Proben neuer Dramen
II.
Patkul.
Politisches Trauerspiel in 5 Aufzügen, von Karl Gutzkow.
Personen
- Friedrich August,
König von Po-
len und Churfürst von Sachsen. - Churfürstin Anna Sophia,
Mut-
ter Friedrich August's. - Graf Flemming,
Feldmarschall und
Minister. - Julius von Einsiedel,
.sein Neffe
- von [Nostiz],
Oberhofmeisterin.
- Anna von Einsiedel,
- Frau von Prittwitz,
- Baronesse v. Jänkendorf.
- Johann Reinhold v. Patkul,
russ. General-Lieut. und Gesandter
Peters d. Großen am sächs. Hofe. - von Imhof,
- Pfingsten,
- Kammerjunker von Bitzthum.
- Petrow,
- Muraview,
- Glinka,
- Renschöld,
.schwedischer General
- u. s. w. u. s w.
Hofda-
men d.
Churf.
Mutter
sächsische Räthe.
russische Obersten in
Patkuls Generalstab.
Erster Aufzug.
Erste Scene.
Ein Vorzimmer der Churfürstin in Pillnitz. Ihre beiden Hofdamen
Anna von Einsiedel ernst, sinnig, schwärmerisch und die Baronesse
Jänkendorf, ein heiteres unbefangenes Geschöpf, sitzen stickend einander
gegenüber. Die Jänkendorf liest aus einer Flugschrift die Schicksale
Patkuls ihrer Freundin vor. An dem Interesse, mit welchem Anna
zuhört und später weiter liest, bemerkt man leicht, daß sie mehr als eine
gewöhnliche Theilnahme an dem Helden des Buches nimmt. Patkul ist
13
[98] ein geborener Liefländer, der von seinem Vater den alten Haß gegen das
schwedische Regiment, das sein Vaterland bedrückt, geerbt hat. Das
durch vielfache Bedrückung aufgeregte schwedische Volk sendet ihn als
Fürsprecher nach Stockholm. Aber dort wird er als Verräther be-
handelt und zum Tode verurtheilt. Ein Zufall öffnet ihm das Gefängniß,
er entflieht und tritt endlich in sächsische Kriegsdienste. Friedrich August
der churfürstliche König von Sachsen-Polen ist von Karl XII. hart
bedrängt. Patkul commandirt die russischen Hülfstruppen. Aber die
siegreichen Schweden sind schon vor Leipzig und bedrohen Dresden mit
der Brandfackel. Der leichtsinnige, obschon gutmüthige Churfürst sucht sich
in Zerstreuungen zu betäuben. Seine Mutter, die alte würdige Anna
Sophie zerfließt in Thränen. — Um ihr Gesellschaft zu leisten, werden
die beiden jungen Mädchen von der Oberhofmeisterin abgerufen. —
Zweite Scene.
Petrow, Muraview, Glinka mit noch vier Offizieren vom russischen Generalstab treten rasch ein.Iwan. SpäterPatkulundJulius v. Einsiedel.
Ganz Dresden ist in Aufruhr.
Sie wollen wissen, wie es mit Sachsen steht.
Der ganze Markt wogt von der Menschenmenge.
Fenster).
Sie halten den General an.
Er soll ihnen Nachricht geben. Der König ist nach Pillnitz.
Die Minister bleiben verborgen. Dresden kann in vierundzwanzig Stunden in den
Händen der Schweden seyn.
Sehen Sie da! — Der General spricht zu der Menge.
Von seinem Haß gegen Schweden — von Schweden
und Frankreich, die sich in Europa theilen wollen — vom Krieg — von der pol-
nischen Krone — Churhut retten — Deutschland retten — Schweden im Land —
Jammer des dreißigjährigen Krieges — Sachsen ein Juwel — Friedrich August
ein Vater seines Volles — Frieden schließen — mit Karl — um Sachsen zu retten,
Frieden schließen — wie sie seinem begeisterten Worte lauschen!
Sie kennen die Gefahr nicht in ihrer ganzen Größe.
Sie begleiten den General hierher. Sie rufen —
der Scene lautes Rufen, das sich immer mehr nähert: Hoch, General Patkul!)
Kaum lassen sie ihn durch —
Kommen Sie; der General!
Das ist ein heißer Tag! Die armen Menschen dauern
mich. Sie suchen in der Irre und finden keinen Hirten! Wie stark ist noch unser
Corps?
[99]
Von zehn- nur noch viertausend.
Entsetzliche Bellona! Was die eine Seite ihrer zweischneidigen Sichel
im Kampfe verschont, mäht die andre in verherenden Krankheiten fort! — — Ist
die Kriegskasse noch gefüllt?
250,000 Thaler.
Was in der Schlacht die Fahne, ist leider das Geld im Frieden!
Den Muth nicht verloren, Freunde. Wir sind geschlagen, — — ja wir sinds! Peter
der Große wird seine Eisfelder zu Hülfe nehmen müssen, um Karl dem XII. zu ver-
gelten. Reiten Sie zu den Unsrigen! Grüßen Sie die Donischen Kosaken und die
Zaporoger!
Wie singt ihr an der Wolga, Knabe, wenn ihr in die Steppe
reitet und Pferde in den Sümpfen fangt?
Glückliches Naturvolk! Du weißt nicht, daß der mensch-
liche Gedanke doch noch schneller als Kosakenpferde ist! Lebt wohl! Reitet zu den
Brüdern und meldet mir die Bewegungen der Feinde. Morgen beginnt der Waffen-
stillstand.
Du bist so ernst, Julius?
Ich betrübe mich um Dich.
Warum? Weil ich alle meine Hoffnungen scheitern sehe?
Nein, Reinhold. Weil Du eine Entschlossenheit zeigst, die mir
verräth, daß du sie noch nicht aufgegeben hast.
Im Unglück wächst mir die Kraft. Geschlagen stehen wir an den
rauschenden Trümmern unserer Hoffnungen! Aber wir müssen alles wiedergewinnen,
wenn der König seine wahren Feinde nicht draußen, sondern drinnen sucht.
Reinhold, Du willst gegen die Creaturen eines Flemming auf-
treten? Ueberschau den Boden, auf dem Du Dich mit Deinem zusammengeschmolze-
nen, kampfunfähigen russischen Hülfscorps befindest! Die Minister hassen Dich, weil
sie gehofft hatten, als Du in ihre Dienste tratest, Du würdest ihnen für ihre Pläne
eine Scheide, keine Klinge seyn. Du gingst in russische Dienste, bliebst hier in
Dresden als Gesandter, commandirtest die Hülfstruppen, Du warst das Gewissen
dieser Menschen. Du hast sie gezügelt durch Deine Macht. Jetzt lösen sich alle
Bande der Ordnung und des Gesetzes, Du bist wehrlos — — Laß es fluthen! Laß
es treiben! Der Weltgeist fordert nichts von Dir.
Ich bin ein Liefländer. — Deutsch war meine Muttersprache; doch
mußt ich schwedisch sagen, was ich deutsch gefühlt. Bis zum Tage von Lützen
waren die Schweden ein Segen für Europa, bis zum Tage von Fehrbellin ertrug
man sie. Auf Gustav Adolph kam Torstenson, dann lieh sich Oxenstierna von Richelieu
das rothe Sammetkäppchen der jesuitischen Diplomatie; dann kamen die raubsüchtigen
militärischen Nachzügler; Brandenburg, Preußen wurde von den Schweden frei;
13*[100] in Liefland blieben sie. Bin von ihnen zum Tod verurtheilt, weil ich für Recht
und Gerechtigkeit sprach; entfloh, die Schweiz wurde mein Asyl, las in den Bü-
chern, in den Sternen, trieb's, so, in der Stille fort — da läßt sich Euer Churfürst
in Krakau als polnischer König krönen und verspricht/ ein zweiter Sesostris, ein
Augustus, wenigstens ein Louis Quatorze zu werden — —
— — Nun
bin ich einmal da; ich hoffte für mein Vaterland — — —
lichen Entschluß auf)
und hoffe noch!
Polen, Rußland, Sachsen sind geschlagen, Patkul.
Was Sachsen! Ich ließ diesen schwachen Staat
und ging zu Peter, dem Czaaren. Rußlands Hülfsmittel sind unerschöpflich:
Rußland hat das Gold und das Eis. Nicht das Schwert der Schweden hat uns
besiegt. Die gelbe Furie der Intrigue schlich in unsere Reihen, der Sachse ge-
horchte nicht dem Russen, der Russe nicht dem Polen. Die Kriegsgelder sind ver-
schleudert worden. Welcher Bundesgenosse konnte zu Sachsen Vertrauen fassen, einem
Staat, dessen Credit untergraben, dessen Schatz leer, dessen Justiz und Staatsmänner
käuflich sind?
Wer beweist es?
Marmorne Palläste und Hütten von Stroh! — Eine goldene Leib-
wache und kein Heer! — Prachtgärten mit den Pflanzen beider Indien und brach-
liegende Aecker! — Mitleid für Thränen au[f] der Bühne! Keins für den Landmann
in seinen gepfändeten Hütten! — Statuen der Griechen, die Gemälde Italiens,
erkauft durch die allgemeine Armut des Landes.
Patkul! — Auf meiner Zunge, — auf meinem Herzen brennt
ein Auftrag — ein Geheimniß — der König ...
Der König?
O dürfte die Last mir bleiben und mich hinunterziehen!
Was hast Du?
Der König kennt unsre Freundschaft . . er ließ
mich zu einer Audienz fordern, wo er mir auftrug . . Dir . . im Geheim —
zu sagen, daß er von Dir ein . . Gemälde seiner gegenwärtigen Lage —
Das, das hab' ich gehofft, das hab' ich vom Schicksal mir
erbeten!
Hier, sein Brief an Dich!
Polens Königskrone noch als Siegel! Höret die
Wahrheit, Fürsten, und ihr werdet nie eine Krone verlieren!
„Mein
lieber Herr von Patkul, Sie kennen das große Vertrauen, welches ich stets in Ihren
Geist und Ihre Aufrichtigkeit setzte. Ich frage Sie jetzt auf Ihr Gewissen, muß
ich jede Hoffnung aufgeben? Welche Politik rathen Sie an, selbst wenn ich jetzt
Frieden schlösse, um in späterer Zeit meine gerechten Ansprüche auf Polen zu erneuern?
Entwerfen Sie mir ein Gemälde meines Landes! Von Schmeich-
lern umgeben dringt kein Lichtstrahl der Dinge, wie sie sind, in mein Auge;
und doch ist es mein heiliger Ernst, die saumseligen Vollstrecker meines Willens, die
Dränger meines Landes kennen zu lernen. Ich erwarte in den bekannten Chiffern,
deren Schlüssel Sie besitzen, von Ihnen ein Memoire über Sachsen, Polen und
Alles, was auf meine verlorne Königskrone und den Churhut sich bezieht. Ich muß
[101] wissen, wie ich wiedererobern kann, was ich jetzt verloren geben muß. Liefland—“
Patkul, gieb den Brief! Du hast nicht nöthig, das Opfer Deines
Freimuths zu werden.
„Liefland hat meinen Schwur, daß ich mein Leben
daran setze, es aus dem Joche der Schweden zu befreien. Lassen Sie uns Beide Hand
in Hand gehen.
Friedrich August,
für jetzt besiegt, doch nicht ohne Hoffnung.“
Patkul, Du willst es wagen?
Ich will. Liefland ließ mich im Kerker geboren werden; Ketten um
Liefland; Liefland führte mich auf die Leiter zum Hochgericht.
Patkul, ich beschwöre Dich.
Liefland! Ein grüner kleiner Fleck da am Busen der Ostsee! Klagend
bricht sich dort die Welle an der Düne. Wer kennt das Land! Die Birken, seine
Linden duften nur sich selber! — Aber in dieses bunte russische Kleid will ich
nicht vergebens gekommen seyn. Auf mich fiel einst die Wahl meines Volkes.
Hunderttausende hoffen auf mich gegen Schweden und singen mir ins Ohr das
alte Lettenlied:
Du schwärmst, Reinhold!
Für die Freiheit schwärmen, heißt an den Himmel glauben. Für
die Freiheit träumen, heißt wachen für die Ewigkeit. Liefland ist die Loosung!
— — Ich schreibe — das Memoire!
Zweiter Aufzug.
Erste und zweite Scene.
Saal im Schloße zu Pillnitz. Flemming, Pfingsten und später
Imhof in lebhafter Unterredung. Das Memoire, welches Patkul dem
Churfürsten übergeben, hat den langgetragenen Neid des intriganten
Ministers Flemming noch stärker angefacht. Patkuls Verderben wird
beschlossen. Aber wie? Die Friedensvorschläge welche den Schweden
gemacht werden, sind von Flemming bereits unterzeichnet und erwarten
nur noch die Ratificaton des Churfürsten. Einige Blätter des Traktats
[102] sind noch leer, wie wenn man Patkuls Auslieferung als von Schweden
gefordert hinein brächte? Pfingsten, der verschmitzte Höfling ist so-
gleich zur Hand und schreibt. — Da meldet ein Offizier die Ankunft
des Königs.
Dritte Scene.
höchst bestimmt.)
Ah, meine Herren! Ging meine Mutter schon mit ih-
ren Damen vorüber?
Nein, Majestät.
So betet sie vielleicht noch. Gott, diese ewigen Belästigungen
des Himmels! Die gute Frau muß den Engeln recht langweilig werden. Meine
Herren, Sie sind verstimmt. Sie haben etwas?
Ja so — o Sie müs-
sen Herrn von Patkul nicht zürnen; er meint es gut mit mir, er liebt mich, er
verbindet mich durch Zuvorkommenheiten.
Flemming, schicken Sie in
die Russische Botschaftskanzlei! Da uns alle Geldsendungen aus der Provinz aus-
bleiben, hat Patkul die Güte gehabt, mir aus den Russischen Hülfsgeldern einen
Vorschuß von Zweihunderttausend Thalern zu versprechen.
Auch das noch?
Keine Rivalität! Keinen Partheigeist an meinem Hofe! In
Polen hatt' ich Anarchie genug. In Sachsen will ich Alles d'Accord haben. Er
hat Ihre Verwaltung angegriffen, Flemming, sie verdiente einige Reprochces, lie-
ber Flemming; es ging nicht Alles so — wie es sollte, mein bester Graf, — ich
habe viel Ursache, Feldmarschall —
Sire, als ich vor 10 Jahren vom Reichstag in Warschau eine
Krone zu Ihren Füßen legte, begrüßte mich Friedrich August mit den Worten:
So lange die Uhr meines Herzens schlägt, sollen Sie meinen Völkern der Wei-
ser seyn.
Ja wohl, ja wohl! Flemming! Aber un roi détrôné — bei
Gott, da hört wohl das Herz zu schlagen auf. Herr von Imhof, Sie werden ins
schwedische Lager reisen. Machen Sie, daß Sie bald zurückkommen. Unser Ballet
soll im Winter nicht unter der Politik leiden. Frau von Prittwitz hat im Mercure
galant etwas von einem Divertissement, Amor und Psyche, gelesen — Eminent —
was sie mir davon erzählte. Suchen Sie die Tänze aus Paris zu bekommen! Aber
nochmals, keine Rivalität mit Herrn von Patkul! Ich ehre in ihm den Gesand-
ten des Czaaren, meines Verbündeten, ich schätz' in ihm den Weltmann und Ken-
ner der Zeiten und Menschen, ich bewundere den hohen Muth, mit dem er sein
tragisches Lebensschicksal um das Wohl seiner Heimath ertragen hat,
und damit lassen Sie's genug seyn.
Ihre liebenswürdige Mün-
del — — Wir sprechen noch darüber!
Was machen Sie da,
Herr Referendair?
[103]
Es sind die Friedens-Vorschläge, Majestät —
Lassen Sie doch noch
einmal sehen.
Wir sind verloren!
Es faßt sich wie glühende
Kohlen an. Die letzte noch heiße Asche meiner Träume! Eine zerschmolzene Krone!
Ein zerrissener Hermelin!
Hand sinken, und scharf die Andern fixirend.)
Werden Sie auch Sorge tragen, daß
in diesen Papieren nichts von meinem Herzen gerissen wird? Hab' ich meinen Ruf
vor Europa, ein Kleinod, das kostbarer ist, als alle Schätze unsers grünen Ge-
wölbes, auch treuen Händen anvertraut?
Tisch.)
Reisen Sie in's schwedische Lager! Geben Sie nicht mehr, als was man
uns schon genommen hat! Nicht mehr! War mir auch das Glück der Waffen
nicht hold, so lerne die Welt doch dies als meinen Wahlspruch kennen: Besiegt
aber ehrenvoll!
aus und vernichtet sie.)
Verwünscht, daß dieser Plan uns scheitern wird.
Excellenz — ist es Seiner Majestät mit
Anna von Einsiedel Ernst?
Wozu das jetzt?
Es gehört zur Sache. Ist es Seiner Majestät Ernst damit?
Ich bin überrascht. Er zeichnet die Einsiedel aus —
Nun, so wissen Sie denn, daß Anna von Einsiedel seit 4 Wo-
chen im Stillen verlobt ist.
Meine Nichte?
Mit wem?
Mit Herrn von Patkul!
Mit Patkul?
Das Verhältniß entspann
sich in den frommen Abendzirkeln der Churfürstin. Gott, was liegt nicht Alles un-
ter dem Deckmantel der christlichen Liebe oft verborgen! Es blieb geheim Ihret-
willen, Excellenz!
Wenn ich jetzt kein Anfänger in
der Kenntniß der Welt bin, und wenn Fürsten nur von einer Seite auch Men-
schen sind, so setzen wir hier etwas zusammen,
was noch der spätesten Nach-
welt vor dem Genie des 18ten Jahrhunderts Ehrfurcht einflößen soll.
Pfingsten, ich stimme für nichts, als was dem König
genehm ist.
Auch meine Meinung, Pfingsten, nichts gegen
den Willen des Königs.
Ver-
steht sich! Natürlich, natürlich! Nichts gegen den Willen des Königs.
[104]
Vierte Scene.
Einsiedel. Anna. Dann Patkul.
O diese Tyrannei der Etikette!
Wo? Wo? Dort?
Meine Anna!
Der Hof naht — die Churfürstin — Pfingsten und
Imhof — laßt es! Trennt Euch!
Anna, unsre Lippen stumm, nur unsre Her-
zen küssen sich!
Wann wird die Fessel springen!
Nur noch einige Tage laßt Eure Liebe verschleiert. Flemming
ist dein Vormund, Anna! Auf unsern Gütern liegt seine mächtige Hand. In eini-
gen Tagen muß wegen ihrer der Prozeß entschieden sein. Ohne Flemming gewin-
nen wir ihn nicht. Nur noch einige Tage bleib' Eure Liebe ein Geheimniß. Man
kommt. Trennt Euch! Wenn man Euch gesehen hätte!
O nur dieser eine Sonnenblick! — Die Churfürstin!
Fünfte Scene.
Patkul. Imhof. Pfingsten.
Auch nicht einen Tag, Herr von Patkul, bleiben Sie?
Nicht eine Stunde, Churfürstliche Gnaden! Dres-
den harrt unserer Rückkunft.
Wir machen den Weg zusammen?
Auch wir wollen uns Churfürstlichen Gnaden empfohlen haben.
So sind wir ganz allein, können aus dem schon fallenden
Herbstlaub das Bild irdischer Größe lesen und für den Ausgang dieser trüben Stun-
den nur noch beten. Sprachen Sie Graf Zinzendorf in Berlin und den guten
Spener?
Zwei edle Männer, die unserm Jahrhundert wieder die fromme
Weihe des apostolischen Zeitalters geben wollen.
Es wird lange währen, bis Graf Zinzendorf
in dieser gottlosen Welt die rechte Zahl der Apostel vollständig haben wird.
Der zwölfte, der den Seckel trägt, möchte nicht so
schwer zu finden seyn.
Ist das Werk des Grafen von Gott, so wird der Beistand
des Himmels nicht fehlen. Herr von Patkul, wie schöne Stunden haben wir sonst
zusammen gefeiert. Wie oft hat Ihr Geist und frommer Sinn die Binde von mei-
nen Augen genommen! Ich lese Arndt, Pascal, Spener, aber je näher man
den Geheimnissen der Weltregierung kommt, desto heißer der Durst, desto karger
die Befriedigung!
[105]
Churfürstliche Gnaden, unser Zeitalter ist zu dunkel, als daß die
Sehkraft unserer Augen so weit trüge, wie in Jahrhunderten, wo der Aether
des Lebens heller, die Luft der Sitten und Meinungen reiner strömte. So über-
laden unsre Tracht, so überladen sind wir an Vorurtheilen. Es werden Zeiten
kommen, wo die Menschen wieder in das reine Quellenbad der Natur untertauchen
und die Herzen sich verjüngen werden.
Wie schön, Herr von Patkul, wissen Sie von der Unsterblich-
keit der Seele zu reden! Unvergeßlich wird mir die Jagd in Liebenwerda seyn,
wo die Cavaliere des Hofes über diesen schönsten Traum unsers Erdenlebens lach-
ten und Sie der Einzige waren, der noch Muth besaß, ihn gegen den Unglauben
dieser Zeit zu vertheidigen.
Den Beweis für das Jenseits, Churfürstliche Gna-
den, ist Herr von Patkul uns doch schuldig geblieben.
Wenn es eine höhere Gerechtigkeit geben muß, die die Verbre-
chen dieser irdischen ausgleicht, so findet er sich vielleicht in den Akten Ihrer Cri-
minaljustiz.
Die Welt weiß so viel und von sich selbst so wenig!
Herr von Patkul, soll ich Ihnen einen Beweis geben, wie wir in diesem unglück-
lichen Kriege verwildern?
Fräulein von Brühl, was verbürgt
uns, daß wir uns dereinst wiedersehen?
Wollen wir nicht gehen? Ich fürchte, die
Frage könnte die Reihe herum auch an uns kommen.
Nun, liebe Brühl — Sie stocken — warum wer-
den wir uns dereinst wiedersehen? Sie, Fräulein von Zeschwitz! —
Lassen Sie uns gehen!
Auch Sie nicht? Ei, ei, sogar die heidnischen Philosophen,
die diesen Garten zieren, haben darauf nicht mit Stillschweigen geantwortet —
Sie, liebe kleine Baronesse Jänkendorf! Was verbürgt uns das einstige Wieder-
sehen?
Der Glaube!
Ei, ei, für ein Kind naiv, für eine Christin fromm
genug. Aber wie? Kann denn die Wärme für das Feuer zeugen, kann denn das
Licht die Sonne erklären? Sie, Fräulein Anna von Einsiedel, was bürgt Ih-
nen dafür, daß wir uns dereinst wiedersehen?
Die Liebe!
O kommen
Sie,
wie einfach und wie
wahr! Thränen im Auge, gutes Kind? Augen, die um der Liebe willen weinen
können, sind nicht bestimmt, ewig geschlossen zu bleiben!
Leben Sie wohl, meine Herren! Sie werden Sachsen den
Frieden geben, segne der Himmel das Werk Ihrer Hände!
Kom-
men Sie!
Sagen Sie, Herr von Patkul, wie kommen Sie bei Ihren ausge-
14[106] zeichneten theologischen Kenntnissen dazu, ein so berühmter Soldat und großer
Staatsmann zu seyn?
O, Herr von Imhof, wie mögen Sie das fragen? Kennen
Sie denn das Buch der Richter im alten Testamente nicht?
Meine Herren, Sie haben eine so ungewohnte Lektüre nicht nöthig.
Sie werden sich Ihre Frage selbst sehr leicht beantworten können, wenn Sie nur
in einem Buche blättern, das Sie wahrscheinlich stets in Handen haben, in der
Geschichte der — Jesuiten!
Emporkömmling!
Lassen Sie nur! Er wird schon das Herabsteigen lernen. Sa-
hen Sie nicht, wie in dem Lichtstrahl, der aus dem Auge dieser Einsiedel blitzte,
alle seine Atome zitterten?
Ist es möglich, der König liebt die Einsiedel?
Seit Patkuls Abwesenheit am preußischen Hof mit einer gehei-
men, aber glühenden Leidenschaft.
Ich bewundre, Herr Staatsreferendar, woher Sie das alles —
Augen! Augen! Herr Geheimrath! Die Mine ist gelegt; wenn
die Politik versagt, soll die Liebe das Zündkraut seyn.
Sechste Scene.
Kammerdiener.(Die Begleitung des Königs tritt dann zurück.) Zuletzt die Chur-
fürstin mit ihren Damen.
Er ist verschwunden — ohne Abschied
— könnt' ich ihn noch einmal sehen — O Gott, der König!
Schöne Anna, Sie verschmähten das Diadem, das ich
Ihnen zu schicken wagte?
Majestät, die
Farbe der Edelsteine stand nicht zu meinem Haar!
Und mein Billet uneröffnet zurück?
Sire, ich sammle keine Handschriften und in mein
Album leg' ich nur, was jeder lesen darf.
Die ganze Welt soll es lesen, was Sie mir sind, Anna! An-
gebetetes Wesen, entfliehen Sie mir nicht! Ich beschwöre Sie, Anna! Retten Sie
ein unglückliches Herz! Wir sind allein. Anna, ich habe keinen Gedanken mehr
als Sie! Anna, — meine Liebe!
Hintergrund.)
Es ist jetzt
eine schwere Zeit, mein lieber Sohn. Sie werden wohl der Einsamkeit bedürfen,
um für das Beste Ihres Volkes zu sorgen!
Anna fort.)
Gebüsch wieder herausgetreten sind.)
Mort de ma vie! Die Lehre hätt' ich mir sel-
ber geben können!
- Holder of rights
- Kolimo+
- Citation Suggestion for this Object
- TextGrid Repository (2025). Collection 1. Patkul. Patkul. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bhp9.0