Goethe's Zimmer im älterlichen Hauſe
in Frankfurt am Main.
C. Funke gest.
mit
einem Kinde.
gegen den Nachdruck für alle 3 Bände.
beiFerdinand Dümmler.
1835.
[][]
Dem
Fürſten Pückler.
[][]
Immer viel erzählt,
Und fürwahr, ſie zu erzählen
Vielfach ſich gequält.
Hätten ſie von Deinem Guten
Freundlich Dir erzählt,
Mit verſtändig treuen Winken
Wie man Beſſ'res wählt;
O gewiß! das Allerbeſte
Blieb uns nicht verhehlt,
Das fürwahr nur wenig Gäſte
In der Klauſe zählt. —’
((Weſtöſtlicher Divan. Buch der Betrachtung.))
Es iſt kein Geſchenk des Zufalls oder
der Laune, was Ihnen hier dargebracht
wird. Aus wohlüberlegten Gründen und
mit freudigem Herzen biete ich Ihnen an,
das Beſte was ich zu geben vermag. Als
Zeichen meines Dankes für das Vertrauen
was Sie mir ſchenken.
Die Menge iſt nicht dazu geeignet, die
Wahrheit ſondern nur den Schein zu prü-
fen; den geheimen Wegen einer tiefen Na-
tur nachzuſpüren, das Räthſelhafte in ihr
*
[] aufzulöſen iſt ihr verſagt, ſie ſpricht nur
ihre Täuſchungen aus, erzeugt hartnäckige
Vorurtheile gegen beſſere Überzeugung, und
beraubt den Geiſt der Freiheit das vom
Gewöhnlichen Abweichende in ſeiner Eigen-
thümlichkeit anzuerkennen. In ſolchen Ver-
wirrungen waren auch meine Anſichten von
Ihnen verſtrickt, während Sie aus eigner
Bewegung, jedes verkleinernde Urtheil über
mich abweiſend mir freundlich zutrauten:
„Sie würden Herz und Geiſt durch mich
[] bereichern können,“ wie ſehr hat mich dies
beſchämt! — Die Einfachheit Ihrer An-
ſichten, Ihrer ſich ſelbſtbeſchauenden ſelbſt-
bildenden Natur, Ihr leiſer Takt für fremde
Stimmung, Ihr treffendes fertiges Sprach-
organ; ſinnb[i]ldlich vieldeutig in melodiſchem
Styl innere Betrachtung wie äußere Ge-
genſtände darſtellend, dieſe Naturkunſt Ih-
res Geiſtes, alles hat mich vielfältig über
Sie zurecht gewieſen, und mich mit jenem
höheren Geiſt in Ihnen bekannt gemacht,
[] der ſo manche Ihrer Äußerungen idealiſch
parodirt.
Einmal ſchrieben Sie mir: „Wer
meinen Park ſieht, der ſieht in mein
Herz.“ — Es war im vorigen Jahr in
der Mitte September, daß ich am frühen
Morgen, wo eben die Sonne ihre Strah-
len ausbreitete in dieſen Park eintrat; es
war große Stille in der ganzen Natur,
reinliche Wege leiteten mich zwiſchen fri-
ſchen Raſenplätzen, auf denen die einzelnen
[] Blumenbüſche noch zu ſchlafen ſchienen;
bald kamen geſchäftige Hände ihrer zu pfle-
gen, die Blätter, die der Morgenwind ab-
geſchüttelt hatte, wurden geſammelt und
die verwirrten Zweige geordnet; ich ging
noch weiter an verſchiedenen Tagen und
zu verſchiedenen Stunden nach allen Rich-
tungen, ſo weit ich kam fand ich die-
ſelbe Sorgfalt und eine friedliche An-
muth, die ſich über alles verbreitete. So
entwickelt und pflegt der Liebende den Geiſt
**
[] und die Schönheit des Geliebten, wie Sie
hier ein anvertrautes Erbtheil der Natur
pflegen. Gern will ich glauben, daß dies
der Spiegel Ihres tiefſten Herzens ſei, da
es ſo viel Schönes beſagt; gern will ich
glauben, daß das einfache Vertrauen zu
Ihnen nicht minder gepflegt und geſchützt
ſei als jede einzelne Pflanze Ihres Parks.
Dort hab' ich Ihnen auch aus meinen
Briefen und dem Tagebuch an Goethe vor-
geleſen, Sie haben gern zugehört; ich gebe
[] ſie Ihnen jetzt hin, beſchützen Sie dieſe
Blätter wie jene Pflanzen, und ſo treten
Sie abermals hier zwiſchen mich und das
Vorurtheil derer, die ſchon jetzt noch eh ſie
es kennen dies Buch als unecht verdammen
und ſich ſelbſt um die Wahrheit betrügen.
Laſſen Sie uns einander gut geſinnt
bleiben, was wir auch für Fehler und Ver-
ſtoße in den Augen Anderer haben mögen,
die uns nicht in demſelben Lichte ſehen,
wir wollen die Zuverſicht zu einer höheren
[] Idealität, die ſo weit alle zufällige Ver-
ſchuldungen und Mißverſtändniſſe und alle
angenommene und herkömmliche Tugend
überragt, nicht aufgeben. Wir wollen die
mannigfaltigen edlen Veranlaſſungen, Be-
deutu[n]gen und Intereſſe verſtanden und ge-
liebt zu werden nicht verläugnen, ob andre
es auch nicht begreifen, ſo mag es ihnen
ein Räthſel bleiben.
Im Auguſt 1834.
Bettina v. Arnim.
[[I]]
Vorrede.
Dies Buch iſt für die Guten und nicht
für die Böſen.
Während ich beſchäftigt war dieſe Papiere
für den Druck zu ordnen, hat man mich vielfäl-
tig bereden wollen manches auszulaſſen oder an-
ders zu wenden, weil es Anlaß geben könne zu
Mißdeutungen. Ich merkte aber bald, man mag
nur da guten Rath annehmen wo er der eignen
Neigung nicht widerſpricht. Unter den vielen Rathge-
bern war nur einer, deſſen Rath mir gefiel; er ſagte:
„Dies Buch iſt für die Guten und nicht für die
Böſen; nur böſe Menſchen können es übel [ausdeu-
ten], laſſen Sie alles ſtehen wie es iſt, das giebt
dem Buch ſeinen Werth und Ihnen kann man
auch nur Dank wiſſen, daß Sie das Zutrauen ha-
[II] ben, man werde nicht mißdeuten, was der gute
Menſch nie mißverſtehen kann.“ — Dieſer Rath
leuchtete mir ein, er kam von dem Factor der Buch-
druckerei von Trowitzſch und Sohn, Herrn Klein,
derſelbe, der mir Druck und Papier beſorgte, Ortho-
[g]raphiefehler corrigirte, Komma und Punkt zurecht
rückte, und bei meinem wenigen Verſtand in die-
ſen Sachen viel Geduld bewies. Dieſe ſeine ausge-
ſprochne Meinung beſtärkte mich darin, daß ich den
böſen Propheten und den ängſtlichen Anſichten der
Rathgebenden nicht nachgab. Wie auch der Erfolg
dieſes Rathes ausfallen mag, ich freue mich ſeiner,
da er unbezweifelt von den Guten als der edelſte
anerkannt wird, die es nicht zugeben werden, daß
die Wahrheit eines freudigen Gewiſſens ſich vor den
Auslegungen der Böſen flüchte. —
Auch dem Herrn Kanzler von Müller in
Weimar ſage ich Dank, daß er auf meine Bitte
ſich bemühte, trotz dem Drang ſeiner Geſchäfte,
meine Briefe aus Goethes umfaſſenden Nachlaß her-
vor zu ſuchen, es ſind jetzt achtzehn Monate, daß
ich ſie in Händen habe; er ſchrieb mir damals:
[III] „So kehre denn dieſer unberührte Schatz von Liebe
„und Treue zu der reichen Quelle zurück von der
„er ausgeſtrömt! Aber eines möchte ich mir zum
„Lohn meiner gemeſſnen Vollziehung Ihres Wun-
„ſches und Willens, wie meiner Enthaltſamkeit doch
„von Ihrer Freundſchaft ausbitten. — Schenken
„Sie mir irgend ein Blatt aus dieſer ohne Zweifel
„lebenswärmſten Correſpondenz; ich werde es heilig
„aufbewahren, nicht zeigen noch copiren laſſen, aber
„mich zuweilen dabei ſtill erfreuen, erbauen oder be-
„trüben, je nachdem der Inhalt ſein wird; immer-
„hin werde ich ein zweifach liebes Andenken,
„einen Tropfen gleichſam Ihres Herzbluts, das
„dem größten und herrlichſten Menſchen zuſtrömte
„daran beſitzen.“ — Ich habe dieſe Bitte nicht
befriedigt, denn ich war zu eiferſüchtig auf dieſe
Blätter, denen Goethe eine ausgezeichnete Theil-
nahme geſchenkt hatte, ſie ſind meiſtens von ſei-
ner Hand corrigirt, ſowohl Orthographie als
auch hie und da Wortſtellung, manches iſt mit
Röthel unterſtrichen, anderes wieder mit Bleiſtift,
manches iſt eingeklammert, anderes iſt durchſtrichen.
[IV] — Da ich ihn nach längerer Zeit wieder ſah, öff-
nete er ein Schubfach worin meine Briefe lagen,
und ſagte: „Ich leſe alle Tage darin.“ Da-
mals erregten mir dieſe Worte einen leiſen Schauer.
Als ich jetzt dieſe Briefe wieder las, mit dieſen Spu-
ren ſeiner Hand, da empfand ich denſelben Schauer,
und ich hätte mich nicht leichtlich von einem der
geringſten Blätter trennen mögen. Ich habe alſo
die Bitte des Kanzler von Müller mit Schweigen
übergangen aber nicht undankbar vergeſſen; möge
ihm der [Gebrauch], den ich davon gemacht habe,
beides meinen Dank und meine Rechtfertigung be-
weiſen.
[[V]]
Anhang
zum
Briefwechſel mit Goethe's Mutter.
Ich warte ſchon lange auf eine beſondre Veran-
laſſung, um den Eingang in unſere Correſpondenz zu
machen. Seitdem ich aus Ihrem Abrahamsſchooß, als
dem Hafen ſtiller Erwartung, abgeſeegelt bin, hat der
Sturmwind noch immer den Athem angehalten, und
das Einerleileben hat mich wie ein ſchleichend Fie-
ber um die ſchöne Zeit gebracht. Wie ſehr bejammere
ich die angenehme Ausſicht, die ich auf der Schawell
zu Ihren Füßen hatte, nicht die auf den Knopf des
[VI] Katharinenthurms, noch auf die Feuereſſe der rußigen
Cyklopen, die den goldnen Brunnen bewachen; nein!
die Ausſicht in Ihren vielſagenden feurigen Blick, der
ausſpricht was der Mund nicht ſagen kann. — Ich
bin zwar hier mitten auf dem Markt der Abentheuer,
aber das köſtliche Netz, in dem mich Ihre mütterliche
Begeiſtrung eingefangen, macht mich gleichgültig für
alle. Neben mir an, Thür an Thür, wohnt der Adju-
tant des Königs; er hat rothes Haar, große blaue
Augen, ich weiß einen, der ihn für unwiderſtehlich hält:
der iſt er ſelber. Vorige Nacht weckte er mich mit ſei-
ner Flöte aus einem Traum, den ich für mein Leben
gern weiter geträumt hätte, am andern Tag bedankt
ich mich, daß er mir noch ſo fromm den Abendſeegen
vorgeblaſen habe; er glaubte es ſei mein Ernſt und
ſagte, ich ſei eine Betſchweſter, ſeitdem nennen mich
alle Franzoſen ſo, und wundern ſich, daß ich mich nicht
drüber ärgere; — ich kann aber doch die Franzoſen
gut leiden.
Geſtern iſt mir ein Abentheuer begegnet. Ich kam
vom Spaziergang und fand den Rothſchild vor der Thür
mit einem ſchönen Schimmel; er ſagte: es ſei ein Thier
wie ein Lamm, und ob ich mich nicht draufſetzen wolle? —
ich ließ mich gar nicht bitten; kaum war ich aufgeſtiegen,
[VII] ſo nahm das Lamm Reisaus und jagte in vollem Galopp
mit mir die Wilhelmshöher Allee hinauf; eben ſo kehrte
es wieder um. Alle kamen todtenblaß mir entgegen,
das Lamm blieb plötzlich ſtehen und ich ſprang ab;
nun ſprachen alle von ihrem gehabten Schreck; — ich
fragte: „was iſt denn paſſirt?“ — „Ei, der Gaul iſt
ja mit Ihnen durchgegangen!“ — „So!“ ſagt' ich,
„das hab' ich nicht gewußt.“ — Rothſchild wiſchte mit
ſeinem ſeidnen Schnupftuch dem Pferde den Schweiß
ab, legte ihm ſeinen Überrock auf den Rücken, damit es
ſich nicht erkälten ſolle, und führte es in Hemdärmel
nach Haus; er hatte gefürchtet es nimmermehr wieder
zu ſehen. — Wie ich am Abend in die Geſellſchaft kam,
nannten mich die Franzoſen nicht mehr Betſchweſter, ſie
riefen alle einſtimmig: ah l'héroïne!
Leb' Sie wohl, ruf ich Ihr aus meiner Traumwelt
zu, denn auch über mich verbreitet ſich ein wenig dieſe
Gewalt. Ein gar ſchöner (ja ich müßte blind ſein
wenn ich dies nicht fände), nun, ein feiner ſchlanker
brauner Franzoſe ſieht mich aus weiter Ferne mit ſchar-
fen Blicken an, er naht ſich beſcheiden, er bewahrt die
Blume, die meiner Hand entfällt, er ſpricht von meiner
Liebenswürdigkeit; Frau Rath wie gefällt einem das? —
ich thue zwar ſehr kalt und ungläubig; wenn man in-
[VIII] deſſen in meiner Nähe ſagt: le roi vient, ſo befällt
mich immer ein kleiner Schreck, denn ſo heißt mein lie-
benswürdiger Verehrer.
Ich wünſche Ihr eine gute Nacht, ſchreib' Sie mir
bald wieder.
Bettine.
[IX]
Ich habe mir meine Feder friſch abknipſen laſſen
und das vertrocknete Tintenfaß bis oben vollgegoſſen
und weil es denn heute ſo abſcheulich Wetter iſt, daß
man keinen Hund vor die Thür jagt, ſo ſollſt Du auch
gleich eine Antwort haben. Liebe Bettine, ich vermiſſe
Dich ſehr in der böſen Winterzeit; wie biſt Du doch
im vorigen Jahre ſo vergnügt dahergeſprungen kom-
men? — wenn's kreuz und quer ſchneite, da wußt ich
das war ſo ein recht Wetter für Dich, ich braucht nicht
lange zu warten, ſo warſt Du da. Jetzt guck ich auch
immer noch aus alter Gewohnheit nach der Ecke von
der Katharinenpfort, aber Du kommſt nicht, und weil
ich das ganz gewiß meiß, ſo kümmert's mich. Es kom-
men Viſiten genug, das ſind aber nur ſo Leuteviſiten,
mit denen ich nichts ſchwätzen kann.
Die Franzoſen hab' ich auch gern, — das iſt im-
mer ein ganz ander Leben, wenn die franzöſiſche Ein-
quartierung hier auf dem Platz ihr Brod und Fleiſch
ausgetheilt kriegt, als wenn die preußiſche oder heſſiſche
Holzböck' einrücken.
[X]
Ich hab' recht meine Freud' gehabt am Napoleon,
wie ich den geſehen hab'; er iſt doch einmal derjenige,
der der ganzen Welt den Traum vorzaubert, und da-
für können ſich die Menſchen bedanken, denn wenn ſie
nicht träumten, ſo hätten ſie auch nichts davon und
ſchliefen wie die Säck', wie's die ganze Zeit gegan-
gen iſt.
Amüſire Dich recht gut und ſei luſtig, denn wer
lacht, kann keine Todſünd' thun.
Deine Freundin
Eliſabeth Goethe.
Nach dem Wolfgang frägſt Du ja gar nicht; ich
hab' Dir's ja immer geſagt: wart' nur bis einmal ein
andrer kommt, ſo wirſt Du ſchon nicht mehr nach ihm
ſeufzen.
Geh' Sie doch mit Ihren Vorwürfen; — das ant-
wort' ich Ihr auf Ihre Nachſchrift, und ſonſt nichts.
Jetzt rath' Sie einmal was der Schneider für mich
macht. Ein Andrieng! — Nein! Eine Kontuſche? —
Nein! Einen Joppel? — Nein! Eine Mantille? —
Nein! Ein paar Boſchen? — Nein! Einen Reif-
rock? — Nein! Einen Schlepprock? — Nein! Ein
paar Hoſen? — Ja! — Vivat — jetzt kommen andre
Zeiten angerückt, — und auch eine Weſte und ein
Überrock dazu. Morgen wird alles anprobirt, es wird
ſchon ſitzen, denn ich hab' mir alles bequem und weit
beſtellt, und dann werf' ich mich in eine Chaiſe und
reiſe Tag und Nacht Courier durch die ganzen Ar-
meen zwiſchen Feind und Freund durch; alle Feſtungen
thun ſich vor mir auf und ſo geht's fort bis Berlin,
wo einige Geſchäfte abgemacht werden, die mich nichts
angehn. Aber dann geht's eilig zurück und wird nicht
eher Halt gemacht bis Weimar. O Frau Rath, wie
wird's denn dort ausſehen? — mir klopft das Herz
gewaltig, obſchon ich noch bis zu Ende April reiſen
kann, ehe ich dort hinkomme. Wird mein Herz auch
[XII] Muth genug haben ſich ihm hinzugeben? — iſt mir's
doch, als ſtänd' er eben vor der Thür! — Alle Adern
klopfen mir im Kopf; ach wär' ich doch bei Ihr! — das
allein könnt' mich ruhig machen, daß ich ſäh', wie Sie
auch vor Freud' außer ſich wär'; oder wollt' mir einer
einen Schlaftrunk geben, daß ich ſchlief bis ich bei ihm
erwachte. Was werd' ich ihm ſagen? — ach, nicht
wahr, er iſt nicht hochmüthig? — von Ihr werd' ich ihm
auch alles erzählen, das wird er doch gewiß gern hören.
Adieu, leb' Sie wohl und wünſch' Sie mir im Herzen
eine glückliche Reiſ'. Ich bin ganz ſchwindlich.
Bettine.
Aber das muß ich Ihr doch noch ſagen, wie's ge-
kommen iſt. Mein Schwager kam und ſagte, wenn
ich ſeine Frau überreden könne, in Männerkleidern mit
ihm eine weite Geſchäftsreiſe zu machen, ſo wolle er
mich mitnehmen, und auf dem Rückweg mir zu Lieb'
über Weimar gehen. Denk' Sie doch, Weimar ſchien
mir immer ſo entfernt, als wenn es in einem andern
Welttheil läg', und nun iſt's vor der Thür.
Briefwechſel mit Goethe's Mutter.
Eine Schachtel wird Ihr mit dem Poſtwagen zu-
kommen, beſte Frau Mutter, darin ſich eine Taſſe be-
findet; es iſt das ſehnlichſte Verlangen Sie wieder zu
ſehen, was mich treibt Ihr ſolche unwürdige Zeichen mei-
ner Verehrung zu ſenden. Thue Sie mir den Gefallen
Ihren Thee früh morgens d'raus zu trinken, und denk'
Sie meiner dabei. — Ein Schelm giebt's beſſer als
er's hat.
Den Wolfgang hab' ich endlich geſehen; aber ach
was hilft's? Mein Herz iſt geſchwellt wie das volle
I. 1
[2] Seegel eines Schiff's, das feſt vom Anker gehalten iſt
am fremden Boden, und doch ſo gern in's Vaterland
zurück möchte.
Adieu meine liebe gute Frau Mutter, halt' Sie
mich lieb.
Bettine Brentano.
Was läßt Du die Flügel hängen? Nach einer ſo
ſchönen Reiſe ſchreibſt Du einen ſo kurzen Brief, und
ſchreibſt nichts von meinem Sohn, als daß Du ihn ge-
ſehen haſt; das hab' ich auch ſchon gewußt und er hat
mir's geſtern geſchrieben. Was hab' ich von Deinem
geankerten Schiff? da weiß ich ſo viel wie nichts.
Schreib' doch was paſſirt iſt. Denk' doch daß ich ihn
acht Jahr nicht geſehen hab', und ihn vielleicht nie wie-
der ſeh; wenn Du mir nichts von ihm erzählen willſt,
wer ſoll mir dann erzählen? — hab' ich nicht Deine
alberne Geſchichten hundertmal angehört, die ich aus-
wendig weiß, und nun, wo Du etwas Neues erfahren
haſt, etwas Einziges, wo Du weißt, daß Du mir die
[3] größte Freud' machen könnteſt, da ſchreibſt Du nichts.
Fehlt Dir denn was? — es iſt ja nicht über's Meer
bis nach Weimar. Du haſt ja jetzt ſelbſt erfahren, daß
man dort ſein kann, bis die Sonne zweimal auf-
geht. — Biſt Du traurig? — Liebe, liebe Tochter,
mein Sohn ſoll Dein Freund ſein, Dein Bruder, der
Dich gewiß liebt, und Du ſollſt mich Mutter heißen
in Zukunft für alle Täg, die mein ſpätes Alter noch
zählt, es iſt ja doch der einzige Name der mein
Glück umfaßt.
Deine treue Freundin
Eliſabeth Goethe.
Vor die Taſſe bedank' ich mich.
Ich hab' geſtern an Ihren Sohn geſchrieben; ver-
antwort' Sie es bei ihm. — Ich will Ihr auch gern
alles ſchreiben, aber ich hab' jetzt immer ſo viel zu den-
ken, es iſt mir faſt eine Unmöglichkeit, mich loszureißen,
ich bin in Gedanken immer bei ihm; wie ſoll ich denn
ſagen wie es geweſen iſt? — Hab' Sie Nachſicht und
1*
[4] Geduld; ich will die ander Woch' nach Frankfurt kom-
men, da kann Sie mir alles abfragen.
Ihr Kind
Bettine.
Ich lieg' ſchon eine Weile im Bett und da treibt
mich's heraus, daß ich Ihr alles ſchreib' von unſerer
Reiſe. — Ich hab' Ihr ja geſchrieben, daß wir in
männlicher Kleidung durch die Armeen paſſirten. Gleich
vor'm Thor ließ uns der Schwager ausſteigen, er wollte
ſehen wie die Kleidung uns ſtehe. Die Lullu ſah ſehr
gut aus, denn ſie iſt prächtig gewachſen und die Klei-
dung war ſehr paſſend gemacht; mir war aber alles
zu weit und zu lang, als ob ich's auf dem Grempel-
markt erkauft hätte. Der Schwager lachte über mich
und ſagte, ich ſähe aus wie ein Savoyardenbube, ich
könnte gute Dienſte leiſten. Der Kutſcher hatte uns
vom Weg abgefahren durch einen Wald, und wie ein
Kreuzweg kam, da wußt' er nicht wohinaus; obſchon
es nur der Anfang war von der ganzen vier Wochen
langen Reiſe, ſo hatt' ich doch Angſt, wir könnten uns
verirren und kämen dann zu ſpät nach Weimar; ich
klettert' auf die höchſte Tanne und da ſah ich bald, wo
die Chauſſee lag. Die ganze Reiſe hab' ich auf dem
Bock gemacht; ich hatte eine Mütze auf von Fuchspelz,
[5] der Fuchsſchwanz hing hinten herunter. Wenn wir
auf die Station kamen, ſchirrte ich die Pferde ab und
half auch wieder anſpannen. Mit den Poſtillions
ſprach ich gebrochen deutſch als wenn ich ein Franzoſe
wär'. Im Anfang war ſchön Wetter, als wollt' es
Frühling werden, bald wurd' es ganz kalter Winter;
wir kamen durch einen Wald von ungeheuren Fichten
und Tannen, alles bereift, untadelhaft, nicht eine Men-
ſchenſeele was des Wegs gefahren, der ganz weiß
war; noch obendrein ſchien der Mond in dieſes ver-
ödete Silberparadies, eine Todtenſtille — nur die Rä-
der pfiffen von der Kälte. Ich ſaß auf den Kutſcher-
ſitz, und hatte gar nicht kalt; die Winterkält' ſchlägt
Funken aus mir; — wie's nah an die Mitternacht
rückte, da hörten wir pfeifen im Walde; mein Schwa-
ger reichte mir ein Piſtol aus dem Wagen und fragte,
ob ich Muth habe loszuſchießen, wenn die Spitzbu-
ben kommen, ich ſagte: ja, er ſagte: ſchießen ſie nur
nicht zu früh. Die Lullu hatte große Angſt im Wa-
gen, ich aber unter freiem Himmel mit der geſpannten
Piſtole, den Säbel umgeſchnallt, unzählige funklende
Sterne über mir, die blitzenden Bäume, die ihren Rie-
ſenſchatten auf den breiten mondbeſchienenen Weg war-
fen, — das alles machte mich kühn auf meinem erhabe-
[6] nen Sitz. — Da dacht' ich an ihn, wenn der mich in
ſeinen Jugendjahren ſo begegnet hätte, ob das nicht einen
poetiſchen Eindruck auf ihn gemacht haben würde, daß
er Lieder auf mich gemacht hätte und mich nimmermehr
vergeſſen. Jetzt mag er anders denken, — er wird erhaben
ſein über einen magiſchen Eindruck; höhere Eigenſchaften
(wie ſoll ich die erwerben?) werden ein Recht über ihn be-
haupten. Wenn nicht Treue, — ewige, an ſeine Schwelle
gebannt, mir endlich ihn erwirbt! So war ich in je-
ner kalten hellen Winternacht geſtimmt, in der ich keine
Gelegenheit fand mein Gewehr loszuſchießen, erſt wie
der Tag anbrach, erhielt ich Erlaubniß loszudrücken;
der Wagen hielt und ich lief in den Wald und ſchoß
in die dichte Einſamkeit Ihrem Sohn zu Ehren muthig
los, indeſſen war die Axe gebrochen; wir fällten einen
Baum mit dem Beil, das wir bei uns hatten, und kne-
belten ihn mit Stricken feſt; da fand denn mein Schwa-
ger daß ich ſehr anſtellig war, und lobte mich. So
ging's fort bis Magdeburg; präcis 7 Uhr Abends wird
die Feſtung geſperrt, wir kamen eine Minute nachher
und mußten bis den andern Morgen um ſieben halten;
es war nicht ſehr kalt, die beiden im Wagen ſchliefen.
In der Nacht fing's an zu ſchneien, ich hatte den
Mantel über den Kopf genommen und blieb ruhig
[7] ſitzen auf meinem freien Sitz; am Morgen guckten ſie
aus dem Wagen, da hatte ich mich in einen Schnee-
mann verwandelt, aber noch eh' ſie recht erſchrecken
konnten, warf ich den Mantel ab, unter dem ich
recht warm geſeſſen hatte. In Berlin war ich wie ein
Blinder unter vielen Menſchen, und auch geiſtesabwe-
ſend war ich, an nichts konnt' ich Theil nehmen, ich
ſehnte mich nur immer nach dem Dunkel, um von
nichts zerſtreut zu ſein, um an die Zukunft denken zu
können, die ſo nah gerückt war. Ach wie oft ſchlug es
da Allarm! — plötzlich, unverſehens, mitten in die ſtille
Ruhe, ich wußte nicht von was. Schneller als ich's
denken konnte, hatte mich ein ſüßer Schrecken erfaßt.
O Mutter, Mutter! denk' Sie an ihren Sohn, wenn
Sie wüßte, ſie ſollte ihn in kurzer Zeit ſehen, ſie wär'
auch wie ein Blitzableiter, in den alle Gewitter einſchlü-
gen. — Wie wir nur noch wenig Meilen von Weimar
waren, da ſagte mein Schwager, er wünſche nicht den
Umweg über Weimar zu machen und lieber eine andre
Straße zu fahren. Ich ſchwieg ſtille, aber die Lullu
litt es nicht; ſie ſagte: „einmal wär' mir's verſprochen
und er müßte mir Wort halten.“ — Ach Mutter! —
das Schwert hing an einem Haar über meinem Haupt,
aber ich kam glücklich drunter weg.
[8]
In Weimar kamen wir um 12 Uhr an; wir aßen
zu Mittag, ich aber nicht. Die beiden legten ſich auf's
Sopha und ſchliefen; drei Nächte hatten wir durchwacht.
Ich rathe Ihnen, ſagte mein Schwager, auch auszuru-
hen; der Goethe wird ſich nicht viel draus machen,
ob Sie zu ihm kommen oder nicht, und was Beſondres
wird auch nicht an ihm zu ſehen ſein. Kann Sie
denken, daß mir dieſe Rede allen Muth benahm? —
Ach ich wußte nicht was ich thun ſollte, ich war ganz
allein in der fremden Stadt; ich hatte mich anders an-
gekleidet, ich ſtand am Fenſter und ſah nach der Thurm-
uhr, eben ſchlug es halb 3. — Es war mir auch ſo,
als ob ſich Goethe nichts draus machen werde mich zu
ſehen; es fiel mir ein, daß ihn die Leute ſtolz nennen;
ich drückte mein Herz feſt zuſammen, daß es nicht be-
gehren ſolle; — auf einmal ſchlug es 3 Uhr. Und da
war's doch auch grad' als hätte er mich gerufen, ich lief
hinunter nach dem Lohnbedienten, kein Wagen war da,
eine Portechaiſe? Nein, ſagt' ich, das iſt eine Equi-
page für's Lazareth. Wir gingen zu Fuß. Es war ein
wahrer Chokoladenbrei auf der Straße, über den dickſten
Moraſt mußte ich mich tragen laſſen, und ſo kam ich
zu Wieland, nicht zu Ihrem Sohn. Den Wieland
hatte ich nie geſehen, ich that als ſey ich eine alte Be-
[9] kanntſchaft von ihm, er beſann ſich hin und her und
ſagte: ja, ein lieber bekannter Engel ſind Sie gewiß,
aber ich kann mich nur nicht beſinnen wann und wo
ich Sie geſehen habe. Ich ſcherzte mit ihm und ſagte:
jetzt hab' ich's herausgekriegt daß Sie von mir träu-
men, denn anderswo können Sie mich unmöglich ge-
ſehen haben. Von ihm ließ ich mir ein Billet an Ih-
ren Sohn geben, ich hab' es mir nachher mitgenom-
men und zum Andenken aufbewahrt; und hier ſchreib'
ich's Ihr ab. „Bettina Brentano, Sophiens
Schweſter, Maxmilianens Tochter, Sophie
La Rochens Enkelin wünſcht Dich zu ſehen, l. Br.,
und giebt vor, ſie fürchte ſich vor Dir, und ein Zettel-
chen das ich ihr mitgebe, würde ein Talisman ſeyn,
der ihr Muth gäbe. Wiewohl ich ziemlich gewiß bin,
daß ſie nur ihren Spaß mit mir treibt, ſo muß ich
doch thun, was ſie haben will, und es ſoll mich wun-
dern, wenn Dir's nicht eben ſo wie mir geht.“
W.
Mit dieſem Billet ging ich hin, das Haus liegt
dem Brunnen gegenüber; wie rauſchte mir das Waſſer
ſo betäubend, — ich kam die einfache Treppe hinauf,
in der Mauer ſtehen Statuen von Gyps, ſie gebieten
1**
[10] Stille. Zum wenigſten ich könnte nicht laut werden
auf dieſem heiligen Hausflur. Alles iſt freundlich und
doch feierlich. In den Zimmern iſt die höchſte Einfach-
heit zu Hauſe, ach ſo einladend! Fürchte Dich nicht:
ſagten mir die beſcheidnen Wände, er wird kommen
und wird ſein, und nicht mehr ſein wollen wie
Du, — und da ging die Thür auf und da ſtand er
feierlich ernſt, und ſah mich unverwandten Blickes an;
ich ſtreckte die Hände nach ihm, glaub' ich, — bald
wußt' ich nichts mehr, Goethe fing mich raſch auf
an ſein Herz. Armes Kind, hab' ich Sie er-
ſchreckt, das waren die erſten Worte, mit denen
ſeine Stimme mir in's Herz drang; er führte mich in
ſein Zimmer und ſetzte mich auf den Sopha gegen ſich
über. Da waren wir beide ſtumm, endlich unterbrach
er das Schweigen: Sie haben wohl in der Zeitung
geleſen daß wir einen großen Verluſt vor wenig Ta-
gen erlitten haben durch den Tod der Herzogin Amalie.
Ach! ſagt' ich, ich leſe die Zeitung nicht. — So! —
ich habe geglaubt, alles intereſſire Sie, was in Wei-
mar vorgehe. — Nein, nichts intereſſirt mich als nur
Sie, und da bin ich viel zu ungeduldig, in der Zeitung
zu blättern. — Sie ſind ein freundliches Kind. —
Lange Pauſe — ich auf das fatale Sopha gebannt,
[11] ſo ängſtlich. Sie weiß daß er mir unmöglich iſt, ſo
wohlerzogen da zu ſitzen. — Ach Mutter! Kann man
ſich ſelbſt ſo überſpringen? — Ich ſagte plötzlich: hier
auf dem Sopha kann ich nicht bleiben, und ſprang auf.
— Nun! ſagte er, machen Sie ſich's bequem; nun flog
ich ihm an den Hals, er zog mich auf's Knie und
ſchloß mich an's Herz. — Still, ganz ſtill war's, alles
verging. Ich hatte ſo lange nicht geſchlafen; Jahre
waren vergangen in Sehnſucht nach ihm, — ich ſchlief
an ſeiner Bruſt ein; und da ich aufgewacht war, be-
gann ein neues Leben. Und mehr will ich ihr diesmal
nicht ſchreiben.
Bettine.
[12]
Frau Rath, ſo oft mir was Komiſches begegnet,
ſo denk' ich an Sie, und was das für ein Jubel und
für eine Erzählung ſein würde, wenn Sie es ſelbſt er-
lebt hätte. Hier, in dem traubenreichen Mildeberg, ſitze
ich bei meinem Herrn Schwab, der ehmals bei unſerm
Vater Schreiber war und uns Kinder alle mit ſeinen
Märchen großgezogen hat. Er kann zum wenigſten ſo
gut erzählen wie Sie, aber er ſchneidet auf und ver-
braucht Juden- und Heidenthum, die entdeckte und un-
entdeckte Welt zur Decoration ſeiner Abentheuer; Sie
aber bleibt bei der Wahrheit, aber mit ſo freudigen
Ausrufungszeichen, daß man Wunder denkt was paſſirt
iſt. Ich habe das Eichhörnchen, was Sie mir mitgab,
im großen Eichenwald ins Freie geſetzt, es war Zeit —
die 5 Meilen die es im Wagen fuhr, hat es großen
Schaden gemacht, und im Wirthshaus hat es über
Nacht dem Bürgermeiſter die Pantoffel zerfreſſen. Ich
weiß gar nicht wie Sie es gemacht hat, daß es Ihr
nicht alle Gläſer umgeworfen, alle Möbel angenagt,
und alle Hauben und Tocken beſchmutzt hat. Mich hat's
gebiſſen, aber im Andenken an den ſchönen ſtolzen
[13] Franzoſen, der es auf ſeinem Helm vom ſüdlichen
Frankreich bis nach Frankfurt in ihr Haus gebracht
hat, hab' ich ihm verziehen. Im Wald ſetzte ich's auf
die Erde, wie ich wegging, ſprang es wieder auf
meine Schulter und wollte von der Freiheit nichts pro-
fitiren, und ich hätt's gern wieder mitgenommen, weil
mich's lieber hatte als die ſchönen grünen Eichbäume.
Wie ich aber in den Wagen kam, machten die andern
ſo großen Lärm und ſchimpften ſo ſehr auf unſern lie-
ben Stubenkameraden, daß ich's in den Wald tragen
mußte. Ich ließ dafür auch lange warten; ich ſuchte mir
den ſchönſten Eichbaum im ganzen Wald und kletterte
hinauf. Da oben ließ ich's aus ſeinem Beutel, — es
ſprang gleich luſtig von Aſt zu Aſt und machte ſich an
die Eicheln, unterdeſſen kletterte ich herunter. Wie ich
unten ankam, hatte ich die Richtung nach dem Wagen
verloren, und obſchon ich nach mir rufen hörte, konnte
ich gar nicht unterſcheiden, wo die Stimmen herkamen.
Ich blieb ſtehen, bis ſie herbeikamen, um mich zu ho-
len; ſie zankten alle auf mich ich ſchwieg ſtill, legte
mich im Wagen auf drei Selterskrüge unten am Bo-
den, und ſchlief einen herrlichen Schlaf, bis bei Mond-
ſchein, wo der Wagen umfiel, ganz ſanft, daß niemand
beſchädigt ward. Eine nußbraune Kammerjungfer flog
[14] vom Bock und legte ſich am flachen Mainufer in ro-
mantiſcher Unordnung grade vor das Mondantlitz in
Ohnmacht; zwei Schachteln mit Blonden und Bändern
flogen etwas weiter und ſchwammen ganz anſtändig den
Main hinab; ich lief nach, immer im Waſſer, das jetzt
bei der großen Hitze ſehr flach iſt, alles rief mir nach ob
ich toll ſei, — ich hörte nicht, und ich glaub' ich wär'
in Frankfurt wieder mit ſammt den Schachteln ange-
ſchwommen, wenn nicht ein Nachen hervorgeragt hätte
an dem ſie Halt machten. Ich packte ſie unter beide
Ärme und ſpazierte in den klaren Wellen wieder
zurück. Der Bruder Franz ſagte: Du biſt unſinnig
Mädchen, und wollte mit ſeiner ſanften Stimme im-
mer zanken; ich zog die naſſen Kleider aus, wurde in
einen weichen Mantel gewickelt und in den zugemach-
ten Wagen gepackt. —
In Aſchaffenburg legte man mich mit Gewalt ins
Bett und kochte mir Kamillenthee. Um ihn nicht zu
trinken, that ich, als ob ich feſt ſchlafe. Da wurde
von meinen Verdienſten verhandelt, wie ich doch gar
ein zu gutes Herz habe, daß ich voll Gefälligkeit ſei
und mich ſelber nie bedenke, wie ich gleich den Schach-
teln nachgeſchwommen und wenn ich die nicht wieder-
gefiſcht hätte, ſo würde man morgen nicht haben mit
[15] der Toilette fertig werden können, um bei'm Fürſt Pri-
mas zu Mittag zu eſſen. Ach! ſie wußten nicht was
ich wußte, — daß nämlich unter dem Wuſt von fal-
ſchen Locken, von goldnen Kämmen, Blonden, in roth-
ſammtner Taſche ein Schatz verborgen war, um den
ich beide Schachteln ins Waſſer geworfen haben würde,
mit allem was mein und nicht mein gehörte, und daß,
wenn dieſe nicht drinn geweſen wär', ſo würde ich mich
über die Rückfahrt der Schachteln gefreut haben. In
dieſer Taſche liegt verborgen ein Veilchenſtrauß, den
Ihr Herr Sohn, in Weimar in Geſellſchaft bei Wie-
land, mir heimlich im Vorübergehen zuwarf. — Frau
Mutter, damals war ich eiferſüchtig auf den Wolf-
gang und glaubte, die Veilchen ſeien ihm von Frauen-
hand geſchenkt; er aber ſagte: kannſt Du nicht zu-
frieden ſein, daß ich ſie Dir gebe? — ich nahm heim-
lich ſeine Hand und zog ſie an mein Herz, er trank
aus ſeinem Glas und ſtellte es vor mich, daß ich auch
draus trinken ſollte; ich nahm es mit der linken Hand
und trank, und lachte ihn aus, denn ich wußte, daß
er es hier hingeſtellt hatte, damit ich ſeine Hand los-
laſſen ſollte. Er ſagte: haſt Du ſolche Liſt, ſo wirſt
Du auch wohl mich zu feſſeln wiſſen mein Leben lang.
Ich ſag' Ihr, mach' Sie ſich nicht breit, daß ich Ihr
[16] mein heimlichſtes Herz vertraue; — ich muß wohl je-
mand haben, dem ich's mittheile. Wer ein ſchön Ge-
ſicht hat, der will es im Spiegel ſehen, Sie iſt der
Spiegel meines Glücks, und das iſt grade jetzt in ſei-
ner ſchönſten Blüthe, und da muß es denn der Spie-
gel oft in ſich aufnehmen. Ich bitte Sie, klatſch' Sie
ihrem Herrn Sohn im nächſten Brief, den Sie gleich
morgen ſchreiben kann, und nicht erſt eine Gelegenheit
abzuwarten braucht, daß ich dem Veilchenſtrauß in der
Schachtel in kühler Mondnacht nachgeſchwommen bin,
wohl eine Viertelſtunde lang, ſo lang' war es aber
nicht, und daß die Wellen mich wie eine Waſſergöttin
dahingetragen haben, — es waren aber keine Wellen,
es war nur ſeichtes Waſſer, das kaum die leichten
Schachteln hob, und daß mein Gewand aufgebauſcht
war um mich her wie ein Ballon. Was ſind denn die
Reifröcke ſeiner Jugendliebſchaften alle gegen mein da-
hinſchwimmendes Gewand! ſag' Sie doch nicht, Ihr
Herr Sohn ſei zu gut für mich, um einen Veilchen-
ſtrauß ſolche Lebensgefahr zu laufen! Ich ſchließ' mich
an die Epoche der empfindſamen Romane, und komme
glücklich im Werther an, wo ich denn gleich die Lotte
zur Thür hinauswerfen möchte. Ihr Herr Sohn hat
einen ſchlechten Geſchmack an dem weißen Kleide mit
[17] Roſaſchleifen. Ich will gewiß in meinem Leben kein
weißes Gewand anziehen; grün, grün ſind alle meine
Kleider.
Apropos, guck' Sie doch einmal hinter ihren Ofen-
ſchirm, wo Sie immer die ſchön bemalte Seite gegen
die Wand ſtellt, damit die Sonne ihn nicht ausbleicht;
da wird Sie entdecken, daß das Eichhörnchen der Ofen-
göttin großen Schaden gethan hat, und daß es ihr
das ganze Angeſicht blaß gemacht hat. Ich wollt' Ihr
nichts ſagen, weil ich doch das Eichhörnchen gegen Ih-
ren Befehl an den Ofenſchirm gebunden hatte, und da
fürchtete ich, Sie könnte böſ' werden, drum hab' ich's
Ihr ſchreiben wollen, damit Sie in meiner Abweſenheit
Ihren Zorn kann austoben laſſen. Morgen geht's nach
Aſchaffenburg, da ſchreib' ich Ihr mehr. Mein Scha-
wellchen ſoll die Lieschen ausklopfen, damit die Mot-
ten nicht hineinkommen, laſſe Sie ja keinen andern
drauf ſitzen, adje Fr. Rath, ich bin ihre unterthänige
Magd. —
[18]
Frau Rath, Sie hat eine recht garſtige Hand, eine
wahre Katzenpfote, nicht die mit der Sie im Theater
klatſcht, wenn der Schauſpieler Werdi wie ein Mül-
lereſel dahertrappſt und tragiſches Schickſal ſpielen will,
nein, ſondern die geſchriebene Hand iſt häßlich und
unleſerlich. Mir kann Sie zwar immer ſo undeutlich
wie Sie will ſchreiben, daß ich ein albernes Ding
bin; ich kann's doch leſen, gleich am erſten großen A.
Denn was ſollte es ſonſt heißen? Sie hat mir's ja
oft genug geſagt; aber wenn Sie an Ihren Herrn
Sohn ſchreibt, von mir, befleißige Sie ſich der Deut-
lichkeit; die mildeberger Trauben hab' ich noch herausge-
kriegt, die Sie in chaldäiſchen und hebräiſchen Buchſtaben
verzeichnet hat, ich werde Ihr eine ganze Schachtel
voll beſtellen, das hätt' ich auch ohnedem gethan. Der
Herr Schloſſer hat mir übrigens nichts Beſondres in
Ihren Brief geſchrieben. Ich kann das auch nicht leiden,
daß Sie ſich die Zeit von ihm vertreiben läßt, wenn
ich nicht da bin, und ich ſag' Ihr: laſſe Sie ihn nicht
auf meiner Schawelle ſitzen, er iſt auch ſo einer der Laute
ſpielen will, und glaubt er könne auf meiner Schawelle
[19] ſitzen, und Sie auch, wenn Sie ihn ſo oft ſieht, ſo
bild't Sie ſich ein er wär' beſſer als ich; Sie hat ſo
ſchon einmal geglaubt, er wär' ein wahrer Apoll von
Schönheit, bis ich Ihr die Augen aufgethan habe, und
die Fr. Rath Schloſſer hat geſagt, daß wie er neugebo-
ren war, ſo habe man ihn auf ein grünes Billard ge-
legt, da habe er ſo ſchön abgeſtochen und habe aus-
geſehen wie ein glänzender Engel; iſt denn Abſtechen
eine ſo große Schönheit? Adieu, ich ſitze in einer
Raufe wo die Kuh den Klee herausfrißt und ſchreibe;
ſchreib' Sie das nicht an Ihren Sohn; das könnte
ihm zu toll vorkommen, denn ich ſelbſt, wenn ich denke:
ich fände meinen Schatz im Kuhſtall ſitzen und zärtliche
Briefe an mich ſchreiben, ich weiß auch nicht wie ich
mich benehmen ſollte. Doch ſitze ich hier oben aus lau-
ter Verzweiflung und weil ich mich verſteckt habe, und
weil ich allein ſeyn möchte, um an ihn zu denken.
Adieu Fr. Rath.
Wir haben geſtern bei'm Primas zu Mittag ge-
geſſen, es war Faſttag; da waren wunderliche Speiſen
die Fleiſch vorſtellten und doch keins waren. Da wir
ihm vorgeſtellt wurden, faßte er mich am Kinn und
nannte mich kleiner Engel, liebliches Kind; ich fragte
wie alt er denn glaubt' daß ich ſei, nun, zwölf Jahre
[20] allenfalls, nein, dreizehn, ſagte ich; ja, ſagte er, das
iſt ſchon alt, da müſſen Sie bald regieren.
(Die Antwort fehlt.)
Liebe Fr. Rath! — Alles was ich aufgeſchrieben
habe, das will ich Ihr vorleſen; Sie kann ſelbſt ſich
überzeugen, daß ich nichts hinzugeſetzt habe und das
blos geſchrieben, was meine Augen Ihr aus dem Mund
geſogen haben, nur das kann ich nicht begreifen, daß
es aus Ihrem Mund ſo geſcheut lautet und daß meine
Feder es ſo dumm wieder giebt; daß ich nicht ſehr klug
bin, davon geb' ich häufige Beweiſe. Alſo das kann
ich wohl zugeben, daß Sie zu den Leuten ſagt, Sie
wünſcht' ſie wären alle ſo närriſch wie ich; aber ſag'
Sie ja nicht, ich ſey klug, ſonſt compromitirt Sie ſich,
und der Wirth in Kaſſel an der großen Rheinbrücke
kann den Gegenbeweis führen. Es war ſo langweilig
bis unſere ganze Bagage an der Douane unterſucht war,
ich nahm den Mückenplätſcher und verfolgte ein paar
Mücken, ſie ſetzten ſich an die Fenſterſcheiben, ich ſchlug
zu, die Scheibe flog hinaus, und mit ihr die Mücken
[21] in die goldne Freiheit, über den großen ſtolzen Rhein
hinüber; der Wirth ſagte, das war dumm; und ich
war ſehr beſchämt.
Ach, Fr. Mutter! Was iſt hier in dem Langen-
winkel für ein wunderlich Leben; das ſoll ſchöne Natur
ſein und iſt es auch gewiß, ich hab' nur keinen Ver-
ſtand es zu erkennen. Eh' meine Augen hinüber auf
den Johannisberg ſchweifen, werden ſie von ein paar
ſchmutzigen Gaſſen in Beſchlag genommen, und von
einem langen Feld raupenfräßiger Quetſchen- und Birn-
bäume. Aus jedem Gaubloch hängen Perlenſchnüre von
getrockneten Schnitzeln und Hutzeln; der Lohgerber ge-
gen uns über, durchdampft alle Wohlgerüche der Luft;
alle fünf Sinne gehören dazu, um etwas in ſeiner
Schönheit zu empfinden, und wenn auch die ganze
Natur noch ſo ſehr entzückend wär' und ihr Duft
führte nicht auch den Beweis, ſo wär' der Prozeß
verloren.
Die Orgel klingt auch ganz fa[l]ſch hier in der
Kirche. Man mußte von Fr. bis Winckel reiſen, um
eine ſo grobe Disharmonie zu Ehren Gottes aufführen
zu hören.
Leb' Sie recht wohl.
Bettine.
[22]
Unſer Kutſcher wird Ihr eine Schachtel mit Pfirſich
bringen, verderb' Sie ſich nicht den Magen, denn der
iſt nicht göttlich und läßt ſich leicht verführen.
Wir waren am letzten Donnerstag mit den beiden
Schloſſers bis Lorch. Man fuhr auf dem Waſſer,
Chriſtian Schloſſer glaubte die Waſſerfahrt nicht ver-
tragen zu können, und ging den Weg zu Fuß; ich
ging mit ihm, um die Zeit ihm zu vertreiben, aber ich
hab's bereut. Zum erſten Mal hab' ich über den Wolf-
gang mit einem andern geſprochen wie mit Ihr, und
das war eine Sünde. Alles kann ich wohl vertragen
von ihm zu hören, aber kein Lob und keine Liebe; Sie
hat Ihren Sohn lieb, und hat ihn geboren, das iſt
keine Sünde, und ich laſſe mir's gefallen: aber mehr
nicht; die andern ſollen nur keine weitere Prätenſio-
nen machen. Sie frägt zwar, ob ich ihn allein ge-
pacht habe? — ja, Fr. Rath, darauf kann ich Ihr
antworten. Ich glaub' daß es eine Art und Weiſe
giebt, Jemand zu beſitzen, die Niemand ſtreitig machen
kann; dieſe üb' ich an Wolfgang, keiner hat es vor
mir gekonnt, das weiß ich, trotz allen ſeinen Liebſchaften,
von denen ſie mir erzählt. — Vor ihm thu' ich zwar
ſehr demüthig, aber hinter ſeinem Rücken halte ich ihn
feſt, und da müßte er ſtark zapplen, wenn er los will.
[23]
Fr. Rath! — Ich kenne die Prinzen und Prin-
zeſſinnen nur aus der Zauberwelt der Feenmärchen,
und aus Ihren Beſchreibungen, und die geben einan-
der nichts nach; dort ſind zwar die ſchönſten Prinzeſ-
ſinnen in Katzen verwandelt, und gewöhnlich werden
ſie durch einen Schneider erlöſt und geheirathet. Das
überleg' Sie doch auch, wenn Sie wieder ein Mährchen
erfindet, und geb' Sie dieſem Umſtand eine moraliſche
Erläuterung.
Bettine.
(Die Antwort fehlt.)
Ich habe freilich einen Brief vom Wolfgang hier
im Rheingau erhalten, er ſchreibt: Halte meine Mut-
ter warm und behalte mich lieb. Dieſe lieben Zeilen
ſind in mich eingedrungen wie ein erſter Frühlings-
regen; ich bin ſehr vergnügt, daß er verlangt, ich ſoll
ihn lieb behalten; ich weiß es wohl, daß er die ganze
Welt umfaßt; ich weiß, daß ihn die Menſchen ſehen
wollen, und ſprechen, daß ganz Deutſchland ſagt: unſer
Goethe. Ich aber kann Ihr ſagen, daß mir bis heute
die allgemeine Begeiſtrung für ſeine Größe, für ſeinen
Namen noch nicht aufgegangen iſt. Meine Liebe zu
ihm beſchränkt ſich auf das Stübchen mit weißen Wän-
[24] den, wo ich ihn zuerſt geſehen, wo am Fenſter der
Weinſtock, von ſeiner Hand geordnet, hinaufwächſt,
wo er auf dem Strohſeſſel ſitzt und mich in ſeinen Ar-
men hält; da läßt er keinen Fremden ein, und da
weiß er auch von nichts als nur von mir allein. Frau
Rath! Sie iſt ſeine Mutter, und Ihr ſag' ich's: wie
ich ihn zum erſten Mal geſehen hatte, und ich kam
nach Haus, da fand ich, daß ein Haar von ſeinem
Haupt auf meine Schulter gefallen war. Ich ver-
brannte es am Licht, und mein Herz war ergriffen,
daß es auch in Flammen ausſchlug, aber ſo heiter, ſo
luſtig, wie die Flammen in blauer, ſonnenheller Luft,
die man kaum gewahr wird, und die ohne Rauch ihr
Opfer verzehrt. So wird mir's auch gehen: mein Le-
ben lang werde ich luſtig in die Lüfte flackern, und
die Leute werden nicht wiſſen woher ſich dieſe Luſt
ſchreibt; es iſt nur, weil ich weiß, daß wenn ich zu
ihm komme, er allein mit mir ſein will und alle Lor-
beerkränze vergißt.
Leb' Sie wohl und ſchreib' Sie ihm von mir.
Goe-
[25]
Liebe Bettine, Deine Briefe machen mir Freude,
und die Jungfer Lieschen, die ſie ſchon an der Adreſſe
erkennt, ſagt: Fr. Rath, da bringt der Briefträger ein
Plaiſir. — Sei aber nicht gar zu toll mit meinem
Sohn, alles muß in ſeiner Ordnung bleiben. Das
braune Zimmer iſt neu tapezirt mit der Tapete die
Du ausgeſucht haſt, die Farbe miſcht ſich beſonders
ſchön mit dem Morgenroth das über'm Katharinen-
thum heraufſteigt und mir bis in die Stube ſcheint.
Geſtern ſah unſre Stadt recht wie ein Feiertag aus in
dem unbefleckten Licht der Alba.
Sonſt iſt noch alles auf dem alten Fleck. Um Dei-
nen Schemmel habe keine Noth, die Lieſe leidet's nicht
daß jemand drauf ſitzt.
Schreib' recht viel und wenn's alle Täg' wär',
Deiner wohlgeneigten Freundin Goethe.
I. 2
[26]
Wir ſind geſtern auf Müllereſeln geritten, weit
in's Land hinaus über Rauenthal hinweg. Da geht's
durch bewaldete Felswege, links die Ausſicht in die
Thalſchlucht und rechts die waldige emporſteigende
Felswand. Da haben mich dann die Erdbeeren ſehr
verlockt, daß ich ſchier um meinen Poſten gekommen
wär', denn mein Eſel iſt der Leiteſel. Weil ich aber
immer Halt machte um die Erdbeeren zu pflücken, ſo
drängte die ganze Geſellſchaft auf mich ein und ich
mußte tauſend rothe Beeren am Wege ſtehen laſſen.
Heute ſind's acht Tage, aber ich ſchmachte noch danach,
die geſpeiſten ſind vergeſſen, die ungepflückten brennen
mich noch auf der Seele. Eben drum würde ich's ewig
bereuen wenn ich verſäumte was ich das Recht habe
zu genießen, und da braucht Sie nicht zu fürchten daß
ich die Ordnung umſtoße. Ich häng' mich nicht wie
Blei an meinen Schatz, ich bin wie der Mond der ihm
in's Zimmer ſcheint, wenn die geputzten Leute da ſind
und die vielen Lichter angezünd't, dann wird er wenig
bemerkt, wenn die aber weg ſind und das Geräuſch iſt
vorüber, dann hat die Seele um ſo größere Sehnſucht
[27] ſein Licht zu trinken. So wird auch er ſich zu mir
wenden und meiner gedenken wenn er allein iſt. —
Ich bin erzürnt über alle Menſchen die mit ihm zu
thun haben, doch iſt mir keiner gefährlich bei ihm,
aber das geht Sie alles nichts an. Ich werde doch
nicht die Mutter fürchten ſollen, wenn ich den Sohn
lieb hab'? —
Ei Mädchen, Du biſt ja ganz toll, was bild'ſt
Du Dir ein? — Ei, wer iſt denn Dein Schatz, der an
Dich denken ſoll bei Nacht im Mondſchein? — meinſt
Du der hätt' nichts Beſſers zu thun? — ja proſte
Mahlzeit.
Ich ſag' Dir noch einmal: alles in der Ordnung,
und ſchreib' ordentliche Briefe, in denen was zu leſen
ſteht. — Dummes Zeug nach Weimar ſchreiben; —
ſchreib' was Euch begegnet, alles ordentlich hinter ein-
ander. Erſt wer da iſt, und wie Dir jeder gefällt, und
was jeder an hat, und ob die Sonne ſcheint, oder ob's
regnet, das gehört auch zur Sach'.
Mein Sohn hat mir's wieder geſchrieben, ich ſoll
2*
[28] Dir ſagen daß Du ihm ſchreibſt. Schreib' ihm aber
ordentlich, Du wirſt Dir ſonſt das ganze Spiel ver-
derben.
Am Freitag war ich im Conzert, da wurde Vio-
loncell geſpielt, da dacht' ich an Dich, es klang ſo recht
wie Deine braune Augen. Adieu Mädchen, Du fehlſt
überall Deiner Frau Rath.
Ich will Ihr gern den Gefallen thun und einmal
einen recht langen deutlichen Brief ſchreiben, meinen
ganzen Lebensaufenthalt in Winckel.
Erſt ein ganzes Haus voll Frauen, kein einziger
Mann, nicht einmal ein Bedienter. Alle Läden im
Hauſ' ſind zu, damit uns die Sonne nicht wie unreife
Weinſtöcke behandelt und garkocht. Das Stockwerk in
dem wir wohnen beſteht aus einem großen Saal,
an das lauter kleine Kabinette ſtoßen die auf den
Rhein ſehen, in deren jedem ein Pärchen von unſerer
Geſellſchaft wohnt. Die liebe Marie mit den blonden
Haaren iſt Hausfrau und läßt für uns backen und
ſieden. Morgens kommen wir alle aus unſeren Ge-
[29] mächern im Saal zuſammen. Es iſt ein beſondres
Plaiſir zu ſehen wie einer nach dem andern griechiſch
drappirt hervorkommt. Der Tag geht vorüber in lau-
nigem Geſchwätz, dazwiſchen kommen Bruchſtücke von
Geſang und Harpegge auf der Guitarre. Am Abend
ſpazieren wir an den Ufern des Rheins entlang, da
lagern wir uns auf dem Zimmerplatz; ich leſe den Ho-
mer vor, die Bauern kommen alle heran und hören zu;
der Mond ſteigt zwiſchen den Bergen herauf und leuch-
tet ſtatt der Sonne. In der Ferne liegt das ſchwarze
Schiff, da brennt ein Feuer, der kleine Spitzhund auf
dem Verdeck ſchlägt von Zeit zu Zeit an. Wenn wir
das Buch zu machen, ſo iſt ein wahres politiſcher Ver-
handeln; die Götter gelten nicht mehr und nicht weni-
ger als andre Staatsmächte, und die Meinungen wer-
den ſo hitzig behauptet, daß man denken ſollte, alles
wär' geſtern geſchehen, und es wär' manches noch zu
ändern. Einen Vortheil hab' ich davon: hätt' ich den
Bauern nicht den Homer vorgeleſen, ſo wüßte ich heut'
noch nicht was drinn ſteht, die haben mir's durch ihre
Bemerkungen und Fragen erſt beigebracht. — Wenn
wir nach Hauſe kommen, ſo ſteigt einer nach dem an-
dern wenn er müde iſt, zu Bette. Ich ſitze dann noch
am Klavier, und da fallen mir Melodien ein, auf denen
[30] ich die Lieder die mir lieb ſind, gen Himmel trage.
Wie iſt Natur ſo hold und gut. Im Bett richte
ich meine Gedanken dahin wo mir's lieb iſt, und ſo
ſchlafe ich ein. Sollte das Leben immer ſo fortge-
hen? — gewiß nicht.
Am Samſtag waren die Brüder hier, bis zum
Montag. Da haben wir die Nächte am Rhein ver-
ſchwärmt. George mit der Flöte, wir ſangen dazu, ſo
ging's von Dorf zu Dorf, bis uns der aufgehende Tag
nach Hauſe trieb. — Fr. Mutter, auf dem prächtigen
Rheinſpiegel in Mondnächten dahingleiten und ſingen,
wie das Herz eben aufjauchzt, allerlei luſtige Aben-
theuer beſtehen in freundlicher Geſellſchaft, ohne Sorge
aufſtehen, ohne Harm zu Bette gehen, das iſt ſo eine
Lebensperiode in der ich mitten inne ſtehe. Warum
laſſe ich mir das gefallen? — weiß ich's nicht beſſer? —
und iſt die Welt nicht groß und mancherlei in ihr, was
blos des Menſchengeiſtes harrt um in ihm lebendig zu
werden? — und ſoll das alles mich unberührt laſſen? —
Ach Gott das Philiſterthum iſt eine harte Nuß, nicht
leicht aufzubeißen, und mancher Kern vertrocknet un-
ter dieſer harten Schale. Ja, der Menſch hat ein Ge-
wiſſen, es mahnt ihn, er ſoll nichts fürchten, und ſoll
nichts verſäumen was das Herz von ihm fordert. Die
[31] Leidenſchaft iſt ja der einzige Schlüſſel zur Welt, durch
die lernt der Geiſt alles kennen und fühlen, wie ſoll er
denn ſonſt in ſie hineinkommen? — und da fühl' ich
daß ich durch die Liebe zu Ihm erſt in den Geiſt ge-
boren bin, daß durch Ihn die Welt ſich mir erſt auf-
ſchließt, da mir die Sonne ſcheint, und der Tag ſich
von der Nacht ſcheidet. Was ich durch dieſe Liebe
nicht lerne, das werde ich nie begreifen. Ich wollt' ich
ſäß' an ſeiner Thür, ein armes Bettelkind, und nähm'
ein Stückchen Brod von ihm, und er erkennte dann an
meinem Blick weß Geiſtes Kind ich bin, da zög' er mich
an ſich und hüllte mich in ſeinen Mantel, damit ich
warm würde. Gewiß, er hieß mich nicht wieder gehen,
ich dürfte fort und fort im Hauſ' herumwandeln, und
ſo vergingen die Jahre und keiner wüßte wer ich wäre,
und niemand wüßte wo ich hingekommen wär', und ſo
vergingen die Jahre und das Leben, und in ſeinem
Antlitz ſpiegelte ſich mir die ganze Welt, ich brauchte
nichts Andres mehr zu lernen. Warum thu' ich's denn
nicht? — es kommt ja nur drauf an daß ich Muth
faſſe, ſo kann ich in den Hafen meines Glückes ein-
laufen.
Weiß Sie noch wie ich den Winter durch Schnee
und Regen geſprungen kam, und Sie fragt', wie läufſt
[32] du doch über die Gaſſe, und ich ſagte, wenn ich die
alte Stadt Frankfurt nicht wie einen Hühnerhof trak-
tiren ſollte, ſo würd' ich nicht weit in der Welt kom-
men, und da meinte Sie, mir ſei gewiß kein Waſſer
zu tief und kein Berg zu hoch; und ich dachte damals
ſchon: ja, wenn Weimar der höchſte Berg und das
tiefſte Waſſer iſt. Jetzt kann ich's Ihr noch beſſer ſa-
gen daß mein Herz ſchwer iſt und bleiben wird ſo lang'
ich nicht bei ihm bin, und das mag Sie nun in der
Ordnung finden oder nicht.
Adieu, leb' Sie recht wohl. Ich werd' nächſtens
bei Ihr angerutſcht kommen.
Ein Brief von Ihr macht immer groß Aufſehen
unter den Leuten; die möchten gern wiſſen was wir
uns zu ſagen haben, da ich ihnen ſo unklug vorkomme.
Sie kann getroſt glauben, ich werd' auch nie klug wer-
den. Wie ſoll ich Klugheit erwerben, mein einſamer
Lebenslauf führt nicht dazu. Was hab' ich dies Jahr
erlebt? — Im Winter war ich krank; dann macht' ich
ein Schattenſpiel von Pappendeckel, da hatten die Katze
[33] und der Ritter die Hauptrollen, da hab' ich nah' an
ſechs Wochen die Rolle der Katze ſtudirt, ſie war keine
Philoſophin, ſonſt hätt' ich vielleicht profitirt. Im Früh-
jahr blühte der Orangenbaum in meinem Zimmer; ich
ließ mir einen Tiſch d'rum zimmern und eine Bank,
und in ſeinem duftenden Schatten hab' ich an meinen
Freund geſchrieben. Das war eine Luſt die keine Weis-
heit mir erſetzen konnte. Im Spiegel gegenüber ſah ich
den Baum noch einmal und wie die Sonnenſtrahlen
durch ſein Laub brachen; ich ſah ſie drüben ſitzen die
Braune, Vermeſſene; an den größten Dichter, an den Er-
habenen über alle, zu ſchreiben. Im April bin ich früh
drauß geweſen auf dem Wall und hab' die erſten Veil-
chen geſucht und botaniſirt, im Mai hab' ich fahren
gelernt mit zwei Pferd', Morgens mit Sonnenaufgang
fuhr ich hinaus nach Oberrad, ich ſpaziert' in die Ge-
müsfelder und half dem Gärtner alles nach der Schnur
pflanzen, bei der Milchfrau hab' ich mir einen Nelken-
flor angelegt, die dunkelrothen Nelken ſind meine Lieb-
lingsblumen. — Bei ſolcher Lebensweiſe, was ſoll ich
da lernen, woher ſoll ich klug werden? — Was ich
Ihrem Sohn ſchreib' das gefällt ihm, er verlangt im-
mer mehr, und mich macht das ſeelig, denn ich ſchwelge
in einem Überfluß von Gedanken die meine Liebe, mein
2**
[34] Glück ausdrücken, wie es Ihm erquicklich iſt. Was iſt
nun Geiſt und Klugheit, da der ſeeligſte Menſch, wie
ich, ihrer nicht bedarf? —
Es war voriges Jahr im Eingang Mai da ich ihn
ſah zum erſten Mal, da brach er ein junges Blatt von
den Reben die an ſeinem Fenſter hinaufwachſen, und
legt's an meine Wange und ſagte: das Blatt und deine
Wange ſind beide wollig; ich ſaß auf dem Schemel zu
ſeinen Füßen und lehnte mich an ihn, und die Zeit ver-
ging im Stillen. — Nun, was hätten wir Kluges ein-
ander ſagen können was dieſem verborgnen Glück nicht
Eintrag gethan hätte; welch' Geiſteswort hätte dieſen
ſtillen Frieden erſetzt der in uns blühte? — O wie oft
hab' ich an dieſes Blatt gedacht, und wie er damit mir
die Stirne und das Geſicht ſtreichelte, und wie er meine
Haare durch die Finger zog und ſagte: ich bin nicht
klug; man kann mich leicht betrügen, du haſt keine
Ehre davon wenn du mir was weis machſt mit deiner
Liebe. — Da fiel ich ihm um den Hals. — Das alles
war kein Geiſt und doch hab' ich's tauſendmal in Ge-
danken durchlebt, und werde mein Leben lang dran
trinken wie das Aug' das Licht trinkt; — es war kein
Geiſt, und doch überſtrahlt es mir alle Weisheit der
Welt. — Was kann mir ſein freundliches Spielen mit
[35] mir erſetzen? — was den feinen durchdringenden Strahl
ſeines Blicks, der in mein Auge leuchtet? — Ich achte
die Klugheit nichts, ich habe das Glück unter anderer
Geſtalt kennen lernen, und auch was andern weh thut
das kann mir nicht Leid thun, und meine Schmerzen;
das wird keiner verſtehen.
So hell wie dieſe Nacht iſt! Glanzverhüllt liegen
die Berg' da mit ihren Rebſtöcken und ſaugen ſchlaf-
trunken das nahrhafte Mondlicht. — Schreib' Sie bald;
ich hab' keinen Menſchen dem ich ſo gern vertraue, denn
weil ich weiß daß Sie mit keinem andern mehr anbin-
det und abgeſchloſſen für mich da iſt, und daß Sie mit
niemand über mich ſpricht. — Wenn Sie wüßt' wie
tief es ſchon in der Nacht iſt! Der Mond geht unter,
das betrübt mich. Schreib' Sie mir recht bald.
Bettine.
Frau Rath, ich war mit dem Franz auf einer Eiſen-
ſchmelze, zwei Tag' mußt' ich in der engen Thalſchlucht
aushalten, es regnete oder vielmehr näßte fortwährend,
die Leute ſagten: ja, das ſind wir gewohnt, wir leben
wie die Fiſch', immer naß, und wenn einmal ein paar
trockne Tage ſind, ſo juckt einem die Haut, man möchte
[36] wieder naß ſein; ich muß mich beſinnen wie ich Ihr
das wunderliche Erdloch beſchreibe, wo unter dunklen
gewaltigen Eichen die Gluth hervorleuchtet, wo an den
Bergwänden hinan einzelne Hütten hängen und wo
im Dunkel die einzelnen Lichter herüberleuchten, und
der lange Abend durch eine ferne Schalmei die immer
daſſelbe Stückchen hören läßt, recht an den Tag giebt
daß die Einſamkeit hier zu Hauſ' iſt, die durch keine
Geſelligkeit unterbrochen wird. Warum iſt denn der
Ton einer einſamen Hausflöte die ſo vor ſich hinbläſt,
ſo melancholiſch langweilig daß einem das Herz zer-
ſpringen möcht' vor Grimm, daß man nicht weiß wo
aus noch ein; ach wie gern möcht' man da das Erden-
kleid abſtreifen und hochfliegen weit in die Lüfte; ja,
ſo eine Schwalbe in den Lüften, die mit ihren Flügeln
wie mit einem ſcharfen Bogen den Äther durchſchneidet,
die hebt ſich weit über die Sclavenkette der Gedanken,
in's Unendliche, das der Gedanke nicht faßt. —
Wir wurden in gewaltig große Betten logirt, ich
und der Bruder Franz, ich hab' viel mit ihm ge-
ſcherzt und geplaudert, er iſt mein liebſter Bruder.
Am Morgen ſagte er ganz myſtiſch: geb' einmal
acht, der Herr vom Eiſenhammer hat ein Hochgericht
im Ohr; ich konnt's nicht errathen; wie ſich aber
[37] Gelegenheit ergab in's Ohr zu ſehen, da entdeckt' ich's
gleich, eine Spinne hatte ihr Netz in's Ohr aufgeſtellt,
eine Fliege war drinn gefangen und verzehrt, und ihre
Reſte hingen noch im unverletzten Gewebe; daraus
wollte der Franz das verſteinerte langweilige Leben
recht deutlich erkennen, ich aber erkannte es auch am
Tintefaß, das ſo pelzig war und ſo wenig Flüſſiges
enthielt. Das iſt aber nur die eine Hälfte dieſes Lochs
der Einſamkeit. Man ſollt's nicht meinen, aber geht
man langſam in die Runde, ſo kommt man an eine
Schlucht. Am Morgen, wie eben die Sonne aufge-
gangen war, entdeckte ich ſie, ich ging hindurch, da be-
fand ich mich plötzlich auf dem ſteilen höchſten Rand
eines noch tieferen und weiteren Thalkeſſels, ſein ſammt-
ner Boden ſchmiegt ſich ſanft an die ebenmäßigen Berg-
wände die es rund umgeben und ganz beſäet ſind mit
Lämmer und Schafen; in der Mitte ſteht das Schäfer-
haus und dabei die Mühle die vom Bach, der mitten
durchbrauſt, getrieben wird. Die Gebäude ſind hinter
uralten himmelhohen Linden verſteckt, die grade jetzt
blühen und deren Duft zu mir heraufdampfte und
zwiſchen deren dichtem Laub der Rauch des Schorn-
ſteins ſich durchdrängte. Der reine blaue Himmel, der
goldne Sonnenſchein hatte das ganze Thal erfüllt.
[38] Ach lieber Gott, ſäß' ich hier und hütete die Schafe,
und wüßte daß am Abend einer käm der meiner einge-
denk iſt, und ich wartete den ganzen Tag, und die
ſonneglänzenden Stunden gingen vorüber, und die
Schattenſtunden mit der ſilbernen Mondſichel und dem
Stern brächten den Freund, der fänd' mich an Berges-
rand ihm entgegenſtürzend in die offne Arme, daß er
mich plötzlich am Herzen fühlte mit der heißen Liebe,
was wär' dann nachher noch zu erleben. Grüß' Sie
Ihren Sohn und ſag' Sie ihm, daß zwar mein Leben
friedlich und von Sonnenglanz erleuchtet iſt, daß ich
aber der goldnen Zeit nicht achte, weil ich mich immer
nach der Zukunft ſehne wo ich den Freund erwarte.
Adieu leb' Sie wohl. Bei Ihr iſt Mitternacht eine
Stunde der Geiſter, in der Sie es für eine Sünde hält
die Augen offen zu haben, damit Sie keine ſieht; ich
aber ging eben noch allein in den Garten durch die
langen Traubengänge, wo Traube an Traube hängt
vom Mondlicht beſchienen, und über die Mauer hab'
ich mich gelehnt und hab' hinausgeſehen in den Rhein,
da war alles ſtill. Aber weiße Schaumwellen ziſchten
und es patſchte immer an's Ufer, und die Wellen lall-
ten wie Kinder. Wenn man ſo einſam Nachts in der
freien Natur ſteht, da iſt's als ob ſie ein Geiſt wär'
[39] die den Menſchen um Erlöſung bäte. Soll vielleicht
der Menſch die Natur erlöſen? ich muß einmal dar-
über nachdenken; ſchon gar zu oft hab' ich dieſe Em-
pfindung gehabt als ob die Natur mich jammernd weh-
müthig um etwas bäte, daß es mir das Herz durch-
ſchnitt nicht zu verſtehen was ſie verlangte. Ich muß
einmal recht lang' dran denken, vielleicht entdeck' ich
etwas was über das ganze Erdenleben hinaushebt.
Adieu Fr. Rath, und wenn Sie mich nicht verſteht, ſo
denk' Sie nur wie Ihr noch immer in Ihren jetzigen
Tagen ein Poſthorn das Sie in der Ferne hört, einen
wunderlichen Eindruck macht, ungefähr ſo iſt mir's
auch heute.
Bettine.
Geſtern war Feuer am hellen Tag' hier auf der
Hauptwach', grad' mir gegenüber, es brannte wie ein
Blumenſtrauß aus dem Gaubloch an der Kathrinen-
pfort'. Da war mein beſt Plaiſir die Gaſſenbuben mit
ihrem Reffs auf dem Buckel, die wollten alle retten
helfen, der Hausbeſitzer wollt' nichts retten laſſen, denn
[40] weil das Feuer gleich aus war, da wollten ſie ein
Trinkgeld haben, das hat er nicht geben, da tanzten
ſie und wurden von der Polizei weggejagt. — Es iſt
viel Geſellſchaft zu mir kommen, die wollten alle fra-
gen wie ich mich befind' auf den Schreck, und da mußt'
ich ihnen immer von vorne erzählen, und das iſt jetzt
ſchon drei Täg' daß mich die Leut' beſuchen und ſehen
ob ich nicht ſchwarz geworden bin vom Rauch. Dein
Melinchen war auch da und hat mir ein Brief ge-
bracht von Dir, der iſt ſo klein geſchrieben daß ich ihn
hab' müſſen vorleſen laſſen, rath einmal von wem? —
Die Meline iſt aber einmal ſchön, ich hab' geſagt
die Stadt ſollt' ſie malen laſſen und ſollt' ſie auf dem
Rathſaal hängen, da könnten die Kaiſer ſehen was ihre
gute Stadt für Schönheiten hat. Deine Brüder ſind
aber auch ſo ſchön, ich hab' meiner Lebtag' keine ſo
ſchöne Menſchen geſehen als den George, der ſieht aus
wie ein Herzog von Mailand, und alle andern Men-
ſchen müſſen ſich ſchämen mit ihren Fratzengeſichtern ne-
ben ihm. — Adieu und grüß auch die Geſchwiſter von
Deiner Freundin Goethe.
[41]
Da kommt der Fritz Schloſſer aus dem Rheingau
und bringt nur drei geſchnittne Federn von Dir und
ſagt: er hätt' geſchworen daß er mir keine Ruh' laſſen
will, ich müßt' ſchreiben wer's geweſen iſt der Deine
Brief' geleſen hat. — Was hat's denn für Noth, wer
ſollt's denn geweſen ſein? — in Weimar iſt alles ruhig
und auf dem alten Fleck. Das ſchreiben die Zeitungen
ſchon allemal voraus, lang eh' es wahr iſt, wenn mein
Sohn zu einer Reiſ' Anſtalt macht, der kommt einem
nicht mit der Thür in's Haus gefallen. Da ſieht man
aber doch recht daß Dein Herz Deinem Kopf was weiß
macht. Herz, was verlangſt du? — Das iſt ein Sprich-
wort, und wenn es ſagt was es will, ſo geht's wie in
einem ſchlechten Wirthshaus, da haben ſie alles, nur
keine friſche Eier, die man grad' haben will. [Adieu],
das hab' ich bei der Nachtlamp' geſchrieben.
Ich bin Dir gut.
Catharina Goethe.
Das hätt' ich bald vergeſſen zu ſchreiben wer mir
Deinen Brief geleſen hat, das war der Pfarrer Hufna-
gel der wollt' auch ſehen was ich mach' nach dem
[42] Schreck mit dem Feuer, ich ſagt: Ei Herr Pfarrer, iſt
denn der Katharine Thurm grad ſo groß, daß er mir
auf die Naſ' fällt wenn er umſtürtzt? — Da hat er ge-
ſeſſen mit ſeinem dicken Bauch im ſchwarzen Talar mit
dem runden weißen Kragen im doppelten Falten, mit
der runden [Stutzperück] und den Schnallenſchuh auf
Deiner Schawell, und hat den Brief geleſen, hätt's mein
Sohn geſehen er hätt' gelacht.
Katharina Goethe.
Frau Mutter ich danke Ihr für die zwei Brief'
hinter einander das war einmal gepflügt, recht durch
ſchweres Erdreich, man ſieht's, die Schollen liegen ne-
ben an, wie dick; gewiß das ſind der Lischen ihre Fin-
ger geweſen mit denen Sie die Furchen gezogen hat,
die ſind recht krumm, was mich wundert das iſt daß ich
Ihr ſo gern ſchreib', daß ich keine Gelegenheit verſäum',
und alles was mir begegnet, prüf ich, ob es nicht ſchön
wär ihr zu ſchreiben, das iſt weil ich doch nicht alles
und fortwährend an den Wolfgang ſchreiben kann, ich
hab ihn geſagt in Weimar: Wenn ich dort wohnte,
ſo wollt ich als nur die Sonn- und Feiertäg' zu ihm
kommen und nicht alle Tag, das hat ihn gefreut; ſo
[43] mein ich, daß ich auch nicht alle Tag' an ihn ſchreiben
darf, aber er hat mir geſagt ſchreib alle Tag', und
wenn's Folianten wären, es iſt mir nicht zu viel, aber
ich ſelbſt bin nicht alle Tag' in der Stimmung, manch-
mal denke ich ſo geſchwind, daß ich's gar nicht ſchreiben
kann, und die Gedanken ſind ſo ſüß, daß ich gar nicht
abbrechen kann um zu ſchreiben, noch dazu mag ich
gern grade Linien und ſchöne Buchſtaben machen und
das hält im Denken auf, auch hab' ich ihm manches zu
ſagen was ſchwer auszuſprechen iſt, und manches hab'
ich ihm mitzutheilen was nie ausgeſprochen werden kann;
da ſitz' ich oft Stunden und ſeh in mich hinein und
kann's nicht ſagen was ich ſeh, aber weil ich im Geiſt
mich mit ihm zuſammen fühl', ſo bleib ich gern dabei,
und ich komme mir vor wie eine Sonnenuhr die grad'
nur die Zeit angiebt, ſo lang' die Sonne ſie beſcheint.
Wenn meine Sonne mich nicht mehr anlächelt, dann
wird man auch die Zeit nicht mehr an mir erkennen;
es ſollte einer ſagen ich leb', wenn er mich nicht mehr
lieb hat; das Leben was ich jetzt führ, davon hat kei-
ner Verſtand, an der Hand führt mich der Geiſt ein-
ſame Straßen, er ſetzt ſich mit mir nieder am Waſſers-
rand, da ruht er mit mir aus, dann führt er mich auf
hohe Berge; da iſt es Nacht da ſchauen wir in die Ne-
[44] bel-Thale da ſieht man den Pfad kaum vor den Füßen
aber ich geh' mit, ich fühl, daß er da iſt wenn er auch
vor meinen leiblichen Augen verſchwindet, und wo ich
geh und ſteh, da ſpühr ich ſein heimlich Wandeln um
mich, und in der Nacht iſt er die Decke in die ich
mich einhülle, und am Morgen iſt er es vor dem ich
mich verhülle wenn ich mich ankleide, niemals mehr bin
ich allein, in meiner einſamen Stube fühl ich mich ver-
ſtanden und erkannt von dieſem Geiſt; ich kann nicht
mit lachen ich kann nicht mit Comoedie ſpielen, die Kunſt
und die Wiſſenſchaft die laſſe ich fahren; noch vor einem
halben Jahr, da wollt' ich Geſchichte ſtudieren und Geo-
graphie, es war Narrheit. Wenn die Zeit in der Wir
leben, erſt recht erfüllt wär mit der Geſchichte, ſo daß
einer alle Hände voll zu thun hätt', um nur der Ge-
ſchichte den Willen zu thun ſo hätt' er keine Zeit um
nach den vermoderten Königen zu fragen, ſo geht mir's,
ich hab' keine Zeit ich muß jeden Augenblick mit meiner
Liebe verleben. Was aber die Geographie anbelangt,
ſo hab' ich einen Strich gemacht mit rother Tinte auf
die Landkart. Der geht, von wo ich bin bis dahin wo
es mich hinzieht, das iſt der rechte Weg alles andre ſind
Irr- oder Umwege. Das ganze Firmament mit Sonne,
Mond und Sterne gehören blos zur Ausſicht meiner
[45] Heimath. Dort iſt der fruchtbare Boden, indem mein
Herz die harte Rinde ſprengt und in's Licht hinaufblüht.
Die Leute ſagen: Was biſt du traurig, ſollt ich ver-
gnügt ſein? — oder dies oder jenes? — wie paßt das
zu meinem innern Leben; ein jedes Betragen hat ſeine
Urſache, das Waſſer wird nicht luſtig dahin tanzen und
ſingen, wenn ſein Bett nicht dazu gemacht iſt. So
werd' ich nicht lachen, wenn nicht eine geheime Luſt der
Grund dazu iſt; ja ich habe Luſt im Herzen, aber ſie
iſt ſo groß ſo mächtig, daß ſie ſich nicht in's Lachen fü-
gen kann; wenn es mich aus dem Bett aufruft vor
Tag, und ich zwiſchen den ſchlafenden Pflanzen Berg-
auf wandle, wenn der Thau meine Füße wäſcht, und
ich denk demüthig, daß es der Herr der Welten iſt der
meine Füße wäſcht, weil er will ich ſoll rein ſein von
Herzen wie er meine Füße vom Staub reinigt; wenn
ich dann auf des Berges Spitze komme und überſehe
alle Lande im erſten Strahl der Sonne dann fühl' ich
dieſe mächtige Luſt in meiner Bruſt ſich ausdehnen, dann
ſeufz' ich auf und hauch die Sonne an zum Dank,
daß ſie mir in einem Bild erleuchte was der Reich-
thum der Schmuck meines Lebens iſt, denn was ich ſehe
was ich verſtehe es iſt alles nur Wiederhall meines
Glückes.
[46]
Adieu, läſt ſie ſich den Brief, auch vom Pfarrer
vorſtudieren? — ich hab' ihn doch mit ziemlich großen
Buchſtaben geſchrieben. Hat dann in meinem letzten
Brief etwas geſtanden, daß ich ſeinen heißen Durſt hab',
und daß ich mondſüchtig bin, oder ſo was? — wie kann
Sie ihm denn das leſen laſſen? ſie wirft ihm ja ſeinen
gepolſterten Betſchemel um, in ſeinem Kopf. Die Bet-
tine hat Kopfweh ſchon ſeit 3 Tagen und heut liegt ſie
im Bett und küßt ihrer Frau Rath die Hand.
Werd' mir nicht krank Mädchen, ſteh auf aus Dei-
nem Bett, und nimm's, und wandle. So hat der Herr
Chriſtus geſagt zum Kranken, das ſag' ich dir auch, dein
Bett iſt deine Liebe in der du krank liegſt, nimm ſie zu-
ſammen und erſt am Abend breite ſie aus, und ruhe in
ihr wenn du des Tages Laſt und Hitze ausgeſtanden
haſt. — Da hat mein Sohn ein paar Zeilen geſchrieben,
die ſchenk ich dir, ſie gehören dem Inhalt nach dein.
Der Prediger hat mir deinen Brief vorgerumpelt
wie ein ſchlechter Poſtwagen auf holperichem Weg, das
ſchmeißt alles Paſſagiergut durcheinander; du haſt auch
[47] deine Gedanken ſo ſchlecht gepackt, ohne Komma ohne
Punkt, daß wenn es Paſſagiergut wär' keiner könnt'
das ſeinige heraus finden; ich hab' den Schnuppen und
bin nicht aufgelegt, hätt' ich dich nicht ſo lieb ſo hatt'
ich nicht geſchrieben, wahr deine Geſundheit.
Ich ſag' allemal wenn die Leut fragen was du
machſt: Sie fängt Grillen, und das wird dir auch gar
nicht ſauer, bald iſt's ein Nachtvogel der dir an der
Naſ' vor bei fliegt, dann haſt du um Mitternacht wo
alle ehrliche Leute ſchlafen etwas zu bedenken, und mar-
ſchierſt durch den Garten an den Rhein in der kalten
feuchten Nachtluft, du haſt eine Natur von Eiſen, und
eine Einbildung wie eine Rakete, wie die ein Funken
berührt, ſo platzt ſie los. Mach daß du bald wieder
nach Haus kommſt. Mir iſt nicht heuer wie's vorige
Jahr, manchmal krieg ich Angſt um dich, und an den
Wolfgang muß ich Stundenlang denken, immer wie er
ein klein Kind war, und mir unter den Füßen ſpielte,
und dann wie er mit ſeinem Bruder Jacob ſo ſchön ge-
ſpielt hat, und hat ihn Geſchichten gemacht; ich muß
einen haben dem ich's erzähl, die andern hören mir alle
nicht ſo zu wie Du; ich wollt' wirklich wünſchen, die
Zeit wär' vorbei und Du wärſt wieder da.
Adieu, mach das Du kommſt, ich hab' alles ſo hell
[48] im Gedächtniß als ob's geſtern paſſiert wär', jetzt kann
ich Dir die ſchönſten Geſchichten vom Wolfgang erzäh-
len, und ich glaub' Du haſt mich angeſteckt, ich mein
immer das wär kein rechter Tag an dem ich nichts von
ihm geſprochen hab'.
Deine Freundin Goethe.
Ich war in Köln da hab ich den ſchönen Krug ge-
kauft, ſchenk Sie ihn Ihrem Sohn von ſich, das wird
Ihr beſſer Freud' machen, als wenn ich Ihr ihn ſchenkte.
Ich ſelbſt mag ihm nichts ſchenken, ich will nur von
ihm nehmen.
Köln iſt recht wunderlich, alle Augenblick hört man
eine andre Glocke läuten, das klingt hoch und tief,
dumpf und hell von allen Seiten unter einander. Da
ſpazieren Franziskaner, Minoritten, Kapuziner, Domi-
nikaner, Benediktiner an einander vorbei, die einen ſin-
gen, die andern brummen eine Litaney, und wenn ſie
aneinander vorbeikommen, da begrüßen ſie ſich mit ihren
Fahnen und Heiligthümern und verſchwinden in ihren
Klöſtern. Im Dom war ich grade bei Sonnenuntergang,
da
[49] da malten ſich die bunten Fenſterſcheiben durch die Sonne
auf dem Boden ab, ich kletterte überall in dem Bau-
werk herum, und wiegte mich in den geſprengten Bögen.
Fr. Rath, das wär' Ihr recht gefährlich vorgekom-
men, wenn Sie mich vom Rhein aus in einer ſolchen
gothiſchen Roſe hätte ſitzen ſehen; es war auch gar kein
Spaß; ein paarmal wollte mich Schwindel antreten,
aber ich dachte: ſollte der ſtärker ſein wollen wie ich?
— und expreß wagt ich mich noch weiter. Wie die
Dämmerung eintrat da ſah ich in Deutz eine Kirche mit
bunten Scheiben von innen illuminirt, da tönte das
Geläut herüber, der Mond trat hervor und einzelne
Sterne. Da war ich ſo allein, rund um mich zwit-
ſcherte es in den Schwalbenneſtern, deren wohl tau-
ſende in den Geſimſen ſind, auf dem Waſſer ſah ich
einzelne Seegel ſich blähen. Die andern hatten unter-
deſſen den ganzen Kirchbau examinirt alle Monumente
und Merkwürdigkeiten ſich zeigen laſſen. Ich hatte da-
für einen ſtillen Augenblick, in dem meine Seele ge-
ſammelt war, und die Natur, auch alles was Menſchen-
hände gemacht haben und mich mit, in die feierliche
Stimmung des im Abendroth glühenden Himmels ein-
ſchmolz. — Verſteh' Sie das, oder verſteh' Sie es nicht,
es iſt mir einerlei. Ich muß Sie freilich mit meinen
I. 3
[50] überſichtigen Grillen behelligen, wem ſollt ich ſie ſonſt
mittheilen!
Das iſt auch noch eine Merkwürdigkeit von Köln;
die Betten die ſo hoch ſind, daß man einen Anlauf neh-
men muß, um hinein zu kommen; man kann immer
zwei, drei Verſuche machen ehe einer glückt; iſt man erſt
drinn, wie ſoll man da wieder herauskommen? ich dachte,
hier iſt gut ſein, denn ich war müde, und hatte mich
ſchon den ganzen Tag auf meine Träume gefreut, was
mir die beſcheeren würden; da kam mir auch, auf ihrem
goldnen Strom ein Kahn beladen und geſchmückt mit
Blumen aus dem Paradies entgegen, und ein Apfel den
mir der Geliebte ſchickte, den hab' ich auch gleich ver-
zehrt.
Wir haben am Sonntag ſo viel Rumpelkammern
durchſucht, Alterthümer, Kunſtſchätze betrachtet, ich hab'
alles mit großem Intereſſe geſehen. Ein Humpen, aus
dem die Kurfürſten gezecht, iſt ſchön, mit vier Henkel,
auf denen ſitzen Nymphen die ihre Füße im Wein ba-
den, mit goldnen Kronen auf dem Kopf die mit Edel-
ſteinen geziert ſind; um den Fuß windet ſich ein Drache
mit vier Köpfen, die die vier Füße bilden, worauf das Ganze
ſteht; die Köpfe haben aufgeſperrte Rachen die inwen-
dig vergoldet ſind, auf dem Deckel iſt Bachus von zwei
[51] Satyrn getragen, er iſt von Gold und die Satyrn von
Silber. So haben auch die Nymphen emaillirte Ge-
wande an. Der Trinkbecher iſt von Rubinglas, und
das Laubwerk was zwiſchen den Figuren ſich durchwin-
det iſt ſehr ſchön von Silber und Gold durcheinander
geflochten. — Dergleichen Dinge ſind viel, ich wollt'
Ihr blos den einen beſchreiben weil er ſo prächtig iſt,
und weil Ihr die Pracht wohlgefällt.
Adieu Frau Rath! — zu Schiff kamen wir herab,
und zu Wagen fuhren wir wieder zurück nach Bonn.
Bettine.
Ich will nicht lügen: wenn Sie die Mutter nicht
wär' die Sie iſt, ſo würd' ich auch nicht bei Ihr ſchrei-
ben lernen. Er hat geſagt, ich ſoll ihn vertreten bei
Ihr, und ſoll Ihr alles Liebe thun was er nicht kann,
und ſoll ſein gegen Sie, als ob mir all' die Liebe von
Ihr angethan wär' die er nimmer vergißt. — Wie ich
bei ihm war, da war ich ſo dumm und fragte ob er
Sie liebhabe, da nahm er mich in ſeinen Arm und
3*
[52] drückte mich an's Herz und ſagte: berühr eine Saite,
und ſie klingt, und wenn ſie auch in langer Zeit keinen
Ton gegeben hätte. Da waren wir ſtill und ſprachen
nichts mehr hiervon, aber jetzt hab' ich ſieben Briefe von
ihm, und in allen mahnt er mich an Sie; in einem
ſagt er: Du biſt immer bei der Mutter, das freut mich;
es iſt als ob der Zugwind von daher geblaſen habe,
und jetzt fühl ich mich geſichert und warm, wenn ich
Deiner und der Mutter gedenke; ich hab' ihm dagegen
erzählt, daß ich Ihr mit der Schere das Wachstuch
auf dem Tiſch zerſchnitten hab', und daß Sie mir auf
die Hand geſchlagen hat, und hat geſagt: grad' wie
mein Sohn — auch alle Unarten haſt Du von ihm! —
Von Bonn kann ich nichts erzählen, da war's wie-
der einmal ſo, daß man alles empfindet aber nichts da-
bei denkt; wenn ich mich recht beſinne, ſo waren wir
im botaniſchen Garten, grad' wie die Sonn' unterging;
alle Pflanzen waren ſchon ſchlaftrunken, die Siebenberg
waren vom Abendroth angehaucht, es war kühl, ich
wickelte mich in den Mantel und ſetzt' mich auf die Mauer,
mein Geſicht war vom letzten Sonnenſtrahl vergoldet,
beſinnen macht ich mich nicht, das hätt' mich traurig
gemacht in der gewaltigen verſtummten Natur. Da
ſchlief ich ein, und da ich erwachte (ein großer Kä-
[53] fer hat mich geweckt) da war's Nacht und recht kalt.
Am andern Tag ſind wir wieder hier eingetroffen.
Adieu Fr. Rath, es iſt ſchon ſo ſpät in der Nacht,
und ich kann gar nicht ſchlafen.
Bettine.
Das kann ich nicht von Dir leiden, daß Du die
Nächte verſchreibſt und nicht verſchläfſt, das macht
dich melancholiſch und empfindſam, wollt ich drauf ant-
worten, bis mein Brief ankäm', da iſt ſchon wieder an-
der Wetter. Mein Sohn hat geſagt: was einem drückt,
das muß man verarbeiten, und wenn er ein Leid gehabt
hat, da hat er ein Gedicht draus gemacht. — Ich hab'
Dir geſagt, Du ſollſt die Geſchichte von der Günderode
aufſchreiben, und ſchick' ſie nach Weimar, mein Sohn
will es gern haben, der hebt ſie auf, dann drückt ſie
Dich nicht mehr.
Der Menſch wird begraben in geweihter Erd', ſo
ſoll man auch große und ſeltne Begebenheiten begraben
in einen ſchönen Sarg der Erinnerung, an den ein je-
der hintreten kann und deſſen Andenken feiern. Das
[54] hat der Wolfgang geſagt, wie er den Werther geſchrie-
ben hat; thues ihm zu Lieb' und ſchreib's auf.
Ich will Dir gern ſchreiben, was meine arme Fe-
der vermag, weil ich Dir Dank ſchuldig bin; eine Frau
in meinem Alter, und ein junges feuriges Mädchen, das
lieber bei mir bleibt und nach nichts anderm frägt, ja
das iſt Dankenswerth; ich hab's nach Weimar geſchrie-
ben. Wann ich ihm von Dir ſchreib', da antwortet er
immer auf der Stell'; er ſagt, daß Du bei mir aus-
hältſt, das ſei ihm ein Troſt. — Adieu, bleib' nicht zu
lang' im Rheingau; die ſchwarzen Felswände, an de-
nen die Sonne abprallt, und die alten Mauern die ma-
chen Dich melancholiſch.
Deine Freundin Eliſabeth.
Der Moritz Bethmann hat mir geſagt, daß die
Staël mich beſuchen will; ſie war in Weimar, da wollt',
ich, Du wärſt hier, da werd' ich mein Franzöſiſch recht
zuſammen nehmen müſſen.
Diesmal hat Sie mir's nicht recht gemacht, Frau
Rath; warum ſchickt Sie mir Goethe's Brief nicht? —
[55] Ich hab' ſeit dem 13. Auguſt nichts von ihm, und jetzt
haben wir ſchon Ausgang September. Die Staël mag
ihm die Zeit verkürzt haben, da hat er nicht an mich
gedacht. Eine berühmte Frau iſt was kurioſes, keine
andre kann ſich mit ihr meſſen, ſie iſt wie Branntwein,
mit dem kann ſich das Korn auch nicht vergleichen, aus
dem er gemacht iſt. So Branntwein bitzelt auf der
Zung', und ſteigt in den Kopf, das thut eine berühmte
Frau auch; aber der reine Waizen iſt mir doch lieber,
den ſäet der Säemann in die gelockerte Erd', die liebe
Sonne und der fruchtbare Gewitterregen locken ihn wie-
der heraus, und dann übergrünt er die Felder, und
trägt goldne Ähren, da giebt's zuletzt noch ein luſtig'
Erndtefeſt; ich will doch lieber ein einfaches Waizen-
korn ſein als eine berühmte Frau, und will auch lieber,
daß Er mich als tägliches Brod breche, als daß ich ihm
wie ein Schnaps durch den Kopf fahre. — Jetzt will
ich Ihr nur ſagen, daß ich geſtern mit der Staël zu
Nacht gegeſſen hab' in Mainz; keine Frau wollt neben
ihr ſitzen bei Tiſch', da hab' ich mich neben ſie geſetzt;
es war unbequem genug, die Herren ſtanden um den
Tiſch und hatten ſich alle hinter uns gepflanzt, und
einer drückte auf den andern, um mit ihr zu ſprechen,
und ihr in's Geſicht zu ſehen; ſie bogen ſich weit über
[56] mich; ich ſagte: „Vos Adorateurs me suffoquent,” ſie
lachte. — Sie ſagte, Goethe habe mit ihr von mir ge-
ſprochen; ich blieb gern ſitzen, denn ich hätte gern ge-
wußt, was er geſagt hat, und doch war mir's unrecht,
denn ich wollt' lieber, er ſpräch' mit niemand von mir;
und ich glaub's auch nicht, — ſie mag nur ſo geſagt
haben; — es kamen zuletzt ſo viele, die alle über mich
hinaus mit ihr ſprechen wollten, daß ich's gar nicht län-
ger konnte aushalten; ich ſagt' ihr: „Vos lauriérs me
pesent trop fort sur les épaules. Und ich ſtand auf und
drängt' mich zwiſchen den Liebhabern durch; da kam der Sis-
mondi, ihr Begleiter, und küßt' mir die Hand, und ſagte, ich
hätte viel Geiſt und ſagt's den andern, und ſie repetirten es
wohl zwanzigmal, als wenn ich ein Prinz wär'; von
denen findet man auch immer alles ſo geſcheut, wenn
es auch das gewöhnlichſte wär'. — Nachher hört' ich
ihr zu, wie ſie von Goethe ſprach; ſie ſagte, ſie habe
erwartet, einen zweiten Werther zu finden, allein ſie
habe ſich geirrt, ſo wohl ſein Benehmen wie auch ſeine
Figur paſſe nicht dazu, und ſie bedauerte ſehr, daß er
ihn ganz verfehle; Fr. Rath, ich wurd' zornig über dieſe
Reden, („das war überflüſſig,“ wird Sie ſagen) ich
wendt' mich an Schlegel, und ſagt' ihm auf Deutſch:
die Fr. Staël hat ſich doppelt geirrt, einmal in der Er-
[57] wartung, und dann in der Meinung; Wir Deutſchen
erwarten, daß Goethe zwanzig Helden aus dem Ärmel
ſchüttlen kann, die den Franzoſen ſo imponiren, Wir
meinen, daß er ſelbſt aber noch ein ganz andrer Held
iſt. — Der Schlegel hat unrecht, daß er ihr keinen beſ-
ſern Verſtand hierüber beigebracht hat. Sie warf ein
Lorbeerblatt, womit ſie geſpielt hatte, auf die Erde; ich
trat [drauf] und ſchubſte es mit dem Fuß auf die Seite
und ging fort. — Das war die Geſchicht' mit der be-
rühmten Frau; hab' Sie keine Noth mit ihrem franzö-
ſiſch, ſprech' Sie die Fingerſprach mit ihr, und mache
Sie den Commentar dazu mit ihren großen Augen, das
wird imponiren; die Staël hat ja einen ganzen Amei-
ſenhaufen Gedanken im Kopf, was ſoll man ihr noch
zu ſagen haben? Bald komm' ich nach Frankfurt, da
können wir's beſſer beſprechen.
Hier iſt's ſehr voll von Rheingäſten; wenn ich Morgens
durch den dicken Nebel einen Nachen hervorſtechen ſeh', da
lauf' ich an's Ufer und wink' mit dem Schnupftuch, immer
ſind's Freunde oder Bekannte; vor ein paar Tagen waren
Wir in Nothgottes, da war eine große Wallfahrt, der
ganze Rhein war voll Nachen, und wenn ſie anlande-
ten, ward eine Prozeſſion draus, und wanderten ſingend
eine jede ihr eigen Lied, neben einander hin; das war
3**
[58] ein Schariwari, mir war Angſt, es möcht' unſerm Herr-
gott zu viel werden; ſo kam's auch: er ſetzte ein Ge-
witter dagegen und donnerte laut genug, ſie haben ihn
übertäubt, aber der gewaltige Regenguß hat die lieben
[Wallfahrter] aus einander gejagt, die da im Gras la-
gen, wohl tauſende und zechten; — ich hab' grad' kei-
nen empfindſamen Reſpekt vor der Natur, aber ich
kann's doch nicht leiden, wenn ſie ſo beſchmutzt wird
mit Papier und Wurſtzipfel und zerbrochnen Tellern und
Flaſchen, wie hier auf dem großen grünen Plan, wo
das Kreuz zwiſchen Linden aufgerichtet ſteht, wo der
Wandrer, den die Nacht überraſcht, gern Nachtruhe hält
und ſich geſchützt glaubt durch den geweihten Ort. —
Ich kann Ihr ſagen, mir war ganz unheimlich; ich bin
heut noch caput. Ich ſeh' lieber die Lämmer auf dem
Kirchhof weiden, als die Menſchen in der Kirch'; und
die Lilien auf dem Feld', die ohne zu ſpinnen, doch vom
Thau genährt ſind, — als die langen Prozeſſionen drü-
ber ſtolpern, und ſie im ſchönſten Flor zertreten. Ich
ſag' Ihr gute Nacht, heut hab' ich bei Tag geſchrieben.
Bettine.
[59]
Koſtbare Pracht und Kunſtwerke, in Köln und auf
der Reiſe dahin geſehen, und für meine liebſte
Fr. Rath beſchrieben.
Geb' Sie Achtung damit Sie es recht verſteht, denn
ich hab' ſchon zweimal vergeblich verſucht eine gutge-
ordnete Darſtellung davon zu machen.
Ein großer Tafelaufſatz der mir die ganze Zeit im
Kopf herumſpukt, und den mir deucht im großen Ban-
ketſaal der Kurfürſtlichen Reſidenz geſehen zu haben;
er beſteht aus einer ovalen fünf bis ſechs Fuß langen chri-
ſtallenen Platte einen See vorſtellend, in Wellen ſanft
geſchliffen die ſich gegen die Mitte hin mehr und mehr
heben, und endlich ganz hoch ſteigen, wo ſie einen ſil-
bernen Fels mit einem Throne umgeben auf welchem
die Venus ſitzt; ſie hat ihren Fuß auf den Rücken eines
Tritonen geſtemmt, der einen kleinen Amor auf den
Händen balancirt; rundum ſpritzt ſilberner Schaum,
auf den höchſten Wellen umher reiten muthige Nym-
phen, ſie haben Ruder in Händen um die Wellen zu peit-
ſchen, ihre Gewande ſind emaillirt, meiſtens blasblau oder
ſeegrün, auch gelblich; ſie ſcheinen in einem übermüthi-
gen jauchzenden Waſſertanz begriffen; etwas tiefer, ſil-
[60] berne Seepferde von Tritonen gebändigt und zum Theil
beritten; alles in Silber und Gold getrieben mit email-
lirten Verzierungen. Wenn man in den hohlen Fels
Wein thut, ſo ſpritzt er aus Röhrchen in regelmäßigen
feinen Strahlen rund um die Venus empor, und fließt
in ein verborgnes Becken unter dem Fels; das iſt die
hohe Mittelgruppe. Näher am Ufer liegen bunte Mu-
ſcheln, zwiſchen den Wellen, und emaillirte Waſſerlilien;
aus ihren Kelchen ſteigen kleine Amoretten empor die
mit geſpanntem Bogen einander beſchießen, zwiſchen
durch flüchten Seeweibchen mit Fiſchſchweifen von See-
männchen mit ſpitzen Bärten verfolgt, und an ihren
Schilfkränzen erhaſcht oder mit Netzen eingefangen. Auf
der andern Seite ſind Seeweibchen die einen kleinen
Amor in der Luft gefangen halten und ihn unter die
Wellen ziehen wollen, er wehrt ſich und ſtemmt ſein
Füßchen der einen auf die Bruſt während die andre ihn
an den bunten Flügeln hält; dieſe Gruppe iſt ganz
köſtlich und ſehr luſtig; der Amor iſt ſchwarz von Am-
bra, die Nymphen ſind von Gold mit emaillirten Krän-
zen. Die Gruppen ſind vertheilt in beiden Halbovalen,
alles emaillirt mit blau, grün, roth, gelb, lauter helle
Farben; viele Seeungeheuer gucken zwiſchen den chriſtall-
nen Wellen hervor mit aufgeſperrtem Rachen; ſie ſchnap-
[61] pen nach den fliehenden Nymphen, und ſo iſt ein bun-
tes Gewirr von luſtiger, glitzernder Pracht über das
ganze verbreitet; aus deſſen Mitte der Fels mit der Ve-
nus emporſteigt; am einen Ende der Platte, wo ſonſt
gewöhnlich die Handhabe iſt: ſitzt etwas erhaben gegen
den Zuſchauer der berühmte Cyklop-Polyphem der die Ga-
lathee in ſeinen Armen gefangen hält; er hat ein gro-
ßes Aug' auf der Stirn, ſie ſieht ſchüchtern herab auf
die Schafheerde die zu beiden Seiten gelagert iſt, wo-
durch die Gruppe ſich in einen ſanften Bogen mit zwei
Lämmern, welche an beiden Enden liegen und ſchlafen,
abſchließt. Jenſeits ſitzt Orpheus, auch gegen die Zu-
ſchauer gewendet; er ſpielt die Leier, ein Lorbeerbaum
hinter ihm, auf deſſen ausgebreiteten goldnen Zweigen
Vögel ſitzen; Nymphen haben ſich herbeigeſchlichen mit
Rudern in der Hand, ſie lauſchen; dann ſind noch al-
lerlei Seethiere bis auf zwei Delphine, die auf beiden
Seiten die Gruppe wie jenſeits in einem ſanften Bogen
abſchließen; ſehr hübſch iſt ein kleiner Affe der ſich einen
Sonnenſchirm von einem Blatt gemacht hat, zu Orpheus
Füßen ſitzt und ihm zuhört. — Das iſt wie Sie leicht
denken kann ein wunderbares Prachtſtück; es iſt ſehr
reich und doch erhaben; und ich könnte ihr noch eine
halbe Stunde über die Schönheit der einzelnen Figuren
[62] vorſchwätzen. Gold und Silber macht mir den Eindruck
von etwas heiligem; ob dies daher kommt, weil ich im
Kloſter immer die goldnen und ſilbernen Meßgeſchirre,
und den Kelch gewaſchen habe, den Weihrauchkeſſel ge-
putzt, und die Altarleuchter vom abträuflenden Wachs
gereinigt, alles mit einer Art Ehrfurcht berührt habe?
ich kann Ihr nur ſagen, daß uns beim Betrachten die-
ſes reichen und künſtlichen Werkes eine feierliche Stim-
mung befiel.
Jetzt beſchreib' ich Ihr aber noch etwas Schönes,
das gefällt mir in der Erinnerung noch beſſer, und die
Kunſtkenner ſagen auch es habe mehr Styl; das iſt ſo
ein Wort, wenn ich frage was es bedeutet, ſagt man:
Wiſſen Sie nicht was Styl iſt? — und damit muß ich
mich zufrieden geben, hierbei hab' ich's aber doch aus-
gedacht. Alles große Edle muß einen Grund haben
warum es edel iſt: Wenn dieſer Grund rein ohne Vor-
urtheil ohne Pfuſcherei von Nebendingen und Abſichten,
die einzige Baſis des Kunſtwerks iſt: das iſt der reine
Styl. Das Kunſtwerk muß grade nur das ausdrücken,
was die Seele erhebt und edel ergötzt und nicht mehr.
Die Empfindung des Künſtlers muß allein darauf ge-
richtet ſein, das übrige iſt falſch. In den kleinen Ge-
dichten vom Wolfgang iſt die Empfindung aus einem
[63] Guß, und was er da ausſpricht, daß erfüllt reichlich
eines jeden Seele mit derſelben edlen Stimmung. In
allen liegt es, ich will Ihr aber nur dies kleinſte zitiren,
das ich ſo oft mit hohem Genuß in den einſamen Wäl-
dern geſungen habe, wenn ich allein von weitem Spa-
zierwegen nach Hauſe ging.
Im Kloſter hab' ich viel predigen hören, über den
Weltgeiſt und die Eitelkeit aller Dinge, ich habe ſelbſt,
den Nonnen die Legende Jahr aus Jahr ein vorgele-
ſen, weder der Teufel noch die Heiligen haben bei mir
Eindruck gemacht, ich glaub' ſie waren nicht vom reinen
Styl; ein ſolches Lied aber erfüllt meine Seele mit der
lieblichſten Stimmung, keine Mahnung, keine weiſe Leh-
ren könnten mir je ſo viel Gutes einflößen; es befreit
mich von aller Selbſtſucht, ich kann andern alles geben,
und gönne ihnen das beſte Glück, ohne für mich ſelbſt
etwas zu verlangen; das macht weil es vom reinen ed-
len Styl iſt. So könnte ich noch manches ſeiner Lieder
[64] herſetzen die mich über alles erheben, und mir einen Ge-
nuß ſchenken der mich in mir ſelber reich macht. Das
Lied: Die ſchöne Nacht hab' ich wohl hundertmal
dies Jahr auf ſpätem Heimweg geſungen:
Wie war ich da glücklich und heiter in dieſem Früh-
jahr wie die Birken, während meinem Geſang rund um
mich her der eilenden Luna wirklich ihren duftenden
Weihrauch ſtreuten. Es ſoll mir keiner ſagen, daß rei-
ner Genuß nicht Gebet iſt. Aber in der Kirche iſt's mir
noch nimmer gelungen, da hab' ich geſeufzt vor ſchwe-
rer Langenweile, die Predigt war wie Blei auf meinen
Augenliedern. O je, wie war mir leicht wenn ich aus
der Kloſterkirche in den ſchönen Garten konnte ſpringen,
da war mir der geringſte Sonnenſtrahl eine beſſre Er-
leuchtung als die ganze Kirchengeſchichte.
Das zweite Kunſtwerk welches ich Ihr beſchreibe,
iſt ein Delphin aus einem großen Elephantenzahn ge-
macht; er ſperrt ſeinen Rachen auf in den ihm zwei
Amoretten das Gebiß einlegen; ein andrer der auf dem
Nacken des Delphins ſitzt, nimmt von beiden Seiten
den Zaum; auf der Mitte des Rückens liegt ein gold-
[65] ner Sattel mit einem Sitz von getriebener Arbeit, wel-
ches Laubwerk von Weinreben vorſtellt; inmitten deſ-
ſelben, ſteht Bacchus von Elfenbein; ein ſchöner, zarter,
ſchlanker Jüngling mit goldnen Haaren und einer phry-
chiſchem Mütze auf; er hat die eine Hand in die Seite
geſtemmt, mit der andern hält er einen goldnen Rebſtock
der unter dem Sattel hervorkömmt, und ihn mit ſchö-
nem, feinem Laub überdacht; auf beiden Seiten des Sat-
tels ſind zwei Muſcheln angebracht wie Tragkörbe, darin
ſitzen zwei Nymphen von Elfenbein in jedem, und bla-
ſen auf Muſcheln; die breiten Floßfedern, ſo wie der
Schwanz des Fiſches ſind von Gold und Silber gear-
beitet; unmittelbar hinter dem Sattel ſchlängelt ſich der
Leib des Fiſches aufwärts als ob er mit dem Schweif
in die Lüfte ſchnalzte; auf dem Bug deſſelben ſitzt ein
zierliches Nymphchen, und klatſcht in die Hände; dieſes
kommt etwas höher zu ſtehen, und ſieht über die Gruppe
des Bacchus herüber; die Floßfedern des Schweifes bil-
den ein zierliches Schattendach über der Nymphe; der
Rachen des Fiſches iſt inwendig von Gold; man kann
ihn auch mit Wein füllen, der dann in zwei Strahlen
aus ſeinen Nüſtern empor ſpringt; man ſtellte dieſes
Kunſtwerk bei großen Feſten in einem goldnen Becken
auf den Nebentiſchen auf. Dieſes iſt nun ein Kunſt-
[66] werk vom erhabenen Styl, und ich kann auch ſagen,
daß es mich ganz mit ſtummer heiliger Ehrfurcht er-
füllte. Noch viele dergleichen ſind da; alles hat Be-
zug auf den Rhein, unter andern ein Schiff von Ce-
dernholz, ſo fein gemacht, mit ſchönen Arabesken; ein
Basrelief umgiebt den Obertheil des Schiffes, auf deſſen
Verdeck die drei Kürfürſten von Kölln, Mainz und Trier
ſitzen und zechen; Knappen ſtehen hinter ihnen mit Hen-
kelkrügen. Dies hat mir nicht ſo viel Freud' gemacht,
obſchon viel Schönes daran iſt, beſonders die Glücks-
göttin, die am Vordertheil des Schiffes angebracht iſt.
Ich beſchreib' Ihr noch einen Humpen, das iſt ein
wahres Meiſterſtück und ſtellt eine Kelter vor. In der
Mitte ſteht ein hohes Faß, das iſt der eigentliche Hum-
pen; auf beiden Seiten klettern in zierlichen Verſchlin-
gungen Knaben hinauf mit Butten voll Trauben über
die Schultern von Männern, um an den Rand zu ge-
langen und ihre Trauben auszuſchütten; in der Mitte,
als Knopf des Deckels der etwas tief in den Rand des
Humpens paßt, ſteht Bacchus mit zwei Tigern die an
ihm hinanſpringen; er iſt im Begriff die Trauben, deren
gehäufte Menge mit einzelnen Ranken dazwiſchen, den
Deckel bilden, mit den Füßen zu keltern. Die Knaben
die von allen Seiten herüberreichen um ihre Gefäße mit
[67] Trauben auszuleeren, bilden einen wunderſchönen Rand;
die ſtarken Männer am Fuß der Kelter, die die kleinen
Knaben auf ihre Schultern heben und auf mannigfache
Weiſe heraufhelfen, ſind ganz außerordentlich herrlich,
nackt, einem oder dem andern hängt ein Tigerfell über
den Rücken, ſonſt ganz ungeniert. Am Humpen ſieht
man auf einer Seite das mainzer Wappen, auf der
andern das von Köln.
Der ganze Humpen ſteht auf einem Aufſatz der wie
ein ſanfter Hügel geſtaltet iſt; auf dieſem ſitzen und
liegen Nymphen im Kreis; ſie ſpielen mit Tamburinen,
Becken, Triangel, andre liegen und balgen ſich mit
Leoparden, die ihnen über die Köpfe ſpringen; es iſt
gar zu ſchön. — Das hab' ich Ihr nun beſchrieben,
aber hätte Sie es erſt geſehen, Sie würde vor Verwun-
derung laut aufgeſchrieen haben. Was überfällt einem
nur, wenn man ſo etwas von Menſchenhänden gemacht
ſieht? Mir rauchte der Kopf, und ich meinte in der
trunkenen Begeiſtrung ich werde keine Ruhe finden,
wenn ich nicht auch ſolche ſchöne Sachen erfinden und
machen könne. Aber wie ich hinaus kam und es war
Abend geworden, und die Sonne ging ſo ſchön unter,
da vergaß ich alles, blos um mit den letzten Strahlen
der Sonne meine Sinne in dem kühlen Rhein zu baden.
[68]
Eine Mutter giebt ſich alle erdenkliche Mühe ihr
kleines unverſtändiges Kindchen zufrieden zu ſtellen, ſie
kömmt ſeinen Bedürfniſſen zuvor und macht ihm aus
allem ein Spielwerk; wenn es nun auf nichts hören
will und mit nichts ſich befriedigen läßt: ſo läßt ſie
es ſeine Unart ausſchreien bis es müde iſt, und dann
ſucht ſie es wieder von neuem mit dem Spielwerk ver-
traut zu machen. Das iſt grade wie es Gott mit den
Menſchen macht: er giebt das Schönſte um den Men-
ſchen zur Luſt, zur Freude zu reizen, und ihm den Ver-
ſtand dafür zu ſchärfen. — Die Kunſt iſt ein ſo ſchönes
Spielwerk, um den unruhigen, ewig begehrenden Men-
ſchengeiſt auf ſich ſelbſt zurück zu führen, um ihn den-
ken zu lehren und ſehen; um Geſchicklichkeit zu erwer-
ben, die ſeine Kräfte weckt und ſteigert. Er ſoll lernen
ganz der Unſchuld ſolcher Erfindung ſich hingeben, und
vertrauen auf die Luſt und das Spiel der Phantaſie,
die ihn zum Höchſten auszubilden und zu reifen ver-
mag. Gewiß liegen in der Kunſt große Geheimniſſe
höherer Entwicklung verborgen; ja ich glaub' ſogar,
daß alle Neigungen von denen die Philiſter ſagen, daß
ſie keinen nützlichen Zweck haben, zu jenen myſtiſchen
gehören die den Keim zu großen, in dieſem Leben noch
unverſtändlichen Eigenſchaften in unſre Seele legen;
[69] welche dann im nächſten Leben als ein höherer In-
ſtinkt aus uns hervorbrechen, der einem geiſtigeren Ele-
ment angemeſſen iſt. —
Die Art wie jene in Gold und Silber getriebne
Kunſtwerke aufgeſtellt ſind, iſt auch zu bewundern und
trägt ſehr dazu bei, dieſelben ſowohl in ihrer Pracht
mit einem Blick zu überſchauen, als auch ein jedes ein-
zelne bequem zu betrachten. Es iſt eine Wand von
ſchwarzem Ebenholz mit tiefen Caſſetten, in der Mitte
der Wand eine große, in welcher das Hauptſtück ſteht,
auf beiden Seiten kleinere, in denen die anderen Kunſt-
werke, als: Humpen, Becher ꝛc. ꝛc. ſtehen. An jeder
Caſſette hebt ſich durch den Druck einer Feder der Bo-
den heraus und läßt das Kunſtwerk von allen Sei-
ten ſehen.
Noch eines Bechers gedenke ich, von Bronze, eine
echte Antike wie man behauptet: und man muß es
wohl glauben, weil er ſo einfach iſt und doch ſo ma-
jeſtätiſch. Ein Jüngling: wahrſcheinlich Ganymed, ſitzt
nachläſſig auf einem Stein, der Adler auf der Erde
zwiſchen ſeinen Knieen breitet beide Flügel aus, als
wolle er ihn damit ſchlagen, und legt den ausgeſtreck-
ten Kopf auf des Jünglings Bruſt, der auf den Adler
herabſieht, während er die Ärme emporhebt und mit
[70] beiden Händen ein herrliches Trinkgefäß hält, was den
Becher bildet. Kann man ſich was Schöneres den-
ken? — Nein! Der wilde Adler, der ganz leidenſchaft-
lich den ruhigen Jüngling gleichſam anfällt und doch
an ihm ausruht, und jener, der ſo ſpielend den Becher
emporhebt, iſt gar zu ſchön, und ich hab' allerlei dabei
gedacht. Eine andre Wand will ich Ihr noch beſchreiben
und dann zu Bette gehn, denn ich bin müde; ſtell Sie
ſich ein goldnes Honigwaben vor, aus dem die ganze
Wand beſteht, lauter achteckige goldne Zellen, in jeder
ein andrer Heiliger zierlich, ja wahrhaft reizend in
Holz geſchnitzt, mit ſchönen Kleidern angethan, in bun-
ter Farbe gemalt; in der Mitte wo die Zelle für den
Bienenweiſel iſt, da iſt Chriſtus, auf beiden Seiten die
vier Evangeliſten, dann rund umher die Apoſtel, dann
die Erzväter, endlich die Märtyrer, zuletzt die Einſiedler.
Dieſe Wand hab' ich in Oberweſel als Hauptaltar in
der Kirche aufgeſtellt geſehen; es iſt keine Figur die man
nicht gleich als ſchönes, naives, in ſeiner Art eigenthüm-
liches Bild abmalen könnte. Adieu Frau Rath, ich muß
abbrechen, ſonſt könnte der Tag heran kommen über mei-
nem extemporiren.
Bettine.
[71]
Die Beſchreibung von Deinen Prachtſtücken und
Koſtbarkeiten hat mir recht viel Plaiſir gemacht; wenn's
nur auch wahr iſt, daß Du ſie geſehen haſt, denn in
ſolchen Stücken kann man Dir nicht wenig genug
trauen. Du haſt mir ja ſchon manchmal hier auf
Deinem Schemel die Unmöglichkeiten vorerzählt, denn
wenn Du, mit Ehren zu melden, in's Erfinden geräthſt,
dann hält Dich kein Gebiß und kein Zaum. — Ei,
mich wundert's, daß Du noch ein End' finden kannſt
und nicht in einem Stück fortſchwäzſt, blos um ſelbſt
zu erfahren, was alles noch in Deinem Kopf ſteckt.
Manchmal mein ich aber doch es müßt wahr ſein, weil
Du alles ſo natürlich vorbringen kannſt. Wo ſollteſt
Du auch alles herwiſſen? — Es iſt aber doch kurios,
daß die Kurfürſten immer mit Fiſch und Waſſernymphen
zu thun haben; auf der Krönung hab' ich in den Sil-
berkammern auch ſolche Sachen geſehen, da war ein
Springbrunnen von Silber mit ſchönen Figuren, da
ſprang Wein heraus, der wurde zur Pracht auf die
Tafel geſtellt. Und einmal hat der Kurfürſt von der
Pfalz ein Fiſchballet aufführen laſſen, da tanzten die
[72] Karpfen, prächtig in Gold und Silberſchuppen ange-
than, aufrecht einen Menuet. Nun, Du haſt das alles
allein geſehen, ſolche Sachen die man im Kopf ſieht,
die ſind auch da und gehören ins himmliſche Reich, wo
nichts einen Körper hat, ſondern nur alles im Geiſt
da iſt.
Mach doch daß Du bald wieder herkommſt, Du
haſt den ganzen Sommer verſchwärmt, mir iſt es gar
nicht mehr drum zu thun mit dem Schreiben, und ich
hab' Dich auch ſo lange nicht geſehen, es verlangt mich
recht nach Dir.
Deine wahre Herzensfreundin
Goethe.
Frau Rath, den ganzen Tag bin ich nicht zu Hauſ',
aber wenn ich an Sie ſchreib', dann weiß ich, daß ich
eine Heimath habe; es iſt die Zeit, daß die Leut' Feld-
götter im Weinberg aufſtellen, um die Sperlinge von
den Trauben zu ſcheuchen; heut' morgen konnt' ich nicht
begreifen, was für ein wunderbarer Beſuch ſich ſo früh
im Weingarten aufhalte, der mir durch den dicken Ne-
bel ſchimmerte; ich dachte erſt, es wär' der Teufel, denn
er
[73] er hat einen ſcharlachrothen Rock und ſchwarze Unter-
kleider und goldpapierne Mütze; und am Abend in der
Dämmerung fürchtete ich mich dran vorbeizugehen, und
zwar ſo ſehr, daß ich wieder umkehrte und nicht bis
an's Waſſer ging, wie ich jeden Abend thue; und wie
ich wieder im Zimmer war, da dachte ich, wenn mich
jemand Liebes dort hinbeſtellt hätte, ſo würd' ich wohl
nichts von Furcht geſpürt haben; ich ging alſo noch
einmal und glücklich an dem Lumpengeſpenſt vorbei,
denn dort wartet ja wohl etwas Liebes auf mich; die
ſtille weit verbreitete Ruhe über dem breiten Rhein,
über den brütenden Weinbergen, wem vergleiche ich die
wohl, als dem ſtillen, ruhigen Abend, in dem mein An-
denken ihm einen freundlichen Beſuch macht, und er
ſich's gefallen läßt, daß das Schifflein mit meinen kin-
diſchen Gedanken bei ihm anlande; was ich in ſo ein-
ſamer Abendſtunde, wo die Dämmerung mit der Nacht
tauſcht, denke, das kann Sie ſich am beſten vorſtellen,
da wir es tauſendmal mit einander beſprochen haben,
und haben ſo viel Ergötzen dabei gehabt. Wenn wir
mit einander zu ihm gereiſt kämen, das denk' ich mir
immer noch aus. — Damals hatte ich ihn noch nicht
geſehen, wie Sie meiner heißen Sehnſucht die Zeit da-
mit vertrieb, daß Sie mir ſeine freudige Überraſchung
I. 4
[74] malte und unſer Erſcheinen unter tauſenderlei Verände-
rungen; — jetzt kenne ich ihn und weiß, wie er lächelt
und den Ton ſeiner Stimme, wie die ſo ruhig iſt und
doch voll Liebe, und ſeine Ausrufungen, wie die ſo aus
dem tiefen Herzen anſchwellen, wie der Ton im Geſang;
und wie er ſo freundlich beſchwichtigt und bejaht, was
man im Herzensdrang unordentlich herausſtürmt; —
wie ich im vorigen Jahr ſo unverhofft wieder mit ihm
zuſammentraf, da war ich ſo außer mir, und wollte
ſprechen und konnte mich nicht zurecht finden; da legt'
er mir die Hand auf den Mund und ſagt': Sprech'
mit den Augen, ich verſteh' alles; und wie er ſah, daß
die voll Thränen ſtanden, ſo drückt' er mir die Augen
zu, und ſagte: Ruhe, Ruhe, die bekommt uns beiden
am beſten; — ja, liebe Mutter, die Ruhe war gleich
über mich hingegoſſen, ich hatte ja alles, wonach ich
ſeit Jahren mich einzig geſehnt habe. — O Mutter,
ich dank' es Ihr ewig, daß Sie mir den Freund in
die Welt geboren, — wo ſollt' ich ihn ſonſt finden!
Lach' Sie nicht da drüber, und denk' Sie doch, daß
ich ihn geliebt hab', eh' ich das Geringſte von ihm
wußt', und hätt' Sie ihn nicht geboren, wo er dann
geblieben wär', das iſt doch die Frage, die Sie nicht
beantworten kann.
[75]
Über die Günderode iſt mir am Rhein unmöglich
zu ſchreiben, ich bin nicht ſo empfindlich; aber ich bin
hier am Platz nicht weit genug von dem Gegenſtand
ab, um ihn ganz zu überſehen; — geſtern war ich da
unten, wo ſie lag; die Weiden ſind ſo gewachſen, daß
ſie den Ort ganz zudecken, und wie ich mir ſo dachte,
wie ſie voll Verzweiflung hier herlief, und ſo raſch das
gewaltige Meſſer ſich in die Bruſt ſtieß, und wie das
Tage lang in ihr gekocht hatte, und ich, die ſo nah
mit ihr ſtand, jetzt an demſelben Ort, gehe hin und her
an demſelben Ufer, in ſüßem Überlegen meines Glückes,
und alles und das Geringſte was mir begegnet, ſcheint
mir, mit zu dem Reichthum meiner Seeligkeit zu gehö-
ren; da bin ich wohl nicht geeignet, jetzt alles zu ord-
nen und den einfachen Faden unſeres Freundelebens,
von dem ich doch nur alles anſpinnen könnte, zu ver-
folgen. — Nein, es kränkt mich und ich mache ihr
Vorwürfe, wie ich ihr damals in Träumen machte,
daß ſie die ſchöne Erde verlaſſen hat; ſie hätt' noch
lernen müſſen, daß die Natur Geiſt und Seele hat
und mit dem Menſchen verkehrt, und ſich ſeiner und
ſeines Geſchickes annimmt, und daß Lebensverheißungen
in den Lüften uns umwehen; ja, ſie hat's böſ' mit mir
gemacht, ſie iſt mir geflüchtet, grade wie ich mit ihr
4*
[76] theilen wollte alle Genüſſe. Sie war ſo zaghaft; eine
junge Stiftsdame, die ſich fürchtete, das Tiſchgebet laut
herzuſagen; ſie ſagte mir oft, daß ſie ſich fürchtete,
weil die Reihe an ihr war; ſie wollte vor den Stifts-
damen das Benedicite nicht laut herſagen; unſer Zu-
ſammenleben war ſchön, es war die erſte Epoche, in
der ich mich gewahr ward; — ſie hatte mich zuerſt
aufgeſucht, in Offenbach, ſie nahm mich bei der Hand
und forderte, ich ſolle ſie in der Stadt beſuchen; nach-
her waren wir alle Tage beiſammen, bei ihr lernte ich
die erſten Bücher mit Verſtand leſen, ſie wollte mich
Geſchichte lehren, ſie merkte aber bald, daß ich zu ſehr
mit der Gegenwart beſchäftigt war, als daß mich die
Vergangenheit hätte lange feſſeln können; — wie gern
ging ich zu ihr! ich konnte ſie keinen Tag mehr miſſen,
ich lief alle Nachmittag zu ihr; wenn ich an die Thür
des Stift's kam, da ſah' ich durch das Schlüſſelloch,
bis nach ihrer Thür, bis mir aufgethan ward; — ihre
kleine Wohnung war ebner Erde nach dem Garten;
vor dem Fenſter ſtand eine Silberpappel, auf die klet-
terte ich während dem Vorleſen; bei jedem Kapitel er-
ſtieg ich einen höheren Aſt und las von oben herun-
ter; — ſie ſtand am Fenſter und hörte zu, und ſprach
zu mir hinauf, und dann und wann ſagte ſie: Bettine,
[77] fall' nicht; jetzt weiß ich erſt, wie glücklich ich in der
damaligen Zeit war, denn weil alles, auch das Ge-
ringſte ſich als Erinnerung von Genuß in mich geprägt
hat; — ſie war ſo ſanft und weich in allen Zügen,
wie eine Blondine. Sie hatte braunes Haar, aber
blaue Augen, die waren gedeckt mit langen Augen-
wimpern; wenn ſie lachte ſo war es nicht laut, es war
vielmehr ein ſanftes, gedämpftes Girren in dem ſich
Luſt und Heiterkeit ſehr vernehmlich ausſprach; — ſie
ging nicht, ſie wandelte, wenn man verſtehen will, was
ich damit auszuſprechen meine; — ihr Kleid war ein
Gewand, was ſie in [ſchmeichelnden] Falten umgab, das
kam von ihren weichen Bewegungen her; — ihr Wuchs
war hoch, ihre Geſtalt war zu fließend, als daß man
es mit dem Wort ſchlank ausdrücken könnte; ſie war
ſchüchtern-freundlich, und viel zu willenlos, als daß
ſie in der Geſellſchaft ſich bemerkbar gemacht hätte.
Einmal aß ſie bei dem Fürſt Primas mit allen Stifts-
damen zu Mittag; ſie war im ſchwarzen Ordenskleid
mit langer Schleppe und weißem Kragen mit dem Or-
denskreuz; da machte jemand die Bemerkung, ſie ſähe
aus wie eine Scheingeſtalt unter den andern Damen,
als ob ſie ein Geiſt ſei, der eben in die Luft zerfließen
werde. — Sie las mir ihre Gedichte vor und freute
[78] ſich meines Beifalls, als wenn ich ein großes Publikum
wär'; ich war aber auch voll lebendiger Begierde es
anzuhören; nicht als ob ich mit dem Verſtand das Ge-
hörte gefaßt habe, — es war vielmehr ein mir unbe-
kanntes Element, und die weichen Verſe wirkten auf
mich wie der Wohllaut einer fremden Sprache die einem
ſchmeichelt, ohne daß man ſie überſetzen kann. — Wir
laſen zuſammen den Werther, und ſprachen viel über
den Selbſtmord; ſie ſagte: recht viel lernen, recht viel
faſſen mit dem Geiſt, und dann früh ſterben; ich mag's
nicht erleben, daß mich die Jugend verläßt; wir laſen
vom [Jupiter] Olymp des Phidias, daß die Griechen von
dem ſagten, der Sterbliche ſei um das Herrlichſte betro-
gen, der die Erde verlaſſe, ohne ihn geſehen zu haben.
Die Günderode ſagte, wir müſſen ihn ſehen, wir wol-
len nicht zu den Unſeligen gehören, die ſo die Erde
verlaſſen. Wir machten ein Reiſeprojekt, wir erdachten
unſre Wege und Abentheuer, wir ſchrieben alles auf,
wir malten alles aus, unſre Einbildung war ſo geſchäf-
tig, daß wir's in der Wirklichkeit nicht beſſer hätten
erleben können; oft laſen wir in dem erfundenen Reiſe-
journal und freuten uns der allerliebſten Abentheuer,
die wir drinn erlebt hatten, und die Erfindung wurde
gleichſam zur Erinnerung, deren Beziehungen ſich noch
[79] in der Gegenwart fortſetzten. Von dem, was ſich in
der Wirklichkeit ereignete, machten wir uns keine Mit-
theilungen; das Reich, in dem wir zuſammentrafen,
ſenkte ſich herab wie eine Wolke, die ſich öffnete um
uns in ein verborgenes Paradies aufzunehmen; da war
alles neu, überraſchend, aber paſſend für Geiſt und
Herz; und ſo vergingen die Tage. Sie wollte mir
Philoſophie lehren, was ſie mir mittheilte, verlangte ſie
von mir aufgefaßt, und dann auf meine Art ſchriftlich
wiedergegeben; die Aufſätze, die ich ihr hierüber brachte,
las ſie mit Staunen; es war nie auch eine entfernte
Ahndung von dem, was ſie mir mitgetheilt hatte; ich
behauptete im Gegentheil, ſo hätt' ich es verſtanden; —
ſie nannte dieſe Aufſätze Offenbarungen, gehöht durch
die ſüßeſten Farben einer entzückten Imagination; ſie
ſammelte ſie ſorgfältig, ſie ſchrieb mir einmal: Jetzt ver-
ſtehſt Du nicht, wie tief dieſe Eingänge in das Berg-
werk des Geiſtes führen, aber einſt wird es Dir ſehr
wichtig ſein, denn der Menſch geht oft öde Straßen;
je mehr er Anlage hat durchzudringen, je ſchauerlicher
iſt die Einſamkeit ſeiner Wege, je endloſer die Wüſte.
Wenn Du aber gewahr wirſt, wie tief Du Dich hier
in den Brunnen des Denkens niedergelaſſen haſt und
wie Du da unten ein neues Morgenroth findeſt, und
[80] mit Luſt wieder heraufkömmſt und von Deiner tieferen
Welt ſprichſt, dann wird Dich's tröſten, denn die Welt
wird nie mit Dir zuſammenhängen, Du wirſt keinen
andern Ausweg haben als zurück durch dieſen Brun-
nen in den Zaubergarten Deiner Phantaſie; es iſt aber
keine Phantaſie, es iſt eine Wahrheit, die ſich nur
in ihr ſpiegelt. Der Genius benützt die Phantaſie,
um unter ihren Formen das göttliche, was der Men-
ſchengeiſt in ſeiner idealen Erſcheinung nicht faſſen
könnte, mitzutheilen oder einzuflößen; ja Du wirſt kei-
nen andern Weg des Genuſſes in Deinem Leben ha-
ben, als den ſich die Kinder verſprechen von Zauber-
höhlen, von tiefen Brunnen; wenn man durch ſie
gekommen ſo findet man blühende Gärten, Wunder-
früchte, kryſtallne Paläſte, wo eine noch unbegriffne
Muſik erſchallt, und die Sonne mit ihren Strahlen
Brücken baut, auf denen man feſten Fußes in ihr Cen-
trum ſpazieren kann; — das alles wird ſich Dir in die-
ſen Blättern zu einem Schlüſſel bilden, mit dem Du
vielleicht tief verſunkene Reiche wieder aufſchließen kannſt,
drum verliere mir nichts, und wehre auch nicht ſolchen
Reiz, der Dich zum Schreiben treibt, ſondern lerne mit
Schmerzen denken, ohne welche nie der Genius in den
Geiſt geboren wird; — wenn er erſt in Dich eingefleiſcht
[81] iſt, dann wirſt Du Dich der Begeiſtrung freuen, wie
der Tänzer ſich der Muſik freut.
Mit ſolchen wunderbaren Lehren hat die Günde-
rode die Unmündigkeit meines Geiſtes genährt. Ich
war damals bei der Großmutter in Offenbach, um auf
vier Wochen wegen meiner ſchwankenden Geſundheit
die Landluft zu genießen; auf welche Weiſe berührten
mich denn ſolche Briefe? — verſtand ich ihren In-
halt? — hatte ich einen Begriff von dem, was ich ge-
ſchrieben hatte? Nein; ich wußte mir ſo wenig den
Text meiner ſchriftlichen Begeiſtrungen auszulegen, als
ſich der Componiſt den Text ſeiner Erfindungen begreif-
lich machen kann; er wirft ſich in ein Element, was
höher iſt als er; es trägt ihn, es nährt ihn, ſeine Nah-
rung wird Inſpiration, ſie reizt, ſie beglückt, ohne daß
man ſie ſinnlich auszulegen vermöchte, obſchon die Fä-
higkeiten durch ſie geſteigert, der Geiſt gereinigt, die
Seele gerührt wird. So war es auch zwiſchen mir
und der Freundin: die Melodieen entſtrömten meiner
gereizten Phantaſie, ſie lauſchte und fühlte unendlichen
Genuß dabei, und bewahrte, was, wenn es mir geblie-
ben wär', nur ſtörend auf mich gewirkt haben würde; —
ſie nannte mich oft die Sibylle, die ihre Weiſſagungen
nicht bewahren dürfe; ihre Aufforderungen reizten mich,
4**
[82] und doch hatte ich eine Art Furcht; mein Geiſt war
kühn und mein Herz war zaghaft; ja, ich hatte ein
wahres Ringen in mir; — ich wollte ſchreiben, ich ſah
in ein unermeßliches Dunkel, ich mußte mich auch äußer-
lich vom Licht entfernen; am liebſten war mir, wenn
ich die Fenſter verhing und doch durch ſah, daß draußen
die Sonne ſchien; ein Blumenſtrauß, deſſen Farben ſich
durch die Dämmerung ſtahlen, der konnte mich feſſeln
und von der innern Angſt befreien, ſo daß ich mich
vergaß, während ich in die ſchattigflammenden Blumen-
kelche ſah, und Duft und Farbe und Formen gleichſam
ein Ganzes bildeten; Wahrheiten hab' ich da erfahren,
von denen ich ausging in meinen Träumereien und die
mir plötzlich den gebundnen Geiſt löſten, daß ich ruhig
und gelaſſen das, was mir ahndete, faſſen und aus-
ſprechen konnte; — indem ich den Blumenſtrauß der
nur durch eine Spalte im Fenſterladen erleuchtet war
betrachtete, erkannte ich die Schönheit der Farbe, das
Übermächtige der Schönheit; die Farbe war ſelbſt ein
Geiſt, der mich anredete wie der Duft und die Form
der Blumen; — das erſte, was ich durch ſie vernahm,
war, daß alles in den Naturgebilden durch das Gött-
liche erzeugt ſei, daß Schönheit der göttliche Geiſt ſei,
im Mutterſchoos der Natur erzeugt; daß die Schönheit
[83] größer ſei wie der Menſch, daß aber die Erkenntniß
allein die Schönheit des freien Menſchengeiſtes ſei, die
höher iſt als alle leibliche Schönheit. — O ich brauchte
mich hier nur in den Brunnen nieder zu laſſen, ſo könnte
ich vielleicht wieder ſagen, alles was ich durch die Ge-
ſpräche mit der Farbe und den Formen und dem Duft
des Blumenſtraußes erfuhr; ich könnte auch noch mehr
ſagen, was wunderlich und wunderbar genug klingt;
ich müßte fürchten, es würde nicht geglaubt, oder für
Wahnſinn und Unſinn geachtet; — warum ſoll ich's
aber hier verhehlen? Der's leſen wird, dem wird es
einleuchten, er hat oft die wunderbaren Phänomene des
Lichts beobachtet, wie ſie durch Farbe und zufällige
oder beſondere Formen neue Erſcheinungen bildeten. —
So war's in meiner Seele damals, ſo iſt es auch jetzt.
Das große und ſcharfe Auge des Geiſtes war vom in-
nern Lichtſtrahl gefangen genommen, es mußte ihn ein-
ſaugen, ohne ſich durch ſelbſtiſche Reflexion davon ab-
löſen zu können; der Freund weiß ja, was dieſes ge-
bannt-ſein im Blick auf einen Lichtſtrahl — Farbengeiſt
für Zauberei hervorbringt, und er weiß auch, daß der
Schein hier kein Schein iſt, ſondern Wahrheit. —
Trat ich aus dieſer innern Anſchauung hervor, ſo
war ich geblendet; ich ſah Träume, ich ging ihren Ver-
[84] hältniſſen nach, das machte im gewöhnlichen Leben kei-
nen Unterſchied; in dies paßte ich ohne Anſtoß, weil ich
mich in ihm nicht bewegte; aber ohne Scheu ſag' ich es
meinem Herrn, der den Seegen hier über ſein Kind ſpre-
chen möge: ich hatte eine innre Welt und geheime Fä-
higkeiten, Sinne, mit denen ich in ihr lebte; mein Auge
ſah deutlich große Erſcheinungen, ſo wie ich es zu machte;
— ich ſah die Himmelskugel, ſie drehte ſich vor mir
in unermeßlicher Größe um, ſo daß ich ihre Grenze nicht
ſah, aber doch eine Empfindung von ihrer Rundung
hatte; das Sternenheer zog auf dunklem Grund an mir
vorüber, die Sterne tanzten in reinen geiſtigen Figuren,
die ich als Geiſt begriff; es ſtellten ſich Monumente auf
von Säulen und Geſtalten, hinter denen die Sterne
wegzogen; die Sterne tauchten unter in einem Meer
von Farben; es blühten Blumen auf, ſie wuchſen em-
por bis in die Höhe; ferne goldne Schatten deckten ſie
vor einem höheren weißen Licht, und ſo zog in dieſer
Innenwelt eine Erſcheinung nach der anderen herauf;
dabei fühlten meine Ohren ein feines ſilbernes Klingen,
allmählig wurde es ein Schall, der größer war und ge-
waltiger, je länger ich ihm lauſchte, ich freute mich,
denn es ſtärkte mich, es ſtärkte meinen Geiſt, dieſen gro-
ßen Ton in meinem Gehör zu herbergen; öffnete ich die
[85] Augen, ſo war alles nichts, ſo war alles ruhig, und ich
empfand keine Störung, nur konnte ich die ſogenannte
wirkliche Welt, in der die andern Menſchen ſich auch
zu befinden behaupten, nicht mehr von dieſer Traum-
oder Phantaſiewelt unterſcheiden; ich wußte nicht, welche
Wachen oder Schlafen war, ja zuletzt glaubte ich im-
mer mehr, daß ich das gewöhnliche Leben nur träume,
und ich muß es noch heut unentſchieden laſſen, und
werde nach Jahren noch daran zweifeln; dieſes Schwe-
ben und Fliegen war mir gar zu gewiß; ich war in-
nerlich ſtolz darauf und freute mich dieſes Bewußtſeins;
ein einziger elaſtiſcher Druck mit der Spitze der Fuß-
zehen — und ich war in Lüften; ich ſchwebte leiſe und
anmuthig zwei, drei Fuß über der Erde, aber ich be-
rührte ſie gleich wieder, und flog wieder auf, — und
ſchwebte auf die Seite, von da wieder zurück; ſo tanzte
ich im Garten im Mondſchein hin und her, zu meinem
unausſprechlichen Vergnügen; ich ſchwebte über die Trep-
pen herab oder herauf, zuweilen hob' ich mich zur Höhe
der niederen Baumäſte, und ſchwirrte zwiſchen den Zwei-
gen dahin; Morgens erwachte ich in meinem Bett mit
dem Bewußtſein, daß ich fliegen könne, am Tag aber
vergaß ich's. — Ich ſchrieb an die Günderode ich weiß
nicht was, ſie kam heraus nach Offenbach, ſah mich
[86] zweifelhaft an, that befremdende Fragen über mein Be-
finden, ich ſah im Spiegel: ſchwärzer waren die Augen
wie je, die Züge hatten ſich unendlich verfeinert, die
Naſe ſo ſchmal und fein, der Mund geſchwungen, eine
äußerſt weiße Farbe; ich freute mich, und ſah mit Ge-
nuß meine Geſtalt, die Günderode ſagte, ich ſollte nicht
ſo lang' mehr allein bleiben, und nahm mich mit in die
Stadt; da waren wenig Tage verfloſſen, ſo hatte ich
das Fieber; ich legte mich zu Bett und ſchlief, und
weiß auch nichts, als daß ich nur ſchlief: endlich er-
wachte ich und es war am 14ten Tag, nach dem ich
mich gelegt hatte; indem ich die Augen öffnete, ſah ich
ihre ſchwanke Geſtalt im Zimmer auf- und abgehen und
die Hände ringen; aber Günderode, ſagt ich, warum
weinſt Du? Gott ſei ewig gelobt, ſagte ſie, und kam
an mein Bett', biſt Du endlich wieder wach, biſt Du
endlich wieder in's Bewußtſein gekommen? — Von der
Zeit an wollte ſie mich nichts Philoſophiſches leſen laſ-
ſen, und auch keine Aufſätze ſollte ich mehr machen; ſie
war feſt überzeugt, meine Krankheit ſei davon herge-
kommen; ich hatte großes Wohlgefallen an meiner Ge-
ſtalt, die Bläſſe, die von meiner Krankheit zurückgeblie-
ben war, gefiel mir unendlich; meine Züge erſchienen
mir ſehr bedeutend, die großgewordenen Augen herrſch-
[87] ten, und die anderen Geſichtstheile verhielten ſich gei-
ſtig leidend; ich fragte die Günderode, ob nicht darin
ſchon die erſten Spuren einer Verklärung ſich zeigten.
Hier hab' ich abgebrochen, und hab' viele Tage
nicht geſchrieben; es ſtieg ſo ernſt und ſchwer herauf,
der Schmerz ließ ſich nicht vom Denken bemeiſtern; ich
bin noch jung, ich kann's nicht durchſetzen, das unge-
heure. Unterdeſſen hat man den Herbſt eingethan, der
Moſt wurde vom Laubbekränzten Winzervolk unter Ju-
belgeſang die Berge herabgefahren und getragen, und
ſie gingen mit der Schalmei [voran] und tanzten. O
Du! — der Du dieſes lieſt, Du haſt keinen Mantel ſo
weich, um die verwundete Seele drinn einzuhüllen. Was
biſt Du mir ſchuldig? — Dem ich Opfer bringe wie
dies, daß ich Dich die Hand in die Wunden legen laſſe.
— Wie kannſt Du mir vergelten? — Du wirſt mir
nimmer vergelten; Du wirſt mich nicht locken und an
Dich ziehen, und weil ich kein Obdach in der Liebe
habe, wirſt Du mich nicht herbergen, und der Sehnſucht
wirſt Du keine Linderung gewähren; ich weiß es ſchon
im Voraus, ich werd' allein ſein mit mir ſelber, wie ich
heut' allein ſtand am Ufer bei den düſtern Weiden, wo
die Todesſchauer noch wehen über dem Platz, da kein
Gras mehr wächſt; dort hat ſie den ſchönen Leib ver-
[88] wundet, grad' an der Stelle, wo ſie's gelernt hatte, daß
man da das Herz am ſicherſten trifft; O Jeſus Ma-
ria! —
Du! mein Herr! — Du! — flammender Genius
über mir! ich hab' geweint; nicht über ſie, die ich ver-
loren habe, die wie warme Frühlingbrütende Lüfte
mich umgab; die mich ſchützte, die mich begeiſterte, die
mir die Höhe meiner eignen Natur als Ziel vertraute;
ich hab' geweint um mich, mit mir; hart muß ich wer-
den wie Stahl, gegen mich, gegen das eigne Herz; ich
darf es nicht beklagen, daß ich nicht geliebt werde, ich
muß ſtreng ſein gegen dies leidenſchaftliche Herz; es
hat kein Recht zu fordern, nein es hat kein Recht; —
Du biſt mild, und lächelſt mir, und deine kühle Hand
mildert die Gluth meiner Wangen, das ſoll mir genügen.
Geſtern waren wir in Laubbekränzten Nachen den
Rhein hinab gefahren, um die hundertfältige Feier des
Weinfeſtes an beiden Bergufern mit anzuſehen; auf
unſerem Schiff waren luſtige Leute, ſie ſchrieben
Weinbegeiſterte Lieder und Sprüche, ſteckten ſie in
die geleerten Flaſchen, und ließen dieſe unter wäh-
rendem Schießen den Rhein hinabſch[w]immen; auf allen
Ruinen waren große Tannen aufgepflanzt, die bei ein-
brechender Dämmerung angezündet wurden; auf dem
[89] Mäuſethurm, mitten im ſtolzen Rhein, ragten zwei mäch-
tige Tannen empor, ihre flammenden durchbrannten
Aeſte fielen herab in die ziſchende Fluth, von allen Sei-
ten donnerten ſie und warfen Raketen, und ſchöne
Sträußer von Leuchtkugeln ſtiegen jungfräulich in die
Lüfte, und auf den Nachen ſang man Lieder, und im
Vorbeifahren warf man ſich Kränze zu und Trauben;
da wir nach hauſe kamen, ſo war's ſpät, aber der
Mond leuchtete hell; ich ſah zum Fenſter hinaus, und
hörte noch jenſeits das Toben und Jauchzen der Heim-
kehrenden, und dieſſeits nach der Seite, wo ſie todt am
Ufer gelegen hatte, war alles ſtill, ich dacht', da iſt kei-
ner mehr der nach ihr frägt, und ich ging hin, nicht
ohne Grauſen, nein mir war bang, wie ich von wei-
tem die Nebel über den Weidenbüſchen wogen ſah, da
wär' ich bald wieder umgekehrt, es war mir, als ſei ſie es
ſelbſt, die da ſchwebte und wogte, und ſich ausdehnte;
ich ging hin, aber ich betete unterwegs, daß mich Gott
doch ſchützen möge; — ſchützen? — vor was? vor einem
Geiſt, deſſen Herz voll liebendem Willen geweſen war
gegen mich im Leben; und nun er des irdiſchen Leib's
entledigt iſt, ſoll ich ihn fürchtend fliehen? — Ach ſie
hat vielleicht einen beſſren Theil ihres geiſtigen Vermö-
gens auf mich vererbt ſeit ihrem Tod. Vererben doch
[90] die Vorältern auf ihre Nachkommen, warum nicht die
Freunde? — Ich weiß nicht, wie weh' mir iſt! — ſie,
die freundlich klare hat meinen Geiſt vielleicht beſchenkt.
Wie ich von ihrem Grab zurück kam, da fand ich Leute,
die nach ihrer Kuh ſuchten, die ſich verlaufen hatte,
ich ging mit ihnen; ſie ahndeten gleich, daß ich von
dort her kam, ſie wußten viel von der Günderode zu
erzählen, die oft freundlich bei ihnen eingeſprochen und
ihnen Almoſen gegeben hatte; ſie ſagten, ſo oft ſie dort
vorbeigehen, beten ſie ein Vater unſer; ich hab' auch
dort gebetet zu und um ihre Seele, und hab' mich vom
Mondlicht rein waſchen laſſen, und hab' es ihr laut ge-
ſagt, daß ich mich nach ihr ſehne, nach jenen Stunden,
in denen wir Gefühl und Gedanken harmlos gegen ein-
ander austauſchten.
Sie erzählte mir wenig von ihren ſonſtigen Ange-
legenheiten, ich wußte nicht, in welchen Verbindungen
ſie noch außer mir war; ſie hatte mir zwar von Daub
in Heidelberg geſprochen und auch von Kreuzer, aber
ich wußte von keinem, ob er ihr lieber ſei als der an-
dre; einmal hatte ich von andern davon gehört, ich
glaubte es nicht, einmal kam ſie mir freudig entgegen
und ſagte: Geſtern hab' ich einen Chirurg geſprochen,
der hat mir geſagt, daß es ſehr leicht iſt, ſich umzu-
[91] bringen, ſie öffnete haſtig ihr Kleid, und zeigte mir un-
ter der ſchönen Bruſt den Fleck; ihre Augen funkelten
freudig; ich ſtarrte ſie an, es ward mir zum erſtenmal
unheimlich, ich fragte: nun! — und was ſoll ich denn
thun, wenn Du todt biſt? — O, ſagte ſie, dann iſt Dir
nichts mehr an mir gelegen, bis dahin ſind wir nicht
mehr ſo eng verbunden, ich werd' mich erſt mit Dir ent-
zweien; — ich wendete mich nach dem Fenſter, um
meine Thränen, mein vor Zorn klopfendes Herz zu ver-
bergen, ſie hatte ſich nach dem andern Fenſter gewen-
det und ſchwieg; — ich ſah ſie von der Seite an, ihr
Aug' war gen Himmel gewendet, aber der Strahl war
gebrochen, als ob ſich ſein ganzes Feuer nach innen ge-
wendet habe; — nachdem ich ſie eine Weile beobach-
tet hatte, konnt' ich mich nicht mehr faſſen, — ich brach
in lautes Schreien aus, ich fiel ihr um den Hals, und
riß ſie nieder auf den Sitz und ſetzte mich auf ihre
Knie, und weinte viel Thränen und küßte ſie zum er-
ſtenmal an ihren Mund, und riß ihr das Kleid auf
und küßte ſie an die Stelle, wo ſie gelernt hatte das
Herz treffen; und ich bat mit ſchmerzlichen Thränen,
daß ſie ſich meiner erbarme, und fiel ihr wieder um den
Hals; und küßte ihre Hände, die waren kalt und zit-
terten, und ihre Lippen zuckten, und ſie war ganz kalt
[92] und ſtarr und todtenblaß, und konnte die Stimme nicht
erheben; ſie ſagte leiſe: Bettine, brich mir das Herz
nicht; — ach, da wollte ich mich aufreißen und wollte
ihr nicht weh thun; ich lächelte und weinte, und ſchluchzte
laut, ihr ſchien immer banger zu werden, ſie legte ſich
auf's Sopha; da wollt' ich ſcherzen und wollt' ihr be-
weiſen, daß ich alles für Scherz nehme; da ſprachen wir
von ihrem Teſtament; ſie vermachte einen jeden etwas;
mir vermachte ſie einen kleinen Apoll unter einer Glas-
glocke, dem ſie einen Lorbeerkranz umgehängt hatte; ich
ſchrieb alles auf; im nach Hauſe gehen machte ich mir
Vorwürfe, daß ich ſo aufgeregt geweſen war; ich fühlte,
daß es doch nur Scherz geweſen war, oder auch Phan-
taſie die in ein Reich gehört, welches nicht in
der Wirklichkeit ſeine Wahrheit behauptet;
ich fühlte, daß ich unrecht gehabt hatte und nicht ſie,
die ja oft auf dieſe Weiſe mit mir geſprochen hatte.
Am andern Tag führte ich ihr einen jungen franzöſi-
ſchen Huſaren-Offizier zu mit hoher Bärenmütze; es
war der Wilhelm von Türkheim, der ſchönſte aller Jüng-
linge, das wahre Kind voll Anmuth und Scherz; er
war unvermuthet angekommen; ich ſagte: da hab' ich
Dir einen Liebhaber gebracht, der ſoll Dir das Leben
wieder lieb machen. Er vertrieb uns allen die Melan-
[93] cholie; wir ſcherzten und machten Verſe, und da der
ſchöne Wilhelm die ſchönſten gemacht zu haben behaup-
tete, ſo wollte die Günderode, ich ſolle ihm den Lorbeer-
kranz ſchenken; ich wollte mein Erbtheil nicht geſchmä-
lert wiſſen. Doch mußt' ich ihm endlich die Hälfte des
Kranzes laſſen; ſo hab' ich denn nur die eine Hälfte. Ein-
mal kam ich zu ihr, da zeigte ſie mir einen Dolch, mit
ſilbernem Griff; den ſie auf der Meſſe gekauft hatte,
ſie freute ſich über den ſchönen Stahl und über ſeine
Schärfe; ich nahm das Meſſer in die Hand und probte
es am Finger, da floß gleich Blut, ſie erſchrack, ich
ſagte: O Günderode, Du biſt ſo zaghaft und kannſt
kein Blut ſehen, und geheſt immer mit einer Idee um,
die den höchſten Muth vorausſetzt, ich hab' doch noch
das Bewußtſein, daß ich eher vermögend wär', etwas
zu wagen, obſchon ich mich nie umbringen würde; aber
mich und Dich in einer Gefahr zu vertheidigen, dazu
hab' ich Muth; und wenn ich jetzt mit dem Meſſer auf
Dich eindringe — ſiehſt Du wie Du Dich fürchteſt? — ſie
zog ſich ängſtlich zurück; der alte Zorn regte ſich wie-
der in mir, unter der Decke des glühendſten Muthwills;
ich ging immer ernſtlicher auf ſie ein, ſie lief in ihr
Schlafzimmer hinter einen ledernen Seſſel, um ſich zu
ſichern; ich ſtach in den Seſſel, ich riß ihn mit vielen
[94] Stichen in Stücke, das Roßhaar flog hier und dahin
in der Stube, ſie ſtand flehend hinter dem Seſſel und
bat, ihr nichts zu thun; — ich ſagte: eh' ich dulde,
daß Du Dich umbringſt, thu' ich's lieber ſelbſt; mein
armer Stuhl! rief ſie; ja was, Dein Stuhl, der ſoll
den Dolch ſtumpf machen; ich gab ihm ohne Barmher-
zigkeit Stich auf Stich, das ganze Zimmer wurde eine
Staubwolke; ſo warf ich den Dolch weit in die Stube,
daß er praſſelnd unter das Sopha fuhr; ich nahm ſie
bei der Hand und führte ſie in den Garten, in die
Weinlaube, ich riß die jungen Weinreben ab, und warf
ſie ihr vor die Füße; ich trat drauf und ſagte: So
mißhandelſt Du unſre Freundſchaft. — Ich zeigte ihr
die Vögel auf den Zweigen, und daß wir wie jene, ſpie-
lend aber treu gegen einander bisher zuſammen gelebt
hätten; ich ſagte: Du kannſt ſicher auf mich bauen, es
iſt keine Stunde in der Nacht, die, wenn Du mir dei-
nen Willen kund thuſt, mich nur einen Augenblick be-
ſinnen machte; — komm vor mein Fenſter und pfeif'
um Mitternacht, und ich geh' ohne Vorbereitung mit
Dir um die Welt. Und was ich für mich nicht wagte,
das wag' ich für Dich; — aber Du! — was berechtigt
Dich, mich aufzugeben? — wie kannſt Du ſolche Treue
verrathen; und verſprich mir, daß Du nicht mehr deine
[95] zaghafte Natur hinter ſo grauſenhafte praleriſche Ideen
verſchanzen willſt; — ich ſah ſie an, ſie war beſchämt
und ſenkte den Kopf, und ſah auf die Seite und war
blaß; wir waren beide ſtill, lange Zeit. Günderode,
ſagte ich, wenn es ernſt iſt, dann gieb mir ein Zeichen;
— ſie nickte. — Sie reiſte in's Rheingau; von dort
aus ſchrieb ſie mir ein paarmal, wenig Zeilen; — ich
hab' ſie verloren ſonſt würde ich ſie hier einſchalten.
Einmal ſchrieb ſie: iſt man allein am Rhein, ſo wird
man ganz traurig, aber mit mehreren zuſammen, da
ſind grade die ſchauerlichſten Plätze am Luſt aufreizend-
ſten, mir aber iſt doch lieb, den weiten gedehnten Pur-
purhimmel am Abend allein zu begrüßen, da dichte ich
im Wandlen an einem Mährchen, das will ich Dir vor-
leſen; ich bin jeden Abend begierig wie es weiter geht,
es wird manchmal recht ſchaurig und dann taucht es
wieder auf. Da ſie wieder zurückkam und ich das
Mährchen leſen wollte, ſagte ſie: es iſt ſo traurig ge-
worden, daß ich's nicht leſen kann; ich darf nichts mehr
davon hören, ich kann es nicht mehr weiter ſchreiben:
ich werde krank davon; und ſie legte ſich zu Bett; und
blieb liegen mehrere Tage, der Dolch lag an ihrem Bett;
ich achtete nicht darauf, die Nachtlampe ſtand dabei, ich
kam herein; Bettine, mir iſt vor drei Wochen eine Schwe-
[96] ſter geſtorben; ſie war jünger als ich, Du haſt ſie nie
geſehen; ſie ſtarb an der ſchnellen Auszehrung; —
warum ſagſt Du mir dies heute erſt, fragte ich? — nun
was könnte Dich dies intereſſieren? Du haſt ſie nicht
gekannt, ich muß ſo was allein tragen, ſagte ſie mit
trocknen Augen. Mir war dies doch etwas ſonderbar,
mir jungen Natur waren alle Geſchwiſter ſo lieb, daß
ich glaubte, ich würde verzweifeln müſſen, wenn einer
ſtürbe, und daß ich mein Leben für jeden gelaſſen hätte;
ſie fuhr fort: nun denk': vor drei Nächten iſt mir dieſe
Schweſter erſchienen; ich lag im Bett und die Nacht-
lampe brannte auf jenem Tiſch; ſie kam herein in wei-
ßem Gewand langſam, und blieb an dem Tiſch ſtehen;
ſie wendete den Kopf nach mir und ſenkte ihn und ſah
mich an; erſt war ich erſchrocken, aber bald war ich
ganz ruhig, ich ſetzte mich im Bett auf, um mich zu
überzeugen, daß ich nicht ſchlafe. Ich ſah ſie auch an
und es war, als ob ſie etwas bejahend nickte; und ſie
nahm dort den Dolch und hob' ihn gen Himmel mit der
rechten Hand, als ob ſie mir ihn zeigen wolle, und legte
ihn wieder ſanft und klanglos nieder, und dann nahm
ſie die Nachtlampe, und hob ſie auch in die Höhe, und
zeigte ſie mir, und als ob ſie mir bezeich[n]en wolle, daß
ich ſie verſtehe, nickte ſie ſanft, führte die Lampe zu
ihren
[97] ihren Lippen und hauchte ſie aus; denk' nur, ſagte ſie
voll Schauder, ausgeblaſen; — und im Dunkel hatte
mein Aug' noch das Gefühl von ihrer Geſtalt; und da
hat mich plötzlich eine Angſt befallen, die ärger ſein muß,
als wenn man mit dem Tod ringt; ja, denn ich wär'
lieber geſtorben, als noch länger dieſe Angſt zu tragen.
Ich war gekommen, um Abſchied zu nehmen, weil ich
mit Savigny nach Marburg reiſen wollte, aber nun
wollte ich bei ihr bleiben. Reiſe nur fort, ſagte ſie,
denn ich reiſe auch übermorgen wieder in's Rheingau;
— ſo ging ich denn weg. — Bettine, rief ſie mir in der
Thür zu: behalt' dieſe Geſchichte, ſie iſt doch merkwür-
dig! Das waren ihre letzten Worte. In Marburg
ſchrieb ich ihr oft in's Rheingau von meinem wunder-
lichen Leben; — ich wohnte einen ganzen Winter am
Berg, dicht unter dem alten Schloß, der Garten war mit
der Feſtungsmauer umgeben, aus den Fenſtern hatt' ich
eine weite Ausſicht über die Stadt und das reich bebaute
Heſſenland; überall ragten die gothiſchen Thürme aus
den Schneedecken hervor; aus meinem Schlafzimmer
ging ich in den Berggarten, ich kletterte über die Fe-
ſtungsmauer, und ſtieg durch die verödeten Gärten; —
wo ſich die Pförtchen nicht aufzwingen ließen, da brach
ich durch die Hecken, — da ſaß ich auf der Steintreppe,
I. 5
[98] die Sonne ſchmolz den Schnee zu meinen Füßen, ich
ſuchte die Mooſe, und trug ſie mit ſammt der angefror-
nen Erde nach Haus; — ſo hatt' ich an dreißig bis vierzig
Moosarten geſammelt, die alle in meiner kalten Schlaf-
kammer in erdnen Schüſſelchen auf Eis gelegt, mein Bett
umblühten; ich ſchrieb ihr davon, ohne zu ſagen, was
es ſei; ich ſchrieb in Verſen: mein Bett ſteht mitten im
kalten Land, umgeben von viel Hainen, die blühen in
allen Farben, und da ſind ſilberne Haine uralter Stämme,
wie der Hain auf der Inſel Cypros; die Bäume ſtehen
dicht gereiht und verflechten ihre gewaltigen Äſte; der Raa-
ſen, aus dem ſie hervorwachſen, iſt roſenroth und blaß-
grün; ich trug den ganzen Hain heut' auf meiner er-
ſtarrten Hand in mein kaltes Eisbettland; — da ant-
wortet' ſie wieder in Verſen: das ſind Mooſe ewiger
Zeiten, die den Teppich unterbreiten, ob die Herrn zur
Jagd drauf reiten, ob die Lämmer drüber weiden, ob
der Winterſchnee ſie decket, oder Frühling Blumen wecket;
in dem Haine ſchallt es wieder, ſummen Mücken ihre
Lieder; an der Silberbäume Wipfel hängen Tröpfchen
Thau am Gipfel; in dem klaren Tröpfchen Thaue ſpie-
gelt ſich die ganze Aue; Du mußt andre Räthſel machen,
will Dein Witz des meinen lachen!
Nun waren wir in's Räthſel geben und löſen
[99] gerathen; alle Augenblick hatt' ich ein kleines Aben-
theuer auf meinen Spazierwegen, was ich ihr verbrämt
zu errathen gab; meiſtens löſte ſie es auf eine kindlich-
luſtige Weiſe auf. Einmal hatte ich ihr ein Häschen,
was mir auf wildem, einſamem Waldweg begegnet
war, als einen zierlichen Ritter beſchrieben, ich nannte
es la petite perfection und daß er mir mein Herz ein-
genommen habe; — ſie antwortete gleich: auf einem
ſchönen grünen Raſen, da ließ ein Held zur Mahlzeit
blaſen, da flüchteten ſich alle Haſen; ſo hoff' ich wird
ein Held einſt kommen, Dein Herz, von Haſen einge-
nommen, von dieſen Wichten zu befreien und ſeine
Gluthen zu erneuen; — dies waren Anſpielungen auf
kleine Liebesabentheuer. — So verging ein Theil des
Winters; ich war in einer ſehr glücklichen Geiſtesver-
faſſung, andre würden ſie Überſpannung nennen, aber
mir war ſie eigen. An der Feſtungsmauer, die den
großen Garten umgab, war eine Thurmwarte, eine zer-
brochne Leiter ſtand drinn; — dicht bei uns war ein-
gebrochen worden, man konnte den Spitzbuben nicht
auf die Spur kommen, man glaubte, ſie verſteckten ſich
auf jenem Thurm; ich hatte ihn bei Tag in Augen-
ſchein genommen und erkannt', daß es für einen ſtarken
Mann unmöglich war, an dieſer morſchen, beinah ſtu-
5*
[100] fenloſen himmelhohen Leiter hinaufzuklimmen; ich ver-
ſuchte es, gleitete aber wieder herunter, nachdem ich eine
Strecke hinaufgekommen war; in der Nacht, nachdem
ich ſchon eine Weile im Bett gelegen hatte und Me-
line ſchlief, ließ es mir keine Ruhe; ich warf ein
Überkleid um, ſtieg zum Fenſter hinaus, und ging
an dem alten Marburger Schloß vorbei, da guckte
der Kurfürſt Philipp mit der Eliſabeth lachend zum
Fenſter heraus; ich hatte dieſe Steingrupp' die beide
Arm in Arm ſich weit aus dem Fenſter lehnen, als
wollten ſie ihre Lande überſehen, ſchon oft bei Tage
betrachtet, aber jetzt bei Nacht fürchtete ich mich ſo
davor, daß ich in hohen Sprüngen davoneilte in
den Thurm; dort ergriff ich eine Leiterſtange und half
mir, Gott weiß wie, daran hinauf; was mir bei Tage
nicht möglich war, gelang mir bei Nacht in der ſchwe-
benden Angſt meines Herzens; wie ich beinah oben war,
machte ich Halt; ich überlegte, wie die Spitzbuben wirk-
lich oben ſein könnten und da mich überfallen und von
der Warte hinunterſtürzen; da hing ich und wußte
nicht hinunter oder herauf, aber die friſche Luft, die ich
witterte, lockte mich nach oben; — wie war mir da,
wie ich plötzlich durch Schnee und Mondlicht die weit
verbreitete Natur überſchaute, allein und geſichert, das
[101] große Heer der Sterne über mir! — ſo iſt es nach dem
Tod', die freiheitſtrebende Seele, der der Leib am angſt-
vollſten laſtet, im Augenblick da ſie ihn abwerfen will;
ſie ſiegt endlich, und iſt der Angſt erledigt; — da hatte
ich blos das Gefühl allein zu ſein, da war kein Gegen-
ſtand, der mir näher war als meine Einſamkeit, und
alles mußte vor dieſer Beſeligung zuſammenſinken; —
ich ſchrieb der Günderode, daß wieder einmal mein
ganzes Glück von der Laune dieſer Grille abhänge;
ich ſchrieb ihr jeden Tag, was ich auf der freien Warte
mache und denke, ich ſetzte mich auf die Bruſtmauer
und hing die Beine hinab. — Sie wollte immer mehr
von dieſen Thurmbegeiſtrungen, ſie ſagte: es iſt mein
Labſal, Du ſprichſt wie ein auferſtandner Prophet! —
wie ich ihr aber ſchrieb, daß ich auf der Mauer, die
kaum zwei Fuß breit war, im Kreis herumlaufe und
luſtig nach den Sternen ſähe, und daß mir zwar
am Anfang geſchwindelt habe, daß ich jetzt aber ganz
keck und wie am Boden mich da oben befinde, — da
ſchrieb ſie: um Gotteswillen falle nicht, ich hab's noch
nicht herauskriegen können, ob Du das Spiel böſer
oder guter Dämonen biſt; — falle nicht, ſchrieb ſie mir
wieder, obſchon es mir wohlthätig war, Deine Stimme
von oben herab über den Tod zu vernehmen, ſo fürchte
[102] ich nichts mehr, als daß Du elend und unwillkühr-
lich zerſchmettert in's Grab ſtürzeſt; — ihre Vermah-
nungen aber erregten mir keine Furcht und keinen
Schwindel, im Gegentheil war ich tollkühn; ich wußte
Beſcheid, ich hatte die triumphirende Überzeugung, daß
ich von Geiſtern geſchützt ſei. Das Seltſame war, daß
ich's oft vergaß und daß es mich oft mitten aus dem
Schlaf weckte und ich noch in unbeſtimmter Nachtzeit
hineilte, daß ich auf dem Hinweg immer Angſt hatte
und auf der Leiter jeden Abend wie den erſten, und
daß ich oben allemal die Beſeligung einer von ſchwe-
rem Druck befreiten Bruſt empfand; — oben, wenn
Schnee lag, ſchrieb ich der Günderode ihren Namen
hinein und: Jesus nazarenus, rex judaeorum als ſchützen-
den Talismann darüber, und da war mir, als ſei ſie ge-
ſichert gegen böſe Eingebungen.
Jetzt kam Kreuzer nach Marburg, um Savigny zu
beſuchen; häßlich wie er war, war es zugleich unbe-
greiflich, daß er ein Weib intereſſiren könne; ich hörte,
daß er von der Günderode ſprach, in Ausdrücken, als
ob er ein Recht an ihre Liebe habe; ich hatte in mei-
nem, von allem äußeren Einfluß abgeſchiednen Verhält-
niß zu ihr, früher nichts davon geahndet, und war im
Augenblick auf's Heftigſte eiferſüchtig; er nahm in mei-
[103] ner Gegenwart ein kleines Kind auf den Schoos und
ſagte: wie heißt Du? — Sophie. Nun, du ſollſt, ſo
lang ich hier bin, Karoline heißen; Karoline, gieb
mir einen Kuß. Da ward ich zornig, ich riß ihm
das Kind vom Schoos, und trug es hinaus, fort
durch den Garten auf den Thurm; da oben ſtellt'
ich es in den Schnee, neben ihren Namen, und legte
mich mit dem glühenden Geſicht hinein und weinte
laut und das Kind weinte mit, und da ich herunter
kam, begegnete mir Kreuzer; ich ſagte: weg aus mei-
nem Weg, fort. Der Philolog konnte ſich einbilden,
daß Ganymed ihm die Schaale des Jupiters reichen
werde. — Es war in der Neujahrsnacht; ich ſaß
auf meiner Warte und ſchaute in die Tiefe; alles war
ſo ſtill — kein Laut bis in die weiteſte Ferne, und ich
war betrübt um die Günderode, die mir keine Antwort
gab; die Stadt lag unter mir, auf einmal ſchlug es
Mitternacht, — da ſtürmte es herauf, die Trommeln
rührten ſich, die Poſthörner ſchmetterten, ſie löſten ihre
Flinten, ſie jauchzten, die Studentenlieder tönten von
allen Seiten, es ſtieg der Jubellärm, daß er mich bei-
nah wie ein Meer umbrauſ'te; — das vergeſſe ich nie,
aber ſagen kann ich auch nicht, wie mir ſo wunderlich
war, da oben auf ſchwindelnder Höhe, und wie es
[104] allmälig wieder ſtill ward, und ich mich ganz allein
empfand. Ich ging zurück und ſchrieb an die Günde-
rode; vielleicht finde ich den Brief noch unter meinen
Papieren, dann will ich ihn beilegen; ich weiß, daß ich
ihr die heißeſten Bitten that, mir zu antworten; ich
ſchrieb ihr von dieſen Studentenliedern, wie die gen
Himmel geſchallt hätten und mir das tiefſte Herz auf-
geregt; ja, ich legte meinen Kopf auf ihre Füße und
bat um Antwort, und wartete mit heißer Sehnſucht
acht Tage, aber nie erhielt ich eine Antwort; ich war
blind, ich war taub, ich ahndete nichts; noch zwei Mo-
nate gingen vorüber, — da war ich wieder in Frank-
furt; — ich lief ins Stift, machte die Thür auf: ſiehe
da ſtand ſie und ſah mich an; kalt, wie es ſchien; Gün-
derod', rief ich, darf ich hereinkommen? — ſie ſchwieg,
und wendete ſich ab; Günderod', ſag' nur ein Wort,
und ich lieg' an Deinem Herzen. Nein, ſagte ſie, komme
nicht näher, kehre wieder um, wir müſſen uns doch tren-
nen. — Was heißt das? — So viel, daß wir uns in
einander geirrt haben und daß wir nicht zuſammen ge-
hören. — Ach, ich wendete um! ach, erſte Verzweiflung,
erſter grauſamer Schlag, ſo empfindlich für ein junges
Herz! ich, die nichts kannte, wie die Unterwerfung, die
Hingebung in dieſer Liebe, mußte ſo zurückgewieſen wer-
[105] den. — Ich lief nach Haus zur Meline, ich bat ſie mit
zu gehen zur Günderode, zu ſehen, was ihr fehle, ſie
zu bewegen mir einen Augenblick ihr Angeſicht zu gön-
nen; ich dachte, wenn ich ſie nur einmal in's Auge
faſſen könne, dann wolle ich ſie zwingen; ich lief über
die Straße, vor der Zimmerthür blieb ich ſtehen, ich ließ
die Meline allein zu ihr eintreten, ich wartete, ich zit-
terte und rang die Hände in dem kleinen engen Gang,
der mich ſo oft zu ihr geführt hatte; — die Meline
kam heraus mit verweinten Augen, ſie zog mich ſchwei-
gend mit ſich fort; — einen Augenblick hatte mich der
Schmerz übermannt, aber gleich ſtand ich wieder auf
den Füßen; nun dacht' ich, wenn das Schickſal mir
nicht ſchmeicheln will, ſo wollen wir Ball mit ihm ſpie-
len; ich war heiter, ich war luſtig, ich war überreizt,
aber Nächten weinte ich im Schlaf. — Am zweiten Tag
ging ich des Wegs, wo ihre Wohnung war, da ſah
ich die Wohnung von Goethe's Mutter, die ich nicht
näher kannte und nie beſucht hatte; ich trat ein. Frau
Rath, ſagte ich, ich will Ihre Bekanntſchaft machen, mir
iſt eine Freundin in der Stiftsdame Günderode verlo-
ren gegangen und die ſollen Sie mir erſetzen; — wir
wollen's verſuchen, ſagte ſie, und ſo kam ich alle Tage
und ſetzte mich auf den Schemel und ließ mir von ihrem
5**
[106] Sohn erzählen und ſchrieb's alles auf und ſchickte es
der Günderode; — wie ſie in's Rheingau ging, ſen-
dete ſie mir die Papiere zurück; die Magd, die ſie mir
brachte, ſagte, es habe der Stiftsdame heftig das Herz
geklopft, da ſie ihr die Papiere gegeben, und auf ihre
Frage, was ſie beſtellen ſolle, habe ſie geantwortet:
nichts. —
Es vergingen vierzehn Tage, da kam Fritz Schloſſer;
er bat mich um ein paar Zeilen an die Günderode, weil
er in's Rheingau reiſen werde, und wolle gern ihre Be-
kanntſchaft machen. Ich ſagte, daß ich mit ihr broullirt
ſei, ich bäte ihn aber, von mir zu ſprechen und acht zu
geben, was es für einen Eindruck auf ſie mache; —
wann gehen Sie hin, ſagte ich, morgen? — Nein, in
acht Tagen; — o gehen Sie morgen, ſonſt treffen Sie
ſie nicht mehr; — am Rhein iſt's ſo melancholiſch, ſagte
ich ſcherzend, da könnte ſie ſich ein Leid's anthun; —
Schloſſer ſah mich ängſtlich an; ja, ja, ſagt' ich muth-
willig, ſie ſtürzt ſich in's Waſſer oder erſticht ſich aus
bloßer Laune. — Frevlen Sie nicht, ſagte Schloſſer,
und nun frevelte ich erſt recht: Geben Sie acht, Schloſ-
ſer, Sie finden ſie nicht mehr, wenn Sie nach alter Ge-
wohnheit zögern, und ich ſage Ihnen, gehen Sie heute
lieber wie morgen und retten ſie von unzeitiger me-
[107] lancholiſcher Laune; — und im Scherz beſchrieb ich ſie,
wie ſie ſich umbringen werde im rothen Kleid, mit auf-
gelöſtem Schnürband, dicht unter der Bruſt die Wunde;
das nannte man tollen Übermuth von mir, es war aber
bewußtloſer Überreiz, in dem ich die Wahrheit vollkom-
men genau beſchrieb. — Am andern Tag kam Franz
und ſagte: Mädchen, wir wollen in's Rheingau ge-
hen, da kannſt Du die Günderode beſuchen. — Wann?
fragte ich. — Morgen, ſagte er; — ach, ich packte mit
Übereile ein, ich konnte kaum erwarten, daß wir gin-
gen; alles was ich begegnete, ſchob ich haſtig aus dem
Weg, aber es vergingen mehrere Tage und es ward
die Reiſe immer verſchoben; endlich, da war meine Luſt
zur Reiſe in tiefe Trauer verwandelt, und ich wär' lie-
ber zurückgeblieben. — Da wir in Geiſenheim anka-
men, wo wir übernachteten, lag ich im Fenſter und ſah
in's mondbeſpiegelte Waſſer; meine Schwägrin Tonie
ſaß am Fenſter; die Magd, die den Tiſch deckte, ſagte:
Geſtern hat ſich auch eine junge ſchöne Dame, die ſchon
ſechs Wochen hier ſich aufhielt, bei Winckel umgebracht;
ſie ging am Rhein ſpazieren ganz lang, dann lief ſie
nach Hauſe, holte ein Handtuch; am Abend ſuchte man
ſie vergebens; am andern Morgen fand man ſie am
Ufer unter Weidenbüſchen, ſie hatte das Handtuch voll
[108] Steine geſammelt und ſich um den Hals gebunden,
wahrſcheinlich, weil ſie ſich in den Rhein verſenken
wollte, aber da ſie ſich in's Herz ſtach, fiel ſie rück-
wärts, und ſo fand ſie ein Bauer am Rhein liegen,
unter den Weiden an einem Ort, wo es am tiefſten iſt.
Er riß ihr den Dolch aus dem Herzen und ſchleuderte
ihn voll Abſcheu weit in den Rhein, die Schiffer ſahen
ihn fliegen, — da kamen ſie herbei und trugen ſie in
die Stadt. — Ich hatte im Anfang nicht zugehört,
aber zuletzt hört' ich's mit an, und rief: das iſt die
Günderode! Man redete mir's aus, und ſagte, es ſei
wohl eine andre, da ſo viel Frankfurter im Rheingau
waren. Ich ließ mir's gefallen und dachte: grade was
man prophezeihe, ſei gewöhnlich nicht wahr. — In der
Nacht träumte mir, ſie käme mir auf einem mit Krän-
zen geſchmückten Nachen entgegen, um ſich mit mir zu
verſöhnen; ich ſprang aus dem Bett in des Bruders
Zimmer und rief: es iſt alles nicht wahr, eben hat mir's
lebhaft geträumt! Ach, ſagte der Bruder, baue nicht
auf Träume! — Ich träumte noch einmal, ich ſei eilig
in einen Kahn über den Rhein gefahren, um ſie zu
ſuchen; da war das Waſſer trüb' und ſchilfig, und die
Luft war dunkel und es war ſehr kalt; — ich landete
an einem ſumpfigen Ufer, da war ein Haus mit feuch-
[109] ten Mauern, aus dem ſchwebte ſie hervor und ſah
mich ängſtlich an und deutete mir, daß ſie nicht ſprechen
könne; — ich lief wieder zum Schlafzimmer der Ge-
ſchwiſter und rief: nein, es iſt gewiß wahr, denn mir
hat geträumt, daß ich ſie geſehen habe, und ich hab'
gefragt: Günderode, warum haſt Du mir dies gethan?
Und da hat ſie geſchwiegen und hat den Kopf geſenkt
und hat ſich traurig nicht verantworten können. —
Nun überlegte ich im Bett alles, und beſann mich, daß
ſie mir früher geſagt hatte, ſie wolle ſich erſt mit mir
entzweien eh' ſie dieſen Entſchluß ausführen werde; nun
war mir unſre Trennung erklärt, auch daß ſie mir ein
Zeichen geben werde, wenn ihr Entſchluß reif ſei; —
das war alſo die Geſchichte von ihrer todten Schweſter,
die ſie mir ein halb Jahr [früher] mittheilte; da war
der Entſchluß ſchon gefaßt. — O ihr großen Seelen,
dieſes Lamm in ſeiner Unſchuld, dieſes junge zaghafte
Herz, welche ungeheure Gewalt hat es bewogen, ſo zu
handeln? — Am andern Morgen fuhren wir bei früher
Zeit auf dem Rhein weiter; — Franz hatte befohlen,
daß das Schiff jenſeits ſich halten ſolle, um zu vermei-
den, daß wir dem Platz zu nahe kämen, aber dort ſtand
der Fritz Schloſſer am Ufer, und der Bauer, der ſie ge-
funden, zeigte ihm, wo der Kopf gelegen hatte und die
[110] Füße, und daß das Gras noch nieder liege, — und der
Schiffer lenkte unwillkührlich dorthin, und Franz be-
wußtlos ſprach im Schiff alles dem Bauer nach, was
er in der Ferne verſtehen konnte, und da mußt' ich denn
mit anhören die ſchauderhaften Bruchſtücke der Erzäh-
lung vom rothen Kleid, das aufgeſchnürt war, und der
Dolch, den ich ſo gut kannte, und das Tuch mit Stei-
nen um ihren Hals, und die breite Wunde; — aber
ich weinte nicht, ich ſchwieg. — Da kam der Bruder
zu mir und ſagte: ſei ſtark, Mädchen. — Wir lande-
ten in Rüdesheim; überall erzählte man ſich die Ge-
ſchichte; ich lief in Windesſchnelle an allen vorüber,
den Oſtein hinauf eine halbe Stunde Berg an, ohne
auszuruhen; — oben war mir der Athem vergangen,
mein Kopf brannte, ich war den andern weit voraus-
geeilt. — Da lag der herrliche Rhein mit ſeinem ſchma-
ragdnen Schmuck der Inſeln; da ſah ich die Ströme
von allen Seiten dem Rhein zufließen, und die reichen
friedlichen Städte an beiden Ufern, und die geſegneten
Gelände an beiden Seiten; da fragte ich mich, ob mich
die Zeit über dieſen Verluſt beſchwichtigen werde, und
da war auch der Entſchluß gefaßt, kühn mich über den
Jammer hinauszuſchwingen, denn es ſchien mir unwürdig,
Jammer zu äußern, den ich einſtens beherrſchen könne.
[[111]]
Briefwechſel mit Goethe.
[[112]][[113]]
[[114]][[115]]
Liebe, liebe Tochter! Nenne mich für alle Tage,
für alle Zukunft mit dem einen Namen, der mein Glück
umfaßt; mein Sohn ſei Dein Freund, Dein Bruder,
der Dich gewiß liebt ꝛc.
Solche Worte ſchreibt mir Goethe's Mutter; zu
was berechtigen mich dieſe? — Auch brach es los wie
ein Damm in meinem Herzen; — ein Menſchenkind,
einſam auf einem Fels, von Stürmen umbrauſ't, ſeiner
ſelbſt ungewiß, hin- und herſchwankend, wie Dornen
und Diſteln um es her — ſo bin ich; ſo war ich da
ich meinen Herrn noch nicht erkannt hatte. Nun wend'
ich mich wie die Sonnenblume nach meinem Gott, und
kann ihm mit dem von ſeinen Strahlen glühenden An-
geſicht beweiſen, daß er mich durchdringt. O Gott!
darf ich auch? — und bin ich nicht allzu kühn?
[116]
Und was will ich denn? — erzählen, wie die herr-
liche Freundlichkeit, mit der Sie mir entgegen kamen,
jetzt in meinem Herzen wuchert? — alles andre Leben
mit Gewalt erſtickt? — wie ich immer muß hinverlan-
gen, wo mir's zum erſten Mal wohl war? — Das
hilft alles nichts; die Worte Ihrer Mutter! — ich bin
weit entfernt, Anſprüche an das zu machen, was Ihre
Güte mir zudenkt, — aber dieſe haben mich geblendet;
und ich mußte zum wenigſten den Wunſch befriedigen,
daß Sie wiſſen möchten, wie mächtig mich die Liebe in
jedem Augenblick zu Ihnen hinwendet.
Auch darf ich mich nicht ſcheuen, einem Gefühl
mich hinzugeben, das ſich aus meinem Herzen hervor-
drängt, wie die junge Saat im Frühling; — es mußte
ſo ſein, und der Saame war in mich gelegt; es iſt
nicht mein vorſätzlicher Wille, wenn ich oft aus dem
augenblicklichen Geſpräch zu Ihren Füßen getragen bin;
dann ſetze ich mich an die Erde und lege den Kopf auf
Ihren Schoos, oder ich drücke Ihre Hand an meinen
Mund, oder ich ſtehe an Ihrer Seite und umfaſſe Ihren
Hals; und es währt lange, bis ich eine Stellung finde,
in der ich beharre. Dann plaudre ich, wie es mir be-
hagt; die Antwort aber, die ich mir in Ihrem Namen
gebe, ſpreche ich mit Bedacht aus: Mein Kind! mein
[117] artig gut Mädchen! liebes Herz! Ja, ſo klingt's
aus jener wunderbaren Stunde herüber, in der ich glaubte
von Geiſtern in eine andre Welt getragen zu ſein; und
wenn ich dann bedenke, daß es von Ihren Lippen ſo wie-
derhallen könnte, wenn ich wirklich vor Ihnen ſtände, —
dann ſchaudre ich vor Freude und Sehnſucht zuſammen.
O wie viel hundertmal träumt man, und träumt beſſer,
als einem je wird. — Muthwillig und übermüthig bin
ich auch zuweilen, und preiſe den Mann glücklich, der
ſo ſehr geliebt wird; dann lächlen Sie und bejahen es
in freundlicher Großmuth.
Weh' mir! wenn dies alles nie zur Wahrheit wird,
dann werd' ich im Leben das Herrlichſte vermiſſen. Ach,
iſt der Wein denn nicht die ſüßeſte und begehrlichſte un-
ter allen himmliſchen Gaben? daß wer ihn einmal ge-
koſtet hat, trunkner Begeiſtrung nimmer abſchwören
möchte. — Dieſen Wein werd' ich vermiſſen, und alles
andre wird mir ſein wie hartes geiſtloſes Waſſer, deſſen
man keinen Tropfen mehr verlangt, als man bedarf.
Wie werd' ich mich alsdann tröſten können? —
mit dem Lied etwa: „Im Arm der Liebe ruht ſich's
wohl, wohl auch im Schooß der Erde?“ — oder: „Ich
wollt' ich läg' und ſchlief zehntauſend Klafter tief.“ —
Ich wollt' ich könnte meinen Brief mit einem Blick
[118] in Ihre Augen ſchließen; ſchnell würde ich Vergebung
der Kühnheit herausleſen, und dieſe noch mit einſiegeln;
ich würde dann nicht ängſtlich ſein über das kindiſche
Geſchwätz, das mir doch ſo ernſt iſt. Da wird es hin-
getragen in raſcher Eile viele Meilen; der Poſtillion
ſchmettert mit vollem Enthuſiasmus ſeine Ankunft in
die Lüfte, als wolle er frohlockend fragen: was bring'
ich! — und nun bricht Goethe ſeinen Brief auf, und
findet das unmündige Stammeln eines unbedeutenden
Kindes. Soll ich noch Verzeihung fordern? — O, Sie
wiſſen wohl, wie übermächtig, wie voll ſüßen Gefühls
das Herz oft iſt, und die kindiſche Lippe kann das
Wort nicht treffen, den Ton kaum, der es wiederklin-
gen macht.
Bettine Brentano.
[119]
von Goethe.
Solcher Früchte, reif und ſüß, würde man gern
an jedem Tag' genießen, den man zu den ſchönſten zu
zählen berechtigt ſein dürfte.
Wolfgang Goethe.
Liebe Mutter, geben Sie dies eingeſiegelte Blätt-
chen an Bettine und fordern ſie auf, mir noch ferner
zu ſchreiben.
[120]
Wenn die Sonne am heißeſten ſcheint, wird der
blaue Himmel oft trübe; man fürchtet Sturm und Ge-
witter, beklemmende Luft drückt die Bruſt, aber endlich
ſiegt die Sonne; ruhig und golden ſinkt ſie dem Abend
in Schoos.
So war mir's, da ich Ihnen geſchrieben hatte; ich
war beklemmt, wie wenn ein Gewitter ſich ſpüren läßt,
und ward oft roth über den Gedanken, daß Sie es un-
recht finden möchten, und endlich ward mein Mißtrauen
nur durch wenig Worte, aber ſo lieb gelöſt. Wenn Sie
wüßten wie ſchnelle Fortſchritte mein Zutrauen in dem-
ſelben Augenblick machte, da ich erkannte, daß Sie es
gern wollen! — Gütiger, freundlich geſinnter Mann!
ich bin ſo unbewandert in Auslegung ſolcher köſtlichen
Worte, daß ich ſchwankte über ihren Sinn; die Mutter
aber ſagte: ſei nicht ſo dumm, er mag geſchrieben ha-
ben, was er will, ſo heißt es, Du ſollſt ihm ſchreiben,
ſo oft Du kannſt und was Du willſt. — Ach ich kann
Ihnen nichts anders mittheilen, als blos, was in mei-
nem Herzen vorgeht. O dürft' ich jetzt bei ihm ſein,
dacht' ich, ſo glühend hell ſollte meine Freudenſonne
ihm
[121] ihm leuchten, wie ſein Auge freundlich dem meinigen
begegnet. Ja wohl herrlich! Ein Purpurhimmel mein
Gemüth, ein warmer Liebesthau meine Rede, die Seele
müßte wie eine Braut aus ihrer Kammer treten, ohne
Schleier und ſich bekennen: o Herr, in Zukunft will ich
Dich oft ſehen und lang' am Tage, und oft ſoll ihn
ein ſolcher Abend ſchließen.
Ich gelobe es, dasjenige, was von der äußeren
Welt unberührt in mir vorgeht, heimlich und gewiſſen-
haft demjenigen darzulegen, der ſo gern Theil an mir
nimmt, und deſſen allumfaſſende Kraft den jungen Kei-
men meiner Bruſt Fülle befruchtender Nahrung verſpricht.
Das Gemüth hat ohne Vertrauen ein hartes Loos;
es wächſt langſam und dürftig, wie eine heiße Pflanze
zwiſchen Felſen; ſo bin ich, — ſo war ich bis heute, —
und dieſe Herzensquelle, die nirgend wo ausſtrömen
konnte, findet plötzlich den Weg an's Licht, und para-
dieſiſche Ufer im Balſamduft blühender Gefilde, beglei-
ten ihren Weg.
O Goethe! — meine Sehnſucht, mein Gefühl ſind
Melodieen, die ſich ein Lied ſuchen, dem ſie ſich an-
ſchmiegen möchten. Darf ich mich anſchmiegen? —
dann ſollen dieſe Melodieen ſo hoch ſteigen, daß ſie
Ihre Lieder begleiten können.
I. 6
[122]
Ihre Mutter ſchrieb wie von mir: daß ich keinen
Anſpruch an Antworten mache; daß ich keine Zeit rau-
ben wolle, die Ewiges hervorbringen kann; ſo iſt es
aber nicht: meine Seele ſchreit, wie ein durſtiges Kind-
chen; alle Zeiten, zukünftige und verfloſſene, möchte ich
in mich trinken, und mein Gewiſſen würde mir wenig
Bedenken machen, wenn die Welt von nun an weniger
von Ihnen zu erfahren bekäme, und ich mehr. Beden-
ken Sie indeß, daß nur wenig Worte von Ihnen ein
größeres Maaß von Freude ausfüllen werden, als ich
von aller ſpäteren Zeit erwarte.
Bettine.
Die Mutter iſt ſehr heiter und geſund, ſie trinkt
noch einmal ſo viel Wein wie vor'm Jahr, geht bei
Wind und Wetter in's Theater; ſingt in ihrem Über-
muth mir vor: „Zärtliche getreue Seele, deren Schwur
kein Schickſal bricht.“
Extrablatt.
Wir führen Krieg, ich und die Mutter, und nun
iſt's ſo weit gekommen, daß ich kapituliren muß; die
harte Bedingung iſt, daß ich ſelbſt Ihnen alles erzäh-
[123] len ſoll, womit ich's verſchuldet habe, und den die gute
Mutter ſo heiter und launig ertragen hat; ſie hat eine
Geſchichte daraus zuſammengeſponnen, die ſie mit tau-
ſend Plaiſir erzählt; ſie könnte es alſo ſelbſt viel beſſer
ſchreiben, das will ſie nicht, ich ſoll's zu meiner Strafe
erzählen, und da fühl' ich mich ganz beſchämt.
Ich ſollte ihr den Gall bringen, und führte ihr un-
ter ſeinem Namen den Tieck zu; ſie warf gleich ihre
Kopfbedeckung ab, ſetzte ſich und verlangte, Gall ſolle
ihren Schädel unterſuchen, ob die großen Eigenſchaften
ihres Sohnes nicht durch ſie auf ihn übergegangen
ſein möchten; Tieck war in großer Verlegenheit, denn
ich ließ ihm keinen Moment um der Mutter den Irr-
thum zu benehmen; ſie war gleich in heftigem Streit
mit mir, und verlangte, ich ſolle ganz ſtill ſchweigen
und dem Gall nicht auf die Sprünge helfen; da kam
Gall ſelbſt und nannte ſich; die Mutter wußte nicht
zu welchem ſie ſich bekehren ſolle, beſonders da ich ſtark
gegen den rechten proteſtirte, jedoch hat er endlich den
Sieg davon getragen, indem er ihr eine ſehr ſchöne Ab-
handlung über die großen Eigenſchaften ihres Kopfs
hielt; und ich hab' Verzeihung erhalten und mußte
verſprechen ſie nicht wieder zu betrügen. Ein paar
Tage ſpäter kam eine gar zu ſchöne Gelegenheit mich
6*
[124] zu rächen. Ich führte ihr einen jungen Mann aus
Strasburg zu, der kurz vorher bei Ihnen geweſen war;
ſie fragte höflich nach ſeinem Namen, noch eh' er ſich
nennen konnte, ſagte ich: der Herr heißt Schneegans,
hat Ihren Herrn Sohn in Weimar beſucht und bringt
Ihr viele Grüße von ihm. Sie ſah mich verächtlich
an und fragte: darf ich um Ihren werthen Namen
bitten? Aber noch ehe er ſich legitimiren konnte, hatte
ich ſchon wieder den famöſen Namen Schneegans
ausgeſprochen; ganz ergrimmt über mein grobes Verfah-
ren, den fremden Herrn eine Schneegans zu ſchimpfen,
bat ſie ihn um Verzeihung und daß mein Muthwill keine
Grenzen habe und manchmal ſogar in's Alberne ſpiele;
ich ſagte: der Herr heißt aber doch Schneegans. O
ſchweig, rief ſie, wo kann ein vernünftiger Menſch
Schneegans heißen! Wie nun der Herr endlich zu
Wort kam und bekannte, daß er wirklich die Fatalität
habe ſo zu heißen, da war es ſehr ergötzlich die Ent-
ſchuldigungen und Betheuerungen von Hochachtung ge-
genſeitig anzuhören; ſie amüſirten ſich vortrefflich mit
einander, als hätten ſie ſich Jahre lang gekannt, und
bei'm Abſchied ſagte die Mutter mit einem heroiſchen
Anlauf: leben Sie recht wohl Herr von Schneegans,
[125] hätte ich doch nimmermehr geglaubt, daß ich's über die
Zunge bringen könne! —
Nun, da ich's geſchrieben habe, erkenne ich erſt wie
ſchwer die Strafe iſt, denn ich hab' einen großen Theil
des Papiers beſchrieben, ohne auch nur ein Wörtchen
von meinen Angelegenheiten, die mir ſo ſehr im Herzen
liegen anzubringen. Ja, ich ſchäme mich Ihnen heute
noch was anders zu ſagen, als nur meinen Brief mit
Hochachtung und Liebe abzuſchließen. Aber Morgen da
fange ich einen neuen Brief an, und der hier ſoll nichts
gelten.
Bettine.
Ich habe heut bei der Mutter einliegenden Brief
an Sie abgeholt, um doch eher ſchreiben zu dürfen,
ohne unbeſcheiden zu ſein. Ich möchte gar zu gern recht
vertraulich, kindiſch und ſelbſt ungereimt an Sie ſchrei-
ben dürfen, wie mir's im Kopf käme; — darf ich? z. B.,
daß ich verliebt war fünf Tage lang, iſt das ungereimt?
— Nun, was ſpiegelt ſich denn in Ihrer Jugend-
[126] quelle? — Nur hineingeſchaut; Himmel und Erde ma-
len ſich drinn; in ſchöner Ordnung ſtehen die Berge
und die Regenbogen, und die blitzdurchriſſ'nen Gewit-
terwolken, und ein liebend Herz ſchreitet durch, höherem
Glück entgegen; und den Sonnedurchleuchteten Tag
kränzet der heimliche Abend in Liebchens Arm.
Drum ſei mir's nicht verargt, daß ich fünf Tage
lang verliebt war.
Bettine.
[127]
Der Dichter iſt manchmal ſo glücklich, das unge-
reimte zu reimen, und ſo wär' es Ihnen zu geſtatten,
liebes Kind, daß Sie ohne Rückhalt alles, was Sie der
Art mitzutheilen haben, ihm zukommen ließen.
Gönnen Sie mir aber auch eine nähere Beſchrei-
bung deſſen, der in fünftägigem Beſitz Ihres Herzens war,
und ob Sie auch ſicher ſind, daß der Feind nicht noch
im Verſteck lauert. Wir haben auch Nachrichten von
einem jungen Mann, der in eine große Bärenmütze ge-
hüllt in Ihrer Nähe weilt, und vorgiebt, ſeine Wunden
heilen zu müſſen, während er vielleicht im Sinne hat,
die gefährlichſten zu ſchlagen.
Erinnern Sie ſich jedoch bei ſo gefahrvollen Zeiten
des Freundes, der es angemeſſener findet, Ihren Her-
zenslaunen jetzt nicht in den Weg zu kommen.
G.
[128]
Heute hab' ich mit der Mutter Wahl gehalten, was
ich Ihnen für einen Titel geben darf; da hat ſie mir
die beiden frei gelaſſen, — ich hab' ſie beide hingeſchrie-
ben; ich ſeh' der Zeit entgegen wo meine Feder anders
dahin tanzen wird, — unbekümmert, wo die Flammen
hinausſchlagen; wo ich Ihnen mein verborgnes Herz
entdecke, das ſo ungeſtüm ſchlägt und doch zittert. Wer-
den Sie mir ſolche Ungereimtheiten auch auflöſen? —
Wenn ich in derſelben Natur mich weiß, deren inneres
Leben durch ihren Geiſt mir verſtändlich wird, dann
kann ich oft beide nicht mehr von einander unterſchei-
den; ich leg' mich an grünen Raſen nieder mit umfaſ-
ſenden Armen, und fühle mich Ihnen ſo nah wie da-
mals, wo Sie den Aufruhr in meinem Herzen zu be-
ſchwichtigen, zu dem einfachen Zaubermittel griffen, von
meinen Armen umfaßt, ſo lange mich ruhig anzuſehen,
bis ich von der Gewißheit meines Glückes mich durch-
drungen fühlte.
Lieber Freund! wer dürfte zweifeln, daß das, was
einmal ſo erkannt und ſo ergriffen war, wieder verlo-
[129] ren gehen könne? — Nein! — Sie ſind mir nimmer
fern. Ihr Geiſt lächelt mich an und berührt mich zärt-
lich vom erſten Frühlingsmorgen bis zum letzten Win-
terabend.
So kann ich Ihnen auch das Liebesgeheimniß mit
der Bärenmütze für Ihren leiſen Spott über meine ernſte
Treue auf das beſchämendſte erklären. — Nichts iſt
reizender als die junge Pflanze, in voller Blüthe ſte-
hend, auf der der Finger Gottes jeden friſchen Mor-
gen den zarten Thau in Perlen reihet, und ihre
Blätter mit Duft bemalt. — So blüheten im vori-
gen Jahr ein paar ſchöne blaue Augen unter der Bä-
renmütze hervor, ſo lächelten und ſchwätzten die anmu-
thigen Lippen, ſo wogten die ſchwanken Glieder, und ſo
ſchmiegte ſich zärtliche Neigung in jede Frage und Ant-
wort, und hauchten in Seufzern den Duft des tieferen
Herzens aus, wie jene junge Pflanze. — Ich ſah's mit
an und verſtand die Schönheit, und doch war ich nicht
verliebt; ich führte den jungen Huſaren zur Günderode,
die traurig war; wir waren jeden Abend zuſammen,
der Geiſt ſpielte mit dem Herzen, tauſend Äußerungen
und ſchöne Modulationen hörte und fühlte ich, — und
doch war ich nicht verliebt. — Er ging, — man ſah,
daß der Abſchied ſein Herz bedrängte; wenn ich nicht
6**
[130] wiederkehre, ſagte er, ſo glauben Sie, daß die köſtlichſte
Zeit meines Lebens dieſe letzte war. — Ich ſah ihn die
Stiegen hinabſpringen, ich ſah ſeine reizende Geſtalt,
in der Würde und Stolz ſeiner ſchwanken Jugend gleich-
ſam einen Verweis gaben, ſich auf's Pferd ſchwingen
und fort in den Kugelregen reiten, — und ich ſeufzte
ihm nicht nach.
Dies Jahr kam er wieder mit einer kaum vernarb-
ten Wunde auf der Bruſt; er war blaß und matt, und
blieb fünf Tage bei uns. Abends, wenn alles um den
Theetiſch verſammelt war, ſaß ich im dunkeln Hinter-
grund des Zimmers, um ihn zu betrachten, er ſpielte
auf der Guitarre; — da hielt ich eine Blume vor's
Licht, und ließ ihren Schatten auf ſeinen Fingern ſpie-
len, — das war mein Wagſtück; — mir klopfte das
Herz vor Angſt, er möchte es merken; da ging ich in's
Dunkel zurück und behielt meine Blume, und die Nacht
legte ich ſie unter's Kopfkiſſen. — Das war die letzte
Hauptbegebenheit in dieſem Liebesſpiel von fünf Tagen.
Dieſer Jüngling, deſſen Mutter ſtolz ſein mag auf
ſeine Schönheit; von dem die Mutter mir erzählte, er
ſei der Sohn der erſten Heißgeliebten meines
geliebten Freundes, hat mich gerührt.
Und nun mag der Freund ſich's auslegen, wie es
[131] kam, daß ich dies Jahr Herz und Aug' für ihn offen
hatte, und im vorigen Jahr nicht.
Du haſt mich geweckt mitten in lauen Sommer-
lüften, und da ich die Augen aufſchlug, ſah ich die
reifen Äpfel an goldnen Zweigen über mir ſchweben,
und da langt ich nach ihnen.
Adieu! in der Mutter Brief ſteht viel von Gall
und dem Gehirn; in dem meinigen viel vom Herzen.
Ich bitte, grüßen Sie den Doktor Schloſſer in Ih-
ren Briefen an die Mutter nicht mehr mit mir in einer
Rubrik; es thut meinem armen Hochmuth gar zu weh.
Bettine.
Dein Kind, dein Herz, dein gut
Mädchen, das dem Goethe über al-
les lieb hat, und ſich mit ſeinem An-
denken über alles tröſten kann.
Geſtern ſaß ich der Mutter gegenüber auf meinem
Schemel, Sie ſah mich an und ſagte: Nun was giebt's?
— warum ſiehſt Du mich nicht an? — ich wollte ſie
ſolle mir erzählen; — ich hatte den Kopf in meine Arme
[132] verſchränkt. Nein, ſagte ſie, wenn Du mich nicht an-
ſiehſt, ſo erzähl' ich nichts; und da ich meinen Eigen-
ſinn nicht brechen konnte, ward ſie ganz ſtill. — Ich
ging auf und ab durch die drei langen, ſchmalen Zim-
mer, und ſo oft ich an ihr vorüberſchritt, ſah ſie mich
an, als wolle ſie ſagen: Wie lang' ſoll's dauern? —
endlich ſagte ſie: hör! — ich dächte Du gingſt; — Wo-
hin? fragte ich. — Nach Weimar zum Wolfgang, und
holteſt Dir wieder Reſpekt gegen ſeine Mutter; ach
Mutter, wenn das möglich wär'! ſagte ich, und fiel ihr
um den Hals, und küßte ſie und lief im Zimmer auf
und ab. Ei, ſagte ſie, warum ſoll es denn nicht mög-
lich ſein? Der Weg dahin hängt ja an einander und
iſt kein Abgrund dazwiſchen; ich weiß nicht was Dich
abhält, wenn Du eine ſo ungeheure Sehnſucht haſt; —
eine Meile vierzigmal zu machen iſt der ganze Spaß,
und dann kommſt Du wieder und erzählſt mir alles. —
Nun hab' ich die ganze Nacht von der einen Meile
geträumt, die ich vierzigmal machen werde; es iſt ja wahr,
die Mutter hat recht, nach vierzig durchjagten Stunden läg'
ich am Herzen des Freundes; es iſt auf dieſer Erde,
wo ich ihn finden kann, auf gebahnten Wegen gehet
die Straße, alles deutet dorthin, der Stern am Him-
mel leuchtet bis zu ſeiner Schwelle, die Kinder am Weg
[133] rufen mir zu: dort wohnt er! — Was hält mich zurück?
— ich bin allein meiner heißen Sehnſucht Zeuge, und
ſollte mir's nicht gewähren, was ich bitte und flehe, daß
ich Muth haben möge? Nein ich bin nicht allein, dieſe
ſehnſüchtigen Gedanken — es ſind Geſtalten; ſie ſehen
mir fragend unter die Augen: wie ich mein Leben ver-
ſchleifen könne, ohne Hand in Hand mit ihm, ohne
Aug' in Aug' in ihrem Feuer zu verglühen. — O Goe-
the, ertrag' mich, nicht alle Tage bin ich ſo ſchwach,
daß ich mich hinwerfe vor Dir, und nicht aufhören will
zu weinen, bis Du mir alles verſprichſt. Es geht wie
ein ſchneidend Schwert durch mein Herz, daß ich bei
Dir ſein möchte; — bei Dir, und nichts anders will ich,
ſo wie das Leben vor mir liegt, weiß ich nichts, was
ich noch fordern könnte, ich will nichts neues wiſſen,
nichts ſoll ſich regen, kein Blatt am Baum, die Lüfte
ſollen ſchweigen; ſtille ſoll's in der Zeit ſein, und Du
ſollſt ausharren in Gelaſſenheit, bis alle Schmerzen an
Deiner Bruſt verwunden ſind.
Geſtern Abend war's ſo, lieber Goethe; plötzlich riß
der Zugwind die Thür auf und löſchte mir das Licht,
[134] bei dem ich Dir geſchrieben habe. — Meine Fenſter wa-
ren offen, und die Pläne waren nieder gelaſſen; der
Sturmwind ſpielte mit ihnen; — es kam ein heftiger
Gewitterregen, da ward mein kleiner Kanarienvogel auf-
geſtört — er flog hinaus in den Sturm, er ſchrie nach
mir, und ich lockte ihn die ganze Nacht. Erſt wie das
Wetter vorüber war legt' ich mich ſchlafen; ich war
müde und ſehr traurig, auch um meinen lieben Vogel.
Wie ich noch bei der Günderode die Griechiſche Ge-
ſchichte ſtudirte, da zeichnete ich Landkarten, und wenn
ich die Seen zeichnete, da half er Striche hinein machen,
daß ich ganz verwundert war, wie emſig er mit ſeinem
kleinen Schnabel immer hin und her kratzte.
Nun iſt er fort, gewiß hat ihm der Sturm das
Leben gekoſtet; da hab' ich gedacht, wenn ich nun hin-
ausflög', um Dich zu ſuchen, und käm' durch Sturm
und Unwetter bis zu Deiner Thür, die Du mir nicht
öffnen würdeſt, — nein Du wärſt fort; Du hätteſt nicht
auf mich gewartet, wie ich die ganze Nacht auf meinen
kleinen Vogel; Du geheſt andern Menſchen nach, Du
bewegſt Dich in andern Regionen; bald ſind's die Sterne,
die mit Dir Rückſprache halten, bald die tiefen abgründ-
lichen Felskerne; bald ſchreitet dein Blick als Prophet
durch Nebel und Luftſchichten, und dann nimmſt Du
[135] der Blumen Farben und vermählſt ſie dem Licht; deine
Leyer findeſt Du immer geſtimmt, und wenn ſie Dir
auch friſchgekränzt entgegen prangte, würdeſt Du fra-
gen: Wer hat mir dieſen ſchönen Kranz gewunden? —
Dein Geſang würde dieſe Blumen bald verſengen; ſie
würden ihre Häupter ſenken, ſie würden ihre Farbe ver-
lieren, und bald würden ſie unbeachtet am Boden
ſchleifen.
Alle Gedanken, die die Liebe mir eingiebt, alles
heiße Sehnen und Wollen, kann ich nur ſolchen Feld-
blumen vergleichen; — ſie thun unbewußt über dem
grünen Raſen ihre goldnen Augen auf, ſie lachen eine
Weile in den blauen Himmel, dann leuchten tauſend
Sterne über ihnen und umtanzen den Mond, und ver-
hüllen die zitternden, Thränen-belaſteten Blumen in
Nacht und betäubenden Schlummer. So biſt Du Poete
ein vom Sternenreigen ſeiner Eingebungen umtanzter
Mond; meine Gedanken aber liegen im Thal, wie die
Feldblumen, und ſinken in Nacht vor Dir, und meine
Begeiſterung ermattet vor Dir, und alle Gedanken ſchla-
fen unter deinem Firmament.
Bettine.
[136]
Mein liebes Kind! ich klage mich an, daß ich Dir
nicht früher ein Zeichen gegeben, wie genußreich und
erquickend es mir iſt, das reiche Leben deines Herzens
überſchauen zu dürfen. Wenn es auch ein Mangel in
mir iſt, daß ich Dir nur wenig ſagen kann, ſo iſt es
Mangel an Faſſung über alles was Du mir giebſt.
Ich ſchreibe Dir dieſen Augenblick im Flug', denn
ich fürchte da zu verweilen, wo ſo viel überſtrömendes
mich ergreift. Fahre fort, deine Heimath bei der Mut-
ter zu befeſtigen; es iſt ihr zu viel dadurch geworden,
als daß ſie dich entbehren könnte, und rechne Du auf
meine Liebe und meinen Dank.
G.
[137]
Wenn ich alles aus dem Herzen in die Feder flie-
ßen ließ, ſo würdeſt Du manches Blatt von mir bei
Seite legen, denn immer von mir und von Dir, und
einzig von meiner Liebe, das wär' doch nur der be-
wußte ewige Inhalt.
Ich hab's in den Fingerſpitzen, und meine ich müßte
Dir erzählen, was ich Nachts von Dir geträumt habe,
und denk' nicht, daß Du für anders in der Welt biſt.
Häufig hab' ich denſelben Traum, und es hat mir ſchon
viel Nachdenken gemacht, daß meine Seele immer un-
ter denſelben Bedingungen mit Dir zu thun hat; es iſt
als ſolle ich vor Dir tanzen, ich bin ätheriſch gekleidet,
ich hab' ein Gefühl, daß mir alles gelingen werde, die
Menge umdrängt mich. — Ich ſuche Dich, dort ſitzeſt
Du frei mir gegenüber; es iſt als ob Du mich nicht be-
merkteſt und ſeieſt mit anderem beſchäftigt; — jetzt trete
ich vor Dich, goldbeſchuhet, und die ſilbernen Ärme hän-
gen nachläſſig, und warte; da hebſt Du das Haupt,
dein Blick ruht auf mir unwillkührlich, ich ziehe mit
leiſen Schritten magiſche Kreiſe, dein Aug' verläßt mich
nicht mehr, Du mußt mir nach, wie ich mich wende
[138] und ich fühle einen Triumph des Gelingens; — alles
was Du kaum ahndeſt, das zeige ich Dir im Tanz, und
Du ſtaunſt über die Weisheit, die ich Dir vortanze,
bald werf' ich den luftigen Mantel ab und zeig' Dir
meine Flügel, und ſteig' auf in die Höhen; da freu' ich
mich, wie dein Aug' mich verfolgt; dann ſchweb' ich
wieder herab, und ſink' in deine umfaſſenden Arme;
dann athmeſt Du Seufzer aus, und ſiehſt an mir hin-
auf und biſt ganz durchdrungen; aus dieſen Träumen
erwachend kehr' ich zu den Menſchen zurück wie aus
weiter Ferne; ihre Stimmen ſchallen mir fremd, und
ihre Geberden auch; — und nun laß mich bekennen,
daß bei dieſen Bekenntniß meiner Traumſpiele meine
Thränen fließen. Einmal haſt Du für mich geſungen:
So laßt mich ſcheinen bis ich werde, zieht wir das weiße
Kleid nicht aus. — Dieſe magiſchen Reize, dieſe Zauber-
fähigkeiten ſind mein weißes Kleid; ich flehe auch, daß
es mir bleibe bis ich werde, aber Herr: dieſe Ahndung
läßt ſich nicht beſtreiten, daß auch mir das weiße Kleid
ausgezogen werde, und daß ich in den gewöhnlichen des
alltäglichen gemeinen Lebens einhergehen werde; und
daß dieſe Welt, in der meine Sinne lebendig ſind, ver-
ſinken wird; das, was ich ſchützend decken ſollte, das
werde ich verrathen; da wo ich duldend mich unterwer-
[139] fen ſollte, da werde ich mich rächen; und da wo mir
unbefangne kindliche Weisheit einen Wink giebt, da
werd' ich Trotz bieten und es beſſer wiſſen wollen; —
aber das traurigſte wird ſein, daß ich mit dem Fluch
der Sünde belaſten werde, was keine iſt, wie ſie es
alle machen; — und mir wird Recht dafür geſchehen.
— Du biſt mein Schutzaltar, zu Dir werd' ich flüchten;
dieſe Liebe, dieſe mächtige, die zwiſchen uns waltet, und
die Erkenntniß, die mir durch ſie wird, und die Offen-
barungen, die werden meine Schutzmauern ſein; ſie wer-
den mich frei machen von denen, die mich richten wollen.
Dein Kind.
Vorgeſtern waren Wir im Egmont, ſie riefen alle:
Herrlich! Wir gingen noch nach dem Schauſpiel unter
den Mondbeſchienenen Linden auf und ab, wie es
Frankfurter Sitte iſt, da hört' ich tauſendfachen Wie-
derhall. — Der kleine Dalberg war mit uns; er hatte
deine Mutter im Schauſpiel geſehen und verlangte, ich
ſolle ihn zu ihr bringen; ſie war eben im Begriff,
Nachttoilette zu machen, da ſie aber hörte, er komme
[140] vom Primas, ſo ließ ſie ihn ein; ſie war ſchon in der
weißen Negligeejacke, aber ſie hatte ihren Kopfputz noch
auf. Der liebenswürdige, feine Dalberg ſagte ihr, ſein
Onkel habe von oben herüber ihre Freudeglänzenden
Augen geſehen, während der Vorſtellung, und er wünſche
ſie vor ſeiner Abreiſe noch zu ſprechen, und möchte ſie
doch am andern Tag bei ihm zu Mittag eſſen. Die
Mutter war ſehr geputzt bei dieſem Diner das mit al-
lerlei Fürſtlichkeiten und ſonſt merkwürdigen Perſonen
beſetzt war, denen zu Lieb' die Mutter wahrſcheinlich invi-
tirt war, denn alle drängten ſich an ſie heran, um ſie zu ſe-
hen und mit ihr zu ſprechen. Sie war ſehr heiter und bered-
ſam, und nur von mir ſuchte ſie ſich zu entfernen. Sie ſagte
mir nachher, ſie habe Angſt gehabt, ich möge ſie in Verle-
genheit bringen; ich glaube aber, ſie hat mir einen
Streich geſpielt, denn der Primas ſagte mir ſehr wun-
derliche Sachen über Dich, und daß deine Mutter ihm
geſagt habe, ich habe einen erhabenen äſthetiſchen Sinn.
Da nahm er einen ſchönen Engländer bei der Hand,
einen Schwager des Lord Nelſon, und ſagte: dieſer feine
Mann mit der Habichtsnaſe der ſoll Sie zu Tiſch füh-
ren, er iſt der ſchönſte von der ganzen Geſellſchaft, neh-
men Sie vorlieb; der Engländer lächelte, er verſtand
aber nichts davon. Bei Tiſch wechſelte er mein Glas,
[141] aus dem ich getrunken hatte und bat mich um Erlaub-
niß, daraus zu trinken, der Wein würde ihm ſonſt
nicht ſchmecken; das ließ ich geſchehen, und alle Weine,
die ihm vorgeſetzt wurden, die goß er in dies Glas und
trank ſie mit begeiſterten Blicken aus; es war eine wun-
derliche Tiſchunterhaltung; bald rückte er ſeinen Fuß
dicht an den meinigen und fragte mich, was meine liebſte
Unterhaltung ſei: ich ſagte, ich tanze lieber als ich gehe,
und fliege lieber als ich tanze, und dabei zog ich mei-
nen Fuß zurück. Ich hatte meinen kleinen Strauß, den
ich vorgeſteckt hatte, in's Waſſerglas geſtellt, damit er
nicht ſobald welken ſolle, um ihn nach Tiſch wieder vor-
zuſtecken, er frug: „Will you give me this?“ ich nickte
ihm, er nahm ihn daran zu riechen und küßte ihn; er
ſteckte ihn in Buſen und knöpfte die Weſte drüber zu,
und ſeufzte, und da ſah er, daß ich roth ward. —
Sein Geſicht übergoß ſich mit einem Schmelz von Freund-
lichkeit; er wendete es zu mir, ohne die Augen aufzu-
ſchlagen, als wolle er mich auffordern, ſeine wohlge-
fällige Bildung zu beachten; ſein Fuß ſuchte wieder
den meinen, und mit leiſer Stimme ſagte er: bee
good fine girl. — Ich konnte ihm nicht unfreundlich
ſein, und doch wollte ich gerne meine Ehre retten; da
zog ich das eine End' meines langen Gürtels um ſein
[142] Bein, und band es geſchickt an dem Tiſchbein feſt,
ganz heimlich, daß es Niemand ſah; er ließ es geſche-
hen, ich ſagte: bee good fine boy. — Und nun waren
wir voll Scherz und Witz bis zum End' der Tafel, und
es war wirklich eine zärtliche Luſt zwiſchen uns; und
ich ließ ihn ſehr gern' meine Hand an ſein Herz ziehen,
wie er ſie küßte. —
Ich hab' meine Geſchichte der Mutter erzählt', die
ſagt', ich ſoll ſie Dir ſchreiben, es ſei ein artig Luſt-
ſpiel für Dich, und Du würdeſt ſie allein ſchön ausle-
gen; es iſt ja wahr, Du! der es weiß, daß ich gern
den Nacken unter deine Füße lege, Du wirſt mich nicht
ſchelten, daß ich der Kühnheit des Engländers, der gern
mit meinem Fuß geſpielt hätte, keinen ſtrengeren Ver-
weis gab. — Du, der die Liebe erkennt, und die Fein-
heit der Sinne, o wie iſt alles ſo ſchön in Dir; wie
rauſchen die Lebensſtröme ſo kräftig durch dein erregtes
Herz, und ſtürzen ſich mit Macht in die kalten Wellen
deiner Zeit, und brauſen auf, daß Berg und Thal rau-
chen von Lebensgluth, und die Wälder ſtehen mit glü-
henden Stämmen an deinen Geſtaden; und alles was
Du anblickſt wird herrlich und lebendig. Gott, wie
gern möcht' ich jetzt bei Dir ſein! und wär' ich im Flug,
weit über alle Zeiten, und ſchwebte über Dir: ich müßte
[143] die Fittige ſenken und mich gelaſſen der ſtillen Allmacht
Deiner Augen hingeben.
Die Menſchen werden Dich nicht immer verſtehen;
und die Dir am nächſten zu ſtehen behaupten, die wer-
den am meiſten Dich verläugnen; ich ſeh' in die Zukunft,
da ſie rufen werden: „Steiniget ihn!“ Jetzt, wo Deine
eigne Begeiſtrung, gleich einem Löwen ſich an Dich
ſchmiegt und Dich bewacht, da wagt ſich die Gemein-
heit nicht an Dich.
Deine Mutter ſagte letzt: Die Menſchen ſind zu
jetziger Zeit alle wie Gerning, der immer ſpricht: „wir
übrigen Gelehrten,“ und ganz wahr ſpricht, denn er
iſt übrig. —
Lieber todt als übrig ſein! Ich bin es aber nicht,
denn ich bin Dein, weil ich Dich erkenne in allem. —
Ich weiß, daß wenn ſich auch die Wolken vor dem
Sonnengott aufthürmen, daß er ſie bald wieder nieder-
drückt mit glänzender Hand; ich weiß, daß er keinen
Schatten duldet, als den er unter den Sproſſen ſeines
Ruhmes ſich ſelber ſucht. — Die Ruhe des Bewußtſeins
wird Dich überſchatten; — ich weiß, daß wenn er ſich
über den Abend hinwegbeugt, ſo erhebt er wieder im
Morgen das goldne Haupt. — Du biſt ewig. —
D'rum iſt es gut mit Dir ſein.
[144]
Wenn ich Abends allein im dunklen Zimmer bin
und des Nachbars Lichter den Schein an die Wand
werfen, zuweilen auch Streiflichter Deine Büſte erleuch-
ten, oder wenn es ſchon ſtill in der Stadt iſt, in der
Nacht; hier und dort ein Hund bellt, ein Hahn ſchreit; —
ich weiß nicht, warum es mich oft mehr wie menſchlich
ergreift; ich weiß nicht, wo ich vor Schmerz hin will. —
Ich möchte anders als wie mit Worten mit Dir ſprechen;
ich möchte mich an Dein Herz drücken; — ich fühl', daß
meine Seele lodert. — Wie die Luft ſo fürchterlich ſtill
ruht kurz vor dem Sturm, ſo ſtehen denn grad' meine
Gedanken kalt und ſtill, und das Herz wogt wie das
Meer. Lieber, lieber Goethe! — dann löſt mich eine
Rückerinnerung an Dich wieder auf; die Feuer- und
Kriegszeichen gehen langſam an meinem Himmel unter,
und Du biſt wie der hereinſtrömende Mondſtrahl. Du
biſt groß und herrlich und beſſer als alles, was ich bis
heute erkannt und erlebt hab', — Dein ganzes Leben
iſt ſo gut.
An
[145]
Was kann man Dir ſagen und geben, was Dir
nicht ſchon auf eine ſchönere Weiſe zugeeignet wäre;
man muß ſchweigen und Dich gewähren laſſen; wenn
es Gelegenheit giebt, Dich um etwas zu bitten, da mag
man ſeinen Dank mit einfließen laſſen für das viele,
was unerwartet durch Deine reiche Liebe einem geſchenkt
wird. Daß Du die Mutter pflegſt, möchte ich Dir gern
auf's Herzlichſte vergelten; — von dorther kam mir der
Zugwind, und jetzt, weil ich Dich mit ihr zuſammen
weiß, fühl' ich mich geſichert und warm.
Ich ſage Dir nicht: „komm!“ ich will nicht den
kleinen Vogel aus dem Neſte geſtört haben; aber der
Zufall würde mir nicht unwillkommen ſein, der Sturm
und Gewitter benützte, um ihn glücklich unter mein Dach
zu bringen. Auf jeden Fall, liebſte Bettine, bedenke,
daß Du auf dem Weg' biſt, mich zu verwöhnen.
Goethe.
I. 7
[146]
Freund, ich bin allein; alles ſchläft, und mich
hält's wach, daß es kaum iſt, wie ich noch mit Dir
zuſammen war. Vielleicht, Göthe, war dies das höchſte
Ereigniß meines Lebens; vielleicht war es der reichſte,
der ſeligſte Augenblick; ſchönere Tage ſollen mir nicht
kommen, ich würde ſie abweiſen.
Es war freilich ein letzter Kuß, mit dem ich ſchei-
den mußte, da ich glaubte, ich müſſe ewig an Deinen
Lippen hängen, und wie ich ſo dahin fuhr durch die
Gänge unter den Bäumen, unter denen wir zuſammen
gegangen waren, da glaubte ich, an jedem Stamme
müſſe ich mich feſthalten, — aber ſie verſchwanden, die
grünen wohlbekannten Räume, ſie wichen in die Ferne,
die geliebten Auen und Deine Wohnung war längſt
hinabgeſunken, und die blaue Ferne ſchien allein mir
meines Lebens Räthſel zu bewachen; — doch die mußt'
auch noch ſcheiden, und nun hatt' ich nichts mehr als
mein heiß' Verlangen, und meine Thränen floſſen die-
ſem Scheiden; ach, da beſann ich mich auf alles, wie
Du mit mir gewandelt biſt in nächtlichen Stunden,
und haſt mir gelächelt, daß ich Dir die Wolkenge-
[147] bilde auslegte und meine Liebe, meine ſchönen Träume,
und haſt mit mir gelauſcht dem Geflüſter der Blätter
im Nachtwind; der Stille der fernen weit verbreiteten
Nacht. — Und haſt mich geliebt, das weiß ich; wie
Du mich an der Hand führteſt durch die Straßen, da
hab' ich's an Deinem Athem empfunden, am Ton Dei-
ner Stimme, an etwas, wie ſoll ich's Dir bezeichnen,
das mich umwehte, daß Du mich aufnahmſt in ein in-
neres, geheimes Leben, und hatteſt Dich in dieſem Au-
genblick mir allein zugewendet und begehrteſt nichts als
mit mir zu ſein; und dies alles, wer wird mir's rau-
ben? — was iſt mir verloren? — Mein Freund, ich
habe alles, was ich je genoſſen. Und wo ich
auch hingehe — mein Glück iſt meine Heimath.
Wie die Regentropfen raſſeln an den kleinen run-
den Fenſterſcheiben, und wie der Wind furchtbar tobt!
Ich habe ſchon im Bett gelegen, und hatte mich nach
der Seite gewendet, und wollte einſchlafen in Dir, im
Denken an Dich. — Was heißt das: im Herrn ent-
ſchlafen? Oft fällt mir dieſer Spruch ein, wenn ich ſo
zwiſchen Schlaf und Wachen fühle, daß ich mit Dir
beſchäftigt bin; — ich weiß genau, wie das iſt: der
ganze irdiſche Tag vergeht dem Liebenden, wie das ir-
diſche Leben der Seele vergeht; ſie iſt hie und da in
7*
[148] Anſpruch genommen, und ob ſie ſich's ſchon verſpricht,
ſich ſelber nicht zu umgehen; ſo hat ſie ſich am End'
durch das Gewebe der Zeiten durchgearbeitet, immer un-
ter der heimlichen Bedingung, einmal nur Rückſprache
zu nehmen mit dem Geliebten, aber die Stunden legen
im Vorüberſchreiten jede ihre Bitten und Befehle dar;
und da iſt ein übermächtiger Wille im Menſchen, der
heißt ihn allem ſich fügen; den läßt er über ſich wal-
ten, wie das Opfer über ſich walten läßt, das da weiß,
es wird zum Altar geführt. — Und ſo entſchläft die
Seele im Herrn, ermüdet von der ganzen Lebenszeit,
die ihr Tyrann war und jetzt den Szepter ſinken läßt.
Da ſteigen göttliche Träume herauf, und nehmen ſie in
ihren Schoos, und hüllen ſie ein, und ihr magiſcher
Duft wird immer ſtärker und umnebelt die Seele, daß
ſie nichts mehr von ſich weiß; das iſt die Ruhe im
Grabe; ſo ſteigen Träume herauf jede Nacht, wenn ich
mich beſinnen will auf Dich, und ich laſſe mich ohne
Widerſtand einwiegen, denn ich fühle, daß mein Wol-
kenbett aufwärts mit mir ſteigt! —
Wenn Du dieſe Nacht auch wach gehalten biſt, ſo
mußt Du doch einen Begriff haben von dem ungeheue-
ren Sturm. Eben wollte ich noch ganz ſtark ſein und
mich gar nicht fürchten; da nahm aber der Wind einen
[149] ſo gewaltigen Anlauf, und klirrte an den Fenſterſchei-
ben und heulte ſo jammernd, daß ich Mitleid ſpürte,
und nun riß er ſo tückiſch die ſchwere Thüre auf, er
wollte mir das Licht auslöſchen; ich ſprang auf den
Tiſch und ſchützte es, und ich ſah durch die offne Thür
nach dem dunklen Gang, um doch gleich bereit zu ſein,
wenn Geiſter eintreten ſollten; ich zitterte vor herz-
klopfender Angſt; da ſah ich was ſich bilden, draußen
im Gang; und es war wirklich, als wollten zwei Män-
ner eintreten, die ſich bei der Hand hielten; einer weiß
und breitſchultrig, und der andre ſchwarz und freund-
lich; und ich dachte: das iſt Goethe! Da ſprang ich
vom Tiſch Dir entgegen, und lief zur Thür hinaus auf
den dunklen Gang, vor dem ich mich gefürchtet hatte,
und ging bis an's Ende Dir entgegen, und meine ganze
Angſt hatte ſich in Sehnſucht verwandelt; und ich war
traurig daß die Geiſter nicht kamen, Du und der Her-
zog. — Ihr ſeid ja oft hier geweſen zuſammen, Ihr
zwei freundlichen Brüder.
Gute Nacht, ich bin begierig auf morgen früh; da
muß ſich's ausweiſen, was der Sturm wird angerichtet
haben; das Krachen der Bäume, das Rieſeln der Waſſer
wird doch was durchgeſetzt haben.
[150]
Heute Morgen hat mich die Sonne ſchon halb
fünf Uhr geweckt; ich glaub' ich hab' keine zwei Stund'
geſchlafen; ſie mußte mir grad' in die Augen ſcheinen.
Eben hatte es aufgehört mit Wolkenbrechen und Wind-
wirblen, die goldne Ruh breitete ſich aus am blauen
Morgenhimmel; ich ſah die Waſſer ſich ſammlen und
ihren Weg zwiſchen den Felskanten ſuchen hinab in
die Fluth; geſtürzte Tannen brachen den brauſenden
Waſſerſturz, und Felsſteine ſpalteten ſeinen Lauf; er
war unaufhaltſam; er riß mit ſich, was nicht wider-
ſtehen konnte. — Da überkam mich eine ſo gewaltige
Luſt — ich konnte auch nicht widerſtehen: ich ſchürzte
mich hoch, der Morgenwind hielt mich bei den Haaren
im Zaum; ich ſtützte beide Hände in die Seite, um mich
im Gleichgewicht zu halten, und ſprang hinab, in küh-
nen Sätzen von einem Felsſtück zum andern, bald hü-
ben bald drüben, das brauſende Waſſer mit mir, kam
ich unten an; da lag, als wenn ein Keil ſie geſpalten
hätte bis an die Wurzel, der halbe Stamm einer hoh-
len Linde, quer über den ſich ſammlenden Waſſern.
O liebſter Freund! der Menſch, wenn er Morgen-
nebel trinkt und die friſchen Winde ſich mit ihm jagen,
und der Duft der jungen Kräuter in die Bruſt eindringt
[151] und in den Kopf ſteigt; und wenn die Schläfe pochen
und die Wangen glühen, und wenn er die Regentropfen
aus den Haaren ſchüttelt, was iſt das für eine Luſt!
Auf dem umgeſtürzten Stamm ruhte ich aus, und
da entdeckte ich unter den dick belaubten Äſten unzählige
Vogelneſter, kleine Meiſen mit ſchwarzen Köpfchen und
weißen Kehlen, ſieben in einem Neſte, und Finken und
Diſtelfinken; die alten Vögel flatterten über meinem
Kopf und wollten die jungen ätzen; ach, wenn's ihnen
nur gelingt, ſie groß zu ziehen in ſo ſchwieriger Lage;
denk' nur: aus dem blauen Himmel herabgeſtürzt an
die Erde, quer über einen reißenden Bach, wenn ſo ein
Vögelchen heraus fällt, muß es gleich erſaufen, und
noch dazu hängen alle Neſter ſchief. — Aber die hun-
derttauſend Bienen und Mücken die mich umſchwirrten,
die all' in der Linde Nahrung ſuchten; — wenn Du
doch das Leben mit angeſehen hätteſt! Da iſt kein
Markt ſo reich an Verkehr, und alles war ſo bekannt,
jedes ſuchte ſein kleines Wirthshaus unter den Blüthen,
wo es einkehrte; und emſig flog es wieder hinweg und
begegnete dem Nachbar, und da ſummten ſie an einan-
der vorbei, als ob ſie ſich's ſagten, wo gut Bier feil
iſt. — Was ſchwätze ich Dir alles von der Linde! —
und doch iſt's noch nicht genug; an der Wurzel hängt
[152] der Stamm noch zuſammen; ich ſah hinauf zu dem
Gipfel des ſtehenden Baumes, der nun ſein halbes Le-
ben am Boden hinſchleifen muß, und im Herbſt ſtirbt
er ihm ab. Lieber Goethe, hätte ich meine Hütte dort
in der einſamen Thalſchlucht, und ich wär' gewöhnt,
auf Dich zu warten, welch großes Ereigniß wär' dieſes;
wie würd' ich Dir entgegen ſpringen und von weitem
ſchon zurufen: „Denk' nur unſere Linde!“ — Und ſo
iſt es auch: ich bin eingeſchloſſen in meiner Liebe, wie
in einſamer Hütte, und mein Leben iſt ein Harren auf
Dich unter der Linde; wo Erinnerung und Gegenwart
duftet, und die Sehnſucht die Zukunft herbeilockt. Ach,
lieber Wolfgang, wenn der grauſame Sturm die Linde
ſpaltet, und die üppigere ſtärkere Hälfte mit allem
inne wohnenden Leben zu Boden ſtürzt, und ihr grü-
nes Laub, über böſem Geſchick, wie über ſtürzenden
Bergwaſſern, traurend welkt, und die junge Brut in
ihren Äſten verdirbt; o dann denk' daß die eine Hälfte
noch ſteht, und in ihr alle Erinnerung und alles Leben,
was dieſer entſprießt, zum Himmel getragen wird.
Adieu! Jetzt geht's weiter; morgen bin ich Dir
nicht ſo nah, daß ein Brief, den ich früh geſchrieben,
Dir ſpät die Zeit vertreibt. — Ach laſſe ſie Dir vertrei-
ben als wenn ich ſelbſt bei Dir wär: zärtlich!
[153]
In Kaſſel bleib' ich vierzehn Tage, dort werd' ich
der Mutter ſchreiben; ſie weiß noch nicht, daß ich bei
Dir war.
Bettine.
7**
Deine fliegenden Blätter, liebſte Bettine, kamen
grade zu rechter Zeit, um dem Verdruß über Dein Ver-
ſchwinden in etwas zu ſteuern. Beiliegend gebe ich Dir
einen Theil derſelben zurück; Du ſiehſt wie man ver-
ſucht, ſich an der Zeit die uns des Liebſten beraubt, zu
rächen und ſchöne Minuten zu verewigen. Möge ſich
Dir der Werth darin ſpiegeln, den Du für den Dichter
haben mußt.
Sollte Dein Vagabundenleben noch länger dauern,
ſo verſäume nicht von allem Nachricht zu geben; ich
[155] folge Dir gerne, wo Dich auch Dein dämoniſcher Geiſt
hinführt.
Ich lege dieſe Blätter an die Mutter bei, die Dir
ſie zu freundlicher Stunde ſenden mag, da ich Deine
Addreſſe nicht genau weiß. — Lebe wohl und komme
Deinen Verheißungen nach.
Goethe.
Wer kann's deuten und ermeſſen, was in mir vor-
geht? — Ich bin glücklich jetzt im Andenken der Ver-
gangenheit, als ich kaum damals in der Gegenwart
war; mein erregtes Herz, die Überraſchung bei Dir zu
ſein, dies Kommen und Gehen und Wiederkehren in den
paar Tagen, das war alles wie eindringende Wolken
an meinem Himmel; er mußte durch meine zu große
Nähe zugleich meinen Schatten aufnehmen, ſo wie er
auch immer dunkler iſt, wo er an die Erde gränzt; jetzt
in der Ferne wird er mild und hoch und ganz hell.
Ich möchte Deine liebe Hand mit meinen beiden
[156] an mein Herz drücken und Dir ſagen: wie Friede und
Fülle über mich gekommen iſt, ſeitdem ich Dich weiß.
Ich weiß, daß es nicht der Abend iſt, der mir jetzt
in's Leben hereindämmert; o wenn er's doch wäre!
Wenn ſie doch ſchon verlebt wären die Tage, und meine
Wünſche und meine Freuden, möchten ſie ſich alle an
Dir hinaufbilden, daß Du mit überdeckt wärſt und be-
kränzt, wie mit immergrünem Laub.
Aber ſo warſt Du, wie ich am Abend allein bei
Dir war, daß ich Dich gar nicht begreifen konnte;
Du haſt über mich gelacht, weil ich bewegt war,
und laut gelacht weil ich weinte, aber warum? Und
doch war es Dein Lachen, der Ton Deines Lachens
was mich zu Thränen rührte, ſo wie es meine
Thränen waren die Dich lachen machten, und ich
bin zufrieden und ſehe unter der Hülle dieſes Räth-
ſels Roſen hervorbrechen, die der Wehmuth und der
Freude zugleich entſprießen. — Ja, Du haſt recht,
Prophet: ich werde noch oft mit leichtem Herzen Scherz
und Luſt durchwühlen, ich werde mich müde tummlen,
ſo wie ich in meiner Kindheit (ach, ich glaub' es war
geſtern!) mich aus Übermuth auf den blühenden Fel-
dern herumwälzte und alles zuſammen drückte, und die
Blumen mit den Wurzeln ausriß, um ſie in's Waſſer
[157] zu werfen, — aber auf ſüßem, warmem, feſtem Ernſt
will ich ausruhen, und der biſt Du, lachender Pro-
phet. —
Ich ſag' Dir's noch einmal: wer verſteht's auf der
weiten Erde was in mir vorgeht, wie ich ſo ruhig in
Dir bin, ſo ſtill, ſo ohne Wanken in meinem Gefühl;
ich könnte, wie die Berge, Nächte und Tage in die
Vergangenheit tragen, ohne nur zu zucken in Deinem
Andenken. Und doch, wenn der Wind zuweilen von
der ganzen blühenden Welt den Duft und Saamen zu-
ſammen auf der Berge Wipfel trägt, ſo werden ſie
auch berauſcht, ſo wie ich geſtern; da hab' ich die Welt
geliebt, da war ich ſelig wie eine aufſprudelnde Quelle,
in die die Sonne zum erſten Mal ſcheint.
Leb' wohl, Herrlicher, der mich blendet und mich
verſchüchtert. — Von dieſem ſteilen Fels, auf den ſich
meine Liebe mit Lebensgefahr gewagt hat, iſt nicht
mehr herunter zu klettern, daran iſt gar nicht zu den-
ken, da bräch' ich auf allen Fall den Hals.
Bettine.
Und ſo weit hatte ich geſtern geſchrieben, ſaß heute
Morgen auf dem Seſſel und las ſtill und andächtig in
einer Chronik, ohne mich zu bewegen, denn ich wurde
dabei gemalt, ſo wie Du mich bald ſehen ſollſt, — da
[158] brachte man mir das blaue Couvert, und ich brach auf
und fand mich darin in göttlichem Glanz wiedergebo-
ren, und zum erſten Mal glaubte ich an meine Se-
ligkeit.
Was will ich denn? Ich begreif's nicht; Du be-
täubſt mich, jeder kleine Lärm iſt mir zuwider; —
wär's nur ganz ſtill in der Welt, und ich brauchte
nichts mehr zu erfahren nach dieſem einen Augenblick
der mich ſchmerzt, und nach dem ich mich immer zu-
rückſehnen werde. — Ach! und was will ich denn mit
Dir? — Nicht viel; Dich anſehen oft und warm, Dich
begleiten in Dein ſtilles Haus, Dich ausfragen in müßi-
gen Stunden über Dein früheres und jetziges Leben, ſo
wie ich Dein Angeſicht ausgefragt hab' über ſeine frü-
here und jetzige Schönheit. — Auf der Bibliothek da
konnte ich nicht umhin mich zu Deiner jungen Büſte
aufzuſchwingen, und meinen Schnabel wie eine Nach-
tigall dran zu wetzen; Du breiter voller Strom, wie
Du damals durch die üppigen Gegenden der Jugend
durchbrauſteſt, und jetzt eben ganz ſtill durch Deine
Wieſen zogſt; ach, und ich ſtürzte Dir Felsſteine vor;
und wie Du wieder Dich aufthürmteſt; wahrlich es
war nicht zu verwundern, denn ich hatte mich tief ein-
gewühlt.
[159]
O Goethe! — der Gott da oben iſt ein großer
Dichter, der bildet Geſchicke frei im Äther ſchwebend,
glanzvoller Geſtalt. Unſer armes Herz das iſt der Mut-
terſchooß, aus dem er ſie mit großen Schmerzen gebo-
ren werden läſſet; das Herz verzweifelt, aber jene Ge-
ſchicke ſchwingen ſich aufwärts, freudig hallen ſie wieder
in den himmliſchen Räumen. — Deine Lieder ſind der
Saamen, er fällt in's wohl vorbereitete Herz, — ich
fühl's, mag ſich's wenden wie es auch will, frei von
irdiſcher Schwere wird es als himmliſches Gedicht einſt
aufwärts ſich ſchwingen, und dem Gott da oben wer-
den dieſe Schmerzen und dieſe Sehnſucht und dieſe be-
geiſterten Schwingungen Sproſſen des jungen Lorbeers
weihen, und ſelig wird das Herz ſein, das ſolche Schmer-
zen getragen hat.
Siehſt Du, wie ich heute ernſthaft mit Dir zu
ſprechen verſteh'? — ernſter als je; und weil Du jung
biſt, und herrlich, und herrlicher wie alle, ſo wirſt Du
mich auch verſtehen. — Ich bin ganz ſanft gewor-
den durch Dich; am Tag' treib' ich mich mit Men-
ſchen, mit Muſik und Büchern herum, und Abends,
wenn ich müde bin und will ſchlafen, da rauſcht die
Fluth meiner Liebe mir gewaltſam in's Herz. Da ſeh'
ich Bilder, alles was die Natur Sinnliches bietet, das
[160] umgiebt Dich und ſpricht für Dich; auf Höhen er-
ſcheinſt Du; zwiſchen Bergwänden in verſchlungnen
Wegen ereile ich Dich, und Dein Geſicht malt Räth-
ſel, lieblich zu löſen. — Den Tag, als ich Abſchied
nahm von Dir, mit dem einen Kuß, mit dem ich
nicht ſchied, da war ich Morgens beinah eine ganze
Stunde allein im Zimmer, wo das Klavier ſteht; da
ſaß ich auf der Erde im Eck und dachte: „es geht
nicht anders, Du mußt noch einmal weinen,“ und Du
warſt ganz nah und wußteſt es nicht; und ich weinte
mit lachendem Mund, denn mir ſchaute das feſte
grüne Land durch den trübſinnigen Nebel durch. —
Du kamſt, und ich ſagte Dir recht kurz (und ich
ſchränkte mich recht ein dabei) wie Du mir werth ſeiſt.
Morgen reiſe ich nach Frankfurt, da will ich der
Mutter alle Liebe anthun und alle Ehre, denn ſelig iſt
der Leib, der Dich getragen hat.
Bettine.
[161]
Kannſt Du dir keinen Begriff machen, mit welchem
Jubel die Mutter mich aufnahm! ſo wie ich hereinkam,
jagte ſie alle fort, die bei ihr waren. Nun, Ihr Her-
ren, ſagte ſie, hier kommt jemand, der mit mir zu ſpre-
chen hat, und ſo mußten alle zum Tempel hinaus. Wie
wir allein waren ſollte ich erzählen, — da wußt' ich
nichts. Aber wie war's wie Du ankamſt? — ganz mi-
ſerabel Wetter; — vom Wetter will ich nichts wiſſen;
— vom Wolfgang, wie war's, wie Du hereinkamſt?
Ich kam nicht, er kam; — nun wohin? — in den Ele-
phanten, um Mitternacht drei Treppen hoch; alles ſchlief
ſchon feſt, die Lampen auf dem Flur ausgelöſcht, das
Thor verſchloſſen, und der Wirth hatte den Schlüſſel
ſchon unterm Kopfkiſſen, und ſchnarchte tüchtig. — Nun
wie kam er denn da herein? — Er klingelte zwei-
mal, und wie er zum drittenmal recht lang an der
Glocke zog, da machten ſie ihm auf. — Und Du? —
ich in meiner Dachſtube merkte nichts davon; Meline
lag ſchon lange und ſchlief im Alkoven mit vorgezog-
nen Vorhängen; ich lag auf dem Sopha, und hatte die
Hände über'm Kopf gefaltet, und ſah, wie der Schein
[162] der Nachtlampe, wie ein großer runder Mond an der
Decke ſpielte; da hört' ich's raſchlen an der Thür, und
mein Herz war gleich auf dem Fleck; es klopfte, wäh-
rend ich lauſchte, aber weil es doch ganz unmöglich war,
in dieſer ſpäten Stunde, und weil es ganz ſtill war, ſo
hört' ich nicht auf mein ahndendes Herz; — und da
trat er herein, verhüllt bis an's Kinn im Mantel, und
machte leiſe die Thür hinter ſich zu, und ſah ſich um,
wo er mich finden ſollte; ich lag in der Ecke des So-
phas ganz in Finſterniß eingeballt, und ſchwieg; da
nahm er ſeinen Hut ab, und wie ich die Stirne leuch-
ten ſah, und den ſuchenden Blick, und wie der Mund
fragte: Nun, wo biſt Du denn? da that ich einen lei-
ſen Schrei des Entſetzens über meine Seeligkeit, und da
hat er mich auch gleich gefunden.
Die Mutter meinte, das würde eine ſchöne Ge-
ſchichte geworden ſein in Weimar. Der Herr Miniſter
um Mitternacht im Elephanten drei Treppen hoch eine
Viſite gemacht! — Ja wohl iſt die Geſchichte ſchön!
jetzt, wo ich ſie hier überleſe, bin ich entzückt, überraſcht,
hingeriſſen, daß mir dies all' begegnet iſt, und ich frag'
Dich: welche Stunde wird ſo ſpät ſein in deinem Le-
ben, daß es nicht dein Herz noch rühren ſollte? — Wie
Du in der Wiege lagſt, da konnte kein Menſch ahn-
[163] den, was aus Dir werden würde, und wie ich in der
Wiege lag, da hat mir's keiner geſungen, daß ich Dich
einſt küſſen würde.
Hier fand ich alles auf dem alten Fleck; mein Fei-
genbaum hat Feigen gewonnen und ſeine Blätter aus-
gebreitet; mein Gärtchen auf dem großen Hausaltan,
der von einem Flügel zum andern reicht, ſteht in voller
Blüthe, der Hopfen reicht bis an's Dach, in die Laube
hab' ich meinen Schreibtiſch geſetzt; da ſitze ich und
ſchreib' an Dich und träume von Dir, wenn mir der
Kopf trunken iſt, von den Sonnenſtrahlen; ach, ich lieg'
ſo gern' in der Sonne und laſſe mich recht durchbrennen.
Geſtern ging ich am Stift vorbei, da klingelte ich
nach früherer Gewohnheit, und da lief ich nach dem
kleinen Gang, der nach der Günderode ihrer Wohnung
führt. Die Thüre iſt noch verſchloſſen, es hat noch nie-
mand wieder den Fuß über die Schwelle geſetzt; ich
küßte dieſe Schwelle, über die ſie ſo oft geſchritten iſt,
um zu mir zu gehen, und ich zu ihr. — Ach, wenn ſie
noch lebte, welch' neues Leben würde ihr aufgehen,
wenn ich ihr alles erzählte, wie Wir in jenen Nacht-
ſtunden ſo ſtill neben einander geſeſſen haben, die Hände
in einander gefügt, und wie die einzelnen Laute, die
über deine Lippen kamen, mir in's Herz drangen. Ich
[164] ſchreib' dir's her, damit Du es nie vergeſſen ſollſt.
Freund, ich könnte eiferſüchtig ſein über deine Anmuth;
die Grazien ſind weiblich, ſie ſchreiten vor Dir her, wo
Du eintrittſt, da iſt heilige Ordnung, denn alles zufäl-
lige ſelbſt ſchmiegt ſich deiner Erſcheinung an. — Sie
umgeben Dich, ſie halten Dich gefangen, und in der
Zucht, denn Du mögteſt vielleicht manchmal anders,
aber die Grazien leiden's nicht, ja dieſe ſtehen Dir weit
näher, ſie haben vielmehr Gewalt über Dich, als ich.
Der Primas hat mich auch einladen laſſen, wie er
hörte, daß ich von Weimar komme; ich ſollte ihm von
Dir erzählen. Da hab' ich ihm allerlei geſagt, was
ihm Freude machen konnte. Dein Mädchen hatte ſich
geputzt, es wollte Dir Ehre machen, ja ich wollte ſchön
ſein, weil ich Dich liebe, und weil es die Leute wiſſen,
daß Du mir gut biſt; ein Roſa Atlaskleid mit ſchwar-
zen Sammtärmeln und ſchwarzem Bruſtſtück, und ein
ſchöner Strauß duftete an meinem Herzen, und goldne
Spangen hielten meine ſchwarzen Locken zurück. Du
haſt mich noch nie geputzt geſehen; ich kann Dir ſagen,
mein Spiegel iſt freundlich bei ſolcher Gelegenheit, und
das macht mich ſehr vergnügt, ſo daß ich geputzt immer
ſehr luſtig bin. Der Primas fand mich auch hübſch
und nennte die Farben meines Kleides préjugé vaincu,
[165] nein ſagte ich: Marlborough s'enva-t-en guerre, qui sait
quand il reviendra. — Le voilà de retour ſagte er, und
zog meinen Engländer hervor der vor drei Wochen mit
mir bei ihm zu Mittag gegeſſen hatte; nun mußte ich
wieder neben ihm ſitzen beim Soupé, und er ſagte mir
auch engliſch allerlei Zärtlichkeiten die ich nicht verſte-
hen wollte, und worauf ich ihm verkehrte Antworten
gab, ſo war ich ſehr luſtig; wie ich ſpät nach
Hauſe kam, da duftete mein Schlafzimmer von Wohl-
geruch, und da war eine hohe Blume die dieſen Duft
ausſtrömte die ich noch nie geſehen hatte, eine Königin
der Nacht, ein fremder Bedienter der nicht deutſch ſpre-
chen konnte hatte ſie für mich gebracht; das war alſo
ein freundliches Geſchenk vom Engländer der in dieſer
Nacht noch abgereiſt war. Ich ſtand vor meiner Blume
allein und beleuchtete ſie, und ihr Duft ſchien mir wie
Tempelduft. — Der Engländer hat's verſtanden mir
zu gefallen.
Der Primas hat mir noch Aufträge gegeben; ich
ſoll Dir ſagen, daß wenn dein Sohn kommt, ſo ſoll er
ihn in Aſchaffenburg beſuchen, wohin er in dieſen Ta-
gen abreiſt. — Da er aber erſt zu Oſtern kommt, ſo
wird der Primas wieder hier ſein.
Dein Kind küßt Dir die Hände.
[166]
Die Mutter läßt mich heut' rufen, und ſagt', ſie
habe einen Brief von Dir, und läßt mich nicht hinein
ſehen, und ſagt, Du verlangſt, ich ſoll dem Dux ſchrei-
ben ein paar Zeilen, weil er die Artigkeit gehabt hat,
für die umgeſtürzte Linde zu ſorgen, und das nennſt
Du in meine elegiſchen Empfindungen eingehen. —
Liebſter Freund, ich kann nicht leiden, daß ein andrer
in meine Empfindung eingehe, die ich blos zu Dir hege;
da treib' ihn nur wieder heraus; und ſei Du allein in
mir und mache mich nicht eiferſüchtig.
Dem Dux aber ſage, was meine Devotion mir hier
eingiebt: daß es ein andrer hoher Baum iſt, für deſſen
Pflege ich ihm danke, deſſen blühende Äſte weit über
die Grenzen des Landes in andre Welttheile ragen, und
Früchte ſpenden und duftenden Schatten geben. Für
den Schutz dieſes Baumes, für die Gnadenquelle die
ihn tränkt, für den Boden der Liebe und Freundſchaft,
aus welchem er begeiſternde Nahrung ſaugt, bleibt mein
Herz ihm ewig unterworfen, und dann dank' ich ihm
auch noch, daß er der Wartburger Linde nicht ver-
gißt. —
[167]
Du haſt Dich, liebe Bettine, als ein wahrer klei-
ner Chriſtgott erwieſen, wiſſend und mächtig, eines je-
den Bedürfniſſe kennend und ausfüllend; — und ſoll ich
Dich ſchelten oder loben, daß Du mich wieder zum
Kinde machſt? Denn mit kindiſcher Freude hab' ich
deine Beſcheerung vertheilt und mir ſelbſt zu geeignet.
Deine Schachtel kam kurz vor Tiſche; verdeckt trug ich
ſie dahin, wo Du auch einmal geſeſſen, und trank zu-
erſt Auguſt aus dem ſchönen Glaſe zu. Wie verwun-
dert war er, als ich es ihm ſchenkte! Darauf wurde
Riemer mit Kreuz und Beutel beliehen; Niemand er-
rieth, woher? Auch zeigte ich das künſtliche und zier-
liche Beſteck; — da wurde die Hausfrau verdrießlich,
daß ſie leer ausgehen ſollte. Nach einer Pauſe, um ihre
Geduld zu prüfen, zog ich endlich den ſchönen Gewand-
ſtoff hervor; das Räthſel war aufgelöſt, und jedermann
in deinem Lobe eifrig und fröhlich.
Wenn ich alſo das Blatt noch umwende, ſo hab'
ich immer nur Lob und Dank dacapo vorzutragen; das
ausgeſuchte zierliche der Gaben war überraſchend. Kunſt-
[168] kenner wurden herbei gerufen, die artigen Balgenden zu
bewundern — genug, es entſtand ein Feſt, als wenn
Du eben ſelbſt wieder gekommen wärſt. — Du kommſt
mir auch wieder in jedem deiner lieben Briefe und doch
immer neu und überraſchend, ſo daß man glauben ſollte,
von dieſer Seite habe man Dich noch nicht gekannt;
und deine kleinen Abentheuer weißt Du ſo allerliebſt zu
drehen, daß man gern der eiferſüchtigen Grillen ſich be-
giebt, die einem denn auch zuweilen anwandlen; blos
um das artige Ende des Spaßes mit zu erleben. So
war es mit der launigen Epiſode des Engländers, deſ-
ſen ungeziemendes Wagniß den Beweis für ſein ſchönes
ſittliches Gefühl herbeiführen mußte. Ich bin Dir ſehr
dankbar für ſolche Mittheilungen, die freilich nicht jedem
recht ſein mögen; möge dein Vertrauen wachſen, das
mir ſo viel zubringt, was ich jetzt nicht mehr gerne ent-
behren mag; auch ein belobendes Wort muß ich Dir
hier ſagen für die Art, wie Du dich mit meinem gnä-
digſten Herrn verſtändigt haſt. Er konnte nicht um-
hin, auch dein diplomatiſches Talent zu bewundern; du
biſt allerliebſt meine kleine Tänzerin, die einem mit
jeder Wendung unvermuthet den Kranz zuwirft. Und
nun hoffe ich bald Nachricht, wie Du mit der guten
Mutter lebſt, wie Du ihrer pflegſt, und welche ſchöne
ver-
[169] vergangne Zeiten zwiſchen Euch beiden wieder aufer-
ſtehen.
Der lieben Meline Mützchen iſt auch angekommen.
Ich darf's nicht laut ſagen; es ſteht aber niemand ſo
gut als ihr. Freund Stollen's Attention auf dem blauen
Papier hat Dir doch Freude gemacht. Adieu mein ar-
tig Kind! ſchreibe bald, daß ich wieder was zu über-
ſetzen habe.
Freundlicher Mann! Du biſt zu gut, Du nimmſt
alles, was ich Dir im heiteren Übermuth biete, als
wenn es noch ſo viel Werth habe; aber ich fühl's recht
in deinem freundlichen Herabneigen, daß Du mir gut
biſt, wie dem Kind, das Gras und Kräuter bringt und
meint, es habe einen auserleſenen Strauß zuſammen ge-
ſucht; dem lächelt man auch ſo zu und ſagt; wie ſchön
iſt dein Strauß, wie angenehm duftet er, er ſoll mir
blühen in meinem Garten, hier unter mein Fenſter will
ich ihn pflanzen; und doch ſind es nur wurzelloſe Feld-
blumen, die bald welken. Ich aber ſehe mit Luſt, wie
I. 8
[170] Du mich in Dich aufnimmſt, wie Du dieſe einfachen
Blumen, die am Abend ſchon welken müßten, in's Feuer
der Unſterblichkeit hältſt und mir zurück giebſt. — Nennſt
Du das auch überſetzen, wenn der göttliche Genius
die idealiſche Natur vom irdiſchen Menſchen ſcheidet, ſie
läutert, ſie enthüllt, ſie ſich ſelbſt wieder anvertraut,
und ſo die Aufgabe, ſeelig zu werden, löſt? ja, Goethe,
ſo machſt Du die Seufzer die meine ſehnende Liebe aus-
haucht zu Geiſtern, die mich auf der Straße der See-
ligkeit umſchweben; ach, und wohl auch meiner Unſterb-
lichkeit weit voraneilen.
Welch' heiliges Abentheuer, das unter dem Schutze
des Eros ſich kühn und ſtolz aufſchwingt, kann ein herr-
licher Ziel erreichen, als ich in Dir erreicht habe! Wo
Du mir zugiebſt mit Luſt: Gehemmt ſei nun zum
Vater hin das Streben. — O glaub' es: Nimmer
trink' ich mich ſatt an dieſen Liebesergießungen; ewig
fühl' ich von brauſenden Stürmen mich zu deinen Fü-
ßen getragen, und in dieſem neuen Leben, in dem
meine Glücksſterne ſich ſpieglen, vor Wonne untergehn.
Dieſe Thränen, die meine Schrift verblaſſen, die
möcht' ich wie Perlen aufreihen und geſchmückt vor Dir
erſcheinen, und Dir ſagen: vergleiche ihr reines Waſſer
mit deinen andern Schätzen, und dann ſollteſt Du mein
[171] Herz ſchlagen hören, wie am Abend, wo ich vor Dir
kniete.
Geheimniſſe umſchweben Liebende, ſie hüllen ſie in
ihre Zauberſchleier, aus denen ſich ſchöne Träume ent-
falten. Du ſitzeſt mit mir auf grünem Raſen, und trinkſt
dunklen Wein aus goldnem Becher, und gießeſt die
Neige auf meine Stirn. [Aus] dieſem Traum erwachte
ich heute, voll Freude, daß Du mir geneigt biſt. Ich
glaube, daß Du Theil an ſolchen Träumen haſt; daß
Du liebſt in ſolchen Augenblicken; — wem ſollte ich
ſonſt dies ſeelige Sein verdanken, wenn Du mir's nicht
gäbſt! — Und wenn ich denn zum gewöhnlichen Tag
erwache, dann iſt mir alles ſo gleichgültig, und was
mir auch geboten wird, — ich entbehre es gern; ja ich
möchte von allem geſchieden ſein, was man Glück nennt,
und nur innerlich das Geheimniß, daß dein Geiſt meine
Liebe genießt, ſo wie meine Seele von deiner Güte ſich
nährt.
Ich ſoll Dir von der Mutter ſchreiben; — nun es
iſt wunderlich zwiſchen uns beſchaffen, wir ſind nicht
mehr ſo geſprächig, wie ſonſt, aber doch vergeht kein
Tag, ohne daß ich die Mutter ſeh'. Wie ich von der
Reiſe kam, da mußte ich die Rolle des Erzählens über-
nehmen, und obſchon ich lieber geſchwiegen hätte, ſo
8*
[172] war doch ihres Fragens kein Ende, und ihrer Begierde
mir zuzuhören auch nicht. Es reizt mich unwiderſtehlich,
wenn Sie mit großen Kinderaugen mich anſieht, in de-
nen der genügendſte Genuß funkelt. So löſ'te ſich meine
Zunge, und nach und nach manches vom Herzen, was
man ſonſt nicht leicht wieder [ausſpricht].
Die Mutter iſt liſtig, wie ſie mich zum Erzählen
bringt, ſo ſagt ſie: Heute iſt ein ſchöner Tag, heut geht
der Wolfgang gewiß nach ſeinem Gartenhaus, es muß
noch recht ſchön da ſein, nicht wahr, es liegt im Thal?
— Nein es liegt am Berg, und der Garten geht auch
Berg auf, hinter dem Haus, da ſind große Bäume, von
ſchönem Wuchs und reich belaubt. — So! und da biſt
Du Abends mit ihm hingeſchlendert aus dem römiſchen
Haus? — Ja, ich hab's Ihr ja ſchon zwanzigmal er-
zählt; — ſo erzähl's noch einmal. Hattet Ihr denn
Licht im Haus? — Nein, wir ſaßen vor der Thür auf
der Bank, und der Mond ſchien hell. — Nun! und da
ging ein kalter Wind? — Nein, es war gar nicht kalt,
es war warm, und die Luft ganz ſtill und wir waren
[173] auch ſtill. Die reifen Früchte fielen von den Bäumen,
er ſagte: da fällt ſchon wieder ein Apfel und rollt' den
Berg hinab; da überflog mich ein Froſtſchauer; — der
Wolfgang ſagte: Mäuschen Du frierſt, und ſchlug mir
ſeinen Mantel um, den zog ich dicht um mich und ſeine
Hand hielt ich feſt, und ſo verging die Zeit — und wir
ſtanden beide zugleich auf, und gingen Hand in Hand
durch den einſamen Wieſengrund; — jeder Schritt klang
mir wieder im Herzen, in der lautloſen Stille, — der
Mond kam hinter jedem Buſch hervor und beleuchtete
uns, — da blieb der Wolfgang ſtehen und lachte mich
an im Mondglanz, und ſagte zu mir: Du biſt mein
ſüßes Herz, und ſo führte er mich bis zu ſeiner Woh-
nung und das war alles. — „Und das waren goldne
Minuten die keiner mit Gold aufwiegen kann, ſagte
die Mutter, und die ſind nur Dir beſcheert, und unter
Tauſenden wird's keiner begreifen, was Dir für ein
Glücksloos zugefallen iſt; ich aber verſteh' es und ge-
nieße es, als wenn ich zwei ſchöne Stimmen ſich ſin-
gend Red' und Antwort geben hörte über ihr verſchwie-
genſtes Glück.“
Da holte mir die Mutter deinen Brief, und ließ
mich leſen, was Du über mich geſchrieben haſt, daß es
[174] Dir ein großer Genuß ſei, meine Mittheilungen über
Dich zu hören; die Mutter meint, ſie könne es nicht,
es läg' in meiner Art zu erzählen, das Beſte.
Da hab' ich Dir nun dieſen ſchönen Abend be-
ſchrieben.
Ich weiß ein Geheimniß: wenn zwei mit einander
ſind, und der göttliche Genius waltet zwiſchen ihnen,
das iſt das höchſte Glück.
Adieu mein lieber Freund.
Ach frage nur nicht warum ich ſchon wieder ein
neues Blatt vornehme, da ich Dir doch eigentlich nichts
zu ſagen habe? — ich weiß freilich noch nicht womit
ich's ausfüllen ſoll, aber das weiß ich, daß es doch zu-
letzt in deine lieben Hände kommt. Drum hauch ich's
an mit allem was ich Dir ausſprechen würde, ſtänd' ich
ſelbſt vor Dir. Ich kann nicht kommen, drum ſoll der
Brief mein ungetheiltes Herz zu Dir hinüber tragen,
erfüllt mit Genuß vergangner Tage, mit Hoffnung auf
neue, mit Sehnſucht und Schmerz um Dich; da weiß
ich nun keinen Anfang und kein Ende.
[175]
Von Heute mag ich Dir nun gar nichts vertrauen,
wie ſoll ich loskommen vom Wünſchen und Sinnen und
Wähnen; wie ſoll ich Dir mein treues Herz das ſich
von allem zu Dir allein hinüberwendet, ausſprechen? —
ich muß ſchweigen wie damals, als ich vor Dir ſtand,
um Dich anzuſehen. Ach was hätt' ich auch ſagen ſol-
len? — ich hatte nichts mehr zu verlangen *).
Geſtern waren viele witzige Köpfe im Haus Bren-
tano beiſammen, da wurden unter andern gymnaſtiſchen
Geiſtesübungen auch Räthſel aufgegeben, da waren ſehr
geſchickte Einfälle und wie die Reihe an mich kam, da
wußt ich nichts. Und wie ich in der Verlegenheit mich
umſah, und kein Geſicht das mir einen befreundeten, ver-
ſtändlichen Ausdruck hatte, da erfand ich dies Räthſel:
[176] Warum die Menſchen keine Geiſter ſehen? — Keiner
konnt es rathen, ich ſagte: weil ſie ſich vor Geſpenſter
fürchten. — Wer? — Die Menſchen? — Nein die Gei-
ſter. — Ja ſo grauſamlich kamen mir dieſe Geſichter
vor, und ſo fremd, und unverſtändlich, aus denen nichts
zu mir ſprach wie aus deinen geliebten Zügen, vor de-
nen ſich die Geiſter gewiß nicht fürchten; nein es iſt
deine Schönheit, daß die Geiſter mit deinen Mienen
ſpielen, und dies iſt der unwiederſtehliche Reiz für den
Liebenden, daß der Geiſt ewig dein Geſicht umſtrömt.
Sonntag, ganz allein im einſamen großen Haus
alles iſt ausgefahren und geritten und gegangen, und
deine Mutter iſt vor dem Bockenheimer Thor im Gar-
ten, weil heute die Birn geſchüttelt werden von dem
Baum der bei deiner Geburt gepflanzt wurde.
Bettine.
[177]
Du biſt ein feines Kind, ich leſe deine lieben Briefe
mit innigem Vergnügen, und werde ſie gewiß immer
wieder leſen mit demſelben Genuß. Dein Malen des
Erlebten ſammt aller innern Empfindung von Zärtlichkeit,
und dem was Dir dein witziger Dämon eingiebt, ſind
wahre Originalſkizen, die auch neben den ernſteren Be-
ſchäftigungen ihr hohes Intereſſe nicht verläugnen,
nimm es daher als eine herzliche Wahrheit auf wenn
ich Dir danke. Bewahre mir dein Vertrauen und laſſe
es wo möglich noch zu nehmen. Du wirſt mir immer
ſein und bleiben was Du biſt. Mit was kann man
Dir auch vergelten, als nur, daß man ſich willig von
allen deinen guten Gaben bereichern läßt. Wie viel
Du meiner Mutter biſt weißt Du ſelbſt, ihre Briefe flie-
ßen in Lob und Liebe über. Fährſt Du ſo fort den
flüchtigen Momenten guten Glückes, liebliche Denkmale
der Erinnerung zu widmen; ich ſtehe Dir nicht dafür,
daß ich mir's anmaaßen könnte ſolche geniale leben-
volle Entwürfe zur Ausführung zu benützen, wenn ſie
dann nur auch ſo warm und wahr an's Herz ſprechen.
Die Trauben an meinem Fenſter die ſchon vor ih-
8**
[178] rer Blüthe, und nun ein zweitesmal Zeugen deiner
freundlichen Erſcheinung waren, ſchwellen ihrer vol-
len Reife entgegen, ich werde ſie nicht brechen ohne
Deiner dabei zu gedenken, ſchreibe mir bald und
liebe mich.
G.
Mit nächſtem Poſtwagen wirſt Du einen Pack
Muſik erhalten, beinah' alles vierſtimmig, alſo für
Dein Hausorcheſter eingerichtet. Ich hoffe, daß Du ſie
nicht ſchon beſitzeſt; bis jetzt iſt es alles was ich in die-
ſer Art habhaft werden konnte. Gefällt ſie Dir, ſo
ſchick' ich nach was ich noch auftreiben kann; auf
meine Wahl mußt Du Dich nicht dabei verlaſſen, ich
richte mich nur nach dem Ruf dieſer Werke und kenne
das Wenigſte. Muſik imponirt mir nicht, auch kann
ich ſie nicht beurtheilen; ich verſtehe den Eindruck nicht,
den ſie auf mich macht, ob ſie mich rührt, ob ſie mich
begeiſtert; nur das weiß ich, daß ich keine Antwort
darauf habe, wenn ich gefragt werde ob ſie mir ge-
falle. Da könnte einer ſagen, ich habe keinen Verſtand
[179] davon, — das muß ich zugeben, allein ich ahnde in
ihr das Unermeßliche. Wie in den andern Künſten das
Geheimniß der Dreifaltigkeit ſich offenbart, wo die Na-
tur einen Leib annimmt, den der Geiſt durchdringt und
der mit dem Göttlichen in Verbindung iſt; ſo iſt es in
der Muſik, als wenn die Natur ſich hier nicht in's ſinn-
lich Wahrnehmbare herabneige, ſondern daß ſie die
Sinne reizt, daß die ſich mit empfinden in's Überirdiſche.
Wenn man von einem Satz in der Muſik ſpricht,
und wie der durchgeführt iſt, oder von der Begleitung
eines Inſtruments und von dem Verſtand mit dem es
behandelt iſt, da meine ich grade das Gegentheil, näm-
lich daß der Satz den Muſiker durchführt, daß der Satz
ſich ſo oft aufſtellt, ſich entwickelt, ſich koncentrirt, bis
der Geiſt ſich ganz in ihn gefügt hat. Und das thut
wohl in der Muſik; ja alles, was den Erdenleib ver-
läugnet, das thut wohl. Ich habe einen ſehr ausge-
zeichneten Muſiker zum Lehrer, wenn ich den frage,
warum? — ſo hat er nie ein Weil zur Antwort, und
er muß geſtehen, alles in der Muſik iſt himmliſches Ge-
ſetz, und dies überzeugt mich mehr, daß in der Berüh-
rung zwiſchen dem Göttlichen und Menſchlichen keine
Erläuterung ſtattfinde. Ich habe hier eine freundliche
Bekanntſchaft mit einer ſehr muſikaliſchen Natur; wir
[180] ſind oft zuſammen in der Oper, da macht ſie mich auf-
merkſam auf die einzelnen Theile, auf das Durchfüh-
ren eines Satzes, auf das Einwirken der Inſtrumente;
da bin ich denn ganz perplex, wenn ich ſolchen Bemer-
kungen nachgehe; das Element der Muſik, in dem ich
mich aufgenommen fühlte, ſtößt mich aus, und dafür
erkenne ich ein gemachtes, decorirtes, mit Geſchmack be-
handeltes Thema. Ich bin nicht in einer Welt die mich
aus der Finſterniß in's Licht geboren werden läßt, wie
damals in Offenbach, wo ich in der Großmutter Gar-
ten auf grünem Raſen lag, und in den ſonnigen blauen
Himmel ſah, während im Nachbarsgarten Onkel Bern-
hards Kapelle die ganze Luft durchſtrömte und ich nichts
wußte, nichts wollte, als meine Sinne der Muſik ver-
trauen. Damals hatte ich kein Urtheil, ich hörte keine
Melodieen heraus, es war kein Schmachten, kein Be-
geiſtern für Muſik, ich fühlte mich in ihr wie der Fiſch
ſich im Waſſer fühlt. — Wenn ich gefragt würde, ob
ich damals zugehört habe, ſo könnte ich's nicht eigent-
lich wiſſen, es war nicht Zuhören, es war Sein in der
Muſik; ich war viel zu tief verſunken, als daß ich ge-
hört hätte auf das was ich vernahm.
Ich bin dumm, Freund, ich kann nicht ſagen was
ich weiß. Gewiß, Du würdeſt mir recht geben, wenn
[181] ich mich deutlich ausſprechen könnte, und auf andre
Weiſe wirſt Du am wenigſten ſie verſtehen lernen. —
Verſtehen, wie der Philiſter verſtehet, der ſeinen Ver-
ſtand mit Conſequenz anwendet und es ſo weit bringt,
daß man Talent nicht vom Genie unterſcheidet. Ta-
lent überzeugt, aber Genie überzeugt nicht; dem,
dem es ſich mittheilt, giebt es die Ahndung vom Un-
gemeſſenen, Unendlichen, während Talent eine genaue
Grenze abſteckt und ſo, weil es begriffen iſt, auch be-
hauptet wird.
Das Unendliche im Endlichen, das Genie in jeder
Kunſt iſt Muſik. — In ſich ſelbſt aber iſt ſie die Seele,
indem ſie zärtlich rührt; indem ſie aber ſich dieſer Rüh-
rung bemächtigt, da iſt ſie Geiſt, der ſeine eigne Seele
wärmt, nährt, trägt, wiedergebärt; und darum verneh-
men wir Muſik, ſonſt würde das ſinnliche Ohr ſie nicht
hören, ſondern nur der Geiſt; und ſo iſt jede Kunſt der
Leib der Muſik, die die Seele jeder Kunſt iſt; und ſo
iſt Muſik auch die Seele der Liebe, die auch in ihrem
Wirken keine Rechenſchaft giebt, denn ſie iſt das Be-
rühren des Göttlichen mit dem Menſchlichen, und auf
jeden Fall iſt das Göttliche die Leidenſchaft die das
Menſchliche verzehrt. Liebe ſpricht nichts für ſich aus,
als daß ſie in Harmonie verſunken iſt; Liebe iſt flüſſig,
[182] ſie verfliegt in ihrem eignen Element; Harmonie iſt ihr
Element.
Lieber Goethe, halte meine wunderlichen Gedanken
dem wunderlichen Platz zu gut, wo ich mich befinde;
ich bin in der Karmeliterkirche, in einem verborgnen
Winkel hinter einem großen Pfeiler; da geh ich alle
Tage her in der Mittagſtunde, da ſcheint die Herbſt-
ſonne durch's Kirchenfenſter und malt den Schatten der
Weinblätter hier auf die Erde und an die weiße Wand,
da ſeh ich wie der Wind die bewegt und wie eins nach
dem andern abfällt; hier iſt tiefe Einſamkeit, und die
Menſchen, die ich hier zur ungewöhnlichen Stunde treffe,
die ſind gewiß da um an ihre Todten zu denken, die
hier begraben ſein mögen. Hier am Eingang iſt die
Gruft wo Vater und Mutter begraben liegen und ſie-
ben Geſchwiſter; da ſteht ein Sarg über dem andern.
Ich weiß nicht was mich in dieſe große düſtre Kirche
lockt; für die Todten beten? — ſoll ich ſagen: „Lieber
Gott im Himmel, heb' doch dieſe Verſtorbenen zu Dir
in den Himmel?“ — Die Liebe iſt ein flüſſig Element, ſie
löſt Seele und Geiſt in ſich auf, und das iſt Selig-
[183] keit. — Wenn ich hier in die Kirche gehe, an der Gruft
vorbei die meine Eltern und Geſchwiſter deckt, da falte
ich die Hände, und das iſt mein ganzes Gebet.
Der Vater hat mich zärtlich geliebt, ich hatte eine
große Gewalt über ihn; oft ſchickte mich die Mutter
mit einer ſchriftlichen Bitte an ihn und ſagte: laß
den Vater nicht los, bis er ja ſagt, — und da hing
ich mich an ſeinen Hals und umklammerte ihn, und da
ſagte er: Du biſt mein liebſtes Kind, ich kann nicht
verſagen.
Der Mutter erinnere ich mich auch noch, ihrer
großen Schönheit; ſie war ſo fein und doch ſo erha-
ben, und glich nicht den gewöhnlichen Geſichtern; Du
ſagteſt von ihr, ſie ſei für die Engel geſchaffen, die ſoll-
ten mit ihr ſpielen. Deine Mutter hat mir erzählt,
wie Du ſie zum letzten Mal geſehen, daß Du die
Hände zuſammen ſchlugſt über ihre Schönheit, das war
ein Jahr vor ihrem Tod; da lag der General Brentano
in unſerem Hauſ' an ſchweren Wunden; die Mutter
pflegte ihn, und er hatte ſie ſo lieb, daß ſie ihn nicht
verlaſſen durfte. Sie ſpielte Schach mit ihm, er ſagte:
matt! und ſank zurück in's Bett; ſie ließ mich ho-
len, weil er nach den Kindern verlangt hatte, — ich
trat mit ihr an's Bett, — da lag er blaß und ſtill;
[184] die Mutter rief ihm: mein General! Da öffnete er
die Augen, reichte ihr lächelnd die Hand und ſagte:
meine Königin! — und ſo war er geſtorben.
Ich ſeh' die Mutter noch wie im Traum, daß ſie
vor dem Bett ſteht und die Hand dieſes erblaßten Hel-
den feſt hält und ihre Thränen leiſe aus den großen
ſchwarzen Augen über ihr ſtilles Antlitz rollen. Damals
haſt Du ſie zum letzten Mal geſehen, und Du ſagteſt
voraus, daß Du ſie nicht wiederſehen würdeſt. Deine
Mutter hat mir's erzählt, wie Du tief bewegt über ſie
warſt. Wie ich Dich zum erſten Mal ſah, da ſagteſt
Du: Du gleichſt Deinem Vater, aber der Mutter gleichſt
Du auch, und dabei haſt Du mich an's Herz gedrückt
und warſt tief gerührt, und das war doch lange Jahre
nachher.
Adieu.
Bettine.
Von den Juden und den neuen Geſetzen ihrer
Städtigkeit hat Dir die Mutter ſchon Meldung ge-
than; alle Juden ſchreiben ſeitdem; der Primas hat
viel Vergnügen an ihrem Witz. — Alle Chriſten ſchrei-
ben über Erziehung; es kommt beinah alle Woche ein
neuer Plan von einem neu verheiratheten Erzieher her-
[185] aus. Mich intereſſiren die neuen Schulen nicht ſo ſehr
als das Judeninſtitut, in das ich oft gehe.
Sie haben, liebe kleine Freundin, die ſehr gran-
dioſe Manier, uns Ihre Gaben recht in Maſſe zu ſen-
den. So hat mich Ihr letztes Packet gewiſſermaßen er-
ſchreckt, denn wenn ich nicht recht haushälteriſch mit
dem Inhalt umgehe, ſo erwürgt meine kleine Hauska-
pelle eher daran, als daß ſie Vortheil davon ziehen
ſollte. Sie ſehen alſo meine Beſte, wie man ſich durch
Großmuth ſelbſt dem Vorwurf ausſetzen könne; laſſen
Sie ſich aber nicht irre machen. Zunächſt ſoll Ihre Ge-
ſundheit von der ganzen Geſellſchaft recht ernſtlich ge-
trunken und darauf das „Confirma hoc Deus“ von
Jomelli angeſtimmt werden, ſo herzlich und wohl ge-
meint, als nur jemals ein „salvum fac Regem.“
Und nun gleich wieder eine Bitte, damit wir nicht
aus der Übung kommen. Senden Sie mir doch die
jüdiſchen Broſchüren. Ich möchte doch ſehen wie ſich
[186] die modernen Iſraeliten gegen die neue Städtigkeit ge-
behrden, in der man ſie freilich als wahre Juden und
ehmalige kaiſerliche Kammerknechte traktirt. Mögen
Sie etwas von den chriſtlichen Erziehungsplänen bei-
legen, ſo ſoll auch das unſern Dank vermehren. Ich
ſage nicht, wie es bei ſolchen Gelegenheiten gewöhnlich
iſt, daß ich zu allen gefälligen Gegendienſten bereit ſei,
doch wenn etwas bei uns einmal reif wird was Sie
freuen könnte, ſo ſoll es auch zu Ihnen gelangen.
Liebſtes Kind, verzeih daß ich mit fremder Hand
ſchreiben mußte. Über Dein muſikaliſches Evangelium
und über alles was Du mir Liebes und Schönes ſchreibſt,
hätte ich Dir ſo heute nichts ſagen können, aber laß
Dich nicht ſtören in Deinem Eigenſinn und in Deinen
Launen, es iſt mir viel werth Dich zu haben wie Du
biſt, und in meinem Herzen findeſt Du immer eine
warme Aufnahme. Du biſt ein wunderliches Kind, und
bei Deiner Anſiedlung in Kirchen könnteſt Du leicht zu
einer wunderlichen Heiligen werden, ich gebe Dir's zu
bedenken.
Goethe.
[187]
Wer draußen auf der Taunusſpitze wär' und die Ge-
gend und ganze liebe Natur von Schönheit zu Schön-
heit ſteigen und ſinken ſähe Abends und Morgens, wäh-
rend ſein Herz ſo mit Dir beſchäftigt wär' wie meins,
der würde freilich auch beſſer ſagen können was er zu
ſagen hat. Ich möchte ſo gern vertraulich mit Dir
ſprechen, und Du verlangſt ja auch ich ſoll Eigenſinn
und Laune Dir preisgeben.
Du kennſt mein Herz, Du weißt das alles Sehn-
ſucht iſt, Wille, Gedanke und Ahndung; Du wohnſt
unter Geiſtern, ſie geben Dir göttliche Wahrheit. Du
mußt mich ernähren, Du giebſt alles zum Voraus was
ich nicht zu fordern verſtehe. Mein Geiſt hat einen
kleinen Umfang, meine Liebe einen großen, Du mußt
ſie in's Gleichgewicht bringen. Die Liebe kann nicht
ruhig werden als wenn der Geiſt ihr gewachſen iſt;
Du biſt meiner Liebe gewachſen; Du biſt mild, freund-
lich, nachſichtig; laſſe mich's fühlen wenn mein Herz
ſich nicht im Takt wiegt, ich verſteh Deine leiſen Winke.
Ein Blick von Deinen Augen in die meinen, ein
Kuß von Dir auf meinen Mund, belehrt mich über
[188] alles; was könnte dem auch wohl noch erfreulich ſchei-
nen zu lernen, der wie ich, hiervon Erfahrung hat. —
Ich bin entfernt von Dir, die Meinen ſind mir fremd
geworden, da muß ich immer in Gedanken auf jene
Stunde zurückkehren, wo Du mich in den ſanften
Schlingen Deiner Arme hielteſt, da fang' ich an zu
weinen; aber die Thränen trocknen mir unverſehens
wieder: Er liebt ja herüber in dieſe verborgne Stille,
denke ich, und ſollte ich mit meinem ewigen ungeſtör-
ten Sehnen nach ihm nicht in die Ferne reichen? Ach
vernimm es doch was Dir mein Herz zu ſagen hat, es
fließt über von leiſen Seufzern, alle flüſtern Dir zu:
mein einzig Glück auf Erden ſei Dein freundlicher Wille
zu mir. O lieber Freund, gieb mir doch ein Zeichen *),
Du ſeiſt meiner gewärtig. Du ſchreibſt daß Du meine
[189] Geſundheit trinken willſt, ach ich gönne ſie Dir, laſſe
keinen Tropfen übrig, möchte ich mich ſelber doch ſo in
Dich ergießen und Dir wohl bekommen.
Deine Mutter erzählte mir wie Du kurz, nachdem
Du den Werther geſchrieben, im Schauſpiel geſeſſen,
und wie Dir da anonym ein Billet ſei in die Hand
gedrückt worden, darin geſchrieben war: ils ne te com-
prendront point Jean Jaques. Sie behauptet, ich aber
könne immer zu jedem ſagen: tu ne me comprendras
point Jean Jaques, denn welcher Hans Jacob wird Dich
nicht mißverſtehen, oder Dich gelten laſſen wollen. —
Sie ſagt aber, Du Goethe verſtündeſt mich, und ich
gelte alles bei Dir.
Die Erziehungsplane und Judenbroſchüren werd' ich
mit nächſtem Poſttag ſenden. Obſchon Du nicht zu allen
gefälligen Gegendienſten bereit biſt; aber doch mir ſchicken
willſt was reif iſt, ſo denke doch, daß meine Liebe dir
brennende Strahlen zuſendet um jede Regung für mich
zu ſüßer Reife zu bringen.
Bettine.
[190]
Was ſoll ich Dir denn ſchreiben, da ich traurig bin
und nichts neues freundliches zu ſagen weiß? lieber
mögt' ich Dir gleich das weiße Blatt ſchicken, ſtatt daß
ich's erſt mit Buchſtabe beſchreibe, die doch immer nicht
ſagen, was ich will, und Du füllteſt es zu deinen Zeit-
vertreib aus, und machteſt mich überglücklich und ſchick-
teſt es an mich zurück, und wenn ich denn den blauen
Umſchlag ſähe und riß ihn auf: Neugierig eilig, wie
die Sehnſucht immer der Seeligkeit gegenwärtig iſt,
und ich leſe nun, was mich aus deinem Mund' einſt
entzückte: Lieb' Kind, mein artig Herz, mein
einzig Liebchen, klein Mäuschen, die ſüßen Worte
mit denen Du mich verwöhnteſt, ſo freundlich mich be-
ſchwichtigend; — ach! mehr wollt' ich nicht, alles hätt'
ich wieder, ſogar dein Liſpeln würde ich mitleſen, mit
dem Du mir leiſe das lieblichſte in die Seele ergoſſen
und mich auf ewig vor mir ſelbſt verherrlichſt haſt *). —
[191] Da ich noch an deinem Arm durch die Straßen ging:
Ach, wie eine geraume Zeit dünkt mir's, da war ich zu-
frieden, alle Wünſche waren ſchlafen gegangen, hatten
wie die Berge, Geſtalt und Farbe, in Nebel eingehüllt;
ich dachte, ſo ging es, und weiter, ohne große Müh-
ſeeligkeit vom Land' in die hohe See, kühn und ſtolz,
mit gelöſ'ten Flaggen und friſchem Wind. — Aber Goe-
the, feurige Jugend will die Sitten der heißen Jahres-
zeit, wenn die Abendſchatten ſich über's Land ziehen,
dann ſollen die Nachtigallen nicht ſchweigen: ſingen ſoll
alles, oder ſich freudig ausſprechen; die Welt ſoll ein
üppiger Fruchtkranz ſein, alles ſoll ſich drängen im Ge-
nuß, und aller Genuß ſoll ſich mächtig ausbreiten, er
ſoll ſich ergießen wie gährender Moſt, der brauſend ar-
*)
[192] beitet, bis er zur Ruhe kommt, untergehen ſollen wir in
ihm, wie die Sonne unter die Meereswellen, aber auch
wiederkommen wie ſie. So iſt dir's geworden, Goethe,
keiner weiß wie Du mit Gott vertraut warſt, und was
für Reichthum Du von ihm erlangt haſt, wenn Du un-
tergegangen warſt im Genuß.
Das ſeh' ich gerne, wenn die Sonne untergeht,
wenn die Erde ihre Gluth in ſich ſaugt, und ihr die
feurigen Flügel leiſe zuſammen faltet und die Nacht
durch gefangen hält, da wird es ſtill auf der Welt, die
Sehnſucht ſteigt ſo heimlich aus den Finſterniſſen em-
por; ihr leuchten die Sterne ſo unerreichbar über'm
Haupt, ſo unreichbar, Goethe!
Wenn man ſeelig ſein ſoll, da wird man ſo zag-
haft, das Herz ſcheidet zitternd vom Glück, noch ehe es
den Willkommen gewagt; — auch ich fühl's, daß ich
meinem Glück nicht gewachſen bin. Welche Allbefähi-
gung, um Dich zu faſſen! — Liebe muß eine Meiſter-
ſchaft erwerben, das Geliebte beſitzen wollen, wie es der
gemeine Menſchenverſtand nimmt, iſt nicht der ewigen
Liebe würdig, und ſcheitert jeden Augenblick am klein-
ſten Ereigniß. — Das iſt meine erſte Aufgabe, daß ich
mich Dir aneigne, nicht aber Dich beſitzen wolle, Du
allbegehrlichſter!
Ich
[193]
Ich bin doch noch ſo jung, daß es ſich leicht ent-
ſchuldigen läßt, wenn ich unwiſſend bin. Ach, für Wiſ-
ſenſchaft hab' ich keinen Boden, ich fühl's, ich kann's
nicht lernen, was ich nicht weiß, ich muß es erwarten,
wie der Prophet in der Wüſte die Raben erwartet, daß
ſie ihm Speiſe bringen. Der Vergleich iſt ſo uneben
nicht: durch die Lüfte wird meinem Geiſt Nahrung zu-
getragen, — oft grade, wenn er im Verſchmachten iſt.
Seitdem ich Dich liebe, ſchwebt ein unerreichbares
mir im Geiſt; ein Geheimniß, das mich nährt. Wie
vom Baum die reifen Früchte fallen, ſo fallen hier mir
Gedanken zu, die mich erquicken und reitzen. O Goethe,
hätte der Springquell eine Seele, er könnte ſich nicht
erwartungsvoller an's Licht drängen, um wieder empor
zu ſteigen, als ich mit ahnender Gewißheit mich dieſem
neuen Leben entgegen dränge, das mir durch Dich ge-
geben iſt, und das mir zu erkennen giebt, daß ein hö-
herer Lebenstrieb den Kerker ſprengen will, der nicht
ſchont der Ruhe und Gemächlichkeit gewohnter Tage,
die er in brauſender Begeiſterung zertrümmert. Dieſen
erhabenen Geſchick entgeht der liebende Geiſt nicht, ſo
wenig der Saame der Blüthe entgeht, wenn er einmal
in friſcher Erde liegt. So fühl' ich mich in Dir, du
fruchtbarer geſeegneter Boden! Ich kann ſagen, wie
I. 9
[194] das iſt wenn der Keim die harte Rinde ſprengt, — es
iſt ſchmerzlich, die lächlenden Frühlingskinder ſind unter
Thränen erzeugt.
O Goethe, was geht mit dem Menſchen vor? was
erfährt er, was erlebt er in dem innerſten Flammenkelch
ſeines Herzens? — Ich wollte Dir meine Fehler gern
bekennen, allein die Liebe macht mich ganz zum ideali-
ſchen Menſchen. Viel haſt Du für mich gethan, noch
eh' Du von mir wußteſt, über vieles, was ich begehrte
und nicht erlangte, haſt Du mich hinweg gehoben.
Bettine
Hier in Frankfurt iſt es naß, kalt, verrucht, ab-
ſcheulich; kein guter Chriſt bleibt gerne hier; — wenn
die Mutter nicht wär', der Winter wär' unerträglich,
ſo ganz ohne Hältniß, — nur ewig ſchmelzender Schnee!
— Ich habe jetzt einen Nebenbuhler bei ihr, ein Eich-
hörnchen, was ein ſchöner franzöſiſcher Soldat als Ein-
quartirung hier ließ, von dem läßt ſie ſich alles gefal-
len, ſie nennt es Hänschen, und Hänschen darf Tiſche
und Stühle zernagen, ja es hat ſelbſt ſchon gewagt,
[195] ſich auf ihre Staatshaube zu ſetzen, und dort die Blu-
men und Federn anzubeißen. Vor ein paar Tagen iſt
ging ich Abends noch hin, die Jungfer ließ mich
ein, mit dem Bedeuten, ſie ſei noch nicht zu Hauſe,
müſſe aber gleich kommen. Im Zimmer war's dunkel,
ich ſetzte mich an's Fenſter und ſah hinaus auf den Platz.
Da war's, als wenn was kniſterte, — ich lauſchte und
glaubte athmen zu hören; — mir ward unheimlich, ich
hörte wieder etwas ſich bewegen, und fragte, weil ich's
gern auf's Eichhörnchen geſchoben hätte: Hänschen biſt
Du es? ſehr unerwartet und für meinen Muth ſehr
niederſchlagend, antwortet eine ſonore Baßſtimme aus
dem Hintergrund: Hänschen iſt's nicht, es iſt Hans,
und dabei räuſpert ſich der ubeque malus Spiritus. Voll
Ehrfurcht wag' ich mich nicht aus der Stelle, der Geiſt
läßt ſich auch nur noch durch Athmen und einmaliges
Nieſen vernehmen; — da hör' ich die Mutter, ſie ſchrei-
tet voran, die kaum angebrannte, noch nicht vollleuch-
tende Kerze hinter drein, von Jungfer Lieschen getragen.
Biſt Du da? fragte die Mutter, in dem ſie ihre Haube
abnimmt, um ſie auf ihren nächtlichen Stammhalter,
eine grüne Bouteille, zu hängen; ja, rufen wir beide,
und aus dem Dunkel tritt ein beſternter Mann hervor
und fragt: Fr. Rath, werd' ich heut' Abend mit Ihnen
9*
[196] einen Speckſalat mit Eierkuchen eſſen? Daraus ſchloß
ich denn ganz richtig, daß Hans ein Prinz von Meck-
lenburg ſei; denn wer hätte die ſchöne Geſchichte nicht
von deiner Mutter gehört, wie auf der Kaiſerkrönung
die jetzige Königin von Preußen, damals als junges
Prinzeſſinnenkind und ihr Bruder, der Frau Rath zu-
ſahen, wie ſie ein ſolches Gericht zu ſpeiſen im Begriff
war, und daß dies ihren Appetit ſo reizte, daß ſie es
beide verzehrten, ohne ein Blatt zu laſſen. Auch dies-
mal wurde die Geſchichte mit vielem Genuß vorgetra-
gen und noch manche andre, z. B. wie ſie den Prinzeſ-
ſinnen den Genuß verſchaffte, ſich im Hof am Brunnen
recht ſatt Waſſer zu pumpen, und die Hofmeiſterin
durch alle mögliche Argumente abhält, die Prinzeſſinnen
abzurufen, und endlich, da dieſe nicht darauf Rückſicht
nimmt, Gewalt braucht und ſie im Zimmer einſchließt.
Denn: ſagte die Mutter, ich hätte mir eher den ärgſten
Verdruß über den Hals kommen laſſen, als daß man
ſie in dem unſchuldigen Vergnügungen geſtört hätte,
das ihnen nirgend wo gegönnt war, als in meinem
Haus; auch haben ſie mir's beim Abſchied geſagt, das
ſie nie vergeſſen würden, wie glücklich und vergnügt ſie
bei mir waren. — So könnte ich Dir noch ein paar
Bogen voll ſchreiben von allen Rückerinnerungen!
[197]
Adieu, lieber Herr! — Die Frau grüß' ich, Rie-
mer's Sonett kracht wie neue Sohlen; er ſoll meiner
Geſchäfte gewärtig ſein, und ſeinen Dienſteifer nicht
umſonſt gehabt haben.
Gelt', ich mach's grade wie dein Liebchen, ſchreibe,
kritzele, mach' Tintenkleckſe und Orthographiefehler, und
denk', es ſchadet nichts, weil er weiß, daß ich ihn liebe,
und der Brief, den Du mir geſchrieben, war doch ſo
artig und zierlich abgefaßt, das Papier mit goldnem
Schnitt! — Aber, Goethe, erſt ganz zuletzt denkſt Du
an mich! erlaub', daß ich ſo frei bin Dir einen Ver-
weis zu geben, für dieſen Brief, faſſe alles kurz ab, was
Du verlangſt und ſchreib's mit eigner Hand, ich weiß
nicht warum Du einen Secretair anſtellſt um das
überflüſſige zu melden, ich kann's nicht vertragen, es be-
leidigt mich, es macht mich krank; im Anfang glaubt'
ich der Brief ſei gar nicht an mich, nun trag' ich doch
gern' ſolch einen Brief auf dem Herzen, ſo lange bis
der neue kommt, — wie kann ich aber mit einer ſolchen
fremden Secretairshand verfahren? nein, diesmal hab'
ich Dich in meinem Zorn verdammt, daß Du gleich mit
dem Secretair in die alte Schublade eingeklemmt wur-
deſt, und der Mutter hab' ich gar nicht geſagt, daß Du
[198] geſchrieben hatteſt, ich hätte mich geſchämt, wenn ich
ihr dieſen Perückenſtyl hätte vortragen müſſen. Adieu,
ſchreibe mir das einzige, was Du zu ſagen haſt und
nicht mehr.
Bettine.
Nun ſind's beinahe ſechs Wochen, daß ich auch nur
ein Wort von Dir gehört habe, weder durch die Frau
Mutter, noch durch irgend eine andre Gelegenheit. Ich
glaube nicht, daß, wie viele andere ſind, Du auch biſt, und
dir durch Geſchäfte und andere Wichtigkeiten den Weg
zum Herzen verſperrſt; aber ich muß fürchten, daß
meine Briefe Dir zu häufig kommen, und muß mich zu-
rückhalten, was mich doch ſeelig machen könnte, wenn es
nicht ſo wär', und ich glauben dürfte, daß meine Liebe,
die ſo anſpruchslos iſt, daß ſie ſelbſt deinen Ruhm ver-
gißt, und zu Dir wie zu einem Zwillingsbruder ſpricht,
Dich erfreut. Wie ein Löwe möcht' ich für Dich fechten,
möcht' alles verderben und in die Flucht jagen, was
nicht werth iſt, Dich zu berühren; muß um deinetwillen
die ganze Welt verachten, muß ihr um deinetwillen
[199] Gnade widerfahren laſſen, weil Du ſie verherrlichſt,
und weiß nichts von Dir! ſag' nur, ob Du's zufrieden
biſt, daß ich Dir ſchreibe? — ſag' nur: ja Du darfſt!
Wenn ich nun in etlichen Wochen, denn da haben wir
ſchon Frühling hier, in's Rheingau gehe, dann ſchreib'
ich Dir von jedem Berg aus; bin Dir ſo immer viel
näher, wenn ich außer den Stadtmauern bin, da glaub'
ich manchmal mit jedem Athemzug Dich zu fühlen, wie
Du im Herzen regierſt, wenn es recht ſchön iſt draußen,
wenn die Luft ſchmeichelt, ja wenn die Natur gut und
freundlich iſt, wie Du, da fühl ich Dich ſo deutlich. —
Aber was ſoll ich mit Dir? — Du ſelbſt haſt mir nichts
zu ſagen, in dem Brief, den Du mir ſchriebſt, den ich
zwar ſo lieb habe, wie meinen Augapfel, da nennſt Du
mich nicht einmal wie Du gewohnt warſt, grad' als
ob ich Deiner Vertraulichkeiten nicht werth wäre. Ach,
es geht ja von Mund zu Herzen bei mir! ich würde
nichts von Schatz und Herz und Kuß veräußern, und
wenn ich auch am Hungertuch nagen müßte. In der
Karmeliterkirche hab' ich im Herbſt allerlei geſchrieben,
Erinnerungen aus der Kindheit, — ſie fielen mir immer
ein wenn ich dahin kam, und doch war ich blos hinge-
kommen, um ungeſtört an Dich zu denken! Jede Le-
benszeit geht mir in Dir auf, ich denke mir die Kinder-
[200] jahre, als ob ich ſie mit Dir verſpiele, und wachs
empor und wähne mich geborgen in Deinem Schutz,
und fühle ſtolz mich in Deinem Vertrauen, und da regte
ſich's im Herzen vor heißer Liebe, da ſuch' ich Dich,
wie ſoll ich Ruhe finden? — an Deiner Bruſt nur,
umſchränkt von Deinen Armen. — Und wärſt Du es
nicht, ſo wär' ich bei Dir; aber ſo muß ich mich fürch-
ten vor aller Augen, die ſind auf Dich gerichtet, ach,
und vor dem ſtechenden Blick, der unter Deinem Kranz
hervorleuchtet! *)
Außer Dir erſcheinen mir alle Menſchen wie einer
und derſelbe, ich unterſcheide ſie nicht, ich begehr' nicht
nach dem ungeheuren allſeitigen Meer der Ereigniſſe.
Der Lebensſtrom trägt Dich, Du mich, in Deinen Ar-
men durchſchiff' ich ihn, Du trägſt mich bis zum Ende,
nicht wahr? — Und wenn es auch noch tauſendfache
Exiſtenzen giebt, ich kann mich nicht hinüberſchwin-
gen, bei Dir bin ich zu Hauſe, ſo ſei doch auch zu
Hauſe mit mir, oder weißt Du etwas beſſeres als
mich und Dich im magiſchen Kreis des Lebens?
Unlängſt hatten wir ein kleines Feſt im Hauſe wegen
[201] Savignys Geburtstag. Deine Mutter kam Mittags um
zwölf, und blieb bis Nachts um ein Uhr, ſie fand ſich auch
den andern Tag ganz wohl darauf. Bei der Tafel war
große Muſik von blaſenden Inſtrumenten, auch wurden
Verſe zu Savignys Lob geſungen, wo ſie ſo tapfer ein-
ſtimmte, daß man ſie durch den ganzen Chor durchhörte.
Da wir nun auch deine und ihre Geſundheit tranken, wobei
Trompeten und Pauken ſchmetterten, ſo ward ſie feierlich
vergnügt. Nach Tiſch erzählte ſie der Geſellſchaft ein Mähr-
chen, alles hatte ſich in feierlicher Stille um ſie verſammelt.
Im Anfang holte ſie weit aus, das große Auditorium
mochte ihr doch ein wenig bange machen; bald aber
tanzten alle Rollefähigen Perſonen in der grotesken
Weiſe aus ihrem großen Gedächtniß-Kaſten auf das
fantaſtiſchſte geſchmückt, es wurden noch allerlei kleinen
Scenen aufgeführt, dann trat eine junge Spaniſche Tän-
zerin auf, die mit Caſtegnetten ſehr ſchön tanzte. Die-
ſes graziöſe Kind giebt hier beim Theater Vorſtellungen,
ich hab' Dir von ihr noch nicht geſagt, daß ſie mich
ſeit Wochen in einem ſtillen Enthuſiasmus erhält, und
daß ich oft denke, ob denn Gott was anders will, als
daß ſich die Tugend in die reine Kunſt verwandle, daß
man nehmlich nach den Geſetzen einer himmliſchen Har-
monie die Glieder des Geiſtes mit leichtem Enthuſias-
9**
[202] mus rege, und ſo mit anmuthigen Geberden die Tugend
ausdrücke, wie jene den Takt und den Sinn der Muſik.
Nach dem Souper tanzte man, ich ſaß etwas ſchläfrig
an der Seite deiner Mutter, ſie hielt mich umhalſ't und
hatte mich lieb wie den Joſeph; ich hatte dazu auch
einen rothen Rock an. Man hat einſtimmig beſchloſſen,
es ſolle nie ein Familienfeſt gegeben werden ohne die
Mutter, ſo ſehr hat man ihren guten Einfluß empfun-
den; ich hab' mich gewundert wie ſchnell ſie die Herzen
gewinnen kann, blos weil ſie mit Kraft genießt und
dadurch die ganze Umgebung auch zur Freude bewegt.
Die Deinen grüße ich herzlich, ich habe nicht ver-
geſſen, was ich für deine Frau verſprach; nächſtens wird
alles fertig ſein, nur die Frau von Sch. mußte ich
ſchändlicherweiſe vergeſſen mit dem Tuch! nun was iſt
zu thun? mein Miniſter, denk' ich, bekömmt hier eine
ſchöne Negotiation. Gelt', ich mißbrauch' deine Geduld?
— Guter! Beſter! dem mein Herz ewig dient.
Dein Sohn wird ſein Bündel bald ſchnüren; —
nur nicht zu feſt! denn ich will ihm bei der Durchreiſe
noch einen Pack guter Lehren mitgeben, die er auch noch
mit einſchnüren muß. Mein Bruder George hat ein
kleines Landhaus in Rödelheim gekauft, Du mußt es
[203] kennen, da du ſelbſt den Plan dazu gemacht und mit
Baſſet, der jetzt in Amerika wohnt, den Bau beſorgteſt.
Ich freu' mich gar ſehr über ſeine ſchönen Verhältniſſe,
ich meine, dein Charakter, deine Geſtalt und deine Be-
wegungen ſpiegeln ſich in ihnen. Wir fahren beinah
alle Tage hinaus, geſtern ſtieg ich auf's Dach; die
Sonne ſchien ſo warm, es war ſo hell, man konnte ſo
recht die Berge im Schoos der Thäler liegen ſehen.
O Jammer, daß ich nicht fliegen kann! was nützt es
all', daß ich Dich ſo lieb hab? — jung und kräftig
und ſtolz bin ich in Dir; — ich mag's nicht ausle-
gen, die Welt ſchiebt doch alles Gefühl in ihr einmal
gemachtes Regiſter, Du biſt über alles gut, daß Du
meine Liebe duldeſt, in der ich überglücklich bin. Wie
das Weltmeer ohne Ufer, iſt mein Gemüth, ſeine Wellen
tragen, was ſchwimmen kann; Dich aber hab' ich mit
Gewalt in's tiefſte Geheimniß meines Lebens gezogen,
und walle Freudebrauſend dahin über der Gewißheit
deines Beſitzes.
Wenn ich mich ſonſt im Spiegel betrachtete und
meine Augen ſich ſelbſt ſo feurig anſchauten, und ich
fühlte, daß ſie in dieſem Augenblick hätten durchdringen
müſſen, und ich hatte niemand, dem ich einen Blick ge-
[204] gönnt hätte, da war mir's leid, daß alle Jugend ver-
loren ging, jetzt aber denk ich an Dich.
Bettine.
Kleine unvorhergeſehene Reiſen in die nächſten Ge-
genden, um den Winter vor ſeinem Scheiden noch ein-
mal in ſeiner Pracht zu bewundern, haben mich abge-
halten ſogleich meines einzigen und liebſten Freundes
in der ganzen Welt, Wunſch zu befriedigen. Hierbei
ſende ich alles was bis jetzt erſchienen, außer ein Jour-
nal, welches die Juden unter dem Namen Sulamith
herausgeben. Es iſt ſehr weitläufig; begehrſt Du es,
ſo ſend' ich's, da die Juden es mir als ihrem Protector
und kleinen Nothhelfer, verehren. Es enthält die ver-
ſchiedenſten Dinge, kreuz und quer; beſonders zeichnen
ſich die Oden die ſie dem Fürſt Primas widmen, darin
aus; ein großes Gedicht, was ſie ihm am Neujahrstag
brachten, ſchickte er mir und ſchrieb: „Ich verſtehe kein
hebräiſch, ſonſt würde ich eine Dankſagung ſchreiben,
aber da für die kleine Freundin der Hebräer nichts zu
verkehrt und undeutſch iſt, ſo trage ich ihr auf, in mei-
[205] nem Namen ein Gegengedicht zu machen.“ — Der bos-
hafte Primas! — Ich hab' ihn aber geſtraft! Und
geſtern im Konzert ſagte er mir: es iſt gut, daß die
Juden nicht eben ſo viel Heldengeiſt als Handelsgeiſt
haben, ich wär' am End' nicht ſicher, daß ſie mich in
meinem Taxiſchen Haus blokirten. —
Während dem bin ich im Odenwald geweſen, und
bin auf des Götz altem Schloß herumgeklettert, ganz
oben auf den Mauern wo beinah kein menſchlicher Fuß
mehr ſich ſtützen kann; über Mauerſpalten, die mich
doch zuweilen ſchwindlen machten, als immer im Ge-
danken an Dich, an Deine Jugend, an Dein Leben bis
jetzt, das wie ein lebendig Waſſer fortbrauſt. Weißt
Du? — es thut ſo wohl, wenn einem das Herz ſo
ganz ergriffen iſt. Wie ich mich drehe und wende, ſo
ſpiegelt ſich mir im Gemüth, was ich im Hinterhalt
habe und was mir wie ein ſeliger Traum nachgeht,
und das biſt Du!
Dort war es wunderſchön! Ein ungeheurer Thurm,
worauf ehmals die Wächter ſaßen, um die Frankenſchiffe
in dem kleinen Mildeberg zu verkünden mit Trompeten-
ſtoß. Tannen und Fichten wachſen oben, die beinah
halb über ſeine Höhe hervorragen.
Zum Theil waren die Weinberge noch mit Schnee
[206] bedeckt; ich ſaß auf einem abgebrochnen Fenſterbalken
und fror, und doch durchdrang mich heiße Liebe zu Dir,
und ich zitterte vor Angſt, hinunter zu ſtürzen, und klet-
terte doch noch höher, weil mir's einfiel Dir zu lieb'
wollt' ich's wagen. So machſt Du mich oft kühn; es
iſt ein Glück, daß die wilden Wölfe aus dem Oden-
walde nicht herbei kamen, ich hätte mich mit ihnen bal-
gen müſſen, hätte ich Deiner Ehre dabei gedacht; es
ſcheint Unſinn, aber ſo iſt's. — Die Mitternacht, die
böſe Stunde der Geiſter, weckt mich; ich leg' mich im
kalten Winterwind an's Fenſter; ganz Frankfurt iſt
todt, der Docht in den Straßenlaternen iſt im Ver-
glimmen, die alten roſtigen Wetterfahnen greinen
mir was vor, und da denk' ich: iſt das die ewige
Leier? — Und da fühl' ich, daß dies Leben ein Ge-
fängniß iſt, wo ein jeder nur eine kümmerliche Aus-
ſicht hat in die Freiheit: das iſt die eigne Seele. —
Siehſt Du, da raſ't es in mir; ich möchte hinauf über
die alten ſpitzen Giebeldächer, die mir den Himmel
abſchneiden; ich verlaſſe das Zimmer, eile über die
weiten Gänge unſeres Hauſes, ſuche mir einen Weg
über die alten Böden, und hinter dem Sparrwerk
ahnde ich Geſpenſter, aber ich achte ihrer nicht; da
ſuche ich die Treppe zum kleinen Thürmchen, wenn
[207] ich endlich oben bin, da ſeh ich aus der Thurmluke
den weiten Himmel, und frier' gar nicht; und da iſt's
als müſſe ich die geſammelten Thränen abladen, und
dann bin ich am andern Tag ſo heiter und ſo neuge-
boren, und ich ſuche mit Liſt nach einem Scherz den
ich ausführen möchte; und kannſt Du mir glauben?
das alles biſt Du.
Bettine.
Die Mutter kommt oft zu uns, wir machen ihr
Maskeraden und alle mögliche Ergötzlichkeit; ſie hat
unſere ganze Familie in ihren Schutz genommen, iſt
friſch und geſund.
Die Documente philanthropiſcher Chriſten- und Ju-
denſchaft ſind glücklich angekommen, und Dir ſoll da-
für, liebe kleine Freundin, der beſte Dank werden. Es
iſt recht wunderlich, daß man eben zur Zeit, da ſo viele
Menſchen todt geſchlagen werden, die übrigen auf's
beſte und zierlichſte auszuputzen ſucht. Fahre fort, mir
von dieſen heilſamen Anſtalten, als Beſchützerin derſel-
[208] ben, von Zeit zu Zeit Nachricht zu geben. Dem braun-
ſchweigiſchen Judenheiland ziemt es wohl, ſein Volk
anzuſehen, wie es ſein und werden ſollte; dem Fürſten
Primas iſt aber auch nicht zu verdenken, daß er dies
Geſchlecht behandelt wie es iſt, und wie es noch eine
Weile bleiben wird. Mache mir doch eine Schilderung
von Herrn Molitor. Wenn der Mann ſo vernünftig
wirkt als er ſchreibt, ſo muß er viel Gutes erſchaffen.
Deinem eignen philanthropiſchen Erziehungsweſen aber
wird Überbringer dieſes, der ſchwarzäugige und braun-
lockige Jüngling empfohlen. Laſſe ſeine väterliche Stadt
auch ihm zur Vaterſtadt werden, ſo daß er glaube, ſich
mitten unter den Seinen zu befinden. Stelle ihn Dei-
nen lieben Geſchwiſtern und Verwandten vor, und ge-
denke mein, wenn Du ihn freundlich aufnimmſt. Deine
Berg-, Burg-, Kletter- und Schaurelationen verſetzen
mich in eine ſchöne heitere Gegend, und ich ſtehe nicht
davor, daß Du nicht gelegentlich davon eine phan-
taſtiſche Abſpiegelung in einer Fata [Morgana] zu ſe-
hen kriegſt.
Da nun von Auguſt Abſchied genommen iſt, ſo
richte ich mich ein, von Haus und der hieſigen Gegend
gleichfalls Abſchied zu nehmen und baldmöglichſt nach
dem Carlsbader Gebirge zu wandeln.
[209]
Heute um die eilfte Stunde wird „confirma hoc
Deus” geſungen, welches ſchon ſehr gut geht und großen
Beifall erhält.
G.
Wir haben einen naßkalten April, ich merk's an
Deinem Brief, — der iſt wie ein allgemeiner Landre-
gen; der ganze Himmel überzogen von Anfang bis an's
Ende; Du beſitzeſt zwar die Kunſt, in kleinen Formen-
zügen und Linien Dein Gefühl ahnen zu laſſen, und in
dem was Du unausgeſprochen läßt, ſtiehlt ſich die Ver-
ſicherung in's Herz, daß man Dir nicht gleichgültig iſt;
ja ich glaub's, daß ich Dir lieb bin, trotz Deinem kal-
ten Brief; aber wenn Deine ſchöne Mäßigung plötzlich
zum Teufel ging', und Du bliebſt ohne Kunſt und ohne
feines Taktgefühl, ſo ganz wie Dich Gott geſchaffen
hat, in Deinem Herzen, ich würde mich nicht vor Dir
fürchten, wie jetzt, wenn ein ſo kühler Brief ankömmt,
wo ich mich beſinnen muß was ich denn gethan hab'.
[210]
Heute ſchreibe ich aber doch mit Zuverſicht, weil
ich Dir erzählen kann wie Dein einziger Sohn ſich hier
wohl und luſtig befindet; er giebt mir alle Abend im
Theater ein Rendezvous in unſerer Loge; früh Morgens
ſpaziert er ſchon auf den Stadtthürmen herum, um die
Gegend ſeiner väterlichen Stadt recht zu beſchauen; ein
paarmal hab' ich ihn hinausgefahren, um ihm die Ge-
müsgärtnerei zu zeigen, da grade jetzt die erſten wunder-
barlichen Vorbereitungen dazu geſchehen, wo jeder Staude
ihr Standort mit der [Richtſchnur] abgemeſſen wird, und
wo dieſe fleißigen Gärtner mit ſo großer Sorgfalt je-
dem Pflänzchen ſeinen Lebensunterhalt anweiſen; auch
an's Stallburgsbrünnchen hab' ich ihn geführt, auf die
Pfingſtwieſe, auf den Schneidewall; dann hinter die
ſchlimme Mauer, wo in der Jugend Dein Spielplatz
war; dann zum mainzer Thürchen hinaus; auch in
Offenbach war er mit mir und der Mutter, und ſind
gegen Abend bei Mondſchein zu Waſſer wieder in die
Stadt gefahren; da hat unterwegs die Mutter recht
losgelegt von all Deinen Geſchichten und Luſtparthieen;
und da legte ich mich am Abend zu Bett mit trunkner
Einbildung, was mir einen Traum eintrug, von dem
die Erinnerung mir eine Zeit lang Nahrung ſein wird.
Es war als lief ich in Weimar durch den Park,
[211] in dem ein ſtarker Regen fiel; es war grade alles im
erſten Grün, die Sonne ſchien durch den Regen. Als
ich an Deine Thür kam, hört' ich Dich ſchon von
Weitem ſprechen; ich rief, — Du hörteſt nicht, — da
ſah ich Dich auf derſelben Bank ſitzen, hinter welcher
im vorigen Jahr die ſchöne breite Malve noch ſpät ge-
wachſen war; — gegenüber lag auch die Katze wie da-
mals, und als ich zu Dir kam, ſagteſt Du auch wieder:
Setze Dich nur dort üben zur Katze, wegen Deinen
Augen, die mag ich nicht ſo nah. — Hier wachte ich
auf, aber weil mir der Traum ſo lieb war, konnt'
ich ihn nicht aufgeben; ich träumte fort, trieb allerlei
Spiel mit Dir, und bedachte dabei Deine Güte, die
ſolche Zutraulichkeit erlaubt. — Du! der einen Kreis
des Lebendigen umfaſſet, in dem wir alle Dein Ver-
trauen in ſo mächtigen Zügen ſchon eingeſogen haben.
Ich fürchte mich manchmal, die Liebe, die raſch in mei-
nem Herzen aufſteigt, wenn auch nur in Gedanken, vor
Dir auszuſprechen; aber ſo ein Traum ſtürzt wie ein
angeſchwollner Strom über den Damm. Es mag ſich
einer ſchwer entſchließen eine Reiſe nach der Sonne zu
thun, weil ihn die Erfahrung, daß man da nicht an-
kömmt, davon abhält; — mir gilt in ſolchen Augen-
[212] blicken die Erfahrung nichts, und ſo ſcheint mir denn,
Dein Herz zu erreichen in ſeinem vollen Glanze, nichts
Unmögliches.
Molitor war geſtern bei mir; ich las ihm die
Worte über ihn aus Deinem Briefe vor, ſie haben ihn
ſehr ergötzt; dieſer Edle iſt der Meinung, daß, da er
einen Leib für die Juden zu opfern habe, und einen
Geiſt ihnen zu widmen, beide auch recht nützlich anzu-
wenden; es geht ihm übrigens nicht ſehr wohl, außer
in ſeinem Vertrauen auf Gott, bei welchem er jedoch
feſt glaubt, daß die Welt nur durch Schwarzkunſt wie-
der in's Gleichgewicht zu bringen iſt. Er hat groß
Vertrauen auf mich und glaubt, daß ich mit der Divi-
nationskraft begabt bin; brav iſt er, und will ernſtlich
das Gute; bekümmert ſich deswegen nichts um die Welt
und um ſein eigen Fortkommen; iſt mit einem Stuhl,
einem Bett und mit fünf Büchern die er im Vermögen
hat, ſehr wohl zufrieden.
Adieu, ich eile Toilette zu machen, um mit Deiner
Mutter und Deinem Sohn zum Primas zu fahren, der
heute ihnen zu Ehren ein großes Feſt giebt; — da
werd' ich denn wieder recht mit dem Schlaf zu kämpfen
haben; dieſe vielen Lichter, die geputzten Leute, die ge-
[213] ſchminkten Wangen, das ſummende Geſchwätz haben
eine narkotiſche unwiderſtehliche Wirkung auf mich.
Bettine.
Erinnern Sie ſich noch des Abends den wir bei
Frau von Schoppenhauer zubrachten, und man eine
Wettung machte, ich könne keine Nähnadel führen? —
Ein Beweis, daß ich damals nicht gelogen habe, iſt
beikommendes Röckelein; ich hab' es ſo ſchön gemacht,
daß mein Talent für weibliche Handarbeit ohne Unge-
rechtigkeit doch nicht mehr in Zweifel gezogen werden
kann. Betrachten Sie es indeſſen mit Nachſicht, denn
im Stillen muß ich Ihnen bekennen, daß ich meinem
Genie beinah zu viel zugetraut habe. Wenn Sie nur
immer darin erkennen, daß ich Ihnen gern ſo viel Freude
machen möchte, als in meiner Gewalt ſteht.
Auguſt ſcheint ſich hier zu gefallen; das Feſt wel-
ches der Fürſt Primas der Großmutter und dem Enkel
gab, beweiſt recht, wie er den Sohn ehrt. Ich will in-
deſſen der Frau Rath nicht vorgreifen, die es Ihnen mit
den ſchönſten Farben ausmalen wird. Auguſt ſchwärmt
[214] in der ganzen Umgegend umher; überall ſind Jugend-
freunde ſeines Vaters, die von der Höhen da und dort
hindeuten und erzählen, welche glückliche Stunden ſie
mit ihm an ſo ſchönen Orten verlebten; und ſo geht
es im Triumph von der Stadt auf's Land, und von
da wieder in die Stadt. — In Offenbach, dem zierlich-
ſten und reinſten Städtchen von der Welt, das mit
himmelblauſeidenem Himmel unterlegt iſt, mit ſilbernen
Wellen garnirt und mit blühenden Feldern von Hia-
zynthen und Tauſendſchönchen geſtickt; da war des
Erzählens der Erinnerungen an jene glückliche Zeiten
kein Ende.
Beiliegende Granaten hab' ich aus Salzburg er-
halten; tragen Sie dieſelben zu meinem Andenken.
Bettine.
Einliegende Bücher für den Geheimenrath.
Auch geſtern wieder, liebes Herz, hat ſich aus Dei-
nem Füllhorn eine reichliche Gabe zu uns ergoſſen, grade
zur rechten Zeit und Stunde, denn die Frauenzimmer
[215] waren in großer Überlegung, was zu einem angeſagten
Feſt angezogen werden ſollte. Nichts wollte recht paſſen,
als eben das ſchöne Kleid ankam, das denn ſogleich nicht
geſchont wurde.
Da unter allen Seeligkeiten, deren ſich meine Frau
vielleicht rühmen möchte, die Schreibſeeligkeit die aller
geringſte iſt: ſo verzeihe Du, wenn ſie nicht ſelbſt die
Freude ausdrückt, die Du ihr gemacht haſt. Wie leer
es bei uns ausſieht, fällt mir erſt recht auf, wenn ich
umherblicke und Dir doch auch einmal etwas Freund-
liches zuſchicken möchte. Darüber will ich mir nun alſo
weiter kein Gewiſſen machen und auch für die gedruck-
ten Hefte danken, wie für Manches wovon ich noch
jetzt nicht weiß, wie ich mich ſeiner würdig machen ſoll.
Das wollen wir denn mit beſcheidenem Schweigen über-
gehen, und uns lieber abermals zu den Juden wenden,
die jetzt in einem entſcheidenden Moment zwiſchen Thür
und Angel ſtecken, und die Flügel ſchon ſperren, noch
ehe ihnen das Thor der Freiheit weit genug geöff-
net iſt. —
Es war mir ſehr angenehm, zu ſehen, daß man
den finanzgeheimeräthlichen, jacobiniſchen Iſraelsſohn
ſo tüchtig nach Hauſe geleuchtet hat. Kannſt Du mir
den Verfaſſer der kleinen Schrift wohl nennen? Es
[216] ſind treffliche einzelne Stellen drin, die in einem Plai-
doyer von Beaumarchais wohl hätten Platz finden kön-
nen. Leider iſt das Ganze nicht raſch, kühn und luſtig
genug geſchrieben, wie es hätte ſein müſſen, um jenen
Humanitätsſalbader vor der ganzen Welt ein- für alle-
mal lächerlich zu machen. Nun bitte ich aber noch um
die Judenſtädtigkeit ſelbſt, damit ich ja nicht zu bitten
und zu verlangen aufhöre.
Was Du mir von Molitor zu ſagen gedenkſt, wird
mir Freude machen; auch durch das Letzte was Du von
ihm ſchickſt, wird er mir merkwürdig, beſonders durch
das was er von der Peſtalozziſchen Methode ſagt.
Lebe recht wohl! Hab' tauſend Dank für die gute
Aufnahme des Sohns, und bleibe dem Vater günſtig.
G.
Die Städtigkeits- und Schutzordnung der Juden-
ſchaft wird hierbei von einer edlen Erſcheinung beglei-
tet; nicht allein um Dir eine Freude zu machen, ſon-
dern weil dies Bild mir lieb iſt, hab' ich's von der
Wand
[217] Wand an meinem Bett genommen, an dem es ſeit drei
Tagen hing, und ſeine Schönheit dem Poſtwagen an-
vertraut; Du ſollſt nur ſehen was mich reizen kann.
Häng' dies Bild vor Dich, — ſchau ihm in dieſe
ſchönen Augen, — in denen der Wahnſinn ſeiner
Jugend ſchon überwunden liegt, dann fällt es Dir
gewiß auf, was Sehnſucht erregt. — Dies Unwie-
derbringliche, was nicht lang' das Tagslicht verträgt,
und ſchnell entſchwindet, weil es zu herrlich iſt für
den Mißbrauch. — Dieſem aber iſt es nicht entſchwun-
den, es iſt ihm nur tiefer in die Seele geſunken,
denn zwiſchen ſeinen Lippen haucht ſich ſchon wieder
aus, was ſich im erhellten Aug' nicht mehr darf ſehen
laſſen. — Wenn man das ganze Geſicht anblickt: —
man hat's ſo lieb — man möcht' mit ihm geweſen ſein,
um alle Pein mit ihm zu dulden, um alles ihm zu ver-
güten durch tauſendfache Liebe, — und wenn man den
breiten vollen Lorbeer erblickt, ſcheinen alle Wünſche
für ihn erfüllt. Sein ganzes Weſen, — das Buch was
er an ſich hält, macht ihn ſo lieb; hätt' ich damals
gelebt, ich hätt' ihn nicht verlaſſen.
Auguſt iſt weg; ich ſang ihm vor: „Sind's nicht
dieſe, ſind's doch andre, die da weinen wenn ich wan-
dre, holder Schatz, gedenk' an mich.“ Und ſo wan-
I. 10
[218] derte er zu den Pforten unſeres republikaniſchen Hauſes
hinaus; hab' ihn auch von Herzen umarmt, zur Erin-
nerung für mich an Dich; weil Du mich aber vergeſſen
zu haben ſcheinſt, und mir nur immer von dem Volk
ſchreibſt welches verflucht iſt, und es Dir lieb iſt wenn
Jacobſon heimgeſchickt wird, aber nicht wenn ich heim-
lich mit Dir bin, ſo ſchreib' ich's zur Erinnerung für
Dich an mich, die Dich trotz deiner Kälte doch immer
lieb haben muß — halt, weil ſie muß.
Dem Primas hüt' ich mich wohl, deine Anſichten
über die Juden mitzutheilen, denn einmal geb' ich Dir
nicht recht, und hab' auch meine Gründe; ich läugne
auch nicht, die Juden ſind ein heißhungriges, unbeſchei-
denes Volk; wenn man ihnen den Finger reicht, ſo
reißen ſie einem bei der Hand an ſich, daß man um
und um purtzeln möchte; das kommt eben daher, daß
ſie ſo lang in der Noth geſteckt haben; ihre Gattung
iſt doch Menſchenart, und dieſe ſoll doch einmal der
Freiheit theilhaftig ſein, zu Chriſten will man ſie abſo-
lut machen, aber aus ihrem engen Fegfeuer der über-
füllten Judengaſſe will man ſie nicht heraus laſſen; das
hat nicht wenig Überwindung der Vorurtheile gekoſtet,
bis die Chriſten ſich entſchloſſen hatten ihre Kinder mit
den armen Judenkindern in eine Schule zu ſchicken,
[219] es war aber ein höchſt genialer und glücklicher Gedanke
von meinem Molitor, für's erſte Chriſten- und Juden-
kinder in eine Schule zu bringen; die können's denn
mit einander verſuchen, und den Alten mit gutem Bei-
ſpiel vorgehen. Die Juden ſind wirklich voll Untu-
gend, das läßt ſich nicht läugnen; aber ich ſehe
gar nicht ein, was an den Chriſten zu verderben iſt;
und wenn denn doch alle Menſchen Chriſten werden
ſollen, ſo laſſe man ſie in's himmliſche Paradies, —
da werden ſie ſich ſchon bekehren, wenn's ihnen ge-
fällig iſt.
Siehſt Du, die Lieb' macht mich nicht blind, — es
wär' auch ein zu großer Nachtheil für mich, denn mit
ſehenden Augen bin ich alles Schönen inne geworden.
Adieu, kalter Mann, der immer über mich hinaus
nach den Judenbroſchüren reicht; ich bitte Dich, ſteck'
das Bild an die Wand mit vier Nadeln, aber in dein
Zimmer, wo ich das einzige Mal drin war, und her-
nach nicht mehr.
Bettine.
10*
[220]
Du zürnſt auf mich, da muß ich denn gleich zu
Kreuz kriechen und Dir recht geben, daß Du mir den
Prozeß machſt über meine kurzen kalten Briefe, da doch
deine lieben Briefe, dein lieb Weſen, kurz alles was
von Dir ausgeht, mit der ſchönſten Anerkenntniß müßte
belohnt werden. Ich bin Dir immer nah, das glaube
feſt, und daß es mir wohler thut, je länger ich deiner
Liebe gewiß werde. Geſtern ſchickte ich meiner Mutter
ein kleines Blättchen für Dich; nimm's als ein baa-
res Äquivalent für das, was ich anders auszuſprechen
in mir kein Talent fühle; ſehe zu wie Du Dir's an-
eignen kannſt. Leb' wohl, ſchreib' mir bald, alles was
Du willſt.
Goethe.
Der durchreiſende Paſſagier wird Dir hoffentlich
werth geblieben ſein bis an's Ende. Nehme meinen
Dank für das Freundliche und Gute, was Du ihm er-
zeigt haſt. — Wenn ich in Carlsbad zur Ruh' bin, ſo
ſollſt Du von mir hören. Deine Briefe wandern mit
[221] mir; ſchreib' mir ja recht viel von deinen Reiſen, Land-
parthieen, alten und neuen Beſitzungen; das leſe ich
nun ſo gern.
Sonett, im Brief an Goethe's Mutter eingelegt.
[222]
Iſt es Dir eine Freude, mich in tiefer Verwirrung,
beſchämt zu Deinen Füßen zu ſehen, ſo ſehe jetzt auf
mich herab; ſo geht's der armen Schäfermaid, der der
König die Krone aufſetzt; wenn ihr Herz auch ſtolz iſt,
ihn zu lieben, ſo iſt die Krone doch zu ſchwer; ihr Köpf-
chen ſchwankt unter der Laſt, und noch obendrein iſt
ſie trunken von der Ehre, von den Huldigungen, die
der Geliebte ihr ſchenkt.
Ach, ich werde mich hüten ferner zu klagen, oder
um ſchön Wetter zu beten, kann ich doch den blen-
denden Sonnenſtrahl nicht vertragen. Nein, lieber im
Dunkel ſeufzen, ſtill verſchwiegen, als von deiner Muſe
an's helle Tageslicht geführt, beſchämt, bekränzt; das
ſprengt mir das Herz. Ach, betrachte mich nicht ſo
lange, nimm mir die Krone ab, verſchränke deine Arme
um mich an Deinem Herzen, und lehre mich vergeſſen
über Dir ſelber, daß Du mich verklärt mir wieder-
ſchenkſt.
Bettine.
[223]
Schon acht Tage bin ich in der lieblichſten Ge-
gend des Rheins, und konnte vor Faulheit, die mir
die liebe Sonne einbrennt, keinen Augenblick finden,
deinem freundlichen Brief eine Antwort zu geben. —
Wie läßt ſich da auch ſchreiben! Die Allmacht Gottes
ſchaut mir zu jedem Fenſter herein und neigt ſich an-
muthig vor meinem begeiſterten Blick.
Dabei bin ich noch mit einem wunderbaren Hell-
ſehen begabt, was mir die Gedanken einnimmt. Seh'
ich einen Wald, ſo wird mein Geiſt auch alle Haſen
und Hirſche gewahr, die drin herumſpringen; und hör'
ich die Nachtigall, ſo weiß ich gleich was der kalte
Mond an ihr verſchuldet hat.
Geſtern Abend ging ich noch ſpät an den Rhein;
ich wagte mich auf einen ſchmalen Damm, der mitten
in den Fluß führt, an deſſen Spitze von Wellen um-
brauſ'te Felsklippen hervorragen; ich erreichte mit eini-
gen gewagten Sprüngen den aller vorderſten, der grade
ſo viel Raum bietet, um trocknen Fußes drauf zu ſtehen.
Die Nebel umtanzten mich; Heere von Raben flogen
über mir, ſie drehten ſich im Kreis, als wollten ſie ſich
aus der Luft herablaſſen; ich wehrte mich dagegen mit
[224] einem Tuch, das ich über meinem Kopf ſchwenkte, aber
ich wagte nicht über mich zu ſehen, aus Furcht in's
Waſſer zu fallen. Wie ich umkehren wollte, da war
guter Rath theuer; ich konnte kaum begreifen wie ich
hingekommen war; es fuhr ein kleiner Seelenverkäufer
vorüber, — dem winkte ich, mich mitzunehmen. Der
Schiffer wollte zu der weißen Geſtalt, die er trocknen
Fußes mitten auf dem Fluſſe ſtehen ſah, und die die
Raben für ihre Beute erklärten, kein Zutrauen faſſen;
endlich lernte er begreifen wie ich dahin gekommen war,
und nahm mich an Bord ſeines Dreibords. Da lag
ich auf ſchmalem Brett, Himmel und Sterne über mir;
wir fuhren noch eine halbe Stunde abwärts, bis wo
ſeine Netze am Ufer hingen; wir konnten von weitem
ſehen, wie die Leute bei hellem Feuer Theer kochten und
ihr Fahrzeug anſtrichen.
Wie leidenſchaftlos wird man, wenn man ſo frei
und einſam ſich befindet, wie ich im Kahn; wie ergießt
ſich Ruh' durch alle Glieder, ſie ertränkt einen mit ſich
ſelbſten, ſie trägt die Seele ſo ſtill und ſanft wie der
Rhein mein kleines Fahrzeug, unter dem man auch nicht
eine Welle plätſchern hörte. Da ſehnte ich mich nicht
wie ſonſt meine Gedanken vor Dir auszuſprechen, daß
ſie gleich den Wellen an der Brandung anſchlagen und
[225] belebter weiter ſtrömen; ich ſeufzte nicht nach jenen Re-
gungen im Innern, von denen ich wohl weiß, daß ſie
Geheimniſſe wecken und dem glühenden Jugendgeiſt
Werkſtätte und Tempel öffnen. Mein Schiffer mit der
rothen Mütze, in Hemdärmeln, hatte ſein Pfeifchen an-
gezünd't; ich ſagte: Herr Schiffskapitain, Ihr ſeht ja
aus als hätt' die Sonne Euch zum Harniſch ausglü-
hen wollen; — ja, ſagte er, jetzt ſitz' ich im Kühlen;
aber ich fahre nun ſchon vier Jahre alle Reiſende bei
Bingen über den Rhein, und da iſt keiner ſo weit her-
gekommen wie ich. Ich war in Indien; da ſah ich
ganz anders aus, da wuchſen mir die Haare ſo lang. —
Und war in Spanien; da iſt die Hitze nicht ſo bequem,
und ich hab' Strabatzen ausgeſtanden; da fielen mir
die Haare aus, und ich kriegte einen ſchwarzen Kraus-
kopf. — Und hier am Rhein wird's wieder anders: da
wird mein Kopf gar weiß; in der Fremde hatt' ich Noth
und Arbeit, wie es ein Menſch kaum erträgt; und wenn
ich Zeit hatte, konnte ich vierundzwanzig Stunden hin-
ter einander ſchlafen, — da mocht' es regnen und blitzen
unter freiem Himmel. Hier ſchlaf' ich Nachts keine
Stunde; wer's einmal geſchmeckt hat auf offner See,
dem kann's nicht gefallen hier alle Polen und rothaa-
rige Holländer über die Goſſe zu fahren, — und ſollt'
10**
[226] ich dem ganzen Rhein hinunterſchwimmen auf meinen
dünnen Rippen, ſo muß ich fort aus einem Ort, wo's
nichts zu lachen giebt und nichts zu ſeufzen. — Ei, wo
möchtet Ihr denn hin? — Da, wo ich am meiſten aus-
geſtanden habe, das war in Spanien; — da möcht' ich
wieder ſein, und wenn's noch einmal ſo hart herging'! —
Was hat Euch denn da ſo glücklich gemacht? — Er
lachte und ſchwieg, — wir landeten; ich beſtellte ihn zu
mir, daß er ſich ein Trinkgeld bei mir hole, weil ich
nichts bei mir hatte; er wollte aber nichts nehmen. Im
Nachhauſegehen überlegte ich, wie mein Glück ganz von
Dir ausgeht; wenn Du nicht wärſt, im langweiligen
Deutſchland, ſo möcht' ich wahrhaftig auch auf meinen
dünnen Rippen den unendlichen Rhein hinabſchwimmen.
Unſre Großmutter hat uns oft ſo erhabene Dinge geſagt
von Deutſchlands großen Geiſtern, aber Du warſt nicht
dabei, ſonſt hätt' ich mich vor Dir gehütet, und Du
wärſt meiner Begeiſtrung verluſtig geweſen. Im Ein-
ſchlafen fühlte ich mich noch immer gewiegt in ſüßer,
gedankloſer Zerſtreuung, und es war mir, als hab' ich
Dir große Dinge mitzutheilen, von denen ich glaubte,
ich dürfe nur wollen, ſo werde ſie der Mund meiner
Gedanken ausſprechen; jetzt aber, nach ausgeſchlafnem
Traumleben, weiß ich nichts als mich deinem Andenken,
[227] deiner freundlichen Neigung auf's innigſte anzuſchmie-
gen; denn wärſt Du mir nicht, ich weiß nicht was ich
dann wär'; aber gewiß: unſtät und unruhig würde ich
ſuchen, was ich jetzt nicht mehr ſuche.
Dein Kind.
Wie iſt mir, lieber einziger Freund! Wie ſchwin-
delt mir, was willſt Du mir ſagen, — Schatz! köſt-
licher! von dem ich alles lerne tief in der Bruſt, der
mir alle Feſſeln abnimmt die mich drücken, der mir
winkt in die Lüfte, in die Freiheit.
Das haſt Du mir gelehrt, daß alles was meinem
Geiſt eine Feſſel iſt, allein nur drückende Unwiſſenheit
iſt; wo ich mich fürchte, wo ich meinen Kräften nicht
traue, da bin ich nur unwiſſend.
Wiſſen iſt die Himmelsbahn; das höchſte Wiſſen
iſt Allmacht, das Element der Seeligkeit; ſo lange wir
nicht in ihm ſind, ſind wir noch ungeboren. Seelig ſein
iſt frei ſein; ein freies, ſelbſtſtändiges Leben haben,
deſſen Höhe und Göttlichkeit nicht abhängt von ſeiner
Geſtaltung; das in ſich göttlich iſt, weil nur reiner
Entfaltungstrieb in ihm iſt; ewiges Blühen an's Licht
und ſonſt nichts.
[228]
Liebe iſt Entfaltungstrieb in die göttliche Freiheit.
Dies Herz, das von Dir empfunden ſein will, will frei
werden; es will entlaſſen ſein aus dem Kerker in dein
Bewußtſein. Du biſt das Reich, der Stern, den es ſei-
ner Freiheit erobern will. Liebe will allmählig die Ewig-
keit erobern, die, wie Du weißt, kein Ende nehmen wird.
Dies Sehnen iſt jenſeits der Athem, der die Bruſt
hebt; und die Liebe iſt die Luft, die wir trinken.
Durch Dich werd' ich in's unſterbliche Leben einge-
hen; der Liebende geht ein durch den Geliebten in's
Göttliche, in die Seeligkeit. Liebe iſt Überſtrömen in
die Seeligkeit.
Dir alles ſagen, das iſt mein ganzes Sein mit
Dir; der Gedanke iſt die Pforte, die den Geiſt entläßt;
da rauſcht er hervor und hebt ſich hinüber zur Seele
die er liebt, und läßt ſich da nieder, und küßt die Ge-
liebte, und das iſt Wolluſtſchauer: den Gedanken empfin-
den, den die Liebe entzündet.
Möge mir dies ſüße Einverſtändniß mit Dir be-
wahrt bleiben, in dem ſich unſer Geiſt berührt; dies
kühne Heldenthum, das ſich über den Boden der Be-
drängniß und Sorge hinweg hebt, auf himmliſchen
Stufen aufwärtsſchreitend, ſolchen ſchönen Gedanken
entgegen, von denen ich weiß, ſie kommen aus Dir.
[229]
Nur wenig Augenblicke vor meiner Abreiſe nach
Carlsbad kommt dein lieber Brief aus dem Rheingau;
auf jeder Seite ſo viel Herrliches und Wichtiges leuch-
tet mir entgegen, daß ich im voraus Beſchlag lege auf
jede prophetiſche Eingebung deiner Liebe; deine Briefe
wandern mit mir, die ich wie eine buntgewirkte Schnur
auftrößle, um den ſchönen Reichthum den ſie enthalten,
zu ordnen. Fahre fort, mit dieſem lieblichen Irrlichter-
tanz mein beſchauliches Leben zu ergötzen, und bezie-
hende Abentheuer zu lenken; — es iſt mir alles aus
eigner Jugenderinnerung bekannt, wie die heimathliche
Ferne, deren man ſich deutlich bewußt fühlt, obſchon
man ſie ſchon lange verlaſſen hat. Forſche doch nach
dem Lebenslauf deines hartgebrannten Schiffers, wenn
Du ihm wieder begegneſt; es wäre doch wohl intereſſant
zu erfahren, wie der indiſche Seefahrer endlich auf den
Rhein kömmt, um zur gefährdeten Stunde den böſen
Raubvögeln mein liebes Kind abzujagen, Adieu! Der
Eichwald und die kühlen Bergſchluchten, die meiner
harren, ſind der Stimmung nicht ungünſtig, die Du
ſo unwiderſtehlich herauszulocken verſtehſt; auch pre-
[230] dige deine Naturevangelien nur immer in der ſchö-
nen Zuverſicht, daß Du einen frommen Gläubigen an
mir haſt.
Die gute Mutter hat mir ſehr bedauerlich geſchrie-
ben, daß ſie dieſem Sommer Dich entbehren ſoll; deine
reiche Liebe wird auch dahin vorſorgend wirken, und Du
wirſt Einen in dem Andern nicht vergeſſen.
Möchteſt Du doch auch gelegentlich meinen Dank,
meine Verehrung unſerm vortrefflichen Fürſten Primas
ausdrücken, daß er meinen Sohn ſo über alle Erwar-
tung geehrt, und der braven Großmutter ein ſo einziges
Feſt gegeben. Ich ſollte wohl ſelbſt dafür danken, aber
ich bin überzeugt, Du wirſt das, was ich zu ſagen habe,
viel artiger und anmuthiger, wenn auch nicht herzlicher
vortragen.
Deine Briefe werden mir im Carlsbad bei den drei
Mohren der willkommenſte Beſuch ſein, von denen ich
mir das beſte Heil verſpreche. Erzähle mir ja recht viel von
deinen Reiſen, Landparthieen, alten und neuen Beſitzun-
gen, und erhalte Dich mir in fortdauerndem lebendigem
Andenken.
G.
[231]
Hier ſind noch tauſend herrliche Wege, die alle nach
berühmten Gegenden des Rheins führen; jenſeits liegt
der Johannisberg, auf deſſen ſteilen Rücken wir täglich
Prozeſſionen hinaufklettern ſehen, die den Weinbergen
Seegen erflehen, dort überſtrömt die ſcheidende Sonne
das reiche Land mit ihrem Purpur, und der Abendwind
trägt feierlich die Fahnen der Schutzheiligen in den Lüf-
ten, und bläht die weitfaltigen weißen Chorhemden der
Geiſtlichkeit auf, die ſich in der Dämmerung wie ein
räthſelhaftes Wolkengebilde den Berg hinabſchlängeln.
Im Näherrücken entwickelt ſich der Geſang; die Kin-
derſtimmen klingen am vernehmlichſten; der Baß ſtößt
nur ruckweiſe die Melodie in die rechten Fugen, damit
ſie das kleine Schulgewimmel nicht all' zu hoch treibe,
und dann pauſirt er am Fuß des Bergs, wo die Wein-
lagen aufhören. Nachdem der Herr Kaplan den letz-
ten Rebſtock mit dem Wadel aus dem Weihwaſſerkeſſel
beſpritzt hat, fliegt die ganze Prozeſſion wie Spreu aus-
einander, der Küſter nimmt Fahne, Weihkeſſel und Wa-
del, Stola und Chorhemd, alles unter dem Arm, und
trägt's eilends davon, und als ob die Grenze der Wein-
[232] berge auch die Grenze der Audienz Gottes wär', ſo fällt
das weltliche Leben ein, Schelmenliedchen bemächtigen
ſich der Kehlen, und ein heiteres Allegro der Ausgelaſ-
ſenheit verdrängt den Bußgeſang, alle Unarten gehen
los, die Knaben balgen ſich, und laſſen ihre Drachen
am Ufer im Mondſchein fliegen, die Mädchen ſpannen
ihre Leinwand aus, die auf der Bleiche liegt, und die
Burſche bombardieren ſie mit wilden Caſtanien; da jagt
der Stadthirt die Kuhheerde durch's Getümmel, den
Ochs voran, damit er ſich Platz mache; die hübſchen
Wirthstöchter ſtehen unter den Weinlauben vor der
Thür und klappen mit dem Deckel der Weinkanne, da
ſprechen die Chorherren ein, und halten Gericht über
Jahrgänge und Weinlagen, der Herr Frühmeſſner ſagte
nach gehaltner Proceſſion zum Herrn Kaplan: Nun
haben wir's unſerm Herrgott vorgetragen, was unſerm
Wein Noth thut: noch acht Tage trocken Wetter, dann
Morgens früh Regen und Mittags tüchtigen Sonnen-
ſchein, und das ſo fort Juli und Auguſt! wenn's dann
kein gutes Weinjahr giebt, ſo iſt's nicht unſre Schuld.
Geſtern wanderte ich, der Prozeſſion vorüber, hin-
auf nach dem Kloſter, wo ſie herkam. Oft hatte ich im
Aufſteigen halt gemacht, um den verhallenden Geſang
noch zu hören. Da oben auf der Höhe war große Ein-
[233] ſamkeit, nach dem auch das Geheul der Hunde, die das
Pſalmiren obligat begleitet hatten, verklungen war,
ſpürte ich in die Ferne; da hörte ich dumpf das ſinkende
Treiben des ſcheidenden Tags; ich blieb in Gedan-
ken ſitzen, — da kam aus dem fernen Waldgeheg' von
Vollrath's her etwas Weißes, es war ein Reiter auf
einem Schimmel; das Thier leuchtete wie ein Geiſt, ſein
weicher Galopp tönte mir weiſſagend, die ſchlanke Figur
des Reiters ſchmiegte ſich ſo nachgebend den Bewegun-
gen des Pferdes, das den Hals ſanft und gelenk bog;
bald in läſſigem Schritt kam er heran, ich hatte mich
an den Weg geſtellt, er mogte mich im Dunkel für
einen Knaben halten, im braunen Tuchmantel und
ſchwarzer Mütze ſah ich nicht grade einem Mädchen ähn-
lich. Er fragte, ob der Weg hier nicht zu ſteil ſei zum
Hinabreiten, und ob noch weit ſei bis Rüdesheim. Ich
leitete ihn den Berg herab, der Schimmel hauchte mich
an, ich klatſchte ſeinen ſanften Hals. Des Reiters
ſchwarzes Haar, ſeine erhabene Stirn und Naſe waren
bei dem hellen Nachthimmel deutlich zu erkennen. Der
Feldwächter ging vorüber und grüßte, ich zog die Mütze
ab, mir klopfte das Herz neben meinem zweifelhaften
Begleiter, wir gaben einander wechſelweiſe Raum, uns
näher zu betrachten, was er von mir zu denken beliebte,
[234] ſchien keinen großen Eindruck auf ihn zu machen; ich
aber entdeckte in ſeinen Zügen, ſeiner Kleidung und Be-
wegungen eine reizende Eigenheit nach der andern.
Nachläſſig, Bewußtlos, Naturlaunig ſaß er auf ſeinem
Schimmel, der das Regiment mit ihm theilte. — Dort-
hin flog er im Nebel [ſchwimmend], der ihn nur allzubald
mir verbarg; ich aber blieb bei den letzten Reben, wo
heute die Prozeſſion in ausgelaſſnem Übermuth ausein-
ander ſprengte, allein zurück: Ich fühlte mich ſehr ge-
demüthigt, ich ahndete nicht nur, ich war überzeugt, dies
raſche Leben, das eben gleichgültig an mir vorüber ge-
ſtreift war, begehre mit allen fünf Sinnen, des Köſt-
lichſten und Erhabenſten im Daſein ſich zu bemäch-
tigen.
Die Einſamkeit giebt dem Geiſt Selbſtgefühl; die
duftenden Weinberge ſchmeichelten mich wieder zufrieden.
Und nun vertraue ich Dir ſchmucklos meinen Rei-
ter, meine gekränkte Eitelkeit, meine Sehnſucht nach dem
lebendigen Geheimniß in der Menſchenbruſt. Soll ich
in Dir lebendig werden, genießen, athmen und ruhen,
alles im Gefühl des Gedeihens, ſo muß ich, deiner hö-
heren Natur unbeſchadet, alles bekennen dürfen, was
mir fehlt, was ich erlebe und ahnde; nimm mich auf,
[235] weiſe mich zurecht und gönne mir die heimliche Luſt des
tiefſten Einverſtändniſſes.
Die Seele iſt zum Gottesdienſt geboren, daß ein
Geiſt in dem andern entbrenne, ſich in ihm fühle und
verſtehen lerne, das iſt mir Gottesdienſt — je inniger:
je reiner und lebendiger.
Wo ich mich hinlagere am grünenden Boden, von
Sonne und Mond beſchienen, da biſt Du meine Hei-
ligung.
Bettine.
Du wirſt doch auch einmal den Rhein wieder be-
ſuchen, den Garten deines Vaterlands, der dem ausge-
wanderten die Heimath erſetzt, wo die Natur ſo freund-
lich groß ſich zeigt; — Wie hat ſie mit ſympatheti-
ſchem Geiſt die mächtigen Ruinen auf's neue belebt, wie
ſteigt ſie auf und ab an den düſtern Mauern und be-
gleitet die verödeten Räume mit ſchmeichelnder Begra-
ſung, und erzieht die wilden Roſen auf den alten War-
ten und die Vogelskirſche, die aus verwitterter Mauer-
luke herablacht. Ja komm' und durchwandre den mäch-
tigen Bergwald vom Tempel herab zum Felſenneſt das
über dem ſchäumenden Bingerloch herabſieht, die Zinnen
[236] mit jungen Eichen gekrönt; wo die ſchlanken Dreiborde
wie ſchlaue Eidexen durch die reißende Fluth am Mäu-
ſethurm vorbeiſchießen. Da ſtehſt Du und ſiehſt, wie
der helle Himmel über grünenden Rebhügeln aus dem
Waſſerſpiegel herauflacht, und Dich ſelbſt auf deinem
kecken, eigenſinnigen, baſaltnen Ehrenfels inmitten ab-
gemalt, in ernſte, ſchaurig umfaſſende Felshöhen, und
hartnäckige Vorſprünge eingerahmt; da betrachte Dir
die Mündungen der Thale, die mit ihren friedlichen
Klöſtern zwiſchen wallenden Saaten aus blauer Ferne
hervorgrünen, und die Jagdreviere und hängenden Gär-
ten, die von einer Burg zur andern ſich ſchwingen, und
das Geſchmeide der Städte und Dörfer, das die Ufer
ſchmückt.
O Weimar, O Karlsbad, entlaßt mir den Freund!
Schließ' dein Schreibpult zu und komm' hier her lieber,
als nach Carlsbad; das iſt ja ein Kleines, daß Du den
Poſtillion ſagſt: links ſtatt rechts; ich weiß was Du be-
darfſt, ich mache Dir dein Zimmer zurecht neben Mei-
nem, das Eckzimmer, mit dem einen Fenſter den Rhein
hinunter, und dem andern hinüber; ein Tiſch, ein Seſſel,
ein Bett [und] ein dunkler Vorhang, daß die Sonne Dir
nicht zu früh herein ſcheint. Muß es denn immer auf
[237] dem Weg zum Tempel des Ruhms fortgeleiert ſein, wo
man ſo oft marode wird?
Eben entdeckte ich den Briefträger, ich ſprang ihm
entgegen, er zeigte mir auch von weitem deinen Brief,
er freute ſich mit mir und hatte auch Urſache dazu, er
ſagte: Gewiß iſt der Brief von dem Herrn Liebſten!
Ja, ſagte ich, für die Ewigkeit! das hielt er für ein
melancholiſches Ausrufungszeichen.
Die Mutter hat mir auch heute geſchrieben, ſie ſagt
mir's herzlich, daß ſie mir wohl will, von deinem Sohn
erhalte ich zuweilen Nachricht durch andre, er ſelbſt aber
läßt nichts von ſich hören.
Und nun leb' wohl, dein Aufenthalt im Karlsbad
ſei Dir gedeihlich, ich ſegne deine Geſundheit, wenn Du
krank wärſt und Schmerzen litteſt, würde ich ſehr mit-
leiden, ich hab' ſo Manches nachfühlen müſſen; was
Du wohl längſt verſchmerzt hatteſt, noch eh' ich Dich
kannte.
Die drei Mohren ſollen deine Wächter ſein, daß
ſich kein fremder Gaſt bei Dir einſchleiche, und Du Dir
kein geſchnitzeltes Bild machſt, daſſelbige anzubeten. Laß
Dir's bei den drei Mohren geſagt ſein, daß ich um den
Ernſt deiner Treue bitte, erhalte mir ſie unter den zier-
lichen müſſigen Badenymphen, die Dich umtanzen, die
[238] Nadel mit dem Gordiſchen Knoten trag' an deiner Bruſt,
denk daran, daß Du aus der Fülle meiner Liebe keine
Wüſte des Jammers machen ſollſt, und ſollſt den Kno-
ten nicht entzwei hauen.
Dem Primas hab' ich geſchrieben in deinem Auf-
trag, er iſt in Aſchaffenburg, er hat mich eingeladen,
dorthin zu kommen; ich werde auch wahrſcheinlich mit
der ganzen Familie ihn beſuchen, da kann ich ihm alles
noch einmal mittheilen. Ich werde Dir Nachricht dar-
über geben.
Nun küſſe ich Dir zum letztenmal Hand und Mund,
um Morgen einen neuen Brief zu beginnen.
Bettine.
Wenn ich Dir alle Ausflüge beſchreiben ſollte, lieb-
ſter Herr, die wir von unſerm Rheinaufenthalt aus ma-
chen, ſo blieb mir keine Minute übrig zum Schmachten
und Seufzen. Das wär' mir ſehr lieb, denn wenn mein
Herz voll iſt, ſo möcht' ich's gerne vor Dir überſtrömen
laſſen; aber ſo geht's nicht: Hat man den ganzen Tag
im heißen Sonnenbrand einen Berg um den andern er-
[239] ſtiegen, alle Herrlichkeiten der Natur mit Haſt in ſich
getrunken, wie den kühlen Wein in der Hitze, ſo möchte
man am Abend den Freund lieber an's Herz drücken,
und ihm ſagen, wie lieb man ihn hat, als noch viele
Beſchreibung von Weg und Steg machen. Was ver-
mag ich auch vor Dir, als nur Dich innigſt anzuſehen!
Was ſoll ich Dir vorplaudern? — Was können Dir
meine einfältigen Reden ſein?
Wer ſich nach der ſchönen Natur ſehnt, der wird
ſie am beſten beſchreiben, der wird nichts vergeſſen
keinen Sonnenſtrahl, der ſich durch die Felsritze
ſtiehlt, keinen Windvogel, der die Wellen ſtreift, kein
Kraut, kein Mückchen, keine Blume am einſamen Ort.
Wer aber Mitten drinnen iſt, und mit glühendem
Geſicht oben ankommt, der ſchläft wie ich gern auf dem
grünen Raſen ein, und denkt weiter nicht viel, manch-
mal giebt's einen Stoß an's Herz, da ſeh' ich mich um
und ſuche, wem ich's vertrauen ſoll.
Was ſollen mir all' die Berge bis zur blauen Ferne,
die blähenden Segel auf dem Rhein, die brauſenden
Waſſerſtrudel! — es drückt einem doch nur, und —
keine Antwort, niemals, wenn man auch noch ſo begeh-
rend fragt. —
[240]
So lauten die Stoßſeufzer am Abend, am Morgen
klingt's anders, da regt ſich's ſchon vor Sonnenauf-
gang und treibt mich hinaus, wie einer längſt erſehn-
ten Botſchaft entgegen. Den Nachen kann ich ſchon
allein regieren, es iſt mein liebſtes Morgengebet ihn
liſtig und verſtohlen von der Kette zu löſen, und mich
hinüber an's Ufer zu ſtudieren. Allemal muß ich's wie-
der von neuem lernen, es iſt ein Wagſtück, mit Muthwill
begonnen, aber ſehr andächtig beſchloſſen; denn ich danke
Gott, wenn ich glücklich gelandet bin. Ohne Wahl belaufe
ich dann einen der vielen Strahlenwege, die ſich hier
nach allen Seiten aufthun. Jedesmal lauſcht die Er-
wartung im Herzen, jedesmal wird ſie gelöſ't, bald
durch die allumfaſſende Weite auf der Höh', durch die
Sonne die ſo plötzlich alles aus dem Schlaf weckt;
ich klimme herab an Felswänden, reinliches Moos,
zierliches Flechtwerk begleitet den Stein, kleine Höhlen
zum Lager wie gegoſſen, in denen verſchnauf' ich, dort
zwiſchen dunklen Felſen leuchtet ein helleres Grün: kräf-
tig blühend, untadelich, mitten in der Wüſte find' ich
die Blume auf reinlichem Heerd, einfache Haushaltung
Gottes; inmitten von Blüthenwänden die Opferſtätte
feier-
[241] feierlich umſtellt von ſchwanken prieſterlichen Nymphen,
die Libationen aus ihren Kelchkrüglein ergießen, und
Weihrauch ſtreuen, und wie die indiſchen Mädchen gold-
nen Staub in die Lüfte werfen. — Dann ſeh' ich's blitzen
im Sand; ich muß hinab und wieder hinauf, ob's vielleicht
ein Diamant iſt, den der Zufall an's Licht gebracht hat.
Wenn's einer wär', ich ſchenkte ihn Dir, und denk' mir
deine Verwunderung über das Kleinod unſerer rheini-
ſchen Felſen. Da lieg' ich am unbeſchatteten Ort mit
brennenden Wangen, und ſammle Muth, wieder hinüber
zu klettern zur duftenden Linde. Am Kreuzweg, beim
Opferſtock des heiligen Petrus, der mit großem Him-
melsſchlüſſel in's vergitterte Kapellchen eingeſperrt iſt,
ruh' ich aus auf weichem Gras, und ſuch' vergebens,
o Himmel! an deinem gewölbten Blau das Loch, in
das der Schlüſſel paſſen könnte, da ich heraus möchte
aus dem Gefängniß der Unwiſſenheit und Unbewußt-
heit; wo iſt die Thür die dem Licht und der Freiheit
ſich öffnet. — Da ruſchelt's, da zwitſchert's im Laub,
dicht neben mir, unter niederem Aſt ſitzt das Finken-
weibchen im Neſt und ſieht mich kläglich an.
Das ſind die kleinen allerliebſten Abentheuer und
Mühſeligkeiten des heutigen Tags. Heimwärts machte
ich die Bekanntſchaft der kleinen Gänſehirtin, ſie ſtrahlte
I. 11
[242] mich von weitem an mit ihren zolllangen ſchwarzen
Augenwimpern, die andern Kinder lachten es aus und
ſagten alle Menſchen hielten ſich drüber auf, daß es ſo
lange Wimpern habe. Es ſtand beſchämt da, und fing
endlich an zu weinen. Ich tröſtete es und ſagte: Weil
Dich Gott zur Hüterin über die ſchönen weißen Gänſe
beſtellt hat, und Du immer auf freier Wieſe geheſt, wo
die Sonne ſo ſehr blendet, ſo hat er Dir dieſe langen
Augenſchatten wachſen laſſen. Die Gänſe drängten ſich
an ihre weinende Hüterin, und ziſchten mich und die
lachenden Kinder an, könnt' ich malen — das gäb' ein
Bild!
Gut iſt's, daß ich nicht viel von dem weiß, was
in der Welt vorgeht, und von Künſten und Wiſſenſchaf-
ten nichts verſteh', ich könnte leicht in Verſuchung ge-
rathen, Dir darüber zu ſprechen, und meine Phantaſie
würde alles beſſer wiſſen wollen, jetzt nährt ſich mein
Geiſt von [Inſpirationen]. — Manches hör' ich nennen,
anwenden, vergleichen, was ich nicht begreife, was hin-
dert mich danach zu fragen? — was macht mich ſo
gleichgültig dagegen? oder warum weiche ich wohl gar
aus, etwas Neues zu erfahren? —
[243]
Ein Heer von Wolken macht mir heute meine frühe
Wanderung zu Waſſer, dort drüben die Ufer ſind heute
wie Schatten der Unterwelt ſchwankend und ſchwin-
dend; die Thurmſpitzen der Nebelbegrabenen Städte und
Ortſchaften dringen kaum durch, die ſchöne grüne Au'
iſt verſchwunden. — Es iſt noch ganz früh — ich merk's!
kaum kann es vier Uhr ſein, da ſchlagen die Hähne an,
von Ort zu Ort in die Runde bis Mittelheim, von
Nachbar zu Nachbar; keiner verkümmert dem andern
die Ehre des langen Nachhalls, und ſo geht's in die
Ferne wie weit! die Morgenſtille dazwiſchen, wie die
Wächter der Moſcheen, die das Morgengebet ausrufen.
Morgenſtund' hat Gold im Mund', ſchon ſeh' ich's
glänzen und flimmern auf dem Waſſer, die Strahlen
brechen durch, und ſäen Sterne in den eilenden Strom,
der ſeit zwei Tagen, wo es unaufhörlich gießt, ange-
ſchwollen iſt.
Da hat der Himmel ſeine Schleier zerriſſen! — nun
iſt's gewiß, daß wir heute ſchön Wetter haben, ich bleibe
zu Hauſe und will alle Segel zählen, die vorüber zie-
hen, und allen Betrachtungen Raum geben, die mir die
ferne allmählig erhellende Ausſicht zuführt. Du kennſt
den Fluß des Lebens wohl genau; und weißt, wo die Sand-
11*
[244] bänke und Klippen ſind, und die Strudel, die uns in
die Tiefe ziehen, und wie weit der jauchzende Schiffer
mit geſpanntem Segel, mit friſchem Wind wohl kom-
men wird, und was ihn am Ufer erwartet.
Wenn Dir's gefällt, einen Augenblick nachzuden-
ken über den Eigenſinn meiner Neigung und über die
Erregbarkeit meines Geiſtes, ſo mag dir's wohl anſchau-
lich ſein, was mir unmündig Schiffenden noch begegnen
wird. O ſag' mir's, daß ich nichts erwarten ſoll von
jenen Luftſchlöſſern, die die Wolken eben im Saffran
und Purpurfeld der aufgehenden Sonne aufthürmen,
ſag mir: Dies Lieben und Aufflammen, und dies trotzige
Schweigen zwiſchen mir und der Welt ſei nichtig und
nichts!
Ach, der Regenbogen, der eben auf der Ingelheimer
Au' ſeinen diamantnen Fuß aufſetzt und ſich über's Haus
hinüberſchwingt auf den Johannisberg, der iſt wohl
grad' wie der ſeelige Wahn, den ich habe von Dir und
Mir. Und der Rhein, der ſein Netz ausſpannt, um das
Bild ſeiner paradieſiſchen Ufer drinn aufzufangen, der
iſt wie dieſe Lebensflamme, die von Spiegelungen des
Unerreichbaren ſich nährt. Mag ſie denn der Wirklich-
keit auch nicht mehr abgewinnen, als den Wahn; —
es wird mir eben auch den eigenthümlichen Geiſt geben
[245] und den Charakter, der mein Selbſt ausſpricht, wie dem
Fluß das Bild, das ſich in ihm ſpiegelt.
Heute Morgen ſchiffte ich noch mit dem launigen,
Rheinbegeiſterten Niklas Vogt nach der Ingelheimer Au',
ſeine enthuſiaſtiſchen Erzählungen waren ganz von dem
O und Ach vergangner ſchönen Zeiten durchwebt. Er
holte weit aus und fing von da an, ob Adam hier
nicht im Paradieſe gelebt habe, und dann erzählte er
vom Urſprung des Rheins und ſeinen Windungen durch
wilde Schluchten und einengende Felsthale, und wie er
da nach Norden ſich wende und wieder zurückgewieſen
werde links nach Weſten, wo er den Bodenſee bilde,
und dann ſo kräftig ſich über die entgegenſtellenden Fel-
ſen ſtürze; ja, ſagte der gute Vogt ganz liſtig und lu-
ſtig, man kann den Fluß ganz und gar mit Goethe
vergleichen. Jetzt geben Sie acht: die drei Bächlein die
von der Höhe des ungeheuren Urfelſen, der ſo mannig-
faltige, abwechſelnde Beſtandtheile hat, niederfließen und
den Rhein bilden, der als Jünglingskind erſt ſprudelt,
das ſind ſeine Muſen, nämlich Wiſſenſchaft, Kunſt und
Poeſie, und wie da noch mehr herrliche Flüſſe ſind: der
[246] Teſſin, der Adda und Inn, worunter der Rhein der
ſchönſte und berühmteſte, ſo iſt Goethe auch der be-
rühmteſte und ſchönſte vor Herder, Schiller und Wie-
land; und da wo der Rhein den Bodenſee bildet, das
iſt die liebenswürdige Allgemeinheit Goethe's, wo ſein
Geiſt von den drei Quellen noch gleichmäßig durchdrun-
gen iſt, da, wo er ſich über die entgegenſtaunenden Fel-
ſen ſtürzt: das iſt ſein trotzig Überwinden der Vorur-
theile, ſein heidniſch Weſen, das brauſ't tüchtig auf und
iſt tumultuariſch begeiſtert; da kommen ſeine Xenien
und Epigramme, ſeine Naturanſichten, die den alten
Philiſtern ins Geſicht ſchlagen, und ſeine philoſophiſchen
und religiöſen Richtungen, die ſprudeln und toben zwi-
ſchen dem engen Felsverhak des Widerſpruchs und der
Vorurtheile ſo fort, und mildern ſich dann allmählig;
nun aber kömmt noch der beſte Vergleich: Die Flüſſe
die er aufnimmt: die Limmat, die Thur, die Reuß, die
Ill, die Lauter, die Queich, lauter weibliche Flüſſe, das
ſind die Liebſchaften, ſo gehts immer fort bis zur letzten
Station. Die Selz, die Nahe, die Saar, die Moſel,
die Nette, die Ahr; — nun kommen ſie ihm vom
Schwarzwald zugelaufen und von der rauen Alpe, —
lauter Flußjungfern: die Elz, die Treiſam, die Kinzig,
die Murg, die Kraich, dann die Reus, die Jaxt; aus
[247] dem Odenwald und Melibocus herab, haben ſich ein
paar allerliebſte Flüßchen auf die Beine gemacht: die
Wesnitz und die Schwarzbach; die ſind ſo eilig: was
giltſt Du, was haſt Du? — Dann führt ihm der Main
ganz verſchwiegen die Nid und die Krüftel zu; das
verdaut er alles ganz ruhig, und bleibt doch immer er
ſelber; und ſo macht's unſer großer deutſcher Dichter
auch, wie unſer großer deutſcher Fluß; wo er geht und
ſteht, wo er geweſen iſt und wo er hinkommt, da iſt
immer was Liebes, was den Strom ſeiner Begeiſtrung
anſchwellt.
Ich war überraſcht von der großen Geſellſchaft;
Vogt meinte, das wären noch lange nicht alle; der
Vergleiche waren noch kein Ende: Geſchichte und Fabel,
Feuer und Waſſer, was über und unter der Erde ge-
deiht, wußte er paſſend anzuwenden; ein Rhinoceros-
gerippe und verſteinerte Palmen, die man am Rhein
gefunden, nahm er, als deine intereſſanteſten Studien
bezeichnend. So belehrte er mich und prophezeihte, daß
Du auch bis an's End', wie der Rhein, aushalten wer-
deſt, und nachdem Du wie er, alle geſättigt und ge-
noſſen, ſanft und gemachſam dem Meer der Ewigkeit
zuwallen werdeſt; er ſchrieb mir das Verzeichniß aller
Flüſſe auf, und verglich mich mit der Nidda; ach wie
[248] leid thut mir's, daß nach dieſer noch die Lahn, die
Sayn, die Sieg, die Roer, die Lippe und die Ruhr
kommen ſollen!
Adieu! Ich nenne dieſen Brief die Epiſtel der
Spaziergänge; wenn ſie Dir nicht gefallen, ſo denke,
daß die Nidda keine Goldkörner in ihrem Bett führt
wie der Rhein, nur ein bischen Queckſilber.
Sei mir gegrüßt bei den drei Mohren.
Bettine.
Zwei Briefe von Dir, liebe Bettine, ſo reich an
Erlebtem, ſind mir kurz nach einander zugekommen;
der erſte indem ich im Begriff war das Freie zu ſuchen.
Wir nahmen ihn mit und bemächtigten uns ſeines In-
halts auf einem wohlgeeigneten bequemen Ruhepunkt,
wo Natur und Stimmung, im Einklang mit deinen
ſinnig heiteren Erzählungen und Bemerkungen, einen
höchſt erfreulichen Eindruck nicht verfehlten, der ſich
fortan durch den gordiſchen Knoten ſignaliſiren ſoll.
Mögen die Götter dieſen magiſchen Verſchlingungen ge-
[249] neigt ſein, und kein tückiſcher Dämon daran zerren! an
mir ſoll's nicht fehlen, deine Schutz- und Trutzgerecht-
ſame zu bewahren gegen Nymphen und Waldteufel.
Deine Beſchreibung der Rheinprozeſſion und der
flüchtigen Reitergeſtalt haben mir viel Vergnügen ge-
macht, ſie bezeichnen wie Du empfindeſt und empfun-
den ſein willſt; laſſe Dir dergleichen Viſionen nicht ent-
gehen, und verſäume ja nicht ſolche vorüberſtreifende
Aufregungen bei den drei Haaren zu erfaſſen, dann
bleibt es in deiner Gewalt das Verſchwundene in idea-
liſcher Form wieder herbei zu zaubern. Auch für deine
Naturbegeiſtrungen in die Du mein Bild ſo anmuthig
verſtrickſt, ſei Dir Dank, ſolchen allerliebſten Schmeiche-
leien iſt nicht zu wehren.
Heute Morgen iſt denn abermals deine zweite Epi-
ſtel zu mir gelangt, die mir das ſchöne Wetter erſetzte.
Ich habe ſie mit Muße durchleſen, und dabei den Zug
der Wolken ſtudiert. Ich bekenne Dir gern, daß mir
deine reichen Blätter die größte Freude machen; deinen
launigen Freund, der mir ſchon rühmlichſt bekannt iſt,
grüße in meinem Namen und danke ihm für den groß-
müthigen Vergleich; obſchon ich hierdurch mit ausge-
zeichneten Prärogativen belehnt bin, ſo werd' ich dieſe
doch nicht zum Nachtheil deiner guten Geſinnung miß-
11**
[250] brauchen; liebe mich ſo fort, ich will gern die Lahn und
die Sayn ihrer Wege ſchicken.
Der Mutter ſchreibe, und laſſe Dir von ihr ſchrei-
ben; liebet Euch unter einander, man gewinnt gar viel
wenn man ſich durch Liebe einer des andern bemächtigt;
und wenn Du wieder ſchreibſt, ſo könnteſt Du mir neben-
her einen Gefallen thun, wenn Du mir immer am Schluß
ein offnes, unverhohlnes Bekenntniß des Datums machen
möchteſt; außer manchen Vortheilen die ſich erſt durch
die Zeit bewähren, iſt es auch noch beſonders erfreulich
gleich zu wiſſen, in wie kurzer Zeit dies alles von Her-
zen zu Herzen gelangt. Das Gefühl der Friſche hat
eine wohlthuende, raumverkürzende Wirkung, von wel-
cher Wir beide ja auch Vortheil ziehen können.
G.
Warſt Du ſchon auf dem Rochusberg? — er hat
in der Ferne was ſehr Anlockendes, wie ſoll ich es Dir
beſchreiben? — ſo, als wenn man ihn gern befühlen,
ſtreichlen möchte, ſo glatt und ſammetartig. Wenn die
Kapelle auf der Höhe von der Abendſonne beleuchtet iſt,
und man ſieht in die reichen, grünen, runden Thäler,
[251] die ſich wieder ſo feſt an einander ſchließen, ſo ſcheint
er, ſehnſüchtig an das Ufer des Rheins gelagert, mit
ſeinem ſanften Anſchmiegen an die Gegend, und mit
den geglätteten Furchen die ganze Natur zur Luſt er-
wecken zu wollen. Er iſt mir der liebſte Platz im Rhein-
gau; er liegt eine Stunde von unſerer Wohnung; ich
habe ihn ſchon Morgens und Abends, im Nebel, Regen
und Sonnenſchein beſucht. Die Kapelle iſt erſt ſeit ein
paar Jahren zerſtört, das halbe Dach iſt herunter, nur
die Rippen eines Schiffgewölbes ſtehen noch, in welches
Weihen ein großes Neſt gebaut haben, die mit ihren
Jungen ewig aus- und einfliegen, ein wildes Geſchrei
halten das ſehr an die Waſſergegend gemahnt. — Der
Hauptaltar ſteht noch zur Hälfte, auf demſelben ein
hohes Kreuz, an welches unten der heruntergeſtürzte
Chriſtusleib feſtgebunden iſt. Ich kletterte an dem Al-
tar hinauf; um den Trümmern noch eine letzte Ehre
anzuthun, wollte ich einen großen Blumenſtrauß, den
ich unterwegs geſammelt hatte, zwiſchen eine Spalte
des Kopfes ſtecken; zu meinem größten Schrecken fiel
mir der Kopf vor die Füße, die Weihen und Spatzen
und alles was da geniſtet hatte, flog durch das Gepol-
ter auf, und die ſtille Einſamkeit des Orts war Minu-
ten lang geſtört. Durch die Öffnungen der Thüren
[252] ſchauen die entfernteſten Gebirge: auf der einen Seite
der Altkönig, auf der andern der ganze Hundsrück bis
Kreuznach vom Donnersberg begrenzt; rückwärts kannſt
Du ſo viel Land überſehen, als Du Luſt haſt. Wie
ein breites Feiergewand zieht es der Rhein ſchleppend
hinter ſich her, den Du vor der Kapelle mit allen grü-
nen Inſeln wie mit Schmaragden geſchmückt, liegen
ſiehſt; der Rüdesheimer Berg, der Scharlach- und Jo-
hannisberg, und wie all das edle Gefels heißt, wo der
beſte Wein wächſt, liegen von verſchiednen Seiten, und
fangen die heißen Sonnenſtrahlen wie blitzende Juwelen
auf; man kann da alle Wirkung der Natur in die
Kraft des Weines deutlich erkennen, wie ſich die Nebel
zu Ballen wälzen und ſich an den Bergwänden herab-
ſenken, wie das Erdreich ſie gierig ſchluckt, und wie die
heißen Winde drüber herſtreifen. Es iſt nichts ſchöner,
als wenn das Abendroth über einen ſolchen benebelten
Weinberg fällt; da iſt's, als ob der Herr ſelbſt die alte
Schöpfung wieder angefriſcht habe, ja, als ob der Wein-
berg vom eignen Geiſt benebelt ſei. — Und wenn dann
endlich die helle Nacht heraufſteigt und allem Ruh'
giebt, — und mir auch, die vorher wohl die Arme aus-
ſtreckte und nichts erreichen konnte; die an Dich gedacht
hat; — deinen Namen wohl hundertmal auf den Lip-
[253] pen hatte, ohne ihn auszuſprechen; — müßten nicht
Schmerzen in mir erregt werden, wenn ich es einmal
wagte? — und keine Antwort? alles ſtill? — Ja Na-
tur! wer ſo innig mit ihr vertraut wär', daß er an
ihrer Seeligkeit genug hätte! — aber ich nicht! —
Lieber, lieber Freund, erlaub's doch, daß ich Dir jetzt
beide Hände küſſe; zieh' ſie nicht zurück, wie Du ſonſt
gethan haſt.
Wo war ich heut Nacht? — wenn Sie's wüßten,
daß ich die ganze Nacht nicht zu Hauſe geſchlafen habe
und doch ſo ſanft geruht habe! — Dir will ich's ſa-
gen; Du biſt weit entfernt, wenn Du auch ſchmälſt, —
bis hierher verhallt der Donner deiner Worte.
Geſtern Abend ging ich noch allein auf den Rochus-
berg, und ſchrieb Dir bis hierher, dann träumte ich ein
wenig, und wie ich mich wieder beſann und glaubte,
die Sonne wolle untergehen, da war's der aufgehende
Mond; ich war überraſcht, ich hätte mich gefürchtet, —
die Sterne litten's nicht; dieſe hunderttauſende und ich
beiſammen in dieſer Nacht! — Ja, wer bin ich, daß
ich mich fürchten ſollte, zähl' ich denn mit? — Hinun-
ter traute ich mich nicht, ich hätte keinen Nachen ge-
funden zum Überfahren; die Nacht iſt auch gar nicht
lang jetzt, da legt' ich mich auf die andere Seite und
[254] ſagte den Sternen gute Nacht; bald war ich eingeſchla-
fen, — dann und wann weckten mich irrende Lüftchen,
dann dacht' ich an Dich; ſo oft ich erwachte, rief ich
Dich zu mir, ich ſagte immer im Herzen: Goethe, ſei
bei mir, damit ich mich nicht fürchte; dann träumte
ich, daß ich längs den ſchilfigen Ufern des Rheins ſchiffe,
und da wo es am tiefſten war, zwiſchen ſchwarzen Fels-
ſpalten, da entfiel mir dein Ring; ich ſah ihn ſinken,
tiefer und tiefer, bis auf den Grund! Ich wollte nach
Hülfe rufen, — da erwachte ich im Morgenroth, neu-
beglückt, daß der Ring noch am Finger war. Ach Pro-
phet! — deute mir dieſen Traum; komm dem Schickſal
zuvor, laß unſerer Liebe nicht zu nahe geſchehen, nach
dieſer ſchönen Nacht, wo ich zwiſchen Furcht und Freude
im Rath der Sterne deiner Zukunft gedachte *). Ich
[255] hatte ſchon längſt Sehnſucht nach dieſem ſüßen Aben-
theuer; nun hat es mich ſo leiſe beſchlichen, und alles
ſteht noch auf dem alten Fleck. Keiner weiß wo ich
war, und wenn ſie's auch wüßten, — könnten ſie ahn-
den, warum? — Dort kamſt Du her, durch den flüſtern-
den Wald, von milder Dämmerung umfloſſen, und wie
Du ganz nahe warſt, das konnten die müden Sinne nicht
ertragen, der Thymian duftete ſo ſtark; — da ſchlief
*)
[256] ich ein, — es war ſo ſchön, alles Blüthe und Wohlge-
ruch. Und das weite, grenzenloſe Heer der Sterne, und
das flatternde Mondſilber, das von Ferne zu Ferne auf
dem Fluß tanzte, die ungeheure Stille der Natur, in
der man alles hört, was ſich regt; ach, hier fühle ich
meine Seele eingepflanzt in dieſe Nachtſchauer; hier
keimen zukünftige Gedanken; dieſe kalten Thauperlen,
die Gras und Kräuter beſchweren, von denen wächſt
der Geiſt; er eilt, er will Dir blühen, Goethe; er will
ſeine bunten Farben vor Dir ausbreiten; Liebe zu Dir
iſt es, daß ich denken will, daß ich ringe nach noch
Unausgeſprochenem. Du ſiehſt mich an im Geiſt, und
dein Blick zieht Gedanken aus mir; da muß ich oft
ſagen, was ich nicht verſtehe, — was ich nur ſehe.
Der Geiſt hat auch Sinne; ſo wie wir manches nur
hören, oder nur ſehen, oder nur fühlen: ſo giebt's Ge-
danken, die der Geiſt auch nur mit einem dieſer Sinne
wahrnimmt; oft ſeh' ich nur was ich denke, oft fühle
ich's; und wenn ich's höre, da erſchüttert mich's. Ich
weiß nicht wie ich zu dieſen Erfahrungen komme, die
ſich nicht aus eigner Überlegung erzeugen; — ich ſehe
mich um nach dem Herrn dieſer Stimme; — und dann
meine ich, daß ſich alles aus dem Feuer der Liebe er-
zeuge. Es iſt Wärme im Geiſt, wir fühlen es; die
[257] Wangen glühen vom Denken, und Froſtſchauer über-
laufen uns, die die Begeiſtrung zu neuer Gluth an-
fachen. Ja, lieber Freund, heute Morgen da ich er-
wachte, war mir's als hätte ich Großes erlebt, als hät-
ten die Gelübde meines Herzens Flügel, und ſchwängen
ſich über Berg und Thal in's reine, heitre, lichterfüllte
Blau. — Keinen Schwur, keine Bedingungen, alles nur
angemeſſne Bewegung, reines Streben nach dem Himm-
liſchen. Das iſt mein Gelübde: Freiheit von allen Ban-
den, und daß ich nur dem Geiſt glauben will, der Schö-
nes offenbart, der Seeligkeit prophezeiht.
Der Nachtthau hatte mich gewaſchen; der ſcharfe
Morgenwind trocknete mich wieder; ich fühlte ein leiſes
Fröſteln, aber ich erwärmte mich beim Herabſteigen von
meinem lieben ſammtnen Rochus; die Schmetterlinge flo-
gen ſchon um die Blumen; ich trieb ſie alle vor mir
her, und wo ich unterwegs einen ſah, da jagte ich ihn
zu meiner Heerde; unten hatte ich wohl an dreißig bei-
ſammen, — ich hätte ſie gar zu gerne mit über den
Rhein getrieben, aber da haſpelten ſie alle aus einander.
Eben kommt eine Ladung frankfurter Gäſte; —
Chriſtian Schloſſer bringt mir einen Brief von der Mut-
ter und Dir, ich ſchließe, um zu leſen.
Dein Kind.
[258]
Lieber Goethe! Du biſt zufrieden mit mir, und
freuſt Dich über alles was ich ſchreibe, und willſt meine
goldne Halsnadel tragen; — ja thu' es, und laſſe ſie
ein Talismann ſein für dieſe glückerfüllte Zeit. Heute
haben wir den 21ſten.
Ich ſchreibe Dir in der chriſtallnen Mitternacht;
ſchwarze Baſaltgegend, in's Mondlicht eingetaucht! Die
Stadt macht einen rechten Katzenbuckel mit ihren ge-
duckten Häuſern, und ganz bepelzt mit himmelſträuben-
den Felszacken und Burgtrümmern; und da gegenüber
ſchauert's und flimmert's im Dunkel, wie wenn man
der Katze das Fell ſtreicht.
Ich lag ſchon im Bett unter einer wunderlichen
Damaſtdecke, die mit Wappen und verſchlungenen Na-
menszügen, und verblichnen Roſen und Jasminranken
ganz ſtarr geſtickt iſt; ich hatte mich aber drunter in
das Dir bekannte Fell des Silberbären eingehüllt. Ich
lag recht bequem und angenehm, und überlegte mir,
was der Chriſtian Schloſſer mir unterwegs hierher alles
[259] vorgefaſelt hat; er ſagt, Du verſtehſt nichts von Muſik,
und hörſt nicht gern vom Tod reden. Ich fragte, wo-
her er das wiſſe; — er meint, er habe ſich Mühe ge-
geben, Dich über Muſik zu belehren; es ſei ihm nicht
gelungen; — vom Tod aber habe er gar nicht ange-
fangen, aus Furcht, Dir zu mißfallen. Und wie ich
eben in dem alleinigen, mit großen Federbüſchen ver-
zierten Ehebett darüber nachdenke, hör' ich draußen ein
Liedchen ſingen, in fremder Sprache; ſo viel Geſang —
ſo viel Pauſe! — ich ſpringe im Silberbär an's Fenſter,
und gucke hinaus, — da ſitzt mein ſpaniſcher Schiffs-
mann in der friſchen Mondnacht und ſingt. Ich er-
kannt' ihn gleich an der goldnen Quaſte auf ſeiner
Mütze; ich ſagte: guten Abend Herr Kapitain, ich
dachte, Ihr wär't ſchon vor acht Tagen den Rhein
hinab in's Meer geſchwommen. Er erkannte mich gleich
und meinte, er habe drauf gewartet, ob ich nicht mit
wolle. Ich ließ mir das Lied noch einmal ſingen; es
klang ſehr feierlich, — in den Pauſen hörte man den
Wiederhall an der kleinen ſcharfkantigen Pfalz, die in
mitten umdrängender ſchwarzer Felsgruppen, mit ihren
elfenbeinernen Veſten und ſilbernen Zinnen ganz in's
Mondlicht eingeſchmolzen war. —
Lieber Goethe, ich weiß nicht was Dir der Schloſ-
[260] ſer über Muſik demonſtrirt hat mit ſeiner verpelzten
Stimme, — aber hätteſt Du heute Nacht mit mir dem
fremden Schiffer zugehört, wie da die Töne unter ſich
einen feierlichen Reihgen tanzten; wie ſie hinüber wall-
ten an die Ufer, die Felſen anhauchten und der leiſe
Wiederhall in tiefer Nacht ſo ſüß geweckt, träumeriſch
nachtönte; der Schiffer, wie er aus verſchmachteter Pauſe
wehmüthig aufſeufzt, in hohen Tönen klagt, und auf-
geregt in Verzweiflung, hallend ruft nach Unerreichba-
rem, und dann mit erneuter Leidenſchaft der Erinne-
rung ſeinen Geſang weiht, in Perlenreihen weicher Töne
den ganzen Schatz ſeines Glückes hinrollt; — O und
Ach! haucht, — lauſcht, — ſchmetternd ruft; — wieder
lauſcht — und ohne Antwort endlich die Heerde ſam-
melt, in Vergeſſenheit die kleinen Lämmer zählt: eins,
zwei, drei, und weg zieht vom verödeten Strand ſeines
Lebens, der arme Schäfer. — Ach wunderbare Vermitt-
lung des Unausſprechlichen, was die Bruſt bedrängt;
ach Muſik! —
Ja hätteſt Du's mit angehört, mit eingeſtimmt; hät-
teſt Du in die Geſchicke mitgeſeufzt, — mitgeweint, —
und Begeiſtrung hätte Dich durchzückt, und mich, lieber
Goethe, — die ich auch dabei war, — tief bewegt; —
mich hätte der Troſt in deinen Armen ereilt.
[261]
Mir ſagte der Schiffer gute Nacht, ich ſprang in
mein großes Bett unter die damaſtene Decke; ſie knarrte
mir ſo vor den Ohren; — ich konnte nicht ſchlafen, —
ich wollte ſtill liegen, — da hörte ich in den gewunde-
nen Säulen der Bettſtelle die Todtenwürmchen picken;
eins nach dem andern legte los, wie geſchäftige Ge-
ſellen in einer Waffenſchmiede. —
Ich muß mich ſchämen vor Dir; — ich fürchte mich
zuweilen, wenn ich ſo allein bin in der Nacht und in's
Dunkel ſehe; es iſt nichts, aber ich kann mich nicht da-
gegen wehren; dann möcht' ich nicht allein ſein, und
blos darum denke ich manchmal, ich müſſe heirathen,
damit ich einen Beſchützer habe gegen dieſe verwirrte
angſtvolle Geſpenſterwelt. Ach Goethe! — nimmſt Du
mir das übel? — Ja wenn der Tag anbricht, dann bin
ich ſelbſt ganz unzufrieden über ſolche alberne Verzagt-
heit. — Ich kann in der Nacht gehen im Freien und
im Wald, wo jeder Buſch, jeder Aſt ein ander Geſicht
ſchneidet; mein wunderlicher, der Gefahr trotzender Muth-
wille bezwingt die Angſt. — Draußen iſt es auch was
ganz andres, — da ſind ſie nicht ſo zudringlich; man
fühlt das Leben der Natur als ewiges, göttliches Wir-
ken, das alles und einem ſelbſt durchſtrömt; — wer
kann ſich da fürchten? — Vorgeſtern auf dem Rochus,
[262] in tiefer [Nacht] allein, da hörte ich den Wind ganz von
weitem herankommen; — er nahm zu in raſcher Eile,
je näher er kam, und dann, grade zu meinen Füßen
ſenkte er die Flügel ſanft, ohne nur den Mantel zu be-
rühren, kaum daß er mich anhauchte, mußte ich da nicht
glauben, er ſei blos geſendet, um mich zu grüßen? —
Du weißt es doch, Goethe, Seufzer ſind Boten; Du
ſäßeſt allein am offnen Fenſter, am ſpäten Abend, und
dächteſt und fühlteſt die letzte Begeiſterung für die letzte
Geliebte in deinem Blut wallen; — dann unwillkührlich
ſtößt Du den Seufzer aus, — der macht ſich augen-
blicklich auf den Weg und jagt, — Du kannſt ihn nicht
zurückrufen.
Irrende Seufzer nennt man, die aus unruhiger
Bruſt aus verwirrtem Denken und Wünſchen entſprin-
gen; aber ein ſolcher Seufzer aus mächtiger Bruſt, wo
die Gedanken, in ſchöner Wendung ſich verſchränkend,
auf hohen Kothurnen die Thaugebadeten Füße in hei-
ligem Takte bewegen, von ſchwebender Muſe geleitet;
— ein ſolcher Seufzer, der deinen Liedern die Bruſt
[entriegelt], — der ſchwingt ſich als Herold vor ihnen
her, und meine Seufzer, lieber Freund! — zu tauſen-
den umdrängen ſie ihn.
Heute Nacht nun hab' ich mich grauſam gefürchtet.
[263] — ich ſah nach dem Fenſter, wo es hell war, — ich
wär' ſo gern' dort geweſen! ich war auf mein fatales
Erblager aus dem vorigen Jahrhundert, in dem Ritter
und Prälaten ſchon mögen ihren Geiſt ausgehaucht ha-
ben, und ein Dutzend kleiner Meiſter vom Hammer,
alle emſig, pochten und pickten feſt gebannt. Ach, wie
ſehnt' ich mich nach der kühlen Nachtluft. — Kann
man ſo närriſch ſein. — Plötzlich hatte ich überwunden,
ich ſtand mitten in der Stube. Auf den Füßen, da bin
ich gleich ein Held, es ſoll mir einer nah' kommen, —
ach, wie pochten mir Herz und Schläfe, die vierzehn
Nothhelfer, die ich aus alter Gewohnheit vom Kloſter
her noch herbeirief, ſind auch keine Geſellſchaft zum La-
chen, da der eine ſeinen eignen Kopf, der andre ſein
Eingeweide im Arm trägt, und ſo weiter. Ich entließ
ſie alle zum Fenſter hinaus. Und du magiſcher Spie-
gel, in dem alles ſo zauberiſch wieder ſcheint, was ich
erlebe, was war's denn, was mich beſeligte? — Nichts!
— Tiefes Bewußtſein, Friede athmen, — ſo ſtand ich
am Fenſter und erwartete den anbrechenden Tag. —
Bettine.
[264]
Über Muſik laſſe ich Dich nicht los. Du ſollſt
mir bekennen, ob Du mich liebſt, Du ſollſt ſagen, daß
Du Dich von ihr durchdrungen fühlſt. Der Schloſſer
hat Generalbaß ſtudiert, um ihn Dir beizubringen, und
Du haſt Dich gewehrt, wie er ſagt, gegen die kleine
Sept, und haſt geſagt: bleibt mir mit Eurer Sept
vom Leibe, wenn Ihr ſie nicht in Reih' und Glied könnt'
aufſtellen, wenn ſie nicht einklingt in die ſo bündig ab-
geſchloſſnen Geſetze der Harmonie, wenn ſie nicht ihren
ſinnlich natürlichen Urſprung hat, ſo gut wie die an-
dern Töne, — und Du haſt den verdutzten Miſſionair
zu deinem heidniſchen Tempel hinausgejagt und bleibſt
einſtweilen bei deiner Lydiſchen Tonart, die keine Sept
hat. — Aber Du mußt ein Chriſt werden, Heide! — Die
Sept klingt freilich nicht ein, und ohne ſinnliche Baſis;
ſie iſt der göttliche Führer, Vermittler der ſinnlichen Na-
tur mit der Himmliſchen; ſie iſt überſinnlich, ſie führt
in die Geiſterwelt, ſie hat Fleiſch und Bein angenom-
men, um den Geiſt vom Fleiſch zu befreien, ſie iſt zum
Ton geworden, um den Tönen den Geiſt zu geben, und
wenn ſie nicht wär', ſo würden alle Töne in der Vor-
hölle ſitzen bleiben. Bilde Dir nur nicht ein, daß die
Grundaccorde was Geſcheuteres wären, als die Erzvä-
ter
[265] ter vor der Erlöſung, vor der Himmelfahrt. Er kam
und führte ſie mit ſich gen Himmel, und jetzt, wo ſie
erlöſ't ſind, können ſie ſelber erlöſen, — ſie können die
harrende Sehnſucht befriedigen. So iſt es mit den
Chriſten, ſo iſt es mit den Tönen: ein jeder Chriſt fühlt
den Erlöſer in ſich, ein jeder Ton kann ſich ſelbſt zum
Vermittler, zur Sept erhöhen, und da das ewige Werk
der Erlöſung aus dem Sinnlichen in's Himmliſche voll-
bringen, und nur durch Chriſtum gehen wir in das
Reich des Geiſtes ein, und nur durch die Sept wird das
erſtarrte Reich der Töne erlöſ't und wird Muſik; ewig
bewegter Geiſt, was eigentlich der Himmel iſt; ſo wie
ſie ſich berühren, erzeugen ſich neue Geiſter, neue Be-
griffe; ihr Tanz, ihre Stellungen werden göttliche Of-
fenbarungen, Muſik iſt das Medium des Geiſtes, wo-
durch das Sinnliche geiſtig wird — und wie die Er-
löſung über alle ſich verbreitet, die von dem lebendigen
Geiſt der Gottheit ergriffen, nach ewigem Leben ſich ſeh-
nen: ſo leitet die Sept durch ihre Auflöſung alle Töne
die zu ihr um Erlöſung bitten, auf tauſend ver-
ſchiednen Wegen zu ihrem Urſprung, zum göttli-
chen Geiſt. Und wir arme Menſchen ſollten uns ge-
nügen laſſen, daß wir fühlen: unſer ganzes Daſein iſt
ein Zubereiten, Seeligkeit zu faſſen, und ſollten nicht
I. 12
[266] warten auf einen wohlgepolſterten, aufgeputzten Him-
mel, wie deine Mutter, die da glaubt, daß dort alles,
was uns auf Erden Freude gemacht hat, in erhöhtem
Glanz ſich wieder finde; ja ſogar behauptet, ihr ver-
blichnes Hochzeitkleid von blaßgrüner Seide mit Gold- und
Silberblättern durchwirkt und ſcharlachrothem Sammt-
überwurf, werde dort ihr himmliſches Gewand ſein, und
der juwelene Strauß, den ein grauſamer Dieb ihr ent-
wendet, ſauge ſchon jetzt einſtweilen das Licht der Sterne
ein, um auf ihrem Haupt als Diadem unter den himm-
liſchen Kronen zu glänzen. Sie ſagt: für was wär'
dies Geſicht das meinige, und warum ſpräche der Geiſt
aus meinen Augen dieſen oder jenen an, wenn er nicht
vom Himmel wär' und die Anwartſchaft auf ihn hätte?
alles was todt iſt, macht keinen Eindruck; was aber
Eindruck macht, das iſt ewig lebendig. Wenn ich ihr
etwas erzähle, erfinde, ſo meint ſie, das ſind alles Dinge,
die im Himmel aufgeſtellt werden. Oft erzähle ich ihr
von Kunſtwerken meiner Einbildung. Sie ſagt: das
ſind Tapeten der Phantaſie, mit denen die Wände der
himmliſchen Wohnungen verziert ſind. Letzt war ſie im
Conzert und freute ſich ſehr über ein Violoncell; da
nahm ich die Gelegenheit wahr, und ſagte: Geb' Sie
acht, Frau Rath, daß ihr die Engel nicht ſo lang' mit
[267] dem Fidelbogen um den Kopf ſchlagen, bis Sie ein-
ſieht, der Himmel iſt Muſik. Sie war ganz frappirt,
und nach langer Pauſe ſagte ſie: Mädchen, Du kannſt
Recht haben.
Was mache ich denn Goethe, meine halben Nächte
verſchreib' ich an Dich, geſtern früh im Nachen da ſchlief
ich; wir fuhren bis St. Goar und träumte über Muſik,
und was ich Dir geſtern Abend halb ermüdet und halb
beſeſſen niedergeſchrieben habe, iſt kaum eine Spur von
dem, was ſich in mir ausſprach, aber Wahrheit liegt
drinnen; es iſt eben ein großer Unterſchied zwiſchen dem,
was einem ſchlafend der Geiſt eingiebt, und dem, was
man wachend davon behaupten kann. Ich ſage Dir,
ich hoffe in Zukunft mehr bei Sinnen zu ſein, wenn ich
Dir ſchreibe; ich werde mich mäßigen und alle kleine
Züge ſammlen, unbekümmert, ob ſie aus einer Anſchau-
ung hervorgehen, ob ſie ein Syſtem begründen. Ich
möchte ſelbſt gerne wiſſen, was Muſik iſt, ich ſuche ſie,
wie der Menſch die ewige Weisheit ſucht. Glaube nicht,
daß, was ich geſchrieben habe, nicht mein wahrer Ernſt
ſei, ich glaube dran, grad' weil ich's gedacht habe, ob-
12*
[268] ſchon es der himmliſchen Genialität entbehrt, und man
ordentlich erkennt, wie ich froh war, mich vor meinem
zürnenden Dämon, daß ich ihn ſo ſchlecht verſtand, hin-
ter den goldnen Reifrock deiner Mutter verbergen zu
können. — Adieu! geſtern Abend ging ich noch ſpät in
der ſchönen, blühenden Lindenallee im Mondſchein am
Ufer des Rheins, da hörte ich's klappen und ſanft ſin-
gen. Da ſaß vor ihrer Hütte unter dem blühenden Lin-
denbaum, die Mutter von Zwillingen, eins hatte ſie an
der Bruſt, und das andre wiegte ihr Fuß im Takt,
während ſie ihr Lied ſang; alſo im Keim, wo kaum die
erſte Lebensſpur ſich regt, da iſt Muſik ſchon die Pfle-
gerin des Geiſtes, es ſummt in's Ohr und dann ſchläft
das Kind, die Töne ſind die Geſellen ſeiner Träume, ſie
ſind ſeine Mitwelt; es hat ja nichts — das Kind, ob
es die Mutter auch wiege, es iſt allein im Geiſt; aber
die Töne dringen in es ein und feſſeln es an ſich, wie
die Erde das Leben der Pflanze an ſich feſſelt, und wenn
Muſik das Leben nicht hielt', ſo würde es erkalten. und
ſo brütet Muſik fort, von da an wo der Geiſt ſich regt,
bis er reif und flück und ungeduldig hinausſtrebt nach
jenſeits, und da werden wir's wohl auch erfahren, daß
Muſik die Mutterwärme war, um den Geiſt unter der
Erdenhülle auszubrüten. Amen.
[269]
Dies heimliche Ergötzen an deiner Bruſt zu ſchla-
fen: — denn dies Schreiben an Dich nach durchlaufner
Tagsgeſchichte iſt ein wahres Träumen an deinem Her-
zen von deinen Armen umſchlungen, ich freu' mich im-
mer, wenn wir in die Herberge einziehen und es heißt:
wir wollen früh zu Bett' denn wir müſſen auch früh
wieder heraus, der Franz jagt mich immer zuerſt in's
Bett', und ich bin auch ſo müde, daß ich's kaum er-
warten kann; ich werfe in Haſt die Kleider ab, und
ſinke vor Müdigkeit in einen tiefen Brunnen, da um-
fängt mich das Waldrevier, durch das wir am Tag'
geſchritten waren, das Licht der Träume blitzt durch die
dunkeln Wölbungen des Schlafs. — Träume ſind
Schäume, ſagt man, ich hab' eine andre Bemerkung
gemacht, ob die wahr iſt? — allemal die Gegend, die
Umgebung in der ich mich im Traum fühle, die deutet
auf die Stimmung, auf das Paſſive meines Gemüths.
So träum' ich mich jetzt immer in Verborgenes, Heimli-
ches; es ſind Höhlen von weichem Moos bei kühlen
Waſſern, verſchränkt von blühenden Zweigen; es ſind
dunkle Waldſchluchten, wo uns gewiß kein Menſch fin-
det und ſucht. Da wart' ich auf Dich im Traum, ich
harre, und ſehe mich um nach Dir; ich gehe auf engen,
[270] verwachſenen Wegen hin und her, und eile zurück, weil
ich glaub' jetzt biſt Du da; dann bricht plötzlich der
Wille durch, ich ringe in mir, Dich zu haben, und das
iſt mein Erwachen. Dann färbt ſich's ſchon im Oſten,
ich rücke mir den Tiſch an's Fenſter, die Dämmerung
verſchleiert noch die erſten Zeilen; bis ich aber das
Blatt zu Ende geſchrieben habe, ſcheint ſchon die Sonne.
Ach, was ſchreib' ich Dir denn? — Ich hab' ſelbſt kein
Urtheil drüber, aber ich bin allemal neugierig, was kom-
men wird. Laß andre ihre Schickſale bereichern durch
ſchöne Walfarthen in's gelobte Land, laß ſie ihr Jour-
nal ſchreiben von gelehrten und andern Dingen, wenn
ſie Dir auch einen Elephantenfuß oder eine verſteinerte
Schneck mitbringen, — darüber will ich ſchon Herr wer-
den, wenn ſie ſich nur nicht in ihren Träumen in Dich
verſenken, wie ich. Laß mir die ſtille Nacht, nimm keine
Sorgen mit zu Bett, ruh aus in dem ſchönen Frieden,
den ich Dir bereite, ich bin ja auch ſo glücklich in Dir!
Es iſt freilich ſchön wie Du ſagſt, ſich in dem Labyrinth
geiſtiger Schätze mit dem Freund zu ergehen; aber darf
ich nicht bitten für das Kind, das ſtumm vor Liebe iſt?
Denn eigentlich iſt dieſes geſchriebene Geplauder nur
eine Nothhülfe — die tiefſte Liebe in mir iſt ſtumm: es
iſt, wie ein Mückchen ſummt um deine Ohren im Schlaf,
[271] und wenn Du nicht wach werden willſt, und meiner
bewußt ſein, dann wird Dich's ſtechen. — Sag! iſt
dies Leidenſchaft, was ich Dir hier vorbete? — O ſag's
doch; — wenn's wahr wäre, wenn ich geboren wär in Lei-
denſchaft zu verflammen, wenn ich die hohe Ceder wär,
auf dem die Welt überragenden Libanon, angezündet
zum Opfer deinem Genius, und verduften könnte in
Wohlgerüchen, daß jeder deinen Geiſt einſöge durch mich;
wenns ſo wär, mein Freund, das Leidenſchaft den
Geiſt des Geliebten entbindet, wie das Feuer den Duft!
— und ſo iſt es auch! dein Geiſt wohnt in mir, und
entzündet mich, und ich verzehre mich in Flammen, und
verdufte, und was die ausſprühenden Funken erreichen,
das verbrennt mit; — ſo knackert und flackert jetzt die
Muſik in mir, — die muß auch herhalten zum luſtigen
Opferfeuer; ſie will nur nicht recht zünden, und ſetzt
viel Rauch. Ich gedenke hier Deiner und Schiller's;
die Welt ſieht Euch an wie zwei Brüder auf einem
Thron, er hat ſo viel Anhänger wie Du; — ſie wiſ-
ſen's nicht, daß ſie durch den einen vom andern
berührt werden; ich aber bin deſſen gewiß. — Ich
war auch einmal ungerecht gegen Schiller, und glaubte,
weil ich Dich liebe, ich dürfe ſeiner nicht achten; aber
nachdem ich Dich geſehen hatte, und nach dem ſeine
[272] Aſche, als letztes Heiligthum ſeinen Freunden als Ver-
mächtniß hinterblieb, da bin ich in mich gegangen; ich
fühlte wohl, das Geſchrei der Raben über dieſem heili-
gen Leichnam ſei gleich dem ungerechten Urtheil. Weißt
Du, was Du mir geſagt haſt, wie wir uns zum erſten-
mal ſahen? — Ich will Dir's hier zum Denkſtein hin-
ſetzen deines innerſten Gewiſſens, Du ſagteſt: Ich denke
jetzt an Schiller, indem ſah'ſt Du mich an und ſeufzteſt
tief, und da ſprach ich drein, und wollte Dir ſagen, wie
ich ihm nicht anhinge, und Du ſagteſt abermals: „ich
wollte, er wär' jetzt hier. — Sie würden anders fühlen,
kein Menſch konnte ſeiner Güte widerſtehen, wenn man
ihn nicht ſo reich achtet und ſo ergiebig, ſo war's, weil
ſein Geiſt einſtrömte in alles Leben ſeiner Zeit, und weil
jeder durch ihn genährt und gepflegt war, und ſeine
Mängel ergänzt. So war er Andern, ſo war er mir
des meiſten, und ſein Verluſt wird ſich nicht erſetzen.“
Damals ſchrieb ich deine Worte auf, nicht um ſie als
merkwürdiges Urtheil von Dir andern mitzutheilen; —
nein, ſondern weil ich mich beſchämt fühlte. Dieſe Worte
haben mir wohlgethan, ſie haben mich belehrt, und oft
wenn ich im Begriff war über einen den Stab zu bre-
chen, ſo fiel mir's ein, wie Du damals in deiner milden
Gerechtigkeit den Stab über meinen Aberwitz gebrochen.
[273] Ich mußte in aufgeregter Eiferſucht doch anerkennen, ich
ſei nichts. „Man berührt nichts umſonſt,“ ſagteſt Du,
dieſe langjährige Verbindung, dieſer ernſte, tiefe Ver-
kehr, der iſt ein Theil meiner ſelbſt geworden; und wenn
ich jetzt ins Theater komme und ſeh' nach ſeinem Platz,
und muß es glauben, daß er in dieſer Welt nicht mehr
da iſt, daß dieſe Augen mich nicht mehr ſuchen, dann
verdrießt mich das Leben, und ich möchte auch lieber
nicht mehr da ſein.“
Lieber Goethe, Du haſt mich ſehr hochgeſtellt, daß
Du damals ſo köſtliche Gefühle und Geſinnungen vor
mir ausſprachſt. Es war zum erſtenmal, daß jemand
ſein innerſtes Herz vor mir ausſprach, und Du warſt
es! — ja Du nahmſt keinen Anſtoß, und ergabſt Dich
dieſen Nachwehen in meiner Gegenwart; und freilich
hat Schiller auf mich gewirkt, denn er hat Dich zärt-
lich und weich geſtimmt, daß Du lange an mir gelehnt
bliebſt, und mich endlich feſt an Dich drückteſt!
Ich bin müde; ich habe geſchrieben von halb 3 bis
jetzt gegen 5 Uhr; heute wird's gar nicht hell werden —
es hängen dicke Regenwolken am Himmel; da werden
wir wohl warten bis Mittag, eh wir weiter fahren.
Du ſollteſt nur das Getümmel von Nebel ſehen auf
dem Rhein, und was an den einzelnen Felszacken hängt!
12**
[274] Wenn wir hier bleiben, dann ſchreib' ich dir mehr heute
Nachmittag, denn ich wollte Dir von Muſik ſagen,
und von Schiller und Dir, wie Ihr mit der zuſammen-
hängt — das bohrt mir ſchon lange im Kopf.
Ich bin müde, lieber Goethe, ich muß ſchlafen.
Ich bin ſehr müde, lieber Freund, und würde Dir
nicht ſchreiben, aber ich ſeh', daß dieſe Blätter auf die-
ſer wunderlichen Kreuz- und Querreiſe ſich zu etwas
ganzem bilden, und da will ich doch nicht verſäumen,
wenn auch nur in wenig Zeilen, das Bild des Tages
feſt zu halten: lauter Sturm und Wetter, abwechſelnd
ein einzelner Sonnenblick. Wir waren bis Mittag in
St. Goarshauſen geblieben, und haben den Rheinfels
erſtiegen; meine Hände ſind von Dornen geritzt und
meine Kniee zittern noch von der Anſtrengung, denn
ich war voran und wählte den kürzeſten und ſteilſten
Weg. Hier oben ſieht es ſo feierlich und düſter aus:
eine Reihe nackter Felſen ſchieben ſich gedrängt hinter
einander hervor, mit Weingärten, Wäldern und alten
Burgtrümmern gekrönt; und ſo treten ſie keck ins Fluß-
bett dem Lauf des Rheins entgegen, der aus dem tiefen
[275] ſtillen See um den verzauberten Lurelei ſich herum-
ſchwingt, über Felsſchichten hinrauſchend, ſchäumt, bul-
lert, ſchwillt, gegen den Riff anſchießt und den über-
brauſenden Zorn der ſchäumenden Fluthen, wie ein echter
Zecher, in ſich hineintrinkt.
Da oben ſah ich bequem unter der ſchützenden
Mauer des Rheinfels die Nachkommenden mit rothen
und grünen Parapluies mühſam den ſchlüpfrigen Pfad
hinaufklettern, und da eben der Sonne letzter Hoffnungs-
ſtrahl verſchwand, und ein tüchtiger Guß dem Gebet
um ſchön Wetter ein End' machte, kehrte die Naturlie-
bende Geſellſchaft beinah am Ziel, verzagt wieder um
und ich blieb allein unter den gekrönten Häuptern. Wie
beſchreib' ich Dir dieſe erlebte Stunde mit kurzem Wort,
treffend; kaum konnte ich Athem holen, — ſo ſtreng und
gewaltig. Ach ich bin glücklich! die ganze Welt iſt
ſchön, und ich erleb' alles für Dich.
Ich ſah ſtill und einſam in die tobende Fluth, die
Rieſengeſichter der Felſen ſchüchterten mich ein; ich ge-
traute kaum den Blick zu heben; — manche machen's
zu arg, wie ſie ſich überhängen, und mit dem düſtern
Geſträuch, das ſich aus geborſtener Wand hervor drängt;
die nackten Wurzeln, kaum vom Stein gehalten, die
hängenden Zweige ſchwankend im reißenden Strom; —
[276] es wurde ſo finſter, — ich glaubte, heute könne nicht
mehr Tag werden. Eben überlegte ich, ob mich die
Wölfe heute Nacht freſſen würden, — da trat die Sonne
hervor, und umzog mit Wolken kämpfend die Höhen
mit einem Feuerring. Die Waldkronen flammten, die
Höhlen und Schluchten hauchten ein ſchauerliches Dun-
kelblau aus über den Fluß hin; da ſpielen mannigfal-
tige Wiederſcheine auf den verſteinerten Gaugrafen, und
eine Schattenwelt umtanzt ſie in flüchtigem Wechſel auf
der bewegten Fluth; alles wankte, — ich mußte die Au-
gen abwenden. Ich riß den Epheu von der Mauer
herab und machte Kränze und ſchwang ſie mit meinem
Hakenſtock, mit dem ich hinaufgeklettert war, weit in
die Fluth. Ach, ich ſah ſie kaum, — weg waren ſie!
Gute Nacht! —
Goethe, guten Morgen! ich war früh um 4 Uhr
bei den Salmenfiſchern und habe helfen lauern, denn
ſie meinen auch: „im Trüben iſt gut fiſchen,“ aber es
half nichts, es wurde keiner gefangen. Einen Karpfen
hab' ich losgekauft und Gott und Dir zu Ehren wieder
in die Fluth entlaſſen.
Das Wetter will ſich nicht aufklären; eben ſchiffen
wir über, um auf dem linken Ufer zu Wagen wieder
nach Hauſe zu fahren, ich hätte gar zu gern noch ein
paar Tage hier herumgekreuzt.
Ich muß ganz darauf verzichten, Dir zu antwor-
ten, liebe Bettine; Du läßt ein ganzes Bilderbuch herr-
licher, allerliebſter Vorſtellungen zierlich durch die Fin-
ger laufen; man erkennt im Flug die Schätze, und man
weiß, was man hat, noch eh' man ſich des Inhalts
bemächtigen kann. Die beſten Stunden benütze ich dazu,
um näher mit ihnen vertraut zu werden, und ermuthige
[278] mich, die elektriſchen Schläge Deiner Begeiſtrungen aus-
zuhalten. In dieſem Augenblick hab ich kaum die erſte
Hälfte Deines Briefs geleſen, und bin zu bewegt, um
fortzufahren. Hab' einſtweilen Dank für alles; verkünde
ungeſtört und unbekümmert Deine Evangelien und
Glaubensartikel von den Höhen des Rheins, und laß
Deine Pſalmen herabſtrömen zu mir und den Fiſchen;
wundre Dich aber nicht, daß ich, wie dieſe verſtumme.
Um eines bitte ich Dich: höre nicht auf, mir gern zu
ſchreiben; ich werde nie aufhören Dich mit Luſt zu leſen.
Was Dir Schloſſer über mich mitgetheilt hat, ver-
leitet Dich zu ſehr intereſſanten Excurſionen aus dem
Naturleben in das Gebiet der Kunſt. Daß Muſik mir
ein noch räthſelhafter Gegenſtand ſchwieriger Unterſu-
chung iſt, läugne ich nicht; ob ich mir den harten Aus-
ſpruch des Miſſionairs, wie Du ihn nennſt, muß gefallen
laſſen, das wird ſich erſt dann erweiſen wenn die Liebe
zu ihr, die jetzt mich zu wahrhaft abſtrakten Studien
bewegt, nicht mehr beharrt. Du haſt zwar flammende
Fackeln und Feuerbecken ausgeſtellt in der Finſterniß,
aber bis jetzt blenden ſie mehr als ſie erleuchten, indeſſen
erwarte ich doch von der ganzen Illumination einen
herrlichen Totaleffekt, ſo bleibe nur dabei und ſprühe
nach allen Seiten hin.
[279]
Da ich nun heute bis zum Amen Deiner reichen
inhaltsvollen Blätter gekommen bin, ſo möchte ich Dir
ſchließlich nur mit einem Wort den Genuß ausdrücken,
der mir daraus erwächſt und Dich bitten, daß Du mir
ja das Thema über Muſik nicht fallen läßt, ſondern viel-
mehr nach allen Seiten hin und auf alle Weiſe variirſt.
Und ſo ſage ich Dir ein herzliches Lebewohl; bleibe
mir gut, bis günſtige Sterne uns zu einander führen.
G.
Fünf Tage waren wir unterwegs, und ſeitdem hat
es unaufhörlich geregnet. Das ganze Haus voll Gäſte,
kein Eckchen wo man ſich der Einſamkeit hätte freuen
können, um Dir zu ſchreiben.
So lang' ich Dir noch zu ſagen habe, ſo lang'
glaub' ich auch feſt, daß dein Geiſt auf mich gerichtet
iſt, wie auf ſo manche Räthſel der Natur; wie ich denn
glaube, daß jeder Menſch ein ſolches Räthſel iſt, und
daß es die Aufgabe der Liebe iſt zwiſchen Freunden,
das Räthſel aufzulöſen; ſo daß ein jeder ſeine tiefere
Natur durch und in dem Freund kennen lerne. Ja
[280] Liebſter, das macht mich glücklich, daß ſich allmählig
mein Leben durch Dich entwickelt, drum möcht' ich auch
nicht falſch ſein, lieber möcht' ich's dulden, daß alle
Fehler und Schwächen von Dir gewußt wären, als Dir
einen falſchen Begriff von mir geben; weil dann deine
Liebe nicht mit mir beſchäftigt ſein würde, ſondern mit
einem Wahnbild, was ich Dir ſtatt meiner untergeſcho-
ben hätte. — Darum mahnt mich auch oft ein Gefühl,
daß ich dies oder jenes Dir zu lieb meiden ſoll, weil
ich es doch vor Dir läugnen würde.
Lieber Goethe, ich muß Dir die tiefſten Sachen ſa-
gen; ſie kommen eigentlich allen Menſchen zu, aber nur
Du hörſt mich an und glaubſt an mich, und giebſt mir
in der Stille recht. — Ich habe oft darüber nachge-
dacht, daß der Geiſt nicht kann was er will, daß eine
geheime Sehnſucht in ihm verborgen liegt, und daß er
die nicht befriedigen kann; zum Beiſpiel, daß ich eine
große Sehnſucht habe bei Dir zu ſein, und daß ich doch
nicht, wenn ich auch noch ſo ſehr an Dich denke, Dir
dies fühlbar machen kann; ich glaube es kommt daher,
weil der Geiſt wirklich nicht im Reich der Wahrheit
lebt, und er alſo ſein eigentliches Leben noch nicht wahr
machen kann, bis er ganz aus der Lüge heraus in das
Reich der Offenbarung übergegangen iſt; denn die Wahr-
[281] heit iſt ja nur Offenbarung, und dann wird ſich ein
Geiſt auch dem andern zu offenbaren vermögen. Ich
möchte Dir noch anderes ſagen, aber es iſt ſchwer, mich
befällt Unruh', und ich weiß nicht wohin ich mich wen-
den ſoll; ja, im erſten Augenblick iſt alles reich, aber
will ich's mit dem Wort anfaſſen, da iſt alles verſchwun-
den, ſo wie im Märchen, wo man einen koſtbaren Schatz
findet, in dem man alle Kleinode deutlich erkennt, will
man ihn berühren, ſo verſinkt er, und das beweiſt mir
auch, daß der Geiſt hier auf Erden das Schöne nur
träumt und noch nicht ſeiner Meiſter iſt, denn ſonſt
könnte er fliegen, ſo gut wie er denkt daß er fliegen
möchte. Ach, wir ſind ſo weit von einander! welche
Thür ich auch öffne und ſehe die Menſchen beiſammen,
Du biſt nicht unter ihnen; — ich weiß es ja, noch eh'
ich öffne, und doch muß ich mich erſt überzeugen und
empfinde die Schmerzen eines Getäuſchten; — ſollte ich
Dir nun auch noch meine Seele verbergen? — oder
das was ich zu ſagen habe, einhüllen in Gewand, weil
ich mich ſchäme der verzagten Ahndungen? — ſoll ich
nicht das Zutrauen in Dich haben, daß Du das Leben
liebſt, wenn es auch noch unbehülflich der Pflege be-
darf, bis es ſeinen Geiſt mittheilen kann? — Ich habe
mir große Mühe gegeben, mich zu ſammlen und mich
[282] ſelbſt auszuſprechen; ich hab' mich vor dem Sonnenlicht
verſteckt und in dunkler Nacht, wo kein Stern leuchtet
und die Winde brauſen, da bin ich in die Finſterniß
hinaus, und hab' mich fortgeſchlichen bis zum Ufer; —
da war es immer noch nicht einſam genug, — da ſtör-
ten mich die Wellen, das Rauſchen im Gras, und wenn
ich in die dichte Finſterniß hineinſtarrte und die Wol-
ken ſich theilten, daß ſich die Sterne zeigten, — da
hüllte ich mich in den Mantel und legte das Geſicht
an die Erde, um ganz, ganz allein zu ſein; das ſtärkte
mich, daß ich freier war, da regte es mich an, das, was
vielleicht keiner beachtet, zu beachten; da beſann ich mich,
ob ich denn wirklich mit Dir ſpreche, oder ob ich nur
mich vor Dir hören laſſe? — Ach Goethe! — Muſik, ja
Muſik! hier kommen wir wieder auf das heilige Kapi-
tel, — da hören wir auch zu, aber wir ſprechen nicht
mit, — aber wir hören, wie ſie unter einander ſprechen,
und das erſchüttert uns, das ergreift uns; — ja, ſie
ſprechen unter einander, und wir hören und empfinden,
daß ſie eins werden im Geſpräch. — Drum, das wahre
Sprechen iſt eine Harmonie, ohne Scheidung alles in
ſich vereint; — wenn ich Dir die Wahrheit ſage, ſo
muß deine Seele in meine überfließen, — das glaub' ich.
Wo kommen ſie her, dieſe Geiſter der Muſik? —
[283] Aus des Menſchen Bruſt; — er ſchaut ſich ſelber an,
der Meiſter; — das iſt die Gewalt, die den Geiſt zitirt.
Er ſteigt hervor aus unendlicher Tiefe des Inneren, und
ſie ſehen ſich ſcharf an, der Meiſter und der Geiſt, —
das iſt die Begeiſtrung; — ſo ſieht der göttliche Geiſt
die Natur an, davon ſie blüht. — Da blühen Geiſter
aus dem Geiſt; ſie umſchlingen einander, ſie ſtrömen
aus, ſie trinken einander, ſie gebären einander; ihr Tanz
iſt Form, Gebild; wir ſehen ſie nicht — wir empfin-
den's, und unterwerfen uns ſeiner himmliſchen Gewalt;
und indem wir dies thun, erleiden wir eine Einwirkung,
die uns heilt. — Das iſt Muſik.
O, glaub' gewiß, daß wahre Muſik übermenſchlich
iſt. Der Meiſter fordert das Unmögliche von den Gei-
ſtern, die ihm unterworfen ſind, — und ſiehe, es iſt
möglich, ſie leiſten es. — An Zauberei iſt nicht zu zwei-
flen, nur muß man glauben, daß das Übermächtige auch
im Reich der Übermacht geleiſtet werde, und daß das
Höchſte von der Ahndung, von dem Streben desjenigen
abhänge, dem die Geiſter ſich neigen. Wer das Gött-
liche will, dem werden ſie Göttliches leiſten. Was iſt
aber das Göttliche? — Das ewige Opfer des menſch-
lichen Herzens an die Gottheit; — dies Opfer geht hier
geiſtiger Weiſe vor; und wenn es der Meiſter auch
[284] läugnet, oder nicht ahndet — es iſt doch wahr. — Er-
faßt er eine Melodie, ſo ahndet er ſchon ihre Vollkom-
menheit, und das Herz unterwirft ſich einer ſtrengen
Prüfung, es läßt ſich alles gefallen, um dem Göttlichen
näher zu kommen; je höher es ſteigt, je ſeeliger; und
das iſt das Verdienſt des Meiſters, daß er ſich gefallen
laſſe, daß die Geiſter auf ihn eindringen, ihm nehmen,
ſein Ganzes vernichten, daß er ihnen gehorcht, das Höhere
zu ſuchen unter ewigen Schmerzen der Begeiſtrung. Wo
ich das alles, und einzig was ich gehört habe, war Muſik.
Wie ich aus dem Kloſter kam nach Offenbach, da lag ich
im Garten auf dem Raſen und hörte Salieri und Win-
ter und Mozart und Cherubini und Haydn und Beet-
hoven. Das alles umſchwärmte mich; ich begriff's we-
der mit den Ohren noch mit dem Verſtand, aber ich
fühlte es doch, während ich alles andre im Leben nicht
fühlte; das heißt, der innere, höhere Menſch fühlte es;
und ſchon damals fragte ich mich: wer iſt das, der da
geſpeiſt und getränkt wird durch Muſik, und was iſt
das, was da wächſt und ſich nährt und pflegt und
ſelbſt thätig wird durch ſie? — denn ich fühlte eine
Bewegung zum Handeln; ich wußte aber nicht was ich
ergreifen ſollte. Oft dachte ich, ich müſſe mit fliegender
Fahne voranziehen den Völkern; ich würde ſie auf Hö-
[285] hen führen über den Feind, und dann müßten ſie auf
mein Geheiß, auf meinen Wink hinunterbrauſen in's
Thal, und ſiegend ſich verbreiten. Da ſah ich die rothen
und weißen Fähnlein fliegen, und den Pulverdampf in
den ſonneblendenden Gefilden; da ſah ich ſie heranſpren-
gen im Galopp — die Siegesboten, mich umringen und
mir zujauchzen; da ſah und fühlte ich, wie der Geiſt
in der Begeiſtrung ſich löſt und zum Himmel auf-
ſchwingt; die Helden, an den Wunden verblutend, zer-
ſchmettert, ſeelig aufſchreiend im Tod', ja, und ich
ſelbſt hab' es mit erlebt, — denn ich fühlte mich auch
verwundet, und fühlte wie der Geiſt Abſchied nahm,
gern noch verweilt hätte unter den Palmen der Sieges-
göttin, und doch, da ſie ihn enthob, auch gern ſich mit
ihr aufſchwang. Ja, ſo hab' ich's erlebt und anderes
noch: wo ich mich einſam fühlte, in tiefe, wilde Schluch-
ten ſah, nicht tief — untief; unendliche Berge über
mir, ahndend die Gegenwart der Geiſter. Ja, ich nahm
mich zuſammen und ſagte: kommt nur, ihr Geiſter,
kommt nur heran; weil ihr göttlich ſeid und höher als
ich, ſo will ich mich nicht wehren. Da hörte ich aus
dem unſäglichen Gebrauſ' der Stimmen die Geiſter ſich
losreißen; — ſie wichen von einander — ich ſah ſie
aus der Ferne in glänzendem Fluge mir nahen; durch
[286] die himmliſche blaue Luft verdufteten ſie ihre ſilberne
Weisheit, und ſie neigten ſich in den Felſenſaal herab
und ſtrömten Licht über die ſchwarzen Abgründe, daß
alles ſichtbar war. Da ſprangen die Wellen in Blu-
men in die Höhe und umtanzten ſie, und ihr Nahen,
ihr ganzes Sprechen war ein Eindringen ihrer Schön-
heit auf mich, daß meine Augen ſie kaum faßten mit
allem Beiſtand des Geiſtes — und das war ihre ganze
Wirkung auf mich.
O Goethe! ich könnte Dir noch viele Geſichte mit-
theilen; ja, ich glaub's, daß Orpheus ſich umringt ſah
von den wilden Thieren, die in ſüßer Wehmuth auf-
ſtöhnten mit den Seufzern ſeines Geſangs; ich glaub's,
daß die Bäume und Felſen ſich nahten, und neue Grup-
pen und Wälder bildeten, denn auch ich hab's erlebt;
ich ſah Säulen emporſteigen und wunderbares Gebälk
tragen, auf dem ſich ſchöne Jünglinge wiegten; ich ſah
Hallen, in denen erhabene Götterbilder aufgeſtellt wa-
ren; wunderbare Gebäude, deren Glanz den Blick des
ſtolzen Auges brachen; deren Gallerieen Tempel waren,
in denen Prieſterinnen mit goldnen Opfergeräthen wan-
delten und die Säulen mit Blumen ſchmückten, und de-
ren Zinnen von Adlern und Schwanen umkreiſ't waren;
ich ſah dieſe ungeheuren Architekturen mit der Nacht
[287] ſich vermählen, die elfenbeinenen Thürme mit ihren dia-
mantnen Lazuren im Abendroth ſchmelzen, und über
die Sterne hinausragen, die im kalten Blau der Nacht
wie geſammelte Heere dahin flogen, und tanzend im
Takt der Muſik, und um die Geiſter ſich ſchwingend,
Kreiſe bildeten. Da hörte ich in den fernen Wäl-
dern das Seufzen der Thiere um Erlöſung; und was
ſchwärmte alles noch vor meinem Blick, und in mei-
nem Wahn. — Was glaubte ich thun zu müſſen
und zu können; welche Gelübde hab' ich den Gei-
ſtern ausgeſprochen; alles, was ſie verlangten, hab'
ich auf ewig und ewig gelobt. Ach Goethe, das alles
hab' ich erlebt in dem grünen goldgeblümten Gras.
Da lag ich in der Spielſtunde, und hatte die feine Lein-
wand über mich gebreitet, die man da bleichte, ich hörte
oder fühlte mich vielmehr getragen und umbrauſt von dieſen
unausſprechlichen Symphonieen, die keiner deuten kann;
da kamen ſie, und begoſſen die Leinwand; und ich blieb
liegen und fühlte die Gluth behaglich abgekühlt. Du
wirſt gewiß auch Ähnliches erlebt haben; dieſe Fieber-
reize, in's Paradies der Phantaſie aufzuſteigen haben
Dich auf irgend eine Weiſe durchdrungen; ſie durchglü-
hen die Natur, die wieder erkaltet — etwas anders ge-
worden, zu etwas anderm befähigt iſt. An Dich haben
[288] die Geiſter Hand gelegt, in's unſterbliche Feuer gehal-
ten; — und das war Muſik; ob Du ſie verſtehſt, oder
empfindeſt; ob Unruh' oder Ruhe Dich befällt; ob Du
jauchzeſt, oder tief trauerſt; ob Dein Geiſt Freiheit ath-
met oder ſeine Feſſeln empfindet: — es iſt immer die
Geiſterbaſis des Übermenſchlichen in Dir. Wenn auch
weder die Terz noch die Quint Dir ein Licht aufſtecken,
wenn ſie nicht ſo gnädig ſind, ſich von Dir beſchauen
und befühlen zu laſſen, ſo iſt es blos, weil Du durch-
gegangen biſt durch ihre Heiligung, weil die Sinne, ge-
reift an ihrem Licht, ſchon wieder die goldnen Frucht-
körner zur Saat ausſpreuen. Ja, Deine Lieder ſind die
ſüßen Früchte, ihres Balſams voll. Balſam ſtrömt in
Deiner dityrambiſchen Wolluſt! ſchon ſind's nicht mehr
Töne — es ſind ganze Geſchlechter in Deinen Gedichten,
die ihre Gewalt tragen und verbreiten. — Ja, das glaub'
ich gewiß, daß Muſik jede echte Kunſterſcheinung bildet
und ſich freut, in Dir ſo rein wiedergeboren zu ſeyn. —
Kümmere Dich nicht um die leeren Eierſchalen, aus de-
nen die flückgewordenen Geiſter entſchlüpft ſind; — nicht
um die Terz und die Quint' und um die ganze Baaſen- und
Vetterſchaft der Dur- und Molltonarten, — Dir ſind
ſie ſelber verwandt; Du biſt mitten unter ihnen. Das Kind
fragt nicht unter den Seinigen: wer ſind dieſe, und wie
kommen
[289] kommen ſie zu einander? es fühlt das ewige Geſetz der
Liebe, daß es allen verbindet. — Und dann muß ich
Dir auch noch eins ſagen: Komponiſten ſind keine Mau-
rer, die Steine auf einander backen; den Rauchfang
nicht vergeſſen; die Treppe nicht, und nicht den Dach-
ſtuhl, und die Thür nicht, wo ſie wieder herausſchlüpfen
können und glauben, ſie haben ein Haus gebaut. —
Das ſind mir keine Komponiſten, die Deinen Liedern
ein artig Gewand zuſchneiden, das hinten und vornen
lang genug iſt. O, Deine Lieder, die durch's Herz bre-
chen mit ihrer Melodie; wie ich vor zehn Tagen da oben
ſaß auf dem Rheinfels, und der Wind die ſtarken Eichen
bog, daß ſie krachten, und ſie ſaus'ten und braus'ten im
Sturm, und ihr Laub, getragen vom Wind, tanzte über
den Wellen. — Da hab' ich's gewagt zu ſingen; da
war's keine Tonart — da war's kein Übergang — da
war's kein Malen der Gefühle oder Gedanken, was ſo
gewaltig mit in die Natur einſtimmte: es war der Drang,
eins mit ihr zu ſein. Da hab' ich's wohl empfunden,
wie Muſik [Deinem] Genius einwohnt! Der hat ſich mir
gezeigt, ſchwebend über den Waſſern, und hat mir's ein-
geſchärft, daß ich Dich liebe. — Ach Goethe, laß Dir
keine Liedchen vorlallen, und glaube nicht, Du müßteſt
ſie verſtehen und würdigen lernen; ergieb Dich auf
I. 13
[290] Gnad und Ungnad; leide in Gottesnamen Schiffbruch
mit Deinem Begriff; — was willſt Du alles Göttliche
ordnen und verſtehen, wo's her kommt und hin will.
Siehſt Du, ſo ſchreib' ich, wenn ich zügellos bin und
nicht danach frage, ob's der Verſtand billigt. Ich
weiß nicht, ob es Wahrheit iſt; mehr, als das, was
ich erſt prüfe, aber ſo möcht' ich lieber ſchreiben, ohne
zu befürchten, daß Du, wie andre, mich ſchweigen hie-
ßeſt; was könnt' ich Dir alles ſagen, wenn ich mich
nicht beſinnen wollte! bald würde ich Herr werden,
und nicht ſollte ſich mir verbergen, was ich halten wollte
mit dem Geiſt, — und wenn Du einſtimmteſt und
neigteſt Dich meinem Willen, wie der Sept-Accord
ſich der Auflöſung entgegen drängt, dann wär's wie
die Liebe es will.
Ich kann oft vor Luſt, daß jetzt die ſeelige einſame
Stunde dazu iſt, nicht zum Schreiben kommen. Hier
oben, im goldnen Sommer an die goldne Zukunft den-
ken, — denn das iſt meine Zukunft: Dich wieder ſehen;
[291] ſchon von dem Augenblick an, wo Du mir die Hand
zum Abſchied reichſt und zu verſtehen giebſt, es ſei ge-
nug der Zärtlichkeit, — da wende ich in Gedanken
ſchon wieder um zu Dir. Darum lache ich auch mit
dem einen Auge, während ich mit dem andern weine.
Wie ſeelig, alſo Dich zu denken, wie geſchwätzig
wird meine Seele in jedem kleinen Ereigniß, aus dem
ſie hofft, den Schatz zu heben.
Mein erſter Gang war hier herauf, wo ich Dir den
letzten Brief ſchrieb, eh' wir reiſten. Ich wollte ſehen,
ob mein Tintenfaß noch da ſei und meine kleine Mappe
mit Papier. Alles noch an Ort und Stelle; Ach Goethe,
ich habe Deine [Briefe] ſo lieb, ich habe ſie eingehüllt in
ein ſeidnes Tuch, mit bunten Blumen und goldnem
Zierath geſtickt. Am letzten Tag vor unſerer Rheinreiſe,
da wußte ich nicht wohin mit, mitnehmen wollte ich ſie
nicht, da wir alleſammt nur einen Mantelſack hatten;
in meinem Zimmerchen, das ich nicht verſchließen konnte,
weil es gebraucht wurde, mochte ich ſie auch nicht laſ-
ſen, ich dachte, der Nachen könnte verſinken und ich
verſaufen, und dann würde dieſe Briefe deren einer um
den andern an meinem Herzen gelegen hat, in fremde
Hand kommen. Erſt wollte ich ſie den Nonnen in Voll-
raths aufzuheben geben; — es ſind Bernhardinerinnen,
13*
[292] die aus dem Kloſter vertrieben, jetzt dort wohnen, —
nachher hab' ich's anders überlegt. Das letztemal habe
ich hier auf dem Berg einen Ort gefunden: unter dem
Beichtſtuhl der Rochuskapelle, der noch ſteht, in dem ich
auch immer meine Schreibereien verwahre, hab' ich eine
kleine Höhle gegraben, und hab' ſie inwendig mit Mu-
ſcheln vom Rhein und wunderſchönen kleinen Kieſelſtein-
chen ausgemauert, die ich auf dem Berge fand; da hab'
ich ſie in ihrer ſeidnen Umhüllung hinein gelegt, und
eine Diſtel vor die Stelle gepflanzt, deren Wurzel ich
ſorgfältig mit ſammt der Erde ausgeſtochen. Unterwegs
war mir oft bange; Welcher Schlag hätte mich ge-
troffen, hätte ich ſie nicht wieder [gefunden], mir ſteht
das Herz ſtill; — Sieben Tag' war ſchlecht Wetter
nach unſerer Heimkehr; es war nicht möglich hinüber
zu kommen; der Rhein iſt um drei Fuß geſtiegen und
ganz verödet von Nachen; ach, wie hab' ich's ver-
wünſcht, daß ich ſie da oben hingebracht hatte; Keinem
mocht' ich's ſagen, aber die Ungeduld, hinüber zu kom-
men, ich hatte Fieber aus Angſt um meine Briefe, ich
konnte mir ja erwarten, der Regen würde irgendwo
durchgedrungen ſein und ſie verderben; ach ſie haben
auch ein bischen Waſſernoth gelitten, aber nur ganz
wenig, ich war ſo froh wie ich von weitem die Diſtel
[293] blühen ſah, da hab' ich ſie denn ausgegraben und in
die Sonne gelegt; ſie ſind gleich trocken und ich nehm'
ſie mit. Die Diſtel hab' ich zum ewigen Andenken wie-
der feſtgepflanzt. — Nun muß ich dir auch erzählen,
was ich hier oben für eine neue Einrichtung gefunden,
nehmlich oben im [Beichtſtuhl] ein Brett befeſtigt und
darauf einen kleinen viereckigen Bienenkorb. Die Bie-
nen waren ganz matt und ſaßen auf dem Brettchen
und an dem Korb. Nun muß ich Dir aus dem Kloſter
erzählen. Da war eine Nonne, die hieß man Mere ce-
latrice, die hatte mich an ſich gewöhnt, daß ich ihr alle
Geſchäfte beſorgen half. Hatten wir den Wein im Kel-
ler gepflegt, ſo ſahen wir nach den Bienen; denn ſie
war Bienenmutter, und das war ein ganz bedeutendes
Amt. Im Winter wurden ſie von ihr gefüttert, die Bie-
nen ſaugten aus ihrer Hand ſüßes Bier; im Sommer
hingen ſie ſich an ihren Schleier, wenn ſie im Garten
ging, und ſie behauptete, von ihnen gekannt und geliebt
zu ſein. Damals hatte ich große Neigung zu dieſen
Thierchen. Die Mere celatrice ſagte, vor allem müſſe
man die Furcht überwinden, und wenn eine ſtechen
wolle, ſo müſſe man nicht zucken, dann würden ſie nie
ſtark ſtechen. Das hat mich große Überwindung geko-
ſtet, nachdem ich den feſten Vorſatz gefaßt hatte, mitten
[294] unter den ſchwärmenden Bienen ruhig zu ſein, befiel
mich die Furcht, ich lief, und der ganze Schwarm mir
nach. Endlich hab' ich's doch gelernt, es hat mir tau-
ſend Freud gemacht, oft hab' ich ihnen einen Beſuch
gemacht und einen duftenden Strauß hingehalten, auf
den ſie ſich ſetzten. Den kleinen Bienengarten hab' ich
gepflegt, und die gewürzigen dunklen Nelken beſonders
hab' ich hineingepflanzt. Die alte Nonne that mir auch
den Gefallen, zu behaupten, daß man alle Blumen, die
ich gepflanzt hatte, aus dem Honig herausſchmecke. So
lehrte ſie mich auch, daß wenn die Bienen erſtarrt wa-
ren, ſie wieder beleben. Sie rieb ſich die Hand mit
Neſſeln und mit einem duftenden Kräutchen, welches
man Katzenſtieg nennt; machte den großen Schieber des
Bienenhauſes auf und ſteckte die Hand hinein. Da ſetz-
ten ſie ſich alle auf die Hand, und wärmten ſich, das
hab' ich oft auch mitgemacht; da ſteckte die kleine Hand
und die große Hand im Bienenkorb. Jetzt wollt' ich's
auch probiren, aber ich hatte nicht mehr das Herz; ſiehſt
du, ſo verliert man ſeine Unſchuld und die hohen Gaben,
die man durch ſie hat.
Bald hab' ich auch den Eigenthümer des Korbes
kennen lernen, indem ich am mitten Berg lag, um im
Schatten ein wenig zu faulenzen, hört' ich ein Getrap-
[295] pel im Traumſchlummer; das war die Binger Schaaf-
heerde nebſt Hund und Schäfer; er ſah auch gleich nach
ſeinem Bienenkorb; er ſagte mir, daß er noch eine Weile
hier weide, da hab' ihm der volle blühende Thymian
und das warme, ſonnige Plätzchen ſo wohl gefallen, daß
er den Schwarm junger Bienen hier herauf gepflanzt habe,
damit ſie ſich recht wohl befinden, und wenn ſie ſich
dann mehren ſollten und den ganzen gegitterten Beicht-
ſtuhl einnehmen, wenn er übers Jahr wiederkäme, ſo
ſolle es ihm recht lieb ſein.
Der Schäfer iſt ein alter Mann; er hat einen lan-
gen, grauen Schnurrbart, er war Soldat, und erzählte
mir allerlei von den Kriegsſcenen und von der früheren
Zeit; dabei pfiff er ſeinen Hund, der ihm die Heerde
regierte. Von verſchiedenen Burggeiſtern erzählte er
auch, das glaube er alles nicht, aber auf der Ingelhei-
mer Höhe, wo noch Ruinen von dem großen Kaiſerſaal
ſtehen, da ſei es nicht geheuer; er habe ſelbſt auf der
Haide im Mondſchein einen Mann begegnet, ganz in
Stahl gekleidet, dem ſei ein Löwe gefolgt; und da der
Löwe Menſchen gewittert, ſo habe er fürchterlich ge-
heult; da habe der Ritter ſich umgekehrt, mit dem
Finger gedroht, und gerufen: „bis ſtille, frevelicher
Hund!“ — da ſei der Löwe verſtummt und habe dem
[296] Mann die Füße geleckt. Der Schäfer erzählte mir dies
mit beſonderem Schauer, und ich ſchauderte zum Plaiſir
ein klein bischen mit; ich ſagte: „ich glaube wohl, daß
ein frommer Schäfer ſich vor dem Hüter eines Löwen
fürchten muß.“ „Was?“ ſagte er, „ich war damals
kein Schäfer, ſondern Soldat, und auch gar nicht [be-
ſonders] fromm; ich freite um ein Schätzchen, und war
herübergegangen nach Ingelheim um Mitternacht, um
Thür und Riegel zu zwingen; aber in der Nacht ging
ich nicht weiter; ich kehrte um.“ — „Nun,“ fragt' ich:
„Euer Schätzchen, das hat wohl umſonſt auf Euch ge-
wartet?“ — „Ja,“ ſagte er, „wo Geiſter ſich ein-
miſchen, da muß der Menſch dahinten bleiben.“ — Ich
meinte, wenn man liebe, brauche man ſich vor Geiſtern
nicht zu fürchten, und könne ſich grade dann für ihres
Gleichen achten; denn die Nacht iſt zwar keines Men-
ſchen Freund, aber des Liebenden Freund iſt ſie.
Ich fragte den Schäfer, wie er ſich bei ſeinem ein-
ſamen Geſchäft die Zeit vertreibe in den langen Ta-
gen; — er ging den Berg hinauf, die ganze Heerde
hinter ihm drein, über mich hinaus, er kam wieder, die
Heerde nahm wieder keinen Umweg; er zeigte mir eine
ſchöne Schalmei — ſo nannte er ein Hautbois mit ſil-
bernen Klappen und Elfenbein zierlich eingelegt; er ſagte:
[297] „die hat mir ein Franzoſe geſchenkt, darauf kann ich
blaſen, daß man es eine Stunde weit hört, wenn ich
hier auf der Höhe weide, und ſeh' ein Schiffchen mit
luſtigen Leuten drüben, da blaſ' ich; in der Ferne nimmt
ſich die Schalmei wunderſchön aus, beſonders wenn das
Waſſer ſo ſtill und ſonnig iſt wie heute; das Blaſen iſt
mir lieber wie Eſſen und Trinken.“ Er ſetzte an, und
wendete ſich nach dem Thal, um das Echo hören zu
laſſen; nun blies er das Lied des weiſſagenden Tempel-
knaben aus Axur von Ormus mit Variationen eigner
Eingebung; die feierliche Stille, die aus dieſen Tönen
hervorbricht und ſich mitten im leeren Raum ausdehnt,
beweiſt wohl, daß die Geiſter auch in der ſinnlichen
Welt einen Platz einnehmen; zum wenigſten ward alles
anders: Luft und Gebirge, Wald und Ferne, und der
ziehende Strom mit den gleitenden Nachen waren von
der Melodie beherrſcht, und athmeten ihren weiſſagen-
den Geiſt; — die Heerde hatte ſich zum Ruhen gelagert;
der Hund lag zu des Schäfers Füßen, der von mir
entfernt auf der Höhe ſtand, und die Begeiſtrung eines
Virtuoſen empfand, der ſich ſelbſt überbietet, weil er
er fühlt, er werde ganz genoſſen und verſtanden. Er
ließ das Echo eine ſehr feine Rolle drin ſpielen; hier
und da ließ er es in eine Lücke einſchmelzen; dann wie-
13**
[298] derholte er die letzte Figur zärtlicher, eindringender; —
das Echo wieder! — er ward noch feuriger und ſchmach-
tender; und ſo lehrte er dem Wiederhall, wie hoch ers
treiben könne, und dann endigte er in einer brillanten
Fermate, die alle Thäler und Schluchten des Donners-
bergs und Hundsrücks wiederhallen machte. Er zog
blaſend mit der Heerde um den Berg. — Ich packte
meine Schreibereien auf, da die Einſamkeit doch hier
oben aufgehoben iſt, und ſchlenderte noch eine Weile
bei gewaltigem Abendroth, mit dem Schäfer in weiſen
Reden begriffen, hinter der weißen Heerde drein; er
entließ mich mit dem Compliment, ich ſei geſcheuter als
alle Menſchen, die er kenne; dies war mir was ganz
Neues, denn bisher hab' ich von geſcheuten Leuten ge-
hört, ich ſei gänzlich unklug; ich kann aber doch dem
Schäfer nicht unrecht geben; ich bin auch geſcheut, und
habe ſcharfe Sinne.
Bettine.
Geſtern hab' ich meinen Brief zugemacht und ab-
geſchickt; aber noch nicht geſchloſſen. — Wüßteſt Du,
was mich bei dieſen einfachen Erzählungen oft für Un-
[299] ruhe und Schmerzen befallen! — es ſcheint Dir alles
nur ſo hingeſchrieben wie erlebt; ja! — aber ſo manches
ſeh ich, und denke es, und kann es doch nicht ausſpre-
chen; und ein Gedanke durchkreuzt den andern, und
einer nimmt vor dem andern die Flucht, und da[n]n iſt
es wieder ſo öde im Geiſt wie in der ganzen Welt.
Der Schäfer meinte, Muſik ſchütze vor böſen Gedanken
und vor Langerweile; da hat er recht, denn die Melan-
cholie der Langeweile entſteht doch nur, weil wir uns
nach der Zukunft ſehnen. In der Muſik ahnden wir
dieſe Zukunft; da ſie doch nur Geiſt ſein kann und
nichts anderes, und ohne Geiſt giebt es keine Zukunft;
wer nicht im Geiſt aufblüht, wie wollte der leben und
Athem holen? — Aber ich habe mir zu gewaltiges vor-
genommen, Dir von Muſik zu ſagen; denn weil ich
weiß, daß ihre Wahrheit doch nicht mit irdiſcher Zunge
auszuſprechen iſt. So vieles halte ich zurück, aus
Furcht, Du mögeſt es nicht genehmigen, oder eigentlich,
weil ich glaube, daß Vorurtheile Dich blenden, die Gott
weiß von welchem Philiſter in Dich geprägt ſind. Ich
habe keine Macht über Dich; Du glaubſt Dich an ge-
lehrte Leute wenden zu müſſen; und was die Dir ſagen
können, das iſt doch nur dem höheren Bedürfniß im
Wege; O Goethe, ich fürchte mich vor Dir und dem
[300] Papier, ich fürchte mich aufzuſchreiben, was ich für Dich
denke.
Ja das hat der Chriſtian Schloſſer geſagt: Du ver-
ſtündeſt keine Muſik, Du fürchteſt Dich vor dem Tod,
und habeſt keine Religion, was ſoll ich dazu ſagen? —
ich bin ſo dumm wie ſtumm, wenn ich ſo empfindlich
gekränkt werde. Ach Goethe, wenn man kein Obdach
hätte, das vor ſchlechtem Wetter ſchützt, ſo könnte einem
der kalte, liebloſe Wind ſchon was anhaben, aber ſo
ich weiß Dich in Dir ſelber geborgen; die drei Räthſel aber
ſind mir eine Aufgabe. Ich möchte Dir nach allen Seiten
hin Muſik erklären, und fühl' doch ſelbſt, daß ſie über-
ſinnlich iſt, und von mir unverſtanden; dennoch kann
ich nicht weichen von dieſem Unauflösbaren und bete zu
ihm: nicht daß ich es begreifen möge; nein, das [Unbe-
greifliche] iſt immer Gott, und es giebt keine Zwiſchen-
welt, in der noch andere Geheimniſſe begründet wären.
Da Muſik unbegreiflich iſt, ſo iſt ſie gewiß Gott; dies
muß ich ſagen, und Du wirſt mit Deinem Begriff von
der Terz und der Quint mich auslachen! Nein, Du
biſt zu gut, Du lachſt nicht; und denn biſt du auch zu
weiſe; Du wirſt wohl gerne Deine Studien und errun-
genen Begriffe aufgeben gegen ein ſolches, alles heili-
gende Geheimniß des göttlichen Geiſtes in der Muſik.
[301] Was lohnte denn auch die Mühe der Forſchung,
wenn es nicht dies wäre! nach was können wir forſchen,
was bewegt uns, als nur das Göttliche! — und was
können Dir andere, die Wohlſtudirten, Beſſeres und Hö-
heres darüber ſagen; — und wenn einer dagegen was
aufbringen wollte, — müßte er ſich nicht ſchämen? Wenn
einer ſagen wollte: Muſik ſei nur da, daß der Men-
ſchengeiſt ſich darin ausbilde? — Nun ja! wir ſollen
uns in Gott bilden. Wenn einer ſagt, ſie ſei nur Ver-
mittlung zum Göttlichen, ſie ſei nicht Gott ſelbſt! Nein,
Ihr falſchen Kehlen, Euer eitler Geſang iſt nicht gött-
lich durchdrungen. Ach, die Gottheit ſelbſt lehrt uns
den Buchſtaben begreifen, damit wir gleich ihr, aus eig-
nem Vermögen im Reich der Gottheit regieren lernen.
Alles Lernen in der Kunſt iſt nur dazu, daß wir den
Grund der Selbſtſtändigkeit in uns legen, und daß es
unſer Errungenes bleibe. Einer ſagte von Chriſtus,
daß er nichts von Muſik gewußt habe; dagegen konnte
ich nichts ſagen; einmal weiß ich ſeinen Lebenslauf nicht
genau, und dann was mir dabei einfiel, kann ich nur
Dir ſagen, obſchon ich nicht weiß, was Du dazu ſagen
wirſt. Chriſtus ſagt: „Auch Euer Leib ſoll verklärt wer-
den!“ Iſt nun Muſik nicht die Verklärung der ſinnli-
chen Natur? — Berührt Muſik nicht unſere Sinne,
[302] daß ſie ſich eingeſchmolzen fühlen in die Harmonie der
Töne, die Du mit Terz und Quint berechnen willſt? —
Lerne nur verſtehen, — Du wirſt um ſo mehr Dich wun-
dern über das Unbegreifliche. Die Sinne fließen in den
Strom der Begeiſterung, und das erhöht ſie. Alles was
den Menſchen geiſtigerweiſe anſpricht, geht hier in die
Sinne über; drum fühlt' er ſich auch durch ſie zu al-
lem bewegt. Liebe und Freundſchaft und kriegeriſcher
Muth, und Sehnſucht nach der Gottheit — alles wallt
im Blut; das Blut iſt geheiligt; es entzündet den Leib,
daß er mit dem Geiſt zuſammen daſſelbe wolle. Das
iſt die Wirkung der Muſik auf die Sinne; das iſt die
Verklärung des Leibes; die Sinne von Chriſtus waren
eingeſchmolzen in den göttlichen Geiſt; ſie wollten mit
ihm daſſelbe; er ſagt: „Was Ihr berührt mit dem Geiſt,
wie mit den Sinnen, das ſei göttlich, denn dann wird
Euer Leib auch Geiſt.“ Siehſt Du, das hab' ich un-
gefähr empfunden und gedacht da, man ſagte, Chriſtus
habe nichts von Muſik gewußt.
Verzeihe mir, daß ich ſo mit Dir ſpreche, gleichſam
ohne Baſis, denn mir ſchwindelt, und ich deute kaum
an, was ich ſagen möchte und vergeſſe alles ſo leicht
wieder; aber wenn ich in Dich das Zutrauen nicht ha-
[303] ben ſollte Dir zu bekennen, was ſich mir aufdringt,
wem ſollte ich's ſonſt mittheilen! —
Dieſen Winter hatte ich eine Spinne in meinem
Zimmer; wenn ich auf der Guitarre ſpielte, kam ſie ei-
lig herab in ein Netz, was ſie tiefer ausgeſpannt hatte.
Ich ſtellte mich vor ſie und fuhr über die Saiten; man
ſah deutlich, wie es durch ihre Gliederchen dröhnte; wenn
ich Accord wechſelte, ſo wechſelten ihre Bewegungen, ſie
waren unwillkührlich; bei jedem verſchiedenen Harpege
wechſelte der Rhythmus in ihren Bewegungen; es iſt nicht
anders, — dies kleine Weſen war freudedurchdrungen
oder geiſtdurchdrungen, ſo lang mein Spielen währte;
wenns ſtill war, zog ſie ſich wieder zurück. Noch ein
kleiner Geſelle war eine Maus, der aber mehr der Vo-
calmuſik geneigt war; ſie erſchien meiſtens, wenn ich die
Tonleiter ſang; je ſtärker ich den Ton anſchwellen ließ,
je näher kam ſie; in der Mitten Stube blieb ſie ſitzen;
mein Meiſter hatte große Freude an dem Thierchen;
wir nahmen uns ſehr in Acht, ſie nicht zu ſtören. Wenn
ich Lieder und abwechſelnde Melodieen ſang, ſo ſchien
ſie ſich zu fürchten; ſie hielt dann nicht aus und lief
eilend weg. Alſo die Tonleiter ſchien dieſem kleinem
Geſchöpfchen angemeſſen, die durchgriff ſie, und wer
kann zweiflen: bereitete ein Höheres in ihr vor; dieſe
[304] Töne, ſo rein wie möglich getragen, in ſich ſchön, die
berührten dieſe Organe. Dieſes Aufſchwellen und wie-
der Sinken bis zum Schweigen nahm das Thierchen in
ein Element auf. Ach Goethe, was ſoll ich ſagen? —
es rührt mich alles ſo ſehr, ich bin heute ſo empfindlich,
ich möchte weinen; wer im Tempel wohnen kann auf
reinen heiteren Höhen, ſollte der verlangen, hinaus in
eine Spitzbubenherberge? — Dieſe beiden kleinen Thier-
chen haben ſich der Muſik hingegeben; es war ihr Tem-
pel, in dem ſie ihre Exiſtenz erhöht, vom Göttlichen be-
rührt fühlten, und Du, der ſich bewegt fühlt durch das
ewige Wallen des Göttlichen in Dir, Du habeſt keine
Religion? Du, deſſen Worte, deſſen Gedanken immer
an die Muſe gerichtet ſind, Du lebteſt nicht in dem Ele-
ment der Erhöhung, der Vermittelung mit Gott. — Ach
ja: das Erheben aus dem bewußtloſen Leben in die Of-
fenbarung, das iſt Muſik.
Gute Nacht.
Iſt es wahr, was die verliebten Poeten ſagen, daß
keine ſüßere Freude ſei, als das geliebte zu ſchmücken,
[305] ſo haſt Du das größte Verdienſt um mich. Da iſt mir
durch die Mutter eine Schachtel voll der ſchönſten Lie-
besäpfel zugekommen, an goldnen Ketten zierlich auf-
gereiht; ſchier wären ſie in meinem Kreiſe zu Zankäpfeln
geworden. Ich ſehe unter dieſem [Geſchenk] und der An-
weiſung dabei eine Spiegelfechterei verborgen, die ich
nicht umhin kann zu rügen, denn da Du liſtig genug
biſt, mich mitten im heißen Sommer aufs Eis zu füh-
ren, ſo möchte ich Dir auch meinen Witz zeigen, wie ich
auch [unvorbereitet] und unverhofft mit Geſchicklichkeit
dieſe Winterfreuden zu beſtehen wage; ich werde
Dir nicht ſagen, daß ich keinen lieber ſchmücken möchte
wie Dich, denn ſchmucklos haſt Du mich überraſcht, und
ſchmucklos wirſt Du mich ewig ergötzen. Ich hing die
Perlenreihe chineſiſcher Früchte zwiſchen den geöffneten
Fenſterflügeln auf, und da eben die Sonne drauf ſchien,
ſo hatte ich Gelegenheit, ihre Wirkung an dieſen bal-
ſamartigen Gewächſen zu beachten. Das brennende
Roth verwandelte ſich da, wo die Strahlen auflagen,
bald in dunklen Purpur, in Grün und entſchiedenes
Blau; alles von dem echten Gold des Lichtes gehöht;
kein anmuthigeres Spiel der Farben habe ich lange beob-
achtet, und wer weiß, zu welchen Umwegen mich das
alles verführen wird; zum wenigſten würde der Schwa-
[306] nenhals, von dem die Dir gehorſamen Schreibefinger
der Mutter mir melden, ſchwerlich mich zu ſo entſchie-
denen Betrachtungen und Reflexionen veranlaßt haben;
und ſo hab' ich es denn Deinem Willen ganz angemeſſen
gefunden, mich ſo dran zu erfreuen und zu belehren,
und ich hüte vielmehr meinen Schatz vor jedem lüſter-
nen Auge, als daß ich ihn der Wahl preiß geben ſollte.
Deiner gedenk' ich dabei und aller Honigfrüchte der Son-
nenlande, und ausgießen möcht' ich Dir gerne die
geſammten Schätze des Orients, wenn es auch wäre,
um zu ſehen, wie Du ihrer nicht achteſt, weil Du Dein
Glück in anderem begründet fühlſt.
Dein freundlicher Brief, Deine reichen Blätter ha-
ben mich hier bei einer Zeit aufgeſucht, wo ich Dich
gerne ſelbſt auf- und angenommen hätte. Es war eine
Zeit der Ungeduld in mir; ſchon ſeit mehreren Poſtta-
gen ſah ich allemal den freundlichen Poſtknaben, der
noch in den Schelmenjahren iſt, mit ſpitzen Fingern
Deine wohlbeleibten Pakete in die Höhe halten. Da
ſchickte ich denn eilig hinunter, ſie zu holen und fand
meine Erwartung nicht betrogen; ich hatte Nahrung von
einem Poſttag zum andern; nun war ſie aber zweimal
vergeblich erwartet und ausgeblieben. Rechne mir's nicht
zu hoch an, daß ich ungeduldig wurde; Gewohnheit iſt
[307] ein gar zu ſüßes Ding. — Die liebe Mutter hatte aus
einer übrigens ſehr löblichen Ökonomie Deine Briefe ge-
ſammelt und ſie der kleinen Schachtel beigepackt, und
nun umſtrömt mich alles — eine andere Gegend, ein
anderer Himmel, Berge, über die auch ich gewandert
bin; Thäler, in denen auch ich die ſchönſten Tage ver-
lebt und trefflichen Wein getrunken habe; und der Rhein,
den auch ich hinunter geſchwommen bin in einem klei-
nen, lecken Kahn. Ich habe alſo ein doppeltes Recht
an Dein Andenken; einmal war ich ja dort, und ein-
mal bin ich bei Dir, und vernehme mit beglückendem
Erſtaunen die Lehren Deiner Weisheit, wie auch die ſo
lieblichen Ereigniſſe, denn in allen biſt Du es, die ſie
durch ihre Gegenwart verherrlicht.
Hier noch eine kleine wohlgemeinte Bemerkung, mit
Dank für das Eingeſendete, die Du demjenigen, den es
angeht, gelegentlich mittheilen mögeſt: ob ich gleich den
Nifelheimiſchen Himmel nicht liebe, unter welchem ſich
der ..... gefällt; ſo weiß ich doch recht gut, daß ge-
wiſſe Climaten und Atmosphären nöthig ſind, damit
dieſe und jene Pflanze, die wir doch auch nicht entbeh-
ren mögen, zum Vorſchein komme. So heilen wir uns
durch Rennthiermoos, das an Orten wächſt, wo wir
nicht wohnen möchten, und um ein ehrſameres Gleichniß
[308] zu brauchen, ſo ſind die Nebel von England nöthig-
um den ſchönen grünen Raſen hervor zu bringen.
So haben auch mir gewiſſe Aufſchößlinge dieſer
Flora recht wohl behagt. Wäre es dem Redakteur je-
derzeit möglich, dergeſtalt auszuwählen, daß die Tiefe
niemals hohl, und die Fläche niemals platt würde, ſo
ließe ſich gegen ein Unternehmen nichts ſagen, dem man
in mehr als einem Sinne Glück zu wünſchen hat. Grüße
mir den Freund zum ſchönſten und entſchuldige mich,
daß ich nicht ſelbſt ſchreibe.
Wie lang' wirſt Du noch im Rheinlande verwei-
len? — was wirſt Du zu der Zeit der Weinleſe vorneh-
men? mich finden Deine Blätter wohl noch einige Mo-
nate hier, zwiſchen den alten Felſen, neben den heißen
Quellen, die mir auch diesmal ſehr wohlthätig ſind:
ich hoffe, Du wirſt mich nicht vergeblich warten laſſen,
denn meine Ungeduld zu beſchwichtigen, alles zu erfah-
ren, was in Deinem Köpfchen vorgeht, dafür ſind dieſe
Quellen nicht geeignet.
Meinem Auguſt geht es bis jetzt in Heidelberg ganz
wohl. Meine Frau beſucht in Lauchſtädt Theater und
Tanzſaal. Schon haben mich manche entfernte Freunde
hier brieflich beſucht; mit andern bin ich ganz unver-
muthet perſönlich zuſammen gekommen.
[309]
Ich habe ſo lange gezaudert, daher will ich dies
Blatt gleich fort ſchicken, und ſchlage es an meine Mut-
ter ein. Sage Dir alles ſelbſt, wozu mir der Platz hier
nicht gegönnt iſt, und laſſe mich gleich von Dir hören.
G.
Überall wo es gut iſt, da muß man zu früh ver-
laſſen; — ſo war es mir wahrlich gut bei Dir, drum
mußt' ich Dich zu früh verlaſſen.
Ein guter lieber Aufenthalt iſt für mich, was das
fruchtbare Land einem Schiffer iſt, der eine unſichre
Reiſe vor hat, er wird Vorrath [einſsammeln], ſo viel ihm
Zeit und Mittel erlauben. Ach, wenn er auf der ein-
ſamen weiten See iſt, wenn die friſchen Früchte ſchwin-
den, das ſüße Waſſer! — er ſieht kein Ziel vor ſich;
— wie ſehnſuchtsvoll wird die Erinnerung an's Land.
— Jetzt geht mir's auch ſo, in zwei Tagen muß ich den
Rhein verlaſſen, um mit dem ganzen Familientroß in
Schlangenbad zuſammen zu treffen. Ich war in deſſen nicht
immerwährend hier, ſonſt hätte Dich ſchon lange wieder
eine Epiſtel von mir erreicht; viele Streifereien haben
mich abgehalten: die Reiſe in die Wetterau, von wel-
[310] cher ich Dir hier ein Bruchſtück beilege. Den Primas hab'
ich in Aſchaffenburg beſucht, er meint immer, ich
habe die Kinderſchuhe noch nicht ausgetreten, und be-
grüßt mich, indem er mir die Wangen ſtreichelt, und
mich herzlich küßt. Diesmal ſagte er: Mein gutes, lie-
bes Schätzchen, wie Sie friſch ausſehen und wie ſie ge-
wachſen ſind! — Ein ſolches Betragen hat nun eine
zauberiſche Wirkung auf mich; ich fühlt mich ganz und
gar, wie er mich anſah, und betrug mich auch als ob
ich nur zwölf Jahr alt ſei, ich erlaubte mir allen Scherz
und gänzlichen Mangel an Hochachtung, unter ſolchen
zweifelhaften Umſtänden trug ich ihm deine Aufträge
vor. Sei nur nicht beſtürzt, ich kenne dein würdevolles
Benehmen mit großen Herren, und habe Dir als Both-
ſchafter nichts vergeben, ich hatte mir einen ſchriftlichen
Auszug aus dem Brief an deine Mutter gemacht, und
legte ihm denſelben vor, und die Zeile, wo Du geſchrie-
ben haſt: Die Bettine ſoll ſich doch alle Mühe geben,
dies auf eine artige Weiſe vom Primas heraus zu locken,
die hielt ich mit der Hand zu; nun wollte er grade ſe-
hen, was da unten verborgen ſei; ich machte vorher
meine Bedingungen, er verſprach mir das kleine Indi-
ſche Herbarium, es iſt in Paris, und er wollte noch den-
ſelben Tag drum ſchreiben. Was die Papiere des Probſt
[311] D'umée anbelangt, ſo hat er ſehr intereſſante, wiſſen-
ſchaftliche Sachen die er Dir alle verſpricht, die Corre-
ſpondence mit … giebt er nicht heraus, ich ſoll nur
ſagen, Du habeſt es nicht verdient, und er werde dieſe
Briefe als einen wichtigen Famil[i]enſchatz aufbewahren,
und als ein Muſter von feurigen Ausdrücken bei der
höchſten Ehrerbietung. Ich weiß nicht, was mich befiel
bei dieſer Rede, ich fühlte, daß ich roth ward, da hob
er mir das Kinn in die Höhe und ſagte: Was fehlt
Ihnen denn, mein Kind, ſie ſchreiben wohl auch an
Goethe? — Ja, ſagte ich, unter der Obhut ſeiner Mut-
ter. So, ſo, das iſt ganz ſchön, kann denn die Mutter
leſen? — Da mußt ich ungeheuer lachen, ich ſagte:
Wahrhaftig, Euer Hoheit haben's errathen; ich muß
der Mutter alles vorleſen, und was ſie nicht wiſſen ſoll,
das übergeh' ich. — Er brachte noch allerlei Scherzhaf-
tes vor und frug, ob ich Dich Du nenne, und was ich
Dir alles ſchreibe? — ich ſagte des Rythmus halber
nenne ich Dich Du, und eben habe ich ſeine Diſpenſa-
tion einholen wollen um ſchriftlich beichten zu dürfen,
denn ich wolle Dir gern beichten; er lachte, er ſprang
auf, (denn er iſt ſehr vif und macht oft große Sätze)
und ſagte: Geiſt wie der Blitz! ja, ich gebe Ihnen Di-
ſpenſation und ihm, — ſchreiben Sie es ihm ja, — geb'
[312] ich Macht, vollkommnen Ablaß zu ertheilen, und nun
werden Sie doch mit mir zufrieden ſein? — Ich hatte
große Luſt ihm zu ſagen, daß ich nicht mehr zwölf Jahr
ſondern ſchon eine Weile in's Blüthenalter der
Empfindung eingerückt ſei; aber da hielt mich etwas
ab: bei ſeinen luſtigen Sprüngen fiel ihm ſeine kleine
geiſtliche violetſammtne Mütze vom Kopf; ich nahm ſie
auf, und weil mir ahndete, ſie würde mir gut ſtehen,
ſo ſetzte ich ſie auf. Er betrachtete mich eine Weile,
und ſagte: ein allerliebſter kleiner Biſchof! die ganze
Kleriſey würde hinter ihm drein laufen, — und nun
mochte ich ihm den Wahn nicht mehr benehmen, daß
ich noch ſo jung ſei, denn es kam mir vor, was ihn an
einem Kind erfreuen dürfe, das könne ihm bei einer ver-
ſtändigen Dame, wie ich doch eine ſein müßte, als höchſt
inconvenable erſcheinen. Ich ließ es alſo dabei, und
nahm die Sünde auf mich, ihm was weiß gemacht zu
haben, in dem ich mich dabei auf die Kraft des Ablaſ-
ſes verlaſſe, den er Dir übermacht.
Ach, ich möchte Dir lieber andere Dinge ſchreiben,
aber die Mutter, der ich alles erzählen mußte, quälte
mich drum, ſie meint, ſo was mache Dir Freude und
Du hielteſt etwas drauf, dergleichen genau zu wiſſen;
ich holte mir auch einen lieben Brief von Dir bei ihr
ab,
[313] ab, der mich dort ſchon an vierzehn Tagen erwartete,
und doch möcht' ich Dich über dieſen ſchmälen. Du biſt
ein coquetter, zierlicher Schreiber, aber Du biſt ein har-
ter Mann; die ganze ſchöne Natur, die herrliche Ge-
gend, die warmen Sommertage der Erinnerung, — das
alles rührt Dich nicht; ſo fre[u]ndlich Du biſt, ſo kalt biſt
Du auch. Wie ich das große Papierformat ſah, auf
allen vier Seiten beſchrieben, da dacht' ich, es würde
doch hier und da durchblitzen daß Du mich liebſt; es
blitzt auch, aber nur von Flittern, nicht von leiſem, be-
glückendem Feuer. O, welcher gewaltige Abſtand mag
ſein zwiſchen jener Correſpondence, die der Primas nicht
heraus geben will, und unſerm Briefwechſel; das kommt
daher weil ich Dich zu ſehr liebe und es Dir auch be-
kenne, das ſoll eine ſo närriſche Eigenheit der Männer
ſein, daß ſie dann kalt ſind, wenn man ſie zu ſehr
liebt.
Die Mutter iſt nun immer gar zu vergnügt und
freundlich, wenn ich von meinen Streifereien komme;
ſie hört mit Luſt alle kleine Abentheuer an, ich mache
denn nicht ſelten aus Klein, Groß, und diesmal war ich
reichlich damit verſehen, da nicht nur allein Menſchen,
ſondern Ochſen, Eſel und Pferde ſehr ausgezeichnete
Rollen dabei ſpielten. Du glaubſt nicht, wie froh es
I. 14
[314] mich macht, wenn ſie recht von Herzen lacht. Mein Un-
glück führte mich grade nach Frankfurt, als Frau von
Staël durchkam, ich hatte ſie ſchon in Mainz einen gan-
zen Abend genoſſen, die Mutter aber war recht froh,
daß ich ihr Beiſtand leiſtete, denn ſie war ſchon preve-
nirt, daß die Staël ihr einen Brief von Dir bringen
würde, und ſie wünſchte, daß ich die Intermezzos ſpie-
len möge, wenn ihr bei dieſer großen Kataſtrophe Er-
holung nöthig ſei. Die Mutter hat mir nun befohlen,
Dir alles ausführlich zu beſchreiben; die entervue war
bei Bethmann-Schaaf, in den Zimmern des Moritz
Bethmann. Die Mutter hatte ſich — ob aus Ironie
oder aus Übermuth, wunderbar geſchmückt, aber mit
deutſcher Laune, nicht mit franzöſiſchem Geſchmack, ich
muß Dir ſagen, daß wenn ich die Mutter anſah, mit
ihren drei Federn auf dem Kopf, die nach drei verſchie-
denen Seiten hinſchwankten, eine rothe, eine weiße und
eine blaue — die franzöſiſchen Nationalfarben, welche
aus einem Feld von Sonnenblumen emporſtiegen, — ſo
klopfte mir das Herz vor Luſt und Erwartung; ſie war
mit großer Kunſt geſchminkt, ihre großen ſchwarzen Au-
gen feuerten einen Kanonendonner, um ihren Hals
ſchlang ſich der bekannte goldne Schmuck der Königin
von Preußen, Spitzen von altherkömmlichem Anſehen
[315] und großer Pracht, ein wahrer Familienſchatz, verhüllte
ihren Buſen, und ſo ſtand ſie mit weißen Glacée-Hand-
ſchuhen, in der einen Hand einen künſtlichen Fächer,
mit dem ſie die Luft in Bewegung ſetzte, die andre,
welche entblößt war ganz beringt mit blitzenden Stei-
nen, dann und wann aus einer goldnen Tabatiere mit
einer Miniatüre von Dir, wo Du mit hängenden Locken
gepudert, nachdenklich den Kopf auf die Hand ſtützeſt,
eine Priſe nehmend. Die Geſellſchaft der vornehmen äl-
teren Damen bildete einen Halbkreis in dem Schlafzim-
mer des Moritz Bethmann; auf Purpurrothem Teppich
in der Mitte ein weißes Feld, worauf ein Leoparde, —
ſah die Geſellſchaft ſo ſtattlich aus, daß ſie wohl im-
poniren konnte. An den Wänden ſtanden ſchöne ſchlanke
Indiſche Gewächſe, und das Zimmer war mit matten
Glaskugeln erleuchtet, dem Halbkreis gegenüber ſtand
das Bett auf einer zwei Stufen erhabenen Eſtrade auch
mit einem purpurnen Teppich verhüllt, an beiden Sei-
ten Kandelaber. Ich ſagte zur Mutter: die Fr. Staël
wird meinen, ſie wird hier vor Gericht des Minnehofs
zitirt, denn dort das Bett ſieht aus wie der verhüllte
Thron der Venus. Man meinte, da dürfte es manches
zu verantworten geben. Endlich kam die Langerwar-
tete durch eine Reihe von erleuchteten Zimmern, beglei-
14*
[316] tet von Benjamin Conſtant, ſie war als Corrina geklei-
det ein Turban von aurora- und orangefarbener Seide,
ein eben ſolches Gewand mit einer orangen Tunika, ſehr
hoch gegürtet, ſo daß ihr Herz wenig Platz hatte, ihre
ſchwarzen Augenbraunen und Wimpern glänzten, ihre
Lippen auch von einem myſtiſchen Roth; die Handſchuh
waren herabgeſtreift und bedeckten nur die Hand, in der ſie
das bekannte Lorbeerzweiglein hielt. Da das Zimmer,
worin ſie erwartet war, ſo viel tiefer liegt, ſo mußte ſie
vier Treppen herabſteigen. Unglücklicher Weiſe nahm
ſie das Gewand vorne in die Höhe ſtatt hinten; dies
gab der Feierlichkeit ihres Empfangs einen gewaltigen
Stoß, denn es ſah wirklich einen Moment mehr als
komiſch aus, wie dieſe ganz in orientaliſchem Ton über-
ſchwankende Geſtalt, auf die ſteifen Damen der Tugend-
verſchwornen Frankfurter Geſellſchaft loßrückte. Die
Mutter warf mir einige couragierte Blicke zu, da man
ſie einander präſentirte. Ich hatte mich in die Ferne
geſtellt um die ganze Scene zu beobachten. Ich be-
merkte das Erſtaunen der Staël über den wunderbaren
Putz und das Anſehen deiner Mutter, bei der ſich ein
mächtiger Stolz entwickelte. Sie breitete mit der lin-
ken Hand ihr Gewand aus, mit der rechten ſalutirte ſie
mit dem Fächer ſpielend, und indem ſie das Haupt
[317] mehrmals ſehr herablaſſend neigte, ſagte ſie mit erha-
bener Stimme, daß man es durch's ganze Zimmer hö-
ren konnte: „Je suis la mère de Goethe:” „ah, je suis
charmée” ſagte die Schriftſtellerin, und hier folgte eine
feierliche Stille. Dann folgte die Präſentation ihres
geiſtreichen Gefolges, welches eben auch begierig war,
Goethe's Mutter kennen zu lernen. Die Mutter beant-
wortete ihre Höflichkeiten mit einem franzöſiſchen Neu-
jahrswunſch, welchen ſie mit feierlichen Verbeugungen
zwiſchen den Zähnen murmelte, — kurz, ich glaube die
Audienz war vollkommen, und gab einen ſchönen Be-
weis von der Deutſchen Grandezza. Bald winkte mich
die Mutter herbei, ich mußte den Dolmetſcher zwiſchen
beiden machen; da war denn die Rede nur von Dir,
von deiner Jugend, das Portrait auf der Tabatiere
wurde betrachtet es war gemalt in Leipzig, eh' Du ſo
krank warſt, aber ſchon ſehr mager, man erkennt je-
doch deine ganze jetzige Größe in jenen kindlichen Zü-
gen, und beſonders den Autor des Werther. Die Staël
ſprach über deine Briefe, und daß ſie gern leſen
möchte wie Du an deine Mutter ſchreibſt, und die Mut-
ter verſprach es ihr auch, ich dachte daß ſie von mir
gewiß deine Briefe nicht zu leſen bekommen würde,
denn ich bin ihr nicht grün, ſo oft deine Name von
[318] ihren nicht wohlgebildeten Lippen kam, überfiel mich
ein innerlicher Grimm; ſie erzählte mir, daß Du ſie
Amie in deinen Briefen nennteſt; ach, ſie hat mir's
gewiß angeſehen, daß dies mir ſehr unerwartet kam;
ach, ſie ſagte noch mehr. — Nun riß mir aber die Ge-
duld; — wie kannſt Du einem ſo unangenehmen Ge-
ſicht freundlich ſein? — Ach, da ſieht man, daß Du
eitel biſt. — Oder ſie hat auch wohl nur gelogen! —
Wär' ich bei Dir, ich litt's nicht. So wie Feen mit
feurigen Drachen, würd' ich mit Blicken meinen Schatz
bewachen. Nun ſitz' ich weit entfernt von Dir, weiß
nicht was Du alles treibſt, und bin nur froh, wenn
mich keine Gedanken plagen.
Ich könnte Dir ein Buch ſchreiben über alles was
ich in den acht Tagen mit der Mutter verhandelt und
erlebt habe. Sie konnte kaum erwarten, daß ich kam,
um alles mit ihr zu recapituliren. Da gab's Vorwürfe;
ich war empfindlich, daß ſie auf ihre Bekanntſchaft mit
der Staël einen ſo großen Werth legte; ſie nannte mich
kindiſch und albern und eingebildet, und was zu ſchätzen
ſei, dem müſſe man die Achtung nicht verſagen, und
man könne über eine ſolche Frau nicht wie über eine
Goſſe ſpringen und weiter laufen; es ſei allemal eine
ausgezeichnete Ehre vom Schickſal, ſich mit einem be-
[319] deutenden und berühmten Menſchen zu berühren. Ich
wußte es ſo zu wenden, daß mir die Mutter endlich
deinen Brief zeigte, worin Du ihr Glück wünſcheſt, mit
dieſem Meteor zuſammen zu ſtoßen, und da polterte
denn alle ihre vorgetragne Weisheit aus deinem Brief
hervor. Ich erbarmte mich über Dich und ſagte: Eitel
iſt der Götterjüngling; er führt den Beweis für ſeine
ewige Jugend. — Die Mutter verſtand keinen Spaß;
ſie meinte: ich nehme mir zu viel heraus, und ich ſoll
mir doch nicht einbilden, daß Du ein anderes Intereſſe
an mir habeſt, als man an Kindern habe, die noch mit
der Puppe ſpielen; mit der Staël könneſt Du Welt-
weisheit machen; mit mir könneſt Du nur tändlen.
Wenn die Mutter recht hätte? — wenn's nichts wär'
mit meinen neu erfundnen Gedanken, von denen ich
glaubte, ich habe ſie alleine? — Wie hab' ich doch in
dieſen paar Monaten, wo ich am Rhein lebe, nur blos
an Dich gedacht! — Jede Wolke hab' ich um Rath ge-
fragt, jeden Baum, jedes Kraut hab' ich angeſprochen
um Weisheit; und von jeder Zerſtreuung hab' ich mich
abgewendet, um recht tief mit Dir zu ſprechen. O bö-
ſer, harter Mann, was ſind das für Geſchichten? Wie
oft hab' ich zu meinem Schutzengel gebetet, daß er doch
für mich mit Dir ſprechen ſoll, und dann hab' ich mich
[320] ſtill verhalten und die Feder laufen laſſen. Die ganze
Natur zeigte mir im Spiegel, was ich Dir ſagen ſoll;
wahrhaftig, ich habe geglaubt, alles ſei von Gott ſo
angeordnet, daß die Liebe einen Briefwechſel zwiſchen
uns führe. Aber Du haſt mehr Zutrauen in die be-
rühmte Frau, die das große Werk geſchrieben hat sur
les passions, von welchen ich nichts weiß. — Ach glaub'
nur, Du biſt vor die unrechte Schmiede gegangen;
Lieben: das allein macht klug.
Über Muſik hatte ich Dir auch noch manches zu
ſagen; es war alles ſchon ſo hübſch angeordnet; erſt
mußt Du begreifen, was Du ihr alles ſchon zu verdan-
ken haſt. — Du biſt nicht feuerfeſt. Muſik bringt Dich
nicht in Gluth, weil Du einſchmelzen könnteſt.
So närriſch bin ich nicht, zu glauben, daß Muſik
keinen Einfluß auf Dich habe. Da ich doch glaube an
das Firmament in deinem Geiſt, da Sonne und Mond
ſammt allen Sternen in Dir leuchten, da ſoll ich zweiflen,
daß dieſer höchſte Planet über alle, der Licht ergießt,
der ein Gewaltiger iſt unſerer Sinne, Dich nicht durch-
ſtröme? Meinſt Du dann, Du wärſt der Du biſt,
wenn es nicht Muſik wäre in Dir? — Du ſollteſt Dich
vor dem Tod fürchten, da doch Muſik ihn auflöſt? Du
[321] ſollteſt keine Religion haben, da doch Muſik in Dich
die Anbetung pflanzt?
Horch in Dich hinein, da wirſt Du in deiner Seele
der Muſik lauſchen, die Liebe zu Gott iſt; dies ewige
Jauchzen und Wallen zur Ewigkeit, das allein Geiſt iſt.
Ich könnte Dir Sachen ſagen, die ich ſelbſt fürchte
auszuſprechen, obſchon eine innere Stimme mir ſagt,
ſie ſind wahr. Wenn Du mir bleibſt, ſo werd' ich viel
lernen; wenn Du mir nicht bleibſt, ſo werde ich wie
der Saame unter der Erde ruhen, bis die Zeit kommt
daß ich in Dir wieder blühe.
Mein Kopf glüht; ich hab' mich während dem
Schreiben herumgeſtritten mit Gedanken, deren ich nicht
mächtig werden konnte. Die Wahrheit liegt in ihrer
ganzen Unendlichkeit im Geiſt, aber ſie im einfachſten
Begriff zu faſſen, das iſt ſo ſchwer; ach, es kann ja
nichts verloren gehen. Wahrheit nährt ewig den Geiſt,
der alles Schöne als Früchte trägt, und da es ſchön
iſt, daß wir einander lieben, ſo wolle die Wahrheit
nicht länger verläugnen.
Ich will Dir lieber noch ein bischen von unſerm
Zigeunerleben erzählen, das wir hier am Rhein führen,
den wir ſo bald verlaſſen werden, und wer weiß, ob
ich ihn wiederſeh! — Hier, wo die Frühlingslüfte
14**
[322]balſamiſch uns umwehen, laß einſam uns er-
gehen; nichts trenne Dich von mir! — und auch
nicht die Frau von Staël!
Unſre Haushaltung iſt allerliebſt eingerichtet; wir
ſind zu acht Frauen, kein männliches Weſen iſt im
Haus; da es nun ſehr heiß iſt, ſo machen wir's uns ſo
bequem wie möglich, zum Beiſpiel ſind wir ſehr leicht
gekleidet, ein Hemd und dann noch eins, griechiſch drap-
pirt. Die Thüren der Schlafzimmer ſtehen Nachts of-
fen; — je nachdem eins Luſt hat, ſchlägt es ſein Nacht-
lager auf dem Vorgang oder an ſonſt einem kühlen
Ort auf; im Garten unter den Platanen, auf der ſchö-
nen, mit breiten Platten gedeckten Mauer liegend, dem
Rhein gegenüber den Aufgang der Sonne zu erwarten,
hab' ich ſchon ein paar Mal zu meinem Plaiſir Nächte
zugebracht; ich bin eingeſchlafen auf meinem ſchmalen
Bett; ich hätte können hinunterfallen im Schlaf, beſon-
ders wenn ich träume, daß ich Dir entgegen ſpringe.
Der Garten liegt hoch, und die Mauer nach jenſeits
geht tief hinab, da könnte ich leicht verunglücken; ich
bitte Dich alſo, wenn Du meiner gedenkſt im Traum,
halte mir die ſchützenden Arme entgegen, — damit ich
doch gleich hinein ſinke; „denn alles iſt doch nur
ein Traum!“ — Am Tage geht's bei uns in großer
[323] Finſterniß her; alle Läden ſind zu im ganzen Hauſe,
alle Vorhänge vorgezogen; früher machte ich Morgens
weite Spaziergänge, aber das iſt bei dieſer Hitze nicht
mehr möglich; die Sonne beizt die Weinberge, und die
ganze Natur ſeufzt unter der Brutwärme. Ich gehe doch
jeden Morgen zwiſchen vier und fünf Uhr heraus mit
einem Schnikermeſſer, und hole friſche kühle Zweige, die
ich im Zimmer aufpflanze. Vor acht Wochen hatte ich
Birken und Pappeln, die glänzten wie Gold und Sil-
ber, und dazwiſchen dicke duftende Sträußer von Mai-
blumen. Wie ein Heiligthum iſt der Saal, an den alle
Schlafkabinette ſtoßen; da liegen ſie noch in den Bet-
ten, wenn ich nach Hauſe komme und warten, bis ich
fertig bin; dann haben die Linden und Kaſtanien hier
abgeblüht, und himmelhohes Schilf, das ſich oben an
der Decke umbiegt, mit blühenden Winden umſtrickt;
und die Feldblumen ſind reizend, die kleinen Grasdol-
den, die Schafgarbe, die Johannisblume, Waſſerlilien,
die ich mit einiger Gefahr fiſche, und das ewig ſchöne
Vergißmeinnicht. Heute hab' ich Eichen aufgepflanzt,
hohe Äſte, die ich aus dem oberſten Gipfel geholt. Ich
klettere wie eine Katze; die Blätter ſind ganz purpur-
roth, und in ſo zierlichen Sträuſern gewachſen, als hät-
ten ſie ſich tanzend in Gruppen vertheilt.
[324]
Ich ſollte mich ſcheuen, Dir von Blumen zu ſprechen;
Du haſt mich ſchon einmal ein bischen ausgelacht, und
doch iſt der Reiz gar zu groß; die vielen ſchlafenden
Blüthen, die nur im Tod erwachen, das träumende Ge-
ſchlecht der Wicken, die Herrgottsſchückelchen, Himmels-
ſchlüſſel mit ihrem ſanften freundlichen Duft — ſie iſt
die geringſte aller Blumen. Wie ich kaum ſechs Jahr
alt war, und die Milchfrau hatte verſprochen, mir einen
Strauß Himmelsſchlüſſel mitzubringen, da riß mich die
Erwartung ſchon mit dem erſten Morgenſtrahl aus dem
Schlaf im Hemdchen an's Fenſter; wie friſch waren die
Blumen! Wie athmeten ſie in meiner Hand! — Ein-
mal brachte ſie mir dunkle Nelken in einen Topf ein-
gepflanzt; welcher Reichthum! — Wie war ich über-
raſcht von der Großmuth! — Dieſe Blumen in der
Erde — ſie ſchienen mir ewig an's Leben gebunden, es
waren mehr als ich zählen konnte; immer fing ich von
vorne an; ich wollte kein Knöſpchen überſpringen; wie
dufteten ſie! Wie war ich demüthig vor dem Geiſt,
den ſie ausſtrömten! — Ich wußte ja noch wenig von
Wald und Flur, und die erſte Wieſe, im Abendſchein
eine unendliche Fläche für's Kinderaug', mit goldnen
Sternen überſäet; — ach, wie hat Natur aus Liebe es
dem Geiſt Gottes nachahmen wollen. — Und wie liebt
[325] er ſie. — Wie neigt er ſich herab zu ihr für dieſe Zärt-
lichkeit, ihm entgegen zu blühen! — Wie hab' ich ge-
wühlt im Gras und hab' geſehen, wie eins neben dem
andern ſich hervordrängt. Manches hätte ich vielleicht
überſehen bei der Fülle, aber ſein ſchöner Name hat
mich mit ihm vertraut gemacht, und wer ſie genannt
hat, der muß ſie geliebt und verſtanden haben. Das
kleine Schäfertäſchchen zum Beiſpiel — ich hätte es
nicht bemerkt, aber wie ich ſeinen Namen hörte, da
fand ich's unter vielen heraus, ich mußte ein ſolches
Täſchchen öffnen, und fand es gefüllt mit Saamenper-
len. Ach, alle Form enthält Geiſt und Leben, um ſich
auf die Ewigkeit zu vererben. Tanzen die Blumen
nicht? — ſingen ſie nicht! — ſchreiben ſie nicht Geiſt
in die Luft? — malen ſie nicht ſich ſelbſt ihr Innerſtes
in ihrem Bild? — Alle Blumen hab' ich geliebt, eine
jede in ihrer Art, wie ich ſie nach einander kennen lernte,
und keiner bin ich untreu geworden, und wie ich ihre
Muskelkraft entdeckte: das Löwenmäulchen, wie es mir
zum erſten Mal die Zunge aus ſeinem ſammtnen Rachen
entgegen ſtreckte, als ich es zu kräftig anfaßte. — Ich
will ſie nicht nennen alle, mit denen ich ſo innig ver-
traut wurde, wie ſie mir jetzt im Gedächtniß erwachen;
nur eines einzigen gedenk ich, eines Myrthenbaums,
[326] den eine junge Nonne dort pflegte. Sie hatte ihn
Winters und Sommers in ihrer Zelle; ſie richtete ſich
in allem nach ihm; ſie gab ihm Nachts wie Tags die
Luft, und nur ſo viel Wärme erhielt ſie im Winter,
als ihm noth that. Wie fühlte ſie ſich belohnt, da er
mit Knoſpen bedeckt war! Sie zeigte mir ſie, ſchon wie
ſie kaum angeſetzt hatten; ich half ihn pflegen; alle
Morgen füllte ich den Krug mit Waſſer am Madlenen-
brünnchen; die Knoſpen wuchſen und rötheten ſich, end-
lich brachen ſie auf; am vierten Tag ſtand er in vol-
ler Blüthe; eine weiße Zelle jede Blüthe, mit tauſend
Strahlenpfeilen in ihrer Mitte, deren jeder auf ſeiner
Spitze eine Perle darreicht. Er ſtand im offenen Fen-
ſter, die Bienen begrüßten ihn. — Jetzt erſt weiß ich,
daß dieſer Baum der Liebe geweiht iſt; damals wußt'
ich's nicht; und jetzt verſtehe ich ihn. — Sag': kann
die Liebe ſüßer gepflegt werden, als dieſer Baum? —
und kann eine zärtliche Pflege ſüßer belohnt werden,
als durch eine ſo volle Blüthe? — Ach, die liebe Nonne
mit halb verblühten Roſen auf den Wangen, in Weiß
verhüllt, und der ſchwarze Florſchleier, der ihren raſchen
zierlichen Gang umſchwebte; wie aus dem weiten Ärmel
des ſchwarzen wollenen Gewands die ſchöne Hand her-
vorreichte, um die Blumen zu begießen! Einmal ſteckte
[327] ſie ein kleines ſchwarzes Böhnchen in die Erde, ſie
ſchenkte mir's und ſagte, ich ſolle es pflegen; ich werde
ein ſchönes Wunder dran erleben. Bald keimt' es und
zeigte Blätter wie der Klee; es zog ſich an einem
Stöckchen in die Höh' wie die Wicke mit kleinen gerin-
gelten Haken; dann bracht' es ſparſame gelbe Blüthen
hervor; aus denen wuchs ſo groß wie eine Haſelnuß ein
grünes Eichen, das ſich in Reifen bräunte. Die Nonne
brach es ab, und zog es am Stiel auseinander, in
eine Kette von zierlich geordneten Stacheln, zwiſchen
denen der Saame von kleinen Bohnen gereift war.
Sie flocht daraus eine Krone, ſetzte ſie ihrem elfenbei-
nernen Chriſtus am Kruzifix zu Füßen, und ſagte mir,
man nennt dieſe Pflanze Corona Christi.
Wir glauben an Gott, und an Chriſtus, daß er
Gott war, der ſich an's Kreuz ſchlagen ließ; wir ſingen
ihm Litaneien und ſchwenken ihm den Weihrauch; wir
verſprechen, heilig zu werden, und beten, und empfin-
den's nicht. Wenn wir aber ſehen, wie die Natur ſpielt,
und in dieſem Spiel eine Sprache der Weisheit kindlich
ausdrückt; wenn ſie auf Blumenblätter Seufzer malt,
ein O, und Ach, wenn die kleinen Käfer das Kreuz auf
ihren Flügeldecken gemalt haben und dieſe kleine Pflanze
eben, ſo unſcheinbar, eine mit Sorgfalt gehegte, künſt-
[328] liche Dornenkrone trägt; wenn wir Raupen und Schmet-
terlingen mit dem Geheimniß der Dreifaltigkeit bezeich-
net ſehen, dann ſchaudert uns, und wir fühlen, die Gott-
heit ſelber nimmt ewigen Antheil an dieſen Geheimniſ-
ſen; dann glaub' ich immer, daß Religion alles erzeugt
hat, ja daß ſie ſelber der ſinnliche Trieb zum Leben in
jedem Gewächs und jedem Thier iſt. — Die Schönheit
erkennen in allem Geſchaffenen, und ſich ihrer freuen,
das iſt Weisheit und fromm; wir beide waren fromm,
ich und die Nonne; es werden wohl zehn Jahr ſein,
daß ich im Kloſter war. Voriges Jahr hab' ich's im
Vorüberreiſen wieder beſucht. Meine Nonne war Prio-
rin geworden, ſie führte mich in ihren Garten, — ſie
mußte an einer Krücke gehen, ſie war lahm geworden, —
ihr Myrrthenbaum ſtand in voller Blüthe. Sie fragte
mich, ob ich ihn noch kenne; er war ſehr gewachſen;
umher ſtanden Feigenbäume mit reifen Früchten und
große Nelken, ſie brach ab, was blühte und was reif
war, und ſchenkte mir alles, nur der Myrrthe ſchonte
ſie; das wußte ich auch ſchon im Voraus. Den Strauß
befeſtigte ich im Reiſewagen; ich war wieder einmal ſo
glücklich, ich betete, wie ich im Kloſter gebetet hatte; ja
ſeelig ſein macht beten!
[329]
Siehſt Du, das war ein Umweg und etwas von
meiner Weisheit; ſie kann ſich freilich der Weltweisheit,
die zwiſchen Dir und Deiner Amie Staël obwaltet, nicht
begreiflich machen; — aber das kann ich Dir ſagen:
ich hab' ſchon viele große Werke geſehen von zähem
Inhalt in ſchweinsledernem Einband; ich habe Gelehrte
brummen hören, und ich habe immer gedacht eine ein-
zige Blume müſſe all' dies beſchämen, und ein einziger
Maikäfer müſſe durch einen Schneller, den er einem
Philoſophen an die Naſe giebt, ſein ganzes Syſtem
umpurzeln.
Pax tecum! wir wollen's einander verzeihen; ich,
daß Du einen Herzens- und Geiſtesbund mit der Staël
geſchloſſen haſt, worüber, der Prophezeihung Deiner
Mutter nach, ganz Deutſchland und Frankreich die Au-
gen aufreißen wird, denn es wird doch nichts draus; —
und Du, daß ich ſo aberwitzig bin, alles beſſer wiſſen
und mehr als alle Dir gelten zu wollen, denn das ge-
fällt Dir. —
Heute geh' ich noch einmal auf den Rochusberg;
ich will ſehen, was die Bienen machen im Beichtſtuhl
ich nehme allerlei Pflanzen mit, die in Scherben einge-
ſetzt ſind, und auch einen Rebſtock; die grab ich dort
oben ein; die Rebe ſoll am Kreuz hinauf wachſen, in
[330] deſſen Schutz ich eine ſo ſchöne Nacht verſchlafen habe; am
Beichtſtuhl pflanz' ich Kaiſerkronen und Je länger je
lieber, Deiner Mutter zu Ehren; — vielleicht, wenn mir's
um's Herz iſt, beicht' ich Dir da oben, da ich zum letz-
tenmal dort ſein werde; um doch den Ablaß des Pri-
mas in Wirkung zu ſetzen; aber ich glaube wohl,
ich habe nichts Verborgnes mehr in mir; du ſiehſt in
mich hinein, und außer dem iſt nichts in mir zu finden.
Den geſtrigen Tag wollen wir zum Schluß noch
hierher malen, denn er war ſchön. Wir gingen mit ei-
nem irreführenden Wegweiſer durch eine Thalſchlucht
einem Fluß entlang, den man die Wiſper nennt, wahr-
ſcheinlich wegen dem Rauſchen des Waſſers, das über
lauter platte Felsſteine ſich windet, und in den Lücken
ſchäumt und flüſtert. Auf beiden Seiten gehen hohe
Felſen her, auf denen zerfallene Burgen ſtehen, mit al-
ten Eichen umwachſen. Das Thal wird endlich ſo enge,
daß man genöthigt iſt, im Fluß zu gehen. Da kann
man nicht beſſer thun, als barfuß und etwas hochge-
ſchürzt, von Stein zu Stein zu ſpringen, bald hüben,
bald drüben am Ufer ſich fort zu helfen. Es wird im-
mer enger und enger hoch über uns; die Felſen und
Berge umklammern ſich endlich; die Sonne kann nur
noch die Hälfte der Berge beleuchten; die ſchwarzen
[331] Schlagſchatten der übergebogenen Felsſtücke durchſchnei-
den ihre Strahlen; aus der Wiſper, die kein ganz un-
bedeutender Fluß iſt — ſie rauſcht mit ziemlicher Ge-
walt — ſtehen erhöhte Felsplatten, wie harte, kalte, hei-
ligen Betten hervor. Ich legte mich auf eins um ein
wenig auszuruhen; ich lag mit dem glühenden Geſicht
auf dem feuchten Stein; das ſtürzende Waſſer bereg-
nete mich fein, die Sonnenſtrahlen kamen sans rime et
raison quer durch die Felsſchichten, um mich und mein
Bett zu vergolden; über mir war Finſterniß; meinen
Strohut, den ich ſchon längſt mit Naturmerkwürdigkei-
ten angefüllt hatte, ließ ich ſchwimmen, um die Wur-
zeln der Pflanzen zu tränken; — wie wir weiter ka-
men, drängten die Berge ſich neſterweiſe an einander,
die nur dann und wann von ſchroffen Felſen geſchieden
wurden. Ich wär' gar zu gern hinauf geklettert, um
zu ſehen, wo man war; es war zu ſchroff, die Zeit er-
laubte es nicht, dem geſcheuten Wegweiſer waren alle
Sorgen auf dem Geſichte gemalt; er verſicherte jedoch,
daß er keine im Herzen hege; es wurde kühl in unſe-
rer engen Schlucht; ſo kühl war mir's auch innerlich;
wir trippelten immer vorwärts.
Das Ziel unſerer Reiſe war ein Sauerbrunnen hin-
ter Weißenthurn, der in einer wüſten Wildniß liegt.
[332] Wir hatten alle Umwege der Wiſper gemacht; der kluge
Wegweiſer dachte, wenn wir uns von der nicht entfern-
ten, müßten wir endlich das Ziel erreichen, da die Wis-
per an dem Brunnen vorüber führt, und ſo hatte er
uns auf einen Weg geführt, der wohl ſelten von Men-
ſchen betreten wird. Da wir dort ankamen, erleichterte
er ſeine Bruſt durch ein Heer von Seufzern. Ich glaub',
der fürchtete ſich nicht allein vor dem Teufel, ſondern
vor Gott und allen Heiligen, daß ſie ihn würden zur
Rechenſchaft ziehen, weil er uns in's Verderben geſtürzt
habe; — kaum waren wir angekommen, ſo ſchlug die
Kukuksuhr in der einſamen Hütte bei dem Brunnen,
und mahnte an den Rückweg. Es war acht Uhr! zu
eſſen war nichts, auch kein Brod, nur Salat mit Salz
ohne Eſſig und Öl. Eine Frau mit zwei Kindern wohnte
da; ich frug, von was ſie lebe; ſie deutete mir in die
Ferne auf den Backofen, der zwiſchen vier majeſtätiſche
Eichen auf einem freien Platz in voller Gluth ſtand.
Ihr kleines Söhnchen ſchleppte eben ein Reiſerbündel
hinter ſich heran; ſein Hemdchen hatte noch Ärmel, die
Hinterwand und den Knopf vom Kragenbund, mit dem
es befeſtigt war; vorne war es weggeriſſen; ſeine Schwe-
ſter-pſyche wiegte ſich quer über einen Block auf einem
langen Backſchieber; auf dem als Gegengewicht die zu
[333] backenden Brode lagen; ihr Gewand beſtand auch aus
einem Hemd, und aus einer Schürze, die ſie um den
Kopf befeſtigt hatte, um die Haare vor dem Verbren-
nen zu bewahren, wenn ſie in den Ofen guckte und die
Reiſer anlegte. Wir gaben der Frau ein Geldſtück;
ſie frug, wie viel es wär; da ſahen wir, daß es nicht
in unſerer Macht war, ſie zu beſchenken, denn ſie war
zufrieden und wußte nicht, daß man mehr brauchen
könne, als man bedürfe.
Ich marſchirte alſo wieder links um, ohne auszu-
ruhen und kam Nachts um ein Uhr zu Hauſe an; in
allem war ich zwölf Stunden unterwegs geweſen und
durchaus nicht ermüdet. Ich ſtieg in ein Bad das mir
bereitet war, und ſetzte eine Flaſche Rheinwein an, und
ließ es ſo lange herunterglucken, bis ich den Boden ſah.
Die Zofe ſchrie, und dachte es könne mir ſchaden im
heißen Bad, allein ich ließ mir nicht wehren; ſie mußte
mich ins Bett tragen; ich ſchlief ſanft, bis ich am Mor-
gen durch ein wohlbekanntes Krähen und Nachahmen
eines ganzen Hühnerhofs vor meiner Thür geweckt wurde.
Du ſchreibſt: meine Briefe verſetzen Dich in eine
bekannte Gegend, in der Du Dich heimathlich fühlſt;
verſetzen ſie Dich denn auch zu mir? — ſiehſt Du mich
in Gedanken wie ich mit langem Hakenſtock auf die
[334] Berge klettere, und ſiehſt Du in mein Herz, wo Du
Dich von Angeſicht zu Angeſicht erblicken kannſt? dieſe
Gegend möcht' ich Dir doch am aller anſchaulichſten
machen!
Noch acht Wochen werde ich wohl in allerlei Ge-
genden herum ſtreifen, im Oktober mit Savigny erſt
auf ein paar Monate nach München, und dann nach
Landshut gehen, wenn es der Himmel nicht anders
fügt. —
Ich bitte Dich, wenn Du Dich meiner mit der Fe-
der erbarmen ſollteſt, um zu „ſtrafen oder zu
lohnen,“ ſo adreſſire gleich nach Schlangenbad, über
Wisbaden; ich werde drei Wochen dort bleiben. Schickſt
Du den Brief an die Mutter, ſo wartet ſie auf eine
Gelegenheit; und ich will lieber einen Brief ohne Da-
tum, als daß ich am Datum erkennen muß, daß er mir
vierzehn Tage vorenthalten iſt.
Der Mutter ſchreib' ich alles, was unglaublich iſt;
obſchon ſie weiß, was ſie davon zu halten hat, ſo hat
es doch ihren Beifall, und fordert mich auf, ihr immer
noch mehr dergleichen mitzutheilen; ſie nennt dies „mei-
ner Phantaſie Luft machen.“
Bettine.
[335]
Es iſt noch die Frage, liebſte Bettine, ob man Dich
mehr wunderlich oder wunderbar nennen kann; beſinnen
darf man ſich auch nicht; man denkt endlich nur darauf,
wie man ſich gegen die reißende Fluth Deiner Gedanken
ſicher zu ſtellen habe; laß Dir daher genügen, wenn ich
nicht ausführlich Deine Klagen, Deine Forderungen,
Fragen und Beſchuldigungen beſchwichtige, befriedige,
beantworte und ablehne; im ganzen aber Dir herzlich
danke, daß Du mich wieder ſo reichlich beſchenkt haſt.
Mit dem Primas haſt Du Deine Sache klug und
artig gemacht. Ich habe ſchon ein eigenhändiges Schrei-
ben von ihm, worin er mir alles zuſichert, was Du ſo
anmuthig von ihm erbettelt haſt, und mir andeutet,
daß ich Dir alles allein zu verdanken habe und mir
noch viel Artiges von Dir ſchreibt, was Du in Deinem
ausführlichen Bericht vergeſſen zu haben ſcheinſt.
Wenn wir alſo Krieg miteinander führen wollten,
ſo hätten wir wohl gleiche Truppen; Du die berühmte
Frau, und ich den liebenswürdigen Fürſten voll Güte
gegen mich und Dich. — Beiden wollen wir die Ehre
[336] und den Dank nicht verſagen, die ſie ſo reichlich um
uns verdienen, aber beiden wollen wir auch den Zutritt
verweigern, wo ſie nicht hingehören, ſondern nur ſtörend
ſein würden, nehmlich zwiſchen das erfreulichſte Ver-
trauen Deiner Liebe und meiner warmen Aufnahme der-
ſelben. — Wenn ich auch Deine Antagoniſtin in der
Weltweisheit, in einer nur zufälligen Correspondence
Amie nenne, ſo greife ich damit keineswegs in die Rechte
ein, die Du mit erobernder Eigenmacht ſchon an Dich
geriſſen haſt. Ich bekenne Dir indeſſen, daß es mir
geht, wie dem Primas: du biſt mir ein liebes, freund-
liches Kind, das ich nicht verlieren möchte, und
durch welches ein großer Theil des erſprießlichſten Se-
gens mir zufließt. Du biſt mir ein freundliches Licht,
das den Abend meines Lebens behaglich erleuchtet, und
da gebe ich Dir, um doch zu Stande zu kommen mit
allen Klagen, zum letzten Schluß beikommendes Räthſel;
an dem magſt Du Dich zufrieden rathen.
Goethe.
Cha-
[337]
Es findet ſich noch Platz und auch noch Zeit, der
guten Mutter Vertheidigung hier zu übernehmen; ihr
ſollteſt Du nicht verargen, daß ſie mein Intereſſe an
dem Kinde, was noch mit der Puppe ſpielt, heraus hebt
da Du es wirklich noch ſo artig kannſt, daß Du ſelbſt
die Mutter noch dazu verführſt, die ein wahres Ergötzen
dran hat, mir die Hochzeitfeier Deiner Puppe mit dem
kleinen Frankfurter Rathsherrn ſchriftlich anzuzeigen, der
mir in ſeiner Alongeperücke, Schnabelſchuhen und Hals-
ſchmuck von feinen Perlen im kleinen Plüſchſeſſel, noch
I. 15
[338] gar wohl erinnerlich iſt. Er war die Augenweide unſe-
rer Kinderjahre, und wir durften ihn nur mit geheilig-
ten Händen anfaſſen. Bewahr' doch alles ſorgfältig,
was Dir die Mutter bei dieſen Gelegenheiten aus mei-
ner und der Schweſter Kindheit mittheilt; es kann mir
mit der Zeit wichtig werden.
Dein Kapitel über die Blumen würde wohl ſchwer-
lich Eingang finden bei den Weltweiſen, wie bei mir;
denn obſchon Dein muſikaliſches Evangelium etwas hier-
durch geſchmälert iſt (was ich doch ja nicht zu verſäu-
men bitte im nächſten, recht bald zu erwartenden Brief),
ſo iſt es mir dadurch erſetzt, daß meine frühſten Kinder-
jahre ſich mir auf eine liebliche Weiſe drin abſpiegeln,
denn auch mir erſchienen die Geheimniſſe der Flora als
ein unmöglicher Zauber.
Die Geſchichte des Myrrthenbaums und der Nonne
erregt warmen Antheil; möge er vor Froſt und Scha-
den bewahrt bleiben! Aus voller Überzeugung ſtimme
ich mit Dir ein, daß die Liebe nicht ſüßer gepflegt kann
werden, als dieſer Baum, und keine zärtliche Pflege
reichlicher belohnt, als durch eine ſolche Blüthe.
Auch Deine Pilgrimſchaft im rauſchenden Fluß mit
der allerliebſten Vignette der beiden Kinder giebt ein er-
[339] götzliches Bild, und Deinen Rheinabentheuern einen an-
muthig abrundenden Schluß.
Bleib' mir nun auch hübſch bei der Stange und
gehe nicht zu ſehr ins Blaue; ich fürchte ſo, daß die
Zerſtreuungen eines beſuchten Badeorts Deine idealen,
Eingebungen auf dem einſamen Rochus verdrängen
werden; ich muß mich darauf gefaßt machen, wie auch
auf noch manches andere, was Dir im Köpfchen und
Herzen ſpuken mag.
Ein bischen mehr Ordnung in Deinen Anſichten
könnte uns beiden von Nutzen ſein; ſo haſt Du Deine
Gedanken, wie köſtliche Perlen, nicht alle gleich geſchlif-
fen, auf loſem Faden gereiht, der leicht zerreißt, wo
ſie denn in alle Ecken rollen können und manche ſich
verliert. —
Doch ſage ich Dir Dank, wie dem lieben Rhein
ein herzliches Lebewohl, von dem Du mir ſo manches
Schöne haſt zukommen laſſen. Bleibe Dir's feſt und
ſicher, daß ich gern ergreife, was Du mir reichſt, und
daß ſo das Band zwiſchen uns ſich nicht leicht löſen wird.
Goethe.
15*
[340]
Ich hatte mir's vorgenommen, noch einmal hier
herauf zu gehen, wo ich in Gedanken ſo glückliche Stun-
den mit Dir verlebt habe, und vom Rhein Abſchied zu
nehmen, der in alle Empfindungen eingeht, und der
größer, feuriger, kühner und luſtiger, und überirdiſcher
als alle iſt; — ich komme um 5 Uhr Nachmittags hier
oben an; finde alles im friedlichen Sonnenlicht, die
Bienen angeſiedelt, von der Nordſeite geſchützt durch
die Mauer; Beichtſtuhl und Altar ſtehen gegen Morgen.
Meine Pflanzen hab' ich alle eingeſetzt mit Hülfe des
Schiffsjungen, der ſie mir herauf bringen half; die Rebe
im Topf, welche ſchon an 6 Fuß hoch iſt und voll
Trauben hängt, hab' ich am Altar zwiſchen eine ge-
brochne Steinplatte geſetzt; den Topf hab' ich zerſchla-
gen und die Scherben leiſe abgenommen, damit die
Erde hübſch an den Wurzeln bleibt; es iſt eine Muska-
tellerart, die ſehr feine Blätter hat; dann hab' ich ihn
am Kreuz auf dem Altar feſtgebunden; die Trauben
hängen grade über den Chriſtusleib; — wenn er ſchön
einwächſt und gedeiht, da werden ſich die Menſchen
wundern, die hier oben herkommen; des Schäfers Bie-
nen im Beichtſtuhl mit dem Geisblatt, das ihn umzieht,
[341] und das Kreuz mit Trauben. Ach ſo viele Menſchen
haben große Paläſte und prächtige Gärten; — ich möchte
nur dieſe einſame Rochuskapelle haben, und daß alles
ſo ſchön fortwüchſe, wie ich's eingepflanzt habe; —
vom Berg' hab' ich mit den Scherben die Erde los ge-
graben und an die Rebe gelegt, und zweimal hab' ich
unten am Rhein den Krug gefüllt, um ihn zu begießen;
es iſt wohl zum letztenmal, daß er Rheinwaſſer trinkt. —
Jetzt, nach beendigtem Werk, ſitz' ich hier im Beicht-
ſtuhl, und ſchreib' an Dich; die Bienen kommen alle
hintereinander heim; ſie ſind ſchon ganz eingewohnt; —
könnt' ich einziehen in Dein Herz mit jedem Gedanken,
ſo gefühlig, ſo ſüß ſummend, wie dieſe Bienen, beladen
mit Honig und Blumenſtaub, den ich von allen Feldern
zuſammen trage, und alles heim bringen zu Dir —
nicht wahr? —
„Alles hat ſeine Zeit!“ ſprech' ich mit dem Weiſen;
ich habe die Reben ihre Blätter entfalten ſehen; ihre
Blüthe hat mich betäubt und trunken gemacht; nun ſie
Laub haben und Früchte, muß ich Dich verlaſſen, du
[342] ſtiller, ſtiller Rhein! Noch geſtern Abend war alles ſo
herrlich; aus der dunklen Mitternacht trat mir eine
große Welt entgegen. Als ich von meinem Bett auf-
ſtand in die kühle Nachtluft am Fenſter, da war der
Mond ſchon eine halbe Stunde aufgegangen und hatte
die Welten alle unter ſich getrieben; er warf einen frucht-
baren Schein über die Weinberge; — ich nahm das
volle Laub des Weinſtocks, der an meinem Fenſter hin-
aufwächſt, im Arm und nahm Abſchied von ihm; kei-
nem Lebendigen hätte ich den Augenblick dieſer Liebe
gegönnt; wär' ich bei Dir geweſen, — ich hätte geſchmei-
chelt, gebeten und geküßt.
Nur das ſei mir gegönnt! — und ach, es wird
mir nicht leicht, es auszuſprechen, was ich will, wenn
mich manchmal der Athem drückt, daß ich laut ſchreien
möchte.
Es überfliegt mich zuweilen in dieſen engbegränzten
Gegenden, wo die Berge übereinander klettern und den
Nebel tragen, und in den tiefen kühlen Thälern die
Einſamkeit gefangen halten, ein Jauchzen, das wie ein
[343] Blitz durch mich fährt. — Nun ja! — das ſei mir ge-
gönnt: daß ich dann mich an einen Freund ſchließe, —
er ſei noch ſo fern, — daß Er mir freundlich die
Hand aufs klopfende Herz lege und ſich ſeiner Jugend
erinnere. — O wohl mir, daß ich Dich geſehen hab'!
jetzt weiß ich doch, wenn ich ſuche und kein Platz
mir genügt zum Ausruhen, wo ich zu Haus bin und
wem ich angehöre.
Etwas weißt Du noch nicht, was mir eine liebe
Erinnerung iſt, obſchon ſie ſeltſam ſcheint. — Als ich
Dich noch nie geſehen hatte, und mich die Sehnſucht
zu Deiner Mutter trieb, um alles von Dir zu erfor-
ſchen, — Gott, wie oft hab' ich auf meinem Schemel
hinter ihr auf die Bruſt geſchlagen, um meine Ungeduld
zu dämpfen. — Nun: — wenn ich da nach Hauſe kam,
ſo ſank ich oft mitten im Spielen von Scherz und Witz
zuſammen; ſah mein Bild vor dem Deinen ſtehen, ſah
Dich mir nah kommen, und wie Du freundlich warſt
auf verſchiedene Weiſe, und gütig, bis mir die Augen
vor freudigem Schmerz übergingen.
So hab' ich Dich durchgefühlt, daß mich das ſtille
Bewußtſein einer innerlichen Glückſeligkeit vielleicht
manche ſtürmiſche Zeit meines Gemüths über den Wellen
erhalten hat. — Damals weckte mich oft dieſes Bewuß[t]-
[344] ſein aus dem tiefen Schlaf; ich verpraßte denn ein paar
Stunden mit ſelbſterſchaffnen Träumen, und hatte am
End', was man nennt, eine unruhige Nacht zugebracht;
ich war blaß geworden und mager; ungeduldig, ja ſelbſt
hart, wenn eins von den Geſchwiſtern zur Unzeit mich
zu einer Zerſtreuung reizen wollte; dachte oft, daß, wenn
ich Dich jemals ſelbſt ſehen ſollte, was mir unmöglich
ſchien, ſo würde ich vielleicht viele Nächte ganz ſchlaflos
ſein. — Da mir nun endlich die Gewißheit ward, fühlte
ich eine Unruhe, die mir beinah unerträglich war. —
In Berlin, wo ich zum erſtenmal eine Oper von Gluck
hörte (Muſik feſſelt mich ſonſt ſo, daß ich mich von
allem losmachen kann), wenn da die Pauken ſchlugen, —
lache nur nicht — ſchlug mein Herz heftig mit; ich
fühlte Dich im Triumpf einziehen; es war mir feſtlich
wie dem Volk, das dem geliebten Fürſten entgegen zieht,
und ich dachte: „in wenig Tagen wird alles, was Dich
ſo von außen ergreift, in Dir ſelber erwachen! — Aber
da ich nun endlich, endlich bei Dir war: — Traum! jetzt
noch: — wunderbarer Traum! — da kam mein Kopf
auf Deiner Schulter zu ruhen, da ſchlief ich ein paar
Minuten nach vier bis fünf ſchlafloſen Nächten zum
[er]ſten Mal.
Siehſt Du, ſiehſt Du! — da ſoll ich mich hüten
[345] vor Lieb', und hat mir nie ſonſt Ruhe geglückt; aber
in Deinen Armen, da kam der lang' verſcheuchte Schlaf,
und ich hatte kein ander Begehren; alles andre, woran
ich mich angeklammert hatte und was ich glaubte zu
lieben, das war's nicht; — aber ſoll keiner ſich hüten
oder ſich um ſein Schickſal kümmern, wenn er das rechte
liebt; ſein Geiſt iſt erfüllt, — was nützt das andere! —
Wenn ich nun auch zu Dir kommen wollte, würde ich
den rechten Weg finden? Da ſo viele neben einander
herlaufen, ſo denk' ich immer, wenn ich an einem Weg-
weiſer vorübergehe, und bleibe oft ſtehen und bin trau-
rig, daß er nicht zu Dir führt; und dann eil' ich nach
Hauſ' und mein', ich hätte Dir viel zu ſchreiben! —
Ach, Ihr tiefen, tiefen Gedanken, die Ihr mit ihm ſpre-
chen wollt, — kommt aus meiner Bruſt hervor! aber
ich fühl's in allen Adern, ich will Dich nur locken, ich
will, ich muß Dich nur ſehen.
Wenn man bei der Nacht im Freien geht, und hat
die Abendſeite vor ſich: am äußerſten Ende des dunkeln
Himmels ſieht man noch das letzte helle Gewand eines
glänzenden Tags langſam abwärts ziehen — ſo geht
15**
[346] mir's bei der Erinnerung an Dich. Wenn die Zeit noch
ſo dunkel und traurig iſt; weiß ich doch wo mein Tag
untergegangen iſt.
Ich habe ſelten eine Zeit in meinem Leben ſo er-
füllt gehabt, daß ich ſagen könnte ſie ſei mir unvermerkt
verſtrichen; ich fühl' nicht wie andere Menſchen, die ſich
amüſiren, wenn ihnen die Zeit ſchnell vergeht; im Ge-
gentheil, es iſt mir der Tag verhaßt, der mir vergangen
iſt, ich weiß nicht wie. Von jedem Augenblick bleibe
mir eine Erinnerung tief oder luftig, freudig oder ſchmerz-
lich, — ich wehre mich gegen ſonſt nichts, als nur ge-
gen nichts.
Gegen dies Nichts, das einem beinah überall er-
ſtickt!
Vorgeſtern war ein herrlicher Abend und Nacht;
ganz mit dem glänzenden friſchen Schmelz der lebhaf-
teſten Farben und Begebenheiten, wie ſie nur in Roma-
nen gemalt ſind: ſo ungeſtört; der Himmel war beſäet
mit unzähligen Sternen, die wie blitzende Diamanten
[347] durch das dichte Laub der blühenden Linden funkelten;
die Terraſſen, welche an dem Berg hinauf gebaut ſind,
an deſſen Fuß die großen Badehäuſer liegen (die einzi-
gen im engen Thal), haben etwas ſehr feſtliches und ru-
higes durch die Regelmäßigkeit ihrer Hecken, die auf je-
der Terraſſe ein Bosquet von Linden und Nußbäumen
umgeben; die vielen Quellen und Brunnen, die man
unter ſich rauſchen hört, machen es nun gar reizend.
Alle Fenſter waren erleuchtet, die Häuſer ſahen wun-
derbar belebt unter dem dunklen einſamen Wald des
überſteigenden Gebirges hervor. — Die junge Fürſtin
von Baaden ſaß mit der Geſellſchaft auf der unterſten
Terraſſe und trank den Thee; bald hörten wir Wald-
hörner aus der Ferne; wir glaubten's kaum, ſo leiſe, —
gleich antwortet es in der Nähe; dann ſchmetterte es
über uns im Gipfel; ſie ſchienen ſich gegenſeitig zu lok-
ken, rückten zuſammen und in milder Entfernung ent-
falteten ſie die Schwingen als wollten ſie himmelwärts
ſteigen, und immer ſenkten ſie ſich wieder auf die liebe
Erde herab; — das Geplauder der Franzoſen ver-
ſtummte, ein paarmal hörte ich neben mir ausrufen:
délicieux! — Ich wendete mich nach dieſer Stimme:
ein ſchöner Mann, edle Geſtalt und Geſicht, geiſtreicher
Ausdruck, nicht mehr jung, bebändert und beſternt; —
[348] er kam mit mir in's Geſpräch und ſetzte ſich neben mich
auf die Bank. Ich bin nun ſchon gewohnt, für ein
Kind angeſehen zu werden, und war alſo nicht ver-
wundert, daß mich der Franzoſe cher enfant nannte;
er nahm meine Hand und fragte, von wem ich den
Ring habe? — Ich ſagte: von Goethe; comment de
Goethe? — Je le connais; und nun erzählte er mir,
daß er nach der Schlacht von Jena mehrere Tage bei
Dir zugebracht habe, und Du habeſt ihm einen Knopf
von ſeiner Uniform abgeſchnitten, um ihn als Andenken
in deiner Münzſammlung zu bewahren; ich ſagte: und
mir habeſt Du den Ring zum Andenken gegeben, und
mich gebeten, Dich nicht zu vergeſſen. — Et cela vous
a remué le coeur? — Aussi tendrement et aussi pas-
sionnement que les sons, qui se font entendre là haut!
Da fragte er: Et vous n'avez réellement que treize
ans? — Du wirſt wohl wiſſen, wer er iſt, ich habe um
ſeinen Namen nicht gefragt.
Sie blieſen ſo herrlich in den Wald hinein, und
mir zugleich alle weltliche Gedanken aus dem Kopf;
ich ſchlich mich leiſe hinauf, ſo nah als möglich und
ließ mir's die Bruſt durchdröhnen; recht mit Gewalt. —
Der Anſatz der Töne war ſo weich, ſie wurden allmählig
[349] ſo mächtig, daß es unwiderſtehliche Wolluſt war, ſich
ihnen hinzugeben. Da hatt' ich allerlei wunderliche Ge-
danken, die ſchwerlich bei dem Verſtand die Mauth paſ-
ſirt hätten; es war als läg' das Geheimniß der Schöp-
fung mir auf der Zunge. Der Ton, den ich lebendig
in mir fühlte, gab mir die Empfindung, wie durch die
Macht ſeiner Stimme Gott alles hervorgerufen, und
wie Muſik dieſen ewigen Willen der Liebe und der
Weisheit in jeder Bruſt wiederholt. — Und ich war
beherrſcht von Gefühlen, die von der Muſik getragen,
durchdrungen, vermittelt, verändert, vermiſcht und geho-
ben wurden; ich war endlich ſo in mich verſunken, daß
ſelbſt die ſpäte Nacht mich nicht vom Platz brachte.
Das Hofgeſchwirr und die vielen Lichter, von deren
Wiederſchein die Bäume in grünen Flammen brannten,
ſah ich von oben herab verſchwinden; endlich war alles
weg; kein Licht brannte mehr in den Häuſern; ich war
allein in der kühlen himmliſchen Ruhe der Nacht; ich
dachte an Dich! Ach hätten wir doch beiſammen unter
jenen Bäumen geſeſſen, und bei dem Rauſchen und
Plätſchern der Waſſer mit einander geſchwätzt!
[350]
Immer noch hab' ich Dir was zu erzählen; den
letzten Abend am Rhein ging ich noch ſpät in's nächſte
Dorf mit Begleitung; als ich am Rhein hinſchlenderte,
ſah ich von Ferne etwas Flammendes heranſchwimmen;
es war ein großes Schiff mit Fackeln, die zuweilen das
Ufer grell erleuchteten; oft verſchwanden die Flammen;
Minuten lang war alles dunkel; es gab dem Fluß eine
magiſche Wirkung, die ſich mir tief einprägte als Ab-
ſchluß von allem, was ich dort erlebt habe.
Es war Mitternacht, — der Mond ſtieg trüb' auf;
das Schiff, deſſen Schatten in dem erleuchteten Rhein
wie ein Ungeheuer mitſegelte, warf ein grelles Feuer auf
die waldige Ingelheimer Aue, an der ſie hinſteuerten,
hinter welcher ſich der Mond ſo mild beſcheiden her-
vortrug, und allmählig ſich in die dünne Nebelwolke
wie in einen Schleier einwickelte. — Wenn man der
Natur ruhig und mit Bedacht zuſieht, greift ſie immer
in's Herz. Was hätte Gott meine Sinne inniger zu-
wenden können? — was mich leichter von dem Unbe-
deutenden, was mich drückt, löſen können? — Ich
ſchäme mich nicht, Dir zu bekennen, daß dein Bild da-
bei heftig in meiner Seele aufflammte. Wahr iſt's:
[351] Du ſtrahlſt in mich, wie die Sonne in den Kryſtal der
Traube, und wie dieſe kochſt Du mich immer feuriger,
aber auch klarer aus.
Ich hörte nun die Leute auf dem Schiff ſchon deut-
lich ſprechen und zur Arbeit anrufen; ſie ankerten an
der Inſel, löſchten die Fackeln; — nun wurde alles
ſtill, bis auf den Hund der bellte, und die Flaggen, die
ſich in der friſchen Nachtluft drehten. — Nun ging'
auch ich nach Hauſ, zum Schlafen, und wenn Du's
erlaubſt, ſo legte ich mich zu deinen Füßen nieder, und
es belohnte mich der Traum mit Liebkoſungen von Dir,
wenns nicht Falſchheit war.
Wer wollte nicht an Erſcheinung glauben! Be-
glückt mich doch die Erinnerung dieſer Träume noch
heute! Ja ſag: was geht der Wirklichkeit ab? — O
ich bin ſtolz, daß ich von Dir träume; ein guter Geiſt
dient meiner Seele; er führt Dich ein, weil meine Seele
Dich ruft; ich ſoll deine Züge trinken, weil mich nach
ihnen dürſtet; ja, es giebt Bitten und Forderungen,
die werden erhört.
Nun wehr' Dich immer gegen meine Liebe; was
kann Dir's helfen? — Wenn ich nur Geiſt genug
habe! — Dem Geiſt ſtehen die Geiſter bei.
Bettine
[352]
Ich öffne das Siegel wieder, um Dir zu ſagen, daß
ich deinen Brief vom 10. ſeit geſtern Abend in Händen
habe, und habe ihn fleiſſig ſtudirt. — O Goethe, Du
ſagſt zwar, Du willſt keinen Krieg führen, und verlangſt
Friede, und ſchlägſt doch mit dem Primas wie mit einer
Herkuleskeule drein. Mutz' mir doch den Primas nicht
auf! — wenn ich's ihm ſagte, er ſpränge Decken hoch
und verliebte ſich in mich — aber Du biſt nicht eifer-
ſüchtig, Du biſt nur gütig und voll Nachſicht.
Deine Charade hab' ich ſchlaftrunken an's Herz ge-
legt, aber gerathen hab' ich ſie nicht; — wo hätt' ich
Beſinnung hernehmen ſollen? — Mag es ſein, was es
will, es macht mich ſeelig: ein Kreis liebender Worte!
— ſo unterſcheidet man auch nicht Liebkoſungen, man
genießt ſie und weiß, daß ſie die Blüthen der Liebe ſind.
— Ach ich möchte wiſſen, was es iſt:
Was hoffſt Du? — ſag mirs, und wie ſoll die Ge-
liebte Dir heißen? welche Bedeutung hat der Name,
daß Du mit Entzücken ihn nur zu lallen vermagſt? —
[353]
Wer ſind die beide? wer iſt mein Nebenbuhler? in wel-
chen Bild ſoll ich mich ſpieglen? — und mit wem ſoll
ich in deinen Armen verſchmelzen? — ach wie viele
Räthſel in einem verborgen, und wie brennt mir der
Kopf! — Nein, ich kann es nicht rathen; es will nicht
gelingen, mich von deinem Herzen loszureißen und zu
ſpekulieren.
Das thut Dir wohl, daß ich an Dir verglühe, an ſchön
beſchloſſnen Tagen, wo ich den Abend in deiner Nähe
zubringe, und mir auch.
Du ſiehſt, Freund, wie Du mich hinüberrathen läßt in
die Ewigkeit; aber das irdiſche Wort, was der Schlüſ-
ſel zu allem iſt, das kann ich nicht finden.
Aber deinen Zweck haſt Du erlangt, daß ich mich
[354] zufrieden rathen ſolle, ich errathe daraus meine Rechte;
meine Anerkenntniß, meinen Lohn und die Bekräftigung
unſers Bundes, und werde jeden Tag deine Liebe neu
errathen, verbrenne mich immer, wenn Du mich zugleich
umfangen und ſpiegeln willſt in deinem Geiſt, und ver-
eint mit mir, gern genennt ſein willſt.
Wenn Dir die Mutter ſchreibt, ſo macht ſie den
Bericht allemal zu ihrem Vortheil, die Geſchichte war
ſo: Ein buntes Röckchen, mit Streifen und Blumen
durchwürkt, und ein Flormützchen mit ſilbernen Blüm-
chen geſchmückt, holte ſie aus dem großen Tafelſchrank,
und zeigte ſie mir als deinen erſten Anzug, in dem Du
in die Kirche und zu den Pathen getragen wurdeſt. Bei
dieſer Gelegenheit hörte ich die genaue Geſchichte deiner
Geburt, die ich gleich aufſchrieb. Da fand ſich denn
auch der kleine Frankfurther Rathsherr mit der Alonge-
perücke! — ſie war ſehr erfreut über dieſen Fund und
erzählte mir, daß man ſie ihnen geſchenkt habe, wie ihr
Vater Syndikus geworden war. Die Schnallen an den
Schuhen ſind von Gold, wie auch der Degen und die
Perlen-Quaſten am Halsſchmuck ſind echt; ich hätte den
kleinen Kerl gar zu gern gehabt. Sie meinte er müſſe
deinen Nachkommen aufbewahrt bleiben, und ſo kam's,
[355] daß wir ein wenig Komödie mit ihm ſpielten. Sie er-
zählte mir dabei viel aus ihrer eignen Jugend, aber
nichts von Dir; aber eine Geſchichte, die mir ewig wich-
tig bleiben wird, und gewiß das ſchönſte, was ſie zu
erzählen vermag.
Du erfreuſt Dich an der Geſchichte des Myrrthen-
baums meiner Frizlarer Nonne, er iſt wohl die Ge-
ſchichte eines jeden feurig liebenden Herzens. Glück iſt
nicht immer das, was die Liebe nährt, und ich hab'
mich ſchon oft gewundert, daß man ihm jedes Opfer
bringt, und nicht der Liebe ſelbſt, wodurch allein ſie
blühen könnte, wie jener Myrrthenbaum. Es
iſt beſſer, daß man Verzicht auf alles thue, aber die
Myrrthe, die einmal eingepflanzt iſt, die ſoll man nicht
entwurzeln — man ſoll ſie pflegen bis an's
Ende.
Alles was Du verlangſt, hoff' ich Dir noch zu ſa-
gen, Du haſt recht vermuthet, daß mir die Zerſtreuung
hier viel rauben würde, aber dein Wille hat Macht
über mich, und ich hoffe, er ſoll Feuer aus dem Geiſt
ſchlagen. Die Herzogin von Baden iſt fort, aber unſre
Familie ſammt anhängenden Freunden iſt ſo groß, daß
wir ganz Schlangenbad übervölkern. Adieu, ich ſchäme
[356] mich meines dicken Brief's in dem viel Unſinn ſtecken
mag. Wenn Du nicht frei Porto hätteſt, ich ſchickte
ihn nicht ab.
Von der Mutter hab' ich die beſten Nachrichten.
Appendix A
Gedruckt bei Trowitzſch und Sohn in Berlin.
[][][]
(Goethes Werke 2ter Band Seite 11.)
(Goethes Werke 2ter Band Seite 10.)
(Goethes Werke 2ter Band Seite 12.)
(Goethe's Werke, 5ter Band Seite 147 u. 148.)
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CC-BY-4.0
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- Zitationsvorschlag für diese Edition
- TextGrid Repository (2025). Arnim, Bettina von. Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bhqt.0