[]
Sammlung
Critiſcher, Poetiſcher,
und anderer geiſtvollen
Schriften,
Zur Verbeſſerung
des Urtheiles und des Witzes
in den Wercken
der Wohlredenheit und der Poeſie.

Zwoͤlfftes und leztes Stuͤck.


Zuͤrich: ,

Bey Conrad Orell und Comp.1744.
[][[1]]

Critiſche
Unterſuchung,

Wie weit ſich ein Poet des
gemeinen Wahnes und der
Sage bedienen koͤnne.


[[2]][3]

Critiſche
Unterſuchung/

Wie weit ſich ein Poet des gemei-
nen Wahnes und der Sage bedie-
nen koͤnne.


EJn junger, noch ungezogener Schuͤler der
Gottſchediſchen Weltweisheit, der ſich J.
A. K. nennet, hat in einer von denen ge-
wohnten Uebungsſtunden, die unter der Aufſicht
des Hrn. Prof. Gottſcheds gehalten werden, zur
Materie einer Ausarbeitung die critiſche Frage be-
kommen: Wie weit ſich ein Poet des gemeinen
Wahnes und der Sage bedienen koͤnne?
Und
weil dieſe Frage zu eroͤrtern fuͤr einen angehenden
Schuͤler allzuſchwer gefallen waͤre, um ſo viel
mehr, da dasjenige Lehrbuch, deſſen ſich die Schuͤ-
ler des Hrn. Profeſſors bedienen, nemlich die Cri-
tiſche Dichtkunſt fuͤr die Deutſchen,
hieruͤber
gar keinen gruͤndlichen Entſcheid giebt; ſo hat
man ihm aus dem Schrancke der Librorum pro-
hibitorum
Hrn. Breitingers Critiſche Dicht-
kunſt
und Hrn. Alex. Gottlieb Baumgartens
Meditationes philoſophicas, aber dieſe leztern nur in
einem deutſchen Auszuge zu einer Anleitung mit
nach Hauſe gegeben, mit beygefuͤgter ernſtlicher
Warnung, daß er ſich gegen die Heterodoxie des
[Crit. Sam̃l. XII. St.] A 2Brei-
[4]Wie weit ſich ein Poet
Breitingerſchen Buches wohl verwahre, und alles
nach der Glaubens-Analogie der Gottſchediſchen
Schule fleiſſig pruͤffe. Es hat auch dieſer J. A. K.
ſeine Sache ſo wohl ausgefuͤhret, daß Hr. Prof.
Gottſched dieſe Ausarbeitung ſeines Schuͤlers vor
wuͤrdig geachtet, ſie dem XXXſten Stuͤcke ſeiner
Crit. Beytraͤge Art. V. zu einverleiben. Jch ha-
be geſagt, daß J. A. K. noch ein junger und un-
gezogener Menſch ſey; denn ob er mir gleich wei-
ter nicht als aus dieſem critiſchen Verſuche bekannt
iſt, ſo glaube ich gleichwohl nicht ohne die groͤſte
Wahrſcheinlichkeit von ihm, daß er die Kinder-
ſchuhe noch nicht voͤllig zertreten habe. Dieſe
Schrift giebt es uns auf allen Blaͤttern zu erken-
nen, inſonderheit finden wir auf der 259ſten S.
ein rechtes Muſter eines kindiſchen und ungezoge-
nen Weſens:


„Epicurus behauptete, daß der
„Leib der Goͤtter nur quaſi corpus, und ihr Blut
„nur quaſi ſanguis; oder nur ein aͤtheriſcher Leib
„und ein aͤtheriſches Blut ſey, wie ſich Hr. Bod-
„mer von den Miltoniſchen Engeln zwar dunck-
„ler, aber deſto gelehrter ausdruͤckt.
„Ey, das iſt ſchoͤn,

„Der Teufel ſelbſt kans nicht verſtehn!„

Und bald hernach:


„Meine Waͤrterinnen, wenn
„ich etwa vor dem Hauſe mit einer kleinen Stan-
„ge nach der Luft ſtieß, warnten mich recht an-
„daͤchtig: ich ſolte bey Leibe nicht in die Hoͤhe
„ſtoſſen; ich koͤnnte die lieben Engellein todtſte-
„chen. ꝛc.„


Oder wer hat jemals dergleichen
grobe, witzloſe Schertze bey einem wohlgezogenen
Scribenten, der allbereit unter der Naſe trucken
war,
[5]des Wahnes bedienen koͤnne.
war, geleſen? Jch habe fehrner geſagt, daß J.
A. K. ein angehender Schuͤler der deutſchen Welt-
weißheit ſey. Man wird hiervon aus meiner fol-
genden Abhandlung genug uͤberzeuget werden,
jezo will ich zum vorlaͤuftigen Beweiſe deſſen nur die
Stelle Bl. 260. anfuͤhren, wo es heißt:


„Wir
„wiſſen aus der Sittenlehre, daß unſre gantze
„Erkenntniß ihren Urſprung von den Sinnen neh-
„me. Die Erfahrung lehret, wie leicht es ge-
„ſchehen ſey, daß der Gegenſtand, welcher un-
„ſere Sinnen beruͤhren ſoll, zu weit von ihnen ab-
„ſtehe, daß ſich entweder ein gantz undeutliches
„Bild von ihnen in der Seele abdruͤcket; oder
„gar von einem allzueilfertigen Urtheile ein Jrr-
„thum geboren wird. Die Einbildungskraft ſezt
„Bilder und Begriffe zuſammen, welche ſich
„nicht auf einander reimen, es geſchehe nun von
„uns oder von andern.„


Ein Abecedarius in
der Weltweisheit weiß, daß ſo viel als zwo Quel-
len unſrer Erkenntniß ſind, nemlich die Erfahrung
und die Vernunft; und dieſes zwar weiß er nicht
aus der Sittenlehre, ſondern ſchon aus der Ver-
nunftlehre und der Erfahrung: Eben dieſe Ver-
nunftlehre giebt uns auch gantz andern Unterricht
von dem Jrrthum der aus dem Betrug der Sin-
nen entſtehet. Und welcher Menſch weiß, wie er
die lezten worte, es geſchehe nun von uns oder
von andern,
reimen oder verſtehen ſol? Jch
habe endlich geſagt, daß dem J. A. K. zu dieſer
Arbeit die Breitingerſche Dichtkunſt behuͤlflich
geweſen ſey: dieß zeiget ſich aus der Vergleichung
des VIten und IXten Abſchnitts derſelben, mit die-
A 3ſer
[6]Wie weit ſich ein Poet
ſer Schrift, in welcher J. A. K. kaum ein Exem-
pel anfuͤhren kan, das er nicht bey jenem gefun-
den hat: Wiewohl er die Gedancken des Schwei-
zers uͤber dieſe Frage ſo lange verdrehet und ver-
hudelt, bis ſie ihm gantz eigen geworden, und er
endlich aus denſelben den Schweitzer ſelbſt nach
ſeiner Art hat widerlegen koͤnnen. Es will ſich
zwar faſt der Muͤhe nicht loͤhnen, dieſem Schuͤler
ſein Exercitium zu corrigieren, und ich haͤtte es
wuͤrcklich unterlaſſen, wann nicht Hr. Prof. Gott-
ſched
daſſelbe in ſeinen Schutz genommen, und
ihm von dem Ueberfluß ſeines Anſehens einen wich-
tigrn Zuſatz gegeben haͤtte:


„Denn von einem
„ehrlichen Duͤnnehaupt wird man nicht ſo leicht
„die Verfuͤhrung junger Leute zu beſorgen haben.
„Wie leicht iſt es hingegen nicht, ſich in die
„Fehler eines Mannes zu verlieben, von dem wir
„nichts als eine Anpreiſung lauter Schoͤnheiten
„gehoͤret haben?„


Nach der Anmerckung eines
von den Greifswaldiſchen Geſellſchaftern Bl. 193.
des erſten Bandes.


J. A. K. koͤmmt nach einer muͤheſamen und
recht ſchuͤlerhaften Vorbereitung zulezt auf der
260ſten Seite auf die Erklaͤrung des Wahnes,
die er ſeiner Eroͤrterung zum Grund legt; und
dieſe Erklaͤrung koͤmmt doch noch welſch genug her-
aus:


„Der Wahn iſt eine ungewiſſe Erkennt-
„niß von einem Dinge, die aber doch von ſeinem
„Beſitzer fuͤr gewiß und untruͤglich gehalten wird.
„Wir erkennen leicht, wie weit er von der Mey-
„nung
unterſcheiden ſey: Bey einer Meynung
„laͤßt man es dahin geſtellt ſeyn, ob ſie wahr
„oder
[7]des Wahnes bedienen koͤnne.
„oder irrig ſey; welches ſich bey dem Wahne
„gantz anders verhaͤlt.„


J. A. K. redet in dieſer
Erklaͤrung von einem Beſitzer des Wahnes; alſo
wird nach ihm der Wahn auch inter dominia re-
rum
oder zu dem Eigenthum zu rechnen ſeyn: da
man ſonſt bisdahin geglaubt hat, daß man von
dem Wahne eher koͤnne beſeſſen werden. Er
ſagt, der Wahn ſey die Erkenntniß von einem
Dinge, die fuͤr gewiß und untruͤglich gehalten
werde, und doch ungewiß ſey;
nemlich nicht in
Anſehung deſſen, der ſie fuͤr wahr und untruͤglich
haͤlt, denn ſo muͤßte dieſer einerley Erkenntniß zugleich
fuͤr gewiß und ungewiß halten: ſondern in Anſe-
hung der Erkenntniß eines andern. Folglich will
dieſe Erklaͤrung ſo viel ſagen: der Wahn ſey,
wenn ich z. E. fuͤr wahr und untruͤglich halte, was
ein anderer ungewiß erkennt, oder nicht weiß, ob
es wahr oder falſch ſey. Allein ſo lang ein ande-
rer ſelbſt ungewiß iſt, ob etwas wahr oder falſch
ſey, wie kan er meine Meynung fuͤr einen Wahn
halten? Der Wahn hat allezeit eine Beziehung
auf eine andere gruͤndlichere Einſicht und Erkennt-
niß, ohne dieſelbe koͤnnte niemahls kein Wahn
entdeckt werden. Sehet welche Ungewißheit und
Verwirrung! Wer die ſtoltze Vorbereitung
und die prahlerhafte Erzehlung, wie er auf die
Entdeckung dieſer Erklaͤrung gekommen, lieſet, dem
muß das Parturiunt montes, naſcetur ridiculus Mus
in den Sinn kommen. Es ſtehet aber J. A. K.
bey dieſer ungluͤcklichen Entdeckung nicht ſtille,
ſondern er waget ſich ferner den Unterſcheid zwi-
ſchen dem Wahne und einer Meynung anzuzei-
A 4gen.
[8]Wie weit ſich ein Poet
gen. Er ſagt:


„Bey einer Meynung laͤßt man
„es dahin geſtellt ſeyn, ob ſie wahr oder irrig
„ſey, welches ſich bey dem Wahne gantz anders
„verhaͤlt.„


Hiemit waͤre nach J. A. K. eine
Meynung eine ungewiſſe Erkenntniß, es ſey,
daß der Beſitzer derſelben ſie fuͤr wahr oder ir-
rig haͤlt.
Seine Meynung von etwas geben, iſt
folglich, etwas daher ſagen, von dem ich ungewiß
bin, ob es moͤchte wahr oder irrig ſeyn, welches
ich auch dahin geſtellt ſeyn laſſe: da doch nach
dem gemeinen Gebrauche dieſes Worts, derjenige,
der ſeine Meynung uͤber etwas erklaͤret, ſagt, was
er fuͤr wahr, gut und nuͤtzlich halte; etwas gut
heiſſet oder verwirft.


Da der groſſe deutſche Weltweiſe dieſes finſtere
Galimathias ſelbſt vor etwas wohl erſonnenes hal-
ten muß: ſo will ich ihn und ſeinen Schuͤler, wo
moͤglich, aus ihrer Verwirrung auf ordentlichere
Gedancken fuͤhren. Ein Jrrthum iſt, wenn ei-
ner etwas, das an ſich ſelbſt betrachtet wahr iſt,
fuͤr falſch, oder das an ſich ſelbſt betrachtet falſch
iſt, fuͤr wahr haͤlt. So lange einer etwas fuͤr
wahr anſiehet, ſo kan er ſich daſſelbe unmoͤglich
zugleich als falſch vorſtellen; und ſo lange er et-
was fuͤr falſch anſiehet, ſo wird er ſich daſſelbe un-
moͤglich als wahr vorſtellen koͤnnen. Der Jrr-
thum wird demnach allemahl durch eine gruͤndli-
chere Erkenntniß des Wahren oder des Falſchen
entdeckt und vertrieben. Ein Wahn iſt, wenn
einer dasjenige, was an ſich ſelbſt betrachtet un-
gewiß iſt, fuͤr gewiß haͤlt. Ungewiß nenne ich,
was noch zur Zeit nicht genugſam erwieſen iſt, oder
erwie-
[9]des Wahnes bedienen koͤnne.
erwieſen werden kan. Und was ungewiß iſt, kan
demnach bey dem Zuwachs eines mehrern Lichts
der Erkenntaiß wahr, oder falſch und irrig befun-
den werden. Befindet man bey genauerer Einſicht
und Unterſuchung einer Sache, daß der vorgefaßte
Wahn von derſelben ohnbegruͤndet und darum irrig
und falſch iſt, ſo ſagt man mit Recht, das ſey bis-
dahin ein irriger Wahn geweſen, weil ſich nem-
lich iezund offenbar zeiget, daß der Wahn, den
man von einer Sache gefaſſet hatte, Jrrthum iſt.
Befindet ſich aber in der Unterſuchung das Ge-
gentheil, nemlich daß der Wahn, den man von
einer Sache gehabt, wuͤrcklich nicht ohne zurei-
chenden Grund, folglich gewiß und wahr iſt, ſo nen-
net man ihn ſchlechtweg einen Wahn, weil man das-
jenige bisdahin ohne genugſamen Grund fuͤr wahr
und gewiß gehalten, was zwar als wahr befun-
den wird; das man aber nichts deſtoweniger auch fuͤr
wahr gehalten haͤtte, wenn es gleich in der naͤhe-
ren Unterſuchung als falſch waͤre befunden worden.
Der Wahn entſpringet hiemit aus einem uͤbereil-
ten Urtheil von Sachen, die man nicht genugſam
unterſucht und gepruͤffet hat, deren Wahrheit oder
Falſchheit man nicht erkennet, da man den Schein
fuͤr das Weſen nimmt, und wo man vernuͤnftiger
Weiſe ſein Urtheil zuruͤckhalten ſollte. Eine Mey-
nung
iſt endlich, wenn man in zweifelhaften Sa-
chen und Faͤllen nach gewiſſen Wahrſcheinlichkei-
ten etwas als ſicherer, beſſer und nuͤtzlicher bey
ſich feſt ſetzet: Wo dieſe Wahrſcheinlichkeiten, nach
welchen ſich unſre Meynungen richten, fehl ſchla-
gen oder nicht eintreffen, da kan unſre Meynung
betriegen.


A 5Man
[10]Wie weit ſich ein Poet

Man vergleiche nun mit dieſen Saͤtzen und Er-
klaͤrungen, was J. A. K. ſonderlich Bl. 263. von
dem wahren Wahne fuͤr neue Entdeckungen ge-
machet haben will, und ſehe, wie uͤbel es in die-
ſem Kopf muß aufgeraͤumt ſeyn, und wie zuver-
ſichtlich dieſer arme Stuͤmper die Sprache der
groͤſten Erfinder in dem Munde fuͤhret, und ſich
kaum enthalten kan, uͤberlaut auszuruffen, εὕϱηκα,
εὕϱηκα! Von dieſem wahren Wahne ſagt er:


„Es klingt etwas fremde: allein ich bin dadurch
„darauf gebracht worden, weil man in dem ge-
„meinen Leben immer noch das Beywort Falſch
„bey dem Wahne gebraucht, wenn man willens
„iſt, eine irrige und unrichtige Erkenntniß anzu-
„deuten. Es koͤnnte vielleicht ſeyn, daß dieß
„Wort vor Zeiten zu den mittlern Woͤrtern
„gehoͤret, und eben ſo wohl eine gute als boͤſe
„Bedeutung gehabt; welche aber hernach verlo-
„ren gegangen. Der gute Geſchmack wuͤrde zu
„dieſer Art des Wahnes fuͤglich koͤnnen gerech-
„net werden. Doch es mag dieſes einer reifern
„Ueberlegung heimgeſtellet ſeyn.„


Eine gantz un-
erhoͤrte Entdeckung des wahren Wahnes! Denn
da es einen falſchen und irrigen Wahn giebt, ſo
kan es ja nicht anders ſeyn, es muß auch einen
wahren Wahn geben. Trefflich wohl geſchloſ-
ſen! Und das Woͤrtgen Wahn muß vor Zeiten
eine gute Bedeutung gehabt haben, es wird nem-
lich entweder eine gruͤndliche Erkenntniß des Wah-
ren und des Falſchen bedeutet haben, oder man
mag vor Zeiten ein uͤbereiltes Urtheil ohne Unter-
ſuchung fuͤr was gutes angeſehen haben. Neben
dem
[11]des Wahnes bedienen koͤnne.
dem haben wir hier ein aufrichtiges Bekenntniß
von einem qualificierten Oberdeutſchen aus der
Gottſchediſchen Schule ſelbſt, was von dem guten
Geſchmack
dieſer Schule zu halten ſey, nemlich
daß er ein blindes Gluͤck und Ungefehr im Urthei-
len von dem Schoͤnen und Haͤßlichen einer Schrift,
ein bloſſer Wahn, der ohne Verſtand und Ein-
ſicht oͤfters das Gute und Schoͤne gutheiſſet, aber
eben ſo wenig weiß, warum er etwas gutheiſſet,
als warum er etwas verwirfft; hiemit ein blindes
Loos ſey, welches, wenn es von ungefehr richtig ein-
trift, einen eben ſo guten Geſchmack haben muß,
als der Hr. Prof. Gottſched ſelbſt. Sollte
man nicht einen ſolchen unwiſſenden Stoͤltzling zu-
vor noch in die Schule verweiſen, um in ſeinem
Compendio logico erſt noch recht zu lernen, was
opinio, was opinio vera \& falſa waͤre, ehe man
ihm geſtatten wuͤrde, als ein Lehrer und Kunſt-
richter aufzutreten, und ſich anzuſtellen, als ob er
neue Wahrheiten entdecken wolle.


Noch mehr aber verraͤth J. A. K. ſeine Un-
wiſſenheit, wenn er auf der 262. Seite bey An-
laß der Eintheilung des Wahns in ſeine Claſſen,
in den unmoͤglichen, unwahrſcheinlichen, und
wahrſcheinlichen, den Wahn mit den Erdich-
tungen
vermenget, und was Hr. Baumgarten,
u. Hr. Breitinger Bl. 135. ſeiner Dichtk. von dieſen
geſagt haben, ohne Unterſcheid auf jenen zeuhen will.
Jedermann verſtehet, was eine moͤgliche, eine
wahrſcheinliche, eine wahre; was im gegentheil
eine unmoͤgliche, eine unwahrſcheinliche, eine
falſche Erdichtung ſey: Eine Erdichtung iſt
nem-
[12]Wie weit ſich ein Poet
nemlich, wenn wir durch eine willkuͤhrliche Zu-
ſammenſetzung der Bilder neue Vorſtellungen er-
ſchaffen: Dieſe Zuſammenſetzung iſt entweder
ſchlechterdings unmoͤglich, wo man ſolche getrenn-
te Bilder zuſammenordnet, die einander wider-
ſprechen, und mit einander weſentlich ſtreiten; die
darum Herr Baumgarten Utopiſche Erdichtun-
gen genennet hat, weil ſie in keinem moͤglichen Zu-
ſammenhange der Dinge Platz haben koͤnnen, ja
nicht einmahl koͤnnen gedacht werden. Oder die
Zuſammenſetzung der Erdichtung iſt moͤglich; Al-
les was moͤglich iſt, hat ſchon einige Wahrſchein-
lichkeit, und gehoͤret entweder zu dem gegenwaͤrti-
gen Zuſammenhang der Dinge, oder zu einem an-
dern moͤglichen Zuſammenhang. Jſt das erdichtete
Moͤgliche in der gegenwaͤrtigen Welt moͤglich, ſo
iſt es eben darum, weil es ohne Widerſpruch in
dieſer Welt wuͤrcklich ſeyn koͤnnte, wahr: Jſt es
aber in einer andern Welt moͤglich, ſo iſt es eben
darum, weil es nicht unmoͤglich iſt, und doch mit
der gegenwaͤrtigen Ordnung der Dinge nicht voͤl-
lig uͤbereinſtimmet, wahrſcheinlich, oder eine he-
terocoſmiſche Erdichtung.
Zu einer Erdich-
tung
wird demnach uͤberhaupt nicht mehr erfor-
dert, als daß ſie moͤglich ſey: Der Erdichtung ſte-
het nicht die Wahrheit, ſondern das Unmoͤgliche
entgegen; denn die Wahrheit oder das Wirckliche
gehoͤret mit dem Moͤglichen unter ein Geſchlecht.
Aber der Wahn wird einer ſichern und begruͤndten
Erkenntniß des Wahren und Falſchen entgegen ge-
ſetzet: Der Wahn gehet nicht bloß auf die Moͤg-
lichkeit der Dinge, ſondern er wird erkennt und
entde-
[13]des Wahnes bedienen koͤnne.
entdecket, wenn man gruͤndlich zeigen und erwei-
ſen kan, daß dasjenige, was man bisdahin un-
begruͤndter Weiſe vor wahr gehalten, im Grunde
entweder wahr oder falſch ſey. Wie iſt es denn
moͤglich, daß man Sachen, die in ihrer Natur
ſo ſehr von einander unterſchieden ſind, mit einan-
der vermiſchet, und der einen diejenigen Eigen-
ſchaften beylegen will, die der andern zugehoͤren;
zumahlen da auch der eingefuͤhrte Sprachgebrauch
ſolches kaum erlauben will? Denn da der Wahn
allezeit ein unbegruͤndetes Urtheil zum Grund hat,
ohne Grund und Einſicht aber urtheilen, unver-
nuͤnftig gehandelt iſt, ſo kan der Wahn, als ein
ſolcher betrachtet, niemahls wahr ſeyn; oder er
muͤßte gantz uneigentlich wahr genennet werden,
in der bloſſen Abſicht, weil dasjenige, was man
ohne Grund ſich fuͤr wahr einbildet, eben ſo wohl
wahr, als falſch ſeyn kan. Eben ſo moͤgte ich wohl
hoͤren, wie man mir deutlich erklaͤren wolte, was
ein wahrſcheinlicher Wahn ſey, wenn man ihn
nicht mit einer unwahrſcheinlichen Erdichtung
vermiſchen will: Der Wahn vergnuͤget ſich immer
mit bloſſen Wahrſcheinlichkeiten, und ſein Weſen
beſtehet darinnen, daß dasjenige, was einer ohne
weitere Unterſuchung fuͤr wahr annimmt, ihm eben
nicht unwahrſcheinlich vorkoͤmmt, ob ſich gleich ſein
Urtheil nur auf einen betruͤglichen Schein der Wahr-
heit gruͤndet. Wollte man ſagen, der Wahn
ſey dannzumahlen unwahrſcheinlich, wenn ein an-
derer fuͤr unwahrſcheinlich erkennt, was dieſer fuͤr
gewiß haͤlt, ſo habe ich ſchon oben erwieſen, daß
eine bloſſe Unwahrſcheinlichkeit einen Wahn weder
ent-
[14]Wie weit ſich ein Poet
entdecken, noch ſtuͤrtzen kan. Eine Erdichtung
kan freylich zu einem Wahne, der ſich nach und
nach ausbreitet, Anlaß geben; aber darum iſt
die Erdichtung mit dem Wahne nicht einerley. Am
meiſten aber verraͤth ſich der groſſe Unverſtand und
die Unbedachtſamkeit des J. A. K. wenn er von
einem heterocosmiſchen Wahne, d. i. von un-
begruͤndten Urtheilen redet, die nicht in der wirck-
lichen, ſondern in einer andern moͤglichen Welt
Statt haben, und den wahrſcheinlichen Wahn
von demſelben unterſcheidet; welches daher ruͤhret,
weil er nicht gemerckt, daß Herr Baumgarten
die wahrſcheinliche und die heterocosmiſche Erdich-
dichtung fuͤr eins haͤlt. Jm uͤbrigen iſt freylich
wahr, daß zuweilen ein gantz unvernuͤnftiger und
widerſprechender Satz ein allgemeines Anſehen er-
langen kan, inſonderheit wenn er von dem Aber-
glauben unterſtuͤtzet wird: Allein dieſes ruͤhret kei-
neswegs von dem Wahne her, in ſo ferne er als
ein ſolcher betrachtet wird; ſondern von dem Jrr-
thum, der mit einem falſchen Wahne immer ver-
knuͤpfet iſt; denn der Jrrthum ſtreitet etwann mit
denen erſten Grundwahrheiten, die kein Vernuͤnf-
tiger in Zweifel ziehet; etwann aber mit andern da-
von hergeleiteten Saͤtzen, ſo daß er um etwas ver-
ſteckt iſt, und nicht ſo geſchwind einem jeden in
die Augen leuchtet; allein da die Falſchheit alle-
mahl mit der Wahrheit im Widerſpruch ſtehet,
ſo kan ein irriger Wahn niemahls moͤglich ſeyn.


So ungluͤcklich aber J. A. K. in ſeinen Lehrſaͤtzen
iſt, eben ſo ausſchweifend iſt er in ſeinen Exem-
peln und der Anwendung derſelben: Er fuͤhret auf
der-
[15]des Wahnes bedienen koͤnne.
derſelben oben angezogenen 262ſten S. den Wahn
von den ſichtbaren Coͤrpern der Goͤtter an, und
ſagt davon:


„Es ſey ſchlechterdings unmoͤglich,
„daß Weſen von den vortrefflichſten Eigenſchaf-
„ten, welche man als Goͤtter verehrte, die menſch-
„liche, als eine ſehr unvollkommene Geſtalt an
„ſich haben ſollten.„


Er muß nicht bedacht ha-
ben, daß die H. Schrift von vielen Erſcheinun-
gen des wahren Gottes Jſraels unter ſichtbarer
Geſtalt ſo oft Meldung thut; daß er die Vereini-
gung der Goͤtter mit der menſchlichen Geſtalt fuͤr
an ſich ſelbſt und ſchlechterdings unmoͤglich aus-
giebt: Denn was an ſich ſelbſt und ſchlechterdings
unmoͤglich iſt, das kan niemals, auch nicht fuͤr
eine kleine Zeit moͤglich werden, ſondern bleibet
allezeit ungereimt und widerſprechend. Es iſt in
Wahrheit nicht zu begreiffen, daß ein gewaltiger
Lehrer, der ſelbſt eine deutſche Weltweißheit ge-
ſchrieben hat, dergleichen unbeſtimmte, verworre-
ne, unvernuͤnftige Saͤtze an einem Schuͤler ohne
Verdruß ſollte dulden, geſchweige noch ſelbſt billi-
gen, und der Welt als etwas leſenswuͤrdiges vor-
legen duͤrfen.


Wenn nun J. A. K. ferner auf der 243. u. f.
Seite das Recht des Poeten uͤber den Wahn zu-
folge der gemachten Eintheilung beſtimmen will,
ſo redet er faſt immer unter dem Nahmen des
Wahns von den Erdichtungen, und dieſes ver-
leitet und ſtuͤrtzet ihn in ein unverſtaͤndiges, weit-
laͤuftiges Gewaͤſche, wo weder Ordnung, noch
Deutlichkeit zu finden iſt. Er leitet die Einſchraͤn-
kung der Gewalt des Poeten uͤber den Wahn,
oder
[16]Wie weit ſich ein Poet
oder vielmehr uͤber die Erdichtung daher, daß die
Poeſie in einer Nachahmung der Natur be-
ſteht, und ein Poet ihre Grentzen niemals uͤber-
ſchreiten darf, ohne einen Fehler zu begehen:

Er machet daraus den Schluß, daß ein Poet ſich
des Wahnes nicht ſchlechterdings bedienen
duͤrfe, wenn er unmoͤglich oder unwahrſchein-
lich iſt.
Es gehoͤret nemlich zu der Natur, und
muß uͤberhaupt als wahrſcheinlich angeſehen wer-
den, was durch die unendliche Kraft des Schoͤ-
pfers der Natur moͤglich iſt, hiemit alles, was
mit denen erſten und allgemeinen Grundſaͤtzen, auf
welchen alle Erkenntniß der Wahrheit beruhet, in
keinem Widerſpruche ſtehet: Was hingegen mit
denſelben ſtreitet, das hat auch in der Macht des
Schoͤpfers keinen Grund der Wahrheit, iſt alſo
ſchlechterdings unmoͤglich, und kan nicht einmal
gedacht werden: Und folglich haͤtte J. A. K. ſchlieſ-
ſen ſollen, daß unmoͤgliche und utopiſche Erdich-
tungen in keinem Gedichte jemahls zu gebrauchen
ſeyn, es ſey dann daß der Poet ſich mit Fleiß laͤ-
cherlich machen wolle. Aber eine gantz andere
Bewandtniß hat es mit dem Wahne: Ein Wahn
iſt ein unbegruͤndetes Urtheil von einer Sache,
welches die Unvernunft gezeuget, und der Aber-
glaube in Anſehen gebracht hat. Ein irriger
Wahn, der die Welt jemahls beherrſchet, hat,
ſo lange er nicht von einer beſſer erkannten Wahr-
heit verdrungen wird, das Anſehen und die Macht
der Wahrheit ſelbſten; und auch nachdem er ſein
Anſehen wircklich verlohren hat, und fuͤr irrig er-
kennt wird, behaͤlt er noch immer eine hiſtoriſche
Wahr-
[17]des Wahnes bedienen koͤnne.
Wahrheit; er mag an ſich ſelbſt ſo ungereimt und
widerſprechend ſeyn, als er immer will, weil doch
einmal Menſchen geweſen ſind, die denſelben fuͤr
wahr gehalten haben. Da nun ein Poet in den
vornehmſten Stuͤcken der Poeſie, nemlich in dra-
matiſchen und epiſchen Gedichten, entweder gar
nicht, oder doch ſehr ſparſam in ſeinem eigenen
Nahmen redet; ſondern groͤſtentheils fremde Per-
ſonen redend einfuͤhret, ſo iſt er nicht befugt ihnen
ſeine eigenen, obgleich vernuͤnftigern und beſſern
Gedancken und Urtheile von den Sachen zu leihen,
ſondern er muß ſie reden und urtheilen laſſen, wie
es ihr Character, ſo ferne er aus der Hiſtorie be-
kannt iſt, oder das Licht der damahligen Zeiten
wahrſcheinlich mit ſich bringt. Ein Wahn, er
mag uͤbrigens noch ſo gottloß und irrig ſeyn, weil
er eine hiſtoriſche Wahrheit hat, gehoͤret nicht in
Utopien, ſondern in die gegenwaͤrtige wuͤrckliche
Welt, laut dem bekannten Spruͤchwort: Es
koͤnne nichts ſo ungereimtes und widerſinniges er-
dacht werden, das nicht ſelbſt einer von den Phi-
loſophen jemals ſollte gelehret haben. Von ſolcher
Art iſt das Exempel der Biblis, welches J. A. K.
auf der 266. Seite aus Ovidius anfuͤhret. Jch
ſchaͤme mich faſt die elenden Anmerckungen, wo-
mit er ſeine Critick zu rechtfertigen ſuchet, zu be-
ruͤhren: Das vornemſte koͤmmt wohl darauf an,
daß er behaupten will, ein vernuͤnftiger und tugend-
liebender Scribent oder Poet koͤnne ohne Verle-
zung ſeines Gewiſſens, und ohne den Verdacht,
daß er der Wahrheit und Tugend nicht allzu gewogen
ſey, keine gottloſe Perſonen und Character auf-
[Crit. Sam̃l. XII. St.] Bfuͤh-
[18]Wir weit ſich ein Poet
fuͤhren, weil er ihnen der Wahrſcheinlichkeit ge-
maͤß keine andere als gottloſe und leichtfertige Re-
den in den Mund geben koͤnnte. Jch will dieſen
ſcheinheiligen Lehrſatz, der die Zulaſſung des Boͤ-
ſen in der Welt gleichſam meiſtert, und die mei-
ſten Stuͤcke in Hrn. Gottſcheds deutſcher Schau-
buͤhne zugleich verdammet, nicht anders widerle-
gen, als daß ich J. A. K. erinnern will, daß die
H. Schrift ſelbſt, ohne einige Befleckung ihrer
Heiligkeit, dieſe Wahrſcheinlichkeit beobachtet,
daß ſie hin und wieder gottloſe Menſchen, ia ſelbſt
Teufel auffuͤhret, denen ſie ihrem Character ge-
maͤß unvernuͤnftige, ja laͤſterliche Reden beyleget.
Nach des J. A. K. Lehrſatz iſt ſie nicht zu ent-
ſchuldigen, daß ſie dieſe Nachbildungen nicht weg-
gelaſſen hat. Die Poeſie iſt eine Nachahmung
der Natur in dem Wircklichen, wie in dem Moͤg-
lichen: da nun Thorheit, Aberglauben, Gottlo-
ſigkeit, nicht nur moͤglich ſind, ſondern die Welt
wircklich beherrſchen, die Wahrheit und Tugend
verfolgen, und ſo fern ſie koͤnnen, unterdruͤcken;
ſo hoͤret die Poeſie auf zu ſeyn, was ſie iſt, wenn
ſie die Natur nur in einem kleinen Theil des Wuͤrck-
lichen nachahmen darf. Jm uͤbrigen findet J. A. K.
ſeine voͤllige Abfertigung in Hrn. Breitingers Crit.
Dichtkunſt
Bl. 339. wo es heißt:


„Jndeſſen iſt
„in dem Gebrauche dieſes Kunſtgriffes groſſe Be-
„hutſamkeit noͤthig; ich wollte nicht, daß die
„Poeſie mißbraucht wuͤrde, den Aberglauben
„in ſeinen abentheurlichen Traͤumen zu beſteif-
„fen, und dieſelben noch weiter auszubreiten.

„Der Poet muß ſich freylich die Hiſtorie des Aber-
„glau-
[19]des Wahnes bedienen koͤnne.
„glaubens und die verſchiedenen Meynungen, die
„von Zeit zu Zeit einen allgemeinen Glauben bey
„den Leuten erhalten haben, bekannt machen,
„damit er das Wunderbare in ſeinen Vorſtel-
„lungen nach Beſchaffenheit der Materie alle-
„mahl auf ſolche Meynungen gruͤnden koͤnne, die
„zu der Zeit,
da die Perſonen, die er auffuͤh-
„ret, gelebet, einen durchgaͤngigen Beyfall ge-
„habt hatten. Die Meynung, die er ihnen zu-
„ſchreibet, muß zu derſelben Zeit allgemein gewe-
„ſen ſeyn, keine geſchickter erklaͤrte und beſſer be-
„kannte Wahrheiten muͤſſen damahls mit ihr im
„Widerſpruche gelegen haben, ſonſt wuͤrden dieſe
„wunderbaren Vorſtellungen alle Glaubwuͤrdig-
„keit verlieren, und alſo gantz abentheurlich wer-
„den.„


Man kan auch mit Nutzen nachleſen,
was ferner hieruͤber auf der 340. und etlichen fol-
genden Seiten gruͤndlich ausgefuͤhrt worden. Was
endlich die Beſchuldigung und Entſchuldigung der
alten Poeten, Homers und Virgils, wegen der
Fabeln von ihren Goͤttern anbelanget, ſo muß J.
A. K. noch erweiſen, 1. daß dieſe Dichter uͤber
die Goͤtterhiſtorie mehr Erleuchtung gehabt haben,
als das Volck, und beſtimmen, wie deutlich ſie
den gemeinen Jrrthum des Aberglaubens eingeſe-
hen haben? Denn ſo lange der unvernuͤnftige
Wahn von mehr als einer Gottheit nicht abgele-
get iſt, ſo kan ich nicht wohl abſehen, wie man
ſollte unfaͤhig ſeyn, allen andern abentheurlichen
Erzehlungen Glauben zuzuſtellen, zumahl wenn
ihnen der Aberglauben das Anſehen heiliger Ge-
heimniſſe zuleget. 2. Muß er erweiſen, daß die
B 2Alle-
[20]Wie weit ſich ein Poet
Allegoriſchen Abſichten, die ihnen von alten und
neuen, heidniſchen und chriſtlichen Kunſtrichtern
zugeſchrieben werden, ſchlechterdings unmoͤglich
ſeyn. 3. Da Homer und Virgil aͤltere Geſchich-
ten zum Grund ihrer Gedichte genommen, ſo muͤß-
te gezeiget werden, daß ſie ohne Verletzung der
Wahrſcheinlichkeit, denſelbigen Zeiten mehrere Er-
leuchtung haͤtten zutheilen koͤnnen und ſollen, als
ſie nicht gehabt haben. Und endlich 4. ſtehet noch
unerlaͤutert, wie weit ein Poet, insbeſondere ein
epiſcher Dichter, der den Jrrthum des herrſchen-
den Aberglaubens ſeiner Zeiten in einigen Stuͤcken
einſiehet, geſchickt ſey, unter einem Haufen aber-
glaͤubiſcher Goͤtzendiener zugleich das Anſehen eines
guten und glaubwuͤrdigen Dichters und eines Ver-
fechters einer geſunden Theologie zu behaupten;
denn davon iſt auf der 161. Seite der Breitinger-
ſchen Dichtkunſt die Frage; nicht aber wie J. A. K.
die Worte haͤmiſcher Weiſe verkehret, als ob Hr.
Breitinger ſo gar zu einer Pflicht der alten Poe-
ten gemacht habe, der Theologie des Poͤbels
gemaͤß zu reden,
uͤber welchen beſondern Glau-
ben J. A. K. ſich nicht genug verwundern kan.
Aber dieſer ungeſchickte Schuͤler zeiget eben dadurch,
daß er zwiſchen einer moraliſchen und einer phy-
ſicaliſchen Nothwendigkeit noch keinen Unterſcheid
zu machen wiſſe; Hr. Prof. Breitinger hat an
dem angezogenen Orte den Homer in der Noth-
wendigkeit betrachtet, in welcher er geſtanden, ſei-
ne erleuchtetern Begriffe, wenn er je dergleichen
gehabt, dem Vorſatz, das Anſehen eines epiſchen
Dichters zu erwerben, aufzuopfern: Dieſe Noth-
wen-
[21]des Wahnes bedienen koͤnne.
wendigkeit fuͤhret er theils aus der Natur der Dich-
tung her, die ſich an dem bloß Wahrſcheinlichen
begnuͤget, und um das philoſophiſche Wahre faſt
gaͤntzlich unbekuͤmmert iſt; theils von der Beſchaf-
fenheit derjenigen, denen er durch ſein Gedicht zu
gefallen ſuchte. Dieſes verkehret nun J. A. K.
nach ſeinem boshaften Unverſtand in eine Pflicht,
und dichtet Hrn. Breitinger an, als ob er geſagt
haͤtte, Homer waͤre ſchuldig geweſen, auch bey ei-
ner mehrern Erleuchtung, dem thoͤrichten Aber-
glauben ſeiner Zeiten nachzugeben, nur damit er
ſeinen erzoͤrnten Lehrmeiſter hinter der Wand durch
ein heuchleriſches Aergerniß an der ihm ſo verhaß-
ten Schweitzeriſchen Dichtkunſt raͤchen koͤnne.


Wenn nun J. A. K. ferner auf der 268 Seite
nach ſeiner ſcharfſinnigen Eintheilung zu der an-
dern Gattung des Wahns, den er zwar moͤglich,
aber unwahrſcheinlich genennt hat, fortgehen ſoll,
ſo weiß er ſich faſt nicht mehr fortzuhelfen; er wird
es ſelbſt gewahr, daß er mit dem moͤglichen und
dabey unwahrſcheinlichen Wahne gantz ſtecken
bleibt, und thut daher einen Abſprung auf die he-
terocosmiſchen oder wahrſcheinlichen Erdichtun-
gen, die man auf einen Wahn ſteifen kan, der
bloß moͤglich iſt,
welches aber keinen Verſtand
hat, und ſich ſelbſt offenbar widerſpricht: Denn
ein wuͤrcklicher Wahn, auf den ich eine Erdich-
tung gruͤnden ſoll, kan ja nicht bloß moͤglich ſeyn:
Und ein irriger Wahn von dem Moͤglichen iſt,
wenn ich vor moͤglich halte, was an ſich ſelbſt un-
moͤglich und utopiſch iſt; und eine Erdichtung,
die auf einen ſolchen Wahn gegruͤndet iſt, waͤre
B 3dem-
[22]Wie weit ſich ein Poet
demnach unmoͤglich und utopiſch, und gehoͤrte zu
der erſten Claſſe. Zudem hat das Moͤgliche ſchon
einen Grad der Wahrſcheinlichkeit, und kan alſo
nicht ſchlechterdings unwahrſcheinlich und doch zu-
gleich moͤglich ſeyn. Was iſt ſichs dann zu ver-
wundern, daß die gantze Abhandlung von dieſer
zweiten Eintheilung in dieſen wenigen Worten be-
ſtehet: Von einer ſolchen Art (nemlich der moͤg-
lichen
und wahrſcheinlichen Erdichtungen)
waͤre mir faſt keine bekannt, man wollte denn
Guͤllivers oder Klimms Reiſen dahin rechnen.

Wohin rechnet denn der gute Menſch die Aeſopi-
ſchen Fabeln? Damit ich von ſo vielen emblema-
tiſchen und allegoriſchen Stuͤcken in der alten My-
thologie, in Homers und Ovidius Gedichten, dies-
mahlen nichts ſage, weil dieſes Sachen ſind, die
dem armen Stuͤmper zu hoch ſind. Jch rathe ihm
alſo wohlmeynend, daß er Hrn. Prof. Breitin-
gers
Abhandlung von der Fabel mit Verſtand
durchleſe, ſo wird er finden, daß dieſes vornehme
Stuͤck der Dichtung, weder zu den wahren Er-
dichtungen, noch zu den utopiſchen gehoͤret: denn
aus ſeiner Gottſchediſchen Dichtkunſt hat er ſol-
ches bisher nicht lernen koͤnnen.


Nicht deutlichere Begriffe, aber wohl eben ſo
viel Boßheit zeiget dieſer J. A. K. wann er auf
der 269. Seite zu der dritten Claſſe fortſchreiten
will; wo er von den wahren Erdichtungen han-
deln ſoll, die in die itzige Reihe der Dinge ge-
ſetzt werden.
Da erfodert er, doch wiederum
ohne Verſtand, daß der Wahn, auf welchen
ſich eine ſolche Erdichtung gruͤnden kan, nicht nur
moͤg-
[23]des Wahnes bedienen koͤnne.
moͤglich ſey, ſondern auch einen gewiſſen Grad
der Wahrſcheinlichkeit an ſich habe;
welches ja
eben ſo viel geſagt iſt, als, der moͤgliche Wahn
muͤſſe nicht unmoͤglich ſeyn; weil alles was moͤg-
lich iſt, ſchon einen gewiſſen Grad der Wahrſchein-
lichkeit an ſich hat. Er hat aber ſagen ſollen, ein
ſolcher Wahn, der den Grund zu einer Erdich-
tung hergeben ſoll, muͤſſe nicht nur moͤglich und
ſchlechterdings wahrſcheinlich ſeyn, ſondern auch
mit dem gegenwaͤrtigen Zuſammenhang der Dinge
nicht ſtreiten. Es wuͤrde demnach eine auf den
Grund der Meynung von der Wanderung der
Seelen geſchickt aufgefuͤhrte Erdichtung Wahr-
ſcheinlichkeit genug haben, und bey den Pythago-
raͤern noch gar fuͤr eine Wahrheit gelten: Aber
zu einer ſolchen Ausfuͤhrung brauchte es in der
That nicht einen ſo ungehirnten Kopf als des J.
A. K. iſt, in welchem es wie in dem chaotiſchen
und anarchiſchen Reiche gantz finſter, dunckel und
wild ausſiehet.


Auf der 270. Seite beruͤhret J. A. K. noch ei-
nen doppelten Gebrauch des Wahnes, nemlich
daß er einestheils dienen koͤnne, eine Wahrheit da-
mit zu erlaͤutern, anderntheils aber ihre Urſache dar-
aus anzugeben. Was den erſtern Gebrauch an-
gehet, ſo erklaͤrt er ſich daruͤber auf der 271. Seite
alſo:


„Ueberhaupt moͤchte es zu erleiden ſeyn,
„ſich des Wahnes, um etwas damit zu erlaͤutern,
„zu bemaͤchtigen: weil es wohl angehet, wirckli-
„che Dinge mit moͤglichen in Vergleichung zu
„bringen.„


Jch will mich bey der ſeltſamen Art
des Erweiſes, in ſo fern er auf den moͤglichen
B 4Wahn
[24]Wie weit ſich ein Poet
Wahn gehet, nicht aufhalten; ich muͤßte nur
widerholen, was ich ſchon oft geſagt habe; ſon-
dern nur dieſes anmercken, daß dieſes Recht
uͤber den Wahn nicht nur dem Dichter, ſondern
einem jeden andern Scribenten zukoͤmmt, weil
nemlich auch etwas an ſich falſches und irriges
zur Erlaͤuterung dienen kan, nach dem bekann-
Axioma: Oppoſita juxta ſe poſita magis eluceſcunt.
Aber das Exempel, welches er aus Milton an-
fuͤhret, iſt gantz uͤbel gewehlet, angeſehen es
auf eine Sage und hiſtoriſche Erzehlung gegruͤn-
det iſt, nicht aber auf einen bloſſen Wahn, da-
von er doch ein Exempel hat geben wollen, der-
gleichen nach ſeiner Auſſage Milton haͤufig hat.
Dieſer Englaͤndiſche Poet hat alles angewendet,
ſeinem Bilde eine Wahrſcheinlichkeit mitzuthei-
len, er redet von einem kleinen Jagdſchiffe, um
durch dieſes Maß die Groͤſſe des Anckers naͤ-
her zu beſtimmen; er redet von der Nacht, um
den ſinnlichen Betrug des Piloten wahrſchein-
lich zu machen; er redet von dem ſchlafenden
Leviathan, um ſeine Unempfindtlichkeit dadurch
zu vergroͤſſern. Es muß ihm faſt vorgeſchwa-
net haben, daß einmahl in Leipzig ein junger K.
aufſtehen moͤgte, der dieſe Erzehlung in Zwei-
fel ziehen wuͤrde, daß er ſo ſorgfaͤltig geweſen,
dieſelbe gegen allen Unglauben zu verwahren;
Zudem gruͤndet der Poet ſeine Erzehlung auf
eine ſtandhafte Sage der Seefahrenden. Will
J. A. K. dieſer Sage nicht glauben, ſo ſteht es
ihm frey. Er wird ja ſo billig ſeyn, und nicht
fodern, daß eine Sage ihrem Weſen nach noth-
wendig wahrhaft ſeyn muͤſſe; zugeſchweigen daß
dieſe
[25]des Wahnes bedienen koͤnne.
dieſe Sage zum theil auf einem Betruge der
Sinnen beruhet. Wenn ich aber J. A. K.
wuͤrcklich recht laſſen wuͤrde, was wuͤrde er da-
mit gewinnen? Der Poet giebt es nicht fuͤr
eine wahrhafte und untruͤgliche Erzehlung, ſon-
dern fuͤr eine bloſſe Sage dar, und dieſe Sage
dienet ihm nicht weniger dasjenige damit zu er-
laͤutern, was er erlaͤutern will, als wenn es ei-
ne unſtreitige Geſchichte ſeyn wuͤrde.


Was den andern Gebrauch des Wahnes an-
ſiehet, ſo erklaͤrt er ſich auf der 271. Seite dar-
uͤber alſo:

„Allein, daß es angehe, von einer
„Wahrheit oder einem Erfolge die Urſache an-
„zugeben, darwider ſtreitet der Grundſatz der
„Poeſie, man muͤßte jedesmahl eine Sache
„bilden, wie ſie iſt.„


Es iſt mir faſt ich leſe
in einem Woͤrterbuch ein Blatt voll einzelner
Woͤrter, ſo ſehr ſcheinet dieſe Erklaͤrung ohne
Verſtand durch den bloſſen Zufall erwachſen zu
ſeyn. Jch verſtehe nicht, was die Urſache von
einer Wahrheit
iſt; warum ſollte es nicht ange-
hen, von einem Erfolge eine Urſache anzuge-
ben?
Wo hat er den Grundſatz der Poeſie ge-
lernet, man muͤſſe jedesmahl eine Sache bil-
den, wie ſie iſt?
Nach dieſem Grundſatz iſt kei-
ne Poeſie noch Erdichtung nicht einmahl moͤg-
lich, wie kan es dann ein Grundſatz der Poeſie
ſeyn? Jch mag vor Ungeduld die Zeit nicht er-
warten, daß ich ſeines Lehrmeiſters, des Hrn.
Prof. Gottſcheden ausfuͤhrlichen Commentarium
uͤber folgende und andere dergleichen Regeln
in Ariſtoteles Poetick leſen kan:


„Der Poet
„muß die unmoͤglichen Dinge, wenn ſolche nur
B 5„wahr-
[26]Wie weit ſich ein Poet
„wahrſcheinlich ſind, denen moͤglichen, die bey
„ihrer Moͤglichkeit unglaͤublich ſind, vorziehen.„


Warum ſollte ein Poet, der die Sachen nicht
ſo ſehr vorſtellen muß, wie ſie wircklich ſind,
als wie ſie wahrſcheinlich ſeyn koͤnnten, von ei-
nem Erfolge oder Wirckung nicht eine wahr-
ſcheinliche Urſache angeben duͤrffen? Warum
ſollte z. E. ein Dichter, wenn er ſchon das alte
Syſtema von dem Umlauffe der Sonne um die
Erden, als den Mittelpunct ihres Kreiſes, vor ei-
nen irrigen Wahn haͤlt, doch aus demſelben in ei-
nem Gedichte nicht manches Phaͤnomenon erklaͤ-
ren doͤrfen? Warum ſollte er nicht eine Sym-
pathie und angeborne natuͤrliche Neigung fuͤr die
Urſache mancher Begebenheit angeben doͤrfen?
Warum ſollte er nicht von Gott dem Herren
ſelbſt z. E. ſagen duͤrffen, der Suͤnder iſt auch
in dem geheimſten und finſterſten Winckel nicht
alleine, noch verborgen, denn das Auge des
Herren ſieht, durchdringt und erleuchtet alles;
da ſelbſt die H. Schrift von Gott nach menſch-
licher Art zu reden pflegt? Es ſagt zwar J. A.
K. dadurch gebe man Anlaß zu Jrrthuͤmern:
Aber er ſage mir, wie muͤßte man reden, wie
muͤßte man ſchreiben, wie muͤßte man dichten,
wenn man davor gaͤntzlich geſichert ſeyn wollte?
Gerade die H. Schrift ſelbſt ward von den An-
thropomorphiten zu einem Anlaſſe eines groben
Jrrthums genommen: kan man darum die
Schuld dieſes Jrrthums der H. Schrift zumeſ-
ſen? oder wuͤnſchen, daß ſie von Gott etwa phi-
loſophiſcher moͤchte geredt haben? Hat uns
nicht der Schoͤpfer gegen den Betrug des Jrr-
thums
[27]des Wahnes bedienen koͤnne.
thums zulaͤnglich bewaffnet? Brauchen wir
dieſe Waffen nicht, ſondern laſſen ſie durch Nach-
laͤſſigkeit verroſten, ſo iſt die Schuld unſer. Da-
rum haͤtte J. A. K. die Critick uͤber den Aeolus
beym Virgil wohl zu Hauſe laſſen koͤnnen; es
waͤre auch geſchehen, wenn er ſie nicht zu allem
Ungluͤcke beym Clerc angetroffen haͤtte. Jm
uͤbrigen wird J. A. K. wohl thun, wenn er die
Geſetze des Wahrſcheinlichen in Hrn. Breitin-
gers Dichtkunſt auf der 138. Seite (denn in der
Gottſchediſchen wuͤrde er ſie vergeblich ſuchen)
ſich wohl bekannt machet und erwiegt, damit
er nicht fernerhin in waͤhrender Zeit, daß er
vermeynet die Rechte der Poeſie uͤber den Wahn
zu beſchuͤtzen, die Poeſie ſelbſt beſtreite und ver-
urtheile.


Endlich koͤmmt J. A. K. auf der 274. Seite
auf den Artickel von der Sage. Er giebt davon
folgende Erklaͤrung:


„Wenn ein Wahn die
„Geſtalt einer Geſchichte annimmt, und als
„eine Begebenheit unter den Menſchen fortge-
„pflantzet wird, er mag nun entſprungen ſeyn
„woher er wolle, ſo bekoͤmmt er den Nahmen
„einer Sage.„


Wie nimmt ein Wahn die
Geſtalt einer Geſchichte an? Kan denn aller
Wahn ohne Unterſcheid zu einer Sage werden?
Oder entſpringt jede Sage nothwendig aus ei-
nem vorgaͤngigen Wahn? Wie oft war die
Zeit her bey uns die Sage, die Franzoſen haben
geſieget: Aus was fuͤr einem Wahne mag wohl
dieſe Sage entſtanden ſeyn? Wenn die Glaub-
wuͤrdigkeit einer Erzehlung nicht genugſam be-
zeuget, wenn ſie mit Grund noch zweifelhaft iſt,
was
[28]Wie weit ſich ein Poet
was iſt denn wohl der weſentliche Unterſcheid
zwiſchen einer ſolchen Erzehlung und einer Sage?
Wenn Hr. Breitinger die Sage durch eine Af-
terhiſtorie,
d. i. durch eine ungegruͤndete Erzeh-
lung erklaͤret, ſagt dieſe kurtze Erklaͤrung nicht
mehr, als das ungewiſſe Geſchwaͤtze des J. A.
K.? Der gantze Unterſcheid zwiſchen einer Sa-
ge und einer wahren Geſchichte beruhet darauf,
daß jene nicht durch genugſame und glaubwuͤr-
dige Zeugen bekraͤftiget iſt, daß man alſo nicht
mit Gewißheit ſagen kan, ob ſie wircklich Grund
habe, oder nicht: Sonſt findet ſich in Anſehung
ihrer Moͤglichkeit zwiſchen beyden kein Unter-
ſcheid, es muͤſſen beyde nicht ſchlechterdings un-
moͤglich, ſondern wahrſcheinlich ſeyn, wenn ſie
ſollen Glauben finden. Und warum ſollte denn
ein Poet auf eine Sage, ſo lange ihr Ungrund
nicht entdeckt und offenbar iſt, eben ſo wohl als
auf eine wahre Geſchichte ein epiſches Gedicht
auffuͤhren koͤnnen? Findet doch eine Sage, wie
Hr. Prof. Breitinget wohl bemercket, bey dem
groſſen Haufen insgemein mehr Glauben, als
die Hiſtorie:
welche Anmerckung der junge Schuͤ-
ler nach den Regeln einer Definition oder Erklaͤ-
rung auf der 275. Seite auf eine recht laͤcher-
liche Weiſe beurtheilet; ſo daß man wohl ver-
huͤten muß, daß dieſer unverſtaͤndige K. nicht
hinter ſolche Buͤcher gerathe, wo nicht bey ei-
nem jeden Satze an dem Rande ausdruͤcklich
gemeldet wird, ob er ein Grundſatz, eine Er-
klaͤrung, ein Heiſcheſatz, eine Anmerckung ꝛc.
ſey, und nach was fuͤr Regeln derſelbe beur-
theilet werden muͤſſe. Jn dieſer Anmerckung
fuͤh-
[29]des Wahnes bedienen koͤnne.
fuͤhret Hr. Breitinger einige Urſachen an, wo-
her es komme, daß die Sage uͤber die Hiſto-
ſtorie weg eine ſo groſſe Macht zu bereden habe?
Und J. A. K. weiß aus eigener Erfahrung, und
bekennet es oben auf der 260. Seite, daß das
Anſehen ſeiner Waͤrterinn ehemahlen eine groſſe
Macht uͤber ihn gehabt, welches ſich unter an-
dern daraus gar klar zeiget, daß noch izo die
abentheurlichſten Erzehlungen derſelben beſſer
als die Regeln der Vernunftlehre, die er doch
in friſcherm Andencken haben ſollte, bey ihm
haften: Denn wie armſelig heißt doch das ge-
ſchloſſen? Wenn Hr. Breitinger ſagt: Die Sa-
ge findet bey dem groſſen Haufen mehr Glau-
ben als ſelbſt die Hiſtorie:
ſo macht J. A. K.
dieſen Schluß: Er ſetzet in ſeinem Begriffe
mit voraus, daß eine Sage allezeit eine wahr-
haftige Hiſtorie zum Gegentheile haben muͤſſe,
welches doch unſtreitig hoͤchſt falſch iſt.
Wem
Dummheit und Bosheit den Verſtand nicht
verblenden, der weiß wohl, daß, wenn man
der Sage die Hiſtorie entgegen ſetzet, man eben
nicht von einer beſondern Sage, oder von ei-
ner beſondern Geſchichte, die der Sage entge-
gen ſtehen ſollten, ſondern von dem redet, was
man nur uͤberhaupt Sage und Hiſtorie heiſſet:
Doch iſt auch dieſes nicht unſtreitig hoͤchſt falſch,
ſondern gantz begruͤndt, daß da die Sage eine
ungegruͤndete Erzehlung iſt, der Jrrthum aber
der Wahrheit immer entgegen ſtehet, allemahl
das Gegentheil von einer irrigen Sage wahr
ſeyn muß; wiewohl eben daraus nicht nothwen-
dig folget, daß das Gegentheil von der Sage
eben
[30]Wie weit ſich ein Poet
eben wuͤrcklich muͤſſe geſchehen ſeyn, weil eine
Sage ſich auf eine bloſſe Luͤgen und Erdichtung
gruͤnden kan. Und dieſen ſeinen Unverſtand legt
K. noch deutlicher an den Tag, wenn er Bl.
276 Hrn. Breitinger deswegen einen Wider-
ſpruch aufbuͤrden will:


„Er hatte geſezt, daß
„die Sage dem groͤſten Haufen mehr gefalle,
„als die wahrhafte Geſchichte, und alſo zum
„voraus als bekannt angenommen, daß die-
„ſelbe wohl vorhanden ſeyn koͤnne; welches
„er hier wieder in Zweifel zieht.„


Obgleich
dem Hrn. Breitinger dieſe Frage, ob die der
Sage entgegen ſtehende wahrhafte Geſchichte
wohl vorhanden ſeyn koͤnne, nur nicht einmahl
mag in den Sinn gekommen ſeyn, und alſo die-
ſer Widerſpruch, neben hundert andern, ſich
nirgends als in des J. A. K. Kopf ſelbſten befin-
det; ſo muß ich doch hier wegen des unbe-
ſtimmten Ausdrucks anmercken, daß, ob es
gleich nicht nothwendig und allgemein iſt, doch
freylich die wahrhafte Geſchichte, die der unge-
wiſſen Sage entgegen ſtehet, ſehr oft wohl vor-
handen ſeyn kan.
Wenn z. E. die Sage erge-
hen wuͤrde, Hr. Prof. Gottſched habe der Fr.
Neuberin die wiederholte Auffuͤhrung des ihm
ſo widrigen Vorſpieles durch einen hohen Be-
fehl verwehren koͤnnen, ſo wuͤßte jedermann,
daß gerade das Gegentheil wuͤrcklich geſche-
hen und vorhanden, und daß er nicht verhin-
dern koͤnnen, daß dieſe Frau nicht vollkom-
men uͤber ihn triumphierte.


Wenn
[31]des Wahnes bedienen koͤnne.

Wenn endlich J. A. K. ſein Urtheil von Hrn.
Prof. Breitingers Gedancken von dem Recht
der Dichter uͤber die Sage geben ſoll, ſo offen-
baret er dabey neben dem groͤſten Unverſtand
eine noch groͤſſere Bosheit, indem er durch
eine falſche Auslegung und Verdrehung ſei-
ner Worte ihm nicht bloß einen fremden Sinn
andichtet; ſondern den Text, den er aus ihm
anfuͤhret, wircklich verfaͤlſcht, da er die Wor-
te unter dem Poͤbel zwiſchen einſchaltet, da-
mit er ihn ſagen laſſe, es ſey ſchon genug,
die Leute durch falſche Sagen zu hintergehen,
wenn nur der Poͤbel nichts beſſers wiſſe, und
den Betrug nicht mercke. Jch habe oben die
gantze Stelle angefuͤhret, und man kan ſie
auf der 340. Seite in dem erſten Theil von
Hrn. Breitingers Critiſcher Dichtk. nachſehen,
ſo wird man den Betrieger finden, und ſehen,
daß Hr. Br. gerade das Gegentheil von dem-
jenigen geſagt hat, was ihm dieſer ausver-
ſchaͤmte J. A. K. andichtet. Und was muß
man wohl von Hrn. Prof. Gottſched ſelbſt
gedencken, da er ſich nicht ſcheuet, ſich derglei-
chen Mittel und Waffen oͤffentlich zu bedie-
nen, um ſein Anſehen vor dem gaͤntzlichen Falle
und Untergang zu ſchuͤtzen, und ſeinen Dagon,
ich meyne ſeine ſogenannte Critiſche Dichtkunſt,
vor dem ſo nahen Umſturtz zu verſichern? Er
kan ſich gegen allen boͤſen Argwohn nicht beſ-
ſer decken, als wenn er den J. A. K. nach
ſeinem wahren Nahmen entdecket, ihn zur bil-
ligen Verantwortung anhaͤlt, und bekennet,
daß
[32]Wie weit ſich ein Poet ꝛc.
daß er dieſe Schrift ſeinen Beytraͤgen, ohne
ſie zuerſt geleſen zu haben, einverleibet habe.
Jch wuͤnſche im uͤbrigen, daß Hr. Prof. Gott-
ſched
in ſeiner Schule verſtaͤndigere, beſſer ge-
ſittetere und tugendhaftere Schuͤler ziehen moͤ-
ge, die, wofern ſie nicht geſchickt ſeyn, ſein ge-
fallenes Anſehen zu heben, es doch nicht vol-
lends in den Koth druͤcken.


Erlenbach Conrector.



Der
[[33]]

Verſuch
uͤber den
Urſprung
der
Wiſſenſchaften,

Geſchrieben
Aus den Wuͤſten Nubiens,
an den Hochgelehrten Herrn
Dr. J. R. S.
Von dem gelehrten Herrn
Martinus Scriblerus.


[[34]][[35]]

Vorrede.


Mein Leſer!

JCh habe dich und die ganze gelehrte
Welt uͤber die wichtige Entdeckung
des Herrn Martinus Scriblerus
hiemit begluͤckwuͤnſchen wollen: Die Hrn.
Scribleri ſind diejenige, welchen man wol
die allermeiſten Buͤcher, und folglich auch
den allergroͤſſeſten Theil des Schazes der
Gelehrſamkeit, zu dancken hat; wie ſich
denn ihr Geſchlecht nicht nur in Engel-
land (wo unſer Herr Martinus lebt), ſon-
der beynebens in Holland, Deutſchland,
Franckreich, ja in der ganzen Welt, un-
gemein ausbreitet. Was mir indeſſen
Sorge verurſachet, iſt, daß da alle irrdi-
ſche Dinge in periodiſchen Zirkeln herum-
gehen, bald eine Zeit kommen moͤchte, in
welcher das Geſchlecht der Urheber der erſten
Kuͤnſte und Wiſſenſchaften, welche jezt (wie
der Hr. M. Scriblerus gar ſchoͤn zeiget), in
der traurigen Geſtalt der Affen und Baſtanen
herumgehen, wieder in den Stand ſeiner er-
ſten Wuͤrde eingeſezet, und hingegen un-
C 2ſere
[[36]] ſere jezige Gelehrten zu Affen und Baſta-
nen werden koͤnnten. Jch wollte dieſes
gern nicht foͤrchten, wenn ſich nur, leyder!
nicht wircklich ſchon einige ſtarcke Zeichen
zu dieſer bevorſtehenden Verwandelung
bey denſelben aͤuſſerten: angeſehen ja be-
kannt genug iſt, daß je mehr die Kranken
in hizigen Fiebern ſchwazen, je naͤher ein
endliches Stillſchweigen (der wirckliche ar-
me Zuſtand des obgedachten, ehedem ſo
beruͤhmten Geſchlechts) zu ſeyn pflegt,
und daß nebſt dem ſehr viele heutige Ge-
lehrte die Eigenſchaft der Erfindung und
Vorſtellung eigener Gedancken mit der
bloſſen Nachahmungskunſt der Affen ſchon
laͤngſt vertauſchet haben. Lieber, wie be-
truͤbt! wenn man ſie an ſtatt ihres jezi-
gen Anſehens von den Marcktſchreyern
zur Schaue herumgefuͤhrt, und in rothen
Bruſtkleidern auf den Theatris Haſelnuͤſ-
ſe aufbeiſſen ſehen wird. Jch wuͤnſche,
mein Leſer, daß wir es nicht erleben muͤſ-
ſen.


Der Ueberſezer.


Ein
[37]

Ein Verſuch
uͤber den
Urſprung der Wiſſenſchaften,
geſchrieben aus den Wuͤſten Nubiens,

an den hochgelehrten Herrn
Dr. J. R. S.
Von dem gelehrten Herrn
Martinus Scriblerus.


UNter allen denen Nachforſchungen, welche
von curieuſen und wiſſensbegierigen Ge-
muͤthern angeſtellet worden ſind, iſt wol
keine der Muͤhe eines Gelehrten mehr wuͤrdig,
als diejenige, ſo den Urſprung der Kuͤnſte und
Wiſſenſchaften, (welche uns ſo ſehr uͤber das ge-
meine Volck erheben), die Laͤnder, in welchen
ſie entſproſſen, und die Canaͤle, durch welche ſie
geleitet worden ſind, betrifft. Gleichwie dieje-
nige, welche dieſelbe zuerſt unter uns gebracht ha-
ben, in die entfernteſte Theile der Welt gereiſet
ſind, um ſie zu erlangen, alſo mag ich mich auf
eben dieſelbe Weiſe einiger Vortheile ruͤhmen; an-
geſehen ich aus den Wuͤſten Aethiopiens ſchrei-
be, aus denen Sandfeldern, welche den Stolz
einbrechender Armeen begraben haben, aus einer
Gegend, wo ich vielleicht izt mit meinem Fuß bey
C 3zehen
[38]Verſuch uͤber den Urſprung
zehen Klaftern uͤber das Grab des Cambyſes trette,
aus einer Wildniß, wo weder Pythagoras noch
Apollonius jemahls hingedrungen ſind.


Man ſtimmet durchgehends uͤberein, daß die
Kuͤnſte und Wiſſenſchaften von den Aegyptern und
Jndianern herzuleiten ſeyn, allein von wem dieſe
ſie zuerſt bekommen, das iſt noch ein Geheimniß.
Der hoͤchſte Zeit-Periodus, auf welchen die Ge-
lehrten es wagen ihnen nachzuſpuͤhren, iſt der An-
fang der Aſſyriſchen Monarchie, da die Erfinder
derſelben als Goͤtter verehret wurden: Daher
wird noͤthig ſeyn, daß wir in noch entferntere Zei-
ten zuruͤckgehen, und einige Erkaͤnntniß ihrer Hi-
ſtorie aus denen auch noch ſo dunckeln und un-
terbrochenen Spuhren, welche uns alte Schrift-
ſteller daruͤber an die Hand geben, herholen.


Weder Troja noch Thebes waren die erſten Rei-
che: Wir finden Meldung, wiewol keine Be-
ſchreibungen, einer noch fruͤhern kriegeriſchen Na-
tion, welche den Nahmen der Pygmeer getragen.
Wenn ich die Erzehlungen eines Homers, Ariſto-
teles, und anderer betrachte, die von dem, was
dieſe Nation angeht, als von bekannten Din-
gen reden, ſo kan ich nicht anders gedencken, als daß
ihre Geſchichten, Kriege, Revolutionen, ꝛc. ein
Theil der Wiſſenſchaften geweſen, derer ſich da-
mahls die Gelahrten befliſſen haben. Und wenn
wir ſchon geradeswegs nur von ihren Kriegstha-
ten in Beſchuͤtzung ihres Vaterlands gegen die
jaͤhrliche Einfaͤlle eines maͤchtigen Feindes Nach-
richt haben, ſo zweifle ich doch keineswegs, daß
ſie ſich in den Kuͤnſten einer friedlichen Regierung
eben
[39]der Wiſſenſchaften.
eben ſo ſehr hervorgethan haben, obgleich keine
Spuhren ihrer buͤrgerlichen Anordnungen mehr
uͤbergeblieben ſind. Es ſind wol eben ſo groſſe
Reiche in dem Schiffbruch der Zeiten verſchlun-
gen worden, und dergleichen Zeitlaͤuffe uͤber ſie
verhaͤnget geweſen, die eine gaͤntzliche Vergeſſen-
heit ihrer Geſchichte verurſachet haben. Und wenn
ich muthmaſſen ſollte, daß dieſem Volck durch ei-
ne allgemeine Ausrottung deſſelben, von den Hee-
ren der ungeheuren Voͤgel, welche ſie, nach einhel-
ligem Bericht der alten Scribenten, immer zu
Feinden gehabt haben, ein gleiches begegnet ſey,
ſo moͤchte ich wol nichts unglaublicheres vorbringen,
als wenn wir leſen, daß eine von den Baleari-
ſchen Jnſeln durch Kaninichen, Smynthe durch
die Maͤuſe, und noch unlaͤngſt Bermudas beyna-
he, durch die Ratten, gaͤntzlich verwuͤſtet, und ihrer
Einwohner entbloͤſſet worden. Nichts iſt natuͤr-
licher, als ſich vorzuſtellen, daß die wenige uͤber-
gebliebene ſich hernach weit in ihre Wuͤſten hin-
eingezogen, allwo ſie ungeſtoͤrt gelebt, biß ſie Oſy-
ris auf ſeiner Reiſe, welche er die Menſchen zu
unterrichten vorgenommen, gefunden hat. Er
traff
(ſagt Diodorus) in Aethiopien eine Art
kleiner Satyren an, die biß auf den halben
Leib mit Haaren bewachſen geweſen,
und derer
Haupt Pan ihn auf ſeinem Zug begleitete. Nun
was dieſen beruͤhmten Pan angehet, ſo geben uns
die alten Scribenten eine umſtaͤndliche Beſchrei-
bung deſſelben, und kommen alle einmuͤthig darinn
uͤberein, daß ſie ihn rauch, baͤrticht, uͤberall mit
Haaren bewachſen, halb als einen Menſchen und
C 4halb
[40]Verſuch uͤber den Urſprung
halb als ein Thier vorſtellen, anbey aufrecht ge-
hend, mit einem Stab in der Hand; welches
eben die Poſtur iſt, in welcher man uns, ſeine
Nachkommen, biß auf den heutigen Tag ſehen
laͤßt. Und da ſeine vornehmſte Bemuͤhung gewe-
ſen, die Menſchen ein buͤrgerliches Leben zu leh-
ren, ſo gewinnt es wol das Anſehen, daß man
die erſten Anfaͤnge der Wiſſenſchaften nirgend an-
derſtwoher zu leiten habe, als von dieſem Volck;
welches die Goͤtter, wie Homerus berichtet, alle
Jahr zwoͤlf Tage lang beſuchet, nur daß ſie des
Umgangs mit ſolch weiſen und gerechten Einwoh-
nern der Erden pflegen koͤnnten.


Gehen wir nun aus Aegypten fort, und beſe-
hen Jndien, ſo werden wir finden, daß die Wiſ-
ſenſchaften auch da von einer gleichen Quelle herruͤh-
ren. Dieſe edle Geſchoͤpfe begleiteten nemlich den
Bacchus auf ſeinem Zuge in dieſe Laͤnder, unter
der Anfuͤhrung des Silenus, welcher uns mit
eben denſelben Merckmahlen und Eigenſchaften be-
ſchrieben wird: Man weiß nicht, ſagt Diodorus,
wo Silenus ſein ſehr altes Geſchlecht herfuͤhret;
Er trug aber einen Schweif an ſeinen Lenden,
ſo wie alle ſeine Nachkommen zum Zeichen ihrer
Abſtammung. Hier dann ſezten ſie eine Colonie
ab, welche bis auf den heutigen Tag mit derglei-
chen Schweiffen beſtehet. Und von dieſer Zeit an
haben ſie ſich, wie es ſcheint, nur denjenigen un-
ter den Menſchen mitgetheilet, welche den Um-
gang ihres eigenen Geſchlechts verlaſſen, und
ſich zu einer weniger unterbrochenen contenplativi-
ſchen Lebensart gewendet haben. Mir koͤmmt
ſehr
[41]der Wiſſenſchaften.
ſehr wahrſcheinlich vor, daß ſie mitten in dieſen
Einoͤden den ſo beruͤhmten Orden der Gymnoſo-
phiſten geſtiftet haben; denn wer die Art und
Weiſe ihres Lebens betrachtet, der wird leicht fin-
den, daß ſie die Manieren und Gewohnheiten ih-
rer Lehrmeiſter auf das genaueſte nachgeahmet ha-
ben. Es wird von ihnen gemeldet, ſie wohnen
in den dickeſten Waͤldern, ſie gehen nacket, ſie
laſſen ihren Leib gantz haaricht werden, und ihre
Naͤgel biß auf eine ungeheure Laͤnge wachſen.
Plutarchus ſchreibt: Sie eſſen, was ſie in den
Feldern bekommen koͤnnen; ihr Tranck ſey Waſſer,
und ihre Better machen ſie ſich von Laub oder
Mooß. Und Herodotus erzehlet uns, ſie achten
es fuͤr etwas heldenmaͤſſiges, einen Hauffen Amei-
ſen oder anders kriechendes Ungeziefer um das Le-
ben zu bringen.


Wir ſehen hieraus, daß die zwo Nationen,
welche in Anſehung des Urſprungs der Wiſſen-
ſchaften ſich um den Vorzug bemuͤhen, eben die-
ſelben ſind, welche mit dieſem geiſtreichen Geſchlecht
jederzeit am meiſten verſehen geweſen. Ob ſie
gleich mit einander geſtritten, welche von ihnen
den Segen der Wiſſenſchaften zuerſt erlanget, ſo
ſind ſie doch darinn uͤbereingekommen, daß ſie ſich
beyde gegen dieſe ihre gemeinen Lehrmeiſter danck-
bar erwieſen haben. Es iſt bekannt, daß Aegyp-
ten in den alleraͤlteſten Zeiten dieſelben in ihren ei-
genen Bildniſſen verehret hat: Und man mag mit
Grund ſagen, daß Jndien ein gleiches gethan,
wenn man ſich die in den leztern Zeiten vorkom-
mende Anbettung des Zahns eines dieſer haarich-
C 5ten
[42]Verſuch uͤber den Urſprung
ten Philoſophen vorſtellt, gleich als ob ſie es zur
Danckbarkeit gegen den Mund thaͤten, aus wel-
chem ſie ihre Wiſſenſchaften erlernet haben.


Laßt uns nun in Griechenland uͤbergehen, wo-
hin wir den Orpheus in gleicher Abſicht aus Aegyp-
ten zuruͤckkehren finden, in welcher Oſyris und
Bacchus ihre Zuͤge unternommen: Von dieſem
Periodo an iſts, daß Griechenland zuerſt den Nah-
men der Satyren gehoͤrt, oder ſie fuͤr Semideos
erkennt hat: Und aus dieſem laͤßt ſich gantz ver-
nuͤnftig ſchlieſſen, daß er einige von dieſem wun-
derbaren Geſchlecht, die auch einen Anfuͤhrer
von der Linie Pans gehabt, gleichen Nahmens,
und welchen Theocritus, ausdruͤcklich einen Koͤ-
nig nennet, mit ſich gebracht habe. Wenn
man ſo viel geſtehet, ſo iſt mir leicht, von zwoen
der auſſerordentlichſten Erzehlungen in dem gan-
zen Alterthum Rechenſchaft zu geben: Fuͤr das
erſte erhellet, daß die Tradition von des Orpheus
Muſik, deren die unvernuͤnftigen Thiere nachge-
folget, (welches man von ſeiner Kunſt wilde und
unbaͤndige Gemuͤther zu zaͤhmen erklaͤret hat) dem
Buchſtaben nach verſtanden werden muͤſſe: Und
zweytens, (worauf wir beſonders dringen), daß
die Liebe, welche dieſe Weiſe gegen unſer weibli-
ches Geſchlecht tragen, eine Aufloͤſung aller der
Fabeln alter Zeiten, nach welchen die Goͤtter in
Geſtalt gewiſſer Thiere in den Waͤldern Weibs-
perſonen beſchlaffen haben, an die Hand giebt.
Jch weiß wol, man kan einwenden, es heiſſe, ſie
ſeyn in Geſtalt verſchiedener Thiere beſchlaffen
worden: Allein auf dieſes antworten wir, daß das
Frauen-
[43]der Wiſſenſchaften.
Frauenzimmer, wo es dergleichen zu foͤrchten hat,
nicht wol im Stand iſt, zu unterſcheiden wie die
ausſehen, mit denen es zu thun hat.


Aus dem, was wir ſo eben geſagt, iſt hoͤchſt
glaubwuͤrdig, daß die Welt dieſem alten und edeln
Stamme, wo nicht die Helden, doch wenigſtens die
allerſinnreichſten Koͤpfe des Alterthums, zu dan-
ken habe. Eins der merckwuͤrdigſten Beyſpiele
iſt jener groſſe und in der Kunſt der Nachahmung
ſo weit gekommene Geiſt Aeſopus: Fuͤr deſſen Ab-
ſtammung von dieſen Hominibus ſylveſtribus wir
aus dem Planudes einen Beweis ziehen koͤnnen,
welcher ſagt, Aeſopus heiſſe eben ſo viel als Aethio-
pus, die urſpruͤngliche Nation unſers Volcks.
Zu einem zweyten Grund moͤgen wir die Beſchrei-
bung ſeiner Perſon angeben: Er war kurtz, unge-
ſtaltet, und ſahe beynahe als ein Wilder aus, ſo
daß er gar wol in den Waͤldern haͤtte leben koͤn-
nen, wenn ihn nicht ſein guͤtiges Temperament
vermocht haͤtte, ſich nach unſern Manieren zu
richten, und in Kleidern an den Hof zu kommen:
Das dritte Beweisthum iſt ſein ſinnreicher und ſa-
tyriſcher Wiz; und endlich, ſein groſſes Erkennt-
niß in der Natur der Thiere, nebſt dem Vergnuͤ-
gen und der natuͤrlichen Neigung, welche er hatte,
bey allen Anlaͤſſen von denſelben zu reden.


Das naͤchſte Beyſpiel, welches ich anfuͤhren will,
iſt Socrates: Erſtlich war es eine beſtaͤndige Tra-
dition, daß derſelbe etwas beſonderes und von dem
uͤbrigen menſchlichen Geſchlecht unterſchiedenes ge-
weſen: 2tens war ſein aͤuſſerliches Ausſehen von ei-
ner Beſchaffenheit, welche klar verrieth, von was
fuͤr
[44]Verſuch uͤber den Urſprung
fuͤr einer Linie er abſtammete; angeſehen er einen
kahlen Kopf, eine ſtumpfe Naſe, und hervorra-
gende Augen hatte, und unter ſich zur Erden ſahe:
Drittens, brachte er einige Fabeln des Aeſopus in
Verſe, wahrſcheinlich aus Hochachtung fuͤr die
Thiere uͤberhaupt, und aus Liebe fuͤr ſeine Fa-
milie ins beſondere.


Jn dem Verfolg der Zeiten haben die Weibs-
perſonen, mit welchen dieſe Sylvani gern ge-
ſchlaffen haͤtten, ſey es daß Menſchen ſie ſo geleh-
ret, oder daß ſie es aus Forcht vor ihrer Geſtalt
gethan, derſelben Beywohnung gemieden, ſo
daß unſere Weltweiſen genoͤthiget waren, ſich mit
den Thieren zu vermiſchen. Dieſes verurſachte,
daß das haarichte Weſen ihrer Nachkommen ſta-
felweiſe hoͤher als bis auf die Mitte ihres Leibs
gewachſen; in der erſten Generation kam es ihnen
bis an die Arme, in der andern bemaͤchtigte es ſich
des Halſes, und in der dritten ſtieg es uͤber den
Kopf hin, bis ſo das verdorbene Ausſehen, in wel-
chem die Species ſich gegenwaͤrtig verſencket befin-
det, vollkommen entſtanden. Doch muͤſſen wir
hier anmercken, daß einige wenige geweſen, wel-
che das allgemeine Ungluͤck nicht betroffen, indem
es zu allen und jeden Zeiten noch einige, von Vor-
urtheilen nicht eingenommene, Weibsperſonen ge-
geben, durch derer tugendhaftes Mittel die gaͤnz-
liche Ausloͤſchung der Art, wie ſie urſpruͤnglich ge-
weſen, iſt verhuͤtet worden. Und eben ſo iſt merck-
wuͤrdig, daß ihre Natur auch ſelbſt, wenn ſie ſich
mit den Thieren vermiſcht haben, nicht gantz verlo-
ren gegangen, angeſehen ſich immer verwunderliche
Eigen-
[45]der Wiſſenſchaften.
Eigenſchaften an ihnen gewieſen, wie ſolches klar
an denen zu ſehen geweſen, welche dem Alexander
in Jndien gefolget ſind. Lieber, wie nahmen ſie
ſeine Armee in Acht, und welch ein wachendes
Auge hatten ſie auf ſeinen Befehl; wie ſtelleten ſie
ſich in gleiche Verfaſſung, wenn es um einen
Marſch oder um ein Treffen zu thun war! Wel-
che Nachahmung ſeiner ganzen Kriegsordnung!
Nichts anders als alte und aͤchte Ueberbleibſel ih-
rer vorigen kriegeriſchen Neigung, und derjenigen
Verfaſſung, in welcher ſie geſtanden, da ſie eine
Monarchie ausmachten.


Nun auf Jtalien zu kommen. Als ſich dieſe
wilde Philoſophen zuerſt da gezeiget, hat es eini-
ge von denen, die am wenigſten vermiſchet waren,
gegeben, welche ſich gefallen lieſſen, mit Men-
ſchen einen Umgang zu haben; dies iſt aus dem
Nahmen des Faunus à fando, vom Sprechen, of-
fenbar. Und ein ſolcher war jener, der aus Haß
gegen die Tyrannie die Waͤlder verlaſſen, und
die Roͤmiſche Armee angefriſchet, wider die He-
trurier, die den Tarquinius wieder wollten ein-
geſezet wiſſen, feindlich zu agieren: Allein hier,
ſo wol als in allen weſtlichen Theilen der Welt,
eraͤugete ſich eine groſſe und merckwuͤrdige Aera,
nemlich die, in welcher ſie anfiengen ſtillzuſchwei-
gen. Wir moͤgen dieſelbe etwas nahe an die Zei-
ten des Ariſtoteles ſezen, da die Anzahl, der Stolz,
und die Thorheit der Weltweiſen aus dem Ge-
ſchlecht der Menſchen uͤberhand genommen, und
durch ſie den Leuten der Kopf zu irre gemachet worden,
als daß ſie tuͤchtig geweſen ſeyn ſollten, die Weißheit
dieſer
[46]Verſuch uͤber den Urſprung
dieſer alten Wald-Philoſophen zu empfangen. Die
Fragen dieſer Academie waren zu zahlreich, denn
daß ſie mit Muſſe von ihnen beantwortet werden;
und zu verwirret, zu abgeſchmackt, zu boͤſe, und
zu ſchaͤdlich, denn daß ſie denſelbigen anderſt als
eine Materie zur Verachtung und zur Verlachung
vorkommen koͤnnten. Jmmer von dieſem Periodo
an, wenn wir etwas von ihren gegebenen Ant-
worten hoͤren, iſt nur zu verſtehen, daß ſie es ge-
than, wenn ſie gefangen, gebunden und gezwun-
gen worden; nicht anders, als jener alte griechi-
ſche Profet Proteus.


So leſen wir in des Sylla Zeiten von einem
ſolchen nahe bey Durrachium gefangenen Philo-
ſophen, der nicht beredet werden konnte, Lectionen
zu geben, was man ihm auch immer ſagte, und
ſeine Geſchicklichkeit in den Toͤnen, nur einzig
durch wiehern, wie die Pferde, zeigete.


Ein gluͤcklicherer Verſuch ward unter dem Reich
des Auguſtus, von dem forſchenden Geiſt, dem
Virgilius gemacht; die Commentatores halten ihn
und den Varus fuͤr die eigentliche Perſonen, von de-
nen im 6ten St. der Bucolic. erzehlet wird, daß
ſie einen unſerer Philoſophen, und zweifelsfrey ei-
nen von den aͤchten aus dem Geſchlecht des alten
Sylenus, gefangen haben: damit ſie nun mach-
ten, daß er ſich ihnen mittheilete, (wie dann Vir-
gil die Wichtigkeit davon wol eingeſehen), haben
ſie ihn nicht nur feſt gebunden, ſondern auch noch
durch ein ſchoͤnes Maͤdgen, Aegle genannt, ange-
locket, welches dann vermocht, daß er beydes ſehr
lieblich und lehrreich geſungen. Jn dieſem Ge-
ſang
[47]der Wiſſenſchaften.
ſang finden wir ihre Lehre von der Schoͤpſung,
wie ſie nach aller Wahrſcheinlichkeit vor ſo langer
Zeit in dem groſſen Pygmaͤiſchen Reiche gelehret
worden, nebſt verſchiedenen hieroglyphiſchen Er-
zehlungen, unter welchen ſie ihre Sittenlehre ver-
bargen, und ſelbige damit auszierten. Daher ich
dieß Bucolicon als einen unſchaͤtzbaren Schatz der
alleraͤlteſten Wiſſenſchaften anſehe.


Unter der Regierung des Conſtantinus wird uns
von einem andern Nachricht gegeben, der in ei-
nem Netze gefangen und nach Alexandria gebracht
worden; das Volck verſammelte ſich hauffenweiſe
um ihn her, ſeine Weisheit anzuhoͤren, allein er
war einer der ſtummen Philoſophen, und lehrete,
wie Am. M. berichtet, nur durch Gebehrden.


Der lezte, welchen wir anfuͤhren wollen, der
von der aͤchten Linie herzuſtammen ſcheint, iſt der,
von dem Hieronymus meldet, daß er dem St. An-
tonius in der Wuͤſten erſchienen: Dieſer fragete
ihn, welches der Weg waͤre; worauf er ſeinen
Verſtand und ſeine Hoͤflichkeit durch deuten mit
dem Finger zu erkennen gab; im uͤbrigen aber woll-
te er nichts antworten, denn er war ebenfalls ein
ſtummer Weltweiſer.


Dieſes iſt alles, was ich von der Erſcheinung
eines ſo groſſen und gelahrten Volcks in eurem
Welttheil fuͤr dießmahl habe zuſammenbringen koͤn-
nen: Wenn wir aber in ihre alte angebohrne Size,
Africa und Jndien, zuruͤckgehen wollen, ſo wer-
den wir auch ſelbſt in dieſen neuern Zeiten Spuh-
ren ihrer erſten Auffuͤhrung und Dapferkeit an-
treffen.


Jn
[48]Verſuch uͤber den Urſprung

Jn Africa (gleich wir in den Sammlungen
des unermuͤdeten Hrn. Purchas leſen) hat ein
Hauffen derſelben, deſſen Anfuͤhrer in ein Weibs-
bild verliebt war, durch Gewalt und Kriegsliſt
denen Portugieſen eine Veſtung abgenommen.


Aber ich muß alle andere vorbeygehen, um fuͤr-
nehmlich das Lob zweyer ihrer Monarchen in Jn-
dien, welche ihres gleichen nicht gehabt, zu erhe-
ben: Der erſte war Perimal der Praͤchtige, ein
uͤberaus gelahrter und gutherziger Printz, dem die
Malabaren in der Hitz ihres Eifers einen Tempel
geweyhet, welcher auf 700. Pfeilern ſtehet, die,
nach des Maffeus Meynung, des Agrippa ſeinem
in dem Pantheon nichts nachgeben. Der andre,
Hanimant der Wunderwuͤrdige, Perimals Vet-
ter und Nachfolger, deſſen Wiſſenſchaft ſo groß
geweſen, daß ſeine Anhaͤnger zweifelten, ob es
moͤglich waͤre, daß eben dieſes weiſe Geſchlecht
es wol auf einen ſo hohen Staffel der Vollkom-
menheit zu bringen im Stand waͤre; und daher lie-
ber glaubten, er und ſein Stamme waͤren eine in Af-
fen vergeſtaltete Art Goͤtter: Der Zahn war ſein,
den die Portugieſen An. 1559. in Biſnagar weg-
genommen, und fuͤr welchen die Jndigner, nach
Linſchottens Bericht, die entſetzliche Summe von
700000. Ducaten angeboten haben. Noch ſoll
ich endlich dieſe Materie nicht fahren laſſen, ohne mit
aller gebuͤhrender Hochachtung Oran Outangs des
Groſſen, des lezten von dieſer Linie, deſſen un-
gluͤckſeliges Schickſal gewollt hat, daß er in die
Haͤnde der Europaͤer fiele, Meldung zu thun:
Oran Outangs, deſſen Werth wir nicht kennen;
denn
[49]der Wiſſenſchaften.
denn er war ein ſtummer Philoſophus: Oran Ou-
tangs, durch deſſen Anatomie der gelehrte Dr.
Tyſon unſerm Syſtema, aus der Uebereinkunft
dieſes Hominis ſylveſtris mit unſerm menſchlichen
Leib in denen Theilen, durch welche die vernuͤnf-
tige Seele ſich wirckſam erweiſet, eine neue Be-
kraͤftigung gegeben hat.


Wir muͤſſen nun fortgehen, und dieſe Nation
betrachten, wie ſie in brutam naturam verfallen
ausſiehet: aber auch ſelbſt in dieſem Zuſtand, wie
viele Erfahrungen geben ſie uns nicht an die Hand,
von ſolchen, die ſie von der Milzſucht oder von Ge-
ſchwaͤhren befreyeten, indem ſie dieſelben zu rechter
Zeit lachen macheten? Mit was vor Fertigkeit ahmen
ſie alles, was je das merckwuͤrdigſte in dem menſch-
lichen Leben iſt, nach? Und was fuͤr erſtaunliche
Sachen erzehlet uns nicht Le Combe nnd andere
von ihren Begierden, Handlungen, Begreiffungs-
kraft, Zuneigungen, vielerley Erfindungen, und
der Geſchicklichkeit dieſelben ins Werck zu ſetzen?
Gewiß, wenn ſie bey ſo elenden Umſtaͤnden ihrer
Gebuhrt und Auferziehung, und bey einem ſo kur-
zen Lebensziel, als ihnen iezo zu Theil geworden,
dennoch alle andern Thiere ſo weit uͤbertreffen,
und es vielen Menſchen gleich thun, ſo kan man
gedencken, was Wunders man ſich von jenen vor-
ſtellen muͤſſe, die melioribus Annis nati fuerant, jenen
langlebenden, antidiluvianiſchen, Erzvaͤtern dieſes
Volcks, welche die Welt zuerſt die Wiſſenſchaf-
ten gelehret haben.


Jch darf mich ruͤhmen, daß ich bey dieſer mei-
ner Nachricht (wie ſie dann gaͤntzlich und allein
[Crit. Sam̃l. XII. St.] Dmein
[50]Verſuch uͤber den Urſprung
mein iſt.) aus einer Quelle geſchoͤpfet habe, mit
deren verſchiedene Meynungen der Alten wol uͤber-
ein kommen, ob ſie gleich bisher weder von den al-
ten noch den neuern Gelahrten jemahls entdeckt wor-
den iſt. Und was ſoll ich nun den Menſchen, in
Betrachtung dieſer groſſen Entdeckung, ſagen?
Was anders, als daß ſie ihren Hochmuth herun-
terreiſſen, und bedencken, daß die Urheber unſe-
rer Erkenntniſſen ſich unter den Thieren befinden;
daß die, welche einſt bey der Schoͤpfung unſere
aͤltere Bruͤder geweſen, und deren Reich, wie
Platons Abriß einer vollkommenen Regierungs-
Form erfodert, von Philoſophen beherrſchet wor-
den, die endlich, deren Gelehrſamkeit in Aethiopien
und Jndien in hoͤchſtem Flor geſtanden, nun von
ihnen nicht unterſchieden, und iezo einzig als
Thiere unter den Nahmen der Affen und Bafia-
nen bekannt ſind.


Was die Rede angehet, ſo zweifle ich keineswegs,
daß es in ihren angebohrnen vaterlaͤndiſchen Wuͤſten
noch einige Ueberbleibſel von dem erſten noch nicht
ſo gar verdorbenen Geſchlechte gebe, welche derſelben
noch iezo maͤchtig ſind. Jndeſſen iſt die gemeine
Urſach, welche die Spanier angeben, daß ſie nicht
reden wollen, weil ſie nemlich foͤrchten, man moͤch-
te ſie zur Arbeit halten, allein genugſam dafuͤr;
wenn man nur bedenckt, wie ſehr die Gelehrten
ihre Gemoͤchlichkeit lieben. Eine andere iſt, daß
dieſe aufmerckſamen Geſchoͤpfe, da ſie Augen-
Zeugen von der Grauſamkeit geweſen, mit wel-
cher dieſe Nation ihren Bruͤdern, den Jndia-
nern, begegnet, es nothwendig finden zu verhoͤhlen,
daß
[51]der Wiſſenſchaften.
daß ſie Menſchen ſind, damit ſie ſo nicht nur vor
der Arbeit, ſondern auch vor der Grauſamkeit,
beſchuͤzet bleiben. Und geſezt es ſtuͤhnde auch mit
dieſen aufs beſte, ſo koͤnnten ſie drittens kein Ver-
gnuͤgen an dem Umgang mit den Spaniern haben,
als deren ernſthaftes und unfreundliches Tempera-
ment derjenigen natuͤrlichen und offenen Froͤ-
lichkeit, welche man uͤberhaupt bey aller rechtſchaf-
fenen Erkenntniß wahrnimmt, ſo ſehr zuwider iſt.


Jndeſſen wenn es iezt, da die Sachen ſo ſtehen,
moͤglich waͤre, auf einige Weiſe ein Mittel zu fin-
den, durch welches man ihre verborgenen Quali-
taͤten aus ihnen hervorbringen koͤnnte, ſo bin ich
verſichert, daß dieſes der gelehrten Welt, ſo wol
in Abſicht auf die Widererlangung verlohrner Wiſ-
ſenſchaften, als auf die Befoͤrderung der noch zu-
kuͤnftigen, von einem ungemeinen Nuzen ſeyn wuͤr-
de. Lieber, mag dann keine artige, geſchickte
Manier erdacht werden, durch welche wir uns ih-
nen beliebt machen koͤnnten? Jſt keine Nation
in der Welt, deren natuͤrliche Beſchaffenheit ſo
gekehret waͤre, daß ſie ſich ihre Geſellſchaft zuwe-
gen bringen, und ſie, vermittelſt einer angeneh-
men Gleichheit der Manieren, gewinnen moͤgte?
Kein Volck, da die Maͤnner ſie durch eine aus-
nehmende Hoͤflichkeit anlocken, und durch nachge-
machte Bewegungen auf gewiſſe Weiſe bezaubern;
das Frauenzimmer aber, durch gutmuͤthig erlaubte
Freyheiten und das allerfreundlichſte Betragen,
dieſe verliebte Creaturen zu einer danckbaren Wi-
dergeltung der Hoͤflichkeit bewegen koͤnnte? Die
Liebe, die ich fuͤr mein Vaterland hege, giebt mir
D 2den
[52]Verſuch uͤber den Urſprung
den Wunſch ein, daß Groß-Brittannien dieſe Na-
tion ſeyn moͤgte; Aber ach! wie koͤnnen wir hoffen,
daß Fremde von ſo groſſer Klugheit ihre Gedan-
ken bey unſerer gegenwaͤrtigen ungluͤckſeligen Tren-
nung, und derſelben ſo weiten Entfernung von ih-
ren Freunden, Verwandten, und Vaterland, mit-
ten unter gewaltſamen Parteyen, frey an den Tag
legen werden? Die Neigung, die ich gegen un-
ſern benachbarten Staat trage, heiſſet mich wuͤn-
ſchen, Holland waͤre dieſelbe: Sed læva in parte
mamillæ nil ſalit Arcadico.
Franckreich iſt es alſo,
von da wir dieſe Widerherſtellung der Gelehrſam-
ſamkeit erwarten muͤſſen, als deſſen lezter Monarch
die Wiſſenſchaften unter ſeinen Schutz genommen,
und auf einen ſo hohen Staffel gebracht hat. Jch
meyne wir haben Grund zu hoffen, daß ſeine Emiſ-
ſarien uͤber kurz oder uͤber lang den Befehl erhal-
ten werden, nicht nur gelehrte Leute, ſondern
auch gelehrte Thiere, (verſtehe die alte aͤchte Aethio-
piſche und Jndianiſche Tiegeraffen,) in ihr Vater-
land einzuladen. Und koͤnnte man nicht als-
dann die Talente einer jeden beſondern Art derſel-
ben zum Aufnehmen auch einer jeden beſondern Wiſ-
ſenſchaft anwenden? Die Tigeraffen Helden,
Staatsleute, und Gelehrte zu unterrichten; die
Bafianen den Hofleuten die Ceremonien und an-
ſtaͤndige Geſchicklichkeiten zu zeigen; die Meerkatzen
die Damen und ihre Liebhaber in der Kunſt eines ar-
tigen Umgangs und angenehmen Liebesbezeigungen
zu unterweiſen; die Affen von minderer Gelehrſam-
keit zum beſten der Comoͤdianten und Danzmeiſter;
die Marmoſets denen Hofpages und reiſenden jun-
gen
[53]der Wiſſenſchaften.
gen Engellaͤndiſchen Stutzern zum Dienſt gebrau-
chen? Allein ich uͤberlaſſe dieſelben nach ihren Ar-
ten zu unterſcheiden, und einer jeden ihre beſondere
Beſchaͤftigung zu beſtimmen, dem nachforſchenden
und einſichtsvollen Geiſt der Hrn. Jeſuiten in ih-
ren verſchiedenen Miſſionen.


VALE et FRUERE.
M. S.



D 3Stru-
[54]

Strukaras/
oder
Die Bekehrung;
Eine hiſtoriſche Erzehlung aus dem
Franzoͤſiſchen.


WEit gegen Norden liegt ein beruͤhmtes
Koͤnigreich, welches ſchon mehr als ei-
nen guten Kopf hervorgebracht hat, die
den Ruhm von Schoͤpfern fuͤr ihre Nation ge-
gen ihre ſuͤdlichen und weſtlichen Nachbarn
haͤtten behaupten koͤnnen, und die in ihrer Spra-
che eine Geſchicklichkeit gefunden hatten, die er-
habenſten und die genauſt-beſtimmten Gedan-
ken in aller ihrer Verſchiedenheit auszudruͤcken.
Nichts deſtoweniger waren ihre Nahmen in der
Dunckelheit geblieben, und ihre Schriften hat-
ten ſich verkriechen muͤſſen. Ein falſcher Lehrer,
Strukaras genannt, hatte den poetiſchen Ge-
ſchmack der Nation verderbet, in dem er ihn mit
Regeln gefeſſelt, welche er nicht aus der allge-
meinen Natur der Menſchen, ſondern bloß aus
ſeiner eigenen hergeleitet hatte, wiewohl er
vorgab, daß ſein Naturell ein Abdruck des
Naturells der Nation waͤre, und daß dieſe in
ihm daͤchte, und empfaͤnde. Er ruͤhmte ſich,
daß ſeine Sprache alle poetiſchen Schoͤnheiten
in
[55]Strukaras, oder die Bekehrung.
in ſich faſſete, und daß, wenn man ſie in ih-
rer Reinigkeit redete, die Gedancken und Bil-
der unter den Redensarten und Woͤrtern von
ſich ſelber entſtuͤhnden, und ſich in Saͤtze und
Ordnung ſtellten. Was denn in derſelben nicht
erhoͤret war, was von andern gedacht wor-
den, und ihm zu dencken zuſchwer war, das er-
klaͤrete er vor barbariſch, und vor unergruͤnd-
lich. Er machte dieſe Sprache zur Richtſchnur
der Poeſie der Alten und der Neuern, und ver-
bannete alſo alle die herrlichſten Bilder und Vor-
ſtellungen aus derſelben. Homer, Virgil und
Ovidius, wenn er ſie in ſeiner Sprache reden
ließ, verlohren ihre lebhafteſte Munterkeit, und
ihr helleſtes Licht. Aber er ſchwur, daß ſie da-
durch nur regelmaͤſſiger und von beſſerm Ge-
ſchmack geworden waͤren. Seine Geſchicklich-
keit zum verfuͤhren war ſo gar fein nicht, und
man hoͤret nicht, daß ein erwachſener Menſch,
deſſen Verſtand und Geſchmack zur Reife gelan-
get geweſen, von ihm waͤre betrogen worden:
Er gab ſich auch mit ſolchen keine Muͤhe, ſon-
dern machete ſich nur an Juͤnglinge, welche noch
keine nette Begriffe hatten. Dieſelben uͤber-
zeugete er von ſeinen Lehren mit einer hohen Mi-
ne, und mit einem ausgeſtreckten Arm. Er zog
ſie in Kleinigkeiten ſo zaͤrtlich, und ſo weibiſch,
daß ſie die ſtarcke und geſunde Nahrung in den
unſterblichen Schriften der Griechen und Latei-
ner nicht mehr ertragen mogten. Eine Zeile
voller Begriffe druͤckete ſie, und der Vers floß
ihnen nicht, wenn ſich ihm ein ungewoͤhnlicher
D 4Gedan-
[56]Strukaras,
Gedancke in den Weg legete. Dieſe Juͤnglinge
wurden mit zunehmenden Jahren zwar am Coͤr-
per, aber nicht am Geſchmacke ſtaͤrcker. Jhr Ge-
ſchmack blieb verzaͤrtelt, bloͤde und ungewiß.
Sie brachten ihn mit ſich in die untern Claſſen,
auf die Univerſitaͤten, in die Staatscabinete,
und an die Hoͤfe. Der Rector, der Profeſſor,
der Staatsminiſter, der Conſiſtorialrath, wa-
ren verderbt, und verderbten wieder. Dadurch
wurden die falſchen Lehrſaͤtze des Verfuͤhrers
beynahe allgemein. Sie machten eine Secte, ja
es ſchien daß ſie den Dienſt des Apollo und der
Muſen noch verdringen wuͤrden. Die Koͤpfe
von gutem Geſchmacke, deren man noch allezeit
zwanzig bis dreiſſig zehlete, berieffen ſich zwar
auf das Urtheil der Nachwelt, aber das half
ihnen wenig, weil dieſe zu ihren Zeiten nicht er-
ſchien, oder nicht reden wollte. Sie ſchrien mit
einem gluͤcklichern Fortgang den Apollo an, er
warf einen guͤtigen Blick auf ſie. Der Stoltz,
die Gewalt und der Jammer, den ſie in dem
Reiche des Witzes anſtelleten, verdroß ihn. Er
gab der Critick, einer Goͤttin, die unter ihm
herrſchete, Befehl, ſich den Betriegern zu wi-
derſetzen, und den reinen Lehren der Muſen, ſei-
ner Toͤchter, wieder aufzuhelfen.


Die Critick munterte in dieſer Abſicht etliche
einſichtsreiche Koͤpfe auf, welche in der poe-
tiſchen und andern angenehmen Schreibarten
bald ein neues Licht aufſtecketen. Denn ſie
holeten die unveraͤnderlichen Grundſaͤtze wieder
hervor, welche mit der menſchlichen Natur ihren
Urſprung
[57]oder die Bekehrung.
Urſprung genommen haben, und mit dem Ge-
muͤthe und den Empfindungen des Menſchen
gleich alt ſind. Bey dieſer Fackel fieng man
hier und dar an zu ſehen, man entdeckete die
Jrrthuͤmer in des Betriegers Lehrbuͤchern, und
die Bloͤdigkeit der Schriften, welche nach ſei-
nen Regeln verfertiget waren. Sein Anſehen
blendete nicht mehr, und das Lob ward ihnen
nicht mehr vor einen Tribut bezahlt. Doch
geſchah dieſes nicht ſo ſtille; ſeine Anhaͤnger
machten einen wilden Laͤrmen mit harmoniſchen
Schmaͤhworten, und mit ſchlieſſenden Laͤſterun-
gen; ſie zogen auch den Leibrock des Hohenprie-
ſters an, und guͤrteten das Schwerdt der welt-
lichen Macht an die Seite.


Sie hatten auch auf ihrer Partey Goͤtter;
die Dummheit, welche den Blocksberg dem
Parnaſſe entgegen ſezet, und die tobende Phre-
neſie,
die ihren Sitz zu Waldheim auf einer
Waͤlle Stroh aufgeſchlagen hat. Dieſe beyde
fuͤhrten ſie zu dem Streit mit der Critik an,
und unterrichteten ſie, wie ſie dem Gewaͤſche
einen Nachdruck von Schall geben ſollten. Man
erzehlet, daß ihnen einmahl der falſche Ge-
ſchmack
ſichtbarlich erſchienen ſey, als ſie eben
in einem Synodus berathſchlageten, wie ſie
das einbrechende Licht der Critik von ihren Graͤn-
zen zuruͤckhalten wollten; derſelbe habe ihnen
das Haupt mit einem zertheilenden Rauche von
allem noch uͤbrigen Verſtande geſaͤubert, und
es dagegen mit Spinneweben und Staube an-
gefuͤllet. Damahls geſchah es, daß ſie den Erz-
D 5verfuͤh-
[58]Strukaras,
verfuͤhrer Strukaras zu ihrem Hierarchen er-
waͤhleten, und ihm ſchwuren, den Unverſtand
ſelbſt in ſeinen Worten zu verehren, und unter
ſeinem Stabe auf die Wahrheit und den Witz
zu Felde zu ziehen.


Strukaras verdiente dieſen elenden Vorzug
damit, daß er zuerſt an dem Verderben der
aͤchten Poeſie gearbeitet, und ſeine Schriften
ſorgfaͤltiger, als ſonſt einer, vor Ordnung,
Wahrheit, Witz und Anmuth bewahret hatte.
Er hatte von dem Geſchwaͤtze Kunſtregeln gege-
ben, und den Schall in ein Lehrbuch verfaſſet.
Er wußte Recepte fuͤr Gedichte, welche weder den
Kopf brachen, noch das Hertz in Unruh ſezeten.
Seine Poeſie kriecht mit einer angenehmen Nach-
laͤſſigkeit; wann er ſich in die Wolcken erhebet,
ſo faͤllt er augenblicklich wieder auf den Boden;
er iſt wahrſcheinlich ohne Neuigkeit, und wo er
neu und wunderbar iſt, verliehrt ſich die Wahr-
ſcheinlichkeit. Er hat mittelſt einer Scheer und
eines Topfes voll Pappe ein Trauerſpiel verfer-
tiget, in welchem alle ſeine Regeln dieſer Schreib-
art beobachtet ſind. Durch ſeinen Antrieb iſt
die goͤttliche Aeneis von der Hoheit ihrer Be-
griffe und der Pracht ihrer Ausbildung befreyet
worden. Er ſelbſt hat den Horatz von der Dicht-
kunſt in den Miſchmaſch und die Dunckelheit ſei-
ner eigenen Jrrthuͤmer uͤberſezet.


Mit den Schriften dieſes Ertzverfuͤhrers gab
die Critik ſich nicht wenig Muͤhe, ſie klopfte ihm
ſeine Lehrbuͤcher mit der aͤuſſerſten Geduld aus,
ſie las mit groſſer Langmuth das wunderbare
Gemen-
[59]oder die Bekehrung.
Gemenge von falſchen Gedancken, widerſinni-
gen Ausdruͤcken, und ſich ſelbſt zerſtoͤrenden Saͤ-
zen in ſeinen Schriften aus einander. Aber es
war in Anſehung des Strukaras verlohrne Muͤhe,
er beſſerte ſich von ihren Lehren nicht, er ſtraͤu-
bete ſich nur deſtomehr dagegen, und erklaͤrte
ſich iezo oͤffentlich wider die eigenſten Rechte der
Poeſie, indem er ihr die wahrſcheinlichen Moͤg-
lichkeiten, die ſinnlichen und die allegoriſchen
Vorſtellungen abgeſonderter Begriffe, der En-
gel, und der Geiſter abſprach. Ein Poet aus
den weſtlichen Gegenden hatte viel wunderbare
und phantaſiereiche Geſchichten von dem Him-
mel und der Hoͤlle, von den ſeligen Geiſtern,
und von den gefallenen Engeln erzehlet, er hat-
te den Satan unter Stroͤmen von Feuer ver-
ſenket, welches er von Wirbelwinden in einen
raſenden Sturm aufblaſen laſſen, er hatte die
Suͤnde in die Geſtalt einer verfuͤhreriſchen
Schoͤnheit verkleidet, und den Tod mit einem
verſteinernden Blick und einem herzdurch dringen-
den Wurffpfeile bewaffnet; Wider dieſe Vorſtel-
lungen ſezete ſich Strukaras mit der aͤuſſerſten
Bloͤdigkeit des Geſchwaͤtzes und des Geſchreyes;
er hieß ſie Geſpenſterhiſtorien, und Hexenmaͤhr-
gen; wovon man ſich keinen Begriff machen
koͤnnte, und welche nur dieneten, die Nation
in Schrecken und Angſt zu ſetzen. Er ſezte ihn
in die Claſſe des Marino, und noch ungeheu-
rerer Dichter. Er wußte, wenn er ſeinen Lehr-
lingen einen Abſcheu vor der poetiſchen Schoͤ-
pfung
und den ſinnlichen Vorſtellungen bey-
brin-
[60]Strukaras,
bringen koͤnnte, daß alle Poeſie zugleich uͤber
einen Haufen fallen und die matte und nicht den-
kende Reimerey derſelben Stelle ungehindert
und ungeſtraft beſitzen wuͤrde.


Die Critik verſuchte darauf ein empfindliche-
res Mittel den Strukaras wo nicht vernuͤnfti-
ger doch ſchamhaftiger zu machen. Sie hezete
ihre Schweſter, die Satyre, gegen ihn auf.
Dieſe droſchete ihn etliche mahl wacker ab, ſie
gab ihn der gantzen Nation zum beſten, er war
die Kurtzweil aller muntern Koͤpfe, und nur
bey dieſer Gelegenheit haben ſie mehr Witz ver-
ſchwendet, als man vorher der Nation zuge-
trauet hatte, daß ſie in ihrem gantzen Vermoͤ-
gen haͤtte. Die Strukaramben ſelber muß-
ten mitten in der Zeit, da ſie ſich uͤber dieſes Ge-
ſpoͤtte der Satyre beklageten, bekennen, daß
es fein und voll Geiſtes waͤre; aber ſie kehreten
ſich nicht daran, weil ſie nicht erkenneten, daß das
Gelaͤchter der Satyre auf wirckliche Schwach-
heiten des Verſtandes und des Willens fiel.
Daher legeten ſie alle Scham ab. Strukaras
blieb in ihren Augen die Ehre der Nation, der
Pfeiler der Dichtkunſt, der Koͤnig des Witzes,
der nordliche Fontenelle, der Corneille der
Schaubuͤhne.


Er fuͤhrete ein Weib mit ſich herum, ſeine
Buſemsfreundin; ſie hatte in ihrer zarteſten
Jugend einen groſſen Witz gewieſen, die Bil-
der und Figuren von Kupferſtichen aus ihrer
Verbindung mit einer Schaͤre herauszuſchnei-
den, und alſobald in einer neuen Verknuͤpfung
auf
[61]oder die Bekehrung.
auf einer Puderſchachtel oder einer Zuckerbuͤch-
ſe wieder zuſammenzuſetzen; oder ein halbes Hun-
dert Kloͤppel auf einem Spitzenpult herumzu-
werfen, daß Roſen und Tulpen von Goldfaden
unter ihren Fingern hervorwuchſen. Struka-
ras gewann ſie lieb, und beſtuͤrmete ſie ſechs
Jahre lang mit trukenen Figuren der Redekunſt,
und mit kalten Ausdruͤcken von Liebesflammen.
Sie gab ihm das Jawort, nur damit ſie ſich
von ſeinen Verfolgungen erledigete. Nach-
dem ſie ſein Weib geworden, bildete er ihr Ge-
hirn nach ſeinem eigenen, und goß alle ſeine
Kuͤnſte in daſſelbe. Priſcilla erwies ſich ſo ge-
lehrig, daß ſie den Strukaras in kurtzer Zeit
in dem vollkommenſten Abdruck darſtellete. Es
plauderte iezo in beyden ein Verſtand, ein Witz
frohr in beyden, und eine Kunſt kruͤmmete ſich
in beyden; in den Schriften des Weibes entde-
kete man den Mann, und in des Mannes das
Weib. Er ehrete ſie darum nach ihrem Ver-
dienſte, und nahm ſie in ein Conſortium ſtudio-
rum
auf. Aber ihr Herz war aufrichtig, und
irrete mit gutem Gewiſſen den Lehren ihres
Freundes nach. Als nun die Critik und die
Satyre ſich mit denſelben ſo viel zu ſchaffen ge-
macht hatten, hielt ſie in der Unſchuld ihres
Hertzens das alles vor lauter Wuͤrckungen des
Neids und der Boßheit, und ſtaͤrckete ſich im
Geiſt, ihnen ihren Ungrund deutlich zu zeigen.
Allein als ſie in dieſer Gemuͤthsverfaſſung ihre
Schrifften erwog, und gegen die Lehren ihres
Mannes hielt, leuchtete die Wahrheit ihr mit
einem
[62]Strukaras,
einem ſo erheiternden Licht in den Verſtand,
daß ſie ſich nicht entbrechen konnte, ſie zu erken-
nen. Je mehr ſie fortlas, je mehr fand ſie Er-
weiſe und Ueberzeugungen. Jn der ſchaͤrfeſten
Jronie ſelbſt entdeckete ſie einen feſten, auf die
Natur der Sachen gegruͤndeten Fuß. Sie ſah
iezt in den Wercken ihres Freundes ein harmo-
niſches Galimathias, mit dem Gedaͤchtniß aus-
gefuͤhrte Erweiſe, eine gereimte Unordnung,
kaltſinnige Figuren, und eine Sprache ohne
Seele. Jndem ſie dieſe Entdeckungen machete,
veraͤnderte ſich die Geſtalt ihres Angeſichtes ſie-
benmahl, ihr Hertz pochete, die Knie wurden
ſchlaff, Hitze und Froſt wechſelten in ihrem Ge-
bluͤte. Sie ſtuhnd iezo ganz betreten, und un-
ſchluͤſſig, ob ſie die Wahrheit oder die Freund-
ſchaft ehren wollte; nicht lange, ſie beſtrafte
ſich bald ſelbſt, daß ſie zwiſchen beyden hatte
zweifeln koͤnnen. Sie fuͤrchtete indeſſen, daß
Strukaras anderſt dencken wuͤrde; ſie kannte
ſeinen Hochmuth; er mußte nothwendig, kraft
ſeines hoͤhern Verſtandes die Wahrheit einge-
ſehen haben, welche ſie mit ihren ſchwaͤchern
Einſichten entdecket hatte; nichtsdeſtoweniger
hatte er ſie verleugnet; und auf was vor eine
Art ſollte ſie ihm zu wiſſen thun, daß ſie ſeinen
Miſchmaſch entdecket haͤtte? Wie wuͤrde ers
aufnehmen, wenn ſie ſich zu der Wahrheit be-
kennete, gegen welche er das Herz und den Ver-
ſtand verhaͤrtet haͤtte; wuͤrde er ihr nicht ſeine
Liebe entziehen, und koͤnnte ſie ohne dieſelbe le-
ben? Aber wie koͤnnte ſie kuͤnftig ein Herz zu
ihm
[63]oder die Bekehrung.
ihm haben, zu einem Menſchen, der ein ſo ver-
kehrtes Gemuͤthe haͤtte? Sie quaͤlete ſich mit
dieſen Gedancken, und prophezeihete ſich ſelber
viele betruͤbte und verdrießliche Stunden. Al-
lein die Pflicht uͤberwand, und ſtaͤrckete ſie gegen
alles Leiden, das ſie vorherſah.


Sie eroͤffnete ihrem Mann an einem hellen
Morgen die Veraͤnderung, die ſich in ihrem
Verſtande zugetragen hatte, mit groſſer Ge-
ſchicklichkeit, ſie wußte dasjenige, was ihm in
ihrem Vortrage widrig oder hart ſcheinen konn-
te, mit angenehmen Liebkoſungen und kuͤnſtli-
chen Vorbiegungen gut zu machen, ohne daß
dem Nachdruck ihrer Rede etwas dadurch ab-
gegangen waͤre. Sie trieb ihn auch in der That
dergeſtalt in die Enge, daß er ihr geſtehen muß-
te, er haͤtte den Erweis fuͤr ſeine Lehrſaͤtze nicht
in dem Verſtande ſonder bloß in dem Willen
geſuchet. Aber er that dieſes Bekenntniß mit
einer Stirne, in welcher weder Reue noch Scham
zu erblicken war; und als ſie nur ein Wort von
der Pflicht einſtreuete, die erkannte Wahrheit
oͤffentlich zu bekennen, widerſezete er ſich dieſer
Zumuthung mit der Hartnaͤckigkeit eines Bar-
barn. Er ſagte: Sollte ich ſo manchen Erweis
auf den Grund eines lieblichen Schalles auf-
gefuͤhret haben; ſollte ich ſo manche Beurthei-
lung der verſchiedenſten Sachen nach einem Lei-
ſten verfaſſet, und nach ein Paar Regeln von
logicaliſchen Erklaͤrungen alle Arten der poeti-
ſchen Vorſtellungen gerichtet haben, damit ich
dieſes gantze ſo krauſe, ſo mechaniſche, Gebaͤude
durch
[64]Strukaras,
durch mein eigenes Wort wieder umſtuͤrzete?
Sollte ich durch einen Widerruf nicht bloß mein
eigenes ſondern das Urtheil aller derjenigen ver-
dammen, welche meinem geglaubt haben? Hat
nicht vielmehr mein Geſchmack das Siegel der
Gruͤndlichkeit empfangen, nachdem er von einem
ſo zahlreichen Haufen angenommen worden?
Geſezt, daß ich auf meine Urtheile und Lehrſaͤtze
zufaͤlliger Weiſe gefallen ſey, haben ſie nicht den
gehoͤrigen Erweis durch das Nachſprechen ſo vie-
ler tauſend Schulhalter und Magiſter empfan-
gen? Aber geſtanden, daß die Wahrheit nicht
auf meiner Seite iſt; Soll ich den Ruhm eines
unfehlbaren Kunſtrichters mit dem Nahmen ei-
nes gemeinen aufrichtigen Mannes vertauſchen,
und mich ſelber der Dummheit anklagen, da-
mit ich meine Redlichkeit rette? Jſt es nicht ein
groͤſſerer Schimpf, wenn man uns der Dumm-
heit ſchuldig befindet, als wenn man uns bloß
vor boshaft haͤlt? Mein groͤſſeſter Ruhm iſt,
daß ich zwar bey mir ſelbſt eben ſo gut, als die
witzigſten Leute, den gruͤndlichen Geſchmack mei-
ner Widerſacher einſehe, dabey aber nichtsde-
ſtoweniger meine verdorbene Sache behaupten,
und mein Anſehn der Vernunft zu Trutze auf-
recht erhalten kan.


Seine aufrichtige Freundin erſchrack daruͤber,
und fieng an, ihm aus getreuem Hertzen vorzu-
halten, daß es keins von den geringſten Ver-
brechen waͤre, ſich an den Vermoͤgensarten der
Seele, dem Verſtand, der Einbildungskraft
und dem Witz zu verſuͤndigen, dieſes haͤtte weit
mehr
[65]oder die Bekehrung.
mehr zu bedeuten, als ſich bloß an dem Coͤrper,
oder an den Gluͤcksguͤtern zu vergreiffen. Die
buͤrgerlichen Geſetze waͤren ſehr ſcharf gegen
einen, der einen Garten zertraͤte, und durch-
wuͤhlete, warum es einem, der in dem Hirn
eines jungen Menſchen, ja einer gantzen Nation,
das unterſte zu oberſt kehrete, ungeſtraft hinge-
hen ſollte? Der Gerechtigkeit muͤßte allemahl
eine Gnuͤge geſchehen; nun waͤre es vortraͤgli-
cher, ihr in der gegenwaͤrtigen Welt, als in
der zukuͤnftigen eine Gnuͤge zu thun. Er ſtuͤhn-
de in Gefahr, den Nahmen eines Aufrichtigen
zu dem Nahmen eines Kunſtverſtaͤndigen zu ver-
liehren.


Sie wollte noch weiter mit ihren Vermah-
nungen fortfahren, aber Strukaras ſah ſie mit
der Mine eines ottomaniſchen Ehemanns an,
dergleichen er ſonſt nie gewohnt geweſen, gegen
ſie zu brauchen; er ſchrie uͤber Neid und Unhoͤf-
lichkeit, ſie mißgoͤnnete ihm ſeinen Ruhm, und
haͤtte ſich von ſeinen Widerſachern beſtechen laſ-
ſen. Endlich befahl er ihr mit hoher Stimme,
ſie ſollte ſich zu ihren Maͤgden begeben, und mit
ihnen des Spinnerokens warten. Priſcilla ver-
ſtuhnd, was er damit ſagen wollte; daß er ſie
von der Hoheit einer Scribentin, in welche er
ſie zu ihm erhoben hatte, wieder abſetzen, und
in den Stand eines gemeinen nicht ſchreibenden
Weibes erniedrigen wollte. Dennoch gehor-
ſamte ſie ihm, und ſchluͤckte den Verdruß in
ſich. Er vertraute ihr nach dieſem nicht den platte-
ſten Gedancken mehr in einen Vers zu verfaſ-
[Crit. Sam̃l. XII. St.] Eſen,
[66]Strukaras,
ſen, er hielt ſie von allen Buͤchern entfernt, in-
ſonderheit verhuͤtete er mit einer Art von Eifer-
ſucht, daß ihr keine von den Schriften der Cri-
tik
oder der Satyre zu Geſichte kaͤme. Mit ei-
nem Worte, er tractirte ſie als eine Frau, die
zu nichts weiterm faͤhig waͤre. Man ſagt, daß
dieſes ſie nicht ſo ſehr gekraͤncket habe, als daß
er ſo verſtockt wider ſein beſſeres Wiſſen han-
delte.


Dieſes Begegniß war der Critik nicht verbor-
gen, ſie wußte, daß mit ſeinem verderbten Ver-
ſtande nichts in Vergleichung kaͤme, als ſein
verderbter Wille. Darum beſann ſie ſich eines
Mittels ihm das Gewiſſen zu ruͤhren, damit er
aufhoͤrete der Wahrheit zu widerſtreben. Sei-
ne Bekehrung war ihr nicht um ſeiner Perſon
willen alleine angelegen, ſondern um aller derer
unſchuldigen willen, welche von ſeinen Groß-
ſprechereyen verfuͤhrt, Recepte fuͤr den Witz
und den Geſchmack von ihm nahmen, womit ſie
aber nur ihr gutes Naturell und ihre natuͤrlichen
Empfindungen verderbeten. Sie verfuͤgete ſich
zu dem Schlaf in ſeine braunen Zimmer der
Nacht und des Schattens, und bat ihn, daß
er ihr den Phantaſos, denjenigen von ſeinen
Traͤumen zugeben wollte, welcher die langver-
ſtrichenen, die weit entfernten, die bloßmoͤgli-
chen Dinge ſo lebhaft in die Phantaſie ſchildern
konnte, daß ſie gegenwaͤrtig zu ſeyn ſchienen.
Auf deſſen willfaͤhrige Einwilligung befahl ſie
dieſem Traume, daß er ſich auf die Bettſtaͤtte
des Strukaras ſetzen, und drey Naͤchte nach
einan-
[67]oder die Bekehrung.
einander die Erſcheinungen vor ihm auffuͤhren
ſollte, welche ſie ihm anzeigete. Er gehorſam-
te ihr, und als Struckaras die folgende Nacht
auf ſeinem Bette ruhig ſchlief, flog er auf ſeinen
Hauptpfuͤlben hinunter, und legete ſich hart an
deſſen linkes Ohr, wo er ſeine Phantaſie auf
alle die Arten angriff, wie es ſeyn ſollte, damit
Bilder, Geſtalten und Blendungen dem emp-
fangenen Befehl gemaͤß hervorgebracht wuͤrden.
Jezo duͤnckete es den Strukaras, daß er in dem
Paradieſe der Narren angelanget waͤre; er ſa-
he daſelbſt alle diejenigen, welche unnuͤtzliche
Dinge thun, und ihr Vertrauen auf eitele Din-
ge ſetzen, einen groſſen Nahmen oder Reichthuͤ-
mer zu erlangen; alle die, welche das Lohn ihrer
Thaten auf dieſer Welt dahin nehmen; eine
unzaͤhlbare Menge! Nimrot bauete hier noch
an dem Thurm von Babel; Tetzel bot noch die
Verzeihung der Suͤnden um Geld feil; Triller
und Schwartz ſchrieben Libelle wider diejeni-
gen, welche die Guͤtigkeit gehabt hatten, ſie
von ihren Schreibſuͤnden zu unterrichten, ſie
hoffeten ihre Fehler durch Schmaͤhungen gut zu
machen; aber wenn ſie izo dachten, daß ſie ihr
Vorhaben zu Ende gebracht haͤtten, kam eine
Windsbraut und warf ſie mit ihren Thuͤrmen,
Jndulgenzen und Libellen bunt uͤber Eke in den
Limbo der Eitelkeit, einen unermeßlichen Ab-
grund. Strukaras miſchete ſich alſobald un-
ter dieſe Freundesſchaaren, und fieng an einen
Altar von ſeltſamen Materialien zu baueu; Bai-
les Dictionnaires in Woͤrterbuͤcher verwandelt
E 2wa-
[68]Strukaras,
waren zu einem Fußgeſtelle von etlichen Trep-
pen geleget, uͤber denſelben lagen Dicht- und
Redemaſchinen, uncritiſche Beytraͤge, erdichtete
Weltweisheiten, umgeſezte Fontenellen, ver-
kleidete Virgils, und undeutſche Schaubuͤhnen,
in abgemeſſenen Eken und Linien; noch hoͤher
lagen kleine Jphigenien und Catonen in ſchmaͤ-
lern Schichten; Strukaras freuete ſich in ſei-
nem Hertzen, als er die Breite, die Staͤrcke
und die Hoͤhe dieſes Altars, den er ſich ſelbſt
geſezet hatte, betrachtete, ſein Muth ſchwellete
auf, er ſtieg iezo auf einer Leiter auf denſelben,
und ſtuhnd oben darauf mit einer zufriedenen
Majeſtaͤt, als ein wuͤrdiger Goͤtze fuͤr einen ſol-
chen Altar. Er ſah von da auf tauſend kleine
Scribenten und elende Poeten hinunter, welche
von dieſer Hoͤhe wie Zwerge in ſeinen Augen
ſchienen. Aber ſein Triumph war kurtz; als er
ſich iezo eine Luſt machete, faule Eyer, Ruͤben,
und Birnen, wovon er einen Vorrath in der
Taſchen hatte, auf ſeine eigenen Bruͤder hinun-
ter zu werfen, fuhr ploͤtzlich ein Wirbelwind da-
her, und ſchmieß ihn mit dem gantzen Bau ſei-
ner poetiſchen Hoheit weit von dar in den Lim-
bo der Eitelkeit,
wo er zehntauſend Klafter tief
hinunterſanck, indem er vergeblich mit Kopf,
Hand und Fuß in die Luft ſchlug. Er hatte
noch nicht aufgehoͤret zu ſincken, als er aus dem
Schlaffe erwachete.


Er ſann dem Geſichte nach, es hatte einen
tiefen Eindruck in ſeinem Gemuͤthe gemacht, es
ſchien ihm eine gewiſſe Aehnlichkeit mit ſeinem
Zuſtan-
[69]oder die Bekehrung.
Zuſtande zu haben, und eine heimliche Prophe-
zeyung in ſich zu faſſen. Doch ſagte er niemanden
was davon, als dem kleinen Bathyll, dem er
gewohnt iſt ſeine Gedancken zu zeigen, wann ſie
noch ohne Geſtalt und Form mit einem halben
Leben unausgebruͤtet in ſeinem Kopf liegen und
noch nicht franzoͤſiſches Phoͤbus ſtammeln koͤn-
nen. Bathyll ließ ihn nicht ungetroͤſtet, er be-
deutete ihm, daß der gantze Traum nichts an-
ders waͤre, als eine Nachaͤffung der gaukleri-
ſchen Phantaſie, welche auf die Erfindung des
Kupferſtiches vor Pops Duncias gearbeitet
haͤtte. Sie hatten voriges Tages die Auflage
dieſes ſatyriſchen Gedichtes von 1729. empfan-
gen, und ſich lange bey der hieroglyphiſchen Fi-
gur des Kupferbildes aufgehalten. Strukaras
bemuͤhete ſich dem Bathyll zu glauben, doch
konnte er nicht davor, daß nicht das Geſichte
ihm beſtaͤndig in den Gedancken ſchwebete; es
ſchwindelte ihm noch im wachen, und er bildete
ſich immerfort ein, daß er noch ſaͤncke.


Jn der andern Nacht ſtieg Phantaſos wieder
hinunter, in die Phantaſie des Strukaras un-
erhoͤrte Geſtalten zu ſchildern. Er ließ ihn
einen wuͤſten und wilden Ort ſehen, ein greuli-
ches Gefaͤngniß, das rundherum wie ein uner-
meßlicher Offen brannte, wo aber die Flammen
kein Licht von ſich gaben, ſondern nur eine dun-
kele Daͤmmerung zeigeten, in welcher man trau-
rige Anblicke, und Gegenden voller Schmertzen
ſehen konnte. Hier brannte das Land mit einem
feſten geronnenen Feuer, und die See mit ei-
E 3nem
[70]Strukaras,
nem fluͤſſigen. Es duͤnckete den Strukaras,
daß er einen Rieſen auf dem Feuerpfuhl ſchwim-
men ſaͤhe, er reckete den Kopf uͤber den Wellen
empor, die Augen funkelten ihm, ſeine uͤbrigen
Theile waren auf den Wogen viel Hufen lang
ausgeſtreckt; er richtete ſich nunmehr auf, und
trug den ungemeſſenen Koͤrper uͤber das Feuer-
meer empor, er ſchaltete die Feuerwellen von
ſich, und gieng nach dem Geſtade. Seine Ge-
ſtalt war wie die Geſtalt eines Ertzengels, und
hatte noch einen groſſen Reſt von Glantz an ſich.
Aber auf ſeinem Angeſichte waren tiefe Narben
eingegraben, und die Sorge ſaß auf ſeinen blaß-
lichten Wangen. Jn den Augenbraunen ließ
ſich ein unbaͤndiger Muth, und ein rachgieriger
Stoltz wahrnehmen. Als er an dem Geſtade
angekommen, ſtuͤzte er ſich auf ſein Speer, ge-
gen welchem die laͤngſte Tanne auf den norwe-
giſchen Bergen nur eine Ruthe war, und indem
er die giftvollen Augen hin und her gehen ließ,
ſagte er: Dieſes iſt die Gegend, die wir mit dem
Himmel haben vertauſchen muͤſſen; dieſes Reich
haben wir mit unſerer Rebellion gewonnen! Jn
flieſſendem Feuer, oder in truckenem zu wohnen,
iſt alle Wahl, die man uns in der Hoͤlle uͤbrig
laͤßt. Unſer Jammer iſt nur allzu wuͤrcklich,
er iſt kein Hexenmaͤhrchen; hier in dieſer aͤuſſer-
ſten Finſterniß iſt unſer Kerker, hier ſind wir
unter Orkane von Feuer begraben, und mit uns
alle diejenigen, welche ſich wider die Wahrheit
empoͤren, und vorſetzlich die Unvernunft predi-
gen. Jndem er dieſe Worte ſagte, duͤnckte
es
[71]oder die Bekehrung.
es den Strukaras, daß er die Augen ſtarr auf
ihn gerichtet hielt, daruͤber nahm ein kalter
Schauer ſeine innerſten Adern ein, er fuhr ploͤtz-
lich auf, und rief, indem er aufſprang: Nein,
ich ſage nicht mehr, daß Miltons Hoͤlle ein He-
renmaͤhrchen ſey; Jezt weiß ich, daß ſeine Teu-
fel kein Siebenſachen ſind, daß ihre Maſchinen
fuͤr die Hoͤlle nicht zu groß, und die Hoͤlle fuͤr
ſie nicht zu klein iſt, ich ſehe auch, daß ein groſ-
ſer Unterſchied zwiſchen einem gefallenen Ertzen-
gel und dem Teufel von Juͤterbock iſt, den der
fromme Schmied daſelbſt in einen Sack geſcho-
ben hat.


Priſcilla hoͤrte ihn dieſe Worte zitternd ſagen,
und ſah ihn gantz im Schweiſſe baden, ſie fragte
ihn, was ihm widerfahren waͤre, und er erzehl-
te ihr die grauſame Erſcheinung, die er geſehen,
und die fuͤrchterliche Stimme, die noch in ſeinen
Ohren donnerte. Er fuͤgete hinzu, daß er fuͤrch-
tete, er haͤtte ſich an Milton verſuͤndiget, aller-
maſſen er ſeit drey Jahren nichts anders gethan
haͤtte, als ſich den Kopf zerbrochen, damit er
ſeinem Verl. Paradieſe einen Kleck anwerffen
koͤnnte. Zugleich wieß er ihr etliche Blaͤtter,
die er zuſammen geſtoppelt hatte; die Aufſchrift
davon lautete: Unterſuchung, wie weit ſich
Milton des gemeinen Wahnes mißbraucht ha-
be,
und, Vergleichung des Verl. Paradieſes
Johann Miltons mit Joſeph Nicolaus Maiers
hochzeitlichen Freudenſchall auf Perſeus und
deſſen befreyte Gemahlin Andromeda, als
Kaiſer Carl den
VII.und das Roͤmiſche Reich.
E 4Sie
[72]Strukaras,
Sie las in dieſen Blaͤttern mit Entſetzen, wie
ſchwermeriſch er wider dieſen goͤttlichen Poeten
wuͤthete, und weil ſie ihn durch das naͤchtliche Ge-
ſicht geruͤhret ſah, redete ſie ihm mit groſſer Drei-
ſtigkeit zu, und berief ſich auf ſein eigenes Gewiſ-
ſen, daß das Miltoniſche Gedichte die empfind-
lichſten Eindruͤcke von Verwunderung, Furcht,
Schrecken, Vergnuͤgung in ſeinem Gemuͤthe ge-
than haͤtte. Er geſtuhnd es ihr, und bezeigete ei-
ne groſſe Reue uͤber die Undanckbarkeit, mit wel-
cher er dieſem Poeten dafuͤr gelohnet hatte. Aber
dieſe redliche Gemuͤthsverfaſſung waͤhrete nicht laͤn-
ger, als bis zu der Ankunft Bathylls, der gleich
in ein Gelaͤchter ausbrach, als er das Nachtge-
ſichte, und die Angſt vernahm, welche es dem Stru-
karas verurſachet hatte. Er ſagte, dieſer Traum
waͤre wieder nichts anders, als eine abentheurliche
Nachahmung der Phantaſie, welche ſich in der
Zeit geſchaͤftig erzeigete, da die Vernunft ſchlief,
durch dieſelbe waͤre der Traum aus verſchiedenen
Lappen des Verl. Paradieſes wunderlich zuſam-
mengeſezet, er waͤre eine Frucht des ſtarcken Nach-
ſinnens, mit welchem Strukaras dieſes abentheur-
liche Gedichte geleſen haͤtte, und das gaͤbe einen
deutlichen Beweis, was vor unergruͤndliche Ge-
dancken es in dem aufgeraͤumteſten Kopfe hervorbrin-
gen koͤnnte. Es waͤre zu nicht anders gut, als das
Gewiſſen aufruͤhriſch zu machen, und das Gehirn
mit Erdichtungen und Geſpenſtern anzufuͤllen. Da-
her rieth er, daß Strukaras dieſe geſpenſtmaͤſſi-
ge Teufel mit einer Kanne Burgunder austreiben
ſollte. Dieſer folgete ihm, Korax und der Buch-
drucker
[73]oder die Bekehrung.
drucker Bucephalus wurden beruffen, ihm nebenſt
Bathyll Geſellſchaft zu halten; ſie blieben den gan-
zen Tag, und die halbe folgende Nacht bey ihm.
Wie ſehr ſich aber Strukaras Zwang anthat,
ſah er beſtaͤndig den gefallenen Ertzengel auf dem
trukenen Feuer ſtehen, und hoͤrete beſtaͤndig den
Schall ſeiner entſetzlichen Stimme.


Gegen den Morgen kam Phantaſos das dritte
mahl ihn mit Schreckbildern zu plagen. Es
duͤnkete ihn, daß ein anſehnlicher Alter mit einem
majeſtaͤtiſchen Angeſichte, doch dunkeln Augen,
zu ihm ſagte: Sieh mich an, Strukaras, ich bin
der Engellaͤnder, der das epiſche Gedichte geſchrie-
ben hat, gegen welches du eine ſo unſinnige Wuth
bezeigeſt. Du haſt in der vorigen Nacht meine
Hoͤlle und meine gefallenen Engel darinnen mit
deinen Augen geſehen, und vermuthlich erkennet,
daß es keine Schattengeſpenſter oder Hexenmaͤhr-
chen ſind. Jch will dir iezo auch die Suͤnde und
den Tod zeigen, welche du vor leere und erdichtete
Geſpenſter ausgiebſt. Vielleicht thun ſie den gluͤck-
lichen Eindruck auf dich, daß du dich huͤteſt in ihre
Gewalt zu fallen, wenn du ihre abſcheuliche Ge-
ſtalten mit deinen koͤrperlichen Augen erblicken wirſt.


Mit dieſem Worte erhaſchete er ihn bey einem
Schopfe Haare a, und fuͤhrte ihn mit der Schnel-
ligkeit des Blizes uͤber das Firmament und die
Waſſer, die daſſelbe umflieſſen, hinaus, hernach
durch den Golfo, der zwiſchen dem Himmel und
E 5der
[74]Strukaras,
der Hoͤlle liegt, wo der alte Anarch, Chaos,
herrſchet, hindurch zu den Pforten der Hoͤlle. Sie
hoͤreten lange vor ihrer Annaͤherung bey denſelben
ein Geraͤuſche, das gantz anders toͤnete, als die
Muſik bey einem Ballete, es war ein Winſeln,
und Wehklagen, und knirſchendes Wuͤthen. Die
Pforten ſtuhnden weit aufgeſchloſſen. Milton
ſtellete ihn innerhalb auf den verſengten Boden,
und ließ ihn daſelbſt alleine ſtehen. Das erſte,
das ihm in die Augen fiel, war ein graͤßliches Un-
geheuer, bis auf die Huͤften ein ſchoͤnes Frauen-
zimmer, aber von unten ein ſchuppigter Fiſch, der
den Schwantz in haͤßliche Ringe drehete. Um ſie
herum bellete eine Schaar Hoͤllenhunde ohne Auf-
hoͤren, ſie krochen zuweilen in ihren Bauch hinein,
niſteten darinnen, und heuleten immerfort. Ne-
ben ihr ſtuhnd ein noch ſcheußlicheres Geſchoͤpfe,
ſchwartz wie die Nacht, grimmiger als zehn Fu-
rien; es ſchwung in der Rechten einen fuͤrchterli-
chen Stachel. Sein bloſſes Anſchauen verſteiner-
te, was ihm begegnete, mit einem kaͤltern Blicke,
als der gorgoniſchen Schweſtern. Strukaras be-
trachtete das erſtere Bild von dem Haupte bis auf
die Huͤften mit einiger Luſt, aber als er die Au-
gen von den Huͤften bis auf den Fiſchſchwantz lau-
fen ließ, uͤberfiel ihn ein haͤßliches Grauſen, er
lenkete das ekelnde Geſicht geſchwinde auf die Sei-
te, aber da begegnete ihm das andere noch ekel-
haftere Geſchoͤpfe, welches eben in einer Stellung
ſtuhnd, als ob es iezo den toͤdtlichen Wurfpfeil
nach ihm loosſchieſſen wollte. Ein kaltes Schre-
ken ergriff den Strukaras, und ſchlug ihn mit
einer
[75]oder die Bekehrung.
einer nie zuvor gefuͤhlten Angſt. Er fuhr mit ei-
nem ſcharfen Angſtſchrey auf, und ſah mit ver-
kehrten Augen lange um ſich her, bis er ſich ſelbſt
wieder fand; bis er fand, daß er in ſeinem eige-
nen Bette ruhete, und daß noch Leben in ſeinem
Hertzen ſchlug. Er freuete ſich, als er ſich davon
vergewiſſert hatte, und that den Augenblick ein
Geluͤbde, daß er die Wahrheit oͤffentlich bekennen
wollte. Es waͤhrete eine gute Stunde, bis daß
er ſich erholet hatte, darauf erzehlte er ſeiner Freun-
din die neue Erſcheinung, und indem er an ihrem
Halſe weinete, befahl er, daß ſein Beichtvater
geholet wuͤrde. Korax und Bathyll waren ſchon
da, zu fragen, wie er die Nacht geruhet haͤtte.
Aber ſobald er ſie anſichtig ward, rief er, daß
man ſie ihm aus dem Geſichte ſchaffen ſollte, ſie
waͤren falſche Schlangen, die ihn durch ihre ver-
fuͤhrenden Lobſpruͤche auf dem Pfade des Verder-
bens aufgehalten haͤtten.


Als Hr. Adams gekommen, erzehlte er ihm erſt-
lich die drey erſchrecklichen Erſcheinungen, und wie
er ſich gegen die zwo erſtern ſo unbußfertig verſto-
ket haͤtte. Er verſicherte, daß er darinnen eine
hoͤhere Hand wahrnaͤhme, eine auſſerordentliche
Stimme, die ihm zur Beſſerung rief, und der
er ſich nicht laͤnger widerſetzen wollte. Er wollte
oͤffentliche Proben von einer ungefaͤrbten Buſſe
von ſich geben, wenn er nur dadurch das Boͤſe,
das er durch ſeinen Hochmuth geſtiftet haͤtte, ei-
nigermaſſen gut machen koͤnnte. Darauf legete
er erſtlich muͤndlich ein langes Bekaͤnntniß aller
derer Ausſchweifungen und Uebelthaten ab, die er
als
[76]Strukaras,
als ein Kunſtlehrer und als ein Poet begangen
hatte; hernach forderte er einen Schreibzeug und
Papier, und verfaſſete davon mit eigener Hand
folgendes ſummariſches Regiſter:


  • I. Jch bekenne, daß ich meine Nation
    ſchaͤndlich verunehret habe, indem ich mich vor
    ihren Sachwalter ausgegeben, und die Uneh-
    re, die ich mit meinen elenden Schriften er-
    holet, auf ſie geſchoben habe.
  • II. Jch bekenne, daß ich mein Lehrgebaͤu-
    de von der Dichtkunſt auf meinen Eigenduͤn-
    kel aufgefuͤhrt, und mich beſtrebet habe, mei-
    nen Aberwitz unter dem Nahmen des Ge-
    ſchmackes zu einem unbetruͤglichen Sinn zu
    erheben.
  • III. Jch bekenne, daß ich die Dichtkunſt
    habe organiſiren und das Gedencken ſo mecha-
    niſch machen wollen, daß man ohne einen Kopf
    voll Hirnes ſchreiben koͤnnte.
  • IV. Jch bekenne, daß ich die Demonſtra-
    tion in das Gedichte, und die Dichtung in die
    Weltweisheit habe bringen wollen, und bey-
    demahl gleich thoͤricht gethan habe.
  • V. Jch bekenne, daß ich einen Anſchlag
    gemacht habe, die platte Schreibart vor die
    natuͤrliche einzufuͤhren, und die gedanckenrei-
    che, unter dem Vorwande, daß ſie ſchwuͤl-
    ſtig, dunkel und unergruͤndlich waͤre, zu ver-
    bannen.

VI. Jch
[77]oder die Bekehrung.
  • VI. Jch bekenne, daß ich Horatzens Dicht-
    kunſt nicht aus dem Original, das ich nicht
    verſtanden habe, ſondern aus meinem ſchwa-
    chen Kopfe uͤberſezet habe.
  • VII. Jch bekenne, daß ich den Satan zu
    Miltons Helden erhoben, und gelehret, der
    Teufel habe ſich an dem Hoͤchſten geraͤchet:
    Jch bekenne auch, daß ich die gottloſen Ge-
    dancken dieſes hochmuͤthigen Geiſtes an dem
    Poeten geſtraft habe.
  • VIII. Jch bekenne, daß ich der geſunden
    Critik feind geworden, und mich an ihr habe
    raͤchen wollen, weil ſie ſich unterſtanden hatte,
    mir und meinen Freunden die falſche Einbil-
    dung von unſrer Vortrefflichkeit zu benehmen.
  • IX. Jch bekenne, daß ich eine Falſchheit
    vor erlaubt gehalten, wenn ſie dienen konnte,
    mein Anſehn zu beſchuͤtzen, oder meine Gegner
    zu beſchimpfen.
  • X. Jch bekenne, daß ich mich allemahl habe
    quaͤlen muͤſſen, wenn ich etwas artiges und
    ſinnreiches habe vorbringen wollen, und daß
    die Natur mir die Gabe zu ſchertzen gaͤntzlich
    verſagt habe.
  • XI. Jch bekenne, daß ich die Engellaͤnder,
    die Franzoſen, die Griechen und die Roͤmer
    nach meinem Vermoͤgen erniedriget habe, da-
    mit ich meine und meiner Freunde Hoheit auf
    ihren Fall auffuͤhren koͤnnte.

Nach
[78]Strukaras,

Nach dieſer meiner redlichen und freyen
Bekenntniß bitte ich es meiner Nation, der
Engellaͤndiſchen, der Franzoͤſiſchen, und allen
denen groſſen und geſchicktern Maͤnnern, den
todten ſo wohl als den lebenden, in der Be-
truͤbniß meines Hertzens ab, daß ich mich ſo
groͤblich an ihnen vergangen habe; Jch beken-
ne, daß dieſes alles, und was ich ihnen noch
weiter zu leide gethan habe, mir ohne Heu-
cheley und von Hertzen leyd ſey; mit Nahmen
bitte ich den Herrn Ceremonienrath Kooning,
daß er mir die neidiſchen und undanckbarn
Streiche, die ich auf ſeine natuͤrliche Poeſie
gefuͤhrt, vergeben wolle. Jch hoffe auch,
daß der Hr. Ueberſetzer des Longinus mir die
hoͤhniſche Gelaſſenheit vergeben werde, womit
ich ihn abgefertiget, weil er meine Einthei-
lung der Schreibart einen Miſchmaſch genennt,
und geſtehe gerne, daß dieſes nicht nur von
derſelben, ſondern von meinen beruͤhmteſten
Schriften wahr iſt.


Jch bekenne endlich, daß ich mir feſt vor-
genommen habe, meinem naͤrriſchen Hochmuth,
der mich zu dieſen Thorheiten und Sunden
verleitet hat, Abſchied zu geben, und dem
Schreiben und Dichten gaͤntzlich abzuſagen,
allermaſſen ich dazu weder Geſchick noch Be-
ruf empfangen habe. Jch will mich dafuͤr be-
fleiſſigen, mich mit der Arbeit meiner Haͤnde
redlich
[79]oder die Bekehrung.
redlich zu ernehren, ohne daß ich ſolche weiter
vor Arbeiten des Kopfes oder des Witzes ver-
kaufen wolle. Und damit ich denjenigen, wel-
che ich mit meinen Schriften beleidiget habe,
ein Zeichen meiner wahren Reue gebe, und
mich ihrer Verzeihung deſto wuͤrdiger mache,
will ich mit allem Fleiſſe und beſter Treue an
der Zernichtigung derſelben arbeiten, und kei-
ne Muͤhe ſparen, ſie zu der Vergeſſenheit, zu
der ich ſie verurtheile, zu befoͤrdern.


Solches alles bekennet Strukaras, ma-
gnus Impoſtor \& peccator.


Er uͤbergab dieſe Schrift dem Hr. Adams,
und bat ihn, daß er ſie durch den oͤffentlichen Druck
bekannt machete. Er ſagte, weil ſeine Suͤnden
im oͤffentlichen Licht erſchienen waͤren, ſo waͤre bil-
lig, daß ſeine Buſſe ebenfalls offenbar gemacht
wuͤrde. Er fuͤgete mit Thraͤnen hinzu, daß ihn
nicht nur ſeine eigenen Suͤnden druͤcketen, ſondern
die Suͤnden aller derjenigen ſchlimmen Kunſtrich-
ter und Poeten, welche durch ihn verfuͤhrt, in ſei-
nem Geſchmacke und nach ſeinen Regeln ſchrieben.
Alle elenden Schriften, ſagte er, welche von mei-
nen entſprungen ſind, gehoͤren mir zu, ich habe
ſie zu verantworten, ich habe nicht nur in meiner
Perſon ungeſchickt geſchrieben, ſondern in den Per-
ſonen aller derer, welche ihre magern Geburten
nach meinem Unterricht verfertigen. Jch, nur ich,
habe die Aeneis ihrer Pracht und ihrer Hoheit be-
raubet, nur ich habe ſie in einen ſchlechtern Kittel
geklei-
[80]Strukaras,
gekleidet, als der franzoͤſiſche Scarron gethan.
Jch bin Urſache, daß Ovids Feuer in den neuen
Verwandlungen verloͤſchen, und ſeine ſo lebhafte
und anmuthige Geſtalt vergehen wird. Meine
Suͤnden bleiben demnach, und dauren immerfort,
ſo lange als meine Buͤcher geleſen, und zum Mu-
ſter genommen werden.


Der Hr. Adams ſchlug ſich zwanzigmahl an die
Bruſt, als er dieſe Reihe von critiſchen Uebeltha-
ten vernahm; er ſah aber auch die Buſſe eben ſo
groß, als die Suͤnden geweſen waren. ‒ ‒ ‒


Hic nonnulla expuncta.

Er troͤſtete ihn zulezt, daß wahrſcheinlicher Weiſe
ſeine Schriften nicht lange leben wuͤrden. Die
Critik und die Satyre haͤtten das ihrige ſchon red-
lich gethan, ſie zu ihrem Untergange zu begleiten,
und der Fortpflantzung ſeiner Suͤnden vorzubiegen.
Nach dieſem ſchied er mit groſſer Erbauung von ihm.


Die Bekehrung des Strukaras war aufrichtig,
er gab davon unbetruͤgliche Proben, er verbannete
den Bathyll, den Korax, und den Bucephalus auf
ewig aus ſeinem Geſichte; er kaufte etliche hun-
dert Exemplare von ſeinen eigenen Schriften den-
jenigen wieder ab, die damit betrogen worden, und
ſtellete ſie in dem Vorhofe ſeines Hauſes in der Form
eines Altares nach der Bauart zuſammen, wie er in
dem Paradieſe der Narren gethan hatte; aber an-
ſtatt daß er ſich daſelbſt zur Verehrung darauf geſtel-
let hatte, legete er iezo Feuer darunter an, und ver-
brannte ihn zu Aſche. Er konnte ſeine Ehegattin
nicht genug erheben, daß ſie das klingende Ge-
ſchwaͤtze
[81]oder die Bekehrung.
ſchwaͤtze in ſeinen Schriften vor ſo viel tauſend
Maͤnnern erkannt, und daß ſie die Redlichkeit ge-
habt hatte, ihm ſolches zu offenbaren: Er bat ſie
hundertmahl um Verzeihung, daß er ihr deßwe-
gen ſo unfreundlich begegnet waͤre. Jn zweyen
einzigen Stuͤcken ſeines critiſchen Lebenslaufes war
er noch mit ſich ſelbſt zufrieden, naͤmlich, daß er
die Hand nicht an des Ariſtoteles Poetik, und an
Opitzens Gedichte geleget hatte; dadurch, ſagte
er, haͤtte ſich das Maaß ſeiner poetiſchen Vergreif-
fungen nothwendig um ein groſſes vermehren muͤſ-
ſen. Damit er auch den Wiſſenſchaften den Nu-
zen, und den Schriften die Ehre braͤchte, welche
ſie von einem Menſchen von ſo geringen Gaben
haben konnten, lernete er das Buchbinder-Hand-
werck. Er band recht gruͤndlich und mit einem
feinen Geſchmack. Doch nahm er keine andere
Wercke an, als welche befoͤrderlich waren, ſeine
Schriften der Vergeſſenheit zu empfehlen. Man
ſagt, daß er allein in einem Jahre hundert Stuͤcke
von dem verlohrnen Paradieſe in Franzband ein-
gekleidet haͤtte. Sonſt that ihm ſeine Frau in die-
ſer neuen Profeſſion eben ſo gute Dienſte, als ſie
ihm ehmahls bey dem Buͤcherſchreiben gethan hatte.
Nach dieſer Zeit unterbrach keine ſatyriſche Geiſſel
des Tages, und keine Erſcheinung des Nachtes
ſeine Ruhe. Der Schlaf ſendete ihm lauter an-
genehme und vergnuͤgte Traͤume.


Die Bekehrung des Strukaras zog die Zerſtreu-
ung und den Untergang ſeiner Sekte nach ſich. Ein
Theil derſelben entwich nach Waldheim, wo ſie
ſich vor den Lectionen der Critik und der Zuchtru-
[Crit. Sam̃l. XII. St.] Fthe
[82]Strukaras, oder die Bekehrung.
the der Satyre geſichert wußten; ein andrer ſchlug
die Huͤtten auf dem Blocksberge auf, wo Midas
und die Faunen ihrem Geſange zuhoͤren, und ihn
mit Kraͤntzen von Haſenpappeln und Kappesblaͤt-
tern belohnen. Der Geſchmack ward allgemach
gut, nachdem kein Rector, kein Conſiſtorialrath,
und kein Miniſter ſich mehr die Muͤhe nahmen,
ihn durch ihre Lehren oder durch ihr Anſehn zu ver-
derben. Jedermann ſchrieb natuͤrlich, der nichts
anders ſchrieb, als was er empfand, oder dacht,
und man ergriff die Kunſt zu ſchreiben, ſo bald als
niemand mehr Regeln vorſchrieb, wie man mit
Kunſt ſchreiben ſollte.



Nach-
[83]

Nachrichten
von Critiſchen Geſchichten.


ES hatte ſich ein Geruͤchte ausgebreitet, daß
der beruͤhmte Profeſſ. von Leipzig, der ſonſt
gewohnt war zu ruͤhmen, daß die Deut-
ſchen erſt ſeit 13. Jahren, ſeit nemlich ſeine critiſche
Dichtkunſt zum Vorſchein gekommen, das wahre
Weſen der Poeſie haben kennen lernen, endlich
den Sieg uͤber ſein hochmuͤthiges Hertz erhalten
haͤtte, welches ihn bisdahin vermocht hatte, daß
er ſich gegen die deutlichſten Lehren der Critik und
das gruͤndlichſte Geſpoͤtte der Satyre verhaͤrtete.
Er haͤtte, hieß es, der Wahrheit, die er oͤfters
erkannt, ungeachtet er wider ſie zu Felde gegangen
waͤre, die Ehre gegeben, und oͤffentlich vor Freun-
den und Feinden bekennt, daß er das Ungluͤck ge-
habt haͤtte, ſeinen Geſchmack, den er zufaͤlliger
Weiſe angenommen, nach der Hand, da er ihn
an dem Probierſteine der Unterſuchung gepruͤffet,
vor unrichtig und betruͤglich zu erkennen; die Dresd-
niſchen Nachrichten von gelehrten Sachen, der
Hamburgiſche Correſpondent, die Zuͤrcheriſchen
Sammlungen von critiſchen Schriften haͤtten in
allen den Beſchuldigungen, ſo ſie gegen ihn gefuͤhrt,
allerdings recht, ſeine Schuͤler, denen er iezo die
Erlaubniß gaͤbe, dieſe Schriften zu leſen, wuͤrden
es bey dem kleinſten Lichte Verſtandes ſelber wahr-
nehmen. Man fuͤgte hinzu, er wuͤrde mit naͤch-
ſtem ſein leztes Buch unter die Preſſe legen, und
F 2dieſes
[84]Nachrichten
dieſes beſtuͤhnde in einer Abbitte an alle die unſchul-
digen Seelen, welche die Schwachheit gehabt haͤt-
ten, ſich von ihm bey der Naſe herumfuͤhren zu
laſſen, und einer treuhertzigen Warnung vor dem
Geſchwaͤtze, das in ſeinen Lehrbuͤchern und poeti-
ſchen Schriften mit ſolcher Kraft des Schalles und
des Miſchmaſches angebracht waͤre; dazu waͤre ein
Schluͤſſel hinzugefuͤget, die mechaniſchen Hand-
griffe und Springfedern, welche er dabey gebraucht,
zu entdecken. Man hatte ſo gar wiſſen wollen, was
ihn zu dieſem Bekenntniß, das einem Manne von
ſeinem Anſehn ſo ſauer ankommen mußte, vermocht
haͤtte. Die Frau Profeſſorin haͤtte zuerſt einen
Stral der Wahrheit erblicket, als ſie die Criti-
ken, die gegen ihren Ehegatten geſchrieben wor-
den, mit einer gewiſſen Aufmerckſamkeit geleſen,
damit ſie ſich in den Stand ſezete, ſie in dem Grun-
de zu widerlegen, ſo daß ſie Satz gegen Satz,
Schluß gegen Schluß, und Erweis gegen Erweis
ſezete. Sie haͤtte die Aufrichtigkeit gehabt, der
erkannten Wahrheit beyzutreten, und die Partey
der Critik gegen ihren Mann ſelbſt zu ergreifen.
Sie haͤtte in einer langen Unterredung mit ihm,
die Sache der Vernunft und des Witzes mit ſo
nachdruͤcklichen Gruͤnden unterſtuͤtzet, und dieſe
Gruͤnde mit untermiſchten Liebkoſungen und hun-
dert kleinen Kunſtſtreichen eines liebenswuͤrdigen
Weibes ſo gut befeſtiget, daß ſie ihn zulezt, nach
Erregung manches Affectes und der Eiferſucht ſelbſt,
auf den Pfad der Wahrheit und der Aufrichtig-
keit geleitet haͤtte, dergeſtalt, daß er alle ungerechte
Scham abgeleget, und ſich entſchloſſen, der guten
Sache
[85]von critiſchen Geſchichten.
Sache mit Abbruch des eiteln und falſchen Ruhms
Zeugniß zu geben. Es iſt nicht zu ſagen, wie ſehr
alle ehrlichen Gemuͤther durch dieſe ſiegreiche Ver-
leugnung ſeiner ſelbſt erbauet worden. Man be-
reitete ihm deßwegen einen Triumph, der weit herr-
licher war, als der Ruhm, den er auf den ſan-
digten Grund ſeiner einſichtsloſen und tonreichen
Schriften gebauet hatte.


Allein ich ſehe mich gezwungen zu ſagen, daß
dieſe ſo erbauliche Bekehrung ein leeres Geruͤchte
iſt. Der Hr. Profeſſor geſtehet ſeinen critiſchen
Gegnern noch nicht die offenbarſte Wahrheit zu;
und es iſt, ungeachtet des guten Vertrauens, das
wir gerne zu den Einſichten dieſes Scribenten faſ-
ſen wollten, doch gewiß, daß er von allen den
Schreib- und Hochmuthsſuͤnden, welche ihm vor-
geworffen worden, noch eine ſchlechte Ueberzeugung
hat. Wenn euch der Weg ungefehr nach Leipzig
fuͤhrt, ſo koͤnnet ihr aus ſeinem eigenen Munde
vernehmen, daß er feſt bey ſich beſchloſſen hat, die
hohe Einbildung von ſeinen Schriften wenigſtens
fuͤr ſich zu behalten. Es iſt vermuthlich, daß das
Geruͤchte von ſeiner Bekehrung von einer franzoͤ-
ſiſchen Schrift entſtanden, welche neulich unter
dieſem Titel zu Neufchatel herausgekommen, und
einige Umſtaͤnde in ſich enthaͤlt, die eine ziemliche
Aehnlichkeit mit der Geſchichte des Leipzigiſchen
Profeſſors haben. Alleine wer dieſelbe mit Be-
dacht lieſet, wird bald ſehen, daß wir den Stru-
karas, und die von ihm verfuͤhrte Nation nicht in
Deutſchland, ſondern weit naͤher gegen den Nord-
pol ſuchen muͤſſen. Ein ſo dicker Kopf, als des Stru-
F 3karas
[86]Nachrichten
karas war, wird nimmermehr denckende, ſchoͤ-
pfungs- und kunſtreiche Leute, die ſich in den un-
ſterblichen Schriften der Alten und der Neuern
umgeſehen, und die Erkenntniß des menſchlichen
Gemuͤthes zum Grund ihrer Schriften geleget ha-
ben, verfuͤhren koͤnnen.


Wieder auf den deutſchen Profeſſor zu kommen,
ſo iſt allein das gewiß, daß er ſeit einiger Zeit alle
Hoffnung hat verſchwinden laſſen, jemanden zu ſei-
ner Seckte zu bereden, der ſeinen Geſchmack auf
die vorhergegangene Unterſuchung gegruͤndet hat,
oder mit ſeiner Poeſie jemanden einzunehmen, der
ſich zu Horazens, Miltons und Hallers Schoͤnhei-
ten gewoͤhnet hat. Er iſt zufrieden, wenn er ſich
nur bey dem ungehirnten Theile der Nation im
Anſehn erhalten mag; und er iſt nunmehr beſchei-
den genug zuzugeben, daß ſein Nahme, und ſeine
Schriften mit ihm leben und ſterben. Nur dieſes
ſuchet er durch das vereinigte Lermen des kleinen
und des vornehmen Poͤbels von ſeinem Anhange
zu erlangen. Zu dieſer Abſicht und nicht weiter
zielet die muͤhſame Arbeit, die er durch ſeine alten
Renommiſten, die Beluſtiger, in den haͤlliſchen
Bemuͤhungen
hat vornehmen laſſen. Man ſieht
auch wohl, daß die ſophiſtiſchen Kunſtgriffe in
dieſem Wercke ſo plump und offenbar ſind, daß
nur mit dem Staren behaftete Menſchen in Ge-
fahr kommen, dadurch hintergangen zu werden.
Leute, die eine Auferziehung gehabt, die gelernet ha-
ben, dencken und aufrecht gehen, ſind uͤber dieſe
Klippe weg. Der Verfaſſer des Erweiſes, daß
die Gottſchedianiſche Secte den Geſchmack

ver-
[87]von critiſchen Geſchichten.
verderbe, hat dieſem Gezuͤchte von kleinen Kunſt-
tadlern einen toͤdtlichen Schlag verſezet, ſein uͤbri-
ges Leben wird ein beſtaͤndiger Kampf mit dem To-
de ſeyn, und es waͤhret nur darum noch laͤnger mit
ihm, weil es, wie die Hydra, hundert Koͤpfe hat,
deren jeder Gift ſpeyet und ziſchet. Sein vornehm-
ſter Kopf, der Hr. Profeſſor, iſt laͤngſt in demſel-
ben Zuſtande, und es waͤre ſchier den Krieg zu weit
getrieben, wenn man ihn die kurtze Zeit, die
er noch unter den Jeztlebenden zuzubringen hat,
in ſeiner Herrſchaft uͤber die kruͤppligten und krie-
chenden Scribenten und Leſer ſtoͤren wollte; Er
iſt genug gezuͤchtiget, daß er von dem Gipfel des
Parnaſſes, worauf er ſich in der Einbildung ge-
ſetzet hatte, in die niedrigen und moraſtigen Thaͤ-
ler deſſelben geſtuͤrtzet worden. Man findet darum
billig, den Tummelplatz, der in gegenwaͤrtigen
Critiſchen Sammlungen eroͤffnet worden, zuzu-
ſchlieſſen. Dieſes Werck hat ohnedies ſeine gehoͤ-
rige Statur erreicht; und wenn der Hr. Prof.
ſich geluͤſten lieſſe, ſein Reich weiter als uͤber
die gebrechlichen Koͤpfe der Nation zu erſtrecken,
wird es der Critik an Gelegenheit nicht fehlen, ihm
mit Huͤlfe der Satyre den lezten-Stoß in die Gru-
be zu geben.


Es iſt uͤbrigens fremden Urſachen zuzuſchreiben,
daß die Proben von dem Vermoͤgen der deutſchen
Schoͤpfungskraft und Geſchicklichkeit in gegenwaͤr-
tiger Sammlung nicht in groͤſſerer Anzahl erſchie-
nen ſind. Man ward durch die Anfaͤlle, welche
auf das wahre Weſen der poetiſchen und anderer
geiſtreichen Schreibarten geſchahen, genoͤthiget, den
F 4Platz
[88]Nachrichten von crit. Geſchichten.
Platz, den geſchickte Schriften ſelbſt mit beſſerm Rechte
eingenommen haͤtten, der Vertheidigung der Kunſtmittel,
dadurch ſie zum Reitzen und Entzuͤcken tuͤchtig gemacht
werden, einzuraͤumen. Und weil die Angriffe, die zwar
an ſich hertzlich ſchwach waren, dennoch mit ungeſtuͤmem
Geſchrey und Wuͤthen gethan, und etliche mahl widerho-
let wurden, ſo iſt es ſo gekommen, daß der niederreiſſen-
den Schriften mehr geworden ſind, als der aufbauenden.
Dennoch hat man in der Zeit, da man mit der einen Hand
auf den Feind zuſchlug, nicht unterlaſſen mit der andern
fortzubauen. Oefters hat man mitten im Niederwerffen
die Zeichnung und die Materialien zu einem geſchicktern
Bau gegeben.


Die Hoffnung, die wir bey der Unternehmung dieſer
Sammlung zu der Beyhuͤlffe geſchickter Maͤnner bey uns
genehret hatten, hat uns nicht betrogen. Kunſtverſtaͤn-
dige Maͤnner, welche mitten unter den ſchlimmen Poeten
und Kunſtlehrern lebeten, aber dem Elend, das ſie zwar
laͤngſt eingeſehen hatten, ſich nicht mit der noͤthigen Si-
cherheit und Freyheit entgegen ſetzen konnten, ſind zu uns
getreten, und haben uns die ſchaͤndliche Nachrede beſtrei-
ten helffen, in welche die Nation durch die ungezaͤumte
Frechheit ihrer Landsleute geſezt worden; ſie haben uns
nicht allein die noͤthigen Nachrichten von den Beſtrebun-
gen, und dem Fortgange der ſchlimmen Critik mitgetheilt,
ſondern auch unſere Sammlung mit etlichen abſonderli-
chen Schriften, da ſie es ſo hinter dem Berge thun konn-
ten, vermehret. Andere ſind durch unſer Beyſpiel ermun-
tert,
oder wenn das zuviel geſagt iſt, wenigſtens veran-
laſſet worden, fuͤr ſich ſelbſt, und in ihrer Heimat den
Eingriffen des verderbten Geſchmakes, ſo weit ſie Gele-
genheit gefunden, es mit Sicherheit zu thun, zu widerſte-
hen. Wir leben verſichert, daß die guten Wirckungen
von dieſem allen ſich taͤglich ſtaͤrcker und haͤufiger erzeigen
werden.


Die Falſchheit ſiehet man nur eine Zeitlang ehren,

Der Wahrheit Feuer weiß ſie endlich zu verzehren.

Regi-[89]

Appendix A Regiſter
Von den Titeln oder Aufſchriften
der Wercke und Abhandlungen, welche

in dieſer Critiſchen Sammlung zuſam-
mengetragen worden.


Appendix B

Erſtes Stuͤck.
  • Probe einer neuen Ueberſetzung Johann Miltons Verlohr-
    nen Paradieſes. Bl. 1
  • Alexander Popen Verſuch von den Eigenſchaften eines
    Kunſtrichters. 49
  • Von dem Sinnreichen und dem Scharſſinnigen. 85
  • Hans Sachs, ein Heldengedicht. 115
  • Dunckle Erklaͤrungen dieſes Heldengedichts. 132
  • Auszuͤge aus Herr Prof. Breitingers Widerlegung der
    Lettres ſur la Religion eſſentielle à l’homme, diſtinguée
    de ce qui n’en eſt que l’acceſſoire.
     138

Zweytes Stuͤck.
  • Nothwendiges Ergaͤntzungs-Stuͤcke zu der Schutz-Vor-
    rede Hrn. Dr. Tr*ll*rs vor ſeinem neuen Aeſopiſchen
    Fabelwercke. 1
  • Nuͤtzlicher Anhang von einigen authentiſchen Urkunden,
    welche dienen, den Ruhm der Tr*ll*riſchen Fabeln zu
    befeſtigen, und die neue Critiſche Dichtkunſt ſchwartz
    und haͤßlich zu machen. 56
  • Ablehnung des Verdachts, daß die Schweitzeriſche Nation
    ſich habe bereden laſſen, an Miltons Verl. Par. einen
    Geſchmack zu finden. 73
  • Nachrichten von dem Urſprung und Wachsthum der Cri-
    tk bey den Deutſchen. 81
  • Drollingers Ode uͤber die Unſterblichkeit der Seele. 181

F 5Drittes
[90]Regiſter.
Drittes Stuͤck.
  • Erklaͤrung auf einige Antworten, welche jemand dem
    Verfaſſer der Lettres ſur la Religion eſſentielle à l’hom-
    me
    gegen gewiſſe Einwuͤrffe Hr. Prof. Breitingers ge-
    liehen hat. 1
  • Von der verbluͤmten Schreibart. 17
  • Von der poſſenhaftigen Schreibart. 29
  • Apologia del Edippo di Sofocle contra le Cenſure del Si-
    gnor di Voltaire.
     37
  • Abhandlung von der Schreibart in Miltons verlohrnen
    Paradieſe. 75
  • Nachrichten von den Beluſtigungen des Witzes. 134
  • Der Complot der herrſchenden Poeten und Kunſtrichter.
     161

Viertes Stuͤck.
  • Grundriß eines epiſchen Gedichtes von dem geretteten
    Noah 1
  • Weitere Ausfuͤhrung etlicher Erfindungen mit mehrern
    Umſtaͤnden, nebſt den vornehmſten Urſachen derſelben. 9
  • Echo des deutſchen Witzes. 19
  • Critiſche Unterſuchung, wer der Verfaſſer der neuen An-
    merckungen zu der Trilleriſchen Schutzvorrede ſey. 36
  • Zureichender Grund, warum der Herausgeber des Er-
    gaͤntzungsſtuͤckes den Nahmen Tr*ll*r nur mit Sternen
    und Alltagsſtrichlein geflickt habe druͤcken laſſen. 48
  • Hiſtoriſcher Erweis, daß das Ergaͤntzungsſtuͤck zu der
    Vorrede vor dem Trilleriſchen Fabelbuche, Herr Doc-
    tor Trillern; die Vorrede und Anmerckungen zu dem-
    ſelben aber mich zum Verfaſſer haben. 61
  • Abgenoͤthigtes Lob eines critiſchen Verſuches von einer
    freyen Ueberſetzung aus der ſchweitzeriſchen in die ſaͤch-
    ſiſche Sprache. 71
    Abſonderliche Nachricht. 84

Fuͤnftes Stuͤck.
  • Des Hrn. von Mauvillon Brief von der Sprache der
    Deutſchen. 5
  • Des Hrn. von Mauvillon Brief von den deutſchen Poe-
    ten. 30
  • Anfang des Briefes von dem Fortgang der Philoſophie
    in Deutſchland. 77
  • Kurtze Abhandlung von den Dichtungen uͤberhaupt. 80

Sechstes Stuͤck.
Fortſetzung der Echo des deutſchen Witzes.
  • Eroͤrterung der Frage: Wie ferne die Koͤniginn von Sa-
    ba und der Koͤnig Herodes mit der Chriſtlichen Reli-
    gion einen Zuſammenhang haben? 5
  • Von der critiſchen Hoͤflichkeit einiger hochdeutſcher Kunſt-
    richter. 14
  • Von der critiſchen Gerechtigkeit einiger hochdeutſchen
    Kunſtrichter. 34
  • Wie die Unvollkommenheit des Gottſchediſchen Verſuches
    einer critiſchen Dichtkunſt am ſicherſten koͤnne entſchul-
    diget und gegen alle Vorwuͤrffe ſicher geſtellt werden. 44
  • Ob es wahr ſey, daß die Deutſchen an Miltons verlohr-
    nem Paradieſe keinen Geſchmack finden. 54
  • Ein halbes Hundert Vorſchlaͤge zu wichtigen und gantz
    lehrreichen critiſchen Unterſuchungen. 76
  • Neue Vorrede zur dritten Auflage der Gottſchediſchen
    Dichtkunſt von 1742. 93
  • Ecloga. 139

Siebendes Stuͤck.
  • Von dem wichtigen Antheil, den das Gluͤck beytragen
    muß einen Epiſchen Poeten zu formiren. 3
  • Von den vortrefflichen Umſtaͤnden fuͤr die Poeſie unter den
    Kaiſern aus dem ſchwaͤbiſchen Hauſe. 25
  • Von der Poeſie des ſechszehnten Jahrhundert nach ihrem
    ſchoͤnſten Lichte. 54
  • Abentheuer, das ſich mit der Aeneis Hrn. Joh. Chriſt.
    Schwartzen in Conrector Erlenbachs Schule zugetra-
    gen hat. 81
  • Neue Sachen in der critiſchen Literatur. 91

Achtes Stuͤck.
  • Von der Poeſie des ſechszehnten Jahrhunderts. 3
  • Critiſche Betrachtungen uͤber des Herrn von Hagedorn
    Ode auf den Weiſen.
    Wohl-
    [92]Regiſter.
    Wohlgemeinter Vorſchlag, wie Herrn Chriſtoph Schwar-
    zen deutſche Aeneis von dem Gerichte der Maklatur
    noch zu erretten waͤre. 33
  • Verſuch einer Ueberſetzung von Fabeln aus einer deutſchen
    Handſchrift des vierzehnten Jahrhunderts. 54
  • Sinnliche Erzehlung von der mechaniſchen Verfertigung
    des deutſchen Original-Stuͤckes von Cato. 80

Neuntes Stuͤck.
  • Von dem Zuſtande der deutſchen Poeſie bey Ankunft Mar-
    tin Opitzens. 3
  • Martin Opitzens verworffene Gedichte. 42
  • Genaue Pruͤffung der Gottſchediſchen Ueberſetzung Hora-
    zens von der Dichtkunſt. 75
  • Nachrichten von einigen neuen Schriften. 106

Zehntes Stuͤck.
  • Verſuch eines epiſchen Gedichtes von David dem Koͤnig
    in Juda. 3
  • Des Herrn Vatry Gedancken von den Choͤren in den
    Trauerſpielen. 85

Eilfftes Stuͤck.
  • Hrn. Joh. Chriſtoph Gottſcheds Schreiben an die deutſche
    Geſellſchaft von Greifswalde. 6
  • Petermanns von Langnau Schreiben an die deutſche Ge-
    ſellſchaft von Greifswalde. 25
  • Arion eine poetiſche Erzehlung. 69
  • Neue Fabeln. 88

Zwoͤlfftes Stuͤck.
  • Critiſche Unterſuchung, wie weit ſich ein Poet des gemei-
    nen Wahnes und der Sage bedienen koͤnne. 1
  • Verſuch uͤber den Urſprung der Wiſſenſchaften. 33
  • Strukaras, oder die Bekehrung. 54
  • Nachrichten von critiſchen Geſchichten. 88

ENDE.

[]
Notes
a
Ein augenſcheinlicher Beweiß, daß Strukaras nicht,
wie einige argwoͤhniſche vermeinen wollten, G. ſey, weil die-
ſer leztere mit fremden Haaren pranget.

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CC-BY-4.0
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2025). Bodmer, Johann Jakob. Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bhpr.0