobung mit Anna
Faber.


Loth.

Die ging auseinander — naturgemäß —
als ich damals in's Gefängniß mußte.


[63]
Hoffmann.

Das war aber nicht hübſch von
Deiner.......


Loth.

Es war jedenfalls ehrlich von ihr! Ihr
Abſagebrief enthielt ihr wahres Geſicht; hätte ſie mir
dies Geſicht früher gezeigt, dann hätte ſie ſich ſelbſt und
auch mir Manches erſparen können.


Hoffmann.

Und ſeither hat Dein Herz nicht
irgendwo feſtgehakt?


Loth.

Nein!


Hoffmann.

Natürlich! Nun: Büchſe in's Korn
geworfen — heirathen verſchworen! verſchworen wie den
Alkohol! Was? Uebrigens chacun à son goût.


Loth.

Mein Geſchmack iſt es eben nicht, aber
vielleicht mein Schickſal. Auch habe ich Dir, ſoviel ich
weiß, bereits einmal geſagt, daß ich in Bezug auf das
Heirathen nichts verſchworen habe; was ich fürchte, iſt:
daß es keine Frau geben wird, die ſich für mich eignet.


Hoffmann.

Ein großes Wort, Lothchen!


Loth.

Im Ernſt! — Mag ſein, daß man mit
den Jahren zu kritiſch wird und zu wenig gefunden
Inſtinkt beſitzt. Ich halte den Inſtinkt für die beſte
Garantie einer geeigneten Wahl.


Hoffmann
(frivol).

Der wird ſich ſchon noch 'mal
wiederfinden

(lachend),

der Inſtinkt nämlich.


Loth.

— Schließlich — was kann ich einer Frau
bieten? ich werde immer mehr zweifelhaft, ob ich einer
Frau zumuthen darf, mit dem kleinen Theile meiner
Perſönlichkeit vorlieb zu nehmen, der nicht meiner Lebens-
arbeit gehört — dann fürchte ich mich auch vor der
Sorge um die Familie.


Hoffmann.

Wa...was? — vor der Sorge
um die Familie? Kerl! haſt Du denn nicht Kopf,
Arme, he?


Loth.

Wie Du ſiehſt. Aber ich ſagte Dir ja
ſchon, meine Arbeitskraft gehört zum größten Theil
meiner Lebensaufgabe und wird ihr immer zum größten
[64] Theil gehören: ſie iſt alſo nicht mehr mein, ich hätte
außerdem mit ganz beſonderen Schwierigkeiten......


Hoffmann.

Pſt! klingelt da nicht Jemand?


Loth.

Du hälſt das für Phraſengebimmel?


Hoffmann.

Ehrlich geſprochen, es klingt etwas
hohl! — unſer einer iſt ſchließlich auch kein Buſchmann,
trotzdem man verheirathet iſt. Gewiſſe Menſchen ge-
berden ſich immer, als ob ſie ein Privilegium auf alle
in der Welt zu vollbringenden guten Thaten hätten.


Loth
(heftig).

Gar nicht! — denk' ich gar nicht
d'ran! — Wenn Du von Deiner Lebensaufgabe nicht
abgekommen wärſt, ſo würde das an Deiner glücklichen
materiellen Lebenslage mitliegen.


Hoffmann
(mit Ironie).

Dann wäre das wohl auch
eine Deiner Forderungen.


Loth

Wie? Forderungen? was?


Hoffmann.

Ich meine: Du würdeſt bei einer
Heirath auf Geld ſehen.


Loth.

Unbedingt.


Hoffmann.

Und dann giebt es — wie ich Dich
kenne — noch eine lange Zaspel anderer Forderungen.


Loth.

Sind vorhanden! leibliche und geiſtige
Geſundheit der Braut zum Beiſpiel iſt conditio sine
qua non.


Hoffmann
(lachend).

Vorzüglich, dann wird ja wohl
vorher eine ärztliche Unterſuchung der Braut nothwendig
werden. — Göttlicher Hecht!


Loth
(immer ernſt).

Ich ſtelle aber auch an mich
Forderungen, mußt Du nehmen.


Hoffmann
(immer heiterer).

Ich weiß, weiß!...wie
Du 'mal die Literatur über Liebe durchgingſt, um auf
das Gewiſſenhafteſte feſtzuſtellen ob das, was Du damals
für irgend eine Dame empfandeſt, auch wirklich Liebe
ſei. Alſo ſag' doch 'mal noch einige Deiner Forderungen.


Loth.

Meine Frau müßte zum Beiſpiel entſagen
können.


Helene.

— Wenn...wenn...ach! ich will
[65] lieber nicht reden...ich wollte nur ſagen: die Frau iſt
doch im Allgemeinen an's Entſagen gewöhnt.


Loth.

Um's Himmels willen! Sie verſtehen mich
durchaus falſch. So iſt das Entſagen nicht gemeint.
Nur in ſofern verlange ich Entſagung, oder beſſer, nur
auf den Theil meines Weſens, der meiner Lebensaufgabe
gehört, müßte ſie freiwillig und mit Freuden verzichten.
Nein, nein! im Uebrigen ſoll meine Frau fordern, und
immer fordern — Alles was ihr Geſchlecht im Laufe
der Jahrtauſende eingebüßt hat.


Hoffmann.

Au! au! au!...Frauenemancipation!
— wirklich Deine Schwenkung war bewunderungswürdig
— nun biſt Du ja im rechten Fahrwaſſer. Fritz Loth,
oder der Agitator in der Weſtentaſche!.........
Wie würdeſt Du denn hierin Deine Forderungen
formuliren, oder beſſer: wie weit müßte Deine Frau
emancipirt ſein? — Es amüſirt mich wirklich Dich an-
zuhören — Cigarren rauchen? Hoſen tragen?


Loth.

Das nun weniger — aber — ſie müßte
allerdings, über gewiſſe geſellſchaftliche Vorurtheile hinaus
ſein. Sie müßte zum Beiſpiel nicht davor zurückſchrecken
zuerſt — falls ſie nämlich wirklich Liebe zu mir empfände
— das bewußte Bekenntniß abzulegen.


Hoffmann
(iſt mit frühſtücken zu Ende. Springt auf, in halb
ernſter, halb komiſcher Entrüſtung).

Weißt Du! das...das iſt
...eine geradezu unverſchämte Forderung! mit der
Du allerdings auch — wie ich Dir hiermit prophezeihe
— wenn Du nicht etwa vorziehſt, ſie fallen zu laſſen,
bis an Dein Lebensende herumlaufen wirſt.


Helene
(mit ſchwer bewältigter, innerer Erregung).

Ich bitte
die Herren mich jetzt zu entſchuldigen — die Wirth-
ſchaft...Du weißt, Schwager: Mama iſt in der
Stube und da...


Hoffmann.

Laß Dich nicht abhalten.


(Helene verbeugt ſich; ab.)

Hoffmann
(mit dem Streichholzetui nach dem Cigarrenkiſtchen,
das auf dem Buffet ſteht, zuſchreitend).

Das muß wahr ſein...
5
[66] Du bringſt einen in Hitze,...ordentlich unheimlich.

(Nimmt eine Cigarre aus der Kiſte und läßt ſich dann auf das Sopha
links vorn nieder. Er ſchneidet die Spitze der Cigarre ab und hält während
des Folgenden die Cigarre in der Linken, das abgetrennte Spitzchen zwiſchen
den Fingern der rechten Hand.)

Bei alledem...es amüſirt doch.
Und dann: Du glaubſt nicht, wie wohl es thut, ſo'n
paar Tage auf dem Lande, abſeit von den Geſchäften
zuzubringen. Wenn nur nicht heute dies verwünſchte
...wie ſpät iſt es denn eigentlich? Ich muß nämlich
leider Gottes heute zu einem Eſſen nach der Stadt. —
Es war unumgänglich: dies Diner mußte ich geben.
Was ſoll man machen, als Geſchäftsmann? — Eine
Hand wäſcht die andere. Die Bergbeamten ſind nun
'mal d'ran gewöhnt. — Na! eine Cigarre kann man
noch rauchen, — in aller Gemüthsruhe.

(Er trägt das Spitz-
chen nach dem Spucknapf, läßt ſich dann abermals auf dem Sopha nieder und
ſetzt ſeine Cigarre in Brand.)

Loth
(am Tiſch; blättert ſtehend in einem Prachtwerk).

Die Aben-
teuer des Grafen Sandor.


Hoffmann.

Dieſen Unſinn findeſt Du hier bei
den meiſten Bauern aufliegen.


Loth
(unter dem Blättern).

Wie alt iſt eigentlich Deine
Schwägerin?


Hoffmann.

Im Auguſt einundzwanzig geweſen.


Loth.

Iſt ſie leidend?


Hoffmann.

Weiß nicht. — Glaube übrigens
nicht — macht Sie Dir den Eindruck? —


Loth.

Sie ſieht allerdings mehr verhärmt als
krank aus.


Hoffmann.

Na ja! die Scherereien mit der Stief-
mutter......


Loth.

Auch ziemlich reizbar ſcheint ſie zu ſein!?


Hoffmann.

Unter ſolchen Verhältniſſen.....
Ich möchte den ſehen, der unter ſolchen Verhältniſſen
nicht reizbar werden würde.


..................


Loth.

Viel Energie ſcheint ſie zu beſitzen.


Hoffmann.

Eigenſinn!


Loth.

Auch Gemüth, nicht?


[67]
Hoffmann.

Zu viel mitunter......
..................


Loth.

Wenn die Verhältniſſe hier ſo mißlich für
ſie ſind — warum lebt Deine Schwägerin dann nicht
in Deiner Familie?


Hoffmann.

Frag ſie, warum! — Oft genug
hab ich's ihr angeboten. Frauenzimmer haben eben
ihre Schrullen.

(Die Cigarre im Munde, zieht Hoffmann ein Notizbuch
und ſummirt einige Poſten.)

Du nimmſt es mir doch wohl nicht
übel, wenn ich..... wenn ich Dich dann allein
laſſen muß?


Loth.

Nein, gar nicht.


Hoffmann.

Wie lange gedenkſt Du denn noch....?


Loth.

Ich werde mir bald nachher eine Wohnung
ſuchen. Wo wohnt denn eigentlich Schimmelpfennig?
Am beſten, ich gehe zu ihm, der wird mir gewiß etwas
vermitteln können; hoffentlich findet ſich bald etwas Ge-
eignetes, ſonſt würde ich die nächſte Nacht im Gaſthaus
nebenan zubringen.


Hoffmann.

Wieſo denn? Natürlich bleibſt Du
dann bis morgen bei uns. Freilich, ich bin ſelbſt nur
Gaſt in dieſem Hauſe — ſonſt würde ich Dich natürlich
auffordern........Du begreifſt......!


Loth.

Vollkommen!.........
..................


Hoffmann.

Aber, ſag doch mal — ſollte das
wirklich Dein Ernſt geweſen ſein....?


Loth.

Daß ich die nächſte Nacht im Gaſt....?


Hoffmann.

Unſinn!... Bewahre! Was Du
vorhin ſagteſt, meine ich. Die Geſchichte da — mit
Deiner vertrackten deſcriptiven Arbeit?


Loth.

Weshalb nicht?


Hoffmann.

Ich muß Dir geſtehen, ich hielt es
für Scherz.

(Er erhebt ſich, vertraulich, halb und halb im Scherz.)

Wie?
Du ſollteſt wirklich fähig ſein, hier.... gerade hier, wo
ein Freund von Dir glücklich feſten Fuß gefaßt hat,
den Boden zu unterwühlen?


5*
[68]
Loth.

Mein Ehrenwort, Hoffmann! Ich hatte
keine Ahnung davon, daß Du Dich hier befändeſt.
Hätte ich das gewußt.....


Hoffmann
(ſpringt auf, hocherfreut).

Schon gut! ſchon
gut! Wenn die Sachen ſo liegen....ſiehſt Du, das
freut mich aufrichtig, daß ich mich nicht in Dir getäuſcht
habe. Alſo, Du weißt es nun, und ſelbſtredend erhältſt
Du die Koſten der Reiſe und Alles, was drum und
dran baumelt, von mir vergütet. Ziere Dich nicht! es
iſt einfach meine Freundespflicht.... Daran erkenne ich
meinen alten, biederen Loth! Denke mal an: ich hatte
Dich wirklich eine Zeit lang ernſtlich im Verdacht....
Aber nun muß ich Dir auch ehrlich ſagen, ſo ſchlecht,
wie ich mich zuweilen hinſtelle, bin ich keineswegs. Ich
habe Dich immer hochgeſchätzt: Dich und Dein ehrliches,
conſequentes Streben. Ich bin der Letzte, der gewiſſe —
leider, leider mehr als berechtigte Anſprüche der aus-
gebeuteten, unterdrückten Maſſen nicht gelten läßt. —
Ja, lächle nur, ich gehe ſogar ſo weit, zu bekennen,
daß es im Reichstag nur eine Partei giebt, die Ideale
hat: und das iſt dieſelbe, der Du angehörſt!..........
Nur — wie geſagt — langſam! langſam! — nichts
überſtürzen. Es kommt Alles, kommt Alles, wie es
kommen ſoll. Nur Geduld! Geduld....!


Loth.

Geduld muß man allerdings haben. Des-
halb aber iſt man noch nicht berechtigt, die Hände in
den Schooß zu legen.


Hoffmann.

Ganz meine Anſicht! — Ich hab'
Dir überhaupt in Gedanken weit öfter zugeſtimmt, als
mit Worten. Es iſt 'ne Unſitte, ich geb's zu. Ich
hab mir's angewöhnt, im Verkehr mit Leuten, die ich
nicht gern in meine Karten ſehen laſſe.... Auch in
der Frauenfrage.... Du haſt Manches ſehr treffend
geäußert.

(Er iſt inzwiſchen an's Telephon getreten, weckt und ſpricht theils
in's Telephon, theils zu Loth.)

Die kleine Schwägerin war übri-
gens ganz Ohr..

(Ins Telephon.)

Franz! In zehn Minuten
muß angeſpannt ſein....

(Zu Loth.)

Es hat ihr Eindruck
[69] gemacht....

(Ins Telephon.)

Was? — ach was, Unſinn! —
Na, da hört doch aber..... dann ſchirren Sie ſchleunigſt
die Rappen an.....

(Zu Loth.)

Warum ſollte es ihr keinen
Eindruck machen?...

(Ins Telephon.)

Gerechter Strohſack, zur
Putzmacherin ſagen Sie? die gnädige Frau.... die gnä...
Ja — na ja! aber ſofort — na ja! — ja! — ſchön!
Schluß!

(Nachdem er darauf den Knopf der Hausklingel gedrückt, zu Loth.)


Wart nur ab, Du! Laß mich nur erſt den entſprechen-
den Monetenberg aufgeſchichtet haben, vielleicht geſchieht
dann etwas...

(Eduard iſt eingetreten.)

Eduard! Meine Ga-
maſchen, meinen Gehrock!

(Eduard ab.)

Vielleicht geſchieht
dann etwas, was Ihr mir Alle jetzt nicht zutraut....
Wenn Du in zwei oder drei Tagen — bis dahin
wohnſt Du unbedingt bei uns — ich müßte es ſonſt
als eine grobe Beleidigung anſehen

(er legt den Schlafrock ab)


in zwei bis drei Tagen alſo, wenn Du abzureiſen ge-
denkſt, bringe ich Dich mit meiner Kutſche zur Bahn.


(Eduard mit Gehrock und Gamaſchen tritt ein.)

Hoffmann
(indem er ſich den Rock überziehen läßt).

So!

(Auf
einen Stuhl niederſitzend).

Nun die Stiefel!

(Nachdem er einen derſelben
angezogen).

Das wäre einer!


Loth.

Du haſt mich doch wohl nicht ganz ver-
ſtanden.


Hoffmann.

Ach ja! das iſt leicht möglich. Man
iſt ſo raus aus all den Sachen. Nur immer lederne
Geſchäftsangelegenheiten. Eduard! iſt denn noch keine
Poſt gekommen? Warten Sie mal! — Gehen Sie
doch mal in mein Zimmer! Auf dem Pult links liegt
ein Schriftſtück mit blauem Deckel, bringen Sie's raus
in die Wagentaſche.

(Eduard ab in die Thür rechts, dann zurück und
ab durch die Mittelthür.)

Loth.

Ich meine ja nur: Du haſt mich in einer
Beziehung
nicht verſtanden.


Hoffmann
(ſich immer noch mit dem zweiten Schuh herumquälend).


Upſa!.... So!

(er ſteht auf und tritt die Schuhe ein)

da wären
wir. Nichts iſt unangenehmer als enge Schuhe....
Was meinteſt Du eben?


[70]
Loth.

Du ſprachſt von meiner Abreiſe....


Hoffmann.

Nun?


Loth.

Ich habe Dir doch bereits geſagt, daß ich
um eines ganz beſtimmten Zweckes willen hier am Ort
bleiben muß.


Hoffmann
(auf's Aeußerſte verblüfft und entrüſtet zugleich).


Hör mal....! das iſt aber beinahe nichtswürdig!!! —
Weißt Du denn nicht, was Du mir als Freund ſchuldeſt?


Loth.

Doch wohl nicht den Verrath meiner Sache!?


Hoffmann
(außer ſich).

Nun, dann...dann habe ich
auch nicht die kleinſte Veranlaſſung, Dir gegenüber als
Freund zu verfahren. Ich ſage Dir alſo: daß ich Dein
Auftreten hier — gelinde geſprochen — für fabelhaft
dreiſt halte.


Loth
(ſehr ruhig).

Vielleicht erklärſt Du mir, was Dich
berechtigt, mich mit dergleichen Epitheta.....


Hoffmann.

Das ſoll ich Dir auch noch erklären?
Da hört eben Verſchiedenes auf! Um ſo was nicht
zu fühlen, muß man Rhinoceroshaut auf dem Leibe
haben! Du kommſt hierher, genieß'ſt meine Gaſtfreund-
ſchaft, driſch'ſt mir ein paar Schock Deiner abgegriffnen
Phraſen vor, verdrehſt meiner Schwägerin den Kopf,
ſchwatzeſt von alter Freundſchaft und ſo was Gut's und
dann erzählſt Du ganz naiv: Du wollteſt eine deſcriptive
Arbeit über hieſige Verhältniſſe verfertigen. Ja, für
was hältſt Du mich denn eigentlich? Meinſt Du viel-
leicht, ich wüßte nicht, daß ſolche ſogenannte Arbeiten
nichts als ſchamloſe Pamphlete ſind?.... Solch eine
Schmähſchrift willſt Du ſchreiben und zwar über unſeren
Kohlendiſtrict. Sollteſt Du denn wirklich nicht begreifen,
wen dieſe Schmähſchrift am allerſchärfſten ſchädigen
müßte? doch nur mich! — Ich ſage: man ſollte Euch
das Handwerk noch gründlicher legen, als es bisher ge-
ſchehen iſt, Volksverführer! die Ihr ſeid. Was thut
Ihr? Ihr macht den Bergmann unzufrieden, anſpruchs-
voll, reizt ihn, erbittert ihn, macht ihn aufſäſſig,
ungehorſam, unglücklich, ſpiegelt ihm goldene Berge vor
[71] und grapſcht ihm unter der Hand ſeine paar Hunger-
pfennige aus der Taſche.


Loth.

Erachteſt Du Dich nun als demaskirt?


Hoffmann
(roh).

Ach was! Du lächerlicher, ge-
ſpreizter Tugendmeier! Was mir das wohl ausmacht,
vor Dir demaskirt zu ſein! — Arbeite lieber! Laß
Deine albernen Faſeleien! — Thu was! Komm zu
was! Ich brauche Niemand um zweihundert Mark an-
zupumpen.

(Schnell ab durch die Mittelthür.)

(Loth ſieht ihm einige Augenblicke ruhig nach, dann greift er, nicht
minder ruhig, in ſeine Bruſttaſche, zieht ein Portefeuille und entnimmt ihm ein
Stück Papier (den Chec Hoffmann's), das er mehrmals durchreißt, um die
Schnitzel dann langſam in den Kohlenkaſten fallen zu laſſen. Hierauf nimmt er
Hut und Stock und wendet ſich zum Gehen. Jetzt erſcheint Helene auf der
Schwelle des Wintergartens.)

Helene
(leiſe).

Herr Loth!


Loth
(zuckt zuſammen, wendet ſich).

Ah! Sie ſind es. —
Nun — dann — kann ich Ihnen doch wenigſtens ein
Lebewohl ſagen.


Helene
(unwillkürlich).

War Ihnen das Bedürfniß?


Loth.

Ja! — es war mir Bedürfniß —! Ver-
muthlich — wenn Sie da drin geweſen ſind — haben
Sie den Auftritt hier mit angehört — und dann.....


Helene.

Ich habe Alles mit angehört.


Loth.

Nun — dann — wird es Sie nicht
in Erſtaunen ſetzen, wenn ich dieſes Haus ſo ohne Sang
und Klang verlaſſe.


Helene.

N — nein! — ich begreife —!...
..................
Vielleicht kann's Sie milder gegen ihn ſtimmen...
mein Schwager bereut immer ſehr ſchnell. Ich hab's
oft...


Loth.

Ganz möglich —! Vielleicht gerade des-
halb aber iſt das, was er über mich ſagte, ſeine wahre
Meinung von mir. — Es iſt ſogar unbedingt ſeine
wahre Meinung.


Helene.

Glauben Sie das im Ernſt?


Loth.

Ja! — im Ernſt! Alſo....

(er geht auf
ſie zu und giebt ihr die Hand)

leben Sie recht glücklich!

(Er wendet
[72] ſich und ſteht ſogleich wieder ſtill.)

Ich weiß nicht....! oder beſſer:

(Helenen klar und ruhig in's Geſicht blickend.)

Ich weiß, weiß erſt
ſeit... ſeit dieſem Augenblick, daß es mir nicht ganz
leicht iſt, von hier fortzugehen.... und....ja...
und...na ja!


Helene.

Wenn ich Sie aber — recht ſchön
bäte....recht ſehr...noch weiter hier zu bleiben —?


Loth.

Sie theilen alſo nicht die Meinung Ihres
Schwagers?


Helene.

Nein!! — und das — wollte ich
Ihnen unbedingt... unbedingt noch ſagen, bevor...
bevor — Sie — gingen.


Loth
(ergreift abermals ihre Hand).

Das thut mir wirk-
lich wohl.


Helene
(mit ſich kämpfend. In einer ſich ſchnell bis zur Bewußt-
loſigkeit ſteigernden Erregung. Mühſam hervorſtammelnd).

Auch noch
mehr w —ollte ich Ihnen...Ihnen ſagen, nämlich....
näm — lich: daß — ich Sie ſehr hoch — achte und —
verehre — wie ich bis jetzt.... bis jetzt noch —
keinen Mann...., daß ich Ihnen — vertraue, — daß
ich be — reit bin, das..... das zu beweiſen — daß
ich — etwas für — Dich, Sie fühle

(ſinkt ohnmächtig in
ſeine Arme),

Loth.

Helene!


Vorhang fällt ſchnell.

[73]

Vierter Akt.


(Wie im zweiten Akt: der Gutshof. Zeit: eine Viertelſtunde nach
Helenens Liebeserklärung.)

(Marie und Goliſch, der Kuhjunge, ſchleppen ſich mit einer hölzernen
Lade die Bodentreppe herunter. Loth kommt reiſefertig aus dem Hauſe und
geht langſam und nachdenklich quer über den Hof. Bevor er in den Wirthshaus-
ſteg einbiegt, ſtößt er auf Hoffmann, der mit ziemlicher Eile durch den Hof-
eingang ihm entgegen kommt.)

Hoffmann
(Cylinder, Glacéhandſchuhe).

Sei mir nicht böſe.

(Er verſtellt Loth den Weg und faßt ſeine beiden Hände.)

Ich nehme hier-
mit Alles zurück!...nenne mir eine Genugthuung!...
Ich bin zu jeder Genugthuung bereit!...ich bereue,
bereue Alles aufrichtig.


Loth.

Das hilft Dir und mir wenig.


Hoffmann.

Ach! — wenn Du doch....ſieh
mal....! mehr kann man doch eigentlich nicht thun.
..................
Ich ſage Dir: mein Gewiſſen hat mir keine Ruhe ge-
laſſen! Dicht vor Jauer bin ich umgekehrt,....daran
ſollteſt Du doch ſchon erkennen, daß es mir Ernſt iſt. —
Wo wollteſt Du hin....?


Loth.

In's Wirthshaus — einſtweilen.


Hoffmann.

Ach, das darfſt Du mir nicht an-
thun.....! das thu mir nur nicht an! Ich glaube
ja, daß es Dich tief kränken mußte. 's iſt ja auch viel-
leicht nicht ſo — mit ein paar Worten wieder gut zu
machen. Nur nimm mir nicht jede Gelegenheit.....
jede Möglichkeit, Dir zu beweiſen......hörſt Du?
Kehr um!....Bleib wenigſtens bis...bis morgen.
Oder bis...bis ich zurückkomme. Ich muß mich noch
[74] einmal in Muße mit Dir ausſprechen darüber; —
das kannſt Du mir nicht abſchlagen.


Loth.

Wenn Dir daran beſonders viel gelegen
iſt....


Hoffmann.

Alles!...auf Ehre! — iſt mir
daran gelegen, Alles!....alſo komm!...komm!!
Kneif ja nicht aus! — komm!

(Er führt Loth, der ſich nun nicht
mehr ſträubt, in das Haus zurück. Beide ab.)


(Die entlaſſene Magd und der Kuhjunge haben inzwiſchen die Lade auf
den Schubkarren geſetzt, Goliſch hat die Traggurte umgenommen.)

Marie
(während ſie Goliſch etwas in die Hand drückt).

Doo!
Gooſchla! huſt a woas!


Der Junge
(weiſt es ab).

Behaal' Den'n Biema!


Marie.

Ae! tumme Dare!


Der Junge.

Na, wegen menner.

(Er nimmt das Geld
und thut es in ſeinen ledernen Geldbeutel.)

Frau Spiller
(von einem der Wohnhausfenſter aus, ruft).


Marie!


Marie.

Woas wullt er noo?


Frau Spiller
(nach einer Minute aus der Hausthür tretend).


Die gnädige Frau will Dich behalten, wenn Du ver-
ſprichſt....


Marie.

Dreck!!! war ich er verſprecha! — Foahr
zu, Gooſch!


Frau Spiller
(näher tretend).

Die gnädige Frau will
Dir auch etwas am Lohn zulegen, wenn Du....

(plötzlich flüſternd:)

Mach Der niſcht draus, Moad! ſe werd
ok manchmal ſo'n Bisken kullerig.


Marie
(wüthend).

Se maag ſiich ihre poar Greſchla
fer ſiich behahl'n! —

(Weinerlich:)

Ehnder derhingern!

(Sie folgt
Goſch, der mit dem Schubkarren voran gefahren iſt.)

Nee, a ſu woas
oaber oo! — Do ſool eens do glei'...

(Ab.) (Frau Spiller
ihr nach ab.)


(Durch den Haupteingang kommt Baer, genannt Hopslabaer. Ein
langer Menſch mit einem Geierhalſe und Kropfe dran. Er geht barfuß und
ohne Kopfbedeckung, die Beinkleider reichen, unten ſtark ausgefranſt, bis wenig
unter die Knie herab. Er hat eine Glatze; das vorhandene braune, verſtaubte
und verklebte Haar reicht ihm bis über die Schulter. Sein Gang iſt ſtraußen-
artig. An einer Schnur führt er ein Kinderwägelchen voll Sand mit ſich. Sein
Geſicht iſt bartlos, die ganze Erſcheinung deutet auf einen einige Zwanzig alten
verwahrloſten Bauerburſchen.)

[75]
Baer
(mit merkwürdig blökender Stimme).

Saaa—a—and!
Saa—and!


(Er geht durch den Hof und verſchwindet zwiſchen Wohnhaus und Stall-
gebäude. Hoffmann und Helene aus dem Wohnhaus. Helene ſieht bleich
aus und trägt ein leeres Waſſerglas in der Hand.)

Hoffmann
(zu Helene).

Unterhalt ihn biſſel! verſtehſt
Du? — Laß ihn nicht fort — es liegt mir ſehr viel
daran. — So'n beleidigter Ehrgeiz...Adieu! —
Ach! Soll ich am Ende nicht fahren? — Wie geht's
mit Martha? — Ich hab ſo'n eigenthümliches Gefühl,
als ob's bald.....Unſinn! — Adieu!...höchſte
Eile!

(Ruft).

Franz! Was die Pferde laufen können!

(Schnell ab durch den Haupteingang.)


(Helene geht zur Pumpe, pumpt das leere Glas voll und leert es auf
einen Zug. Ein zweites Glas Waſſer leert ſie zur Hälfte. Das Glas ſetzt ſie
dann auf das Pumpenrohr und ſchlendert langſam, von Zeit zu Zeit rückwärts
ſchauend, durch den Thorweg hinaus. Baer kommt zwiſchen Wohnhaus und
Stallung hervor und hält mit ſeinem Wagen vor der Wohnhausthür ſtill, wo
Miele ihm Sand abnimmt. Indeß iſt Kahl von rechts innerhalb des Grenz-
zaunes ſichtbar geworden, im Geſpräch mit Frau Spiller, die außerhalb des
Zaunes, alſo auf dem Terrain des Hofeingangs, ſich befindet. Beide bewegen
ſich im Geſpräch langſam längs des Zaunes hin.)

Frau Spiller
(leidend).

Ach ja — m — gnädiger
Herr Kahl! Ich hab — m — manchmal ſo an Sie
— m — gedacht — m — wenn.....wenn das
gnädige Freilein.......Sie iſt doch nun mal —
m — ſo zu ſagen — m — mit Sie verlobt, und
da....ach! — m — zu meiner Zeit....!


Kahl
(ſteigt auf die Bank unter der Eiche und befeſtigt einen Meiſe-
kaſten auf dem unterſten Aſt).

W — wenn werd denn
d..dd..doas D...d...d...ducterluder amol
ſſſenner W...wwwege gihn? hä?


Frau Spiller.

Ach, Herr Kahl! Ich glaube —
m — nicht ſo bald. — A..ach, Herr — m — Kahl,
ich bin zwar ſo zu ſagen — m — etwas — m —herabjekommen, aber ich weiß ſo zu ſagen — m —
was Bildung iſt. In dieſer Hinſicht, Herr Kahl...
das Freilein — m — das gnädige Freilein..., das
handeln nicht gut gegen Ihnen — nein! — m —
darin, ſo zu ſagen — m — habe ich mir nie etwas
zu Schulden kommen laſſen — m — mein Gewiſſen —
[76] m — gnädiger Herr Kahl, iſt darin ſo rein...ſo zu
ſagen, wie reiner Schnee.


(Baer hat ſein Sandgeſchäft abgewickelt und verläßt in dieſem Augenblick,
an Kahl vorübergehend, den Hof.)

Kahl
(entdeckt Baer und ruft).

Hopslabaer, hops amool!!


(Baer macht einen rieſigen Luftſprung.)

Kahl
(vor Lachen wiehernd, ruft ein zweites Mal).

Hopslabaer,
hops amool!!


Frau Spiller.

Nun da — m — ja, Herr
Kahl!.....ich meine es nur gut mit Sie. Sie
müſſen Obacht geben — m — gnädiger Herr! Es —
m — es iſt was im Gange mit dem gnädigen Fräulein
und — m — m —


Kahl.

D..doas Ducterluder...ok bbbblußig
emool vor a Hunden — blußig e..e..e..emool!


Frau Spiller
(geheimnißvoll).

Und was das nun
noch — m — für ein Indifidium iſt. Ach — m —
das gnädige Freilein thut mir auch ſoo leid. Die
Frau — m — vom Polizeidiener, die hat's vom Amte,
glaub ich. Es ſoll ein ganz — m — gefährlicher
Menſch ſein. Ihr Mann — m — ſoll ihn ſo zu
ſagen — m — denken Sie nur, ſoll ihn — m —
geradezu im Auge behalten.


(Loth aus dem Hauſe. Sieht ſich um.)

Frau Spiller.

Seh'n Sie, nun jeht er dem
gnädigen Freilein nach — m —. Aa..ach, zuu leid
thut es einem.


Kahl.

Na wart!

(Ab.)

(Frau Spiller geht nach der Hausthüre, als ſie an Loth vorbeikommt,
macht ſie eine tiefe Verbeugung. Ab in das Haus.)

(Loth langſam durch den Thorweg ab. Die Kutſchenfrau, eine magere,
abgehärmte und ausgehungerte Frauensperſon, kommt zwiſchen Stallgebäude und
Wohnhaus hervor. Sie trägt einen großen Topf unter ihrer Schürze verſteckt
und ſchleicht damit, ſich überall ängſtlich umblickend, nach dem Kuhſtall. Ab in
die Kuhſtallthür. Die beiden Mägde, jede eine Schubkarre, hoch mit Klee beladen,
vor ſich herſtoßend, kommen durch den Thorweg herein. Beibſt, die Senſe über
der Schulter, die kurze Pfeife im Munde, folgt ihnen nach. Lieſe hat ihre Schub-
karre vor die linke, Auguſte vor die rechte Stallthür gefahren, und beide Mädchen
beginnen große Arme voll Klee in den Stall hinein zu ſchaffen.)

Lieſe
(leer aus dem Stalle herauskommend).

Du, Guſte! de
Marie iis furt.


[77]
Auguſte.

Joa wull doch?!


Lieſe.

Gih nei! freu' die Kutſcha-Franzen, ſe
milkt er an Truppen Milch ei.


Beibſt
(hängt ſeine Senſe an der Wand auf).

Na! doa lußt
ok de Spillern nee ernt derzune kumma.


Auguſte.

Oh jechtich! nee ok nee! bei Leibe nich!


Lieſe.

A ſu a oarm Weib miit achta.


Auguſte.

Acht kleene Bälge! — die wull'n laba.


Lieſe.

Nee amool an Truppen Milch thun ſ' er
ginn'n...meſchant iis doas.


Auguſte.

Wu milkt ſe denn?


Lieſe.

Ganz derhinga, de neumalke Fenus!


Beibſt
(ſtopft ſeine Pfeife; den Tabaksbeutel mit den Zähnen feſt-
haltend, nuſchelt er).

De Marie wär weg?


Lieſe.

Ju, ju, 's iis ſer gewiß! — der Pfaar-
knecht hot gle bein er geſchloofa.


Beibſt
(den Tabaksbeutel in die Taſche ſteckend).

Amool wiil
Jedes! — au' de Frau.

(Er zündet ſich die Pfeife an, darauf durch
den Haupteingang ab. Im Abgehen:)

Ich gih a wing frihſticka!


Die Kutſchenfrau
(den Topf voll Milch vorſichtig unter der
Schürze, guckt aus der Stallthür heraus).

Sitt ma Jemanda?


Lieſe.

Koanſt kumma, Kutſchen, ma ſitt ken'n.
Kumm! kumm ſchnell!


Kutſchenfrau
(im Vorübergehen zu den Mägden).

Ok ferſch
Pappekindla!


Lieſe
(ihr nachrufend).

Schnell! 's kimmt Jemand.

(Kutſchenfrau zwiſchen Wohnhaus und Stallung ab.)

Auguſte.

Blußig ok inſe Frele.


(Die Mägde räumen nun weiter die Schubkarren ab und ſchieben ſie,
wenn ſie leer ſind unter den Thorweg, hierauf Beide ab in den Kuhſtall.)

(Loth und Helene kommen zum Thorweg herein.)

Loth.

Widerlicher Menſch! dieſer Kahl, — frecher
Spion!


Helene.

In der Laube vorn, glaub ich...

(Sie
gehen durch das Pförtchen in das Gartenſtückchen links vorn und in die Laube
daſelbſt.)

Es iſt mein Lieblingsplatz. — Hier bin ich noch
am ungeſtörteſten, wenn ich mal was leſen will.


Loth.

Ein hübſcher Platz hier. — Wirklich!
[78]

Beide ſetzen ſich, ein wenig von einander getrennt, in der Laube nieder
Schweigen. Darauf Loth:)

Sie haben ſo ſehr ſchönes und reiches
Haar, Fräulein!


Helene.

Ach ja, mein Schwager ſagt das auch.
Er meinte, er hätte es kaum ſo geſehen — auch in der
Stadt nicht........Der Zopf iſt oben ſo dick wie
mein Handgelenk..........Wenn ich es losmache,
dann reicht es mir bis zu den Knien. Fühlen Sie
mal — ! Es fühlt ſich wie Seide an, gelt?


Loth.

Ganz wie Seide.

(Ein Zittern durchläuft ihn, er
beugt ſich und küßt das Haar.)

Helene
(erſchreckt).

Ach nicht doch! Wenn......


Loth.

Helene — ! War das vorhin nicht Dein
Ernſt?


Helene.

Ach! — ich ſchäme mich ſo ſchrecklich.
Was habe ich nur gemacht? — Dir...Ihnen an den
Hals geworfen habe ich mich. — Für was müſſen Sie
mich halten...!


Loth
(rückt ihr näher, nimmt ihre Hand in die ſeine).

Wenn
Sie ſich doch darüber beruhigen wollten!


Helene
(ſeufzend).

Ach, das müßte Schweſter Schmitt-
gen wiſſen....ich ſehe gar nicht hin!


Loth.

Wer iſt Schweſter Schmittgen?


Helene.

Eine Lehrerin aus der Penſion.


Loth.

Wie können Sie ſich nur über Schweſter
Schmittgen Gedanken machen!


Helene.

Sie war ſehr gut....!

(Sie lacht plötzlich
heftig in ſich hinein.)

Loth.

Warum lachſt Du denn ſo auf einmal?


Helene
(zwiſchen Pietät und Laune).

Ach!....Wenn
ſie auf dem Chor ſtand und ſang.....Sie hatte
nur noch einen einzigen langen Zahn....da ſollte es
immer heißen: Tröſte, tröſte mein Volk! und es kam
immer heraus: 'Röſte, 'röſte mein Volk! Das war zu
drollig....da mußten wir immer ſo lachen....
wenn ſie ſo durch den Saal....'röſte! röſte!

(Sie kann
ſich vor Lachen nicht laſſen, Loth iſt von ihrer Heiterkeit angeſteckt. Sie kommt
ihm dabei ſo lieblich vor, daß er den Augenblick benutzen will, den Arm um ſie
[79] zu legen. Helene wehrt es ab.)

Ach nein doch....! Ich habe
mich Dir...Ihnen an den Hals geworfen.


Loth.

Ach! ſagen Sie doch nicht ſo etwas.


Helene.

Aber ich bin nicht ſchuld, Sie haben
ſich's ſelbſt zuzuſchreiben. Warum verlangen Sie.....


(Loth legt nochmals ſeinen Arm um ſie, zieht ſie feſter an ſich. Anfangs
ſträubt ſie ſich ein wenig, dann giebt ſie ſich drein und blickt nun mit freier
Glückſeligkeit in Loth's glücktrunkenes Geſicht, das ſich über dasihre beugt.
Unverſehens, aus einer gewiſſen Schüchternheit heraus küßt ſie ihn zuerſt auf
den Mund. Beide werden roth, dann giebt Loth ihr den Kuß zurück; lang,
innig, feſt drückt ſich ſein Mund auf den ihren. Ein Geben und Nehmen von
Küſſen iſt eine Zeit hindurch die einzige Unterhaltung — ſtumm und beredt
zugleich — der Beiden. Loth ſpricht dann zuerſt.)

Loth.

Lene, nicht? Lene heißt Du hier ſo?


Helene
(küßt ihn....).

Nenn mich anders......
Nenne mich, wie Du gern möcht'ſt.


Loth.

Liebſte!...........


(Das Spiel mit dem Küſſetauſchen und ſich gegenſeitig Betrachten wiederholt ſich.)

Helene
(von Loth's Armen feſt umſchlungen, ihren Kopf an ſeiner
Bruſt, mit verſchleierten glückſeligen Augen, flüſtert im Ueberſchwang).

Ach!
— wie ſchön! Wie ſchön —!!!


Loth.

So mit Dir ſterben!


Helene
(mit Inbrunſt).

Leben!....

(Sie löſt ſich aus ſeinen
Armen).

Warum denn jetzt ſterben?.....jetzt...


Loth.

Das mußt Du nicht falſch auffaſſen. Von
jeher berauſche ich mich....beſonders in glücklichen
Momenten berauſche ich mich in dem Bewußtſein, es in
der Hand zu haben, weißt Du!


Helene.

Den Tod in der Hand zu haben?


Loth
(ohne jede Sentimentalität).

Ja! und ſo hat er gar
nichts Grauſiges, im Gegentheil, ſo etwas Freundſchaft-
liches hat er für mich. Man ruft und weiß beſtimmt,
daß er kommt. Man kann ſich dadurch über alles Mög-
liche hinwegheben, Vergangenes — und Zukünftiges....

Helenen's Hand betrachtend).

Du haſt eine ſo wunderhübſche
Hand.

(Er ſtreichelt ſie.)

Helene.

Ach ja! — ſo.....

(Sie drückt ſich auf's
Neue in ſeine Arme.)

.............
..................


[80]
Loth.

Nein, weißt Du! ich hab nicht gelebt!.....
bisher nicht!


Helene.

Denkſt Du ich?........
..................
Mir iſt faſt taumlig....taumelig bin ich vor Glück.
Gott! wie iſt das — nur ſo auf einmal.....


Loth.

Ja, ſo auf ein—mal......
..................


Helene.

Hör mal! ſo iſt mir: die ganze Zeit
meines Lebens, — ein Tag! — geſtern und heut, —
ein Jahr! gelt?


Loth.

Erſt geſtern bin ich gekommen?


Helene.

Ganz gewiß! — eben! — natürlich!.....
Ach, ach! Du weißt es nicht mal!


Loth.

Es kommt mir wahrhaftig auch vor.......


Helene.

Nicht —? Wie 'n ganzes geſchlagnes
Jahr! — Nicht —?

(Halb aufſpringend:)

Wart....! —
Kommt — da nicht....

(Sie rücken aus einander.)

...
..................
Ach! es iſt mir auch — egal. Ich bin jetzt — ſo
muthig

(ſie bleibt ſitzen und muntert Loth mit einem Blick auf, näher zu
rücken, was dieſer ſogleich thut).

Helene
(in Loth's Armen).

.........
Du! — Was thun wir denn nu zuerſt?


Loth.

Deine Stiefmutter würde mich wohl —
abweiſen.


Helene.

Ach, meine Stiefmutter....das wird
wohl gar nicht....gar nichts geht's die an! Ich
mache, was ich will.....Ich hab mein mütterliches
Erbtheil, mußt Du wiſſen.


Loth.

Deshalb meinſt Du....


Helene.

Ich bin majorenn, Vater muß mir's
auszahlen.


Loth.

Du ſtehſt wohl nicht gut — mit Allen
hier? — Wohin iſt denn Dein Vater verreiſt?


Helene.

Verr...Du haſt...? ach, Du haſt
Vater noch nicht geſehen?


[81]
Loth.

Nein! Hoffmann ſagte mir....


Helene.

Doch!...haſt Du ihn ſchon einmal
geſehen.


Loth.

Ich wüßte nicht!...Wo denn, Liebſte?


Helene.

Ich...

(ſie bricht in Thränen aus)

nein, ich kann
— kann Dir's noch nicht ſagen....zu furchtbar
ſchrecklich iſt das.


Loth.

Furchtbar ſchrecklich? Aber Helene! iſt
denn Deinem Vater etwas...


Helene.

Ach! — frag mich nicht! jetzt nicht! ſpäter!


Loth.

Was Du mir nicht freiwillig ſagen willſt,
danach werde ich Dich auch gewiß nicht mehr fragen
..................
Sieh mal, was das Geld anlangt.....im ſchlimmſten
Falle....ich verdiene ja mit dem Artikelſchreiben
nicht gerade überflüſſig viel, aber ich denke, es müßte
am Ende für uns Beide ganz leidlich hinreichen.


Helene.

Und ich würde doch auch nicht müßig
ſein. Aber beſſer iſt beſſer. Das Erbtheil iſt vollauf
genug. — Und Du ſollſt Deine Aufgabe....nein,
die ſollſt Du unter keiner Bedingung aufgeben, jetzt erſt
recht....! jetzt ſollſt Du erſt recht die Hände frei be-
kommen.


Loth
(ſie innig küſſend).

Liebes, edles Geſchöpf!......
..................


Helene.

Haſt Du mich wirklich lieb....?...
Wirklich?...wirklich?


Loth.

Wirklich.


Helene.

Sag hundert Mal wirklich!


Loth.

Wirklich, wirklich und wahrhaftig.


Helene.

Ach, weißt Du! Du ſchummelſt!


Loth.

Das wahrhaftig gilt hundert wirklich.


Helene.

Soo!? wohl in Berlin?


Loth.

Nein, eben in Witzdorf.


Helene.

Ach, Du!..........
..................
Sieh meinen kleinen Finger an und lache nicht.


6
[82]
Loth.

Gern.


Helene.

Haſt Du au—ßer Dei—ner er—ſten
Braut noch Andere ge....? Du!!! Du lachſt.


Loth.

Ich will Dir was im Ernſt ſagen, Liebſte,
ich halte es für meine Pflicht....Ich habe mit einer
großen Anzahl Frauen....


Helene
(ſchnell und heftig auffahrend, drückt ihm den Mund zu).


Um Gott...! ſag mir das einmal — ſpäter —
wenn wir alt ſind....nach Jahren — wenn ich Dir
ſagen werde: jetzt — hörſt Du! nicht eher.


Loth.

Gut! wie Du willſt.


Helene.

Lieber was Schönes jetzt!.....
Paß auf! Sprich mir mal das nach:


Loth.

Was?


Helene.

„Ich hab Dich


Loth.

„Ich hab Dich


Helene.

„und nur immer Dich


Loth.

„und nur immer Dich


Helene.

„geliebt — geliebt Zeit meines Lebens


Loth.

„geliebt — geliebt Zeit meines Lebens


Helene.

„und werde nur Dich allein Zeit meines
Lebens lieben


Loth.

„und werde nur Dich allein Zeit meines
Lebens lieben, und das iſt wahr, ſo wahr ich ein ehr-
licher Mann bin.


Helene
(freudig).

Das hab ich nicht geſagt.


Loth.

Aber ich.

(Küſſe.)

.........
..................


Helene
(ſummt ganz leiſe).

Du, Du liegſt mir im Her—zen
..................


Loth.

Jetzt ſollſt Du auch beichten.


Helene.

Alles, was Du willſt.


Loth.

Beichte! Bin ich der Erſte?


Helene.

Nein.


Loth.

Wer?


Helene
(übermüthig herauslachend).

Koahl-Willem!


Loth
(lachend).

Wer noch?


[83]
Helene.

Ach nein! weiter iſt es wirklich Keiner.
Du mußt mir glauben..........
Wirklich nicht. Warum ſollte ich denn lügen.....?


Loth.

Alſo doch noch Jemand?


Helene
(heftig).

Bitte, bitte, bitte, bitte, frag mich
jetzt nicht darum.

(Verſteckt das Geſicht in den Händen, weint ſcheinbar
ganz unvermittelt.)

Loth.

Aber....aber Lenchen! ich dringe ja
durchaus nicht in Dich.


Helene.

Später! Alles, Alles ſpäter.


Loth.

Wie geſagt, Liebſte....


Helene.

's war Jemand — mußt Du wiſſen —
den ich,....weil....weil er unter Schlechten mir weniger
ſchlecht vorkam. Jetzt iſt das ganz anders.

(Weinend an
Loth's Halſe, ſtürmiſch:)

Ach, wenn ich doch gar nicht mehr
von Dir fort müßte! Am liebſten ginge ich gleich auf
der Stelle mit Dir.


Loth.

Du haſt es wohl ſehr ſchlimm hier im
Hauſe?


Helene.

Ach, Du! — Es iſt ganz entſetzlich,
wie es hier zugeht; ein Leben wie — das....wie
das liebe Vieh, — ich wäre darin umgekommen ohne
Dich — mich ſchaudert's!


Loth.

Ich glaube, es würde Dich beruhigen,
wenn Du mir Alles offen ſagteſt, Liebſte!


Helene.

Ja freilich! aber — ich bring's nicht
über mich. Jetzt nicht....jetzt noch nicht! — Ich
fürcht' mich förmlich.


Loth.

Du warſt in der Penſion?!


Helene.

Die Mutter hat es beſtimmt — auf
dem Sterbebett noch.


Loth.

Auch Deine Schweſter war....?


Helene.

Nein! — die war immer zu Hauſe.....
und als ich dann nun vor vier Jahren wiederkam, da
fand ich — einen Vater — der....eine Stiefmutter
— die....eine Schweſter.........
rath mal, was ich meine!


6*
[84]
Loth.

Deine Stiefmutter iſt zänkiſch. — Nicht?
— Vielleicht eiferſüchtig? — lieblos?


Helene.

Der Vater....?


Loth.

Nun! — der wird aller Wahrſcheinlichkeit
nach in ihr Horn blaſen. — Tyranniſirt ſie ihn
vielleicht?


Helene.

Wenn's weiter nichts wär...nein!...
es iſt zu entſetzlich! — Du kannſt nicht darauf kommen —
daß....daß der — mein Vater....daß es mein
Vater war — den — Du....


Loth.

Weine nur nicht, Lenchen!...ſiehſt Du
— nun möcht ich beinah ernſtlich darauf dringen, daß
Du mir...


Helene.

Nein! es geht nicht! ich habe noch nicht
die Kraft — es — Dir....


Loth.

Du reibſt Dich auf, ſo.


Helene.

Ich ſchäme mich zu bodenlos! — Du...
Du wirſt mich fortſtoßen, fortjagen...! Es iſt über
alle Begriffe....Ekelhaft iſt es!


Loth.

Lenchen, Du kennſt mich nicht — ſonſt
würd'ſt Du mir ſo etwas nicht zutrauen. — Fortſtoßen!
fortjagen! Komm ich Dir denn wirklich ſo brutal vor?


Helene.

Schwager Hoffmann ſagte: Du würdeſt
— kaltblütig....Ach nein! nein! nein! das thuſt
Du doch nicht! gelt? — Du ſchreiteſt nich über mich
weg? thu' es nicht!! — Ich weiß nicht — was —
dann noch aus — mir werden ſollte.


Loth.

Ja, aber das iſt ja Unſinn! Ich hätte ja
gar keinen Grund dazu.


Helene.

Alſo Du hältſt es doch für möglich?!


Loth.

Nein! — eben nicht.


Helene.

Aber wenn Du Dir einen Grund aus-
denken kannſt.


Loth.

Es gäbe allerdings Gründe, aber — die
ſtehen nicht in Frage.


Helene.

Und ſolche Gründe?


[85]
Loth.

Nur, wer mich zum Verräther meiner ſelbſt
machen wollte, über den müßte ich hinweggehen.


Helene.

Das will ich gewiß nicht — aber ich
werde halt das Gefühl nicht los.


Loth.

Was für ein Gefühl, Liebſte?


Helene

Es kommt vielleicht daher: ich bin ſo
dumm! — Ich hab gar nichts in mir. Ich weiß nicht
mal, was das iſt, Grundſätze. — Gelt? das iſt doch
ſchrecklich. Ich lieb Dich nur ſo einfach! — aber Du
biſt ſo gut, ſo groß — und haſt ſo viel in Dir. Ich
habe ſolche Angſt, Du könnteſt doch noch mal merken —
wenn ich was Dummes ſage — oder mache — daß es
doch nicht geht,....daß ich doch viel zu einfältig für
Dich bin...........Ich bin wirklich ſchlecht und
dumm wie Bohnenſtroh.


Loth.

Was ſoll ich dazu ſagen?! Du biſt mir
Alles in Allem! Alles in Allem biſt Du mir! Mehr
weiß ich nicht.


Helene.

Und geſund bin ich ja auch.....


Loth.

Sag mal! ſind Deine Eltern geſund?


Helene.

Ja, das wohl! das heißt: die Mutter
iſt am Kindbettfieber geſtorben. Vater iſt noch geſund;
er muß ſogar eine ſehr ſtarke Natur haben. Aber....


Loth.

Na! — ſiehſt Du! alſo...


Helene.

Und wenn die Eltern nun nicht geſund
wären —?


Loth
(küßt Helene).

Sie ſind's ja doch, Lenchen.


Helene.

Aber wenn ſie es nicht wären —?

(Frau Krauſe ſtößt ein Wohnhausfenſter auf und ruft in den Hof.)

Frau Krauſe.

Ihr Madel! Ihr Maa..del!!


Lieſe
(aus dem Kuhſtall).

Frau Krauſen!?


Frau Krauſe.

Renn' zur Müllern! 's giht luus!


Lieſe.

Wa—a, zur Hebomme Millern, meen' Se?


Frau Krauſe.

Na? lei'ſt uff a Uhr'n?

(ſie ſchlägt
das Fenſter zu.)

(Lieſe rennt in den Stall und dann mit einem Tüchelchen um den Kopf
zum Hofe hinaus. Frau Spiller erſcheint in der Hausthür.)

[86]
Frau Spiller
(ruft).

Fräulein Helene!...
.........gnädiges Fräulein Helene!


Helene.

Was nur da los ſein mag.


Frau Spiller
(ſich der Laube nähernd).

Fräulein Helene.


Helene.

Ach! das wird's ſein! — die Schweſter.
Geh fort! da herum.

(Loth ſchnell links vorn ab. Helene tritt aus der Laube.)

Frau Spiller.

Fräulein.....! ach da ſind
Sie endlich.


Helene.

Was is denn?


Frau Spiller.

Aach — m — bei Frau Schweſter

(flüſtert ihr etwas in's Ohr)

— m — m —


Helene.

Mein Schwager hat anbefohlen, für den
Fall, ſofort nach dem Arzt zu ſchicken.


Frau Spiller.

Gnädiges Fräulein — m — ſie
will doch aber — m — will doch aber keinen Arzt —
m — die Aerzte, aach die — m — Aerzte! — m —
mit Gottes Beiſtand...


(Miele kommt aus dem Hauſe.)

Helene.

Miele! gehen Sie augenblicklich zum
Dr. Schimmelpfennig.


Frau Spiller.

Aber Fräulein....


Frau Krauſe
(aus dem Fenſter, gebieteriſch).

Miele! Du
kimmſt ruff!


Helene
(ebenſo).

Sie gehen zum Arzt, Miele.

(Miele zieht
ſich in's Haus zurück.)

Nun, dann will ich ſelbſt....

ſie geht in's
Haus und kommt, den Strohhut am Arm, ſogleich zurück).

Frau Spiller.

Dann — m — wird es ſchlimm.
Wenn Sie den Arzt holen — m — gnädiges Fräulein,
dann — m — wird es gewiß ſchlimm.


(Helene geht an ihr vorüber. Frau Spiller zieht ſich kopfſchüttelnd ins
Haus zurück. Als Helene in die Hofeinfahrt biegt, ſteht Kahl am Grenzzaun.)

Kahl
(ruft Helenen zu:)

Woas iis denn bei Eich luus?

(Helene hält im Lauf nicht inne, noch würdigt ſie Kahl eines Blickes oder einer
Antwort.)

Kahl
(lachend).

Ihr ha't wull Schweinſchlachta?


[87]

Fünfter Akt.


(Das Zimmer wie im erſten Akt. Zeit: gegen 2 Uhr Nachts.
Im Zimmer herrſcht Dunkelheit. Durch die offene Mittelthür
dringt Licht aus dem erleuchteten Hausflur. Deutlich beleuchtet
iſt auch noch die Holztreppe in dem erſten Stock. Alles in dieſem
Akt — bis auf wenige Ausnahmen — wird in einem gedämpften
Tone geſprochen.

(Eduard mit Licht tritt durch die Mittelthür ein. Er entzündet die
Hängelampe über dem Eßtiſch (Gasbeleuchtung). Als er damit beſchäftigt iſt,
kommt Loth ebenfalls durch die Mittelthür.)

Eduard.

Ja ja! — bei die Zucht....'t muß
reen unmenſchen meglich ſint, een Oge zuzuthun.


Loth.

Ich wollte nicht 'mal ſchlafen. Ich habe
geſchrieben.


Eduard.

Ach wat!

(Er ſteckt an.)

So! — na jewiß!
— et mag ja woll ſchwer jenug ſin.....Wünſchen
der Herr Doctor vielleicht Dinte und Feder?


Loth.

Am Ende...wenn Sie ſo freundlich ſein
wollen, Herr Eduard.


Eduard
(indem er Dinte und Feder auf den Tiſch ſetzt).

Ik meen
all immer: was 'n ehrlicher Mann is, der muß Haut
und Knochen dranſetzen um jeden lumpichten Jroſchen.
Nich 'mal det bisken Nachtruhe hat man. —

(Immer ver-
traulicher.)

Aber die Nation hier, die duht reen jar niſcht;
ſo'n faules, nichtsnutziges Pack, ſo'n...der Herr
Doctor muſſen jewiß ooch all dichtig in't Zeuch jehn, um
det bisken Lebensunterhalt, wie alle ehrlichen Leute.


Loth.

Wünſchte, ich brauchte es nicht!


Eduard.

Na, wat meen' Se woll! ik ooch!


Loth.

Fräulein Helene iſt wohl bei ihrer Schweſter?


[88]
Eduard.

Allet wat wahr is: d' is 'n jutes
Mä'chen! jeht ihr nich von der Seite.


Loth
(ſieht an die Uhr).

Um 11 Uhr früh begannen
die Wehen. Sie dauern alſo...fünfzehn Stunden
dauern ſie jetzt bereits. — Fünfzehn lange Stunden —!


Eduard.

Weeß Jott! — und det benimen ſe
nu 't ſchwache Jeſchlecht — ſie jappt aber ooch man nur
noch ſo.


Loth.

Herr Hoffmann iſt auch oben!?


Eduard.

Und ick ſag Ihnen, 't reene Weib.


Loth.

Das mit anzuſehen iſt wohl auch keine
Kleinigkeit.


Eduard.

I! nu! det will ik meenen! Na! eben
is Doctor Schimmelpfennig zujekommen. Det is 'n
Mann ſag' ik Ihnen: jrob wie 'ne Sackſtrippe, aber —
Zucker is 'n dummer Junge dajejen. Sagen Sie man
blos, wat is aus det olle Berlin....

(Er unterbricht ſich
mit einem.)

Jott Strambach!

(Da Hoffmann und der Doctor die Treppe
herunter kommen.)

(Hoffmann und Doctor Schimmelpfennig treten ein.)

Hoffmann.

Jetzt — bleiben Sie doch wohl bei uns.


Dr.Schimmelpfennig.

Ja! jetzt werde ich hier
bleiben.


Hoffmann.

Das iſt mir eine große, große Be-
ruhigung. — Ein Glas Wein...? Sie trinken doch
ein Glas Wein, Herr Doctor!?


Dr.Schimmelpfennig.

Wenn Sie etwas thun
wollen, dann laſſen Sie mir ſchon lieber eine Taſſe
Caffee brauen.


Hoffmann.

Mit Vergnügen. — Eduard! Caffee
für Herrn Doctor!

(Eduard ab.)

Sie ſind.....? Sind
Sie zufrieden mit dem Verlauf?


Dr.Schimmelpfennig.

So lange Ihre Frau
Kraft behält iſt jedenfalls directe Gefahr nicht vorhanden.
Warum haben Sie übrigens die junge Hebamme nicht
zugezogen? Ich hatte Ihnen doch eine empfohlen ſo
viel ich weiß.


[89]
Hoffmann.

Meine Schwiegermama...was ſoll
man machen? Wenn ich ehrlich ſein ſoll: auch meine
Frau hatte kein Vertrauen zu der jungen Perſon.


Dr.Schimmelpfennig.

Und zu dieſem foſſilen
Geſpenſt haben Ihre Damen Vertrauen?! wohl bekomms!
— Sie möchten gern wieder hinauf?


Hoffmann.

Ehrlich geſagt: ich habe nicht viel
Ruhe hier unten.


Dr.Schimmelpfennig.

Beſſer wär's freilich
Sie gingen irgend wohin, aus dem Hauſe.


Hoffmann.

Beim beſten Willen das....ach,
Loth! da biſt Du ja auch noch.

(Loth erhebt ſich von dem Sopha
im dunklen Vordergrunde und geht auf die Beiden zu.)

Dr.Schimmelpfennig
(aufs Aeußerſte überraſcht).

Donner-
wetter!


Loth.

Ich hörte ſchon, daß Du hier ſeiſt. Morgen
hätte ich Dich unbedingt aufgeſucht.

(Beide ſchütteln ſich tüchtig
die Hände. Hoffmann benutzt den Augenblick am Buffet ſchnell ein Glas
Cognac hinunterzuſpülen, darauf dann ſich auf den Zehen hinaus und die Holz-
treppe hinauf zu ſchleichen.)

(Das Geſpräch der beiden Freunde ſteht am Anfang unverkennbar unter
dem Einfluß einer gewiſſen leiſen Zurückhaltung.)

Dr.Schimmelpfennig.

Du haſt alſo wohl...
ha ha ha die alte, dumme Geſchichte vergeſſen?

(Er legt
Hut und Stock bei Seite.)

Loth.

Längſt vergeſſen, Schimmel!


Dr.Schimmelpfennig.

Na, ich auch! das
kannſt Du Dir denken. —

(Sie ſchütteln ſich nochmals die Hände.)


Ich habe in dem Neſt hier ſo wenig freudige Ueber-
raſchungen gehabt, daß mir die Sache ganz curios vor-
kommt. Merkwürdig! Gerade hier treffen wir uns. —
Merkwürdig!


Loth.

Rein verſchollen biſt Du ja, Schimmel!
hätte Dich ſonſt längſt mal umgeſtoßen.


Dr.Schimmelpfennig.

Unter Waſſer gegangen
wie ein Seehund. Tiefſeeforſchungen gemacht. In andert-
halb Jahren etwa hoffe ich wieder aufzutauchen. Man
muß materiell unabhängig ſein, wiſſen Sie...weißt
Du! wenn man etwas Brauchbares leiſten will.


[90]
Loth.

Alſo Du machſt auch Geld hier?


Dr.Schimmelpfennig.

Natürlicherweiſe und
zwar ſo viel als möglich. Was ſollte man hier auch
anderes thun?


Loth.

Du hätt'ſt doch 'mal was von Dir hören
laſſen ſollen.


Dr.Schimmelpfennig.

Erlauben Sie...er-
laube, hätte ich von mir was hören laſſen, dann hätte
ich von Euch was wieder gehört, und ich wollte durchaus
nichts hören. Nichts, — gar nichts, das hätte mich
höchſtens von meiner Goldwäſcherei abhalten können.

(Beide gehen langſamen Schritts auf und ab im Zimmer.)

Loth.

Na ja — Du kannſt Dich dann aber auch
nicht wundern, daß ſie...nämlich ich muß Dir ſagen,
ſie haben Dich eigentlich Alle, durch die Bank, aufgegeben.


Dr.Schimmelpfennig.

Sieht ihnen ähnlich. —
Bande! — ſollen ſchon was merken.


Loth.

Schimmel, genannt: das Rauhbein!


Dr.Schimmelpfennig.

Du ſollteſt nur ſechs
Jahre unter dieſen Bauern gelebt haben. Himmelhunde
alle miteinander.


Loth.

Das kann ich mir denken. — Wie biſt
Du denn gerade nach Witzdorf gekommen?


Dr.Schimmelpfennig.

Wie's ſo geht: damals
mußte ich doch auskneifen, von Jena weg.


Loth.

War das vor meinem Reinfall?


Dr.Schimmelpfennig.

Ja wohl. Kurze Zeit
nachdem wir unſer Zuſammenleben aufgeſteckt hatten.
In Zürich legte ich mich dann auf die Medicinerei,
zunächſt um etwas für den Nothfall zu haben; dann fing
aber die Sache an mich zu intereſſiren, und jetzt bin ich
mit Leib und Seele Medicus.


Loth.

Und hierher...? Wie kamſt Du hier her?


Dr.Schimmelpfennig.

Ach ſo! — einfach! als
ich fertig war, da ſagte ich mir: nun vor allen Dingen
einen hinreichenden Haufen Kies. Ich dachte an Amerika,
Süd- und Nord-Amerika, an Afrika, Auſtralien, die
[91] Sundainſeln.....am Ende fiel mir ein, daß mein
Knabenſtreich ja mittlerweile verjährt war, da habe ich
mich denn entſchloſſen in die Mauſefalle zurückzukriechen.


Loth.

Und Dein Schweizer Examen?


Dr.Schimmelpfennig.

Ich mußte eben die
Geſchichte hier noch mal über mich ergehen laſſen.


Loth.

Du haſt alſo das Staatsexamen zwei Mal
gemacht, Kerl!?


Dr.Schimmelpfennig.

Ja! — ſchließlich habe
ich dann glücklicherweiſe dieſe fette Weide hier ausfindig
gemacht.


Loth.

Du biſt zähe, zum beneiden.


Dr.Schimmelpfennig.

Wenn man nur nicht
plötzlich mal zuſammenklappt. — Na! ſchließlich iſt's
auch kein Unglück.


Loth.

Haſt Du denn 'ne große Praxis?


Dr.Schimmelpfennig.

Ja! Mitunter komme
ich erſt um fünf Uhr früh zu Bett, um ſieben Uhr
fängt dann bereits wieder meine Sprechſtunde an.


(Eduard kommt und bringt Caffee.)

Dr.Schimmelpfennig
(indem er ſich am Tiſch niederläßt,
zu Eduard).

Danke Eduard! —

(zu Loth.)

Caffee ſaufe ich
...unheimlich.


Loth.

Du ſollteſt das lieber laſſen mit dem Caffee.


Dr.Schimmelpfennig.

Was ſoll man machen.

(Er nimmt kleine Schlucke.)

Wie geſagt — ein Jahr noch,
dann — hört's auf...hoffentlich wenigſtens.


Loth.

Willſt Du dann gar nicht mehr practicieren?


Dr.Schimmelpfennig.

Glaube nicht. Nein...
nicht mehr.

(Er ſchiebt das Tablet mit dem Caffeegeſchirr zurück, wiſcht
ſich den Mund.)

Uebrigens — zeig' mal Deine Hand.

(Loth
hält ihm beide Hände hin.)

Nein? — keine Dalekarlierin heim-
geführt? — keine gefunden, wie?....Wollteſt doch
immer ſo 'n Ur- und Kernweib von wegen des geſunden
Blutes. Haſt übrigens recht: wenn ſchon, denn ſchon
...oder nimmſt Du's in dieſer Beziehung etwa nicht
mehr ſo genau?


[92]
Loth.

Na ob...! und wie!


Dr.Schimmelpfennig.

Ach, wenn die Bauern
hier doch auch ſolche Ideen hätten. Damit ſieht's aber
jämmerlich aus, ſage ich Dir, Degeneration auf der
ganzen...

(Er hat ſeine Cigarrentaſche halb aus der Bruſttaſche gezogen,
läßt ſie aber wieder zurückgleiten und ſteht auf, als irgend ein Laut durch die
nur angelehnte Hausflurthür hereindringt.)

Wart mal!

(Er geht auf den
Zehen bis zur Hausflurthür und horcht. Eine Thür geht draußen, man hört
einige Augenblicke deutlich das Wimmern der Wöchnerin. Der Doctor ſagt, zu
Loth gewandt, leiſe.)

Entſchuldige!

(und geht hinaus.)

(Einige Augenblicke durchmißt Loth, während draußen Thüren ſchlagen,
Menſchen die Treppe auf und ablaufen, das Zimmer; dann ſetzt er ſich in den
Lehnſeſſel rechts vorn. Helene huſcht herein und umſchlingt Loth, der ihr
Kommen nicht bemerkt hat, von rückwärts.)

Loth
(ſich umblickend, ſie ebenfalls umfaſſend).

Lenchen!!

(Er
zieht ſie zu ſich herunter und trotz gelinden Sträubens auf ſein Knie. Helene
weint unter den Küſſen, die er ihr giebt.)

Loth.

Ach weine doch nicht, Lenchen! warum
weinſt Du denn ſo ſehr?


Helene.

Warum? weiß ich's?!......
Ich denk' immer, ich — treff' Dich nicht mehr. Vorhin
habe ich mich ſo erſchrocken....


Loth.

Weshalb denn?


Helene.

Weil ich Dich aus Deinem Zimmer
treten hörte — ach!...und die Schweſter — wir
armen, armen Weiber! — die muß zu ſehr ausſtehen.


Loth.

Der Schmerz vergißt ſich ſchnell und auf
den Tod geht's ja nicht.


Helene.

Ach, Du! ſie wünſcht ſich ihn ja...ſie
jammert nur immer ſo: laßt mich doch ſterben;...der
Doctor!

(Sie ſpringt auf und huſcht in den Wintergarten.)

Dr.Schimmelpfennig
(im Hereintreten).

Nun wünſchte
ich wirklich, daß ſich das Frauchen da oben 'n Biſſel
beeilte!

(Er läßt ſich am Tiſch nieder, zieht neuerdings die Cigarrentaſche,
entnimmt ihr eine Cigarre und legt dieſe neben ſich).

Du kommſt mit
zu mir dann, wie? — hab' draußen ſo 'n nothwendiges
Uebel mit zwei Gäulen davor, da können wir drin zu
mir fahren.

(Seine Cigarre an der Tiſchkante klopfend.)

Der ſüße
Eheſtand! ja, ja!

(ein Zündholz anſtreichend)

alſo noch friſch,
frei, fromm, froh?


[93]
Loth.

Hätteſt noch gut ein paar Tage warten
können mit Deiner Frage.


Dr.Schimmelpfennig
(bereits mit brennender Cigarre).


Wie?...ach...ach ſo!

(lachend)

alſo endlich doch auf
meine Sprünge gekommen.


Loth.

Biſt Du wirklich noch ſo entſetzlich
peſſimiſtiſch in Bezug auf Weiber?


Dr.Schimmelpfennig.

Ent—ſetzlich!!!

(Dem Rauch
ſeiner Cigarre nachblickend.)

Früher war ich Peſſimiſt — ſo
zu ſagen ahnungsweiſe...


Loth.

Haſt Du denn inzwiſchen ſo beſondere Er-
fahrungen gemacht?


Dr.Schimmelpfennig.

Ja, allerdings! — auf
meinem Schilde ſteht nämlich: Specialiſt für Frauen-
krankheiten. — Die mediciniſche Praxis macht nämlich
furchtbar klug...furchtbar — geſund,...iſt Specificum
gegen...allerlei Staupen!


Loth
(lacht).

Na, da könnten wir ja gleich wieder
in der alten Tonart anfangen. Ich hab' nämlich...
ich bin nämlich keineswegs auf Deine Sprünge gekommen.
Jetzt weniger als je!...........
auf dieſe Weiſe haſt Du wohl auch Dein Steckenpferd
vertauſcht?


Dr.Schimmelpfennig.

Steckenpferd?


Loth.

Die Frauenfrage war doch zu damaliger
Zeit gewiſſermaßen Dein Steckenpferd!


Dr.Schimmelpfennig.

Ach ſo! — warum ſollte
ich es vertauſcht haben?


Loth.

Wenn Du über die Weiber noch ſchlechter
denkſt, als...


Dr.Schimmelpfennig
(ein wenig in Harniſch, erhebt ſich
und geht hin und her, dabei ſpricht er).

Ich — denke nicht ſchlecht
von den Weibern. — Kein Bein! — nur über das
Heirathen denke ich ſchlecht...über die Ehe...über
die Ehe, und dann höchſtens noch über die Männer
denke ich ſchlecht............
Die Frauenfrage ſoll mich nicht mehr intereſſieren? Ja,
[94] weshalb hätte ich denn ſonſt ſechs lange Jahre hier wie
'n Laſtpferd gearbeitet? doch nur um alle meine ver-
fügbaren Kräfte endlich 'mal ganz der Löſung dieſer
Frage zu widmen. Wußteſt Du denn das nicht von
Anfang an?


Loth.

Wo hätte ich's denn her wiſſen ſollen?


Dr.Schimmelpfennig.

Na, wie geſagt...ich
hab' auch ſchon ein ziemlich ausgiebiges Material ge-
ſammelt, das mir gute Dienſte leiſten...bſſt! ich hab'
mir das Schreien ſo angewöhnt.

(Er ſchweigt, horcht, geht zur
Thür und kommt zurück).

Was hat Dich denn eigentlich unter
die Goldbauern geführt?


Loth.

Ich möchte die hieſigen Verhältniſſe ſtudiren.


Dr.Schimmelpfennig
(mit gedämpfter Stimme).

Idee!

(noch leiſer)

da kannſt Du bei mir auch Material bekommen.


Loth.

Freilich, Du mußt ja ſehr unterrichtet ſein
über die Zuſtände hier. Wie ſieht es denn ſo in den
Familien aus?


Dr.Schimmelpfennig.

E—lend!.....durch-
gängig...Suff! Völlerei, Inzucht und in Folge davon,
Degenerationen auf der ganzen Linie.


Loth.

Mit Ausnahmen doch!?


Dr.Schimmelpfennig.

Kaum!


Loth
(unruhig).

Biſt Du denn nicht zuweilen in...
in Verſuchung gerathen eine...eine Witzdorfer Gold-
tochter zu heirathen?


Dr.Schimmelpfennig.

Pfui Teufel!!! Kerl,
für was hältſt Du mich? — ebenſo könnteſt Du mich
fragen, ob ich...


Loth
(ſehr bleich).

Wie...wieſo?


Dr.Schimmelpfennig.

Weil...iſt Dir was?

(Er fixirt ihn einige Augenblicke.)

Loth.

Gar nichts! was ſoll mir denn ſein?


Dr.Schimmelpfennig
(iſt plötzlich ſehr nachdenklich, geht
und ſteht jäh und mit einem leiſen Pfiff ſtill, blickt Loth abermals flüchtig an
und ſagt dann halblaut zu ſich ſelbſt).

Schlimm!


Loth.

Du biſt ja ſo ſonderbar plötzlich.


[95]
Dr.Schimmelpfennig.

Still!

(Er horcht auf und
verläßt dann ſchnell das Zimmer durch die Mittelthür).

Helene
(nach einigen Augenblicken durch die Mittelthür, ſie ruft).


Alfred! — Alfred!...ach da biſt Du — Gott ſei Dank!


Loth.

Nun, ich ſollte wohl am Ende gar fort-
gelaufen ſein?

(Umarmung.)

Helene
(biegt ſich zurück. Mit unverkennbarem Schrecken im Aus-
druck).

Alfred!


Loth.

Was denn Liebſte?


Helene.

Nichts, nichts!


Loth.

Aber Du mußt doch was haben?


Helene.

Du kamſt mir ſo...ſo kalt...Ach,
ich hab' ſolche ſchrecklich dumme Einbildungen.


Loth.

Wie ſteht's denn oben?


Helene.

Der Doctor zankt mit der Hebamme.


Loth.

Wird's nicht bald zu Ende gehen?


Helene.

Weiß ich's? — Aber wenn's...wenn's
zu Ende iſt, meine ich, dann...


Loth.

Was dann?.......ſag' doch, bitte!
was wollteſt Du ſagen?


Helene.

Dann ſollten wir bald von hier fort-
gehen. Gleich! auf der Stelle.


Loth.

Wenn Du das wirklich für das Beſte hältſt,
Lenchen —


Helene.

Ja, ja! wir dürfen nicht warten! Es
iſt das Beſte — für Dich und mich. Wenn Du mich
nicht jetzt bald nimmſt, dann läßt Du mich heilig noch
ſitzen, und dann...dann...muß ich doch noch zu
Grunde gehen.


Loth.

Wie Du doch mißtrauiſch biſt, Lenchen!


Helene.

Sag das nicht, Liebſter! Dir traut man,
Dir muß man trauen!....Wenn ich erſt Dein bin,
dann...Du verläßt mich dann ganz gewiß nicht mehr.

(Wie außer ſich.)

Ich beſchwöre Dich! geh' nicht fort! Ver-
laß mich doch nur nicht. Geh' — nicht fort, Alfred!
Alles iſt aus, Alles, wenn Du einmal ohne mich von
hier fortgehſt.


[96]
Loth.

Merkwürdig biſt Du doch!.....
Und da willſt Du nicht mißtrauiſch ſein?...Oder ſie
plagen Dich, martern Dich hier ganz entſetzlich, mehr
als ich mir je....Jedenfalls gehen wir aber noch
dieſe Nacht. Ich bin bereit. Sobald Du willſt, gehen
wir alſo.


Helene
(gleichſam mit aufjauchzendem Dank ihm um den Hals
fallend).

Geliebter!

(Sie küßt ihn wie raſend und eilt ſchnell davon.)

Dr. Schimmelpfennig tritt durch die Mitte ein; er bemerkt noch, wie
Helene in der Wintergartenthür verſchwindet.)

Dr.Schimmelpfennig.

Wer war das? — Ach
ſo!

(In ſich hinein:)

Armes Ding!

(Er läßt ſich mit einem Seufzer am
Tiſch nieder, findet die alte Cigarre, wirft ſie bei Seite, entnimmt dem Etui
eine friſche Cigarre und fängt an, ſie an der Tiſchkante zu klopfen, wobei er
nachdenklich darüber hinausſtarrt.)

Loth
(der ihm zuſchaut).

Genau ſo pflegteſt Du vor
acht Jahren jede Cigarre abzuklopfen, eh' Du zu rauchen
anfingſt.


Dr.Schimmelpfennig.

Möglich —!

(Als er mit
Anrauchen fertig iſt).

Hör' mal, Du!


Loth.

Ja, was denn?


Dr.Schimmelpfennig.

Du wirſt doch — ſo
bald die Geſchichte oben vorüber iſt, mit zu mir kommen?


Loth.

Das geht wirklich nicht! Leider.


Dr.Schimmelpfennig.

Man hat ſo das Be-
dürfniß, ſich mal wieder gründlich von der Leber weg
zu äußern.


Loth.

Das hab ich genau ſo wie Du. Aber
gerade daraus kannſt Du ſehen, daß es abſolut heut
nicht in meiner Macht ſteht, mit Dir.....


Dr.Schimmelpfennig.

Wenn ich Dir nun
aber ausdrücklich und — gewiſſermaßen feierlich erkläre:
Es iſt eine beſtimmte, äußerſt wichtige Angelegenheit,
die ich mit Dir noch dieſe Nacht beſprechen möchte....
beſprechen muß ſogar, Loth!


Loth

Curios! Für blutigen Ernſt ſoll ich doch
das nicht etwa hinnehmen?! doch wohl nicht? — So
viel Jahre hätt'ſt Du damit gewartet und nun hätte
[97] es nicht einen Tag mehr Zeit damit? — Du kannſt
Dir doch wohl denken, daß ich Dir keine Flauſen vor-
mache.


Dr.Schimmelpfennig.

Alſo hat's doch ſeine
Richtigkeit!

(Er ſteht auf und geht umher.)

Loth.

Was hat ſeine Richtigkeit?


Dr.Schimmelpfennig
(vor Loth ſtill ſtehend, mit einem
geraden Blick in ſeine Augen).

Es iſt alſo wirklich etwas im
Gange zwiſchen Dir und Helene Krauſe?


Loth.

Ich? — Wer hat Dir denn...?


Dr.Schimmelpfennig.

Wie biſt Du nur in
dieſe Familie....?


Loth.

Woher — weißt Du denn das, Menſch?


Dr.Schimmelpfennig.

Das war ja doch nicht
ſchwer zu errathen.


Loth.

Na, dann halt um Gottes Willen den
Mund, daß nicht....


Dr.Schimmelpfennig.

Ihr ſeid alſo richtig
verlobt?!


Loth.

Wie man's nimmt. Jedenfalls ſind wir
Beiden einig.


Dr.Schimmelpfennig.

Hm —! wie biſt Du
denn hier herein gerathen, gerade in dieſe Familie?


Loth.

Hoffmann iſt ja doch mein Schulfreund.
Er war auch Mitglied — auswärtiges allerdings —
Mitglied meines Colonial-Vereins.


Dr.Schimmelpfennig.

Von der Sache hörte
ich in Zürich. — Alſo mit Dir iſt er umgegangen!
Auf die Weiſe wird mir der traurige Zwitter erklärlich.


Loth.

Ein Zwitter iſt er allerdings.


Dr.Schimmelpfennig.

Eigentlich nicht mal
das. — Ehrlich, Du! — Iſt das wirklich Dein Ernſt?
— die Geſchichte mit der Krauſe?


Loth.

Na, ſelbſtverſtändlich! — Zweifelſt Du
daran? Du wirſt mich doch nicht etwa für einen
Schuft...


Dr.Schimmelpfennig.

Schon gut! Ereifere
7
[98] Dich nur nicht. Hättſt Dich ja verändert haben können
während der langen Zeit. Warum nicht? Wär auch
gar kein Nachtheil! 'n biſſel Humor könnte Dir gar
nicht ſchaden! Ich ſeh nicht ein, warum man Alles ſo
verflucht ernſthaft nehmen ſollte.


Loth.

Ernſt iſt es mir mehr als je.

(Er erhebt ſich
und geht, immer ein wenig zurück, neben Schimmelpfennig her.)

Du kannſt
es ja nicht wiſſen, auch ſagen kann ich's Dir nicht mal,
was dieſes Verhältniß für mich bedeutet.


Dr.Schimmelpfennig.

Hm!


Loth.

Kerl, Du haſt keine Idee, was das für
ein Zuſtand iſt. Man kennt ihn nicht, wenn man ſich
danach ſehnt. Kennte man ihn, dann, dann müßte man
geradezu unſinnig werden vor Sehnſucht.


Dr.Schimmelpfennig.

Das begreife der Teufel,
wie Ihr zu dieſer unſinnigen Sehnſucht kommt.


Loth.

Du biſt auch noch nicht ſicher davor.


Dr.Schimmelpfennig.

Das möcht ich mal
ſehen!


Loth.

Du redſt wie der Blinde von der Farbe.


Dr.Schimmelpfennig.

Was ich mir für das
bischen Rauſch koofe! lächerlich. Darauf eine lebens-
längliche Ehe zu bauen....da baut man noch nicht
mal ſo ſicher, als auf 'n Sandhaufen.


Loth.

Rauſch — Rauſch — wer von einem
Rauſch redet — na! der kennt die Sache eben nicht.
'n Rauſch iſt flüchtig. Solche Räuſche hab ich ſchon
gehabt, ich geb's zu. Aber das iſt was ganz Anderes.


Dr.Schimmelpfennig.

Hm!


Loth.

Ich bin dabei vollſtändig nüchtern. Denkſt
Du, daß ich meine Liebſte ſo — na, wie ſoll ich ſagen
— ſo mit 'ner — na, wie ſoll ich ſagen, mit 'ner
großen Glorie ſehe? Gar nicht! — Sie hat Fehler,
iſt auch nicht beſonders ſchön, wenigſtens — na, häßlich
iſt ſie auch gerade nicht. Ganz objectiv geurtheilt, ich
— das iſt ja ſchließlich Geſchmacksſache — ich hab ſo'n
hübſches Mädel noch nicht geſehen. Alſo, Rauſch —
[99] Unſinn! Ich bin ja ſo nüchtern, wie nur möglich.
Aber, ſiehſt Du! das iſt eben das Merkwürdige: ich
kann mich gar nicht mehr ohne ſie denken — das kommt
mir ſo vor wie 'ne Legirung, weißt Du, wie wenn zwei
Metalle ſo recht innig legirt ſind, daß man gar nicht
mehr ſagen kann, das iſt das, das iſt das. Und Alles
ſo furchtbar ſelbſtverſtändlich — kurzum, ich quatſche
vielleicht Unſinn — oder was ich ſage iſt vielleicht in
Deinen Augen Unſinn, aber ſo viel ſteht feſt: wer das
nicht kennt, iſt 'n erbärmlicher Froſch. Und ſo'n Froſch
war ich bisher — und ſo'n Jammerfroſch biſt Du noch.


Dr.Schimmelpfennig.

Da iſt ja richtig der
ganze Symptomen-Complex. — Daß Ihr Kerls doch
immer bis über die Ohren in Dinge hineingerathet, die
Ihr theoretiſch längſt verworfen habt, wie zum Beiſpiel
Du die Ehe. So lange ich Dich kenne, laborirſt Du
an dieſer unglückſeligen Ehemanie.


Loth.

Es iſt Trieb bei mir, geradezu Trieb.
Weiß Gott! mag ich mich wenden, wie ich will.


Dr.Schimmelpfennig.

Man kann ſchließlich
auch einen Trieb niederkämpfen.


Loth.

Ja, wenn's 'n Zweck hat, warum nicht?


Dr.Schimmelpfennig.

Hat's Heirathen etwa
Zweck?


Loth.

Das will ich meinen. Das hat Zweck!
Bei mir hat es Zweck. Du weißt nicht, wie ich mich
durchgefreſſen hab bis hierher. Ich mag nicht ſenti-
mental werden. Ich hab's auch vielleicht nicht ſo ge-
fühlt, es iſt mir vielleicht nicht ganz ſo klar bewußt
geworden wie jetzt, daß ich in meinem Streben etwas
entſetzlich ödes, gleichſam maſchinenmäßiges angenommen
hatte. Kein Geiſt, kein Temperament, kein Leben, ja
wer weiß, war noch Glauben in mir? Das Alles kommt
ſeit...ſeit heut wieder in mich gezogen. So merk-
würdig voll, ſo urſprünglich, ſo fröhlich...Unſinn, Du
capirſt's ja doch nicht.


Dr.Schimmelpfennig.

Was Ihr da Alles
7*
[100] nöthig habt, um flott zu bleiben, Glaube, Liebe, Hoffnung.
Für mich iſt das Kram. Es iſt eine ganz ſimple Sache:
die Menſchheit liegt in der Agonie, und unſer einer
macht ihr mit Narkoticis die Sache ſo erträglich als
möglich.


Loth.

Dein neueſter Standpunkt?


Dr.Schimmelpfennig.

Schon fünf bis ſechs
Jahre alt und immer derſelbe.


Loth.

Gratulire!


Dr.Schimmelpfennig.

Danke!


(Eine lange Pauſe.)

Dr.Schimmelpfennig
(nach einigen unruhigen Anläufen).


Die Geſchichte iſt leider die: ich halte mich für ver-
pflichtet...ich ſchulde Dir unbedingt eine Aufklärung.
Du wirſt Helene Krauſe, glaub' ich, nicht heirathen
können.


Loth
(kalt).

So, glaubſt Du?


Dr.Schimmelpfennig.

Ja, ich bin der Meinung.
Es ſind da Hinderniſſe vorhanden, die gerade Dir...


Loth.

Hör' 'mal Du: mach' Dir darüber um
Gottes Willen keine Scrupel. Die Verhältniſſe liegen
auch gar nicht 'mal ſo complicirt, ſind im Grunde ſogar
furchtbar einfach.


Dr.Schimmelpfennig.

Einfach furchtbar ſollteſt
Du eher ſagen.


Loth.

Ich meine was die Hinderniſſe anbetrifft.


Dr.Schimmelpfennig.

Ich auch zum Theil.
Aber auch überhaupt: ich kann mir nicht denken, daß
Du dieſe Verhältniſſe hier kennen ſollteſt.


Loth.

Ich kenne ſie aber doch ziemlich genau.


Dr.Schimmelpfennig.

Dann mußt Du noth-
wendigerweiſe Deine Grundſätze geändert haben.


Loth.

Bitte, Schimmel, drück' Dich etwas deut-
licher aus.


Dr.Schimmelpfennig.

Du mußt unbedingt
Deine Hauptforderung in Bezug auf die Ehe fallen
gelaſſen haben, obgleich Du vorhin durchblicken ließt, es
[101] käme Dir nach wie vor darauf an, ein an Leib und
Seele geſundes Geſchlecht in die Welt zu ſetzen.


Loth.

Fallen gelaſſen?....fallen gelaſſen? wie
ſoll ich denn das...


Dr.Schimmelpfennig.

Dann bleibt nichts übrig
....dann kennſt Du eben doch die Verhältniſſe nicht.
Dann weißt Du zum Beiſpiel nicht, daß Hoffmann
einen Sohn hatte, der mit drei Jahren bereits am
Alkoholismus zu Grunde ging.


Loth.

Wa...was — ſagſt Du?


Dr.Schimmelpfennig.

's thut mir leid, Loth,
aber ſagen muß ich Dir's doch, Du kannſt ja dann noch
machen, was Du willſt. Die Sache war kein Spaß.
Sie waren gerade wie jetzt zum Beſuch hier. Sie ließen
mich holen, eine halbe Stunde zu ſpät. Der kleine
Kerl hatte längſt verblutet.


(Loth mit den Zeichen tiefer, furchtbarer Erſchütterung an des Doctor's
Munde hängend.)

Dr.Schimmelpfennig.

Nach der Eſſigflaſche
hatte das dumme Kerlchen gelangt in der Meinung, ſein
geliebter Fuſel ſei darin. Die Flaſche war herunter
und das Kind in die Scherben gefallen. Hier unten
ſiehſt Du die vena saphena, die hatte es ſich voll-
ſtändig durchſchnitten.


Loth.

W...w...eſſen Kind ſagſt Du....?


Dr.Schimmelpfennig.

Hoffmann's und eben
derſelben Frau Kind, die da oben wieder...und auch
die trinkt, trinkt bis zur Beſinnungsloſigkeit, trinkt ſoviel
ſie bekommen kann.


Loth.

Alſo von Hoffmann...Hoffmann geht es
nicht aus?!


Dr.Schimmelpfennig.

Bewahre! das iſt tragiſch
an dem Menſchen, er leidet darunter ſo viel er über-
haupt leiden kann. Im Uebrigen hat er's gewußt, das
er in eine Potatorenfamilie hinein kam. Der Bauer
nämlich kommt überhaupt gar nicht mehr aus dem
Wirthshaus.


[102]
Loth.

Dann freilich — begreife ich Manches —
nein! Alles begreife ich — Alles.

(Nach einem dumpfen
Schweigen.)

Dann iſt ihr Leben hier....Helenens Leben
— ein...ein — wie ſoll ich ſagen? mir fehlt der
Ausdruck dafür — ...nicht?


Dr.Schimmelpfennig.

Horrend geradezu! das
kann ich beurtheilen. Daß Du bei ihr hängen bliebſt,
war mir auch von Anfang an ſehr begreiflich. Aber
wie geſ...


Loth.

Schon gut! — verſtehe!.....
..................
thut denn...? könnte man nicht vielleicht...? vielleicht
könnte man Hoffmann bewegen etwas...etwas zu
thun? Könnteſt Du nicht vielleicht — ihn zu etwas
bewegen? man müßte ſie fortbringen aus dieſer Sumpfluft.


Dr.Schimmelpfennig.

Hoffmann?


Loth.

Ja, Hoffmann.


Dr.Schimmelpfennig.

Du kennſt ihn ſchlecht...
ich glaube zwar nicht, daß er ſie ſchon verdorben hat.
Aber ihren Ruf hat er ſicherlich jetzt ſchon verdorben.


Loth
(aufbrauſend).

Wenn das iſt: ich ſchlag ihn
..................
glaubſt Du wirklich...? hältſt Du Hoffmann wirklich
für fähig...?


Dr.Schimmelpfennig.

Zu Allem, zu Allem
halte ich ihn fähig, wenn für ihn ein Vergnügen dabei
heraus ſpringt.


Loth.

Dann iſt ſie — das keuſcheſte Geſchöpf,
was es giebt.............


(Loth nimmt langſam Hut und Stock und hängt ſich ſein Täſchchen um.)

Dr.Schimmelpfennig.

Was gedenkſt Du zu
thun, Loth?


Loth.

......nicht begegnen....!


Dr.Schimmelpfennig.

Du biſt alſo entſchloſſen?


Loth.

Wozu entſchloſſen?


Dr.Schimmelpfennig.

Euer Verhältniß auf-
zulöſen.


[103]
Loth.

Wie ſollt ich wohl dazu nicht entſchloſſen ſein?


Dr.Schimmelpfennig.

Ich kann Dir als Arzt
noch ſagen, daß Fälle bekannt ſind, wo ſolche vererbte
Uebel unterdrückt worden ſind, und Du würdeſt ja gewiß
Deinen Kindern eine rationelle Erziehung geben.


Loth.

Es mögen ſolche Fälle vorkommen.


Dr.Schimmelpfennig.

Und die Wahrſcheinlichkeit
iſt vielleicht nicht ſo gering, daß...


Loth.

Das kann uns nichts helfen, Schimmel.
So ſteht es: es giebt drei Möglichkeiten! entweder ich
heirathe ſie, und dann....nein, dieſer Ausweg exiſtirt
überhaupt nicht. Oder — die bewußte Kugel. Na ja,
dann hätte man wenigſtens Ruhe. Aber nein! ſo weit
ſind wir noch nicht, ſo was kann man ſich einſtweilen
noch nicht leiſten — alſo: Leben! kämpfen! — Weiter
immer weiter.

(Sein Blick fällt auf den Tiſch, er bemerkt, das von Eduard
zurecht geſtellte Schreibzeug, ſetzt ſich, ergreift die Feder, zaudert, und ſagt.)


Oder am Ende...?


Dr.Schimmelpfennig.

Ich verſpreche Dir, ihr
die Lage ſo deutlich als möglich vorzuſtellen.


Loth.

Ja, ja! — nur eben....ich kann nicht
anders.

(Er ſchreibt, adreſſirt und cuvertirt. Er ſteht auf und reicht
Schimmelpfennig die Hand.)

Im Uebrigen verlaſſe ich mich —
auf Dich.


Dr.Schimmelpfennig.

Du gehſt zu mir, wie?
Mein Kutſcher ſoll Dich zu mir fahren.


Loth.

Sag mal, ſollte man denn nicht wenigſtens
verſuchen — ſie aus den Händen dieſes...dieſes
Menſchen zu ziehen?....Auf dieſe Weiſe wird ſie
doch unfehlbar noch ſeine Beute.


Dr.Schimmelpfennig.

Guter, bedauernswür-
diger Kerl! Soll ich Dir was rathen? Nimm ihr
nicht das....das Wenige, was Du ihr noch übrig läßt.


Loth
(tiefer Seufzer).

Qual über....haſt vielleicht —
Recht — ja wohl, unbedingt ſogar.


(Man hört Jemand haſtig die Treppe herunter kommen, im nächſten
Augenblick ſtürzt Hoffmann herein.)

[104]
Hoffmann.

Herr Doctor, ich bitte Sie um Gottes
Willen...ſie iſt ohnmächtig.....die Wehen ſetzen
aus...wollen Sie nicht endlich.....


Dr.Schimmelpfennig.

Ich komme hinauf.

Zu Loth bedeutungsvoll.)

Auf Wiederſehen!

(Zu Hoffmann, der ihm
nachfolgen will.)

Herr Hoffmann, ich muß Sie bitten...
eine Ablenkung oder Störung könnte verhängnißvoll....
am liebſten wäre es mir, Sie blieben hier unten.


Hoffmann.

Sie verlangen ſehr viel, aber...na!


Dr.Schimmelpfennig.

Nicht mehr als billig.

(Ab.)

(Hoffmann bleibt zurück.)

Hoffmann
(bemerkt Loth).

Ich zittere, die Aufregung
ſteckt mir in allen Gliedern. Sag' mal, Du willſt fort?


Loth.

Ja.


Hoffmann.

Jetzt mitten in der Nacht?


Loth.

Nur bis zu Schimmelpfennig.


Hoffmann.

Ach ſo! Nun....wie die Ver-
hältniſſe ſich geſtaltet haben, iſt es am Ende kein Ver-
gnügen mehr bei uns...Alſo leb recht...


Loth.

Ich danke für die Gaſtfreundſchaft.


Hoffmann.

Und mit Deinem Plan, wie ſteht
es da?


Loth.

Plan?


Hoffmann.

Deine Arbeit, Deine volkswirth-
ſchaftliche Arbeit über unſeren Diſtrict, meine ich. Ich
muß Dir ſagen...ich möchte Dich ſogar als Freund
inſtändig und herzlich bitten...


Loth.

Beunruhige Dich weiter nicht, morgen
ſchon bin ich über alle Berge.


Hoffmann.

Das iſt wirklich

(unterbricht ſich).

Loth.

Schön von Dir, wollt'ſt Du wohl ſagen?


Hoffmann.

Das heißt — ja — in gewiſſer
Hinſicht; übrigens Du entſchuldigſt mich, ich bin ſo ent-
ſetzlich aufgeregt. Zähle auf mich! die alten Freunde
ſind immer noch die beſten. Adieu, Adieu.


(Ab durch die Mitte.)

Loth
(wendet ſich, bevor er zur Thür hinaustritt, noch einmal nach
[105] rückwärts und nimmt mit den Augen noch einmal den ganzen Raum in ſein
Gedächtniß auf. Hierauf zu ſich).

Da könnt' ich ja nun wohl —
gehen.

(Nach einem letzten Blick ab.)

(Das Zimmer bleibt für einige Augenblicke leer. Man vernimmt ge-
dämpfte Rufe und das Geräuſch von Schritten, dann erſcheint Hoffmann. Er
zieht, ſobald er die Thür hinter ſich geſchloſſen hat, unverhältnißmäßig ruhig
ſein Notizbuch und rechnet etwas, hierbei unterbricht er ſich und lauſcht, wird
unruhig, ſchreitet zur Thür und lauſcht wieder. Plötzlich rennt Jemand die
Treppe herunter und herein ſtürzt Helene.)

Helene
(noch außen).

Schwager!

(In der Thür:)

Schwager!


Hoffmann.

Was iſt denn — los?


Helene.

Mach Dich gefaßt: todtgeboren!


Hoffmann.

Jeſus Chriſtus!!!

(Er ſtürzt davon.)

(Helene allein.)

(Sie ſieht ſich um und ruft leiſe:

Alfred! Alfred!

und dann,
als ſie keine Antwort erhält, in ſchneller Folge:

Alfred! Alfred!

Da-
bei iſt ſie bis zur Thür des Wintergartens geeilt, durch die ſie ſpähend blickt.
Dann ab in den Wintergarten. Nach einer Weile erſcheint ſie wieder:

Alfred!

Immer unruhiger werdend, am Fenſter, durch das ſie hinausblickt:

Alfred!

Sie öffnet das Fenſter und ſteigt auf einen davor ſtehenden Stuhl. In dieſem
Augenblick klingt deutlich vom Hofe herein das Geſchrei des betrunkenen, aus
dem Wirthshaus heimkehrenden Bauern, ihres Vaters:

Dohie hä'. biin
iich nee a hibſcher Moan
? Hoa' iich nee a hibſch
Weib
? Hoa' iich nee a poar hibſche Tächter
dohie hä
?

Helene ſtößt einen kurzen Schrei aus und rennt wie gejagt
nach der Mittelthür. Von dort aus entdeckt ſie den Brief, welchen Loth auf dem
Tiſch zurückgelaſſen, ſie ſtürzt ſich darauf, reißt ihn auf und durchfliegt ihn, ein-
zelne Worte aus ſeinem Inhalt laut hervorſtoßend:

Unüberſteig-
lich!„...“Niemals wieder!“

Sie läßt den Brief fallen,
wankt:

Zu Ende!

Rafft ſich auf, hält ſich den Kopf mit beiden Händen,
kurz und ſcharf ſchreiend:

Zu Ende!

Stürzt ab durch die Mitte.
Der Bauer draußen, ſchon aus geringerer Entfernung:

Dohie hä? iis
ernt
's Gittla ne meine? Hoa' iich ne a hibſch
Weib
? Bin iich nee a hibſcher Moan?

Helene, immer
noch ſuchend, wie eine halb Irrſinnige aus dem Wintergarten hereinkommend,
trifft auf Eduard, der etwas aus Hoffmann's Zimmer zu holen geht. Sie redet
ihn an:

Eduard!

Er antwortet:

Gnädiges Fräulein?

Darauf ſie:

Ich möchte...möchte den Herrn
Dr.Loth...

Eduard antwortet:

HerrDr.Loth ſind in
des Herrn
Dr.Schimmelpfennig's Wagen fort-
gefahren!

Damit verſchwindet er im Zimmer Hoffmanns.

Wahr!

ſtößt Helene hervor und hat einen Augenblick Mühe, aufrecht zu ſtehen. Im
nächſten durchfährt ſie eine verzweifelte Energie. Sie rennt nach dem Vorder-
[106] grunde und ergreift den Hirſchfänger ſammt Gehänge, der an dem Hirſchgeweih über
dem Sopha befeſtigt iſt. Sie verbirgt ihn und hält ſich ſtill im dunklen Vordergrund,
bis Eduard, aus Hoffmanns Zimmer kommend, zur Mittelthür hinaus iſt. Die
Stimme des Bauern, immer deutlicher:

Dohie hä, biin iich nee a
hibſcher Moan
?

Auf dieſe Laute, wie auf ein Signal hin, ſpringt
Helene auf und verſchwindet ihrerſeits in Hoffmanns Zimmer. Das Haupt-
zimmer iſt leer, und man hört fortgeſetzt die Stimme des Bauern:

Dohie hä,
hoa iich nee die ſchinſten Zähne, hä? Hoa iich nee a
hibſch Gittla?

Miele kommt durch die Mittelthür. Sie blickt ſuchend
umher und ruft:

Freilein Helene!

und wieder:

Freilein
Helene
!

Dazwiſchen die Stimme des Bauern:

's Gald iis meine!

Jetzt iſt Miele ohne weiteres Zögern in Hoffmanns Zimmer verſchwunden,
deſſen Thüre ſie offen läßt. Im nächſten Augenblick ſtürzt ſie heraus mit den
Zeichen eines wahnſinnigen Schrecks; ſchreiend dreht ſie ſich zwei — dreimal
um ſich ſelber, ſchreiend jagt ſie durch die Mittelthür. Ihr ununterbrochenes
Schreien, mit der Entfernung immer ſchwächer werdend, iſt noch einige weitere
Secunden vernehmlich. Man hört nun die ſchwere Hausthüre aufgehen und
dröhnend ins Schloß fallen, das Schrittegeräuſch des im Hausflur herum-
taumelnden Bauern, ſchließlich ſeine rohe, näſelnde, lallende Trinkerſtimme ganz
aus der Nähe durch den Raum gellen:

Dohie hä? Hoa iich nee a
poar hibſche Tächter?


(Der Vorhang fällt ſchnell.)

Appendix B

Druck von Wilhelm \& Braſch. Berlin SW.


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Dieses Werk ist gemeinfrei.


Rechtsinhaber*in
Kolimo+

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2025). Collection 1. Vor Sonnenaufgang. Vor Sonnenaufgang. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bhrk.0