der merkwuͤrdigſten
Aſiatiſchen Nationen.
dargeſtellt.
bey Johann Ernſt Meyer, 1776.
[][]
Vorbericht.
So unangenehm und
uͤberfluͤßig manchmal
die weitſchweifigen
und ermuͤdenden Vorreden vor
kleinen Buͤchern ſind: — und
ſo ſehr wir auch ſelbſt wuͤnſch-
ten, dieſem Werke keinen Vor-
* 2bericht
[]Vorbericht.
bericht vorſetzen zu duͤrfen; ſo
ſehen wir uns doch der ver-
ſchiedenen Leſer wegen, die dieß
Buch erhalten koͤnnte, genoͤ-
thigt, eins und das andre zu
erinnern.
Wahrſcheinlicherweiſe wer-
den in dem Publikum der Le-
ſerwelt einige ſeyn, die, beym
erſten Anblick, dieſes Werk fuͤr
etwas ſehr Ueberfluͤßiges hal-
ten duͤrften: — ſie werden ſich
ſonder Zweifel gleich erinnern,
daß ſie vor langer oder kur-
zer
[]Vorbericht.
zer Zeit einige Quartanten und
Folianten uͤber eben die Ge-
genſtaͤnde, die unſer Buch be-
handelt, mit vielem Vergnuͤ-
gen durchgeleſen, und daher
itzt weiter nichts mehr daruͤ-
ber zu leſen wuͤnſchen. Fuͤr
dieſe fleißigen Durchwuͤhler ſtar-
ker Quartanten, haben die
Verfaſſer dieſes Werks auch
nicht ſchreiben — ſie nicht in
ihrem gelehrten Fleiße ſtoͤhren
wollen. — Aber nicht allen
in der deutſchen Leſerwelt iſt
die Geduld gegeben, ſo wie
* 3jene
[]Vorbericht.
jene Herren, große Quartan-
ten durchzuleſen. Nicht alle
haben Luſt alles zu leſen, und
zu wiſſen, was ein Reiſebe-
ſchreiber geſehen und gehoͤrt
hat. Nicht alle beſitzen Ur-
theilskraft genug — die Guͤte
und Zuverlaͤßigkeit, eines Rei-
ſebeſchreibers pruͤfen zu koͤn-
nen. — Und dieſem Leſepu-
blikum, das gewiß unendlich
groͤßer iſt, als vorhinerwaͤhnte
Folianten-Liebhaber — iſt un-
ſre Arbeit vorzuͤglich gewid-
met.
Unſers
[]Vorbericht.
Unſers Wiſſens, hat man
in Deutſchland bis itzt noch
kein Werk, von der Art, wie
wir itzt dem Leſer vorlegen.
Wir hatten bey Verfaſſung
deſſelben bloß die Abſicht, dem
Publikum eine concentrit hi-
ſtoriſch richtige Darſtel-
lung des Intereſſanteſten
in dem Character, Den-
kensart, Sitten, Gebraͤu-
chen, religioͤſen Ideen u. f.
verſchiedener merkwuͤrdigen
aſiatiſchen Nationen, zu ge-
ben, und ihm dadurch einer
* 4ermuͤ-
[]Vorbericht.
ermuͤdenden Arbeit, die vielen
Buͤcher nachzuſchlagen und zu
leſen — zu uͤberheben. — Es
kommt dem vernuͤnftigen und
billigen Leſer zu — und nicht
dem, der alles fuͤr ſchlecht und
unrecht haͤlt, was er nicht
ſelbſt geſchrieben und gemacht
hat — zu beurtheilen, ob wir
dieſe Abſicht erreicht haben oder
nicht.
Und hier koͤnnte ſchon die-
ſer Vorbericht geſchloſſen wer-
den, wenn wir uns nicht fuͤr
ver-
[]Vorbericht.
verpflichtet hielten, dem Leſer
anzuzeigen, was wir bey Aus-
arbeitung dieſes Werks fuͤr
Reiſebeſchreiber gebraucht ha-
ben. — Auf das Gerathewohl
haben wir Niemand nachzubeten
Luſt, und fuͤr das leſende Pu-
blikum zu viel Achtung ge-
habt; ſondern wir haben z. E.
bey Perſien den Inſtar omnium,
den Ritter Chardin zum Grun-
de, ſind aber ſehr haͤufig von
ihm abgegangen, und ſonder-
lich da, wo wir entweder Wi-
derſpruͤche, oder offenbare Un-
* 5rich-
[]Vorbericht.
richtigkeiten vorfanden. Soll-
te uns aber Jemand deswe-
gen tadeln, daß wir dem Char-
din zu oft gefolgt; ſo iſt es
ein ſicheres Zeichen, daß er ihn
nie geleſen, oder die Zuverlaͤßig-
keit deſſelben nicht kenne. — Bey
China ſind vorzuͤglich Duͤ Halde
Hiſtoire de la Chine,Le Com-
pte, Martini (hiſt. Sin.) Neu-
hoff, Carery, KirchersChi-
na illuſtr. (doch aber ſelten) Ma-
gaillan und andere, unſre
Fuͤhrer geweſen. — Wir haͤt-
ten die Behandlung des Cha-
racte-
[]Vorbericht.
racteriſtiſchen der Chineſer, aus
unſerm Plan, nachdem Herr
von Paw ſeine Unterſuchun-
gen geſchrieben hat, heraus-
laſſen koͤnnen. Da wir aber
ein Ganzes, und die Chineſer ei-
nes der merkwuͤrdigſten Voͤlker
ſind, liefern, auch dieß Volk nicht
philoſophiſch, ſondern hiſtoriſch
beſchreiben wollten; ſo konn-
ten ſie hier ihren Platz nicht
verliehren. Ein billiger Mann
wird uns doch hieruͤber nicht
tadeln! —
Der
[]Vorbericht.
Der zweyte und letzte
Band — der aber etwas ſtaͤr-
ker werden duͤrfte, als dieſer
erſte — wird ohnfehlbar kuͤnf-
tige Oſtermeſſe erſcheinen, und
wuͤnſchen, daß unſre Arbeit zur
Befoͤrderung der Menſchen-
kenntniß etwas beytragen moͤge.
Die Verfaſſer.
Leipziger Michael-Meſſe.
1776.
Inhalt.
[]
Inhalt.
Perſer.
- Erſtes Kapite[l].
- Vermiſchte Anmerkungen uͤber das Cli-
ma — Denkart — Sitten und Ge-
braͤuche der Perſer. S. 3
- Vermiſchte Anmerkungen uͤber das Cli-
- Zweytes Kapitel.
- Von den Uebungen und Spielen —
Vom dem Luxus der Perſer — Vom
Haram der Weiber des Koͤnigs —
Vom Heyrathen — Tod und Be-
graͤbniß. S. 44
- Von den Uebungen und Spielen —
- Drittes Kapitel.
- Von dem Zuſtande der Wiſſenſchaften
unter den Perſern. — Ihre Art
zu ſtudiren. — Von der perſiſchen
und
[] und arabiſchen Sprache. — Ihre
Schreibekunſt. S. 73
- Von dem Zuſtande der Wiſſenſchaften
- Viertes Kapitel.
- Von der Dichtkunſt, Mathematik, Aſtro-
nomie, Aſtrologie und Philoſophie der
Perſer. S. 88
- Von der Dichtkunſt, Mathematik, Aſtro-
- Fuͤnftes Kapitel.
- Von einigen Kuͤnſten, Handwerken und
Manufacturen. S. 113
- Von einigen Kuͤnſten, Handwerken und
- Sechſtes Kapitel.
- Von der Juſtitz und dem buͤrgerlichen
Rechte. — Vom Criminalrechte
und Policey der Perſer. S. 136
- Von der Juſtitz und dem buͤrgerlichen
- Siebentes Kapitel.
- Von der Geiſtlichkeit in Perſien. S. 144
- Achtes Kapitel.
- Von den Religionen, welche in Perſien
geduldet werden. S. 152
- Von den Religionen, welche in Perſien
- Neuntes Kapitel.
- Von der perſiſchen Religion. S. 172
Chineſer.
- Erſtes Kapitel.
- Bemerkungen uͤber den Character, Sit-
ten und Gebraͤuche der Chineſer S. 193
- Bemerkungen uͤber den Character, Sit-
- Zweytes Kapitel.
- Von dem Zuſtande der Gelehrſamkeit in
China uͤberhaupt — Von ihrer
Aſtronomie — Geometrie — Poeſie,
Hiſtorie und Sprache — von ihrer
Muſik und muſikaliſchen Inſtrumen-
ten — von ihrem Papier und Drucke-
rey. S. 211
- Von dem Zuſtande der Gelehrſamkeit in
- Drittes Kapitel.
- Von der Schiffahrt — dem Handel
und einigen Manufacturen in China. S. 229
- Von der Schiffahrt — dem Handel
- Viertes Kapitel.
- Von der Regierungsart — Policey —
kayſerlichen Einkuͤnften — Geſetzen —
Strafen in China. S. 245
- Von der Regierungsart — Policey —
- Fuͤnftes Kapitel.
- Von der Religion der Chineſer. S. 279
[[1]]
Perſer.
‘Vitae ratio varia et commutabilis.’
(CICERO.)
A
[[2]][[3]]
Erſtes Kapitel.
Vermiſchte Anmerkungen uͤber das Clima
— Denkart — Sitten und Ge-
braͤuche der Perſer.
Ehe ich mich in eine genaue Dar-
ſtellung des Intereſſanteſten in
den perſiſchen Sitten, Gebraͤu-
chen, Denkart einlaſſe: ſcheint
es mir noͤthig zu ſeyn, vorher dem Leſer einige
allgemeine Bemerkungen uͤber die Luft und das
Clima Perſiens — weil jene durch dieſe ihre
Richtung erhalten — mitzutheilen.
Perſien iſt an und fuͤr ſich ein ungemein
duͤrres, bergichtes und wenig bewohntes Land:
und man kann annehmen, daß kaum der zehn-
te oder zwoͤlfte Theil bewohnt iſt. Beſonders
A 2be-
[4] bemerkt man dieſen Mangel an Einwohnern
immer mehr und mehr, je weiter man ſich den
mittaͤgigen Gegenden des Reichs naͤhert. Die
Haupturſache hiervon liegt vermuthlich haupt-
ſaͤchlich darinn, daß es faſt im ganzen Lande an
hinreichendem Waſſer fehlt. Indeſſen koͤnnte
aber doch der Zufluß des Waſſers, und folglich
die Fruchtbarkeit des Landes leicht, wenigſtens
um einen großen Theil, befoͤrdert werden, wenn
es durch unterirrdiſche Canaͤle zu den waſſer-
armen Orten geleitet wuͤrde. — Allein der
Mangel an Menſchen, und die ihnen faſt ange-
bohrne Neigung zur Faulheit und zum Muͤßig-
gange, verurſacht, daß das Land nicht hinlaͤng-
lich bebauet und fruchtbar gemacht wird. *)
In
[5]
In einem ſo großen und weitlaͤuftigen
Reiche, wie Perſien iſt, muß natuͤrlicherweiſe
die Luft und das Clima ſehr verſchieden ſeyn.
Xenophon erzaͤhlt vom Cyrus, daß dieſer ein-
mal folgende Worte wegen der Verſchiedenheit
der Temperatur der Luft ſoll ausgeſprochen ha-
ben: das Reich meines Vaters iſt ſo groß,
daß man an einem Orte vor Kaͤlte erſtar-
ren, und am andern vor Hitze zerſchmelzen
moͤchte. Dieſe Beſchreibung des Cyrus hat
noch itzt, nach dem einhelligen Zeugniſſe der
zuverlaͤßigſten Reiſebeſchreiber ihre voͤllige Rich-
tigkeit, wenn gleich Perſien gegenwaͤrtig bey
weitem nicht mehr ſo groß iſt, wie es zu den
Zeiten des Cyrus war.
Der Winter iſt in den nordoͤſtlichen Pro-
vinzen uͤberaus rauh und faſt unaushaltbar.
A 3Da-
*)
[6] Dagegen aber iſt die Hitze in den mittaͤglichen
Gegenden, beſonders gegen dem perſiſchen Meer-
buſen, nicht allein unausſtehlich heiß, ſondern
auch zu gewiſſen Zeiten oft toͤdlich. Die Ein-
wohner dieſer Gegenden wiſſen ohngefaͤhr die
Zeit, wenn die Hitze bringenden Winde zu
wehen anfangen. Alsdenn verlaſſen ſie ihre
Felder und alles, was ſie haben, und begeben
ſich auf die hoͤchſten Berge. Vom October
bis zum May trift man an den Kuͤſten des
Caſpiſchen Meers, hauptſaͤchlich aber in Me-
zand an und Chilan Oerter an, die zugleich
heiß und feuchte, und folglich ſehr ungeſund
ſind. Dieſe beyden Provinzen ſind von Na-
tur die ſchoͤnſten Laͤnder. Die Perſer nennen
ſie deswegen auch das Paradieß, weil ſich kei-
ne angenehmere und zugleich erquickendere Luft
denken laͤßt, als man hier einige Monathe
hindurch verſpuͤrt. Wer die Einwohner die-
ſes Landes anſieht, der wird auch gleich an ih-
rer Geſtalt und Farbe merken, daß in den an-
dern Monathen des Jahrs die ungeſundeſte
Luft ſeyn muͤſſe, die ſie aber einigermaßen ge-
wohnt zu ſeyn ſcheinen.
Indeſſen findet man doch in ganz Perſien
kein Land, daß an unertraͤglicher Hitze mit den
vorherbeſchriebenen koͤnnte verglichen werden.
Und wenn man gleich uͤberall eine trockene und
heiße Luft antrift; ſo muß man dieß dem Man-
gel an Regen zuſchreiben, welches uͤbrigens
auf die Natur der Einwohner weiter keinen
ſchaͤd-
[7] ſchaͤdlichen Einfluß hat. Es iſt gar nichts Un-
gewoͤhnliches, wenn man in einigen Gegenden
Perſiens den ganzen Sommer hindurch keinen
Tropfen Regen fallen, und keine Wolke am
Himmel aufſteigen ſieht. Man ſollte alſo den-
ken, daß alle Producte der Erde — daß Ge-
ſundheit und Verſtand verlohren gingen! Al-
lein jene erhalten dadurch gar keinen Scha-
den, und dieſe doch nur ſehr wenig. *)
Sommer und Winter wechſeln ſo ab, daß
jener vom May bis September, und dieſer
vom November bis April gerechnet wird. Wenn
ein ſtarker und heftiger Wind den Anfang des
Mays begleitet, ſo iſt man ſicher, daß nun-
mehr die angenehmen Sommertage wieder zu-
ruͤckkommen. Man rechnet die Sommernaͤch-
te auf 10 Stunden. Sie ſind kuͤhle und uͤber-
aus erquickend. — Vom Donner und Blitz
und Erdbeben weiß man wenig oder gar nichts
zu ſagen, wovon man natuͤrlicherweiſe die Ur-
ſache in der trocknen Luft, und in den aus der
Erde wenig aufſteigenden Feuchtigkeiten ſuchen
A 4muß.
[8] muß. Der Regenbogen iſt den Perſern auch
unbekannt, weil die Luft nicht mit uͤberfluͤßi-
gen Waſſertheilchen, die eigentlich den Regen-
bogen bewuͤrken, angefuͤllet iſt. Man bemerkt
aber in den Sommernaͤchten glaͤnzende Stralen
am Himmel, welche durch die Wolken hervor-
glaͤnzen, und gewiſſe Merkmale von Rauch
hinter ſich zu laſſen ſcheinen. — Im Fruͤhjahre
hagelt es zuweilen, wodurch das Getrayde,
weil es denn ſchon ziemlich aufgeſchoſſen iſt,
oft ſehr beſchaͤdigt wird. Erdbeben giebt es
ſelten, ausgenommen in Mezandran, wo
man ſie gewoͤhnlich im Fruͤhjahre verſpuͤrt.
Wir haben geglaubt, dieſe allgemeinen Be-
merkungen uͤber Luft und Clima voranſchicken
zu muͤſſen, weil dadurch Manches in den per-
ſiſchen Sitten, Denkart u. ſ. w. verſtaͤndli-
cher und erklaͤrbarer ſeyn wird: und gehen itzt
zu einer naͤhern Auseinanderſetzung des Intereſ-
ſanteſten in den Sitten und Gebraͤuchen dieſer
Nation uͤber. — Wir werden auch hier vor-
zuͤglich dem ſcharfſichtigen und getreuen Beob-
achter von Perſien, dem Ritter Chardin fol-
gen, und nur da von ihm abgehen, wo uns
die Erzaͤhlungen anderer Reiſebeſchreiber wahr-
ſcheinlicher und beſtimmter vorkommen.
Die Perſer gehoͤren unter diejenigen Voͤl-
ker des Orients, denen es Ernſt geweſen iſt,
ihre Sitten fruͤh zu vervollkommnen und nach
ihrer Denkart anſtaͤndige Gebraͤuche einzufuͤhren.
Vielleicht waͤre die Behauptung nicht unrecht,
wenn
[9] wenn man ſie als das Volk anſaͤhe, welchem
alle andere Nationen des Morgenlandes die
Verfeinerung ihrer Sitten zu danken haben.
— Der franzoͤſirende Sineſer hat ſonder Zwei-
fel ſeine Hoͤflichkeit dem Perſer zu verdanken;
nur das Unnatuͤrliche in der Hoͤflichkeit und dem
Complimentenmachen bey dieſer Nation kann
man den Perſern nicht anrechnen. Die Sineſer
ſind gegen Fremde zu uͤbertrieben hoͤflich, und
uͤbertreffen hierin den ſonſt unnatuͤrlichen Klein-
meiſter unter den Franzoſen unendlich weit.
Die Perſer ſind gleichfalls gegen Fremde uͤber-
aus hoͤflich und beſcheiden. Man koͤnnte daher
die Perſer, in Anſehung ihrer Hoͤflichkeit, bey-
nahe mit den Deutſchen und die Sineſer mit
den Franzoſen vergleichen.
Die Perſer ſind, ihrer Leibesgeſtalt nach,
urſpruͤnglich haͤßlich und uͤbelgebildet. Ihre Haut
iſt grob und von fahler Couleur. Dieß findet
man auch an den Guebers, (die ein Ueber-
bleibſel der alten Perſer ſind, von welchen un-
ten weitlaͤuftiger ſoll gehandelt werden) und an
den Einwohnern der Provinzen, die an Indien
graͤnzen, wo die Menſchen eben ſo haͤßlich und
uͤbelgebildet ſind als die Guebers, weil ſich
dieſe gemeiniglich mit einander zu verbinden pfle-
gen. Im Innern des perſiſchen Reichs aber,
findet man dieſe Maͤngel in Abſicht der aͤußern
Bildung des Koͤrpers nicht. Der Grund
hiervon liegt in ihrer Vermiſchung mit den
Circaſſierinnen und Georgianerinnen, wel-
A 5che
[10] che die Natur ſonder Zweifel mit den ſchoͤn-
ſten, reitzendſten und wohlgeſtalteſten Koͤrpern
verſehen hat. Man findet in Perſien faſt kei-
ne Perſon von Stande, die nicht von einer
circaſſiſchen oder georgianiſchen Mutter geboh-
ren waͤre. Durch dieſe Vermiſchung, die nun
ſchon uͤber zweyhundert Jahre lang gedauert
hat, ſind die Perſer, und ſonderlich die Stan-
desperſonen, vorzuͤglich ſchoͤn gebildet worden.
Die Mannsperſonen ſind gewoͤhnlich groß, gera-
de, muthig, von guter Mine. Hierzu traͤgt
das gute Clima und die Maͤßigkeit, worin ſie
erzogen werden, ungemein viel bey.
Außer dieſer vorzuͤglich ſchoͤnen Bildung
des Koͤrpers beſitzen ſie auch fuͤrtrefliche Gaben
des Geiſtes: ihre Einbildungskraft iſt lebhaft,
prompt und fruchtbar, ihr Gedaͤchtniß leicht
und ſtark. Sie haben ſowohl zu den freyen
als mechaniſchen Kuͤnſten viele Neigung, und
haben einige derſelben bis zu einem hohen Grad
der Vollkommenheit gebracht, wenn gleich eini-
ge derſelben — wie man in dem Kapitel, das
von den freien und mechaniſchen Kuͤnſten han-
delt, ſehen wird — aus Urſachen wenig oder gar
nicht bearbeitet werden. Ihre Neigung zum Krieg
iſt gleichfalls ſtark, weil ſie uͤberaus ruhmbe-
gierig ſind. Ihr Naturell iſt biegſam und ge-
ſchmeidig und ihr Verſtand ſcharf, durchdrin-
gend. Sie ſind galant, hoͤflich, artig und
guterzogen. Aber ihr natuͤrlicher Hang zur
Ausſchweifung in der Wolluſt, Pracht, Auf-
wande
[11] wande und Verſchwendung hat bey ihnen kei-
ne Graͤnzen, daraus ſichs denn auch leicht er-
klaͤren laͤßt warum ſie ſo ſchlechte Wirthe ſind,
und ſich auf den Handel gar nicht verſtehen.
Es iſt uͤberhaupt gewiß, daß es den Per-
ſern an Talenten in allen Stuͤcken gar nicht feh-
le, und wenn ſie dieſe gehoͤrig anwenden woll-
ten; ſo wuͤrden ſie vielleicht die poliſirteſte und
gluͤcklichſte Nation des Erdbodens ſeyn.
Sie raiſonniren uͤber die Guͤter und das Ue-
bel dieſes Lebens, uͤber die Hofnung und Furcht
des zukuͤnftigen ſehr philoſophiſch: ſie ſind dem
Geitze wenig ergeben, und denken bloß daran,
wie ſie ſich bald große Reichthuͤmer erwerben
koͤnnen, um zu gewaltigen Verſchwenden Ge-
legenheit zu haben. Ihre Hauptmaxime hier-
inn iſt dieſe: Alle Guͤter der Welt ſo viel
als moglich, in ihrer ganzen Staͤrke zu
genießen. Auf die Zukunft pflegen ſie keine
Ruͤckſicht zu nehmen, ſondern ſie berufen ſich
immer auf die Fuͤrſehung und auf das Schick-
ſal. Dieſes halten ſie fuͤr unveraͤnderlich und
gewiß. Deßwegen uͤberlaſſen ſie ſich demſelben
blindlings. Auch ſieht man ſie nicht traurig,
wenn ihnen Ungluͤcksfaͤlle und dergleichen zu-
ſtoßen; ſondern ſie troͤſten ſich mit den Wor-
ten: mek toub eſt, das heißt, es hat ſo ſeyn
muͤſſen.
Nach dieſen Begriffen iſt es ſehr natuͤrlich,
daß die Perſer ſo wenig in die Zukunft ſehen,
und
[12] und alles, was ſie haben, durchzubringen pfle-
gen. Sie wiſſen mit dem Gelde gar nicht um-
zugehen, und verſchwenden in kurzer Zeit alles,
was ſie haben. Wenn, z. B. der Koͤnig Je-
manden ein Geſchenk von funfzig oder hundert
tauſend Thalern macht; ſo iſt es ihm eine Klei-
nigkeit, dieß Suͤmmchen in vierzehn Tagen oder
hoͤchſtens in vier Wochen durchzubringen. Er
kauft ſich Sclaven von beiden Geſchlechtern,
miethet ſich ſchoͤne Frauen, haͤlt ſich praͤchtige
Equipage, meublirt ſeine Zimmer, kleidet ſich
auf das koſtbarſte, und iſt der Verſchwendung
ſo lange ergeben, bis das Geld in anderer Haͤn-
de iſt. Alsdann ſieht er ſich genoͤthigt ſeine
Sclaven, Equipage, Kleidungen u. ſ. w. nach
und nach zu verkaufen und wieder in ſeinen vo-
rigen Zuſtand zuruͤckzukehren.
Das Lobenswuͤrdigſte an den Sitten der
Perſer iſt die Freundlichkeit, mit der ſie Frem-
den zu begegnen pflegen, die Gefaͤlligkeit, ſie
aufzunehmen und der Schutz, den ſie ihnen an-
gedeihen laſſen. Ihre Gaſtfreyheit gegen
Jedermann, und ihre Toleranz gegen andre
Religionsverwandte ſind Tugenden, die man
faſt uͤberall bey ihnen antrift. Freylich, was
die Toleranz in religioͤſen Dingen betrift, muß
man die Landgeiſtlichen hiervon ausnehmen,
denn dieſe ſind gemeiniglich, wie uͤberall, ſo in-
tolerant, daß ſie durchaus Niemanden, der
nicht von ihrer Religion iſt, ausſtehen koͤn-
nen.
[13] nen. *) Hingegen geht in den Staͤdten dieſe
Duldung ſo weit, daß ſie ſo gar denen, die
ihre Religion angenommen, und die hernach
wieder zu der Religion, die ſie erſt verlaſſen
hatten, zuruͤckkehren, nicht das geringſte Leid
zufuͤgen. Sie glauben, daß das Gebet eines
jeden Menſchen gut und wuͤrkſam ſey, und ver-
laſſen ſich auch bey gefaͤhrlichen Krankheiten
auf das Gebet und Fuͤrbitte anderer, die nicht
ihrer Religion zugethan ſind. — Man muß
dieß nicht den Grundſaͤtzen ihrer Religion, (ob
ſie gleich allen fremden Gottesdienſt erlaubt,)
zuſchreiben, ſondern den gelinden und feinen
Sitten dieſes Volks, welches keiner Haͤrte und
Grauſamkeit faͤhig iſt.
Da die Perſer, wie ich ſchon angemerkt
habe, ſo verſchwenderiſch und uͤppig ſind; ſo
iſt es auch ſehr natuͤrlich, daß ſie zu keiner Ar-
beit aufgelegt ſind und oft ganze Tage mit
Nichtsthun hinzubringen pflegen. Sie haſſen
die Arbeit: und das iſt gewoͤhnlich der Grund
ihrer Armuth. Man nennt in Perſien die
Faulen und die, welche ohne Arbeit ſind, Ser-
guerdan, welches ſo viel heißt, als den Kopf
von einer Seite zur andern drehen.
Die
[14]
Die Perſer ſchlagen ſich niemals. Ihre
ganze Wuth bricht in Schimpfen und Fluͤchen
aus. Wenn ſich alſo zwey Perſonen zanken;
ſo ſchlagen ſie ſich nicht, ſondern ſie laſſen ihrer
Zunge freyen Lauf, ſchimpfen und fluchen nach
Herzens Luſt ſo ſtark und ſo viel, als ſie koͤnnen,
je nach dem ſie hierinn in ihren juͤngern Jahren
gut unterrichtet ſind. Dieſe Arten von niedri-
ger Vertheidigung gegen die Beſchimpfung an-
derer, ſind gemeiniglich von den geheimſten
Theilen des menſchlichen Koͤrpers hergenom-
men, und dieß erſtreckt ſich auch ſo gar bis auf
die Vornehmſten im Reiche. Das gemeine
Volk kennt durchgaͤngig keine andre Art von
Gegenwehr. —
So tadelnswuͤrdig nun auch dieſes in der
That iſt; ſo hoͤrt man unter ihnen doch nichts
von Gotteslaͤſterungen. Dergleichen Suͤnden
ſind bey ihnen nicht nur unerhoͤrt, ſondern ſie
koͤnnen es auch gar nicht begreifen, wie die
Europaͤer, wenn ſie im Zorn ſind, bey dem
Namen Gottes ſchwoͤren koͤnnen. Ihre ge-
woͤhnlichen Schwuͤre ſind: Eruca pigumber,
d. h. bey dem Geiſte des Propheten. Die
Kriegesleute und Bedienten des Hofes ſchwoͤ-
ren gewoͤhnlich bey dem geheili[g]ten Kopfe
des Koͤniges. Die ihnen natuͤrlichen und
gelaͤufigſten Bekraͤftigungen ſind: bey mei-
nem Kopfe: bey meinen Augen.
Es laͤßt ſich nicht wohl reimen, wie eine
Nation, die den Namen Gottes fuͤr ſo heilig
haͤlt,
[15] haͤlt, doch denſelben immer im Munde fuͤhren,
und zu gleicher Zeit die groͤbſten Zoten vorbrin-
gen koͤnne. Sie loben Gott unaufhoͤrlich, ſie
moͤgen ſeyn, wo ſie wollen, ſich aufhalten, thun,
was ſie wollen. Sie erheben die Vollkommen-
heiten Gottes alle Augenblicke, und ſind zu
gleicher Zeit im Stande mitten unter dieſen Lo-
beserhebungen von den Heimlichkeiten des
Frauenzimmers auf eine ſehr unſchickliche Art
zu reden. Doch muß man hier anmerken, daß
dieſes meiſtentheils nur bey dem gemeinen Man-
ne Statt finde.
Unter die groͤbſten Laſter, welchen die Per-
ſer ergeben ſind, muß man ihre Verſtellung,
Betruͤgereyen und Schmeicheleyen rechnen, de-
nen ſie auf eine außerordentliche Art ergeben
ſind. — Ihre Schmeicheleyen uͤbertreffen alle
Erwartungen: ſie ſind in dieſer Kunſt ſo geuͤbt,
und wiſſen ſie ſo am rechten Orte anzubringen,
daß man wuͤrklich glauben ſollte, ſie daͤchten ſo,
wie ſie redeten. Allein man wird bald gewahr,
daß unter dieſen Schmeicheleyen nichts weiter
als eigennuͤtzige Abſichten verborgen ſind. Ihre
Verſtellung und Betruͤgereyen — zwey Laſter,
die mit einander gleichſam verſchwiſtert ſind —
uͤberſteigen alle Vorſtellungen. Sie leihen, ge-
ben es aber ſelten wieder zuruͤck; und koͤnnen
ſie es dahin bringen, daß ſie es gar nicht wie-
der zuruͤckzugeben brauchen, ſo ſind ſie daruͤber
aͤußerſt zufrieden. — So entehrend nun dieß
in der That fuͤr den Character und die Denk-
art
[16] art der Perſer iſt, ſo wuͤrde es dennoch immer
lobenswerth ſeyn, wenn ſie dieſe Hinterliſtigkeit
und Betruͤgereyen nur unter ſich ausuͤbten,
und andre, mit denen ſie Unterhandlungen ha-
ben, damit verſchonten. Aber dabey laſſen ſie
es nicht bewenden. Iſt es ihnen moͤglich frem-
de Nationen, mit denen ſie Handel treiben, zu
betruͤgen, ſo thun ſie dieß nicht mehr als ger-
ne. — Wer die Perſer in dieſem Stuͤcke, ſon-
derlich der, welcher mit ihnen Handel treibt,
nicht kennt, und ihnen ſein ganzes Vertrauen
ſchenkt; laͤuft Gefahr, ſein ganzes Vermoͤgen
in ihren Haͤnden zu ſehen.
Mit dieſer Kunſt der Betruͤgerey verbinden
die Perſer ein uͤberaus demuͤrhiges Weſen, re-
den von Moralitaͤt und Menſchlichkeit ſo ge-
ſund, aͤußern in ihrem Betragen ſo viel Red-
lichkeit des Herzens, verachten mit einer ehrli-
chen Mine ſo ſehr alle Arten von Wohlleben
und Hoffarth, daß man ſie fuͤr die aufrichtig-
ſten Leute von der Welt halten muß. Aber ei-
ne naͤhere Bekanntſchaft und Umgang mit ih-
nen macht, daß man ſie bald als ſolche verab-
ſcheuen muß, bey denen Rechtſchaffenheit
und Ehrlichkeit bloße Toͤne ohne Bedeutung
ſind. — Dieſe Characteriſirung der Denkart
der Perſer in dieſem Stuͤcke, leidet natuͤrlicher-
weiſe auch ihre Ausnahmen. Es giebt unter
ihnen ſowohl, als unter allen andern Voͤlkern,
Leute, die ſich ſolche niedrige Geſinnungen nicht
vorzuwerfen brauchen; aber ſie ſind doch ſelten.
Im
[17] Im Ganzen alſo kann man in dieſem Puncte
kein vortheilhaftes Urtheil uͤber dieſe Nation
faͤllen.
Bey einer ſolchen gaͤnzlichen Verkehrtheit
in den Handlungen und der Denkart der Per-
ſer, ſollte man glauben, daß ſie ihre Kinder
von Jugend auf in ſolchen ſchlechten Maximen
auferzoͤgen; daß ſie ſich wenig oder gar nicht
um die Erziehung derſelben bekuͤmmerten. Aber
vielleicht giebt es wenige Voͤlker in der Welt,
die eine ſolche Sorgfalt auf den Unterricht und
die Erziehung der Kinder wenden, als die Per-
ſer. Ja man kann beynahe ſagen, daß ſie ſich
des Unterrichts und der Erziehung der Kinder,
im Ganzen genommen, eifriger angelegen ſeyn
laſſen, als die ſonſt ſo civiliſirten Europaͤer. —
Eines jeden wohlhabenden Perſers erſte Sorge
fuͤr ſeine Kinder iſt die, daß er ſie der Aufſicht
eines Verſchnittenen (welcher vorzuͤglich auf
ihr ſittliches Betragen achten muß) uͤbergiebt.
Dieſe Eunuchen oder Verſchnittene beſtim-
men, mit Zuziehung der Eltern, die Wiſſen-
ſchaften, worinn die Kinder vorzuͤglich unter-
richtet werden ſollen, *) und waͤhlen dazu die
ge-
B
[18] geſchickteſten Lehrer. *) Sie haben nicht die
Gewohnheit, ihre Kinder in oͤffentliche Schu-
len zu ſchicken, aus Furcht ſie moͤchten verdor-
ben werden. — **) Dieſer Fleiß in Erziehung
der Kinder erſtreckt ſich aber nicht bloß auf die
Vornehmen, ſondern auch der gemeine Mann
laͤßt
[19] laͤßt es nicht an Muͤhe fehlen, ſeinen Kindern
einen guten Unterricht und eine vernuͤnftige
Erziehung zu verſchaffen. Er ſchickt ſie fruͤh-
zeitig in die Schule, und wenn ſie wieder zu
Hauſe kommen, ſo muͤſſen ſie gleich wieder an
die Arbeit gehen, und etwa das Handwerk, das
der Vater treibt, lernen. Das wilde Herum-
laufen auf den Straßen wird dadurch fuͤrtref-
lich gehemmt. — Herrliche Grundſaͤtze,
die in Europa allgemein ſollten befolgt
werden, oder vielmehr ſchon laͤngſt all-
gemein ſeyn ſollten.
Die jungen Leute kommen nicht eher in die
große Welt, als im zwanzigſten Jahre, es ſey
dann, daß man bey ihnen einen Hang zur Lie-
be verſpuͤrte und ſie alsdann fruͤher verheyra-
thete. Denn man pflegt ihnen ſchon, wie be-
reits erwaͤhnt, im ſechzehnten oder ſiebenzehnten
Jahre Concubinen zu geben. Bey einer ſol-
chen Veraͤnderung der Lebensart der jungen Leu-
te, ſcheinen ſie anfangs ziemlich hoͤflich, ernſt-
haft, ehrlich und ſtill zu ſeyn. In der Folge
aber laſſen ſie ſich leicht durch das boͤſe Exem-
pel andrer zur Leichtfertigkeit und dergleichen
Dingen verleiten.
Es iſt ſchon im vorhergehenden bemerkt
worden, daß die Perſer mit unter die civiliſir-
teſten Voͤlker des Orients muͤſſen gerechnet wer-
den. Ihre Mienen und Geberden ſind einneh-
mend, ſanft, majeſtaͤtiſch, und im moͤglichſten
Grade einſchmeichelnd. Wenn zwey Perſonen
B 2ſich
[20] ſich irgendwo zuſammentreffen; ſo bekompli-
mentiren ſie ſich uͤber den Vortritt auf eine
hoͤchſt laͤcherliche Art, und doch weiß ein jeder
den ihm zukommenden Platz einzunehmen. —
Zwey Dinge ſcheinen ihnen in unſern Sitten
ausſchweifend zu ſeyn: Einmal, daß wir uns
bey unſern Zuſammenkuͤnften ſo ſehr um den
Rang ſtreiten, und dann, daß wir den Hut
abnehmen, wenn wir andern unſre Ehrerbie-
tung wollen zu erkennen geben. Dieſes letzte-
re halten ſie fuͤr einen Mangel der Achtung,
die einer dem andern ſchuldig ſey, oder fuͤr ei-
ne Freyheit, deren man ſich nur gegen Niedri-
ge oder gegen ſeine vertrauteſten Freunde bedie-
nen koͤnne. Wenn ſie einen vorzuͤglich ehren
wollen; ſo laſſen ſie ihn zur Linken ſetzen.
Denn die Linke iſt bey ihnen das, was bey uns
die Rechte. Man ſagt, daß dieſe Gewohnheit
vom Cyrus ſey eingefuͤhrt worden. Denn
dieſer habe allemal denjenigen, welchen er vor-
zuͤglich ehren wollte, zur Linken gehen laſſen.
Die Geſelligkeit iſt eine Eigenſchaft, welche
die Perſer vorzuͤglich characteriſirt. Sie beſu-
chen ſich einander ſehr fleißig, es mag nun bey
traurigen oder freudigen Gelegenheiten, oder
bey ſolennen Feſten ſeyn. Die Vornehmen er-
warten zuerſt den Beſuch der Geringern, denen
ſie hernach auch ihre Gegenviſite machen. Die
Hofleute gehen zu den Miniſtern, um dieſen ihr
Compliment zu machen. Man fuͤhrt ſie in
große
[21] große Saͤle, wo man ihnen Taback *) und Caf-
fee vorſetzt, bis der Herr des Hauſes, der ſich
ſo lange bey dem Frauenzimmer aufhaͤlt, in das
Zimmer tritt. So bald er erſcheint, ſtehen
die Anweſenden alle auf, und bleiben auf ihrer
Stelle ſtehen, ohne ſich zu bewegen. Er macht
eine leichte Verbeugung mit dem Kopfe gegen
die ganze Geſellſchaft, welche dieſes auf das
ehrerbietigſte zu erwiedern pflegt. Hierauf ſetzt
er ſich an ſeinem gewoͤhnlichen Ort nieder, und
giebt der Geſellſchaft durch einen Wink zu er-
kennen, ſich auch zu ſetzen. Und wann er dann
wieder fortgehen will; ſo ſteht er auf, gehet zu-
erſt heraus und alle folgen ihm. Die Großen
empfangen auch auf eben dieſe Weiſe den Be-
ſuch derer, die geringer ſind als ſie: aber mit
ihres Gleichen oder mit noch Vornehmern, ma-
chen ſie ſehr viele Umſtaͤnde. Man bewillkommt
ſie auf eine artige Weiſe: man ſetzt ſich zuletzt
nieder, und ſtehet nicht eher auf, als bis die
andern aufgeſtanden ſind. Der Herr des Hau-
ſes ſitzt immer am aͤußerſten Ende; und wenn
er jemanden beſonders ehren will, ſo winkt er
ihm durch ein Zeichen, ſich neben ihm zu ſetzen.
Er bietet ſeinen eignen Platz niemals Jeman-
den an, weil ſichs der, dem man dieß zumu-
B 3thete,
[22] thete, fuͤr eine Beleidigung anrechnen wuͤrde:
aber wenn man ſeinen außerordentlichen Re-
ſpect bezeigen will; ſo ſteht man auf, und ſetzt
ſich der geehrten Perſon zur Seite, aber doch
unten an.
Wenn die Perſon, mit der man zu ſpre-
chen wuͤnſcht, von vornehmer Herkunft iſt; ſo
beobachtet man folgendes dabey. Man geht
ganz ſachte in das Zimmer, und ſtellt ſich bey
dem Sitze, der zunaͤchſt ledig ſteht. Hier bleibt
man mit den Fuͤßen dicht neben einander —
mit den Haͤnden eingeſchlagen — mit herunter
gebuͤcktem Kopfe, — mit ſtarren Augen, ſteif
und gravitaͤtiſch ſo lange ſtehen, bis der Herr
des Hauſes den Wink zum Sitzen giebt, wel-
ches er gemeiniglich entweder mit dem Kopfe
oder der Hand verrichtet. Wer einen Beſuch
von einen Hoͤhern bekommt, der ſteht auf, ſo
bald jener herein kommt, und ſtellt ſich, als
wolle er ihm entgegen gehen. Wer aber einen
Beſuch von ſeines Gleichen erhaͤlt, ſteht nur
halb auf; iſt der Beſuch eine Perſon von ge-
ringer Extraction, und doch einer Ehre wuͤr-
dig; ſo macht er nur eine leichte Bewegung,
als wenn er aufſtehen wollte. Hat er ſchon
einige zum Beſuch bey ſich; ſo ſtehen dieſe nicht
auf, wenn Jemand in das Zimmer tritt, wenn
es nicht der Herr des Hauſes zuerſt thut, oder
wenn man nicht eine ganz beſondre Hochach-
tung fuͤr die Perſon hat, die herein tritt.
Die
[23]
Die Perſer beobachten in der Art ſich zu
ſetzen viele ſonderbare Caͤrimonien. Vor Per-
ſonen, denen man Achtung ſchuldig iſt, pflegt
man ſich auf die Ferſen zu ſetzen und die Fuͤße
und Knie dicht an einander zu haben. Vor
ſeines Gleichen aber faͤllt dieſe Unbequemlichkeit
weg: man ſetzt ſich bequemer, indem man die
Fuͤße kreuzweis uͤber einander ſchlaͤgt. Wenn
ein Freund den andern beſucht; ſo ſagt er zu
ihm: ſetze dich nach deiner Bequemlich-
keit, das heißt, lege deine Fuͤße uͤber einander
wie du willſt. Man aͤndert aber ſeine Stel-
lung niemals, wenn man auch einen halben
Tag ſitzen muͤßte. Die Orientaler ſind nicht
ſo beweglich und ſo unruhig, als wir. Sie
ſitzen ernſthaft und ſteif; ſie machen mit dem
Koͤrper nie eine Bewegung oder Geberde; vor-
zuͤglich beobachten ſie dieß bey ihren Reden und
Handlungen. Unſre Gewohnheiten hierinn
ſetzen ſie in Erſtaunen, und ſie koͤnnen es nicht
glauben, daß ein Menſch, in deſſen Kopfe noch
geſunder Menſchenverſtand obwalte, bey ſeinen
Reden und Handlungen ſo geſticuliren koͤnne.
— Es iſt auch bey ihnen eine große Unhoͤflich-
keit, die Spitzen der Fuͤße beym Sitzen ſehen
zu laſſen. Man muß ſie unter dem Rocke
verbergen.
Die Begruͤßungen geſchehen mit Kopfni-
cken, und dieß iſt am gewoͤhnlichſten. Man
pflegt aber auch zuweilen die rechte Hand an
den Mund zu legen, und ſo begruͤßen ſich ge-
B 4mei-
[24] meiniglich gute Freunde, ſonderlich, wenn ſie
ſich einander lange nicht geſehen haben. End-
lich kuͤſſen und umarmen ſie ſich auch, beſon-
ders bey ganz ungewoͤhnlichen Vorfallenheiten,
oder nach gluͤcklich zuruͤckgelegten langen Rei-
ſen.
In den Worten ſind ſie bey ihren Beſuchen
ungemein zaͤrtlich und hoͤflich. Sie wiederho-
len ihre Complimente mehr als einmal, und
ſuchen ſonderlich in ihren Reden die Ausdruͤcke
zu vermeiden, die eine Traurigkeit in der Seele
zuruͤcklaſſen koͤnnten. Daher holen ſie weit
aus, wenn ſie etwas Unangenehmes erzaͤhlen
muͤſſen. Z. E. Wenn ſie ſagen wollen, es ſey
Jemand geſtorben, ſo ſagen ſie: Amrekodber
chuma bakchid, d. h. er hat euch ein Ge-
ſchenk mit den Jahren gemacht, die er
noch haͤtte leben koͤnnen, d. h. er konnte
noch lange Jahre leben u. ſ. w. Aber ſehr oft
werden dergleichen Redensarten an dem un-
rechten Orte angebracht. So erzaͤhlt Chardin
eine ziemlich naive Geſchichte von einem Gene-
ral der Infanterie zu den Zeiten AbasII.
Dieſer Koͤnig, der einen ſcharfen, durchdrin-
genden Verſtand hatte, erhielt einen weiſſen
Baͤren aus Moskau zum Geſchenk, und gab
ihn dem General zur Verwahrung, weil er
glaubte, daß dieſer ihn beſſer verſorgen wuͤrde,
als die uͤbrigen Aufſeher der wilden Thiere.
Indeſſen aber ſtarb doch der Baͤr. Nach eini-
ger Zeit fragte der Koͤnig den General nach dem
Baͤren,
[25] Baͤren, und wollte wiſſen, was er mache. Der
General antwortete darauf: Er hat Eurer
Majeſtaͤt ein Geſchenk mit den Jahren
gemacht, die er noch haͤtte leben koͤnnen.
Der Koͤnig erwiederte ihm laͤchelnd: Ihr
ſeyd wohl ſelbſt ein Baͤr, weil ihr glaubt,
daß die Jahre eines Thiers zu den meinigen
koͤnnten geſchlagen werden. — Man hat von
dieſem General der Infanterie eine andere aͤhn-
liche Hiſtorie, welche hier nicht uͤberfluͤßig ſeyn
wird, weil man dadurch der Perſer Art zu re-
den erſehen kann. Der Koͤnig gieng außer der
Stadt Iſpahan laͤngſt dem Berge Kouſo-
pha, welcher nur eine kleine franzoͤſiſche Meile
von der Stadt liegt, ſpatzieren. Wie er eine
dicke Wolke auf der Spitze des Felſens ſah, ſag-
te er zu dem General: Sieh einmal dieſe dicke
Wolke auf der Spitze des Felſens: ſie ſieht dem
Hute der Franken ſehr aͤhnlich — dieſen Na-
men geben die Orientaler den europaͤiſchen Chri-
ſten — Es iſt wahr, Sire, antwortete der
General: Gott gebe, daß Ew. Maj. ſie
alle uͤberwaͤnden. Wie ſo? erwiederte der
Koͤnig laͤchelnd, iſt es moͤglich, daß ich ſie
uͤberwinde? Sie ſind uͤber zweyhundert
Meilen von mir entfernt; und ich kann
nicht einmal die Tuͤrken uͤberwinden, die
meine Nachbarn ſind.
So hoͤflich nun aber auch die Perſer immer
ſeyn moͤgen; ſo thun ſie doch nichts aus Groß-
muth — eine Tugend, die man im Orient we-
B 5nig
[26] nig oder gar nicht kennt. Da ſowohl der Koͤr-
per als das Gluͤck Sclaven einer ganz deſpoti-
ſchen Macht ſind; ſo muͤſſen auch dieſer die
Geiſtesgaben und der Muth unterliegen. Da-
her handeln ſie bloß aus Eigennutz, und das
entweder aus Furcht oder aus Hoffnung. Es
iſt ihnen unglaublich, daß es in andern Laͤndern
Leute giebt, die ihren Naͤchſten aus lautern Ab-
ſichten behuͤlflich ſind, ohne fuͤr ihre Dienſte
eine Belohnung zu fodern. Bey ihnen iſt dieß
ganz umgekehrt. Sie laſſen ſich alles bezah-
len und nicht ſelten im voraus. Verlangt man
etwas von ihnen, ſo erhaͤlt mans zwar, aber
das Geſchenk muß gleich dagegen gegeben wer-
den. Die Armen und Elenden duͤrfen nicht
vor den Großen erſcheinen, und uͤberhaupt vor
ſolchen, bey den ſie etwas zu ſuchen haben,
wenn ſie ihnen nicht zugleich ein Geſchenk mit-
bringen, es mag uͤbrigens ſo wenig und nichts-
bedeutend ſeyn, als es will. Sie nehmen al-
les an, Fruͤchte, Vieh u. ſ. w. Wer mit der-
gleichen nicht aufwarten kann, giebt irgend et-
was anders, auch wohl Geld. Dergleichen
Geſchenke annehmen zu koͤnnen, wird fuͤr eine
große Ehre gehalten. Man nimmt ſie oͤffent-
lich an; ſo gar auch alsdann, wann ſich die
groͤßeſte Geſellſchaft verſammlet hat. — Dieſe
Gewohnheit wird im ganzen Orient uͤberall
beybehalten, und ſie iſt vielleicht eine der aͤlte-
ſten, ſo lange die Welt geſtanden hat.
Die
[27]
Die Perſer lieben weder die Spatziergaͤnge,
noch auch die Reiſen. Das Spatzierengehen
kommt ihnen als eine abgeſchmackte Gewohn-
heit der Europaͤer vor: und die Spatzierenge-
her halten ſie fuͤr Leute, denen der gemeine
Menſchenverſtand fehlt. Das Auf- und Ab-
gehen in den Aleen kommt ihnen abſurd vor;
denn, ſagen ſie, warum ſoll ich nach einen Ort
gehen, ohne da Geſchaͤfte zu haben? — Viel-
leicht kommt dieß daher, weil ſie in einem beſ-
ſern und gemaͤßigtern Clima leben, als wir.
Sie haben nicht ſo viel aufwallendes Blut, als
wir noͤrdlichen Voͤlker. — In Perſien kennt
man das nicht, was wir Motion, (Bewegung)
nennen. Bey dem Stillſitzen befinden ſie ſich
auch wuͤrklich beſſer, als bey dem vielen Gehen.
Das Frauenzimmer und die Verſchnittenen
machen ſich uͤberhaupt wenig oder gar keine Be-
wegung; ſie ſitzen oder liegen beſtaͤndig, ohne
daß ihre Geſundheit darunter leidet. Die
Mannsperſonen hingegen reiten und gehen ſel-
ten zu Fuße. Ueberhaupt beſchaͤftigen ſie ſich
mit den Leibesuͤbungen bloß des Vergnuͤgens
und nicht der Geſundheit wegen.
Das Clima einer jeden Nation iſt vermuth-
lich allemal die Haupturſache der Neigungen
und Gebraͤuche der Menſchen. Wenigſtens
werden dieſe durch jene beſtimmt.
Zum Reiſen haben die Perſer gar keinen
Hang. Sie kennen das Vergnuͤgen, welches
das Reiſen und die Beobachtung der Sitten
und
[28] und der Lebensart fremder Voͤlker gewaͤhren,
gar nicht. Und wenn ſie hoͤren, wie viele Ko-
ſten und große Beſchwerden die Europaͤer, um
andere Laͤnder zu ſehen, anwenden und uͤberneh-
men; ſo koͤnnen ſie ſich uͤber die Neugierde und
Sonderbarkeit ſolcher Leute nicht genug ver-
wundern. Ihr ganzes Vergnuͤgen beſtehet in
der Ruhe. Sie glauben auch, daß ein Jeder
Fremder, wenn er kein Kaufmann oder Kuͤnſt-
ler iſt, ein Spion ſey, und Leute von Diſtin-
ction wuͤrden es fuͤr ein Staatsverbrechen hal-
ten, einen Fremden zu ſich zu noͤthigen, oder
ihn zu beſuchen. Daher kann man ſich auch
die unbeſchreibliche Unwiſſenheit der Perſer in
Anſehung der Kenntniß anderer Voͤlker, ihrer
Sitten, Lebensarten, Denkart u. ſ. w. erklaͤren.
Sie haben weder Beſchreibungen von fremden
Laͤndern, noch Zeitungen. Selbſt die Staats-
miniſter — wenn man im Allgemeinen von ih-
nen redet — wiſſen eben ſo wenig etwas von
dem zu ſagen, was in Europa vorgeht, als von
dem was im Monde geſchieht. Die meiſten
haben gemeiniglich nur ſehr dunkle, verworre-
ne und entfernte Begriffe von Europa, welches
ſie fuͤr eine kleine Inſel in der Nordſee halten,
wo man weder Gutes noch Schoͤnes ſieht: daher
kommt es, ſagen ſie, daß die Europaͤer in der
ganzen Welt herumreiſen, um ſich die ſchoͤnen
Sachen zu holen, die ihnen ſo ſehr fehlen.
Dem ohngeachtet aber iſt vielleicht kein Land
in der Welt, wo ein Reiſender mit mehr Si-
cher-
[29] cherheit ſeinen Weg verfolgen kann, als Per-
ſien, wenn gleich, wie ich ſchon geſagt habe, die
ganze Nation eine natuͤrliche Abneigung gegen
das Reiſen hat. — Das Reiſen in dieſem Lan-
de verurſachet auch nicht viel Koſten; wozu die
vielen oͤffentlichen Gebaͤude, die bloß der Be-
quemlichkeit und des Nutzens der Reiſenden
und der Carawanen wegen aufgefuͤhrt ſind, vie-
les beytragen. In einem ſolchen oͤffentlichen
Gebaͤude wohnt man ohne das geringſte dafuͤr
zu bezahlen.
Die Namen, welche die Perſer fuͤhren, wer-
den ihnen entweder beygelegt, wenn ſie geboh-
ren oder auch wenn ſie beſchnitten werden.
Dieſe Namen ſind entweder von beruͤhmten
Perſonen ihrer Religion oder des Alten Teſta-
ments, oder auch aus ihrer Geſchichte entlehnt.
Denn ein jeder giebt ſich einen Namen, welchen
er will; ſie haben aber keine Zunamen oder Fa-
milien- und Geſchlechtsnamen. Sie nehmen
Ehrenhalber oft den Zunamen des Vaters oder
des Sohns an, z. E. Abraham der Sohn
Jacobs, Mohammed der Sohn des Aly.
Es iſt auch unter ihnen ſehr gebraͤuchlich, ver-
ſchiedene Zunamen anzunehmen, als z. E. den
Namen des Vaters und des Sohns. Oft ge-
brauchen ſie auch ihre Profeſſion ſtatt eines Zu-
namens; z. E. Mohammed Cajan, d. h.
Mohammed der Schneider; Soliman
Atari, d. h. Soliman der Materialiſt;
Jouaeri, d. h. der Jubelirer; Stamboli,
d. h.
[30] d. h. der Conſtantinopolitaner. — Lobens-
werth bleibt es, daß ſie dieſe Arten von Zuna-
men auch noch alsdenn deybehalten, wenn ſie
entweder zu großen Reichthuͤmern gelangt, oder
ein wichtiges Amt im Staate erhalten haben.
Die Kleidungsart der Orientaler iſt nicht
ſo vielen Abaͤnderungen unterworfen, wie die
unſrige. Sie werden allezeit nach einer Façon
gemacht; und wenn ſich die Klugheit einer Na-
tion in dem beſtaͤndigen Gebrauch einer Art
von Kleidung zeigt; ſo muß man den Perſern
dieſe Klugheit ſchlechterdings zugeſtehen. Sie
nehmen nie eine Veraͤnderung vor weder in den
Farben noch Façons. — Chardin verſichert,
er habe zu Iſpahan die Kleider des Tamerlans
geſehen, die man dort in der Schatzkammer
verwahrt. Ihr Zuſchnitt und uͤberhaupt die
ganze Beſchaffenheit derſelben ſey eben dieſelbe,
als ſie noch itzt iſt.
Die Mannsperſonen tragen keine Hoſen,
ſondern einen doppelten Caleçon, *) der bis an
den Knoͤchel des Fußes gehet, aber eigentlich
kein Fußzeug hat. Vorne iſt er nicht offen,
ſondern man muß ihn losbinden, wenn man
ſeine Nothdurft verrichten will. Das Hemde
iſt lang, bedecket die Knie und haͤngt uͤber den
Caleçon. Vorne auf der rechten Seite iſt es
von den Bruͤſten an bis auf den Magen offen,
eben
[31] eben ſo wie unſere; es hat aber keinen Kragen,
ſondern eine bloße Nath, wie die Hemden des
europaͤiſchen Frauenzimmers. Die vornehmen
Frauensperſonen, zuweilen auch die Maͤnner,
machen bey Solennitaͤten an dieſe Nath einen
mit Perlen geſtickten Saum von einem Finger
breit. Ihr Hals iſt bloß, ſo, daß man weder
Maͤnner noch Weiber ſieht, die ihn mit Zierra-
then behangen haͤtten. Die Maͤnner tragen
uͤber das Hemde eine baumwollene Weſte, wel-
che vorne uͤber den Nabel zugeknoͤpfet wird,
und bis auf die Knieſcheibe heruntergeht. Ueber
dieſe Weſte tragen ſie einen langen Rock, wel-
chen ſie Cabai nennen, der ſo breit wie ein
Weiberrock iſt. Allein oben iſt er ſehr enge.
Vorne am Magen wird er doppelt umgeſchla-
gen, und das eine Ende unter dem linken und
das andere unter dem rechten Arme befeſtigt.
Die Ermel an einem ſolchen Rocke ſind ſehr
enge, aber ungemein lang, daher man ſie auch
oben an dem Arme zu ſpalten und an der Fauſt
zuzuknoͤpfen pflegt. — Die Cavaliers tragen
auch Cabais nach der georgianiſchen Mo-
de, deren Unterſchied darinn beſtehet, daß ſie
vorne am Magen offen und mit Knoͤpfen und
Schnuͤren verſehen ſind. Obgleich dieſer Rock
um den Lenden ſehr feſt anſchließt; ſo umwi-
ckelt man ihn doch in dieſer Gegend mit zwey
oder drey Guͤrteln, welche vier Finger breit,
ſehr reich und ſchoͤn ſind. Dieß nun verurſacht,
daß der Rock um den Magen eine große Hoͤ-
lung
[32] lung bekoͤmmt, worinn ſie dasjenige, was ſie
ſicher verwahren wollen, legen, ſo wie wir in
unſre Hoſentaſchen.
Man traͤgt uͤber dieſen Rock einen andern,
der entweder kurz und ohne Ermel, alsdann
heißt er Courdy — oder lang, und mit Er-
meln verſehen iſt — dann wird er Cadebi ge-
nannt — Beyde werden nach Beſchaffenheit
der Jahrszeit getragen. — Dieſe Roͤcke ſind
eben ſo, wie die langen Roͤcke zugeſchnitten,
naͤmlich unten breit und oben enge, wie Klo-
cken. Sie werden von Tuch oder von golde-
nem Brocard oder groben Satin gemacht, und
man beſetzt ſie entweder mit goldenen oder ſil-
bernen Spitzen oder Treſſen. Einige ſind mit
Marderfellen verbraͤmt und gefuͤttert, andere
mir tartariſchen oder bactrianiſchen Hammel-
fellen, die ſo fein wie Haare ſind. *) Die
Verbraͤmung geht vom Halſe bis auf den Ma-
gen, und gleich darauf folgt eine Reihe Knoͤ-
pfe, die bloß zur Zierda da ſind. Denn man
pflegt die Roͤcke nicht zuzuknoͤpfen.
Die Struͤmpfe ſind gewoͤhnlicherweiſe von
Tuch, faſt wie ein Sack zugeſchnitten, ſo daß
auf die Waden keine Ruͤckſicht genommen wird.
Sie reichen nur bis unter das Knie, wo man
ſie zubindet. Um die Ferſen herum legt man
ein Stuͤck roh Leder, damit der Hake am Schu-
he,
[33] he, welcher ſehr ſcharf iſt, nicht den Strumpf
durchſchneide und Schmerzen verurſache. Seit-
dem aber die Europaͤer mit den Perſern Han-
del zu treiben angefangen haben: ſeitdem tra-
gen ſie auch Struͤmpfe von Tuch. Vor Zei-
ten trug Niemand Struͤmpfe in Perſien; und
ſelbſt der Koͤnig gieng ſo, wie noch itzt die Sol-
daten, Fuhrleute, Fußknechte, und gemeine Leu-
te, die naͤmlich ihre Fuͤße mit einer groben ſechs
Finger breiten und drey bis vier Ellen langen
Leinwand umwickeln, beynah ſo, wie man ein
Kind zu wickeln pflegt. Indeſſen muß man
doch geſtehen, daß dieſe Tracht dem gemeinen
Manne, und uͤberhaupt ſolchen, die viel gehen
muͤſſen, ungemein bequem ſey. Man macht
ſie leicht und dicke, je nach dem es die Jahrszeit
erfordert. Sie haͤlt den Fuß bedeckt, und wenn
der Fuß naß oder ſchmutzig geworden iſt, ſo
wird er ſo fort getrocknet und gereiniget. Im
Winter iſt der ganze Fuß bedeckt: aber im
Sommer ziehen ſie im Schuhen keine Struͤm-
pfe an.
Die Schuhe der Perſer ſind von verſchied-
ner Façon; alle aber haben keine Schuhriemen,
und koͤnnen auch an der Seite nicht geoͤfnet
werden. Man belegt ſie aber mit Eiſen und
ſchlaͤgt vorne gegen die Spitze des Fußes kleine
Naͤgel in die Sohlen, damit ſie nicht ſo bald
zerreiſſen. Die Schuhe der Vornehmen ſehen
beynahe wie Frauens-Pantoffeln aus, ſo daß es
nicht ſchwer iſt, ſie abzuwerfen, wenn man in
Cdas
[34] das Logis kommt, wo der Boden gewoͤhnlich
mit Teppichen belegt iſt. Die Schuhe ſind von
gruͤnem Chagrin oder auch wohl von einer an-
dern Farbe. Die Sohlen ſolcher Schuhe ſind
ſehr duͤnne, und nicht dicker als ein Karten-
blatt, dabey aber ſind ſie von dem ſchoͤnſten Le-
der. Einige Schuhe beſtehen oben aus Leder;
einige hingegen aus geſtrickter Baumwolle.
Dieſe letzte Art iſt nicht nur ſtaͤrker, ſondern
ſie paſſen auch ſehr gut, und der Fuß kann nicht
darinn hin und her glitſchen. Beym Anziehen
derſelben muß man ein gewiſſes Inſtrument
haben; ſonſt kann man ſehr bequem darinn ge-
hen und laufen. — Die armen Leute machen
die Sohlen aus Cameelleder, weil dieſes viel
dauerhafter als anderes Leder iſt. Indeſſen
hat es doch die große Unbequemlichkeit, daß es
ſehr weich iſt, und das Waſſer, wie ein
Schwamm, an ſich zieht. Die Landleute ma-
chen ihre Schuhſohlen aus Lumpen und Stuͤ-
cken Leinwand, die ſie auf eine artige Weiſe in
Ordnung zu bringen wiſſen.
Der Turban — den ſie in ihrer Sprache
Dulbend nennen — macht das ſchoͤnſte Stuͤck
ihrer Kleidung aus. Er iſt ſo ſchwer, daß man
ſich in der That daruͤber wundern muß, wie ſie
eine ſolche Laſt auf dem Kopfe tragen koͤnnen. —
Sie wiegen manchmal zwoͤlf bis funfzehn
Pfund; die leichteſten aber etwa halb ſo viel.
Dieſe Turbans beſtehen unten aus grober Lein-
wand, welche ordentlicher Weiſe die Form
macht.
[35] macht. Ueber derſelben findet man ein feines
Seidenzeug. Die Geiſtlichkeit traͤgt uͤber der
groben Leinwand feines weiſſes Neſſeltuch. An
dieſen Turbans hangen reich mit Blumen ge-
wuͤrkte Enden von ſechs bis ſieben Zoll breit
herunter, woraus man durch einen Knoten
mitten auf dem Turban eine Art von Buͤſchel
macht. Wenn gleich dieſer Kopfputz an und
fuͤr ſich ſchon ſehr ſchwer iſt; ſo traͤgt man den-
noch unter dem Turban eine Platmuͤtze von
Leinwand, zuweilen auch von Tuch. — Man
vermuthet nicht mit Unrecht, daß das Clima
in Perſien eine ſolche ſtarke Bedeckung des Ko-
pfes nothwendig mache; denn man ſieht unter
ihnen nichts allgemein beobachtet, was nicht
ſeine guten Urſachen haͤtte. Die beſtaͤndigen
Gebraͤuche ſind gar nicht Wuͤrkungen des Ei-
genſinns. —
Die Zeuge, welche zu den Kleidern genom-
men werden, ſind entweder von Seide oder von
Baumwolle. — Die Hemden und Caleçons
ſind von Seide. — Die Weſten und Roͤcke
ſind doppelt gefuͤttert mit Fellen und guter Lein-
wand, um die Waͤrme dadurch mehr zu befoͤr-
dern.
Schwarze Farben pflegt man im Orient
nirgends zu tragen, und vorzuͤglich nicht in
Perſien. Dieß iſt ihnen eine traurige und un-
ausſtehliche Farbe, die man nicht einmal anſe-
hen koͤnne. Sie nennen ſie deswegen auch die
Teufelsfarbe. Sonſt pflegen ſie auch aller-
C 2ley
[36] ley Farben zu tragen, ohne auf Stand, Alter
u. ſ. w. Ruͤckſicht zu nehmen. Es ſieht uͤber-
aus artig aus, wenn man auf oͤffentlichen Plaͤ-
tzen eine Menge Leute auf ſo vielfache Art ge-
kleidet ſieht.
Die Perſer laſſen gemeiniglich den Bart
am Kinne und im ganzen Geſichte wachſen,
aber nur kurz und ſo, daß er die Haut bedeckt.
Man muß aber hiervon die Geiſtlichen und
uͤberall ſolche Leute ausnehmen, die ein heiliges
Leben affectiren: denn dieſe laſſen ihn lang
wachſen. — Die Kriegsleute und Cavaliere
tragen nur Stutzbaͤrte und zwar laſſen ſie ihn
ſo groß werden, daß ſie ihn fuͤglich hinter die
Ohren legen koͤnnen. *) Die langen tuͤrkiſchen
Baͤrte ſind den Perſern unausſtehlich, denen
ſie daher einen haͤßlichen Namen beylegen, (ſie
nennen nemlich einen tuͤrkiſchen Bart un balais
de privé.)
So viel von der Art, wie ſich die Manns-
perſonen kleiden. Itzt will ich zu den Kleider-
trachten des Frauenzimmers uͤbergehen.
Die Art, wie ſich die Weiber in Perſien zu
kleiden pflegen, hat mit der der Mannsper-
ſonen viele Aehnlichkeit.. Ihre Caleçons haͤn-
gen ihnen weiter herunter — ſind enger und
dicker,
[37] dicker, weil ſie gewoͤhnlich keine Struͤmpfe zu
tragen pflegen. Sie bedecken ihre Fuͤße mit
einer Art von Halbſtiefeln, welche vier Finger
hoch uͤber den Fußknoͤchel gehen, und gemeini-
glich von geſticktem Zeuge oder ſehr ſchoͤnem
Stoffe gemacht ſind. Das Hemde, welches
ſie Camis heißen, iſt vorne bis an den Nabel
offen. Ihre Weſten ſind laͤnger, und reichen
faſt bis auf die Schuhe. Der Guͤrtel, den ſie
um den Leib zu tragen pflegen, iſt ſehr duͤnne,
und etwa nur einen Zoll breit. Ihr Kopf iſt
mit einem Schleier wohl bedeckt, der ihnen bis
auf die Schultern herunter haͤngt, und zugleich
Hals und Buſen bedeckt. Wenn ſie ausgehen,
ſo haͤngen ſie uͤber dieſen noch einen großen weiſ-
ſen Schleier, der nicht nur den Kopf und Bu-
ſen, ſondern auch zugleich den ganzen Koͤrper
einhuͤllet, ſo daß man faſt weiter nichts als das
Auge ſehen kann. Ein jedes Frauenzimmer
haͤlt ſich gemeiniglich viererley Arten von
Schleier: zwey fuͤrs Haus, und zwey wenn ſie
im Publikum erſcheinen. Der erſte iſt wie ein
Leichenſchleier gemacht und haͤngt hinten, der
Zierde wegen, lang herunter. — Der zweyte
geht bis unter das Kinn, und bedeckt den Bu-
ſen. — Der dritte iſt der vorhingenannte weiſ-
ſe Schleier, welcher den ganzen Koͤrper um-
giebt. — Der vierte endlich iſt eine Art von
Schnupftuch, den ſie am Geſichte und an den
Schlaͤfen befeſtigen. — Die Armenianerinnen
haben ſich im Hauſe das Geſicht von unten bis
C 3uͤber
[38] uͤber die Naſe geſchleiert, wenn ſie naͤmlich ſchon
verheyrathet ſind. Dieß geſchieht darum, da-
mit ihre Anverwandten und Prieſter, denen
die Erlaubniß, das Frauenzimmer zu beſuchen,
nicht verweigert iſt, nur einen Theil des Ge-
ſichts ſehen koͤnnen. — Dieſe Bewandniß hat
es, wie ich geſagt habe, mit den Verheyrathe-
ten. Allein das unverheyrathete Frauenzim-
mer bedeckt ſich mit dem Schleier nur bis uͤber
den Mund, damit man von ihrer Schoͤnheit
oder Haͤßlichkeit urtheilen koͤnne. Die Schleier,
deren ſich das Frauenzimmer bedient, gehoͤren
mit unter die aͤlteſten Gebraͤuche, wovon die
Geſchichte redet; allein man kann nicht gewiß
wiſſen, ob ſie dieß aus Schamhaftigkeit, eitler
Ehre, oder aus Eiferſucht ihrer Maͤnner gethan
haben. — Weder das Frauenzimmer noch die
Mannsperſonen tragen Handſchuh, die im
Orient ganz unbekannt ſind.
Der Kopfputz des Frauenzimmers iſt nicht
zu dem hohen Grad der Abſurditaͤt geſtiegen,
wie bey uns Europaͤern. Er iſt ſimpel und
uͤberaus anſtaͤndig. Ihre Haare haben ſie hin-
ten am Kopfe in Flechten gebunden: und eine
Hauptſchoͤnheit beſtehet darinn, wenn dieſe
Flechten dicke ſind, und bis auf die Ferſen her-
unterhaͤngen. Reicht das natuͤrliche Haar zu
dieſer Flechte nicht zu; ſo verlaͤngert man ſie
durch ſeidene Zoͤpfe. Man ziert die Enden ei-
ner ſolchen Flechte mit koſtbaren Perlen oder
mit einem Bouquet von Steinen u. ſ. w.
Das
[39]
Das ſchwarze Haar, ſowohl auf dem Ko-
pfe als am Barte und Augenbraunen koͤnnen
die Perſer vorzuͤglich leiden. Die dicken und
ſtarken Augenbraunen, uͤberhaupt wenn ſie von
beiden Seiten zuſammenhangen, ſind bey ihnen
hauptſaͤchlich ſchoͤne Zierrathen. Das arabi-
ſche Frauenzimmer iſt hiermit mehr als das
perſiſche verſehen. Wenn indeſſen eine Perſia-
nerinn von der Natur keine ſchwarze Haare er-
halten hat; ſo nimmt ſie ihre Zuflucht zur Far-
be, und weiß ſie ſo gut zu faͤrben, daß man die
Haare fuͤr natuͤrlich ſchwarz halten muß, wenn
man es nicht vorher gewußt hat. Sie haben
auch die Gewohnheit, um ihre Schoͤnheit voll-
kommner zu machen, ſich unten an der Stirne
einen ſchwarzen Fleck, der ohngefaͤhr ſo groß
wie der Nagel am kleinen Finger iſt, zu ma-
chen, und noch einen zweyten in der Kinngru-
be, welcher violet iſt, aber nie vergeht, weil er
mit der Spitze einer Lancette gemacht iſt. Sie
ſchmieren ſich auch Haͤnde und Fuͤße mit einer
orangefarbigten Salbe, welche ſie Hanna heiſ-
ſen, und welche von gewiſſen Blaͤttern gemacht
wird. Man glaubt, daß dieſe Salbe vor der
austrocknenden Hitze bewahre. — Die kleine
Taille des Frauenzimmers iſt bey den Perſern
mehr als die große gelitten.
Der uͤbrige Putz der Perſianerinnen iſt ſehr
verſchieden. Sie ſetzen Aig[r]etten von Steinen
auf den Kopf, oder an deren Statt Bouquette
von Blumen, und laſſen auch wohl eine Reihe
C 4von
[40] von Steinen von der Stirne bis zwiſchen den
Augenliedern herunterhaͤngen. Die Frauens
tragen in einigen Provinzen einen Ring in dem
linken Naſenloche, der wie ein Ohrring haͤngt,
und zuweilen mit einigen Perlen verſehen iſt.
Die Sclavinnen, und ſonderlich die, welche
im Sclavenſtande gebohren ſind, tragen uͤber-
all dergleichen Ringe. — In dem wuͤſten Ca-
ramanien durchbohren ſie ſo gar oben die Naſe,
haͤngen darein einen Ring, welcher die ganze
eine Haͤlfte bedeckt. *) Außer dieſem Kopf-
ſchmucke traͤgt auch das perſiſche Frauenzimmer
Armbaͤnder von Perlen und Steinen, die etwa
zwey oder drey Finger breit und ſehr loſe um
den Arm ſind. Die jungen Maͤdchen tragen
gemeiniglich nur goldene Handſchellen, die an
dem Orte, wo ſie zugemacht werden, mit einigen
Steinen beſetzt ſind. Ihre Halsbaͤnder beſte-
hen aus Ketten von Gold oder Perlen, die am
Halſe herunter bis in den Buſen gehen, woran
eine Riechbuͤchſe befeſtigt iſt. Einige von die-
ſen
[41] ſen Riechbuͤchſen ſind eine Hand breit: gemei-
niglich ſind ſie von Golde gemacht, die uͤbri-
gen ſind oben mit Steinen bedeckt. Alle aber
ſind mit Muſkus und Ambra angefuͤllt, wel-
ches einen ſtarken Geruch ausduftet. — Was
uͤbrigens die Ringe betrifft, die das Frauen-
zimmer an den Fingern zu tragen pflegt; ſo
muß man geſtehen, daß man nirgends in der
Welt die Finger mit mehrern Ringen beſteckt
ſieht, als in Perſien.
Man kann ſich in Perſien ſehr wohlfeil klei-
den. Indeſſen giebt es doch keine Nation, die
mehr auf die Pracht der Kleidungsſtuͤcke verwen-
det, als die perſiſche. Der Turban, die langen
Roͤcke, und die Guͤrtel koſten ihnen das mei-
ſte. *) Und dieſer Aufwand iſt eben der Ruin
eines Volks, welches ſonſt, wenn Induſtrie
dazu kaͤme, ſonder Zweifel mit unter die
reichſten des Orients koͤnnte gerechnet werden. —
So uͤberaus verſchwendriſch nun auch die
Perſer in ihrer Kleidung ſind; ſo muß man
doch nicht unbemerkt laſſen, daß ſie auf die
Meublen in ihren Zimmern viel weniger ver-
wenden, als wir. — Der Fußboden iſt ge-
woͤhnlicher Weiſe mit dicker Scheerwolle be-
C 5deckt,
[42] deckt, woruͤber ein, und wenn der Saal groß
iſt, zwey ſchoͤne Teppiche liegen. Es giebt ei-
nige von dieſen Teppichen, die an ſechzig Fuß
lang ſind, und von zwey Menſchen kaum koͤn-
nen getragen werden. Ueber dieſen Teppichen
ſieht man an der Wand rund um den Saal
kleine Matrazen, welche ohngefaͤhr drey Fuß
lang, und mit einer Decke von baumwollenem
mit Seide durchwuͤrktem Zeuge belegt ſind.
Auf dem Rande dieſer Decke ſtehen große ſil-
berne Spuckkaſten, welche, vermoͤge ihrer
Schwere, die Decke zugleich mithalten. An
der Wand herunter ſieht man gemeiniglich von
den Matrazen große mit Sammt uͤberzogene
Polſter, an welche man ſich beym Sitzen an-
lehnt. — Man findet ſonſt keine andere
Meubles in den Zimmern der Perſer. Sie
haben darinn keine Betten, Stuͤhle, wie wir,
keine Spiegel, Tiſche und Gemaͤhlde. — Die
Perſer ſitzen auf den Teppichen ſehr bequem,
ja, wie Chardin verſichert, weit bequemer wie
wir auf unſern Stuͤhlen. Fuͤr ſie iſt dieſe Art
zu ſitzen ſehr geſund. Wollte man es aber in
unſerm feuchtern und kaͤltern Clima nachah-
men; (welches ohnehin nicht zu befuͤrchten iſt)
ſo wuͤrden wir uns dadurch viele Uebel zu-
ziehen.
Die Betten ſind bey ihnen ſo ſimpel, wie
alle ihre uͤbrigen Meublen. Sie beſtehen in
einer Matraze, welche man des Abends auf
den Teppich des Zimmers legt, in einem Tu-
che,
[43] che, welches man druͤber breitet, in einer baum-
wollenen Decke und zwey Kopfkuͤſſen von wei-
chen Federn. — Die ſchoͤnſten Matrazen
ſind von Sammt, die Decken von goldenem
oder ſilbernen Brocard und uͤberhaupt von
mancherley Couleuren. Des Morgens legt
man alles zuſammen, und bringt es wieder an
ſeinen gehoͤrigen Ort. Von Bettſtellen wiſ-
ſen die Orientaler nichts. Jeder ſchlaͤft auf
der Erde. Ueberhaupt muß man dieß Volk
darinn gluͤcklich preiſen, daß es ſo wenig Be-
duͤrfniſſe des Lebens kennt, und folglich nicht
mit ſo vielen und mancherley Unruhen gemar-
tert wird, wie die Europaͤer. — Anſtatt der
Lichter, bedienen ſie ſich der Lampen, worinn
ſie kein Oehl, ſondern ein ſehr feines Talg bren-
nen, das gar keinen uͤblen Geruch verurſachet.
Dieſer Gebrauch wurde ſchon in den aͤltern
Zeiten beobachtet, und hat ſich noch bis itzt un-
ter ihnen erhalten.
Zwey-
[44]
Zweytes Kapitel.
Von den Uebungen und Spielen —
Von dem Luxus der Perſer — Vom
Haram der Weiber des Koͤnigs —
Vom Heyrathen — Tod und
Begraͤbniß.
Es iſt bereits oben ſchon bemerkt worden,
daß die Perſer die Leibesuͤbungen und
Spiele nicht der Geſundheit wegen, ſondern
blos zur Luſt anſtellen. Die Uebungen und
Spiele ſind auch gemeiniglich von der Art, daß
diejenigen, welche ſie machen wollen, die gehoͤ-
rigen Kraͤfte haben muͤſſen. Daher ſieht man
ſehr ſelten, daß ſich junge Leute vor dem zwan-
zigſten Jahre mit denſelben abzugeben pflegen.
Vor dieſem Alter muͤſſen ſie ſich einzig und al-
lein auf Erlernung der Religion und der Wiſ-
ſenſchaften legen.
Unter die erſten und zugleich vornehmſten
Uebungen gehoͤrt das Bogenſpannen. Dieſe
Kunſt beſteht hauptſaͤchlich darinn, daß ſie
den Bogen geſchickt halten, ihn auf mancherley
Art ſpannen, und ihn bald zur Rechten, bald
zur Linken, bald hoch, bald tief, vor und hin-
ter ſich, im Laufen, kniend, auf einem Fuße —
kurz — auf hunderterley Art loß zu druͤcken ler-
nen.
[45] nen. Anfaͤnglich nimmt man leichte Bogen-
ſeile, und nachher gewoͤhnt man ſich, mit ſchwe-
rern umzugehen. Die meiſten Bogen ſind
ſchwer zu ſpannen, indem es einige giebt, die
mehr denn hundert Pfund wiegen. — So
bald man nun mit einem ſolchen Bogen umzu-
gehen weiß; ſo uͤbt man ſich mit dem Pfeile
zu ſchießen. Dieß beſteht darinn, daß man
ihn weit treibt, gerade ſchießt und tief hinein
in das Ziel treffe, welches gemeinhin auf einen
Klumpen Erde gemacht wird, vier Fuß hoch
und zwey Fuß breit. Die Pfeile zu den Ue-
bungen haben ein rundes, duͤnnes und ſtum-
pfes Eiſen, anſtatt daß an den, im Kriege ge-
braͤuchlichen, Pfeilen das Eiſen ſo ſpitzig, wie
eine Lanze iſt.
Wenn ſie nun mit dem Bogen geſchickt um-
zugehen gelernt haben; ſo legen ſie ſich mit al-
lem Eifer darauf, den Saͤbel gut zu fuͤh-
ren. Dieſe Kunſt wird fuͤrnehmlich darum
gelernt, damit das Fauſtgelenke der jungen
Leute ſtark und biegſam werde. Bey dem Un-
terrichte in dieſer Kunſt bindet der Lehrer ſeinen
Schuͤlern zwey Gewichte an die Haͤnde, und
legt ihnen noch uͤberdieß zwey Stuͤcke Eiſen auf
die Schultern, wodurch ſie eine ungemeine Fer-
tigkeit im Kaͤmpfen und Ringen erhalten.
Die dritte Uebung geſchieht zu Pferde.
Dieſe beſtehet darinn daß der Reuter auf dem
Pferde gerade ſitze, es im vollen Galop laufen
laſſe, es mitten im Laufe ganz kurz an-
halte,
[46] halte, und ſo leicht und geſchickt auf dem-
ſelben ſitze, daß er etwas, es mag ſeyn, was
es will, ohne Muͤhe von der Erde aufheben
kann. — Es giebt Leute unter ihnen, die
die Reitkunſt ſo gut verſtehen, daß ſie mit den
Fuͤßen auf dem Pferde ſtehen, und es dennoch
den voͤllſten Galop koͤnnen laufen laſſen. —
Das Mail-Spiel, das Bogenſchießen und
das Werfen mit dem Wurfſpieße, ſind gleich-
ſam Spiele, die zu Pferde gefeiret werden.
Das Mail-Spiel geſchieht auf einem großen
Platze, an deſſen Ende einige Pfeiler neben
einander ſtehen, durch welche man reiten muß.
Man wirft die Kugel mitten auf den Platz,
und die Spieler rennen im Galop auf ſie zu,
um ſie zu treffen. Die Maillen ſind kurz, ſo
daß man ſich bis unter den Sattel beugen muß,
um ſie zu erreichen. Derjenige erhaͤlt den Preis,
wer die Kugel zuerſt durch die Pfeiler getrieben
hat. Es iſt aber noͤthig, daß ein jeder ge-
ſchwinde reite und richtig treffe.
Das Bogenſchießen zu Pferde geſchieht
auf folgende Art. Man ſchießt naͤmlich nach
einer goldenen Schale, welche oben auf einem
hohen Maſtbaume befeſtigt iſt. Der Reuter
holt weit aus, und rennt in vollem Galop
nach dieſem Orte, und wenn er an den Maſt-
baum kommt; ſo ſchießt er ſeinen Pfeil ab,
indem er ſich mit dem ganzen Leibe auf den Ruͤ-
cken des Pferdes legt. Dieſer Zeitvertreib iſt
in allen Staͤdten Perſiens gebraͤulich, ſo daß
ſich
[47] ſich auch die Koͤnige darinn zu uͤben pflegen.
SefiII. hatte ſein einziges Vergnuͤgen daran,
und war darinn ſo geſchickt, daß er allemal
die Schale im erſten oder zweytenmale herun-
ter ſchoß.
Das Kaͤmpfen und Ringen iſt nur eine
Leibesuͤbung fuͤr den gemeinen Poͤbel. Eine
jede Stadt hat ihre gedungene Ringer, und
vornehme Herren halten ihrer eine große Men-
ge. Die Ringer ſind bis auf eine enge und
kurze lederne Hoſe, die nur die Schamglieder
bedecket, ganz nackend. Sie ſchmieren den
Leib und die Beinkleider mit einer gelben Po-
made, die aus Oehl und einem Pulver, Han-
na genannt, gemacht wird, damit ſie ſich ein-
ander nicht ſo leicht anpacken koͤnnen. Waͤh-
rend dem Kaͤmpfen wird eine kleine Trommel
geruͤhrt, und die Kaͤmpfer ſchlagen ſich nach
dem Tacte derſelben. Bey dem Anfange, ge-
ben ſie ſich einander die Haͤnde, zum Zeichen
eines guten Streits; alsdenn ſchlagen ſie gleich-
ſam nach dem Tacte, auf die Schenkel und
Huͤften, um ſich dadurch in gehoͤrige Poſitur
und Othem zu ſetzen. Darauf gehen ſie mit
großem Geſchrey auf einander loß, und ein je-
der bemuͤhet ſich, ſeinen Gegner niederzuwer-
fer. Derjenige traͤgt den Sieg davon, wer
den andern auf die Erde, entweder auf den
Bauch, oder auf den Ruͤcken geworfen hat.
Dieß geſchieht gemeiniglich, wenn der Sieger
ſeinen Gegner bey dem Kampfe in die Hoͤhe
hebt,
[48] hebt, und dieſen gleich darauf wieder nieder-
wirft, und uͤberhaupt durch langes Ringen
ſeine Kraͤfte erſchoͤpft ſind.
Zu den oͤffentlichen Beluſtigungen gehoͤrt
auch das Fechten. Ehe das Gefecht vor ſich
geht, legen die Fechter erſt ihre Waffen zu ih-
ren Fuͤßen, welche in einem geraden Saͤbel und
einem Schilde beſtehen. Sie legen ſich auf die
Knie, und kuͤſſen ſie mit dem Munde und der
Stirn. Nachher ſtehen ſie auf, nehmen die
Waffen in die Hand, tanzen und ſpringen
nach dem Tone einer kleinen Trommel, und
machen mit der groͤßeſten Leichtigkeit und Ge-
ſchwindigkeit mancherley Bewegungen und Po-
ſituren. Hierauf ſchreiten ſie zum Hiebe und
hauen allemal mit der Schneide, wofern ſie
nicht allzu nahe beyſammen ſtehen: denn als-
dann gehen ſie auf den Stoß. Ein jeder be-
muͤhet ſich, die Stoͤße mit dem Schilde, den
er traͤgt, aus zu pariren. Dieſe Art vom Streit
nimmt bisweilen ein trauriges Ende, wenn die
Fechter in Hitze gerathen; merkt man indeſſen
aber, daß ſie zu hitzig werden; ſo bringt man
ſie aus einander.
Man findet in Perſien auch Leute, die ſich
auf das Wettlaufen legen; doch aber gehoͤren
dieſe Arten von Uebungen nur fuͤr die koͤnigli-
chen Laͤufer. Unter dieſe kann Niemand auf-
genommen werden, der nicht in zwey Tagen,
ſo lange die Sonne ſcheint, eine Bahn, von an-
derthalb franzoͤſiſchen Meilen, vier und zwan-
zigmal
[49] zigmal durchlaufen kann. Der Laͤufer faͤngt
von der großen Thuͤre des Palaſtes an, und
laͤuft bis an eine Saͤule welche die Graͤnze be-
ſtimmt. Er nimmt aus derſelben zwoͤlf Pfei-
le, einen nach dem andern weg, und muß alſo
zwoͤlf Gaͤnge, jeden von drey Meilen thun. Zu
den Zeiten Soleimans, ſoll ein Laͤufer dieſe
ſechs und dreyßig Meilen in weniger als vier-
zehn Stunden zuruͤck gelegt haben wofuͤr er
das Calaat und fuͤnfhundert Tomans zur
Belohnung ſoll erhalten haben. — Der zu
einem Wettlaufen ausgeſetzte Tag, wird als ein
allgemeines Feſt gefeiert. Der große Platz zu
Iſpahan, (von welchem der Laͤufer kommt)
und alle Straßen, die auf dieſem Wege ſind,
werden mit Tapeten behaͤngt. Vor den Thuͤ-
ren des großen Hotels, ſtehen Tiſche voller
Rauchpfannen, wohlriechender Waſſer und an-
derer Erfriſchungen. Hier haͤlt ſich der Laͤufer
von Zeit zu Zeit auf, und laͤßt ſich Waſſer auf
die Schultern und Fuͤße gießen. Wenn er an
die Saͤule kommt, nehmen ihn zwey von den
ſtaͤrkſten Maͤnnern in die Arme, ſtrecken ihn
auf einen Teppich, reichen ihm einen Trunk
und wohlriechende Waſſer zur Erquickung.
Durch ſolche Spiele nun, welche Bieg-
ſamkeit und Kraͤfte erfodern, werden die Per-
ſer ſehr ſtark. Außer dieſen Spielen, die bloß
zur Ergoͤtzung dienen, giebt es noch Seiltaͤn-
zer, Luftſpringer, Voltigeurs, Charle-
tans, Taſchenſpieler u. ſ. w. Die erſten
Dtanzen
[50] tanzen nicht nur auf ſtraffen oder auch auf
ſchlaffen Seilen, wie die Europaͤiſchen Seiltaͤn-
zer, ſondern ſie haben auch noch einen beſon-
dern Kunſtgriff, vermoͤge welchen ſie auf ei-
nem ſchreggeſpannten Seile, das von oben
bis unten an eine Mauer gemacht wird,
gehen. Sie ſteigen auf demſelben auf und
nieder, klammern ſich mit den großen Zaͤ-
hen an das Seil, und tragen noch uͤberdem zu-
weilen ein Kind auf den Schultern. — Die
uͤbrigen machen Kunſtſtuͤcke, die der leicht-
glaͤubige Poͤbel oft fuͤr Zauberdinge haͤlt. Ta-
vernier liefert uns von dieſen Gauklern um-
ſtaͤndliche Berichte; ſeine Erzaͤhlungen aber
gehen von denen der andern Reiſebeſchreiber ſo
weit ab, daß wir ihm, in dieſem Stuͤcke, kei-
nen Glauben beymeſſen koͤnnen. Chardin,
der dieſe Spiele alle angeſehen und genau
unterſucht hat, fand das nicht, was Taver-
nier will geſehen haben. Er haͤlt das berufene
Wunderwerk von einem Baume, den dieſe
vermeinten Zauberer zuſehens wachſen laſſen,
wenn ſie ihn mit ihrem Blute begießen, nur
fuͤr einen liſtigen Kunſtgriff hinter deſſen Be-
trug er auch ſelber gekommen iſt. Ich habe,
ſagt er, alle Můhe angewandt, etwas
Uebernatuͤrliches von dieſer Art anzutref-
fen: aber allemal vergebens. Die Zau-
berey verſchwand, ſo bald ich die Sache
genauer betrachtete, und ich habe mich
immer genoͤthigt geſehen, den Betrug
wahrzunehmen.
Dieß
[51]
Dieß ſind die vornehmſten Leibesuͤbungen,
welche den Zeitvertreib der Perſer ausmachen.
Die Hazardſpiele ſind ihnen in ihrer Reli-
gion verboten, und die Policey unterſtuͤtzt
dieſes Verbot, indem ſie die Verbrecher oft
ſehr grauſam und hart beſtraft. Indeſſen er-
lauben es doch zuweilen einige Caſuiſten, wenn
ſie nur nicht um Geld ſpielen. Der Hang zu
dergleichen Spielarten iſt bey den Perſern
auch nicht groß, vielmehr kann man ſagen, daß
ſie wider ſolche Spiele einen natuͤrlichen Ab-
ſcheu hegen, wenn ſie gleich glauben, daß das
Spiel eine leichte und verzeihbare Suͤnde ſey.
Ihre gewoͤhnlichen Spiele ſind das Karten-
Wuͤrfel- Kegel- Ball- Schachſpiel u. ſ. w. —
Das gemeine Volk ſpielt mit Karten von Holz,
die ziemlich gut gemalt ſind. Ihr ordinaires
Spiel beſtehet aus neunzig Karten und aus
achterley Farben; ſie ſpielen es aber ſehr rauh
und ohne allen Geſchmack. Das Schachſpiel
wird nur von einigen Standesperſonen, aber
doch nur ſelten, geſpielt. Es wird aber doch
ſehr hochgeſchaͤtzt, indem ſie der Meynung ſind,
daß derjenige, welcher es gut verſtehe, die
Welt regieren koͤnne. Eine Parthie muß, um
es gut zu verſtehen, wenigſtens drey Tage
dauern. *)
D 2So
[52]
So viel von den Spielen der Perſer. —
Itzt wollen wir dem Leſer einige Anmerkungen
uͤber den Luxus der Perſer mittheilen.
Der Aufwand oder Luxus der Perſer iſt in
Anſehung der Anzahl der Domeſtiken beſon-
ders groß. Zwar bleibt es ungezweifelt wahr,
daß man in Indien viel mehr Bediente zu hal-
ten pflegt, als in Perſien: allein zehn Dome-
ſtiken in Jndien koſten nicht ſo viel, als drey
in Perſien. Die großen Herren haben aller-
ley Arten von Bedienten, ganz nach koͤnigli-
chem Fuße, nebſt allen den Titeln, die koͤnig-
liche Bediente zu haben pflegen. Dieſe Men-
ge von Bedienten nun iſt gewoͤhnlich der Ruin
ſolcher vornehmen Haͤuſer. Denn ſie haben
gemeiniglich Frauens: und da zu Erhaltung
derſelben in Perſien viel gehoͤrt; ſo ſind die
Bedienten faſt genoͤthigt, ihre Herrſchaften,
wo
*)
[53] wo ſich nur irgend Gelegenheit dazu findet, zu
beſtehlen und zu betriegen.
Der Luxus der Perſer iſt auch in den Kleidern,
Zierrathen von Steinen, und in Pferdegeſchir-
ren ſehr uͤbermaͤßig. In Anſehung der koſt-
baren Steine tragen die Mannsperſonen faſt
eben ſo viel an den Fingern, als ihre Weiber.
Sie ſtecken zuweilen funfzehn bis ſechszehn
Ringe an die Finger: tragen ſie aber doch nur
an den drey mittelſten Fingern. Die Maͤnner
haben ſilberne mit Steinen, und die Frauens-
perſonen tragen goldene. Ueberdem haben die
Mannsperſonen noch koſtbare Kaͤſtchen in ih-
rem Buſen, worinn ſie ihre Pettſchafte, Juwe-
len und einen kleinen Geldbeutel tragen. Die-
ſe Koſtbarkeiten tragen ſie nur deswegen bey
ſich, um ſich damit bey andern zeigen, und ih-
nen einen hohen Begriff von ihren unermeßli-
chen Reichthuͤmern beybringen zu koͤnnen.
Sonſt beſetzen ſie auch noch mit ſolchen Stei-
nen die Gefaͤße ihrer Dolche und Degen. Sie
tragen auch S[t]eine an ihrem Kopfe und den
Sophy-Muͤtzen, die ſie nur an feyerlichen und
Feſttagen aufſetzen. — Niemand, als nur
allein der Koͤnig, darf ſie am Turban tragen,
ausgenommen die Neuverheyratheten, denen es
waͤhrend der Hochzeit erlaubt iſt.
Das Pferdegeſchirr der Perſonen vom
Stande iſt gemeinhin mit Silber, Gold oder
Steinen verſehen. — Einige laſſen das Leder
der Laͤnge nach, ſtatt der Goldarbeit, mit
D 3Duca-
[54] Ducaten belegen, um nur die Façon nicht be-
zahlen zu duͤrfen. Die Sattel ſind hinten und
vorne mit maſſivem Golde garnirt. Die
Schabracken, welche von den unſrigen weit
verſchieden, ſind gleichfalls mit den theuerſten
und koſtbarſten Sachen bordirt.
Nirgends aber iſt die Verſchwendung groͤſ-
ſer und unglaublicher, als in den Serrails. Mit
der Unterhaltung einer ungeheuren Menge von
Weibern ſind unſaͤgliche Koſten verbunden. Al-
le Tage werden neue Kleider, koſtbare Par-
fuͤms angeſchafft; und die im hoͤchſten Grade
wolluͤſtigen Weibsbilder, wiſſen durch ihre un-
verſchaͤmte Schmeicheley ihre Maͤnner ſo zu
feſſeln und dahin zu bringen, daß ſie ſich zu
unſaͤglichen Ausgaben leicht bewegen laſſen.
Wenn eine vornehme Perſon Viſite ablegt:
ſo werden ein oder zwey Handpferde voraufge-
[fuͤhrt]. Vorne oder neben dieſem Pferde ge-
hen, nach Beſchaffenheit, zwey, drey oder
vier Domeſtiken zu Fuße. Hinter dieſer vor-
nehmern Perſon folgt einer zu Pferde, welcher
die Tabacks-Bouteille traͤgt: ein anderer traͤgt
ihm die Toilette mit einem Rocke und einer
Muͤtze nach, und noch ein dritter, der ihm
nur bloß zur Begleitung dient. Wenn er
einmal auf eine Promenade oder ſonſt nach
einem Garten oder oͤffentlichen Ort gehet; ſo
nimmt er einen Knecht mit einem Yactan mit,
der hinter ihm hergehen muß: dieſer Yactan
beſteht aus zwey kleinen viereckigten Koffern,
welche
[55] welche mit Speiſen angefuͤllt, und mit einem
Teppich bedeckt ſind. Wenn der Herr nun an
dem beſtimmten Orte angelangt iſt; ſo wird
der Teppich auf die Erde gebreitet; worauf er
alsdenn raucht oder ißt. Geht er auf die
Jagd; ſo hat er einen bis zwey Falkenjaͤger
mit dem Vogel in ſeinem Gefolge bey ſich.
Und auf dieſe Art verlebt gemeiniglich der vor-
nehme Mann ſeine Jahre.
Nach den Geſetzen des Korans iſt ein je-
der firmer Muſelmann verbunden, ſich zu ver-
heyrathen. Denn man ſieht den ledigen Stand
als einen ſolchen an, der dem Zwecke und der
Hauptabſicht, den ſich Gott bey der Erſchaf-
fung der Menſchen vorgeſetzt habe, widerſpraͤ-
che. Sie koͤnnen es daher auch gar nicht
begreifen, wie Chriſten den eheloſen Stand
unter ſich dulden und Keuſchheit fuͤr eine Tu-
gend halten. Am meiſten iſt ihnen der Moͤnchs-
zuſtand, nach deren Geſetzen ſich, wie bekannt,
ein jeder aller Gemeinſchaft mit dem andern
Geſchlechte enthalten muß, unerklaͤrlich. *)
D 4Schon
[56]
Schon in den Juͤnglings-Jahren, ohnge-
faͤhr im ſechszehnten oder ſiebenzehnten Jahre,
ſtehet es ihnen frey, dafern ſie eine Neigung
zum Frauenzimmer blicken laſſen ſich zu ver-
heyrathen, oder wenn es die Umſtaͤnde nicht
erlauben, ſich Concubinen zu halten. — Sie
gehen gemeiniglich eine dreyfache Art von Ver-
bindung mit ihren Weibern ein. Erſtlich
pflegen ſie einige Weiber auf eine gewiſſe Zeit
zu miethen, und einen Contrakt in Gegen-
wart des Richters einzugehen. Doch ſteht es
allezeit in eines jeden Belieben, die Maitreſſe,
wenn er ihrer uͤberdruͤßig iſt, von ſich zu laſſen,
wenn er ihr nur das Miethgeld richtig und
ganz auszahlt, und die etwa mit ihr ge-
zeugten Kinder ernaͤhrt und verſorgt. Eine
ſolche verabſchiedete Frauensperſon iſt aber ver-
bunden, ſich vierzig Tage aller fleiſchlichen Ver-
bin-
*)
[57] bindung mit Mannsperſonen zu enthalten.
Dieſe Zeit nennen ſie die Tage der Reinigung.
— Zweytens koͤnnen die Perſer auch nach ih-
ren Geſetzen die gekauften Weiber, oder
Sclaven, zu ihrer Maitreſſe machen. Dieſe
nennt man Canize’. Sie haben vor den Ge-
mietheten große Vorzuͤge. Man raͤumt ihnen
ein von den uͤbrigen Sclavinnen abgeſondertes
Zimmer ein, und giebt ihnen die beſte Aufwar-
tung. Werden ſie aber ſchwanger; ſo hoͤrt
die Verbindung als Sclavinn auf, und wer-
den als Muͤtter der Familie angeſehen. —
Drittens gehen ſie eine rechtmaͤßige Verbi[n-]
dung mit Frauenzimmern ein, welche Nekaa
genannt werden. Mohammed hat einem je-
den Muſelmann zugeſtanden, ſich vier Weiber,
wenn er ſie ernaͤhren kann, nehmen zu duͤrfen.
Allein gemeiniglich pflegen ſich die Perſer nicht
mit ſo vielen zu bemengen, theils wegen der vie-
len Unordnungen, welche die Begierde Aller zu
befehlen verurſacht, theils und hauptſaͤchlich
aber wegen der ungeheuren Koſten, die ſie be-
wuͤrken. Aus dieſen Urſachen ſind die gekauf-
ten Weiber oder Sclavinnen, uͤber die ſie frey-
lich mehr Gewalt ausuͤben duͤrfen, als uͤber ihre
rechtmaͤßigen Frauen, am gewoͤhnlichſten.
Mit dem Heyrathen geht es in Perſien eben
ſo, wie in einigen andern Laͤndern des Orients.
Man gebraucht naͤmlich zu dieſen Unterhand-
lungen gewiſſe dazu brauchbare Weiber: Denn
das neue Ehepaar kennt ſich gemeiniglich wei-
D 5ter
[58] ter nicht, als dem Namen nach. Wenn nun
die Eltern von beyden Seiten in den noͤthigen
Puncten mit einander einverſtanden ſind; ſo
geht der Vater des Braͤutigams in das Haus
des Vaters der Braut. Der Vater dieſer letz-
tern empfaͤngt und umarmt den Braͤutigam
und begiebt ſich alsdann aus der Geſellſchaft,
weil er dem Contracte nicht beywohnen darf:
denn man fuͤrchtet immer, daß der Vater der
Braut dem Braͤutigam Hinderniſſe in den Weg
legen koͤnnte, und dieſem dadurch die voͤllige
Freyheit benommen wuͤrde. Dieſer Contract
wird in einem beſondern Zimmer in Gegenwart
des Braͤutigams, eines Prieſters *) und der
Un-
[59] Unterhaͤndlerinnen von beyden Seiten aufge-
ſetzt. Sind die Beyſitzer dieſes Contracts ei-
nig; ſo iſt es ihre Pflicht auf die Haltung deſ-
ſelben mit aller Strenge zu halten. Hierauf
verfuͤgt ſich die Braut mit einigen Weibern in
ein nah anliegendes Zimmer, und der Procu-
rator verkuͤndigt die Heyrath, nach Chardins
und Herberts Berichten, in folgenden Ausdruͤ-
cken: Ich, N. N. den ihr euch zum Pro-
curator erwaͤhlt habt, verheyrathe euch
an dieſen Menſchen, der hier gegenwaͤr-
tig iſt. Ihr ſollt allezeit ſeine Frau ſeyn,
und unter dieſer Bedingung ſollt ihr das
Wittwengeld genießen, welches euch iſt
ausgemacht worden. Der Procurator des
Braͤutigams antwortet hierauf mit folgenden
Worten: Ich, N. N. dem das Procura-
torweſen des N. N. aufgetragen iſt,
heyrathe in deſſen Namen die Frau, wel-
che ihm von dem hier anweſenden Pro-
curator iſt gegeben worden, und verſpre-
che ihr das ausgemachte Wittwengeld
zu
*)
[60]zu bezahlen. Der Prieſter geht alsdann an
das Zimmer der Braut und fraͤgt: ob ſie das,
was die Procuratoren ausgemacht haͤtten, bil-
lige: worauf ſie dann mit Ja antwortet.
Wenn alle dieſe Cerimonien nun vorbey ſind;
ſo unterſiegelt der Cadi den Contract, und
laͤßt ihn gleichfalls von den Verwandten bey-
der Familien beſiegeln. Dieſen Contract nimmt
alsdann die junge Frau zu ſich. Je mehr Pett-
ſchafte ſie darunter gedruckt ſieht, je lieber iſt
es ihr: zum wenigſten aber, dafern er guͤltig
ſeyn ſoll, muß er mit zehn Siegeln verſehen
ſeyn.
Nachdem alle dieſe Zubereitungen geſchehen,
begiebt ſich ein jeder wieder nach Hauſe. Am
folgenden Tage ſchickt der Braͤutigam ſeiner
Braut einen gewiſſen Theil ſeines Vermoͤgens
und zugleich die noͤthigen Kleider und Edelge-
ſteine. Dieſe ſchickt dagegen dem Braͤutigam
auch etwas, wenn gleich nur wenig. Die Hoch-
zeit ſelbſt geſchieht bey den Perſern in dem Hau-
ſe des Braͤutigams. Gewoͤhnlich dauert ein
dergleichen Feſtin zehn Tage lang. Die erſten
neun Tage werden unter dem Genuß der groͤſ-
ſeſten Freuden zugebrach[t], ohne daß die Braut
irgend einen Antheil nehmen darf. Am zehnten
Tage des Abends aber wird die Braut zum
Braͤutigam unter dem freudigen Schalle der
Trompeten und Begleitung einer Menge von
Weibern, und uͤberhaupt mit vieler aͤußern
Pracht, gefuͤhrt. Iſt die Braut von vorneh-
men
[61] men Stande, ſo wird ſie in einem Behaͤltniſſe,
das wie eine Wiege gemacht iſt, und eine Caj-
nas genannt wird, getragen. Die aber von
geringerer Herkunft muͤſſen ſich auf ihre Beine
verlaſſen, oder reiten auch wohl auf Pferden.
— Die Braut iſt gemeiniglich mit zwey koſtba-
ren Schleiern umhangen, wovon der eine den
ganzen Koͤrper bedeckt und der andere bis zum
Guͤrtel herunterhaͤngt. Dieß thun ſie darum,
weil die neidiſchen und jalouen Menſchen ſie
alsdann nicht bezaubern koͤnnen. Wenn nun
die Braut in dem Hauſe des Braͤutigams iſt;
ſo wird ſie von den Weibern in ein dunkeles
Zimmer gefuͤhrt, ausgekleidet und ins Bette
gelegt. Kurz darauf geht eben dieß mit dem
Braͤutigam vor. Und ſo kommt das neue Ehe-
paar in einem Bette zuſammen, ohne ſich viel-
leicht je geſehen zu haben.
Man ſollte denken, daß dieſe Art zu heyra-
then, ohne ſich vorher jemals geſehen zu haben,
uͤberall ungluͤckliche Ehen verurſachen muͤßte.
Allein hierinn wuͤrde man ſich ſehr irren. Viel-
mehr kann man behaupten, daß die Ehe ſol-
cher Leute, die ſich vorher nie geſehen haben,
viel gluͤcklicher iſt, als manche unter uns, ohn-
geachtet des vielen Beſehens und vorher gehab-
ten Umgangs. Uebrigens aber muß man auch
nicht zu weit gehen, und denken, als ob es den
Perſern gleichviel waͤre, was und welche Frau
ſie erhielten! Sie ſind in dieſem Stuͤcke fein
genug. Die Mutter, der Vater und Anver-
wandten
[62] wandten nehmen ſich vorher ein genaues und
getreues Gemaͤhlde von dem Maͤdchen, das ihr
Sohn dereinſt, wenn ſie des Vergleichs einig
werden koͤnnen, haben ſoll, (denn bis in das
ſiebente Jahr laſſen ſich die Maͤgdchen oͤffent-
lich ſehen.) Oft traͤgt ſichs auch zu, daß ein
Maͤgdchen ſich ſehr jung ſchon verheyrathet,
und ſo lange wartet, bis ſie ſich nach den Geſe-
tzen oͤffentlich vermaͤhlen darf.
Die Eheſcheidung iſt bey den Perſern eine
ſehr leichte Sache, und nach den Mohamme-
daniſchen Geſetzen erlaubt. Dieſe kommen ge-
meiniglich daher, wenn nemlich der Braͤutigam
mit dem geſchloſſenen Contracte nachher nicht
zufrieden iſt, und er anfaͤngt Zwiſtigkeiten zu
erregen und ſeine Oberherrſchaft fuͤhlbar wer-
den laͤßt. — Wird nun z. B. der Frau dieſes
Joch unertraͤglich; ſo kann ſie ſich daruͤber bey
dem Richter beſchweren und die Eheſcheidung
verlangen. Alsdann aber verliehrt ſie ihr Witt-
wengeld. Dringt aber der Mann auf eine
Scheidung; ſo iſt er gleichfalls verbunden dasje-
nige, was er ſeiner Frau geſchenkt hat, zu laſ-
ſen. — Das perſiſche Geſetz erlaubt es auch,
daß zwey Perſonen, die von einander geſchie-
den ſind, ſich wieder vereinigen duͤrfen: und
dieß duͤrfen ſie zu drey verſchiedenen malen thun.
Sind ſie zum drittenmale geſchieden, und wol-
len ſich zum viertenmale wieder verbinden; ſo
koͤnnen ſie dieß nur unter der Bedingung thun,
daß naͤmlich die Frau vorher einen andern
Mann
[63] Mann heyrathet und vierzig Tage bey ihm
wohnet. Alsdann darf ſie ihren neuen Gemahl
wieder verlaſſen, und zu dem alten uͤbergehen.
Eine ſolche Unordnung in dem Eheſtandweſen
findet man doch nur unter dem gemeinen Hau-
fen von Menſchen. Die Vornehmen ſind da-
zu zu ſtolz und zu geizig, als daß ſie ihre Frauen
in den Armen anderer ſehen, und die Mitgabe
wieder herausgeben ſollten. Viel eher wuͤrden
ſie ſich dazu verſtehen, der Frau den Hals ab-
zuſchneiden, als zu der Eheſcheidung zu ſchrei-
ten. Die Obrigkeit miſcht ſich auch ſehr ſelten
in Eheſtandsſachen: und da die Perſer uͤber-
haupt, vorzuͤglich aber die Vornehmen, uͤber
ihre Weiber in den Seraillen eine faſt unum-
ſchraͤnkte Gewalt haben; ſo ſehen ſich dieſe wohl
vor, nicht auf die Eheſcheidung zu dringen und
ſich geduldig zu verhalten.
Ohngeachtet es nach dem Mohammedani-
ſchen Geſetzen auf das ſchaͤrfſte verbothen iſt,
Hurerey und andere Schandthaten zu treiben;
ſo findet man doch hin und wieder in Perſien
einige Oerter, wo ſie oͤffentlich getrieben wird.
Einige zuverlaͤßige Reiſebeſchreiber erzaͤhlen,
daß in der Hauptſtadt des Reichs, Iſpahan, eilf
tauſend Huren geduldet werden, woruͤber eine
geſetzte Perſon, die ſie in ihrer Sprache Me-
chel Dar Bachi nennen, das Regiſter haͤlt.
Wenn man die Anordnungen und Zuberei-
tungen, welche die Perſer bey Gelegenheiten
der Geburt ſowohl als auch bey dem Sterben
eines
[64] eines Menſchen anzuwenden pflegen, genau er-
waͤgt; ſo findet man in der That bey dieſen Ce-
rimonien viel Wuͤrdiges und Edles, das der
Nation gewiß zur groͤßeſten Ehre gereicht. Ich
will hier das Merkwuͤrdigſte, was bey dem To-
de und Begraͤbniſſe vorgeht, kurz und genau
concentrirt dem Leſer vor Augen darſtellen, und
hierinn fuͤrnehmlich dem Chardin folgen, mit
dem faſt alle Reiſebeſchreiber, wenigſtens die
beſten, ſehr genau uͤbereinkommen.
In Perſien herrſcht uͤberall die Gewohnheit,
daß man auf dem platten Dache, wenn Je-
mand in einem Hauſe toͤdtlich krank iſt, kleine
Feuer anlegt, um die Vorbeygehenden zu erin-
nern, Gott um Erhaltung des Kranken anzu-
flehen. Zugleich laͤßt man auch Mollahs*)
herbey rufen, die dem Sterbenden alle ſeine be-
gangenen Suͤnden vorhalten, und ihn zur auf-
richtigen Bereuung derſelben ermahnen muͤſſen.
Der Kranke antwortet bey jedem ihm vorge-
haltenen Puncte: Taube’, d. i. es gereuet
mich. Alsdann muß er in Gegenwart des
Prieſters ſein Glaubensbekenntniß ablegen: und
wenn er ſchon ſo ſchwach iſt, daß er nicht mehr
reden kann; ſo beten die Anweſenden alle fuͤr
ihn, leſen auch wohl ſo lange einige Stellen aus
dem Koran, bis er voͤllig verſchieden iſt.
Sobald nun der Kranke ſeinen Geiſt voͤllig
aufgegeben hat; ſo erheben die Anweſenden ein
ſol-
[65] ſolches Geſchrey, daß die ganze Nachbarſchaft
zuſammenlaͤuft, um die Leidtragende zu troͤſten.
Alle diejenigen, welche bey dem Verluſte des
Verſtorbenen intereſſirt ſind, zerreiſſen ihre Klei-
der, raufen ſich die Haare aus, zerfetzen ihr
Geſicht, ſchlagen ſich vor die Bruſt, und geben
uͤberhaupt Zeichen der aͤußerſten Betruͤbniß von
ſich. Beſonders zeichnen ſich die Weiber im
Heulen und Wehklagen vorzuͤglich aus, und
ſcheinen ihre Traurigkeit bis zur Verzweiflung
zu treiben. Bey jeder Zuſammenkunft, wo
des Verſtorbenen Erwaͤhnung geſchieht, pfle-
gen ſie ihn aufs herrlichſte zu loben: und dieſe
Lobeserhebungen endigen ſich denn gemeiniglich
mit einem graͤßlichen Geſchrey.
Die erſte Sorge, die ſie tragen, wenn der
Kranke erblaßt iſt, beſteht darinn, daß ſie ſo-
gleich dem Cadi Nachricht davon ertheilen, und
zugleich um Erlaubniß bitten, den Todten wa-
ſchen und begraben laſſen zu duͤrfen. Nach er-
haltener Erlaubniß gehen ſie zum Mordi-
chour, *) und bringen ihm den Befehl vom
Cadi,
E
[66] Cadi, daß er den Todten waſchen und die noͤ-
thigen Cerimonien veranſtalten koͤnne. Die
Maͤnner werden von Maͤnnern, und die Wei-
ber wiederum von Weibern gewaſchen. Der
Mordichour entkleidet den Verſtorbenen und
die Kleider kommen ihm den Rechten nach zu.
Man pflegt mit der Abwaſchung eines Verſtor-
benen ſehr ſchnell zu verfahren. Denn man
wagt es nicht ihn, ſo lange er ungewaſchen da
liegt, anzuruͤhren, weil es fuͤr unrein gehalten
wird. Man laͤßt gemeiniglich den Erblaßten
in einem, zu dieſer Abſicht beſtimmten, Waſch-
hauſe, oder, wenn es vornehme Leute ſind, in
ihren eigenen Haͤuſern, abwaſchen. Die Ab-
waſchungen geſchehen nach der perſiſchen Litur-
gie auf folgende drey Arten: zuerſt waͤſcht
man den Koͤrper mit gewoͤhnlichen reinem Waſ-
ſer ab, worinn ein Strauß von Zuͤrgelbaum-
blaͤttern liegt; zweytens bedient man ſich ei-
ner gewiſſen Art Kampferwaſſer, und endlich
drittens nimmt man ſolches Waſſer, wie es
der Brunnen darbietet. Es iſt der Gebrauch
einmal unter ihnen introducirt, daß ein jeder
Koͤrper dreymal abgewaſchen und abgetrocknet
wird. Bey der letzten Abwaſchung werden al-
le Oefnungen mit Baumwolle verſtopft.
Sobald dieſe Handlung geſchehen iſt, wird
die Beerdigung veranſtaltet. Den Koͤrper wi-
ckelt man in ein weiß reines Tuch, ſo daß man
nichts von dem Verſtorbenen ſehen kann. Ei-
nige andaͤchtige Leute pflegen uͤber daſſelbe eini-
ge
[67] ge Stuͤcke aus dem Koran auszuſchreiben.
Hierauf bringt man den Koͤrper ſo geſchwind
als moͤglich in einen Sarg, weil ein todter
Koͤrper innerhalb acht oder zehn Stunden ſo
aufgeblaſen iſt, daß man ihn beynahe nicht in
einen Sarg legen kann. Die Urſachen von
dieſer ſonderbaren Sache, die ſich ſo bald an
dem Verſtorbenen ereignet, muß man nur al-
lein in der großen Duͤrre der Luft ſuchen. —
Wenn der todte Leichnam an einen entfernten
Ort (welches zuweilen von den Kranken ange-
ordnet wird) ſoll getragen werden; ſo fuͤllen ſie
den Sarg mit Kalk, Gummi und Salz, wel-
ches den Koͤrper vor Faͤulung erhalten ſoll.
Und dieß iſt die gewoͤhnliche Art, die Koͤrper
in Perſien einzubalſamiren.
Die Beerdigung geſchieht gemeiniglich bey
dem gemeinen Manne mit ſo wenigem Pomp,
als es nur immer moͤglich iſt. Ein Mollah
und noch ein paar andere Bediente machen ge-
woͤhnlich den ganzen Aufzug aus. Der Koͤr-
per wird von Sclaven und Freunden getragen,
und von denen, die ihnen unterwegens bege-
gnen, abgeloͤſet. Die Dienſtleiſtung der Per-
ſer bey ſolchen Vorfaͤllen iſt hierinn vorzuͤglich
lobenswuͤrdig. Ja ſie geht ſo weit, daß dieje-
nigen, welche ihnen zu Pferde begegnen, abſtei-
gen, und ihre Dienſte anbieten.
Das Leichenbegaͤngniß vornehmer Perſonen
geſchieht mit mehrer Pracht. Dieſe werden
nicht, wie jene, von Menſchen getragen, ſondern
E 2mit
[68] mit Pferden, die mit dem koſtbarſten Geſchirr
verſehen ſind, gefahren. Auf dem Sarge ſieht
man die aͤußern Zeichen der Wuͤrde, und, wie
uͤberall, den Turban. Wenn ein Soldat, der
ſich wegen ſeiner Tapferkeit vorzuͤglich hervor-
gethan hat, ſtirbt; ſo begraͤbt man ihn mit ſei-
nem Turban, Degen, Pfeile und Koͤcher: Ein
jeder Anweſender wirft in das Loch — deren
ſie gewoͤhnlich zwey graben, naͤmlich eins ſenk-
und das andre wagrecht — ein wenig Erde
und ruft dabey aus: Wir ſind Gottes, wir
kommen von Gott, und wir werden wie-
der zu Gott zuruͤckkehren. — Man be-
deckt das Loch mit einem Steine, oder mit ei-
ner Art von braunem und zugleich hartem Mar-
mor, den man in Perſien uͤberall findet, wor-
auf man einige Stellen aus dem Koran ein-
hauen laͤßt. Auf dem Grabmale einer Manns-
perſon pflegt man nach dem Kopfe hin einen
Stein, worauf man einen Turban eingehauen
findet, zu legen.
Sowohl die Vornehmen als die geringen
Leute beſuchen acht oder zehn Tage nach dem
Leichenbegaͤngniſſe das Grab des Entſeelten,
und beſonders entzieht ſich das Frauenzimmer
dieſer Pflicht am wenigſten. Man ſieht immer
die Kirchhoͤfe voll von Menſchen, beſonders an
den hohen Feſttagen, des Abends und Morgens,
die ſammt ihren Kindern klein und groß in die-
ſer Abſicht dahin gegangen ſind. Sie ſetzen
ſich auf das Grab, weinen und ſchreien jaͤm-
merlich
[69] merlich, ſchlagen ſich vor die Bruſt, raufen ihre
Haare aus (welches ſie, wie ſchon im vorherge-
henden erwaͤhnt iſt, auch bey der Gelegenheit,
wenn der Kranke geſtorben iſt, thun,) und er-
zaͤhlen das gluͤckliche Leben, das ſie mit ihnen
genoſſen haben. Gemeiniglich laſſen ſie Ku-
chen, Fruͤchte und andere Sachen auf dem Gra-
be liegen, welches den Engeln, die das Grab
bewahren, gewidmet iſt.
Die Reichen, und uͤberhaupt diejenigen,
welche eine hohe Charge im Reiche bekleidet ha-
ben, verordnen gewoͤhnlicher Weiſe bey ihrem
Abſterben, daß ihr Koͤrper an den Oertern, wo
ein Heiliger liegt, ſolle begraben werden. Sehr
ſelten aber geht man hierinn ſo weit, daß der
Koͤrper nach Mekke’ oder Medine gebracht
wird, weil dieſe Oerter ordentlicher Weiſe von
den meiſten Staͤdten und Doͤrfern ſehr entle-
gen, und dieſes mit vielen Koſten verbunden iſt.
Waͤhrend man ſich zu einer ſolchen Reiſe zube-
reitet, ſetzt man die Saͤrge in beſondere dazu
ausgemauerte Hoͤhlen, damit ſie nicht von Je-
dermann geſehen werden. Die Perſer glau-
ben, daß die todten Koͤrper, wenn ſie auf eine
ſolche Art verwahrt und beygeſetzt ſind, nicht
faulen und riechen koͤnnten, weil ſie vor der
Verweſung den Engeln, die das Grab be-
wahren, von ihrem Haushalten die genaueſte
Rechenſchaft ablegen muͤßten. *)
E 3Die
[70]
Die Perſer betrauren ihre Todte vierzig
Tage lang; und ſcheinen in den acht erſten Ta-
gen
*)
[71] gen ganz untroͤſtbar zu ſeyn. Sie ſchreien und
laͤrmen außerordentlich und enthalten ſich eini-
ge Tage lang der Speiſen, um damit anzuzei-
gen, daß ſie des Lebens nunmehro, nachdem ih-
nen das Theuerſte geraubt ſey, uͤberdruͤßig waͤ-
ren. In den erſten Tagen der Trauer geht ſo
wohl das maͤnnliche als weibliche Geſchlecht
ſchwarz. *) Dieſe Couleur ſieht bey den Orien-
talern ganz ſcheußlich aus, und die Perſer nen-
nen es ſelbſt die Farbe des Teufels. Einige
Tage nachher kleiden ſie ſich, auf Zureden und
Bitten der Anverwandten und Freunde, anders
und bekleiden ſich alsdann mit einem Rocke von
Leinewand.
Wir haben ſchon vorhin geſagt, daß das
Frauenzimmer am ſchwerſten bey Trauerfaͤllen
zu troͤſten ſey. Allein die Urſache davon iſt
ſehr natuͤrlich. Denn der Wittwenſtand iſt in
der That fuͤr das perſiſche Frauenzimmer ein
Zuſtand, der ſich, wie uͤberhaupt im ganzen
Orient, nie aͤndert. — Nichts aber iſt ſchoͤ-
ner und mit einer geſunden Philoſophie uͤber-
E 4ein-
*)
[72] einſtimmender, als der Troſt, den ſie ſich ge-
genſeitig zuzuſprechen pflegen. Sie verglei-
chen das Leben mit einer Carvanſerey, und
raiſonniren daruͤber auf eine ſo vernuͤnftige
Art, als man es nur immer von den geſitte-
ſten und vernuͤnftigſten Einwohnern der Erde
hoͤren kann. Ein ſolcher Troſt hat auch ge-
meiniglich bey ihnen die beſten Wirkungen,
und ſie wiſſen ſich endlich in ihrem Schickſale ſo
zu finden, daß es ihrer Denkungsart viele Eh-
re macht. — Wer ſich unter ihnen eines guten
Lebenswandels bewußt iſt, ſcheut ſich auch fuͤr
dem Tode gar nicht; vielmehr aͤußern ſie
manchmal die groͤßeſte Sehnſucht nach demſel-
ben, und ſehen es fuͤr eine beſondere Wohlthat
von Gott an, wenn ſie bald ſterben koͤnnen.
In Europa pflegt man gewoͤhnlich ein ſolches
Verlangen nach dem Tode nicht zu tragen!
Aber man hat es auch nicht Urſache, weil es
uns an manchen Eigenſchaften fehlt, die die
Perſer ſo ſehr uͤber uns erheben!
Drit-
[73]
Drittes Kapitel.
Von dem Zuſtande der Wiſſenſchaften un-
ter den Perſern. — Ihre Art zu ſtudi-
ren. — Von der perſiſchen und arabi-
ſchen Sprache — ihrer Schrei-
bekunſt.
Man wuͤrde der perſiſchen Nation ſonder
Zweifel Unrecht thun, wenn man ſie
fuͤr unwiſſende und einfaͤltige Menſchen halten
wollte. Wenn man den Spuren der aͤlteſten
und zuverlaͤßigſten Geſchichte der Perſer nach-
geht; ſo wird man auch finden, daß in ihrem
und dem benachbarten indiſchen Reiche die
Wiſſenſchaften zuerſt mit gluͤcklichem Erfolg
getrieben ſind. Von dieſen beyden Nationen,
und ſonderlich von der erſten, ſcheinen die
Wiſſenſchaften durch die Brachmanen und
Gymnoſophiſten zu den Egyptiern, Phoͤni-
ciern und andern benachbarten Voͤlkern uͤber-
gekommen zu ſeyn. Man weiß, daß die Grie-
chen die Wiſſenſchaften von den letztern gelernt
haben. Die erſten Begriffe der Philoſophie
erhielten dieſe von den Indiern durch den Py-
thagoras, der zuerſt die Lehre von der See-
E 5len-
[74]lenwanderung*) auszubreiten ſuchte, aber we-
nige Anhaͤnger derſelben fand.
Die Perſer haben von Natur viel Ge-
ſchmack an den Wiſſenſchaften, und man kann
ſagen, daß ſie an lebhafter Imagination und
an wirklicher Gelehrſamkeit alle andere Voͤlker
in Aſien uͤbertreffen. Die Chineſer, welche
man ſonſt fuͤr die geſitteſte und einfichtvollſte
Nation des Orients haͤlt, koͤnnen in Anſehung
der hoͤhern Wiſſenſchaften mit den Perſern in
keine Parallele gezogen werden. Bey den Chi-
neſern, z. B., wird keine Wiſſenſchaft mehr ge-
achtet, als die Sternkunde. Aber ihre Kennt-
niſſe hierinn ſind ſehr begraͤnzt, und ſie geſtehen
es gerne, daß ſie in dieſem Stuͤcke noch weit
unter den Perſern ſind. — Die Perſer lie-
ben und ehren die Gelehrten, und die, welche
ſich bemuͤhen, es zu werden, ſo ſehr, daß man
mit Recht behaupten kann, ihre herrſchende
Neigung ſey die Ausbreitung und Vervoll-
kommnung der Wiſſenſchaften. Sie verwen-
den darauf alle ihre Zeit, ohne ſich um ihre
Familie und haͤuslichen Angelegenheiten zu be-
kuͤmmern; ſelbſt die groͤßeſte Armuth kann ſie
davon
[75] davon nicht abhalten. Dieſer Eifer zu den
Wiſſenſchaften erſtreckt ſich auf alle Staͤnde.
Man findet wahrlich wenige unter ihnen, die
nicht gute Buͤcher leſen und ſich nicht auf Wiſ-
ſenſchaften legen. Die Kinder werden fruͤhzei-
tig in die Schule geſchickt und in den Wiſſen-
ſchaften unterrichtet. Ihre hoͤhern Collegia be-
ſuchen ſogar Perſonen von ſechzig Jahren; und
die alten Greiſe ſchaͤmen ſich nicht, zwiſchen
unbebaͤrteten Juͤnglingen zu ſitzen, vielmehr rech-
net es ſich ein jeder als eine Ehre, den ihnen ſo
ſuͤß klingenden Namen Talebelm — welches
in unſrer Sprache ſo viel heißt, als Student —
fuͤhren zu duͤrfen. Die Lehrer des Collegiums
ſind entweder Mollahs — der gemeine und
Hauptname der Prieſter — oder Akonds,
welches bey uns ſo viel heißt, als ein oͤffentli-
cher Leſer. Die Bacheliers werden auch
Mouchtehed genannt, welches ſo viel heißt,
als einer, der ſich auf eine Sache ſtark legt. Unter
allen Lehrern wird dieſer Mouchtehed als der
vornehmſte geſchaͤtzt, der nicht nur ein Poly-
hiſtor ſeyn ſoll — wenigſtens muß er doch
von vielen Dingen gute Kenntniſſe haben —
ſondern deſſen Ausſpruͤche auch fuͤr Orakul
gehalten werden. Sehr wenigen wird auch
dieſer Name beygelegt.
Die Talebelm oder Studenten unterſchei-
den ſich von andern Leuten dadurch, daß ſie ein
ernſthaftes Weſen in ihrem Betragen aͤußern.
Ihre Kleidung giebt eben keine ſonderlich vor-
theil-
[76] theilhafte Idee von ihnen. Sie gehen gemei-
niglich weiß, und ſelten tragen ſie ein farbenes
Kleid, das mit Gold oder Silber beſetzt
waͤre.
Nur den halten die Perſer fuͤr einen ge-
lehrten Mann, der alle Kenntniſſe und Wiſ-
ſenſchaften im moͤglichſten Grade beſitzt. Wer
aber nur in einem Fache der Wiſſenſchaften
bewandert iſt, wird zwar geehrt, kann aber
nicht fuͤr einen Gelehrten paſſiren. — Die-
ſe Schaͤtzung eines Gelehrten iſt fuͤr die Per-
ſer hoͤchſt ſchaͤdlich. Wuͤrden Sie denjenigen,
der es z. B. in der Mathematik, Philoſophie
u. ſ. w. weit gebracht haͤtte, fuͤr einen Gelehrten
ſchaͤtzen und achten; ſo wuͤrden dieſe Wiſſen-
ſchaften unter ihnen eben ſo hoch geſtiegen
ſeyn, wie es bey uns Europaͤern geſchehen iſt.
Die Perſer berufen ſich in ihren Studien
nie auf irgend Jemandes Autoritaͤt — außer
in Religionsſachen. — Sie unterſuchen und
pruͤfen alles vorher ſelbſt, ehe ſie in ir-
gend einer Sache jemandes Meynung beyſtim-
men. Die Art, wie ſie zur Wahrheit gelan-
gen, iſt dieſe, ſie ſagen naͤmlich: daß der
Zweifel der Anfang einer Wiſſenſchaft
ſey; wer an nichts zweifele, unterſuche
auch nichts; wer nichts entdeckt, iſt blind
und bleibt blind. —
Der Anfang ihres Studirens ſtimmt mit
unſrer Art voͤllig uͤberein. Zuerſt ſuchen ſie
ſich mit der Grammatik und Syntax bekannt
zu
[77] zu machen; alsdenn gehen ſie zur Theologie
uͤber. Wenn ſie hierinn gluͤcklichen Fortgang
gemacht haben; ſo lernen ſie die Philoſo-
phie, Rechenkunſt, Arzeneykunſt, Poeſie,
Geographie, Hiſtorie und Aſtrologie.
Die Arzeneykunſt und Aſtrologie wird fuͤr-
nehmlich ſtark getrieben, und wer dieſe recht
verſteht, kann in Perſien ſein Gluͤck ma-
chen. — Die Sprachen, die ſie in ihrer Jugend
lernen, ſind die Perſiſche, Tuͤrkiſche und
Arabiſche. Ohne dieſe drey Sprachen kann
kein Gelehrter, und uͤberhaupt kein Mann vom
Stande, fertig werden. Die Arabiſche Spra-
che muß ein ieder verſtehen, weil der Koran
in derſelben geſchrieben iſt, und uͤberhaupt der
Vortrag der Lehrer in den Diſciplinen mit ara-
biſchen Brocken — wie bey uns das Lateini-
ſche — durchwuͤrzt wird. — Die Perſer
haben in ihrer Sprache die alten Autoren eben
ſowohl uͤberſetzt, als wir. Nur muß man
doch dabey anmerken, daß wir ſie nicht ſo ſehr
und ſo fleißig zu leſen pflegen, als die Perſer.
Es iſt ſehr wahrſcheinlich, daß ſie mehr in dem
Geiſte der Alten denken, reden und ſchreiben,
als wir, denn ihre Hauptbeſchaͤfftigung und
Hauptabſicht bey Leſung der Alten, geht bloß
dahin, ſich mit ihren Grundſaͤtzen vertrauter,
und ſie gleichſam ſich eigen zu machen.
Vielleicht duͤrfte es manchen Leſern ange-
nehm ſeyn, einige der vorzuͤglichſten perſiſchen
Gelehrten zu kennen. Ich will deswegen hier
einige
[78] einige der merkwuͤrdigſten hier anfuͤhren, ſo
wie ich ſie beym Chardin, Otter und Taver-
nier gefunden und verglichen habe.
Cojé Neſſir de Thus wird von den Ge-
lehrten fuͤr den geſchickteſten und gelehrteſten
Mann gehalten. Er lebte ohngefaͤhr vor fuͤnf
hundert und funfzig Jahren. Er war ein
Mann von vornehmer Geburt und von groſ-
ſem Vermoͤgen. Er wurde zuletzt uͤber alle
Akademien zum Vorſteher geſetzt. Sein ei-
gentlicher Name iſt Cojé Neſſir, ſein Zuna-
me iſt Thus, einer Stadt, worin er gebo-
ren wurde. Man haͤlt ihn fuͤr einen großen
Kenner der griechiſchen Sprache, weil alle ſei-
ne Lehren und Kenntniſſe vom griechiſchen Gei-
ſte zeigen. Alle Faͤcher der Wiſſenſchaften hat-
te er bearbeitet, und uͤber alle beſondere Buͤcher
verfaßt. Beſonders aber ſchaͤtzt man ſeine
mathematiſchen und aſtrologiſchen Werke.
Mohammed Chagolgius iſt dem Ran-
ge nach der zweyte Gelehrte, der ſonderlich ſei-
ner aſtrologiſchen Kenntniſſen wegen geſchaͤtzt
wird. Er lebte ohngefaͤhr vor dreyhundert
Jahren, und man haͤlt dafuͤr, daß ſeine Ein-
ſichten, die des Cojé Naſſir wo nicht uͤber-
troffen haben, doch wenigſtens gleich ſeyn. —
Bey dieſen zween großen Kennern der Aſtrolo-
gie laſſen wir es bewenden. Wir wollen nun noch
einige andere, die ſich in der Mathematik u. ſ. w.
bekannt gemacht haben, bloß dem Namen nach
anfuͤhren.
In
[79]
In der Mathematik ſind unter ihnen be-
ruͤhmt: Maimon Rechid und Yacoub Be-
nel Saba el Kendi. In der Geometrie:
Apollonius Pergeus und Ayran. In der
Optik: die Commentarien des Haſſin uͤber
Ptolomeus ta Kieldinn. In der Gnomo-
nik: Omarel Soufi. In der Arithmetik:
Abououlou-Fa und Aliel Kouchi. In der
Muſik: Alfarabi und Abouz. In der Geo-
graphie: Ebn Maarouf Abul Eeda Ya-
coub Hamavy. In der Vernunftlehre:
Youſouf Manſour und Abouneſer. In der
Geſchichte: Mahomed de Balk. In der
Jurisprudenz: Abumeker Yacoub Raiſerie
und Jacoub Alkendi.
Die Perſer ſchreiben nicht viele Buͤcher.
Sie halten ſich lieber an die aͤlteſten Schrif-
ten ihrer Vorfahren, weil ſie glauben, nur
aus dieſen koͤnnten ſie wahre Weisheit lernen.
Sie meynen, ihre alten Scribenten waͤren we-
niger Verbeſſerung faͤhig. Allein dieß iſt doch
eine Anzeige, daß ſie nicht viele neue Auf-
ſchluͤſſe in den Wiſſenſchaften machen. —
Bey den Buͤchern, welche die Perſer heraus-
geben, findet man weder Privilegien noch Bil-
ligungen oder Approbationen der Gelehrten.
Wenn ſie ein wiſſenſchaftliches Werk geſchrieben
haben; ſo pflegen ſie es dem Koͤnige oder irgend
einem Vornehmen im Reiche zu dediciren, um
ein gutes Preſent dafuͤr zu erhalten. Aber die-
ſe Dedicationen beſtehen nicht in der Form,
wie
[80] wie man ſie bey uns zu machen pflegt. Der
Name desjenigen, dem das Buch dedicirt ſeyn
ſoll, wird nur in der Vorrede erwaͤhnt, nach
dem Artikel, welcher eine Lobpreiſung Gottes
und aller Heiligen enthaͤlt. —
Die Perſer haben in ihrer Art zu ſtudi-
ren viel Sonderbares. Ich will hier etwas
weniges davon erzaͤhlen, woraus man abneh-
men kann, mit wie vielen Dingen ſie ſich auf
einmal zu beſchaͤfftigen pflegen. — Wenn
ein Student zu ſeinem Lehrer kommt, macht
er zufoͤrderſt ein devotes Compliment, ſetzt ſich,
und ſagt kein Wort. Der Lehrer pflegt ihm
darauf einen Wink zu geben, wenn er anfan-
gen ſoll. Der Student lieſt einige Reihen in
einem Autor und hoͤrt auf zu reden. Ueber
das nun, was der Student geleſen hat, haͤlt
der Lehrer, nach Art unſrer Profeſſoren auf
Akademien, einen langen Diſcours; hernach
wird die Periode nochmals geleſen, und ein
anderer faͤhrt denn weiter fort, die folgende
Strophe herzuleſen, die der Lehrer auf eben die
Art behandelt. Und ſo dauert ein ſolches Col-
legium — nach unſrer Art zu reden — oft
eine, auch wohl zwey Stunden, je nach dem
es dem Lehrer gefaͤllt. Iſt die Zeit des Un-
terrichts vorbey; ſo macht der Student ſeine
Verbeugung und legt dabey ſeine Hand auf
den Magen — welches den groͤßeſten Reſpect
ausdruͤckt — und im Weggehen begleitet ſie
der Lehrer mit den Worten: Gott ſey mit
euch.
[81]euch. — Hierauf gehen die Studioſi zu ei-
nem andern Lehrer, und hoͤren den Unterricht
in einer andern Wiſſenſchaft. Oftmals pfle-
gen die Lehrer in einer Stunde einen vierfa-
chen Unterricht zu geben welches nach ihrer
Meynung von ungemeinem Nutzen iſt. Sie
wollen in dieſem Stuͤcke die Alten nachahmen:
richten aber dadurch gewiß mehr Schaden, als
Vortheil an.
Wenn nun die Studioſi in allen Theilen
der Wiſſenſchaft einigen Fortgang gemacht
haben; ſo fangen ſie an uͤber einige Materien,
entweder unter ſich allein, oder auch in Gegen-
wart ihres Lehrers, zu diſputiren. Drey oder
viere treten zuſammen, und diſputiren, faſt ſo,
wie es bey unſerm Diſputiren herzugehen
pflegt.
Dieß iſt die Art, wie die Perſer zu ſtudi-
ren pflegen. Die wohlhabenden Leute laſſen
auch oft die Lehrer zu ihren Kindern ins Haus
kommen, um ſie eben ſo, wie in den Colle-
gien, unterrichten zu laſſen. Dieſe letzte Art
des Unterrichts laͤßt ſich bey ihnen leicht thun,
weil der Unterricht, wegen der großen Menge
von ſo genannten Gelehrten, nicht mit ſo vie-
len Koſten verbunden zu ſeyn pflegt, wie bey
uns. — Schade iſt es, daß der lebhafte
Geiſt und die natuͤrlichen Talente dieſes Volks
nicht ſo, wie ſie ſollten, angewendet werden.
Sie wuͤrden gewiß eben ſo gluͤcklichen Fortgang
in allen Theilen der Wiſſenſchaften machen, als
Fes
[82] es in Europa geſchieht, wenn ſie ſich nicht auf
Alles auf einmal legten, wenn bey ihnen die
Buͤcher ſo wohlfeil, als in Europa waͤren, und
wenn endlich die Lehrer mit ſolcher Gewiſſen-
haftigkeit ihren Unterricht jedem ertheilten, den
ſie nur ihren vertrauteſten Freunden zu geben
pflegen. — In Anſehung ihrer großen Ein-
ſichten ſind ſie eben ſo prahleriſch, als alle an-
dere Voͤlker. Sie ſind ſehr jalou und wollen
nicht, daß die Europaͤer alle ihre Kuͤnſte wiſ-
ſen, damit jene ihnen die Kuͤnſte nicht ablernen
ſollen, und ſie immer einen Vorzug vor den Euro-
paͤern haben moͤchten.
Ein jeder Liebhaber der Wiſſenſchaften ler-
net hauptſaͤchlich dreyerley Sprachen. Erſt-
lich die perſiſche, als die Hauptſprache des
ganzen Reichs. Zweytens die tuͤrkiſche, drit-
tens die arabiſche. Dieſe drey Sprachen
kennt man nur unter ihnen. Ein jeder, der
etwas vorſtellen will, muß derſelben kundig
ſeyn. Selbſt das Frauenzimmer muß wenig-
ſtens die beyden erſten verſtehen, dafern ſie fuͤr
eine Perſon von Lebensart will gehalten
ſeyn. — Der perſiſchen Sprache bedient man
ſich in der Dichtkunſt, und in den Werken des
Verſtandes. Das Tuͤrkiſche redet man bey der
Armee, am Hofe und im Serrail der Großen.
Das Arabiſche iſt fuͤr die Religion und alle
abſtracten Wiſſenſchaften. Die Perſer chara-
cteriſiren dieſe drey Sprachen ſo: ſie ſagen
naͤmlich, die perſiſche Sprache ſey geſchickt, die
Men-
[83] Menſchen zu ſchmeicheln, die arabiſche, ſie zu
uͤberreden, und die tuͤrkiſche, wenn man mit
Jemand von ernſthaften Dingen reden wollte.
Man erzaͤhlt hierbey noch die laͤcherliche Hiſto-
rie, daß dieſe drey Sprachen im Paradieſe
waͤren geredet worden. Sie ſagen naͤmlich, die
Schlange haͤtte die Eva durch ihre Beredſam-
keit verfuͤhrt; (folglich arabiſch geredet.) Adam
und Eva haͤtten, wenn ſie von Liebeshiſtorien
geſprochen, perſiſch geredet; die Engel, welche
beyde aus dem Garten gejagt, haͤtten tuͤrkiſch
geredet.
Die alte arabiſche Sprache kann gegenwaͤr-
tig Niemand verſtehen, weil es an Buͤchern
fehlt, woraus man ſie lernen koͤnnte, und auch
nicht die geringſten Spuren von derſelben mehr
uͤbrig ſind. Die Guebers, welche noch von
den alten Perſern abſtammen, haben einen ganz
beſondern Dialect. Sie geben zwar vor, daß
ſie noch itzt die urſpruͤnglich alte perſiſche Spra-
che redeten, daß ihre Prieſter fuͤr die Erhal-
tung und Unverfaͤlſchtheit die aͤußerſte Sorg-
falt getragen haͤtten und noch truͤgen; allein
es bleibt doch immer ſehr ungewiß und zweifel-
haft, ob ſie wirklich jene alte Sprache unver-
faͤlſcht erhalten haben. — Was die itzige
perſiſche Sprache betrifft; ſo kann man ſagen,
daß ſie durch die Vermiſchung des Arabiſchen
und anderer fremder Ausdruͤcke ſehr verfeinert,
dem Gehoͤr angenehm und die Ausſprache leicht
iſt. Die Perſer nennen ſie deswegen auch die
F 2geſal-
[84]geſalzene Sprache, um dadurch zu verſte-
hen zu geben, daß ſie wohl klinge Die Reiſe-
beſchreiber rechnen dieſe Sprache unter die an-
genehmſten und wohlklingendſten, die ſie ken-
nen. Sie hat mit der Europaͤiſchen viel Aehn-
lichkeit, und man findet in derſelben wenige
harte oder rauhklingende Toͤne. *)
Die Perſer haben acht und zwanzig Buch-
ſtaben. Dieſe ſind alle Conſonanten, ausge-
nommen die dreye Alif, Vau und Yé, die
ſie deswegen auch Ruhebuchſtaben nennen.
Ihre gewoͤhnlichen Accente ſind kleine krumme
Linien, die entweder gerade oder ſchief ſtehen,
wie man es bey einigen europaͤiſchen Sprachen
findet. Die acht und zwanzig Buchſtaben des
perſiſchen Alphabets haben nicht alle verſchiede-
ne Figuren, wie bey uns. Ein einziger Cha-
racter bedeutet bey ihnen mancherley Buchſta-
ben, und die richtige Bedeutung deſſelben wird
durch die Verſchiedenheit und Menge der Pun-
cte, die entweder oben oder unten ſtehen, an-
gezeigt. Wenn die Perſer z. E. ein B ſchrei-
ben wollen; ſo machen ſie folgende Figur: [...];
wenn
[85] wenn zwey Puncte darunter ſtehen [...]; ſo iſt es
ein J; ſind drey Puncte darunter [...]; ſo
zeigt es ein P an. Setzt man die Puncte in
eben der Ordnung uͤber dieſe Figur; ſo hat
man die Buchſtaben N. T. und S. — Die
Perſer verſetzen dieſe Puncte oftmals und laſ-
ſen ſie auch wohl gar aus, ohne dadurch an-
dern unverſtaͤndlich zu werden. Statt der Vo-
cale bedienen ſie ſich auch oft gewiſſer Zeichen,
um nicht zu weitlaͤuftig zu werden. Dieſe
Verſchiedenheit in Abwechslung der Puncte
und Vocale macht es auch, daß oft ein Frem-
der, der ſonſt ihre Sprache gelernt hat, doch
ihre Schrift nicht leſen kann.
Ueberhaupt wollen wir hier bemerken, daß
man in Perſien, ſo wie uͤberhaupt im ganzen
Orient, gegenwaͤrtig die lateiniſche und griechi-
ſche Sprache nicht kenne. Die Lateiniſche iſt
ſonſt auch ſelten betrieben. Die Griechiſche
hat man nur bis auf die Zeiten Mohammeds
gelehrt und gelernt; ſeit der Zeit aber iſt ſie in
Vergeſſenheit gerathen.
Ich will dieſes Kapitel mit einer umſtaͤnd-
lichen Nachricht von der Schreibekunſt der
Perſer endigen. Papier, Dinte und Federn
ſind diejenigen Dinge, welche ſie gleichfalls
bey der Schreibekunſt gebrauchen, und von
jedem will ich einige Bemerkungen beybrin-
gen. — An Papier haben die Perſer keinen
Mangel: uͤberall pflegt man es in großer Men-
F 3ge
[86] ge anzutreffen. Es hat nicht die Guͤte, die
Feinheit und Weiſſe, wie bey uns: aber es iſt
viel zarter und glatter, weil ſie es mit einer
Art von Seife beſchmieren, und ſichs beſſer
darauf ſchreiben laͤßt. — Alles beſchriebene
Papier wird fuͤr heilig bey den Mohammeda-
nern angeſehen: und derjenige, der es zerreißt,
oder es wohl gar zum ſchmuzigen Gebrauch
anwendet, wird als ein ſchaͤndlicher Menſch
angeſehen, der etwas zerriſſen oder verbraucht
habe, worauf der Name Gottes koͤnnte ge-
ſchrieben ſeyn. Wollen ſie des uͤberfluͤßigen
Papiers los ſeyn; ſo werfen ſie es in das Waſ-
ſer, oder ſtecken es in eine Mauer. — Ihre
Dinte, iſt dicke und klebricht, faſt unſrer Dru-
ckerſchwaͤrze aͤhnlich. Sie haben blaue, rothe,
goldfarbene, und machen zuweilen in ihren
Schriften verſchiedene Zierrathen auf dem
Rande, ſo wie wir es in den alten Manuſcri-
pten oft finden. — Ihre Federn ſind unge-
mein hart und beſtehen aus Schilf, welches
laͤngſt dem perſiſchen Meerbuſen in großer
Menge waͤchſt. Sie ſchneiden ſie gewoͤhnlich
mit einer langen Spitze, und ſollen zum Schrei-
ben ſehr bequem ſeyn.
Weil die Perſer der herrlichen und ſchoͤnen
Kunſt der Buchdruckerey, theils wegen der groſ-
ſen Duͤrre der Luſt, theils aber auch wegen des
Papiers, weil es die Druckerpreſſe nicht aus-
halten und zerreiſſen wuͤrde, entbehren muͤſ-
ſen;
[87] ſen; *) ſo ſind ſie genoͤthigt, alle ihre Buͤcher
abzuſchreiben. Und aus dieſer Urſache wird
die Schreibekunſt unter die edelſten und beſten
freyen Kuͤnſte gerechnet, worauf ſie ſich faſt
alle legen, und am meiſten ſehen. Sie ſchrei-
ben mit einer erſtaunenden Delicateſſe, legen
ihr Papier nicht auf einen Tiſch, ſondern ſie
halten es etwas hoch, und legen ein Stuͤck Le-
der drunter, um es damit zu halten. Wenn
der Bogen voll geſchrieben iſt; ſo rollen ſie ihn
zuſammen, und wickeln ihn wieder auf, wenn
ſie ihn noch beſchreiben wollen. — Die Mor-
genlaͤnder ſchreiben nicht, wie wir, von der
Linken zur Rechten, ſondern von der Rechten
zur Linken; ſie geben ihren Zeilen eine kleine
Kruͤmmung, und machen ſie unten rund.
Man koͤnnte denken, daß die Buͤcher, aus
Mangel der Buchdruckerkunſt, in Perſien uͤber-
aus theuer ſeyn muͤßten. Allein der Ueberfluß
an Copiſten erſetzt dieſen Mangel ſo, daß die
Buͤcher kaum dreymal theuerer ſind, wie
bey uns. Wenn ein Copiſt ein Buch ab-
ſchreibt, und faſt immer arbeitet; ſo erarbei-
tet er ſich doch kaum ſo viel, daß er anſtaͤndig
davon leben kann. Die Geſchwindigkeit und
Fluͤchtigkeit des Abſchreibers, verurſacht nun
F 4aber
[88] aber auch, daß ſie ungemein viele Fehler ma-
chen, welches nicht wenig den Wiſſenſchaf-
ten ſchadet, und zu Irrthuͤmern Gelegenheit
giebt. Sie leſen das, was ſie geſchrieben ha-
ben, nicht wieder durch, und geben auch gemei-
niglich ſo wenig auf ihr vorliegendes Manu-
ſcript Acht, daß ſie tauſend Fehler machen, oh-
ne einen einzigen zu bemerken. Oftmals erei-
gnet ſichs auch, daß fehlerhafte Manuſcripte
von einem andern abgeſchrieben, und nochmals
mit eben ſo vielen Fehler bereichert werden.
Dergleichen Manuſcripte nun, werden oft von
gelehrten Leuten durchgeſehen; und wenn ſie
die Fehler entdecken, ſo verdammen ſie die Ab-
ſchreiber oft dazu, daß ſie wuͤrdig waͤren, die
eine Hand zu verliehren.
Viertes Kapitel.
Von der Dichtkunſt, Mathematik, Aſtro-
nomie, Aſtrologie, und Philoſophie
der Perſer.
Die Perſer verſichern, daß es in den aͤlte-
ſten Zeiten Dichter gegeben habe, welche
die gemeinnuͤtzigſten Wahrheiten in Verſen abge-
faßt haben, um ſie dadurch ehrwuͤrdiger und
zugleich fuͤr das Volk angenehmer zu machen.
Man
[89] Man kann ſagen, daß die Dichtkunſt auch noch
itzt die angenehmſte Beſchaͤfftigung der perſi-
ſchen Nation ausmache. Sie haben von Na-
tur die beſten Anlagen dazu, ihr Genie iſt
fruchtbar, und ihre Vorſtellung lebhaft: dazu
kommt noch die angenehme und fuͤr die Dicht-
kunſt bequeme Sprache. In ihrer Proſa fin-
det man uͤberall Verſe untermiſcht und die Lie-
be zu den Verſen iſt ſo groß, daß ſie ſich im
Reden derſelben oft bedienen. Sie glauben,
daß eine Rede, die mit vielen Verſen gewuͤrzt
iſt, geſchickter ſey, den Innhalt derſelben beſſer
zu faſſen und zu behalten. — Eines von den
Mitteln, deren ſich die alten Perſer bedienten,
um das Andenken einer großen That zu vere-
wigen, war, daß man daruͤber ein Gedicht ver-
fertigte, und ſolches in den Verſammlungen
und bey großen Feſtins abſang. Dieſe Ge-
wohnheit wird auch noch itzt allgemein in Per-
ſien beybehalten. Vor alten Zeiten beſchaͤff-
tigte man ſich mit Viehweiden und andern
Dingen. Die Muße nun, die ihnen dieſes ſtil-
le Leben verſchaffte, verwandten ſie allein auf
die Dichtkunſt. Und hieraus ſcheint die Schaͤ-
ferpoeſie, welche die Griechen ganz wahrſchein-
lich von den Morgenlaͤndern entlehnt haben,
entſtanden zu ſeyn.
Vorzuͤglich uͤben ſich die jetzigen perſiſchen
Dichter in ſolchen Dingen, welche die Galan-
terie, Geſchichte und Moral betreffen. Die
Gedichte der erſten Art ſind gemeiniglich mit
F 5unge-
[90] ungemein vieler Freyheit verfaßt, und duͤrfen
nicht mehr, als hoͤchſtens dreyßig Reihen aus-
machen: ſie duͤrfen aber auch nicht unter zwoͤlf
Zeilen ſeyn. Eine ſolche Art von Gedichten
nennt man Kaſel. Aber doch nicht in allen
ſolchen Gedichten findet man dieſe uͤbertriebene
Freyheit. — Die zweyte Art von Gedichten
heißt Keſide. Dieſe pflegen ſie zu gebrau-
chen, wenn ſie den Ruhm großer Maͤnner und
Helden der Nachwelt hinterlaſſen wollen. Ein
ſolches Stuͤck darf nicht uͤber zweyhundert
Verſe groß ſeyn. Man pflegt in denſelben
kleine Erzaͤhlungen und Maͤhrchen anzubrin-
gen. Große Gedichte, wo man hinter einan-
der fortleſen muß, werden gar nicht geachtet:
man findet in ihren Buͤchern wenige, die uͤber
achtzig oder hundert Verſe lang ſind. Dieß
verſteht ſich aber nur bloß von den zwey Ar-
ten von Gedichten; denn ſie haben auch große
Werke, die ganz aus Poeſien beſtehen. So
enthaͤlt z. E. die Chaname ſechs und ſechzig
tauſend Verſe: es iſt aber ein Werk, worinn
viele andere Materien mit abgehandelt ſind,
und das in viele Kapitel abgetheilt iſt. Sie nen-
nen dieſe großen Werke in ihrer Sprache Di-
van, welches ſo viel heißt: als die Ver-
ſammlung der Weiſen oder der Alten.
Ihre Gedichte reimen ſich, wie die Unſri-
gen; ſie haben auch ſcandirte Verſe, wie die
Griechen, Roͤmer u. ſ. w. und laſſen kurze
und lange Sylben mit einander abwechſeln.
Ueber-
[91] Ueberhaupt iſt ihre ganze Art voll von Unregel-
maͤßigkeiten, die ſie aber alle fuͤr poetiſche Frey-
heiten ausgeben. Chardin behauptet, daß
die Poeſie, ſie moͤge ſeyn von welcher Art ſie
wolle, einen fuͤrtrefflichen Wohlklang habe, und
auch ſolchen Leuten gefallen muͤſſe, welche die
perſiſche Sprache nur halb oder auch ganz und
gar nicht verſtaͤnden. Ja er geht noch weiter,
und verſichert, daß die Poeſie der Morgenlaͤn-
der, und beſonders die der Perſer, die Unſrige
weit an Schoͤnheit, Wohlklang und andern
Eigenſchaften uͤbertreffe weil ihre Einbil-
dungskraft nicht nur lebhafter, ſondern auch
ihr Ausdruck erhabener ſey und die Poeſien un-
ſrer beſten Dichter fuͤr weiter nichts — in Ver-
gleichung mit den perſiſchen — als froſtige und
elende Proſe zu rechnen waͤren. Sonder Zwei-
fel iſt dieſe Meynung viel zu hoch geſpannt.
Andere, und zugleich zuverlaͤßige, Reiſebeſchrei-
ber melden gerade das Gegentheil, und geben
die Poeſien der Perſer, wo nicht fuͤr elend, doch
wenigſtens fuͤr ſehr mittelmaͤßig aus.
Man hat eine Geſchichte der perſiſchen
Dichter, welche von einem Gouverneur einer
Provinz, Namens Sami verfertigt iſt; wor-
inn man eine uͤberaus große Menge Dichter
vorfindet. Afez und Sahdi ſind unter die-
ſen die vornehmſten: und wenn man jeman-
den wegen ſeiner Gedichte loben will; ſo legt
man ihm einen von dieſen beyden Namen
bey. — Das Frauenzimmer iſt von der
Frey-
[92] Freyheit, Verſe zu machen, gaͤnzlich ausge-
ſchloſſen. Die Perſer haben deswegen unter
ſich das unhoͤfliche Sprichwort: Wenn die
Henne wie der Hahn kraͤhen will; ſo
muß man ihr die Kehle abſchneiden.
Verſchiedene gelehrte Maͤnner ſind der
Meynung, daß die Kunſt, Fabeln zu ſchreiben,
und durch Fabeln das Volk zu unterrichten,
den Perſern zuzuſchreiben ſey. Sie fuͤgen
noch hinzu, daß es die Griechen ſelbſt geſtan-
den und ſich geruͤhmt haͤtten, die Morgenlaͤn-
der hierinn zu Lehrmeiſtern gehabt zu haben.
Locmanns Fabeln, den die Perſer ungemein
ehren, — weil Mohammed deſſelben im Ko-
ran ruͤhmlichſt gedenkt — ſollen mit den Aeſo-
piſchen einerley ſeyn. In Sentenzen und
ſinnreichen Einfaͤllen, deren Eigenſchaft darinn
beſteht, lehrreiche Wahrheiten in wenigen Wor-
ten einzuſchließen, haben ſich die Perſer jeder-
zeit hervorgethan. Man ſieht ſie gewoͤhnlich
auf Denkmaͤlern, und die oͤffentlichen Pallaͤſte
ſind mit denſelben ſtark verſehen. Herbert und
Cbardin haben derſelben viele geſammlet.
Und um dem Leſer von den Faͤhigkeiten der
Perſer in dieſem Stuͤcke eine Idee zu machen,
will ich einige hier herſetzen.
Ein kluger Freund iſt beſſer, als ein aus-
ſchweifender Freund.
Das Geſchenk eines freygebigen Mannes
iſt ein wahres Geſchenk: das Geſchenk eines
eigennuͤtzigen Mannes, iſt Betteley.
Das
[93]
Das Herz eines Vaters ruhet auf ſeinem
Sohn; des Sohnes Herz aber, ruhet auf ei-
nem Steine.
Die Geduld iſt ein Baum, deſſen Wurzel
bitter, die Fruͤchte aber ſehr ſuͤße ſind.
Ein Menſch kann fuͤr weiſe gehalten wer-
den, wenn er die Weisheit ſucht; wenn er ſie
aber glaubt gefunden zu haben; ſo iſt er ein
Narre.
Die Hoffnung iſt ein fuͤrtrefflicher Reiſe-
gefaͤhrte. Wenn ſie uns nicht gewiß an den
verſprochenen Ort bringt; ſo verlaͤßt ſie uns
zum wenigſten niemals, und giebt beſtaͤndig
gute Worte.
Wenn der Koͤnig in dem Garten einer Pri-
vatperſon einen Apfel abbricht; ſo werden die
Hofleute den Baum mit ſamt den Wurzeln
ausreiſſen.
Drey Arten von Leuten gewinnen nichts,
wenn ſie mit drey andern Arten von Leuten
umgehen, der Edelmann mit dem gemeinen
Mann, der ehrliche Mann mit einem
Schelm, und der Kluge mit einem Narren.
Wer am hellen Mittage herrliche Eſſenzen
verbrennt, der wird bald am Oele, das man
des Nachts brennt, Mangel haben.
Wehe dem Schiffe, das aus dem Hafen
laͤuft, ohne den Zoll zu entrichten: und wehe
dem Menſchen, der aus dieſem Leben gehet,
ohne Kreuz und Elend erfahren zu haben.
Als
[94]
Als man einen Weltweiſen fragte, von
wem er die Weisheit gelernt habe, antwortete
er: Ich habe ſie von den Blinden ge-
lernt, die niemals einen Schritt thun,
ohne vorher den Boden mit einem Stocke
zu unterſuchen.
Wenn man euch ſagt, daß ein Berg von
einem Orte zu dem andern verſetzt worden ſey;
ſo glaubt es, wenn ihr wollt; ſagt man euch
aber, daß ein Menſch ſein Naturell veraͤndert
habe, glaubt es nicht. Des Menſchen Natu-
rell gleicht ſeiner Geſichtsbildung: ſowohl das
eine als die andere ſind faſt immer einerley.
Zehn Derwiſche werden ruhig auf einer
Streue ſchlafen, und zwey Koͤnige koͤnnen nicht
mit einander in einem Vierthel von der Welt
in Frieden leben.
Uebelerworbenes Gut, verzehrt das Gut-
erworbene. Was man zu viel hat, muß
von der Maſſe, als ein uͤberfluͤßiges Gut an-
geſehen werden. Allmoſen ſind das Salz
des Reichthums: ohne dieſes Erhaltungs-
mittel verdirbt es.
Du biſt ein Menſch, und ſollteſt nicht ge-
duldig ſeyn?
Drey Sachen lernt man nur bey drey Ge-
legenheiten erkennen: die Tapferkeit im Strei-
te, die Klugheit im Zorn, und die Freundſchaft
in der Noth.
Das Meer bietet unſaͤgliche Reichthuͤmer
dar, die Sicherheit aber iſt auf dem Ufer.
Es
[95]
Es iſt großen Maͤnnern eigen, ihren Feh.
ler zu geſtehen.
Thut Gutes, wenn ihr wollt, daß man
euch auch Gutes thun ſoll.
Der Anfang des Zorns iſt Wuth, und das
Ende Reue.
Wohlthaten, wenn ſie uͤbel angewendet ſind,
gerathen oft dem zum Schaden, der ſie giebt,
und auch dem, der ſie erhaͤlt.
Die Menſchen folgen der Religion und
den Sitten ihres Koͤniges.
Wer eine niedrige Handlung lobt, begehet
ſie ſelbſt.
Wer jemanden beſucht, unterwerfe ſich dem
Geſetze desjenigen, den er beſucht.
Wer ſeinen Vater ehrt, deſſen Tage ſollen
verlaͤngert werden.
Wenn ihr euch des Weins nicht mit Ver-
ſtande bedienet; ſo werdet ihr ein Elender
werden. Gebraucht ihr ihn aber mit Verſtan-
de; ſo werdet ihr einmal ein beruͤhmter Mann
werden.
Unternehmet nichts, ohne vorher daran ge-
dacht zu haben.
Laßt das nicht durch andere Leute thun,
was ihr ſelbſt thun koͤnnet.
Wenn ein Menſch in einem Hauſe iſt; ſo
reicht auch ein Wort zu.
Wenn ein Bedienter gefaͤllt; ſo gefaͤllt auch
zugleich Alles, was er macht.
Wenn
[96]
Wenn man mit leeren Haͤnden zu dem
Richter geht; ſo bekommt man ihn nicht zu
ſehen.
Der Umgang mit niedertraͤchtigen Seelen
iſt einer Schiffahrt auf dem hohen Meere aͤhn-
lich.
Die Menſchen, welche man ſicht, ſind
nicht alle Menſchen. Die meiſten ſind
Ochſen und Eſel ohne Gott.
Wenn man ein Werk nie anfaͤngt; ſo wird
es auch nicht zu Stande kommen.
Was hilft dem Schaͤfer das Schreyen,
wann der Wolf mit dem Schaafe davon geht.
Etwas Schoͤnheit gilt mehr, als große
Reichthuͤmer.
Wenn der Tag kommt; ſo loͤſcht man das
Licht aus.
Wer ſich ſelbſt vor dem Wolfe fuͤrchtet, der
giebt auf ſeine Schaafe nicht Acht.
Fuͤrchtet euch fuͤr den, der euch fuͤrchtet.
Wenn ein frommer Menſch ſterbend nichts
verlaͤßt als ein Schreibzeug und Federn; ſo
kann er allemal des Paradieſes ſicher ſeyn.
Die Menſchen verbrauchen die Zeit, aber
die Zeit verbraucht noch mehr die Menſchen
ſelbſt.
Die Niedertraͤchtigkeit iſt die beſtaͤndige
Feindinn der Reichthuͤmer.
Die Armuth iſt weit beſſer, als uͤbelerwor-
benes Gut, und niedertraͤchtiger Gewinnſt.
Das
[97]
Das groͤßeſte Ungluͤck der Armuth beſteht
darinn, daß man von Jedermann verachtet
wird.
Der groͤßeſte Nutzen der Reichthuͤmer iſt der,
daß man von Jedermann geachtet wird.
Das Leben eines Geizigen iſt immer kurz,
das Leben eines freygebigen Menſchen iſt immer
lang.
Wer das Gute nicht von dem Boͤſen zu un-
terſcheiden weiß, gehoͤrt unter die Zahl der un-
vernuͤnftigen Thiere.
Wer einen Freund ganz ohne Fehler ver-
langt, wird nie einen bekommen.
Das Wort Freund iſt ein Ausdruck ohne
Bedeutung.
Was man in ſeinem Herzen gegen einen
Freund empfindet, fuͤhlt er auch in ſeinem Her-
zen gegen uns.
Wer ſich mit ſeinen Feinden verſoͤhnt, be-
leidigt dadurch ſeine Freunde.
Die Geduld iſt bitter, aber ihre Frucht iſt
ſuͤß.
Die Geduld iſt die Thuͤre zur Freude, das
Auffahren die Thuͤre zur Reue.
Der Menſch hat ein kurzes Leben, aber ei-
ne deſto laͤngere Hoffnung.
Die Seele verliert nicht eher die Hoffnung,
bis der Tod kommt.
Ein Koͤnig ohne Gerechtigkeit, iſt ein Fluß
ohne Waſſer.
GWenn
[98]
Wenn das Luͤgen je erlaubt iſt, ſo moͤchte
es wohl da ſeyn, wenn man mit Luͤgnern um-
gehet.
Unterhaltet euer Gluͤck ſo, als wenn ihr
ewig leben muͤßtet.
Man huͤte ſich fuͤr dem Menſchen, der in
eines andern Abweſenheit uͤbel von ihm redet,
und entferne ſich aus deſſen Geſellſchaft.
Man muß nur bloß zur Erholung ſpielen,
ſo wie man eine Sache ſalzet, um ſie vor der
Faͤulniß zu bewahren.
Drey Dinge verlaͤngern das Leben, ſchoͤne
Kleider, ein ſchoͤnes Haus, eine ſchoͤne
Frau.
Es iſt leichter, einen Gottloſen von ſeiner
Bosheit abzuhalten, als einen traurigen Men-
ſchen von ſeiner Traurigkeit.
Wer ſeinen Kindern kein Handwerk lernen
laͤßt, der erzieht ſie nur zu nichtswuͤrdigen Leu-
ten auf.
Wenn ein Menſch ſeinem Ende nahe iſt;
ſo betet ein jeder fuͤr ihn.
Betragt euch auf eine ſolche Art, daß ihr,
wenn ihr vor die Pforte des Paradieſes kommt,
nicht reich ſeyd; denn die Armen ſitzen im Pa-
radieſe auf der erſten Bank.
Begnuͤgt euch mit dem, was euch Gott
giebt, alsdann habt ihr genug.
So lange man das Geheimniß ſeines
Freundes verſchweigen kann, ſo lange muß man
es auch thun.
Es
[99]
Es giebt zwey Arten von elenden Menſchen,
naͤmlich, wer etwas ſucht, und nichts findet,
und dann, wer etwas findet, und damit nicht
zufrieden iſt.
Mit Wenigem zufrieden zu ſeyn, iſt der
groͤßeſte Reichthum.
Die Gluͤckſeligkeit dieſer und der andern
Welt beſtehet darinn, ſeinen Freunden Gutes
zu thun, und das Unrecht ſeiner Feinde zu er-
tragen.
Ein Weiſer, der ſchweigt, iſt beſſer, als ein
Narr, der redet.
Man unterhalte ſich niemals mit einem
Narren, und enthalte ſich alles Umgangs mit
ihm, denn er beſitzt keine Schamhaftigkeit.
Man muß die Kinder nie aufhalten, wenn
ſie in die Schule gehen: auch nicht einmal, um
das Feuer in der Nachbarſchaft ausloͤſchen zu
helfen.
Ein ſchamhafter Menſch wird nicht viel
lernen, und ein zorniger ſchlecht unterrichten.
Hoͤre zu, alsdann wirſt du etwas lernen.
Schweig, alsdann wirſt du Friede haben.
Wer eine Frage aufwirft, hat Luſt zu ler-
nen.
Ein einziger Tag eines gelehrten Mannes
iſt beſſer, als das ganze Leben eines Ignoran-
ten.
Der Ruhm eines Kaufmanns beſteht in ſei-
ner Boͤrſe. Der Ruhm eines Gelehrten aber
in ſeinen Buͤchern.
G 2Ein
[100]
Ein Gelehrter, der nichts hervorbringt,
iſt einer Wolke ohne Waſſer aͤhnlich.
Lerne Weisheit von der Wiege an bis ins
Grab.
Ein Narr gefaͤllt ſich ſelbſt.
Zwey Arten von Hunger koͤnnen nie ge-
ſtillt werden, naͤmlich der Hunger nach Wiſ-
ſenſchaft und der nach Reichthum.
Der Unwiſſende iſt ſich ſelbſt feind, wie
koͤnnte er denn andre lieben?
Ein Weiſer kennt den Unwiſſenden, weil
er ſelbſt unwiſſend geweſen iſt. Aber ein Un-
wiſſender kennt den Weiſen nicht, weil er nie
weiſe geweſen iſt.
Zwey Arten von Leuten arbeiten vergebens,
naͤmlich der, welcher Reichthuͤmer zuſam-
men ſcharrt, und ihrer nicht genießt, und
dann auch der, welcher gelehrt iſt, und das,
was er gelernt hat, nicht von ſich geben kann.
Der Kluͤgſte unter allen Menſchen iſt der,
welcher an ſein Ende denkt.
Mehrere Sentenzen und Spruͤche der Per-
ſer hier anzufuͤhren, finden wir, um den Leſer
nicht zu ermuͤden, nicht fuͤr noͤthig. Wer mehr
zu wiſſen wuͤnſcht, kann unſern Reiſebeſchreiber
nachleſen. — Es iſt nun Zeit, daß wir zu
der Mathematik der Perſer uͤbergehen.
Seit vielen Jahrhunderten haben ſich die
Morgenlaͤnder, und unter dieſen vorzuͤglich die
Perſer und Araber, auf die Mathematik gelegt,
die ſie in ihrer Sprache Elm-Riazi, oder eine
beſchwer-
[101] beſchwerliche Wiſſenſchaft nennen. Der be-
ruͤhmteſte Mathematiker, den die Perſer in dem
mittlern Zeitalter aufzuweiſen haben, heißt
Coja Neſſir. Er hat einen ſehr gelehrten
Commentar uͤber den Almageſt des Ptolo-
maͤus geſchrieben, und mit gluͤcklichem Erfolg
an den Anfangsgruͤnden des Euclides gearbei-
tet, und zugleich verſchiedene Propoſitionen er-
laͤutert — beſonders bemerkt man ſeinen Fleiß
in der ſieben und vierzigſten des erſten Buchs
— die er mit einigen dreyßig Corollarien aus
dem bekannten Theorema vcrmehrt. Die Per-
ſer nennen dieſe Propoſition Chek le arrus,
oder die Figur einer Verheyratheten, um
dadurch die Fruchtbarkeit dieſes Grundſatzes
anzuzeigen. Sie halten den Pythagoras, oder
wie ſie ihn nennen Fichagores, fuͤr den Erfin-
der dieſer Propoſition. Die Perſer haben faſt
allen Propoſitionen der Anfangsgruͤnde des
Euclides beſondere Namen gegeben. — Naͤchſt
dieſem Coja Neſſir hat ſich Maimon Re-
chid in dieſer Wiſſenſchaft beſonders bekannt
gemacht. Er hat ebenfalls mit vielem Gluͤcke
uͤber den Euclides commentirt. Bey der er-
ſten Propoſition dieſes Autors hat er ſolche wich-
tige Entdeckungen gemacht, daß man ſie nach-
her des Maimons Figur genannt hat. Er
hatte ſich in dieſe Propoſition ſo verliebt, daß
er ſie auf ſeinem Rockermel hat ſticken
laſſen, um ſie immer vor Augen zu haben.
Man erzaͤhlt, daß er beym Ende ſeines Lebens
G 3ſoll
[102] ſoll geſagt haben: daß die Logik und Ma-
thematik Wiſſenſchaften waͤren, an wel-
chen ein Menſch ſeinen Verſtand am al-
lerbeſten ſchaͤrfen koͤnnte; es waͤre ihm
aber ſehr unangenehm, daß die erſte von
dieſen Wiſſenſchaften ſo ungewiß, und
die andere, die zwar richtige Grundſaͤtze
haͤtte, ſo ſchwer zu erlernen ſey.
Die Perſer verſtehen die Trigonometrie,
Geometrie, Optik u. ſ. w. hinlaͤnglich, und
haben nicht nur geſchickte Lehrer, ſondern auch
zugleich fuͤrtreffliche Werke, aus denen ſie ſich
Raths erholen koͤnnen. — —
Etwas von der Aſtronomie und Aſtro-
logie der Perſer.
Dieſe beyden Wiſſenſchaften koͤnnen fuͤg-
lich mit einander abgehandelt werden, weil ſie
die Perſer nie von einander abſondern; ja man
kann ſagen, daß ſie die Aſtronomie bloß aus
Liebe zur Aſtrologie lernen. Sie nennen die
Aſtronomie, Elm nejoum, das heißt, die Wiſ-
ſenſchaft der Geſtirne: und die Aſtrologie,
Eſte Krag, das heißt, die Entdeckung der
Geſtirne. — Dieſe beyden Wiſſenſchaften
ſind bey den Perſern am meiſten geachtet und be-
arbeitet, ſie ſind wahrſcheinlich die, worinn ſie
den Europaͤern am naͤchſten kommen, und viel-
leicht eben ſo weit gekommen ſind, als die Eu-
ropaͤer.
Man braucht nur, wenn man ſich von dem
Zutrauen der Perſer zu der Aſtrologie einigen
Begriff
[103] Begriff machen will, die Menge derjenigen,
welche ſich auf dieſe Wiſſenſchaft legen, naͤher
zu betrachten. Chardin ſchreibt, daß in Iſpa-
han, ſo viel Aſtrologen waͤren, als Sterne am
Himmel. Die allerberuͤhmteſten perſiſchen
Aſtrologen ſind alle in der Provinz Khoraſan
gebohren. Alle diejenigen, welche ſich in die-
ſer Wiſſenſchaft ſeit ſechs oder ſieben Jahrhun-
derten einen Namen erworben haben, ſind aus
dieſer Provinz, und der Koͤnig ſelbſt leidet an
ſeinem Hofe keine andere Aſtrologen, als die
in dieſer Provinz gebohren, oder doch wenig-
ſtens von Jugend auf unterrichtet ſind. Man
verſichert, daß die Aſtronomie in der Provinz
Khoraſan deswegen mehr bearbeitet wuͤrde, weil
ſie eine ſehr reine und trockene Luft habe, und
man deswegen mehr Gelegenheit habe, die Be-
wegung der Geſtirne zu beobachten.
Man findet immer Aſtrologen an dem koͤ-
niglichen Hofe, welche die Befehle, wie ich ſchon
anfangs bemerkt habe, erwarten. Der Vor-
nehmſte unter dieſen muß allezeit bey dem Koͤ-
nige ſeyn — ausgenommen, wenn er im Ser-
rail iſt — um ihm die gluͤcklichen oder un-
gluͤcklichen Tage oder Stunden anzuzeigen.
Ein jeder dieſer Aſtrologen fuͤhrt ſein Aſtrola-
bium oder ſeinen Meßſtab bey ſich. Sie ge-
brauchen aber bloß das Aſtrolobium, und da-
her kommt es auch, daß ſie ſich oͤfters in ihren
Beobachtungen betruͤgen, beſonders in Ausmeſ-
ſung der Breiten. Es fehlt ihnen auch gaͤnz-
G 4lich
[104] lich an ordentlichen Aequations-Tabellen,
an einer regelmaͤßigen Erdkugel, Vergroͤße-
rungsglaͤſern und an den Maſchinen, die von
unſern europaͤiſchen Aſtronomen entweder ganz
neu erfunden, oder doch wenigſtens ſind ver-
beſſert worden. Man muß ſich deswegen auch
nicht wundern, wenn man in den Berechnun-
gen der Stunden bey dem Eintreffen der Sonn-
und Mondfinſterniffen, beym Solſtitio, der
Zuſammenkunft der Planeten und andern Be-
gebenheiten des Himmels, nicht diejenige Ge-
nauigkeit ſindet, wie bey uns. Dennoch aber
verſichern die Reiſebeſchreiber mit Zuverlaͤßig-
keit, daß die Aſtrolabia der Perſer weit regel-
maͤßiger und ſchoͤner ſind, als die unſrigen.
Ein jeder Aſtronom muß ſich daſſelbe allein
machen, wenn er unter die Zahl der Gelehrten
zu gehoͤren wuͤnſcht.
Einige perſiſche Aſtronomen zaͤhlen neun
und vierzig Conſtellationen. Die Namen, die
ſie ihnen beylegen, ſind faſt die, welche wir ih-
nen geben: wenigſtens findet man wenig Un-
terſchied. Von denjenigen Conſtellationen, die
unſre neuern Beobachter gegen den mittaͤglichen
Kreiß entdeckt haben, wiſſen ſie nichts.
Die Kalender der Perſer heißen Eſtekra-
ge Takuimi, das iſt, Entdeckungen der Tage
des Jahrs. Sie beſtehen aus einem Gemiſch
aſtronomiſcher Wahrnehmungen und Weißa-
gungen. Man findet in denſelben die Son-
nen- und Mondfinſterniſſe, und ihre verſchie-
denen
[105] denen Aſpecten, ferner die Vorherverkuͤndigun-
gen der merkwuͤrdigſten Begebenheiten, als
Krankheiten, Kriege, Mangel oder Ueberfluß,
Reiſen und andere Vorfallenheiten des menſch-
lichen Lebens, Vorherſagung guter oder boͤſer
Stunden, damit die Menſchen darnach ihre
Handlungen einrichten koͤnnen. Auch alle Feſt-
tage findet man darinn aufgezeichnet. Dieſe
Kalender werden zu Anfang des Merzes be-
kannt gemacht, und dauren ein ganzes Jahr.
Sie werden in klein Folio geſchrieben, und mit
goldenen und blauen Linien, Vignetten und
andern gemalten Zierrathen geſchmuͤckt. Die
ſchoͤnſten dieſer Kalender koſten wohl vier bis
fuͤnf Thaler, nach unſerm Gelde gerechnet, die
wohlfeilſten aber wenigſtens einen Thaler. Je-
der Perſer kauft ſich einen, und richtet ſich nach
demſelben, wie nach dem Koran. Die Abſchrei-
ber ſind gewoͤhnlich die Diſtributeurs der Ka-
lender, ſie erhalten ſie von den Aſtrologen, und
muͤſſen auch dieſen die Gelder dafuͤr einlie-
fern.
Es iſt an den perſiſchen Kalendern ſonder-
bar, daß ſie außer den Jahren der gewoͤhnli-
chen Zeitrechnung auch diejenigen Epochen, die
im Orient gebraͤuchlich ſind, mit bemerken.
Die gewoͤhnlichſte Zeitrechnung heißt, wie be-
kannt, Hegira — Chardin nennt ſie Hegera,
vielleicht ein Druckfehler. — Sie faͤngt an,
da Mohammed, von den Einwohnern zu Mek-
ka verfolgt, nach Medina fliehen mußte, wel-
G 5ches
[106] ches eilf Jahr vor ſeinem Tode geſchah. Der
erſte Tag dieſer Epoche faͤllt nach der gemeinen
Ausrechnung auf den 15ten oder ſechzehnten
Julius 622 nach Chriſti Geburt. Ehe die
Hegira eingefuͤhrt war, war das arabiſche Jahr
ein Sonnenjahr, und beſtand aus zwoͤlf Mo-
naten, die allemal auf ihre beſtimmte Zeit ein-
fielen. Ihre Namen hatten ihre Beziehung auf
die Arbeiten oder Uebungen einer jeden Jahrs-
zeit. Mohammed ſchaffte das Sonnenjahr
ab, und fuͤhrte das Mondenjahr ein, behielt
aber die Anzahl und Namen der Monathe bey.
Dieſe Monathe, wenn ſie gleich etwas verkuͤrzt
ſind, fallen itzt noch ohne Unterſchied auf alle
Jahrszeiten. Ich will ihre Ordnung, Namen,
Bedeutung und Dauer herſetzen.
- Tage.
- 1. Maharram 30. d. i. geheiligter Monath.
Denn in demſelben hoͤrt
aller Streit mit andern
Voͤlkern auf. - 2. Safar 29. hat den Beynamen: der
gute und ſiegreiche Mo-
nath, weil es ein Mo-
nath zum Kriegen, oder
um Recht zu ſagen, ein
Monath zum Pluͤndern
und Stehlen war.
3. Re-
[107]
- Tage.
- 3. Rebiah 1ſte 30 heißt eigentlich, ſeiner Be-
deutung nach, wieder
gruͤn werden. — Bey
den Arabern findet, wie
bekannt, ein zwiefacher
Fruͤhling ſtatt. - 4. Rebiah 2te 29.
- 5. Gemadi 1ſte 30. heißt ſo viel, als erfrie-
ren, weil es in dieſem Mo-
nath kalt iſt. - 6 Gemadi 2te 29.
- 7. Regeb 30. mit den Beynahmen der
Ehrwuͤrdige. - 8. Chaban 29. welches ſo viel heißt, als
theilen. Es hat auch den
Beynamen, der Lobens-
wůrdige, weil er in die
Zeit faͤllt, wenn ſich die
Araber vertheilen, um
Viehweiden zu ſuchen. - 9. Rhamazen 30 d. heißt, außerordentlich
warm, weil er mitten im
Sommer einfaͤllt. In die-
ſem Monathe darf ſich
keiner verheyrathen.
10 Cha-
[108]
- Tage.
- 10. Chaval 29. d. i. huͤpfen und ſprin-
gen. Er hat den Zuna-
men: ehrenvoll. - 11. Zilcade 30. d. h. ſich an einem Orte
verweilen. - 12. Zilhage 29. will ſo viel ſagen, als,
zuſammen kommen, weil
dieß der Monath war,
wo man ſich verſammle-
te, um die Wallfahrten zu
thun.
Wenn man nun alle die Tage zuſammen ad-
dirt; ſo hat man ein Jahr von 354 Tagen.
Folglich beſteht ein Arabiſch Jahr aus eilf Ta-
gen weniger, als das unſrige. — Die uͤbri-
gen Epochen, die in den perſiſchen Tagebuͤchern
bemerkt ſind, heißen die Tartariſche, Alexandri-
niſche, Jezdegerdiſche, und Malekeeniſche Zeit-
rechnung. In hiſtoriſchen, chronologiſchen
und aſtronomiſchen Schriften findet man, daß
die Perſer ſich dieſer verſchiedenen Epochen zu
bedienen pflegen. Die tartariſche Zeitrechnung
war zuerſt in Perſien eingefuͤhrt. Man bedient
ſich derſelben zugleich mit der Hegira, den Tag
der Unterzeichnung in den Rechnungskammern
zu beſtimmen. Sie beſtehet darinn, daß man
die Zeit durch Zirkel, die aus zwoͤlf Monden-
jahren
[109] jahren beſtehen, ausrechnet, wovon ein jedes
Jahr den Namen eines Thieres fuͤhrt. Sie
haben folgende Ordnung.
- Tartariſche Namen Ihre Bedeutung.
- 1 Kesbou — eine Maus.
- 2 Out — ein Ochſe.
- 3 Pars — ein Tieger.
- 4 Touzchcan — ein Haaſe.
- 5 Loui — ein Crocodil.
- 6 Ilan — eine Schlange.
- 7 Yunad — ein Pferd.
- 8 Kri — ein Schaaf.
- 9 Pitchin — ein Affe.
- 10 Dakout — eine Henne.
- 11 Eit — ein Hund.
- 12 Tangouz — ein Schwein.
Man pflegt ſich daher, um das Jahr zu
benennen, des Ausdrucks zu bedienen: Im
Jahre des Ochſen, der Maus ꝛc. alsdann weiß
man ſchon das wievielſte gemeynt iſt. Iſt der
Zirkel herum; ſo faͤngt man wieder von vorne
an. Andere mittaͤgliche Indier pflegen ſich die-
ſer Epoche auch zuweilen zu bedienen.
Die zweyte Zeitrechnung, die ich angefuͤhrt
habe, naͤmlich die Alexandriniſche, wurde in
Syrien
[110] Syrien, zwoͤlf Jahre nach Alexanders Tode,
auf Befehl des Seleucus, eingefuͤhrt. Daher
man ſie auch die Zeitrechnung der Seleuker
nennt. Sie hat 312 Jahr vor Chriſti Geburt
ihren Anfang genommen, und iſt verſchiedene
Jahrhunderte die herrſchende in Perſien gewe-
ſen. Das Jahr beſteht aus 365 Tagen, und
wird in zwoͤlf Monathe eingetheilt, wovon dieß
die Namen ſind.
- 1. Teſchrin 1ſte hat 31 Tage.
- 2. Teſchrin 2te — 30. —
- 3. Canoun 1ſte — 31. —
- 4. Canoun 2te — 31. —
- 5. Schabat — 28. —
- 6. Adar — 31. —
- 7. Niſan — 30. —
- 8. Ayar — 31. —
- 9. Haziran — 30. —
- 10. Tamouz — 31. —
- 11. Ab — 31. —
- 12. Eiloul — 30. —
Die uͤbrigen Zeitrechnungen laſſe ich hier
der Kuͤrze wegen vorbey, und merke nur noch
an, daß ſich die Jezdegerdiſche Zeitrechnung
mit der Regierung Jezdegerds III. als des letz-
ten Prinzens aus der Dynaſtie der Saſſaniden
ange-
[111] angefangen habe, und noch heutiges Tages bey
den alten Guebers gebraͤuchlich ſey. — Die Ma-
lekeeniſche Zeitrechnung ſtammt von Schach
Malek Gelaleddin ab, dem dritten Prinzen
der Dynaſtie der Seljonciden.
Die Perſer bearbeiten die Philoſophie in
allen ihren Theilen eben ſo, wie wir, und be-
nennen ſie auch mit eben dem griechiſchen Wor-
te, φιλοσοφοι als wir; gebraͤuchlicher aber iſt
die Benennung Hekmet, d. i. die Wiſſen-
ſchaft der Fuͤrtrefflichkeit. Sie theilen ſie
in zwey Theile, naͤmlich in die Metaphyſik
des Collegiums, und in die Theologie der
Schule. — Die Perſer glauben als gewiß,
daß die alte Philoſophie in zwey Secten ge-
theilt geweſen ſey; die erſte habe Thebaion ge-
heißen, und keine immaterielle Urſache oder
Wuͤrkung angenommen; die andere ſey Elai-
run genannt worden, und habe zum Princi-
pium einen Geiſt, als den Bewuͤrker der Ma-
terie angenommen. — Itzt nennen ſie die
Logik oder Dialektik Elm-el tekbir, d. h.
die Wiſſenſchaft der Auslegung: die Phyſik,
Elm tebia, d. h. die Wiſſenſchaft der Natur,
und die Metaphyſik, Elm Fimabehedelte-
bia, d. h. die Wiſſenſchaft uͤber die Natur.
Die Perſer ſind große Anhaͤnger der ari-
ſtoteliſchen Philoſophie, ſie leſen aber ihren
großen Meiſter nicht in der Sprache, worinn
er geſchrieben hat; ſondern ſie kennen nur ſeine
Werke aus den Ueberſetzungen und Commen-
tarien
[112] tarien des Avicenna, Coja Neſſir — deſ-
ſen wir im Vorhergehenden ruͤhmlichſt gedacht
haben — des Averroes, und einiger andern
perſiſchen Gelehrten, weil die griechiſche Spra-
che in Perſien ganz vernachlaͤßigt wird.
Wir haben geſagt, daß die Perſer die gan-
ze Philoſophie in drey Theile theilten, in die
Phrſik, Metaphyſik und Logik. Wir mer-
ken hierbey noch an, daß ſie auf dieſe drey Thei-
le nicht allein die ganze Philoſophie, ſon-
dern auch alle Wiſſenſchaften zuruͤckbrin-
gen. So rechnen ſie z. E. die Mathematik
und Medicin mit zur Phyſik. Unter der
Metaphyſik begreifen ſie die ſpeculative und
Moraltheologie und Jurisprudenz mit:
endlich rechnen ſie zur Logik, die Rhetorik und
Grammatik.
Die Philoſophie des Epicurs und des De-
mocrits kennt man in Perſien nicht, wohl aber
die des Pythagoras, welche in Indien vorzuͤg-
lich bluͤhet. — Uebrigens muß man bemer-
ken, daß die Perſer von der Logik und Phy-
ſik nur ſehr eingeſchraͤnkte Kenntniſſe haben,
und hierinn vor den andern Wiſſenſchaften, ſehr
zuruͤck ſind. Die Moral aber — welche ganz
aus Sentenzen, davon ich im vorhergehenden
einige beygebracht habe beſteht, — treiben ſie
mit ungemeinem Fleiße. — Zwiſchen Meta-
phyſik und Theologie machen ſie keinen Unter-
ſchied.
Fuͤnf-
[113]
Fuͤnftes Kapitel.
Von einigen Kuͤnſten, Handwerken und
Manufacturen.
Die Perſer nennen die Muſik in ihrer Spra-
che Muſiki, welches Wort ſie von den
Griechen ſcheinen angenommen zu haben. Ih-
re Scala beſteht aus neun Toͤnen; fuͤr die
Stimme und Inſtrumente haben ſie beſondere
Tabulaturen, welche eine uͤberaus große Menge
Figuren in ſich faſſen. Man muthmaßet daher
nicht ohne Grund, daß die Vervielfaͤltigung
der Zeichen, die Art, die Muſik zu ſtudiren,
ſehr verwirrt machen muͤſſe. Ihre muſikali-
ſchen Noten ſind mit den Namen der Staͤdte
eines Landes, einiger Theile des menſchlichen
Koͤrpers, oder mit einer andern bekannten Sa-
che belegt. Wenn ſie jemanden in der Muſik
unterrichten wollen, ſo pflegen ſie zu ſagen:
Gehe itzt zu dieſer, zu jener Stadt.
Ihre Geſaͤnge ſind lebhaft und munter;
ſie lieben die ſtarken und hohen Stimmen, die
Triller und großen Coloraturen im Singen.
Denn, ſagen ſie, man muß die Menſchen durch
die Harmonie der Stimmen zum Lachen und
Weinen bringen koͤnnen, wenn man recht ſingen
will. Die Arien nennen ſie Perdeh, und
Htheilen
[114] theilen ſie nach den Namen der alten Koͤnige
und der Provinzen ein. Sie pflegen ſie gemei-
niglich mit der Laute oder Violine zu begleiten,
die nur die Melodie des Saͤngers wiederholt.
Die Mannsperſonen haben die hellſte und zu-
gleich die angenehmſte Stimme; ſie wuͤrden es
auch gewiß im Singen weit bringen, wenn der
Geſang und der Tanz fuͤr anſtaͤndige Kuͤnſte
angeſehen wuͤrden. Sowohl dieſen als jenen pfle-
gen die Eltern ihren Kindern nicht lernen zu
laſſen, weil ſich mit denſelben gemeiniglich ver-
daͤchtige und ungeſittete Leute abgeben; und
derjenige, welcher ſich mit einer dieſer Kuͤnſte
abgeben wollte, wuͤrde gewiß fuͤr veraͤchtlich
gehalten werden. — Indeſſen hat doch das
Volk einen ſo ungemeinen Hang zum Singen,
daß es immer, obwohl langſam, ſinget, um
ſich dadurch aufzumuntern und zu vergnuͤgen.
Man muß ſich daher auch nicht wundern, wenn
ihre Muſik aͤußerſt verwirrt iſt. — Die Per-
ſer ſowohl als die Araber nennen die Saͤnger
Kayne’, ein Wort, welches von Cain herkom-
men ſoll, weil die Morgenlaͤnder vorgeben, daß
die Soͤhne Cains den Geſang und die Muſik
erfunden haben. —
Sie haben eine große Menge muſikaliſcher
Inſtrumente, und zwar von verſchiedenen Gat-
tungen. Sie haben kupferne Pauken und
Trommeln, die an Groͤße den unſrigen ſehr
gleich ſind, und noch eine andere Art von Pau-
ken, die noch viel groͤßer ſind, und mit unſern
Korn-
[115] Kornſcheffeln viel Aehnlichkeit haben. Man
ſieht oft Pauken von drey Fuß im Durch-
ſchnitt, die ſo ſchwer ſind, daß ſie nicht einmal
ein Kameel tragen kann, ſondern daß ſie mit
Karren muͤſſen fortgebracht werden. Sie ha-
ben kupferne Trompeten; von ſieben bis acht
Fuß lang, die oben enge und unten breit ſind,
und einen gedaͤmpften Ton von ſich geben, ſo
daß man ſie weit hoͤren kann. Wenn dieß In-
ſtrument allein, ohne Begleitung anderer, ge-
blaſen wird; ſo giebt es eben keinen ſonderlich
angenehmen Schall; in Begleitung anderer
aber nimmt es ſich gut aus. Ferner trifft man
bey ihnen auch Waldhoͤrner, Clarinen, Haut-
bois, Floͤten, Flageoletten und Querpfeifen,
imgleichen einige Saiten-Inſtrumente, als Har-
fen, Spinette, Zittern, Baßgeigen, Violinen,
Lauten und andere an. Die Saiten auf ihren
Inſtrumenten ſind von den unſrigen ſehr ver-
ſchieden. Anſtatt daß wir Darmſaiten gebrau-
chen, bedienen ſie ſich ſolcher von Seide oder
metallenem Drath, weil ſie es fuͤr unrein hal-
ten, die Theile verſtorbener Thiere zu beruͤh-
ren. Bey dem Tanze pflegen ſie ſich gewoͤhn-
lich der Zimbeln zu bedienen. Dieſe beſtehen
aus zwey meſſingenen Becken, faſt wie Klo-
cken, die ſie zuſammenſchlagen, uͤber den Kopf
halten und auf allerley Arten bewegen. Weit
angenehmer iſt noch ein anderes Inſtrument,
welches eine Art von Klockenſpiel iſt, und aus
kleinen Klocken von Porcellain oder Erzt von
H 2ver-
[116] verſchiedener Groͤße, die man ſanfte mit kleinen
Stoͤckchen beruͤhrt, beſteht.
Die Schauſpiele pflegen in Perſien auf oͤf-
fentlichen Plaͤtzen oder in den Haͤuſern vermoͤ-
gender Privatperſonen vorgeſtellt zu werden.
Man findet uͤberall, faſt in jeder Stadt des
Reichs, Banden von Taͤnzern und Gaukelſpie-
lern, die ſich nach einen jeden Ort, wohin ſie
gerufen werden, begeben. Ohne dergleichen
Leute wird nie eine Hochzeit gehalten, oder ein
Feſtin gegeben, weil die Gaͤſte ſich an den Poſ-
ſen gemeiniglich ſehr ergoͤtzen. Die Truppe der
Taͤnzer beſteht aus lauter Frauensperſonen.
Sie tanzen mit außerordentlicher Fertigkeit,
und machen zugleich unter dem Tanze ſolche
kuͤnſtliche Spruͤnge, Wendungen und Poſſen,
daß der Zuſchauer ſich daruͤber wundern und
zugleich lachen muß. Eine ſolche Geſellſchaft
von Taͤnzerinnen — wovon eine die Direction
hat, — wird uͤbrigens gar nicht geachtet, weil ſie
gemeiniglich die verrufenſten Huren des Landes
ſind.
Die Baukunſt der Perſer ſcheint bloß die
Bequemlichkeit und die Pracht der Zimmer
zum Augenmerk zu haben. Die Haͤuſer bauen
ſie nicht von Steinen, nicht, weil es an Stei-
nen fehlt, ſondern weil es in den heißen Laͤn-
dern nicht gewoͤhnlich iſt, ſteinerne Gebaͤude
aufzufuͤhren. Holz brauchen ſie gleichfalls nicht
zum Bau der Haͤuſer. Ihre Materialien ſind
am Feuer gebrannte, oder an der Sonne gedoͤrr-
te
[117] te Ziegelſteine, und weil ihre Haͤuſer von außen
nur mit Mauerkalk beworfen werden; ſo giebt
dieß freylich einen ſehr unangenehmen und
wunderlichen Anblick. Aber inwendig findet
man die groͤßeſte Pracht und Bequemlichkeit.
Man bringt an denſelben nicht gerne Portals
und andere aͤußerliche Zierrathen an. In den
meiſten Haͤuſern findet man inwendig fuͤnf oder
ſechs Fuß von der Hauptthuͤr eine Mauer, die
ſo hoch und ſo breit iſt, wie die Thuͤre ſelbſt,
welche die Vorbeygehenden verhindert, ins
Haus zu ſehen.
Gemeiniglich haben die Gebaͤude nur ein
Stockwerk; diejenigen aber, die zwey Stock
hoch ſind, haben keinen ſo erhoͤheten Grund,
als die erſten. Man findet einige, die unter
der Erde gebauet ſind. Dieß verurſachet
nicht die geringſte Unbequemlichkeit, weil die
Luft faſt durchgaͤngig trocken iſt. Es kommt
den Perſern und andern orientaliſchen Voͤlkern
ſehr ſonderbar vor, wenn ſie hoͤren, daß unſere
Gebaͤude drey, vier bis fuͤnf Stockwerk hoch
ſind. Sie freuen ſich daher daruͤber, daß ihre
Bauart weit vernuͤnftiger, als die der Euro-
paͤer iſt.
Diejenigen Oerter, wo der Boden von Na-
tur hart und thonigt, und nie umgegraben iſt,
werden bebauet, ohne vorher, wie bey uns,
Pfaͤhle in die Erde zu rammen. Wenn aber
der Boden vorher iſt umgegraben worden; ſo
machen die Perſer einen Graben, ohngefaͤhr
H 3fuͤnf
[118] fuͤnf bis ſechs Fuß tief, bis ſie feſten Boden
antreffen. Alsdann wird der Graben mit ge-
woͤhnlichen Ziegelſteinen angefuͤllt, und in der
Erde ordentlich gemauert. Bey einer ſolchen
Mauerey vergeht viel Zeit, denn ſie gehen nicht
ſo damit um, wie bey uns, ſondern wenn ſie
eine Reihe Ziegelſteine gelegt haben; ſo halten
ſie mit der Arbeit ſo lange ein, bis die gelegte
Reihe Steine und Kalk voͤllig trocken iſt. Je
weiter ſie nun mit der Mauer kommen, je
ſchmaͤler pflegen ſie ſie immer zu machen. —
Ueberhaupt verſichert Chardin, daß die
Mauern in Perſien ungemein hoch gemacht
werden, und an den Pallaͤſten an Hoͤhe und
Groͤße die Mauern unſerer wohlverwahrteſten
Kloͤſter uͤbertraͤfen.
Das Dach eines Gebaͤudes iſt gemeiniglich
gewoͤlbt. Hierinn ſollen die perſiſchen Baumei-
ſter ungemein geſchickt ſeyn, und man verſichert,
daß man in keinem Lande kuͤhlere und zugleich
zierlichere Gewoͤlbe antreffe. Ein Beweis von
ihrer Geſchicklicklichkeit in dieſer Art der Bau-
kunſt iſt, daß ſie ſich naͤmlich keiner Geruͤſte be-
dienen, wenn ſie kleine Gewoͤlbe machen wollen.
Ihre gewoͤlbten Daͤcher ſind platt und niedrig,
und das aͤußerſte Obertheil beſteht aus einer
Ebene, die vorher ungleich, itzt aber gleich ge-
macht iſt. Dieſe Terraſſen, auf welchen man
freye Luft zu ſchoͤpfen pflegt, und ſich zuweilen
ſchlafen legt, ſind gemeiniglich mit Ziegelſteinen
gepfla-
[119] gepflaſtert, und mit einer niedrigen Mauer um-
geben.
Was die innere Geſtalt und Einrichtung
der Haͤuſer betrifft; ſo muß man bemerken,
daß die ſchoͤnſten Haͤuſer gemeiniglich zwey bis
vier Fuß uͤber das erſte Stockwerk erhoͤhet ſind,
und aus vier kleinen Hauptgebaͤuden beſtehen,
die den vier Winden entgegen geſetzt ſind.
Rund ums Gebaͤude herum geht ein ſteinern
Gelaͤnder, ſieben bis acht Fuß breit. Man
findet inwendig einen großen Saal, und neben
dieſem noch vier andere kleine Saͤle, und denn
noch verſchiedene niedrige Zimmer und Appar-
tements, die aber in den Winkeln des Gebaͤu-
des angebracht ſind. Die kleinen Saͤle for-
miren gewoͤhnlich einen gewoͤlbten Gang, und
ſind von dem großen Saale durch Aufſchiebe-
fenſter abgeſondert. Die Zimmer und Cabi-
netter ſind mit Mauern ohne Fenſter umgeben,
ſo daß das Licht nur durch die Thuͤren, die ge-
woͤhnlich weit ſind, und zuſammen gelegt wer-
den koͤnnen, hinein fallen kann.
Eine Schoͤnheit der perſiſchen Haͤuſer be-
ſtehet auch mit darinn, daß ſie von oben bis
unten offen ſind, ſo daß man, wenn man im
Hauſe ſitzt, eben die Luft verſpuͤrt, als wenn
man draußen iſt. Dieſe Bauart iſt fuͤr Per-
ſien gut, weil ſie nicht einen ſo ſtrengen Winter
haben, wie wir in Europa. Fuͤr uns wuͤrden
dergleichen Gebaͤude ſehr unbequem und von kei-
nem langen Beſtande ſeyn. — Die Perſer
H 4brin-
[120] bringen in ihren Zimmern, und zuweilen auch
in ihren Saͤlen, kleine Camine an, deren Oeff-
nungen halbcirkulfoͤrmig und ſehr niedrig und
enge ſind, weil ſie ſonſt, dafern ſie dieſe groͤßer
machen wollten, viel Holz brauchen wuͤrden,
das ſehr rar iſt. In den Haͤuſern des gemei-
nen Volks findet man runde Ofen, die mitten
auf dem Boden funfzehn auch wohl zwanzig
Zoll tief in die Erde geſetzt werden, und ſieben
bis acht Fuß im Umfang haben. — Die Fen-
ſter in den gemeinen Haͤuſern gleichen faſt un-
ſern ſo genannten Jalouſien, und beſtehen bloß
aus hoͤlzernen Gittern, die von Ahornbaͤumen
gemacht ſind, und ein ſchoͤnes Anſehn haben.
Die Fenſter der Vornehmen unterſcheiden ſich
von jenen dadurch, daß ſie ſtatt jener Jalou-
ſien, durchſichtige Wachsleinwand haben, die
gewoͤhnlicherweiſe ſehr ſchoͤn bemalt iſt, oder
ſie machen ſie auch aus Glasſcheiben von viel-
fachen Farben, die Voͤgel, Blumen, Vaſen, u.
ſ. w. vorſtellen. — Die Waͤnde in den Stu-
ben werden mit Kalk- und Talkſteinen ange-
ſtrichen, welches ihnen einen angenehmen Glanz
und Glaͤtte giebt. Dieſem fuͤgt man zuweilen
noch Zierrathen von Stuckaturarbeit hinzu, die
mit dem Meiſel gearbeitet, und hernach mit
Gold u. ſ. w. uͤberzogen werden. Man pflegt
auch Niſchen, die ohngefaͤhr einen Fuß tief
ſind, an den Waͤnden anzubringen, die die
Stellen der Schraͤnke und Tabuletten ver-
treten.
Etwas
[121]
Etwas ſonderbares und bemerkungswuͤrdig
iſt es, daß die Perſer bey ihren Gebaͤuden gar
kein Eiſenwerk geſtatten. Selbſt die Schloͤſ-
ſer und Thuͤren ſind von Holz und geben, we-
nigſtens die letztern, ein wunderliches Anſehen.
Der Schluͤſſel ſieht wie ein hoͤlzerner Cylinder
aus, der mit einer Spitze verſehen iſt. Außer
den Staͤdten findet man aber doch auf dem
Lande oft Thuͤren, die von Steinen gemacht.
Allein ſie haben ganz und gar das Anſehen ei-
ner hoͤlzernen Thuͤre nicht, und werden auf Za-
pfen herumgedreht.
Die Haͤuſer dauern ſo lange, als man ſie
zu erhalten Luſt hat. Gemeiniglich aber errei-
chen ſie doch nur eines Menſchen Alter. Denn
die meiſten Perſer muͤſſen ihr eigenes Haus ha-
ben, und es auch ſelbſt bauen, weil ſie es nicht
leiden koͤnnen, ein Haus zu bewohnen, das
gar nicht nach ihrem Geſchmacke eingerichtet
iſt. Sie ſagen, der Unterſchied, ſich ſelbſt ein
Haus zu bauen, oder in einem ſchon aufge-
baueten zu wohnen, ſey eben ſo groß, als wenn
man ſich ein Kleid ſelbſt machen ließe, oder ein
ſchon gemachtes kaufe. — Dieſe Gewohn-
heit kommt vielleicht daher, weil ein Hausbau
mit wenigen Koſten verbunden iſt; denn ſie
nehmen von ihrem eigenen Grund und Boden
die Ziegelſteine, und alles, was ſie dazu brau-
chen; und das gemeine Volk, welches nichts
weiter, als ein zur Nothdurft eingerichtetes Haus
bauen will, wird auch bald damit fertig. Die
H 5Per-
[122] Perſer beſtimmen den Werth eines Hauſes
nach der Hoͤhe und Dicke einer Mauer, die ſie
nach Ellen meſſen. Gyps und Holzarbeit an
den Fenſtern koſten ſehr wenig. Wer ein Haus
miethet, muß ſeine Miethe taͤglich, oder hoͤch-
ſtens alle Woche entrichten. Denn in dem
Punkte der Ehrlichkeit trauen ſie ſich ſelbſt ein-
ander nicht.
Ich habe ſchon anderswo die Bemerkung
gemacht, daß in Perſien ſowohl die freyen als
mechaniſchen Kuͤnſte wenig oder gar nicht be-
arbeitet werden. Man kann ſie deswegen in
dieſem Puncte mit den Europaͤern gar nicht
vergleichen. Beſonders gehoͤrt die Malerey
unter diejenigen Kuͤnſte, welche vielleicht am
allerwenigſten getrieben werden. Sie machen
lauter verſtuͤmmelte Figuren, und wiſſen nicht,
wo ſie Schatten und Licht anbringen ſollen,
weil ſie nlchts von der Perſpective und vom
Deſſin verſtehen. Sie haben zwar Schrift-
ſteller, die uͤber dieſe Sachen geſchrieben ha-
ben — unter andern einen gewiſſen Araber,
Namens Ebne Heuſſein — aber man aͤußert
gar keine Luſt, ſie zu ſtudiren. Die Urſache
hiervon muß man einzig und allein in ihrer
Religion ſuchen, welche es ſcharf verbietet, Ge-
maͤlde zu machen oder auszuhaͤngen. Vor
Zeiten weiß man, daß die Perſer fuͤr-
treffliche Mahler gehabt, den Beweis hiervon
geben die alten Denkmaͤler an die Hand, die
noch hin und wieder ausgegraben werden. —
Man
[123] Man ſieht itzt weder Bildhauer, noch Gießer,
noch Statuͤen.
Nun folgt das Noͤthigſte von den Hand-
werken und Manufacturen der Perſer.
Wir haben ſchon in dem Vorhergehenden
angemerkt, daß die aſiatiſche Voͤlker uͤberhaupt
nicht ſo fleißig ſind, als ſie ſeyn koͤnnten —
daß ſie hierinn den Europaͤern weit nachſtehen
muͤſſen. Kuͤnſte, Handwerke und Manufa-
cturen bearbeiten ſie nur in ſo weit, als ſie die-
ſelben noͤthig haben. An Erfindung fehlt es
ihnen auch, und neue Entdeckungen zu machen,
iſt ihre Sache gar nicht. Dieſe falſche Mey-
nung der Perſer kommt vorzuͤglich daher, weil
ſie naͤmlich glauben, daß ſie alles haben, was zu
ihren Lebensbeduͤrfniſſen und Bequemlichkeiten
gehoͤrt. Daher ſind auch alle ſchoͤne Werke
der Malerey, Bildhauerkunſt, Drechſelbarbeit
u. ſ. w. deren Schoͤnheit in der genauen Nach-
ahmung der Natur beſteht, bey ihnen von gar
keinem Werthe. Solche Dinge, meynen ſie,
die zu den koͤrperlichen Beduͤrfniſſen gar nicht
helfen, muͤſſen gar nicht unterſucht, nicht bear-
beitet werden. — Aus dieſen Urſachen ſind
ihre Kuͤnſte wenig cultivirt, ob es gleich Leute
unter ihnen giebt, denen es nicht an Forſchungs-
geiſte fehlt, und die folglich viel leiſten koͤnnten,
wenn ihre Arbeit ſo belohnt wuͤrde, daß ſie mehr
Luſt zu derſelben bekaͤmen. Indeſſen werden
doch, wie aus dem folgenden wird zu erſehen
ſeyn, einige Kuͤnſte mit gutem Fortgang ge-
trieben.
In
[124]
In Perſien gebrauchen die Handwerker we-
nig Handwerkszeug. Es iſt in der That fuͤr
uns faſt unglaublich, wie leicht ſich ein Arbei-
ter niederlaſſen kann. Gemeiniglich haben ſie
keine Boutiquen noch Werkſtaͤtte. Sie arbei-
ten an allen Orten, wo man ſie haben will.
Sie ſetzen ſich in dem Winkel einer Kammer
auf die platte Erde, oder auch auf einen elen-
den Teppich nieder, haben ihre Geraͤthe zwi-
ſchen den Fuͤßen, und arbeiten mit den Haͤn-
den. Die Zinnarbeiter, welche in Europa ſo
mancherley Werkzeuge gebrauchen, gehen in den
Haͤuſern herum. Der Herr, gleich ſeinem Lehr-
jungen, traͤgt alles, was er braucht, bey ſich;
dieſe Beduͤrfniſſe ſind ein Sack mit Kohlen,
ein Blaſebalg,, etwas Sode und Salmiak
ein Horn, und einige Stuͤcken Zinn in der Ta-
ſche. — Faſt eben ſo und auf eben die Art
arbeiten die Gold- und Silberarbeiter, wenn
man gleich glauben ſollte, daß ihre Geraͤth-
ſchaften ſchwerer fortzubringen waͤren. Sie
tragen einen Schmelzofen von Erde mit ſich,
der faſt wie eine Kohlpfanne ausſieht, aber doch
hoͤher iſt. Der Blaſebalg beſteht aus einer
bloßen Ziegenhaut, mit zwey kleinen Stuͤcken
Holz an dem einen Ende, um das Loch, wodurch
die Luft herein kommt, zuzuklappen. Wenn
ſie ſich deſſelben bedienen wollen; ſo ſetzen ſie
an das andere Ende eine kleine Roͤhre, welche
in den Ofen geht, und regieren ihn mit der lin-
ken Hand. Dieſen Blaſebalg tragen ſie in ei-
nem
[125] nem Sacke eingewickelt. Sie haben noch ei-
nen ledernen Sack, in welchem ſie Feile, Mo-
delle, Hammer u. ſ. w. haben. Dieſen Sack
pflegt der Herr zu tragen, der Lehrjunge aber
den Schmelzofen. — Chardin giebt von
dieſem Herumwandern ſolcher und aͤhnlicher
Profeſſioniſten dieß zur Urſache an: man ließe
die meiſten Handwerker in ſeiner eignen Behau-
ſung arbeiten, weil man ſich auf ſie, wenn ſie
allein waͤren, nicht verlaſſen koͤnnte, und dann
auch, weil man es ihnen in ihrer Gegenwart
ſo zeigen koͤnne, wie man die Arbeit haben
wolle.
In Anſehung der Policey der Kuͤnſtler in
Perſien muß man bemerken, daß jedes Hand-
werk ſeinen Vorſteher von eben dem Metier ha-
be, der vom Koͤnige eingeſetzt wird. Kein
Handwerk aber iſt zuͤnftig, und kommt auch nie
zuſammen. Sie haben keine Viſitators, aber
doch einige Gewohnheiten, die der Vorſteher
jedes Metiers beſtimmt, z. E. daß allemal eine
gewiſſe Diſtanz zwiſchen den Boutiquen ſeyn
ſoll, wo ſie aufgeſchlagen werden. Wer ſich an
einem Orte niederlaſſen und ein gewiſſes Me-
tier treiben will, iſt gehalten zu dem Chef des
Metiers zu gehen, ſeinen Namen und Woh-
nung einſchreiben zu laſſen, und einige Gebuͤh-
ren zu entrichten. Der Chef fragt ihn nie,
aus welchem Lande er gebuͤrtig, bey wem er das
Handwerk gelernt habe, und ob er es verſtehe.
Die Metiers haben auch darinn nichts Beſtimm-
tes
[126] tes feſtgeſetzt, daß einer dem andern nicht ins
Handwerk greifen ſoll. So kann z. B. ein
Kupferſchmidt ſilberne Becken verfertigen,
wenn man ſie ihm anvertrauen, und von ihm
machen laſſen will. Ein jeder kann unterneh-
men, was er will, ohne zu befuͤrchten, daß man
ihm einen Proceß an den Hals hange. —
Der Lehrjunge hat keine ordentliche Verpflich-
tung auf ſich, giebt auch kein Lehrgeld, vielmehr
muß ihm ſein Meiſter taͤglich einen gewiſſen
Lohn geben, je nach dem es das Alter, oder die
ſtarke Arbeit, die er verrichten muß, erfodert.
Der Meiſter kann ſeinen Lehrpurſchen gehen
laſſen, wenn er will, hingegen ſtehet es auch dem
Jungen frey, ſeinen Herrn zu verlaſſen, wenn
es ihm nicht laͤnger zu bleiben gefaͤllt. Dieß
iſt aber auch die Urſache, warum die Hand-
werkspurſche ſo wenig lernen, und ewig Stuͤm-
per in ihrem Metier bleiben.
So viel von den Handwerken und Manu-
facturen im Allgemeinen. Itzt wollen wir ei-
nige der vornehmſten naͤher abhandeln.
Die Porcellainfabriken in Perſien ſind
eben ſo gut, wo nicht gar beſſer, als in China.
Man findet uͤberall welche, die beruͤhmteſten
aber ſind die zu Chiras, Mechted (oder
Metched) Yeſd, Kirman, und in einem Fle-
cken in Caramanien, Zorende genannt. Die
Materie zu dieſem Porcellain iſt Glas und klei-
ne Kieſelſteine, die aus den Fluͤſſen geſammelt,
zerſtoßen, und mit etwas Erde vermiſcht wer-
den.
[127] den. Es iſt fein, und durchſichtig, von innen
und außen emaillirt und von einem uͤberaus
lebhaften Glanze. Man muß in der That ein
großer Kenner ſeyn, wenn man es von dem
chineſiſchen unterſcheiden will. Man giebt auch
den Hollaͤndern ſchuld, daß ſie den Europaͤern
das perſiſche Porcellain fuͤr chineſiſches verkauf-
ten. — Es iſt eine beſondere Eigenſchaft an
dem Perſiſchen Porcellain, daß es dem Feuer
widerſteht. Es iſt uͤbrigens ſo hart, daß man
Moͤrſel, worinn man Specereyen zerſtoͤßt, und
Kugelformen daraus macht.
Die Golddrathzieher-Kunſt und Goldſpin-
nerey wird von den Perſern ſehr getrieben, und
ſie excelliren hierinn vorzuͤglich. Ihre Eiſen, wo-
mit ſie den Drath ziehen, ſind von den unſri-
gen wenig oder gar nicht verſchieden. Der
Goldfaden der Perſer iſt ſonder Zweifel der
ſchoͤnſte und beſte, den man ſehen kann.
Zu einem eben ſo hohen Grad, der Voll-
kommenheit haben ſie auch die Gerberey, ſonder-
lich des Chagrins und aller Arten von Corduan,
gebracht. Ihr Chagrin wird ſo hoch geachtet,
daß man ihn bis in die Tatarey, Indien und
die Tuͤrkey verfaͤhrt. Sie machen ihn aus
Eſelshaͤuten, und nehmen nichts, als den Ruͤ-
cken dazu. Um dieſen Chagrin koͤrnicht zu ma-
chen, gebrauchen ſie einen Saamen, welcher auf
Perſiſch Tochm Casbin, d. i. Casbinſcher
Kern heißt, den ſie auf dieſe Haͤute druͤcken.
Er iſt ſehr ſchwarz, hart und ſo groß, als ein
Senf-
[128] Senfkorn, deſſen man ſich auch in Ermange-
lung der Caſbinſchen Kerne bedient. Die
Haͤute, welche auf dieſe Art zubereitet werden,
nennen die Perſer Sagri, woraus die Franzo-
ſen vermuthlich das Wort Chagrin gemacht
haben. Sie bereiten das grobe Leder mit Kalk
zu, und bedienen ſich ſtatt der Lohe (deren Ge-
brauch den Perſern gaͤnzlich unbekannt iſt) des
Salzes und der Gallaͤpfel.
In Anſehung der Drechſelarbeit ſind die
Perſer noch ziemlich weit zuruͤck. Doch aber
muß man geſtehen, daß ſie den Europaͤern hier-
inn nach und nach ziemlich nachkommen wer-
den. Sie arbeiten ſonderlich mit vieler Fertig-
keit und Geſchicklichkeit in Kupfer, woraus ihr
meiſtes Kuͤchengeſchirr beſtehet. Sie bedienen
ſich gewoͤhnlich des rothen Kupfers, welches ſie
von auſſen und innen ſehr ſauber mit Zinn
uͤberziehen. Wenn man es nicht weiß; ſo ſoll-
te man glauben, daß dieſe Verzinnung, wegen
der ungemeinen Weiſſe und Feinheit, von Sil-
ber ſey. Zwar muß man die Gefaͤße alle ſechs
oder acht Monathe von neuem wieder uͤberzin-
nen; aber das geſchiehet mit unglaublicher Ge-
ſchwindigkeit, und iſt mit wenigen Koſten ver-
bunden. Sie machen das Verzinnen viel
leichter und zugleich auch ganz anders, wie wir.
Erſtlich werfen ſie das Geſchirr, das ſie verzin-
nen wollen, in einen großen Keſſel, und laſſen
es in grauer Sode heiß werden. Alsdann rei-
ben ſie es mit Salze, und wenn es genug ge-
ſcheuert
[129] ſcheuert iſt, ſo ſtellen ſie es gegen das Feuer,
ſo daß die inwendige hohle Seite gegen den
Heerd zu liegen kommt. — Wenn es anfaͤngt
roth zu werden; ſo nimmt es der Meiſter weg,
und reibt es mit einem baumwollenen Lappen,
der vorher in wohl gereinigten Salmiac ge-
tunkt worden. Dann thun ſie ein Stuͤck fei-
nes Zinn in das Gefaͤß, und laſſen es darinn
ſchmelzen, reiben nachher mit dem Lappen, der voll
von Salmiak iſt, das Zinn allenthalben herum,
gießen kalt Waſſer darauf, und machen es da-
durch ſo weiß und glaͤnzend, wie Silber. —
Die perſiſchen verzinnten Gefaͤße haben vor
den unſrigen wuͤrklich darinn große Vorzuͤge,
daß ſie leichter ſind, nicht ſchmelzen und keine
Buckeln bekommen. — Das Kupfer finden
die Perſer in ihrem eignen Lande; das Zinn
aber muͤſſen ſie von ihren Nachbarn, den In-
diern, holen.
Sie haben fuͤrtreffliche Waffenſchmiede, be-
ſonders, was die Bogen und Seitengewehre
anbetrifft. Die perſiſchen Bogen ſind die ſchoͤn-
ſten im ganzen Orient. Die Materie dazu iſt
Holz und Horn, eines auf das andere geſetzt
und mit Sehnen, und ganz oben mit einer
duͤnnen Baumrinde, uͤberzogen. Man be-
malt ſie ſehr ſchoͤn und beſtreicht ſie mit Lack,
welches ſie ſehr glaͤnzend macht. Die Bogen-
ſeile ſind von ſtark gedreheter Seide, wie eine
Gaͤnſefeder dicke. Der Koͤcher iſt von ſchoͤnem
Leder, mit Gold, Silber oder Seide geſtickt.
JDer
[130] Der Stahl, woraus ſie ihre beſten Saͤbel
machen, kommt aus Indien, weil der ihrige
gemeiniglich zu ſproͤde iſt, und leicht bricht.
Sie ſchmieden ihre Stahlbleche kalt, und
ſchmieren ſie mit Seife, Oel oder Butter, da-
von die corroſiven Theilchen in den Stahl
dringen und die Adern formiren, die wir in den
meiſten orientaliſchen Saͤbeln finden. Man
nennt dergleichen geaͤtzten Stahl Damaſcener,
weil ehedem zu Damaſcus dieſe ſchoͤnen De-
genklingen gemacht worden ſind. Ihre Cano-
nen werden faſt auf aͤhnliche Art verfertigt.
Sie machen ſie ſo dicke, als ſie weit ſind, wo-
durch ſie ſehr ſchwer werden; der Vortheil da-
bey iſt: daß ſie nicht ſpringen, und daß man
mit ihnen viel gerader ſchießen kann.
Die Spiegel ſind den Perſern nur erſt be-
kannt geworden, ſeitdem man mit ihnen Han-
del zu treiben angefangen hat. Bis itzt ſind
ſie auch ſelbſt noch nicht im Stande, Spiegel
zu verfertigen. Ihre gewoͤhnlichen beſtehen
aus polirtem Stahl, und haben eine runde
Form. — Die Kunſt, Luſtfeuerwerke zu ma-
chen, verſtehen ſie ſehr gut, und uͤbertreffen hier-
inn gewiß alle andere Voͤlker. Die Stein-
ſchleifer verſtehen ihr Metier auch gut; und viel-
leicht koͤnnte man ſagen, daß ſie es in Perſien
weiter in dieſem Stuͤcke gebracht haben, als
wir in Europa. Sie faſſen die Diamanten
mit ziemlichem Geſchmack ein; ſie verſtehen aber
nicht die Metalle zu emailliren.
Das
[131]
Das Geheimniß, Glas zu machen, iſt ih-
nen freylich auch bekannt, aber ſie machen doch
wenig erwuͤnſchten Fortgang, und bringen
nichts Vollkommnes heraus. Es giebt ſehr
viele Glashuͤtten, allein das Glas iſt gruͤnlich
und voll Blaſen. — Ihr Papier iſt ſchlecht,
auch lange nicht ſo ſtark, wie das Unſrige, weil
es aus ſeidenen Lappen gemacht wird, die die
Feſtigkeit unſrer Leinwand nicht haben. Sie
geben dem Papiere, vermittelſt der Seife, eine
weiſſe Farbe, und glaͤtten es mit glaͤſernen Po-
lirſteinen, die es ſo fein, wie Atlaß machen.
Ueberhaupt koͤnnen ſie dem Papiere allerley
Farben geben, und malen zuweilen ſilberne
Bluͤmchen darauf, die aber der Schrift nicht
hinderlich ſind. Es iſt unter ihnen die Ge-
wohnheit, alle die Briefe welche ſie an Perſo-
nen vom Stande ſchicken, auf verſilbert Papier
zu ſchreiben. Sie bedienen ſich des Europaͤi-
ſchen Papiers ſehr ſtark; ſie muͤſſen es aber
doch zufoͤrderſt glaͤtten, ehe ſie es gebrauchen,
und nach ihrer Art einrichten. Indeſſen ſchaͤ-
tzen ſie dasjenige, was ſie aus der kleinern Ta-
tarey erhalten, weit hoͤher, als das Europaͤi-
ſche. Uebrigens muß man noch bemerken, daß
das Papier bey den Perſern ein geheiligtes
Ding iſt. Sie haben eine große Ehrfurcht
fuͤr daſſelbe, ſo daß ſie es weder zerreiſſen, noch
wegwerfen, weil ſie naͤmlich befuͤrchten; es
moͤchte der Name Gottes auf demſelben geſchrie-
ben ſeyn.
J 2Die
[132]
Die Seife, deren ſich die Perſer zum Wa-
ſchen bedienen, wird von Hammelfett und der
Aſche einiger ſtarken Kraͤuter gemacht. Sie
iſt weich, gelblicht, ſtaͤnkrich, und weiſſet nicht
ſonderlich. Man reibt das Zeug nur obenhin
mit derſelben. Die meiſten laſſen ihre Seife
aus Syrien, der Tuͤrkey, und am meiſten von
Aleppo kommen, wo ohne Zweifel die beſte Sei-
fe im Orient und vielleicht auch in der ganzen
Welt, gemacht wird. Sie iſt — wegen der
fuͤrtrefflichen Aſche in dieſem Lande — fein,
und weit feſter, als die Europaͤiſche. Die vor-
nehmſten Ingredienzien ſind, nach der Aſche,
Kalk und Olivenoͤl. Im Ganzen genommen,
brauchen die Perſer auch wenig Seife, weil das
meiſte Zeug, welches ſie tragen, bunt und von
Seide iſt.
An fuͤrtrefflichen Manufacturen fehlt es
nicht. Sie machen ſehr ſchoͤne Stoffe von
Seide, Wolle, Ziegen- und Cameelhaaren.
Die Seide iſt in ganz Perſien in großem Ue-
berfluſſe und von beſonderer Guͤte; ſie gehoͤrt
deswegen auch zu den betraͤchtlichſten Manufa-
ren, und wird ſehr gut verarbeitet. Sie ha-
ben, wie wir, faſt eben dieſelben Seidenmuͤh-
len, Spindeln und Winden. Die Brocade
gehoͤren unter die Seidenzeuge, welche die
ſchoͤnſten, und zugleich uͤberaus theuer ſind.
Man gebraucht dieſe reichen Brocade zu Vor-
haͤngen an Betten und Thuͤren, wie auch zu
Kniekuͤſſen. — Die beſten Stoffarbeiter fin-
det
[133] det man zu Yezde, Cachan, und der Haupt-
ſtadt Iſpahan. Die ſchoͤnen Decken, die wir
aus der Levante erhalten, und von denen wir
glauben, daß ſie in der Tuͤrkey gemacht ſind,
kommen urſpruͤnglich aus Perſien. Sie wer-
den in der Provinz Kirman, und vorzuͤglich
zu Siſtan gemacht. Die Perſer wuͤrden ſich
gewiß ſehr dadurch bereichern, wenn ſie den
Handel mit dieſen Zeugen recht verſtuͤnden.
Die beſten Cattune holen ſich die Perſer
von den Indianern, wenn ſie ſie gleich eben ſo
gut und fein machen koͤnnen; allein da ſie die
Cattune in Indien ſehr wohlfeil kaufen koͤn-
nen; ſo geben ſie ſich auch nicht einmal die
Muͤhe, ſich ſehr auf Verfertigung derſelben zu
legen. Allein ſehr geſchickt wiſſen ſie das Gold
und Silber auf Zeuge zu drucken; ſie verſtehen
Buchſtaben, Figuren, Blumen, und alles was
man nur verlangt, ſo gut nachzumachen, daß
man faſt glauben ſollte, es ſey Gold- und
Silberſtickerey. Auch koͤnnen ſie die ſchoͤnen
Matten und Handkoͤrbe aus Schilf und Wei-
den machen. Zu Seſton hat man die beſte
Manufactur davon.
Der Handel wird in Perſien mit fuͤr die
am meiſten geehrteſte Profeſſion gehalten, weil
er nicht ſo mannichfaltigen Abwechſelungen
und Schickſalen unterworfen iſt. Dieß iſt
ſonder Zweifel in einem Lande, wo kein Adels-
recht iſt, und wo alle Chargen augenblicklichen
Veraͤnderungen unterworfen ſind, von vieler
J 3Bedeu-
[134] Bedeutung. Es iſt auch im Orient nichts Un-
gewoͤhnliches, daß die Koͤnige und großen Her-
ren Handel treiben. Sie haben hierzu ihre
Commiſſionairs. So laͤßt, um dieß mit ei-
nem Beyſpiel zu erlaͤutern, der Koͤnig von
Perſien ſeinen Nachbarn durch die Commiſſio-
nairs Seide, Teppiche, reiche Zeuge und Edel-
geſteine verkaufen. Die Handelsgeſchaͤffte, wer-
den nur ſolchen Perſonen aufgetragen, die ihre
Commiſſionairs in den entfernten Laͤndern ha-
ben. Dergleichen Leute gelangen auch oft zu
den hoͤchſten Ehrenſtellen, und werden gemei-
niglich zu Geſandtſchaften gebraucht. Der
Vorſteher einer weitlaͤuftigen Handlung kommt
gemeiniglich nicht aus der Stadt, worinn er
wohnt, und laͤßt ſich nie ſelbſt unmittelbar in
Geſchaͤffte ein; ſondern er hat dazu ſeine De-
lal, welches die feinſten und geſchwaͤtzigſten Leu-
te ſind, die man ſich nur erdenken kann. —
Boͤrſen und Wechſelbaͤnke findet man in Per-
ſien nirgends.
Doch aber muß man anmerken, daß die
Mohammedaner nicht eigentlich die großen
Kaufleute Aſiens ſind. Denn theils iſt dazu
ihre Lebensart zu wolluͤſtig, theils werden ſie
durch ihre zu ſtrenge Moral daran verhindert.
Denn nach dem Mohammedaniſchen Geſetz
darf kein wahrer Verehrer deſſelben mit einem Un-
mohammedaniſchen aus einem Gefaͤße trinken.
Dergleichen Umſtaͤnde machen, daß ſie ſich in ih-
rem Handel nicht ſo ſehr ausdehnen koͤnnen. Ue-
ber-
[135] berdem verbietet ihre Religion auch den Wu-
cher, daher wiſſen ſie zwiſchen dem ſchaͤndlichen
Wucher und den rechtmaͤßigen Zinſen keinen
Unterſchied zu machen. Der Handel und Wan-
del zu den Zeiten, wie Mohammed ſeine Reli-
gion einfuͤhrte, beſtand meiſtentheils in der
Viehzucht; und man ſah wenig auf Geld,
denn alles geſchah durch Vertauſchung. Daher
ſieht man denn auch, daß Mohammed das
Verbot der Zinſen ſehr leicht zu Stande brin-
gen konnte. Aber man muß dabey wiſſen, daß
Tauſch und Zinſen bey ihnen einerley ſey.
Denn wenn einer von dem andern etwas leihet;
ſo verſpricht er ihm dagegen etwas zur Beloh-
nung, die er auch nebſt dem Geliehenen zu
rechter Zeit entrichtet. — Die Perſer ſelbſt
handeln nur im Lande von einem Orte zum an-
dern, und das ganze Commerz durch Europa iſt in
den Haͤnden der Armenianer.
So viel wird zu unſerer Abſicht uͤber
Handwerke und Manufacturen der Perſer hin-
laͤnglich ſeyn.
J 4Sechſtes
[136]
Sechſtes Kapitel.
Von der Juſtiz und dem buͤrgerlichen
Rechte — Vom Criminalrechte und
Policey der Perſer.
Die Jurisprudenz iſt von der practiſchen
Theologie bey den Perſern wenig oder
gar nicht unterſchieden. Mohammed hat hier-
in vielleicht dem Beyſpiele der Alten folgen
wollen, welche ihre buͤrgerliche und politiſche
Anordnungen auf die Grundſaͤtze der Religion,
die ſie bekannten, gruͤndeten, um dadurch glaub-
haft zu machen, daß die Geſetze eben ſowohl,
als die Vorſchriften der Religion, von Gott
kaͤmen. Dieſen Kunſtgriff haben die Geſetzge-
ber des Alterthums von jeher beobachtet, weil
ſie uͤberzeugt waren, daß ſie das Volk dadurch
zur Beobachtung ihrer Geſetze viel bereitwilli-
ger finden wuͤrden. ‒ Chardin aber will der
Meynung ſeyn, daß Mohammed bey ſeiner Ge-
ſetzgebung mehr auf das juͤdiſche Geſetzbuch,
und beſonders auf das dritte Buch Moſis ge-
ſehen habe, welches die buͤrgerlichen und Ceri-
monialgeſetze, mit einander verbunden, enthaͤlt.
Die Perſer haben ein Geſetzbuch, welches ſie
Cherait nennen, und das die Geſetze des
Buͤrgerlichen- und Criminalrechts enthaͤlt; al-
lein
[137] lein ſie ſind darinn in ſo dunkeln und zweydeu-
tigen Ausdruͤcken abgefaßt, daß die Richter ſie
auslegen, wie ſie wollen, und ihnen oft einen
ganz ſonderbaren Sinn geben. Dieß Buch iſt
weiter nichts, als eine Sammlung von Urthei-
len, und Meynungen ihrer vornehmſten Ge-
richtsperſonen und Rechtsgelehrten uͤber die
ungewoͤhnlichſten und am meiſten ſtreitigen
Faͤlle. — Ihr großes Geſetzbuch iſt der Ko-
ran; ſie nehmen zu demſelben zuerſt ihre
Zuflucht. Wenn ſie aber keine deutliche
und genaue Entſcheidung uͤber den ſtreitigen
Fall in demſelben vorfinden; ſo wenden ſie ſich
zu dem Buche der Reden und Thaten Mo-
hammeds, hernach zu dem Buche der Re-
den und Thaten Imans, und endlich zu
dem vorhingenannten Geſetzbuche.
Das buͤrgerliche Recht theilt ſich gegenwaͤr-
tig in Cheray und Ourf. Dieſe Einthei-
lungsart iſt ſehr zu merken. Cheray iſt das
buͤrgerliche Geſetz, welches ſich auf den Koran
und die Commentarien, welche uͤber denſelben
von den zwoͤlf erſten Nachfolgern Mohammeds
gemacht ſind, gruͤndet. Ourf bedeutet ei-
gentlich Gewalt, Staͤrke. Der Name Ourf
kommt daher, weil das Gericht Ourf bloß von
der Autoritaͤt des Koͤnigs abhaͤngt. Die ſchein-
heiligen Perſer, und uͤberhaupt die Geiſtlich-
keit, ſehen das Ourf als eine Art von Tyran-
ney an; ſie ſchreyen, und beklagen ſich immer
uͤber daſſelbe. Und doch, wenn man es recht
J 5beſieht,
[138] beſieht, iſt das Recht Ourf weiter nichts, als
ein wohlverſtandenes natuͤrliches Recht. —
Die Vorſteher dieſes Rechts, oder die hoͤchſte
Macht, ſind der Preſident des Divan, der Vi-
zir, der Gouverneur der Stadt und deſſeu Lieu-
tenant, welcher des Nachts fuͤr die Ordnung
ſorgen muß. Dieß Gericht miſcht ſich auch
oft in Sachen, die ſchon vor andern Gerichten
ſind beygelegt worden. Und in der That, wenn
die Autoritaͤt dieſes Tribunals nicht ſo groß
waͤre; ſo wuͤrde man unglaubliche Ungerechtig-
keiten in Perſien ausuͤben ſehen, man wuͤrde
keine Spuren von Handel und Wandel er-
blicken.
Vor dieſen beyden großen Richterſtuͤhlen
werden gemeiniglich die Sachen von Wichtig-
keit abgethan. — Wir wollen itzt das Wich-
tigſte von den Geſetzen des perſiſchen Rechts in
den gemeinen Angelegenheiten des buͤrgerlichen
Lebens abhandeln.
Bey den Heyrathen gilt in Perſien weder
die Gleichheit des Standes noch die Einſtim-
mung der Eltern, um dieſelbe guͤltig zu ma-
chen. So bald ein junger Menſch ſein gehoͤri-
ges Alter erreicht; ſo kann er ſich nach ſeinem
Belieben eine Frau nehmen, und wenn er ſie
contractmaͤßig heyrathat, ſo wird ſie ſeine
Frau; ſie mag uͤbrigens von einem Stande
ſeyn, von welchem ſie will. Doch aber geſche-
hen dergleichen ungleiche Heyrathen ſehr ſel-
ten, weil man gemeiniglich den jungen Leuten
bey
[139] bey Zeiten eine Sclavinn oder eine Beyſchlaͤfe-
rinn giebt, in der Hoffnung, daß er ſie hey-
rathen werde. Da alle Heyrathen bey den Per-
ſern guͤltig ſind; ſo ſind auch alle Kinder recht-
maͤßig, ſie moͤgen nun entweder vor oder nach
der Verheyrathung gebohren ſeyn, ſie moͤgen
von einer wuͤrklich angetrauten Frau oder einer
Selavinn gebohren ſeyn. Man findet in die-
ſem Lande gar keine Hurkinder. Der Erſtge-
bohrne iſt Erbe, wenn er auch gleich ein Sohn
von einer Sclavinn iſt.
Die Kinder eines Vaters haben auf das
vaͤterliche Vermoͤgen, ſo lange er lebt, gar kei-
ne Anſpruͤche. Aber nach deſſen Tode nimmt
der aͤlteſte Sohn zwey Drittheile des Vermoͤ-
gens, und das eine Drittheil wird unter die
uͤbrigen Kinder vertheilt, und zwar ſo, daß ein
Maͤgdchen immer die Haͤlfte von dem erhaͤlt,
was ein Junge ganz bekommt. Dieß verlangt
das Geſetz, und der Gebrauch bringt es mit ſich.
Da inzwiſchen das groͤßeſte Vermoͤgen in Per-
ſien gewoͤhnlich aus Mobilien beſtehet; ſo giebt
der Vater ſeinen Kindern, wenn er zur Thei-
lung noch Kraͤfte und Zeit hat, einem jeden
das, was ihm gut zu ſeyn ſcheint. Es iſt zu
bemerken, daß ein Teſtament, wenn es guͤltig
ſeyn ſoll, vierzig Tage vor dem Abſterben muß
aufgeſetzt ſeyn, ſonſt iſt es unguͤltig.
Das Geſetz declarirt die Toͤchter im zwoͤlf-
ten Jahre, und die Knaben im ſechzehnten
Jahre fuͤr frey, und ſie ſind nicht mehr unter der
Vor-
[140] Vormundſchaft. Alsdenn gehen ſie zum Ca-
zy, welcher das Examen mit einer artigen Fra-
ge anfaͤngt. Er fragt: „Iſt dir der Teufel
uͤber den Leib geſprungen?“ dieß bedeutet ſo
viel, als die Frage: „Haͤltſt du dich fuͤr faͤhig,
zu heyrathen?“ Hierauf pflegt man gemeinig-
lich mit einem „Ja“ zu antworten. — Man
nonnt die Loßſprechung der Kinder von der Ge-
walt des Vormundes Balic, und zu derſelben
gelangt man, ſo bald man das Nuͤtzliche von
dem Schaͤdlichen zu unterſcheiden faͤhig iſt.
Die minderjaͤhrigen Kinder haben in Per-
ſien große Privilegien: denn man kann ihre
Erbſchaft nicht angreifen, wenn auch der Ver-
ſtorbene Schulden gemacht hat. Das Geſetz
verlangt, daß man ſie zu ihrem Alter kommen
laſſen ſoll, und daß ihre Vormuͤnder fuͤr ſie
nicht bezahlen koͤnnen. — Die Vormuͤnder
haben nach dem Mohammedaniſchen Rechte ei-
ne große Gewalt. Denn ſie ſehen das Ver-
moͤgen der Pupillen als ihr eigenes an, und
wann die Kinder in dasjenige Alter gekommen,
worinn ſie keines Vormunds mehr gebrauchen; ſo
laͤßt ihnen das Geſetz, um Rechenſchaft von ih-
rer Vormundſchaft zu geben, Zeit genug, um
etwa den Defect wieder herbey zu ſchaffen.
Der aͤlteſte Sohn vertritt auch gemeiniglich bey
ſeinen juͤngern Geſchwiſtern die Stelle des Vor-
mundes.
Die Bankeruteurs und Fluͤchtlige finden
ſehr wenig Schutz. Ihr ganzes Vermoͤgen
wird
[141] wird eingezogen, wovon die Creditoren nichts
erhalten. Das Gericht verſiegelt alles, eignet
ſich das ganze Vermoͤgen zu, und erklaͤrt den
Bankerouteur oder Fluͤchtling fuͤr todt, —
Wenn ein Schuldner nicht bezahlt, es ſey aus
Bosheit oder auch aus Unvermoͤgen; ſo liefert
man ihn in die Haͤnde des Glaͤubigers. Die-
ſer hat ein zwiefaches Recht uͤber ihn; erſtlich
kann er ihn nehmen, und mit ihm machen, was
er will — er kann ihn bey ſich einſperren, und
ihn nach Belieben uͤbel tractiren, er kann ihn
durch die Stadt fuͤhren und ihn ſchlagen, wie
einen Hund, nur darf er ihn nicht toͤdten oder
zum Kruͤppel machen — zweytens kann er
ſeine Guͤter verkaufen und zugleich auch ihn
nebſt Weib und Kindern; aber zu dieſer Extre-
mitaͤt ſchreitet man ſehr ſelten.
Es iſt in Perſien etwas ſehr leichtes, ſich
vor Gerichte uͤber einen andern zu beklagen.
Wenn man einen Proceß mit jemanden anfan-
gen will; ſo uͤberreicht man dem Richter eine
Bittſchrift, in welcher man das Factum ſo er-
zaͤhlt, wie man es fuͤr gut und der Wahrheit
gemaͤß haͤlt. Der Richter bemerckt am Ran-
de, daß man die Partheyen vorlaſſen ſolle, und
uͤbergiebt ſeinem Bedienten die Commiſſion,
den Beklagten vorzuholen. Dieſer ſagt ihm:
Mein Herr, dieſer oder jener fodert euch
vor ſich, kommt mit mir, und er folgt ihm
augenblicklich. Wenn ſie mit einander unter
Wegens ſind; ſo fodert der Bediente einen
Lohn
[142] Lohn fuͤr ſeine Bemuͤhung, und richtet die Fo-
derung nach der Perſon, die er vor ſich hat,
und der Wichtigkeit des Proceſſes, ein. Hier-
naͤchſt werden die Parteyen vor den Richter ge-
laſſen, und jeder Theil bringt zugleich auch ſei-
ne Zeugen mit. Sind dieſe Zeugen Perſonen
vom Stande; ſo laͤßt ſie der Richter neben
ſich ſetzen; ſind es aber gemeine Leute; ſo muͤſ-
ſen ſie vor ihm ſtehen, und jeder traͤgt das
Seinige kurz vor. Manchmal ſetzen ſie den
Richter in Verwirrung, ſo daß er nicht weiß,
wie er ſich aus der Sache herausziehen ſoll.
Wenn nun beyde Partheyen ihre Gruͤnde vor-
getragen haben, ſo ſpricht der Richter das
Recht. — Die Weiber pflegen ſich auch oft
einander vor das Gerichte zu fodern, aber das
mit einer Hitze, die faſt unglaublich iſt. Sie
halten ſich alle in einem Winkel des Zimmers
auf, ſind mit einem Schleyer behangen, und
miſchen ſich nicht unter die Mannsperſonen. —
Die gewoͤhnlichſten Sachen, die ſie vor das
Gericht bringen, ſind Eheſachen, indem ſie ger-
ne den Heyrathscontract wollen aufgehoben ha-
ben. Und die gemeinſte Urſache, die ſie vorbrin-
gen, iſt das Unvermoͤgen der Maͤnner. Sie
machen einen ſo entſetzlichen Laͤrm durch ihr
Schreyen, daß der arme Richter — welcher
die Weiber nicht, wie die Maͤnner, darf ſchla-
gen laſſen — weder aus noch ein weis, und
mit vollem Halſe ſchreyt: ſie toͤdten mich!
In der zweyten Sitzung wird endlich die Sache
beygelegt.
Man
[143]
Man findet in Perſien keine oͤffentlichen
Gerichtsplaͤtze. Ein jeder Magiſtrat haͤlt in
ſeinem Hauſe, in einem großen offenen Saale,
Gericht, entweder im Hofe oder auch im Gar-
ten, welche zwey oder drey Fuß von der Erde
erhoͤht iſt. Ein Theil des Saals iſt von dem
andern faſt wie ein Alkofen abgeſondert. Bey-
de ſind mit Chaſſans und dergleichen verſehen.
An dieſem Orte ſtellet ſich das Frauenzimmer.
Der Richter ſitzt am andern Ende, nach Art
der Morgenlaͤnder mit einer ernſthaften und
gravitaͤtiſchen Miene, und hat einen Schreiber
neben ſich, aber auch weiter Niemanden. Er
ſpricht die Sentenz in der erſten oder zweyten
Sitzung. Wenn man den Richter gerne auf
ſeine Seite haben moͤchte — eine Sache die in
Perſien ſonderlich Mode iſt — oder bald ex-
pedirt ſeyn will; ſo geht man zu dem vor-
nehmſten Bedienten des Richters, beſchenkt ihn,
oder verſpricht ihm ein Geſchenk. Gewoͤhnlicher
Weiſe traͤgt man auch eins ſelbſt zum Richter,
wenn man ſich bey ihm uͤber Jemanden be-
klagt; und ein jeder richtet ſein Geſchenk nach
ſeinem Stande und Profeſſion ein. Die ge-
meinſten Leute geben ihm ein Lamm oder einen
Hammel, Fruͤchte oder junge Huͤner. Andere
geben Confituͤren oder Caffee, Stoffe; noch
andere geben Geld. Aber die großen Geſchen-
ke macht man immer beſonders. Man legt
vor den Tribunalen des buͤrgerlichen Rechts
keine andere koͤrperliche Strafen auf, als Stock-
pruͤgel,
[144] pruͤgel, und doch widerfaͤhrt dieß nur ſolchen,
welche ſich dem Geſetz unverſchaͤmter Weiſe ent-
gegen ſetzen.
Die Strafen, welche auf Raͤuberey u. ſ. w.
geſetzt ſind, ſind ungemein hart, aber fuͤr die
oͤffentliche Sicherheit nothwendig und unver-
gleichlich. Aller Todſchlag uͤberhaupt iſt auf
das ſchaͤrfſte in ihrem Geſetz verboten. Daher
kommt es auch, daß man in Perſien ſo wenig
von dieſem Laſter weiß. Ich uͤbergehe hier die
verſchiedenen Arten von Strafen, weil ich zu
weitlaͤuftig werden moͤchte.
Siebentes Kapitel.
Von der Geiſtlichkeit in Perſien.
Die Geiſtlichkeit beſtehet aus dem Hohen
Prieſter, dem Aelteſten des Geſetzes,
dem Cazi und Mufty, welche auch die Magi-
ſtratsperſonen des buͤrgerlichen Rechts, und die
gewoͤhnlichen Richter ſind. Ich will hier von
ihrer Wuͤrde und geiſtlichen Functionen einige
Umſtaͤnde erzaͤhlen.
Der Hohe Prieſter heißt Sedre, ein arabi-
ſcher Ausdruck, welcher den vorderſten Theil
des Koͤrpers, und ſonderlich die Bruſt an-
deutet; im Gebrauch aber ſtellt es nichts an-
ders, als eine erhabene Perſon vor. Der
Sedre
[145]Sedre hat bey den Perſern alle Macht, ja
noch eine groͤßere, als der tuͤrkiſche Mufty.
Die gewoͤhnlichen Titel, die man ihm beylegt,
ſind: Koͤnig des Rechts und der Reli-
gion: Oberhaupt der wahren Kirche:
Vicarius des Mohammeds und Statt-
halter der zwoͤlf Imans, welches die erſten
Caliphen ſind. Die Geiſtlichkeit behauptet,
daß die Herrſchaft uͤber die Laien bloß ihnen
zugehoͤre, und dieß aus dem Grunde, weil Mo-
hammed Koͤnig und Prophet zugleich war, und
Gott ihn uͤber das Geiſtliche und Weltliche ge-
ſetzt habe. Die allgemein angenommene Mey-
nung aber iſt: daß die Herrſchaft, ſo wie ſie
in den Haͤnden der Laien iſt, ihre Einſetzung
und Anſehen von Gott habe: daß der Koͤnig
an Gottes Statt ſey u. ſ. w. und was den
Sedre und uͤberhaupt alle Geiſtliche anbetraͤ-
fe; ſo waͤre es nicht ihre Sache, ſich in
Staatsgeſchaͤfte einzulaſſen: ihre Jurisdiction
muͤßte auch ſo gar in religioͤſen Dingen erſt durch
die koͤnigliche fuͤr guͤltig erklaͤrt werden. Vor Zei-
ten hieng alles von der Geiſtlichkeit ab; itzt aber
verhaͤlt ſichs ganz anders. In den erſten Zeiten
des Mohammedismus richtete ſich alles lediglich
nach dem Koran. Nachher aber hat man zu
demſelben die Auslegungen der Imans hinzu ge-
fuͤgt, ſo daß der Koran und die Auslegung der
Imans gegenwaͤrtig das Hauptwerk in ihrem Ci-
vil und Canoniſchen Rechte ausmachen, und da-
her auch die Theologie und Jurisprudenz unzer-
Ktrenn-
[146] trennlich ſind, und nur eine Wiſſenſchaft aus-
machen.
Laßt uns die Wuͤrden und den Character
dieſer oberſten Geiſtlichen naͤher beſtimmen. —
Der Sedre iſt der oberſte Richter in allen
geiſtlichen Dingen und allen Angelegenhei-
ten, die auf das Geiſtliche einige Be-
ziehung haben. Dieſe Stelle wurde ehe-
mals von einem einzigen verwaltet; weil
aber zuweilen viele Unordnungen und Menſch-
lichkeiten bey ihm gefunden wurden, und man
auch ſahe, daß ſich der Sedre durch Geſchenke
und Verſprechungen blenden ließ; ſo ſchaffte
ihn Abbas II. ab, und hatte den Vorſatz, die
Stelle nie wieder zu beſetzen. Sein Nachfol-
ger aber, der weit davon entfernt war, das
durchzuſetzen, was ſein Vorfahre angefangen
hatte, theilte dieß Amt, und ſetzte zwey Sedres
ein. Der eine, welcher Sedre Kaſſeh, oder
der beſondre Hoheprieſter genannt wurde, hat-
te die Aufſicht uͤber die koͤniglichen Mo-
ſcheen und die uͤbrigen Guͤter, die von den Koͤ-
nigen dahin vermacht waren. Der andre,
welcher Sedre Aam, oder allgemeiner Hoher-
prieſter genannt wurde, beſorgte die Guͤter, die
von den Unterthanen vermacht wurden. —
Dieſe Theilung verminderte die Macht und
das Anſehen, worin der erſte ſtand, ſehr. Und
merkwuͤrdig iſt es, daß der beſondre Hoheprie-
ſter vor dem allgemeinen den Rang hat. Sie
haben beyde Sitz und Stimme in den Ver-
ſamm-
[147] ſammlungen, welche in dem Pallaſte gehalten
werden. Der Sedre Kaſſeh ſitzt zur Lin-
ken des Koͤniges. Der Athemat-Douli
iſt zur Rechten, und unmittelbar unter ihm iſt
der Sedre Aam. — Bey den oͤffentlichen Si-
tzungen ſind ſie allezeit gegenwaͤrtig, allein ihr
Aufenthalt bey denſelben iſt von nicht langer
Dauer. Denn da die Mohammedaniſche Re-
ligion den Gebrauch des Weins ernſtlich ver-
bietet; ſo ſchleichen ſie ſich bald weg, ſo bald
ſie vernehmen, daß der Koͤnig befiehlt, Wein
herbey zu ſchaffen, und muſikaliſche Inſtru-
mente holen zu laſſen. Zuweilen aber enthaͤlt
ſich der Koͤnig dieſes Vergnuͤgens aus Achtung
gegen ſie, oder er ſchiebt es vielmehr auf, um
dieſe Herren laͤnger bey ſich zu haben, und ſie
dadurch zu ehren.
Die dritte geiſtliche Wuͤrde nennen die Per-
ſer Cheik-kel-Iſlam, d. h. Haupt des Geſe-
tzes. Dieſe Magiſtratsperſon iſt in allen buͤr-
gerlichen Angelegenheiten und in den Dingen
Richter, welche mit dem Civilweſen in Verbin-
dung ſtehen. Die Charge dieſes Chei-kel-Iſlam
war anfaͤnglich der des Cazy ſubordinirt; al-
lein das Anſehen, das dieſe am Hofe bekam,
hat ſie uͤber alle andre Tribunale ſo ſehr erho-
ben, daß man es als das erſte und anſehnlichſte
juriſtiſche Tribunal anſehen kann.
Ein anderer geiſtlicher Richter iſt der Ca-
zy (oder wie wir es auszuſprechen gewohnt ſind,
der Cady.) Dieſes Wort bedeutet einen
K 2Schieds-
[148]Schiedsrichter, oder einen Mann, welcher
entſcheidet. Dieſer war ehemals die einzige
obrigkeitliche Perſon in jeder Stadt. Das
mohammedaniſche Geſetz raͤumt ihm eine große
Macht ein, welche er auch noch in der Tuͤrkey
voͤllig ausuͤbt. In Perſien aber hat er einen
guten Theil ſeiner alten Vorzuͤge verlohren,
weil er anfieng, viel zu weit in buͤrgerlichen Sa-
chen um ſich zu greifen. Dieſe Rechte haben
die Sedres und der Cheik-kel-Iſlam uͤberkom-
men. *) Indeſſen ziehen doch die Perſonen,
welche fuͤr die im Koran ſtehenden Einrichtun-
gen Eifer bezeigen, das Anſehen des Cazy dem
Anſehen aller andern Lehrer vor, beſonders in
Sachen, welche die Teſtamente, die Heyraths-
tractate und Eheſcheidungsbriefe betreffen.
Der Mufti hat ſeine Rechte nicht beſſer
erhalten. Dieſer Praͤlat, der in der Tuͤrkey
in einem ſo großen Anſehen ſtehet, und faſt
als das hoͤchſte Oberhaupt der Religion ange-
ſehen wird, ſteht in Perſien in gar keinem An-
ſehen. **) Vor den Sofis, welche in geiſtli-
chen
[149] chen Sachen viele Neurungen vorgebracht ha-
ben, bekleidete er das Amt eines Hohenprie-
ſters. In den erſten Zeiten des Mohamme-
dismus hatte er das Recht, alle Gewiſſens-
faͤlle zu entſcheiden, wegen Uebertretung des
Korans Strafen aufzulegen, die Suͤnder in
den Bann zu thun, und wieder loszuſprechen.
Die Verrichtung eines perſiſchen Muftis be-
ſtehet itzt bloß darinn, ſeine Meynung uͤber
gewiſſe ſchwere Puncte des Geſetzes zu ſagen, und
ſein Ausſpruch dient nur bloß den obrigkeitli-
chen Perſonen bey ihren Urtheilen zu ihrer
Richtſchnur; daher pflegt man auch zu der-
gleichen Aemtern allezeit einen erfahrnen und
geſchickten Mann zu waͤhlen. Der Koͤnig er-
nennt ihn, und wenn er von einer gelaſſenen
Gemuͤthsart iſt, und ſich nach der Verfaſſung
und den Grundſaͤtzen der Regierung richten
will; ſo wird er eingeſetzt. Ueberhaupt muß
man wiſſen, daß der Mufti in Perſien ſehr im
Zaum gehalten wird. Und dieß iſt auch unge-
mein heilſam und wichtig: denn ſonſt wuͤrde
kein Fremder, der nicht mohammedaniſch ge-
ſinnt waͤre, des Lebens ſicher ſeyn. Sie
wuͤrden dem ganzen Staate Geſetze geben
wollen.
Dieſe Richter, von denen wir geredet ha-
ben, halten nicht zuſammen und an einem Or-
te Gericht. Ein jeder hat ſein eignes Gericht,
und wer einen Proceß hat, kann ſich zu einem
von dieſem nach Belieben wenden. — Da der
K 3Koran
[150] Koran das einzige buͤrgerliche und canoniſche
Recht iſt, und man mit Grunde voraus ſetzt, daß
die Geiſtlichen dieſe Buͤcher vor andern verſte-
hen; ſo iſt das Volk ſehr geneigt, jenen die
Streitfrage zu uͤberlaſſen. Dieſe Prieſter
nun, deren Anſehen, wie billig, nur in Reli-
gionsſachen gelten ſollte, haben ſich unvermerkt
in alle Sachen eingeſchlichen, und in die Ge-
richtsbarkeit der Weltlichen ſolche Eingriffe
gethan, daß ſie faſt heut zu Tage die einzigen
Richter ſind.
Die Kirchenguͤter werden von den Sedres ver-
waltet, und werden von den Perſern fuͤr un-
verletzbar gehalten. Dieſe Guͤter beſtehen ge-
meiniglich aus Landguͤtern, Haͤuſern, Einkuͤnf-
ten aus dem koͤniglichen Schatze, und von den
Staͤdten, aus oͤffentlichen Baͤdern, aus den
Haͤuſern, wo die Caravanen logiren, und an-
dern aͤhnlichen Sachen. Chardin verſichert,
daß ſich dieſe Einkuͤnfte wenigſtens auf ſechs
und dreyßig Millionen, nach unſerer Muͤnze,
belaufen. Vielleicht iſt dieſe Einnahme zu hoch
angeſetzt.
Von dieſen Einnahmen leben aber auch
eine unglaubliche Menge von Menſchen. Doch
giebt es keine unter ihnen, welche wuͤrklich
reich ſind, wenn man hiervon die Sedres, ih-
re Controleurs, und die, welche die Guͤter
verwalten, und unter andre vertheilen, aus-
nimmt. Wenn man, ſag2 ich, dieſe aus-
nimmt: ſo findet man wenige Geiſtliche, die
jaͤhr-
[151] jaͤhrlich mehr, als zwey oder dreytauſend Tha-
ler, nach unſrer Muͤnze, Einnahme haben. Ein
jeder von den Sedres hat ohngefaͤhr zwey tauſend
Tomans; allein weil ſie bey dieſer Zahlung
auf Laͤndereyen angewieſen werden, welche viel
mehr werth ſind, ſo koͤnnen ſie ihre Einnahmen
an ſechzig tauſend Thaler bringen. AbbasII.
ſetzte die Einkuͤnfte der reichſten Praͤbenden auf
dieſe Summe. Die Mohammedaner haben
hierinn ſehr ſtrenge Grundgeſetze. Sie be-
haupten, daß der Gebrauch der Kirchenguͤter al-
len verboten iſt, welche ſich durch Arbeit auf
eine ehrliche Weiſe ernaͤhren koͤnnen, und ha-
ben daruͤber bey aller Gelegenheit die Stelle
aus dem Koran im Munde: daß die geſun-
deſte Nahrung diejenige ſey, welche man
ſich durch die Arbeit verſchaffe. Die
Randgloſſe der Imans uͤber die Stelle verſi-
chert, daß die Propheten und frommen Maͤn-
ner allezeit von ihrer Arbeit gelebt haben.
Die Sedres legen von ihrer Verwaltung
vor einem geiſtlichen Gerichte Rechnung ab,
welches aus zwey beſondern Gerichtsſtuben be-
ſtehet, eine fuͤr die Guͤter, welche vom Koͤnig
herruͤhren, und eine fuͤr die Guͤter, welche Pri-
vatperſonen vermacht haben. Bey dieſem Ge-
richte werden auch die Anwartſchaftsbriefe auf
Pfruͤnden ausgefertigt. Einige derſelben beſte-
hen in Landguͤtern oder Haͤuſern, wovon dieje-
nigen, die damit belehnet ſind, den Nutzen
ziehen.
K 4Achtes
[152]
Achtes Kapitel.
Von den Religionen, welche in Perſien
geduldet werden.
Eine von den Maximen der mohammedani-
ſchen Religion iſt, alle Religionspartheyen
zu dulden, und ihnen freyen Gottesdienſt zu
verſtatten. Daher findet wan Chriſten, Ju-
den, Heiden und allerley Secten. Die Reli-
gion Mahommeds lehrt, daß es ein großes
Verdienſt ſey, die Unglaͤubigen zu bekehren,
daß man hierzu ſo viel beytragen muß, als
ein jeder vermoͤgend waͤre; aber man muͤſſe da-
bey keine Gewaltthaͤtigkeiten gebrauchen, und,
wenn ſie ihre Abgaben ordentlich entrichten,
ihre Gerechtigkeit beſchuͤtzen, und menſchlich
mit ihnen umgehen. — Ich will in dieſem
Kapitel etwas genau und umſtaͤndlich von den
Einwohnern Perſiens reden, die ſich zu einer
andern Religion bekennen. In dem folgen-
den Kapitel wird ſich Gelegenheit darbieten,
von den Meynungen, welche die Perſer vor
andern Religionen hegen, umſtaͤndlich zu han-
deln.
Es giebt in Perſien fuͤnf Religionsſecten:
Erſtlich, die Secte der Gueber, oder alten
Perſer, welche man die Anbeter des Feuers
nennet,
[153] nennet. Zweytens, die Secte der Juden,
wie auch in Perſien ſehr alt ſind. Drittens,
die Sabis oder Chriſten des heiligen Johan-
nes. Viertens, die Chriſten, oder die rech-
ten und eigentlichen Anhaͤnger Chriſti, und
fuͤnftens, die Indianiſchen Heiden. Wir
wollen von einer jeden Secte beſonders reden.
I.Secte der alten Guebers. Weil
wir noch keine Gelegenheit gehabt haben, von
dieſen zu reden; ſo denken wir, daß es dem
Leſer nicht unangenehm ſeyn wird, wenn er
das Noͤthigſte von ihnen hier kurz und genau
findet. — Die alten Guebers wohnen in
verſchiedenen Theilen Perſiens und auch an
einigen Orten Indiens. In Perſien wohnen
ſie in Caramanien und an dem perſiſchen
Meerbuſen: aber noch in groͤßerer Menge fin-
det man ſie in den Provinzen von Jezd und
Kirman. In Indien findet man ſie am
Fluſſe Indus und in der Provinz Guzerat.
Die Zerſtreuung dieſes Volks in verſchiedene
Theile des Reichs, kam durch den Einfall der
Araber in Perſien unter dem Omar, dem
zweyten Nachfolger Mohammeds. Diejeni-
gen, nelche nicht unter ihrer Unterdruͤckung leben
wollten, waren genoͤthigt, ſich in die wuͤſten
Theile des Reichs zu begeben. — Die An-
zahl derſelben iſt auch gar nicht groß. Viel-
leicht belaͤuft ſie ſich nicht viel uͤber achtzig tau-
ſend. Ihre einfache Lebensart und uͤberhaupt
K 5ihr
[154] ihr kuͤmmerliches Leben macht, daß man ſie
duldet und an ſie nicht denket.
Man nennt ſie Parſis in Indien, von
ihrem alten Namen: und in Perſien nenn
man ſie Guebers.*) — Dieſe Guebers
ſind nicht ſo gut geſtaltet, nicht ſo weiß, als
die mohammedaniſchen Perſer: dennoch aber
ſind ſie unterſetzt und von ziemlicher Taille.
Die Frauensperſonen ſind dicke, von Oli-
ven- und dunkler Farbe, welches mehr von ih-
rer Armuth, als von ihrem Naturell her-
kommt; denn es giebt unter ihnen einige, die
ſehr ſchoͤne Zuͤge in ihrem Geſichte haben.
Die Maͤnner tragen Haare und einen langen
Bart, eine kurze und enge Weſte, und eine
Muͤtze von feiner Wolle, welche beynahe wie
ein
[155] ein Huth ausſieht. Sie kleiden ſich mit Lein-
wand oder Wolle, lieben aber uͤberhaupt die
braune Farbe. Die Weiber ſind ſehr grob
gekleidet, ſo daß man faſt keinen haͤßlichern
Anblick haben kann, als wenn man eine Gue-
berinn ſiehet.
In Perſien ſind ſie alle entweder Ackerleute,
oder Handarbeiter, oder Tuchwalker und
Wollarbeiter. Sie machen ſehr feine Teppi-
che, Muͤtzen u. ſ. w. Unſre Caſtorhuͤte ſind
nicht ſo weich und ſchoͤn. Chardin verſichert,
daß er die ganze Zeit ſeines vieljaͤhrigen Auf-
enthalts in Perſien, keinen einzigen Gueber
muͤßig geſehen habe; auch keinen, der ſich auf
freye Kuͤnſte und eigentlichen Handel gelegt
habe. Ihre vornehmſte Profeſſion iſt der
Ackerbau, d. h. die Bearbeitung des Gartens,
der Weinberge u. ſ. w. Sie betrachten den
Ackerbau, nicht nur als eine ſchoͤne und unſchul-
dige Profeſſion, ſondern auch als eine ver-
dienſtvolle und achtungswuͤrdige, und ſie glau-
ben, daß das der erſte Beruf der Menſchen
ſey.
Dieſe alten Perſer ſind von gefaͤlligen
und einfaͤltigen Sitten, leben unter der An-
fuͤhrung ihrer Aelteſten, welche den Magi-
ſtrat ausmachen, und von dem perſiſchen Gou-
vernement in ihrer Charge confirmirt werden,
ſehr ruhig. Sie trinken Wein, und eſſen al-
lerley Arten von Fleiſch, wenn man Ochſen und
Kuͤhe ausnimmt, es mag uͤbrigens zubereitet
ſeyn,
[156] ſeyn, von wem es will. Eine zwiefache Ehe
und die Eheſcheidung *), wird, vermoͤge ihrer Re-
ligion, nicht geſtattet, und ſie duͤrfen ſich
auch nicht mit Perſern verheyrathen, wel-
che ihrer Religion nicht zugethan ſind.
Chardin hat bey dieſem alten Volke kei-
nen Gelehrten, ſondern lauter Unwiſſende an-
getroffen. Er ſagt, daß die ganze Gelehr-
ſamkeit ihrer Prieſter in einer geringen Kennt-
niß der Aſtrologie, des Mohammedanismus
und in einer ſehr unvollkommnen Kenntniß
ihrer eigenen Religion beſtaͤnde, ſo daß ſie
von ihrem eigenen Glauben keinen Grund an-
zugeben wuͤßten. — Man muß ſich auch
hieruͤber nicht wundern, weil ſie ſeit mehr
denn tauſend Jahren in der Unterdruͤckung
und Niedrigkeit leben. Man ſagt gemeinig-
lich, daß ſie ein beruͤhmtes Buch haͤtten, wel-
ches ihre Religion und ihre Geſchichte in ſich
faßte und Zend Paſend Voſta hieße. Bis
itzt aber hat noch niemand das Geringſte von
dieſem vorgegebenen Werke ſehen koͤnnen.
Und dieß iſt denn auch die Urſache, daß wir
keine ganz wahre und richtige Beſchreibung
von der Religion der alten Guebers haben.
Char-
[157]Chardin hat ſich ſehr viel Muͤhe gegeben, die
Religion der alten Guebers zu erforſchen;
und was er davon berichtet hat, wollen wir
hier kurz erzaͤhlen. Weil er ein Reiſebeſchrei-
ber iſt, der nicht alles aufs Gerathewohl nie-
dergeſchrieben hat; ſo ſtehen wir nicht an, die
folgenden Bemerkungen unſern Leſern als voͤl-
lig glaubhaft anzupreiſen.
„Es ſcheint, daß die Guebers ein hoͤch-
„ſtes Weſen annehmen, welches uͤber die
„Endurſachen iſt. Dieſes Weſen nennen ſie
„Yezd. Indeſſen eignen ſie doch den Endur-
„ſachen eine ſolche Macht zu, daß dieſem
„Jezd, oder hoͤchſten Weſen, nicht viel uͤbrig
„bleibt. Vielleicht erkennen ſie, eigentlich
„und genau zu reden, wohl kein hoͤchſtes We-
„ſen. Sie muͤſſen es aber aus politiſchen
„Gruͤnden thun, um bey den Perſern, ihren
„eigentlichen Herren, fuͤr keine Deiſten ge-
„halten zu werden, welches ſonſt ihre voͤllige
„Vertreibung befoͤrdern wuͤrde. Sie meynen,
„daß die himmliſchen Koͤrper verſtaͤndige We-
„ſen waͤren, und ſich um die Auffuͤhrung der
„Menſchen bekuͤmmerten. Die Sonne iſt
„nach ihnen, das erſte hoͤchſtdenkende
„Weſen, und der Vater aller ſinnlichen Din-
„ge. Der Mond iſt das zweyte denkende We-
„ſen, und denn folgen die uͤbrigen Planeten.
„Sie glauben auch, wie alle indianiſche Hei-
„den: Die Mondfinſterniß kaͤme daher, weil
„der Mond gedruͤckt, und von einem hoͤhern
„Weſen
[158] „Weſen beunruhiget, und in dieſe traurige La-
„ge verſetzt wuͤrde. Außer dieſen denkenden
„Weſen nehmen ſie auch Engel an, welche ſie
„ſubalterne Goͤtter nennen, denen die Sor-
„ge fuͤr die Bewahrung der lebloſen Dinge
„anvertrauet iſt. Endlich nehmen ſie auch
„zwey Grundweſen an, naͤmlich ein gutes
„und ein boͤſes. Dieſe zwey Grundweſen
„ſind das Licht*) und die Finſterniß**)
„So unvernuͤnftig und abſurd nun auch im-
„mer dieſe Behauptung eines zwiefachen We-
„ſens iſt; ſo haben ſie doch einige alte Philo-
„ſophen fuͤr ſehr vernuͤnftig auf und angenom-
„men, und ſie zu einer der vornehmſten Lehren
„gemacht. Es giebt auch noch perſiſche Leh-
„rer, welche ſie noch annehmen, und dieſe
„Weſen, ſo wie die Guebers, Licht und Fin-
„ſterniß nennen.„
„Jedermann glaubt allgemein, daß ſie das
„Feuer anbeten; dem ohngeachtet aber kann
„man ſie ſchwerlich dahin bringen, ſich daruͤ-
„ber zu erklaͤren, und zu erfahren, ob der
„Gottesdienſt directe oder relatif iſt: ob ſie
„das Feuer fuͤr Gott, oder bloß fuͤr das
Eben-
[159] „Ebenbild Gottes halten. — Das Feuer,
„ſagen ſie, iſt das Licht, das Licht iſt Gott.
„Dieß ſagen ſie ganz genau; aber ſie loben
„hernach das Feuer, das Licht und Gott, und
„halten daruͤber einen ſo confuſen Diſcours,
„daß man nicht das geringſte verſtehet, und
„ſich nach und nach wegſchleichet. Dem ohn-
„geachtet behaupten ſie immer, daß ſie das
„Feuer an geheiligten Oertern, ſeit den Zeiten
„des Keyomerſe, erſten Koͤnigs in Perſien,
„bewahren. Aber man kann weder dieſen ge-
„heiligten Ort, noch ihren Altar, noch ihren
„Dienſt ſehen. Daher waͤre nun wohl die
„Folgerung nicht unrecht, wenn man behau-
„ptete: daß alles, was man von dieſem alten
„Feuer ſagt, nichts, als Taͤuſchung ſey.„
„Die Guebers in Indien ſagen, daß die-
„ſes ewige Feuer nicht unter ihnen, ſondern
„in Perſien ſey. Und die perſiſchen Guebers
„ſind wegen des Orts, wo es brennen ſoll,
„nicht einig, indem ſie bald ſagen, daß es zu
„Kirma, bald zu Yezd, und bald auf einem
„gewiſſen Berge in dieſem Lande ſey. — Ue-
„berhaupt iſt alles, was man davon weiß, ſo
„zweifelhaft, daß man von allem, was daruͤ-
„ber geſchrieben iſt, nichts gewiſſes glauben
„kann.
„Sie beten gemeiniglich bey dem Feuer,
„und erweiſen demſelben andere aͤußerliche Ver-
„ehrungen. Ihr vornehmſter Tempel befin-
„det ſich neben Yezd. Dieß iſt ihr großes
„Atech-
[160] „Atech-gae, wie es die Perſer nennen, das
„heißt, ihr Heerd des ewigen Feuers. Dieſer
„Ort iſt auch ihr Orakel und ihre Academie.
„Hier communiciren ſie ſich auch ihre Religion,
„ihre Maximen und Hoffnungen. Ihr ober-
„ſter Prieſter wohnt hier beſtaͤndig, und geht
„niemals weg. Man nennt ihn Deſtour
„Deſtouran, d. h. Regel der Regeln, um da-
„mit anzuzeigen, daß die Prieſter vor andere
„Menſchen die Regel des Glaubens und eine
„Richtſchnur ſind, nach welcher andre ihre
„Lebensart einrichten muͤſſen.„
„Dieſer oberſte Prieſter hat noch andere
„Prieſter und Studenten bey ſich, welche eine
„Art von Seminar ansmachen. Die Mo-
„hammedaner dulden ſie, weil ſie gar kein Ge-
„raͤuſch machen, und die Officiere reichlich be-
„ſchenkt werden. Die Prieſter ſind in gewiſ-
„ſer Abſicht — wenn man auf ihre Verrich-
„tungen ſieht — eben das, was ehemals die
„Veſtalinnen zu Rom waren. Ihr vor-
„nehmſtes Geſchaͤfft beſteht in der beſtaͤndigen
„Unterhaltung des heiligen Feuers. Dieß
„Feuer brennt, ihrem Vorgeben nach, ohnge-
„faͤhr ſeit viertauſend Jahren. Zoroaſter,
„ihr Prophet, ſagen ſie, ſoll es auf eine be-
„wundernswuͤrdige Art auf einem Berge ange-
„zuͤndet haben.„
„Bey Verrichtung ihres Gebets, wenden
„ſie allemal ihr Geſicht gegen die Sonne.
„Denn, ſagen ſie, ſoll das Gebet ein wahres
Gebet
[161] „Gebet und keine Abgoͤtterey, kein falſcher
„Gottesdienſt ſeyn; ſo muß man allemal in
„die Sonne ſehen. Daher kommt es auch,
„daß ſie des Nachts gar nicht beten. Sie ver-
„richten aber fuͤnfmal des Tages, zu feſtge-
„ſetzten Stunden, ihr Gebet. Ihr vornehm-
„ſter Tag, den ſie zugleich auch ganz der Reli-
„gion widmen, iſt der Freytag. — Die alten
„Guebers ſchmeicheln ſich noch immer mit der
„angenehmen Hoffnung, daß Gott ihrem Elen-
„de einmal ein Ende und ſie zu Herrn des gan-
„zen Reichs machen werde. Man weiß nicht,
„wer ihnen dieſe Ideen in den Kopf geſetzet
„hat.“
„Zoroaſter*), den ſie Zerdoucht oder
Zardusht nennen, iſt ihr groͤßeſter Prophet
Lund
[162] und Lehrer. Er war das Oberhaupt und
Stifter der Secte der Magier, und lebte ohn-
gefaͤhr zu den Zeiten der Koͤnige von der
zweyten Linie. Die Guebers ſind, wegen des
Geburtorts und des Vaterlandes dieſes be-
ruͤhmten Zoroaſters, unter ſich ſehr verſchiede-
ner Meynung. Einige machen ihn zum Ba-
bylonier, andre hingegen halten ihn fuͤr einen
Indianer. Dieſe letzte Meynung koͤnnte
wohl vielleicht der erſtern vorgezogen werden,
zumal
*)
[163] zumal da faſt die meiſten Gelehrten darinnen
einverſtanden, daß die Wiſſenſchaften allererſt
aus Indien zu andern Voͤlkern uͤberbracht
ſind. — Dieſer Zoroaſter iſt der erſte, wel-
cher die Wiſſenſchaften und Religion metho-
diſch vorgetragen hat. Die Guebers erzaͤhlen
von ihm eine unzaͤhlige Menge Maͤhrchens,
und machen aus ihm einen Menſchen, der in
vielem Betracht der Gottheit aͤhnlich ſey.
Selbſt die Mohammedaner halten viel auf den
Zoroaſter, weil ſie glauben, daß er die Aſtro-
nomie zuerſt gelehrt habe. In dieſer Wiſſen-
ſchaft haben ſich auch die Menſchen am fruͤhe-
ſten hervorgethan. Man weiß, daß die erſte
Schule fuͤr dieſe Wiſſenſchaft zu Babylon —
der aͤlteſten Stadt in der Welt — aufgerichtet
ward. „Daher kommt es, daß die Aſtrono-
„men ohne Unterſchied Babylonier, von dem
„Namen der Stadt, oder auch Magier, von
„dem Namen der Secte, genannt wurden.“
„Die Magier — ein Wort deſſen richtige
„Bedeutung man nicht hinlaͤnglich beſtimmen
„kann — unterrichteten die Menſchen von der
„Ewigkeit eines erſten Grundweſens. Und
„dieſes Grundweſen war allererſt der Mond:
„weil aber dieſer auf die Sinneskraft der Men-
„ſchen nicht ſo ſtark wirkte; ſo zogen ſie ihm
„die Sonne vor. — Sie waren die erſten Theo-
„logen und Philoſophen, und wurden als ſolche
„angeſehen, denen man vorzuͤgliche Ehre ſchuldig
L 2„ſey.
[164] „ſey. Hieruͤber erklaͤrt ſich Cicero *) in ſeinem
„Buche de diuinatione ſehr deutlich. Selbſt
„der Koͤnig mußte eine gewiſſe Zeit, ehe er
„den Thron beſtieg, von ihnen Lehren anneh-
„men, und die Kunſt, wohl zu regieren —
„die Goͤtter wuͤrdig zu verehren — von ihnen
„erlernen. Ja die Achtung gegen die Magier
„gieng ſo weit, daß kein wichtiges Staatsge-
„ſchaͤfte, ohne ſie dabey vorher um Rath ge-
„fragt zu haben, konnte vorgenommen werden.
„Dies bewegte auch den Plinius **) zu ſagen,
„daß ſie im ganzen Oriente als Herrn der Fuͤr-
„ſten angeſehen wuͤrden.“
„Sie waren die Weiſen, die Gelehrten,
„die Philoſophen in Perſien, wie es die Gym-
„noſophiſten oder Brachmanen, bey den
„Indianern, und die Druiden, bey den alten
„Galliern waren. Durch ihren großen Ruhm,
„zogen ſie aus den entfernteſten Laͤndern alle
„diejenigen an ſich, welche in der Theologie und
„Philoſophie gruͤndlich wollten unterrichtet
„ſeyn. Und man weiß, das Pythagoras ih-
„nen
[165] „nen ſowohl als den Egyptiern, den Grund
„derjenigen Gelehrſamkeit zuſchreibt, wodurch
„er bey ſeinen Zeitgenoſſen nachher ſo ehrwuͤr-
„dig wurde *).“
„Eine von den ſonderbaren Meynungen
„der Guebers, die denen der uͤbrigen Heyden
„ganz entgegen iſt, beſtehet darinn, daß ſie
„nemlich glauben, es ſey nicht nur erlaubt,
„die Inſecten und alle andre unnuͤtze Thiere zu
„toͤdten, ſondern auch ſo gar eine Gott wohl-
„gefaͤllige und verdienſtliche Sache, weil dieſe
„elenden Geſchoͤpfe nicht anders als vom boͤ-
„ſen Grundweſen (malo principio) ihren
„Urſprung haben koͤnnten.“
„Nichts iſt ſonderbarer und zugleich auch
„empfindlicher, als wenn ſie vom Alexander
„dem Großen reden: Anſtatt ihn zu bewun-
„dern, und ſeinen Namen zu ehren, tadeln,
„verabſcheuen ſie ihn, als einen Menſchen ohne
„alle Gerechtigkeit, Menſchlichkeit — als ei-
„nen ſolchen, der gebohren ſey, um die ganze
„menſchliche Geſellſchaft und die ganze Welt zu
„zerſtoͤhren. — Ins Ohr raunen ſie ſich ein-
„ander aͤhnliche Dinge vom Mohammed, und
„ſchaͤtzen beyde fuͤr ein Paar Fuͤrſten, die zum
„Schaden der Menſchheit gelebt haben. Sie
L 3„fuͤh-
[166] „fuͤhlen und wiſſens wohl, daß beyde an ihrer
„Unterdruͤckung und an ihrem ganzen Elende
„Schuld ſind. — Und hierinn irren ſie ſich
„auch nicht.“ —
2. Juden. Dieſes Volk iſt noch ein
Ueberbleibſel von den alten Hebraͤern, welche
von den Aſſyriern wahrſcheinlich nach Baby-
lon, ohngefaͤhr ſechs hundert und funfzehn
Jahre vor Chriſti Geburt, gefuͤhrt wurden.
Es hat ſich gegenwaͤrtig vornemlich in Cara-
manien, Medien, Hyrcanien und laͤngſt dem
perſiſchen Meerbuſen niedergelaſſen. Dieſe
Juden ſind ſehr arm, und fuͤhren uͤberhaupt —
gleich den Guebern — ein kuͤmmerliches Le-
ben. Ein großer Theil derſelben ſind Kuͤnſt-
ler: aber ein noch weit groͤßerer und anfehnli-
cher Theil beſchaͤftigt ſich mit dem Weinhandel,
Intruͤgen, Kauf- und Wiederverkauf, Pro-
phezeien und andern aͤhnlichen Dingen. Sie
verſtehen die Kunſt, diejenigen, mit denen ſie
umgehen, meiſterlich zu betruͤgen. Und dem
ohngeachtet ſind ſie uͤberaus arme und elende
Menſchen.
Die Perſer haben es zu verſchiedenen Zei-
ten verſucht, die Juden zur Annahme des mo-
hammedaniſchen Glaubens zu bringen. Allein
ohngeachtet der anſehnlichen Belohnung, die
Abbas der Große denjenigen verſprach,
welche das Judenthum verlaſſen wollten, hat
er doch wenig oder gar nichts ausgerichtet.
Sie bleiben feſt bey ihren alten Ueberlieferun-
gen:
[167] gen: und alles Zureden war bey ihnen verge-
blich. — In keinem Lande findet man aber
auch unwiſſendere Juden, als eben in Perſien.
In ihren religioͤſen Ideen ſind ſie nicht einerley
Meynung unter einander. — Sie leſen zwar
gemeinſchaftlich den Pentateuchus, man kann
aber eigentlich von dem, was ſie wirklich glau-
ben, keine gegruͤndete Nachricht geben.
3. Sabis, oder Chriſten des heil.
Johannes. Die Anzahl dieſes Volks iſt ſo
klein und ſo ſehr zerſtreuet, daß man von ih-
rem Glauben und Meynungen wenig Glaub-
wuͤrdiges weiß. Man haͤlt dafuͤr, daß dieſe
Sabis urſpruͤnglich Chaldaͤer, und ihre Vor-
fahren Schuͤler des Zoroaſter geweſen ſind.
Dieſe Vermuthung duͤrfte auch wohl nicht ganz
ungegruͤndet ſeyn; wenigſtens haben ſie viele
religioͤſe Begriffe vom Zoroaſter angenommen.
Sie halten Johannes den Taͤufer fuͤr ih-
ren Heiligen. Man kann ſie aber im Grunde
nicht fuͤr Chriſten halten, denn ſie glauben
nicht, daß Jeſus der wahre Sohn Gottes ſey.
Sie halten ihn, gleich dem Koran, bloß fuͤr
einen goͤttlichen Propheten. Die Urſach aber,
warum man ſie mit dieſem Namen benennet
hat, kommt bloß von der großen Verehrung
eines Kreuzes her, das ſie auf eine, faſt ab-
goͤttiſche Art, verehren. — Von den heiligen
Buͤchern, die dieſe Chriſten des heil. Johan-
nes vormals gehabt haben, wiſſen ſie jetzt wei-
ter nichts, als daß ſie in ſyriſcher Sprache ge-
L 4ſchrie-
[168] ſchrieben und verloren gegangen ſind. Das
einzige Buch, was ſie noch uͤbrig haben, iſt ein
Gemiſch von Fabeln und Erzaͤhlungen der Ju-
den und Mohammedaner. Sie nennen es
Divan, ein Name, den die Mohammedaner
ihren moraliſchen Schriften vorzuſetzen pfle-
gen. Dieſer Divan enthaͤlt den Innbegriff
ihrer Lehre und Geheimniſſe.
Die vornehmſte Pflicht, welche ihnen ihre
Religion vorſchreibt, beſteht in dem Opfer ei-
ner Henne. Dem Prieſter *) allein kommt es
zu, ſie zu opfern. Er geht mit derſelben an
das Ufer eines Fluſſes, in voͤlligem Prieſteror-
nat **) — waͤſcht die Henne im Waſſer ab,
um ſie zu reinigen, — wendet ſein Geſicht
gegen Morgen — ſchneidet derſelben den Hals
ab, und haͤlt ſie ſo lange in der Hand feſt,
bis ſie gar nicht mehr blutet. Unter dieſer Ver-
richtung ruft der Prieſter zu verſchiedenen ma-
len aus: dieſes Fleiſch ſey im Namen Got-
tes fuͤr alle die rein, welche davon eſſen
werden. — Niemand als dem Prieſter allein
iſt es erlaubt, Hennen zu toͤdten: und wer
dieß
[169] dieß Gebot uͤbertritt, wird nach ihrem Geſetz
auf das ſchaͤrfſte geſtraft.
Sie opfern uͤberdies noch jaͤhrlich einen
Widder in einer kleinen Huͤtte, welche von
Palmaͤſten aufgebauet und vorher mit Weyh-
rauch, Waſſer und Gebet gereinigt wird. Sie
ſind in Anſehung der Reinigung faſt noch ge-
wiſſenhafter als die Juden und Mohammeda-
ner. Sie halten alles Fleiſch, das die Mo-
hammedaner getoͤdtet, und alle Gefaͤße, deren
ſich dieſe bedienen, fuͤr unrein. Eben das
glauben ſie auch von dem Leder, und den Ge-
faͤßen, die von Leder gemacht werden *).
L 5Die
[170]
Die Art, wie ſich dieß Volk mit einander
ehlich zu verbinden pflegt, hat zu viel ſonder-
bares und characteriſtiſches, als daß ich hier
nicht etwas davon erzaͤhlen ſollte. — Wenn
ſich ein junger Menſch unter ihnen verheyrathen
will, und ſich ein Maͤgdchen ausgeſucht hat;
ſo pflegt der Prieſter und die Eltern des jungen
Menſchen zu dem Maͤgdchen zu gehen, und ſie
zu fragen; ob ſie noch eine Jungfrau ſey?
Wenn dieſe es nun mit einem Ja bekraͤftiget;
ſo muß ſie ihre Ausſage beſchwoͤren. Die Ein-
willigung der Eltern von Seiten der Braut,
haͤlt nie ſchwer zu erhalten: ſelten machen die-
ſe auch nur die geringſte Einwendung. —
Hierauf nun fuͤhret der Prieſter die Braut zum
Fluß, und tauft ſie, fuͤhrt ſie auch ſelbſt wie-
der zuruͤck in das Haus des Braͤutigams. Als-
dann haͤlt der Prieſter dieſem Paare eine lange
Rede, und ſtellt ihnen alle die Pflichten vor,
die ſie gegenſeitig gegen einander zu beobachten
haben. Iſt dieſes geſchehen; ſo nimmt er ein
Buch, welches ſie Faal*) nennen, und ſucht
die gluͤckliche Stunde auf, wann die voͤllige
Verbindung kann vorgenommen werden. Wenn
dieſes geſchehen iſt; ſo gehen ſie zu ihrem ober-
ſten Prieſter, der ſie, nachdem der Braͤuti-
gam nochmals verſichert hat, daß ſeine Braut
noch eine reine Jungfrau ſey, voͤllig mit ein-
ander ehlich verbindet. — — Findet ſich
aber
[171] aber der Fall, daß ſich der Braͤutigam zu die-
ſer Verſicherung aus Gruͤnden nicht verſtehen
kann; ſo wird das Paar nicht von dem ober-
ſten Prieſter getraut: und dieß bleibt dann fuͤr
die neuen Eheleute ein unvergeßlicher Schimpf,
weil ſie alsdann genoͤthigt ſind, ſich von einem
gemeinen Prieſter trauen zu laſſen. Denn
dieß iſt ein offenbares Zeichen, daß die Braut
keine eigentliche Jungfrau mehr ſey.
Außer dieſen Sabis giebt es noch eigentlich
ſo genannte Chriſten, die ſich aber in verſchie-
dene Secten theilen. Man findet auch in Per-
ſien (ſo wie uͤberall in ganz Aſien) europaͤiſche
Chriſten, welche ſich als Kuͤnſtler an dem Ho-
fe des Koͤniges aufhalten, die ungerechnet, wel-
che ſich da ihres Handels wegen aufhalten.
Dieſe Chriſten genießen alle moͤgliche Freiheit,
und werden von der ſo genannten herrſchenden
Religion im geringſten nicht gedruͤckt. — Man
muß es wirklich geſtehen, daß, ſo abgeſchmackt
die Religion Mohammeds in vielen Stuͤcken
iſt, ſie dennoch, naͤchſt der Chriſtlichen, die
Toleranz am meiſten empfielt.
Heiden. Dieſes Volk, welches ſich in
Perſien niedergelaſſen hat, kommt eigentlich
aus Indien. Man findet ſie uͤberall im gan-
zen Reiche, und ſie genießen in Anſehung ihres
Gottesdienſtes alle moͤgliche Freyheit. Sie
beſchaͤftigen ſich einzig und allein mit dem Han-
del, Wucher u. ſ. f. und treiben es mit ſol-
chem Eifer, daß ſie in kurzer Zeit ſich betraͤcht-
lich
[172] lich bereichern koͤnnen. Aus dieſen Urſachen
verſtattete es ihnen Abbas der Große nicht,
ſich in ſeinem Lande niederzulaſſen: allein ſein
Nachfolger Cha Sephy ließ ſich theils durch
anſehnliche Geſchenke beſtechen, theils von ſei-
nen Miniſtern uͤberreden, und ertheilte den Hei-
den wieder die voͤllige Freyheit, ſich in ſeinem
Reiche niederzulaſſen. Man kann dieß fuͤr ei-
nen Hauptfehler in der Regierung des Cha
Sephy anſehen.
Neuntes Kapitel.
Von der perſiſchen Religion.
Die perſiſche Religion kommt mit der Mo-
hammedaniſchen nach der Auslegung des
Aly, voͤllig uͤberein. — Um den Urſprung
dieſer Secte des Aly recht zu verſtehen, ſcheint
es noͤthig zu ſeyn, kuͤrzlich die Geſchichte der
Revolutionen in Anſehung der Nachfolge Mo-
hammeds zu erzaͤhlen. Die mohammedaniſche
Religion wurde, ſo bald ihr Stifter geſtorben
war, in viele Secten zertheilt. Dieß kam
fuͤrnehmlich daher, weil die Emirs, durch
ihren unſaͤglichen Ehrgeiz angefeuert, unter
ſich, der Nachfolge wegen, uneinig wur-
den. Abubeker, Mohammeds Schwieger-
vater, und Aly, ſein Eidam, machten bey-
de
[173] de zu gleicher Zeit auf die Nachfolge Anſpruͤ-
che. Es wurde von beyden Seiten heftig ge-
ſtritten: wie man aber ſah, daß die Sache
durch einen guͤtlichen Vergleich nicht konnte
beygelegt werden; ſo kam es von beyden Sei-
ten zu einem foͤrmlichen Kriege. Das Schick-
ſal war dem Abubeker guͤnſtig, und er erhielt
wuͤrklich das Hoheprieſterthum. Seine Re-
gierung dauerte aber nur drey Jahre, worauf
Omar, einer von den vornehmſten Generalen
der Armee, die Regierung erhielt, und ſie zehn
Jahre lang mit vieler Klugheit verwaltete.
Auf dieſen Omar folgte Osman, und regier-
te ohngefaͤhr eilf Jahre. Nach deſſen Tode
fand ſich Niemand, der auf die Nachfolge An-
ſpruͤche machte, als Aly: er wurde auch wuͤrk-
lich zum Nachfolger erwaͤhlt, und man glaub-
te, daß nun alle Zwiſtigkeiten wuͤrden gehoben
ſeyn. — Allein, ſo bald Aly geſtorben war,
und deſſen aͤlteſter Sohn ſeinem Vater in der
Regierung nachfolgen wollte, widerſetzte ſich
ihm die Armee, und verlangte, daß ein neuer
Nachfolger ſollte erwaͤhlt werden. Es kam
hierauf wieder zu einem blutigen Kriege, der
noch laͤnger wuͤrde gedauert haben, wenn ſich
die Religion nicht ins Mittel gelegt haͤtte.
Die Vorſchriften und Lehren des Moham-
meds waren noch, wie er ſtarb, gar nicht voͤllig
ausgearbeitet, und ſein Geſetzbuch noch nicht
hinlaͤnglich bekannt gemacht. Es fanden ſich
Dinge darin, die das Volk gar nicht verſtehen
konn-
[174] konnte, und daher eine Erklaͤrung mancher
Saͤtze ſehnlich wuͤnſchte. Dieß Geſchaͤfft uͤber-
nahmen Abubeker und Aly, zwey ſehr vertrau-
te Freunde des Mohammeds. Allein ſie konn-
ten mit der Erklaͤrung des Geſetzbuchs eben ſo
wenig einig werden, wie uͤber das Recht der
Nachfolge. Ein jeder gab ſeine Erklaͤrung:
und ein jeder erhielt auch ſeine Anhaͤnger.
Daraus entſtanden denn die zwey beruͤhmten
Secten des Mohammedanismus, wovon die
eine Chias und die audre Sunni heißt. Die
erſte hat ihre Anhaͤnger ſonderlich in Perſien:
die andere aber hat ſich weiter ausgedehnt,
denn die Tuͤrken, Tatern und indianiſchen Mo-
guln bekennen ſich alle zu ihr. Beyde Secten
aber haben noch verſchiedene Unterabtheilun-
gen, wie das faſt in den meiſten Religio-
nen iſt.
Die Tuͤrken halten den Abubeker, Omar
und Osman fuͤr die rechtmaͤßigen Nachfolger
Mohammeds, fuͤr gute und heilige Fuͤrſten,
und die Auslegungen derſelben einzig und al-
lein fuͤr die wahre. Den Aly hingegen verflu-
chen ſie bey jeder Gelegenheit, und halten ihn
fuͤr einen ungerechten Uſurpateur und Verdre-
her der Geſetze Mohammeds. *)
Die
[175]
Die Mohammedaner nennen ihre Religion
Iſlam**), und diejenigen, welche ſich zu der-
ſelben bekennen, Eliſlam: am gewoͤhnlichſten
aber pflegen ſie ſich Muſelmoon (Muſelmann)
zu nennen. Ihr ganzes religioͤſes Syſtem iſt
meiſtentheils aus der juͤdiſchen Religion zuſam-
men geſetzt, welches aus dem folgenden erhellen
wird.
Wir
[176]
Wir wollen uns hier nur mit einer richti-
gen Beſchreibung der vornehmſten Glaubens-
arkikeln begnuͤgen, und die weniger wichtigen
ganz mit Stillſchweigen uͤbergehen. Genug,
wenn ſich der Leſer eine richtige Idee von den
vorzuͤglichſten Religionspuncten machen kann.
In den perſiſchen Catechismen findet man
die Anzahl der Gebote ſehr verſchieden angege-
ben, weil ſie ſelbſt hieruͤber noch nicht einig ſind.
Doch nehmen die meiſten ſieben Gebothe an.
1) ſoll man Niemand Gott gleich ſtellen.
2) Niemand toͤdten; 3) Vater und Mutter eh-
ren; 4) ſich eines andern Guͤter nicht bemaͤchti-
gen; 5) keine Sodomiterey treiben; 6) die Frau
eines Nachbarn nicht beruͤhren, und 7) keine
freye Frau anruͤhren, ohne ſie vorher con-
tractmaͤßig geheyrathet zu haben. — Ihr
Glaubensbekenntniß theilen die meiſten in zehn
Hauptartikel, naͤmlich in fuͤnf, die man glauben,
und in fuͤnf, die man ausuͤben muß. —
Die fuͤnf Glaubensartikel ſind 1) die Kennt-
niß Gottes; 2) die Gerechtigkeit Gottes;
3) die Weiſſagung; 4) die Succeſſion; 5) die
Auferſtehung. — Die fuͤnf Puucte des Glau-
bensbekenntniſſes, welche man ausuͤben muß,
ſind 1) die koͤrperliche Reinigung; 2) das Ge-
bet; 3) die Allmoſen; 4) das Faſten; 5) das
Wallfahrten. — Man muß hier bemer-
merken, daß die meiſten Lehrer ſchon denjeni-
gen fuͤr einen wahren Muſelmann halten, wel-
cher an Gott, Mohammed und Aly glaubt.
Um
[177] Um aber unter die Zahl der Rechtglaͤubigen
zu gehoͤren, muͤſſe man ſowohl die fuͤnf Glau-
bensartikel, als auch die fuͤnf Artikel der Ausuͤ-
bung annehmen.
Ich habe geſagt, daß ihr Glaubensbekennt-
niß aus zehn Artikeln beſtehe: ſie nehmen aber
gemeiniglich nur ſieben davon an, naͤmlich zwey
Glaubensartikel: 1) daß nur ein Gott und 2)
daß Mohammed der Bothe Gottes ſey, und
dann die fuͤnf vorher erwaͤhnten Puncte, die ſie
bey der Religion zu beobachten haben. Alle
Mohammedaner behaupten, daß Mohammed
dieſe ſieben Stuͤcke der Religion dem Engel
Gabriel — der ihm in einem weiſſen Kleide er-
ſchienen ſey — vorgeleſen habe. Und da dieſer
Engel den Mohammed gefragt habe, worinn
ſeine Religion beſtaͤnde; ſoll er geantwortet
haben: ſeine Religion beſtaͤnde 1) in dem
Bekenntniß, daß nur ein einziger Gott ſey;
2) Mohammed ſey der Apoſtel und Geſandte
Gottes; 3) Aly ſey der Vikar Gottes; 4) in
der Beobachtung der koͤrperlichen Reinigung;
5) im Gebete zu beſtimmten Zeiten; 6) im All-
moſengeben; 7) im Faſten, und 8) im Wall-
fahrten nach Mekka. Sie fuͤgen hinzu, daß
der Engel alles dieſes gebilliget habe.
Wir wollen nun von einem jeden einzelnen
Punkte das Noͤthigſte erzaͤhlen.
I.Es iſt nur ein Gott. — Schon die-
ſe Worte beſtaͤtigen den im vorhergehenden ge-
aͤußerten Beweis, daß naͤmlich die Mohamme-
Mdaner
[178] daner den groͤßeſten Theil ihrer Religion von
den Juden entlehnt haben. Ich will hier den
wirklichen Beweis davon nicht fuͤhren, weil die
Sache evident genug, und laͤngſt von verſtaͤn-
digen Maͤnnern bewieſen iſt. — Die Mohamme-
daner nehmen, wie andere Voͤlker, einen einzi-
gen wahren Gott an: ſie ſind aber in ihren
Meynungen von der Einheit Gottes, und ſon-
derlich von ſeinen Eigenſchaften, verſchiedener
Meynungen. Sie lehren in ihren theologiſchen
Schriften: „daß Gott einig, und kein Weſen
ihm gleich ſey: er ſey vom Anfang der Erſte,
und Niemand vor ihm geweſen: ſo alt, daß er
keinen Anfang habe: daß er ewig daure und
nie aufhoͤre, und viele dergleichen Saͤtze mehr,
die alle mit dem juͤdiſchen Religionsſyſteme
uͤbereinkommen. — In Anſehung der goͤttli-
chen Eigenſchaften lehren ſie, daß er maͤchtig
und ſtark, und mit keinem andern Weſen hier-
in zu vergleichen ſey: daß er alles wiſſe, was
an allen Orten vorgenommen werde, alle Inſe-
cten kenne, die unter und auf der Erde ſind,
alle Geheimniſſe und verborgenſten Dinge wiſ-
ſe: daß Gott alles wolle, was geſchieht und
bey allen Dingen concurrire. u. f.
Was die Schoͤpfung der Welt betrifft; ſo
muß man geſtehen, daß ſie in dieſem Stuͤcke
mit dem, was ſie wuͤrklich glauben, viele Fabeln
vermiſchen, die ſie meiſtentheils den Rabbinen zu
verdanken haben. Sie glauben unter andern
Dingen, daß Gott die Welt aus Nichts ge-
ſchaffen
[179] ſchaffen habe: daß er zuerſt die Himmel, ver-
mittelſt geiſtiger Weſen vom erſten Range, und
nachher die Erde durch Bewerkſtelligung der
Engel geſchaffen habe, das heißt nach ihrer Er-
klaͤrung, Gott habe die Himmel und die Erde
nicht ploͤtzlich und auf einmal gemacht, ſondern
er habe zuerſt ein Weſen erſchaffen, vermittelſt
deſſen der erſte Himmel geworden ſey. Hernach
habe er ein dergleichen zweytes Weſen erſchaf-
fen, durch welches der zweyte Himmel entſtan-
den ſey; und auf eben die Weiſe ſey es auch
mit Erſchaffung der uͤbrigen Himmel zugegan-
gen. — Dasjenige, was ſie in Anſehung der
Erſchaffung der Erde, durch die Engel, glau-
ben, haben ſie vielleicht von alten chriſtlichen
Ketzern entlehnt. Die Perſer behaupten, daß
die Erde in der Mitte der Gewaͤſſer erſchaffen,
und das Waſſer der Abgrund oder das Chaos
ſey, woraus Gott die Erde hervorgebracht habe.
Gott habe endlich das Waſſer ablaufen laſſen;
und ſo ſey die bewunderungswuͤrdige Geſtalt
der Erde entſtanden, die wir itzt ſehen.
Die Perſer ſind auch mit andern Voͤlkern,
in Abſicht der Zeit und des Monaths, wenn die
Schoͤpfung eingefallen ſey, nicht einſtimmig;
denn ſie wollen, daß ſie in den ſechs letzten Ta-
gen des Mondmonaths, geſchehen, d. h. daß die
Schoͤpfung den fuͤnf und zwanzigſten Tag des
Mondes angefangen, und den letzten Tag deſſel-
ben Monds geendigt habe. Und in dieſer Ruͤck-
ſicht feiern ſie den Schoͤpfungstag der Welt
M 2am
[180] am fuͤnf und zwanzigſten Tage des Monathes
Zilkadé. — Sie halten alle Engel entwe-
der fuͤr gute oder fuͤr boͤſe. Die guten Engel,
ſagen ſie, ſind von geiſtiger Natur, und mit
Leib und Seele verſehen. Man nennet ſie Me-
lec, welches ſo viel heißt, als ein Geſandter,
weil ſie die Boten Gottes ſind. Den Teufel
halten ſie fuͤr ein aus Feuer beſtehendes
Weſen.
Ueber die Erbſuͤnde haben die Perſer gleich-
falls mancherley und ſonderbare Meynungen;
denn ſie wollen es ſchlechterdings nicht zugeben,
daß Adam jene ſchaͤndliche Handlung verrichtet
habe, die alle Nachfolger zu Suͤndern gemacht
habe. Sie halten dieſes nur bloß fuͤr eine Ab-
weichung der Vollkommenheit: er habe das
Beſſere gelaſſen, und das weniger Beßre ge-
than. — Dieſe Meynung gruͤnden ſie dar-
auf, weil ſie glauben, daß Propheten nicht
ſuͤndigen koͤnnen. Nun aber ſey Adam ein
Prophet, alſo haͤtte er auch nicht ſuͤndi-
gen koͤnnen. — Ich will hier anfuͤhren,
wie die Perſer das, was wir Adamsſuͤnde zu
nennen pflegen, verſtehen. „Gott ſchuf, ſagen
ſie, den Adam, lange Zeit vor der Welt, im
vierten Himmel, und erlaubte ihm, von allen
Baumfruͤchten des Paradieſes, ohne Unter-
ſchied, zu eſſen. Er erhielt aber dabey den
Rath, daß er ſich nur einzig und allein an die
Baumfruͤchte halten, und keine Huͤlſenfruͤchte
genießen ſollte. Dieſe machten das Gebluͤt
dicke
[181] dicke, und verhinderten die Ausduͤnſtung, wel-
ches in der Folge einen uͤblen Geruch verurſa-
chen wuͤrde, und er alsdenn das Paradies verlaſ-
ſen muͤßte. Eva, welche, gleich ihrem Man-
ne, nicht ſuͤndigen konnte, achtete auf dieſen
Rath Gottes nicht: ſie aß auf Anſtiften des
Teufels Huͤlſenfruͤchte, und gab ihrem Manne
auch davon zu eſſen. Sie aßen ſich ſatt. Dieß
oͤfnete ihnen die Augen, und wurden ſogleich
durch den Engel Gabriel aus dem Himmel ge-
fuͤhrt. Nun, ſagen die Mohammedaner fer-
ner, war dieß keine Suͤnde, von den Fruͤchten
gegeſſen zu haben, denn es war ihnen nicht ver-
boten; allein es waͤre nur beſſer geweſen, wenn
ſie nicht davon gegeſſen haͤtten. Das Entbeh-
ren des Paradieſes des Adams und der Eva,
koͤnne nicht fuͤr einen Fall angeſehen werden,
denn ſie haͤtten nichts gethan, wodurch ſie ſich
daſſelbe haͤtten zuziehen koͤnnen. Die Urſache
alſo, warum Adam und Eva waͤren aus dem
Paradieſe gewieſen, ſey nur dieſe, damit ſie
einen heiligen Ort nicht zufaͤlligerweiſe beunrei-
nigen moͤchten.“
Man kann, an und fuͤr ſich genommen, kei-
ne laͤcherlichere Meynung von dem Falle Adams
gedenken, als dieſe iſt. Aber die Mohamme-
daner muͤſſen dergleichen erdenken, um ihren
Satz, daß die Propheten nicht ſuͤndigen koͤn-
nen, zu behaupten.
Laßt uns nun ſehen, was die Perſer von
der Auferſtehung, dem juͤngſten Gericht,
M 3dem
[182] dem Paradieſe und der Hoͤlle, fuͤr eine Mey-
nung hegen.
Die Mohammedaner glauben, wie wir,
daß die Menſchen aus ihrem Staube wieder
auferſtehen werden, um an jenem Tage vor
dem Throne des hoͤchſten Richters zu erſcheinen.
Allein ſie glauben nicht, daß ihr Koͤrper wird
verherrlichet werden: denn ſie ſagen, daß die
Auferſtehung den Koͤrper nur vervollkommne,
veraͤndere aber nicht ſeine Natur. Er ſey nicht
faul und ungeſtaltet, mit keinem Unflat be-
ſchwert. Sie gruͤnden dieſen Glauben auf die
Meynung, daß, ſobald man einem Koͤrper ei-
ne von ſeinen ſinnlich materiellen Eigenſchaf-
ten raubt, kein wahrer Koͤrper mehr ſey.
Die Perſer lehren, daß es ein beſonders
Gericht fuͤr die Erwachſenen gebe, welches
unmittelbar nach dem Tode gehalten wuͤrde.
Die Art deſſelben geſchehe folgender Geſtalt:
Sobald eine erwachſene Perſon geſtorben und
begraben ſey, und das beym Grabe ſtehende
Volk ſich wegbegeben habe; ſo komme die abge-
ſonderte Seele wieder zu dem Todten in das
Grab. Es erſchienen hierauf zwey Engel von
abſcheulicher Geſtalt, und fragten ihn, ob er
Glauben gehalten, ferner examinirten ſie ihn
uͤber die Einheit Gottes, hernach uͤber die
Sendung Mohammeds, endlich uͤber ſeine
Werke. Nach dieſem Examen, wuͤrde erſt der
Seele ihr Ort angewieſen. Denn, ſagen ſie,
ſo lange dieſe Unterſuchung der Engel mit dem
Ver-
[183] Verſtorbenen nicht vorgegangen ſey; ſo lange
irre die Seele herum. — Sie nehmen einen
beſondern Ort an, wo ſich die abgeſchiedenen
Seelen bis an den großen Gerichtstag auf-
hielten. An dieſem Orte verſammleten ſich die
Seelen aller Menſchen.
Die Perſer legen dem juͤngſten Gerichte
verſchiedene und abſcheuliche Namen bey. Sie
nennen es z. E. den Tag der gaͤnzlichen
Umkehrung. Sie ſagen, daß dieß Gericht
in Aſien nahe bey Mekke’, an einem Orte Na-
mens Mehcher wuͤrde gehalten werden. Die-
ſe Idee ruͤhrt auch noch von den Juden her,
weil dieſe vorgeben, daß dieß Gericht nahe bey
Jeruſalem ſeyn wuͤrde. Alle Vergehungen der
Menſchen wuͤrden aufgezeichnet, und das Gu-
te darneben geſtellt. Wenn dieß geſchehen;
ſo muͤßten alle Koͤrper uͤber eine Bruͤcke gehen,
unter welcher das ewige Feuer brenne. Die
Guten kaͤmen gluͤcklich heruͤber: die Boͤſen aber
fielen herein. Dieſe Bruͤcke nennen ſie das
dritte und letzte Examen, oder das letzte Ge-
richt, weil hier erſt die eigentliche Abſonderung
der Rechtſchaffenen von den Boͤſen vor ſich
gienge.
Das Paradies und die Hoͤlle halten die
Perſer nur fuͤr einen Ausruhungsort, wo we-
der Vergnuͤgen noch Mißvergnuͤgen Statt fin-
de: fuͤr einen Aufbe[w]ahrungsort ſolcher Leute,
die weder Gutes noch Boͤſes, aus Mangel na-
M 4tuͤr-
[184] tuͤrlicher Talente, als Kinder, Tolle — ge-
than haben.
II.Mohammed iſt der Geſandte Got-
tes: Dieß iſt der zweyte Artikel ihres Glau-
bensbekenntniſſes. Wir wollen hoͤren, wie ſich
die perſiſchen Gottesgelehrten uͤber dieſen Arti-
kel erklaͤren: „der Sinn des zweyten Stuͤcks
des Glaubensbekenntniſſes iſt, daß man glau-
be, Gott habe den Mohammed aus der Fami-
lie der Koreis — einen Mann ohne alle
Studien und Wiſſenſchaften, ſimpel und uner-
fahren — zu ſeinem Geſandten gemacht, daß
er, von Gott beſtimmt, der Herr aller Men-
ſchen ſey.“ Hiervon ſind ſie voͤllig uͤberzeugt.
Man kann dieß auch ſchon aus der unbeſchrei-
blichen Ehrerbietung ſchließen, die ſie gegen
den Mohammed aͤußern. Alles was man nur
Erhabenes denken kann, ſagen ſie von ihm: ja
dieſe Hochſchaͤtzung geht ſo weit, daß ſie ihn
uͤber alle Engel ſetzen. Sie fuͤhren deswegen auch
bey jeder Gelegenheit ſeinen Namen im Munde,
bitten ihn auch wohl gar um Verzeihung, wenn
ſie ihn in Ausdruͤcken nicht genug ehren ſollten.
III. Der dritte Artikel des Glaubensbe-
kenntniſſes der Perſer iſt dieſer: Aly iſt
der Vikar Gottes. Den Aly halten die
Perſer fuͤr den wahren Nachfolger Moham-
meds, und erkennen ihn in ihrem Glaubensbe-
kenntniſſe, nach dem Mohammed, fuͤr den fuͤr-
treflichſten Mann, der je gelebet habe. Die-
ſem Aly, ſo wie allen uͤbrigen zwoͤlf rechtmaͤßi-
gen
[185] gen Nachfolgern Mohammeds, ſchreiben die
Perſer eine faſt uͤbernatuͤrliche Gelehrſamkeit
zu. Sie ſchaͤmen ſichs nicht, ihm ſo gar goͤtt-
liche Vollkommenheiten beyzulegen.
IV. Die koͤrperliche Reinigung macht
den vierten Artikel ihres Glaubensbekenntniſſes
aus. Die Perſer beobachten in dieſem Stuͤcke
eine Strenge, die man faſt bey keiner Reli-
gionsparthey findet. Niemand darf in die
Moskee gehen oder im Koran leſen, wenn er
ſich nicht vorher gewaſchen hat. Der Koͤrper,
ſagen ſie, erſcheint, wenn man in den Tempel
geht, oder im Koran lieſt, vor Gott: er muß
alſo nothwendig, ehe er religioͤſe Dinge vor-
nehmen will, gereinigt ſeyn. Eine der groͤße-
ſten Beleidigungen, die man den Perſern an-
thun kann, beſteht darinn, wenn man ſie Ne-
gis oder Unreine, Beſchmutzte nennt.
V.Das Gebet. Die Mohammedaner
ſind gewis unter allen Voͤlkern diejenigen, die
am haͤufigſten zu Gott beten. Ihre Religion
ſchreibt ihnen auch ſehr genau die Zeit vor,
wenn ſie beten ſollen. Sie muͤſſen das Gebet
fuͤnfmal zu geſetzten Stunden verrichten. Das
erſte Gebet verrichten ſie zu Mittage, weil die
Mohammedaner von da an ihren Tag, nach
Art der Alten, rechnen; ſie nennen dieß Gebet
das Gebet des Zoor oder zu Mittage. Das
zweyte Gebet welches ſie Aſtre nennen, verrich-
ten ſie des Nachmittages, wenn die Sonne
fuͤnf und vierzig Grad vom Horizont herunter
M 5ge-
[186] geſtiegen iſt. Das dritte Gebet heiſſen ſie Na-
maz cheb oder Abendgebet, welches ſie alsdenn
verrichten, wenn ſie die Farben nicht mehr
von einander unterſcheiden koͤnnen. Das vier-
te Gebet, Namaz Coften oder Gebet beym
Schlafengehen. Das fuͤnfte Gebet, welches
ſie Namaz ſabah nennen, wird des Morgens
verrichtet. — Man ſieht wohl, daß eine ſolche
Chaine bey Verrichtung des Gebets, wenn ſie
gleich ſehr kurz ſind, ungemein laͤſtig ſeyn muͤſ-
ſe, zumal da ſie ſich darauf vorbereiten muͤſſen.
Allein, man hat ihnen dieß beſchwerliche Joch
auf dreyerley Art erleichtert. Erſtlich erlaubt
man ihnen zwey Gebete in eins zu ziehen, ſo,
daß aus fuͤnfen dreye werden. Das Morgenge-
bet wird allein verrichtet: das Mittags- und
Abendgebet wird zuſammen gezogen, ſo, wie
auch das Abendgebet, mit dem, wenn ſie zu
Bette gehen. Eben dieſe Erleichterung ma-
chen ſie ſich auch in Anſehung der Zeit. So
koͤnnen ſie z. E. das Morgengebet vier Stun-
den ſpaͤter verſchieben, als ſie es eigentlich ver-
richten ſollten. Allein die Geiſtlichen und
Scheinheiligen bedienen ſich dieſer Erleichterung
ſelten, und nur im aͤußerſten Nothfall.
VI.Das Allmoſengeben. Die Perſer
empfelen in ihren Reden und moraliſchen Buͤ-
chern das Allmoſengeben auf das nachdruͤcklich-
ſte. Und vielleicht findet man auch kein Volk,
das gegen Arme ſo mildthaͤtig iſt, als die Per-
ſer. Kein Land iſt aber auch mit mehrern Ar-
men
[187] men angefuͤllt als eben dieſes, vermuthlich,
weil ſich ein jeder auf das Betteln verlaͤßt. —
Die Derwiſche und Fakirs ziehen trupweiſe
herum, und fodern mit Ungeſtuͤm Allmoſen.
Dieß Herumziehen der Derwiſche macht die
Einwohner gegen Arme mitleidig, gefaͤllig,
und recht eigentlich menſchlich.
Die Allmoſen, welche die Derwiſche und
Fakirs ſammeln, werden zu Gebaͤuden zum ge-
meinen und oͤffentlichen Gebrauch angewendet,
zum Beyſpiel, zu großen Wirthshaͤuſern in
Staͤdten und an den Heerſtraßen, wo man fuͤr
nichts wohnen kann: ferner zu Bruͤcken, Schu-
len, Moskeen, Baͤdern. Man findet aber bey
ihnen keine Hospitaͤler fuͤr Invaliden, keine
Armenhaͤuſer, wo die Kranken bis zur Gene-
ſung gepflegt werden. Die Urſache hiervon
liegt wohl darinn, daß die Einwohner nicht
von ſo mancherley Uebeln behaftet werden, als
die Europaͤer, weil die Luft bey ihnen geſun-
der iſt.
VII.Das Faſten. Die Obſervanz des
Faſtens wird von den Mohammedanern eben
ſo genau und puͤnctlich beobachtet, als die Rei-
nigung und das Gebet. Die Lehrer ihrer Re-
ligion empfelen die Nothwendigkeit des Faſtens
mit eben dem Nachdruck, als die Nothwendig-
keit des Gebets. Das Faſten, ſagen ſie, iſt
die Thuͤr und Eingang zur Religion.
Ein jeder Menſch, der waͤhrend des Fa-
ſtens ſtirbt; geht ſicher in das himmli-
ſche
[188]ſche Paradies ein. Ihre Prieſter verſichern
auch noch mit der groͤßeſten Gewißheit, daß
ſich beym Anfang des Faſtens, welches den
ganzen Monath Ramanzan hindurch waͤhrt,
die Pforten des Paradieſes oͤfneten, und die
Hoͤlle ſich fuͤr einen jeden, von ihrer Religion,
zuſchloͤße.
Die perſiſchen Theologen definiren das Fa-
ſten als eine Enthaltung aller Arten von Spei-
ſen, und aller Arten fleiſchlicher Beruͤhrung:
und zwar vom Anbruch des Tages bis zur ſpaͤ-
ten Nacht. Sie unterſcheiden dreyerley Arten
von Faſten, welche alle genau muͤſſen beobach-
tet werden, um die Faſtenzeit wuͤrdig zu zu-
bringen. Die erſte Art von Faſten beſtehet,
wie ich bereits geſagt habe, in Enthaltung der
Speiſen und fleiſchlichen Beruͤhrungen. Die
zweyte beſtehet in der Enthaltung von der Suͤnde.
Die dritte darinnen, ſich aller zeitlichen Sor-
gen und Bekuͤmmerniſſen des Lebens zu enthal-
ten. — Die perſiſche Religion ſchreibt aus-
druͤcklich keine andere Faſttage vor, als die im
Monathe Ramazan, ob ſie gleich uͤberhaupt
das Faſten bey verſchiedenen Gelegenheiten be-
fielt.
Die Perſer koͤnnen keine gegruͤndete Urſa-
chen davon angeben, warum Mohammed
das Faſten im Monathe Ramanzan feſtgeſetzt
habe. Einige geben vor, daß es Mohammed,
bey der Gelegenheit, wie er ſich den arabiſchen
Goͤtzendienern widerſetzte, angeordnet habe.
An-
[189] Andere halten dafuͤr, Mohammed habe es
deswegen in dem Monathe Ramazan feſtgeſetzt,
weil Gott das Faſten zu einer Zeit, da die Hitze
am groͤßeſten waͤre, am angenehmſten und
wohlgefaͤlligſten ſey.
Wir wollen einiges von der Feyer der Fa-
ſten erzaͤhlen. — Der Anfang der Faſtenzeit
wird durch die Moazen oder heiligen Ausru-
fer von den Thuͤrmen der Moſkeen als die
wichtigſte Neuigkeit angekuͤndiget. Das Volk
antwortet hierauf mit einem Freudengeſchrey,
zuͤnden uͤberall Lichter an, (das Feſt nimmt des
Abends, nach Sonnenuntergang ſeinen An-
fang.) In der Beobachtung der Faſten findet
man eben nichts Unangenehmes, beſonders kom-
men ſie ſolchen gar nicht ſtrenge vor, welche
ſich jederzeit bemuͤhet haben, den Geſetzen ge-
maͤß zu leben. Ihre vornehmſten Beſchaͤfti-
gungen zu ſolchen Zeiten, beſtehen groͤßeſten
Theils im Beten, in Leſung des Korans und
andrer geiſtlichen Buͤcher. Sie halten ſich
ſo viel als moͤglich zu Hauſe, und man ſieht
in der Faſtenzeit nicht die Haͤlfte von Menſchen
auf den Straßen, als außer der Faſtenzeit.
Des Nachts aber ſind dagegen die Straßen
ſehr volkrcich, die Butiken ſehr beſetzt und
erleuchtet.
VIII. Der einzige und zugleich der vor-
nehmſte Ort, nach welchem die Mohammedaner,
ihren Geſetzen gemaͤß, wallfarthen muͤſſen, iſt
Mekka. Von Mekka reiſen ſie gewoͤhnlich
nach
[190] nach Medina, das Grabmal des Mohammeds
zu beſuchen. Dieß geſchieht aber nur bloß aus
Hochachtung gegen Mohammed. Es iſt ihnen
gar nicht befohlen dieſe Reiſe zu thun: es giebt
ſo gar einige beruͤhmte Lehrer unter ihnen, wel-
che daran zweifeln, ob es erlaubt ſey nach Me-
dina zu wallfarthen, und wollen dieſes aus
einer Stelle des Korans erklaͤren. Indeſſen
kehren ſich doch die Pilgrimme hieran nicht. —
Von Medina nehmen die perſiſchen Pilgrimme
ihren Weg gegen Bagdad, und beſuchen un-
ter Wegens die Grabmale ihrer Imans, wel-
che zu Bakie’, Helle’ und zu Kerbella nahe bey
Bagdad zu ſehen ſind.
Wenn ſie von der Reiſe wieder zuruͤck ge-
kommen ſind; ſo empfinden ſie ſo wohl als ihre
Anverwandten ein großes Vergnuͤgen daruͤber:
es vergehen einige Wochen, ehe ſie mit ihrem
Beſuch ablegen und annehmen fertig ſind. —
Das Wallfarthen hat eigentlich nicht den ge-
ringſten Nutzen: ſie werden dadurch auf keine
Art gebeſſert; man bemerkt im Gegentheil, daß
ſie entweder als Heuchler oder mit den ſchlechteſten
Geſinuungen zuruͤckkommen.
Wir finden dies fuͤr hinlaͤnglich, um im
Stande zu ſeyn, ſich von der Religion der
Perſer einige richtige Begriffe zu machen.
[[191]]
Chineſer.
[[192]][193]
Erſtes Kapitel.
Bemerkungen uͤber den Character, Sitten
und Gebraͤuche der Chineſer.
Kenner der Geſchichte wiſſen es, mit wel-
cher veraͤchtlichen Miene die alten Chi-
neſer alle uͤbrige Voͤlker des Erdbodens
zu betrachten pflegten: wie viele Vorzuͤge ſie
ſich in Anſehung ihres Alterthums, ihrer Ar-
tigkeit, Weisheit und Gelehrſamkeit vor an-
dern Nationen beylegten: mit welchem Stolze
ſie Menſchen aus andern Voͤlkern fuͤr rohe
Wilde, fuͤr Ungeheuer erklaͤrten, die zwar eine
menſchliche Geſtalt haͤtten, denen es aber an
Verſtande und andern Vorzuͤgen fehle. Aus
dieſen und noch andern Gruͤnden haben ſie, in
den aͤltern Zeiten von jeher die Maxime heilig
beobachtet, ſich mit andern Voͤlkern nur in ſo
fern abzugeben, als ſie ihr Intereſſe dabey faͤn-
den. — Sie hielten ſich ſelbſt fuͤr Lieblinge
des Himmels — fuͤr Bewohner eines Landes
im Mittelpunct der Erde — fuͤr das groͤße-
ſte und unuͤberwindlichſte Volk. Sie glaub-
ten, alle andere Menſchen lebten auf kleinen
Inſeln, und koͤnnten nichts als Auswuͤrfe, in
den aͤußerſten Enden der Erde, und Schlacken
der Natur ſeyn. Magaillan berichtet uns,
daß die alten Chineſer, auf ihren Landchar-
Nten,
[194] ten, die uͤbrigen Erdbewohner mit ſo ſcheußlichen
Farben characteriſirt, daß ihrer Nation aller-
dings dadurch ein Ekel und Verachtung gegen
andere haͤtte bengebracht werden muͤſſen. Zu
dieſer uͤbertriebenen Meynung von ſich ſelbſt, trug
fuͤrnehmlich auch die gar zu große Hochachtung,
welche die Tatarn, Indianer, Perſer gegen die
Chineſer bewieſen, und dann auch die Unbe-
kanntſchaft mit den von ihnen weit entfernten
Nationen ſehr viel bey. Es kam ihnen an-
fangs auch auffallend genug vor, in den zu ih-
nen kommenden Europaͤern, Menſchen zu er-
kennen, die ihnen an Politeſſe, Cultur des Gei-
ſtes wenig oder nichts nachgaben. Und man
kann auch wirklich behaupten, daß die Chine-
ſer, nachdem ſie mit den Europaͤern genauer
bekannt wurden, einen ſehr großen Theil von
ihrem Eigenduͤnkel abgelegt haben. *)
Man
[195]
Man muß indeſſen geſtehen, daß die alten
Chineſer, bey allen ihrem Stolze und Uebermu-
the, dennoch mit glaͤnzenden Eigenſchaften ver-
ſehen waren, die ſie fuͤr die damaligen Zeiten,
noch immer ehrwuͤrdig genug machen. Man
erkennt noch immer in ihnen, wenn man ihre Ge-
ſchichte lieſt, den Geiſt eines weiſen, klugen und
verſchlagenen Volks, das gute und zum Theil
richtige Begriffe von Staatskunſt beſaß; deſſen
Geſetze das wahre Wohl des allgemeinen Beſten
zur Hauptabſicht hatten, und fuͤr deren Beob-
achtung ſie eben ſo redliche Hochachtung, als
natuͤrliche Neigung hatten. Ich halte daher
die Meynung derer, welche dieß alte Volk zu
ſehr erheben, und dann auch zu ſehr erniedri-
gen, fuͤr zu uͤberſpannt, und die goldene Mit-
telſtraße verfehlt.
Der Geiſt der neuern Chineſer hat noch
immer viel Eigenthuͤmliches von den Alten an
ſich. Sie beweiſen eben die Munterkeit, Fleiß,
Geſchaͤfftigkeit in allen Angelegenheiten: eben
die Traͤgheit in den hoͤhern Wiſſenſchaften und
ſolchen Dingen, welche anhaltende Anſtrengun-
gen der Geiſteskraͤfte erfordern: eben die be-
wundernswuͤrdige Geduld in Sachen, die we-
nig Kopf verlangen, hauptſaͤchlich aber an
Handarbeiten, ſie moͤgen entweder den Nutzen
oder das Vergnuͤgen zur Hauptabſicht haben.
An Scharfſinn und witzigen Einfaͤllen ſind ſie
vorzuͤglich reich: nur Schade, daß ihre er-
zwungene Ernſthaftigkeit uͤble Eindruͤcke hinter
N 2ſich
[196] ſich laͤßt. — Ihr gefaͤlliges Betragen gegen
Fremde iſt groß: aber noch groͤßer gegen ſolche
Perſonen, die mit ihnen Handel treiben wollen.
Man kann es ſich in der That nicht arg genug
vorſtellen, mit welch einer Eiferſucht und Miß-
trauen die Chineſer diejenigen behandeln, die
mit ihnen Commerz treiben. Ja ihr Miß-
trauen geht oft ſo weit, daß ſie den tollen Ent-
ſchluß faſſen, einige derſelben in die andere Welt
zu ſchicken. Betrifft es aber einen ſolchen
Handel, bey dem ſie ſichtbaren Profit haben;
ſo wiſſen ſie ſich ſo gut in die Geſinnungen
und Denkart ihrer Kaͤufer zu verſetzen, daß ſie
dieſe auf das angenehmſte bey allen Gelegen-
heiten zu unterhalten ſuchen. Aber bey allem
dem liegt doch ihr Intereſſe zum Hauptgrunde.
Wer ſich auf einen chineſiſchen Kaufmann ver-
laͤßt, ſteht auch in Gefahr entweder verlacht
oder betrogen zu werden. Angethane Beleidi-
gung oder Beſchimpfungen koͤnnen, nach ihrem
Character, nicht ungeraͤchet bleiben. Sie
ſchlagen ſich nicht, oder uͤben gegen einander
Feindſeligkeiten aus: ſondern derjenige, wel-
cher beleidigt iſt, wartet auf eine ſchickliche Ge-
legenheit, ſeine Rache auf den erdenklichſten
Grad der Vollkommenheit ausuͤben zu koͤn-
nen.
Ich habe vorhin erwaͤhnt, daß die Chine-
ſer in Anſehung ihres Characters jederzeit in eine
gewiſſe Ernſthaftigkeit ausarten. Es ſcheint
daher gewiſſermaßen verwundernd zu ſeyn, wie
ſich
[197] ſich dieſe Ernſthaftigkeit mit ihren uͤbertriebe-
nen Cerimonien reimen laſſe. Allein die Sa-
che laͤßt ſich leicht verſtehen, wenn man das
Wort Ernſthaftig richtig verſteht. Sagt man
alſo: die Chineſer verbinden mit einer großen
Schalkheit und Hinterliſtigkeit faſt unnatuͤrliche
Cerimonien und Komplimente; ſo iſt es fuͤr unſre
Denkungsart erklaͤrbar. — Wir wollen hier
einige Zuͤge von ihrem Cerimoniel im geſelligen
Umgange anfuͤhren.
Wenn ſich zwey Perſonen von gleichem
Stande auf den Straßen oder irgendwo ein-
ander begegnen; ſo begruͤßen ſie ſich, indem ſie
die eine Hand auf die Bruſt legen, und mit dem
Kopfe eine Verbeugung machen. Gegen eine
vornehme Perſon beobachten ſie auch ein vor-
nehmeres Cerimoniel. Denn anſtatt, daß ſie
fuͤr ihres Gleichen eine Hand auf die Bruſt le-
gen, und mit dem Kopfe eine Verbeugung
machen: legen ſie alsdann beyde Haͤnde auf die
Bruſt, und machen mit dem ganzen Koͤrper ei-
nen tiefen Reverenz. Der Geringere muß dem
Vornehmern bey jeder Gelegenheit deutliche
und ſichtbare Zeichen der Ehrerbietigkeit erwei-
ſen. Er muß, wenn er dieſen beſucht oder mit
ihm redet, ein Knie beugen, und in dieſer Stel-
lung ſo lange verbleiben, bis ihm der Vorneh-
me gerade zu ſtehen befielt. Eine gleiche Accu-
rateſſe beobachten ſie auch in Anſehung des
Ranges bey ihren Beſuchen. Sie durchweben
ihre Zuſammenkuͤnfte mit vielen Leibesbewe-
N 3gan-
[198] gungen und Ceremonien: ſind aber in ihren
Anreden und Komplimenten ziemlich lako-
niſch.
Aber dieſe Komplimentir ſucht erſtreckt ſich
nicht bloß auf Fremde und Vornehme, ſon-
dern auch auf Anverwandte und Freunde. *)
— Das erſte, was der Wirth ſeinen Gaͤſten
vorſetzt, pflegt der Thee zu ſeyn, bey deſſen Ein-
gießen, Ueberreichen u. ſ. w. die gehoͤrigen Ce-
rimonien nie vergeſſen werden. Eben dieſe wer-
den auch alsdann beobachtet, wenn man ſeine
Gaͤſte mit einer Pfeife Taback tractirt. Am
allerbeſchwerlichſten und zugleich auch am ab-
geſchmackteſten ſind die Komplimente, welche
ſowohl beym Empfang, als beym Abſchieds-
nehmen beobachtet werden. Allein alle dieſe
Umſtaͤnde fallen den Chineſern gar nicht be-
beſchwer-
[199] ſchwerlich, und ſehen es ſehr ungerne, nehmen es
auch wohl gar uͤbel, wenn in den Komplimenten
irgend etwas verſehen wird. Doch wirds un-
ter guten Freunden ſo genau nicht genommen.
Bey feierlichen und foͤrmlichen Beſuchen, wo
viele Perſonen ſich verſammlet haben, muß ein
Freund dem andern die gehoͤrigen Reverenzen
machen.
Die Hoͤflichkeit und das Komplimenten-
machen, beſchaͤfftigt den groͤßten Theil ihrer Er-
ziehung. — Sie haben beſondere Buͤcher,
die in einer deutlichen und guten Ordnung alle
Stuͤcke der Hoͤflichkeit nach einem jeden Stan-
de in ſich enthalten: ſo daß ein jeder hierinn weiß,
was er zu thun oder zu laſſen habe. – Dem
Auslaͤnder. pflegt man es eben nicht ſo uͤbel
zu nehmen, wenn er in ſeinen Komplimenten
den rechten Punkt verfehlt. Angenehmer und
der Geſellſchaft willkommener iſt er aber, wenn
er ſich in dieſem Stuͤcke ihren Sitten ſo ſehr
naͤhert, als er nur kann. Daher pflegen ſich
die auslaͤndiſchen Geſandten, ehe ſie ſich oͤffent-
lich ſehen laſſen, einen Cerimonienmeiſter anzu-
nehmen, und ſich in allen noͤthigen Stuͤcken un-
terrichten zu laſſen: und ſollte es der Cerimo-
nienmeiſter etwa, auch nur in dem geringſten
Stuͤcke, verſehen haben; ſo laͤuft er Gefahr
von dem Cerimonien-Tribunale ernſtlich geſtraft
zu werden.
Alle Komplimenten, die wir fuͤr laͤcherlich,
verdrießlich und unnuͤtz halten, ſtehen bey ihnen
N 4in
[200] in großem Werthe. So wuͤrde es uns z. E.
ſehr ſonderbar vorkommen, wenn uns unſer
Beſuch, beym Weggehen, wenigſtens eine hal-
be Stunde mit leeren Komplimenten auf halten
wollte. Aber bey den Chineſern ſind das noth-
wendige Erforderniſſe! Der Hausherr pflegt, bey
ihnen, ſeinen Gaſt vor die Thuͤre zu begleiten,
und wuͤnſcht ihn zu Pferde ſitzen zu ſehen.
Der Gaſt hingegen wuͤnſcht lieber, daß Him-
mel und Erde eher vergehen moͤchten, als ſich
vor ihm aufſetzen zu muͤſſen Wenn nun der
Hausherr nichts ausrichten kann; ſo begiebt
er ſich auf einen Augenblick weg, kehrt aber ſo
gleich zuruͤck ſo bald er glaubt, daß ſich ſein
Gaſt aufs Pferd geſetzt habe. Dieß giebt denn
wieder zu neuen Umſtaͤnden die beſte Gelegen-
heit. Endlich, wenn der Fremde einige Zeit
fort iſt; ſo wird ihm auch manchmal ein Be-
dienter nachgeſchickt, der ihn nochmal von Sei-
ten ſeines Herrn bekomplimentiren muß. Die-
ſe Hoͤfl[i]chkeitsbezeugung geht wie Du Halde
verſichert, bey den Kaufleuten ſonderlich im
Schwange, zumal, wenn ſie ihren Gaſt mit gu-
ter Manier haben betruͤgen oder vervortheilen
koͤnnen.
In Anſehung der Geſtalt, Farbe und Ge-
ſichtsbildung ſind die Chineſer von einander
ſehr verſchieden. Und dieß iſt auch in einem Lan-
de ſehr natuͤrlich, wo das Klima von ſo man-
cherley Temperatur iſt. So ſind z. E. die mit-
ternaͤchtlichen Einwohner des Landes ſo ſchoͤn,
wie
[201] wie man ſie nur irgend wuͤnſchen kann; den
mittaͤglichen hingegen, ſieht man es ohne Muͤ-
he an, was die Sonnenhitze auf ihren Koͤrper
vermag: ſie ſind braun und beynah ſchwarz.
Doch aber kann man dieſes nur von ſolchen
verſtehen, welche der Sonnenhitze, vermoͤge ih-
rer Geſchaͤffte, ausgeſetzt ſind. Denn die Vor-
nehmen und ſonderlich das Frauenzimmer,
(welches ſich ſelten ſehen laͤßt) haben eine ſchoͤ-
ne und weiſſe Haut, ſo daß man ſie kaum von ei-
nem mitternaͤchtlichen Bewohner Chinas un-
terſcheiden kann. Schlanke, junge, raſche Ker-
le ſtehen bey dem Chineſiſchen nicht in dem An-
ſehen, wie bey unſerm europaͤiſchen Frauenzim-
mer. Sie ſehen es gerne, wenn ſie einen di-
cken, feſten und unterſetzten Koͤrper haben.
Sie haben faſt durchgaͤngig kurze und platte
Naſen, ſchwarze Augen und Haare. Ein
Mann von mittler Taille, großer Stirne, klei-
nen Augen und Munde, platter Naſe und
langen Ohren, ſtarken Gliedern, dickem Bauche
und ſtarker Stimme, — iſt ein Muſter eines
vollkommnen Mannes, und iſt zu allen Aemtern
faͤhig. Mit den Weibern hat es in den mei-
ſten Stuͤcken eben dieſe Bewandniß. Sie ſind
faſt durchgaͤngig ſchoͤn, haben kurze Naſen,
ſchwarze Augen, und uͤberhaupt eine gute
natuͤrliche Farbe des Geſichts. Sie wuͤrden
unſtreitig uͤberaus ſchoͤn ausſehen, wenn ſie
nicht die uͤble Gewohnheit haͤtten ihre Geſich-
ter, aus allzugroßer und uͤbertriebener Sorge,
N 5fuͤr
[202] fuͤr eine verdaͤchtige Perſon gehalten zu wer-
den, mit einer weiſſen Schminke zu uͤbertuͤn-
chen, wodurch ihre Geſichter in der Folge eben
die Runzeln bekommen, wie man es gemein-
hin an unſern Hofdamen u. ſ. w. ſieht. —
Man pflegt ihnen ſchon in ihrer zarten Ju-
gend die Fuͤße ſtark zu binden, und das Wachs-
thum derſelben zu hemmen. Denn kleine
Fuͤße machen die groͤßte Zierrath des Frauen-
zimmers aus. Sie ſehen die Unbequemlich-
keit hiervon ſehr gut ein: aber die Macht der
Erziehung hat ſie ſo gefeſſelt, und die Mode ſo
tyranniſirt, daß ſie ſich gerne alles gefallen laſ-
ſen, und ſich allen Uebeln ausſetzen. Sie ſind
uͤberhaupt ſo eitel, daß ſie, ſo wie das euro-
paͤiſche Frauenzimmer, den Morgen einige
Stunden lang mit ihrem Putze vertaͤndeln. —
Wenn man fragt, woher die Gewohnheit der
Chineſer in Anſehung der kleinen Fuͤße? ſo
kann man darauf nicht mit Gewißheit ant-
worten. Einige ſind der Meynung, der Ur-
ſprung dieſer ſonderbaren Gewohnheit ſey da-
her gekommen, um das Frauenzimmer mehr
im Zaum, in guter Ordnung erhalten zu koͤn-
nen. Vielleicht aber koͤnnte man mit mehre-
rer Wahrſcheinlichkeit ſagen, daß die Chineſer
die Abſicht dabey moͤgen gehabt haben, um die
Begierde des Herumlaufens dadurch zu vermin-
dern, und daß das beſchwerliche Gehen ihre Ein-
kerkerung erleichtern moͤchte.
Was
[203]
Was die Kleidung des chineſiſchen Frauen-
zimmers betrift; ſo muß man eingeſtehen, daß
ſie anſtaͤndig ſey, und nicht die geringſte Spur
von Ausgelaſſenheit verrathe. Ihren Kopf be-
haͤngen ſie mit nichts weniger als Flitterwerk
uud den gewoͤhnlichen Unſchicklichkeiten: ſondern
ſie flechten ihre Haare, durchweben ſie auch oft-
mals mit Silber- oder Goldblumen, welches
eine ſehr gute Wirkung thut. Gegen Norden zu
haben ſie ſchon eine ganz andere Mode unter
ſich eingefuͤhrt. Da flechten ſie zwar ihre Haa-
re, aber ſie tragen noch uͤber der Flechte eine ſei-
dene oder wollene Kappe. – In den guten Ge-
maͤhlden vornehmer Chineſerinnen findet man
ſehr ſchicklich auf ihren Koͤpfen eine Art von
Krone, die gemeiniglich mit Diamanten, Per-
len und andern theuern Sachen beſetzt ſind,
angebracht. Die alten Matronen tragen, ſtatt
dieſes Putzes, ein Stuͤck feiner Seide um den
Kopf, welches ſie verſchiedentlich um denſel-
ben herumwinden koͤnnen. Was uͤbrigens die
Reiſebeſchreiber hin und wieder von der Man-
nichfaltigkeit und Pracht des Kopfputzes ſagen,
iſt theils zu uͤberſpannt, theils aber auch voͤllig
unrichtig. So viel iſt richtig, daß ſie ſich ger-
ne putzen: aber ihr Putz iſt bey weitem nicht
mit ſo vielen Koſten verbunden, wie etwa bey
uns. — Sie tragen gewoͤhnlich ein laͤngliches
Kleid, das ſie in der Mitte mit einem Gurte
zu binden. Das junge Frauenzimmer waͤhlt
ſich gemeinlich eine gruͤne, rothe oder eine an-
dere
[204] dere beliebige Farbe. Alle Theile ihres Koͤrpers
halten ſie bedeckt, theils durch dichte Anſchlie-
ßung ihrer Kleider, theils aber auch durch
Huͤlfe ihrer Schleier. Ueber den Kleidern ha-
ben ſie noch einen großen und weitlaͤuftigen
Umhang. Im Ganzen genommen, muß man
ihre Art, ſich zu kleiden, loben, weil ſie ihren
Koͤrper auf eine anſtaͤndige Weiſe damit be-
decken.
Die Kleidungsart der Mannsperſonen ſchi-
cket ſich zu ihrer affectirten Ernſthaftigkeit auch
ſehr gut. Auf dem Kopfe tragen ſie eine Kap-
pe, und ihr Geſicht ſchuͤtzen ſie vor der allzu-
ſtarken Sonnenhitze, mit einem Schirm, den
ſie immer mit ſich fuͤhren. Sie beſcheren ihren
Kopf, ſo daß ſie weiter nichts als einen Haar-
zopf uͤbriglaſſen, den ſie flechten, und ihn herunter
hangen laſſen; oder ſie ſtecken ihn auch wohl un-
ter ihre Muͤtzen. Ihre Muͤtzen ſind von Seide
und gemeiniglich von großem Werthe. Die
Kleider ſind ziemlich weit gemacht und unſern
Rockeloren in dieſem Stuͤcke ſehr aͤhnlich. Im
Sommer gehen ſie leichter gekleidet, wie im
Winter. Mitten um den Leib haben ſie einen
Guͤrtel, an welchem ein Beutel haͤngt, wor-
inn ſie ihre Pfeifen, Toback, Schnupftuͤcher u.
ſ. w. aufbewahren. Wenn ſie im Regenwet-
ter eine Reiſe vornehmen muͤſſen, ſo haben ſie
ein gewiſſes Oehl, womit ſie ihre Kleider ſchmie-
ren, welches gar nicht ſchaͤdlich iſt.
In
[205]
In Anſehung des Eſſens und Trinkens,
ſind die Chineſer mehr oder weniger nach eines
jeden Umſtaͤnden, verſchwenderiſch. Koͤmmt es
darauf an eine Geſellſchaft zu ſpeiſen; ſo wen-
den ſie alles auf, was ſie in ihrem Vermoͤgen
haben. Die Verſchwendung bey den Gaſtereien
iſt in der That ganz unglaublich. Dagegen aber
ſind ſie nicht ſo geſinnt, wenn ſie allein ſpeiſen.
Ein Gericht Pferdefleiſch — welches zu den
groͤßeſten Delicateſſen gehoͤrt — Heuſchrecken,
Ratten, Schlangen, ſchmeckt ihnen ſehr gut.
Faſt alle Speiſen werden bey ihnen, ſchon in
kleine Stuͤcke geſchnitten, auf den Tiſch ge-
bracht. Meſſer, Loͤffel und Gabel ſind Dinge
die ſie nicht gebrauchen: dagegen aber bedienen
ſie ſich bey ihrem Speiſen zwey kleiner Spießgen,
womit ſie die Speiſen auf eine geſchickte Art
wiſſen anzuruͤhren. Sehr ſonderbar und wider
allen Gebrauch der Morgenlaͤnder, iſt es, daß
die Chineſer ſich nicht auf die Erde ſondern auf
hohe Stuͤhle ſetzen. — Ein jeder Gaſt hat
vor ſich einen kleinen Tiſch ſtehen, worauf ei-
nige Schuͤſſeln geſetzt ſind, je nach dem das Trak-
tament groß oder klein ſeyn ſoll. — Ueber Ti-
ſche pflegen ſie gewoͤhnlicherweiſe Thee zu trin-
ken. Dieſer muß aber ſehr heiß ſeyn, wenn
er ihnen ſchmecken ſoll. Ueberhaupt muß man
wiſſen, daß die Chineſer warm trinken und
kalt eſſen. Des Weins enthalten ſie ſich nach
ihren Geſetzen: dagegen aber halten ſie ſich durch
ein anderes Getraͤnke ſchadlos, welches faſt eben
ſo
[206] ſo ſtark, wenigſtens ſchaͤdlicher als der Wein iſt.
Dieſe Getraͤnke beſtehen meiſtentheils aus Brant-
wein, wodurch ſie ſo viel Korn verbrauchen,
daß ſie oft an demſelben Mangel leiden. Man
haͤlt zwar ſehr ſtrenge darauf, daß durch das
Brantweinbrennen nur die beſtimmte Quanti-
taͤt verbraucht wird: indeſſen aber laſſen ſich
die Mandarinnen und andere daruͤber geſetzte
Perſonen ſehr leicht beſtechen. *)
Es iſt itzt Zeit, daß wir von den beſon-
dern und merkwuͤrdigſten Gebraͤuchen bey feyer-
lichen Gelegenheiten reden. — Die Hochzeiten
werden bey ihnen mit ſo vieler Pracht und Auf-
wande vollzogen, daß man kaum ein Land dar-
ſtellen wird, welches China in dieſem Stuͤcke
uͤbertraͤfe. Braut und Braͤutigam werden ge-
meiniglich ein Paar, ohne ſich vorher geſehen
zu haben. Eine Mode, die ſie mit den Per-
ſern gleich beobachten. Die Heyrathen werden
durch Unterhaͤndler geſchloſſen und von Seiten
der Braut und des Braͤutigams durch gegen-
ſeitige Geſchenke beſtaͤtiget. Das junge Paar
darf ſich eher nicht ſehen, bis die Eltern und
Verwandte den Ehecontract unterzeichnet ha-
ben. Wenn das geſchehen; ſo wird die Braut
mit vielem Pomp zum Braͤutigam gefuͤhrt. Die
gan-
[207] ganze Begleitung iſt praͤchtig gekleidet. Der
Seſſel, in welchem ſie ſitzt, iſt ſehr gut ver-
wahrt und ein Bedienter, von gepruͤfter Treue,
behaͤlt den Schluͤſſel zur Thuͤr, den er dem
Braͤutigam eigenhaͤndig uͤberreicht. Sobald
der ganze Zug angekommen, der Bediente dem
Braͤutigam den Schluͤſſel abgegeben, und die-
ſer den Seſſel oͤffnet; ſo fuͤhrt er ſeine Braut —
im Fall ſie ihm gefaͤllt — in einen großen Saal,
wo ſie einige Zeit mit Komplimentenmachen zu
thun hat, und der uͤbrige Reſt des Tages wird
mit Freuden und Schmauſen geendiget. In
Anſehung der Dauer eines Hochzeitfeſtes rich-
tet man ſich allemal nach den Umſtaͤnden der Per-
ſonen. Nach der Hochzeit wird der Frau ein
Zimmer angewieſen, wo ſie alles Umgangs be-
raubt, und nur dann und wann ihren Vater
zu ſehen bekommt.
Nach den Geſetzen in China darf ein Mann
nur eine Frau haben; darf ſich aber ſo viele
Beyſchlaͤferinnen halten, wie er will und zu er-
halten vermoͤgend iſt. Wenn ein Chineſer eine
Concubine zu ſich in ſein Haus nimmt; ſo er-
haͤlt ſie eine ſchriftliche Verſicherung, daß ihr
der Hausherr die ausgemachte Summe richtig
bezahlen und artig begegnen wolle. Die rechtmaͤ-
ßige Frau aber behaͤlt doch immer die Ober-
herrſchaft uͤber ſie und uͤber die, von der Con-
cubine etwa gezeugten Kinder, und werden die-
ſe von ihr als ihre eigene Kinder angeſehen. —
Wenn der Mann oder Frau ſtirbt, ſo ſteht es einem
jeden
[208] jeden Manne frey ſich wieder zu verheyrathen. Der
Mann kann ſich nach Belieben eine von ſeinen
Beyſchlaͤferinnen nehmen. Dieſe zweyte Ver-
heyrathung iſt nicht mit ſo vielen Cerimonien
verbunden. – Die vornehmern Wittwen hal-
ten es fuͤr erniedrigend, wenn ihr Mann ge-
ſtorben iſt, nochmals zu heyrathen: allein Per-
ſonen von geringem Stande haben hierinn ganz
andere Maximen, wenn es gleich oftmals we-
gen des niedrigen Geitzes des Verſtorbenen zu
ihrem Nachtheile geſchiehet.
Kein Stand iſt fuͤr das chineſiſche Frauen-
zimmer betruͤbter als der Eheſtand. Sie wer-
den von ihren Maͤnnern oftmals ſehr hart und
grauſam behandelt, eingeſperrt, als Sclavin-
nen tractirt: ſtehen immer in Gefahr mit ſammt
ihren Kindern verkauft zu werden. *) Sie muͤ-
ßen — wenn der Mann geſtorben iſt — eine
lange Trauer beobachten und ſich entweder ganz
der Einſamkeit uͤberlaſſen, oder ſich oͤffentlich
verkaufen laſſen. Der einzige Troſt, der ihnen
in allen Faͤllen uͤbrig bleibt, iſt, daß ſie ſich nach
den Ge[ſ]etzen wieder verheyrathen koͤnnen.
Das Leichenbegaͤngniß wird bey den Chi-
neſern mit großer Pracht gefeyret. Hierzu
traͤgt hauptſaͤchlich die große Hochachtung ſehr
viel bey, welche das Volk gegen ihre verſtorbe-
ne Anverwandte und Freunde beweiſet. — Ge-
meiniglich dauerte, nach ihren alten Geſetzen,
die
[209] die Trauerzeit, fuͤr Vater und Mutter, drey
Jahre lang. *) Dieſe Zeit iſt in der Folge auf
zwey und ein Vierteljahr herunter geſetzt: aber
ſie laſſen ſich doch lieber die Strenge der alten
Geſetze gefallen, und bringen die ganze Zeit
ſehr mißvergnuͤgt zu. — Die Frau muß fuͤr ih-
ren Mann 3 oder 2 und ein Vierteljahr lang trau-
ern, und der Mann fuͤr ſeine verſtorbene Frau
ein Jahr. Allein die Zeichen der Trauer brau-
chen auch nicht in der beſtimmten Zeit abgelegt
zu werden: ſondern man kann ſeinen verſtorbe-
nen Freunden jaͤhrliche Leichenbegaͤngniſſe halten
und ſie fortſetzen. Dieſe Leichenbegaͤngniſſe er-
ſtrecken ſich auch ſo gar bis auf die Großvaͤter,
und ſie beſuchen ihre Graͤber mit den groͤßeſten
Zeichen der Traurigkeit. Dieſe Hochachtung
gegen ihre Verſtorbenen, gruͤndet ſich bloß dar-
auf, weil ſie nemlich zuverſichtlich glauben,
daß die Seelen der Verſtorbenen immer gegen-
waͤrtig ſind — wenn ſie ſie gleich nicht ſehen
koͤnnten, — daß ſie alle Handlungen ſehen,
und dieſe entweder billigten oder verwuͤrfen,
belohnten oder beſtraften. Dieſe Meinung bringt
den guten Nutzen hervor, tugendhaft zu ſeyn,
und der Laſter ſich zu enthalten. —
ODie
[210]
Die Leichencerimonien werden bey den Rei-
chen mit eben der Pracht vollzogen als die Hoch-
zeitscerimonien. Das groͤßte Aufſehen bey ſol-
chen Gelegenheiten macht der gewoͤhnlich große
Zug, den die Bonzen und andere Prieſter for-
miren. Der Leichnam wird in einen Sarg, mit
weiſſem Damaſt oder anderm weiſſen ſeidenen
Zeuge bedeckt, gelegt. *) Man bemerkt ge-
meiniglich auf dem Sarge das Wappen der Fa-
milie. Der Sarg wird von einer Menge Leu-
te getragen, welche unter einem praͤchtigen Him-
mel, der gleichfalls von Leuten in Trauerklei-
dern getragen wird, gehen. Alsdann folgen
dem Sarge die naͤchſten Anverwandten, welche
ſaͤmmtlich ſehr zerlumpt einhergehen. Die Per-
ſonen weiblichen Geſchlechts aber, werden in
einem Seſſel, mit weiſſen Vorhaͤngen behan-
gen, getragen.
Zwey-
[211]
Zweytes Kapitel.
Von dem Zuſtande der Gelehrſamkeit in
China uͤberhaupt — von ihrer Aſtronomie,
Geometrie, Poeſie, Hiſtorie und Spra-
che — von ihrer Moral und Vernunftleh-
re — von ihrer Muſik und muſikaliſchen
Inſtrumenten — von ihrem Papier
und Druckerey.
Man muß ſich in der That uͤber die Ver-
ſchiedenheit der Erzaͤhlungen, in den Be-
richten der Reiſebeſchreiber, von dem Zuſtan-
de der Gelehrſamkeit, verwundern. Einige
derſelben wiſſen ihre Geſchicklichkeit in allen
Stuͤcken nicht genug zu loben: andere hingegen
ſetzen ſie aus ſtrafbarer Unwiſſenheit zu ſehr
herunter. Jene wollen ſie fuͤr die erſten Bear-
beiter der Wiſſenſchaften ausgeben: dieſe hin-
gegen verſichern, daß ſie von den meiſten Wiſ-
ſenſchaften, die bey den Europaͤern ſo hoch ge-
ſtiegen ſind, kaum Grundbegriffe haͤtten. Wir
werden in der Folge ſehen, welche Meinung
von beyden die gegruͤndetſte ſey. — Es ſcheint
unbillig zu ſeyn, wenn man den Chineſern al-
les Genie und Faͤhigkeiten zu den Wiſſenſchaf-
ten abſprechen will. Sie haben gewiß eben
die Anlage zu allen Dingen als irgend ein an-
O 2de-
[212] deres Volk. Dieß zeigt der gluͤckliche Fort-
gang, den ſie, ſeitdem ſie mit andern Voͤlkern
in naͤhere Bekanntſchaft gekommen ſind, in ei-
nigen Theilen der Gelehrſamkeit gemacht ha-
ben. Es gereichet allerdings ihrem Verſtande
zur Ehre, daß ſie mit ſo vieler Begierde den
Unterricht der Auslaͤnder angenommen und nach
ihrer Anweiſung bearbeitet haben. Wir wiſſen,
aus den Berichten des Le Compte und duͤ
Halde, mit welchem Erſtaunen ſie die Einſich-
ten der Europaͤer in der Mathematik, Statik,
Pneumatik u. ſ. w. bewunderten: mit wie vie-
ler Unzufriedenheit uͤber ihre Unwiſſenheit ſie
ſich angelegen ſeyn ließen die Theorien der Euro-
paͤer ſelbſt in Ausuͤbung zu bringen. — Die-
ſe erſte und naͤhere Bekanntſchaft der Chineſer
mit den hoͤhern Wiſſenſchaften haben ſie ohn-
ſtreitig den Miſſionarien zu danken, von denen
ſie aber auch freylich manche unrichtige Vor-
ſtellungen zugleich mit uͤberkommen haben.
Wir wollen ſehen, was die Chineſer von
einigen Wiſſenſchaften fuͤr Kenntniſſe gehabt
haben, ehe ſie mit andern Voͤlkern in naͤhere
Bekanntſchaft gekommen ſind. — Unter den
aͤlteſten Wiſſenſchaften, die von den Chineſern
am meiſten bearbeitet wurden, verdient vorzuͤ-
glich die Aſtronomie bemerkt zu werden. Man
weiß aus zuverlaͤßigen Nachrichten, daß die
Chineſer, ſeit dem Anfange ihrer Monarchie,
auf den Lauf des Himmels ſorgfaͤltig geachtet
haben: daß ſo gar diejenigen, denen die Beobach-
tung
[213] tung der Geſtirne aufgetragen war, am Leben
geſtraft wurden, wenn ſie in dieſem Stuͤcke ei-
nige Verſehen machten. Es laͤßt ſich aber jetzt
ſchwerlich von ihren Beobachtungen etwas her-
ausbringen, ſo, daß man kaum mit Zuver-
laͤßigkeit ſagen kann, was ſie fuͤr Progreſſen
in dieſem Fache gemacht haben. So viel ſcheint
wohl ſehr wahrſcheinlich zu ſeyn, daß ſie, ohn-
geachtet ihres großen Fleißes, doch nicht weit
gekommen ſind. Die Monden- und Sonnen-
monate, ſcheinen ſie ziemlich genau ausgerech-
net zu haben, doch aber wollen einige Reiſebe-
ſchreiber verſichern, daß auch dieſe Rechnung
bey einer genauen Unterſuchung die Probe nicht
aushalten duͤrfte. — Es ſcheint alſo, um
Vieles mit einem Worte zuſammenzufaſſen,
daß die Chineſer in der Aſtronomie nicht weit
gekommen ſind.
Es laͤßt ſich uͤberdem auch noch daraus
ſchließen, daß die chineſiſche Nation keine große
Geſchicklichkeit in der Aſtronomie beſitzen konn-
te, weil ſie fuͤr die Aſtrologie eine gar zu aber-
glaͤubige Hochachtung hegte. Und dieſe Hoch-
achtung gegen die Sterndeuterey behalten die
Chineſer noch bis auf den jetzigen Tag bey.
Sie meinen, eine jede Conſtellation, jeder Pla-
net, habe auf alles, entweder einen guten oder
boͤſen Einfluß: ferner, es ſey moͤglich, ver-
ſchiedene Begebenheiten voraus zu wiſſen, wenn
man nur auf die Bewegungen und den Lauf der
O 3Ge-
[214] Geſtirne Acht gebe. Aus dieſem Grunde lieſt
man auch in ihren Kalendern, welches gluͤckliche
und ungluͤckliche Tage ſind, wenn gutes und
boͤſes Wetter *), Krankheiten, Hungersnoth,
Krieg und andere dergleichen Dinge, einfallen
werden. Um nun allem Betrug und Unter-
ſchleif vorzubeugen, iſt ein aſtrologiſches Tribu-
nal aufgerichtet worden. Dieſes Tribunal
muß dem Kayſer, zu geſetzten Zeiten, eine voll-
ſtaͤndige Nachricht von den Himmelsbewegun-
gen, Veraͤnderungen der Luft und Abwechſe-
lungen der Jahrszeiten vorlegen: ferner, ob
Krankheiten, Hungersnoth, Krieg bevorſtuͤn-
den: hauptſaͤchlich aber muß es auf die Zeit
ſehen, wenn eine Sonnen- oder Mondfinſter-
niß einfallen wird. Dieſe Berichte muͤſſen
dem Kayſer noch eine geraume Zeit vorher, ehe
die Finſterniſſen einfallen, angezeigt werden,
damit dieſe Nachrichten in alle Provinzen des
Reichs
[215] Reichs koͤnnen verſandt und unter vielen Ceri-
monien publiciret werden *).
O 4In
[216]
In Anſehung ihrer Kenntniſſe in der Geo-
metrie, ſind ſie noch ſeichter. Sie loͤſen die
Problemata nicht nach ſichern Grundſaͤtzen,
ſondern durch bloße Schluͤſſe auf. Nur beobach-
ten ſie in der Ausmeſſungskunſt viele Leichtig-
keit und Accurateſſe. Ihre groͤßeſte Fertigkeit
beſteht, nach dem Einverſtaͤndniſſe zuverlaͤßiger
Reiſebeſchreiber, in der Rechenkunſt. Sie
rechnen nicht mit arithmetiſchen Ziffern, ſon-
dern vermittelſt eines Inſtruments, wovon Ge-
melli Carreri, Navarette u. a. hinlaͤngliche
Beſchreibungen mittheilen, und worauf wir
uns, der Kuͤrze wegen, berufen muͤſſen. Man
will mit Gewißheit verſichern, daß die Chineſer,
vermittelſt dieſes Inſtruments, mit unglaublicher
Leichtigkeit und Geſchwindigkeit eine jede arith-
metiſche Aufgabe aufloͤſen koͤnnen. Ob ſich
nun aber dieſe Rechnungsart nur auf die ſo
genannten vier Species erſtrecke: wollen wir
hier unausgemacht laſſen. So viel ſcheint
wohl gewiß zu ſeyn, daß ſie die fuͤrtreflichen
Huͤlfsmittel d. z. E. die tabulas Sinuum et tan-
gentium, logarithmos u. ſ. w. nicht kennen, die
doch bey den aſtronomiſchen Ausrechnungen ſo
unentbehrlich ſind. Ueberdem iſt es auch bey-
nah zu glauben, daß ſie in der Geometrie nie
guten Fortgang machen werden, weil es der
ganzen Anlage der Denkart der Chineſer, ſich
auf abſtracte Dinge zu legen ganz zuwider iſt.
Die Muſik und Dichtkunſt gehoͤren unter
diejenigen Kuͤnſte, welche bey den Chineſern
noch
[217] noch faſt ganz ungearbeitet da liegen. Sie be-
haupten, daß die Muſik vor den Zeiten des
Con-fu-tze (der ſelbſt ein ungemein großer
Kenner der Muſik ſoll geweſen ſeyn) zur hoͤch-
ſten Stufe der Vollkommenheit gebracht und
unter ihnen ſehr geehrt ſey. Sie geben ferner
vor, daß die Buͤcher, welche von der Theorie
der Muſik gehandelt haͤtten, verlohren gegan-
gen: und auf dieſe Art ſey ihre jetzige Muſik
ohne Harmonie, Bindung und Abwechſelung
der Theile. — Die Noten ſind ihnen voͤllig
unbekannt: ſie ſpielen alles bloß nach dem Ge-
hoͤre. Sehr abgeſchmackt und ungeſchickt ſind
ihre muſikaliſchen Inſtrumente. Einige der-
ſelben gleichen unſern Trommeln und Trompe-
ten: noch andere haben mit unſern Floͤten ei-
nige Aehnlichkeit. — Die heutigen Chineſer
fuͤhlen es auch ſelbſt, daß ihre Kraͤfte in Anſe-
hung der Muſik wenig vermoͤgen. Und daher
bedienen ſie ſich auch ſelten der Inſtrumental-
muſik, es moͤchte denn bey feſtlichen Gelegen-
heiten ſeyn, als Hochzeiten, Gaſtereyen u. ſ. w.
Wir koͤnnen alſo hieraus hinlaͤnglich ſchließen,
daß die Muſik der Chineſer gegen die unſrige
— gelinde zu reden — kaum ertraͤglich zu
nennen ſey.
Es gehoͤrt eine gute Kenntniß der Sprache
dazu, wenn man die Harmonie, Schoͤnheit
und Zierlichkeit der chineſiſchen Dichtkunſt will
begreiflich machen. Indeſſen erzaͤhlen uns doch
die beſten Kenner dieſer Sprache, daß ihre
O 5Dicht-
[218] Dichtkunſt mit der Europaͤer ihrer gar nicht
koͤnne verglichen werden. Es fehlt ihren Ge-
dichten an kuͤhnen Metaphern, erhabenen Ge-
danken und ruͤhrenden Gemaͤhlden. Man koͤnn-
te ſie vielleicht nicht ganz unſchicklich fuͤr Son-
netten und Epigrammate halten, deren Schoͤn-
heit hauptſaͤchlich nur in ungleicher Laͤnge der
Verſe und Wahl der Woͤrter beſtehet. —
Außer der gereimten Poeſie, dichten ſie auch
ohne Reime, die bloß in Antitheſen der Ge-
danken beſtehen, ſo, daß wenn ſich der erſte
Gedanke auf den Herbſt bezieht, der andere auf
den Fruͤhling anſpielt. — Ihre dramatiſchen
Aufſaͤtze ſind hauptſaͤchlich darauf eingerichtet,
um die Tugend anzupreiſen und das Laſter ver-
aͤchtlich zu machen. Sonſt haben ihre drama-
tiſchen Vorſtellungen wenig Erhabenes und faſt
gar nichts Heroiſches. Wenn ſie z. E. ihren
Zuhoͤrern bey dramatiſchen Vorſtellungen den
Charakter der Perſon bekannt machen; ſo
thun ſie dieß nicht unvermerkt, ſondern ein je-
der Acteur erzaͤhlt, ſo bald er aufs Theater
kommt, wer er iſt, was er fuͤr ein Freund
oder Feind dieſes oder jenes iſt u. ſ. w. Du
Halde hat im 2 Th. S. 140. u. f. hiervon ei-
ne umſtaͤndliche Nachricht gegeben, wohin wir
den Leſer, wenn er mehr zu wiſſen begehrt, ver-
weiſen wollen.
Man muß es den Chineſern zum Ruhme
geſtehen, daß ſie ſich um die Hiſtorie, ſonder-
lich um die Geſchichte ihres Vaterlandes, ſehr
be-
[219] bekuͤmmert haben. Sie haben von jeher
die zuverlaͤßigſten Nachrichten von ihrem Rei-
che geſammelt und ſie nach und nach mit Un-
partheilichkeit in ein Ganzes uͤberbracht —
nie das Gute oder Boͤſe an ihren Regenten ver-
ſchwiegen *). Dieſe Gewohnheit aber herrſcht
nicht allein am Hofe, ſondern in jeder Pro-
vinz, ſo, daß ein jedes Gouvernement oder ei-
ne jede Stadt verbunden iſt, einen merkwuͤr-
digen Fall, der ſich etwa in ihrem Bezirk zu-
getragen hat, bekannt zu machen. Dieß be-
ſteht nun in einer Erzaͤhlung der Witterung,
Handthierung, Anzahl der Einwohner und an-
dern Stuͤcken, das Abentheurliche, das ſich
dann
[220] dann und wann zutraͤgt, mitgerechnet. Es
ließe ſich nun ſehr leicht aus ihren Chroniken
eine gute Geſchichte heraus heben, wenn nur
das Fabelhafte *), wozu der chineſiſche Geſchicht-
ſchreiber ſo ſehr inclinirt, davon koͤnnte geſaͤu-
bert werde. — So ſorgfaͤltig und aufmerk-
ſam ſich nun aber auch ihre Geſchichtſchreiber
moͤgen bewieſen haben; ſo hat man doch vielen
Grund und Urſache, die aͤlteſten Relationen,
in ihren Geſchichten, zu verwerfen. Diejeni-
gen Geſchichtſchreiber aber, die kurz vor und
nach dem Con-fu-tze gelebt haben, koͤnnen
fuͤr ziemlich ſicher angenommen werden.
Wir kommen jetzt auf die Sprache der Chi-
neſer, wovon wir hier um ſo viel mehr reden
muͤſſen, je mehr ſie einen großen Theil ihrer
Gelehrſamkeit ausmachet. — Ich will mich
hier nicht auf die Unterſuchung einlaſſen, was
die chineſiſche Sprache mit der Hebraͤiſchen fuͤr
Verwandſchaft habe: auch nicht in die Streit-
frage, welche von beyden die aͤlteſte ſey; beydes
gehoͤrt nicht in meinen Plan. Man findet die-
ſe
[221] ſe Stuͤcke von andern ſchon hinlaͤnglich und oft
zum Ekel unterſucht. — Meine Abſicht geht
nur dahin, von den gegenwaͤrtig uͤblichen Spra-
chen in China die richtigſte Bemerkungen zu ge-
ben. — Wir finden eigentlich und genau zu
reden, eine dreyfache Sprache unter den Chi-
neſern. — 1. Die Sprache des Volks:
dieſe iſt ſehr rauh, von einem uͤberaus unan-
genehmen Klang, und theilt ſich in verſchiedene
Dialekte oder Mundarten. 2. Die Sprache
der Mandarinen: ſie iſt unter den geſitteten
Einwohnern die uͤblichſte, ihr Dialekt iſt nicht
rauh, und wird in der Provinz Kyang-nan
am beſten geredet. 3. Die gelehrte Spra-
che, in welcher faſt alle Buͤcher abgefaßt wer-
den. Dieſe Sprache kann das gemeine Volk
nicht verſtehen, hat einen ſo angenehmen Klang,
daß ein Kenner derſelben, ſie gerne lieſt und
hoͤrt, iſt ſehr precis und beſteht aus einer Men-
ge Accente. Aber nur auch Kenner koͤnnen ſie
verſtehen, denn ſie gehoͤrt unter die todten Spra-
chen, und iſt ihnen das, was fuͤr uns die lateini-
ſche, griechiſche und hebraͤiſche Sprache iſt.
— Die Sprache der Mandarinen iſt die vor-
nehmſte, und wird unter allen Sprachen fuͤr
die wortreichſte gehalten. Die Zahl ihrer
Wurzelwoͤrter belaͤuft ſich nicht uͤber drey hun-
dert und dreyßig. Und dennoch koͤnnen ſie ſich
mit Huͤlfe der verſchiedenen Accente und Toͤne
ſehr mannichfaltig, gedankenreich und bedeu-
tungsvoll ausdruͤcken. Man ſieht auch unter
ihnen
[222] ihnen ein Woͤrterbuch, das auf Befehl des
Kayſers Kang-hi iſt verfertigt worden, ein
Werk von unglaublicher Groͤße. Le Compte
ſagt, daß es ſich uͤber 90 Baͤnde beliefe, und
koͤnnten noch einige dreißig gemacht werden.
Hieraus kann man auch ſchon einigermaßen
von dem Reichthum der chineſiſchen Sprache
ſchließen.
Der Leſer erwarte hier nicht eine genaue
Darſtellung des Grammatikaliſchen der Chine-
ſiſchen Sprache Hier wuͤrde das viel zu weit-
laͤuftig ſeyn, und vielleicht auch manche Leſer
ermuͤden. Daher rathen wir denjenigen, wel-
cher ſich gerne hiervor unterrichten moͤchten, des
Baiersgrammat. Sinenſ. nachzuleſen. Wir mer-
ken hier nur an, daß es ungemein ſchwer ſey
in der chineſiſchen Sprache gewiſſe Regeln zur
bequemer Erlernung fuͤr andere feſtzuſetzen.
Hierzu kommt noch die Verſchiedenheit der
Mundarten; denn faſt ein jedes Dorf hat ſeinen
eigenen Dialekt. Und da von der Ausſprache
die wahre Bedeutung eines Worts oftmals ab-
haͤngt; ſo bleibt alles uͤbrige dadurch unver-
ſtaͤndlich, es moͤchte dann einer etwa durch lan-
ges Reiſen die verſchiedenen Mundarten ge-
wohnt ſeyn. Es iſt auch nichts ungewoͤhnli-
ches, wenn ein Chineſer den andern nicht ver-
ſtehen kann. Duͤ Halde macht die Anmerkung,
daß die chineſiſche Sprache, wegen ihrer vielen
Eigen-
[223] Eigenheiten, nie von einem Auslaͤnder fertig koͤn-
ne gelernt werden.
Eben dieſes Bewandniß hat es auch mit
ihrer Art zu ſchreiben. Die ganze Schwierig-
keit bey ihrer Schreibart beſteht bloß darinne,
daß die Chineſer nicht, wie alle Nationen, mit
Buchſtaben, ſondern durch Charaktere, wo-
durch oft ein ganzes Wort ausgedruckt wird,
zu ſchreiben pflegen. Vielleicht traͤgt die Schwie-
rigkeit in Anſehung des Schreibens ſehr vieles
dazu bey, daß es mit den Wiſſenſchaften unter
ihnen nicht fort will, indem ſie auf das Leſen
und Schreiben ihrer eigenen Sprache zu viel
Zeit verwenden muͤſſen. In den aͤlteſten Zei-
ten fiel dieſe Schwierigkeit weg, weil ſie ſich
hieroglyphiſcher Zeichen bedienten, welche mehr
gemalt als geſchrieben waren. So bezeichne-
te damals z. B. eine krumme Linie einen Fluß:
ein Viereck, ein Haus: ein runder Zirkel, die
Sonne: ein halber Zirkel, den Mond u. ſ. w.
Sobald aber ihre Ideen ſich vervielfachten,
und ſich uͤber Gegenſtaͤnde erſtreckten, die nicht
konnten betaſtet werden; ſo mußten ſie gewiſſe
Charaktere unter ſich einfuͤhren, wodurch ihre
Begriffe konnten bezeichnet werden. Dieſe Cha-
raktere haben ſich in der Folge der Zeit ſo ver-
mehrt, daß einige Gelehrten eine Anzahl von
80000 ſolcher Charakteren angeben. Wer von
dieſer Anzahl 20000 kennt, wird ſchon fuͤr ei-
nen großen Gelehrten gehalten, weil er durch
ſeine Sprachkenntniß im Stande iſt, viele Buͤ-
cher
[224] cher zu leſen. *) — Sie haben auch noch, au-
ßer dieſen verſchiedenen Characteren, eine alte
Art, die aber nur in Aufſchriften, Titeln, Sinn-
ſchriften und alten Schriften gebraucht werden:
ferner eine beſondere Art von Zeichen, deren
ſie ſich bey gerichtlichen Contracten bedienen.
In ihrem Style beobachten ſie, ſonderlich
die Vornehmen, eine große Ernſthaftigkeit mit
vielen Allegorien untermiſcht. Er iſt oftmal
ſo dunkel, daß man Muͤhe genug hat, beym
Leſen keine Fehler zu begehen. In Anbringung
der Allegorien ſind ſie erhaben und meiſtens
gluͤcklich: die groͤßeſte Zierde ihres Styls be-
ſteht aber darinn, daß ſie zuweilen einige Sen-
tenzen aus ihren canoniſchen Buͤchern, am
rechten Orte mit einſtreuen. — Sie ſehen auch
ſehr darauf, daß ſie ſchoͤn ſchreiben und die
Buchſtaben allen Regeln der Schreibekunſt ge-
maͤß ziehen; die Ungelehrten beweiſen ſo gar
fuͤr eine Schrift, die ſchoͤn geſchrieben iſt, die
groͤßeſte Hochachtung, wenn ſie auch gleich mit
dem, was darauf geſchrieben iſt, wenig bekannt
ſind, oder auch wohl gar nichts davon verſte-
hen.
[225] hen. — Die Chineſer pflegen, wider die Ge-
wohnheit der allermeiſten Nationen, von oben
bis unten herunter zu ſchreiben. Von der rech-
ten Seite fangen ſie ihre Linie an, und fah-
ren zur Linken fort. Sie gebrauchen bey ihrem
Schreiben keine Federn, ſondern ſtatt derſelben
Pinſel, die ſie aber nicht ſchief, ſondern ſehr
grade halten.
Ihre Dinte iſt ein zuſammengeſetzter Lam-
penrus, der aus einigen Arten verbrannten Hol-
zes oder Oehl gemacht, und mit einer gewiſſen
Art von Gummiwaſſer durchmiſcht wird, wel-
ches die Feſtigkeit verurſacht. Hierauf nun
pflegt man dieſe Maſſe zum Gebrauch in laͤng-
lichvierekigte Kuchen zu gießen, nachdem ſie
vorher etwas Biſam oder andere wohlriechen-
de Sachen damit vermiſcht haben, damit der
Lampenrus nicht ſo uͤbel rieche. Wann man der-
gleichen Dinte lange aufhebt und verwahrt; ſo
wird ſie eine kraͤftige Arzney wider den Blut-
fluß und Convulſionen. Sie halten dieſe Dinte
auch fuͤr ein gutes Alkali, das die ſcharfe Saͤf-
te des Blutes abſorbirt, und das Gebluͤt ge-
ſunder und fluͤſſiger macht.
Das Papier der Chineſer wird nicht, wie
man oftmals wegen der Duͤnne und ſchoͤn glaͤn-
zenden weiſſen Farbe geglaubt hat, aus Seide
gemacht, ſondern aus der innwendigen Rinde
des Bambusrohrs und anderer Baͤumen. Sie
haben, eben ſo wie wir, verſchiedene Arten von
Papier, von deſſen Verfertigung, Abglaͤnzung
Pwir
[226] wir hier, der Kuͤrze wegen, nicht reden koͤnnen. *)
Es kann nur auf einer Seite beſchrieben wer-
den, weil es ſehr duͤnne und durchſichtig iſt.
Will man aber beyde Seiten gerne beſchreiben;
ſo werden zwey Blaͤtter ſo geſchickt uͤbereinan-
der geklebt, daß man es faſt nicht merken kann.
Eben dieſer Methode bedienen ſie ſich auch bey
gebundenen Buͤchern, ſowohl geſchriebenen als
gedruckten. Die Erfindung des Papiers ſetzen
dů Halde, Martini, Le Compte ungefaͤhr in
das funfzigſte Jahr nach der chriſtlichen Zeit-
rechnung. Ehe ſie das Papier und den Gebrauch
deſſelben kannten, gruben ſie ihre Buchſtaben
mit einem Griffel auf ſehr duͤnne Bretter von
hartem Holze, oder auch auf Bambus, das an
Dauer unſer Pergament uͤbertraf Es iſt ge-
wiß, daß die Chineſer wenigſtens ihre Canoni-
ſchen, und andere Buͤcher, die ſie der Nach-
welt uͤberliefern wollten, auf dergleichen hartes
Holz geſchrieben haben.
Die Buchdruckerkunſt in China iſt ſehr alt,
ſo daß man nicht im Stande iſt, mit Gewißheit
die Zeit anzugeben, wenn ſie erfunden ſey. Sie
hat eine ganz eigene Einrichtung, und iſt von
unſerer Buchdruckerey ſehr verſchieden. **) Ih-
re
[227] re Art zu drucken, geſchieht auf folgende Wei-
ſe. — Ein jeder Autor laͤßt ſein Manuſcript
vorher, von einem geſchickten und geuͤbten
Schreibmeiſter, auf ſchoͤnes, durchſichtiges
Papier reinlich abſchreiben. Hierauf wird ei-
ne Seite auf eine Tafel von hartem und glattem
Holze geleimt, und dann von einem Kuͤnſtler
in Holz geſchnitten. Der Kuͤnſtler ſchneidet
nachher die Buchſtaben erhaben aus, und zu-
gleich auch das uͤberfluͤßige Holz weg, worauf
nichts eingegraben iſt. Die Schoͤnheit des
Drucks haͤngt alſo zum Theil von der Vollkom-
menheit der Handſchrift ab. Eine ſolche Art
zu drucken hat ſehr viele Bequemlichkeiten.
Denn erſtlich braucht der Verfaſſer fuͤr die
Druckfehler nicht in Sorge zu ſtehen, wenn an-
P 2ders
**)
[228] ders das Manuſcript richtig geweſen iſt. Zwey-
tens pflegt man nur ſo viele [Exemplare] zu dru-
cken als ſich Kaͤufer gemeldet haben, weil die
Tafeln, um erforderlichen Falls noch mehrere ab-
drucken zu koͤnnen, beſtaͤndig vorhanden ſind.
Indeſſen muß man doch auch geſtehen, daß die-
ſe Methode ihre großen Unbequemlichkeiten hat:
denn man wird dadurch gezwungen, die Formen
zu vervielfaͤltigen, ohne ſich derſelben Charactere
wieder bedienen zu koͤnnen. — Wenn die Ta-
fel ausgeſchnitten, die Buchdruckerfarbe fertig
und das Papier abgemeſſen iſt; ſo iſt es einem
einzigen Manne eine Kleinigkeit, alle Tage an
zwey tauſend Blaͤtter abzuziehen. — In den
chineſiſchen Buchdruckereyen haben ſie keine
Preſſen; denn die Tafeln, welche von ſehr duͤn-
nem Holze ſind, wuͤrden das Gewicht nicht aus-
halten. Man bedient ſich zweyer Buͤrſten, wo-
von mit der einen in die Farbe getaucht wird,
um die Buchſtaben damit zu faͤrben; und mit
der andern, die laͤnglicht und ſanft iſt, preßt
man das Papier, welches, nicht wie bey uns
vorher angefeuchtet, ſondern trocken auf die
Formen gebracht wird. — Die Buchdrucker-
farbe wird aus Brantewein, Rußwaſſer und
gemeinem Tiſchlerleime gemacht. — Sie pfle-
gen ihre Buͤcher ſehr mannichfaltig einbinden
zu laſſen. Gemeiniglich laſſen ſie ſie in Pappe
und auch wohl in Atlaß; die Vornehmern aber
laſſen ſie in Taffet oder in geblumte Gold- und
Silberſtoffe einbinden.
Drit-
[229]
Drittes Kapitel.
Von der Schiffahrt — dem Handel und
einigen Manufacturen in China.
Die Chineſer behaupten, nach ihrem gewoͤhn-
lichen Stolze, daß die Schiffahrt, unter
allen Nationen des Erdbodens, zuerſt von ih-
nen ſey erfunden und ausgeuͤbt worden. Sie
erzaͤhlen, daß ihre Vorfahren bereits vor eini-
gen tauſend Jahren alle indianiſche Meere, bis
an das Vorgebuͤrge der guten Hoffnung, ohne
Huͤlfe des Kompaſſes, deſſen Erfindung ſie ſich
auch ruͤhmen, beſchifft und auf denſelben Handel
getrieben haben. Allein dieſe Behauptung iſt nicht
nur unwahrſcheinlich, ſondern auch ganz falſch.
Denn ihr Seeweſen, ſo wie es gegenwaͤrtig be-
ſchaffen und wie es beſchaffen geweſen iſt, ſeit-
dem die Europaͤer mit ihnen bekannt geworden
ſind, iſt noch ſehr unvollkommen, ſowohl was
den Bau der Schiffe, als die Art ſie zu regieren,
betrift. Es ſcheint, als wenn ihr Schiffe nur
bloß dazu eingerichtet waͤren, um auf den naͤch-
ſten Meeren zu ſchiffen und auf denſelben, (ob-
wohl nur an den Kuͤſten) Handel zu treiben.
Ihre groͤßeſten Fahrzeuge ſind eigentlich nichts
als platte Barken, mit einem großen und ei-
nem kleinen Maſte verſehen. Die Laͤnge eines
ſolchen Schiffs erſtreckt ſich nicht uͤber achtzig
bis neunzig Fuß. Sie bedienen ſich auch kei-
P 3ner
[230] ner Segel von Hanf, ſondern von Matten,
welche aus Bambus gemacht werden. Mit ſol-
chen Segeln laͤßt ſich ſchwer umgehen. — Die
Schiffsanker ſind gleichfalls von den unſrigen
ſehr verſchieden; ſie ſind nicht von Eiſen, ſon-
dern von einer gewiſſen Art von hartem und
ſchwerem Holze, welches ſie in ihrer Sprache
Tve-mu d. i. Eiſenholz nennen, und wovon
ſie glauben, daß es ſich nicht ſo leicht biege als
das Eiſen. Ihre Schiffe werden nicht, wie bey
uns, mit Pech und Teer beſchmiert, ſondern
ſie bedienen ſich einer Art Gummi, welches zu
einem ſolchen Gebrauch bequem genug iſt und
die Schiffe ziemlich trocken haͤlt. Wenn aber
Waſſer in das Schiffe kommt; ſo gießen ſie es
mit Eimern wieder heraus, denn ſie kennen den
Gebrauch der Pumpen nicht. Eben ſo wenig
wollen ſie etwas von Steuermaͤnnern und
Schiffscapitains wiſſen, ſondern ſie uͤberlaſſen
die ganze Regierung deſſelben allein den Ru-
derknechten. *) — Dieß alles nun ſind in den
Au-
[231] Augen geſchickter und erfahrner Kenner des
Schiffsweſens große Maͤngel. Und ohngeach-
tet die Chineſer ſelbſt dieſe Maͤngel einſehen;
ſo laſſen ſie doch die alte Einrichtung und Bau-
art der Schiffe nicht fahren, halten es vielmehr
fuͤr ein Verbrechen etwas veraͤnderu zu wollen,
was ihre Vorfahren mit großer Muͤhe ausge-
dacht haben: ja ſie glauben, daß durch eine
neue Veraͤnderung der Schiffe die Majeſtaͤt des
Reichs beleidiget wuͤrde, nicht anders, als ob
die Groͤße eines Staats in Beybehaltung ſeiner
alten Unſchicklichkeiten und Irrthuͤmer laͤge!
Sonder Zweifel haben alſo die Chineſer in
ihrem Schiffsweſen den wahren Punct noch nicht
getroffen, und bleiben hinter den Europaͤern
noch weit zuruͤck. Deſto gluͤcklicher aber koͤn-
nen ſie mit ihren kleinen Fahrzeugen auf den
Fluͤſſen fortkommen. Es werden von dem chi-
nefiſchen Kaiſer derſelben eine unzaͤhlige Menge
gehalten, theils um auf denſelben die Gouver-
neurs in ihre Provinzen uͤberzufahren, theils
auch zum Nutzen der Mandarinen. Derglei-
chen Schiffe ſind nicht ſehr groß, alle aber mit
P 4Schnitz-
*)
[232] Schnitzwerken verſehen. Auf dieſen Fahrzeu-
gen findet man die beſten Gemaͤcher angebracht.
Das Anſehen derſelben ſetzt einen Fremden, we-
gen der ungeheurem Menge, die in den Hafen
und auf den Stroͤmen bey einander liegen, und
der Schoͤnheit, in Erſtaunen. Man beobach-
tet unter den Schiffen folgende Rangordnung.
Erſtlich kommen die kaiſerlichen Schiffe, dann
die des Adels, ferner die Schiffe der Großen
des Hofes, die der Gelehrten, und endlich die
der Kaufleute. Die Schiffe der Kaufleute duͤr-
fen, vermoͤge ihres Ranges, nicht ſo geſchmuͤckt
ſeyn wie die andern. Indeſſen findet man
doch an denſelben außerordentliche Kunſt, in
Anſehung des Schnitzwerks, angebracht. Die kai-
ſerlichen Schiffe aber uͤbertreffen an Pracht al-
le Erwartung. Man kann ein dergleichen Schiff
faſt nicht von einem Palais unterſcheiden. —
Im Ganzen muß man bemerken, daß alle Schif-
fe, die auf den Kanaͤlen, Fluͤſſen und Seen ge-
hen, in der beſten Ordnung gehalten werden:
ſie auch allemal vor einem kaiſerlichen Schiffe
die Segel ſtreichen. Es iſt uͤberaus angenehm
zu ſehen, daß man allenthalben, wo man reiſet,
weil das Land von Seen, Fluͤſſen und Kanaͤlen
voll iſt, Segel ſieht, die theils zum Nutzen
des Staats, theils zur Luſt und Vergnuͤgen
auf und ab gehen, und es dabey von Menſchen
wimmelt, die ſich alle auf verſchiedene Art be-
ſchaͤftigen. — Und ſoviel von dem Schiffsweſen
der Chineſer uͤberhaupt.
Ein
[233]
In einem Lande, das ſo reichlich mit allen Din-
gen, die zum Lebensunterhalte gehoͤren, wie
China, verſehen iſt, muß auch nothwendig der
Handel anſehnlich ſeyn, wenn anders die In-
duſtrie des Volks das Ihrige dabey thut. Und
in der That muß man auch geſtehen, daß viel-
leicht in keinem Reiche der Welt mehr Handel
und Wandel getrieben wird, wie eben in Chi-
na. Hierzu traͤgt die Aufmunterung von Sei-
ten der Regierung, ungemein vieles bey. Sie
ſtehen jetzt mit allen Reichen, ſonderlich aber
mit den Japaneſern, Siamern, im Handel,
von welchen ſie die ihnen fehlenden Waaren
nehmen, und ihre Landesproducte dafuͤr wieder
zuruͤckgeben, wobey ſie aber allemal dahin ſe-
hen, daß ſie bey ihrem Handel ſtarken Profit
haben. Einige ihrer Waaren, wovon ſie wiſ-
ſen, daß ſie andere Nationen ſchlechterdings
nehmen muͤſſen, halten ſie ſo hoch im Preiße,
daß ſie wenigſtens tauſendmal mehr Profit neh-
men, als ſie billig nehmen ſollten. — Das
Commerzium mit den Europaͤern, macht einen
wichtigen Artikel ihres Handels aus. Dieſer
Handel aber wuͤrde gewiß noch ſtaͤrker und fuͤr
ſie vortheilhafter ſeyn, wenn die Europaͤer ei-
nen beſtaͤndig offenen Hafen haͤtten. Zwar
hat man ihnen den Hafen zu Quangtong
zugeſtanden: aber ſie duͤrfen ſich deſſen doch nur
zu gewiſſen Zeiten des Jahrs bedienen. Auch
duͤrfen die Europaͤer mit ihrer Schiffen nicht
einmal vor dieſe Stadt ſegeln, ſondern ſie muͤ-
P 5ßen
[234] ßen, ohngefaͤhr vier Meilen vor derſelben, An-
ker werfen: eine Sache, die fuͤr die Handeln-
den ſehr unvortheilhaft iſt. — Die vornehm-
ſten Producte, welche die Europaͤer von den
Chineſern wegfuͤhreten, waren Zucker, Reis,
Thee, Specereyen fuͤr die Apotheker, Dia-
mante, Uhren, Spiegel, Cryſtallen, Fern-
glaͤſer und andere mathematiſche Inſtrumente.
Der Handel der Europaͤer mit den Chine-
ſern iſt itzt bey weitem nicht mehr ſo betraͤcht-
lich, wie er vor Zeiten mag geweſen ſeyn.
Die oſtindiſche Handlungscompagnie verſieht
ſie ſo uͤberfluͤßig mit allen Waaren, daß da-
[durch] der Handel ungemein vieles einbuͤßet,
und es kaum der Muͤhe werth iſt, weiter et-
was hieher zu bringen, als Silber, um es
gegen Gold *) umzutauſchen. Der Handel
mit Silber und Gold geht gut oder ſchlecht,
je nach dem die Jahrszeit iſt. Im Maͤrz, April
und May iſt es z. E. wohlfeiler, als in den
Monathen vom Junius bis zum Januar.
Wir muͤſſen hier noch anmerken, daß die
Chineſer, im Handel und Wandel, feine und
ausgelernte Betruͤger mit Recht zu nennen
ſind. Sie halten es gar nicht fuͤr ſuͤndlich,
diejenigen, mit denen ſie handeln, auch ſo gar ih-
re eigne Landesleute und Nachbarn nicht aus-
genom-
[235] genommen, zu betruͤgen. *) Ein Auslaͤnder
wird nie von ihnen weggehn, ohne nicht derbe
von ihnen betrogen zu ſeyn.
Der wichtigſte Handel in China iſt derjeni-
ge, welcher im Innern des Reichs getrieben
wird. Die Stroͤme, Kanaͤle ſind unaufhoͤr-
lich mit Barken bedecket, und die Heerſtraßen
mit Pferden, Mauleſeln, Kameelen, Karren,
Menſchen, welche diejenigen Waaren aus der
einen Provinz in die andere verfuͤhren, woran
ſie einen gegenſeitigen Mangel haben. **) Und
auf dieſe Art theilen ſie ſich einander die Reich-
thuͤmer mit. Dieſer Handel iſt viel wichtiger,
als
[236] als derjenige, den alle Europaͤiſche Nationen
unter einander treiben.
Naͤchſt der Handlung ſind die Manufactu-
ren in gutem Flor, und machen beynah allein
den Reichthum der Nation aus. Wir wollen
hier Gelegenheit nehmen, nur von den vor-
nehmſten Manufacturen, als von ihrem Por-
cellaine, Seiden- und Wollenmanufacturen
zu reden. — Wir reden von der Porcellain-
manufactur billig zuerſt, weil ſie in China ſo
alt iſt, daß ſie ſelbſt von dem Erfinder derſel-
ben nichts Zuverlaͤßiges wiſſen und ſagen koͤn-
nen. Die Chineſer ſind von jeher ſo heimlich
in Verfertigung ihres Porcellains geweſen,
daß die Europaͤer lange Zeit nicht gewußt ha-
ben, wie ſie das Porcellain eigentlich verfer-
tigten. Viele Reiſebeſchreiber, die ſich be-
muͤhten, dieß Geheimniß herauszubringen,
haben ihren Landesleuten ſo viele abgeſchmack-
te und abſurde Dinge, von der Materie, wor-
aus das Porcellain verfertigt werden ſollte,
vorerzaͤhlt, daß man ſich nicht genug uͤber die
Verſchiedenheit in ihren Erzaͤhlungen verwun-
dern kann. Die Europaͤer ſind auch nicht
eher hinter dieß Geheimniß gekommen, bis der
Jeſuit D’Entrecolles — der zu King-te-
ching eine Gemeinde geſtiftet hat — ein ver-
ſtaͤndiger und ehrlicher Augenzeuge, ihnen eine
zuverlaͤßige Nachricht davon gab, und alle
Umſtaͤnde deutlich und genau aus einander ſetz-
te.
[237] te. *) — Das chineſiſche Porcellain wird
in vielen Provinzen gemacht; das beſte aber
trifft man zu King-te-ching an. Man laͤßt es
gegenwaͤrtig einem jeden ſehen, wie es zuberei-
tet wird, nachdem ſie wiſſen, daß die Euro-
paͤer ihre Geheimniſſe entdeckt haben. Die
Materie, woraus man Porcellain macht, be-
ſteht in ſehr feiner Erde, die mit ſilberfarbig-
ten Theilchen durchmengt iſt. Wenn die
Klumpen aus dem Steinbruche kommen, rein
gewaſchen, und von Sand und Erde geſaͤubert
ſind; ſo werden ſie ſehr klein, ſo daß ſie dem
Staube aͤhnlich ſind. Dieſer Staub wird
hernach im Waſſer herumgeruͤhrt, bis er voͤllig
wie Teig ausſieht, den man kneten, und von
Zeit zu Zeit mit Waſſer aufeuchten kann und
muß. So bald dieſer Teig voͤllig durchgekne-
tet iſt; ſo bringt man ihn in verſchiedene For-
men, und macht daraus die verſchiedenen Ge-
faͤße, die man haben will. Wenn dieß geſche-
ben; ſo ſetzt man dieſe Gefaͤße an die Sonne,
zum Austrocknen; ſie werden aber alsdann, wann
die Hitze am groͤßeſten iſt, weggeſetzt, damit ſie
nicht verbrannt werden. So bald ſie nun
voͤllig trocken ſind; ſo werden die Mahlereyen
angebracht: worauf die Glaſur folgt. Zuletzt
wird das Gefaͤß in einem dazu aptirten Ofen
gebrannt, und nicht eher herausgenommen,
bis
[238] bis es ſich nach und nach abgekuͤhlt hat. Eine
ſolche Arbeit iſt ſehr beſchwerlich, und erfor-
dert viele Zeit und Arbeiter, *) denn ein Gefaͤß
muß oft durch mehr als vierzig Haͤnde gehen.
Man verfertigt in China porcellaine Ge-
faͤße von bewundernswuͤrdiger Groͤße. Sie
machen oftmals Kruͤge von drey bis vier Fuß
hoch, woran ſo viel Kunſt vereinigt iſt, daß
man keine Zuſammenfuͤgungen bemerken kann.
Die Zierrathen, welche ſie an dergleichen Ge-
faͤße bringen, zeigen von ihrer Geſchicklichkeit
und Geſchmack in dieſem Stuͤcke. Aber ſolche
große Stuͤcke pflegen die Chineſer nicht fuͤr ih-
ren Gebrauch und Bequemlichkeit zu machen,
ſondern ſie ſind gemeiniglich zu Kauf beſtellt.
Man findet bey ihnen Porcellain von allen
Couleuren, das himmelblaue und gelbe aber
wird am meiſten geachtet und geſucht. Glat-
tes Porcellain wird auch verfertigt: einiges,
das muſiviſche Arbeit vorſtellt, noch anderes,
das durchbrochen und ausgeſchnitten wird.
Die Thierfiguren und grotesken Stuͤcke gelingen
ihnen am beſten. So ſieht das Porcellain
ſehr gut und natuͤrlich aus, das Enten und
Schildkroͤten vorſtellt, die auf dem Waſſer
ſchwim-
[239] ſchwimmen, und Katzen, fuͤr welchen ſich die
Maͤuſe fuͤrchten.
Die Porcellainarbeiter geben vor, daß ſie
die einzigen in der runden Welt ſind, welche
gutes Porcellain zu machen verſtehen. Wenn
man ihnen von dem japaniſchen Porcellain et-
was ſagt; ſo antworten ſie darauf, daß die
Japaneſer eigentlich kein Porcellain machen
koͤnnten, ſondern ſie kauften es von den Chi-
neſern, und verkauften es wieder fuͤr ihre ei-
gne Waare und Arbeit. — Wenn man das
chineſiſche mit unſerm ſaͤchſiſchen und preußi-
ſchen Porcellain vergleichen will; ſo muß man
geſtehen, daß beyde Fabriken vielleicht die
Weiſſe und Feinheit des Thons, und die Leb-
haftigkeit und Dauer ihrer Farben noch nicht
voͤllig erreicht haben. Dabey aber auch zuge-
ben, daß ſie beyde (vielleicht itzt das Preußi-
ſche in einem noch hoͤhern Grade) an Schoͤn-
heit, Anmuth, Vollkommenheit und Regel-
maͤßigkeit der Zeichnungen, das chineſiſche weit
uͤbertreffen.
Dieß koͤnnte hinlaͤnglich ſeyn, um den Le-
ſer in den Stand geſetzt zu haben, ſich einige
Vorſtellungen, von der Porcellainmanufa-
ctur, und der Bearbeitung deſſelben, machen
zu koͤnnen, wenn wir nicht glaubten, manchen
einen Gefallen zu thun, hier noch einige Be-
merkungen uͤber den beruͤhmten Porcellain-
thurm, mitzutheilen. — Dieſer Thurm uͤber-
trifft alles ſehr weit, was Kunſt und Ver-
ſchwen-
[240] ſchwendung in China merkwuͤrdiges hervor-
gebracht hat. Er ſteht zu Nan-king,
und iſt neun *) Stockwerk hoch, und wird
von allen Reiſenden, wegen ſeiner Hoͤhe, Sym-
metrie, Bildhauerarbeit, Vergoldung, und
anderer Zierrathen, am meiſten bewundert. —
Jedes Stockwerk wird von auſſen, durch ein
beſonderes Geſimſe, das fuͤrtrefflich gemacht
iſt, von einander abgeſondert. Man muß we-
nigſtens neunhundert Stufen ſteigen, bis man
in die oberſte Spitze des Thurms kommt. In
einem jeden Stockwerke ſieht man vier, gegen
die vier Hauptwinde gerichtete, Fenſter, welche
uͤberall mit vielen Gemaͤlden und Goͤtzenbildern
ausgeſchmuͤckt ſind. Der Thurm iſt achteckigt
und ſein Umkreiß ohngefaͤhr vierzig Fuß. Von
innen und auſſen iſt er mit vielfarbigten und
dem Porcellain aͤhnlichen Ziegelſteinen ausge-
ſetzt, und alle Theile dieſes erhabenen Denk-
maals
[241] maals ſind mit ſo vieler Kunſt verſehen, daß man
beym erſten Anblick glaubt, das ganze Werk be-
ſtehe aus einem Stuͤcke. An den Ecken einer
jeden Gallerie, haͤngt eine Menge kleiner Glo-
cken, die, vom Winde bewegt, einen nicht un-
angenehmen Schall von ſich geben. Allein, das
Schoͤnſte am ganzen Gebaͤude beſtehet in einer
Art von Kuppel, die von einem Maſtbaume,
der auf dem Boden des achten Stockwerks feſt
ſtehet, und uͤber dreyßig Fuß uͤber denſelben
hervorragt, getragen wird. Die Bildhauer-
arbeit, welche man an dieſer Kuppel ſieht, iſt
vergoldet, und das Werk ſcheint uͤberhaupt
von Marmor und gehauenen Steinen zu ſeyn.
— Dieß iſt die Beſchaffenheit der Bauart
eines Thurms, der im ganzen Oriente, er mag
nun von einer Materie gebaut ſeyn, von welcher
er will, fuͤr das dauerhafteſte und praͤchtigſte
Werk, mit Recht angeſehen wird. Man weiß
eigentlich noch nicht mit Gewißheit zu ſagen,
bey welcher Gelegenheit dieſer Thurm gebaut
iſt. Neuhoff glaubt, daß er bereits uͤber
ſiebenhundert Jahre geſtanden, und von den
Tatarn, als ein Denkmaal, daß ſie ſich des
chineſiſchen Reichs bemaͤchtigt, ſey erbaut
worden. Le Compte geht von dieſer Behau-
ptung, nicht ohne Gruͤnde, ab. Er glaubt
naͤmlich, daß dieſer Thurm nicht laͤnger, als
dreyhundert Jahre geſtanden habe, und von
dem Kayſer Yang-lo ſey erbaut worden. Die-
ſer Meynung ſtimmt Dů Halde auch bey.
QWir
[242]
Wir kommen itzt zur Seiden- und Wol-
lenmanufactur der Chineſer. — Unter allen
chineſiſchen Provinzen iſt wohl keine, die es
der Provinz Tche-Kyang — wenn ſie gleich
fuͤr die kleineſte im ganzen Reiche gehalten
wird — an Reichthum zuvorthaͤte Ihr vornehm-
ſter Reichthum beſteht in der Seidenmanufa-
ctur, welche von den Reiſebeſchreibern einhel-
lig fuͤr die beſte im Reiche gehalten wird. Auf
ihren Feldern ſieht man faſt nichts anders, als
Maulbeerbaͤume, die wie die Weinſtoͤcke ange-
bauet und beſchnitten werden. Dieſe Gewohn-
heit hat aus der Erfahrung ihren Urſprung,
weil ſie naͤmlich aus den Blaͤttern der kleinen
Baͤu me, die beſte Seide ziehen. — Die Pro-
vinz Tche-Kyang liefert nicht nur Seide fuͤr
das ganze chineſiſche Reich, Japan und die
philippiniſchen Eylaͤnder, ſondern ſie verſieht
auch mit ſelbiger ganz Indien. Die Hollaͤn-
der kaufen von dieſer Seide, ihres Werths we-
gen, ſo viel, als ſie nur immer auftreiben
koͤnnen. An Weiſſe, Glanz und Feinheit hat
ſie vor allen andern große Vorzuͤge. —
Italien empfieng ehemals die Seide aus Grie-
chenland. Die Griechen hatten den Perſern
die Zubereitung derſelben zu danken, und die
Perſer hatten es von den Chineſern gelernt,
wie ſie Seidenwuͤrmer auferziehen, und die
Seide davon zubereiten ſollten — Man er-
zaͤhlt, daß die Einwohner der Provinz Tche-
Kyang vor ihrer Bebauung, bloß mit Fellen
waͤren
[243] waͤren bekleidet geweſen, daß aber, da dieß
Huͤlfsmittel, bey mehrerer Bevoͤlkerung nicht zu-
gereicht, eine von den Kayſerinnen *) die
Kunſt, Seide zu ſpinnen, erfunden habe.
In der Folge haͤtten ſich viele Prinzeſſinnen
ein Vergnuͤgen daraus gemacht, Seidenwuͤr-
mer zu ziehen, und Seide zuzubereiten Hier-
auf, fahren ſie weiter fort, waͤre ihnen, ein
geraͤumlicher Garte in den Ringmauern des
Pallaſtes zu Maulbeerplantagen angewieſen
worden. Die Kayſerinn haͤtte ſich alsdann,
mit ihren vornehmſten Frauenzimmern, auf das
feyerlichſte in eigner Perſon dahin begeben,
und die Maulbeerblaͤtter eingeſammelt. Die
ſeidenen Zeuge, die ſie eigenhaͤndig verfertiget,
und von andern verfertigen laſſen, waͤren bey
dem jaͤhrlichen großen Opfer, dem Schoͤpfer und
Regierer der Welt geheiligt. — Aus dieſer
Erzaͤhlung ſieht man wenigſtens ſo viel, daß
durch Aufmunterung der Seidenbau in China
ſeine Reife erhalten habe! —
Q 2Zu
[244]
Zu Nan-King werden die beſten Zeuge
von Tche-Kyangſcher Seide, vorfertigt. Von
dieſen Zeugen giebt es verſchiedene Arten, wo-
von die beſten und zugleich auch bekannteſten
ſind der Damaſt; gebluͤmter, glatter, geſtreif-
ter Atlas; dicker Taffend, der unſern Mohren
in gewiſſen Stuͤcken gleich iſt: andere Taffte
mit gebrochnen und geſtickten Blumen. Bey
aller der Schoͤnheit ihrer Arbeit aber, fehlt es
doch noch weit daran, uns Europaͤer darinn
zu erreichen. Fuͤrnehmlich uͤbertreffen wir ſie
in unſern Gold- und Silberſtoffen. Die
Kunſt, dieſe Metalle in Faͤden zu ziehen, die
Seide damit zu beſpinnen u. ſ. w. iſt ihnen
voͤllig unbekannt. Ihre Kenntniß und Ge-
ſchicklichkeit hierinn iſt, das Gold- oder Sil-
berpappier in duͤnne Streifen zu ſchneiden,
Seide darunter zu miſchen, und ſolche die Far-
be der Blaͤttchen annehmen zu laſſen. Man
ſieht aber leicht, daß eine ſolche Vergoldung,
ſie mag anfangs auch immerhin ſo viel blinken,
als ſie wolle, ohnmoͤglich von langer Dauer
ſeyn koͤnne. Dergleichen Stoffe werden auch
nicht haͤufig, ſondern nur bloß von Manda-
rinen vom erſten Range getragen. Die Zeich-
nungen ſind gewoͤhnlich ſchlecht. Gemeiniglich
ſieht man Haͤuſer, Baͤume und Voͤgel darauf
angebracht, am haͤufigſten aber Figuren von
Drachen. *) Die Baumwollen- oder Cattun-
ma-
[245] manufactur iſt in China gleichfalls ſehr be-
traͤchtlich. Und wenn ſie gleich nicht ſo geehrt
und in Anſehen ſteht, als die Seidenmanufa-
ctur; ſo gehoͤrt doch die Bearbeitung derſelben,
naͤchſt der Porcellain- und Seidenmanufactur,
unter die eintraͤglichſten Artikel.
Viertes Kapitel.
Von der Regierungsart — Policey —
Kayſerlichen Einkuͤnften — Geſe-
tzen — Strafen in China.
Es iſt wohl kein Reich in der Welt zu fin-
den, das monarchiſcher regiert wird, als
China. — Die Macht des chineſiſchen Kay-
ſers *) erſtreckt ſich nicht nur uͤber alle ſechzehn
Provinzen, ſondern auch noch uͤber viele an-
dere, die in der morgenlaͤndiſchen Tatarey lie-
gen. Einige dieſer Provinzen beherrſcht er
ganz unumſchraͤnkt, einige ſind ihm zinnsbar,
noch andere leiſten ihm nur eine Art von Hul-
Q 3digung.
*)
[246] digung. Aber in den neu eroberten Staaten,
herrſcht er mit dem groͤßten Deſpotismus.
Hier hat er nicht nur die freye Macht uͤber das
Leben und den Tod eines jeden Unterthanen,
ſondern dieſe unumſchraͤnkte Macht erſtreckt
ſich auch ſo gar uͤber die Prinzen vom Gebluͤt.
Sein Wille vertritt die Stelle des Geſetzes,
und wer ſich ſeinen willkuͤhrlichen Befehlen
auch nur im Geringſten widerſetzt, hat ſich der
haͤrteſten Strafe zu gewaͤrtigen.
Der Kayſer iſt zwar verbunden, bey allen
Vorfaͤllen und Angelegenheiten nach den Geſe-
tzen zu regieren, und auch wohl, in wichtigen
Faͤllen, ſeinen Gerichtshof der Cenſoren,
es moͤgen buͤrgerliche oder Criminalſachen ſeyn,
um Rath zu fragen. Allein da er der erſte
Ausleger der Geſetze iſt, und ſich die Glieder
des Gerichtshofes ſchlechterdings nach ſeiner
Auslegung richten muͤſſen, dafern ſie ſich der
Gefahr, caſſirt zu werden, nicht ausſetzen wol-
len; ſo muß ſich die ganze Regierung nach ſei-
nem Willkuͤhr richten. — Vor Zeiten war
dieſe Macht viel eingeſchraͤnkter, und ein
Monarch durfte es nicht wagen, Geſetze fuͤr
ſich zu geben, welche den ganzen Staat oder
die Religion angiengen. Allein die Urſach
hiervon lag bloß darinn, weil die Monarchen
damals auf ihrem Throne nicht ſo ſicher wa-
ren, wie ſie itzt ſind. In den neuern Zeiten
aber hat man es an dem Kayſer Kang-hi ge-
ſehen, daß er bey Religions und andern Sa-
chen
[247] chen ganz deſpotiſch verfahren und gehandelt
habe. Und dieß konnte er nur zu einer Zeit
thun, wo er ſich der ganzen kayſerlichen Auto-
ritaͤt vergewiſſert ſah, und das ganze Gluͤck der
Unterthanen bloß in ſeiner Macht ſtand.
Die Ehrerbietung, die man den chineſi-
ſchen Kayſern erweiſet, iſt beynahe eine Art der
Anbetung. Seine Reden werden fuͤr Orakel-
ſpruͤche angeſehen, und ſeine Befehle, als vom
Himmel geſandt, betrachtet. Die Kayſer laſ-
ſen ſich ſelten oͤffentlich ſehen. Wer einen Kay-
ſer anredet, darf es nie anders, als in einer
knienden Stellung thun. — Nur den Groſ-
ſen, welche beſtaͤndig um ihn ſind, und ihm
aufwarten, iſt es erlaubt, zu ſtehen, und mit
ihm in der Stellung zu reden — So laͤcher-
lich auch immer dieſe Gewohnheit ſeyn mag;
ſo traͤgt ſie doch unendlich viel zur Stille und
Ruhe im Reiche bey. Dieſe Ehrfurcht gegen
den Kayſer erſtreckt ſich nicht bloß auf die
Großen des Hofes, und auf die Mandari-
nen, ſondern auch ſo gar auf die Prinzen vom
Gebluͤt. Ja dieß geht ſo weit, daß ſie ſo gar
fuͤr den Lehnſtuhl, auf den ſich der Kayſer zu
ſetzen pflegt, fuͤr deſſen Beinguͤrtel u. ſ. w.
ihre Knien beugen. — Ueberdieß ſind noch ge-
wiſſe Tage in der Woche oder im Monat feſt-
geſetzt, an welchen die Großen des Hofes wech-
ſelsweiſe erſcheinen, ihm huldigen, und ſeine
Autoritaͤt durch ehrerbietiges Kniebeugen und
andere Zeugniſſe der tiefſten Devotion, bezeu-
Q 4gen
[248] gen muͤſſen, der Kayſer mag nun ſelbſt da
ſeyn oder nicht. Wenn der Kayſer krank und
die Krankheit einigermaßen gefaͤhrlich iſt; ſo
iſt die Beſtuͤrzung unglaublich groß, und der
Pallaſt von Mandarinen von allem Range an-
gefuͤllt, welche den Himmel, Tag und Nacht,
unaufhoͤrlich, um die Geneſung des Kayſers
anrufen. Man kann ſich hieruͤber auch gar
nicht wundern, da mit dem Tode eines Kay-
ſers gemeiniglich große Revolutionen und Ver-
aͤnderungen im Reiche verbunden ſind *).
So unumſchraͤnkt nun aber auch die Macht
der chineſiſchen Kayſer iſt; ſo nehmen ſie ſich
doch dabey ſehr in Acht, den alten Geſetzen
und Einrichtungen nicht zu nahe zu treten.
Sie ziehen wie bereits erwaͤhnt, ihre hoͤchſten
Tribunale, bey allen Sachen von Wichtigkeit,
zu Rathe. Dieß thun ſie ſonderlich aus fol-
genden Urſachen; einmal, um den Namen ei-
nes Tyrannen zu vermeiden: und zweytens, um
nicht mit ſo vielen und mannigfaltigen Sachen,
die ihnen vorgetragen werden, uͤberlaͤſtiget zu
werden. Alles was an den Kayſer koͤmmt, als
Bittſchriften und dergleichen, wird an das
Tribunal geſchickt, um die Sache zu unterſu-
chen, genau zu pruͤfen, und ſie zu ſeinem ent-
ſcheidenden Spruche zu aptiren. — — —
Wenn der Kayſer ſich ſeinen Weibern, Bey-
ſchlaͤ-
[249] ſchlaͤferinnen und Verſchnittenen zu ſehr ergiebt,
und ſeine Zeit im Muͤßiggang zubringt; ſo
muß er gewaͤrtig ſeyn, daß ihm alle dieſe Feh-
ler ſchriftlich vorgehalten werden. So ſoll
man einem gewiſſen Kayſer einmal gerade her-
ausgeſagt haben, daß er mit Hintanſetzung
der Kayſerinn, ſeiner rechtmaͤßigen Ge-
mahlinn, unter einem Haufen nichtswůr-
digen Weibsperſonen ſein Leben in Můſ-
ſiggange und Ergoͤtzlichkeiten zubraͤchte;
daß er die Armeen mit Anfuͤhrern verſehe,
die vom Kriegsweſen auch nicht einmal
die geringſten Kenntniſſe haͤtten, und
nur blos darauf bedacht waͤren, fůr ihr
eignes Intereſſe zu ſorgen; daß durch ſei-
ne unmaͤßigen Depenſen die Schatzkam-
mer erſchoͤpft wůrde, und dergleichen Din-
ge mehr. — Aus dieſen und andern Urſachen
geſchieht es ſelten, daß ſich ein Kayſer der Regie-
rung nicht ſo annaͤhme, wie er es ſollte, noch
auch in Ueppigkeit und Schwelgerey ſein Leben
vertraͤume.
Um aber nun die unſaͤgliche Menge von
Staatsangelegenheiten leicht und geſchwind be-
ſorgen zu koͤnnen; hat der Kayſer zwey ſouve-
raine Tribunale zur Seite, deren Sitz zu Pe-
king iſt. Das eine dieſer beyden Tribunale,
heißt das außerordentliche, und beſteht blos
aus Prinzen vom Gebluͤt: das zweyte oder das
ordentliche Tribunal, beſteht, außer den
Prinzen, noch aus Kolaven oder Staatsmini-
Q 5ſtern.
[250] ſtern. Dieß letztere Tribunal hat mit unſerm
geheimen Staatsrathe viel Aehnlichkeit. Das
erſte aber verſammlet ſich nur bey ganz außer-
ordentlichen Vorfaͤllen. — Es giebt in Pe-
king, außer dieſen beyden hoͤchſten Tribunalen,
noch andere Obergerichte, unter welchen wie-
derum eine Menge kleinere Gerichte ſtehen.
Die Autoritaͤt derſelben erſtreckt ſich uͤber das
ganze Reich. Jedes Gericht hat ſeine eigene
Geſchaͤfte, und ſie ſtehen mit einander in einer
ſo wunderbaren Verbindung, daß eins das an-
dere gehoͤrig im Zaume haͤlt. — Wir wollen
die Gerichtshoͤfe oder Tribunale mit ihren Ver-
richtungen hier kuͤrzlich anfuͤhren.
Der erſte Gerichtshof heißt, Li-pu, d.
i. das Tribunal der Mandarinen. Er wacht
uͤber die Auffuͤhrung aller obrigkeitlichen Per-
ſonen, und ſonderlich der Mandarinen, und
berichtet dem Kayſer, ſo oft eine Mandarinen
Stelle vacant wird, damit er ſolche ohne An-
ſtand wieder beſetzen koͤnne *).
Der
[251]
Der zweyte Gerichtshof, wird Hu-pu,
d. i. der hohe Schatzmeiſter des Koͤnigs, ge-
nannt. Die Pflicht deſſelben beſteht hauptſaͤch-
lich darinn, fuͤr die Einkuͤnfte des Kayſers die
gehoͤrige Sorge zu tragen. Le Compte meldet
auch, daß dieſes Tribunal uͤberdem noch die
Liſten und Verzeichniſſe, die jaͤhrlich von allen
Familien, von der Anzahl der Unterthanen,
eingereichet werden muͤſſen, beſorge.
Der dritte Gerichtshof heißt, Li-pu,
d. i. das Tribunal der Rechte; er ſorgt fuͤr die
Beybehaltung der alten Gewohnheiten, fuͤr
die Cerimonien bey dem Gottesdienſte, die
Opfer, den Empfang der Geſandten, fuͤr oͤf-
fentliche Luſtbarkeiten, fuͤr alle Kuͤnſte und
Wiſſenſchaften, auswaͤrtige Angelegenheiten
u. ſ. f *).
Der vierte Gerichtshof wird Ping-pu
d. h. Tribunal der Waffen genannt. Unter
dieſem ſteht das ganze Kriegesweſen, erſtreckt
ſich uͤber die Kriegstruppen, ihre Befehlshaber
und Waffen.
Der
[252]
Der fuͤnfte Gerichtshof heißt, Hing-pu.
In demſelben wird mit hoͤchſter Gewalt in allen
peinlichen Faͤllen entſchieden.
Der ſechſte Gerichtshof endlich wird Kong-
pu, oder das Tribunal der oͤffentlichen Werke
genannt. Er fuͤhrt die Aufſicht uͤber alle kay-
ſerliche Gebaͤude, ferner uͤber Bruͤcken, Wege,
Triumphbogen, Daͤmme, Veſtungen, oͤffent-
liche Tempel, Begraͤbniſſe, Stadthaͤuſer, mit
einem Worte, uͤber alle oͤffentliche Anſtalten,
und uͤb[e]r das geſammte Seeweſen.
Die Verwaltung des Kriegsweſens beruhet
auf einer Art von Bedienten, welche Kricgs-
mandarinen genannt werden. Man theilt
ſie in fuͤnf Hauptklaſſen, wovon hier einige
Nachrichten mitgetheilt werden ſollen. — Die
erſte Klaſſe nennt man, Mandarinen von
der Arriergarde: die zweyte, Mandarinen
vom linken Fluͤgel: die dritte, Mandari-
nen vom rechten Fluͤgel: die vierte, Man-
darinen vom Hauptchor: die fuͤnfte endlich,
Mandarinen von der Avantgarde. Die
verſchiedenen Klaſſen, werden von fuͤnf Tribu-
nalen befehligt, welche wieder unter einem an-
dern ſteht, das von dem Obergerichte zu Pe-
king dependirt. Der Praͤſident dieſes letztern,
iſt allemal einer von den Vornehmſten des
Reichs, und ſeine Macht erſtreckt ſich auf alle
Kriegsvoͤlker. Um aber ſeine Macht nicht miß-
brauchen zu koͤnnen, hat man ihm einen gelehr-
ten Mandarinen zum Aſſeſſor zugeſellt, der
den
[253] den Titel eines Oberaufſehers der Armeen
fuͤhrt. Ohne deſſen Rath darf der Praͤſident
(der ohngefaͤhr mit einem Generalfeldmarſchall
einerley iſt) nicht das Geringſte vornehmen.
Man zaͤhlt ordentlicherweiſe achtzehn tau-
ſend Kriegsmandarinen, welche mehr denn ſie-
benmal hunderttauſend Mann Fußvolk, und
zweymal hunderttauſend Mann Reuterey, un-
ter ihren Befehl haben. Dieſe Voͤlker dienen
groͤßeſtentheils blos zur Bedeckung der großen
Mandarins, der Statthalter und anderer
obrigkeitlichen Perſonen. — Man hat ſie in
Legionen eingetheilt, und jede Legion beſteht aus
zehntauſend Soldaten. — Die Tatarn fuͤhren
gelbe Fahnen, und die Chineſer gruͤne. Die
Anfuͤhrer oder Officiere muͤſſen die Soldaten
zu gewiſſen Zeiten muſtern und exerciren, wenn
gleich ihr Exerciren faſt nur allein in geſchwin-
der Regierung ihrer Saͤbel, Bogen, Flinten,
Helme und dergleichen beſtehet. Wenn aber
die Soldaten hierinn nicht geuͤbt ſind, oder ih-
re Sachen nicht im guten Stande haben; ſo
werden ſie ihrer Nachlaͤßigkeit wegen empfind-
lich beſtraft. Der Sold eines Infanteriſten
belaͤuft ſich ohngefaͤhr taͤglich auf achtzehn gute
Pfennige, und ein Maas Reis. Die Loͤhnung
eines Kavaleriſten traͤgt etwa noch einmal ſo
viel aus. Sie ſind wohl gekleidet, bewafnet:
und der Sold wird ihnen alle drey Monathe rich-
tig ausgezahlt. Ueberhaupt iſt zu Friedenszei-
ten der Soldatenſtand eben ſo wenig beſchwer-
lich
[254] lich als gefaͤhrlich, und derjenige, welcher in
denſelben will aufgenommen werden, muß un-
ter den Kriegsmandarinen gute Bekannte ha-
ben. Von Werbung der Soldaten weiß man
hier nicht zu reden. Indeſſen aber muß man
ſagen, daß die von Natur furchtſamen Chine-
ſer, wirklich aͤrmliche Soldaten ſind. Beym
erſten Angriffe gerathen ſie gleich in Unordnung,
ſind anfangs unſchluͤßig was ſie thun ſollen,
und — laufen doch endlich davon!
In einem ſo großen und weitlaͤuftigen Rei-
che als China iſt, worinn man eine uͤberaus
große Menge Staͤdte und Voͤlker antrift, wuͤr-
de ſonder Zweifel die groͤßeſte Verwirrung und
Unordnung herrſchen, wenn nicht die ſchoͤne
Policey, die im ganzen Reiche auf das genauſte
beobachtet wird, allen Unordnungen zuvorkaͤ-
me. Es iſt bereits bemerkt worden, daß in
jeder Provinz ein Statthalter ſey, der die hoͤch-
ſte Obrigkeit vorſtelle, und unter den Hofge-
richten zu Peking ſtehe. — Eine jede Stadt
iſt in verſchiedene Quartiere abgetheilt. Ein
jedes Quartier wird von einem Oberaufſcher re-
giert; er muß aber, von allem, was in ſeinem
Bezirke vorgehet, Bericht abſtatten. Ueber-
dieß wird die Stadt Tag und Nacht von Sol-
daten bewacht, die auf alles achten muͤſſen, was
in der Gegend, wo ſie ſind, geſchieht. Daher
hoͤrt man von Mordthaten ſelten, und von ge-
waltſamen Einbruͤchen, gar nichts. Des
Nachts darf ſich keiner auf den Straßen ſehen
laſſen,
[255] laſſen. Ereignet ſichs aber, daß jemand ſich
des Nachts auf den Straßen ertappen laͤßt;
ſo wird er zum Poͤbel gerechnet, und als ein
Dieb angeſehen, der Willens geweſen ſey, ei-
nen unerlaubten Streich zu vollſtrecken. Es
bleibt alſo immer ſehr gefaͤhrlich in China, des
Nachts auszugehen, und den Armen der ſtren-
gen Gerechtigkeit zu entwiſchen.
In den vornehmſten Vierteln der Stadt iſt
eine Glocke oder Trommel befindlich, welche
dazu dienen, um des Nachts die Stunden und
Nachtwachen anzuzeigen. Jede Wache dauert
zwey Stunden: die erſte faͤngt mit dem Ende
des Tages an, und ſo lange ſie waͤhrt, thut
man von Zeit zu Zeit einen Schlag auf die
Trommel oder an die Glocke. Zwey ſolcher
Schlaͤge thut man waͤhrend der zweyten, drey,
waͤhrend der dritten u. ſ. w. ſo, daß man, man
mag aufwachen, wenn man will, wiſſen kann,
wie viel es an der Uhr iſt. Indeſſen ſingt ein
Mann ein Lied folgenden Inhalts: Gehor-
chet euren Eltern. Verehret die Greiße
und eure Obrigkeit, Lebt unter einan-
der einig. Begehet keine Ungerechtig-
keiten.
Le Compte, im dritten Briefe, druͤckt
ſich uͤber die Ordnung, welche die Soldaten
des Nachts, der Sicherheit wegen halten muͤſ-
ſen, ſo aus: Eine jede Wache muß des
„Nachts in den ihnen angewieſenen Straßen
„patroulliren, ſo bald das Zeichen zum Thor-
„ſchluß
[256] „ſchluß gegeben iſt. Niemand, außer wenn
„er wichtige Urſachen vorzubringen im Stande
„iſt, warum er hat ausgehen muͤſſen, darf ſich
„des Nachts auf den Straßen ſehen laſ-
„ſen. Sollte die Patrouille in den Reden ei-
„nes ſolchen Menſchen einige Zweydeutigkei-
„ten finden; ſo muß er ohne alle Umſtaͤnde,
„bis zum andern Morgen, in der Hauptwache
„ſitzen, bis er vom Richter, entweder losge-
„ſprochen oder verdammt worden iſt. Die
„wachhabenden Officiere muͤſſen ihre Pflichten
„ſehr in Acht nehmen, wenn ſie anders nicht
„wollen caſſirt ſeyn. Sie werden auch ſonſt
„ſchon dadurch zu ihrer Pflicht angehalten, weil
„der Gouverneur einer Stadt, ſie oft des
„Nachts unverſehens zu uͤberfallen pflegt“. —
Mit dieſer Erzaͤhlung ſtimmt Dů Halde
uͤberein.
Es wird im ganzen chineſiſchen Reiche Nie-
manden erlaubt, Gewehre bey ſich zu fuͤhren.
Hiervon ſind auch nicht einmal die Soldaten
ausgenommen, außer, wenn ſie ihre Dienſte
thun. Man ſieht ſehr darauf, daß, wenn es
zwiſchen zween ſtreitenden Partheyen zur Thaͤt-
lichkeit kommt, kein Blut vergoſſen werde.
Wenn ein paar Leute, z. E. mit einander un-
eins geworden ſind, und einer etwa einen Stock
in der Hand haben ſollte; ſo wirft er ihn von
ſich, und ſchlaͤgt ſich mit ſeinen Gegnern mit
der Fauſt herum. Alle Streitigkeiten werden
bey ihnen gemeiniglich in der Guͤte beygelegt,
und
[257] und machen ihrem Streite, vor dem Manda-
rin, ein Ende Dieſer ſitzt mit einer vielbe-
deutenden pedantiſchen Mine auf ſeinem Seſſel,
hoͤrt mit Gleichguͤltigkeit beyde Partheyen an,
und laͤßt den Schuldigen, auch, wenn es ihm
einfaͤllt, beyde, nach chineſiſchem Fuße, ſtatt-
lich abpruͤgeln.
Es giebt auch in China, ſo wie uͤberall,
ein gewiſſes Volk, welches man Huren nennt.
Da dieſe gemeiniglich in den Gegenden, wo ſie
wohnen, großen Laͤrm zu machen pflegen; ſo
iſt es ihnen nicht erlaubt, ſich in der Stadt
aufzuhalten, ſondern ſie werden in einen Win-
kel der Vorſtaͤdte verwieſen Die Gouverneurs
der Stadt pflegen ein Dutzend der Huren in
ein einziges Haus einzuquartiren, und ihnen
einen Aufſeher zu geben, der von ihrer Auf-
fuͤhrung Rechenſchaft geben muß. Ihr Hand-
werk wird fuͤr infam erklaͤrt, daher auch eini-
ge Gouverneurs ſo ſcharf ſind, daß ſie dieß
liederliche Geſindel, wie billig, gar nicht dulden.
Zu der in den Staͤdten herrſchenden Ruhe
und Ordnung, traͤgt die Art, wie die Chineſer
ihre Kinder erziehen, ſehr vieles bey. Dieſe
werden von der zarteſten Kindheit an in den
Wiſſenſchaften und freien Kuͤnſten unterrichtet,
und ſo daran gewoͤhnt, daß ſie nicht an Aus-
ſchweifung und dergleichen denken.
Fuͤr die Bequemlichkeit, Sicherheit und
Zierde der Straßen, iſt in China auch geſorgt.
Man thut alles moͤgliche um die ungangbaren
RWege
[258] Wege gangbar zu macheu. In einigen Pro-
vinzen ſind oftmals die Haupiſtraßen, großen
und anmuthigen Alleen gleich. Unter Wegens
findet der Reiſende entweder, um ſich vor der
Hitze zu ſchuͤtzen, oder die Kaͤlte von ſich abzu-
halten, angenehm eingerichtete Ruheplaͤtze. Die
Mandarinen pflegen allemal, wenn ſie aus ei-
ner Provinz in eine andere ziehen, dergleichen
Ruheſtaͤtte unter Wegens zum Andenken, an-
zuordnen.
Auf den Straßen fehlt es nicht an Wirths-
haͤuſern; vielmehr iſt die Anzahl derſelben uͤber-
aus groß. Aber ſehr klaͤglich und kuͤmmerlich
pflegt es in ſolchen Wirthshaͤuſern herzugehen,
welche an einer kleinen Straße liegen! Man
kann ſich zugleich auch nichts unſauberers vor-
ſtellen, als dieſe Haͤuſer wirklich ſind. Auf
den großen und volkreichen Heerſtraßen aber
findet man Gaſthoͤfe, die groß und ſchoͤn ſind.
Aber Betten muß der Reiſende, wenn er nicht
auf geflochtenen Strohdecken ſchlafen will, mit-
bringen; denn die Chineſer, und beſonders der
gemeine Mann, kennen den Gebrauch der Bet-
ten nicht. — Wenn die Wege zum Paßiren
zu unangenehm und gefaͤhrlich ſind, ſo bedient
man ſich der Chaiſen, welche gemeiniglich ſo ge-
raͤumlich ſind daß eine Perſon ſehr bequem
darinn ſitzen kann. Die Chaiſe wird an zwey
Arme angefaßt, wie unſre Portechaiſen. Tra-
gen zwey Perſonen eine ſolche Portechaiſe; ſo
nehmen ſie dieſe auf die Schultern. Wird ſie
aber
[259] aber von vier Perſonen getragen; ſo werden
an den Vorder und Hinderſtangen, Knoten
von ſtarkem und ſchlanken Seile befeſtigt, wel-
ches die Traͤger auf die Schultern nehmen.
Weil aber ein ſolches Tragen ſehr beſchwerlich
zu ſeyn pflegt; ſo werden gemeiniglich acht
Traͤger dazu genommen, die ſich einander ab-
loͤſen koͤnnen.
Wenn man des Nachts reiſet — welches,
der großen Hitze wegen, ſehr oft geſchieht —
und ſonderlich bergigte Gegenden bereiſet, wo
ſich Tiger und andere gefaͤhrliche Thiere aufhal-
ten; ſo nimmt man Leute mit, welche mit
einer brennenden Fackel voraus gehen, wo-
durch dieſe Thiere verſcheucht werden. Der-
gleichen Fackeln beſtehen aus Fichtenholze, wel-
ches am Feuer getrocknet, und ſo zubereitet iſt,
daß Wind und Regen ſie nur noch immer mehr
und mehr anflammen.
Ueber die Poſten in China haben die Man-
darinen die Aufſicht. Die Poſtpferde gehoͤ-
ren dem Kayſer, deren ſich aber Niemand an-
ders bedienen darf, als die kayſerlichen Cou-
riers und Abgeſandte des Hofes. Die Poſt-
ſtationen liegen, wie in andern Laͤndern, nicht
gleich weit von einander. Die Poſtillions
tragen gewoͤhnlicher Weiſe ihr Felleiſen auf
dem Ruͤcken.
Man kann leicht denken, daß ein ſo bevoͤl-
kertes und weitlaͤuftiges Reich, wie das Chine-
ſiſche iſt, dem Kayſer große Einkuͤnfte bringen
R 2muß.
[260] muß. Dieſe aber beſtehen theils in baarem
Gelde, theils aber auch in Waaren. — Es
haͤlt ſchwer, gewiß auszurechnen und anzuzei-
gen, wie hoch ſich die Einkuͤnfte des Kayſers
belaufen. N[e]uhof giebt ſieben und zwanzig
Millionen Pfund Sterling an. Le Compte
fuͤnf Millionen weniger (ſtate of ehina part. 2.
let. 1. p. 224.) Duͤ Halde giebt 200, 000,
000 Taels an *), woraus eine Summe von
mehr denn funfzig Millionen Pfund Sterling
herausgebracht wird. — Die Einkuͤnfte an
Getrayde aller Art belaufen ſich in viele Millio-
nen Saͤcke (man kann gleichfalls die Anzahl
nicht mit Gewißheit angeben, ob man gleich
bey den Reiſebeſchreibern eine Zahl angegeben
findet. Ich habe keinen Reiſebeſchreiber gefun-
den, der mit den andern in dieſem Stuͤcke
uͤbereingekommen waͤre) Alle dieſe Lebensmittel
werden jaͤhrlich auf den kayſerlichen Barken in
den Pallaſt gebracht. Die meiſten Reiſebe-
ſchreiber berichten, daß die Anzahl der Barken
ſich auf 9999 beliefe **), welche vom Kayſer
dazu
[261] dazu gehalten werden, die verſchiedenerley Ar-
ten von Einkuͤnften dem Kayſer in ſeine Haupt-
ſtadt zu bringen. — Die Unterthanen des
Reichs beſitzen ihre Aecker als ein Eigenthum,
daher es denn auch kommt, daß die Paͤchter
gemeiniglich ſehr arm ſind. — Ein anderer
Theil der Einkuͤnfte beſtehet aus dem Kopfgelde,
welches eine jede Mannsperſon, von zwanzig
bis ſechzig Jahre gerechnet, bezahlen muß. Man
kann leicht denken was dieß Kopfgeld fuͤr ei-
ne ungeheure Summe einbringen mag. Eine
dritte Gattung von Einkuͤnften entſtehen aus den
Man facturen. Ueberdem ſteht es dem Kay-
ſer noch frey, neue Auflagen, ſeinen Untertha-
nen, nach Belieben, aufzulegen, wenn es die
dringendſten Noth erfordert, wiewohl er ſich die-
ſer Macht ſelten bedient, weil die regulirten
Einkuͤnfte gemeiniglich hinlaͤnglich genug ſind,
den Aufwand davon zu beſtreiten.
Die Polygamie iſt in China eben ſo wenig
wie in andern aſiatiſchen Laͤndern verboten,
und aus dieſen Urſachen haͤlt ſich auch der Kay-
ſer eine nicht geringe Schaar Weiber zu
ſeinem wolluͤſtigen Gebrauch. Eine aber
iſt die rechtmaͤßige und auserwaͤhlte Gemahlinn
des Kayſers, die auch nur allein das Vorrecht
hat, mit ihrem Gemahl an der Tafel zu ſitzen.
Die Weiber (die alle den Namen Gemahlinn
fuͤhren) werden in verſchiedene Rangordnun-
R 3gen
[262] gen placirt. *) Diejenigen genießen die meiſte
Achtung, welche dem Kayſer die meiſten Kin-
der gebaͤhren, wenn ſie gleich weit weniger ſind
als die rechtmaͤßige Kayſerinn. Indeſſen ha-
ben
[263] ben die Kinder, welche der Kayſer mit den Wei-
bern der erſten Rangordnung zeugt, vor den
der letzten Rangordnung gar keinen Vorzug.
Denn dieſe koͤnnen eben ſowohl als jene zur
kayſerlichen Wuͤrde gelangen, indem es blos
von des Kayſers Willen abhaͤngt, wen er zu
ſeinem Nachfolger be immen will. Er laͤßt
ſich mit ſeinen Beyſchlaͤferinnen, und ſelbſt mit
ſeiner rechtmaͤßigen Gemahlinn, nie in einen
Contract ein, worinn ausgemacht waͤre, daß
das etwa zu zeugende Kind zur Krone gelangen
ſollte *)
Es iſt nun Zeit, daß wir von den Geſetzen der
Chineſer das Wichtigſte mittheilen. — Ob die
uneingeſchraͤnkte Macht, Geſetze zu geben, vor
Alters ſo ausgebreitet geweſen ſey, wie ſie jetzt
iſt, will ich hier nicht unterſuchen. Indeſſen
ſieht man doch aus den mancherley Edicten der
alten Kayſer, daß ſie Geſetze gegeben, wider-
rufen, aufgehoben, ſo wie ſie es fuͤr das allge-
meine Wohl am zutraͤglichſten hielten, wenn
man gleich geſtehen muß, daß ſie ihre Wuͤnſche
den Gerichtshoͤfen mehr empfohlen, als ihre ei-
gene Macht dabey angewandt haben. Wir
R 4wol-
[264] wollen hier drey Verordnungen, einiger guten
Kayſer, dem Leſer aus des geweſenen Miſſio-
nairs Hervieu lateiniſcher Sammlung der alten
Geſetze, welche der Kayſer Kang-hi hat zuſam-
men tragen laſſen, mittheilen, woraus man
hinlaͤnglich ſehen wird, wie ſehr manchen das
Wohl ihrer Unterthanen am Herzen lag, und
wie ſelten ſie bey den Geſetzen ihre deſpotiſche
Macht gebraucht haben.
Wider das Geſetz, vermoͤge welches die An-
verwandten eines Miſſethaͤters mit zur Strafe
ſollten gezogen werden, wurde folgende Anmer-
kung gemacht: *)Geſetze, die zur Richtſchnur
bey der Regierung gebraucht werden ſol-
len, muͤſſe untadelhaft ſeyn: muͤſſen den
Schuldigen ſtrafen, und den Unſchul-
digen ſchuͤtzen. Ich finde in unſerm Ge-
ſetzbuch einen Artikel, vermoͤge welches
Mutter, Weib und Kinder eines Men-
ſchen, der den Tod verdient hat, in den
Proceß mitverwickelt und als Mitſchul-
dige angeſehen werden. Ein ſolches Ge-
ſetz kann ich nicht billigen. Denn nur ge-
rechte Geſetze koͤnnen nur als geſchickte
Mittel angeſehen werden, das Volk bey
ſeiner Pflicht zu erhalten. Wird der
Schuldige geſtraft; ſo wird jedermann
das geſprochene Urtheil billigen. Der Re-
gent iſt weitet nichts als ein Hirte, der
dafuͤr
[265]dafuͤr ſorgen muß, daß ſich Niemand von
ſeiner Heerde verirre. Haben unſere Vor-
fahren nicht nach ſolchen Geſetzen gerich-
tet die mit der ſtrengſten Billigkeit beſte-
hen koͤnnen; ſo gereichen ſolche Geſetze
dem Volk allemal zum Nachtheil, und
riechen nach Grauſamkeit. Der Kayſer
Ven-ti drang alſo auf Abſchaffung eines ſolchen
Geſetzes und erreichte auch ſeinen Zweck.
Eine andere Erklaͤrung eben dieſes Kayſers
Ven-ti, in Abſicht der Befoͤrderung des Acker-
baus lautet ſo: Diejenigen, denen das Regi-
ment uͤber ein ganzes Volk anvertraut iſt,
muͤſſen mit allem Eifer dahin ſehen, das-
jenige zu befoͤrdern, was zum Nutzen des
Volks gereicht. Hieher rechne ich den
Ackerbau. Seit zehn Jahren habe ich mich
eifrigſt bemuͤhet denſelben zu befoͤrdern;
aber ich ſehe leider! noch immer Spuren der
Traͤgheit meiner Unterthanen in dieſem
Puncte. Noch mehr: ich ſehe mannich-
faltige nothwendige Beduͤrfniſſe in den
Augen der Armen, abgemalt. Es kann
hievon ganz poſitiv nichts anders Urſa-
che ſeyn, als die Nichtvollziehung mei-
nes publicirten Willens, oder diejenigen,
welche meinen Befehl vollziehen ſollen,
ſind ihres Amts nicht wuͤrdig. Soll die-
ſe Saumſeligkeit weiter fortfahren; ſo
ſehe ich offenbar den Ruin meines Volks
vor Augen. Ich will alſo auf dieſes Jahr
R 5die
[266]die Haͤlfte meiner Einnahme an Getraide
dem Volke erlaſſen.
Noch einen wuͤrdigen Zug der fuͤrtreflichen
Denkart eben dieſes vorhin genannten Fuͤrſten
koͤnnen wir nicht unterlaſſen anzufuͤhren, wo-
zu die Veranlaſſung dieſe war, daß nemlich
ſeine Bedienten taͤglich Gott um die Erhaltung
ſeiner Perſon anriefen, und alle uͤbrige Pflich-
te gegen Alle, aus den Augen ſetzten. Hier-
uͤber machte er folgende Anmerkung: Ich
habe gegenwaͤrtig das vierzehnte Jahr
meiner Regierung angetreten: und je laͤn-
ger ich regiere, fuͤhle ich auch zu ſehr, die
Maͤngel meiner Faͤhigkeiten. — — Nichts
iſt an großen Fuͤrſten lobenswuͤrdiger und
vernuͤnftiger, als Uneigennuͤtzigkeit in al-
ler Abſicht. Ich merke itzt, daß viele
Bediente in ihren Gebeten um gutes Gluͤck
den Himmel anflehen! Und fuͤr wen thun
ſie es? Fůr mich. Allein dieß iſt mir ſehr
unangenehm. Denn kann ich das wohl
billigen, daß Bediente alle Pflichten hint-
anſetzen, auf das Wohl meiner Untertha-
nen nicht achten, und nur blos darauf ſehen,
das Gluͤck eines Fuͤrſten zu befoͤrdern,
dem es ſo ſehr an Verdienſten fehlt? Bil-
ligte ich es; ſo koͤnnte ich und andere es
fuͤr einen ſtarken Zuſatz meiner uͤbrigen
Fehler halten. — Ich will daher, daß
Statt der Fuͤrbitten der Bedienten fuͤr
mei-
[267]meine Perſon, ſie mehr auf die Beobach-
tung ihrer Pflichten bedacht ſeyn ſollen.
Man kann behaupten, daß die Beobach-
tung der alten Grundgeſetze die wahren Urſachen
ſind, warum ſich das chineſiſche Reich ſo viele
Jahrhunderte in ſeiner Pracht und Reichthum
erhalten hat. Kang-hi, einer der ber[uͤ]hmte-
ſten Kayſer in China, konnte ſich bey ſeinem
Volke vorzuͤglich dadurch beliebt machen, daß
er gegen die alten Geſetze Ehrerbietung bezeugte,
und uͤber die Declarationen mancher klugen
Vorfahren geſunde Anmerkungen entwarf Dieß
Anſehen wußte er noch dadurch zu erhoͤhen,
daß er die Erklaͤrungen der Geſetze der alten
Kayſer in ein Korpus ſammlen ließ, und ſie
ſelbſt mit Lobſpruͤchen begleitete.
So viel man aber auch uͤber die fuͤrtrefli-
che Staatseinrichtung des chineſiſchen Reichs,
in den alleraͤlteſten Zeiten, immerhin raiſonni-
ren, ſie loben und anpreiſen mag; ſo ſcheint es
doch ganz ſicher zu ſeyn, daß die Geſetze mehr
tyranniſch als guͤtig geweſen ſind. Wie viele
Perſonen wurden nicht, auch ohne Unterſuchung,
zum Richtplatze gefuͤhrt! Nur Stuffenweiſe,
und durch die Klugheit weiſer Fuͤrſten wurde
dieſe Geſetzverfaſſung verbeſſert. Aber auch
noch itzt muͤßte die Einrichtung der Geſetze ganz
anders ſeyn, wenn ſie von Vernuͤnftigen ſoll-
ten gebilligt werden. Ein Beyſpiel hievon iſt
die unglaubliche Tyranney, welche die Gou-
verneurs der Provinzen gegen ihre Untertha-
nen
[268] nen ausuͤben, wenn ſie Arten von Strafen an-
erkennen. Und wenn es gleich wahr iſt, daß
ſie ſelbſt ohne Wiſſen des Kayſers kein Todes-
urtheil vollziehen koͤnnen; ſo koͤnnen ſie doch
vorher, wenigſtens durch Strafen und andere
Dinge, die Unterthanen zum Bettelſtab bringen;
und ſolches iſt oftmals haͤrter als der Tod
ſelbſt. —
Wir wollen nun noch in aller Kuͤrze die ver-
ſchiedenen Arten von Strafen bey den Chine-
ſern anfuͤhren. — Ein Mandarin hat die
voͤllige Erlaubniß, allenthalben, wo ers noͤthig
findet, auch außer ſeiner Dioͤces, Stockpruͤ-
gel austheilen zu laſſen. So oft er daher aus-
geht, pflegt er allemal einen Beamten bey
ſich zu haben, der dergleichen Strafen,
wenn er es verlangt, vollziehen kann. Be-
gegnet ihm jemand zu Pferde, der ihn nicht
zu rechter Zeit gruͤßt, nicht herunter ſteigt und
ausweicht; ſo hat er allemal einige Pruͤgel zu
erwarten. Und das alles geht ſo geſchwind,
daß es der Gepruͤgelte eher weg hat, als er es
ſich verſieht. — Stockſchlaͤge ſind auch die ge-
woͤhnlichen Strafen fuͤr Schildwachen, wenn
ſie des Nachts ſchlafend gefunden werden, fer-
ner fuͤr Kinder, Bediente und Bettler. Von
dieſer letzten Sorte giebt es in China mehr denn
Sand am Meere. Dieſe Art von Menſchen
ſind mit unſern Landſtreichern und vormaligen
Zigeunern gut zu vergleichen. Die meiſten
Bettler ſind Kruͤppel, oder ſtellen ſich es zu
ſeyn:
[269] ſeyn: ja, koͤnnen ſie dieß nicht anſchaulich ge-
nug machen; ſo iſt es ihnen nicht peinigend,
ſich zum Kruͤppel mit eigener Hand zu machen.
So reiſſen ſich manche mit Vorſatz und bey ge-
ſundem Menſchenverſtande, das Auge aus.
Aber in China leidet man dergleichen Betruͤge-
reyen nicht ſo, wie in einigen Laͤndern Europens.
Das chineſiſche Bambusrohr zieht an, und
macht verſtellte Kruͤppel bald wieder geſund, ge-
rade. Eltern, welche Kinder zeugen, und ſie
zuverlaͤßig in der Folge nicht zu ernaͤhren wiſſen,
machen ſie oft in ihrer Jugend ſchon zu Kruͤp-
peln, um ihnen wenigſtens ein natuͤrliches Huͤlfs-
mittel zu geben, auf eine ſo elende Art ihr Le-
ben zu unterhalten. Man kann es kaum glau-
ben, wie das Bettelvolk an ſich ſelbſt unerhoͤr-
te Grauſamkeiten veruͤbt, um dadurch Allmo-
ſen zu erpreſſen. Sie rennen oft mit der Stir-
ne vor eine Mauer, geiſſeln ſich, daß ſie nieder-
fallen, und auf eine kurze Zeit alles Verſtan-
des beraubt ſind. Dergleichen Streiche wuͤr-
den ſie ſo lange bis zum Tode verrichten, wenn
ſich die Zuſchauer nicht manchmal ins Mittel
legten und ſie ſich, durch Beſchenkungen, vom
Halſe ſchafften.
Wenn eine Crimminalſache ſoll unterſucht
werden; ſo bringt man den Miſſethaͤter in ein
oͤffentliches Gefaͤngniß, das lange nicht ſo fuͤrch-
terlich und unrein iſt wie bey uns. Die Ge-
faͤngniſſe ſind nicht enge, ſondern ſehr bequem
und
[270] und geraͤumig. *) — Voll angepfropft ſind
indeſſen gemeiniglich die chineſiſchen Gefaͤngniſ-
ſe von ungluͤcklichen Leuten. Es iſt merkwuͤr-
dig, daß der Staat ſie nicht ernaͤhrt: ſondern
ſie haben die Erlaubniß, ſich durch allerhand
Arbeiten ihren Unterhalt zu erwerben. Dieje-
nigen Miſſethaͤter aber, welche ſich grober Ver-
brechen ſchuldig gemacht haben, werden in ganz
beſondere Gefaͤngniſſe eingeſperrt und an Ketten
geſchloſſen; dahingegen diejenigen, welche K[l]ei-
nigkeiten wegen im Arreſt ſitzen, des Tages uͤber in
einem geraͤumigen Garten zu ſpatzieren die Er-
laubniß haben. Des Abends fuͤhrt man dieſe
in große Saͤle, wo ſie die Nacht verbleiben
muͤſſen: die Gefaͤngniſſe werden auf das ſorg-
faͤltigſte bewacht, und innwendig muͤſſen die
G[e]fangenen die groͤßeſte Stille beobachten. —
Wenn ein Gefangener krank wird; ſo wendet
man alle Vorſorge fuͤr ſeine Geneſung an: es
werden ihm Arzneyen und ein beſonderer Auf-
waͤrter auf Koſten des Kayſers gegeben. —
Die Gefangenen, welche voͤllig geſund ſind, er-
halten taͤglich die nothwendigſten Beduͤrfniſſe
im
[271] im Ueberfluſſe. Wenn ſie alle ſpeiſen; ſo koͤn-
nen ſie unter ſich ſo viel reden, wie ſie wollen. —
Das Gefaͤngniß fuͤr Weibsperſonen iſt von dem
der Maͤnner, durch ein Gitter abgeſondert.
Ihre Beduͤrfniſſe erhalten ſie durch die Haͤnde
ihres Geſchlechts.
Wenn ein Menſch wegen eines Hauptverbre-
chens angeklagt wird; ſo geht ſein Proceß durch
fuͤnf bis ſechs Gerichtshoͤfe; keiner aber darf ein
endliches Urtheil ſprechen, es ſey dann, daß
eine ſchleunige Beſtrafung ganz nothwendig waͤ-
re, z. E. bey Gelegenheit eines Aufruhrs und
dergl. Sonſt muͤſſen alle Crimminalproceſſe,
wie bereits erinnert, vom Kayſer ſelbſt unter-
ſchrieben ſeyn, und kein Todesurtheil wird ohne
des Kayſers Unterſchrift vollzogen.
Unter die allergroͤbſten Verbrechen, die
zugleich auch am haͤrteſten beſtraft werden, ge-
hoͤren Aufruhr und Todtſchlag. Der Miſ-
ſethaͤter wird nemlich in viele tauſend Stuͤcke
zerhackt, welches nach duͤ Haldes Berichte
auf folgende Art geſchieht: der Scharfrichter
bindet den armen Suͤnder an einen Pfahl und
loͤßt ihm erſtlich die Haut von der Stirne und
dem Kopfe ab, laͤßt beydes von den Augen her-
unter hangen, damit der Uebelthaͤter nicht ſehe,
wie man mit den uͤbrigen Theilen ſeines Koͤrpers
umgehe. Hierauf ſchneidet er ihm einige Riemen
des Koͤrpers ab, bis endlich alles Fleiſch nach
und nach abgeloͤßt iſt, worauf der Scharfrich-
ter den Reſt des zerſchnittenen Koͤrpers der
Wuth
[272] Wuth des umſtehenden Poͤbels uͤberlaͤßt. —
Aber nur ſehr ſelten wird dieſe Grauſamkeit an
Verbrechern, und nur dann vollzogen, wenn
grauſame Fuͤrſten das Regiment fuͤhren. Die
Vollziehung dieſer Strafe ruͤhrt noch von einem
ſehr alten Geſetze her, welches aber doch keine
ſolche Grauſamkeit befi[e]hlt, ſondern nur will,
daß der Koͤrper eines Uebelthaͤters in verſchiede-
ne Theile ſolle zerhauen, ihm der Leib aufgeriſ-
ſen und das Gerippe in einen Fluß geworfen
werden. *)
Naͤchſt dieſem wird der Ungehorſam der
Kinder gegen ihre Eltern auf das haͤrteſte ge-
ſtraft. Die Chineſer ſind davon uͤberzeugt,
daß, wenn Kinder denen gehorſam bleiben, wel-
chen ſie das Leben zu verdanken haben: ferner
wenn die Unterthanen ihre Obrigkeit und Re-
genten fuͤr Vaͤter anſehen, die nichts als das
Gluͤck derſelben beginnen: — die ganze Nation
eine gut harmonirende und geordnete Familie
ausmachen wuͤrde. Hierauf gruͤndet ſich auch
ihre ganze Staatsklugheit. Nach den Geſetzen
iſt die vaͤterliche Gewalt unumſchraͤnkt, und
weder Alter, noch Rang entzieht die Kinder die-
ſem Gehorſame. So iſt ein Vater berechtigt,
ſeinem Sohne, auch wenn er ein Mandarin
iſt, Stockſchlaͤge geben zu koͤnnen. — Cin
Sohn
[273] Sohn darf gegen ſeinen Vater nicht anders ge-
richtlich verfahren, als mit Einſtimmung und
Erlaubniß aller ſeiner Verwandten und ſeiner
Obrigkeit: auch wird nie eine Bittſchrift wider
den Vater angenommen, außer wenn ſie vom
Großvater unterſchrieben iſt; und findet man
in ſelbiger auch nur den geringſten Ungrund;
ſo kann er ſich einer Todesſtrafe vergewiſſert hal-
ten. — Ein Vater aber, der uͤber den Unge-
horſam ſeines Sohns zu klagen hat, braucht
ſeine Klage nicht foͤrmlich anzubringen. Soll-
te ſichs ereignen, daß der Sohn ſeines Vaters
geſpottet, auch wohl gar ſich erdreiſtet, gewal-
tig ſeinen Vater anzugreifen und ihn zu toͤdten;
ſo verbreitet ſich Furcht und Schrecken in der
ganzen Provinz aus, worinn ſich der Fall zu-
getragen hat. Alle ſeine Verwandte werden
geſtraft, oder wenigſtens doch hart bedrohet,
daß ſie es zugegeben haben, ein ſolches Unge-
heuer unter ſich zu dulden. Alle Mandarinen
werden in dem Bezierk, wo ſich der Vatermord
zugetragen hat, ihrer Aemter entſetzt. Es
wird oͤffentlich erklaͤrt: daß die Mandarinen
an der That Schuld waͤren, weil ſie
uͤber die Erhaltung guter Sitten nicht
genug gewacht haͤtten. Der Uebelthaͤ-
ter wuͤrde bis zu dieſer Schandthat nicht
gekommen ſeyn, wenn ihm bey Zeiten ſein
wildes und ungeſtuͤmes Weſen benommen
und ſeine Laſter beſtraft waͤren. Das
Urtheil, daß uͤber einen ſolchen ungerathenen
SSohn
[274] Sohn gefaͤllet wird, iſt dieſes, daß ſein Koͤrper
in viele tauſend Stuͤcke zerriſſen und nachher
verbrannt, ſein Haus niedergeriſſen, das gan-
ze Quartier geſchleift, und auf eben dem Platze
eine Denkſaͤule errichtet wird, die das Graͤß-
liche dieſer That der Nachkommenſchaft uͤber-
liefern ſoll.
Wenn jemand einen andern toͤdtet, wird er,
wie billig, am Leben geſtraft. Ereignet ſich
der Fall, daß zwey Perſonen ſich duelliren und
einer den andern niedermacht; ſo wird er ſtran-
gulirt. Das Stranguliren, oder welches einer-
ley iſt, das Erwuͤrgen, iſt die gewoͤhnlichſte und
leichteſte Todesſtrafe: dieſe Strafe wird auch
Perſonen von Stande zuerkannt. Man be-
dient ſich hiezu eines Stricks, welcher etwa ſie-
ben bis acht Fuß lang iſt nebſt einer Schleife,
die dem Inquiſiten uͤber den Hals geworfen
wird. — Toͤdtet aber einer den andern auf ei-
ne meuchelmoͤrderiſche Weiſe; ſo wird er ent-
hauptet. Da der Meuchelmord ein außeror-
dentliches Verbrechen iſt; ſo wird auch dieſe
ſchimpfliche Strafe darauf gelegt. Denn es
iſt unter den Chineſern eine herrſchende Meinung,
daß einem Menſchen nichts ſchimpflichers wi-
derfahren koͤnne, als bey ſeinem Ausgange aus
der Welt, ſeinen Koͤrper nicht ſo vollſtaͤndig zu
hinterlaſſen, wie er ihn auf die Welt gebracht
hat. — — Bey allen Criminal und Todes-
unterſchriften, richtet der Kayſer dieſelbe nach
Beſchaffenheit des Verbrechens ein. Iſt das
Ver-
[275] Verbrechen ungeheuer groß; ſo fuͤgt der Mon-
arch, wenn er das Todesurtheil unterſchreibt,
noch beſonders folgende Worte hinzu: So-
bald dieſer Befehl anlangt; ſo will ich,
daß das Urtheil unverzuͤglich an dem
Miſſethaͤter vollſtreckt werde. Iſt es
aber von gewoͤhnlicher Art[;] ſo wird der Be-
fehl in folgenden Ausdruͤcken gemildert: Man
halte den Verbrecher bis zukuͤnftigen
Herbſt in guter Verwahrung, und als-
dann ſoll ihm ſein Recht wiederfah-
ren. — Man verſchiebt meiſtentheils die
Hinrichtung der Miſſethaͤter bis auf dieſe Jah-
reszeit.
Der Ehebruch wird in China fuͤr ein Ver-
brechen und auch nicht fuͤr ein Verbrechen ge-
halten. Fuͤr ein Verbrechen: wenn es nicht
vorher im Ehecontract ausgemacht iſt, daß
die Frau zu Zeiten einen Galan zu ſich herein
laſſen darf. Denn alsdann darf der Mann
ſein Weib, wenn es auf ſolche Weiſe die Ehe
bricht, ſtrafen, oder ſich von ihr ſcheiden laſ-
ſen. Der Ehebruch wird nicht fuͤr ein Ver-
brechen gehalten, wenn die Eltern, aus Zaͤrt-
lichkeit gegen die Schwaͤche ihrer lieben Toch-
ter, einen Cortract mit ihrem Braͤutigam ma-
chen, es nicht uͤbel zu nehmen, wenn ſich dann
und wann ein andrer bey ihr einfuͤnde. Aber
dergleichen Faͤlle kommen ſehr ſelten vor, theils
weil das chineſiſche Frauenvolk ſich auf die
Keuſchheit ſo ſehr viel zu gute thut, theils, weil
S 2ſie
[276] ſie zu ſehr bewacht und eingeſperrt werden, ſo
daß Niemand in ihre Zimmer kommen
kann. — Der Diebſtahl iſt eine Sache, die
eben nicht mit dem Tode beſtraft wird, ſon-
dern es werden dem Diebe gemeiniglich eine
Laſt Schlaͤge auf den Hintern gegeben. Dieſe
Execution, die im Grunde ungemein lobens-
wuͤrdig iſt, dauert ſo lange, und man faͤhrt
mit dem Pruͤgeln ſo lange fort, bis der Man-
darin aufzuhoͤren befiehlt. Wenn dem Diebe
der Hintere voll geblaͤuet iſt; ſo erfodert ſeine
Schuldigkeit, ſich vor dem Mandarin auf
die Knie zu werfen, und ihm fuͤr die gelinde
Beſtrafung zu danken. *) Wenn aber der
Diebſtahl betraͤchtlich, und alſo von Wichtig-
keit iſt; ſo werden ſie auch auf eine ſehr em-
pfindliche Art beſtraft. Der Dieb muß ein
Joch tragen, wobey er weder auf den Fuͤßen
zu ſtehen, noch die Haͤnde zum Munde zu brin-
gen, vermoͤgend iſt. Dieß Joch wird ſchwer
oder leicht gemacht, je nach dem das Verbre-
chen groß oder klein iſt. Manche, die eine ſo
be-
[277] beſchwerliche Sache nicht ausſtehen koͤnnen,
muͤſſen oftmals darunter ſterben. Wiewohl
die Verbrecher dahin zu ſehen gewohnt ſind,
ſich ihre Laſt ſo leicht zu machen, wie ſichs nur
immer will thun laſſen, indem ſie ſich, wie
Duͤ Halde ſagt, entweder an eine Tafel, oder
auf eine Bank, um die Laſt einigermaßen von
ihren Schultern zu heben, lehnen. Indeſſen
helfen dergleichen Anſtalten doch gar nichts,
wenn das Joch uͤber hundert Pfund ſchwer
iſt. — Wenn jemand davon ſtirbt; ſo darf
ſich keiner unterſtehen, daruͤber zu klagen, und
von ſich hoͤren zu laſſen, daß das uͤber ihn
verhaͤngte Urtheil zu hart ſey. — Derglei-
chen Strafen muß ein Dieb auf oͤffentlichem
Markte aushalten, ſo daß er von jedermann
kann beobachtet werden. Iſt die Strafe gluͤck-
lich uͤberſtanden; ſo muß er ſich bey dem Man-
darine wieder einfinden, und eine Tracht Pruͤ-
gel mitnehmen.
Die ordentliche und außerordentliche Tor-
tur iſt, wie in allen geſitteten Laͤndern, auch
in China eingefuͤhrt, und man muß geſtehen,
daß ſie in Erfind[u]ng, die Schuldigen zu mar-
tern, eben ſo geſchickt ſind, wie irgend ein an-
dres Volk. Ich zweifle aber, daß die Chine-
ſer ſowohl, als alle andere Voͤlker zu dieſem
Huͤlfsmittel, ihre Zuflucht zu nehmeu, brauch-
ten, um aus den Verbrechern die Wahrheit
heraus zu bringen. Es ſind andere Mittel,
die zu dieſer Abſicht gebraucht werden koͤnnen,
S 3und
[278] und nicht nach Unmenſchlichkeit und Grauſam-
keit ſchmecken! Wir wollen aber doch hier ei-
niges von der Beſchaffenheit der Tortur in
China anfuͤhren. — Die ordentlichen Tor-
turen geſchehen gewiſſer Schandthaten wegen,
indem der Miſſethaͤter mit einem chineſiſchen
Character an der Stirne gebrandmalet wird,
welcher das Verbrechen anzeiget. Zuweilen
werden die Verbrecher auf Barkeu zu Ruder-
knechten gebraucht. Noch andere Strafen
geringer Vergehungen wegen ſind, daß ſie
z. E. eine Laſt von zehn oder mehrern Pfunden
auf ihren Koͤpfen tragen muͤſſen. Aber die
ordinaire Tortur in China beſtehet eigentlich
darinn, daß ſie dem Verbrecher an Haͤnden
und Fuͤßen eine gewiſſe Maſchine anlegen, wo-
durch ſie ihm die Glieder ſo von einander zie-
hen, daß die Knoͤchel an den Fuͤßen ganz her-
ausgehen. — Der außerordentlichen Tortur
bedient man ſich nur ſelten, und nur alsdenn,
wann ein Aufruhr entſtanden, und man die
vornehmſten Urheber herausforſchen will. Und
in der That kann man ſich auch nichts abſcheu-
licheres vorſtellen, als dieſe Art von Peinigung.
Dů Halde meldet uns, dieſe anßerordentliche
Tortur beſtehe darinn: daß man kleine
Schnitte in den Leib thaͤte, und die Haut in
kleinen und duͤnnen Riemen vom Fleiſche ab-
zoͤge. — Vor Zeiten waren die Torturen
noch weit ſchrecklicher und grauſamer, als ſie
itzt ſind. Wir wollen hier nur eine des Exem-
pels
[279] pels wegen anfuͤhren, die, wenn den Nach-
richten zu trauen, eine von den Beyſchlaͤferin-
nen, des Kayſers Chew ſoll erfunden haben.
Die Strafe beſtand barinn: Ein hoher Thurm,
etwa zwanzig Elleu hoch, und acht im Diame-
ter, in der Mitte hohl, mit drey Oeffnungen,
wurde aufgerichtet, darinn Feuer angelegt
werden konnte. An dieſem Thurm befeſtigte
man die ungluͤcklichen Leute ſo, daß ſie den
Thurm oder Pfeiler mit ihren Armen und
Fuͤtzen umfaſſen mußten. Alsdann wurde in-
wendig ein großes Feuer angezuͤndet, woran ſie
geroͤſtet und endlich verbrannt wurden. *)
Dergleicheu Tyrannen aber wurden nicht nur
zu der Zeit gehaßt, in welcher ſie lebten, ſon-
dern ihr Gedaͤchtniß wird noch gegenwaͤrtig
bey den Chineſern verflucht und verab-
ſcheut.
Fuͤnftes Kapitel.
Von der Religion der Chineſer.
Um den Geiſt einer Nation recht zu erfor-
ſchen und kennen zu lernen, ſcheint es
vor allen Dingen noͤthig zu ſeyn, ſich mit dem
S 4reli-
[280] religioͤſen Syſteme derſelben bekannt zu machen.
Hierdurch bekommt man ungemein viele Auf-
ſchluͤſſe, warum man dieſes oder jenes in den
Sitten und Gebraͤuchen, Geſetzen, eines
Volks antrifft. — Ich werde hier das In-
terreſſanteſte aus der chineſiſchen Religion
und ihren Gebraͤuchen abhandeln, und als ein
bloßer Geſchichtſchreiber von derſelben reden,
ohne mich in die Unterſ[u]chungen einzulaſſen,
die in Europa eben ſo gefaͤhrlich, als in China
ſchrecklich geweſen ſind.
Man zaͤhlt in China fuͤrnehmlich drey Se-
cten, welche gegenwaͤrtig die drey herrſchenden
Religionen des Landes ausmachen. Erſtlich,
die Religion der Großen und Gelehrten, deren
Stifter Confucius iſt. Zweytens die Secte
der Schuͤler des Lao-Kiun, die aber nichts
anders, als ein Gewebe von allerley Aus-
ſchweifungen und Gottloſigkeiten iſt. Drit-
tens, die Secte der Goͤtzendiener, welche ei-
nen gewiſſen Goͤtzen, Namens Fo oder Foaͤ
anbeten.
I.Secte des Confucius. Wir wollen
den Stifter dieſer Secte kennen lernen. Con--
fucius ward in einem kleinen Flecken des Koͤ-
nigreichs Lou, welches heutiges Tages die Pro-
vinz Chang-Tong heißt, fuͤnfhundert und ein
und funfzig Jahre vor unſrer chriſtlichen Zeit-
rechnung gebohren. Nach dieſer Rechnung,
welche Duͤ Halde und anderc Gelehrte fuͤr die
richtige halten, war Confucius ein Zeitgenoſſe
der
[281] der beyden großen Maͤnner, Solon und Py-
thagoras. Sokrates betrat kurz nachher den
Schauplatz dieſer Welt. — Man bemerkte
ſchon in der zarten Jugend des Confucius an
ihm deutliche Merkmale eines außerordentlichen
Kopfs. Er begnuͤgte ſich in den etwas rei-
fern Jahren ſeines Verſtandes faſt nur allein
von der Urquelle aller Weſen zu reden und zu
denken: und jedem Ehrerbietung, Furcht und
Dankbarkeit gegen das Urweſen einzufioͤßen.
Er fieng an oͤffentlich zu ſagen, daß dieſe Ur-
quelle das Gute belohnen, und das Boͤſe nicht
ungeſtraft laſſen wuͤrde. Und dieſe Grundſaͤ-
tze herrſchen uͤberall in ſeinen Werken! Nach
dieſen Geſetzen richtete er ſich ſelbſt, und ſein
ganzer Eifer war nichts, als ein feuriges Be-
ſtreben, die Sitten ſeiner, faſt noch im Aber-
glauben und Dummheit ganz erſoffenen, Mit-
buͤrger zu verfeinern — ſie gluͤcklich zu
machen.
Confucius, zeigte ſeinen Landesleuten
nicht allein den Weg, den ſie gehen muͤßten,
wenn ſie vernuͤnftige Menſchen ſeyn wollten;
ſondern er gieng ihnen hierinn mit einem
ruͤhmlichen Beyſpiele vor. Er beſaß die, ſonſt
ſo ſeltene, Gabe zur Tugend zu fuͤhren, und
vom Laſter abzuhalten. Er bediente ſich hier-
zu nicht allein der ſtaͤrkſten und maͤchtigſten
Beweggruͤnde, ſondern auch der ſicherſten und
geſchickteſten Methode. Hauptſaͤchlich muß
man den Zug ſeiner großen Seele nicht unbe-
S 5merkt
[282] merkt laſſen, daß er die Vorurtheile des groſ-
ſen Haufens, in Anſehung der Religion und
Religionsgebraͤuche, nicht geradezu angriff:
eine gefaͤhrliche Klippe, woran viele beruͤhmte
Sittenlehrer, und unter dieſen Sokrates, un-
gluͤcklicherweiſe, geſcheitert. Durch dieſe loͤb-
liche Vorſichtigkeit, konnte es dieſem in aller
Abſicht großem Manne gar nicht fehlen, ſich
bald der allgemeinen Achtung zu verſichern.
Mit einem tiefen und alles durchſchauendeu
Verſtande, verband er die Tugend der Maͤßig-
keit, Demuth, Uneigennuͤtzigkeit, Aufrich-
tigkeit, und eine großmuͤthige Verachtung al-
ler Reichthuͤmer. Und es dauerte nicht lange,
ſo wurde er, ungeachtet China uͤberall mit al-
len Arten von Laſtern uͤberſchwemmt war, zu
der Wuͤrde eines Mandarins und erſten
Staatsbedienten, erhoben. — Die Verwal-
tung eines ſo anſehnlichen Poſtens, machte
dem Confucius Hoffnung, ſeine Reformation
in Abſicht der Religion und des Staats beſſer
befoͤrdern zu koͤnnen, und er nahm die Antraͤge
auch willig an. — Seine Grundſaͤtze in der
Kunſt zu regieren, ſeine Staatsklugheit, ſeine
neuen Einrichtungen der buͤrgerlichen Geſetze,
ſind eben ſo ſehr, als ſeine Sittenlehre zu be-
wundern: er zeigte durch ſein eignes Beyſpiel,
wie gut und wie nothwendig es ſey, daß ein
Regent mit der Regierung eine geſunde Phi-
loſophie verbaͤnde: er zeigte, wie die Tugend
die Grundſtuͤtze der Religion ſey!
Es
[283]
Es dauerte nicht lange; ſo ſah man die
gluͤckliche und geſchwinde Wuͤrkung ſeiner
neuen Einrichtungen, und die ganze Staats-
einrichtung in weniger als drey Monathen
gaͤnzlich verbeſſert. Die benachbarten Fuͤrſten
fiengen an, uͤber die ſchnelle Verbeſſerung eines
Staats aufmerkſam und eiferſuͤchtig zu wer-
den, der ſich vorher durch die große Unord-
nung, in Verwaltung der buͤrgerlichen Einrich-
tungen, ſo ſehr ſignaliſirt hatte. Da dieſe
wohl einſahen, daß einen Staat nichts bluͤ-
hender mache, als die gute Ordnung und ge-
naue Befolgung der Geſetze; ſo urtheilten ſie
nicht ohne Grund, daß der Koͤnig von Lou,
dafern er fortfuͤhre, den Rathſchlaͤgen eines ſo
weiſen und erleuchteten Mannes zu folgen, gar
zu maͤchtig werden koͤnnte. — Der Koͤnig
von Tſi und ſeine Staatsbedienten bothen da-
her alle ihre Kraͤfte auf, die ſchicklichſten Mit-
tel zu erdenken, den Unterricht und patrioti-
ſchen Eifer des Philoſophen zu vereiteln.
Sie kamen endlich nach vielen Berathſchla-
gungen, darinn uͤberein, zur Liſt ihre Zuflucht
zu nehmen; und dieſe beſtand darinn: der
Koͤnig von Tſi ſandte eine Geſandtſchaft an
den Koͤnig von Lou, und machte dieſem Fuͤr-
ſten und ſeinen Staatsminiſtern ein Geſchenk
mit einer großen Anzahl junger und ſchoͤner
Maͤgdchen, die im Singen, Tanzen und an-
dern Dingen, welche die Sinne ſchmeicheln,
vorzuͤglich unterrichtet waren. Dieſe Liſt
gluͤckte.
[284] gluͤckte. Der Koͤnig und ſeine Miniſter,
konnten bey dem Anblicke ſolcher Schoͤnen,
den Reizungen derſelben nicht widerſtehen. Es
wurden ſogleich alle moͤgliche Anſtalten getrof-
fen, dieſen Schoͤnen ihren Aufenthalt ſo an-
genehm zu machen, als es nur immer moͤg-
lich war. Und von der Zeit an vergaß der Koͤ-
nig, mit allen die ihn umgaben, alle ſeine
Regierungsgeſchaͤffte, und widmeten ſich gaͤnz-
lich dieſen unterrichteten Weibsbildern. —
Confucius, der dieſem Unweſen mit Mitlei-
den eine kurze Zeit zuſah, konnte ſichs endlich
nicht enthalten, dem Koͤnige deshalb Vorſtel-
lungen zu thun. Allein Confucius konnte
den Begierden eines Koͤniges nicht mehr wi-
derſtehen, die bereits ſo wild geworden waren.
Er entſagte daher allen ſeinen Wuͤrden, und
entfernte ſich aus ſeinem Vaterlande, um an-
derswo Koͤnige oder Fuͤrſten zu ſuchen, die
ſeines Unterrichts wuͤrdiger waͤren. Aber er
fand allenthalben, wohin er kam, nicht die
geringſte Aufnahme, vielmehr mußte er nicht
nur dulden, allgemein verachtet zu werden,
ſondern er gerieth auch ſo gar in die groͤßeſte
Armuth. Bey dieſer traurigen Lage aber
blieb er ſich doch immer gleich. Seine Leutſe-
ligkeit, Beſcheidenheit und Herablaſſung, ver-
ſchafften ihm eine ſehr große Menge Schuͤler.
Seine Reden waren voller Weisheit, und mit
ſo vieler Beredſamkeit durchwuͤrzt, daß er da-
durch die Freundſchaft aller auf ſich zog.
Seine
[285] Seine Buͤcher enthalten eben dieſen Geiſt, eben
dieſe Anmuth. — Confucius lebte ſo lange,
daß er ſeine hiſtoriſchen und philoſophiſchen
Werke vollenden konnte, und ſtarb im Koͤnig-
reiche Lou im drey und ſiebenzigſten Jahre ſeines
Alters, und wurde nicht nur vom Koͤnige und
ſeinem Hofe, ſondern auch vorzuͤglich von ſei-
nen Schuͤlern bedauert. — Noch kurz vor
ſeinem Tode ſoll er zu ſeinen Schuͤlern geſagt
haben, daß ihm die Unordnung, die im
Reiche noch herrſche, das Herz breche:
und da die Koͤnige ſich weigerten, ſeinen
Lehren zu folgen; ſo ſey er auch nichts
nuͤtze mehr auf der Welt, und můſſe ſie
nun verlaſſen.
Die verſchiedenen Schriften dieſes Philo-
ſophen, haben den Titul. 1 Tay-hyo, d. h.
die große Wiſſenſchaft, oder die Schule der
Erwachſenen. 2 Chong-yong, das unwan-
delbare Mittele, in welchem die Tugend beſte-
het. 3 Lun-yu, moraliſchnuͤtzliche Abhand-
lungen. 4 Mengtſe, der Begriff einer voll-
kommnen Regierungsart. — In allen dieſen
Werken war die erſte und naͤchſte Abſicht des
Verfaſſers, die Sitten zu verfeinern, und die
Wohlfart der menſchlichen Geſellſchaft zu be-
foͤrdern. — Dieſer große Mann geſteht ſelbſt,
mit einer ruͤhmlichen Offenherzigkeit, daß er
keinesweges der Erfinder aller der Lehren ſey,
die er der Welt bekannt gemacht habe, ſondern
er habe die meiſten aus einer unbekannten alten
Hand-
[286] Handſchrift entlehnt. Seine Begriffe, die er
von der Gottheit hat, ſind die vernuͤnftigſten,
welche man ohne die Offenbarung erhalten
kann.
Die Chineſer hegen noch bis auf den jetzi-
gen Tag fuͤr das Andenken dieſes Philoſophen
die groͤßeſte Hochachtung und Ehrerbietigkeit.
Man richtete ihm, nach ſeinem Tode, auf dem
Platze, wo er ſeine Schuͤler zuſammen kom-
men ließ, ein ſehr praͤchtiges Grabmal auf.
Nach der Zeit aber iſt dieſer Ort mit einer
Mauer eingefaßt worden, und ſieht gegenwaͤr-
tig einer kleinen Stadt nicht unaͤhnlich. Man
ſieht noch jetzt in einer jeden Stadt ein oͤffent-
liches Gebaͤude, in welchem ſich jaͤhrlich die
Mandarinen und Gelehrten an gewiſſen Tagen
verſammeln und dem Confucius gewiſſe Arten
von Verehrung erweiſen, welches mit den
Opfern ziemlich einerley iſt. Die Ehrerbietung
geht ſo weit, daß eine vornehme obrigkeitliche
Perſon, wenn ſie vor ſeinem Ehrentempel vor-
bey getragen wird, allemal von dem Tragſeſ-
ſel abſteigt. Wer ein Mandarin werden oder
ein anders oͤffentliches Amt haben will, muß,
den Lehrſaͤtzen des Confucius gemaͤß, vorher
die Doctorwuͤrde annehmen. — Seine Nach-
kommen ſtehen noch bis auf den heutigen Tag
in beſonderer Hochachtung, und genießen vor
andern, und in gewiſſen Stuͤcken ſelbſt vor den
Prinzen von Gebluͤt, große Vorzuͤge, indem
ſie
[287] ſie nemlich von allen Abgaben an den Kayſer
befreyt ſind.
Wir haben bereits oben erwaͤhnt, daß die
Vornehmen und Gelehrten in China, ſich zu
der Secte des Confucius bekennen. Selbſt
der Kayſer mit ſeinem ganzen Hofe bekennt
ſich zu derſelben. — Die Grundſaͤtze dieſer
Religion ſind aus dem natuͤrlichen Lichte einer
nachdenkenden und geſunden Vernunft, und
aus der natuͤrlichen Religion gezogen, welche
ſchon lange vor dem Confucius in China gebluͤ-
het hatte. Aus dieſem nun, richtete er ein
eignes Lehrgebaͤude auf, das in folgenden Pun-
cten aus einander geſetzt werden kann.
„Man muß dasjenige, was wir bey dem
Menſchen Vernunft heiſſen, als einen goͤttli-
chen und himmliſchen Ausfluß betrachten.„
„Was mit der Natur und der geſunden
Vernunft uͤbereinſtimmt, heißt ein Geſetz.
Und da die Menſchen das Geſetz durch Einge-
bung bekommen haben; ſo iſt es auch ein Ge-
ſchenk des Himmels.„
„In der Natur ſind die Leidenſchaften ver-
borgen; und die Vernunft muß dafuͤr ſorgen,
ſie zu baͤndigen.„
„Wenn ein Menſch in demjenigen Alter
iſt, worinn er ſeine Vernunft ſchon gehoͤrig
gebrauchen kann: ſo muß er ſich in allen Vor-
fallenheiten nach folgenden drey Stuͤcken rich-
ten. Erſtlich, muß er gegen den Urheber ſei-
nes Daſeyns eben die Pflichten erfuͤllen, die er
von
[288] von ſeinen eignen Kindern verlangt. Zwey-
tens, muß er gegen den Fuͤrſten eben die Treue,
und den Gehorſam beweiſen, die er auch ver-
langen wuͤrde, wenn ihm andre unterthaͤnig
waͤren. Drittens, muͤſſe ein jeder ſeinen
Naͤchſten wie ſich ſelbſt lieben, und was er
nicht wolle, das ihm andre thun ſollen, das
ſolle er ihnen auch nicht thun.„
Die zweyte Hauptſecte, die ſich in kurzer
Zeit in China weit ausbreitete, war die Secte
des Foe oder Fo. — Der Urheber der Ein-
fuͤhrung dieſer Secte, war der Kayſer Ming-
ti, dem im fuͤnf und ſechzigſten Jahre nach
Chriſti Geburt traͤumte, daß Confucius vor-
mals geſagt habe, man muͤſſe den wahren
Heiligen im Abendlande ſuchen. Dieſer
Traum kam dem Kayſer wichtig vor, und er be-
fahl ſo gleich, daß einige geſchickte und erfahr-
ne Maͤnner nach Indien gehen, und ſich er-
kundigen ſollten, wer dieſer Heilige ſey. Dieſen
Abgeordneten ertheilte er auch zugleich den Be-
fehl, daß ſie ſich auf das genaueſte nach den Lehren
und deſſen Perſon erkundigen ſollten Dieſe Ge-
ſandten, welche nicht weiter bis nach Indien
kamen, glaubten, dieſen Heiligen an dem Goͤ-
tzen Foe gefunden zu haben. Sie kehrten al-
ſo voller Freuden nach China zuruͤck, und
brachten alle die Fabeln, womit die indianiſchen
Buͤcher reichlich verſehen ſind, ihren Aberglau-
ben, ihre Lehren von der Seelenwanderung
und ihre Atheiſterey mit. Die Seuche, die
zufoͤr-
[289] zufoͤrderſt den ganzen kayſerlichen Hof anſteck-
te, verbreitete ſich bald in allen Provinzen des
Reichs.
Man erzaͤhlt von der Geburt und dem
Wandel dieſes Goͤtzen Foe viel und mancher-
ley erdichtete Dinge. — Die Indianer be-
haupten, daß ſein Vater, Namens In-
ſang-wau, Regent und Koͤnig uͤber einen
gewiſſen Strich Landes geweſen ſey. Seiner
Mutter ſoll waͤhrend ihrer Schwangerſchaft
groͤßeſtentheils getraͤumt haben, daß ſie einen
Elephanten verſchlungen, und von einem boͤ-
ſen Geiſte ſey geſchwaͤngert worden. Allein
bey der Niederkunft dieſer Frau, bemerkte man
keinen Elephanten, ſondern eine Menſchenge-
ſtalt. Die Indianer erzaͤhlen ferner, daß er gleich
nach ſeiner Geburt auf ſeinen Beinen geſtanden,
und habe mit der einen Hand nach dem Himmel,
und mit der andern nach der Erde gewieſen, und
fuͤrnemlich dieſe Worte geſprochen: Weder
im Himmel noch auf Erden kann und
wird man jemanden finden, der wuͤrdi-
ger waͤre, angebetet zu werden, als ich.
Anfaͤnglich hieß er Che kia, oder Cha ka;
als er aber im dreyßigſten Jahre von einer
Gottheit erfuͤllt zu ſeyn vorgab, und viele es
wuͤrklich glaubten; ſo bekam er den Namen
Foe. Von dieſer Zeit an war er auf nichts
anders bedacht, als das einfaͤltige Volk zu be-
truͤgen, und ſich unter demſelben Anhaͤnger
Tzu
[290] zu verſchaffen. Man hat in China eine
große Menge Buͤcher, worinn ſeine Tha-
ten beſchrieben, und trefflich von den Bonzen
herausgeſtrichen worden. Es dauerte auch
nicht lange; ſo erhielt er ſchon eine Menge An-
haͤnger, bie ſich eifrigſt bemuͤheten, den ganzen
Orient mit ſeiner Lehre anzuſtecken. Die Chi-
neſer benamen ſeine Anhaͤnger Hochang: die
Tatarn, Lamas; die Siamer Talapoins;
die Japaner und Europaͤer, Bonzen. —
Foe begriff doch endlich, daß er ſterblich ſey,
und in dieſem Stuͤcke vor andern Menſchen
nichts voraus habe. Wie er alſo neun und
ſiebenzig Jahre gelebt hatte, und bemerkte,
daß ſich ſeine Kraͤfte ſtark verminderten; ſo er-
klaͤrte er ſeinen Schuͤlern, daß er ihnen bisher
ſeine Lehren unter verbluͤmten und metaphori-
ſchen Redensarten vorgehalten habe. Da er
nun itzt die Welt verlaſſen muͤſſe; ſo koͤnne er
ſich nicht enthalten, ihnen ſeine wahren Mey-
nungen zu entdecken, und ſeine Geheimniſſe zu
eroͤffnen. Wiſſet demnach, ſagte er, daß
kein anderes Gcundweſen aller Dinge
ſey, als das Leere und das Nichts; daß
aus dieſem Nichts alles entſtanden; daß
in dieſes Nichts alles verwandelt werde,
und alle unſere Hoffnungen ſich in ein
Nichts endigen.
Nach ſeinem Tode verbreiteten ſeine Schuͤ-
ler ungemein viele Fabeln und Erzaͤhlungen
von
[291] von ihm. So uͤberredeten ſie das leichtglaͤubige
und einfaͤltige Volk, daß ihr theurer Meiſter
und Lehrer Foe acht tauſendmal gebohren,
durch verſchiedene Thiere gewandert ſey, und
ſich auch in Thiergeſtalten habe ſehen laſſen.
Daher iſt es auch gekommen, daß die Thiere,
deren Geſtalt Foe ſoll angenommen haben, an
unterſchiedenen Orten oͤffentlich angebetet und
verehrt werden. — Man errichtete ihm eine
unzaͤhlige Menge Altaͤre, Pagoden, Tempel
u. ſ. w. worunter einige mit der groͤßeſten
Pracht und aͤußerſten Verſchwendung aufge-
bauet ſind. Die Bonzen, welche ſeine Prie-
ſter wurden, ruͤhmten dem Volke ſo viel Gu-
tes von ihrem Gotte vor, erzaͤhlten ſo viel
von ſeinen vorgeblichen Wundern, daß ein je-
der bald geneigt war, den Foe fuͤr einen Ge-
ſetzgeber der Menſchen, und ihn fuͤr den ſicher-
ſten Weg zur Gluͤckſeligkeit zu halten.
Wir muͤſſen hier kuͤrzlich von den beruͤch-
tigten Prieſtern des Foe, den Bonzen, das
Merkwuͤrdigſte und Intereſſanteſte erzaͤhlen,
da ſie in China ſo viel Weſens und Aufſehens
machen. — Dem Aeußerlichen nach fuͤhren
die Bonzen ein uͤberaus ſtrenges und hartes Le-
ben, und geben dadurch vor, die Suͤnden der
Lebenden zu verſoͤhnen. Sie legen ſich die
beſchwerlichſten Bußen auf: haͤngen ſich unge-
heure Ketten an, die ſie ſo ſehr an ihrem Koͤr-
per befeſtigen, daß ſie ſich bey jedem Schritte,
T 2den
[292] den ſie thun, verwunden: zerſtoßen ſich den
Kopf und die Bruſt ſo ſtark an Kieſelſteinen,
daß das Blut zum Vorſchein kommt: halten
an den Thuͤren ſtille, und rufen den Einwoh-
nern zu, kommt alle, ſo viele eurer im
Hauſe ſeyd, und ſeht zu, wie viel es uns
koſtet, eure Suͤnden zu buͤßen. Fuͤr dieſe
außerordentliche Pein, die wir eurentwegen
freywillig unternehmen, koͤnnt ihr uns wohl
eine kleine Gabe zufließen laſſen.
Bey aller dieſer ſcheinbaren Strenge wird
doch dieß Handwerk der Bonzen ſo ſehr verach-
tet, daß ſich nicht leicht ein Menſch von vor-
nehmen Stande dazu entſchließt. Um dieſen
Abgang, ſo viel als moͤglich, zu erſetzen, kau-
fen die Bonzen junge Sclaven von ſieben bis
acht Jahren, unterrichten ſie hinlaͤnglich in ih-
ren Lehrſaͤtzen, und formiren aus dieſen ihre
Moͤnche. Der groͤßeſte Theil derſelben ſind
ſehr unwiſſend, und da ſie dieſe nicht zu allen
Dingen gebrauchen koͤnnen; ſo muͤſſen ſie ſich
auf das Betteln legen. Diejenigen aber, die
einen offnen Kopf aͤußern, muͤſſen mit den Ge-
lehrten Umgang ſuchen, und Gelegenheit neh-
men, ſich durch dieſe bey den Vornehmen ein-
zuſchmeicheln.
Die außerordentliche Begierde der Bon-
zen, Allmoſen zu erhaſchen, macht auch, daß ſie
ſich allezeit bereit finden laſſen, hinzugehen, wohin
man
[293] man ſie nur haben will, — Verlangt man
ſie in einer Geſellſchaft von Frauenzimmern;
ſo nehmen ſie immer einen von den aͤlteſten ih-
res Ordens mit. Sie begegnen dieſem mit auſ-
ſerordentlicher Ehrerbietung, laſſen ihn in allen
Stuͤcken den Rang, und unterſcheiden ihn durch
eine beſondere Art von Kleidung. — Man
ſagt auch, daß ſie in Liebesangelegenheiten
nicht ungeſchickt ſeyn ſollen. Sie machen ih-
ren andaͤchtigen Frauenzimmern weis, daß,
im Fall ſie den Schuͤlern des Foe ihre ganze
Gewogenheit ſchenken, es ſich oft ereignete,
daß der Gott ſelbſt, ohne ihr Wiſſen, ſie mit
ſeinen ſanften Umarmungen beehrte. —
Oftmals verlangen ſie ſo gar Anſpruͤche auf
ihre Jungfrauſchaft zu haben. Wißt ihr
nicht, ſagen ſie, daß ihr mir ſchon die
Ehe verſprochen habt, ehe ihr noch ge-
bohren waret? Ein unerwarteter Tod
verſtattete mir es damals nicht die Sa-
che durchzuſetzen; und itzt will ich meine
Anſprůche guͤltig machen. — Hierdurch
kommt es oft, daß die Bonzen Perſonen aus
den angeſehenſten Haͤuſern auf eine ſchaͤndliche
Art entehren, und ſie in die Nothwendigkeit
verſetzen, ihren Unterhalt durch ein luͤderliches
Leben zu erwerben.
Ehe die Bonzen jemanden in ihren Orden
aufnehmen, muß ſich der Recrute zuerſt be-
ſchwerlichen Proben unterwerfen. Der Lehr-
T 3ling
[294] ling muß ſich zufoͤrderſt den Bart und die
Haare ein ganzes Jahr hindurch wachſen laſ-
ſen. Er muß ferner in einer elenden Klei-
dung vor allen Haͤuſern herum betteln, in ei-
ner devoten Stellung gehen, und Lieder zu
Ehren des Gottes, dem er dient, anſtim-
men. Im ganzen Jahre darf er von keinem
Thiere Fleiſch eſſeu. Er muß ſich ſo gar
des Schlafens enthalten, und laͤßt er ſich
von ihm uͤberwaͤltigen; ſo wird er durch Pruͤ-
gel von ſeinen Obern, im Fall ſie ihn daruͤber
ertappen, zum Wachen angehalten. — Wenn
er nun alle dieſe Pruͤfungen mit vieler Stand-
haftigkeit ausgehalten hat; ſo wird er auf ei-
ne feyerliche Art in den Orden der Bonzen
recipirt. Alle Bonzen aus den benachbarten
Kloͤſtern kommen zuſammen, werfen ſich vor
dem Goͤtzenbilde des Foe nieder, und plau-
dern unter Klockenſchalle eine Menge Gebete
her. Indeſſen liegt der Neuaufgenommene
vor der Schwelle des Tempels, und erwartet
mit ſchmerzlicher Sehnſucht das Ende dieſer
Cerimonien. So bald dieſe nun vorbey
ſind; ſo holen ihn die Bonzen, fuͤhren ihn
vor den Altar, ziehen ihm ſeine alten Kleider
aus, und hangen ihm ein graues Kleid an,
das mit einem Gurte zuſammen gebunden
wird. Auf den Kopf pflegen ſie ihm eine
pyramidalfoͤrmige Muͤtze von Pappe zu ſetzen,
worauf ſie ſich dann mit einander herzlich um-
armen.
In
[295]
In gewiſſen Stuͤcken haben die Bon-
zen mit unſern Moͤnchen und Nonnen viele
Aehnlichkeit. Denn jene uͤberreden ſowohl
als dieſe das Volk, junge Leute in ihren Or-
den zu ziehen, ohne zu uͤberlegen, was die
Welt aus einem ſolchen Muͤßiggange werden
wuͤrde. Beyde, die chineſiſchen Bonzen, und
europaͤiſcheu Moͤnche und Nonnen, ſind oft
unſaͤglich mißvergnuͤgt, ſich zu der Parthey
geſchlagen zu haben. *)
Was ihre Grundgeſetze betrifft; ſo behau-
pten ſie, daß ihnen ihr Gott Foe fuͤnf Gebo-
te hinterlaſſen habe; 1) man ſoll keine leben-
dige Creatur toͤdten; 2) kein fremdes Gut
an ſich zu bringen ſuchen; 3) ſich aller Un-
zucht und Unkeuſchheit enthalten; 4) nicht zu
T 4luͤgen,
[296] luͤgen, und endlich 5) keinen Wein zu trin-
ken. — Fuͤrnehmlich dringen ſie in ihrer
Sittenlehre auf die Ausuͤbung gewiſſer Wer-
ke der Barmherzigkeit, auf Erbaunng der
Tempel zu Ehren des Foe, auf Erbauung
der Kloͤſter fuͤr die Bonzengeſellſchaft, und
fuͤr ihre Unterhaltung zu ſorgen. Um dieſen
Zweck zu erreichen, bedrohen ſie das Volk,
daß derjenige, welcher laſterhaft gelebt, nach
ſeinem Tode, dafern er ſich in dieſen Pflichten
ſanmſelig bewieſe, in den Leib gewiſſer Thie-
re ziehen wuͤrde. Ueberhaupt thut die Lehre
von der Seelenwanderung, welche die Chi-
neſer angenommen haben, bey den Betruͤge-
reyen der Bonzen, das Vermoͤgen der Ster-
benden an ſich zu ziehen, und ihre eigne
Einkuͤnfte zu vergroͤßern, ganz wunderbare
Wuͤrkungen. Man erzaͤhlt, daß die Bonzen
einmal einer Bauersfrau drey große Enten
unter dem Vorwande abgeſchwatzt haben,
ſie wuͤßten, daß die Seelen ihrer Vaͤter in
den Leibern dieſer Thiere waͤren, es ſey des-
wegen Jammer und Schade, ſie zu verkau-
fen und zu ſchlachten. Dieſe Frau, dar-
uͤber ganz beſtuͤrzt, uͤberließ ſie den Bonzen,
welche ihr verſprachen, die Enten zu fuͤttern,
und beym Leben zu erhalten. Aber die Bon-
zen ſchlachteten ſie noch denſelben Abend, und
fuͤtterten ſich ſelbſt damit.
Die
[297]
Die dritte Hauptſecte der Tao Sſee
oder der Lehrer des Geſetzes, hat den Welt-
weiſen Lao kiun zum Erfinder und Stif-
ter. Seiner Lehre iſt es in gewiſſer Abſicht
ergangen, wie den Lehren des Epicurs, in-
dem beyde von ihren Schuͤlern in einem
falſchen und verkehrten Lichte ſind vorgeſtellt
worden. Lao kiun ſetzte die menſchliche
Gluͤckſeligkeit in das Empfinden einer ſanf-
ten und ſtillen Wolluſt, welche alle Ver-
richtungen der Seele ruhen laͤßt. Und aus
dieſem Grunde nun, affectiren die Anhaͤn-
ger ſeiner Lehre eine ſolche Ruhe, dadurch
die ganze Geſchaͤfftigkeit der Menſchen auf-
gehoben wird. Da aber dieſe Ruhe, durch
den Gedanken an den Tod, ſehr geſtoͤhrt
wird; ſo haben ſie ſich die Muͤhe gegeben
einen Trank der Unſterblichkeit zu erfin-
den. Viele einfaͤltige Menſchen, durch die
Hoffnung geſchmeichelt, dem Tode zu ent-
gehen, bekennen ſich zu dieſer Secte: ja ſo gar
der Kayſer Tſin Chi hoangti, der bekann-
termaßen ein geſchworner Feind aller Gelehr-
ſamkeit war, und der Kayſer Vou ti, nah-
men die Lehren dieſer Secte an.
Die aͤchten Buͤcher des Lao kiun ſind
mit einer geſunden nnd wahrhaftig philoſo-
phiſchen Sittenlehre angefuͤllt. Sein groſ-
ſes und wichtiges Werk beſteht aus fuͤnf-
tauſend Spruͤchen, von velchen ſehr viele
T 5fuͤr-
[298] fuͤrtreffliche Sachen enthalten. Heutiges Ta-
ges haben die Schuͤler und Nachfolger die-
ſes Philoſophen nichts als Sterndeuterey
und magiſche Traͤumereyen in den Koͤpfen:
geben ſich damit ab, zukuͤnftige Dinge vor-
her zu ſagen: mahlen allerley Figuren aufs
Papier, und begleiten alles dieſes mit ei-
nem ſchrecklichen Lerm uud Geheule. Zu-
weilen geſchieht es zufaͤlligerweiſe, daß ihre
Prophezeyungen eintreffen, und daher kommt
es, daß ihre Secte noch immer Anhaͤnger
findet. Allein die Gelehrten in China be-
trachten doch immer dieſe Secte mit eben
dem Auge, und aus eben dem Geſichtspun-
cte, wie wir bey uns die Marktſchreyer und
dergleichen, anſehen.
Dieß ſind nun die drey fuͤrnehmſten Re-
ligionsſecten, die in China geduldet werden.
Es wuͤrde zwar nicht uͤberfluͤßig geweſen
ſeyn, wenn wir uns in eine naͤhere Ausein-
anderſetzung der Lehren dieſer drey Secttn
eingelaſſen haͤtten; aber die Abſicht dieſes
Werks verſtattet es nicht, zudem, da der Le-
ſer hoffentlich aus dem Erzaͤhlten, eine jede
Secte hinlaͤnglich wird kennen lernen. —
Indeſſen aber muͤſſen wir hier noch einige
Anmerkungen beybringen, die die Neigung
der Chineſer zum Aberglauben betreffen. —
Alle Chineſer, ſie moͤgen ſich zu einer Se-
cte bekennen, zu welcher ſie wollen, ſind
auf
[299] auf Hexerey aͤußerſt erpicht, zu allen Arten
von Wahrſagereyen geneigt, lieben Beſchwoͤ-
rungen, Zaubereyen, Erſcheinugen u. ſ. w.
Noch bis itzt, haben ſie, weder die wuͤrcklich
guten Lehren des Confucius, noch auch ihre
eingebildetn Gelehrſamkeit, die ſie doch vor
allen anderu Nationen behaupten, dahin ge-
bracht, ihnen ihre ungereimten Vorſtellungen
aus ihrem Gehirm zu vertreiben. Verſchie-
dene Secten unter ihnen erweiſen noch der
Sonne, dem Monde, Planeten, Fluͤſſen
u. ſ. f. eine gewiſſe Art von goͤttlicher Eh-
re, richten auch wohl den Seelen ihrer Ver-
ſtorbenen zu Ehren Bildſaͤulen, Altaͤre und
Tempel auf, wozu ſie durch die Vorſtellung,
daß die Seelen ihrer verſtorbenen Anverwandten
allezeit gegenwaͤrtig waͤren, und auf ihre Hand-
lungen achteten, bewogen worden: welches frey-
lich mehr zu einem tugendhaften Leben un-
ter ihnen beytraͤgt, als alle die ſchoͤnen Re-
geln des Confucius nur immer zu thun ver-
moͤgend ſind. — Eben dieſe Art von An-
betung und Verehrung erweiſen ſie, nur in
einem hoͤhern Grade, den verſtorbenen Kay-
ſern, großen Philoſophen, und uͤberhaupt
ſolchen Perſonen, die ſich um das Vater-
land vorzuͤglich verdient gemacht haben. Die-
ſen bauen ſie Tempel, Triumphbogen und
dergleichen auf. — Der unzeitige Eifer
der catholiſchen Miſſionarien hat hierdurch ei-
nen
[300] nen Streit erregt, der vieles zu ihrer Un-
terdruͤckung beygetragen hat.
Die uͤbrigen Religionen, die in einigen
Provinzen von China eingefuͤhrt oder gedul-
det ſind, ſchraͤnken ſich auf die Mohamme-
daniſche Religion, das Chriſtenthum
und Judenthum ein. — Die Anhaͤn-
ger des Mohammeds haben ſich ſeit vielen
Jahrhunderten, in verſchiedene Gegenden
des Reichs, und ſonderlich in die Pro-
vinz Kiang-Nan eingeſchlichen. Weil
ſie in Glaubensartikeln Niemand beunruhigen,
auch Niemand uͤberreden, ihren Glauben
anzunehmen; ſo laͤßt man ſie ebenfalls bey
Ausuͤbung ihres Gottesdienſtes in al-
ler Ruhe. Hierzu traͤgt ſonder Zweifel die
geringe Anzahl der Mohammedaner ſehr
vieles bey, (denn nach Duͤ Haldens Be-
richte belaͤuft ſich die Anzahl derſelben nicht
auf fuͤnf bis ſechs tauſend Familien) zu-
dem auch, weil ſie uͤberall in den Provin-
zen zerſtreut herum leben, und groͤßeſten-
theils als Handwerker, Kuͤnſtler, und uͤber-
haupt als geringe und ſtille Leute bekannt
ſind. — Bey allem dem aber, werden ſie
doch auch da, wo ſie die groͤßte Figur ma-
chen, von den Chineſern verachtet, verſpot-
tet, und oftmals gemißhandelt. Ueberhaupt
ſcheint es, als wenn der chineſiſche Poͤbel
die Mohammedaner nicht leiden koͤnne, und
daß
[301] daß ſie, ohngeachtet die Obrigkeit es ernſt-
lich verbietet, manchmal die Moſcheen derſel-
ben in aller Stille einreiſſen.
Es iſt eine ſehr ſtreitige Frage unter den
Gelehrten: wenn und zu welcher Zeit
das Chriſtenthum zuerſt in China Fuß
gefaßt habe? Wir wollen aber an derſel-
ben hier keinen Theil nehmen, und dem Le-
ſer nur ſo viel davon ſagen, als man mit
Gewißheit behaupten kann. — Man weis,
daß die erſten Jeſuiten, welche ſich ohnge-
faͤhr in der Mitte des ſechszehnten Jahr-
hunderts in dieſe weitlaͤuftige Staaten
wagten, darinn nicht die geringſte Spur
vom Chriſtenthum fanden, ſondern tiefen
Aberglauben und Abgoͤtterey allenthalben
herrſchten. Vielleicht koͤnnte man hieraus
leicht beweiſen, daß das Evangelium die-
ſer Nation niemals verkuͤndigt ſey. Man
fuͤhrt indeſſen Denkmaale an, woraus man
gerade das Gegentheil beweiſen will. Allein
dieſe Muthmaßungen, an den im Grunde
nichts gelegen iſt, in ein gehoͤriges Licht zu
ſetzen, uͤberlaſſen wir ſolchen, denen daran
vorzuͤglich gelegen iſt. Was ſich mit meh-
rer Gewißheit ſagen laͤßt, beſteht darinn:
daß ein gewiſſer Xaverius, in Anſehung
ſeiner Reiſe nach China einigermaßen gluͤck-
licher, als Moſes bey dem Lande Canaan
geweſen ſey. Dieſer konnte nur das Land
der
[302] der Verheiſſung von weitem ſehen: da hin-
gegen Xaverius das Vergnuͤgen hatte,
wuͤrklich nach China, oder zum wenigſten
nach einer kleinen Inſel, Namens Sancian
oder Shang-chewen-ſhan, zu kom-
men. — Unter allen den Miſſionarien,
welche nach dem Xaverius nach China ge-
reiſt ſind, wird vorzuͤglich ein gewiſſer Je-
ſuit, Namens Ricci, geruͤhmt, den man
fuͤr den Stifter der Miſſion haͤlt: ein
Pater Schall, welcher anfaͤnglich Lehrmei-
ſter eines gewiſſen Kayſers wurde, nachher
aber eine anſehnliche Staatsbedienung beklei-
dete; der bekannte Pater Verbieſt, wel-
cher ebenfalls ein großer Herr in China
wurde; die Patres Bouvet und Gervil-
lion, beyde geſchickte Mathematiker und
Freunde des Kayſers Kang-hi. Man
kann bey allen dem, was man von dieſen
beruͤhmten Leuten erzaͤhlt, nicht genug be-
wundern, mit welcher Geſchicklichkeit dieſe
Miſſionairs, eben ſo eifrig, als klug, eben
ſo fromm, als in den Wiſſenſchaften, der
Sternkunde, und den mechaniſchen Kuͤnſten,
bewandert, ſich bey den Großen beliebt zu
machen, und die Gnade der Kayſer ſich zu
verſichern gewußt.
Dieß gelang anfaͤnglich dem Vater Ric-
ci vorzuͤglich, welcher auch alle Gelegenheit
ergriff, ſich am Hofe zu Peking einzuſchmei-
cheln,
[303] cheln, und mit dem Kayſer ſelbſt bekannt
zu werden. Ihm gieng auch alles gluͤcklich
von ſtatten *) und kam in das groͤßeſte
Anſehen am Hofe. Er und ſeine Gehuͤlfen
erhielten die Erlaubniß, ſich in Peking nie-
der zu laſſen. Mehr als einer von ihnen
hatte ſeine Wohnung in dem kayſerlichen
Pallaſte. — Ricci erwarb ſich bald, we-
gen ſeiner Geſchicklichkeit in der Mathematik,
und der koſtbaren und angeſehenen Geſchenke,
die er dem Kayſer uͤberreichte, allgemeine
Hochachtung. Seine Wohnung war gleich-
ſam ein Sammelplatz gelehrter und ange-
ſehe-
[304] ſehener Maͤnner! Ricci verband mit ſeiner
Gelehrſamkeit viele Weltkenntniß, und wuß-
te die Zeit recht gut abzuwarten, wann er
ſeine Abſichten vollfuͤhren wollte. So bald
er ſah, daß er ſich der Gunſt des Kayſers
vergewiſſert wußte; ſo fieng er auch an,
das Chriſtenthum in Peking maͤchtig anszu-
breiten. Seine Arbeit war auch nicht oh-
ne gluͤcklichen Erfolg. Es dauerte nicht
lange; ſo hatte er viele, und zum Theil an-
geſehene Leute bekehrt. Die Anzahl der Neu-
bekehrten war ſchon ſo ſtark angewachſen,
daß ſie Kirchen und Bethaͤuſer aufbauen
konnten.
Man kann leicht denken, wie die Bon-
zen bey dieſem gluͤcklichen Fortgange ihre
Stirnen moͤgen gerunzelt baben. Sie wand-
ten alle Mittel an, dem Ricci Einhalt zu
thun, ſchlugen aͤrgerliche Pasquillen am
Pallaſte des Kayſers an, worinn ſie dieſen
beſchuldigten, daß er ſeine alte Religion
changirt, und ein Befoͤrderer der ſchaͤndli-
chen und gefaͤhrlichen Arbeit des Ricci ge-
worden ſey. Indeſſen aber mußten die
Urheber dieſes Pasquills ihren Kopf ein-
buͤßen; und Ricci hatte das Vergnuͤgen,
daß er, ohngeachtet ſeines vielen Wider-
ſtandes, dennoch ſiegte. Kaum war Ric-
ci geſtorben, und der Pater, Adam
Schall, zum Lehrmeiſter des jungen Kay-
ſers
[305] ſers erklaͤrt; ſo uͤberreichten die Bonzen
dem Regenten eine Bittſchrift gegen ihn und
ſeine Bundesgenoſſen, woruͤber eine grauſa-
me Verfolgung erhoben wurde. Schall
wurde dazu verdammt, daß er ſollte ſtran-
gulirt werden. Dieſe Todesſtrafe ſchien den
meiſten aber noch nicht hart genug: es wur-
de alſo ausgemacht, daß er auf oͤffentlichem
Markte in viele tauſend Stuͤcke zerriſſen wer-
den ſollte. — Hier hoͤre man, wie abge-
ſchmackt ſich Duͤ Halde bey dieſer Erzaͤh-
lung auffuͤhrt! — Wir wollen ihn ſelbſt
hoͤren: Wie dieß grauſame Todesur-
theil, ſagt er, den Prinzen von Geblůt
und den regierenden Mandarinen zur
Unterſchrift und Beſtaͤtigung vorge-
tragen wurde; ſo gefiel es dem All-
maͤchtigen, ſich auf eine beſondere und
ganz außerordentliche Art ins Mittel
zu ſchlagen. Denn ſo oft ſie es verſu-
chen wollten, die Eingabe oͤffentlich
vorzuleſen; ſo erſchuͤtterte der Saal vom
Erdbeben mit ſolcher Heftigkeit; daß
ſie ſich alle aus demſelben wegbegeben
mußten, um nicht unter den Ruinen ver-
ſenkt zu werden. Worauf ſie denn auf
die Gedanken geriethen, daß das Ur-
theil wider den Adam Schall ungerecht
ſeyn muͤßte. Ein noch immer anhal-
tendes Erdbeben, und ein Feuer, das
den groͤßeſten Theil des Pallaſtes ver-
Uzehr-
[306]zehrte, nebſt noch vielen andern Wun-
derzeichen zeigten den Richtern deut-
lich, daß ſich der Himmel ſelbſt fuͤr
den armen Pater intereſſire, worauf
denn dem Pater befohlen wurde, ſich
bis auf weitern Befehl an ſeinen Ort
zu begeben. *)
So viel kann man im Ganzen anneh-
men, daß die Ausbreitung der chriſtlichen
Religion wuͤrde gluͤckliche Schritte gemacht
haben, wenn die Miſſionairs ſelbſt unter
einander einig geweſen waͤren. — Allein
in kurzer Zeit warf der Geiſt der Zwie-
tracht — der in Europa Leute von Koͤpfen
und großer Gelehrſamkeit ſo bald verunei-
nigt — auch in China die ausgedachte-
ſten Entwuͤrfe uͤber den Haufen. —
Wahr iſt es, wie bereits ſchon erwaͤhnt, die
chriſtliche Religion hat die heftigſten Ver-
folgungen in China erdulden muͤſſen. Aber
die
[307] die Streitigkeiten haben in der That der
Fortpflanzung des Chriſtenthums am mei-
ſten geſchadet. Ein Arbeiter am Evange-
lio beklagte ſich uͤber den andern, ſo daß
ſie alle uͤber alle klagten. Ihre unnuͤtzen
Zaͤnkereyen, die vielleicht durch den Neid
entſtanden, brachen bey Gelegenheit gewiſſer
Cerimonien, und bey der Verehrung aus,
die man nach dem Tode gewiſſen großen
und verdienten Maͤnnern erwies. Einige
von dieſen Gebraͤuchen waren allerdings aber-
glaͤubiſch, und konnten von Chriſten ſchlech-
terdings nicht geduldet werden; die meiſten
aber konnten als politiſche und unbedeuten-
de Anordnungen ſehr wohl gelitten werden.
Die Jeſuiten dachten in dieſem Puncte
billig genug, woruͤber aber die Dominica-
ner und Franciſcaner bey dem heiligen
Stuhl in Rom die groͤßeſten Klagen fuͤhr-
ten. Die Jeſuiten, welche am Hofe zu
Peking ihren großen Anhang hatten, brach-
ten es ſo weit, daß ſie einen umſtaͤndlichen
Bericht der chineſiſchen Cerimonien auf Be-
fehl des Kayſers durch zwey geſchickte
Mandarinen aufſetzen ließen, und ihn an
den Pabſt, um ſich zu purgiren, ſchick-
ten. Der Bericht lautet von Wort zu
Wort folgender Weiſe: *) „Wenn die
U 2Chine-
[308] Chineſer den Confucius verehren; ſo thun
ſie dieß bloß, um dadurch die Hochachtung
auszudrucken, die ſie ihm, ſeiner fuͤrtreffli-
chen Lehre wegen, ſchuldig ſind. Und da ſie
ſich zu ſeiner Lehre bekennen, wie koͤnnen
ſie ihn denn beſſer ehren, als wenn ſie ſich
niederwerfen, und den Erdboden vor dem
beruͤhren, den das ganze Reich fuͤr ſeinen
Lehrmeiſter erkennt? Was die Opfer und
Gebraͤuche betrifft, die ſie zu Ehren ihrer
Verſtorbenen feyern; ſo kann man dieſe
nur als Beweiſe der Ehrfurcht und fuͤr ein
Geſiaͤndniß anſehen, daß ſie noch als Haͤu-
pter der Familie geſchaͤtzt werden. — Die
Bildſaͤulen, die ſie ihren Vorfahren zu Eh-
ren aufrichten, zeigen nicht ſo viel an, als
wenn ihre Seelen darinn wohnten, auch
werden dieſe um nichts angerufen, ſondern
ſie ſtellen nur Speiſe und Getraͤnke vor ih-
nen hin, um dadurch zu bezeugen, wie
ſehr es ſie ſchmerze, daß ſie ihres Umgangs
muͤßten beraubt ſeyn. — Was die Opfer
anlanget, die die alten Koͤnige und Kayſer
dem Himmel zu bringen pflegten; ſo ſind
es ſolche, welche die chineſiſchen Philoſo-
phen
*)
[309] phen Kiaoche zu nennen pflegen, [die]
Opfer, die dem Himmel und der Erde
gebracht werden, wodurch ſie den Herrn
des Himmels ehren! Und aus dieſer Urſache,
fuͤhren auch die kleinen Gemaͤhlde, vor wel-
chen geopfert wird, die Inſchrift: Shang-
ti d. h. dem allerhoͤchſten Herrn, woraus
ſattſam erhellet, daß ſie nur dem Herrn
und Schoͤpfer Himmels und der Erden
Opfer bringen. Und weil ihre Hochach-
tung und Ehrerbietung gegen denſelben ih-
nen nicht verſtattet, ihn bey ſeinem eigent-
lichen Namen zu nennen; ſo rufen ſie ihn
unter dem Titel an: „hoͤchſter Himmel,
guͤtigſter Himmel, allgemeiner Him-
mel.„ Des Kayſers Kang-hi Genehmigung
dieſes Berichtes, war ſo abgefaßt: „Alles
was in dieſer Schrift enthalten, iſt recht
und der großen Lehre gemaͤß. Ein ge-
meines Geſetz der ganzen Welt, iſt dieſes,
[unſre] Schuldigkeiten gegen den Himmel,
unſern Herrn, zu beobachten. Die in die-
ſer Schrift befindlichen Dinge ſind ſehr
wahr, und beduͤrfen keiner naͤhern Verbeſſe-
rung.„
Nach dem Tode des Kayſers Kang-hi
mußten ſich die Miſſionairs alle aus dem
ganzen Reiche entfernen, und durften ſich
nur allein zu Canton aufhalten. — Man
behielt nur einige Jeſuiten, die ſie wegen
U 3ihrer
[310] ihrer mathematiſchen Einſicht nicht entbeh-
ren konnten. Man begegnete ihnen mit
moͤglicher Achtung. Sie durften von al-
len Dingen, nur nicht von Miſſionair-
ſachen reden. — Es wurden mehr als drey-
hundert Kirchen theils niedergeriſſen, theils
zum anderweitigen Gebrauch beſtimmt. Mehr
als dreymal hundert tauſend Chriſten wur-
den ihrer Prieſter beraubt, und der Verfol-
gung ausgeſetzt.
Dieß war viele Jahre lang die trauri-
ge Lage des Chriſtenthums in dieſem weit-
laͤuftigen Reiche. Die Jeſuiten haben es
doch zuletzt wieder ſo weit gebracht, daß
ſie, ſelbſt in der Hauptſtadt, eine Kirche auf-
bauen duͤrfen. Und ohngeachtet die chriſtli-
che Religion in China gegenwaͤrtig verbo-
ten iſt; ſo wagen es die Miſſionairs doch, ob-
gleich mit noͤthiger Behutſamkeit, in ihren
Haͤuſern, ja ſelbſt außer denſelben, ihrem
Amte vorzuſtehen. Die Regierung ſieht ih-
nen hierbey durch die Finger, und ſtellt des-
halb keine weitere Unterſuchung an. — Was
die gegenwaͤrtigen Miſſionairs in den Pro-
vinzen betrifft; ſo muͤſſen dieſe freylich mehr
Vorſicht gebrauchen, als die in der Haupt-
ſtadt. Indeſſen ſchaffen ſich dieſe an den
Orten ihres Aufenthalts unter den Großen
Schutz, und koͤnnen mit Sicherheit ihre Be-
rufsgeſchaͤffte abwarten
Was
[311]
Was das Judenthum in China be-
trifft; ſo iſt ſehr wahrſcheinlich, daß es da-
ſelbſt ſich ſehr fruͤhzeitig auszubreiten geſucht
hat. Aber ſie leben auch hier, wie uͤberall,
ſehr zerſtreut. Die Anzahl derſelben iſt ſehr
geringe, und geben hier weiter nichts als
Maͤckler ab.
Ende des erſten Theils.
voͤlkerung Perſiens noch folgende zwey rechnen.
— Erſtlich macht die harte und oft grauſame
deſpotiſche Regierungsform, daß ſich viele Ein-
wohner in andern Laͤndern, ſonderlich dem rei-
chen, fruchtbaren und ſtark bewohnten Indien
niederlaſſen, und unter dem Mogul eine ruhi-
ge und gelinde Regierung genießen. — Zwey-
tens ſchadet der Bevoͤlkerung die unwiderſteh-
liche Neigung der Perſer zur Wolluſt und allen
unſittlichen Leidenſchaften. Schon in ihren
jungen Jahren ſuchen ſie mit dem andern Ge-
ſchlecht Bekanntſchaft zu machen, und wenn
ein junger Menſch ſein ſechszehntes Jahr er-
reicht hat, erlauben es ihm die Geſetze ſich eine
Beyſchlaͤferinn zu halten. — Dieſe Neigung
zur Wolluſt erſtreckt ſich auch in eben dem Gra-
de
fruͤhzeitig Kinder: aber dieſe Fruchtbarkeit wird
bald gehemmet. Denn ſie haben die abſcheu-
liche Gewohnheit an ſich, ihre Leibesfrucht
durch dazu dienliche Mittel abzutreiben: und
dieß bloß darum, weil ſie es nicht leiden koͤn-
nen, daß ihre Maͤnner waͤhrend der Schwan-
gerſchaft — denn nach den Geſetzen darf kein
Perſer bey einer ſchwangern Frau ſchlafen —
gar keine Gemeinſchaft mit ihnen haben, und
es mit andern halten. — — Wir werden in
der Folge noch Gelegenheit haben, von den
Heyrathen und den Gebraͤuchen bey denſelben
zu reden. Hier iſt der Ort nicht und auch fuͤr
eine Anmerkung zu weitlaͤuftig, dieſe intricate
Materie ſo zu behandeln, wie ſie es verdient.
Hitze, ſo wie man ſie in einigen Gegenden Per-
ſiens antrift, auf den menſchlichen Geiſt ſtark
wuͤrke. Wahrſcheinlich wuͤrden wir in Perſien
den gluͤcklichſten Fortgang in den Wiſſenſchaf-
ten, ſonderlich in den freyen Kuͤnſten bemerken,
wenn die Hitze den Geiſt der Einwohner nicht
ſo bald ermuͤdete und zur anhaltenden Geſchaͤf-
tigkeit unfaͤhig machte.
Muftis, wer ſollte es glauben! giebts auch in
Europa genug, und, welches am meiſten zu
verwundern iſt — in dem proteſtantiſchen
Deutſchland vorzuͤglich! —
worden, daß ſich ein jeder, der auf den Na-
men eines Gelehrten Anſpruch machen will, in
allen Faͤchern der Wiſſenſchaften muͤſſe umge-
ſehen und gute Kenntniſſe erworben haben.
Darauf wird hier der Leſer verwieſen.
Deutſchen, pflegt man mit der Wahl der Leh-
rer nicht ſo behutſam zu verfahren! Wir geben
unſern Kindern einen Hofmeiſter oder Lehrer,
weil es der hohe Fuß ſo will, ohne zu unterſu-
chen, ob der Hofmeiſter mit Nutzen bey den
Kindern ſey oder nicht! — Die vorzuͤglichſte
und naͤhere Aufſicht bittet ſich gemeiniglich die
Mama aus, verzieht und verdirbt nicht ſelten
die lieben Kinder jaͤmmerlich. — — Aber man
ſollte hierinn den Perſern folgen. Setzt den
Kindern, wie jene, einen tuͤchtigen, ehrlichen
und rechtſchaffenen Hofmeiſter vor, haltet ſie
in der Jugend mit Weisheit ſcharf — uͤberlaßt
ihm Alles, und ihr werdet dem Staate gute
Kinder, zu eurer eignen Beruhigung, geliefert
haben.
hierinn Recht. — Eine Schule, worinn ſo vie-
le Kinder von mancherley Gaben und Herzen
erzogen werden, mag auch immerhin ſo gut
ſeyn, wie ſie will; ſo bleiben ihr doch noch vie-
le Maͤngel uͤbrig, die fuͤr das Herz, fuͤr die gan-
ze Denkart eines jungen Menſchen hoͤchſt ge-
faͤhrlich ſind. — Manchem hochgelahrten
Herrn Rector duͤrfte dieſe Bemerkung ſehr un-
lieb ſeyn. Er beliebe aber nur unpartheyiſch
daruͤber nachzudenken: alsdann wird er die
Wahrheit dieſes Satzes leicht erkennen.
den Taback gleich bey der Hand. Er koſtet
auch nicht viel, weil er uͤberall in Perſien waͤchſt
und da keiner außerordentlichen Wartung be-
darf.
Hoſen, die vom Guͤrtel herunterhaͤngen.
koſtbar in Anſehung des Preiſes.
rathen des Geſichts, und gab einem Soldaten
Sold, je nach dem ſein Stutzbart groß oder
klein war. —
enzimmers zu Lar, der Hauptſtadt dieſer Pro-
vinz, und zu Ormus geſehen zu haben. Ich
habe in den Reiſebeſchreibungen, die ich zur
Hand gehabt habe, dieß Vorgeben des Char-
din nicht beſtaͤtigt — wenn gleich auch nicht
geleugnet — gefunden. Indeſſen verdient ein
ſolcher Reiſebeſchreiber, wie Chardin, allemal
auch da voͤllig Glauben, wo andre ſchweigen.
— Zu Iſpahan durchbohren die Weiber ihre
Naſen nicht.
dem, was die Kleider den Perſern koſten. Ich
habe dieß hier nicht wiederholen wollen, weil
ich mich in ihre Oekonomie ſo weit nicht ein-
laſſen kann.
von ihren Vorfahren erfunden worden. Es iſt
aber ſehr wahrſcheinlich, daß es aus Indien
gekom-
nach Chriſti Geburt, in Perſien bekannt gewor-
den. Schickard, ein Mann, der in den orien-
taliſchen Sprachen und Alterthuͤmern eine mehr
als gemeine Kenntniß ſich erworben hat, be-
merkt, daß ChoſroesI. ein ſaſſanidiſcher Prinz,
der 531 zu regieren aufieng, dieß Spiel von ei-
nem Indianer erlernt habe. — Die Perſer
nennen dieß Schachſpiel Chet-rang; die vor-
nehmſten Benennungen deſſelben ſind aus der
perſiſchen Sprache entlehnt. Schach kommt
her von dem Worte Scheik, welches Koͤnig
und Mat, welches ſterben bedeutet.
hierinn voͤllig Recht. — Gott hatte bey Er-
ſchaffung der Eva allerdings die Fortpflanzung
des menſchlichen Geſchlechts zum Hauptzweck,
und legte in die Naturen der Menſchen den
Trieb ein gemeinſchaftliches Verlangen, ihr
Geſchlecht fortzupflanzen, gegen einander
zu haben. Hierzu kam noch der ausdruͤckliche
Befehl
ſieht, nicht bloß auf die erſten Menſchen, ſon-
dern auch auf die Nachkommen bezieht. —
Chriſtus hat ferner nirgends und nie verboten,
ſich zu verheyrathen; und man kann daher ſich
nicht genug verwundern, daß es in der chriſtli-
chen Kirche Leute giebt, die ſich des Eheſtan-
des zu enthalten, verpflichtet zu ſeyn glau-
ben. — Man ſieht in unſern aufgeklaͤrtern
Zeiten itzt, wie viel der Moͤnchs- und Non-
nenſtand der Bevoͤlkerung des Staats ſchadet,
und hat bereits den loͤblichen Anfang gemacht,
aus den Cellen der Moͤnche und Nonnen Ca-
ſernen zum Nutzen der Menſchheit zu machen!
kommen, warum gerade bey dergleichen Con-
tracten ein Prieſter und kein ordentlicher Rich-
ter vorkomme? Um dieſen Einwurf zu heben,
muß man wiſſen, daß die Geiſtlichkeit in Per-
ſien das hoͤchſte Gericht ausmachen. Denn
die Perſer ſind davon feſt uͤberzeugt, daß die
Geiſtlichen urſpruͤnglich das Recht von Gott
erhalten haben, die Gerechtigkeit zu verwalten.
— Der Sedre, oder der oberſte Prieſter, iſt
der oberſte Chef ſowohl in allen geiſtlichen als
weltlichen Angelegenheiten, und unter dieſem
ſtehen alle uͤbrigen Richter.
Wenn man unterſuchen wollte, ob es wohl
gut ſey, daß die hoͤchſte Jurisdiction in den
Haͤnden der Prieſter iſt, und ob die Gerechtig-
keit nicht darunter leide, ſo waͤre dieß eine Fra-
ge, die ich wohl mit Nein beantworten moͤch-
te. Unter uns Europaͤern findet die hoͤchſte
Ju-
und iſt von dem geiſtlichen Stande beynahe
ganz abgeſondert. Ob ſie aber von der Geiſt-
lichkeit muͤſſe ganz ausgeſchloſſen ſeyn — will
ich hier nicht, weil’s auch nicht hieher gehoͤrt,
unterſuchen — Die Perſer befinden ſich unter
der geiſtlichen Gerichtsbarkeit wohl, und man
ſieht unter ihnen wenige, die nicht in Ordnung
gehalten werden koͤnnten.
nichts anders, als ein Waſcher todter Koͤr-
per. Dieß Amt darf keiner als er bekleiden.
Er iſt von der Juſtiz angeſetzt, damit man
hauptſaͤchlich wiſſe, wieviel Perſonen jedesmal
geſtorben ſind. — Eine Gewohnheit und An-
ordnung, die beyde, von allen Seiten betrach-
tet und gehoͤrig erwogen, gut und lobenswuͤr-
dig ſind.
Ta-
nir oder Manguer. — Sie pflegen ſich, nach
den Vorſtellungen der Perſer, mit dem Todten
zu unterhalten, und ihn wegen ſeines Glau-
bens und ſeines ganzen Wandels zur Rechen-
ſchaft zu fordern. Iſt nun ihr Glaube auf die-
ſer Erde klein, und ihr Betragen den Geſetzen
Mohammeds zuwider geweſen; ſo werden ſie
von dieſen beyden Engeln verdammt, und dieſe
Verdammung beſteht in einer beſtaͤndigen und
heftigen Reue, ſich nicht ſo vollkommen ge-
macht zu haben, als ſie es haͤtten ſeyn koͤnnen.
— Dieß iſt die Vorſtellung des venuͤnftigern
Theils unter ihnen. — Andere halten dafuͤr,
daß die Verdammung der Gottloſen in abſcheu-
lichen Traͤumen und Erſcheinungen, hingegen
die Seeligkeit der Frommen in dem Genuſſe un-
aufhoͤrlicher Vergnuͤgungen, beſtuͤnde, bis end-
lich der große Geſetzgeber erſchiene und alle
Verſtorbene zu einer allgemeinen Auferſtehung
beriefe. Alsdann wuͤrde einem jeden ſein ewi-
ges Endurtheil geſprochen, und er entweder be-
ſtaͤndig vom Teufel gequaͤlt oder ewig gluͤcklich
ſeyn. — Man ſieht hieraus leicht, was die
Perſer von der Seligkeit oder Verdammung der
Verſtorbenen fuͤr eine Meynung hegen. Es
iſt Schade, daß ſie zu dem, was in dieſen Vor-
ſtellungen uͤbertriebenes oder falſches iſt, durch
ihre religioͤſen Ideen verleitet werden. Beſon-
ders ſcheint es, als wenn ſie vom Teufel eine
entſetzliche Meynung haben, und hierinn unſre
deutſchen Orthodoxen noch einigermaaßen uͤber-
treffen. Verſtuͤnden die Perſer deutſch, und
wenn es ſich ſonſt thun ließe; ſo koͤnnte man
ihnen
im ſchwarzen Tuche. Aber viele Reiſebeſchrei-
ber, und hierinn eben ſo glaubwuͤrdige, geben
die Verſicherung, daß ſie ſich einer ſolchen Cou-
leur bedienten.
dem Titel: „Doch die Exiſtenz des Teufels
auf dieſer Erde,“ um ihnen zu zeigen, was
man in andern Laͤndern vom Teufel halte!
naͤher unterrichten will, den wird des Herrn
Sinners Verſuch uͤber die Lehren der See-
lenwanderung und des Fegefeuers der Bra-
minen von Indoſtan, hinlaͤnglich befrie-
digen.
gilt aber nur bloß in Anſehung der großen
Staͤdte. Auf dem platten Lande redet man ein
Perſiſch, das man kaum, wenn man nicht
hoͤchſt aufmerkſam iſt, verſtehen kann. Die
Verbindung der Woͤrter mit einander iſt bey
dem gemeinen Volke ſehr unregelmaͤßig.
die Buchdruckerkunſt in Perſien einzufuͤhren;
allein dieſer Prinz ſtarb gerade zu der Zeit, wo
der Anfang ſollte gemacht werden.
den geiſtlichen Perſonen geachtet ſind, kann dieß
ſeyn, daß ſie naͤmlich die Ehre haben, ſeit lan-
gen Jahren her, die Prinzeſſinnen von koͤnigli-
chem Gebluͤt zu heyrathen.
Orakel, einen Menſchen, der ſchlechterdings
abſolut entſcheidet.
welches ſo viel heißt, als ein Unglaͤubiger oder
Goͤtzendiener. Dieſe Namen legt man auch
den Chriſten und allen bey, die nicht ihrer Re-
ligion zugethan ſind. Ich bemerke dieß hier
darum, weil die Tuͤrken dieß Wort allezeit im
Munde fuͤhren, wenn ſie von Juden oder Chri-
ſten reden. In der hebraͤiſchen Sprache bedeu-
tet das Wort Chaver auch Opferprieſter der
Perſer. Ich glaube, daß der Ausdruck Gau
— welcher ſo viel, als Koth, Miſt, Auswurf,
ſtercus, bedeutet — den Auswurf von Erden-
volke bezeichnen ſoll. Die Perſer nennen auch
die Guebers Atechperes, d. h. Anbeter des
Feuers.
ein. Allein, im Fall der Unfruchtbarkeit in den
erſten neun Jahren ihrer Verheyrathung, koͤn-
nen ſie, neben der erſten, noch eine zweyte Frau
nehmen.
rer alten Sprache, welches ſie durch das Wort
Kaddim, ein arabiſches Wort, ausdruͤcken.
man aus, welches ſo viel, als geſchaffner
Gott, heißt.
verſtanden, daß Zoroaſter das Haupt und der
Anfuͤhrer der magiſchen Secte ſey. Allein in
Anſehung der Zeit, wann er gelebt habe? ſtim-
men kaum zwey oder drey mit einander uͤberein.
Der ſcharfſinnige Prideaux macht die richtige
Anmerkung, daß man ſehr leicht in den Stand
geſetzt werden koͤnnte, die verſchiedenen Mey-
nungen unter einander zu vergleichen, wenn
man das 30. Buch der Naturgeſchichte des
Plinius mit Nachdenken uͤberleſen wollte. —
Plinius erwaͤhnt in dem angefuͤhrten Buche,
(welches auch jetzt die meiſten Gelehrten an-
nehmen,) daß es zwey Zoroaſters gegeben, die
ſechshundert Jahre von einander gelebt haben.
Sehr wahrſcheinlich iſt der erſte der Urheber
der
das Jahr der Welt 2900 gelebt. Dieſe Anga-
be der Zeit, worinn er gelebt hat, iſt ohngefaͤhr
richtig, und ich bin gar nicht in Abrede, daß
er nicht ſollte oder koͤnnte einige Jahre fruͤher
oder ſpaͤter gelebt haben: zumal da es unge-
mein ſchwer und faſt unmoͤglich iſt, in dieſem
Zeitalter etwas ganz Beſtimmtes anzugeben. —
Mit weit mehrer Gewißheit kann man ſagen,
zu welcher Zeit Zoraſter der zweyte gelebt hat.
Faſt die meiſten Gelehrten ſetzen ihn in die Zei-
ten des Darius Hyſtaſpes, und halten ihn fuͤr
den Fortſetzer desjenigen, was Zoroaſter der
erſte angefangen hat. Von den Buͤchern, die
man dem Zoroaſter beylegt, iſt Zendaveſta be-
kannt genug, worinn er alle Theile ſeiner Leh-
re auseinander geſetzt hat. Aber man hat an
der Wahrheit dieſer Buͤcher ſehr zu zweifeln.
Sie ſcheinen von den Prieſtern untergeſchoben
zu ſeyn. — Wir bitten die Leſer uͤber den Zo-
roaſter und deſſen Schriften den Th. Hyde de
religione vet. Perſarum. Pocock Specim. hiſt.
Arab. Bayle Dict. T. IV. art. Zoroaſtre —
nachzuleſen.
non ante Magorum diſciplinam ſcientiamque
perceperit. Cic. de diuinat. lib. 1. 91. pag.
3161. edit. Verburgii.
gorum, vt hodieque in magna parte gentium
praeualeat, et in oriente regum regibus im-
peret. Plin. lib. 30. c. 1.
er von den Egyptiern entlehnte, ausnehmen,
wodurch er die alte Lehre der Magier erniedrig-
te und verdarb.
Ausdruck, der ſo viel bedeutet, als ein Aelte-
ſter. Die Mohammedaner legen dieſen Na-
men auch einigen ihren Prieſtern bey.
Art eines Rocks zugeſchnitten.
Dinge, welcher ſich die Mohammedaner bedie-
nen, zu enthalten pflegen, ſind ſehr mannich-
fach. Die erſte von allen gruͤndet ſich auf eine
alte Tradition, die auch vielleicht gegruͤndet
ſeyn koͤnnte. Die Sabis ſind nemlich der Mey-
nung, daß ihre Vorfahren mit Mohammed ei-
nen Vergleich getroffen haben, vermoͤge wel-
chen ſie glauben und handeln koͤnnten, wie ſie
wollten. Dieſer Contract ſey nun zwar von
den erſten Nachfolgern Mohammeds beobachtet
worden: allein in der Folge der Zeit habe die-
ſer Contract aufgehoͤrt. — Aus dieſem Grun-
de ſchreiben ſie auch den Mohammedanern alles
Uebels zu, und glauben, daß nur dieſe allein
der Grund ihres Elendes ſeyn koͤnnten.
Die Sabis verachten auch keine Religion mehr,
wie eben die Mohammedaniſche: und wenn ſie
Gelegenheit haben ſie zu verhoͤnen und zu ver-
ſpotten; ſo thun ſie dieß mit dem groͤßeſten
Eifer.
allein von dieſer Trennung her. Weil jene die-
ſe fuͤr unheilig halten; ſo koͤnnen ſie ihnen auch
die
kann: es bedeutet ſo viel, als Unterwerfung
oder Befolgung der goͤttlichen Gebote. Die
Perſer behaupten, daß Mohammed ſelbſt, die-
ſen Namen, zur Bezeichnung ihrer Religion, ge-
geben habe.
Mekka zu thun. Und dieß hat von jeher zu den
unſaͤglichen und grauſamen Kriegen zwiſchen
beyden Voͤlkern Gelegenheit gegeben. Staͤnde
es in der Tuͤrken Gewalt, den Perſern dieſen
Weg zum Paradieſe gaͤnzlich zuzuſchließen; ſo
wuͤrden ſie gewiß hiebey alles moͤgliche anwen-
den. Aber Alys Anhaͤnger wollen auch ſelig
ſeyn, und wallfahrten deswegen auch hin nach
Mekka.
Alle Unterhandlungen der Perſer mit den
Tuͤrken laufen daher immer darauf hin-
aus, Alys Nachfolgern eine voͤllige Freyheit
zu verſchaffen, um ihre Wallfahrt ſicher und
ruhig nach Mekka verrichten zu koͤnnen. Bey
dem Frieden im Jahre 1764 machte dieſes faſt
den wichtigſten Punct in den Tractaten beyder
Voͤlker aus.
als wenn die Denkart und die Verfeinerung
der Sitten der chineſiſchen Nation durch die
Bekanntſchaft mit den Europaͤern ihre Rich-
tung bekommen habe; ſo wuͤrde man mich nicht
verſtehen. Es iſt bekannt genug, daß Europa
weit ſpaͤter, als Aſien cultivirt geworden iſt.
Allein die Chineſer glaubten, daß kein Volk,
außer ſie, Menſchenverſtand beſaͤße: und da ſie
das Gegentheil an den Europaͤern bemerkten;
ſo mußte dieß natuͤrlicherweiſe große Revolu-
tionen in ihren Geſinnungen verurſachen.
neſern gebraͤuchlich ſey, demjenigen, welchen man
beſuchen wolle, vorher einen Zeddul zu uͤber-
ſchicken. Ein ſolcher Zeddul beſtehe gemeinig-
lich aus einem Bogen Pappier, hier und da
mit ſchlechten Blumen bemalt. Er giebt ein
Anmeldungsſchreiben, wie es Perſonen einzu-
richten pflegten, die mit dem, welchen ſie beſu-
chen wollten, nicht ſehr bekannt ſind. So
ſchreiben ſie, z. E. der zaͤrtliche und aufrichtige
Freund eurer Herrlichkeit, und der beſtaͤndige
Schuͤler eurer Gelehrſamkeit entbietet ſich, als
ſolcher, euch bis auf die Erde ſeine Schuldig-
keit und Ergebenheit zu bezeigen.
brauch des Branteweins und der Neigung der
zu Chineſer zu dieſem Getraͤnke, zu erzaͤhlen —
Der Leſer kann ihn hieruͤber im erſten Bande S.
303, ſelbſt nachleſen.
der Spielſucht gar zu ſehr ergeben iſt.
barkeit der Kinder gegen die Sorgfalt ihrer El-
tern in den drey erſten huͤlfloſen Jahren ange-
zeigt werden. Dieſe Zeit der Trauer wurde
auch in ganz China ſehr genau beobachtet.
tern gemacht, die ohngefaͤhr einen halben Fuß
dicke ſind. Sie werden innwendig nicht nur
verpicht, ſondern auch außen mit japaniſchem
Fernis uͤberzogen, ſo daß kein Geruch durch-
dringen kann. — Ehe der Todte in den Sarg
gelegt wird, werfen ſie vorher Kalk auf den
Boden, und, wenn er im Sarge liegt, etwas
Baumwolle unter den Kopf. Man ſehe duͤ
Halde Th. 1. S. 306. Le Compte, Gemelli
Carreri u. a.
auch noch eine gewiſſe Art Leute, die, vermuth-
lich durch die Chineſer aufgemuntert, unſre
Kalender mit dergleichen Fratzen auch noch zur
Zeit befangen, und, wenigſtens das gemeine
deutſche Volk, bey der Naſe herumfuͤhren. So
glaubts der Bauer gewiß, wenn er in dem Ka-
lender ſieht und von ſeinem im Zwillinge ge-
bohrnen Sohn lieſt, daß er einmal ein ungluͤck-
licher Ehemann werden wird: denn ein Knabe
im Zwilling gebohren, bekoͤmmt rothe Haare u. ſ.
w. —!
wiſſen wollen, was es mit dieſen Cerimonien
fuͤr eine Bewandniß habe? Dieſen zu Liebe,
wollen wir hier kuͤrzlich das Noͤthige hieruͤber,
aus des Martini hiſt. Sinenſ. P. I. p. m. 77.
mit Vergleichung des Duͤ Halde, Navarette
und Le Compte, mittheilen. — „Sobald die
aſtrologiſchen Beobachtungen vom Tribunal
verfertigt und dem Kayſer uͤberbracht ſind, wer-
den ſie an alle oͤffentliche Plaͤtze geſchlagen, mit
genauer Anzeige der Zeit, wenn eine Finſterniß
eintreten, und wie lange ſie dauren wird. Die
ſaͤmmtlichen Mandarinen muͤſſen in ihrem
Staatshabit vor dem Tribunal erſcheinen.
Wenn ſie nun wahrnehmen, daß die Sonne
oder Mond ſich verfinſtert; ſo werfen ſie ſich
alle auf die Knie, und ſtoßen mit ihren Koͤpfen
gegen die Erde. Zugleich wird mit klingenden
Inſtrumenten ein abſcheulicher Laͤrm in der gan-
zen Stadt gemacht, der durch das Getoͤſe der
Menſchenſtimmen noch graͤßlicher wird. — Die-
ſe abgeſchmackte Idee ruͤhrt noch aus den alten
Zeiten her: denn ſie glauben, durch ihren Laͤrm
den deyden Planeten zu Huͤlfe zu kommen, und
den Drachen, der ſich mit ſeinen Klauen —
nach ihrer Vorſtellungsart — an die Lichtkoͤr-
per gehangen, und dadurch das Licht hemme,
wegzuſcheuchen. — Man kann zwar ſagen, daß
die klugen Leute dieſe Meinung verachten,
und ſie fuͤr natuͤrliche Wuͤrkungen erklaͤren:
aber dieſe duͤrfen ſich uͤber die Abgeſchmacktheit
ihrer Begriffe nicht erklaͤren.
Beſchreibung von ihren Kayſern erhalten, iſt
dieſe. Es werden nemlich gewiſſe Maͤnner von
erkannter Ehrlichkeit beſtellt, deren Pflicht es
iſt, auf alle Handlungen und Worte des Kay-
ſers Acht zu geben, ſie auf kleine Zettulchen zu
ſchreiben, und dieſe in einen dazu beſtimmten
Kaſten zu werfen. Auf ein ſolches Papier
ſchreiben ſie mit der groͤßeſten Offenherzigkeit
alles, was der Kayſer geredt oder gethan hat.
— Ein ſolcher Kaſten wird aber nie bey Leb-
zeiten des Kayſers geoͤfnet, und ſo lange noch
ſeine Anverwandten an der Regierung ſind.
Wenn aber dieſe eine andere Familie erhaͤlt; ſo
werden alle Blaͤttchen Papier mit der groͤßeſten
Sorgfalt aus dem Kaſten herausgenommen,
unterſucht, verglichen: und ſo entſteht ihre Ge-
ſchichte.
Fabelhaftes und Abentheurliches zutragen.
Duͤ Halde erzaͤhlt, daß in der Chronik der Stadt
Fu-chew gemeldet waͤre, es habe eine Frau
eine Schlange gebohren und auch geſaͤugt.
Ferner: es habe eine Sau einen kleinen Ele-
phanten geworfen, und noch viele andere Hi-
ſtorien von Erſcheinungen, Geſpenſtern, wobey
die Bonzen im Spiele ſind.
erleichtern, haben einige Lehrer Vocubularien
und Woͤrterbuͤcher geſchrieben, wo die Man-
nichfaltigkeit der Charactere in einige Claſſen
vertheilt iſt. So muß z. E. alles dasjenige,
was ſich auf Himmel, Erde, Menſch, Pferd,
Berg, bezieht, unter dem Charakter Himmel,
Erde u. f. gebracht und geſucht werden.
richten beygebracht, die man hierbey leſen kann.
400 Jahr bey den Chineſern fruͤher ſey erfun-
den worden, wie bey uns Europaͤern. Es iſt
ſehr
Johann Fauſt die erſten Entdeckungen bey den
Chineſern gemacht und der Sache weiter nach
gedacht habe. Dieſe Meinung wird noch-
fuͤrnemlich dadurch gewiß, daß anfaͤnglich
bey uns auch nur eine Seite des Papiers
bedruckt wurde, wie dieß noch heutiges Tages
in China uͤblich iſt Fuͤr uns Europaͤer war
es vortheilhafter in dieſem Stuͤcke eine Aen-
derung zu treffen: nicht aber fuͤr die Chine-
ſer. Mit vier und zwanzig Buchſtaben koͤnnen
wir viele Baͤnde drucken, wenn wir einen hin-
laͤnglichen Vorrath derſelben haben, um nur
einen Bogen voll drucken zu koͤnnen. Dieß
laͤßt ſich aber bey der chineſiſchen Sprache,
wegen der großen Menge von Characteren nicht
anwenden.
ſtentheils nach dem Kompas, welcher, des
Mangelhaften nicht zu gedenken, in einer Buͤch-
ſe beſtehet, deren Rand in 24 gleiche Theile ab-
getheilt iſt, wodurch die mancherley Winde ſol-
len angezeigt werden. Dieſe Buͤchſe wird auf
Sand oder ſonſt etwas Weiches geſetzt, nicht,
damit die Nadel ihre Richtung nicht verliere,
ſondern damit ſie auf denſelben Raͤuchwerke le-
gen und anzuͤnden koͤnnen. Sie haben hierbey
un-
ſie beehren den Wind nicht nur mit dergleichen
Raͤuchwerken, ſondern opfern ihm uͤberdieß
noch andere Victualien. — Ihre groͤßeſte Kom-
pasnadel iſt nicht uͤber 3 Zoll lang. Duͤ Hal-
de meint, daß dieſe Kompasnadeln in China
waͤren erfunden worden. Man ſehe duͤ Halde
Vol. I. Seite 529 u. f.
Quangtong, gekauft wird, kommt ans Japan
dahin.
ein jeder Kaͤufer habe allemal den Vorſatz, ſo
wohlfeil zu kaufen, als moͤglich, ja, wenn er
koͤnne, gar nichts fuͤr die Waare zu geben.
Eben ſo daͤchte auch der Verkaͤufer. Dieſer
ſey berechtigt, ſeine Waaren ſo theuer zu ver-
kaufen, als er ſie nur immer loß werden koͤnne,
und dabey alle Liſt erlaubt, ſeine Waaren zu
erhoͤhen.
beſte Seide; Kyang-ſi, einen Ueberfluß an
Reis; Fo-kyen den beſten Thee und Zucker;
Kyang nan die beſte Dinte, Ferniß und aller-
ley Galanteriewaaren; Yu-nan, Shen-ſi und
Shan-ſi eine Menge Pferde, Mauleſel, Pelz-
werk, Eiſen, Kupfer und andere Metalle. Man
leſe hieruͤber den Le Compte und Duͤ Halde
nach. —
Vol. I. p. 340.
Stadt, welche drey franzoͤſiſche Meilen lang
iſt, in der Provinz Kyang-ſi. ſich uͤber eine Mil-
lion Menſchen befinde, die ſich bloß mit dieſer
Arbeit beſchaͤfftigten.
ſoll, wie geſagt wird, in jeder Provinz ſeyn.
Sie ſind fuͤrnehmlich der Zierde wegen ange-
bauet. weil ſie von Reiſenden ſehr weit koͤnnen
geſehen werden, und eine ſchoͤne Ausſicht, von
ihren oberſten Gaͤngen herunter, darbieten. —
Gemeiniglich ſind ſolche Thuͤrme neun Stock-
werk hoch. Duͤ Halde verſichert uns aber, daß
einige derſelben uͤber dreyzehn Stock hoch waͤ-
ren. Jedes Stockwerk iſt gewoͤhnlicherweiſe
acht bis neun Fuß, und das unterſte zwoͤlf Fuß
hoch.
eine der Gemahlinnen des Kayſers Whang-ti
dieſer Arbeit zuerſt unterzogen, und die Bear-
beitung der Seide zuerſt erfunden habe. — Es
wuͤrde hier ganz uͤberfluͤßig ſeyn, alle die Na-
men her zu erzaͤhlen, welche die Reiſebeſchreiber
fuͤr die erſten Erfinder des Seidenbaues halten:
ſo viel bleibt gewiß, daß man die erſten Erfinder
deſſelben, mit Gewißheit, nicht angeben kann.
Und uͤberhaupt iſt auch nichts daran gelegen.
ſem
daß der Chineſiſche Monarch, ſeit der Erobe-
rung durch die Tatarn, ſich ſelbſt Cham oder
Kang, d. i. Kayſer genannt habe. —
ſoll begeiſtert haben.
derlich den Le Compte nachleſen.
daß man ihm hier nur einen kurzen Abriß von
den Haupttribunalen darſtellt. Wollten wir
uns hier ins Detail einlaſſen, und von den Ge-
richtshoͤfen Nachricht geben, die einem jeden
der Haupttribunale untergeordnet ſind; ſo wuͤr-
de das ſicherlich nicht nur den Leſer ermuͤden,
ſondern wir wuͤrden auch etwas ſehr uͤberfluͤßi-
ges unternommen haben. Duͤ Halde, Mar-
tini, Le Compte, ſind diejenigen, welche al-
lenfalls den, welcher ein Mehrers hiervon leſen
wollte, hinlaͤnglich befriedigen koͤnnen.
dieſes Tribunals erhellet genugſam, daß,
wenn gleich das Wort mit dem erſten einen
gleichen Namen fuͤhrt, ein Unterſchied zwiſchen
beyden ſey. Duͤ Halde im 1 Th. S. 415.
meldet, daß der Unterſchied dieſer beyden Woͤr-
ter bloß in der Ausſprache laͤge. Li, ſagt er,
bedeute ſo viel als Recht, und Pu heiße Tri-
bunal.
am Werthe ſo viel als hundert franzoͤſiſche
Sols betragen.
Es iſt wohl zu vermuthen, daß die oben ange-
gebene Zahl die rechte ſey, und darunter ein
gewiſſer Aberglaube verborgen liegen mag Duͤ
Halde iſt uͤberdem, in manchen Stuͤcken, ein gar
zu großer Verehrer der Chineſer!
II. findet man eine auffallende Geſchichte von
der Keuſchheit und Zucht einer Beyſchlaͤferinn,
worinn ſich der Kayſer Kang-hi, wegen ihrer
Schoͤnheit, ihres Witzes ſo ſehr verliebt hatte,
daß er ſie aus der letzten Klaſſe in die erſte hat
verſetzen wollen. Die beſcheidene Weigerung
dieſer Forderung, die ſowohl dem Kayſer als ſei-
ner rechtmaͤßigen Gemahlinn gefiel, ſoll dieſe
geweſen ſeyn: Aus einigen eurer alten Gemaͤhl-
de hab ich gelernt, daß gute Kayſer ſonſt niemand
als die treueſten Miniſter um ihre Perſon gelaſſen;
ich habe aber auch gelernt, daß nichtswuͤrdige
Kayſer ſich ein Verguuͤgen daraus gemacht
haben, eine ſolche Race von Weibern um
ſich zu haben, welche ſie zu den ſchaͤndlichſten La-
ſtern reitzen. Ihr wollt mich itzt uͤber eure kayſerli-
che Gemahlinn erhoͤhen! Nehmet euch aber,
ich bitte euch darum, in Acht, daß dieſer Schritt
euch nicht in die Zahl boͤſer Kayſer verſetze. Ich
fuͤr meine Perſon, ob ich gleich ſtolz darauf
bin euch beſtens empfohlen worden zu ſeyn,
und von wahrer Liebe und Hochachtung gegen
euch angefachet bin, kann es nicht zugeben, daß
ihr die Anzahl ſchlechter Kayſer, und ich die
Anzahl ſchlechter Weiber vermehre. Ihr
habt eine Kayſerinn, die alle Tugenden beſitzt,
und eurer ganz wuͤrdig iſt. Dieſer allein ge-
buͤhrt es, ſtets um euch zu ſeyn, nicht aber ei-
ner ſolchen Perſon, wie ich, die ich weiter nichts
als eine Dienerinn von beyden bin! —
dern, die er gemeiniglich hat, denjenigen zum
Nachfolger zu erwaͤhlen, welcher des Scepters
am wuͤrdigſten iſt. Dieſen erklaͤrt er bey ſeinen
Lebzeiten zum Erborinzen; und dieſer Wuͤrde zu
Folge hat er uͤber alle ſeine uͤbrigen Bruͤder den
Rang.
cher den Hervien nur uͤberſetzt hat.
wuͤrdige Verfuͤgung der chineſiſchen Obrigkeit.
Ein Menſch iſt ſchon beſtraft genua, wenn er
ſich aller Freyheit beraubt ſieht. Warum will
man ihm ſeine Geſundheit nehmen, wenn man
dazu gar nicht berechtigt iſt? warum ſteckt man
die Miſſethaͤter in elende multrige Loͤcher? Eine
Sache, die wirklich Schaudern erregt! — —
dem Kayſer Ven ti zuerſt aufaehoben, und von
ſeinen Nachfolgern, die an Grauſamkeit keinen
Gefallen hatten, beſtaͤtigt.
Mandarinen, da ſie ſich bey dergleichen Execu-
tionen ſo praͤchtig auffuͤhren, ſich dieſer Stra-
fe unterziehen muͤſſen, wenn ſie eine nichtswuͤr-
dige Sache haben auslaufen laſſen. — Dieſe
Art von Strafe dient, wie Le Compte
ſagt, zum Mittel, Perſonen, die infam durch
irgend ein Vergehen geworden ſind, wieder ehr-
lich zu machen.
daß es außer den Bonzen auch noch Bonzin-
nen giebt. Dieſe Bonzinnen ſind Frauens-
perſonen, welche gemeinſchaftlich in Kloͤſtern
nuter einander leben, zu denen Niemand gelaſ-
ſen wird. Ihre Beſchaͤfftigungen beſtehen im
Dienſte ihres Goͤtzen und in Handarbeiten.
Sie legen keine Geluͤbde ab; ſie ſind alle, ſo
lange ſie im Kloſter bleiben, zu aller Enthaltung
verpflichtet. Diejenigen, welche dieß Gebot
uͤbertreten, werden zuerſt auf das ſchaͤrfſte be-
ſtraft, und in der Folge genoͤthigt, das Klo-
ſter zu verlaſſen und ſich zu verheyrathen!
hat in der That ſo viel Frappantes, daß
es wohl der Muͤhe werth waͤre, wenn der
Leſer hieruͤber den Le Compte und Mar-
tini nachleſen wollte. — Er mußte, ehe
er ſeine Abſichten erreichte, viele Schwuͤrig-
keiten und Hinderniſſe uͤberwinden. Seine
Geſchenke aber befoͤrderten ihm zu ſeiner Ab-
ſicht, darum er ſich ſo viele Muͤhe gegeben.
Duͤ Halde erzaͤhlt, daß er dem Kayſer ein
Geſchenk mit einem ſchoͤnen Gemaͤhlde unſers
Heylandes, und mit einem Gemaͤhlde der
Jungfrau Maria, und mit einer praͤchtigen
Uhr gemacht habe. Der Kayſer ſoll dieſe
Geſchenke ſehr bereitwillig angenommen, und
die Gemaͤhlde auf den Ehrenplatz im Pal-
laſt geſetzt, und zur Verwahrung der Uhr ei-
nen ſchoͤnen Thurm aufgebaut haben.
heißt mir eine recht meiſterhafte Erzaͤhlung!
Aber man muß ſich hieruͤber nicht wundern.
Vater Duͤ Halde bringt dergleichen Schnur-
ren, wo er nur kann, immer an; und es
waͤre zu wuͤnſchen, daß er mit dergleichen Din-
gen ſeine, ſonſt ſchaͤtzbere Reſebeſchreibung, nicht
beſudelt haͤtte.
tiſchen
harmonirt, was ein ungenannter Verfaſſer
eines Werks, de cultu Sinenſium, Coloniae
1700. davon geſagt hat.
- Rechtsinhaber*in
- Kolimo+
- Zitationsvorschlag für dieses Objekt
- TextGrid Repository (2025). Collection 1. Characteristik der merkwürdigsten Asiatischen Nationen. Characteristik der merkwürdigsten Asiatischen Nationen. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bhpm.0