[[1]]
Sammlung
Critiſcher, Poetiſcher,
und anderer geiſtvollen
Schriften,
Zur Verbeſſerung
des Urtheiles und des Witzes
in den Wercken
der Wohlredenheit und der Poeſie.
Achtes Stuͤck.

Zuͤrich,:

Bey Conrad Orell und Comp.1743.
[[2]][3]

Von der Poeſie des ſechszehnten
Jahrhunderts.


JCH komme auf Sebaſtian Branden. Un-
ter den rohen Verſen deſſelben kan man
einen ſatyriſchen Sittenlehrer wahrnehmen,
der mit geſunden Lebeusregeln wohl verſehen iſt;
und dem es an geſchickten Zuͤgen, dieſelben aus-
zubilden, nicht gefehlt hat. Seine Geiſtesart
war zu dergleichen allegoriſchen Redensarten
und Bildern, womit man zu ſeiner Zeit die mo-
raliſchen und politiſchen Wahrheiten einkleidete,
und welche damahls ſo beliebt waren, gantz ge-
ſchickt. Man ſpuͤret ihm auch ſeine Literatur auf
allen Blaͤttern an, insbeſondere blicket Horatz
hier und dar aus ſeinen Vorſtellungen hervor.
Wir doͤrffen nur ſeine abgebiſſenen und verſchrum-
pelten Woͤrter wieder herſtellen, und ihnen die
gehoͤrige Geſtalt, Ausbildung, Lange und Maaß
geben, ſo wird dieſes offenbar gnug werden, und
die Kuͤhnheit, die ein ſaͤchſiſcher Puriſt haben muß,
ſich an der ungeſchliffenen Sprache zu verunrei-
nigen, wird ihm mit guten Lehren und Charac-
tern bezahlt werden, welche er in dem Schleſi-
ſchen Helicon, Golau, Kottwitz, Lakmann,
Langnau, Corvini,
und zwantzig ihres gleichen
vergebens ſuchen wird. Was er von ſeinem ei-
genen Gemuͤtheszuſtande, als eines moraliſchen
Scribenten ſchreibt, zeiget ein philoſophiſches und
groſſes Hertz:

„Wer Ohren hat, der hoͤre,
[Crit. Sam̃l. VIII. St.] A 2„und
[4]Von der Poeſie
„und mercke. Jch ſchweige, denn der Wolf iſt
„nicht fern von mir. Ein Narr ſtraft man-
„chen vor der Zeit, ehe er weis, was ihm an-
„liegt. Muͤßte jeder des andern Ruͤcken ſeyn,
„ſo wuͤrde er bald innen werden, was ihn druͤ-
„ket. Jch weis wohl, wo mich der Schuh druͤ-
„ket, darum ob man mich ſchelten und ſprechen
„wollte, Artzt heile dich ſelber, denn du biſt
„auch in unſerer Rotte, ſo weis ich das, und
„bekenne es Gott; nemlich daß ich viel Thor-
„heiten gethan habe, und noch ietzo im Nar-
„renorden gehe; wie faſt ich an der Kappen
„ſchuͤttle, will ſie mich doch nicht gantz laſſen.
„Doch habe ich zu dieſem Ende Fleiß und Ernſt
„angekehrt, und damit, wie du ſieheſt, ſo viel
„gelernet, daß ich ietzo viel Narren kenne; ich
„habe auch den Muth mich, ob Gott will, fer-
„ner mittelſt Witzes und mit der Zeit zu beſ-
„ſern.„ Das ſtimmt mit Horatzens Vorſatze
uͤberein: ‒ ‒ ‒ ‒ Fortaſſis \& iſtinc.
Largiter abſtulerit longa ætas, liber amicus,
Conſilium proprium, neque enim deſum mihi.


Unſere heutigen poetiſchen Moraliſten haben das
Hertz nicht, ſelber ein ſolches Bekenntniß von ſich
ſelbſt abzulegen. Brand erzehlt uns ſein Vorhaben
mit dem groͤſten Nachdruck bey der natuͤrlichſten
Einfalt: „Die gantze Welt lebt in finſterer Nacht,


„und verharret als blind in Suͤnden. Alle Straſ-
„ſen und Gaſſen ſind voll Narren; die mit
„nichts anders als mit Thorheit umgehen, aber
„doch den Nahmen nicht haben wollen. Aus
„dieſer
[5]des ſechszehnten Jahrhunderts.
„dieſer Urſache habe ich gedacht, Schiffe fuͤr
„die Narren auszuruͤſten; Galeren, Fuſten,
„Kragken, Nauen, Barken, Kiele, Weidlin-
„ge, Hornache, Rennſchiffe, daneben Schlitten,
„Karren, Roßbaͤren, Rollwagen, denn ein
„Schiff moͤchte nicht alle die tragen, die ietzo in
„der Zahl der Narren ſind. Einige haben gar
„kein Fahrzeug gefunden. Dieſe alle ſtieben um
„mich herum wie die Jmmen, viele unterſtehen ſich
„zum Schiffe herzu zu ſchwimmen. Hier will
„ein jeder Fuhrmann ſey. Jch habe die Bild-
„niſſe dieſer Thoren und Narren daneben aus-
„gefertiget, damit ob jemand waͤre, der die
„Schrift verachtete, oder vielleicht nicht leſen
„koͤnnte, derſelbe ſein Weſen im Gemaͤhlde ſaͤhe.
„Er wird darinnen finden, wer er iſt, und wem
„er gleich ſey, und was ihm gebricht. Jch
„nenne dieſes den Narren-Spiegel, in welchem
„ſich ein jeder Narr kennen kan. Wer recht
„in denſelben ſieht, wird von ihm berichtet, wer
„er ſey. Wer ſich recht ſpiegelt, der lehrt wohl,
„daß er ſich nicht vor weiſe achten ſolle, nicht
„auf ſich halten, was nicht iſt. Denn es iſt nie-
„mand, dem nichts gebricht, oder der mit Wahr-
„heit ſprechen duͤrffe, daß er weiſe und nicht ein
„Narr ſey. Aber wer ſich vor einen Narren
„achtet, der iſt bald zu einem Weiſen gemachet;
„hingegen wer witzig ſeyn will, der iſt mein
„Gevater Fatuus. Dieſer thut mir auch daran
„Gewalt, ſo fern er dieſes Buch nicht behaͤlt.


„Hier iſt kein Mangel an Narren, ein jeder
„findet, was ihn geluͤſtet, und wozu er gebohren
A 3„ſey;
[6]Von der Poeſie
„ſey; auch warum ſo viele Thoren ſind; was
„vor Freude und Ehre die Weisheit hat, und wie
„beſorglich ſie dem Narren ſteht. Hier findet
„man den gantzen Lauf der Welt, ſo daß das
„Buch zum Kauf gut werden muß. Man findet
„hier Narren, wie man will, zum Schimpfe,
„zum Ernſt, und zu allem Spiele. Ein Wei-
„ſer findet was ihn erfreuet, ein Narr redet
„gern von ſeinen Bruͤdern. Man findet hier
„arme und reiche Thoren, ſchlimm ſchlemm, ein
„jeder findet hier ſeines gleichen.


Es zeigt ein unerſchrokenes Gewiſſen, ein ſtarckes
Vertrauen auf die Wahrheit, und eine groſſe
Liebe fuͤr die Beſſerung des Nebenmenſchen, wie
er ſich uͤber die Vorſtellung der gefaͤhrlichen Ar-
beit Satyren zu ſchreiben, troͤſtet.

„Jch ſchneide
„hier manchem Manne eine Kappe, der ſich doch
„deſſen nichts annimmt. Haͤtte ich ihn bey ſei-
„nem Nahmen genannt, ſo haͤtte er geſagt, ich
„haͤtte ihn nicht erkennt. Doch hoffe ich, daß
„die Weiſen ein Wolgefallen daran haben, und
„aus ihrer Wiſſendheit ſagen werden, daß ich
„recht und wahr geſagt habe. Nachdem ich
„von den Narren ſolche Kundſchaft habe, ſo
„gebe ich einen Squizzo von ihnen, ſie muͤſſen
„alle die Wahrheit hoͤren, ob ſie ihnen gleich nicht
„gefaͤllt; wie Terentius wohl ſpricht, daß wer die
„Wahrheit ſagt, Haß verdiene. Und wer ſich
„lange ſchneutzt, der wirft etwann Blut von
„ſich; und wann man die Coleram anreget, ſo
„wird gar oft die Galle beweget. Darum achte
„ich es nicht, ob man mich ſchon mit Worten
„hinter-
[7]des ſechszehnten Jahrhunderts.
„hintergehen, und um meine nuͤtzliche Lehre ſchel-
„ten wird. Jch habe mehr derſelben Narren, de-
„nen die Weisheit nicht wohl gefaͤllt, dies Buch
„iſt derſelben voll, doch bitte ich einen jeden,
„daß er vielmehr Vernunft und Ehre als mich
„oder mein ſchwaches Gedichte anſehen wolle.
„Jch habe wahrlich nicht ohne Arbeit ſo viele Nar-
„ren zuſammengebracht. Jch habe manchmahl
„des Nachts gewacht, da die ſchliefen, derer ich
„gedachte; oder vielleicht beym Spiele und Wein
„ſaſſen, und wenig an mich dachten. Einige
„fuhren in Schlitten im Schnee herum, daß
„ſie wohl halb erfroren. Andere giengen ſonſt
„auf Kalbesfuͤſſen; noch andre rechneten den
„Verluſt, den ſie den Tag gehabt hatten, oder
„was ihnen vor Gewinn aus etwas kommen
„moͤgte; oder wie ſie Morgens liegen und mit
„Schwaͤtzen verkaufen, und manchen betriegen
„moͤgten. Denſelben allen nachzudenken, wie
„ihre Weiſe, Worte, Wercke, mir gefallen,
„iſt kein Wunder, ob ich ſchon oft, da es nie-
„mand hoffete, gewachet habe, damit mein Ge-
„dichte nicht geſtraffet wuͤrde. Jn dieſen Spie-
„gel ſollen beyde Geſchlechter der Menſchen, die
„Maͤnner und die Frauen hineinſchauen. Jch
„meine je eines bey dem andern. Die Maͤnner
„ſind nicht die eintzigen Narren, ſondern man
„findet auch viel Naͤrrinnen, denen ich hier
„die Schleyer, die Schuͤrtze und Voiles, mit
„Narrenkappen bedecke; auch Metzen haben Nar-
„ren-Roͤcke an. Sie wollen ohne dieſes ietzo
„tragen, was vormahls den Maͤnnern ſchaͤnd-
A 4„lich
[8]Von der Poeſie
„lich war, ſpitzige Schuhe, und ausgeſchnitte-
„ne Roͤcke, damit der Milchmarckt nicht be-
„decket werde. Sie wickeln viel Hudeln in die
„Zoͤpfe, und machen groſſe Hoͤrner auf die Koͤpfe,
„als ob es ein groſſer Stier waͤre. Alſo gehen
„ſie her, wie die wilden Thiere. Doch ſollen
„ehrbare Frauen mir verzeyhen, denn ich will
„ihrer zu keinem Argen gantz nicht gedencken.
„Der boͤſen giebt es doch nur zu viel.„


Ein Scribent, der mit dergleichen Gemuͤthes-
Gedancken zum Vorſchein koͤmmt, muß ſich ſo
wohl mit ſeiner Guthertzigkeit als ſeinem Ver-
ſtande die Gunſt der Zuhoͤrer und Leſer erwerben.


Die Lehren und Lebensregeln, die Brand vor-
traͤgt, die Frucht einer gereinigten Vernunft, wer-
den mit einer Menge ſatyriſcher Stiche und cha-
racteriſierender Zuͤge belebet. Die Exempel, die
zwar ſymboliſch, doch meiſtens aus der wahren
Hiſtorie hergenommen ſind, bekommen am meiſten
Platzes. Manchmal fuͤhrt er ſeine Perſonen ſelbſt
redend ein, zum Exempel den Koch, den er
unter andern ſagen laͤßt: Wir achten fleiſſig da-
rauf, wie wir viele Trachten zurichten; damit wir
den Magen und die Luſt zu eſſen reitzen, kochen
wir, ſieden, braten, ſchweitzen, roͤſten und ba-
ken; wir machen Pfefferbrey voll Zucker, Gewuͤrtze
und Specerey, wir geben einem Oxymel ein, der
denn bey der Steige Gewell leidet, oder es wieder
mit Syropen und mit Kliſtieren von ihm pur-
gieren muß.


Von dem Ueberhandnehmen der Pracht bey
ſchlechten Leuten ſagt er: Die Bauren waren
ehe-
[9]des ſechszehnten Jahrhunderts.
ehedem einfaͤltig; da die Gerechtigkeit aus den Staͤd-
ten und den Mauren floh, wollte ſie in ſtrohern
Huͤtten ſeyn, ehe denn die Bauern Wein tran-
ken. Jhnen ſchmeckt der Zwilch nicht mehr, wie
ehemals, ſie wollen kein Gippen mehr, es muß
luͤndiſches und mechelſches Kleid ſeyn, und gantz
zerhacket und geſpreitet, mit allen Farben wild
uͤber wild, und auf dem Ermel ein Gauchsbild.
Der zuvor ein Buͤrgerkauffmann war, will edel
und Rittersgenoſſe ſeyn, der Edelmann begehrt
ein Frey, der Graf gefuͤrſtet zu ſeyn, der Fuͤrſt
begehrt die Krone des Koͤnigs.


Von der Pracht mit den Grabmaͤhlern ſagt er:
Die Seele hilft ein koͤſtliches Grab nichts, oder daß
man es von Marmor habe, und Schild, Helm
und Panier aufhaͤnge. - Dann erſtechen ſich die
Freunde um das Gut, welcher es gantz behalten ſolle;
die Teufel ſind der Seele gewiß und triumphie-
ren wuͤſte mit derſelben, fuͤhren ſie bald von ei-
nem in das andere, von eitel Kaͤlte in eitel Hitze.
Wir Menſchen leben gantz ohne Witz, daß wir
der Seele nicht wahrnehmen, und immerdar des
Leibes ſorgen. Alle Erde iſt Gott geſegnet, der
liegt wohl, der da wohl todt iſt. Der Himmel
decket manchen Todten, der ſich unter keinem
Steine ſtreckt; wie koͤnnte der ein ſchoͤneres Grab
haben, dem das Geſtirne von oben herab leuch-
tet. Wer wohl ſtirbt, deſſen Grab iſt das hoͤhe-
ſte, der Tod der Suͤnder iſt der boͤſeſte.


Wie ſchwer es ſey den Frauen recht zu thun:
Die groͤſte Weisheit auf Erden iſt thun koͤnnen,
was jeder begehrt, und wo man das nicht vor
A 5gut
[10]Von der Poeſie
gut nimmt, doch thun koͤnnen, was jedem ge-
ziemt. Wer aber Frauen recht thun will, der
muß etwann mehr, als ein Knecht ſeyn. Denn
ſie thun gar oft mehr durch ihre Bloͤdigkeit, als
durch ihre Liſtigkeit.


Folgendes hat einen ſatyriſchen Schwung:
Wen der Teufel betriegen will, dem giebt er
viel Gut und Reichthum. Gedult in der Armut
iſt beſſer, als aller Welt Gluͤck, Reichthum und
Gut. Niemand uͤberhebe ſich ſeines Gluͤcks, denn
es nimmt ab, wann Gott will. Der iſt ein Narr,
der oft ſchreyt, o Gluͤck wie verlaͤſt du mich,
was zeiheſt du mich, gieb mir ſo viel, daß ich
noch eine Weile ein Narr bleibe! Denn groͤſſere
Narren ſind niemals worden, als diejenige, wel-
che hier alles Gluͤck gehabt haben.


Das Capitel von unnuͤtzlichen Wuͤnſchen iſt
gantz lehrreich: Gott giebt uns allen das, was
er will; er weis was recht iſt, was zu viel;
auch was uns nuͤtze ſey, und wohl komme; woraus
uns Schade entſpringen ſolle; wenn er uns nicht lie-
ber haͤtte, als wir uns ſelbſt haben, und thaͤte, was
wir wuͤnſchen, und machte es wahr, ſo reute es uns eh
ein Jahr auskaͤme. Denn unſre Begierde macht uns
blind, daß wir Dinge wuͤnſchen, die wider uns ſind.
Wer wuͤnſchen will, daß er recht lebe, der wuͤn-
ſche daß ihm Gott zu dieſem Ende einen geſun-
den Sinn, Leib und Gemuͤthe gebe, und ihn
vor der Furcht des Todes, vor Zorn, Begier-
de, und dem boͤſen Geitz behuͤte.


Jn dem Capitel von dem Vorherwiſſen Got-
tes ſind etliche tiefſinnige Gedancken: Eine Artz-
ney
[11]des ſechszehnten Jahrhunderts.
ney macht einen geſund, und macht einen an-
dern noch mehr kranck. Einer nachdem er Got-
tes Strafe und gewaltige Hand empfunden, hat
ſeine Suͤnde mit viel Seufzern bedacht; der an-
dere hat ſeinen freyen Willen gebraucht, und da
er Gottes Gerechtigkeit gemercket, doch ſeine Barm-
hertzigkeit gemißbrauchet. Gott hat nie keinen verlaſ-
ſen, er wußte wohl warum ers gethan haͤtte. Wenn
er alles gleich wollte gehabt haben, ſo haͤtte er
wohl nichts als Roſen gemacht: Aber er woll-
te auch Diſteln haben, daß man an denſelben
ſeine Gerechtigkeit ſaͤhe. - - Die Urtheile Got-
tes ſind heimlich, niemand weis ihre Urſachen
gaͤntzlich, je mehr man ſie zu ergruͤnden begehrt,
je minder erfaͤhrt man davon. Ob jemand ſchon
waͤhnet, daß er ſie wiſſe, ſo iſt er deſſen doch
gantz ungewiß.


Folgender Character von denen, welche mit
Vorſatz und aus Ruhmbegierde Narren ſeyn wol-
len, iſt bey den Sittenrichtern ſeltenes Vorkom-
mens:

„Es iſt auf Erden mancher Narr, der
„ſich naͤrriſcher Gebehrden annimmt, und wenn
„man ihn ſchuͤnde, und ſoͤtte, ſo koͤnnte er es doch
„nicht weiter bringen, als daß er etwann die
„Ohren ſchuͤttelte; er will mit allem Fleiſſe naͤr-
„riſch ſeyn, doch ſeine Narrenweiſe gefaͤllt nie-
„manden; und wiewohl er einem Narren gleich
„thut, nimmt doch niemand ſeinen Schimpf vor
„gut auf. Daher ſprechen die Leute von ihm,
„der Narre wollte ſich gerne naͤrriſch ſtellen; und
„kan doch weder Weiſe noch Gebehrden, er iſt
„ein
[12]Von der Poeſie
„ein Narre, und nichts werth. Es iſt ein
„ſeltzames Ding auf Erden, daß mancher ein
„witziger Mann ſeyn will, der ſich der Thor-
„heit annimmt, und daß ers vor einen Ruhm
„haͤlt, wenn man ſpricht: Der kann Narr-
„heit wohl.„


Er hat der Deutſchen nicht vergeſſen; und
wir erkennen die Deutſchen ſeines Weltalters
noch in ihren Jtztlebenden Nachkindern.

„Man-
„cher Narr haͤlt ſich vor hoch, daß er aus
„welſchen Landen gekommen iſt, als ob nicht
„auch in deutſcher Art Vernunft, und zarte
„Haͤupter waͤren, welche Weisheit und Kunſt
„lehren moͤgten, daß nicht noth waͤre, ſo fern
„zu Schulen zu kehren. ‒ ‒ Man meinte ehe-
„dem es waͤre keine Lehre, als zu Athen uͤber
„Meer. Hernach fand man ſie bey den Wel-
„ſchen, ietzo ſieht man ſie auch in Deutſch-
„land. Und gebraͤche uns nichts, waͤre der
„Wein nicht, und daß wir Deutſchen voll
„ſeyn wollen; und keine rechte Arbeit thun
„moͤgen.


Unter den allegoriſch-moraliſchen Bildern,
an welchen man um die Zeiten der Glaubens-
Reformation viel Geſchmackes gefunden, duͤn-
ken mich folgende ſehr natuͤrlich: Wenn er
z. Ex. von dem gedruͤckten Narren ſagt, daß
ihm der Eſel auf dem Ruͤcken ſitze. Er
fuͤhrt denſelben ein, wie er ſich ſelbſt derge-
ſtalt ſchildert:

„Jch bin der, den alle Dinge
„druͤcken, ich will mich in einen Winkel ſchmie-
„gen, ob der Eſel mich verlaſſen, und nicht
„ſtets
[13]des ſechszehnten Jahrhunderts.
„ſtets auf meinem Ruͤcken ſtehen wollte.„

F[e]r-
ner, wenn er einen der ein altes Weib zur Ehe
nimmt, um das Schmer in den Eſel krie-
chen
laͤßt; wenn er die, welche ſich muthwilliger
Weiſe ins Ungluͤck ſtuͤrtzen, in einen Brun-
nen ſpringen
laͤßt; wenn er den Frauenhuͤ-
ter der Heuſchrecken an der Sonne huͤten
laͤßt; wenn er d[i]e Venus Affen, Eſel, und Gaͤu-
che an einem Seile nach ſich ziehen
laͤßt;
wenn der Bibliotaphos die Fliegen mir einem
Wedel von den Buͤchern jagt;
wenn er einem
Alten, der ſeine Narrheiten nicht laſſen kan, das
Schindmeſſer in den Hintern ſetzt, alldieweil
er auf der Grube geht.
Das gantze Werck
iſt voll ſolcher kleinen Allegorien, welche aus
Spruͤchwoͤrtern von gantz gemeinen Handlun-
gen formiert, und geſchickt appliciert ſind. Es
iſt verwunderſam, was er vor eine Mannig-
faltigkeit an Vorſtellungen und Ausdruͤcken hat,
eine jede Art der Thorheit unter einem eigenen
ſinnlichen Bilde des alltaͤglichen Lebens ſicht-
bar zu machen. Man wird in dem Buche wol
100 verſchiedene Ausdruͤcke zehlen, die ſo viel
ſagen, als ein Narr ſeyn.


Dieſes koͤmmt nun in einem Wercke poe-
tiſch genug heraus, wo ein ſatyriſcher Scribent
ſich von der Proſa nicht weit entfernen darf.
Doch fehlt es ihm auch nicht an Kunſtmit-
teln der Poeſie, die niedrige Redensart am
rechten Orte zu erhoͤhen Z. Ex. in dieſen
Zeilen:

„Wen Cupido trift, den entzuͤndt
„Amor ſein Bruder, daß er brennt, und die
„Flam-
[14]Von der Poeſie
„Flamme nicht wohl loͤſchen mag, die der
„Dido ihr Leben nahm: Tereus waͤre kein
„Wiedehopf, Paſiphae vermiede den Stier,
Phaͤdra fuͤhre nicht dem Theſeus nach, und
„ſuchte nicht an ihrem Stiefſohne Schande;
„Scylla lieſſe dem Vater ſein Haar, Hya-
„cinth waͤre kein Ritterſporn, Leander ſchwoͤm-
„me nicht, Sappho fiele nicht vom Berg,
„Cyclops und Pan pfiffen nicht ſo traurig,
Leucothoe gebaͤhre nicht Wyhrauch, Myrr-
„ha waͤre nicht Adons Scheer, Danae em-
„pfienge nicht durch das
Gold, Nyctimene
„floͤge nicht des Nachts
aus, Echo waͤre nicht
„zu einer Stimme gemacht, Thisbe faͤrbte nicht
„die weiſſen Haare, Atallante waͤre keine Loͤ-
„win, ꝛc. wenn es die Liebe nicht gethan haͤtte.„


Nach dieſer Art hat Hr. Hagedorn geſagt:


‘Wer fuͤhrt den Orpheus in die Hoͤlle?’

Horatzens pallida mors æquo pulſat pede pau-
perum tabernas, regumque turres,
iſt recht gut
gegeben: Der Tod erſchuͤttert mit gleichem
Fuſſe die Koͤnigsſaͤle und die Hirtenhuͤtten. Und
in demſelben Capitel von denen, welche den
Tod nicht vorher ſehen, ſind etliche maleriſch
ausgebildete Gedancken: Die Narrheit faͤr-
bet uns, daß wir nicht daran gedencken, daß
der Tod uns nicht hier laſſen, und unſers ſchoͤ-
nen Haares, noch unſrer gruͤnen Kraͤntze und
Kronen nicht ſchonen wird. Er heißt wahr-
lich Hans acht ſein nicht, denn welchen er er-
greift und erſchuͤttert, wie ſtarck, ſchoͤn oder
jung der ſey, den lehret er einen gar ſeltza-
men
[15]des ſechszehnten Jahrhunderts.
men Sprung ꝛc. - Darum iſt ein Thor, wer
den, dem er nicht entrinnen mag, alle Tage
flieht, und meint, wann er ſeine Schellen
ſchuͤttere, daß ihn der Tod nicht ſehen moͤge.
Es iſt kaum um einen Rock zu thun, daß der
Sohn nach dem Vater lebe. Zuweilen ſtirbt
er vor dem Vater, und man findet auch viel
Kaͤlberhaͤute.„


Es iſt eine Scharfſinnigkeit, die aus der
Sache ſelber entſpringet, wenn er von dem
Koͤnig Midas ſagt, er habe recht gehabt,
daß er ſeinen Kopf gedeckt habe, damit man
ihm ſeine Eſelsohren nicht ſaͤhe; wiewohl
dieſe hernach in den Rohren gewachſen
waͤren.


Und was vor Worte koͤnnten erhabener fuͤr
folgende hohe Gedancken ſeyn, als dieſe, wel-
che er der Weisheit in den Mund giebt:
Durch mich, ſagt ſie, haben die Koͤnige ihre
Kronen, durch mich entſtehen alle rechtmaͤſſi-
ge Geſetze, durch mich haben die Fuͤrſten ihr
Land, durch mich hat jede Obrigkeit ihre Rechts-
ſpruͤche. Wer mich lieb hat, den liebe ich auch;
wer mich fruͤhe ſucht, der findet mich. Bey
mir iſt Reichthum, Gut, und Ehre. Mich hat
Gott der Herr von Anbeginn in der Ewigkeit
beſeſſen, Er hat alle Dinge durch mich zuberei-
tet; nichts iſt ohne mich gemachet.


Und mit was vor ſtarcken Zuͤgen hat er den
weiſen Menſchen nach der Vorbildung Vir-
gils geſchildert:

„Der Weiſe iſt ſein eigener
Richter, ſo oft er Abgang an Weisheit lei-
det,
[16]Von der Poeſie
„det; er verſucht ſich auf ein Naͤgelgen,
„er achtet nicht, was der Adel ſpricht, noch
„das Geſchrey des gemeinen Volckes, er iſt
„rund, gantz, wie ein Ey, damit kein frem-
„der Mackel auf ihm bleibe, und ſich auf glat-
„tem Wege anreibe. Wie lange der Tag
„ſich im Krebs ſtrecket, wie lange die Nacht
„den Steinbock bedecket, ſo gedencket er,
„und wiegt eben aus, daß er in keinem Win-
„kel ſeines Hauſes etwas treibe, oder ein
„Wort rede, das nicht auf allen Seiten
„gleich wege, ꝛc.


Jch habe ſchon Meldung gethan, daß Brand
die moraliſchen Spruͤche, von der Beſcheiden-
heit
betitelt, zum Drucke befoͤdert, welche
Freydanck, einen Poeten aus dem dreyzehn-
ten Jahrhundert, zum Verfaſſer gehabt. Brand
ſagt uns davon in der Beſchlußrede, die er
zu dieſem Buche geſchrieben hat, daß er da-
zu von Mattheus Hoͤlderlin, und Jacob Wol-
fen verurſacht worden, dieſer Letztere habe es
zu Straßburg in der Cantzley zweymahl ab-
geſchrieben. Er lobet Freydanck als einen
hertzhaften Freund der Wahrheit, und ſtellt
ihn den Deutſchen zu einem Beyſpiel vor, daß
auch vor langen Zeiten Leute unter ihnen ge-
weſen, welche die Wahrheit mit der erfoder-
ten Freyheit haben reden doͤrffen. Er hat dem
Werck den Titel gemacht: Von dem rechten
Wege des Lebens und aller Tugenden Aem-
tern und Eigenſchaften.
Allein wir ſehen
gleich aus den erſten Verſen, daß der Ver-
faſſer
[17]des ſechszehnten Jahrhunderts.
faſſer es betitelt hat: Von der Beſcheidenheit;
denn es faͤngt mit dieſen Zeilen an:


Ich bin genannt Beſcheidenheyt,

Die aller Tugend Kron auftreyt.

Mich hat gedichtet Herr Freidanck.

Er nimmt das Wort Beſcheidenheit vor die
Tugend Ziel und Maaß in ſeinem Thun und
Laſſen zu halten. Seine moraliſchen Lehren
hangen ſelten lange zuſammen, ſie ſind meiſtens
eine Verfaſſung von kurtzen Spruͤchen, Lebens-
regeln, und Betrachtungen, die zwar oͤfters
lange von einem Hauptſtuͤcke handeln, aber
unter ſich nicht verknuͤpfet ſind. Es giebt dar-
unter eben ſo wohlgedachte, als ſie insgemein
klug und gruͤndlich ſind. Er ſagt von dem
Liebhaben:


Der liebe floucht, den fleucht auch ſie,

Und der ihr begehrt, dem iſt ſie by.


Da man um Pfenning Lieb feil treit,

Da kauft ein Mann Unſeligkeit.


Von den Weibern hat er recht feine Ge-
dancken:


Eim Mann man oft für Ehre hat,

Was frommen Weibern übel ſtaht.

Durch Not muſs oft ſyn keuſch ein Weib,

Der niemand anſpricht ihren Leib.

Wo Weib mit Lieb je miſſethet,

Das kam zuvor von Mannes Bet.

[Crit. Sam̃l. VIII. St.] BVer-
[18]Von der Poeſie
Verſagen was je der Frauen Sitt,

Doch thut in ſanft daſs man ſie bitt.


Thut ein Weib eine Miſſethat,

Der ein Mann tauſend an ihm hat,

Der tauſend will er Ehre han,

Und muſs des Weibes Ehr zergahn.


Würden die Weib ſo leichtlich froh

Von dem Mann, als die Mænner von ihn’n,

So hielten ſie oft ſteten Sinn.

Von der Weisheit ſagt er mit weiſen Sinnen:


Der Weiſen und der Tummen Streit

Hat nun geweret manche Zeit,

Und muſs auch noch viel længer weren;

Man mag in leyder nicht entberen.


Den Weiſen oft gar manches würret,

Das die Thoren gantz nicht irret.

Die Weiſen mœchten nicht geneſen,

Solten ſie gantz ohn Thoren weſen.


Wie viel der Weis Weisheit ausgiet,

Hat er deßminder Weisheit nit.

Von der Ehre macht er die wahre Anmer-
kung:


Der Ehr niemand für Gut begert.

Des Mannes Ehr recht alſo ſtaht,

Darnach als er ſich ſelber hat.

Wie
[19]des ſechszehnten Jahrhunderts.
Wie ſoll des Laſters werden Rath

Dem all ſein Ehr zu Laſter gat.

Vil mancher hat der Ehre Namen,

Und will ſich doch der Ehre ſchamen.

Von dem Lobe:


Wer wohl thut, lobt ſich ſelber wohl.

Von Gewalt:


Es ward kein Kayſer nie ſo reich

Ich mag ihm ſeyn an denken gleich.

Die Fürſten zwingen mit Gewalt

Das Feld, Stein, Waſſer, Berg und Wald.

Dazu all Thier, beid wild und zam,

Sie thetens auch der Luft allſam

Wo ſie vermœchten mit Gewalt

Aber Gott hat ſolches abgeſtalt.

Sie müſſen die gemein lan ſeyn.

Mœchten ſie uns der Sonnen Schein

Verbergen, den Tauw, Wind und Regen,

Sie lieſſen es nicht unterwegen.

Man wird in dieſen Exempeln den natuͤrli-
chen Nachdruck der alten Sprache durchge-
hends wahrnehmen. Die Woͤrter ſind nicht
ſo zerfetzet und zerbiſſen, wie bey Branden;
von dem Sylbenmaſſe koͤnnen wir nicht wohl
urtheilen, weil es uns nicht voͤllig bekannt iſt,
und man uͤber das aus gewiſſen Merckzeichen
gewahr wird, daß hin und wieder einige Syl-
ben von dem Abſchreiber bald weggeworffen,
bald hinzugeſetzet worden. Es koͤmmt mir
auch vor, als ob einige alte Woͤrter aus-
B 2gemer-
[20]Von der Poeſie ꝛc.
gemertzet, und neuere dafuͤr geſetzet worden.
Viel Poeſie finden wir darinnen nicht, der
Verfaſſer hat eintzig auf das Spruchreiche,
und Deutliche geſehen; doch koͤnnen wir auch
einige lebhafte Stellen auszeichnen:


Wo ſind die nun, der Rom erſt was?

Auf ihrem Palaſt wæchſet Gras.


Wie lieb der Menſch lebendig ſey,

Er iſt nach Tod Beywohnung frey.

Der Bauch iſt gar ein bœſer Sack

Er verhœnt aller Würtze Geſchmack.

Wer Muſcatnuſs nimt in den Mund

Und es wieder austhet zu Stund;

Sie wær ihm darnach ungezæm,

Daß er ſie in Mund wieder næm.

Seit wir uns ſelber widerſtahn,

Wer ſoll uns dann vor ſauber han?


Zu der Seelen drey Straſſen gahn,

Die dem Tod allzeit offen ſtahn.

Wer in Sünden erlieget todt,

Des Seel wird leiden ewig Not.

Die ander iſt, wer übel thut

Und ſich bedünkt dennoch ſyn gut.

Die dritt Straſs iſt ſo breit und weit

Daſs all Welt darauf geht allzeit.


Die Welt mit Falſchheit wircken thut

Ein Band, das zeucht zur Hœllen Glut.

Criti-
[21]

Critiſche Betrachtungen uͤber des
Herrn von Hagedorn Ode auf
den Weiſen.


DEr Herr Friedrich von Hagedorn Seere-
tair der Engliſchen Compagnie in Ham-
burg iſt einer von denen wenigen Verfaſſern,
welche den Kunſtrichtern unſrer Zeiten durch
vortreffliche Wercke Anlaß geben, die gute
Beſchaffenheit ihres Hertzens, das mit Be-
gierde lobet, und nur genoͤthiget tadelt, an
den Tag zu legen. Die Muſe hat ihn an ih-
rer Bruſt geſaͤuget, und ſein großmuͤthiger
Geiſt hat ihm die Denckensart der Engellaͤn-
der gantz uͤblich und eigen gemachet. Dieſe
hat ſich in ſeine Gedichte ergoſſen. Doch ich
kan ſeinen Werth nicht lebhafter abſchildern,
als einer von meinen Landesleuten in der poe-
tiſchen Sprache, (da er von einem Poeten
redet,) gethan hat:


Ein andrer, deſſen Schrift mein wallend Hertz bewegt,

Daß mein Geſang ſein Lob auf willgen Fluͤgeln traͤgt,

Jſt jener, den ein Schwarm verbuhlter Froͤhligkeiten,

Die Zaͤrtlichkeit, der Witz, und ſchlaue Schertz begleiten.

Er fuͤhrte ſie zuerſt bey Hamburgs Schoͤnen ein;

Bey ihrer Ankunft floh der falſchen Frommen Schein,

Der Zunge Furchtſamkeit, die Plumpheit im Betragen,

Der Glieder traͤge Laſt, die Minen, die nichts ſagen,

Das Lachen ohne Sinn, die ſchwartze Sudeley,

Mit der gekauften Luſt, und wuͤſten Schwelgerey.

Wovon er nur erzaͤhlt, das kriegt urploͤtzlich Sitten.

Annehmlichkeit und Reitz waͤchßt unter ſeinen Tritten.

B 3Die
[22]Critiſche Betracht. uͤber die Ode
Die Wahrheit weiſet ſich in holder Zierlichkeit,

Und die Natur glaͤntzt hier gantz praͤchtig ungekleidt.

Natuͤrlichs dieſer Art iſt kaum genug zu ſchaͤtzen,

Und dem Erhabnen ſelbſt nur wenig nachzuſetzen.

Das Lob, das dieſer geſchickte Mann von
Kennern der wahren Poeſie bekommen, hat
die Wuͤrckung gehabt, daß auch ſchale Koͤpfe
angefangen haben, ihn vor etwas zu halten.
Dieſes hat ihm das Ungluͤck zugezogen, daß
er von den verwegenen Verfaſſern der Be-
luſtigungen des Witzes und Verſtandes
vor
einen ihrer Bande ausgeruffen worden. Ueber-
dies haben ſie ihm ſeine Ode auf den Wei-
ſen, die er abſonderlich fuͤr ſeine Freunde,
und gar nicht fuͤr ſie gedruckt hatte, aufge-
fangen, und unter die monatlchen Geburten
ihres Witzes geworffen. Eine unbillige und
corſarenmaͤſſige Caperey! Wir haben darum
nicht vor gut gefunden, ihnen dieſe Beute zu
laſſen; wir haben ſie ihnen wieder abgenom-
men, und der Hr. Verfaſſer ſelbſt hat uns
erlaubet, ſie in der gegenwaͤrtigen Sammlung
einzutragen, wo wir Sorge tragen wollen,
ſie in ihrem eigenen unverdunckelten Glantze
vorzulegen.


Jn dieſem philoſophiſchen Gedichte ſtechen
uͤberhaupt zweierley Schoͤnheiten hervor. Ei-
nige beziehen ſich auf die Erhabenheit der Ge-
dancken; die andern hingegen auf die Kraft
und Kuͤhnheit des Ausdruckes Jndem der
Poet uns die erhabenen Entſchluͤſſe ſeines Wei-
ſen entdecket, und zeiget wie er ſich dadurch
von
[23]auf den Weiſen.
von dem niedrigen Poͤbel entfernet, und ſei-
ne Gluͤckſeligkeit bey ſich ſelbſt findet, laͤßt er
uns ſein eigenes großmuͤthiges Hertz gleich-
ſam offen ſehen und bewundern; er giebt da-
durch ſeiner philoſophiſchen Beſchreibung ein
groſſes Gewicht der Glaubwuͤrdigkeit: Zumah-
len da in dieſem kleinen Gedichte mehr der-
gleichen kuͤhne Entſchluͤſſe und Hertzens-Ge-
danken zu finden ſind, als man in mancher weit-
laͤuftigen Sammlung deutſcher Poeſien vergeb-
lich ſuchen wird. Dergleichen ſind:


Doch wer iſt groß? Der Fuͤrſten nicht vergoͤttert,

Und edler denkt, als mancher Fuͤrſt gedacht.


Der Geiſt, durch den ein Cato groß geworden,

Faͤhrt in kein Band, und ruht auf keinem Orden.


Wie oft iſt der der Welt im Zorn gegeben,

Den Cleriſey und Hof und Land erheben?


Von der Schmeicheley und unverdienten
Schande:


Fuͤhrt im Triumph die Bloͤden, die nichts wiſſen,

Und, was ſie ſind, vom Poͤbel lernen muͤſſen.


Von der Weisheit:


‘Jhr Geiſt iſt ſtarck und geht durch alle Geiſter.’

Was jetzo den edeln und kuͤhnen Ausdruck
betrift, der dieſem ſonſt philoſophiſchen Gedichte
ein poetiſches Anſehen mitheilen ſoll, ſo finde
ich, daß der Verfaſſer unterſchiedliche Kunſt-
griffe gebraucht hat, dieſes zu erhalten: Als
B 4z. E.
[24]Crit. Betracht. uͤber die Ode
z. Ex. da er abgezogene Weſen mit guter Wahl
und Nachdruck in Perſonen verwandelt, und ih-
nen auch ſo gar aͤuſſerliche und ſichtbare Hand-
lungen zuſchreibet.


Die Schaͤtze,


‘Um die der Geitz nach fernen Ufern reiſ’t.


Die Sorgen:


‘Er ſchlaͤft mit Luſt, wo andrer Sorgen wachen.


Die Gunſt, Macht und Freyheit,


Gunſt kroͤnt den Fleiß, den Macht u. Freyheit ſchuͤtzen.

Das Lob,


‘Wann war es nicht des Gluͤckes Folge-Magd?

Die Schmeicheley:


Die Schmeicheley legt ihre ſanften Bande,
Jhr glattes Joch nur eiteln Seelen an.


Von der Weisheit ſagt er:


‘An ihr verliert der Zufall ſeine Kraft.’

Ein anderer Kunſtgriff ſind einige gluͤcklich an-
gebrachte Umſchreibungen, und Erweiterungen.
z. E.


Den Schatz, an dem kein Diebes-Finger klebet,

Nach dem allein der Reichen Neid nicht ſtrebet.

Der Handlung Frucht und was ihr Muth erſtritten,

Wird, unbereut, Verdienſten zugewandt.

Und meidet den, der den Genuß vom Leben,

Der jeden Tag nur dem Gewerbe weiht.

Jch ſage nichts von den hier und da eingeſtreu-
ten kleinen aber lebhaften Beſchreibungen, als
z. E. in der dritten Strophe, noch von der gluͤck-
lichen Wahl der Beywoͤrter u. a. d.


Ein
[25]auf den Weiſen.
Der Weiſe.
I
EJn Midas trotzt auf den Beſitz der Schaͤtze,1

Um die der Geitz nach fernen Ufern reiſ’t.

Pruͤft auch der Thor der Wahrheit ew’ge Saͤtze,

Des Weiſen Gluͤck, den echten Helden-Geiſt,
5
Den Schatz, an dem kein Diebes-Finger klebet,2

Nach dem allein der Reichen Neid nicht ſtrebet?

II.
Ein Weiſer lebt3, obgleich nicht krumme Griffe

Jhm Geld und Troſt4 in Schraͤnk’ und Kaſten ziehn;

B 5Beſchwe-




[26]Crit. Betracht. uͤber die Ode
Beſchweret gleich ſein wuchernd Gut nicht Schiffe,
10
Die zum Gewinn mit ſchnellen Segeln fliehn.

Er darf ſich groß, er darf ſich gluͤcklich preiſen;

Kein fremder Fluch verſaltzet ſeine Speiſen.

III.
Er ſchlaͤft mit Luſt, wo andrer Sorgen wachen;

Wann Boreas um Dach und Fenſter heult,
15.
Und dann vielleicht der Wellen ſchwartzer Rachen5

Den
6

[27]auf den Weiſen.
Den Frachten droht, und Maſt und Kiel ereilt,

So oft der Herr der Waſſer und der Erden.

Die Kraͤmer beugt, daß ſie nicht Fuͤrſten werden.

IV.
Was Recht und Fleiß und Zeit und Gluͤck ihm geben,

20
Verwaltet er7 mit milder Danckbarkeit,

Und meidet den, der den Genuß vom Leben,

Der jeden Tag nur dem Gewerbe weiht,

Und
8

[28]Crit. Betracht. uͤber die Ode
Und juͤdiſch lacht, ſo oft er ſieht und hoͤret,

Wie die Vernunft Geſchmack und Wahrheit ehret.

V.
25
Wie edel iſt die Neigung echter Britten!

Jhr Ueberfluß bereichert den Verſtand.9

Der Handlung Frucht und was ihr Muth erſtritten

Wird, unbereut, Verdienſten zugewandt;

Gunſt kroͤnt den Fleiß, den Macht und Freyheit ſchuͤtzen:
30
Die Reichſten ſind der Wiſſenſchaften Stuͤtzen.

VI.
O Freyheit! dort, nur dort iſt deine Wonne,10

Der Staͤdte Schmuck, der Segen jeder Flur,

Starck wie das Meer, erquickend wie die Sonne,

Schoͤn wie ihr Licht, und reich wie die Natur.
35
Halb-gluͤcklich ſind die Sclaven, die dich nennen11

Und nicht zu viel von deiner Wuͤrde kennen!

Wer



[29]auf den Weiſen.
VII.
Wer heißt oft groß? Der ſchnell nach Ehren klettert,

Den Kuͤhnheit hebt, die Hoͤhe ſchwindlicht macht.

Doch wer iſt groß? Der Fuͤrſten nicht vergoͤttert,
40
Und edler denkt, als mancher Fuͤrſt gedacht,

Der Wahrheit ſucht und Recht und Wahrheit findet.

Und ſeinen Werth auf Witz und Tugend gruͤndet.

VIII.
Ein ſolcher kennt die Eitelkeit der Wuͤrden,

Jn die das Gluͤck zu ſelten Kluge ſteckt.
45
Jhn ruͤhret nicht der Aufputz hoher Buͤrden;

Jhm ſtrahlt kein Stern, der kleine Hertzen deckt.12

Der Geiſt, durch den ein Cato groß geworden,

Faͤhrt in kein Band und ruht auf keinem Orden.

IX.
Wann machte ſich das Lob der Tugend eigen?
50
Wann war es nicht des Gluͤckes Folge-Magd?

Wie oft beſchaͤmt der, dem die Schmeichler ſchweigen,

Dem
13

[30]Crit. Betracht. uͤber die Ode
Den, dem ihr Schwarm viel ſuͤſſes vorgeſagt?

Wie oft iſt der der Welt im Zorn gegeben,

Den Cleriſey und Hof und Land erheben?

X
55
Die Einfalt lobt was vieler Stimmen loben;

Die Menſchen-Furcht was ſie nicht ſtuͤrtzen kan.

Germanicus wird billig hoch erhoben;

Doch betet Rom auch ſeinen Buben an:

Domitian, Roms ſchaͤndlichſter Berather,
60
Heißt wie Auguſt des Vaterlandes Vater.

XI
Wie mancher wird aus Eigennutz beſungen,

Mit Lob betaͤubt, den jede That entehrt!14

Des Frevlers Ruhm ertoͤnt auf feigen Zungen,15

Bis ihm das Gluͤck den falſchen Ruͤcken kehrt.

65 Ahito-


[31]auf den Weiſen.
65
Ahitophel, und ſolcher Raͤthe hundert,

So gar ein Suͤß ward, eh er hieng, bewundert.

XII
Die Schmeicheley legt ihre ſanften Bande,

Jhr glattes Joch nur eitlen Seelen an.

Unedter Ruhm und unverdiente Schande,
70
O waget euch an keinen Bidermann!

Fuͤhrt im Triumph die Bloͤden, die nichts wiſſen,

Und, was ſie ſind, vom Poͤbel lernen muͤſſen!

XIII
Ruhm, Ehre, Lob (wie wir den Beyfall nennen,

Den alle Welt Verdienſten ſchuldig iſt)
75
Euch kan uns nur die Weisheit zuerkennen,

Die unſern Werth nicht nach dem Anſehn mißt.

Jhr Ernſt verſcheucht die Kuͤnſte kleiner Meiſter;

Jhr Geiſt iſt ſtarck und geht durch alle Geiſter.

XIV
Jhr Preis, ihr Werth wird nicht vom Gluͤck entſchieden;
80
An ihr verliert der Zufall ſeine Kraft:

Sie kennet ſich, und ihren innren Frieden

Zerruͤttet nicht die Macht der Leidenſchaft.

Was? darf man noch die niedren Groͤſſen preiſen?

Kein Stand iſt groß, als nur der Stand des Weiſen.

85 Er
[32]Crit. Betracht. uͤber die Ode ꝛc.
XV
85
Er weiß, ſein Gott kennt, waͤhlt und wirkt das Beſte:

Das einzuſehn, iſt ſeine Luſt und Pflicht,

Und bebte gleich der Welten Bau und Veſte,16

So zaget er bey ihrem Einfall nicht.

Er ſtirbt getroſt: er ſegnet ſeine Zeiten
90
Und heiliget ſein Theil der Ewigkeiten.


Wohl-
[33]

Wohlgemeinter Vorſchlag,
wie Herrn Chriſtoph Schwartzen
deutſche Aeneis von dem Gerichte der
Maklatur noch zu erretten waͤre; in
einem Schreiben an Herrn Heinrich
Gottfried Zunkel, als den Verleger
derſelben.


Mein Herr.

JHr alleine muͤßtet nicht wiſſen, was vor einen
gewaltigen Stoß das Anſehen des Hrn. Prof.
Gottſcheds ſeit einem halben Jahre erlitten hat,
wenn ihr euch noch mit der Hoffnung aufhalten koͤnn-
tet, daß ſein Beglaubigungsbrief die Kraft habe,
eurer Aeneis den Credit wieder herzuſtellen, den
ihr die Critiken bekannter Kunſtverſtaͤndigen faſt
durchgehends genommen haben. Der Hr. Prof.
hat ſeit einiger Zeit ſelbſt Creditive noͤthig; ſeine
heftigen Gegner haben ihm ſo wenig Credit uͤbrig
gelaſſen, daß man ihm auf ſein Wort nichts
mehr glaubt, was er nicht, wie einer aus dem
niedrigſten Poͤbel, mit baaren Gruͤnden bewei-
ſen kan. Aber was hat er eurem neuen Wer-
ke zum beſten hervorgebracht, die Cenſuren zu
widerlegen, oder die Schoͤnheiten deſſelben, die
unter den Schnitzern verborgen liegen, darun-
ter hervorzuziehen. Er ſagt uns viel Zeug von
einem Schocke elender Ueberſetzungen der Aeneis,
[Crit. Sam̃l VIII. St.] Cdie
[34]Schreiben an Hrn. Zunckel
die Hrn. Schwartzens vorhergegangen ſind, und
ſchließt zuletzt, daß dieſe letztere alle dieſelben uͤber-
treffe. Ein ungeſchicktes Lob, daß Hr. Schwartz
es beſſer gemacht habe, als Murner oder Spreng,
oder Lau! Er verſichert uns zwar, daß es ihn
nicht gereuet habe, was er von der erſten Probe
geurtheilet: Aber was beweiſet dieſes gegen ſeine
Richter? Sie werden ſagen, er moͤgte ein ſolch
verſtockter Suͤnder ſeyn, daß ihn eine groͤſſere
Uebelthat nicht reuete. Vielleicht ſey die Zeit
ſeiner Bekehrung noch nicht vorhanden, ſein
Hertz ſey noch verſteinert. Wahrhaftig der Pfleg-
vater der deutſchen Aeneis, der zuerſt den Ta-
lent des Hrn. Schwartzens zu einem ſolchen Un-
ternehmen erblicket, und ihn durch ſeine Aufmun-
terungen dazu verleitet hat, haͤtte ſich beſſer an-
greiffen ſollen, er haͤtte Virgil den halben Weg
herunterreiſſen, und Schwartzen die andre Helfte
emporruͤcken ſollen, damit ſie naͤher zu einander
gekommen waͤren. Vordieſem haͤtte er Muthes
und Worte genug dazu gehabt. Er haͤtte uns ge-
ſagt:

„Jn Virgils Gedichte herrſchete lohen-
„ſteiniſche und miltoniſche Schwulſt, ſein Aus-
„druck ſey in allen unſern Buͤchern unerhoͤrt,
„mancher wackere Magiſter koͤnne vieles darin-
„nen nicht verſtehen, oder muͤßte es mit vielem
„Nachſinnen und Kopfbrechen errathen, die
„Conſtruction ſey verworffen, man hoͤre der-
„gleichen Latein auf den Univerſiteten nicht; Vir-
„gil verſchwende die Beywoͤrter zu uͤberfluͤſſigen
„Vorſtellungen, die weiter zu nichts dieneten, als
„zu ſchildern. Daher habe Hr. Schwartz bil-
„lig
[35]als Verleger der deutſch. Aeneis.
„lig die Aeneis natuͤrlicher, allgemeiner und ver-
„ſtaͤndlicher gemachet; er habe billig alle die
„Ausdruͤcke, die nur mahleten, weggeworffen;
„und die andern in unſre gewoͤhnliche Sprache,
„die man auf den Gaſſen und in den Krambu-
„den redete, uͤberſetzet.„

Mit dergleichen Vor-
ſtellungen hat Hr. Gottſched die Leſer nothwen-
dig einnehmen ſollen, wenn er gewollt hat, daß
ſie Hrn. Schwartzens Ueberſetzung vor guͤltig er-
kenneten, welche in allen dieſen Stuͤcken von ih-
rer Urkunde abweichet, und gantz mager, kalt
und platt iſt, wo dieſe lebhaft, mahleriſch, praͤch-
tig und poetiſch iſt. Es war um ſo viel noth-
wendiger, weil die Critiken durchgehends tieffe
Eindruͤcke gemachet haͤtten.


Der Hr. Schwartz ſelbſt hat die Nothwen-
digkeit deſſen wohl eingeſehen, und darum einen
ernſtlichen Verſuch gethan zu beweiſen, daß es
unmoͤglich waͤre, alle Redensarten des lateiniſchen
Originals mit ihren beſtimmten Begriffen in ih-
rem wahren Grade zu geben, und ſolche gleich-
wohl nach ſeiner Art, nemlich Zeile von Zeile, in
gereimte Proſa zu bringen. Man muß auch be-
kennen, daß er dieſes mit ſeinen eigenen Exem-
peln genugſam dargethan hat, und man kan nichts
dagegen einwenden, woferne das was ihm nicht
moͤglich war, auch allen andern eben ſo unmoͤg-
lich iſt. Es ſcheint zwar daß er ſelbſt einen Zwei-
fel in ſeinen Satz geſetzet habe, weil er das gan-
ze erſte B. der Aeneis umgeſetzet hat, damit er
den Erinnerungen ſeiner Tadler gemaͤß die Be-
griffe des Virgilianiſchen Ausdruckes genauer und
C 2getreuer
[36]Schreiben an Hrn. Zunckel
getreuer verdeutſchete; und man koͤnnte daraus
ſchlieſſen, daß es zum wenigſten ihn gereuet haͤtte,
die erſtere Probe, die Hr. Prof. Gottſched ſich
nimmer reuen laͤßt zu loben, ſo ſchwach und nied-
rig verfertiget zu haben: Allein ſeine zweyte Ueber-
ſetzung iſt nicht praͤchtiger oder lebhafter aus-
gefallen als die erſtere, und wird ihn vermuth-
lich in ſeinem Grundſatze von der Unmoͤglichkeit
Virgils Gedancken deutſch zu geben beſteiffet ha-
ben. Man haͤtte es ihm auch vor ein redliches
Stuͤcke anfgenommen, wenn er dieſes gerades-
weges bekennt haͤtte, und er haͤtte damit, wo
nicht ſeine uͤbelgerathene Ueberſetzung, doch we-
nigſtens ſeine Aufrichtigkeit bewaͤhret. Allein je-
dermann hat ſich daran geaͤrgert, daß er ſeinen
Kunſtlehrern, deren getreuen Unterricht er ge-
noſſen, und gerne genutzet haͤtte, wenn es in ſei-
nem Vermoͤgen geſtanden waͤre, ſo ungeſchickte
und looſe Worte giebt, als wenn ſie Urſache waͤren,
daß er es nicht hat beſſer machen koͤnnen: Es iſt in
der That ſehr unerbaulich, daß er ſo viel boͤſe
Worte mit ſo groſſer Gelaſſenheit giebt, und be-
zeuget, er rede noch ohne einen aufgebrach-
ren hitzigen Affect, und ſey gantz und gar
nicht geſonnen, ſich zu raͤchen, weil er ſonſt
gantz anders mit ſeinen Gegnern zu verfah-
ren wuͤßte.
Bey Leſung dieſer Worte hat ein
ehrbarer Mann geſagt: Wenn es hier aus kal-
ten Wolcken donnert und blitzet, was wird wohl
vor ein Ungewitter entſtehen, wenn ſie in Hitze
kommen? Der gute Herr iſt in ſeinem Affecte
ſo blind, daß er es ſelbſt nicht weis. Was hat
ihn
[37]als Verleger der deutſch. Aeneis.
ihn ſonſt verblendet, wenn es nicht ein aufge-
brachter Affect gethan hat, daß er ſeinen groͤ-
ſten Feind nicht erkannt, ſondern ihn vor Hrn.
Bodmer angeſehen hat? Er ſollte doch von ſei-
nem groſſen Goͤnner, dem Hrn. Prof. Gottſched
mehr als einmahl gehoͤret haben, wie der Ver-
faſſer der fatalen Zuͤrichiſchen Dichtkunſt heiſſe,
die ſeiner eigenen ein Ende gemacht hat. Hr. Bod-
mer hat ihm nicht den geringſten Schnitzer in
ſeiner Ueberſetzung ausgeſtellet, daß er damit das
Geſetze der Natur an ihm uͤbertreten, oder
ſich an der Gottheit verſuͤndiget haͤtte.
Viel-
leicht aber hat Herr Schwartz allein zu einer
Probe ſeines gelinden Verfahrens, damit er
nicht boͤſes mit boͤſem vergoͤlte,
dem wahren
Nahmen ſeines Gegners verſchonet, und an deſ-
ſen Statt Hrn. Bodmers geſetzet, welchem ſei-
ne ungebundenſten Reden keinen Schaden thun
moͤgen, weil ein andrer gemeint iſt. Es waͤre
gut, daß man dieſes gewiſſen Leſern uͤberreden
koͤnnte, welche lieber hundert Schnitzer, als ei-
ne eintzige Unbill verzeyhen, weil ſie die Fehler
des Witzes nur vor laͤcherlich, die Fehler des
Willens hingegen vor ſuͤndlich halten. Man
laͤßt einem Scribenten gern das Recht wieder-
fahren, daß ers nicht im Vermoͤgen gehabt ha-
be, in die feinen und fuͤr ihn unſpuͤrbaren Fuß-
tapfen Virgils einzutreten. Mancher armer Dich-
ter hat eine innerliche Ueberzeugung von der Vor-
trefflichkeit ſeines Werckes, er redet davon ſeiner
kurtzen Einſicht gemaͤß, und man glaubt ihm ſo
gut, als man einem Gelbſuͤchtigen Glauben zu-
E 3ſtellt.
[38]Schreiben an Hrn. Zunckel
ſtellt. Man ſiehet auch wohl, daß Virgils Aus-
bildung, Mahlerey, Beſtimmung der Begriffe,
Hrn. Schwartzen zu fein und zu verſteckt wa-
ren, und ein jeder fiel vor ſich auf die Gedan-
ken, daß er ſie ohne Muthwillen und ohne Suͤn-
de ſo matt gegeben haͤtte. Aber wie will man
ihn doch entſchuldigen, daß er Leute die ſich Muͤ-
he gegeben, ihn etwas rechtes zu lehren, und
ihm weiters nichts zu Leide gethan haben, ja
daß er Bodmern, der ihm nicht einmahl dieſes
zu Leid gethan hat, mit ſo feindſeligen Worten
uͤberſudelt. Es zeiget zwar ein gutes Gemuͤthe,
da er eine ſo groſſe Sorgfalt fuͤr eure Buchhand-
lung, und einen ſo groſſen Eifer gegen diejenigen
blicken laͤßt, die euch an eurer Nahrung Abbruch
thun wollen. Aber wenn dieſe Sorgfalt und dieſer
Eifer nicht etwas angenommenes ſind, ſo duͤrffet
ihr ihm nur ſagen, daß eben er dieſer ſchaͤdliche
Menſch iſt, der euch mit der deutſchen Aeneis
den groͤſten Schaden zugefuͤget hat; das wird ihn
ſchon vermoͤgen, daß er euch den Verluſt bis auf
die eitele Hoffnung von Gewinn, wovon er euch
guͤldene Berge vorgeſchwatzet hat, erſetze. Er hat
das Werck gemacht, woran er Verluſt vorſiehet,
und er hat es ſo ungeſchickt gemacht, daß noth-
wendig dabey verlohren werden muß. Weder
Hr. Breitinger noch Hr. Pyra, noch Hr. Bod-
mer haben es verfertiget, und ſo ſchaͤdlich ge-
macht. Dieſe Herren haben es nicht dadurch zu
einem ſchlimmen Buche gemacht, daß ſie deſſen
Fehler eingeſehen, oder daß ſie ſolche kund ge-
macht
[39]als Verleger der deutſch. Aeneis.
macht haben. Sie ſind durch ſeine innerliche
Beſchaffenheit genoͤthiget und berechtiget worden,
ſo davon zu denken und zu reden, wie von ih-
nen geſchehen iſt. Eure Aeneis haͤtte nicht ei-
nen Donatſchnitzer weniger, als ſie hat, wenn
kein Kunſtrichter ſie angetaſtet haͤtte, und wenn
ihr 1000. Thaler damit gewonnen haͤttet. Jhr
koͤnnet von ihnen unbehindert noch ietzo ſo viel da-
rauf gewinnen, wenn es den Kaͤufern gelegen
iſt. Der Hr. Prof. Gottſched hat mit eben ſo
ſchlechter Waar noch ein weit mehrers gewonnen.
Es ſcheinet Hr. Schwartz traue den ietzigen Zei-
ten nicht ſo viel gutes zu, als den vorigen, da
oͤfters der bloſſe Nahme Hrn. Gottſcheds ein ma-
geres Buch verkauft hat, eh und bevor er noch
mit einer Hochmagnificenz verherrlichet war. Laſ-
ſet uns die Wahrheit geſtehen, eure Aeneis iſt
eine grundplatte Schrift. Jch ſage es nicht euch
zu beleidigen, oder zu erſchrecken, ſondern vielmehr
eurem mehrern Schaden vorzukommen. Das
ſchlimmſte fuͤr euch iſt, daß jedermann dieſes ein-
ſiehet, man hat ſie in allen Geſellſchaften zum Be-
ſten, und dem plumpeſten Kopf entfaͤhrt bey die-
ſer Gelegenheit ein luſtiger Einfall. Man ſagt
oͤffentlich, der Hr. Verfaſſer habe ſeine Sinnen
und Gedancken vielmehr in patina als in Vir-
gils Aeneis gehabt; die Ueberſetzung ſey nur ſeine
Nebenabſicht, die Hauptabſicht ſey eine gute Sup-
pe und ein Kaͤlberbraten geweſen; er habe die
Aeneis in Beyeriſche Schincken und Knackwuͤrſte
uͤberſetzet; dem Leſer wuͤrde von ſeiner Verdeut-
ſchung ſo uͤbel, als wenn unus coquus confundit
C 4multa
[40]Schreiben an Hrn. Zunkel
multa Jura; in dieſem Verſtande ſey Hr. Schwartz
ein Coctor Jurium; und was mehr dergleichen
poſſierliche Einfaͤlle ſind, die wenigſtens nicht ſo
zauberiſch herauskommen, als wenn dieſer ſchertz-
hafte Verfaſſer ein paar Schweitzerhoſen ver-
ſchluͤckt.
Aber niemand hat die deutſche Aeneis
aͤrger geſchimpft, als der Herr von Jonquilie.
Die gantze Stadt traͤgt ſich mit der Execution,
die er damit vorgenommen. Er lud am letzten
Abend des vorigen Jahres eine groſſe Anzahl Her-
ren und Frauenzimmer zu ſich, denſelben eroͤffnete
er beym Camin, daß er uͤber Schwartzens Ae-
neis Gericht gehalten haͤtte; und er haͤtte bey ſei-
nen richterlichen Amtspflichten gefunden, daß das
goͤttliche Gedichte Virgils darinnen geſchaͤndet,
entweyhet und entheiliget waͤre; dafuͤr habe er ſie
zum Feuer verurtheilet. Er hoffete daß niemand
wider ſein Richteramt oder ſein Urtheil etwas ein-
zuwenden haben werde, jenes habe er mit einem
halben Reichsthaler rechtmaͤſſig gekauft, und die-
ſes wollte er gegen einen jeden behaupten, wo-
fern jemand vorhanden waͤre, der fuͤr die Ver-
urtheilete reden wollte. Man billigte insgemein
ſein ausgeſprochenes Urtheil, und lobete ſeinen Ei-
fer fuͤr die Ehre des roͤmiſchen Poeten. Es ſchien,
daß ſich niemand der deutſchen Aeneis annehmen
wollte, bis nach langem ein junger Magiſter,
Nahmens Hr. Tulipe, ein bekannter Freund der
Hrrn. Gottſched u. Schwartz, auf den jedermanns
Augen gerichtet waren, ein Hertz faſſete, und
erſtlich vorſtellete, was vor ſaure Muͤhe es den
Hrn. Schwartz gekoſtet haͤtte, die Aeneis Vir-
gils
[41]als Verleger der deutſch. Aeneis.
gils in eben ſo viele deutſche Verſe Zeile von Zeile
zu uͤberſetzen, und dabey alle Regeln der cri-
tiſchen Reinigkeit
auf das genaueſte zu beobach-
ten, damit er der ſtudierenden Jugend ein Mu-
ſter einer reinen Poeſie vorlegete.
Er bat fer-
ner daß Hr. Jonquilie auf die kuͤnſtliche Vermi-
ſchung der Selbſtlauter und Mitlauter Acht ge-
ben moͤgte, welche in verſtaͤndigen Ohren einen
ſo ſuͤſſen Wohlklang verurſachete. Dieſer ant-
wortete ihm darauf: Es waͤre nicht genug, daß
die ſchwartziſche Aeneis eben ſo viel Zeilen haͤtte,
als die Roͤmiſche, ſie ſollte ihr vielmehr an der
Anzahl der Begriffe, an dem Maaſſe, dem Nach-
druck, und Leben derſelben gleichen; nichts waͤre
leichter als ein Werck von eben ſo vielen Verſen
machen, als Virgils haͤtte; man koͤnnte die An-
zahl der Virgilianiſchen Verſe vielleicht eben ſo
richtig im Hans Sachſen finden. Was den Wohl-
klang anlangete, ſo waͤre wahr, daß die Ohren
ſo viel Verſtand darinnen faͤnden, daß es ſchiene
aller Verſtand und Witz des Ueberſetzers waͤre
in die Buchſtaben und Sylben gefahren; man
wuͤrde in folgenden und tauſend dergleichen Zeilen
nichts weiters antreffen, als kuͤnſtlich vermiſchte
Selbſtlauter und Mitlauter; und in dieſer Be-
trachtung koͤnnte eine jede von denſelben fuͤr ſich
ſelbſt beſtehen, ohne daß ſie einen gewiſſermaſſen
beſtimmten Verſtand in ſich faſſete; oder die von
ihm geruͤhmte critiſche Reinigkeit verletzete, wel-
che ſich nicht weiter als auf den Klang bezoͤge.
Wie rein und klingend, ſagte er, ſind zum
Exempel:


C 5‒ ‒ beſetz-
[42]Schreiben an Hrn. Zunkel
‘‒ ‒ Beſetzten Trinkpocal, fuͤllt ihn, wie Bel und die ‒ ‒ ‒’


‘‒ ‒ Jhm folgende mit Wein, ein jeder ſchwieg und ſie ‒ ‒’


Die Nymphen wohnen da, man braucht kein Seil und kei-
(nen ‒ ‒



‘Als Priams aͤlteſte Princeſſin trug, und die ‒ ‒ ‒ ‒’


‘‒ ‒ Entellen, der bey ihm im Graſe lag, dies ſcharf ‒ ‒’


‘‒ ‒ Auf dem ſidoniſchen geſchenkten Pferd, und das ‒ ‒’

Jedoch, fuhr er fort, damit Hr. Tulipe ſehe,
daß ich mit der Aeneis ſeines Freundes nicht nach
der Schaͤrffe verfahre, ſo will ich nicht ſo viel
fodern, wie Horatz gethan, der ein Werck ver-
warf, das nicht mehrere Schoͤnheiten, als Feh-
ler hatte, ſondern ich will zufrieden ſeyn, wenn
er mir nur fuͤnfzig Zeilen von Virgils Geiſt und
Leben zeigen kan. Jch will in ſolchem Fall mein
Urtheil alſobald widerruffen. Hier nahm ein ge-
wiſſer Hr. das Wort und ſagte im Spotte, fuͤnf-
[...]ig Virgilianiſche Zeilen von Schwartzen zu fo-
[d]ern, waͤre zu viel; wenn man ihm dreiſſig zei-
gen koͤnnte, ſo wuͤrde er nicht ſo grauſam ſeyn,
und um der zwanzig willen, die an der gefoder-
ten Anzahl abgiengen, ſein Urtheil vollſtrecken.
Hr. Jonquilie erklaͤrete ſich darauf, daß er um
der anweſenden Frauensperſonen willen, die aus
angebohrner Mildigkeit an Mord und Brand
keinen Gefallen haͤtten, dem gantzen Wercke ver-
ſchonen wollte, wenn man ihm nur zehn Zeilen von
Vir-
[43]als Verleger der deutſch. Aeneis.
Virgils Mahlerey und Nachdruck vorlegen koͤnnte.
Nach dieſer Erklaͤrung blaͤtterte Hr. Tulipe in
der neuen Aeneis lange hin und her, und kam
endlich mit folgenden Verſen vor den Tag:


‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ der Tag bricht an, es ſcheinen
Die Sternen ſchon nicht mehr, ſo daß ihr ſchlaffen ſollt.



‘Worauf Achat ein Feur auf trockne Blaͤtter ſchlaͤgt.’


‘Sie aber machen ſich zur Schmauſerey geſchickt.’

Er wollte die Anzahl der zehne, mit dergleichen
Zeilen voll machen, als Hr. Jonquilie ihm ein-
redete, und ſagte: Wenn ich nicht irre, ſo giebt
er mit ſeinem der Tag bricht an, Virgils nox
humida cœlo præcipitat,
und mit es ſcheinen
die Sternen ſchon nicht mehr, ſo daß ihr
ſchlaffen ſollt,
giebt er das ſuadent cadentia
ſydera ſomnos.
Er ſetzt, ein Feuer ſchlagen,
wo Virgil geſagt, ſilicis ſcintillam excudere,
und ſich zur Schmauſerey geſchickt machen,
iſt das Lateiniſche ſe prædæ ac dapibus futuris ac-
cingere.
Nun will ich ſchon wetten, er giebt das
torquet medios nox humida curſus,die Mitter-
nacht iſt vorbey;
und me ſævus equis oriens af-
flavit anhelis,
ich ſpuͤre daß der Tag vorhan-
den ſey;
rapere in fomitem flammam,ein Feuer
anmachen,
Ceres undis corrupta,das naſſe Brod,
cerealia arma expedire,das Backzeug auspa-
ken;
implentur veteris Bacchi,ſie trancken Wein;
o quam te memorem Virgo,o Jungfer wie
ſoll
[44]Schreiben an Hrn. Zunkel
ſoll ich dich gruͤſſen? Er giebt dieſes in der
That nicht anders, ſagte Hr. Tulipe, und wa-
rum ſollte ers anders geben, das iſt der eigent-
liche Verſtand dieſer Woͤrter. Wolltet ihr wohl
begehren, daß man bey einer Ueberſetzung bey
allen Redensarten des Originales bleiben, und
ſolche gleichwohl nach Hrn. Schwartzens Art,
Zeile von Zeile in gereimte Verſe bringen ſoll-
te? Das waͤre eine phyſicaliſche Unmoͤglichkeit;
denn die Natur der Sprache litte ſolches nicht;
es waͤre auch wuͤrklich abgeſchmackt und un-
gereimt, wenn man uͤberall der Lateiner Re-
densarten behalten wollte. Es hat ja jede
Sprache ihren beſondern Nachdruck, welchen
man
Genium linguænennet. Hr. Jonquilie er-
wiederte: Niemand ſagt, daß man das Latein
von Wort zu Wort geben muͤſſe, wie man jedes
im Woͤrterbuche nach ſeiner erſten und fluͤchtig-
ſten Bedeutung verdeutſchet findet; ſondern man
muß die Jdee von einem jeden mit aller Genauig-
keit und Beſtimmung in ihrem rechten Maaſſe
und Grade liefern. Glaubet ihr nun, daß
man die Virgilianiſchen Redensarten nicht ge-
nauer und nachdruͤcklicher geben koͤnne, als Hr.
Schwartz gethan hat, woferne man von der Na-
tur der deutſchen Sprache nicht abweichen, und
nicht abgeſchmackt werden wollte? Wuͤrde es nicht
ſchon Virgilianiſcher toͤnen, und doch Deutſch blei-
ben, wenn ich ſagte: Jch muß endlich ſcheiden;
die thauigte Nacht haͤlt ihren Lauf an dem mitt-
lern Theile des Himmels, ich verſpuͤre ſchon die
ſcharfe Luft des ankommenden Morgens, der mich
mit
[45]als Verleger der deutſch. Aeneis.
mit ſeinen ſchnaubenden Pferden anwehet. Viel-
leicht aber mißfaͤllt euch dieſes, weil es euch uner-
hoͤrt iſt. Wir druͤcken uns im gemeinen Um-
gange nicht ſo aus. Dem iſt alſo, aber wir ge-
ben uns im gemeinen Leben auch vor keine Poeten.
Man hat ſich auch zu Rom nicht ausgedruͤcket,
wie Virgil in der Aeneis thut, wenn man mit
ſeinem Koche, oder ſeinem Becker geredet hat.
Hr. Tulipe merckete, daß er anders faſſen muͤß-
te, er erinnerte ſich einer Stelle, die er in Hrn.
Gottſcheds Vorrede zu der deutſchen Aeneis gele-
ſen hatte, welche er dergeſtalt anbrachte: Jch
ſehe wohl Hr. Schwartz hat fuͤr euch zu deutlich ge-
ſchrieben, ihr haltet als ein ſcharfſinniger Kopf
mehr auf etwas weitgeſuchtes, gelehrtes und ſchwe-
res. Das iſt nun euer Geſchmack, und de gu-
ſtibus non eſt diſputandum.
Wenn euch aber Hr.
Schwartz in dieſem Stuͤcke keine Gnuͤge gethan,
ſo iſt das zu wenig, als daß ihr deßwegen ſei-
ne gantze Arbeit verwerffen ſolltet. Die Vor-
trefflichkeit der Aeneis beſtehet nicht bloß in der
Reinigkeit und der Schoͤnheit des Lateins, in dem
Adel und erhabenen Pracht der Schreibart, in
dem flieſſenden Wohlklange, und der bezaubern-
den Anmuth der Verſe. Es giebt darinnen noch
viel ſchaͤtzbarere Eigenſchaften, z. Ex. die aͤuſſet-
liche und die innerliche Groͤſſe ſeiner Fabel,

und der Hauptzweck des Dichters, nach welchem
er die Roͤmer bereden wollen, ihre republickani-
ſche Freyheit zu vergeſſen, und ſich dem neu-
en Regenten willig zu unterwerffen.
Auf
dieſe Stuͤcke hat Hr. Schwartz hauptſaͤchlich ge-
ſehen
[46]Schreiben an Hrn. Zunckel
ſehen, und ſie in ſeiner Ueberſetzung gluͤcklich vor-
geſtellet. Die ſittſamern und gewoͤhnlichern Re-
densarten, womit er ſich ausdruͤcket, haben ihn
daran nicht gehindert. Jch will euch dieſes gel-
ten laſſen, ſagte Hr. Jonquilie, aber ich ſehe
dann nicht, was Hr. Schwartz vor groͤſſere Ver-
dienſte habe, als Murner, oder Sprenge. Wir
finden in ihren Knittelreimen die Fabel der Ae-
neis, ihre Anlage, Verfaſſung, ihre Hauptab-
ſicht, und Hauptlehre ſo gut, als in Hrn. Schwar-
zens Wercke, und ein Ueberſetzer muͤßte den Kopf
in den Fingern haben, wenn er ſie gaͤntzlich ver-
fehlen ſollte. Wenn ihr dann daſſelbe vom Holtz-
ſtoſſe erretten wollet, ſo muͤſſet ihr mir etwas
mehrers darinnen zeigen, als dieſe geſchicktern Bruͤ-
der Hans Sachſens haben, ihr muͤſſet mir die
Kuͤrtze Virgils darinnen finden, der ſeinen beſten
Vortheil aus den Beywoͤrtern ziehet, womit er
die Geſtalten und die Beſchaffenheiten der Din-
ge erklaͤret, ſeine zuſammengepreßte Begriffe,
die Hoͤhe und den Glantz der Farben in ſei-
nen kunſtreichen Gemaͤhlden. Koͤnnet ihr die-
ſes nicht, ſo muß der Gerechtigkeit eine Genuͤge
gethan, und die deutſche Aeneis dem Vulcan ab-
gethan werden.
Jhr ſollet bald ſehen, was ich
mit dieſem unerhoͤrten Ausdrucke ſagen wolle.
Mit dieſem Worte hielt er ſie, wie ſie mit ei-
nem ehrbaren Leichenkleide in ſchwartzem Mar-
roquin angethan war, uͤber das Caminfeuer,
wo ſie ſich bald in Rauch und Aſche, ihre erſten
Elemente, wieder aufloͤſete.


Jhr
[47]als Verleger der deutſch. Aeneis.

Jhr koͤnnet aus dem allen genugſam abneh-
men, Herr Zunckel, was euch die groſſe Hoff-
nung eintragen werde, welche man euch von die-
ſem Buche gemachet hatte. Es waͤre ein Gluͤck
fuͤr euch, wenn es vielen dergleichen ſcharffen Rich-
tern in die Haͤnde gerathen wuͤrde, ihr koͤnntet ſein
ſo wenigſtens ohne Schaden loos werden, allein es
giebt allzuwenig Leſer, die einen Poeten zum Holtz-
ſtoſſe erkauffen, damit ſie ihn vom Moder erret-
ten. Die gemeine Stimme der Groſſen und der
Kleinen ſpricht uͤber ſie das Urtheil, daß ſie Mak-
latur ſey, und wieder zu Maklatur werden ſolle.
Dieſes kan freylich nicht ohne Abbruch eurer Nah-
rung geſchehen, und weil ich ſehr zweifle, daß Hr.
Schwartz, der ſie nicht beſſer gemacht hat, oder
Herr Gottſched, der ihn zu dieſer ſchaͤdlichen
That aufgeſtiftet hat, euch den Verluſt gutthun
werden, ſo kraͤncket es mich, um eurentwillen,
in der Seele. Das Mitleiden, das ich deßwe-
gen mit euch habe, hat mich ſinnreich gemachet,
ein Mittel zu erfinden, wie ihr wenigſtens ohne
Schaden davon kommen koͤnnet; und ich habe
euch wuͤrcklich einen Vorſchlag zu thun, den ich
vor unfehlbar anſehe. Er iſt ſehr einfaͤltig, und
beſtehet kurtz darinn, daß ihr die neue Aeneis
fuͤr das ausgebet, was ſie iſt, nehmlich fuͤr eine
verkleidete, und verkehrte Aeneis, wo Virgils
Werck ſeiner Pracht und Majeſtaͤt in den Be-
griffen und dem Ausdruck beraubet, und zu der all-
taͤglichen Plattheit des Ausdruckes und abentheur-
lichen Poſſen erniedriget worden, jungen Magiſtern
und ihren Untergebenen, welchen ſie im Latein
unver-
[48]Schreiben an Hrn. Zunckel
unverſtaͤndlich und unerhoͤrt geweſen, das Leſen
derſelben zu erleichtern, und ſie fuͤr ihre Faͤhig-
keit gemaͤß und anſtaͤndig zu machen. Jhr ſchrie-
bet zwar hiemit dem Hrn. Schwartzen einen Vor-
ſatz zu, den er nicht gehabt haben will, der ihm
aber weit mehr Ehre braͤchte, als da er ſeine
Plattheiten und zweydeutige Schwaͤncke vor eine
getreue und ſorgfaͤltige Ueberſetzung der lateini-
ſchen Aeneis geben will. Jetzo ſagt man, er
habe die Aeneis aus Unwiſſenheit, Unvermoͤgen
und Mangel an Geſchmacke und Empfindung ſo
niedrig und poſſierlich gemacht, er habe ihr das
zugetheilet, was ihm natuͤrlich und eigenthuͤmlich
waͤre, was albern waͤre ohne daß er es ver-
ſtuͤhnde und einſaͤhe; das luſtige Zeug darinnen
waͤre eine ungeſchmakte Frucht ſeines ſchalen Gei-
ſtes, der Plattheit vor Natuͤrlichkeit, und Lappe-
reien vor Witz hielte. Anſtatt deſſen wuͤrde es
kuͤnftig heiſſen, Hr. Schwartz haͤtte durch ſeinen
Witz und muntern Kopf aus eben denen Dingen
Niedrigkeit und Poſſen herausziehen koͤnnen, in
welchen Virgil Hoheit und Pracht gefunden; er
habe uns damit luſtig gemacht, womit jener uns
in Verwunderung geſetzet; er habe mit Witz und
Geſchicklichkeit ausgeſchweifet; er habe die Poſ-
ſen ſo kuͤnſtlich nachgeahmet, als wenn ſie ihm
eigen waͤren. Man wird ihn mit dem Titel des
deutſchen Scarrons beehren. Es iſt ohne Zwei-
fel ein groͤſſerer Ruhm, die Narrheit wohl koͤn-
nen,
als die Weisheit und den Ernſt ungeſchickt
nachmachen. Es waͤre darum gut, daß ihr zu die-
ſer verkleideten Aeneis Anmerckungen und Erklaͤ-
rungen
[49]als Verleger der deutſchen Aeneis
rungen machen lieſſet, worinnen der laͤcherliche
Witz und die poſſierliche Verkehrung in ihr rech-
tes Licht geſetzet, und dem Leſer auf die Spur
des Luſtigen geholffen wuͤrde; man muͤßte die
wohlflieſſende Plattheit, die feinen Zweydeutig-
keiten, die geſchickte Erniedrigung des Praͤchtigen,
die unerwartete Vermiſchung des Schimpfes mit
dem Ernſte, die angenehme Vermeidung aller har-
ten und Nachdencken erfodernden Gedancken ſorg-
faͤltig anmercken, und das alles des Hrn. Schw.
Kunſt und Vorſatze zuſchreiben. Man muͤſte um-
ſtaͤndlich anzeigen, wie er verſchiedene und gantz
abgeſonderte Begriffe in einem Guß zuſammen-
geſchmeltzet; mit einander verbunden, was unmoͤg-
lich zugleich beſtehen kan; den Nebenumſtand in die
Haupthandlung verkehret; Wunderwercke ver-
richtet; alltaͤgliche Wahrheiten mit unwiderſprech-
lichen Gruͤnden unterſtuͤtzet hat; und was derglei-
chen mehr iſt. Dieſes iſt deſto noͤthiger, weil man
ihm mit gutem Grunde vorwerffen koͤnnte, ſeine
Schwaͤncke ſeyn zu ſchal und ſeine Ausſchweifungen
haben das Saltz nicht, das in dem franzoͤſiſchen
Scarron den Poſſen einen Geſchmack giebt; der-
geſtalt daß man ihn mit denen Pritſchmeiſtern ver-
gleichen koͤnnte, welche ſich gerne naͤrriſch ſtellen
wollten, aber weder Weiſe noch Gebehrde dazu
verſtehen, und wenn man ſie gleich ſchuͤnde, es
nicht hoͤher bringen koͤnnen, als daß ſie die Ohren
ſchuͤtteln. Wird die Sache nach meiner Jdee
geſchickt ausgefuͤhret, ſo wird eure Aeneis nicht
nur den jungen Magiſtern und Studenten anſtaͤn-
dig ſeyn, welche die geheimnißvollen und mit Be-
[Crit. Sam̃l. VIII. St.] D [1]grif-
[50]Schreiben an Hrn. Zunckel
griffen und Bildern ſo beſchwerten und unverſtaͤnd-
lichen Verſe Virgils ihrer Laſt ſo geſchickt entle-
diget, und mit Schertz und Schwaͤncken ihrem
Witz und Naturelle gemaͤß bereichert ſehen,
ſondern ſelbſt diejenigen, die jetzo nicht leiden
koͤnnen, daß Hr. Schwartz ſeine Aeneis mit
Virgils in einen gleichen Grad der Wuͤrde ſtel-
len will, werden ihr den Werth einer verkeh-
rten Aeneis gerne zugeſtehen. Sie moͤgen wohl
leiden, daß Virgil ſo klein gemachet werde, als
die Menſchen insgemein ſind, aber ſie geſtehen
nicht gerne, daß Schwartz eben ſo groß ſeyn ſolle,
als Virgil iſt. Wenn er es recht uͤberleget, ſo
wird er mit meinem Vorſchlage wohl zufrieden
ſeyn, er waͤre denn aus der Zahl derer, die lie-
ber poſſierlich ſeyn, als heiſſen wollen. Er wird
mir dancken, daß ich ſeinen wahren Talent, und
den eigentlichen Werth ſeiner Aeneis ausgefunden
habe. Jſt er in der poetiſchen Mahlerey nicht ge-
ſchickt ein lebhaftes Auge oder einen wohlberedten
Mund zu ſchildern, ſo hat er hingegen ein natuͤr-
liches Geſchicke, einen Schincken, einen Schuh,
oder einen Buckel nach dem Leben zu entwerffen.
Er hat denn ſchon verantwortet, warum man nicht
zehn Virgilianiſche Zeilen in ſeinem Wercke fin-
de, das waͤre wider ſeine Abſicht geweſen, er hat
nicht uͤberſetzen ſondern verhudeln wollen, und die-
ſes geſchickt ausgefuͤhrt. Waͤre es ihm aber nicht
anſtaͤndig, ſo hat es nichts zu bedeuten, ihr habet
ſeine Einwilligung nicht vonnoͤthen, die Aeneis iſt
euer, ihr habet ſie bezahlet. Wenn ihr zu der
vorgeſchlagenen Einrichtung oder den Anmerckun-
gen
[51]als Verleger der deutſchen Aeneis.
gen meiner Dienſte noͤthig habet, ſo ſtehen ſie euch
bereit. Jch will dann trachten, den Hrn. Conrec-
tor Erlebach, und den Hrn. Conr. Pyras wie auch
den unparteyiſchen Correſpondenten, meine aller-
liebſten Freunde, zu bereden, daß ſie zu Ver-
herrlichung eurer Aeneis das ihrige mit beytragen.
Laſſet mir eure Gedancken durch den Weg, durch
welchen euch dieſe Zeilen zukommen werden, mit
eheſtem wiſſen, und ſeht mich an, als denjenigen,
der gantz geneigt iſt, euch aus der augenſchein-
lichen Gefahr groſſen Abbruches an eurer Nahrung
nach ſeinem Vermoͤgen zu erretten. Jch habe
das Titelblatt, wie es nach meinem Vorſchlage
lauten muͤßte, nach ſeinem voͤlligen Jnhalt und
der ſcheinbarſten Abſetzung der Zeilen hier bey-
geſchloſſen. ꝛc.



Stephan Finck.


NAchſchrift. Jch habe die Ehre ench hierbey
aus dem ſiebenden Stuͤcke der Schweitzeri-
ſchen Critiſchen Sammlung das Abentheuer
D 2zu
[52]Schreiben an Hrn. Zunckel.
zu uͤberſenden, welches ſich in Hr. Conrector Er-
lebachs
Schule mit eurer Aeneis zugetragen hat.
Jhr werdet ſelbſt ſehen, wie wacker Hr. Schwartz
in dieſer Schrift zugedecket iſt. Man will uͤber
diß wiſſen, wann er unter dieſer Decke nicht
liegen wolle, ſo wollen ihn die Schweitzer noch mehr
uͤberdecken, bis daß er zu ſchwitzen komme; in
Hoffnung, werde er nicht weiß, ſo werde er
doch ein wenig zarter, und wie ſie ſagen, hand-
ſamer.



Die[[53]]

Die verkleidete
Aeneis

Ein
Heldengedicht
Fuͤr die
Gottſchedianer;
Jn welchem Virgils Aeneis von der
Hoheit ihrer Begriffe und der Pracht

ihres Ausdruckes befreyet,
Und in die verſtaͤndliche und leichte Sprache der
Deutſchuͤbenden Seelen,
Mit Eintragung vieler luſtiger Schwaͤncke
Und ſchimpfreicher Zweydeutigkeiten Zeile von
Zeile flieſſend und rauſchend uͤberſetzet iſt
Von Johann Chriſtoph Schwartz;
mit Rath, Huͤlfe, und Beyfall
Sr. Hochedelgebohrnen Magnificenz
des Hrn. Profeſſors Gottſched;

Samt noͤthigen
Einleitungen, Vertheidigungen und Erklaͤrungen,
von Stephan Finck ꝛc. ꝛc.
Regensburg

Gedruckt und zu finden bey Heinrich Gottfried Zunckel.



[54]

Verſuch einer Ueberſetzung von Fa-
beln aus einer deutſchen Handſchrift des
vierzehnten Jahrhunderts.


WEr recht uͤberſetzen will, muß vornehmlich
den Geiſt deſſen haben, den er uͤberſetzet;
und dann auch die Sprache deſſelben wohl ver-
ſtehen. Man hat darum in der neuen Vorrede
zu Hrn. Heinekens Longin dem Hr. Prof. G.
gerathen, daß er aus dem Beyeriſchen uͤberſetzen
ſollte; ohne Zweifel, weil man das Vertrauen
zu ihm gehabt hat, daß er den Geiſt der beyeri-
ſchen Scribenten gluͤklich erreichen, und ſich da-
neben von ihrer Sprache leichter als von der la-
teiniſchen meiſter machen koͤnnte. Der junge
Menſch, von welchem folgende Ueberſetzung iſt,
hat ſich aus eben dieſer Urſache nicht hoͤher ge-
waget, als daß er einige Fabeln aus der alten
deutſchen Handſchrift des vierzehnten Jahrhun-
derts uͤberſetzet hat, von welcher in dem Abſchnitt
von der deutſchen Poeſie unter dem ſchwaͤbiſch.
Stamme einige Nachrichten gegeben worden.
Es duͤnket mich in der That, daß er in den Geiſt
und die Sprache ſeines Originales geſchikt ein-
geſchlagen habe. Jch habe ihn darum angefri-
ſchet, daß er mit dieſer Arbeit fortfahren ſollte,
und ihm verſprochen, daß ich eine Probe davon
in dieſer Sammlung einruͤcken wollte, damit er
das Urtheil der Kunſtverſtaͤndigen daruͤber ver-
nehmen koͤnnte.


Die
[55]Fabeln.

I.
Die Schwalbe



DJe Schwalbe ſah einſt Hanf auf einen Acker ſaͤen.

Gleich fiel ihr in den Sinn, was dieſes moͤgte ſeyn,

Deßwegen warnet ſie die Voͤgel insgemein:

Merckt ihrs nicht, das geſchieht zu unſrem Schaden;

Wir ſind mit Feinden gar umringt, und uͤberladen.

Es wird mir ſchwer in meinem Muth.

Es iſt um uns gethan, ſtehn wir nicht auf der Hut.

Denn waͤchßt der Hanf einſt auf, ſo werden ſie ihn ſpinnen:

Dann wird von uns der zehnte nicht entrinnen.

Denn aus dem Garn wird Netz und Strick gemacht,

Mit dieſen faͤngt man uns bey Schaaren,

Wenn wir nach unſrer Speiſe fahren.

Doch weis ich euch noch einen Rath zu geben;

Gehorcht ihr dem, behuͤtet ihr eur Leben.

Jhr ſollt dem Anfang widerſtreben.

Verſammelt euch mit einem Sinn,

Und flieget auf das Hanffeld hin.

Allda verbreitet euch und eſſet alle Saat,

Ein jedes Koͤrnlein auf, das iſt mein Rath.

Dadurch wird dann die Urſach hingenommen,

Von welcher wir in Noth und Arbeit moͤgten kommen.

Die Voͤgel daucht, ſie ſagte dies im Spott.

Sie ſchimpften auf den Rath, und das Geboth.

Der Hanf wuchs auf, nach ſeiner Art,

Worauf er gleich geſponnen ward;

Dann wurden Netz und Stricke draus gemacht;

Wann ietzt der Voͤgel Heer nach Speiſe wollte fahren,

Und ſicher dacht zu ſeyn, ſo fieng man ſie bey Schaaren.

D 4Die
[56]Ueberſetzung aus einer Handſchr.

II.
Die Fliege und der kahle
Mann.



MAn ſagt, daß eine Flieg in Ungeſtuͤme flog,

Und einen kahlen Mann vielmahls betrog.

Jndem ſie ihm oft an die Stirne faß;

Wenn er dann ſeiner nicht vergaß,

Und mit der Hand oft nach ihr ſchlug,

Da floh ſie bald und ſchnell genug.

Sie trieb hernach noch ihr Geſpoͤtte,

Daß er ſich ſelbſt geſchlagen haͤtte.

Bald aber flog ſie wieder dar.

Der kahle Mann nimmt ihrer wahr

Und ſpricht: O Fliege hoͤr was ich dir ſage.

Ob ich dir deinen Spott vertrage,

Und ob ich mich gleich zehnmahl ſchlage:

So werd ich doch davon nicht wund,

Jch bleib hernach wie vor geſund.

Dein Stachel toͤdet auch nicht mich;

Traͤff’ aber ich nur einmahl dich,

So laͤgeſt du im Staube todt.

Begiebt ſich jemand ſelbſt in Noth

Durch kleinen Schaden, den er thut,

Der hat wohl einen tummen Muth.

Der
[57]des vierzehnten Jahrhunderts.

III.
Der krancke Loͤwe.



EJn Loͤwe war an Jahren alt,

An Tugenden und Kraͤften kalt,

Als ihm von Feinden weh geſchah.

Da ihn ein Eber liegen ſah,

Dacht er an ſeinen alten Schaden,

Und biß den Loͤwen in die Waden.

Der Ochs kam auch daher gerannt,

Wo er den alten Loͤwen fand

Er uͤbt an ihm auch ſeine Rach’,

Jndem er ihn mit beyden Hoͤrnern ſtach.

Mit andern Thieren kam zugleich

Der Eſel auch hinzu, und gab ihm manchen Streich

An ſeine krancke Stirn. Das iſt fuͤr die Untugend,

Die du mir vor der Zeit erzeigt in deiner Jugend;

Sprach er. Der Loͤwe fieng mit einem Seufzer an:

„Jch litt es, ſchluͤge mich ein Mann,

„Daß mich ein Eſel ſchlaͤgt, ſchmerzt mehr als alle

(Noth,

„So weh thut nicht der bittre Tod.

D 5Der
[58]Ueberſetzung aus einer Handſch.

IV.
Der Koͤnig der Froͤſche.



EJn Weiher war von Froͤſchen voll.

Denſelben war nach ihren Arten wohl.

Sie hatten Waſſer Land und Feld,

Und deſſen gnug ohn alles Geld.

Sie waren unbeherrſchet gar,

Und nahmen keines Herren wahr.

Jn Freyheit ſtuhnd ihr aller Muth,

Jhr Leib, ihr Leben, und ihr Gut.

Die Freyheit mogten ſie nicht mehr vertragen.

Sie fiengen ernſtlich an zu klagen,

Sie moͤgten nicht ohn’ einen Koͤnig leben.

Gott Jupiter ſollt ihnen einen geben,

Der ihr Regent und Koͤnig waͤr.

Deß lachete Gott Jupiter,

Und ſchwieg. Sie hielten wiederum

Um einen Herrſcher an. Kein Froſch blieb ſtumm.

Da lag ein Traͤmel, plump und groß;

Den Jupiter itzt in den Weiher ſchoß.

Der ſollt ihr Koͤnig ſeyn. Dazu waͤr er gebohren.

Sie hielten ſich zuerſt vor gantz verlohren,

Sie waren ſchnell die Flucht zu wehlen,

Verſtummet waren ihre Kehlen.

So
[59]des vierzehnten Jahrhunderts.
So ſchrecklich war der erſte Schlag,

Nach welchem bald der Traͤmel ſtille lag.

Er ruͤhrte ſich nicht um ein Haar.

Die Froͤſche wurden das gewahr.

Sie konnten ſich im Spott nicht faſſen,

Daß ſie nicht auf den Koͤnig ſaſſen.

Sie fiengen wieder an zu ſchrey’n,

Sie koͤnnten nicht in Ruhe ſeyn,

Wuͤrd ihnen nicht ein Fuͤrſt gegeben,

Ein Koͤnig, unter dem ſie moͤgten leben.

Jhr Ungeſtuͤm verdroß den Gott ein wenig.

Jm Zorn ernennet er den Storch zu ihrem Koͤnig.

Der kam mit groſſem Staat, mit hohem Muth u. Weſen

Vor ſeinem Ernſte mocht kein Froſch geneſen.

Sein Magen war ſehr heiß, weit waren Kropf u. Schlund,

Und immer offen ſtuhnd der Mund.

Was ihm bekam, verſchlang er lebendig.

Das Froͤſchen-Volck ſah ſich in letzter Noth,

Sie ſchrien: hilf Jupiter, ſonſt ſind wir alle todt.

Er ſchonet weder groß noch klein.

Wir wollen gern ohn einen Koͤnig ſeyn.

Es mag nicht ſeyn, ſprach Jupiter,

Er iſt und bleibet euer Herr;

Ein
[60]Ueberſetzung aus einer Handſch.
Ein Richter uͤber euer Leben.

Jch hab ihn euch auf euer Flehn gegeben,

Dem muͤſſet ihr ietzt unterthaͤnig ſeyn.

Will er, ſo toͤdtet er ſo groß, als klein.

Dadurch geſchieht euch lauter Recht;

Wer Herr mag ſeyn, der ſey nicht Knecht.

V.
Der Weih und die
Dauben.



DEr Weih ſtritt mit dem Volck der Dauben.

Er griff es feindlich an mit morden und mit rauben.

Die Dauben ſahen das mit Schmertzen,

Und plagten ſich in ihrem Hertzen.

Sie hielten einen Rath, und kamen uͤberein,

Daß ſie ohn’ einen Vogt nicht ſicher moͤgten ſeyn;

Zu dieſem wollten ſie den Habicht nehmen,

Der waͤre ſtarck genug, des Weihen Grimm zu zaͤhmen.

Da dieſer nun ihr Pfleger ward,

Verjagt er zwar den Weih, doch ließ er nicht von Art.

Da er der Dauben Freund

Und Schirmer ſollte ſeyn, war er ihr groͤſter Feind.

Der
[61]des vierzehnten Jahrhunderts.

VI.
Der Geißbock und der
Loͤwe.



ES ſuchte ſeine Weid in Hungersnoth

Ein Geißbock, wie es ihm ſein Naturell gebot.

Er gieng ſehr hoch in einer Fluh(a);

Kein Thier kam’ ihm daſelbſten zu.

Da ſah er einen grimmgen Loͤwen

Weit unter ihm im ebnen Boden ſtehen.

Der ſprach zu ihm mit hingelegtem Grimme

Und einem ſanften Ton der Stimme:

Mich wundert, daß du magſt dein Leben

Um ſolche ſchlechte Speiſe geben.

Dein Steig iſt alles Schreckens voll,

So hoch daß niemand ihn betreten ſoll.

Auf Speiſe dort zu gehn, iſt gar nicht gut;

Mißlaͤnge dem, der dieſes thut,

So hieß es, ihm geſchaͤhe recht:

Hierunten iſt der Weg nicht ſchlecht,

Hierunten wo der Klee, und Gras und Blumen ſtehn.

Hier giebt es auserleſne Weide.

Kehr denn hieher auf dieſe Heide.

Verlaß die Felſen ohne Reue,

Und komm herab auf meine Treue.

Der Geißbock ward in ſeinen Sinnen,

Des Loͤwens boͤſen Willen innen.

Jch weis, ſprach er, du ſageſt recht:

Das Wort iſt gut, der Wille ſchlecht.

Dein Hertz iſt boͤs, dein Rath iſt gut.

Haͤtt ich darunten meine Hut

So gut als hier, ich naͤhme bald

Dort meinen beſſern Aufenthalt.

Nun mag ich dort nicht ſicher ruhn,

Drum kan ich dir nicht Folge thun.

Die
[62]Ueberſetzung aus einer Handſch.

VII.
Die Schnecke, der Adler
und die Kraͤhe.



DJe Schnecke hatte ſich tief in ihr Haus gezogen;

Da kam ein ſtarcker Aar geflogen.

Der faſſet ſie mit ſeinen Klauen an,

Er zweifelt, was es ſey: als auf denſelben Plan

Gleich eine Kraͤhe koͤmmt, und zu ihm ſaget: Hoͤre,

Die Schaal iſt guter Speiſe voll:

Doch folgeſt du nicht meiner Lehre,

Genieſſeſt du ſie nimmer wohl.

Flieg auf, und ſchwinge dein Geſieder;

Dann wirff mit Macht die Schnecke nieder.

Zerbrich die Schaal und glaube mir

Du haſt dann Speiſe nach Begier.

Die Kraͤhe lehrt den Adler ſo.

Deß ward die Schnecke gar nicht froh.

Er warf ſie und ihr gantzes Haus

An einen Stein, es brach, ſie fiel heraus.

Die Kraͤhe nahm der Beute wahr,

Fuhr zu, und aß ſie vor dem Aar.

Die
[63]des vierzehnten Jahrhunderts.

VIII.
Die Tanne und der Dornſtrauch.



DJe Tanne kam in Ubermuth,

Wie noch ſeithero mancher thut,

Der oͤfters deſſen muß entgelten.

Sie fieng voll Stoltzes an, den Dornſtrauch auszuſchelten,

Der unter ihr ſo nah am Boden ſtuhnd.

Sie ſprach: ich bin gantz lang und breit;

Mit Aeſten bin ich wohl bekleidt.

Gruͤn iſt die Kleidung meiner Zweigen,

Den Wipfel ſieht man Luft an ſteigen.

Mich lobt die Frau und auch ihr Mann.

Ohn’ alles Lob ſieht man dich an.

Du biſt ſonſt zu nichts beſſerm gut,

Als in ein Feuer fuͤr die Glut.

Wer dich beruͤhrt der wird bald wund.

Dein Stachel iſt gar ungeſund,

Verſehrt er eines Menſchen Leib.

Dich haßt der Mann, und auch ſein Weib.

Noch manch veraͤchtlich Wort floß ihr vom Munde,

Und ſehet, in derſelben Stunde,

Koͤmmt unverwarnt ein Zimmermann,

Mit blanken Sagen, Aext’ und Beilen,

Und ſcharfgeſchliffnen harten Keilen.

Er braucht den ſtarken Arm, und ſtreckt ſie auf den Plan

Der Dornſtrauch ſtuhnd gantz ſicher in dem Porte.

Derſelbe ſagt hiernaͤchſt zur Tanne dieſe Worte:

O wie biſt du gefallen, ſtoltzer Baum!

Wie bald, wie tief, von welcher Hoͤhe!

Da ich verachteſter noch aufrecht ſtehe.

Dein Schmuck und deine Wuͤrdigkeit,

Dieſelben thaten dir dies Leid.

Die Schoͤnheit iſts, was dir geſchadet hat.

Nun iſt dein Ruhm zu Boden und ſchachmatt. (a)

Wovon du dachteſt zu geneſen, (b)

Daſſelbe iſt dein Tod geweſen. (c)

Der
[64]Ueberſetzung aus einer Handſch.

IX.
Der Mann der warm und
kalt blaͤſt.



EJn Mann gieng uͤber Feld an einem Tag

Da eine Menge Schnees lag, (a)

Er kam in einen Wald ſehr tief,

Wo er lang in der Jrre lief.

Er litt von Hunger groſſe Noth,

Von Froſt erwartet er den Tod.

Sein Gluͤck war, als er ſich ſo weit vergieng,

Daß ihn ein wilder Mann mit Guͤtigkeit empfieng.

Er nahm ihn in ſein Haus, und hielt ihn wohl;

Wie jeder Wirth mit ſeinem Gaſte ſoll.

So bald er in die Huͤtte kam,

Begunt er wegen Froſtes lahm

Jn die gefrohrne Hand zu hauchen.

Sein Wirth fragt ihn, warum er das gethan;

Darauf antwortet ihm der fremde Mann:

Jch hauche darum in die Haͤnde,

Damit die Waͤrme ſich dahin zuruͤcke wende.

Der Waldmann ſprach: Das iſt ſehr gut.

Die Waͤrme iſts, was dir wohl thut.

Er macht ein Feur, und ſatzt ihn nieder;

Von groſſem Froſt half er ihm wieder.

Jndem ſie ſo beym Feuer ſaſſen,

Wollt es ſein Wirth nicht bey dem halben laſſen.

Er ſah wohl, daß er hungrig war,

Er ſtellt ihm gute Speiſe dar;

Und reicht ihm einen Trunk: Trinck nur, er iſt geſund.

Der Fremde ſetzt den Becher an den Mund,

Und trinckt; doch wird er bald gewahr,

Daß dieſer Tranck gekochet war.

Er brannt ihn auf die Zung: Alsbald blies er daran.

Da ſprach zu ihm der wilde Mann:

Was
[65]des vierzehnten Jahrhunderts.
Was ſoll das ſeyn, was haſt du izt gethan?

Thu mir es kund. Er ſprach: Zu heiß iſt mir der Wein;

Jch blaſe dieſerwegen drein,

Damit er kaͤlter moͤgte ſeyn.

Der Waldmann ſprach: Wie? traͤgſt du heiß und kalt

Jn einem Mund? Wuͤrd ich ſteinalt

So koͤnnt ichs dir zu boͤſem nicht vergeſſen.

Auch hab ich mich (a)vermeſſen,

Aus meinem Hauſe muß der Mann,

Der heiß und kalt im Munde haben kan.

Deßwegen raff dich auf, und geh hinaus,

Du bleibeſt nicht in meinem Haus.


[Crit. Sam̃l. VIII. St.] EDer
[66]Ueberſetzung aus einer Handſch.

X.
Der Bauer, ſein Sohn, und
ihr Eſel.



EJn Bauersmann wollt auf den Jahrmarckt reiten,

Sein Eſel und ſein Knabe ſollten ihn begleiten;

Der Eſel trug ihn fort, der Sohn gieng hinten nach.

Ein Maͤdgen ſah den Ritt, es wundert ſich, und ſprach:

Fuͤrwahr es dauret mich des Knaben;

Er iſt zu zart dem Eſel nachzutraben,

Da dieſer ſtarckgebeinte Mann

Jndeß zu Pferde ſitzt, das iſt nicht wohl gethan.

Da dieß der Alte hoͤrt, macht er den Sattel leer,

Er ſetzt den Knaben auf, und geht zu Fuß einher.

Darauf begegnen ihm zween Greiſen,

Die mit den Fingern auf ihn weiſen;

Und einer ſpricht: Es iſt wohl Schein,

Der Alte muß nicht recht bey Sinnen ſeyn,

Er geht als ein Lakey dem Eſel an der Seiten,

Er koͤnnte doch zugleich mit ſeinem Buben reiten.

Der Alte folgt dem Rath, er ſizt zu ſeinem Sohn

Dem Eſel auf das Kreutz, und reitet braf davon.

Nicht lange reiten alle beyde,

So wards dem alten Mann zu Leide. (a)

Denn als mehr Leute ihm bekamen, (b)

So ſagten ſie; Jn Midas Nahmen,

Was vor ein alter Thor faͤhrt dort mit ſeinem Knaben

Auf einem Eſelgen? Er will es wohl todt haben.

Doch koͤnnt er dieſes leichtlich wenden,

Und mit dem muntern Sohn den Weg zu Fuß vollenden.

Da dieſes Wort geſchah, ſprach jener zu dem Knaben,

Hinunter Sohn, wir ſollen beyde traben;

Der Eſel muß auch Ruhe haben.

Nach
[67]des vierzehnten Jahrhunderts.
Nach dieſem riefen Mann und Frau

Aus einem Munde: Ey doch, ſchau!

Wie thoͤrigt dieſe beyde ſind,

Der alte Mann ſo wie ſein Kind,

Daß nicht ihr Sinn zu reiten ſteht, (c)

Da doch der Eſel ledig geht!

Ein Wunder, daß nicht ſie den Eſel tragen!

Drauf ſprach der Vater: Sohn wohlher!

Der Eſel iſt uns nicht zu ſchwer,

Daß wir ihn nicht wohl moͤgten tragen.

Laß ſehn, was dann die Leute ſagen.

Sie warffen bald den Eſel nieder,

Und banden ihm den Kopf und alle Glieder.

Sie haͤngten ihn an eine Stangen;

Doch waͤr er freudiger zu Fuß gegangen.

Bald ward ein groß Geſchrey, man rief von Ort zu Ort:

Zween tragen ihren Eſel fort,

Der billiger ſie beyde ſollte tragen.

Man mag es wohl zur neuen Maͤhre ſagen. (†)

Man ſieht wohl, daß ſie Narren ſind,

An Witze ſind ſie beyde blind. (o)

Der Alte hoͤrte wohl, daß jedermann

Nur uͤbels von ihm redt. Er fieng izt ſeuftzend an:

Mein Sohn, du hoͤrſt, der Eſel trage mich,

So iſts nicht recht; er trage dich,

So zehlet man mich zu den Thoren;

Traͤgt er uns beyde dann, ſo iſt mein Witz verlohren

Und geht er ledig fort, ſo weiß ich nicht zu leben;

Wenn wir ihn dann auf unſre Schultern heben,

So iſt kein Menſch unſinniger als wir.

Wie iſt ihm denn zu thun? Der beſte Rath iſt hier:

Jn allen Handlungen thu recht und wohl.

Und ſieh nicht auf die Welt, ſie iſt der Schalckheit voll;

Und kan nicht ohne Tadeln ſeyn.

Deßwegen huͤlle dich in deine Tugend ein.

Thu was du thuſt, nach des Gewiſſens Licht

Und fuͤrchte Gottes Zorn, und nicht der Welt Gericht.

E 2
[68]Ueberſetzung aus einer Handſchr.

XI.
Der Froſch ein Marcktſchreyer.



ES kam ein Froſch auf eine Wieſen,

Da war manch wohlgemachtes Thier,

Von Anſehn, herrlich und geprieſen;

Die redt er an, und ſagte: Glaubt ihr mir,

So muß ich euch Artzneyen geben;

Dadurch verlaͤngert ihr das Leben.

Durch meine groſſe Wiſſenſchaft

Geb ich den Krancken neue Kraft;

Mir mag in allen Koͤnigreichen

Kein andrer Froſch an Weisheit gleichen,

Und ſelbſt der Menſch hat nicht ſo hohe Kunſt.

Des hab ich aller Leute Gunſt.

Ein Fuchs erwiedert drauf: Herr Froſch[, ]ey kan das ſeyn,

Daß ſie Artzneyen koͤnnen geben?

Dem widerſpricht der gruͤnen Farbe Schein.

Verſtehn ſie dieſe Kunſt, ſo heilen ſie ihr Leben,

Und ihre Kranckheit erſt; ſie machen ſich geſund,

Hernachmals mich; ſo wird uns kund,

Daß ſie ein groſſer Doctor ſind.

Thun ſie das nicht, ſo ſind ſie blind.

XII. Der
[69]des vierzehnten Jahrhunderts.

XII. Der ſtreit der Voͤgel u. der Thiere.


VOr dieſem iſt ein ſchwerer Streit geweſen,

Darinnen kaum der zehnde Mann geneſen.

Die Thiere foderten fuͤr ſich und ihr Geſchlecht

Das Land, als ihr gebuͤhrend Recht.

Gott, ſagten ſie, hat uns das Land gegeben,

Auf dem wir ſollten gehn und leben;

Und was es bringt und traͤgt gehoͤret uns zur Speiſe.

Die Voͤgel ſprachen gleicherweiſe

Das Erdreich an; die Erde nebſt der Luft;

Die beyde waͤren nur fuͤr ſie gemacht.

Fuͤr dieſe wollten ſie in einer ſtrengen Schlacht

Jhr Leben an die Thiere wagen.

Daher erhub ſich nun ein toͤdlich-ſchwerer Krieg.

Man ſtritt mit Heldenmuth um Ehr, Beſitz und Rechte,

Mit Schilde, Spieß u. Schwerdt, ſo Rittersleut als Knechte.

Man jagt und ward gejagt, mit ungewiſſem Sieg;

Bis daß ein groſſer Riß im Vogelheer geſchah.

Sobald als dieß die Fledermaus erſah,

Verließ ſie heimlich ihre Schaaren.

Sie miſcht ſich unter die, die ihre Feinde waren.

Sie folgt des feigen Hertzens Rath,

Und flieht da man ſie noͤthig hat.

Jnzwiſchen ſteht mit ſtuͤrmendem Gefieder

Der Adler vor den Riß, ergaͤntzt die Luͤcke wieder.

Er ſchrie die Voͤgel an, gab ihnen Hertz und Muth,

Wie Ajax that, und noch ein kuͤhner thut.

Sie wuͤrgten ihm mit ſcharffen Schnaͤbeln nach.

Dadurch verkehret ſich des Krieges Gluͤcke,

Es wendet ſich der Sieg von ſeiner Flucht.

Mit ihm fliegt auch die Fledermaus zuruͤcke.

Sie kam zu der verdienten Straffe,

Die Voͤgel machten ſie gantz nackt und bloß;

Sie gaben ihr manch harten Puff und Stoß.

Dazu ward ihr zur Buſſe das gegeben,

Sie ſollte Nachts ihr ſchaͤndlich Leben

Mit Speiſe zu verſorgen fliegen;

Des Tages ſollte ſie im Finſtern liegen.

E 3XIII. Die
[70]Ueberſetzung aus einer Handſch.

XIII.
Die gefangene Wieſel.



MAn ſaget, eine Wieſel gieng

Jn eines Wirthes Haus, wo ſie viel Maͤuſe fieng.

Zulezt geſchah auf einer Fahrt,

Daß ſie von ihm gefangen ward.

Da ſprach ſie: Wirth, du ſollſt mich laſſen gehn.

Wahrhaftig ich verdient es wohl,

Daß man im Frieden mich erlaſſen ſoll.

Gieb acht, wie ſauber iſt dein Haus,

Da laͤuft izt weder Ratt noch Maus.

Dafuͤr ſollſt du mir nun zum Lohne geben,

Daß du mich friedlich laͤſſeſt leben.

Das nehm ich an von dir zu einer Gabe

Fuͤr allen Fleiß, womit ich dir gedienet habe.

Der Wirth ſprach: Ja, das iſt wohl wahr,

Mein Haus iſt izo gantz und gar

Von Ratten und von Maͤuſen rein.

Das thateſt du: doch nicht um meinetwillen;

Nicht daß du mir ſo wollteſt nuͤtzlich ſeyn;

Nein, ſondern deinen Balg zu fuͤllen.

Du fiengeſt, Wieſel, meinen Feind;

Warum? Er war nicht mein, und nicht dein Freund.

Du wollteſt meine Speiſ’ allein,

Und ohne viel Geſellen ſeyn.

Warum denn ſollteſt du vor mir geneſen;

Dieweil du in der That mein Feind geweſen?

Verderbteſt du mir nicht mein Fleiſch und Brod?

Deßwegen denn bereite dich zum Tod.

Die Wieſel konnt es nicht entſagen;

Dahero mußte ſie die Straffe tragen.

Sie ward getoͤdet auf der Statt,

Weil ohne Willen ſie gedienet hatt.

XIV. Die
[71]des vierzehnten Jahrhunderts.

XIV.
Die zween Geſellen und der Baͤr.



ZWeen Spießgeſellen waren gut

Von Worten, aber nicht von Muth.

Sie giengen izt durch einen Wald,

Gefahr war nah und mannigfalt.(a)

Da ſagten beyde auf den Eid,

Sie wollten mit Aufrichtigkeit

Zuſammenhalten, bis zum Tod.

Der eine Freund war braun, der andre roth.

Weil ſie in dieſer Rede ſind,

Koͤmmt traͤges Schritts ein Baͤr gegangen.

Der Rothe wartet nicht, ihn zu empfangen,

Er klimmt auf einen Baum geſchwind.

Der Braune kam in groſſe Noth;

Er ſtellt ſich an, als waͤr er todt.

Er ruͤhrt ſich weder hin noch her.

Bedachtſam kam zu ihm der Baͤr,

Wo er am Boden lag, der Laͤnge nach geſtreckt,

Er haͤlt ihn fuͤr ein Aas, das laͤngſt verreckt.

Er wirfft ihn um, und riecht ihn an.

Zulezt gieng er davon, und ließ den todten Mann.

Dieß alles ſah der rothe Spießgeſelle;

Er gieng vom Baum herab zur Stelle,

Und ſprach zu ſeinem Freund: Ey mein!

Was mogte das Geraune ſeyn? (b)

Was raunte dir der kluge Baͤr?

Jch ſah wohl auf dem Baum daß er

Zu deinen Ohren hielt den Mund;

Hat er dich was gelehrt, ſo thu mirs kund.

Der Braune ſprach; Ja freylich raunt er mir,

Und was er mir geraunt, das raun ich dir,

Er ſagte: Meide den, (das iſt mein Rath,)

Der auf den Baum gefluͤchtet hat:

Denn geht es ernſtlich an die Noth,

So laͤßt er dich, denn er iſt roth.

E 4XV. Die
[72]Ueberſetzung aus einer Handſch.

XV.
Die zween Toͤpfe.



EJn Waſſer ward einmahl ſo groß,

Daß es aus ſeinem Bete floß,

Und weit und breit im Land umſchweift;

Es ſchleppt dahin, was es ergreift;

Mit andern Dingen ſchleifts davon

Zween Hafen, einer war von Thon:

Der andre war aus Ertz gegoſſen.

Die beyde kamen ſo gefloſſen,

Und weil der erſte leichter war, (a)

Gelang ſein Weg ihm deſto beſſer

Auf dem ſtarckſtroͤhmenden Gewaͤſſer.

Er fuhr voran, der andre nach.

Der rief ihm zu: Jſt dir ſo gach, (b)

Mein Freund, und warteſt du nicht mein?

Wir wollen Spießgeſellen ſeyn.

Wart mein, ich will mit dir hinfahren;

Gott wird uns beyde wohl bewahren.

Der Topf von Thone ſprach: Jch bin fuͤr dich zu kranck (c)

Gewuͤnneſt du mir an nur einen Wanck,

Thaͤt ich von ungefehr nur einen Stoß an dich,

Und ſtieſſeſt du zuruͤck an mich,

So waͤr ich erſtes Streiches todt.

Jch huͤte mich vor dieſer Noth.

Du uͤbertriffſt an Staͤrcke mich,

Drum bin ich kein Geſell fuͤr dich.

Die Stoͤſſe waͤren mein und dein,

Der Schade waͤre immer mein.

XVI. Der
[73]des vierzehnten Jahrhunderts.

XVI.
Der Froſch und der Ochs.



EJn Froſch war einſt mit ſeinem Jungen

Aus ſeinem Sumpf ans Land geſprungen;

Wo er ein groſſes Rindvieh fand;

Das hielt er ſich vor eine Schand.

Er ſprach: O Himmel, hab ich dir

Darum zu dancken, daß du mir

Solch einen kleinen Leib gegeben?

Wie gantz verſchmaͤhet iſt mein Leben

Vor vielen, welche groͤſſer ſind,

Wie gegenwaͤrtig dieſes Rind!

Er wollte gern dem Ochſen gleichen,

Er blaͤht ſich ſehr, ihn zu erreichen.

Sein Sohn ſieht das, und ſpricht: o nein!

Es hilft nicht: Laß dein blaͤhen ſeyn.

Du magſt dem nicht wohl widerſtreben,

Was die Natur dir hat gegeben.

Der Alte folgte nicht dem Knaben,

Die Hoffart wollt er fuͤr ſich haben.

Zum andern mahl nun, blaͤht er ſich,

Und ſprach zn ſeinem Sohn: Moͤgt ich

Dem groſſen Ochſen gleicher werden,

Geſchaͤhe mir auf dieſer Erden

Nichts liebers, Sohn, auf meinen Eid.

Der Sohn ſprach: Vater, mir iſt leid,

Daß du dich marterſt ohne Noth

Jch fuͤrchte ſehr, du blaͤhſt dich todt,

Folg mir und ſey mit Willen klein,

Und laß dein uͤppig Blaͤhen ſeyn.

Der Alte ſprach: Es waͤr ein Spott,

Jch thu es nicht; mir helffe Gott;

Jch muß groß werden, wie das Rind,

Deß haſt du Ehre, werthes Kind.

Er blaͤhte ſich, indem ers ſprach,

So heftig auf, daß er zerbrach.

E 5XVII. Der
[74]Ueberſetzung aus einer Handſch.

XVII.


Der Affe mit den Nuͤſſen.
EJn Affe kam auf einen Platz gerannt,

Wo er viel guter Nuͤſſe fand.

Von dieſen aͤß er nur zu gern;

Man hatte ihm geſagt, der Kern

Waͤr angenehm und koͤſtlich gut.

Verwirrt ward ihm ſein dummer Muth

Als er die Bitterkeit entdeckt,

Die in den gruͤnen Haͤuten ſteckt: (a)

Noch mehr, als er die Schalen nagt.

Von Nuͤſſen iſt mir viel geſagt,

Sprach er, izt iſt mir anders kund;

Sie haben mir verderbt den Mund. (b)

Er warff die Nuß veraͤchtlich auf die Erden,

Von welcher ihm der Kern nicht mogte werden.

XVIII. Der
[75]des vierzehnten Jahrhunderts.

XVIII.
Der Fuchs und das hoͤlzerne Bild.



EJn Fuchs lief ehmals uͤber Land,

Als er ein Menſchenbildniß fand;

Aus Holz gehauen, kunſtesvoll,

Sein Haupt gezieret, als es ſoll,

Die Stirne ſchoͤn, die Augen klar,

Die Wangen roth, ein ſilbern Haar;

Der Mund war klein, die Zaͤhne weiß;

Es war gezieret auf den Preis.

Als nun der Fuchs das Bild erſah,

Erſtaunt er ſehr, und ſagte da:

Potz Stern! welch Wunder mag das ſeyn?

Jſt das ein Menſch, was vor ein Schein!

Jndem er dieſe Worte ſprach:

Gieng er hin, wo das Bildniß lag.

Er kehrt es hin, er kehrt es her;

Betrachtets wohl, da mercket er,

Daß ſeine Augen ohne Licht;

Daß es ein Mund iſt, der nicht ſpricht;

Die Haͤnde nie zu Wercke gehn,

Die Fuͤſſe immer ſtille ſtehn.

Der Fuchs ward dieſes ungern innen,

Er dacht in ſeinen Fuchſes-Sinnen:

Was ſoll das Auge ſonder Licht?

Was ſoll der Mund, ſo er nicht ſpricht?

Die Haͤnde, die zu Werck nicht gehn?

Die Fuͤſſe, die nur ſtille ſtehn?

Wer ſie mit reichem Schmuck bekleidt,

Der treibet groſſe Ueppigkeit.

XIX. Der
[76]Ueberſetzung aus einer Handſch.

XIX.
Der Krebs und ſein Sohn.



EJn Krebs fuhr ſeinen Sohn mit dieſen Worten an:

Wie gehſt du ſo verkehrt, Sohn, ſtehſt du in dem Wahn

Du geheſt hinter ſich ganz recht?

So biſt du Herr, und ich bin Knecht.

Du ſollteſt lernen vor ſich gehn,

Wie auch dein Vater geht; das wird dir beſſer ſtehn.

Ein Sohn, der wie ſein Vater thut,

Der wird gelobt, und das iſt recht und gut.

Der Sohn ſprach: Vater, du ſagſt wohl.

Jch weiß es, daß ein Sohn dem Vater folgen ſoll.

Deßwegen geh nur vor; laß ſehen, wie du geheſt,

So geh ich auch, wie du; und wie du ſteheſt,

So ſteh ich auch; und wie du dich

Dann ſtelleſt, ſtell ich gleichfalls mich.

Da nun der Vater ſeinen Weg

Zum Beyſpiel ſollte vor ſich gehen,

War er dazu ganz ungeſchickt und traͤg;

Hingegen war er ſchnell ſich ruͤckwerts fortzudrehen.

Da ſprach der Sohn zum Vater: Mein!

Was ſoll das vor ein Beyſpiel ſeyn?

Du haſt denſelben Gang, wie ich,

Und gehſt geſchwinde hinterſich,

Jndem du ſollteſt vor ſich gehn.

Drum laß dein Strafen lieber ſtehn.

XX. Der
[77]des vierzehnten Jahrhunderts.

XX.
Der Rabe und der Fuchs.



ES ſaß ein Fuchs mit leerem Magen,

Und im Gemuͤthe gantz zerſchlagen,

Jm Schatten eines hohen Baums.

Auf dieſen ſetzte ſich ein Rab in gleicher Stunde.

Der hatt ein Stuͤcke Kaͤſ’ im Munde.

Der Fuchs ſah dieß Begegniß gern:

Er redt ihn an: Jch gruͤſſe meinen Herrn;

Jch bin und bleibe ſtets dein Knecht.

Das duͤnckt mich billig, gut, und recht.

Du biſt ſo edel, ſchoͤn, und liederreich,

Kein andrer Vogel iſt dir gleich;

Man ſuche gleich in allen Koͤnigreichen.

Jch ſchmeichle nicht, mein Herr, dir weichen

Der Falck an Adel und an Macht;

Der Pfau an Schein und lichter Pracht;

An lieblichem Geſang die ſuͤſſe Nachtigall.

Du uͤbertriffſt ſie weit mit deinem ſcharffen Schall.

Man hoͤrt ihn weit und breit im holen Wald erklingen.

Wenn du die Stimm erhebſt ein ſuͤſſes Lied zu ſingen,

So dringt die Wolluſt ſich durch alle meine Glieder,

Jch hoͤr entzuͤcket deine Lieder.

Der Rabe ſprach: Du haſt ein zartes Ohr;

Und Urtheil und Geſchmack darinnen.

Jch will dir dieſe Luſt auch jezo nicht mißgoͤnnen.

Damit ſchloß er das Aug, und hub den Kopf empor.

Er ſtimmte ſtarck den widrigen Geſang,

Der krachend durch den Berg und tiefen Thal erklang.

Jn waͤhrendem Geſang entfiel der Kaͤſ’ ihm bald;

Den nahm der Fuchs zum Danck, und trug ihn in den Wald.

XXI. Die
[78]Ueberſetzung aus einer Handſch.

XXI.
Die Lehren der Nachtigall.



EJn Weidmann fieng ein Voͤgellein,

Das war voll Symphonie, doch klein;

Es ward die Nachtigall genannt.

Der Vogler nahm es in die Hand

Und wollt ihm gleich den Hals umdrehn,

Als es ihm flehte: Laß mich gehn,

Du aͤſſeſt dich nicht ſatt von mir; (a)

Fuͤr ſelche Wohlthat geb ich dir

Drey Lehren, die dir nuͤzlich ſeyn,

Praͤgſt du ſie im Gedaͤchtniß ein.

Er ſprach, ſag an: was mag das ſeyn?

Da ſprach das kleine Voͤgellein:

Die erſte Lehre: Glaube nicht

Das, was ſich ſelber widerſpricht.

Die andre: Gieb in deinem Hertzen

Nicht Platz dem unbedachten Schmertzen

Um was, das nicht kan widerkommen,

Dergleichen Leid mag niemand frommen.

Die dritt und letzte ſchaͤrfft dir ein,

Du ſolleſt nicht bemuͤhet ſeyn

Um das, was dir nicht werden mag;

Der fuͤhrt auf ſeinen Kopf den Schlag, (b)

Der uͤberſiehet dieß Gebot,

Und macht ſich zu der Leute Spott.

Behaͤltſt du dieſe Lehren wohl,

So biſt du aller Weißheit voll.

Der Mann hatt an der Lehr Begnuͤgen

Und ließ den kleinen Vogel fliegen.

Er flog auf einen Baum hinauf,

Mit leichtem Muth, und ſprach darauf:

Du
[79]des vierzehnten Jahrhunderts.
Du ſollteſt dich wohl ſelber haſſen,

Thor, daß du mich haſt fliegen laſſen.

Das muß dir Schad und Ungluͤck ſeyn. (c)

Denn ich trag einen edeln Stein

Jm Leibe, wer ihn hat, wird groß,

Jm Felde nimmer ſattellos.

Er daͤmpft und toͤdet allen Gift;

So groß, daß er ein Straußey uͤbertrift.

Du ſiehſt, ſo viel haſt du verlohren.

Der Weidmann haͤtte nun geſchworen,

Das alles waͤre kurtzum wahr.

Aus dummem Sinn vergaß er gar

Der Lehren, die ihm erſt der Vogel ſelbſt gegeben.

Er ward betruͤbt, als um ſein Leben;

Er glaubte, was ſich widerſpricht;

Er ſchonte ſeines Fleiſſes nicht

Den Vogel, der ihm ſo entgangen,

Und ſein Geluͤck damit, zum andern mahl zu fangen.

Der weiſe Vogel redt ihm ein:

Willſt du allzeit ein Narre ſeyn,

Und denckſt an meine Lehren nicht;

Daß man nicht glauben ſoll, was ſelbſt ſich widerſpricht?

Jn mir dergleichen groſſen Stein

Zu tragen, bin ich allzuklein.

Daneben haſt du Leid und Schmertzen

Um mich in deinem eiteln Hertzen,

Dieweil ich deiner Hand entgangen.

Zuletzt biſt du bemuͤht, mich wiederum zu fangen.

Mein Weg und deiner ſind nicht gleich,

Du wirſt an Weisheit nimmer reich.

[80]Von dem Mechaniſmo

Sinnliche Erzehlung
von der mechaniſchen
Verfertigung des deutſchen
Original-Stuͤckes von Cato.


JCh glaube nicht, daß es einer von unſern
Kunſtlehrern in dem Mechaniſmo der Re-
geln hoͤher gebracht habe, als der Hr. Prof.
Gottſched gethan hat. Er iſt darinnen ſo weit
fortgegangen, daß ſeine Schuͤler des Naturelles,
der Erfindungs-Kraft, und deſſen, was in Latein
Vivida vis animi genennt wird, keineswegs von-
noͤthen haben, und ſich ſtatt des Verſtandes mit
dem Gedaͤchtniß, dem Woͤrterbuche, und der
Sprache behelffen koͤnnen. Jhr Auge, ihre Hand
und ihr Ohr bekoͤmmt bey Verfertigung eines Ge-
dichtes das meiſte zu thun, der Kopf und das Hertz
haben gemeiniglich Ruhe. Daher werden die Gott-
ſchediſchen Kunſtregeln ſo brauchbar, daß ein je-
der, der nur Augen, Haͤnde und Ohren hat, ſich
ihrer bedienen kan. Was dieſer kunſtvolle Mann
gedacht und geſchrieben hat, der Tragiſchen Poe-
ſie bey den Deutſchen die Bahn zu brechen, iſt
insbeſondere in Abſicht auf dieſe mechaniſche Ge-
ſchicklichkeit und Leichtigkeit gantz ausnehmend,
und hat ihm bey allen ſeinen Verehrern den Nah-
men des groſſen Befoͤderers der deutſchen Schau-
buͤhne verdienet. Jch habe mir von ſeinen tragi-
ſchen
[81]des deutſchen Cato.
ſchen Regeln folgende, als die tiefſinnigſten und
brauchbarſten angemercket: Ein Trauerſpiel muß
fuͤnf Aufzuͤge haben; die Perſonen muͤſſen nicht
von der Buͤhne gehen, oder wiederkommen, ohne
zu ſagen, warum; die Scenen muͤſſen abgetheilt
ſeyn, wann neue Perſonen auftreten, oder alte
abgehen, weil es eine Unordnung in dem aͤuſ-
ſerlichen Anſehen verurſachere;
in den Trauer-
ſpielen muß keine luſtige Perſon ſeyn; die Gleich-
niſſe ſchicken ſich vor die tragiſche Schreibart nicht
wohl; man muß ſich des edeln Du der Alten be-
dienen, weil es manchen Vers viel ſtaͤrcker und
nachdruͤcklicher machet, als er vorhin hat wer-
den wollen.
Dieſe und einige andere noch ver-
borgenere Kunſt-Regeln hat dieſer Kunſtlehrer in
ſeinem Cato mit groſſer Geſchicklichkeit angewen-
det, und ihn dadurch zu einer Vollkommenheit
gebracht, daß er vor ein deutſches Originalſtuͤcke
gelten kan. Darum hat er ſich auch berechtiget
geſehen, denſelben endlich aus der Liſte der Ueber-
ſetzungen und Nachahmungen heraus zu nehmen,
und mit den Horaziern, dem Timoleon und an-
dern unter die deutſchen Originalſtuͤcke zu ſtellen.
(†) Und der Herr Mag. Joachim Schwabe hat
lieber zu wenig als zu viel ſagen wollen, als er in
der erſten Vorrede zu ſeinen eigenen Beluſtigun-
[Crit. Sam̃l. VIII. St.] Fgen
[82]Von dem Mechaniſmo
gen verſichert, der groſſe Corneille der Frantzo-
ſen habe noch weniger Antheil an ſeinem Cid, als
ſich dieſer groſſe Hr. Gottſched von ſeinem Cato
aus Beſcheidenheit zugeeignet. Wenn kuͤnftig
dem Hr. Gottſched gefallen wird, die ſuͤſſe Hoff-
nung zu erfuͤllen, welche er uns zu Anmerckungen
uͤber des Ariſtoteles Dichtkunſt gemachet hat, ſo
wird ihm ſein Cato allein die geſchickteſten Exem-
pel leihen, auf welche er ſich in ſeinen Erlaͤuterun-
gen beruffen kan. Da er ſolche in den Griechiſchen
Dichtern vergeblich geſucht haͤtte, hat er gantz
kluͤglich gehandelt, daß er das Muſter und Exem-
pel zu den Kunſtlehren der Tragoͤdie ſelbſt verfer-
tiget hat, wodurch der Leſer zum Empfang derſel-
ben vorbereitet, und die Kunſt noch vor ihrer dog-
matiſchen Erklaͤrung durch das Werck und die Er-
fahrung bekraͤftiget wird. Ein aufmerckſames Ge-
muͤthes-Auge kan ſie gantz deutlich darinnen erbli-
ken, und im Geiſt vorherſehen, was es von der ver-
ſprochenen Ariſtoteliſch-Gottſchediſchen Dichtkunſt
zu gewarten hat. Jch habe dem kunſtreichen Me-
chaniſmo in dieſer Tragoͤdie mit allem Fleiſſe nach-
geſpuͤret, und manches darinn entdecket, das un-
gemein dienen kan, die deutſche Schaubuͤhne ohne
groſſen Aufwand von unſerm Eigenthum mit Ori-
ginal-Stuͤcken zu bereichern. Jch getraue mir ſo
gar die Kunſtraͤder und Springfedern der mechani-
ſchen Arbeit des Poeten von einem zum andern
ausgeſpaͤhet zu haben.


Sobald der Hr. Verfaſſer bey ſich beſchloſſen,
eine deutſche Original-Tragoͤdie von Cato zu ver-
fertigen, hat er ſich vor allen Dingen in einen
recht-
[83]des deutſchen Cato.
rechtmaͤßigen Beſitz des Frantzoͤſiſchen Cato des
Herrn Deschamps geſetzet; wozu er ungefehr drey
gute Groſchen aufgewendet hat. Das iſt eine
Tragoͤdie, die in ihrem Vaterlande ziemlich unbe-
kannt geblieben war, dergeſtalt daß ihr Verfaſſer
ſich gemuͤſſiget geſehen, zu ihrem und ſeinem Lobe
die Feder anzuſetzen, welches er in einer Verglei-
chung derſelben mit Addiſons Engellaͤndiſcher von
demſelben Jnnhalt gantz aufrichtig gethan, und
ihr mit groſſer Beſcheidenheit den Vorzug vor der
fremden zugeſprochen hat. Er hat dabey eine ſol-
che Manier gebraucht, daß er vielmehr fuͤr den
Vorzug der Frantzoͤſiſchen Schaubuͤhne vor der
Engellaͤndiſchen als vor ſeine Tragoͤdie zu fechten
geſchienen. Da Addiſons Cato die beſte Engel-
laͤndiſche Tragoͤdie iſt, und ſeine eigene eine von
den beſten Frantzoͤſiſchen, ſo beſtreitet er in Addi-
ſons Tragoͤdie die gantze Engellaͤndiſche Schau-
buͤhne, und ſetzet ſie unter die Frantzoͤſiſche hinun-
ter. Jch muß bekennen, daß er dieſes ſo gut aus-
gefuͤhret hat, als er gruͤndlich bewieſen, daß ſein
Werck beſſer als Addiſons ſey. Man mag den
Engliſchen Mylord, den er zum Schiedrichter ge-
nommen hat, darum befragen, wenn man ihn ir-
gend antrifft. Deschamps hat die Welt uͤberre-
den wollen, er habe vor Verfertigung ſeines Cato
den Engliſchen nicht geſehen, aber man iſt ſo un-
billig geweſen, daß mans ihm nicht hat glauben
wollen, ungeachtet man in ſeinem Wercke nicht
die geringſte Spur von Addiſon wahrnehmen kan.


Ferner hat Hr. Gottſched ſich auch ein Recht
auf Addiſons Cato mit etlichen Groſchen erwor-
F 2ben.
[84]Von dem Mechaniſmo
ben. Einige wollen zwar ſagen, daß er ihn bloß
nach des Hr. Boyers Franzoͤſiſchen Ueberſetzung
gehabt habe, aber das koͤmmt nur von ſeinen
Feinden, die ihm wohl ehe vorgeworffen, daß er
aus Ueberſetzungen uͤberſetze.


Von der erſtern Tragoͤdie des Hr. Deschamps
hat er nun in einem guten Zeichen mit einem wohl-
ſchneidenden Meſſer folgende Scenen abgeloͤſet:
die fuͤnfte Scene des zweyten Aufzuges; im
vierten Aufzug die Helffte von der vierten Sce-
ne; und die fuͤnfte daſelbſt gantz; endlich den fuͤnf-
ten Aufzug mit allen ſeinen Scenen; als ſo viele ab-
gefaulte und gangrenirte Glieder. Mit Addiſons
Cato hat er eine noch ſtrengere Operation vorge-
nommen, und ihm auf einmahl alle vier erſtern
Aufzuͤge abgeſchnitten, und allein die eilfte und die
zwoͤlfte Scene aus dem vierten Aufzuge ſtehen laſ-
ſen. Selbſt in dem fuͤnften Aufzuge hat er in der
lezten Scene die Beſtaͤtigung der beyden Heyra-
then, des Portius und des Juba, geſchickt heraus-
geſchnitten. Alle dieſe abgeloͤßten Stuͤcke warff er
vor die Hunde; die andern tractierte er mit der
groͤſten Sorgfalt. Es waren disjecta membra
von zween verſchiedenen Poeten, Stuͤcke von zween
geſonderten Coͤrpern, deren einer an ſeinem Ober-
theile, der andere an den untern Theilen geſtuͤm-
melt war. Er probierte jetzo ſie in einen Leib auf
ein neues zuſammenzuſetzen; Allein einige Theile
waren in der erſten Operation verſchnitten, oder
gelaͤhmet, die Gelencke und Muskeln waren hier
und dar verletzet worden; darum mußte er, ſie zu
ergaͤntzen, neue erſchaffen, ſo wie die Goͤttin Ceres
die
[85]des deutſchen Cato.
die aufgegeſſene Schulter des Pelops mit einer
helffenbeinern erſetzen mußte. Ueber dieſes waren
einige ohne Proportion und Ebenmaſſe an Laͤnge
und Groͤſſe; dieſe mußte er, gleich Procruſtes, aus
einander daͤhnen oder zuſammen ziehen, bis ſie auf
einander paſſeten. Er verfertigete alſo die ſuͤnfte
und die ſechste Scene in dem zweyten Aufzuge,
nebſt ein paar Verſe am Ende des vierten Auf-
trittes daſelbſt; die lezte Scene im dritten Auf-
zuge; die hintere Helfte der erſten Seene im vierten
Aufzuge; einige Zeilen des Portius im andrrn Auf-
tritte daſelbſt; und 14. oder 15. Verſe im vierten
Auftritte auch daſelbſt, welche er unter Portius,
Portia und Caͤſar vertheilet hat. Alle dieſe Er-
gaͤntzungswercke machen nicht gar den zwoͤlften
Theil von dem Gantzen. Sein Chirurgiſches
Meſſer hatte ihm vornehmlich darinnen geſehlt,
daß es Addiſons Portius mit deſſen foͤdern Aufzuͤ-
gen weggeſchnitten, dadurch war des Poeten er-
ſchaffende Kraft meiſtens zu dieſem kleinen Koſten
eigener Arbeit gemuͤſſiget worden. Jezo ſchicketen
ſich alle Theile in dem gehoͤrigen Maſſe und Con-
figuration zu einander, aber es mangelte ihnen
noch an Zuſammenhang und Feſtigkeit; und dieſe
gab er ihnen mit einer Pappe von magiſchem Pulver,
damit heftete er alle dieſe verſchiedene Stuͤcke von
Scene zu Scene, und von Aufzug zu Aufzug, in
einen tragiſchen Leib feſt zuſammen. Er nahm mit
Freude wahr, daß ihm an Foͤder-Mittler-
und Hintertheilen nichts gebrache, und daß er ſich
auf ſeinem eigenen Gewichte aufrecht halten konnte.
Es war an Geſtalt und Anſehen eine vollkommene,
wohlgeſtaltete, und in allen ihren Theilen wohlge-
F 3ord-
[86]Von dem Mechaniſmo
ordnete Tragoͤdie, die einen Anfang, ein Mittel, und
ein Ende hatte, die mit Protaſis, Epitaſis und
Cataſtrophe verſehen war, und der nicht das ge-
ringſte Gliedmaß zu ihrer gehoͤrigen Statur
mangelte.


Dennoch konnte ſie noch kein deutſches Origi-
nalſtuͤcke genennt werden, weil das foͤdere Fran-
zoͤſiſch, das hintere Engliſch, und hier und dar et-
was deutſches mit eingeſtreuet, war. Der Herr
Verfaſſer uͤberſetzete derowegen mit Beyſtande ei-
nes Frantzoͤſiſchen und eines Engliſchen Lexicons al-
les in das Deutſche; und dieſes that er mit einer
ſolchen Geſchicklichkeit des Gedaͤchtniſſes, und
wenn ihm dieſes fehlte, des Auges und der Hand
im Aufſchlagen der Woͤrterbuͤcher, daß er dem
Kopf die meiſte Arbeit mit dencken erſparete. Es
gluͤckete ihm damit ſo wohl, daß er auch durch ſein
Ueberſetzen allein ſeinem Wercke den Werth und
den Nahmen eines Originales erworben haͤtte.
Er verwandelte das Traurige in Luſtiges, das
groſſe in kleines, das kleine in groſſes, das einfaͤl-
tige in vermiſchtes, er umtauſchete die Foͤderſaͤtze mit
den Hinterſaͤtzen, er machete die Folgen zu ihren
Urſachen, und die Urſachen zu ihren Folgen, er
fieng mit einem Nachſatz an, ohne daß er ſolchem
einen Vorderſatz haͤtte vorher gehen laſſen, auf wel-
chen dieſer ſich bezogen haͤtte; er erweiterte, ver-
kuͤrtzete, vermehrete, verſchwieg. Er tauſchete das
nichtswirdige Jhr mit dem edeln Du, und ſetzete
einen Monologum in der erſten Scene des vierten
Aufzuges in einen Dialogum um. Er uͤberſetzete
bis auf die Nahmen der Perſonen; Addiſons Lu-
cia
[87]des deutſchen Cato.
cia ward in Phenize, Marcia in Portia uͤberſe-
zet. Alſo iſt der Nahme der Phenize geſetzt, wo
Lucia ſtehen ſollte, derer Rede und Gedancken die-
ſes ſind:


. . . . Kein Mitleid nimmt ihn ein,

Denn weil er ſelbſt nicht fehlt, ſo will er nie verzeihn.

Lucia redet dieſes von ihrer Schwachheit, die
ſie beym Addiſon mit ihrer Liebe gegen Portius
hatte blicken laſſen; von dieſer ſagt ſie, daß Cato
ſie niemahls gefuͤhlt, und darum nicht verzeihe.
Vor Gottſcheds Phenize ſchicket ſich dieſes nicht,
weil ſie ſich mit keiner ſolchen Schwachheit ver-
gangen hatte. Deßgleichen iſts nicht der Portia,
ſondern der Marcia Hertzensempfindung und Er-
fahrung in folgenden Zeilen:


. . . . Noch hab ich allezeit,

Seitdem das Schickſal mich an dieſen Ort gefuͤhret,

Das zaͤrtſte Vaterhertz in ſeiner Bruſt geſpuͤret.

Portia hatte erſt ſeit dem Mittage deſſelben Tags
einen Vater an Cato erkennt, und die zaͤrtlichen
Spuren ſeines vaͤterlichen Hertzens gegen ihr nicht
eher wahrnehmen koͤnnen. Zuvor hatte ſie ſich in
ihrem gantzen Leben vor Arſazens Tochter gehal-
ten. Wir mercken bey dieſer Ungeſchicklichkeit
der Gedancken und Empfindungen, daß die Nah-
men und Perſonen der Lucia und der Martia um-
geſetzet worden. Eben daſſelbe iſt mit Juba und
Lucius geſchehen. Jener ward in Artaban, die-
ſer in Phokas uͤberſetzet.


Man weiß ſonſt ohne mein Erinnern, wie Hr.
Gottſched auch in denen Schriften, die er ſo beſchei-
F 4den
[88]Von dem Mechaniſmo
den iſt, vor Ueberſetzungen auszugeben, die Bilder
und Begriffe nicht in dem Originale, oder der Na-
tur der Sachen ſelbſt, ſondern aus ſeiner Kennt-
niß der deutſchen Sprache hernimmt, und beſtaͤn-
dig auf das ſieht, was ſich dem Gebrauche und
der Gewohnheit in dieſer Sprache gemaͤß mit An-
nehmlichkeit geben laͤßt; er vergißt niemahls, daß
er ein deutſcher Schriftſteller iſt, und fuͤr den Ge-
ſchmack deutſcher Ohren ſchreibt, dergleichen an
ſeinem eigenen Kopfe, und nicht an aller Leute, ſi-
zen; dergeſtalt kan er mit einer halben und gantz
ſeichten Kenntniß der Sprache ſeines Originales,
und des beſtimmten Nachdruckes in derſelben in
zierliches Deutſch uͤberſetzen, und wenn er dieſes
thut, ſo koͤmmt meiſtens ein Ausdruck ſeiner eige-
nen Gedancken an den Tag.


Die Erfahrung hat gezeiget, daß es Hrn. Gott-
[ſcheden] vollkommen gegluͤcket, ſeinen neugeſtalte-
ten Cato vor ein Originalſtuͤcke zu verkaufen; ge-
ſtalt der geſchickte Hr. Riccoboni ſelbſt den Cato
des Hrn. Deschamps unter den deutſchen Origi-
nalgedancken keinesweges erkannt, und einen lan-
gen Auszug daraus als aus einem deutſchen Ori-
ginale gemachet hat. Und wahrhafftig, wenn
Addiſon oder Deschamps einige Anforderung auf
den deutſchen Cato machen wuͤrden, muͤßten ſie
weder ihre eigene, noch die deutſche Sprache ver-
ſtehen. Jemand nehme nur die leichte Muͤhe und
uͤberſetze dieſen ins Frantzoͤſiſche oder ins Engliſche
zuruͤcke, ſo werden alle Zeilen im Maſſe, Grade,
Art, Kraft, und Verbindung der Gedancken, der
Bilder, und des Ausdruckes, anderſt herauskom-
men,
[89]des deutſchen Cato.
men, als in den Catonen des Engellaͤnders und
des Frantzoſen.


Wir leſen z. Ex. in dem deutſchen Cato:


. . . Mein Vater, wie man ſpricht,
Arſazes hat nunmehr das lezte Lebenslicht
Mit Tod und Gruft vertauſeht. . . .
I. Aufz. 1. Auftr.


Da gehoͤrt nicht der Tropus nur allein Hr. Gott-
ſcheden, ſondern er hat in den Gedancke ſelbſt
mehr Sinnes geleget, indem er uns einigermaſſen
gedencken laͤßt, Arſene wuͤßte nur aus der gemei-
nen Sage, daß Arſazes ihr Vater waͤre, und
ſetzete einiges Mißtrauen darein. Ob wir nun
gleich hernach entdecken, daß ſie etwas anders hat
ſagen wollen, ſo ergetzet es uns doch, daß ſie ohne
es zu wiſſen wahrgeſagt hat. Jch zweifle nicht, das
wie man ſpricht ſey eine Nachahmung der Zeile
in Neukirchs Telemach, die von dem Hr. Mau-
villon ſo hertzlich gelobet worden:


‘Und wie man ſagt, und glaubt, hat er alſo geſprochen.’

Wenn Cato im zweyten Auftritt ſagt:


Hier zieht die Freyheit noch die lezte Kraft zuſammen,

Mit der die Republick gewiß zu Grunde geht,

Und wann ſie einmal faͤllt, wol niemal auferſteht.

So redet er aus Gottſcheds Hertzen. Des-
champs Cato hatte mit einer großmuͤthigen Zuver-
ſicht auf ſeine Perſon geſagt:


Du Capitole en feu, de Rome gemiſſante

Je ranime en ces lieux la liberté mourante.

F 5Jm
[90]Von dem Mechaniſmo

Jm dritten Auftritt ſagt Phokas:


‘Jch hab es auch geglaubt, und konre nichts davor.

Er hatte geglaubt, daß Portia waͤre verlohren
worden, und es war nicht ſeine Schuld, daß er
eine Geſchichte geglaubt hatte, die wircklich ge-
ſchehen war, er konnte ſich ſelbſt nicht befehlen,
daß er ſie nicht glaubte, wenn er gleich gewollt haͤt-
te. Deschamps Phokas weiß von dergleichen
gruͤndlichen und nothwendigen Entſchuldigungen
nichts.


Jn der lezten Scene des erſten Aufz. ſagt Des-
champs Pharnazes mit einer gottloſen Frechheit,
er thue nach dem Exempel der Goͤtter, wenn er dem
Caͤſar in ſeinen ungerechten Unternehmungen die-
ne: Dieſe tolle Rede hat Gottſched auf eine erbau-
liche Art gemildert:


‘Jch folg in Caͤſars Dienſt den Goͤttern, wie mich deucht.

Jm andern Auftritt des zweyten Aufz. fragt Cato
Caͤſars Abgeſandten um die Urſache ſeiner Abfer-
tigung, und dieſer giebt ihm folgende Antwort:


Sprich, Caͤſar wollte gern der Roͤmer Wolfahrt wegen

Mit dir allein allhier was groſſes uͤberlegen.

Durch das einzige Sprich iſt hier Deschamps
platter Gedancke ſo tiefſinnig geworden, daß wir
ihn aus dem Geſichte verliehren.


Jm vierten ſagt Arſene zu Pharnazes:


Den Cato klagſt du an? kan das wol glaͤublich ſeyn?

Beſchließt er was von mir? Gut, ich geh alles ein.

Das Laſter zittert nur, wann uns die Tugend ſchuͤtzet.

Auf
[91]des deutſchen Cato.

Auf Frantzoͤſiſch hieſſe dieſes: Vous accuſez Ca-
ton? Cela eſt-il croyable? Eſt-ce qu’il a reſolu
quelque choſe ſur moy; Eh bien! j’obeis. Le
vice tremble ſeulement, quand la vertu nous pro-
tege.
Da iſt alles, was Deschamps geſagt hat,
umgekehrt:


En accuſant Caton, eſt-on digne de foi?

Ses Projets ne ſont pas redoutables pour moi.

L’appuy de la vertu n’eſt l’effroi que du vice.

Wenn Pharnazes beym Deschamps drohet,
daß er aus Utica ein Scheuſal und Schreckenbild
machen wolle:


. . . . Il faut dans ma fureur

Rendre Utique à jamais une image d’horreur;

So bekoͤmmt er hingegen beym Gottſched ſo guͤtige
Gedancken, daß er den Schutt von dieſer Stadt
aufraͤumen will:


. . . Wir muͤſſen nichts verſaͤumen,
Den Schutt von Uttica auf ewig aufzuraͤumen.
II. Aufz. 7. Sc.


Deschamps hat dem Caͤſar nichts mehr als den
freyen und ſichern Zutritt in Catons Pallaſte in
waͤhrendem Waffenſtillſtande gegoͤnnet; Gott-
ſched iſt viel weiter gegangen, und hat dieſe bey-
den Feinde in einen vertraulichen Umgang mit ein-
ander verbunden:


So laͤßt, Domitius, der Waffenſtillſtand zu,

Daß ich und Cato hier ſo gar vertraulich thu.

Nach Deschamps haͤlt Cato es vor ein ruhmwirdi-
ges Schickſal, wenn man ſich raͤchet, oder im Unter-
nehmen der Rache umkoͤmmt:


[92]Von dem Mechaniſmo
Se vanger ou perir eſt un ſort glorieux;

Nach Gottſched geht Cato viel fertiger zum ſterben,


‘Der groͤſte Ruhm iſt der ſich raͤchen und erkalten.’

Wenn Gottſcheds Cato dem Portius den Rath
giebt, daß er ſich auf ſein Sabinum zur Ruhe be-
geben ſollte, ſagt dieſer darauf:


Du giebſt mir in der That ein ſolches Leben an,
Das ich auch von mir ſelbſt unmoͤglich haſſen kan.


Welches gantz was anders iſt, als was Addi-
ſon ſeinen Portius auf einen gleichen Rath hat ant-
worten laſſen: „Jch hoffe, ſagt dieſer, mein Va-
„ter werde dem Portius kein ſolches Leben anprei-
„ſen, welches er ſelber vor niedertraͤchtig und ver-
„aͤchtlich haͤlt.„ Eben dieſer Portius Addiſons
hat in der lezten Scene, da Cato halbtodt herge-
tragen wird, nicht ſo viel Standhaftigkeit ein
Wort hervorzubringen, da hingegen Gottſcheds
Portius in demſelben Umſtande in dieſe kraͤfftigen
Worte ausbricht, die ſich vor ihn ſelbſt, vor Cato,
und die gantze Tragoͤdie ſo gut ſchicken:


‘. . . . Mein Vater ſtirb doch nicht.’

Haͤtte ihm ſein Vater gefolget, ſo haͤtten wir ein
Trauerſpiel mit einem froͤlichen Ausgange be-
kommen.


Man wird kaum einen von den herrſchenden.
Poeten finden, der mehr Scharfſinnigkeit im Oh-
re habe, als Hr. Gottſched; in ſeinem rechten
Ohre ligt ein Geſchmack, der bey ihm die Wir-
kungen des Verſtandes und des Geiſtes thut. Die-
ſer
[93]des deutſchen Cato.
ſer iſt uͤberaus fruchtbar, und wiewohl er ſich in
einer ſolchen Menge Schriften ergießt, nimmt er
doch niemahls ab.


Zu dieſem allen koͤmmt jetzo noch, daß kein Poet
ſich der alten und gewoͤhnlichen Huͤlffsmittel, des
Reimes und des Sylbenmaſſes, geſchickter zu ſei-
nem Vortheil und Entmuͤſſigung zu bedienen ge-
wuſt hat; mit dem Reime weiß er, wie mit einer
Wuͤnſchelruthe Quellen von unbekannten und un-
erhoͤrten Gedancken und Einfaͤllen zu entdecken,
und mit dem Sylbenmaſſe kan er ſie als mit einem
kunſtreichen Canal in die duͤrreſten Felder des Ge-
hirnes hinleiten, wo nichts als ein oͤder Sandbo-
den angetroffen wird. Die tragiſchen Gedancken
und Ausdruͤcke Catons und ſeiner Cameraden ſind
groſſentheils durch dieſe Baguette entdecket, und
durch dieſe Roͤhren und Leitungen in die Tragoͤdie
gebracht worden; Zum Ex. der edle Ausdruck des
edeln Gedanckens Pharnazens:


‘Wie ſo, ruͤckt Caͤſar an? Jch gaͤbe was darum.

Ferner, wann Caͤſar auf Arſenens Geſtandniß,
daß ſie ihn liebe, mit Entzuͤckung ausbricht:


Du haſſeſt Caͤſar nicht, der dich verehrt und liebt;
Welch unverhoftes Wort! Nun bin ich nicht betruͤbt.


Und wann Cato ſelbſt ſo heldenmuͤthig fluchet:


‘Da ſchluͤge Jupiter mit Blitz und Donner drein!’

Noch mehr, wann er ſich in einem ſo wohl verſehenen
Waffenplatze ſo ruhig und gelaſſen Spieß und
Schild wuͤnſchet:


O waͤren wir nur bald mit Spieß und Schild verſehen,
Da ſollt ihm ſchon ſein Recht durch meine Fauſt geſchehen.


[94]Von dem Mechaniſmo

Und da er an einem andern Orte den kuͤhnen Vor-
ſatz faſſet:


‘Jch eile ſelber hin, und ſchone nicht des Lebens.’

Wenn hier und dar in der Schreib- und Redens-
Art gewiſſe Verwindungen und Umwelzungen
vorkommen, ſo ſind ſolche zweifelsfrey daher ent-
ſtanden, weil die Gedancken und Ausdruͤcke in den
oberwehnten Canaͤlen und Roͤhren dergeſtalt ein-
geſperret waren, daß ſie ſich ſelbſt gepreßt und ge-
ſtoſſen haben, und mit Ungeſtuͤm neben einander
heraus gefahren ſind. Daher koͤmmt es, daß
Seleucia, ſobald Caͤſar Arſenen erblicket, zu-
erſt ſein Haupt durch die Pracht dieſer Schoͤn-
heit beſtricket hat.
(a) Und, daß Catons An-
blick in Domitius viel Ehrfurcht fuͤr ſein
Haupt gewuͤrcket hat.
(b) Deßgleichen daß
Felix nicht begreift, was der Abgeſandten des
Pharnazes Widerkunft im Lager widerſpricht.

(c) Dadurch iſt auch Catons Glaube an Pla-
tons Lehre von der Unſterblichkeit der Seele in ei-
nem Athemzuge beſtaͤrcket, und wieder geſchwaͤcht
worden.


Ja
[95]des deutſchen Cato.
Ja Plato du haſt recht! dein Schluß hat groſſen Schein.

Wahrhaftig dieſer Geiſt muß doch unſterblich ſeyn!

Man hat es Hrn. Gottſcheden uͤbel nehmen
wollen, daß er in Ueberſetzungen eigene Meinun-
gen und Gedancken angebracht, die er durch die
Mechanick des Reimes, des Sylbenmaſſes und
der Sprache in verborgenen und dunckeln Gru-
ben entdecket hat; Man hat es vor einen Mangel
der erforderten Treue anſehen wollen, die ein Ue-
berſetzer ſeiner Grundſchrift ſchuldig iſt: Aber hier
hat dieſer Vorwurf keinen Platz, denn da er ſich
nicht vorgenommen, Deschamps und Addiſons
Cato lediglich zu uͤberſetzen, ſondern ſie in ein deut-
ſches Originalſtuͤcke zu verwandeln, ſo war er be-
rechtiget, ſie gaͤntzlich auf den Kopf zu ſtellen, und in
der Art, dem Maaſſe und dem Verhaͤltniß der
Gedancken und des Ausdruckes umzukehren. Es
iſt ihm dieſes ſeinem Vorſatze gemaͤß gelungen,
und ſein Cato muß darum in den Jahrzeitbuͤchern
der Schaubuͤhne unter den Trauerſpielen
von dieſem Nahmen vor Cato den vierten gezehlt
werden; des Maternus war der erſte, Addiſons
der zweyte, und Deschamps der dritte dieſes Nah-
mens. Kein Menſch haͤtte es dem Verfaſſer ver-
argen koͤnnen, wenn er allen Mißverſtand, ſo aus
dieſer Nahmensgleichheit entſtehen konnte, zu ver-
meiden, ſein Werck mit einem eigenen Nahmen
getauft haͤtte. Wann er vor Utica und Rom an-
dere Staͤdte geſetzet, zu welchem Dienſte ihm die
gantze Geographie Strabons offen geſtanden,
wann er vor ſeine Roͤmer, Parther und Ponter,
neue Nationen eingefuͤhrt, wenn er Cato, Caͤſar
und
[96]Von dem deutſchen Cato.
und Pharnazes mit Griechiſchen, Aſiatiſchen oder
andern Nahmen begabet, wenn er endlich ſeine
Fabel vor ein Anecdoton aus einer alten, verle-
genen Hiſtorie ausgegeben haͤtte, ſo haͤtte keine
Seele den Argwohn gefaſſet, daß er dem Addiſon
oder dem Deschamps nachgearbeitet, oder daß er
Rom, Cato und Caͤſar in Augen oder in Gedan-
ken gehabt haͤtte. Der Herr Riviere du Fresny
hat von demjenigen, der ſeine Wercke zum Druck
beſorget, den Ruhm erhalten, daß er zum zeichnen
einen recht ſonderbaren und verwunderſamen Ta-
lent gehabt; Il n’avoit, ſind deſſen Worte, au-
cune pratique du Crayon, du Pinceau, ni de la Plu-
me, mais il s’étoit fait à luy-méme un équivalent
de tout cela en prenant dans differentes eſtampes
des parties d’homme, d’animaux, de plante ou d’ar-
bre, qu’il decoupoit, \& dont il formoit un ſujet deſ-
ſiné ſeulement dans ſon imagination. Il les diſpo-
ſoit \& les colloit les uns aupres des autres, ſelon
que le ſujet le demandoit: il lui arrivoit même de
changer l’expreſſion des têtes, qui ne convenoient
pas à ſon idée, en ſuprimant les yeux, la bouche,
le nez, \& les autres parties du viſage, \& y en ajou-
tant d’autres qui étoient propres à exprimer la paſ-
ſion qu’il vouloit peindre: Ce qu’il y a d’étonnant,
c’eſt que cet aſſemblage de pieces raportées en ap-
parence au hazard \& ſans esquiſſe formoit un Tout
agreable, dont l’incorrection n’étoit ſenſible qu’à
des yeux connoiſſeurs.
Denſelben Talent und daſ-
ſelbe Naturell, das du Fresny zum zeichnen und
malen gehabt, hat unſer Hr. Gottſched zur Verfer-
tigung einer Tragoͤdie in der vollkommenſten Gleich-
heit; und davor gehoͤrt ihm eben daſſelbe Lob.

[[97]]
Notes
1
V. 1. Auf den Beſitz der Schaͤtze)
Das Poſſeſſivum mein, dein,
ſein, kann oͤfters, wie hier ge-
ſchehen, mit gutem Nachdruck
durch ein Subſtantivum gegeben
werden. Und da der Poet hier
von dem Beſitz nicht aber von
dem Genuß redet, ſo dienet die
Wahl dieſes Wortes den Trotz
eines ſolchen Midas recht laͤ-
cherlich zu machen.
2
V. 5. An dem kein Diebes-Finger klebet)
Jeder Verſtaͤndiger kan merken,
daß der Verfaſſer den Werth
des verborgenen und geheimen
Schatzes der Weisheit durch den
Gegenſatz der Unbeſtaͤndigkeit des
betruͤglichen Reichthums erhoͤ-
hen will: Da jener nicht wie
dieſer durch tauſend Zufaͤlle ge-
raubet werden kan.
3
V. 7. Ein Weiſer lebt)
Das Wort leben muß hier mit
Nachdruck und in ſeinem wahren
Begriff genommen werden. Er
lebt vernuͤnftig und vergnuͤgt.
Folglich iſt alles andere, was
die Menſchen als die groͤſten
Schaͤtze ſuchen, zu dem wahren
Leben eines Menſchen gantz uͤber-
fluͤſſig.
4
V. 8. Jhm Geld und Troſt ꝛc.)
Dieſe Figur iſt zwar kuͤhn, lei- an Wahrſcheinlichkeit: Son-
det aber darum keinen Abgang dern dienet den Geitzigen, der
ſeinen
5
V. 15. Der Wellen ſchwartzer Rachen)
Nach dem Gottſchediſchen Ge-
ſchmack wuͤrde dieſer Tropus
aufs wenigſte Lohenſteiniſch,
oder gar Miltoniſch, d. i. aben-
theurlich ſeyn: Da muͤßte man
die ſeltſamen critiſchen Fragen
hoͤren,
6
ſeinen Troſt in Kaſten und
Schraͤncke verſchlieſſen muß, recht
laͤcherlich zu machen. Der Poet
ſagt, Troſt in die Schraͤncke und
Kaſten ziehn, wie Virgil geſagt
hat:
Attollitque humeris famamque \& fata Nepotum.
Aen. VIII. 731.

Und Ovidius:
‘‒ ‒ ‒ ‒ Rupit cœleſtia crimina.

Das Wort Geld, welches bey
dem Worte Troſt ſteht, maͤſſi-
get die Kuͤhnheit der Figur, die
viel fremder geſchienen haͤtte,
wenn es nur geheiſſen haͤtte,
keine krumme Griffe ziehn dem
Weiſen ſeinen Troſt, wie dem
Geitzigen in Schraͤncke und Ka-
ſten. Nach derſelben Figur hat
Opitz geſagt:
O Menſch du Gluͤckesball, was haͤuſt du aus den Gruͤnden

Und ſucheſt in der Bach, im Sande deine Suͤnden?

Die Suͤnden werden hier fuͤr
das Gold, als den Werckzeug
derſelben geſetzt, gleichwie von
unſerm Poeten der Troſt, als
die Wirckung des Goldes, die
es bey dem Geitzigen hat, dem
Gelde beygeſellet iſt. Jn den
beyden angezogenen lateiniſchen
Verſen werden der Ruhm,
das Schickſal, und die Ue-
bertretungen fuͤr die Sachen
geſetzt, welche durch den Grab-
ſtichel und den Pinſel geſchil-
dert waren.
7
V. 20. Verwaltet er.
Er beſitzt es nicht als ein Eigen-
thums-Herr; ſondern er ver-
waltet es nur als etwas frem-
des.
8
hoͤren, ob denn die Wellen auch
eine Zunge, ob ſie auch Zaͤh-
ne haben? Wenn man ſchon
antworten wuͤrde; der Geitzige
ſtelle ſich in ſeiner Einbildung
die Gefahr in dergleichen Um-
ſtaͤnden noch ſo groß und er-
ſchrecklich vor, als ſie iſt; der
Tropus an ſich ſelbſt habe ſeine
maleriſche Wahrſcheinlichkeit;
man ſage in den gemeinen Re-
den, von den Wellen verſchlun-
gen werden, und was derglei-
chen mehr zur Rechtfertigung die-
ſer Redensart vorgebracht wer-
den koͤnnte; ſo bleiben dieſe
eritiſchen Helden auf ihrem ſechs-
ten Sinne, und geben ihrem
Ausſpruch durch ihr Anſehen,
und durch eine oͤftere Wieder-
holung einen ſolchen Nachdruk,
daß ihre glaͤubigen Schuͤler ſich
verſchweeren wuͤrden, es waͤre un-
moͤglich daß die Wellen einen Ra-
chen haben koͤnnen, wie die Loͤwen.
Alſo hat Hr. Gottſched ſelbſt
ſchon im Jahr 1728. den gleich-
maͤſſigen Tropum, daß die Bluh-
men ihre Haͤlſe emporrecken,
mit dergleichen ſeltſamen Fra-
gen laͤcherlich zu machen geſucht.
Er hat geſagt: Der Lilie und
der Tulipe wird ein Haupt zu-
geſchrieben; Hr. Broks giebt
ihnen gar eine Stirne. Haben
ſie ein Haupt und eine Stirne
ſo haben ſie auch einen Hals,
ſo koͤnnen ſie ihn auch hervor-
recken. Vortrefflich! Warum
nicht auch eine Naſe, warum
nicht auch Ohren? Warum nicht
auch Schultern u. ſ. w.
Wir haben es ſeiner Beſchei-
denheit zu dancken, daß er uns
auf die abſonderliche Aehnlich-
keit, ſo einige Theile der Blu-
men mit gewiſſen Gliedmaſſen
des menſchlichen Leibes haben,
nicht einen gantzen Menſchen ge-
ſtaltet, und ihn mit Naͤgeln,
Nabel, desgleichen Lungen, Le-
ber, und uͤbrigen Eingeweide
verſehen, zuletzt noch mit Seele
und Leben begabet hat.
9
V. 26. Jhr Ueberfluß bereichert den Verſtand.
Auch dieſes iſt eine nachdruͤckli-
che Ausdruͤckung, die viel geden-
ken laͤßt. Er ſagt nicht nur,
daß in Engelland der Verſtand
ein Mittel ſey Geld zu erwerben:
Sondern daß die Freygebigkeit
den Verſtand auf tauſend Er-
findungen fuͤhre, und ihn an
Erfindung reich mache, und daß
die Engellaͤnder ihren Ueberfluß
zu dieſem Ende gebrauchen.
10
V. 31. O Freyheit dort, nur dort iſt deine Wonne, ꝛc.
Jn dieſer und den drey folgen-
den Zeilen werden die Guͤter,
und Vortheile, welche der rechte
Gebrauch der Freyheit der Stadt
Londen zutheilet, mit dem groͤſ-
ſeſten Nachdruck erhoben. Die
Gleichniſſe in der 33. und der
34ſten Zeile ſind von den herr-
lichſten Gegenſtaͤnden in der Na-
tur hergenommen, und ihre Zu-
ſammenſtellung haͤufet Nachdruk
auf Nachdruck.
11
V. 35. Halb-gluͤcklich ſind ꝛc.
Die Buͤrger, die unter einer deſpotiſchen Regierung leben,
und
12
V. 46. Jhm ſtrahlt kein Stern, der kleine Hertzen deckt.
Das ſagt euch, daß ihn der Glanz
und Schimmer der aͤuſſerlichen
Ordenszeichen nicht blenden,
und bethoͤren koͤnnen, daß er
das kleine Hertz, ſo oft darunter
verborgen liegt, nicht entdecken
ſollte.
13
und die Freyheit nur nach dem
Nahmen, nicht nach ihrer vor-
trefflichen Natur kennen, ſind
einiger maſſen gluͤcklich zu heiſ-
ſen; denn wenn ſie dieſelbe voll-
kommen kenneten, ſo wuͤrde der
Verdruß ſie zu miſſen, oder die
Begierde und Bemuͤhung ſie zu
erlangen, ihr Leben ungluͤcklich

machen.
14
V. 62. Mit Lob betaͤubt, den jede That entehrt.
Welcher Nachdruck! Denjeni-
gen, den alle ſeine Thaten alles
Lobs und aller Ehre unwuͤrdig
machen, durch ein ſchmeichleri-
ſches Lob ſo ſehr und ungeſtuͤm
erheben, daß ein ſolcher Eiteler
ſelbſt dadurch betaͤubt wird, und
ſich des uͤbertriebenen Lobs faſt
ſchaͤmet.
15
V. 63. Des Frevlers Ruhm ertoͤnt auf feigen Zungen.
Das iſt, wird ein Gottſchedianer
ſagen, ein Bluͤmchen aus der un-
ergruͤndlichen und geheimnißrei-
chen Schreibart, die allmaͤh-
lich bey uns einſchleichen will,
die mehr gedencken laͤßt, als ſie
wircklich ſagt, und darum den Le-
ſer ermuͤdet. Da hingegen Gott-
ſched eine ſo deutliche und fluͤſ-
ſige Schreibart in Gang gebracht
hat, welche auch die Unver-
ſtaͤndigſten verſtehen muͤſſen,
und die von Gedancken nicht
ſo beſchweret iſt, daß ſie die Le-
ſer ermuͤden koͤnnte.
16
V. 87. 88. Und bebte gleich ꝛc.
Fractus illabatur orbis
Impavidum ferient ruinæ. Horat.

Faͤllt der Himmel, er kan Weiſe decken;
Aber nicht ſchrecken.
Haller!

(a)
Vocab. antiquum Alpinis noſtris uſitatiſſimum.
(a)
Dinem rum iſt geſchehen matt.
(b)
Davon du wandeſt ſin geneſen.
(c)
Sich das iſt din tod geweſen.
(a)
Ains tages ſo vil ſchnewes lit.
(a)
Ouch han ich mich vermeſſen.
(a)
Das wart im ſchier ze laide.
(b)
Da im die Lüt bekament.
(c)
Das ir ſinn nit ze riten ſtât.
(†)
Man mag es wol ze maere ſagen.
(o)
An wizen ſint ſi bede blind.
(a)
Ir beder Red was manigfalt.
(b)
Was mocht das gerune ſin?
(a)
Und won der irdin liechter was
Des wegs gelung im deſter bas
(b)
Der erin ſprach iſt dir ſo gach.
(c)
Der irdin ſprach ich bin ze krank
Gewunneſt du mir an ainen wanck.
(a)
Do er die Bitterkait bevand
Der Praetſchen.
(b)
Sy hand verhoenet mir den Mund.
(a)
Du machſt nit ſatt werden von mir.
(b)
Er tuot im ſelber groſſen Schlag.
(c)
Das muſs dir Schade ſin.
(†)
Daß wir nicht bey Ueberſetzungen und Nachah-
mungen ſtehen geblieben, das zeigen ja auſſer dem Cato,
Titus Manlius, der Tod Caͤſars, Ulyſſes, die Horazier,
Timoleon, ꝛc. Vorrede zum zweyten Theil der deutſchen
Schaubuͤhne.
(a)
Caͤſar.
So hat Seleucia, ſo bald ich dich erblicket,
Durch deiner Schoͤnheit Pracht zuerſt mein Hertz beſtricket.
III. Aufz. 2. Sc.
(b)
Domit.
Doch Cato koͤmmt bereits. Sein Anblick wuͤrckt in mir
Viel Ehrfurcht fuͤr dieß Haupt. . . .
II. Aufz. 1. Sc.
(c)
Felix. . . . . Jch begreiffe nicht,
Was ihrer Wiederkunft im Lager widerſpricht.
IV. Aufz. 1. Sc.

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TextGrid Repository (2025). Bodmer, Johann Jakob. Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bhr2.0